The Project Gutenberg EBook of Rumänisches Tagebuch, by Hans Carossa This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have to check the laws of the country where you are located before using this ebook. Title: Rumänisches Tagebuch Author: Hans Carossa Release Date: October 9, 2020 [EBook #63410] Language: German Character set encoding: ISO-8859-1 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RUMÄNISCHES TAGEBUCH *** Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net. This book was produced from images made available by the HathiTrust Digital Library.
Hans Carossa
1924
Im Insel-Verlag zu Leipzig
„Raube das Licht aus dem Rachen der Schlange!“
Libermont (Nordfrankreich), 4. Oktober 1916 zerbrach ich am Waschtisch den kleinen geschliffenen Spiegel der Madame Varniers und ging zu ihr, um mich zu entschuldigen und Bezahlung anzubieten. Gewiß war der alten Frau sehr leid um das hübsche Stück; sie ließ aber nichts merken und versetzte lächelnd, es habe gar nichts zu sagen, wo doch die halbe Welt in Trümmer gehe, was liege an einem Spiegel? Dann zählte sie die vielen Besitztümer auf, die ihr im Kriege vernichtet worden, und alles „pour rien“! Zum Glück war eben eine Sendung Schokolade-Makronen aus München gekommen; ich gab ihr die volle Schachtel, die sie ohne Umstände in ihre zittrigen Hände nahm und sogleich davontrug, um sie mit ihrem Manne zu teilen. Später, gleichsam als Gegengabe, stellte sie mir ein Zierbäumchen ans Fenster, eine Art Araukarie, dem Wuchse nach an eine Fichte erinnernd, starrend von harten schwarzgrünen Blättchen, die sich aufsträuben, als warnten sie jeden, sich an der strengen Schönheit des Ganzen zu vergreifen. Von Zeit zu Zeit kommt sie wieder herein, tritt zum Bäumchen, pustet über die Zweige hin, als läge Staub darauf, trommelt eine Weile mit den Fingern an den Scheiben, seufzt, murmelt etwas vor sich hin und geht wieder. Von der Somme herunter donnert es in unsern Müßiggang; es klingt, als wäre im Kamin ein stark loderndes Feuer. Alle Fenster klirren; die Türen, wie von Zornigen geworfen, schlagen auf und zu.
*
Ich reite nun wieder täglich nach dem Dienst gegen Guiscard hinaus und bilde mir dann ein, die See zu wittern, als käme mir ein Gruß aus der freien großen Welt, von der uns Deutsche das Geschick ausgeschlossen hat, wer weiß, für wie lange. Gefühl der Meeresnähe, ja, das ists, was mir diese Landschaft ein wenig verklärt, in der sonst nicht gut wohnen ist für unsereinen, so abgewandt ist jeder Baum, jeder Stein. Das immer ein wenig verstimmte Blau des Himmels über den leeren Flächen und flachen Hügeln, die gepflasterte Heerstraße, die Bonaparte mit dem Lineal gezogen hat, die grauen, wie Negerhütten spitzdächigen Streuschober, auf denen uns Raben und Elstern beobachten – es kann uns alles an nichts gemahnen und verrät uns nichts von seiner Innigkeit, die man doch manchmal ahnt. Wären nicht die deutschen Bauernsöhne, die das allen heilige Erdreich pflügen, und unsere jungen, starkbrüstigen Pferde, die, frei von Zaum und Sattelzeug, in den Hürden grasen, der Blick hätte nirgends ein freudiges Ruhen.
Die Division verlangt einen Bericht über unsere Gefechtsstärke. Die Gasmasken sollen abermals geprüft werden. Das ganze Bataillon wird morgen gemustert, und ich muß alle Mannschaften aussondern, denen ich nicht genügend Kraft zu großen Leistungen zutraue. Sie kommen zu den Ersatzbataillonen; die bleibenden werden gegen Cholera geimpft. Über das Wohin verlautet nichts. Die Schutzimpfung gegen Cholera spricht für den östlichen Kriegsschauplatz. Offiziere und Mannschaften sind, wie vor jeder Veränderung, sehr aufgeräumt, obgleich ihnen Maurepas noch in den Nerven zittert. Alle verwünschen schon wieder die sogenannte Ruhe mit karger Kost, unaufhörlichen Besichtigungen, Übungen, Appellen, Alarmen und Ehrfurchtsgebärden vor unversehrten Uniformen. Viele sehnen sich wieder nach dem gefährlicheren und härteren, aber würdigeren und freieren Leben vor dem Feind.
Eben las ich zum drittenmal Vallys Brief, der fast nur von dem kleinen Wilhelm handelt. Wie schön ist es doch, wenn ein Mensch dem andern durch feinste, beleuchtendste Züge versäumte Gegenwarten ersetzen möchte! Neulich, während eines heftigen Sturms, läuft der Knabe im Garten von Staude zu Staude, greift schließlich in eine Buchshecke hinein, wo der Wind gerade am stärksten wühlt, preßt die Hand fest zusammen und rennt zur Mutter: „Jetzt hab ich den Wind gefangen“, schreit er in atemlosem Entzücken, indem er vorsichtig die Faust öffnet, und ist sehr erstaunt, weil da nichts zu sehen ist, als ein paar Blätter und Stengel.
Die Musterung dauerte den ganzen Tag. Den Abend verbrachte ich mit Leutnant T. in seinem Quartier. Er war verdrießlich, weil er solche Massen abgehender Briefpost zensieren mußte, und gestattete nach einigem Knurren, daß ich ihm wieder ein wenig dabei half. Kein Brief darf durchkommen, durch den die bevorstehende Ablösung verraten werden könnte. Fast unwillkürlich suchte ich nach der steilen, klaren Handschrift des jungen Glavina, der oft an seine Freunde so wunderliche Sätze schreibt. „Was wäre das für eine geistige Einheit, die wegen der Explosion einer dummen Granate gleich auseinanderspränge?“ las ich diesmal.
Um drei Uhr früh weckte mich Rehm. Ich trank den Tee im Bett, blieb noch eine Viertelstunde liegen, bedachte manches. Das Einpacken ging schnell. Einige Bildchen ließ ich, den Dämonen zum Opfer, an der Wand hängen. Wilhelms Zeichnung, ein Ding halb wie ein Schiff, halb wie ein Vogel, nahm ich am Ende doch mit. Beinah wäre die rote Wachshand der kleinen Regina in der Schublade liegen geblieben. Ich hatte das Kästchen gestern beim Umräumen übersehen. Nun sind es zwei Jahre. Was Kindern für Einfälle kommen! Aber eigentlich hatte die Mutter schuld daran. Warum zwang sie das Mädchen, eine wächserne Hand auf den Mariahilfberg zu tragen? Da wars kein Wunder, daß Regina dachte: der Doktor hat mehr Mühe gehabt als die Mutter Gottes, warum soll er leer ausgehn? Daß ich die Reliquie immer bei mir haben soll, war freilich ein Verlangen. Aber schließlich schleppe ich nicht schwer daran. Ists nicht Liebe, so ists Aberglaube; auch der hat viel Gewalt.
Die alten Varniers waren bereits aufgestanden und angekleidet, als ich in die Küche kam, um Abschied zu nehmen und Dank zu sagen. Sie wehrten ab, – „on remplit son devoir“, sagte die Dame höflich. Doch drückten wir uns kräftig die Hände. Um halbfünf Uhr, bei Finsternis, rückten wir ab und erreichten Ham um halbneun Uhr. In sehr langsamer Fahrt, über Cambrai hinaus, verging der kurze Tag; es dunkelte schon wieder, als der Marsch nach Pronville begann. Der Mond stand hinter Wolken; doch ferne Felder schimmerten von ihm. Im Winde war ein Gurren wie von Lachtauben; dürres Laub lief über den Boden wie Mäuse. Von der Somme her tost es wie Weltuntergang; von tausend Mündungsblitzen und Leuchtraketen fiebert der Himmel.
Um Mitternacht, auf der Landstraße, aßen wir bei den Feldküchen Bohnen und Büchsenfleisch; das war Mittag- und Abendessen zugleich und schmeckte köstlich. Gern hätte man sich den Teller noch einmal füllen lassen; aber die Vorräte sind bedenklich knapp geworden, und der Mannschaft ein Beispiel tüchtigen Hungers zu geben, kaum rätlich. Während wir noch aßen, zersetzte sich das Gewölk zu Flocken; der Himmel „häutete sich“, wie wir in Bayern sagen, der Mond wurde frei.
Die Straße ist voll ziehender Kolonnen; erst kommt preußische Infanterie, bringt böse Kunde, Maurebas verloren, Péronne gefährdet, klagt über viel zu geringe Wirksamkeit unserer Artillerie, ja ohne die ungeheure Leistung der Infanterie, meint ein Offizier, wäre die Front gewiß bereits durchbrochen. Bald hierauf kommen preußische Artilleristen, bestätigen die schlimmen Nachrichten, schmälen über das arge Nachlassen der Infanterie und begreifen nicht, warum wir alle herzlich lachen, als sie beteuern, die Artillerie ganz allein halte noch die Front.
Franzosen in langen dunklen Mänteln, die Schultern fröstelnd hochgezogen, marschieren in Gefangenschaft. Einige von unseren jungen Tapsen nähern sich ihnen, scharren ihre paar Vokabeln zusammen, möchten gerne wissen, wieviel sie drüben Löhnung, was für Essen sie haben, wann Friede werde und dergleichen. Die Fremden scheinen nicht recht zu verstehen; ihre bleichen Gesichter starren undurchdringlich im Mondlicht, und in ihrer Lage, mitten in ihrem zerstörten Lande, ist es ihnen kaum zu verdenken, wenn sie der naturhaften süddeutschen Zutraulichkeit wenig entgegenkommen.
Endlich kam bayrische Artillerie auf dem Weg in Ruhequartiere. Infanterist Wimmer von der 6. Kompagnie tritt mich kräftig auf den Fuß, rennt mit flüchtigster Entschuldigung weiter, leuchtet jedem Artilleristen mit der Taschenlampe ins Gesicht. „Licht aus!“ ruft man ihm zornig zu. „Es sind ja die Achter!“ schreit er verzweifelt; „bei denen ist mein Vater Kanonier“, dreht aber das Lämpchen doch ab. Zum Glück wird bei den Batterien Halt befohlen, und bald gelingt es durch eifriges Fragen wirklich, den Kanonier Wimmer zu finden. Er ist ein hagerer, schon ergrauender Mann mit hartem, rasiertem Gesicht voll kleiner Falten, die Mundwinkel eingekniffen; der Mondschein fiel gerade auf ihn, so daß ich sah, wie seine Augen vor Staunen und Freude groß wurden. Die beiden schauten sich an, hielten sich bei den Händen, kamen lange in kein Gespräch. Die Kunde von dem ungewöhnlichen Zusammentreffen läuft schnell herum, und man zieht sich zurück, um die zwei nicht zu stören. Schließlich nimmt der Vater ein Päckchen aus der Tasche und gibt es dem Sohn. Die Kompagnieführer verzögern den Abmarsch; endlich aber ertönt der Ruf: An die Gewehre! Der lange, schon eingereiht, gibt im Augenblick des Abmarsches seiner Ergriffenheit unwillkürlich den einzigen Ausdruck, der ihm innerhalb der soldatischen Form zur Verfügung sieht: er macht vor dem zurückbleibenden Vater eine regelrechte Ehrenbezeigung, obgleich dieser keinerlei Charge bekleidet, eine rührende Gebärde, die unter den anderen ein leises gutmütiges Lachen hervorruft.
Nach Mitternacht erreichten wir Pronville. Ich wurde in ein schloßartiges, parkumgebenes Gebäude verwiesen. Auf dem Flur erschien ein Offiziersdiener, der mir vertraulich riet, lieber in die Nachbarschaft zu ziehen, dort wären saubere Räume frei, hier dagegen wimmele es von Läusen. Ich vermutete gleich, was bald herauskam, daß der Bursche auf einen Zweck hinredete. Sein Herr hatte bis jetzt in zwei Zimmern recht bequem gewohnt; nun sollte er eins davon mir einräumen, und diese Pein suchte der treue Diener von ihm abzuwenden. Auch Rehm durchschaute den Schlauen und überhob mich der Antwort, indem er freundlich erklärte, wir fürchteten uns nicht vor Läusen, es könnte sogar sein, daß wir etliche mitbrächten, worauf jener wie ein mit Weihwasser besprengtes Gespenst verschwand.
Ein Lager von Edamer Käsen ist im Keller unsers Quartiers entdeckt worden; der Jubel war ungeheuer. Der Major, der gerade dazukam, behandelte die Sache sehr dienstlich; vor aller Augen sollte der Schatz im Hof auf Zeltbahnen geschüttet, von Schutt und Schimmel gesäubert und unter die Kompagnien verteilt werden. Der Feldwebel, der die Käse zählte, bemerkte, daß sie beim Fallen recht hart aufklangen, und zog sein Messer, um einen anzuschneiden, was sich aber als unmöglich herausstellte; die Masse war wie verbeint. Schweigsam standen die Soldaten umher; hinter den etwas vergrauten radieschenroten Schalen mochte sich jeder ein fettes, weiches Gelb erträumt haben, und noch gab keiner seine Hoffnung auf. Manche hielten sich nicht mehr, zogen auch ihre Messer und stachen in die nächsten Rotköpfe, fanden aber den gleichen Widerstand. Viele entfernten sich jetzt, einige mit Hohnrufen, andere mit verzichtenden Mienen, als wüßten sie schon, daß ihnen nichts Gutes gegönnt sei. Dem häuslichen Sinn des Majors aber widerstrebte es, den froh begrüßten Fund preiszugeben; er befahl, die Käse auseinanderzusägen, indem er hoffte, sie würden sich wenigstens auf Parmesanart zerpulvern lassen. Aber das Innere zeigte sich nicht nur durchaus fest, sondern auch überall mit einem rötlichgrünen Zersetzungsnetz durchzogen, das freilich gleichfalls der Verhärtung anheimgefallen ist. Die Leute, die noch gewartet hatten, gingen jetzt ärgerlich lachend auseinander, ohne sich jedoch zu äußern; nur Infanterist Kristl mußte wieder einmal seinen immer arbeitenden Grimm entladen, indem er vorschlug, die Käse doch an des Kaisers Hoftafel nach Spa zu schicken. Er sprach so laut, daß der Major es hören mußte; der aber weiß ja längst, wie gerne Kristl in ein Strafverfahren verwickelt würde, um auf Gefängnisumwegen in die Heimat zu gelangen, und so nahm er von dem frechen Wort keine Kenntnis.
Zehn Minuten später ist ein Fußballspiel mit den roten Kugeln im Gang. Auch Kristl beruhigt sich. An einem Baum lehnend schnitzt er aus einem abgesägten Stück eine Tierfigur, durch kluge Verwertung der Schimmelstreifen schön getigert. Endlich aber ist die Masse doch zu brüchig, die halbfertige Form zerbröselt; heftig wirft er sie auf den Kies.
Der Abend wird kalt. Aus hochgestuften braungesäumten Wolken stehen schräge breite Strahlen wie Flügel einer Windmühle. Bei Bapaume entsteht eine neue Schlacht; viele glauben, daß man uns dort einsetzen wird. Eben hüpft aber ein Gerücht umher, als wären wir für die rumänische Front bestimmt. Feldpost kommt. Das Söhnchen ist wieder gesund und will immer zeichnen und bauen.
Am 13. Oktober gegen abend wurden wir in Aubigny-au-Bac mit unbekanntem Ziele verladen. Es vollzog sich langsam und umständlich. Der kleine Kommandeur hält noch immer nicht viel von schwäbisch-bayrischer Gewandtheit und Findigkeit und will wieder alles allein tun, jede Feldküche, jedes Maschinengewehr selbst verstauen. Alles lacht und schimpft über ihn wie über das Urböse, während er mit kummervoll verbissenem Gesicht und heftigen spastischen Gebärden Befehle bellt, welche niemand versteht, bis endlich der Bahnhofkommandant ungeduldig wird und ihm hochmütig droht, er werde den Zug in fünf Minuten unter allen Umständen abfahren lassen. Dies gerät nun unserem aufgeregten Gebieter zum Heile; mit einem Schlag regen sich alle Hände für ihn. Denn wenn er uns auch oft gar zu sehr in Atem hält und mancher ihm eine kleine Unannehmlichkeit wohl gönnte, er ist doch unser Kamerad, und sein dürftiges, fahlgraugrünes Umhängchen, stearinsteif von den Kerzenlichtern vieler Unterstände und verdreckt von allen Erden Frankreichs und Flanderns, ist uns wahrlich ehrwürdiger als der nagelneue Prunkmantel des Herrn Oberstleutnants vom Bahnhof. Ungeheißen greift jetzt jeder zu, ein Viertelstündchen, und der Zug steht bereit.
Es begann aus tiefen Wolken zu regnen; ich fand Platz bei zwei Kompagnieführern, aß noch einen Apfel und wickelte mich in die Decke. Etwas Fieber scheint mir im Blute zu spuken, – wie froh bin ich, daß Ruhetage kommen und hinter ihnen eine große Reise! Ich schlief bald ein und träumte mancherlei. Einmal sah ich Vally mit Wilhelm an einem Tischchen sitzen. Sie hatten Spielkarten zu Reihen gelegt und sahen, die Stirnen in die Hände gestützt, Schachspielern ähnlich, darauf nieder. Später kam auch die kleine Regina, setzte sich zu ihnen und tat wie sie. Plötzlich zog sie einen versiegelten Brief hervor, hielt ihn mir hin, ohne von den Karten aufzublicken und sagte: „Es ist nichts Eiliges. Nur eine Botschaft vom Heiligen Geist.“ Beim Erwachen war mein Rücken feucht; ich merkte, daß das Fieber geschwunden war.
Frühstück in Charleroi. Vor einem Jahr, um die nämliche Stunde, bin ich auf dem Wege zur Front hier durchgefahren. Den spitzen Schlackenbergen ist seither noch etwas mehr Grün angeflogen; bald werden sich Rasenflächen ausbreiten, dort und da steht schon ein Bäumchen. Ich freute mich wieder der nahen Kanäle mit den Pappelreihen, die der Meerwind seltsam zugeformt hat, der alten Männer und Frauen, die an Seilen ihre behäbigen Barken dahinziehen, der lieben blonden Kinder, die zutraulich heranspringen und um Brot bitten. Am Fuß der schwarzen Berge steht ein Wasser mit fettig schillernder Haut, aus der wie Speere einer versunkenen Phalanx lange dürre Schilfrohre schräg aufstarren. Schafe liegen kauend im Gras; der Himmel ist niedrig und grau, voll silberheller narbiger Einziehungen.
Noch schlafen alle; mich allein haben Licht und Kälte geweckt. Der Zug fährt auf hohem Viadukt über einem Tale voll Nebelrauch; spitztürmig steht ein Schattendörfchen vor dunkelblau durchscheinendem Hügel, darüber die Sonne als überströmender Glanz in zerhöhltem Gewölk. Essen veratmen graugelben Dampf, der am Rand ins Purpurne spielt. Ich sah in die rote Glut eines Hochofens hinein, schwarze Männer gingen hin und her, so hab ich mir als Kind Salamander im Feuer geträumt. Nach diesem Anblick schlief ich noch einmal ein.
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Immer schneller gegen Osten. Diesen Tag will ich keine Bezeichnungen der Bahnhöfe, keine Plakate, keine Dorfnamen lesen, auch nicht hinhören, wenn sich die andern darüber unterhalten. Auf die namenlose Landschaft will ich achten, wie sie sich leise ändert und die Tönung des Himmels über ihr.
Überall braunrotes Ackerland, mit Wintersaat lichtgrün bestäubt, die Bäume schon viel mehr vergilbt als in Pronville und Libermont. Eine rötliche Straße führt zu kleinen Ortschaften und darüber hinaus zu Höhen mit Gehölz und Gestrüpp. Langsam fahren wir durch einen kleinen Bahnhof; eine alte Bäuerin steht allein an der Sperre. Ihr schwarzes Kopftuch bildet über der Stirne ein spitzbogiges Vordächlein, und auch die vielen tiefen Furchen des Gesichtes streben gotisch zueinander auf. Die Bahnhofuhr zeigt eine falsche Stunde; darunter liegen, aneinandergefesselt, Kirchenglocken, die Klöppel ausgerissen, die Sprüche und verzierenden Figuren mit nassen Blättern beklebt. Sie müssen zum Einschmelzen für neue Geschütze bestimmt sein. So bin ich diesmal schlafend über den Rhein gefahren. Wir sind in Deutschland.
Es regnet, und man bringt das Frösteln nicht los. Als ich eben zu mir kam, lachten die Kameraden und sagten, ich habe zwölf Stunden geschlafen und schon zweimal das Essen versäumt. Einmal aber muß ich doch wach gewesen sein, vielleicht gestern abend. Wir fuhren gerade an Leipzig vorbei, und ich erstaunte, daß die Stadt so unversehrt unter dem Gewitterhimmel ruhte, daß nicht jedes Haus, jeder Turm zertrümmert war, eine sonderbare Täuschung des Fiebers.
Die Stunden werden lang; die andern spielen Karten und rauchen; ich habe einen Aufsatz über Atome und Elektronen nahezu auswendig gelernt, sodann im Notizbuch abgerissene Sätze gefunden, die ich in Briefen Glavinas gelesen und nie ganz vergessen hatte, so daß ich sie später leidlich getreu nachschreiben konnte. Nun suche ich den einen oder andern in meiner Sprache zu entwickeln, fürchte nur, daß dann etwas anderes daraus wird, daß der ursprüngliche Jugendklang verloren geht.
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„Es gab wilde Zeiten, da riß der Sieger dem erlegten Feinde das Herz aus der Brust und aß es auf, weil er dadurch die Tugenden und Kräfte des Toten zu erben hoffte. Zugegeben, daß dies ein kindisch-grausames Verfahren war; aber so völlig sinn- und ehrfurchtslos, wie es dem ersten Blick erscheinen mag, ist es doch nicht. Haß, ist er mit Liebe nicht aus einer Wurzel? Der Meister der Menschen, ernährt er nicht seit zweitausend Jahren mit seinem Herzen unzählige Seelen? Mir ist, als sei keiner von uns zu langem Leben berufen, – erkennen wir es doch! Opfern wir uns bewußt und freudig dem unbekannten Geiste der Zukunft, bevor uns ein armseliger Zufall ereilt und sinnlos zerfleischt!“
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„Durchsichtig-dichte Jahre der Kindheit! Wo man sich wunderte, weil in der Welt nur immer gerade so viel Wichtiges und Gefährliches geschah, daß die Zeitung davon genau voll wurde, nie mehr und nie weniger! Meistens, wenn die Blätter ins Haus kamen, teilten sich Vater und Mutter darein; gespannt und sorgenvoll blickten sie auf die bedruckten Seiten, es mußte ruhig im Zimmer sein, und ich durfte meine Angelegenheiten nicht zur Sprache bringen. Aber wie Sonnenfinsternis ging der ängstliche Zustand vorüber; verächtlich wurden die Papiere weggelegt, und alles Fremde war damit unschädlich gemacht und abgetan. Heute nacht nun hatte ich einen seltsamen Traum. Ich war wieder Kind und ging während eines Gewitters über steinige Berge. Ein weißes Blatt hielt ich in Händen und wandte keinen Blick davon. Frage ich mich jetzt, was auf der weißen Fläche stand, so muß ich bekennen, daß sie ganz leer war, ohne Schrift, ohne Zeichen; dennoch las ich mit Entzücken darin. Tiefziehende Wolken besprühten das Blatt, Blitze loderten darüber hin, Himmel und Felsen ertönten, und schaurig aus der Ferne riefen die Geister der Toten. Ich aber las auf dem leeren Weiß unsagbar selige Begebenheiten und kümmerte mich nicht um Gewitter und Rufe der Toten.“
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„O Freund, ich selber würbe gern ein Heer zu wunderbarem, nie gewagtem Feldzug; aber es ist noch zu früh, der Feind, den wir überall spüren, hütet sich zu erscheinen, in keiner Sprache noch läßt sich die Parole ausgeben, und die ich wecken soll, die schlafen noch zu tief. Ists da unklug, wenn ich so, wie früher Königssöhne taten, einstweilen in einer anderen Armee diene, damit ich mich schon jetzt an kriegerisches Treiben gewöhne? Ja, suchen wir Gefahr und Mühsal, wie sie sich gerade bieten, so bereiten wir uns für höhere Mühsal, wahrere Gefahr. Mir ist wie einem Täter, der seine Tat noch nicht kennt. ‚Raube das Licht aus dem Rachen der Schlange!‘ Was ist es für eine Stimme, die mir dies Wort manchmal zuruft aus tiefem Schlaf?“
17. Oktober erwachte ich zum ersten Male wieder mit gesundem Blick, doch gab es zunächst nichts zu sehen als unendlichen Nebel, der sogar die Namen der Bahnhöfe verdeckte. Der Kompaß zeigte Zugrichtung Südost. Als es nach zwölf Uhr sich lichtete, glaubten wir uns großen Schilfgebieten zu nähern, die sich später als abgeerntete Maisfelder erklärten. Der Dunst stieg auf und wurde Gewölk, das gegen Abend in unzählige spitze Hütchen auseinanderfiel, als wäre fern im Raum ein Lager weißer Zelte aufgeschlagen. In großflächiger Landschaft mit Gebirgshintergründen kam die Donau näher, geschmückt mit herbstlichen Inseln, deren eine von Pappelsilberlaub wie blühend schimmerte. Auf rundem Hügel steht ein griechisches Tempelchen, in dessen Kuppelmessing sich der letzte Abendglanz verfängt. Von Kisgöd aus, das unter den roten Gefiedern alter Akazien halb verborgen liegt, fuhren wir immer schneller der ungarischen Hauptstadt zu. Küchenordonnanz Klingensteiner, Kerzen bringend, verrät uns, stotternd vor Entzücken, daß wir in Budapest Stadtquartiere beziehen werden. Einige umarmen einander vor Freude, Koffer werden aufgesperrt, leichte Stiefel und Urlaubsmützen hervorgeholt. Leutnant H. und ich beschlossen, ein Kaffeehaus in der Andrássystraße zu besuchen, einer wünschte vor allem das Parlamentsgebäude zu sehen, ein anderer die Burg; alle drängten wir zum Fenster. Nahe den ersten Vororten bog aber der Zug nach Süden ab und trug uns mit gewaltiger Eile von der türmeschimmernden Stadt hinweg in die Nacht hinein. Mützen und Stiefel wurden wieder eingepackt, wie immer die Kerzen angezündet und in leere Konservenbüchsen gestellt, ein Kartenspiel auf ausgespannter Zeltbahn begonnen. Klingensteiner, Tee, Brot und Wurst auf dem Brettchen tragend, wagt sich kaum herein, böser Worte gewärtig; nahezu weinend entschuldigt er sich, er müsse eine Äußerung des Adjutanten falsch verstanden haben. Spät kam noch der Major herüber, verdrießlichen Gesichts; es war, als ob er einem das bißchen Licht wegnähme. Seine Natur ist mehr agil als aktiv; ruhende Menschen zu sehen, macht ihm Pein. Er sah von einem zum andern; endlich erkundigte er sich bei mir nach der Gesundheit der Mannschaft. Ich war unbedacht genug, ohne viel Erörterung das Günstigste zu berichten. Er meinte, darüber ließe sich doch nicht so leichthin urteilen, das beste wäre, wenn ich von morgen an täglich bei größerem Aufenthalt mit meinem Unteroffizier den Zug entlangginge und von Wagen zu Wagen ausdrücklich fragte, ob niemand erkrankt sei. Die suggestive Wirkung solcher Fragen bedenkend, ließ ich mir ein unziemliches Lächeln zu schulden kommen, was der alte Herr schlimm vermerkte; er spitzte seinen Rat zum Befehl und verließ uns ohne Gruß. Wir sprachen vor dem Einschlafen noch eine Weile von ihm. Leutnant H., der Götter- und Sagenkundige, erinnerte, daß nach altem nordischen Glauben die bösesten Mächte sich in gute verwandeln, wenn es ein einziges Mal gelingt, sie zum Lachen oder auch nur zum Lächeln zu bringen; es wäre an der Zeit, meinte er, dieses Mittel bei unserem finstern Gebieter zu versuchen.
Im Uferwald verborgen
lag die Morgensonne.
Wir stießen vom Strand.
Sie sprang ins Wasser,
gab über den Strom uns
ein funkelnd Geleite.
Diese alten Verse fielen mir heute beim Erwachen ein, als wir eben über einen Fluß fuhren, wo die Sonne tiefgespiegelt neben uns mitreiste. Nachts war ich mehrmals munter geworden, während irgendwo der Zug stillstand; so glaubte ich, wir seien kaum weitergekommen und sprach den Fluß noch als die Donau an, es war aber die Theiß. Bald sahen wir in weiter Ebene Gehöfte mit haushohen Ziehbrunnen, Herden schwarzwollig behaarter Schweine, junge Feldarbeiterinnen mit weißen, blaugestreiften Kopftüchern, die am Rand eines Kukuruzackers Kürbisse sammelten. Als die Soldaten ihnen zuwinkten, kreuzte eine die Arme heftig über der Brust, um sie dann, mit fremdartigem Ungestüm, dem enteilenden Zuge nachzustrecken.
*
In Békéscsaba stieg ein himmelblaues Urlaubsoffizierchen zu uns herein, ungarischer Kavallerist, dessen knabenhafter Überschwang ein Weilchen wie Kolibrigeschwirr die ernsten deutschen Käuze unterhielt. Er duzte uns alle, wie es im verbündeten Heere üblich ist, verteilte seinen halben Zigarettenvorrat, ließ uns die Photographie seiner Braut bewundern und versicherte uns auf ewig seiner unbedingten Freundschaft, vergaß auch nicht, uns zu erinnern, es gäbe nur den Sieg oder den Tod für uns, kein drittes. Als wir uns Arad näherten, überreichte er jedem eine Postkarte mit seinem Bild und erbat sich Gegengaben. Vergeblich suchten wir lange in allen Taschen; doch fand sich endlich bei mir ein wunderschönes Lichtbildchen der Tänzerin Clotilde von Derp, von Meister Holdt wie ein Gemälde aufgenommen und nach Libermont gesandt; dies gab ich schließlich mit bösem Gewissen hin. „Deine Braut?“ schrie der Ungar und äußerte maßlos Dank und Entzücken. Ich überlegte, während er die Reize der zarten Gestalt wie ein Kenner hervorhob, ob ich eingestehen sollte, daß ich leider nie die herrliche Künstlerin von Angesicht zu Angesicht gesehen, sagte mir aber, daß dies albern wäre, und ließ mich getrost als den glücklichsten der Männer feiern und beneiden.
In Arad kaufte ich zwei Flaschen Tokaier und verwahrte die eine im Sanitätswagen; die andere teilte ich mit Raab, so daß wir bald in die Laune gerieten, den Befehl von gestern auszuführen. Eindringlich fragten wir vor jedem Wagen die guten Leute nach ihrem Befinden. Einige lächelten verlegen, andere erschraken sehr, da sie glaubten, wir hätten irgend etwas Niederträchtiges mit ihnen vor. Als ihnen aber klar wurde, daß die Frage ernst gemeint sei, da spürte der eine oder andere bald ein Ziehen, Drücken oder Schneiden; ja mancher brave Junge, der noch vor fünf Minuten seiner Gesundheit allerhand Proben zugetraut hätte, begann sich ein wenig lazarettreif zu fühlen. Ich begnügte mich für heute mit zwölf Krankmeldungen; es wären aber leicht vierzig oder fünfzig zu erreichen gewesen. Die Meldung, die ich nach dem Mittagessen im Bahnhof zu Arad erstattete, rief den erwarteten Schrecken hervor, und als ich nun ehrerbietig meine Gründe gegen das neue Verfahren vorbrachte, fand ich keinen Widerspruch. Besänftigend fügte ich übrigens hinzu, daß ich bisher noch keinen der Erkrankten in ein Lazarett überwiesen habe, sondern versuchen wolle, sie bei der Truppe zu behandeln. Gegen Abend fuhren wir zwischen Waldbergen einem neuen Fluß entlang, der uns seither nicht mehr verläßt; es ist die Maros.
Kurz vor Mitternacht fuhren wir in den Bahnhof Maros-Vásárhely ein, doch nur zu flüchtigstem Aufenthalt. Stab und fünfte Kompagnie sollten bergaufwärts weiter bis Parajd. Während der Viertelstunde, die wir in den Wartesälen verbrachten, umdrängten uns Frauen und alte Männer aller Stände und baten mit einer verzweifelten Inständigkeit um etwas Tabak. Unendliche Verdrossenheit spricht aus allen Mienen; die rasche Entziehung des jahrhundertelang gewöhnten Giftes hat die Menschen furchtbarer ernüchtert als feindlicher Einbruch und Hunger.
