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Festländer und Meere
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Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde, Stuttgart
Die Gesellschaft Kosmos will die Kenntnis der Naturwissenschaften und damit die Freude an der Natur und das Verständnis ihrer Erscheinungen in den weitesten Kreisen unseres Volkes verbreiten. – Dieses Ziel glaubt die Gesellschaft durch Verbreitung guter naturwissenschaftlicher Literatur zu erreichen mittels des
Kosmos, Handweiser für Naturfreunde
Jährlich 12 Hefte. Preis M 2.80;
ferner durch Herausgabe neuer, von ersten Autoren verfaßter, im guten Sinne gemeinverständlicher Werke naturwissenschaftlichen Inhalts. Es erscheinen im Vereinsjahr 1913 (Änderungen vorbehalten):
Dr. K. Floericke, Einheimische Fische.
Reich illustriert. Geheftet M 1.– = K 1.20 h ö. W.
Dr. H. Dekker, Vom sieghaften Zellenstaat.
Reich illustriert. Geheftet M 1.– = K 1.20 h ö. W.
Dr. Ad. Koelsch, Der blühende See.
Reich illustriert. Geheftet M 1.– = K 1.20 h ö. W.
W. Boelsche, Festländer und Meere.
Reich illustriert. Geheftet M 1.– = K 1.20 h ö. W.
Dr. A. Zart, Bausteine des Weltalls.
Reich illustriert. Geheftet M 1.– = K 1.20 h ö. W.
Diese Veröffentlichungen sind durch alle Buchhandlungen zu beziehen; daselbst werden Beitrittserklärungen (Jahresbeitrag nur M 4.80) zum Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde (auch nachträglich noch für die Jahre 1904/12 unter den gleichen günstigen Bedingungen), entgegengenommen. (Satzung, Bestellkarte, Verzeichnis der erschienenen Werke usw. siehe am Schlusse dieses Werkes.)
Geschäftsstelle des Kosmos: Franckh'sche Verlagshandlung, Stuttgart.
Von
Wilhelm Bölsche
Mit zahlreichen Abbildungen nach Original-Aufnahmen und Zeichnungen, 6 Karten und einem farbigen Umschlagbild, das 1895 eingestürzte Helgoländer Felsentor: Letge Kark darstellend.
Stuttgart
Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde
Geschäftsstelle: Franckh'sche Verlagshandlung
Copyright 1913
by Franckh'sche Verlagshandlung,
Stuttgart
Stuttgarter Setzmaschinen-Druckerei Holzinger & Co.
Es ist oft gesagt worden: der Mensch sei ein Wesen, geboren auf der Wegscheide zweier Welten. Sein Heil sollte hier ruhen oder sein Fluch, je nachdem. Man hat das metaphysisch gesagt; dem wollen wir hier nun nicht nachforschen. Aber gewiß ist, daß es in einem Sinne gesagt werden kann, über den kein Streit der Parteien möglich ist. Als natürliches Wesen gehört dieser Mensch gleichzeitig der Feste an und der Feuchte, dem luftumwehten Lande und der blauen Welle, die den Fuß dieses Landes unablässig umspült. 59 Prozent des lebendigen Menschenleibes in erwachsenem Zustande bestehen aus Wasser. Ein kleiner Pfahlbau über der Feuchte ist jede Zelle darin; ein flüssiger Strom pulst unausgesetzt durch unsern ganzen Körper; und wenn er auch nur für einen Augenblick rastet, so schläft mit ihm unser Höchstes ein, das der Einzelmensch besitzt: der Gedanke. Damit dieser Lebensbronnen in uns sprudele, muß uns ebenso unaufhörlich von außen Wasser zugeführt werden, wir verschmachten in der Wüste unseres Planeten, wir wären dem völligen Untergang geweiht auf einem Monde, wo es kein Wasser gibt. Und doch gehören wir ebenso urverwachsen auch der Feste an. Wir besitzen zu unserer Atmung nicht die Wasserkieme des Fisches, sondern jenes gemeinsame Organ aller oberen Wirbeltiere, das höchstens in der Schwimmblase oder sonst einem luftgefüllten Darmabschnitt der Fische seine Vergleichung findet: die Lunge, die auf die freie Luftatmung eingestellt ist. Nur auf sie eingestellt ist; denn wenn wir mit dieser Stelle unseres Leibes in die einheitliche Wassertiefe versenkt werden, so erlischt das Leben nach unabänderlichem Gesetz ebenso, wie wenn man uns sonst das Wasser ganz entzöge. Und kein Zweifel auch, daß der Bau unserer Gliedmaßen wie unserer Sinnesorgane diesem Dasein auf der Feste, auf dem Lande, wo nur die freie Luft weht, entspricht. An dieser freien Luft hängt wieder das Höchste, das in unserer Kultur Mensch mit Mensch verknüpft hat: unsere Sprache. An dieser Feste, ob sie nun naturgegründet aus den Wassern rage oder von uns erst als Pfahlbau oder[6] tragende Schiffsplanken darauf gelegt wurde, haften seit alters alle unsere stofflichen Kulturhilfen: unsere Werkzeuge und unser Haus, hier brennt das Feuer, das uns groß gemacht, hier gehen aus Stein und Metall die Waffe und die Axt hervor, die uns zum Herrn der Erde erhoben haben.
Wasser und Land, Erdteile und Meere: – die große Zweiheit, in die wir nach unserm Schicksal untrennbar hineingeboren sind.
Wer aber zweien Herren angehört, der hat vielleicht einen doppelten Schutz, doch er hat auch eine doppelte Sorge. Immer muß er bedacht sein, daß diese beiden Gewaltigen über ihm sich gegenseitig die Wage halten, daß nicht der eine gegen den andern plötzlich verderbenbringend sein Machtbereich verändere und ausdehne. Und so ist das Bangen der Völker seit uralten Tagen hinter der Frage gewesen: ist der Bestand des Festlandes und des Wassers auf der Kulturerde ein dauernder, ein geregelter, mit dem wir uns einrichten können; ist die Besitztafel, die Karte, die dieses Verhältnis wiedergibt, ein grundlegende Dokument für die Ewigkeit; oder fließen diese Dinge selbst, wandeln sich im Laufe der Zeiten oder stürzen gar gelegentlich in furchtbaren Katastrophen, den Ort wechselnd, durcheinander …?
Es ist bezeichnend für die Geschichte der Menschheit, daß sie durchweg die Hauptangst dabei vor einer Verschiebung zugunsten des Wassers gehabt hat. In seiner entlegenen Ahnenschaft ist ja wohl der Mensch auch einmal ein echtes und rechtes Wassertier gewesen. Aber schon früh war sein natürlicher Stammbaum dauernd auf dem Lande weitergewachsen. Als er im engeren Sinne als »Mensch« begann, als die »Kulturgeschichte« begann, da stand er recht eigentlich mit beiden Beinen auf diesem Lande. Von Anfang an hat es ihn ziemlich gnädig behandelt, dieses Land. Der Kulturmensch ist nicht als durstendes Kind der Wüste aufgewachsen. Das erste halbwegs deutliche Stück Kulturgeschichte, das wir kennen, geht noch durch den letzten Teil der sogenannten Diluvialzeit und ihre Nachwehen. Das war eine Zeit auffällig feuchtkühlen Klimas. Verbarrikadierte es eine Weile die gemäßigten Nordgebiete mit Eis, so wirkte es umgekehrt weiter südlich als eine große Regenperiode, die auch heute trockene Länder dort sehr fruchtbar gehalten haben muß, was für die ältere Kulturgeschichte wahrscheinlich von der allergrößten Wichtigkeit gewesen ist. Nachher erlebte der Mensch dann nördlich eine[7] Epoche allgemeiner Klimamilderung mit einem Überschwang noch an bequemen Flüssen und Seen im Binnenlande. Selbst die Grassteppe hat ihm gerade sein größtes Geschenk gegeben, nämlich den Ackerbau. Und wo er sich wirklich in die Wüste gewagt hat, da ist es erst später und mehr freiwillig geschehen. In seinen guten Stunden ist ihm seine Erde also trotz rauher Gebirge und Urwälder doch immer als ein werdender Garten erschienen. Im Ideal träumte er sie als Paradies, und er hat dieses Paradies doch nicht immer als ein verlorenes gedacht, sondern in starken Augenblicken auch als eines, das mit kluger Arbeit mehr und mehr zu erringen sei. Unheimlich aber war ihm das Wasser, wo es nicht als befruchtender Strom, sondern als graue wogende, unabsehbar endlose Meeresfläche erschien. Lange blieben ihm die großen Ozeane absolute Verkehrsgrenzen, so unüberschreitbar wie für uns heute der leere Weltraum zwischen zwei Planeten. Ganz, ganz langsam vollzog sich erst der Versuch einer mühsamen Anpassung, einer zaghaften Bewältigung auch hier mit dem Werkzeug, dem Schiff. Die homerischen Gedichte stehen schon im Zeichen einer notdürftigen Schiffahrt auf einem kleinen Binnenmeer, aber ebenso sind sie noch im Zeichen der Meeresangst; Poseidon ist der greuliche Verderber im Gegensatz zum guten Zeus, der auf Bergen und Bergwolken sitzt. Und ganz abscheulich war der Gedanke, es möchte dieses Meer eines Tages aufbäumen, in den schönen Erdengarten roh eindringen und das Land verschlingen. In seiner höchsten Steigerung lebt dieses Grauen in der Erzählung von der dämonischen Riesenflut, der Sintflut, fort.
In alten Tagen soll das Wasser einmal so hoch gestiegen sein, daß es die ganze bewohnbare Erde überschwemmte; so hoch zuletzt, daß sogar die Gipfel der Berge überflutet wurden; wenn Bewohner des Landes damals dieser Flut entkommen sind, so konnten sie es nur mit Hilfe eines Schiffs, das so lange auf den Wogen trieb, bis die Wasser sich wieder zurückzogen. In ungefähr dieser Form fand und findet sich die Sage bei den verschiedensten Völkern. Uns ist sie am geläufigsten in dem biblischen Bericht, der sie mit dramatischer Anschaulichkeit schildert. Im alten Babylon läßt sie sich in auffällig ähnlicher Form bis ins dritte Jahrtausend vor Christus zurück verfolgen. In einer auch von hier beeinflußten Gestalt dauerte sie noch bei den antiken Griechen fort. Sie klingt an in den indischen Veden und der nordischen Edda und tritt selbständig stark auf im alten Persien. Fast[8] gar nicht bekannt bei den Negervölkern Afrikas, beschäftigt sie um so lebhafter heute noch die Phantasie fast aller Südseeinsulaner. In Amerika lebt sie in ungezählten Varianten von den Eskimos im höchsten Norden an durch alle Indianerstämme durch bis tief nach Südamerika herab, und die verklungenen Kulturstaaten von Mexiko und Peru hatten sie so genau in ihrer Geschichts- und Religionsbibel wie die Babylonier oder Hebräer.
Vielgestaltig ist ihre Einkleidung je nach dem Glaubenskreise und sonstigen Weltmythus so verschiedenartiger Völker. Im altpersischen Bericht trifft die ungeheure Flut noch auf keine Menschen, sondern rafft nur dämonische Ungetüme, die das böse Prinzip geschaffen hat, dahin. In der Edda berührt sie nur die vormenschliche Zeit der Riesen, von denen sich ein Paar in einem Boot rettet. Bald ist sie nur ein chaotischer Naturspuk, bald wieder wird sie aufgenommen in die sittlichen Erzählungen, mit denen eine moralische Wahrheit im anschaulichen Gleichnis beigebracht werden soll; die schreckliche kommt, weil die Menschen böse waren, und nur der Gute überlebt; in diesem ethischen Kleide geht die Sintflut (als »Sündflut«, wie man das deutsche Wort später darauf anspielend umgeändert hat) in der Bibel; aber die Idee eines Strafgericht kehrt beispielsweise auch bei den Fidschiinsulanern in einer offenbar dort ganz ursprünglichen Form wieder. In dem älteren babylonischen Bericht steht hinter dem schauerlichen Todesurteil eine Vielheit von Göttern; in dem jüngeren biblischen hat nur der eine Gott die ganze Tragödie des Untergangs und der Errettung in seiner allmächtigen Hand. An vielen Stellen tritt der Bericht uns entgegen im Gewande eines mehr oder minder anmutigen kleinen Volksmärchens, oft mit humoristischen Zügen; daneben aber stehen die dichterischen Ausgestaltungen schon im Kunstepos wie in der babylonischen Erzählung oder in der mexikanischen Legende. Gern kehren gewisse kleine Züge auch an den entferntesten Ecken wieder: so daß das rettende Schiff (die Arche der Bibel) an einem hohen Berggipfel landet, oder daß, wie die Taube der Bibel, Tiere ausgesandt werden, um das Fallen der Gewässer zu erkunden. In manchen Fällen ist ja hier ohne Absicht in die Dinge hineingemogelt worden: Missionare haben z. B. heutigen Naturvölkern aus dem biblischen Text erzählt, das ist weitergegeben, mit echter Volksüberlieferung vermischt und bei anderer Gelegenheit einem andern Missionar oder Forscher, der einheimischen Sintflutsagen[9] nachfragte, ganz gemütlich als alt und echt aufgetischt worden. Aber nicht alle Übereinstimmungen lassen sich so erklären.
Läßt man den ethisch-religiösen Lehrinhalt und die ersichtlichen dichterisch-mythischen Ausschmückungen beiseite, so hat das Interesse lange und bis heute immer wieder bei der Frage verweilt, ob nicht im Kern der Sintflutsage die Erinnerung an ein wirkliches naturgeschichtliches, ein geologisches Ereignis stecken könne: die Erinnerung an eine erdumspannende Wasserkatastrophe, die im Morgenrot der Völker tatsächlich noch einmal unsern ganzen Planeten betroffen hätte.
Unsere Wissenschaft auf ihrem heutigen Stande muß die Möglichkeit in dieser Form mit ruhiger Gewißheit verneinen.
In der Sintflutsage kommt schon Schiffahrt vor. Das deutet auf eine gewisse Höhe der Kultur. Die allgemeine Wasserbedeckung aller Erdteile müßte also mindestens seit Beginn der menschlichen Kulturgeschichte stattgefunden haben. Die geologische Beschaffenheit der Erdoberfläche lehrt uns aber genau die Dinge kennen, die innerhalb dieser Zeit auf dem Lande gewirkt und verändert haben. Eine Unmenge geologischer Ereignisse hat sich da noch vollzogen. Die großen Gletscher der Eiszeit sind heruntergetaut, Schwemmgrund und Staubmassen haben sich gehäuft, Gestein ist zu Schutt verwittert, Ströme haben ihr Bett verändert oder eingeschränkt, Tropfstein ist in Höhlen gewachsen und hat uraltes Kulturmaterial überdeckt, Vulkane haben ausgeworfen, Seen haben ihren Wasserspiegel niedriger gelegt, Korallentiere haben an ihren Riffen gebaut und so viel anderes mehr. Doch keine leiseste Spur verrät eine allgemeine Überflutung aller Länder durch den Ozean. Aus dem Bestand und der Verbreitung der Tiere und Pflanzen während dieser Zeitspanne aber können wir den durchaus sicheren Beweis führen, daß eine solche Überschwemmung nicht stattgefunden haben kann. Auch wenn überhaupt bei solcher allgemeinen Flut sich wunderbarerweise irgendwo Landtiere und Landpflanzen erhalten hätten, so würde die geographische Verbreitung der Arten seither doch eine grundlegend andere sein müssen, als sie tatsächlich ist. Es war eine Frage, die schon in den Tagen des strengsten biblischen Sintflutglaubens bei den Kirchenvätern und wieder dann nach der Entdeckung von Amerika öfter erörtert worden ist: wie sich nach Landung der Arche in Asien die geretteten Landtiere, die doch nicht Ozeane durchschwimmen konnten, wieder[10] bis auf die einsamen Inseln im Weltmeer hätten verbreiten können; die einen meinten, Noah habe sie besonders übergesetzt, eine etwas umständliche Sache; die andern nahmen für diesen Fall ein Neuentstehen durch eine Art Urzeugung ohne Archenanschluß an, wobei man aber fragen konnte, warum überhaupt Noah Tiere mitnahm, wenn das möglich war. Es ist aber gar nicht nötig, daß man einem ehrwürdigen Dokument der Menschheit in dieser Form einzeln zusetzt; denn die naturgeschichtlichen Tatsachen lassen nach dieser ganzen Seite überhaupt nicht die allermindeste Ungewißheit mehr darüber, daß eine derartige Sintflut als Gesamtkatastrophe nicht stattgefunden hat.
Wenn also in der Völkersage eine echte geologische Erinnerung stecken soll, so könnte sie nur auf ein räumlich beschränktes Ereignis gehen, irgendeine böse Hochflut, die ein gewisses Küstenland oder Inselgebiet einzeln einmal betroffen hätte. Man hat daran gedacht, daß alle Rassen, alle Völker der Menschheit doch wohl in sehr alten Tagen von einem einzigen bestimmten Fleck Erde ausgegangen wären, und daß sie noch vor ihrer Zerstreuung an diesem Fleck eine solche lokale Wassersnot erlebt hätten, die ihnen allen spät noch nach ihrer Zerstreuung sagenhaft in der Erinnerung fortgezittert hätte. Das wäre geologisch wenigstens möglich. Wir wissen von dem großen Geheimnis der Rassenzerspaltung und Urheimat der Menschheit so wenig, daß es nichts verschlüge, hier noch ein paar Geheimnisse mehr ins Vordunkel zu legen. Inzwischen ist aber merkwürdig, daß dann nicht alle Völker die Sage besitzen und besaßen. Die Neger, denen sie so auffällig fehlt, müßten zur Zeit ihrer Begründung schon nicht mehr im Ursitz dabei gewesen sein. Selbst so schwindelt einem aber noch bei der Vorstellung, wie alt die Sage sein müßte, wenn sie überhaupt bis hinter Rassentrennungen reichen soll. Und man kann jedenfalls niemand verdenken, wenn er einfacher durchzudringen versucht.
Die Sage könnte zwar an eine örtliche Überschwemmung anknüpfen, aber solche Überschwemmung könnte öfter in alten Kulturtagen an weit verschiedenen Stellen erfolgt sein und sehr verschiedene Völker könnten durch ähnliche Ereignisse der Art zu einer ähnlichen Überlieferung unabhängig voneinander gekommen sein. Die ähnlichen Einzelzüge würden sich dann aus der Gesetzmäßigkeit erklären, die schließlich auch im Fabulieren und Ausschmücken[11] herrscht, sowie aus gewissen sachlichen Notwendigkeiten, die der gleiche Naturanlaß überall zeitigen mußte. Bei jeder grimmen Flut müssen Schiffe, wenn sie da waren, eine Rolle gespielt haben; Klippen, wo ein solches Schiff zuerst landete, müssen immer wieder im Bericht vorgekommen sein; einen Vogel auf gefährlicher Meerfahrt mitzunehmen und auf Kundschaft fliegen zu lassen, ob er die Landrichtung finde und den unschlüssigen Schiffern weise, ist ein uralter Brauch, der auch sonst in antiken Sagen und alten Reiseberichten seine Rolle spielt; noch von Kolumbus wird berichtet, daß er sich aus einem zufällig vorbeifliegenden Zug Papageien vergewisserte, ob in der Wasserwüste vor ihm Land liege oder nicht. Und ebenso mußte der Schreck über das schauerliche Abenteuer sich in der Rückschau immer wieder zu dem moralischen Schluß auswachsen, daß hier ein Strafgericht waltete für die Verlorenen, ein Gnadengeschenk für die Geretteten. Solche Dinge würden also nicht den Zusammenhang all der Flutsagen beweisen, sondern nur bestätigen, daß vor ähnlichen Ursachen die verschiedensten Menschen immer das gleiche tun, glauben und hinzudichten seit Urtagen. Man ist allgemein heute in der Völkerkunde mehr geneigt, Übereinstimmungen in Sitten und Gedanken so zu erklären, anstatt gleich zu kühnen Verwandtschaftshypothesen seine Zuflucht zu nehmen.
Verschiedene der einzelnen Flutberichte enthalten auch die deutlichsten Anzeichen einer Katastrophe, wie sie lokal nur dort möglich war, wo heute noch das betreffende Volk sitzt. Was man in chinesischen Chroniken als Sintflutbericht bezeichnet hat, ist nichts anderes als die unverkennbare Beschreibung von besonders verheerenden Ausbrüchen des Stromes Hoangho durch Risse seiner natürlichen Uferleisten aus sogenanntem Lößstaub; solche Ausbrüche kommen dort heute noch vor. Und wenn bei den Kordilleren-Indianern Südamerikas in ihrer Sintflut Erdbeben und Vulkanausbrüche mitspielen, so fühlt man ebenso den Heimatboden. Selbst für die berühmteste Gestalt der Sage, die babylonisch-biblische, hat aber schon vor Jahren der große Wiener Geolog Eduard Sueß den ansprechenden Beweis versucht, sie auf ein durchaus örtliches Ereignis in der mesopotamischen Niederung am Euphrat und Tigris zu beziehen. Der ältere babylonische Bericht scheint in der Tat noch eine ganze Reihe erkennbarer naturgeschichtlicher Lokalfarben zu geben. Die Erde habe gezittert, die Wasser (Brunnen) der Tiefe seien ausgebrochen, Sturm[12] und Finsternis seien über das Land gekommen, und der Wogenschwall sei vom Meer heraufgestürmt. Das alles würde für ein furchtbares Erdbeben im Gebiet des persischen Meerbusens sprechen, bei dem das Grundwasser aus Bodenspalten brach und mit dessen höchster Steigerung sich, wie so oft, ein gewaltiger Zyklon oder Wirbelsturm im Meer verband, der die Wassermassen tief ins Land hineintrieb. Wenn sich bei den ersten Vorstößen des Bebens Menschen auf Schiffe gerettet hatten, so mußten diese Schiffe dabei weit nordwärts über die ganze Niederung bis an die begrenzenden Berge verschleppt werden, wo sie ganz wie die Arche des Berichts stranden konnten. Wir brauchen nicht ins Sagenland zu gehen, um die zerstörenden Wirkungen solcher vom Meere kommenden Zyklone und Erdbebenfluten kennen zu lernen.
Schließlich wäre sogar möglich, daß die Menschheitskultur auf einer sehr frühen Stufe durch eine Zeitlage durchgegangen wäre, die solchen lokalen Überschwemmungen allgemein besonders günstig war. Wenn die Geologie auch nichts von einer Wasserbedeckung der Erde weiß, so lassen sich doch wohl Spuren merken einerseits, wie erwähnt, von einer großen Regenzeit (Pluvialperiode), die über die äquatornäheren Gebiete der Erde parallel zu der nordischen diluvialen Eiszeit hingegangen ist, andrerseits von einem mächtigen Anschwellen der Flüsse und Binnenseen, das im Gefolge des wiedereintretenden Schmelzens dieser großen Eismassen sich vollzogen haben muß. Werden diese ganzen Vorgänge sich auch über Jahrtausende verteilt haben, so mag im einzelnen doch in ihnen ein häufigerer Anlaß zu bösen örtlichen Katastrophen gelegen haben, und daß der frühere Kulturmensch diese Dinge noch miterlebt hat, ist gewiß. Wenn man die Sage also durchaus für sehr alt halten will, mag man wenigstens diese geologische Urerinnerung noch hineinbringen. Auch sie kann aber schon an den verschiedensten Stellen und von getrenntesten Völkern unabhängig erworben sein.
Doch wie das alles nun sei: auch in ihrer strengsten, starrsten und abenteuerlichsten Form, wie die Sintflutlegende geglaubt worden ist, hat sie für einen bestimmten Fortschritt des menschlichen Wissens und wahren Naturerkennens einen ganz unschätzbaren Gewinn gehabt. Während sie nämlich die Phantasie der Menschen unterhielt mit dem Schauergemälde einer schwarzen Riesenflut, die einst die ganze Menschenerde überschwemmt habe, schuf und schärfte sie ganz[13] in der Stille den Kulturmenschen den Blick für eine ganz andere, sozusagen geräuschlose Art, wie in langen langen Zeiträumen wirklich Wasser und Land, Feste und Meer im weitergehenden Maße auf dieser Erde sich verwandelt, miteinander abgewechselt und einander abgelöst haben mußten.
In den Tagen des fröhlichsten Glaubens an die echte Sint- und Sündflut, wie sie im Buche stand, geschah es im wachsenden Kulturlande Europa immer öfter, daß sinnende Köpfe bei dem verweilten, was in der Praxis längst Kinder und Wilde gewußt hatten und was selbst den uralten steinzeitlichen Diluvialmenschen, deren Schmuck und Werkzeug wir heute noch ausgraben, schon durchaus geläufig gewesen sein muß: nämlich der Tatsache, daß selbst tief drinnen im Binnenlande (in Gegenden, wohin bei heutiger Sachlage der Dinge schlechterdings niemals auch der größte Zyklon vom Meere her Ozeanwasser verschwemmen könnte) aus dem harten Fels, der unsern altvertrauten Heimatswald trägt oder neben unserm Acker ansteht oder bei unserm Steinbruchbetrieb tief heraufkommt, die Schalen und Reste meerbewohnender Muscheln und anderer Seetiere versteint, aber doch noch im Umriß unzweideutig erkennbar gelegentlich zutage treten. Stellenweise sehen solche Schälchen trotz ihrer Versteinerung noch so nett aus, daß z. B. jene Diluvialmenschen in ihren Höhlen sie schon mit besonderer Liebe als Schmuck zusammengesucht und bewahrt hatten. Der Sintflutgläubige mußte darin zunächst ja den greifbarsten Beweis seiner Sintflut selber sehen, die eben auch bis hierher gelangt sei und ihre Austern oder Seeigel verfrachtet hätte; gelegentlich mögen Flutsagen sogar bei ihrer Entstehung unmittelbar schon durch solche Funde angeregt und beeinflußt worden sein. Und wenn der Gläubige gar hoch im Alpengebirge solche ansehnliche Muschel aus dem harten Stein brach, so erschien ihm schier leibhaftig zunächst das biblische Bild von den Wassern, die angeblich viele Ellen hoch bis über die höchsten Berggipfel hinaus gestiegen waren. Im 18. Jahrhundert gibt es einen spaßhaften Streit, in dem der Freigeist Voltaire die Sündflut anzweifelte, weil er allgemein die Autorität der Bibel nicht mehr gelten lassen wollte, die Anhänger aber eben auf diese Muscheln in den Alpen verwiesen; da bestritt Voltaire auch die natürliche Herkunft dieser Muscheln selber und meinte, sie seien wohl einst von den Hüten vorbeiziehender Pilger, die sich gewohnheitsmäßig mit Mittelmeermuscheln schmückten, verloren worden.[14] Der tapfere Kämpe hatte in diesem Falle sachlich unrecht, die Muscheln stammten wirklich aus dem Stein. Aber auch die Sintflutler hatten deshalb nicht recht. Denn diese Muscheln entstammten nicht einer mythischen Allgemeinflut aus Menschentagen, sondern sie deuteten mit dem Gestein, das sie umschloß und das selber nichts anderes war als versteinter uralter Meerschlamm, auf Zeiten, länger als alle bisherige Menschenahnung und älter als alle Menschenüberlieferung. Und sie deuteten dort auf ein uralt fortwaltendes Geheimnis, wunderbarer eigentlich noch als der plötzliche Ruck und Schreck einer dahinbrausenden und sich wieder verlierenden einzelnen Sintflut. An dieser Stelle, die jetzt tief im Binnenlande oder durch noch seltsamere Verwandlung gar hoch auf dem wolkenragenden Gebirge lag, hatte einst wirklich der Ozean geblaut, lebendigen Seeigeln und Pilgermuscheln ihre natürliche Wohnstätte darbietend. Zur gleichen Zeit aber war an Stellen, wo heute dieses Meer blaut, damals hochragendes Land gewesen, auf dem Palmen wachsen und lungenatmende Landtiere leben konnten. In unfaßbaren Zeiten, gegen die auch die allerlängsten Zusammenschlüsse menschlicher Geschlechterfolgen wie flüchtige Sekunden zusammenschmolzen, hatten diese Dinge ganz, ganz allmählich sich dann wieder verschoben. Fortgewandert, ausgetrocknet, bis auf letzte versteinende Schlammkrusten und abgestorbene Muschellager völlig verschwunden war hier das Meer, um jetzt nicht sintfluthaft räuberisch einbrechend, sondern ganz, ganz langsam erobernd drüben die Scholle zu besetzen, zu überfluten, endlich hoch zu bedecken und dort mit Muscheln und Seeigeln zu bevölkern, wo voreinst der Schmetterling über Blüten geschwebt hatte. Einmal hatten sich die Dinge so verschoben, aber nicht bloß einmal. In der unermeßlichen Länge der Zeiten war dieser Wechsel von Land und Wasser, Ländern und Meeren öfter erfolgt. Wie eine große Wandeldekoration hatte es sich langsam über unsern Planeten dahin geschoben, rastlos in nicht endender Wühlarbeit die große Erdkarte immer wieder um- und umarbeitend. Bis das Bild stand, das der Mensch fand, – das heute uns umgibt, – das wir unsern kleinen Knaben beibringen als die wahre Karte in der Geographie. Aber schon ist an kleinen Anzeichen merkbar, daß auch hier keine Rast der Dinge sein kann. Das Wandelbild gleitet still unter uns weiter. Mit einer unhemmbaren Elementarkraft, die zuletzt wenn nur die Zeit gegeben ist, tatsächlich großartiger und stärker[15] ist, als der wildeste im Augenblick verheerende Zyklon, – stärker selbst als die mythische Regenwolke, die vierzig Tage und vierzig Nächte regnete; denn diese Wolke hätte nur zerstören können, diese Urkraft aber baut. Sie tieft Land zu Meer und türmt neue Erdteile aus den Wassern, sie wirft das Gebirge in den Ozean, aber sie baut im gleichen Zeitenraum ein neues bis hoch über die Grenze des Himmelsschnees; sie hat das Leben nicht vernichtet oder bloß in armen Spuren mit einer Arche auf dem Bestand erhalten; rastlos hat sie auch ihm immer neue Bedingungen eröffnet, immer neue Möglichkeiten, an denen es sich in eigener Folgerichtigkeit ohne Überstürzung selbst wandeln und steigern konnte. Nicht vom zerstörenden Fluß der Sintflut kündet die Muschel im Stein; sondern vom Fließen der Karte in Urwelt, Gegenwart und Ferne.
Nach dem Besinnen über diese seltsamen Muschelfunde war es die größte nächste Erkenntnis, die zur Grundlage hier einer wirklichen[16] Wissenschaft führte: daß man sich allmählich überzeugen mußte, man stände vor Geschehnissen, die zum Teil jedenfalls noch vor allem Menschendasein auf der Erde lägen. Mit dieser Erkenntnis ist recht eigentlich die Geologie im heutigen Sinne begründet worden. In einen Abgrund der Erdgeschichte lernte man sehen, der erst unter, erst vor aller sogenannten menschlichen »Geschichte« gähnte. Anfangs erschien es noch als eine Möglichkeit, wenigstens dort hinunter einen Abglanz der alten Mythe fallen zu lassen: man träumte von plötzlichen wüsten Katastrophen, die den großen Wandel der Land- und Wassergestaltung mindestens damals noch beherrscht haben sollten, wobei allerdings nicht mehr von Strafgerichten die Rede sein konnte, denn der Mensch war ja noch gar nicht dabei. Auch das erwies sich aber nach kurzer Herrschaft als ein geologische Märchen. Auch vor der Zeit des Kulturmenschen hatten keine jähen Sintfluten, keine die ganze Erde von einem Tag zum andern grob verwüstenden Schrecken gelegen. In langsamem Werden war auch dort immer eine der alten Erdperioden in die andere übergegangen, und langsam, im Schritt dieser allgemeinen Entwicklung, hatte sich auch jene Veränderung der Karte vollzogen.
