Project Gutenberg's Lips Tullian und seine Raubgenossen, by Ernst Frei This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have to check the laws of the country where you are located before using this ebook. Title: Lips Tullian und seine Raubgenossen Eine romantische Schilderung der Thaten dieses furchtbaren Räuberhauptmanns und seiner Bande, welche im Anfange des 18. Jahrhunderts ganz Sachsen, Böhmen und Schlesien mit Furcht, Schrecken und Entsetzen erfüllte Author: Ernst Frei Release Date: October 29, 2018 [EBook #58190] Language: German Character set encoding: UTF-8 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK LIPS TULLIAN UND SEINE RAUBGENOSSEN *** Produced by the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by SLUB: Sächsische Landesbibliothek - Staats - und Universitätsbibliothek Dresden at http://www.slub-dresden.de ) #################################################################### Anmerkungen zur Transkription Der vorliegende Text wurde anhand der 1854 erschienenen Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Inkonsistente Schreibweisen, insbesondere bei ‚eingedeutschten‘ Ausdrücken, wurden beibehalten (z.B. Bajonet/Bajonett/Bajonette). Altertümliche Ausdrücke wurden nicht an die heute übliche Schreibweise angepasst; einige Vorsilben, beispielsweise ‚auf-‘ und ‚aus-‘ werden teilweise anders verwendet als im heutigen Sprachgebrauch. Umlaute in Großbuchstaben werden meist in ihrer Umschreibung (Ae, Oe und Ue) dargestellt. Das Inhaltsverzeichnis sowie das Abbildungsverzeichnis wurden vom Bearbeiter an den Beginn des Buches verschoben. Die Titel einiger Kapitel im Inhaltsverzeichnis wurden entsprechend der Kapitelüberschriften im Text geändert. In der diesem Buch zugrundeliegenden Originalausgabe wurden versehentlich die jeweils ersten Seiten der Kapitel XXXII (‚Neue Unthaten der schwarzen Garde‘) und Kapitel XXXIII (‚Jockels Tod‘) vertauscht, worauf auch die Fußnote im Inhaltsverzeichnis hinweist. In der vorliegenden Bearbeitung wurde die wohl ursprünglich beabsichtigte Reihenfolge aber wiederhergestellt. Die erwähnte Fußnote war in der gedruckten Fassung irrtümlich dem Kapitel XXI des Inhaltsverzeichnisses zugeordnet; in der elektronischen Version wurde diese nun, dem Sinn entsprechend, dem Kapitel XXXII zugewiesen. Besondere Schriftschnitte wurden in der vorliegenden Fassung mit den folgenden Sonderzeichen gekennzeichnet: fett: =Gleichheitszeichen= gesperrt: ~Tilden~ Antiqua: _Unterstriche_ #################################################################### Lips Tullian und seine Raubgenossen. Eine romantische Schilderung der Thaten dieses furchtbaren Räuberhauptmanns und seiner Bande, welche im Anfange des 18. Jahrhunderts ganz Sachsen, Böhmen und Schlesien mit Furcht, Schrecken und Entsetzen erfüllte. Von ~_Dr. Ernst Frei._~ Mit fein colorirten Abbildungen. ~=Neusalza,=~ Druck und Verlag von =Louis Oeser=. =1854.= Wer ist der Mensch? -- Auf beiden Wegen Zu ihm hinab, zu ihm hinan Weht uns ein Gotteshauch entgegen Und kündigt uns den hohen Menschen an. Es flammt in ihm ein reines Gottesfeuer; Hoch flammt es auf; doch stürzet er einmal Sich von sich selbst herab: ein solches Ungeheuer Birgt keine wilde Kluft, verhüllt kein grauses Thal. Mit Zittern staun’ ich seine Höhen In schrecklich wüsten Trümmern an! Wie hoch muß nicht ein Wesen stehen, Das so erschütternd fallen kann. ~Tiedge.~ Verzeichniß der Abbildungen mit Angabe, wohin sie gehören: 1) Titelkupfer: Der schwarze Wenzel und Lips Tullian, oder zu Seite 11 gehörig. 2) Zu Seite 18 gehörig: Die Räuberhöhle. 3) „ „ 132 „ Die Ermordung zweier Gerichtsdiener. 4) „ „ 148 „ Lips Tullian in Lebensgefahr. 5) „ „ 169 „ Die schöne Schlosserswittwe in Prag. 6) „ „ 189 „ Die Theilung der Beute im Wald. 7) „ „ 212 „ Die Räuber als Baugefangene. 8) „ „ 272 „ Marianens Ueberfall. 9) „ „ 299 „ Der Kampf der Räuber unter einander. 10) „ „ 309 „ Die Wiedererkennung. 11) „ „ 336 „ Die Befreiung. 12) „ „ 423 „ Der erste Mord. 13) „ „ 442 „ Ein neuer Mord. 14) „ „ 443 „ Lips Tullian in Freiberg. Inhalts-Verzeichniß. Seite. I. Der Entschluß, Räuber zu werden. 3 II. Der erste Raubmord. 9 III. Die Aufnahme unter die Räuberbande. 14 IV. Lips Tullians erstes Räuberleben. 20 V. Der Ueberfall von Trebnitz. 26 VI. Lips Tullians Flucht und Rettung. 42 VII. Sarberg, genannt: der Studentenfritz. 46 VIII. Samuel Schickel, der Brett-Bauer. 56 IX. Christian Eckold, der schöne Böttiger. 71 X. Hans Wolf Heinrich Schöneck. 95 XI. Daniel Lehmann. 113 XII. Michael Hentzschel. 125 XIII. Die Schenke an der böhmischen Grenze. 144 XIV. Eine neue Räuberbande. 149 XV. Der Einbruch in der Eimbecker Mühle. 154 XVI. Lips Tullians und seiner Genossen Ankunft in Prag. 160 XVII. Die schöne Schlosserswittwe. 164 XVIII. Die Trennung von Prag. 170 XIX. Die Entdeckung. 174 XX. Der Raub des Brautschatzes der jungen Gräfin von Beuchling. 185 XXI. Der Schmuck des Juden Marx in Halle. 191 XXII. Der Badeaufenthalt. 197 XXIII. Eine neue Bekanntschaft und deren üble Folgen. 201 XXIV. Die Verurtheilung. 205 XXV. Die Baugefangenen. 208 XXVI. Der Oberprofos oder: die Lebensart der Baugefangenen. 214 XXVII. Eine unerwartete Nachricht. 254 XXVIII. Der Ausbruch der Baugefangenen. 258 XXIX. Der Brand von Libert. 260 XXX. Jockel’s Gewalthat gegen Mariane. 265 XXXI. Marianes Eifersucht und Schlauheit. 276 XXXII. Neue Unthaten der schwarzen Garde[1]. 280 XXXIII. Jockels Tod. 284 XXXIV. Der Kampf der Räuber unter einander. 295 XXXV. Die Ermordung eines Handwerksburschen. 302 XXXVI. Die Wiedererkennung. 307 XXXVII. Lips Tullian und Margarethe in Prag. 318 XXXVIII. Margarethens Untreue. 323 XXXIX. Lips Tullian wieder an der Spitze einer Räuberbande. 329 XXXX. Lips Tullians abermalige Gefangenschaft. 333 XXXXI. Der Lieutenant Schönknecht. 337 XXXXII. Schönknechts Verheirathung. 343 XXXXIII. Eine schlechte Erziehung. 357 XXXXIV. Ein schreckliches Opfer. 364 XXXXV. Philipps erstes Debut. 372 XXXXVI. Die erste Gefangenschaft. 376 XXXXVII. Josephine. 381 XXXXVIII. Die gefährliche Einsiedlerklause. 395 XXXXIX. Die Rettung. 401 L. Zusammenkunft mit Josephinen. 410 LI. Der Aufenthalt in Polen und Philipps erster Mord. 419 LII. Lips Tullians Befreiung. 426 LIII. Lips Tullians letzte Schicksale. 438 [1] Aus Versehen des Druckers sind in einigen Exemplaren im 9. Hefte mehrere Seiten verwechselt worden und folgt dort auf _pag._ 279: Die Seite mit XXXII. Neue Unthaten der schwarzen Garde, dann geht es wieder von 281 in der Reihenfolge fort bis _pag._ 283, wo dann die Seite mit XXXIII. Jockels Tod folgt. I. Der Entschluß, Räuber zu werden. -- Ich bin auch aus dem Himmel, Und bin ein verstoßnes Kind. ~H. Laube.~ In einem Wirthshause an der schlesisch-polnischen Grenze saß zechend und lärmend eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft. Sie erzählten sich von den Thaten des gefürchteten, damals die ganze Grenze mit Furcht und Schrecken erfüllenden unter dem Namen: „~der schwarze Wenzel~“ bekannten Räuberhauptmanns und seiner Genossen. „Das Merkwürdigste aber ist bei diesen verfluchten Räubern,“ meinte einer von den Bauern, „daß sie sich unsichtbar machen können; denn wenn sie verfolgt werden, wenn die Soldaten ihnen auf der Spur sind, und sie bis in die Wälder treiben, da haben jene schon oft geglaubt: jetzt können uns diese Schufte nicht mehr entgehen, sie sind in unsrer Gewalt und wir liefern sie nun gebunden und in Ketten in die Gefängnisse ein -- aber diese Hoffnung hat die Soldaten noch immer getäuscht, denn plötzlich, gleichsam vor ihren Augen, waren die Kerle verschwunden und die Soldaten hatten das leere Nachsehen und konnten dann sogar jedesmal zu ihrem größten Aerger nicht einmal eine Spur mehr von ihnen auffinden! --“ „Da habt Ihr ganz recht, Nachbar,“ meinte ein Anderer, „das macht die schwarze Kunst, die Räuber haben jeder einen Diebsfinger, mit dessen Hilfe sie sich unsichtbar machen können!“ „Wie meint Ihr das, Veit?“ „Nun, sobald ein Dieb gehängt oder mit dem Schwerte hingerichtet oder gerädert wird und wie sonst noch solche sanfte Hinüberspeditionen in jene Welt die Namen führen, so schneidet der, welcher sich jene Kunst, sich unsichtbar zu machen, aneignen will, einen Finger von dem Hingerichteten heimlich ab, trägt ihn jederzeit bei sich und dann wird ihn nicht leicht ein Häscher oder Soldat in seine Gewalt bekommen!“ „Dummer Unsinn das!“ meinte ein junger Mann, dessen Kleidung sogleich den Fremden verrieth. „Kein Diebsfinger, sondern Kühnheit, Muth und Schlauheit -- das sind die Talismane, welche die Räuber besitzen und die ihnen in den schwierigsten Fällen durchhelfen!“ Es entstand nun darüber ein Streit, bis der Fremde, den dieses Gezänke auf die Länge der Zeit langweilte, sich verabschiedete und die Schenke verließ, um ruhig seinen Weg weiter fortzusetzen. Betrachten wir den Fremden etwas näher; er war ein hochgewachsener, schöner, noch jugendlicher Mann, dem man Kraft, Gewandtheit und Schlauheit sogleich auf den ersten Blick ansah; er trug die Kleidung eines polnischen Cavaliers und sein Aeußeres ließ auf Wohlhabenheit schließen. Als er seines Weges ruhig dahinzog, war sein Inneres jedoch keinesweges so ruhig, wie es wohl den Anschein haben mochte, vielmehr war dasselbe in höchster Aufregung und er meinte vor sich hin: „So wäre ich also am Ziele und bald beginnt meine neue Laufbahn! Die Menschen haben mich gemißhandelt, haben mir mein Liebstes auf der Welt, meine theure, angebetete ~Jumelle~, schändlicherweise mit Gewalt entrissen, haben mich gleich einem Verbrecher in Ketten und Banden geworfen und mich hilflos wieder in die Welt hinausgestoßen -- dafür sollen sie mir büßen, an der ganzen Menschheit, die ich hasse mit aller Gluth meiner starken Seele, will ich mich rächen, niemanden will ich mehr schonen, Mord und Raub sollen nun meine Begleiter sein und Furcht und Entsetzen vor mir hergehen. Ja, es ist fest beschlossen, ich werde ein Räuber, und nicht umsonst habe ich in meiner Jugend alle Diebeskniffe und Raubgeschicklichkeiten gelernt, ich werde sie nun brauchen können; das Schicksal hat mich einmal dazu bestimmt, und Niemand kann seinem Schicksale entrinnen! Wohlan, ich nehme den Fehdehandschuh des Schicksals auf; wie es mich von meiner Geburt an schon hilflos in die Welt gestoßen und mit Unglück verfolgt hat, will ich Tausende, und wen nur mein Arm zu erreichen vermag, auch unglücklich machen, sie ihrer Habe berauben und hilflos in die Welt verstoßen. Kein Erbarmen und Mitleid soll meine Seele mehr kennen, das sind nur alberne Herzenskitzelungen, und Schwachheiten, deren sich ein richtiger Mann schämen muß, Tugend und Ehrbarkeit sind nur leere Truggebilde, eitle Hirngespinste von Thoren, die es im Leben nie zu etwas Ordentlichem bringen werden!“ So sprach er noch lange vor sich hin und bekräftigte sich immer mehr in seinem einmal gefaßten Entschlusse, ein Räuber zu werden. Er war ein unglücklicher, mit der Welt zerfallener junger Mann, den sein guter Engel verlassen, den die Bosheit der Menschen von dem schönsten Höhepunkte eines tugendhaften, friedevollen und beglückten Lebens hinabgestoßen in die grauenvolle Tiefe des Hasses, der Rachsucht und der Raserei, und von dem Satan beim Schopfe gefaßt, den gräßlichen Schwur jetzt that, die Tugend, die Menschlichkeit von sich zu schütteln und nur der Befriedigung roher Lüste, dem Raube und dem Morde mit allen schönen Kräften seines reich ausgestatteten Geistes und Körpers anzugehören. Aus seiner Tasche zog er einen Beutel hervor, worinnen blankes Gold glänzte, und die Schwere und Größe der Börse verriethen einen solchen reichen Inhalt, daß er gewiß lange davon hätte anständig leben können, wenigstens so lange, bis er sich einen passenden Nahrungszweig errungen. Aber mit Verachtung blickte er auf das schöne und viele Gold. „Verdammtes Sündengeld, das mir meine Schmach abkaufen und mein zerrissenes Herz heilen sollte, dich mag ich nicht, du brennst mir wie glühendes Feuer in den Händen! Hinweg mit dir, damit dich nie mehr meine Augen sehen!“ Und mit diesen Worten schleuderte er die goldgefüllte Börse in den an dem Wege vorbeifließenden Bach. „Ja, Gold,“ sagte er dann wieder, „nach dir habe ich wohl einen brennenden Durst, aber nur, weil ich mit dir machen kann, was ich will und du mir das Mittel bist, alle meine Lüste und Leidenschaften zu befriedigen; für dich ist alles feil: Tugend, Schönheit und Unschuld, ja selbst die Seligkeit, wenigstens auf Erden hier! Aber dieses Gold mag ich nicht geschenkt erhalten, ich will mir es verdienen, mit der Faust mir es rauben, wo ich es finde, und ich bin der Mann dazu, daß mir nicht leicht Jemand entgehen soll, auf den ich es einmal abgesehen habe!“ Er lauerte nun darauf, alles Geldes baar, sich durch Beraubung des ersten, der ihm begegnen würde, solches wieder zu verschaffen. II. Der erste Raubmord. Und wie mit Eisenschlingen Umfaßt den Gegner er, Umsonst ist alles Ringen, Umsonst die Gegenwehr. ~Matzerath.~ Nach Beute umherspähend, sah er einen wohlgekleideten Mann gemächlich daher reiten. Im Augenblicke ward der Unglückliche vom Pferde gerissen. Er schrie um Hilfe und ein gräßlicher Schlag mit einem schweren Steine, von des Räubers kräftiger Hand nach dem Kopfe gethan, machte ihn für immer verstummen. Dieser raubte ihm Uhr und Börse, warf sich auf das Pferd und sprengte über eine Wiese dem nächsten Walde zu. Mit Raub und Mord hatte er den schrecklichen Cyclus seiner Gräuelthaten eröffnet. Schon ein paar Stunden war er auf einem Fahrwege dahin geritten, und noch immer wollte sich das Ende des Waldes nicht zeigen. Dagegen fühlte er sich von Augenblick zu Augenblick unwohler; er wurde so matt, daß er beinahe vom Pferde sank; es klebte ihm die Zunge am Gaumen, und sein Durst wurde so brennend, daß er für einen frischen Trunk gern die geraubte Börse hingegeben hätte. Den Zügel des Pferdes am Arme, schleppte er sich tiefer in den Wald hinein, eine Quelle zu suchen. Lange war er fruchtlos umher geirrt, und vermochte nicht weiter zu gehen. Er wollte unter einem Baume sich lagern, als er den rückwärts am Sattel angeschnallten Mantelsack bemerkte. Ohne selbst zu wissen, warum, da er in diesem Augenblicke gewiß nicht an eine Beute, sondern nur an Rettung vor dem Verschmachten dachte, schnallte er den Mantelsack ab, warf sich damit aufs Moos und öffnete ihn. Er schrie laut auf vor Freude; der Mantelsack war ein tragbares Speisegewölbe, ein portativer Keller. Nicht ein Stückchen von Kleidern oder Wäsche befand sich darin, wohl aber ein Magazin von Würsten, Schinken und verschiedenen Braten, denen drei Flaschen Wein und eine Flasche Rum, feines Gebäcke und Brot beigesellt waren. [Illustration: _L. Oeser in Neusalza._ Der schwarze Wenzel u. Lips Tullian.] Der vorige Besitzer dieses Magazins mochte wohl aus Geiz, um in den Wirthshäusern wenig zu verzehren, oder aus Furcht, auf der Reise zu verhungern, sich so reichlich versehen haben. Schnell hatte er eine Flasche Wein geleert, ein tüchtiges Stück Braten gegessen, und beschloß nun, frisch fort zu traben, da er befürchten mußte, daß die Leiche des von ihm erschlagenen Mannes bereits gefunden und das Gerücht von dem Morde vielleicht schon in weiter Umgebung verbreitet worden sei. Er befestigte den Mantelsack und wollte eben zu Pferde steigen, als er rücklings ergriffen und im Augenblicke zu Boden gerissen war. Ein baumlanger, breitschulteriger Kerl stand vor ihm, mit hochgeschwungenem Knittel, und forderte Uhr und Geld[2]. [2] Siehe die Abbildung. Sein erster heftiger Schrecken bei dem Gedanken, von der Faust eines Häschers gefaßt und keiner Gegenwehr mächtig zu sein, war schnell bei der barschen Forderung nach Uhr und Geld verschwunden; er sah, mit wem er es zu thun habe; eine ganze Räuberbande wäre ihm minder furchtbar gewesen, als ein einziger, tüchtiger Diener der Gerechtigkeit. Mit einer Ruhe und einer Offenherzigkeit, die den Räuber erstaunen, und den zum tödtlichen Schlage erhobenen Arm sinken machte, begrüßte er ihn, erzählte, vor einigen Stunden, nicht fern von der polnischen Gränze, einen Reiter erschlagen, ihm Uhr, Börse und Pferd genommen zu haben, und erbot sich nicht nur allein zur Theilung, sondern auch zu künftiger Gemeinschaft und Genossenschaft. Schweigend hatte ihm der Räuber zugehört, er betrachtete jetzt das Pferd. „Was Teufel!“ -- rief er, und lachte laut auf -- „das ist ja der Brandfuchs des Herrn von Liebenstein. Alle wackern Gesellen sollen Dich auf den Händen tragen, daß Du dieser Bestie den Garaus gemacht hast. Der Schuft war mit seinen Jägern und Gerichtsdienern immer hinter uns her. Nun, dafür sollst Du auch belohnt werden, so wahr als ich der ~schwarze Wenzel~ heiße. Du bist der tüchtigste Kerl, vor dem ich selbst Reverenz mache, und wenn Dir Dein voriger Antrag, mit mir Gemeinschaft zu pflegen, Ernst war, so soll es Dir nicht an Gelegenheit mangeln, auf Kosten anderer Leute in Saus und Braus zu leben. Schlag ein, Bruderherz, und sey der Unsrige!“ -- Mit wilder Lust schlug dieser ein, riß den Mantelsack vom Pferde, und unter den lasterhaftesten Gesprächen wurde getafelt und gezecht, bis der Abend hereinbrach und das Wiehern und Stampfen des nach Futter und Wasser verlangenden Pferdes zum Aufbruch nach einer Herberge mahnte. „Wohin nun,“ -- fragte der neue Räuber -- „um nichts befürchten zu dürfen, denn die Kunde von der Ermordung des Liebensteiner mag schon weit herumgekommen und jeder Gastwirth gegen den Unbekannten argwöhnisch sein, der mit keinem Passe versehen ist. Auch macht mir das Pferd Sorge, da vielleicht Mancher es erkennen möchte.“ „Sei unbekümmert,“ tröstete der Spießgeselle, „Dich erwartet eine Nachtherberge, wo Du gute Bewirthung und ein lustiges Treiben finden wirst, wo Du sicherer bist, als in Abrahams Schoos. Wir haben eine gute Meile zu machen, und ich werde Dich Wege führen, wo Du und der Brandfuchs ungesehen bleiben. Nun folge mir!“ III. Die Aufnahme unter die Räuberbande. So schwör’ ich denn, mit Gut und Blut Euer zu sein für’s Leben, Mögt Ihr, als treue Bundsgenossenschaft, Den Schwur zurück mir geben. . . . Wenzel ging voran, und dieser folgte ihm, das Pferd am Zügel führend. Es ging nur selten und immer nur eine kurze Strecke auf gebahntem Pfade fort; im Hochholze und über Waldwiesen schritten sie schweigend dahin, denn jeder war mit sich selbst zu sehr beschäftigt. „Wir sind am Ziele!“ -- sprach Wenzel, als sie in einem schluchtähnlichen Thale auf einer, von felsigen Hügeln dicht umgürteten Stelle angekommen waren. Befremdet schaute jener umher, er sah nichts, als Steinmassen, hohe dunkle Fichten und wildrankendes Gestrippe. Und doch sollte er hier, nach Wenzels Versicherung, gute Herberge und gute Gesellschaft finden? Es kam ihm der Gedanke, auf diesen schauerlich-einsamen Platz gelockt worden zu sein, um ermordet und beraubt zu werden; er fühlte sich dem baumlangen Kolosse nicht gewachsen, doch war er fest entschlossen, sein Leben so theuer als möglich zu verkaufen. Was er nach einigen Augenblicken sah, minderte zwar seinen Argwohn, mehrte aber seine Befremdung. Wenzel hatte den Arm bis an die Schulter in eine Felsenspalte gesteckt und seine Bewegung zeigte, daß er an einer Glocke ziehe. Bald darauf ertönte ein dreimaliger Hahnenruf, den Wenzel eben so erwiederte. Jetzt kam um den Felsen herum ein Kerl, eine Büchse unter dem Arme, einen furchtbar großen, immer knurrender herandrängenden Fanghund an einer Kette haltend. „Masel toff Köng rodl’ ich den tuftesten Kaper in unsere Bingertei[3]!“ -- rief Wenzel. -- Mit wild freundlichem Lächeln reichte der Kerl dem Fremden die Hand, schmeichelnd sprang der Bullenbeißer an Wenzel hinauf und beschnoberte dann den Fremden, mit feindlichen Blicken ihn beobachtend. [3] „Hier führe ich unserer Gesellschaft den wackersten Kameraden zu!“ Es ging nun um den Felsen hin. Ein großer Haufen Laub und Reißig lag auf einem Flecke. Schnell war ein Theil davon durch Wenzel und seinen Kameraden hinweggeräumt, eine Fallthüre wurde sichtbar, und als diese aufgehoben war, zeigte sich ein ziemlich breiter, nicht zu abschüssiger Gang in die Tiefe, der für ein Pferd Raum genug hatte. Das Pferd wurde von Wenzel hinabgeführt, während der Andere im Augenblicke Licht geschlagen und eine Wachskerze angezündet hatte. Man gelangte in ziemlicher Tiefe auf einen Platz, der ganz ausgebrettert war, drei bis vier Pferde faßte und mit einem Vorrathe von Hafer und Heu versehen war. Der Brandfuchs wurde abgesattelt, getränkt, gefüttert, und nun ging es aufwärts, wo man die Fallthüre niederließ und sie wieder sorgfältig bedeckte. Wenzel kletterte nun den Felsen hinauf, hieß seinen Begleiter ihm folgen und der Kerl mit dem Hunde schloß den Zug. Man kam an eine Oeffnung, durch welche man kriechen mußte, dann in einen Gang, der hoch und breit genug war, um aufrecht darin fortzukommen. Wenzel pfiff auf einer Diebespfeife, sein Kamerad verrammelte die Oeffnung mit Steinen, mit einem starken Querbalken, und aus der Ferne flammte ihnen das sprühende Licht einer Fackel entgegen. Es war ein junger Bursche von wildem, trotzigem Aussehen, der mit der Fackel daher kam, Wenzel mit einem Freudengeschrei begrüßte, den Fremden scharf beschaute, und dann mit seiner Leuchte voran schritt. Der Gang führte abwärts. Gesang und Lachen erscholl aus der Tiefe, eine Thüre wurde geöffnet, und der Fremde starrte mit sprachlosem Erstaunen und festgewurzeltem Fuße die sich ihm darbietenden Erscheinungen an. Eine Höhle, von Felsenwänden umschlossen und von sehr weitem Umfange, war von unzähligen Fackeln, die in den Felsenritzen steckten, erleuchtet. In der Mitte stand eine lange Tafel, an einer Wand hin lief ein hoch aufgeschichtetes Strohlager, über welchem Flinten, Säbel, Pistolen, Messer und Beile hingen. Ganz im Hintergrunde brannte ein Feuer, von Kochtöpfen umgeben. An der Tafel saßen mehrere Männer mit einigen sehr hübschen Dirnen, andere lagen auf dem Strohlager, andere bereiteten Speise. Auf den Ruf des Fackelträgers: „Der schwarze Wenzel ist da!“ -- sprang alles auf und jauchzte dem sehr beliebten Kameraden entgegen, mit Grüßen und Fragen ihn umdrängend. Des Fremden Eintritt machte das Jauchzen und die Begrüßungen und die Fragen plötzlich verstummen. Als aber Wenzel der Bande den Fremdling als einen Gesellen ankündigte, und als er erzählte, wie der neue Geselle den Liebensteiner, ihren Todfeind, auf freier Straße am hellen Morgen erschlagen, und wie er sich im traulichen Gespräche und in der Erzählung seines Jugendlebens als den tuftesten Chochem, Ganof und Chasnemalochner[4] genügend beurkundet habe, da ward der Jubel zum betäubenden Gebrülle, der Fremde an die Tafel gezogen, eine große Kanne Wein ihm vorgesetzt, und er mußte mit Allen auf treueste Brüderschaft anstoßen. [4] Gauner, Dieb und Räuber. Eine Dirne, deren Buhle vor Kurzem auf dem Rabensteine vollendet hatte, trug sich ihm gleich mit aller Frechheit zur Nafkine[5] an, und er war schon so tief gesunken, daß er nicht mehr seiner Jumello dachte, daß er mit schamloser Lust solch einer Verworfenen sich hingab. [5] Zuhälterin, so viel als Concubine. [Illustration: _L. Oeser in Neusalza._ Die Räuberhöhle.] Wenzel ließ nun die Männer einen Kreis um sich und den neuen Genossen schließen. Es herrschte die tiefste Stille. Der Fremde wurde aufgefordert, der Bande den Eid der Treue zu schwören. Er schwor einen gräßlichen Eid. Am Schlusse des Eides streifte Wenzel den linken Aermel seines Rockes zurück, ritzte sich mit der scharfen Spitze seines Messers eine Ader, fing das Blut in die Hirnschale eines Todtenschädels auf, und der neue Räuber leerte den grauenvollen Becher, seinen Eid und seine Treue durch den Bluttrunk bekräftigend. -- In der Bande war eingeführt, daß jedes Mitglied einen Namen führe, den ihm die Bande gebe. Der Fremde erbat die Begünstigung, von nun an ~Lips Tullian~ genannt zu werden, da er schon in seiner Kindheit von einem Tullian gehört habe, der vor zwei Jahrhunderten als gefürchteter Räuber und Mörder in Ungarn und Slavonien gelebt hatte. Einstimmig wurde ihm dieser Name gegeben. Nun ging es zum Mahle, zum Zechen und Schwelgen, und als Lips Tullian das Geld, um welches ihm der eben gegenwärtige Haupt-Baldoverer[6] der Bande, ein Jude, des Liebensteiners Roß abgekauft hatte, der Gesellschaft zum Ankaufe von Branntwein überließ, hatte er sich gleich Alle zu den innigsten Freunden gemacht. -- [6] Kundschafter, Spion. IV. Lips Tullian’s erstes Räuberleben. Ja, fürwahr die Hölle bindet Fest, was einmal sie gefaßt; Wie die Nadel, wenn sie hat Den Magnet berührt, nach Norden Ewig ihre Spitze drehet, Kehrt, wer einmal bös gethan Ewig seinen Sinn zum Bösen. ~Müllner.~ Lips Tullian schwelgte mit seinen neuen Genossen bis spät in die Nacht hinein. An der Seite der schönen ~Lene~, seiner neuen Zuhälterin, erwachte er am andern Morgen. Der Kopf war ihm wüste, es brannte ihm wie Feuer im Gehirn, und er befand sich in einer höchst unangenehmen, widerlichen Stimmung. Noch einmal wachte sein besseres Selbst in ihm auf und zeigte ihm den Abgrund, in den er rettungslos versinken mußte, wenn er die eben betretene Bahn fortschreiten wollte. Aber mit Gewalt unterdrückte er die Stimme in seinem Innern, die ihn unablässig zur Umkehr mahnte, er konnte ja auch nicht mehr zurück, denn er hatte ja seine Laufbahn mit einem Raubmorde begonnen. In den Armen der schönen Lene vergaß er bald seine üble Stimmung und so übertäubte er den letzten Funken seines besseren Gefühls. Diese Räuberbande war die verwegenste in ganz Schlesien; von ihrem sicheren, nicht leicht auffindbaren Verstecke im Trebnitzer Waldgebirge aus verbreitete sie weithin Furcht und Entsetzen. Raub, Mord und Brandstiftung gehörten zur Tagesordnung. Vergeblich bemühten sich die Behörden, diesem Treiben zu steuern, ihr Arm war zu schwach dazu, denn wenn es ihnen auch nicht selten gelang, einzelne Mitglieder dieser Räuberbande einzufangen, so wurden diese entweder von ihren Genossen wieder befreit oder fanden selber Mittel und Wege, aus ihrem Gefängnisse wieder auszubrechen, oder wurden gehängt; ein Geständniß hinsichtlich des Aufenthaltsortes der Räuber war nicht auszumitteln, und so lange die Räuberhöhle nicht ausgemittelt wurde, blieben alle Anstrengungen der Behörden, dem Unwesen der Räuber zu steuern, fruchtlos. Vergeblich setzten jene einen hohen Preis auf die Entdeckung dieser Raubhöhle und auf den Kopf jedes Räubers, diese verlachten und verspotteten ihre Versuche und Drohungen nur und antworteten auf solche gewöhnlich durch einen neuen, höchst verwegenen Einbruch auf einem festen Schlosse oder in einem wohlverwahrten Gefängnisse. Lips Tullian befand sich bei solchem Treiben ganz in seinem Elemente, er wurde schnell der Kühnste und Verwegenste, sowie auch der Schlaueste der ganzen Bande und galt bald ebensoviel, wo nicht noch mehr als der schwarze Wenzel selbst. Schon durch die Ermordung des Herrn von Liebenstein hatte er sich in großes Ansehen bei der Bande gesetzt, denn dieser war, wie schon erwähnt, ihr gefährlichster und gefürchtetster Verfolger, der unablässig ihnen auf den Fersen war und Tag und Nacht nicht ruhte, wenn es galt ihnen zu schaden oder einen von ihnen einzufangen. Er hatte auch schon eine nicht unbedeutende Anzahl von ihnen unter Galgen und Rad geliefert. -- Was er mit seinem Ritt ohne alle Begleitung damals beabsichtigt haben mochte, war schwer zu rathen, sicherlich irgend einen geheimen Anschlag auf die Bande; um so erfreulicher und erwünschter mußte dieser dessen Tod sein und eben darum auch der Mörder dieses ihres rastlosen Verfolger bei ihnen in großem Ansehen und Ehren stehen. Ueber zwei Jahre trieb die Bande seit dem Eintritte Lips Tullians in dieselbe ihr Wesen in dieser Gegend fort und zwar mit noch größerer Verwegenheit und Frechheit wie früher; bald war der Name Lips Tullian eben so gefürchtet und berüchtigt, wie der des schwarzen Wenzels, ja noch mehr; und Lips Tullian konnte als der eigentliche Anführer der Räuber gelten, denn er genoß nach und nach ein noch größeres Ansehen bei seinen Raubgenossen, als der wirkliche Hauptmann, der schwarze Wenzel. War dieser auch bisher seiner zahlreichen Genossenschaft an Schlauheit zur Auffindung ergiebiger Raubgeschäfte und an Muth in der Ausführung gefährlicher Entwürfe überlegen gewesen, so machte er doch bald die widrige Bemerkung, daß Lips Tullian in jeder Räuberbeziehung sein Meister, und die Bande diesem Meister immer mehr gehorchend, immer anhänglicher sei. Eifersüchtig auf die Macht, die er schon seit Jahren über seine Kameraden ausgeübt hatte, zu stolz, zu herrschbegierig, einen Nebenbuhler seines Ansehens, noch viel weniger einen Gebieter zu dulden, erschöpfte er sich in Entwürfen, dessen Ansehen bei der Bande zu vernichten, oder, wenn das nicht gelinge, ihn auf unentdeckbare Weise aus dem Wege zu räumen. Wochenlang streifte er nun in verschiedenen Verkleidungen umher, und spähete nur solchen Raubgelegenheiten nach, wo dem Räuber die größte Gefahr drohete; er wußte, daß Lips Tullian nur die gefährlichsten Unternehmungen liebe, daß er sich keiner versage. In der Gefahr den Verhaßten untergehen zu machen, war sein einziges Vorhaben; ja man flüsterte sich in der Bande zu: der schwarze Wenzel habe in einem heftigen Gefechte mit Jägern und Bauern zweimal nach Tullian geschossen. Dieser durchschaute seinen Todfeind sehr wohl; er war rastlos, sich bei jeder Gelegenheit so auszuzeichnen, daß er mit Zuversicht erwarten durfte, die Bande werde seine Thaten würdigen und ihn zum Oberhaupte ernennen; Wenzels Entfernung aus der Gesellschaft sollte dann die feste Bedingung sein, unter welcher er die Anführung übernehme und als Oberhaupt sein Blut und Leben für die Bande weihe. Das Treiben der Räuberbande hatte den höchsten Gipfel erreicht und es war voraus zu sehen, daß ihnen nun ihr Handwerk bald gelegt werden mußte, denn sie erdreisteten sich sogar, die Postwagen zu überfallen und auszuplündern und die von der Regierung denselben beigegebene Bedeckung niederzumachen. Die Räuber mußten jetzt öfters Gefechte mit den gegen sie ausgeschickten Soldaten bestehen; einen andern Vortheil über sie vermochten die Soldaten jedoch nicht zu erringen, als den, daß sie ihnen einige Leute tödteten, deren Leichnam die Räuber gewöhnlich mit sich fortnahmen und in ihren unzugänglichen Schlupfwinkel trugen. V. Der Ueberfall von Trebnitz. Sagt es selbst, wird Oerindur Täglich kühner nicht und wilder? ~Müllner.~ Nach langer Entfernung kehrte Wenzel einst von der Kundschaft zurück und brachte Nachricht, daß der Zigeuner und der kleine Karl aufgegriffen und in das Gefängniß des Kriminalgerichtes von Trebnitz gebracht worden seien. Lips Tullian kannte die beiden als zähe Bursche, denen einige Grade der Tortur keine Geständnisse zu erpressen vermögen. Aber er wußte auch, daß der Kriminalrichter von Trebnitz ein eben so feiner als unermüdeter Inquirent sei, und daß auch der hartnäckigste Leugner nie vor ihm in seiner Hartnäckigkeit bestanden habe. Diese beiden mußten daher dem gefürchteten Untersuchungsrichter entrissen werden, das erklärte Tullian, und mit ihm die ganze Bande, als die erste und nothwendigste That. Die Ausführung war, der Festigkeit des Gefängnisses, der zahlreichen Wächter und eines Militärcommandos wegen, das soeben zur Unterstützung der Behörde in Beitreibung landesherrlicher Gefälle zu Trebnitz lag, mit fast unüberwindlichen Schwierigkeiten und der höchsten Gefahr verbunden, und doch mußte alles versucht, alles gewagt werden, denn die Sicherheit, das Leben der ganzen Bande hing allein von der Freiheit ihrer Gefährten ab. An der Spitze des größten Theils der Bande zog Lips Tullian nach Trebnitz. List und Gewalt blieben fruchtlos, sie brachen ihre raschen, kräftigen Schwingen an der Wachsamkeit, und an dem Muthe der Gerichtsdiener und Soldaten. Die Bande mußte abziehen, wurde beim Abzuge von dem Militärcommando, von berittenen Jägern und Gerichtsdienern, von wohlbewaffneten Flurschützen und Bauernburschen plötzlich überfallen, trotz der muthigsten Gegenwehr theils getödtet, theils gefangen und der größte Theil zerstreut, Lips Tullian, der, mit der Tollkühnheit der Verzweiflung kämpfend, erst auf Flucht dachte, als für die Seinigen nichts mehr zu hoffen war, rettete sich auf dem Pferde eines Jägers, den er, unter den Bajonetten der Soldaten, unter den Säbelhieben der Berittenen vom Pferde stach. Hierdurch bewogen, beschloß endlich die Regierung, diesen Räubereien auf einmal ein Ende zu machen und die ganze Bande in der Höhle aufzuheben. Eine Compagnie Infanterie wurde zur Ausführung dieses Auftrags beordert. Im Schutze der Nacht und eines dichten Nebels gelangten die Soldaten bis an den Eingang der Höhle. Man konnte in das Innere der Höhle nur durch einen engen, finstern Gang gelangen, durch welchen die Soldaten auf dem Bauche kriechen und ihr Gewehr hinter sich her ziehen mußten. Der Anführer forderte die Entschlossensten und Muthigsten auf, in die Höhle hineinzukriechen. Am Ende des Ganges, wo die Höhle sich erweiterte, sollte Jeder auf die Seite treten, um seinem Nachfolger Platz zu machen. 25 Mann von der Compagnie sollten vorderhand auf diese Weise in die Höhle eindringen, die Uebrigen blieben außen stehen, um, sobald sie schießen hörten, zu Hülfe eilen zu können. Der Führer, welchen die Soldaten mit sich genommen hatten, ein junger Mann von 20 Jahren, ein gefangener Räuber, welcher mit der Höhle vertraut war, kroch zuerst auf dem Bauche, wie eine Schlange sich windend, in den engen Gang hinein und verschwand alsbald im Dunkeln. Ein Soldat folgte ihm, dann ein zweiter, dann ein dritter, bis endlich die dazu bestimmte Mannschaft drinnen war, ohne daß sich irgend ein Geräusch hören ließ, irgend ein Schein die dunkle Nacht erhellte, welche sie umgab. Die Stille schien von guter Vorbedeutung zu sein. Die Räuber, von einem beschwerlichen Raubzuge zurückgekehrt, schliefen wahrscheinlich und hatten auch wohl keine Wachen ausgestellt. Diese Hoffnung richtete die bangklopfenden Herzen der außen harrenden Soldaten auf, und frohen Muthes krochen noch weitere 15 Mann ihren Kameraden nach durch den engen Gang. Eine Stunde ging auf diese Weise vorüber, ungeduldig harrten die Außenstehenden auf den Erfolg, aber eine zweite Stunde verging und nicht der leiseste Laut unterbrach das schauerliche Schweigen, welches in der Höhle herrschte. Plötzlich hörte man eine Salve krachen, dann eine zweite und endlich eine dritte, ähnlich dem Krachen eines Pelotonfeuers. Allem Anscheine nach kämpften die in die Höhle gedrungenen Soldaten mit den Räubern. Zwei Gensd’armen ritten in die benachbarte Stadt und meldeten, daß die Soldaten des 65. Regiments mit den Räubern in der Leiterhöhle im Handgemenge seien und daß die Letztern ohne Zweifel vernichtet werden würden. Diese Nachricht verbreitete sich schnell in der Umgegend, und die Bauern eilten schaarenweise herbei, um die Gefangennahme der Räuber mit anzusehen. Inzwischen war es Tag geworden und die Schüsse in der Höhle waren verstummt; von den 40 Mann, die in die Höhle eingedrungen, kam kein einziger wieder zum Vorschein. Der Oberst des Regiments kam unterdessen mit einer weiteren Compagnie aus der Stadt anmarschirt. Mit wenigen Worten ließ er sich von dem seither Geschehenen unterrichten, und als er erfuhr, wie viele Soldaten in die Höhle eingedrungen und wie kurze Zeit nur das Schießen gedauert, überzog sein Antlitz tiefe Trauer, und in fieberhafter Aufregung ging er auf und ab, um nachzudenken, was zu thun sei. Eine volle Stunde brachte der Oberst so in schweigendem Nachdenken zu, und dieselbe peinliche Stille herrschte auch bei den Soldaten. Endlich befahl er einem jungen Soldaten, in die Höhle hineinzukriechen. Er selbst kroch sodann hinter ihm her und hielt ihn immer am rechten Fuße, von dem er den Stiefel ausgezogen hatte. Nach einigen Minuten kam der Oberst wieder zurück, bleich, mit verstörten Zügen. Das Regiment hatte bei 40 Mann verloren, daran war nicht mehr zu zweifeln, denn als der Oberst einige Minuten hinter dem jungen Soldaten hergekrochen war, fühlte er plötzlich, wie dessen Fuß, den er immer in der Hand hielt, krampfhaft zuckte und eiseskalt wurde; dann wurde der Körper gewaltsam vorwärts gezogen. Aus diesen unheilvollen Anzeichen mußte er schließen, daß der Unglückliche enthauptet worden und daß mit seinen Vorgängern auf diesem gefährlichen Wege dasselbe geschehen sei. Der Oberst ließ aus der Stadt zwei Maurer holen und den Eingang der Höhle fest zumauern, ein Wachtposten wurde sodann vor die vermauerte Oeffnung gestellt, und die wackern Soldaten des Regiments marschirten schweigend in die Stadt zurück. Waren auch die wackern Männer, die in die Höhle eingedrungen, eines grausamen Todes gestorben, so büßten jetzt doch wenigstens die Räuber für ihr Verbrechen; lebendig begraben mußten sie eines noch schrecklichern Todes sterben, als ihre unglücklichen Opfer. -- Mit diesem Gedanken tröstete sich der Oberst und die ganze Bevölkerung in der Stadt und auf dem Lande. Man denke sich daher das Erstaunen dieser Leute, als sie drei Tage nachher erfuhren, daß der Ober-Steuereinnehmer in der Stadt beim Aufstehen seine Casse erbrochen und statt der bedeutenden Geldsumme, die sich in derselben befunden hatte, nur noch einen Zettel fand, auf welchem die Worte standen: ~Die Räuber in der vermauerten Höhle~. -- Das Erstaunen und der Schreck, welcher sich bei diesem neuen verwegenen Handstreich, dieser ruchlosen Prahlerei, in der ganzen Umgegend verbreitete, läßt sich schwer beschreiben. Die abgeschmacktesten Erzählungen fanden bei den abergläubischen Gebirgsbewohnern Glauben, die Räuber waren bestimmt Hexenmeister und hatten einen Bund mit dem Teufel geschlossen. Die vernünftigen Leute dachten alsbald an einen zweiten Ausgang aus der Höhle, denn anders ließ sich das räthselhafte Wiedererscheinen der eingemauerten Räuber auf natürlichem Wege wenigstens nicht erklären. Man forschte deshalb bei den Bewohnern des flachen Landes nach, ob nicht der Eine oder der Andere von einem solchen zweiten Ausgang etwas wisse, aber vergebens, weder jüngere noch ältere Leute hatten je von einem andern Ausgang gehört, als von dem nun zugemauerten. Man zündete alles Buschwerk in der Nähe der Höhle an, unter welchem möglicherweise ein zweiter Eingang hätte versteckt sein können, aber umsonst, es zeigte sich nichts. Endlich beschloß man das Gebirge dermaßen mit Soldaten einzuschließen, daß keine lebende Seele an den auf den Höhen und an den Abhängen des Berges, in welchem die Höhle lag, aufgestellten Wachtposten unbemerkt vorbei konnte. Diese Maßregel wurde ausgeführt, schien aber ohne Erfolg zu bleiben, denn drei Wochen lang währte der beschwerliche Wachtdienst, ohne daß sich der heiße Wunsch der Soldaten, ihre Kameraden rächen zu können, erfüllen zu wollen schien. Bereits begann die Mannschaft über den beschwerlichen Dienst zu murren, da verließ in einer regnerischen Nacht ein Wachtmeister das Lager, um ein Mädchen zu besuchen, welches eine Stunde vom Lager entfernt wohnte. Diesen führte sein Weg an einem dichten Gestrüppe von Erdbeeren und Zwergkirschenbäumen vorbei; er strauchelte in der Dunkelheit und fiel auf einen bemoosten Stein. Plötzlich glaubte er unter diesem Steine eine dumpfe Stimme zu hören. Ohne Geräusch zu machen, stand er auf und legte sich in einer Entfernung von einigen Schritten in einem Gebüsche platt auf den Bauch nieder, hielt den Athem an sich, und harrte mit gespannter Erwartung der Dinge, die da kommen sollten. Dazwischen war jedoch Alles wieder stille geworden, und schon glaubte der Wachtmeister sich getäuscht zu haben und wollte sich entfernen, da sah er plötzlich, wie er den Blick immer fest auf den Felsen gerichtet hielt, unter welchem er die Stimme gehört zu haben meinte, die Zweige um denselben sich bewegen, und einen Mann sich langsam aufrichten, der wie die Bauern der Gegend gekleidet war. Der Mann schaute sich vorsichtig um, ob Niemand ihn bemerkt habe, und schlug dann die Richtung durch den Wald nach der Landstraße ein. Sobald der Wachtmeister diese seltsame Erscheinung hatte verschwinden sehen, untersuchte er aufmerksam die Stelle, wo sie aufgetaucht war, und fand hinter einer Felsenecke, dem ungeweihten Auge künstlich verborgen, die Mündung eines unterirdischen Ganges, der gerade groß genug war, daß ein ausgewachsener Mann durch denselben gehen konnte. Der Wachtmeister merkte sich die Stelle genau und eilte mit seiner wichtigen Entdeckung zum Obersten, überzeugt, daß er den zweiten Ausgang der Räuberhöhle gefunden habe. Augenblicklich rückte der Oberst mit einem halben Bataillone vor den bezeichneten Ort, und drang in tiefster Stille in den langen schmalen Gang. Nach einem unheimlichen Marsch von einer halben Stunde im Finstern bemerkten die Soldaten in ziemlicher Nähe einen schwachen Lichtschimmer. Eine Schildwache, die dort stand, und wohl glaubte, sie habe es mit Freunden zu thun, rief ihnen ein „Wer da?“ zu, aber ein Grenadier sprang rasch auf sie los, und durchbohrte sie mit dem Bajonnette, noch ehe sie Zeit fand, ihren Ruf zu wiederholen, oder ihr Gewehr abzufeuern. Der Gang war hier so eng, daß alle Soldaten über die Leiche des Räubers hinwegschreiten mußten. Diese Schildwache hätte gefährlich werden können, denn hätte sie Zeit gefunden, zu schießen, so wäre es ihr gelungen, die Soldaten aufzuhalten, und den Räubern Zeit zu geben, sich zu sammeln, und den Soldaten das weitere Vordringen zu wehren. Nachdem aber dieses letzte Hinderniß vollends beseitigt war, kamen die Soldaten in einen geräumigen Saal, in welchem eine Truppe, 20 Mann hoch, aufgestellt werden konnte. Hier ließ der Oberst Halt machen; die Stunde der Gefahr war da. Fackeln wurden angezündet, die Trommeln wirbelten zum Angriff, und die Räuber, mitten in einem Zechgelage überrumpelt, sprangen entsetzt auf, griffen eiligst zu den Waffen, und eröffneten unter lautem Geschrei ein lebhaftes Gewehrfeuer. Dieser unerwartete Angriff und die verzweifelte Gegenwehr boten ein furchtbares Schauspiel. Die Räuber waren der Zahl nach die Schwächeren, aber sie hatten den Vortheil, mit allen Windungen und geheimen Gängen der Höhle bekannt zu sein. In diesem Vertilgungskampfe beim Scheine der Fackeln und dem Aufblitzen der Gewehrsalven wurde Alles ein Werkzeug des Todes. Gewaltige Steinmassen, durch die von den Gewehrsalven verursachte Erschütterung abgelöst, stürzten vom Gewölbe hernieder und zerschmetterten in ihrem Falle Räuber und Soldaten. Die von den Felsen abprallenden Kugeln rissen von denselben ungeheure Stücke los, welche, wo sie trafen, schreckliche Verwundungen verursachten. Der schauerliche Lärm des Kampfes, das Wirbeln der Trommeln, das Stöhnen der Verwundeten und Sterbenden wiederhallte, durch das Echo vervielfältigt, in der ganzen Höhle. Der Räuber waren es höchstens vierzig, aber bei den Vortheilen, welche ihnen die Oertlichkeit darbot, und da sie tüchtige Schützen waren, die ihr Leben muthig in die Schanze schlugen, war ihre Stärke um das Hundertfache höher anzuschlagen. Ueberall durch Spalten oder Vorsprünge der Felsen gedeckt, schossen sie die Soldaten nieder, ohne daß diese sie erreichen konnten. Glücklicherweise war die Truppe durch immer nachrückende Verstärkung im Stande, ihre Verluste rasch zu ersetzen, und durch allmäliges Vordringen die Räuber auf einen Punkt zu treiben, wo der Kampf, der so vielen Wackeren das Leben kostete, doch endlich mit einem Schlage zu Ende gebracht werden mußte. Der Kampf hatte bereits eine Stunde gewährt, die Räuber waren, von einer Stellung zur andern vertrieben, bis an einen kleinen See gelangt, der sich nahe am Ende der Höhle befand. Sie wateten durch denselben, und als die Soldaten, welche die seichten Stellen des See’s nicht kannten, ihnen nachsetzten, sanken sie bis an die Hüften ins Wasser, und hatten dabei ein mörderisches Feuer auszuhalten; als sie aber erst wieder im Trockenen waren, trieben sie die Räuber mit gefälltem Bajonet bis an das äußerste Ende der niedern Höhle vor sich her. Dort aber wartete ihrer eine neue Schwierigkeit, ein weit ernsteres Hinderniß, als alle seither durch ihren Muth und ihre Entschlossenheit überwundenen. Die Räuber waren bis zum Ende der Höhle zurückgetrieben worden, wo man mit Hilfe zweier Leitern, die zusammengebunden über einen bodenlosen Abgrund gelegt waren, in eine zweite etwas tiefer gelegene Höhle gelangte. Hier löschten die Räuber die Fackeln aus, und zündeten einen Haufen feuchtes Stroh an, welches die ganze Höhle mit einem dichten, erstickenden Qualm füllte. Sodann ließen sie sich an den Leitern hinab, und stürzten diese in den Abgrund, nachdem sie einen kleinen Vorsprung erreicht hatten, auf welchem jedoch nur acht von ihnen Platz fanden, während die Uebrigen sich nach dem untern Theile der Grotte begaben, von wo sie über Felsen und Steine in nischenförmige Höhlungen kletterten, aus welchen sie, unsichtbar und geschützt, ihre Gegner niederschießen konnten, wenn diese den Versuch machten, den Abgrund zu überschreiten. Das Erstaunen der Soldaten, als sie einen Augenblick durch die Finsterniß aufgehalten, nachdem der Strohbrand gelöscht war, beim Scheine der wieder angezündeten Fackeln die letzten Räuber in den Felsen verschwinden sahen, läßt sich leichter denken als beschreiben. Das Krachen eines wohlunterhaltenen Gewehrfeuers, das von dem Vorsprung und von dem Gewölbe kam, weckte sie bald aus dem Erstaunen, und zeigte Ihnen, in welcher Gefahr sie sich befanden. Das ganze erste Glied wurde niedergeschmettert als es am Rande des senkrechten Felsen angekommen war, an welchem der Abgrund begann. In augenblicklicher Entmuthigung zogen sich die braven Soldaten zurück. In diesem ungleichen Kampfe sah man sich von unsichtbaren Feinden getroffen, ohne ihnen wieder etwas anhaben zu können. Der Oberst erkannte indeß mit seinem erfahrenen Blicke, daß der Augenblick der Entscheidung gekommen sei. Er hatte sich mit Strickleitern versehen, und nachdem er alle Lichter hatte auslöschen lassen, ertheilte er laut den Befehl zum Rückzuge. Gleichzeitig vertheilte er, während der übrige Truppenkörper die Füße bewegte, als ob er sich in Marsch gesetzt hätte, seine besten Schützen in die äußersten Vertiefungen des Felsens, und ließ Leitern herbeibringen, um sie über den Abgrund zu legen. Nach diesen Vorbereitungen ließ der Oberst plötzlich einige Feuertöpfe nach dem Vorsprunge jenseits des Abgrunds werfen, deren rothes Licht wie die Flamme des Vulkans den Theil der Höhle, wo die Räuber auf dem Vorsprung und in den Nischen versteckt waren, grell erhellte und den Soldaten ihre Feinde sichtbar machte. Nun fielen hundert Schüsse auf einmal, und man sah fast sämmtliche Räuber, durch das plötzliche Licht geblendet und nun ihrerseits von unsichtbaren Feinden niedergeschmettert, wie Figuren bei einem Festschießen zu Boden stürzen. Nach einigen wenigen Salven war der Kampf zu Ende. Jedoch gelang es den noch am Leben gebliebenen Räubern zu entfliehen. Die meisten davon waren jedoch auf dem Platze todt geblieben. Nachdem der letzte Schuß gefallen war, sammelten sich die Soldaten wieder; da zeigte sich erst, wie schrecklich ihre Reihen gelichtet waren. Sodann durchsuchten sie die Höhle auf’s genaueste. Am äußersten Ende derselben angekommen, prallte der Oberst, welcher mit mehreren Offizieren voranging, mit einem Schrei des Entsetzens zurück. Ein grausenerregendes Schauspiel bot sich seinen Blicken dar, vor welchem auch seine Mannschaft, stumm vor Schmerz und Wuth, zurückschauderte. An der ganz von Blut gerötheten Felswand standen 40 Körper und eine gleiche Anzahl abgeschlagener Köpfe nach der Ordnung aufgestellt. Es waren dies die Leichname der wackern Soldaten des 65. Regiments, welche vor drei Wochen in die Höhle einzudringen versucht hatten, und denen von den Räubern die Köpfe abgeschnitten worden waren, sobald sie an das Ende des engen Ganges kamen. Die zwölf gefangenen Räuber büßten nach nicht ganz drei Monaten auf dem Marktplatze der Stadt ihr Verbrechen auf dem Schaffot. VI. Lips Tullians Flucht und Rettung. Beim Himmel, Herr! Sie setzen scharf euch nach, Durchsuchen jeden Busch ringsum im Thale; Ihr seid geächtet, vogelfrei erklärt, Preise stehen Auf eurem Haupt, gar hohe Preise, Herr! ~Friedrich Halm.~ Aus vielen Wunden blutend, erreichte Lips Tullian die Hütte eines Köhlers, der unter die Vertrauten der Bande gehörte und in der Nähe seines armseligen Häuschens einen sichern Versteck für umherstreifende oder verfolgte Räuber hatte, auch von der Bande zu Zeiten Geld erhielt, um für Zusprüche mit Lebensmitteln versehen zu sein. Der Köhler kannte heilsame Pflanzen, die er für des Verwundeten Wunden schnell herbeischaffte. Durch diese und sorgliche Pflege hatte er ihn schon nach einigen Tagen hergestellt. Die Räuber hatten einen versteckten Ort mehrere Meilen von der bisher bewohnten Räuberhöhle zu ihrem Sammelplatze bestimmt. Er beschloß nun nach seiner Genesung, in der Nacht und auf den abgelegensten Wegen zu den Seinigen zurückzukehren. In einem zerrissenen Anzuge des Köhlers, Gesicht und Hände geschwärzt, eine Axt auf der Schulter, wollte er so eben seinen Versteck verlassen, als der Köhler mit lautem Wehklagen zu ihm hereinstürzte, gefolgt von seinem jammernden Weibe, das unter lautem Weinen erzählte, sie sei diesen Abend in Fichtenberg gewesen, habe dort von ihrer Base gehört, daß der neue Aufenthalt der Räuber im Forste Wildenfels von gefangenen Räubern sei verrathen, und beinahe die noch übrige ganze Bande von dem Trebnitzer Amte dort aufgegriffen worden. „Ich wollte anfangs diese schreckliche Kunde nicht glauben,“ -- schloß die Köhlerin ihre höchst fatale Nachricht -- „konnte aber nicht lange an der Wahrheit dieser Kunde zweifeln, da, während wir noch sprachen, vier Leiterwagen durchs Dorf fuhren, und ich auf selben den schwarzen Wenzel, den langen Haneder, den Pferdbuben, Trolls Gustel und ihre Schwester erkannte. Hände und Füße der Gefangenen waren mit schweren Ketten belegt, und viele Soldaten, Gerichtsdiener mit großen Hunden, einige Jäger zu Pferde und Bauern mit Flinten, Mistgabeln und Knitteln umgaben die Wagen. Ich bitte Euch um alles, ungesäumt zu entfliehen, denn es sagen die Leute mit Bestimmtheit, daß in der ganzen Gegend die strengsten Nachforschungen vorgenommen werden.“ -- Lips Tullian war gleich entschlossen. Er wusch sich Gesicht und Hände, zog seine Kleidung wieder an, steckte die Doppelpistolen zu sich, hing seinen kurzen, scharfen Säbel um und hüllte sich in den weiten, feinen Mantel, den er auf dem Pferde des Jägers gefunden hatte. Er war zur Abreise gerüstet. Der Köhler brachte ihm noch eine Zehrung in einer vollen Flasche Branntwein, Brod und Speck, überdieß einen Beutel mit 60 fl., welche er in jüngster Zeit zur Anschaffung von Lebensmitteln für einsprechende Kameraden aus den Zusammenschüssen der Bande erhalten hatte. Daß der Köhler bei seiner Armuth und bei der Gewißheit von dem Unfalle der Bande diese Summe ausliefern wollte, ist ein Zug von Redlichkeit und Herzensgüte, der nur von einem tugendhaften Manne, aber nicht von einem Diebshehler hätte erwartet werden können. Lips Tullian trug noch die inhaltreiche Börse des Herrn von Liebenstein unangegriffen bei sich; er besaß eine nicht unbedeutende Summe von seinem Antheile an der jüngst geschehenen Beraubung eines sehr reichen Pächters, und war daher eher geneigt, dem armen Köhler zu geben, als von ihm zu nehmen. Unter den besten Wünschen dieser Leute verließ er gegen Mitternacht die Hütte. Böhmen war das Land, wohin er eilte, anfangs aber nur in Nachtmärschen, und kaum von mehr als Quellwasser und Waldfrüchten lebend. An der sächsisch-böhmischen Grenze trieben damals, wie ihm wohl bekannt war, mehrere verwegene Räuber ihr Wesen, es waren dies: ~Sarberg~, bekannt unter dem Namen der ~Studentenfritz~; ~Schickel~, der Brettbauer; ~Christian Eckhold~, der schöne Böttcher; ~Hans Wolf Schöneck~; ~Daniel Lehmann~ und der Kolmnitzer Schneider: ~Michael Hentzschel~. Diese raubten theils einzeln auf eigene Faust, theils in Verbindung mit einander; eine geschlossene Bande war es nicht. Diese aufzusuchen, war Lips Tullians Absicht, um sich diesen anzuschließen, sie zu vereinigen und sich aus diesen verwegenen Männern eine neue Räuberbande zu bilden. Es dürfte daher wohl jetzt an der rechten Stelle sein, diese Leute etwas näher kennen zu lernen. VII. Sarberg, genannt: =der Studentenfritz=. Ein feindlich Schicksal stürmte durch mein Leben. Nein, nicht geboren ward ich, als ein Dieb In Waldesnacht mein Leben zu verdienen; Zu schönern Tagen zog das Glück mich auf, Und aufgezogen seiner Gunst vertrauend, Betrog es mich und ließ mich sinken. ~Th. Körner.~ In dem Dorfe Hündorf des Fürstenthums Sagan war Sarberg geboren. Sein Vater, herrschaftlicher Verwalter, und seine Mutter, aus einer angesehenen Familie stammend, genossen den allgemeinen Ruf eines unbescholtenen Wandels. Unter der weisen Sorge und der zärtlichen Liebe seiner biedern Eltern erwachsend, die für die Erziehung ihres einzigen Sohnes das Beste thaten, verrieth Friedrich schon in der Blüthe des Jugendalters recht viele Fähigkeiten, aber auch viele Neigung zu einem schwärmenden Leben, dabei einen Muth und eine Beharrlichkeit von seltener Stärke. Zur Nachfolge im Amte seines Vaters von den Eltern und dem gräflichen Gutsherrn bestimmt, wurde Sarberg in Allem, was er für seine künftige Bestimmung zu wissen nöthig hatte, sorglich unterrichtet. Aber schon als Knabe von zwölf Jahren erklärte er mit eisernem Trotze, sein Leben nicht hinter den Pflügen, auf dem Kornboden, bei der Viehmast verleiern, sondern als Soldat oder Seemann einst große Dinge leisten zu wollen. Dieser Erklärung setzte sein Vater, der mit leidenschaftlicher Vorliebe an der Landwirthschaft hing, und sie für den wichtigsten und edelsten Zweig an dem Riesenbaume des menschlichen Wirkens hielt, das freundlichste Zureden, die herzlichste Ermahnung entgegen; diese wurden zum strengen Ernst, zur harten Behandlung, zur Androhung der Enterbung und des Fluches, als Friedrich mit aller Kälte und Festigkeit versicherte, nicht von dem Willen seines Vaters, sondern nur von seinem eigenen sich für seinen Stand bestimmen zu lassen. In früherer Zeit der Gegenstand der zärtlichsten Liebe seiner Eltern, jetzt mit Geringschätzung, oft mit der rauhesten Härte behandelt, wurde der sonst offene Friedrich ein listiger Heuchler. Er begann mit Thätigkeit sich der Landwirthschaft anzunehmen, bei jeder Gelegenheit den Unterricht seines Vaters, den Rath erfahrner Landwirthe einzuholen und alles aufzubieten, was seine, nun so plötzlich erwachte Neigung zum landwirthschaftlichen Wirken im hellleuchtenden Lichte darzustellen vermochte. Ueber diese Sinnesänderung ihres Sohnes waren Vater und Mutter entzückt, aber bald sollten sie enttäuscht werden. Friedrich war klug genug, recht wohl einzusehen, daß er ein hübsches Sümmchen nöthig habe, um beim Militär oder auf einem Schiffe unterzukommen, ohne als ein geldloser Wicht gleich bei seinem Erscheinen hintenangesetzt zu werden. Durch Beharrlichkeit in seiner laut ausgesprochenen Abneigung gegen die Landwirthschaft war er von allen Mitteln entfernt, sich Geld zu verschaffen; dadurch, daß er den Wünschen seiner Eltern schmeichelte und ihrem Willen ganz zu genügen schien, öffneten sich ihm wieder deren Herzen und Börsen. Aber er begnügte sich nicht, seine wackern Eltern durch Heuchelei zu täuschen, um aus ihrer Casse zu schöpfen, sondern war bald schlecht genug, durch heimlichen Verkauf von Holz aus den herrschaftlichen Wäldern, durch Betrügereien im Kornhandel und durch manchen andern ehrlosen Gelderwerb sich nach und nach eine bedeutende Summe zu ergaunern. Gerade als seine Kasse in einem Zustande sich befand, der ihm die Mittel zur Erfüllung seiner geheimen Pläne gewährte, rückte ein Commando des österreichischen Dragonerregiments Mansfeld in Hündorf ein. Der commandirende Officier erhielt sein Quartier im Schlosse. Nun war Friedrich in seinem Elemente. Man fand ihn nur in den Ställen bei den schmucken Dragonerpferden, oder im Wirthshause unter den Reitern, die er schon als seine Kriegsgefährten betrachtete, ja sich schon im Schlachtgewühle in ihren Reihen, bald durch Belohnung seiner Tapferkeit an ihrer Spitze sah. Der Wachtmeister des Commando, ein alter Kriegsmann, der dem Doppellümmel vorzüglich hold war, wurde von Friedrich zu seinem Vertrauten erwählt. Des Jünglings schöne, kräftige Gestalt, seine empfehlungsreiche Haltung, der Anstand und die Gewandtheit, womit er, ein von Jugend auf geübter Reiter, das wildeste Dragonerpferd tummelte, hatten das werblustige Gemüth des Wachtmeisters bald mit dem Wunsche erfüllt, solch einen herrlichen Rekruten in die Schwadron zu bekommen. Als ihm nun Friedrich vertraute, von dem heißesten Verlangen beherrscht zu sein, in die Reihen der Mansfeldischen Reiter zu treten, doch dieses nur heimlich geschehen könne, da sein Vater dazu nie seine Einwilligung geben werde; und wie nun Friedrich den Wachtmeister um guten Rath, um sein kräftiges Wirken zur Erfüllung so heißer Wünsche bat, und diese Bitte durch einige Goldstücke unterstützte, da versprach ihm dieser mit einem derben Fluche, alles anzuwenden, was solch ein schätzbares Verlangen nach dem Glücke, kaiserlicher Majestät zu dienen, zur Erfüllung bringen könne. Auf der Stelle ging der Wachtmeister zu seinem Offizier und vertraute diesem Friedrichs Wünsche, zugleich aber auch die Hindernisse von väterlicher Seite. Der Officier, ein kaltherziger, geldsüchtiger Patron, der, um seinen Säckel zu füllen, allen Eltern ihre Söhne entführt hätte, hörte kaum vom Wachtmeister, daß der junge Mensch Geld habe, als er Friedrich zu einer geheimen Unterredung in ein nahes Wäldchen beschied, das heiße Verlangen des Kriegslustigen noch mehr entflammte, dann plötzlich Berge von Hindernissen aufthürmte, aber diese gleich wieder in die lieblichste Ebene umwandelte, als Friedrich, den Geldsüchtigen durchschauend, ihm 50 Dukaten für die Einreihung in die Schwadron, jedoch auf sehr geheimen Wegen, pränumerirte. Der Officier gab sein Wort, ertheilte Friedrich den Rath, ein Geschäft aufzufinden, welches ihn einige Tage vor dem 27., wo die Schwadron wieder aus Hündorf abmarschire, vom väterlichen Hause entferne, und dann auf Seitenwegen voran zu eilen, so daß er in Frauenfeld, wo das Commando Rasttag halte, gleich bei selbem einrücken und mit abmarschiren könne. Einige Tage vor dem Abmarsche der Dragoner gab Friedrich gegen seinen Vater vor, so eben von einem zuverlässigen Manne erfahren zu haben, daß in Liebrode -- er bezeichnete absichtlich einen, dem Marsche des Commandos in entgegengesetzter Richtung liegenden Ort -- eine bedeutende Anzahl spanischer Schafe verkauft werde, und ein sehr vortheilhaftes Geschäft zu erwarten sei, da der Gutsbesitzer, von seinen Gläubigern gedrängt, die Schafe um jeden Preis verkaufen müsse. Vater Sarberg, schon lange nach jenen herrlichen Merinos lüstern, und über seines Sohnes Betriebsamkeit hoch erfreuet, gab diesem eine bedeutende Summe in Gold und seine besten Wünsche mit. Da die Hin- und Herreise, wie auch der dortige Aufenthalt mehrere Tage erforderte, so fiel es nicht auf, daß Friedrich einen vollen Mantelsack an den Sattel schnallte. Auf seines Vaters bestem Reitpferde, durch Heuchelei und Betrug im Besitze einer reichen Goldbörse, zog Friedrich von dannen, einem Leben voll Verirrungen, Laster und Verbrechen, dem schmachvollen Lohne seiner Thaten entgegen. Zwei Jahre hatte Sarberg im österreichischen Dragonerregimente Mansfeld gedient und zum Wachtmeister sich aufgeschwungen, als er in der Trunkenheit den Offizier, der ihn arretiren wollte, niederhieb, ins Stockhaus gebracht und zum Tode verurtheilt wurde. Die Tochter des Stockmeisters, eine liederliche Dirne, schon seit längerer Zeit mit Friedrich im vertrautesten Umgange und mit dessen Besitze einer bedeutenden Geldsumme bekannt, versprach, ihn aus dem Gefängnisse zu befreien, wenn er ihr auf das Feierlichste gelobe, sich mit ihr bei erster Gelegenheit trauen zu lassen. Friedrich versprach ihr seine Hand, seine unveränderliche Dankbarkeit, das herrlichste Leben mit einem kräftigen Eide. Schon in der nächsten Nacht war Friedrich, von der schlauen Dirne als Barfüßermönch verkleidet, unaufgehalten an der ehrfurchtsvoll begrüßenden Schildwache vorüber durch das Stadtthor gegangen und bald an dem verabredeten Orte angelangt, wo die Befreierin in männlicher Kleidung seiner harrte, und, einen Korb auf dem Rücken, an der Seite des vermummten Barfüßers wohlgemuth dahin zog, für einen Knaben geltend, der den geistlichen Herrn begleite, um für selben die Geschenke der Landleute zu tragen. Jenseits der Gränze wurden die Verkleidungen in einen Teich versenkt. Aus dem Korbe ging für Friedrich ein sehr stattlicher Anzug hervor, und Elisabeth war schnell im niedlichen Frauenkleide. Friedrich, der schon als Knabe von einem Formstecher in Hündorf von dieser Kunst so manches sich angeeignet hatte, schrieb für sich und Elisabeth in der nächsten Schenke einen wohlstylisirten Reisepaß, schnitt in festes Holz das Gerichtssiegel seines Grafen, und versah sich so mit einem Dokumente, welches allen Schein der Giltigkeit hatte und seine Reise ungehindert machte. -- Daß Friedrich Sarberg nach seiner Entweichung aus dem Stockhause bei einem Reiterregimente des Churfürsten von Brandenburg, dann im dänischen Regimente Rottenstein, zwei Jahre hierauf unter den Jordanischen Kürassieren als Fourier gestanden und sich da mit Elisabeth verheirathet, hierauf im Görzischen Regimente gedient, die Schlacht bei Binschof in Polen als Fahnenjunker mitgemacht habe und als Adjutant des Dragoner-Obristen Billitz aus dem Militär-Verbande getreten sei, gehet aus den Untersuchungsakten hervor, jedoch ohne klare Beleuchtung seines Wandels in jener Zeit, über dessen Unbescholtenheit er in seinen Verhören auf das Feierlichste sich verbürgte, immerhin zum gerechtesten Zweifel des Criminalrichters, der die Narben an Sarbergs Körper, von ihm als Folgen erhaltener Wunden im Kriege angegeben, nur gar zu gut als die Merkmale ausgestandener Tortur erkannte. Endlich gelang es doch, Sarberg zum Geständniß zu bringen, daß einige dieser Narben aus einer Tortur herrührten, in welcher man zu Hohenstein seinen Körper mit Wachslichtern gebrannt hatte, um von ihm die Anerkennung eines Raubmordes zu erzwingen, welchen er während seiner Kriegsdienste in Ungarn begangen haben sollte, daran aber ganz unschuldig gewesen sei. Nachdem Sarberg das Dragonerregiment des Obersten Billitz verlassen, vorher aber seine Elisabeth, mit ihrer freudigsten Einwilligung um 30 Dukaten an einen alten, reichen Weinhändler abgetreten hatte, ging er nach Danzig, handelte dort anfangs mit Pferden, dann mit Räucherwerk und Flachs, gewann viel Geld, trieb dabei falsches Spiel mit Würfeln und Karten, verlor aber all sein Vermögen an einen viel gewandtern Betrüger, erstach diesen in der Wuth der Verzweiflung, und floh in die Wälder, wo er sich an eine Räuberbande anschloß, einige Mal in Haft gerieth, theils durch Ausbrechen aus den Gefängnissen, theils durch das hartnäckigste Leugnen sich frei machte, dann ohne Genossenschaft stahl, Straßenraub und Mord ausübte, endlich, wie wir alsbald sehen werden, mit Lips Tullian sich vereinigte, und die Ehre genoß, an der Spitze der Vertrauten dieses Verbrechers zu stehen. Den Beinamen: „Studentenfritz“ hatte er erhalten, seiner Fertigkeit im Schreiben und seiner Geschicklichkeit in Verfertigung von Stempeln und Petschaften wegen, da in jenen Zeiten der ungebildete Mensch Alles Student hieß, was sich durch Fähigkeiten und Künste dieser Art über das Gemeine erhob. VIII. Samuel Schickel, der Brett-Bauer. Ha! gräßlich wird es Tag in meiner Brust! Ich Rasender, daß ich von Glücke träumte! -- Fahr’ hin, du letzter Glaube an die Menschheit! -- Welt, wir sind quitt! Du hast dein Spiel verloren! ~Th. Körner.