Um einhalbein Uhr bestiegen wir die Schmalspurbahn. Fünf Stunden gedachte ichs im bloßen Mantel wohl auszuhalten und ließ meine beiden Decken beim großen Gepäck zurück. Aber dem Wagen fehlten sämtliche Fenster, die Kälte stieg mit den Kilometern, aus Regen wurde Schnee, den der Wind auf uns hereinwarf. Erstarrt sah ich morgens um sechs Uhr das Türmchen von Parajd. Wir standen vier Stunden in Bahnhofnähe zwischen zerstörten Geleisen, auf welche wie zerrissene Nervenbündel abgesprengte Telephonstränge niederhingen. Schließlich verlautete, unsere Nachtfahrt sei unnötig und dem Versehen eines Generalstabsoffiziers zu verdanken gewesen. Junge fluchten, Alte murrten; alle aber verstummten, als uns echtes Unglück entgegentrat. Von der Bahnhofstraße, deren Rand unabsehbare Reihen von Flüchtlingen besetzt hielten, sahen wir österreichische Krankenträger auf uns zukommen, die vorsichtig auf Bahren drei kleine verhüllte Gestalten dahertrugen. Es waren Kinder einer Flüchtlingsfamilie, die beim Spielen eine scharfe Handgranate gefunden, sich darum gebalgt und dabei die Schnur herausgezogen hatten. Die Explosion hatte die Mutter, die gerade Kochfeuer anzünden wollte, getötet, die drei Kleinen schwer verwundet. Die Großmutter, Siebenbürger Sächsin, die weinend den stillen Zug begleitete, meinte, man müsse solche Vorfälle den Kaisern und Königen der ganzen Welt zu wissen machen, damit sie traurig würden und von dem gottlosen Kriegführen abließen. Indessen war auf einmal die Sonne frei geworden und beleuchtete sehr hell einen hohen Berg, der allen auffiel. Der untere Teil zeigte fahlgrüne, mit Steinen durchsetzte Matten, dann folgte, wie mit Sorgfalt umgelegt, ein schmaler Tannengürtel, und aus diesem spitzte sich schneeglänzend eine mächtige Pyramide in das zerfließende Grau. Der feierliche Anblick bannte jeden; sogar die alte Frau verstummte, und ich, darf ich mirs zugeben, daß das Jammerbild der zerfetzten Kinder mir im Nu völlig ausgelöscht war? Daß es mir in der herrlichen Schau zerschmolz, als wäre es zufällig und nur am Rande geschehen wie die meisten Begebenheiten der Zeit, dort aber, geltend und geisterbehütet, stünde ein geheimes Gesetz, das längst all unsere Leiden und Schrecken übernommen hat?
Um elf Uhr wurden Quartiere bezogen. Ich stellte alle Müdigkeit zurück und holte erst nach Revierdienst und Fußappell den versäumten Schlaf ein wenig nach. Vor Mitternacht – wir saßen noch lesend und plaudernd beisammen – hörte man auf der Straße Pferdegetrappel und -geklingel, dann wurde schüchtern die Hausglocke geläutet. Jemand bat um Einlaß, obgleich die Türe nicht verschlossen war. Es war der Eigentümer des Hauses, ein älterer Mann, der mit seiner Familie vor den Rumänen geflohen war und nun vorderhand allein zurückkehrte, um Lage und Aussichten zu erfahren. Höflich ließ er um einen kleinen Schlafraum bitten und blieb geduldig vor seinem erleuchteten, von Fremden besetzten Hause stehen, bis er Bescheid erhielt. Der Major ging selbst hinunter, um ihn zu begrüßen, und bot ihm ein Abendessen an, das jener bescheiden ablehnte, völlig zufrieden, in seinem Anwesen ein dürftiges Obdach zu erhalten.
Heut ist Ruhetag, und endlich führten wir die Typhusimpfung durch, die schon seit August fällig ist. Zwei große Schulzimmer waren uns überlassen. Um Raum zu gewinnen, hatte man die Bänke übereinandergestellt. Auf dem Katheder lagen noch spanisches Röhrchen und Kreide; an der Wand hingen Tafeln mit Abbildungen von Pflanzen, Tieren und allen Menschenrassen der Erde. Mir war ein wenig bang vor dieser Impfung, und gern hätte ich sie noch einmal verschoben. Denn wieder sind die neuen Kanülen, die vielmals angeforderten, nicht eingetroffen; die alten aber haben bereits arge Widerhäkchen an den Spitzen, wodurch der Einstich und das Herausziehen sehr schmerzhaft werden. Aber es gab kein Verzögern, und so half ich mir denn, wie ich konnte, und verfiel schließlich darauf, ein bißchen Theater zu machen, um die Aufmerksamkeit der Mißhandelten abzulenken. Zuerst entkleidete ich mich selbst und versetzte mir vor der harrenden Mannschaft den bösen Stich, wobei meine Mienen, glaube ich, in guter Ordnung blieben. Dann kamen Dehm und Raab daran; sie waren wohl belehrt und hüteten sich, zu zucken. Später nahm ich die Bildertafel mit den vielen wilden Völkern zum Anlaß und gab, indessen ich die Haut der armen Burschen zerschund, manches zum besten, was ich dereinst über Indianer und Malaien gelesen. Sonderbarer Sitten der wilden Timmes wurde gedacht, die den Genossen, den sie zum König wählen wollen, am Tage vor der Krönung fast zu Tode prügeln, so daß er zuweilen seine Thronbesteigung nur kurze Zeit überlebt, auch die Fidschi-Inseln nicht vergessen, wo liebreiche Kinder unter vielen Tränen ihren Vater lebendig begraben, festen Glaubens, daß er dann jenseits in aller Kraft und Herrlichkeit des Todestages ewig weiterleben werde. Die guten Soldaten lauschten aufmerksam und schienen über jenen ungeheuerlichen Grausamkeiten die kleinen wespigen Einspritzungen wirklich leicht zu verschmerzen. Als alle Kompagnien schon abgerückt waren, kam auch noch der Herr Oberst, um sich impfen zu lassen, fuhr aber dabei so heftig zusammen, daß die Nadel schier zerbrach und äußerte sich gar ungnädig. Den Mannschaften gegenüber war er freilich sehr im Nachteil, da ich ihn leider ehrerbietig-schweigsam verletzen mußte, ihm schicklicherweise weder Gebräuche der Wilden noch sonst etwas erzählen konnte.
Die Stunde vor dem Abendessen verschlief ich. Das Impfgift wirkte wie immer, ich träumte viel. Mir war, als lägen Jahre des Wachens, Denkens, nach innen Gerichtetseins hinter mir. Nun aber saßen wir im Kreis um einen französischen Kamin, Vally, Stefanie, klein Wilhelm, die Freunde, etwas abseits Regina. Wir froren und streckten die Hände zum Feuer. Regina trug ihr schwarzes Zöglingskleid mit rotem Gürtelband. Ihre Hand war verbunden, aber auch alle anderen trugen Verbände. Wilhelm hatte eine schwarze Binde über einem Auge. Doch waren wir guter Dinge und plauderten viel von unserm früheren Leben. Auf einmal sagte Regina: Die Männer sind schlecht. Sie fürchten sich vor mir und laufen nach Frankreich zum bösen Feind. Da lachten die anderen hellauf; aber indem sie lachten, wurden sie sehr unruhig und ganz durchsichtig; schließlich verzog sich eines nach dem andern in den Kamin hinein und entschwand mit den Flammen.
Als ich erwachte, war eben die Feldpost gekommen, und vor dem klaren Klang des Lebens zerstob aller Trug der Träume. Auch Wilhelm hat ein paar Zeilen angefügt; es mag ihm sauer geworden sein. „Ein Urlauber“, schreibt er, „hat uns verraten, daß du nach Siebenbürgen kommst. Das freut mich. Dort gibt es Gold in den Bergen und Flüssen. Der Oskar Appel hat es in der Erdkunde gelernt. Nimm so viel du tragen kannst und bring es mir mit! Ich kann es gut brauchen.“ Der Brief war einem schönen silbergrauen Umhang mit breitem, dunkelblauem Kragen angeheftet, den mehrere unserer Offiziere, die ihn später sahen, mit Entrüstung als vorschriftswidrig bezeichneten. Höchstens Generale der Artillerie dürften einen so breiten Kragen haben, auf der Stelle müsse ich ihn von einem Kompagnieschneider abändern lassen. Der Major aber sagte lachend, für die Ärzte des Landsturms gebe es keine eindeutigen Vorschriften, ich solle mir das Zeug ruhig umhängen, es könne mir nur zum Vorteil gedeihen.
Ehe wir Parájd, beim ersten Zwielicht, verließen, konsultierte mich der Major. Sein Hüftnerv ist entzündet; er hat Fieber und kann sich vor Schmerz kaum auf dem Pferde halten, will aber seinen Posten nicht aufgeben und daher das Lazarett vermeiden. Schließlich gab er mir in Scherz und Ernst den dienstlichen Befehl, ihn abends zu besuchen und bis zum andern Morgen zu heilen. Mir fiel ein, daß noch die starken Maretin-Laudanon-Pulver in der Brieftasche stecken mußten, doch erwähnte ich nichts davon.
Das Ding will bedacht sein. Der kleine alte Herr ist unbequem, quälerisch, aufsässig; aber er ist es nicht nur nach unten, sondern mehr noch nach oben, ein seltener Fall in der Armee. Niemals läßt ers um sich herum gemütlich werden – aber sind wir denn hier, um es gemütlich zu haben? Er weiß Nüchternheit und Mäßigkeit zu erzwingen, – soll ich leugnen, daß ich mich gesund und frei dabei fühle? Und einer, der uns öfters reizt und beizt, entwickelt er uns nicht am Ende kräftiger als einer, der uns freundlich gehen läßt? Nein, der kleine graue Dämon gehört schon einmal zu uns und unserm Schicksal, – vielleicht helfen die Pülverchen, er soll sie haben!
Langsam stiegen wir die Straße nach Szentlélek hinan, die ein heißer Wind schnell auftrocknete. Der Himmel sah seltsam aus; mein früher Traum, als ob jede Stadt, jede Landschaft an der Formung ihrer Gewölke mitwirke, meldete sich wieder. Ich sah lichtweiße schwarzgekernte Bälle, dazwischen Meeresbrandungen mit abgesprühtem Schaum, dahinter eine graue Bank, besetzt mit spitzen silbernen Bäumchen. Bald wurden wir inne, daß wir uns durch eine der salzreichsten Gegenden Europas bewegen; rein und weiß tritt hier und da der Salzstein aus dem grauen Mergel. Mancher bricht in der Marschpause ein Stückchen ab, wägt es betrachtend und steckt es wie einen Edelstein in den Tornister.
In den Dörfern sind alle Häuser mit gleichem stumpfem Blau getüncht; um jedes läuft eine Galerie mit schlanken hölzernen Säulen, die das vierflächige steile Walmdach tragen helfen. Die Grate, mit vielen schrägen Zacken besetzt, sehen wie gestreckte Wirbelsäulen aus. Alte Leute, traurig und freundlich, standen vor den Türen; einmal drängten sich schwarzäugige Madjarinnen heran und berichteten schreiend schauerliche Untaten der Rumänen, worauf blonde deutsche Frauen, die seit ihrer Kindheit im Dorfe wohnen, besonnen-still, sichtlich auf Gerechtigkeit bedacht, jene überschweren Anklagen auf ihr Maß zurückführten.
Gegen zwölf Uhr gelangten wir vor das große Dorf Szentlélek, rückten aber nicht ein, sondern lagerten samt großer und kleiner Bagage auf einem heckenumflochtenen Anger, wo sogleich die Feldküchen geheizt wurden. Kirchengänger, von der Sonntagsmesse heimkehrend, ungeheure Gebetbücher im Arm, näherten sich auf allen Wegen, die Männer zögernd, die Frauen mit lüftigem, zuversichtlichem Schritt. Unter vielen Worten machten diese verheißende Zeichen und liefen auf einmal alle in die Häuser, von wo sie bald mit Körben voll Obst und Eimern voll Milch zurückkehrten. Das Dorf hat noch vor drei Tagen unter dem rumänischen Einbruch zu leiden gehabt; nun freut es sich über den Vormarsch der Deutschen und erschöpft sich in Gebelust. Milch schäumt in alle Feldbecher, und mit goldensten Parmänen füllen sich die Taschen. Langsam kommen auch Männer herbei, voran der uralte Pfarrer. Ihm haben die Eindringlinge, da sie deutsche Bücher in seiner Stube fanden, zur Strafe den ganzen Meßwein und obendrein die goldene Brille weggenommen. Während er dies in leidlichem Deutsch mit gelassenem Humor erzählt, packt Leutnant N. seine lange gesparte Flasche Burgunder aus; der Greis nimmt das Geschenk als ein der Kirche dargebrachtes ohne Zögern an und verspricht seine nächste Messe für den Spender zu lesen. Die übrigen Männer treibt eine Hoffnung, Tabak zu erhalten, immer näher. Seltsame Tauschgeschäfte kommen zustande. Für drei Zigaretten erhält ein Soldat ein Dutzend Eier, ein anderer für zwei Päckchen Knaster eine fette Gans. Mich aber suchten die Kranken des Dorfes; der Sanitätswagen wird erschlossen, Verbandstoff und Arzneien freigebig verspendet, bis Raab erschrocken gemahnt, daß uns im Gebirge niemand ersetzen wird, was wir hier unbedacht hingeben. Indessen hat uns die Regimentsmusik eingeholt; sie stellt sich in der Angermitte auf, spielt madjarische Lieder. Die Kranken vergessen ihre Übel, Soldaten und Mädchen tanzen, die Stunde wird zum Fest.
Um drei Uhr war es Zeit, das Dorf zu besetzen, damit uns nicht nachrückende Bataillone die Quartiere wegnähmen. Mir ist eine balkengedeckte Stube in einem alten Bauernhause zugewiesen. Es ist sehr dumpf und düster innen, die Fenster klein, das Lager hart, schmal. Von Bewohnern hab ich bisher nur den Bauer gesehen, einen kränklich und grämlich aussehenden Mann, der uns aus dem Wege geht. Um die besonnte Galerie draußen ist ein singendes Geschwebe winziger Holzwespen; die haben Säulen und Geländer tausendfach durchlöchert und schlüpfen unermüdlich ein und aus. Morsch, einsinkend ist alles, um so wundersamer das ganz neue, reichgeschmückte Hoftor. Es hat hohe, breite Flügel mit zierlichen Gittern und schön geschnitzten und bemalten Flächen. Gewinde von Tieren und Pflanzen umkränzen beiderseits einen blauen Leuchter mit gelbrot brennender Kerze, zu der sich eine grüne Schlange hinaufringelt. Oben auf den Torpfosten ruht ein langes niedriges Gehäuse, eine Art Arche, bemalt mit roten Täubchen, zwischen denen durch runde Luken wirkliche Tauben verkehren. Sah denn das Tor dem ersten Blick so fremd und gestohlen aus, als wärs von einem großen Gutshofe herverschleppt worden, so merkt man bei längerem Vergleichen doch, daß es aus dem alten Hauswesen hervorgewachsen ist. Ein sonderbarer Einfall war es freilich, statt beim Hause beim Tor zu beginnen; immerhin errät man, wie das Ganze werden soll. Der Krieg hat auch dieses Wachstum unterbrochen, und vielleicht ist nur darum der Bauer so gedrückt und scheu, weil er seinen Hof nicht erneuern kann und sich dabei verkümmern fühlt. „Wer baut, erbaut sich selber“, – es gilt das alte heilige Wort.
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Nach dem Revierdienst zum Kommandeur befohlen. Er lag in einem breiten Bett, mit Schafpelzen bedeckt, vom Fieber geschüttelt. Sehr ungehalten zeigte er sich, als ich ihm Arznei geben wollte.
„Was soll mir das Gift?“ rief er. „Gibt es etwas Frevelhafteres, als daß man chemische Substanzen in das Blut bringt?“
Ich entgegnete, daß wir doch selbst aus lauter chemischen Zusammensetzungen bestünden, die nur zuweilen unrichtig ineinandergriffen, und dann müßte eine neue eingeführt werden, welche die falschen Verbindungen löste. Als er noch zögerte, erinnerte ich ihn daran, daß erkrankte Tiere sich öfters Kräuter und Blätter suchten, die sie sonst niemals fräßen, und rasch davon gesund würden. Dies ließ er gelten und nahm nun das Pulver fast gierig.
Den Abend verbrachte ich mit Offizieren in meinem Quartier. Eine der Patientinnen vom Vormittag hat zwei Enten geschickt, die ließen wir braten und tranken Apfelmost dazu. Die frohe Stunde auf dem Anger klingt noch in allen; viele glauben, es werde sehr bald Friede geschlossen werden. Einer erwartet vom deutschen, ein anderer vom russischen Kaiser, ein dritter von Wilson das weltbefreiende Wort. Mancher dieser lieben Menschen spürt im innersten Herzen vielleicht schon den nahen Tod und sieht nun in wunderbarer Verwechslung das Ende des Krieges gekommen.
Immer um uns herum ging indessen die Hausfrau, ein nicht mehr junges Weib, derbe Gestalt, welche sich aber im schönsten Maße bewegt, hellgraue Augen, darunter breite braune, leicht geschwollene Schatten, die von feinen blauen Venen umlaufen sind, schwarzes Kopftuch, unter dem rauhes rotes Haar hervorsieht. Sie kostet von Most und Speisen, bringt Äpfel und Pflaumen dafür und lehrt uns madjarische und rumänische Worte. Mich hatte sie zuerst für den Feldgeistlichen gehalten und mit großer Scheu behandelt; nun sie weiß, daß ich ein ungesalbter Mann bin wie die andern, wird sie sehr zutraulich und sucht mich als ihren Wohngast und Ältesten der Tafelrunde zu ehren, indem sie oft nach meinen Wünschen fragt und mich dabei jedesmal auf zeremoniöse Weise halb umarmt, ein Benehmen, das am Tische viel Gelächter hervorruft; aber darum kümmert sie sich nicht. Zuweilen spricht sie mit sich selber, in anmutigem Wahnsinn scheint ihr Wesen zu kreisen. Von Zeit zu Zeit ging sie in die Wohnstube hinüber, wo ihr Mann finster, unteilnehmend am Herde saß, gab ihm Zigaretten, die wir ihr geschenkt hatten, und redete ihm, wie mir vorkam, begütigend zu. Zuletzt, wie ein Kind, brachte sie Schachteln mit Karten, Briefen und Heiligenbildchen zum Betrachten. Wie sehr erstaunte ich, darunter ein Blättchen mit der Skizze jener am Hoftor ausgeführten Zeichnung zu finden! Hier, wo sich das Ornament als ein erst entstehendes zeigte, regte es die Einbildung stärker an: ich konnte es nicht lassen, mußte ein Meldeblatt nehmen und nachzuzeichnen versuchen. Dabei wurde, wie stets in solchen Fällen, etwas anderes daraus. Ein stattliches siebenbürgisches Haus im Hintergrund anzugeben, gelang einigermaßen; vorn am Tor aber hat die Schlange den Flammenkern von der Kerze gebissen und trägt ihn zwischen den Zähnen fort. Darunter schrieb ich den Satz, den ich einst bei Glavina gelesen: Raube das Licht aus dem Rachen der Schlange! Die Kameraden lachten, sie meinten, der Most sei mir beträchtlich in den Kopf gestiegen; die Frau sah lächelnd dem Gekritzel zu, schließlich fragte sie mit Gebärden an, ob sie’s nehmen dürfe, worauf sie ging, um es ihrem Manne zu zeigen.
Um fünf Uhr waren wir marschbereit. Die Frau, beim Abschied, brach Zweige von einem getrockneten Pflanzenbüschel, der am Stubengebälk befestigt ist, und reichte sie mir mit bedeutsamem Blick. Vermutlich ist es als Talisman gemeint; der Geruch erinnert halb an Thymian, halb an Rosmarin. Sie redete noch viel und eindringlich, als ich das Pferd bestieg; verstand ich recht, so wollte sie mich einladen, dereinst nach dem Kriege wieder als Gast in ihrem neugebauten Hause einzukehren. – Der Major, noch vor neun Stunden im Fieber ächzend, sitzt fest auf seinem Rappen und berserkert wider Offizier und Mann. „Was haben Sie dem Kerl für Zeug gegeben?“ schrie mir Leutnant F. zu. Ich sagte, mir könne es recht sein, daß er meinen Mittelchen so viel Wirkung zutraue, aber der Alte wisse genau, daß ihn viele weit weg wünschten, das sei auch keine schlechte Arznei.
In langen Märschen entschleppte sich der Tag. Es ging über kahle und bewaldete Hügel, und immer durch gleiches Regenperlengrau der Luft sah man das gleiche stumpfe Blau der Häuser. Die Soldaten, geblendet noch vom Glanz des Gestern, empfanden mürrisch Obdachlosigkeit, karges Essen, zerrissene Stiefel und ungewisses Ziel, und an allem gaben sie dem Major die Schuld, dem sie überdies seine Genesung nicht verzeihen können. Laute Flüche schrieen sie ihm zu, wenn er vorüberritt; er stellte sich taub und nahm Rache, indem er übermäßig lang auf eine Marschpause warten ließ, die schließlich der Adjutant auf meinen Wunsch von ihm erbat.
In Székely-Udvarhely waren mehrere Gebäude gründlich zerstört, die Luft noch voll Brandgeruch. Auf den Hügeln aber, in geringen Abständen, staken blanke Nähmaschinen, treffliche deutsche Ware, bald im Straßenschlamm, bald in der Ackererde. Ungern mag sich der fliehende Gegner dieser wertvollen Beutestücke entledigt haben.
Abends klagten viele über äußerste Ermüdung. Vielleicht wirkt noch die Typhusimpfung im Blut. Ich selbst spüre wenig, obgleich ich, um das kranke Pferd zu schonen, den Weg, mit Gepäck beladen, zu Fuß zurückgelegt habe. Die Mäßigkeit, die ich mir seit Beuvraignes verordne, scheint zu nützen; auch lebe ich, vielleicht unter Glavinas Eingebungen, wachsamer als früher und mache mir aus unserm Zug nicht viel mehr und nicht viel weniger als ein großes Abenteuer. Damit gewinne ich viel: der unfreie Dienst wird mir leichter und läßt einen freieren ahnen, der vielleicht aus ihm hervorgehen wird. Von den Mitteln, die man gegen Erschöpfung anpreist, laß ich Tee und Kaffee gelten; grobtäuschende, wie Tabak und Branntwein, hab ich vorderhand ausgeschieden. Den leichtesten und geistigsten möchte ich am liebsten trauen. Wie wenige kennen die unbemeßbaren, immer wirkungsbereiten Energien des lebendigen Wortes! Daß es bei Dichtern Strophen gibt, herzgeborene, geladen mit der Kraft ganzer Geschlechter, vergleichbar den radioaktiven Elementen, aber weit wunderbarer, da sie, schon irdisch vernichtet, noch die Kräfte der Welt anziehen und Fluten von Erneuerung verströmen, wer weiß etwas davon? Mächtig genug wären manche, um das Schwungrad auch der ermüdetsten Seele neu anzutreiben, und vielleicht sind schon sie allein es wert, daß man sich eine Weile auf den Bergen des Todes aufhalte, weil sie dort gewiß am reinsten und stärksten klingen. Schwingt aber die Seele frei, was brauchen die Sinne viel Aufreizung? Brot, Früchte, eine Handvoll felsgeschöpften Wassers, ein Geruch wilder Minze sind Erquickung genug.
Es war schon tiefe Nacht, als wir ankamen. Den Namen des Dorfes hab ich vergessen. Alle Häuser sind mit Infanterie bereits überfüllt; wir sind gerade noch in einem verlassenen, ausgeplünderten Hüttchen untergekommen, wo sich auch etwas Heu gefunden hat. Die anderen haben sich schon unter ihre Decken und nassen Mäntel gestreckt, mein Kerzenstümpfchen flackert zu Ende, ich muß eilen, mir noch ein Lager zu sichern.
„Die Welt, die rauhe, rohe, ungeheure, ich lebe jetzt in ihr wie in dem Innern einer feinen, heftig schillernden Seifenblase und halte den Atem an, um sie nicht zu zersprengen“, las ich bei Glavina.
Bis Mittag stiegen wir durch windgetriebene Nebelwolken über bewaldete Hügel. Nach ein Uhr klärte sich unter uns das Tal von Csik Szereda, in das wir hinabstiegen. Hier war die Luft still und warm.
Um die Stadt rankt sich ein Kranz neuer Gräber. Innen sind viele Gebäude zerstört und ausgeraubt, die eisernen Schutzläden vielfach mittels Handgranaten zerrissen. Fliehende Rumänen hatten die Alutabrücke gesprengt; nun ist von preußischen Pionieren eine hölzerne Notbrücke, ein kühnes, fast zierliches Bauwerk, in wenigen Stunden errichtet worden.
Vor Ottelve gab es ziemlich lange keine Marschpause. Eben kamen die siebenbürgisch-rumänischen Grenzberge zum erstenmal in Sicht, da erscholl aus einem der vorderen Züge ein lautes Halt!, das nach hinten weitergegeben wurde. Die Gruppen gerieten in Unsicherheit; einige wollten stehenbleiben, andere weitergehen. Bald stellte sich heraus, daß weder der Major noch Leutnant Leverenz, die beide eine Strecke vorausgeritten waren, einen Haltbefehl erteilt hatte. Irgendein Mann mußte gerufen, ein anderer den Ruf weitergegeben haben. Der Marsch wurde fortgesetzt. Als wir bald nachher auf einer Wiese lagerten, verbot Leverenz seiner Kompagnie das Abnehmen der Tornister, ließ sie in voller Ausrüstung antreten und erklärte, daß er sie so lange stehen lassen werde, bis ihm der freche Störer gemeldet sei. Unterdrückte Verwünschungen wurden hörbar; den Gehorsam zu verweigern wagte aber keiner, ja mehrere, die den Tornister bereits abgelegt hatten, nahmen ihn zwar murrend, aber hurtig wieder auf. An etwas erhöhter Stelle trat Leverenz mitten vor die Mannschaft und, wiederholte seinen Beschluß. Er setze voraus, sagte er, daß nahezu alle den meuterischen Rufer verurteilten; sei der zu feig, um sich zu nennen, so müsse es ein anderer tun. Geschehe dies noch während der Ruhestunde, so werde der Schuldige bestraft, und damit habe es sein Bewenden, wo nicht, so werde die ganze Kompagnie, die Herren Zugführer nicht ausgenommen, zu büßen haben. Keiner murrte jetzt mehr; es wurde sehr still, Soldaten anderer Züge kamen auf einige Entfernung heran, neugierig, wie das ausgehen werde. Der Anblick war beklemmend. Hier stand einer der besten Offiziere der Division, mit seinen meisten Untergebenen stamm- und artverwandt, vielgerühmt als furchtlos und besonnen, verehrt als einer, der niemals aus bloßem Ehrgeiz die Seinigen in gefährliche Lagen brachte, im Kriege früh alternd, mit Narben geschmückt, jetzt bleich vor Erbitterung über die ihm vermeintlich angetane Schmach, die scharfen runden Augen ein wenig auf Uhuart einander zugedreht, einen Mann um den andern fixierend, sichtlich entschlossen, die Sache zum Äußersten zu treiben, dennoch weise genug, sie vorderhand gewissermaßen unter vier Augen austragen zu wollen, – ihm gegenüber die abgemattete Mannschaft, über sich selbst erschrocken, eben sich noch dumpf in einem Rechte fühlend, das aber, sobald es ausgesprochen werden sollte, zu Nichts zerfiel, im stillen die Haltung des Führers vielleicht schon bewundernd, – wo las ich doch einmal, daß eulenhafte Menschen allen andern überlegen seien?
Suchte man sich den Vorgang ins klare zu denken, so sah man eigentlich nur ein Übel akut aufbrechen, das nun schon lange unter uns umschleicht. Ins dritte Jahr zieht sich der Krieg; der Soldat, vielfach unberufen, spärlich ernährt, mangelhaft gekleidet und beschuht, selten beurlaubt, im Urlaub von Mutlosen entmutigt, verliert Nervenkraft und Zucht. Die Offiziere wissen es und lassen, besonders die jüngeren, aus Verlegenheit manches hingehen, überhören sträfliche Zurufe, reden sich auch wohl ein, diese seien nicht böse gemeint und werden in der Nähe des Feindes von selber verstummen. Solch lax-zweideutiges Verhalten muß einer klaren Kriegernatur wie Leverenz’ durchaus bedenklich und unwürdig vorkommen, und wenn er nun sein ganzes Ansehen einsetzt, um wenigstens seinen kleinen Bereich gewaltsam in die Ordnung zurückzubiegen, so fühlt man mit ihm wie mit einem Arzt, welcher einen Eingriff auf Tod und Leben wagt.
Der Major indessen saß abseits, in einem Notizbuch blätternd wie unbeteiligt, und gewiß war es sein bester Geist, der ihm eingab, sich zunächst nicht in den Handel zu mischen.
Schon dehnte sich die Szene schier unerträglich, da fand sie höchst unverhofft eine Entspannung. Hervor mit kleinen schnellen Schritten trat Infanterist Kristl und bekannte sich klar und bündig als den Mann, der „Halt“ gerufen habe. Eine Weile standen alle wie erstarrt, dann ging eine leichte behagliche Regung durch die büßende Kompagnie. Mir war ja diese Selbstbezichtigung nicht unverdächtig, denn Kristl war keineswegs vorne, sondern eher in der Mitte marschiert; aber wie er nun dastand, bleich und zusammengenommen, in seinem ganz verfärbten Waffenrock, die schwachen silbrigen Augenbrauen hoch hinaufgezogen, Leverenz anblinzelnd, als ob dessen Anblick ihn blende, da konnte einen sein Geständnis wirklich überzeugen. Durch des Leutnants ernstes Gesicht flimmerte jetzt ein überaus flüchtiges Lächeln, seltsam zu sehen, als ob ein steinerner Gott einen Atemzug lang Mensch würde. Vielleicht ging es ihm wie mir, und er hielt es für möglich, daß Kristl sich falsch beschuldigte, um die ersehnte Entfernung von der Front zu bewirken, und er bedauerte ihn ein wenig wie einen, der eine Sache immer wieder verkehrt anfängt, war ihm wohl auch heimlich einigermaßen dafür dankbar, daß der Bogen nicht mehr stärker gespannt zu werden brauchte, – jedenfalls griff er zu: ohne Verhör, kühl, streng erkannte er den Täter an und verkündete, daß er Entziehung des Urlaubs auf ein Jahr als Strafe beantragen werde, stellte jedoch Nachlaß in Aussicht, falls Kristl sich vor dem Feind auszeichnen werde. Jemand lachte bei diesem Wort, aber niemand lachte mit. Unverzüglich wurde die Kompagnie freigelassen, während Kristl verwirrt und, wie es schien, enttäuscht, noch eine Weile stehen blieb.
Unter Gewitterhimmel, den ein zartes nervenbeschwichtigendes Lilalicht weithin durchatmete, zogen wir eine Stunde später nach Ottelve weiter; Zuversicht und Gefühl des Zueinandergehörens waren plötzlich mächtiger als seit langer Zeit. Das gemeinsam Erlebte so vieler Monate, Aufbrüche, Nachtmärsche, Kampf, Wut, Todesangst, – man merkt mit einer Art Schrecken, daß es Eigentum und innerster Bestand geworden ist, daß man es, ohne von sich selber abzufallen, nicht mehr wegwerfen kann. Kristl, heute der einzige Handelnde unter lauter Leidenden, ist zu einem wundersamen Ansehen gelangt. Ob er wirklich der Haltrufer gewesen, danach fragt niemand. Aber jeder bietet ihm irgend etwas an, Zigaretten, Schokolade, Nüsse. Auch Leute von den anderen Kompagnien grüßen freundlich den sonderbaren Menschen und bekräftigen sein Lob.
