*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 54368 *** #################################################################### Anmerkungen zur Transkription Der vorliegende Text wurde anhand der 1791 erschienenen Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Zeichensetzung und offensichtliche typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Bearbeiter eingefügt. Einige altertümliche Ausdrücke sind aus heutiger Sicht teilweise schwer verständlich, dennoch wurden diese unverändert übernommen. Inkonsistente Schreibweisen wurden beibehalten, sofern diese im Text mehrfach auftreten. Fremdsprachige Zitate und Ausdrücke wurden nicht korrigiert. Die von der Normalschrift abweichenden Schriftschnitte wurden in der vorliegenden Fassung mit den folgenden Symbolen gekennzeichnet: kursiv: _Unterstriche_ gesperrt: +Pluszeichen+ #################################################################### [Illustration: Donna Feliciana. _Ch. Sambach del._ _Cl. Kohl Sc. N._ ] DIE HARPYEN VON MADRIT, ODER DIE POSTKUTSCHE. AUS DEM SPANISCHEN DES VERFASSERS DER DONNA RUFINA. _Wien_, gedruckt und verlegt von Ignaz Alberti. 1791. Inhalt. Seite DIE HARPYEN VON MADRIT. 3 ERSTE SPAZIERFAHRT. 37 ZWEYTE SPAZIERFAHRT. 93 DRITTE SPAZIERFAHRT. 140 VIERTE SPAZIERFAHRT. 160 _DIE HARPYEN VON MADRIT, ODER DIE POSTKUTSCHE._ Sevilla, eine alte Stadt in Spanien, die Hauptstadt Andalusiens, die Schatzkammer der Reichthümer im südlichen Indien, die Vaterstadt der edelsten und erlauchtesten Familien, erzeugte auch zwey schöne Schwestern. Ihr Vater hatte in einer indischen Expedition sein Leben eingebüßt, und so lebten sie denn als arme, verlassene Waisen in Gesellschaft ihrer Mutter, die sich als Wittwe kümmerlich behalf; denn sie hatte mit ihrem Manne zu Havana zugleich all ihr Vermögen verloren. Ihre letzte Hoffnung bestand in einigen kleinen Schulden, die sie in Sevilla stehen hatte, und die ihr nun heraus bezahlt werden sollten. Es gelang ihr auch nach Wunsche, und sie beschloß, ihren Wohnsitz, und ihre Lebensart zu ändern, und zwar bevor sich das Gerücht vom Tod’ ihres Gemahls weiter verbreitet haben würde. Sie konnte noch nicht mit sich selbst überein kommen, ob sie Granada oder Cordova vorziehen sollte; und mitten in dieser Verwirrung trat eine ihrer ältesten Freundinnen zur Thür herein, der sie auch alsobald ihren Entschluß sammt den Schwierigkeiten, die sich fänden, vortrug. Das Mütterchen hatte manches in der Welt erfahren, und sprach der ehrlichen Frau bald Muth ein. „Liebe Theodore,“ sagte sie (so hieß unsre Wittwe), „es freut mich, daß Sie mir so treuherzig begegnet; und ich -- dabey nahm sie eine tüchtige Prise Spaniol -- und ich will eben so unbefangen reden; denn ich habe manche Schule durchlaufen, und habe Sie herzlich lieb. Wenn Sie eine Reise machen will, so fahre Sie nicht auf dem Teich’ auf und nieder; man kommt nicht weit. Granada und Cordova sind schon breite Ströme, auf denen sich eine schöne Spazierfahrt machen, und nebenbey ein tüchtiger Hecht an die Angel kriegen läßt. Sie wimmeln von Kaufleuten, Notarien; sie haben alle Edelleute und vermögliche Bürger; aber was sind sie wohl gegen Madrit, gegen die Residenz des Hofes? -- Ein Dorf. Was sag’ ich ein Dorf? -- Eine elende Bauernhütte. Madrit ist ein großes Meer, auf dem der Kahn, wie das Kriegsschiff, fortkommt, und auch ein kleines Boot nicht zurück bleibt. Alle Fremden versammeln sich dort; wer sich verstecken will, findet dort seinen Schlupfwinkel; es ist so groß, so belebt; mit einem Worte: wer sein Glück machen, wer aus dem Staube kriechen will, muß dort anfangen. Wie manche niedere Abkunft ist dort umgekauft worden, und hat für altes adeliges Geblüt gegolten! Alle Wunder und Verwandlungen geschehen dort. O Theodore, du hast ja gewonnen Spiel! Der Himmel hat dir so hübsche Dingerchen zu Töchtern gegeben. Wären sie mein, die lieben Närrchen; jede sollte mir so viel Ausbeute liefern, als eine Goldgrube in Indien.“ „Ich hatte nur eine Nichte, mit der ich nach Madrit ging. Sie hatte nichts, als ein Paar schwarze Augen, und eine angenehme Stimme; aber ein gelehriges Köpfchen hatte sie, das sich in all und jedem nach mir richtete. Dafür ging auch alles wie am Schnürchen. Was gab es da nicht für Dublonen, für Gallakleider, für Perlen, für Schmuck? Wo war ein Fest, dem wir nicht beygewohnt hatten? Kurzum, sie war der Abendstern, der in Madrit schimmerte wir hatten alles in Überfluß, und hätten es noch, wenn sich die Hexe nicht Narrheiten in den Kopf gesetzt hätte. Da vergaffte sie sich in einen Hauptmann, der sie und mich ins Unglück stürzte. Gott verzeih’ ihm die Sünde, dem garstigen Kerl! Zuerst schwatzte er uns alles ab, was wir zusammen gebracht hatten, und am Ende kostete er sie gar ihr junges Leben. So ein Mädchen, das sein Glück in der Residenz machen will, muß gar nicht verliebt werden. Wenn nun erst du mit deinen zwey bildschönen Mädchen nach Madrit kommst, was kannst du dir erst versprechen? Was können sie nicht mit ihren übrigen angenehmen Eigenschaften für Glück machen? -- Der ganze junge reiche Adel wird dir nachlaufen. Je mehr ihr diesen Herrchen schmeichelt, desto untertäniger werden sie vor euch herum kriechen. Könnt’ ich dir Gesellschaft leisten, du würdest sehen, wie gut ich dir immer mit Rath und That an die Hand gehen würde. Ich hab’ aber schon über zwey Drittheile meines Lebens verlebt, und bereite mich nun in der Stille zu einem seligen Ende. Dafür will ich dir aber einen ausführlichen Unterricht niederkritzeln, und wie eine kleine Hausapotheke mitgeben, in der du alles finden wirst, was Zeit und Umstände fordern.“ Die gute Alte weinte noch einige Thränen, und nahm von ihrer Freundinn, die sie nun vor ihrer Zusammenkunft in Elysium nicht mehr zu sehen Hoffnung hatte, den zärtlichsten Abschied. Sie hielt auch Wort, und schickte den kleinen Entwurf, von dem wir eben gehört haben, und der Theodoren in der Folge wirklich manche gute Dienste that. Die Reisegesellschaft bestellte sofort ihre Plätze auf dem Postwagen von Sevilla, versah sich mit einer ansehnlichen Guarderobe, und fuhr fröhlich nach Madrit ab. Indeß wir sie hinfahren lassen, ist es billig, daß wir die zwey Töchter Theodorens, die doch eigentlich unsere Hauptheldinnen sind, näher kennen lernen. Die ältere -- Feliciane hieß sie -- war zwischen achtzehn und neunzehn Jahren; ihr Antlitz war nach dem schönsten Ebenmaße geformt; sie hatte schwarze Haare, pechschwarze Augen, schön geschlitzte Nasenlöcher, einen reitzenden kleinen Mund, frische lüsterne Lippen, und kleine, enge, schneeweiße Zähne. Ihre Wangen hatten, ohne das, was die Kunst hinzu that, eine gesunde Röthe; ihr Blick war mild, und ihre Stimme war der feinste Silberton. Diese hatte sie auch nicht ganz ungebildet gelassen; sondern ein Musikmeister hatte sie so weit gebracht, daß sie zur Harfe oder Guitarre verschiedene Lieder so schmelzend singen konnte, daß es Wunder wirkte. Dabey war sie die reitzendste, leichteste Tänzerinn, die man sich vorstellen kann; man hätt’ ihr stundenlange zusehen können. Die andere Schwester, welche Louise hieß, war nun ein Jahr jünger als Feliciane; sie war ein wenig brunetter, hatte hell funkelnde Augen, die wie Blitze wirkten. Nase, Mund und Zähne waren ein wenig kleiner, als die ihrer Schwester, aber sie verloren nichts dadurch, sondern gewannen vielmehr einen eigenthümlichen Reitz. Sie war nicht so schlank aufgeschossen, aber dafür war sie lieblich, rund und kernicht. Sie tanzte und spielte auch die beyden Instrumente ein wenig besser, als ihre Schwester; wenn sie aber beyde spielten, war man in Verlegenheit, welcher man den Vorzug geben sollte. Mit diesen zwey Töchtern steuerte nun Theodore fort, wie ein Corsar, der mit einem festen Schiff’, und zwey Kanonen, denen nichts widerstehen kann, vom Lande stößt. Der Mutter lachte das Herz vor Freuden, wenn sie die zwey Lämmchen, die sie zum Schlachtaltare führte, so allerliebst vor sich sitzen sah, und schmiedete nun unablässig an Planen, die sogleich auf die Bahne gebracht werden sollten. Von Felicianen wußte man weiter keine Narrheit, die sie begangen hätte, als einige kleine Begünstigungen, die sie dem artigen Tanzmeister für seine Mühe mit Anstand nicht wohl abschlagen konnte. Ihre Mutter drückte ein Auge zu, da es nun schon vorbey war; dafür schärfte sie ihr aber nun Standhaftigkeit und Widersetzlichkeit ein, und hoffte von Louisen, sie würde ihre Erstlinge so reichlich an Mann bringen, daß damit beyde bezahlt wären, wie ein Vogelkrämer manchmahl ein Paar Rebhühner theuer verkauft, weil das eine um desto fetter ist, als das andere. Nun blieb Theodoren nichts mehr übrig, als daß sie ihren Töchtern Nahmen gab, und sich selbst einen anständigen beylegte; denn diese Vorsicht hatte ihr die Alte als höchst wichtig eingebunden. Da es nun schon einerley war, welchen sie wählte, beschloß sie sich in die vornehmsten Familien des Königreichs einzulügen. Sie nannte daher ihre älteste Donna Feliciana von Toledo; für die zweyte zog sie den Nahmen aus dem Hause Alba mit Haaren herbey, und sich selbst nannte sie mit Erlaubniß des Herzogs Donna Theodora von Cordona. Mit diesen prächtigen und wohlfeilen Nahmen geziert, erreichte die Gesellschaft das Stadtthor von Toledo. Sie packte nun ihre zwey Fräulein und ihr weniges Geräth ab; denn sie hatte fast alles zu barem Gelde gemacht, weil sie sich dann in Madrit ganz neu einrichten wollte. Sie brachten die Nacht ziemlich unbequem zu, und bezogen den nächsten Morgen eine ansehnliche Wohnung in der Degenstraße. In demselben wohnte ein alter Cavallero, der in der Erwartung einer Seneschallstelle für die Dienste, die er Seiner Majestät geleistet hatte, hier schon ein ganzes Jahr zubrachte. Es plagte ihn mit unter manchmahl die lange Weile, und er war denn sehr zufrieden, so artige Nachbarinnen zu erhalten. Er war auch ohne Verzug so höflich, sich ihnen zu allem, was sie befehlen würden, anzutragen. Sie dankten ihm für diese besondere Gefälligkeit, da sie nun weiter in keiner Verlegenheit wären, als wie sie einen anderen Miethwagen bestellen könnten, der sie den folgenden Tag nach Madrit brächte. Der Cavallero nahm auch sogleich dieß Geschäft über sich, und sie fuhren in seinem eigenen Wagen nach Madrit ab. Der Kutscher führte sie durch die Straße de la Merced in die Tolederstraße, von da kamen sie ans Thor von Quadalaxara, und in die Goldschmidgasse[A], und endlich auf die allberühmte große Straße (_calle mayor_). Da besann sich Theodore, daß diese Straße die Rennbahn sey, von der sie nun auf einem Chariot (_Galera_) auslaufen müßte, um ihr Seeräuberhandwerk zu treiben. Ohne lange zu berathschlagen, hielt sie so wohl nach ihrem eignen Urtheile, als nach den weisen Ermahnungen ihrer alten Freundinn, dafür, daß die Gegend um St. Sebastian von der Madriter Jugend am häufigsten besucht werde, theils weil hier das Theater wäre, theils weil diese Gegend, wie ihr der Kutscher zu ihrem größten Ärgernisse sagte, hierum manche Damen von zweydeutigem Gelichter bewohnten. Theodore ging über diesen Umstand hinaus, und beschloß, ihren Wohnsitz nicht weit von hier aufzuschlagen. Da sie aber dem Kutscher keinen Argwohn geben wollte, hieß sie ihn noch ein wenig weiter fortfahren, und so kamen sie durch die Hieronymusstraße in die Fürstenstraße. Als sie beyläufig in der Mitte derselben seyn mochten, sahen sie auf einem ganz artigen Hause einen Anschlagzettel an der Thür kleben. Theodore ließ anhalten, und las, daß ein geräumiges Gelaß zu vermiethen sey. Sie ließ den Wagen an das Haus fahren, und fragte, in welchem Stockwerke das Gelaß sey. Man sagte ihr, daß es zu ebner Erde, nur einige Stufen von der Hausthür, kurz, gerade so wäre, wie sie es nach ihrem löblichen Plane wünschen könnte. Sie ward denn mit der Magd, einem alten verdächtigen Figürchen, das ihnen die Wohnung gezeigt hatte, sogleich über den Preis einig, und ließ sich die Schlüssel geben. Sie gingen ins erste Gemach, und fanden eine ältliche Wittwe auf einem kleinen Polsterstuhle sitzen, die einen langen Rosenkranz in der Hand hielt, und eben ihre Abendstunden bethete. Sie saß ganz gravitätisch da, und ein Paar große Augengläser, die sie unter dem kleinen Häubchen fest gemacht hatte, gaben ihr ein noch ehrwürdigeres Ansehen. Sie stand sogleich auf, als sie Fremde kommen sah, und grüßte sie mit vieler Höflichkeit; als sie aber erst die zwey Mädchen näher erblickte, umarmte sie beyde mit einem lauten Jubel, und schrie: „So schöne Engelchen sollen wir ins Haus kriegen? Das ist ja gar allerliebst! Wollen Sie wirklich bey mir wohnen? -- Nu, das freut mich herzinniglich. Sie können unmöglich von Madrit seyn; denn sonst müßt’ ich ja längst von so schönen Gesichtern gehört haben.“ Theodore antwortete, daß sie gar nicht irre, und daß sie gerade aus Mexico in Neu-Spanien kämen. „Dacht’ ichs nicht gleich,“ sagte die Alte, indeß sie den langen Rosenkranz in die Tasche schob, und die Augengläser abnahm -- „dacht’ ichs nicht gleich, daß sie aus einem andern Welttheile kommen, die Schätzchen? Ich bitte, setzen Sie sich; meine Töchter schlafen noch sorgenlos; das junge Völkchen schläft immer gern.“ Die drey Mexicanerinnen gehorchten, und begannen über den Preis des Gelasses zu sprechen. Das Mütterchen erklärte ihnen sofort, daß das Haus nicht ihr gehöre; daß sie aber fünf Monathe befugt wäre, die leeren Wohnungen zu vermiethen; eigentlich gehöre das Gelaß einer ihrer Freundinnen, die sich nur auf eine kurze Zeit aus der Residenz entfernt hätte; indessen wolle sie sie doch bald zufrieden stellen, und mit dem Hausherrn sprechen, der ein friedliebender reicher Ritter wäre, der sich gern gegen jedermann gefällig bewiese. Sie sagte ihnen auch gleich, wie weit sie sich einlassen dürften. Sie kamen auch wirklich überein, gaben sich den gewöhnlichen Handschlag zum Zeichen, und nun traten aus einem Nebensaale zwey Damen, beyläufig von demselben Alter, und beynahe eben so schön, als unsre Heldinnen. Sie waren erst zur Hälfte gekleidet, in reinen weißleinenen Überröcken, und kleinen Mützchen von grüner Seide, die ihnen gar lieblich ließen. Die Haare waren aufgelöst, und schwammen großen Theils um die Schultern. Sie waren über die schönen Mexicanerinnen beynahe betroffen, grüßten sie aber doch ungemein artig; und als sie gar hörten, daß sie bey ihnen unter einem Dache wohnen würden, bezeugten sie außerordentliche Freude darüber. Indessen muthmaßten beyde wechselseitig wohl, mit wem sie die Ehre zu sprechen hätten, obschon sie sichs nicht im geringsten abmerken ließen. Donna Theodora von Cordona bewunderte noch die geschmackvolle Einrichtung von Stephaniens, des alten Mütterchens, Wohnung, und beschloß, ihr Gelaß eben so einrichten zu lassen. So hätten wir denn nun unsre schönen Sevillanerinnen glücklich nach Madrit gebracht, hätten sie mit Wohnung versehen, hätten die Wohnung mit einem ansehnlichen Sümmchen eingerichtet; sie hätten sittsame Bettgardinen, Fußteppiche, weiche Stühle, einen bequemen Sopha, und ein Paar Putztische. Nun fehlt denn nichts mehr, als eine Gelegenheit, den ersten Tritt mit Anstand’ und Aufsehen in die große Welt zu thun, und in diesem Meere, wie sich die Alte zu Sevilla ausgedrückt hatte, den ersten Pfundhecht zu angeln. Zum Glücke fiel ein Festtag im Dreyfaltigkeitskloster vor, dessen Kirche alles zu besuchen pflegte, was Schimmerndes und Artiges am Hofe lebte. Zu diesem Feste nun führte sie Donna Stephanie, und um es ihnen bequemer zu machen, miethete sie einen von den bekanntesten Wagen, die sonst immer ihre Töchter zu haben pflegten. Feliciane und Louise hatten schon zwey gewöhnliche Kleider genommen, erkundigten sich aber noch glücklich vor der Abfahrt bey ihren Nachbarinnen, wie sie sich putzen, und überhaupt benehmen müßten; und da sie schöner waren, als diese, hatten sie nun durch den treulichen Unterricht, den sie erhielten, viel vor den andern voraus. Sie kamen denn zum Feste, und da um das Kloster ein Umgang gehalten wurde, nahmen sie ihren Platz bey einem der vier Altäre, die in den vier Ecken standen. Hier mußte alles bey ihnen vorüber, und allem, was in Galla war, standen sie gerade im Gesichte. Unter den vielen Edelleuten, die nun vorüber gingen, kamen auch vier -- aus Cordova waren sie -- die das Antlitz der zwey schönen Schwestern sehen konnten; denn sie hatten, als diese vorüber gingen, die Schleyer gelüftet. Unter ihnen war Don Fernando Antonio, ein rascher Jüngling von fünf und zwanzig Jahren, schön gebildet, und seit einigen Monathen Herr von zwey Majoratgütern, die ihm jährlich ein beyläufiges Sümmchen von vierzehn tausend Ducaten abwerfen mochten. Er lebte nun am Hofe vollauf, und bezahlte für die drey anderen, die ihn begleiteten. Als sie nun zu den Sevillanerinnen kamen, banden sie bald ein Gespräch mit ihnen an, und Donna Louisa von Alba sprach so sanft, so launig, so schmelzend, so fein, daß Don Fernandos Liebeszunder Feuer fing. Sein Herz war fort, wie die Taube aus dem Schlage; er hätte gern unablässig geplaudert; aber er mußte ihr aus Artigkeit Raum lassen, den Umgang zu sehen, und als dieser vorüber war, nahm er mit höchstem Widerwillen Abschied; denn gern wär’ er diesem andalusischen Engel nimmer von der Seite gewichen. Die schlaue Theodore merkte den Spuk sogleich, mengte sich ins Gespräch, fragte ihn, mit wem sie zu reden die Ehre hätte, und gab ihrer Tochter einen sprechenden Wink, die Beute ja nicht fahren zu lassen. Die Damen gingen zur Kutsche, und fuhren nach dem Prado, von dem sie spät zurück kamen; denn alles, was am Hofe glänzte, hatte sich dort versammelt. Auch Don Fernando fand sich ein. Er erkannte den Wagen, in dem die schöne Zauberinn mit ihren Freundinnen fuhr, und sprang flink an den Schlag, um im Anschauen seiner Louise vollends ein Narr zu werden. Die Dämmerung brach immer stärker ein. Der Wohlstand forderte, daß er sich entfernte, indessen beschloß er doch nicht eher nach Hause zu gehen, bis er ihr den ersten Besuch abgestattet hätte. Er nahm denn einen von den drey Freunden zu sich, der ihn begleiten sollte, und nun strichen sie, wie verlorne Schafe, immer vor der Wohnung auf und nieder, bis seine Schöne ans Fenster kam, und ihn einzutreten ersuchte. Das ließ er sich nicht zwey Mahl sagen; er ward von Mutter und Tochter mit besonderer Artigkeit empfangen; das Gespräch währte mit größter Lebhaftigkeit von beyden Seiten, so lang’ er nur immer mit Ehren bleiben konnte, und er schied endlich nur, nachdem er die Erlaubniß erhalten hatte, sich den nächsten Tag wieder einzustellen. Er kam nun immer öfter; man begegnete ihm immer mit Höflichkeit, aber auch immer mit mehr Zurückhaltung, je näher er trat. Das konnt’ er in die Länge nicht aushalten, und er beschloß, sich der Mutter zu erklären. Er beschwor sie, ihr Vorwort bey dem Herzen ihrer Tochter einzulegen, und ihn nicht länger wie einen Fisch ohne Wasser schmachten zu lassen. Er vermaß sich hoch, daß seine Liebe wie die hellste Wachsfackel brenne, und daß er in seinem eignen Feuer aufgehen müsse, wenn sie ihn nicht bald lösche, und dergleichen andere auserlesene Floskeln mehr. Die schlaue Theodore lächelte, und hörte den Strom seines Herzensgusses recht gern fortrauschen. „Don Fernando,“ sagte sie endlich, „ich bin zu sehr Mutter, und denke, ob es mir gleich vielleicht nicht zusteht, zu vortheilhaft von meinen Kindern, als daß ich mich zu sehr wundern sollte, daß Ihnen das Mädchen gefallen hat. Sie sind aber -- nehmen sie mirs doch immerhin nicht übel, Don Fernando -- Sie sind wie alle junge Herren mit dem ersten Blicke verliebt geworden, und haben vielleicht noch gar nicht erwogen, wer der Gegenstand sey, in den sie sich vergafft haben. Sie haben sich vermuthlich in der Person getäuscht, und ich bekenne, daß ich selbst es bin, die dieses Mißverständniß veranlaßt hat. Ich bin, -- obschon ich Ihren Stand und Charakter nicht im mindesten betasten will -- ich bin für ein Frauenzimmer, für eine Fremde, für eine Mutter mit meiner Einladung zu rasch gewesen. Ich hatte eigentlich aus langer Weile gewünscht, bald einige anständige Bekanntschaften zu machen. Ich muß Ihnen denn sagen, daß Louise und Feliciane die Töchter eines sehr angesehenen Cavaliers aus Mexico sind, der sein Vermögen und sein Leben auf einer Reise über Meer eingebüßt hat, so daß wir nun von einem Gnadengehalte leben. Sie sehen denn, daß ich Ihnen nur darum den Zutritt gestattet habe, weil man am Hofe gern gesellschaftlich lebt. Ich zweifle an der Aufrichtigkeit Ihrer Erklärung nicht; aber wenn Ihre Absichten wirklich ernsthaft, das heißt, auf eine Verbindung gerichtet sind, so müssen Sie sich mir deutlicher erklären, wie ich mich Ihnen erklärt habe.“ Über diese letzte Erklärung war Don Fernando ein wenig betreten: ein Heirathsanschlag war ganz und gar nicht in seinem Plane gewesen, und sein Feuer war für den Augenblick wirklich ein wenig zurück geblasen. Er faßte sich aber schnell, und antwortete: „Donna Theodora, ich war um keine weitere Auskunft Ihres Standes verlegen; die ehrwürdige Gegenwart Ihrer selbst, und Ihrer liebenswürdigen Töchter war mir genug. Ich zweifle an keinem Ihrer Worte; aber meine Absicht war nur -- ich muß es als Ehrenmann unverhohlen gestehen -- Donna Louisa zu dienen, und wünschte für meine aufrichtigen Dienste die Bande der Liebe, -- nicht der Ehe zur Belohnung.