Als man aber das sicher erfaßt hatte, da war die Bahn frei zu einer bedeutsamsten dritten Erkenntnis, die erst ins Herz der ganzen Sache traf. Dieser geheimnisvolle geschichtliche Wechsel der Land- und Meerverteilung, der so durch die Jahrmillionen ging, war jedenfalls in gewissem Sinne nicht bewirkt worden durch besondere, erst neu zu entdeckende Vorweltskräfte der Natur, sondern es arbeiteten durchweg in ihm Naturvorgänge, die wir noch heute ganz genau auf der Erde beim Werk beobachten können, wenn auch dieses Werk in dem kurzen Maßstab, den wir erst anlegen, nur ganz gemächlich dabei vorschreitet, – vielfach so gemächlich, daß der ungeübte Blick sich leicht darüber täuschen kann, als rücke es überhaupt nicht vor.
Wenn in wilder Sturmnacht das Meer brüllt und die Wogen
Stoß um Stoß gegen die Deiche rennen wie Sturmwidder gegen eine
Festung, dann ergreift auch uns ja heute, so fern uns die alten Völkersagen
allmählich liegen mögen, etwas Revolutionsangst vor der
Natur. Aber die Nacht vergeht, und die Meeresfläche ruht feierlich
still in ihrem Blau unter der Sonne: wie stark erscheint der
Gegensatz des Naturfriedens in diesem Bilde! Und wir wandern an[17]
[18]
solchem frischen Morgen landeinwärts, über uns gehen ein paar
schöne weiße Wolken, geisterhaft schwebend und zerfließend in ihrem
Himmelsazur, mit, neben uns rinnt ein Bächlein leise singend durch
den Wiesenplan, uns vertraut in dieser lieben Heimlichkeit seit
Kindertagen. Tauperlen glänzen noch in der Frühsonne von den
grünen Halmen. Fern lösen sich zarte Nebelschleier, das violette Gebirge
wird hell mit ein paar Schneegipfeln. Die Ahnen unseres
Volkes sind schon über diese Pässe gezogen, wie heute lag damals
bereits der Schnee, wie heute drängten die Wolken herauf gleich
Herden weißer Schäfchen und zerstiebten wieder zu wesenlosem Schein,
während die uralten Granitriesen in unerschütterlicher Herrlichkeit
ragten, ein Bild der Ewigkeit. Friedlich wie ein murmelndes Bächlein
scheint über solche Landschaft auch der gewohnte Kreislauf der
Natur hinzuziehen. Man denkt an das Bibelwort, das diesem Kreislauf
so schön als die ewige Friedensverheißung hinter den Sintflutschrecken
setzt: »So lange die Erde steht, soll nicht aufhören
Samen und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag
und Nacht.«
Merkwürdig aber, wie der Standpunkt wechseln muß. Der Naturforscher, der sich wenig um die Sintflut sorgt und selbst der wildesten Sturmflut der Küste doch nur eine untergeordnete Rolle in jenem großen Wandel des Geologischen beimißt, weiß, daß eine der nachhaltigsten Revolutionen unserer Erdoberfläche sich fort und fort gerade in diesen scheinbar idyllischen Naturbildern vollzieht. Nur der langsame Gang, mit unsern Menschenmaßen des Alltagslebens gemessen, verschleiert das dämonisch Ungeheure des Ereignisse hier. Könnten wir unsern Zeitblick ändern, Jahrhunderttausende in einem Augenblick sehen: wir würden ein Schauspiel erleben, das sich mit jeder Sintflut messen könnte, ja sie überböte. Von diesem sonnenhellen blauen Meeresspiegel stiege es unsichtbar herauf wie ein geheimnisvoller Zauber gegen dieses ganze Land, zu diesen Bergen. Und von ihm berührt, zerbrächen die Berge, lösten sich auf, rasselten in unermeßlichen Trümmern und Scherben flutend ins Flachland herab. Das Land selber aber höhlte sich allenthalben, sänke ein, zerbröckelte, während es gleichzeitig wie eine teigartige Masse in das Wasser hinausquölle.
In Wahrheit ist der Zauber, der da waltet, aber auch nichts anderes als Wasser selbst. Es ist das Wasser des Ozeans, das allerdings[19] nicht in einer schwarzen Schauernacht über die Lande aufbäumt, das aber unablässig, Tag um Tag, Jahr um Jahr, Jahrtausend um Jahrtausend unsichtbar in Gestalt wassergetränkter Luft auf diese Feste heraufkriecht und hier in dem allbekannten Kreislauf vom höchsten Fels bis zum tiefsten Tal alles durchfeuchtet, durchrieselt, durchströmt, um endlich wieder heimzukehren in seinen großen Urschoß. Diese »geheime Sintflut« braucht nicht plötzlich zu kommen, sie ist beständig über uns, um uns. Um unsere Ahnen floß sie schon, und sie hat höher, als die Bibel weiß, bereits über allen Bergen der Erde gestanden, lange ehe der Mensch mit seiner Kultur begann. Ihr Kommen kündigt sich nicht mit Finsternis an, sondern recht eigentlich gerade ein Kind der Sonne über dem blauen Meer ist sie ihrem innersten Ursprung nach.
Wenn die Sonne die Flächen des Ozeans erwärmt, so befreit sich still ein Teil des Wassers dort von seinem gewöhnlichen Zustande und steigt als feiner Dunst, feiner Wasserschwaden in die Lüfte empor. Dort bald verdichtet, fällt ein großer Teil dieser wandernden Wasserstäubchen allerdings wieder in den Mutterschoß zurück. Aber ein anderer Teil breitet sich in diesem freien Spiel weit aus allen Meeresgrenzen hinaus auch über die Lande aus, er verschwebt bis zu den fernsten Bergen, und wenn er dort jetzt auch zur Verdichtung kommt, so erscheint er inmitten der Feste als Feuchte, die scheinbar vom Himmel fällt. Sie sinkt herab als Tau und als Regen, als Hagel, Reif und Schnee. Viel von ihr verdunstet sogleich neu in die Luft hinein. Aber nicht alles kann so bewältigt werden. Regentröpfchen vereinigen sich zu feinsten Wasseräderchen; die verschmelzen zu Bächlein, der Bach wird zum Fluß. Vieles senkt sich zunächst in die Tiefe des Bodens, durchfeuchtet die innere Feste, bricht aber wieder als Quell vor. Immer aber auch auf der oberen Fläche folgt die rieselnde Welle dem Zwang nach der Tiefe, als Tröpfchen wie als Strom zuletzt rinnt sie abwärts, vom Gebirge zum Flachland, bis sie endlich die eigene Heimat, das Meer, wieder erreicht hat, mit dessen Verdunsten und Verdampfen im Sonnenkuß das rastlose Spiel neu beginnt.
Nun aber diese Kreisbahn, die vom Standpunkt des Wassers doch immer nur wie eine einfache Wanderschaft erscheinen könnte, die die Dinge im Fluß hält, aber zuletzt nichts ändert, ist von der schier unfaßbar einschneidendsten Bedeutung für das Land selbst.[20] Wie jeder Pilger mit dem Tritt seines Fußes Teilchen von dem Boden abschürft, den er überschritten hat; wie man sagt, daß jeder Heimkehrende etwas Staub der Fremde an den Sohlen mitbringt: so gräbt auch jedes wandernde Wassertröpfchen seine Spur ein und so schleppt auch jedes Tröpfchen sein Stäubchen mit fort. Der fallende Tropfen höhlt zuletzt den Stein. Der Kreislauf der Tropfen aber vom Ozean bis zur Regenwolke, vom Bach bis zum Strom und vom Strom wieder ins Meer, über Jahrhunderttausende immerzu fallend, grabend und fortkarrend, wäscht zuletzt ein ganzes Gebirge zu Tal und trägt die Trümmer als Sand ins Meer.
Im alltäglichen Naturbilde weiß das jeder: daß jeder Regen Risse in den weichen Boden kerbt und Erdreich mitschwemmt; daß der Bach und der Fluß sich ihr Bett durchweg selber gegraben haben; daß sie Gestein und Schlamm abwärts verfrachten, Steine zu Sand zermahlen und den Sand endlich in unabsehbaren Flächen in ihrem untersten Lauf häufen, bis die Meereswelle ihn zuletzt verschlingt. Wer sich den Blick aber einmal hier geübt hat und ins Gebirge kommt, der muß gewahren, daß auch unsere höchsten Gebirge von heute eigentlich verfallende, zerbrechende Ruinen sind. Von diesen »Ewigkeitszeugen« herab ziehen sich allenthalben die wüsten Schutthalden. Die himmelragenden Zinken sind nahe besehen nur noch verwitterte Restzacken wie an hohlen Zähnen. Die Schneekoppe unseres Riesengebirges, die vor dem Wanderer fern im Tal auftaucht wie ein blauer Dom der Unvergänglichkeit, entpuppt sich beim Aufstieg als ein einiger Scherbenberg, zertrümmert wie ein Lager Töpfe, in das eine übermächtige Faust geschlagen. Das ungeheure Matterhorn in der Schweiz, das aussieht, als habe mit ihm die Schöpfung angefangen, erweist sich nahe auf seine Schichtung geprüft als ein letzter noch stehengebliebener Pfeiler eines ehemaligen kolossalen Gewölbesattels, den das abschätzende Auge sich noch ganz gut in der blauen Luft hinzu ergänzen kann; in Wahrheit liegt er bis auf die eine Zahnecke zermalmt, zermahlen als Schutt im Tal, als Sand im Meer … Keine Hunnen und Vandalen haben so zerstören, keine Kanonen solche Burgen der Natur zerschießen können; aber einer hat es vollbracht: der Wassertropfen. Und nicht nur das Gebirge verfällt ihm so. Wer in der sächsischen Schweiz je durch die schmalen Klammen gewandert ist, in deren Spalt man den Himmel nur noch wie ein dünnes Streifchen erblickt; wer in Adelsberg die schwarzen[21] Wasser sich in unergründlicher Grottentiefe hat verlieren sehen: der ahnt, was auch in der Feste unter unsern Füßen sich abspielt, wie auch dort der Schutt dabei ist, uns zuletzt den Boden fortzuziehen; er ahnt, daß eine Macht der Zerstörung auch den Sockel der Länder annagt, zerschneidet und durchfrißt. Und auch das ist der Wassertropfen, der an allen Wänden der Klamm als Feuchte ausschlägt und in der finstern Grotte von jeder Tropfsteinspitze heruntertickt. Er schürft und karrt nicht bloß. Er sprengt auch, indem er in den Spalten gefrierend sich ausdehnt. Und mit Kohlensäure beladen, schmilzt er den Kalkstein fort wie Salz, zersetzt er chemisch selbst den Granit.
Man muß eben in jener Adelsberger Karstgegend sehen, was die Kohlensäureschmelzung des Kalks neben der einfachen Schwemmung, Unterwühlung und Spaltung dort nach unten im bodenbildenden Kalkgestein vollbracht hat. In Trichtern senkt sich allenthalben die Bodenfläche ein, in Trichtern bis fast zu Kilometerbreite, schaurige Schlote stürzen senkrecht von ihnen ab, in der Tiefe ist die ganze Feste durchlöchert wie ein Schwamm und unendliche Labyrinthe spinnen sich darin hin, in denen die wühlenden Wasser unablässig schmelzend, nagend, fressend und fortschleppend weiter rauschen. Diese »Brunnen der Tiefe« brauchen nicht heraufzusprudeln, um die Menschen als Sintflut zu verschlingen: unmerklich lösen sie in rastloser Arbeit den Boden selber unter ihnen fort, bis ab und zu bald dieses, bald jenes Haus spurlos von der gähnenden Leere des Abgrundes eingesaugt verschwindet. Oder man muß hoch oben im Granitgebirge der Leidensgeschichte dieses trotzigsten Titanen folgen. Wie die stolzen reinen Züge seiner edeln Stirn verwitternd zu den humoristischen Fratzen abschmelzen, die der Volksmund nicht müde wird, mit Tier- und Teufels- und Gespensternamen zu begaben. Wie er zu losen Kugeln zerfällt, die in ungeheuren Felsenmeeren zu Tal branden gleich Riesenkieseln der leibhaftigen Sintflut und in Wahrheit doch auch nur das Geröll dieser viel zäheren Dauersintflut des fressenden Wassertropfens sind. Bis endlich Ton und Sand die letzte Spur des alten Wolkenwanderers andeuten, wie es in der Dichtung von dem toten Cäsar heißt, daß er, Staub und Lehm geworden, eine alte Wand verklebt.
Wenn man sich dazu nun noch vergegenwärtigt, daß die Tropfen sich an der Erdoberfläche vielfältig selber zu Riesen auch an wirklicher[22] Größe vereinigen, Ströme und Seen von unabsehbaren Uferweiten bilden; daß sie als Niagara so über den Fels stürzen und mit ganzer Kraft dieses Niagara sich rückwärts in jenen Fels einschneiden; daß der Frost nicht bloß mit Wasserhilfe den Stein sprengt, sondern auch vom Gebirgsschnee den Gletscher herabschiebt, der für sein Teil wieder wie ein enormer Pflug das härteste Gestein bearbeitet, Berge bricht und anderswo häuft und mehr als hausgroße Blöcke auf seinen Eisschultern zu Tal trägt, als sei es ein Kinderspiel; daß immerhin auch die Brandungen und Fluten des Ozeans selbst, von Sturm oder Mondgezeiten bewegt, von den Küsten aufwärts in die Hand arbeiten, indem auch sie den steilen Uferfels höhlen, Blöcke wälzen, Uferland fortreißen; daß eine Masse anderer Zerstörungsfaktoren des Festlandes, steinzersprengende Temperaturgegensätze der Wüste, Wind, der den Staub aufwühlt und weithin verwirbelt oder selber das Gestein höhlt, anschneidet und ausbläst, Pflanzenwuchs,[23] der seine Wurzeln als zähe Keile in jede Steinspalte drängelt, von sich aus wirkend dem Wasser helfen; und wenn man bedenkt, daß dieser Kreislauf des Wassers heute keine Sekunde rastet und nie gerastet hat, seit große Wasserflächen auf der Erde sind, von Urwelten zu Urwelten bis auf diesen Tag beim Werk ist, und daß auch nur der jüngste dieser Urweltsabschnitte schon Jahrhunderttausende umfaßt, während dahinter vielleicht hundert und mehr Millionen von Jahren liegen: so muß klar werden, daß es sich hier wirklich nicht mehr wie bei jenen Sintfluterklärungen bloß um örtlich ändernde Vorgänge handeln kann, sondern daß es um alle Kontinente, alles Festland der Erde überhaupt zuletzt gehen muß – um die Gestalt der Erdkarte im ganzen – um Dinge, die heute wie seit je an dieser Karte rütteln.
Die Arbeit, wie sie hier skizziert ist, hat aber in der Tat zweifellose Sintfluttendenz. Sie arbeitet gegen das Land. Wohl kann ja das Wasser die Bestandteile der Feste nicht wirklich einschlucken im Sinne einer Vernichtung. Es kann ein Gebirge zu Sand reiben und den Sand bis in den Ozean tragen, aber endlich muß er doch wieder sich irgendwie ablagern. Den Kalk, den es in sich aufgelöst, muß es gelegentlich wieder irgendwie absetzen; was es davon bis ins Meer schleppt, das ziehen dort Tiere heraus, die sich Schalen davon bauen, die als solche wieder eine große Widerstandsfähigkeit gegen erneute Zersetzung haben und nach dem Tode ihrer Bewohner gehäuft ebenfalls wieder kalkiges Gestein bilden helfen. Eine tüchtige Menge Wasser geht auch bei dem Kreislauf immer verloren. Es ist nicht so, daß bloß das Wasser Stein fräße, es gibt auch Steine genug, die Wasser fressen. Eben bei jenem kühnsten Verwitterungsangriff, dem selbst der Granit erliegt, schluckt immer der übrigbleibende Ton ein ganzes Teil Wasser für sich ein, das zunächst nicht wieder in den Kreislauf kommt. Auch feuchtet sich zuletzt alles Gestein in die Tiefe abwärts allmählich durch, und wenn die Erdkugel im ganzen eine trockene und mäßig kühle Masse bis zum Mittelpunkte wäre, so läge hier auf die Dauer eine nicht unbedenkliche Wasserfalle für den ganzen Kreislauf der Oberfläche.
Aber für diesen letzteren Punkt ist der wahre Sachverhalt, daß wir eben aus diesen großen Erdentiefen unterhalb des gewöhnlichen Quellenkreislaufs beständig auch Wasser erhalten. Wir wissen ja heute noch nicht genau, wie es im eigentlichen Kern unserer Erde aussieht.[24] Gewiß aber ist, daß in einer bestimmten Tiefe nicht einfach die Gesteine in Kellerfeuchte weitergehen, sondern daß dort eine starke Hitze herrscht. Gerade von hier aber beobachten wir nun ein eigentümliches Emportreiben von Wasser. Man könnte denken, daß es das äußerste versickernde Oberflächenwasser selbst wäre, das beständig an der Zone der Erdhitze zur Umkehr, zum Wiederaufdrängen genötigt würde; jedenfalls bliebe dann der Kreislauf nach dieser Seite gedeckt. Die größere Wahrscheinlichkeit ist aber sogar, daß wir aus dieser Tiefenzone fortgesetzt Wasser nach oben hinzubekommen, wirklich neues Wasser, das bisher noch niemals im Kreislauf der oberen Gewässer mitgelaufen ist. Man denkt sich, daß unsere Erde aus ihren ältesten Bildungstagen da unten noch eingeheimste Wasserbestandteile bis heute bewahre, die langsam erst entbunden werden. Juveniles, noch jungfrisches Wasser hat man dieses geheimnisvolle Tiefenerzeugnis unseres Planeten also benannt. Solches juvenile Wasser dampft und regnet beständig aus den ungeheuren Gasgemischen und Lavaeruptionen unserer tätigen Vulkane, die, einerlei wie tief sie nun ihrem eigentlichen Herde nach in der Erde wurzeln mögen, jedenfalls Material unseres Planeten heraufwerfen, das eine Schicht tiefer gesessen hat, als aller gewöhnliche Regenwasserkreislauf. Da aber Vulkane seit den ältesten Tagen der Erdgeschichte, die wir kennen, immerzu gespien haben, muß die Masse des Wassers, das so ins obere Spiel hinzugebracht worden ist, geologisch auch stets eine höchst beträchtliche gewesen sein. Auch von einzelnen warmen Quellen nimmt man wohl mit Recht an, daß sie unmittelbar juveniles Wasser führen, so interessanterweise von dem heilkräftigen Karlsbader Sprudel. Natürlich läßt sich die Ziffer nicht genau herausrechnen, wieviel an solchem Zuschußwasser unser Planet im ganzen beständig liefert. Aber die Möglichkeit kann nicht abgelehnt werden, daß sie sich mit der (im Genaueren natürlich auch unbekannten) Ziffer des beständigen Wasserverlustes durch jenes Wasseraufsaugen und Wasserbinden der Gesteine deckt. Dann wäre aber das Wasser in gleicher Kraft und Arbeitsbereitschaft, so weit wir geologisch zurückblicken können, und es müßte bei ebensolcher Kraft verharren auch in alle Zukunft hinein, solange Vulkanismus und juvenile Quellen dort dauern; von einer Abnahme dieser beiden Erderscheinungen kann einstweilen aber wahrlich keine Rede sein.
Was aber das beständige Wiederablagern der zerstörten Gesteine[26] durch das Wasser betrifft, so ist dieser Verlauf doch immerhin einseitig. Das Wasser schafft zwar die Mineralstoffe der oberen Erdrinde nicht aus der Welt, aber es nivelliert, es arbeitet von sich aus unablässig einseitig dahin, die Ungleichheiten der Landfeste möglichst fortzuglätten. Über das Schicksal einer Erde, lediglich in seine Hand gegeben, könnte bei der nötigen Zeit also kein Zweifel sein. Alle Gebirge würden endlich heruntergetragen. Jede gegenwärtige Unebenheit des Bodens aller Länder würde beseitigt. Gleichzeitig aber würden die Kontinentsockel selbst von den Rändern und in die Tiefe hinab zernagt und erniedrigt, während die Meere umgekehrt durch das hier entzogene Material immer mehr ausgefüllt, durch wachsende Schlammschichten immer seichter gemacht würden, was wieder eine umfassendere Überflutung der überall holländisch platten Festländer zur Folge haben müßte. Als ungefähres Schlußbild könnte die Phantasie sich denken, daß zuletzt die allseitig ausgewalzten und angeebneten Schutt- und Sandreste des alten Erdreliefs einen völlig einheitlichen Plan um die Erde bildeten, auf dessen Höhe ein seichtes Meer ebenso einheitlich die ganze Kugel umwogte. So sehr seicht brauchte dieses sieghafte Schlußmeer noch gar nicht einmal zu sein: die heutige Wassermasse aller Ozeane, über die gesamte Erde gleichmäßig verteilt, ergäbe immer noch einen Wasserstand von rund 2000 m Tiefe. Also eine recht tüchtige »Sintflut« als Schluß!
Der Faden der Geschichte des Land- und Wasserwechsels im Wandel der Zeiten wäre also, rein so besehen, ein ungemein einfacher: alles Land, wie es heute unsere Erdkarte noch zeigt, vergeht allmählich zugunsten eines allseitig erhöhten einheitlichen Meeresgrundes; die Sterne der Zukunft spiegeln sich in einem absolut sieghaften Meer. Fragt sich bloß, warum bei der sicher erweislichen ungeheuren Länge der geologischen Zeiträume dieses Ziel nicht längst erreicht ist. In all diesen Zeiten hat das Wasser doch rastlos so gearbeitet und es hat Sandschichten gehäuft, die selber wie Gebirge so dick sind und denen man also zutraute, daß sie Gebirge geschluckt haben könnten; trotzdem ragen noch immer himmelhohe Gebirge über uns. Die Jahrmillionen scheinen aber selbst für die Zerstörung von Kontinenten zu langen. Und doch stehen noch fünf zum Teil genügend ansehnliche Erdteile auf unserer Karte, während gleichzeitig der Meeresgrund keineswegs Anstalten macht, überall gleichmäßig zu versanden; noch gibt es Meerestiefen, in denen der höchste[27] Himalajagipfel versenkt werden könnte, ohne aus dem Wasserspiegel zu ragen.
In diesem Widerspruch weisen jetzt jene alten Meermuscheln tief im Lande sogleich den weiteren richtigen Weg. Sie fallen doch versteint aus versteintem Meeresschlamm von ehemals. Dieser Schlamm ist offenbar vorzeiten durch Arbeit des Wasserkreislaufs vom Lande, vom Gebirge heruntergewaschen und im Meeresgrunde abgelagert worden; die Muscheln bezeugen, daß er wirklich schon einmal im Meere war. Aber heute liegt er ebenso ersichtlich nicht mehr in diesem seinem Meeresgrunde. Hoch auf dem Festland liegt er vielmehr wieder, weit im Binnenlande, ja den Wolken nahe neu in himmelragendem Gebirge. Unglaublich hoch kann er so liegen: im Himalaja finden sich gewisse Schichten mit Meertieren noch bis 5000 m hoch. Hier ist also etwas Besonderes noch nachträglich geschehen, das niemals vom Wasser selbst ausgehen konnte. Durch eine unabhängige Macht ist der Meeresboden wieder ganz aus dem Wasser gehoben, zu neuem Festland gemacht worden. Und auf diesem Festlande ist er, wenn er heute gar hoch im Gebirge liegt, nochmals höher und höher bis in die Wolken hinaufgestaut worden durch eine Gebirgsbildung dieses Festlandes, die ebenfalls seither noch neu stattgefunden haben muß. Im einzelnen können wir heute oft noch angeben, wann diese Bildung erst sich vollzogen haben kann. In[28] jenen jetzt so fabelhaft hoch verstiegenen Schichten am Himalaja finden sich die Reste gewisser meerbewohnender Urtiere, der Nummuliten, die in dieser Gestalt für die Meere im Anfang der sogenannten Tertiärzeit (also schon des dritten geologischen Hauptweltalters, von unten gerechnet) charakteristisch waren. Um diese Zeit muß ein solches Nummulitenmeer also auch dort in Indien noch geblaut haben. In der Zwischenzeit seit damals kann dann aber erst das Gebirge sich gebildet haben, das an seinem Fleck eben diesen Meeresboden bis zu 5000 m Höhe hinaufgeschoben hat, während es selber zugleich in seinem alleräußersten Gipfel es dabei bis zum Mount Everest gebracht hat, also der höchsten Bergerhebung überhaupt der ganzen Erde.
Kein Zweifel, daß wir auch hier vor einer Arbeit unseres Planeten stehen, die sich noch heute fortwirkend studieren läßt, genau wie die Zerstörungsarbeit des Wassers. Wenn wir vom Meer sprachen und seinen unruhigen Wassergeistern, die in Tropfengestalt die Feste zu meistern suchten, so erschien diese Feste, erschien die ganze harte Erdrinde in ihrer mineralischen Starre als der Gegensatz des ewig Ruhigen; passiv ließ sie sich nur von jener Wasserunruhe zerstören; ohne diese Unruhe stand der Granit wirklich von Ewigkeit zu Ewigkeit. Aber auch das ist niemals genau richtig. Um noch einmal an das alte Sintflutbild zu erinnern: in bestimmtem Sinne wandeln wir auch auf dieser festesten Erde beständig eigentlich über einer geheimen Flut, die langsam steigt und ebbt, schaukelt und Wellen wirft, – das alles aber, wunderbar genug, jetzt in Gestalt tiefinnerlichster Verschiebungen des Gesteins selber, die mit echter Wasserbewegung gar nichts zu tun haben.
Seit alters war schon den Menschen, die noch naiv an die Sintflut glaubten, eine höchst unheimliche Erscheinung auch nach dieser Seite geläufig: nämlich das Erdbeben, bei dem die Feste selber wenigstens vorübergehend schwankte wie eine wellenbewegte See. Die neuere Geologie kennt aber noch andere Anzeichen genug. Ganz gemächlich, ohne jede wüste Störung, heben sich gewisse Länder, z. B. Norwegen und Schweden, in geschichtlicher Zeit immer mehr aus dem Ozean. An den alten eingehauenen Wassermarken liest man noch ab, daß die schwedische Küste sich in hundert Jahren stellenweise je um etwa anderthalb Meter gehoben hat. Aus den natürlichen Strandlinien mit ihren vom ehemaligen Wogenschlag eingekerbten Wassermarken kann man aber noch ersehen, daß diese Bewegung schon[29] seit vielen Jahrtausenden (seit Ende der Eiszeit) periodisch andauern muß. Umgekehrt sinken die deutsche Ostsee-, die holländische Nordseeküste. Man hat bemerkt, daß an der Küste der Bretagne sich Reste unterseeischer Wälder finden, alte Römerstraßen sich im Meeresgrunde verlieren, prähistorische Steindenkmäler (Dolmen) nur bei Ebbe noch aus dem Wasser herauftauchen. Der Meeresboden selber, von dem man meinen sollte, er könne bei der beständigen Einfuhr von Bergeslasten Flußsand doch nur seichter werden, senkt sich in ganzen Riesengebieten ersichtlich, wie z. B. im Stillen Ozean die eifrige Gegenarbeit der Korallentiere beweist, die ihre Bauten immer nur in einer gewissen nicht zu großen Tiefe herstellen können, deshalb immer höher bauen mußten und so allmählich Korallenriffe erzeugt haben, die heute wie steile Türme über dem abgesunkenen Grunde ragen. Mitten im Lande bei uns in Deutschland hat man mehrfach bei genauen Messungen Höhenänderungen bis zu 17 cm schon im Laufe von 20 Jahren feststellen können. Im Bergwerksbetrieb glaubt man öfter im explosionsartigen Vorbrechen und Sichfalten geöffneter Schichten, im Aufbäumen und Sichstrecken befreiter Steinplatten unmittelbar Zeuge des geheimen Drängelns der Tiefengesteine zu sein. Gewiß ist es eine schwindelerregende Vorstellung, daß solche sich hebende Küste einen neuen Erdteil, solcher Zentimeterzuwachs langsam aufschwellender Bodenfalten zuletzt einen Himalaja ergeben sollten. Aber die Denkschwierigkeit dabei ist keine größere, als daß die Arbeit eines rinnenden, mit Kohlensäure geschwängerten und im Frost sich dehnenden Regentropfens endlich ein Gebirge von der Höhe dieses Himalaja abtragen und als Sand ins Meer schwemmen sollte. Zu beidem ist nichts nötig, als geologische Zeitmaße. Von jeder einzelnen der größeren geologischen Epochen aber wissen wir, daß sie schon mehrere Millionen von Jahren umfaßte. Der Verlauf einer einzigen könnte also wohl genügen. Wie wir ja auch hören, daß gerade der Himalaja sich erst seit Anfang der uns verhältnismäßig noch nahen Tertiärzeit ganz aufgegipfelt haben muß, während er gleichzeitig seither schon wieder infolge der Wasserverwitterung im vollen Verfall zur Ruine ist. Schwieriger mag die Vorstellung sein, wie es rein technisch überhaupt möglich sei, daß feste Gesteine sich nachträglich so schieben, so knicken, biegen und falten lassen. Es gibt da sehr verschiedene Erklärungen, von denen bisher keine ganz genügt. Über das »Daß« aber kann schlechterdings[30] keine Frage sein. Ein paar Spaziergänge auf bekanntesten Alpenstraßen genügen für jedermann, sich da selber ein Bild zu machen, z. B. an der Axenstraße oder am Walensee. Unsere Alpen sind größtenteils erst in der gleichen verhältnismäßig jungen Erdperiode emporgedrängelt worden, wie der Himalaja. Dabei sind aber die verschiedensten alten Meeresböden mit ihren zu Stein erstarrten uralten Schlammschichten, die einstmals hübsch wagerecht gelegen hatten, in ein geradezu beängstigendes Gewirre und Geschlinge von Falten gepreßt worden, die sich jetzt im Anschnitt der halb zerstörten Felsschroffen wie hin und her gebogene Riesenschlangen oder gigantische Würste vor Augen stellen. Den schlichtesten Beschauer, der nie von den Geheimnissen der Geologie gehört hat, kann man dort staunend ausrufen hören, das sehe ja aus, als wenn der Stein Wellen geschlagen hätte. Es sieht aber nicht bloß so aus, sondern es ist so.
