*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 49083 ***

Briefe

an

Ludwig Tieck.

Zierleiste 1

Erster Band.


Verlag von Eduard Trewendt in Breslau.

Zierleiste 1
Armand, Bis in die Wildniß. Reise-Roman. 2. Aufl. 4 Bände. 8. 4 Thlr.
Bach, Dr. Theodor, Theodor Gottlieb von Hippel, der Verfasser des Aufrufs: „An mein Volk.“ Ein Gedenkblatt &c. 8. 1½ Thlr.
Eberth, Dr. Felix, Walter Scott. Ein Lebensbild. 2 Bände. 8. 3 Thlr.
Frenzel, Karl, Die drei Grazien. Roman. 3 Bände. 8. 4½ Thlr.
Giseke, H. L. Robert, Käthchen. Roman. 4 Bände. 8. 4 Thlr.
Godin, A., Eine Catastrophe und ihre Folgen. Roman. 8. 1½ Thlr.
Gottschall, Rud., Reisebilder aus Italien. 8. 1½ Thlr.
Habicht, Ludw., Kriminal-Novellen. 8. 1½ Thlr.
Holtei, Karl von, Kleine Erzählungen. Volks-Ausgabe. 5 Bde. 16. 1½ Thlr.
— — Die Eselsfresser. Roman. Volks-Ausg. 3 Bde. 16. 1 Thlr.
— — Vierzig Jahre. Volks-Ausgabe. 6 Bände. 16. 4 Thlr.
— — Der letzte Komödiant. Roman. 3 Bde. 8. 5 Thlr.
— — Kriminalgeschichten. Volks-Ausgabe. 6 Bde. 16. 2 Thlr.
— — Christian Lammfell. Roman. Volks-Ausg. 5 Bde. 16. 1½ Thlr.
— — Noblesse oblige. Roman. Volks-Ausg. 3 Bde. 16. 1 Thlr.
— — Ein Schneider. Roman. Volks-Ausgabe. 3 Bde. 16. 1 Thlr.
— — Die Vagabunden. Roman. Volks-Ausgabe. 3 Bde. 16. 1 Thlr.
  Illustrierte Ausgabe. 3 Theile in einem Bande. 8. 1½ Thlr.
— — Noch ein Jahr in Schlesien. Anhang zu „Vierzig Jahre.“ 2 Bde. 20 Sgr.
Mügge, Theodor, Nordisches Bilderbuch. Reisebilder. 3. Aufl. 8. 24 Sgr.
— — Romane. Dritte (letzte) Folge. 6 Bände. 8. 9 Thlr.
— — Der Chevalier. Roman. 2. Auflage. 3 Bde. 8. 1½ Thlr.
— — Toussaint. Roman. 2. Auflage. 5 Bde. 8. 2½ Thlr.
— — Erich Randal. Roman. 2. Aufl. 4 Bde. 8.. 2 Thlr.
— — Afraja. Roman. 2. Aufl. 3 Bde. 8. 1½ Thlr.
— — Tänzerin und Gräfin. Roman. 2. Aufl. 3 Bde. 8. 1½ Thlr.
— — Die Vendéerin. Roman. 2. Aufl. 2 Bde. 8. 1 Thlr.
— — Weihnachtsabend. Roman. 2. Aufl. 8. 15 Sgr.
Rosen, Ludwig, Vier Freunde. Roman. 3 Bände. 8 5 Thlr.
— — Damals. Novellen aus den Befreiungskriegen. 8. Eleg. brosch. 1½ Thlr.
Salma, Bernhard von, Graf Mocenigo Social-polit. Rom. 3 Bde. 8. 4½ Thlr.
See, Gustav vom, Erzählungen eines alten Herrn. 8. 1½ Thlr.
— — Erzählungen eines alten Herrn. Neue Folge. 8. 1½ Thlr.
— — Zwei gnädige Frauen. Roman. 3 Bände. 8. 3½ Thlr.
— — Herz und Welt. Roman. 3 Bände. 8. 4½ Thlr.
— — Wogen des Lebens. Roman. 3 Bände. 8. 4 Thlr.
Wehl, Feodor, Allerweltsgeschichten. Ein Novellenbuch. 8. 1½ Thlr.

Briefe
an
Ludwig Tieck.

Zierleiste 1

Ausgewählt und herausgegeben

von

Karl von Holtei.

Zierleiste 1

Erster Band.

Zierleiste 2

Breslau,
Verlag von Eduard Trewendt.
1864

Der

durchlauchtigen Frau Wilhelmine

Fürstin Auersperg

geb. Fürstin Colloredo-Mannsfeldt

widmet voll Verehrung für Geist, Seele, Anmuth und Schönheit diese Bücher

der

Herausgeber.


[S. vii]

Vorwort.

Zierleiste 1

Dr. Rudolph Köpke sagt im Vorworte zu seinem Buche: Ludwig Tieck. Erinnerungen aus dem Leben des Dichters etc. etc. (Leipzig, F. A. Brockhaus 1855.):

„Lange beschäftigte ihn der Gedanke, eine Auswahl des reichhaltigen Briefwechsels herauszugeben, in dem er während eines langen litterarischen Lebens mit den verschiedensten Männern gestanden hatte. Diese Sammlung, so weit sie ihn persönlich betrifft, beginnt mit dem Jahre 1792 und enthält der großen Mehrzahl nach Briefe die an ihn gerichtet sind. In chronologischer Reihenfolge theilte er mir die einzelnen Bände mit zur Durchsicht und vorläufigen Bezeichnung des etwa Auszuwählenden. An jeden wichtigen Brief knüpften sich Erläuterungen und häufig neue Erzählungen &c. &c. &c. So ist es zu verstehen, wenn ich dieses Buch „„Erinnerungen a. d. L. d. Dichters nach dessen mündlichen und schriftlichen Mittheilungen““ genannt habe.“

[S. viii]

Daß unsere jetzt gedruckte Briefsammlung eigentlich als Anhang, Nachtrag zu Köpke’s vortrefflicher Lebensbeschreibung betrachtet werden will, unterliegt keiner Frage.

Desto drohender tritt die andere Frage hervor: Wie ist die Auswahl gerathen? in wie fern erfüllt ihre Zusammenstellung des Verstorbenen Absicht? in wie fern wird sie den Anforderungen genügen, welche unterrichtete Leser daran machen wollen?

Darauf muss ich erwiedern: Nur Herr Professor Köpke, und gerade Er wäre im Stande gewesen, diese Aufgabe, des Gegenstandes würdig, im Sinne Tiecks zu lösen, wie ja schon aus der hier zum Eingange abgedruckten Stelle seines Vorwortes sich zeigt. Deshalb habe ich, bevor ich mich anschickte, dem mir gegönnten Vertrauen durch die That zu entsprechen, ihn dringend schriftlich ersucht: sämmtliche Papiere ihm zusenden, und die schwierige Redaktion ihm überlassen zu dürfen? Er hat darauf bestimmt und wiederholentlich erklärt: „seine Zeit sey jetzt durch andere Arbeiten zu sehr in Anspruch genommen, und er könne zu dieser Verpflichtung gegenwärtig nicht mehr zurückkehren!“ — Erst darauf habe ich mich entschlossen, wirklich zu beginnen; doch hab’ ich mir’s keinen Augenblick während eines halben Jahres verhehlt, daß es mir an gar vielem dazu gebricht; daß mein langjähriges Verhältniß zu Tieck, mag es immer ein vertrauliches, mag ich in seinem Hause heimisch gewesen sein, doch kaum Ersatz gewährt für mancherlei sonstige mir fehlende Kenntnisse wie Eigenschaften; daß ich’s, mit einem Worte, beim besten Willen vielleicht Wenigen zu Danke[S. ix] machen werde; hab’ aber dennoch die Arbeit auf mich geladen, weil schwerlich ein Anderer da war, der sie williger übernommen, der sie besser gemacht hätte; weil ich es für Schuldigkeit halte, einer guten Sache ohne Eitelkeit zu dienen.

Welche Massen von Papieren müßten sich im Laufe so langen Lebens, und bei Tiecks Stellung in der Welt aufgesammelt haben, wäre nicht doch Vieles verloren gegangen! Ordnung zu halten wurde ihm schwer. Dessen selbst bewußt, hat er, was früher glücklich gerettet war, späterhin vor künftiger Verzettelung sichern wollen; hat es in dicke Quartanten zusammen binden lassen, — für’s Gefühl des Handschriftensammlers ein unseeliger Gedanke! Wie es damit bestellt gewesen, das kann nur wissen, wer sich genöthiget sah, wiederum zu trennen und auseinander zu fasern, was des Buchbinders Kleister, ohne Achtung für morsches Papier und halbverwitterte Schrift dick verklebt hatte. Da ist manch’ ein Riß in’s Lebendige geschehen; da war beim „Beschneiden“ (!) des Convolutes manche Nach- manche Namensunter-Schrift glatt weggesäbelt worden; da hatten sich Bogen, deren Format nicht willig paßte, unerbittlicher Gewalt fügen, und biegen oder brechen müssen, daß sie in Fetzen hingen. Und da sind Lücken entstanden, welche weder des Kopisten[1] Umsicht, noch des Redakteurs Konjekturen auszufüllen vermochten.