“ „Don Fernando,“ wollt’ ihm die Mutter in die Rede fallen -- „Erlauben Sie,“ fuhr er fort: „ich scheue diesen engen Knoten, und hab’ ihn mir in meinem Plan’ in eine ziemlich weite Entfernung hinaus gesetzt, obschon ich mich dann dazu bequemen werde, um doch einen Erben meines Vermögens, das nicht unansehnlich ist, zu haben. Ich bin Edelmann, und kann schweigen; Sie können vollkommen auf mich bauen, daß Donna Louise durch meine Neigung zu ihr, und durch die Begünstigung meiner Liebe nichts von ihrem guten Nahmen verlieren wird. Mit einem Wort’, ich liebe sie unaussprechlich, und bin bereit, alles für sie zu thun, was mir meine Liebe gebeut, und was mir Klugheit gestattet.“ Donna Theodora stutzte nicht wenig schon beym ersten Anpochen die Thür der Ehe verschlossen zu finden, das war ein starker Streich, und sie war in den tieferen Geheimnissen ihrer Kunst noch zu sehr Schülerinn, als daß er sie nicht hätte betäuben, und von jedem ferneren Versuche zurück schrecken sollen. Sie merkte zugleich auch zu deutlich, daß Fernando festes Fußes zu Werke gehe, als daß sie auf Wankelmuth oder Übergewicht der Leidenschaft hätte rechnen sollen. Sie hätte doch gern geantwortet, und wußte nicht, wo sie eigentlich einlenken sollte. Sie suchte denn lange herum, bis sie ein Wort fand, und sagte endlich: „Bester Don Fernando, ich muß Ihnen nur aufrichtig gestehen, daß ich mir im Herzen selbst nichts anders vorgestellt habe, als daß Louise ungeachtet all’ meiner Vorstellungen sich am Ende doch von ihrer Leidenschaft würde hinreissen lassen. O Gott, wer kann ein Mädchen hüthen? -- wenn Sie mir ihr Wort geben, mich nicht zu verrathen, so“ -- „O ich bitte, reden sie,“ sagte Fernando. „Louise hat ihr armes Herzchen an Sie schon eingebüßt. Was wir das Mädchen nun peinigen und aufziehen!“ -- Fernando wußte wohl, wie er diese Antwort aufzunehmen habe, und war innigst vergnügt, daß er die Sache so glücklich zu Ende gebracht hätte. Er war nun der glücklichste Mensch von der Welt, nahm Theodoren bey beyden Händen, und schwor ihr, daß er sich gewiß dankbar bezeugen werde. Er gab ihr auch zum Anfange eine Kette von zweyhundert Thalern am Werthe, die er am Halse trug. Er hing sie der Alten um den ihrigen, und führte sie zu den zwey Schwestern hinüber, deren jeder er einen Ring von eben so großem Werthe gab. Er stand auch nicht länger an, seinen Platz bey Louisen einzunehmen. Ein bedeutender Wink der Mutter, und der kostbare Ring machten das schöne Mädchen zur zahmsten Taube. Sie brachten den Tag vergnügt zu, und den nächsten frühen Morgen schickte er ihr eine reiche Bettdecke, eine Art von Galanterie, die einzig in ihrer Art ist. Dieß Geschenk schickte er durch seinen Haushofmeister, der auch Theodoren eine kleine Rolle von funfzig Escudos in Golde überreichen mußte. Das war ein Jubel und ein Frohlocken im Hause! -- Theodore dankte dem alten Mütterchen von Sevilla tausend Mahl, und wünschte ihr für die guten Lehren, die sie ihr vor ihrer Abreise gegeben hatte, ein seliges Ende zur Belohnung. Es versteht sich von selbst, daß er seine Wohlthaten nicht an Louisen allein verschwendete, sondern auch Mutter und Schwester wie Igel an ihm sogen. Er ward immer verliebter, und stellte sich beynahe mit jedem Tage herrlicher ein; es war nun kein Spectakel, daß diese liebenswürdige Familie nicht zuerst gesehen, keine Mode, die sie nicht unter den ersten getragen hätte. Er hatte zwey Wagen, und der weniger bekannte, an den vier rasche Rappen gespannt waren, stand ihnen vollkommen zu Befehle. Sie fuhren auch bald die eine, bald die andere, den ganzen Tag, Straß’ auf, Straß’ ab. Man kann sich wohl leicht vorstellen, wie ihre zwey schönen Nachbarinnen über den schönen Fortgang ihres Glückes mochten gestutzt haben; indessen da sie jene von allen Leckerbissen, die Fernando’s Haushofmeister im Überflusse verschaffte, mit naschen, und sie wechselsweise an jeder Spatzierfahrt Theil nehmen ließen, gaben sie sich wieder zufrieden, und begnügten sich damit, daß sie sich der schönen Welt in einer so auffallenden Gesellschaft zeigen konnten. Acht Monathe verflogen so in Saus und Braus, und Don Fernando hatte in dieser kurzen Zeit an Schmucke, Kleidern, Freudenfesten, und so weiter über zwölf tausend Escudos versplittert. Während dieser Zeit hatte sich aber auch nicht einer gefunden, der sich um Felicianen beworben hätte; denn keiner wagte es, sich an des verschwenderischen Fernando Seite sehen zu lassen. Das war freylich ein Umstand, der sein Unangenehmes haben mochte, und es wär’ allerdings angenehmer gewesen, wenn sich noch ein zweyter schön befiederter Papagey in ihren Schlingen verfangen hätte: unterdessen gebrach es Felicianen im Wesentlichen an nichts, und sie konnte sich immer mit der Hoffnung eines ähnlichen, vielleicht noch glücklichern Looses trösten. Eines Tages hatte Theodora, ihre Familie, und die zwey schönen Nachbarinnen beschlossen, auf den Prado, einen Spaziergang, auf dem auch S. Majestät Philipp der zweyte immer zu jagen pflegten, zu fahren. Sie hatten Don Fernando davon Part gegeben; er both sich aber nicht zu ihrem Begleiter an, sondern ließ ihnen nur melden, daß er ihnen gute Unterhaltung wünsche, daß er aber, so unlieb es ihm wäre, eines dringenden Geschäfts halber nicht in ihrer Gesellschaft seyn könne; indessen würde sie sein Haushofmeister mit allem, was sie befählen, versehen. Sie fuhren denn nach dem Prado, und wir wollen uns nach Don Fernando umsehen. Er hatte wirklich diesen Tag einen Contract von Wichtigkeit zu schließen, und seine drey Freunde waren nach Alcala zu einem Stiergefechte gereist. Er hatte denn den ganzen Tag über lange Weile, schlenderte verdrießlich die Straße auf und nieder, lehnte sich unter die Hausthür, kam, was er sonst nie that, zur Mittagsstunde pünctlich nach Hause, und warf sich nach Tische auf sein Ruhebett, weil ihm durchaus nichts einfallen wollte, womit er sich den Unmuth verjagen konnte. Vor beyläufig zwey Jahren war Don Fernando in einem Spielhause zu Cordova bey einer Wette mit einem Ritter in Hader gerathen. Dieser war sehr entrüstet; Don Fernando hatte aber mehrere Bekannte bey sich, und wagte es daher, seinen Gegner über seine Hitze aufzuziehen, und ihn lächerlich zu machen. Der Cordovese ward noch zorniger, um desto mehr, da er eine Memme war, und es nicht wagte, Fernando einen Zweykampf anzubiethen. Er faßte denn von der Stunde einen unversöhnlichen Groll gegen unsern Fernando, und schwor ihm Rache, auf was immer für einen Weg er sie erreichen würden. Seine eigentliche Absicht war Meuchelmord; da aber Fernando immer in der großen Welt lebte, und immer wenigstens drey Bediente bey sich hatte, war all sein Auflauern immer vergeblich gewesen. Er war aus Verdrusse nach Portugall gegangen; da er aber hörte, daß sich Fernando nun zu Madrit befände, eilte er wieder dorthin, um seinen Plan endlich einmahl auszuführen. Um nicht erkannt zu werden, ließ er sich den Bart wachsen, und schloff in ein Pilgerkleid. Nun ließ er Fernando nimmer aus den Augen. Wie wir wissen, war dieser bisher keinen Tag ohne Gesellschaft gewesen; daß er es aber diesen Tag sey, hatte der fromme Pilger ausgespähet. Er bettelte auf der Straße Almosen, und ging ungehindert zu Fernando’s Hausthür hinein. Fernando wohnte in seinem Hause ganz allein; das Hausgesinde hatte gegessen, und hielt die Sieste; der Pilger konnte denn ungestört bis auf Fernando’s Zimmer dringen. Dieser schlummerte noch immer sanft fort; der Pilger schlich leise bis ans Schlafgestell, zückte den Dolch, tauchte ihn sechs Mahl in sein Herz, und entfloh. Das Hausgesinde erwachte allgemach, und ging an seine Arbeit; niemand ahndete den Unglücksfall. Erst nach einigen Stunden kam der Haushofmeister, auf Fernando’s Zimmer, schlug die Jalousien auf, und sah seinen Herrn im Blute liegen. Er stand vor Schrecken wie eine Bildsäule da, und machte endlich Lärmen. Alles weinte und jammerte, und konnte nicht begreifen, wie der Mord geschehen konnte, da sie doch alle -- fest schliefen. Ihr Schmerz war indessen nicht von langer Dauer, und sie faßten bald sammt und sonders den Entschluß, sich die Belohnung, auf die sie für ihre treuen Dienste allerdings Anspruch machen zu können glaubten, und die ihnen nun aus Mangel eines Testaments entgehen würde, selbst zu verschaffen, und dann heimlich abzuziehen, um allen Verdacht des Mordes von sich abzulehnen. Wie klug diese Berechnung gewesen sey, leuchtet so ziemlich von selbst ein. Indessen ward der Anschlag, dem der Herr Haushofmeister in eigener Person beytrat, an der Stelle ausgeführt, alle Kasten, Kisten, Kästchen und Kistchen geöffnet, alles, was sich an Geld’ und Geschmeide fand, nach Billigkeit getheilt, und jeder zog nun hin, wo er sich am sichersten glaubte. Sie hatten sich schon nach allen Himmelstrichen begeben, als einer von Fernando’s Freunden ihn besuchen wollte, und gerade auf sein Schlafzimmer ging. Hier sah er das gräßliche Schauspiel, und schrie, daß alle Nachbarn zusammen liefen. Das Gericht war auch bald bey der Hand; man wollte ein Verhör vornehmen, aber es war niemand da, den man hätte verhören können; kein Bedienter war zu hören oder zu sehen, und die Nachbarn erklärten mit Einer Stimme, daß sie nicht eine Sylbe von der ganzen Sache wüßten. Es blieb nichts übrig, als daß man in dem andern Hause, wo er seine Pferde hatte, nachsuchte. Dort fanden sich auch wirklich vier Lackeyen und ein Kutscher, die aber ebenfalls von der Sache noch nichts gehört hatten, und auf der Madratze ruhig schnarchten. Dem überklugen Gerichte schien gerade dieses Schnarchen ein verdächtiger Umstand und eine List, durch die die Thäter den Verdacht von sich abzulehnen suchten. Sie wurden durchsucht, und in des Kutschers Tasche ein Brotmesser gefunden. Die Gerichtsperson erklärte, daß wider jeden, bey dem sich Waffen fänden, gegründete Inzüchten vorhanden wären, und folglich auch auf diejenigen, die mit ihm in vertraulichem Umgange betreten würden, gegründete Verdacht obwaltete. Kutscher und Bediente mußten denn, was sie sich auch sträubten, ins Gefängniß wandern. Sie läugneten standhaft, und es war schon nahe daran, daß sie auf die Folter gebracht werden sollten. Während all dieß vorging, hatten sich unsere Damen auf dem Prado sehr gut unterhalten, waren zurück gekehrt, und hatten dem Kutscher befohlen, vor Fernando’s Hause anzuhalten; die Hiobspost kam ihnen schon auf dem Wege entgegen; sie konnten ihr aber unmöglich glauben, und fuhren bis ans Haus. Der Kutscher, der ein Sclave war, brachte ihnen die Bestätigung des Unglücks; und da er diesen Augenblick benutzen wollte, um sich in Freyheit zu setzen, lief er hastig davon, und ließ sie allein stehen. Theodora, die sich in jedem Schicksale männlich zu fassen wußte, und die daher in ihrem Leben selten noch in Verlegenheit gekommen war, wußte sich auch hier gleich Rath zu schaffen. Sie bezahlte den ersten Vorübergehenden, daß er den Wagen in die nächste Remise führte, deren Inhaber sie wieder reichlich bezahlte, damit er den Wagen niemanden, wer es auch immer seyn möchte, ausfolgen ließe. Nun erst eilte sie mit ihren Töchtern nach Hause, wo sie wie die Wölfe in der Wüste heulten, und sich ihre schönen Haare ausgerauft haben würden, wenn sie nicht der Gedanke eines unordentlichen Kopfputzes abgehalten hätte. Indessen weinten sie bitterlich, und waren erst nach drey bis vier Stunden wieder zu lachen im Stande. Theodora konnte doch die ganze Nacht kein Auge zuthun; denn sie dachte unablässig, wie sie den Wagen mit den vier schönen Rappen in Sicherheit bringen könnte. Sie ließ ihn auch mit Tages Anbruche von Madrit nach Illescas führen, wo er verborgen bleiben sollte. Denselben Tag stellte sich das Gericht auch bey unsern Sevillanerinnen ein, und verlangte ihre Aussage. Da es aber nicht das mindeste Anzeichen fand, zog es wieder in Frieden ab. Theodora fand nun nöthig, einen weiblichen Staatsrath zu versammeln; ihre Töchter, und ihre schönen Nachbarinnen setzten sich in einem Zirkel; Theodora räusperte sich, und hielt ihnen folgende Rede. „Meine Damen,“ sagte sie, „bey dem Lebensplane, den wir uns vorgezeichnet haben, ist uns nichts nöthiger, als daß wir uns mit Würde benehmen, damit uns die dreisten Herren Männer nicht auf die Ferse treten. Wir müssen sie durch unser Benehmen, wie durch eine Art von Zauberspiele, anzulocken, aber auch zu körnen wissen, so, daß sie die Schranken nie überschreiten können. Jeder Mann ist bey dem geringsten Anlasse zudringlich, und ein zudringlicher Mann erkaltet sehr geschwinde, wenn wir ihn nicht standhaft in den gehörigen Abstand zurück weisen. Alles, worauf er Anspruch zu machen hat, muß ihm nur als der höchste Grad freywilliger Begünstigung gewährt werden. Diese goldene Regel habt ja immer gegenwärtig, meine Kinder, und vergeßt sie auch dann nicht, wenn ich todt bin, und nur von oben herab auf euch sehen kann. Der Weg, den wir mit so vielem Glücke begonnen haben, ist uns durch den Tod des edlen Fernando auf ein Mahl abgeschnitten, und wir müssen nun einen neuen einschlagen. Der arme Fernando! Wir hätten noch drey Jahre von seinem Vermögen leben können; aber der Himmel hat es nicht gewollt, und seine Rathschlüsse sind nicht zu ergründen. Nun müssen wir vorzüglich den Wagen, der uns von ihm geblieben ist, zu erhalten suchen; denn in einem Wagen kommt man auf jedem Wege geschwinder fort: versteht ihr mich? Im Häuslichen mag es immer hier kleinlich hergehen; der Wagen macht alles wieder gut. Mein Rath ist denn, daß ihr eine um die andere in demselben eine Spazierfahrt macht, und wie die Freybeuter irgend einen wackern Kriegsmann anzuwerben sucht. Unser Wagen muß nun eine Postkutsche seyn, in der auf jeder Station ein anderer Reisender fährt. Feliciane mag den ersten Versuch machen.“ Alle fanden den Vorschlag der weisen Theodora vortrefflich; sie theilten die Stadt ordentlich unter sich in bestimmte Bezirke ein, und Feliciane machte sich reisefertig. Fußnote: [A] Plateria. ERSTE SPAZIERFAHRT. Feliciane kleidete sich nun, wie sichs zu einer so wichtigen Unternehmung ziemte, wobey ihr das übrige Frauenzimmer unter tausend lustigen Anmerkungen hülfreiche Hand both. Ihr Kleid, das auch nicht den kleinsten Reitz ihres Wuchses dem Aug’ entgehen ließ, war vom grünem Atlasse, und sehr einfach gemacht. Ihr schwarzes Haar, das nur mit einem Bande von derselben Farbe durchflochten war, blieb in schöner Unordnung, und schien von der Natur gelockt. Sie gefiel sich, wie sie da vor dem Spiegel saß, so gut, daß sie beynahe an sich selbst die erste Eroberung gemacht hätte. Nun war sie fertig, und sprang mit so leichtem Blute in den Wagen, als wohl noch nie in weiblichen Adern getanzt hatte. Sie war ihres glücklichen Erfolges beynahe gewiß, und nahm denn die Glückwünsche, die ihr die Fächer ihrer Gesellschaft noch aus dem Fenster zuwinkten, nur als Ceremonie auf. Sie fuhr auch nicht so ganz auf blindes Glück fort, sondern hatte schon ihr Augenmerk auf einen tüchtigen Fang gerichtet, den sie an die Angel kriegen wollte. Es war ein reicher Mailänder, der sich seit kurzer Zeit am Hof’ aufhielt, und eine Summe von mehr als funfzig tausend Ducaten zu empfangen hatte, die ihm nach dem Tode eines Vetters, der keine Kinder hinterlassen hatte, zugefallen war. Er trieb eigentlich ein Kaufmannsgeschäft, und war übrigens gerade der Mann, von dem man erwarten konnte, daß es ihm nicht sauer werden würde, die Erbschaft eben so leicht wieder los zu werden, als er sie gemacht hatte. Horazio, so hieß er, war beyläufig zwey und zwanzig Jahre alt, hatte eine einnehmende Bildung, ein derbes, frisches Ansehen, und -- was kein gleichgültiger Umstand war -- konnte die castillanische Sprache nicht sehr behende sprechen, obschon er sie sehr gut verstand. Übrigens that er sich nicht wenig auf seine Geschicklichkeit zu Gute, mit der er die Laute und die Theorbe spielte. Er pflegte auch immer wie ein echter Spanier des Abends vor den Fenstern der Damen Ständchen zu halten. Er wohnte in der großen Alcalastraße, und bewohnte das Haus, an dem ein großer Garten war, ganz allein. Sein ganzes Hausgesinde bestand aus zwey Bedienten, einem Pagen, den er von seinem Vetter geerbt hatte, einer mailändischen Haushälterinn, die die Küche besorgte, einem Kutscher, der über zwey rothe Friesländer hofmeisterte, und einem elenden Klepper, auf dem er selbst zu Madrit angekommen war, und um den sich nun weiter niemand mehr bekümmerte. Über diesen Jüngling suchte nun Feliciane ihr Netz auszuwerfen. Die Zeit, die sie zu ihrer ersten Spazierfahrt bestimmte, war sehr glücklich gewählt. Es war eine schöne warme Nacht, mitten im Julius, und der Mond schien spiegelhell. Sie nahm eine alte Magd mit sich, die sie als Duenna kleidete. Über dieß hatten sie auch einen alten Escudero mitgenommen, der sie nun schon seit längerer Zeit im Hause bediente. In dieser ausgelernten Gesellschaft fuhren sie beyläufig um neun Uhr an des Mailänders Hause vorüber. Sie trafen den Zeitpunct so glücklich, daß der Mailänder eben auf dem Balcon in der angenehmen Kühle bey dem Abendessen saß. Er hatte nur Beinkleider und ein Wamms an, und klimperte eben auf der Theorbe. Der Wagen fuhr dicht an der Mauer des Hauses vorüber, und als er der Thür gerade gegen über war, rief man mit lauter Stimme: „Halt! Kutscher, halt!“ der Wagen hielt an, und der Mailänder hörte auf, seine Theorbe zu spielen, um zu hören, was Feliciane sagte. Er horchte ganz leise, und vernahm folgende Worte: „Sie bemühen sich vergebens, meine Mutter! und eher würd’ ich mir mit dem Messer, das ich in der Brieftasche trage, das Leben nehmen, als nur einen einzigen Schritt vorwärts thun. So hat man mich betrogen? Solche Fallstricke hat man mir gelegt?“ Nun hörte er eine andere Stimme, welche die Duenna, oder eigentlich die alte Magd war. Sie sagte: „Meine Beste! fluchen Sie ihrer Mutter nicht; gehorchen Sie ihr, und machen Sie ihr Alter nicht unglücklich. Wie viele würden das Glück, das Sie von sich stoßen, mit beyden Händen ergreifen!“ „Es ist Verrätherey,“ sagte Feliciane wieder; „es ist Grausamkeit, mich zu dem zwingen zu wollen, was mir unmöglich ist. Niemand hat mit meiner Freyheit zu schalten. Die Natur hat sie mir gegeben, und ich werde sie gegen jedermann bis auf den letzten Blutstropfen zu vertheidigen wissen.“ Bey diesen Worten fing sie bitterlich zu weinen und zu schluchzen an. Der Mailänder hatte keine Sylbe verloren, und zu gleicher Zeit lehnte sich der alte Escudero an den Wagenschlag, und sagte: „Mäßigen sie doch Ihre Stimme, gnädiges Fräulein, sonst laufen uns Leute zusammen, und meinen am Ende, es sey etwas an der ganzen Sache.“ „Nun denn,“ schrie Feliciane in einer Art von Verzweiflung, „so ist denn die Flucht mein letztes Mittel, und ich will sehen, wer im Stande seyn soll, sie zu hindern.“ Dem Mailänder schien, daß sie nun im Wagen handgemein würden, und er irrte auch nicht; denn sie rangen wirklich zum Scheine mit einander. Der Escudero schien sich besonders tapfer zu widersetzen; endlich gelang es Felicianen doch, aus dem Wagen zu springen, wobey sie, um das Schauspiel tragischer zu machen, den Mantel und einen Schuh verlor. Sie sprang gerade in des Mailänders Haus, und schrie: „Dieses Haus, wem es immer gehören mag, soll meine Freystätte seyn. Es wird mich aufnehmen, und sollte es eine Löwengrube seyn, so hoffe ich doch mehr Menschlichkeit darin zu finden, als unter euren Händen.“ Bey diesen Worten legte Horazio sein Instrument weg, nahm seinen Degen, und eilte die Treppe hinunter. Feliciane stürzte ihm sprachlos zu den Füßen. Die Duenna und der Escudero standen stumm da. Nun schien sich Feliciane aus ihrer Betäubung zu erhohlen. „Unbekannter Ritter,“ sagte sie, indeß sie immer noch fortweinte, und durchaus Horazio’s Knie umfassen wollte, -- „unbekannter Ritter, wenn Sie Menschengefühl im Herzen haben, so erbarmen Sie sich meiner, und lassen Sie mich von Ihren Bedienten unterstützen; denn meine Nerven sind mir abgerissen; ich kann nicht aufrecht stehen.“ Horazio ließ sogleich Licht bringen, und befahl die Hausthür zuzusperren, damit kein Auflauf würde. Man brachte Lichter, und Horazio erstaunte über Felicianens Schönheit; denn ihr Schmerz kleidete sie noch ein Mahl so reitzend, und die Stellung, in der sie hingesunken war, hätte zum Modelle dienen können. Horazio sagte der Duenna und dem Escudero voll edlen Unwillens, und mit einer Kühnheit, über die sie als Komödianten nach allen Regeln der Wahrscheinlichkeit erschrecken konnten, daß sie sich ja nicht einbilden sollten, er werde diese schöne Dame von ihnen an einen Ort schleppen lassen, gegen den sie Abneigung trüge; er würde sie vertheidigen, und wenn er darüber sein Leben einbüßen sollte. „Aber um Gottes willen,“ schrie die Duenna, und rang die Hände, „was werden wir ihrer Mutter sagen? In ihrer Gegenwart ist sie mit uns fortgefahren; wo ist sie nun hingekommen?“ „Was kümmert mich das?