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E. W. Bredt
Mit 54 Abbildungen
Hugo Schmidt Verlag München
Copyright 1915 by Hugo Schmidt, Munich
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der
Übersetzung
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Belgiens Volkscharakter – Belgiens Kunst | 9 |
Von Belgischer Künstler großer Lust und Gabe, Grausamkeiten packend zu schildern | 19 |
Von der sinnlich-übersinnlichen Phantastik belgischer Maler | 45 |
Vom belgischen Heimat-Realismus | 59 |
Von der unversiegbaren Lebensbejahung der Künstler und des Volkes der Belgier | 73 |
Anmerkungen zu den Abbildungen | 97 |
Diese Schrift will Verständnis wecken für das uns verwandte flämische Volk, das eine furchtbar traurige Vergangenheit jähzornig, das Englands neidisch-verräterische Politik verbohrt gegen uns gemacht hat, das sich aber im Vollbewußtsein seiner unsterblichen Rasse so frei und stark und zwingend in den Werken seiner genialen Künstler charakterisiert hat, wie kaum ein anderes Volk der Welt. Mit ihren Bildern möchte diese erlebte Schrift warnend wirken vor belgischer Wut so lange das Volk uns wie Feinde betrachtet. Dann aber möge sie auch führen zu einem Volke, dem des Lebens ganze ungebundene Lust Lebensbedingung, dessen Kunst des Lebens Qual und aller Menschen Leidenschaften malerisch verklärt hat.
E. W. Bredt
Bei Lüttich und Namur, in Charleroi und Löwen, bei Mecheln und Antwerpen und überall sonst auf belgischem Boden haben unsere unerschrockenen, unvergleichlich tapfer und offen vorgehenden Krieger erlebt, wie unsagbar rasend und wild, wie teuflisch-grausam die belgischen Massen, wie furchtbar fanatisch und erfinderisch sich der einzelne gezeigt in allen unausdenkbaren Schlichen der Hinterlist. –
Man kann sich gar nichts Schrecklicheres vorstellen als die Straßenkämpfe in Charleroi und in und vor anderen Städten des heutigen Belgiens. Das Schießen erbärmlichster Schufte aus Fensterritzen und Kellerluken, aus Dächern und Kothaufen machten die Straßen zur Hölle, in der das Blut deutscher Helden und belgischer Feiglinge tatsächlich in Strömen floß, – den Tapferen zum unsterblichen Ruhm, – zur schwer zu sühnenden Schande der Nachkommen jener, die Tacitus vor langer, langer Zeit die tapfersten von allen germanischen Stämmen genannt hat.
Freilich, wer nur einigermaßen dieses Volkes, dieses Landes Geschichte kennt – war nicht überrascht über diese furchtbar wilde Raserei, die wir lieber dem Pöbel als einem Volke zuschreiben möchten. Wurde doch Belgien in allen Jahrhunderten zum Schauplatz gräßlichster Kämpfe. Bald war es französisch, bald deutsch, bald spanisch, bald holländisch. Ein Land aber, das durch Kriege und Freiheitskämpfe politischer, religiöser und wirtschaftlicher Art so durchwühlt und vernichtet und nach Zeiten blühenden, aufbauenden Reichtums wieder zerstört wurde, oft genug von Teilen des eigenen Volkes, das mußte durch diese Kette furchtbarer Erlebnisse, die noch in den flämischen Legenden, Liedern und Bildern weiterleben, eine Hochschule jenes unsicheren und bedenklichen, weil allzu unbedenklichen Patriotismus werden, der die einzelnen mehr zur bewaffneten Selbsthilfe erzieht als zum einheitlich, stark und offen vorgehenden Heere.
Diese Erinnerungen sind unerläßlich zur Erklärung jener Wutausbrüche des belgischen Volkes, wie der gleichzeitig echt volksgemäßen und doch durch und durch unabhängigen großen, starken und unvergleichlichen flämischen Kunst, die zu allen Zeiten aus tiefsten, blutenden Wunden des Volkes zu neuer Größe sich erhob.
Was de Coster in seinem unsterblichen »Ulenspiegel« von Todesängsten und Todesqualen erzählt – in Hoogenbergs dickem Atlas geschichtlicher Begebenheiten (Abb. 2) in unzähligen anderen Stichen, in Coppens »Gallischer Grausamkeit traurigem Zeugnis« (Abb. 1) bleiben genug Erklärungen lebendig, für die immer und immer noch zum Auflodern glimmende Glut des Volkes gegen vermeintliche Angreifer.
Aber wie das völkerverblendende England mit jenen Bildern und Erinnerungen furchtbarster feindlicher Zerstörungswut das belgische Volk gegen uns hetzte, als das grausamste von allen –, so zeigen wir nun mit eben diesen Bildern, die auch de Costers Bibel des flämischen Volkes illustrieren, wie ganz anders deutsche Heeresmassen siegreich vorrücken als jene Zerstörer Antwerpens, als die französischen Mordbrenner Brüssels und der herrlichen Pfalz am Rhein. – – Doch genug von solchen Erinnerungen.
Den letzten, wie allen früheren schaudererweckenden Katastrophen des belgischen Volkes widersprechen in denkbar schroffster Weise unsere landläufigen Vorstellungen von alter niederländisch-belgischer Kunst.
Man braucht doch nur das Wort »niederländische Malerei« auszusprechen und jeder Museumsbesucher, zumal der, der das Brouwer-Kabinett der Münchener Pinakothek kennt, lacht auf und sieht vor sich eine lustige übermütige Gesellschaft von Bauern, die fiedeln und singen in ihren dunkeln Kneipen, die auf den Märkten tanzen und schreien. –
Unsere Museumsbummler machen freilich keinen Unterschied zwischen Franz Hals, dem Holländer, oder Teniers, dem Antwerpener oder Ostade, oder Jan Steen oder Adriaen Brouwer, der von Haarlem nach Antwerpen zog.
Wozu auch gleich?
Jedenfalls, die große Reihe bunter Bilder, die das ausmachen, was wir kurzweg »niederländisch« nennen, die stellt uns das belgische Volk so lebenslustig und behaglich genießend vor wie nur irgend möglich. Wir sagen uns, wir sehen's in Brouwers und Teniers so gern reproduzierten, in den Galerien meistbetrachteten Bildern, daß sich die belgischen Künstler gut aufs Lachen verstanden haben und daß es recht lustig zuging dazumal in Antwerpen und Brüssel und allerorten an der Schelde und in Flandern und Brabant bei Braunbier und spanischem Wein und Burgunder – und daß sie sich sonst keine Sorgen gemacht und Seelenqualen.
Also gingen belgische Künstler ganz andere Wege als das von schweren Schicksalen heimgesuchte belgische Volk?
Oder ist die lustige, verwegene Bauernmalerei doch vielleicht nur holländischer Kunstimport?
Oder sind belgischer Volkscharakter und belgische Kunst Dinge, die sich kaum berühren? –
Vielleicht – und das liegt sehr nahe – haben die belgischen[14] Künstler, aus lauter Überdruß an den qualvoll blutigen Ereignissen des Landes, nur immer in idealen Welten gelebt, nicht in der der tatsächlichen Ereignisse?
War die Kunst nur fröhlich, aber Volk und Zeit traurig?
Nein! Nein!
Die belgische Kunst, d. h. das, was die größten belgisch-flämischen Künstler vorzugsweise geschaffen, und die Bilder, die das belgische Volk vor anderen geliebt hat, sind weder das eine allein noch das andere.
Die Höhepunkte flämischer Kunst – und jene Kunstwerke, die in Belgien in Auftrag gegeben und geschaffen wurden, zeigen einen Geist, der gleichzeitig humorvoll und voller Satire, grausam und melancholisch, sinnlich und übersinnlich, angstvoll und lebensfreudig, phantastisch und arbeitsam ist. Das sagen die Kunstwerke, das sagen die Dichter Belgiens, das sagt doch auch des Landes Geschichte.
Trotz aller furchtbaren völkischen Katastrophen, ja aus ihnen heraus nähren und erheben sich die Genies der flämischen Rasse zu herrlichen Schöpfungen. Und kaum in irgend einem anderen Lande geben Kunst und Kunstgeschmack treffender als anderes wieder den Volkscharakter.
Die belgische Kunst, das ist das Beste des belgischen Volkes.
In so klarer und scharfer und immer künstlerisch autochthoner Weise offenbart sich dieses Volkes Kern, daß wir ihn schlechterdings als etwas Festes, Unwandelbares und – ich kann nicht anders – als etwas Hochgeniales ansprechen müssen.
Denn des Pöbels Verhalten gibt überall nur ein Zerrbild vorhandener Schwächen.
Immer wieder setzte sich des flämisch-niederdeutschen Volkes Sinnesart künstlerisch in einer Form durch, die nur das Kennzeichen tiefsten Erfassens und Leidens und stärkster Lust und Gestaltungskraft sein kann.
Mögen die üppig-herrlichen Rathäuser und die festen Belfriede mehr Zeugen von glücklicher Wirtschaft und politischer Wachsamkeit[15] sein – die Werke des Bouts und des Bosch, des Breughel und Brouwer, der Rubens, Jordaens und Teniers, und dann doch auch der Wiertz, Lambeaux, Khnopff, Ensor und nicht zum wenigsten des Rops, sie sind alle und alle vom selben merkwürdig zäh und stark sich erhaltenden Geiste dieses Volkes.
Nichts trennt hier Kunstgeist und Volkscharakter.
Denn wenn auch Künstler wie Meunier, der übrigens nur schwer in seiner Heimat Anklang finden konnte, wohl nur wie einer von den vielen Armeleutmalern aller Länder erscheint, so gestaltete doch auch er Hünen und Recken des Volkes wie Rubens. Und wenn Fernand Khnopff alles mystisch erschaut, wie einst Bosch, wenn er die Dame von heute erschaut wie eine bleiche, krankende, unheimliche, Sinnlichkeit ausstrahlende Sphinx, wenn Antwerpens letzte große Historienmaler ganz gewiß auch deshalb so starken Widerhall im Volk gefunden, weil sie die geköpften Leichen des Egmont und Horn entseelter als andere gemalt, so sind eben doch alle die Neueren bis auf Laermans und Minne nur Fortsetzer, Neuschilderer der echt flämischen alten Themen von furchtbaren Hinrichtungen und Greueln, von des Lebens tiefsten Melancholien und höchster, unbändiger Lust am Dasein. Satiriker und Bekenner.
Die belgischen Künstler sind und waren Realisten,[16] denen nichts gräßlich, nichts häßlich ist. – Das ist ihr Ruhm.
Nie – von einer kurzen Zeit der Verirrung abgesehen – haben sie fremdem hohlen Formalismus gehuldigt – die ganze Welt steht ihnen offen und ihre Phantasien machten alle Träume, machten das Jenseits selbst zu neuen wahrhaftigen Welten.
Von diesem starken, künstlerisch schöpferischem Kerne der echten Flamen gilt de Costers herrliche Überzeugung:
»Begräbt man Ulenspiegel, den Geist, und Nele, das Herz der Mutter Flandern? – Auch sie kann schlafen, aber sterben, nein!«
»Die belgische Kunst – das ist das belgische Volk.«
Ist der Satz richtig, dann müßte doch in den Werken größter belgischer Künstler ein Zug von Grausamkeit zu finden sein, der stärker vortritt als in der Kunst anderer Völker.
Denn Generationen unseres Volkes werden nicht vergessen, wie mörderisch belgischer Pöbel gegen unsere Truppen nicht etwa vorging, nein, sich feig heranschlich, um bestialisch zu martern und zu morden. Wer kennt von der Seite belgische Kunst?
Kommen in der besten belgischen Malerei – also nicht nur in den minderen Illustrationen internationaler Schauerromane – mehr grausame Schilderungen vor als etwa in der deutschen oder italienischen Kunst?
Belgische Künstler haben nie ihre Neigung verleugnet, grausame Handlungen mit heidnischem Behagen zu genießen und zu schildern. Die fürchterlichsten Martern Gerechter und Ungerechter haben sie mit so überlegenen malerischen Mitteln dargestellt, daß Furcht und Abscheu vor den Henkern, Mitleid mit den Opfern wie vor einem Erlebnis erregt wird.
Und die Maler Belgiens malten mehr Furchtbares als andere, weil hier ein Volk von Bestellern lebte, das solches wollte – gewiß oft genug als drastisches Mittel zu religiöser Erziehung nach einer ganz bestimmten Richtung. Kein anderer Maler der Welt hat grausamste Hinrichtungen so festlich, hat das letzte Weltgericht so hinreißend geschildert wie Peter Paul Rubens.
Andre haben vielleicht noch mehr Hinrichtungen dargestellt, aber sie sind den Aufgaben künstlerisch unterlegen. Rubens schwelgt künstlerisch auch in den gräßlichsten Vorgängen.
In der Brüsseler Galerie hängt ein großes Bild, das sich jedem fest in die Erinnerung prägt durch den krassen Gegenstand, die unerschrocken[22] wahrhaftige Malerei. Es ist das der Märtyrertod des h. Livinus (Abb. 10).
Starke Kerle haben den alten Bischof auf den Rücken geworfen, einer hält ihn halb aufrecht am Barte. Der Henker aber hat dem Heiligen bereits mit einer Zange die Zunge aus dem Schlunde gerissen und wirft das blutende Fleisch einem Hunde zu. – »Die rote Zunge glüht zwischen den sie fassenden Zangen wie ein wundervolles Geschmeide von Korallen oder Rubinen.«
Das ganze Gemälde wirkt allerdings durch die Verherrlichung des Todes, durch die Gestalten des Himmels, durch die wie von Leidenschaften zerrissene Komposition, durch die Glut auch in Farben[23] eher wie ein prächtiges Fest. Es soll ja auch ein kirchliches Triumphbild sein, wie so manche Schlacht voll Blut und Leichen ein Bild des Sieges. – Aber all diese reinkünstlerischen Steigerungen des großen Flamen lassen nicht den Glauben zu, er habe den eigentlichen grausamen Vorgang lindern wollen. – Das tat Rubens allenfalls bei seinen Bildern des Leidens Christi und bei dem früheren Gemälde »der Tod des Argus«. Da ist alles Blutige verdeckt. Aber sonst hat Rubens ganz unleugbar das Gräßlichste mit derselben Schaulust und Farbenfreude gemalt wie irgendwelche Feste der Pracht, des Fleisches und des Genusses. Wie häuft doch Rubens die Frauenleichen auf beim »Tod der h. Ursula« (in Brüssel), wie echt gesehen ist die Brutalität der Henker, die den h. Lorenz zurückstoßen auf den glühenden Rost über des Feuers Glut. (München). – Wie grauslich, wie noch wahrhaftig lebendig wirkt Rubens »h. Justus«, der, noch stehend, sein eigenes abgeschlagenes Haupt in Händen hält. (Abb. 8.) Und all die andern Schreckensszenen des Todes der Märtyrer Andreas, Petrus, Thomas zeigen Rubens' Geist frei von jeder Zartheit der Empfindung.[24] Rubens ist brutal wie seine Landsleute, die solche Themen in Auftrag gaben und gerade mit diesen Gemälden sehr zufrieden waren. Rubens war, was für einen Zeitgenossen furchtbarster Ketzerverfolgungen nicht befremdlich sein kann, gegen die Schauder von raffinierten Hinrichtungsszenen und Foltern kalt wie nur irgend ein mittelalterlicher Zuschauer. Aber gerade die Pracht und Herrlichkeit solcher Rubensscher Szenen festigt unser Urteil über diesen brutalen Betrachter.