~ Im sächsischen Dorfe Schönfeld, zur Gerichtsbarkeit des Amtes Frauenstein gehörig, lebte ein Fuhrmann, Christoph Schickel, der zwar nicht unter die reichen, wohl aber unter die vermögenden Leute gehörte, den größten Theil des Jahres mit seinen vier Rappen über Land war und sich nie lange zu Hause aufhielt, da sein Weib eben nicht den sanftesten Charakter, dabei eine wahre Leidenschaft zum Widerspruche hatte, vorzüglich aber, sobald ihr Mann in’s Haus trat, ein unerschöpfliches Klagelied über ihre Kinderlosigkeit anstimmte, oft mit beißenden Bemerkungen über des Mannes eheliche Kälte ausgestattet, wo es dann auch nicht an sehr trivialen Anspielungen auf Ausschweifungen während des Umherziehens im Lande und des Aufenthaltes bei hübschen Wirthsfrauen und Mägden gebrach. Christoph Schickel, mit einer wahren Fuhrmannsnatur begabt, dabei durch den steten Umgang mit der rohesten Volksklasse eben nicht sehr verfeinert, begrüßte meistentheils bei seiner Heimkunft die klagende, widersprechende, giftig anspielende Ehefrau mit der Peitsche und wiederholte öfters im Laufe seines Aufenthaltes zu Hause dieses Fest des zärtlichen Wiedersehens. In der ganzen Umgegend von Schönfeld war die Sehnsucht der Frau Schickel nach einem süßen Pfand ihrer ehelichen Liebe recht wohl bekannt, und als sie sich nun auch gegen die Schönfelder Klatschschwestern äußerte, selbst ein fremdes Kind annehmen und mit der herzlichsten Mutterliebe erziehen zu wollen, so kam eine Dirne aus Schönfeld ihren Wünschen zuvor, indem diese wegen ihrer Schwangerschaft aus dem Hause der Eltern verstoßen und von dem armen aber herzensguten Dorfhirten aufgenommen, ihr neugebornes Kind in Lumpen hüllte, der Frau Schickel nächtlicher Weile vor die Thüre legte und sich auf und davon machte, nachdem sie dem Hirten vertraut hatte, welches Geschenk sie der kindersüchtigen Kärnerin hinterlassen habe. Frau Schickel war anfangs sowohl gegen das Kind, als auch dessen unberufene Geberin sehr erbost, jedoch bald, trotz ihres sonst langwährenden Zürnens, durch den Anblick des wohlgestalteten, kräftigen Kindes besänftigt, und als nun auch ihr Ehemann bei seiner Heimkehr von einer Magdeburger Fahrt das gar hübsche Büblein mit freundlichem Auge betrachtete, auf seine Arme nahm und herzte und kußte, und als nun Frau Schickel über die Erfüllung ihres liebsten Wunsches allmählich die üble Gewohnheit des Wiederbellens und der beißenden Bemerkungen ablegte, so begann von Tag zu Tag der Friede und die Eintracht in diesem Hause einheimischer zu werden, und beide Eheleute liebten den Findling um so mehr, da er ihnen gleichsam zum Spender häuslicher Ruhe, Zufriedenheit und Friedfertigkeit geworden war. Gleich nach der Taufe, wobei ihm der Name Samuel gegeben wurde, gingen die Schickel’schen Eheleute zum Amte und ließen über ihre Erklärung, den Findling an Kindes Statt anzunehmen und einst alle ihre Habe auf ihn zu vererben, eine gerichtliche Urkunde aufnehmen. Alles, was in einer Dorfschule an Unterricht ertheilt werden kann, lernte Schickels Pflegesohn mit großem Eifer und entwickelte recht viele Fähigkeiten. Der Schule entwachsen, wurde er in der Landwirthschaft unterrichtet, begleitete aber schon von seinem vierzehnten Jahre an den Nährvater auf seinen Fahrten und leistete, an körperlicher Kraft und Größe beinahe ein Jüngling, dabei wachsam, klug und geschäftslustig, recht gute Dienste. Das Umherziehen auf dem Lande, der fast ununterbrochene Aufenthalt in Wirthshäusern, wie auch die so viel gesehenen Beispiele der Sittenlosigkeit, des Betruges, der Rohheit, des Karten- und Würfelspiels, der Völlerei und Unzucht, untergruben immer mehr Samuels Moralität, die ohnehin nicht auf Felsen gebaut war. Noch nicht volle siebzehn Jahre alt, hatte der schöne, kräftige Bursche schon die Schule der Unkeuschheit und der damit verschwisterten Laster durchgemacht, überbot die tüchtigsten Trinker, betrog im Spiele mit Karten und Würfeln, im Handel und Wandel, bestahl seine Pflegeältern und begann sich zu einem um so gefährlichern Bösewicht auszubilden, da er die Verstellungskunst im höchsten Grade besaß und zu heucheln und gleißen auf das Meisterhafteste verstand. Eines Tages saß Samuel in einer Schenke bei Dresden, wohin der Pflegevater ihn mit einer Ladung von Pferdehäuten gesandt hatte, und ließ sich vorsetzen, was gut und theuer war. Während er es sich recht wohl schmecken ließ und dabei einige Burschen seines Gelichters mit Bier und Branntwein bewirthete, trat eine armselig gekleidete Weibsperson an seinen Tisch und bat um ein Almosen. Samuel zog eine Hand voll Geld aus der Tasche und warf der Bettlerin mit prahlerischer Gebehrde einen Thaler hin. Sie dankte, betrachtete Samuel mit einem langen, höchst freundlichen Blicke und setzte sich dann an einen gegenüber stehenden Tisch, wo sie bei ihrem Kruge Bier Samuel nicht aus dem Auge ließ. Bald darauf ging dieser in den Stall, um nach den Pferden zu sehen, und unbegrenzt war sein Erstaunen, als die Bettlerin in den Stall trat, die Thüre verschloß und mit den Worten: „Grüß Dich Gott, lieber Sohn!“ -- auf ihn zueilte. Aber bald war er überzeugt, seine Mutter vor sich zu sehen, da ihm diese alle Umstände genau angab, von ihrer Kindheit und ihrem Leben in Schönfeld an bis zum Augenblicke, wo sie ihn, einige Stunden nach seiner Geburt, an der Thürschwelle des Fuhrmanns Schickel ausgesetzt hatte. War Samuel auch ein roher, lasterhafter Mensch, so erwuchs in ihm doch gegen seine Mutter ein wirklich zärtliches Gefühl. Er schämte sich nicht ihrer Lumpen und ihrer durch Armuth und Kummer zerrütteten Gestalt. Mit Herzlichkeit reichte er ihr die Hand und drang in sie, sich an seinen Tisch zu setzen, damit er sie auf das Beste bewirthen, dann für bessere Kleidung sorgen und über ihre Unterkunft und künftige Ernährung mit ihr Rath halten könne. Das lehnte seine Mutter ab, die sich schämte, neben ihrem wohlgekleideten Sohne und seinen Zechgenossen in ihrem zerlumpten Anzuge Platz zu nehmen. Sie bat ihn um etwas Geld, um im nächsten Dorfe bei Schönfeld sich einige Tage bei einer Base aufhalten zu können, wo er sie heimlich besuchen und dann erfahren solle, was sie zur Begründung ihres künftigen Unterhalts bereits ausgedacht habe. Von dem Sohne reichlich beschenkt, eilte sie fort, kehrte aber schnell wieder zurück und bat ihn auf das Dringendste, gegen Jedermann ihr Dasein auf das Sorgfältigste zu verschweigen. Als Samuel zu Hause angekommen, und Rechnung über Fracht und Ausgabe abgelegt war, ging er, unter dem Vorwande großer Müdigkeit, gleich nach Einbruch des Abends in seine Schlafkammer, stieg leise aus dem Fenster und lief dem Aufenthalte seiner Mutter zu. „Lieber Samuel,“ -- sprach diese zum Eintretenden, und reichte ihm ein volles Glas Branntwein -- „ich habe ein Plänchen gemacht, durch dessen glückliche Ausführung mein Lebensunterhalt geborgen sein wird. Läuft auch etwas Schelmerei dabei mit, so bin ich nicht so einfältig, Gewissensbisse darüber zu befürchten; der alte Schickel hat Geld, ich aber keines, und noch dazu die trostreiche Aussicht, verhungern zu müssen, da ich zu schwerer Arbeit weder Kräfte noch Lust habe. Höre nun, was ich erdachte.“ „Schickel ist Dein Vater nicht, ungeachtet er in jener Zeit mit mir im Geheimen eine vertraute Bekanntschaft hatte, und wir uns gerade nicht Zwang anthaten. Aber jetzt soll er Dein leiblicher Vater werden, wenigstens im Wahne. Du besorgst, daß Schickel morgen Nachmittags hierher gehe. An einem klugen Vorwande, ihn zu diesem Gange zu bewegen, ohne daß er meine Nähe ahnet, wird es Dir nicht mangeln. Im Erlengebüsche am Mühlteiche lauere ich auf ihn, komme dann hervor und erkläre ihm mit aller Festigkeit, daß er Dein Vater und dadurch verbunden ist, sich mit mir abzufinden, außerdem ich geradezu die ganze Geschichte seinem Weibe entdecke und gegen ihn bei Gericht Klage führe. Ich kenne die Eifersucht seines Weibes und dessen Bosheit, Zanksucht und Unversöhnlichkeit. Es leben zwar beide, wie ich von der Base hörte, jetzt recht friedlich, aber der häusliche Friede wird schnell zu Krieg und Feuer, wenn so eine Kindsgeschichte wie eine zündende Kugel ins Haus fällt. Schickel ist älter geworden, an eheliche Friedfertigkeit gewohnt, und giebt lieber das Letzte im Geheimen hin, um Ruhe im Hause und keine höhnische Nachrede von der Nachbarschaft zu haben.“ „Nun habe ich Dir vertrauet, wie ich für mich sorgen will. Dein Geschäft sei, mir den Alten in die Erlengebüsche zu schaffen. Jetzt wollen wir trinken und gegenseitig unsere Schicksale erzählen!“ -- So verderbt und liederlich Samuel war, so erröthete er doch oft bei den Erzählungen seiner Mutter, die, vom Branntwein erhitzt und von aller Schamhaftigkeit verlassen, dem eigenen Sohne ihre unzüchtigen Verirrungen, Betrügereien, Gaunerstreiche und Diebstähle mit der frechsten Offenherzigkeit unter ausgelassenem Gelächter erzählte. Der Betrügerin gelang es wirklich, den alten Schickel durch die ihm angelogene Vaterschaft, durch die Drohung der Entdeckung und der Klage bei Gericht so einzuschüchtern, daß er ihr zum Unterhalte jährlich 60 Thaler zusicherte, wofür sie das tiefste Stillschweigen geloben mußte. Zwei Meilen von Schönfeld hatte Samuels Mutter in einem abgelegenen Häuschen, das einer kinderlosen Wittwe gehörte, Wohnung genommen. Die Wittwe, alt und gebrechlich, überließ ihr die Benutzung des kleinen, aus einem Gemüse- und Obstgarten, aus einem Krautfelde und zwei Aeckern bestehenden Grundstücks, wobei sich ein Paar Kühe und einige Schafe befanden, gegen die Verbindlichkeit, sie zu ernähren und bei eintretender Krankheit zu pflegen. Katharina hatte nun ihr gutes Auskommen, und das sonst so stille Häuschen wurde bald der Tummelplatz der Ausgelassenheit und der Schwelgereien, da Samuel in jeder Woche dort ein Paar Nächte zubrachte, stets begleitet von einigen liederlichen Dirnen und Cameraden, wo nun von dem Gelde, daß er durch Betrug gewann oder seinen Pflegeeltern abstahl, auf zügellose Weise geschwelgt wurde. Jetzt starb Samuels Pflegemutter und der alte Schickel übergab Samuel seine ganze Wirthschaft, mit Vorbehalt einiger Grundstücke, die er verpachtete, und den Pachtschilling zu seinem Lebensunterhalte verwendete. Katharina, Samuels Mutter, wußte Schickel so zu kirren, daß sie ihn bewog, ihr die Geschäfte seiner Wirthschafterin zu übertragen. Sie zog in sein Haus, und bald wetteiferten Mutter und Sohn, sich in dem zügellosesten Treiben, in Völlerei und Arbeitsscheu zu überbieten. Der alte Schickel, dem es gar zu bunt wurde, und der, sonst ein ziemlich heilloser Patron, sich seit einigen Jahren an Ordnung und Wirklichkeit gewöhnt hatte, verwies anfangs zur Arbeitsamkeit und zu einem genügsamen, ehrbaren Leben. Seine Ermahnungen, seine Bitten wurden verhöhnt, die Wiederholungen mit den rohesten Beschimpfungen, sogar von Samuel, in Folge einer Aufreizung von seiner Mutter, mit grausamen Schlägen erwiedert, und Schickel, zuerst aus Aerger, dann immer eifriger aus überwiegender Neigung, nahm seine Zuflucht zur Branntweinflasche und trank sich nach einem Jahre in das Grab. Samuel brauchte eine Hausfrau, aber auch das ärmste Mädchen versagte dem allgemein Verrufenen ihre Hand. Knechte und Mägde, in deren Innerem nur noch ein Funke von Zucht, Arbeitsliebe, Ehrbarkeit und Gottesfurcht glomm, gingen aus dem Dienste, und bald bestand Samuels Gesinde aus dem Auswurfe der dienenden Classe. Es konnte nicht anders geschehen, als daß bei solcher Bewirthschaftung des Hauswesens und der Felder, bei solch einem schwelgerischen Leben die Schulden sich so häuften, daß von den Gerichten eingeschritten und das ganze Grundstück mit Einrichtung, Vieh und Fahrniß verkauft wurde. Am Abende vor der Uebergabe des Grundstücks an den neuen Besitzer saß Samuel mit seiner Mutter, nun die einzigen Bewohner des beinahe leeren Hauses, bei der Branntweinflasche und zechten bis tief in die Nacht hinein, während sie immer in die heftigsten Verwünschungen sich ergossen, aber nicht über ihr höchst liederliches Leben, über ihre gar zu liederliche Wirthschaft, ihre unsinnige Verschwendung, sondern über das Gericht, von dem das Grundstück verkauft worden, und über die Leute, die es erkauft hatten. „Was Teufel,“ -- lallte die trunkene Furie und stieß das geleerte Glas mit Heftigkeit auf den Tisch, -- „wir, die rechtmäßigen Besitzer, sollen dieses bequeme Haus mit seinen schönen Stuben, Kammern und Stallungen räumen und so einem fremden Gesindel Platz machen? -- Komm, Samuel, wir packen das Bischen, das uns die verdammte Justiz noch übrig gelassen hat, in ein paar Säcke und ziehen jetzt ab. Damit wir aber bei unserer nächtlichen Wanderung in dieser Dunkelheit nicht über Stock und Steine fallen, so werde ich ein Lichtchen anzünden, an dem man sich noch einige Tage hindurch wärmen kann. Ist hier unseres Bleibens nicht mehr, so soll es auch für Andere nicht wohnlich sein. Auf, Samuel!“ -- Um das gehörig aufzufassen, was das entsetzliche Weib thun wollte, hatte sich Samuel schon zu sehr um seine Sinne getrunken. Mit geschäftiger Hand packte Catharina die armseligen Reste des frühern Ueberflusses in zwei Säcke, und Samuel, dem sie zu seiner Ermunterung ein Glas Wasser ins Gesicht geschüttet hatte, hockte die Säcke auf und taumelte zum Hause hinaus. Schon war er eine Strecke gegangen, als er seine Mutter vermißte. Er wandte sich zurück, da sah er am Scheuerdache ein Flämmchen aufschlagen; das Flämmchen wurde zur Flamme, zum prasselnden Feuer. Mit unwillkürlichem Schauder blickte der Ernüchterte auf das lichterloh brennende Haus hin. -- „Hilfe! um Gotteswillen Hilfe!“ tönte ihm das gellende Gekreisch seiner Mutter entgegen, die am Fenster des obern Geschosses die Hände nach ihm ausstreckte. Samuel warf die Säcke ab und stürzte dem Hause zu. In vollen Flammen stand die Treppe; nur ein Sprung aus dem Fenster konnte die Mutter retten. Er rief ihr zu, es zu thun; sie hatte nicht den Muth dazu, bis die Flamme die Stube ergriff. Jetzt wagte sie den Sprung. Ihre Stunde hatte geschlagen. Mit zerschmettertem Kopfe röchelte die Mordbrennerin zu ihres Sohnes Füßen das verbrecherische Leben aus. Wie von allen Geistern der Hölle verfolgt, floh Samuel über Felder, Wiesen, durch Sümpfe dahin, bis er ohne Bewußtsein niederstürzte. Von einer kräftigen Faust zum Leben aufgerüttelt, sah sich Samuel in einer ganz unbekannten Gegend und einem Manne gegenüber, dessen geschwärzte Gestalt und der schwere Hebebaum auf den breiten Schultern ihm den Kohlenbrenner verkündigten. Als Samuel sich mit Mühe gesammelt hatte, folgte er dem Köhler, der, ohne nach seinen Verhältnissen zu fragen, ihn zu einem Morgenimbiß in seine nahe Hütte einlud. Auf dem Wege dahin überzeugte sich Samuel, daß er in seinem überreizten Gemüthszustande einen Weg von mehreren Meilen zurückgelegt haben müsse, da der Köhler und sein Weib von einem Orte, der Schönfeld heiße, nicht das Mindeste wußten. Kaum hatte Samuel einige Bissen genossen, als er sich so ermattet fühlte, daß er vom Stuhle sank. Der Köhler und sein Weib schleppten ihn nach einer Kammer auf eine Strohschütte, wo er schon nach einigen Augenblicken im tiefen Schlafe lag. Es war schon Nacht, als er erwachte. Aus der Tiefe scholl ihm Gemurmel und Gläsergeklirre dumpf entgegen. Neugierig, was da unter ihm vorgehe, kroch er in der Kammer umher, hörte in einer Ecke das Geräusch aus der Tiefe viel deutlicher und fand nach sorgfältigem Suchen in der Bodendiele einen beweglichen Pflock. Leise zog er diesen in die Höhe, ein Lichtstrahl drang ihm entgegen, und er sah durch die Oeffnung an einem Tische seinen Hauswirth mit fünf Männern und drei Weibspersonen essen und zechen. Das Aussehen der Männer, die schamlose Kleidung, die frechen Gebehrden der Dirnen, da und dort aufgehangene Waffen und zwei große Fanghunde, die an den zugeworfenen Knochen nagten, überzeugten ihn auf den ersten Blick, daß dieses unterirdische Gemach die Zechbude einer Räuberbande sei. Jedes Wort vernahm er nun deutlich, und das Blut stockte ihm in den Adern, als er den Köhler zu seiner Genossenschaft sagen hörte: „Es bleibt also dabei, daß wir den fremden Kerl todtschlagen. Ohne Zweifel ist er ein Fleischmann[7], deren jetzt viele zum Verderben der tuften Tschoren[8] umherlauern. Entrinnen kann er nicht, also frisch hinauf und den Hund todtgeschlagen, so haben wir nichts mehr zu befürchten!“ [7] Spion der Gerichte. [8] Wackeren Diebe. Der Schrecken, die Angst schufen in Samuel einen raschen Entschluß. -- „Was nützt Euch mein Tod?“ -- rief er durch die Oeffnung der Gesellschaft zu -- „während Ihr von meinem Leben gewiß Vortheil ziehen könnt. Nehmt mich in Eure Kameradschaft auf, und Ihr sollt es nie bereuen, mich zu Eurem Gefährten gemacht zu haben!“ -- Ueberrascht blickten alle nach Oben. Sie flüsterten zusammen. Der Köhler holte Samuel in die Versammlung. Er schwur den Eid der Treue und ward ein Mitglied der Räuberbande. Als diese nach einem Jahre bis auf ihn und den Köhler ergriffen wurden, machte er mit diesem jenseits der Grenze gemeinschaftliche Sache, stahl, raubte, brannte und mordete und erschlug den Köhler in einem Streite über die Theilung geraubter Waaren. Den Beinamen: „Brettbauer“ erhielt er, weil er in Böhmen einen Bauer, der ihm bei einem Einbruche mit einem Beile eine tiefe Kopfwunde schlug, an Händen und Füßen an ein Brett genagelt und in der Moldau ersäuft hatte. IX. Christian Eckold, der schöne Böttiger. Die Damen mit ihrem Doppelgesicht, Halb Höll’, halb Himmel, ein Ganzes nur nicht, Sie gruben künstlich vom Körper aus Den Geist aus seinen Wurzeln heraus. ~J. G. Seidl.~ Schon in seinem zehnten Lebensjahre elternlos, wurde Eckold von einem Verwandten, dem Böttiger Lohr, an Kindesstatt angenommen, sehr christlich erzogen, in der Profession des Pflegevaters unterrichtet und zum künftigen Erben bestimmt. Eckold gab die besten Hoffnungen, lernte fleißig und führte ein unbescholtenes Leben. Als Lohr durch einen furchtbaren Brand sein Haus verlor, und, von einem stürzenden Balken tödlich verwundet, bald nach dem Brande starb, verkaufte Eckold, der noch in den letzten Lebensstunden seines Pflegevaters von ihm zum alleinigen Erben durch eine gerichtliche Handlung ernannt wurde, die Brandstätte, behielt sich die auf ihn übergetragene Gewerbs-Ausübung vor, versteuerte sie gleich auf mehrere Jahre und trat die Wanderschaft an. Von dieser zurückgekehrt, begann er gleich sein Gewerbe auszuüben und gewann durch Fleiß und Redlichkeit schon in wenigen Jahren so viel, daß er, ohne Geld aufborgen zu müssen, ein recht geräumiges Haus kaufen konnte. -- Eine alte Base von ihm, die ein kleines Vermögen besaß, hatte bisher seine Wirthschaft geführt. Nun aber fühlte Eckold von Tage zu Tage immer mehr die Wahrheit des Spruches, daß es nicht gut sei, wenn der Mensch allein ist. Ohne seinen Entschluß, sich zu verehelichen, laut werden zu lassen, spähete er mit forschenden Blicken unter den Schönen seines Geburtsortes umher. Ueberall fiel sein Auge auf freundlich ihm zulächelnde Gesichter; er hätte nur wählen dürfen, und selbst der stolzeste und angesehenste Familienvater im ganzen Flecken würde dem schönen Böttiger -- so nannte man ihn seiner ausgezeichneten männlichen Schönheit wegen -- nicht die Hand der Tochter verweigert haben, da Eckold bei seinem ausgebreiteten Gewerbe, seiner rastlosen Thätigkeit und seinem untadelhaften Wandel, im schönen Vereine mit einem sehr liebenswürdigen Benehmen, aller Herzen gewonnen hatte. Schon schwankte er zwischen zwei schönen und reichen Mädchen, als ein Augenblick eintrat, der sein Herz mit aller Macht der Liebe erfüllte und ihn jene Beiden vergessen ließ. Es war an einem recht angenehmen Abend, als der junge Drechslermeister Blank, Eckolds einziger Freund, ihn abholte, um im Wirthshause eines nahe liegenden Dörfchens sich bei einem Glase Bier und unter traulichem Geplauder von der harten Tagesarbeit zu erholen. In die Nähe des Dörfchens gekommen, hörten sie jammernde Stimmen und sahen viele Leute vom Felde hinweg der Landstraße zueilen. Auch sie eilten dahin und fanden eine umgestürzte Kutsche, aus der man soeben eine jämmerlich schreiende Frau hervorzog, mit welcher sich besonders ein schlankes, hochgestaltetes Mädchen sehr eifrig beschäftigte. Die Frau hatte durch den gewaltsamen Sturz des Wagens den Arm gebrochen, auch mochte sie sich sonst sehr schwer verletzt haben, denn sie erbleichte plötzlich und schien eine Leiche zu sein. Trostlos, die Hände ringend, lag das Mädchen auf ihren Knieen und beträufelte die Ohnmächtige mit den Thränen ihres heißen Schmerzes. Gaffend standen die Landleute umher und murmelten unter einander. „Bringt doch schnell eine Trage herbei mit einem Bette!“ sagte Eckold zu einem der Umstehenden und drückte ihm Geld in die Hand. Auf der Stelle lief dieser mit einigen in’s Dorf und kehrte bald mit einer hochbepolsterten Trage zurück. Unterdessen hatte Eckold aus dem nahen Bache seinen Hut mit Wasser gefüllt und das Gesicht der Bewußtlosen damit sanft gewaschen, wobei ihm das Mädchen mit zärtlichem Eifer Hilfe leistete. Behutsam wurde die nun wieder hochathmende und aufblickende Frau von Eckold und seinem Freunde auf die Trage gehoben und in das Wirthshaus geschafft, wohin auch die von den Landleuten emporgerichtete Kutsche folgte. Auf Eckolds Zureden bespannte der Wirth seinen Korbwagen und fuhr im raschen Trabe nach dem Flecken, um den dortigen Wundarzt zu holen. Jetzt, als die Kranke in dem reinlichen, freundlichen Oberstübchen des Gasthauses auf ein weiches Bett gebracht war und gleich zu schlummern anfing, jetzt erst betrachtete Eckold das Mädchen. Er konnte sich nicht erklären, wie er bisher dieses reizende Wesen übersah. Solch ein jugendlich blühendes Gesicht mit dem süßesten Liebreize, solche herrliche Formen hatte er noch nie gesehen. Der Funke eines ihm bisher unbekannten Gefühles tauchte in seinem bewegten Innern auf, und dieser Funke wurde immer mehr zur süß belebenden Flamme. Er mußte sich Gewalt anthun, das Stübchen zu verlassen, als jetzt das Mädchen ihm mit wenigen aber innigen Worten für den geleisteten Liebesdienst dankte und durch eine Verneigung und ein schweigendes Hinblicken auf die Schlummernde die Bitte, allein gelassen zu werden, zart andeutete. In der Bohnenlaube des lieblichen Blumengartens, seinem Lieblingsplatze, saß Eckold seinem Freunde Blank gegenüber in tiefem Sinnen, nur des Mädchens holde Gestalt vor seinen trunkenen Blicken, noch immer lauschend nach den verklungenen Tönen der Silberstimme. Die Wirthin kam mit Erfrischungen und Eckold erwachte aus seinen Träumen, denn die redselige Frau war gleich nach den ersten Begrüßungen bei der Fremden und ihrer Tochter. Mit geläufiger Zunge erzählte sie, daß die Fremde, wie soeben der Kutscher ihr vertrauet habe, die Wittwe eines vor Kurzem an der böhmischen Grenze verstorbenen Försters sei, sich nun nach Preußen, ihrem Vaterlande, begebe, und während der Reise recht schmerzlich über ihre Lage geklagt habe, da sie durch die lange Krankheit ihres Gatten um all ihr Erspartes gekommen und bei so geringer Pension dem bittersten Elende ausgesetzt sei, wenn es ihr nicht gelänge, einen reichen Anverwandten, den ihr Gatte durch seine Heftigkeit auf das Tiefste gekränkt hatte, wieder zu versöhnen und von ihm unterstützt zu werden. Bis tief in die Nacht hinein, was bei Eckolds geregelter Lebensweise fast nie geschah, blieb er in der Laube, voll Verlangen, das reizende Mädchen nochmals zu sehen und zu sprechen. Unerfüllten Verlangens und in recht wehmüthiger Stimmung kehrte er mit Blank wieder zurück, denn die Wirthin hatte ihm mit großer Betrübniß gesagt, daß die arme Frau in sehr gefährlichem Zustande sich befinde, da nach des Wundarztes Versicherung nicht nur der Arm gebrochen, sondern auch ein innerer, sehr edler Theil verletzt sei. -- Noch vor Anbruch des Tages hatte die Försterin in einem Blutsturze ihr Leben ausgeströmt. Wilhelmine Bornfeld -- so hieß die Försterstochter -- war nach drei Monaten die Ehefrau des Böttigermeisters Eckold, der in dem ersten halben Jahre seiner Ehe einen Engel zu umfassen glaubte, aber dann von Monat zu Monat, von Woche zu Woche, ja von Tag zu Tag immer mehr zur qualvollen Ueberzeugung kam, in diesem geträumten Engel einen sehr gefallenen an seiner Seite zu sehen. Nachlässigkeit im Hauswesen, Abscheu vor Arbeit, Putzsucht, Eitelkeit, unbezähmbarer Widerspruch, wochenlanges Maulen und unersättliche Sinnlichkeit waren die beglückenden Eigenschaften, welche allmälig wie die üppigen Blumenblätter einer giftigen Pflanze vor den Blicken des schrecklich Getäuschten sich entfalteten. Nach drei Jahren einer Ehe, die auf Eckolds Moralität den allerverderblichsten Einfluß hatte, da er, überzeugt von der Unmöglichkeit der Besserung seiner Frau, die Lust zur Arbeit, die Liebe zur Ordnung, zu einem nüchternen, pflichtgetreuen Leben immer mehr verlor, den nagenden Gram meistens in hitzigen Getränken ersäufte, in der Trunkenheit mit liederlichen Dirnen ganze Nächte verschwelgte, oder in Spielhäusern geplündert wurde, hatte Eckold durch seine zerrüttete Hauswirthschaft solch eine Masse von Schulden aufgehäuft, daß er sein schönes Haus verkaufen mußte, nach Bezahlung seiner Schulden nicht mehr als 460 Gulden übrig hatte und voraussehen konnte, bald den Bettelstab ergreifen zu müssen, da er alle seine Kunden verloren, auch aus schon zu liebgewonnener Liederlichkeit gar nicht mehr Lust und Kraft hatte, sich durch erneuerte Arbeitsliebe und Moralität die Achtung, das Wohlwollen seiner Mitbürger wieder zu erwerben und den Aufschwung seines Gewerbes dadurch herbeizuführen. Mit tiefem Abscheu hatte Eckold, als seine Frau ihre mit seiner Gewandtheit so vielfach umschleierten Neigungen und Laster zu enthüllen begann, sich anfangs von ihr abgewandt. Verachtung und Haß waren die Gefühle, von denen er gegen die liederliche Gattin beherrscht wurde. Jetzt, selbst abgewichen von der Bahn des Guten, aus einem arbeitsamen, redlichen, tugendhaften, religiösen Manne ein Faulenzer, Säufer, Wollüstling, Schwelger und Betrüger geworden, kehrte er mit erneuerter Leidenschaft, mit aller heißen Lust wilder Begierde zur Gleichgesinnten zurück. Der Giftbaum, auf Wilhelminens fruchtbarem Boden üppig emporgewachsen, hatte seine wurzelnden Zweige in des Gatten empfängliche Seele gesenkt, aus welcher immer kräftiger die verschwisterte Giftpflanze emporstieg, um gleiche Früchte zur Reife zu bringen. Durch Wilhelminens Unterricht und Anreizungen war Eckold so tief gesunken, daß er sogar anfing, zum Diebe zu werden. Ein silberner Löffel, von ihm in einem Weinhause gestohlen, wo er nach langer Zeit wieder einmal, des Scheines und des öffentlichen Geredes über sein Müssiggehen wegen, eine Arbeit vornahm, war das Probestück des angehenden Gauners, und auf einem Jahrmarkte in einem nicht fernen Städtchen hatte er durch Entwendung mehrerer Sachen von Werth sich schon als einen sehr gewandten Schockgänger[9] beurkundet. Sonst im Spiele betrogen, wurde nun er der Betrüger. Ein höchst fertiger Falschspieler, in frühern Zeiten von Eckold mit der tiefsten Verachtung vermieden, jetzt sein trauter Herzensfreund, gab ihm sehr eifrigen Unterricht, wie man Karten und Würfel mit Vortheil zu behandeln habe; der gelehrige Schüler betrog bald den wohlerfahrenen Lehrer. [9] Budendieb. Die kleinern und auch schon größern Diebstähle, mit der größten Schlauheit und an fern gelegenen Orten ausgeführt, auch der Gewinn im falschen Spiele mit Karten und Würfeln hätten zu Eckolds und seiner Frau Ernährung, wie auch zur Bestreitung sonstiger Ausgaben zur Genüge hingereicht, wären nicht Ausschweifungen und Völlerei die Götzen gewesen, denen sie mit Leidenschaft huldigten. So kam es, daß auch die 460 Gulden, jener armselige Rest einer bedeutenden Habe, schon nach einigen Monaten beinahe bis auf den letzten Thaler vergeudet waren. Gerade in dieser Zeit des höchsten Mangels der Eckold’schen Eheleute fiel die Ankunft eines Weinhändlers, der in dem Gasthause zur Sonne, das Eckolds Wohnung gegenüber lag, ein Zimmer bezog. Wilhelmine war wirklich noch so reizend, daß sie selbst in der kältesten Menschenbrust eine Neigung zu entflammen vermochte, besonders da sie mit ihrer seltenen Schönheit einen höchst gebildeten Anstand und bezaubernde Liebenswürdigkeit -- wenn sie liebenswürdig sein wollte -- sehr glücklich vereinte. Der Weinhändler, ein Graukopf, aber ein höchst sinnlicher Mensch, hatte Wilhelmine kaum am Fenster gesehen, als er gleich alles aufbot, die nähere Bekanntschaft dieser so schönen Frau zu machen. Das ganze Versetzstück, wo dort die Sinnlichkeit, hier die Geldgierde in den mannigfaltigsten Verwebungen nach ihrem Ziele strebten, leitete Eckold, der auf die unbefangenste Weise, und als wäre er ganz blind bei des Weinhändlers auffallenden Bewerbungen um die Gunst seiner Frau, die Freundschaft des Sinnetrunkenen bald gewonnen hatte. Der Weinhändler besaß viel baares Geld, und Eckold dachte nun an nichts mehr, als wie er die Goldstücke seines Freundes sich anzueignen vermöge. Die Zeit der Abreise des Weinhändlers nahte heran, und noch hatte er sich keiner besondern Begünstigung der von ihm so leidenschaftlich geliebten Wilhelmine zu erfreuen. Jetzt sollten seine Wünsche gekrönt werden. In einer Nacht -- der Weinhändler wollte so eben zur Ruhe gehen -- pochte man an seine Thüre. Auf die Frage, wer noch so spät Einlaß fordere, tönte ihm eine Stimme entgegen, die er gleich für Wilhelminens erkannte. Der rasch Oeffnende traute seinen guten Augen beinahe nicht, als Wilhelmine nun mit Heftigkeit in das Zimmer drang, sich auf das Sopha warf, weinte, die Hände rang, dann seine Kniee umklammerte, und ihn um Schutz, um Hilfe anflehte. Der Weinhändler war außer sich, Wilhelminen zu seinen Füßen zu sehen, da er gar zu gern zu den ihrigen gelegen hätte. Er trug sie auf das Ruhelager, er nahm sie an seine Brust, er bat sie mit den süßesten Schmeichelworten, ihren Schmerz zu beschwichtigen, und sich ihm mit aller Offenheit zu vertrauen, da er sein ganzes Vermögen, selbst sein Blut willig hingebe, um ihr seine heißeste Neigung durch die That zu erproben. Nun vertraute ihm Wilhelmine unter strömenden Thränen und mit leiser, fast zitternder Stimme, wie sehr sie von ihrem Manne mißhandelt werde, weil sie sich nicht den Umarmungen eines jungen, reichen Gutsbesitzers hingebe, der für den Genuß ihrer Reize eine sehr reiche Summe geboten habe. -- „Der Bösewicht, der ehrlose Verräther hatte die Frechheit, den wollüstigen Grafen in mein Schlafgemach zu führen und mir mit den unmenschlichsten Qualen zu drohen, wenn ich dem Grafen mich länger versage. Gott hat mir schwachem Weibe männliche Kräfte gegeben, durch die ich mich den thierischen Umklammerungen des Grafen, der rauhen Faust meines Gatten entriß, glücklich die Thüre erreichte, wo ich durch rasches Vorschieben des äußern Riegels mich vor Verfolgung sicherte, und so unaufgehalten aus dem Hause kam. Seit meiner Vermählung durch die Liebe zu meinen häuslichen Geschäften, zu genügsamem Stillleben, mit den Bewohnern dieses Fleckens beinahe nie in Annäherung gekommen, als im Tempel des Herrn; in diesem Orte, mit keiner Familie verwandt, würde ich ohne Obdach, ohne Hilfe umhergeirrt sein, hätte mir nicht eine tröstende Stimme Ihren Namen zugeflüstert. Ich weiß, edler Mann, daß Sie mich lieben, aber meine Grundsätze, mein Zartgefühl gestatten mir nicht, so lange ich Gattin bin, Ihnen mehr zu sein, als die treueste Freundin, eine kindlich liebende Tochter. Führen Sie mich fort von hier, weit, sehr weit, damit mich die Luft nicht mehr erreichen kann, von welcher dieser Bösewicht, dieses Ungeheuer von Gatten, umwehet wird. Dort will ich als die niedrigste Magd dienen und bei den härtesten Arbeiten werde ich mich als die Glücklichste fühlen und unter allen Leiden immer innig Ihrer gedenken, denn meine Tugend wird gerettet sein und nur Ihnen danke ich diese Rettung!“ -- Mit diesen erheuchelten Worten, im Wechsel des Pathos mit Schmerz, mit Zärtlichkeit, mit der sanftesten Hingebung gesprochen, schloß Wilhelmine ihr wohlerzähltes Mährchen. Der Weinhändler wußte nicht, ob er sich freuen oder mit ihr trauern sollte. Das Wesen seiner heißesten Wünsche zu dieser Stunde, im freien, buhlerisch geordneten Nachtgewande, das mehr verrieth als verbarg, dicht an seiner Seite, oft im Laufe der Mittheilung an seinem stürmisch pochenden Herzen zu sehen; entzückt durch die Hoffnung, sich bald zur letzten Stufe seines heiß ersehnten Ziels aufzuschwingen, sank er durch den Redeschluß voll Keuschheit und Tugend, den der Leichtgläubige für baare Münze nahm, aus seinem geträumten Himmel recht unsanft zur kalten Wirklichkeit herab. Doch tauchte in ihm die Hoffnung schnell auf, von der Zukunft, durch sein Geld, durch die Darbringung aller möglichen Opfer, durch kupplerische Gelegenheiten einer lange währenden Reise das zu erlangen, was ihm jetzt die Gegenwart mit den ersten Eindrücken des Abscheues gegen ihren Mann, mit dieser, vielleicht noch nie versuchten Anhänglichkeit an die Pflichten der ehelichen Treue und an die Macht des Zartgefühles ihm verweigere. Schnell besonnen verhieß er Wilhelminen die herzlichste Hilfe, bestimmte den Tag seiner Abreise mit ihr, und gelobte auf das Feierlichste, sie bis dahin so verborgen zu halten, daß ihr Aufenthalt in diesem Gasthause auch noch so spähenden Augen entgehe. In Eile weckte er den Wirth, der, des Schuldenbuches wegen, dem reichen Weinhändler in allem auf das Eifrigste zu Gebote stand, und vertraute diesem geradezu, wie höchst unglücklich die edle, tugendhafte Frau Eckold sei, wie fest er beschlossen habe, sie zu retten, und wie er nun verlange, daß sie bis zu seiner Abreise höchst verborgen in diesem Hause leben könne. Der Wirth, ein durchtriebener Schelm, der Frau Eckold genau kannte und bei dem Lobe ihrer Tugenden beinahe in lautes Lachen ausgebrochen wäre, war gleich entschlossen, den Irrwahn und die tolle Leidenschaft seines großmüthigen Gläubigers zu irgend einem Vortheil zu benutzen, zerfloß beinahe in Thränen über die Leiden der keuschen Dulderin, und eilte mit dem Weinhändler und Wilhelminen in aller Stille nach seinem Hinterhause, wo er im dritten Geschosse ein freundliches Zimmerchen öffnete, und auf das Heiligste versicherte, Wilhelmine werde hier, wenn sie sich nicht am Fenster zeige, Jahre lang unentdeckt wohnen können, da Niemand, als seine Frau, die verschwiegenste Seele, für ihre Bedürfnisse und ihre Bedienung sorgen werde. Schon nach einer Stunde wußte Eckold den Augenblick der Abreise des Weinhändlers mit Wilhelminen, daß dieser seinen Einspänner selbst lenke, wohin die Reise gehe, und in welchem Orte das erste Nachtquartier gehalten werde. Wilhelmine hatte, als sie sich allein sah, diese Nachricht mit Bleistift in ihre Brieftasche geschrieben und diese Eckold zugeworfen, der, wie verabredet war, das Haus umschlich. Kaum war der Tag, welchen der Weinhändler zu seiner Abreise festgesetzt hatte, mit seinem ersten Leuchten angebrochen, als der Einspänner den Gasthof zur Sonne verließ. Man sah nur den wohlbeleibten Weinhändler in der Chaise, da Wilhelmine, um den Glauben ihres Führers an die Gefahr einer Verfolgung noch mehr zu bestärken, sich unter das Spritzleder niedergekauert hatte. Rasch ging es außerhalb des Thores nun auf der guten Landstraße fort, und früher war der Gasthof, in welchem Mittagsruhe gehalten werden sollte, erreicht, als Wilhelmine im Stillen es wünschte, da ein Zettel, welchen sie in der Nacht vor der Abreise mittelst eines Bindfadens auf ein Zeichen ihres Mannes heraufgezogen hatte, ihr den Wald angab, in welchem der Weinhändler geplündert, und daher, nach Eckolds Verlangen, die Ankunft in diesem Walde bis zur eingebrochenen Nacht von ihr verzögert werden sollte. Dieses mußte geschehen. Schon war das Mittagsmahl eingenommen, das Pferd abgefüttert und dem Hausknechte vom Weinhändler der Befehl zum Einspannen gegeben, als Wilhelmine mit einem gebrochenen Schrei langsam vom Stuhle glitt. Man trug sie auf ein Bette, man schleppte in Hast alles herbei, was man zur Belebung der Ohnmächtigen aufbringen konnte. Der Weinhändler hätte in diesem Augenblick eine Hand voll Gold für die Hülfe eines Wundarztes gegeben. Wilhelmine war nach einer Stunde wieder aus ihrer Ohnmacht erwacht und zur Fortsetzung der Reise vollkommen hergestellt, als sie berechnet hatte, daß der Wald nach dieser Verzögerung nicht vor Einbruch der Nacht erreicht werden könne. Von der schwülen Tageshitze und dem langen Wege ermattet, schleppte das Pferd langsam die Chaise dem Walde zu. Sanft schlummerte der Weinhändler, der, als Nachmittags nochmals angehalten wurde, im Entzücken über Wilhelminens zärtliche Freundlichkeit schon auf ein wonnevolle Zukunft dem alten Burgunder gar zu tüchtig zugesprochen hatte. Aber unsanft wurde er aus seinem süßen Schlummer geweckt und erstarrte vor Schrecken, als er sich von einem Manne mit schwarzgefärbtem Gesichte gewaltig ergriffen sah. Er wollte um Hülfe rufen, sogar eine Gegenwehr versuchen, aber Wilhelmine, gleichsam ihn schützend, oder aus der höchsten Furcht, hatte ihn mit beiden Armen kräftig umklammert, und ihr Gesicht so dicht an seinen Mund gelegt, daß er sich nicht zu bewegen und nicht zu schreien vermochte. Im Augenblicke waren von dem schwarzgefärbten Manne die Hände des machtlos sich Sträubenden fest zusammengeschnürt, und als Wilhelmine, wie aus einer Ohnmacht rasch aufschreckend, sich hastig aufrichtete, hatte ihm der Räuber mit gewandter Bewegung ein breites Tuch um den Mund geschlungen. Er wurde aus dem Wagen geschleppt, und Wilhelmine, ihre Rolle fortspielend, floh in die Gebüsche. Der Weinhändler lag im Graben und Eckold -- welcher Leser wird nicht gleich in ihm den Räuber vermuthet haben? -- nahm in Hast die wohlgefüllte Chatulle aus dem Kutschensitze, durchsuchte die Seitentaschen, und wollte eben den kleinen Koffer vom Packbrette losbrechen, als ein Schuß fiel und er im Arme verwundet wurde. Eckold hatte, mit dem Straßenraube noch nicht ganz vertraut, beim Binden der Hände den Knoten nicht fest genug geschürzt. Es gelang dem Weinhändler, die Hände frei zu machen, und seiner Sackpistole sich zu bemächtigen. Unglücklicherweise war er kein geübter Schütze, und nur ein leichter Streifschuß erfolgte. Eckold, wie er im Laufe seiner Untersuchung oft und auf das Feierlichste betheuerte, hatte bei diesem Straßenraube nicht die Absicht gehabt, den Weinhändler zu ermorden, sondern nur auszuplündern, dann festgebunden, mit verstopftem Munde tiefer in den Wald hinein zu schleppen und dort seinem Schicksale zu überlassen, das Pferd aber mit der Chaise auf entgegengesetzter Richtung in den Wald zu lenken, und in einem Dickicht niederzustechen. Bei aller Wahrscheinlichkeit, daß die Nacht, selbst der größte Theil des folgenden Tages hingegangen sein dürfte, bis der Weinhändler durch Köhler oder Harzsammler gefunden worden wäre, würde er der Gefahr, als Raubmörder entdeckt worden zu sein, durch gewonnenen Vorsprung entwichen sein. Durch den Schuß war der Weinhändler rettungslos verloren, da er zugleich auch die Binde vom Munde gebracht hatte und nun aus Leibeskräften um Hülfe schrie. Diese Landstraße wurde immer stark begangen und befahren; Eckold war keinen Augenblick vor Ueberraschung sicher. Nur ein rascher Mord konnte ihn jeder Gefahr entreißen. Schnell und mit aller Kraft stieß er sein scharfes Messer dem Weinhändler in die Kehle, in die Brust, warf die geraubten Sachen wieder in die Kutsche, und trieb das Pferd gerade in den Wald hinein, wo er, vom Mondlichte begünstigt, eine weite Strecke zwischen den Bäumen dahin fuhr und an einem dichten Gebüsche still hielt. Jetzt erst dachte er an die Leiche, die, im Straßengraben liegend, leicht gesehen werden konnte. Er schlich sich zurück, hatte aber nicht die Kraft, den schweren Körper fortzubringen. Zu seiner Hülfe eilte Wilhelmine herbei, die im nächsten Gebüsche alles mit angesehen hatte. Nur mit aller Anstrengung vereinter Kräfte gelang es ihnen, die Leiche aus dem Graben zu bringen und in die Gesträuche zu schleppen. Eine volle Börse, Uhr und Kette von großem Werthe, ein kostbarer Brillantenring und ein reiches Taschenbuch war die Beute des Raubmörders, der die Leiche mit Moos, Reisig und Laub bedeckte und dann, von Wilhelminen gefolgt, der Chaise zueilte. Von beiden wurde nun Rath gehalten, dessen Resultat war, das Pferd ein Paar Stunden ruhen zu lassen, dann einen fahrbaren, nach entgegengesetzter Richtung führenden Waldweg zu suchen und darauf fortzueilen, bis ein Ort erreicht werde, wo man Pferd und Chaise unter einem schicklichen Vorwande verkaufen, und von da mit Extrapost nach Baiern, vor der Hand dem ersten Reiseziele, so schnell als möglich sich begeben könne. In den Taschen der Chaise fanden sich einige Flaschen Wein, auch Schinken und Brod. Eckold, mehr auf Labung des Pferdes denkend, um es wieder zur Eile antreiben zu können, als auf sich selbst, ließ von Wilhelminen ein großes Brod in kleine Stücke schneiden, und selbe dem hungrigen Pferde reichen, worauf er ihm eine ganze Flasche Wein eingoß; dann tränkte er es aus einer tiefen Pfütze, die in der Nähe war, und ließ sich nicht die Mühe gereuen, einen grasreichen Platz aufzusuchen, wohin er das Pferd führte, und es mit kurzgebundenen Beinen weiden ließ. Als er aus dieser Pfütze sich die schwarze Farbe vom Gesichte und das Blut von den Händen gewaschen hatte, trank und aß er mit Wilhelminen so fröhlich, als laste nicht das geringste Vergehen auf seiner Seele. Die Uhr des ermordeten Weinhändlers zeigte die zweite Morgenstunde an, und die Reise wurde angetreten. Nach vielen Schwierigkeiten, oft in Gefahr zwischen enge stehenden Bäumen, oder in aufstoßenden Dickichten nicht mehr fortzukommen, wurde mit anbrechendem Tage ein breiter, viel befahrner Waldweg gefunden und nach einigen Stunden ein einsam stehendes Gebäude erreicht, welches gegen Süden von prachtvollen Gärten umschlossen, gegen Norden von den Riesenbäumen eines weit auslaufenden Parks geschützt, das stattliche Aussehen eines sehr reichen Edelsitzes hatte. Es war das Jagdschloß des Herrn von Brand, der gerade am Schloßthore stand, als Eckold heranfuhr. Gleich hatte dieser die Frechheit, dem Edelmann Pferd und Wagen zum Kaufe anzubieten, wobei er die Nothwendigkeit, sehr eilig zu reisen, durch ein recht wohl ersonnenes Mährchen darthat. Mit wenigen Worten schloß Herr von Brand den Kauf und erfüllte auch die Bedingung, die Reisenden in seiner Kutsche und mit seinen Pferden auf die nächste Poststation zu schaffen. Glücklich hatte Eckold Regensburg erreicht, wo er in der Rolle eines reichen Edelmanns aus Sachsen erschien, eine prachtvolle Wohnung miethete, einen Jäger und Koch, und Wilhelmine eine Kammerjungfer und zwei Stubenmädchen in Dienste nahm. -- Die Chatulle des ermordeten Weinhändlers enthielt in Gold die Summe von 11,000 fl., und noch eine größere die Brieftasche in Wechseln _au porteur_. Aber diese bedeutende Summe war schon in dem kurzen Zeitraume von drei Jahren durch unsinnigen Aufwand bis auf einige hundert Gulden durchgebracht. Spurlos verschwand der sächsische Pseudo-Edelmann nächtlicher Weile aus Regensburg, aber noch fortlebend im süßen Andenken geprellter Gläubiger und seiner Dienerschaft, die den Lohn eines Jahres bei der reichen Herrschaft stehen hatte. Von nun an, wie die Untersuchungsacten angeben, wurden Eckold und Wilhelmine zu den verworfensten Bösewichten. Sie betrogen und stahlen, wo sich Gelegenheit fand, einige Zeit ohne Gehilfen, traten dann in eine Bande und trieben Straßen- und Kirchenraub, Brandstiftungen und Mord. Es wurde im Jahre 1708 zu Leipzig in der grünen Planke auf der Petersstraße ein gewaltsamer Einbruch und sehr bedeutender Raub begangen. Die Polizei durchsuchte alle Gasthöfe, und alle verdächtigen Häuser. In einem derselben fand man Eckold mit Wilhelminen. Sie hatten keinen Paß, konnten sich über einen stabilen Aufenthalt, über den Besitz rechtlicher Erwerbsmittel nicht im Geringsten ausweisen, wurden als verdächtig arretirt und in sehr strenge, abgesonderte Haft gebracht, da man bei Beiden Dietriche und Feilen fand. Durch einen Mitgefangenen wurde Eckold als Theilnehmer an diesem und andern Diebstählen angezeigt. Eckold läugnete mit unerschütterlicher Festigkeit und gab nie die geringste Blöße. Der Schöppenstuhl zu Leipzig erkannte über ihn die Folter. Ohne die geringsten Merkmale eines Schmerzes erduldete er die härtesten Qualen. Er wurde für ein Jahr in das Zuchthaus verurtheilt und dort zu leichten Arbeiten verwendet. Schon nach einigen Tagen entsprang er beim Straßenkehren den Wächtern, fand in der Nähe von Eilenburg Wilhelminen, die bei seiner Ablieferung in das Zuchthaus auf freien Fuß gestellt worden, als Zuhälterin des Walachen Peters, eines höchst berüchtigten Räubers, ermordete diesen aus Eifersucht und mißhandelte Wilhelmine so unmenschlich, daß sie einige Tage darauf an den Folgen der Mißhandlung starb. An der böhmischen Grenze wurde Eckold ein Mitglied der Bande des Lips Tullian und zeichnete sich durch alle jene furchtbaren Eigenschaften, mit welchen ein vollkommener Gauner, Räuber und Mörder ausgestattet sein soll, bald so sehr aus, daß ihn Tullian seiner innigsten Cameradschaft würdigte. X. Hans Wolf Heinrich Schöneck. Der moralische Gang des Menschen gleicht seinem physischen, der nichts ist als ein fortgesetzter Fall. ~Jean Paul.~ Es war im Winter des Jahres 1675, als mit einbrechender Nacht ein junges, kräftiges Weibsbild in die Zechstube des Gasthofes eines nahe bei Eisleben gelegenen Dorfes trat, eine große, wohlversiegelte Schachtel der Wirthin übergab und sie recht dringend bat, selbe gleich dem Dorfrichter zustellen zu lassen. -- „Diese Schachtel,“ -- sagte sie zur Wirthin -- „hat mir der Thorschreiber in Eisleben mitgegeben und so schnell als möglich an euern Dorfrichter abzugeben geboten. Ich selbst würde sie ihm recht gern übergeben und dürfte gewiß eines guten Trinkgeldes sicher sein, da, wie mich der Thorschreiber versicherte, in dieser Schachtel ein gar angenehmes Geschenk sich befinde; aber soeben fährt ein Fuhrmann hier durch, der mich nach meinem Orte mitnimmt, und diese gute Gelegenheit darf ich nicht versäumen!“ -- Kaum hatte die Wirthin die Schachtel übernommen, als das Weibsbild auch schon aus der Stube verschwunden war. Mit freudiger Neugierde einem unerwarteten Geschenke entgegen sehend, öffnete der Dorfrichter die Schachtel. Ein allem Anscheine nach erst vor einigen Tagen geborenes Kind, in elende Lumpen gehüllt, vor Kälte fast erstarrt, war des Ueberraschten angenehmes Geschenk. Die Frau des Dorfrichters, bei vielen schlimmen Eigenschaften auch von einer wüthenden Eifersucht beherrscht, argwöhnte eine höchst frevelhafte Verletzung der ehelichen Treue, gab dem bis zur Knechtschaft an Unterwürfigkeit gewöhnten Ehemann eine tüchtige Ohrfeige und zugleich mit einem furchtbaren Blicke die strenge Weisung, den Bankert auf der Stelle aus dem Hause zu schaffen, außer dem das schlimmste Strafgericht erfolge. Schweigend und an unbedingten Gehorsam gewöhnt, schloß der Dorfrichter die Schachtel, nahm sie unter den Arm, warf den Mantel um und eilte aus dem Hause. „Wohin mit dem Kind?“ -- fragte sich selbst der Richter vor der Thüre. Dem kinderlosen Wasenmeister es zu übergeben und heimlich alle halbe Jahre einige Thaler zur Beköstigung beizutragen, war der schnelle und glückliche Einfall, worüber er sich um so mehr freute, da dieses Kind gewiß ein unehliches, mithin, nach den Begriffen und Gebräuchen jener finstern Zeiten, der Aufnahme in irgend eine Innung nicht fähig, wohl aber zum künftigen Lehrling und Knecht eines Wasenmeisters ganz geeignet sei, da Leute dieses Standes, im Geiste der dort vorherrschenden Intoleranz und Befangenheit, auch als unehrlich angesehen und bei keinem Handwerke zugelassen wurden. Willig nahm der gutherzige Wasenmeister den hülfelosen Wurm auf, und sein nicht so gutherziges Weib glättete schnell die gefurchte Stirne, als die Geldsüchtige von dem Dorfrichter einige Thaler und die feierliche Versicherung eines gleichen halbjährigen Zuschusses, wenigstens für die ersten Jahre, erhielt. Als die Wasenmeisterin das Knäblein aus den zerlumpten Windeln nahm, fand sie einen am Halse des Kindes mit einem Bindfaden befestigten Zettel, worauf mit großen, schlecht geschriebenen Buchstaben stand: „Dieses Büblein ist getauft, und heißt Hans Wolf Heinrich Schöneck.“ -- Der Dorfrichter war außer sich vor Freude, als er diese Worte las. Nun hatte er einen gültigen Beweis seiner Unschuld an dem Dasein dieses Kindes. Ueber Hals und Kopf rannte er nach Hause, hörte, vielleicht zum ersten Male seit seiner Verheirathung, den Befehl zur schnellen Anzeige, wohin der Bankert gebracht sei, nicht mit gebührender Aufmerksamkeit an, und las die inhaltreichen Worte mit seinem kräftigen Basse so laut und so oft vor, daß er die gellende Stimme seiner zürnenden Ehehälfte überschrie und endlich den Sieg errang. Außer ihm, seiner Ehefrau und den Wasenmeisterleuten wußte im Dorfe Niemand etwas von dieser erfreulichen Bescheerung. Die Dorfrichterin, bis zur Aufgeblasenheit stolz auf den guten Ruf und die Würde ihres Mannes, ging noch in dieser Nacht zu Wasenmeisters, trug ihnen das sorgsamste Stillschweigen, zugleich die Ersinnung einer glaubhaften Angabe über die Erscheinung des Kindes auf, und unterstützte ihr Anliegen mit einem großmüthigen Geschenke. Die Wasenmeisterin erklärte auf der Stelle, das Kind mit dem frühesten Morgen zu ihrer, vier Meilen von da verheiratheten Schwester tragen und es einige Monate dort lassen zu wollen, worauf dann die Schwester bei hellem Tage und mit großer Oeffentlichkeit das Kind hierher bringen sollte, als wäre es eines der ihrigen, um hier an Kindes Statt aufgenommen zu werden. Schöneck wuchs auf, wie er aufwachsen konnte in jenen Zeiten, wo das Kind eines Wasenmeisters von dem Besuche der Schule, von der Erlernung einer Profession ausgeschlossen und von den meisten Menschen nicht des Umganges gewürdigt wurde. Was der alte Wasenmeister noch vom Lesen und Schreiben wußte, lernte Schöneck von ihm, und erhielt von der Pflegemutter einen höchst nothdürftigen, oberflächlichen Unterricht in der Religion. Zur Arbeit herangewachsen, hatte er den Wasenknecht zum Lehrer, und von diesem wilden, liederlichen Burschen in den Anfangsgründen der Unsittlichkeit und vieler verderblichen Laster eingeweihet, bildete er sich schon in früher Jugend zu dem vor, was er in der Folge ward. Wie in andern Ländern, so herrschte auch in diesem ein alter, selbst jetzt noch auf vielen landesherrlichen und edelmännischen Besitzungen herrschender Gebrauch, daß der Wasenmeister die Jagdhunde der Herrschaft füttern und bei Treibjagden führen mußte. Bei solchen Jagden wurde Schöneck mit einem der Jäger des Gutsherrn bekannt und von diesem nicht, wie es sonst Sitte war, verächtlich, sondern vielmehr recht freundlich behandelt. Der im Bewußtsein der Niedrigkeit und Ehrlosigkeit seines Gewerbes fast menschenscheue Schöneck fühlte sich durch des Jägers freundliches Benehmen geehrt und ermuthigt; er wußte sich kaum vor Freude zu fassen, als der Jäger Franz ihn eines Tages mit Flinte, Waidtasche, Pulver und Blei ausrüstete, in den Forst, auf die Felder mitnahm und dort in der Behandlung des Gewehres, im Laden und Schießen unterrichtete. Schöneck, ein flinker Bursche, war bald der beste Schütze in der ganzen Umgegend. Der Jäger Franz machte Schöneck zum sichern Schützen und immer mehr zum kundigen Waidmann, um aus dessen Kunstfertigkeit für sich so manchen Vortheil zu ziehen. Ein Heuchler, ein frömmelnder, diensteifriger Mensch vor seiner Herrschaft, war Franz da, wo es so ziemlich unentdeckt sein konnte, ein Spieler, Trunkenbold und Wollüstling. Der knappe Sold, das geringe Schußgeld reichten nicht hin für sein liederliches Leben; die Wilddieberei sollte ihm die Mittel zur Befriedigung seiner Lüste reichen. Darum bildete er Schöneck zum sichern Schützen, zum gewandten Waidmann, um an ihm einen tüchtigen Gehülfen bei der Wilddieberei und einen vertrauten Verkäufer des erlegten Wildes zu haben. Drei Jahre hatte diese verbrecherische Freundschaft gewährt, und Schöneck von seinem Antheile an dem verkauften Wilde ein hübsches Sümmchen erübrigt, als er eines Tages, da er auf einem Weiler eine gefallene Kuh abholte, den eben vom herrschaftlichen Schlosse zurückgekehrten Bauer seinem Weibe erzählen hörte, daß an diesem Morgen der Jäger Franz auf einem Wilddiebstahle sei ertappt und gleich in Ketten gelegt worden; auch kenne man schon den saubern Patron, der Franzen Mithelfer bei seinen Wilddiebereien gewesen sei. Hier warf der Bauer einen durchbohrenden Blick auf Schöneck, der diesem zur Genüge sagte, wie es um ihn stehe. So schnell als möglich lud er die Kuh auf den Karren, und fuhr im scharfen Trabe der Meisterei zu. Die Pflegeeltern waren bei seiner Rückkunft gerade in der Kirche. Daß er fort, auf der Stelle fort müsse, darüber war er schon bei den gehörten Nachrichten von Franzens Arretirung mit sich einig; die Abwesenheit seiner Pflegeeltern schuf in seinem verderbten Herzen einen recht schändlichen Einfall, den Einfall, die gutherzigen Leute für die ihm so reichlich gespendeten Wohlthaten noch zu berauben. Unbemerkt von der Magd schlich er in die obere Stube, wo Geld und die beste Habe verwahrt war, erbrach den Schrank, nahm alles vorräthige Geld und was sich Werthvolles vorfand, zog sein bestes Kleid an und sattelte das Pferd. Gegen die Magd, die ihn neugierig um die Veranlassung seines heutigen Aufputzes und Rittes befragte, gab er vor, eilig auf das herrschaftliche Schloß zu müssen, um nach einem plötzlich erkrankten Pferde zu sehen, schwang sich auf und trabte auf dem Wege fort, der nach dem Schlosse führte. Im nächsten Walde schlug er den entgegengesetzten ein, verkaufte im Wirthshause, wo er übernachtete, sein Pferd, stahl einem neben ihm schlafenden Handwerksburschen die Brieftasche mit der Kundschaft, und eilte gleich nach Mitternacht nach Dresden zu, wo er bei einem Trödler seinen ländlichen Anzug gegen einen städtischen mit einer Geldaufgabe vertauschte, und die Frechheit hatte, auf die Hauptwache zu gehen, sich, wie die Kundschaft lautete, als einen Strumpfwirkergesellen aus dem Badischen anzugeben und um Einreihung in das Militär zu bitten. Der junge, hochgewachsene Bursche wurde gern aufgenommen und in dem Infanterie-Regimente des Generals von Röbel eingereihet, wo er drei Jahre stand, dann auf seine Bitte zur Artillerie kam. War seine Aufführung auch nicht ganz unbescholten, so hatte er sich doch in den fünf Jahren seines Militärlebens keines schlechten Streiches schuldig gemacht. Er würde vielleicht ein recht wackerer Mensch geworden sein und Beförderung erhalten haben, hätte er nicht das Unglück gehabt, mit Susanna Strobel, der jungen Wittwe eines Grenadiers, bekannt zu werden, die eine Erzgaunerin und um so gefährlicher war, da sie ihre verbrecherischen Handlungen mit der größten Schlauheit ausübte und sich mit dem Heiligenscheine der Sittsamkeit und Rechtschaffenheit so zu umgeben wußte, daß sie allgemein als eine höchst achtbare Person galt und selbst bei sonst sehr mißtrauischen Menschen das größte Vertrauen genoß. Sie war in allen ihren Handlungen so klug und vorsichtig, daß Schöneck viele Monate mit ihr im allervertrautesten Umgange verlebte, ohne nur einen ihrer geheimen Umtriebe zu bemerken, bis sie selbst, mit Leidenschaft an ihm hangend, im Rausche der Sinnlichkeit sich in wahrer Gestalt zu zeigen anfing. Männer und Weiber, Bursche und Mädchen, die er oft bei seiner Geliebten antraf, fand er immer im Handel über seidene Tücher, Silberzeug und andere Sachen, und hielt diese Leute für Geschäftsverwandte, da die Wittwe eine Trödelbude hatte. Jetzt erst, als sie selbst ihn ganz zum Vertrauten ihrer Geheimnisse machte, erfuhr er, daß diese Tugendheldin eine Diebshehlerin, selbst das Mitglied einer ansehnlichen, ausgebreiteten Diebesbande sei, der sie das Geraubte verwahre, oft ganze Ladungen davon im Auslande verkaufe, während des Umherziehens auf Kauf und Tausch die besten Gelegenheiten zum Raub, zu Einbrüchen ausforsche und aus den Chochemer-Pennen[10] die Nachrichten an die Bande ergehen lasse. -- [10] Diebsherbergen. Es kostete dieser Susanna Strobel nicht viele Mühe, Schöneck zur Theilnahme an ihrem heillosen Gewerbe zu bereden, da er, durch seines Zeitalters Geistesfinsterniß und Duldungslosigkeit von den Mitteln zur Veredlung des Herzens, zur Erweckung eines wahren Sinnes für Religion, Arbeitsliebe und Pflichterfüllung ausgeschlossen, durch die Schwäche und Nachgiebigkeit seiner Pflegeeltern, durch den verführerischen Unterricht seines ersten Lehrmeisters, des grundverdorbenen Wasenknechts, und durch den verderblichen Umgang mit dem Jäger Franz schon zum Taugenichts, Gauner und Wilddieb, zum künftigen Auswurf der Menschheit auferzogen, und, so viel als möglich, in früher Jugend dazu ausgebildet worden. -- Schon mehrere kleine Diebstähle und Einbrüche hatte Schöneck mit Gewandtheit ausgeführt, als Susanna den Vorschlag zum Einbruche bei einem reichen Krämer im Hause des Oberhüttenverwalters Heig machte. An der Wachsamkeit des Krämers scheiterte die glückliche Ausführung des Einbruches. Die Rotte wurde versprengt. Schöneck, von zwei Scharwächtern verfolgt, konnte nicht mehr das hintere Pförtchen der Kaserne erreichen, zu welchem er sich schon seit langer Zeit einen Nachschlüssel verschafft und so einen geheimen Weg zu nächtlichen verbrecherischen Ausgängen sich gebahnt hatte. Es gelang ihm, aus der Stadt zu entfliehen, er wurde aber schon am andern Tage, wegen Mangel an gehöriger Aufweisung und der Desertion verdächtig, von den Bauern aufgegriffen und in das Stockhaus zu Dresden abgeliefert. Von der Theilnahme an dem versuchten Einbruche in den Krämerladen wußte sich Schöneck, ungeachtet er auf die Folter gebracht und mit den Daumenstöcken gefoltert wurde, durch das beharrlichste Läugnen und durch unerschütterliche Standhaftigkeit in Erduldung der Folterschmerzen vollkommen zu reinigen. Doch, der Desertion überwiesen, mußte er Spießruthen laufen und die Unkosten seiner Untersuchung durch Arbeit im Waisenhause, wohin er aus dem Stockhause in Ketten unter Aufsicht eines Soldaten täglich geführt wurde, wieder erstatten. Die tägliche, schwere Arbeit, mit schlechter Kost verbunden, war dem an Nichtsthun und Wohlleben gewohnten Schöneck viel zu lästig. Ueberzeugt, nicht durch Gewalt, sondern nur durch List sich frei machen zu können, bewies er solch einen rastlosen Arbeitseifer und solch einen gehorsamen, demüthigen, reuevollen Sinn, daß ihm auf Befehl des Obercommissärs die Ketten abgenommen, bessere Lebensmittel gereicht, und manche Erleichterungen gewährt wurden. -- Alles dieses half ihm noch nicht zur Freiheit; für diese mußte etwas Großes gethan werden. Er legte in der vollen Scheune des Waisenhauses Feuer an, war unter den mit der Löschung beschäftigten der Allerthätigste, verschwand im Gewühle der herbeigeströmten Menge, und erreichte ungesehen und unverfolgt die Wohnung seiner Susanna. Schnell war der Züchtlingskittel gegen eine recht stattliche Bürgerkleidung vertauscht, von einem bei der Polizei Angestellten, dem vertrauten Freunde und Beschützer der schönen Wittwe Strobel, schon nach wenigen Stunden für Schöneck ein Paß mit dem Namen Gottlieb Kraus ausgefertigt, mit Susanna genaue Abrede genommen, und als der Tag angebrochen und die Stadtthore geöffnet waren, ging Schöneck, durch seine stattliche Kleidung und ein großes, schwarzes Pflaster auf dem einen Auge unkenntlich gemacht, wie ein lustwandelnder Bürger, langsam und unbefangen an der Wache vorüber zur Stadt hinaus. Durch seinen Paß beglaubigt, und von Susanna mit 300 Thalern in Golde versehen, ließ sich Schöneck zu Mainsdorf im Brandenburgischen nieder, trieb einen Handel mit gewirkten Strümpfen, mit Hauben, Bändern und Tabak, ließ Susanna, die aus leidenschaftlicher Neigung zu ihm ihr gutes Diebsgewerbe in Dresden verlassen und eine nicht unbedeutende Summe ihm zugebracht hatte, mit seinen Waaren auf den Dörfern Handel treiben, vereinigte sich mit liederlichem Gesindel und stahl und raubte, aber mit solcher Klugheit und Vorsicht, daß der Strumpfhändler Gottlieb Kraus sowohl in Mainsdorf, als auch in ferner Umgebung für einen gar wackern Mann galt. Unter Schönecks vertrauteste Raubgenossen gehörte Peter Blinder, der auch als Bandkrämer im Lande umherzog und einer der schlauesten und verwegensten Gauner war. Beide, sehr reizbar und jähzornig, geriethen sehr oft in Streit, der meistentheils sehr blutige Folgen hatte. So traf es sich, daß sie auf der Straße bei Hoyerswerda über eine Kleinigkeit in Wortwechsel kamen, sich schlugen und Schöneck, dem Blinder an Kräften weit überlegen, auf das Grausamste mißhandelte. Die Leute liefen von den Feldern herbei, von Blinder zur Hülfe angerufen, dem ein Auge eingeschlagen und der Kopf voll Löcher war. Von Wuth gegen seinen barbarischen Peiniger außer sich, bat Blinder die herbeigeeilten Landleute, diesen Menschen, der als der Strumpfhändler Gottlieb Kraus umherziehe, aber jener, aus dem Stockhause zu Dresden entsprungene, durch Steckbriefe verfolgte Schöneck sei, gleich in Verhaft zu nehmen, und wohl zu verwahren. Blinder würde gewiß auch noch genauer über seines Kameraden verübte Thaten gesprochen haben, wäre er nicht aus Schwäche wegen des bedeutenden Blutverlustes ohnmächtig geworden. Schöneck und Blinder wurden von den Landleuten in das nächste Dorf gebracht, wo Blinder noch in der Nacht an den Folgen der erlittenen Mißhandlung starb, und Schöneck am andern Morgen, auf einen Wagen gebunden und von bewaffneten Bauern umgeben, in das Stockhaus zu Dresden abgeführt wurde. Weder seine Flucht aus Dresden während des Brandes im Waisenhause, noch die Betreibung seines Strumpfhandels in Mainsdorf und sein Hausiren auf dem Lande läugnend, dabei aber im unerschütterlichen Stillschweigen über den Aussteller des falschen Passes und über seine vertrauten Verhältnisse zu Susanna Strobel auf das Hartnäckigste verharrend, hatte Schöneck allen ihm gefährlichen Verdacht früherer schwerer Verbrechen nach und nach beseitigt. „Weil aber der Verdacht noch nicht zulänglich gewesen, daß die Herren Schöppen zu einer Peinlichkeit wider ihn gelangen können: so haben dieselben in dem eingeholten Urtheil, gar vorsichtig von ihm zugleich mit angemerket: ~Daß Schöneck, der allem Ansehen nach, viel Böses gestiftet, und annoch anzurichten geschickt ist, in sicherer Verwahrung eine Zeitlang, bis zu seiner Besserung enthalten, und dahin, woraus er eigenen Anziehen, _fol._ II. nach entkommen, wieder gebracht, auch zur Abarbeitung derer daselbst annoch rückständigen Unkosten angestrenget werden solle.