“ sprach Horazio; „ich bin ihr Beschützer gegen Gewaltthätigkeit, und für das Übrige mögt ihr sorgen.“ „Nun,“ sagte Mogrobejo, so hieß der Escudero, „so ist es um mich geschehen; ich darf mich in Madrit nicht mehr sehen lassen.“ „Nein,“ schrie die Duenna wieder, „ich kann mich nicht von meinem Fräulein trennen, und sollt’ alles zu Grunde gehen!“ „Ich auch nicht,“ sagte Mogrobejo; „aber nicht aus einfältiger Liebe, sondern weil es meine Pflicht ist, sie nicht aus den Augen zu lassen.“ „Alter Verräther,“ schrie Feliciane, „ihr sollt mich gewiß nicht anders, als stückweise, von der Stelle bringen. Ich weiche keinen Schritt. Morgen bin ich in einem Kloster, und vor eurer Boßheit für immer sicher.“ Was wollten sie thun? Der Escudero kehrte den Rücken, setzte sich in den Wagen und fuhr fort. Horazio nahm aber seinen schönen Gast an der Hand, und führte ihn in einen niedern Saal, der zunächst bey ihnen war; die Duenna ging langsam nach. Das Herz schlug ihm laut, als ihm die schöne Unbekannte durch einen matten Druck der Hand Dank sagte. Sie setzten sich, und Feliciane wußte ihren Kummer durch so manigfaltige reitzende Bewegungen zu äußern, daß Horazio’s Seele die ganze Tonleiter der Empfindungen hinauf kletterte, und er endlich in folgende Worte ausbrach: „Reitzende Unbekannte, wie glücklich bin ich, daß ich dazu bestimmt war, Sie aus der dringendsten Gefahr zu befreyen! Wie überglücklich wär’ ich, wenn ich Sie vor allen weiteren Verfolgungen sicher stellen könnte! Rechnen Sie aber darauf, daß ich nichts unversucht lassen werde, diesen hohen Zweck zu erreichen, der mich von nun an ganz allein beschäftigen soll. Mein ganzes Haus steht Ihnen unumschränkt zu Befehle; Sie können da so lange verborgen bleiben, als es Ihnen räthlich scheinen wird. Wohin Sie es immer verlangen, werde ich Sie bringen. Ich bin Edelmann, und denke auch edel. Ihre Tugend läuft bey mir keine Gefahr; und nur wenn es zu Ihrem eigenen Besten nöthig ist, daß ich Ihre Geschichte erfahre, wünsche ich sie zu hören, so hohen Antheil ich auch an Ihrem Schicksale nehme.“ Während dieser ganzen Rede hatte Feliciane von einem prächtigen Ringe, den Horazio am Finger trug, und dessen Billanten sie allzu schön anfunkelten, kein Aug’ abgewendet. Er mußte an ihren Finger herüber kommen, und gehe es, wie es wolle; das war nun einmahl beschlossen. „Ich finde keine Worte,“ sagte sie „mit denen ich Ihnen bezeugen könnte, was in meinem Herzen vorgeht. Die Vorsicht hat mich Ihnen zugeführt, großmüthiger Mann! hätten Sie sich nicht durch mein Unglück rühren lassen, so wär’ ich jetzt schon ohne Rettung verloren. Die nähmliche Großmuth, die Sie zu meiner Befreyung angetrieben hat, wird Sie auch auffordern, die Rechte einer Freystätte, für die ich Ihr Haus nun ansehe, nicht zu verletzen. Ich werde von Ihrer Güte Gebrauch machen, und werd’ Ihnen so lange hier lästig fallen, als es unumgänglich nöthig seyn wird.“ „Um Sie vollends zu beruhigen,“ sagte Horazio, „will ich nicht einmahl im Hause hier bleiben, sondern mich bey einem Verwandten aufhalten, bis Sie mit Ihrer Mutter ausgesöhnt sind.“ „Nein, durchaus nicht!“ fiel ihm Feliciane in die Rede; „Sie müssen hier bleiben; denn ich will sie überzeugen, daß ich unumschränktes Vertrauen in Sie setze. Wenn man käme, und mich mit Gewalt fortführen wollte, wer würde mich vertheidigen?“ „Was für ein Befehl könnte mir auch willkommener seyn?“ sagte Horazio. Er hatte sein Abendessen, wie wir wissen, noch nicht eingenommen, und da ihn eben ein Bedienter daran erinnerte, suchte er Felicianen zu bewegen, daß sie mit ihm einige Erfrischungen nähme. Sie war ihm zu viel Dank schuldig, als daß sie ihm nicht hätte Gesellschaft leisten sollen, und er wußt’ es durch seine unwiderstehliche Beredtsamkeit gar dahin zu bringen, daß sie aß und trank, wie ein kummerloser Mensch. Sie sah zu deutlich, wie sehr sie auf ihren Wirth Eindruck gemacht hatte, als daß sie diese Episode in ihr Schauspiel nicht hätte einrücken sollen. Horazio war nun schon so über und über verliebt, daß er nicht mehr im Stande war, auch nur dem geringsten Verdachte gegen die Wahrheit der Geschichte Platz zu geben. Er war der einzige am Tische, der keinen Bissen aß, und doch machte ihn dieser Umstand nicht aufmerksam. Er hätte nur gar zu gern Nahmen, Stand, und die Geschichte der Dame erfahren; er durfte es aber nicht wagen, die Wunde wieder aufzureißen, und ihren Kummer etwa zu verdoppeln. Es war nun hohe Zeit, dem Fräulein Ruhe zu gönnen, die ihr so nöthig schien. Er begleitete sie denn selbst in das Gemach, das er für sie und Banuelos, die Duenna, hatte bereiten lassen. Er tröstete sie noch mit den zärtlichsten Ausdrücken, und begab sich in das obere Stockwerk. Es läßt sich denken, daß Horazio und Feliciane die Nacht in ganz verschiedenen Betrachtungen zubrachten. Horazio konnte kein Auge zuthun, und sann unablässig auf Mittel, ihre Verbindlichkeit zu fesseln, und ihre Liebe zu verdienen. Feliciane aber weidete sich an dem glücklichen Erfolge ihrer List, und erwog, wie sie dieses Haus mit dem möglich größten Gewinne in möglich kürzester Zeit verlassen könnte. Sie berathschlagte sich mit ihrer wohlerfahrnen Banuelos, und überließ sich endlich einem gesunden, ungestörten Schlummer. Was sie in ihrem Rathe beschlossen haben, werden wir hören. Horazio war vor Tages Anbruche schon auf den Beinen, kleidete sich an, und konnte den Augenblick nicht mehr erwarten, in dem er seinen Gast wieder würde sehen und sprechen können. Er konnt’ es auf seinem Zimmer nicht aushalten, und ging denn in den Hof hinunter, um sein Herz in der Morgenluft zu erleichtern. Wie er die Treppe hinunter kam, fand er die Duenna, die sorgfältig etwas auf dem Boden zu suchen schien, und mit unter tiefe Seufzer ausstieß. Er fragte sie voll Besorgnis, was sie suche; sie antwortete aber ganz ängstlich: „Nichts, gnädiger Herr!“ seufzte aber noch tiefer, als zuvor. Horazio besorgte, daß irgend ein Unglück geschehen seyn dürfte, und bestand durchaus darauf, daß sie mit der Sprache heraus solle. „O gnädiger Herr,“ sagte die alte Schlange, „ich will es Ihnen wohl sagen; verrathen Sie mich aber nicht.“ Er gab ihr sein Wort, und sie sprach: „Was ich suche, ist ein Ring, den mein Fräulein verloren hat. Sie glaubt, es sey geschehen, als sie aus dem Wagen sprang; denn zuvor hat sie ihn gehabt, und nachher vermißt. Er war von Diamanten von großem Werthe, und das schlimmste bey der Sache ist, daß er nicht ihr selbst, sondern einer von ihren Freundinnen gehört, der sie dagegen einen andern, der besondern Fassung und eines Nahmens wegen, auf kurze Zeit geliehen.“ Horazio tröstete sie, schickte einen Bedienten vor die Hausthür, um den Ring zu suchen, und sagte zur Duenna, sie möchte sich nicht betrüben; denn wenn er sich auch nicht fände, solle es ihrem Fräulein doch nicht an andern fehlen, und die von größerm Werthe wären. Er wünsche nur, flickte er hinzu, mehrere Gelegenheiten zu haben, dem Fräulein auf eine wesentlichere Art beweisen zu können, wie sehr er sie hoch -- schätze und -- liebe. Er war so begeistert, daß er die Alte in seine Arme schloß, und so heiß küßte, als ob sie Feliciane selbst gewesen wäre. Sie stellte sich nun getröstet an, und meldete ihm für seine Großmuth, daß er ihr Fräulein nun schon werde sprechen können. Er eilte mit ihr ans Gemach, und Feliciane war wirklich schon halb angekleidet. Horazio wollte durchaus nicht ins Zimmer treten, bevor nicht Banuelos erst zu ihr hinein gehe, und sie frage, ob er ihr nicht ungelegen falle. Feliciane rief aber mit lauter Stimme durchs Vorzimmer: „Bester Horazio! in Ihrem eigenen Hause sollte ich Ihnen den Zutritt versagen? Sie erweisen mir so viele Güte, und ich sollte so unartig seyn? Ich bin ja schon angekleidet; kommen Sie doch!“ Er ließ sichs nicht zwey Mahl sagen, eilte hinein, und fragte sie, wie sie die Nacht zugebracht habe. „Wie anders,“ sagte sie, „als in der größten Unruhe: ich habe kein Auge zugethan. Banuelos ist mein Zeuge.“ „Ja wohl,“ sage die Alte; „das war eine Nacht! Wenn Sie noch mehrere solche haben, gnädiges Fräulein, so sind Sie bald eine Leiche. Wenn sie auch ein wenig schlummerte, das liebe Fräulein, so saß sie doch gleich wieder im Bett’ empor, und häftete den Blick starr an die Wand, als ob sie ein Gesicht sähe.“ „O meine arme Mutter!“ stimmte Feliciane wieder an; „verzeihe mir den Kummer, den du vielleicht jetzt um meinetwillen leidest. Es ist aber nicht meine Schuld; du magst mir vergeben, daß ich es für Verbrechen halte, sich dem Eigensinn’ eines Menschen aufzuopfern, und wenn dieser Mensch eine Mutter wäre.“ „Trösten Sie sich doch,“ sagte Horazio, „obschon dieser edle Schmerz Ihrem Herzen Ehre macht; Sie sind aber sich selbst Mäßigung schuldig.“ Feliciane vergaß auch bey dieser Unterredung nicht, jeden Vortheil, den ihr die leichte Morgenkleidung anboth, geltend zu machen; sie sprachen noch manches, und endlich fragte Feliciane die Alte wie im Vorbeygehen, ob sich der Ring gefunden habe. Banuelos antwortete, daß er noch nicht gefunden sey, daß aber Horazio’s Bediente eben mit dem Suchen beschäftiget wären. Feliciane dankte ihm für seine zuvor kommende Gefälligkeit, und Horazio sagte: „Es ist mir wahrhaftig sehr unangenehm, daß Sie mit dem Verluste des Ringes Verdruß haben; belieben Sie aber diesen hier anzusehen.“ Hier zog er den seinigen vom Finger; sie betrachtete ihn mit ungehäucheltem Vergnügen, und sprach: „Dieser Ring macht Ihrem Geschmack Ehre; er ist unvergleichlich gefaßt, und übertrifft den verlornen an Werthe ungemein. Dieser war nicht über drey hundert Escudo’s werth; und dieser gilt wenigstens acht hundert.“ „Sie sind wahrhaftig eine Kennerinn,“ erwiederte Horazio, „und sie haben wenigstens nahe an den eigentlichen Werth gerathen; denn er kam meinem Vater, dem ihn der Herzog von Savoyen überließ, auf etwas über tausend Escudo’s. Darf ich Sie aber um eine Gefälligkeit bitten? Darf ich Sie vorläufig um die Versicherung bitten, daß Sie mir sie nicht abschlagen werden?“ Feliciane merkte zu gut, wo er hinaus wolle, und antwortete: „Bester Horazio! Sie haben mir gestern Ihr Ehrenwort gegeben, daß ich nicht ein unanständiges Wort aus Ihrem Munde hören werde; ich hoffe, Sie sind ein Mann. Übrigens bin ich Ihnen zu viel Dank schuldig, als daß ich Ihnen was immer für eine Gefälligkeit abschlagen sollte.“ „Sie geben mir also Ihr Ehrenwort?“ „Ja.“ „So nehmen Sie also auch,“ fuhr Horazio voll Feuer fort, „diesen Ring anstatt des verlornen an.“ Feliciane stellte sich betroffen, und schob seine Hand sachte zurück. „Sie weigern sich, ein unbedeutendes Andenken von dem Manne zu nehmen, der nichts so innig wünscht, als nie von Ihnen vergessen zu werden?“ „Horazio!“ rief Feliciane. „Sie wollen also Ihr Ehrenwort brechen? Sie kränken mich unaussprechlich!“ „Nein! Das will ich nicht,“ sagte Feliciane wieder, und wusste ihren Augenliedern einen so geschickten Druck zu geben, daß eine helle Thräne ihre Wange herunter rollte. „Ich nehm’ ihn, und will ihn als Andenken ehren. Aber halt! ich darf ihn nicht nehmen. Nur dann könnte ich ihn als Andenken nehmen, wenn er an meinem Finger bliebe: ich hatte den verlornen aber nur von einer Freundinn auf einige Zeit ausgetauscht; denselben kann ich ihr nicht wieder zurückgeben; ich werd’ ihn ihr also zu ersetzen wissen. Ich denke nun der Verbindlichkeit meines Ehrenwortes ledig zu seyn.“ Horazio antwortete: „Nein, meine Beste! Sie sind Ihres Ehrenwortes nicht ledig. Ihre Freundinn wird sich den Ring nicht mit Geld ersetzen lassen, sondern wird sich mit einem andern Ringe von gleichem Werthe begnügen müssen. Mein Andenken haben Sie angenommen“ -- nun sprang er zu einer auf einem Kasten stehenden Schatoulle, und hohlte ein Futteral mit sechs anderen brillantenen Ringen hervor -- „und nun werden Sie von diesen hier einen für Ihre Freundinn annehmen.“ „Was denken Sie von mir, Horazio?“ sagte Feliciane; „ich würde fähig seyn, die Verletzung des Gastrechts so weit, bis zur Unverschämtheit zu treiben?“ „Schönste Feliciane,“ sagte der Sophist, „Sie sind es ja nicht, die den Ring annimmt; und ich würde es nicht gewagt haben, Ihrer Delicatesse nahe zu treten. Ihre Freundinn ist es ja, die ihn von mir annimmt, und der ich ihn für das Vergnügen schuldig bin, den mir das Andenken hier an ihrem Finger macht.“ „Trauen Sie also meiner Freundinn weniger Delicatesse zu, als mir?“ sagte Feliciane. „Wie Sie auch die Sache drehen! wie Sie mir die unschuldigste Absicht übel ausdeuten!“ sagte Horazio. „Wie kann es die Delicatesse Ihrer Freundinn reitzen, wenn sie von einem Manne etwas annimmt, was er ihr eigentlich schuldig ist, da es in seinem Hause verloren worden; von einem Manne, den sie nicht einmahl kennt; wenn sie es nimmt, ohne selbst zu wissen, woher es kommt? Warum wollen Sie mir dieß Vergnügen versagen, das Ihnen weiter keine Beschwerlichkeit macht, als daß Sie etwas mit der einen Hand nehmen, und mit der anderen abgeben?“ „Denken Sie also,“ sagte Feliciane, die herzlich froh war, daß sie nun plötzlich auf einen andern Weg einlenken konnte, „denken Sie also, daß ich bey einem Vergnügen, das ich Ihnen verschaffen soll, auch nur daran zu denken im Stande sey, was es für einen Eindruck auf mich machen werde? O Sie kennen mich noch sehr wenig; und um Sie zu überzeugen, daß ich von so einer niedrigen Bedenklichkeit weit entfernt bin, geb’ ich Ihnen nach, und will nicht einmahl erwägen, ob mich Ihre Gründe, oder Ihre Beredtsamkeit bestimmt.“ Horazio öffnete das Futteral, und Feliciane war bey dem Anblicke der sechs kleinen Fixsterne nicht wenig überrascht. „Wählen Sie nach Geschmacke,“ sagte Horazio; aber Feliciane konnte sie nicht bestimmen, denn sie war keine große Kennerinn, und hätte doch gern dem würdigsten die Ehre der Wahl erwiesen. „Nun müssen Sie mir ein Mahl nach meinem Kopfe thun. -- Eingeschlagen!“ -- Horazio that es, und Feliciane fuhr fort: „Für meine Freundinn werden Sie nun wählen.“ Horazio konnte nichts entgegen sagen, und hob den vorzüglichsten aus, der ebenfalls über tausend Escudo’s werth war. Nach einem kurzen Gespräche ließ er sie allein, damit sie sich vollends ankleiden konnte. Sie war nun Besitzerinn eines Schmuckes von mehr als zwey tausend Escudo’s, und Horazio hatte ein Vergnügen darüber, das er um drey tausend nicht hätte entbehren wollen. Er fuhr aus, sprach verschiedene Freunde, hüthete sich aber, ein Wort von seinem schönen Gaste zu verlieren; auch seinen Bedienten hatte er ein strenges Stillschweigen eingeschärft. Gegen Mittag kam er wieder nach Hause, wo er den alten Escudero fand, der ihm meldete, daß er sich, um seiner Frau wieder unter die Augen treten zu dürfen, einer Lüge bedient, und ihr gesagt hätte, daß sie ihre Tante binnen drey oder vier Tagen abholen würde, und daß er der Tante gesagt habe, er hätte das Fräulein in ihrer Mutter Hause gelassen. Feliciane war mit seinem Einfalle wohl zufrieden, und Horazio gab ihm eine Dublone. „So sauer mir auch das Lügen wird,“ sagte die Duenna, „so könnte ich doch für Don Horazio immerhin eine wagen.“ Horazio hatte nun eben die Hand im Beutel, und bezahlte auch ihr diese liebevolle Äußerung mit einer Dublone. Feliciane befahl ihr zwar, sie nicht anzunehmen; aber Horazio bestand durchaus darauf. Sie gingen nun zu Tische, und nachdem sie wacker gegessen hatten, äußerte Horazio wieder seinen Wunsch, Felicianens Geschichte zu hören, und diese konnte sie ihm nicht länger vorenthalten. Sie begann denn. „Don Lope Zopata von Meneses, der zweyte Sohn des Don Bernardo Zopata, war mein Vater; er diente in Flandern, und bracht’ es bis zum Capitäne. Er kam an den Hof zurück, um eine Zulage an Gehalt zu begehren, und verliebte sich da in meine Mutter, aus dem Hause Arancivica, einer der ansehnlichsten Familien in Biskaja. Er wußte ihre Ältern in wenig Tagen zu gewinnen, erhielt sie zur Gattinn, und mit ihr einen Eisenhammer zur Mitgift; ein ganz ansehnliches Geschenk, da er über jährliche vier tausend Escudo’s eintrug. Sie hatten zwey Töchter, mich, Blanca, und meine jüngere Schwester Lucretia. Mein Vater diente noch mehrere Jahre, und starb als Seneschall in Cordova. Dort gefiel es einem Edelmanne, mich ins Auge zu fassen, und mir mit seinen zudringlichen Erklärungen so unablässig in den Ohren zu liegen, daß er mir vollkommen zuwider war, und ich ihn ohne innigen Verdruß nicht mehr nennen hören konnte. Nach meines Vaters Tode zog meine Mutter nach Madrit, wo wir nun zwey Jahre sind. Sie hat eine Schwester, eine Wittwe mit zwey Töchtern, in deren Hause wir uns meisten Theils, obschon in verschiedenem Gelaß’, aufhalten. Der Ritter von Cordova kam auch hierher, nicht aber in der Absicht, seine Werbung um mich fortzusetzen, sondern sein Augenmerk war auf die Tochter eines Rathes gerichtet, die ihn aber bald abfertigte. Als er dort kein Gehör fand, fand er es für gut, sich wieder an mich zu wenden, und beschloß endlich zur größeren Sicherheit seines Erfolges, mich geradezu zur Ehe begehren. Ich will Ihnen eine kleine Schilderung von ihm machen. Er ist sehr leibig, und dabey sehr klein, sieht sehr tückisch her, und ist auch wirklich, wie seine Bedienten einhällig sagen, meistens von so übler und ungestümer Laune, daß er sich mit niemanden vertragen kann. Urtheilen Sie nun selbst, ob ich recht that, daß ich die Hand so eines Mannes ausschlug. Unterdessen so sehr sich mein Herz gegen eine Verbindung mit ihm von jeher empört hatte, so wenig mißfiel er doch meiner Mutter. Sie hatten öfters besondere Unterredungen, und ich entdeckte bald, daß ihm meine Hand verheißen sey. Sie waren auch nur mehr über die Bedingnisse uneinig. So reich er ist, macht’ er doch große Forderungen, zu denen sich meine Mutter nicht verstehen konnte, weil sie selbst größten Theils nur vom Wittwengehalte lebte, und ihr Vermögen eigentlich nur für uns Schwestern ersparen wollte. O sie ist doch eine gute Mutter, und sie hat seinen Antrag gewiß nur darum so eifrig begünstigt, weil sie mich noch an ihrem Leben versorgt sehen wollte, und mich bey ihm gut versorgt glaubte.“ -- Sie weinte, und Horazio überzeugte sich wieder neuerdings, daß eine vortreffliche Seele in diesem makellosen Körper wohne. „Endlich,“ fuhr sie fort, „ließ er doch von seinen Forderungen ab, und erklärte sich, daß er mir auch ohne Mitgift die Hand reichen wolle. Der Tag zur Unterzeichnung war bestimmt, und es war so abgekartet, daß ich in das Haus meiner Tante geführt werden sollte, um mein Todesurtheil zu unterzeichnen. Man befahl mir, ohne der Hauptsache nur mit einem Worte zu erwähnen, mich anzukleiden, und sagte mir nur, daß ich abgeholt werden würde. Mir kam alles verdächtig vor, und das Herz schlug mir mächtig; indessen konnt’ ich nichts vorschützen, warum ich nicht zu meiner Tante fahren wollte. Der Wagen kam, und wir stiegen ein; mit jedem Schritte schlug mein Herz stärker; Banuelos sichtbare Ängstlichkeit, des Escudero ununterbrochenes Schweigen, ihrer beyder Verlegenheit, wenn ich sie fragte, warum wir zur Tante führen, enträthselten mir alles. Nun wollt’ es mich nicht mehr im Wagen leiden; ich forderte, sie sollten anhalten lassen; sie thaten’s nicht: ich schrie dem Kutscher selbst zu; er hielt gerade vor Ihrem Hause an: ich sprang aus dem Wagen, -- das übrige wissen Sie selbst.“ -- Nun vergoß sie wieder einen Strom von Thränen; die Duenna schluchzte, und Horazio selbst weinte mit. Nachdem sie sich alle wieder erhohlt hatten, erklärte Feliciane, daß sie überhaupt, so lange sie nun Madrit bewohne, in einer seltsamen Stimmung sey, und in einer ununterbrochnen Fröhlichkeit ihrem Herzen nie eine ernsthafte Neigung habe nahe kommen lassen. Horazio’s ganzes Wesen heiterte sich nun auf; denn er hatte nicht mehr und nicht weniger vermuthet, als das sie am Ende ihrer Erzählung das Geständniß hinzu fügen würde, daß ihr Herz schon an einen andern verschenkt gewesen sey. „Eine glückliche Stimmung, in der Sie waren!“ sagte Horazio; „denn was ist wohl glücklicher, als durch sein Leben munter und sorgenlos wie durch einen Garten hinhüpfen zu können! Wenn nun aber einmahl diese Art von unversuchter Fröhlichkeit, die in unsern Verhältnissen auch nicht lange währen kann, vorüber ist, dann gibt es auch wirklich keinen Zustand, der uns für jenen schadlos halten könnte, als den Zustand einer glücklichen Liebe. O ja!“ fuhr er mit einer Art von Begeisterung fort, „so vielen Kummer eine unglückliche willkürliche Liebe, so viele Nachreue eine unvorsichtige und zu rasche nach sich zieht; so übergroße Seligkeit bringt auch eine glückliche, und so viele Vorwürfe haben sich zwey Herzen zu machen, die sich vielleicht wechselseitig auf immer glücklich machen könnten, und doch“ -- -- bey den letzten Worten hatte er Felicianens Hand mit einer Art von Wuth ergriffen; sein Blick hing starr an ihrem Auge; und diese Zauberinn, der alle animalischen Verrichtungen des Körpers zu Gebothe zu stehen schienen, wußte sich schnell die gehörige Masse Bluts in die Wangen zu pumpen, das sich wie ein Rosenflor über sie ausbreitete. „O Gott!“ seufzte Horazio, und Feliciane sagte ganz leise, und indem sie sich eine Thräne vom Auge zu wischen schien: „Wollen Sie mir nicht die Theorbe spielen?