[S. x]

Bald zeigte sich, daß eine chronologische Eintheilung mißlich, — nach meinem Dafürhalten unmöglich sey. Ich gerathe dadurch in Widerspruch mit dem von mir so hochverehrten Biographen, der (siehe Oben) von einer solchen Reihenfolge spricht. Wahrscheinlich, daß Tieck in der Anlage so etwas beabsichtigt hat. Durchgeführt ward es keinesweges. Ich fand (mit Ausnahme der Schlegel’schen und Wackenroder’schen Briefe, welche zwei selbstständige Bände bildeten) die meisten übrigen in alphabetischer Folge — außer wo der Buchbinder Konfusion gemacht hatte. Diese Folge habe ich denn auch beibehalten, wo sie mangelhaft war, gründlich hergestellt, so daß sich bald gesammter Vorrath nominell übersehen ließ; wobei jedoch immer noch Noth und Sorge blieben, wegen der Zeitfolge in den Briefen der einzelnen Korrespondenten, denen häufig die Daten fehlten, und bisweilen nicht aus dem Inhalt errathen werden konnten. Eben so blieben Abbreviaturen, Citate, Eigen- und Orts-Namen u. dergl. bei fast unlesbarer Handschrift nicht selten räthselhaft.

Nachdem denn endlich der Vorrath gut oder übel in’s Reine gebracht vor Augen lag, begann erst die strengere Auswahl.

Ausgeschlossen mussten werden

Erstens — sollte nicht der Umfang des Buches über alle Berechnung sich ausdehnen, und es ungebührlich vertheuern — diejenigen Briefe, die nicht an Tieck gerichtet, durch dritte Hand in seinen Besitz gelangt sind.

Zweitens sämmtliche Familienbriefe, aus denen Dr. Köpke unschätzbare Aufschlüsse für seine psychologische Entwickelung[S. xi] des reichen Dichterlebens schöpfen, die ich aber, ausdrücklich ertheilter Anweisung gemäß, nicht abdrucken lassen durfte.

Drittens wurde, meinen Ansichten getreu, im Ganzen unterdrückt, oder wo möglich theilweise herausgestrichen, was Anstoß erregen — was noch Lebende persönlich verletzen — was sie um ihrer lieben Todten willen kränken — was endlich den Schreibern Verdrießlichkeiten, und sind sie begraben, üble Nachrede zuziehen könnte. Ich gestehe aufrichtig, daß mir diese Censur einigemale recht schwer wurde; daß ich bei pikanten Stellen die Feder oft in der Schwebe hielt, noch zögernd, ob ich streichen sollte? Doch unser Verleger war mit mir und mit der Erbin dieses Nachlasses einverstanden: ein auf litterarischen Skandal berechneter Effekt sei unstatthaft, und Ludwig Tiecks Angedenken dürfe durch Spekulationskniffe nicht entweiht werden.

Zählen wir noch dazu den Ausfall vertraulicher Zuschriften von Freunden und Gönnerinnen, welche vor oder nach Seinem Tode zurückverlangt, oder welche, wie Friedr. von Raumer’s und Solger’s, bereits anderweitig veröffentlicht sind, so wurde eine befriedigende Vollständigkeit der Sammlung unerreichbar. Wir mußten uns begnügen an dem Gedanken festzuhalten und ihn lebendig zu machen:

All’ diese, mitunter völlig vereinzelten, auch die an sich scheinbar unbedeutenden Blätter, bilden trotzdem ein Ganzes, stehen in innerem Zusammenhange, weil sie, jedes auf seine Weise, der Nachwelt darthun, in welchem Lichte Ludwig Tieck, seit Beginn eines poetischen Jugendlebens bis zum Abschluß hohen Alters, als Dichter — als Gelehrter — als Kritiker — als Vorleser — als Dramaturg — als Mensch,[S. xii] Freund, Rather, Förderer, Wohlthäter.... nicht minder als saumseeliger Briefschreiber, bei drei sich folgenden Generationen seiner Mitwelt gestanden hat.

Wir leugnen’s nicht: es sind hier und da recht schwache Vertreter besagter Mitwelt zugelassen worden.

Nicht ohne reifliche Ueberlegung.

Zu einem umfangreichen historischen Bilde gehören außer den Hauptpersonen viele, vielerlei Nebenfiguren. Auch die geringsten sind zulässig, wofern ihre charakteristische Eigenthümlichkeit in die Hauptidee der Konception gehört. Wie die Sammlung mit einem Franzosen beginnt; wie sie, durch Engländer, Amerikaner, Schweden, Dänen, Deutsche fortgesetzt, dem Leser Weise, Thoren, Staatsmänner, Dichter, Krieger, Naturforscher, Aerzte, Politiker, Frauen, Mädchen und verlorene Söhne vorführt; wie sie mit einem Schauspieler schließt, der des historischen Feldherrn Urenkelneffe war.... so umfaßt sie Tieck’s Dasein.

Er ist es selbst in unwillkürlichen Zeugnissen von zweihundert Menschen, die untereinander getrennt in ihm einen Vereinigungspunkt gewinnen.

Unsere kurzen, leider oft sehr unvollständigen[2] Einleitun[S. xiii]gen hegen nicht etwa die eitle Absicht, urtheilen zu wollen. Sie sollen nur dem weniger mit der Litteratur Vertrauten bescheidene Andeutungen geben.

Und solcher Leser wünschen wir der Sammlung eine recht umfassende Anzahl. Sie sind nicht selten die theilnehmendsten — vielleicht weil sie die unbefangensten sind.

Allen aber, Laien wie Kennern, legen wir die Bitte an’s Herz, diese Bücher nicht zu durchblättern, bevor sie nicht Rudolph Köpke’s oben genanntes Werk aufmerksam gelesen haben. Es ist kaum eine zweite Lebensbeschreibung vorhanden, in welcher sich, so offenbar wie in dieser, Pietät, begeisterte Verehrung, gänzliche Hingebung an den Gegenstand mit unparteiischer Wahrheitsliebe verbinden. Wer Tieck noch nicht aus seinen Dichtungen kannte, der mag ihn an Köpke’s Führerhand kennen, mag Beide lieben lernen!

Und nun genug!

Unsere Arbeit unterscheidet sich von den meisten Erzeugnissen anstrengenden geistigen Fleißes dadurch, daß diese die Resultate desselben der Lesewelt vorlegen dürfen, während wir die meiste Bemühung auf dasjenige zu verwenden hatten, was wegbleiben sollte. Darum, wie wir keinerlei Anspruch auf irdischen Lohn und Erwerb dabei machten, hoffen wir auch keinesweges auf Dank und Lob; sind jedes Tadels in Demuth gewärtig. Auch der bitterste wäre nicht im Stande, Werth und Bedeutung Büchern zu rauben, aus denen hervorragende Geister zu Geist und Herz reden; er könnte immer nur den Herausgeber treffen; und dieser fühlt sich im Voraus beruhiget durch das Bewußtsein strengerfüllter Pflicht, die er[S. xiv] geübt so weit seine Kräfte reichen. Darüber hinaus kann kein Sterblicher.

Noch einen zweiten Trost bietet die Zuversicht, daß es an edlen Menschen nicht fehlt, die sich gern eine Stunde stiller Weihe gönnen, um sich aus dem Lärm und Streit der Gegenwart in entschwundene Zeiten zu versenken; um sich in litterarische Zustände und Verbindungen, wie sie uns heut zu Tage fremd erscheinen, hinüber zu träumen. Diese werden billigen, daß ich nicht unterschlagen habe, was streng genommen wegfallen konnte. Und ihre Befriedigung mag mich trösten über Vorwürfe, welche von entgegengesetzter Seite nicht ausbleiben dürften.

Der Verleger denkt bei diesem seinen Unternehmen nicht an Gewinn.... doch ja! Die Erinnerung an den Dichter des Phantasus ehrenvoll aufzufrischen gilt ihm dafür!

Breslau im Mai 1864.

Holtei.