Das geschulte Auge des wirklichen Geologen stößt aber in jeder Gegend bei Schritt und Tritt auf die steinernen Wogenspuren. So stark die Wasserarbeit sich überall aufdrängt: die Arbeit dieser Steinflut ist im sichtbaren Erdbilde doch vielfach noch durchschlagender.[31] Wo immer jenes Zerstörungswerk des wühlenden Wassers das Gestein in seinem Gefüge aufgeschlossen oder wo immer es seine ursprünglichen Außenformen noch nicht zu verwischen vermocht hat, da stößt man auf sie. Es brauchen nicht immer unmittelbare Falten zu sein. Wo die drängelnden Gesteinsmassen sich gestaut haben, gewahrt man die Spalten, zu denen sie kämpfend zerbrochen sind, man erkennt, wie die dicken Schichten an solchen Brüchen sich geradkantig auf- und abgeschoben haben, wie ganze Schollen zu Gräben und Kesseln hinabgesunken, andere in Restbrocken als hohe einsame Klötze darüber stehengeblieben sind. Der Laie muß sich belehren lassen, daß aus der Heimat oder von der Karte allbekannte Landschaften solchen wilderen Wogenprall darstellen: das mittlere Rheintal und das Rote Meer solche Grabenversenkungen zwischen zwei Spalten, unsere Vogesen oder unser Schwarzwald solche stehengebliebenen Restklötze. Der Geolog verfolgt die Spur aber weiter auch an den ganzen Kontinenten, die wieder im noch größeren teils solche Klötze und Blöcke, teils aneinander gescharte Faltensockel über den gewaltigen Senkungsfeldern der tiefen Ozeane bilden. Und an tausend Anzeichen erkennt er, weit über den einzelnen Muschelfund im Binnenlande noch hinaus, daß dieses Wogen der Steinrinde unseres Planeten seit Urtagen dauert. Alle geologischen Epochen hindurch dauert es, von der endlos entlegenen Devonzeit, deren Seelilien und Meerkrebse heute im Kalkstein der Eifel liegen, bis zur Steinkohlenperiode, durch deren heute tief verborgene Kohlenschichten noch die Sprünge und Zickzackfalten einer damaligen europäischen Gebirgsbildung laufen, von der sogenannten Triasepoche, deren Korallen- und Kalkalgenriffe heute unsere Dolomitalpen bilden und in der man trockenen Fußes über den Indischen Ozean gehen konnte, bis zur Kreidezeit, deren ozeanischer Schlamm heute aus den weißen Felsen von Rügen glänzt, und zum Tertiär, wo die Seekühe bei Mainz durchs Rheintal schwammen wie heute im Roten Meer, während Scharen flüchtiger Steppenpferde über die Reste der »Atlantis« von Grönland nach Europa herüber und hinüber kreuzten. Immer hat das flutende Auf und Ab des Gesteins dem einförmigen Nivellieren der Wasserarbeit Schach geboten. Ging dieses Nivellieren unablässig neben ihm her, nagte seine Erdteile, seine Gebirgsfalten immer wieder an und suchte seine Meereshöhlungen erneut mit Sand zu verschütten, so machte dieser Wellenschlag des Steinmeeres es zu[32] einem Danaidenwerk, das nie fertig wurde, ewig neu beginnen mußte. Glättete der Wassertropfen rastlos am Relief der Erdkugel, so baute der drängende Stein ebenso ruhelos neues Relief. Gegenüber der wesentlich landfeindlichen Richtung der Wasserarbeit war die Steinarbeit geologisch stets eine landfreundliche. Während der Wasserkreislauf auch da, wo er scheinbar baute: bei seinem Häufen von Sandschichten am Meeresgrunde, eigentlich nur an der noch gründlicheren Überflutung der Länder arbeitete (denn das emporgedrängte Wasser der so versandenden Meere mußte stets bestrebt sein, sich landeinwärts flächenhaft auszudehnen), schuf die Steinbewegung selbst da mehr Land, wo sie den Meeresboden zeitweise senkte; denn in den Abgründen, die sie tiefte, liefen die Wasser umgekehrt zusammen, wodurch anderswo das Flachland der Küsten trocken gelegt werden mußte. Andrerseits wurde auch der Wasserflut mit ihrer rinnenden Sanduhr ein wirkliches Bauen von ihr selbst nachträglich noch aufgezwungen, wenn sie die ungeheuren Lasten Meersand, die jene zwecklos häufte, durch ihr Schaukeln gleichsam über Nacht tatsächlich wieder zu Land machte. Über Nacht freilich nur im Sinne, wie es in der Bibel von den Nachtwachen des Weltschöpfers heißt. Denn in Wahrheit ging das Spiel auch hier durchweg langsam genug. Dafür ging es durch Jahrmillionen. Auf jeden Fall aber mußte die titanische Doppelarbeit dieser beiden Erdgewalten im Laufe dieser Zeiten ein wahrhaft kaleidoskopisches Wechselspiel von Meer und Festland auf unserm Planeten schaffen, von dem das heutige Bild nur gerade einen zufälligen Einzelfall gibt.
Zufällig! Dieses Wort sagt nicht viel und macht dem Naturdeuter durchweg wenig Freude, wenn es auftaucht. Wir möchten das Gesetz dieses Wechsels kennen lernen. Das Gesetz der Wasserarbeit ist ja klar. Waren Festländer, Gebirge, Meere irgendwo gegeben, so drängte das Wasser das Land allmählich ins Meer, und so oft im Verlauf der geologischen Perioden dieser Zustand neu eintrat, so oft trat hier auch mit untrüglicher Folgerichtigkeit die gleiche Arbeit in Kraft. Aber was wir nun noch wissen möchten, ist das Gesetz, nach dem auch die »Steinflut« immer wieder neue Hebungen, Faltungen, Senkungen, Länder, Gebirge, Meere schuf, indem sie den andern Verlauf gleichsam immer wieder herabschraubte. War es ein periodisches Schaffen, das immer in bestimmten Zeiträumen wieder stärker einsetzte? Wohnte ihm ein gewisser Zwang des Umschlags[33] in der Richtung inne, daß etwa, was eine Weile Meeresgrund gewesen war, notwendig dann wieder Land werden mußte, und umgekehrt? Folgte der Schub seiner Falten bestimmten Linien auf der Erdkugel? Und so weiter. Ja das möchten wir wissen, weil es ein vorzüglicher Faden wäre für die Reihenfolge der geologischen Karten in den einander ablösenden Perioden der Erdgeschichte. Leider werden wir hier aber einstweilen von unserm sicheren Wissen noch überall im Stich gelassen.
Diese Unkenntnis hängt stark zusammen mit einer andern. Während uns nämlich die Ursache jenes beständigen Wasserflutens um die Erde von der Sonnenwärme an, die zuerst die Wasserteilchen aus dem Ozean lockt, bis zu den letzten zermahlenen Sandteilchen, mit denen das wolkenragende Gebirge endlich in diesem Ozean anlangt, so gut wie ganz durchsichtig ist, haben wir lange nicht die gleiche Einsicht in die Ursachen jener faltenden Steinflut der Erdrinde.
Eine ganze Weile hat man sich dabei auf einer unmittelbar falschen Fährte bewegt. Man suchte die Ursache in den von unten hebenden vulkanischen Erscheinungen. Aus der Erdentiefe drängen bekanntlich immerzu glühend flüssige Massen aufwärts. Bald entfließen sie unsern Vulkanen noch als Lava, bald erstarren sie bereits in der Tiefe. Zu der Erdrinde verhalten sie sich wie die juvenilen Quellen zum Kreislauf der Gewässer. Sie bringen neue Stoffe hinzu, entsprechend hier statt Wasserdampf und Heißwasser geschmolzenes Gestein. Zweifellos nehmen sie in ihrer Art so auch Anteil an der Arbeit dieser Rinde. Sie mehren die Masse dieser Rinde, schaffen erkaltend mächtige Einlagen und Auflagen, gelegentlich schütten sie auch einmal selber eine Insel im Meer, einen Berg über der Feste auf. Man glaubt auch zu beobachten, daß sie gern da hochquellen, wo eine jener Rindenspalten zeitweise den Druck von oben vermindert. Und auch gegen Teile der Rinde drängeln sie gelegentlich in ihrer Weise. Aber davon kann keine Rede sein, daß sie wirklich die geheimen Kobolde wären, die das ganze Steinmeer tanzen ließen, hinter allen Erdbeben, Faltungen, Senkungen, ja hinter der Entstehung jener Spalten selber ständen. Vollkommen mußte das aufgegeben werden von der neueren Geologie.
Die heute gangbarste Meinung sucht die Ursache der Steinflut vielmehr in der fortdauernden Zusammenziehung der Erdkugel. Gleich allen andern Weltkörpern verdichtet sich die Erde fortgesetzt[34] im Innern. Dabei verkleinert sich ihr Kern. Die Rinde muß nachsinken. Vielfach bricht sie dabei örtlich ein, während andere Teile einzeln stehenbleiben. Vielfach auch wirft sie Falten wie ein schrumpfend sich runzelnder Apfel. Ich verhehle nicht, daß auch diese Ansicht noch viele Schwierigkeiten hat. Sie teilt vorläufig die Gefahr aller Erklärungen, die vom Geologischen ins Astronomische greifen. Immerhin ist sie zurzeit die beliebteste.
Aber auch wenn sie ganz genau richtig wäre, so würde uns das noch gar nichts sagen über das Gesetz, das nun im Engeren dieses Nachgeben und Sichrunzeln der Erdkruste geologisch beherrscht hat. Wir wissen nicht, in was für Absätzen, Zeitfolgen, in was für einem Rhythmus sozusagen diese Rindenschrumpfung sich vollziehen soll. Auch das ist das Mißliche gerade astronomischer Deutungen, daß sie für geologische Dinge durchweg zu allgemein, zu umfassend sind, um im einzelnen etwas zu besagen. Der Astronom hat das Glück äußerst sicherer Berechnungen, eben weil er die Dinge meist so im großen sieht; ihm sind ganze Weltkörper vielfältig nur leuchtende Punkte. Der Geolog haftet trotz seiner langen Zeiträume, die den Laien schon erschrecken, mit seinen Wünschen an sehr viel kleineren Erscheinungsreihen. Und so bleibt es trotz so mancher Versuche, die in alter und neuer Zeit gemacht worden sind, einstweilen aussichtslos, den Wechsel von Wasser und Land in der Urwelt gleichsam aus einer allgemein errechneten Formel ableiten zu wollen.
Wir sind auf die schwerere Aufgabe angewiesen, nach dem mehr oder minder zerstückelten Material, das uns die geologische Vergangenheit hinterlassen hat, die alten Karten einzeln wieder Stück für Stück zusammenzusetzen. In vielen Fällen erscheint das ja einfach. Wenn heute in Schwaben unverkennbarer alter schwarzer Faulschlamm einer Meeresbucht mit den hübsch eingesargten Mumien der an das Leben lediglich im Ozean angepaßten Ichthyosaurier aus der älteren Jurazeit liegt, so ist für diese Ecke die Karte von damals natürlich fertig: wir setzen blaue Meerfarbe auf das betreffende heutige Land. Und so kann man noch vieles deutlich verfolgen. Uralte Gebirge, die der Zahn der Zeit, das heißt die unerbittliche Arbeit des Wassertropfens oben längst wieder heruntergebaut hat, deuten sich noch in den Faltenresten der Tiefe an. Die Sandbarren ihres Meeresdeltas, zu Sandsteinblöcken erstarrt, lehren urweltliche Riesenflüsse kennen. Salzlager verraten die verdampften[35] Salzpfannen von Binnenmeeren. Im roten Stein ringsum erkennt der Geolog noch den alten Wüstenboden. Aber lange nicht alles ist so reinlich geblieben. In nur zu vielen Fällen hat die Regenarbeit die alten Meeresböden, nachdem sie Land geworden waren, seither völlig wieder fortgefressen, und sie hat damit für unsere geologischen Kartenbilder genau die Rolle gespielt wie die Mäuse oder Termiten in wirklichen geographischen Archiven, wo nachher bald dieses, bald jenes Blatt im Atlas fehlte. Anderes haben die Faltungen und Senkungen selbst unkenntlich gemacht. Schließlich sind wir Menschen heute auch noch nicht einmal ganz im Besitz unserer gegenwärtigen Erdkarte, geschweige denn, daß wir überall wüßten, was für Restblätter darunter liegen; die geologische Erforschung der großen Meeresbecken hat eben erst knapp an der Oberfläche begonnen. So bleibt in jeder geologischen Karte, zumal wenn sie ganze Erdteile wiederherstellen will, viel Fragliches, vieles, das bessere Einsicht bald wieder ebenso fortradieren muß, wie die Arbeit des Regentropfens Teile des Originals wegradiert hat.
Aber andrerseits gibt das Wenige, das heute schon ungefähr der Kritik standhält, eine solche Fülle bereits des Lehrreichen und Überraschenden, daß sich jeder Rundgang reichlich lohnt.1 Die großen Erregungen, die in den Tagen der Kolumbus, Tasman und Cook unsern Vorvätern noch zu teil wurden: daß ganz neue Erdteile noch in der Phantasie oder Wirklichkeit auftauchten, sind für unsern späten Abend der eigentlich heroischen Geographie heute zu Ende. In dieser geologischen Ferne sind dagegen wirklich noch unbekannte[36] Erdteile zu finden oder bereits gefunden; was seit Amerigo Vespuccis Zeiten nicht mehr möglich gewesen ist, sollte dort wieder schlichten geologischen Fachleuten beschieden sein: einen neuen Namen zu ersinnen für einen bisher völlig unbekannten und unbenannten Erdteil. Das Märchen, das noch romantischer als das von der Sintflut durch die Völker geht: von ganzen Ländern, die irgendwann einmal im Ozean wieder verschollen wären, von einer »Atlantis«, über deren Grab wir heute mit dem Schiff segelten, viele Tage lang, hat greifbare wissenschaftliche Gestalt dort gewonnen, – anders, aber noch wunderbarer, als die Phantasie zu träumen wagte.
1 Ausgezeichnete Geologen haben sich in neuerer Zeit bemüht, solche geologischen Karten zu entwerfen. Von Deutschen muß hier insbesondere Frech erwähnt werden in seiner unschätzbaren Lethaea palaeozoica. Vielfach im Anschluß an Entwürfe von Frech, Neumayr, Koken und Lapparent, doch mit eigenen Änderungen hat Karten aller geologischen Hauptabschnitte kürzlich Theodor Arldt in seinem umfangreichen Werke »Die Entwicklung der Kontinente und ihrer Lebewelt« (Leipzig, bei W. Engelmann) gegeben. Das Studium dieses ausgezeichneten Buchs kann jedem, der sich tiefer in das Fachmaterial einarbeiten will, nur aufs wärmste empfohlen werden. Unsere Skizzen schließen sich zumeist an hier gegebene Linien an, wobei ich Herrn Dr. Arldt in Radeberg meinen besonderen Dank für die freundliche Erlaubnis der Benutzung auszusprechen habe. Daß auch bei diesen Umrissen viele Einzelheiten noch Hypothese sind, sei ausdrücklich hier hervorgehoben, ohne daß es den allgemeinen Anschauungs- und Einführungswert zu schmälern braucht.
Wenn wir einen denkenden Blick auf unsere heutigen Erdteile und Meere werfen, überzeugt jetzt im allgemeinen, daß auch dieses Umrißbild unseres Schulatlas nicht die Ewigkeit bedeutet, sondern geworden ist, wie alles andere auf dieser Erde, wie Tier und Pflanze, wie wir selbst, und daß ihm eine ganze Kette andersartiger »Erden« im geographischen Sinne voraufgegangen ist, so können uns gewisse Züge kaum entgehen, die hier wie ein Fingerzeig aussehen, auch ehe man noch beginnt, alten Meeresböden, alten Gebirgen, alten Festländern wirklich im Gestein nachzuspüren.
Durch den Zufall der Entdeckungsgeschichte haben wir uns daran gewöhnt, bei den Erdteilen von einer Alten und Neuen Welt zu reden, also zwei großen getrennten Landmassen auf der Ost- und der Westhalbkugel; und beim Meer denken wir am meisten an das atlantische, das diese beiden Gegenstücke für uns Kulturmenschen so lange und so weit voneinander gehalten hat. Ein Betrachter vom Weltraum aus würde aber anders urteilen, und wir können uns leicht seinen Standpunkt verschaffen, wenn wir einen in der richtigen Achsenschiefe eingestellten Globus drehen. Es gibt da eine Lage, bei der fast die ganze Frontwölbung einheitlich erfüllt ist vom Wasserblau des Stillen oder Pazifischen Ozeans. Eine wirkliche »Wasserseite« hat hier der Erdball. Schaut man dann über den Nordpol hinaus, so erscheinen die Landmassen drüben für ihr Teil ebenfalls als eine Einheit; sie ergeben eine »Landseite« der Kugel; der Atlantische Ozean gewinnt dort nur das Wesen eines sehr großen Kanals, der zweimal, nördlich über Schottland, Island, Grönland, südlich bei Afrika-Brasilien, eine starke Neigung zeigt, sich[37] zu schließen. Den stärksten Block dieser »Landseite« bilden im Norden Asien (mit Europa) und Nordamerika (mit Grönland). Mit geringer Phantasie ließen sie sich über den Pol hinweg als wirklicher nordischer Riesenerdteil zusammenschließen. Die heutige trennende Überflutung, die unter den Eisfeldern des Pols durchgeht, erschiene dann nur als ein nebensächliches, mehrfach durch Inseln oder Meeresbodenwölbung stark verstopftes, vielleicht vergängliches Kanalstück, das sich hier als Verlängerung des atlantischen Kanals durch die einheitliche nordische Landmasse ziemlich mühsam bis zum Stillen Ozean durchgebohrt hat. Es scheinen noch mehrere Anläufe zu solchen Kanälen dort zu bestehen, die aber noch weniger erreicht haben; so zwischen Grönland und Nordamerika einer in der Verlängerung der Davis-Straße; bei uns in Europa der stumpf auslaufende Vorstoß Nordsee, Ostsee, Bottnischer und Finnischer Meerbusen; aus der heutigen Landbeschaffenheit ließe sich leicht aber auch noch einer dazu denken, der Asien und Europa am Ural hin, etwa zwischen dem Kaspischen Meer und der Obmündung, teilte und vielleicht südwestlich Anschluß an das Mittelmeer erhielte.
Jedenfalls liegt die heute auf der Karte noch unruhigste, wie frisch erst zerstückelt aussehende, überall klippenhafte Stelle dieser Einbrüche zwischen den Nordteilen Europas und Grönland. Die bekannte, überaus unruhige Gestaltung des Kartenbildes von Europa wird hier von der einen Seite mitbedingt. Sie ist ja bemerkt worden, so lange die Kultur sich jetzt auf dieser (eigentlich ist sie es heute doch nur) Halbinsel Asiens immer enger vereinigt hat. Nicht müde sind denkende Geschichtsforscher und Geographen geworden, aus ihr die weittragendsten Folgerungen für die Entwicklung dieser Kultur zu ziehen. In der Tat gibt es kein zweites so großes Landgebiet der Erde, das geographisch einen so durchgearbeiteten Charakterkopf hätte, wie Europa, und daß gerade er für die weitere Charakterbildung auch des Kulturantlitzes der Menschheit von der größten Bedeutung sein mußte, ist klar. Aber wieder diesen geographischen Charakter wird man sich nur erklären können durch eine ungemein reiche geographisch-geologische Vergangenheit. Seit den ältesten Zeiten bis in die jüngsten Tage meint man hier eine Stätte nicht abreißender Erlebnisse, Wandlungen, Kämpfe des Erdbildes zu sehen, deren Geschichte die eigenartigsten Überraschungen zu versprechen scheint. Das gilt aber wie von Europas[38] Nordseite, so eher verstärkt noch auch von seiner Südseite am Mittelmeer. Hier aber gibt sich Gelegenheit, auf etwas Neues in der gesamten Kontinentbildung der Landseite unseres Planeten von heute aufmerksam zu werden.
Nimmt man Nordamerika, Grönland, Asien und Europa als eine geschlossene nordische Landmasse an, so stellen sich dieser Masse unverkennbar die übrigen Erdteile alle als südlich gelagert gegenüber: Südamerika, Afrika, Australien und die einsame hohe Klippe des Südpolarlandes. Statt der hergebrachten Einteilung in einen Ostteil und Westteil des Festlandes der Erde erhalten wir einen ausgesprochenen Nordteil und einen ausgesprochenen Südteil. Dieser Südteil läßt sich aber heute nicht entfernt so zu einem Einheitsblock vereinigen, wie die Nordmasse. Eigentlich sind es vier heute gut in sich geschlossene Einzelblöcke, die sich wie riesige Inseln südwärts unter den Nordblock lagern. Nähert sich immerhin noch einigermaßen die äußerste Ecke des westlichen Nordafrika der östlichsten von Brasilien, grüßt Feuerland merkbar zu der südpolaren Klippe hinüber, so trennen doch ganz unabsehbare Meeresweiten heute etwa das Kap Horn vom Kapland, das Kapland von der australischen Westküste, Afrika von der Antarktis. Man hat das Gefühl, daß hier statt unruhiger, noch spät möglicherweise fortdauernder Einzelversuche von Kanalsprengungen wie in der Nordmasse zu irgendeiner älteren Zeit eine wirkliche endgültige Zerstücklung mit Sinken ungeheurer Zwischengebiete stattgefunden haben müßte, falls man auch für diese Südhälfte der Gesamt-Landseite eine ursprüngliche geschlossene Blockeinheit annehmen will, die dem Nordkontinent einen ebenso großen Südkontinent im ganzen gegenüber gesetzt hätte. Und das unverkennbar größte Loch würde man dabei im Indischen Ozean annehmen müssen. Nordamerika liegt immerhin heute noch Südamerika, Europa Afrika, Ostasien Australien gegenüber; von Vorderindien geht es dagegen in die offene blaue Wasserwüste hinein, bis tief unter die abschneidende Wölbung der Kugel. Obwohl der mathematische Südpol selbst gegenwärtig auf einer einsamen Ecke Landes liegt, muß man im ganzen doch sagen, daß auf unserer heutigen Karte das Wasser eine gewisse Neigung zeigt, zu der eigentlichen, durch irgendein Gesetz ihm preisgegebenen Wasserseite unseres Planeten (wie sie der Stille Ozean darstellt) auch noch den Südteil der Landseite von den höheren Breiten[39] an äquatorwärts aufdringlich stärker zu überschwemmen. Wobei aber doch auch wahr bleibt, daß vier große Blöcke darin liegen, die wirklich in mehrerem Betracht ganz wie vier stehengebliebene Pfeiler einer Gesamtmasse aussehen, die auch hier im Süden einmal der »Sintflut« trotzte, heute aber aus irgendeinem Grund in diese Trümmer zerfallen ist. Noch wieder ein Interessantes betrifft aber dann die Angliederung dieser Südstücke an die große Nordmasse.
Der Ausdruck »Insel« für die Südkontinente im Verhältnis zum Nordklotz ist ja nur bedingt richtig. Nordamerika hat eine ganz dünne Verbindung mit Südamerika, und Afrika hing wenigstens noch in geschichtlicher Zeit bei Suez mit Asien zusammen. Aber diese winzigen Landbrücken von heute können nicht darüber täuschen, daß auf weite Strecken hin ein »Mittelmeer« bestrebt ist, in ungefähr paralleler Richtung zum Äquator den Nordkontinent von den Südkontinenten durch ein mehr oder minder deutliches westöstliches Wasserband zu scheiden. Unmittelbar geläufig ist uns das gewohnheitsmäßig als Mittelmeer bezeichnete Stück dieses Trennungsmeeres, das Europa von Afrika sondert. Es ist hier schmal, kanalhaft, streckenweise fast verstopft heute; sein europäisches Ufer ist über alle Maßen reich gegliedert, und wir alle wissen hier wieder, wie diese Gliederung in Spanien, Italien, Griechenland eine Macht ersten Ranges für die Kulturgeschichte geworden ist. Mehr naturgeschichtlich werden wir aber auch hier den Schauplatz langer und noch nahe zu uns heranreichender Bewegungen und Umwälzungen vermuten. Ein ganz ähnliches Mittelmeer mit großen Inseln und reicher Ufergliederung finden wir dann zwischen Nordamerika und Südamerika. Die erwartete künstliche Durchstechung der Landenge von Panama würde ihm eine freie Einlaufstelle zum Stillen Ozean geben, wie sie unser altweltliches Mittelmeer bei Gibraltar zum atlantischen hat. Zwischen dieses mittelamerikanische und unser europäisch-afrikanisches Mittelmeer schiebt sich das Mittelstück dieses Atlantischen Ozeans. Dächten wir uns wirklich die Nordmasse einmal ganz vereint, also etwa von Nordeuropa über Island nach Grönland und Nordamerika eine geschlossene Küste bildend; und dächten wir uns auch einmal in den Südgebieten wirklich noch Afrika und Südamerika mit ihren zustrebenden Ecken verwachsen: so wäre der so allein übrigbleibende Mittelteil des Atlantischen Ozeans auch nur ein echtes Stück »Mittelmeer« zwischen Nord und Süd, in dem[40] das vom Stillen Ozean kommende amerikanische Mittelmeer mit breitem weiterschreitendem Wasserring sich einfach bis zu dem europäisch-afrikanischen Mittelmeer fortsetzte. Die Wasserbahn zwischen Nord und Süd ginge tatsächlich von Panama bis etwa nach Palästina einheitlich durch. Von dort könnte man sie weiter abbiegen lassen durch den großen Einsturzgraben des Roten Meeres bis an die asiatische Seite des Indischen Ozeans, wo heute allerdings, wie gesagt, das große Loch ist und die Fortsetzung des Südlandes überhaupt fehlt, wenn man nicht die unendlich entfernte Südpolklippe noch für den entlegensten Rest nehmen will. Jedenfalls käme man aber auch hier mit Wasser weiter, schnitte noch einmal zwischen Ostasien und Australien eine Art mit Landvorsprüngen und Inseln fast verstopften malaiischen Mittelmeers, um endlich wie auf der amerikanischen Seite im Stillen Ozean, also auf der großen Wasserseite überhaupt, zu münden. Von Wasserseite zu Wasserseite durchbrechend, schnitte das »große Mittelmeer« als Gesamtbegriff die ganze Landseite des Planeten quer auf Nord und Süd auseinander. Immerhin muß auf dem letzten, dem asiatischen Stück die starke Richtungsbiegung beim Roten Meer auffallen. Der klaren Richtungsfolge entsprechend, möchte man mit dem Wasserring dort viel lieber unmittelbar durch Asien hindurchgehen, quer durch Zentralasien bis, sagen wir einmal, Südchina oder Hinterindien. Ein hier durchbrechendes zentralasiatisches Mittelmeer als östliches Ringstück des Ganzen hätte jedenfalls noch eine interessante Folge. Es schlüge ein Stück von Südasien, vor allem das riesige Dreieck Vorderindien, zu den Südländern hinüber, machte es zu einem heute vereinzelten Pfeiler dort gleich Afrika und Südamerika, einem letzten Pfeiler, der doch noch wenigstens an der Grenze des großen rätselhaften Lochs im Indischen Ozean ragte. Keiner kann die Karte von heute ansehen, ohne zu fühlen, daß Vorderindien trotz seiner kleineren Maße eine geradezu auffällige äußere Ähnlichkeit mit Südafrika und Südamerika besitzt; wenn etwa in der Gegend des Himalaja statt eines schneebedeckten Hochgebirges heute noch ein Meeresarm blaute, so würde keiner zweifeln, daß hier in Indien ein kleiner fünfter Südblock, eine Art von Süd-Asien im viel schärferen, Süd-Amerika drüben entsprechenden Sinne erhalten sei. Die Erwähnung des Himalaja gibt aber selber einen neuen Fingerzeig.
Dieser Himalaja im Bunde mit den andern riesigen Gebirgsfalten[41] Zentralasiens verstopft heute einer so gedachten östlichen Verlängerung des großen trennenden Mittelmeers den unmittelbaren Weg, eben weil er vorhanden ist. Das muß uns auch sonst auf die störende Rolle gewisser großer Gebirgszüge unserer heutigen Weltkarte bei diesem Mittelmeer aufmerksam machen. In dem vorhandenen Mittelmeer zwischen Europa und Afrika kann uns nicht entgehen, daß eine Hauptschuld an den zahlreichen Hemmungen, Verstopfungen und Verengungen, die dieses Stück Wasserring zwar nicht ganz unterkriegen, aber doch allenthalben sozusagen quetschen, auch einige der bekanntesten Faltengebirge von heute tragen: die Apenninen schneiden es nahezu mitten durch, die Pyrenäen, Alpen, Karpathen hemmen seine Breitenentfaltung nach Europa hinein, und so weiter. In Mittelamerika bauen die Kordilleren, von Nordamerika kommend und nach Südamerika weiterlaufend, mit an der Mauer, die dem freien Anschluß des großen Mittelmeers zum Stillen Ozean an dieser Stelle den Weg verlegt. Alle die hier genannten Gebirge gehören aber ein und derselben Faltungszeit der Erdrinde an, und zwar (es wurde beim Himalaja oben schon erwähnt) einer verhältnismäßig noch jungen. Sie sind erst entstanden im Verlaufe hauptsächlich des mittleren Abschnitts der Tertiärperiode, also zu einer Zeit, da der Mensch schon entweder im Entstehen begriffen oder sogar bereits vorhanden war. Wir haben keine Überlieferung davon, aber vielleicht könnten sich Menschenaugen alle diese Gebirge noch fortdenken. Damals dann muß auch jedes jener Hemmnisse fortgefallen sein, und wir würden uns denken dürfen, daß der Ring unseres trennenden Riesenmittelmeers zwischen dem Nord- und Südlande tatsächlich noch ganz anders glatt durchgegangen wäre.
Es würde mir nicht einfallen, den Leser so lange auf unserm doch allbekannten Kartenbilde von heute spazieren zu führen, wenn nicht der vielleicht verblüffende Sachverhalt einfach der wäre, daß mit dieser Betrachtung schon ein ganzer Hauptteil der wesentlichsten Veränderungen gestreift ist, die uns der Geolog für seine Weltalter gegenwärtig an dieser Karte aufzuzählen weiß. Die eigentümliche Lage des Stillen Ozeans gegenüber den andern Meeren und dem Gesamtblock der Landgebiete; die allmähliche Entstehung des Atlantischen Ozeans; der ungeheure Nordblock; seine Durchkreuzung durch polar gerichtete Meereskanäle; die Zertrümmerung der atlantischen Landverbindung zwischen Nordeuropa und Grönland; Europa als[42] ein Brennpunkt immer erneuter geologischer Unruhe; die Möglichkeit eines Südblocks und seiner Zersplitterung; das Geheimnis des Indischen Ozeans; Entstehung und wechselnde Schicksale des großen Mittelmeers; die wahre Rolle Indiens; die Wandlungen des Kartenbildes durch neu aufsteigende Gebirgsfalten: jeder einzelne dieser Punkte bildet ein entscheidendes Kapitel in unserer heutigen Kenntnis vom Wechsel von Wasser und Land in der geologischen Vergangenheit, so weit es sich um halbwegs beweisbare Vermutungen handelt.
So gern der Geschichtsschreiber der Erdkarte möchte: er kann niemals mit dem wirklichen Anfang beginnen. Wenn eine Anschauung, die wieder mehr astronomisch als geologisch ist, die Erde in ihren äußersten Urtagen auch an der Oberfläche glühend flüssig sein läßt, so hat das mit einer Karte noch nichts zu tun. Die älteste Erstarrungskruste dieses Glutballs – darüber sind sich heute die meisten Geologen und Mineralogen so ziemlich einig – kennen wir ebenfalls heute nicht mehr; wir haben keinen Fleck, der in diesem Sinne nachweisbar noch jetzt echtes »Urland« wäre. Eine gangbare Vermutung, die natürlich von jenem Bilde der glühenden Urerde abhängig ist, läßt auf dieser zunächst noch warmen Rinde das Wasser, das bis dahin als Dampf in der Atmosphäre schwebte, sich zum ersten Mal überall niederschlagen in Gestalt eines ältesten allumflutenden Erdmeeres. Auch über dieses Bild läßt sich mit Tatsachen noch nichts aussagen. Es muß dahingestellt bleiben, ob wenigstens dieses wahre »Urmeer« wirklich zunächst noch sintfluthaft die ganze Kugel umwogt haben könnte oder ob es auch damals sich sogleich schon Unebenheiten, Schollen, Falten, vulkanischen Aufgüssen der neuen Rinde anbequemen, steile Rindenteile frei lassen und sich in Senkungen sammeln mußte; das letztere ist natürlich das wahrscheinlichere. Was man aber gelegentlich sonst schon von diesem Urmeer oder diesen Urmeeren zu wissen glaubte, hat sich durchweg als viel zu frühe Vermutung herausgestellt. Ihre noch heißen, chemisch weit wirksameren Wasser sollten die sogenannten kristallinischen Schiefer als eine Art ersten Heißschlammes abgesetzt haben. Es handelt sich hier um mächtige Gesteinsschichten der heutigen Erdrinde, die einerseits wie Wasserabsätze, Meeresschlamm der Vorwelt, aussehen, andrerseits aber im Gegensatz zu sonstigen geologischen Meeresniederschlägen auch irgendeinen Wärmeeinfluß, der sie innerlich anders gestaltete, verraten. Frühere Ansicht nahm sie sämtlich für uralt, älter als[43] alle sonstigen Schichten jener Art. Da sollte sie dann das heiße Erstmeer unter ganz absonderlichen Verhältnissen, die nie mehr so wiedergekehrt wären, gebildet haben. Die neuere Geologie glaubt zunächst nicht mehr an das wirkliche Uralter aller dieser kristallinischen Schiefer; auch viel jüngere Bodenabsätze des Meeres können in solche nachträglich verwandelt worden sein, wenn sie durch Senkungen und Faltungen der Erdrinde nachmals noch wieder in das Bereich stärker erwärmter Erdentiefen gerieten. Je tiefer andrerseits aber eine Schicht ihrem Alter nach wirklich lag, desto sicherer mußte sie dieser nachträglichen Umformung im Erdenschoße verfallen. Was also an Schiefern wirklich bis ins Uralter reicht, das muß vermutlich heute samt und sonders kristallinisch verändert sein. Zu ihrer Zeit und in ihrem Urmeer selbst aber können auch solche Urschiefer genau so entstanden und ursprünglich beschaffen gewesen sein, wie alle späteren nicht kristallinischen. Dann verraten sie uns aber auch nichts über ein heißes Urmeer, mögen sie so alt sein wie sie wollen.