Heute gelangten wir den ganzen Tag nicht aus dem Nebel. Eine Art Blindheit befiel die Augen, und als wir nach vier Uhr in Koczmás ankamen, erfuhr ich ein Verfließen äußeren und inneren Gesichts, von dem ich mir guten Gewissens berichte, weil der Geist frei blieb und der Täuschung gelassen zusah. Ich hatte mich bei einem Fußkranken aufgehalten, fand mich schließlich allein auf der Straße und suchte auf einem Seitenweg mein Quartier, dessen Richtung mir bezeichnet worden war. Als ich einmal stehenblieb, um mich zurechtzufinden, hörte ich ein Rauschen in der Nähe; es klang wie der Brunnen vor dem Hause der Mutter in S., und gleich kamen mir Weg, Zaun und Nebelbäume bekannt vor. Jeden Pfahl, jeden Stein hatte ich früher schon einmal gesehen, und nun hörte ich auch das breite Brausen der Donau. Ein Haus aber, das verschwommen im Dunst erschien, formte sich bis in Einzelheiten zu dem mütterlichen Häuschen aus. Kaum eine Viertelminute dauerte der angenehme Trug; ich folgte dem Rauschen, das sich aber auf einmal abschwächte, und als ich vor der Haustür stand und meinen Namen las, den der Quartiermacher mit Kreide daran geschrieben hatte, war alles vorüber. Eine ganz alte Frau trat heraus und führte mich in ein Stübchen, das ich mit Leutnant T. teilen soll. Später brachte sie sonderbare Milchspeise, die mit einer dicken Zimt- und Zuckerkruste überzogen war, dazu sehr scharfen, mir ungenießbaren Schafkäse. Ich habe mich beim Stab entschuldigen lassen und esse mit T. zu Abend, helfe ihm auch wieder beim Zensieren der Briefe. Die alte Frau erscheint von Zeit zu Zeit, stellt sich mit verschränkten Armen in die Tür und betrachtet uns unverwandt. Ihre Mienen sind kummervoll, ihr Blick ungesammelt, und wenn ich der Frau von Szentlélek gedenke, muß ich mich fragen, ob es hierzulande nicht mehr verwirrte und entrückte Menschen gibt als anderswo. Dann und wann kommt eine stämmige blonde Tochter, stellt die Alte wegen ihres zudringlichen Verweilens zur Rede und führt sie wie ein unverbesserliches Kind immer wieder hinaus.
Bei klarem Wetter vergißt man die nächtlichen Träume schnell; im trüben haften sie lang. Vor einem Turmeingang hatte ich den kleinen Wilhelm zurückgelassen und ihm zu warten befohlen. Ich stieg die Wendeltreppe hinauf. Die rohe Ziegelwand hatte Nischen; die schienen tief in Katakombenfinsternis hineinzuführen. Ich sah hohe schmale silberne Wiegen; in jeder lag, puppenklein, ein toter deutscher oder französischer Soldat, die gläsernen Augen weit offen; einzelne Lorbeerblätter, wie kleine Flügel, standen auf Blutgerinnseln an Stirn und Haar. Ich stieg weiter und befand mich auf einmal vor dem schönen jungen Wolf, den wir im Tierpark zu Hellabrunn öfters gefüttert haben; seine rechte Vorderpfote war zwischen zwei Stufen eingeklemmt, erwartungsvoll sah er mich an. Eine Berührung genügte, um ihn zu befreien; vorsichtig hinkend ging er mir nach oben voraus. Dabei merkte ich, daß von den Schultern an sein Fell eigentlich ein Gefieder war, breite graue, silbern geaugte Federn, in einem Pfauenschweif endend. Ich sah empor, da flog hinter Wolken der Mond, Wind pfiff um die Ohren, ich stand auf weiter Heide. Drei weibliche Gestalten, in weiße Decken gehüllt, schliefen unter eisklirrenden Bäumen. Die vordere war Vally; dahinter größer, wesenloser, lagen Mutter und Schwester. Ich beugte mich nieder, da sah ich, daß die weißen Decken aus lauter Schneeflocken bestanden, die wie ein Federkleid aneinanderhingen. Der Wolf ging im Kreise herum und beschnupperte die drei Frauen. Jetzt erwachten sie, mit verstörten Gesichtern; keine kannte mich. „Der Wolf wird euch fressen, wenn ihr schlaft auf der Heide!“ rief ich ihnen zu. Sie lächelten einander verlegen an. „Geht in den Turm! Dort sind silberne Wiegen“, setzte ich hinzu. Ich wollte es freundlich und ermutigend sagen, aber es kam hart und drohend heraus. Sie erkannten mich nicht und fürchteten sich vor mir. Vally, frostgeschüttelt, zog die Schneedecke über sich und rief dabei leise dem Wolf etwas zu. Der legte sich den Schläferinnen zu Füßen, schlug ein Pfauenrad und bedeckte alle drei mit seinem ungeheuren grauen, silbern spiegelnden Gefieder. Da hörte ich ganz laut und klar das Söhnchen aus der Tiefe rufen: „Vater, bist du schon oben?“ und war wach.
Am Abend stieg der Nebel auf und formte sich zu hellen, tiefgekerbten Wolken auseinander. Die Berge sind wieder weiter zurückgetreten. Das Fernglas zeigt eine kleine, schimmernd weiße Stadt; es muß Kézdi-Vásárhely sein.
Nach etlichen Ruhetagen scheint es nun gewaltig zu schlaunen: Eilmärsche, mit Gefechtsübungen verbunden, brachten uns heute bis Esztelnek, dessen weißer Turm, ein Campanile, sich einige Schritte vom Kirchlein fernhält. Als mich meine Quartierwirtin im Hof willkommen hieß, erschrak ich vor der fast unnatürlichen Ähnlichkeit, womit mich Gesicht und Gebaren dieser Bäuerin an Frau Nikola, die verstorbene Oberin, erinnerte. So gibt es auch da kein Ende, und immer schaut gleiche Seele mit gleichen Augen durch die Schichten der Zeit. Jene zwar verließ ihr Leben lang das Kloster nicht; diese ist Mutter, dabei aber herb und ernst, wie vom Gesetz eines Ordens begrenzt, und all ihr Tun spielt sich im Rhythmus geistlicher Übungen ab. Sie entschuldigte sich sehr, daß sie fast kein Deutsch verstehe, und führte mich in eine Stube, deren helle Nüchternheit mein Gefühl bestätigte. Die Frau brachte Weißbrot und Äpfel, entfernte sich, kam aber bald wieder und stellte Photographien ihres Mannes und ihrer zwei Söhne auf den Tisch. Dann faltete sie in Schulterhöhe die Hände nach der Seite zusammen, neigte den Kopf darauf, indem sie eine Schlafende nachahmte, deutete hierauf zur Erde, sagte „In Galizia“ und ging wieder. Die Bilder ließ sie bei Brot und Früchten stehen, als wünschte sie, daß ich, die Gaben des Hauses genießend, auch der Toten des Hauses gedächte.
Der Nachmittag verging im Dienst. Unser Wohin ist noch immer unbekannt. Die verheißene Stiefelsendung ist nicht eingetroffen. Das Bataillon wird mit löchrigen Sohlen in den Gebirgskrieg marschieren. Aus der Heimat kommt keine Nachricht. Am Abend, vielleicht vom Turmtraum gewiesen, bestieg ich den Campanile. Wenn das Dunkel die Grenzen der einzelnen Besitztümer aufhebt und schließlich nur noch die staubweißen allhinführenden Straßen erkennbar bleiben, die jedem und keinem gehören, so schickt man gern seine besonderen Wünsche schlafen.
Um fünf Uhr marschierten wir ab. Es wehte scharf aus Nordost. Bald fror ich im Reiten und ging lieber zu Fuß. Dunkelgrüne Wintersaaten breiten sich bis zu den Bergen hinan, denen wir uns rasch näherten. Über den Gipfeln lagen erdgraue Wolkenschichten, die sich nach und nach rötlich fleckten und auf einmal Feuer fingen. Schließlich aber ging die Sonne nicht an dem Punkt auf, wo es am heftigsten flammte, sondern etwas links davon in gleichmäßig hellem Gewölk. Wir erblickten bereits das Türmchen von Bereczk, da kam ein Befehlträger nachgesprengt und übergab dem Major ein Blatt, gleich scholl ein Halt, und nach Minuten folgte Befehl: Zurück in die alten Quartiere! Mit lauten Rufen bezeugten die Kompagnien ihre Freude. Vielleicht war ich der einzige, der im Augenblick den Marsch lieber fortgesetzt hätte. Ist Aufschub einer Entscheidung dem vorwärtsgerichteten Geiste doch immer gespenstisch, als verböge sie den geraden Gang des Geschicks. Um zehn Uhr gelangten wir nach Esztelnek zurück, wo uns die gestern noch so freundlichen Dörfler mit bestürzter Zurückhaltung betrachteten. Unsere Wiederkehr kommt ihnen überaus verdächtig vor; sie vermuten dahinter den Beginn eines deutschen Rückzugs und sehen uns im Geiste bereits über die Maros gejagt. Meine gute Wirtin dagegen begrüßte mich mit unverhohlener Freude; sie schien mich erwartet zu haben. Jemand hatte ihr nachträglich die ärztlichen Zeichen an meinem Kragen gedeutet, nun wollte sie Versäumtes nachholen. Über Stufen führte sie mich in eine Kammer, wo Heiligenbilder in russischem Stil an den Wänden hängen und leere zierlich bemalte Ostereier den Deckenbalken entlang an Nägelchen aufgespießt sind. In einem zum Fenster gerückten Bett mit grellroter Decke lag eine kaum Sechzehnjährige, von der Schwindsucht gezeichnet. Die Mutter geriet ganz aus ihrer Gehaltenheit und redete viel und schnell. Wenn ich zu erklären versuchte, daß ich nicht eines ihrer Worte verstünde, nickte sie mir zu mit solchem Beifall, als wärs gerade das, was sie zu hören wünschte. Wozu auch Worte! Sie suchte Hilfe, das war leicht zu begreifen. Das Kind ist schön; schwarzes feuchtes Haar über dem Schwächeglanz der Stirne hoch emporgekämmt, in den Augen brennt das ganze in die Enge getriebene Leben, wie eine Flamme in reinem Sauerstoff brennt. Der Leib ist schrecklich eingeschmolzen; die Brüste nur, steil und straff, trotzen noch selig dem Tod.
Während des Untersuchens wurde wieder einmal offenbar, wie sehr doch das lange Kriegsleben die innere Gestalt verändert. Was durch Jahre tägliches Geschäft gewesen war, das Durchspüren der Organe nach den Herden des Zerfalls, es will nicht mehr so recht von der Hand gehen. Ja, mir kam vor, als wärs ein gröbliches verfängliches Beginnen, blasse Magie, die weder guten Tod noch gutes Leben bringt. Ich glaube, mancher Arzt wird künftig seinen Kranken anders gegenüberstehen als bisher. Vielleicht müßte man sich selber gewissen Übungen und Enthaltungen unterwerfen, wenn man tiefe Verschattungen einer anderen Natur durchdringen und auflösen will, vielleicht auch viele Kranke abweisen, um wenige desto sicherer zu heilen. Für diesmal war es nur ein Scheindienst, was ich leistete; und als ich nach der Untersuchung andeutete, daß ich Arzneien aus dem Sanitätswagen holen wolle, waren Mutter und Tochter für den Augenblick zufrieden und getröstet. Die Frau ging und brachte einen Teller mit Pflaumen, bot erst mir, dann der Kranken und aß auch selber davon. Schweigend saßen wir nun beisammen, sie meiner, ich ihrer Sprache unkundig. Heiße Nachmittagssonne schien herein, sie durchleuchtete rötlich die braunen Paprikaschoten, die wie kleine Hörner in Büscheln am Fenster hängen. Wespen summten, und leiser Geschützdonner kam von den Bergen herüber. Auch die Mutter sprach nicht mehr; zuweilen, wenn sie mich zum Essen ermahnen wollte, rührte sie mit der Hand leicht an mein Kinn und deutete dann auf die Früchte. Bald stand ich auf und ging. Wie ein ewiger Abschied von allem dumpf Leidenden, Schwindenden war mir die Szene. Und seltsam, nicht mehr als niedrig-widriges Zehrergezücht erschien mir auf einmal das dunkle Reich der Mikroben, vielmehr als eine heilig-schreckliche Macht, verbunden und pflichtig den stärksten Energien der Natur. Solche zu bekämpfen kann jetzt kaum unser Dienst sein. Schon deuten sich andere Gewalten an, denen wir uns entgegenstellen oder denen wir uns verbünden müssen.
„Es gibt abwartende Gifte, die das Blut nicht beschädigen, solange sich das vergiftete Wesen im Finstern hält, wogegen sie bei hellem Tage sogleich zu gären und zu töten beginnen.“ Wie klärt sich mir langsam dies dunkle Wort!
Vor dem Abendessen verschlief ich eine halbe Stunde. Mir träumte von meinem Pferd. In dem Augenblick, da ich es besteigen wollte, verwandelte es sich in ein junges nacktes Weib.
Der Adjutant kündigt an, daß es morgen in aller Frühe weitergeht. Er versichert uns, daß wir diesmal nicht zurückgerufen werden.
Um die gleiche Stunde wie gestern verließen wir Esztelnek und erreichten bei trüb grauendem Tage das große Dorf Bereczk. Viel Volk stand auf der Straße, meist Frauen. Ein zierliches, vom Alter gekrümmtes Matrönchen lief neben der Kolonne her und spähte aufgeregt von einem Kopf zum andern: die Stahlhelme, die wir seit gestern tragen müssen, haben ihrs angetan. Endlich, da wir gerade langsamer marschierten, faßte sie Mut, huschte an den kleinsten Flügelmann heran und beklopfte mit scharfem Finger seinen Helmrand. Vielleicht hatte sie gemeint, es sei Holz oder Pappe; nun erkennt sie, daß es Metall ist, verschränkt zufrieden die Arme und bleibt zurück.
Ein sehr alter Mann stand vor seinem Häuschen und schrie, den Hut schwingend, in schauerlichem Gleichton unaufhörlich: Gott helfe den Deutschen! Gott helfe den Deutschen!
Die Gefechtsbagage blieb im Dorf; Zahlmeister und Verpflegungsoffiziere nahmen Abschied und wünschten uns Glück. Es ging bei leichtem Regen ins Gebirge empor. Man sah ferne Felsen mit schwarzen Klüften, die wie Schlünde Nebel ein- und ausatmeten. Um neun Uhr hielten wir auf dem Punkt Madjaros, wo nun auch die Pferde und ihre Wärter uns verließen. Auf sumpfiger Waldwiese kochten die Feldküchen ab, es gab eine lange notwendige Rast; schon hatten wir fünf Wegstunden hinter uns, und vor uns ragten steile Hänge. Nach dem Essen ging ich eine Strecke voraus und setzte mich auf einen Stein, wo ich zu warten beschloß, bis die andern mich einholten. Es wurde düster, Nebel fiel von oben, und während ich ihm entgegensah, war ich von abgewehten Fransen schon überzüngelt und umschlungen. Wie seltsam das ist, von der ferngewohnten geistigen Wolke berührt und aufgenommen zu werden wie von einem blütigen Wesen! Alle Heimatgestalten glänzen auf, und zugleich erschwingt ein grenzenloses Vertrauen in die strömenden und untergrabenden Kräfte der Welt. Wie aus großer Ferne hörte ich das Bataillon aufbrechen und regte mich nicht, bis die ersten Gruppen zu mir stießen.
Es ging nun stetig aufwärts. Der Adjutant sagte, nur fünfzehn Kilometer hätten wir bis zur Stellung zurückzulegen, aber man hörte keinen Schuß. Der Nadelwald setzte streckenweise aus, Wacholder, strotzend von lilagrünen Früchtchen, wuchert zwischen Felsblöcken. Viele Gräber kommen; nach den Inschriften, die sie tragen, sind sie erst fünf Tage alt. Carp, rumänischer Leutnant, stand auf einem Holzkreuz. Gegen zwei Uhr durchstiegen wir eine kahle, nebelüberstrichene Senke; dort wurde uns ein rätselhafter, erschütternder Anblick. Ein einsames, niedergebranntes Haus stand in der Mitte; es rauchte noch leicht aus den Kohlen. Die Wände waren stehen geblieben, und unter der Verschwärzung erkannte man die blaue Tünche; vom Dach aber sah man bloß das verkohlte Geripp. Hinter einer unversehrten Pfahlhütte befanden sich zwei Gräber ohne Kreuze, nur mit Wacholder geschmückt. Eine große, sehr alte Frau, nackt bis zum Gürtel herab, dem Gesichte nach Madjarin, das graue Haar zerrauft und beschmutzt, schlich um die Hügel und redete zutraulich mit etwas Unsichtbarem. Als wir uns näherten, reckte sie sich auf und drohte mit der Hand, als wollte sie uns von dem Orte verscheuchen. Plötzlich wandte sie sich ab und rang unter grausigem Geheul die Hände gegen Osten. Leutnant F., im Vertrauen auf sein bißchen ungarische Sprachkenntnis, versuchte mit ihr zu reden. Sie aber bückte sich, scharrte Erde vom nächsten Grab und streute sie ihm entgegen; doch war diese Bewegung mehr warnend und beschwörend als feindselig. F. sprang, halb ärgerlich, halb erschrocken, zurück und marschierte mit seinem Zuge weiter. Von den übrigen Offizieren und Mannschaften blieb niemand stehen. Zwar wurden Vermutungen ausgewechselt, was der Frau widerfahren sein könnte; die meisten aber mochten den Gang einer Tragödie spüren, vor welcher kein zudringliches Mitleid gilt, und stiegen schweigsam weiter im Gewölk empor, das die schauerlich große Erscheinung bald verhüllte.
Als wir um halb vier Uhr den Bako tötö erklommen, tauchten wir aus der Dunstwelt in blauen Tag. Eine moosige, mit Silberdisteln bewachsene Fläche zwischen zwei bewaldeten Kuppen wurde als Rastplatz gewählt. Riesige Haufen rostender Konservenbüchsen zeigten an, daß vor uns bereits andere Truppen hier gelagert hatten. Ich tat wie die meisten, wickelte mich in meine Decke und legte mich, schweißdampfend wie ich war, auf den überfrorenen Boden, wo ich sofort einschlief und nach einer halben Stunde, trotz einigem Frösteln sehr erquickt, erwachte.
Aus dem Wald über uns kam ein Mann in langem, grünem Mantel herab, den turbandick verbundenen Kopf mit beiden Händen festhaltend. Es war ein verwundeter Rumäne, der ohne Bewachung, sich selbst überlassen, seinen Weg in die Gefangenschaft suchte. Beim Näherkommen sah man die durchbluteten Kompressen und Mullbinden verschoben, am Hals eine klaffende Wunde halb entblößt. Das rechte Auge war schwarz zugeschwollen, das unbeschädigte linke hatte ein schönes Hellbraun. Die ärztlichen Zeichen erkennend, blieb er vor mir und R. stehen, deutete schweigend auf seine Wunde. Diese zu sondieren hüteten wir uns, nahmen auch den ersten Verband nicht ab, sondern legten dicht und fest einen frischen darüber, worauf der Unglückliche seinen Kreuzweg weiterschwankte, gefolgt von dem grimmigen Lachen unserer Infanteristen, die vielleicht, ohne es zu bedenken, in dem erniedrigten Bilde des feindlichen Genossen sich selber verhöhnten: Heute du – morgen wir! Wir marschieren nicht weiter; Befehl ist gekommen, an Ort und Stelle zu biwakieren. Jetzt werden die Gewehre zu Pyramiden gegeneinandergestellt, die Helme darangehängt, Zelte aufgeschlagen. Verbündete Truppen ziehen über den Berg; Fetzen unbekannter Sprachen flattern vorbei. Der Mond, blaßgrün, schmal wie ein Grashalm, geht in kleinem Bogen über den Himmel, das Flammen der Sterne beginnt. Die Kompagnien haben Feuer angezündet, um die sich bald alles versammelt. Auch österreichische Offiziere kommen für eine Weile, um sich zu wärmen. Einer von ihnen hat ebenfalls die Frau bei den Gräbern getroffen und vergeblich zu beruhigen versucht. Er hat sich auch in dem Pfahlhüttchen umgesehen. Kleider, Felle, bunte Decken und Lebensmittel, sagt er, gebe es darin genug. Er habe einen Mantel herausgeholt und der Wahnsinnigen über ihre Nacktheit gelegt, sie habe ihn wieder herabgleiten lassen. Übrigens sei das Haus ein Grenzhaus gewesen, die Rumänen, auf ihrem Vormarsch, hätten Vater und Sohn, die beiden Grenzwächter, niedergemacht; jedoch ergibt sich aus ferneren Reden, daß auch dies nur Vermutung ist. Fast war ich froh, als das Gespräch zum Gewöhnlichen zurückflachte. Was liegt am Geschehen? Den Schmerz, der den Menschen dahin verhärtet, wo es kein Hungern, kein Frieren, keine Tränen mehr gibt, den Schmerz, der Trost und Wohltat mit weihender Beschwörung zurückweisen muß, dies letzte große Heiligtum der Menschen, jedem höchsten Genius verwandt, soll man es zerschwatzen? Eine Angelegenheit für Greuelerzähler und Seelenspäher daraus machen?
Die Nacht wird kalt. Einer um den andern gesteht sich ein, daß er für einen Gebirgswinterkrieg eigentlich nicht ausgerüstet ist. Keiner spürt Lust, in das dünne Zelt zu kriechen. Ich will als Gast von Feuer zu Feuer wandern, bis mich der Schlaf übermannt.
Ich erwachte mit dem Gefühl absterbender Zehen, verließ das Zelt und umschritt stampfend das Lager. Später meldeten sich einige Soldaten mit wirklich abgefrorenen Zehen und Ohren. Bei mir brachten Gespräch, Bewegung und heißer Kaffee, dem nur gar zu viele Wacholdernadeln beigemischt waren, das Blut bald wieder in seinen Lauf. Aus den rumänischen Bergen aber hob sich die Sonne, und wunderbar zeigte sich heute die strahlenbeugende Kraft irdischer Atmosphäre: nicht als kreisrunde Scheibe, sondern als mächtiges karminrotes Ei lag das Gestirn minutenlang über schwarzen Wäldern, bis es nun, langsam steigend, sich entrötet und rundet. In den Tiefen aber ist unermeßliches Weiß ausgegossen, ein glattes, dichtes, mit Gipfelinseln überstreutes Meer von Flaum, das uferlos mit lilablauem Strich im Westen endet. An dem uns nahen Rande, wo es noch seicht ist, läßt es Felsen und Bäume durchscheinen; man könnte glauben, diese spiegelten sich darin.
Der Marsch, der um neun Uhr begann, war oft von Rastpausen unterbrochen; vermutlich durften wir nicht zu früh ankommen. Die Mittagstunde verbrachten wir nahe dem Gipfel des Berges Kishavas auf einer moosigen, mit Steinblöcken und Wacholderbüschen besetzten Fläche voll neuer Gräber. Einige Kreuze sind sorgfältig mit Grün umwunden, manchmal nur ein kleiner Stecken einem größeren mit Waldreben zu flüchtigstem Gedenken angeknüpft. Zwischen zwei Steinen steht ein Pfahl mit aufgeschnitztem Halbmond und der Inschrift: Brica Hamid, 29. X. 16. Durch kalten Wind wirken scharfe Höhestrahlen, Reifkörner verdampfen an den Spitzen des Wacholders, von Stunde zu Stunde bräunen sich die Gesichter. Es ist sehr still, die Lust zu sprechen gering, der Geist unterhält sich noch immer mit jenem unendlichen Weiß.
Ein ungarischer Beobachter gesellte sich zu uns; er lud mich und H. schließlich ein, auf seinem Standort mit ihm Tee zu trinken, und ließ uns durch sein Scherenfernrohr schauen. Wie man das Blickfeld eines Mikroskops nach den schädlichen rot oder blau gefärbten Pilzen absucht, so wird hier nach den moosgrün gekleideten rumänischen Soldaten gefahndet. Der Offizier hatte die Höhe Lespédii eingestellt; er verriet uns, daß unser Bataillon sie werde erstürmen müssen, und zwar bald. Im übrigen war er ärgerlich, weil keiner der Grünen sich zeigen wollte; gar zu gern hätte er ihnen ein paar Granaten hinübergesandt. Ich sah im Glas einen kleinen steinigen Hügel mit etwas Baumwuchs und viel Gestrüpp. An einem Schräubchen drehend, entdeckte ich auf einmal hinter Wacholderbüschen eine ganze Gruppe schanzender Rumänen, wollte schon den Beobachter aufmerksam machen, fühlte mich aber gehemmt und schwieg. Zum ersten Male stand ich gewissermaßen vor der Pflicht, den Tod auf Menschen zu lenken; denn der verschonte Gegner kann im nächsten Augenblick die eigenen Landsleute gefährden. Anderseits waren die arbeitenden Leute von drüben hier in dem kleinen Glase gleichsam in meine Hand gegeben; ich sah, wie der eine sich eben eine Pfeife stopfte, ein anderer aus der Feldflasche trank, sie hielten sich für völlig sicher, und solange ich sie nicht verriet, geschah ihnen auch nichts, – ein seltsamer Fall für einen Menschen, der nicht Soldat ist und mit sich selber in leidlichem Frieden lebt. Während mir das Herz wunderlich zu klopfen begann, trat ein älterer bosnischer Hauptmann herzu, der nachts aus dem Urlaub zurückgekehrt ist, und wandte durch lebhaftes Erzählen alle Aufmerksamkeit auf sich, so daß der magische Spiegel ganz in Vergessenheit geriet. Die Hofburg in Wien, berichtete jener, soll Tag und Nacht von Massen hungernden Volks umlagert sein, die den alten Kaiser beschwören, er möge einen Schritt für den Frieden tun.
Als wir zum Lager zurückkehrten, sahen wir eine Karawane von Tragtieren dem großen Wolkenglanz entsteigen; die Führer sagen, es gebe drunten im Lande einen trüben Tag. Um drei Uhr rückten wir, durch dichten Wald absteigend, in die Stellungen, wo wir bosnische Infanterie ablösten. Eine Moos- und Reisighütte wurde mir als Befehlsstelle bezeichnet; hier ließ ich mein Gepäck zurück und ging weiter, um die Verteilung der Kompagnien zu erfahren. Die Rumänen verhalten sich still; doch entgeht ihnen schwerlich, daß eine neue Art Feind in den Wald eingezogen ist. Hatten sich nämlich die tapferen, aber etwas bequemen Bosniaken lieber der dauernden Todesgefahr ausgesetzt und Nächte durch gefroren, als daß sie sich mit dem Ausbau der Stellung abgaben, so geht es jetzt unter unbändigem Jauchzen und Gesang an ein deutsch-gründliches Graben, Baumfällen, Sägen und Hämmern, als stünden wir auf heimatlichem Grund und müßten für Kind und Kindeskind Häuser bauen.
Das Lager aus Fichtenzweigen, das Rehm aufgeschichtet und mit einer Zeltbahn überdeckt hat, bewährte sich gut; wir schliefen alle weit in den Morgen hinein. Die Rumänen bleiben ruhig. Die Unsrigen bauen Unterstände. Es verlautet aber, daß wir nicht lange hierbleiben.
Beim Frühstück, als der Major Marmelade aus dem Topf nehmen wollte, brachte er mit dem Löffel eine kleine tote Maus zum Vorschein. Wie sie in das Gefäß geraten ist, wer weiß es? Mäuse gibt es ja hier genug, es sind hübsche bräunliche, mit Augen wie schwarze Fischrogenkörnchen; beim Aufwachen heute sah ich eine über mir im Gezweig, die mich beobachtete. Klingensteiner wurde gerufen und zur Rechtfertigung aufgefordert, konnte aber keine andere Erklärung abgeben, als daß der Topf über Nacht vermutlich unbedeckt stehen geblieben sei. Er wurde hart angelassen, was er schweigend hinnahm; schließlich erbot er sich schüchtern, eine neue Büchse zu öffnen. Der Major schien zu schwanken, aber nur einen Augenblick, dann wies er das Anerbieten zurück, ließ die Mäuschenleiche entfernen und begann, während ihm vor Widerwillen die Augen aus dem Kopfe traten, sein Brot zu bestreichen, schob auch uns das Marmeladegefäß zu. Da er uns schaudern sah, bestrich er das Brot noch etwas dicker und erklärte knapp und brüsk, die Maus könne erst heute nacht hineingefallen, von Verwesung also noch keine Rede sein, in den Städten Deutschlands herrsche der Hunger, tausend Mütter würden sich dort glücklich schätzen, wenn sie ihren Kindern solche Marmelade auf ihr elendes Kleienbrot schmieren dürften. Dabei kaute und schluckte er gewaltsam, die Mienen von grenzenlosem Ekel verzerrt. Endlich stand er auf, strich sich stehend ein zweites Brot und ging, ohne abzuwarten, ob wir seinem Beispiel folgten, davon. Einige lachten jetzt, und einer nannte ihn ein Schwein, doch war eine gewisse Angefochtenheit bei jedem zu merken. Einer meinte schließlich, er hätte ja die Marmelade stehenlassen und mit dem trockenen Brote vorliebnehmen können; aber dies Wort ging daneben, jeder hatte gespürt, daß der Alte den Ekel mit Bewußtsein erleiden und zeigen, ja, daß er uns damit peinigen und beschämen wollte. Im stillen mochte sich auch jeder sagen, daß ein Volk, worin alle dächten und handelten wie er, ewig unüberwindbar bliebe; doch scheint es manchem befremdlich, daß aus dem bitteren kleinen Greise, der uns allzuoft halb eine Belustigung, halb ein Ärgernis gewesen ist, auf einmal etwas wie echter Schmerz und echte Größe hervorwachsen will. Sich selber traut ja jeder Erneuerungen zu; den andern aber, besonders den älteren, hält man gern für eine starre Gewordenheit und ist fast ungehalten, wenn er einem plötzlich Beweise vom Gegenteil gibt.
Bald redete keiner mehr; nachdenklich saßen alle um den Marmeladetopf, bereit, wenn es gegolten hätte, davon zu essen, aber einer durch des andern Gegenwart gehemmt.
*
Nach Mittag durchging ich mit dem Ordonnanzoffizier unsern ganzen Frontbereich. Die Gegend ist wie absterbend; manchmal knistert es im Gezweig, eine Staude wird geschüttelt, aber man sieht kein Wild, keinen Vogel. Der Wald ist Urwald; filzig-strähnige Flechtengewebe verbinden die Baumkronen und verdünnen das Licht. Ungeheure Stämme, halb aufgelöst, manche wie durchwärmte Kerzen verbogen, glühend in allen Röten und Bräunen des Verwesungsrostes, liegen auf- und nebeneinander, und überall ringt Alge, Moos und Pilz zur Welt. Ja, was höhere Natur in veredelter und festerer Form lange bewahrt und entwickelt, bis es endlich mit Augen blickt oder sich mit Flügeln auflüftet, hier, im feilsten hinfälligsten Stoff, ist es vorgeträumt seit Äonen und zerfällt, kaum geworden, in haltloser Brunst. Es gibt Schwämme, die wie Rebhuhnfittiche den Boden überbreiten, andere gleichen schwarzen Muschelschalen, aus denen ein amethystenes Geriesel kommt. Ein Flor violetter Posaunen bedeckt ganze Flächen, aus lockigem Gekräusel stehen weiße Glieder, und winzige verstümmelte Hände, lichtgrün, mit einem siegellackroten Tröpfchen statt fehlender Fingerspitzen, greifen aus morschen Rinden hervor.
Plötzlich standen wir vor einem Toten, und als hätte uns dieser den Blick geöffnet, sahen wir nun den Wald voller Leichen. Um die Höhe Lespédii herum liegen sie zu Reihen hingestürzt, lauter Rumänen; die Österreicher hat man wohl bereits begraben. Sie tragen zwiefach gespitzte Mützen, denen vorne bloß ein Goldknöpfchen fehlt, um an alte deutsche Schalkskappen zu erinnern. Alle haben ganz neue Uniformen, dazu Halbschuhe, die aus einem einzigen Stück Leder geschnitten und oben mit starker grüner, durch Löcher laufender Schnur zusammengezogen sind. Der Ausrüstung ist anzumerken, daß die Führer mit einem raschen Siegeslauf gerechnet haben.
Wir besuchten unsere sämtlichen Kompagnien; später gesellte sich Leutnant K. zu uns, der vor acht Tagen zum erstenmal an die Front gekommen ist, und wir schritten zu dritt einen weiten Bogen aus, wobei der Ordonnanzoffizier sehr anschaulich die Lage des Oitózpasses beschrieb. Der Leutnant ist ein zarter Junge, wie ihn früher kein Heer aufgenommen hätte, sein Gesicht so bleich, als wäre er erst vom Krankenbett aufgestanden. Die Begegnung mit so vielen Toten schien ihn anzugreifen; er fragte, wann sie denn begraben würden, worauf der Ordonnanzoffizier meinte, das eile nicht so sehr, der Frost bewahre die Leichen gut und lasse keine Verwesung herankommen, es gäbe für den Augenblick Wichtigeres zu tun. In einer kleinen Lichtung blieben wir stehen und betrachteten die Höhe Lespédii, die das Bataillon in den nächsten Tagen erstürmen soll. Sie nahm sich jetzt noch unbedeutender aus als gestern im Fernrohr; mit gelbem Gestein und braunem Gestrüpp glich sie dem räudigen Fell eines scheckigen Tieres, und Leutnant K. sprach nur mein eigenes Empfinden aus, als er fragte, ob es denn irgendeinen taktischen Zweck habe, für den elenden Steinhaufen deutsches Blut zu opfern, man möge ihn doch in Gottes Namen den Rumänen lassen. Der Ordonnanzoffizier sah den jungen Kameraden verwundert an wie einen Mitspielenden, der sich nicht an die Spielregeln hält, und erklärte dann, es handle sich keineswegs darum, Berge zu erobern, sondern feindliche Kräfte hier festzuhalten und wichtigere deutsche Fronten zu entlasten, und übrigens sei es an der Zeit, daß wir ins Gefecht kämen, eine lange Defensive zerstöre den Mut, ja der beste Soldat werde schlecht ohne Kampf und Gefahr.