[S. xv]

Inhalt des ersten Bandes

Zierleiste 1
Seite
Ampère, Jean Jacques Antoine 1
Andersen, Hanns Christian 4
Armansperg, Joseph Ludwig, Graf 7
Arnim, Ludwig Achim von 9
Arnim, Bettina von, geb. Brentano 16
Atterbom, Peter Daniel Amadeus 20
Aubin, St. 22
Auguste. ? 27
Bacherer, Dr. G. 29
Baudissin, Wolf Heinr. Friedr. Karl, Graf 30
Baudissin, Karl, Graf 34
Bauer, Caroline 35
Bauernfeld, Eduard von 37
Beskow, Bernh. von 41
Böttiger, Karl August 68
Boisserée, Sulpice 69
Bothe, Friedrich Heinrich 85
Braniß, Christlieb Julius 89
Brentano, Clemens 94
Brockhaus, Friedrich Arnold 107
Brühl, Karl Friedrich Moriz Paul, Graf 109
Bürger, Elisa 114
Büsching, Johann Gustav Gottlieb 115
C. 119
Carové, Friedr. Wilh. 120
Carus, Karl Gustav 122
Chezy, Wilhelmine Christine von, geb. von Klencke 129
Collier, John Payne 138
Collin, Matthäus von 142
Creuzer, Georg Friedrich 157
David, Pierre Jean 159
Deinhardstein, Johann Ludwig 161
[S. xvi] Devrient, Eduard 163
Devrient, Karl 190
Eschenburg, Joh. Joachim 193
Förster, Karl 195
Förster, Luise, geb. Förster 196
Förster, Friedr. 205
Follen, August 207
Freytag, Gustav 214
Genast, Eduard 219
Gerle, W. A. 222
Gerstenbergk, Friedrich von 228
Gmelin, Leopold 231
Görres, Jacob Joseph von 236
Goethe 239
Grabbe, Christian Dietrich 242
Gries, Johann Dietrich 253
Haering, Wilhelm (Willibald Alexis) 262
Hagen, Friedrich Heinrich von der 265
Hagen, Ernst August 282
Hagn, Charlotte von 284
Halling, Karl 287
Hallwachs 300
Hardenberg, Friedrich Freiherr von (Novalis) 304
Hardenberg, Karl 312
Hauch, Johann Carsten von 326
Hauff, Wilhelm 329
Hebbel, Friedrich 332
Hegner, Ulrich 334
Heiberg, Johann Ludwig 339
Hensel, Wilhelm 342
Hermann, F. R. 344
Heumann, Georg 352
Heydrich, Moritz 359
Hirzel, S. 365
Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus 366
Holtei, Karl Eduard von 368

[S. 1]

Ampère, Jean Jacques Antoine,

Sohn des berühmten Mathematikers und Naturforschers A. M. Ampère, geboren zu Lyon den 12. August 1800, gestorben am 27. März 1864 zu Pau. Er bereiste Italien, Deutschland, Skandinavien, den Orient. Lehrer am collège de France in Paris. Unfehlbar gehörte er zu den wenigen, seltne Ausnahmen bildenden Franzosen, die doch einigermaßen, mindestens so weit es französischem Wesen irgend möglich, in den inneren Geist deutscher Poesie eingedrungen sind. Deren tiefere Bedeutung, hauptsächlich im Verhältnisse zu jenen Ansprüchen, welche seine Landsleute an schöne Litteratur machen, unbefangen zu erfassen, scheint allerdings auch diesem ernsten und männlichen Streben nicht gelungen zu sein; sonst könnten er und sein Freund F. unmöglich an die Spitze der (im ersten Briefe erwähnten) projektirten Uebertragung Tieck’scher Dichtungen jenen von schon veralteten, kaum noch deutscher jetzt lebender Generation verständlichen Anspielungen strotzenden, polemisch-parodischen Scherz „der gestiefelte Kater“ zu stellen beabsichtiget haben. Nichts war minder geeignet Tieck’s Muse in Paris einzubürgern. Vielleicht hat Ampère auf seinen allzu umfassenden Wegen durch die Welt den ursprünglich klaren Blick für deutsche Zustände verloren, der ihm eigen war, als er sich (1827) bei Göthe in Weimar aufhielt, und der ihn befähigt hatte, sich sogar an Hebel’s alemanischen Gedichten wahrhaft zu entzücken. Wie weit sein Forscherdrang ihn trieb, zeigen schon folgende Büchertitel an: La Grèce, Rome et Dante (Paris 1850.) — Litterature et voyages (2 vol. Paris 1834.) — De la litterature française dans ses rapports avec les litteratures étrangères au moyen age (Paris 1833.) — Vieler anderer nicht zu gedenken.

Eines seiner gediegensten Werke dürfte jedenfalls die drei Bände starke Schilderung einer Reise durch Amerika sein, welche reich ist an lehrreichen Wahrnehmungen und Aussprüchen. In diesem Buche sagt er einmal: „Die Regierung der Vereinigten Staaten gleicht einer Lokomotive[S. 2] auf der Schienenbahn. Sie begann ihren Lauf mit weiser Besonnenheit; bald fing man die Maschine zu überheizen an; die Schnelligkeit der Bewegung hat sehr zugenommen; es geht mit vollem Dampfe, und große Strecken werden rasch zurückgelegt. Doch in diesem Lande geschieht es oft, daß der Kessel platzt und die Lokomotive in die Luft fliegt. — Avis aux Américains!“ —

Ampère’s bedeutender Verdiensten unbeschadet soll nicht verschwiegen bleiben, daß er eine kaum zu entziffernde von Nachlässigskeitsfehlern wimmelnde Handschrift führte, und daß für nachstehende Briefe nichts geschehen konnte, als sie buchstäblich zu kopieren,... so weit dies menschenmöglich war.

I.

Paris, le decembre 1823.

Monsieur,

Un de mes plus vifs desirs, en quittant l’allemagne, était de faire profiter mon pays de mon voyage, en contribuant à lui faire connaître les productions des Vôtres. L’attrait particulier qu’ont en vos ouvrages pour mon imagination, depuis le premier moment ou je les ai connus, m’inspirait surtout l’envie d’en voir passer quelque chose dans notre langue. — À essayer de le faire moi même était un espoir dont je me berçais, c’était un plaisir que je me reservais après des travaux longs et pénibles dans les quels je suis plongé maintenant, mais je n’ai plus besoin de l’attendre le plaisir; et heureusement pour mon impatience et pour Vos ouvrages, Monsieur, j’ai été devancé par un de mes amis, qu’une plume élégante et déjà exercée rend moins indigne de Vous traduire. Comme notre public a beaucoup à faire encore, malgré sa bonne volonté et nos efforts pour saisir tout l’agrément de la poésie etrangère et pour goûter un genre de composition aussi original et aussi nouveau pour lui que le sont les Votres, nous commencerons [S. 3]par un choix, qui nous Vous soumettons. Notre pensée était de débuter par le chat botté et quelques nouvelles; mon ami M. E. Fresnel (?), frère d’un de nos plus illustres academiciens enlevé récemment aux (illigible), a déjà traduit le chat botté et „Liebeszauber;“ il va commencer le blond Egbert, il Vous envoye quelques questions aux quelles il (?) Vous prie de répondre, dans l’intérêt de la traduction. En effet il faut bien mettre notre public au courant et nous ne pouvons nous mêmes y être mis que par Vous.

Si ce n’était pas trop abuser de Votre complaisance qui m’est connue, je Vous demanderais de nous envoyer une liste de tout ce que Vous avez publié — si Vous trouviez un moyen de nous faire parvenir quelqu’une de ces nouvelles de Vous qui se trouvent dans des almanachs poétiques et qui sont difficiles à trouver, ce serait pour nous un bonne fortune, entre autres, le Pietro Aponi que je Vous ai entendu lire, avec tant de plaisir.

Veuillez me pardonner, Monsieur, cette importunité, et s’il se peut, accorder à mon ami sa demande, nous vous en remercierons pour nous et pour les lecteurs.

M. Eckermann de Weimar m’a donné de Vos nouvelles. Il a eu le plaisir de Vous voir chez Goethe, il était bien heureux de diner entre Vous deux.

J’ai eu aussi des nouvelles de Mlle. Kraukeln (?) et de M. Weihrauch (?) soyez assez bon pour leurs présenter tous mes souvenirs.

Enfin veuillez bien Monsieur transmettre mes hommages à Madame et à Mademoiselle Tieck et agréer l’assurance de ma profonde admiration et de mon sincere attachement,

Votre devoué Serviteur
J. J. Ampère.
rue de (?) St. Victor No. 19

[S. 4]

II.

(Ohne Datum.)

Monsieur.

Je ne sais si Vous Vous souvenez de moi, mais moi je n’ai pu oublier les jours que j’ai passé à Dresde il y a quelques années et Dresde pour moi c’est votre maison, je crois m’aquiter un peu envers Vous en Vous addressant M. le comte de Montalembert, l’un des hommes les plus distingués de notre jeune generation; grand et digne admirateur de Vous Monsieur et de Vos illustres amis F. Schlegel et Novalis. La poésie de l’allemagne du Moyen age est un des principaux objets du plan d’étude qu’il se propose d’entreprendre en allemagne. Cette poésie des „Minne-Singer“ vit en Vous, Monsieur! Permettez à un etranger de rendre ce temoignage à son dernier representant. J’envie beaucoup à Monsieur de Montalembert d’aller la puiser près de Vous. Je ne puix me consoler de son voyage que par l’esperance de l’imiter.

Daignez, Monsieur, faire agreer à tout ce qui Vous entoure, l’hommage des sentiments respectueux que je Vous ai voués avec la plus vive admiration.

J. J. Ampère.


Andersen, Hanns Christian.

Geboren den 2. April 1805 zu Odense auf Fünen. Ein anerkannter, nicht blos in seinem Vaterlande vielgelesener Autor. Seine Selbstanklage, daß er „nicht Deutsch schreiben könne“ widerlegen die im späteren Fortschritte schriftstellerischer Wirksamkeit von ihm gelieferten deutschen Ausgaben, worin er, was Klarheit des Ausdrucks betrifft, hinter Oehlenschläger nicht zurücksteht. Er ist sehr fruchtbar gewesen vom Jahre 1830 bis[S. 5] auf die neueste Zeit. Die Gesammtausgabe seiner Werke (Leipzig 1847–48) enthält in fünfunddreißig Bänden viele in unsere National-Literatur gleichsam übergegangene Schriften, als z. B. Phantasieen und Skizzen — Der Improvisator — Nur ein Geiger — Bilderbuch ohne Bilder — Eines Dichters Bazar — Märchen u. a. m.