Wie immer es sich aber mit dieser, man darf wohl noch sagen, »mythischen« Periode der Geologie verhalte: unfaßbar lange Zeiträume müssen nach ihr bereits verflossen gewesen sein bis zu dem Punkte, wo unsere wirkliche geologische Überlieferung beginnt. Bekanntlich bezeichnet man die uns bekannten und aus allerlei Gründen mehr oder minder gut voneinander unterscheidbaren großen Abschnitte der Erdentwicklung mit hergebracht festen Namen, die bald an einfache Zahlzeichen (z. B. Tertiärperiode für das dritte Hauptweltalter), bald an eine ihrer bekanntesten Hinterlassenschaften anknüpfen, z. B. die Steinkohlenperiode oder die Kreideperiode, bald endlich einen Ort nennen, wo solche Erbteile von damals in Gestalt von Gesteinsschichten sich besonders auffällig gemacht haben, z. B. die Devonperiode nach der englischen Landschaft Devonshire (abgekürzt Devon). Die größte Errungenschaft der neueren Geologie ist aber dabei, daß man die zeitliche Reihenfolge dieser Einzelabschnitte von oben nach unten kennt, also weiß, daß etwa die Steinkohlenperiode weit älter liegt, als die Kreideperiode, und die Devonperiode noch wieder älter als diese Periode der Steinkohlenbildung. Längere Zeit hindurch war nun überhaupt die älteste dieser Epochen, aus der man nicht bloß mehr oder minder kristallinisch veränderte und unklar gemachte Gesteinsschichten, sondern wohl deutbare Ablagerungen mit noch eingebetteten[44] Tierresten hatte, die sogenannte kambrische Periode, die ebenfalls nach einem südenglischen Berggebiet (Kambria ist ein alter Name für Wales) ihre Bezeichnung bekommen hatte. Und erst eine neuere Errungenschaft ist es wieder, daß man doch auch dahinter noch ein Stück weiter vorgedrungen ist, – bis in eine Erdperiode hinein, die man nach dem Heimatgebiet der heute untergehenden nordamerikanischen Algonkin-Indianer (wo von ihr gebildetes Gestein unter anderm gefunden wird) die algonkische oder kurz das Algonkium nennt; diese zweite Bezeichnung entspricht dem Brauch der auch sonst abkürzend von »dem Kambrium« oder »der Kreide« oder »dem Tertiär« geologisch reden läßt.
Mit diesem Algonkium geht für uns recht eigentlich der Vorhang der Erdgeschichte im engeren auf. Nicht allzu viel ist es, was wir von ihrem ersten Akt dabei noch zu sehen bekommen, aber bezeichnend genug ist es schon. Mit aller Sicherheit erkennen wir, daß wir auch hier nicht bei einem wirklichen Anfang der Dinge selbst, sondern bloß bei einem Anfang unseres Wissens stehen. Denn nicht erst im rohen Werden, sondern aufgeschlagen, längst offenbar aufgeschlagen bereits ist die ganze Bühne, auf der fortan die Erdentwicklung weiter spielen sollte. Man vermag dieser algonkischen Periode auf Grund ihrer bisher bekannten einwandfreien Hinterlassenschaften nicht mehr so auf der Erde nachzugehen, daß man eine Karte ihrer Länder und Meere entwerfen könnte. Aber das Wenige, das wir von ihr noch haben, beweist, daß sämtliche Voraussetzungen zu einer solchen Karte im heutigen Sinne schon in ihr klar gegeben waren. Nicht so, daß ihre Länder, Meere und Gebirge genau am gleichen Fleck hätten liegen müssen, wo diese geographischen Einzelheiten heute liegen; aber so, daß Land, Meer, Gebirge schon überhaupt vorhanden waren. Aus ganz einfachen Stichproben läßt sich das mit sieghafter Überzeugungskraft nachweisen.
Da gähnt in Nordamerika, in der Landschaft Arizona, das Naturwunder des sogenannten großen Cañon des Koloradoflusses. Alle Vergnügungsreisenden dort besuchen und bestaunen es heute schon. An einer weiten Hochebene hat sich eine Reihe von Jahrhunderttausenden lang wieder einmal die Macht des rinnenden Wassers erprobt. Das Stromnetz hat unablässig wühlend und nagend die Gesteinsschichten zerstückelt, eine nach der andern wie Butterbrotscheiben[45] abwärts wieder erschließend, wie sie sich in der geologischen Reihenfolge der Perioden einst übereinander gestapelt hatten. Zuletzt hat es sich dann noch wie mit dem Messer in den Grund eingeschnitten, schauerliche Spalten von fabelhafter Tiefe bildend, die eher an die Rillen des Mondes erinnern, als an irdische Täler. Cañons, Röhren, nennt sie der Spanier. Jener größte ist 60 Meilen lang und bis 2000 Meter tief. Nackt starren die Schichten aus seiner Wand, in wunderbar grellen Farben gleißend, hinunter und hinunter steigend, als solle es mit dem Wort der Bibel wirklich bis in der Erde Nieren gehen. Schier unglaublich wirkt es schon, was an solchem einzelnen Fleck sich im endlosen Verlauf der Urwelt überhaupt alles ablagern konnte. Die Hochebene im ganzen beginnt fern oben mit Gesteinen aus der Tertiärzeit. Dann aber geht es rückwärts buchstäblich durch alle Weltalter. Die eigentliche enge Cañonspalte muß sich noch durch eine Bergesbreite Kalk und Sandstein der alten Steinkohlenperiode sägen. Bis sie noch immer tiefer und tiefer stürzend in ihrem grauenhaften Schlunde endlich auch den uralten Boden des Kambriums schneidet. Selbst dort aber ist diesmal kein Ende. Aufspalten muß sich die noch entlegenere Urerde des Algonkiums. Auf einen einzelnen hellen Augenblick sehen wir in ihre Landschaft. Aber wieviel sieht der Geolog da sogleich.
Zu Stein verbackener Sand mit sogenannten Rippelmarken, rippenförmigen Erhöhungen und Furchen, wie sie durch Wellenschlag und Wind an flacher Küste noch heute entstehen, deutet auf Uferdünen. Also Grenze, wo Wasser und Land sich schon damals begegneten. Kalk hat sich abgesetzt, wohl aus seichten[46] Seen; also auch so etwas war schon da. Zu andern Malen hat das wirkliche Meer den Fleck überflutet, Krebse und beschalte Wurmtiere heranführend. Gelegentlich im Laufe der Zeiten ist ein mächtiger Lavastrom des Weges geflossen. Also auch schon Vulkanismus. Und wie sollte er nicht? Die ganze Schichtenlage, nachdem sie eine geraume Weile sich so gebildet hatte, ist eines Tages damals schon ergriffen worden auch vom Schaukeln der Steinflut. Spalten sind hindurchgebrochen, von denen wir wissen, daß sie dem Aufquellen glühender Massen heute noch so günstig sind. An diesen Spalten haben die ganzen Schichten sich zerstückelt, verschoben, schief gelagert, steile Blockmassen als Berge und tiefe Senken als Täler bildend. Auch dieses zeitweise Landschaftsrelief aber ist durch den Kreislauf der Gewässer abermals abgenagt, geglättet, in ebenen Plan verwandelt worden, ehe noch die folgende kambrische Periode begann. Denn diese konnte ihre eigenen Schichten wieder ganz wagerecht auf solchem Plan lagern. Noch mehr aber verrät uns das Wunder des Cañon. Ehe das alles sich bildete im Algonkium, diese Ufersande, Kalke, Lavadecken, hatte an dieser gleichen wandlungsreichen Stelle bereits ein gewaltiges Gebirge gestanden. Kristallinische[47] Schiefer, durchsetzt mit empordrängendem Granit, waren durch Faltung der damaligen Erdrinde (damals schon!) hoch emporgestaut worden, wie so viel Jahrmillionen später unsere noch stehenden Alpen oder Kordilleren. Noch zeigt die tragende Masse unter jenen andern Schichten innerlich ganz deutlich die Wellenlinien dieser Faltung. Aber wiederum: noch ehe jene algonkischen Schichten, die heute darauf lagern, sich absetzen konnten, hatte auch an diesem Gebirge die zerstörende Verwitterung durch den schürfenden, sprengenden und schmelzenden Wassertropfen gearbeitet. Und heruntergearbeitet endlich (in was für Zeiträumen sicherlich!) hatte sie noch vorher das ganze, ganze Gebirgsrelief schon so vollkommen, daß auch dieses Gebirge zuletzt wieder einen oben vollständig glatten Plan gebildet hatte, der nur noch in der Tiefe die letzten abgeschnittenen Faltungszacken wahrte. Über die flache Platte dieses Blocks aber war dann die Uferwelle dahergekommen, die jene Rippelmarken in den Sand schrieb, – in den Sand, in dem wohl hier und da noch letzte Körnchen von diesem abgewaschenen Gebirgsrelief selber lagen. Kein Zweifel: alles, was bis heute eine »Karte« auf der Erdkugel gebaut hat, ist schon damals beim Werk gewesen. Und auch das bestand bereits, was in aller Folge so abhängig gewesen ist von dieser Erdkarte mit seinen tausend Anpassungen und Entwicklungen, zugleich aber dieser Karte erst noch wieder den eigentlichen Inhalt für uns gegeben hat: das organische Leben.
Fast einförmig will die Erdgeschichte erscheinen, wenn man sie gleich so »modern« einsetzen sieht. Es war aber in Wahrheit noch für Überraschungen genug gesorgt, und auch das geographische Bild liefert deren noch sehr sinnfällige. Auf die algonkische folgte die kambrische Periode. War es dort möglich, an einer Stichprobe festzustellen, daß schon alle nötigen Voraussetzungen zu einer Karte gegeben waren, so besitzen wir für sie jetzt eine Anzahl erster Stichproben des Kartenbildes selbst. An den verschiedenen Punkten der Erde erscheinen Ablagerungen noch der kambrischen Meere. Eine nicht allzu reiche, aber doch kennzeichnende Tierwelt zeigt sich in versteinerten Resten darin und erleichtert die Bestimmung der Zugehörigkeit. Wo diese Schichten abreißen, wo sie fehlen, da vermutet man Küste, vermutet man Land von damals, vorausgesetzt natürlich, daß nicht spätere Zerstörung die Meereszeugnisse dort irreführend wieder beseitigt hat; eine Voraussetzung, die allerdings,[48] wie gesagt, leider nicht immer gilt. Auf jeden Fall verraten aber die mächtigen Schuttmassen selber, die die kambrischen Meere schon häufen konnten, mit Sicherheit das Dasein großer Festlandmassen überhaupt. Gelegentlich kann man auch aus der zwar allgemein zeitgenössisch verwandten, aber doch in Einzelzügen schon örtlich etwas verschiedenen, gleichsam in abgesonderten »Provinzen« entwickelten Meerestierwelt deutlich erkennen, daß solche Landgebiete sich wie heute trennend zwischen zwei Meere schoben. So wie man aber nun Einzelheiten der Karte daraus zu erfassen sucht, treten rechte Seltsamkeiten hervor. Viel Land scheint da zu sein, auffällig weite zusammenhängende Festlandstrecken, zwischen denen auch noch das Meer, wo es eingreift, sich zumeist ganz unzweideutig als seicht darstellt. Auf keinen Fall scheint weniger Land vorhanden als heute. Und das ist gleich schon interessant für ein Anfangsbild, ja es ist wertvoll, wie ich hinzufügen möchte, auch für ein Schlußbild. Wie endlos weit wir jedenfalls schon von einem vermutungsweisen »allumflutenden Meer« der Anfangstage entfernt sind (falls ein solches Meer je vorhanden war), zeigt es. Aber es beweist auch etwas für gewisse Ideen über die Zukunft der Erde, die man öfter heute hören kann. Die Erde werde allmählich, wie der Mond, austrocknen, sagt man uns, und damit werde natürlich alles Leben, auch das menschliche, zuletzt jämmerlich zugrunde gehen. Wenn das richtig wäre, so müßte sich das Festland im Verlauf der geologischen Epochen seit der uns bekannten ältesten jedenfalls schon merkbar vergrößert, das Wasser dagegen im Kartenbilde abgenommen haben. Wir würden also auf der Karte des Kambriums größere und tiefere Ozeane mit nur erst ein wenig inselhaftem Land darin erwarten müssen. Das Gegenteil ist der Fall, und wir werden sogar gleich ein paar Karten früher Erdzeiten sehen, auf denen ganz entschieden mehr Land lag, als heute besteht. Es scheint somit, daß das Wasserschlucken und Wasserspeien der Erdkugel sich wirklich im Sinne des früher schon Gesagten auch geologisch stets mindestens die Wage gehalten hat, und so brauchen wir in dem Punkt jedenfalls nicht pessimistisch in die Zukunft zu sehen.
Was aber nun die Verteilung der kambrischen Festländer und Meere anbetrifft, so scheint es, daß auch damals schon die Erde eine ausgesprochene Landseite und eine ausgesprochene Wasserseite besaß. Und zwar bildete die Wasserseite wie heute der Stille oder[50] Pazifische Ozean, der noch ein gut Teil größer war, als gegenwärtig, während die ganzen Erdteile äußerst dicht geschart auf dem übrigen Raum der Kugel beisammen lagen. Es sei gleich gesagt, daß dieses Grundverhältnis sich auch in allen zwischen heute und damals liegenden wechselvollen Erdperioden niemals ernstlich verschoben zu haben scheint. Obwohl uns die geologische Geschichte dieses Stillen Ozeans in vielem ja heute noch eine unbekannte Welt sein muß, eben weil sein Grundgestein auch heute tief unter den Wassern liegt, so sprechen doch die urweltlichen Meeresablagerungen, die sich in den verschiedenen Erdperioden immer wieder rings um seine ungefähren Ufer angesetzt haben, recht eindringlich für eine solche Beständigkeit. Das wirkt nun wieder verblüffend, obwohl es an sich auch noch bloß Heutiges urweltlich wiederholt. Verblüffend ist es nämlich für jene Vermutung, daß alle Regungen und Bewegungen der großen »Steinflut« in unserer Erdrinde, die seit alters Meeresbecken, Erdteile und Gebirge neu geschaffen haben, bloß ein Ergebnis des Nachsinkens, Einbrechens und Sichrunzelns dieser Erdrinde über einem sich beständig verkleinernden Erdkern seien. Aus dieser Meinung heraus ist jedenfalls sehr schwer verständlich, ja unbegreiflich, warum die Erdkugel alle Jahrmillionen der bekannten Erdperioden hindurch gleichsam auf ihrer einen Backe eine riesengroße mehr oder minder tiefe Grube oder Mulde dauernd bewahrt haben soll, während alles Stehenbleiben oder größere faltenhafte Emporquellen von Erdteilen durchaus auf die andere Backe beschränkt blieb. Fast möchte man hier eher an einen kosmischen oder sonst ganz allgemeinen Einfluß denken, dem die Erde noch in jener »mythischen Epoche« ihrer Uranfänge unterlegen wäre und der ihr Bild unabänderlich fortan bestimmt hätte, – wenn man nur wieder wüßte, was man sich darunter genauer vorzustellen hätte. Jedenfalls muß die merkwürdige Sache uns aber die Augen dafür offen halten, ob jene einseitige Schrumpfungstheorie so ganz auf dem richtigen Wege ist.
Uns graut heute schon vor der Wasserwüste, die dieser Stille Ozean etwa zwischen Kalifornien und China bildet. Wer damals dort hätte segeln dürfen – sagen wir in der Phantasie ein Wesen von fremdem Stern, das schon in kambrischen Tagen, fünfzig und mehr Millionen Jahre vor dem ersten Menschenauge, den Erdball entdeckt und besucht hätte – der wäre aber noch auf eine ganz andere Fläche gestoßen. Heute neigen sich doch weiter nördlich wenigstens Asien[51] und Amerika in der Beringstraße eng zu einander. Der kambrische Pazifik trieb dagegen seine ungeheuren Wellen auch hier noch unvergleichlich viel weiter, er rollte sie über den engeren Fleck des heutigen China, über ganz Ostsibirien, wo jetzt die Lena zum Eismeer strömt, bis hoch hinauf in sieghafter Riesenentfaltung gegen die asiatische Nordspitze, das Kap Tscheljuskin. Am Schlamm, den er dort überall abgesetzt und den diese Länder, nachdem sie längst wirklich »Land« geworden, heute noch an ungestörten Stellen als dicke versteinte Decken tragen, erkennt man deutlich noch seine Spur. Und entsprechend überschwemmte er weite Gebiete des heutigen westlichen Amerika. Von Alaska bis San Franzisko wälzten sich auch hier seine grauen Wellen sintfluthaft. Er stand über der ganzen Breite des unteren, zugespitzten Teils von Südamerika, von Chile und Paraguay bis zum Kap Horn. Man fühlt sogleich, daß hier die Gebirgsmauer der amerikanischen Kordillere noch fehlen mußte, die heute als Felsengebirge und Anden westlich das Land verteidigt; und in der Tat ist auch diese Kordillere erst viel, viel jüngeres geologische Werk, wie die Anordnung und Faltung ihres Gesteins erweist. Wohl hätte ein Besucher von damals, der sich wie ein verlorener Schmetterling über diese endlosen Wasser hinausgejagt fand, doch auf eine Weile den Eindruck erhalten können, er schaue noch über eine Urerde, deren Kugelfläche ganz anders unter Wasser stand als später. Und der Eindruck hätte sich verstärkt, wenn er inmitten dieser westamerikanischen Überflutung nun folgerichtig damals auch keinem Isthmus von Panama begegnet wäre, sondern auch dort quer über den Ort des heutigen Mittelamerika hinweg in freier Fahrt ostwärts in das Gebiet des Atlantischen Ozeans hätte einlenken können. Dann erst, bei dem Versuch, dieses Becken zu erforschen, das zunächst auch nur wie eine offene östliche Fortsetzung der bisher durchquerten pazifischen Wasserfläche aussah, wäre er auf die wahre Sachlage auch der kambrischen Festlandverteilung gekommen. Er mußte auf die riesigen inneren Küsten der »Landseite« stoßen und das jetzt in einer Form, die einerseits ganz entschieden abwich vom heutigen geographischen Sachverhalt, andrerseits aber die wirklich nicht zu verachtende Masse auch des damaligen Landes dartat.
Südöstlich von der breit offenen mittelamerikanischen Einfahrt, einem natürlichen Panamakanal von damals fast zwanzig Breitengraden[52] Öffnung, hätte unser kambrischer Seefahrer endlich erstes Land gesichtet in der Gegend etwa der heutigen atlantischen Küste von Kolumbien. Es war der damals allein über Wasser stehende Nordblock von Südamerika, in der Hauptmasse das heutige Brasilien umfassend. Es ist amüsant, sich hier daran zu erinnern, daß auch unsere späte europäische Entdeckungsgeschichte in der Zeit kurz nach Kolumbus einmal eine Neigung gehabt hat, statt des heutigen großen Kontinents von Südamerika dort bloß eine »brasilische Insel« zu suchen. Der Portugiese Cabral hatte damals im Atlantischen Ozean südwärts nach dem Kap der guten Hoffnung fahren wollen und entdeckte dabei zufällig, durch eine Strömung aus dem Kurs gebracht, die für sein Wissen ganz vereinzelte brasilische Küste. Eine Weile spukte daraufhin eine solche brasilische Insel in den Köpfen, bis man durch weiteren Verfolg der Uferlinien den wirklichen Umfang des neuen Kontinents für unsere Tage erfaßte. Aber es gibt nicht leicht eine menschliche Phantasie, die nicht irgendwo einmal auch im Reichtum der Natur verkörpert gewesen wäre, und so ist im Kambrium und noch lange später auch ein urweltliches Südamerika wirklich dagewesen, das wesentlich nur aus Brasilien bestand. Eigenartigerweise aber wieder war der Begriff »Insel« dabei aus einem ganz andern Grunde auch nicht richtig. Während dieses Stück Südamerika nämlich im Gegensatz zu unsern Karten damals bei Panama wirklich als Insel frei in den Ozean ragte, hätte unser kambrischer Seefahrer gerade an der Seite, wo Cabral es als vermeintliche Insel entdeckte, die befremdlichste Feststellung machen müssen. Eben da, wo Cabral durch den Südteil des Atlantischen Ozeans nach Südafrika durchfahren wollte, wäre ihm zu seiner Zeit der Weg völlig versperrt gewesen. In der Verlängerung rund etwa von Venezuela ostwärts steuernd, wäre er immer weiter und weiter an einer Küste entlang gefahren. Schon nach kurzer Zeit konnte das nicht mehr die südamerikanische sein. Südamerika hatte vielmehr damals ostwärts gegen Afrika zu keine abschließende Ecke. Fortlaufende Festland sperrte die ganze Einfahrt zum südlichen Atlantischen Ozean auf der vollen Breite von Venezuela bis Nordafrika. Afrika und Brasilien bildeten eine einheitliche afrikanisch-brasilische Masse mit riesigem Verbindungsstück, an dem westlich das wirkliche Brasilien nur wie eine Halbinsel hing. Nie hätte ein Portugiese den »Seeweg nach Ostindien« in dieser Richtung finden können! Vollzogen war in dieser uralt[53] entlegenen Zeit, was wir oben als Möglichkeit einer phantasievoll ausgestalteten modernen Meereskarte flüchtig uns einmal vorgestellt hatten: der Atlantische Ozean in seinem Südteil war einfach verrammelt mit Festland, bestand als Ozean dort hinunter überhaupt nicht mehr.
Wenn unser kambrischer Segler nach dem vergeblichen Versuch, dieser einförmigen Südmauer zu entrinnen, sich aber nun quer über das Mittelstück des geheimnisvollen Meeres, in das er bei Panama doch so offen eingefahren war, nordwärts gewendet hätte, so hätte er eine neue eigentümliche Landerfahrung machen müssen. Nach Überquerung des mittleren Teils des heutigen Atlantischen Ozeans wäre er nördlich abermals auf eine ungeheure, ebenso endlos und einförmig sperrende Küste gestoßen. Sie kam zunächst etwa aus der Gegend von Mexiko im Bogen herauf. Offenbar also gehörte sie hier einem ebenfalls damals schon über Wasser stehenden Teil jetzt von Nordamerika an. Genau folgte sie allerdings zwischen Florida und Neufundland nicht dem gegenwärtigen Küstenrand, sondern schnitt ein gut Teil noch in das heutige Land selber ein. Man merkt, daß auch hier noch eine große Gebirgskette fehlte, die Alleghanys, die für diese atlantische Küste Nordamerika jetzt eine ähnliche Rolle als schützende Mauer spielen wie drüben die Parallelfalten der Felsengebirge für die pazifische. Dann aber, jenseits von Neufundland, verließ auch diese nordatlantische Sperrküste einfach jede Landgrenze von heute. Sie schritt vor der Südspitze von Grönland und Island her abermals östlich quer über den ganzen Atlantischen Ozean auf Schottland und Skandinavien zu! Ein zweites, ganz unfaßbar riesiges Festland mußte hier liegen, an dem diesmal der vorhandene Teil von Nordamerika als Halbinsel hing, wie Südamerika drüben an dem andern.
Dieses nordatlantische Festland ist die zweite recht eigentlich bedeutsame Tatsache in der Länderverteilung der Urwelt. Damals im alten Kambrium schon vorhanden, hat es eine gar nicht zu überbietende geographische Rolle durch alle die folgenden Erdepochen bis noch in die späte Tertiärzeit hinein gespielt. Wechselnd in den äußeren Grenzen, da, dort einmal durchbrochen, streckenweise überflutet, von den andern Festländern bald mehr getrennt, bald mehr brüderlich umfaßt, hat es immer doch wie ein im ganzen unbeugsamer Recke dieser Urwelt sich wieder erhoben, bis es erst ganz nahe[54] zu unsern Tagen endlich fallen sollte. Als wesentlicher Rest steht heute von ihm nur noch Grönland. Dieses Grönland ist auf unsern Karten ja immer ein sonderbarer, man möchte sagen, nicht mit klarem Rest aufgehender Landfleck. Soll man es zu Nordamerika rechnen? Ist es eine Art eigenen Erdteils noch heute? Das versteht man eben erst geologisch jetzt. Heute ist Grönland in der Tat nur eine einzelne Ruinenzacke im Meer. Damals dehnte es sich offen verfließend durch das Herz eines Erdteils; eine Landschaft war es in seinen heutigen Nordteilen, wie heute etwa Tibet im Herzen Asiens oder der Sudan in Afrika. Wer sich in jenen kambrischen Urtagen hoch darüber hätte erheben können zu umfassender Schau, der sah das Land darüber hinausfluten östlich bis über Spitzbergen und noch weiter, westlich ohne trennende Meeresarme und Buchten über das ganze polare Inselland von Nordamerika. Wie weit die Grenzen im Norden gingen, weiß man nicht. Wahrscheinlich aber doch wohl über den Pol selbst noch hinüber. Wenn man sich denken dürfte, Erdteile ließen sich schwimmend fortbewegen wie Eisschollen, so könnte man fast versucht sein zu sagen, Nordamerika sei in Gestalt dieser riesenhaften Masse damals polwärts heraufgerutscht gewesen. Aber die ganze Größe der Dinge tritt erst hervor, wenn man sieht, daß ja Nordamerika außerdem damals noch vorhanden war oder es doch sein konnte. In den kambrischen Tagen, deren Bild wir bisher verfolgt haben (wesentlich das mutmaßliche Bild des ersten, ältesten Abschnitts noch wieder innerhalb der gesamten kambrischen Erdperiode), ragte von ihm wenigstens das Mittelstück als gewaltiges Dreieck aus dem Ozean, über den Fleck der heutigen Baffinsbai, wie gesagt, als Halbinsel anschmelzend an den rätselhaften nordatlantischen Riesenblock; in folgenden geologischen Epochen ist es aber auch gelegentlich fast ganz schon über den Wassern gewesen, und doch ragte ebenso dieser Block.
Da wird man dann genötigt sein, für das Nordland einen besonderen Namen zu suchen. Am besten wird man ihn anknüpfen an seine eigentlich revolutionärste Eigenschaft, die es gegenüber dem heutigen Kartenbilde stets besaß: seine ausgesprochene Richtung, nicht wie Nordamerika den Atlantischen Ozean südnordwärts offen an sich vorbeiströmen zu lassen gegen das Eismeer hin, sondern diesem Atlantischen Ozean von Norden eine lange Mauer hemmend quer durch den Weg zu ziehen; wie immer seine Grenzen im Verlauf[55] der folgenden Erdperioden im einzelnen geschwankt haben mögen, bald sich noch mehr vorschoben in den Ozean hinaus, bald etwas zurückwichen, bald irgendwo vorübergehend einrissen: immer, so lange es bestand, hat es diesen zähen Eigenwillen nicht aufgegeben. Für ein Land aber, das den Atlantischen Ozean durchsetzen, einengen, teilweise ausfüllen wollte, haben wir ein altes Sagenwort: Atlantis. Die griechische Sage nennt auf Grund ägyptischer Überlieferung eigentlich so ein Land, das noch in höheren Kulturtagen parallel zu Altägypten jenseits der Säulen des Herkules, also modern gesprochen der Straße von Gibraltar, mitten im Atlantischen Ozean gelegen haben soll. Sehr hohe Kultur sollte dort geblüht haben, in einer Nacht der Schrecken aber hätte der Ozean selber es wieder verschlungen. Es ist auch hier, wie bei der Sintfluterzählung, schwer, mit der Sage geologisch zu rechten. Man hat an mancherlei Möglichkeiten gedacht: alte Ahnungen von Amerika; alte afrikanische Kultur, deren Ort später sagenhaft geworden wäre. Will man sich auf den Ort gerade westlich von Spanien versteifen, so ist wohl mit ziemlicher Gewißheit zu sagen, daß in diesem eigentlichen Mittelstück des Atlantischen Ozeans in allen bekannten Erdperioden niemals ein größeres Land gewesen ist, also vollends nicht noch in Kulturtagen. Höchstens kleine Landvorsprünge und vereinzelte Inseln könnten hier in Betracht kommen. Dagegen sind wir eben für das Kambrium ja an einem Lande vorbeigefahren, das südatlantisch Afrika mit Brasilien verband, einem atlantischen Lande wirklich und wahrhaftig fast so groß wie dreiviertel Afrika selber. Und nun haben wir entsprechend auch ein solches nordatlantisches Sperrland. Für die Sage kommen allerdings auch diese Wunderländer der Vorzeit wahrscheinlich nicht in Betracht. Das afrikanisch-brasilische hat zwar auch nach der kambrischen Zeit noch viele Jahrmillionen bestanden, aber zuletzt ist es doch endgültig fortgebröckelt, fortgeschwemmt worden bereits in Tagen, aus denen von Kulturüberlieferung noch keine Rede sein kann, denn der Mensch war noch gar nicht da; seine tierischen Vorfahren können ihm doch nicht gut von dieser »Atlantis« erzählt haben. Die letzte Brücke des nordatlantischen Festlandes aber dürfte im Ausgang der Tertiärzeit zerbrochen sein: hier könnten also höchstens noch Menschen mit Steinkultur der Neandertaler durchgezogen sein, aber auch keine Ableger ägyptischer Weisheit mehr geblüht haben. Inzwischen ist aber das hübsche Wort[56] zu vergeben. Will man es auf die beiden atlantischen Sperrländer der Geologie übertragen, so hätten wir unten eine Südatlantis, oben eine Nordatlantis. Da aber (wie gleich zu erzählen ist) für die Südatlantis in der Hochblüte ihres Bestehens noch ein anderer Name übergreifend bedeutsam wird, empfiehlt es sich, gewöhnlich den Nordblock, der gebieterisch einen Namen für sich fordert, als »Atlantis« schlechtweg zu bezeichnen.