~“ Auf besondern Befehl der Landesregierung wurde Schöneck nicht im Stockhause gelassen, sondern auf den Festungsbau gebracht. Unter den Baugefangenen wurde bald darauf bekannt, daß der Räuber und Mörder Peter Pfützner in einigen Tagen auf dem Sande vor Alt-Dresden durch den Strang hingerichtet werde. „Gott Lob, sie hängen meinen Hauptfeind auf!“ -- sagte Schöneck halblaut in der Gaunersprache vor sich hin. Ein Frohnknecht, der Gaunersprache kundig, hatte kaum diese Worte gehört, als er dem Ober-Profosen davon Anzeige machte. Dieser berichtete Schönecks Aeußerung dem Criminalgerichte. Auf der Stelle wurde Pfützner zum Verhöre vorgeführt, und zur aufrichtigen, ausführlichen Angabe alles dessen, was er von dem Leben und Uebelthaten des Baugefangenen Schöneck wisse, auf das Dringendste ermahnt. Pfützner erklärte, er habe mit Schöneck, als dieser unter dem Namen Gottlieb Kraus sich umhergetrieben habe, in tödtlicher Feindschaft gestanden, hätte sich aber wohl gehütet, gegen ihn auszusagen, um nicht für einen rachsüchtigen Menschen zu gelten. Da er aber von einem hochpreißlichen Criminalgerichte zur Angabe der Wahrheit aufgefordert werde, und sein Gewissen ihm ohnehin dieses Stillschweigens über Schöneck wegen die heftigsten Vorwürfe schon seit längerer Zeit mache, so wolle er nun mit der strengsten Wahrheitstreue und genauester Ausführlichkeit alles angeben, was er über Schönecks Thaten während der Dauer ihrer Kameradschaft auszusagen wisse. Und nun gab Pfützner seine sehr inhaltreiche Aussage gegen Schöneck zu Protokoll. Nach dem Verhöre wurde Schöneck zur neuen Untersuchung in das Stockhaus abgeliefert. Wie es ihm möglich geworden, sich von seinen schweren Ketten loszumachen und aus einem der tiefsten und festesten Kerker des Tag und Nacht wohl verschlossenen, von zahlreichen Wächtern und Hunden gegen Ein- und Ausbrüche sehr geschützten Stockhauses zu entrinnen, konnte nicht ergründet werden, da er nicht nur gegen seine Kameraden, sondern auch in der Folge bis an sein Ende gegen die Untersuchungsrichter ein Stillschweigen beobachtete, welches kein freundliches Zureden, kein Ernst, selbst nicht die grausamste Folter zu brechen vermochte. Aus dem Stockhause hinweg wurde er mit Sarberg und Schickel bekannt, von Tullian zu seinem Raubgenossen gemacht und allmälig von ihm zur höchsten Höhe der Gewissenlosigkeit, der Raubgierde und der Grausamkeit geführt. In einem furchtbaren Kampfe gegen die Uebermacht von Soldaten, Jägern und Landleuten, gerade als Lips Tullian, nur noch mit Wenigen auf dem Platze, von zwei Grenadieren entwaffnet und fortgeführt wurde, schlug sich Schöneck mit Löwenmuth und Löwenstärke durch die dichte Reihe der Soldaten und Jäger, entriß Tullian den Grenadieren, und hielt den Haufen der Angreifer so lange zurück, bis Tullian einem Jäger den Hirschfänger entrissen und den das Kommando befehligenden Officier niedergestochen hatte. Der Tod des Anführers machte den blutigen Kampf stocken. Diesen Augenblick der Ruhe benutzend, gewannen Beide die nahen Gebüsche, und waren gerettet. Diese muthige That, im Augenblick der höchsten Gefahr ausgeführt, machte Tullian zu Schönecks treuestem Freunde. XI. Daniel Lehmann. Noch immer ist mir’s unbegreiflich! Rudolph Wagt’s, an der Grenze frei herum zu wandeln; Tausend Zechinen stehn auf seinen Kopf, In Fiume hängt sein Bildniß an dem Galgen, Und er lebt hier, als wäre nie sein Dolch In einem Menschenherzen warm geworden. ~Th. Körner.~ Unter allen Einwohnern des Dorfes Schönfeld galt der Häusler Lehmann für den frömmsten und thätigsten. Er war erst vor einigen Jahren, nachdem er, ein geborner Tyroler, den größten Theil seines Lebens mit Teppichhandel auf fast immerwährender Reise zugebracht hatte, in Schönfeld durch den Ankauf einer Häuslerwohnung ansässig, und durch Fleiß, Friedfertigkeit und Gottesfurcht bald so beliebt geworden, daß die reichsten Bauern des Ortes und der Umgegend ihn recht gern zum Schwiegersohne gehabt hätten. Aber Lehmann war schon verheirathet und Vater eines zehnjährigen Knaben, der mit seiner Mutter einige Zeit nach des Vaters Ansässigmachung in Schönfeld aus dem fernen Tyrol anlangte. Daß diese Tyrolerfamilie in mancher Woche mehrere Tage nicht arbeitete, fiel der Gemeinde anfangs auf, wurde aber bald nicht mehr beachtet, als es allgemein bekannt wurde, daß Lehmann durch die Nachwehen seiner als Soldat erhaltenen Wunden oft längere Zeit an das Krankenlager gefesselt und dann immer der sorglichen Pflege seines Weibes und Sohnes höchst bedürftig werde. Auch erregte es im Dorfe anfangs Aufsehen, daß von Zeit zu Zeit, meistens nächtlicher Weile, fremde Leute, Männer, Weiber, junge Bursche und Dirnen in Lehmanns Behausung kamen, sich im Dorfe nicht sehen ließen, und bald wieder verschwanden. Lehmann, der darüber manches ihm nachtheilige Gerede hörte, vertraute einem Nachbar, wie viele Kenntnisse er im Pflanzenreiche habe, wie er die Heilkräfte der Kräuter und Wurzeln zu benutzen wisse, schon unzähligen Todtkranken zum Lebensretter geworden, weit und breit als ein gar geschickter Arzt bekannt sei, und nun von Alt und Jung aus den fernsten Gegenden um Hilfe angesprochen werde, aber stets im Geheimen, damit die Aufmerksamkeit der Aerzte und Bader nicht erregt, und durch Brotneid ihm kein Hinderniß gemacht werde, den leidenden Menschen zu dienen. Der Nachbar gelobte mit Wort und Hand, Lehmanns vertraute Mittheilung als ein Geheimniß zu bewahren, aber schon in einer Stunde wußten alle Schönfelder, welch ein Wunderdoktor in ihrer Mitte hause. Man wünschte sich Glück zu diesem Mitbewohner, und Lehmanns Wissen und Thätigkeit wurden für Menschen und Thiere in Anspruch genommen. Hätten die guten Einwohner von Schönfeld nur eine Ahnung gehabt, welch ein liederliches, verderbliches Gesindel die Familie Lehmann sei, so würden sie gewiß deren Ansässigmachung unter sich nicht geduldet haben. Lehmann, in der Nähe von Insbruck auf einem Weiler von liederlichen Eltern erzeugt und zur Gaunerei erzogen, wanderte schon als zwölfjähriger Knabe im Auslande umher, wo er Teppiche verkaufte, durch sein fertiges Zitterspiel und seine Nationalgesänge auf den Schlössern der Edelleute, in Gasthöfen, und besonders unter dem Landvolke sich bis zu seinem achtzehnten Jahre ein mäßiges Kapital erklimpert und ersungen hatte, bei fortschreitender Ausbildung seiner anziehenden Schönheit und rüstigen Gestalt, gerade in der herrlichsten Blüthe des Lebens, von lüsternen Weibern an sinnliche Genüsse gewöhnt, bei seinem arbeitslosen Umherschlendern mit allen, dem Müßiggange folgenden Lastern vertraut und, besonders aus innerer Hinneigung zum Bösen, so nach und nach zum vollkommenen Gauner, Dieb und Räuber sich aufschwang. Eines Mordes wegen, den er in der Gegend von München begangen hatte, verfolgt und in Baiern nicht mehr sicher, floh er nach Oesterreich, ließ sich bei einem ungarischen Infanterieregimente anwerben und machte einen Feldzug mit, worin er verwundet und in der Folge wegen wirklich guter Aufführung und bewiesener Tapferkeit zum Unteroffizier befördert wurde. Lehmann war einer der schönsten Männer im Regimente, dabei ausgezeichnet reinlich, sehr gewandt, schlau, und ein vorzüglicher Redner. Diese Eigenschaften veranlaßten den Regiments-Commandanten, ihn dem Offizier, der auf Werbung nach Nürnberg beordert wurde, beizugeben. Lehmann war gegenwärtig, wie der Bediente des Werbeleutenants den Koffer packte; er sah die vielen Goldrollen und Thalersäcke; er wurde von solch einer Begierde nach diesem vielen Gelde hingerissen, daß seine, beim Regimente bethätigte, aber nur auf Sand gebaute Moralität durch den Windstoß der Habsucht plötzlich eingestürzt und auf ihren Trümmern der Plan eines schweren Verbrechens gebildet wurde. Lehmann jauchzte im Stillen, als er hörte, daß der Offizier ohne Bedienten reise. -- Im nächsten Städtchen, wo sie Nachtquartier hielten, versah sich Lehmann mit Opium. Einige Tagereisen von Nürnberg stellte er sich so krank, als wäre er nicht im Stande nur noch einige Stunden zu fahren. Der Offizier, um seinen schönen, klugen, wohlberedten Werbegehülfen höchst besorgt, ließ im nächsten Wirthshause an der Landstraße anhalten und sich ein Zimmer mit zwei Betten geben, wohin Lehmann, die äußerste Schwäche erkünstelnd, getragen werden mußte. Das Wirthshaus lag ganz einsam, und der Offizier fand keine Unterhaltung, als die ihm die Flasche, seine liebste Freundin, gewährte, mit der er sich auch so innig befreundete, daß er schon bei Einbruch des Abends, seiner Sinne kaum mehr mächtig, das letzte Glas, in welches Lehmann unbemerkt eine tüchtige Dosis Opium gethan hatte, langsam leerte, und gleich darauf in todtähnlichem Zustande auf sein Lager gebracht werden mußte. Einige Stunden nach der Ankunft im Wirthshause hatte Lehmann versichert, sich wieder besser zu fühlen, und schlich im Hause umher, gute Gelegenheit zur Ausführung seines Unternehmens zu erspähen. Kaum war der bewußtlose Officier zu Bette gebracht, als Lehmann in die Zechstube hinabstieg, sich ein reichliches Nachtessen auftischen ließ, ein Paar Flaschen Wein ausstach und vor der Rückkehr in das Schlafzimmer dem Fuhrmann gebot, nicht eher sich zur Abreise anzuschicken, als bis der Officier selbst Befehl dazu gebe, der, nach seiner Aeußerung, hier gehörig ausschlafen wolle. Als Lehmann nach leisem Umherschleichen im Hause sich ganz überzeugt hielt nun seien alle Bewohner dieses Gasthofes im tiefen Schlafe begraben, öffnete er den Koffer des Lieutenants, bekleidete sich mit dessen bestem Civilanzug, packte in seine geräumige Geldgurte alles, was er an Gold- und Silbergeld, an Uhren, Ringen und sonstigen Kostbarkeiten bergen konnte, füllte seine Taschen mit der feinsten Wäsche, steckte die Reisepistolen des Officiers zu sich, und hing dessen Säbel um. Mit dem Raube beladen, schlich er aus dem Zimmer, verschloß es leise und sorgfältig, kroch unter den Fenstern von zwei bewohnten Gemächern dem Brettergange zur Hintertreppe zu und diese hinab, erstieg auf einem Balken, den er auf seiner ausspähenden Wanderung zu diesem Behufe unbemerkt dahin gebracht hatte, die hohe Hofmauer, schwang sich in die Aeste eines Apfelbaumes, glitt an dessen Stamme zur Erde nieder und eilte so schnell als möglich nun gerade auf der Straße nach Nürnberg fort. Auch die Zukunft mit klugem Sinne beachtend, und sich auf unerwartete Ereignisse vorsehend, hatte er die wichtigsten Papiere über die Werbeangelegenheit des Officiers zu sich gesteckt. Er war so frech, auf der nächsten Station, die er im eilenden Gange bald erreicht hatte, den Posthalter wecken zu lassen, diesem, unter Vorlegung seiner Papiere, das Geheimniß zu vertrauen, daß er auf der Verfolgung eines mit kaiserlichen Geldern entwichenen Kriegscommissärs begriffen, sein Reitpferd aber eine Meile von da aus Ermattung niedergestürzt, und er dadurch gezwungen worden sei, den Weg hierher in größter Eile zu Fuße zu machen, um mit Extrapost Nürnberg schleunigst erreichen und dort die wirksamsten Anstalten zur Arretirung des Kriegscommissärs treffen zu können. Der Posthalter konnte in seinem Diensteifer nicht eilig genug sein, die wichtige Reise durch sein flüchtiges Gespann zu befördern. Im Fluge ging es von Station zu Station, ohne nur einigen Aufenthalt in Nürnberg, dem Sachsenlande zu. Als der Postillon der letzten Station an der sächsischen Grenze durch das Schmettern seines Hornes den Beamten und die Diener der Grenzmauth an den Schlagbaum gerufen hatte, sah man sich vergebens nach dem Reisenden um. Lehmann war im letzten Hölzchen leise aus der Postchaise gestiegen und durch Gebüsche, über Felder und Wiesen hin, schon lange auf sächsischem Grunde, als noch immer der Postillon und das Mauthpersonal über dieses sonderbare Verschwinden des Reisenden sich die Köpfe zerbrachen. Bald trat Lehmann in seiner Nationaltracht als Teppichhändler, als Gauner und Dieb auf, heirathete in Schwaben eine schöne Dirne aus einer Gaunerfamilie, lebte zehn Jahre theils von dem seinem Officiere geraubten Gelde, theils von den Erträgnissen verbrecherischer Thaten, und kaufte sich dann in Schönfeld an, da ihm viele Gauner diesen Ort als vorzüglich geeignet zur Diebshehlerei und zur geheimen Verbindung mit den zahlreichen, größtentheils in jener Gegend umherziehenden Räuberbanden auf das beste empfohlen hatten. Daß Lehmann schon in seiner Jugend oft viele Monate mit reisenden Zahnärzten und Marktschreiern, die nebst ihren Quacksalbereien das Diebeshandwerk trieben, herumgezogen war, besonders, daß er mit dem Erzgauner Samuel Fritsch, _vulgo_ dem alten Zahnarzt, einem geschickten, aber wegen Liederlichkeit und Veruntreuung aus österreichischen Diensten entlassenen Spitalarzte länger als ein Jahr in vertrautester Gemeinschaft gelebt und von dessen ärztlichem Wissen sich vieles angeeignet hatte, leistete ihm jetzt wesentliche Dienste. Bald hatte er als Arzt das Vertrauen der Schönfelder und der Landleute in weiter Umgebung im höchsten Grade erworben, und es möchte demjenigen recht übel bekommen sein, der ihrem Wunderdoktor nur durch das leiseste Mißtrauen gegen seine gar hochgerühmte Rechtlichkeit verletzt hätte. Treuherzig glaubten die Schönfelder, der gute Nachbar Lehmann liege, so oft sie ihn bei der Arbeit vermißten, an den Nachwehen seiner Wunden schmerzlich leidend darnieder. Diese vermeintlichen Leidenstage waren für Lehmann und sein eben so arbeitsscheues Weib die Tage der Erholung von den ungewohnten Anstrengungen, denen sie sich zum Scheine unterzogen, um bei den an Fleiß und Nüchternheit gewöhnten Schönfeldern nicht allerlei Argwohn zu erregen. Es mochten wohl bei sehr reichen verschwenderischen Leuten Küche und Keller nicht so wohl bestellt sein, als sie es in Lehmanns Hause waren. Die befreundeten Gauner brachten immer nächtlicher Weile einen Vorrath der besten Eßwaaren und der besten Getränke mit. Wollte dann die Lehmannische Familie gute Tage haben, oder ein eingekehrtes Gesindel festlich bewirthen, so schloß man Fensterläden und Thüren, gleichsam um die möglichste Ruhe dem kranken Hausvater zu verschaffen, und dieser war Spitzbube genug, von Zeit zu Zeit so laut, so jämmerlich zu schreien, daß alle Dorfbewohner den Gequälten auf das Schmerzlichste bedauerten. Es liegt in der Natur der Sache, daß Daniel, Lehmanns einziges Kind, aber auch der einzige Erbe aller Laster seines Vaters und seiner Mutter, schon früh zum Bösewichte reifte. Von seinen Eltern durch Elementarunterricht in der Gaunerei, durch Theorie und beispielvolle Ausübung zum ausgezeichneten Verbrecher aufgezogen, begann Daniel seine verbrecherische Laufbahn mit einer That, womit mancher ergrauete Räuber den Cyclus seiner Verbrechen geschlossen hätte. Daniel war noch nicht volle sechzehn Jahre alt, als er drei preußische Deserteurs verleitete, mit ihm eine abgelegene Mühle auszurauben. An der Spitze seiner Gehülfen erkletterte er auf einer schwankenden Stange ein offnes Fenster des obern Geschosses, überfiel den Müller und sein Weib, und erbrach, während seine Genossen die Müllersleute mit Stricken banden, Truhen und Schränke. Da stürzten die zwei Mühlburschen, mit Beilen bewaffnet, in die Stube. Es begann ein wüthender Kampf, der für Daniel um so gefährlicher wurde, da zwei seiner Raubgesellen aus Feigheit entsprangen. Mit überraschender Schnelle unterlief Daniel einen der Mühlburschen, stieß ihm das Messer in die Eingeweide, und riß den andern bei den Haaren zurück. Schnell war der Unglückliche von Daniels Gefährten getödtet. Mit hochgeschwungenem Beile trat Daniel vor den gebundenen Müller, und drohete, ihm den Kopf zu spalten, wenn er nicht gleich gestehe, ob sonst noch Jemand im Hause sei, und wo er die 500 Thaler verborgen habe, die ihm, den zuverlässigsten Nachrichten gemäß, erst vor einigen Tagen seien ausbezahlt worden. Der Müller versicherte aufs Feierlichste, außer seiner kranken Mutter niemand im Hause zu haben, erklärte auch die Sage von dem ihm bezahlten Gelde für eine boshafte, von feindlich gesinnten Menschen zu seinem Verderben ausgesprengte Lüge. Daniel, der sechszehnjährige Bursche, marterte nun den Müller so unmenschlich und mit solch besonnener Grausamkeit, daß dieser, der ärgste Geizhals, und für die Erhaltung seines Geldes den gräßlichsten Mißhandlungen trotzend, doch endlich, fast mit dem Tode ringend, den Ort angab, wo er das Geld verborgen hatte. Schnell war es hervor gerollt, und im Angesichte des verzweifelnden Müllers von den beiden Raubgenossen getheilt, die nun das ganze Haus durchsuchten, alles, was des Raubes werth war, in Säcke packten, diese auf einen Karren warfen, zwei stattliche Pferde des Müllers anspannten, und laut jubelnd vom Hofe fuhren. Auf die unbemerkteste Weise wurde der Raub, den der Müller bei Gericht auf 1200 Thaler eidlich angab, in Lehmanns Haus geschafft, der Karren im Walde verbrannt und der Erlös aus den Pferden dem Preußen überlassen, der sie jenseits der Grenze verkaufte, und sich bald wieder mit den andern vereinigte. Daniels Leben war nun eine ununterbrochene Kette der scheußlichsten Laster und Verbrechen, wodurch er sich solch einen verruchten Ruhm erwarb, daß Lips Tullian den Eintritt des Daniel Lehmann in seine Bande mit einer Reihe schwelgerischer Feste feierte, und den würdigen Freund gleich zu seinem Vertrauten erhob. XII. Michael Hentzschel. Nun, wenn es keinen andern Ausweg giebt, Mir kommt’s auf einen kleinen Mord nicht an. ~Th. Körner.~ Michael Hentzschel war der Sohn eines Schneiders, und wurde von seinem Vater dieser Profession einverleibt. Aber wer allenfalls glauben möchte, Hentzschel, aus einer Schneiderfamilie abstammend, sei als Knabe ein furchtsamer, demüthiger, sich schmiegender Böhnhase, als Mitglied einer Räuberbande höchstens ein Patron und nur als feiger Kundschafter zu gebrauchen gewesen, der möchte wohl etwas Bange haben, wenn dieser Hentzschel noch sein Wesen triebe, und ihm zu ungewohnter Zeit die Ehre eines Besuches erweisen würde. Schon im Kinderröckchen war Hentzschel zu Steina, seinem Geburtsorte, der Popanz, den alle Kinder nicht nur seines Alters, sondern selbst erwachsenere, fürchteten und flohen, und zwar wegen seines Raufsinnes und der Verwegenheit, womit er, der Einzelne, eine zahlreiche Schaar angriff und um sich schlug. Als Hentzschel von seinem Vater zu einem Anverwandten nach Gubitz, einem Dorfe bei Döbeln in die Lehre gethan wurde, mußte ihn sein Lehrmeister schon nach einigen Wochen wieder in das väterliche Haus zurück schicken, da in ganz Gubitz kein Knabe war, den er nicht, ohne alle Veranlassung, angefallen und abgeprügelt hätte, wobei immer seine muthigsten Gegner am schlimmsten wegkamen, während er den Feigen sein Uebergewicht nur mäßig zu fühlen gab. Kaum war sein Vater gestorben und Hentzschel im Besitze des kleinen Grundstücks, als die Begierde nach einem viel und lustig und frei sich bewegenden Leben ihn aus seinem beschränkten, mechanischen Seyn in die Welt hinaus trieb. Schnell war das Grundstück verkauft und Hentzschel wanderte fort, fest entschlossen, ein ziemlich großes Stück dieser Erde zu besehen. So lange der geringe Erlös aus dem kleinen Grundstück seinen Hang zum Wohlleben und zum Genusse sinnlicher Freuden befriedigen konnte, trieb er sich müßig umher; sobald aber Geldmangel und Noth, die beten und arbeiten lehren, seinem Müßiggange entgegen traten, bequemte er sich zu einem Erwerbe, der darin bestand, daß er bald als Schneidergeselle arbeitete, bald als Hausknecht, als Lastträger, als Markthelfer sich gebrauchen ließ, aber nur immer so lange in Thätigkeit sich setzte, bis er so viel erworben hatte, um einige Zeit wieder müßig umher wandern zu können. Auf einer solchen Wanderung, bei welcher Hentzschel mit losem Gesindel immer vertrauter und zum Gauner immer reifer wurde, machte er die Bekanntschaft eines Invaliden, genannt der Husaren-Bernhard, der mit seiner Tochter Johanna den größten Theil des Jahres umherzog, zum Scheine einen kleinen Handel mit Bildern und Spielzeug trieb, doch einen viel größern Erwerb aus seiner Gewandtheit im Stehlen und aus den Buhlerkünsten seiner Tochter, ihrem Gesange und Zitterspiele sich verschaffte. Johanna, erst siebzehn Jahre alt, und eine jener Gestalten, die durch das Feuer des Auges, durch hohen, schlanken, üppig geformten Bau und leichte, rasche Bewegungen des leicht und verrätherisch bekleideten Körpers so sehr die Sinne aufregen, war eine so feine Buhlerin, als hätte sie die Schule der erfahrensten und geistreichsten Hetären durchgemacht. Damit vereinigte sie alle jene verderblichen Eigenschaften, die im Bereiche der Gaunerei sich glänzend und früchtevoll hervorthun. Hentzschel, eingeweihet in die Kunst, Karten und Würfel zu seinem Vortheile zu benutzen, hatte einige Tage vor seiner Bekanntschaft mit dem Husaren-Bernhard in einer Waldschenke, mit deren Besitzer er höchst vertraut war, einen Pächter, einen Müller und drei Bauern, reiche Kumpane, betrunken gemacht, zum Würfelspiele verleitet, und ihnen eine baare Summe von 375 Thalern abgewonnen. Kaum hatte er Johanna gesehen und gesprochen, als er von dem heftigsten Verlangen nach dem Besitze dieses so lockenden Mädchens hingerissen wurde. Auf der Stelle bewirthete er Vater und Tochter mit Braten und Wein, machte ohne alle Einleitung dem Gegenstande seiner entzügelten Begierde einen Heirathsantrag, beurkundete die vollkommene Fähigkeit der anständigen Ernährung einer Frau durch seine gerühmte Geschicklichkeit in der Schneiderarbeit, sprach ohne Scheu von seiner Fertigkeit in betrügerischem, vortheilhaftem Gebrauche der Karten und Würfel, und schüttete, zur kräftigen Unterstützung seines Antrages, die reichlich gefüllte Geldgurte in Johannas Schoos aus. Noch am nämlichen Abend wurde Verlobung und Hochzeit gehalten, der aber die priesterliche Einsegnung erst nach einigen Monaten folgte. So lange Hentzschels Thaler vorhanden waren, lebte die wackere Familie in Saus und Braus, ohne an einen Erwerb zu denken. Es herrschte unter ihnen kein Geheimniß mehr, und so war Hentzschel über die moralische Verdorbenheit seiner Angehörigen, die anfangs recht tugendhaft thaten, bald im Klaren; doch hütete sich Johanna, ihm zu vertrauen, daß sie seit ihrem vierzehnten Jahre das Gewerbe einer Buhldirne im Geheimen treibe. Hentzschel, mit vorherrschender Neigung zu einem müssigen, schwelgerischen Leben, und mit allen Anlagen, für die bürgerliche Gesellschaft ein höchst gefährlicher Mensch zu werden, reichlich ausgestattet, freute sich um so mehr über seine Verbindung mit so routinirten Leuten, als ihm dadurch Hoffnung ward, bei leichtem und beträchtlichem Erwerbe sich seinen Neigungen ganz hingeben zu können. Husaren-Bernhard machte den Vorschlag, irgendwo ein Häuschen zu kaufen, dort im Winter das Schneidergewerbe zum Scheine zu treiben, in den günstigen Jahreszeiten aber mit einem Krame von Kinderspielzeug, Bändern, wohlriechender Seife und andern, besonders auf dem Lande gangbaren Artikeln weit und breit umherzuziehen, dabei aber vorzüglich durch Freischupperei und Massematten[11] für ein herrliches Winterquartier recht thätig vorzuarbeiten. [11] Betrug und Diebstahl. Solch ein Häuschen zu finden, wäre eben nicht schwierig gewesen, aber die Flittertage dieser Titularehe hatten Hentzschels blanke Thaler bis auf wenige verschlungen. Doch diese Leute waren viel zu erleuchtet und ideenreich, um wegen Mangels an Baarschaft einem gefaßten Entschlusse zu entsagen. Nach kurzer Berathung trennte sich das tugendhafte Kleeblatt, um mit gefülltem Säckel sich wieder zu vereinen. Hentzschel zog mit dem Reste seines Geldes von einem Wirthshause zum andern und trieb Karten- und Würfelspiel. Husaren-Bernhard und Johanna wanderten mit ihren Waaren im Lande umher, stahlen und betrogen auf die feinste Weise, und Johanna’s Gesang und Zitterspiel lockten so manchen Lüstling in die gefährliche Nähe dieser Sirene, die aber nicht den Tod der Bezauberten, sondern nur ihre blanken Thaler wollte. Nach viermonatlicher Trennung vereinigten sich unsere Wanderer wieder und hatten durch ihre lasterhaften und verbrecherischen Handlungen so viel Geld an sich gebracht, das Hentzschel zu Colmnitz ein recht geräumiges, gut gebautes Haus, dazu das Recht zur Ausübung seiner Profession erkaufen konnte und noch ein hübsches Sümmchen zur bequemen Einrichtung übrig hatte. Nun wurde er auch mit Johanna copulirt. Fünf Jahre hatte Hentzschel die Winter hindurch zum Scheine geschneidert, die übrige Zeit als wandernder Handelsmann mit betrügerischem Spiele, Schottenfellen[12], auch manchmal als Theilnehmer bei leichten Einbrüchen hingebracht, dabei aber in Colmnitz, wie auch in dessen weiter Umgebung für einen recht wackern Mann gegolten. Die Wiederkehr der Lerche war immer für Hentzschel der Aufruf, mit Schwiegervater und Weib zum verbrecherischen Erwerb aus dem scheinheiligen Stillleben hinzuziehen in das vielbewegte Treiben der Laster und der Verbrechen. [12] In Kaufläden und auf Jahrmärkten stehlen. Das Lied der Lerche ertönte in milder Frühlingsluft und Hentzschel hatte sich zum Auszuge mit Weib und Schwiegervater bereitet, als am Morgen der Fortwanderung, da es noch fast dunkel und das Hentzschel’sche Kleeblatt schon zum Abzuge gerüstet war, zwei bewaffnete Gerichtsdiener rasch in Hentzschels Wohnstube eintraten, ihm und dem Husaren-Bernhard Ergebung geboten, Stricke hervorzogen und Beide zu binden sich anschickten. Hentzschel und sein Schwiegervater, beim raschen Eintritte der Häscher sich gleich eines im verflossenen Herbste begangenen Raubmordes erinnernd, sahen gleich ein, daß die Gefahr für sie groß sei und rasch und kräftig abgewendet werden müsse. Nur ein Blick, der leiseste Augenwink und sie verstanden sich. In unglaublicher Schnelle, mit Riesenstärke hatte[13] Hentzschel die beiden Gerichtsdiener bei der Kehle gepackt und gewaltig an die Wand gedrückt, daß sie nicht zu schreien, auch keine Gegenwehr vermochten, sondern nur röchelten unter seiner würgenden Faust. Mit einem Sprunge war der Fanghund an Hentzschels Genicke, aber ein rascher Hieb mit der schweren, scharf geschliffenen Axt, von des Invaliden noch immer kräftiger Faust geführet, spaltete den Kopf des furchtbaren Hundes. [13] Hierzu die Abbildung in diesem Hefte. „Kaporet die Tschuckeln!“[14] -- rief Hentzschel, ermattet von der Anstrengung, womit er die Gerichtsdiener fast bis zum Erdrosseln an die Wand drückte. Im Augenblicke sank einer unter dem tödtenden Streiche des Husaren-Bernhards, und schnell reichte Johanna dem Hentzschel ein scharfes Messer, das er bis an den Heft in die Brust des lautlos sterbenden Gerichtsdieners stieß. [14] „Bringt die Hunde um!“ [Illustration: Die Ermordung zweier Gerichtsdiener.] Schnell besonnen sprang Johanna an die Hausthüre und lauschte nach allen Seiten, ob Niemand in der Nähe sei. Die ganze Nachbarschaft war noch in tiefer Ruhe. Johanna verschloß die Thüre, und eilte, den Männern bei der Wegschaffung der Leichen eifrig zu helfen. Gerade an der Stelle, wo der Mord geschah, war ein Strohlager bereitet, worauf bis zur Mitternacht ein befreundeter Gauner geschlafen und sich dann fortgeschlichen hatte. Das Stroh hatte alles Blut der Ermordeten aufgefangen. Um bei Hinwegschaffung der bluttriefenden Leichen keine Spuren zu hinterlassen, wurde nun jeder Körper in eine Strohschütte gebunden und in den Keller geschleppt. Noch war keine Stunde hierüber vergangen, als schon Hentzschel und sein Schwiegervater die Gerichtsdiener, nachdem sie selben Geld, Uhren und Waffen genommen, wie auch den Hund tief verscharrt und das aufgerissene Kellerpflaster mit aller Sorgfalt eingefugt hatten, während Stube und Hausflur von Johanna so sorgfältig gereinigt wurden, daß auch nicht das geringste Merkmal des begangenen Mordes aufgefunden werden konnte. Eben so vorsichtig und unentdeckbar verbarg Hentzschel die den Gerichtsdienern geraubten Sachen. Auf des Schwiegervaters Rath wurde die Fortwanderung verschoben, um jedem Verdachte, den das spurlose Verschwinden der Gerichtsdiener und ihres Hundes gegen die Hentzschel’sche Familie erzeugen könnte, so viel als möglich zu entgehen. Hentzschel machte seinen Schwiegervater darauf aufmerksam, daß ihre vorgehabte Arretirung durch die Entdeckung irgend eines ihrer Verbrechen, zweifelsohne des jüngsten Raubmordes, veranlaßt worden, eine neue zu gewärtigen, und es daher klüger sei, ungesäumt auf immer von dannen zu ziehen und im Auslande einen sichern Aufenthalt sich zu verschaffen, als hier jeden Augenblick Verhaftung, Criminaluntersuchung, Tortur, und am Ende, wenn auch nicht den Galgen, doch langwährendes Zuchthaus erwarten zu müssen. Auch Johanna theilte ihres Mannes Ansichten. Doch Husaren-Bernhard, durch seine so vielen Verhaftungen und theils mittelst hartnäckigen Läugnens, theils durch Ausbrüche jederzeit erreichten Befreiungen, gegen Arretirung und Criminalproceß höchst gleichgültig, wußte Hentzschel und Johanna dahin zu bereden, daß sie sich entschlossen, wenigstens noch einige Tage im Hause zu bleiben. So waren zwei Tage hingegangen, ohne daß in Hentzschels Hause das Mindeste vorfiel. Man erzählte sich im Dorfe, daß die zwei Gerichtsdiener des Freiherrlich von Hartitzschen Amtes, worunter Colmnitz gehörte, vermißt werden. Hentzschel besuchte das Wirthshaus, welches er nicht nur aus Scheinheiligkeit, sondern selbst immer mit einem Vorrathe des besten Getränkes versehen, selten that, und lauerte vorzüglich darauf, ob Niemand sich äußere, die beiden Gerichtsdiener an jenem Morgen in Colmnitz gesehen zu haben. Niemand hatte die Gerichtsdiener bemerkt, und unter den Leuten, die im Wirthshause zechten, sprach sich die allgemeine Vermuthung aus, sie seien in die Hände der Bande des rothen Peters gefallen, der gegenwärtig in der Nähe hause und, wie allgemein bekannt, den Gerichtsbeamten und Gerichtsdienern des Freiherrn von Hartitzsch den Untergang geschworen habe. Solch ein Wahn war für Hentzschel sehr angenehm. Mit ganz beruhigtem Gemüthe wollte er soeben das Wirthshaus verlassen, als die Thüre der Zechstube rasch aufgerissen wurde und er sich im Augenblicke von Jägern und Soldaten umgeben sah. Ihr Anführer, der von Hartitzsche Gerichtsschreiber, winkte dem Amtsfrohne, und Hentzschel wurden die Hände so schnell und so fest auf den Rücken gebunden, daß er nicht im Stande war, den geringsten Versuch zur Gegenwehr, zur Anwendung seiner Riesenkraft zu machen. In der Mitte der zahlreichen Wache mußte er dem Gerichtsschreiber nach Hause folgen, wo er mit Entsetzen seinen Schwiegervater und sein Weib in Ketten, und das ganze Haus von Soldaten und Jägern besetzt sah. Als Hentzschel die Frage des Gerichtsschreibers, ob nicht vor zwei Tagen, noch in dunkler Morgendämmerung, zwei Gerichtsdiener des Freiherrlich Hartitzschen Justizamtes in diesem Hause gewesen seien, ohne die geringste Veränderung seiner Miene und in aller Unbefangenheit mit einem festen Nein beantwortet hatte, wurden Lichter angezündet, und nun ließ der Gerichtsschreiber das ganze Haus vom Giebel bis zum Keller in Hentzschels Beisein auf das Sorgfältigste untersuchen. Es wurde auch nicht das Geringste gefunden, woraus irgend ein Argwohn hätte geschöpft werden können. Schon war der Wagen vorgefahren, worauf die Arretirten nach dem Amthause gebracht werden sollten, schon wurde Hentzschel von den Stricken losgemacht und mit einer Kette gefesselt, als der Amtsfrohn seinen Fanghund vermißte. Er rief, er pfiff; der Hund kam nicht. Einer der Jäger glaubte aus dem Keller herauf ein dumpfes Bellen zu hören. Der Amtsfrohn, in der Meinung, seinen Hund dort vergessen und eingesperrt zu haben, eilte in den Keller, kam aber erst nach einer Weile im raschen Gange herauf, nahm ein Licht, winkte dem Gerichtsschreiber, und eilte mit ihm die Treppe hinab. Erstaunt, aber gleich eine wichtige Entdeckung ahnend, sah der Gerichtsschreiber, wie der Hund in einer Ecke mit aller Heftigkeit scharrte, dann auf dem Boden umherschnoberte, knurrte, und wieder mit aller Mühe strebte, das Pflaster mit seinen Klauen aufzureißen. Unverzüglich mußte der Amtsfrohn aus den nächsten Häusern einige Leute mit Pickeln und Schaufeln herbeiholen. Als einige Steine losgemacht waren, bemerkte man schon, daß hier vor Kurzem jemand begraben worden sei. Die Neugierde spornte die Arbeiter zu solcher Thätigkeit an, daß sie vor Ablauf einer Viertelstunde die tief verscharrten Leichen ausgegraben hatten. Im tiefsten und festesten Kerker des Hartitzschen Amtsgebäudes saß Hentzschel am fünften Tage nach seiner Verhaftung, und erschöpfte sich im Nachsinnen über die Möglichkeit, sich frei zu machen, als durch das hohe und dichte Gitterfenster seines Kerkers etwas Weißes zu seinen Füßen niederfiel. Er hob es auf und fand eine kleine, sehr scharfe Zeile, um welche ein Papier gewunden war, worauf kaum leserlich geschrieben stand: „Sobald Du Deine Ketten durchgefeilt hast, so bete das Vaterunser mit lauter Stimme. Doch darf dieses nicht eher geschehen, als eine Stunde nach der letzten nächtlichen Visitation.“ -- Da es gerade um die Zeit war, wo täglich die Mittagskost gebracht und visitirt wurde, so verschluckte Hentzschel den Zettel, und verbarg die Feile in einer Ritze des Fußbodens. „Woher kommt diese Feile? -- wer will mich befreien?“ - Mit der Lösung dieser höchst schwierigen Frage quälte sich Hentzschel gar sehr ab; als aber die bezeichnete Stunde schlug, dachte er nur an die Erfüllung des ertheilten Auftrags, und, der gegebenen Anweisung gemäß, scholl sein lautes Gebet in die tiefe, stille Nacht hinein. Leise klirrten jetzt Riegel und Schloß der Kerkerthüre, ein Pst rufte den Kettenbefreiten an den Eingang, eine weiche Hand ergriff die seine, an welcher er im leisesten Schleichen durch die Dunkelheit des langen, gewölbten Ganges sich forttappte, dann durch ein halbgeöffnetes Pförtchen schlüpfte, und sich im Freien sah. Noch konnte er, der tiefnächtlichen Dunkelheit wegen, die Gestalt nicht unterscheiden, deren rettende Hand ihn hierher geleitet hatte. Es blieb ihm auch keine Zeit zur genauen Beschauung, denn die Gestalt drückte ihm hastig einen schweren Bündel unter den Arm, eine Pistole, einen Säbel in die Hand, und schritt nun so eilig voran, daß Hentzschel, hier des Weges unkundig und bald durch einen Baum, bald durch ein Geländer in seiner eiligen Folge gehemmt, alles aufbieten mußte, in ihrer Nähe zu bleiben. Die Bäume und die Geländer hörten auf, Sterne schimmerten durch die zerrissenen Wolken, bei deren sanftem Lichte Hentzschel die leitende Gestalt einem Walde zueilen sah, an dessen Saume es noch eine gute Strecke fortging. Aus der Weichheit der Hand, die die seinige gefaßt hatte, und aus Gang und Haltung, welche er beim Sternenlichte zu beobachten vermochte, schloß er, daß diese Gestalt, trotz ihrer männlichen Kleidung, einem weiblichen Wesen angehöre. Von der Richtigkeit seines Schlusses überzeugte er sich, als die Gestalt sich jetzt unter einer Eiche niederließ, ihn an ihre Seite zog, und mit halblauter Stimme sprach: „Hentzschel, ich habe Dich Deinen Ketten, Deinem Kerker und Deinem Tode auf dem Rabensteine entrissen, aber, recht aufrichtig gestanden, nicht, um an Dir ein Liebeswerk auszuüben, sondern um meine Rachsucht zu befriedigen. Unser Amtsfrohn, der Nachfolger meines im vorigen Jahre verstorbenen Vaters, hat vier Jahre mit mir in vertrauter Bekanntschaft gelebt und mich zu ehelichen versprochen, wenn er, sollte mein Vater zum Dienste unfähig werden oder sterben, an dessen Stelle komme. Der Vater starb, mein Geliebter erhielt die Stelle und -- heirathete meine Stiefmutter, weil sie, einige Wochen vor dem Tode meines Vaters, 600 Thaler geerbt hatte. Zur Beischläferin wäre ich gut genug, da ich aber seine wilden Begierden nicht stille, auch bei jeder Gelegenheit ihn meine tiefste Verachtung fühlen lasse, so mißhandelt er mich täglich unter den Augen meiner mich hassenden Stiefmutter auf das Grausamste, hat auch in der ganzen Umgegend mich als so ein arbeitsscheues, liederliches Mädchen ausgeschrieen, daß mir selbst der armseligste Dienst verschlossen ist. Vor einigen Tagen hörte ich von unserm Justizamtmann zu meinem Stiefvater sagen: „Rollinger, wenn Hentzschel, oder sein Weib, oder Husaren-Bernhard sich losmachen, so bist Du Deiner Stelle für immer ledig und kommst auch zwei Jahre ins Zuchthaus!“ -- Von diesem Augenblicke an war Deine oder der Andern Befreiung von mir beschlossen, da ich aus vielen Fällen weiß, wie streng unser Justizamtmann ein gegebenes Wort erfüllt. Mein Unternehmen ist mir geglückt. Daß ich Deine Befreierin war, wird Niemand ahnen. Alle Schuld fällt auf meinen Stiefvater. Er hat sich erst vor Kurzem meiner schweren Nachlässigkeit in Verwahrung von Gefangenen schuldig gemacht, ist nun durch meine schlaue, muthige That rettungslos verloren, und meine heiße Rache befriedigt sein Untergang.“ „Nun sorge für Dich! Ich habe Dir die Freiheit, Waffen, und in diesem Bündel einen vollständigen Anzug gegeben. Was nun für Dich geschehen muß, überlasse ich Deinem Muthe und Deinem Kopfe. Lebe wohl!“ -- Verschwunden war das Mädchen, ehe Hentzschel im Stande war, seiner Retterin nur ein Wort des Dankes zu sagen. Eilig öffnete er den Bündel und fand darin einen vollständigen Anzug, eine Mütze und etwas Wäsche; schnell war sein Kerkerkittel abgeworfen und gegen die neue Kleidung vertauscht. Den Säbel unter dem Oberrocke verbergend, die Sackpistole in der Brusttasche, eilte Hentzschel fort, fest entschlossen, dem Wanderer, den er zuerst treffe, das Geld abzunehmen. Als der Tag zu grauen anfing, erkannte Hentzschel die Gegend und schlug gleich den Weg nach jener Richtung ein, die ihn an ein vertrautes Haus führte. Ein Bauer, der eine Kuh zum Verkauf trieb, mußte seine geringe Baarschaft an Hentzschel abgeben. Nach drei nächtlichen Wanderungen -- den Tag hindurch weilte er wohlverborgen in den Wohnungen gleichgesinnter Freunde -- erreichte er die Gegend, wo, sicheren Nachrichten zufolge, Lips Tullian sich gerade jetzt umhertrieb. Willig nahm das gefürchtete Räuberhaupt den kräftigen, durch Worte und Aussehen sein Gewerbe ankündigenden Hentzschel auf, dessen Schlauheit und Muth ihm bald das Vertrauen seines Meisters und seiner Gefährten erwarb. Nach einigen Monaten brachte ein Kundschafter die Nachricht, daß der Husaren-Bernhard durch das Rad hingerichtet, Johanna zum lebenslänglichen Zuchthause verurtheilt und Hentzschels Haus bis auf den Grund zerstört worden sei. -- Von diesem Augenblicke an ward Hentzschel der grausamste Wütherich. Justizbeamte, Gerichtsdiener und Frohnknechte waren die Gegenstände seines entmenschten Strebens. Mit einer Tollkühnheit, die nur die Geburt der Raserei, der höchsten Verzweiflung sein konnte, drang er in Amtsgebäude, in Frohnfesten und übte die schauderhaftesten Grausamkeiten aus. Hentzschel war unter der schwarzen Garde der Verwegenste, der Unbezähmbarste, der Einzige, den selbst der schreckliche Lips Tullian in manchem Momente leidenschaftlicher Aufwallung fürchtete und der den Aufbrausenden nur mit Worten der Freundlichkeit und Sanftmuth zu beschwichtigen suchte, nie aber durch Strenge und Gewalt in die Schranken der Ruhe und Unterwürfigkeit zurück zu führen wagte. XIII. Die Schenke an der böhmischen Grenze. Ist es möglich? Was -- der wagt’ es, Sich tollkühn in der Welt herum zu treiben, Der ausgelernte Mörder? -- ~Th. Körner.~ In der einsam gelegenen Schenke am Sand, nicht ferne von der sächsisch-böhmischen Grenze, zechten drei Männer, aber nicht unter traulichem Geplauder, sondern bei lärmendem Gezänke. Der Wirth schaute aus dem niedrigen Fenster nach allen Richtungen, als wolle er neue Gäste erspähen, oder diese da gegen neugieriges Gehorche schützen. „Heim Dich,“ -- rief der Wirth dem lautesten Schreier zu und schloß das Fenster -- „ein Aurech reibt an!“[15] -- [15] „Schweige! Ein Fremder kommt!“ (dieses und das folgende ist aus der rothwälschen, auch Gauner-, _vulgo_ jenischen Sprache.) Ein hochgewachsener, schöner Mann, den weiten Mantel um sich geschlagen und die Mütze tief in die Stirne gedrückt, trat ein, maß Wirth und Gäste mit einem langen, scharfen Blicke, setzte sich an einen Nebentisch und forderte ein Glas Branntwein. Von der Seite schielten die drei Gäste auf den Fremden hin, und der abgehende Wirth gab ihnen einen bedeutenden Wink. „Nun, Kamernschen, warum plötzlich so beducht?“[16] -- redete sie der Fremde, gleichsam höhnisch lächelnd, an. „Schon von weitem logte ich n’ Hamoren, als schefte ’s Uschbescheder voll Krächlingsfehlinger, und jetzt scheft euch ’s Merkelspiel verstiftelt. Charpenet ihr euch vor meinem Bekan sein?“ [16] „Nun, Kameraden, warum plötzlich so stille? Schon von weitem hörte ich einen Lärm, als wäre die Stube voll Zahnbrecher, und jetzt ist euch der Mund verstopft. Scheuet ihr euch vor meiner Gegenwart?“ -- Die Männer sahen sich an und schwiegen. „Nun, bestieb’ ich Tschuve oder lau?“[17] donnerte ihnen der Fremde zu. [17] „Nun, bekomme ich Antwort oder nicht?“ -- „Meint der Herr uns?“ fragte der eine, ihn flüchtig und unfreundlich anschauend. „Könnt ihr noch fragen? Gegen Leute anderer Art würde ich wohl nicht ’s koschemer Loschem[18] gebrauchen,“ -- erwiderte der Fremde in recht verächtlichem Tone. [18] Die Gaunersprache. „Was ihr da gesprochen habt,“ -- fuhr ein Anderer auf und maß ihn mit drohenden Blicken -- „verstehen wir nicht. Es mag wohl eine recht saubere Sprache sein; wir aber sind ehrliche Leute, die sich damit nicht befassen, und jetzt Euch zur Erklärung Eurer zweideutigen Rede auffordern.“ -- „Armselige Wichte, ihr wollt mir eine Erklärung abfordern?“ sprach der Fremde mit höhnischem Gelächter. -- „Leute eueres Gelichters müssen sich geehrt fühlen, wenn ich sie meiner Ansprache würdige.“ Rasch sprangen die Männer auf, und die funkelnden Augen, die wild verzerrten Gesichter und die geballten Fäuste verkündigten den nahen Ausbruch von Thätlichkeiten. Ruhig und fest blickte der Fremde den Ergrimmten entgegen, die der Wirth durch einige, ihnen zugeflüsterte Worte schnell beschwichtigt hatte. „Wirklich, für Gauner und Buschklepper seht ihr, dem Anzuge nach, zu reputirlich aus,“ -- fuhr der Fremde mit kalter Ruhe fort; „aber ihr sollt zur Ueberzeugung kommen, daß ich euch und euer Treiben und Walten besser kenne, als ihr glaubt. Einen wehrlosen Handwerksburschen niederzuschlagen und ihm das Felleisen zu rauben; ein Paar Schafe zu stehlen, in die Fenster eines abgelegenen Hauses zu steigen, worin Niemand als ein krankes Weib und ein Paar Kinder wohnen; im recht dichten Volksgedränge eine Uhr, eine Tabakspfeife, ein Sacktuch zu mausen: das sind die Heldenthaten, deren ihr euch zu rühmen habt. Auf eine höhere Stufe schwang sich bisher Euer Witz und Euer Muth nicht. Wäret Ihr nicht ein gar so erbärmliches Gesindel, ein so feiges Kleeblatt, so wären schon die 3000 Thaler, welche der Müller von Eimbeck vor Kurzem geerbt und in seinem Keller verwahrt hat, bereits in eurer Tasche. Tag und Nacht sinnt Ihr und der armselige Wirth da auf diesen Fang, aber umsonst, denn ein leeres Gehirn und ein jämmerliches Hasenherz müssen nur immer im Staube kriechen.“ Das war für den Wirth und seine Gäste zu viel. Sie sahen sich erkannt; sie befürchteten alles von einem Manne, der von ihrem Treiben und ihren Plänen so genau unterrichtet war. Hastig flüsterten sie unter einander, der Wirth riß ein Fenster auf, schaute nach allen Seiten und winkte ihnen. Sie sprangen auf, mit gezogenen Messern, zum raschen Todesstoße bereit. Dem Fremden war das gefährliche Flüstern und Winken nicht entgangen. Im Augenblicke ward der Mantel zurückgeschlagen und die Mündungen einer gespannten Doppelpistole droheten ihnen entgegen. „Zurück, die Messer zur Erde, die Köpfe entblößt[19]!“ schrie ihnen der Fremde mit wild rollenden Augen und in der stolzesten Haltung zu. „Ich ~Lips Tullian~ gebiete Euch rasche Unterwerfung!“ [19] Hierzu die Abbildung im dritten Hefte. Die Messer klirrten zur Erde nieder, Hüte und Mützen flogen von den Köpfen; Schrecken und Freude drückten sich auf den Schelmengesichtern in starken Zügen aus. Einer schlich näher, und betrachtete den Fremden mit scharf prüfendem Auge. „Ja, so hat Dich der rothe Jonas beschrieben, der in Schlesien unter Deiner Bande war, ja Du bist Lips Tullian!“ rief er und warf jauchzend die Mütze an die Decke. „Es lebe Tullian, er sei unser Bonherr[20]!“ brüllten die Unholde. [20] Hauptmann, Anführer. [Illustration: _L. Oeser in Neusalza._ Lips Tullian in Lebensgefahr.] XIV. Eine neue Räuberbande. Banditen sind’s und Rudolph ist ihr Hauptmann. ~Th. Körner.~ Nach seiner Flucht aus der Köhlerhütte im Trebnitzer Walde hatte Lips Tullian, wie wir wissen, den Weg nach der sächsisch-böhmischen Grenze eingeschlagen. Im Anfang wanderte er nur des Nachts und kaum von mehr als frischem Quellwasser und Waldfrüchten lebend, bis er später, sich nunmehr sicherer wähnend und nichts mehr für sich fürchtend, auch den Tag zu seiner Wanderung zu Hilfe nahm. Im Ganzen aber blieben der Nacht seine Hauptmärsche aufbewahrt und den größten Theil des Tages brachte er mit Schlafen und Ausruhen in den Wäldern zu. Da traf es sich, daß er nahe an der Grenze in den dichtbelaubten Aesten einer stattlichen Eiche übernachtete. Bald nach Tages Anbruch hörte er am Fuße seiner grünen Lagerstätte sprechen. Leise bog er die Zweige aus einander und sah unter sich drei Männer stehen, deren Aussehen, noch mehr aber ihr Gespräch in rothwelscher Sprache ihm gleich ihr Handwerk verrieth. Sie erzählten sich mit rühmender Redseligkeit ihre armseligen Gaunerstückchen, sprachen von dem vielen schönen Gelde auf der Eimbecker Mühle, mit der offenherzigen Erklärung, den Einbruch nicht zu wagen, und entfernten sich, noch immer in Klagen ausbrechend, solch’ einem herrlichen Fange entsagen zu müssen. Bei seinem Eintritte in die Waldschenke am Sande erkannte Philipp das Kleeblatt auf den ersten Blick. Die feigen Wichte würden an ihm zum Mörder geworden sein, hätte sie nicht der, auch in den böhmischen Wäldern schon hochgefeierte Name: „Lips Tullian“ niedergedonnert. „Ihr habt mich zu Euerm Bonherrn erhoben,“ begann Philipp, die zahlreiche Bande, aus einem Diebshehler und drei armseligen Schnapphähnen gebildet, mit dem Lächeln des Spottes beschauend -- „wohlan, ich will es sein, wenn Ihr Euch verpflichtet, mir Bursche zu werben, auf deren Köpfe und Muth hin man etwas Großartiges unternehmen kann. Kennt Ihr solche Kumpane?“ „Daran möchte es wohl nicht mangeln,“ erwiederte der Eine. „Gerade jetzt hausen in dieser Gegend der Sarberg, auch Studenten-Fritz genannt, der Schickel, _vulgo_ Brettbauer, Christian Eckhold, auch der schöne Böttiger heißend, ferner Hans Wolf Schöneck, Daniel Lehmann und der Kolmitzer Schneider Michael Hentzschel.“ „Ich erinnere mich,“ fiel Lips Tullian ein, „schon vom schwarzen Wenzel diese Namen mit großem Lobe nennen gehört zu haben. Warum macht Ihr nicht Gemeinschaft mit so wackern Leuten?“ „Offenherzig zu Dir gesagt, edler Tullian, darüber liegt die Schuld nicht an uns“, entgegnete der Gefragte ganz kleinlaut, „denn ich und meine Kameraden hier sind zu ihnen gegangen, haben ihnen unsere Gesellschaft angeboten, auch unter Sarbergs Commando einige Zeit mithanthieret; aber die Herren sind gar hochmüthig, halten zusammen, wie englische Kitte, schoben uns vor, wo die Baldoverei[21] oder das Kettenschieben[22] am gefährlichsten war, gaben nun vom besten Fange nur so etwas auf dem Spänchen, und zuletzt handgreiflich zu verstehen, daß wir ihnen überflüssig seien, weil wir nicht immer Lust hatten, an halsbrechenden Geschäften Antheil zu nehmen.“ [21] Ausspähung, Spioniren. [22] Einbrechen bei Nacht. „Der Löwe ekelt sich in der Gemeinschaft mit den Hasen,“ lachte Lips Tullian den Offenherzigen zu. „Ich will Euch unter mir dulden, auch leichte Arbeit und Verdienst geben, wenn Ihr mir einen dieser wackern Bursche verschafft. Nennt meinen Namen, und Keiner wird Euch zurückweisen.“ „Laß mich dafür sorgen,“ sprach der Wirth. -- „Ich kenne die Chochemer Penne[23], wo Sarberg und Hentzschel in jeder Woche zusprechen. Sie liegt nur vier Meilen von hier, und Nachmittags reite ich hin. Ich stehe Dir dafür, Lips, daß, wenn sie nicht gerade jetzt tiefer ins Land gegangen sind, Du noch in dieser Nacht, oder längstens in der folgenden mit den Beiden zur Unterredung kommst. Bis dahin soll es Dir in meinem Hause an guter Speise und gutem Getränke nicht mangeln, auch wirst Du Dich nach Ruhe sehnen. Ich kann Dir ein herrliches Bett in einer Kammer anbieten, wo Du vor Entdeckung sicher bist, wenn auch das ganze Haus von Schodern[24] durchstöbert würde.“ [23] Diebesherberge. [24] Gerichtsdienern. Willig nahm Lips Tullian das Anerbieten an. Er warf dem saubern Kleeblatte ein Paar Thaler zum Vertrinken hin und ging mit dem Wirthe, der ihn nach einer kleinen Stube führte, die so versteckt lag, daß ihr Auffinden auch wohl bei der genauesten Hausuntersuchung schwerlich gelungen wäre. XV. Der Einbruch in der Eimbecker Mühle. In dunkler Nacht Da kommet sacht Die Schaar der Verweg’nen geschritten, Sie dringen in’s Haus mit wilder Gewalt, Zurück von den ehernen Herzen prallt Der Armen Flehen und Bitten. ~Gabert.~ Lips Tullian blieb hier in dieser Schenke mehrere Monate. Durch die Bemühungen des Wirthes wurde er zuerst mit dem Studentenfritz und dem berüchtigten, wilden Hentzschel bekannt. Es war dies ein würdiges Kleeblatt, das sich ihrer gegenseitigen Bekanntschaft nicht genug erfreuen konnte, und welches wohl geeignet war, bald der Schrecken und das Entsetzen einer jeden Gegend zu werden. Diese Beiden führten ihrem neuen Anführer nun auch noch die andern berühmtesten Gauner und Räuber zu, welche es in Sachsen gab; darunter waren die vorzüglichsten und bekanntesten: ~Schöneck~, ~Eckholdt~ (der schöne Böttcher), ~Schickel~ (der Brettbauer), und ~Daniel Lehmann~. Es wurden von diesen würdigen neuen Genossen Lips Tullians viele Berathungen gepflogen und Pläne geschmiedet, auch kleine Einbrüche gethan, aber nach Lips Tullians Plan wollte diese neue Bande diese Gegend und Sachsen, -- wie sie sich ausdrückten -- vorerst noch ~schonen~, und sich für spätere Zeiten aufsparen. Deshalb hatten sie beschlossen, alle nöthigen Zurüstungen zu einer größeren Reise zu machen, ihre Kassen reichlich mit Gelde zu versehen, sich falsche Legitimationen zu fabriciren und dann, wenn alles gehörig vorbereitet wäre, nach ~Prag~ aufzubrechen, wohin sie dann den Schauplatz ihrer Thaten zu verlegen gedachten. Lips Tullian hatte seinen neuen Genossen die Reichthümer dieser Stadt mit so lockenden Farben geschildert, daß alle mit Begeisterung und Sehnsucht dem Augenblicke entgegensahen, wo sie dort ihre Thätigkeit würden beginnen können. Vorerst aber sollte noch zur Füllung ihrer Kassen ein Einbruch in die Eimbecker Mühle statthaben, wo, wie sie wußten, ein Schatz von 3000 Thalern zu heben war. Der Wirth und jene drei armseligen Schlucker, welche Lips Tullian zuerst in der Schenke auf dem Sande hatte kennen lernen, machten die Kundschafter. Es war eine stürmische, regnerische Nacht, welche zur Ausführung ihres Vorhabens bestimmt war. Die Mühle lag einsam in einem umwaldeten Thale, einige hundert Schritte von den übrigen Häusern des Dorfes entfernt. Der Wirth mit seinen drei Kumpanen machten die Wachen, von allen Seiten waren sie um das Haus herum in der Ferne aufgestellt, um alle Störung zu beseitigen und jeden unwillkommenen etwaigen Ueberfall bei Zeiten den übrigen Räubern zu signalisiren. Lips Tullian machte hier für seine neuen Genossen sein Probestück. Mit seltener Umsicht hatte er alle Anstalten getroffen und an ein Mißlingen des Unternehmens war daher so leicht nicht zu denken! Die Müllersfamilie bestand aus ihm, einem alten Manne, einem erwachsenen Sohne, der aber verreist war, der Ehefrau des Ersteren und vier Mühlknappen. Es war bei solcher Anzahl zu erwarten, daß ein heftiger Widerstand geleistet werden würde; diesen so wenig schädlich als möglich zu machen, war daher die schwierige Aufgabe, welche sie zu lösen hatten. Mit Leitern stiegen die mit der Gelegenheit des Hauses wohl vertrauten Räuber, Lips Tullian voran, in das erste Stockwerk ein; die Fensterscheiben waren schnell und ohne alles Geräusch zerbrochen, die Fenster erbrochen und die Räuber befanden sich im Hause, ehe noch Jemand ihre Anwesenheit nur ahnte. Zuerst begaben sich nun hierauf die Räuber in das Schlafgemach des Müllers, den sie mit seiner Frau nach kurzem Widerstande, und ehe dieselben nach Hilfe rufen konnte, banden und knebelten und hierauf beide als unschädlich im Bette liegen ließen. Dann ging es zu der Schlafstätte der vier Mühlknappen. Hier hatten aber die Räuber einen schweren Stand, denn diese waren von dem Lärmen wach geworden und kamen, bewaffnet mit Stöcken und alten Degen, ihnen entgegen. Es entspann sich ein ernster Kampf, der leicht für die Räuber hätte gefährlich werden können; aber Lips Tullian ersah sich einen günstigen Augenblick, unterlief den Kühnsten von den Feinden, packte ihn, warf ihn zu Boden und stieß ihm sein Messer in die Kehle. Die andern wurden ebenfalls bald niedergeschlagen. So gab es also nun zwei Leichen und zwei zum Tode Verwundete, während einige von den Räubern nur leicht verletzt waren. Diese begaben sich nun in den Keller, wo der Müller sein Geld aufbewahrt haben sollte; doch so aufmerksam sie auch suchten und das Oberste zu Unterst drehten und wendeten und umgekehrt, sie fanden nirgends das Gesuchte und auch nirgends nur eine Spur davon. Wüthend hierüber gingen sie zu dem Müller zurück, schleppten ihn, da er nicht gestehen wollte, wo er seinen Schatz verborgen habe, in den Keller und nöthigten ihn durch Schläge und Messerstiche, ihnen denselben endlich anzugeben. Er war verscharrt und mußte erst ausgegraben werden. In einer schweren hölzernen Kiste wurde er endlich, als schon fast der Morgen tagte, gehoben und mit ihm flüchteten nun die Räuber in Sicherheit. Der Müller blieb halb todt im Keller zurück. Bei der Theilung fand man, daß die Beute größer war, als man gehofft hatte; es fanden sich über 4000 Thaler in der Kiste. Nun hatten sie die Mittel, ihre Reise nach Prag anzutreten, was denn auch in einigen Tagen geschah. Es war dies aber auch die höchste Zeit, denn der Einbruch in der Mühle und die Ermordung der Mühlknappen hatte die Justiz auf die Beine gebracht, welche ein Commando Landdragoner in diese Gegend absandten, um alles verdächtige Gesindel aufzugreifen und auf die Räuber zu fahnden. Die Soldaten kamen eben daselbst an, als in der Nacht vorher Lips Tullian mit seinen Genossen sich über die böhmische Grenze begeben hatte. XVI. Lips Tullians und seiner Genossen Ankunft in Prag. Es zieht die Räuber-Rotte Hinaus in alle Welt, Und dreimal weh den Fluren, Wo grimmig ein sie fällt. ~Döring.~ Im langen, blauen Oberrocke, das Haar schlicht zurückgekämmt, ein Felleisen auf dem Rücken, stand Lips Tullian mit gezogenem Hute und in demüthiger Stellung unter dem Thore von Prag vor dem gestrengen Visitator, der die Kundschaft des einwandernden Schlossergesellen, Philipp Mengstein aus Oldenburg, bedächtig durchlas, die Personal-Beschreibung und das Original mit viel geübtem Auge verglich und dann durch Handschrift und Siegel die Einwanderung in die Stadt und das Suchen nach Arbeit amtlich bewilligte. Es war ein Kunststück Sarbergs, des gewandten Copisten und Siegelstechers, wodurch Lips Tullian mit einer Aufweisung ausgestattet wurde, welche selbst in Oldenburg als ächt würde gegolten haben. Lips Tullian ging nicht allein durch die Thore von Prag; auch Sarberg, Schöneck, Eckhold, Schickel, Lehmann und Hentzschel zogen einzeln in Prag ein, jeder als ein Mitglied irgend eines Gewerbes und durch Sarbergs künstliche Hand mit einem passenden Documente versehen. Alle fanden und erhielten Arbeit; Lips Tullian trat bei einer Schlosserwittwe als Geselle ein. Hatte Philipp, so hieß hier Lips Tullian, auch früher zu Straßburg von seinen Freunden unter der Schlosserinnung so manches abgesehen und erlernt, was ihn, wäre er darin fortgefahren, zu einem geschickten Arbeiter gemacht hätte, so war doch durch Mangel an Uebung und Vervollkommnung jetzt sein Wissen nicht auf einer höhern Stufe, als der eines Lehrjungen. Bald überzeugte sich Frau Bieberich, seine Meisterin, daß sie an dem Oldenburger eine spottschlechte Acquisition gemacht habe, denn der Pseudo-Oldenburger war in seiner Profession beinahe weniger als ein Stümper, dabei arbeitsscheu und lieber in der Gesellschaft seiner liebenswürdigen Meisterin, als vor dem Ambos. Die Kunden wurden täglich weniger, die Einnahmen geringer und Frau Bieberich, bei ihrem sehr belebten Geschäfte eines sehr fleißigen, kunsterfahrnen Gesellen höchst bedürftig, erklärte dem beinahe unbrauchbaren Philipp schon nach einigen Wochen, daß er sein Bündel zu schnüren und sich sonst wo Arbeit zu suchen habe. Wittwe Bieberich, eine junge, schöne Frau, war lebenslustig, aß und trank gern gut, liebte den Putz und zürnte nicht, wenn ein hübscher Mann sich ihr traulich näherte und ihren Reizen huldigte. Philipp hatte sie ganz durchschauet und durfte aus ihrem Benehmen die volle Ueberzeugung schöpfen, von ihr sehr ungern und nur deswegen aus der Arbeit gewiesen zu werden, weil er als Handwerker nicht das leisten konnte, was das Geschäft forderte. Für Philipp war das Austreten aus diesem Hause die allerfatalste Sache. Frau Bieberich genoß einen guten Ruf, er hatte sich unbescholten betragen, dadurch das Vertrauen seiner Meisterin und der Nachbarschaft gewonnen, durfte also versichert sein, so manchen seiner Raubpläne in dieser Stadt auszuführen, ohne daß man in ihm nur einen Mitwisser der Verbrechen ahnen möchte. Er mußte in diesem Hause bleiben, um seine Stückchen, die er aus kluger Vorsicht bisher unterlassen hatte, mit Sicherheit beginnen und treiben zu können; er durfte auch nicht länger säumen, da seine Genossen, der langen Unthätigkeit überdrüssig, größtentheils vom Gelde entblößt waren und ihm bei ihrer letzten geheimen Zusammenkunft in einer liederlichen Winkelkneipe mit derbem Fluche erklärt hatten, sich von ihm loszusagen und auf ihre Rechnung Geschäfte zu machen. Er schritt nun an’s Werk. -- XVII. Die schöne Schlosserswittwe. Es braust die Leidenschaft in aufgeregten Wellen: Das ihnen anvertraute Schiff Wird an dem scharfen Felsenriff Die aufgestürmte Wuth erbarmungslos zerschellen. ~Tiedge.