I.

Copenhagen, 8. April 1835.

Lieber Herr Hoffrath!

Ob Sie noch meiner gedenken? Ob Sie noch eines jungen dänischen Dichters gedenken, der vor einigen Sommern mit einem Brief von Ingemann bei Ihnen war, und ein kleines Heftchen seiner eigenen Gedichte: „Phantasien und Skizzen,“ überbrachte. Ich hörte Sie zwei Stücke vom Shakespeare vorlesen, Sie erzeigten mir eine Freundlichkeit und Güte, die mein Herz an Sie band. Dies war meine erste Ausflucht in die Welt; nachher habe ich eine größere Reise gemacht. Unser König gab mir anfangs 1833 ein Stipendium um Deutschland, Frankreich, Schweiz und Italien zu bereisen; diese Reise ist jetzt vollbracht, und ich bin wieder in Dänemark. Als ich vorigen Sommer über Dresden zurückreiste, war mein erster Besuch bei Ihnen, allein Sie waren im Bade. Ich sprach Ihre jüngste Tochter, und bat Ihnen meinen Gruß zu überbringen. Ich sollte das Ausland besuchen, um mein poetisches Talent weiter zu entwicklen; ob das Ziel erreicht ist, wird die Zeit lehren; für mich war die Reise jedenfalls besonders anziehend. In Paris wohnte ich dem Julifeste bei und sah die Napoleons-Statue entschleiern. In der Schweiz war ich bei der Weinlese, ich bereiste die schöne Küste von Genua nach Livorno, erreichte Rom eben als Raphael[S. 6] zum zweiten Mal begraben wurde, sah das Carneval und Girandola und endlich einen glänzenden Ausbruch des Vesuvs; ich kann wohl sagen, das bunte Leben in Italien, die großartigen Schönheiten der Natur ergriffen meine Seele, und den Eindruck davon habe ich in einem Roman; „Improvisatoren“ veranschaulicht; der bekannte Novellendichter Cruse, hat ihn schon deutsch übersetzt, und ich schick Ihnen ein Exemplar seiner Uebersetzung. Möchte es mir einen vortheilhaftigen Begriff von meiner poetischen Natur in Ihnen erwecken. Ein liebvoller Händedruck Ihrerseits wird meine größte Aufmunterung sein.

Ich wohne in Copenhagen
Nyharn. Nr. 280.

Dem Dichter
Ludwig Tieck
in Dresden.

Ihr herzlich ergebner

H. C. Andersen.

II.

Copenhagen, 8. April 1842.

Der Buchhändler Longmann aus London, geht zum ersten Mahl nach Deutschland, und da es sein sehnlichster Wunsch ist, Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen, so erlaube ich mir Ihnen diesen sehr wackeren Mann vorzustellen; indem ich dabei auch die Gelegenheit ergreife mich selbst vor Ihr Gedächtniß wieder einzuführen.

Als ich im vorigen Sommer aus dem Orient zurückkam, suchte ich Sie vergebens in Dresden. Als eine Frucht meiner Reise erscheint jetzt im Dänischen — und bald nachher im Deutschen — eine neue Arbeit von mir: „Der Bazar eines Dichters,“ in sechs Bogengängen: „Deutschland, Italien, Griechenland, der Orient, die Donau und nach Norden!“ Den Bazar „Deutschland“ habe Ihnen und dem Mendel[S. 7]sohn-Bartholdy gewidmet, den Orient, Oehlenschläger und dem österreich. Internuntius Stürmer in Constantinopel.

Die deutsche Ausgabe wird Ihnen in diesem Sommer geschicht werden. Ich kann — wie Sie sehen, — gar nicht Deutsch schreiben!

N. S.

Grüsen Sie Frau von Serre
und Dahl (?).

An
den Dichter Deutschlands
Ludwig Tieck!

Ihr sehr ergebener

H. C. Andersen.


Armansperg, Joseph Ludwig, Graf.

Ehemaliger Präsident der Regentschaft in Griechenland. Lebte später auf seiner Herrschaft Egg bei Deggendorf, an der bayr. öster. Grenze. Die jetzige Inhaberin dieses Besitzes ist seine, des edlen Vaters würdige Tochter, die hochgeachtete, von allen weiblichen Tugenden geschmückte Fürstin Cantacuzeno.

München, den 25. Oktober 1826.

Wohlgeborner Verehrtester Herr Hofrath!

Euer Wohlgeboren sind bereits durch den Vorstand des Obersten Kirchen- und Schulrathes auf vertraulichem Wege in Kenntniß gesetzt worden, daß Se. Majestät der König mein allergnädigster Herr in dem hohen Bestreben, den Glanz der unter Allerhöchst Ihren Auspizien dahier neu aufblühenden Hochschule zu erhöhen, Ihren großen Talenten und anerkannten Verdiensten eine vorzügliche Aufmerksamkeit widmen, und den Wunsch, Sie für Ihre Ludwig Maximilians Universität zu gewinnen, auszudrücken geruht haben.

Allerhöchstdieselben sind ein zu großer Verehrer Ihrer[S. 8] Verdienste, und wünschen zu lebhaft, der deutschen Litteratur, deren Zierde Sie sind, Ihre fernere freie Wirksamkeit zu erhalten, als daß es in Allerhöchst Ihren Absichten liegen könnte, Euer Wohlgeboren bei diesem Rufe dem Zwange eines bestimmten Lehrfaches zu unterwerfen.

Euer Wohlgeboren werden daher den ausgedrückten allerhöchsten Absichten gemäß, bei uns nicht nur durchaus freie Lehrvorträge halten, sondern auch jene ergiebige Geschäftsruhe finden, ohne welche die glücklichen Empfängniße genialer Geister nicht zur Reife und Vollkommenheit gebracht werden können.

Wenn ich hiebei Euer Wohlgeboren Vorlesungen über schöne Litteratur überhaupt, über Geschichte der Poesie, insbesondere über Shakespeare, Dante, Calderon als Aufgabe Ihres hierortigen Wirkens andeute, so geschieht dieses nur beyspielweise, und ohne Beschränkung auf irgend einen Stoff im weiten Gebiete der Kunst und Poesie, in dem Sie, wie in Ihrem Eigenthum, zu walten pflegen.

Die Bedingungen, unter welchen Euer Wohlgeboren in die Dienste Sr. Majestät treten werden, sind ein Gehalt von 2500–2800 f., nebst einigen Getraidbezügen, welche in Geld reluirt werden, eine angemessene Aversal-Summe für Herbeibringung Ihrer zahlreichen Büchersammlung und alle Vortheile, welche die konstitutionelle Dienstespragmatik den bayerischen Staatsdienern gewährt.

Se. Majestät haben bedauert, daß besondere Verhältniße und Erwägungen nicht erlauben, den Werth Ihres Anerbietens durch die Zugabe einer Freiwohnung zu erhöhen.

Indessen glaube ich, daß manche Begünstigungen und Vortheile, welche der Aufenthalt in südlichen Hauptstädten, in Absicht auf Wohlfeilheit und bequemeren Lebensgenuß darbietet, die Entbehrung dieses Vortheiles weniger fühlbar machen werden.

[S. 9]

Da ich annehmen darf, daß die Vorträge Euerer Wohlgeboren zu den besuchtesten auf der Hochschule gehören, da Se. Majestät ernstlich bemüht sind, die in vieler Hinsicht verderbliche Honorarienfreiheit in engere Gränzen zurückzuweisen, so eröffnet sich auch hierin, wenn auch nicht gleich im Anfange, doch gewiß in besserer Zukunft eine nicht unergiebige Quelle erhöhten Einkommens.

Auch darf ich Ihnen dem kunsterfahrenen Manne nicht erst umständlich aufzählen, welche reiche Zuflüsse Ihre Studien aus jenen Quellen sich versprechen dürfen, die sich in trefflichen Kunst und Gemäldesammlungen, in einer überreichen Bibliothek, in dem Verkehr mit ausgezeichneten Gelehrten und Künstlern und selbst in der größeren Nähe des italienischen Himmels dem Kunstsinne öffnen.

Wenn alle diese Erwägungen Euer Wolgeboren bestimmen können, dem Rufe Sr. Majestät des Königs, den ich hiemit in amtlicher Eröffnung zu Ihrer Kenntniß bringe, mit entsprechender Erwiederung zu begegnen, so muß ich den Wunsch ausdrücken, Dieselben wollen mir Ihren Entschluß baldgefälligst mittheilen, und übrigens die Versicherung meiner eben so ausgezeichneten als aufrichtigen Hochachtung als einen Tribut der Verehrung ansehen, welche ich Ihren großen Verdiensten um Litteratur und Kunst gewiedmet habe.

Euer Wohlgeboren

ganz ergebenster
Gr. Armansperg,
k. b. Staatsminister.


Arnim, Ludwig Achim von.