Der Leutnant schwieg lange. Erst als wir schon den Rückweg angetreten hatten, fragte er unvermittelt, ob sich von den Friedensgerüchten, die neulich umliefen, etwas bestätigt habe. Wir verneinten es. Nun geriet er mehr und mehr in ein fieberisch-verworrenes Gerede hinein; schließlich, lachend und doch sehr erregt, erzählte er von einer Tante in Augsburg, die darauf schwöre, niemand anderer als Mars, der nahe rote Planet, habe uns den Krieg gesandt, er herrsche auf sieben Jahre über die Erde und sauge an ihren Geistern, bis sie einander aus der warmen Behausung des Lebens jagen. Der Ordonnanzoffizier war immer einsilbiger geworden; auf das letzte hin schwieg er ganz, und ich glaube, er hatte recht. Vor den Antlitzen der Toten erstirbt jedes nicht ganz wahre, nicht ganz nüchterne Wort wie in luftleerem Raum. Im Grunde fühlt wohl jeder einen Sinn in sich, der mit und über allen Planeten weiß und wirkt. Bleiben wir im engsten Kreise wachsam! Wenn einer vom eigenen Mittelpunkt aus das Nächste, Notwendige erkennt und löst, wie kann ein wandelnder Stern gegen ihn sein? Er hat sich dem Geist aller Sonnen verbunden, immer dient er den Gängen des ewigen Spiels.
In das obere Waldgebiet zurückkehrend, sahen wir die schwarze Fichtenfensterung rot und blaugolden wie mit Scheiben ausgelegt, unter uns aber, schon von Halbnacht umgeben, die große weiße Dunstsee hingebreitet, an deren östlichem Saum einzelne kleine Lichter flimmerten. Während wir uns fragten, ob diese noch unserer eigenen oder schon der gegnerischen Zone angehörten, bemerkten wir am Boden etwas Seltsames, ein kleines dunkles Tier, das, einer aufziehbaren Blechmaus ähnlich, in engen Kreisen unaufhörlich einen Baum umlief. Sein Gebaren erinnerte an die japanischen Tanzmäuse, die Wilhelm in Hellabrunn immer so viel Spaß gemacht haben; es war aber größer und nahezu schwarz. Wir näherten uns vorsichtig, da huschte es den Stamm hinauf und war verschwunden. – Im Unterstand wurde mir eröffnet, daß ich laut Brigadebefehl für die Kampftage zum Regimentsstab abkommandiert bin, wo ich einen Verbandplatz errichten soll. Das bedeutet, aus Gefahr und feuchter Niederung der Leichenwälder in Sicherheit und golden-trockene Höhenluft versetzt werden. Alle wünschen mir Glück. Ich wäre aber lieber beim Bataillon geblieben.
6. November stieg ich mit Rehm, Dehm und Raab auf den Gipfel des Kishavas, meldete mich beim Oberst und nahm sogleich einen Verwundeten in Empfang. Er ist bei einer Erkundung in die linke Seite geschossen worden; die Kugel steckt in der Lunge. Uneingedenk des Todes, der ihm wie ein feiner sichelförmiger Glanz aus den schon umnebelten Augen blickt, verlangt er hartnäckig Schnaps und hofft, mit ihm seine Schwäche zu überwinden, um unzählige Rumänen erschießen zu können. Nie sah ich so brennende Rachsucht in so leidender Natur.
Beim Abendessen besprach ich mit dem Oberst Ort und Art des zu bauenden Unterstandes. Wir einigten uns auf einen geschützten Platz am Waldrand. Ich bat ihn auch, mir Leute zur Arbeit zuzuweisen; aber bevor er nur antworten konnte, erklangen von allen Seiten die schönsten Versprechungen: Adjutant, Feldgeistlicher und Ordonnanzoffizier überbieten sich in Hilfsbereitschaft, jeder wird mir morgen in aller Frühe seinen Diener senden.
Die Nächte sind hier kälter als unten. Wir haben Erde tief und breit ausheben lassen und über diese Grube Zeltbahnen ausgespannt, so friert man weniger. Noch etwas besser wäre das Lager ohne die vielen verholzten Wacholderwurzeln, die sich zuweilen scharf gegen die Rippen stemmen, wenn man im Schlaf die Lage verändern möchte. Doch wacht man jetzt gern einmal eine Stunde, wenn Mondlicht ist über unserer vorzeitigen Gruft und Gräser und Stauden, zart abgeschattet, über dem Zelttuche schwanken. Heut mußte ich viel an Glavina denken, der tief auf dem Grunde des Nebelmeers atmet, wo der Mond wohl nur als blaßgrauer Silberdunst hinabreicht. Gern läse ich wieder einmal eins von seinen Worten oder spräche mit ihm; aber er ist unnahbar scheu, und Briefe gehen keine mehr durch meine Hand. Oft ist mir, als ob mich seine Sprüche leicht und stark in die Zukunft hinüberzögen. Es hat sich nun doch so lenken lassen, daß er nicht mehr im Graben, sondern fast nur noch als Befehlträger verwendet wird.
Das Wetter hält an; jeder Morgen bringt Nebel und ist wie eine graue Puppe, aus welcher blau der Tag emporfliegt.
Mit meinem Unterstand ist es etwas anders gegangen, als ich gestern meinte; aber er steht da, trotz allem, – was will ich mehr? Es ist bei einem Regimentsstab wie an einem kleinen Hofe; man sieht einander weniger in die Augen als auf die Achselstücke, und da mir solche fehlen, so zeigten die Zusagen von gestern keine rechte Haltbarkeit; vielleicht haben sie mehr dem Obersten gegolten als meinem Unternehmen. Als am Morgen die Diener ausblieben, erlaubte ich mir die Herren an ihr Versprechen zu erinnern; aber da war gerade jeder unmäßig in Anspruch genommen, keiner könnte im Augenblick seinen Burschen entbehren, einer um den anderen vertröstete mich auf später. Ich drängte nicht, sondern begann sofort mit Raab, Dehm und Rehm allein zu arbeiten. Das ging aber gar langsam; wir mußten doch nach anderen Händen ausschauen. So nach zehn Uhr, als ich die Offiziere fest in den Dienst gestrengt wußte, da machte ich mich wie ein geheimer Werber an die Diener heran und lockte sie mit Geld und Tabak zur Mithilfe. Es sind lauter gewandte Leute, die gleich auf alles eingingen. Doch beschäftigte ich nicht alle zugleich; zwei mußten immer für die Herren erreichbar bleiben, um statt der fehlenden einzuspringen. Das Werk schoß auf wie eine Morchel; mittags waren aus Pfählen und Erdklötzen schon Wände errichtet, um ein Uhr hatte Dehm ein Dach aus Latten, Gezweig, Erdreich und Steinen darübergelegt, bald sah ich Pritschen übereinandergebaut, sogar einen Tisch und zwei Stühle aus Birkenästen gezimmert, dazu kam noch ein Felsenofen mit einem Rauchrohr aus ineinandergesteckten Konservenbüchsen, denen man den Boden ausgeschnitten hatte. Von Zeit zu Zeit ließ ich mich bei der Befehlsstelle sehen, wo nun alles kriegerisch webert und in Ferngesprächen der Angriff erläutert wird. Der Ordonnanzoffizier, vom Apparat herüber quer lächelnd, fragte nach meinem Unterstand. Ich klagte über Arbeitermangel; er meinte zerstreut-verbindlich, das werde sich geben, es eile ja nicht, auf jeden Fall werde er mir morgen seinen Burschen schicken. Nun freute mich erst der Spaß. Meine lieben Jungen werkten wie für die Ewigkeit; mir fiel der Bauer von Szentlélek ein, – möge ihm sein groß geplanter Hof so glücklich geraten wie mir diese Hütte! Nach dem Abendessen fragte der Oberst, ob ich den Unterstandbau bereits begonnen habe. Die Verwunderung, als ich sagte, der sei fertig, war lebhaft am ganzen Tisch. Alle wollten ihn sehen. Ich führte sie zum Walde hinüber, lud sie ein, auf Stühlen und Pritschen Platz zu nehmen und spendete Zigaretten. Die Baumeister Dehm, Rehm und Raab wurden vom Oberst gerufen und belobt. Niemand fragte, wer sonst noch geholfen habe.
Es ist ein Abend, so ätherhell wie man ihn auf geklärteren Planeten ahnt. Herrlich brannte die Sonne hinab, und während noch der Westen haselnußbräunlich nachleuchtet, steigt aus lavendelblauen rumänischen Bergen der Mond.
Vormittags um zehn Uhr, als die Sonne sehr grell gegen die feindliche Stellung fiel, wurde durch verwegenen Überfall mit einer Handvoll Leuten der 6. und 7. Kompagnie den Rumänen Lespédii entrissen. Jetzt ist es vier Uhr, und bereits haben sie den siebenten Sturmlauf unternommen, um das Hügelchen zurückzugewinnen. Die Unsrigen rühmen die große Todesverachtung der Gegner, sagen aber, daß es ihnen an Besonnenheit und Erfahrung fehle. Jedesmal, ehe sie ansetzen, hört man, wie drüben ein Führer eine Rede hält, worauf ein wilder Marsch ertönt, bei dessen Klängen sie heranrasen wie Trunkene. So wird Musik, die reine Kunst, zu einem Fluidum, das den Menschen über seine Grenzen hinaustreibt und mit Gefühl des Lebens dermaßen überlädt, daß er sich sehnt, es abzuwerfen.
Schon zeigt sich, daß der kleine Gesteinshaufen weit mehr Opfer kosten wird, als wir vermutet hatten; die Fortschaffung der Verwundeten muß bis morgen in eine heillose Stockung geraten. Ich beschloß, noch einige Gruppen von Trägern anzufordern. Unwillig überließ mir der Adjutant das Telephon. Ich erfuhr, daß unser Divisionsarzt samt seiner Sanitätskompagnie einem andern Frontabschnitt zugeteilt worden ist. Andere deutsche Stellen erwiderten mit vagen Vertröstungen; schon sah ich die mir anvertrauten Verwundeten der Erfrierung und dem Hunger ausgesetzt und wollte den Apparat verlassen, um beim Oberst Gehör zu erbitten, da lehnte an einer Fichte, schlank, leicht gebückt, mit klarer, steiler Stirne ein junger ungarischer Kadett neben mir, dessen kühle graue Augen mit einiger Teilnahme auf mich gerichtet waren.
„Darf ich Ihnen einen Rat geben?“ sagte er, höflich grüßend. „Wenn Sie an irgend etwas Mangel haben, wenden Sie sich stets an den österreichischen Hauptmann Gebert in Bereczk. Er hilft immer.“
Der junge Mann glich eher einem stillen Gelehrten als einem Soldaten; vielleicht gerade deshalb faßte ich Vertrauen. Und wirklich, sehr aufgeräumt wie ein Kaufmann, der gute Geschäfte zustande kommen sieht, antwortete der fern Gerufene:
„Warum nur sechs Gruppen? Ich schicke lieber zwölf! Haben Sie denn genug Verbandstoff?“
Ich bat um eine mäßige Menge, und er versprach, ein Eselchen, mit Kompressen und Binden beladen, den Trägern bald nachzuschicken. „Bis fünf Uhr morgens ist alles bei Ihnen“, setzte er hinzu. Nie war ich froheren Herzens von einem Telephon weggetreten. Ich wandte mich, um dem unverhofften Schutzgeist Dank zu sagen; der aber hatte seine Natur auch dadurch bewiesen, daß er indessen unsichtbar geworden war.
Da der Verbandraum längst überfüllt ist, haben wir die neuen Verwundeten in ein ganz nahes Tälchen gelegt und ein großes Feuer angezündet, um die Luft zu erwärmen. Die Toten werden auf einer moosigen Fläche zusammengetragen, etwas jenseits des Feuers, das sich unter dem Winde zu ihnen hinüberstreckt, wie um sie zu verzehren. Der junge Leutnant, der uns neulich auf dem Weg durch die Stellung begleitet hat, ist unter ihnen. Kurz vor Mitternacht kommt eine Meldung, daß die Rumänen von der Front zurückgezogen und durch ein russisches Regiment ersetzt worden seien.
Es wurde nun still in der Tiefe, und nach ein Uhr kamen keine Verwundeten mehr. Ich legte mich um zwei Uhr in das Zelt und schlief ein. Da hatte ich einen Traum. Ich befand mich bei Vally und Wilhelm in unserm Wohnzimmer zu Passau. Es sah darin sehr kahl und ärmlich aus; fast alle Möbel waren entfernt, die Wände voller Sprünge, der Spiegel blind. Vally, mit magerem weißem Gesicht, lag in einem schlechten, zerschlissenen Bett und sagte gelassen, fast heiter, daß sie schon lange nichts mehr zu essen hätten. Wilhelm saß an seinem Tischchen und schrieb auf einer Schiefertafel. Von Zeit zu Zeit legte er den Griffel weg, nahm ein Spritzkännchen, ging ans Fenster und begoß Pflanzen, die dort in Scherben wuchsen. „Was tust du?“ fragte ich. „Ich muß die Königsblumen gießen“, gab er mit großem Ernst zur Antwort und schrieb wieder. „Ja, das sind kostbare Gewächse,“ sagte Vally, „schau sie dir an! Die meisten, leider, verwelken, bevor sie zum Blühen kommen; die mittlere aber, die große, wird sicherlich aufgehen, das ist genug. Sie wird uns alles geben, was wir brauchen, Kleider und Schuhe, Brot und Wein.“ „Kleider, Schuhe, Brot und Wein“, wiederholte das Söhnchen in singendem Ton, stand auf und begann wieder zu gießen. Ich betrachtete die Pflanze; es war eigentlich nur eine große blaßgrüne Knospe von unregelmäßiger Form, die aus einem behaarten fleischroten Stengel hervorwuchs. Sah man sie länger an, so konnte man in der Tat finden, sie gleiche einem unentfalteten grünen Figürchen mit winzigen gelben Kronenzacken. Und auf einmal war auch mir zumute wie den beiden, so verarmt und so voll rätselhafter Hoffnung. Zugleich aber fiel mir ein, daß ich ja Brot und Wein bei mir trug, echten Tokaier, in Arad gekauft, und frisches weißes Brot aus Esztelnek. Rasch packte ich aus, rückte das Tischchen zum Bett, und wir aßen und tranken, enthielten uns aber jeder Liebkosung, ja jedes innigen Wortes, als hätten wir ein tiefes Wissen, daß wir nur Traumwesen waren und uns durch Berührung oder durch ein Übermaß gezeigten Gefühls zerstören konnten. Vallys Wangen röteten sich, ihre Augen glänzten; der Kleine wurde sehr fröhlich: „Ich will der Blume Wein zu trinken geben, damit sie schneller wächst!“ sagte er, schüttete ein wenig auf die hohle Hand und ließ es auf die Knospe tropfen; diese wuchs gewaltig, auch prägte sich die Figur deutlicher aus – plötzlich, mit feinem Klingen, zuckte ein Licht, ein schmaler Strahl, purpurgolden, zwischen Blättern hervor, der Knabe, entzückt und erschrocken, trat einen Schritt zurück – „die Zeit ist da!“ rief Vally und erhob sich aus den Kissen, ich aber hörte mich mit rauher Stimme angeredet und erwachte. Jemand hatte das Zelt geöffnet, ich sah den rötlich dämmernden Himmel, darüber hart funkelnd einen Stern, am Boden aber einen gebückten knienden Mann in, österreichischer Uniform, der mir eifrig und respektvoll mit mühsamem Deutsch etwas zu erklären suchte. Raab, der herzutrat, sagte, es sei ein bosnischer Sanitätsfeldwebel, der Führer der eben eingetroffenen Verwundetenträger, der Mann lasse sichs nicht nehmen, er wolle deren Ankunft unverzüglich melden und um Befehle bitten. Ich behalte eine Gruppe für besondere Fälle bei mir; die anderen bekommen Rast und Speise, dann beginnen sie ihren schweren Dienst. Es sind stämmige Männer in reifem Alter; sämtliche haben den sicheren federnden Gang, der dem Getragenen viele Schmerzen erspart. Auch das Eselchen ist schon da, ein rabenschwarzes mit weißen Ringen um die Augen, am ganzen Leibe noch dampfend von seiner frommen Mühsal. Alle sammeln sich darum, jeder streichelt es, jeder will sein Brot mit ihm teilen, und wie Völker alter Zeit sind wir nahe daran, das Unschuldig-Vernunftlose als das höchste Göttliche zu verehren.
Drunten halten sie noch Ruhe. Manchmal, wie Gasperlen aus einem Sumpf, brodelt eine Schießmaschine. Die Verwundeten warten geduldig. Leichte Gifte lösen den Schmerz, und das große Feuer heizt weithin die Luft; sie flimmert wie fließendes Glas. Die Bosnier haben sich rings herumgesetzt; sie singen langtönige Lieder, in denen der Trochäus überwiegt. Ein starker Wind zerrt an den blauen Wurzeln der Flammen und wirft Funken und Fetzen brennenden Wacholders auf die Toten.
Die Kälte nimmt zu. Spärlich wirbeln Flocken, man weiß nicht recht, woher; nur wenige lockere Wolken stehen über uns. Unruhiger Morgen. Der Feind hat Geschütze herangeholt; man rechnet mit einem Gegenangriff. Österreichische Truppen ziehen über den Berg, lagern zuweilen. Ich sah, etwas abseits im Walde, einen polnischen Offizier, einen bleichgesichtigen jungen Mann, wie er einen älteren Bosniaken, der Befehle nicht zu verstehen schien, mit geballter Faust immer wieder auf Kopf und Schultern schlug. Solche Szenen sollen sich seit kurzem in der verbündeten Armee ab und zu ereignet haben. Gar zu scheckig ist ja dieses Heer, und eine Farbe haßt die andere; ja es kommt vor, daß der Führer die Sprache seiner Leute weder spricht noch versteht und sich für zu vornehm hält, sie zu lernen. Hier übrigens war das Empörende des Vorgangs bis ins Lächerliche übertrieben und fast aufgehoben, und zwar durch das Benehmen des Mißhandelten. Die gebührend ehrerbietige Haltung nicht eine Sekunde lang verlassend, ertrug er die Beleidigung mit der nachsichtigen Überlegenheit eines Riesen, der sich Püffe und Knüffe eines betrunkenen Gnomen gefallen läßt. Spaßverstehen lag breit auf dem ehrlich-pfiffigen Bauerngesicht; kaum unterschied man, wer da schlug und wer geschlagen wurde. Wäre der junge Offizier nicht von aller Wachsamkeit des Geistes verlassen gewesen, er hätte das Unmögliche, Unwirkliche seines Tuns entdecken müssen. Der Anblick war unerträglich: man mußte sich abwenden oder auf Heilung sinnen. Da nahte mir ein mutwilliger Geist; im Nu war der große silbergraue Umhang aus dem Sack gezogen und angetan; ich nahm eine Zigarette in die Hand, ging zu dem Tobenden und bat unbefangen um Feuer. Und schön entfaltete der unstatthafte Kragen seine Magie: der Leutnant ließ die Hände sinken, versicherte mich seines gehorsamsten Respekts und bediente mich mit seinem silbernen Benzinbüchschen, das durchaus nicht brennen wollte, geduldig und artig, bedeutete auch dabei mit Augenwink dem Bosnier, daß er sich entferne. Dieser ging davon, aufrecht, ungedemütigt; seinen Schultern merkte man an, daß es ihn innerlich vor Lachen schüttelte. Jenem aber, sei es zur Ehre gesagt, daß er seine Höflichkeit um keinen Grad zurückschraubte, als er nach und nach die Hohlheit meiner prächtigen Hülle erkannte. Die lange Dauer des Kriegs und die traurige Verfassung seiner Nerven beklagend, ging er mit mir noch eine Strecke in den Wald hinein und stellte mir in seinem nahen Unterstand einen Becher Tee in Aussicht, als in der Tiefe plötzlich ungeheurer Lärm losbrach, der uns beiden schnelle Rückkehr zu unseren Dienststellen befahl. Beim Stab erfuhr ich, ein Angriff der Rumänen sei im Gang; man hatte sich aber vorgesehen und erwartete ruhig die weiteren Meldungen. Nach einer Viertelstunde waren die Gegner zurückgeschlagen, einige gefangen. Das Gerücht vom Einsatz russischer Kräfte hat sich nicht bestätigt.
Gefangene, 1 Offizier und 21 Mann, wurden auf der freien Fläche bei den Gräbern zum Abmarsch aufgestellt. Man sieht es diesen Rumänen an, daß sie gegen uns Deutsche kein gutes Gewissen haben; der Offizier, ein Unterleutnant, senkte beim Salutieren sehr den Kopf, als der Oberst in seiner gottväterlichen Breite an ihm vorüberging. Ein Jude von etwa Dreißig, untersetzt, vollbärtig, macht sich durch Deutschsprechen bemerkbar. „Wir alle“, sagte er, „sind verwundert gewesen, hier auf Deutsche zu stoßen. Wir hassen die Ungarn, ja; aber wir bewundern die Deutschen. Sie sind das wichtigste Volk der Welt, man lernt von ihnen, und sie haben uns nichts Böses getan.“ Der Mann sprach in einem erregten und wohlmeinenden Ton; vielleicht hatte er Furcht, vielleicht war er längere Zeit in Deutschland gewesen. Niemand gibt ihm Antwort. Wo er hinredet, stößt er auf Schweigen; nicht einmal die naheliegende Frage, welche die Franzosen den Unsrigen gern entgegenwerfen, wenn sie in ihre Hand fallen: Warum habt ihr uns Krieg erklärt? richtet man an ihn. Endlich verstummt er.
Nachts hatte man von den umliegenden Bergen herüber Wolfsgeheul vernommen; die Maultierführer deuten es auf nahen Schneesturm. In unsere Stellung rückten wieder Bosnier; wir verließen um acht Uhr, bei bedecktem Himmel, den Kishavas, nachdem die Quartiermacher schon in der Dämmerung nach Lemhény vorausgegangen waren. Beim Hinuntersteigen mußte ich der irren alten Frau gedenken, doch schlug der Stab einen anderen Pfad ein, und später erfuhr ich, daß jener Steig, als beschwerlicher Umweg, von den Truppen gemieden wird. Es mochte zehn Uhr sein, als uns zum erstenmal die Ebene mit Äckerbraun und Häuserblau erschien, um gleich wieder zu verschwinden, bis plötzlich, im tiefen Winkel zweier blaudunkler Hänge, das Campanilchen von Esztelnek aufschimmerte. Alle erkannten es und jubelten ihm zu; wie ohne Tornister, mit lautem Gesang, eilten die Kolonnen. Aber in raschester Fahrt, mit schrillen Signalen, holten uns österreichische Generalstabsoffiziere ein, winkten den Oberst heran und breiteten Karten vor ihm aus. Ein mächtiges Halt ertönte, Ordonnanzen mußten ihre Räder besteigen, um die vorausmarschierenden Kompagnien zum Stehen zu bringen. Der Gesang brach ab; mißtrauisch im beginnenden Regen wartete die Mannschaft. Nach wenigen Minuten erfolgt Befehl zur Umkehr; es geht unter überfließenden Regenwolken in das Gebirg zurück. Der Oberst berichtet uns, daß wichtige Höhen verlorengegangen seien, darunter der wichtige Grenzberg Runcul mare, der unverzüglich wiedererobert werden müsse. In Oitóz sahen wir den Grafen Tisza, der in bequemer Pelzjoppe, eine graue Mütze in der Hand zwischen Offizieren stand und ein Szeklerregiment an sich vorbeiparadieren ließ. Die Kompagnien wurden in ungeheuren Holzbaracken untergebracht.
Vom Oberst entlassen, suchte ich ohne Verzug den Major und meldete, daß ich den Dienst beim Bataillon wieder übernehme. Er saß allein in einem armseligen Quartier auf zerbrochenem Stuhl und studierte Karten. Der feuchte, finstere Abhang des Kishavas hat sein Leiden wieder aufgestört; er fragte gleich, ob ich noch etliche Pulver habe. Zum Glück war ein kleiner Vorrat geblieben; auch von Vallys trefflicher Schokolade fand sich im Brotbeutel ein letztes Täfelchen. Dieses verzehrend, saßen wir eine halbe Stunde in der windigen Stube beisammen, ohne viel zu reden. Vom Lazarett will er auch jetzt nichts wissen, und ihm vorzuhalten, daß er mit seinen fünfzig Jahren ohne Vorwurf zu Hause sitzen könnte, statt hier in einem unübersehbaren Krieg immer neue winterliche Berge zu erstürmen, hinter denen doch nur neue Feinde stehen werden, wäre kaum angebracht. Im stillen ertappte ich mich auf einer rechten Freude, wieder bei ihm zu sein; so ist wohl einem Raucher zumute, der sein scharfes aber würziges Kraut nach längerer Entbehrung wieder anzündet.
Die Soldaten haben unterdessen Münchener Bier erhalten, und da sie hören, daß wir vorerst nur in Bereitschaft liegen sollen, ja vielleicht gar nicht ernsthaft eingesetzt werden, sind sie, wie Kinder, gleich wieder guter Dinge. Niemand will schlafen; Lärm und Singsang dauern bis Mitternacht.
Um sieben Uhr weiter bei Regen und Nebel. Drei Leute mußten, als Flecktyphusverdächtige, in Oitóz zurückbleiben. Die Laus, die Einimpferin der Seuche, vor kurzem nur lächerlich und ekelhaft, zeigt sich allmählich als teuflischer unabwehrbarer Feind. Seit Monaten quält sie den Leib; oft ist es, als ob sich die Haut an tausend einzelnen Pünktchen entzünde, sie zersetzt Gedanken und Träume, jetzt versucht sie zu töten. Am Kishavas war mir aufgefallen, daß die Stelle meines Hemdes, über welcher die Zweige der Frau von Szentlélek stecken, fast läusefrei geblieben ist. Ich schloß daraus, daß die ätherischen Öle gewisser Pflanzen dem Ungeziefer noch verhaßter sein müßten, als das Naphthalin, das uns ohnehin immer spärlicher zugewiesen wird, und raufte wilde Minze ab, die dort noch vielfach in fetten bläulich-grünen Stauden wächst. Zweimal am Tage zerrieb ich mir Blätter und Stengel an der Haut, habe mir auch einen guten Vorrat mitgenommen. Anfangs verschärften sich Jucken und Brennen; die Nachwirkung aber ist vorderhand wohltätig.
Um ein Uhr ganz nahes Geknall; Kugeln zischten über uns. Wir machten halt an einem früheren Zollgebäude, wo schon ein Verbandplatz unseres Regiments errichtet ist. Das dritte Bataillon steht mit Rumänen im Gefecht. Verwundete liegen in allen Räumen, viele draußen im Regen auf Gras und Spreu. Ein Priester, leuchtend-bleichen Gesichts, wandelt zwischen Sterbenden, flüstert ihnen vertraulich zu, netzt sie mit geweihtem Öl, fragt nach ihren letzten Vermächtnissen und Wünschen, dazu nach den Adressen ihrer Angehörigen; dies alles schreibt er sorglich in ein dunkelgrün gebundenes Buch.
Ich ließ mich zu Dr. Fellerer, dem neuen Regimentsarzt, führen, von dem ich Starrkrampf-Serum zu erhalten hoffte. In einem Saal neben dem Hausflur bemühte er sich um gefährlich Verletzte; mein Eintreten bemerkte er nicht. Jetzt ihn zu stören war nahezu frevelhaft; aber mein Zweck hielt mich fest, und auch als Zuschauer blieb ich gerne; denn nie hatte ich einen schwierigen Dienst mit solcher Leichtigkeit, Sicherheit, Freiwilligkeit vollbringen gesehen. Diesen Arzt scheint nichts zu drängen und zu hetzen, und ob er blutende Schlagadern unterbindet oder zerbrochene Glieder in Schienen schmiegt, seinen Händen legt sich alles wie von selber zurecht. Das innig-nüchterne Handeln, zu dem auch wir hinstreben, hier geschah es inmitten ungeheurer Zerstörungen still und klar.
Endlich traf mich sein Blick, und nun erhielt ich Serum zugeteilt, soviel ich wünschte, hatte nur etwas Morphium dagegen zu liefern.
Sechs Leute, Deutsche und Rumänen, liegen abgesondert auf Stroh. Es sind Bauchschüsse, für die noch keine geeigneten Träger zur Stelle sind; sie bekommen alle zehn Minuten heiße Kompressen aufgelegt, und Fellerer bittet mich, dieses Verfahren gleichfalls anzuwenden. Er hat öfters davon Heilungen gesehen.
Wir hatten erwartet, sogleich eingesetzt zu werden; aber man bedarf unser noch nicht.
Unter einem Regen, der fallend gefror und halb in Tropfen, halb in Eisperlen auftraf, stiegen wir in eine Schlucht hinab und schlugen zwischen sehr alten, mit Islandflechte verkleideten Fichten die Zelte auf. Ein hoher Berg deckt uns vor dem Feind; es ist gestattet, Feuer anzuzünden, aber das nasse Holz will nicht brennen. Auch der Hunger begann zu nagen. Das Brot ist diesmal schlecht gebacken, halb noch Teig, halb verschimmelt. Immerhin hätte man gern das leidlich Eßbare ausgeschnitten, wenn sich etwas Marmelade dazu gefunden hätte; aber diese ist ausgeblieben. Da gedachte ich der großen Blechbüchse, welche die gute Frau Margarete von Schalding, erkenntlich für längst verjährte Hilfe gegen schleichende Krankheit, mir gesandt hatte, als wir noch in Libermont lagen. Den Inhalt kannte ich nicht; schwerlich war er in unsrer Lage unwillkommen. Rehm grub sie vom Grunde des Rucksacks herauf und schnitt behutsam den Deckel los; mit goldbraunflüssigem Bienenhonig war sie bis zum Rande gefüllt. Und nun scheint sich das Wunder der Vermehrung zu erneuern: die Bewohner dreier Zelte sind schon erquickt und noch immer das Gefäß bis über die Hälfte voll.
Noch einmal ist mir die Rolle des Helfers zugefallen. Als gar kein Feuer zustande kommen wollte, fiel mit Reginas wächserne Reliquie ein, die sich in einem Seitenfach der Verbandtasche befinden mußte. Mein Zelt steht etwas abseits von den andern hinter einem Stamm; niemand gab gerade auf mich acht. Im Nu war das Kästchen zu Spänen zerschnitzt und angezündet, sodann die wächserne Hand daraufgelegt. Das Rot schmolz ab, der weiße Kern kam zum Vorschein, und bald schlug mit Geprassel das wachsbetropfte harzreiche Holz zu Flammen auf. Jubelnd begrüßten die Genossen mein unverhofftes Opferfeuer, aus allen Zelten kamen sie, um Glut zu holen, und Reginchen selber müßte sich daran freuen, wie nun die ganze Schlucht von Bränden lodert und sprüht.
Um halb zwei Uhr wurden wir geweckt, die Zelte abgebrochen, alles rasch zusammengepackt; fast schlaftrunken brachen wir auf. Eine Strecke leuchteten uns herabgebrannte Lagerfeuer nach, dann tappten wir in Waldfinsternis aufwärts. Jeder sucht irgendeine Helligkeit an der Figur des Vorausgehenden; mich führte der schwache Glanz eines Zinnbechers an einem Gürtel. Schnee fiel durch Nebel; es wurde dabei lichter: der Mond mußte über uns stehen. Immer schneller vollzog sich die Bewegung, bald an Abgründen, bald über Stege, bald um Felsen herum, stundenlang. Die Soldaten trugen das leichteste Sturmgepäck; die Tornister sind in Oitóz aufbewahrt.