~ „Wertheste Frau Bieberich,“ -- begann Lips Tullian an dem ihm gegebenen Feierabende[25], als er mit der Meisterin ganz allein und vor Störung sicher war, -- „ich muß Ihnen nun reinen Wein einschenken, und daß ich es in meinen Verhältnissen thue, werden Sie bald als einen Beweis meines Vertrauens anerkennen.“ [25] In der Handwerkssprache bezeichnet der Ausdruck: „Feierabend geben“ -- die Entlassung aus der Arbeit. „Ich bin ein Schlosserssohn aus Oldenburg, habe auch die Schlosserei zu erlernen angefangen, aber darin es nicht weit gebracht. Mein Vater starb, als ich ein Bursche von 14 Jahren war. Meine Mutter, im Besitze eines prachtvollen Hauses und eines bedeutenden Capitals, wollte sich nicht wieder vermählen und ihre Tage in Ruhe hinbringen. Aus manchem Aerger über die Miethsleute verkaufte sie das Haus und bezog mit mir eine kleine, angenehme Wohnung. Meine Mutter ist eine herzensgute, gegen mich, ihr einziges Kind, allzu schwache Frau. Als ein 14jähriger Bube beherrschte ich sie, ihren Willen, ihre Kasse, that nichts, als die Reitbahn, den Fechtsaal und die Gesellschaft junger Wüstlinge besuchen, fand bei meiner gefüllten Börse und meiner oberflächlichen Bildung auch in vornehmen Häusern Zutritt und wußte mir den Ruf eines gebildeten, liebenswürdigen Menschen zu erwerben. Das Mutterauge war von dem Glanze der vornehmen Gesellschaften, in welchen ich mich froh und gewandt bewegte, zu sehr geblendet, um in ihrem Sohne den arbeitsscheuen Taugenichts, den Verschwender zu sehen. Sie lebte äußerst einfach, um von ihren reichen Zinsen mir geben zu können, ohne daß sie die Kapitale angriff. Ich hatte das Glück, den reichen Banquier Förten aus einem reißenden Flusse im Augenblicke der höchsten Gefahr zu retten. Von da an stand mir sein Haus, sein Herz und seine Börse offen. Sein Sohn sollte einige Jahre auf Reisen gehen. Ich hatte so sehr das Vertrauen der Eltern gewonnen, daß sie mich zum Begleiter, gleichsam zum Aufseher ihres Lieblings erwählten. Beinahe vier Jahre währte unsere Reise, und ich darf kühn sagen, alle Pflichten, die ich als Aufseher des jungen Menschen hatte, streng erfüllt zu haben. Erst vor drei Monaten kamen wir wieder in Oldenburg an. Während der Dauer unserer Reise wurde eine Nichte des Herrn Förten von ihm in das Haus genommen. Ich sah die wunderholde Emilie und liebte sie. Auch sie theilte bald meine Empfindungen und gestand mir unter heißen Thränen eines gramerfüllten Herzens, daß ein reicher Kaufmann aus Antwerpen bereits bei ihrem Oheim, der Vaterstelle an ihr vertrete, um ihre Hand gebeten, und zwar noch keine entscheidende Erklärung erhalten habe, aber seines Reichthums und guten Rufes wegen der Zusage sicher sein dürfe. Emiliens Geständniß erregte meine Eifersucht zur furchtbaren Leidenschaft. Ich fand in mir keine andere Idee, als daß ich oder mein Nebenbuhler aus dem Buche der Lebenden gestrichen werden müsse. Meine Freunde waren zahlreich, größtentheils aus den besten Häusern von Oldenburg. Ich vertraute ihnen meine Liebe zu Förtens Nichte und die Bewerbungen des Antwerpners. Die Hitzköpfe, dem hochmüthigen Fremdlinge das schöne, reiche Mädchen nicht gönnend, fachten die Flamme meiner Leidenschaft immer verderblicher an. Ich und mein Nebenbuhler geriethen in einem Caffeehause an einander. Der Streit entzündete sich auf’s Heftigste. Wir gingen mit zahlreicher Begleitung in den Garten, zwei Offiziere reichten uns ihre Degen und schon im ersten Gange röchelte mein Gegner sein Leben im strömenden Herzblute aus. Die Gesetze gegen das Duell sind im Oldenburgischen äußerst streng. Der Tod auf dem Blutgerüste oder lebenslängliches Gefängniß wäre mein Loos gewesen. Vom Kampfplatze floh ich über die Grenze und bezog ein Stübchen in einem Dorfwirthshause. Meine Freunde hatten mir über die Leiche hin die Hand zum Schwure gereicht, das Möglichste für mich zu thun. Schon kamen einige zu mir mit einer bedeutenden Summe in Gold und mit jenen Papieren, welche mich als wandernden Schlossergesellen bezeichnen und meine Wanderung sichern. Sie übergaben mir ein Billet von Förten, worin er mir feierlich versprach, durch seinen Einfluß meine Verfolgung mittelst Steckbriefe zu hintertreiben; auch enthielt sein Billet den wohlmeinenden Rath, nach Prag zu gehen und dort in der Rolle eines Schlossergesellen zurückgezogen zu leben, bis er für mich Amnestie und freie Rückkehr in die Vaterstadt ausgewirkt habe. Ich vertauschte die Stutzerkleidung mit dem schlichten Handwerksrocke, hing das Felleisen auf den Rücken und wanderte unaufgehalten hierher. Der liebe Gott hat mich in dieses Haus geführt und zu einer wackern Frau, der ich mich mit aller Gemüthsruhe vertrauen durfte. Behalten Sie mich bei Ihnen, aber nicht als Ihren Gesellen, sondern nur zum Scheine als Ihren Werkführer. Meine Wohnung in Ihrem Hause und was ich verzehre, und was der Geselle kostet, den Sie, statt meiner in Arbeit nehmen müssen, bezahle ich reichlich. Sie kennen nun meine Verhältnisse und die Veranlassung zu meinem Aufenthalte in Prag. Erfüllen Sie meine Bitte, in Ihrem Hause unter scheinbarer Beschäftigung unbemerkt fortleben zu dürfen, bis meine Rückkehr in’s Vaterland eintritt. Erlauben Sie auch,“ -- hier zog er seine goldgefüllte Börse und zählte 20 Dukaten auf den Tisch -- „daß ich einen kleinen Theil meiner künftigen Schuld vorausbezahle.“ [Illustration: Die schöne Schlosserswittwe in Prag.] Die blanken Holländer, die Aussicht auf die Freigebigkeit des reichen Oldenburgers, der Gewinn am neuen Gesellen, Kost und Wochenlohn zu ersparen, alle diese Vortheile wären schon überwiegend genug gewesen, Frau Bieberich zur Erfüllung der Bitte zu vermögen, hätte nicht Philipps männliche Schönheit und die Hoffnung auf manche süße Stunde, die ihr aus seinen zärtlichen Blicken, aus dem Feuer, mit welchem er im Laufe und am Schlusse seiner Erzählung sie oft umschlang,[26] entgegen leuchtete, ohnehin für seine Wünsche auf das bewegendste gesprochen. Doch hatte sie weiblichen Takt genug, mit ihrer Erklärung zu zögern, in einer anmuthigen Haltung gleichsam darüber sinnend. [26] Hierzu die Abbildung in diesem Hefte. Philipp wurde immer feuriger; die Erglühende versuchte mit immer schwächerem Widerstande seinen heißen Umarmungen sich zu entwinden. -- Sie werden wohl eins geworden sein, denn von diesem Abend an konnte die glückliche Frau sich nicht in Aufmerksamkeiten für den neuen Werkführer genug erschöpfen. XVIII. Die Trennung von Prag. Rasch bestell’ ich schon Den Reisewagen, der uns schleunigst soll Von dannen tragen in ein and’res Land. ~Th. Murdt.~ Nicht für gemeine Beutelschneidereien oder gewöhnliche Gaunerstückchen bestimmte sich nun Lips Tullian, Prag sollte ihm eine reiche Ausbeute geben. Kirchenraub wurde von ihm und seinen Gesellen beschlossen. In der kurzen Frist von drei Monaten hatten sie in acht Kirchen eingebrochen und Monstranzen, Kelche, silberne Leuchter und andere Geräthe von vielem Werthe, wie auch eine Menge kostbarer Meßkleider geraubt. Der Gewinn dieser Beraubungen war so bedeutend, daß allein von dem Einbruche in einer am Liebenauschen Thore gelegenen Kirche, der ärmsten der beraubten, jeder der Räuber 350 Gulden als Antheil erhielt. Die Aufmerksamkeit der Polizei wurde immer reger und die Vorsicht gegen Einbrüche mit strenger Wachsamkeit ausgeübt. Die Räuber wandten sich von den Kirchen zu den Privaten. Ein gräflicher Pallast auf dem Neustädter Ringe, ein andrer in der Fleischergasse und ein Kaufgewölbe auf dem Porschütz wurden mit eben so vieler Schlauheit als frecher Verwegenheit ausgeraubt. Die bedeutenden Einbrüche und Beraubungen machten großes Aufsehen. Das Militair durchstreifte die Straßen der Stadt und die Vorstädte Tag und Nacht, die Wachtposten wurden vermehrt und alle Häuser von der Polizei durchsucht. Man griff so manchen Gauner und Dieb auf, aber die Hauptverbrecher hatten sich in ihren verschiedenartigen Schein-Erwerbungszweigen immer so fleißig im häuslichen Leben, so tadellos benommen, daß sie der Polizei bei Gelegenheit der Häuservisitationen vorzüglich gepriesen wurden. In Prag war bei der gesteigerten Wachsamkeit für Lips Tullian und seine Genossen nichts mehr zu thun. Sachsen sollte nun der Schauplatz ihrer Verbrechen werden. Lips Tullian äußerte gegen Frau Bieberich, daß ihm die Sehnsucht nach seinem Vaterorte alle Ruhe raube, daß er fest entschlossen sei, an der Grenze von Oldenburg seinen Aufenthalt so lange zu nehmen, bis ihm die Rückkehr dahin gestattet sei, daß er keinen frohen Augenblick habe, bis er wieder vaterländische Luft einathme. Frau Bieberich war untröstlich. Die Neigung zu ihrem Philipp war zur unbezähmbaren Leidenschaft geworden. Sie warf sich vor ihm auf die Kniee und gelobte, ihr Haus, ihr Gewerbe, alle ihre Einrichtung zu verkaufen und das Capital in seine Hand zu legen, wenn er ihr gestatte, nur als Magd ihm zu folgen. Für einen Patron wie Lips Tullian war das Anerbieten der Ueberlieferung solch eines Capitals nicht zu verwerfen. Dieses in Empfang zu nehmen und die Geberin bei schicklicher Gelegenheit sich vom Halse zu schaffen, war der Bösewicht gleich entschlossen. Er heuchelte anfangs den tiefsten Schmerz über die Trennung von ihr, brach bei dem Anerbieten, ihm nach seinem Vaterlande zu folgen, in Entzücken aus, machte Einwürfe, die leicht widerlegt werden konnten und gestand dann unter erkünstelten Thränen, daß, fern von ihr, der Gram ihn tödten würde. Die Sache war bald im Reinen. Lips Tullian wanderte mit seinem Reisebündel aus Prag. Frau Bieberich sorgte dafür, daß die Leute in dieser und der nächsten Straße sogleich wußten, der Werkführer der Wittwe Bieberich habe Prag verlassen, um in seiner Vaterstadt das eigene Gewerbe zu treiben und seine Verlobte zu ehelichen; daß er sich immer mehr übernommen, der Meisterin nicht mehr die gehörige Achtung erwiesen und ihr viele Veranlassung zur Unzufriedenheit gegeben habe. Ein paar Wochen darauf zeigte Frau Bieberich den redseligsten ihrer Nachbarinnen einen von ihr selbst geschriebenen Brief, worin sie von ihrer kränkelnden, verwittweten, in Ungarn ansässigen Schwester aufgefordert wurde, Haus und Gewerbe zu verkaufen, zu ihr nach Pesth zu ziehen und dort ein sorgenloses Leben zu führen. Als jetzt Frau Bieberich Alles verkaufte und Prag verlassen hatte, waren alle ihre Bekannten im festen Wahne, sie reise geradezu nach Pesth, zur kränklichen, kinderlosen Schwester, einer reichen Erbschaft entgegen. Niemand ahnte, daß die Schlaue mit raschen Postpferden über Saaz der sächsischen Grenze zueile, wo der geliebte Philipp an einem verabredeten Orte ihrer und ihres Geldes harrte. XIX. Die Entdeckung. Ach! welches Unheil schafft das Himmelsfeuer, Das die Natur in unser Wesen goß! Es macht aus Engelherzen Ungeheuer Und bricht der Tugend letzte Schranke los. ~Seume.~ Banditen sind’s und ich -- ich bin ihr Hauptmann Und Du -- Du wirst nun eine Räuberfürstin. ~Th. Körner.~ Es war eine hübsche runde Summe, die Philipp aus den Händen seiner Freundin schon in der ersten Stunde ihres Wiedervereines empfing. Er dachte aber nun nicht mehr an seinen früheren Entschluß, sie um ihr Vermögen zu betrügen und dann die schändlich Getäuschte ihrem Schicksal zu überlassen. Der vertraute Umgang mit der wirklich sehr schönen, sehr feurigen Frau war ihm eine liebe Gewohnheit geworden. Mariane -- so hieß sie - war immer heiter, voll guter Einfälle, sehr klug, eine vortreffliche Köchin und so aufmerksam auf ihres Philipps leiseste Wünsche, daß er selbst nun sehr davor bangte, sich von ihr verlassen zu sehen, wenn sie, was wohl nicht leicht verhütet werden konnte, den Schleier seines innern Lebens lüfte und in dem Geliebten einen Verbrecher erblicke. Mariane fragte den Geliebten nicht, warum er, statt seine Reise nach der oldenburgischen Grenze fortzusetzen, statt dort in einem Städtchen einen angenehmen Aufenthalt sich zu wählen, hier in einem abgelegenen, armseligen Wirthshause verweile, warum Philipp so oft mit Leuten von verdächtigem Aussehen im geheimen Verkehre sei. Sie schien nichts zu beachten, für nichts Sinn zu haben, als für ihr Streben, dem Geliebten, so viel ihr möglich war, das Leben immer in die Rosenfarbe des Frohsinns, der Zufriedenheit, einer ungetrübten Ruhe mit weicher Hand zu kleiden. Täglich ließ sie das Beste, was man in weiter Umgebung an Wein und Lebensmitteln finden konnte, durch eigene Boten herbeischaffen, bereitete leckere Gerichte und bot alle ihre gute Laune, alles Feuer ihres liebenden Gemüthes auf, das größtentheils einsame Stillleben in dieser wenig besuchten Schenke zu heitern Stunden zu gestalten. Eines Morgens wurde Lips Tullian von seiner Schlafkammer in die Zechstube gerufen. Bald nach ihm kam auch Mariane herab und hörte von Philipp, daß er auf ein drei Meilen entferntes Dorf gehen werde, um dort einen Landsmann zu sprechen, der eben erst aus Oldenburg angekommen sei und ihm vielleicht einige Neuigkeiten von Bedeutung mittheilen könne. Mit einem fast schmerzlichen Lächeln hörte ihn Mariane an, faßte seine Hand und bat ihn mit wehmüthiger Innigkeit, für sich recht aufmerksame Sorge zu tragen. Das Auge voll Thränen, eilte sie fort. Befremdet blickte ihr Lips Tullian nach und in tiefem Nachdenken ging er an der Seite seines Gefährten hin. Es war schon Nacht und er kehrte noch immer nicht zurück. Aengstlich harrend, die Trostworte der Wirthsleute nicht achtend, saß Mariane in der gästelosen Zechstube und blickte unter fallenden Thränen in die dunkle Nacht hinaus. Der Hofhund schlug an, Tritte wurden hörbar und rasch ergriff sie das Licht, dem sehnsüchtig Erwarteten entgegen eilend. Sie öffnete die Hausthüre, sie starrte mit einem Schrei des Schreckens zurück; der Geliebte leichenblaß, ein blutiges Tuch um den Kopf, wankte am Arme seines Begleiters in das Haus. Mariane ergoß sich nicht in leere Klagen; mit Entschlossenheit und regem Eifer machte sie Anstalt, daß der Verwundete schnell auf seine Kammer und in das Bett gebracht wurde. Sie bat den Wirth, einen Boten nach dem nächsten Wundarzt zu schicken und verhieß die reichlichste Belohnung. „Das wollen wir unterlassen, und zwar aus recht guten Gründen;“ -- sagte der Wirth mit kaltem Gleichmuthe: -- „Es wird nur so ein Fleischpuffer sein und den weiß meine Frau vielleicht besser zu behandeln, als ein Wundarzt. Sie hat sich in derlei Heilung recht tüchtig eingeschossen, und ich höre sie schon die Treppe herauf klappern. Gleich werden wir hören, was an der Sache ist.“ In diesem Augenblick trat die Wirthin in die Kammer, nahm Lips Tullian das blutige Tuch ab, wusch die Wunden aus, untersuchte sie genau und erklärte, daß keine gefährlich und dessen Blässe und Schwäche nur die Folge des Blutverlustes und des langen Ganges sei. Mit weicher, geübter Hand legte sie einen Verband auf und versprach sich von dem Schlafe, in welchen Lips Tullian während ihrer wundärztlichen Behandlung versank, die günstigste Wirkung. Sie ermahnte nun Alle, sich zu entfernen; Mariane erklärte, am Lager des Verwundeten zu wachen. Schon nach einigen Tagen war Lips Tullian wieder hergestellt, doch sehr entkräftet. Auf die innig besorgte, jeden seiner Athemzüge belauschende Freundin sich stützend, ging er in’s Freie. Seine Stimmung war die eines Mannes, dessen Inneres von einem Geheimnisse unruhig bewegt wird, der nur durch Mittheilung dieses Geheimnisses wieder Ruhe finden kann und doch vor der Mittheilung bangt. In tiefem Schweigen und Sinnen vor sich hinstarrend, ging er an Marianens Arme langsam dem Gebüsche zu, wo er auf weichem Rasen, von lieblicher Kühle umflossen, sich mit ihr niederließ. Da begann Mariane mit sanfter Stimme: „Ich weiß, was Dein Inneres so heftig beunruhigt; ich weiß, daß Du nicht der bist, als welcher Du früher mir entgegentratest. Klar wie eine ungetrübte Spiegelfläche ist mir Dein inneres und äußeres Sein. Offen gestehe ich Dir, daß Schrecken und Grauen mit kalter, tief verletzender Hand mich rüttelten, als die Nebelwolke, welche die Wahrheit Deines Lebens so dicht umhüllte, vor meinem scharfen, tief dringenden Auge zu zerfließen begann und die nackte, furchtbare Wahrheit mich anstarrte; aber eben so offen sei Dir gestanden, daß meine Liebe zu Dir zu innig, zu unerschütterlich ist, um vor dieser gräßlichen Wahrheit zu fliehen. Ist es Dir möglich, den Pfad, den Du wandelst, zu verlassen, so werde ich täglich auf meinen Knieen und mit Thränen der süßesten Wonne dem Allmächtigen dafür danken; stehet es aber im Buche Deines Schicksals mit unzerstörbarer Schrift geschrieben, dieser Pfad müsse von Dir fortgewandelt werden, so kann mich nichts von Dir losreißen, und bis an den letzten Hauch ihres Lebens wird Deine treue, liebende Mariane Dir zur Seite sein!“ Lips Tullian glaubte zu träumen, als er solche Worte hörte. Es war ihm kein Zweifel mehr, daß Mariane mit seinen wahren Verhältnissen vertraut sei; sie selbst hatte ihn über die gefürchtete Stelle der Enthüllung seines Geheimnisses mit freundlicher Hand schnell und wohlthuend hinweg geleitet, und diese Sprache gab ihm die beglückende Ueberzeugung, daß die Liebe Mariane mit dem Muthe begeistert, ruhig und fest an der Hand eines Mannes zu wandeln, dessen Liebe nicht die Gefahren, nicht die Anstrengungen, nicht die grauenvolle Zukunft überwiegen könne, von denen sie sich nun an seiner Seite bei jedem Athemzuge umkreiset sah. Er fühlte sich so sonderbar ergriffen, daß er keine Worte hatte, sie aber mit Blicken betrachtete, aus welchen ihr seine Ueberraschung, seine Freude, sein Dank im freundlichsten Lichte entgegen schimmerten. Frau Bieberich hatte mit ihrem Pseudogesellen Philipp seit dem Augenblicke, wo er ihr das oldenburgische Mährchen zum Besten gab, in dem allervertrautesten Verhältnisse gelebt. In einer schlaflosen Nacht sah sie aus dem Fenster, hörte die Hausthüre leise öffnen und sah eine dunkle Gestalt mit stillen, flüchtigen Schritten dahin eilen. Das konnte Niemand anders als Philipp sein, denn außer ihm, ihr und einer Magd hatte sie gerade jetzt keine Einwohner im ganzen Hause, und der Geselle lag schon einige Tage krank. Die Furie der Eifersucht ergriff sie mit ihrer Schlangenfaust, aber selbst unter den schrecklichsten Qualen dieser Empfindung blieb die starke Frau an den folgenden Tagen in ihrem bisherigen Benehmen gegen Philipp sich ganz gleich; sie wollte den Treulosen in den Armen ihrer Nebenbuhlerin überraschen und sich dann furchtbar rächen. Jede Nacht lag sie am Fenster in männlicher, dunkler Kleidung, ein scharfes Messer in der Brusttasche. So hatte sie einige Nächte geharret, als um Mitternacht die Gestalt sich wieder aus dem Hause schlich. Auch sie war im Augenblicke auf der Straße und folgte dem Dahinschreitendem so leise und vorsichtig, daß er keinen Späher vermuthete. Philipp, den sie bei der Biegung um eine Ecke, wo das Licht einer Laterne sein Gesicht beleuchtete, deutlich erkannt hatte, wurde in der Nähe einer Kirche von zwei Männern empfangen, mit denen er sich, so rasch und aufmerksam Mariane ihm gefolgt war, plötzlich verlor. So ging es noch öfters, und jederzeit an einer Kirche war er ihren scharfen Blicken wie verschwunden. Sie selbst, um dem Geliebten jede Bequemlichkeit zu bereiten, besorgte sein Wohnzimmer. Eines Morgens, als Philipp eben in dem Scheingeschäfte seiner Werkführerstelle ausgegangen und Mariane mit der Reinigung seines Wohnzimmers beschäftigt war, bemerkte sie, daß am Schlosse des Faches, worin er sein Geld und sein Bestes bewahrte, der Schlüssel stecke. Im Augenblicke kam ihr der Gedanke, dieses Fach genau zu durchsuchen, ob es nicht Briefe von irgend einer Nebenbuhlerin enthalte. Sie fand keine Briefe, wohl aber Stücke Gold, Silber, mehrere gute Steine und noch Manches, was deutliche Spuren trug, einer Kirche angehört zu haben. Das schon länger umlaufende Gerücht von bedeutendem Kirchenraube, Philipps Ausgehen in tiefer Nacht, seine Zusammenkünfte, sein Verschwinden in der Nähe von Kirchen und diese Trümmer von kostbaren Kirchengeräthen -- alles, alles war inhaltreich, war bezeichnend genug, um durch dieses die bis zur Ueberzeugung rasch sich gestaltende Vermuthung zu erregen: Philipp sei mit einer Räuberbande verbrüdert. In der Folge fand sie in diesem Fache mittelst eines Nachschlüssels, den sie aus Neugierde sich verschaffte, Gold und Silberzeug mit gräflichem Wappen, das Portrait einer Dame in Brillanten gefaßt, werthvolle Hals- und Armbänder, mehrere Ringe mit Edelsteinen und erkannte unter diesen Gegenständen so manche als jene, die in dem öffentlichen Verzeichnisse der aus den gräflichen Palästen und den Kaufgewölben geraubten Gegenstände sehr kennbar bezeichnet waren. War auch das innere und äußere Leben dieser Frau seit früher Jugend nicht ein Gebilde der reinsten Tugend, der unentweihtesten Sittlichkeit, des edelsten Zartsinnes, so hatte sie doch immer so gelebt, daß sie auf die Achtung, auf das Vertrauen guter Menschen Ansprüche machen durfte. Nie hatte sie sich den leisesten Wunsch nach ungerechtem Besitze fremden Eigenthums erlaubt; sie haßte nichts so sehr, als die Bevortheilung, die Beeinträchtigung eines Menschen, und durch sie war manche gewissenlose Rechnung ihres geldsüchtigen Gatten ausgeglichen. Und diese Frau beherrschte so schnell ihr Erschrecken, ihren Abscheu, alle die schwer verletzten Empfindungen, welche sie bei der Ueberzeugung, Lips Tullian sei ein Räuber, schauderhaft ergriffen hatten. Nur Eine qualvolle Stunde bereitete ihr diese Ueberzeugung. Die Gegenwart mit dem schrecklichen Gefühle der tiefsten Selbsterniedrigung der verlornen Ehre, des sündhaften Vereines mit einem Diebe, mit einem Kirchenräuber, die Zukunft mit dem gräßlichen Bilde dieses Verbrechers im unterirdischen Gefängnisse, in klirrenden Ketten, auf dem Blutgerüste versanken immer tiefer in den Wogen ihrer unbezähmbaren Leidenschaft für diesen Mann, für den ihr ganzes Wesen zu einer unzerstörbaren Flamme der allerheftigsten Neigung geworden war. Lips Tullians längerer Aufenthalt in dieser einsamen Grenzherberge, sein geheimnisvolles Treiben mit Leuten von verdächtigem Aussehen, ihre auffallend fremdartige Sprache, die Verwunderung und der Bündel mit Geld, silbernen Löffeln, Hutschnallen und einer goldnen Uhr, den Mariane in Philipps Rocktasche fand, sagten ihr zur Genüge, wie sehr Philipp das in Prag geübte Handwerk auch hier übe. Und doch schauderte sie nicht zurück. Die Unglückliche war taub für jeden Zuruf des Gewissens, der Tugend, der Menschenwürde; sie hörte nur die Sirenentöne der Leidenschaft, der Sinnlichkeit, und, alles Bessere in sich zerbrechend, nicht vor den dunkeln Windungen der Zukunft bangend, gab sie sich mit entzügeltem Gemüthe dem wilden Strome ihrer Leidenschaft hin. Lips Tullian, der mit einer wirklich sehr heftigen Neigung an dieser Frau hing, war nun unbeschreiblich glücklich, sie in sein Geheimniß eingeweihet und ihre Liebe zu ihm so tief gewurzelt zu sehen. Nun hielt ihn nichts mehr in dieser Gegend fest, um so mehr als Hentzschel und Lehmann von ihrem Kundschaftszuge nach Sachsen mit sehr günstigen Nachrichten zurückgekehrt waren. Sarbergs künstliche Feder und Siegelfabrikation wurden wieder in Anspruch genommen. Ein Paß, ein Trauschein gingen aus seiner betrügerischen Hand hervor, und als ein ehrbarer Bandkrämer mit seiner eben so ehrbaren Ehefrau zog Lips Tullian in das Sachsenland. -- XX. Der Raub des Brautschatzes der jungen Gräfin von Beuchling. So oft er einen Schatz erspähte, wie flammte Lüstern sein Auge! wie tobte sein Herz! wie schwellt ihm den Busen Blut- und Beutebegier! ~Kosegarten.~ Es war nicht mehr die kleine Gesellschaft, aus Sarberg, Schöneck, Eckold, Schickel, Lehmann und Hentzschel gebildet, welche Philipp als Häuptling befehligte; mehr als hundert Gauner, Diebe, Räuber, Mordbrenner und Mörder hatten schon in den ersten Monaten seiner Ankunft auf sächsischem Boden zur Fahne des mächtigen Lips Tullian geschworen. Er gab der Bande militärische Eintheilung, formirte sechs Corps, stellte jedes unter die Befehle eines der benannten Vertrauten, und nannte die Bande, über die er selbst den Oberbefehl führte, die schwarze Garde. Bald ward dieser Name in Sachsen nur mit Bangigkeit und großen Besorgnissen genannt, der Name Lips Tullian war der Schrecken des Landes. Einbrüche in Kirchen und Häuser, Ausplünderung der Reisenden, Angriffe auf Postwagen, Gelderpressungen durch Drohbriefe und Brandstiftungen reiheten sich in himmelschreiender Folge. Die Bande war im ganzen Lande vertheilt, Lips Tullian mit Mariane größentheils auf Kundschaft, wo sein Handel mit Bändern und den damals so beliebten italienischen Waaren, seine geschmackvolle, feine Kleidung, sein gebildetes Betragen ihm Zutritt in den besten Häusern verschafften, deren Verhältnisse in klingender Beziehung, so wie Gelegenheit zum Einbruche genau zu erforschen, ihm bei seiner Schlauheit keine schwierige Aufgabe war. In einem Umkreise von einigen Meilen hatte er seine Niederlage in vertrauten Häusern, wo er von Woche zu Woche von seinen Unteranführern Nachricht über die Geschäfte der Bande, über ihre künftigen Unternehmungen erhielt. Gab es einen Angriff oder Einbruch, wo Tollkühnheit an der Spitze stehen mußte, so eilte er dahin, überzeugt, daß seine Gegenwart und sein Beispiel auch den Feigsten seiner Gesellen ermuthigte. Mehr als ein Jahr hatte er unter den größten Anstrengungen hingebracht, jetzt wollte er sich einige Ruhe gönnen. Er übergab Sarberg das Obercommando, und ging mit Mariane nach Dresden, wo er eine abgelegene Wohnung bezog, zwar zurückgezogen lebte, dabei aber sich in seiner häuslichen Zurückgezogenheit einem schwelgerischen Wohlleben hingab. Die Ruhe behagte ihm nicht lange; er hatte sich zu sehr an eine verbrecherische Regsamkeit gewöhnt. Es war das Erste, daß er Häuser auskundschaftete, worin verbotene Spiele um hohes Geld getrieben wurden. Er wußte in solche Häuser sich Eingang zu verschaffen, und man empfing den anständigen Fremden mit seiner gefüllten Goldbörse recht freudig. Lips Tullian verlor und gewann in der ersten Zeit, doch immer so, daß der Verlust den Gewinn weit überstieg. Als er die Spieler recht sicher gemacht hatte, ließ er seine Spielkünste ins Leben treten, und ging nie, außer wenn er es aus Klugheit mäßig machte, vom grünen Tische, ohne die Goldstücke der Spielgesellschaft mit den seinigen vereint zu haben. Vor dem Anfange des Spieles unterhielt eines Abends Herr von Cotitz die Anwesenden von dem bedeutenden Brautschatze der jungen Gräfin von Beuchling und nannte ihn einen fürstlichen. Lips Tullian brannte die Erde unter den Sohlen; er spielte kopflos, da ihn die Begierde nach diesem fürstlichen Mahlschatze zu sehr bemeisterte. Noch war die Spielzeit zur Hälfte nicht verflossen, als er schon über 100 Dukaten verloren hatte. Der Verlust machte ihm keine bittere Laune, er freute sich vielmehr darüber, da ihm dadurch Gelegenheit wurde, das Spiel zu verlassen, mit Cotitz, der im Nebenzimmer bei einer Flasche Wein allein saß, zu sprechen, ihn auszuforschen, und dann seinen Plan zu bilden. Cotitz plauderte in seiner Redseligkeit alles, was Philipp wissen wollte, recht ausführlich aus, und sein listiger Zuhörer schied in der größten Zufriedenheit von ihm. Ohne Gehülfen konnte Lips Tullian nicht zum Ziele kommen, er brauchte nur wenige, aber Leute von feinster Schlauheit und erprobtem Muthe. In Dresden war nicht einer von der Bande gegenwärtig, durch den er die nöthigen Gesellen hätte berufen können. [Illustration: Die Theilung der Beute im Walde.] Mariane erbot sich gleich zu diesem Geschäfte. Mit ihrem Bandkasten auf dem Rücken eilte sie gleich nach Oeffnung der Thore aus Dresden, und bald kehrte sie mit Sarberg, Schickel, Lehmann und Eckold zurück, die ihr einzeln und in verschiedenen Verkleidungen gefolgt waren. Der Brautschatz der jungen Gräfin war im Beuchlingschen Palaste in einem Gemache aufbewahrt, das im obersten Geschosse und in der Mitte von zwei Zimmern lag, wovon eines von dem Hofmeister mit seinen gräflichen Zöglingen, das andere von dem Jäger und dem Koche bewohnt war. Und aus dieser Umgebung heraus holten sich die Räuber die Chatoulle mit der reichen Aussteuer in Gold und ein aus Silber geflochtenes Körbchen, worin der Schmuck lag, der einen Werth von 60,000 Thalern hatte. In einem Walde außerhalb Dresden wurde der Raub getheilt[27], nachdem davon eine große Summe in Gold zur Vertheilung unter die übrigen Mitglieder der Bande abgesondert worden war. Nicht das Mindeste nahm Lips Tullian von seinem, nach den Gesetzen der Gesellschaft ihm doppelt zugefallenen Antheile mit sich in seine Wohnung, aus Furcht irgend einer Entdeckung; er übergab Sarberg alles, und bezeichnete ihm eine Felsenschlucht in der Oberlausitz, wo er es zu vergraben habe. [27] Hierzu die Abbildung im nächsten Hefte. Im zurückgezogenen Wohlleben brachte nun Lips Tullian mit Marianen seine Tage hin, war Heuchler genug, täglich die Kirche zu besuchen, auf dem Gange dahin die Armen zu beschenken, gewann bei der Nachbarschaft den Ruf eines gar frommen, mildthätigen Herrn, und ergaunerte sich am grünen Tische von Zeit zu Zeit eine schöne Anzahl von Goldstücken. XXI. Der Schmuck des Juden Marx in Halle. Einen schlimmen Weg ging gestern ich, Einen Weg, dem ich nicht wieder traue! ~Burns.~ Eines Morgens kam Hentzschel zu ihm mit der Nachricht, daß bei dem Juden Assor Marx zu Halle ein Schmuck von hohem Werthe liege, welchen Marx für eine Banquiersfrau in Leipzig aus Frankfurt besorgt habe; daß aber dieser Schmuck sehr gut verwahret, und es das Allerschwierigste sei, ihn dem wachsamen Juden zu entwenden. Lips Tullian ließ sich von Hentzschel über Assors häusliche Verhältnisse, seinen Charakter, die Lage des Hauses etc. die genaueste Auskunft bis auf die geringfügigsten Umstände geben, und versicherte mit großer Bestimmtheit, der Schmuck sei so viel als in seinen Händen, wenn Marx ihn nicht schon abgeliefert habe. Er traf unverzüglich seine Anstalten. Als Lips Tullian noch mit dem schwarzen Wenzel in Gemeinschaft stand, befanden sich bei ihrer Bande zwei Juden. Er machte sich alles eigen, woraus er für sein Handwerk Vortheil ziehen konnte. In jeder müßigen Zeit unterhielt er sich mit diesen Juden, bewirthete sie mit Wein, und hatte bald von ihren Gebräuchen, ihrer Religion, ihrer Sprache und ihren sonstigen Eigenheiten so viel erlernt, daß er kühn in jedes Judenhaus treten und für einen Glaubensgenossen gelten konnte. Schnell war er in einen Israeliten umgewandelt, und mit seinem falschen Barte, auch mit Arbe Kaufes und Tfille[28] ausgestattet, wanderte er nach Halle zu, und wurde auf dem Wege dahin von reisenden Juden mit einem treuherzigen: „Gotelkom!“[29] begrüßt. [28] Ein die 10 Gebote vorstellendes Gewebe, welches die Juden am Leibe tragen, und der lange Riemen, womit sie beim Gebete Kopf und Hand umwinden. [29] Sei Willkommen! Durch Hentzschel, der die Verhältnisse des Assor Marx genau kannte, hatte Lips Tullian erfahren, Assors Reichthum habe sich nicht so sehr aus guten Handelsgeschäften, als vielmehr aus dem Ankaufe gestohlner Waaren von Werth gemacht. Dieser Umstand erleichterte sein Unternehmen. Er trat in Assors Haus, sagte diesem, daß er aus Prag und auf einer Reise nach Berlin begriffen sei, hier seine Frau, die in Frankfurt Geschäfte mache, erwarte, und bat Assor, ihm bis zu deren Ankunft gegen reichliche Vergütung Pflege und Herberge zu geben. Während der Anrede zählte er, gleichsam tändelnd, eine bedeutende Anzahl von Goldstücken aus einer Hand in die andere. Der habsüchtige Marx blinzelte mit verlangenden Blicken auf die schönen Goldstücke hin, schrieb schon in Gedanken die Rechnung mit doppelter Kreide und bot dem reichen Glaubensgenossen sich, sein Haus, Küche und Keller zu allen Diensten an. Bald saßen die beiden bei einer Flasche Wein traulich zusammen, und schon nach einer Stunde wußte Marx mit geheimer Freude, daß sein Gast einen bedeutenden Schatz an Juwelen besitze, welchen er aus sehr bewegenden Gründen um einen mäßigen Preis losschlage. Außer Marx, seiner Frau, zwei Enkeln und einem alten Knechte wohnte Niemand im Hause. Lips Tullian war schlau genug, seine Kenntniß von dem hier befindlichen Schmucke nicht im Geringsten ahnen zu lassen; er schien sogar einige Winke, die ihm Marx darüber gab, nicht im Geringsten zu beachten. Dagegen hatte er sich bald das innigste Vertrauen des alten Knechtes erworben, und dieser, als ein geborner Pole ein Freund des Branntweins und von Lips Tullian in einer Winkelschenke überreichlich damit bewirthet, vertraute in der Trunkenheit dem aufmerksam Lauschenden, daß in seines Herrn Keller ein sehr theurer Schmuck liege, aber schon in einigen Tagen nach Leipzig abgeführt werde. Ehe noch der Sinnlose unter dem Tische lag, hatte Lips Tullian schon erfahren, wo der Eingang zum Keller sei, wo die Schlüssel verwahrt werden, in welcher Ecke des Kellers das Schmuckkästchen, zur Sicherheit gegen Diebe, tief im Sande verscharrt liege. Es war Sabbath, und Lips Tullian bat um Erlaubniß, seinen geehrtesten Hauswirth, wie auch dessen Ehefrau und Kinder mit einem köstlichen Weine bewirthen zu dürfen, von welchem er gestern im Gasthofe zur goldnen Traube getrunken und gleich einige Flaschen gekauft habe. Der Knecht mußte den Wein aus des Gastes Wohnzimmer herab tragen. Die Flaschen waren versiegelt, und Marx versicherte seinen lieben Angehörigen mit wichtiger Kennermiene, daß er schon jetzt für die Vortrefflichkeit dieses Weines bürge, weil man nur Flaschen von den besten Sorten versiegle. Die Gläser wurden gefüllt, die Gesellschaft leerte sie auf gegenseitiges Wohl, auch der Knecht erhielt seinen tüchtigen Antheil. Niemand hatte bemerkt, daß Lips Tullian sein Glas auf den Boden ausgoß, und bald würde Niemand vermocht haben, es zu bemerken, da schon bei der ersten Flasche Marx, seine Frau, die Kinder und der Knecht in einem todähnlichen Schlafe lagen; so schnell war die Wirkung des betäubenden Mittels, womit jener den Wein reichlich gemischt hatte. Die Kellerschlüssel aus dem Verschlusse zu holen, das Kästchen mit dem Schmucke unter dem Sande hervor zu ziehen, es zu zertrümmern, und den Schmuck in dem Leibgurte zu verwahren, war für den Räuber das Werk der kürzesten Zeit. Damit begnügte sich aber der Bösewicht noch nicht. Er öffnete einen Kleiderschrank, worin Marx sehr feine Anzüge, die er von jungen Verschwendern wohlfeil gekauft hatte, verwahrte, vertauschte den seinigen gegen einen solchen, that den langen, falschen Bart von sich, nahm aus dem Schranke, der des Juden kostbarste Sachen enthielt, das baare Gold, an Thaler-Rollen, Gold- und Silbergeräthen so viel, als seine Taschen faßten, löschte alle Lichter aus, verriegelte sehr sorgfältig die Hausthüre, und entfernte sich durch das Hinterpförtchen. So schnell als die Last seiner gefüllten Taschen erlaubte, eilte er auf das nächste Dorf, wo sich Hentzschel, als Pferdehändler figurirend, seit des Hauptmanns Ankunft in Halle mit zwei Pferden aufhielt und diese, wie verabredet war, jeden Abend gesattelt in Bereitschaft hatte. Lips Tullian gab das bekannte Zeichen, Hentzschel zog seine Pferde aus dem Stalle, und es ging die ganze Nacht durch im scharfen Trabe. Mit Tagesanbruch bog Hentzschel, dem Lips Tullian für seinen Antheil das Gold und die Thaler-Rollen gegeben hatte, in der Nähe einer Poststation mit seinen Pferden von der Landstraße abseits, und Lips Tullian nahm einen Wagen bis an die Thore von Dresden. Mit einem Raube von mehr als 20,000 Thalern an Geldwerth schlich er bei eingebrochener Nacht durch die Straßen von Dresden seiner abgelegenen Wohnung zu. XXII. Der Badeaufenthalt. Fremdling, sei behutsam! Du bist nicht sicher, traue mir! ~Th. Körner.~ Wie ein commandirender Feldmarschall sein Hauptquartier in irgend einem Orte aufschlägt, um von da aus an die unterhabenden Corps seine Befehle zu versenden und ihre Bewegungen zu leiten, so hatte auch Lips Tullian das seinige in Dresden aufgeschlagen, von wo aus er seine Bande befehligte. In dieser kannte Niemand seinen Aufenthalt, als Sarberg, Hentzschel, Schöneck, Lehmann, Schickel und Eckold, und außer diesen Anführern kam kein Mitglied der zahlreichen Rotte zu ihm; nur diese Vertrauten fanden sich von Zeit zu Zeit bei ihm ein, als vornehme Personen, Bettelleute, Hausirer, reisende Handlungsdiener verkleidet, um Meldung zu machen, Befehle zu holen, ihm, dem Oberanführer, seinen Antheil von der gemachten Beute zu überbringen, und ihn bei sehr wichtigen Unternehmungen zur Anführung abzuholen. Ganz Sachsen zitterte vor der schwarzen Garde, deren Oberhaupt als ein frommer, wohlthätiger, unbescholtener Mann in der Hauptstadt des zitternden Landes lebte und von den Einwohnern Dresdens sehr hoch geachtet wurde. Wer hätte auch in diesem ruhigen, schlichten Privatmanne, dessen eingezogene verbindungslose Lebensweise allgemein bekannt war, den furchtbaren Lips Tullian geahnet? Ein Jahr hatte Lips Tullian in Dresden gelebt. Es kam die Badezeit, und mit ihr in ihm die Lust, in der Rolle eines reichen, vornehmen Mannes der Welt sich zu zeigen. Spaa wurde von ihm für die Badesaison gewählt. Nach einem recht bürgerlichen, wort- und complimentereichen Abschiedsbesuche in der ganzen Nachbarschaft umher, ging er mit Marianen von Dresden ab, zu Fuße, den Bandkasten auf dem Rücken. Die Felsenschlucht in der Oberlausitz wurde besucht, eine Parthie der vergrabenen Juwelen hervorgeholt, dann der Weg nach Leipzig eingeschlagen, wo Lips Tullian für sich und Marianen die prachtvollsten Kleider verfertigen ließ, Kammerfrau, Stubenmädchen, Jäger und Koch in Dienste nahm, einen kostbaren Reisewagen kaufte und mit vier Postpferden nach Spaa abfuhr. Als Baron von Strombeck mit Gemahlin erschien er auf der Badeliste. Er machte einen fürstlichen Aufwand. Am Vorabende seiner Rückkehr nach Dresden hatte er eine kleine Gesellschaft von jenen Badegästen, in deren Umgange er am angenehmsten gelebt hatte, zu sich gebeten, um noch mit diesen frohsinnigen Gesellschaftern einen recht heitern Abend zu genießen. Frau Bieberich, in die Freifrau von Strombeck umgewandelt, machte die Wirthin mit dem Anstande einer Dame von feinem Tone und der liebenswürdigsten Freundlichkeit; sie hatte nicht umsonst als Buchhändlerin mit den Frauen vornehmer Häuser verkehrt. In dieser Gesellschaft befand sich ein junger Mann, der sardinische Uniform trug, in Spaa für einen Hauptmann galt und großen Aufwand machte. Er schlug nach dem Abendessen ein Spiel vor, und Philipp, in der Hoffnung, ein bedeutendes Reisegeld sich zu machen, wußte bald seine Gäste für den Vorschlag des Sardiniers zu gewinnen. Man looste, wer die Bank halten sollte! das Loos traf den Sardinier. Um hohe Summen wurde gespielt, und Lips Tullian war vom Glücke so verlassen, daß er, als der Sardinier am lichten Morgen die letzte Taille abgezogen hatte, nicht mehr ein Goldstück besaß, ja sogar den größten Theil seiner Pretiosen zur Bezahlung seiner Spielschuld hingeben mußte. An dem Sardinier hatte Lips Tullian seinen Meister gefunden. XXIII. Eine neue Bekanntschaft und deren üble Folgen. Welch tollkühn Wagstück! -- Mitten durch den Feind. ~Th. Körner.~ Ohne Reisewagen, ohne Dienerschaft, nur noch im Besitze weniger Kostbarkeiten, da sein zu verschwenderischer Aufwand in Spaa und jene Spielnacht zu viel gekostet hatten, kam er mit Marianen in einer Lohnkutsche zu Leipzig an und warf sich hier gleich wieder in die Rolle des Bandkrämers. Es mußte Geld und auch Nachricht von dem gegenwärtigen Aufenthalte der Unteranführer seiner Bande herbeigeschafft werden. Mariane wanderte wieder mit ihrem Bandkasten fort, und Philipp versuchte, Geschäfte zu machen. Der Zufall ließ ihn mit einem Manne bekannt werden, der als Thierarzt von Land zu Land zog. Lips Tullian und der Thierarzt hatten noch nicht eine Flasche Wein zusammen geleert, als sie schon genau wußten, was sie sich gegenseitig zu bieten hatten. Bald schlossen die wackern Männer Freundschaft. Der Thierarzt wußte in einem Landhause bei Leipzig eine Summe Geldes, auch einen bedeutenden Vorrath von Silberzeug. Der Raub wurde von ihm und Lips Tullian beschlossen. Es gelang ihnen, einzubrechen, und sich des Geldes nebst einem Kästchen mit silbernen Bestecken zu bemächtigen. Unbemerkt kamen sie in ihre Wohnung zurück. Ueber die Vertheilung des Raubes konnten sie nicht einig werden. Der Thierarzt forderte zwei Theile, weil er die Sache ausgekundschaftet, und daher Lips Tullian nur einen Theil zu verlangen habe. Lips Tullian machte die nämliche Forderung, denn er habe mit der größten Gefahr der Entdeckung den Schrank geöffnet, und die Beute gemacht, während jener nur auf der Lauer gestanden habe. Es kam zum heftigen Wortwechsel, zum Faustkampfe, und der kräftige Lips Tullian warf den spindeldürren Thierarzt aus dem Zimmer. Vor Wuth zitternd schlich der Gemißhandelte wieder zurück, nahm, ohne ein Wort zu sprechen, den für ihn von Lips Tullian bestimmten Theil und entfernte sich mit einem Blicke auf seinen lachenden Feind, aus welchem die allerheißeste Rachsucht hervorsprühte. Noch war Lips Tullian beschäftigt, die Silberbestecke zu zertrümmern, um sie desto gefahrloser in der Folge als altes Silber zum Einschmelzen verkaufen zu können, da wurde seine Zimmerthüre aufgerissen, und ein Polizeibeamter trat mit bewaffnetem Gefolge ein. Lips Tullian hatte schnell ein Tuch über das Silber geworfen, aber dem scharfen Blicke des Beamten war es nicht entgangen. Er kündigte Lips Tullian Arrest an, und befahl zugleich seinen Leuten, dem Gefangenen die Hände zu binden. Lips Tullian wußte, was ihn erwartete; nur Verstellung und eine rasche That konnten ihn retten. Mit Demuth bat er den Beamten, ihm nicht Stricke anlegen zu lassen, er wolle ja gern alles thun und gestehen, was man von ihm fordere. Der Beamte war nicht vorsichtig genug. Lips Tullian gewann Zeit, sich dem Bette zu nähern. Mit einem Griffe waren seine Doppelpistolen unter der Decke hervorgerissen, und Jedem den Tod drohend, der sich ihm zu nahen wage, entsprang er durch eine Seitenthüre. Wie Gypsbüsten hatten die verblüfften Polizeidiener vor des Räubers gespannten Pistolen gestanden; jetzt bekamen die Büsten wieder Leben. Sie schrieen wie die Lämmergeier aus dem Fenster, im Hause herum, den Dieb aufzuhalten; sie stürzten die halbe Treppe hinab, um ihm nachzusetzen. Es war ein gewaltiger Lärm, die Menschen liefen von allen Seiten aus den Häusern, schauend, fragend, aber keiner unter den vielen hatte den Muth, den Räuber, der durch sie hin flog, aufzuhalten. Aber er sollte diesmal nicht entkommen. Ein Fleischerhund lief über die Gasse, und ihm zwischen die Beine. Er fiel der Länge nach hin. Durch den Fall ging eine Pistole los. Die Menschen schrieen, als wären sie alle verwundet. Ehe Lips Tullian, von dem heftigen Falle betäubt, sich aufraffen konnte, hatten ihn zwanzig Fäuste gepackt. Er vermochte nicht die mindeste Bewegung zu machen, so fest war er im Augenblicke von den wuthschnaubenden Polizeidienern zusammen geschnürt, und ehe er sich recht besinnen konnte, lag er in einem unterirdischen Gefängnisse des Leipziger Rathhauses auf einer Strohschütte und an einer schweren Kette. XXIV. Die Verurtheilung. Die Thüre, die sich jetzt für ihn geöffnet, Greift hinter ihm für immer in das Schloß; Kein Weg zurück zur Freiheit und zum Leben, Nur schaudernd vorwärts zu der Schlachtbank. ~Th. Körner.~ Der Gefangene wurde in das Verhör geführt und des Einbruches und Raubes im Landhause des Kaufmanns Keller beschuldigt. Mit unbeschreiblicher Angst war er vor den Richter getreten, fest überzeugt, daß man ihn als Lips Tullian und seine Thaten kenne. Er jubelte im Stillen, nur einer solchen Kleinigkeit wegen bezüchtigt zu sein. Schnell erwachte in ihm die Vermuthung, der Thierarzt habe ihn aus Rachsucht angegeben, und er war jetzt umso ruhiger, da kein gültiger Beweis gegen ihn geführt werden konnte. Gleich entschlossen, seinen Feind in die Grube zu stürzen, die jener für ihn bereitet hatte, gab er mit aller Frechheit an, all dieses Silberzeug, das man in seiner Wohnung gefunden und dessen Entwendung man ihn bezüchtigte, von einem Manne gekauft zu haben, der sich so und so nenne, und so und so aussehe. Und nun beschrieb er den Thierarzt so genau, daß der Polizeibeamte sich gleich erinnerte, diesen Menschen schon öfters gesehen zu haben. Noch in diesem Augenblicke wurden Steckbriefe gegen den Thierarzt ausgefertigt. Auf die Frage, warum er, seiner Unschuld sich bewußt, nicht willig sich ergeben, sondern mit bewaffneter Hand versucht habe, zu entfliehen, entschuldigte er sich mit einer langen Erzählung, wie in Marseille, wo er vor einigen Jahren gewesen zu sein vorgab, auch plötzlich einige Männer in sein Zimmer getreten seien, ihm Arrest angekündigt und aus dem Hause geführt hätten, aber nicht in ein Gefängniß, sondern in den Keller eines abgelegenen Hauses, aus welchem er sich nur durch Gottes Hilfe gerettet, seine Wohnung aber von diesen angeblichen Sicherheits-Männern ganz ausgeplündert gefunden habe. Die Erinnerung an jene schreckenvolle Begebenheit sei heute beim raschen Eintritte der Polizeimänner so lebhaft in ihm geworden, daß er sich wieder von vermummten Räubern umgeben glaubte, und vor Schrecken ganz außer sich, in der Flucht Rettung suchen wollte. Man fand für gut, den verdächtigen Patron in das Gefängniß zurück zu schicken. Unter des Gefangenen Effecten fanden sich so viele verschiedenartige Sachen, daß der Untersuchungsrichter fest überzeugt war, in diesem angeblichen Bandkrämer einen ausgezeichneten Gauner vor sich zu haben. Die Verhöre wurden immer strenger, die Aussagen des sonst so schlauen und besonnenen Bösewichts immer sich widersprechender, die Indicien gegen ihn immer gravirender, und über Lips Tullian die ersten zwei Torturgrade ausgesprochen. Mit fast übermenschlicher Kälte und Standhaftigkeit erduldete er die Qualen der Folter. Unter den heftigsten Martern betheuerte er seine Unschuld mit solcher Ruhe, mit solcher Selbstbeherrschung, daß man Anstand nahm, noch härter gegen ihn zu verfahren. Das Gericht erkannte dem Bandkrämer Philipp Mengstein ewige Landesverweisung und Bezahlung der angelaufenen Untersuchungs- und Atzungs-Unkosten zu. Die Acten wurden eingeschickt, aber von der Landesregierung das Urtheil nicht bestätigt. Philipp mußte nach Dresden auf den Festungsbau abgeliefert werden. XXV. Die Baugefangenen. Gott ist barmherzig! Trage deine Ketten Und trau’ auf Gott, die Liebe wird dich retten. ~Th. Körner.~ Im grauen Zuchtkittel, das Haar geschoren, mit einer langen Kette an einen Karren geschlossen, zog Philipp am ersten Morgen nach seiner Ankunft in den Festungsgefängnissen von Dresden mit zahlreicher Umgebung zur Schanzarbeit aus. Von dem höchsten Grimme über seine Gefangenschaft beherrscht, nur auf Befreiung sinnend, keinen seiner Mitgefangenen beachtend, im wilden Brüten auf seine Arbeit hinstarrend, hatte er einige Stunden Steine geschleppt, als der Tambour der Militärbedeckung die Trommel rührte. Es war das Zeichen, daß alle Baugefangenen einige Zeit, so lange es dem Oberprofosen gefällig war, ausruhen, auch von dem Gelde, welches sie von mitleidigen Menschen zum Geschenk erhielten, sich Brod kaufen durften, womit zu dieser Stunde sich immer einige Weiber aus den Vorstädten einfanden. Lips Tullian kannte diesen Gebrauch noch nicht, arbeitete fort und wurde durch einige derbe Hiebe eines Steckenknechts, der dieses Fortarbeiten für Trotz hielt, recht angenehm zum Ausruhen eingeladen. Vor Wuth knirschend warf er sich an seinen Karren nieder und drückte das glühende Gesicht in die gekreuzten Arme. Kettengeklirre nahete sich ihm, er wurde leise an der Schulter gerüttelt: unverändert blieb er in seiner Lage. Es flüsterte ihm jemand in die Ohren: „Makerst Du Deine Keffer-Freier lau mehr?“[30] [30] Kennst Du Deine Vertrauten nicht mehr? -- Die Stimme schien ihm zu bekannt, die Anrede zu wichtig, um länger seinem Starrsinne sich hinzugeben. Er blickte auf, und hätte beinahe vor Ueberraschung laut aufgeschrien: -- Sarberg, Eckold, Hentzschel, Schöneck, Lehmann und Schickel saßen um ihn her, an ihrem Brode kauend, und nach einem langen, bedeutenden Blicke wieder ruhig fort essend, ohne durch Wort oder Miene sich als seine Bekannten verrathend. Sarberg saß ihm am nächsten. Als die Trommel das Zeichen zur Fortsetzung der Arbeit gab, flüsterte ihm dieser zu, so nahe als möglich an seiner Seite zu karren. -- Lips Tullian that es. In den Augenblicken, wo die Wache oder die Steckerknechte fern genug waren, um unbelauscht sprechen zu können, erzählte Sarberg, daß er mit den übrigen Anführern in einem vertrauten Wirthshause zur Berathung wegen einiger bedeutenden Einbrüche sich eingefunden habe, daß mitten in der Nacht das Wirthshaus von einem zahlreichen Streifzuge sei umringt, und der Wirth mit allen seinen Leuten, wie auch mit seinen Gästen nach Leipzig gebracht worden. Ihn, Sarberg, habe man nebst seinen Kameraden hierher geliefert, um ein Jahr zu schanzen, da sie so glücklich gewesen, sich von irgend einer Verbindung mit der schwarzen Garde wegzuleugnen, und nur als verdächtige Leute zu einjähriger Schanzarbeit verurtheilt worden zu sein. Am Schlusse der Erzählung gab ihm Sarberg die angenehme Nachricht, daß er mit ihm und den übrigen Freunden das nämliche Gefängniß bewohne, daß Lips Tullian schon gestern Abend, bei seinem Eintritte in den Kerker von ihnen erkannt, aber dieses Erkennen auch nicht durch ein Wort oder ein Zeichen angedeutet worden sei, indem noch einige Baugefangene in eben diesem Gefängnisse schlafen, welchen man nicht trauen dürfe. Lips Tullian hatte genug gehört. Die Nähe solch’ muthiger und unternehmender Freunde gab ihm Hoffnung, bald seine Fessel los zu werden. Schon nach einigen Tagen wurden die ihm und seinen Kameraden verdächtigen Mitgefangenen vom Festungsbau entlassen, und die Vertrauten waren nun allein in ihrem Gefängnisse zusammen. Fruchtlos hatten sie Nächte hindurch sich über ihre Befreiung berathen, aber noch immer leuchtete ihnen nicht der geringste Schimmer der Möglichkeit einer Befreiung. Zum Ausbrechen fehlten ihnen Werkzeuge, und am Entrinnen während der Schanzarbeit hinderte sie die zahlreiche Militärwache, die strenge Aufmerksamkeit der Steckenknechte, und die Schwere und Stärke ihrer Ketten. Zur gewöhnlichen Ruhezeit saß Lips Tullian eines Tages, von den Uebrigen abgesondert, auf seinem umgestürzten Karren und blickte sehnsüchtig nach einer Brodverkäuferin umher, da er äußerst hungrig und durch so eben empfangene milde Gabe in der glücklichen Lage war, sich nach langer Zeit wieder einmal satt essen zu können. Ein altes Weib in zerlumptem Anzuge, das Gesicht beinahe bis an die Augen mit einem Tuche verhüllt, humpelte an einem Krückenstocke auf ihn zu, und bot ihm Brod an. Lips Tullian kaufte. Er reichte der Alten das Geld. Sie stieß an seine Hand, das Geld fiel zur Erde, und während beide sich darnach bückten, flüsterte das ihm zu: „In dem Brode mit einem eingeschnittenen Kreuze findest Du einen Zettel. Ich bin Mariane!“ -- Das Weib humpelte fort. Sprachlos starrte Lips Tullian ihr nach. Er hätte beinahe laut aufgejauchzt, und seinen Freunden das Wort Freiheit mit weit schallender Stimme zugerufen. Wo Mariane war, da war auch die Freiheit nicht mehr fern; er kannte die Stärke ihrer Liebe, ihren Muth, ihre Schlauheit, ihren Eifer. Wie vor Freude trunken jubelte er laut, als die Trommel zur Arbeit rief, lachte dem schlagfertig gehobenen Arme des Steckenknechts in wilder Freude entgegen, und hatte seinen Hunger und sein Elend vergessen. Es war gerade Samstag, wo immer die Baugefangenen um zwei Stunden früher von der Arbeit entlassen wurden. Lips Tullian konnte den Augenblick seines Eintrittes in den Kerker nicht erwarten, da es ihm erst hier möglich war, das bezeichnete Brod zu erbrechen und den Zettel zu lesen. [Illustration: Die Räuber als Baugefangene.] Er that es mit Hast, und bei dem wenigen Lichte, was nur durch eine kleine, dicht vergitterte Oeffnung in den Kerker fiel, las er mit Mühe: „Auf dem Platze, wo Ihr gegenwärtig arbeitet, steht in einem Winkel der Strunk eines alten Baumes. In seiner Höhlung dicht an der Erde findest Du eine feine Säge und ein Stück Bindfaden. Mit der Säge durcharbeitest Du in der nächsten Nacht ein Paar Eisenstangen Deines Fenstergitters. Sobald die Festungsuhr die zehnte Stunde schlägt, lässest Du den Bindfaden herab, woran ich zwei Brechstangen und eine Strickleiter befestige. In längstens zwei Stunden habt Ihr die Fensteröffnung hinlänglich erweitert, um Euch durchdrängen zu können. Am Fuße der Leiter harre ich Euer, um Euch in Sicherheit zu bringen.“ -- XXVI. Der Oberprofos oder: Die Lebensart der Baugefangenen. Wer lärmt in dieser schreckenvollen Stunde Vor meiner Thür? -- Es ist gefährlich, Zu dieser Zeit des Aufruhrs und des Mords Dem Flüchtling wirthlich seine Thür zu öffnen; Doch gar zu gräßlich ist der Sturm der Nacht, Ich will’s auf Deine Jammertöne wagen. ~Theodor Körner.~ Es hatte sich am 20. September 1710 über Pirna und dessen Umgebungen von Westen und Süden im langsam schauerlichen Zuge ein Gewitter ausgebreitet, das in der dritten Nachmittagsstunde die Himmelsdecke zur nächtlich dunkeln, grauenvollen Wölbung gestaltete. Die Hitze war so schwül wie im heißesten Sommertage, die Blätter der Bäume und Sträucher, von keinem Lüftchen bewegt, hingen schlaff darnieder, Thiere und Pflanzen lechzten nach Erquickung, und mit scheuen Blicken sahen die Menschen, aus Furcht vor der drohenden Gefahr von ihren Beschäftigungen und Feldarbeiten in ihre Behausungen zurückgekehrt, dem unheilgebärenden Wolkenzuge entgegen. Das Gewitter brach aus mit aller seiner Furchtbarkeit. Der Himmel ward zum Feuermeer, und die Erde erbebte unter dem entsetzlichen Geprassel der betäubenden Donnerschläge. Des Allmächtigen Vaterhand hatte in diesen grauenvollen Stunden schützend über seinen zitternden Kindern geschwebt. Verbleicht waren die Blitze, verhallt die Donner, aber die furchtbarschöne Naturerscheinung hatte sich nicht in jene liebliche Kühle und in das freundlich-beleuchtende Licht aufgelöst, die fast immer dem heftigsten Gewitter folgen, und in die freier sich hebende Brust des Menschen ein so angenehmes Gefühl ausgießen; der Regen fiel strömend nieder, der Sturm heulte durch die Lüfte und mit dem schon frühe eingebrochenen Abend hatte sich tiefe Finsterniß über die Erde gelagert. Prasselnd schlugen Regenschauer an die hohen Fenster des in der Nähe von Pirna einsam gelegenen Forsthauses, genannt zur rothen Buche, und krachend beugte sich die riesige Hoflinde unter des Sturmes gewaltiger Wucht. Aber im Forsthause waltete eine recht gemüthliche Ruhe. Im bequemen Schlafrocke, die Federmütze auf dem ehrwürdigen, silbergrau und spärlich behaarten Haupte, und aus der großen Meerschaumpfeife mit dem langen Weichselrohre recht behaglich schmauchend, saß der Förster Krause vor einem alten Historienbuche, dessen anmuthige und verschiedenartige Darstellungen ihn nach vollbrachten Berufsgeschäften an unfreundlichen Abenden gar herrlich vergnügten. Fast unwillig schaute er von Zeit zu Zeit nach der Thüre des Nebenzimmers, ob sie sich denn noch nicht öffne, und Elisabeth, seine liebe, traute Ehefrau, zu ihm hereintrete, auf daß sie sich mit ihrem Strickstrumpfe ihm gegenüber setze, und die anmuthigen Historien mit anhöre, wo er dann, so viel in seinem Wissen lag, sich über die, der aufmerksamen Zuhörerin fremdartigen Worte, wie auch sonst ihr unbekannte Stellen erklärend aussprach, und zwar mit einem etwas stolzen Gefühle seiner Gelehrsamkeit und seiner Erfahrungen. Jetzt kam Frau Elisabeth in die Wohnstube zurück, nahm den gewohnten Platz ein, und während sie mit gewandten Fingern ihr Strickzeug handhabte, fuhr Förster Krause in seiner unterbrochenen Vorlesung also fort: „_Idem_ in dem Jahre 1400. 1431. 1432. 33. und 37. hat die Elbe einen Theil an der Steinern Brucken verderbt. _Anno_ 1429 haben die Hussiten alt Dresden abgebrand, nach dem sie den Ort zuvor geplündert: seyn auch _Anno_ 1430 wieder hieher kommen. _Anno_ 1477 ward das erste Stuck Geschütz alda gegossen in der Vorstatt, und nach Quedlinburg geführt, _Anno_ 1491 ist die halbe Statt, wie auch die Vorstatt vor dem Pirnischen Thore, verbronnen. _Anno_ 1547 hat Churfürst Johan Friederich zu Sachsen, weilen seyn Vetter, Herzog Moritz, es mit dem Keyser gehalten, alt Dresden ausgeplündert, vn nev Dresden beschossen; folgends ward die Bruck von jhme _Mauritio_ fester gemacht. _Anno_ 1580 ist das Geistliche _Consistorium_ von Meissen auff Dresden gelegt worden. _Anno_ 1588 hat man allhie Musterung gehalten, vnd 1466 Männer, vn zwar in alt Dresden 421, in new Dresden 1045 gefunden. _Anno_ 1617 seyn der Keyser Matthias, König Ferdinand in Böheimb, Ertzherzog Maximilian zu Oestereich, vnd der Cardinal Clesel, allhie gewesen, deren Potentaten, ausser deß Herren Churfürsten zu Sachsen, als deß Herren Wirths dieser Ansehenlichen Herren Gäste, keiner mehr im Leben ist. _Anno_ 1643 wurden dieser Statt die nothwendige Lebens-Mittel, wegen der Schwedischen vbel hausens, fast gar entzogen, also daß sie in 8 Wochen kein Pfund Fleisch in den Fleischbänken haben können. Daher dan die Churfürstliche Hofstatt nothwendig enger eingezogen werden müssen. _Tom. 5. Th. Eur. fol. 62. a. Anno 44_ ließ sich ein Scharpffrichter allhie für einen Einspanninger gebrauchen, welcher mit seines Wachtmeisters Weib vngebühr getrieben, darüber sie vom Manne erdapt vnd das Weib gleich nidergemacht worden, der Henker aber ist von einem Fenster 3 Stockwerk hoch herunder gesprungen, gleichwohl gefänglich eingezogen worden. Auff 3 Stund von Dreßden hat ein Geistlicher, vielmehr Gottloser Mann, mit einer Magt im Stall Vnzucht getrieben, vnd dieweil eine andere Magt darzu kommen, hat er sie mit einer Mistgabel erschlagen; ist aber nach Dreßden geführt worden. -- _Idem_ hat sich _eodem anno_ der _Lieutnant_ im hoch preißlichen Granatierbatailion von Menkwitz auf gräuliche Weise mittelst einer Pistole selbst entleibtet, eben auf sodanne Art“ -- „Ach, lieber Max“ -- unterbrach hier Frau Elisabeth den eifrigen Vorleser, und zog ihm sanft das Historienbuch hinweg -- „ich bitte dich um Alles, dergleichen grauenvolle Geschichten mir nicht mehr mitzutheilen. Seit dem Augenblicke, als ich die Leiche unseres Hegereiters mit der zerschmetterten Hirnschale sah, faßt mich immer ein gewaltiger Schrecken, so oft ich von einem Selbstmörder höre. Eine solche Erzählung macht mir die Nacht schlaflos, und ungeachtet du mich im Laufe unserer dreißigjährigen Ehe immer als ein muthiges Weib wirst gefunden haben, so bin ich doch durch jenen Anblick, und durch den Gedanken an so manchen Mord, der seit einiger Zeit in unserer Gegend von dem fremden Raub- und Blutgesindel begangen wurde, so eingeschüchtert worden, daß, so oft ich jetzt in der Nähe einen Schuß höre, mich“ -- In diesem Augenblicke fielen ganz nahe zwei Schüsse. Erbleichend sank Frau Elisabeth in den Stuhl zurück, während Förster Krause raschen Trittes auf die Hausflur eilte und auf waidmännische Art einen gellenden Pfiff that. Fast eine Todtenstille hatte bisher im Forsthause geherrscht, jetzt wurde es tumultuarisch lebendig. Aus den Stuben des Erdgeschosses stürzten Jägerbursche, Knechte und Mägde hervor, wohl kennend die Bedeutung dieses gellenden Rufes, der nur bei wichtigen Vorfällen Statt fand, und der Befehle des geliebten Dienstherrn mit der Treue regem Eifer gewärtig. -- „Es sind zwei Schüsse gefallen, dicht am Hofthore,“ -- sprach der Förster zur neugierig horchenden Umgebung, „Du, Franz, nimmst Doppelbüchse und Hirschfänger, öffnest leise das Gartenpförtchen, und lauschest dort. Was Du gesehen, wirst Du mir schleunigst melden. Ihr übrigen Jäger nehmt eure Gewehre und tretet vor das Haus, die Knechte machen den Hofhund und die Saufänger los, und erwarten meine weiteren Befehle. Alles geschehe mit Ruhe und Besonnenheit. Soll sich das umherstreifende Raubgesindel auf meine Habe Rechnung gemacht haben, so wollen wir es mit Fassung und Kraft empfangen, waren aber diese zwei Schüsse vielleicht nur Nothsignale, so soll man uns zur Hilfe bereit finden!