Geboren den 26. Januar 1781 zu Berlin, gestorben am 21. Januar 1831 auf seinem Gute Wiepersdorf bei Dahme. Indem wir seiner Werke: des Knaben Wunderhorn (1806–8) — der Novellensammlung „Wintergarten“ (1809) — der Gräfin Dolores (1810) — des Studen[S. 10]tenspieles und der Pilgerabentheuer „Halle und Jerusalem“ (1811) — der „Schaubühne,“ worin die „Befreiung von Wesel“ ein immer junges, kräftig-deutsches Drama glänzt (1813) — der Kronenwächter (1817) gedenken, in Ehren und Liebe, wie diesem hervorragenden Romantiker gebührt, finden wir darin doch nur ein schwaches Bild seiner, über diesen Erzeugnissen stehenden, unbeschreiblichen Persönlichkeit. Selten wohl haben sich in einem Menschen: poetisches Feuer, anmuthige Ruhe, würdevolle Haltung, umgängliche Milde, wohlwollende Strenge, liebevolle Theilnahme für Anderer Streben, inniger verschmolzen, als in Achim Arnim. Es ist sehr zu bedauern, daß von seinen Briefen an Tieck nur die drei nachstehenden aufbewahrt blieben. Wenn die verloren gegangenen diesen glichen, so wären sie geeignet gewesen, uns den ganzen Mann vor’s Auge des Geistes zu zaubern.

I.

Cassel, den 3. Dezember 1807.

Ich lege eben Müllers edles Schreiben über Kotzebue aus den Händen, das Ihrer Vermittelung sein Daseyn für mich dankt, da fällt mir so manches ein, was ich Ihnen danke und wie ich von mannigfaltigem Jammer bezwungen, Ihnen davon so gar nichts in Sandow gesagt habe; ich ging da neben Ihnen und freute mich, daß mir noch etwas Freude am Grünen geblieben, mit dem ich meiner einsamen Natur nach viel vertraulicher bin, als ich mit Ihnen in einem Tage werden konnte. Jetzt wünsche ich die Stunden zurück, erinnere mich, wie Sie Sich so einsam fühlten und mich ausforderten, Ihnen zu schreiben. Ich hätte Ihnen mancherley zu schreiben, wie wir, ich meine darin Bettine und Clemens Brentano, Sie hieher wünschten, das glauben Sie uns ohne weitres; dann wie wir Ihnen einen angemessenen Wirkungskreis wünschen und planeln, den Sie nicht blos beleben, der Sie auch wiederbelebt. Den möchten Sie aber nicht annehmen wollen, denn in der Gewohnheit liegt das Schönste wie das Schlimmste und das Kunststück der Transfiguration gelingt immer nur[S. 11] einmal vollständig, also davon kein Wort: Sie hören Ihre Stunden sicher heller schlagen als ich. Also zu den Nebenwerken, die mir aber Hauptsachen sind. Ich war bey Dieterich in Göttingen, der sich schmerzlich beklagt, daß Sie die Niebelungen ihm nicht früher geschickt haben, der jetzt fürchtet, durch Hagens Arbeit sey aller Absatz vernichtet, ich glaube das nicht, kann auch nicht wissen, wie weit er sich beklagen kann, ich beklage mich selbst, daß Ihr Werk nicht erschienen, denn Hagen gefällt mir nicht in dem baroken Dialekte, in den langweiligen Anmerkungen und wegen der Auslassung aller andern Erzählungen, die Sie so pasrecht verbunden hatten. Ernste Critiker, (hier giebt es einen sehr gelehrten deutschen Sprach und Literaturkenner, Hr. Kriegssekretär Grimm, er hat die vollständigste Sammlung über alle alte Poesie) tadeln noch mehr, und sind so wie ich ganz überzeugt, das Ganze müsse entweder mit neuem Saft durchdrungen sich selbst neue Wurzeln treiben, oder in seiner Alterthümlichkeit ruhig trocken, unzerbrochen zwischen Papier von einem Geschlechte dem andern übergeben werden. Haben Sie in dieser Hinsicht irgend etwas mit Dietrich zu verhandeln, oder wollen Sie die Herausgabe mit dem Heldenbuche bey Zimmer verbinden, so entbiete ich meine Vermittelung, der erste ist mir ganz nahe und den andern denke ich zu Weihnachten zu sprechen.

Die historische Einleitung über die Niebelungen könnte immer späterer Zeit bleiben, es sind die Perspectivlinien, wonach der Maler arbeitet, sie verschwinden, wenn das Gemälde fertig, das allein bewährt, ob sie richtig; es braucht Sie nicht zu stören, daß andre z. B. Grimm, Hagen andre historische Entdeckungen gemacht zu haben glauben, die mit Ihren nicht stimmen. Wer jemals eine historische Begebenheit mit Erhebung angesehen hat, weiß was das heist, jeder muß es aber treiben, wie man Füße braucht um beym Schreibpult zu stehen, ungeachtet sehr wenig Leute mit den Füßen schreiben.[S. 12] Die Kritik ist an den Dichtern eine nothwendige Absonderung, damit der Geist rein wird, unsre verkehrte Zeit hat aber oft das Abgesonderte, wie beym Dalailama, für das Heiligste gehalten, davon alles das Geschwätze über die Dinge, ohne die Dinge selbst zu geben, alle die elende Wirtschaft mit Geschichten der Poesie, der Künste, ohne daß diese dadurch selbst verscheucht werden, während alles was Kunst zugleich Geschichte. Ein solches unnützes Buch hat Görres über Volksbücher geschrieben statt eins herauszugeben, so schreibt Docen zwey Bände Miscellaneen, worin fast gar nichts als literarischer Kram, während das Schöne in Handschriften verrottet; darum werde ich kein Wort zum zweyten Theile des Wunderhorns sagen, der sehr viel enthalten wird, aufmerksam sind die Leute darauf gemacht, wenn sie ihn nicht verstehen, so sollte es nicht seyn und der Teufel mag sie holen. — Bei Riepenhausen in Göttingen sah ich zwei zierliche Bilder von seinen Söhnen zu einem Almanach religiöser Musiklieder bestimmt, erscheint der bald? Wird er auch die besten lateinischen Texte enthalten? Haben Sie etwas darüber zu vermitteln? — Haben Sie Müllers Schriften geordnet? Alles wartet sehnlich auf die Herausgabe, die Ihnen keine Mühe machen kann, da in Müller seiner ganzen Anlage nach, nichts zu ändern sein kann. Soll ich darüber etwas bestellen? Ueber die Herausgabe Ihrer eignen Poesieen, Volksmährchen? — — — Sie werden in alle dem keine Zudringlichkeit finden, sondern meine Art, dankbar zu seyn, indem ich nach mehr verlange! Wer überhaupt etwas geben kann, dem ist das Geben das Liebste, wer anzunehmen versteht, dem ist es wie ein Vorwurf; es gehört zu beydem gleichviel. Außer sich ist man doch nur etwas in sich; der kleinste Kreis kann genügen, aber er ist doch nicht außer der großen Welt und so ward ich Morgens aus dem kleinen Winkel, worin ich mein gutes alltägliches Leben führe mit allen meinen Gedanken fast gewaltsam zu Ihnen gezogen, als wenn es mir eine Pflicht,[S. 13] Ihnen ein großer Vortheil wäre, wenn ich Ihnen meine literarische Anerbiethungen machte. Wofür Sie es nehmen, das ist es und wird es etwas, so wollen wir es ein Schicksal nennen, und wird es nichts, so kann es darum doch etwas gewesen seyn; treibt mich so ein Gedanke, so schreibe ich mich von ihm los, ungefähr das Gegentheil vom Doktor Faust, der sich einem Gedanken verschrieb. Haben Sie mir etwas darüber zu sagen, so schreiben Sie hieher Cassel in Hessen, abzugeben an Hrn. Banquier Carl Jardis; meine Freundschaft für Sie bleibt unverändert, wenn Sie auch schweigen, schweige ich doch meist auch, wo ich reden könnte.

Ludwig Achim v. Arnim.

II.

Heidelberg, den 31. März.

Ich überschicke Ihnen, geehrter Freund, die ersten Bogen meiner Zeitung; auf Zimmers Verantwortung habe ich ein Stück aus dem König Rother genommen, das mir gar wohl gefiel, er hat es auch übernommen den schuldigen Ehrensold dafür zu entrichten: Er wartet sehnlich auf Briefe von Ihnen. — Geben Sie mir einen Ueberblick Ihrer Untersuchungen über die Nibelungen! — Von Görres folgen in den nächsten Blättern merkwürdige Resultate über denselben geschichtlichen Kreis, denken Sie wieviel Vorarbeiten Sie den Freunden alter Literatur ersparten, wie die dann lustig auf Ihrem Grunde fortbauen könnten; die schlimmsten Sünden in unsrer Zeit sind die Unterlassungssünden. — Meinen Wunsch aus der Fortsetzung des Sternbald, aus dem Faust eine recht sonnenbeleuchtete Stelle zu besitzen, habe ich, denk ich, in meinem letzten Briefe ernstlich vorgetragen, ich bitte nicht für mich allein, ich bitte mit für viele Freunde ihrer Werke und sie haben hier sehr viele. Es wird manche fromme Erzäh[S. 14]lung aus alten Chroniken folgen, ich würde Ihre ernsten musikalischen Gedichte wohl anbringen, daß der Nachbaren Handwerk Sie nicht störte. So leicht meine Zeitung aussieht und beginnt, ich wünsche viel Ernsthaftes damit und fühle mich rein von leerer Sonderbarkeit und parteyischer Begrenztheit, auch Arbeiten Ihrer Freunde von Mad. Bernhardi von Schütz, Schierstädt u. a. werden mir willkommen seyn, was Sie billigen ist mir gerecht: Kritik allein gestatte ich nur als Scherz oder über Zeiten, die vor unseren Augen durch veränderte Sprache und Seltenheit der Ueberbleibsel fast verschlossen. Neuigkeiten erscheinen eben so nur als Scherz und sind mit sympathetischer Tinte geschrieben, die nicht jedem erscheint. — Brentanos verzweiflungsvoll elende Heiraths und Ehestandsgeschichte macht mir Kummer und religiöse Zweifel über den Ehestand, sie stecken da wie im geläbberten Meere und können nicht zu einander und nicht von einander. — Der Himmel erhalte Sie.