Hier tritt überdies doch Rubens in der rein künstlerischen Bewertung bald hinter frühere, bald hinter Zeitgenossen zurück. Rubens braucht zur Wirkung theatralisches Pathos. Wie ganz anders konnte Rembrandt schaffen. Weil der jedem Theater fernsteht, weil er tiefer, innerlicher ist, wirkt er bei ähnlichem noch viel stärker als Rubens.
Wer von Rembrandt kommt, empfindet das Pathos des Rubens als schwülstig, als zu viel. Es bleibt nur die brutale Lust.
Aber auch ein Vorläufer des Rubens, der andere geniale Belgier Pieter Breughel der Ältere, der noch vor Rubens Geburt in Brüssel starb, hat gleich grausame Bilder gemalt und er packt uns oft genug gerade durch ganz gegenteilige Mittel als Rubens. Der Kindermord des Breughel (Abb. 11) ist viel ruhiger, viel sachlicher gehalten als der des Späteren (Abb. 12). Die beiden Bilder vergleichen heißt zwei verschiedene Belgier charakterisieren. In Rubens' Münchener Bild ist alles höchste Ekstase, lautes Schreien, alles leidenschaftlichste Bewegung. Bei Breughel geht das Furchtbare vor sich in beängstigender Stille. Die sachliche Geschäftigkeit und Unerbittlichkeit der hohen Polizei. Die graue Luft über dem verschneiten flämischen Dorf wirkt schwül und drückend. Die Ruhe der Befehlshaber zu Pferde ist unerbittlich. Und erstarrend krampft sich das Herz der Mütter. Ohnmächtig sinken die Mütter hin. Kein Laut durchzittert die Luft, während bei Rubens alles schreit. Rubens malt den Vorgang fast unruhig wie eine Schlacht. Die Mütter zerfleischen die Henker. Rubens ist hier ein schlechter Schauspieler.
Wenn die einfachere Gestaltung die künstlerisch höhere ist, steht hier sichtlich Breughel über Rubens. Aber beide Maler sind Flamen durch und durch. Beide malen das Grausen mit derselben natürlichen unverhohlenen Lust wie irgend etwas anderes. – Nur zwei Zeitalter trennen sie. Der eine ist barocker als Shakespeare. Der andere nüchtern wie sein Zeitgenosse Rabelais.
Den alten Breughel nennen mit vollem Rechte die Belgier selbst den echten, volkstümlichen flämischen Künstler. Er ist wie Rubens Realist und Phantast – aber Rubens ist nie Humorist, nie der milde, verstehende Spötter wie der geistig festere Breughel. Von den vielen grausamen Schildereien Breughels ist ein Stich nach ihm (Abb. 13) bezeichnend für die furchtbare Zeit, bezeichnend für das Sehen dieses bahnbrechenden Belgiers.
In dem Stiche »Gerechtigkeit« werden so ziemlich alle Arten der Folterungen und Hinrichtungsweisen jener Zeiten so geschildert, daß zweifellos viele Henker manch neue oder zeitweise vergessene[27] Folterei sich davon abgesehen haben werden. Aber Hinrichtungsarten haben schon vor Breughel auch Deutsche dargestellt. Und der spätere Lothringer Callot hat ja auch unbewußt ein illustriertes Lexikon für Folterer geschaffen. Aber Breughels Darstellung hat tieferen Sinn. Es ist eine Drohung des alten Künstlers gegen das Joch der spanischen Tyrannei.
Zurück zu Rubens.
Rubens als Schilderer des Jüngsten Gerichts!
Da steht er ohnegleichen.
Michelangelo hat ihm die Anregung gegeben wie so vielen anderen in allen Jahrhunderten und aus allen Völkern.
Aber kein Schüler hat so den Meister übertroffen.
Nur ein Flame, nur ein Vollblutmaler konnte das, nur ein Belgier voll unerschöpflicher Lust, konnte Qualen nackter Leiber in unübersehbaren Maßen, unzählbaren Variationen schildern.
So sehr sonst gerade für Belgiens Kunst die Lust der Besteller und das Vermögen der Maler eins ist – Rubens' verschiedene Darstellungen des Jüngsten Gerichts scheiden sich deutlich in zwei Gruppen. Die schwächeren Bilder dieses Themas, das sind die bestellten. Da hat er seine grausam schöpferische Phantasie bezähmen müssen, und unter diesem Zwang ließ er die Bilder lieber von anderen ausführen.
Aber von ganzer, voller, sprudelnder, erfinderischer Lust sind die mit eigener Hand, wie in einem Zuge des Rausches gemalten kleineren Bilder. Die kleine Auferstehung der Gerechten, »das kleine Jüngste Gericht« und »der Höllensturz der Verdammten« in München (Abb. 7).
Der Höllensturz der Verdammten, das ist belgische Malerei, belgische Komposition, belgischer Geist. Michelangelo hätte daran wohl keine Freude gehabt, weil hier jeder Formalismus versagt. Aber unverständlich bleibt, wie der Belgier Rooses dies Bild tadeln konnte, weil es ein phantastischer Traum sei, zu unruhig und versplittert, um uns beim ersten Anblick zu packen, zu derb von[28] Malerei, und zu unedel von Form, um uns »bei näherer Untersuchung zu befriedigen«.
Die Unruhe ist immer in Rubens und die episodenhafte Reihung, diese unendliche Verknotung der Einzelbilder ist echt nordisch, ist vom Geiste Boschs und Breughels und Lambeaux' und Rops'. Und wo anders als hier wäre diese rassige, germanisch-flämische Komposition künstlerisch angebrachter, geistreicher?
Dieser Höllensturz, für dessen Komposition auch der holländische Komponist der »Nachtwache« allen Sinn gehabt haben[29] muß, ist ein Signum flämischer Stärke.
Wie wirbeln und überstürzen sich diese Kaskaden verdammter prächtiger Leiber. Welch vielmaschiges Netz mit unzähligen zappelnden Gestalten. Welch unlösbare Verkettung von Richtungen und Knäueln. So viel Richtung in Rubens' Milliarden von Scharen, in der Auferstehung der Gerechten, so viel unglückseliges, chaotisches Hin und Her hier in Licht und Schatten, in feurigen Gluten und rotem Rauch. Die Panik der Weltenmassen gegeben in Farben und Richtungen. Und welches Auge fürs Einzelne. Wie üppig die rosigen, prallen Leiber, wie fahl und gelb die schwammigen Alten. Und wie die Teufel die Leiber packen und krallen und werfen, würgen, zerren, stürzen, spießen und hängen.
Italien konnte anderes. Das konnte nur ein Flame.
Nicht überlegen ist italische Kunst der nordischen. Rubens und Michelangelo – jeder in anderer Schale – halten die Wage im Gleichgewicht.
Schon lange vor Rubens sind in Belgien Höllenbilder von[30] großer Vorstellung gemalt worden. Durch die Wirklichkeit nackter Körper ragt hervor Memlings Jüngstes Gericht (Abb. 14) in Danzig, das für einen Florentiner Kaufmann gemalt wurde. Das ist bezeichnend für den Ruhm der damaligen belgischen Malerei. Ihre starke Realistik, ihre Phantastik mußte auffallen. Höllenmalerei ist und bleibt tatsächlich in Belgien für lange ein ganz besonders reich beschenktes Gebiet.
Mag immerhin der häufige Anblick grausamster Foltern und Hinrichtungen, furchtbarster Kämpfe von Stadt zu Stadt, von Haus zu Haus auf die Zahl dieser Themen mitgewirkt haben; für die Phantasie sind Tatsachen der Außenwelt nicht ausschlaggebend. Waren doch in jener Zeit überall öffentliche Hinrichtungen etwas Gewöhnliches. Haben doch die Maler aller Länder, haben längst die kirchlichen Bildner des Mittelalters überall gar zu gern dem armen Menschen das Gruseln vorm Jüngsten Gericht und der irdischen Gerechtigkeit beizubringen versucht. Nur haben die Maler Belgiens mehr als die anderer Länder schon früh Leiber der Sterbenden und Toten als etwas den Augen Genußreiches anzusehen gelernt.
Zumal Memling. Der hat sich tüchtig in den malerischen Anblick nackter magerer Leiber vertieft. Den Gram, die Qual, das Elend in erstarrten Köpfen haben auch Spätere kaum besser wiedergegeben. Sein scharfes Auge macht Memling zum Niederländer.
Das Auge entscheidet, nicht die Masse des vorhandenen Beobachtungsmaterials. Ja das Ungewöhnliche wird sonst lieber angeschaut, aufmerksamer, es lehrt besser sehen als das was dem Auge gewöhnlich. – Freilich wem hätten die schweren Heimsuchungen der flämischen Lande nicht die Augen und das Herz öffnen müssen für die höllischen Qualen ringsum?
Doch hoch über Memling, rein als Höllenmaler gewertet, ragt der kaum zwanzig Jahre jüngere Hieronymus Bosch.
Man vergleiche nur die beiden Höllenbilder dieser Meister. Dann schwindet die Phantastik des Memling, sein Realismus tritt als[31] das Entscheidende vor. Beide schöpfen wohl aus gleichen Quellen: dem Bilderreichtum an den Kathedralen des Mittelalters, der Gemeingut der nordischen Völker und Kultur. –
Memling macht nur die plastischen Bilder zu Malerei. Macht die horizontalen Prozessionen der Fassaden zu aufsteigenden Scharen, die zum Himmel wie zu einem Kirchenportal pilgern, macht die Verdammten zu herabstürzenden Massen. Memling geht also nur einen Schritt weiter als die älteren Bildner, macht den bleichen Stein zum farbigen Bild, er schiebt die regelmäßigen stillen Reihen hin und her, auf und ab, vor- und rückwärts.
Memling erfaßt mit einem Schlage, wie die besten seiner Zeitgenossen, wes' Geist die Plastik, wes' Geist die Malerei.
Aber woher hatte Bosch die unendlich reicheren Bilder? Wer erklärt das? Wer erklärt das anders als aus einem Auge voll Wundern, einem Geist voll stärkster schöpferischer Kraft?
Haben dem Memling nicht einmal die grotesken, derben Bilder der Mysterienspiele starke Impulse gegeben – so wäre ein Bosch von vornherein als genialster Regisseur von Bühnen zu schätzen, der die raffiniertesten malerischen und technischen Mittel des Theaters Jahrhunderte vorausnimmt. Wahrhaftig hat Lafond, Boschs letzter Biograph, recht: »Bosch ist kein Primitiver. Die Macht des Gedankens steht im Gleichgewicht zur Fähigkeit, zu gestalten.« Er steht auf der Höhe seiner Zeit, auf einer malerischen Höhe, die inkommensurabel bleibt.
Boschs Höllen sind weder Malerei gewordene Domskulpturen, noch malerische Erinnerungen aus kirchlichen Schauspielen.
So viel sich Dollmayer abgemüht, aus den Dichtungen, aus den Spielen, aus allen möglichen Dingen der Wirklichkeit, Boschs Vorbilder festzustellen – die unerschöpfliche Phantasie, das starke malerische Können dieses pessimistisch-lachenden Philosophen, alles macht ihn zu einer gestaltenden Persönlichkeit, die kein Gelehrter von dem Wunder künstlerischer Synthese jemals wird entschleiern können.
Eher kann das bei jenen Zeichnungen der Fall sein, die Bosch für die Armen jener angstvoll apokalyptischen Zeiten entwarf – wie unser Dürer das tat mit den Holzschnitten zur Offenbarung Johannis.
Ganz wie Dürer wußte Bosch, was für die geistig ärmeren, was für die reiferen Geister seiner Zeit taugte.
Ja, der Stich Alaart du Hameels nach Boschs Zeichnung »Das Jüngste Gericht« (Abb. 16) war für die damalige Menge zweifellos leichter verständlich als Dürers apokalyptische Reiter, als Johannes, der das Buch verschlingt, als das Bild vom Sonnenweib und von der »Eröffnung des sechsten Siegels«.
So wild grotesk uns auch die Monstra alle auf diesem Weltgericht Boschs anmuten, so vertraut waren sie dem Volke von damals aus den Skulpturen und Mummereien. Und wenn jenes Volk solche neuen Bilder doch noch lieber anschaute als die verwitterten[33] Steinbilder – so begegnete sich hier die Bewunderung des flämischen Volkes für einen großen Zusammenfasser mit dem genialen Verständnis des Künstlers für das Verlangen der flämischen Rasse. Dieser Künstler wußte von seinem Volke, daß es gern lachte. Und solche Bilder wollten und sollten auch lachen machen.
Ein Ästhetizismus, der das vergißt, taugt nichts.
Nicht van Eyck, Bosch ist der erste volkstümliche Künstler Belgiens. Das Wunderbare der belgischen Kunst ist, daß sie immer volkstümlich und doch hoch künstlerisch bleibt.
So viel von Bosch als Höllengestalter.
Vom unsterblichen Bosch als Humorist, als Landschafter, als Realist muß später die Rede sein. Ist doch Bosch ebenso ein Maler der irdischen Lust. Ihn nur als Maler von Grausamkeiten betrachten, wäre erbärmlich. Nicht nur das Grauslich-furchtmachende, seine ganze reiche, wunderbar malerische, phantastische Welt machen ihn zum Genie einer Rasse am Ende des Mittelalters, das nie so stark an Mitgefühl für Gemarterte war wie in Bosch. – Als Maler des Grausamen und seiner Allegorie ist Bosch stärker und reicher, echter zumal als Botticelli, der Dantes Hölle doch nur illustriert. Und alles was Qual ist – spielender schafft es Bosch, leichter als das Genie Lionardos. Wie mühte sich der Italiener ab um z. B. Wollust und Schmerz in einer Figur zu versinnbildlichen. Bosch schuf Tausende von Bildern der Qual und der Lust.
Vielleicht wäre Bosch auch ohne brennende Städte und Scheiterhaufen, ohne all die hochnotpeinlichen Gerichte seiner Zeit der Maler solcher Phantasien geworden. – Er war dazu berufen. Sein Volkstum ist sein Genie.
Sein Volk will solche Bilder. –
Denn wenn die Künstler Belgiens gar nichts Furchtbares hätten malen wollen, Vertreter des Volkstums haben sie oft genug dazu bestellt.
Nur drei interessante Beispiele hierfür. Interessant, weil sie beweisen, daß auch Werke nichtflämischer Künstler als unanfechtbare Zeugnisse des belgischen Volkscharakters Geltung bekommen.
Von Holland her kam Gerard David nach Brügge. Er malte tüchtig – und was wir sonst von ihm kennen, sind freundliche, liebliche, etwas kühle Bilder. So wurde er in Brügge angesehen.
Als nun die Brügger den Gerichtssaal der Schöffen mit einem recht passenden, eindrucksfähigen Bilde schmücken wollten, beauftragten sie David damit.
Die Wahl des Malers zu solchem Thema war merkwürdig.
Irgendein Gelehrter hatte in den Geschichten des Herodot diese unglaubliche Erzählung gefunden: Kambyses läßt den Richter Sisamnes, der durch Bestechung zu einem ungerechten Urteil sich hatte verleiten lassen, bei lebendigem Leibe die Haut abziehen. Die Haut wurde dann als Überzug des Richtersessels verwendet, auf dem der Sohn des Gerichteten künftig Urteile zu fällen hatte.