“ Er dachte weiter nichts, als daß sich Feliciane aus einer nur allzu sichtbaren Verlegenheit zu retten wünsche, und nahm die Theorbe augenblicklich zur Hand. Er spielte und sang mit wahrem Eifer; was er aber dieß Mahl an Ausdrucke gut machte, das verdarb er mit falschen Griffen. Als er geendigt hatte, sagte Feliciane, daß auch sie eine große Liebhaberinn von Musik wäre, und zu Hause eine Harfe und eine Guitarre habe. Horazio sprang auf, hohlte seine Guitarre, und ließ nicht eher ab, bis sich auch Feliciane zu einem kleinen Gesang’ entschloß. Man hätte eine große Wette eingehen können, daß kein Mädchen in Madrit die Guitarre mit mehr Grazie zu halten im Stande war, als sie; man wußte nicht, wenn sie spielte, ob man sich von dem sanften Auf- und Abgleiten ihrer Finger, oder ihrer ausdrucksvollen Stimme, oder von dem reitzenden Wiegen ihres Körpers, mit dem sie den Gesang begleitete, hinreißen lassen solle. Sie sang: Ein Vöglein auf dem Felde saß; Es pfiff und sang ohn’ Unterlaß; Es saß bald hier, es saß bald dort, Und sang, und trillert’ immer fort. Im Herbste und im Winter war Es fröhlich, wie im frühen Jahr; Es saß bald hier, es saß bald dort, Und sang und trillert’ immer fort. Doch lange hatt’ ihm schon im Feld’ Ein Vogelsteller nachgestellt; Er pfiff -- es pfiff den Wald hinein, Im Netze war das Vögelein. Feliciane hatte eine so angenehme Melodie zu diesem Texte gewählt, daß Horazio, der den Inhalt des Gesanges ohne allen Anstand auf sich auslegte, ganz bezaubert war. Er pries ihre Talente in seiner halb castellanischen Sprache mit so sonderbaren Ausdrücken, daß sich Feliciane kaum des Lachens erwehren konnte. Ihr Gespräch war durch die Ankunft des alten Escudero gestört, der einen kleinen Pack, mit einem sonderbarem Überzuge von Leinwand, trug. Er nahm ihn unter seinem Mantel hervor, und öffnete ihn. „Wie?“ sagte Feliciane; „wo hast du das Kleid, das ich ausdrücklich verlangt habe?“ „Ich bitte um Vergebung! gnädiges Fräulein; es war aber unmöglich: denn alle Ihre Kleider hat man schon in die Wohnung der gnädigen Tante geschafft.“ „Wie werden wir sie nun kriegen?“ sagte Feliciane; „nun muß ich immer das nähmliche auf dem Leibe tragen.“ Sie stellte sich sehr verdrießlich an, und Horazio, der jede Gelegenheit, sie sich verbindlich zu machen, mit beyden Händen ergriff, unterbrach sie, und sprach: „Lassen Sie sich doch nicht so eine Kleinigkeit kümmern, beste Donna Blanca! so einem Übel wird doch bald abgeholfen seyn. Bis heute Abends lassen sich wohl zwey Kleider ganz nach Ihrem Geschmacke, mit allem Zugehöre verfertigen.“ Feliciane warf ihm einen zärtlichen Blick zu, und sagte: „Sie sind wirklich zu gefällig, und ich sollt’ Ihre Güte nicht mißbrauchen. Wenn Sie mir aber in dieser Verlegenheit auf meine Rechnung zwey Kleider verschaffen wollen, werden Sie mich Ihnen unendlich verbinden.“ Horazio war voller Freuden, und machte, nachdem er sich noch genau Farbe, Stoff und Zugehör hatte vorschreiben lassen, die nöthigen Anstalten. Nun suchte Feliciane das Gespräch auf einen andern Gegenstand zu leiten. Sie sagte ihm, daß sie dem Escudero, ungeachtet aller Betheurungen, doch nicht vollkommen traue, und daß sie unaufhörlich der Zweifel peinige, ob es wohl wahr sey, daß er sie von beyden Seiten, so wohl bey ihrer Mutter, als bey ihrer Tante sicher gestellt habe. „Sie, Horazio,“ sagte sie, „wären im Stande, mich hierüber vollkommen zu beruhigen. Hören Sie, in meiner Tante Wohnung wird ein Gelaß vermiethet; wenn sie es besuchen wollten, könnten Sie bey dieser Gelegenheit auch meine Tante selbst sprechen, und so im Gespräch’ abnehmen, wie sie gestimmt, und ob sie meiner Flucht nicht etwa auf der Spur sey.“ Horazio nahm den Auftrag desto freudiger an, da er zugleich eine nähere Auskunft über Felicianens Schicksal, und über die ganze Geschichte zu erhalten hoffte; Feliciane schickte aber in der Eile ihrer Mutter durch den Escudero einen Zettel, in der sie ihr ganz kurz meldete, wie sie sich gegen Horazio zu benehmen habe. Horazio ging nun fröhlich zum Thore von Quadalaxara hinaus, und kaufte den Stoff für die zwey Kleider; auf das eine schwarzen Atlaß, und auf das zweyte blaß rosenfarbigen Taffet. Als er auch die Verfertigung besorgt hatte, ließ er den Wagen gerade an das Haus der Tante seiner Feliciane fahren, und an der Hausthür halten. Er schickte einen Bedienten um die Schlüssel zu dem Gelasse, das hier vermiethet wurde, hinein; eine Magd kam, zeigte ihm das Gelaß, und er fragte nun nach der Person, mit der er sich über den Preis zu besprechen hätte; man nannte sie ihm, und er erkannte sogleich an dem Nahmen Laura, daß es Felicianens Tante wäre. Er ward zu Theodoren geführt, und fand sie in einer sehr betrübten Stellung; sie kamen über den Preis überein, und Theodora bath ihn, ihr auch den Nahmen der Person, für die er das Gelaß gemiethet hätte, bekannt zu machen. Horazio sagte ihr, daß es eine Wittwe, eine Base von ihm, wäre. „O bringen Sie mir sie doch bald!“ sagte Theodora; „denn ich leb’ ohne dieß wie im Kerker, ohne alle Gesellschaft, und leide besonders seit zwey Tagen großen Kummer.“ „Das zeigt sich nur zu deutlich an Ihrer Miene,“ antwortete Horazio; „und so wird sich meine Base vortrefflich zu Ihnen schicken, denn sie ist immer sehr munter und aufgeweckt.“ „Nun,“ antwortete Theodora, „bringen Sie mir sie doch recht bald! ich trage schon eine rechte Sehnsucht nach ihr.“ „In der That,“ erwiederte Horazio, „Ihr Kummer geht mir nahe, und wenn es nicht unbescheiden wäre, würd’ ich es wagen, Sie um die Ursache desselben zu fragen.“ „O mein Bester!“ sagte Theodora; „das ist es eben, was ihn noch größer macht, daß ich ihn nicht mittheilen kann.“ „So will ich auch nicht weiter in Sie dringen; indessen, wenn dieser besondere Umstand nicht eingetreten wäre, so hätt’ ich Ihnen meine Dienste angebothen. Ich bin zwar kein Spanier, aber doch Edelmann, und schmeichle mir, hier mit ansehnlichen Häusern in Verbindung zu stehen.“ „Sie sind also kein Spanier?“ „Nein, wie Ihnen auch schon meine schlechte Aussprache zeigt; ich bin aus Mailand, und nur eines Geschäftes wegen hier, übrigens aber, wie gesagt, zu jedem Dienste bereit, den ich Ihnen leisten kann.“ „Ich danke Ihnen, vortrefflicher Mann! Nach Ihrer freundschaftlichen Äußerung, zu der Sie nur Menschenliebe auffordern kann, da Sie mich nicht einmahl kennen, würd’ ich wirklich undankbar seyn, wenn ich Ihnen die Ursache meines Kummers noch länger vorenthalten wollte. Belieben Sie in dieses Gemach herein zu kommen; hier könnte man uns belauschen.“ Sie gingen hinüber, setzten sich, und Theodora begann: „Ja mein Bester! diesem Hause ist ein großes Unglück widerfahren. Ich hatte die Tochter meiner Schwester, und einen Ritter von gutem Charakter und untadelhaftem Vermögen zu mir bestellt, um zwischen ihnen einen Heirathsvertrag richtig zu machen. Ich muß freylich gestehen, daß das Mädchen eben nicht besondere Neigung gegen den Ritter trug; unerfahrne Mädchen wissen sich aber nicht selbst zu rathen, und so glaubte ich denn meine Pflicht zu thun, wenn ich meine Erfahrung anstatt der ihrigen gebrauchte, und sie so gewisser Maßen zu dieser Verbindung nöthigen würde, wofür sie mir in der Folge noch danken dürfte. Es war schon alles verabredet; sie war mit ihrer Duenna, unter der Begleitung eines Escudero, abgehohlt; aber, Gott weiß wie es geschehen seyn mag, mit einem Mahle verschwanden sie dem Escudero aus den Augen, und der gute Alte weiß nicht im geringsten zu sagen, wo sie hingekommen sey. Ich habe sie bey allen Bekannten, in allen Klöstern aufsuchen lassen; aber nirgends ist sie zu finden. Ihre Mutter liegt krank, und meint, sie sey in meinem Hause. O mein Bester! Sie kommen in viele Gesellschaften; wie würden Sie mich nicht verbinden, wenn Sie nur die geringste Nachricht von ihr geben könnten, damit meine Unruhe nur in etwas gemildert würde. Vielleicht ist sie nicht einmahl mehr in Madrit; von einem entschlossenem Mädchen ist alles zu fürchten. Gern will ich ihr vergeben, wenn sie vielleicht mit einem Ritter von ihrem Stande ein geheimes Liebesverständniß gepflogen hat: wenn sie aber ihr Blut verläugnet; wenn sie sich von einer blinden Leidenschaft hinreißen läßt, und sich etwa einem Häuchler aus niederm Rang’ in die Arme wirft, o Gott! dann ist es um die Ruhe meines Lebens auf immer geschehen. Wie leicht ist ein unschuldiges Mädchen nicht verführt; besonders ein so schönes Mädchen! O Mädchen, Mädchen! was für Kummer machst du mir!“ Horazio, der nun eher an Gottes Wort, als an der Wahrhaftigkeit dieser Erzählung gezweifelt hätte, antwortete ihr: „Ich danke Ihnen von ganzem Herzen, gnädige Frau, für das Zutrauen, das Sie mir schenkten, und will es durch eine Nachricht zu bezahlen suchen, die Ihnen wahrscheinlich willkommen seyn dürfte. Ich weiß nun eine Dame, die nur drey Tage von Haus’ entfernt ist; sie heißt Donna Blanca.“ „Was höre ich,“ schrie Theodora; „das ist meine Nichte! das ist meine verlorne Blanca! Engelsmann!“ schrie sie, und küßte ihn, „wo ist sie? ich sterbe vor Freuden; ein Engel hat mir’s eingegeben, daß ich Ihnen alles erzählen sollte. Wo ist sie denn? wo ist sie denn?“ Er erzählte ihr denn, daß sich Donna Blanca in seiner Wohnung befinde; wie sie zu ihm gekommen sey; daß er sich auf ihren Befehl hier befinde, und das Gelaß nur zum Vorwande gemiethet habe. Sie überströmte ihn nun wieder mit einem Hagel von Küssen, und dankte ihm für sein gütiges Benehmen gegen ihre Nichte; um aber das Frohlocken noch feyerlicher zu machen, schrie sie: „Louischen! Louischen! komm geschwinde, wie du auch aussehen magst! fröhliche Neuigkeiten! gute Nachrichten!“ Louise kam in einem blaßgelben Habite, die Haare in Unordnung, herein geflogen, und so schön sie war, war Horazio’s Fantasie doch schon von Felicianens Bilde zu sehr befangen, als daß ihre Reitze mit voller Gewalt auf ihn hätten wirken können. Sie grüßte den Ritter sehr artig mit einem schwebenden Complimente, und hüpfte ihrer Mutter zu. „Dieser Herr hier, oder vielmehr dieser Schutzgeist,“ sagte Theodora, „hat mir von Blanca Nachrichten gebracht.“ „Gott sey Dank!“ schrie Louise. „Sie ist in seiner Wohnung, und wir werden sie wieder haben.“ „Wir waren auch schon alle beynahe todt vor Angst,“ sagte Louise wieder. „Sie sind aber doch verheirathet?“ fragte Theodora. „Nein,“ antwortete Horazio; „seyn Sie aber versichert, daß Donna Blanca bey mir mit aller Ehrfurcht behandelt wird, die ihrem Range gebührt.“ „Daran trage ich auch nicht den geringsten Zweifel,“ erwiederte sie. Unter diesem Gespräche war die Dämmerung eingefallen; man steckte Lichter an, und eine Magd meldete, daß Don Diego de Orozo im Vorzimmer wäre. Horazio war bereit, sich zu entfernen; aber Theodora bath ihn, zu bleiben, da der Besuch nicht von Belange wäre. „Es ist nur ein Freyer um Louisen,“ sagte sie, „der ihr aber, wie mehrere andere, nicht ansteht, weil er so wenig Welt, und über dieß auch nicht hinlängliches Vermögen hat, um ein Weib standesmäßig zu ernähren.“ Nun trat Don Diego ein; man reichte ihm einen Stuhl, und sprach eine Weile von gleichgültigen Dingen. Da er sah, daß ihm Mutter und Tochter ungünstige Blicke zuwarfen, sprach er: „Ich habe Donna Louisa schon seit mehrern Tagen in übler Laune gefunden; ich habe denn heute versuchen wollen, ob ich sie nicht aufzuheitern im Stande bin. In dieser Absicht hab’ ich einen geschickten Tonkünstler mitgebracht, den man auch bey Hofe gerne hört, und der Sie ein wenig unterhalten soll.“ Man fand seinen Antrag sehr artig; der Tonkünstler trat ein, nahm sein Instrument zur Hand, und sang mit einer sehr angenehmen Stimme ein schmelzendes Adagio. Mit einem Mahle änderte er aber den Ton, und sang unter verschiedenen Grimassen folgendes Lied: Liebe Inez, höre mich, Höre mich doch an! Liebe Inez, liebe mich; So bin ich dein Mann. Deine Schönheit thu’ ich kund, Ach, zu meiner Qual: Purpurroth ist dieser Mund Wie ein Cardinal. Deine Augen schwarz und traut Blicken durch den Schleyer schlau, Wie durchs Fenstergitter schaut Eine Klosterfrau. Deine Tugend zu erheben, Fehlen Worte mir: Denn es ist dein ganzes Leben Eine Tugend schier. Alle Menschen zu ertragen Ist dir keine schwere Pflicht. Drum verschmähest du die Klagen Selbst der Götzendiener nicht. In dem Drange des Gewimmels Folgst du standhaft deiner Spur, Und versichert deines Himmels, Lebest du dem Menschen nur. Weil zum Beyspiel böser Laien Niemahls dich der Himmel straft, Bist du selbst, dich zu casteyen, Fromme Seele! -- lasterhaft. Während dieser Hymnus gesungen wurde, stand Diego rückwärts mit verhaltenem Munde, um das Lachen zu verbeißen. Die beyden Damen bedurften keines Dolmetschers, um das Loblied Strophe für Strophe auf Louisen auszudeuten. Louise warf ihm einen Blick voll Verachtung zu, und sagte: „In der That, Don Diego, Sie sind ganz dazu gemacht, eine Gesellschaft in eine andere Stimmung zu bringen; Sie haben den Tonkünstler wohl immer im Solde? Verfertigen wohl gar die Poesie?“ „Wahrhaftig,“ sagte Theodora, indem sie nach der Uhr sah, „schon so spät! das hätt’ ich nimmermehr gedacht. Ich dank’ Ihnen, Don Diego, daß sie uns einen so langen Besuch haben schenken wollen; unterdessen, dieser Herr hat mit mir Sachen von Wichtigkeit abzuthun; und da ich nicht verlangen kann, daß er sich so lange hier aufhalte, werden Sie es nicht unartig nennen, wenn ich Sie bitte, uns morgen dafür einen allenfalls noch längern Besuch zu schenken.“ Der hämische Diego war mit dem Unwillen, den er an ihrer Stirn las, vollkommen zufrieden, und ging fort, zum Glück’, ohne nach Felicianen zu fragen, und die ehrliche Theodore wieder zu einer Nothlüge zu zwingen. Horazio blieb nun allein bey ihnen, und Theodora sagte: „Dieser abgeschmackte Ritter hat sich in dieses Haus eigentlich eingedrungen, und mich hat wirklich nur die gute Nachricht von Blanca bey Laune erhalten, sonst würd’ ich ihn mit seiner einfältigen Musik in die Schenke gewiesen haben.“ Sie fügte hinzu, daß sie ihrer Nichte einen kleinen Zettel schreiben wolle, und Horazio sich unterdessen mit ihrer Tochter unterhalten möchte. Sie ließ sie denn allein, und schrieb geschwinde zwey Zettel. Den einen gab sie dem Escudero, und schärfte ihm ein, geschwinde zu laufen, damit ihn Feliciane noch erhielte, bevor Horazio nach Hause käme. Mogropejo lief auch an der Stelle ab, und Theodora kam, den andern Zettel in der Hand, in das Gemach zurück. „Bester Horazio,“ sagte sie, „übermorgen werd’ ich meiner Schwester Wagen hohlen lassen, und werde dann meine Nichte bey Ihnen abhohlen; bis dahin muß ich Sie bitten, sie bey sich zu behalten. Daß ich es nicht länger gestatten kann, sehen Sie selbst ein; Sie sind unverheirathet, und mir liegt Ihre Ehre und Ihr Ruf so nah’ am Herzen, als der Ruf meiner Nichte.“ Horazio konnte nichts entgegen sagen; er fühlte aber schon ganz die Bitterkeit der bevor stehenden Trennung. Er nahm von Louisen den wärmsten Abschied, und eilte nach Hause. Feliciane hatte den Zettel ihrer Mutter, der einen ausführlichen Unterricht enthielt, schon erhalten; sie empfing ihn mit anscheinender dringenden Ungeduld, und fragt’ ihn, wie es ihm mit ihrer Base gegangen sey. „Gut und nicht gut,“ antwortete Horazio; „gut, weil ich eine Frau, wie Ihre Tante, kennen gelernt habe; und nicht gut, weil alles, was der Escudero gesagt hat, grundfalsch war, und sie Ihre Flucht schon wußte. Ich fand sie so innigst bestürzt, und so voll Sehnsucht nach Ihnen, daß ich sie nicht länger hätte ungetröstet lassen können. Ich sagte ihr denn, daß Sie sich in meiner Wohnung befänden, worüber sie in ein lautes Frohlocken ausbrach, und an der Stelle den Entschluß faßte, Sie übermorgen bey mir abzuhohlen.“ Feliciane sank ohnmächtig auf den Stuhl; die Duenna und Horazio sprangen ihr zu Hülfe. „Was ist Ihnen, Blanca?“ schrie Horazio. „So gibt’s denn nichts, als Unglück!“ schrie die Duenna. „O ich seh’ es nur zu spät ein, daß ich der Tante nichts hätte merken lassen sollen.“ „Sie haben der Tante also wirklich entdeckt, daß das Fräulein hier ist?“ sagte die Duenna. Horazio bejaht’ es, und Banuelos fuhr fort: „Gott im Himmel, was haben Sie gethan? Was für ein böser Geist hat Sie dazu angetrieben? Was haben wir nun zu erwarten? Die Tante ist noch weit unbarmherziger, als des Fräuleins Mutter. Wer hat Sie denn zu ihr geschickt?“ „Donna Blanca selbst;“ antwortete Horazio; „auf ihr Geheiß bin ich hingegangen.“ Unterdessen erhohlte sich Feliciane aus ihrer Ohnmacht, und sagte: „Bester Horazio! wenn Sie meine Beherbergung in Verlegenheit setzte, hätten Sie mir es nur erinnern dürfen, und ich hätte mich zu einer meiner Freundinnen begeben. Nur meine Tante weiß, daß ich mich hier aufhalte; ich bin verloren; und ich fürchte nicht sie allein, sondern auch meine Onkel, denen sie auch ohne Zweifel an der Stelle davon Nachricht geben wird. Nun wird man mich erst zwingen wollen, und ich bin zu edel geboren, als daß ich meinem Herzen den geringsten Zwang anthun lassen sollte.“ So schrien sie und die Duenna unablässig fort, daß Horazio ganz verwirrt war, und das Zimmer auf- und ablief, ohne sich im geringsten Rath schaffen zu können. Daß Feliciane aus seinem Hause kommen sollte, war ihm ein unerträglicher Gedanke, und beschäftigte ihn mehr, als was Mutter und Tante mit dem armen Mädchen vorhaben dürften. Er gerieth auf dieß und das; ein Anschlag verdrängte den andern, und sein Entschluß, der am Ende heraus kam, war, daß er der ganzen Welt Trotz biethen, und bis zum letzten Blutstropfen hindern wolle, daß man sie ihm entreiße. Um nun diesem Unglücke vorzubeugen, schlug er ein anderes Mittel vor. Er sagte ihr nähmlich, daß der Garten seines Hauses mit dem Garten des nächsten daran zusammen stoße; daß dieser Garten nun leer stehe, und er ihn für sich gemiethet habe; daß in der Spalierwand, die beyde Gärten von einander trenne, eine kleine Thür wäre, die man nicht bemerke, und durch die sie sich retten könne, wenn man sie abzuhohlen käme. Da er allein der Tante die Nachricht gebracht habe, wolle er sie nun standhaft läugnen. Feliciane nahm den Vorschlag an, und sammelte nun bald ihre Kräfte wieder. Sie gingen auch gleich alle in den Garten, versuchten die Thür, und versprachen sich den besten Erfolg. Die Tante beliebte sich den folgenden Tag noch nicht einzufinden, sondern ließ nur melden, daß sie sich übel befinde; und nun schöpfte Horazio wieder neuen Muth. Denselben Tag nach dem Abendessen seufzete Feliciane tief, und sagte: „Wahrhaftig, bester Horazio! ich komme mir in dem Verhältnisse gegen meine Mutter so abscheulich vor, und kann es doch nicht aufheben, ohne mich auf immer unglücklich zu machen. Wenn ich mir meine Lage da so lebhaft vorstelle, so möcht’ ich weit über die Grenzen Spaniens hinaus fliehen, und hoffe nur weit von hier Ruhe zu finden.“ Nun sah Horazio den Himmel offen. „Ist’s möglich?“ sagte er; „sollten Sie wohl diesem Vorsatze treu bleiben? Ich will ihn ausführen; ich will Sie auf die anständigste Art nach Mailand bringen; nicht unter dem Titel der Gamahlinn: denn leider hab’ ich, bevor ich Sie kennen lernte, meine Hand schriftlich einer Dame zugesagt, und ihr meine Erklärung auch schon geschickt. Ich will Sie aber unter dem Nahmen einer Verwandten hinführen, will Sie wie meine Schwester lieben; und wenn diese Dame bey der Schilderung der Leidenschaft, die ich für Donna Blanca empfinde, bewegen läßt, meinem Herzen freye Wahl zu lassen, und mir meine Erklärung zurück zu geben, so ist niemand meiner ewigen Liebe so würdig, als Sie.“ Feliciane hatte nichts sehnlicher erwartet, als eine Erklärung aus seinem Munde. Sie sprang auf, und sagte, indem sich ihr ganzes Wesen aufzuheitern schien: „Horazio, ich will alle Ziererey des Frauenzimmers abwerfen. Sie haben alles, folglich auch das Größte um mich verdient. Ich gesteh’ Ihnen denn, daß es mir unmöglich ist, ohne Sie jemahls wahrhaft glücklich zu seyn. Ich muß bey Ihnen bleiben; und kann ich Sie nicht als Gattinn lieben, so will ich Ihre Schwester seyn. Machen Sie Anstalt zur Reise, so bald Sie wollen. Ich gehe mit; hier ist meine Hand.“ Horazio war trunken vor Entzücken; er wagte es, sie zu umarmen, und sie küßte ihn so feurig, als er sie. „Vielleicht,“ schrie er, „ist der Courier, dem ich die Schrift mitgegeben habe, noch nicht fort; vielleicht kann ich sie zurück nehmen; o dann wäre ich der glücklichste Mensch auf Erden! Erlauben Sie nun, daß ich hineile, und nicht einen Augenblick verliere.