Achim Arnim.

III.

Heidelberg, Ende November 1808.

Lieber herzlich verehrter Tieck! Sie erhalten die beyden ersten Hefte meiner Zeitung; es würde mir Freude machen, wenn Sie nicht mißbilligten, was mir nach ruhiger Uebersicht wohlgefällt; wie lange ich die ganze Sache fortsetze hängt von dem Absatze auf dieser Messe ab. Pr. L’Epigue gab mir den Müller, der ritterlich thätige Schluß des Stücks veranlasste mich besonders zur Mittheilung, es perlt darin wie im siedenden Wasser und er vergleicht sich darin so leicht mit der ruhigen Erhebung, in welcher ihr Werk schliest. Brentano, der seit einiger Zeit zu mir gezogen und seine Frau zu einem Prediger aufs Land geschickt hat, wird ins nächste Heft ein[S. 15] gar lustiges Werklein, die Geschichte des Bärenhäuter einrücken, er ist fröhlicher als je und wünscht Sie hieher laden zu können, nur stehen die äusseren Verhältnisse schwankend und wie lange der alte Großherzog lebt und wie früh französische Oekonomie eingeführt wird, dem sehn wir wie der Ratiostatus mit zwey Köpfen entgegen. Ich wohne mit Clemens in einer Bierkneipe am Schloßberge, Kegelbahn und Vogelgesang, Nachts singende Waschweiber und fernes Neckarrauschen um uns, und der schöne Himmel verschlingt uns in Trägheit. Die Zeitungen sagen von einem Romantischen Journale, das Sie herausgeben, ich freue mich dessen, es muß den Bienen der Honig genommen werden, daß sie wieder arbeiten und ich bescheide deswegen meine Bitte um Beyträge von Ihnen noch nicht; Görres Untersuchungen über die Nibelungen finden Sie fast beendigt, von Grimm erwarte ich schöne Resultate; es geht so unendlich viel zugrunde, lassen Sie Ihre Untersuchungen nicht darum schweigen, weil der eine oder andre vielleicht schon einiges davon berührt hat. — In wenigen Tagen bin ich in Winkel bey Brentanos. — Meine Ergebenheit Ihren Hausgenossen, hochachtungsvoll

Achim Arnim.

Eben erhalte ich einen Brief von Hagen, der mir schreibt, daß er zu den Nibelungen Ihre Unterstützung erhalten, es freut mich dies glückliche Verständniß, es scheint jetzt ein allgemeiner Sturm zu werden gegen die tückische Bosheit falscher Kritik. Sind wir nur erst im Graben, ich stehe dafür der Wall, der so entsetzlich aussieht ist nichts als der Unrath der Garnison, den sie so regelmässig aufgestapelt hat.


[S. 16]

Arnim, Bettina v. geb. Brentano.

Achims Gemahlin, Enkelin der Sophie La Roche, Clemens Brentano’s Schwester, geb. zu Frankfurt a. M. 1785, gest. zu Berlin 1859.

„Goethe’s Briefwechsel mit einem Kinde“ führte sie zuerst in die größeren Kreise der deutschen Lesewelt ein. Vielleicht lassen sich in den hier mitgetheilten an Tieck gerichteten Briefen leise Spuren entdecken, daß es nur an seiner Schreiblässigkeit lag, wenn wir nicht auch Seinen Briefwechsel mit jenem Kinde besitzen? Ein Kind ist Sie geblieben, bis in’s Alter, bis in den Tod. Aber gewiß ein hochbegabtes, ein Wunderkind. Mögen auch ihre späteren Schriften: die Günderode (1840) — dies Buch gehört dem Könige! (1843) — Ilius Pamphilius und die Ambrosia (1848) — in ihrer Wirkung auf’s Publikum jenes ihr erstes Buch bei Weitem nicht erreicht haben; merkwürdig sind sie doch, und zwischen Seltsamkeiten und Absonderlichkeiten blickt immer ein tiefgewaltiger Geist, ein reiches Herz, ein hoher Sinn für alles Große und Wahre daraus hervor. Die Sehnsucht zu gestalten beunruhigte sie und lockte sie aus den Grenzen, die herkömmliche Ansicht weiblichen Autoren zu ziehen pflegt. Sie erscheint bisweilen dem erstaunten Leser gleich einer Bildnerin, welche nur den Reichthum des Stoffes nicht zu binden, die Form nicht zu beherrschen gelernt. Ihre Phantasie ist mächtiger als der ordnende Verstand.

Ihre größte Dichtung dürfte deshalb im Gebiete der Plastik gesucht werden. Wenigstens hat ein Mann, dessen Urtheil über Sculptur — mag er daneben noch so sehr General, Diplomat, Historiker, Archäologe, Numismatiker und Poet sein! — dessen Urtheil, wie gesagt entscheidend ist, unverholen seine anerkennende Bewunderung ausgesprochen über Bettina’s Goethe-Monument: Prokesch-Osten nennt das plastisch entworfene Modell zu dieser grandiosen Idee ein erhabenes Vermächtniß. — Wer wird als Erbe eintreten?

I.

3. October (ohne Jahreszahl u. Ort).

Schon lange habe ich geglaubt, über all den Schmerz hinaus zu seyn, den mir Entfernung, Vergessenheit von Freunden, verursachen könnte, und nun betrübt mich alles, die Karte, von Italien die jezt an der Wand hängt, überm Sessel, die kömmt mir so lehr vor, Sie sind nicht mehr da, was brauch ich das Land zu sehen; wahrhaftig meine Nei[S. 17]gungen bringen mir kein Heil, wenn sie so innig ergebend sind, lieben soll ich, aber nicht dehmüthig, sondern großmüthig. Ich hab an Sie geschrieben vor 14 Tagen, nach Dresden. Sie haben wohl meinem Brief nicht erhalten, er war vielleicht zu kühn zu freymüthig, weil Sie gar nichts darüber sagen, wenn ein andrer verstehen könnte wie mich das all quält, ich kenne die Menschen nicht, ich weiß nicht wie viel sie vertragen von Liebe, ich kann die meinige nicht eintheilen, damit sie genießbar wird, entweder alles, oder kein Leben, kein Athemzug der das Herz erweitert.

Wie wenige wissen, den echten Sinn des Lebens zu verstehen, und dieser wenigen ist keiner mir nah, und wer denn so recht die unergründliche Tiefe erkennt in der Liebe, und keinen hat um den er diese Tiefe ermessen darf, Ach das könnte einen zur Verzweiflung bringen. ich war so ruhig, so kalt wie Sie weg gingen, meine Liebe ist wie das Senfkörnlein, das in kurzem ein hoher Baum ward, in dessen Schatten Völker ruhn, und doch ein einzig freundlich Wort von Ihnen könnte mich so ruhig machen.

Lieber Tieck, wenn Sie mir gut sind, so verkennen Sie all dieß nicht, jemand der so lebhaft, alles fühlt wie ich, der kann sich nicht weniger lebhaft ausdrücken, es ist keine Frage, daß mir Gott mehr gewähren muß wie andern, er muß mir alles gewähren, (denn er hat mir das Entbehren nicht anerschaffen) mithin auch Ihre Liebe, und desswegen bin ich auch wieder getröstet.

Gestern war ich wieder zum erstenmal auf demselben Plaz im Garten, Sie waren auch da, einen Augenblick, Ihre Füsse sah ich deutlich auf der Treppe stehen, ich ging weg, mag auch in meinem Leben nicht wieder hin, ich mögte Sie wohl nie wieder dort finden, das könnte mich schmerzlich beleidigen. Ich bin so glücklich, Gott meint es so gut mit mir, er will mich erhöhen, er will mich bessern, durch das gröste auf Er[S. 18]den, durch die Liebe, und ich sollte wiederstehen wollen? Nein gewiß nicht, mit allem Leben was in mir ist, will ich mich ihm ergeben, es entstehe daraus was will, mir kann es keinen Schaden bringen, nur dem Zaghaften können irdische Verhältnisse was anhaben, was schadet es denn daß ich nicht bey Dir bin, ist mein Vertrauen so klein, daß es nicht bis Ziebingen reichen sollte, ich bin recht dumm daß ich mich betrübe, was schadet es endlich, wenn Sie selbst, dieß alle nicht annehmen, es ist als ob der Strom die Lieblichkeit der Gegend nicht annimmt durch die er fließt, die Gegend bleibt doch lieblich durch ihn, Troz ihm, die Bettine bleibt doch liebend Troz ihm, Ein Strohm ist übrigens auch nicht so wiedernatürlich, unnatürlich.