Die furchtbare Schindung mußte also David malen, obwohl er die besondere Fähigkeit dafür noch nicht gezeigt hatte.
Doch er löste die Aufgabe ganz entsprechend den Wünschen seiner belgischen Auftraggeber (Abb. 17).
Ruhiger, erbarmungsloser, herzloser hätte keiner dies unheimliche Thema malen können.
An handgreiflicher Wirkung läßt das Bild nichts übrig.
Und wenn auch unsere Mediziner sagen, das sei ganz unmöglich, einem lebenden Menschen die Haut abzuziehen wie einem toten Hasen – auf die Zeitgenossen und auf uns Unbefangene wirkt der Vorgang so wahrhaftig, daß wir beim Anblick des roten enthäuteten Fleisches schon fast den üblen Geruch einer Anatomie zu atmen glauben. Was Schnaase von der volkstümlichen Wirkung des, eine Zeitlang nach Paris entführten, Bildes erzählt, ist für den im Bilde gewollten und von den Bestellern anerkannten Realismus nur eine Bestätigung. Das Publikum umdrängte das Bild wie eine leibhaftige Hinrichtung.
Der Realismus ist auch sonst stark – war er's unbewußt auch in der Darstellung der völlig teilnahmslosen Richter und Zuschauer und Henker?
Ich glaube es, abgesehen von der Gewöhnung des flandrischen Volkes selbst an solche Hinrichtungen, weil ähnliche Bilder dieser Zeit, so realistisch sie auch sonst sein mögen, kaum ein leises Entsetzen – eher ein verstohlenes oder gar offenes Behagen an dem Anblick des Gemarterten verraten.
Noch ein Holländer, in einer belgischen Stadt lebend, hat sich durch zwei Bilder ungewöhnlich grausamer Hinrichtung beliebt gemacht bei den Belgiern:
Dierik Bouts.
Dierik Bouts, der Stadtmaler Löwens, bekam diese echt belgischen Aufträge. »Das Martyrium des heil. Hippolit« das neuerdings dem »Meister von Brabant« zugeschrieben war, hängt in der Erlöserkirche zu Brügge (Abb. 9). Das Martyrium des heil. Erasmus (Abb. 18) ist in der Peterskirche zu Löwen. Das Zerreißen eines Lebenden in vier Teile war häufig genug. Aus den belgischen Sagen braucht hier nur an die Genovefasage und die Hinrichtung Golos erinnert zu werden.
In beiden Bildern keine Spur von Entsetzen. Nur einer der Zuschauer[37] nimmt die Körperzerreißung mit jener Spur von Mitleid auf, wie wir etwa eine leichte Tierquälerei auf der Straße. Dem Schergen links macht die Aufgabe entschieden Freude. »Das ist doch mal was anderes als Henken.«
Und den Henkern des Erasmus sehe ich, entgegen sentimentaleren Kritikern nur die Mühe ihrer Arbeit an; nichts weiter. Beim Bärtigen links ist das nicht zu bezweifeln. Der zusammengekniffene Mund des andern könnte als leichte mitleidige Regung aufgefaßt werden, wenn nur nicht die Augen in weite Ferne, an dem Gemarterten ganz vorbei schauen würden.
Doch nun Vorsicht vor falschen Schlüssen auf den Volkscharakter und vor Mißverständnissen.
Charakteristisch für den belgischen Volkscharakter sind hier nur die Besteller: die Herren von Löwen und Brügge.
Die aber dürfen wir uns mindestens so teilnahmslos vorstellen bei solchen Greueln, wie das Publikum, das der Realist Bouts in beiden Bildern gezeichnet hat. Auf den Holländer Bouts trifft trotz dieser Bilder nicht der Vorwurf besonderer Lust am Grausamen.
Und die sichtliche Teilnahmslosigkeit der Zuschauer beider Hinrichtungen ist nicht mehr als Tatsache und ist nicht mehr als allgemeine Erscheinung bei allen Völkern der Zeit.
Wären Bouts und David nicht nur Realisten, sondern starke sittenrichterliche Allegoristen gewesen – wie Bosch und Breughel – so hätten sie wenigstens den Richtern des Hippolit, des Erasmus, des Sisamnes Fratzen aufsetzen müssen voll von teuflischer Lust an den sich krampfenden, zähneknirschenden, armen Gemarterten. Das wäre die richtige Anspielung auf die mehr als abgehärteten Besteller gewesen.
Die Gleichgültigkeit der doch ganz ohnmächtigen Zuschauer ist nicht als kunsteigentümlich anzusehen. Auch Italiens Künstler zeigen Italiens Volk genau so teilnahmslos. Nur freilich, wie wurde dort das Schreckliche vermieden, das Blutige verdeckt.
Auffallend echt malen Bouts und David selbst diese Henker. Fast überall sonst – zumal auf dem berühmten Johannisaltar des[38] Massys in Antwerpen – wurden die Henker karikaturenhaft häßlich dargestellt und in ihrer Arbeit so fanatisch wütend wie nur denkbar. Das war nicht der Wirklichkeit entsprechend, war entweder Unfähigkeit oder nur Konzession ans Publikum, billige Deutlichmachung von Repräsentanten des Auswurfs der Menschheit ohne psychologische Konsequenz. Denn der Auswurf bleibt regungslos beim Grausamen. Realismus ist und bleibt das Auszeichnende dieser Bilder und dieser Künstler.
David und Bouts malten für ihre Zeit die Dinge wie sie waren. Sie brauchten keine billige Übertreibung. Ihre Henker haben eben nur die richtigen »konfiszierten Gesichter«. Nicht mehr. In der Geschichte der künstlerischen Physiognomik wird der Verzicht auf pathetische Übertreibung immer einen Höhepunkt bezeichnen.
Hoch, höher jedenfalls als Bouts steht in dieser Beziehung Memling. Sein »Martyrium des h. Sebastian« im Louvre zeigt[39] ihn als Meister im Gesichtsausdruck. Hier ist an der teuflischen Lust des einen Bogenschützen, am Mitleid des andern nicht zu zweifeln. – Doch wie ganz anders stellten Italiens Künstler diesen Heiligen dar. – Als Gegenstück zu Memlings berühmterem Ursulaschrein in Brügge mit der Erschießung der elftausend Jungfrauen und der h. Ursula sei hier ein anderer Ursulatod aus dem Kloster der schwarzen Schwestern in Brügge gezeigt. (Abb. 19). Der Maler ist jetzt unbekannt, er wurde damals aber besonders gut bezahlt von Florentinern. Als Charakterschilderer keineswegs groß, sagt er uns doch viel von der Beliebtheit des Bogenschießens in Flandern. Jedenfalls erklärt die in Brügge aufbewahrte Reliquie nicht allein, erklärt auch die Volkssitte die Wahl des gleichen Themas, erst durch diesen Meister, dann zehn oder zwanzig Jahre später durch Memling.
Etwa hundert Jahre nach David malte Ambrosius Francken in Antwerpen den Märtyrertod der h. Crispinus und Crispinianus.[40] (Abb. 20). Wieder bleibt die Wahl gerade einer so ausgesucht furchtbaren Hinrichtung belgischen Bestellern und Malern vorbehalten. Diesmal ist die Ruhe der Gemarterten auffallend, die Unruhe, das Entsetzen der Henker und Zuschauer erscheint unmotiviert. Die physiognomischen Motive gibt die Legende: die ausgeschnittenen Hautpfriemen springen wunderbarerweise auf die Henker zurück. Sie erschrecken, fühlen sich gefoppt.
Es ist unmöglich, die Kette vortrefflich gemalter belgischer Bilder der Grausamkeit zu verfolgen.
Natürlich blieb Rubens ungestümes, auf stärkste künstlerische und seelische Wirkung berechnetes Schildern so vieler Schlachten und Martyrien umso mehr von Einfluß auf die ganze folgende Zeit, als ja ein Heer von Stechern und von Nachahmern der oft umgeänderten Stiche gerade die pathetischsten Werke des großen Flamen in alle Welt verbreiteten.
Im letzten Jahrhundert suchte ein großer Schwärmer, aber schlechter Maler in Brüssel als kongenialer Folger des Rubens zu gelten: Anton Wiertz.
Sein Museum ist, zumal für Künstlerische, eine gemalte Folterkammer. Er will entsetzen, will durch kaum auszudenkende Bilder verblüffen. Er wollte noch mehr grauenerregende Bilder schaffen als alle vor ihm. Er malt Napoleon in der Hölle, das Grauen der Cholera, Hölle und Krieg, Wahnsinn, Verbrechen und Tod.
Der Scheintote (Abb. 21), der den Deckel seines Sarges zu heben sucht, dessen Rechte den Betrachter des Bildes zu erreichen sucht, das sind Bilder, die wohl eher in ein Panoptikum gehören als in eine Galerie, die aber doch unverkennbare Epigonen sind Bosch's und Brueghels und Rubens', der Unerreichbaren.
Denn wie diese, nur immer zu unkünstlerisch, absichtlich knüpft auch Wiertz gern an Ereignisse seiner Zeit, an Dinge, die er erlebt.
»Die Ohrfeige einer belgischen Dame« (Abb. 22) ist ein Bild, geboren aus der Erinnerung an die französischen Eroberer Belgiens, die anders vorgingen als unsere Helden. So zeichnete ein Belgier die Belgierinnen! –
Und doch liegt Wiertz' Schaffen fast jenseits der Kunst, jedenfalls jenseits guter Malerei. Und seine Kunst ist nur Zerrbild flämischen Geistes, wie jener Pöbel Belgiens, den unsere Krieger kennen gelernt. – Vor allen anderen Großen Belgiens fehlt ihm als Maler sehr sinnlicher Themen die gesunde, kraftvolle, naive Sinnlichkeit, die ein göttliches Vorrecht. Seine Sinnlichkeit ist krankhaft, altersschwach. Die Belgier können nicht stolz auf ihn sein.
Ein anderer, echter Belgier aus Namur war Felicien Rops.
Ohne über die so entgegengesetzten, verdammenden und rühmenden Urteile, die sein Werk erfahren, ein Wort zu verlieren, sage ich nur: Er ist ganz das, was Bosch für seine Zeit war. Phantast seiner Zeit, Moralist mit den Mitteln, mit den Bildern seiner Zeit.
So wenig wie Bosch schreckt er vor den gewagtesten Bildern zurück, um das zu sagen, was er erlebt. Erlebt ist seine Wollust.
Hier eine Illustration zu Peladans »Vice suprême«: »Das erhabene Laster«. (Abb. 23.) Der Tod ist's der verblendeten Leidenschaft.
Verblendung und Wahn bis über den Tod. Wie ein Triumphator[42] steht der vom Tod zerfressene Galan, den Schädel unterm Arm eingeklemmt, auf dem Podium der gierigen Liebe. Er öffnet den Sarg einer Dirne mit falschem Busen, dem Fächer und rauschenden Röcken.
»Ecce homo – ecce Eros.«
Ähnlich sein Bild vom »Syphilitischen Tod«. Grausam zupackend. Ganz wie Bosch ist Rops ein Symbolist, der selbst alle Leidenschaften erlebt haben muß, ein Symbolist vor allem auf der unendlichen, schrankenlosen, erotischen Welt, die gebiert und vernichtet.
Solche Bilder des Rops sind flammende Menetekel an den Wänden überfüllter Bordelle. Es sind Kapuzinaden voll scharfer, witziger Schlager, die lachen machen und die Genießer aufrütteln und beschäftigen, wenn die Dämmerung kommt und die verführerische Nacht. – Wie Bosch, sein unsterblicher Ahne, denkt auch Rops, daß der Skandal der Prüden wichtiger ist als die Lüge, daß es verflucht notwendig, solche Dinge zu sagen und zu zeigen, wie sie sind.
Zumal gegen Wiertz ist auch die kraftstrotzende, üppige Erotik des Rops gesund, wenn auch noch so weltstädtisch, so verführerisch durch alle aufpeitschenden Mittel halbweltlerischen Luxus.
Wiertz zeigt seine Nuditäten durch Schlüssellöcher. Rops zeigt das Schamlose schamlos. Er hat immer die starke, spiegelnde Wahrheit – das freie, echte Künstlertum auf seiner Seite.
Und das gilt von der belgischen großen Kunst durchweg.
Es ist kein Zufall, ist Zeichen der Selbsttreue einer Rasse, daß Bosch und Breughel, Rubens und Rops sich folgen wie die Glieder einer Kette. In der Wiederholung der Themen und der Typen ist Charakter.
Und ob die Welt um 1900 gar so von Grund aus – auf dem von diesen Künstlern gleich stark geliebten und gleich hart gegeißelten Gebiete – anders war, als die um 1500?
»Ich bin ein melancholisches Geschöpf, dessen Lustigkeit Wahnsinn oder Unsinn ist.«
Dies Bekenntnis de Costers, dessen bester Illustrator Rops war, hätte auch Hieronymus Bosch von sich aussprechen können.
Beide lachen mit dem einen und weinen mit dem andern Auge.
Die Bilder des Bosch sind fast alle bitterernst gemeint und doch fühle ich, sie hat einer gemalt, der gar herzhaft über eigene und fremde Torheiten lachen konnte, lachen hören und sehen wollte.
Wie in einem Kaleidoskop wechselt in Boschs unerklärlichen Bildern das Nebeneinander von farbiger Freude und düstrem Schmerz.
»Der Heuwagen« im Eskurial (Abb. 24). Himmel und Erde! Hinter dem Heuwagen unter Gott Vaters leuchtenden Wolken eine wundervolle echt flandrische Landschaft. Weit und feucht. Und über das flandrische Land fährt der Menschheit Wagen. Hoch auf dem schwankenden Polster von Blumen und Gras ein Jüngling mit der Gitarre beim Liebchen. Und der Teufel bläst auf seinem Rüssel die üble Begleitung: »Alles Fleisch ist wie Heu und alle Herrlichkeit wie die Blume des Feldes.«
Die Todsünden – alle unerklärlichen Laster in unerklärlichen Gestalten ziehen den Wagen – dem die ganze Welt, Kaiser und Könige, Kardinäle, Papst und Geistliche, dem die Ärmsten und Elendesten voller Verlangen, voll Zuversicht auf herrlichen, leichten Genuß und Vorteil folgen.
Und sie kommen noch alle aus lauter Eifer unter die Räder!
Eines der schönsten und wichtigsten Bilder des Bosch. Eine Malerei, nicht etwa eine jener gelehrten Ausklügeleien, von elenden Unkünstlerischen zur sogenannten moralischen Allegorie zusammengebaut. Kein Katechismus. Kunst und Leben, die zwei, die immer vom Schleier des Geheimnisses verhüllt bleiben.
Viel rätselhafter – aber gleich stark als malerische Schöpfung ist das andere große Bild des Bosch im Eskurial (Abb. 25).
Es hat die entgegengesetztesten Namen. »Die irdischen Freuden« nennen's die einen. Die andern: »Die Völlerei«. Die beides sehen,[50] nennen's: »Die Strafe der Laster«, »Die Wollust und der Teufel«.
Doch hier sei's betont: wir sehen derartige groteske Höllenbilder meist viel zu ernst an. Bosch zumal hat Freude an unserm Lachen. Wer so einen Lasterzirkus erfunden hat, der fühlte, die Verrücktheiten der Menschen sind unausrottbar. Es dreht sich alles im Kreise. – Und im einzelnen wie viel köstlicher Humor, wie viele mühen sich ordentlich ab, doch endlich zu den Lustgefühlen zu kommen, die sie sich ersehnt. Von solchen Bildern können Tausende von[51] Phantasten, Symbolisten leben. Die Bilder sind unerschöpflich. Die einen machen sich, die andern andern was vor, aus Verlangen, aus Zeitvertreib. Manche spielen Versteck – isolieren sich – um doch Narren und Sünder zu bleiben wie die in der großen Welt.