“ -- Es geschah, wie Förster Krause gebot, der selbst sich schnell bewaffnete, um im Falle der Noth der Anführer seiner muthigen Hausgenossen zu werden. Franz kehrte mit der Meldung zurück, daß drei Reiter vor dem Hofthore halten, daß der eine davon entsetzlich fluche und daß die weißen, durch das Dunkel schimmernden Mantel und das Klirren der Waffen die Fremden als Kriegsmänner ankündige. Krause gebot, ein Paar Kienfackeln anzuzünden und sogleich das Thor zu öffnen. Die Männer ritten ein. Unter den heftigsten Verwünschungen der Dunkelheit, des strömenden Regens, des brausenden Windes, schwang sich der vordere Reiter vom triefenden Rosse, schritt mit schnellen, trotzigen Schritten in die Hausflur und schnaubte dem Förster mit wilden Blicken die Frage entgegen, warum man ihm und seinen Begleitern, ungeachtet eines so lange währenden Pochens und Rufens, nicht Einlaß gegeben und diesem Hundewetter so lange ausgesetzt habe, bis er gezwungen gewesen sei, seine Nähe durch Pistolenschüsse anzukündigen. Des Försters einfache Hinweisung auf die Unmöglichkeit, bei dem heftigen Getöse des Sturmes und der Regengüsse ein Pochen oder Rufen am fernen Hofthore hören zu können, würde den Ungestümen wohl schwerlich beschwichtigt haben, hätte nicht die nun wieder ermuthigte Frau Elisabeth ihn durch die freundlichste Gutmüthigkeit, mit welcher sie ein gutes Abendbrot, alten Wein, ein recht weiches Bett und jede mögliche Bequemlichkeit versprach, kirre zu machen gewußt. Schnell war der Zürnende mit allen Unannehmlichkeiten dieses Tages versöhnt, und als er, durch die geschäftigen Hände eines Jägerburschen vom regenschweren Mantel befreit, in die reinliche, angenehm warme Wohnstube trat und Förster Krause selbst, ein inniger Freund der Soldadeska, seinem Gaste mit einem bequemen Nachtanzuge und der Bitte, sich hier wie im eignen Hause anzusehen, entgegen kam, da betheuerte der Kriegsmann, der Dunkelheit dieses Abends recht große Verpflichtungen zu haben, daß sie ihn von der rechten Straße hinweg und über Flur und Wiese in ein Haus geführt habe, wo solch’ ein treues, freundliches Soldatenherz schlage. Nach wohlthuendem Vertausche der durchnäßten Bekleidung mit einem recht gemächlichen Hausanzuge des Försters, setzte sich nun Herr Justus Hilmer zum Genusse des Abendbrotes nieder, das, ungeachtet das Försterpaar wie auch die Dienerschaft schon vor einer Stunde zu Nacht gegessen hatte, so schnell und so reichlich dem Gaste vorgesetzt wurde, als hätte man seiner Ankunft entgegen gesehen. Auch die beiden Dragoner erhielten in der Jägerstube ein Abendessen und solch eine freundliche, aufmerksame Bewirthung, wie es ihnen in ihrem genußarmen Reiterleben wohl nicht zu oft zu Theil geworden sein mochte. Herr Justus Hilmer war der gewaltige und gefürchtete Oberprofos der Vestung zu Dresden. Mit einer Riesengestalt, einem scharfen, feurigen Blicke und einer stolzen, tiefernsten Haltung vereinte er Muth und Klugheit. Die Verwegensten der Baugefangenen, durch Drang nach Freiheit, durch Verzweiflung über ihre Lage oft zu den kühnsten Empörungen, zu den gewaltsamsten Angriffen gegen die Militairwache und gegen die Steckenknechte[31] hingerissen, sanken bis zur sclavischen Unterwürfigkeit bei dem Erscheinen des gefürchteten Oberprofosen, und den Listigsten und Hartnäckigsten, die Herr Johann Ephraim Zopf, der vielerfahrene und verfängliche Festungs-Auditeur, mit allen seinen Subtilitäten, oft selbst durch die Folter, nicht zum Geständniß so mancher Uebelthat zu bringen vermochte, wußte der schlaue Hilmer, den tiefen, zurückschreckenden Ernst in einen herzlichen, vertraulichen, das Gemüth erschließenden Ton umwandeln, im ganz schlichten Geplauder oft so Manches zu entlocken, was der Verbrecher in das Tiefste seines Innern für dieses Leben zu vergraben sich selbst so heilig gelobt hatte. Der Name des Oberprofos Hilmer war im ganzen Sachsenlande bekannt, ein Schrecken für Räuberbanden und ein Gegenstand der Ermuthigung und des Vertrauens für Adelige, Gutsbesitzer, Bürger und Landleute; denn früherhin, ehe Hilmer zu dieser Stelle befördert worden, war er als Criminaldiener verschiedener sächsischer Justizämter bei jedem Streifzuge, bei jedem Angriffe gegen einzelne Räuber wie gegen ganze Banden immer an der Spitze, und wo der muthige, kraftvolle Hilmer sich zeigte, da war auf der Seite seiner Parthei der Sieg, auf der der Gegner die Niederlage, dabei meistens Gefangenschaft oder Tod, da er dem geschlagenen Feinde fast nie Zeit ließ, sich durch die Flucht zu retten. Auch jetzt noch, da er zur Stelle eines Festungs-Oberprofosen aus Anerkennung seiner viel und erfolgreich geleisteten Dienste für die öffentliche Sicherheit befördert worden, wurde er zu Unternehmungen gebraucht, wo nur von dem persönlichen Muthe und der Klugheit des Anführers günstige Resultate erwartet werden konnten. [31] Des Oberprofosen Diener und der Baugefangenen Aufseher. Als der Oberprofos seinem gastfreundlichen Wirthe sich genannt hatte, betheuerte Förster Krause, daß heute seinem Hause Heil wiederfahren sei, denn auch Krause mit seinem nicht unbedeutenden Vermögen stand als gute sichere Beute auf der Liste einer zahlreichen, verwegenen Räuberbande, die einige Jahre vorher die Umgebungen von Pirna höchst unsicher gemacht, aber durch Hilmers Muth und Rastlosigkeit ihr Grab im Zuchthause und auf dem Rabensteine gefunden hatte. Herr Justus Hilmer hatte sich an dem leckern und reichlichen Abendbrote herrlich gelabt. Jetzt kam die Reihe an die Flasche und Wirth und Gast ließen sich den alten feurigen Wein recht wohl munden; auch Frau Elisabeth durfte nicht versagen und es wurde manches Gläschen auf dieses und jenes Wohl geleert. Nachdem Hilmer erzählt hatte, daß er von Königstein komme, wohin er mit seinem Reitergeleite drei wichtige Staatsverbrecher zur lebenslänglichen, strengen Haft abgeliefert habe, und auf der Rückkehr nach Dresden begriffen sei, kam die Sprache auf die unterirdischen Gefängnisse dieses als unbezwingbar berühmten Felsenschlosses, wovon unter dem Landvolke gar sonderbare Gerüchte im Umlaufe seien. -- „Ich habe nicht Zeit und Gelegenheit gehabt, die Königsteiner Gefängnisse zu besehen“ -- begann jetzt der Oberprofos mit wichtiger Miene, und stopfte sich ganz langsam eine Pfeife -- „aber ich wette meinen stattlichen Meklenburger gegen eine polnische Krabbe, daß jene Gefängnisse noch Lusthäuser sind gegen die, in welchen ich theils die verwegensten, theils die gravirtesten meiner Baugefangenen verwahre. Alle die gottlosen Bursche wurden, wie Euch, mein sehr werther Freund, bekannt sein mag, in frühern Zeiten im Raths-Stockhause auf der Frohngasse verwahrt, wo sie des Morgens, wie eine Schafheerde, aus ihren Löchern hervorgetrieben, und _ad opera publica_, das heißt zum Straßenkehren, Steinführen, Kalktragen u. s. w. verwendet wurden. Das Rathsstockhaus ist ein uraltes Gebäude, woran die Zeit mit scharfem Zahne genagt hat. Es hielt nicht schwer, die morschen Mauern zu durchbrechen, und so gelang es in einigen Jahren vielen der Inhaftirten, zu entspringen. Die allergnädigste Landesregierung konnte nicht länger zusehen, daß so viele räudige Schafe sich zum Verderben der Guten eigenmächtig die Freiheit verschafften. Es wurde daher allerhöchsten Ortes beschlossen, die Gefangenen aus dem Raths-Stockhause in die auf der Festung hinter dem Zeughause befindliche Salomons-Bastei zu versetzen, nachdem unter selbiger gewölbte Kerker angelegt worden, die da heißen: -- das Salomons-Gefängniß, das Kupfergewölbe, der Baumann und die Mohrenkammer; ferner wurden drei besondere Gefängnisse erbauet, die, in der Mitte von Gewölben, für sich wie ein eigenes Gewölbe stehen und umgangen werden können. Auch unter dem Wilsdrufer Thore haben wir drei Gefängnisse. Alle diese Kerker sind tief unter der Erde. Im Kupfergewölbe, in der Mohrenkammer, wo die zur lebenslänglichen Haft Condemnirten verwahrt wurden, herrscht ewige Finsterniß; nur von dem Lampenlichte meiner Knechte werden sie, wenn man den Gefangenen das Essen reicht, oder diese ihre grauenvolle Hölle reinigen müssen, spärlich erleuchtet. Glücklich diejenigen dagegen, die andere Gefängnisse bewohnen und zur Arbeit verwendet werden. Sie werden doch an das helle Tageslicht, in die frische Luft geführt, während jene nicht Tag, nicht Nacht unterscheiden können, und von der langen Weile, von den vielfüßigen Plageteufeln, von der verpesteten Kerkerluft und von den unaufhörlichen Schmerzen, die ihnen der Druck und die Schwere des Halseisens, des Leibringes und der Hand- und Fußketten verursachen, zur Verzweiflung gebracht, sich selbst entleiben würden, könnten sie ihre eingeschmiedeten Hände nur einige Augenblicke frei gebrauchen.“ -- Der Oberprofos leerte nun ein volles Glas Wein in langsamen Zügen mit vielem Behagen. Krause schob das seine zurück; dem weichherzigen Manne wäre beim schmerzlichen Hinblicke auf das Jammerleben so vieler unglücklicher Mitmenschen der köstlichste Rebensaft zum Wermuth geworden, und Frau Elisabeth fragte mit nassen Augen und leiser Stimme: ob die Baugefangenen doch satt zu essen und die sonst nöthige Pflege haben? „Ja, da hat es sich bei uns mit Kost und Pflege!“ -- lachte der gewaltige Bagnos-Häuptling[32] mit widerlich verzerrtem Gesichte und entpfropfte eine neue Flasche. „Meine wertheste Frau Försterin, erlauben Sie mir, Ihnen eine kurze, aber wahre Schilderung zu machen, wie es den Inhaftirten ergehet, über welche ich ein christliches, aber, nach Gestaltung der Dinge und absoluter Nothwendigkeit, oft gar strenges Commando zu führen bestallt und ermächtigt bin.“ [32] Sklavenbehältnisse werden überhaupt Bagnos genannt. „Die Schlafstelle eines jeden Baugefangenen in diesen unterirdischen Kerkern ist aus Brettern gezimmert, gerade mit nothdürftigem Raume, um sich ausstrecken und umwenden zu können. Ein mit sehr rauhem Stroh gefüllter Sack und eine Wolldecke sind das Bett. Frühstück giebt es nicht; nur jene haben das zum Morgenimbiß, was sie von ihrer Brodration sich ersparen, die täglich aus 1½ Pfund Brod bestehet und ihnen für zwei Tage gereicht wird. Wassersuppe und ein Gericht von Hülsenfrüchten ist das Mittagsmahl, Wassersuppe das Nachtessen. Nur an den größten Festtagen wird zu Mittag ein Stückchen Fleisch gereicht. Wasser ist das immerwährende Getränk. Jeder Baugefangene trägt am rechten Fuße eine schwere Eisenschelle mit schwerer Kette, womit sie nächtlicher Weile an ihre Lagerstätte, bei Tage aber entweder an den Karren, den sie bei Bauarbeiten zu ziehen haben, angeschlossen werden, oder die sie bei andern Beschäftigungen wie einen Gürtel um den Leib tragen. Zu früher Morgenstunde wird die große Fallthüre, durch die man zur Kerkertreppe gelangt, und welche den einzigen Eingang zu diesen unterirdischen Wohnungen bildet, geöffnet, und gleich von Wache mit scharf geladenen Gewehren umstellt, während meine Steckenknechte, von wohl abgerichteten Fanghunden begleitet, die Kerkerthüre öffnen, die Gefangenen losschließen, und sie die Treppe hinaufsteigen lassen. Jeder Kerker zählt mehr als zwanzig Gefangene, über welche Einer davon, der sich das meiste Vertrauen durch Fleiß und Stille bei mir erworben hat, gleichsam die Aufsicht führt. Jeder dieser Aufseher muß nun, ehe die Gefangenen die Bastei verlassen, Meldung machen, ob sie während verflossener Nacht gebührliche Aufführung gepflogen haben. Die geringste Klage, und der Beschuldigte wird ohne gestattete Gegenrede mit Geiselhieben gezüchtigt. Da setzt es Hiebe, _mul um_, nach allen Dimensionen, und da darf nicht gemuckst, nicht raisonnirt werden, sonst wird, wie wir Justizmänner sagen, _portio duplex_ gereicht. Dann schreitet man zur Tagesarbeit, die im Steinsägen, Reinigung der Geschütze, Schanzen, Ankarrung der Baumaterialien und Gassenkehren besteht. Es ist beinahe unbegreiflich, wie solche Elende, die ihren Tag unter den schwersten Arbeiten hinbringen, nur höchst nothdürftig genährt werden, und, auf ihrem steinharten Lager von zahlreichem Ungeziefer gepeinigt, größtentheils die Hälfte der Nacht schlaflos hinbringen, noch den Muth und so viele körperliche Kraft haben, die anstrengendsten Versuche zum Ausbrechen aus so festem Gewahrsam zu machen; wie sie, während der Arbeiten, theils gegen meine Steckenknechte, theils gegen die Wache die trotzigsten Angriffe wagen; wie sie nächtlicher Weile sich anfallen, einander blutrünstig schlagen, ja oft schwer verwunden. Aber wehe dann diesen Bösewichtern am nächsten Morgen beim Rapporte. Da wird der Angreifende wie der Angegriffene bis an die Hüften entblößt, mit den Händen an eine steinerne Säule geschlossen, und dann vom Steckenknechte mit einer schweren, dichtgeflochtenen Geisel meistens so lange gepeitscht, bis er bewußtlos an der von Blut triefenden Säule lehnt. Und doch genießen diese Erbärmlichen ein noch viel besseres Schicksal, als jene, die in der Mohrenkammer und im Kupfergewölbe, Füße und Hände in Eisen geschmiedet, bei Wasser und Brod, in ewiger Dunkelheit zur lebenslänglichen, arbeitslosen Haft verwahret werden. Darunter habe ich einen gewissen Ilmer, der bereits seit 11 Jahren seinen schauderhaften Kerker noch keinen Augenblick verlassen durfte, der den Tag mit den gräßlichsten Gotteslästerungen beginnt, immer darüber blutig gepeitscht wird, und nach dem letzten Streiche wieder zu lästern anfängt. Eben so“ -- Länger vermochte die mitleidige, gottesfürchtige Frau Elisabeth solche schaudervolle, schmerzlich ergreifende Mittheilungen nicht anzuhören. Rasch unterbrach sie den Redseligen mit der Frage: ob diese Unglücklichen in solch irdischer Hölle nie das Glück und die heilvollen Wohlthaten des Trostes, der Lehre, der Erbauung aus dem Munde eines Priesters genießen dürfen. -- „Daran würde es eben nicht mangeln,“ -- erwiederte Herr Hilmer -- „denn unser _Pastor pestilenzialis_, der ehrwürdige Herr Magister Jonas Krumholz, ist ein gar eifriger Tröster und Bekehrer, der alle Stunden, die ihm seine Kirchengeschäfte übrig lassen, am Krankenbette oder mit der Belehrung und Besserung recht arger Sünder hinbringt. Aber trotz seines frommen Eifers und trotz aller Selbstbekämpfung vermag er nur selten und nur immer auf sehr kurze Zeit die Gefangenen in der Mohrenkammer und im Kupfergewölbe zu besuchen, da in diesen Kerkern die Luft für jeden, der nicht daran gewöhnt ist, so verpestet und vergiftet ist, daß der ehrwürdige Herr Pestilenzprediger nach jedem solchen Besuche einige Tage auf dem Krankenlager hinbringen und ärztliche Hülfe gebrauchen muß.“ -- Unter dem Vorgeben, noch so manches für die nächtliche Bequemlichkeit des werthen Gastes anordnen zu müssen, entfernte sich jetzt Frau Elisabeth. Sie hatte zu viel gehört, was ihr sanftes, gefühlvolles Herz zu schmerzlich verletzte, und die Furcht noch mehr hören zu müssen, verscheuchte sie aus der Nähe dieses Mannes, der durch seine eisige Kälte und den menschenfeindlichen Hohn und die rauhe Härte, die sich in seinen Mittheilungen so scharf aussprachen, ihr immer anwidernder und furchtbarer wurde. Auch Förster Krause hatte schon lange satt an dieser unheimlichen Abendunterhaltung und versuchte nun, das Gespräch auf freundliche Gegenstände zu leiten. Aber der Oberprofos war im Zuge und unerschöpflich; er griff nach einer frischen Flasche, und nun mußte sich der Förster die Lebens- und Leidensgeschichte der verruchtesten Bösewichter, die in den höllischen Kerkern der Salomons-Bastei seit Jahren schmachten, weitläufig erzählen lassen; er mußte des Oberprofosen endlose Klagen über die vielen Gefahren und unerträglichen Beschwerden seines Amtes unter harter Geduldsprobe anhören. Und trotz der Jeremiade über Gefahren und Beschwerden versicherte Herr Hilmer mit schadenfrohem Lachen, daß es nun in seinem Bereiche recht lebhaft werde, da die hochpreißliche Regierung ein allergnädigstes Mandat erlassen habe, durch dessen eifrige und kluge Handhabung in kurzer Zeit eine recht zahlreiche Rotte von Spitzbuben seinem Kommando überliefert werden würde. „Ich will nun nach meinem treuen Rosse und nach meiner Begleitung sehen, während Sie dieses vortreffliche Mandat lesen sollen!“ -- Mit einiger Mühe erhob er sich nach diesen Worten aus dem weichen Lehnstuhle, reichte dem Förster das Mandat und wankte, in Folge des zu reichlich genossenen Weines, mit unsicheren Schritten aus der Stube. Der Förster las: „Wir Friedrich Augustus, von GOttes Gnaden, König in Pohlen, Herzog zu Sachsen, Jülich, Cleve, Berg, Engern und Westphalen etc. etc. Chur-Fürst etc. etc. [33] Entbiethen allen und jeden unsern Praelaten, Grafen, Herren, denen von der Ritterschafft, Ober-Creyß-, Haupt- und Amtleuten, Schössern, Verwaltern, Bürgermeistern und Räthen in Städten, Richtern und Schultheissen, auch insgemein allen unsern Unterthanen, unsern Gruß, Gnade und geneigten Willen und fügen Denenselben hiermit zu wissen, wird ihnen auch schon sonst bekannt sein, was massen einige Zeit her, und nur noch kürzlich hin in unserm Churfürstenthum und denselben incorporirten Landen, sowohl in denen Städten, als insonderheit auf dem Lande an vielen Orthen, allerhand gewaltsame Einbrüche geschehen und vielfältige Raub- und Diebereien, theils mit großer Gewaltthätigkeit, auf denen öffentlichen Strassen und Ritter-Sitzen und sonst hin und wieder ausgeübet, auch sogar einige Gerichts-Herren, un andere in Fehdebriefen bedrohet, und dergleichen ihnen verwegener und boshafter-Weise zugeschickt werden. Worauß denn, daß sich eine große Menge räubrisches Diebs-Gesindel zusammengeschlagen haben müsse, abzunehmen; Und wenn solchem Uebel nicht in Zeiten, und mit Nachdruck gesteuert werden solte, zu besorgen stehet, das solcherlei und andere Frevel-Thaten noch mehr begangen und endlich niemand bei dem Seinigen, zumal uffm Lande, un in denen Dörffern ferner sicher, sondern wegen seines Vermögens, auch Leibes und Lebens, in steter Gefahr sein würde, nun ist zwar erinnerlich, wie wir schon vormahlen, um sothanen heillossen, Land-Fried-brüchigen und räuberischen Wesen ernstlich zu steuern un abzuhelfen, unterschiedene Verordnungen und _Mandata_, insonderheit unterm 27. Febr. 1706, wie und auf was Masse solchem leichtfertigen und bösen Volke beizukommen un dasselbe zu vertreiben, oder zu erlangen, als auch wegen der Wirths Häuser, Schenken und Herbergen, daß darinnen keine fremde oder verdächtige Persohnen, ohne vorher beschehe Anzeige, bei denen Gerichts-Herren oder Gerichten des Ortes aufgenommen und beherberget, wie ingleichen nachgehends vom 28. Julij des 1708ten Jahres, daß Niemand, dessen Person, Wesen, und Geschäffte nicht bekannt, über eine Nacht nicht gehauset werden sollte, ins Land ergehen, und publiciren lassen, deme aber entweder gar nicht, oder doch nicht genugsam an befohlener Maasen, nachgelebt worden sein mag; Weil, wie oberwehnet, solch böses und räuberisches Wesen, noch immer zu fortgetrieben, ja jetzo mehr als vorhin jemahls geschehen, ausgeübet wird, und die meiste Schuld hierunter wohl deme mit beizumessen ist, daß alle Fremde un Unbekannte ohne Unterschied, in denen Gasthöfen, Wirths-Häusern und Schenken aufgenommen werden und ihr Unterkommen finden können, ja wohl gar das geraubte und gestohlene Guth von denen Wirthen und andern, mit verparthieret und verheelet wird, dahero wir aus Landes-Väterlichen Vorsorge, so wie für unsere Lande und Leute Wohlfahrt, und Aufnehmen, auch die allgemeine Sicherheit allezeit, beständig tragen, der Nothdurft befunden, sowohl obangezogene unsere _Mandata_ und heilsame Verordnungen nochmals zu _renoviren_, deren Inhalt nach, hiedurch anderweit zu wiederhohlen, und nachfolgender maasen zu verbessern und zu schärffen, als auch allen unsern Beamten, Gerichts-Herren, und Obrigleiten hiermit abermahlen ernst un nachdrücklich zu befehlen, daß sie, und zwar die Räthe in denen Städten, die Häuser zum öfftern _visitiren_ und, wenn Leute, so keine gewisse Handthierung haben, oder worvon sie sich sonst ehrlich und redlich erhalten, nicht anzugeben wissen und beizubringen vermögen, angetroffen werden, selbige alsofort in Verhaft nehmen, wegen dererselbigen vorherigen Verhaltens genaue Erkundigung einziehen, und nach Befinden wieder sie gebührend verfahren, die Gerichts- und andern Obrigkeiten uffm Lande aber, die unter ihrer _jurisdiction_ befindlichen Schenken und andere Wirthe, so Fremde beherbergen oder bei denen dergleichen einzukehren pflegen, darauf, daß sie alle Abende, wenn welche bei ihnen, denen Gerichts-Herren selbst oder auch in deren Abwesenheit und Entlegenheit, wenigstens bei denen Pachtern, Verwaltern, Richtern, Schöppen, und übrigen Gerichts-Persohnen, allemal richtig anzeigen und angeben solten, verpflichten lassen, immassen wir denn wenn ein Gast- und Hauswirth, oder ein anderer dergleichen böse Leute wissentlich aufnehmen, und verheelen solte, denselben, nach Befinden, mit Leibes- auch wohl Lebensstrafe, gleich denen Räubern selbst, belegen lassen wollen, diese hingegen, wenn einiger Verdacht, oder wiedrige Vermuthung wider die angekommenen Fremden und Unbekannten vorhanden, oder sich sonst herfür thun möchte, sich dererselben Personen, und bei sich habender Sachen alsofort versichern, sie in genaue Verwahrung bringen lassen, ihrenthalben weiter _inquiriren_, und ferner behörig verfahren sollen, und da ein Gerichts-Herr oder Beamter befunden werden solte, welcher sich diesfalls seiner Pflicht gemäß nicht bezeiget, oder durch dessen Verschulden, dergleichen Räuberischen Gesindel sich zu salviren die Zeit und Gelegenheit gegeben worden wäre, ein solcher Gerichts-Herr wie auch Beamter soll das erste mal mit einer Geldstrafe von 100 Thalern, das andere mal aber der Gerichts-Herr mit Verliehrung seiner Gerichte auf eine Zeitlang oder auch wohl gänzlich, und der Beamte seines Dienstes, nebst noch anderer willkührlicher Strafe nach Befindung der Sache, angesehen werden: Nicht weniger sind auch die sämmtlichen Inwohner, bevorab auf dem Lande, und in denen Dörfern dahin zu ermahnen und anzuweisen, auf alle und jede Fremde und Verdächtige, so sich bei ihnen und in ihren Gegenden sehen lassen, ebenmäßig genaue Acht zu haben und auch hievon bei denen Gerichts-Herren oder Gerichten ungesäumte Anzeige zu machen, widrigens und da sich äußern sollte, daß jemand diese Anzeige nicht gethan, wider selbigen soll mit ernster, auch befundenen Dingen nach mit Leibes-Strafe verfahren: Dargegen aber auch einen solchen der dergleichen Anzeigung thut, gestalten Sachen nach, deren bei denen angezeigten Räubern befundenen Mobilien, wenn ein anderer das _Dominium_ darzu nicht genüglich beweisen könnte, auf welchen Fall, gleichwohl von jedweden, der eingebracht wird, 10 Rthler aus Unserer Obersteuer-Einnahme gereichet werden sollen, das andere Drittheil denen jenigen so zu Einholung desselben die Folge geleistet, zu gute kommen, das Uebrige aber zu Bestreitung derer, bei solchem _Casu_, etwan gemachten Unkosten angewendet werden. [33] Wört- und buchstäblich nach der Urschrift. Wir befehlen und verordnen über dieses noch ferner hiermit, daß zuvörderst in denen Dörffern auch denen kleinen offenen Städtgen gewisse Wächter, und zwar deren wenigstens zweene, oder nach Gelegenheit der Größe oder Situation der Oerter, mehrere derselben so allerseits mit tüchtiger Wehre zu versehen bestellt werden, welche ordentlich, so wohl des Tages als des Nachts, und zwar des Nachts, wie auch unter währenden GOttes Dienstes stärker, als um welche Zeit die Leute meistens von ihren Häusern entfernt, mithin die Gefahr, wie auch Gelegenheit zum Stehlen um so viel größer ist, herumgehen, und wo sie was merken bei der Gemeinde Lärmen machen, selbige, wenn es in der Nacht geschiehet, aufwecken, und zur Hilfe rufen, auch bei dergleichen sich hervor thuender großen Unsicherheit im Lande, jedoch nur so lange wie sie währet, und wenn die Unterthanen dazu sonst nicht auf eine oder andere Art verbunden, und gehalten sein, ohne Folgerung, die Ritter-Sitze und Höfe, wie solches ohne dem in der Landes-Constitution _parte 2 da Constitut. 51._ enthalten sein, zugleich mit bewachen, sonst aber jegliche halbe Stunde, gleichwie, in denen Städten geschiehet, mit einem Horn an denen dazu beniemten Orten, zum Beweiß ihrer Wachsamkeit, und daß noch nichts Verdächtiges wahrgenommen worden, ein Zeichen und Laut von sich geben sollen. Uebrigens ist durchgehends im Lande die ungesäumte Verfügung und Anstalt zu machen, daß, wenn einiges Räuber- und Diebsgesindel, deren Kleidungen, dem Vernehmen nach, auf solcher Art gemachet sein sollten, daß sie selbige sogleich umwenden, und auff beeden Seiten tragen, folglich sich darmit, wenn es nöthige alsobald verstellen können, sich sollte blicken lassen, selbigem also gleich, um sie zur Haft zu bringen, und fest zu machen, benöthigten Falles mit Zuziehung bewehrter Mannschaft, deren einige wohl gar beritten zu machen, und darmit auch die benachbarten Dörfer also fort zusammen kommen und hülfliche Hand bieten können, mit dem Glocken-Schlage zu verfolgen, fleißig nachgestellet, auch, da nöthig zu schleuniger Aufbietung der Amts-Folge und anderer bedürffender Anstalten, in Unsere nächst angelegene Aemter, oder andere Gerichte, benöthigte unverzügliche Nachricht, entweder durch abzufertigen habenden Boten, zu Fuß, oder zu Pferde, wie solches die Zeit und Gelegenheit leidet, ertheilet, zugleich die dergestalt verdächtig-verspührten Personen, damit sie, wenn sie anderwärts hin sich _salviren_ sollten, also gleich erkennet werden, an ihren Kleidungen, auch sonsten beschrieben, der Orth, wo solche benachbarte Gemeinden, mit der Folge ohngefehr sich zu stellen haben, benennet, hiernächst von denjenigen Gemeinden, an welche die erste Nachricht dergestalt ertheilet worden, davon, aus eben dergleichen Art, die ihnen nächst gelegenen Dörfer, und so ferner, in so weit es nöthig erachtet wird, benachrichtiget, und, da die Gerichts-Herren, Beamte, oder Gemeinden, hierinnen sich säumig, oder sonsten ihrer unterthänigsten Schuldigkeit gemäß, nicht bezeigen sollten, wider selbige mit schon obberührter Strafe verfahren. Wie nicht weniger wenn sich einige merken ließen, von denen, daß sie zu einer Räuberbande oder Diebsrotte gehören, starker Verdacht vorhanden, auff selbige, wenn sie sich zu gefährlicher Wehre oder mit Gewalt, aller Warnung ungeachtet, widersetzen, und sie ohne Gegen-Gewalt, und andere Gestalt nicht, zur Haft zu bringen sein möchten, allenfalls Feuer gegeben, und ihnen dadurch Verwundungen beigebracht, oder sie wohl gar darnieder geschossen, oder todt geschlagen, insonderheit, damit sie sich, wie bishero geschehen, in denen Wäldern, nicht aufhalten können, diese fleißig, und zwar, so viel die Unsrigen betrifft, damit an denenselben und an der Wild-Bahn Uns kein Schaden zugezogen werde, mit Zuziehung, und unter der Anführung Unserer Jagd und Forst-Bedienten, die Wir hierzu absonderlich befehliget haben, wobei auch zugleich entweder Unsere Beamten selbst, oder doch einige Personen, so beim Amte verpflichtet, mit zugegen sein, und die Amts-Land- und Stadt-Knechte mit ihren Fesseln und Banden dahin mitgenommen werden sollen, durchsuchet und durchzogen, wenn darinnen Unbekannte, so Schießgewehre bei sich haben, angehalten. Nicht minder auch von denen Fehr- und Schiff- auch anderen Leuten, so an denen Strömen und Flüssen, sonderlich an der Mulda als woselbst sich dergleichen böses Volk am meisten blicken lassen soll, wohnen, bei Strafe des Vestungs-Baues, niemand ohne richtigen Obrigkeitlichen Paß, weder bei Tag noch Nacht über geführet: Sondern dergleichen Personen bei denen Beamten oder Gerichts-Herren also gleich anzeiget, und von diesen angehalten, das Schiß-Geveße und Kähne auch nicht so bloß auf denen Strömen und Flüssen, damit sich deren nicht selbst zur Ueberfahrt bedienen können, gelassen, sondern angeschlossen und feste gemacht werden, und wenn, wie allbereit verlauten wollen, die hin und wieder gehenden Posten unterwegs angegriffen werden sollten, ist solches alsofort von denen _Passagieres_ und Postillons in denen nächsten Gerichten und Orten wo sie am ersten darauf zu kommen unverzüglich anzugeben und von selbiger Orts-Obrigkeit, alsofort ohne dem geringsten Zeitverlust, denen Räubern jetzt vorgeschriebener maassen, fleißig nachzusehen, weilen auch hiernächst zu vermuthen, daß sothane allerseits Anstalten bei einem oder andern Gerichts-Herren und Obrigkeit, da zumal die Räuber und Diebe sich stark zusammen halten, und in Anzahl mit einander kommen, oder angetroffen werden sollten, nicht genugsam zulänglich sein dürften, oder auch wohl gar darbei, und sie anzugreiffen, oder sich ihrer zu bemächtigen, einige Gefahr und Furcht vorhanden sein möchte, als haben so denn erwähnte Gerichts-Obrigkeiten zu dem Ende, und auf benöthigten Fall, die nächsten Beamten, oder ander Gerichte -- um Assistenz hierunter schrifft- oder mündlich, nachdem es die Zeit und Beschaffenheit der Umstände zulassen, oder erfordern will, zu requiriren und zu ersuchen, als welches niemanden, an der, ihm sonst zustehenden Gerichtsbarkeit, und habende Befugniß, präjudiciren soll; diese aber ihnen hierauf mit aller Neben-Anstalt, Mannschaft und Gewehr, auch andern Bedürfnisse und Verfügung, nach äußersten Möglichkeit willigst beizustehen, und hilfreiche Hand zu leisten, kraft dieses befehlichet sein sollen, woferne auch von solchem Landräubereischen Diebs-Gesindel ihrer so viel ertappet, und eingefangen würden, daß die Gerichts-Obrigkeit ufm Lande, so solche bekäme; selbige bei sich, und in ihren Gerichten, ermangelnder Behältnisse und anderer mit einlaufenden Umstände halber, nicht sicher genug, oder allezusammen verwahren könnte, so können wir geschehen lassen, daß sie dieselben an Unsere ihnen nächstbenachbarte Aemter überliefern, und abgeben mögen, Unsern Beamten aber, selbige unweigerlich anzunehmen, und sie bei ihnen inmittelst feste zu verwahren, also fort aber an unsere Landes-Regierung, allhier zu fernerer Resolution bei Tag und Nacht ungesäumt ihren Bericht zu erstatten hiermit schuldig und gehalten sein sollen. Da denn sofort ohne Weitläufigkeit wider sie zu verfahren. Und weilen durch dergleichen Einbrüche gewaltsame Thaten und Räubereien nicht nur der öffentliche Land- und Hausfriede gebrochen wird, sondern auch solche gemeiniglich des Nachts geschehen, und die Erfahrung zugleich bezeuget, daß Unterschiedene, so dieses Unglück betroffen, sowohl ihres Vermögens beraubet, als auch um selbiges anzugeben, insgleichen kein Geschrei und Aufrufen zu machen, bis auf den Tod gepeiniget, geschlagen und verwundet worden, solchem nach aber, daß dieses böse zusammen rottirte Volk darbei zugleich _animum occidendi_ habe offenbahr, so sollen sodann diejenigen, welche bei dergleichen That und Rotte angetroffen und verfolget werden, ohne Unterschied, ob sie solche selbst verübet, oder nur auf der Wacht gestanden, ingleichen, ob sie was von dem Raube genossen oder nicht, an dem Leben, nach Beschaffenheit der vorfallenden Umstände durch den Strang oder Rad gestrafet, diese Strafe auch an der Landstraße, der Stadt oder Dorfes, wo die That geschehen, exquiret werden. Worbei es denn auf ihr eigen Bekenntniß, und daß solches _praecise extorquirt_ werden müsse, eben nicht ankommen, sondern genug sein soll, daß sie bei dergleichen Gelegenheit ertappet werden; Gestallt den auch nicht minder bei solchen Personen, wider welche ein zugänglicher Verdacht, daß sie von dergleichen Banden sein möchten, füglich zu fassen, der starke Staupen-Schlag, und noch darauf der Vestungs-Bau -- statt haben soll, wann bei ihnen die zu gewaltsamen Einbrüchen brauchende Instrumente, von Brech-Stangen und dergleichen, oder auch einige von denen geraubten Sachen, welche der Eigenthums-Herr, deme sie geraubet worden, eidlich beschweret, oder dessen er sonst durch zwei tüchtige Zeugen zu überführen, befunden werden, und der Beschuldigte nicht sofort _incontinenti_ beibringen kann, wie auf was Art er zu denenselber rechtmässiger Weise gekommen, da denn das selbst eigene Geständniß ebenermaßen nicht nöthig, und haben wir, daß unsere Schöppen-Stühle und andere Rechts _Colegia in sententionando_, sich hiernach achten sollen, an dieselben Verordnung gethan. Ferner soll das, in großer Anzahl, aus andern, in unserem Lande sich hereingezogene, und faßt durchgehends sich befindliche viele Bettel-Volk und _Vaganten_ durch jedes Ortsgerichts-Hülfe, aus einander getrieben, die so hiesige Unterthanen, und im Lande geboren sein, im Fall sie solches durch richtige Zeugnisse worunter aber diejenigen, so von denen Richtern und Gemeinden in denen Dörfern ertheilet und ausgestellt werden, nicht paßiren sollen, oder vor gültig zu halten sind, darthun und erweisen können, in die Städte, Flecken, und Dörfer, woher sie gebürtig oder, wo sie sich sonsten aufgehalten haben, zurück verwiesen, durch zulängliche Personen von einem Orte zum andern biß dahin geschaffet, und da sich findet, daß sie desfalls etwas falsches angegeben, sogleich zur Haft gebracht, und zu weiterer Verordnung zu unserer Landes-Regierung, Bericht erstattet, sonst aber daselbst zur Arbeit angehalten, oder nothdürftig verpfleget, die fremden und müssigen Bettler aber, auf jetzt erwähnter maasse, von einem Ort zum andern, unter ernster Bedrohung, daferne sie in hiesigen Landen, beim Bettlen wieder betreten werden, sie mit scharfer, auch befindenden Dingen nach, mit Leibes-Straffe, als Staupen-Schlag und dergleichen, beleget werden sollten, über die Gränze und wieder außm Lande geschaffet, auch diejenigen, welche mit Ungestüm das Almosen fordern, und wenn ihnen solches nicht also gleich, oder ihrem unverschämten Verlangen nach, nicht genug gegeben und gereichet wird, darmit nicht zufrieden sein wollen, und sich trotziger oder bedrohlicher Worte vernehmen lassen, oder gar in der That sich dergestalt wieder diejenigen, so ihnen nach ihrem Armuth oder Vermögen doch etwas geben, oder sie gar, nach Beschaffenheit abweisen, ungebührlich bezeigen, durchgehends aber, und ohne Unterschied alle Bettlere, so mit Degen oder Schieß-Gewehre versehen, also gleich in Verhaft genommen, jedoch diejenigen, so durch Krieg vertrieben, oder sonsten aus Verfolgung und anderer Mitleidens-würdiger Noth und Drangsal in unsere Lande sich zu begeben und darinnen Aufenthalt und Unterkommen zu suchen, wahrhaftig und in der That genöthigt worden, zwar noch zur Zeit, wenn sie ihres Armuths- und Beschaffenheit halber, glaubwürdige Zeugniß vorzuzeigen haben, längstens noch eine Zeit von 4 Wochen _a dato publicationis_ dieses unsers Mandats an, wenn sie sich freiwillig eher wegbegeben wollen, geduldet und gelitten, nach Verfließung derselben aber, es mit ihnen, gleichwie von andern nur obgemeldet, gehalten. Das unverschämte langweilige Betteln aber ihnen untersaget, und verwehret, und sie hingegen zur Hand- und anderer Arbeit worzu sie tüchtig und geschickt, anhalten und angewiesen, auch sollen die Unkosten, so unsere Beamten bei einer oder anderer dergleichen Veranstaltung nothwendig und unumgänglich aufwenden und verlegen möchten, ihnen auf ihre, hierüber zu unserer Landes-Regierung erstattete Berichte, aus unserer Cammer wieder erstattet und bezahlt werden. Schlüßlich leben wir auch noch zu allen und jeden Gerichts-Obrigkeiten und unseren sämmtlichen getreuen Unterthanen, des gnädigsten Vertrauens, sie werden sowohl das, von uns hierinnen, und vormals anbefohlene, genau und allenthalben bestens beobachten, und demselben durchgehends gehorsamst nachkommen, als auch was sie sonst zu Erreichung des hierunterführenden heilsamen Absehens, der sich ereignenden Beschaffenheit nach, vor nützlich, nöthig und zuträglich befunden werden, von selbsten anzuwenden, vorzukehren, und zu veranstalten auch an Hand zu geben, vornehmlich aber, wie das Räuberische Diebs-Gesindel auszukundschafften und zu ertappen, oder fortzujagen, und zu vertreiben, möglichst bemühet sein, auch hierzu sich um so viel mehr willigst anstellten, und bereit erfinden lassen, als wohl hierunter die löbliche Absicht zu ihrer selbst eigenen und des Ihrigen _Conservation_ geführet; Mithin zugleich die allgemeine Landes-Sicherheit befördert, und festgestellt wird, wornach sich jedermänniglich zu achten, auch vor Schaden, und bey Unterlassung seiner Schuldigkeit und Pflicht hierunter, für schwerer Bestrafung zu hüten, und wohl für zusehen hat; Des zur Urkund ist dieses mit unserm Königl. Chur-_Secret_ besiegelt, und geben zu Dreßden, am _16. Sept. Anno 1710_. _Egon_ Fürst zu Fürstenberg. Otto Heinrich Freyherr von Friesen. Johan Christoph Günther.“ _S._ „Haben Sie gelesen, Werthester?“ -- fragte der rückkehrende Oberprofos. „Ja wohl,“ -- entgegnete der Förster, -- „und mich höchlich erfreuet über die gemeinnützigen Verfügungen, welche unser allergnädigster Landesherr für das gemeine Beste so umsichtig getroffen hat, wobei ich nur wünsche, daß diesen Verfügungen mit Kraft und Eifer genüget werde.“ „Es ist auch die höchste Zeit dazu,“ -- fiel Herr Hilmer ein -- „denn kein Edelsitz und kein Bauernhof, selbst nicht die landesherrlichen Gebäude und die Privathäuser in unsern Städten, sind mehr vor diesem Raubgesindel sicher, das seine Streiche eben so schlau als verwegen ausführt.“ „Die Bande, welche nun in unserm Sachsenlande so verderblich hauset, und sehr zahlreich ist, nennt sich die schwarze Garde, und ihr Oberhaupt, Lips Tullian, eine tollkühne, pfiffige Bestie, schon lange als vogelfrei ausgerufen, hat bisher alle Bemühungen unserer muthigsten und klügsten Häscher zu Schanden gemacht. Aber auf dieses Mandat hin werde ich mir vom hochpreißlichen Festungs-Commando die Vergünstigung erbitten, ganz allein auf den Fang dieses Erzbösewichts ausgehen zu dürfen. Freund, er muß mein werden, er und die Gefürchtetsten seiner Bande, dafür hafte ich mit meinem Kopfe.“ „Dazu wünsche ich Glück. Dieser Fang wäre für das ganze Land, ja auch für andere Staaten, eine große Wohlthat, und für Sie, Herr Oberprofos, ein werthvolles Ereigniß, da, ohne Zweifel, auf den Kopf solch eines furchtbaren Menschen von der Regierung gewiß eine hohe Prämie gesetzt ist.“ „Was Prämie!“ -- lachte der Oberprofos mit wild rollendem Auge und grimmig verzerrtem Gesichte -- „Um Geld ist mir nicht zu thun, sondern um den Spitzbuben und seine Hauptgesellen. Herr, das Herz im Leibe zittert mir vor Freude, bei dem Gedanken, diese Bestien unter meine Obhut zu bekommen. Es soll ihnen ein Leben werden, daß sie täglich Gott bitten, auf dem Rabensteine zu enden. Getreulich will ich dafür sorgen, in meinen unterirdischen Kerkern diese Hunde schon diesseits alles abbüßen zu lassen, was sie gegen Gott und den Nächsten verschuldet haben. Nun gute Nacht, mein gastlicher Freund. Den herzlichen Dank für so treffliche Bewirthung und Gesellschaft, behalte ich mir auf morgen vor.“ Mit einer recht unangenehmen Empfindung sah Förster Krause dem Abgehenden nach. -- „Lieber, himmlischer Vater,“ -- sprach er wehmüthig mit einem frommen Blicke nach oben -- „zürne mir nicht, wenn ich in meinem beschränkten Geiste nicht zu fassen vermag, wie es dir genehm sein kann, unter deinen guten Kindern Menschen walten zu lassen, die solch einem Menschen verfallen!“ -- XXVII. Eine unerwartete Nachricht. Ha, wir sind frei, und Spott und Hohn, Ist euer Theil nun, tück’sche Schergen! . . . Dem Gewittertage und der stürmischen Nacht war ein herrlicher Morgen gefolgt, der selbst in dieser schon unfreundlichern Jahreszeit alle Annehmlichkeiten eines lieblichen Maimorgens bot. Aber alle Reize der Natur blieben von dem Oberprofosen unbeachtet und ungefühlt. Aus einem übergroßen Pfeifenkopfe qualmend, ritt er gemächlich dahin, aufmerksam dem Gespräche der dicht hinter ihm folgenden Dragoner horchend, die anfangs sich im Anpreisen der köstlichen Bewirthung, der weichen Betten und der anmuthigen Freundlichkeit der Ancillen überboten, dann auf die Erzählungen der Jägerburschen übergingen, wie diese mit Muth und Klugheit so manchen Wilddieb und auch erst im verflossenen Jahre eine höchst berüchtigte Zigeunerbande eingefangen hatten. Das war für Herrn Hilmer eine gar angenehme Unterhaltung. Die Dragoner mußten ihm zur Seite reiten und bis auf den geringfügigsten Umstand alles wiederholen, was ihnen die tapfern Waidmänner zum Besten gegeben hatten. Förster Krause hatte seine Gäste zum Frühstücke mit Schinken und Rum bewirthet. Herr Hilmer fühlte jetzt Durst und trabte frisch darauf los, um bald eine Schenke zu erreichen. Kaum hatte er sich vom Rosse geschwungen und für sich und seine Reiter eine Kanne Bier erhalten, als ein ländlich- aber wohlgekleideter Mann an die Schenke trat und sich ein Glas Doppelkümmel reichen ließ. Schweigend und mit einer Miene, die Kummer und Bangigkeit verrieth, nahm er am Tische des Oberprofosen Platz. „Mit Gunst, mein lieber Mann! Woher des Weges und warum so niedergeschlagen?“ -- fragte Hilmer, der, nur immer mit Plänen zur Einfangung des Raubgesindels beschäftigt, mit jedem, der ihm aufstieß, ein Gespräch pflog, um vielleicht dort und da etwas ihm Nützliches zu erspähen. „Ich bin der Krämer von dem nächstgelegenen Dorfe,“ -- erwiederte der Mann -- „und kehre von Dresden nach Hause, wo ich Waaren bestellt habe. Der Herr fragt mich, warum ich so niedergeschlagen bin? Ach, lieber Himmel, wer kann denn noch ein frohes Herz im Leibe haben bei diesen schweren Zeiten, wo man keinen Augenblick vor Beraubung, Mord und Brandstiftung sicher ist. Unser Dorf zählt an Männern und mannhaften Burschen 64 Köpfe, lauter gesunde, stämmige Leute, alle mit Waffen versehen, und doch muß bereits seit einem Jahre immer die Hälfte davon die ganze Nacht hindurch im Dorfe und um selbes patrouilliren, wenn wir gegen Zigeuner, Diebe und Räuber unsere Habe kräftig schützen wollen.“ „Ihr werdet bald ruhiger leben,“ -- tröstete der Oberprofos den Bekümmerten -- „Unser allergnädigster Landesherr hat ein gar mächtiges Mandat gegen das Diebs- und Raubgesindel erlassen und wir dürfen von dem bekannten Eifer der Behörden mit Zuversicht erwarten, unser beängstigtes Sachsen in kurzer Zeit der Gefahr und Furcht erledigt zu wissen.“ -- „Ach, Herr Kriegsmann,“ -- sprach der Krämer -- „ich fürchte, die Gefahr sei jetzt beinahe noch größer und das Verderben sicherer, als selbst in der bisherigen, so unsichern Zeit. In verflossener Nacht sind auf dem Festungsbaue zu Dresden acht Gefangene ausgebrochen, worunter sich der so gefürchtete Lips Tullian befindet.“ „Hölle und Teufel!“ -- schrie der Oberprofos und sprang mit grimmiger Geberde auf. Doch bald wich der Hitze rasches Aufbrausen einer ernsten Besonnenheit und das von einer wilden Aufregung dunkel entflammte Gesicht ward zur höhnisch-verächtlichen Miene, mit welcher er dem Krämer sagte: „Bewahre Er vorlauter Patron seine Zunge besser und erkühne Er sich in Zukunft nicht, dergleichen einfältige Schwänke sich gegen mich zu erlauben; denn er soll hiemit bedeutet werden, daß ich der allergnädigst bestallte Oberprofos der Festung Dresden bin, daher wohl und genau wissen müßte, wenn ein so berüchtigter Räuber, wie genannter Tullian ist, sich unter den Baugefangenen allda befinden würde.“ -- „Zürnet nicht, gestrenger Herr Oberprofos,“ -- entschuldigte sich der demüthige Krämer mit einem tiefen Bücklinge, -- „daß ich in meiner gemachten Aussage zu verharren mir erlaube. Benannter Lips Tullian hat einige Stunden nach seinem Ausbruche einen Brief an den Herrn Oberzeugmeister Schmit mittelst eigenen Boten gesandt und darin schwere Beleidigungen und Spottworte gegen den wohledeln Herrn Schmit, wie auch gegen alle gestrengen Herren Befehlshaber ausgestoßen. Am Schlusse dieses Briefes machte er sich besonders darüber lustig, daß man so eifrig dem Lips Tullian nachstrebe, während man ihn schon lange in Haft gehabt und den von ihm angegebenen Namen „Mengstein“ immer mit der einfältigsten Treuherzigkeit als seinen wahren angenommen habe. Auch berief sich Tullian auf zwei Baugefangene, die, als seine frühern Gefährten, nicht leugnen werden, daß er wirklich der so allgemein gefürchtete und verfolgte Lips Tullian sei. Es verhielt sich auch wirklich so. Die zwei Baugefangenen, welche gleich nach dem Einlaufe dieses Briefes in das Verhör und, weil sie hartnäckig leugneten, auf die Folter gebracht wurden, gestanden schon unter den Daumenschrauben, daß der Baugefangene Simon Mengstein wirklich der unter dem Namen Lips Tullian berüchtigte Anführer der schwarzen Garde sei.“ „Gestrenger Herr Oberprofos, gefälligen Sie, hier im Wirthshause, wie in der ganzen Gegend umher über mich Kunde einzuholen, und Sie werden hören, daß ich ein rechtschaffener, wahrheitsliebender Mann bin. Was ich hier erzählt habe, erfuhr ich schon heute gleich nach Tageseinbruch, denn der Fourierschütz des Herrn Oberzeugmeisters Schmit, mein Stiefbruder, rüttelte mich aus dem Schlafe auf, um mir diese, für das ganze Land so schreckhafte Neuigkeit mitzutheilen, die mich auch bewog, gleich nach meinem Dorfe aufzubrechen, und meine Nachbarn auf die neuerdings und recht verderblich uns drohende Gefahr schleunigst aufmerksam zu machen.“ Der Oberprofos rief mit donnernder Stimme nach seinem Rosse, warf ein Stück Geld für die Zeche hin, schwang sich unter gräßlichen Flüchen über die dumme, faule, unvorsichtige Bestie von Stockmeister auf, und sprengte mit verhängten Zügeln Dresden zu. XXVIII. Der Ausbruch der Baugefangenen. Was sollen länger wir hier weilen? Nur muthig drauf, ein rastlos Feilen Eröffnet uns der Freiheit Thür -- Drum frisch an’s Werk! -- was zaudert Ihr? . . . Blicken wir auf die Baugefangenen zurück, so wissen wir, daß dort Lips Tullian mit Sarberg und den übrigen eingefangenen Genossen große Hoffnung, sich zu befreien hatten und sehnsüchtig der Stunde harrten, wo sie aus ihrem Kerker ausbrechen konnten. Der Tag war, wie wir früher gefunden haben, so gewittervoll, daß die Baugefangenen schon zur Mittagsstunde in ihre Gefängnisse zurückgebracht werden mußten. Das Brausen des Windes, das Rauschen der Regengüsse machten das Geräusch des Sägens für die Schildwache auf dem Walle unhörbar. Die Strickleiter und die Brechstangen wurden aufgezogen. In weniger als zwei Stunden hatten die rüstigen Arbeiter, durch die Säge von ihren Fesseln frei, die Gitter-Oeffnung so erweitert, daß man bequem durchkriechen konnte. Sie befestigten die Haken der Strickleiter auf das Sorgfältigste, indem sie ihre Ketten um selbe schlangen, und diese an den Ringen der Mauer festmachten. Leise und vorsichtig kletterten sie die Leiter hinab, an deren Ende Mariane sie empfing. Von dem klugen, eifrigen, unternehmenden Weibe dem schauerlichen Gefängnisse, den drückenden Ketten, der mühevollen Arbeit, dem Elende entrissen, eilten sie, von der Retterin geleitet, der heiß ersehnten Freiheit, einem neu sich auffrischenden Leben voll Unthaten mit entfesselter Gierde entgegen. XXIX. Der Brand von Libert. Macht schnell, das Dorf muß rein geplündert sein Und ganz in Flammen lodern. ~Th. Körner~. Auf raschen Schwingen durchflog ganz Sachsen die Trauerkunde, daß Lips Tullian, das Oberhaupt der schwarzen Garde, es gewesen sei, der unerkannt, unter falschem Namen, auf dem Festungsbau zu Dresden gekarret und mit den Gefährlichsten seiner Bande durch den kühnsten Ausbruch sich frei gemacht habe. Vom Dresdner Oberamte aus ergingen an alle Gerichte, an die Dorfgemeinden strenge Befehle, alle verdächtigen Leute aufzugreifen, und, im Falle Tullian oder einer der in den Steckbriefen bezeichneten Räuber darunter erkannt würde, selbe gleich nach Dresden in schweren Banden und unter zahlreicher Bedeckung abzuliefern. Auf Tullians Verhaftung war ein Preis von 200 Dukaten in Gold, und von 300 sächsischen Thalern auf die Einfangung eines jeden der mit ihm Entwichenen von der Landesregierung ausgesprochen. In einem kleinen Walde, nahe bei dem Dorfe Libert, bemerkte ein Bauer, der bei Nacht von einem Geschäftsgange zurückkehrte, ein Feuer. „Das könnte wohl der Tullian mit seinem Gesindel sein,“ dachte er, und schlich, durch die Begierde nach dem ausgesprochenen Preise ermuthigt, dem Wäldchen zu. Unbemerkt kam er dem Feuer so nahe, daß er 8 Menschen zählte, wovon einige schliefen, die andern plauderten und einer großen Flasche tüchtig zusprachen. Der Bauer schlich mit aller Vorsicht durchs Hölzchen zurück, lief aus Leibeskräften nach dem Dorfe, weckte in aller Stille die Muthigsten von seinen Nachbarn, kündigte ihnen die Nähe sehr verdächtiger Leute, wahrscheinlich des Tullians mit seinen Fluchtgefährten, an, und forderte sie mit großer Beredtsamkeit zur Aufhebung des Gesindels und zum Gewinn der zugesicherten Preise auf. Mehr als 30 rüstige Männer hatten sich schnell mit Flinten, Gabeln und Knitteln bewaffnet. Es wurde Rath über den Angriff gehalten und die meisten Stimmen sprachen: die eine Hälfte solle das Hölzchen umstellen, die andere geradezu auf das Gesindel losgehen, und, ohne viel zu fragen, gleich auf selbes feuern, stechen und schlagen. Die Männer zogen so still als möglich zum Angriff aus. Das Hölzchen war umstellt, schweigend, aber rasch schlichen nun die Uebrigen dem Feuer zu. Ihr Anführer, ein ehemaliger Dragoner, hatte die gespannte Flinte im Arm. Er blieb mit dem Fuße an einer Baumwurzel hängen, schlug nieder und die Flinte ging los. Der Schuß hatte die verdächtige Gesellschaft schnell auf die Beine gebracht. Mit einem wilden Geschrei stürmten die Bauern heran. Sie wurden mit Schüssen empfangen, und zwei davon sanken schwer verwundet nieder. Der Muth der Bauern war dahin. Sie flohen, sie riefen um Hilfe. Die Feigheit ließ sie ihre sterbenden Freunde vergessen; alles floh dem Dorfe zu. Der Letzte der Fliehenden hatte das Unglück, in einen Graben zu stürzen. Er schrie erbärmlich, aber Niemand hörte ihn, Niemand kam ihm zu Hilfe, als er von den verfolgenden Räubern ergriffen und in das Hölzchen zurück geschleppt wurde. Erst am recht lichten Morgen zog das ganze Dorf, die zitternden Weiber im Nachzuge, dem Hölzchen zu, um die Verwundeten und den Vermißten aufzusuchen. Unter den noch glimmenden Kohlen der Feuerstätte fanden sie die verbrannten Ueberreste der Verwundeten, am nächsten Baume die Leiche des Vermißten, und an ihm einen Zettel befestigt, der die mit Bleistift geschriebene Drohung schwerer Rache enthielt. In der zweiten Nacht darauf, gerade als es heftig stürmte, brach in mehreren Scheunen von Libert Feuer aus. Nicht ein Haus wurde gerettet, das ganze Dorf war eine schauderhafte Brandstätte. Der Bauer, von welchem die Bande zuerst gesehen, und die Nachbarschaft aus ihrem Schlafe geweckt und zum Angriffe aufgefordert wurde, verlor über den Verlust seiner Habe und aus tiefem Schmerze, dem ganzen Dorfe solch ein Verderben verursacht zu haben, den Verstand; man fand einige Tage darauf seine Leiche im nächsten Teiche. Es war Lips Tullian mit seinen Vertrauten, der dem Angriffe eines ihm mehr als dreifach überlegenen Haufens so kräftig entgegengekämpft, die Fliehenden verfolgt, und durch Grausamkeit, durch Mord und Feueranlegung sich schauderhaft gerächt hatte. Im leinenen, armseligen Anzuge der Baugefangenen, ohne Waffen, ohne Geld war Lips Tullian mit den Seinigen aus dem Kerker der Kasematte vor kaum zwei Wochen entwichen, und schon waren sie gut gekleidet, mit Geld und mit Waffen versehen. Dem regen Eifer der muthigen, schlauen Mariane hatten sie Alles zu danken. XXX. Jockel’s Gewalthat gegen Mariane. Arme Thörin! Du weinst vor einem ausgelernten Mörder; Es ist das Aergste nicht, was ich gethan. ~Th. Körner.~ Als Mariane Leipzig verlassen hatte, um Sarberg oder einen der übrigen Unteranführer aufzufinden, Nachricht über die Bande einzuholen und für Lips Tullian Geld zu schaffen, wurde sie in einem Walde von einem Kerl angefallen, und ihr unter Androhung schneller Ermordung Geld abgefordert. Mariane erkannte in dem Straßenräuber den großen Jockel, einen der Verwegensten und Schlauesten von Lips Tullians Bande. Sie nannte ihren und Lips Tullians Namen. Der Kerl tanzte wie unsinnig um sie her, doch löste sich seine große Freude über eine Nachricht von dem lange ersehnten Häuptling bald in Schmerz und Zorn auf; mit wildfunkelnden Augen und vor Ingrimm stotternd, erzählte er ihr Sarbergs und der Uebrigen Gefangennehmung; auch daß keine Bande mehr sei, indem alle, durch den Verlust ihrer Anführer, durch die rastlosen Streifzüge des Militärs und der im ganzen Sachsenlande aufgebotenen Jäger und Bauern entmuthigt, sich theils einzeln, theils in kleinen Gesellschaften aus diesem Lande gezogen haben, und nur zuweilen über die Gränze kommen. Mariane hieß ihn schnell sich dahin verfügen, wo er doch einige der Bande zu finden glaubte, diesen Lips Tullians Rückkunft von Spaa anzukündigen, und entweder so viele von den Zerstreuten zu vereinen, oder so viele Neue zu werben, als ihm binnen acht Tagen möglich sei. Sie bestimmte eine vertraute Herberge zu ihrer Zusammenkunft, und Jockel eilte der Gränze zu, Mariane nach der Oberlausitz, und suchte die Felsenschlucht auf, in welcher Sarberg ihres Gatten Antheil an dem Raube im gräflich Beuchling’schen Palaste zu Dresden vergraben hatte. Glücklich fand sie die Schlucht und die vergrabenen Schätze, nahm an Diamanten und Goldeffecten so viel, als ihr nöthig schien, nähte alles sorgfältig in die Unterkleider ein, und nahm im nächsten Dorfe, Kränklichkeit und Entkraftung vorschützend, ein eigenes Fuhrwerk auf, um Leipzig schnell zu erreichen, und ihrem Lips Tullian die traurige Kunde von der Gefangenschaft seiner vertrautesten Freunde und von der Auflösung der Bande zu bringen. Eine Meile außerhalb Leipzig lohnte sie den Fuhrmann ab und trat in das nächste Wirthshaus, wo sie bis zum Herandunkeln des Abends bleiben wollte. Stille nahm sie gleich bei der Thüre ihren Bandkasten ab, setzte sich in eine Ecke, und forderte ein Glas Wein. Nicht fern von ihr saßen einige Männer, aus deren Gespräche Mariane sie als Handwerker aus Leipzig erkannte, die sich hier bei Braten und Wein einen frohen Abend machten. Die Leute waren recht gesprächig. Von dem großen Bereiche der Politik kamen sie in den engen Raum ihres Werkeltags-Lebens, ihrer Frauen und der Kinderstuben, glossirten über die Neuerer in ihren Innungen, hechelten die schlechten Zahler, die Theuerung der Victualien, die unchristlichen Gastwirthe, den Hochmuth der Großen, die Liederlichkeit der Kleinen durch und bearbeiteten nun die Tagesneuigkeiten. Mariane horchte hoch auf, sie glaubte niedersinken zu müssen, als sie unter den jüngsten Ereignissen die Verhaftung eines Bandkrämers, seine Ablieferung auf den Festungsbau zu Dresden, und eine so genaue Beschreibung des Abgelieferten hörte, daß sie, Zug für Zug, ihren Lips Tullian in selbem erkannte. Sie wandte sich zur Seite, sie legte den Kopf in die Hand, als ob sie schliefe, um die Blässe ihres Gesichtes der Aufmerksamkeit der Anwesenden zu entziehen und zu entsinnen, was nun zu thun sei. Das Gespräch der Leipziger ließ ihr keinen Zweifel übrig, daß ihr Lips Tullian in den Händen der Justiz sei. Sie durfte nicht wagen, nach Leipzig zurück zu kehren, da dort eine Frage nach Lips Tullian die Aufmerksamkeit würde rege gemacht und auch ihre Verhaftung zur Folge gehabt haben; doch wollte sie, um einen festen Entschluß zu fassen, ihrer Sache auch ganz gewiß sein. Die Wirthin hatte sich in das Gespräch über den verhafteten Bandkrämer gedrängt, um auch mit geläufiger Zunge ihr Scherflein zu liefern, da sie eben in Leipzig bei Lips Tullians Verhaftung gegenwärtig war. Zur Wirthin ging nun Mariane in die Küche, bestellte ein Nachtessen, ein eigenes Zimmer mit gutem Bette, überbot die Wirthin in der Redelust, lenkte das Gespräch recht fein auf den ihr wichtigen Gegenstand, und hatte bald die vollkommenste Ueberzeugung, daß für sie in Leipzig nichts mehr zu thun sei. Mariane verlor weder Kopf noch Muth; sie ließ sich Nachtessen und Wein trefflich schmecken, und verschwand mit ihrem Bandkasten mit solcher Gewandtheit aus dem Wirthshause, daß die zahlreichen Gäste, die immer ab und zu gehenden Wirthsleute sie zu Bette glaubten, als die Eilende schon eine große Strecke auf der erst vor einigen Stunden verlassenen Straße zurückgelegt hatte. In der zur Zusammenkunft bestimmten Herberge fand Mariane den so eben eingetroffenen Jockel, aber nicht Einen der Bande mit ihm. Jockel war rastlos an der Gränze hin und her gezogen, ohne zerstreute Kameraden zu treffen, auch die Werbung war ihm mißlungen, da die Furcht vor der so aufmerksamen Obrigkeit selbst die liederlichsten und leichtsinnigsten Bursche, wenigstens für diesen Augenblick, von Gaunerei, Raub und Einbrüchen zurückschreckte. Jockel wüthete, als er Lips Tullians Verhaftung hörte. Er selbst war vor mehreren Jahren auf dem Festungsbau zu Dresden gewesen, kannte die Festigkeit der Gefängnisse, die strenge Aufsicht der Steckenknechte, die Aufmerksamkeit der zahlreichen Militärwache, und würde, wie er mit einem derben Fluche betheuerte, dort sein Hundeleben an der Karre verschleppt haben, wäre es ihm nicht gelungen, bei seiner Ablieferung zu einer Confrontation nach dem Amte Frauenstein seinen Geleitsmann mit der Handschelle zu erschlagen, und zu entspringen. Mariane ließ sich alles, was Jockel über die Gefängnisse und Lebensweise der Baugefangenen anzugeben wußte, auf das Allergenaueste mittheilen. Im Schlusse der Mittheilung versicherte sie, nach langem Sinnen, mit dem Ausdrucke der Ueberzeugung und Freude, der baldigen Befreiung ihres Lips Tullians mit Zuversicht entgegen sehen zu dürfen; auf den Umstand, daß die Baugefangenen im Freien täglich eine kurze Weile ruhen und von fremden Leuten Brod kaufen dürfen, gründete sie ihre listigen Pläne. Das Allernothwendigste schien ihr nun, Voranstalten zu treffen, daß Lips Tullian und auch die andern, deren Entweichung aus der Kasematte sie zu bewirken beschloß, gleich nach ihrer Befreiung Waffen, Kleidung und Geld fänden. Dem Herbergewirth gab sie einige Ringe, und dieser, mit allen Diebshehlern in weiter Umgebung vertraut, machte sich gleich auf den Weg, die Edelsteine zu verwerthen. Er kam schon am zweiten Abend mit einer Summe von 2000 fl. in Gold zurück, ging auch am andern Tage mit Jockel fort, um Kleider und Waffen zu kaufen, wovon sie auch einen Vorrath für eine kleine Bande brachten. Es wurde nun beschlossen, daß Jockel zu einem gewissen Andreas Schmidt, der eine Meile von Dresden wohnte, ein Wasenmeister und der verlässigste Diebshehler war, voran gehe, um ihn für Lips Tullians Befreiung zu Rath und That aufzufordern; daß Mariane in der nächsten Nacht folge und der Herbergewirth die erkauften Kleider und Waffen auf seinem einspännigen Fuhrwerke so geheim als möglich in die Meisterei schaffe. Reisefertig stand Jockel um die Mitternachtsstunde vor Marianen in der Zechstube, Abschied zu nehmen. Während der Wirth nach dem Keller eilte, um zur Reisezehrung noch eine Flasche Branntwein zu holen, öffnete Jockel ein Fenster, führte Mariane an dasselbe, that, um nicht die Aufmerksamkeit der anwesenden Wirthin rege zu machen, als ob er eine Gegend bezeichne, und flüsterte ihr zu, er müsse sie noch allein sprechen, um sie vor einer großen Gefahr, die ihr in diesem Hause drohe, zu warnen; er erwarte sie unter der großen Eiche hinter dem Stalle, wohin sie aber erst in einer Stunde sich schleichen solle, damit die Wirthsleute schon zu Bette seien und nicht Argwohn schöpfen. Mariane nickte ihm ihr Ja zu und Jockel, vom Wirthe noch mit Branntwein und kalter Küche begabt, wanderte fort. Eine Stunde war verflossen, und Mariane, von Neugierde und Unruhe heftig bewegt, eilte auf Socken zur Eiche hin, an deren Stamme ihr das schimmernde Sternenlicht Jockels dunkle Gestalt zeigte. Hastig forschte sie, was er ihr zu vertrauen habe. Jockel legte den Finger an den Mund, zeigte auf die Fenster der nahen Herberge hin, bat Marianen um alles, ja kein Geräusch zu machen, und zog die unruhig Folgende hinter der Eiche fort in die nahen Gebüsche. Da umfaßte er sie rasch, drückte ihr die Spitze seines Messers auf die Brust[34] und drohete, sie niederzustechen, wenn sie sich ihm nicht ergebe. [34] Siehe die Abbildung. Mariane war keines Wortes mächtig; der Schreck, der Abscheu hatten ihr die Kehle zugeschnürt. [Illustration: Marian̄ens Überfall.] Jockel war von so furchtbar häßlichem Aussehen, daß auch die feilste Dirne vor seiner Umarmung zurückbebte; mit dieser Häßlichkeit vereinte er, wie Mariane ihn schildern gehört hatte, eine Halsstarrigkeit, einen Jähzorn, eine Blutgierde, die ihn selbst von den Verwegensten der Bande gefürchtet machte; wer seinen Lüsten, seiner Hitze, seiner Rachsucht verfiel, war ein rettungsloses Opfer. Das wußte Mariane und das verbrecherische Weib, welches, um mit einem Räuber buhlen zu können, Ehre und Gewissen von sich geworfen hatte, sank ohne Bewußtsein hin, als jetzt der scheußliche Jockel seiner thierischen Lust mit roher Gewalt und zügelloser Frechheit sich überließ. Es begann schon zu tagen, als Mariane sich wieder erholte. Sie war allein, sie raffte alle ihre Kräfte zusammen, und floh dem Hause zu, bei jedem Schritte vor der Verfolgung des Schändlichen zitternd. Hastig verriegelte sie ihre Kammerthüre, und warf sich aufs Bett. Ein Schlaf von mehreren Stunden stärkte sie wieder, aber der Schreck machte sie beinahe zusammenbrechen, als sie sich überzeugte, daß der Bösewicht ihren ohnmächtigen Zustand auch dazu benutzt habe, ihr die eingenähten Edelsteine und alles Gold, was ihr vom Kaufe der Kleider und Waffen noch übrig geblieben war, zu rauben. Sie sah, um für Lips Tullians Rettung das Möglichste thun zu können -- und dazu war Geld eine höchst nöthige Sache -- kein anderes Mittel, als den weiten Weg zur Felsenschlucht wieder zu machen, und dort Kleinodien auszugraben. Bei dem Gedanken, wie sehr Lips Tullians Freiheit dadurch verzögert werde, brach sie in lautes Weinen aus. Die Wirthin hörte ihr Schluchzen, sie eilte zum Troste, zur Hilfe herbei und forschte mit der liebevollsten Gutherzigkeit nach der Quelle so tiefer Betrübniß. Mariane vertraute ihr alles. Schweigend eilte die Wirthin fort, kehrte mit 300 Thalern in verschiedenen Goldmünzen zurück, und drang ihr diese Summe auf. Mit der Rückgabe, meinte sie, habe es wohl Zeit, auch sei ihr nicht bange dafür, doch wünsche sie sehr, die Sache solle ihrem Manne verschwiegen bleiben, da er kein Freund des Ausleihens sei. Noch an diesem Tage eilte Mariane auf die Meisterei, wo auch in der folgenden Nacht der Wirth mit seinem Einspänner sich einfand. Lips Tullian wurde durch Marianens Muth und Schlauheit befreit. Glücklich erreichte er mit seinen Gefährten die Meisterei. Man gönnte sich kaum so viele Zeit, um das schon bereitete Mahl zu verzehren und einige Flaschen zu leeren. Wohlgekleidet und wohlbewaffnet eilte die kleine Bande fort, und beurkundete durch Mord und Brand, an den unglücklichen Einwohnern von Libert ausgeübt, die traurige Wahrheit, daß fast immer der Verbrecher, durch Gnade oder Gewalt über die Schwelle seines Kerkers tretend, mit erneuerter Gierde die abgerissenen Fäden eines lasterhaften Lebens zu einem neuen, dichten Gewebe verschlingt. XXXI. Marianes Eifersucht und Schlauheit. Die braunen Dirnen, die sollten mir Im Wege stehen? -- Das merke Dir: Eh’ noch im Ost erglühn die Tages Stunden, Sind Eure Lieblinge schon längst verschwunden. . . . Mit Mariane und seinen sechs Vertrauten hatte Lips Tullian nach dem Liberter Brande in einem Walde bei Freiberg eine Schlucht, die beinahe unzugänglich war, zu seinem Aufenthalte gewählt. Hier beschloß er, einige Wochen in aller Zurückgezogenheit zu leben, um von hier aus die Nachricht von seinem Zuge nach Baiern zu verbreiten, um die Gerichte minder wachsam zu machen, und dann wieder freieres Feld für seine verbrecherischen Saaten zu haben. In dieser Felsenschlucht wurde die Einrichtung einer Nomaden-Familie getroffen. Aus Zweigen flocht man Hütten, Sarberg, Eckold und Lehmann gingen als Fleischerknechte in die nächsten Dörfer, kauften ein paar Kühe, einige Schafe und Ziegen; Hentzschel lieferte Mehl, gedörrtes Fleisch und Hülsenfrüchte; Schöneck und Schickel verschafften einen tüchtigen Vorrath an Branntwein, auch ein Fäßchen mit Wein, und Lips Tullian versah die Küche mit Rehen, Hasen und Geflügel, woran es in diesem wildreichen Forste Ueberfluß gab. Die Nomaden-Horde lebte in ihrer Art das köstlichste Wohlleben, und auch an der Befriedigung roher Sinnenlust gebrach es nicht in dieser Wildniß da Sarberg und Eckold, auf ihrem Viehkaufe unter eine Zigeunerbande gerathen, durch ihre männliche Schönheit und frohe Laune drei junge, schlanke Zigeunerdirnen so zu gewinnen wußten, daß die verliebten Dirnen nächtlicher Weile ihrer Gesellschaft entliefen und auf einem verabredeten Platze bei Sarberg und Eckold sich einfanden. Die Dirnen waren schlau genug, schon in den ersten Stunden ihres Aufenthalts in der Felsenschlucht die fremde Gesellschaft ganz zu durchschauen, und schlossen sich desto inniger an selbe an, da sie in ihrer Schlechtigkeit sich gleichsam wohlgefielen, von einem gewöhnlichen Diebsgesindel zu einem tüchtigen Räubervölkchen, in moralischer Beziehung vom Regen in die Traufe gekommen zu sein. Aber Mariane hatte für die schlanken, fröhlichen hüpfenden Dirnen nur scheele Blicke und ein Herz voll Haß und Eifersucht. Es war ihr nicht entgangen, wie sehr diese verbuhlten Sprößlinge Asiens durch ihren lieblichen Gesang und ihr künstliches Zitterspiel ihres Lips Tullians Sinne aufregten. Sie sah die täglich gegen sie sich mehrende Kälte ihres sonst so feurigen Geliebten, sie sah, daß die Jugend, die frischen, üppigen Formen dieser selbst in ihrer dunkeln Farbe reizenden Dirnen ihrem Lips Tullian von Stunde zu Stunde gefährlicher wurden. Die Dirnen mußten um jeden Preis entfernt werden. In einer Stunde, wo die Männer theils schliefen, theils auf Jagd und Vogelfang im Forste umherstrichen, bot sie jeder Zigeunerin 10 Goldstücke für das feierliche Versprechen, in diesem Augenblicke so unbemerkt als möglich diesen Ort zu verlassen, und nie wieder mit dieser Gesellschaft sich zu verbinden. Der Glanz des blanken Geldes, die so lieb gewordene Gewohnheit des Umherschweifens von Land zu Land, von Ort zu Ort, das eintönige dieses Waldlebens machten die Dirnen rasch in Marianens Antrag eingehen. Sie nahmen die Goldstücke, stahlen zum Gratiale für genossene Bewirthung und erhaltene Geschenke, was sie in aller Geschwindigkeit unbemerkt an sich nehmen konnten, und verschwanden auf flüchtigen Sohlen. Die Männer wütheten, als sie die feurigen Gegenstände ihrer rohen Begierden vermißten; Mariane eiferte am meisten über die schlechten, undankbaren Geschöpfe, deren Tänze, Gesänge und Zitterspiel ihr so manche Stunde erheitert, denen sie so viel Gutes erwiesen, und sich so an ihren erheiternden Umgang gewöhnt habe, daß sie nur mit recht bitterer Empfindung jetzt der Entflohenen gedenken könne. XXXII. Neue Unthaten der schwarzen Garde. ~Hedwig~. Gerechter Gott! Nein! nein! es ist unmöglich! Solch teuflisch Wüthen rast in keiner Seele, Die eines Menschen glücklich Antlitz trägt! ~Rudolph~. Bebst Du vor des Gedankens Riesenhülle, Und zweifelst Du, daß er zur Wahrheit würde? -- Du kennst mich schlecht, wenn Du Dir träumst, ich könnte Ein ~halber~ Teufel sein! Es näherte sich die Zeit, in welcher Lips Tullian wieder in die Welt und auf die ersehnte Bühne neuer Verbrechen treten wollte. Schon lange waren die Landstraßen von Streifzügen und lauernden Dienern der Gerechtigkeit leer, dagegen wurden sie täglich belebter von Oelhändlern, vacirenden Jägern, Thierärzten, Kesselflickern, Scheerenschleifern, hausirenden Krämern, abgedankten Soldaten, Korbflechtern und verschiedenen wackern Leuten, die einer hochlöblichen Polizei so weit als möglich aus dem Wege gingen. Sarberg, Hentzschel und Eckold waren es, die seit zwei Wochen sich an die Gränzen des Landes vertheilt, dort und da noch einen alten Kameraden aufgefunden und diesen mit der Nachricht von Lips Tullians Anwesenheit und seinen künftigen Unternehmungen wieder versendet hatten, um frühere Cameraden aufzusuchen, neue zu werben, und so schnell als möglich einzeln und verkleidet in der Waldschlucht um Tullians hochgefeierte Fahne sich zu sammeln. Mit Mariane und sechs Genossen hatte Lips Tullian die Waldschlucht betreten; an der Spitze von mehr als 200 Gefährten trat er aus des Waldes Dunkel zu neuen Schandthaten hervor. Die Bande hieß wieder die schwarze Garde und wurde wieder in gleichen Abtheilungen den Befehlen Eckolds, Sarbergs, Hentzschels, Lehmanns, Schönecks und Schickels untergeordnet. Lips Tullian umgab sich nur mit einigen; aber diese waren Leute, die ihre Verwegenheit, im Vereine mit der feinsten Schlauheit bei jeder Gelegenheit, und ihre Treue, ihr Stillschweigen, ihre Standhaftigkeit unter den gräßlichsten Martern der Folter schon oft und auf das zuverlässigste beurkundet hatten. Nicht in Sachsen, sondern auch über die angrenzenden Länder ergoß sich nun dieser Räuberstrom mit seinen verheerenden Fluthen. Das Jammergeschrei der Unglücklichen aus höhern Ständen, wie unter dem Landvolke, die nicht nur beraubt, sondern oft auf den Tod mißhandelt wurden, die Klagen der Priester über die Plünderungen ihrer Kirchen ertönten von allen Seiten. Es wurde Militär ausgesandt, die Edelleute und Beamten setzten sich an die Spitze der Jäger und Bauern; das Land wimmelte von Streifen, aber auch die allerthätigsten Bemühungen führten nur höchst unbedeutende Resultate herbei, da an der Schlauheit, der Vorsicht, dem Muthe und den raschen Bewegungen der Räuber die regsten Anstrengungen der Obrigkeiten und ihrer Beistände scheiterten. Noch waren nicht zwei Jahre seit Lips Tullians Entweichung aus der Kasematte von Dresden verflossen, als die Bande schon 43 Kirchen, 28 Edelhöfe, 62 Mühlen und Bauerhäuser, selbst 5 landesherrliche Schlösser ausgeplündert, 87 Pferde gestohlen, eine unzählige Menge von Reisenden beraubt, 4 Weiler in Asche gelegt, und mehrere Menschen mit unmenschlicher Grausamkeit gemordet hatten. Das Entsetzen, welches diese Rotte von Bösewichtern weit und breit durch das ganze schöne Sachsenland verbreitete, hatte den höchsten Grad erreicht, Niemand konnte sich mehr in seinem Hause für sicher halten, selbst nicht hinter den wohlverwahrtesten Schlössern, denn der schwarzen Bande widerstand kein Schloß, kein Riegel, kein festes Gebäude. XXXIII. Jockel’s Tod. Feigherzige Vorsicht, fahre hin! Auf nichts Als blutige Vergeltung will ich denken. ~Schiller.