Als wir in das bewaldete Tälchen gelangten, das Hallesul heißt, erhob sich durch den Dunst eine mächtige Bergform; im Nu spürte jeder: wir sind da. Hier war eine andere Aufgabe gestellt als vor dem Hügelchen Lespédii: ein steiler, vom Feinde stark besetzter Grenzberg, der, nahe dem wichtigsten Paß, das Land Siebenbürgen bedrohte, war zu erstürmen. In einer halben Stunde mußte es geschehen sein, oder es geschah niemals. Auf Kanonenhilfe war verzichtet; indianerhaft, in weit auseinandergezogenen Gruppen sollten zwei Kompagnien anschleichen, um gewaltsamsten Angriffs von Mann zu Mann den Gegner in Entsetzen und Flucht oder in den Tod zu jagen. Nahe dem Punkt, wo die Züge unter Leitung des Majors zu gesondertem Vorgehen verteilt wurden, blieben wir Ärzte mit dem Adjutanten zurück und erwarteten weitere Befehle. Wir sahen uns um, wo vielleicht ein Verbandplatz zu errichten wäre; aber da fand sich weder Unterstand noch fließendes Wasser. Schon zeigt die phosphoreszierende Uhr die Zeit fast überschritten, ein vager Gedanke regt sich, es könnte noch in letzter Sekunde die Aktion widerrufen worden sein oder gar bereits eine Friedensbotschaft draußen die finstere Welt umfliegen, – da rast das deutsche Kampfgeschrei, ein Augenblick tiefer Stille folgt, und nun setzt ein Feuer ein, wie wir es in solcher Verdichtung nie gehört haben. Deutlich unterscheiden wir die hellen, gezielten Salven der Unsrigen von den dumpfen vereinzelten Schüssen der Aufgescheuchten. Ohne Befehl abzuwarten, verließen wir den Wald, und nun war wie mit einem Ruck Morgen geworden. Entgegen stand uns ein kahler, zerklüfteter Kegel, von dem dünne Dunstschwaden ins Blaue wehten. Als erste Gestalten erblickten wir gefangene Rumänen, die behutsam deutsche Schwerverwundete zu Tal trugen, und unversehens fanden wir uns unter Leidenden und Sterbenden gezwungen, den ungeschützten Platz, wo wir uns eben befanden, zum Verbandplatz zu machen. Schon hatte eine Granate zwischen uns eingeschlagen und zwei Verwundete getötet, da kam der Hauptmann einer ungarischen Reservekompagnie des Weges und verriet uns die Nähe eines leidlich eingerichteten Sanitätsunterstandes, auf einem Felsen im Walde. Wir ließen pfadweisende Täfelchen an Bäume nageln und brachten die Verwundeten in den fast leeren Raum, dem eine schmale Ärztezelle mit Pritschen und einem Tischchen angefügt ist. Zwei sehr junge ungarische Sanitätsfähnriche geschmeidig-zart, rotseidene Genfer Kreuze auf schneeweißen Armbinden, begrüßten uns, boten sich als Gehilfen an und begannen die Arbeit mit einer Geübtheit, die wir ihren feinen Knabenhänden kaum zugetraut hätten. In hundert Formen wogte Leiden heran, und sehr ungelegen kam ein Bote des Majors, der um neun Uhr mich und den Kollegen R. zur Befehlsstelle berief. Wir übereilten uns nicht und begannen den Aufstieg erst nach zehn Uhr.
Es ist ein Berg der Blindnis und des Todes, den wir langsam erklimmen. Vom östlichen Hang herüber, wo der Kampf noch nicht abgeschlossen ist, schallen durch Gewehrgeknatter wilde Schreie; hüben aber in unserem Bereich beginnt eben der Feind, den Eroberern das Eroberte zu verleiden. Wie Hornisse zerstechen Granaten das Gefelse, Fleisch reißend aus Lebendigen und Toten. Bald rufen uns deutsche Verwundete an, bald rumänische, die nun das Eisen ihrer Brüder zum zweiten Male verstümmelt hat. Manche leiden regungslos; viele krümmen sich wie Schlangen. Mitten aber durch tödliche Zone sahen wir deutsche Leichtverletzte nach unten steigen, einige bleich, verstört, andere voll Übermut, mit bunten Gürteln, Westen, Ordenszeichen toter Gegner wie zum Karneval aufgeputzt. Einer hat aus der rumänischen Stellung ein Grammophon mitgenommen; nun kommt ihm der Einfall, es aufzuziehen und auf einen Stein zu stellen, der Page aus dem Figaro beginnt zu singen, und wie die Stimme eines Irren klingt Mozarts Lied in zerrütteter Welt. An einer Granitplatte, nahe der Kommandostelle, lehnte der Befehlträger Glavina, noch atmend, aber schon ganz mit der einsichtigen Miene der Toten. Man sah kein Blut. Schmerz und Schauder zurückscheuchend, suchten wir die Wunde und fanden endlich einen feinen, in den Nacken eingedrungenen Splitter. Bald stand die Atmung still. Einige dichtbeschriebene Meldezettel, die ihm aus der Tasche gefallen sein mußten, nahm ich mit, um sie dem Adjutanten zu geben, merkte aber auf dem Wege, daß sie nichts Dienstliches enthielten; nun verwahre ich sie vorderhand bei mir. Dem Major sagten wir, daß die bestellten bosnischen Verwundetenträger noch nicht eingetroffen seien; er versprach, die Division anzurufen, und sandte uns bald in den Hallesul zurück.
Indessen hatte sich das Wetter verfinstert; es fing zu schneien an. Ein fließender weißer Vorhang nahm den Geschützen das Ziel; eines nach dem andern verstummte, fast ungefährdet gingen wir hinab. Ein Rumäne, zwischen zwei Birkenstämmen hingestreckt, lag mir im Wege; ich hielt ihn für tot und wollte über ihn wegsteigen, vernahm aber ein Ächzen und fühlte mich mit schwacher, doch spürbarer Gewalt am Mantel gefaßt. Zurücktretend sah ich das Leichengesicht eines kaum Dreißigjährigen, die Lider fast geschlossen, die Mundwinkel äußerst schmerzlich verzogen. Die Finger hielten noch immer den Zipfel meines Mantels fest. Durch einen grauen Umhang, der seine Brust bedeckte, dampfte es leicht; R. schlug zurück, unter aufgesprengten Rippen lagen die Brustorgane frei, das Herz zuckte schlaff. Mehrere silberne und kupferne Heiligenmedaillen, die er an schwarzem Band um den Hals getragen hatte, waren tief ins Fleisch hineingetrieben, einige stark verbogen. Wir deckten wieder zu. Der Mann öffnete halb die Augen, bewegte die Lippen. Um nur etwas zu tun, füllte ich die Morphiumspritze, und wirklich schien er etwas dergleichen gewünscht zu haben: er ließ den Mantel los und bemühte sich, mir den Arm zurechtzulegen. Schwer erklärbares Verhalten eines fast schon Gestorbenen! Aber vielleicht gibt es einen unendlich scharfen, unendlich peinlichen Schmerz, den der wach Sterbende um jeden Preis los haben will, weil er ihn brennend im Leben festhält, ihn am freien klaren Scheiden hindert, wer weiß es? Nach der Einspritzung legte er fast bequem seinen Kopf an der Birke zurecht und schloß die Augen, in deren tiefe Höhlen sogleich große Schneeflocken fielen. Wir gingen eilig weiter; es war fast ein Uhr, als wir im Hallesul ankamen.
Der Schneefall dauert an. Die Geschütze ruhen. Immer aber streifen oben Gewehrkugeln durch die Baumkronen; die Luft ist voll Harzgeruch des tausendfach verletzten Waldes. Vergeblich warten wir auf die bosnischen Träger. Sie müssen sich verirrt haben. Im Unterstand ist kaum noch Raum für Madjaren und Deutsche; die schwerverwundeten Rumänen liegen draußen zwischen den Fichten im Schnee. Einen ihrer Sanitätsunteroffiziere, einen jungen Juden, haben wir bei ihnen gelassen. Er hat ihnen ein Feuer angezündet, das kümmerlich brennt und unter Schneeflocken zischt. Einige halten die Hände darüber. Ein anderer lächelt immer und bekreuzigt sich von Zeit zu Zeit.
Im Unterstand verdunstet immer dichter das Blut. Mit klebrig-tierischem Gestank reizt und verdüstert es die Nerven; man läuft immer wieder ins Freie. Der rote Saft, an den das Leben mit Lust, Qual, Wut, Barmherzigkeit, Wahnsinn und Weisheit gebunden ist, warum erregt er, sobald er verschüttet wird, unleidlichen Ekel?
Wirklich sind die Bosniaken ausgeblieben, vielleicht von einer anderen Truppe weggefangen. Unsere gefährlichst Verwundeten nach Oitóz zu tragen, haben sich mehrere Leichtverletzte erboten; bis Mitternacht werden sie dort ankommen. Nun konnten die Bleibenden besser gelagert, auch fünf Rumänen in den Unterstand aufgenommen werden. Von den übrigen starben noch drei; die anderen drängten sich dicht um ihr Feuer, wobei sich einige die Stiefel verbrannten. Es sind lauter junge Leute, glattgefällige Vollgesichter, – wie mager, wie geprägt, wie grüblerisch-versonnen, wie kriegsgealtert sehen dagegen die jungen deutschen Soldaten aus! Der jüdische Unteroffizier, des Deutschen kundig, fragte mich im Namen aller, wann sie wohl in ein Lazarett befördert würden, worauf ich nach der Wahrheit erklärte, daß das nächste Lazarett mehr als zwanzig Stunden entfernt sei, auch daß die bestellten Sanitätssoldaten uns verfehlt hätten und schwerlich vor morgen eintreffen würden. Sichtlich ungern übersetzte der Dolmetsch die schlimme Auskunft, und in der Tat war die Verzweiflung, die nun auf allen Gesichtern erschien, so fürchterlich, daß ich mich zu einer Torheit verleiten ließ, indem ich, wie man Kinder durch leichtfertige Verheißungen zu beschwichtigen sucht, ihnen aufs Geratewohl sagte, sie sollten sich nur noch ein Weilchen behelfen und gedulden, ob nun die Träger kämen oder nicht, in jedem Fall würde ich sie alle noch vor Dunkelheit unter Dach bringen und ihnen reichlich zu essen geben lassen. Wort um Wort übersetzte der Jude; ermutigt horchten sie auf. Kaum aber war das Versprechen gegeben, da fiel es mir in seiner ganzen Unsinnigkeit auf das Herz. Wir haben kaum Unterkunft für die Unsrigen, dazu so kärgliche Nahrung, daß immer die Lebenden sich gierig auf die Brote der Gefallenen stürzen, auch fehlt mir jede Befehlsgewalt, – wie hatte ich dies alles vergessen können? Gefreiter W. meinte, die Kerle verdienten nicht so viel Federlesens, auch unsere Kameraden lägen auf dem Berg in Eis und Schnee, Krieg sei Krieg, die Rumänen hätten ihn vom Zaun gebrochen, sie sollten ihn nur spüren. Darauf war im Augenblick nichts zu erwidern; ich erneuerte mir indessen die Hoffnung, daß die Bosniaken doch noch kommen Würden, und ging, da im Unterstand gerade nichts zu tun war, ein wenig den Berg hinauf, anfangs dicht hinter der Linie, wo Posten, bekleidet mit weißen Schneehemden und -mützen, wie Priester, die eine stille Messe zelebrieren, hinter ihren Brustwehren standen. Befehlbringer kamen und gingen; mit singendem Ton strichen Kugeln. Höher gelangend, sah ich durch das Gestöber einen huschenden rötlichen Schein; dieser konnte nicht mehr unserm Bereich angehören, da schräg über die nächste Höhe schon die feindliche Stellung läuft. Gestalten traten in den Glanz, nahmen eine Bahre auf und trugen sie davon, da verlosch die Erscheinung. Ich stieg weiter und kam an einen hohen Baum, durch dessen Astwerk ein weißgrauer Vogel flatterte, fast amselgroß, vielleicht ein Schneefink, der erste Vogel, der mir in diesen stummen Wäldern zu Gesicht gekommen ist. Schnee fiel noch immer; in Millionen Stückchen schien der Weltraum herzusinken, man spürte die saugenden und belebenden Wellen des Nichts.
Als ich in den Hallesul zurückkehrte, wurde mir eine Überraschung. Ich spähte nach meinen Rumänen; keiner war da. Nur die Toten, schon zugeschneit, lagen bei den verrauchenden Kohlen. So sind die Träger doch gekommen, dachte ich und wollte weitergehen, traf aber den ungarischen Kompagnieführer, der uns am Morgen den Verbandplatz gezeigt hat; er schien mich erwartet zu haben. Und nun erfuhr ich, was in kleiner wie großer Menschenwelt hie und da einmal vorkommen mag, daß irgendeiner halten muß, was ein anderer leichtfertig versprochen hat. Mit knappen Worten entschuldigte sich der Hauptmann, weil er die deutschen Kompetenzen ein wenig verletzt und in meiner Abwesenheit die Gefangenen an einen anderen Ort habe schaffen lassen, seine Leute hätten mich überall vergeblich gesucht. Durch das runde Fensterchen seines nahen Unterstandes habe er den ganzen Tag wie vor einer Zauberlaterne die Gruppe der Verwundeten und Sterbenden mit ihrem armseligen Feuer vor Augen gehabt, allmählich sei es seinen etwas anfälligen Nerven zu viel geworden. Abseits in einer Schlucht stehe eine leere Reisighütte, dort befinden sich die Leute jetzt, er habe ihnen auch warmes Essen geschickt. Ich erwiderte etwas Verbindliches; er wollte nichts hören. „Ihr armen Deutschen“, sagte er lachend, „habt ja selber nichts mehr zu brechen und zu beißen, während wir Ungarn vorderhand noch im Überflusse schwimmen.“ Damit führte er mich durch Gestrüpp und Schneewehen in die Schlucht hinein. In der Hütte bei Kerzenschein lagen die Verwundeten auf Tannenzweigen. Sie aßen Fleisch aus Blechbüchsen und tranken aus ihren Feldbechern heißen Tee. Der Unteroffizier stand auf, erstattete dem Offizier in deutscher Sprache eine Meldung, wandte sich sodann zu mir und sprach im Namen aller für Unterkunft und Speisung seinen Dank aus. Befremdet sah mich der Ungar an. Ich suchte den einen über seinen Irrtum aufzuklären und bekannte dem andern mein unbesonnenes Versprechen; beide lächelten höflich, doch scheint mich keiner so recht verstanden zu haben.
Als wir wieder ins Freie traten, hatten Deutsche und Rumänen schon begonnen, durch Aufsenden unzähliger Leuchtkugeln einander zu warnen und zu bewachen; grellrot und grün flackerte der ganze Hallesul bis zu den Bergen hinauf, und wie Konfetti fiel durch die farbenwechselnde Beglänzung der Schnee. Selten wird ein Schuß abgegeben; zuweilen, durch das Raketenzischen, hört man wieder, wie am Kishavasberg, aus großer Entfernung Wölfe heulen.
Bei Tagesgrauen Gewehrfeuer, das bald verstummte. Nach Sonnenaufgang öffnete sich der trübe Himmel; man sah hinter durchsichtigem Wolkenhäutchen den abnehmenden Mond als embryonenhafte Goldgestalt. Die Krankenträger sind eingetroffen, und nach und nach werden alle Verwundeten fortgetragen. Pirkl muß hierbleiben; er ist fast ohne Puls und würde vermutlich als Leiche nach Ojtóz kommen. Sein Bruder hat auf eine Stunde Erlaubnis erhalten, ihn zu besuchen. Da er sich nicht mehr mit ihm verständigen kann, so benutzt er die Frist, um dem noch Lebenden ein Grab zu graben und ein Kreuz zu schnitzen, auf dem er sehr sorgfältig mit blauem Stifte den Namen des Gefallenen verzeichnet.
Um neun Uhr erscheinen unter Führung eines fahnentragenden Rabbiners dreizehn Rumänen mit Gewehren und Munition, erbitten Gehör bei dem ungarischen Hauptmann und ergeben sich ihm in aller Form. Der Aufzug war ein bißchen bühnenmäßig, wofür Ungarn wie Rumänen gewiß mehr Sinn haben als wir. Der Tag vergeht ruhig. Die Kälte hat nachgelassen; Föhnwind leckt Eis und Schnee von den schwarzen Felsen. Oft geht man durch eine Welle sehr warmer Luft, als ob Öfen in der Nähe stünden. Blasse Sonne, breit zerfließend, steht in löschpapierweißem Dunst. Am Abend ziehen die ungarischen Sanitätsfähnriche lange Flaschen aus ihren geräumigen Tragkörben, dazu feine geschliffene Gläser und erquicken sich und uns mit heißem Wein.
Kein Wunder, daß man viel schläft und viel träumt in dem Winterwaldzwielicht. Wehrt man sich dagegen, so wird es nur schlimmer. In Frankreich, vor dem Urlaub, als ich noch an ein sehr nahes Ende des Krieges glaubte, war aller Traum nur Träumerei; locker und sinnlos fand ich mich unter Frauen und Freunde verspielt, kein Traum wußte etwas vom andern. Seit aber von Frieden und Heimkehr nicht mehr die Rede ist, scheint nicht nur die Leuchtkraft aller Gesichte zu wachsen; es ist auch, als versteckten sie vor mir ein geheimes Ziel, dem sie mich auf Umwegen zuführen wollen. Zuweilen werden sie durch ein äußeres Ereignis von ihrer breiten Entwicklung abgedrängt und grob skizzenhaft beendet. Heute morgen schlug eine Granate vor dem Unterstand ein und weckte mich aus einem Traum, der seltsam deutlich blieb, weil er, wie ein jäh aufgedeckter Maulwurf, keine Zeit mehr fand, sich zu verschlüpfen. Ich war nachts einmal aufgewacht und hatte bemerkt, daß der Unterstand von Mäusen bewohnt ist. Sie huschten über das Tischchen, knabberten am Brot und streiften einige Male so kunstreich an den geschliffenen Gläsern der Ungarn hin, daß es eine gar liebliche Folge heller Klänge gab. Dadurch war das Widerliche des Getiers auf einmal aufgehoben, etwas geisterlich Koboldisches lag in der Luft, und vor einem ganzen Theater lustigster Mäusemetamorphosen schlief ich ein. Immer mehr entfärbten sich dabei die Tiere; schließlich waren sie alle glänzend weiß und liefen auf einer grünen Fläche hin und her. Als ich sie aber näher betrachten wollte, stand ich am Billardtisch eines dunstigen Kaffeehauses, wo ein unsichtbares Orchester fernher dudelte, und statt der Mäuse sah ich weiße Kugeln auf dem grünen Tuche laufen. Einziger Spieler am Billard war jener Rumäne, dem wir auf dem Berge das Morphium eingespritzt haben. Mit wiegendem Tänzerschritt umkreiste er den Tisch und hielt mit leisen deutenden Bewegungen seines Stabes die weißen Bälle in Lauf, ohne sie zu berühren. Diese wurden immer glänzender; wie Kreisel summend, mit sphärischer Sicherheit rollten sie hin und her auf dem grünen Stoff; keiner störte den andern, und wenn sie von einem Rande zurückschnellten, verstärkten sie Geschwindigkeit und Licht. Eigentlich glichen sie einander genau; doch dünkte mich bald einer besonders herrlich, ja, ich fühlte mein ganzes Schicksal an ihn gebunden, – wenn er stillstand oder mit einem anderen zusammenstieß, mußte grenzenloses Unheil geschehen. In einiger Entfernung ging Regina als Scheuermädchen von Tisch zu Tisch, las Zigarrenstummel und zerbrochene Gläser auf und warf sie in einen Kehrichteimer, den sie mühsam daherschleppte. Plötzlich stand sie bei mir und flüsterte: „Weißt du’s schon? Eben bin ich deinem Schatten begegnet.“ Dann trat sie an das Billard, ergriff gelassen meine wunderbare Kugel, warf sie zu dem übrigen Kehricht und setzte den Deckel auf den Eimer. Der Rumäne, der nun auf einmal Glavina glich, spielte weiter; seine Augenhöhlen waren voll Schnee, er schien nichts zu vermissen. Ich aber hob die Hand und schlug Regina auf die Stirne, da schlief sie stehend mit unbeschreiblich seligem Lächeln ein. Der Ball jedoch gab im Eimer keine Ruhe; man hörte ihn mit immer höherem Tone weiter kreiseln und mitunter pfeifen, wie Mäuse pfeifen. Dabei wurde der Boden unruhig; ich hatte Mühe, mich aufrechtzuhalten. Alles schwankte; Regina, die schlaferstarrte, noch immer lächelnd, neigte sich wie eine Bildsäule, übermenschlich groß, zu mir herüber, wie um mich zu erschlagen. Und das war die Sekunde, wo draußen mit heulendem Knall das Geschoß zersprang! Ich stand im Nu auf den Beinen. Ein langhallender Schrei erscholl, der plötzlich abbrach, als hätte er die Stimmbänder des Schreienden zerrissen. Raab, Rehm und einige Verwundete rannten zur Tür; andere, schutzsuchend, drängten von außen herein. Neben dem Trichter lag ein ungarischer Soldat, bereits tot. Sonst ist niemand verletzt. Die Granate muß ein Irrgänger gewesen sein; keine weitere ist nachgefolgt.
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Infanterist Pirkl, nachdem er nun zwei Tage lang ohne Bewußtsein im Verbandraum gelegen, bekam heute, nach der zehnten Digipuratum-Einspritzung, einen kräftigen Puls, begann auch wieder tief zu atmen. Völlig zu sich gekommen trank er einen halben Feldkessel Tee und aß Konservenfleisch. In seinem eignen Kote liegend, fühlte er sich höchst unbehaglich, stand alsbald auf und ging ins Freie, sich zu reinigen, wobei er plötzlich das Kreuz zu sehen bekam, das sein Bruder für ihn geschnitzt hat. Aufmerksam las er darauf seinen Namen, sah dann ins offene Grab hinein und rieb sich lange die Augen. Auf einmal fing er so herzlich zu lachen an, daß der Verband, der locker geworden war, wie eine Haube hinten hinabfiel. Dabei schnippte er mit den Fingern, wie einer, der einem Mordsspaß auf die Spur gekommen ist, und setzte lachend seinen Weg fort. Ohne Durchleuchtung mit Röntgenstrahlen ist seine Verwundung kaum erklärbar. Die Kugel ist augenscheinlich gar nicht in den Schädel selbst eingedrungen, sondern hat nur die Halswirbelsäule, dicht unter dem kleinen Hirn, verletzt.
Der trübe Tag vergeht ohne größere Gefechte. Regen hat alle Toten aus dem Schnee hervorgewaschen; einer nach dem andern wird nun begraben. Viele Leute melden sich krank; eine trockene, schmerzhafte Augenentzündung befällt uns fast alle. Manche fiebern, und wieder sind einigen die Zehen erfroren. Dazu fallen immer wieder Unvorsichtige den feindlichen Scharfschützen zum Opfer, die sich auf Bäumen versteckt halten. Halbe Tage lauern sie voll Tiergeduld, ob keiner der Unsrigen sich einmal vergißt und seine Deckung verläßt, ein katziges Kriegführen, zu dem gewiß kein Soldat der Erde weniger taugt als der deutsche. Wer noch leidlich gesund ist, sieht übrigens nicht ohne Genugtuung die sogenannte Gefechtsstärke dem Minimum entgegensinken, das Ablösung bedeutet, und nachsichtig schweigt sogar der Major, wenn ich mich beim Überweisen in die Lazarette ziemlich liberal verhalte. Leutnant Leverenz behauptet freilich, daß ich ärger als der Feind den Bestand an Gewehren vermindere, gibt aber zu, daß auch dem Tüchtigsten hier nicht mehr als drei Tage und Nächte zugemutet werden können. Es gibt keine Unterstände auf dem Berg; hinter Steinen und Bäumen liegt der Soldat im nassen Schnee, er darf kein Feuer anzünden und, solang es hell ist, den Kopf nicht erheben. Die größte Pein aber ist für uns alle der Durst, der mit ungeheurem Ekel vor dem Trinken verbunden ist. Im Schmelzwasser, das von den blutüberstrudelten Hängen heruntersickert, ist beginnende Verwesung so reichlich gelöst, daß wir es nicht einmal zum Teekochen, noch weniger zum Trinken gebrauchen mögen.
Gestern am Abend von preußischer Landwehr abgelöst, stiegen wir durch feuchtes Gestöber nach Ojtóz hinab, wobei uns mehrmals im Dunkel der Weg abhanden kam. Ob es möglich sei, daß der Kopf sekundenlang schläft, während sich die Beine regelrecht weiterbewegen, entscheide ich nicht, weiß nur, daß mir einmal auf diesem Nachtmarsch eine blaue Schale mit goldenen Zeichen dicht vor den Augen erschien, worauf ich wie aufwachend emporfuhr und mich deutlich erquickt fühlte. Nach Mitternacht erreichten wir die Baracken. Früh nach acht Uhr, bei aufgehelltem Wetter, zogen wir weiter, nachdem die Leute ihre Tornister zurückerhalten hatten; die Tornister der Toten wurden auf einem großen Wagen nachgefahren. Das Bataillon ist klein geworden; auf der Landstraße fiel dies recht in die Augen. Eine Strecke vor Kézdi-Almás sahen wir den Oberst mit Regimentsstab und vollzähliger Musikkapelle stehen; sie warteten auf uns. Als wir in gute Hörnähe gekommen waren, flog ein heller Trommelwirbel auf, dem leichte Melodien folgten, dann schmetterte sich ein Marsch aus ‚Carmen‘ gewaltig aus. Unsere schmutzgraue Schar, die so gebeugt und müde dahinschwankte, als wäre sie besiegt, begann sich zu straffen; allmählich begriff sie die Ehrung, die der alte Oberst ihr erweisen ließ. Nach ‚Carmen‘ folgte das Lied vom guten Kameraden, und nun endete die Musik nicht mehr, bis unsere Spitze das Dorf erreichte, dessen Kinder, von den Klängen gelockt, uns mit entzückten Gesichtern entgegenliefen.
Der Tag vergeht ruhig, doch meldeten sich mehrere Leute wegen Brustbeklemmungen in das Revier. Beim Untersuchen zeigt sich ein häufiges Ausbleiben der Herzschläge. In das Lazarett will keiner; jeder hofft auf Ruhewochen und gibt sich mit Baldriantropfen zufrieden. Als Raab den Sanitätswagen aufsperren wollte, fehlte der Schlüssel, und kein Schlosser läßt sich im Dörfchen auftreiben. Für den Augenblick freilich genügen die Vorräte, die wir noch in den Verbandtaschen haben. Dehm und Raab sind sich fast böse geworden, weil einer dem andern den Schlüsselverlust vorwirft.
Die Quartiere werden gelobt. Ich habe eine große Stube, deren Boden mit feinem Sande bestreut ist; ein Drudenkreuz, mit Werkzeug behangen, ist an der Wand befestigt, das breite Bett mit rotgefärbten Fellen überbreitet. Das Schönste ist ein großer Apfelgarten hinter dem Hause. Von hohen dichten Weidengeflechten umgeben, liegt er wie in einem Korb. In einer Ecke blüht noch ein hoher Sonnenblumenspätling. Der schwarzgelbe Teller hat sich weit vorgestülpt und am Rande nach unten umgebogen, so gewaltig war im Sommer der Wille der Blume, dem Sonnenstand überallhin zu folgen. Jetzt ist stellenweise der blühende Samt leichenfarb gefleckt oder ausgefallen, die graue Samenmosaik entblößt. Als ich eben vorbeiging, flog ein grauer Vogel ab, einen Kern im Schnabel, und entschwirrte in die Dämmerung.
Für die nächsten zwei Tage scheinen wir noch sicher vor Alarmierung. Man richtet sich ein; viele packen Bücher und gute Uniformen aus, mancher stellt eine Photographie auf den Tisch. Mein Quartier ist voll Unruhe; alle Nachbarn gehen ein und aus, ein altes Weib war eben hier und bettelte um Schnaps. Heute mittag wurde ich Zeuge einer Szene, die, für sich betrachtet, vielleicht nichts bedeutet, und doch ist mir, als ginge sie mich und manchen andern an. Vor Wochen sind im Hause viele Katzen zur Welt gekommen, die nun lästig werden, zumal es an Milch für sie fehlt. Ein etwa fünfzehnjähriger Bursche, der hier bedienstet ist, scheint Auftrag erhalten zu haben, die überzähligen Tiere zu beseitigen. In der Stube schreibend, sah ich, wie er sie über den Hof trug, und, bevor ich seine Absicht erkannte, eines nach dem andern unglaublich geschwind an die Scheunenwand schmetterte, vor der sie liegen blieben; dann kehrte er pfeifend, die Arme schlenkernd, wie es seine Art ist, in die Küche zurück, wo gerade das Essen aufgetragen wurde, setzte sich zu den andern und aß gemütlich. Eines aber der hingerichteten Kätzchen, ein blaugraues, weiß von Gesicht, Brust und Beinen, mit einem silberhellen Flöckchen im Nacken, von den anderen durchaus verschieden, war nur betäubt worden und erholte sich nach und nach. Taumelig versuchte es kleine Schritte, blieb stehen, wischte sich mit dem Pfötchen einige Male über die Ohren, als ob es dadurch schneller zur Besinnung käme, und, schlich sodann über den Hof in das Haus zurück. Nun erst bemerkte ich, daß es am Kinn blutete, sonst schien es unversehrt. Zögernd kam es zur Küchentür herein und blickte sich um. Als es die schmausenden Leute sah, bemühte es sich, auf die Bank zu springen, was ihm, nach etlichen Ansätzen, auch gelang; dann saß es eine Weile still. Endlich schmiegte es sich, zutraulich bittend, an den Ellenbogen seines behaglich kauenden Mörders. Ich konnte ihn von meinem verborgenen Tischchen aus beobachten, kein Zug ging mir verloren. Als er das Tier gewahrte, aß er zuerst noch ein Weilchen weiter; auf einmal wars, als kämpfe er mit einer Übelkeit, er bekam eine Art Schlucken und legte den Löffel weg. Sobald die andern fortgegangen waren, berührte er das Kätzchen vorsichtig, wie wenn er sich vor ihm fürchtete oder seine leibhaftige Gegenwart bezweifelte. Schließlich stellte ers mit aller Behutsamkeit, deren er wohl fähig ist, als wärs eine Porzellanfigur, auf den Tisch und bröckelte ihm seine stehengelassenen Fleisch- und Brotreste hin. Es fraß ein wenig davon, und das freute ihn sichtlich. Als die Hausfrau hereinkam, redete er sehr eindringlich auf sie los; ich vernahm öfters das Wort Matschka, dabei deutete er immer wieder auf die Katze. Die Frau sah das Tier schweigend an und entfernte sich wieder. Der Bursche geht seither wieder auf dem Hofe seiner Arbeit nach. Die totgebliebenen hat er so vorsichtig wie das lebendige aufgenommen und weggetragen. Er kommt mir in seinem Wesen einigermaßen verändert vor, wacheres Gesicht, festerer Gang, auch hab ich ihn seither nicht pfeifen gehört.
Morgen kommt der österreichische Thronfolger und hält bei Lemhény eine Truppenbesichtigung ab. Ich erkläre mich als erholungsbedürftig und bitte, in Kézdi-Almás bleiben zu dürfen. Es wird sehr windig und kalt.
Das blaugraue Kätzchen ist heute verendet, und weil mir eine freie Stunde gegönnt ist, will ich mir die kurze Geschichte seines Leidens aufzeichnen; gehört sie doch auch zu meinem Tag. Früh weckte mich gestern leises Wimmern und Murren. In der großen Stube, mit ganz verschaudertem Gesicht, kauerte der junge Ungar am Boden und schob dem Tier bald ein Wasser-, bald ein Milchnäpfchen zu. Es hatte nachts Blut, morgens Galle gespien. Die Milch beachtete es gar nicht; auf das Wasser blickte es unverwandt. Als ich mich näherte, hob es langsam den Kopf wie ein müder, trauriger Mensch. Das Gesicht war viel kleiner geworden, das goldumrandete Bernsteingelb der Augen getrübt, die Nase sehr heiß. Es hatte gewiß Fieber und brennenden Durst. Bald weinend, bald brummend näherte es nun seine Schnauze dem Wasser, zitterte aber bei jeder Berührung mit einem zornigen Laut zurück; es war zu sehen, daß ihm der Trinkversuch Schmerz bereitete. Aber immer wieder trieb es rasende Begierde dem Wasser zu. Plötzlich tauchte es eine Vorderpfote ein, dann die andere; schließlich wollte es ganz in den Topf hineinsteigen, der aber viel zu klein war. Man füllte eine große Schüssel; da legte es sich hinein mit seinem ganzen inneren Brand und blieb eine Weile ruhig.