Im einzelnen bleiben die Traumbilder des Bosch, die ihm erlebte Wirklichkeit sind, unerklärlich. – Die »kleine Hölle« (Abb. 15), in der's zugeht wie in einer belagerten, erstürmten, brennenden Stadt, in der die Eroberer plündern und die Menschen nackt wegführen und foltern (in Hogenbergs Radierungen ist's die furchtbare Wirklichkeit geworden) – im »Jüngsten Gericht«, das nach Bosch Alaart du Hameel gestochen hat (Abb. 16), sind Gestalten, sind Maschinen, Tiere und Menschen und wieder Gestalten, die alles das in einer ungeheuerlich karnevalistischen Form sind.
Wer erklärt sie?
Was sind's sonst als die geistigen, seelischen, körperlichen Qualen der genarrten, nur aus Glücksucht verbrecherischen Menschheit?
Es fällt ein Schimmer von Sympathie auf den düsteren Tyrannen der Niederlande Philipp II. von Spanien, daß er an keinen Bildern bis zum Tode solche Freude empfand wie an diesen erlebten Menschheitbildern, gesehen wie im Spiegel eines unergründlichen Märchensees, um den die Pessimisten sich sammeln und die Träumer. – Woher hat Bosch solche Phantasien?
Aus seinem Genie, seinem Land, seiner Zeit und allem vor ihm.
Vergil und Talmud und Indien, Hellenisches und irische Sagen, Bibel und Masken und Geräte wilder Völker erkennt der gelehrte Literat und Ethnograph da und dort im kaum verwandelten Bilde.
In Bosch lebt der Geist der flämischen Rasse, der Geist des Mittelalters, der sterbend Neues erschaut.
»Charakteristisch für den Geist des Bosch,« sagt Lafond, »ist sein Verlangen nach lebendigem Ausdruck. Er ist der erste Maler seines Landes, der umherging, um alles zu beobachten, was nur geschah, der die Feste besuchte und das Volk bei seinen Vergnügungen, die nirgends so häufig und derb wie in Flandern und Brabant.« Es war die Zeit, da zwei Epochen mit aller Heftigkeit aufeinanderplatzten.[52] Die Hirne zermarterten sich in Sorgen und Aberglauben, in den Weissagungen der Apokalypse vom nahenden Weltende.
Aber in Flandern und Brabant blieb trotz allem noch der Geist überlegener Gelassenheit, der sich lustig macht und mit einer derben Zote ins volle Leben zurückspringt, wenn's nicht anders mehr auszuhalten. Der Spott des Genießers liegt in allem. Eine köstliche, lachende, praktisch bewährte Philosophie des Durchhaltens.
Bosch hat viel gesehen. Daheim und in der Ferne. Ob er weit gereist ist? Ein so Reicher hat das nicht nötig. Er hat viel gelesen und viel gesehen in den Büchern von Mandevilles indischen Reisen, vom Physiologus mit seinen Mißgeburten und Ausgeburten begabter Reiselügner. Die erzählten von Menschen ohne Beine, oder von Seeweibern, die fast Fische waren, von allen Unmöglichkeiten.
Bosch vertiefte sein suchendes Auge in die grotesken Wasserspeier der Dome, die Teufeln, die unter den Konsolen der Heiligen hocken, die aus den Fassaden herauslugen und sich krümmen müssen zu Armlehnen im Gestühl für die lebenskundigen Chorherren.
Das war alles Art von seiner Art an den Kirchen von Brüssel und Löwen, in Breda und im Rathaus von Damme. Das war immer und immer noch die gleiche anthropomorphisierte Welt der Sonderlinge um ihn herum auf den Jahrmärkten und in den Stuben. – Er sah die Teppiche Persiens mit Jagden und Prozessionen und rätselhaften Zeichen. – Bosch aber verknüpft und verknotet und umschlingt diese Millionen von Vorstellungen zu einer ewig von Fragen erfüllten, atmenden Welt.
Einem Flamen gelingt dieser Wurf!
Eine lebendige Welt. Äonen von Leiden und Freuden fern, fern von der hellenischen Welt mit ihren schönen Menschen ohne Erlebnis.
Bosch geht noch weiter als alle Erfinder und Phantasten Er bildet Menschen, die sind halb und halb Geräte, Maschinen, Mühlen mit Armen statt Flügeln, Häuser mit glotzenden, phosphoreszierenden Augen statt der Fenster. Seine Höllen sind voll von Belagerungsmaschinen, Flug- und Schwimmaschinen, die Ingenieure verrückt machen, beschämen und anregen könnten.
Das alles ist Boschs persönlichstes Eigentum – geschöpft aus den tiefsten Quellen der Menschheit, aus der Art seiner Rasse: »Die Belgier haben«, sagt L. Maeterlinck, »von Anfang an stärkste Begabung gezeigt für Satire und Phantasie.« Und V.1 sagt: »In Flandern darf nichts abstrakt sein, dort muß der Stein lebendig sein, in steter Bewegung, so wie Pflanze, Bäume, das Feuer, die Vögel, das Tier und die Menschen, selbst auf die Gefahr hin, einen strengen Geschmack mit dieser Bewegungsfülle zu verletzen« (Was z. B. von Michelangelo gilt.)
1 Es widersteht mir, den Namen dieses Schriftstellers zu nennen, der das künstlerisch beste Buch über Rubens geschrieben hat. V. hat unsere deutschen Krieger in einer so unflätigen Weise, die nur grausamster Selbsterfindung zweifelhafte Ehre machen kann, beschimpft, daß sein Name alles Vergessen verdient. Nicht nur seitens der Deutschen, ebenso seitens der Flamen, deren Verräter und Abtrünniger er geworden. Haß aus politischen Gründen ist verzeihlich – wer aber seine unsterbliche Rasse beschimpft, verdient Namenlosigkeit. – Gleichzeitig bemerke ich, daß der hier öfter genannte L. Maeterlinck nicht mit dem uns gleichfalls verächtlich gewordenen Maurice M. identisch ist. Wie Französelei die modernen Städte Belgiens charakterlos gemacht hat, so ist das Verhalten V's. und M. M's. Mordversuch am allein schöpferischen Flamentum.
Wer heute sich in die Bilder des Bosch vertieft, sieht die tolle, bunte Menschheit – er sieht, wie nirgends sonst, die Seele Flanderns.
Das macht den Ruhm des Bosch bei seinen Zeitgenossen klar.
Bosch ist der Maler der Zauberei und der Hexenprozesse – der Angst vor Folterqualen, des Suchens nach Errettung durch Gottes Wort und Macht. Seine Bilder von der Bühne des Lebens der flämischen Lande waren alle warmblütigen Lebens voll.
Das Verhältnis König Philipps II. ist für die Seelencharakteristik dieses melancholischen Tyrannen unerläßlich.
Seine öffentlichen Handlungen waren nichts als kalte berechnende Posen, er spielte vor einem Publikum, das in stiller Angst erzitterte. Und Bosch malte dies Volk und diesen Herrscher.
Diese Bilder paßten also nirgends besser als in den Beichtstuhl[54] und vor das Totenbett des kranken Tyrannen, der ein geniales Volk verbissen und heimtückisch gemacht hat.
Verbohrtheit ist in diesem Maler, in diesem Volke, diesem Herrscher. – Verbohrtheit bis zum Genialen.
Trotzdem, trotz Michelangelo ist Bosch ein vollkommener Künstler.
»Seine malerische Harmonie ist ebenso stark, seine Farbe ebenso warm wie die Rembrandts. Er steht ihm gleich.« (Lafond.)
Der Einfluß des Bosch ist unermeßlich. Natürlich auch gefährlich gewesen, wie der aller ganz Starken und Einzelnen.
Callots »Versuchung des h. Antonius« ist ohne Bosch kaum denkbar.
Ein letzter Verwandter in Belgien mag James Ensor sein (Abb. 26). Nur ist Ensor kein Reifer, kein Lachender wie Bosch. Er griffelt die Ängstlichkeit in zitternden Linien von traumhafter Zartheit. – Drohender Pöbel, Massenangst, das sind seine Themen.
Die Reihe der Bilder übersinnlicher belgischer Phantasten des[55] Lebens und des Todes schließe ich mit einem der gewaltigsten, dem »Triumph des Todes« von Pieter Brueghel (Abb. 27).
Muß der Ruhm Bosch' als Maler noch verteidigt werden, so steht Brueghel als einer der größten Maler über allem Streit.
Auch in dem Bilde ist er Maler und Landschafter hohen Ranges. Aber die Wucht der Erfindung fesselt fest das Auge an die Darstellung.
Auch hier, wie bei Bosch, bei Rubens, bei Rembrandt eine Komposition voll divergierender Richtungen und schneidender Zäsuren. Es ist ja auch ein Bild des Hin und Her.
Die Schlacht, die nie aufhören wird. –
Wie im »Kindermord« hat der Schrecken etwas Erstickendes.
In geschlossenen, dichten Reihen schieben sich hinter Schildern wie Sargdeckeln die Bataillone des Todes vor. Viel kleiner – und ganz zerrissen die Schar der Menschen. Die Karren des Todes sind schon voll bleicher Schädel. – Weiter hinten tobt in Schluchten eine andere Schlacht. Nirgends Sicherheit vorm Tod.
Am Horizont rauchende Städte. Im Meer untergehende Schiffe. Auf der großen Richtstätte gehen Henker ihrer Arbeit nach. Gugelmänner bestatten die Toten. Alles kahl und kalt. Vorn aber liegt der Kaiser gleichgültig auf seinem Purpur – und noch spielt ein Liebhaber im Schoße einer Buhlerin die Laute.
Spiel und Grausen. Tod und Karneval. Wahrheit und Gleichnis.
In Pisa und Palermo, deren »Todestriumphe« der niederdeutschen Kunst näher stehen als ähnliche Bilder in Italien, sind die Allegorien illustrative Paraphrasen alter enger literarischer Themen. Frisch hat Breughel erfunden, nichts ist Illustration. Breughels Kampf ist ohnegleichen. Und das Chaotische der Komposition ist auch vom andern Flamen Rubens bewußt oder unbewußt im »Sturz der Verdammten« aufgegriffen.
Wenn nach Breughel auch kein Rubens gekommen wäre, Bilder so starker Art bestimmen die Charakterzeichnung der Rasse.
In Breughel feiert die germanisch-flämische Kunst Höchstes:
»Uns ist nichts häßlich. Verhaßt ist uns nur das Leblose.«
Die tiefere Bedeutung dieser germanischen Begabung wird in Breughels Werk erschlossen.
Sein Vorgehen muß auch uns Beispiel und Schild bleiben.
Denn wieviel liegt in solchem Bekenntnis!
Der Reichtum aus solcher Anschauung erdrückt allen ästhetischen Formalismus, er erschließt künstlerische Gebiete von nie geahntem, nie auszuschöpfendem Erträgnis vom goldnen Überfluß der Welt.
Vom starken Realismus belgischer Maler mußte schon oft die Rede sein. Er ist das Kennzeichen aller Großen dieses Landes.
Er ist Voraussetzung für die große Zahl mächtiger Bilder, furchtbarster Schrecknisse des Todes, der Schlachten, der Martern, der ganzen Fülle von Bildern mit an sich häßlichen Erscheinungen.
Denn auch Phantasie setzt, wenn sie als höchste Kunst gewertet sein will, Naturstudium voraus. Auch die wildeste Phantasie ist Tochter der Erinnerung, die die nackten Tatsachen fest angeschaut.
Doch nun einiges von der Geburt, dem Entwicklungsgang, der Ergiebigkeit des belgischen Realismus, der in den Künstlern lebt und im Volk, der dieses glücklich und reich, jene begehrt macht.
Wie er anfängt, früher, großartiger, entschlossener als sonst wo, wie er die Kunst Belgiens in ganz Europa berühmt macht, berühmter sogar als die Kunst anderer Länder, wie er erobernd vorgeht, wie er mit dem einen das andere Gebiet erschließt, deren Bedeutung befestigt und durch alle Zeiten verteidigt.
Nur einmal sank der Ruhm belgischer Kunst dahin, als der realistische Sinn verachtet wurde, als die Belgier, verblendet von Italiens Schematismus formalen Aufbaus, das Land verließen und mit ihm die feste, bodenständige Anschauung ihrer alten Künstler.
Doch die unglückliche Zeit des Abfalls der Künstler der malererzeugenden Niederlande von ihrer Heimat, vom starken flämischen Naturell, von der Form der germanischen Rasse währte nicht lange.
Zur selben Zeit kam einer aus irgendeinem Neste Brabants, der rüttelte sein Volk auf, schüttelte voll Zorn die Ausländerei der Maler ab: Das war Pieter Breughel.
Breughel ist der Vater der belgischen Heimatsmalerei.
Er erschließt endgültig alle Probleme und Taten der belgischen Malerei. Er ist der urwüchsige, ausschlaggebende Künstler der zähen, kraft- und fruchtstrotzenden Opposition im belgischen Realismus gegen alle Fremdtümelei – unter der die deutsche Kunst ach so oft und schwer gelitten.
Breughel war jung in Italien. In Rom, wie so viele. Nichts scheint ihn dort interessiert zu haben. Kaum etwas blieb von seinen römischen Studien. Die hatten keinen Wert für ihn.
Aber in den Alpen da geht ihm das Herz auf, das Auge des Zeichners, des Malers, des Realisten.
Keiner hat zu jener Zeit so ganz das mächtige, große, unendliche Auf und Ab der Felsen und Täler, der Hänge und der Flüsse zwischen[63] den Bergreihen in sich aufgenommen, wie dieser Maler des Tieflandes. Mit und nach ihm wurden Belgier beste Alpenmaler.
Aber dann vermißt er die Berge nicht mehr, deren feuchte Wände er gemalt, wie erst ein Böcklin wieder im letzten Jahrhundert. Er konstruiert nun nicht etwa, wie andere, unwirkliche Bergbilder. Nein er sieht eine Welt von linearem Reiz in – den schlichtesten Dörfern Brabants. Er zeichnet die Hütten seiner Bauern mit unerhörter Treue – mit derselben Treue, mit der der richtige Italienschwärmer von damals nur Paläste Italiens gezeichnet, nur Statuen und schöne Posen und vollkommene Akte.
Eine ganze Folge von solchen Stichen entsteht. Immer wieder mußten sie verlegt werden, so sehr gefallen sie im ganzen Lande. Die Heimatkunst wirkte wechselseitig. Eine solche Liebe zu solchen Bildern der Hütten, die frei sind von jeder Art Verschönerung, die auch noch nicht einmal das Volk in irgendwie fesselnd-deutlicher Weise zeigen war noch nicht da. Es war etwas ganz neues. (Abb. 28.)
Breughel gab dem Volke das als denkbar schön, was die Kenner vorher als minderwertig und häßlich verachtet hatten.
Er hebt also alte Schätze aus vorher ungesehenen Tiefen. Er[64] gab nicht nur anderes, er malte auch durchaus anders, als damals für schön galt. Seine ganze Umgebung schwärmte nur für Rafael.
Alles an dem Maler ist Opposition gegen Schönheitsbegriffe der Zeit. Alles ist Charakter. Alles Heimat-Realismus.