~ Lips Tullians Greuelthaten wurden durch eine Handlung gekrönt, vor deren Gräßlichkeit auch der Gefühlloseste zurückschaudert. Eines Tages hatte sich Lips Tullian mit Eckold, Sarberg, Schöneck, Lehmann und deren untergeordneten Räubern in einer Diebsherberge an der böhmischen Grenze eine Zusammenkunft gegeben, um über die Beraubung eines Klosters in der Nähe von Prag sich zu berathen, und gleich zur Ausführung ihrer Uebereinkunft zu schreiten. Sie saßen mit Mariane in der obern Stube und zechten, während die gemeinen Räuber in der untern, auf der Hausflur, im Garten und in der Scheune sich gütlich thaten. Es entstand ein Lärmen, ein Geschrei; das Getöse kam die Treppe herauf; es war das Gelärm einer wilden Freude. Die Thür ward aufgerissen und Hentzschel und Schickel schleppten den gebundenen Jockel herbei. Diesen beiden war es gelungen, Jockel aus der Mitte einiger Gauner, mit denen er auf seine Hand Geschäfte machte, sich heraus zu holen, und ihn vor Lips Tullian zu bringen, der wegen Marianens Beraubung einen hohen Preis auf Jockels Einfangung gesetzt hatte. Kalt und frech starrte Jockel auf Lips Tullian hin, der ihn mit zornigflammenden Blicken ansah und das Todesurtheil über den Gefangenen aussprach. Jetzt fiel Jockels Blick auf Marianen, die, bei der verhaßten Erscheinung von einer tief verletzenden Erinnerung erfaßt, bleich und zitternd vor sich hin schaute. „Also sterben muß ich,“ -- sprach Jockel eintönig und wild blickend -- „sterben durch die Hände meiner Kameraden, weil ich dieser Metze dort ein paar Ringe nahm; weil ich mich selbst für meinen Antheil an der Beuchling’schen Beute entschädigte, wo ich so schändlich verkürzt worden! -- Ich bettle nicht um mein Leben, es wäre mir ja zur Schande, unter einem Bonherrn zu stehen, der solch einer Lumperei wegen, aus Gefälligkeit gegen seine Metze, einen wackern Kameraden mit barbarischem Gleichmuthe dem Tode hingiebt. Aber mein letztes Röcheln soll noch ein Fluch über mich selbst werden, daß ich nach jener Stunde, in welcher Deine treue Buhlerin in meinen Armen sich im Genusse der Wollust bis zur Ohnmacht erschöpfte, ihr nicht das Messer in die Brust stieß, nicht das schwarze Herz durchbohrte, welches in der wildester Lust für mich schlug, und mich dann an den betrogenen Buhlen verrieth!“ -- Lautlos glitt Mariane von ihrem Sitze nieder; das Entsetzen ob der höllischen Verleumdung, die Vorstellung von ihrem sichern Tode unter der mordenden Hand des furchtbar eifersüchtigen Lips Tullians raubten ihr das Bewußtsein. Mit des Grimmes schrecklichstem Ausbruche riß Lips Tullian die Bewußtlose empor, goß ihr ein volles Glas in das bleiche Gesicht, und als sie jetzt die Augen aufschlug, fragte er die Bebende mit gezücktem Messer: „ob Jockel wahr gesprochen habe?“ Sarberg und Schöneck fielen ihm in den Arm, Mariane stürzte zu seinen Füßen, und wimmerte unter strömenden Thränen das Geständniß: „Jockel habe sie um Mitternacht durch die Lüge einer höchst nöthigen, nur ganz unbelauscht ihr zu vertrauender Warnung vor drohender Gefahr in die Gebüsche gelockt, dort plötzlich nieder geworfen, ihr das Messer auf die Brust gesetzt und schreckliche Martern und den Tod gedrohet, wenn sie sich ihn verweigere. Was mit ihr geschehen sei, könne sie nur ahnen; das Entsetzen vor dem Anblicke dieses Scheusals, das Gefühl ihrer Ohnmacht gegen den mit der Wuth seiner wildesten Lust Anstürmenden habe sie ihrer Sinne beraubt; erst mit den Strahlen der Morgensonne sei sie wieder ihres Bewußtsein mächtig geworden.“ Mit dem feierlichsten Eide bekräftigte Mariane ihre Aussage. Nun stürmten Lips Tullians Freunde auf ihn ein mit herzlichen Bitten, Marianens Worten zu glauben, sie verbürgte sich für die Wahrheit ihrer Aussage, da die ganze Bande sie als treuste Zuhälterin, Jockel dagegen als den heftigsten Wollüstling, als einen tückischen, verläumderischen Ränkeschmieder kenne. Lange schwieg Lips Tullian, gräßlich vor sich hin schauend. Jetzt wandte er sich zu Jockel. „Wer hat Wahrheit gesprochen, Du oder Mariane?“ -- donnerte er dem tückisch Lächelnden zu. Jockel schwieg. „Ich schenke Dir Leben und Freiheit, wenn Du mir mit dem Eide unseres Bundes schwörst, daß Mariane nicht willig, sondern im bewußtlosen Zustande sich Dir ergeben habe!“ -- fuhr er mit gemäßigtem Tone fort -- „Ich bin ein gutherziger Narr, der ein gar dankbares Gemüth hat,“ -- lachte Jockel frech auf. „Es war eine zu schöne Stunde, die ich genoß, und dafür soll die Unschuldige nicht länger leiden. Es ist wahr, Mariane sank hinten über, wie ein geknicktes Schilfrohr, als ich ihr ganz kurz und barsch erklärte, sie müsse auf der Stelle sterben, wenn sie nicht nach meinem Willen thue. Es wäre mir freilich lieber gewesen, wenn sie mich auch ein Bischen lieb gehabt hätte, und in meinen Armen nicht zur Salzsäule geworden wäre, aber es machte sich doch!“ „Du bist frei,“ -- sprach Lips Tullian, und schnitt mit seinem Messer Jockels Stricke durch -- „aber fort, in diesem Augenblicke fort, und treffe ich Dich noch einmal, so hängst Du am nächsten Baume!“ -- Jockel sprang die Treppe hinab, und lachend, lärmend, fluchend folgten die Räuber mit raschen Schritten dem Enteilenden. Aber Lips Tullians Vertraute umschlossen ihn mit zürnenden Blicken und machten ihm die heftigsten Vorwürfe, daß er den Schänder seiner treuen Mariane nicht mit eigener Hand niedergestochen habe. Sie überboten sich an Bemühungen, dessen Zorn und Rachsucht aufs Aeußerste zu entflammen. Sie forderten mit dem heftigsten Ungestüme Jockels Tod, da er durch Marianens Beraubung, durch diese Beraubung eines Mitgliedes der Bande, nach ihren Gesetzen das Leben verwirkt habe. Sarberg, ein tüchtiger Redner, schilderte die Größe dieses Verbrechens und Marianens Leiden, und die Schande für die Unglückliche, welche durch den Mund der vielen Zuhörer bald unter der ganzen Bande zum Tagsgespräche und ein Gegenstand allgemeiner Verhöhnung werden müsse, mit so hinreißenden Worten, daß Lips Tullian, vom Weine erhitzt, durch seiner Freunde heftige Zusprache aufs höchste gereizt, von Rachsucht entflammt, die rasche Wallung seiner Großmuth verfluchte und mit gräßlich rollenden Augen brüllte: „100 Dukaten demjenigen, der mir Jockel schafft!“ -- Im Augenblicke sah er sich mit Marianen allein. Der Tag dämmerte heran, als Sarberg in Lips Tullians Stube schlich, ihm Stillschweigen zuwinkte, und mit flüsternden Worten zur Folge einlud. Leise stiegen sie die Treppe hinab, Lips Tullian lauschte einen Augenblick an der Thüre der Zechstube, und hörte, mit aufwallendem Zorne, wie die trunkenen Gesellen auf Jockels Wohl anstießen, wie sie den wackern Kameraden hoch leben ließen, und ein Pereat über den brüllten, der an Jockels Austritt aus der Bande die Schuld trage. Schon hatte Lips Tullian mit seiner Linken die Thürklinke gefaßt, schon die Rechte nach dem Säbelgriffe ausgestreckt, um mit blanker Klinge unter die Meuterer zu stürzen, und sie seinen Muth und seine Macht fühlen zu lassen, als Sarberg ihn heftig zurückstieß, und mit Gewalt ins Freie führte. „Die Stimme Deines Schutzgeistes hat Dir die Aufforderung zu Jockels Verfolgung in den Mund gelegt,“ -- begann Sarberg mit halblauter Stimme, sich scheu umsehend, ob Niemand lausche -- „denn sonst wärest Du bis morgen Jockels Gefangener und über Dich der Stab gebrochen. Höre!“ „Als wir zu Jockels Verfolgung Dich verließen, vertheilten wir uns. Ich und Eckold eilten auf die Lichtenfelder Meisterei zu, weil wir wußten, daß Jockel dort seine sicherste Zufluchtsstätte habe. Wir kamen an, sahen durch eine Spalte des Fensterladens Licht in der Stube, und am Tische bei einer Branntweinflasche Jockel mit dem Ungar und dem langen Bastian sitzen. Ich und Eckold sahen uns bedenklich an, denn auf freiem Felde hätten wir gern mit ihnen angebunden, aber hier zu befürchten gehabt, gleich beim Eintritte in die Stube niedergeschossen zu werden, da gerade diese drei uns schon lange Verderben gedrohet haben. Eckold wollte Dich herbeiholen, als wir beim Mondlichte zwei Gestalten über die Wiese daher eilen sahen, und bald in diesen Schöneck und Lehmann erkannten. Auf ein Zeichen von uns hielten sie schweigend an und folgten uns unter die Weiden, wo wir ihnen Jockels Anwesenheit in der Stube mit dem Bastian und dem Ungar bekannt machten, zugleich aber auch unsere Befremdung äußerten, Niemand von den Hausleuten, und auch die Hunde nicht gesehen zu haben. Als ich die Kameraden nun aufforderte, ihre Meinung zu sagen, wie wir am schnellsten und unbemerktesten in die Stube dringen könnten, versicherte Lehmann, hier am besten Bescheid zu wissen, führte uns an den Weiden hin an die kleine Scheune, und quäkte wie ein Frosch. Das Thürchen der Scheune that sich auf, und eine Dirne, die gerade dem Bette entstiegen zu sein schien, trat heraus. Lehmann flüsterte mit ihr, und winkte uns in die Scheune. Die Dirne -- sie ist schon lange Lehmanns geheime Zuhälterin -- erzählte, daß der Meister mit den beiden Söhnen und den Hunden in das Bließlinger Thal gegangen sei, um dort zwei Krämern aufzulauern; daß die Meisterin in der obern Stube krank liege, und Jockel für sich und seine zwei Kameraden Anstalt getroffen habe, hier zu übernachten. Lehmann vertraute der Dirne, wie sehr ihm und seinen Gefährten alles daran liege, Jockel zu fangen. Ich gab ihr gleich zwei Thaler, um sie für unsere Absicht desto mehr zu gewinnen. „Das ist ja eine gar zu leichte Sache,“ -- flüsterte die Dirne, „Jockel strebt mir schon lange nach, und soll gleich im Garne sein. Ich gehe in die Stube, trinke ein Glas Branntwein mit ihm, stelle mich betrunken und winke ihm, mir zu folgen. Sobald wir in der Scheune sind, heiße ich ihm, sich in mein Bett legen, während ich die Thüre verriegle. Ihr lauert hinter den Balken, bis Jockel in das Bett steigt, und habt dann geringe Mühe mit ihm!“ -- „Es geschah, wie die Dirne den Anschlag machte. Jockel wurde so rasch und so kräftig überfallen, daß er keinen Laut von sich geben konnte, und schon nach einigen Augenblicken mit verstopftem Munde und gebundenen Händen in einer Ecke der Scheune lag. Auch der Ungar wurde durch den Köder einer süßen Stunde in der Dirne Armen uns überliefert, und Bastian im Schlafe seines Rausches schnell zusammengeschnürt, wie seine Vorgänger. Lehmann spannte ein Pferd an den Karren, auf welchen wir die Gebundenen warfen, und sie dort in das Rödinger Hölzchen gebracht haben. In der Ueberzeugung, es werde von Dir die Sache ganz kurz abgemacht werden, haben wir gleich aus der Meisterei Spaten und Hacken mitgenommen!“ Lips Tullian kam zur Stelle, wo seine Todfeinde, mit Stricken umwunden, keiner Bewegung mächtig, zu seinen Füßen lagen, ihn mit ihren Blicken gleichsam durchbohrend. Er ließ ihnen die Tücher vom Munde nehmen, und der erste Gebrauch, den sie von der freigegebenen Sprache machten, war eine Fluth von gräßlichen Verwünschungen, mit schäumendem Munde hervor gebrüllt, von Drohungen furchtbarer Rache, die wegen ihrer Ermordung die braven Kameraden an ihm üben würden. Den Drohungen folgten die beißendsten Hohnworte, die schimpflichsten Aeußerungen, und Jockel erschöpfte sich in Witz über Marianens Todesangst, über ihr schafartiges Blöcken und ihre lächerliche Nervenschwäche unter seinen Umarmungen. Mit eisiger Kälte und einem teuflischen Lächeln sah der mordlustige Lips Tullian auf seine willkommenen Opfer nieder. Ueber die Todesangst dieser Elenden sinnend, schritt er auf und nieder. Er blieb vor einer geräumigen Grube stehen; ein höllischer Gedanke, eine höllische Freude durchzuckte sein ganzes Wesen. „In dieser kühlen Grube bettet man sich bequem. Sie sei das Ruhelager meiner trauten Freunde, und eine weiche Decke von Erde und Moos schütze die Lieben gegen rauhe Lüfte und gegen die brennende Sonne!“ -- rief er mit einem gräßlichen Hohngelächter. Auf seinen Wink wurden die Verzweifelnden in die Grube geschleppt; schnell war sie bis an den Rand mit Erde und Steinen gefüllt. Schweigend, von dem lange vermißten Gefühle des Mitleidens durchschauert, wandten sich die Räuber von der grauenvollen Grabesstätte ab; mit einem gräßlichen Lächeln des Hohns und der gesättigten Rache blickte Lips Tullian auf die Hülle der Lebendigbegrabenen hin. XXXIV. Der Kampf der Räuber unter einander. Feigherz’ge Vorsicht, fahre hin! Auf nichts Als blutige Vergeltung will ich denken. ~Schiller.~ In der schwarzen Garde glimmte schon lange unter dichter Asche der Funke des Mißmuthes, der Abneigung gegen den Häuptling. Lips Tullian hatte, nebst den Unteranführern, seine Auserwählten, denen er sein Vertrauen, seine Freundschaft, seine Achtung auffallend bethätigte, die er auch bei Unternehmungen, wo reicher Lohn zu ernten war, und bei mancher Vertheilung der Beute auf Kosten der allgemeinen Rechte mit leidenschaftlicher Vorliebe berücksichtigte, während er die übrigen Mitglieder der Bande als niedrigen Janhagel, als Sclaven seiner Willkühr betrachtete, und in seiner rasch aufwallenden Hitze mit despotischer Härte mißhandelte. Jokel war ein Liebling der meisten von der Bande; bei Lips Tullian viel geltend wegen seiner Schlauheit und seines Muthes, wo die größte Gefahr war, aber stets von ihm mit herrischer Macht in engere Schranken zurückgedrängt, als der Geringste der Uebrigen, da Jokel schon manchen kühnen Versuch gemacht hatte, seine Fesseln zu brechen, seinen Oberherrn von dem Höhenpunkt seiner Stellung herabzustürzen und sich dahin aufzuschwingen. Daß Lips Tullian ihn einst eine volle Woche, mit Stricken gebunden, in dem Keller einer Diebesherberge bei Wasser und Brod schmachten ließ, und zwar eines geringen Versehens wegen, daß Lips Tullian ihn oft blutig geschlagen hatte, darüber konnte Jokel sich nie beruhigen. Er lechzte nach Rache, aber je heißer die Flamme der Rachsucht in seinem verwilderten Herzen aufschlug, desto geschmeidiger wurde der tückische Heuchler. An Lips Tullians Wachsamkeit zertrümmerte so mancher seiner Pläne, den Jokel zu seines Feindes Vernichtung ersonnen hatte. Da führte ihn der Zufall Marianen zu. Wollust und Raubsucht, aber noch viel mächtiger seine unbezähmbare Begierde, sich an dem verhaßten Häuptling zu rächen, erzeugten die thierische Gewalthat und den Raub von ihm an Marianen geübt. Außer denen von Lips Tullians erwählter Umgebung würde keiner an den vom Hauptmann für vogelfrei erklärten Jokel Hand angelegt haben. Als Hentzschel und Schickel den gefangenen Jokel am Stricke herbei schleppten, erhob sich unter den gemeinen Räubern ein Freudengeschrei; es war aber nicht der Ausbruch der Freude, nun den Feind in seines Feindes Händen zu wissen, sondern der frohen Hoffnung, der Hauptmann werde Gnade für Recht ergehen lassen, und den Brauchbaren wieder in ihrer Mitte aufnehmen. Sie erstarrten vor Entsetzen, als Lips Tullian das Todesurtheil aussprach, sie jubelten laut bei dem Rufe der Gnade. Von Einem Geiste beseelt, von gleichem Verlangen beherrscht, Jokel an ihrer Spitze zu sehen, hatten sie in größter Schnelle geheime Abrede genommen, und den Ungar und Bastian abgesandt, um ihrem Lieblinge zu erklären, daß sie von nun an nur unter ihm dienen wollen, daher noch mehrere Gleichgesinnte unter den andern abwesenden Abtheilungen sammeln, und bei erster Gelegenheit Lips Tullian verlassen werden. Sie glaubten noch immer Bastian und den Ungar auf Werbung für Jokel, als dieser und ihre Abgesandten schon in ihrem schauderhaften Grabe den Tod der furchtbarsten Qualen, der gräßlichsten Verzweiflung gestorben waren. Nur Einer unter Jokels eifrigsten Anhängern, der Welsche genannt, theilte nicht lange den Wahn der Uebrigen. Er hatte ein Gespräch zwischen Sarberg und Lehmann belauscht; worin Jokels erwähnt wurde, nur mit wenigen Worten, die ihm aber zur Genüge sagten, Jokel, Bastian und der Ungar seien nicht mehr unter den Lebenden. Er vertraute sich Niemandem; er allein wollte den Schleier dieses Geheimnisses lüften; die Sinnlichkeit sollte ihm ihre hülfreiche Hand bieten. Der Welsche hatte eine Zuhälterin, die Sarberg im Stillen leidenschaftlich liebte. Dem scharfen Auge des Welschen entging Sarbergs heftige Neigung nicht. Er kannte seiner Dirne Schlauheit und Buhlerkünste; ihr allein vertraute er die erlauschten Worte, und auf sein Verlangen übernahm sie Sarbergs Ausforschung unter der Maske der Erhörung und der Gegenliebe. Sarberg hing an Lips Tullian mit beispielloser Treue; seinen Schwur, Jokels und seiner beiden Gefährten Ermordung als das tiefste Geheimniß zu bewahren, würde er nicht unter den allergrausamsten Händen der Folterknechte gebrochen haben; aber Liebe und Sinnlichkeit zerrissen die ehernen Bande seiner Treue, seines Schweigens. In einem unglücklichen Momente, wo die geübte Buhlerin seine Sinnlichkeit zur verzehrenden Flamme angefacht, wo er im Sinnenrausche alle innere Kraft, alle Besonnenheit verloren hatte, da entlockte ihm die schlaue Dirne sein Geheimniß. [Illustration: _L. Oeser in Neusalza._ Der Kampf der Räuber unter einander.] Auf einem abgelegenen Platze sammelte der Welsche seine Vertrauten, und theilte ihnen das grausame Ende ihres Lieblings und ihrer wackern Kameraden mit. Sie erstarrten. Die Erstarrung wurde zum heftigsten Ergrimmen, zur unbezähmbaren Wuth gegen Lips Tullian und seine Lieblinge. Der Welsche wollte ihnen rathen, die Gelegenheit, wann Lips Tullian allein sei, abzulauern und ihn dann niederzustechen. Die Wüthenden hörten ihn nicht. Sie stürmten in das Haus, wo Lips Tullian mit Marianen und seinen Erwählten unter lärmender Fröhlichkeit zechten. Ein fürchterlicher Kampf begann.[35] [35] Siehe die Abbildung. Mehr als viermal überlegen waren Lips Tullians Feinde, aber sein und der Seinigen Muth hielt der Uebermacht die Wage. Säbel, Knittel und Messer vermochten nicht, die Angreifenden zum Siege zu führen; das Feuergewehr that es. Der Welsche schoß mit seiner Doppelpistole Sarberg und Eckold nieder, ein anderer Schuß machte Lehmann sinken. Mit erneuerter Wuth drang nun der Haufe auf die kleine Schaar los; Lips Tullian sollte nicht getödtet, sondern unverletzt gefangen werden, um Jockels furchtbares Loos zu theilen. Jetzt sanken Schöneck und Schickel, jetzt stürzte Mariane, von einem furchtbaren Hiebe getroffen, mit gespaltenem Kopfe zur Erde. -- „Ergib Dich!“ -- brüllte ein Räuber und stürzte mit vorgehaltenem Stuhle auf Lips Tullian los. Er faßte den Stuhl mit riesiger Kraft, stieß den Räuber zu Boden, schlug furchtbar um sich, erreichte ein offenes Fenster und sprang durch dasselbe auf den Hof. Er floh querfeld dem Walde zu. Die Räuber folgten ihm im schnellsten Laufe. Er hatte einen Vorsprung von kaum hundert Schritten; er erreichte den Wald und war gerettet. Ohne Hut, mit nichts an Kleidern und Wäsche versehen, als was er am Leibe trug, und einige Thaler in der Tasche und blos mit seinem Säbel bewaffnet, dabei aus mehreren Wunden blutend, die ihm in der Hitze des Kampfes geschlagen worden, ungeachtet die Räuber seinen ganz unverletzten Körper ihrer allergrausamsten Rache opfern wollten, eilte Lips Tullian im Walde fort, vermied Fahrwege und Fußpfade und hielt nur auf Augenblicke in Dickichten an, um Athem zu schöpfen und zu lauschen, ob ihm noch Verfolgung drohe. So war er einige Stunden mit großer Anstrengung dahin geeilt, als ihn seine Kräfte verließen und er an einer zufällig gefundenen Quelle niedersank, die ihm zur Reinigung seiner Wunden, zur Stillung des brennenden Durstes sehr wohlthätig wurde. Die Ermattung machte ihn bald einschlafen. XXXV. Die Ermordung eines Handwerksburschen. Laßt uns nicht stille stehen, denn geschäftig sind Die Feinde rings, den Weg uns zu verschließen. ~Schiller.~ Sein Erwachen war nicht das angenehmste. Mariane, Sarberg, Eckold, Schöneck und Schickel hatte er unter den Schüssen und Hieben seiner Feinde niedersinken gesehen. Mit Recht mußte er befürchten, daß auch Lehmann, Hentzschel und seine übrigen Vertrauten die blutigen Opfer ihrer wüthenden Feinde geworden. Auf eine Verbindung mit der Bande durfte er nicht mehr hoffen, nur zu gut kennend den Haß des Welschen und den Einfluß, welchen dieser tückische, gewandte Wohlredner auf die Bande hatte; ja Lips Tullian war überzeugt, selbst von seinen frühern Kameraden, denen er einst das Höchste ihrer Liebe, ihrer Treue, ihres Vertrauens gewesen, dem nächsten Gerichte verrathen oder überliefert zu werden, sobald er wieder zu ihnen zurückkehre. Nach langer, ernster Selbstberathung bestimmte er sich dahin, seine noch übrigen, in der Felsenschlucht vergrabenen Kostbarkeiten zu sich zu nehmen, nach Wien zu gehen, und dort theils von den Mitteln, die ihm der Verkauf dieser Kleinodien gewähre, theils vom falschen Spiele so lange zu leben, bis sich ihm eine Gelegenheit biete, eine kleine, tüchtige Rotte zu sammeln und an ihrer Spitze den Pfad seiner bisherigen Industrie wieder zu betreten. Für den Augenblick war ihm eine Kopfbedeckung und ein anderer Anzug das Nöthigste. Das Glück begünstigte den Bösewicht. Lips Tullian hatte sich kaum von der Quelle entfernt, als er auf einen Fußpfad kam und von ferne einen Handwerksburschen mit hoch aufgepacktem Reisebündel daher kommen sah. Der Handwerksbursche verrieth durch seine große, kräftige Gestalt eine Körperstärke, mit welcher Lips Tullian, vom Blutverluste und dem langen, eiligen Marsche geschwächt, die seinige nicht messen zu können befürchtete. Durch List mußte das Ziel erreicht werden. Er sah sich bisher von dem Reisenden noch nicht bemerkt. Schnell kauerte er sich unter einem Baume nieder, und begann zu stöhnen und zu wimmern. Der Handwerksbursche wurde aufmerksam und schritt rascher heran. Als er einen Verwundeten sah, der wie ohnmächtig vor Schwäche und Schmerzen ächzte, fragte der Gutherzige mit recht menschenfreundlicher Theilnahme, ob er einige Hülfe leisten könne. Lips Tullian bat mit leiser Stimme und den Geberden des Schmerzens und der Entkräftung, ihn nur einige Schritte tiefer in den Wald zu führen, wo er eine Quelle wisse. Der Handwerksbursche warf seinen dicken, schweren Stachelstock nieder, und reichte Lips Tullian beide Hände, um ihm empor zu helfen. Lips Tullian that, als könne er ohne Hülfe nicht einen Schritt fortwanken. Er ließ sich den Stock geben, stützte sich auf den Handwerksburschen und wankte so mit schleppenden Füßen einige Schritte fort. Jetzt stand er, zog seine Uhr und ließ sie, als hätten seine zitternden Hände nicht mehr die Kraft, sie einzustecken, zur Erde gleiten. Dienstfertig bückte sich der Handwerksbursche. Im Augenblicke hatte Lips Tullian den wuchtvollen Stachelstock geschwungen, und dem Arglosen solch’ einen mörderischen Schlag auf das Hinterhaupt gegeben, daß er entseelt aufs Angesicht hinstürzte. Schnell riß Lips Tullian den Mantelsack an sich, fand darin einen fast neuen, vollständigen Anzug, feine Wäsche und manches gute Kleidungsstück. In wenigen Augenblicken war er umgekleidet, und der ganze Anzug paßte ihm vollkommen. Nun durchsuchte er die Tasche des Todten, fand eine silberne Uhr, einen Beutel mit Geld und eine Kundschaft. Er zog den Ermordeten nackt aus, packte dessen Kleider in den Mantelsack, seine eigenen aber warf er ins nächste Dickicht, hing ihn auf den Rücken und zerschnitt und verstümmelte das Gesicht des Todten auf das Gräßlichste, daß man den Unglücklichen nicht wieder erkenne, vielleicht gar für ihn, Lips Tullian, zu halten veranlaßt werde, da er sich gleich vorgenommen hatte, das Gerücht von seiner Ermordung überall zu verbreiten, um auf seinen Wegen vor der Aufmerksamkeit der Behörden und ihrer Diener mehr gesichert zu sein. Ungeachtet der Einbruch der Nacht nicht fern war, so eilte er doch nicht auf dem Fußwege fort, der ihn bald würde zu einem Dorfe geführt haben, sondern schlug eine andere Richtung ein, um Orte zu vermeiden, durch welche der Handwerksbursche gegangen sein mochte. -- XXXVI. Die Wiedererkennung. Wie viele Kämpfe mußten wir bestehn, Von wie viel Noth und Herzensangst ermatten, Wie viele Leichname hinopfern und bestatten, Eh’ wir uns hier in dieser Hütte sehn! ~Schiller.~ Schon oft hatte Lips Tullian in diesem Walde theils einzeln, theils mit einigen der Bande Nächte zugebracht, aber immer nur im Durchzuge, und wußte von der Lage und dem Umfange dieses Waldes nur so viel, daß er in gerader Richtung nach Osten beinahe zwei Tagereisen weit sich ausdehne. In dieser Richtung ging er nun fort, mit ziemlicher Eile, da das volle Mondlicht für seinen Marsch sehr günstig war. Mit Anbruch des Tages stieß er auf eine Umzäunung, und eine armselige, dunkle Strohhütte, daneben ein Meiler, sagten ihm, daß hier ein Köhler hause. Die Nähe eines Köhlers war ihm nicht unangenehm, da Leute dieses Standes entweder größtentheils die Vertrauten der Gaunerbanden sind, oder den Erzählungen und Angaben fremder Leute solch’ einen vollen Glauben schenken, daß man von Menschen, welche alles für blanke Wahrheit nehmen, allgemein sagt: sie haben einen Köhlerglauben. Ueberdieß glaubte er in der armseligen Hütte eine Engelswohnung zu erblicken, da er vor Hunger, Durst und Ermattung sich kaum mehr fortschleppen konnte. Unentschlossen, ob er den Schlaf der Hüttenbewohner stören, oder deren Erwachen hier abwarten solle, lehnte er sich an die Umzäunung und musterte aus Neugierde und zum Zeitvertreib die Kundschaft des armen Handwerksburschen. Hatte er in seiner Raub- und Mordbegierde übersehen, daß der Handwerksbursche wirklich viele Aehnlichkeit mit ihm habe, so fand er diese in der hier aufgeführten Personalbeschreibung. Die Größe der Gestalt, die Farbe der Haare, der Augen, die Gesichtsbildung waren so bezeichnet, als hätte er selbst dem Kundschaftsschreiber zum Muster gesessen; auch das Lebensalter traf auf ein Paar Jahre zusammen, und Christoph Feller mußte gerade ein Schlossergeselle sein, auf daß Lips Tullian mit dem Wenigen, was er von diesem Handwerke wußte, doch in großer Sicherheit seine Wanderung antreten konnte. Er hätte die Kundschaft nicht um eine hohe Summe hingegeben. In der Köhlerhütte wurde es rührig. Die Thüre that sich auf, und eine hohe, schlanke Mädchengestalt im allerfreiesten Anzuge, eilte mit leichtem, zierlichem Gange, ein Wassergefäß tragend, dem Brunnen zu. Lips Tullian machte sich durch ein kleines Geräusch bemerkbar. Das Mädchen hielt an, betrachtete ihn aufmerksam, ließ den Eimer fallen, sprang, wie ein flüchtiges Reh, über die Verzäunung, und lief mit offenen Armen auf Lips Tullian zu. Sie drückte ihn mit dem Lächeln einer sehr großen Freude an ihren üppigen Busen, sie gab ihm heiße Küsse und nannte den Ueberraschten unter den zärtlichsten Liebkosungen ihren lieben, lieben Tullian. Der Dirne entging dieses Erschrecken nicht; sie beruhigte ihn aber schnell, als sie sich ihm nannte. Nun erinnerte sich Lips Tullian an Fräulein Margarethe, so wurde sie bei der Bande genannt, weil sie die außereheliche Tochter eines Adeligen war. Kaum vierzehn Jahre alt, von der liederlichen Mutter zu allen Lastern gebildet, war Margarethe schon die Zuhälterin eines Mitgliedes der schwarzen Garde. Lips Tullian, der schöne, kräftige Mann mit der stolzen, ehrfurchtgebietenden Haltung, das Haupt einer mächtigen Bande, war für Margarethe das Ideal der Erhabenheit, ein Wesen ihrer tiefsten Verehrung, ihrer innigsten Bewunderung, immer mehr ihrer heißesten Liebe. Wo sie sich ihm nahen konnte, trat sie ihm entgegen, um den Mann ihres Herzens zu sehen, um von ihm einen freundlichen Blick, ein Lächeln, ein gütiges Wort zu erhaschen. Lips Tullian, nur reife, rüstige Gestalten für seine Sinnenlust liebend, übersah das Kind. Aber Mariane, den Geliebten immer mit Argusaugen bewachend, durchschaute die Wünsche und die Bemühungen der jungen Dirne. Von Eifersucht gefoltert, machte sie durch ein vertrautes Weib aus der Bande Margarethens Buhlen auf die Neigung seiner Dirne zum Hauptmann aufmerksam; sie wußte Eckold in ihr Vertrauen zu ziehen und ihn dahin zu verleiten, daß Margarethe als eine geheime Kundschafterin des Gerichts angeklagt und ihre heimliche Ermordung beschlossen wurde. Im Branntweinrausche bestätigte Lips Tullian das Todesurtheil, und Margarethe wäre das Opfer der grausamsten Eifersucht geworden, hätte sie nicht das Glück gehabt, das morsche Gitterfenster des Kellers, worin sie verwahret wurde, zu durchbrechen und unbemerkt zu entfliehen. Der Köhler, bei welchem sie jetzt lebte, fand sie, vor Hunger, Durst und Ermattung beinahe am Rande des Grabes, kaum mehr zu flüstern fähig, in der Nähe seiner Hütte unter einem Baume. Er trug sie unter sein Dach, gab ihr Nahrung und Pflege, und nahm die Verlassene als Tochter und Wirthschafterin an, da sein Weib und seine Kinder schon lange hinübergegangen waren. Aus einer liederlichen, arbeitsscheuen, buhlsüchtigen Dirne wurde Margarethe unter der väterlichen Leitung des gutherzigen, frommen Köhlers ein arbeitsames, sittiges Mädchen, das einfache Stillleben, die Ruhe, die Einsamkeit des Waldes immer mehr liebend und den kleinen häuslichen Geschäften, der Pflege ihrer wenigen Blumen und dem schuldlosen, süßen Umgange mit der Natur sich aus voller Seele widmend. So waren beinahe vier Jahre verflossen, aber die Erinnerung und die sehnsüchtigen Wünsche, Lips Tullian, den Gegenstand ihrer heißesten Liebe, wiederzusehen, noch immer nicht ganz ihrem Herzen entschwunden. -- Da stand der Mann vor ihr, dessen Bild sie in der Tiefe ihrer fühlenden Seele so lebendig und so treu bewahrt hatte. Das Mädchen war so reizend, daß der sinnliche Lips Tullian kein Verlangen nach Labung, keine Schwäche fühlte. Er tauchte die begehrenden Augen in die reiche Fülle des fast unverhüllten Busens, der üppigen Formen, des blühenden Gesichtes voll Liebreiz; seine Küsse, seine Umarmungen wurden immer feuriger, und Margarethe, trunken von der Wonne des Wiedersehens, wäre schon in diesem Augenblick das willige Opfer des Aufgeregten geworden, hätte nicht die rufende Stimme ihres Nährvaters sie ihrem Sinnentaumel entrissen. Hastig flüsterte ihr Lips Tullian die Weisung zu, ihn als einen Blutsverwandten, der von ihrem Aufenthalte in dieser Köhlerhütte gehört habe, und vor seiner Wanderung ins Ausland zum Abschiedsbesuche gekommen sei, dem Alten bekannt zu machen. Der schlichte, treuherzige Waldmann glaubte alles, was Margarethe über ihren Vetter mit geläufiger Zunge ihm erzählte, reichte Lips Tullian wie einem alten Bekannten, mit einem herzlichen Gruße die kohlenfarbige Hand und forderte gleich mit dem gutmüthigsten Ungestüme, daß der willkommene Vetter seiner guten Pflegetochter einige Tage bei ihm weile und mit dem sich begnüge, was Armuth und guter Wille bieten könne. [Illustration: _L. Oeser in Neusalza._ Die Wiedererkennung.] Lips Tullian wäre gern Jahre lang in dieser ärmlichen Hütte geblieben, die ihm Margarethens Nähe und die Hoffnung auf so manche süße Stunde schon jetzt zu einem Eden machten. Es war am Morgen des dritten Tages, als der Köhler, der schon mit der Morgenröthe in den Wald gegangen war, verdrüßlich zurückkam, und Margarethen gebot, ihm seinen Sack, in welchem er jederzeit bei längerer Entfernung vom Hause Lebensmittel mit sich trug, mit Brod, geräucherter Wurst und Branntwein zu versehen. Zugleich erzählte er, auf dem Arbeitsplatze von den herrschaftlichen Jägern aufgesucht, und zum Streifzuge gegen die Tullian’sche Bande befehligt worden zu sein, mit dem Beisatze, daß längstens in einer Stunde die noch aufgebotenen Köhler, wie auch die Jäger und Gerichtsdiener sich hier zur Versammlung einfinden werden. Erbleichend und zitternd blickte Margarethe auf Lips Tullian hin, der aber Besonnenheit genug hatte, die thätige Wachsamkeit der hochpreislichen Obrigkeit höchst lobenswürdig zu finden, zugleich aber erklärte, seines Bleibens dürfe hier nicht länger sein, weil er sonst befürchten müsse, bei dem Meister, der ihn zur Arbeit verschrieben habe, zu spät einzutreffen. Während des Packens seiner Habseligkeiten, wobei sich Margarethe sehr geschäftig zur Hülfe anließ, flüsterte sie ihm zu, um die Hütte zu gehen, und am Holzstalle ihrer zu harren. Lips Tullian nahm Abschied und hatte alle Mühe, dem Alten, der sich ihm zur Begleitung bis zur Martersäule, von wo aus der Weg nach der Landstraße nicht mehr verloren werden könne, aufdringen wollte, von diesem Vorhaben abzubringen. Er ging an den bezeichneten Platz. Nach einigen Augenblicken kam Margarethe, legte eine Leiter an und bedeutete Lips Tullian durch Winke, das Bodenloch des Holzstalles zu erklettern, und sich dort bis zu ihrer Wiederkunft sehr ruhig zu verhalten. Als er oben war, verbarg sie schnell die Leiter und schlüpfte in die Hütte. Lips Tullian hörte aus seinem Verstecke das Herankommen vieler Menschen, hörte oft seinen Namen mit den heftigsten Verwünschungen nennen und wurde sehr unruhig, als die Leute sich unter einander erzählten: es sei im Umkreise einiger Stunden solch ein Zusammenfluß von Militär, Jägern, Gerichtsdienern und Bauern, daß die ganze Gegend von Streifzügen wimmle. Es wurde ihm wieder besser zu Muhte, als eine kräftige Stimme den Aufbruch gebot und bald hatte sich das Geräusch der Dahinziehenden in der Ferne verloren. Margarethe gab ihm ein Zeichen, herabzukommen. Er wartete nicht das Anlegen der Leiter ab, sondern schwang sich behend von dem Balken herab. „Du mußt fliehen, auf der Stelle fliehen,“ -- sagte Margarethe, zog ihn in die Hütte, riß einen Schrank auf und packte Kleider und Wäsche in einen Bündel -- „aber ich fliehe mit Dir. Willst Du, daß ich bleibe, so tödte mich, denn ohne Dich wäre mein Leben ein ununterbrochener Tag der Trauer, des Schmerzes, der höchsten Sehnsucht nach Dir. Ich bettle, ich stehle, ich morde für Dich, meine Seligkeit opfere ich Dir auf, aber ich muß in Deiner Nähe sein. Ich führe Dich einen Weg, wo kein Späher Dich ersehen, kein Häscher Dich fangen wird. Ich kenne den Weg in jene Gegend, wo Du, wie Du mir gestern vertrautest, verborgene Schätze besitzest, sehr genau, da ich gerade in jener Gegend schon zweimal mit meinem Nährvater war, der dort eine kleine Erbschaft erhob. Fast immer durch Wälder leite ich Dich. Da, wo man Dörfer und Weiler nicht umgehen kann, darfst Du mit deiner Kundschaft ohne Besorgnisse wandern; ich nehme, um kein Aufsehen zu erregen, andere Wege, und wir einigen uns wieder an bestimmten Orten. So, das Wenige, was ich besitze, ist nun in diesem Bündel, jetzt laß uns die Reise antreten!“ -- Schweigend hatte Lips Tullian Margarethens ihm wohlgefällige Rede gehört, es wäre ihm gar zu schwer geworden, sich von der reizenden Dirne zu trennen, und ihre Schlauheit, ihren Muth und Gewandheit recht gut erkennend, glaubte er überzeugt sein zu dürfen, daß ihre Gesellschaft für ihn einst sehr vortheilhaft werden könne. Er wanderte fort, und fröhlich und tändelnd hüpfte die leichtfertige Dirne, aus dieser stillen, frommen Hütte, und gedachte nicht mehr der Wohlthaten ihres Nährvaters, der guten Vorsätze, denen unter seinen Lehren sich ihr Herz geweihet hatte, und schied ohne Thränen von dem Orte, wo ein großmüthiger, gottesfürchtiger Greis drei Jahre hindurch ein Vaterherz für die Verlaßne gehabt hatte. Die Felsenschlucht in der Oberlausitz wurde erreicht, der vergrabene Schatz gehoben, und Lips Tullian beschloß, nach Böhmen zu gehen, Prag zu meiden und dann durch einen Theil von Mähren die Richtung nach Wien zu nehmen. XXXVII. Lips Tullian und Margarethe in Prag. Er seine alten Plane aufgegeben? Ich sag’ euch, daß er wachend, schlafend mit Nichts anderm umgeht. ~Schiller.~ Was noch von den Kleinodien aus dem Raube in dem gräflich Beuchling’schen Palaste zu Dresden Lips Tullian in der Felsenschlucht gefunden hatte, war von großem Werthe, aber Lips Tullian würde es gern tief unter dem Preis dahingegeben haben, hätte er gleich baares Geld dafür bekommen. Mit einem Reichthume in seinen Taschen, der die Wohlhabenheit einer ganzen Familie hätte begründen können, war Lips Tullian jetzt in der Lage, kaum für sich und Margarethe den nöthigsten Lebensunterhalt beschaffen zu können. Das wenige Gelt, welches er bei seiner Flucht gehabt hatte, die unbedeutende Baarschaft des erschlagenen Handwerksburschen, und der Erlös aus dem Verkauf der beiden Uhren war in der kürzesten Zeit dahin, denn Lips Tullian aß und trank gern das Beste, und nichts war ihm zu theuer, wonach ihm gelüstete. Auch mußte er drei Tage in einem Dorfwirthshause bleiben, da Margarethe im muthwilligen Springen über einen breiten Graben den Fuß verstaucht hatte. Als ein Reisender ohne Kutsche, ohne Gefolge irgend Jemand eine Schnur orientalischer Perlen, einen Ring mit großen Brillanten vom ersten Wasser, ein juwelenreiches Armband zum Kaufe anzubieten, wäre höchst unklug gewesen, da wohl eine strenge Frage würde gedrohet haben, wie ein wandernder Schlossergeselle zum Besitze dieser höchst werthvollen Kleinodien gekommen sei. So gern Lips Tullian Prag vermieden hätte, so mußte er doch dahin gehen, wohl wissend, daß es dort Leute genug, besonders unter den Juden, gebe, denen er ohne Furcht vor lästigen Fragen seine Sachen anbieten könne. Zur Bestreitung der Reisekosten wurden nun Kleidungsstücke von Wirthshaus zu Wirthshaus verkauft; Margarethens Reisebündel und sein Felleisen lieferte die Mittel zu manchem leckern Gerichte und mancher guten Flasche Wein. Selbst das Felleisen mußte noch für die Schwelgerei in der letzten Nachtherberge vor Prag hingegeben werden. Nicht von dem mindesten Gepäcke belästigt, gleichsam wie von einem Spaziergange heimkehrend, schlichen Lips Tullian und Margarethe durch die dunkle Thorwölbung der uralten slavischen Stadt. Das kleine, verwitterte, dunkle Wirthshaus zum blauen Fuchs, in einer wenig belebten Gasse der Altstadt gelegen, nahm die Reisenden auf. Unter den vielen Winkelschenken in Prag, wo das Gesindel Zuflucht findet, kannte Lips Tullian aus seinem frühern Aufenthalte den blauen Fuchs als eine vollkommene Raubhöhle, wo in der Zechstube jeden Abend einige recht wackere Bürger sich bei der Flasche, beim mäßigen Kartenspiele und mit traulichem Geplauder vergnügen, während im Hintergebäude ein Paar kellerartige Gewölbe von liederlichen Hausvätern und feilen Dirnen, von verdächtigen Reisenden und lichtscheuem Gesindel belebt sind. Mit Freude erblickte Lips Tullian in dem freundlich begrüßenden Wirthe den nämlichen, der bei seiner Anwesenheit zu Prag hier die Wirthschaft getrieben hatte, und auch ihn erkannte der Wirth nach einem scharfen Beschauen, sich wohl erinnernd der hübschen Summe, die bei ihm der schmucke Schlossergeselle vergeudet hatte, daher sich der Ankunft des fröhlichen Gastes hoch erfreuend. Ein traulicher Handschlag verbürgte stillschweigend die Erneuerung sonstiger Vertraulichkeit, und als der Wirth Lips Tullian fragte, wo er sein Gepäcke habe, hätte ihm dieser mit Bias antworten können: „_Omnia mecum porto._“ Er verständigte den Frager nur flüchtig, daß sein Koffer nachkomme, und erbat sich mit einem bedeutenden Winke ein apartes Zimmer, in welches ihn nebst Margarethen der Wirth schleunigst führte. Das Zimmer war recht bequem eingerichtet, der Tisch gleich mit Wein und kalter Küche besetzt, und Lips Tullian nahm sich vor, hier einige Tage nur der Tafel und Ruhe sich zu ergeben, und dann erst den Verkauf seiner Kostbarkeiten zu besorgen, wie auch ein kleines Nebengeschäft zu versuchen, um Prag nicht ohne Gewinn zu verlassen. -- Am andern Morgen erzählte ihm der Wirth, daß er außerhalb der Stadt noch einen kleinen Gasthof besitze, wo sich Abends junge, reiche Leute versammelten, um in dem abgelegenen Gartenhause Hazardspiele zu treiben, da diese in der Stadt seit einiger Zeit sehr verpönt seien; übrigens werde dort Niemand zugelassen, für den nicht der Wirth selbst, in Beziehung auf Verschwiegenheit und Spielmittel, Bürgschaft leiste. Lips Tullian, durch Verkauf seiner Kleinodien im Besitze einer sehr bedeutenden Summe, und von der Lust gereizt, wie in Spaa glänzend zu erscheinen, stattete sich und Margarethe mit Kleidern und Pretiosen aus, in welchen nur Reiche und Vornehme sich zeigen können. Als Baron Horn mit Gemahlin, im Mecklenburgischen begütert, wurde er der Gesellschaft von dem Wirthe vorgestellt. In den vier Wochen seines Aufenthalts zu Prag besuchte er jeden Abend das Gartenhaus, im Wechsel des Gewinnes und des Verlustes, je nachdem er einen noch ärgern Betrüger als seinen Meister fand, oder ein kluges Benehmen gegen die argwöhnischen Mitspieler ihm Gewinn oder Verlust vorschrieb. Mit einer gewonnenen Summe von 430 Dukaten verließ er Prag. XXXVIII. Margarethens Untreue. Des Mädchens Flamme währet, Bis Lunens Hochlicht zweimal wiederkehret; Dann sucht sie neuen Zeitvertreib. ~Seume.~ Unter Lips Tullians Spielgefährten zeichnete sich ein junger Mensch durch Schönheit, durch die heiterste Laune und ein fast ununterbrochenes Spielglück vorzüglich aus. Schon in der ersten Nacht wurde Lips Tullian auf ihn sehr aufmerksam, da er recht gut bemerkt hatte, daß dieser gewandte Betrüger durch seine feinen Künste das Glück zu fesseln wisse. Gleich hatte Lips Tullian die Idee, sich näher an ihn anzuschließen, ihn zur Reise nach Wien zu bewegen, und zur gemeinschaftlichen Sache in den dortigen geheimen Spielhäusern. Daß der junge Mensch sich Baron von Strahl aus Litthauen nenne, hörte er im Laufe der gesellschaftlichen Unterhaltung, von dem Wirthe aber in vertrauter Mittheilung, daß dieser Baron Strahl ein entlaufener Friseur aus Berlin, ein Matador unter den falschen Spielern und vielseitig zu gebrauchen sei. Lips Tullian wünschte sich Glück, seinen Mann gefunden zu haben, und bald war unter beiden die innigste Freundschaft geschlossen. Nie besuchte Lips Tullian das Spielhaus, ohne von Margarethen begleitet zu sein. In einer höchst freien Kleidung, mit süßem Lächeln, mit feurigen Blicken und anmuthigen Bewegungen wandelte sie an der Seite junger Gecken und alter Thoren, die nicht des Spieles wegen hierher kamen, sondern mit den jungen gefälligen Aufwärterinnen ihr Geld und ihre Gesundheit verschleuderten, manche Stunde in den Gängen des Gartens auf und nieder, fachte in den Gemüthern der Sinnlichen die heißesten Begierden an, gab nie mehr als einen Kuß, eine Hoffnung für die Zukunft, und wußte auch bei aller Härte der Versagung ihre Verehrer so an sich zu fesseln, daß die Schlaue in kurzer Zeit sich im reichen Besitze von werthvollen Ringen, Perlen und Stoffen sah. Es war Lips Tullians Anweisung, die verschwenderische Großmuth dieser Lüstlinge zu benutzen, und die gelehrige Schülerin übertraf seine Erwartungen. Aber dieses trügerische Spiel währte nicht lange. Margarethe hatte für ihre freigebigen Verehrer bald kein süßes Lächeln, bald keine bezaubernden Küsse, bald keine beglückenden Hinwinke auf lohnreiche Zukunft mehr. Ueber ihrer, bis zur Leidenschaft erwachsenen Liebe für den schönen, immer fröhlichen Strahl vergaß sie die huldigende Umgebung, ja, sie war von dieser Leidenschaft so beherrscht, daß sie Lips Tullian offen gestand, ihm nichts mehr sein zu können, als seine unerschütterliche Freundin, da ihr Herz, all ihr Sinnen, all ihre Träume sich nur dem Geliebten weihen. Lips Tullian, nur ein roher Wollüstling, der nach gestillten Begierden auch die Reizendste mit Gleichmuth verließ, freute sich dieser Mittheilung, da er mit Zuversicht hoffen durfte, durch die Liebe und die Hingebung der reizenden Margarethe den jungen, sinnlichen Menschen mit immer festern Banden an sich zu fesseln. Strahl wurde auch von Margarethens blühender Schönheit, von dem Zauber ihrer Anmuth, ihres lieblichen Frohsinnes und von dem Feuer ihrer Umarmungen so begeistert, daß er jeder Gesellschaft, jedem Genusse sich versagte, und nur für das Ideal seines Herzens lebte. Daß Lips Tullian ihn so viele Stunden mit Margarethen allein ließ, daß er die Huldigungen nicht zu beachten schien, die der Liebende der Geliebten immer sichtbarer weihte, hielt er für Kälte des Ehemannes; er ahnte nicht in seinem Sinnenrausche, daß Lips Tullians Benehmen auf seine Pläne sich gründete. Mit ihm und Margarethen reiste Strahl von Prag ab, in einem eleganten Wagen, den er um eine hohe Summe gekauft hatte, da Margarethe einst den Wunsch äußerte, recht bequem und glänzend die Reise nach Wien zu machen. Auch hatte der Gefällige, zu Margarethens Bedienung, in Prag ein Mädchen gedungen, welches die Reise nach Wien mitmachte und mit Strahl schon länger bekannt zu sein schien. Lips Tullian war der nachsichtigste Ehemann von der Welt. Leckere Gerichte, gute Weine, ein trauliches Kosen mit Margarethens Mädchen, das sehr schön und gegen ihn nichts weniger als spröde war, nahmen den Schwelger zu sehr in Anspruch, um Margarethe und Strahl zu stören. Margarethe äußerte den Wunsch, über Olmütz und Brünn zu reisen, um diese Städte zu sehen. Die Reise ging dahin. In Olmütz kaufte Strahl ein Paar schöne flüchtige Wagenpferde, mit denen er nun selbst fuhr, da, seiner Versicherung gegen Lips Tullian gemäß, kein Kutscher sich gefunden hatte, der ihm tauglich geschienen hätte. Es wurden nur kleine Tagereisen gemacht. Lips Tullian sehnte sich nach Wien, und sah recht sauer, als Strahl bei der Ankunft in Brünn erklärte, hier eine volle Woche bleiben zu wollen, da er in der Nähe dieser Stadt einige Gutsbesitzer kenne, denen er schon lange seinen Besuch zugesagt habe. Strahl war auch wirklich während des achttägigen Aufenthaltes in Brünn nur auf wenige Stunden sichtbar. Endlich kam der Vorabend des Tages, mit dessen Anbruche die Reise fortgesetzt werden sollte. An diesem Abende wurde Lips Tullian von Strahl heimlich gebeten, ihn, sobald Margarethe zu Bette sei, nach einem Kaffeehause zu begleiten, wo man vortrefflichen Punsch trinke und zwei allerliebste Mädchen nicht nur den Dienst der Hebe versehen, sondern auch als Gnidias reizende Priesterinnen dem Opfer sich weihen. Solch eine Einladung von sich zu weisen, war Lips Tullian nicht gewohnt. Er ging mit Strahl, und nachdem sie Arm in Arm mehrere Hauptstraßen und eine Menge Seitengassen und Nebengäßchen durchwandelt hatten, blieb endlich Strahl vor einer Spelunke stehen, in welche Lips Tullian einzutreten zauderte, da er beim Laternenschimmer umsonst nach dem bezeichnenden Mohren mit der langen Gypspfeife und der Kaffeekanne oder nach einem Aushängeschild sich umgesehen. Strahl hob seine Bedenklichkeiten mit der Versicherung, dieser Eingang führe in das Hinterhaus, wo man recht artige Zimmerchen, und darin Punsch und Mädchen, wie auch recht angenehme, ungestörte Stunden finde, da der Billardsaal und die Gemächer des Vorderhauses, des öffentlichen Anstandes wegen, dergleichen Privatunterhaltungen nicht gestatten. Lips Tullian folgte seinem Freunde, fand ein recht trauliches Stübchen, ein paar schlanke, hochgeschürzte Nymphen in schamloser Kleidung und mit frechem Entgegenkommen, fand vortrefflichen Punsch und eine dieser Phrynen so anziehend, daß er unter ihren Liebkosungen unmäßig trank und sich bald um seine Sinne getrunken hatte. XXXIX. Lips Tullian wieder an der Spitze einer Räuberbande. Laßt uns nicht stille stehen, denn geschäftig sind Die Feinde rings, den Weg uns zu verschließen. ~Schiller.~ Lips Tullian erwachte aus todtähnlichem Schlafe. Er sah, er hörte, er fühlte brennende Schmerzen am Kopfe, aber glaubte, noch immer von den Irrlichtern eines neckenden Traumes in betäubender Bewegung umtanzt zu werden. Nicht auf dem weichen Ruhebette des kleinen traulichen Gemaches, nicht in den Armen einer leichtfertigen Dirne fand er sich, sondern in einem spärlich erleuchteten Gewölbe, auf einem Strohlager, einigen wilden Gesichtern gegenüber, die sich auf dem Fußboden um eine Flasche gelagert hatten und eifrig zusammen sprachen. Alles trat ihm zu lebendig, zu wirklich entgegen; er raffte sich zusammen, um den Armen dieses Traumgesichts sich mit Gewalt zu entreißen, er riß sich auf von seinem Strohlager, und die furchtbare Wirklichkeit empfing den Erstarrenden. „Nun, Lips Tullian, hast Du endlich ausgeschlafen, damit wir ein vernünftiges Wort mit Dir sprechen können?“ lachte eine dieser Gestalten, und reichte ihm das volle Glas hin. Lips Tullian war keiner Worte mächtig. Hier hörte er von einem Unbekannten sich Tullian nennen. Wie war dieser Name, wie war er selbst hierher gekommen? Der Mann, von dem er so überraschend genannt wurde, mochte wohl das Dunkel, in welchem Lips Tullian mit unsicherm Schritte sich fortgriff, recht wohl durchschauet haben; er lagerte sich an des sprachlos Staunenden Seite und sagte also: „Eine lange, lange Erzählung könnte ich Dir zum Besten geben, wie es so kommen mußte, daß Du hier bist; ich will Dich aber mit wenig Worten klug machen. Dein Freund, Baron Strahl -- sonst hatte er einen andern Namen -- und Deine treue Margarethe waren schon in Prag darüber Eines Sinnes, Dich von der Last Deines Goldes zu entheben, und mit ihrer Gegenwart Dich nicht länger zu incommodiren. Strahl schlug vor, Dich auf der Reise betrunken zu machen, in der Kutsche zu erwürgen und Deine Leiche im nächsten Walde zu vergraben. Darum kaufte er zu Olmütz eigene Pferde und nahm keinen Kutscher an, damit Deine Ermordung um so unentdeckter geschehen könne. Margarethe ging in diesen Vorschlag nicht ein, und als Strahl darauf bestand, drohete sie, Dich zu warnen. Jetzt besann sich Strahl, in dieser Gegend vor zwei Jahren angegriffen, und dann selbst für einige Zeit einer unserer Cameraden geworden zu sein. Er streifte in Brünns Umgebungen umher, fand und erkannte mich, vertraute mir sein Verlangen, Dich aus dem Wege geräumt zu wissen, und sagte mir zugleich, von Deiner Zuhälterin erfahren zu haben, daß Du der berühmte Lips Tullian seist. Ich erschrack vor Freude über diesen Namen, über Deine Nähe, über Deine Bekanntschaft. Ich würde Strahl ermordet haben, hätte er Dir Leides thun wollen. Du sollst unser Bonherr werden, darüber war ich mit mir und meinen Cameraden gleich im Reinen, und als Strahl versicherte, Dein Reichthum sei zu bedeutend, um Dich den Aufenthalt in den Wäldern und in schlechten Kneipen, die Gefahren, die Anstrengungen unseres Handwerks für ein Leben voll Bequemlichkeit, Ueberfluß und Genüssen eintauschen zu lassen, so mußtest Du arm gemacht werden, um an unserer Spitze durch Deinen Muth und Deine Talente, durch unsere Treue, Anhänglichkeit und unsern Eifer wieder reich zu werden. Die Sache war schnell gemacht. Strahl, durch mich unterrichtet, führte Dich in dieses Häuschen, dessen Besitzer mein Bruder ist. Trinken und Lieben, Deine schwache Seite, gaben Dich in unsere Hände. Strahl, Margarethe und ihr Mädchen, schon seit Jahren Strahls geheime Zuhälterin, sind fort, Gott weiß, wohin, und mit ihnen Deine Habseligkeiten und Dein Gold. Du hast die Wahl, unser Anführer zu werden, oder in diesem unterirdischen Gewölbe zu verschmachten!“ -- Die Wahl war nicht schwierig. Schon in der nächsten Nacht zog Lips Tullian mit den neuen Gesellen hinaus in die Wälder, in das wilde, blutige Räuberleben. XXXX. Lips Tullians abermalige Gefangenschaft. Nur zu! Sie rücken Mit Schwert und Feuer auf uns an. ~Schiller.~ In einer Waldschlucht, zwei Meilen von Iglau, lag Lips Tullian mit seinen Gesellen um ein hochaufschlagendes Feuer herum, an welchem gesotten und gebraten wurde. Da gab es Geflügel aller Art, einige Schafe, ein paar Kälber, auch an Wildpret gebrach es nicht, und ein Fäßchen Branntwein versprach, das leckere Mahl zu würzen. Aber die Räuber hatten nicht allein für den Magen, sondern auch sonst für das Leben gesorgt. Einige ausgeraubte Kirchen, Edelsitze und Bauerhäuser hatten viele gute und werthvolle Sachen in diese Waldschlucht geliefert, und ein Säckchen mit Gold- und Silbermünzen erfreute die glückliche Bande. Die Kochtöpfe wurden in den Kreis der Hungernden gebracht, die Braten vom Spieße genommen, und die Becher gefüllt. Gesang und Geplauder verstummte, und nur das Löffelgeklapper und Messergeklirre der Essenden unterbrach die Stille. Da erscholl hinter Lips Tullians Rücken ein lautes Lachen, und als er jetzt zurück blickte, meinend, einer der Kameraden wolle ein tolles Stückchen erzählen, und durch eigenes Gelächter die Versammlung auf seinen Witz aufmerksam machen, da entsank ihm im Schrecken der ersten Ueberraschung das Messer. Es waren die drohenden Mündungen einer Doppelbüchse, in die er sah. Und die Mündungen von Büchsen und gezogene Hirschfänger waren der verderbliche Kreis, den Soldaten und Jäger, rasch hinter den Bäumen hervor tretend, um die erstarrte Gesellschaft geschlossen. Einer der Räuber sprang auf; im Augenblicke stürzte er, von einer Kugel in die Brust getroffen, entseelt nieder. „Wer sich vom Flecke bewegt, ist des Todes!