Gegen die Küste dieser Atlantis also fuhr unser kambrischer Entdecker (im Grunde sitzt ja im Märchenschiffchen nur verkappt der Geolog von heute) auch nordwärts steuernd an. Kein Zweifel: der ganze Atlantische Ozean von damals war nichts anderes als ein verhältnismäßig enges Zwischenmeer, das, wie man es auch hin und her überkreuzen mochte, im Norden wie im Süden gegen eine fortlaufende Landmauer brandete. Die nächste interessante Frage mußte sein, ob und wie es wenigstens rein östlich weiter ging. Dauernde Längsfahrt an der brasilianisch-afrikanischen Verbindung führte allmählich auf den echten afrikanischen Nordrand, ohne daß eine Sperre nach dieser Seite sichtbar wurde. In einer Breite fast wie früher bei Panama ging das Meer hier in das heutige westliche Mittelmeer frei ein. Spanien mit allen seinen heutigen hohen Gebirgszügen bis über die Pyrenäen hinweg fehlte, und erst ganz weit über die buchtartige blaue See dämmerte etwas wie eine Küste von Europa. Auch auf der afrikanischen Seite überschritt die offene Einfahrt ein Stück Rand, just auch hier die Ecke, die heute das stolze Atlasgebirge trägt. Im übrigen aber blieb Afrika rechts zur Seite ganz wie heute. Dieser ungeheure Erdteil ragte, wenn auch eingegliedert in den afrikanisch-brasilischen Gesamtblock, schon in diesen Urtagen in fast vollkommener Kraft aus den Wassern. Wenn irgendein Stück Land, so macht Afrika den Eindruck einer wirklichen zähen Ur- und Grundscholle auf Erden, ähnlich urgegeben und dauerhaft unter den Festen wie der Stille Ozean unter den Meeren. Zum größern Teil ist es auch in allem Wechsel der folgenden Erdperioden nie überflutet worden. Weiter östlich im Mittelmeer wurde dann die Durchfahrt wohl schwieriger. Die jetzt rasch heranbiegende europäische Küste drängte hier näher zu Afrika. Immerhin mag sich doch wenigstens zeitweise auch im Kambrium hier noch eine schmale Wasserstraße geboten haben. Und sie mußte zur merkwürdigsten Sachlage dann gerade dort überleiten, wo heute[57] Asien unser Ostmittelmeer so nachhaltig ganz abschließt. Was wir uns vorhin einmal flüchtig als Phantasiebild beschworen, geschah auch hier wirklich. Asien selbst fehlte nicht. Aber es brach bei Palästina auseinander und gab abermals von sich aus freie Durchfahrt. Ein gewaltiger Meeresarm, streckenweise zum wirklichen kleinen Meer erweitert, trieb seine Wasser über Persien, Afghanistan, das Himalajagebiet. Seine Nordküste schnitt etwa über das heutige Kaspische Meer und vor Turkestan und Tibet hin. Wer sich wieder zu freier Höhenschau hier erheben konnte, der sah bis in fernste Weiten den Landblock des zentralen und westlichen Asien sich dahinter dehnen, der so groß wie heute stand, – abermals eine Art Urscholle der Erde, die uns ehrwürdig aus dieser ältesten bekannten Karte schon entgegenragt. Gern erinnern wir uns, wie dieses Asien im Glauben der Kulturvölker immer als eine Wiege der Dinge gegolten hat, der man so viel alten Glanz der Kultur verdankte, daß man ihr willig auch noch viel mehr: die Erzeugung des Menschengeschlechts, ja den Rang einer bevorzugten ersten Schöpfung auf Erden zuschrieb. Freilich hat auch der Teil Asiens, der geologisch so früh schon stand, im Wechsel der Folge noch vielerlei durchmachen müssen, ehe er den ruhigen Boden für eine menschliche Kultur abgeben konnte. Von den gewaltigen Gebirgszügen, die ihn heute auszeichnen und zu deren Schnee die Träger dieser Kultur, so weit sie zurückdenken konnten, als dem ewigen Sitz der Götter aufgeschaut hatten, stand im Kambrium noch kein einziger. Genau über den Fleck des zentralen Himalaja ging jene fremdartige Wasserstraße. Wenn unser Seefahrer aber ihr entgegengesetztes, ihr südliches Ufer jetzt suchte, so geriet er damals schon in den nicht rastenden Wechsel der Dinge.
Zu gewisser kambrischer Zeit, näher dem Anfang dieser Epoche, hätte er hier die Mündung eines seichten Seitenarms entdeckt, der in der Richtung des heutigen Indischen Ozeans abbog, scheinbar diesen Ozean selber schon markierend. Etwas später wiederkehrend hätte er aber auch darüber hinweg das Land geschlossen gefunden. Jetzt fuhr er also auch an diesem Südrande immer an fester Küste entlang. Seltsam genug aber wieder diese Küste. Sie ging vom afrikanischen Nordrand ununterbrochen östlich weiter. Zunächst steckten in ihr offensichtlich die Teile, die durch die große asiatische Wasserstraße selbst von dem alten Hauptblock Asiens unten abgeschnitten[58] worden waren: also Arabien, Vorderindien und Hinterindien. Aber diese abgeschnittenen heutigen Halbinseln steckten gleichzeitig in einem ganz besonderen südlich sich fort erstreckenden großen Landgebiet, ähnlich wie Grönland in dem Atlantisblock. Dieses Land, der Größe nach abermals ein wahrhaftiger ganzer Erdteil, füllte einfach den Indischen Ozean nahezu ganz aus. Es hing auf der einen Seite in voller Breite mit Afrika zusammen, auf der andern umschloß es noch die Sundainseln und berührte Australien, so weit dieses damals über Wasser stand. Wie drüben ein Zwischenerdteil Afrika mit Brasilien verband, so verknüpfte hier einer Afrika, Indien, Australien. Als auch er sich dauernd begründet hatte, was, wie gesagt, wohl noch im Verlauf der kambrischen Periode geschah, vielleicht aber ebenfalls schon viel älteres Urweltswerk war (denn jener Seitenarm, der ihn anfangs noch ein Stück weit durchbrach, kann bloß ein kleines Zwischenspiel gewesen sein, wie es die meisten jener Urerdteile einmal früher oder später noch erlebt haben): da hätte ein Wanderer trockenen Fußes von den heutigen Quellen des Amazonenstroms in Südamerika bis nach Neuguinea gehen können! Man hat auch für diesen Erdteil im Indischen Ozean einen Namen gesucht. Viele Millionen Jahre der Erdgeschichte hat auch er (bloß mit geringen Grenzverschiebungen) weiter bestanden. So kam es, daß die Geologen auf ihn zuerst besonders deutlich aufmerksam wurden durch Schuttablagerungen, die sich noch in viel späteren Tagen (in der Permperiode und Triasperiode) an seiner nördlichsten Ecke, im heutigen Vorderindien, auf ihm gebildet hatten. Sie setzen heute dort Gebirgsgestein im Lande des einheimischen Volksstammes der sogenannten Gonds zusammen, in Gondwana. Danach hat man sich dann gewöhnt, in der Geologie den ganzen verschollenen Erdteil einfach auch als Gondwanaland (Gondwana allein heißt eigentlich schon das Gond-Land) zu bezeichnen. In gewisser Hinsicht hat der Name zweifellos so etwas Zufälliges, immerhin aber drückt er wenigstens die eine wichtige geologisch-geographische Tatsache aus, daß eben Indien, so lange wie der urweltliche Erdteil bestand, zu ihm und nicht zu Asien gehörte, nicht eine Halbinsel war, die von Asien südwärts vorsprang, sondern umgekehrt seine, des Erdteils im Indischen Ozean, äußerste Nordecke. Jedenfalls ist das Wort heute nicht mehr abzuweisen. Und da, wie schon im Kambrium selbst, so auch später noch während der meisten Tage, die das geologische Gondwanaland[59] erlebte, tatsächlich fester Anschluß von ihm auch mit Afrika, über Afrika fort aber durch die Südatlantis selbst mit Südamerika bestand, so ist vielfach auch in der Folge der ganze ungeheure Landkomplex dieser drei Länder, also das gesamte Südland der Landseite mit Einschluß auch des südatlantischen Teils, im erweiterten Sinne als Gondwanaland bezeichnet worden – was zur Vereinfachung auch wieder unverkennbar manches für sich hat und im einheitlichen Namen verkörpert, was für eine ganz unglaublich umfangreiche Einheitsschöpfung sich damals aus so viel Ländern – Südamerika, Afrika, Arabien, den beiden Indien, Australien – zeitweise zusammengeschmiedet hatte.
Wieder jedenfalls wie bei Panama zwischen Nord- und Südamerika, wie im Atlantischen Ozean zwischen der nordischen Atlantis und dem südatlantischen Zwischenstück, wie in unserm Mittelmeer zwischen Europa und Afrika, befand sich unser kambrischer Seefahrer in der großen asiatischen Wasserstraße, die sein Schiff quer über den Himalaja fahren ließ, wie in einem Kanal eingeschlossen zwischen zwei Festlandküsten, dort der zentralasiatischen, hier der vom engeren Gondwanaland. Und immer noch gab es kein Heil zum Weiterkommen für ihn als ostwärts. Es scheint nun, daß auch schon im Kambrium die seltsame Straße jenseits der Ostecke des heutigen Himalaja wirklich noch eine letzte Durchfahrt gewährte: hinter ihr aber dehnte sich dann plötzlich wieder in unabsehbarer offener Weite der gleiche Ozean, von dem die ganze Fahrt ihren Ausgangspunkt genommen: der Stille. Es ist gesagt, daß dieses riesenhafte Meer in dieser Urwelt noch bis weit über China heraufkam. Dort konnte also schon die Ausfahrt sich vollziehen. Vollendet war damit die Durchquerung der gesamten Landseite des Planeten von Wasserseite zu Wasserseite auf Grund des fortlaufenden Zusammenhangs jenes kanalartigen Zwischenmeers zwischen den Nordmassen und den Südmassen dieser Landseite, das bei Panama einging, um zuletzt bei China wieder herauszumünden. Zu diesem merkwürdigen Urmeer waren nötig: das amerikanische Mittelmeer mit offener Panamadurchfahrt, das Mittelstück des Atlantischen Ozeans, unser hergebrachtes echtes Mittelmeer, außerdem ein für uns jetzt unmöglicher asiatischer Durchstich quer über die heutigen dicksten Gebirgsriegel zwischen dem Kaspischen Meer und Südchina. Auch dieses »große Mittelmeer« im weitesten Sinne bildet offenbar so[60] eine grundlegende Tatsache ersten Ranges auf der Karte der gesamten Urwelt, nicht bloß des kambrischen, sondern auch aller folgenden Zeitalter. Seine Spur läßt sich heute noch verfolgen. Seine kleinen Abenteuer: ob es sich gelegentlich hier oder da auf eine Weile verschloß und wieder öffnete, ob es Ablenkungen oder Erweiterungen und Seitenanschlüsse erhielt, durchspinnen die geologische Geographie, so weit wir sie kennen, wie nicht endende kleine Unterhaltungen. Da der längst vergebene Name »Mittelmeer« aber stets etwas Irreführendes hat, war es geboten, auch ihm eine neue Bezeichnung zu geben. Sueß hat es also die Tethys genannt. Mythologisch ist das die Gattin des Okeanos und Urmutter aller Dinge, nicht zu verwechseln mit Thetis, der Mutter des Achilles, die bloß eine Nymphe war. Das Wort ist sonst schon einmal naturgeschichtlich für den dritten Saturnmond verliehen worden.
Nach glücklich vollbrachter Durchschiffung der Tethys blieb für unsern urweltlichen Geographen nur noch ein letztes Problem zu lösen. Wie verhielt sich der damalige asiatische Erdteil zu der von Norden über Island und Spitzbergen herabkommenden Atlantis? Asien war damals, wie gesagt, kleiner als heute. Es fehlte ihm nicht nur das Stück, das die Tethys abschnitt und zu Gondwanaland hinüber warf. China und Ostsibirien standen unter dem Wasser des Stillen Ozeans. Immerhin ragte der Restblock. Und an ihm hing jedenfalls auch schon ein Teil Europa, er kam ja verengend oder gar zeitweise sperrend bereits bis ans östliche Mittelmeer. Wurde nun dieser Block erreicht von der Atlantis? Verschmolz sie, über Spitzbergen vorrückend, mit der westsibirischen, über Island kommend mit der skandinavischen Küste? Dann war auch der Nordteil der Landseite von damals in seiner ganzen Riesenbreite geschlossen, wie der Südteil. Land, ununterbrochenes Land ging von Nordamerika über die Atlantis nach Asien und Europa, wie drüben in Gondwanaland von Südamerika über Afrika bis Australien. In wunderbar einfachen Zügen bot sich in dem Falle die Urkarte dar: ein nördlicher Gürtel und ein südlicher getrennt bloß durch die Tethys. Aus ferner Planetenschau, etwa wie wir den Mars sehen, würde die Landseite der Erdkugel sich dargestellt haben als ein großer gelbrötlicher Fleck, den ein schwärzlicher oder bläulicher Kanal ein Stück nördlich vom Äquator in zwei Hälften zerschnitt.
Bei einer nördlichen Umseglung Asiens würde unser Seefahrer[61] indessen festgestellt haben, daß schon in der kambrischen Epoche eine gewisse Neigung jedenfalls der erdbildenden Kräfte bestand, diese einfache Gliederung auf der Nordseite doch nicht dauernd so schön aufkommen zu lassen. Eine Neigung oder Richtung würde er schon bemerkt haben, die bestrebt war, den kolossalen Nordblock irgendwie mit einer oder gar mehreren Spalten in ungefähr südnördlicher Richtung zu durchsetzen, Seitenkanälen, die zu der Richtung der Tethys mehr oder minder senkrecht standen. Es ist gesagt, daß auf dem heutigen Kartenbilde solche Durchbruchsspalten nach Norden mehrfach deutlich werden. Die heute entscheidendste ist der nördliche Atlantische Ozean selbst mit seiner Verlängerung zum Eismeer. Von ihm konnte damals ja nun keine Rede sein, da die Atlantis den Fleck füllte. Gleichwohl muß aber auch im Kambrium schon eine viel kleinere Kanalspalte solcher Art zwischen Asien und dieser Atlantis durchgegangen sein, deren Bruchstelle genau über Nordeuropa lag. Untergetaucht waren in ihr zeitweise ganz Großbritannien und Skandinavien. Über das Nordkap fort brach sie dann wahrscheinlich auch schon zwischen der weiteren Atlantisküste und Westsibirien an Nowaja Semlja hin bis wieder zum Stillen Ozean durch, der ja von der andern Seite Ostsibirien bis gegen das Kap Tscheljuskin unter Wasser hielt. Beim Mittelmeereingang abbiegend hätte unser Seefahrer also höchstwahrscheinlich auch durch diesen schmalen englisch-skandinavischen Kanal von der Tethys aus sein Ziel, den Pazifik, wieder erreichen können.
Die Lage einer solchen Durchbruchsspalte schon im Kambrium (der einzigen für damals im Nordgebiet der Erdkarte sicher bekannten) ausgespart über Europa ist nun wieder eine neue hochinteressante Grundtatsache urweltlicher Geographie. Sie deutet schon so früh auf ein Spannungs- und Zerstückelungsfeld der Erdrinde, dessen Unrast auf dieses Europa fiel. Wie der Kanal im Kambrium lag, könnte man versucht sein, sich ihn rein veranschaulichend als eine Art örtlicher Notwendigkeit zu denken, auch wenn man weit gehende Vermutungen über das »Wie« der Kartenbildung ablehnt. Europa scheint, so weit es über Wasser stand, damals ähnlich wie heute eine westlich am weitesten vorspringende Halbinsel Asiens gewesen zu sein. So bildete es eine Art Wellenbrecher gegen die sich stauende Tethys. Auf der einen Seite mußte diese zwischen ihm und dem alt gegebenen Block Afrika sich im Mittelmeer in enger Spalte[62] durchdrängen. Kein Wunder wenn ihre Wasser aber auch auf der andern um den Vorsprung strudelnd sich zum Teil auch hier durchgebohrt hätten. Doch wie das ursprünglich nun gewesen sei: in der weiteren Folge der geologischen Perioden ist es jedenfalls nicht bloß bei dieser einen Spalte geblieben. Während sie sich zeitweise wieder schloß oder verlegte, öffneten sich parallele andere unabhängig an andern Stellen der kritischen Gegend. Immer aber blieb Europa diesem Spaltenspiel ausgeliefert bis heute. Bald schlug die Spaltenbildung aus ihm selber ganze große Stücke heraus (wie eben im Kambrium), bald drängelte sie es vollständig von Asien ab und zur Atlantis hinüber, bald endlich wieder schmiedete sie es erst recht an Asien und schied es fernweit von dieser Atlantis. Nimmt man nun dazu, daß gleichzeitig die Tethys selber an seiner Südseite immerfort riß und nagte, mit der Neigung, es auch von dieser Seite her immer neu zu überschwemmen und in eine Inselschar aufzulösen, so muß man die geologische Unruhe begreifen, die über dieser uralten Kreuzungsstelle zweier aufeinander senkrechter Spaltungsrichtungen in allen geologischen Perioden notwendig hat walten müssen.
Mit Absicht habe ich gerade das Erdbild der kambrischen Epoche so ausführlich hier vorgemalt, obwohl es, wie ich ausdrücklich betonen möchte, in manchen Umrissen noch besonders schwankt oder erst aus dem folgenden ergänzt werden muß. Aber wer einmal die großen Züge der urweltlichen Wasser- und Landverteilung sich hier überhaupt eingeprägt hat, der hat damit schon den Schlüssel und Kern für alles Weitere, und daß diese Grundzüge auch damals schon wenigstens im wesentlichsten vorhanden waren und aufgezeigt werden konnten, darüber ist doch kaum ein Zweifel. Man hat wohl gesagt, diese kambrische Zeit mache in vielem den Eindruck, als sei sie nicht der Anfang, sondern bereits der Abend und Abschluß eines unfaßbar weiten voraufgehenden Weltalters gewesen, und wir haben ja auch gesehen, wie sie gelegentlich bereits mit ihrem Sand und Geröll auf den abradierten Sockeln älterer Gebirgsschiebungen fußte, unter denen noch wieder ältere lagen. Aber das Kartenbild kann dann auch dort zurück schon kein ganz abweichendes gewesen sein.
Merkbar macht sich dagegen auch in ihr schon etwas, das in den folgenden Erdperioden mit der bedeutsamsten Folgerichtigkeit wiederkehrt, nämlich ein gewisser periodischer Wechsel von Zeiten[63] zunehmender Trockenlegung, Verlandung innerhalb des allgemeinen Grundschemas der Karte mit Zeiten umgekehrt wachsender Überflutung, sieghafterer Vorwärtsbewegung (»Transgression« im geologischen Fremdwort) des Wassers innerhalb ein und der gleichen Periode. Das kommt und geht, ändert zeitweise scheinbar schon früh sehr stark das Kartenbild, läßt aber lange doch wieder abflauend die ähnlichen Grundzüge durchschimmern; während dann allerdings auf eine Reihe solcher ganzen Perioden hin auch dieses sich herausschälende Grundbild einen gewissen eigenen und dauernden Wechsel zeigt. Speziell in der kambrischen Periode kann man schon ein solches periodisches Auf und Ab besonders gut an Nordamerika verfolgen, von dem eine Weile das ganze Mittelstück als große Halbinsel an der Atlantis hängt, während später noch in der Epoche selbst das Meer zeitweise mit seichter Überschwemmung gerade über dieses Mittelstück fortgegangen ist; dieser zeitweise Wechsel hat aber doch Nordamerika deshalb nicht ganz wegwischen können.
Eine Tatsache, die doch recht merkwürdig ist, möchte ich zu diesem ältesten bekannten Kartenbilde aber auch noch wenigstens erwähnen. So viele und große und zusammenhängende Festländer damals schon da waren: es scheint, daß sie noch so gut wie gar nicht bewohnt worden sind. Während das Leben im Meer schon recht deutlich und mit Anzeichen längeren Bestehens entwickelt war, fehlen vollständig die Reste von Landtieren und Landpflanzen. Die unabsehbaren Sandfelder und Schutthalden, die in den Landablagerungen dieser fernen Urwelt stecken, sprechen durchaus für vegetationslose Wüsten, die sich einförmig über die riesigen Erdteile hinzogen. Erst in den nächsten Epochen scheint das Leben auch das Festland ganz allmählich vom Meeresrande aufwärts besiedelt zu haben. Warum hat es aber nicht früher diese Landanpassung versucht? Es ist um so auffälliger, wenn wir schon vor dem Kambrium sicher Millionen von Jahre lang ebenfalls Festländer annehmen müssen. An besonderen Schwierigkeiten der Eroberung kann es kaum damals gelegen haben. Man hat einzelne Eisspuren bereits aus dem Kambrium, die eine unmäßige Hitze schon für damals unmöglich machen. Andererseits hat damals und auf lange hinaus noch nicht die heutige dauernde Vereisung der Pole geherrscht, so daß selbst die Atlantis ganz bewohnbar gewesen sein wird. Ist das Leben doch vielleicht erst ein weit jüngeres Erzeugnis[64] gewesen als die Erdkarte mit ihren Landbildungen, das erst landreif wurde, als die Länder selbst schon viele Jahrmillionen alt waren? Es sind vielerlei Fragen die hier aufgeworfen werden könnten.
Auf die kambrische Periode folgte in der von unserer Geologie abgegrenzten Reihenfolge die silurische, benannt nach Gesteinsschichten im alten englischen Stammland der keltischen Silurer, mit denen die Römer ihrer Zeit in Wales zu kämpfen hatten; solche Namen sind an sich so gleichgültig wie Gondwanaland, aber sie dauern, weil man sich an sie gewöhnt hat. Das Silur (wie man das Wort wieder abkürzend gebrauchen kann) war eine Epoche staunenswertester Entfaltung der Meerestierwelt. Jetzt erst schien dieses Meerleben auf seiner ganzen Höhe zu sein. Alle Tierstämme blühten bis zu ihren Kronen, soweit diese noch dem Wasser angehören, auf. Die Wirbeltiere bildeten den Fisch und damit die Grundlage aller obersten Lebensentwicklung überhaupt, durch die in späten Tagen der Mensch möglich werden sollte. Korallen und andere kalkbildenden Rifftiere ersetzten die Höhe der Einzelorganisation durch Masse der sozialen Genossenschaften, sie meldeten sich als Landbildner, als merkbare Helfer bei der Karte, ohne doch selber das Land zu betreten. Die bauenden Kräfte der Erdrinde aber unterstützten dieses Paradies der Wasserbewohner für ihr Teil aufs stärkste.
Im Anfang der silurischen Periode trat allerdings zeitweise eine gewisse Verlandung ein. Es ist bezeichnend, daß fast durchweg in diesen von uns abgegrenzten älteren Erdperioden der untere Teil mehr Land auf der Karte hat, während nachher im zweiten Abschnitt eine größere Überflutung durch das Meer erfolgt. Auf dieser ersten Stufe bildeten sich mehrfach Landbrücken in der Tethys, die bei einzelnen Forschern geradezu den Eindruck erweckt haben, diese Tethys sei überhaupt vorher noch gar nicht ordentlich dagewesen und habe sich jetzt erst allmählich herausgekämpft; solche Brückenbildung hat aber auch später noch öfter bei ihr ein Intermezzo gebildet, nachdem sie zweifellos längst im ganzen da gewesen war. So baute sich in Amerika vorübergehend eine Art Panamabrücke von Florida nach Venezuela herüber, die wahrscheinlich dadurch entstand, daß sich infolge einer Gebirgserhebung im Gebiet der heutigen Alleghanys gerade das Oststück von Nordamerika jetzt über Wasser gestellt und bis hier herüber ausgestreckt hatte, nachdem es im Kambrium lange überflutet gewesen war. Und eine andere, noch interessantere Brücke[65] schloß sich ähnlich in Europa. Das östliche Mittelmeer, falls es im Kambrium überhaupt offen gewesen war, verstopfte sich jedenfalls in der Balkangegend jetzt eine Weile vollständig, Europa wuchs wenigstens schmal hier an Afrika. Zugleich aber sperrte sich durch Auftauchen des Landes der enge Zugang von der atlantischen Tethys zu jenem skandinavischen Kanal, – Europa wuchs mit der andern Seite des schwachen, landzungenartigen Teils, der damals überhaupt nur von ihm bestand, über die heutige Nordseite hinüber jetzt tatsächlich auch mit der Atlantis zusammen. Darüber kam die skandinavische Einbruchspalte aber selber in die Enge, und sie scheint sich in ihrer Not teilweise südwärts über Rußland verlegt zu haben, wo sie schließlich hinter dem europäischen Vorsprung auf die nicht mehr abgesperrte asiatische Fortsetzung der Tethys traf. Damit war ganz Europa also eine Weile zur freischwebenden Brücke zwischen Afrika und der Atlantis gemacht, hinter der das russische Wasser einen Abschluß jetzt gegen Asien bildete. An sich war das auch vergänglich. Schon im oberen Silur brach die Tethys wieder frei durch und die Ecke zur Atlantis fiel noch einmal. Aber eine Richtung war doch seither für längere Zeit gegeben, die jetzt den Spaltdurchbruch nach Norden zunächst einmal immer stärker hinter Europa zwischen Asien und Europa zu legen suchte und Europa selbst damit immer deutlicher zu der Atlantis hinüberdrängte. In den nächstfolgenden Weltaltern bleibt das ein zäher Zug in der Karte, so fremd es uns auch heute scheinen will, daß Europa mehr dem Westen, einem Lande, das über Island und Grönland nach Nordamerika ging, als Halbinsel angehören soll, als dem asiatischen Osten. Unwillkürlich denkt man wieder an Völkerbewegungen und Anschlüsse unserer Kulturzeit. Wie einerseits Südeuropa da immer wieder alles Heil erwartete und zu erhalten schien von Asien. Wie aber andrerseits die alten Skandinavier, die Normannen, lange einen Anschluß umgekehrt vom Norden zum Mittelmeer herab suchten, – mit dem Versuch auch damals eines Rückhaltes an Island, Grönland, Amerika, wobei sie freilich die veränderte geographische Lage hier nur noch mit dem Schiff bemeistern konnten. So wiederholte der Mensch gelegentlich noch ein Für- und Gegenspiel, das die Erdkarte seit Jahrmillionen gespielt hatte, indem sie bald Europa von Nordwesten orientierte, zur Atlantis, die bis Amerika ging, als Halbinsel oder Inselarchipel angliederte mit der Front nach Asien[66] und zum Mittelmeer, bald es wieder ganz von diesem Asien selbst aus packte mit freier Wasserfront zur fern verschwebenden Atlantis.
Jedenfalls gewann das Meer in der zweiten Hälfte des Silur aber in größtem Siegeszuge überhaupt wieder die Oberhand. Es wusch die Panamabrücke abermals fort und stellte die Tethys in größter Pracht auch hier wieder her, zugleich der Entfaltung der Meertierwelt den entschiedensten Raum gewährend. Bis dann mit Eintritt der nächstfolgenden Devon-Periode allerdings erneut eine Verlandung eintrat, und zwar jetzt eine so ungeheuerliche, daß es am heutigen Kartenbilde gemessen wirklich aussah, als wenn das Meer damals wenigstens auf der Landseite der Erde überhaupt hätte austrocknen wollen.
Während der Südkontinent, das riesige Gondwanaland, bis auf kleine Grenzschiebungen (einmal etwas weniger Brasilien, dafür wie im Austausch drüben mehr Australien) nach wie vor ohne jeden Bruchkanal zusammenhielt, reckte sich die Nordmasse zu fast unglaublichen Maßen noch immer weiter aus. Fast überall wuchsen ihre Einzelstücke zu unabsehbaren Flächen aneinander, so daß die Namen der Erdteile belanglos zu werden beginnen. Die Tethys drohte zu ersticken. Über Wasser stand fast im ganzen heutigen Umfange Nordamerika; bloß über den Zipfel bei Alaska und seine heutigen arktischen Inseln griffen noch die Wellen des Stillen Ozeans, und durch die Mississippi-Gegend schnitt eine größere Meeresbucht ein. Nur um so gewaltiger aber ragte daneben die Atlantis, recht zum Zeugnis, daß sie damals ein eigener Erdteil blieb, auch wenn Nordamerika für sein Teil noch so vollständig da war. Indem sie aber mit ihm verschmolz, bahnte sich der größte Kontinent an, den die Nordseite je einzeln getragen hat. Südlich drängte diese Atlantis ihre Küste immer weiter und weiter auch in das Mittelstück der atlantischen Tethys hinunter, bis sie endlich von sich aus ein neues geschlossenes Panama bildete: sich in breitem Landarm mit Brasilien und dem Südkontinent vereinte, die Tethys mehr als je abfangend. Östlich faßte sie in voller Breite anrückend wieder Europa, und zwar war durch die allgemeine Verlandung diesmal auch hier wesentlich mehr zu fassen. Der letzte Rest der alten englisch-skandinavischen Nordspalte war aufgetrocknet, auch in seiner späteren russischen Abzweigung. Irland, Schottland, ganz Skandinavien und Rußland mit ihren Zwischenteilen der heutigen Nordsee[68] und Ostsee lagen als größtenteils frisch aufgetauchter nackter Plan in mächtiger Breite dort über Wasser; während allerdings das mittlere und südliche Europa auch jetzt mehr oder minder in der Macht der Tethysfluten geblieben waren, denen man wohl zutrauen möchte, daß sie sich bei der unheimlichen Beschränkung, die sie auf der westatlantischen Seite erfahren mußten, wenigstens hier durch breiten Übergriff etwas schadlos gehalten hatten. Indem aber das, was von Europa da war (immerhin in Gestalt besonders von Skandinavien-Rußland doch der Hauptblock), ohne jeden Zwischenspalt sogleich mit der Atlantis zusammenschmolz, machte sich für diese bedeutsamste Ecke der Erdkarte eine neue Sachlage entscheidend geltend. Was im Silur sich zuerst angebahnt, vollzog sich endgültig: Europa, westlich mit der Atlantis vermählt, riß östlich vollkommen von Asien ab!
Im Silur hatte die Ablenkung des gelegentlich schon teilweise verstopften skandinavischen Nordkanals über Rußland zur Tethys diese Trennung zunächst eingeleitet. Jetzt war Rußland wieder frei, also hätte eigentlich gerade jetzt Asien doch wieder anschließen müssen. Hier aber mischte sich eine neue nordwärts schneidende Kanalspaltung ein. Sie brach hinter Rußland auf der ganzen Länge Asiens von der Tethys bis zum arktischen Meer durch, Europa in einem radikalen Schnitt vom Kaspischen Meer bis etwa nach Nowaja Semlja von Asien absägend. Ich habe früher schon darauf hingewiesen, daß noch heute bei Betrachtung unserer Karte sich die Möglichkeit gerade einer solchen Spalte auffallend deutlich in der Gegend des heutigen Laufes des Ob östlich vom Ural andeutet. Eine verhältnismäßig geringe Senkung des Landes würde hier jetzt noch einen trennenden Meeresarm schaffen können, der auch unser heutiges Europa annähernd zur Insel machte. Damals mußte die radikale Möglichkeit des Absägens in dieser Linie aber noch viel größer sein. Das Uralgebirge selber stand noch nicht, und, vom Gebiet des Kaspischen Meeres kommend, ostwärts quer durch das ganze mittlere Asien flutete in voller Breite die Tethys, mit der sich der »obische Kanal« oder das obische Meer, wie man auch zeitweise gut sagen konnte, nur zu verbinden brauchte, um einen vollständigen Wasserhalbring zwischen Europa und Asien zu legen. Auch dieser neue und entscheidendste Nordspalt im Schicksal Europas hat in den folgenden Erdperioden mancherlei engere Schwankungen durchgemacht,[69] er ist gelegentlich auch wieder etwas verschoben, zeitweise verstopft, bald mehr nach Rußland hinüber, bald wieder mehr nach Sibirien hinein gedrängt worden, er hat sich schon früh geneigt gezeigt, zu einem wahren sibirischen Meer auseinanderzugehen: immer geblieben oder irgendwie wiedergekehrt aber ist er noch bis in die ältere Tertiärzeit hinein. Daß er seither fehlt, hat für unsere Kulturgeschichte schwerwiegende Folgen gehabt. Wenn er fortbestand, wären uns die Einbrüche der Mongolen in Europa erspart geblieben und schwerlich hätte Rußland in der Weise wie jetzt seine politische Macht über ganz Sibirien ausdehnen können.
Es macht den Beschluß in der richtigen Landentfaltung von damals, daß trotz des Umstandes, daß dieses westsibirische Kanalmeer für sein Teil doch ein altes Stück aus Zentralasien wieder herausschnitt, auch die asiatische Landmasse damals eine ganz beträchtliche blieb. Der Stille Ozean hatte allmählich ganz Ostsibirien und den größten Teil von China freigeben müssen; die Tethys scheint zeitweise in dieser Devon-Periode sogar bloß in einem schmalen Ausgang, etwa im Amurgebiet, durchgebrochen zu sein. Einzig in der ganzen Nordseite des Festlandgebietes damals der Atlantis nicht angegliedert, bildete dieser asiatische Block eine Insel für sich, etwa so groß oder größer als das heutige Südamerika. Fremdartig genug kam das im Kartenbilde: Nordamerika und Europa Halbinseln der Atlantis, Asien dagegen eine einsam fern gelagerte Insel am Stillen Ozean!