Indessen war die Bäuerin eingetreten; Kinder und Nachbarinnen kamen, ein Kreis von Neugier und Erbarmen zog sich um das arme Tier und seine Qual. Noch vorgestern hatte man es achtlos fortgeworfen; jetzt aber dachte niemand daran, es durch schnelle Tötung zu erlösen; jeder fand nur, daß es ein reizendes Kätzchen sei, und wußte einen Rat, ein Mittelchen, um es zu heilen. Als wäre es durch sein Leiden in göttliche Nähe gerückt, hatte man fast Ehrfurcht vor ihm, besonders die Kinder. Und wirklich war etwas Bewundernswertes in der Haltung der kleinen Katze, etwas kaum Beschreibliches, das sie über ihren Zustand erhöhte, eine Art Stolz, ein Bewußtsein ihrer eingebornen wilden Anmut, welche der Tod wohl nach und nach abtragen oder zertreten, aber keineswegs beugen konnte. Wie es, vom eigenen Elend wegblickend, sich bemühte, seinem Wesen treu zu bleiben, wie es, schon von der Vernichtung geschüttelt, seine Würde behielt und die feine Neigung des Köpfchens nicht aufgab, dies war es, was alle sicherlich viel stärker ergriff, als das Leiden selbst. Etwas Geistiges ist hier verbürgt, und die alten Ägypter haben wohl gewußt, warum sie dieses Tier heilig hielten und seine Mörder bestraften.
Bald hatten übrigens die Leutchen von Kézdi-Almás all ihren guten Rat erschöpft und sahen schließlich voll Erwartung auf mich. Dehm, der gerade dazu kam, riet zu Morphium, ich gab Atropin dazu. Wir ließen das Kätzchen aus dem Bade heben und spritzten ihm eine winzige Menge der Lösung in den Schenkel, worüber ein kleines Mädchen laut aufschrie. Matschka jedoch zuckte bei dem Einstich nicht einmal, so ganz war sie von der Pein ihrer Eingeweide erfüllt. Nach drei Minuten ging sie auf ein Fleckchen Sonnenschein zu, das auf der Diele leuchtete, streckte sich behaglich aus, legte den Kopf auf die Vorderpfoten und schlief ein, zuweilen im Traum leise knurrend. So fanden wir sie noch spät, als längst keine Sonne mehr schien, da begann wieder das vergebliche Wandern zum Wasser. Wir wiederholten die Einspritzung in dreifacher Stärke. Daraufhin wurde sie zunächst sehr munter, fast ausgelassen und machte sonderbar schelmische Gebärden, als verändere ein beginnender Wahnsinn ihre Natur, doch blieb sie immer schön im Einklang ihrer Bewegungen. Plötzlich sprang sie zu mir herauf und umschnupperte mein Gesicht. Ich hob sie weg zu meinen Füßen hinunter; sie ließ es brummend geschehen und schlief auf einmal ein. Um zwei Uhr erwacht, beleuchtete ich sie mit der Taschenlampe; sie schlief unter leichten Zuckungen. Den Schweif hatte sie bequem um sich herumgelegt, der Kopf ruhte auf meinem linken Fuß. Die Lage war lästig, und ich wollte den Fuß wegziehen, da erhob sie aber ein sehr ärgerliches Geknurr und tat gar, als wolle sie mich in die Zehen beißen. So faßte ich mich denn in Höflichkeit, die wir einem sterbenden Wesen wohl schuldig sind, und rührte mich nicht weiter. Durch das kleine Tier zur Ruhe gezwungen, bemerkte ich übrigens bald eine Veränderung an mir, eine seltsame innere Stille und Gesammeltheit, wie sie, glaub ich, die Mönche als Einkehr bezeichnen. Der Körper empfand sich leichter, das Denken geschah freier und sicherer als sonst. Lebhafte Vorstellungen vom Wesen gewisser Krankheiten drängten sich als erstes auf; ich wußte plötzlich, daß man sie weit einfacher behandeln könnte als bisher. Dabei blieb mir immer bewußt, daß es Matschka war, der ich den gesteigerten Zustand verdankte, und nie vielleicht bin ich mehr davon überzeugt gewesen, daß wir nicht nur von Menschen, Geistern und Sternen, sondern oft auch von Tieren, Pflanzen, ja sogar von unbelebten Stoffen unmerklich zu uns selber geführt werden, worauf am Ende doch alles hinausgeht, was wir Gnade nennen. Und nun flog mir geschwind und klar alles durch den Kopf, was ich jemals über Katzen Gutes gehört und gelesen, zuletzt auch die rührende Mythe von jener sintflutartigen Überschwemmung, welche die Mutter so oft erzählt hatte. Ein Knäblein schwamm in seiner Wiege mitten auf dem unendlichen windbewegten Gewässer. Bei ihm befand sich eine Katze, und jedesmal, wenn die Wiege umzukippen drohte, sprang das behende Tier auf die andere Seite, um das Gleichgewicht herzustellen, bis endlich das kleine Boot in der Krone einer hohen Eiche hängen blieb. Die Flut verlief sich, man holte die Wiege herunter und fand Kind und Katze lebend und unversehrt. Da man des Knäbleins Eltern nicht kannte, so nannte man es Dold, was soviel heißt als Wipfel, und es wurde der Stammvater eines großen berühmten Geschlechts.
Von solchen Erinnerungen aus lief das Denken weiter durch manches Gebiet, um endlich in das nächste, nüchternste, für den Augenblick erwünschteste heimzukehren. Mit einem Male wußte ich nämlich genau, daß in einer der großen Ledertaschen, zwischen Verbandpäckchen und Instrumenten, der Schlüssel zum Sanitätswagen liegen müsse; vermutlich hab ich ihn selber dorthin verräumt. Dieser Sorge ledig, nickte ich fast wider Willen ein und schlief, bis mich Rehm, Tee bringend, weckte. Sogleich ließ ich den Schlüssel suchen; wirklich fand er sich an der gedachten Stelle. Matschka aber erwachte nicht mehr. Während ich aufstand, setzte ihr Atem aus, dann kam ein schnelles hartes Gestöhn, endlich noch ein tiefer, fast behaglicher Atemzug.
Eben bringt eine Ordonnanz den Alarmbefehl. Die Truppenbesichtigung bei Lemhény ist abgebrochen worden. Wir packen ein. Welch Glück, daß der Schlüssel gefunden ist! Die schönen Uniformen werden abgestreift, die Bilder verschwinden von den Tischen. Der junge Ungar kniet vor der toten Katze und streichelt sie weinend. Schön ist es immer anzuschauen, wenn den rohen Menschen das Ewige anfällt, – ehren wir jede Erleuchtung, jeden verwandelnden Schrecken! – ich möchte dafür einstehen, daß der Knabe nie wieder seine Hand gegen die Kreatur erheben wird, – gebe Gott jedem sein Tier und seine Sünde, die ihn erwecken! Es muß aber noch andere Erleuchtungen geben, wo aus noch viel reinerem Schrecken eine Tat aufsteigt wie ein Stern.
Der Himmel hängt voll Schneewolken. Frost ist eingetreten, Reif liegt auf der alten Sonnenblume. Die Samenkerne sind nun festgefroren, der Abendvogel wird Mühe haben, sie herauszupicken. Der Osten dröhnt von Geschützen. Es ist vier Uhr. Wir marschieren gegen Kézdi-Vásárhely ab.
Auf 29 Automobilen wurde nachts das Regiment über den Gyimespaß nach dem Hidegségtal herübergebracht. Es sind offene plumpe Lastwagen, die Räder bereits wie drinnen im Land ohne Gummireifen; immer gefährlicher schwankte der unsrige auf dem holprigen Boden, und plötzlich fuhren wir schräg in einen Straßengraben, gerade noch, ohne zu stürzen. Umsonst war jeder Versuch, das Gefährt wieder heraufzuziehen. Von den Wagen, die, glücklicher gelenkt, in großen Abständen nachfuhren, überholten uns fünf; jeden riefen wir um Beistand an, jeden vergeblich. In dumpfer Wut harrte die Besatzung; nur da und dort lachte einer, als böte das Ungemach des Augenblicks vor dem großen Schicksal einen Schlupf. War Hilfe hier nicht erbittlich, so war sie vielleicht erzwingbar; ich riet den Leuten, sich in ganzer Straßenbreite aufzustellen und dem nächsten Wagen eine drohende Haltung zu zeigen. Das höchst verfängliche Mittel wirkte: der Führer, als er die entschlossene Gruppe bemerkte, stoppte sofort. Nun ward in Minuten unser Fahrzeug dem andern angekettet und auf die Straße gezerrt.
So fuhren wir weiter, mit frierenden Augen, durch die sternenlose Nacht, immer nur auf den grellen Lichtkegel blickend, den wir vor uns herjagten. Ich saß vorne beim Lenker, einem sehr jungen Polen, dessen ungeübte und ängstliche Hand uns noch öfters dicht an Abgründe brachte. Mahnungen und Einreden konnten da wenig frommen; gewiß war es das beste, ihn gewähren zu lassen und ihm heimlich alle guten Kräfte zuzubeten. Als die Paßhöhe erreicht war, graute der Morgen. Ein vereisender Wind pfiff aus Nordosten; die Wolken standen hoch. Öde Landschaft erschien, greises Gebirge, stark abgetragen, die kahlen Hänge voll kleiner Buckel und grauer Steinwürfel, dazwischen Hütten, die den Steinen glichen, in der Tiefe ein halbverkiester Fluß mit angelagerten Häusern. Beim Hellerwerden erkannte man auf Tal- und Bergstraßen unübersehbare, gegen Osten marschierende Kolonnen. Düster, schicksalshaft anzuschauen ist solch ein Dahinziehen Tausender, die wie auf Speichen des nämlichen Rades einer unsichtbaren glühenden Achse zustreben. Gäbe es doch ein groß vorleuchtendes Zeichen, das allen ihre Mühsal süß macht! Aber ihr Bestes ist verwahrt in einem Traum der Menschheit, den sie vielleicht nie erfahren, und nur manchmal mag es einen gemahnen, daß er einem unbekannten Herrn der Zukunft dient.
Um acht Uhr morgens erreichten wir das Dorf Középlak, dessen Gebäude sehr weit auseinander liegen. Ein großes gelbes Haus, nah bei der Kirche, wurde mir als Stabsquartier bezeichnet. Es besteht aus zwei kleinen Zimmern und einem geräumigen Saal, den ein brüchiger Ofen mit Rauch erfüllt. Der Assistenzarzt lag schlafend in Mantel und Stiefeln am Boden; das abgemagerte verstaubte Gesicht glich vor übermäßiger Ermüdung dem eines Toten. In einer Ecke, gebeugt über Karten, saßen flüsternd Major und Adjutant; gegenüber sprach ein rotbärtiger österreichischer Hauptmann unter vielen Verbeugungen in ein Telephon hinein. Ich spürte zwischen drüben und hüben eine Verstimmung ziehen, die mir später erklärt wurde. Der Österreicher, zugleich Munitionsoffizier und Ortskommandant, hatte unserem Major vorgestellt, es gebe kein unbesetztes Haus mehr in ganz Középlak, und ihn höflich eingeladen, sein eigenes bequemes Quartier mit ihm und seinen Offizieren zu teilen, worauf unser Gebieter ihn gleichwohl bündig ersuchte, das Gebäude zu räumen. Dies Ansinnen wurde zurückgewiesen, und der Major brach die Unterhaltung mit einigen allgemeinen Ausfällen gegen die österreichische Armee ab. Der Rotbart zog sich weltmännisch-gelassen zurück, nicht ohne zu bemerken, er habe zwar bereits angeordnet, daß in seiner Küche für die deutschen Herren mit gekocht werde, müsse dies aber, auf soviel Unfreundlichkeit hin, leider zurücknehmen und sich auf den bloßen Dienstverkehr beschränken.
Ich legte mich neben den Assistenzarzt und schlief bis elf Uhr. Dann ging ich nach kurzem Dienst zum Hidegség hinab. Wird einem doch, als habe man teil an allen Gütern und Geistern der Länder, sobald man ein Ufer betritt. Einwohner kamen des Weges, zuerst alte Männer, dann junge Frauen und Mädchen. Diese sind ein stattlicher Schlag mit leichtem, freiem, brüstestolzem Gang, gesunde Rundgesichter, vom Geist der Rasse schön beherrscht, so daß immer eins das andere bestätigt. Man denkt zuerst an Italien; aber es ist noch etwas anderes darin, etwas tierhaft Geschmeidiges, dazu etwas Verschlossenes, nach innen Horchendes, wilder alter Adel, der nach Asien weist. Die unechten städtischen Kostüme, die wir noch gestern sahen, sind verschwunden; die Weiber scheinen hier nur am Leibe zu tragen, was sie selber hergestellt haben, statt des Rockes ein dunkles buntgestreiftes Tuch, das einfach übereinandergeschlagen wird, so daß man beim Gehen die Beine sieht, die in engen, weißwollenen Hosen stecken, um die Brust Pelzwesten, das Fell einwärts, das weiße, kunstreich bestickte Leder nach außen gewendet, schwarzes Kopftuch, spitze Schnabelschuhe. Wenn Truppen vorbeimarschieren, bleibt keine stehen, um zu gaffen, wie sonstwo Landleute tun; man spürt eine Gegend beginnen, wo die Menschen hart und sich selber genug sind, und wo sich Schicksale schnell und klar erfüllen.
Das Ufer sieht seltsam aus. Vor wenigen Tagen muß es noch überschwemmt gewesen sein; dann kam plötzlich die Kälte, eine dünne Eisdecke bildete sich, unter der aber das Wasser bald wieder sank. Nun haftet noch das Eis als brüchiger Glasring an Stamm und Strunk, als Brücke, mit Glöckchen behangen, überbaut es den Spiegel oder umschließt als muschelhaft geschweifte reifbefranste Schale die großen schwarzen Ufersteine.
Mittags, während wir Deutschen, feindselig abgesondert, bei bitterem Kaffee sehr hartes Brot und überdrüssiges Büchsenfleisch aßen, erklang im gleichen Saal an der Tafel der Verbündeten der Wein, und österreichische Ordonnanzen, die Blicke mit vorgeschriebener Starrheit auf uns gerichtet, schleppten schöne Braten und Pfannkuchen von der Küche herein an uns vorüber. Wir jüngeren, Geringeren verschmerzten aber die entgehenden Genüsse um so leichter, als unserm sonst so mäßigen Befehlshaber gerade diesmal Entsagung unerträglich wurde. Allen Stolz vergessend, suchte er unsern Koch zu bereden, daß er sich mit den österreichischen Küchensoldaten anfreunde und wenigstens etliche Kuchen für uns erschmeichle. Der aber schnitt jede Hoffnung ab: „Die Österreicher verkehren nicht mit uns“, sagte er.
Am Nachmittag war von Osten her scharfes Geschützfeuer zu hören. Der Adjutant blieb an das Telephon gebunden. Gegen fünf Uhr wurde Marschbereitschaft befohlen, um sechs Uhr der Befehl wieder aufgehoben.
Die Nacht zum letzten November blieb ruhig. Um zwölf Uhr mittags wurden wir alarmiert, und sogleich folgte der Aufbruch. Es verlautete, Russen und Rumänen hätten die ungarische Linie durchstoßen, den Berg Mihályszállás erstürmt. Unserm Bataillon falle die Aufgabe zu, den Feind aufzuhalten, den Berg zurückzunehmen. Man suchte auf der Karte den Mihályszállás und war verwundert, sich in solcher Nähe des Gegners zu befinden. Die Feldküchen, die bereits geheizt hatten, kochten während des Marsches weiter. Auf dem Ufergeröll wurde das Essen eingenommen, dann ging es eilig den Fluß entlang. Anfangs hatten uns Frauen und Kinder von Középlak neugierig begleitet; bald blieben sie mit zweifelnden Gebärden stehen. Ein verirrtes rabenschwarzes Schweinchen lief arglos eine Weile zwischen unseren Leuten mit, schon stritten sich zwei Gruppen der 8. Kompagnie um den sicheren Fang; aber ein kleiner Junge kam nachgelaufen und jagte es mit hellen Jubelrufen ins Dorf zurück.
Der Tag war kurz und düster. Nebel wuchs wie Schimmel um die niedrigen Fichten, mit welchen die Hügel spärlich besetzt sind. Gruppen von Flüchtlingen mit Haustieren und Fahrzeugen begegneten uns in der Dämmerung, zuletzt ein kleiner Leiterwagen, von schön gehörnten silbergrauen Stieren gezogen. Führerin des Gespanns war eine große Frau mit schwarzem Kopftuch, langem braunem Mantel und einem Stab in der Hand. Ein Kind, sein Püppchen an sich gepreßt, saß oben auf wirr zusammengeraffter Habe; ein alter Mann und ein junges Mädchen schoben nach und lasen auf, was etwa herabfiel. Ein Knabe, kaum zehn Jahre alt, mit wunderbar entrücktem, unbegreiflich heiterem Gesichtchen, lief neben dem Wagen her und summte wie aus tiefer Geborgenheit eine Weise. Unter dem linken Arm trug er ein schwarz eingerahmtes Bild, mit der Rechten langte er von Zeit zu Zeit Maiskörner aus der Tasche und gab sie einem Stierkälbchen zu fressen, das, am Wagen angebunden, mithüpfte. Diese Gestalten wurden mir im Geiste sogleich statuarisch, besonders die mütterliche Führerin, und ich verstand, was Glavina meinte, als er schrieb, es sei etwas Heiliges um den Fremdling, der nur einmal an uns vorübergehe, nicht befleckt von gleichgültiger Erfahrung. Die Haltung stolz, frei, das Antlitz reife, gebietende Jugend, die starken Brauen schmerzlich zusammengezogen, blickte sie geradeaus, ohne uns zu beachten, als wäre sie das wahre ganze Leben, wir aber abgefallen und verirrt.
Es wurde Nacht; wie Asche fiel der Nebel, endlos entzog sich das Tal. Streckenweise wateten wir im Wasser, das mit Gurgeln unsere löcherigen Stiefel füllte. Einmal riß die 6. Kompagnie ab und verirrte sich in ein Seitental: mit schreienden Boten und Lichtsignalen wurde nach einer halben Stunde die Verbindung wiederhergestellt. Unendliche Müdigkeit zermürbt die Seelen. Mancher brüllt Wut und Verzweiflung geradehinaus: „Gebt uns wenigstens ganze Stiefel, wenn ihr Krieg führen wollt!“ murrt eine Stimme. „Ein Narr, wer noch mitläuft! Ich bleibe zurück!“ kreischt eine andere. Die Offiziere aber kümmern sich nicht um aufrührerische Rufe. Sie haben selber zu dulden genug. Auch wissen sie, daß die Schreier ja doch mitkommen werden. Wer ohne gültiges Zeugnis die Truppe verläßt, vermindert wohl Mühe und Gefahr, aber neue und schimpfliche Leiden beginnen für ihn. Im fernen Dunkel flammt es zweimal bläulich, man hört Abschüsse, dann heult es an, und scharf nacheinander stoßen Granaten in den Kies. Ein Mann bricht zusammen. Leutnant S. ist verwundet. Wir verbinden ihn, so gut es im Dunkeln geht. Vermutlich hatten unsere Signale die Geschosse hergelenkt. Ein strenges Verbot, Licht anzuzünden, wird ausgegeben. Mit dem Aufbegehren ist es zu Ende. Vom Feinde selber in die Zucht gescheucht, beginnen die Leute ruhig zu plaudern; eine gefaßte, aufgeräumte Stimmung nimmt überhand.
Um zwölf Uhr gelangten wir auf trockenen, ebenen Boden. Der Adjutant, der mit dem Major eine Strecke vorausgeritten war, kam uns entgegen. Von einem Nachtgefecht, erklärte er, sei nicht mehr die Rede, die Gegner hätten den Berg zur Hälfte wieder aufgegeben und sich in der Nähe festgegraben, wir stünden in dem Dorfe Hosszuhavas und bekämen Quartiere, freilich Alarmquartiere, niemand dürfe die Stiefel ausziehen.
Mit Offizieren und vielen Mannschaften fand ich Unterkunft in einem Bauernhause, das von seinen Eigentümern verlassen war. Auf dem Tische stand bei Brot und Äpfeln ein schräg abgeschabter Salzkegel, daneben, mit Öl gefüllt, eine Lampe, die wir anzündeten. Ein Stapel Brennholz lag hinter dem Ofen; unter einer Bank, in Käfigen, waren Hühner untergebracht. Auf diese stürzten sich im Nu die halbverhungerten Soldaten, um sie einem Kochkundigen zu überliefern. Die Stube war voll Zeichen übereilter Flucht. In dem gewaltigen Webstuhl steckte noch ein Stück Leinwand. Schrank und Lade standen halb offen. Einiges war herausgerissen und wieder hineingeworfen worden; darunter aber, in schimmernder Ordnung, lagen ganze Schichten fein und rauh gewebter Tücher und gestickter Hemden. Bunte Decken verkleideten die Wände; darüber hingen Heiligenbilder mit getrockneten Sträußen, daneben ein Teller mit dem goldgemalten Namen Julesa.
Da ich die herrlich durchstickten Linnen so sehr bewunderte, vermuteten mehrere Leute, ich wolle sie besitzen, und redeten mir zu, ich solle doch unbedenklich etwas besonders Hübsches zum Andenken mitnehmen. Vielleicht gelüstete manchen selbst nach solchem Schatz, und hätte ich, als einer der Älteren, mir ein Stück angeeignet, wärs am Ende die Losung zum allgemeinen Raub geworden. Eigentlich stachen mir die reizenden Muster sehr in die Augen, auch stellte ich mir Vallys und Wilhelms Entzücken vor, falls ich mit solchen Mitbringseln in die verarmende Heimat käme, mußte überdies den Kameraden recht geben, die da sagten, verloren sei doch einmal alles, in wenigen Stunden würden wir vor- oder zurückgeben und das Verschonte andern deutschen Truppen oder dem Feind überlassen. Auf einmal standen mir die Flüchtlinge vor dem Blick, die uns begegnet waren; der Gedanke, daß gerade dieses Haus ihr verlassenes Eigentum sein könnte, gewann eine seltsame Macht, und nun erst ermaß ich die Größe ihres Unglücks. Gesichthaft nahe trat die königliche Führerin; um Wirklichkeit unbekümmert sprach ich sie als Hausherrin an und schloß mit ihr einen Bund. Sie aber schien einfach zu sagen: Was willst du? Die Winternächte des Wachens und Webens, kennst du sie? Hemden liegen hier für Großväter, Väter, Mütter und Kinder, – auch unsere Leichenhemden, bedenk es wohl! Möchtest du deine Frau oder dein Kind darein hüllen? Die Deutschen, sagt man, sind ein hartes, verwegenes, den andern oft schwer begreifliches, im Grund aber ein frommes Volk, – seht doch, wie alles offen vor euch daliegt! Nichts haben wir vor euch versteckt, nichts verhehlt, eurer Großmut alles anvertraut. Nehmt, was not ist, um Durst und Hunger zu stillen, aber an den Geweben der Mütter geht vorüber!
Plötzlich zuckten wir alle zusammen; das Heulen und Weinen kam wieder durch die Luft, es war, als flöge feiner Flaum über die Wimpern, und in größter Nähe fiel der Schlag. Das Haus schien sich in seinem Grunde zu lockern, Geschirr und Fensterglas klirrten herab, die Lampe erlosch. Ein schlimmes Versäumnis kam in diesem Augenblick jedem zum Bewußtsein. Keinem war eingefallen, die Fenster zu verhängen, und so hatte die weithin leuchtende Lampe den Feind gereizt. Im Finstern harrten wir auf den zweiten Schuß, er blieb aus. Nun wurden sorgfältig alle Fenster von außen mit Zelttüchern überspannt und erst nachher wieder Licht gemacht. Der Koch war gelassen bei den Hühnern stehengeblieben, deren Bratenduft allmählich die Luft würzte; ich aber hatte in aller Stille die lockenden Laden hineingeschoben, fand es auch für gut, sie mit Unnahbarkeit zu umgeben, indem ich die großen ledernen Verbandtaschen davor, aufbauen ließ und meinen Mantel darüberlegte.
Das Schicksal geht gelinde mit mir um. Ich habe als Verbandplatz ein leeres Gendarmeriewachthaus mit weitem Blick über die Hidegséglandschaft, ungefähr in der Mitte zwischen Bataillonsstab und Front. Während die Kompagnien in die Stellung stiegen, konnte ich den ganz versäumten Nachtschlaf ein wenig ersetzen. Nach zwei Stunden erwachte ich in einem Zustande, der in ähnlicher Form gewiß vielen bekannt ist, nur achtet nicht jeder auf dergleichen. Ich empfand mich als einen ovalen, durchaus leeren Raum, etwa drei Sekunden lang, dann fing ich an, mit unbändiger Gewalt von der linken Seite her ein unsichtbares Fluidum in mich hereinzusaugen, womit zugleich alle möglichen Bilder, Gedanken und Worte einströmten, Bekanntes und Unbekanntes. Plötzlich war ich angefüllt wie ein Luftballon, da wurde ich erst vollends wach. Dabei hatte ich ein Empfinden, als wäre Glavina in dem Fluidum aufgelöst gewesen.
Schnee fiel bis zum Abend; nun folgt Klarheit und Frost. Die Russen sitzen ruhig in ihren Stellungen. Den Gipfel halten sie fest; den westlichen Hang haben sie aufgegeben. Unten im Tale läuft ihre Linie dicht vor Hosszuhavas. Auf unserer Seite werden viele Geschütze eingebaut.
Ich richte mich ein, so gut es geht, am Abhang des Berges, während oben schon um den Gipfel gekämpft wird. An einer Hauptstraße, nahe der Front, liegt eine preußische Sanitätskompagnie; die fängt fast alle Verwundeten ein und leitet sie weiter. So hab ich ziemlich freie Zeit, bleibe viel für mich, schreibe Briefe und lese zuweilen in Glavinas Blättern. Die Schrift ist undeutlich, zum Teil durch Nässe verwischt; so viel hab ich aber herausgebracht, daß es sich zwar nur um einzelne Sätze handelt, daß aber sichtlich ein Ganzes, vielleicht ein Gedicht, geplant war. Wären es bloß feine, kluge, wohlgesetzte Worte, so wollte ich mir nicht viel Mühe geben; aber oft klingt es wie Rufe eines Wahnsinnigen und umschwebt wie Bienen das Herz, man möchte sich davon entfernen und muß doch immer wieder hinhorchen.
Durch die Fenster des Verbandplatzes überblickt man das ausgeweitete, reif- und schneeglänzende Tal, über das die Siedelungen verstreut sind wie Raupen über ein Kohlblatt. Auch das blaue Haus, in dem die Leinwandschätze ruhen, ist sichtbar. Es hat sich gefügt, daß unsere Telephonisten dort einquartiert wurden, gute, besinnliche Leute, die noch den Hausgeist ehren. Abends gehe ich hinunter, frage nach der eingelaufenen Post, überzeuge mich, daß alles unverändert ist, und kehre zur Höhe zurück. Wie gut weiß ich, daß es im gemeinen Sinne gar nichts bedeutet, ob unter tausend geschädigten Wohnungen eine einzelne unversehrt bleibt! Aber solcher halberträumter Schutzstätten bedarf der Geist; sie sind ihm Horst und Beute zugleich, darum bewacht er sie. Weiß er denn selbst, für wen er wacht? Vielleicht für einen, der schon in der Wiege liegt, einen, der alle schrecklichen Schreie der Wut und der Schmerzen umstimmen wird in Lieder und Hymnen ... Es ist ein kalter Tag. Die Sonne glänzt weiß und klein über uns, die Luft ist blinkend von schwebenden Kristallen, an den Bäumen haftet Reif wie Stahlsplitter an Magneten.
„Laßt uns den Hügel bauen am Berge Kishavas, ein Mal den Getöteten auf der bereiften Felsen- und Wacholderflur!“
Gleich nach dem Aufstehen wollte ich Glavinas Aufzeichnungen entziffern; aber da trafen unvermutet ganze Züge Verwundeter ein, deutsche und russische. Die Russen sollten über den Mihályszállás geworfen werden; aber die 6. Kompagnie verirrte sich im Nebel und kam um eine Stunde zu spät, so daß der Angriff nur zur Hälfte gelang und der Gipfel dem Gegner verblieb. Die Russen sind durchwegs junge, kräftige Gestalten, blond, blauäugig, seltsam kindhaft in ihrem Gebaren. Zutraulich reden sie ohne Pausen auf uns ein, als wären wir längst Bekannte; sie scheinen vorauszusetzen, daß wir sie verstehen. Laut weinend zeigen sie einander ihre Wunden, und während die Unsrigen ihre Schmerzen stumm verbeißen, schreien sie die ihrigen geradehinaus. Übrigens sind wenig Schwerverwundete darunter. Den Verkehr mit dem Feldlazarett vermitteln heute große Leiterwagen; es geht rasch und sicher, schon leert sich der Verbandraum. Der Angriff wird übermorgen wiederholt. Man baut immer mehr Geschütze ein.
Es war nach drei Uhr, da brachte der Unteroffizier Dehm den Infanteristen Kristl; er soll im Gefecht ungemeinen Mut bewiesen, hernach aber plötzlich den Verstand verloren haben. Einige glaubten, er verstelle sich nur, um endlich dem Kriegsdienst zu entkommen; aber man braucht nicht Arzt zu sein, um hier die Echtheit der Verstörung zu erkennen. Unendliche Angst verzerrt das eckige, bleiche Gesicht; bald sucht er dem Unteroffizier zu entkommen, bald klammert er sich an seinen Arm. Bei meinem Anruf nimmt er, schläfrig lächelnd, Haltung an, wird aber gleich wieder äußerst erregt; plötzlich fällt er auf die Knie und bittet mit gefalteten Händen, ich möge ihn doch nicht den Russen ausliefern, er sei schon unglücklich genug. Dabei reißt er sich Waffenrock und Hemd auf, zieht den Brustbeutel heraus und entnimmt ihm drei Goldstücke, die will er mir schenken, wenn ich ihn nicht zum Feind hinüberjage. Ja, traurig, traurig sei er zugerichtet, einer habe ihn in die linke Seite gestochen, es blute noch immer. Er reißt das Hemd noch weiter auf und deutet auf eine vermeintliche Wunde. Sein Vater besitze übrigens noch viele Goldstücke, daheim unter dem Hollerbaum seien sie vergraben, er selber habe dabei mitgeholfen, leider, das sei schlecht von ihm gewesen, hätte er die Finger davongelassen und das Gold in die Reichsbank getragen, so wäre alles anders gekommen, und wir hätten einen noblen Frieden. Unverwandt hält er die drei Zwanzigmarkstücke auf hingestreckter Hand in die Sonne, damit ich sehe, wie sie funkeln. Plötzlich erheitert er sich, zieht seine Uhr, steckt sie, ohne sie angesehen zu haben, samt den Goldstücken wieder ein, sagt, es sei höchste Zeit, er müsse Posten stehen, will auf und davon und beginnt zu toben, da man ihn zurückhalten will.
Der Zustand des Menschen bringt Verlegenheit. Weder ein Wagen ist mehr verfügbar noch eine Begleitung; auch möchte man den Fall nicht gerade der nächsten besten Hand überantworten. Meine Sachen durchkramend, fand ich schließlich ein paar Ampullen mit gelöstem Scopolamin. Kristl wehrte sich kaum gegen die Einspritzung. Die sonst so wenig haltbare Zusammensetzung wirkte sofort; vor zwölf Stunden wird er nicht aufwachen. Vielleicht ist es genug, um die Enden des zerrissenen Geistes wieder aneinander zu heilen.
Vor dem Essen ging ich, da nur noch Leichtverwundete gekommen sind, zum Ufer. Das Eis ist hier vielfach zu klaren Figuren durcheinandergeschossen; weiße Nadeln, Blätter, Hellebarden, winzige gotische Gestaltungen, oft nur begonnen, manchmal fein ausgeführt, stecken überall zwischen den Steinen. Zuhöchst am reinen Himmel sprießen Rispen, an denen blumenrötliches Gefieder wächst, und man merkt es diesen Wölkchen an, daß auch sie aus Eiskristallen bestehen.