Die von Italien kamen, malten die Bilder im Hochformat. Er zieht das Breitformat vor, das weitaus herrschend geblieben in der echten nordischen Kunst. Was er malte war weit und breit gesehen.
Er malt bunter als andere. Nicht fein nüanciert. Er setzt die Lokalfarben, setzt blau und gelb und rot unvermittelt nebeneinander.
Er malt die Dinge wie er sie sieht, nicht nach feinen Rezepten.
Er malt Volk, nicht Heilige, malt Genre, nicht Religionen, nicht Engel im Himmel, sondern Bauern im Wirtshaus – malt Straßen und Schützen, Trunkenheit und Epilepsie.
Und das bleibt das Thema der belgischen Kunst, trotz van Dyck.
Er malt die Häßlichsten und Ärmsten und gibt solchen Bildern ohne alle irgendwie pathetischen Mittelchen Wucht und Größe.
Oder nicht? – – Sind die »Blinden, die Blinde führen« nicht herrlicher, bedeutsamer, packender und zwar auch rein als Kunstwerk als all die schonen und verzückten und entzückenden Heiligenbilder dort ringsum im Museum zu Neapel? (Abb. 30.)
Breughel schlug noch einmal Bresche für flämisch-niederdeutsche Art. Für ihn war das schwerer als gut 100 Jahre früher für die van Eyck. Denn damals galt auch in Italien das Niederländische. Jetzt beeinflußten Rafael, Michelangelo, Tizian den Geschmack hier wie dort. Dort mit Recht. Hier zu unrecht. Denn Breughel ist wie Bosch, wie van Eyck vom Uradel seines Landes, wie jene von ihrem. Fremde Herren aber können den Adel nicht verleihen.
Das sei nie vergessen.
So scheidet Breughel nicht nur endgültig Belgien von Italien – er ändert auch die Richtung der Anschauung im eigenen Lande.
Nur einiges von dem, was ihn unterscheidet von den alten belgischen Künstlern; seine Auftraggeber, von denen des van Eyck.
Breughel sieht nicht mehr die Pracht der hohen Herren. Pomphafte Aufzüge, wie wir sie so vielfach in den alten reichen Handschriften[65] der Herzöge von Burgund, im Turiner Gebetbuch (Abb. 31) mit erstaunlichster Treue und Farbenfreude gemalt sehen, wie sie Jan van Eyck in dem epocheeröffnenden Genter Altar geschildert – interessieren Breughel nicht. Er liebt die bunte Masse.
Die Landschaft des Turiner Gebetbuches, die Küste mit dem Turm von Vere, die Atmosphäre ist freilich holländisch. Und der dargestellte Wilhelm IV. von Bayern war Herzog von Holland. Aber hier gilt uns mit Recht das Bild als Beispiel für die Prunkliebe der damaligen Höfe, für das große Interesse der Hofmaler für prachtvolle Stoffe. Erst allmählich änderte sich dies mehr und[66] mehr ins Bürgerliche und Bäuerliche. Nur eines blieb stark in beiden Niederlanden, die stoffliche Wahrmalerei. – Diese war altes Erbteil der Niederlande. – Aber keiner war vor Breughel stark durch den ausgesprochen belgisch-volkstümlichen Realismus.
Hundert Jahre vor Dürers »Fortuna« mit dem dicken Unterleib, der zuviel daheim hockenden Hausfrau, malt Jan van Eyck die ersten Menschen um kein Haar schöner als die ersten besten schlichten Landsleute, die sich ausgezogen vor den Genter Maler hingestellt. (Abb. 32.)
Was sollte sich die Rasse schämen? Was sollte hier antikische Körperpflege? Freilich in dem sonst so feierlich repräsentativem Charakter des unerhört großen Altarbildes wirken die Figuren nicht passend im Sinne des Stils. Nur die Akte sind »wie daheim«. Alles andere bewegt sich, wie für feierliche Aufzüge.
Nichts wirkte damals aufs Volk so stark wie diese Akte. Diese gaben dem Altar den Namen: »Spiegel, Spiegel sind es, keine Bilder« rief man aus.
Ist also Jan van Eyck teils noch dies – nur im kleineren Teile schon der nationale Maler, so gehören erst Breughels scharfe[67] Augen ganz allein der Heimat. Er will nichts von der alten Schaustellung. Akte hat er nie gemalt. Und wenn er's getan hätte. – Man kann sie sich leicht bilden aus den festen vierschrötigen, gesunden Gestalten im prallen Kittel.
Er malt Belgiens gesunde Rasse – und alle Belgier nach ihm! Brouwer, Teniers, Rubens, Lambeaux, Rops, Rassenfosse.
Ein anderes Werk mag unsere Überzeugung befestigen von dem gerade in Belgien kräftig sich durchsetzenden Realismus. Der noch nicht mit Namen bekannte »Meister von Flémalle«, der jedenfalls ein Schüler des echt Brüsseler Malers Rogier van der Weyden gewesen ist, malte nicht lang nach dem Tode des älteren van Eyck eine Madonna, die bezeichnend für jenen kecken, derben Naturalismus, der Eigentum der flämischen Kunst blieb bis heute. (Abb. 33.)
Die, wohl in Tournay gemalte, Gottesmutter ist von gleicher, gesunder, ja kraftstrotzender Art wie eine Madonna des Rubens im Prado, in Berlin oder im Louvre, sie ist eine unverkennbare Ahnin der »Fruchtbarkeit« des Jordaens. »Die Auffassung ist derb und groß«, sagt Friedländer. Vertieft im mütterlichen Glück, behäbig und breit thront die göttliche Mutter im reichen Heim.
Und wenn hier auch vieles noch etwas gar fein und geziert, die Keckheit der unsymmetrischen Komposition konnte nur einer haben, dessen Wille es war, alles recht unmittelbar erscheinen zu lassen.
Freilich ist die Kunst dieser Zeit, in der der burgundische Hof alle anderen an Pracht überbieten konnte, nicht frei vom höfischen Einschlag. Um so mehr muß, gegen den Geschmack der Weltstadt Paris, die derbere nationale Eigenart stark aufgefallen sein.
War die Kunst dieses Meisters noch nicht in jeder Beziehung realistisch, ihr Ziel: Naturalismus, ihre Art: das kernige, flandrische Naturell traten bahnbrechend hervor, wie in den Genter Akten.
Wie ganz anders die französische Malerei am Hofe von Paris, etwa zur gleichen Zeit. Sie fürchtete vielleicht gar den niederländischen Einschlag. Sie protestierte gegen deren Neuerungen, während die flämische immer bewußter auftritt. Die Pariserischen blieben milder, auch in den Farben zarter. Sie malten schöner, glatter. Lack und Gold machten viel aus. Wo die von Paris oder in der Touraine auch mal kecker auftreten wollten, da vergreifen sie sich eher ins Pikante, ins gesellschaftlich Sensationelle.
Man braucht doch nur diese Madonna des Meisters von Flémalle mit der uns heute befremdlicheren des Jean Foucquet zu vergleichen, die jetzt im Antwerpener Museum hängt – um den Unterschied belgischer und französischer Kunst schon in jener Zeit zu fühlen. Foucquets Madonna soll die Geliebte Karls VII.: Agnes Sorel darstellen. Sie ist ganz modisch gekleidet – nicht wie die des Flemallers etwas patriarchalisch. Auch sie hat eine Brust entblößt. – Und doch wirkt das alles nicht frisch, nicht naiv. Alles ist schönheitlich berechnend, trotz Realismus alles archaistisch. Die Komposition ist ganz konventionell. Es ist höfische Kunst – nicht die echte menschliche im neuen Flandern.
Was vom figürlichen Bilde gilt, gilt auch vom Realismus in der Landschaft.
Um die Bedeutung der Heimatlust eines Bosch und Breughel zu erkennen, muß man deren Bilder mit den älteren vergleichen.[69] Die prächtige Küstenlandschaft mit Wilhelm von Bayern ist gemeinsamer Ausgangspunkt. Dann wirkt die große Landschaft im Genter Altar wie eine Offenbarung. Aber sie ist zusammengestellt, sie zeigt sogar noch die Palmen des Südens. Schon vorher aber hat Jan van Eyck auf dem Bilde des Kanzlers Rollin (Abb. 34) möglichst getreu seine Heimat gemalt: Felix Rosen will in der Landschaft Lüttich und seine Umgebung erkennen. – Jedenfalls ist das Maaßtal auch landschaftlich der klassische Boden der flandrischen Kunst. – Doch gab auch Jan van Eyck noch keine Landschaft der[70] Heimat ganz für sich. Auch Patinier malt ganz wundervolle Ideale flandrischer Weiten zu dem Bilde des Quentin Massys: Versuchung des h. Antonius (Abb. 36). Nicht lange nach ihm kamen Bosch und dann P. Breughel, von dessen epochemachender Folge Brabanter Dörfer schon die Rede war. Mit ihnen beginnt die eigentliche Heimatlandschaft der belgischen Maler. (Abb. 28.)
Realismus und Heimatlust sind die starken Pfeiler der niederländischen Kunst. Beide haben die belgische Malerei siegreich gemacht im künstlerischen Wettstreit aller Völker der Erde.
Aber der starke Erfolg der großen belgischen Maler daheim und draußen, bei den schärfsten kritischen Beurteilern wie bei allen Schaulustigen überhaupt, verlangt noch andere Erklärung. – Und die gibt nichts anderes als die unvergleichlich starke Lebenslust des flämischen Volkes, das nichts weiß von Sentimentalität und Kopfhängerei, nichts von Schwäche und Daseinsverzicht.
Was die Reihen der belgischen Bilder so genußreich macht – auch für die jenseits künstlerischen Gestaltens, das ist die derbe Freude, die gute Laune, das Genießerische.
Weil der belgische Künstler, wie das Volk, schließlich überall mit[76] allen Augen, mit ganzem Herzen fühlt: das Leben ist doch lobenswert, es ist doch zu bejahen – ist die Kunst dieser Maler so ohne Grenzen. Alles, alles ist ihnen bedeutend, genußreich.
So vollzieht sich in Belgien's Malerei häufiger und leichter als sonstwo die ewig unbegreifliche Wandlung vom Häßlichen ins Schöne, vom Grausigen ins Erschütternde, vom Wahren ins Wunderbare, von der ich in einem anderen Werke ausführlich gesprochen habe.
Wäre wirklich die niederländische Bauernmalerei so sieghaft gewesen, wenn nicht aus all diesen ärmlichen Kneipen, aus diesen derben Gesichtern armer Teufel ein Rassenbewußtsein uns entgegenlachte, das überzeugender wirkt als alle philosophischen und theologischen Traktate über das Glück der Bescheidenheit?
So hängt aufs engste zusammen, flämischer Volkscharakter und flämische Kunst. Kraft solcher naiver, volkstümlicher Doppelbejahung sind und bleiben die größten belgischen Künstler die stärksten Repräsentanten des belgischen Volkes.
Rubens ist der stärkste. Er steht für uns mitten zwischen den Jahrhunderten.
Rubens erst hat die Bauern seiner Heimat verherrlicht. Er hat sie vergöttlicht zu Panen und Satyren. Kein größerer Unterschied als Rubens Bauern und Watteaus Bauern. Dieser bewußte Nachfolger des Rubens ist nur durch Geburt Auch-Flandrer. Die belgischen Rassebauern gehen mit ihm unter. Sie werden verächtliche »magots«. Rubens Kirmesbild im Louvre (Abb. 38) ist Rausch an Rassegefühlen, ist die Hymne belgischer Heimatlust und flämischen Genießens.
»Alle Laster, die Freßsucht, die Trunkenheit, die Ausschweifung, sind hier in einer so donnernden Hymne gefeiert, daß man gar nicht auf die einzelnen Worte achtet. Eine ungeheuere Musik, keine Zurückhaltung, keine Dämpfung, brutal bricht sie aus wie Zimbelschlagen, rauschende Blechmusik und das Gröhlen der breiten Baßgeigen. Rubens vergötterte seine Rasse, er liebte in ihr die Gutmütigkeit, ihre Sinnlichkeit, ihre rohe, rote Glut. Von allen[79] Genrebildern des Rubens ist dies Kirmesbild das berühmteste und typischste«. (V.)
Wild und sinnlich sind auch die Kirmessen des Breughel, des Vinckboons, des Jordaens. Aber nur Rubens prägt und stilisiert das Bild, das hundert andere gemalt, zu einem Rassezeichen, zum Signum seines Volkes voll künstlerischer Klarheit und Kraft.
In der Darmstädter Galerie hängt ein Bild Breughels, das vielleicht am ehesten neben die Rubenssche Kirmes gehört. Wie die Bauern sogar noch unterm Galgen tanzen. (Abb. 37.)
Bei Rubens meint man, das müßte so sein. Bei Breughel erlebt man erst dies wundervolle »Und doch, und doch« der uralten flämischen Lebenslust trotz aller Widerwärtigkeiten des Daseins.
Rubens Kirmes ist tatsächlich Signum – Breughels Bild aber ist die Allegorie eines Malerphilosophen sondergleichen.
Beide Künstler sind wahr und überzeugt vom Werte ihrer Art.
Rubens zumal ist selten so wahrhaftig, so mitfühlend, so ganz derselbe wie die, die er malt. Der Hofmann konnte ganz Bauer sein.
Bei den Märtyrerszenen ist er lieblos – hier wird seine Liebe[80] auch ohne »Theater« Leben! Ja die Übertragung ins »Stilvolle« kommt durch Verzicht auf jeden szenischen Apparat.
Die St. Georgskirchweih des Pieter Breughel (Abb. 39) will etwas anderes sein. Eine recht getreue Erinnerung an übermütige Stunden. Alle Belustigungen, alle sportlichen Veranstaltungen, alle Aufführungen werden gezeigt. So ein Stich in der Bauernstube an die Wand genagelt, hat jeden echten Flamen die Tage bis zur nächsten Kirchweih herbeisehnen lassen. Wie's da zuging, das war Vorbild für den nächsten Freudenrausch.
Rops, der Wallone, hat einmal »den Frühling« gezeichnet – (Abb. 40), nicht wie ein Ludwig Richter, nicht wie ein Schwind oder Thoma. Nein, ganz wie ein echter alter, von niederländischer Volkstümlichkeit strotzender Belgier.
Hier wird die Schilderung freilich witzig – aber im einzelnen und im ganzen ist's das alte lustige Getriebe, sind's die alten feisten Breughelschen Gestalten, die sich necken, lieben, schlagen, drehen.
Rops Spott trifft nur die Nichtbauern, die Nichtvölkischen. –
Und bei Teniers stört nur eines, mindert nur eines die Kraft der Vorstellung: Die Anwesenheit städtischer Zuschauer. Auf die Bildbetrachter geht von diesen Zuschauern doch immer etwas reflektierendes aus. Es tritt zwischen die Bauern und uns ein Störendes. Das Bild wird zur Bühne, die die Welt bedeutet, nicht ist. Wir meinen sogar Teniers stelle die Bilder absichtlich wechselvoller zusammen. Fürchtet er sonst zu einseitig zu sein? (Abb. 41.)
Mag diese Empfindung unnötiger arrangierender Nachhilfe berechtigt sein oder nicht – für die Beurteilung des Künstlers sind die Zuschauer, die Brueghel und Brouwer nicht kennen, zutreffend: Der Maler hat nicht sich eins gefühlt mit seinem Volke. Der Hofmaler Teniers, der von seinem Schloß aus die Kirmessen sah, ist wohl der Geburt, aber gar nicht dem Herzen nach Vollblutflame.