“ -- herrschte der Mann mit der Doppelbüchse den Räubern zu. Ketten klirrten, Hunde knurrten, und Gerichtsdiener traten in den Kreis, entrissen den Räubern Pistolen, Messer, Säbel und Knittel, legten ihnen Fuß- und Handschellen an, und trieben die Gefesselten mit Stockhieben zum Aufbruche an. Einige Bauern, mit blassen Gesichtern und scheuen Tritten kamen auf den Ruf des Anführers aus den Gesträuchen hervor, und folgten, mit dem Raube beladen, den Dahinziehenden. Die Nacht dunkelte heran, als Lips Tullian mit seinen Cameraden durch das gewaltige Thor eines festen Bergschlosses in den innern Hofraum trat, wo ein stattlicher Mann, die Begleitung mit großem Lobe, die Bande mit furchtbaren Drohungen begrüßend, den Befehl gab, die Räuber einzeln in die sichersten Gefängnisse zu bringen. Einer der Gerichtsdiener bezeichnete ihm Lips Tullian als den Hauptmann der Räuber, und der Schloßherr bestimmte für diesen das tiefste Gefängniß und die schwersten Ketten. Lips Tullian wurde viele Stufen hinab in einen finstern, dumpfen Kerker gebracht, und mit einem Leibringe belegt, dessen Kette mit der der Fußschelle an einem Ringe in der Mauer befestigt wurde. Schlaflos, im Ersinnen der Mittel zur Rettung sich erschöpfend, zählte Lips Tullian die dumpfen Schläge der Thurmuhr, und so eben war der letzte Schlag der Mitternachtstunde verklungen, da deuchte es ihm, an seiner Kerkerthüre Geräusch zu hören. Die Riegel rasselten, das Schloß klirrte, die Thüre that sich auf, ein helles Licht drang in das Rabendunkel des Gefängnisses, und eine hohe, schlanke Frauengestalt, das Gesicht von einem dichten Schleier umhüllet, eine hochlodernde Fackel in der Linken, schritt im feierlich langsamen Gange auf ihn zu. Die Gestalt stand; sie hob die Fackel, sie warf den Schleier zurück, und starrte schweigend mit scharfem Blicke auf Lips Tullian hin. „Geist meiner Josephine!“ -- stöhnte der Bebende, und sank bewußtlos zurück. XXXXI. Der Lieutenant Schönknecht. Traute Heimath meiner Lieben, Sinn’ ich still an Dich zurück. Wird mir wohl -- und dennoch trüben Sehnsuchtsthrähnen meinen Blick. . . . Nachdem uns hier Josephine, eine Erscheinung aus Lips Tullians früheren Jahren aufgestoßen ist, dürfte es nun wohl an der Zeit sein, einen Rückblick auf dessen Jugendverhältnisse zu werfen. Wir beginnen mit seinem Vater bei der Belagerung von Wien im Jahre 1698. Im Dragonerregimente Lothringen zog der Wachtmeister Michael Schönknecht unter Johann Sobieski vor das von den Türken belagerte und hart bedrängte Wien. In der Nähe der Kaiserstadt angekommen, bemächtigte sich Sobieski der vortheilhaften Posten, sprengte eine Anhöhe hinan, beschaute mit seinem guten Fernrohre die Verschanzung des Großvezirs, und sagte zu seiner Umgebung: „Er hat eine üble Stellung gewählt. Ich kenne ihn, er ist unwissend, und doch eingenommen von seinen Talenten. Der Sieg ist unser, aber wir werden keine Ehre von diesem Siege haben.“ -- Was der Sieger von Choczim zu seinem Gefolge gesagt hatte, durchflog auf raschen Schwingen sein Heer, und die Krieger, stolz, unter einem Sobieski fechten und gegen die gehaßten Feinde ihres Glaubens die tödtende Waffe schwingen zu dürfen, jubelten freudetrunken der nahen Schlacht entgegen. Sobieski hatte wahr gesprochen. Es war kein mit Ehre gekrönter Sieg; es war das Metzeln einer vom panischen Schrecken bis zur schändlichsten Feigheit gelähmten Horde; es war die wilde Flucht eines sich auflösenden Heeres, das in seiner Furcht und Verwirrung sogar die geheiligte Fahne Mohammeds vergaß, welche Sobieski mit einem Briefe an den Papst sandte, worin die Worte vorkamen: „Ich bin gekommen, ich habe gesehen, und Gott hat gesiegt!“ -- Nur ein türkischer Haufen theilte nicht die wilde Flucht und die Schande der Uebrigen. Es war die Reiterei, welche sich zwar in rascher, aber schön geordneter Bewegung zurückzog, oft gegen den verfolgenden Feind Front und Angriff machte und dann wieder in ächt ritterlicher Haltung den Rückzug fortsetzte. Graf Hardegg, Obrist des Dragonerregiments Lothringen, freute sich des Muthes und der kriegerischen Festigkeit der Reiterei, da durch sie seinen Reitern die ehrenvolle Gelegenheit ward, als brave Soldaten mit den wackeren Gegnern zu messen. Schon zweimal hatten die Lothringer einen höchst tapfern, furchtlosen Angriff gemacht; jetzt war der Obrist fest entschlossen, die türkische Reiterschaar zu fangen oder zu vernichten. Furchtbar war der Angriff, eben so der Widerstand. Es kam zum blutigsten Handgemenge. Schon schwebe der Obrist, von den Seinigen abgeschnitten, in der Gefahr, gefangen oder getödtet zu werden, als sich Wachtmeister Schönknecht zu ihm durchhieb, einem Spahi den Pallasch durch den Leib rannte, einem andern den Kopf spaltete, und mit Kraft und Gewandtheit unter den Osmanen metzelte, daß sich der Obrist bald außer Gefahr, zugleich aber auch den braven Schönknecht, aus unzähligen Wunden blutend, vom Rosse sinken sah. Wachtmeister Schönknecht wurde nach Wien zurückgebracht, aber nicht in das Lazareth, sondern in den gräflich Hardegg’schen Palast, welchen die Mutter des Obristen mit ihrer Familie bewohnte. Die ehrwürdige Dame pflegte des Verwundeten mit einer Liebe, einer Sorgfalt, mit einem Eifer, wie man nur des eigenen geliebten Kindes pflegen kann; sie glaubte, für den Lebensretter ihres Sohnes nicht genug thun zu können. Auch der Obrist besuchte den Verwundeten täglich, und sicherte ihm die reelsten Beweise seiner Dankbarkeit zu. Noch auf dem Krankenlager wurde der Wachtmeister Schönknecht zum Lieutenant im Dragonerregiment Lothringen befördert. Aber bald überzeugte er sich mit tiefem Schmerze, daß ihn eine unheilbare Lähmung am Fuße, Folge eines Lanzenstiches, für den Feld- und Garnisondienst untauglich mache. Er erhielt Pension und von dem Obristen Grafen von Hardegg ein Geschenk von 4000 Dukaten. Schönknecht war in Straßburg geboren. Bald nach dem Beginnen seines ruhevollen Lebens fühlte er solch eine Sehnsucht nach seiner Vaterstadt, daß er sich entschloß, ungesäumt dahin zu reisen, und dort seine Tage hinzubringen. Aber seine Sehnsucht sollte nicht so schnell gestillt werden. Das Militär-Gouvernement schlug Schönknechts Gesuch, in Straßburg sich häuslich niederlassen zu dürfen, mit der Bedeutung ab, daß er seine Pension im Inlande zu verzehren habe. Obrist Hardegg ward zum Vermittler; durch seinen Einfluß und seine Verwendung erhielt Schönknecht für seine Pension ein nicht unbedeutendes Capital. Mit Extrapost flog er in ununterbrochener Reise der heiß ersehnten Heimath zu. Als Betteljunge hatte Schönknecht in seinem zehnten Lebensjahre Straßburg verlassen; mit Gold und Rang kehrte er nun zurück. Er fand seine Eltern im Grabe, und nicht die mindeste Nachricht über seinen Bruder, der, schon vor ihm aus Straßburg gegangen, in der Folge zu Hamburg als Matrose sich eingeschifft hatte. Lieutenant Schönknecht hatte auf seiner beflügelten Postreise den Plan zur Einrichtung seiner künftigen Lebensweise entworfen, und kaum in Straßburg angekommen, beschäftigte er sich schon mit dessen Ausführung, die um so einfacher und leichter war, da das _dolce far niente_, von ihm ein wohl verdientes Ausruhen von frühern Mühseligkeiten betitelt, nun den Cyclus seiner Tage gestalten sollte. Er schlief, aß, trank und rauchte Tabak. Von frühester Jugend an im steten Kampfe mit einem Leben voll Mangel, Anstrengungen, Gefahren, Ruhelosigkeit und einer freiheitslosen, despotisch gegängelten Stellung war er, nun Herr seiner Zeit und seines Willens, über ein reiches Capital gebietend, im Besitze kräftiger Gesundheit, und sich stolz fühlend auf den ehrenvoll gelähmten Fuß, unbeschreiblich glücklich. Er lebte einen Tag wie den andern, und konnte, seinem Gefühle und seinen Begriffen nach nicht glücklicher leben. XXXXII. Schönknechts Verheirathung. Im Gewebe unsers Lebens spielen Plan und Zufall eine große Rolle. ~Schiller.~ Zwei Jahre hatte Lieutenant Schönknecht in Straßburg sein Pflanzenleben abgeleiert, als ihm Schalk Amor ins Ohr raunte, daß es nicht gut sei, wenn der Mensch allein ist. Und als unser Hagestolz dem unberufenen Mentor recht unwillig die Thüre weisen wollte, da führte ihn dieser mit schelmischem Lächeln an das Fenster, zeigte auf eins des gegenüber stehenden Hauses, und entfloh unter schadenfrohem Gelächter. „Der kleine, geflügelte Spitzbube will mich zum Besten haben,“ -- brummte Schönknecht vor sich hin. -- „In alle Fenster dieser alten Knallhütte habe ich schon bei meiner Morgenpfeife geschauet und nichts gesehen, als den buckligen Hausbesitzer mit seiner alten Megäre, einen Windbeutel von Friseur und drei Weibstücke, die mehr Ansprüche haben, in der Walpurgisnacht auf dem Blocksberge den Kehraus zu tanzen, als eine Liebesflamme anzufachen. Warte nur, loser Junge, ich werde dich“ -- Der Nachsatz erstarrte ihm auf den Lippen, die Pfeife entglitt seiner Hand; er wußte nicht, ob er wache oder träume. Aus dem nämlichen, von Amor bezeichneten Fenster, aus welchem sonst nur die widerliche Fratze des liederlichen Pudergottes, oder dessen grundhäßlicher Frau Gemahlin ihm entgegengrinzte, lächelte ihm plötzlich ein Mädchengesicht entgegen, so allerliebst, so freundlich, wie er noch nie eins gesehen zu haben glaubte. Das Mädchen grüßte so traulich herüber, als kenne man sich schon seit Jahren; sie sprach ein paar Worte über das Wetter -- der Lieutenant glaubte Sphärenmusik zu hören -- sie hüpfte vom Fenster das Zimmer hinunter, und Schönknecht, der dieses ganz übersehen konnte, sah die schlanke, üppige Gestalt, die leichten, reizenden Bewegungen einer Oreade. An den schönsten Mädchen von Straßburg war er mit unbewegtem Herzen vorüber gegangen; die über Nacht ihm gewordene Nachbarin, diese überraschende Erscheinung, faßte ihn mit magischer Gewalt. Eine volle Stunde stand er noch am Fenster, mit sehnsüchtigen Blicken in das, ihm nun zu einer Halle der Grazien gewordene Zimmer hineinsehend, nur von dem Wunsche beseelt, die entflohene Grazie wieder zurück schweben zu sehen. Dieser Wunsch wurde ihm nicht erfüllt, aber dagegen seinem Herzen eine neue, recht süße Wunde geschlagen. Die unbekannte Huldin trat jetzt aus der Hausthüre, sah zu ihm empor, grüßte freundlich lächelnd, eilte die Gasse hinab, blickte einigemal zurück, und winkte ihm an der Ecke der Seitenstraße mit dem blendend weißen Tuche einen süßen Gruß zu. So rasch es mit dem lahmen Fuße ging, eilte der Lieutenant zu seinem Hausbesitzer hinab, und forschte mit jugendlichem Ungestüm, wer das engelschöne Mädchen sei, das, gleichsam wie aus den Wolken daher gekommen, die himmlischen Räume mit den armseligen Gemächern des luftigen Friseurs Blondell vertauscht habe. Der Hausbesitzer, ein höchst langweiliger, umständlicher Mensch, nahm auf diese Frage eine sehr wichtige Miene an, schaukelte mit dem Kopfe, und sprach dann langsam und eintönig: „Hochschätzbarster Herr Lieutenant, wenn ich Ihre -- pardonniren Sie gefälligst -- etwas hochtrabenden Worte mir in die gewöhnliche, allgemein verständliche Sprache übersetze, so erkläre ich mir nach möglichst richtigen Begriffen, daß Sie gern wissen möchten, wer die hübsche, vielleicht auch gar wunderschöne Person ist, die bei dem Friseur Blondell wohnt, oder vielleicht da bei dessen Ehefrau zur Morgenvisite ist, oder mit dem Haarkräusler irgend ein Geschäft abzumachen hat, oder die -- damit ich mich kurz und bündig fasse, durch irgend einen Zufall, oder aus bewegenden Gründen, oder durch sonst eine erdenkliche Veranlassung sich zu dieser frühen Morgenstunde im erwähnten Zimmer des oft berührten Friseurs Blondell von Ihnen hat erblicken lassen. Wenn ich Ihre Frage, mein Schätzbarster, von allen Seiten und mit meinem wenigen Scharfsinne nochmals und wiederholt in gehörige und reifliche Consideration nehme, so glaube ich, bewußte Frage vollständig aufgepaßt und verdollmetscht zu haben. Nicht wahr, Verehrtester?“ „Allerdings, aber es ist hier nicht die Sprache von einem Morgenbesuche, von einem Geschäfte, oder sonst einer Veranlassung zu einem flüchtigen Aufenthalte in Blondells Wohnung; daß dieses Mädchen entweder zu des Friseurs Familie gehöre, oder sich bei ihm für einen längern Aufenthalt eingerichtet habe, glaube ich durch verschiedene Veranlassung überzeugt sein zu dürfen. Entschuldigen Sie meine Neugierde, aber es liegt mir sehr viel daran, über dieses Mädchen Aufschluß zu bekommen. Können Sie mir darüber etwas Befriedigendes sagen?“ „Bedaure auf das Außerordentlichste, Euer Wohl-Edlen, damit nicht dienen zu können. Blondell, der schlechte Patron, hat bei mir einige Monate gewohnt, ist, ohne die Miethe zu bezahlen, bei Nacht und Nebel mit seiner ganzen portativen Einrichtung davon geschlichen, und seit dieser Zeit von mir gemieden und gehaßt. Da ich aber aus christlicher Nächstenliebe jedem Mitmenschen, nur nicht dem Blondell und gar vielen Andern, die in meinem Schuldbuche stehen, nach besten Kräften zu dienen, einen absonderlichen Eifer habe, besonders aber mich für Hochdero Wünsche und Befehle gar vorzüglich interessire, so will ich auf der Stelle durch meine Haushälterin Euer Wohledlen erlauben mir, von der Schlauheit dieser welterfahrnen Person“ -- „Danke sehr und bitte, weder sich, noch die gerühmte Person im geringsten zu incommodiren.“ „Ach lieber Himmel, nun geht mir über die Fremde bei Blondell ein Licht auf, so hell leuchtend, wie eine Wachsfackel. Erweisen Sie mir nur die Gefälligkeit, mich zu informiren, ob dieses Mädchen nicht hinter dem linken Ohr einen Leberfleck hat, beiläufig in der Größe von einer nicht zu breiten und zu schmalen Linse, ferner, ob diese Fremde beim Sprechen nicht etwas schnarret?“ -- „Wie kann ich Ihnen darüber etwas sagen, da ich das Mädchen nicht in der Nähe sah und nicht sprechen hörte?“ „Ja, ja, sie schnarrt, sie hat den Leberflecken hinterm Ohr, diese Luise, des Friseurs gar sanftmüthiges Töchterlein. Kein reputirliches Frauenzimmer nimmt bei Blondell Wohnung. Es ist Luise, die vor vier Jahren nach Paris ging, um, wie die bösen Leute sagen, so kleine verzinsliche Geschäfte auf ihre Hand zu machen. Sie wird aus kindlicher Liebe zurückgekehrt sein, um dem theuern Papa und der allerschätzbarsten Mamma statt des Hungertuches, an welchem beide gar lamentabel nagen, ein besseres Gericht aufzutischen. Luischen war schon vor vier Jahren, als sie die Kinderschuhe ausgetreten und bei unserer berüchtigten Modehändlerin Gromant in der Nächstenliebe und in den Werken der Barmherzigkeit Unterricht genommen hatte, ein recht appetitlicher Backfisch!“ -- „Was ist das? diese sonderbare Benennung eines jungen, schönen Mädchens habe ich noch nie gehört.“ „Das glaube ich allerdings, Schätzbarster, denn diese spaßhafte Benennung ist nicht überall gang und gäbe. Im Norden -- erlauben Sie mir, Ihnen zu bemerken, daß Norden um Berlin herum liegt, und daß auch dort die vortrefflichen Nordlichter fabricirt werden, die unsere Pfuscher von Kerzenziehern nicht nachmachen können -- also um wieder auf Norden zurückzukommen, so habe ich die Ehre, Euer Wohledeln ergebenst zu informiren, daß man dort jedes junge, schöne Mädchen, dessen Gunst durch ein Stück Geld oder ein Geschenk erkauft und mit dem sündlicher Umgang gepflogen werden kann, einen Backfisch nennt.“ Das war für den Lieutenant zu arg. Er hatte das fünf und vierzigste Lebensjahr erreicht, ohne die Macht der Liebe, ihre Qualen und Süßigkeiten kennen gelernt zu haben. Die Erscheinung der reizenden Unbekannten ward ihm zum Blitze, der in das Tiefste seines Innern zündend schlug und alle so lange in stiller Ruhe entschlafenen Gefühle plötzlich entflammte. Das stürmisch aufgeregte Herz unterjochte den Kopf. Der zum erstenmal, aber um desto glühender Verliebte sah in der Fremden kein von irdischen Schwächen und Fehlern befangenes, sondern nur ein hehres, von allen Reizen des Körpers, des Geistes und des Herzens umflossenes Wesen. Er war von seiner neuen rasenden Leidenschaft zu sehr hingerissen, um durch des Hausbesitzers unumwundene Mittheilungen über Luisens Phrynenleben, von der Höhe seiner Ueberspannung zur Tiefe ernster Prüfung herabgezogen zu werden. In dem treuherzigen Referenten sah er nur einen humischen Verläumder; er war so außer sich, daß er auf der Stelle die Miethe aufkündigte, und noch am nämlichen Tage eine Wohnung bezog, die mit der des Blondell gleichsam im Zusammenhange stand. Es waren nach dieser Zeit nicht drei Wochen verflossen, als der Lieutenant Schönknecht die reizende Luise Blondell zum Traualtar führte. Die Flitterwochen wurden zu Monaten, zum vollen Jahre, an dessen Ende Luise den überglücklichen Gatten mit einem holden Knäblein beschenkte. Aber es hat sich als mathematische Wahrheit seit der Urgestaltung des Menschen beurkundet, daß hienieden nichts vollkommen und kein Glück ewig ist. Dieser Erfahrungssatz bewährte sich auch an dem guten Lieutenant Schönknecht. Sein Sinnenrausch wich allmälig, das von Luisens Reizen geblendete Auge begann klarer und schärfer zu blicken, die falsche Begeisterung machte nunmehr Raum der ernsten Besonnenheit, den prüfenden Beobachtungen, und die zweite Hälfte des Flitterjahres war noch nicht zur Hälfte verronnen, als Lieutenant Schönknecht der gräßlichen Ueberzeugung erlag, seine Hoffnungen, sein Glück, seine Lebensruhe in den Armen eines launenvollen, zanksüchtigen, verbuhlten, schwelgerischen Weibes zu Grabe getragen zu haben. Luise Blondell, schon in der Blüthe des Alters von ihrem schändlichen Vater an einen reichen Lüstling verkauft, bildete sich in Paris zur vollkommenen Hetäre, und blieb diese als Gattin des wackern, treuen Ehemannes. Anfangs spielte sie ihr heilloses Spiel mit Behutsamkeit; doch immer mehr ward sie bald die Herrin des lenkbaren, gutmüthigen Gatten, und immer freier in ihrem sittenlosen Walten, und selbst, als der Lieutenant seine Luise mehr zu durchschauen und zu würdigen vermochte, wandelte sie auf ihrem ehrlosen Pfade mit ungehemmtem, frechem Gange zwanglos dahin. Vor dem Blicke des Wachtmeisters Schönknecht hatten die wildesten Bursche der Schwadron gezittert; der Lieutenant war zum Invaliden geworden, der sich unter den Willen eines verbuhlten Weibes beugte. Er fühlte sein Unglück, seine Schande, aber er war nicht mehr Mann genug, mit Kraft zu handeln und durch gewichtige Schritte, oder durch Entfernung eines liederlichen Weibes die verlorne Lebensruhe und die eigene Achtung und das Selbstvertrauen allmälig wieder zu gewinnen. Er liebte noch immer die Treulose mit unmännlicher Schwäche; er rang mit der Verzweiflung über seine eheliche Lage, und die Verzweiflung führte ihn zur Flasche. Anfangs im Weine, dann im gebrannten Wasser fast täglich bis zur Sinnlosigkeit sich betrinkend, wurde er bei seinem Erwachen durch die pöbelhaftesten Schmähungen seiner Gattin, oder durch ihr ungescheutes Kosen mit einem ihrer Anbeter außer sich gebracht, und griff neuerdings zur wohlthätig-betäubenden Flasche. Als Lieutenant Schönknecht in Straßburg angekommen war, hatte er sein nicht unbedeutendes Kapital bei Herrn Capinet, einem höchst rechtlichen Kaufmanne, verzinslich niedergelegt, in voller Ueberzeugung, bei seiner geregelten Weise recht bequem von den Zinsen leben zu können, und mit dem festen Vorsatze, das Kapital unberührt zu lassen, um es einst auf seinen nach Amerika gegangenen Bruder, oder wenn er von dessen Tode sichere Nachricht habe, an die Armen von Straßburg zu vererben. Schon vor der Vermählung griff der Lieutenant das Kapital an, um der geliebten Braut werthvolle Geschenke zu machen, und sich für sein eheliches Leben mit einigem Glanze einzurichten. Die Frau Lieutenantin liebte Putz, Theater, Landparthieen, ein hohes Spiel, Abendgesellschaften, Bälle, neue Meubles; sie liebte alles, was Geld kostete. Aus dem für Gold feilen Freudenmädchen war sie zur hochmüthigen Dame geworden, die von ihren Verehrern keine Geschenke nahm, sondern gab. Der schwache Gatte war anfangs durch Louisens buhlerische Künste, durch geheuchelte Liebe, für die Erfüllung ihrer Wünsche leicht zu gewinnen; späterhin, in der Betäubung des Weinrausches, nie an die Pflichten für sein Kind denkend, wurde es nicht schwer, ihn zu jeder Unterzeichnung einer Geldanweisung leicht zu bewegen. Es wurden Gelder auf Gelder vom Handlungshause erhoben. Eines Morgens, als Schönknecht früher als gewöhnlich aus dem Schlafe erwachte, da er in der verflossenen Nacht viel mäßiger als sonst gezecht hatte, gestaltete sich in ihm eine dunkle Erinnerung, von Zeit zu Zeit von seinem Kapitale Gelder gezogen zu haben. Er wollte volles Licht haben über seine Geldverhältnisse, und so eben zu Herrn Cabinet gehen, um seinen Vermögensstand genau einzusehen, als der Kaufmann selbst bei ihm eintrat, die ausgestellten Anweisungen vorlegte, und die bisher bestandene Verbindung von nun an als aufgelöst erklärte, da Madame Schönknecht gestern den Rest des Kapitals laut vorliegender, von ihrem Gatten ausgestellter Anweisung, erhoben habe. Cabinet bat, alle Anweisungen genau zu durchsehen, die Summen zu ziehen, und dann die richtig geschehene Erhebung des ganzen Kapitals durch gehörigen Empfangsschein zu bestätigen. Sprachlos, eine Marmorbüste, mit verglasten Augen, starrte der Lieutenant auf die Papiere hin. Eine Todtenstille herrschte im Gemache, die der Kaufmann, zur Genüge kennend die verschwenderische Lebensweise der Madame Schönknecht, und des Gatten Unbekanntschaft mit der geschehenen Erhebung des ganzen Kapitals ahnend, mit der Bitte um Bescheinigung unterbrach, da dringende Geschäfte seine Zeit in Anspruch nähmen. Wie aus einem grauenvollen Traume erwachte der Lieutenant aus seiner Erstarrung, aber nicht zur wohlthuenden Enttäuschung, sondern nur zum gräßlichen Gefühle gräßlicher Wirklichkeit. Eine jede Anweisung war, die erste wie die letzte, von Louisens Hand geschrieben; so wollte es der Lieutenant selbst, da er besser den Pallasch, als die Feder zu führen vermochte. Jede Anweisung war mit seiner eigenen Unterschrift und seinem Siegel versehen. Die Richtigkeit der Anweisungen und das Facit der Summa überzeugte den Unglücklichen, daß er von seiner verschwenderischen Gattin um den größten Theil seines Vermögens betrogen worden, daß er ein Bettler sei. Er schellte und gebot dem eintretenden Diener, nachzufragen, ob Madame schon zu sprechen sei. Der Diener kam mit der Meldung zurück, Madame sei noch nicht von der Landparthie zurückgekehrt, die sie gestern Nachmittags mit dem _Marquis Bellom_ gemacht habe. Bei dem Namen _Bellom_ sammelte Cabinet seine Empfangscheine schnell in die Brieftasche; er kannte diesen angeblichen _Marquis_ als dieser Dame vorzüglich begünstigten Verehrer, wußte, daß _Bellom_ wegen Schulden Straßburg verlassen habe, und war überzeugt, daß Madame Schönknecht mit ihm entflohen sei. In aller Stille schlich er sich fort. -- Der Lieutenant wankte nach dem Zimmer seiner Gemahlin; die Vorthüre war verschlossen; er mußte sie mit Gewalt öffnen lassen. Was seine Frau an Kostbarkeiten, Kleidern und Wäsche besaß, war fort, der Anblick der leeren Schränke, die Nachricht von der gestern geschehenen Erhebung des Kapitalrestes waren die gültigsten Urkunden über Louisens Entweichung. Der Lieutenant verließ ihre Zimmer in dumpfem Schweigen; aber schon nach einigen Schritten mußte er sich auf seinen Diener stützen; so sehr hatten ihn die überraschenden Erscheinungen dieser gräßlichen Stunde angegriffen. Mit Mühe schleppte der Diener den Kraftlosen in sein Gemach, brachte ihn auf das Ruhebett, und eilte nach dem Arzte. Als der Arzt die Treppe hinanstieg, fiel in des Lieutenants Zimmer ein Schuß. Mit zerschmetterter Hirnschale, die Pistole in der krampfhaft geschlossenen Faust, lag der Unglückliche an der Schwelle seines Gemaches. Das war das Ende einer mit Leichtsinn und Uebereilung geschlossenen Ehe. XXXXIII. Eine schlechte Erziehung. Er verstand des eignen Innern Tief geheime Warnung nicht Rang mit seinem weichen Herzen, Rang in fruchtlos blut’gem Ringen, Um ihm Liebe abzudringen Für des Mannes greises Haar, Der der Unschuld Henker war. ~Franz Grillparzer.~ Die Gerichte kamen, um in Beziehung auf die Leiche des Selbstmörders und auf dessen Hinterlassenschaft zu thun, was ihres Amtes war. Der erste Gegenstand der gerichtlichen Aufmerksamkeit und Sorge wurde der hülflose Lips Tullian, Schönknechts achtjähriger Sohn, der aber die Nachricht von dem Tode seines Vaters und von der Flucht seiner Mutter mit starrer Gleichgültigkeit anhörte. Es fand sich nur wenig baares Geld, aber auch keine Schuld vor; auch hatte die Einrichtung, welche für des Lieutenants Verhältnisse zu glänzend war, immer einen Werth von mehr als 2000 Fl. Der speculative Friseur Blondell wollte, als Großvater von mütterlicher Seite, seine Ansprüche auf Lips Tullian geltend machen; er erklärte, seinen Enkel zu sich zu nehmen, und für dessen Pflege und Erziehung mit väterlicher Liebe zu sorgen, jedoch müsse ihm die Summe, welche aus dem Verkaufe der Hinterlassenschaft seines Schwiegersohnes erlöst werde, übergeben werden, damit er im Stande sei, ein sehr zinsreiches, von ihm bereits versuchtes, aber wegen Mangels an baarem Gelde aufgegebenes Handelsgeschäft wieder aufzunehmen wo er dann, als Disponent über solch ein Betriebs-Capital, reichliche Zinsen gewinne, und dadurch in den Stand gesetzt werde, seines Enkels Vermögen zu mehren. Die Gerichte kannten den Friseur Blondell zu gut, um ihm das Vermögen seines Enkels zu übertragen; aber doch viel zu wenig, um sein Anerbieten der Aufnahme und Erziehung Lips Tullians zurückzuweisen. Man erbot sich, ihm für Lips Tullians Unterhalt und Bezahlung der Lehrer die Zinsen der erlösten Summe zu überlassen. Blondell willigte ein und Lips Tullian wurde ihm übergeben. In schlechtere Hände hätte Lips Tullian nicht gegeben werden können. Blondell war nicht nur ein Taugenichts, der jede Arbeit wie die Pest floh, sondern der auch mit dieser Arbeitsscheu jedes Laster vereinte. Ein Heuchler gegen jeden, von dem er irgend einen Vortheil erwartete, ein Tyrann gegen Weib und Kind, dabei Kuppler, falscher Spieler, Trunkenbold und Diebshehler, jedoch alle Laster so geheim als möglich treibend, und bei den Meisten seiner Mitbürger den Schein der Rechtlichkeit behauptend, lebte er größtentheils in drückendem Mangel, da jeder Thaler, den er durch seine ehrlose Industrie gewann, auf dem Flecke verschwelgt wurde. Das größte Fest wurde immer an dem Tage gefeiert, an welchem er die Zinsen von Lips Tullians kleinem Capitale erhob. Die Hälfte davon wurde im ununterbrochenen Schmause und im Zechgelage vergeudet, die andere auf die Seite gelegt, um in Winkelkneipen und geheimen Spielhäusern seine Parthie machen, und oft manchen Unerfahrnen durch falsches Spiel ausplündern zu können. Dieser wackere Mann war Lips Tullians Erzieher, und die Erziehung auch ganz, wie sie unter solch einem Lehrer sein konnte. Lips Tullian mußte, der öffentlichen Beobachtung und der gerichtlichen Aufsicht wegen, Schule und Kirche fleißig besuchen; aber er wurde zu Hause nie gefragt, ob er in seinem Wissen etwas vor sich bringe, und wie er bete. Doch erhielt Lips Tullian, und zwar von dem Großvater selbst, täglich Privatunterricht in den freien Künsten, nämlich in denjenigen, wo man ohne Lehrbrief durchs Leben wandert, und meistentheils den Lohn ausgezeichneter Meisterschaft im Zuchthause oder auf dem Rabensteine erntet. Es war ein _Privatissimum_ im falschen Spiele, im heimlichen Wegkapern von Geldstücken auf dem Kegelplatze, im unbemerkbaren Oeffnen versiegelter Briefe, im schön stylisirten Betteln auf den Gastzimmern der Reisenden, im freundlichen Anerbieten zur Besorgung gefälliger Nymphen. In diesen und noch vielen Gegenständen eines verbrecherischen Erwerbes unterrichtete der Großvater den Enkel, und schaute sehnsüchtig der Zukunft entgegen, wo er, auf seinen Lorbeern ausruhend, sorgenlos die reichen Früchte seiner gespendeten Lehren genießen werde, da sein würdiger Zögling durch gewinnende Heuchelei, durch einen hohen Grad von Kunstfertigkeit und durch seine sich täglich mehr entwickelnde Schönheit des täuschend ehrlichen Gesichtes und einer kräftig sich ausbildenden Gestalt den Lehrer zu den herrlichsten Erwartungen berechtigte. Mit jedem Tage, den Lips Tullian an Lebensalter gewann, fühlte er sich auch glücklicher. Quälte ihn auch oft der Hunger, wenn im Hause leere Küche war, und wurde er auch oft von dem betrunkenen, dann immer tyrannischen Großvater aufs grausamste mißhandelt, so würde er doch die Art seines Lebens mit keiner, noch so glänzenden Lebensweise vertauscht haben. Der Schule entwachsen, und außer den oft lange unterbrochenen Privatstunden war er unbeschränkter Gebieter seiner Zeit und seines Willens. Der Entschluß, bei einer Herrschaft von hohem Range einst Büchsenspanner, Laufer, Bereiter oder Kammerdiener zu werden, hatte sich fest in ihm gebildet. Daher trieb er sich auch ganze Tage in der Bedientenstube, auf der Gewehrkammer oder im Reitstalle des Grafen von Lodein umher, wo er mit der zahlreichen Dienerschaft schnell Bekanntschaft gemacht hatte. Man sah den klugen, dienstfertigen, immer freundlich lächelnden Knaben sehr gern. Mit unermüdbarem Eifer und gefälligster Zuvorkommenheit besorgte er alle Aufträge, Gänge und sonstigen Geschäfte, die einer der Dienerschaft, vom Leibkammerdiener bis zum Stalljungen herab, nicht gern übernahm. Dafür wurde ihm manche gute Speise, manches Glas Wein, selbst manches Stück Geld zu Theil; er durfte die Pferde mit in die Schwemme reiten, sehr oft sogar an dem Unterrichte des gräflichen Bereiters, wie auch an dem des Läufers, der einige Knaben einübte, Theil nehmen, und den Büchsenspanner auf die Jagd begleiten. Die beiden Söhne des Grafen hatten einen eigenen Fechtmeister. Es war ein wortkarger, unfreundlicher Mann, und doch wußte der schmeichelnde Lips Tullian ihn so zu gewinnen, daß er täglich von ihm eine Fechtstunde erhielt. Der flinke, gelehrige, fleißige Knabe ritt, lief, schoß und focht zum Erstaunen. Auch von den Kammerfrauen der Gräfin blieb Lips Tullian nicht unbeachtet, und er wurde ihr Liebling. Die Aelteste darunter gefiel sich in der Rolle der Gouvernante des lieblichen Knaben. Wann die gräfliche Familie bei Tische oder irgend wo gebeten war, durfte Lips Tullian auf ihr Zimmer kommen. Demoiselle la Croix glaubte, jeder Mensch, der nicht französisch spreche, stehe auf der allerniedrigsten Stufe der Bildung. Da sollte ihr Protegé nicht stehen bleiben, sondern so hoch als möglich emporklimmen. Sie gab ihm Unterricht im Französischen, und so lückenhaft dieser Unterricht war, so machte doch der talentvolle Knabe so rasche Fortschritte, daß er binnen einem Jahre mit großer Fertigkeit französisch sprach. Sie lehrte ihn ferner Guitarre spielen, Singen, Frisiren, und das alles, wie sie zu ihrer Umgebung mit einem frommen Blicke zum Himmel sagte, aus purer Nächstenliebe und aus reinem Mitleiden, damit dieses arme Geschöpf sich bilde und dadurch einst für die Welt eigne. Aber die gerühmte Nächstenliebe floß aus einer sehr schlammigen Quelle. Denn die alte, fromme Demoiselle la Croix wurde von ihrer Gräfin in einer höchst verrätherischen Lage mit dem dreizehnjährigen Lips Tullian überrascht, und auf der Stelle des Dienstes entlassen. Auch Lips Tullian durfte den gräflichen Palast nicht mehr betreten. XXXXIV. Ein schreckliches Opfer. Schwer zu unterscheiden Noch schwerer zu ergründen sind die Menschen. ~Schiller.~ Es nahete die Mitternachtsstunde, als Frau Blondell beim matten Scheine eines kärglichen Oellämpchens noch immer emsig nähte. Aus Mangel an einem anständigen Anzuge hatte sie sich schon einige Wochen nicht mehr auf die Gasse gewagt, aber im Laufe dieser Zurückgezogenheit ein Plänchen geschmiedet, dessen glückliche Ausführung sie den Gewinn einer artigen Summe, und dadurch wieder gehörige Kleidung und gute Lebensmittel für längere Zeit erwarten ließ. Seit drei Tagen hatte sie weder ihren liederlichen Eheherrn, noch den eben so liederlichen Enkel gesehen, kaum genug trockenes Brod gehabt, und durfte überzeugt sein, eine Beute des Mangels zu werden, wenn sie nicht ihre sonst so einträglichen Talente des Kuppelns wieder ins Leben treten lasse; daher nähte sie an ihrem zerlumpten Klüftchen mit reger Hand und vergaß über der bessern Zukunft den drückenden Mangel der Gegenwart. Sie hörte Geräusch auf der Treppe, und bald traten Blondell und Lips Tullian in die Stube. Lips Tullian ging nach einem flüchtigen Gruße in seine Schlafkammer. Blondell, sonst bei seiner Nachhausekunft fast immer betrunken, und dann höchst übelgelaunt, zanksüchtig, ein roher Wüthrich, war heute voll Freundlichkeit und Güte. Er bewunderte den Fleiß seiner Frau, bat sie, eine Kerze zu besorgen, zog aus der Tasche ein Paar Flaschen Wein, ein großes Stück Braten, und lud die Ueberraschte zum fröhlichen Mahle ein. Frau Blondell ließ sich nicht lange nöthigen, denn solch einer Bewirthung und der gütigen, liebevollen Ansprache ihres Gatten war sie seit vielen Jahren entwöhnt. „Die drei Tage,“ -- begann Blondell und stieß mit seiner Frau auf eine nahe, bessere Zukunft an -- „die ich mit Lips Tullian außer dem Hause zubrachte, waren eine ergiebige Ernte. Lips Tullian hat das Glück gehabt, in allen Schenken, wo er zusprach, spiellustige Leute zu finden, immer dumme Teufel, denen mein gewandter Zögling auf die feinste Art die Börsen leerte. Mir war das Glück darin hold, daß ich dem Chevalier Ritton zwei falsche Wechsel von bedeutender Summe bei dem Juden Samuel Levi in blankes Gold umsetzte, zu seiner schnellen, geheimen Flucht eine Post-Chaise vor das Thor besorgte, und ihn wohl vermummt aus der Stadt und den scharfen Augen seiner lauernden Gläubiger brachte, wofür mich der Dankbare mit dieser Rolle von 100 Dukaten begabte. Das war ein Coup zu rechter Zeit, denn sonst hätte uns der Flegel von Hauswirth für die rückständige Miethe vielleicht schon morgen auf die Gasse geworfen, und unsere Garderobe möchte wohl der gutherzige Trödler nicht um einen halben Thaler kaufen. Morgen, liebe Canton, miethen wir eine bessere Wohnung, mit einer Hinterthüre in ein abgelegenes Gäßchen, auf einem mehr besuchten Platz, um unsere Geschäfte mit einiger Ostentation und mit größerm Umfange betreiben zu können, kaufen Meubles, Kleider, Wäsche, einige Nippes, und treffen unsere Einrichtungen so, daß wir in unserer Wohnung wieder Zusammenkünfte veranstalten können, die in diesem Hundeloche von Quartier für anständige Leute sich nicht machen ließen.“ Frau Blondell ward entzückt von dieser Rede. Nun hatte sie die glänzende, glückliche Aussicht, durch elegante Wohnung und elegante Kleidung wieder in ihre so liebe Sphäre zu treten, mit verbuhlten Frauen und begehrlichen Männern verkehren zu können, und zwar in der von ihr so wohl einstudirten Rolle einer gewandten und listigen Kupplerin. Mit Verachtung sah sie auf das armselige Klüftchen hin, an dem sie viele Stunden so emsig geflickt und gestickt hatte, um am nächsten Abend das lange geruhte Geschäft wieder aufnehmen und einige lumpige Thaler erwerben zu können. Sie sah sich schon im Geiste als die hochgefeierte Freundin vornehmer Damen und Herren, und eine unversiegbare Goldquelle in ihren Säckel fließen. „Auch mit Lips Tullian hätte ich Großes vor,“ -- fuhr Blondell fort und füllte die Gläser -- „aber das Gewissen -- das Gewissen.“ „Du und Gewissen!“ -- lachte die Trunkene und leerte ein volles Glas in einem Zuge -- „Was Lips Tullian von dir bereits gelernt hat, ging doch nur aus einem Lehrer hervor, der bei solchem Unterrichte das Gewissen bei Seite gestellt hatte.“ „Daß ich Lips Tullian mit Karten und Würfeln gewandt umgehen lehrte -- was man in der großen Welt _corriger la fortune_[36] nennt -- daß ich ihn im Oeffnen versiegelter Briefe und noch einigen Kleinigkeiten unterrichtete, dessen darf ich mich als der Ausübung einer Tugend, einer negativen, rühmen. Verliert der Spieler öfter, und nicht unbedeutend, so kommt er zur Besinnung, und von der verderblichen Spielleidenschaft zu einem geregelten Leben zurück, während der Gewinnende für nichts als für die Fortsetzung des Spieles Sinn hat, seine häuslichen Angelegenheiten, wie auch seine Gesundheit zerrüttet und trotz des gewonnenen Geldes zum Elend herabsinkt. Ich kenne einige, die mein kunstfertiger Lips Tullian so ausgesäckelt hat, daß sie, sonst leidenschaftliche Spieler, jetzt Karte und Würfel auf das unversöhnlichste hassen, und fleißige, ordnungsliebende Menschen sind. Auch das gewandte Oeffnen fremder Briefe führt oft große Verdienste um den Staat, um Familienwohl herbei. Dadurch wird so mancher Schleier gelüftet, worunter staatsgefährliche Menschen gegen die Regierung, ungetreue Beamte gegen ihre Herrschaft, liederliche Söhne und Töchter gegen das Vermögen, gegen die Ehre und die Lebensruhe ihrer guten Eltern machiniren. Was ferner“ -- [36] Das heißt wörtlich: Das Glück verbessern. „Laß mich zu gelegenerer Zeit Deine sophistische Rednergabe bewundern, und mich an Deinem frechen Witze ergötzen; nun aber sage, was Großes Du mit Philipp vorhast.“ „Du kennst die Wittwe Lehmann und das felsenfeste Vertrauen, welches sie, trotz der gehässigsten Einflüsterungen meiner vielen Feinde, zu mir gefaßt hat. Vor Kurzem ererbte sie ein Gartenhäuschen in der Rupprechtsau und will es nun für immer beziehen, aus purem Geiz, damit sie die Miethe in der Stadt erspare. Dagegen kämpft in ihr die Sorge für den bedeutenden Schatz, welchen sie an Diamanten, goldnen Uhren, Ketten, seltenen Goldmünzen und Silbergeräthen besitzt, und dessen Sicherheit sie in dem abgelegenen Gartenhäuschen zu gefährlich bedrohet glaubt. Ihr Geiz hat ihr bisher nicht gestattet, mehr als eine alte, begnügliche Magd zur Bedienung zu haben. Nun sucht sie, aus Furcht vor Dieben, einen jungen, kräftigen, muthigen Burschen, der reichlichen Lohn, die beste Pflege, aber die Verbindlichkeit haben soll, bei Tage das Gartenhäuschen nur äußerst selten zu verlassen, und des Nachts immer gekleidet und wachsam zu sein. Mich hat sie recht dringend gebeten, solch einen tüchtigen Schützer in ihre Dienste zu bringen. Gleich bestimmte ich in Gedanken diese Stelle für Lips Tullian. Der Bursche ist nun 17 Jahre alt, groß und kräftig, wie ein Mann, und im Dienste dieser furchtsamen, geistarmen Frau für uns ein reiches Kleinod, denn seiner Gewandtheit wird es ein Leichtes sein, von Zeit zu Zeit die Kleinodien, Goldmünzen und Silbergeräthe seiner überreichen Herrin aus ihren altväterischen Schränken in unsere modernen wandern zu lassen.“ -- „Diese Aufgabe möchte wohl nicht so leicht zu lösen sein, da sich von dem Geize, von der Furcht und dem Mißtrauen der Wittwe Lehmann mit Grund erwarten läßt, daß sie ihre festen Schränke wohl verschließt und die Schlüssel mit großer Sorgfalt bewahret.“ „_Ma chère Caton_, es scheint, daß Du mit einer neuen Kunstfertigkeit unseres wackern Lips Tullians noch nicht bekannt bist. Der kluge Bursche mochte wohl recht ernst in die Zukunft seines Lebens hinein geschauet und da erblickt haben, daß es für ihn sehr günstig sei, sich mit fremdem Eigenthume vertraut machen zu können, ohne die rohe Gewalt eintreten und Verdacht und Verrath sich gestalten zu lassen. Aus diesem klugen Hinblicke erschuf sich in ihm der Entschluß, ein Bischen im Schlosserhandwerke zu stümpern. Daher kam seit zwei Jahren sein uns befremdender, vertrauter Umgang mit allen Schlossergesellen von ganz Straßburg, und gleichsam tändelnd hat er sich bei seinem häufigen, mit Unbefangenheit und wie zum Zeitvertreibe gepflogenen Besuche der Schlosserwerkstätten so viele Kenntnisse und Fertigkeit gesammelt, daß er vor jedem Altgesellen dieser Innung in der Probe bestehen würde. Wie durch Zauberschläge werden die Lehmannischen Schätze aus ihren wohlverwahrten Behältern entschweben, und sich freundlich bei uns niederlassen!“ -- Die würdige Gattin belobte und billigte des heillosen Eheherrn speculatives Vorhaben, aber sie hatte dem lange vermißten Rebensafte so eifrig gehuldigt, daß Sprache und Haltung ihr zu versagen begannen und die Trunkene ihrem armseligen Lager zuwankte. XXXXV. Philipps erstes Debut. Ja, fürwahr die Hölle bindet Fest, was einmal sie gefaßt. Wie die Nadel, wenn sie hat Den Magnet berührt, nach Norden Ewig ihre Spitze drehet, Kehrt, wer einmal bös gethan, Ewig seinen Sinn zum Bösen. ~Müllner.~ Wittwe Lehmann konnte sich nicht satt genug schauen an dem hochgewachsenem kraftvollen Philipp, der, von seinem Mentor vorher bearbeitet, gar schreckliche Dinge erzählte, wie er ganz allein schon die furchtbarsten Räuber gefangen und wie viele Einbrüche er durch seine Gegenwehr vereitelt habe. Bei diesen Gasconaden ließ der junge Spitzbube sein großes, feuriges Auge so gräßlich rollen, und schlug mit den nervigen Armen so heftig um sich, daß die gute Wittwe in ihm einen vom Himmel gesandten Schützer ihrer Habe sah, ihn auf der Stelle unter den vortheilhaftesten Bedingnissen in ihren Dienst nahm, und dem wortreich bedankten Freund Blondell ein Geschenk machte, welches mit ihrem ausgezeichneten Geize in auffallendem Widerspruche stand. In träger Unthätigkeit, gut und überreichlich mit Speise und Trank bewirthet, und in den Nächten von Zeit zu Zeit seine Wachsamkeit recht schlau bemerkbar machend, hatte sich Philipp in kurzer Zeit das Vertrauen der Wittwe Lehmann begründet, und würde es auch verdient haben, wäre sein späteres Handeln mit dem bisherigen im Einklange gewesen. Aber nun war der bereits an Ausübung schlechter Streiche zu sehr gewöhnte Bursche dieser Unthätigkeit überdrüssig. Er benutzte die Morgenstunde eines Sonntags, in welcher seine Gebieterin, wie gewöhnlich, die Kirche besuchte, und die Magd sehr beschäftigt war, durch das offene Fenster in das Schlafgemach der Wittwe zu steigen, den großen, wohlverwahrten Nußbaumschrank, der die reichen Schätze enthielt, mittelst seiner Instrumente zu öffnen, und so manches Werthvolle zu entwenden. Noch war er aus Klugheit in seinem Raube mäßig, um die Sache nicht gleich zu auffallend zu machen. Sei es nun, daß die Wittwe ihre Diamanten, Uhren und Ketten vom feinsten Golde, ihre seltnen Goldmünzen und Silbergeräthe nie gezählt hatte, oder das Entwendete nicht vermißte; es ist Thatsache, daß Lips Tullian dreimal und immer reichhaltiger stahl und nie erscholl ein Zetergeschrei der Beraubten, ungeachtet es eine Lieblingsunterhaltung dieser Frau war, manche Stunde ihre Schätze zu betrachten und darin zu kramen. Eines Morgens wurde Lips Tullian durch ein heulendes Geschrei der Magd aus dem Schlafe geweckt. Er eilte herbei und fand die Wittwe vor dem geöffneten Nußbaumschranke todt niedergestreckt. Seinen raubgierigen Augen schimmerten Edelsteine, Gold und Silber mit lockendem Glanze entgegen; schon keimte in der schwarzen Seele des 17jährigen Verbrechers der gräßliche Gedanke auf, die Magd zu erwürgen, und mit diesen reichen Schätzen zu entfliehen. Aber das gellende Geheul der treuen, untröstlichen Dienerin hatte bereits einige Vorübergehende an das Fenster gelockt. Unter diesen war ein Polizeibeamter, der auf der Stelle in das Gemach trat, Philipp nach einem Arzt sandte und das Gehörige verfügte. Der Arzt kam und erklärte einen Schlagfluß als die Ursache des plötzlichen Todes der Wittwe Lehmann. Es mag wohl kein Zweifel sein, daß die Unglückliche jetzt so manches ihrer Kleinodien vermißte, strenge Heerschau hielt und vom Schrecken über die große Anzahl der Außreißer getödtet wurde. XXXXVI. Die erste Gefangenschaft. Dem Bösewicht muß ein Kerker Hölle sein, Der Unschuld ist er nichts, als Eisen, Holz und Stein. ~Haug.~ Es mochten schon vier Jahre nach dem Tode der Wittwe Lehmann verflossen sein, als Lips Tullian eines Tages in einem Weinhause überreichlich dem Weine zusprach. -- Unter den von ihm geraubten Gegenständen befanden sich Ringe mit Diamanten, goldene Uhren, goldene Ketten und ein Paar Brustnadeln mit guten Steinen. So eitel Philipp seit einiger Zeit war, da er von vielen lüsternen Frauen und Mädchen ob seiner Schönheit sich immer mehr gefeiert sah, und so gern er sich putzte, so war er doch klug genug, nie das Mindeste der geraubten Nippes als Schmuck an sich zu tragen, um keine Aufmerksamkeit und keinen Argwohn zu erregen. Heute hatte er reichlich gezecht; die Trunkenheit machte ihn jede Vorsicht vergessen und in übermüthiger Laune zog er eine werthvolle Repetiruhr hervor, gegen die Umhersitzenden prahlerisch sich äußernd, daß er diese Uhr um 20 Louisd’or gekauft habe, sie aber gern mit einem bedeutenden Verluste hingeben würde, da er an ihr kein Vergnügen mehr habe. Flüchtig blickten die Weingäste darauf hin, nur einer erbat sie sich zum genauern Beschauen, um vielleicht einen Handel abzuschließen. Der Gast betrachtete die Uhr mit großer Aufmerksamkeit, bot 16 Louisd’or dafür, erklärte, nicht so viel Geld bei sich zu haben, solches aber in kurzer Zeit zu bringen, und ersuchte den Wirth, für ihn Bürgschaft zu leisten. Willig bürgte dieser und mit einem vornehmen Lächeln nickte Philipp seine Einwilligung dem Gaste zu, worauf dieser schnell mit der Uhr sich entfernte. Bald erschien er, von einem Manne begleitet, dem er durch einen Wink Philipp bezeichnete. Der Mann näherte sich diesem und erbat sich mit gebieterischem Tone dessen Begleitung. Erbleichend und mit bangen Ahnungen erkannte Philipp in dem unberufenen Bittsteller einen gefürchteten Satelliten der Justiz. Schweigend folgte er ihm, und sah mit Entsetzen, daß er den Weg nach dem Rathhause geführt werde. Er wurde auf die Wachstube gebracht und nach einer Stunde, die er unter aufmerksamer Bewachung und dem strengen Gebote des Schweigens zubringen mußte, ertönte eine Glocke, und auf dieses Zeichen führte ihn sein Begleiter über eine Wendeltreppe in ein Gemach, worin er sich vor der Stadt Oberrichter sah. Von diesem wurde er gefragt, wie er zu dieser Uhr, die der Ober-Stadtrichter ihm vorzeigte, gekommen sei, und wie er sie als sein rechtmäßiges Eigenthum darthun könne. Philipp stotterte eine Erzählung hervor, die aber so lückenhaft und an Widersprüchen so reich war, daß der den Verbrecher durchschauende Richter ihm zu schweigen und den Eintritt des Angebers gebot. Dieser erschien, und wiederholte seine dem Stadt-Oberrichter schon früher vorgetragene Aussage: „Er sei, wie allgemein bekannt, ein Uhrmacher, habe schon seit vielen Jahren die Uhren der verstorbenen Wittwe Lehmann zu besorgen gehabt, und diese erst ein Paar Wochen vor dem Absterben der Wittwe ausgebessert; auch wisse er, daß, nebst noch einigen Uhren, gerade diese von den Erben vermißt werde, indem die Wittwe Lehmann ein genaues Verzeichniß über ihre werthvollen Effekten geführt, am Schluß jedes Monats darin jeden erkauften Gegenstand aufgeführt, übrigens aber, wie zu allgemein bekannt sei, nie eine einmal erkaufte Sache wieder verkauft oder vertauscht habe.“ Philipp war wieder so viel zur Besonnenheit gekommen, seine vorige Erzählung als unwahr zu erklären und mit hartnäckiger Frechheit zu behaupten, die Wittwe Lehmann habe ihm einige Tage vor ihrem plötzlichen Tode diese Uhr als eine Belohnung für seine treuen Dienste zum Geschenke gemacht. Der Stadt-Oberrichter erklärte, die Sache streng zu untersuchen, und gebot dem Polizeidiener, Philipp in das Gefängniß zu führen. Der Weg dahin ging über einen langen, düstern, abgelegenen Gang. Philipp hatte wieder seine volle Besonnenheit und seinen frühern Muth gesammelt; es ward ihm klar, daß, einmal über die Schwelle des Gefängnisses getreten, er nur von dieser über die des Zuchthauses trete, daß ihn nur eine rasche That, eine schnelle Flucht retten könne. Mit scharfem Auge maß er von der Seite seinen Begleiter, er fühlte sich, ihm an körperlicher Kraft überlegen zu sein. Mit der schnellsten Bewegung und mit riesiger Stärke faßte er den Arglosen an der Kehle und warf ihn mit solcher Gewalt zu Boden, daß vom Kopfe und aus dem Munde des Hingeworfenen das Blut strömend floß. Ohne das Innere des Rathhauses zu kennen, eilte Philipp mit beflügelten Schritten gerade zu, fand eine schmale, abwärts führende Treppe, und am Ende derselben einen hoch umbauten Vorhof mit einem verschlossenen Pförtchen. Fest entschlossen, das Schloß des Pförtchens zu erbrechen, bückte er sich eben nach einem Steine um es damit zu zertrümmern, als das Pförtchen von außen aufgeschlossen wurde, und durch selbes eine Weibsperson mit gefüllten Wassergefäßen eintrat. So unbefangen und langsam, als habe er ein Recht zum Gange durch dieses Pförtchen, ging Philipp an der Wasserträgerin vorüber, grüßte sie freundlich und schlug das Thürchen in das Schloß. Nun eilte er im raschen Laufe dem nächsten Thore zu, erreichte glücklich die Barriere und sagte seiner Vaterstadt und seinen vortrefflichen Großeltern für immer Valet. XXXXVII. Josephine. Liebe kann trösten, helfen, retten, Liebe zersprengt die stärksten Ketten, Stürzt die höchsten Mauern um. ~Kotzebue.~ Der Abend war hereingebrochen, und eine Postchaise mit einem Reisenden rasselte an Philipp vorüber. Im Augenblicke hatte er sich auf das leere Packbrett geschwungen. Von seinem Sitze aus hörte er mit geheimer Freude, wie der Reisende den Postillon durch das Versprechen eines sehr guten Trinkgeldes zur schnellen Fahrt ermunterte, mit der Aeußerung, daß höchst dringende Geschäfte ihn bis zur Ankunft in Nancy nicht den kürzesten Aufenthalt gestatteten. Vor der nächsten Poststation sprang Philipp vom Packbrette, eilte während des Umspannens voran, schwang sich dann wieder auf seinen Sitz, und trieb es so bis vor die Thore von Nancy. Unbemerkt schlich er, während der Reisende am Thore in Frage genommen wurde, an der Wache vorüber, und spähete nun begierig nach dem Aushängeschilde eines nahen Gasthofes, denn er hatte die wohlfeile Fahrt auf Kosten seines Magens gemacht und war von seinem steinharten Sitze so durchgerüttelt, daß er nur mit Mühe sich fortschleppte. Auch im Auffinden eines für seine Lage geeigneten Gasthofes hatte ihn das Glück begünstigt. Der Gasthof war eine Kneipe der niedrigsten Art, wo der Wirth den Fremden nicht mit fatalen Fragen nach Paß oder Ausweisung molestirte, sondern jedes, auch noch so verdächtigen Zuspruchs froh war und seinen, oft von der Justiz etwas befeindeten Gästen durch Rath und That aus allen Verlegenheiten möglichst half, wenn er nur bei seinen Schützlingen klingende Münzen witterte. Philipp sah in der Zechstube Gesichter, bei deren Anblick brave Leute die Hände nicht aus der Tasche gebracht hätten. Aber Philipp fühlte sich wohl und ruhig im Umkreise dieser Galgen-Physiognomien, deren ähnliche er größtentheils zu seiner vertrautesten Gesellschaft in den Straßburger Kneipen gezählt hatte. Zufrieden setzte er sich an ein leeres Seitentischchen, forderte eine Flasche Wein, vom besten, der in diesem Hause sich finde, bestellte ein gutes Mahl, ein eigenes Zimmer mit Bett, und reichte dem Wirthe einen Doppel-Louis, mit dem Ansuchen, ihm Münze zu geben, da er damit nicht versehen sei. Beim Anblicke des blanken Goldstückes wurde der freundliche Wirth noch freundlicher und Philipp mit der größten Aufmerksamkeit bedient. Auf seinem Zimmer vertraute er dem Wirthe, in Paris als Offizier bei der Garde gestanden, im Duell einen Kameraden niedergeschossen und deswegen die Flucht ergriffen zu haben; er sei, außer diesem Anzuge, ohne Kleider und ohne Wäsche, jedoch hinlänglich mit Gelde versehen, um reichlich zu bezahlen, wenn ihm nur das Nöthige schnell beigeschafft werde. Schon in einer Stunde sah sich Philipp im Besitze eines ganz neuen, vollständigen Anzuges und feiner Leibwäsche, auch, unter dem Namen Mengstein, mit einem Passe nach Brüssel versehen, den ihm der Wirth durch seine geheime Verbindung mit einem geldfeilen Sicherheitsbeamten verschafft hatte. Alles dieses nahm eine bedeutende Summe in Anspruch, die aber für Philipp nur eine Kleinigkeit war. Von seinem Raube bei der Wittwe Lehmann hatte er blos das Silbergeräthe an Blondell abgeliefert, gegen welchen er die Entwendung der Diamanten, Uhren und Goldmünzen verheimlichte und dessen Begierde darnach immer durch Verheißungen zu beschwichtigen wußte. Er kannte sein Leben und die Gesetze zur Genüge, um zu wissen, daß er keine Stunde sicher sei, von der Hand der Gerechtigkeit erfaßt zu werden; er mußte jeden Augenblick einer schleunigen Flucht gewärtig und daher im Besitze der Mittel sein, unverzüglich und in ein fernes Land fliehen zu können. Daher trug er die geraubten Sachen immer bei sich, theils in seinen Unterkleidern eingenäht, in einem Ledergurte, den er um den bloßen Leib trug; nur einige der seltenen Goldmünzen hatte er, mehrere Stunden von Straßburg und auf verschiedenen Plätzen gegen Gold verwechselt, um sowohl für die gewohnte schwelgerische Lebensweise, als auch für den Fall einer schnellen Flucht mit baarem Gelde versehen zu sein. Nur eine Nacht in Nancy zu bleiben, und dann nach den Niederlanden zu eilen, war Philipps Entschluß, der aber an einem heftigen Fieber scheiterte, welches ihn eine Stunde vor seiner Abreise so plötzlich und mit solcher Gewalt ergriff, daß er ihm erliegen zu müssen befürchtete. Beinahe einen vollen Monat mußte er ärztliche Hülfe gebrauchen, und dann noch aus Mangel an Kräften zwei Wochen zur Erholung in dieser Schenke weilen. Josephine, des Wirthes Stieftochter, ein schönes, sanftes, stilles Mädchen, pflegte des Kranken mit der liebevollsten Sorgfalt. Sie wachte, während des gefährlichsten Zustandes, ganze Nächte an seinem Lager, und als Philipp wieder fähig war, seine sorgliche Pflegerin genauer zu beobachten, überzeugte er sich mit einem recht angenehmen Gefühle immer mehr, daß diese Sorge um ihn, der thränenreiche Schmerz bei seinen Leiden, die herzliche Freude über seine herannahende Genesung, die innigen Blicke, mit denen ihr blaues, sanftes Auge stets auf ihm ruhete, das Zittern ihrer Hand, wenn er sie in die seinige schloß, und die Thränen, die, so oft er von seiner Abreise sprach, über die erbleichenden Wangen flossen, aus einem warmen, liebenden Herzen kamen. Auch er fühlte von Stunde zu Stunde eine heißere Neigung für die schöne, sanfte, liebende Josephine. Philipp hatte die Blüthen seiner Unschuld in den Armen lüderlicher Dirnen abgestreift; aber er hatte noch nie geliebt. Josephinens keusche, schweigende Liebe goß auch in seine Brust dieses himmlische Gefühl, und eine bessere, immer lauter werdende Stimme sagte ihm, daß nicht Sinnlichkeit, sondern eine tugendhafte, innige Neigung zu einem unentweihten Wesen des Lebens höchstes Glück sei. Er gestand Josephinen die Gefühle seines Herzens. Mit einem süßen Erröthen sank sie an seine Brust und das Geständniß ihrer heißen, treuen Liebe floß über die keusche Lippe der holden Jungfrau. Die Liebe that Wunder. Philipp, von zarter Jugend an durch schlechte Erziehung, durch die Verführung und die verderblichen Beispiele eines lasterhaften Blondell, durch eigene, immer mehr erwachsende Neigung zum Bösen, schon in der Blüthe des Lebens ein Bösewicht, ein Verbrecher, ein höchst gefährlicher Mensch, begann nun, so oft er von Josephinens frommen, seelenvollen Augen hinweg einen Blick auf seine Vergangenheit warf, immer mehr vor sich selbst zurück zu schaudern. Er fluchte der Vergangenheit, er gab sich mit heiß bereuendem Gemüthe den tugendhaftesten Vorsätzen hin; er wankte am ersten Tage, da er das Krankenlager verlassen konnte, an Josephinens Arm in die Kirche, und der Verbrecher, der seit seinen Schülerjahren nie das Haus des Herrn besucht, nie an Gott gedacht hatte, betete nun mit der tiefsten Inbrunst, und strömende Thränen verbürgten die Innigkeit seines Gebetes, seiner Reue, seiner frommen Entschlüsse. Mit noch nie gefühlter Ruhe seines Innern verließ er das Gotteshaus. Je näher der Tag seiner Abreise heranrückte, desto schwermüthiger wurde Josephine. Laut weinend und heftig zitternd warf sie sich oft in seine Arme. Auch Philipp war bei dem Gedanken der Trennung von Josephinen außer sich; er fühlte ohne ihren Besitz nie glücklich werden zu können. Doch ward ihm immer klarer, daß nicht nur der Schmerz über das nahe Scheiden, sondern auch ein schwerdrückendes Geheimniß Josephinen so untröstlich, und das sanfte, stille Mädchen oft wie zur wüthenden Wahnsinnigen machte. Dies war immer der Fall, so oft in ihrer Gegenwart der Wirth in Philipps Stube trat. Da erbleichte sie, hörbar schlugen ihre Zähne zusammen, gräßlich starrte sie nach dem Stiefvater hin, und schon einigemal hatte sie ein scharfes Messer gefaßt, mit einer Heftigkeit, mit so wilden, drohenden Geberden, die Philipp befürchten ließen, jeden Augenblick in ihr eine Mörderin zu sehen. Aus diesem furchtbaren Hasse gegen den Stiefvater ahnte Philipp ein schreckliches Geheimniß; auch bemerkte er seit dem Tage seines ersten Ausganges, daß, sobald Josephine nur einige Augenblicke bei ihm war, der Stiefvater oder die Mutter, oder eine alte Base unter irgend einem Vorwande eintraten; er rechnete diese Störung des Vaters oder der Base blos einer tugendhaften Sorge für die Unschuld Josephinens zu. In der letzten Nacht vor Philipps Abreise öffnete sich leise die Thüre. Josephine schlich auf Socken an sein Bett, drückte ihm ein Billet in die Hand, einen langen, heißen Kuß auf den Mund, und schlüpfte aus dem Gemache. Philipp konnte den anbrechenden Tag nicht erwarten, er mußte gleich mit dem Inhalte dieses Billets bekannt werden. Eilig schlug er sich Licht an und las: „Bei meiner heißen Liebe zu Dir, bei der Erhaltung Deines Lebens beschwöre ich Dich, nicht auf der von Dir hier so oft besprochenen Straße nach Brüssel zu gehen. Auf dieser Straße, im Walde von Sarlin, lauert man Dir auf, um Dich zu tödten und auszurauben. Diese Schenke ist die Herberge eines Raubgesindels, und mein verbrecherischer Stiefvater das Oberhaupt. Er hat in den Stunden Deiner Krankheit, wo Du ohne Besinnung lagst, Deine geheim bewahrten Schätze aufgespürt. Dich im Hause zu morden, wagt man nicht; Dein Tod ist im nächsten Walde an der Landstraße beschlossen. Um Gottes Willen, gehe nicht auf diesem Wege nach Brüssel, sondern auf dem entgegengesetzten. Würde ich entdeckt, die Geheimnisse dieses Hauses verrathen zu haben, so wäre grausamer Tod mein Loos. Auch ich fliehe, um nicht länger im Kreise dieser Unmenschen leben zu müssen. Schreibe vor Deiner Abreise nur den Namen des Ortes, wo Du Dich einige Zeit aufhalten wirst, auf ein Stückchen Papier und verbirg dieses im Strohe Deines Bettes. Nach einigen Tagen folge ich Dir, um mich nie wieder von Dir zu trennen. Ein Vermögen von 5000 Livres, welches ich von meiner Tante durch ein geheimes Vermächtniß erhalten habe, wird für den Anfang genügen, und Gottes Segen, Fleiß und Redlichkeit unsere Tage beglücken. Lebe wohl und vergiß nie, daß ich nur für Dich lebe. Der Himmel schütze Dich.“ -- Mit Entsetzen hatte Philipp den Mordanschlag gelesen. Er ging nun gleich mit sich zu Rathe, wie er den Mördern entrinnen könne. Da er mit dem Wirthe übereingekommen war, dessen Pferde bis nach Metz zu nehmen, und da er nun überzeugt sein durfte, daß der Fuhrmann ein Verbündeter der lauernden Raubmörder sei, so war es eine sehr schwierige Aufgabe, eine andere Straße einzuschlagen, ohne die Aufmerksamkeit der Verbündeten zu erregen, und zum Entwurfe eines neuen Mordplanes Veranlassung zu geben. Das Schlimmste war, daß er den Weg nach Metz gar nicht kannte, daher auch nicht wußte, ob der von Josephinen bezeichnete Wald nahe an Nancy liege. Der Tag war bereits angebrochen, und Philipp zu keinem festen Entschluß gekommen. Er verließ das Bett, und sein erster Blick fiel auf eine Karte von Frankreich, die er schon so oft überschaut hatte, ohne daran zu denken, sich über seine Reiseroute zu orientiren. Rasch nahm er die Karte vor und fand zu seiner großen Beruhigung, daß der gefährliche Wald beinahe drei Meilen von Nancy entfernt, und dazwischen manches Dorf sei. Nun war er bald mit dem Plane zu seiner Rettung im Reinen. Schnell barg er seine Kleinodien und Goldmünzen theils in dem Leibgurte, theils in seinem neuen Anzuge, steckte in die Seitentaschen ein Paar recht niedliche Taschenpistolen, die ihm Josephine geschenkt, aber im Hause zu verheimlichen gebeten hatte -- nun errieth er die Bedeutung und den Zweck dieses Geschenkes -- packte seine früher getragene Kleidung und die erkaufte Wäsche in einen kleinen, vom Wirthe erhandelten Koffer, und rief nach dem Frühstücke. Der Wirth selbst brachte es, auch die Rechnung, die gegen Philipps Erwartung höchst mäßig war, aber doch eine bedeutende Summe betrug, da mit der Gasthof-Rechnung auch die für Arzt und Apotheke verbunden war. Bedeutende Auslagen voraussehend, hatte Philipp einige Tage vor seiner Abreise mehrere der seltenen Goldmünzen bei einem Juden um Silber-Münze umgesetzt. Er bezahlte die Rechnung, beschenkte das servile Hauspersonal großmüthig, und hätte den Wirth gern erwürgt, denn der Spitzbube geberdete sich beim Abschiede so demüthig und kriechend und heuchelte solch einen Schmerz über die Abreise des verehrtesten, unvergeßlichen Gastes, daß Philipp den Ausbruch seiner Wuth gegen den heuchlerischen Bösewicht nur mit Mühe bezähmte. Josephine war nicht zu sehen. Schmerzlich vermißte Philipp den Scheideblick der holden, heißgeliebten Jungfrau, und mit einer recht wehmüthigen Empfindung bestieg er die alte Kutsche, die jetzt mit ihm schwerfällig dahin rumpelte. „Halt, Kutscher, wir müssen umkehren!“ -- rief Philipp, als ein paar Meilen zurückgelegt waren. „Halten -- umkehren -- warum?“ „Ich habe meine Brieftasche vergessen, worin sich mein Paß und andere höchst wichtige Papiere befinden, ohne welche ich die Reise nicht fortsetzen kann.“ „Ei, das ist fatal. Dadurch geht nicht allein sehr viele Zeit verloren, sondern auch die Pferde werden bei dem schlechten Wege und mit dieser schweren Karrete so abgetrieben, daß wir heute nicht die Hälfte der Station erreichen.“ „Weißt du bessern Rath?“ „Ja wohl, mein Herr. Wir haben noch eine kleine Strecke nach Montfort. Da bin ich bekannt, wie zu Hause. Im Augenblicke verschaffe ich Ihnen einen sichern schnellfüßigen Boten. Bis er zurückkehrt, haben die Pferde recht geruht, tüchtig gefressen, und wir können durch schnelleres Fahren die versäumte Zeit leicht ersetzen. Auch werden Sie mit einem Aufenthalte von einigen Stunden im Gasthause zu Montfort sehr zufrieden sein; man wird trefflich bewirthet, und ein Paar Mädchen sind da, so hübsch, so gutherzig -- Sie sollen es mir nachher wieder sagen.