“ Sie umarmten sich noch ein Mahl feurig; er eilte fort, und kam mit der glücklichen Nachricht zurück, daß die Schrift noch nicht abgelaufen sey; daß er binnen drey Tagen alle seine Geschäfte abgethan habe, und daß sie dann ungehemmt auf den Flügeln der Liebe nach seinem Vaterlande eilen könnten. Sie gingen freudig zu Bett; aber Horazio konnte kein Auge zuthun. Den nächsten Morgen ließ er für sich und Felicianen zwey Reisekleider nach italienischer Tracht machen; alles war zur Abreise bereitet, und den folgenden Tag des Abends sollten sie abfahren. Mit einem Mahle hielt Theodorens Kutsche an der Hausthür. Sie trat ein, und erkundigte sich nach Felicianen: Horazio sagte ihr aber, daß ihre Nichte des Morgens zur Beicht gefahren wäre, und daß sie selbe vermuthlich noch in der Kirche treffen würde. Theodora stellte sich treulich an, als ob sie es glaube; indessen war Horazio doch übel zu Muthe, daß er sie auf keine klügere Art abgefertigt habe, da sie diese nicht auf lange Zeit entfernen könnte. Er eilte daher zu Felicianen, und sagte ihr, was vorgegangen sey. Feliciane war damit ganz zufrieden, und nun ging es wieder hastig über die Anstalten zur Abreise her. Besonders sorgte Feliciane, daß so viele Kleider, als möglich, eingepackt wurden. Um die Stunde des Abendgebeths hielt Theodore schon wieder mit dem Wagen vor der Thür; sie erfuhr von einem Bedienten, daß Horazio zu Hause wäre, und ließ ihn rufen. Er war sehr ungehalten, daß sie ihn nicht verläugnet hatten, und daß er sich nun wieder mit einer List behelfen sollte, was, wie wir nun gesehen haben, überhaupt eben nicht seine Sache war. Er meldete Felicianen mit sichtbarer Ängstlichkeit, daß Theodora schon im Vorhofe stehe, lief dann zu ihr hinunter, und sie fragte ihn rasch, wo ihrer Nichte Zimmer wäre. Er sagte ihr, daß es ihm leid thue, sie noch ein Mahl vergebens bemühet zu haben, sie sey aber wirklich heute Morgens schon, was er nicht gewußt habe, zu einer Freundinn gefahren, von der sie noch nicht zurück gekommen sey. „Vortrefflich, vortrefflich!“ sagte Theodore mit verbissener Wuth; „genug, daß ich weiß, daß sie hier im Hause ist! Ich will sie durchaus sehen, und mit mir nehmen. Solche zügellose Mädchen, wie mein artiges Nichtchen, haben keinen eignen Willen. Nicht genug, daß sie, wie ein Ausreißer, davon läuft, und wie ein Landstreicher im nächsten besten Haus übernachtet, ohne zu denken, was ihre Ehre dabey leidet; nun fährt sie auch noch sorglos spazieren, und spielt die Hausfrau, als ob man sie aller mütterlichen Gewalt entlassen hätte.“ Horazio bestand darauf, daß das Fräulein wirklich nicht in seinem Hause sey; und Feliciane eilte mit der Duenna in demselben Augenblicke durch den Garten in das andere Haus. Ein Bedienter gab Horazio ein Zeichen, daß die Auswanderung glücklich überstanden sey, und Horazio bath Theodoren nun, nicht unmuthig zu werden, und sich durch den Augenschein zu überzeugen, daß er die lautere Wahrheit spräche. Er reichte ihr den Arm, und führte sie Treppe auf, Treppe ab, Stube aus, Stube ein, bis das ganze Haus rein durchsucht war. „Sie sehen nun selbst,“ sagte er, „daß ich Sie nicht getäuscht habe, und ich versichere Sie vielmehr, daß mir über ihr langes Außenbleiben selbst bange wird. Es ist schon spät; wenn ihr nur kein Unglück widerfahren ist!“ „Ungerathenes Kind! Unvorsichtiges Kind!“ murmelte Theodora zwischen den Zähnen. „Was ist nun zu thun?“ „Nichts,“ antwortete Horazio, „als daß Sie die Güte haben, ein wenig zu warten.“ Sie wartete gegen einer Stunde; da sie aber sah, daß es vergebens sey, fragte sie, zu was für einer Freundinn sie gefahren wäre. Man rief den Kutscher; es war aber schon abgeredet, daß er nicht kommen sollte. Endlich sagte Theodora: „Das Mädchen scheint zu wissen, was es zu thun habe; aber auch ihre Oheime werden ihre Pflicht kennen, und werden sie zurück zu halten wissen, wenn sie sich auch selbst in’s Unglück stürzen will. Leben Sie wohl!“ Mit diesen Worten stieg sie in den Wagen, und fuhr fort. Es vergingen nicht zwey Stunden, so kamen auch schon zwey Bekannte Theodorens, und fragten nach Donna Blanca. Die Bedienten hatten schon den Auftrag, jedermann zu sagen, daß sie des Abends nicht zu Hause speise, und daß sie sich, wenn es dringend wäre, nach Mitternacht, oder den folgenden Tag sehr früh wieder einfinden könnten. Die Oheime gingen denn wieder die Straße hinunter, und Feliciane sagte, als sie sie erblickte: „Wehe mir! das sind meine Oheime.“ Den nächsten Morgen brachte Horazio seine Blanca in das Haus, das er gemiethet hatte, machte sich aller Geschäfte ledig, und bestellte des Nachts Wagen und Maulthiere, um nach Barcelona abzufahren. Nach Tische besann er sich, daß er mit einem unbeschuheten Carmeliten noch etwas abzuthun habe, und wollte noch in das Kloster, das ganz in der Nähe war, hinüber gehen. Er gab Felicianen unterdessen ein kleines Felleisen, in dem über zwölf tausend Escudo’s an Geld’ und Geschmeide waren, in Verwahrung, und eilte hinüber. Dieser kleine Umstand löste nun den Knoten mit einem Mahle. Ohne nun weiter auf etwas zu denken, packten Feliciane, Banuelos und Mogrobejo das Felleisen und das Bündel mit Felicianens Kleidern zusammen, schlichen durch das andere Haus, und erreichten die Wohnung Stephaniens, einer guten Freundinn Felicianens, mit heiler Haut. Horazio kam zurück, und ließ den Wagen an der Thür des anderen Hauses, in dem Feliciane seyn sollte. Er suchte sie überall, und fand sie nicht. Er fragte die Haushälterinn nach ihr; diese wußt’ ihm aber nichts zu sagen, als daß sie das Fräulein auf die Straße geschickt habe, um zu sehen, ob nicht etwa ihre Oheime wieder kämen. Horazio war ganz verwirrt, suchte sie neuerdings, und beschloß endlich, die Nachbarn zu fragen, ob sie keiner gesehen habe. Niemand hatte sie gesehen; nur einen einzigen Bedienten hatten zwey Ritter, denen drey oder vier Bediente nachtraten, nach ihnen gefragt. Horazio dachte sogleich, daß dieß die Oheime gewesen seyn dürften, und es befiel ihn eine solche Angst, daß er sich plötzlich auf einen von den Mauleseln, die zur Abreise in Bereitschaft standen, setzte, und nach Alcara ritt; seinen Bedienten aber befahl er, Donna Blanca, so bald sie zurück käme, zu sagen, daß sie ihm mit dem Wagen folgen sollte. In Todesangst kam er zu Alcara an, und konnte mit sich selbst über Blanca’s schnelles Verschwinden nicht einig werden. Vier Tage hielt er sich dort auf, und wartete voll Ungeduld; da sie aber noch nicht kam, war er überzeugt, daß sie ihren grausamen Oheimen in die Hände gefallen sey. Er war so gutmüthig, daß er ihr Schicksal beweinte, und der sichern Hoffnung war, daß sie ihm ihre Lage in einem Briefe nach Mailand schildern werde. Um nun ja gewiß bey der Ankunft desselben in seiner Vaterstadt zu seyn, und ihn nicht eine Stunde auf der Post liegen zu lassen, eilte er, was er konnte, nach Barcelona, und Feliciane feyerte unterdessen den Triumph ihrer List, und die Niederlage seiner Zärtlichkeit. ZWEYTE SPAZIERFAHRT. Feliciane ward zu Hause mit allem Jubel empfangen, mit dem man gewöhnlich einen großen Feldherrn empfängt, der von einer gewonnenen entscheidenden Schlacht, und, was hier der wesentlichste Umstand war, mit einer reichen Beute beladen, nach Hause kehrt. Nun traf die Reihe die schöne Louise, die schon vor Verlangen brannte, ihrer klugen Schwester auf dieser edlen Rennbahn den Vorsprung abzugewinnen. Die wichtigste vorläufige Anstalt war, daß der Wagen anders zugerichtet ward, die Rappen in Schimmel, und der schwarzköpfige Kutscher in einen blonden verwandelt wurde. Louise war ihres glücklichen Erfolges so gewiß, daß ihr Feliciane das nöthige Geld auf diese Unkosten leihen mußte. Da nun alles veranstaltet war, suchte sie in der Stummengasse eine Wohnung. In dieser wohnte seit kurzer Zeit ein reicher Graubart aus Genua, den eigentlich nichts nach Madrit geführt hatte, als seine seltsame Gemüthsart, die ihn immer peinigte; er konnte nicht lange an einem Orte leben, ohne daß ihn die tödtlichste lange Weile plagte. Er war ein großer Freund des Frauenzimmers, war aber so karg, daß ihm auch diese Quelle des Vergnügens unmöglich reich zuströmen konnte. Er hieß Cäsar Antonio, hielt einen Wagen, vier Bediente und eine Haushälterinn. Gegen über nun von diesem Manne bezog unsere schöne Sevillanerinn das erste Stockwerk, mit einem Balcon auf die Gasse. Die Tracht, in der sie sich einführte, war ein Wittwenkleid, und zwar die tiefste Trauer, als ob sie ihren seligen Gatten erst vor einigen Tagen begraben hätte. Sie trug ein kurzes gefaltetes Mäntelchen, darunter ein enges Kleid mit langen Spitzärmeln und niedlichen Krausen, die ihrer Hand vortrefflich ließen; am Halse war der Kragen zurück geschlagen, und an der Brust lief ihr wieder eine breite lockere Spitzenkrause zusammen. Im blonden Haare hatte sie nichts, als einige schwarze Schleifen, und einen flornen Schnabel gegen die Stirn. Über den Rücken schwebte der Schleyer, und um den Hals hing ihr eine lockere Kette von schwarzen Perlen. Welcher Mann wäre nicht gern gestorben, um seine schöne Wittwe in einem so reitzenden Trauerhabite zu sehen? Sie richtete ihre Wohnung auch ganz nach dem Stande, den sie angenommen hatte, ein, und kam in derselben mit ihrer Mutter, die ihr als Duenna diente, der frommen Banuelos, und ihrer Schwester, die eine nahe Verwandte spielen mußte, an. Sie fuhren Schritt vor Schritt, und der alte Escudero ging neben dem Wagenschlage. Als sie diesen feyerlichen Einzug hielt, stand der Genueser eben auf dem Balcon. Er riß die Augen groß auf, und brannte vor Neugierde, wer wohl seine Nachbarinn seyn dürfte. Die Gesellschaft war nun ausgestiegen, und das Erste, was Louise that, war, daß sie das Mäntelchen ablegte, und sich dem Genueser auf ihrem Balcon in unverhüllter Schönheit zeigte. Der Alte gaffte wie ein hundertäugiger Argus herüber; das Herz schlug ihm wie eine Wanduhr, und er meinte keine grössere Schönheit in seinem Leben gesehen zu haben, als diese Proserpina; und er hatte doch viele gesehen. Louise sah unterdessen bald die Straße hinauf, bald die Straße hinunter, und stellte sich an, als ob sie nun plötzlich erst einen Blick auf den unbeweglichen Genueser hinüber wärfe, was ihm Gelegenheit gab, eine tiefe Verbeugung, die er schon lange in Bereitschaft hatte, anzubringen. Louise erwiederte sie zwar sehr höflich, kehrte sich aber sogleich zu ihrer Gesellschaft um, und sagte halb laut, doch aber so, daß der Genueser jedes Wort hören konnte: „Das Einzige habe ich vergessen; gleich morgen muß der ganze Balcon mit Jalousien versehen werden; mein Stand erlaubt es durchaus nicht anders.“ Der Genueser, der gerade keiner von den schüchternsten war, mischte sich ohne Anstand ins Gespräch, und sagte: „Ich wäre untröstlich, wenn ich Sie durch mein Gegenüberwohnen in dem Vergnügen stören sollte, auf Ihrem Balcon die frische Abend- oder Morgenluft zu genießen. Ich werde Sie überzeugen, daß es mir Ernst ist; und wenn Sie morgen Ihren Balcon mit Jalousien schirmen, lass’ ich den meinigen mit Bretern verschlagen. Oder wenn mir das der Arzt verbiethen sollte, beding’ ich mir aus, daß Sie Ihre Jalousien immer völlig schließen, und“ -- Louise hatte nun eben den Handschuh abgezogen -- „mir nicht einmahl diese schöne Hand hervor gucken lassen. Auch muß ich es fordern, um mich nie mit einiger Gefahr im Neglige auf meinem Balcon sehen zu lassen. Vergeben Sie, daß ich so zudringlich bin, und mich sogleich ins Gespräch gemengt habe; aber meine gute Laune sucht mich selten heim.“ Louise lächelte ihm gefällig zu, machte ihm eine Verbeugung, und ging hinein. Der Graubart aus Genua hatte nun weder Rast noch Ruhe mehr. Er lauschte den ganzen Abend an der Hausthür, bis er den Escudero ausgehen sah, den er auch an der Stelle anhielt, und fragte, wer seine Gebietherinn wäre. Dieser hatte seine Rolle schon gut gelernet, und sagte ihm denn, daß sie eine Dame aus Saragossa wäre, daß sie Donna Angela de Bolea heiße, und an einen vornehmen Edelmann dieser Stadt verheirathet gewesen sey. Sie sey nach Hofe gekommen, um da einen Oheim zu erwarten, der hier mit einem unermeßlichen Reichthume aus Indien ankommen werde, und sie zur einzigen Erbinn seines ganzes Vermögens bestimmt habe, welches in mehr als achtzig tausend Escudo’s bestände, wie sie auch jetzt schon jährlich mehr als zwey tausend von ihm empfange. Der Genueser glaubte ihm jedes Wort, und sann nun schon unablässig, wie aus seiner Nachbarschaft eine vertraute Bekanntschaft werde. Er dankte dem Escudero recht höflich, und bath ihn, seiner Gebietherinn zu melden, daß alles, was in seinem Hause sey, zu ihrem Befehle wäre. Der Escudero dankte ihm aber, und versicherte, daß sie mit allem überflüssig versehen wären. Die Jalousien blieben am folgenden Tag’ aus, und Antonio, der dem Verlangen, sie zu sehen und zu sprechen, nicht länger widerstehen konnte, ergriff diese Gelegenheit, um zu ihr hinüber zu schicken, ihr dafür zu danken, und sie zugleich um die Erlaubniß bitten zu lassen, daß er ihr aufwarten dürfte. Sie war zu artig, als daß sie selbst in ihrem Wittwenstande, den Besuch eines alten Nachbars, der sich über dieß zuvorkommend höflich bezeigt hatte, hätte ablehnen sollen. Er war voller Freude, putzte sich so gut heraus, als er konnte, ließ zwey Bediente nachtreten, und spazierte wie ein Pfau die Straße hinüber. Er fand die schöne Wittwe auf einem schwarz überzogenen Stuhl’, und um sie herum war ein schwarzer Teppich aufgebreitet, auf dem die zwey Duennen saßen, die sich mit Mäntelchen und Schleyern ein ehrwürdiges Ansehen gegeben hatten. Er brachte eine lange Glockenstunde in diesem angenehmen Zirkel zu, ohne daß er den geringsten Anfall von seiner gewöhnlichen Krankheit der langen Weile gehabt hätte. Endlich brach Louise das Gespräch ab, und bath um Vergebung, daß sie nicht länger von der Gesellschaft seyn könne, da sie um diese Stunde sich zurück zu ziehen pflege. „Diese Stunde,“ sagte sie, „ist dem Andenken meines seligen Mannes geweihet.“ „Ich darf Sie aber doch wieder besuchen?“ sagte Antonio. „Es wird mir immer ein Vergnügen seyn,“ antwortete Louise, und ging in’s Nebenzimmer: der Genuese ging voll Vergnügen fort, und schickte ihr noch einige Früchte aus seinem Garten zur Erfrischung herüber. Unter seinen Bedienten war ein Spanier, ein Toledaner, den er wegen seiner besonderen Geschicklichkeit in Musik, und seinen drolligen Einfällen aufgenommen hatte. Auch war sein Gehirn ein Bißchen von Poesie verbrannt. Mit diesem Burschen nun wollte er Louisen ein Fest machen, welches in einem Liedchen bestehen sollte, das er ihr sänge. Als sie nun des Abends mit ihrer Gesellschaft auf dem Balcon nachtmahlte, stellte er Leonardo, so hieß der Bediente, auf seinen Balcon, ihnen gerade gegen über. Leonardo nahm seine Guitarre zur Hand, und sang: Holder Stern der schönen Nacht! Wenn dein Auge freundlich lacht, Dann erfreuet sich mein Sinn, Daß ich dein Geliebter bin. Du leuchtest in sanftsüßer Pracht, Wie ein Gestirn in finstrer Nacht. Dein Blick mein Herze gleich erhellt, Wie, wenn vom Stern ein Schnupfen fällt. Ich sehe dir von ferne zu, Und wie ein Irrwisch flimmerst du; Ich folge deinem matten Schein, Und locktest mich in’s Koth hinein. Denke meiner, schönes Kind, Und entschlafe nicht geschwind! In Gedanken, glaub’ es mir, Bin ich auch des Nachts bey dir. Der Genuese küßte ihn, und die Damen waren so artig, ihm Beyfall herüber zuzuklatschen. So albern der Bursche war, hatt’ er doch, wie gesagt, seine eigene Weise, und war überhaupt so gewandt und launigt, daß man ihm nicht abhold seyn konnte. Auch unsere schöne Wittwe hatte diese Serenate so unterhalten, daß sie den folgenden Tag wieder zu ihrem Nachbar hinüberschickte, und ihn zu sich bitten ließ. Das Gespräch ward immer lebhafter, und der Genuese gerieth, bevor er dessen gewärtig gewesen war, in solche Flammen, daß er seinem Triebe, sich näher zu erklären, nicht länger widerstehen konnte: er sagte ihr tausend abgeschmackte Schönheiten, küßte ihr die eine Hand um die andere, warf so feurige Blicke, wie eine Katze in der finstern Kammer, und geberdete sich, mit einem Worte, so läppisch, daß sich Louise und ihre Gesellschaft darüber kaum des Lachens erwehren konnten. Sein Meisterstück kam aber erst nach. Ein leichtes Zittern, das Wechseln der Gesichtsfarbe, und ein beständiges Trippeln gingen voraus: endlich sprang er wie einer, den der Fieberanfall packt, vom Stuhle auf, und bath Louisen, mit ihr einige Worte unter vier Augen sprechen zu dürfen. Louise sah deutlich, wo das hinaus wolle, und führte ihn sogleich in ein Nebenzimmer. Hier ließ sich der alte Bock auf seine vordern Knie nieder, und beichtete ihr die Sünde seines verliebten Herzens, das für sie in hellen Flammen stehe, und nur durch einen plötzlichen Aufguß von Gegenliebe zu löschen sey. Louise nahm seine Liebeserklärung mit vieler Schonung auf, und sprach lächelnd: „In der That, mein Herr, Sie haben mich überrascht, und am wenigsten hätt’ ich eine solche Verwandlung von dem Mann’ erwartet, der vorgestern noch seinen Balcon mit Bretern verschlagen lassen wollte. Auch muß ich Ihnen gestehen, daß es mich Wunder nimmt, wie ein Mann, der doch eben nicht mehr in den blühenden Jugendjahren ist, und manches erfahren zu haben scheint, mit diesem -- erlauben sie mir, daß ich es sagen darf -- hastigen Geständnisse eine Wittwe in Verlegenheit setzen kann, die noch nicht vierzehn Tage das Trauerkleid trägt.“ Der Genuese wollte sich entschuldigen, stotterte aber, daß ihm nicht eine ordentliche Sylbe gelang. „Indessen,“ fuhr Louise fort, und lächelte, daß es einen Todten im Grabe hätte wecken können, „indessen muß ich Ihnen sagen, daß ich eitel genug bin, über keine Erklärung, und käme sie noch so zur Unzeit, aufgebracht zu werden; und einem Manne zu gefallen, dessen Herz nicht zum ersten Mahle gewonnen wird, ist mir immer schmeichelhafter, als wenn ich ein Jünglingsherz berücke, das noch niemahls ins Freye kam.“ „O Sie geben mir das Leben wieder,“ sagte Antonio, und einige Thränen suchten durch die Furchen seiner Backen abzufließen; „darf ich also hoffen?“ „Bester Antonio!“ sagte Louise, „was wird unsere Gesellschaft denken, wenn wir an unsern wenigen Worten so lange zu sprechen haben?“ Mit diesen Worten ging sie in das Gesellschaftszimmer zurück, und Antonio folgte ihr ganz verstört nach. Indessen glaubte er doch in ihren Blicken mehr als Nachsicht zu lesen, und war diesen Abend so inniglich vergnügt, daß seine ganze Großmuth erwachte, und er ihr ein Paar Handschuhe und einen Fächer überreichte, die er aus Mexico erhalten zu haben vorgab, um ihren Werth doch einiger Maßen zu erhöhen. Louise erklärte nun, daß sie wünsche, ihrem Nachbar seine Musik mit einer andern erwiedern zu können. Es war schon ziemlich spät, und Antonio mußte sich Wohlstands halber empfehlen; er muthmaßte aber, daß ihm Louise das Vergnügen machen würde, ihn ihre Engelstimme hören zu lassen, und setzte sich denn mit Leonardo auf seinen Balcon. Beyläufig nach einer halben Stunde erschien Louise wirklich, von Felicianen allein begleitet, mit einer wohl gestimmten Guitarre, auf dem ihrigen, setzte sich, und sang: Einsam irrt die fromme Taube, Findet nirgends Ruh’, Flattert traurig in die Laube, Girret ihrem Tauber zu. Weit von hier ist er geflogen; Bänglich suchet ihn ihr Blick. Ist er andern nachgezogen? Kehrt er nicht getreu zurück? Tauber! laß sie nicht so flehen! Tauber! laß sie nicht allein! Sieh! er kommt! das Wiedersehen Wird nun doppelt freudig seyn. Der Genueser und sein Leonardo waren ganz entzückt, und wollten eben laut klatschen, als beyde Damen mit einander zu singen anfingen. Bitter sind der Liebe Leiden, Fürchterlich der Trennung Schmerz; Doch wer kann die Liebe meiden, Denn sie kommt von selbst ins Herz. Eigensinnig ist ihr Wille; Sie bestimmt, was schön ist, nur; Bald besucht sie die Myrtille, Bald des alten Damons Flur. Sie hatten sich bemühet, jede Sylbe vernehmlich auszusprechen, und so war denn die letzte Strophe kaum zu Ende, als Octavio zu klatschen anfing, daß man es in der ganzen Straße hören konnte. Man ging allerseits zu Bette, aber mit ganz verschiedenen Gedanken. Antonio dachte ihr Herz mit den geringsten Kosten zu erobern, und Louise sann, wie sie sein Geld Beute machen könne, ohne auch nur das geringste von ihrem Herzen einzubüßen. Als Antonio eines Abends wieder bey ihr einen Besuch abstattete, hörte man auf der Straße plötzlich ein Gezänke zwischen Mogrobejo, dem Escudero, und einer unbekannten Person. Louise fragte, was es wäre, und vernahm, daß der Escudero mit einem Bedienten des Hausherrn in Streit gerathen sey. Sie ließ ihn herauf kommen, und bath den Genueser um Vergebung, daß sie ihre Neugierde sogleich in seiner Gegenwart zu befriedigen suche, was sie vor einem andern, auf dessen Freundschaft sie weniger rechne, nicht wagen würde. Nun trat der Escudero ganz zornig ein; Louise fragte ihn um den Hergang des Gezänkes, und Mogrobejo antwortete: „Der Henker möcht’ auch nicht zanken! da kommt mir der Bediente des Hausherrn, und verlangt die Miethe für unser Quartier, das wir auf ein Jahr gemiethet haben, und von dem man doch die Miethe erst mit Ende des Jahres zu bezahlen pflegt. Da hat er durchaus zu Euer Gnaden herauf gewollt, und weil ich ihn nicht ließ, war der Kerl grob; aber er soll mir!“ -- „Lass’ er ihn kommen,“ sagte Louise; und es trat ein Page ein, der ihr ehrfurchtsvoll einen Zettel überreichte. Sie las ihn flüchtig durch, und sagte: „Sag’ er seinem Herrn, ich ließe mich empfehlen, und ließ ihm sagen, daß ich gar nicht abgeneigt bin, ihn jedes Mahl für den Monath in vorhinein zu bezahlen. Daß er in Verlegenheit ist, konnt’ ich nicht wissen; und es gefällt mir, daß er so offenherzig spricht. Ich sey aber für den Augenblick selbst in Verlegenheit; meine Gelder sind aus Sevilla noch nicht angekommen, und ich ließe ihn denn ersuchen, höchstens acht Tage Geduld zu haben, dann wollt’ ich ihm die Miethe für drey oder noch mehr Monathe auf ein Mahl schicken. Übrigens, Mogrobejo, weiß ich nicht, warum er ihn nicht sogleich verließ.