Das allgemeine Naturbild aller dieser ausgedehnten Devonländer muß dabei immer noch ein recht gespenstisches gewesen sein. Schon im Silur hatten besonders im Gebiet des Atlantis lebhafte Gebirgsfaltungen begonnen. Deren Verwitterungsschutt häuften dann große abwärts rinnende Ströme inmitten der unendlichen Verlandung vielfach in weiten abflußlosen Landsenken und vergänglichen Riesenseen an. Die unermeßlichen Lasten durch Eisenoxyd rötlich gefärbten Quarzsandes dieser Binnenwüsten erscheinen uns noch in dem kennzeichnenden rötlichen Sandstein (sog. »old red«) vieler dieser devonischen Landgebiete. In der Gegend solcher versickernden Flußnetze und verdampfenden Seen machen sich uns aber doch jetzt die ersten Spuren merkbar, daß auch das Land in dieser Zeit vom Leben erobert wurde. Groteske skorpionähnliche Riesenkrebse behaupteten sich in den trocknenden Sümpfen, echte Skorpione hatten[70] sich schon als erste ganz aufs Land gewagt, im zeitweisen Wassermangel wurde der Fisch zum luftatmenden Molchfisch, und erste farnähnliche Pflanzen bildeten hier und da schmale grüne Säume um die Flußadern als Pioniere in der Wüste. Immerhin blieb auch das alles zunächst noch vereinzelt und ohne größern Aufschwung. Zu einer wirklich imposanten Entfaltung des Landpflanzenwuchses auf Erden scheint es erst gekommen zu sein durch einen allgemeinen klimatischen Wechsel, der in der Folge eintrat. Nachdem nämlich offenbar längere Zeit ein allgemeines Erdklima geherrscht hatte, das ziemlich trocken war und auf den Festländern auch rein mineralisch die Wüstenbildungen begünstigt hatte, stellte sich eine Epoche umgekehrt wesentlich feuchteren Klimas ein. Bloß aus dem Wechsel der geographischen Verhältnisse selbst wird dieses klimatische Schwanken sich schwerlich ableiten lassen, es müssen da wohl noch besondere Umstände unseres Planeten mitgewirkt haben, die nicht unmittelbar an Wasser und Land hingen. Der Höhepunkt dieser Dinge führt uns aber bereits in die nächstfolgende Erdperiode hinüber, in das sogenannte Karbon.
Der Name geht auf carbo, die Steinkohle; Steinkohlen sind aber versteinte Pflanzenreste, und so ist es eben das Ereignis jenes durch die Luftfeuchte begünstigten großen Pflanzenaufschwungs selber, das dieser ganzen Epoche bei uns den Namen gegeben hat. Während ihrer langen Dauer unterlag aber natürlich auch die Karte wieder für sich Wandlungen. Die geschilderte extreme Verlandung des Devon hatte sich in dieser Weise schon im Verlauf dieser Epoche nicht dauernd halten lassen. Noch im Devon selbst eroberte der Stille Ozean große Teile von Nordamerika zurück und griff jener »obische Kanal«, sich machtvoll verbreiternd, nach Rußland wie nach Ostsibirien hinein, zwischen Europa und die asiatische Insel zeitweise einen Meeresarm setzend, der ungefähr so breit wie der heutige Atlantische Ozean zwischen Amerika und Europa war. Ein Kolumbus hätte damals über einen Monat lang ostwärts fahren müssen, um von Europa aus endlich Asien zu entdecken. Mit Eintritt des Karbon (immer wieder prompt auf der Wende zu einer neuen Periode) trat aber dann erneut stärkere Verlandung ein, die sowohl in großen Teilen von Nordamerika wie in ganz Asien nicht nur den Verlust deckte, sondern die Festlandumrisse des älteren Devon sogar hier und da noch verstärkt wieder herausbrachte. Nur die auch inzwischen[72] überschwemmte Panamabrücke von der Atlantis nach Brasilien stellte sich nicht wieder her, die Tethys strömte wieder frei vom und zum Stillen Ozean durch. Dieses Auf und Ab hat zunächst nicht viel Interessantes. Man erhält den Eindruck, daß in dieser Gegend der Erdgeschichte das Kartenbild sich im großen und ganzen eine lange Zeit hindurch gleichsam sehr zäh immer wieder verteidigte. Wenn man nur die Hauptlinien verfolgen will, kann man einzelne Blätter ganz überschlagen. Immerhin bieten sich wenigstens in der zweiten Hälfte der Steinkohlenperiode ein paar lehrreiche Einzelheiten dar.
Nach den früheren Erfahrungen sollte man für diese Zeit abermals eine »Transgression«, also ein mehr oder minder starkes Vorrücken des Meeres, erwarten, und bis zu gewissem Grade erfolgte das auch wirklich. So spaltete sich gelegentlich damals ein ganz riesiger Kanal fast genau auf der Grenze ein, wo Nordamerika seit dem Kambrium an der Atlantis hing. Zweifellos handelte es sich wieder einmal um eine der mehrbesagten nördlichen Spalten senkrecht zur Tethys, die aber unmittelbar diesmal nichts mit dem europäisch-asiatischen Rißsystem zu tun hatte. Das Merkwürdige an ihr ist nur, daß sie auch schon genau in der Linie eines heute am gleichen Fleck noch vorhandenen Kanaleinschnitts lag: als karbonisches »Davis-Becken« bezeichnet, zog sie sich nämlich nahezu grenzgetreu auf der heutigen Davisstraße und Baffinsbai dahin, die jetzt Nordamerika von Grönland scheiden. Das Gebilde war zunächst nicht dauerhaft, in den nächstfolgenden Erdperioden schlossen sich allmählich Nordamerika und die Atlantis doch wieder ebenso glatt aneinander wie früher. Aber spät in der Tertiärzeit ist es wiedergekommen und bis heute geblieben. Schwer verschließt man sich vor solcher Wiederholung der Meinung, es müsse auch in diesen Längsspalten doch irgendeine geheime Gesetzmäßigkeit der Erdbildung gesteckt haben, die gleiche Plätze bevorzugte, also nicht bloß auf der Willkür regellos zufälligen Sinkens oder Steigens der Feste oder der Wasser an beliebigen Schaukelstellen beruhen konnte.
Im übrigen aber erwies sich die Überflutung in diesem oberen Karbon ersichtlich beeinflußt und teilweise gehemmt durch eine Erscheinung, die, stets in allen Epochen bisher schon vorhanden, doch hier ebenso überwältigend großartig sich aufdrängt wie jenes von dem feuchten Klima begünstigte neue Pflanzenleben, das der Epoche[73] ihren Namen verschafft hat. Nämlich einer ganz besonders stark eingreifenden Gebirgsbildung. Sie steigerte sich um die Mitte des Karbon und reichte zum Teil noch fort bis in die nächstfolgende Periode. An den verschiedensten Stellen der Erde stauten sich ungeheure Falten empor. Die berühmteste lag bei uns in Europa. Es gab damals noch keine Schweizer Alpen, keine italienischen Apenninen, keine spanischen Pyrenäen und sollte sie noch lange nicht geben. Dafür wuchs jetzt eine ungeheure alpenhafte Kette quer über dem Fleck des heutigen Deutschland empor, in der Linie und den Seitenlinien, wo gegenwärtig die Sudeten, das Erzgebirge, das Fichtelgebirge, der Thüringer Wald, der Harz, der Spessart, Taunus, Odenwald, das rheinische Schiefergebirge und der Schwarzwald liegen und in ihren Kernmassen noch seine Ruinen enthalten. Man hat diese »karbonischen Alpen«, die sich in dieser Folge im größten Bogen etwa von Wien bis nach Mittelfrankreich zogen, als das »variskische Gebirge« (nach dem altgermanischen Stamm der Varisker im Fichtelgebirge) bezeichnet. Ein anschließender, wahrscheinlich noch viel riesigerer Faltenzug ging dann von dieser französischen Ecke über das nordwestliche und mittlere Frankreich nach England und Irland. Man hat ihn (nach einem alten Keltenstamm in der Bretagne) das »armorikanische Gebirge« genannt. Seine Falten zogen sich damals aber anscheinend noch unendlich viel weiter in den heutigen Atlantischen Ozean hinaus und liefen dort wohl über die ganze Atlantis bis nach Nordamerika durch, wo sie das schon früher angelegte Gebirge der Alleghanys vollendeten. Noch andere Falten stauten sich im Gebiet der karnischen Alpen; an der russisch-asiatischen Scheide, mitten im Gebiet der trennenden obischen Kanalspalte türmte sich allmählich der Ural empor, und so weiter regte und beugte sich die Erdrinde fernerhin noch an den verschiedensten Stellen. In den Zwischenmulden, an den flachen Hängen und neu entstandenen Randufern dieser teils werdenden, teils schon in der Zeit selbst wieder rasch verwitternden Gebirge war überall in Europa wie in Amerika und China die Hauptstätte grade der Steinkohlenwälder, zu deren Gedeihen neben der großen Feuchte des Klimas auch der Nährgehalt des frisch erschlossenen Bodens beigetragen haben mag. Schon das Vorhandensein dieser grünen Waldkränze am Sockel der jungen Gebirge deutet aber zugleich darauf hin, daß mit diesem Faltentreiben durchweg auch neue Ufer und neue Verlandungen sich bilden[74] mußten. Und so taucht im oberen Karbon auch unser Mitteleuropa zum erstenmal recht ansehnlich aus den Wassern, während die mittelmeerische Tethys, von hier abgelenkt, sich wieder desto breiter über den Nordrand von Afrika schlägt. Je mehr aber dieses Europa damals abtrocknend sich gleichsam schon in seinen heutigen Umriß hineinzustrecken suchte, desto greller mußte auf der Karte dabei seine genau umgekehrte Orientierung gegen heute hervortreten – als vorspringende Halbinsel an der Atlantis mit fester Rückendeckung auf der Seite, wo heute der Atlantische Ozean liegt – mit der offenen Front dagegen nach Südosten in die Tethys und das von Asien trennende Meer hinaus. Zeitweise scheint diese Front genau östlich in eine lange Landspitze ausgelaufen zu sein, deren letztes Kap ungefähr in der Gegend des heutigen Kaspischen Meers gegen den weiten blauen Spiegel des asiatischen Ozeans geschaut haben mag, wie heute die letzten Klippen Irlands oder Schottlands westlich gegen die unabsehbaren Wasser des atlantischen.
Auf die Steinkohlenzeit folgte die sogenannte Perm-Periode. Den Namen hat sie nach starken Hinterlassenschaften in der russischen Provinz Perm am Ural. So deutete er gleich selber diesmal in die Gegend des trennenden Meeres zwischen Europa und Asien. In Wahrheit ist aber gerade bezeichnend, daß in ihrem Verlauf dieses Meer zunächst einmal wieder sich zu verstopfen begann. Im zweiten Teil der Steinkohlenzeit hatte die Gebirgsbildung der Wasserbedeckung entgegengearbeitet. Jetzt trat mit der neuen Periode wieder ein Zustand überhaupt wachsender Verlandung ein, während die Gebirgsbildung für ihr Teil anfangs auch noch weiterwirkte. Selbst diese Doppelwirkung erklärt aber noch nicht ganz die Sachlage, wie sie diesmal sich anbahnte. Um diese Zeit muß eine dauernde[75] Tendenz zur Verlandung eingetreten sein, die jetzt über zwei ganze Erdperioden (die Permperiode und die folgende Triasperiode) fort, also jedenfalls mehrere Millionen von Jahren lang, ersichtlich anhielt. In der Folge gab es dann abermals zwei große Perioden, in denen ebenso deutlich eine im ganzen überwiegende Neigung zu weitgehender Überflutung der Länder, also mehr obsiegende Wasserherrschaft hervortritt: Jura und Kreide. Was wir bisher innerhalb jeder Periode je einmal abwechseln sahen, verteilt sich also jetzt als riesiger Zyklus über vier ganze Perioden: die zwei ersten mehr mit Land, die beiden zweiten mehr mit Wasser. Das alles natürlich auch so nur innerhalb der Landseite der Erde; die Wasserseite des Stillen Ozeans liegt nach wie vor für unsere Kenntnis so gut wie unberührt. Gewisse Schwankungen schließt auch die allgemeine Tendenz nicht aus: in den beiden Landepochen steigt hier und da einmal lokal das Wasser, und die beiden Wasserepochen haben starke Maxima und Minima. Aber darüber fort bleibt stets der allgemeine Charakter ersichtlich: hie Land, hie Wasser dauernd bevorzugt. Dabei hat im ganzen die große Land-Doppelperiode noch einen konservativen Zug. Sie baut gleichsam noch einmal im ganz Großen nur das aus, was jedes der früheren Land-Zwischenspiele mehr oder minder glücklich erreichte. Die Wasser-Doppelperiode dagegen wird diesmal wirklich revolutionär: aus ihr geht, auch als ihre Wasser wieder abfließen, eine entscheidend andersartige Karte hervor. Dies spricht dafür, daß es sich bei dem großen Vierer-Zyklus nicht bloß um eine Täuschung in der Art handelt, daß etwa jede der alten Einzelperioden wie das Silur oder das Devon einzeln so lang gewesen wäre, wie jetzt vier ganze Epochen, uns aber aus Gründen vielleicht stärkerer Verschwommenheit nicht als vier Sonderepochen erschiene. Es scheint vielmehr, daß sich hier wirklich Ereignisse spiegeln.
Man hat daran gedacht, daß die gewiß riesenhaften Gebirgsbildungen der Steinkohlenzeit eine besondere Ursache für so lange Verlandungsdauer abgegeben hätten, indem sich im Verhältnis zur Gebirgsauffaltung anderswo der Meeresgrund vertieft hätte, so daß die Wasser sich in diesen großen Tiefen mehr ansammeln und das Land überall stark freigeben mußten. Die spätere lange Wasserperiode im Jura und Kreide forderte dann umgekehrt eine zeitweise Wiederaufwölbung der Ozeanböden, bei der die inzwischen durch[76] Mangel an Gebirgsbildung und Verwitterung flacher gemachten Erdteile neuerlich stark überströmt wurden. Und es würde dazu stimmen, daß auch im weiteren Verlauf der Dinge, in der auf die große Wasserzeit folgenden Tertiärperiode, wieder Gebirgsfaltungen in größter Pracht auftraten, während zugleich sich abermals Verlandung einleitete: da wäre dann abermals Tiefsee als Gegenspiel entstanden, wie wir sie ja heute noch reichlich besitzen. Die Theorie hat gewiß etwas Sinnreiches, nur erklärt sie nicht, warum sich außer diesem Land- und Wasserwechsel noch in den jetzt folgenden vier Epochen das Kartenbild so entscheidend geändert hat, und warum gewaltige alte Festländer in der Atlantis und in Gondwanaland nach Abfließen der Jura- und Kreidewasser überhaupt nicht mehr da waren und niemals wiederkehrten, auch bei neuer Verlandung nicht. Und so bleibt auch in ihr einstweilen das Unzulängliche aller noch so geistvollen anderen »Erklärungen« für die Leitzüge der Geographie der Urwelt. Aber daß periodische, zyklische Bewegungen der Dinge auch in dieser urweltlichen Land- und Wasserverteilung immer wieder irgendwie hervortreten, einerlei was diesen »Rhythmus« nun bestimme: darüber kann rein tatsächlich wohl kein Zweifel sein. Jede Erklärung wird ihn berücksichtigen müssen. Die Urgeographie lief weder einseitig vom Land zur Sintflut, noch von einer Ursintflut zu unhemmbarer Vertrocknung; sondern sie ging durch beständige Abwechslungsperioden. Und es ist ja dieses Periodische, das auch sonst immer so deutlich die Urweltsdinge beherrscht. So wenig wir beispielsweise vom Zusammenhang des urweltlichen Klimas unmittelbar mit diesem Kartenwechsel wissen: Periodizität zeigt sich in ihrer Weise genau so auch bei diesem Klima. Die Urwelt geht nicht von Urhitze sich mäßigend zur Eiszeit; sondern sie zeigt lange Zeiträume großer Wärme mit Trockenheit, die Wüsten begünstigt; dann wieder gerade umgekehrt feuchtes Klima; feuchtwarmes, aber auch feuchtkühles, das sich wiederholt zu Eiszeiten steigern kann; auch das aber wieder endend, sich erwärmend, trocknend, – in einem Auf und Ab, das wie geschaffen scheint, alle hübsch geradeaus gebauten Theorien zu ärgern. Schließlich ist dieser Reichtum aber doch noch willkommener, als alle graue Theorie. Unser Planet ist geschichtlich und aller Wahrscheinlichkeit auch noch zukünftig eben ganz anders beweglich, als wir je geahnt hatten, ganz anders stets weiter arbeitend und jung auch inmitten seines Jahrmillionenalters.[77] Nichts verrät, daß wir heute oder absehbar am Ende jener Periodizitäten angelangt wären.
Was wir von der Permkarte der Nordfestländer wissen, sind fast durchweg Verlandungstatsachen. Wo das obere Karbon bloß Inseln und Halbinseln geschaffen und in seinen Mulden mit den üppigen Steinkohlenwäldern doch gelegentlich immer noch kleine Einbrüche des Meeres gehabt hatte, schloß sich überall jetzt die Feste im großen aneinander. Die Nordfestländer im ganzen arbeiteten auf eine ersichtliche Vereinigung los. Mehrfach scheint die Tethys durch Brücken bedroht gewesen zu sein, die sie allerdings immer noch wieder nach einer Weile zerbrach. Das merkwürdige Davismeer bestand zwar einstweilen noch fort, hat sogar möglicherweise vorübergehend Anschluß bis zur Tethys gehabt. Dafür schlossen sich aber andere Risse auf lange jetzt. Seit alters war ein offener Wasserweg stets zwischen Nordamerika und Asien in der Richtung der heutigen Beringstraße gewesen. Es lag hier nicht eigentlich ein Spaltendurchbruch, sondern von Anfang an war über den Fleck weg freies Gebiet noch des ungeheuren urgegebenen Stillen Ozeans gewesen. Jede größere Verlandung in Ostsibirien und der Alaskaecke Nordamerikas mußte aber die Norderdteile auch hier einander annähern. Und so bahnt sich schon im oberen Karbon ein Verschluß an, der jetzt nach den letzten Schwankungen des Perm auf lange zum Dauerzustand wird: man kann trocken von Nordamerika nach Asien gehen. Die wichtigste Sache aber betrifft wieder das uralisch-russische Meer zwischen Europa und Asien. Wie schon gesagt: es schickt sich ebenfalls an, vorerst wieder zu verlanden. Zunächst trocknet es im Süden gänzlich aus, da, wo es vorher um das letzte Kap Europas mit der Tethys zusammengeflossen war. Wohl möglich, daß gerade mit dieser zunehmenden Austrocknung durch Bodenhebung, die vielleicht ähnlich auch von Norden allmählich vorrückte und die Mitte des Spaltenmeeres einengte, ein kleines geologisches Ereignis zusammengehangen hat, das für die zweite Hälfte des Perm bei uns in Deutschland, wenn man auf seine Ablagerungen stieß, stets den Eindruck einer gewissen doch wieder sich durchsetzenden Meeres-Transgression gemacht hat. Irgendwie brach nämlich von dem beengten russischen Meer eine Art Flutwelle seitlich aus, die bis nach Europa vordrang und eine Weile zwischen Skandinavien und den großen südlichen Gebirgszügen große Teile von Deutschland und England noch[78] einmal seicht unter Wasser setzte. Deutlich kann man am heute noch erhaltenen Gestein erkennen, wie es seit dem Karbon auch diesen Gegenden gleich dem ganzen Nordgebiet der Landseite der Erde überhaupt ergangen war. Das feuchte Klima der Karbonzeit hatte mit Heraufgang des Perm abermals trockenem Wüstenklima Platz gemacht. Wieder bildeten sich ungeheure Schuttstätten, die uns heute noch in roten Sandsteinen deutlich werden; es sind die jedem Bergmann so vertrauten Schichten des sogenannten »Rotliegenden«. In diesen neuen nordischen Weltwüsten gingen die schönen Steinkohlenwälder ein. Wo noch Pflanzenwuchs möglich war, siedelten sich dafür mehr hitzeharte Nadelhölzer an. Über diese Stätte schwemmte nun bei uns eine Weile Meer. Das Zechstein-Meer, wie man es nach seiner bezeichnenden Schlammablagerung, dem heutigen Zechstein, nennt. Langen Bestand hatte es aber nicht. Zur Mittelmeer-Tethys konnte es nicht durchbrechen wegen der mitteleuropäischen Gebirge. Von Rußland ohne Nachschub gelassen, verdampfte es allmählich zu Salzpfannen und verschwand endlich spurlos wieder, die rote Wüste kam auch zu uns zurück. Im ganzen offensichtlich doch nur ein rein örtliches Ereignis.
Man würde aber überhaupt von der Permperiode geographisch-geologisch weniger reden, wenn nicht gerade sie dadurch berühmt geworden wäre, daß man jetzt einmal etwas mehr vom Südkontinent, vom wunderbaren Gondwanaland, erfährt. Es ist erzählt, daß Gondwanaland wahrscheinlich seit dem Kambrium bestand, Südamerika, Afrika, Indien, Australien einend. Die Überflutungszeiten hatten sich auch an seinen Grenzen gelegentlich geltend gemacht, aber von keinem Längsspalt ist etwas bekannt, der es in all der Zeit ganz durchbrochen hätte. Und so kam es auch bis ins Perm. Trotz dem meist trennenden Vorhandensein der Tethys ist nun aus jenen älteren Tagen nichts von besonderen Unterschieden seiner Oberflächenverhältnisse gegenüber den Nordländern bekannt geworden. Es hatte offenbar auch seine älteren Wüstenzeiten, und im Karbon wanderten auch in ihm die echten Steinkohlenpflanzen bis in die entlegenen Gegenden von Argentinien im heutigen Südamerika, Queensland und Viktoria in Australien, das Sambesigebiet in Südafrika ein. Im Beginn des Perm aber muß auf diesem Gondwanaland etwas vorgefallen sein, das uns noch immer in vieler Hinsicht rätselhaft ist. In Vorderindien, im Kapland, in Australien, überall wo heute noch Restblöcke[79] seiner Mittel- und Ostseite stehen, finden wir im Gestein aus dieser Zeit die ganz unzweideutigen Spuren gewaltiger Eiswirkungen. Der Gesteinsgrund ist geschliffen und geschrammt, bezeichnend gekritzte und geschliffene lose Trümmer liegen genau in der Weise zerstreut und eingebettet, wie wir das von den sogenannten Grundmoränen unserer heutigen und der diluvialen Gletscher so genau kennen. Man findet, wie gesagt, wenigstens vermutliche kleine Gletscherspuren schon in noch älteren Erdperioden als diesem Perm. Obwohl seltsamerweise die Polargebiete früher nicht vereist waren, liegt es doch nahe genug, daß die schon so früh vorhandenen großen Gebirge gelegentlich Gletscher entsandten. Daß die riesigen deutsch-französisch-englischen Alpen der Steinkohlenzeit nicht auch ihren Firnschnee und ihre Gletscher gezeigt hätten: wer will das ohne weiteres abweisen? So hat man sich gedacht, daß auch Gondwanaland sich damals zu größten Teilen mit ungeheuren Hochgebirgsfalten bedeckt hätte, die entsprechend ihre Riesengletscher selbst in tropischen Breiten zu Tal schoben, und Anzeichen solcher Gebirgsbildung sind in der Tat vorhanden. Aber die indischen Eisspuren weisen in den Einzelheiten nicht bloß auf einfache Alpengletscher. Die Eisströme müssen an der Küste bis ins Meer, in die Tethys hinein geflossen sein, und die Schlammküste muß zeitweise winterlich hart gefroren sein. Das aber im tropischen Vorderindien! Da muß man doch zu den Gebirgen auch noch einen wirklichen Herabgang der Gesamttemperatur annehmen. Man braucht ja nicht gleich an Binneneis zu denken, das damals etwa vom Südpol kommend ganz Gondwanaland bis über den Äquator fort bedeckt hätte, wie in der späteren diluvialen Eiszeit das skandinavische Eis unser Norddeutschland. Dafür spricht nichts, und die Richtung der Eismassen ging den Spuren nach ziemlich sicher nicht überall vom Süden, also der Polrichtung aus. Über das Verhältnis von Gondwanaland zu diesem Südpol und seinem heutigen Landrest wissen wir ja vor der Hand überhaupt leider gar nichts. Vieles deutet auf schon frühes Vorhandensein eines antarktischen Meeres; inwiefern aber doch wenigstens einzelne Festlandanschlüsse auch hier bestanden haben könnten, bleibt einstweilen offen. Hoffentlich bringt die jetzt glatt fließende Erforschung der heutigen großen und gebirgigen Südpolarklippe uns da einmal Aufschluß – ein geologisches Problem, das noch mehr wiegt als die Bezwingung des Pols selbst. Aber auch ohne die ungeheuerliche[80] Vorstellung eines solchen äquatorialen Binneneises wird man eine »permische Eiszeit« für das Gondwanaland zugeben müssen, die den Gletschern damals weit, weit tieferen Abstieg und der Küste selbst in tropischen Breiten weit, weit rauhere Winter als heute beschert hat. Die Ursache bleibt einstweilen völlig im Dunkeln, und nur die Tatsache einer solchen schon viel früheren Eiszeit der Urwelt, die wesentlich über die Südhalbkugel ging, muß von nicht abzusehendem Wert für uns sein. Als diese Kälteperiode auch dort dann wieder vorüber war, sehen wir die Küsten von Gondwanaland im Rest des Perm bedeckt mit einer neuen und eigenartigen Farnflora, die von der früheren des Karbon und aller nordischen überhaupt wesentlich abweicht. Spärlich ist sie nur auf gelegentlichen Tethysbrücken von sich aus noch nachträglich hier und da auch drüben ins nordische Randgebiet eingedrungen. An ihrem Fleck aber kann man sich schwer der Meinung entziehen, daß sie dort ein Ergebnis eben jener klimatischen Katastrophe, eine örtliche Anpassung war. Das Farnkraut Glossopteris ist ihr typischer Vertreter, zugleich also jetzt eine recht eigentliche »Gondwanapflanze«. Ganz ähnliche Verhältnisse aber gewahren wir in der Tierwelt. In den feuchten Karbonwäldern war allgemein der Molchfisch zum wirklichen Molch geworden. Im Perm gestaltete sich jetzt der Molch mehr und mehr zum Reptil. Das nacheiszeitliche Gondwanaland aber scheint das wahre Paradies der Urreptile gewesen zu sein, wie denn heute noch das letzte überlebende, die seltsame Brückeneidechse, nur auf einer seiner Restklippen, auf Neuseeland, fortdauert. Unheimliche Gesellen dieser Art haben uns besonders die Gesteine der alten Gondwanaecke, die das heutige Kapland darstellt, aus dieser und der folgenden Erdepoche im Skelett bewahrt. Da lebte der Pareiasaurus, der halb wie ein Krokodil, halb wie ein krummbeiniger Teckelhund aussah. Der Vergleich mit dem Säugetier ist dabei kein weit hervorgeholter. Aus diesen Urreptilen von Gondwanaland scheinen sich allen Ernstes damals auch die Säugetiere dort entwickelt zu haben. Auch für diese[82] so wichtige Tiergruppe, die es bis zum Menschen bringen sollte, ist es schwerlich ein Zufall, daß ihr urtümlichster Vertreter, das noch reptilienhaft eierlegende Schnabeltier, sich bis heute nur auf Gondwanaresten, in Australien und Neuguinea, lebend erhalten hat. Ein ganzes Buch ließe sich schreiben von den Wundern des Gondwanalandes von damals, von den Rätseln und Zeichen, die es gab.
Doch wir verfolgen die rein geographische Linie weiter. Da ist denn kaum ein Zweifel, daß die nunmehr folgende Triasperiode einen Höhepunkt der Verlandung enthält. Nie ist das alte Erdbild in einfacheren Umrissen geregelt gewesen. Geologischer Brauch läßt mit dieser Epoche das zweite Hauptweltalter beginnen, die Sekundärzeit. Geographisch aber erscheint gerade hier die ursprüngliche Länderverteilung, wie sie vom Kambrium heraufkommt, noch einmal in ihrem reinsten Glanz, wenn schon im Abendrot. Südhälfte und Nordhälfte der Landseite unseres Planeten liegen sich zeitweise noch einmal als ganz geschlossene Massen gegenüber. Zwischen Nordamerika und der Atlantis ist der Daviskanal verschwunden, beide Erdteile bilden wieder einen durchaus geschlossenen Block. Dabei ist Nordamerika größer als heute. Und ebenso ungeheuer ragt Asien. Zwischen Europa und Asien aber ist das uralische Meer jetzt ganz ausgetrocknet. So verschmilzt Europa endlich doch wieder östlich mit Asien. Aber da es zugleich westlich noch mit der Atlantis ebenso lückenlos zusammengeschmiedet bleibt, so vollzieht sich jetzt zuletzt noch die größte Tatsache: Nordamerika, die Atlantis, Europa und Asien verwachsen zu einer einzigen unfaßbar riesigen Kontinentalmasse, die jetzt würdig dem drüben ebenso geschlossenen Gondwanaland[83] Gegenpart hält. Die Tethys trennt bloß noch zwei Erdteile. Als auch diese Tethys selbst noch mehrfach überbrückt wird (es scheint bei Panama, Spanien und in Indien geschehen zu sein), erreicht die Verlandung ihren unbestrittenen Gipfel. Wenn wir uns die Beringstraße auch jetzt noch geschlossen denken, so bildete der Nordkontinent sogar einen Polarring von Land um die ganze Nordhalbkugel. Ebenso einfach in den Umrissen wie abweichend von heute muß die Erde mit diesem nördlichen ganzen und südlichen halben Landring von weitem ausgesehen haben, wobei der ausgesprochene Wüstencharakter, der auch diese Trias beherrschte, den Landmassen auch jetzt wieder eine grell gelbrote Färbung ganz im Sinne der heutigen Oberfläche des Mars verliehen haben muß.
Im Verlauf der langen Epoche stellt sich dann wenigstens die Tethys wieder ganz her, auch sie in der Reinheit ihrer Linie zwischen zwei jederseits lückenlos fortlaufenden Ufern vom Stillen Ozean bis wieder zum Stillen Ozean gleichsam noch einmal das Ideal ihrer uralten Versuche und Erfolge seit Jahrmillionen verkörpernd. Indem sie sich breiter noch durchzusetzen sucht, vereinigt sich eine Weile aller Wechsel zwischen Wasser und Land auf Erden nur bei dem Kampf zwischen ihrer geraden Mittelstraße und der einheitlichen Nord- und Südküste. Hier, dort greift sie bald etwas mehr, bald etwas weniger über die beiderseitigen Kanten vor. Und in die Abenteuer dieses Spiels wird eine Weile gerade wieder Europa verwickelt.