Der Winter ist nah, es wird sehr kalt werden, lieber Tieck, wenn Sie mir nicht gut sind so erstarre ich, keine Heimath habe ich, wo Feuer mir zum Wärmen brennte, denn ich hab wohl emfunden, wer sich niederläst in Eigennuz, seinem eignen Leib aufopfernd die Welt, dem entflieht das Leben, kein freundlich Gespräch, kein Gesang, keine Fantasie und Farbe mehr, alles wird nach und nach stumme verlassne Einsamkeit, was wir uns selbst erschaffen wollen, kömmt uns nicht zugut, es muß aus der Liebe entstehen, was wir genießen sollen, drum will ich auch nie um mich selbst etwas thun, auch nicht ein Licht will ich mir anzünden, wenn es mir Nacht ist, denn irdisch Licht hat keinen Bestand und unsichtbares ewiges, daß muß durch Gottes Hand in Deinem Herzen mir zum Trost entzündet werden.

Ich sage da viel Durcheinander, und wer diesen Brief in Händen hielte und ihn so sinnlich läse, wie er dasteht, dem würde er keinen Bestand haben, wer aber heimlich lauscht und aufmerkt, und mir gut ist, der wird einen einzigen Ton darin hören der alle andre Töne zur Melodie verbindet.

Bettine.

[S. 19]

II.

Ohne Datum.

Das Schicksal hat mirs heute gefügt, daß ich an Tieck schreibe, mein Herz hat an nichts weniger gedacht seit Jahren, doch hat vor Jahren mein Herz sich gefreut wenn ich dachte ich könnte ihm schreiben, doch hab ich ihm nie geschrieben weil ich dachte ich könnte ihm nichts schreiben was ihm werth wäre; und heute wo mein Brief nicht meine eigne sondern eine fremde Emfehlung enthält hab ich das Herz was ich vor Jahren da ichs noch deutlich fühlte daß ich eins habe, nicht hatte ihm einen Mann zu emfehlen der mir zwar nicht so am Herzen liegt, wie damals mein eignes Interesse mir am Herzen lag, welches Interesse Tieck selbst war, und ich nicht das Herz hatte Ihm selbst, ihm selbst zu emfehlen.

Dieser von mir herzhaft emfohlene Mann der gewiß ein Interesse verdient und hat, was mir mangelt, und nie gewährt wurde heist de Barante ist Gouverneur des Herzogs, reist um die Gesundheit herzustellen, um deutsche Städte und herrliche große Dichter kennen zu lernen, er ist hier im Schoos der Familie Savigny mit großer Theilnahme emfangen worden, wär ich hellsehend so würde ich alle Tugenden die mich instinktmässig dazu bewogen es zu wagen ihn einem Tieck dem ich mich nie selbst emfehlen konnte aufs dringendste zu emfehlen hersetzen.

Bettine von Arnim.

Ich bitte Dich guter freundlicher Freund sey wie ein Kind, gegen diesen Mann, dann brauchst Du keine Toilette zu machen und bist doch mit allen Reitzen versehen, die eine gediegne Coquetterie Dir nur gewähren kann.


[S. 20]

Atterbom, Peter Daniel Amadeus.

Schwedischer Dichter, gedanken- und phantasiereich, geb. d. 19. Jan. 1790 im Kirchsprengel Asbo in Ostgothland, Hauptvertreter der idealistischen gegen die alternde Akademie kämpfenden Richtung. Eine von ihm redigirte Zeitschrift Phosphorus (1810–1813) galt gewissermaßen für das Organ dieser Bestrebungen. Im Jahre 1822 ernannte man ihn zum Docenten und Professor an der Universität Upsala, und 1839 nahm man ihn gar als Mitglied in die Akademie auf, gegen die er so lange gestritten.

Der poetische Kalender (1812–1822) — die Insel der Glückseligkeit (1831–1833) — Samla de Dikter (1836–1837) — und andere historische und philosophische Schriften.

Die drei hier von ihm vorgefundenen Briefchen, so kurz und unbedeutend sie sein mögen, wurden abgedruckt, wie Alles abgedruckt werden soll, was Zeugniß giebt von Ludwig Tieck’s Bedeutung im Auslande. Wen die Guten und Edlen fremder Nationen huldigend anerkennen, den dürfen wir mit zweifacher Berechtigung zu den Besten der unsrigen zählen.

I.

Upsala, den 25. Jun. 1835.

Verehrter Meister!

Der Ueberbringer dieser Zeilen ist ein junger mir sehr theurer Freund, Docens in der Ethik und Amanuens bei der hiesigen Bibliothek, Magister Böttiger; unter den jüngeren Dichtern meines Vaterlandes einer der vorzüglichsten. Wenn mein Nahme nicht Ihrem Gedächtniß entschwunden ist, wage ich den reisenden Freund, der nach Italien geht, hiemit Ihrem Wohlwollen zu empfehlen. Und da er, was mich und meine Unternehmungen betrifft, den Dienst eines lebendigen Briefes leisten kann: so hab’ ich für jetzt nichts mehr hinzuzusetzen, als mich mit der innigsten Bewunderung und Liebe zu unterzeichnen

Ihr treu ergebenster

P. D. A. Atterbom.

[S. 21]

II.

Upsala, d. 20. Mai 1838.

Gewiß entschuldigen Sie, mein hochverehrter Meister, die Dreistigkeit, mit der ich die jetzt sich darbietende Gelegenheit ergreife, nicht nur einen jungen Freund, Dr. Sredbom v. Upsala, zu gütiger Aufnahme, sondern auch mich selbst zu gütiger Erinnerung zu empfehlen. In Ihren Schriften seit meiner frühesten Jugend, beinahe täglich lebend und webend, wie glücklich wäre ich, wenn zu diesem Band geistiger Vereinigung auch das Zusammenseyn, die räumliche Nähe persönlicher Gegenwart sich gesellen dürfte! Da mir aber dies versagt ist, und ich Sie nur mit meinem Dankgefühl, meiner Sehnsucht, meiner Liebe, meiner Ehrfurcht umfassen kann, so muß ich freilich mich damit begnügen, daß hin und wieder ein reisender Freund, als mein Stellvertreter, ausführlicher dasjenige ausspricht, was diese armen Zeilen nur dürftig und scheu andeuten. —

Daß Sie die schwedische Sprache kennen und schwedische Dichter lesen, haben mir mehrere, z. B. der Buchhändler Bonnier, erzählt; ich werde Ihnen also, wenn Gott Leben und Gesundheit giebt, im künftigen Frühjahr mit ein paar größeren Dichtungen, die mich jetzt beschäftigen, aufwarten. Die zwei herausgegebnen Bände meiner gesammelten Gedichte (die meisten meiner lyrischen Versuche enthaltend) haben Sie vielleicht schon durch den Bonnier. Im dritten, vierten und fünften werden die größeren Compositionen folgen. So ist mein Plan; aber homo proponit, Deus disponit. — Mehreres von mir, von der schwed. Litteratur, und von dem aufblühenden trefflichen Finnischen Dichter Runeberg, wird Ihnen Sredbom erzählen. — Gott mit Ihnen.

Ihr treuster

Atterbom.

[S. 22]

III.

Ballstad (in der Nähe von Upsala), d. 15. Juny 1844.

Hochverehrter Meister und Freund!

Der Ueberbringer dieser Zeilen, Josephson, Doctor der Philosophie, wünscht sehnlich, Ihnen sich vorstellen zu dürfen. Er ist ein junger Mann von dichterischem Gemüth und ästhetischer Bildung; ein talentvoller Musiker und genialer Componist, der auch selbst die Worte zu seinen Liedern setzt; übrigens mein Freund, dem ich vom Herzen gern bei Ihnen, wenn mein Nahme nicht schon längst Ihrem Gedächtniß entfallen ist eine gütige Aufnahme erbitte.

Ihr

treu-ergebenster

Atterbom.


Aubin, St.

Näheres weiß die Redaktion über diesen Mann nichts zu berichten, als daß er längere Zeit hindurch Mitglied der französischen Schauspielergesellschaft in Berlin gewesen und von Tieck auf jede Weise ausgezeichnet worden ist. In wie fern seine Bedeutung auf der Bühne solche Gunst verdiente, darüber mögen Alle Zeugniß ablegen, die sich an seinen Darstellungen ergötzten. Daß er aber auch als Mensch Achtung einflößen mußte, bekunden diese Briefe. Und wer irgend Gelegenheit fand, die geistige Ausbildung namhafter französischer Akteurs, besonders ihr Verhältniß zu deutscher Literatur und Poesie zu ergründen, der wird den Werth eines Mannes erkennen und schätzen, welcher sich so über Ludwig Tieck’s „Hexensabbat“ ausspricht!!

I.

Dresde 11. août 1840.

Monsieur,

J’ai l’honneur de vous renvoyer le Sabbat que vous avez bien voulu me prêter. Hélas! forcé de partir ce soir,[S. 23] c’est un pied, déjà dans ma chaise-de-poste, et au grand galop de mes yeux fatigués, mais toujours avides que j’ai pu parcourir ce tableau vivant et parlant du XV siècle. Oui, c’est bien là notre France du Nord; c’est bien là la vieille Flandre. Ce sont les superstitions, la foi et les moeurs du moyen-âge; avec ses habitudes, son langage et ses vieux haut-de-chausses. On croit voir; on croit entendre!