“ Der Page trat ab, und Louise sagte: „Es ist wahrhaftig sonderbar, daß ein Hausherr, dem man für ein einziges Gelaß tausend Realen des Jahrs bezahlt, so dringend auf eine Monathsmiethe ansteht. Der Mann muß unglücklich, oder ein Taugenichts seyn, und ich wollte einen Finger von der Hand verlieren, wenn ich ihm seine tausend Reale augenblicklich in die Betteltasche werfen könnte.“ Sie meinte nun mehr, als zu viel, gesagt zu haben, um Antonio’s Großmuth und Ehrgeitz in Bewegung zu setzen; diese beyden Eigenschaften ruhten aber in seinem Herzen in einem so abgelegenen Winkel, daß sie ein schulgerechter Anatomiker zu suchen gehabt hätte. „Ja, wahrhaftig,“ antwortete Antonio, „es sind schwere Zeiten, und der ordentlichste Mann hat zu sorgen, daß er sich von einem Tag’ auf den andern behilft.“ Louise merkte nun wohl, daß sie dieses Schalthier nicht mit der Angel fangen könne; sie brachte denn das Gespräch auf andere Gegenstände, und sie schieden nach einiger Zeit aus einander. Es mußte denn ein neuer Plan angelegt werden. Mogrobejo hatte jemahls, bevor er es bis zum Stallmeister gebracht hatte, als Schreiber bey einem Sachwalter gedient, und hatte sich da die einer Gerichtsperson unentbehrliche Geschicklichkeit, jede Handschrift täuschend nachzuahmen, beygelegt. Diesem befahl nun Louise, die Firma irgend eines der bekanntesten Genueser zu Sevilla nachzuahmen. Um dieß nun ins Werk setzen zu können, mußte er in einem von den Kaufmannshäusern, von welchem Briefe abgeschickt wurden, Bekanntschaft machen. Es gelang ihm auch bald, und er war mit einem Buchhalter bald so vertraut, daß er ihn täglich auf seiner Schreibstube besuchte. Nach wenigen Tagen sah er einen Brief, wie er ihn wünschte. Er war von Carlo Grimaldi, dem reichsten Genueser in Sevilla. Der Buchhalter war mit seiner Arbeit beschäftigt, und Mogrobejo benutzte diese Gelegenheit, um den Brief so geschickt nachzuschreiben, daß es schwer fiel, die echte Schrift von der nachgemachten zu unterscheiden. Er eilte nun freudig nach Hause, und Louise beschenkte ihn im vorhinein mit dreyßig Escudo’s. Als sie Antonio den folgenden Tag besuchte, fand er sie eben mit einer Menge Geldes beschäftigt, das ihr Feliciane, die unterdessen einen Ring zu Gelde gemacht, vorgestreckt hatte. „Erlauben Sie,“ sagte sie, „daß ich nur erst ein kleines Geschäft abthue.“ Sie machte tausend Reale in eine Rolle zusammen, und rufte Mogrobejo. „Hier, nehm’ er,“ sagte sie; „ich lasse mich dem Hausherrn empfehlen, und hier schick’ ich ihm gegen Quittung den ganzen Jahreszins. So hat es doch ein Mahl ein Ende.“ Nun fühlte Antonio erst, wie unartig und unverzeihlich es von ihm gewesen sey, einer Dame von solchem Rang’ und Vermögen nicht sogleich all sein Hab’ und Gut anzutragen. Indessen war es nun einmahl geschehen, und es blieb ihm nichts übrig, als daß er sein Versehen wieder gut zu machen suchte. Das erste, was ihm beyfiel, war ein Antrag, sie in die Komödie zu führen. Der Zufall wollte, daß man denselben Tag gerade ein Zwischenspiel aufführte, das sein Leonardo verfaßt hatte, und das ihm nun allerdings einen Vorwand zum Antrage gab. „Wahrhaftig,“ sagte Louise, „ich wäre gar nicht abgeneigt, hinzugehen; denn, wie ich schon neulich aus Leonardo’s Gesang’ abgenommen habe, ist er ein aufgeweckter Geist, und hat lustige Einfälle.“ „Über dieß,“ erwiederte Antonio, „verdient auch das eigentliche Stück selbst, gesehen zu werden. Es ist die _adelige Küchenmagd_ von unserm berühmten Lope de Vega.“ „Ja, wir gehen,“ sagte Louise; „aber halt! was bin ich doch für eine Thörinn? Meine Kleidung und das Theater! Es würde trefflich zusammen passen!“ „Seyn Sie doch nicht so strenge; was Ihnen auch Ihr Kleid verbiethen würde, erlaubt Ihnen Ihr Alter. Eine junge, schöne Wittwe! -- Gerade Sie müssen sich ja zerstreuen und aufheitern.“ „Aber was würde die Welt sagen?“ „Die Welt! die Welt! Sie sind auch gar zu genau. Was nennen Sie die Welt? Die Leute! -- gut! die Klugen werden es klug finden, daß Sie sich nicht einkerkern, wie eine Nonne, und Ihrem Kummer durch die Einsamkeit noch Nahrung geben; und um die Narren werden Sie sich wenig bekümmern. Auch läßt sich ein Kleid ablegen.“ „Wenn ich auch dieß einzige Mittel ergreifen wollte, zu dem so viele andere junge Wittwen ihre Zuflucht nehmen, so kann ich es doch um meines Oheimes willen nicht wagen, der ein Erzgrübler ist. Ich erwart’ ihn mit jeder Stunde, und stehe mit ihm in solchen Verhältnissen, daß ich sehr unklug seyn würde, wenn ich seine Freundschaft um einer Kleinigkeit willen auf’s Spiel setzen wollte.“ „Vortrefflich, klug, und schön gesprochen!“ sagte Antonio; „aber mir fällt eine Art ein, wie Sie das Zwischenspiel sehen können, ohne in’s Theater zu gehen.“ „Lassen Sie hören!“ -- „Leonardo hat mehrere junge Freunde, Leute von Talenten, mit deren Bildung und Unterricht in verschiedenen Dingen er sich immer abzugeben pflegt; mit diesen soll er uns nun in ein Paar Tagen das Zwischenspiel in meinem Hause aufführen. Es soll niemand dabey seyn, als Sie, Ihre Gesellschafterinnen und ich; und gegen diese Art es zu sehen, wird auch Ihre pünctlichste Vorsicht nichts einzuwenden haben.“ Unter diesen Bedingnissen nahm sie seinen Antrag an, und schlug ein. Sofort sprachen sie von verschiedenen anderen Dingen, und da denselben Tag die Post aus Andalusien ankam, fragte sie ihn, was er wohl Neues aus Sevilla höre. Er antwortete, daß er nichts von Belange höre, und daß seine Briefe immer nur trockene Geschäfte enthielten. „Ich habe heute,“ fuhr sie fort, „diesen Zettel von einem Genueser erhalten, der mit meinem Vetter in Indien im Briefwechsel steht; lesen Sie ihn zur Güte: ich möchte gar zu gern wissen, ob Sie ihn, und die Person, an die der Brief gerichtet ist, kennen.“ Er gab sich alle Mühe, ihn ohne Augengläser zu lesen, und las: „Ich habe vom Capitäne Bolea den Auftrag erhalten, Euer Wohledlen, nebst unterthänigstem Gruß, zu melden, daß selber seine Abreise so geschwind’ als möglich beschleunigen wird. Er befiehlt mir zugleich, Euer Wohledlen acht tausend Thaler abzuliefern, als weßwegen beyliegender Brief die Anweisung enthält; mich empfehlend, und meine Dienste auch in wichtigen Gelegenheiten antragend. E. W. Carlo Grimaldi. Im Zettel lag der Brief: „Herr Juan Baptista Lomelie beliebe an Donna Angela de Bolea, am Hofe anwesend, acht tausend Thaler in Doppelgeld auf vierzig Tage verabfolgen zu lassen, wofür ich eben so viele vom Capitäne Don Genealo Bolea, ihrem Oheime, empfangen habe. Sevilla, den 12. September 1630. Carlo Grimaldi. „Der Mann,“ sagte Antonio, „von welchem der Brief kommt, ist ein ungemein ordentlicher und sehr reicher Mann, und der, an den der Brief gehört, ist es nicht minder.“ „Es ist mir genug,“ erwiederte Louise, „daß ich es aus Ihrem Munde höre; aber ist die Sache deßhalb nicht minder unangenehm? Was denkt der Mann? Er weiß, er schreibt mir da selbst, daß mein Oheim erst kommen wird, daß ich folglich allein hier bin, und setzt mir doch nur vierzig Tage. Wer steht mir gut, daß der Capitän bis dort angekommen ist? wahrhaftig, eine Verdrießlichkeit um die andere kommt mir über den Hals.“ Nun glaubte Antonio, sein neuliches Versehen ohne die mindeste Gefahr wieder gut machen zu können, und sprach: „Beste gnädige Frau, lassen Sie dem Manne seine Grillen, und nehmen Sie die Zahlung gar nicht an. Sie sagen mir, was Sie beyläufig brauchen, ich bring es herüber; Sie stellen es mir nach Belieben zurück, und somit gut.“ „Es ist mir wirklich eine große Gefälligkeit,“ sagte Louise, „wenn Sie mich aus dieser Verlegenheit bringen. Sechs tausend Thaler sind mir genug.“ „Mit Vergnügen!“ fuhr Antonio fort; „Sie schicken morgen früh Ihren Mogrobejo, mit einem Paar Zeilen zu mir hinüber, und empfangen die Summe.“ „Ich bin Ihnen wirklich Dank schuldig,“ sagte Louise, drückte ihm die Hand, und hieß ihn auf das Zwischenspiel nicht vergessen. Er ging fort, und so innigst vergnügt sie war, daß er an die Angel gebissen, so vergnügt war auch er, daß er sein Capital auf so angenehme Zinsen, wie er hoffte, anlegen konnte. Er wartete den nächsten Morgen nicht einmahl ab, daß Mogrobejo das Geld abzuhohlen komme, sondern machte es zusammen, und schickte Leonardo mit seinem Morgengruße und der Summe hinüber, ohne zu bedenken, wie viel Gefahr das bare Geld in den Händen eines Poeten laufe. Louise war über seine Pünctlichkeit ganz entzückt, und drückte Leonardo ein ansehnliches Trinkgeld in die Hand. Auch ließ sie Antonio melden, daß sie die Vorstellung des Zwischenspiels denselben Abend in ihrem Hause wünsche; daß sie alle Anstalten dazu treffen werde, und ihn unausbleiblich zu sehen hoffe. Nun lud sie auch die zwey Mitschwestern bey ihrer neuen Unternehmung, und ihre Mutter zum Schauspiele. Es war Abend; der Saal war prächtig beleuchtet, und mit dem angenehmsten Wohlgeruche durchräuchert, und der Genueser war mitten unter den Damen so gelagert, daß er bequem mit jeder sprechen konnte. Es ward Stillschweigen gebothen, und drey Tänzer traten mit Guitarren auf, und spielten eine sehr artige Sarabande. Als diese zu Ende war, erschien Leonardo allein, in einer seltsamen Tracht, die er sich selbst aus den buntesten Stücken Stoff zusammen gekünstelt hatte, und sprach einen Prolog, in dem er den Zuhörern ganz sanft unter die Nase rieb, daß er der Verfasser sey; daß er dieses Stück Arbeit, ohne zu prahlen, für eines der witzigsten und originellsten Producte seines Geistes halte, und daß es den Titel führe: Der Commissarius von Figueras. DER _COMMISSARIUS VON FIGUERAS_. +EIN ZWISCHENSPIEL+. ERSTER AUFTRITT. (_Der Commissarius mit einem langen weißen Stabe, einem schwarzen Unterkleide, einem Mantel darüber, und einer gefärbten Kräuseschlafhaube. Der Wirth._) _Commiss._ Ja werther Freund, dem Geschäfte hat Der Richter von Toledo mich gesandt, Daß ich es schlichten soll mit allem Ernst. An diesem edlen Hofe strotzen ja Von Ungeziefer alle Fugen; ich Bin nun gekommen sie zu reinigen. Der weise Rath hat mich hierher gesandt Von Madrits Ufern -- _Der Wirth._ -- -- Ja, Herr Commissär, Die Plage, die der span’sche Boden trägt, Ist ärger noch, als einst Ägyptens Fluch. _Commiss._ Laß er die Sorge mir, mein edler Wirth, Obschon mein Geist es ahndet, das Geschäft Sey groß und mühsam; drum bereit’ er mir Zwey Flaschen Malaga und weißes Brot. Doch stille! was für Lärmen macht man hier? (_Ein Alguazil tritt ein, und schleppt einen Stutzer, mit einem Hute voll Bänder, Schleifen, und Federn mit sich._) _Der Wirth._ Was ist das? _Commiss._ -- -- -- Meine Alguazils sinds. (Sie bringen den Gefangenen zum Verhör.) _Alg._ In einem Straßenwinkel fanden wir, Hochedler Herr, den Narren hier; er gab Ein Zeichen auf dem prächtigsten Balcon, Auf dem ein Affe saß mit zwey Duennen; Der Affe knackte fleißig Nüsse auf, Und seine Frauen fraßen ihm den Kern; Der Bursche hätte gerne mitgenagt, Denn seine Zeichen waren voll Begierde -- Was quält den Burschen aber wohl, als Eßlust? Wir hätten ihm sein tolles Spiel gegönnt, Doch trieb er’s weiter bis zur Raserey. Er sprang von einem Haus ans andre hin, Und wo ein Kätzchen in dem Fenster saß, Da macht’ er Sprünge, wie ein junger Hund, Und schwang den Zopf, wie Budel ihren Schwanz. Die Kätzchen strichen mit den Pfötchen sich In süßem Selbstgefallen -- Bart und Kopf, Und warfen ihm für seine Gaukeley Flor, Blumen, Federn, Band und Handschuh zu. Er las es gierig auf, wie Haberkorn Die jungen Hühner, und sprang weiter fort. _Commiss._ Wer bist du? sprich! _Stutzer._ -- -- Ich bin des Glückes Sohn, Und wenigstens sein allernächster Freund. _Commiss._ Du bist ein Narr, drum ist das Glück dir hold; Drum hängest du den Schild der Narrheit aus. Doch sprich, was soll wohl dieser tolle Hut? _Stutz._ Des Ruhmes, der mir war, Posaune seyn. _Commiss._ Sie bläst sehr laut. Wo ist der Zierath her? Hast du vielleicht San Jago ausgeplündert? _Stutz._ Von sieben Damen sind es die Trophä’n. _Commiss._ Ich glaub’ es gern, daß du sie mit Gewalt Errungen hast. _Stutz._ -- -- Die Liebe gab sie mir. _Commiss._ Du lügst; wer liebet einen Narren wohl? _Stutz._ Die Damen. O Herr Commißär, Sie scheinen selbst für Weiber gut bestimmt. _Commiss._ Verwegner! wer hat dich gelehrt, so frech Dem Richter von Toledo zu begegnen, An dessen Statt ich hier bin? Doch Geduld, Hier hast du ein Geschenk, das er dir schickt, Und das dich immerfort bezeichnen soll. _Stutz._ Wie? Was? _Commiss._ -- -- Du hast der Kerne gar Zu viel gegessen; faste nun im Thurm. _(Sie setzen ihm einen carmoisinrothen Frauenzimmerhut auf, und stoßen ihn gewaltig in die Scene. Der zweyte Alguazil tritt mit einem Gecken, der sich schön zu seyn wähnt, ein.)_ _Alg._ Hier ist ein andrer. Commiss. -- -- Was ist sein Vergehen? In was hat er gesündigt? nur heraus! _Alg._ Er meint, er wäre schön. _Geck._ -- -- Bin ich es nicht? Ach tödtet mich doch nicht mit diesem Wort! _Commiss._ _(indem er die Brille aufsetzt.)_ Nach Recht und Pflicht! Man hat ihn hoch getäuscht, Mein lieber Freund! denn seine Nase war Für zwey Gesichter wenigstens bestimmt; Sein Mund ist wie ein Thor gestaltet, und Die Nasenlöcher sind geschlitzt, wie Augen; Sein Haar ist wie des Blutgerichts Fahne; Sein Aug’ ist stumpf und seine Höcker hat Er selbst vielleicht noch nie bemerkt. Mein Freund, Wenn er sich schön glaubt, hat er gar nicht Unrecht. _Geck._ Herr Commissär, Sie sprechen nicht nach Recht; Der Richter muß nicht nur das Eine sehen. Belieben Sie nur diese weiße Hand, Die sich so zärtlich küßt, _(er küßt sich selbst die Hand)_ auch zu betrachten. _Alg._ Laß er doch sehn! _(er küßt ihm auch die Hand)_ Es schmeckt nicht sonderlich. _Commiss._ Wie nennt er sich? _Geck._ -- -- Don Fenix. Ach wie schön klingt schon der Nahme! _Commiss._ -- -- Ja, ganz sonderbar Bist du vom Kopfe bis zum Fuß; doch sehet Auch nach, was er in seinen Taschen hat. _(sie durchsuchen die Taschen.)_ _Alg._ Ein Büchschen! -- -- sieh! voll Schminke, Spiegel, Kamm. _Geck._ Ach, laßt mir das! nehmt lieber mir das Leben! _Alg._ Hier noch ein Zettel -- seht, noch mehrere, Und sonderbare Zeichen drauf gekritzelt. _Commiss._ Ein Mittel, das die Hände weißer hält, -- Die Stirn zu glätten, an den Fingernägeln Die weißen Flecken zu vertreiben, Lippen Und Wange sich zu röthen. -- _Geck._ -- -- Alles trifft Genau so ein. _Commiss._ -- -- Schon gut! vollkommen reif Bist du fürs Tollhaus. Thuet eure Pflicht. _(Sie setzen ihm eine Narrenkappe auf, und der erste Alguazil tritt mit einer Dame ein.)_ _Alg._ Am Spiegel fanden wir die Dame hier. Sie machte sich die allertiefsten Knixe, Und -- hört! erklärte selber sich die Liebe. _Dame._ Ich liebe mich vor allen; niemand soll Mir dieses Herz entreißen, denn es schwor Die Treue mir. _Commiss._ -- Fürwahr ein seltsam Weib! Die Weiber sind sich selber sonst nicht treu. So treten Sie doch näher, Frau Narcisse! Wie war Sie wohl so in sich selbst verliebt? _Dame._ Ich konnte länger mir nicht widerstehen; An allen schönen Gaben fand ich mich So reich; jung war ich, hatt’ ein schön Vermögen; Mein Herz errieth gar bald den stillen Gram, Der mich verzehrte, kam auf halben Weg Entgegen mir, in feuriger Umarmung Gestand ich stotternd ihm, was ich empfand. Nun ist es mein Geliebter, weichet nimmer Von mir, eilt jedem Wunsche schnell zuvor, Und wird mich lieben, treu bis in den Tod. _Commiss._ Ihr seyd ein glücklich Weib; denn Eifersucht Wird euch gewiß nicht martern. _Dame._ -- -- Ach, mein Herr, Sie foltert mich nur allzu oft, Denn manchmahl hebt es doch den scheuen Blick Auf -- -- _Commiss._ -- Eine Dame? _Dame._ -- -- oder einen Mann, Und quält mich. _Commiss._ -- -- Ja, das glaub’ ich euch, Und rath euch, keines Menschen Sohn’ Mit eurer Liebe jemahls zu beglücken. Die Kappe! _(Sie erhält die ihrige, und der zweyte Alguazil tritt mit einem Poeten, der Bücher ausschreibt, ein.)_ _Der Wirth._ -- Seht, da kommt ein andrer Narr. _Alg._ Wir haben ihn ertappt, daß er gar frech Um Verse bettelte; und als man ihm Nichts gab, bestahl er kühn die Bücher selbst. _Commiss._ Nehmt ihm doch sein Gewehr, die Feder ab! _Poet._ Mein Herr, sie dienet nicht statt Waffen mir; Ich schneide Käse nur und Brot damit. _Commiss._ Nun gut! so sprich, was hat dich wohl veranlaßt, Die Dichter anzubetteln, die fürs erste So karg sind, daß sie ihren Geistesschwamm Wohl selber drey Mahl pressen, über dieß Nicht schenken dürfen, was Apollo jedem Zum Fruchtgenuß auf die Person verlieh? Doch welche, nenne sie, hast du bestohlen? _Poet._ Zu nennen weiß ich sie wahrhaftig nicht; Das war mir gleich, und ich bekenn’ es gern, Ich suchte meistens in der Nacht die Taschen. _Commiss._ Und fürchtetest du nicht, man werd’ am Tag’ Erkennen, daß es fremde Habe sey. _Poet._ Man läßt es niemahls, wie es war. _Commiss_. Du bist ein großer Mann. Die Kappe! Nimm, Hier dieser Lorbeer prang’ auf deinem Haupt! _Poet._ Ein Lorbeer? _Commiss._ -- -- Ja, doch ist er nur entstellt, Wie Verse, die du guten Dichtern stahlst. Sie kleidet ihren Mann. _Poet._ -- -- Doch nehmet mir Die Schelle; mir genügt bescheidner Ruhm. _Commiss._ Mein edler Freund, durch diesen schönen Zug Hast du fürwahr der Schellen -- zwey verdient. _(Man führt ihn mit gebundenen Händen ab; er scheint in Begeisterung. Der erste Alguazil führt einen Ritter ein.)_ _Ritter._ Mein Herr, ich bin ein Held. _Commiss._ -- Wer seyd ihr? _Ritter._ -- -- Held, und zwar ein großer. _Commiss._ -- -- Wer hat euch gekrönt? Wer hat beschrieben, was ihr all’ gethan? _Ritter._ Ich selbst. _Commiss._ -- -- Wie nennt ihr euch? _Ritter._ -- -- Don Wunderbar, Und jetzt quält mich mit euren Fragen nicht! Ich spreche nur mit Sterbenden und Todten. _Commiss._ Wo habt ihr euer Schwert? _Ritter._ -- -- Ihr seyd ein Schroll. So lange diese Faust noch Nerven hat, Und diese Nägeln Schärfe, soll kein Schwert Mich eh’ umgürten. Jene gab mir Gott, Und dieses ein gemeiner Handwerksmann. _Commiss._ Erzählt mir doch, was ihr gethan. _(Der Held drückt durch stumme Geberden aus, daß er erwürgt, und mit Füßen ertreten.)_ _Commiss._ Was sprecht ihr nicht? _Ritter._ -- -- Was unaussprechlich ist, Beschreibt man nicht mit Sprache. _Commiss._ -- -- Großer Mann! Neigt euer Haupt, daß ich euch kröne; tiefer! _(Der Held neigt sich sehr tief; der Commissär setzt ihm die Kappe auf, und der Held geht unter der Begleitung des Alguazil mit stolzen Schritten ab.)_ _Commiss._ Wahrhaftig, edler Freund, die Narren sind So zahlreich hier, daß meine Kappenzahl Mir nicht auf heute hinreicht; lass’ er mir Den Schneider kommen, -- wenn er nicht ein Narr ist. Indessen trinken wir vergnügt und klug Den Malaga, und essen unser Brot. _(Der Wirth und der Commissär gehen ab.)