Ich verbrachte den Vormittag bei den Pionieren im Walde, wo sie einen halb zugewachsenen Weg für die Verwundeten der nächsten Tage aushauen müssen, da scholl über Hosszuhavas her Geschrei und Schießen. Zurückgekehrt erfuhr ich, daß links von unserm Abschnitt Russen die österreichische Linie durchbrochen haben, dadurch soll unsere Stellung gefährdet und wertlos geworden sein. Um den Gipfel ist noch Ruhe. Eine Ordonnanz überbringt Befehl zur Marschbereitschaft; Verletzte und Kranke sind ohne Verzug nach Palanka zu schicken. Was fang ich mit Kristl an? Er schläft noch immer. Ihn jetzt wegzuschaffen ist unmöglich; auch warnt mich etwas davor. Das Getöse kommt näher. Rehm sieht mich immer an; er errät meine Sorge. Endlich kann er nicht mehr schweigen. An der Somme, meint er, habe die Lage zuweilen schrecklicher ausgesehen und sei dennoch wiederhergestellt worden; drunten im Dorf, noch uneingesetzt, lägen zwei Reservekompagnien unseres Regiments, da könne nichts fehlen. Ich lasse ihn Tee bereiten und buchstabiere ein wenig in Glavinas Zetteln. Die Schrift ist kaum lesbar; aber ich bin einem Rhythmus auf der Spur. In diesem schwingend finde ich Sinn genug; schon hab ich mir manches vereignet und verinnigt, und wo auch nur ein Wort hingeworfen oder eine Strophe schwach angeschlagen ist, erklingt wie von selber die Folge:
„Wer aber heimkehrt, halte Bereitschaft! Jeden mit anderer Stimme ruft Gott. Ein wacher Wandel ist euer, ein langer Werktag, selten ein Fest, selten ein feiernd Lied. Schlummert wachsam wie die Gemse schläft!“
*
Es ist drei Uhr. Das Feuer hat zugenommen, doch überwiegt im Augenblick das russische nicht. Ich ging wieder zu Kristl, schüttelte ihn an der Schulter und rief ihn beim Namen. Umsonst. Er schläft zu tief.
„Die strengen, bindenden Worte fallen aus Kindes Gedächtnis. Raben tragen die goldnen Bücher aus dem Heiligtum.“
„Opfer, was frommen sie noch dem, der den Ruf überhörte? Der Dom stürzt ein über Altar und Beter, und abgesprengt, noch klingend vom Pilgerbittgesang, ins Meer hinaus, verbrennend, schwimmt die Brücke.“
„Der Geist wird stehn vor seinem eigenen Hause und nicht heim finden ...“
*
Einhalb vier Uhr. Der Lärm nimmt noch immer zu. Die Schau durchs Fenster blendet. An einigen Erhebungen des Geländes treffen so viele Schneeleuchten zusammen, daß das Auge kein Weiß mehr erträgt und es als grünlich empfindet. – Jetzt haben, in weiten Abständen, unsere bereitgestellten Züge den Plan betreten. Der Gegner bemerkt sie. Geschosse platzen über den blinkenden Helmen, eine neue Art von Schrapnellen, welche zweifarbige Wölkchen ausstoßen: es ist, als ob aus unsichtbaren Eiern Vögel schlüpften mit einem roten und einem schwarzen Flügel. Die Soldaten eilen, sie laufen fast. Plötzlich fahren, kaum gedeckt, preußische Kanonen am Dorfrand auf und feuern ohne Pause, Schlag auf Schlag. Von dem Luftdruck zerspringt uns im Verbandraum ein Fenster.
*
„Wie soll auferstehn, was nie begraben ward? Geht um in zwölften Stunden! Lest auf aus taubem Schutte das oft zerbrochne Menschenbild! Mauert es heimlich ein unter die neuen Gebäude!“
*
Einhalb fünf Uhr. Heftigen Schrittes tritt ein der Major, mit ihm der Adjutant. Hinterher kommen verwundete Deutsche und Russen. Unverwundet ist nur ein junger Russe mit grünlichbraunem Gesicht und überhellen Sperberaugen. Er soll vernommen werden; aber niemand spricht Russisch. Aus verbündeten Truppenteilen, die in der Nähe liegen, werden Leute zusammengeholt, ein Bosnier, ein Pole und ein Ukrainer, der wohl Russisch, nicht aber Deutsch versteht. Durch vier Sprachen gehen Frage und Antwort hin und her. Der junge Bursche, scharf befragt über Stellung und Stärke seines Regiments, spielt auf kindlichste Weise den Einfältigen, sagt lauter unmögliche Dinge. Der Major läßt ihm zwei Fasttage androhen, falls er nicht vernünftig antworte. Er zuckt zusammen wie gepeitscht, senkt den Kopf, spricht keine Silbe mehr. „Braver Kerl“, brummt der Alte und bedrängt ihn nicht länger. Plötzlich sucht der Russe in seinen Taschen herum, schüttelt verzweiflungsvoll den Kopf, redet heiser auf den Ukrainer ein. Spannung entsteht, Aufschlüsse werden erwartet, der Adjutant überspitzt seinen Bleistift. Aber ein Dolmetsch nach dem andern lacht. Was wir erfahren ist nur, daß der Gefangene im Gefecht seinen Tabak verloren hat; flehentlich läßt er um etliche Zigaretten bitten. Der Bosniak erfüllt seinen Wunsch, der Russe zündet an und setzt sich, da sich niemand weiter um ihn kümmert, auf einen nahen Stuhl, wo ihm Kopf und Arme sogleich niedersinken. Die Zigarette entfällt seiner Hand; er schnarcht.
Ordonnanzen kommen. Der Angriff ist abgeschlagen. Der Feind hat alles gewonnene Gelände wieder verloren. Die Ebene wird leer. Ein Rabenzug fliegt niedrig über das Tal. Der junge Russe wird unsanft zum Abmarsch geweckt. Der Major befiehlt mich für morgen zum Mittagessen nach Hosszuhavas.
Es war schon ganz finster, als ich mich im Nebenraum nach Kristl umsah. Er hatte sich aufgerichtet.
„Sind Russen da?“
„Ja, Gefangene. Sind schon abgeführt.“
„Ach so, Gefangene“, wiederholt er mißtrauisch.
„Aber der General Brussilow ist doch vorbeigefahren auf einem feurigen Wagen?“
Ein kleiner ungarischer Schlitten mit zwei brennenden Laternchen war vor einer Minute am Fenster vorbeigekommen. Das muß der feurige Wagen gewesen sein. Ich bewies es ihm umständlich, und er schien es nicht zu verwerfen. Erklärte ihm auch, daß er morgen nach Palanka gehen und von dort aus in die Heimat fahren dürfe. Er zeigte keine Freude. „Dahinten sind lauter fremde Leute“, sagte er.
Sehr bestimmt kündigte ich ihm schließlich an, er werde jetzt gleich wieder einschlafen, morgen früh aber, sobald ich ihn kräftig anhauche, wieder erwachen, ohne Furcht aufstehen, Tee trinken, Weißbrot mit Marmelade essen und guter Dinge sein. Er versuchte eine stramme Haltung und sagte: Zu Befehl. Es bedurfte nur einiger streichender Bewegungen über sein Gesicht, um ihn wieder einzuschläfern.
Bevor ich mich niederlege, noch einmal zu Glavina:
„Auf Rinden und Gesteinen wie Wandrer alter Zeit hinterlaßt ihr einander Zeichen, sogar in Sand und Schnee, und fällt euch der Tod an am Wege, vergehend lockt ihr noch mit Speise und sanfter Beschwörung wilde Vögel vom Himmel, schreibt auf weißen Fittich purpurne Liebesrunen.“
Die Aktion begann im Morgengrauen und ging auf wie eine Gleichung; seit neun Uhr steht kein Russe mehr auf dem Mihályszállás; sie sind bis zum Monte Ardelle zurückgegangen. Die Aufgabe ist gelöst; vor zehn Uhr sind bereits ungarische Offiziere eingetroffen, um die Stellung kennen zu lernen, die morgen ihr Bataillon von uns übernehmen soll.
Kristl ward um elf Uhr wachgehaucht, stand sofort auf, aß mit großem Hunger. Nun wir ihm aber eröffnen, daß er, mit einem ärztlichen Bericht versehen, nach Palanka gehen dürfe, um von dort aus nach Bayern zu kommen, will sich sein Gesicht gleich wieder ins Störrische verziehen, doch nimmt er sich zusammen und bittet schließlich mit überlegten und herzlichen Worten, ich solle ihn doch hier lassen. Fast könnte man glauben, sein Gedächtnis für die Heimat sei abgeschwächt; jede Veränderung scheint er zu fürchten und an unseren paar Gesichtern zu hängen, als wären sie die Welt. Aber was tu ich mit einem so zerspringlichen Wesen in dieser schwelenden Luft? Und der Major und Leverenz, was werden sie dazu sagen? Voreilig äußert Raab, wir würden ja nun doch in Ruhe kommen; falls Kristl vom Sanitätsdienst etwas verstehe, könne er wohl noch etliche Tage bleiben und im Revier ein wenig helfen. „Ich bin als Krankenträger ausgebildet“, fällt Kristl eifrig ein; „Verbände mache ich die allerschönsten, auch Arm- und Beinschienen.“ Ich versprach, mir die Sache zu überlegen und mit Kommandeur und Kompagnieführer zu besprechen. Vorderhand bleibt er als Revierkranker in Beobachtung und meldet sich zweimal am Tage bei mir. Er geht sogleich mit Raab, sucht sich nützlich zu machen, putzt Flaschen und Instrumente, wickelt Mullbinden auf.
Während des Mittagessens tritt, ohne anzuklopfen, ein junger Mann in ungarischer Tracht herein, lächelt freundlich nach allen Seiten, geht, ohne den buntumschnürten braunen Filzhut abzunehmen, um uns herum, redet kein Wort, betrachtet die Wände, betastet zärtlich Schrank, Bild, Spiegel und Fensterglas, dann sieht er mit großer Innigkeit auf uns, man merkt ihm an, daß er unendlich viel zu sagen hätte. Der Major, erzürnt über die Störung, springt auf und bedeutet ihm, sich zu entfernen. Der Bursche, ohne jedes Zeichen des Unmuts oder der Verwunderung, tritt näher, streift den Ärmel hinauf und zeigt schweigend eine lange, tief eingezogene noch frischrote Narbe. Endlich, indessen der Major weiterschilt, geht er sehr langsam hinaus, nicht ohne uns unter der Tür noch einmal zuzulächeln. Kaum ist er draußen, scheint unsern Gebieter sein Zorn zu reuen, und schnell bediene ich mich der gemilderten Stimmung, um mein Anliegen vorzutragen, sage, daß Kristl als Infanterist nicht mehr tauge, daß er in die Heimat gesandt oder probeweise anderswie verwendet werden müsse. „Wie wäre er verwendbar?“ – „Als Krankenträger.“ – „Ist er als solcher ausgebildet?“ – „Ja.“ Die Versetzung wird gutgeheißen und gleich durch Ferngespräch mit Leverenz geregelt, der bei guter Laune ist, Kristl einen Weihnachtsurlaub zudenkt und das Eiserne Kreuz für ihn bereitgelegt hat.
Mittags abgelöst brachen wir auf nach dem Bálványostal, das nahe bei Gymesbükk zum Trotusul herabfällt. Auf Gebirgswegen zogen die Kompagnien; wir drei, Major, Adjutant und ich, ritten den zugefrorenen Hidegség entlang, zuweilen über ihn weg. Vom starken Glanz eines zertrümmerten Eisblocks geblendet, scheuten die drei Gäule auf einmal und wollten in hohen Sprüngen davon, beruhigten sich aber bald. In scharfem Trab ging es weiter, oft im Galopp, wozu die Pferde nicht viel Ansporn brauchten; sie fühlen sich bei sachter Gangart auf dem Eise nicht sicher und freuen sich, die Hufe mit aller Kraft einzuschlagen. Wir holten einen Verwundeten ein, der durch gelockerten Verband nachblutete; bei ihm verhielt ich mich und ritt alsdann allein weiter. Der Himmel streifte sich, es roch nach Schnee. Schon traten die Häuser von Gymesbükk hervor, da sah ich einen ländlichen Zug mit vielen hochbepackten Wagen auf dem anderen Ufer entgegenkommen. Das erste Gespann mutete mich bekannt an; ich lenkte hinüber und erkannte wirklich die schönen silbergrauen Stiere, daneben die große Frau, die jetzt als Führerin vieler Familien erschien. Als letzte mochte sie geflohen sein; als erste kehrte sie zurück. Das Kind, in Decken gewickelt, mit Pelzen bedeckt, schlief auf dem Wagen, die Tochter schob nach, der Greis, mit bereiftem Bart, schleppte sich hinterdrein. Abseits, dicht am Ufer, ging der Knabe, dick behandschuht, das Bild unterm Arme, man sah unter zersprungenem Glas ein segnendes Jesuskind mit rotem Kleidchen auf Silbergrund. Ich rief einen madjarischen Gruß, – „Isten hozta“ gab die Mutter mit klarer Stimme zurück und näherte sich, wie um etwas zu fragen. Ich mußte äußeres und inneres Ohr scharf anspannen, um sie zu verstehen. Vor allem wünschte sie zu wissen, ob Häuser in Hosszuhavas zerstört worden seien, und war sichtlich froh, als ich dies verneinte. Dann fragte sie, was für Gegner wir gehabt hätten. Als ich sagte „Russen“, lächelte sie und meinte, dann hätten sie kaum zu fliehen brauchen, die Russen täten kleinen Bauersleuten nichts zuleide, auch hätten sie mehr Ehrfurcht vor den Frauen als die Rumänen. Als ich weiterreiten wollte, zog sie ein Säckchen vom Wagen und reichte mir daraus eine Handvoll gedörrter Birnen. Ich hatte nichts bei mir, um diese fromme Gebärde zu erwidern, als einen frischen Kommißlaib; aber gerade damit schien ich Freude zu erwecken, und nun erst fiel mir auf, daß sie alle sehr blaß und elend aussahen, gewiß hatten sie Mangel gelitten. Der Knabe wurde gerufen; behutsam lehnte er die Jesustafel an einen Stein und sprang vergnügt heran, um sein Stück zu erhalten. Beim Eingang in das Tälchen wartete Rehm. Hier sah ich noch einmal zurück: die Karawane überquerte gerade den Hidegség, hell blinkte der Silbergrund des Bildes in der Abendsonne. Um halb fünf Uhr erreichten wir das Quartier. Es ist wieder eine Bauernstube mit niedrigen, teppichverhangenen Wänden. Wir sind jetzt elf Kilometer hinter der Front; die Einwohner gehen wie im Frieden ihrem Tagewerk nach.
Seit ich mein Gepäck immer so klein und nah beisammenhalte, bin ich stets zum Aufbruch bereit und kann mir in den Minuten, wo ich mich sonst in der Sorge, nicht fertig zu werden, abhetzte, das eben Erlebte ein wenig zu erklären suchen. Der Vormittag verging mit Lesen und Schreiben; auf drei Uhr war die Gesundheitsprüfung angesetzt, für welche sich der große Stadel bei der Krankenstube gut eignete. Der Kälte wegen trieb ich zur Eile. Niemand zeigte sich einer Ansteckung verdächtig; das Geschäft verlief ohne Aufenthalt, doch gab es zum Schluß eine seltsame Störung. Während an der hellsten Stelle der Scheune die letzte Reihe völlig entkleideter Soldaten an mir vorüberzog, kam unversehens, halb schwankend, halb tanzend, die junge Frau des Hauses herein, in der linken Hand einen Krug schwingend, die Rechte wie zum Greifen ausgestreckt, und ging geradenweges auf die nackten Männer zu, wobei sie unverständliche Worte, rumänisch mit ungarisch vermischt, vor sich hin sang. Wie wir gehört haben, ist sie die kinderlose Witwe eines in Rußland Gefallenen und verwaltet nun mit Hilfe eines alten Knechtes und einiger Mägde ihr Anwesen so gut es geht. Ob sie in ihrem Kummer überhaupt der Trunksucht verfallen ist, wissen wir nicht; jedenfalls hat sie gestern, als uns Freiwein gewährt wurde, mehreren Leuten einen Teil ihres Maßes gegen Milch und Eier abgetauscht und, wie es scheint, einen ansehnlichen Vorrat zusammengebracht. In ihrem Rausche muß sie, vielleicht vom Stall aus, unsere ungewöhnliche Parade erspäht haben, und es ließ ihr keine Ruhe, bis sie eingedrungen war. Eigentlich hätte ich sie ohne Verzug hinausweisen sollen; aber die Erscheinung war voll bannender Kraft, nie vorher hatte ich Besessenheit so vollkommen gesehen, man konnte sich nicht abwenden, und alle Bedenken schwiegen. Das Gesicht ist von der halb madjarischen, halb romanischen Schönheit, die einem hierzulande oft begegnet; bei nüchternen Sinnen mag es ein sehr anmutiges, eher schüchternes Wesen sein. Jetzt aber drückten ihre Züge zugleich Erstarrung und Entfesselung aus; kein Lachen oder Lächeln hatte Raum in diesem Antlitz, vor Lebensgier erschien es totenhaft. Augenscheinlich ist auch, daß sie sich, trotz dem Werktag, mit ihrem Sonntagsstaat angetan hat; das Kopftuch ist von feiner schwarzer Seide, die pergamentgelbe Weste mit Gold- und Farbenstickereien überreich verziert. Es waren gerade die jüngsten Leute des Bataillons, die noch nackt vor mir dastanden; ihnen näherte sie sich, hob ihnen den Krug entgegen und trank ihnen zu. Nun merkte ich erst, daß ihre Augen fast ganz geschlossen waren; sie schien durch die Lider zu blicken, als wären diese von durchsichtigem Stoff. Als sie einem der Jünglinge den Krug anbieten wollte, reichte sie ihn vorüber einem Unsichtbaren, so daß ihr Gehaben ein wenig an jene wahnsinnige Greisin vom Berge Kishavas erinnerte. Die jungen Leute hatten sich indessen von ihrem Staunen erholt; sie begannen sich zu schämen und warfen ihre Hemden über. Nun war es Zeit, die Szene zu beenden. Dehm und Raab führten die Frau hinaus. Sie ließ es geschehen, ging aber dabei rücklings, den Blick immer ins Innere des Raums gerichtet, singend und mit dem erhobenen Krug winkend.
Nach beendetem Dienste stieß ich im Hof auf den Gefreiten, der den Abmarschbefehl überbrachte. Ihm folgte ein sehr alter Mann in rumänischer Tracht, ein dicht verhülltes Kind im Arm, nahm den Hut ab und fragte, ob ich der Feldgeistliche wäre. Der Säugling, sein Urenkelkind, sei auf den Tod erkrankt und noch ungetauft, kein Priester weit und breit zu finden, ob ich es nicht übernehmen wolle, ihm das Sakrament zu spenden. Mir fiel Unteroffizier Stelzer ein; er ist Kandidat der Theologie und hat bereits die niederen Weihen, – ihn ließ ich rufen und übergab ihm das Neugeborene, dessen Zustand wenig Hoffnung läßt. Auf der Straße sammelte sich bereits das Bataillon, keine Zeit war zu verlieren, und so vollzog der künftige Priester die einfache Handlung, zu der im Notfall eigentlich jeder Christ berechtigt wäre, gleich in der Stube der jungen Bäuerin, die noch immer nicht aufhörte, zu trinken und zu jauchzen, bis Dehm sie heftig anfuhr und ihr unverzüglich Wasser zu bringen befahl, was sie einigermaßen ernüchterte. Die gelassene hart scheinende Art, wie er auch weiterhin mit dem Weibe umging, gefiel mir sehr; sie hob ihn über sein gewöhnliches Wesen hinaus, mir war, als sähe ich ihn zum erstenmal. Indem er fortfuhr, böse mit ihr zu tun, legte er ihr schließlich das Kind in die Arme und gebot ihr, es über das Becken zu halten und zu schweigen. Der junge Stelzer waltete begeistert seines Amtes; klar und ohne Hast sprach er sein lautes Ego te baptizo, während auf der Straße draußen die Kompagnien bereits ihre Tornister aufnahmen. Die schöne Bacchantin nahm sich gewaltig zusammen; eingeschüchtert von der Würde des Vorgangs wandte sie keinen Blick von dem Kinde, dessen Patin sie nun unversehens geworden war. Allmählich war es, als füge sie sich mit heimlicher Lust in ihre sanfte Demütigung; einmal hörte man sie schluchzen, und plötzlich fielen Tränen auf den Täufling nieder, der immer schwächer dem Tod entgegenröchelte.
Ich muß schließen; das Pferd stampft und blickt wiehernd nach mir um. Der Himmel wölkt sich tief herab; kleine Flocken wirbeln. Major und Adjutant sind unruhig und geben keine Antwort, wenn jemand sie nach dem Ziel des Marsches fragt. Wieder soll ein großer Berg an die Russen verloren gegangen sein.
Erwachend glaubte ich durch das dunstige Fenster zwei weiße Tauben zu sehen und stand auf, um mir das Pärchen genauer zu betrachten: da waren es die zwei Ohren eines Maultierschimmels, die sich bewegten. Das abgemagerte Tier stand eingespannt vor einem Schlitten, den Rücken ganz verschneit, zuweilen den Boden aufscharrend, um ein Moos oder eine Wurzel zu finden. Von der Brigade kommt ein Fernruf: der Marsch unterbleibt! Gern läse ich in Glavinas Blättern, bin aber niemals allein am Tisch, nun summen die Sprüche von selber dahin. Drunten am Trotusul ist das Ufer stellenweise noch frei von Eis; klarstes Wasser läuft über Kiesel, die so golden schimmern, daß mir Wilhelms Briefchen einfiel; dem Kleinen zum Gedenken hob ich denn ein paar besonders glänzige heraus, aber da war alles Leuchten verloschen. Dennoch steckte ich einige in die Tasche; dem Söhnchen wird es nicht schaden, wenn ihm sein Vater statt Gold Steine bringt, es sind gar hübsche darunter, alabasterweiße mit lila Geäder, mattgrüne wie Vogeleier getupfte, rötliche und gelbe. Emporsteigend kam ich durch Fichtenwald. Überhängender Fels hält von einem kleinen mit Moos und breitblättrigem Efeu bewachsenen Flecken den Schneefall ab. Dort fand ich auch die Pflanze wieder, die einst dem Knaben palmenhaft begegnet war; in allen Stufen ihres Wachstums umsäumt sie die grüne Insel. Aber liegt es an meinen Augen, die nicht mehr kindlich sind, oder hat sich wirklich das Gewächs von seiner Grundfigur entfernt: nur wenige Stauden erinnern hier ein wenig an die Palme, die meisten sind, indem sie schon unten vom Schaft aus Blätter hervortrieben, wuchernder Entartung verfallen. So mag es oft gehen, daß der Geist des Lebens einen hohen Gedanken denkt; aber das Geschöpf, dem er auferlegt ist, vermag sich beim Nahen der Entwicklung nicht zu halten, lüstern, sich selbst übertreibend, zerbricht es die Melodie, und alles zerstiebt. Was liegt aber dem Leben an milliardenfachem Mißlingen? Es kann den Dorn zum Blatt, das Blatt zur Rose formen; es hat Zeiten und Sterne genug, um umzuzeugen und umzugebären, einmal wird es doch schwingen, wie der Geist es will. Am Heimweg hörte ich in den Baracken fröhlichen Lärm und Gesang, Schnee fällt noch immer; eine stetige weiße unendlich beschwichtigende Bewegung ist der Tag.
Alle schlafen, auch ich schon zur Hälfte; dennoch will ich mir Weg und Ankunft vergegenwärtigen, morgen ist vielleicht keine Zeit. Früher wußte ich ja nicht, wozu man Aufzeichnungen schreibt; jetzt aber sind sie mir wie die Brotkrümchen, welche Hänsel und Gretel im Walde ausstreuten, um gewiß wieder nach Hause zu finden. Freilich, als die Kinder dann wirklich den Heimweg antreten wollten, da hatten die Vögel alles aufgepickt, – aber da beginnt ja auch erst das eigentliche Märchen.
Der Schneefall dauerte noch den ganzen Vormittag. Die Leute hatten innerhalb der Baracken in großen Blechkesseln Feuer angezündet; einige wuschen sich, andere lagen rauchend und lesend auf dem halbgrünen Maisstroh. Jeder spürte nun erst seine ganze Ermüdung, jeder lobte das beharrliche, ruheverbürgende Gestöber. Draußen sah ich einen Mann, der aus Übermut Brot in Schnee packte und über das Barackendach warf. So besprengt man da und dort in Niederbayern zur Weihnachtszeit Schneeballen mit geweihtem Wein und schleudert sie über das Haus, um es vor Unglück zu bewahren. Aber nach zwölf Uhr schneite es nicht mehr; Ostwind öffnete den Himmel, und bald hörte man wieder Schüsse aus schwerem Geschütz das Tal durchhallen. Um die zweite Stunde kam der Marschbefehl. Dem Trotusul entlang zogen wir bald über ungarisches, bald über rumänisches Gebiet. Eine Strecke ging es durch das Gesichtsfeld der Russen, deren Bergstellungen sich dort nahe heranbiegen. Sie bemerkten uns, zielten aber schlecht; Granaten schlugen in den Fluß und jagten Wassersäulen auf, beschädigt wurde niemand. Ciugesu durcheilten wir ohne Aufenthalt und stiegen dann durch ein Seitental aufwärts. Überall ist Schnee zu hohen Wehen durcheinander gebaut; blaue Schattenwände stießen an Wände von brennendem Silber. In Cyges warteten wir über eine Stunde, niemand wußte, worauf. Der Major war vorausgeritten; der Adjutant, wunderlich verstimmt und verstockt, gab keine Auskunft über das Ziel der Bewegung. Einmal, an kahler Gegenwand, springt die Straße schräg nach oben zurück, und während wir als Letzte noch tief unten in Schattenkälte gingen, sahen wir unsere vordersten Gruppen bereits hoch über uns vor orangerot beleuchtetem Gestein aufsteigen und dahinter verschwinden. Diese gehorsam-stetige Prozession grauer Männer, die aus der scharf abscheidenden Helle ins Unbekannte wanderte, zog immer wieder den Blick empor; man freute sich, auch bald auf den hochbeglänzten Steig zu gelangen und vergaß darüber den beschwerlichen Weg.
Oben, während einer kurzen Rast auf weitem Schneefeld, meldete sich ein Infanterist krank, einer der Neulinge, die erst in Palanka zu uns gekommen sind. Während er sich nähert, muß er von Leuten seines Zuges harte Worte hören, ja einer macht Miene, ihm den Weg zu vertreten, und weicht erst auf meinen Anruf zurück. „Achtundzwanzig Monate wart ich auf Urlaub,“ schreit der alte Lutz; „krumm und grau werd ich im Krieg, und du, papieriger Kerl, willst dich am zweiten Tage drücken!“ „Durchhalten, Herr Kamerad, durchhalten!“ höhnt ein anderer. Der junge Mensch, ein verwöhntes Knabengesichtchen unter viel zu großem Stahlhelm, erklärt fast weinend, er habe sich freiwillig zur Front gemeldet und werde wiederkommen, sobald er gesund sei, jetzt aber könne er nicht mehr. Man lacht ihn aus. Sein Atem stößt weißrauchend in die Kälte, und die Augen glänzen von Fieber; aber dafür haben die andern jetzt keinen Blick. Von Müdigkeit und ungewisser Zukunft überreizt, hassen sie wie Verdammte einen jeden, der sich der gemeinsamen Hölle entziehen will. Ich beschloß, die zudringlichen Schreier einfach zu überhören und die Sache kurz zu machen, fühlte den Puls, fragte nach bestimmten Symptomen und wollte eben eins der rotgeränderten Täfelchen nehmen, um die nötigsten Angaben daraufzuschreiben und es dem Kranken an den Mantel zu heften, damit er seinen Weg ins Lazarett antreten könne, da rennt, mit ängstlicher Miene, Dehm daher, entschuldigt sich wegen Verspätung und beginnt nun aus der alltäglichen Sache eine große Angelegenheit zu machen, schiebt die zwei riesigen Ledertaschen auf dem Schnee zusammen, läßt den Mann darauf lagern, befiehlt ihm, Mantel und Rock auszuziehen und meldet mir gestreng, daß Infanterist Löhr zur Untersuchung bereitliege. Nach und nach fing ich wieder einmal an, Dehms überlegene Weisheit zu begreifen. Er hat bedacht, wie gar ansteckend die Neigung, sich krank zu melden, in solchen Fällen werden kann; selber Soldat von festestem Holz, will er lieber grausam scheinen, als die längst gefährdete Zucht gelockert sehen. Ja, die mißtrauischen Späher sollen erfahren, daß es bei uns keine Läßlichkeit gibt, daß wir peinlich wie Krämer die Schwere der Krankheit abwägen wollen. Achtungsvoll, doch unerbittlich, leitet er mich in die Rolle des höchst schwierigen Sanitätsoffiziers hinein, – was bleibt mir übrig, als den frierenden Menschen umständlich abzuklopfen, abzuhorchen, ihm den Fiebermesser einführen zu lassen wie im Spital? Still wird es um uns; im Banne der klinischen Zeremonien erstirbt jedes widerwärtige Wort. An dem schwach Darniederliegenden erkennen die andern allmählich, wie sehr sie selber doch stark und aufrecht sind, und als der Junge wieder angekleidet, gegürtet und mit seinem Krankentäfelchen behangen ist, stapft er unbehelligt wie ein Räudiger gegen Palanka davon.
Vor fünf Uhr hielten wir an einem hohen steilen Hang; man sah in das Tal eines halbvereisten Flusses hinab. Zwischen Häusern brannten Lagerfeuer, in deren Schein österreichische Soldaten ruhig hin und her gingen. Wir standen und schauten. Von Osten scholl Kampflärm; ein breiter Gipfel erschien von Leuchtraketen und Einschlägen vulkanisch, doch nur eine Minute lang, dann reihte sich der Berg unscheinbar grau zu vielen andern. Rings aber schuf der letzte Sonnenrand ein seltsames Licht. Hellgrün lagen die Schatten auf rötlichem Schnee, ein Birkenbäumchen war mit reinstem Smaragd hingezeichnet, und wer vor sich hinsah, erblickte sich selber als grüne Gestalt. Niemand hatte Lust zu reden; man hörte Stückchen gefrorenen Schnees klingend hinunterhüpfen wie leichtes Metall. Auf einmal wehte es kälter, da war auch schon das untergängliche Licht vom Weiß der Landschaft abgelaufen wie von Porzellan. Der Adjutant, auf der Karte suchend, erläuterte, wir stünden über dem Sulta-Tal, und die Häuser gehörten zu dem ungarischen Grenzdorf Sóstelek, von hier aus hätten wir noch sechs Kilometer nach Kóstelek zurückzulegen.
Da sich kein Fußweg fand, stiegen und rutschten wir hinunter wie es ging. An den Feuern vorbei, deren Glut unsere Wangen streifte, zogen wir auf der Straße weiter, von jetzt ab die Front im Rücken. Nach manchen Aufenthalten erreichten wir Kóstelek um elf Uhr. Der abnehmende Mond stand schon hoch, zwei ruhig leuchtende Planeten dicht über ihm. Mit dem Adjutanten, dem Assistenzarzt, dem Ordonnanzoffizier und einigen Telephonisten bin ich in der großen Stube eines Häuschens untergebracht, das abgesondert auf einem Hügel steht. Von einem qualmenden Lämpchen war der Raum halb hell. Ein schönes Weib erhob sich, als wir eintraten, völlig angekleidet, mit zwei ganz verschlafenen Mädchen von einem breiten, mit Heu gefüllten Bettgestell. Sie sah uns an, gefaßt, wachsam. Endlich, mit stolz-gastfreundlicher Geste, gab sie zu verstehen, daß sie uns das Lager abtreten und auf Stroh neben dem Ofen schlafen wollten, in allen übrigen Räumen des Hauses sei es für die Kinder zu kalt. Wir lehnten dies ab und ließen merken, daß wir für uns bleiben und ihre Ruhe so wenig als möglich stören wollten.
Während wir uns zu Tische setzten, kehrten sich die drei zur Wand und sprachen halblaut ein Gebet, manchmal sich verneigend oder sich bekreuzigend, wobei das kleine Schwesterchen sich jedesmal mit aller Faustkraft in die Magengrube schlug. Ich beugte mich vor, um das Kruzifix oder Heiligenbild zu sehen, dem sie solche Verehrung erwiesen; aber da war nur ein Haken, darunter ein heller viereckiger Fleck mit schwarzem Saum an der leeren Wand. Hier also hatte das Bild gehangen, gewiß viele Jahre; nun ist es verschwunden, vielleicht von Soldaten als Brennholz verwendet, wer weiß es, dem Blick der Frommen aber sichtbar alle Zeit. Glavinas Traum fiel mir ein, wie er als Kind über Gebirge ging und auf einem leeren Blatt beseligende Dinge las, unbekümmert um Gewitter und Rufe der Toten.
Die Mädchen schliefen bald wieder; die Frau saß noch eine Zeit am Bette, das Kinn in der Hand. Ihr schmales bleiches Gesicht ist durch allen Kummer hindurch von wunderbarer Beständigkeit und Klarheit. Sie muß Böses erlitten haben und erwartet auch von uns nichts Gutes. Mir kam nun erst die schreckliche Kahlheit des Zimmers zum Bewußtsein. Nicht nur das eine Heiligenbild fehlt, auch andere Tafeln sowie Kreuz und Uhr sind bloß durch Staub und Spinnenweben angedeutet.