Europa war, wir erinnern uns, ursprünglich Halbinsel an Asien; dann wurde es umgekehrt Halbinsel an der Atlantis; jetzt hat es Anschluß sowohl an Asien wie an die Atlantis; so hat es jetzt nur noch eine Front: nach Süden, zum Mittelmeer der Tethys. Kantenangriffe der Tethys sind folgerichtig das einzige, das ihm jetzt gefährlich werden kann. Ein wundervolles Naturdenkmal ist damals entstanden, das wir heute noch in der Form, die ihm das spätere Schicksal aufgezwungen, nicht genug bewundern können: die Tiroler Dolomiten. Riffe meerbewohnender Korallentiere und besonders Kalkalgen der Triasperiode stecken eigentlich in ihnen, Riffe aus der Tethys von damals. So weit und so lange, daß sie sich bilden konnten durch unsagbar gigantische Kleinarbeit des Lebens, muß diese Tethys also damals im Gebiet unserer heutigen Ostalpen gestanden haben. Und von ihr diesmal sollte nun auch ein neues kleines Sintflutabenteuer ausgehen, das abermals vorübergehend Deutschland[84] betraf. Im Perm kam jene kurze örtliche Zechstein-Sintflut von Nordosten, vom russischen Meer. Das gab es jetzt nicht mehr. Dafür glückte es aber im zweiten Drittel der Trias der Tethys, von Süden her den verwitternden mitteleuropäischen Gebirgsgürtel in der Gegend der schlesischen Sudeten zu durchbrechen und ein kleines Binnenmeer zu uns hereinzufluten. An sich auch ein vergängliches Werk wie jene Zechsteinüberschwemmung. Das Gestein, das sich dabei abgelagert hat, hat aber der ganzen Trias mit zu ihrem Namen verholfen. Trias heißt nämlich Dreiheit. Und in der Tat unterscheiden wir bei uns noch gut drei Stufen ihres Daseins im alten Gestein auf Grund besonders dieses Abenteuers. Zuerst, im ersten Drittel, hatte auch diese große Verlandungsperiode uns in Deutschland immer wieder bloß Wüste gebracht. Grell gefärbter Wüstenschutt, zu dem die Gebirge verwitterten und der sich im tieferen Plan allenthalben häufte, ergab damals unseren sogenannten bunten Sandstein, das Prachtmaterial unserer herrlichsten süddeutschen Dom- und Schloßbauten.[85] Dann kam jene vorübergehende Sintflut und hinterließ den Muschelkalk. Auf den aber legte sich später wieder mehr Land- und Süßwasserschutt in Gestalt des sogenannten Keuper. Die drei Schichten dann ergeben die »Dreiheit«. Die Sache hat aber in dieser Folge eben nur für uns eine örtliche, sozusagen vaterländische Geltung.
Immerhin gibt dieses Trias-Sintflütchen zu denken. Es bedeutete doch etwas wie den Vorboten einer nahenden größeren Wende der Dinge allgemein. Gegen Ende der Trias, eben in ihrer deutschen Keuperzeit, zeigen sich im einheitlichen Nordkontinent die ersten Spuren neuer Längsrisse. Wenn auch nicht genau in der Beringstraße, so doch etwas weiter westlich nach Sibirien hinein parallel zu ihr hatte der Stille Ozean sich gelegentlich wieder einen Durchgang zum Eismeer erkämpft. Das war belangloser; höchst merkwürdig aber ist ein anderer Spalt, der sich jetzt (falls die Deutungen genau stimmen) plötzlich in einer bisher gänzlich unerhörten geographischen Linie auftat. Nämlich da, wo die Atlantis seit so langer Zeit jetzt glatt zu Nordeuropa ging: zwischen Skandinavien und Grönland. Eine Shetland-Straße, so genannt nach der Lage über den Shetland-Inseln. Seit dem Kambrium war in dieser Nähe nichts geschehen. Das Bedeutsame aber ist, daß ein Zerbrechen der Festlandmasse gerade an dieser Stelle nichts Geringeres besagte, als Beginn des heutigen Zustandes, der die Wasserspalte zwischen Grönland und England-Norwegen, die jetzt Europa von Nordamerika trennt, im nördlichen Atlantischen Ozean hier durchführt. An sich nur einmal wieder ein Spalt wie alle andern, bedeutete dieser doch das Morgenrot einer neuen Zeit. Und die kam für die Karte in der Tat jetzt, nachdem der Bann einmal gebrochen, Schlag auf Schlag. Auf die Triaszeit, die alles Alte noch einmal vereinigt herausgebracht hatte, folgte in der Juraperiode der unzweideutige Anfang einer Neuordnung der Erdkarte, in deren Vollbesitz wir Menschen selber heute noch leben. So lehrreich und wechselreich auch jetzt noch der Übergang sich gestalten mag: die eigentlich heroische Zeit der urweltlichen Karte, da »alles ganz anders« war, ist mit dieser Wende vorüber.
Die Juraperiode, benannt nach dem heutigen Juragebirge, dessen wichtigstes Gestein uns in Deutschland und der Schweiz noch durch alte Meeresböden ihrer Tage führt, ist nächst der Steinkohlenperiode[86] das auch im weiteren Kreise bekannteste aller geologischen Zeitalter. Die berühmtesten Urweltstiere vor dem Auftreten des Menschen, der Ichthyosaurus und der Plesiosaurus, gehören hauptsächlich ihr an. Die mächtigen versteinten Schlammblöcke, aus denen kundige Hand das noch wohl erkennbare Gerippe eines solchen seinerzeit dort eingesargten Ichthyosaurus wieder herausgearbeitet hat, zumeist aus Schwaben, also eben dem echtesten Gebiet des Jura, stammend, erwecken wie nichts anderes so im Laien, der ein geologisches Museum besucht, die Schauer der Urwelt. Diese Saurier aber waren beide prächtige Schwimmer im Ozean, der Plesiosaurus noch mehr in Küstennähe, der Ichthyosaurus am liebsten im offenen Meer, und als solche Schwimmer sind sie damals auch bis ins Herz unserer Heimat gekommen, – mit ihrem Meer. Im Zeichen des allenthalben in der Erdkarte erfolgreich und immer erfolgreicher andrängenden Meeres steht im wesentlichsten Zuge die ganze lange Juraperiode.
Auch die Karte gerade des Jura hat in der Geologie eine gewisse Berühmtheit erlangt, da ihr einer der frühesten wirklich guten Wiederherstellungsversuche solcher geologischen Karten überhaupt galt, – durch den unvergeßlichen Melchior Neumayr. Vielen hat die Neumayrsche Jurakarte einen ersten Begriff gegeben, was für Wunderdinge solche Urweltskarten uns sagen könnten. Tatsächlich versteht man auch sie aber nur dann recht, wenn man sie im Anschluß an die Land- und Meerumrisse der früheren Erdperioden betrachtet. Wenn man sich die Verlandung der Perm- und Triasperiode noch einmal vergegenwärtigt und sich sagt, daß jetzt mit dem Jura im geraden Umschlag eine ganze Periode des mehr oder minder steten Meeresvorrückens kam, so muß an gewissen Punkten die zu erwartende Kartenänderung sich nach den früheren Erfahrungen in fast selbstverständlicher Richtung ergeben.
Die Jura-Ichthyosaurier erscheinen in ihrem Meer schwimmend in Schwaben. Ihr Meer kommt mit ihnen etwa von Südfrankreich herauf. Das kann also nur ein neuer Angriff der Tethys gewesen sein. In der Trias lag Europas ganze Front gegen sie. Sie nagte damals schon daran, griff hinein. Einmal schon warf sie das (allerdings wieder vergängliche) Muschelkalkmeer bis nach Deutschland. Jetzt soll überall das Wasser sieghafter einströmen: also naheliegend genug, daß auch die Tethys verstärkt ihren Versuch erneuert und mit Glück im großen vollendet. Und in der Tat sehen wir im Verlauf[88] des Jura ganz Süd- und Mitteleuropa bis nach England und Norddeutschland allenthalben in der geschlossen heranflutenden Tethys untergehen, unvergleichlich gründlicher und dauerhafter als vorher. Nur eine Anzahl Gebirgsreste oder sonst schwer bezwingliche kleine Blöcke bleiben als Inseln stehen. Dieser ganze Teil Europas bekommt auf lange jetzt geographisch den Charakter unserer heutigen polynesischen Inselgruppen in der Südsee. Und vieles auch im übrigen Landschafts- und Lebensbilde muß an diese jetzt so entlegene Erdgegend damals bei uns erinnert haben. Im blauen süddeutschen Meer wuchsen überall bunte Korallenriffe, und am Rand der Atolle wiegten tropische Palmfarne (Cykadeen) ihre großen Wedel im Seewinde. Über den feinen Kalkschlamm der Lagunen hinter dem Riff hüpfte oder flatterte allerdings im Gegensatz zu allem heutigen der seltsame Urvogel Archäopteryx, das Gemisch aus Saurier und noch werdendem Vogel. Die Tethys staut sich in ihrem Triumphzuge erst vor der großen skandinavisch-russischen Masse; bis dahin ist Europa sozusagen verschluckt vom Mittelmeer. Aber indem das so weit geschehen ist, ergibt sich eine neue folgerichtige Möglichkeit. Die so gewaltig nach Norden ausbegehrende Tethys vollzieht im Nordosten erneut einen uralten Schachzug. Sie eröffnet sich wieder die russische Wasserspalte, vom Kaspischen Meer zum Eismeer in der Richtung am Ural hin. Da sie ganz Mitteleuropa schon besitzt, kann sie gleich auch von hier noch durchfluten, auch von Norddeutschland schon ihre Wasser anschließend nach Rußland treiben. Was von Europa auch jetzt als Festland noch übrig ist (wesentlich Skandinavien), ist damit abermals in Wiederholung des alten Schicksalszuges von Asien getrennt. Nach der überlieferten Verkettung wäre der Europarest wieder einmal nur noch Halbinsel der Atlantis. Mehr noch »verwässert«, aber sonst doch unverkennbar ähnlich, scheinen an dieser Kartenecke die Zustände der Steinkohlenzeit wiederzukehren. Da aber wird noch etwas bedeutsam, das die Triaskarte schon andeutete. Jener neue Spalt zwischen Skandinavien und Island, die »Shetland-Straße«, die sich in die Verlandung der Trias doch schon gelegentlich eingemischt hatte, spaltet erneut den Europarest auch westlich von der Atlantis ab. Die Tethys greift durchströmend auch hier um Skandinavien herum. Und so erfährt der letzte ragende Landblock Europas ein neues, ein bisher noch nie erfülltes Schicksal: von Asien und von der Atlantis durch breite Meeresarme gesondert, wird er[89] selber zur Insel. Eine skandinavische Rieseninsel, von der es südwärts unmittelbar ins Mittelmeer und in den südseehaften Archipel der kleinen Korallen- und Palmfarn-Eilande geht, – so schwebt Jura-Europa frei in den Wassern, los von Asien, los von der Atlantis, von der nordwärts bis zum Eismeer ausgeschweiften Tethys ganz umflossen wie die Erde der homerischen Griechen vom sagenhaften Okeanos.
Obwohl die meisten Züge dieses Schlußbildes sich noch irgendwie an frühere anschließen, fühlt man doch, was für eine außerordentliche Zerstückelung des Nordgebiets der Landseite sie bedeuten, eine ärgere, als je eine Wassertransgression früher erzielt hatte. Und dazu treten noch andere starke nordische Landeinbußen. Das Eismeer schneidet nördlich von der Shetlandstraße noch ein Stück von der Atlantis selbst ab, bis auf den Rand von Grönland, also nahe ans alte Herz. Von Nordamerika versinkt erneut die Alaskaecke wie in den ältesten Epochen. Die Beringstraße stellt sich also in ungeheurer Breite her. Und auch Asien verliert im Norden durch kolossale sibirische Überflutungsbuchten (Neumayr auf seiner Karte ließ es über ganz Sibirien untergehen) ein Riesengebiet. Eigentlich intakt von der gesamten nordischen Herrlichkeit bleibt nur der Hauptblock von Nordamerika und der damit verschmolzene Restteil der Atlantis. Immerhin noch ein gewaltiger Erdteil, der für die Fortentwicklung der Landtierwelt in dieser Jurazeit jedenfalls nördlich die Hauptstütze gewesen ist. Während durch die neuen Buchten und Meeresarme von der Tethys bis zum Eismeer und zum Pazifik und rund um den Europarest lustig die delphinhaften Scharen der Ichthyosaurier schwammen, erwuchsen auf diesem einzigen großen Dauerlande des Nordens jene märchenhaften Landdrachen des Dinosauriergeschlechts, deren wirkliche Größenmaße keine noch so überschwengliche frühere Urweltsphantasie sich hatte erträumen können. Dieser ganze Umsturz im Nordgebiet der Erdkarte bedeutete aber immer noch nicht das, was auf dem Südgebiet gleichzeitig geschah. Man konnte, wie gesagt, das alles dort im Norden noch für eine einfache größte Transgression halten. Im Süden aber vollzog sich etwas schlechterdings Neues: der Südkontinent, das ungeheure Gondwanaland begann zusammenzustürzen.
Wir haben unsere Betrachtung begonnen mit einem kurzen Hinweis, daß Gondwanaland im Kambrium in der Gegend des heutigen[90] Indischen Ozeans zeitweise nicht ganz geschlossen schien. Möglich, daß das nur eine belanglose seichte Überflutung war; möglich, daß es auf eine noch ältere, uns unbekannte Urgeographie aus vorkambrischer Zeit wies, die noch kein geschlossene Gondwanaland hatte. Sicher ist jedenfalls soviel, daß jetzt seit sechs großen Erdperioden, eine endlose Kette von Jahrmillionen lang, Gondwanaland geradezu als der am meisten ruhende Landpunkt der Erdkarte bestanden hatte, unzerstückelt, ohne Spalten, ohne versunkene Zwischenteile. Vom oberen Kambrium bis zur Trias bildet es gewissermaßen die Signatur der gegen alles heutige abstechenden Alt-Karte. Jetzt aber stürzte sein erster Grundpfeiler endgültig ein.
Gondwanaland im engeren und für unsere Kenntnis sichersten Sinne, also das Stück Verbindungsland im heutigen Indischen Ozean, war es, das den Anfang machen sollte. Schon zu Beginn des Jura muß es begonnen haben, gleichsam zweiseitig zugleich, auf den beiden Eckflügeln, zu versinken, während das Mittelstück zunächst noch als lange schiefe Landzunge stehen blieb. Diese Landzunge wurzelte vermutlich auch jetzt noch am Kap der guten Hoffnung in Afrika und reichte über Madagaskar bis Ceylon und Vorderindien. Rechts und links von ihr aber hatte der Ozean das übrige Zwischengebiet endgültig verschlungen. Rechts trennte er als breite blaue Fläche von Australien, links von der Ostküste Afrikas, bei der auch das nicht mit versunkene Arabien einstweilen verblieben war. Eigentlich waren die beiden neuen Meeresstücke im heutigen Sinne schon werdender Indischer Ozean; immerhin hat man das afrikanische für diese und die nächste Erdperiode einstweilen noch mit dem besonderen Namen als »Äthiopisches Meer« auf die Karte gesetzt. Das Reststück des alten Landes selbst, die lange Landbrücke, die beide Wasser noch trennte, hat man dagegen, so lange sie sich noch hielt, als »Indomadagassische Halbinsel« bezeichnet. Gestanden hat sie tatsächlich noch in der ganzen nächstfolgenden Kreidezeit, und, wenn man will, kann man ihre letzten Spuren heute noch in den kleinen Inselschwärmen zwischen Madagaskar und Indien verfolgen. Aus historischer Pietät könnte man aber fast versucht sein, ihr in den spätesten Tagen, wo sie noch tragfähig war, auch noch einen andern Namen zu geben, den die meisten wohl gelegentlich einmal gehört haben werden, – nämlich Lemurien. Lemuren sind zoologisch die Halbaffen. Diese interessanten Tiere, von denen eine lebende[91] Form, der sogenannte Koboldmaki, auch dem Stammbaum des Menschen zweifellos nahesteht (neuerlich hat man in Ägypten sogar einen alttertiären Kiefer entdeckt, der unmittelbar Koboldmaki und Menschenaffe zu verknüpfen scheint), finden sich heute besonders zahlreich auf Madagaskar und dann wieder im südindischen Gebiet. So meinten die ausgezeichneten Kenner Sclater und Haeckel vor Jahren, in der Tertiärzeit müsse einmal eine Landverbindung quer über den Indischen Ozean gegangen sein, die gerade diese Verbreitung erklärte. Sie bezeichneten sie als Lemurien, und lange ist viel davon die Rede gewesen; die Urheimat des Menschen selbst ist gelegentlich gern nach Lemurien verlegt worden. Inzwischen ist aber durch Versteinerungen unzweifelhaft geworden, daß eben solche Halbaffen damals auch in Europa, ja in Nordamerika gelebt haben. Da wäre also jene Brücke nicht nötig, die Halbaffen Madagaskars können zu ihrer Zeit von Afrika und die indischen unabhängig von Asien eingewandert sein. Es ist aber wieder amüsant, wie auch hier etwas, was zuerst als Phantasiegebilde und sozusagen falsch eingestellt auftauchte, sich nachher in etwas veränderter Form doch wahr gemacht hat. In der Jura- und Kreideperiode bestand wirklich diese lemurische Brücke, bloß daß sie damals nichts mit den Lemuren zu tun hatte. Wir wollen aber den jetzt irreführenden Namen lieber nicht bei ihr verewigen.
Die Zerstörung des indisch-afrikanisch-australischen Kontinentstücks bis auf diese Brückenruine mußte aber früher oder später weitere Folgen haben. Die Tethys konnte um die indische Spitze der indomadagassischen Halbinsel herum einen Ausfluß zu dem neuen Indischen Ozean, der diese Halbinsel fortan von den Sundainseln und Australien trennte, gewinnen. Wahrscheinlich ist auch das im Jura selbst schon erfolgt. Dann aber entstand die neue Möglichkeit, daß sie ganz hierherüber abströmte. Ihr letztes asiatisches Stück, das bisher über Hinterindien oder Südchina zum Pazifik ging, konnte austrocknen. Und es ist möglich, daß auch das schon im Jura geschah. Nach Neumayrs Karte hätte sich damals schon einmal ganz Hinterindien lückenlos mit dem asiatischen Kontinent vereint, wobei dieser neue Landriegel sich südlich zeitweise sogar noch über die Sundainseln bis Australien fortgesetzt haben soll. Wieder ein grober Riß im alten Bilde: die Tethys nicht mehr ihre Bahn vom Stillen Ozean zum Stillen Ozean vollendend, sondern[92] ins Herz von Asien bloß noch bis über den Himalaja eindringend, dann aber südwärts abbiegend in den Indischen Ozean. Dauerhaft blieb einstweilen nur die Landverbindung noch zwischen Afrika und Südamerika, ein letztes Stück alter Südkarte rettend. Aber auch ihre Tage waren gezählt. Gondwanaland und mit ihm die alte Karte waren nicht mehr zu retten, – das zeigt die nächstfolgende Erdperiode.
An die Periode des Jura schließt sich zeitlich die der Kreide; benannt nach der in ihr gebildeten weißen Schreibkreide. Wie die Jurazeit aber nicht bloß Schichten gerade im Juragebirge hinterlassen hat, so hat auch sie keineswegs bloß Kreide hervorgebracht, sondern auch vielerlei anderes Gestein. Überaus wechselreich ist gerade ihr geologische Bild, bis zum Fratzenhaften gestaltenreich das Bild des Lebens in ihr. In eine ganze Reihe Einzelabteilungen hat der Geolog sie für sich auflösen müssen, um ihrer langen, vielfach verwickelten Bahn einigermaßen Herr zu werden. Und für alle diese Einzelkapitel lassen sich nach den reichen Hinterlassenschaften auch wieder Erdkarten entwerfen, auf denen, wenn man sie zuerst mustert, alles noch mehrfach wieder drunter und drüber zu gehen scheint. Genaue Betrachtung zeigt aber sofort, daß für die Hauptlinie des Kartenbildes, wie wir sie verfolgen, in Wahrheit nur wieder einige wenige Punkte dabei von wesentlicher Bedeutung waren.
Die Kreideperiode gehört eng zum Jura. Sie enthält den zweiten Höhepunkt jener großen doppelperiodischen Meerestransgression, von der wir gesprochen haben. Er ist als solcher noch ausschweifender als der erste im Jura. Wenn irgendwo das Sintflutbild noch einmal im großen angewendet werden soll, so wäre es hier am Platze, obwohl von einer wirklichen Überflutung aller Länder natürlich auch jetzt keine Rede sein konnte. Die äußerste Kurve liegt ungefähr im Beginn der zweiten Hälfte der Periode, da, wo der spezialisierende Geolog die Unterabteilung des sogenannten Cenoman (nach dem lateinischen Namen Cenomanum für die heutige Stadt Le Mans in Frankreich) ansetzt. Auf dem Kartenbilde erfolgt in dieser Gegend in der Tat ein so erdenweites Untertauchen an allen Ecken und Enden, daß man meinen könnte, die am weitesten von heute abweichende Karte zu sehen, die es je in der Urwelt gegeben hat. Inzwischen darf man aber nicht vergessen, daß es sich dabei doch zunächst nur wieder um eine jener periodischen Transgressionen handelt,[93] bei denen das Meer überhaupt aus irgendeinem Grunde wie außer Rand und Band scheint, die riesigste von allen, aber doch auch eine, die nach einer Weile vorübergeht. Auch aus der cenomanischen Sintflut heben sich zuletzt, im Auslauf der Kreide, wieder einigermaßen verständliche, aus dem Früheren begreifliche Erdteile heraus. Und nur was auch jetzt daran sich dauernd verändert erweist, was auch jetzt nicht wiederkommt im einzelnen an ihnen, – das ist für die Hauptlinie das Entscheidende, das wirklich auch unter all dem Trubel der Periode geographisch von ihr Geleistete. Das aber läßt sich diesmal wirklich ziemlich kurz zusammenfassen, denn auch hier ist die Kreide nur eine Art vertiefenden zweiten Abschnitts der Juraarbeit gewesen.
Zwischen Jura und Kreide liegt zunächst eine kleine Pause im großen Wassertriumph. In Deutschland, Belgien, England werden die Tethysableger des Jura aus Meer zu Waldsümpfen, in denen sich damals die bekannten känguruhhaft auf den Hinterbeinen hüpfenden großen Iguanodon-Saurier herumgetrieben haben. Die Shetlandstraße schließt sich nochmals, Europa hängt sich vorübergehend noch einmal westlich ganz an die Atlantis. Sonst bleibt aber alles wesentlich wie im Jura. Dann aber, unter der allmählich heranrauschenden Riesenflut, geht das tollste Spiel los. Die Tethys wahrt nicht nur fast alle Errungenschaften, die sie im Jura erlangt hatte, sondern sie greift neuerdings an urältesten Landbesitz. Sie stellt nicht nur die Shetlandstraße neu her, sondern überschwemmt in ihrer Gegend westlich die ganze Atlantis bis auf den Umriß von Grönland und sogar noch ein Stück in die Davisstraße hinein; der ganze nördliche Atlantische Ozean von heute wogt also schon bedeutsam eine Weile frei herüber und hinüber. Ebenso bedeckt sie südlich jetzt auch das gondwanische Zwischenland von Afrika und Südamerika ganz oder doch fast ganz. Mehr aber noch: sie zerschneidet in der Gegend des Amazonenstroms Südamerika selbst und dringt mit einer ähnlichen Schnittspalte von Süd zu Nord durch den ganzen Westen von Nordamerika. Und während sie über Europa abermals in voller Pracht fortrauschend erst wieder an den Felsufern Skandinaviens brandet, schneidet sie zugleich große Teile von Nordafrika und Arabien ab. Wenn sie auch jetzt in ihrem äußersten Ostkurs zum Indischen Ozean abbiegt, so ist sie doch sicher auch dort über viel mehr Land weggegangen, über Teile von Hinterindien und den Sundainseln.[94] Australien wurde damals auch von Asien wohl endgültig getrennt, nachdem es im Jura von Afrika losgekommen war. Als einsamer Gondwanarest sollte es fortan im Meer ragen, seltsame Tiere der älteren Urwelt wie in einem unnahbaren Zauberpark bis auf unsere Tage durchrettend. Manche Forscher glauben freilich, daß Australien gerade damals noch Sonderschicksale von geheimnisvoller Art durchgemacht habe. Die Kreideüberflutung soll eine Art Gegenangriff durch geheimnisvolle Landbildungen im Südseegebiet erfahren haben, also doch einmal in dem uralt treuen Reinwassergebiet der Erde. Wohl gar wäre ein Landstreifen zeitweise von Australien bis zu einem dunkeln, schon im Jura vermuteten sehr vulkanischen Lande jenseits der pazifischen Küste von Südamerika gegangen. Doch ist das alles noch sehr, sehr unklar und vielleicht nur ein Traum.
Für einen kühnen Seefahrer hätte es in diesen cenomanischen Wasserwüsten jedenfalls nicht an unheimlichen Abenteuern gefehlt. Die Begegnung mit der »großen Seeschlange« wäre in gewissen Meeresgebieten ein alltägliches Ereignis gewesen, denn es wimmelte von schlangenhaft langgestreckten Riesenreptilien (Mosasauriern), die allen verwegensten Phantasieanforderungen an dieses heutige ozeanische Fabeltier Genüge taten. Von oben aber schatteten über die unabsehbaren Wasserflächen ungeheuerliche »Flugmaschinen«, in denen ebenfalls drachenhafte Reptile (Pteranodon) mit einer Klafterweite bis zu sechs Meter den nicht endenden Ozean frei übersegelten.
Doch die Kreide neigt sich zu Ende, und die Hochflut ebbt. Jetzt nicht bloß zu einer kurzen Pause des Kräftesammelns wie zwischen Jura und Kreide, sondern als Beginn eines wirklichen neuen Zeitalters offensichtlich wieder größerer Verlandung, als das sich die ganze Restzeit zwischen Schluß der Kreide und heute fortan vor Augen stellen soll. Gerade jetzt aber wird entscheidend, was denn nun wirklich inmitten der riesigen zweiten Sintflut an Festland im dauernden Kartensinne erlegen war. Eine ganze Masse Wassereroberung, so sieht man sofort, wird sich wieder einmal nicht halten lassen. So der Quereinbruch durch ganz Südamerika, der Längseinbruch durch das westliche Nordamerika, das Untertauchen Hinterindiens und der Sundainseln. Diese Stellen sind, damals zunächst versumpfend, bis heute in aller Folge doch wieder Land geblieben. Wirklich zerstört aber erweist sich nach Ablauf der cenomanischen[96] Sintflutwasser jetzt das südatlantische Stück von Gondwanaland, also die frühere Landfeste zwischen Afrika und Amerika. Und aufs äußerste angegriffen erscheint ebenso die Atlantis zwischen Grönland und Europa. Auch hier ist wohl nurmehr eine Brücke aus den Fluten wieder aufgetaucht, die immerhin auch die echte amerikanische Westküste südlich von Grönland zunächst noch für eine Weile erreicht haben mag. Die Reste dieser Brücke sollten noch längere Zeit bestehen; aber aufhalten konnten auch sie zuletzt den endgültigen Zusammenbruch auch hier nicht mehr. Das Ergebnis ist kurz: inmitten der verwischenden Sintflut der Kreide war Gondwanaland südlich endgültig in Verfall gebracht, und nördlich hing die uralte große Atlantis buchstäblich nur noch an einem Faden.
Die nächste und letzte Stufe der großen geographischen Fortentwicklung zeigt dann die Karte des älteren Abschnitts der folgenden Tertiärperiode. Sie gibt auf der einen Seite noch so deutlich die Sachlage vom Ende der Kreidezeit nach Abflauen der cenomanischen Sintflut wieder, daß es erübrigt, für dort eine besondere Karte zu zeigen. Andrerseits aber weist sie auch schon so klar den Rest des Umschwungs zu heute, daß sie recht eigentlich als Abschlußbild der ganzen geologischen Geographie in ihren Grundzügen, wie wir sie ohne Eingehen in Detailfragen hier verfolgt haben, gelten kann.
Die Tertiärzeit (im Namen als das dritte Haupt-Weltalter bezeichnet, obwohl es sich, wenigstens zeitlich, nur um eine Einzelperiode wie Kreide oder Jura handelt) erinnert in gewissen Zügen wieder an die alte Steinkohlenzeit. Auch in ihr grünt ein auffällig großartiger Pflanzenwuchs auf Erden, auch in ihr findet eine außerordentlich starke Gebirgsbildung, die erste ganz große wieder seit dem Karbon selbst, statt, und auch auf sie folgt eine Eiszeit, sehr viel umfassender und wirksamer noch als die alte in Gondwanaland. Näher besehen, ist aber doch vieles auch so grundanders. Die Wälder bilden durchweg nicht mehr baumgroße Farnkräuter, sondern höhere Pflanzen. Die zahllosen großen Wirbeltiere, die darin hausen, leiten nicht, wie damals, die Saurierzeit erst ein. Ausgelebt ist vielmehr diese so kennzeichnende Urweltschöpfung. Mit Ausgang der Kreideperiode sind durch eine rätselhafte Ursache fast alle diese seltsamen Sauriergestalten in Wasser[97] wie Land dahingeschwunden gleich einem häßlichen Spuk. Dafür beherrschen die alten Kinder Gondwanalands, die Säugetiere, jetzt den Plan. Das höchste Geheimnis, das größte Ereignis dieser Säugetierentwicklung liegt im Tertiär: die Menschwerdung. Überall Anfang unserer Zeit! Auch die Gebirge, die jetzt entstehen, sind nicht mehr dämmerhafte Urweltsberge, sondern es sind die allbekannten großen Ketten unserer Karte. Kein Wunder, wenn auch in Erdteilen und Meeren diese Karte jetzt in deutlich moderne Geographie einlenkt. Im allgemeinen war die Tertiärzeit nach den Sintflutperioden Jura und Kreide wieder viel mehr eine Verlandungszeit. Gegen ihre Mitte schwellen noch zwei mäßige Transgressionen an, die aber nicht viel besagen und (wie die des Karbon) schon mit erstickt werden durch die großartigen Gebirgsbildungen, die diese Mitte beherrschen. Manches, das wie Transgression aussieht, ist in Wahrheit nur der rasch und rascher arbeitende wirkliche Zusammenbruch letzter Reste der dem Untergang geweihten Urweltländer. So stürzt schon auf der Wende von der Kreide endgültig die indomadagassische Halbinsel ein und damit das letzte unmittelbare Zeugnis für Gondwanaland auch im Indischen Ozean. Dieser Ozean ist im ganzen Umfang fortan da, bloß noch durchsetzt mit ein paar Inseln, ebenso deutlich und »modern« wie der Südteil des Atlantischen zwischen Afrika und Südamerika. Gondwanaland ist nicht mehr vorhanden. Dafür bestehen drei Erdteile im Süden, Südamerika, Afrika, Australien, – wie heute. Freilich das indische und arabische Gondwanastück ist im älteren Tertiär noch nicht gleich an Asien angeschlossen worden. Arabien hielt noch eine Weile als Halbinsel zu Afrika, und Vorderindien lag als Insel im Meer. Denn die Tethys flutete zunächst vom europäischen Mittelmeer noch immer nach Zentralasien durch, wo sie allerdings jetzt breit und unzweideutig in den offenen Indischen Ozean abfloß. Dieses ältere Tertiär hat eben im Erbe der letzten Kreide noch eine gewisse Anzahl auch urweltlicher Züge in seiner Karte. So ist die Tethys noch immer sieghaft obenauf. Bei Panama fließt sie durch; in der Kreide war gerade hier herum eine Weile wieder eine Brücke gewesen. In den stärkeren Transgressionen geht sie noch breit durch Mitteleuropa und überschwemmt Nordafrika. Und so kommt sie auch noch eine Weile bis Indien. Nach Norden aber wahrt sie auch jetzt noch etwa vom Aralsee an aufwärts zum Eismeer[98] das uralte Vorweltsrecht ihres Durchbruchs: sie bildet das »Obische Meer«; zum letzten Mal steht auch dieses merkwürdig zähe Spaltenmeer noch auf der Karte, zum letzten Mal trennt es den Festlandteil Europas von Asien. Echt urweltlich ist auf der andern Seite dieses Europa auch noch die isländische Brücke, die es mit Grönland-Nordamerika verknüpft. Immerhin auch nur eine Urweltruine, das letzte Stückchen der stolzen Atlantis. Von Norden brandet schon verdächtig ein »Ostgrönland-Meer« heran. Ein Bruch – und der Atlantische Ozean ist auch hier fertig. Gewaltig ragt Nordamerika. Es hängt sogar ohne Beringstraße noch mit Asien zusammen. All seine Polarinseln sind Festland, Grönland ist ihm angegliedert. Und dort oben herrscht noch tief ins Tertiär hinein ein weit wärmeres Klima als heute. Auch Europa scheint sich nördlich bis Spitzbergen und Franz-Josephland ausgedehnt zu haben. Diese riesigen, durch Brücken noch verknüpften Landgebiete im Norden sind damals von entscheidender Bedeutung für das beispiellose Aufblühen der Säugetiere gewesen. Besonders Nordamerika hat da eine wahre Schöpferrolle gespielt. Die Landbrücken erlaubten aber auch ein beständiges Hin- und Herfluten von und zu den andern Nordländern, wobei jedes neu gewonnene oder gewechselte Gebiet die Artenfülle steigerte. Recht eigentlich das Paradies der Säugetiere lag in diesen älteren Tertiärtagen, und in ihm muß damals auch die letzte Vorstufe zum Menschen gelebt haben.