_ Nun traten wieder die drey Guitarrspieler auf, und sangen folgende Weise: Das ist so der Welten Lauf: Jeder nähret Grillen; Einer mutzt den andern auf; Alle möchten trillen. Haltet diesem Tadlerchor Ein Mahl doch den Spiegel vor; Sie -- die Weise waren, Sehen selber Narren. Der Vorhang fiel, und die ganze Gesellschaft äußerte ihren Beyfall mit lautem Händeklatschen. Leonardo, dem es gewaltig schmeichelte, zeigte sich bald, und erntete sein Lob ein. Besonders überhäufte ihn Louise damit, und alle ersuchten ihn, bald wieder ein kleines Stück zu verfassen, was er auch mit Mund und Hand versprach. Louise gab jedem Schauspieler zwanzig Realen, und Antonio lud sie auf den folgenden Tag zu sich zu Tische. Louise war diesen Abend so nachsichtig, daß sie selbst über einen kleinen Schmatz, den er ihr zu rauben wagte, nicht ungehalten war. Um Antonio mit einer angenehmen Gegenunterhaltung zu überraschen, beschloß die weibliche Gesellschaft, ihm über acht Tage ein kleines Stück in demselben Saal’ aufzuführen, das sie schon vorlängst einstudiert hatte, und dessen Vorstellung nur durch den unvermutheten Tod Don Fernando’s gehindert worden war. Daß sich Louise die Hauptrolle vorbehielt, versteht sich von selbst. Der Tag der Vorstellung kam; die Gesellschaft war schon versammelt, und es fehlte nur mehr Antonio, als plötzlich Leonardo erschien, und Louisen meldete, daß sein Herr von dem Präsidenten des hohen Rathes in Geschäften Seiner Majestät abgerufen worden sey, und daß es ihm ungemein leid thue, eine so vortreffliche Gesellschaft und Unterhaltung entbehren zu müssen, und daß er ihn deßhalben mit zweyen seiner Freunde geschickt habe, um mit ihnen dem Schauspiele beyzuwohnen. Louise bezeigte ihr Mißvergnügen über seine Abwesenheit, und die Komödie ward aufgeführt. Die Vorstellung war ein Meisterstück von Lebhaftigkeit: sie waren alle prächtig, und Louise als Mann gekleidet. Mogrobejo übertraf sich selbst an Munterkeit und Witz. Als sie schon alle wieder ihre vorige Kleidung anhatten, kam Antonio erst vom Präsidenten zurück, und war äußerst unmuthig, daß er das schöne Schauspiel versäumet habe, das ihm Leonardo und seine Freunde so reitzend schilderten. Nur Louise hatte ihr Mannskleid noch nicht abgelegt, um ihn an der Thür zu überraschen. Es ließ ihr so wunderschön, daß Antonio den holden Knaben nicht genug angaffen konnte. Louise bedauerte sehr, daß sie ihn vermißt habe, und gab ihm endlich ihr Wort, daß sie ihm wieder über acht Tage, in der Quinta des Connetable, ein anderes Stück geben wolle; nun treffe aber wieder ihn die Reihe, das Fest anzuordnen. Sie wußte wohl, daß er sich prächtig einstellen werde, und er nahm auch den Befehl mit Freuden an. Sie würden dann alle bey ihm ein kleines Abendschmäuschen halten, sagte er, und sie solle ihm nur auf einem kleinen Zettel anmerken, was sie zum Schauspiele vonnöthen habe. Er erhielt bey dem Besuche am nächsten Abend’ ein vollständiges Verzeichnis von Kleidungsstücken von sechs Personen: das Stück, das Mogrobejo in der Eile verfaßte, spielte in der Heldenzeit, und die Personen waren alle Prinzen und Prinzessinnen. Louise spielte einen jungen Helden, dem die Sclaven eine reiche Beute nachtragen. Am Ende des Zettels waren Federn, Ringe und _falscher_ Schmuck nur hingeworfen. Louise hatte vorsetzlich _falscher_ Schmuck geschrieben, weil sie gar nicht zweifelte, daß er wenigstens für ihre Person echten ausborgen würde. Antonio mußte freylich täglich vor dem Rath’ erscheinen; indessen war doch aller Anschein, daß er denselben Tag würde los kommen können, und ließ denn den Saal, Erfrischungen, Abendschmäuschen, nebst allem übrigen, was zum Feste gehört, bereit halten. Zwey Tage vor dem, der zum Schauspiele bestimmt war, schickte der Genueser die ganze Guarderobe. Louise hatte vermuthet, daß er höchstens die schönsten Kleider, die man allenfalls bey einem Trödler bekäme, ausborgen würde; er hatte aber zu ihrer allen größtem Erstaunen alles ganz neu verfertigen lassen. Alles war von Atlaß, Sammet, Taffet, oder anderem Seidenstoffe, und reich mit Gold und Silber verbrämt. Federn, Schnällchen, Blumen, Ketten und Ringe waren in Überfluß, und für Louisen versprach er den Schmuck, der sie zieren sollte, des Abends selbst mitzubringen. Er brachte auch wirklich den Schmuck mit, den ihm seine selige Gattinn hinterlassen hatte, und erklärte mit einem bedeutungsvollen Lächeln, daß er ungemein neugierig sey, wie Louisen dieser Schmuck seiner seligen Frau passen werde. Louise überhäufte ihn diesen Tag mit so vielen Liebkosungen, und wußt’ ihm dabey doch so sittsam zu schmeicheln, daß er seiner Hoffnung immer freyeren Spielraum ließ. Zwischen den zwey Tagen, bis zur Aufführung des Schauspiels, war unsere Gesellschaft gar nicht müßig, und Theodore machte Anstalt, daß in den beyden Nächten alles, was von Bedeutung im Hause wäre, aufgeräumt, und anders wohin in Sicherheit gebracht würde. Der Tag des Schauspiels erschien; Antonio’s Bediente waren schon in der Quinta, und bereiteten alles. Der Genueser war, um Zeit zu gewinnen, auf einem Maule in den Rath geritten. Theodora, ihre Töchter, Banuelos und Mogrobejo setzten sich in ihre Kutsche, nahmen allen Schmuck, und die ganze Guarderobe mit sich, und fuhren, anstatt zu Alcalathore hinaus, in ein kleines Häuschen, in Quartiere Santa Barbara, das Mogrobejo vorläufig gemiethet hatte. Hier nahmen sie augenblicklich andere Kleider; Mogrobejo führte den Wagen zu einem Sattler, um sein Äußeres so geschwind’ als möglich ändern zu lassen. Die Pferde wurden auch heimlich untergebracht; und um noch sicherer zu seyn, theilte sich unsere Gesellschaft in die ursprünglichen zwey Parteyen; die eine begab sich nach Illescas, und die andere nach Valdemoro. Sobald unser Genueser von dem Rath’ abgefertigt war, trappte er frohes Muthes, und in den schönsten Aussichten von der Welt, der Quinta zu. Er fand niemanden, als seine Bedienten, und die drey Köche, die er bestellt hatte, fragte nach den Damen, und als er hörte, daß sie noch nicht da wären, war er sehr unruhig; denn er dachte nichts anderes, als daß ihnen irgend ein Unglück begegnet seyn dürfte. Er stieg denn wieder auf seinen Maulesel, stieß ihm mit den Knien fleißig in die Lenden, und kam sehr geschwinde bey Louisens Haus’ an. Er fand die Wohnung gesperrt, erkundigte sich bey den Nachbarn, und vernahm, daß die ganze Familie schon abgefahren sey. Er kam nun auf den Gedanken, daß sie ihre Freundinnen abgehohlt haben würden, und so blieb ihm nichts übrig, als in der größten Verlegenheit, daß nun er vielleicht auf sich warten ließe, nach der Quinta zurück zu eilen. Er fand aber noch niemanden, und wußte nun nicht, was er von diesem langen Ausbleiben denken sollte. Er wartete bis neun Uhr in der peinlichsten Ungeduld, und es war noch niemand zu sehen und zu hören. Endlich trat ein Bedienter ein, und gab Antonio einen Brief, den ihm, wie er sagte, am Thor’ ein Unbekannter gegeben habe. Er brach ihn zitternd auf, und las: „Bester Antonio, seyn Sie nicht bekümmert, daß Sie Ihre Nachbarinnen nicht finden; sie sind an einem Orte, wo man sie unmöglich finden kann. So viel für jetzt.“ Der Genueser stand da, wie vom Donner gerührt; er gerieth endlich in fürchterliche Wuth, und schwor allen, wenn sie ihn betrogen hätten, Tod und Verderben. Seine Bedienten mußten ihn wie einen Tieger bändigen, brachten ihn in den Wagen, und führten ihn nach Madrit. Auf dem Wege besänftigte er sich wieder etwas, und schloß aus den letzten Worten des Briefes: „So viel für jetzt,“ daß es vielleicht nur ein Scherz sey, und daß sie ihn vielleicht in seinem Hause erwarteten; er war aber nur zu bald vom Gegenteile überzeugt. Louisens Wohnung war auch noch versperrt, und er wartete nun am Hausthore bis lange nach Mitternacht, ob er ihre Ankunft nicht erwarten könnte; aber niemand kam. Er schlief die ganze Nacht nicht eine Secunde, und ließ sich mit Tages Anbruche bey Louisens Hausherrn, der noch im Bette lag, melden. Von diesem vernahm er denn, daß ihm Louise Tages zuvor die Schlüssel der Wohnung zurück gestellt, und ihm gesagt habe, daß sie sich Geschäfte halber nach Toledo begeben habe. „Sie hat Ihnen aber ja die tausend Reale bezahlt,“ sagte Antonio. „Was für Reale?“ „Die Jahresmiethe für die Wohnung.“ „Die Jahresmiethe? Die Wohnung war ja nur auf zwey Monathe gemiethet.“ „Wie sagen Sie?“ schrie Antonio, und war im ganzen Antlitze scharlachroth. „Ich bin aber auch für diese zwey Monathe nicht bezahlt,“ sagte der Hausherr, „und Sie werden belieben, mich zu bezahlen.“ „Wer? Ich?“ schrie Antonio, und erstickte beynahe vor Wuth. „Ja, Sie,“ sagte der Hausherr; „Sie werden doch nicht läugnen, daß die Dame bey Ihnen Gelder stehen hat; daß dieß hier Ihre schriftliche Anweisung ist?“ „Diebe! Mörder!“ schrie Antonio, und packte den Hausherrn bey der Brust, faßte sich aber doch gleich wieder, und sagte: „Vergeben Sie einem unglücklichen Manne, den man zum Bettler gemacht hat. Man hat Sie betrogen, wie mich. O ich Thor! ich Rasender! ich Narr! ich alter Sünder,“ -- bey jedem dieser Titel schlug er sich mit geballter Faust vor die Stirn -- „nun bin ich ein Bettler, bin auf ewig unglücklich.“ So weit war es eben nicht gekommen; indessen hatte ihn die schöne Wittwe, die nun wieder Jungfrau geworden war, nebst den sechs tausend Thalern, die ihr Grimaldi angewiesen hatte, um mehr als zwölf tausend Escudo’s geprellt. Der arme Antonio eilte zu dem Richter, schickte die Alguazils nach allen zwey und dreyßig Winden aus; aber alles Nachsuchen war vergebens. Nach acht Tagen hatte man noch nicht die geringste Spur, und nun erhielt er, um ihn vollkommen zu Verzweiflung zu treiben, die Nachricht, daß sein einziger Sohn zu Genua auf den Tod läge, und ihn um den letzten väterlichen Segen bitte. Er reiste denn mit dem festen Vorsatz’ ab, nach seines Sohnes Tod’ oder Genesung eine kleine Reise durch die ganze Welt zu machen, um die Schlange irgend wo zu finden und zu zertreten. DRITTE SPAZIERFAHRT. Da nun auch dieses Abenteuer glücklich abgelaufen war, fingen die beyden andern Schwestern ihr Werk desto freudiger an. Constanze war älter, folglich gebührte ihr der Rang. Louise und Feliciane trugen ihnen allen Beystand an, den sie ihnen leisten konnten; besonders aber den Wagen, der ihnen vor allem unentbehrlich war. Die Sevillanerinnen waren nun zu Valdemoro, und die andern zu Illescas: dort vereinigten sie sich aber wieder, und Constanze stieg allein mit der alten Banuelos und Mogrobejo in den Wagen, der unterdessen ganz ein anderes Ansehen bekommen hatte; auch hatte sie andere Pferde und einen andern Kutscher. Mogrobejo hatte, um sich unkennbar zu machen, seinen Spitzbart länger wachsen lassen, und trug ehrwürdige Augengläser auf der Nase. Auch Constanze hatte die Person schon ausersehen, die sie mit ihrer Begünstigung glücklich machen wollte. Louise hatte ihr den Traueranzug geschenkt, und diesen wählte sie auch zu ihrer Unternehmung, theils, weil er ihr sehr gut ließ, theils, weil die Wittwenrolle mit dem geringsten Aufwande gespielt werden konnte, theils, weil sie sich in einen Plan einließ, nach dem sie durchaus scheinheilig seyn mußte. Sie kamen wohl behalten in Madrit an, und bezogen eine Wohnung in dem Stadtviertel de la Merced. Die Person, auf welche ihre Absicht gerichtet war, war einer der reichsten Pfarrer am Hofe, ein gelehrter Priester und Doctor der Theologie. Wir wollen ihn um gewisser Ursachen willen nicht nennen, sondern ihn immer nur den Doctor heißen. Seine Pfarre trug ihm sehr viel ein, obschon er ein großes Vermögen von seinem Vater geerbt hatte, und von zwey Bischöfen jährlich mehr als zwey tausend Escudo’s bezog. Er hatte also jährlich über viertausend Escudo’s zu verzehren, und war doch dabey der größte Filz unter der Sonne. Das Hausgesinde des Doctors bestand aus einer Schwester, die schon lange über die Jahre der Anfechtung hinaus war, und die er schon lange zur Nonne gemacht hätte, wenn sie es nicht in der Hoffnung einer reichen Erbschaft weislich hätte bleiben lassen; einer Haushälterinn, einem Studenten, der ihm Gesellschaft leistete, und einem alten Maulesel. Constanze erschien täglich mit der sittsamsten Miene, und einem langen Rosenkranz’ am Arm’, in der Messe; die Duenna und der Escudero begleiteten sie. Eines Tages ging sie nach der Messe auf den Kirchhof, der an das Gotteshaus stieß, wandelte auf und nieder, betrachtete alles ringsum sehr aufmerksam, und sprach leise mit dem Escudero. Unterdessen stand der Pfarrer immer am Fenster der Sacristey, und hätte gar zu gern gewußt, was sie mit solcher Aufmerksamkeit betrachte. Sie begab sich aber sittsam in den Wagen, und fuhr ab. Den nächsten Morgen kam sie wieder zur Messe, ging wieder auf den Kirchhof, und begnügte sich nicht damit, daß sie ihn sehr aufmerksam betrachtete, sondern Mogrobejo mußte auch einen Theil desselben schrittweise abmessen. Der Pfarrer hatte wieder aus dem Sacristeyfenster zugesehen, und konnte nun sein Verlangen, dieses Räthsel aufgelößt zu sehen, nicht länger unbefriedigt lassen; er ging hinaus, machte ihr eine artige Verbeugung, und fragte sie womit er ihr dienen könne. „Ich sehe,“ sagte Constanze mit niedergeschlagenen Augen, „daß Sie die vornehmste Person in dieser Kirche sind. Mein Escudero mußte mir hier diese Stätte der gottseligen Ruhe abschreiten, damit ich sehen könne, ob auch Raum genug wäre, meine Absicht hier auszuführen. Wenn es Ihnen nicht ungelegen wäre, würd’ ich Sie bitten, mich in die Kirche zu führen, um Ihnen meine Absicht ausführlich erklären zu können.“ Er führte sie in eine kleine Seitenkapelle, die aber so schlecht mit Geräthe versehen war, daß sie sich auf einige Altarpölster, und er in einen Beichtstuhl setzen mußte. „Mein hochwürdiger Herr,“ begann sie, „ich bin aus Sevilla, von adeligen Ältern geboren; mein Vater hieß Don Lope de Monsalva, meine Mutter Donna Mencia de Sahabedra, und ich, ihre einzige Tochter, heiße Donna Rufina de Monsalva und Sahabedra. Meine Mutter nahm mir Gott sehr früh, und mein Vater, der noch ein sehr junger Mann war, warf sein Augenmerk auf eine Dame derselben Stadt, und wollte sich mit ihr verbinden; sie hatte aber zwey Brüder, die ihre Schwester gar zu gern geerbt hätten; sie setzten sich heftig entgegen, und drangen durchaus darauf, daß sie Nonne werden sollte. Sie war meinem Vater sehr geneigt; sie fanden Gelegenheit, sich öfters heimlich zu sprechen, und kamen endlich überein, daß sie sich heimlich wollten trauen lassen. Sie thaten es, und setzten ihre heimlichen Zusammenkünfte fort; ich war die Frucht ihrer Liebe. Nun entdeckten die Brüder plötzlich durch eine treulose Magd das ganze Geheimniß, stellten meinem Vater heimlich nach, und -- tödteten ihn. Ich war nun eine Waise, und ohne alles Vermögen; niemand nahm sich meiner an, als eine Muhme, die mich in das Nonnenkloster San Leander zur Erziehung gab, wo ich auch bis in mein sechzehntes Jahr blieb. Damahls erst fing mein Glück zu dämmern an. Mit einer Flotte aus Indien kam ein ansehnlicher Cavalier an den Hof; er war sehr reich, und hatte von einem Vetter meiner Muhme, bey der ich nun im Hause wohnte, ein Empfehlungsschreiben mit sich. Er besuchte sie öfters, und sah auch mich bey dieser Gelegenheit. Er erkundigte sich, wer ich wäre; meine Muhme erzählte ihm die unglückliche Geschichte meines Vaters, und er gewann eine solche Neigung zu mir, daß er förmlich um mich warb. Binnen vierzehn Tagen war ich ihm angetraut, und er gab mir zur Morgengabe zwanzig tausend Escudo’s; sein ganzes Vermögen aber beträgt über hundert zwanzig tausend Ducaten. Wir lebten sechs Jahre mit einander, in welcher Zeit wir gar kein Kind mit einander hatten. Endlich starb der gute Mann, und machte mich zur Erbinn des ganzen Vermögens: nur vierzehn tausend Ducaten bestimmte er zu einer prächtigen Kapelle, die ich in dieser Stadt bey irgend einer Kirche bauen lassen sollte. Er bestimmte aber nur die Summe, und räumt es übrigens ganz meiner Willkür ein, wie ich sie bauen lassen wollte. Ich denke nun es so einzurichten, daß vier Kapelläne mit einem jährlichen Einkommen von zwey hundert Ducaten, und einer, dem die andern untergeben seyn sollen, mit drey hundert dabey angestellt werden. Ich will sie auch nicht an diesen Kapellendienst allein binden; denn warum sollt’ ich ehrwürdige Väter hindern, ihr ohne dieß geringes Einkommen, das sie ohnehin meistens auf Almosen verwenden, noch in etwas nebenbey zu vermehren. Ich bin nun vierzehn Tage hier, und habe alle Kirchen besehen, aber hier nach meiner Meinung noch den besten Platz gefunden. Man könnte unter der Kapelle die Gruft anbringen, was ungleich prächtiger lassen dürfte, als der Kirchhof. Ob es mir nun erlaubt seyn werde; ob mir die Stadtobrigkeit, oder der geistliche Rath nicht entgegen seyn werden, wünsche ich jetzt aus Ihrem Munde zu hören.“ „Dafür lassen Sie mich sorgen, gnädige Frau!“ antwortete der Pfarrer voll Feuer, und sah sich schon im Besitze von drey hundert Ducaten. „Das wäre schön, wenn der geistliche Rath die Erfüllung frommer Vermächtnisse hindern wollte! Wie wollt’ er das? Wie könnt’ er das? Jeder Platz gehört Gott, um so viel mehr ein Kirchhof, als ein eigens geweihter Ort. Und was gingen die Stadtobrigkeit geistliche Dinge an? Sie mag ihre profane Nase in andere Dinge stecken, mag Betriegern und Betriegerinnen auf die Spur zu kommen suchen; aber unsere heiligen Sachen gehen ihr nichts an. O gnädige Frau! Gott hab’ Ihren seligen Gemahl selig! sein Werk ist um desto verdienstlicher, da er dadurch in einer so verdorbenen Zeit ein heldenmüthiges Beyspiel des standhaften Christenthums gibt. Säumen Sie auch nicht, seinen frommen Wunsch zu erfüllen, damit wir ihn nicht aufhalten, wenn seine Seele etwa bis zur völligen Herstellung noch etwas zu leiden hätte.“ „Ich weiß aber noch nicht,“ sagte sie, „ob wir hier das volle Maß, das ich gewünscht hätte, heraus bringen werden.“ „Wollen sie denn Euer Gnaden gar so groß bauen?“ sagte der Pfarrer. „Wie viele Schritte haben Euer Gnaden angeschlagen?“ „Sechzig in die Länge, zwey und dreyßig in die Breite.“ Nun fing der leibige Pfarrer augenblicklich an, wie ein fettes Leichhuhn über die Gräber fortzutrippeln, und den Raum mit kurzen Schritten abzumessen. „Mehr als zu viel!“ schrie er endlich; „es gibt noch ein Beinhaus, und ein kleines Leichenbehältniß. Wir kriegen aber doch auch ein Thürmchen, gnädige Frau? Wir haben eine überflüssige Glocke, und irgend eine andächtige Seele wird uns es auch nicht an einer Uhr fehlen lassen.“ „Um meines seligen Mannes Wunsch ganz zu erfüllen,“ sagte Constanze, „wird es mir nicht zu viel seyn, auch diese Kleinigkeiten aus meinem Vermögen zu bestreiten, das nach meinen Bedürfnissen ohne dieß viel zu groß ist. Ich gestehe es Ihnen auch, hochwürdiger Herr Pfarrer, daß es mir in so weit wirklich zur Last ist, als ich es nicht weiß, was ich damit anfangen soll. Übrigens habe ich noch eine Bitte an Sie.“ „Sie befehlen, gnädige Frau! worin kann ich dienen?“ „Ich wünschte sehr, daß Sie es auf sich nähmen, meinen Bau gegen alle Hindernisse zu schützen, mir erfahrne Leute zu dem Baue selbst vorzuschlagen, und endlich -- thun Sie es um meines seligen Mannes willen -- nehmen Sie dann die Oberaufsicht über die vier Kapläne an.“ „Mit Freuden,“ antwortete der Pfarrer; „zu was mich Gott in seinem Dienste rufen will, dazu bin ich auch bereit. Sie haben mit mir zu befehlen; und da Sie ein frommes Werk unternehmen, so bin ich Ihnen gewisser Maßen Gehorsam schuldig.“ Sie wären nun über die Präliminarien einig gewesen. Sie sagte dem Pfarrer ihre Wohnung; er besuchte sie sehr emsig, und befahl auch seiner Schwester, sie zu besuchen, deren Liebe Constanze augenblicklich zu gewinnen wußte. Das Erste, was sie that, war, daß sie dem Pfarrer ihres Mannes Testament zeigte, und ihn versicherte, daß sie nun in einigen Tagen thätig Hand ans Werk legen werde. Sonntags Abends kam sie mit ihrer Duenna und dem Escudero in der Pfarre an, um der Schwester des Pfarrers den erhaltenen Besuch zu erstatten. Sie ward mit allem, was Küche und Keller vermochten, bewirthet; und als sie mit einbrechender Dämmerung wieder nach Hause fahren wollte, bath sie der Pfarrer, noch ein wenig zu bleiben, und der Sitzung einer kleinen Akademie beyzuwohnen, die er aus Liebe zu den Wissenschaften und der Musik, in seinem Hause, mit Hülfe einiger Freunde errichtet hatte. Constanze nahm die Einladung unter dem Bedingniß’ an, daß sie und seine Schwester ungesehen zuhören könnten. Das war ausführbar, und er führte sie an ein Fenster mit einem Vorhange, aus dem sie in den Saal sehen konnten, der auf eine merkwürdige Art zubereitet war. Er war ganz mit Tannencisten geziert, und mit Sträußen von Wiesen- und Gartenblumen behangen; oben am Saale standen drey lederne Stühle an einem Schreibtische, und weil es schon dunkel war, begann man rings um den Saal die messingenen Wandleuchter anzuzünden. In der Mitte war ein Hängeleuchter, auf dem drey bis vier Altarkerzen brannten. Es währte nicht lange, so erschienen die Akademiker. Der erste war der Pfarrer selbst, der die Gesetze der Akademie, auf einer Rechentafel geschrieben, trug; der zweyte war der Sacristeydiener, der in den Nebenstunden kleine Predigten verfaßte; der Cantor und sein Bruder, der bey einem Sachwalter als Unterschreiber diente, und welche beyde in dem ganzen Pfarrsprengel das Monopolium der Hochzeit- und Leichengedichte an sich gerissen hatten; sie verfertigten auch Neujahrswünsche, kleine Verse für die Zuckerbäcker, und Inschriften auf die Leichensteine. Nach diesen kam der Kapellan, der aus Wachs kleine Opferthiere verfertigte, und mit besonderer Geschicklichkeit verschiedene Figuren aus Pflaumen- und Aprikosenkernen zu schnitzeln wußte. Indessen, weil sie nicht einig werden konnten, unter was für eine der schönen Künste sie seine Arbeit rechnen sollten, hatten sie ihm, ungeachtet seiner Geistlichkeit, einen so späten Rang angewiesen. Nach diesem kam ein Musicus, der zuweilen auf dem Chore spielte, sonst aber in den Wirthshäusern seine Kunst trieb, und Grab- Hochzeit- und andere Lieder verfertigte. Endlich erschien der Student, der bey ihm im Hause wohnte, und den sie der Tanzkunst widmeten, weil er geschickt Hunde abzurichten wußte. Um Constanzen eine rechte Ehre zu erweisen, sagte ihr seine Schwester, daß in der Gesellschaft noch ein Mitglied für die Baukunst fehle, und daß sie gar nicht zweifle, ihr Bruder werde den Steinmetz, wenn er sich bey der Kapelle auszeichnete, unter sie aufnehmen. Sie begannen nun ihre Arbeit, und jeder legte einen neuen Beweis seiner Fähigkeit ab. Der Pfarrer eröffnete die Sitzung mit einer Abhandlung über den Ursprung des Gebeths, in der er nicht undeutlich vermuthete, daß Gott den ersten Menschen eine Art von täglichem Breviarium vorgeschrieben, und ihnen daher auch die Gabe, Geschriebenes zu lesen, eingegossen habe. Der Sacristeydiener ging vor die Thür, weil der Saal zu ebner Erde war, zum Fenster herein, was eine Kanzel vorstellen sollte, eine Predigt über die Raupen, die diesen Sommer alle Bäume im Pfarrgarten verdorben hätten, zu halten. Der Cantor hatte drey Gedichte gemacht, das eine enthielt die ganze Passion, und die andern zwey die Geschichte des linken und des rechten