“ „Ich habe nichts dagegen, wenn du mir für einen zuverlässigen Boten bürgst. Fahre zu!“ Wenige Augenblicke nach der Ankunft in Montfort erschien ein als treu und flüchtig gerühmter Bote. Philipp schrieb ein Billet an den Schänkwirth. Der Bote trabte fort, um aus Nancy die Brieftasche zu holen, die Philipp wohlverwahrt bei sich führte. Nun ließ sich Philipp eine Flasche Wein geben, bestellte ein gutes Essen und befahl dem Kutscher, den Koffer in die Schlafstube des Wirthes zu bringen, um, wie er sagte, des werthvollen Inhaltes wegen unbesorgt sein zu dürfen. Als die Flasche zur Hälfte geleert war, äußerte er den Wunsch, die Umgebung von Montfort zu besehen, ließ sich vom Wirthe einen Punkt bezeichnen, welcher die schönste Aussicht gewähre, und bat, ihn von dort abholen zu lassen, sobald das Essen bereitet sei. Langsam schlenderte Philipp der bezeichneten Gegend zu. Kaum sah er sich außerhalb des Gesichtskreises des Wirthshauses, als er die entgegengesetzte Richtung einschlug, und querfeld der Straße von Nancy nach Toul zu eilte. In unglaublicher Schnelle hatte er die erste Poststation erreicht, nahm auf der Stelle Courierpferde und fuhr Tag und Nacht bis nahe an die niederländische Gränze, die er, ohne das Grenz-Wachthaus vorübergehen zu müssen, irgend wo heimlich überschreiten wollte, da er zu der Gültigkeit des in Nancy ihm verschafften Passes kein rechtes Vertrauen hatte, und man in jener Zeit auf der niederländischen Grenze die strenge Einrichtung getroffen hatte, Jeden, dessen Paß nicht alle erforderlichen Bedingnisse erfüllte, entweder zurückzuweisen, oder gleich zum Soldaten zu pressen. XXXXVIII. Die gefährliche Einsiedlerklause. Hegt er wohl Verdacht? Mißtraut er meinem Mitleid? -- Ja, beim Himmel, Er thäte recht; sein Werk ist abgelaufen, Sobald er über diese Schwelle tritt. Die Thüre, die er freudig sich geöffnet, Greift hinter ihm für immer in das Schloß; Kein Weg zur Freiheit und zum Leben, Nur schaudernd vorwärts zu der Schlachtbank. ~Th. Körner.~ „Der Allmächtige segne und beschütze Euch!“ -- sprach eine zitternde, schwache Stimme zu Philipp, der, in sehnsuchtsvolle Erinnerung an Josephinen versunken, mit gesenktem Kopfe dahin schritt. Er blickte auf und sah neben sich einen Eremiten mit einem wahren Apostelkopfe, dessen langer, eisgrauer Bart gegen die frische, gesunde Gesichtsfarbe des Greises sonderbar abstach. Schnell griff Philipp in die Tasche, und gab dem frommen Manne ein reichliches Geschenk. Jetzt erst bemerkte er, daß seine Versunkenheit ihn von dem Fußpfade hinweg und in ein schmales, von dicht bebuschten Höhen umgürtetes Thal geführt habe. Der Abend dunkelte schon tief herein, und Philipp, müde und nach Erfrischungen sich sehnend, fragte den Siedler, ob eine Herberge noch fern sei, und in welcher Richtung sie liege. „Ihr möchtet wohl, edler Herr,“ -- sprach der Eremit -- „ein paar tüchtige Meilen zu wandern haben, bis Ihr die nächste Herberge erreichen werdet, und dort zu übernachten darf ich Euch wohl nicht rathen, denn die Bewirthung in dieser einsamen Waldschenke ist gar zu armselig, und der Aufenthalt für fremde Reisende größtentheils gefährlich, wegen des Gesindels, das mit dem Wirthe, ihrem Spießgesellen, häufig verkehrt. Ihr habt mich so reichlich begabt und mir, wozu ich ohnehin schon als Christ verbunden bin, dadurch die Pflicht auferlegt, Euch nach allen meinen wenigen Kräften dienlich zu sein. Gewähret mir, geehrtester Herr, die große Freude, Euch in meiner nahen Klause ein weiches Lager und ein gutes Gericht bereiten zu dürfen. Lebe auch ich nur von Wurzeln, Kräutern, Brod und Wasser, wie mir mein Gelübde befiehlt, so kann ich doch einem werthen Gaste guten alten Wein und eine leckere Speise auftischen. Die Edelleute in einem weiten Umkreise beschenken mich mit den besten Lebensmitteln, da sie wissen, daß ich, meine Gebetstunden ausgenommen, den ganzen Tag die Gegend durchstreife, um verirrte Reisende, wandernde Handwerksbursche, oder sonst arme Menschen, die des Weges sind, in meine Klause zu führen, um ihnen Obdach und Labung zu geben. Laßt meine Warnung von der Waldschenke auf dem Berge von Trillon nicht unbeachtet, meine Bitte um Annahme eines Nachtlagers in meiner stillen Klause nicht unerfüllt. Ihr sollt zufrieden von mir scheiden.“ Willig nahm Philipp des Siedlers Anerbieten an, und bald war die Klause erreicht, die am Ende des kleinen, einsamen Thales tief zwischen vorspringenden Felsen und in einem Kreise hoher, dunkler Tannen lag. Philipp aß ein Gericht Fische und trank ein Glas Wein, wie er vielleicht nicht besser in einem der ersten Gasthöfe gefunden hätte. Wie Augenblicke flossen die Stunden hin, denn der Siedler, früher ein Kriegsmann und in der Folge viele Jahre auf der See, erzählte so angenehm, daß Philipp wünschte, die Zeit fesseln zu können, um die anziehenden Erzählungen des lieben Greises recht lange anhören zu können. „Hätte ich doch bald über Eure werthe Gesellschaft die Erfüllung meiner täglichen Pflicht vergessen,“ -- sprach der Greis, als die Nacht einbrach, und eilte aus der Klause. Gleich ertönte ein gellender Glockenklang. Der rückkehrende Einsiedler bedeutete dem fragenden Philipp, daß diese Glockentöne einigen, tiefer in den Bergen wohnenden Köhlern die Zeit zum Nachtgebete anzeige, wie auch durch diese Glocke die Stunde der Morgen-, Mittag- und Abendandacht bezeichnet werde. Philipp war ein Freund von guten Weinen; er zechte tapfer und sah mit Vergnügen, daß sein gastlicher Wirth den herrlichen Rebensaft gern und reichlich spendete, während er selbst nur Quellwasser trank. So war die Mitternachtstunde herangekommen, und Philipp, dem der Kopf schwer zu werden anfing, äußerte seinen Wunsch nach einem Ruhelager. „Dafür ist bereits gesorgt, edler Herr,“ sprach der Klausner, ergriff die Oellampe, öffnete die Thüre einer Nebenkammer und wies auf ein Lager von Moos hin, das nicht üppiger hatte sein können. Von dem frommen Einsiedler mit Weihwasser besprengt und an der Stirne gekreuzt, wankte der Trunkene dem einladenden Mooslager zu. Plötzlich wich der Boden unter seinen Tritten, und Philipp stürzte mit einem gräßlichen Schrei in eine Tiefe hinab. Des Siedlers gellendes Hohngelächter begleitete den Sturz. Aller Kleider beraubt, das Haar am Hinterhaupte von Blute triefend, im nächtlichen Dunkel fand sich Philipp, als seine Besinnung wieder zurückgekehrt war. Er tappte umher und überzeugte sich bald, auf dem Grunde eines gemauerten, ausgetrockneten Brunnens zu liegen. Die Tiefe konnte nicht beträchtlich sein, da er jedes Wort, welches über ihm gesprochen wurde, deutlich hörte. „Ich glaubte schon, daß Du ohne Fang heimgekehrt seist“ -- sprach ein tiefer Baß -- „da schon die Nacht hereingebrochen war, ehe Deine Glocke erscholl und uns das freudige Zeichen gab, einen Vogel in Deinem Garne zu wissen.“ -- „In diesem Quartale geht das Geschäft wacker,“ -- krächzte eine widerliche Stimme -- „das ist nun schon der dreizehnte, der bei lebendigem Leibe uns zu lachenden Erben macht.“ -- „Aber von Allen der Ergiebigste, ein wahrer Goldvogel,“ -- fiel jetzt die von Philipp wohlerkannte Stimme des Eremiten ein -- „denn sein Ledergurt strotzt von goldnen Uhren, Ketten, Diamanten und Münzen, vielleicht findet sich noch etwas in den Kleidern; ich habe mir nicht Zeit zum Nachsuchen genommen, da ich keinen Augenblick zögern durfte, den Fremden aus Verdün, den ich gestern hierher lockte, zu verscharren.“ „Das könnte ja jetzt auch mit diesem geschehen,“ -- bemerkte der Baß; -- „hat er sich nicht am Brunnengesteine die Hirnschale zerschmettert, so schlagen wir sie ihm ein, und dann Marsch unter die Erde.“ „Der Morgen ist bereits angebrochen,“ bemerkte der Eremit, „und schon gewöhnlich um diese Zeit schnüffelt der neue Jäger von Contry, ein mir recht fataler Kerl, in dieser Gegend umher. Führt mir auch heute das Glück einen neuen Kunden zu, so mag er sich zum alten freundlich betten und dann geht es mit dem Verscharren in einer Arbeit hin.“ „Jetzt bettle ich auf den Schlössern umher, um für den schwarzen Henri und seine wackern Gesellen irgend etwas auszukundschaften, Ihr dagegen seid regsam, Küche und Keller zu füllen; den Wein hat der gerupfte Goldvogel bis auf die letzte Flasche verschlungen und in der Vorrathskammer drohet den Mäusen der Hungertod.“ Die Mörder brachen auf, und bald herrschte in der Klause die tiefste Grabesstille. XXXXIX. Die Rettung. Wer frisch umherspäht mit gesunden Sinnen, Auf Gott vertraut und die gelenke Kraft, Der ringt sich leicht aus mancher Fahr und Noth. ~Schiller.~ Jedes Wort dieser raub- und blutgierigen Unholde war für Philipp ein Stück aus der Folterkammer, ein Todes-Urtheil. Aus dem nächtlichen Dunkel dieser Wolfsgrube tauchte immer schimmernder ein scheußliches Todtengerippe auf, und immer näher streckte sich nach ihm aus die vernichtende Hand des gräßlichen Skelets. Er sah nicht länger die Möglichkeit der Rettung, er sah sich nur als die sichere Beute eines grausamen Schicksals. In dumpfer Verzweiflung, nicht mehr die Schmerzen des wunden Hauptes fühlend, lag er in seinem engen, naßkalten Raume. Jetzt dachte er an jene Stunde, wo er an Josephinens Arme das Gotteshaus betreten, wo er aus der Tiefe eines reuevollen Gemüthes mit inniger Andacht gebetet, wo er sich durch sein Gebet Trost und Kraft und Ermuthigung von oben geholt hatte. Er warf sich rasch auf seine Kniee, und empfahl seine Seele in die Hände des Schöpfers, und flehete um Stärke für die nahe Stunde eines höchst leidenvollen Todes. -- Er hatte gebetet, und neue Wunderkraft floß durch sein ganzes Wesen. Es war, als ob eine Engelstimme ihm zuflüsterte: „Vertrau’ nebst Gott auf dich; die Rettung ist nahe.“ -- Diese himmlische Stimme gab ihm Muth und Kraft zu handeln. Er griff um sich her und fand so manchen Stein der Brunnenmauer morsch. Mit rascher Hand machte er Oeffnungen, in welche er die Füße setzen konnte. Von Stufe zu Stufe schwang er sich höher, bis er mit dem Kopfe an die Brunnendecke stieß. Er versuchte alle seine Kräfte, diese empor zu heben, aber ihre Schwere und Festigkeit widerstand seinen angestrengtesten Bemühungen. Unermüdet, das Möglichste versuchend, gelang es ihm, ganz oben am Rande einen Stein auszubrechen. In diesem Augenblicke erfaßte seine Hand in einer Fuge einen langen, starken, locker eingeklemmten Eisenstift. Nun ging die Arbeit rasch vorwärts. Die ausgebrochenen Steine rollten in die Tiefe, und bald schimmerte ihm durch die Spalten der Breterdecke Licht entgegen. Die Decke war morsch. Durch einen kräftigen Druck sprengte er ein Bret aus den Nägeln, und die Oeffnung hatte Raum genug, daß er sich durchzwingen konnte. Jetzt stand er in der Mörderkammer, die sich oft aufgethan hatte, um die Opfer der grausamsten Geldgierde in die Grabestiefe versinken zu lassen, und die auch für ihn ihren gräßlichen Rachen aufgesperrt hatte. Mit verhaltenem Athem lauschend, blieb er einige Augenblicke ruhig. Nun schlich er in das Gemach der Klause. Sein erster Blick fiel auf eine Axt, die auf dem Tische lag. Der Besitz dieser Waffe ließ ihn auch die allenfallsige Rückkehr des Siedlers und seiner Blutgesellen ohne Furcht erwarten, doch eilte er, sich in Stand zu versetzen, die Klause schnell verlassen zu können. Er war im bloßen Hemde, und irgend eine Bekleidung war ihm vor allem das Nöthigste. Schon hatte er die ganze Klause durchstöbert, ohne etwas zu finden, als es in der kleinen Vorrathskammer unter seinem Tritte wie hohl erklang. Der Boden der Kammer war mit Backsteinen gepflastert, doch schien Philipp, als wären die Steine nicht gehörig zusammengefügt. Er sah recht genau nach und fand eine auffallend weite Fuge. Mit Leichtigkeit hob er einen Stein aus, dann wieder einen, dann mehrere, und sah nun im Grunde eine verschlossene Kiste. Er sprengte sie mit der Axt, und fand nebst verschiedenen Kleidungsstücken eine vollständige Capuzinerkutte mit dem Gürtelstricke, ein Paar Sandalen und einen langen, falschen Bart. Schnell entschlossen, in dieser Vermummung fortzuwandern, suchte er nach seinen Kleidern, fand diese nicht, wohl aber einen Beutel mit Geld. In wenigen Augenblicken war er zum Capuziner umgewandelt. Ein Brod und ein Fläschchen mit Branntwein, das er in der Tischlade fand, waren ihm sehr willkommen. Er steckte den Fund zu sich, schlang ein Tuch um seine Kopfwunde, zog die Caputze darüber tief in die Augen, barg die Axt unter den langen Mantel, trat nun, vorsichtig umherspähend, aus der Klause und schlug seinen Weg nach dem nahen Walde ein. Ohne zu wissen, in welcher Gegend er sei, wo zu Brüssel liege und ob er in diesem Walde einen gebahnten Weg finden werde, eilte er immer geradezu, fand glücklich nach ein paar Stunden einen Fahrweg, fühlte sich aber nun von den Folgen der nächst vergangenen Ereignisse, von dem angestrengten Gange unter der drückenden Schwere der Capuzinerkutte, und von der Schwüle des Tages so angegriffen und ermattet, daß er in das nächste Gebüsch am Fahrwege kroch, und bald in den tiefsten Schlaf verfallen war. Es begann schon zu dunkeln, als Philipp erwachte, und zwar einen brennenden Schmerz in der Kopfwunde, sich aber sehr gestärkt fühlte. Mit der schönen Empfindung wahrer, kindlicher Dankbarkeit gegen den allbarmherzigen Gott warf er sich auf seine Kniee, und pries seinen himmlischen Retter aus tiefbewegtem Herzen, gelobte alles Gute und flehete um eine leitende, bewahrende Vaterhand auf dem Pfade der Tugend. Unter Thränen freudiger Rührung hatte er innig gebetet. -- O, wäre er doch immer der fromme, vertrauende, nach dem Guten strebende Mensch geblieben! -- Nachdem sich Philipp mit Brod und Branntwein gelabt hatte, wanderte er fort, unbekümmert, wohin dieser Fahrweg führe, da er sich kräftig genug fühlte, bis zum ersten Orte, und wenn er auch viele Meilen entfernt liege, ununterbrochen fortzuwandern, zumal da die liebliche Kühle der einbrechenden Nacht und das strahlende Licht des Vollmondes die Wanderung recht angenehm machten. Er war lange gegangen; jetzt sah er sich am Ende des Waldes und vor sich eine weite Fläche, von des Vollmondes magischem Lichte überflossen, und aus den Silberwellen der Matten und Fluren schimmerte ihm der hohe, weiße Thurm einer Kirche entgegen. Die Thurmuhr schlug, er zählte 10 Schläge und eilte dem Orte zu. Es war das große und volkreiche Dorf Contry, welches er betrat. Nahe am Eingange des Dorfes kündigte sich ihm ein stattliches Gebäude durch mehrere davor aufgefahrne Frachtwagen, und durch die Beleuchtung und das Gelärme im Erdgeschosse als einen Gasthof an. Er trat in die Zechstube. Wie mit einem Zauberschlage machte Philipps Eintritt alle Schreier, Sänger und Sprecher verstummen. Alles fuhr auf, riß die Hüte ab, und verneigte sich tief vor dem Eintretenden. Philipp konnte sich diese allgemeine Devotion nicht erklären; er dachte im Augenblicke nicht an seine hier hochgefeierte Capuciner-Kutte, und besann sich erst darauf, als ihn die Wirthsleute mit einem ehrfurchtsvollen: „Hochwürdiger Herr Pater“ begrüßten. Philipp erbat sich einen Führer nach der Pfarre, wohin der Wirth selbst alsogleich ihn geleitete. Mit der Predigt des nahen Sonntags beschäftigt, ging der Pfarrer in seiner Studirstube auf und nieder, als ihm die Ankunft eines Capuciners gemeldet wurde. Schnell eilte er dem geistlichen Mitbruder entgegen, wurde aber sehr überrascht, da Philipp sich ihm als ein gewöhnliches Weltkind ankündigte und sein gräßliches Abenteuer aus der Nacht in der Mordklause erzählte. Auf der Stelle ließ der Pfarrer den Dorfrichter rufen, und theilte ihm Philipps Aussage mit. Man kam anfangs dahin überein, ungesäumt einen Boten mit schriftlichem Berichte an das nächste Crimminalgericht zu senden, als sich Philipp antrug, die Anzeige persönlich zu machen, wenn vorher seine Wunde gehörig verbunden, er mit Speise und Trank erquickt und nach dem Sitze des Crimminalgerichts gefahren werde. Das Anerbieten fand Beifall. Es wurde nach dem Wundarzte geschickt, der Dorfrichter ging, seinen eigenen Wagen mit seinen besten Pferden bespannen zu lassen, und in der Küche wurde schnell ein gutes Nachtessen bereitet. Der Pfarrer wollte das Mönchskleid nicht länger am Leibe eines Weltmenschen profanirt sehen. Philipp erhielt dafür von dem Priester einen vollständigen, recht guten Anzug, durch den Wundarzt einen schmerzstillenden Verband seiner Wunde, aus den schnellen Händen der geschickten Köchin ein leckeres Mal mit trefflichem Weine, und fuhr nach einer Stunde an der Seite des Dorfrichters dem Criminalgerichte zu. -- Schon auf der Flucht aus der Klause war Philipp fest entschlossen, zur Zerstörung dieser Mordhöhle das Möglichste aufzubieten. Ungeachtet er vermuthen konnte, daß man in der Gegend umher, gewiß auch am Sitze des Gerichtes, diese Klause, in örtlicher Beziehung wenigstens, kenne, so wollte er doch ihres Wiederfindens recht sicher sein. Von seinem Eintritte in den Wald an bis zur großen Buche am Fahrwege, wo er im Gebüsche der Ruhe pflog, hatte er in kleinen Zwischenräumen die Bäume mit seiner Axt bezeichnet. Er hatte dadurch eine sehr kluge Vorsorge getroffen, denn der Criminalrichter wußte von keiner Siedlerhütte in seinem ganzen Gerichtsbezirke. Ein Wagen wurde, als Philipp seine Anzeige geschlossen hatte, schleunigst mit wohlbewaffneten Häschern besetzt, in einer leichten Chaise fuhr der Criminalrichter mit Philipp voran; es mußte der Weg über Contry genommen werden, da sich Philipp von da aus am besten orientirte. Mit Tagesanbruch war die Buche am Fahrwege erreicht. Man setzte ab; still und eilig ging es nun durch den Wald, Philipp an der Spitze. Der Wald war zu Ende, und die Felsengürtung sichtbar, in deren Winkel die Klause lag. Der Criminalrichter ließ dieselbe umringen; man sprengte die Thüre; es fand sich alles, wie Philipp angegeben hatte, aber kein Siedler, und immer mehr die Ueberzeugung, daß der Mörder für immer entflohen sei, denn alles, was leicht hinweg gebracht werden konnte, war verschwunden. Der Criminalrichter ließ den Brunnen verschütten und in die Klause Feuer werfen. Bald war die Mordhöhle bis auf den Grund niedergebrannt. L. Zusammenkunft mit Josephinen. Wo bleibst Du? -- Meine Arme strecken Sich liebevoll nach Dir in leerer Luft, Das Auge, das nur Deine Züge sucht, Kehrt traurig aus der düstern Dämmrung wieder. Was bist du für ein räthselhaft Gefühl, Du zitternde Erwartung naher Freude. ~Th. Körner~. Wieder unter dem Namen Mengstein erhielt Philipp von dem Criminalrichter einen Paß nach Brüssel, auch ein bedeutendes Geschenk, als Entschädigung für die ihm in der Klause geraubte Kleidung und Börse, deren Inhalt er auch nicht unbedeutend angegeben hatte; er war so klug, dem Criminalrichter den in der erbrochenen Kiste des Siedlers gefundenen Beutel zu verheimlichen, der über 200 Dukaten enthielt. In Brüssel angekommen, wollte er sich noch so lange nicht für irgend etwas bestimmen, bis Josephine eingetroffen, oder ihre Ankunft nicht mehr zu hoffen sei. Ruhig lebte er in dem kleinen Gasthofe, versah sich mit anständiger Kleidung und feiner Wäsche, und ging nur aus, um die Merkwürdigkeiten dieser prächtigen Stadt zu beschauen. Auf der Reitbahn lernte der Gouverneur der Stadt, Graf ~Hiller~, seine Kühnheit und seinen Muth bei Gelegenheit der Bändigung eines wilden Hengstes kennen, den niemand besteigen durfte, den aber Philipp zu seinem Willen zwang. Der Gouverneur war entzückt hierüber und nachdem er nach Philipps Verhältnissen geforscht hatte, bot er ihm eine Stelle als Bereiter in seinen Diensten unter sehr günstigen Bedingungen an. Mit Freuden ergriff Philipp die dargebotene Gelegenheit und war mit seinem Loose ganz zufrieden, indem er durch treue Pflichterfüllung sich die Zufriedenheit seines Gebieters und die Liebe seiner Untergebenen zu erwerben wußte. Lange Zeit war schon die Zeit dahin, in deren Laufe Philipp auf Josephinens Ankunft hoffen durfte. Mit der heißesten Sehnsucht verlangte er nach ihr. Nur das holde Bild dieser reizenden, sittigen Jungfrau umschwebte ihn. Er liebte sie mit der heißesten Liebe, er ehrte in ihr seinen guten Engel, der ihn vom Rande des zeitlichen und ewigen Verderbens mit milder Hand hinweggeführt, der ihm die heilige, beglückende Pforte des Guten geöffnet und alle Segnungen der Tugend und des Friedens in seine Brust gelegt hatte. In sich versunken, das Herz voll Trauer und Wehmuth und Sehnsucht, lehnte er eines Abends am Eingange des Gouvernement-Palastes, und blickte mit süß-schmerzlicher Erinnerung einem vorübergehenden Mädchen nach, das einige Aehnlichkeit mit Josephinen hatte, als er seine Hand sanft ergriffen fühlte. Er blickte auf, und neben ihm stand ein schlanker, hochgewachsener Knabe, mit sonnengebräuntem Gesichte, der ihn aus den schönen, blauen Augen recht freundlich anlächelte. Philipp beschaute den Knaben, der ihn gestört hatte in seinen Gedanken an Josephinen, mit zürnendem Blicke und fragte unwillig nach dessen Begehren. „Kennst Du denn Deine Josephine nicht mehr?“ lächelte der Knabe ihm zu, und drückte sanft seine Hand. Das war Josephinens Stimme, es war der freundliche Blick ihres seelenvollen Auges; das war ihre schwarze Lockenfülle, die den schöngeformten Kopf umfloß. Aber diese dunkle Farbe des sonst in den reinsten Alpenschnee und in Rosenblüthen getauchten Gesichtes? -- Diese männliche Kleidung? Wäre es möglich? -- Sein Herz sagte ihm, das Josephine ihm nahe sei, und er schrie laut auf vor Entzücken, als der Knabe ihn tiefer in die Vorhalle des Palastes führte, an seine Brust sank und ihn nochmals fragte: „Kennst Du Deine Josephine nicht?“ Der glückliche Philipp führte die Geliebte auf ihren Wunsch in einen Gasthof. Da sie aber durch die fast ununterbrochene Reise, auf der sie sich kaum einige Stunden Ruhe vergönnt hatte, noch so angegriffen war, so bat sie Philipp, ihr einige Stunden Ruhe zu gönnen und am andern Tage sie wieder zu besuchen, wo sie ihm dann ihre Schicksale seit ihrer Trennung erzählen wollte. Schon am andern Morgen flog voll Sehnsucht Philipp zu der Geliebten. In der niedlichsten Mädchenkleidung und mit dem frischen, blühenden Gesichte, das von der dunkeln Uebertünchung, mit welcher Josephine, zur größern Sicherheit ihrer Reize gegen lüsterne Zudringlichkeit, Gesicht, Hals und Hände gefärbt hatte, nicht mehr entstellt wurde, eilte sie dem eintretenden Philipp mit offenen Armen entgegen. Sie feierten ihr Wiedersehen mit aller Innigkeit einer tugendhaften Liebe, und als die ersten Wallungen ihrer liebenden Herzen in sanfter Ruhe sich aufzulösen begannen, wurde in beiden das Verlangen nach gegenseitiger Mittheilung rege. Josephine erzählte: „Ob mein Stiefvater unsere Gespräche belauscht, oder ob ihm meine Schwermuth nach Deiner Abreise das Geheimniß meiner Liebe verrathen hatte, kann ich nicht bestimmen. Daß er aber die feste Ueberzeugung nährte, Dein heimliches Entweichen aus dem Gasthofe zu Montfort und das Mißlingen seines Mordanschlages einem Winke von mir zurechnen zu dürfen, davon belehrte mich seine harte, oft grausame Behandlung von der Stunde an, wo der Knecht, sein Vermittler, mit der leeren Chaise und der Nachricht von Deinem Verschwinden zurückkehrte. Durch eine Thürspalte war ich Zeuge, wie der Stiefvater Deinen kleinen Koffer erbrach, mit Hast nach Deinem Gelde suchte, und bei seinen getäuschten Erwartungen gräßlich fluchte.“ „So geheim viele Schandthaten an Reisenden von meinem Stiefvater und seinen Raubgenossen ausgeübt wurden, so entgingen sie mir doch seit Jahren nicht. Ich rettete Manchen, den sie schon als sichere Beute betrachteten, durch glückliche Winke; es ist mir unbegreiflich, wie so viele Verbrechen begangen werden konnten, ohne die Aufmerksamkeit der Behörden, ohne selbst die der gewöhnlichen rechtlichen Gäste und der Nachbarn zu erregen. An jedem Morgen erwachte ich mit dem festen Entschlusse, zu entfliehen, aber ich wurde zu sehr beobachtet. Die Befürchtung von meiner Flucht war so groß, daß ich nie ausgehen durfte, außer in die Kirche, wo die alte Base, meines Stiefvaters innigste Vertraute, sich immer dicht anschloß; selbst in jener Stunde, wo Du an meinem Arme in das Gotteshaus gingst, war diese schreckliche Wächterin nur einige Schritte hinter uns, und ihre Nähe allein verhinderte mich, Dich schon damals in der Kirche auf die drohende Gefahr aufmerksam zu machen.“ „Hatte ich vor der Bekanntschaft mit Dir schon mit dem größten Eifer dahin gestrebt, aus diesem Lasterhause zu entfliehen, so war nach Deiner Abreise mein Streben noch viel eifriger. Tage und Nächte hindurch erschöpfte ich mich im Ersinnen eines Mittels zur Flucht, stundenlang betete ich mit der heißesten Andacht zu Gott, und Gott erhörte mein Gebet. Die Stunde der Rettung schlug.“ -- „Nach Deiner Abreise, fast immer in meinem Zimmer eingeschlossen, von der grundbösen Base mit Handarbeiten überhäuft, und bei dem mindesten Versehen auf’s Grausamste mißhandelt, mußte ich vor sechs Tagen so viele Wäsche verfertigen, daß ich voraus wußte, die ganze Nacht hindurch nähen zu müssen. Im Eifer der Arbeit entfiel mir der Fingerhut und rollte unter einen hohen Wandschrank, der dicht an der Mauer stand. Ich mußte mich ganz zu Boden strecken, um den weit hingerollten Fingerhut hervorholen zu können. Die Hand glitt mir aus und ich stieß an hölzernes Getäfel. Im Augenblicke kam mir der Gedanke, daß dieser Wandschrank eine Thür verberge. Aber wie sollte ich schwaches Mädchen diesen Riesenkasten zur Seite bringen? Ich versuchte es, und durch Gottes Hilfe gelang es mir, eine Oeffnung zu gewinnen, durch die ich mich an die Thüre drängen konnte. Die Thüre war verschlossen, und ich trat in eine ganz dunkle Kammer. Schnell holte ich mein Licht, fand die Kammer leer, aber eine aufwärts führende, schmale Treppe. Ich ließ das Licht zurück, schlich die Treppe hinauf, kam über einen langen, verbretterten Gang, und von diesem auf einen großen Getreideboden, welchen ich gleich als das unbewohnte Hintergebäude unseres Hauses erkannte. „Die Hoffnung auf die Möglichkeit, hier einen Ausgang zu finden, ermuthigte mich, meinen Weg fortzusetzen. Der Mond, dessen Strahlen durch die Fensteröffnungen und das zerrissene Dach drangen, ließ mich eine Treppe finden. Leise stieg ich hinab, immer tiefer, bis ich in ein zu ebener Erde gelegenes Gewölbe kam, das durch Eisengitter und eine Eisenthüre nach außen verwahrt war. -- Ich stand am Grabe meiner Hoffnungen, denn Gitter und Thüre spotteten meiner Flucht. In der Verzweiflung faßte ich unwillkürlich ein Gitter und rüttelte mit aller Kraft daran, und siehe: die morschen Stangen brachen. Ich schwang mich durch die Oeffnung, und stand bald auf der Gasse, es war grade um Mitternacht. Glücklich gelangte ich aus Nancy bis zu meiner Amme in das Dörfchen Ribont, die mir seit dem Tode meiner Tante mein geheimes Erbtheil aufbewahrt. Sie kleidete sich rasch an, und eilte mit mir fort. Als der Tag anbrach, sammelte sie auf einer Wiese Kräuter, drückte den Saft aus, und überstrich mir Gesicht, Hals und Hände. Der Spiegel des nächsten Baches zeigte mir meine Umwandlung in einen schwarzbraunen Buben. „Glücklich erreichten wir Resiers, wo meine Amme einen wackern Bruder hat, dem sie mich übergab. Ich mußte einige Stunden ruhen und Erfrischungen nehmen, dann fuhr er selbst mich mit seinen Pferden nach Verdun. Hier erhielt ich von der treuen Seele mein Vermögen und die Kleider ihres vor einem Jahre verstorbenen Sohnes und wurde jene Umwandlung mit mir vorgefunden, in der Du mich fandest, als ich hierher kam. Von Verdun aus fuhr ich mit Postpferden bis hierher, und die Furcht, von meinem unmenschlichen Stiefvater verfolgt zu werden, ließ mir unterwegs keine Ruhe und Rast.“ Philipp war überaus glücklich über die Rettung der Geliebten, mit einem unbeschreiblich süßen Gefühle hatte er Josephinens Erzählung gehört. Der Gedanke, das Wesen seiner heißesten Liebe in seinen Armen zu haben, und dem seligen Augenblicke entgegen sehen zu dürfen, mit diesem süßen Wesen bald auf immer vereint zu sein, erfüllte sein Herz mit dem höchsten Entzücken. Unter zärtlichen Küssen und mit Freude strahlenden Augen erzählte er nun seine Schicksale. Es drängte ihn, Josephinen recht bald ganz die Seine nennen zu können, und stellte sie deshalb seinem Herrn, dem Gouverneur, vor, den er inständigst um seine Unterstützung zur Erwirkung der gerichtlichen Erlaubniß, mit Josephinen verbunden zu werden, bat. Zugleich überzeugte er diesen, daß Josephine ein baares Vermögen von 5000 Livres und er 200 Ducaten besitze. Der Gouverneur sicherte seine Verwendung zu und in Kurzem waren Beide getraut. LI. Der Aufenthalt in Polen und Philipps erster Mord. O ich fühl’ es, dieses Weib, Wenn ihr sie schnell nicht meinem Blick entzieht, Ruft Sünd’ in’s Dasein, außerordentlich, Wie ihre Schönheit; einzig, wie sie selbst. ~Friedr. Hebbel.~ Drei Jahre hatte Philipp in Brüssel gelebt. Es waren die schönsten, die seligsten Tage seines Lebens. Durch strenge Pflichterfüllung, durch einen unbescholtenen Wandel hatte er sich Vertrauen und Achtung erworben, und seine und Josephinens Liebe war so innig, und ihre Herzen fühlten sich in einem so reinen, ununterbrochenen Genusse des innern Friedens und der häuslichen Glückseligkeit, daß sie gar keine andern Wünsche kannten, als daß es immer so bleiben möchte. Jetzt starb der Gouverneur Graf von Hillmer. Sein Neffe und Erbe, ein junger Wüstling, der in Paris, in London, in Wien sein Geld und sein Leben verschwelgte, flog, auf die Nachricht von seines Oheims Tode, aus Wien herbei, nahm die reiche Erbschaft in Empfang, verkaufte alle Einrichtung, Pferde und Wagen, lohnte die Dienerschaft ab, und eilte mit seinem, beinahe unermeßlichen Vermögen dahin, wo sich ihm die reichsten und mannigfaltigsten Genüsse boten. Philipp hatte sein und seiner Josephine Vermögen im Laufe dieser Zeit, wo sich durch den Pferdehandel viel gewinnen ließ sehr vermehrt. Philipp verstand dieses Geschäft. In zwei Jahren hatte er sein Capital verdoppelt, und in den drei folgenden durch Unglücksfälle, betrügerische Lieferanten, durch die Entweichung seines Hauptgläubigers und durch ein schnell ausgebrochenes, furchtbar um sich greifendes Feuer, welches die schönsten und theuersten seiner Pferde vernichtete, kaum mehr so viel im Vermögen, um mit Josephinen einige Monate hindurch ohne Nahrungssorgen leben zu können. Grade in dieser Zeit hielt sich zu Brüssel der Graf Wiczenik, ein reicher Pole, auf, der seine vielen Güter in der Gegend von Pyzdey hatte. Er lernte Philipp kennen, überzeugte sich von seinen Kenntnissen, und trug ihm eine Stallmeisterstelle mit einem sehr beträchtlichem Gehalte an. Freudig ging Philipp in den Antrag ein und sah dem Wiedergewinn seines verlornen Vermögens mit Zuversicht entgegen, da ihm der Graf seine bedeutende jährliche Lieferung von Remonten für die preußische leichte Reiterei gegen eine sehr mäßige Pacht überließ. Auch in Polens Steppen, auf dem prachtvollen, aber sehr einsam gelegenen Schlosse des Grafen lebten Philipp und Josephine wieder so glücklich, wie sie in Brüssel gelebt hatten. Drei Monate lebte Philipp an der Seite seiner Gattin und in seinem neuen Berufe auf dem gräflichen Schlosse recht froh und glücklich. Nach und nach aber wurde Josephine betrübt und Philipp fand sie oft mit verweinten Augen. Vergeblich bat er, ihm ihren geheimen Kummer zu entdecken, sie erklärte dies für Heimweh nach ihrem Vaterlande und für Launen, über die sie sich keine Rechenschaft geben könnte. In dieser Zeit übergab ihm der Graf die Oberleitung seiner beiden Gestüte, welcher neue Beruf seine Zeit so in Anspruch nahm, durch vieles Hin- und Herreisen, daß er oft viele Tage und Wochen lang seine Josephine nicht zu sehen bekam. Ihr immer zunehmend seltsames verschlossenes und trauriges Wesen fiel ihm aber immer mehr auf und er gewann die Ueberzeugung, daß ein tiefer, geheimer Schmerz mit scharfem Zahne an den Fäden ihres Lebens nage. Da warf er sich vor ihr nieder und flehte sie an mit der ganzen Gewalt seiner heißen Liebe, ihm ihr Geheimniß zu erschließen. Nun vermochte Josephine nicht länger zu schweigen. Mit erlöschenden Blicken vertraute sie ihm, daß Graf Wiczenik ihr schon seit längerer Zeit entehrende Anträge mache, ja, daß er sich erfrecht habe, sie einst in sehr früher Morgenstunde in ihrem Bette zu überfallen, und es ihr nur geglückt sei, durch den kräftigsten Widerstand und durch die Erscheinung der Mägde, die ihr heftiges Geschrei um Hilfe herbei geführt habe, sich seinem wüthendem Anfalle zu entreißen. Starr vor Entsetzen hatte Philipp Josephinens Klage gehört; es ward ihm jetzt klar, warum ihn der Graf so sehr mit Geschäften überhäufe -- daß es geschehe, um den lästigen Gatten zu entfernen. Sein Entsetzen ward zum furchtbaren Zorn; er riß eine Pistole von der Wand, um den Lüstling, der seine Ehre schänden, seine und des edelsten Weibes Lebensruhe auf immer zerstören wollte, niederzuschießen. In diesem verhängnißvollen Augenblicke trat der Graf in das Zimmer. Josephine bebte vor Entsetzen zurück. [Illustration: _L. Oeser in Neusalza._ Der erste Mord.] „Elender Wollüstling!“ brüllte der rasende Philipp, und, von seinem Schusse getroffen, stürzte der Graf wimmernd zur Erde.[37] -- [37] Hierzu die Abbildung im 4. Heft. „Der erste Mord.“ Der Schuß rief die gesammte Dienerschaft zusammen. Beim Anblicke des bluttriefenden, hingestreckten Gebieters bebten sie zurück in unthätiger Erstarrung; sie erriethen schnell, was da geschehen; Philipps todtbleiches Gesicht, das wild-glasige Auge, die losgebrannte Pistole in der schlaff herabhängenden, zitternden Hand, sprachen die That klar aus. „Bringt mich aus dieser Mordhöhle und jenen in des Thurmes tiefsten Kerker!“ -- stöhnte der Graf seinen Dienern zu. Auf sanften, sorglichen Händen wurde er in das Schloß getragen, Philipp in das grauenvollste Gefängniß des Thurmes geschleppt und mit schwerer Kette an einem Mauerringe angeschlossen. Philipp erwartete in seinem Kerker nichts zu wissen als den Tod. Da öffnete sich nach mehreren Wochen zur ungewöhnlichen Stunde eines Abends seine Kerkerthüre. Nicht der Wärter, sondern ein Mann von riesiger Gestalt und furchtbarem Aussehen trat mit einer brennenden Fackel in das Gefängniß, löste Philipps Fessel, vertauschte dessen beinahe vermodertes Gewand mit einem reinlichen Anzuge, verband ihm die Augen, drohte mit dem Tode beim ersten Laute, und führte ihn ins Freie. Ein gellender Pfiff, und ein Wagen rollte flüchtig daher. Philipp wurde hineingehoben, und im scharfen Trabe ging es dahin. Am zweiten Morgen erreichte Philipp auf diese seltsame Weise die schlesische Grenze. Philipp mußte hier aussteigen. Man gab ihm einen Beutel mit Geld und die Warnung, wenn ihm sein Leben lieb sei, nie mehr die Grenze von Polen zu betreten. Schnell wandte der Wagen um und rollte zurück. Bald war er den Augen des nachstarrenden Philipps entschwunden. In dem Geldbeutel schimmerte ihm ein Zettel entgegen, worauf er Josephinens Schriftzüge entdeckte. Diese schrieb: „Der Graf war nur leicht verwundet, aber schon im Augenblicke seines Falles Dein Tod beschlossen. Ich habe Dich gerettet, ich habe meine Tugend, meine Seligkeit, mein Leben für Deine Freiheit hingegeben. In dem Augenblicke, als man Deine Fesseln löste, ward ich das verzweifelnde Opfer der wildesten Sinnlichkeit. Wenn diese Zeilen in Deiner Hand sind, habe ich bereits vollendet. Der Dolch ist geschliffen, die Hand zuckt nach ihm. Lebe wohl, vergieb meinem Mörder, und bete für Deine Josephine.“ -- Mit einem schrecklichen Gefühle hatte Philipp Josephinens Worte gelesen; es war das Gefühl des heftigsten Schmerzes. Aber der Schmerz wurde immer gewaltsamer hinweggestoßen von der Wuth der Verzweiflung. Rasend sprang Philipp auf, warf sich auf die Kniee und schwur mit brüllender Stimme den gräßlichen Eid: „von diesem Augenblicke an nur dem furchtbarsten Hasse gegen die Menschheit anzugehören, und die versengende Glut dieses Hasses und der Rachsucht in den Thränen der Beraubten, in dem Blute der Ermordeten zu kühlen.“ Was Philipp Schönknecht geschworen, hat Lips Tullian schauderhaft erfüllt. LII. Lips Tullians Befreiung. So folge mir zur Freiheit und zum Leben -- Beginn es neu an meiner Hand. Sei nur dem Glück, der Freude hingegeben, Du, dem der Tod allhier am nächsten stand! . . . Wir kehren zurück in das Gefängniß, wo ganz unvermuthet Josephine ihrem Philipp erschien[38]. [38] _pag._ 338. Josephine öffnete ein Fläschchen, rieb Philipps Schläfe, flößte ihm einige Tropfen ein, und bald kehrte das Bewußtsein zurück. „Fasse Dich. Ich bin Josephine, Dein treues Weib, das gekommen ist, Dich zu retten. Laß uns von dannen eilen!“ -- flüsterte sie dem Zitternden zu, der seine Sinne noch nicht ganz gesammelt und noch nicht klar aufgefaßt hatte, was da geschehe. Josephine wiederholte ihre Worte, sie beschwor ihn, keinen Augenblick zu versäumen; mit kräftiger Hand zog sie ihn von der Erde empor, und als der Morgen anbrach, waren beide schon viele Meilen vom gräflichen Schlosse entfernt und eine Gebirgsschlucht, von himmelhohen Tannen dicht umgürtet, gab für den ersten Augenblick den Flüchtigen eine sichere Freistätte. Von Josephinen erfuhr er über ihre Schicksale seit seiner gewaltsamen Entführung aus dem gräflichen Schlosse in Polen Folgendes: Nachdem die Dienerschaft den Grafen Philipp in den Kerker abgeführt hatte, ließ der Gerichtsbeamte Josephine in ihrem Hause streng bewachen. Schon nach einigen Stunden herrschte wieder laute Freude in dem Schlosse; der Arzt hatte den Ausspruch gethan, des Grafen Wunde sei nicht tödtlich, selbst nicht gefährlich, und nach einigen Tagen die vollkommene Genesung mit Zuversicht zu erwarten. Die Verwundung war nicht mächtig genug, in dem strömenden Blute die Flamme der Begierde nach Josephinens Besitz zu vernichten. Kaum hatte der Graf das Krankenlager verlassen, als sein Erstes war, Josephinens Wache zu entfernen, und zu ihr zu gehen. Er fand sie sehr leidend, kaum kräftig genug, ihm entgegen zu wanken, zu seinen Füßen niederzusinken und um Gnade für ihren Gatten zu flehen. Rasch hob der Graf die Knieende empor, trug sie unter den süßesten Schmeichelworten auf das Sopha, setzte sich an ihre Seite, und bot nun alle Macht der Beredtsamkeit, alle Künste der Verführung auf, sie für seine Wünsche geneigt zu machen. Er überreichte ihr eine Urkunde, worin Josephine als die Herrin einer beträchtlichen Besitzung erklärt wurde, und betheuerte mit einem feierlichen Schwure, Philipp aus dem Gefängnisse zu entlassen und mit einer sehr reichen Summe nach dessen Vaterlande zu senden, wenn sie nur einige Jahre mit ihm als seine vertrauteste Freundin leben wolle. Die edle tugendhafte Frau wies jedes Geschenk, jede noch so lockende Zusicherung mit strengem Ernste zurück; sie flehte nur um die einzige Gnade, sie mit Philipp ohne alle Habe im allerdürftigsten Zustande dahin ziehen zu lassen, da sie an der Seite des geliebten Gatten das erbettelte Brod freudiger genieße, als die leckersten Gerichte im verbrecherischen Wohlleben. Vom Widerstande noch mehr entflammt, entschloß sich der Graf, seinen Gerichtsbeamten, den er als einen höchst schlauen Menschen kannte, in das Vertrauen zu ziehen, und diesen für sich handeln zu lassen. Sogleich nachdem dies geschehen war, wurde Josephine aus ihrer freundlichen Wohnung in ein dunkles, schauerlich einsames Gefängniß geführt, wo sie nur eine Strohschütte, und Wasser und Brod fand. Sie wurde vor den Gerichtsbeamten zum Verhöre geführt, und schon nach dem dritten erklärte ihr der rauhe Richter mit zermalmender Kälte, daß der Tod durch Henkershand das Loos ihres Gatten, jahrelanges, hartes Gefängniß das ihrige sei, und nur Leben und Freiheit in der Hand des gebietenden Grafen ruhe. Vom tiefsten Schmerze ergriffen, von Leiden gefoltert, die ihre zerfleischte Seele zu gewaltig niederdrückten, lag Josephine auf ihrer Strohschütte, die Hände wund ringend, durch keine lindernde Thräne aus dem erlöschenden Auge erquickt, da öffnete sich zur ungewöhnlichen Stunde ihre Kerkerthüre, der Wächter trat ein, brachte einen Korb mit reiner Wäsche und bat Josephinen mit freundlichen Worten, sich dieser Wäsche zu bedienen und seiner baldigen Rückkehr zu harren. Es war das erste Wort, das Josephine aus dem Munde ihres gefühllos-stummen Wächters hörte; zum ersten Male seit ihrer Verhaftung empfing sie reine Wäsche. Unter sanftem Weinen kleidete sie sich um, und ein ganz besonderes Gefühl bewegte ihr Inneres, als der rückkehrende Wächter sie mit freundlichem Lächeln einlud, ihm zu folgen. Ueber den langen, gewölbten Gang hin wankte sie an seiner Seite in ein helles, reinliches, mit Geräthen für die Bequemlichkeit wohleingerichtetes Gemach. Von einem kleinen Tischchen am hohen Bogenfenster winkten ihr feine Gerichte und ein Krystallbecher mit Wein entgegen. Auf die Bitte des Wächters erquickte sie sich mit Speise und Trank, und in diesem Augenblicke über die zu heftigen Anforderungen der Natur ihre Lage vergessend, seit so vielen Tagen, bei fast ungenießbarem Brod und übelriechendem Wasser, fast dem Verschmachten nahe, würde sie Mahl und Wein mit Heißhunger verschlungen haben, wäre nicht gerade, als sie am Tischchen sich niederließ, der Gerichtsbeamte eingetreten, und seine Aufmerksamkeit dahin gerichtet gewesen, die Entkräftete nur mäßig und in kleinen Zwischenräumen die lang entbehrte Erquickung genießen zu lassen. Der Gerichtsbeamte tröstete sie und machte ihr für ihre und ihres Gatten baldige Begnadigung die süßesten Hoffnungen; aber schon am andern Tage rückte derselbe mit seinen schimpflichen Anträgen deutlicher heraus. Mit Abscheu bebte die Tugendhafte vor dem Kuppler des lüsternen Gebietes zurück, doch schauderte sie zusammen, als der Gerichtsbeamte aus dem Tone der feinsten Schmeichelei in den einer kalten Härte überging, ihr schonungslos eine Bedenkzeit nur bis zum folgenden Tag zugestand und im Falle ihrer hartnäckigen Weigerung, die Rückkehr in eine vieljährige Gefangenschaft bei Wasser und Brod, ein gräßliches Leben bei Grabesstille, auf faulendem Stroh, in Gesellschaft von Unken und Gewürme, ankündigte. Der Morgen erschien, und mit ihm der Gerichtsbeamte. Josephine hatte die ganze Nacht hindurch gebetet, und im Gebete sich neue Kraft zum Kampfe für Tugend und Reinheit erholt. Als der Gerichtsbeamte in das Gemach trat, erklärte sie ihm mit aller Würde ihrer tugendhaften Seele, bereit zu sein in ihr Gefängniß zurück zu kehren. Schweigend hatte sie der Beamte angehört. Auf einen Wink folgte sie ihm in einen fernen, fast nächtlich dunkeln, grauenvollen Kerker. -- „Dieses sei von nun an deine Wohnung, und ein Blick durch jenes Fenster überzeuge Dich, mit der Ruhestätte Deines Mannes in recht nachbarlichem Verein zu leben!“ -- sprach der Gerichtsbeamte mit eisiger Kälte und führte sie an das kleine, dicht vergitterte Fenster des Gefängnisses. Ein Blick durch das Gitter, und Josephine sank mit einem gräßlichen Schrei in die Arme des Gerichtsbeamten, und kreischte mit dem gellenden Laute des Wahnsinns: „Für sein Leben gebe ich mich dem Grafen hin!“ Bewußtlos wurde sie hinweggetragen. In dem engen Hofraume vor dem Gitterfenster stand ein Mann von gräßlicher Gestalt, die Arme nackt bis an die Schultern, ein blinkendes Beil schwingend über Philipps Haupt, welches von einem Henkerknechte auf einen Block niedergedrückt wurde; nahe an dem Blocke war ein offenes Grab. Das hatte Josephine gesehen, und den Knieenden, der einer von des Grafen Leuten und zu diesem grausamen Trugspiele in Philipps Kleidung vermummt war, für ihren zum nahen Tode bestimmten Gatten gehalten. Josephine bestätigte nach Rückkehr ihrer Sinne, was sie in dem schauderhaftesten Momente ihres Lebens gelobt hatte. Ihr wurde dagegen Philipps Freiheit, seine Entfernung aus Polen und eine reiche Schenkung für ihn zugesichert. Der Gerichtsbeamte zeigte ihr die Summe, die für Philipp bestimmt war, und sie hatte Gewandtheit genug, jenen Zettel an Philipp dem Golde unbemerkt beizufügen. -- Der unerschütterliche Entschluß, sich zu tödten, ehe sie die Beute des Wolllüstlings werde, erzeugte in ihr den Gedanken, noch vorher die Flucht zu versuchen. Es gelang ihr, durch mühsam erkünstelte Zärtlichkeit die Begierde des Grafen dahin zu beschwichtigen, daß er ihr eine Frist von 14 Tagen gewährte, um, wie die Listige sich äußerte, die grausen Bilder der jüngsten Vergangenheit aus ihrer zu beklommenen Seele allmählig verbannen zu können. Selbst der leiseste Versuch einer Flucht mußte an der Wachsamkeit scheitern, mit welcher der nicht leicht zu täuschende Graf jeden ihrer Schritte umgab. Zwei Frauen, bewährte Dienerinnen des Grafen und von ihm wohl unterrichtet, wichen Tag und Nacht keinen Augenblick von Josephinens Seite. Schon dunkelte heran der Abend des Tages, an welchem die Unglückliche geopfert werden sollte; schon hatte Josephine ein unbemerkt beseitigtes Messer in die Falten ihres Gewandes verborgen, um, wenn der schreckliche Augenblick ihrer Entehrung nahe, das scharfe Eisen sich in die keusch bewahrte Brust zu stoßen, als ein heulendes Jammergeschrei die Hallen des Schlosses durchscholl. Mit dem Tode ringend, wurde der Graf von der Reitbahn in das Schloß getragen. Trotz den Warnungen seines Stallmeisters hatte er, vom unmäßig genossenen Weine erhitzt, ein junges, ganz wildes Pferd bestiegen. Das ungezähmte Thier, noch keines Reiters und keines Zwanges gewohnt, in der riesigen Kraft ausgebildeter, tobender Jugend, schleuderte den Grafen mit solcher Gewalt an die Steinwand der Reitbahn, daß die Brust zerschmettert wurde. Kaum mehr der Sprache so viel mächtig, nach Josephinen zu verlangen, hatte er dieser nur wenige Augenblicke vor seinem Hinscheiden noch eine Rolle von 1000 Dukaten und einen werthvollen Schmuck dargereicht, sie mit den letzten Athemzügen seiner zermalmten Brust anflehend, ihm das Geschehene zu vergeben, und seiner im Guten zu gedenken. Von Josephinens Thränen benetzt, hauchte er in einem Blutstrome sein Leben aus. Sie verließ mit Freuden alsbald ein Land, welches sie so grenzenlos unglücklich gemacht hatte. Beinahe ein volles Jahr hatte Josephine auf Reisen zugebracht, und jede Gegend durchstreift, wo sie hoffen durfte, ihren Philipp oder doch wenigstens Nachricht über ihn zu finden. Alle Mühe blieb ohne Erfolg; spurlos war der verschwunden, an dem die Verlassene mit ganzer Liebe hing, und ohne welchen ihr kein froher Tag blühete. Ungeachtet Josephine auf ihren Reisen sehr haushälterisch zu Werke gegangen war, so hatte sie doch eine bedeutende Summe gebraucht; sie würde, so lange ihr Geld gereicht hätte, das Aufsuchen fortgesetzt haben, hätte es ihr nicht höchst nothwendig geschienen, den größten Theil der Summe, welche des Grafen Reue und Dankbarkeit ihr in Geld und Juwelen zugesprochen hatte, sorglich bis zu Philipps Wiederfinden zu bewahren, um, wenn er dürftig sei, ihn gleich zur Antretung irgend eines Geschäftes unterstützen zu können. Jede Ruhe, jeden langen Aufenthalt an einem Orte scheuend, da sie einmal unerschütterlich an dem Gedanken hing, ihren Philipp ununterbrochen aufsuchen zu müssen, nahm sie Dienste bei hohen Herrschaften, aber nur bei solchen, von denen sie hörte, daß sie viel auf Reisen seien. Jetzt war sie in die Dienste der Gräfin von Freienberg getreten, da ihr kund gethan wurde, daß der Graf mit seiner Gemahlin eine Reise von längerer Dauer in sehr entfernte Gegenden machen werde. Schon sehr nahe war der Tag der Abreise, als Philipp mit seiner kleinen Bande von den gräflichen Gerichtsdienern und Jägern aufgegriffen wurde. In der Vorhalle des Schlosses stand Josephine hinter einer Säule des hohen Gewölbes, furchtsam auf den Hof hinausblickend, und mit Grauen die fremden Gestalten betrachtend, deren wilde Gesichter aus der dunkeln Flammengluth der Fackeln noch wilder hervortraten. Sie hörte den Befehl des Grafen, den Anführer der Bande in das sicherste Gefängniß zu bringen; sie warf einen scheuen Blick auf ihn. Josephine schauderte zusammen und ein entsetzlicher Schrecken durchzuckte sie, denn das war das Gesicht ihres Philipps, das war sein Gang, seine Haltung. Wie Philipp zum Räuber geworden, ob er schuldig oder schuldlos sei, daran dachte sie mit keinem Athemzuge, das heißliebende Weib hatte in ihrer großen, muthigen Seele nur Raum für den Entschluß, ihn zu retten und mit ihm zu entfliehen. Noch nicht mit sich selbst einig, wie dieses zu bewirken sei, eilte sie auf ihr Zimmer, packte ihr Gold, ihre Juwelen, das Nöthigste an Kleidern und Wäsche ein, schlich mit dem Bündel in die Vorhalle hinab, verbarg ihn an einem sichern Orte, und kehrte dann zu ihren Geschäften zurück, um ihre Abwesenheit nicht auffallend zu machen, und während der Arbeit die Mittel zu Philipps Befreiung und Flucht zu ersinnen, womit sie auch bald zu Stande kam. Als die Herrschaft zur Tafel ging, besuchte Josephine, wie sehr oft geschah, die Frau des Kerkermeisters, welche durch Herzensgüte und tugendhafte Gesinnungen sich Josephinens innige Freundschaft erworben hatte. Mit dieser Frau war Josephine schon oft, selbst am späten Abende, zu den Gefangenen gegangen, um ihnen ein Stück Wäsche zu schenken, oder sie mit einer Speise zu erquicken. Josephine kannte die Lage aller Gefängnisse, daher auch dessen, worin ihr Gatte verwahrt wurde. Es war jetzt darum zu thun, den Schlüssel zu diesem Gefängniß und den zur kleinen Hinterthüre des Stockhauses an sich zu bringen. Es gelang ihr, ohne daß der Kerkermeister und seine Frau es bemerkten. Mit ihrem Raube, den sie nicht für eine Tonne Goldes gegeben hätte, eilte sie, als die Zeit des Aufhebens der Tafel herankam, in das Schloß zurück, besorgte ihre Arbeit mit großem Eifer, brachte die Gräfin zu Bette, und schlich, als im Schlosse allgemeine Ruhe herrschte, ihren Bündel unterm Arme, eine brennende Leuchte sorgfältig bedeckend, der Hinterthüre des Stockhauses zu. Geräuschlos öffnete sie die selten gebrauchte Pforte, leise das Schloß und die Riegel der Kerkerthüre. Das Uebrige haben wir bereits gesehen. [Illustration: _L. Oeser in Neusalza._ Die Befreiung.] LIII. Lips Tullians letzte Schicksale. Ich kann nicht rückwärts; vorwärts ist die Schuld, Ist das Verbrechen, vorwärts ist die Schande: -- Doch kann ich nicht zurück. Mich jagt das Schicksal, Mein Stern ging unter, der mich aufrecht hielt, Und tückisch stürzt die Nacht mich in den Abgrund, Und meine grade Straße führt zur Hölle! ~Th. Körner.~ Durch Josephinens Gold wieder mit stattlichem Anzuge und den Mitteln versehen, eine schnelle Reise im bequemen Wagen machen zu können, hatte Philipp an ihrer Seite Baiern erreicht. Fest entschlossen, dem gefahrvollen Räuberhandwerke zu entsagen und in sicherer Einsamkeit nur der häuslichen Ruhe und seiner Josephine, die er immer mehr und wieder mit aller Kraft der frühern Leidenschaft liebte, zu leben, machte er ihr den Vorschlag, im Baierischen ein kleines, freundlich und angenehm gelegenes Grundstück zu kaufen, und dort dem Feldbaue sich zu widmen. Dies geschah so. Hier lebte nun Josephine im süßesten Glücke, ohne zu ahnen, in ihrem geliebten Philipp einen Räuber und Mörder, in ihm den furchtbaren Lips Tullian zu umfassen. Schon in jener Gebirgsschlucht, wo er, von Josephinen aus dem Kerker befreit, an ihrer Seite die erste Freistätte gefunden hatte, begann er seine Erzählung von seinen seit ihrer Trennung erlebten Schicksalen. Diese Erzählung war das feinste Gewebe der schlauesten Erdichtungen, die rührendste Darstellung von Leiden und Kämpfen, aus welchen er immer als Tugendheld mit Strahlen der Glorie hervorging. Im Laufe der Reise gab er seine Erzählung nur stückweise, um sich nicht im Feuer längerer Mittheilung zu verwirren, um immer neue Mährchen zu ersinnen, und sie mit dem Kleide der höchsten Wahrscheinlichkeit zu umhüllen. Es hatte Josephine beinahe zwei Jahre im wonnevollsten Genusse der Gegenwart gelebt, als Philipp, der bei seinem Leben im Gebirge, wo alles Jäger ist, auch ein Waidmann geworden, auf einige Tage sich vom Hause entfernte, um bei einem Förster einige Treib-Jagden mitzumachen. Es befremdete ihn sehr, bei seiner Rückkunft nicht außerhalb des Hauses von Josephinen empfangen zu werden, wie sonst jedesmal geschah. Seine Befremdung ward zum höchsten Erstaunen, als ihm auf der Hausflur die Magd den Schlüssel zu den obern Wohnzimmern überreichte, mit der Nachricht: die Frau sei vorgestern Abends, nachdem sie lange mit einem fremden Manne gesprochen und ihr, ohne sonst etwas zu sagen, diesen Schlüssel übergeben habe, mit einem Bündel unter dem Arme von Hause fortgegangen und noch nicht heimgekehrt. Philipp stürmte ins Zimmer; er fand alles unverrückt, vermißte kein Kleid seiner Frau, wohl aber den besten Theil ihrer Wäsche. Jetzt erblickte er auf dem Schreibtische einen versiegelten Brief. Mir Hast erbrach er ihn, und las: „Kaum vermag meine zitternde Hand, Dir in diesen Zeilen zu sagen, daß ich ganz eingeweihet bin in die furchtbarsten Geheimnisse Deines schauderhaften Lebens. Wir beide können nicht mehr auf einem und demselben Lebenspfade wandeln. Den größten Theil des baaren Geldes habe ich dem Manne gegeben, der durch seine grauenvolle Erzählung den Frieden, das Glück meines Lebens auf immer vernichtete, auf daß er die gräßlichen Geheimnisse tief bewahre und Deine Freiheit und Dein Leben nicht gefährde. Ich gehe dahin, wo nur die tiefste Stille, die friedlichste Einsamkeit mir winken, und dort werde ich mit glühender Andacht für Deine Seele beten. Josephine.“ Der erste Gedanke, den Philipp nach entwichener Erstarrung wieder zu fassen vermochte, war nicht eine Erinnerung an Josephinen, eine Sehnsucht nach ihr, ein heißer Schmerz über ihre Entfernung; es war der Gedanke, den Verräther aufzusuchen, um die heiße Flamme der Rachsucht in seinem Blute zu kühlen. Er stürzte eine Flasche Wein aus, warf die Doppelbüchse über und eilte aus dem Hause, nachdem er sich bei der Magd in Ausforschung über Aussehen und Kleidung des fremden Mannes erschöpft hatte. Nach den sorgfältigsten und mühsamsten Aufsuchungen fand er am Abende des dritten Tages, nicht fern von einer abgelegenen Waldschenke, einen Kerl im Gebüsche schlafen, in dem er den rechten Mann zu finden hoffte. Sanft wendete er den Schlafenden nach der Seite, und erkannte auf den ersten Blick in ihm den böhmischen Wenzel, seinen Bekannten von Schlesien her, der nur fast durch ein Wunder damals in Trebnitz dem schon für ihn gezücktem Henkerschwerte entgangen und später in Sachsen einer von Lips Tullians listigsten und hartherzigsten Raub- und Mordgesellen gewesen war. Daß dieser bei Josephinen an ihm zum Verräther geworden sei, daran hing Philipp mit festem Glauben, der zur Ueberzeugung ward, da Aussehen und Kleidung ganz mit der Angabe der Magd übereinstimmten, ohne Wenzel zu fragen, wie er in diese Gegend, wie er zu Josephinen gekommen sei, und warum er ihn verrathen habe, dazu gab ihm seine wild brennende Sucht nach Rache nicht Besonnenheit und nicht Geduld. Mit einem schnellen Blicke umherspähend, ob Niemand in der Nähe sei, stieß er dem Schlafenden sein Messer ins Herz.[39] Mit dem Lachen gräßlich befriedigter Rache eilte der Mörder von der Leiche hinweg. [39] Siehe die Abbildung. Schon nach einigen Tagen hatte Philipp sein Grundstück verkauft, den Erlös in Geld umgesetzt, und mit Postpferden eilte er Sachsen zu, fest entschlossen, das Raub- und Mord-Handwerk noch gräßlicher zu treiben, als er es getrieben hatte. An der Gränze verließ er die Postchaise, um zu Fuße desto leichter umherstreifen und die abgelegenen Diebeherbergen besuchen, auch in Wirts- und Köhlerhütten nach frühern Kameraden umherspähen zu können. [Illustration: _L. Oeser in Neusalza._ Ein neuer Mord.] Als Jäger gekleidet, mit Doppelbüchse, Waidtasche und Hirschfänger ausgerüstet, ging er nach der Stadt Freiberg. Am Thore wurde er von dem Examinator angehalten und nach seinem Passe befragt. Philipp äußerte in stolzen, trotzigen Worten seinen Unwillen, daß man ihn hier anhalte und nach seinem Passe befrage, ungeachtet er fast in jeder Woche zweimal mit Wildpret in die Stadt komme, wo ihn fast jedermann als den Förster des nahe wohnenden Herrn von Hartenstein kenne. Er ging fort, ohne die Gegenrede des Examinators abzuwarten, der aber, mit dieser Erklärung nicht zufrieden, ihm nacheilte und mit Arretirung drohte. Philipp ließ sich in seinem Gange nicht aufhalten, sprang von der Straße hinweg in ein Haus, und suchte durch eine Hinterthüre zu entfliehen. Der Examinator war ihm auf der Ferse. Das Haus hatte keine Hinterthüre, der Hofraum lief in einen finstern Winkel aus. Dort warf Philipp den Examinator zu Boden, und stieß ihm den Hirschfänger in den Leib.[40] [40] Hierzu die Abbildung im 12. Hefte. [Illustration: Lips Tullian in Freiberg.] Aus dem Fenster des Erdgeschosses hatte ein Weber die Mordthat gesehen. Er und seine Gesellen, mit Aexten, Hämmern und Gabeln schnell bewaffnet, eilten an die Hausthüre, um dem Mörder den Ausgang zu verwehren. Man schrie um Hülfe, nach der Wache. Schnell hatte sich eine Volksmenge gesammelt. Mit dem bluttriefenden Hirschfänger, mit gespannter Doppelbüchse stürzte Philipp hervor, fest entschlossen, Freiheit und Leben mit Blutströmen zu erkaufen, oder nur über Leichen hinweg ins Gefängniß geschleppt zu werden. Beinahe blutlos und sehr kurz war der Kampf; ein gigantischer Schmiedegeselle, aus dem Hinterhause hervorstürzend, umfaßte Philipp von rückwärts mit einer Kraft, die jede Bewegung, jede verzweiflungsvolle Anstrengung des Wüthenden hemmte. Im Augenblicke war er entwaffnet und gebunden. „Freibergs armselige Spießbürger haben Lips Tullian überwältigt!“ -- brüllte er mit des ohnmächtigen Grimmes wildester Heftigkeit. Denn er hatte früher oft geäußert: „Freibergs Spießbürger sollen mich lebendig nicht gefangen kriegen!“ In sprachloser Ueberraschung, mit scheuen Blicken bebte das Volk bei diesem Namen vor dem gefesselten Tiger zurück. Keiner der Vielen hatte den Muth, dem Gefürchteten sich zu nähern. Jetzt stürzte die Wache herbei, den Gefangenen nach dem Stockhause abzuführen, und der Kolben unsanfte Berührungen machten den zögernden Gang des sich Sträubenden zum immer raschern Doppelschritte. Es war am 14. November 1711, als Lips Tullian auf einem Wagen geschlossen, von einem Husaren-Commando umgeben, auf dem Festungsbaue zu Dresden ankam, und in dem Gefängnisse, die Mohrenkammer genannt, mit Fuß- und Handketten, mit Hals- und Leibring angeschmiedet wurde. Im Laufe eines Jahres hatte er fünfmal die Tortur erduldet, ohne irgend ein Verbrechen bekannt zu haben. Als er eines Tages in das Verhörzimmer geführt wurde, starrte er auf der Schwelle mit heftigem Erschrecken zurück. „Haben sich die Gräber aufgethan und ihre Beute ausgeworfen?“ stöhnte er mit bleichen Lippen, und streckte die zitternden Arme gerade aus, gleichsam von sich abwehrend die grauenvollen Gestalten, aus deren todtbleichen Gesichtern ihm gräßliche Erinnerungen wie quälende Gespenster entgegentraten. Sarberg, Eckold, Lehmann, Schöneck, Schickel und Hentzschel hatte er in jenem wilden Kampfe mit der rebellischen Bande leblos an seiner Seite niederstürzen gesehen, und jetzt standen sie ihm gegenüber, jetzt riefen sie ihm Gruß und Namen entgegen. Es währte lange, bis er sich wieder gesammelt, bis er sich überzeugt hatte, daß sich das Reich der Todten geöffnet habe, daß es Lebende seien, deren Nähe ihn wie Leichengeruch anwidere. Aber als der Richter ihm nun sagte, eben diese Männer haben reuemüthig gestanden, was sie und Lips Tullian, ihr Hauptmann, gethan; als er hörte, daß seine vertrautesten Freunde zu seinen Anklägern, zu seinen Verderbern geworden seien, da durchbohrte er die Verräther mit tödtenden Blicken, da schüttelte er grimmig seine Ketten. „Ich will bekennen, was ich gethan, aber diese Schurken sollen nicht die Früchte ihres Verrathes, ihrer Heuchelei, ihrer erbärmlichen Schwäche genießen. Und wenn das Erbarmen des Fürsten auch schon eine Gnadenschranke von Erz um ihr Leben gezogen hat, so reißen meine Geständnisse diese Schranke nieder, und jauchzend schleppe ich diese Räuber und Mörder auf das Blutgerüst!“ -- So brüllte Philipp dem Richter zu, und mit des Hohnes und der Verachtung eisiger Kälte blickte er auf die todtbleichen Gestalten hin. -- Tullians Geständnisse begannen. Zwei Tage und eine Nacht, nur von Zeit zu Zeit durch eine Ruhestunde unterbrochen, dauerte das erste Verhör. Ueber Tullian, über Sarberg, Eckold, Schöneck, Schickel, Lehmann und Hentzschel sprach im Monat Oktober 1714 der Schöppenstuhl zu Leipzig die Strafe mit dem Rade vom Leben zum Tode aus, die in der Folge von dem Landesfürsten gemildert wurde. Lips Tullian und die mit ihm Verurtheilten wurden am 8. März 1715 auf dem großen steinernen Gerichte bei Alt-Dresden enthauptet und ihre Körper auf das Rad geflochten. End of Project Gutenberg's Lips Tullian und seine Raubgenossen, by Ernst Frei *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK LIPS TULLIAN UND SEINE RAUBGENOSSEN *** ***** This file should be named 58190-0.txt or 58190-0.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/5/8/1/9/58190/ Produced by the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by SLUB: Sächsische Landesbibliothek - Staats - und Universitätsbibliothek Dresden at http://www.slub-dresden.de ) Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. 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