Doch für uns ist Teniers gerade als Hofmaler interessant.
Die fremden Herrscher protegierten ihn. Der deutsche leidenschaftliche, in Spanien erzogene, Don Juan d'Austria, aus bayerischem Blut, war's, der ihn unterstützte. Er wollte mit ihm zeigen, daß er für das flämische Volk fühle. Er wollte es gewinnen.
Ob ein Hofmaler dafür gerade der geeignetste war, läßt sich bezweifeln, zumal Teniers das künstlerisch sehr zweideutige Ziel erreichte, die flämische Bauernmalerei salonfähig zu machen.
Da war doch Brouwer ein ganz anderer Kerl. (Abb. 42 und 43.)
Der lebte nicht auf hohem Schloß – lebte nur in den Kneipen.
Der war nicht Hofmaler und Galeriedirektor – sondern ein Lump und Sumpfgenie, der von den Manieren der guterzogenen Leute nichts wissen wollte. Rubens Mühe versagte bei ihm.
Ein genialer Mensch war Brouwer und ein genialer Künstler.
Nicht Besteller, nicht Vorteile, Charakter allein machte Brouwer zum echten flämischen Bauernmaler, reich an Geist und Witz.
»Jeder Zoll ein Künstler, ein malerisches Genie, das neben den[83] größten genannt zu werden verdient.« »Ein Adonis in Lumpen, ein Philosoph unter der Narrenkappe, ein Epikuräer mit zynischen Formen« sagt Wilhelm von Bode.
Sein Atelier – das waren die Weinspelunken Antwerpens.
Dort waren seine Freunde. Nur dort seine Modelle. – Wo er her kam, wissen wir nicht. Daß er ein Flandrer war ist gewiß.
In dem Element, in dem er allein leben konnte und wollte, ging's polizeiwidrig, ging's animalisch zu, in Spiel und Genuß.
Das Künstlerische und das Volkseigene lassen sich bei Brouwers Bildern nicht trennen, nicht mit allen Pinzetten und Goldwagen der Gelehrtentüftelei.
Ob Maler, ob Volk, der Flame liebt die Farben als Farben, ob Kittel, ob Haar, ob Wein, ob Rauch. Er liebt die Formen des Lebens, also nicht die hergerichteten, ausgeglichenen, aus Konvention schon genannten. Konvention und Künstlertum hassen sich.
Wie sehr in Brouwers Kunst auch höchster Volkssinn lebt, zeigt der fast beispiellose Erfolg des Malers Niemals war ein Erfolg künstlerisch verdienter. Niemals so frei von allen anderen Einflüssen.[84] Denn liebenswürdig war Brouwer nicht. Seine kleinen, – zunächst sehr bunten – lokalfarbigen Bilder werden bald so hoch bezahlt, wie die großen des Rubens. Mit 24 Jahren ist Brouwer berühmt.
Doch Besitz galt ihm nichts. Der floß in die Kehle.
Als er mit 33 Jahren stirbt, hinterläßt er an Wäsche nur einen Kragen, fünf Manschetten und – kein Hemd.
Wer Belgiens Geschichte und Belgiens Kunstgeschichte nur in den Höhepunkten vergleicht, wird finden, daß die Kurve dieser meist hoch steht, wenn die Höhe jener sich senkte oder noch kaum wieder sich zu heben anfing.
So wird Brouwers Schicksal zur Allegorie: Die Kunst Belgiens ist häufig genug ein Phönix aus der Asche.
Man hat in Brouwers Malerei viel Holländisches festgestellt.
Aber vergleicht den größten Holländer neben ihm: den Franz Hals, der vielleicht sein Lehrer war. – Das, was flämisch ist,[85] hat nur Brouwer. Hals aus Antwerpen ist auch Maler des Lachens und Genießens. Aber er ist doch mehr, er ist am größten, unvergleichlich im feinen Lächeln. Die lachenden Genießer des Holländers sind zudem meist gesittete, wohlgekleidete Leute. –
Die ganze Schule geht von Brouwer aus. Von Antwerpen nach Haarlem, Delft, Amsterdam, Leiden.
Brouwers tüchtigster Schüler war Joos van Craesbeeck. Im bürgerlichen Leben kein ganz sauberer Mensch. – Auch er ein Kneipenmaler mit Zank und Rauferei. Lehrer und Schüler lebten in der Kneipe und nahmen's mit dem weiblichen Mein oder Dein nicht genau.
Craesbeecks Bilder spielen bezeichnenderweise nicht nur in Kneipen und – was bei Brouwer nie der Fall, eine zweifelhafte Weiblichkeit gibt den Mittelpunkt. (Abb. 45.) Er malt schon recht gern Soldaten und Herren bei Dirnen in Freudenhäusern.
Das Thema war keine neue Erfindung. Es konnte in der genußsüchtigen, lebenslustigen Welt Antwerpens nicht fehlen. Doch[86] erst Craesbeeck hatte Erfolg. Aertsen und Hemessen, die hundert Jahre früher Ähnliches malten, fanden für diese Psychologie noch wenig Verständnis. Das ist begreiflich. Beide sind nicht fest. Ihr Leben wechselt zwischen Belgien und Holland, wie ihre künstlerische Anschauung, die, weil sie schwächlich, nicht kurz zu charakterisieren ist.
In Aertsens ruhigen Bildern aus öffentlichen Häusern lebt nicht die starke, zugreifende, rasch handelnde Begierde. In seinen zarten, oft bleichen Gestalten fühlt man das Zittern verhaltenen sinnlichen Verlangens. Das widerspricht flämischer Rasse. –
Denn allen Flämischen sind »naturalia non turpia«.
Hemessens »Lockere Gesellschaft« (Abb. 44) ist nur negativ vielsagend. In den Bildern der wahrhaft großen Belgier, ist die starke, lebensbejahende Physiognomie des belgischen Volkes ganz anders und ohne alle Zweideutigkeit gezeichnet.
So ein ganz unverblümter Schilderer der rassigen, flämischen gutgestellten Familie ist Jakob Jordaens.
Auch ein echter Sohn seiner Rasse, der nicht nach Italien ging. Der die Götter Griechenlands – wie Rubens – ganz so malt wie die Kinder, die Männer und Frauen seiner gesegneten Heimat. Kräftige Körper, schwellende, milchstrotzende Brüste und leuchtende Augen, rotes Haar und rosiges Fleisch, runde Gesichter mit feuchten Lippen, die gern essen und schlürfen, die tüchtig singen und breit lachen können und wollen. (Abb. 46 und 47.)
Die Familien Jordaens' sind immer bei voller Tafel versammelt – irgendein Fest gab's immer zu feiern. Die Bohnenfeste, die Martinsfeste, den Dreikönigstag, wie oft hat sie Jordaens gemalt in gesunden Farben beim fast blendenden Licht. So strahlt das grelle Fleisch fast hart wie die Pokale der vollen Tafel.
Es muß sehr laut zugegangen sein bei solchen Festen. Das hört man aus allen Bildern dieses Malers familiären Genusses. Es lacht alles. Alles singt und fiedelt durcheinander. Rommelpot und Dudelsack und Kinderschreien und lauter Schabernack, Gläserklirren und Hochs ohne Anlaß und ohne Ende geben die dissonante Musik dieser unvergleichlich ausgelassenen Familienfeste.
Ein Bild dieser Art hat Jordaens unzählige Male wiederholt. »Wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen.«
Alt und jung singt lustige Lieder. Der Bub auf Großvaters Schoß flötet, und das Muttersöhnchen tut desgleichen.
»Wie die Alten – so die Jungen.«
Das Sprichwort ist echt belgisch. Und immer hat's den gleichen Sinn behalten, ohne Moralität das Leben stark bejahend.
Gut essen und gut trinken, zumal bei Festen, ist flandrische Tradition.
Ist's Zufall, daß das Thema in der belgischen Kunst so beliebt und daß es immer üppig schmausende, singende, lachende, lärmende Menschen zeigt aus allen Altersstufen vom Säugling bis zum Greis?
Jedenfalls läßt sich die malerische Ergiebigkeit aus solcher Anschauung nicht begrenzen.
Dieser, durch alle guten und schlechten Zeiten, ganz besonders gepflegte Sinn trug der Kunst Belgiens reifste Früchte.
Die Stillebenmalerei hat, schon immer durch die lebhafte Freude aller Niederländer am Stofflichen genährt, die Maler Burgunds und Belgiens besser und früher als andere Maler erzogen zur möglichst treuen, malerisch-täuschenden Wiedergabe aller Dinge, aller Stoffe und Erscheinungen, aller Tiere und Speisen. –
In den großen Stilleben Franz Snyders äußert sich des Volkes starker Materialismus geradezu monumental.
Auch hierzu gaben schon sehr früh belgische Maler den Weg.
Pieter Aertsen, der Maler der Köchinnen und der Küchen, darf nicht vergessen werden. Und Rubens selbst, seine ganze Schule hat wieder auf unzählige Maler weiter gewirkt. Auch auf die Kunst der Kupferstecher. Unsere Abb. 48 ist nach dem unerreicht schönen Schabkunstblatt Earloms gefertigt, der das Glänzende und Schlüpfrige, das Glatte der Aale und Schüsseln, das Harte der Krebse und Hummern, das Blanke des Messers, diese ganze wunderbare tote Natur, schwarz-weiß greifbar wiedergegeben hat.
Wie die Sitten des Volkes sind die Themen der Künstler bezeichnend für Rasse und Art, Ideale und Wirklichkeit.
Mag die große griechische plastische Kunst nur die Sehnsucht nach vollkommener Menschheit verbildlichen – die Belgier fühlen sich vollkommen, vollkommen in ihrer Art. Ihre Kunst ist vollkommen, wie alles Autochthone – sie bleibt groß und wird stark bleiben, solange sie wie Antäus aus der Heimat ewiger Erde neue Kraft gewinnt.
Nur der Tod flämischen Geistes würde das Ende bedeuten belgischer Kunst.
Den Bahnbrechern echter Rassekunst blieben, mit der erwähnten kurzen Unterbrechung durch eine landfremde Renaissance, Belgiens fernere Künstler treu durch die Jahrhunderte.
Und wenn auch in der neueren belgischen Kunst – ganz wie in der deutschen – manche Malerei gerade wegen ihrer Heimatlosigkeit den einen mißliebig auffällt, den andern schmeichelt, – man denke auch an den charakterlosen pariserischen Belgier Alfred[89] Stevens, – es sind doch in Belgien bis auf heute kräftige Stammhalter genug der echten flämischen Rasse am Werk.
Ein solcher Stammhalter ist Jef Lambeaux, den wir weniger kennen als andere, die viel, viel schwächer, aber sensationeller.
Wie wundervoll verkörpert Lambeaux in seinen prächtigen, üppiggesunden, starken Göttern und Menschen (Abb. 49) alles das, was Belgiens Kunst groß gemacht, alles das, woraus Belgiens Künstler das Beste ihrer Schöpferkraft gezogen und genährt.
Die belgische Kunst nahm, wie Rooses gesagt, aus dem Leben das Fröhliche, Lachende, Genießbare. Sie ist eine menschliche Kunst. Lambeaux »Freude« braucht keine Benennung. Es ist die starke Freude aller Gesunden.
Auch hier ein Vergleich mit einem französischen Werk, das kaum älter: mit Carpeaux' echt französischer Gruppe »Der Tanz«, an der Schauseite der Großen Oper zu Paris.
Nicht der Taumel bacchischer Lust macht Lambeaux Gruppe zum belgisch bedeutenden Werke. Auch Carpeaux Gestalten tanzen[90] in solchem Rausch. Diese Gestalten, dieser Tanz sind echt französisch.
Aber wie diese nur echt französisch, geschmeidig und elegant wie die Figuren schon des Primaticcio oder Goujon – so sind Lambeaux Götter und Menschen gestaltet wie die Bauernweiber Breughels, wie die Götter des Rubens, die Gattinen des Jordaens.
Sie sind so echt flämisch – wie echt deutsch sind die Engel und Bengel des Altdorfer und Richter, wie die derben Frauen des Baldung, wie Schongauers eckige, geistdurchwühlte Jünger, wie Schwindsche Märchen, wie alle Menschen des Mathias Grünewald auf dem Isenheimer Altar, wie so viele markige, ganz vom Gedanken beherrschte, unscheinbare Gestalten Rembrandts, wie Dürers monumentale Apostel, seine ewig-deutsche Melancholie.
»Wie die Alten – so die Jungen« (Abb. 47). Das war das Leitmotiv belgischer Kunst. Das war ihr Segen.
Das sang man in Flandern.
Weshalb nur blieb deutsche Kunst nicht immer deutsche Kunst?
Werde sie endlich frei vom Wahne des alleinselig-, alleinschönmachenden antikisch-italischen Formalismus.
Der bleibt unserer Rasse fremd. Dieses Fremde werde uns unerträglich, wie die Lobpreisung französischer Maltradition!
Der Niederlande, des Rubens und noch mehr Rembrandts unsterbliche Kunst unterstreicht dies Verlangen – zeigt Künstlern deutscher Rasse den Weg.
Denn trotz so vieler großer Meister, trotz des tieferen, gemütvolleren, trotz des nur künstlerisch immer gefahrvollen sentimentalen Gehalts deutscher Art – hat die Geschichte deutscher Kunst bisher nicht die Festigkeit der Physiognomie, nicht die zähe Treue der belgischen Kunst gezeigt.
Die belgischen Maler waren treu ihrer Rasse, treu dem Lichte[95] und der Luft ihrer Heimat, treu ihren Farben, treu ihren Gestalten, ihren Menschen, ihrem Allzumenschlichen.
Nie und nie haben sich die großen Maler dieses Landes einer noch so viel geltenden rassefremden Kunstform unterworfen, nie unterwarfen sie sich der verführerischen italienischen »Schönheit« – die auch uns gefährlicher als irgend eine andere. Sie lebt nicht uns.
Es gibt keinen edleren Realismus als den, geboren aus der Luft, der Erde, dem Fleische, der inneren und äußeren Heimat des Künstlers.
Solches Schöpfen aus unveränderlichen Tatsachen eroberte der Kunst der Niederlande einen Thron, der um keine Stufe niederer steht als der jener anderen Rasse und jener anderen Welt.
Nur Heimattreue und Rassezähigkeit macht populär. Volkstümlich,[96] national war immer die Kunst der großen Belgier.
Nur Blick und Geist, nur Herz, in denen sich alles was landeseigen ist, kristallisiert, schafft Werte von Rasse, von Weltdauer.
Belgiens Künstler wissen sehr gewiß von sich: sie bleiben und wollen so bleiben und schaffen, wie sie waren und schufen.
Die Belgier wollen sich gar nicht ändern. Nicht im Schlechten, nicht im Guten. Sie können nicht anders.
Rechnen wir mit dem bleibenden Charakter des Volkes. – Lernt, deutsche Künstler, von der sieghaften Treue der belgischen Kunst.
Abb. 1. Aug. Coppens, Der große Platz in Brüssel nach seiner fast vollständigen Zerstörung durch die Franzosen 1695. Das Blatt (182×150 mm) ist von R. van Orley nach A. C. radiert. Es gehört zu dem Werke: »Perspectives des Ruines de la Ville de Bruxelles«. Der Generalstatthalter Max Emmanuel, Kurfürst von Bayern, stellte damals seine eigenen Mittel zur Verfügung, um die Schönheit der alten Stadt bald wieder erstehen zu lassen.