Jenseits der Mitte des Tertiär aber ist es dann, als verschwebten nun wirklich auch die letzten Nebel der Urwelt über der Karte – sie wird ganz modern. Die neue große Gebirgsbildung ist da, und ihre entscheidende Tat ist die endgültige Vernichtung der Tethys. Die riesenhaften Kettengebirge Zentralasiens, allen voran der Himalaja, als neue Erdfalten zur Schneeregion emporgereckt versperren ihr den asiatischen Ausgang auch zum Indischen Ozean. Die Schlammschichten, die sie in dieser Gegend selbst noch im ersten Drittel des Tertiär abgesetzt, werden im buchstäblichen Sinne bis in das »Haus des Schnees« (was das Wort Himalaja bedeutet) hinaufgedrückt. Vorderindien gliedert sich endgültig an den neuen Landriegel an. Ein letzter Durchbruchsversuch der Tethys gegen den Persischen Meerbusen mißlingt infolge immer neuer Riegelbildungen. Über Arabien fort wachsen Asien und Afrika sogar zeitweise breit zusammen. Und erst gegen Ende des Tertiär entsteht[99] durch einen großen Zusammenbruch wenigstens hier noch einmal eine Spalte, das Rote Meer. Diese späte Spaltenbildung nordsüdwärts ist an sich sehr bemerkenswert als ein Zerstückelungsversuch im letzten Gefolge der Gondwanalandzerstörung, der jetzt sogar auf den alten soliden Block von Afrika übergreift. Aber den wichtigen Ostausfluß der Tethys kann auch das nicht mehr retten. Neue Gebirgsriegel schieben sich ihr in Gestalt der Balkangebirge, Apenninen, Pyrenäen, des Atlas – vor allem aber der Hauptmasse der Alpen auch im europäischen Mittelmeer von allen Seiten entgegen. Eine längere Zeit verstopft sich das ganze Ostmittelmeer mit Land. Auch als das wieder etwas abflaute, blieb doch hier bedenklicher Boden, dessen Unruhe wir bis heute noch an Erdbeben und vulkanischen Folgeerscheinungen besonders im unteritalischen und griechischen Gebiet zu spüren bekommen. Vom alten östlichen Ausfluten der Tethys konnte aber fortan schon in dieser Gegend keine Rede mehr sein. Wiederum zugleich aber schob sich der neue Riegelverschluß auch zwischen diese Ecke der Tethys und die alte obisch-uralische Verbindung vom Kaspischen Meer zum Eismeer. Das »Obische Meer« trocknete aus, zum letzten Mal. Europa und Asien verwuchsen in der Urallinie, zum letzten Mal. Vom Menschenstandpunkt für immer. Wir haben es als Geographen wenigstens so und nicht anders gefunden, als wir kamen. Zwischen diese Hauptzüge schoben sich allerdings, wie verständlich, überall noch wechselnde Stufen des Werdens. So, als die Alpen zuerst erschienen, stiegen sie als Zentralmasse noch inselhaft aus der Tethys selbst; nicht bloß im heutigen Mittelmeer, sondern auch nördlich griffen die Wasser zunächst noch darum herum. Lange noch ging ein breiter Meeresarm, immer wieder sich neu füllend, vom Rhonetal über die Nordschweiz bis nach Ungarn und dem Balkan; zeitweise hatte er sogar im Rheintal noch Abfluß unmittelbar nach Norden. Durch die zunehmende Verlandung des Ostmittelmeers gehemmt, bildeten seine zuströmenden Wasser eine Weile ein großes Binnenmeer in der Gegend von Ungarn über das heutige Schwarze Meer bis zum Aralsee. Da das Obische Meer schon fehlte, konnte es für sein Teil aber dort auch nicht mehr zum Eismeer durchbrechen. Als der Zufluß über die Schweiz doch langsam austrocknete, zerfiel dieses Binnenmeer selber zu Bruchstücken; teils sammelte es seinen Rest fortan im Kessel des heutigen Schwarzen Meers (das sich allmählich doch auch[100] noch einen schmalen Ausgang zum wieder etwas freieren Ostmittelmeer erwarb), teils kümmerte es in den abflußlosen Senken des heutigen Kaspischen Meeres und Aralsees weiter. Das alles aber waren doch nur hoffnungslose Schlußzuckungen der Tethys. Im letzten Drittel des Tertiär verlor sie den Panamadurchfluß, – wieder im heutigen Sinne endgültig. Auch hier war lange noch Kampf. Die entstehenden Kordilleren gaben dem Hauptteil von Mittelamerika ein unbesiegliches Rückgrat. Aber eine gewisse Kurve ihrer Faltung ließ zunächst gerade bei Panama noch ein kleines Stückchen Wasserstraße offen. Endlich aber verlandete doch auch das, damals noch eine sehr bedeutsame Sache für das zeitweise Hinüberwandern der wunderbaren südamerikanischen Riesenfaultiere nach Nordamerika und umgekehrt der Mastodonelefanten und Wildpferde, die drüben noch dauerten, nach Südamerika. Wohl im letzten Ausgang des Tertiär zerbrach dann wirklich auch die isländische Brücke. Schon vorher hatte sich das ostgrönländische Meer zwischen Skandinavien und England vorgeschoben, die werdende Nordsee markierend, und die Davis-Baffinstraße hatte sich zwischen Nordamerika und Grönland geschoben. Untergang also der Atlantis! Indem aber so der Nordteil auch des heutigen Atlantischen Ozeans fertig aufriß, wurde der alte Name der Tethys selber wertlos; dieser Ozean trat hier an seine Stelle, wie bei Europa das echte Mittelmeer. Europa aber, das künftige Wunderland der Kultur, vollendete im gleichen Augenblick den Kreislauf seiner geologischen Abenteuer: wie einst im Kambrium schloß es sich wieder als Halbinsel an Asien, – mit der freien Wasserfront nach Westen über die grauen Wellen, in denen das Märchen der Atlantis endgültig versunken lag.
Noch stand diesem Europa, wie drüben Nordamerika, das tief einschneidende Ereignis der großen diluvialen Eiszeit bevor. Den wesentlichen Umriß der Erdkarte im großen hat es aber nicht mehr verändern können.
Wieder, wie einst im Beginn der Permperiode in Gondwanaland, trat ums Ende des Tertiär eine Epoche außergewöhnlich feuchtkühlen Klimas ein, – wie es scheint, auf der ganzen Erde. In den gebirgigen und den zum Pol näheren Gebieten äußerte sich dieser Klimasturz allgemein in mächtiger Schnee-, Gletscher- und Binneneisentwickelung; näher zum Äquator, kam er mehr als Regenperiode.[101] Wir haben schon davon gesprochen, – beim Märchen von der Sintflut. Denn in diese geologischen Tage ragt ja jetzt schon der Mensch selbst hinein, nicht als dunkle Urstufe, sondern eben als Mensch, der erlebte, kämpfte und sann. Wenn man bedenkt, daß auch die nordischen Eisfelder endlich doch wieder tauten und ihre so befreiten Wasser noch zu denen der südlichen Regenperiode schlugen, so möchte man in diesem »Diluvium« (der Name knüpft unmittelbar an die Sintflutsage an) zuletzt fast noch einmal eine »Transgression« erwarten. Und gewiß ist auch, daß mehrere heutige Inselgebiete, so das des polaren Nordamerika und das der Sundainseln, sich damals erst im Sinne unserer Gegenwartskarte wieder ganz von ihren Festländern gelöst haben. Bei uns in Europa ist mit mehrfachem Hin und Her wohl erst das Ostseegebiet damals herausgearbeitet worden. Überall, wo es sich verfolgen läßt, begann die geschichtliche oder doch schon halbgeschichtliche Zeit mit höherem Stand der Binnenseen, mit verhältnismäßig kolossaleren Flüssen, die sich seither wieder eingeschränkt haben und noch einschränken. Aber an die große Linie der Erdteile, wie sie seit dem letzten Tertiär standen, tastete das alles eben doch nicht mehr. Schließlich werden die Zeiträume ja auch hier zu kurz: diese Dinge sind uns tatsächlich noch so nah, daß wir nichts Größeres an Wechsel mehr erwarten können, auch wenn wir uns gewiß sind, daß die geologischen Zerstörungen und Entwicklungen auch über uns fortwalten, – daß auch unsere Gebirge, indem unser staunender Blick sie noch erfaßt, zerbrechen müssen, unsere Erdteile, indem unsere kleinen Schüler sie von der Karte lernen, kein Gebild der Ewigkeit sein können, und unsere Meere, indem unser Handel sie erschließt und befährt, abermals wechseln werden wie der Nebelschleier eines neuen Tags.
Es scheint vielleicht kein ganz erfreulicher Gedanke, daß mit der sich ändernden Erdkarte, mit dem Erdteil, der sich wieder auflöst, und dem Ozean, der kommt und geht, zuletzt auch die Heimatsscholle, mit der unser tiefstes Empfinden so verwachsen ist, dem Strom der Vergänglichkeit verfallen bleibt. Vom Fels, an dem unsere Vaterlandsgefühle hängen, zum Meer rinnt diese nicht endende Sanduhr der Zeiten und zieht im Maßstab der Jahrhunderttausende den heiligen Boden unter unseren Füßen weg. Aber der Maßstab dieser geologischen Dinge ist in Wahrheit nicht der des erhöhten[102] Stücks Natur, das in uns arbeitet. Die paar Jahrtausende, auf die wir in der Geschichte eines starken und seiner Heimaterde treuen Volkes zurückblicken, umspannen in dem veränderten Tempo unseres Geisteslebens eine ganze Welt an Reichtum und innerstem Gehalt, und noch einmal so ein paar tausend Jahre, auf die Zukunft gewährt, verheißen eine wahre Unendlichkeit, unfaßbar schöner Entwicklung und Erfüllung voll. Vor diesem intensiven Tagesleben bleiben die Aeonen der Geologie mit all ihrem Wechsel ein fernes Riesenmärchen, von dem wir uns gern erzählen lassen, das aber unsere Kreise in Wirklichkeit nicht stören kann. Wenn eine uralte Bergruine oder ein morsches Felsentor auch in unserer historischen Zeit gelegentlich vor unsern Augen einstürzt, wenn wir in der Nacht das Rauschen der Welle hören, die unablässig an unserm Festland nagt, wenn wir die Waffe unseres Vorfahren schon tief begraben finden unter Sand und Moor oder dem langsam wachsenden Tropfstein einer feuchten Höhle, – dann mag uns auf einen Augenblick der Schauer anrühren auch von diesem ungeheuren Gang des Geologischen, der zuletzt auch uns wie alles um uns besitzt und umfaßt. Doch den Mut unserer Arbeit schöpfen wir aus einer zugleich bescheideneren und doch innerlich reicheren Anteilnahme an den Dingen.
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Naturwissenschaftliche Bildung ist die Forderung des Tages!
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alle Naturfreunde
jeden Standes, sowie alle Schulen, Volksbüchereien, Vereine usw. ein. – Außer dem geringen
Jahresbeitrag von nur M 4.80
(Beim Bezug durch den Buchhandel 20 Pf. Bestellgeld, durch die Post Porto besonders.)
= K 5.80 h ö. W. = Frs 6.40 erwachsen dem Mitglied keinerlei Verpflichtungen, dagegen werden ihm folgende große Vorteile geboten:
Die Mitglieder erhalten laut § 5 als Gegenleistung für ihren Jahresbeitrag im Jahre 1913 kostenlos:
I. Die Monatschrift Kosmos, Handweiser für Naturfreunde. Reich illustr. Mit mehreren Beiblättern (siehe s. S. 3 des Prospektes).
Preis für Nichtmitglieder M 2.80.
II. Die ordentlichen Veröffentlichungen.
Nichtmitglieder zahlen den Einzelpreis von M 1.– pro Band.
Dr. H. Dekker, Vom sieghaften Zellenstaat.
Dr. Ad. Koelsch, Der blühende See.
W. Boelsche, Festländer und Meere.
Dr. K. Floericke, Einheimische Fische.
Dr. A. Zart, Atome, Moleküle und andere naturwissenschaftliche Hypothesen.
Änderungen vorbehalten. (Näheres wird im Kosmos-Handweiser bekanntgegeben.)
III. Vergünstigungen beim Bezuge von hervorragenden naturwissenschaftlichen Werken (siehe Seite 6 des Prospektes).
☞ Jede Buchhandlung nimmt Beitrittserklärungen entgegen und besorgt die Zusendung. Gegebenenfalls wende man sich an die Geschäftsstelle des Kosmos in Stuttgart.
Jedermann kann jederzeit Mitglied werden.
Bereits Erschienenes wird nachgeliefert.
Satzung
§ 1. Die Gesellschaft Kosmos (eine freie Vereinigung der Naturfreunde auf geschäftlicher Grundlage) will in erster Linie die Kenntnis der Naturwissenschaften und damit die Freude an der Natur und das Verständnis ihrer Erscheinungen in den weitesten Kreisen unseres Volkes verbreiten.
§ 2. Dieses Ziel sucht die Gesellschaft zu erreichen: durch die Herausgabe eines den Mitgliedern kostenlos zur Verfügung gestellten naturwissenschaftlichen Handweisers (§ 5); durch Herausgabe neuer, von hervorragenden Autoren verfaßter, im guten Sinne gemeinverständlicher Werke naturwissenschaftlichen Inhalts, die sie ihren Mitgliedern unentgeltlich oder zu einem besonders billigen Preise zugänglich macht, usw.
§ 3. Die Gründer der Gesellschaft bilden den geschäftsführenden Ausschuß, den Vorstand usw.
§ 4. Mitglied kann jeder werden, der sich zu einem Jahresbeitrag von von M 4.80 = K 5.80 h ö. W. = Frs. 6.40 (exkl. Porto) verpflichtet. Andere Verpflichtungen und Rechte, als in dieser Satzung angegeben sind, erwachsen den Mitgliedern nicht. Der Eintritt kann jederzeit erfolgen; bereits Erschienenes wird nachgeliefert. Der Austritt ist gegebenenfalls bis 1. Oktober des Jahres anzuzeigen, womit alle weiteren Ansprüche an die Gesellschaft erlöschen.
§ 5. siehe vorige Seite.
§ 6. Die Geschäftsstelle befindet sich bei der Franckh'schen Verlagshandlung, Stuttgart, Pfizerstraße 5. Alle Zuschriften, Sendungen und Zahlungen (vgl. § 5) sind, soweit sie nicht durch eine Buchhandlung Erledigung finden konnten, dahin zu richten.
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Handweiser für Naturfreunde
Erscheint jährlich zwölfmal – 2 bis 3 Bogen stark – und enthält:
Originalaufsätze von allgemeinem Interesse aus sämtlichen Gebieten der Naturwissenschaften. Reich illustriert.
Regelmäßig orientierende Berichte über Fortschritte und neue Forschungen auf allen Gebieten der Naturwissenschaft.
Auskunftsstelle – Interessante kleine Mitteilungen.
Mitteilungen über Naturbeobachtungen, Vorschläge und Anfragen aus dem Leserkreise.
Bibliographische Notizen über bemerkenswerte neue Erscheinungen der deutschen naturwissenschaftlichen Literatur.
Der Handweiser mit seinen illustr. Beiblättern:
Wandern und Reisen / Aus Wald und Heide / Photographie
und Naturwissenschaft / Technik und Naturwissenschaft /
Haus, Garten und Feld / Die Natur
in der Kunst / Natur und Heimatschutz
kostet für Nichtmitglieder ohne Buchbeilage jährlich M. 2.80
Probehefte durch jede Buchhandlung oder direkt.
Vom sieghaften Zellenstaat
von
Dr. Hermann Dekker
Mit zahlreichen Abbildungen
Für Nichtmitglieder: In farbigem Umschlag geheftet M 1.–. In Leinen gebunden M 1.80
Pflanze, Tier, Mensch, alles Lebendige ist aufgebaut aus winzig kleinen, aber doch mit dem Mikroskop gut erkennbaren lebendigen Bausteinen, den sogenannten Zellen. Jede Zelle lebt für sich, nährt sich und atmet und entfaltet ihre Tätigkeit. Aber das Lebewesen selbst ist nicht einfach die Gesamtsumme der Zellen, das Leben nicht einfach die Summe der Zellentätigkeiten. Ein geheimnisvolles Rätsel ist es, wie alle diese Zellen sich zum Ganzen, zum Zellenstaat zusammenschließen, zu Ordnung und Harmonie. Ein Rätsel, wie sich die Zellen dem Ganzen und höheren Zwecken unterordnen, wie sie zum Wohle des ganzen Zellenstaates zusammenwirken, Hand in Hand arbeiten, harmonisch sich mit ihren Leistungen ineinanderpassen und je nach den Bedürfnissen des Augenblickes arbeiten und ruhen, ihre Aufgaben und Leistungen ändern. Nur dann, wenn unsere Organe vor schweren Leistungen versagen, wenn das Zusammenspiel der Zellen gestört ist, wenn unser Körper nicht so kann, wie er will, und wie wir müssen, werden wir daran erinnert, wie sehr wir von den Lebensleistungen abhängig sind, die sich im Innern abspielen. Tagtäglich aber erhält unsere Zellentätigkeit in tausend schwierigen Lagen unseren Leib gesund und lebendig, tagtäglich finden sich die Zellen schlagfertig mit den Schwierigkeiten des Lebens ab und überwinden in uns sinnreich erscheinender Weise Tod und Gefahren. Sieghaft hilft uns unser Zellenstaat über die Stürme des Lebens hinweg.
Festländer und Meere
im Wechsel der Zeiten
von
Wilhelm Boelsche
Mit vielen hochinteress. Bildern
Für Nichtmitglieder: In farbigem Umschlag geheftet M 1.–. In Leinwand gebunden M 1.80
Zu den ältesten Fragen des erwachenden Menschengeistes gehört die nach der Verteilung von Wasser und Land in der Vergangenheit. – Warum liegen heute Muscheln hoch auf dem trockenen Lande? Warum rauscht die Welle des Ozeans umgekehrt über Strecken, wo die Überlieferung noch von menschlichen Wohnstätten weiß? Ist es denkbar, daß die Wasser einst über die Berge gingen, oder der Abgrund der heutigen See trockenen Fußes zu durchwandern war? Von dem Grübeln über diese Dinge zeugen die Sintflutsagen der Völker. Es ist so: Im Verlauf der vielen Millionen von Jahren, die diese Erdgeschichte umfaßt, haben auf unserem Planeten Festland und Wasserbedeckung unablässig gewechselt. Und von diesem großen Lied des Werdens und Vergehens, an das unsere eigene Menschheitsentwicklung so eng angeschlossen gewesen ist, erzählt dieser Band. In farbigen Bildern malt er die uralten Festländer und Küsten des Nordens, das wunderbare verschollene Gondwanaland im Süden, die später zerstörten Brücken zwischen heutigen Kontinenten; er berichtet von den Sintflut- und Atlantislegenden und ihrem Wahrheitskern, von den Korallenriffen der Vorzeit, die heute Gebirge sind, von den Quellen der Tiefe und von den Zukunftsschicksalen des Wassers und damit des Lebens auf der Erde. – Im engen Rahmen entfaltet sich vor dem Leser ein Stück praktischer Geologie, während zugleich das heutige geographische Kartenbild der Erde eine neue und überraschende Deutung findet.
Der blühende See
Von
Dr. Adolf Koelsch
Mit zahlreichen Abbildungen
Für Nichtmitglieder: In farbigem Umschlag geh. M 1.–. In Leinen gebunden M 1.80
In den Tiefen des Wassers ist nach allem, was wir wissen und ahnen können, das Leben entstanden. Von hier aus eroberte es sich in silurischen oder gar schon kambrischen Zeiten das feste Land, und hier sind auch die ersten Blütenpflanzen entstanden. Aber es scheint, daß jede Lebenseinheit, die vom Festland herangebracht wurde, immer einmal wieder die Rückwanderung antreten muß zu der Stätte, wo das erste Lebensflämmchen aufglomm. Der »Blühende See« erzählt von den diesbezügl. Beobachtungen bei den Blütenpflanzen.
Luftatmende, hochgeborene Pflanzen verwandeln sich wieder zurück in Kiemen atmende Lurche; wir erleben den Abstieg und hören von den tausendfältigen Neuanpassungen, die er nötig macht. Außer der Lebensgeschichte einzelner Gestalten empfangen wir aber auch eine lebendige Schilderung der sozialen Gliederung des gesamten Schwimm- und Tauchpflanzenstaates, lernen seine nächsten Angrenzer an den Strandstreifen der Seen kennen, erfahren von Wesen mit seltsamen Doppelleben zu Wasser und Land und, wie der See sich immer wieder neuen Zugang holt an der Küste.
Einheimische Fische
Von
Dr. Kurt Floericke
Mit zahlreichen Abbildungen
Für Nichtmitglieder: In farbigem Umschlag geh. M. 1.–. In Leinen geb. M 1.80
Nachdem der bekannte Autor in seinen früheren Bändchen die vier ersten Stämme des Wirbeltierreiches behandelt hat, geht er jetzt dazu über, auch den letzten, die Fische, in seiner packenden gemeinverständlichen Art vorzuführen. Besonders geht der Verfasser auch auf die Organisation und das Sinnesvermögen der Fische ein, ohne jedoch den praktischen Teil, wie Fischzucht und Fischfang, zu vernachlässigen. Auf den beigegebenen Abbildungen gelangt der interessanteste Teil der einheimischen Fischarten zur Darstellung.
Atome, Moleküle
und andere naturwissenschaftliche Hypothesen
von Dr. A. Zart
Mit vielen Bildern.
Für Nichtmitglieder: In farbigen Umschlag geheftet M 1.–, in Leinwand geb. M 1.80.
Ausgehend von einfachen chemisch-physik. Versuchen führt der Verfasser in die Grundfragen naturwissenschaftlicher Anschauung ein und bespricht auf Grund dieser praktischen Ergebnisse deren Anwendung auf allgemein naturwissenschaftliche Probleme.
Die Mitglieder des Kosmos haben bekanntlich nach Paragraph 5III das Recht, außerordentliche Veröffentlichungen und die den Mitgliedern angebotenen Bücher zu einem Ausnahmepreis zu beziehen. Es befinden sich u. a. darunter folgende Werke:
Preis für Nichtmitglieder |
Mitgliederpreis | |
M | M | |
Altpeter, ABC der Chemie | 2.40 | 1.– |
Bergmiller, Erfahr. a. d. Gebiete d. hoh. Jagd. Geb. | 4.50 | 3.50 |
Bölsche W., Der Sieg des Lebens. Fein gebunden | 1.80 | 1.50 |
Diezels Erfahrungen a. d. Gebiete der Niederjagd. Geb. | 4.50 | 2.90 |
Ewald, Mutter Natur erzählt. Geb. | 4.80 | 3.60 |
Ewald, Der Zweifüßler. Geb. | 4.80 | 3.60 |
Fabre, J. H., Sternhimmel. Geb. | 4.80 | 3.60 |
Fabre, J. H., Bilder aus der Insektenwelt. Geb. | 4.50 | 3.40 |
Fabre, J. H., Blick ins Käferleben. Brosch. | 1.– | –.50 |
Floericke, Dr. Kurt, Deutsches Vogelbuch. Geb. | 10.– | 8.40 |
Floericke, Taschenbuch zum Vogelbestimmen. Geb. | 3.80 | 2.90 |
Gräbner, Taschenbuch zum Pflanzenbestimmen. Geb. | 3.80 | 2.90 |
Hepner, Cl., 100 neue Tiergeschichten. Geb. | 3.60 | 2.80 |
Jaeger, Prof. Dr. Gust., Das Leben im Wasser. Kart. | 4.50 | 1.70 |
Kuhlmann, Wunderwelt des Wassertropfens. Brosch. | 1.– | –.50 |
Leben der Pflanze. Bd. I, II, III, IV, V, geb. je | 15.– | 13.50 |
Lindemann, Die Erde. Bd. I. Gebunden | 9.– | 8.– |
Meyer, Dr. M. Wilh., Die ägyptische Finsternis. Geb. | 3.– | 1.90 |
Sauer, Prof. Dr. A., Mineralkunde. Gebunden | 13.60 | 12.20 |
Schrader, Liebesleben der Tiere. Broschiert | 1.40 | 1.10 |
Schroeder-Rothe, Handbuch f. Naturfreunde. Bd. I geb. | 4.20 | 3.60 |
Schroeder-Rothe, Handbuch f. Naturfreunde. Bd. II geb. | 3.80 | 3.30 |
Stevens, Frank, Ausflüge ins Ameisenreich. Geb. | 2.50 | 1.85 |
Stevens, Frank, Die Reise ins Bienenland. Geb. | 3.– | 1.85 |
Thompson, E. S., Bingo u. a. Tiergeschichten. Geb. | 4.80 | 3.60 |
Thompson, E. S., Prärietiere und ihre Schicksale. Fein geb. | 4.80 | 3.60 |
Thompson, E. S., Tierhelden. Fein gebunden | 4.80 | 3.60 |
Wurm, Waldgeheimnisse. Gebunden | 4.80 | 3.60 |
Die ordentlichen Veröffentlichungen
der früheren Jahre stehen den Mitgliedern, solange Vorrat vorhanden, zu Ausnahmepreisen zur Verfügung:
:1904:
(Handweiser vergriffen) zusammen für M 4.– (Preis für Nichtmitglieder M 5.–), geb. für M 6.20 (für Nichtmitglieder M 8.40):
Bölsche, W., Abstammung des Menschen.
Meyer, Dr. M. Wilh. (Urania-Meyer), Weltuntergang.
Zell, Dr. Th., Ist das Tier unvernünftig? (Doppelband.)
Meyer, Dr. M. Wilh., Weltschöpfung.
:1905:
(Handweiser vergriffen) zusammen für M 4.– (Preis für Nichtmitglieder M 5.–), geb. für M 6.75 (für Nichtmitglieder M 9.–):
Welten, Die Sinne der Pflanzen.
Zell, Dr. Th., Tierfabeln.
Teichmann, Dr. E., Leben und Tod.
Meyer (Urania), Sonne und Sterne.
:1906:
ungebunden zusammen M 4.80 (für Nichtmitglieder M 7.80) und gebunden für M 7.55* (für Nichtmitglieder M 11.80):
Welten, Wie die Pflanzen lieben.
Meyer, Dr. M. Wilh., Rätsel d. Erdpole.
Zell, Dr. Th., Streifzüge durch d. Tierwelt.
Bölsche, Wilh., Im Steinkohlenwald.
Ament, Dr. W., Die Seele des Kindes.
:1907:
ungebunden zusammen M 4.80 (für Nichtmitglieder M 7.80) und gebunden für M 7.55* (für Nichtmitglieder M 11.80):
Kuhlmann, Aus der Wunderwelt des Wassertropfens.
Zell, Dr. Th., Straußenpolitik.
Meyer, Dr. M. W., Kometen u. Meteore.
Teichmann, Dr. E., Fortpflanzung und Zeugung.
Floericke, Dr. K., Die Vögel des deutschen Waldes.
:1908:
ungebunden zusammen M 4.80 (für Nichtmitglieder M 7.80) und gebunden für M 7.55* (für Nichtmitglieder M 11.80):
Meyer, Dr. M. W., Erdbeben und Vulkane.
Teichmann, Dr. E., Die Vererbung.
Sajó, Krieg u. Frieden im Ameisenstaat.
Dekker, Naturgeschichte des Kindes.
Floericke, Dr. K., Säugetiere des deutschen Waldes.
:1909:
ungebunden zusammen M 4.80 (für Nichtmitglieder M 7.80) und gebunden für M 7.55* (für Nichtmitglieder M 11.80):
Unruh, Leben mit Tieren.
Meyer, Dr. M. Wilh., Der Mond.
Sajó, Prof. K., Die Honigbiene.
Floericke, Kriechtiere u. Lurche Deutschl.
Bölsche, Wilh., Der Mensch in der Tertiärzeit und im Diluvium.
:1910:
ungebunden zusammen M 4.80 (für Nichtmitglieder M 7.80) und gebunden für M 7.55* (für Nichtmitglieder M 11.80):
Koelsch, Pflanzen zwisch. Dorf u. Trift.
Dekker, Fühlen und Hören.
Meyer, Welt der Planeten.
Floericke, Säugetiere fremder Länder.
Weule, Kultur der Kulturlosen.
:1911:
ungebunden zusammen M 4.80 (für Nichtmitglieder M 7.80) und gebunden für M 7.55* (für Nichtmitglieder M 11.80):
Koelsch, Durch Heide und Moor.
Dekker, Sehen, Riechen und Schmecken.
Bölsche, Der Mensch der Pfahlbauzeit.
Floericke, Vögel fremder Länder.
Weule, Kulturelemente der Menschheit.
:1912:
ungebunden zusammen M 4.80 (für Nichtmitglieder M 7.80) und gebunden für M 7.55* (für Nichtmitglieder M 11.80):
Gibson-Günther, Was ist Elektrizität?
Dannemann, Wie uns. Weltbild entstand.
Floericke, Kriechtiere u. Lurche fremder Länder.
Weule, Die Urgesellschaft und ihre Lebensfürsorge.
Koelsch, Würger im Pflanzenreich.
Sämtlichen Jahrgängen außer 1904 u. 1905 werden die 12 Hefte des betr. Handweiser-Jahrganges beigefügt.
Die sämtlichen noch vorhandenen Jahrgänge der Kosmos-Veröffentlichungen (s. obige Zusammenstellung) liefern wir an Mitglieder: geheftet für M 35.50 (Preis für Nichtmitgl. 64.80), gebunden (auch Handweiser) für 58.50 (Preis für Nichtmitgl. M 104.80)
auch gegen kleine monatliche Ratenzahlungen
* Wird auch der Handweiser gebunden gewünscht, so erhöht sich der Preis um 85 Pf.
J. H. Fabre
Der Sternhimmel
Autorisierte
Bearbeitung von Dr. K. Graff, Observator der Hamburger
Sternwarte.
Übersetzung des Originals durch Paul Ulmer.
Mark 4.80
377 Seiten, 12 Tafeln
Hunderte von Bildern
Wohl zum erstenmal wird in diesem Bande jung und alt eine volkstümliche Himmelskunde geboten, die nicht von einem Fachmann stammt. Das Unternehmen könnte fast als gewagt erscheinen, wenn es sich nicht um den Altmeister Fabre handelte, über dessen prächtige naturwissenschaftliche Beobachtungs- und Schilderungskunst nur ein bewunderndes Urteil besteht.
Die vorliegenden Vorlesungen verleugnen nirgends die klare und bei aller Schönheit der Form nie über das erreichbare Ziel hinausgehende Denk- und Schreibweise des 90jährigen Verfassers der »Erinnerungen aus dem Insektenleben«. Schon nach dem Durchblättern der ersten Seiten wird man den gegenüber ähnlichen Werken stark abweichenden Ton der Fabreschen Darstellungsweise kennen und sicher auch schätzen lernen. Daß dabei der Inhalt nicht zu kurz kommt, daß mit glücklicher Hand die kosmischen Gesetze gegenüber dem rein beschreibenden Teil der Himmelskunde genügend in den Vordergrund gerückt werden, ist ein weiterer Vorzug des vorliegenden Buches. Trotzdem es nur eine erste Einführung in die Himmelskunde bildet, so dürfte es doch in mancher Beziehung mehr positive Kenntnisse vermitteln, als manches andere merklich umfangreichere Werk unserer so reichhaltigen populären Literatur.
Kosmos, Gesellschaft d. Naturfreunde, Stuttgart.
Weitere Anmerkungen zur Transkription
Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.
Korrekturen:
S: 93: aus → außer
wie außer Rand und Band scheint