Schächers; und diese drey Gedichte hatte er in der Form eines Kreuzes geschrieben, so, daß sie einen förmlichen Calvaria vorstellten. Sein Bruder, der Schreiber, las unmittelbar darnach ein Gedicht zum Lobe des Tabakschmauchens. Der Kapellan stellte ein neues Schwein dar, das er aus Wachs gemacht hatte, und die Hälfte einer glücklich abgenommenen Frauenbrust, wovon man aber das eine eben so gut für ein Schaf, und das andere für die Hälfte eines Hinterbackens hätte ansehen können. Der Musikus hatte eine neue Melodie auf das Nachtwächterlied verfertigt, und nun traf die Reihe den Studenten, der seinen Hunden wieder neue Sprünge und Fratzen gelernet hatte. Nun hatte aber der Pfarrer seinen Akademikern, wie gewöhnlich, frischen Schinken, geräucherte Ochsenzungen, und kalte Pasteten auftischen lassen; und da die Hunde des Studenten, da ihr Herr selbst von des Pfarrers Gnade lebte, immer bey dem gesundesten Appetite zu seyn pflegten, hatten sie auch jetzt kaum drey bis vier Sprünge durch den Reif gemacht, als sie sich erdreisteten, mit ihren profanen Pfoten den Tisch zu besteigen, und unter den Libationen eine solche Verheerung anzurichten, daß alle Akademiker von ihren Stühlen aufsprangen, und diese frechen Schüler der Erato aus ihrem Hörsaale vertrieben. Es war aber leider zu spät, und man mußte sich mit sehr geringen Überbleibseln begnügen. Die Versammlung ging also sehr mißmuthig aus einander, und Constanze ging vergnügt nach Hause. Nun war keine Zeit mehr zu verlieren. Den nächsten Morgen mußte sich Mogrobejo nach einem vertrauten Freund’ umsehen, der sich für einen erst aus Toledo angekommenen Architecteur ausgeben, und zwey oder drey Risse von einer Kapelle mit sich bringen sollte. Der Escudero war scharfsichtig, wie ein Falke, und wendete sich daher an keinen untüchtigen Mann. Er sollte sich den folgenden Tag, an dem sie vom Pfarrer Besuch erwartete, einfinden. Der Pfarrer kam; der Baumeister kam; man vereinigte sich über den Plan, und ließ einen Notar rufen, vor welchem und zwey Zeugen sich der Baumeister anheischig machte, die Kapelle binnen einem Jahre herzustellen; dafür verlangte er zwey tausend Escudo’s im vorhinein; Constanze fand aber diese Summe zu groß, und erklärte sich, daß sie unterdessen drey hundert Escudo’s geben wollte, womit sich der Baumeister befriedigte. Sie lud alle über zwey Tage zum Mittagmahle ein, und da sollte sogleich Hand ans Werk gelegt werden. Nun schickte Constanze den Escudero noch denselben Abend zu ihren Freundinnen um den Schmuck, und erhielt ihn auch sogleich in einem ansehnlichen Futterale von carmoisinrothem Saffian. Sie schickte dasselbe nun unverzüglich zu einen Futteralmacher, und ließ ein so ähnliches verfertigen, daß man es von dem rechten kaum unterscheiden konnte. Nun ließ sie den Pfarrer rufen, der sich auch im Augenblicke einfand. Sie nahmen Stühle, und Constanze sprach: „Herr Doctor, ich habe acht tausend Escudo’s bey den Fuggern[B] stehen, die ich zu ansehnlichen Zinsen genieße; mein seliger Mann hat sie aber nur unter dem Bedingnisse untergebracht, daß er sie einen Monath vor der Herausbezahlung aufzukündigen habe. In der Verwirrung, in die mich der plötzliche Tod meines Mannes setzte, hab’ ich nun vergessen, die Aufkündigung einzuschicken, und bin nun in der Verlegenheit, daß ich das Geld gerade jetzt, da ich es am nothwendigsten brauche, nicht habe. Ich sehe mich denn, so schwer es mir fällt, gezwungen, meinen ansehnlichen Schmuck bey einem vertrauten Manne, gegen billige Bedingnisse, auf einen Monath einzusetzen. Hier ist er,“ sagte sie, indem sie aus der Estrata ein Lädchen unter dem Überzuge hervor nahm, und dem Pfarrer, der in seinem Leben nie solchen Schmuck gesehen hatte, die reichen Geschenke des Mailänders und des Genuesers zeigte. „Lieber Gott!“ sagte der Pfarrer; „das ist ja über hundert tausend Escudo’s werth.“ „Nicht doch, Herr Pfarrer!“ sagte sie; „Sie sind ein schlechter Kenner: der ganze Werth besteht in etwas über dreyßig tausend Escudo’s; und gerade, weil dieß doch keine Kleinigkeit ist, wünscht’ ich irgend einen Mann zu wissen, bey dem ich nicht Gefahr liefe; denn bey jetziger Zeit kann man sich wahrhaftig nicht genug hüthen.“ Während dieser Rede hatte sie das Futteral wieder versperrt, und in das Lädchen gelegt. Der Pfarrer wünschte der großmüthigen Dame in allem Genüge zu leisten, und both sich an, ihr die acht tausend Escudo’s noch denselben Tag aus seinem eigenen Vermögen einzuhändigen. „Belieben Sie nur,“ sagte er, „eine Schrift wegen Leben und Tod bereit zu halten.“ Constanze nahm den Antrag mit Freuden an, und zog geschwinde unter dem Überzuge der Estrata das andere Futteral, welches ebenfalls versperrt war, hervor. Der Pfarrer nahm es, und wollte forteilen; an der Thür kehrte er aber noch um, und sagte: „Hören Sie, gnädige Frau, die Baumeister sind Leute, die immer bares Geld sehen wollen. Damit wir ihn nun nicht abschrecken, bring’ ich Ihnen lieber gleich die tausend vier hundert Escudo’s an der Stelle, und des Abends die andern acht tausend, damit Sie dann Ihr Geld ganz beysammen haben.“ Er hielt auch genau Wort, und Constanze hatte die ganze Summe in Händen. Der Pfarrer hätte den Schmuck gern seiner Schwester gezeigt, wagte es aber nicht, zu Constanzen um den Schlüssel zu schicken, weil es einem Mißtrauen ähnlich gesehen hätte. So bald die schöne Wittwe das Geld in Händen hatte, machte sie sich mit ihrer Duenna und dem Escudero nach Lescas auf. Ihrem Hausherrn schützte sie vor, daß sie das Quartier verlasse, weil es ihr zu melancholisch wäre, und so fuhr sie denn mit allem Geräth’ ab, und verbarg sich bey ihren Freundinnen so gut, daß sie niemand hätte finden können. Nun kam der Pfarrer, und hörte, daß seine reiche Gönnerinn eine andere Wohnung bezogen habe; die Hausleute versprachen ihrem hochwürdigen Herrn Pfarrer aber, daß sie ihm bis morgen schon sagen wollten, wo sie wohne. Den andern Tag sehr früh kam er wieder; man wußt’ es noch nicht: er kam des Abends, und man wußt’ es noch nicht. Nun begann er erst Argwohn zu schöpfen; er lief nach Hause, und da seine Schwester darauf bestand, daß er einer Betriegerinn in die Hände gerathen sey, beschloß er endlich, das Futteral zu öffnen, und sich aus dieser peinlichen Ungewißheit zu reißen, es kost’ auch, was es wolle. Er öffnete es denn, und fand anstatt der Diamanten die schönsten und artigsten kleinen Kieselsteine. Die Pulsen standen ihm stille; seine Schwester rieb ihm die Schläfe, und hielt ihm ein Riechfläschchen vor. Er erhohlte sich wieder, und lief zu dem Richter: was half aber alles Nachsuchen des Richters, wenn sich eine von unsern Heldinnen verbarg? Er fiel in eine Todeskrankheit, von der er sich sehr langsam erhohlte, und vom Tage des entdeckten Betruges an war er ein Teufel, der das ganze Haus peinigte, und mit dem es niemand mehr aushalten wollte. Besonders hatten die Akademiker seinen Unmuth empfunden; denn als sie ihn denselben Tag besuchten, um wieder eine Sitzung zu halten, mißhandelte er sie so, daß sie schworen, ihn vor Gerichte zu belangen. Fußnote: [B] Eine reichsgräfliche Familie, deren Reichthümer in Spanien zum Sprüchworte geworden sind. VIERTE SPAZIERFAHRT. Dorothee, welche nun die Reihe traf, ließ vier Monathe verstreichen, bevor sie eine neue Unternehmung wagte, damit sich unterdessen das Gerücht vom Kapellenbaue verlieren möchte. Auch benützte man diese Zeit, um den Wagen wieder anders zuzurichten, und Kutscher und Pferde zu wechseln. Endlich fand sie es räthlich, in Gesellschaft ihrer Mutter, und der alten Banuelos zu Madrid einzuziehen. Sie nahmen ihre Wohnung dieß Mahl zur Abwechslung in dem Martinsviertel. Nach einigen Tagen begaben sie sich mit dem neuen Escudero, den sie aufgenommen hatten, unter das Thor von Quadalaxara. Als die jungen Herren, die auf dem Markte herum spazierten, einen Damenwagen an einem Kaufmannsgewölbe halten sahen, liefen sie wie Hasen davon, um nicht etwa in die Verlegenheit zu gerathen, wenn es eine von ihren Bekannten wäre, aus Artigkeit oder Tändeley ein Geschenk anbiethen zu müssen. Dorothee ließ sich eine goldener Tabatiere, und etwas von Frauenputz an den Wagenschlag bringen. Mit einem Mahle kam ein fremder Cavalier, der erst unlängst aus Andalusien angekommen war, und nun hier den Zusammenfluß der Madriter schauen wollte, an dem Wagen vorüber. Die schöne Dorothee fiel ihm auf, und als ein Mann von Welt, machte er ihr sogleich seine tiefe Verbeugung. Er mochte beyläufig sechs und zwanzig Jahre haben, war klein von Person, aber niedlich gebaut, und ganz fertig, ein Gespräch mit feinen Wendungen und drolligen Einfällen zu würzen; dabey war er aber von ungemein verliebter Stimmung, und sein Kopf war vom Romanenlesen ein wenig angebrannt. Dorothee bemerkte den raschen Eindruck, den sie auf ihn gemacht habe, und begegnete seinem Blicke vorsetzlich einige Mahl. Er ward muthiger, trat an den Wagenschlag, und sagte: „Schöne Unbekannte, diese Waare ist schon bestellet.“ „Das thut mit leid,“ antwortete Dorothee. „Indessen,“ fuhr der Andalusier fort, „wenn sie Ihnen gefällt, bin ich bereit, sie mir abhandeln zu lassen, und will sie als förmlicher Kaufmann in Ihre Wohnung bringen, die Sie mir zu sagen belieben werden.“ Hiermit steckte er dem Kaufmann, was die Waare beyläufig werth seyn mochte, in die Hand. „In der That,“ sagte Dorothee, „wenn ich Sie kennte, würde ich Ihnen vielleicht mit eben dieser -- wie will ich sagen -- Freymüthigkeit, oder Zudringlichkeit, wenn Sie wollen, in Ihren Ton einstimmen; so aber“ -- sie hatte sehr gut gesehen, was vorgegangen war -- „bleibt mir nichts übrig, als die Waare wieder dahin zurück zu stellen, von wo ich sie bekommen habe. Gnädiges Fräulein,“ sagte er, „denn Frau können Sie doch unmöglich seyn; Sie scheinen ungehalten: seyn Sie es aber nicht. Ich bin ein Mensch, der niemand auf Erden, am wenigsten aber eine Dame beleidigen will, und der nur manchmahl den Rechnungsfehler begeht, daß er meint, man würde seine -- ich kann es mit gutem Gewissen nur Lebhaftigkeit nennen, eben so gerade aufnehmen, als er sie äußert. Bey uns in Andalusien wird mir so etwas zu Gute gehalten; ich erwartete denn, daß ich hier, wo ich erst zwey Tage bin, ein anderes Andalusien finden werde.“ Dorothee merkte nun, daß sie ihren Mann gefunden habe, und fand es für gut, an der Stelle eine nähere Bekanntschaft zu gründen. Sie frage denn: „Mein Herr, das ganze Waarenlager werden Sie doch nicht aufgekauft haben,“ stieg aus dem Wagen, und ging in das Gewölbe; Der Andalusier ihr nach. Sie ließ sich Federn, Bänder, und Seidenstoff für beyläufig hundert Escudo’s vorlegen, und behandelte den Preis. Sie bemerkte, daß er vom Kaufmanne heimlich die Rechnung fordre, und sagte daher: „Mein lieber Herr, ich habe vor Tische noch einige Besuche vor mir: Sie würden mich verbinden, wenn Sie mir alles nach Tische in meine Wohnung schickten; dann werden Sie auch gleich das Geld dafür erhalten.“ Der Kaufmann fand sich sehr bereit, und Dorothee sagte ihm ihre Wohnung. Der Andalusier sprach nur: „Gnädiges Fräulein, ich weiß nun Ihre Wohnung: wie würden Sie sich wohl benehmen, wenn ich unartig genug wäre, Sie zu besuchen?“ „Fürs erste,“ antwortete Dorothee, „halt’ ich Sie nicht für so voreilig; und wenn Sie es wären, würde mir nichts übrig bleiben, als daß ich durch ein artiges Betragen Sie zu bessern suchte.“ Sie ging fort, und fuhr nach Hause. Nach Tische kam der Diener des Kaufmanns, brachte die Waaren, und als sie sich anstellte, als ob sie bezahlen wollte, schlug er es unter dem Vorwande aus, daß die Summe noch zu klein wäre, um eine Rechnung zu machen, und daß sie ihr noch mehr zu verkaufen dächten. Es währte nicht lange, so war auch unser Andalusier da. Dorothee empfing ihn in Gesellschaft ihrer Duennen sehr artig, und er erzählte ihr, daß er Don Thadeo de Sylva heiße, eigentlich aber Don Thadeo Tristan de Lorgenes, nach einem Oheime, der das Abgeschmackte dieses Nahmens mit einer ansehnlichen Erbschaft wieder gut gemacht hätte; Dorothee vertraute ihm dafür, daß sie mit einem Ritter verheirathet sey, der sich in Indien befände, und so unglücklich gewesen sey, in Lima gefangen zu werden; nun erwarte sie aber ihn und ihr ganzes Vermögen mit der nächsten Flotte. Don Thadeo both ihr feyerlich alle Dienste an, die in seinen Kräften ständen, indem er wohl wisse, was sich für Schwierigkeiten fänden, wenn man am Hofe Forderungen machte. „Es ist wahr,“ erwiederte sie; „aber zum Glücke hab’ ich doch immer genug gehabt, um zwey Dienerinnen, einen Escudero, und meinen Wagen zu halten.“ Nun war es Zeit, sich zu entfernen, und Thadeo empfahl sich. Dorothee suchte nun nähere Erkundigung über seine Umstände einzuziehen, und alle Nachrichten waren nach Wunsche. Seine Besuche wurden immer häufiger, und seine Neigung immer heftiger. Dorothee suchte seine Schwächen aufzufinden, unter denen auch die Vorliebe für Lieder und Melodien, die er selbst verfaßt hatte, war, und suchte sie auf’s Beste zu benutzen; kurz, er ward so verliebt, als noch kein Liebhaber ihrer Mitschwesterchen gewesen war. Dorothee, die eine sehr schöne Stimme, und einen hinreißenden Vortrag hatte, sang von der Stunde an kein Liedchen mehr, das nicht Thadeo verfertigt hatte, und verlangte selbst noch Unterricht auf der Guitarre von ihm; dafür liefen sich seine Bedienten mit Küchengeschenken müde, und er selbst brachte beynahe jeden Tag irgend eine kostbare Kleinigkeit zum Putze mit. Dorothee hatte jedes Mahl einen Vorwand bereit, unter dem es ihre Bescheidenheit erlaubte, seine Großmuth nicht zurück zu schrecken. Auch hatte sie sich schon zwey Mahl einen Kuß auf die Lippen gefallen lassen, von denen sie den letzten sogar -- wer hätte sich’s von Donna Dorothea träumen lassen? -- mit schamhaftem Erröthen erwiederte. Den folgenden Tag kam Thadeo nicht, und Dorothee war in sichtbarer Unruhe: sie konnte sein Außenbleiben nur mit der strengen Witterung entschuldigen; denn es war mitten im Winter. Sie hatte sich auch nicht getäuscht; denn er kam den andern Tag: indessen war es ihr doch ein Fingerzeig, daß sie ihn noch nicht genug in Bewegung gesetzt habe. Sie suchte daher alles Mögliche hervor, was einen Mann fest halten kann: sie schmollte; sie bezeigte ihm bey jeder Gelegenheit Aufmerksamkeit, und es gelang ihr auch, ihn bald so zu kirren, daß er mit Leib und Seele an ihr hing, und nun weiter nichts mehr fehlte, als eine gute Gelegenheit, um sein Vertrauen und seine Liebe so ergiebig als möglich zu benutzen. Während Dorothee in Illescas wohnte, war ein Student aus Toledo dort angekommen. Er hieß Don Basil, war ein erzarmer Teufel, übrigens aber so schön und wacker gebildet, und so aufgeweckten Geistes, daß Dorotheens Standhaftigkeit selbst so vielen Reitzen nicht widerstehen konnte. Sie wurden bald bekannt, noch geschwinder vertraut, und es war bald so weit gekommen, daß sie ihm sogar gestattete, ihr nach Madrit zu folgen, unter dem Bedingniß’ aber, daß er ihre Unternehmungen nicht im geringsten stören sollte. Er ging es darauf ein, und lebte denn auch in Madrit in dem besten Einverständnisse mit ihr, ohne sich von Eifersucht plagen zu lassen. Alles wäre gut gegangen; nur wollte sich noch keine besonders vortheilhafte Gelegenheit zeigen. Endlich traf es sich, daß einer von Thadeo’s Freunden heirathete. Thadeo sagte Dorotheen, daß die Vermählung bey San Sebastian mit einer seltnen Pracht gehalten werden würde, und daß er selbst in einem Glanze erscheinen werde, in dem sie ihn noch nie gesehen habe. „Wenn ich in der Kirche erscheinen soll,“ sagte Dorothee, „so verlange ich ohne dieß, daß mein lieber Thadeo die übrige Gesellschaft übertreffe. Wenn Sie mir aber dann gefallen, bin ich nicht zufrieden, Sie nur in der Kirche bewundern zu können; ich will Sie bey mir im Hause haben. Sie werden sich doch gewiß um eilf Uhr vom Spiele los machen können; und bis dahin will ich mit dem Abendessen auf Sie warten.“ Thadeo sagte es ihr heilig zu, und so schieden sie aus einander. Die Vermählung ging vor sich, und Dorothee erstaunte über die Pracht ihres Geliebten. Er war im prächtigsten Stoffe gekleidet, und schien alle Juweliere von Madrit ausgekauft zu haben. Knöpfe, Ketten, Agraffen, Ringe, alles war von Brillanten. Er kam auch um eilf Uhr des Abends voll Vergnügen zu Dorotheen, und erzählte ihr, daß er so glücklich gewesen sey, gegen zwey tausend Escudo’s zu gewinnen. Sie speisten; es wurde immer später; Dorothee war ungemein gefällig, und sagte endlich, daß sie ihn heute nicht mehr nach Hause lasse: denn wenn irgend ein Schurke seinen Schmuck gewahr würde, könnte er ein Unglück haben. Sie werde ihm daher ein Bett anweisen, und sie nehme durchaus keine Widerrede an. Thadeo meinte, nun schon den Gipfel seines Glücks erstiegen zu haben, und war beynahe ausgelassen vor Freude. Er trank ein Glas ums andere; aber Dorothee hatte ihm einen besonders köstlichen Trank bereitet, dessen Wirkung er nicht vermuthet hätte. Es war zwölf Uhr, und Dorothee wies ihm das Bett in dem Zimmer an dem ihrigen an. Er kleidete sich hastig aus, hatte sich aber im Bette kaum ein wenig erwärmt, als der Trank seine Wirkung that, und der verliebte Ritter so laut zu schnarchen anfing, daß man es auf die Gasse gehört haben würde, wenn ihm seine treuen Wärterinnen nicht die Bettdecke über den Kopf gelegt hätten. Nun ward alles, was er an dem Leibe gehabt hatte, sammt dem beträchtlichen Spielgewinne, mit Hülfe des Studenten aus Toledo, und des Kutschers zusammen gepackt, und nach ihrer einstimmigen Schätzung auf mehr als vierzehn tausend Escudo’s angeschlagen. Es war nichts mehr übrig, als was sie mit Don Thadeo anfangen sollten. Er hatte ein zu schönes Spitzhemd auf dem Leibe, als daß es ihm der Student aus Toledo hätte gönnen sollen; er zog es ihm denn ab, und bekleidete ihn dafür mit einem Unterrocke der alten Banuelos. Vorn unter das Kinn band er ihm ein Tuch, wie einem kleinen Kinde, und an eine Schnur knüpfte er verschiedene Sachen, wie man den Kindern anzuhängen pflegt; ein Füßchen von den Hasen, den er des Abends noch gegessen hatte; eine Elendklaue, wider das Augenweh; einen kleinen Mörserstößel, und eine kleine Glocke. In diesen Aufzuge setzten sie ihn auf einen großen Korb; der Student und der Kutscher trugen ihn fort, hingen ihn an den Balcon eines armen Indianers, und eilten nach Hause, um sich mit der übrigen Gesellschaft in Sicherheit zu setzen. Thadeo schlief in seinem Korbe fort, und träumte sich in den Armen der schönen Dorothee. Mit Anbruch des Tages stand der Indianer auf, schlug die Fensterbalken auf, und nahm den Korb wahr. Er setzte die Augengläser auf, und sah zu seiner größten Verwunderung dieses große Kind in dem Korbe liegen. Sein erster Gedanke war wirklich, daß es ein Findelkind sey, das man ihm vors Haus gebracht hätte, und er rief seinen Bedienten, daß er es herab nehmen, und vor ein anderes Haus legen solle. Der Bediente konnte nicht sehen, was im Korbe wäre, weil der Korb so hoch hing, und schnitt den Strick ab, um den Korb mit den Händen aufzufangen; das Kind fiel aber mit solcher Gewalt herunter, daß es den armen Bedienten zu Boden warf. Das Kind selbst schlief so sanft, daß es selbst von dieser Erschütterung nicht erwachte. So wehe sich der Bediente gethan hatte, brach er doch in ein lautes Gelächter aus, als er das Kind erblickte. Er trug es mit Hülfe seines Herrn in die Stube, und hier bemerkten sie erst einen Zettel, den es im Busen stecken hatte. Er lautete: „Die Mutter dieses Kindes hat es Armuths halber in ihren Armen hierher getragen, und bittet, sich seiner anzunehmen. Übrigens ist es schon seit einiger Zeit getauft.“ Der Indianer und der Bediente suchten es zu wecken; sie kitzelten und kneipten es; alles war aber vergebens. „Wahrhaftig,“ sagte der Indianer; „ich habe noch kein Kind gesehen, das einen so gesunden Schlaf gehabt hätte.“ Indessen kamen sie doch bald auf die Vermuthung, daß dieser unnatürliche Schlummer die Wirkung eines Schlaftrunkes sey. Erst gegen Mittag kam Thadeo zu sich; und als er seinen lächerlichen Aufzug erblickte, und sah, daß er in einer ganz fremden Wohnung sey, fing er zu schreyen an, daß der Indianer und sein Bedienter herbey liefen, die ihm denn erzählten, in was für einem Zustande sie ihn gefunden hätten. Er schnaubte vor Wuth, und schwor allen, die an dieser Beschimpfung Theil hätten, sie zu vernichten. Er ließ sich Kleider bringen, und machte sogleich Anstalt, um Dorotheen mit ihrer ganzen Gesellschaft in Verhaft nehmen zu lassen. Sie war aber schon längst zu Illescas, wo sie mit ihren Mitschwestern überein kam, nach Granada zu reisen, um dort neue Abenteuer, die ihrer würdig wären, aufzusuchen. Wie lange sie dieselben fortsetzten, meldet die Geschichte nicht: so viel läßt sich vermuthen, daß sie sich bald von einander zu trennen genöthigt sahen, welches sie um so leichter thun konnten, da jede schon in Schäfchen ins Trockne gebracht hatte. _ENDE._ End of the Project Gutenberg EBook of Die Harpyen von Madrit, oder die Postkutsche, by Alonso de Castillo Solórzano *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 54368 ***