Abb. 2. Franz Hoogenbergh, Der Brand des Rathauses von Antwerpen 1576. Radierung (208×276 mm) aus dem Werk: Mich. Aitsingers: »De leone belgico Topographia«. Cöln 1583. – Der Plünderung durch die Spanier fielen an 7000 Menschen zum Opfer. Das Rathaus war nur 10 Jahre früher durch Corn. de Vriendt vollendet worden. 5 Jahre später wurde es wieder hergestellt.
Abb. 3. David Vinckboons, Der alle ereilende Tod. 1610. Kupferstich von B. A. Bolswerd. Ausschnitt im Original 202×375 mm. (Le Blanc 27a).
Abb. 4. Adriaen Brouwer, geb. 1605/6 in Flandern, gest. 1638 in Antwerpen, Das Gehör. Original in der K. ält. Pinakothek zu München. Ölgemälde auf Holz. (23×20 cm.) Die Abbildung nach der Lithographie mit Tonplatte von R. Strixner. – Die größte Zahl (18) von Brouwerschen Gemälden besitzt die Münchener ältere Pinakothek. Über Brouwer schrieb das Beste: W. von Bode in »Rembrandt und s. Zeitgenossen«. Leipzig 1907. (E. A. Seemann.)
Abb. 5. Constantin Meunier (1831–1904), Hafenarbeiter. (Bronze-Original vorm Museum in Antwerpen.) Die Abb. nach der Heliogravüre in C. Lemonnier, Constantin Meunier. Paris 1904. Constantin[98] Meunier fand viel eher in Deutschland als daheim Erfolg. Bezeichnend ist's für seine Kunstauffassung, daß er nichts vom Rompreis wissen wollte.
Abb. 6. Adriaen Brouwer, Der singende Bauer. Originalradierung. (W. 3.) (116×88 mm.)
Abb. 7. Dierick Bouts, Martertod des heil. Hippolytus. Originalgemälde in der Erlöserkirche zu Brügge. Mittelbild eines dreiteiligen Altars. 91×90 cm. Das Bild gehörte ursprünglich der Zunft der Kalkbrenner. Es galt früher als ein Werk des Memling, wird jetzt von einigen, wie Reylaender, (1911) dem »Meister der Perle von Brabant«, also einem Schüler des Bouts zugeschrieben. – Als Landschafter folgt Bouts der holländischen Anschauung. »Er wird in Löwen zum Gründer der Landschaftsmalerei.« (Johanna de Jongh). – Bouts war ein Holländer (geb. in Haarlem, vor 1410). Vor 1450 läßt er sich in Löwen nieder. Wird dort Stadtmaler. Starb 1475. – »Bouts scheint durch den Tod an der Vollendung des Altars verhindert worden zu sein.« (Friedländer).
Die Stifter des Altars sind Hippolyte de Berthoz und sein Weib Elisabeth de Keverwyck. – Nach Detzel wurde 1551 eine frühchristliche Statue des Heiligen in Rom aufgefunden. In der Kunst sein Bild meist nur als stehende Figur. Ein Martyriumbild (um 1200) soll sich in Breuweiler befinden. – Der Artikel »Bouts« im Künstlerlexikon Thieme-Becker sagt: B. suche durch Schönes und Mildes das Gruseliche zu paralysieren!?
Abb. 8. P. P. Rubens, Der Martertod des heil. Livinus. Nach dem Kupferstich des Corn. van Caukercken 1657. (575×435 mm) (B. S. 106, 108 I) Gemalt um 1635. Jetzt im K. Museum zu Brüssel. Gemalt für die Jesuitenkirche in Gent. Auch Jak. Burckhardt nennt Rubens einen der allergrößten Meister des Dämonischen im Menschenleben. Das Gemälde mißt 4,50×3,35 m. Der Stich zeigt das Bild im Gegensinn.
Abb. 9. P. P. Rubens, Der enthauptete heil. Justus hält seinen Kopf. Holzschnitt Josef Middeleers in Jules du Jardin's »L'art Flamand« Brüssel 1897. Das Bild (1,89×1,32), jetzt im Museum zu Bordeaux, wurde für die Antwerpener Klosterkirche der Annunziaten gemalt, weil dort der Kopf des Heiligen bewahrt wird. Von Rubens Hand nur diese furchtbar wirkende Figur des jungen Heiligen. Eine ähnliche Darstellung auf einem Glasgemälde des 16. Jhds. im Chor der Kathedrale von Beauvais.
Abb. 10. Pieter Breughel, Der Kindermord zu Bethlehem. Originalgemälde im K. K. Hofmuseum in Wien. Vom Künstler signiert. (Holz, 116×160 cm) Mehr als 150 kaum 15 cm große Figuren. Aus dem Besitz des Kaisers Rudolf II. Kopien in den Museen zu Brüssel, Hermannstadt i/S., Würzburg u. a.
Abb. 11. Rubens, Der Kindermord zu Bethlehem. Nach dem Stiche des Car. Dupuis von 1709. (319×465 mm) Das Original (1,98×3,02 m) in der K. ält. Pinakothek in München, fast ganz von Rubens Hand (um 1635). Zum Vergleich mit Breughel noch: B. gibt alles in flämischem Dorf. Rubens in großer antiker Welt. Die Engel in der Luft bei Rubens bezeichnend für ein gewisses Schwächegefühl, das Breughel nicht kannte. Vergl. hiermit Callots Stich, der das ganze in eine Kulissenstraße verlegt. Der stärkste von allen bleibt Breughel.
Abb. 12. Ph. Galle (?) nach Pieter Breughel d. Ä. »Gerechtigkeit«. Kupferstich aus der Stichfolge der 7 Tugenden (225×290 mm). Wohl[99] aus Breughels letzter Zeit. Den großen kulturhistorischen Wert des Blattes erhärtet die Feststellung Romdahls, daß z. B. die Foltermethode mit dem Trichter in dem 1553 erschienenen Werke »Praxis Criminalium Rerum« des niederländischen Rechtsgelehrten Josse van Damhouder als die wirksamste und üblichste empfohlen wird. Anregungen zu diesem Bild fand Breughel auch in der deutschen Kunst, z. B. in dem Augsburger Laienspiegel von 1512 u. a. Doch macht er erst aus einer Illustration eine überlegene Schöpfung tieferer Bedeutung. Von B. führt mehr als ein Weg zu Goya.
Abb. 13. Rubens, Sturz der Verdammten nach dem Stich von Richard van Orley nach Zeichnung Jan van Orleys. (Lichtdruck von Karl Kuhn in München in Bredt: »Häßliche Kunst?«) Das Original (2,86×2,24) in der K. alten Pinakothek in München. Um 1615 ganz von Rubens Hand gemalt! – Ursprünglich in Gent. 1677 an den Herzog von Richelieu verkauft, dann kurfürstl. bayer. Besitz.
Zu der Zeit, als Rubens dies Bild malte, war, nach dem Bericht des Lord Dudley Carleton, Antwerpen eine verödete Stadt. In den Straßen wuchs vielfach Gras »und das ganze Land gleicht dieser Stadt: eine glänzende Armut, schön aber elend.« Antwerpen bekam durch den Frieden von Münster den Todesstoß. Übrigens war Rubens der Hofmaler des Bezwingers Belgiens, des Al. Farnese von Parma, dann des Statthalters Erzherzogs Albert.
Abb. 14. Hans Memling, Ausschnitt aus der Hölle von M's »Jüngstem Gericht« in der Marienkirche zu Danzig (80 cm breit). Der Besteller des Altars war ein Vertreter der Medici in Brügge! Bezeichnend für den Handelsruf der Stadt, den Kunstruhm Flanderns. Das Schiff mit dem Bild wurde auf dem Weg nach Italien von einem Danziger Schiff gekapert. Das Bild, um 1471 gemalt, wurde 1807 nach Paris entführt. Ist seit 1816 wieder in Danzig. Lafenestre sagt von Memling, der vom Mittelrhein stammt, »in Flandern und unter dem Einfluß flandrischer Maler hat sich Memlings Genie entwickelt.« Über den großen Ruhm der belgischen Malerei jener Zeit und Art, zumal in Italien, vergl. Kraus, Gesch. v. Chr. Kunst II, 2. S. 189. Burckhardt, Cicerone III, 716. Fétis, Les artistes belges à l'étranger 1857. Bode, Holl. Malerei. Floerke, Kunsthandel u. a. Niederländische Gemälde an den Höfen Italiens damals italienischen weit vorgezogen. Gründe: Technik, Realismus, Phantasie. Lies dagegen Michelangelos Gespräche und gegen diesen wieder Schopenhauer, Welt als Wille I, 3, 48. – Das erwähnte Brüsseler Bild »Marter des h. Sebastian« wird von anderen dem Memling jetzt abgesprochen. Vgl. Frz. Bock, Memling-Studien, Düsseldorf 1900.
Abb. 15. Hieronymus Bosch, Die Hölle. Rechter Flügel des dreiteiligen Bildes: »Der Heuwagen« im Eskurial. Nach 1500 gemalt. Original 1,62 h. – Nach der Photogravüre in: P. Lafond »Hieronymus Bosch«. Bruxelles u. Paris. G. van Oest & Co. Hierzu noch Abb. 24.
Abb. 16. Alaart du Hameel, »Das Jüngste Gericht« nach Hieron. Bosch. Kupferstich. Originalgröße 240×350 mm. Die Laster als Tiere ist uralte Allegorie. In der deutschen Kunst der Zeit wirkte kein Blatt auch auf den jungen Michelangelo mehr als Schongauers: Versuchung des h. Antonius. Flämische und rein germanische Phantastik sind noch nicht getrennt. Lionardos »Wollust und Schmerz«, abgeb. in Bredt, »Sittliche oder unsittliche Kunst?«
Abb. 17. Gerard David, Die Schindung des ungerechten Richters Sisamnes. Original im Städt. Museum in Brügge. (182×159).[100] Hierüber orientiert gründlichst Eberhard Freih. von Bodenhausen: Gerard David u. s. Schule. München 1905. F. Bruckmann. Davids Bild charakterisiert durch seine Auftraggeber den belgischen Charakter. Ähnliche Aufträge noch an Rogiers für Brüssel und Bouts für Löwen. David kam wie fast alle großen in Flandern tätigen Maler aus Holland. Über die Kunstgeographie der Niederlande orientiert sehr übersichtlich Friedländer in »Kunst und Künstler« XIII, 2. Heft. Die Individualitäten als Stammesrepräsentanten aufzufassen – wie das Heidrich nicht gerade geschickt versucht hat – geht nicht an. Aber die Aufträge unterscheiden sich gar sehr da und dort. David wurde 1484 Meister in Brügge und starb dort 1525. – Schindungen malten auch andere – aber die Bilder des Ribera sogar haben nicht diese furchtbare Kälte. Anders wirkt auch Riberas Radierung: Schindung des h. Bartholomäus, durch den fanatischen wilden Henker, durch die sich abwendenden Zuschauer. Auch dies Bild ist Zeugnis französ. Kunsträuberei. 1794 nach Paris entführt, 1815 erst zurückgegeben. – Unsere Abbildung nach der Photogr. von F. Bruckmann A. G. München.
Abb. 18. Dierick Bouts, Martertod des heil. Erasmus. Originalgemälde in der St. Peterskirche in Löwen. Mittelbild eines Flügelaltars. (82×80 cm) »Das Bild ist nicht urkundlich als Schöpfung des Bouts beglaubigt. Die Durchbildung aller Einzelheiten, namentlich der Köpfe und Stoffe von einer frommen Gewissenhaftigkeit sondergleichen. Die peinliche und mit krasser Deutlichkeit geschilderte Marterszene steht in eigentümlichem Widerspruch zu der stillen Würde, die Bouts über diese, wie über alle Gestalten breitet.« (Friedländer). – Vergleiche hiermit den Kupferstich des unbekannten »Meisters des Erasmus«, den Lehrs im Katalog der Kupferstiche des German. Museums (Nr. 8) zuerst veröffentlichte.
Die Reliquien des h. Erasmus, eines der 14 Nothelfer, ruhen in Gaeta. Das Bild, durch den Dachstuhlbrand der Peterskirche gefährdet, wurde durch deutsches Militär in das Löwener Rathaus übertragen und steht noch heute unter der Aufsicht des Bürgermeisters von Löwen.
Abb. 19. »Brügger Meister der Ursulalegende«. Tod der heil. Ursula. (Ein Bild von 8 Szenen). Original in Brügge (48×30 cm) im Kloster der schwarzen Schwestern. Der Meister war um 1470–90 viel für florentinische Kaufleute tätig. Das Bild ist vor dem Ursula-Schrein Memlings gemalt. – Über die sehr kriegerischen Volksübungen berichtet Mokes: Moeurs et usages, Fêtes et solennités des Belges. (Brüssel.)
Abb. 20. Ambros. Francken, Martertod der heiligen Crispinus und Crispinianus. – Original im Museum zu Antwerpen (2,69×2,17). Ursprünglich für den Altar der Schuhmacher (deren Schutzpatrone die Heiligen sind) in Antwerpen gemalt. Francken – kein großer Maler, starb 1618.
Abb. 21. Antoine Wiertz, Das Erwachen des Scheintoten.
Abb. 22. Ders., Die Ohrfeige einer belgischen Dame. Beide Bilder im Wiertz-Museum zu Brüssel. Wiertz starb, wahnsinnig, 1865.
Abb. 23. Felicien Rops, Titelbild zu Péladans »Vice suprême« Paris 1884. P. schildert den Tod der lateinischen Rasse; Barbey d'Aurevilly sagte über Peladan: Er trage in sich die Dinge, die von allen am meisten gehaßt werden, den Aristokratismus, die Originalität.
Abb. 24. Hieronymus Bosch, Der Heuwagen. Hauptbild des Triptychons im Eskurial. (1,62×1,05.) Hierzu: Lafond, Hieronymus Bosch,[101] und Dollmayer, Bosch und die Darstellung der vier letzten Dinge. Jahrbuch der K. K. Sammlungen des ah. Kaiserhauses XIX. (Wien.)
Abb. 25. Hieronymus Bosch, »Die Freuden der Welt«. Mittelteil eines Triptychons. Originalgemälde im Eskurial (2,20×1,95). Wohl aus Bosch's letzten Jahren. Varianten des Bildes in der Sammlung Cardon in Brüssel und in der Sammlung Moreno, Paris.
Abb. 26. James Ensor, Der Krieg. E. geb. 1800 in Ostende. Sein Vater Engländer, seine Mutter eine Belgierin. Wie Schongauer und Bosch, sind Ensor und Kubin Rasse- und Zeitverwandte. E. ist auch als Kolorist höchst interessant. P. Buschmann nennt ihn in jeder Hinsicht eine der differenziertesten und originellsten Persönlichkeiten der heutigen belgischen Schule. Die Abb. nach dem Werke: Herbert von Garvens-Garvensburg: James Ensor. Hannover 1913. Ludwig Ey.
Abb. 27. P. Breughel d. Ä., Der Triumph des Todes. Original im Pradomuseum, Madrid. (Holz: 117×162 cm.) Gemalt um 1565/66. Maeterlinck: »attristé par les malheurs de la patrie il sentait déja sa fin prochaine«. Kopien des Bildes in der Galerie Fürst Liechtenstein in Wien und beim Baron de Fierlant in Brüssel (? von Vinckboons). Nach Karl Kuhns Lichtdruck (München 1912.)