Der Adjutant wurde jetzt gesprächiger; er verriet uns, daß die Russen weit vorgedrungen seien und den Gymespaß gefährdeten, wir müßten uns auf unruhige Tage gefaßt machen. Übrigens sei die Lage nicht klar, er wenigstens wisse keineswegs genau, welche Berge vom Gegner besetzt seien.
Immer weniger gern ruf ich mir Träume zurück; der aber war so klar, so voll Hindeutung. Wir lagen wieder in Frankreich, in dem traurigen verödeten Gebiet bei Margny-aux-cerises in Bereitschaft. Starker Wind wehte; Granaten wechselten eintönig über uns. Furcht lag auf mir. Mein Leib hatte nahezu völlig sein Gewicht verloren; ich fühlte mich wie eine Flaumfeder leicht und mußte gewärtigen, daß der zunehmende Wind mich alsbald emporheben und zu den Franzosen hinübertragen werde. Da schmiegte sich etwas an meinen Ellenbogen, und siehe, es war Matschka, das graue Kätzchen, das ich in Kézdi-Almás hatte sterben sehen. Groß und hübsch war es geworden, das weiße Flöckchen im Nacken glänzte wie ein Licht. „Wie geht es dir?“ sagte ich und wollte es streicheln; da sprang es mit weitem Satz in einen der wassergefüllten Granattrichter, verschwand und tauchte nach einer Weile wieder auf, eine schimmernde, mit roten Zeichen bemalte Granate im Maul, die es herantrug und in demütiger Haltung vor mich hinlegte. Wie froh war ich! Die Granate ist schwer, sagte ich mir, – wenn ich sie in der Hand halte, kann mich der stärkste Wind nicht mehr mitnehmen. Als ich sie aber ergriff, war es kein Geschoß mehr, sondern ein zappelnder, goldgrauer Fisch mit rötlichen Punkten. „Der muß gebraten werden!“ rief eine wohlbekannte Stimme hinter mir. Ich sah mich um, da stand Vally vor einem Herdfeuer, neben ihr Wilhelm, und auch dieser schrie: „Der muß gebraten werden!“ Sonderbar lächelnd nahm Vally den Fisch und übergab ihn dem Söhnchen, das ihn zum Herde trug. Dann legte sie sich zu mir nieder; wir umarmten uns und drängten uns innig aneinander, wobei mir ein wenig auffiel, daß sie wohl Vally war, zugleich aber auch Regina, dann wieder die Ungarin, die hier in der fremden Stube schlief. Aber wie liebte ich die drei Frauen in der einen Gestalt! Wie waren sie wirklich ein Wesen, mächtig seiend eine in der andern! Freilich, irgendwo in der Tiefe, wo der Traum selber zu träumen schien, war etwas Dunkles, ein stiller Einwand, der uns nicht ganz zur Freude kommen ließ; aber auch das ging vorüber. Sie versteht kein Deutsch, ich kein Madjarisch, fuhr es mir durch den Sinn, und dieser Gedanke gab mir unendliche Freiheit; selig fühlte ich meine Schwere in mich zurückkehren. Dabei löste sich eine blaue, aus innen leuchtende Wolke von uns ab, stieg empor und entfernte sich bis zum Horizont hinaus. Wir standen auf und betrachteten aufmerksam dieses Gewölk, an dessen Rande sich lange Reihen winziger blinkender Wesen, Insekten ähnlich, entwickelten. Sie näherten sich und wurden dabei groß und kriegerisch. Am Ende waren es wirkliche Soldaten mit silberblauen Stahlhelmen, von rotgeflügelten Generalen geführt; in schräger glänzender Flucht zogen sie zahllos über uns hin und durch uns hindurch wie durch Rauch. Auf einmal stand Wilhelm neben mir, zur Reise gegürtet, einen Stab in der rechten Hand, in der linken einen Teller mit dem Fisch. Ich stand auf, gab dem Knaben zu essen und aß dann selber. Kaum hatte ich einen Bissen hinuntergeschluckt, da begann ich zu begreifen, daß es doch eigentlich drei verschiedene Frauen gewesen waren, die ich umarmt hatte, und das bekümmerte mich sehr. Wilhelm aber ließ mir keine Zeit zu grübeln, – „Vater, es ist Zeit!“ rief er und stieß ungeduldig den Stab auf den Boden. Wir gingen einer Ferne entgegen, die ganz in Flammen stand, da machte ich die Augen auf und sah in ein helles Ofenfeuer hinein. Die junge Frau setzte gerade einen großen Kessel auf die zischende Platte.
*
Alle sind nun aufgestanden; bloß die zwei Mädchen schlafen noch. Der Adjutant wünschte guten Morgen und fragte, ob es mich nicht sehr ermüde, immer so viel in mein Heftchen zu kritzeln; er zerbreche sich den Kopf darüber, was ich denn so Merkwürdiges zu verzeichnen habe, im Grunde sei der ganze Feldzug doch ein gräßlich langweiliges Einerlei. Übrigens möge ich doch vorsichtig sein und keinerlei militärische Tatsachen erwähnen, wir kämen in ein schwieriges, unübersichtliches Gelände, da seien die größten Überraschungen denkbar, und falls ich das Unglück hätte, in Gefangenschaft zu geraten, könnte wohl Schaden entstehen. Es gelang mir, ihn zu beruhigen. – Die junge Frau hantiert noch immer am Herde. Von allen Gesichtern, die mir bisher in diesem Grenzgebiet begegneten, hat sie das feinste, klarste, entschiedenste; nichts Verschwommenes, nichts Liegengebliebenes findet sich darin; es verhält sich zu vielen anderen wie die Ausführung zu den Skizzen. Meine Müdigkeit von gestern ist verflogen, die ziemlich wunden Sohlen beinah geheilt. Gewiß ist es die gesunde Urnähe des Weibes, die den Schlaf so erquickend gemacht hat. Die Winterluft schmeckt, als wäre ein säuerliches Mineral darin aufgelöst. Die Sonne saugt am bläulich morschen Mond. Im Osten schimmert himmelgelb das Eis der Sulta. Auf einmal beginnen die Kanonen zu schlagen, da werden die Kinder wach.
Um acht Uhr waren wir abgerückt und in kaum einer Stunde nach Sóstelek zurückgelangt. In den Höfen sah man die Bewohner arbeiten; Knaben bauten einen Schneemann. Staunendes Gedränge war um ein österreichisches Brigadequartier; hier hing, an den Hintertatzen aufgeknebelt, eine riesige tote Bärin zwischen ihren zwei Jungen von der Altane herab, und eben erhoben zwei Husaren lange Messer, um die Tiere aufzuschneiden. Soldaten und Volk, darunter viele Weiber mit mohnroten Kopftüchern, sammelten sich um das ungewöhnliche Geschäft, und niemand verlor einen Blick an unseren eiligen alltäglichen Zug.
Bis neun Uhr ging es weiter durch unversehrte Landschaft unter waldigen Hügeln hin, aus denen graue Holzhütten preußischer Pioniere wie Klausen von Einsiedlern hervorsahen; es war, als gingen wir mitten in ein altes Bild hinein und würden ein Teil davon. Der Luft war etwas Föhn beigemischt; abgleitender Schnee hing locker wie Tuch von starken Ästen. Das Tal ist voller Vögel; wir sahen Raben, die immer sonderbare Seitensprünge machten, als ob ihnen jemand auf die Zehen träte; Dompfaffen, die Brust wie blutend, überflatterten die Straße. Auf einmal bog sich das Tal, der Wald verschwand zuweilen, und bald, im verengten Flußbett, verkündete sich wieder der Krieg. Zerbrochene Räder und Lafetten standen aus dem Eis, daneben Geschützrohre mit verkrümmten und zerrissenen Mäulern. Ein Vogelschwarm, Blaumeisen, Kleiber und Emmerlinge, stob aus Fichtendickicht auf; darin, fast schneefrei, lag ein vollkommenes Pferdegeripp, noch alle vier Eisen an den Hufen, das Ganze wohl mehr vom Frost als von den mürben Kapseln der Gelenke zusammengehalten, von Muskel oder Sehne nichts verblieben, etwas Haut am Schädel das einzige, was den spitzen Schnäbeln der zierlichen Vögel noch abzupicken bleibt. Fast hätten wir daneben einen schön gesäuberten und gebleichten Totenkopf übersehen, auf dem noch verwegen die Rumänenmütze sitzt; was etwa sonst noch von dem Manne übrig ist, liegt im Schnee verborgen. Etliche behaupteten, von links her Gefechtslärm zu hören, auch mir kam es so vor, andere bestritten es. Mancher hielt es für bedenklich, in der engen, blickverstellenden Schlucht vorzurücken, da doch niemand genau die Lage kenne. Neue Berge hatten sich erhoben, zunächst ein breiter, schwarz bewaldeter, der das Tal östlich absperrt. Er heißt Vadas; die Russen sollen sich vorgestern auf seinem Gipfel verschanzt haben. Einmal teilt sich die Straße, um gleich wieder zusammenzulaufen; in der Gabelung steht eine Dampfbrettersäge mit ausgedehnten Seitengebäuden. Massen deutscher und österreichischer Munition sind hier aufgestapelt, und mit gutem Fug rügte der Major, daß dieser Vorrat, in dem ein einziges Feindgeschoß unermeßliche Wirkungen auslösen könnte, noch nicht geräumt werden sei. Woher aber hätte man in den zwei Tagen Fuhrwerke, Gäule und Leute genug nehmen sollen, um alles zurückzuschaffen? So blieb auch uns nichts übrig, als tadelnd vorbeizuziehen und alles zu lassen wie es ist. Nach einer halben Stunde hatten wir die bretterne Hütte erreicht, in der ich jetzt mit meinen Leuten hause. Sie ist als Verbandraum recht leidlich eingerichtet. Stabsarzt S., den ich ablöste, erzählte sehr überzeugend seine Erlebnisse von den letzten Tagen. Einige Züge seines Bataillons hatten gerade das Dörfchen Sulta besetzt, das hinter dem Vadas liegt, als die Russen, die man auf der Flucht glaubte, zurückkehrten und mitten im Schneegestöber mit höchstem Ungestüm angriffen. Ein deutscher Zugführer fiel; seine meisten Leute wurden gefangen oder getötet. Der Arzt konnte sein Quartierhaus gerade noch durch die Stalltür verlassen, als bereits ein tscherkessischer Offizier vorne den Hof betreten hatte: Zeißglas, Verbandtasche und ein unersetzbar schöner Pelzmantel mußten zurückbleiben. Am folgenden Morgen brachten pfälzische Truppen den feindlichen Marsch zum Stocken; aber der Vadasgipfel ist verloren. Übrigens bezeichnet S. die beiden hier im Tälchen verbrachten Tage als reine Erholung; kein Schuß ist bis jetzt hereingefallen. Freilich, meinte er lachend, könne diese verwunderliche russische Friedsamkeit auch von dem schwierigen und ganz verschneiten Gelände kommen, das die Beförderung der Geschütze sehr verlangsame. Unser Major meinte, mit seinen Fernrohren überblicke der Gegner das Tal bis in die letzten Winkel, er werde nicht lange dulden, daß wir uns hier herumtummeln. „Der Assistenzarzt“, entschied er, „geht auf alle Fälle bis zum Fuße des Vadas mit. Wir bauen dort einen Unterstand ein; es kann keine besser geschützte Stelle geben. Bleiben Sie lieber hier, so will ich Ihnen nicht entgegen sein.“ Ich hatte mir indessen schon die Verteilung des Raums zurechtgedacht und fand allerlei Gründe für mein Bleiben, merkte aber, daß mich der Alte ungern zurückließ.
Es ist ruhig; weder Kranke noch Verwundete kommen, selten fällt auf dem Berg ein Infanterieschuß. Ich verfaßte mit Raab den fälligen Rapport, begann auch noch Briefe zu schreiben, aber der Schlaf wird übermächtig. Die Hütte ist voll Tabaksqualm; das Paraffinflämmchen leuchtet schlecht und schneidet mir böse Gesichter. Alle haben sich schon hingelegt; nur Kristl schnitzt noch Schienen. Er tut immer still und willig, nur manchmal etwas ängstlich, seinen Dienst.
Im Traum sah ich eine schwarze Wolke, die sich um den Vadasgipfel legte, und ging nach dem Erwachen gleich hinaus, um zu sehen, ob sich der erste Traum im neuen Haus erfülle. Die Luft ist aber noch durchsichtiger als gestern; der Frost, mit gläsernen Pranken, tritt weit in das fließende Wasser hinein. Verwundete sind gekommen mit schlimmem Bericht; unverhohlen freuen sie sich ihrer durchschossenen Hände und Arme. Die Tscherkessen haben den ganzen Gipfelwald mit Stacheldraht umflochten; unangreifbar sitzen sie hoch über der deutschen Stellung, die sie durchaus überschauen. Die Unsrigen müssen bei Tage wieder geduckt hinter Felsbrocken liegen; der gestrige Nachmittag kostete fünf Leuten das Leben. Im Tälchen ist es noch still. Ich habe mir Wein eingeschenkt und krame wieder einmal in Glavinas Zetteln. Leider sind mehrere verloren gegangen, und ich muß wieder manches aus dem Gedächtnis hervorspinnen, wobei wie von selber viel Eigenes dareinfließt. Was tuts! Genügen vom Kalium permanganicum doch zwei, drei Körnchen, um ganze Krüge Wassers rot zu färben.
Major und Stabsarzt haben doch recht vermutet: die Russen beginnen leichte und mittlere Kaliber auf die Straße zu werfen, schon sind ihnen einige Fußgänger zum Opfer gefallen. Viel gelacht wurde vorhin über einen jungen Fußverletzten vom Vadas, der hartnäckig erklärte, nicht laufen zu können und sich darauf versteifte, daß er nach Sóstelek getragen oder gefahren werden müsse, beim ersten Granateinschlag aber wie ein Wiesel davonlief. Rehm und Raab glauben, unser Hüttchen werde bis in einer Stunde nicht mehr stehen. Meldung an den Major; Anfrage, ob wir nunmehr den Verbandplatz zum Vadas vorverlegen sollen. Rehm erbietet sich, das Blatt zu befördern, bedingt sich nur aus, daß er allein gehen dürfe. Auf einen einzelnen Mann, meint er, werde Artillerie schwerlich schießen. Ich gebe ihm den Rest des Weines mit und lasse zusammenpacken.
Wir liegen hinter einem Felsenvorsprung der Schluchtwand; ich glaube, der Platz ist gut gewählt, eigentlich kommt weit und breit kein anderer in Betracht. Die Russen möchten uns gerne herausschießen und sparen keine Munition; Raab, als alter Artillerist, weiß uns aber zu überzeugen, daß es nicht gelingen kann, sie mögen zielen wie sie wollen. Ich hätte bei einem Haar den Augenblick verpaßt. Raab wird nicht müde zu schildern, wie sehr eindringlich er mir vorgestellt habe, daß es an der Zeit sei, den Platz aufzugeben, ich habe ihm, sagt er, auch beigestimmt, ihnen vorauszugehen befohlen und unverzüglich zu folgen versprochen, dann aber muß mich wohl Glavinas dunkle Rede länger festgehalten haben, als mir bewußt war. Draußen fuhr eine Granate nieder, die blind im Boden stecken blieb. Das Gebäudchen schwankte krachend; Staub und Schutt fielen auf das Papier. Ich sah mich um und war allein, hörte aber fernher meine Leute nach mir rufen. Sie konnten sich übrigens des Lachens nicht erwehren, als ich, in der linken Hand meine Blätter, in der rechten das halbvolle Weinglas, durch die Sulta zu ihnen hinüberstieg. Bald kamen weitere Schläge, und wie ein Kartenhaus flog die Bretterbude auseinander.
Rehm ist heil zurückgekehrt. Der Major befiehlt, in der nächsten Feuerpause den Verbandplatz nach Sóstelek zu verlegen. Dort, meint er, könnten wir mehr nützen als anderswo, Beschäftigung werde nicht lange fehlen. Rehm sagt, er habe sich mit einer Herzlichkeit, die man bisher an ihm nie wahrgenommen, nach mir und meinen Leuten erkundigt und sich über unsere Erhaltung sichtlich gefreut, im übrigen leider sehr gealtert und bekümmert ausgesehen. Auch Leutnant H. sendet Grüße; von seiner Stellung aus hat er die Talbeschießung verfolgt, freilich nur mit einem einfachen Fernglas, und uns alle tot oder verwundet geglaubt. Noch ist kein Gefecht im Gang, die Lage aber unerträglich; falls der Tscherkesse nicht angreift, muß er angegriffen werden. Nächste Nacht sollen schwere Minenwerfer hinaufgeschafft werden, um den Gipfelsitz zu zerstören. Bei uns ist es ruhiger geworden; selten fällt noch ein Geschoß. Verzeichnen muß ich ein Gerücht, als habe der deutsche Kaiser den Feinden Frieden angeboten. Wir bereiten uns zum Gang nach Sóstelek.
In künftigen Kriegen, zu Wasser, zu Land und in der Luft, werden sich gewiß absonderliche Lagen genug ergeben. Ob aber eine wie die unsrige schon dagewesen ist? Seit halb drei Uhr hatten die Russen ihr Schießen eingestellt; bei tiefer Stille waren wir, in gehörigen Abständen, zurückmarschiert und etwa fünfhundert Schritt bis an das große Sägewerk herangelangt, als eine der preußischen Batterien, die nahe vor Sóstelek stehen, zu schießen begann. Sie muß dem Gegner etwas Arges angetan haben; denn auf dem Fuße, Schlag um Schlag, erfolgte maßlose Gegenwirkung, und bald konnten wir uns nicht mehr darüber täuschen, daß auch unser kleiner Zug aufs Korn genommen wurde. Ich erwog die Umkehr, doch schien sie fast bedenklicher als der Weitermarsch, und so liefen wir denn fort, auf das Gebäude zu. Viele Geschosse schon waren uns nachgerasselt, das letzte gerade noch fehlend, da kam eines, dem gleich nach dem Abschuß anzuhören war, daß es auf uns zuhielt. Funken flogen auf, und während ich mir mit beiden Händen den Hinterkopf zu schützen suchte, war ich niedergeworfen und von Erdklötzen halb eingegraben, dann trat Stille ein. Glieder und Gelenke prüfend, erkannte ich mich als unverwundet, stand auf und sah nach den übrigen. Rehm, behangen mit Erde und Eis, die Wangen leicht blutend, richtete sich eben empor und lächelte mich etwas betreten an; die andern standen seitlich, wie Statuen an die Felsen gestellt, und starrten auf den tiefen schwarzen Trichter, der nun in ganzer Breite die Straße unterbricht. Ernstlich verwundet war niemand. Jetzt schien sich die russische Wut von uns abzuwenden, und froh des glimpflichen Ausgangs wollten wir unsern Weg fortsetzen, da geschah etwas Neues. Eine Granate fuhr mitten in die Säge hinein, die wir nahezu erreicht hatten; eine Explosion erfolgte, dann eine zweite, dann fünf, dann unzählbare, und überall aus Dächern und Wänden zwängten sich die Flammen. Wären wir in diesem Augenblick mit aller Kraft weitergerannt, wir wären gewiß noch durchgekommen und säßen vielleicht beim Bärenschmaus in Sóstelek. Aber ohnedies noch leicht betäubt, sahen wir uns nur mit schauderndem Vergnügen das Ereignis an und versäumten die günstige Minute. Die Gegner ihrerseits begriffen schnell, was sie angerichtet hatten; übermütigen Knaben gleich, schossen sie wie rasend in den Brand hinein, und noch immer, in schrecklich langsamer Steigerung, entladen sich unaufhörlich die massenhaft aufgeschichteten Patronen, Handgranaten, Schrapnelle, Granaten und Minen. Wir brauchen uns nicht an die Wände der Schlucht zu schmiegen; die starken Luftwellen pressen uns an. In uns und um uns ist ein Summen und Beben, als würden Luft, Gestein und wir selber gleichmäßig elektrisiert. Die Sprengstücke fliegen weit. Dem Gefreiten Junker hat ein Splitterchen die Ohrspeicheldrüse durchschlagen; das Blut spritzt in langem dünnem Strahl in den Schnee, ist aber leicht zu stillen. Mir ist die linke Hand geritzt; es blutet wenig. An der Säge selbst, besonders nach der offenen Seite hin, mag es dichte Streuungen geben. So hat uns der Feind gewissermaßen eine Festung in den Weg gesetzt, an der wir nicht vorbeigelangen können. Immer noch zürnt er gewaltig; unsere fernversteckten Batterien fahren fort, ihn zu reizen, er findet sie nicht und rächt sich an den paar Leuten, die er sieht. Der kleine Lüttich, vielleicht von einer Art Platzangst erfaßt, kam auf den Einfall, aus der Schlucht herauszuklettern und das offene Gelände zu erkunden; er ist mit zerschmetterter Schulter zurückgekehrt. Die schlecht verwaltete Festung drüben fährt fort, zu verschwenden; bald wird sie sich ausgegeben haben. Schließt man die Augen, so hat man das Gesicht einer fürchterlichen, auf kleinsten Raum zusammengeballten Schlacht, von der nichts bleiben wird als Asche und Gebein. Wie langsam rückt die Sonne! Aber auch durch böse Stunden läuft der Zeiger. Um fünf Uhr muß es dunkeln. Um sieben Uhr können wir in Sóstelek sein.
Die Sonne verläßt schon die unteren Felsen. Man friert nicht; der Brand wirkt herüber, Schnee tropft vom Gestein. Auch die rings aufgeschichteten Bretter stehen in Flammen. Die Entladungen dauern an. Oben am Gipfel ist man noch wachsam. Rehm glaubte nicht mehr an die Gefahr, ging versuchsweise eine Strecke der Front entgegen, erhielt Feuer, kehrte zurück, unverwundet. Über uns ist starre Klarheit; das Föhnige hat sich wieder aus der Luft verloren. Auf naher Birke wippt ein winziger grauer weißbauchiger Vogel; Schnee naschend von jedem Zweige, hüpft er unermüdlich auf und ab. Keiner der Genossen ist niedergedrückt. Ja, die gepreßte Stunde, wo Tod und Leben dicht beisammen sind, es ist, als festige und läutere sie den Grundstoff der Naturen, und wie eine schlechte Bleiglocke, getaucht in reinen Sauerstoff, auf einmal klingt wie eine silberne, so beginnt jeder in seinem eigensten Wesen zu tönen. Mancher erzählt von seiner Kindheit, und fast jeder will einen anderen beschenken. Von Kristl befürchtete ich sehr einen Rückfall in die Verstörung; aber er ist ganz gelassen. Den Lüttich hat er aufs beste verbunden, dann aus Brot einen drolligen kleinen Bären geknetet und ihm eine von seinen Goldmünzen ins Maul gesteckt. Wie eine Weihgabe stellt er das Figürchen in einer Felsennische auf, die will er mit Hölzern und Kieseln zubauen, einmal werde schon jemand das Bärlein finden, und es solle ihm gehören samt dem Goldstück, auch wenns ein Rußki wäre. Lüttich, unter Morphium gehalten, schläft. Mir aber vertreiben die Sprüche des Toten die Zeit. Um einigen Überblick zu bekommen, las ich sie einmal alle nacheinander herunter, zuerst leise für mich, bis ich merkte, daß die Kameraden zuhorchten, dann sagte ich ihnen, daß es ein Gedicht sei, das man bei dem gefallenen Glavina gefunden habe, und wiederholte mit lauter Stimme:
„Laßt uns den Hügel bauen am Berge Kishavas, ein Mal den Getöteten auf der bereiften Felsen- und Wacholderflur!
Dem Gesetze treu, ohne Klage, unbemerkt, bluten sie hin auf den fremden Steinen, wo kein Eichbaum grünt.
Wie das endet, wer schaut? Finster brüten Völker. Habet acht, o Freunde! Seht ihr einen Sterbenden, demütig bittet ihn, daß er heilsam sterbe, keine Flüche denke! Bald ist alles Vorspiel nur. Alle gehn wir morschen Weg. Tote Hände, bedeckt sie mit Wacholderzweigen bläulich düster!
Wer aber heimkehrt, halte Bereitschaft! Jeden mit anderer Stimme ruft Gott. Ein grader Wandel ist euer, ein langer Werktag, selten ein Fest, selten ein feiernd Lied. Schlummert wachsam wie die Gemse schläft!
Denkt grauer Wahrsagung! Feindseliger Schein traf die Länder. Kaum atmet noch der Glühende, der vom Pol her den Fluch-Engeln wehrt.
Unsern Schlaf überschleicht ein stummer Mut-Ermüder, Vogel von Antlitz, doch nicht beschwingt, unzeugerisch, ob auch elektrische Kräfte verströmend. Wollüstig alle beugt er, selbst unbeugbar.
Die strengen bindenden Worte fallen aus Kindes Gedächtnis. Raben tragen die goldnen Bücher aus dem Heiligtum.
Opfer, was frommen sie noch dem, der den Ruf überhörte? Der Dom stürzt ein über Altar und Beter, und abgesprengt, noch klingend vom Pilger-Bittgesang, ins Meer hinaus, verbrennend, schwimmt die Brücke.
Der Geist wird stehn vor der Tür seines eigenen Hauses und nicht heim finden. Gras wächst auf der Schwelle des Meisters und Herrn. Dessen Seele ist Eis geworden, klares, rundes, gediegenes Eis, und alle Lust wund und wirr wie der Fisch unterm Eise sich freut.
Der du heimkehrst, halte Bereitschaft! Wirf ab die kleinen Träume! Stifte klares Vergessen! Segne dich ein in ein eigenes Gebot, und bevor du umschritten dreimal das heilige Feuer, schlafe nicht bei deiner Braut!
Selig, wer Flügel regt mitten in Zeiten-Gruft! Heil schöpft er aus Unheil. O, und wenn Welt vergeht und neue erst unkenntlich gärt, immer dann schwebt eine tiefe blaue Stunde voll Freiheit und voll Hellgesicht, wo Rhythmus-Woge Geister hebt, bis die ganz neues Ufer schaun und nun erst recht sich freun des Flugs!
Sonne, die große Seele, weiß nichts von Auf- und Untergang, und brennt sie nicht in uns? Geschieht nicht stündlich fern und nah beherzte Liebestat? Das Innig-Ewige, wehts über Meere nicht von Stirn zu Stirn als wie ein Hauch? Und sinds die zarten Hauche nicht, aus denen Gott-Sturm wächst?
Kommet, Boten der Gnade! Wohnet nicht länger auf Bergen, besucht von toten Sehern, bei Adlern wolkenfeucht! Erscheinen herztrunken, wo bei verloschnen Herden Geschwister glühend harren! Wecket, weckt uns den Ruf!
Wie soll auferstehn, was nie begraben ward? Geht um in zwölften Stunden! Lest auf aus taubem Schutte das oft zerbrochne Menschenbild! Mauert es heimlich ein unter die neuen Gebäude! Ihr kündet keine neue Lehre; schon viel ist uns gelehrt. Auf schwebender Grenze von Licht und Urnacht naht ihr euch singend. Wen ihr grüßet, der ändert sein Leben. Euer himmlisches Lied geht über in jedes Gewissen.
Ihr wandelt harte Kette in leichten Zauberzügel. Der Gefesselte lenkt seinen Feßler, und beide erkennen die Freiheit.
Und wer, an Erbschaft gebunden, verwurzelt in Unterwelt, mit Milch und Korn sparsam genährt, sich als ein Bleibender wandelt, suchet am Sonntag ihn heim! Saget auch ihm Gefahr und Herrlichkeit unsers Lebens! Dann mag er dem Erdreich getrost vielfältige Frucht abgewinnen! Nur was ihm zukommt, behält er. Fromm wirft er den ersten Schnitt in die Säule des ewigen Brandes, die Nahrung der Geister zu mehren.
Auf Rinden und Gesteinen wie Wandrer alter Zeit hinterlasset ihr Zeichen einander, sogar in Sand und Schnee, und fällt euch der Tod an am Wege, vergehend lockt ihr noch mit Speise und sanfter Beschwörung wilde Vögel vom Himmel, schreibt auf weißen Fittich pupurne Liebesrunen.
Wir aber bauen ein Grabmal am Berge Kishavas, ein Mal unsern Toten auf der bereiften Felsen- und Wacholderflur!
Noch wintern Rumäniens Gipfel, am Himmel aber ist Frühling. Die Haut der Birke wird bräunlich und blättert ab, darunter schimmert silbern schon die neue. Wir wirbeln hin wie Laub in fremde Felder, – was quillt aus unserm Tod?
Glauben, sternhaft gesammelt, laßt ihn glühn mit beständigem Licht! Vielleicht nach Monden und Jahren trifft es den reinen Kristall der göttlich erstarrten Seele. Die zwar bleibt Eis, die schmilzt nicht mehr; aber wie eine Linse, unwissend, biegt sie vielfarbige Strahlen zu fernem Brennpunkt hinüber, da schlägt neue Flamme aus uraltem Boden.
Vermorscht sind schon die Leichen am Berge Kishavas, verrostet unsre Schwerter, vergessen unser Kranz, da freuen Menschen sich wieder unschuldig des Brotes und Weines, die uns verbittert sind. Aus wildem Ahnendrang ist lockere Krume bereitet, die Seele frei zu nie gewagtem Opfer. Aus erschüttertem Blut steigen kühne Beginner, und die Satzungen sind Gesang.“
Das Ganze war mit Schweigen angehört worden. Endlich äußerte Raab, er habe nur Weniges recht verstanden, doch gefalle es ihm, er sei ganz fröhlich davon geworden. Die anderen schauten zu dem niederbrennenden Gebäude hinüber und sagten nichts. Leider geschah noch etwas höchst Unerwartetes. Der kleine Lüttich erhob sich auf einmal und ging stark taumelnd auf die Säge zu. Einer schrie Halt, ein anderer lief ihm nach; er aber, vielleicht im Fieber, vielleicht in Morphiumbenommenheit, schwankte weiter und fiel plötzlich, weich einbrechend, zusammen. Wir holten ihn heran, er war tot. Ein schmaler Eisensplitter stak in der linken Schläfe. Um dreiviertel fünf Uhr feuerten die Russen noch einmal aus allen Rohren, doch nur eine halbe Minute lang. Um fünf Uhr, wie auf Befehl, hörten die Explosionen im Sägewerk auf. Dämmerung und Nacht bezogen das Tal. Kristl fertigte für Lüttich ein Kreuz und schrieb Namen und Datum darauf. Uhr und Erkennungsmarke wurden abgenommen und verwahrt, hierauf begruben wir ihn. Der Boden ist bis tief hinab gefroren, wir brauchten über zwei Stunden. Schnee und Sterne gaben schwaches Licht. Um zehn Uhr erreichten wir Sóstelek.
Gedruckt bei Fr. Richter
in Leipzig
Hans Carossa:
Doktor Bürgers Ende. Letzte Blätter eines Tagebuchs. Zweite Auflage. In Pappband M 3.50, in Halbleder M 6.–
Gedichte. Dritte, veränderte Auflage. In Pappb. M 4.–
Eine Kindheit. In Pappband M 4.–
Hier ist dies Lied einer Jugend: Ein Arzthaus in einem oberbayrischen Dorf ist die unruhevolle Umgebung, in der ein Ich, eine Menschenseele sich bildet. Die klare Epik großer deutscher Erzählerart formt Szene um Szene, Bild um Bild in männlich aufrichtiger Realistik: aber aus dieser Wirklichkeit steigt bald der Duft der Liebe, blühende Lebensfroheit, ernste Gottestiefe. Diese „Kindheit“ wird bald zu den klassischen Büchern deutscher Offenbarung gehören.
Leipziger Neueste Nachrichten.
Das Buch ist so ohne Anfang und ohne Ende, wie das Leben ohne Anfang und ohne Ende ist, und hinter den alltäglichen Vorgängen lebt ein Raunen und Wehen von dem tiefen Geheimnis, wie der Saft in der Pflanze steigt, wie das Blut in den Adern kreist, wie die Erde um die Sonne schwingt und wie alles untereinander zuinnerst verbunden ist. Ein Buch, das oft zum Aufblicken und Augenschließen und Nach-Denken, Nach-Fühlen zwingt, ein beseeltes Buch ist es, das von innen heraus ganz eigen leuchtet.
Frankfurter Zeitung.
INSEL-VERLAG ZU LEIPZIG
Anmerkungen zur Transkription
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End of the Project Gutenberg EBook of Rumänisches Tagebuch, by Hans Carossa *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RUMÄNISCHES TAGEBUCH *** ***** This file should be named 63410-h.htm or 63410-h.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/6/3/4/1/63410/ Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net. This book was produced from images made available by the HathiTrust Digital Library. Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. 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