Abb. 28. P. Breughel d. Ä., Ein Dorf in Brabant. Kupferstich im Verlage H. Cocks. Blatt 11 aus der Folge: »Praediorum villarum«. (Bastelaer, Les estampes de B. Brüssel 1908. 44.) Den flandrischen Charakter in den Landschaften Boschs, des Vorläufers Breughels, rühmt Lafond.
Abb. 29. Pieter Breughel d. Ä., Das Hochzeitsmahl der Bauern. Originalgemälde im K. K. Hofmuseum in Wien. (114×163 cm.) Mehr als 40 Figuren von etwa ⅓ m Größe. Das Bild befand sich schon 1659 in der Galerie des Großherzog Leopold Wilhelm. Es geht hier bei aller nicht gefühlten Unbequemlichkeit kulinarisch so üppig zu, daß die Schüsseln gleich auf ausgehängten Türen herbeigetragen werden. Obwohl doch das Derbe zu betonen nahegelegen hätte, zeigt sich Breughel gerade hier als ein Maler frei von jeder Übertreibung. Er ist hier nur Tatsachenschilderer. Seine Bauernmalerei – also auch die der Kirmessen – ist frei von jeder Karikatur, von jeder sozialen Tendenz, frei von jeder Sentimentalität. Man darf nicht vergessen, wie groß der Abstand des jüngeren Teniers vom älteren Breughel. Vgl. R. van Bastelaer und de Loo, P. Bruegel d. Ä.
Abb. 30. Pieter Breughel d. Ä., Blinde, Blinde führend. Das Gleichnis nach Matth. XV, V. 14. Originalgemälde im Nationalmuseum zu Neapel. Signiert Bruegel M. D. LXVIII. – (86×154 cm.) Das gleiche Thema malten schon Massys und Bosch vor Breughel. Aber mit Recht nennt Bastelaer dies Bild das höchste Kunstwerk B.'s; Romdahl stellt es neben Lionardos Abendmahl. Der Sinn dieser monumentalen Schöpfung hat doppelte Tiefe: Es ist eine Allegorie auf die verworrene Zeit – es verbildlicht den ewigen Wahn in uns nicht sehenden Menschen, die doch wähnen Ziele zu sehen und führen zu können.
Abb. 31. Miniatur aus dem Turiner Gebetbuch. (Die Landung Wilhelms VI. von Bayern-Straubing-Holland. 1416.) Über die Landschaft am besten: Dr. Johanna de Jongh, Die holländische Landschaftsmalerei. Deutsch von Dr. Jeltes bei B. Cassirer, Berlin 1905.
Abb. 32. Jan van Eyck, Adam und Eva. 2 Flügelbilder vom Genter Altar. Die Originale im K. Museum in Brüssel (168×38 cm). Diese[102] Bilder gaben dem ganzen Altar den volkstümlichen Namen. Das Bild wurde von Anfang an als Wunderwerk angestaunt. Es wurde nur hohen Herren enthüllt oder gegen schweres Trinkgeld gezeigt. – Die Inschrift, die Hubert größer nennt als Jan, ist aber doch eines der häufigen Beispiele aus der Kunstgeschichte, die die Größe der eigentlichen, starken Neuerer selten voll gewürdigt findet. – Vom Genter Altar in Gent jetzt nur die Mittelbilder von Huberts Hand. Die anderen Originale in Berlin und Brüssel. Die Bilderstürmer hätten das Werk beinahe zerstört. Kaiser Josef II. war entrüstet über die zwei nackten Gestalten. Sie wurden nun verschlossen gehalten. Die Mitteltafeln wurden – wie so vieles – 1794 von den Parisern entführt. 1816 erwarb das »barbarische« Berliner Museum die 6 Flügel rechtmäßig für 410 000 Frcs. von einem Privatmann. – Das erste Lobgedicht nennt den Altar treffend: »eine Himmelsgabe für das teure Flandern«. – Um das naturalistisch-oppositionelle für die Zeit zu empfinden, vergleiche man diese Akte mit denen der Brüder Limburg in den »Très riches heures du duc de Berry«. Auch dort wohl der modische dicke weibliche Bauch. Aber die Bewegungen sind geziert, die Glieder zierlich. Alles ist dort gerade im Akt auf den höfischen, verfeinerten Geschmack berechnet.
Abb. 33. Meister von Flémalle, Madonna. Original in der Sammlung de Somzée in Brüssel. (62×49 cm.) (Flémalle in der Provinz Lüttich.) Der Meister war um 1432 in Arras und Brügge tätig. Vgl. Friedländer, Die Ausstellung in Brügge 1902 (München 1913). – Eine Abb. der Madonna Foucquet's in Woermann, Geschichte der Kunst II.
Abb. 34. Ausschnitt aus dem Altar »des Bürgermeister Rollin« von Jan van Eyck. Die Landschaft ähnelt der bei Lüttich (F. Rosen, Die Natur in der Kunst, Leipzig 1903.) Original im Louvre, Paris. – Rosen findet in den Landschaften des Bouts (München) die Felsen von Marche aux Dames an der Maas.
Abb. 35. Die Maas bei Dinant. Radierung von D. Y. Cameron (1907). (R. 390.) (Originalgröße 165×377 mm.) »Das Maastal ist der klassische Boden der flandrischen Kunst« (Crowe und Cavalcaselle). Die englischen modernen Radierer, Whistler, Cameron, Brangwyn haben sich sehr viel Motive aus Belgien geholt. Von neueren deutschen und holländischen Künstlern sind mir belgische Landschaften in Erinnerung von Achener, Anderson, von Bartels, Bertlings, Beyer, Eder, Gaisser, Großmann, von Hayek, Heesch, von Leuxden, M. Liebermann, Lynch von Town, Mackowsky, Oppler, Orlik, Paulsen, Schrag, Schülein, Schumacher, Seyler, Storm vans Gravesande, Westendorf. – Die Mappen der belgischen Radiervereine geben eine Fülle gerade jener so feuchten Landschaften zwischen Schelde und Meer wieder, die der Schauplatz unserer Schlachten. Der moderne belgische Maler-Radierer Lüttichs ist Maréchal.
Abb. 36. Quinten Massys und Joachim Patinier, Die Versuchung des h. Antonius. Original im Prado, Madrid. Patinier ist in Dinant geboren. Massys kam von Löwen nach Antwerpen. – Photographie von F. Bruckmann A.-G., München. – Eine Porträtlandschaft: Das Schloß Walzin an der Lesse 7 km von Dinant auf dem Bild in der Liller Galerie: Predigt Johannes des Täufers von Pieter Coecke.
Abb. 37. P. P. Rubens, die flämische Kirmes. Original im Louvre, Paris. Um 1636 ganz von Rubens eigener Hand gemalt. (149×261 cm.) –
Abb. 38. Pieter Breughel d. Ältere, Der Tanz unterm Galgen. Originalgemälde im Großherzogl. Museum in Darmstadt. (45×50 cm.) Gemalt i. J. 1568, im Alter von etwa 43 Jahren, ein Jahr bevor der Unsterbliche starb. Van Mander erzählt, der Künstler habe dies Bild seiner Frau vermacht mit dem Hinweis auf die schwatzhafte Elster auf dem Galgen, die all die bösen Zungen bedeutet, die er zum Teufel wünscht. – Die wundervolle Landschaft, ausnahmsweise nicht so breit, nimmt wieder alte alpine Erinnerungen auf, sie gab dem Sohne den stärksten Einfluß für dessen ganz andere landschaftliche Gabe. – Freier ist Rubens flandrische Landschaft beim Schlosse Steen, zwischen Mecheln und Vilvorde, in der Nationalgalerie London.
Abb. 39. Pieter van der Heyden, Die St. Georgs-Kirchweih nach Pieter Breughel d. Älteren. Kupferstich (340×530 mm.) Nach dem Original in der K. Graphischen Sammlung, München. (Bastelaer 207 I.) Sehr instruktiv für die Art der Kirchweihbelustigungen und die volkstümlichen Übungen und Spiele in Flandern. Abgesehen von den hier nur etwas derberen Vergnügungen, die dem Volk überall angehören, sind bezeichnend für flämische Kirmessen: der Schwerterreigen und das Bogenschießen nach einem auf dem aufrechten Windmühlflügel befestigten Ziele (auf dem Hügel, ganz hinten links). Eine Erklärung aber zu den grotesken, teils maschinell wirkenden Figuren des Bosch und des Breughel, (auch noch des Callot), geben die etwas karnevalistischen Aufführungen »Wie St. Georg den Drachen tötet« in der Mitte des Bildes vor der Kirche. – Die primitive Bühne, auf Tonnen aufgebaut, läßt die großartige, theatralisch-wirkliche Welt in den Höllen des Bosch, mit ihren brennenden Burgen, ihrem illusorisch plastischen Kulissenwerk besonders stark fühlen. Der Künstler steht als Realist auf dem Boden seiner Zeit, als Phantast eilt er ihr weit voraus – in die Zeit des Illusions-Theaters, das überwunden werden soll. – Wie St. Martin seinen Mantel teilt, wie David den Goliath besiegt u. v. a. wurde auf den Kirmessen drastisch gezeigt.
Abb. 40. Felic. Rops, Frühling. Lithographie. (Mascha 176) (412×588 mm).
Abb. 41. David Teniers d. J., Das Fest im Hofe des Wirtshauses. Originalradierung. (195×233 mm).
Abb. 42. Adr. Brouwer, Das Gefühl. (Der Dorfbader.) Original in der K. ält. Pinakothek, München. (Holz 23×20 cm.) Nach der Tonlithographie des Rep. Strixner im »K. bayer. Gemäldesaal zu München und Schleißheim«. – Hofsteede de Groot, der Brouwer unter die holländischen Maler aufgenommen, sagt doch, daß Holland um 1623 eine eigentliche Bauernmalerei noch nicht gekannt habe, während in Flandern der alte Breughel bahnbrechend wirkte. Brouwer war in Antwerpen seit 1631.
Abb. 43. Adriaen Brouwer, Streitende Bauern beim Kartenspiel. Holzschnitt von Middeleer nach dem Originalgemälde in der K. Galerie in Dresden (26,5×34,5). – Die Kirche sagte: »Häßlich ist das Böse«. Der Genius der germanisch-nordischen Kunst antwortet darauf: Das Übel aller Kunst fängt an mit der Herrschaft des konventionell Schönen. Über den beständigen Kampf der Künstler gegen diese Herrschaft habe ich ausführlich in m. Buche »Häßliche Kunst?« berichtet.
Abb. 44. Jan Sanders van Hemessen. Lockere Gesellschaft. Original im Gh. Museum zu Karlsruhe (81×110). Hemessen bei Antwerpen geboren (um 1504) zog später nach Haarlem († 1566). Das Lob seiner Zeitgenossen als »holländischer Raffael« trifft die üble Zwiespältigkeit seiner Kunst. Es gibt kein schlechteres »Lob« für einen Nordischen.
Abb. 45. Joos van Craesbeeck († 1654 in Brüssel). Die Kurtisane. Original im Museum zu Lille. (Holzschnitt von Middeleer.)
Abb. 46. Jakob Jordaens († 1678). Der König trinkt. Nach dem Stich des P. Pontius »Der Bohnenkönig«.
Abb. 47. Derselbe: Wie die Alten sungen so zwitschern die Jungen. Original im Museum Antwerpen (120×192).
Abb. 48. Richard Earlom, Schabkunstblatt nach Franz Snyders' »Fischmarkt« (Earlom 1822 †.) »Keine Schule, auch die holländische nicht, hat das animalische Leben so künstlerisch verherrlicht, wie die flämische. Deren große Kämpfe, Jagden und Stilleben sind unvergleichliche Triumphe malerischer Kühnheit und Lebendigkeit.« (Wauters, La peinture flamande, Paris 1883.) – Neben Rubens' Schlachten ist die Anghiari-Schlacht ruhig.
Abb. 49. Josef Lambeaux, Die Freude. (Marmor.) Lambeaux geb. 1852 in Antwerpen, ist bekannt als Schöpfer des »Brabo«-Brunnens auf dem Rathausplatz in Antwerpen.
Abb. 50. Frank Brangwyn, Die St. Nikolauskirche in Dixmuiden. Radierung. Nach dem Original in der K. Graphischen Sammlung, München.
Abb. 51. D. Y. Cameron, Der Belfried von Brügge. (1907.) Radierung und Kaltnadel (380×134 mm.) (N. 392.)
Abb. 52. Jerome Duquesnoy d. Ä. Das Manneken pis in Brüssel (1619). – Jerome D. ist der Vater des berühmten Franz D., dessen Arbeiten in St. Peter in Rom, dessen Putti in aller Welt bekannt waren. – Diese Brunnenfigur wäre nach ihrem uralten Motiv gewiß kein besonderes Charakteristikum für irgendein Volk. Auch die prüdeste Stadtgemeinde würde keinen Anstoß dran nehmen, jede sie gern aufstellen. Was aber doch dies Buberl von Duquesnoy gerade zu einer Idealfigur flämischen Volkscharakters macht, das ist die Art, wie sie von allen Ständen des Volks als Wahrzeichen durch alle Jahrhunderte in guten und bösen Tagen verehrt und geschmückt wurde. Sie ist mit Recht von J. W. Wolf (Niederländische Sagen. 1843) die populärste Statue von Europa genannt worden. An Festtagen mit Blumen und Kränzen geschmückt, von allen fürstlichen Besuchern Brüssels mit Kleidern beschenkt, hat sie sogar Testatoren gefunden, die Summen zur Erhaltung, Summen für die Anstellung eines besonderen Pflegers gestiftet. – Alle politischen Wandlungen hat das Buberl zur Schau tragen müssen. Ja Kurfürst Maximilian schenkte ihm 1698 das Ritterband seiner Orden und Ludwig XV. schmückte es mit dem Ordenskreuze des h. Ludwig. 1831 bekam es die Uniform der Brüsseler Bürgergarde. – Öfters geraubt von fremden Truppen hat man es immer wieder zu finden gewußt. – Kann eine harmlose Statue nur wegen eines guten alten echt menschlichen Motivs des Wasserspendens mehr verehrt werden? Das Manneken pis ist ein Charakteristikum des lebensfrohen belgischen Volkes, dem kein anderes sich vergleichen läßt. – Auch wir wollen ihm als köstlichen flämischen Volks-Genius nie Respekt versagen.
Abb. 53. (Auf Seite 8.) H. Paillard, Der große Platz in Brüssel. Holzschnitt.
Abb. 54. (Auf dem Umschlag.) Chr. Jegher nach Rubens, Holzschnitt (605×360). Herkules tötet Neid und Zwietracht. (Nach dem Deckengemälde in Whitehall in London.)
Durch ein Versehen blieben nach notwendigem Umstellen von Bildern im Text in den Anmerkungen falsche Numerierungen stehen:
Abb. | 4 | im Text ist in den Anmerk. Abb. | 6 |
" | 5 | " | 4 |
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Weitere Anmerkungen zur Transkription.
Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Unterschiedliche Schreibweisen wurden beibehalten. Der Schmutztitel wurde entfernt.
Die Abb. 54 (Umschlag) fehlt.
Korrekturen:
S. 9: Kapitelüberschrift ergänzt
Belgiens Volkscharakter – Belgiens Kunst
S. 36: Einsetzen → Entsetzen
sie auch sonst sein mögen, kaum ein leises Entsetzen