Walter Scott a peint les traditions, les usages, les lois antiques de l’Angleterre, et surtout de l’Ecosse; Victor Hugo, dans Notre-Dame-de Paris celles de l’ancienne Lutèce; tous deux ont écrit de leur patrie, dans leur patrie; Vous, Monsieur, vous avez écrit sur un pays qui n’est pas le vôtre; mais réalisant la maxime: „que l’Univers entier est la patrie du Génie,“ vous avez dépeint de vieilles moeurs étrangères, mortes depuis longtems, comme si elles posaient vivantes et agissantes devant vous; et vous surpassez souvent ces hommes de génie, par la simplicité du style, la franchise des narrations; et Vos inventions deviennent des vérités!

Oui, et ce n’est ici que l’expression franche et sincère de ma pensée et de mes sentimens, l’original était si vrai, si simple et si vigoureux, à la fois; que malgré le lavage des épreuves, et les dangers de la traduction, les couleurs sont restées brillantes, les nuances vives et les teintes chaudes!

Combien je regrette de ne pouvoir savourer, à mon aise, tout se que font et disent tous ces personnages que vous savez nous rendre si intéressants! J’éspère y revenir.

Veuillez agréer l’hommage de ma gratitude et de ma bien vive et sincère admiration.

Votre très humble et
très-dévoué serviteur,

Ad. St. Aubin.

[S. 24]

P. S. C. Quant au projet théâtral...... j’attendrai que vous daigniez me faire connaître s’il y a possibilité de le mettre à exécution, et si je dois me rendre à Dresde pour cela. Je sais qu’ une solution prompte et positive doit être difficile à obtenir dans une affaire de cette importance; cependant ce serait le cas de profiter de la crise dans laquelle je me trouve placé. Si j’avais quelque garantie je romprais mon contrat; je le pourrais peut-être, en ce moment. Le pourrais-je plus tard?.... je vais attendre.

Behren Strasse 57 à Berlin.

II.

Berlin, 24. Août 1840.

Monsieur,

Mr. de Villers qui a bien voulu se charger de s’informer auprès de vous, des dispositions premières de Monsieur de Lüttichau, m’écrit, en ce moment, que „le projet obtiendrait l’assentiment de Mr. le Comte, si la base et les conditions en étaient différentes.“

J’écris aujourd’ hui même à Mr. de Lüttichau; et je le prie de me faire connaître bientôt les diverses modifications, et les conditions auxquelles, il lui conviendrait d’avoir à Dresde, un bon théâtre-français.

Je suis si désireux de quitter le triste séjour de Berlin, ainsi que mon gracieux Directeur; que je ferai tous mes efforts pour concilier mon désir à cet égard, avec les charges très-onereuses, mais inexorables, d’une troupe à l’etranger.

Si, d’aprés la communication de Monsieur de Lüttichau, j’entrevois une possibilité d’éxécution; je partirai, de suite, pour Dresde; afin d’arriver plus promptement, et plus sûrement au but. Vous seul pouvez y conduire. C’est à vous seul que Dresde devra son théâtre-français; s’il y a[S. 25] lieu ainsi donc, et pour Dieu! prenez-moi par la main, et ne me quittez pas.

Je voudrais finir cette lettre sans vous parler de ma vive gratitude pour toutes vos bontés; mais elle est trop sincère, et trop sentie, pour la passer sous silence.

Bien que Mr. de Villers ne me donne aucun détail spécial dans sa lettre; je crois cependant y démêler, que les bonnes dispositions de Mr. de Lüttichau auraient pour base: trois mois seulement de service français. Hélas! Ce serait alors une chose impossible; car, que m’offrirait-il d’indemnité pour trois mois, et comment employer les neuf autres? C’était déjà trop des quatre mois que je m’étais réservés. Privilèges, permissions, recettes, tout est éventuel dans les villes voisines. La moitié de la recette est souvent peu de chose; et les permissions de jouer peuvent même manquer complétement. Je veux bien courir la chance de ne pas gagner; mais non celle de tout perdre. A ce propos, je joins ici une note detaillée du personnel et des frais indispensables d’une troupe à l’Etranger. Elle vous fixera su la dépense approximative, et vous donnera la mesure du possible et de l’impossible. Ce dernier mot me chagrinerait beaucoup, mais enfin, Dieu et Tieck aidants, j’éspère encore et j’attends!

Veuillez agréer, et ma haute considération, et es sentiments empressés et affectueux.

Ad. St. Aubin,

Behren Strasse Berlin.

III.

Berlin, den 6. 8bre 1842.

Monsieur,

L’année dernière je m’étais rendu à Potsdam pour avoir l’honneur de vous y faire ma visite. Malheureusement vous étiez malade, vous ne receviez point; et, plus tard, vous[S. 26] aviez quitté cette résidence. J’apprends maintenant que vous y êtes revenu; et comme il n’est jamais trop tard pour acquitter la dette de la reconnaissance, mon coeur cède au besoin qu’il éprouve depuis longtemps, de vous remercier, avec éffusion, de toutes les choses bienveillantes que mon faible talent a inspirées à votre indulgence. Vos suffrages sont si glorieux, ils honorent, et ils élèvent tellement celui qui en est l’objet, que le bienheureux artiste les inscrit au premier rang de ses plus beaux succès, et de ses plus chers souvenirs!

Je dis: souvenirs, Monsieur; et ce mot est l’expression de ma pensée intime; car bientôt, je pense, je quitterai Berlin: j’abandonnerai cette belle et tranquille capitale, pour laquelle j’avais renoncé aux succès de Paris, à son fracas, à sa vie dévorante. Oui, bien que la durée de mon contrat soit encore d’environ trois années, j’en sollicite en ce moment la résiliation. Je l’obtiendrai facilement puisque depuis deux ans, depuis la cessation forcée du procès qui m’avait été intenté, on n’a pas cessé de me pousser à cette pénible résolution par les passe-droits, et les vexations de toute espèce. On cherche à m’effacer, on veut m’annihiler en me forçant à jouer sans-cesse des rôles nuls et mauvais; et en écartant, sous divers prétextes, les pièces, qui m’offriraient des rôles profonds, ou brillants. On saisit, on fait naître même toutes les occasions possibles pour me blesser et m’abreuver de dégoûts. Je n’y puis plus tenir. Ma santé, déjà mauvaise au printemps dernier, s’est gravement altérée par ces piqûres de tous les instants. C’est au point que les médecins me conseillent sérieusement un séjour de quelques mois en Italie. Mais renoncer à mon contrat dont les appointements font vivre nos familles! C’est là un parti cruel, désastreux!.. Qu’il faut prendre pourtant; car ma patience, si longtemps à l’épreuve, est à[S. 27] bout. Je cède; je me retire. — Mais pardon, je ne voulais vous parler que de la reconnaissance de l’artiste, et je m’apperçois que je vous entretiens de ses chagrins. Hélas! le coeur le l’homme est fait ainsi, ses joies, ou ses douleurs le débordent toujours.

Adieu, Monsieur. Agréez, je vous prie, le voeux que je forme pour votre chère et précieuse santé. C’est aussi là, sans-doute, votre ardent et unique souhait. Que pourriez-vous ambitionner de plus? N’avez-vous pas la bienveillance d’un Roi qui honore tout ce qui est noble, et grand; qui recherche et récompense le Génie. C’est tout simple. Il s’y connaît; il est, dit-on, de la famille.

Adieu, Monsieur. Adieu encore, car je ne sais si quelques mois du doux ciel d’Italie me rendront la santé. J’ignore si je pourrai jamais revenir à Berlin! Je garderais donc le regret que j’emporte: celui de n’avoir pû me montrer à un juge têl que vous, dans un de ces grands rôles, un de ces caractères vigoureusement tracés que j’aime tant; et qu’il ne m’a pas été possible de jouer.

Je suis, avec une très-haute, et très-affectueuse considération,

Monsieur,

Votre très-humble, et
dévoué serviteur,

Ad. Saint-Aubin.


?Auguste.?

Brief an Fritz und Tieck.

Ohne Datum.

Du wirst wohl etwas tolle sein,
Und Deine Vernunft ganz klumperklein
Wegen der fatalen Geschichte
Von unserm weltberühmten Fichte.
[S. 28]
Darum will ich Dich dispensiren,
Mir vor’s erste wieder ein Briefchen zu schmieren.
Doch sobald Du wieder Vernünftich bist,
(Bis dahin ists wohl noch ’ne ziemliche Frist)
Mußt Du mir wieder einen schreiben,
Und Mein Diener stets treu verbleiben.
Auch ich bin ganz des Giftes voll,
Und auf den alten Kaufmann toll,
Der mir mein Schwesterchen entführt,
Eh’ ich es orntlich lernte kennen,
Ich möchte den häßlichen Menschen verbrennen!
Doch was ist weiter da zu thun?
Man muß in der süßen Erwartung ruhn,
Daß alles sich noch recht glücklich ende,
Und sie, und Du, und Deine Veit
Bei uns bleiben bis in Ewigkeit.
Für’s erste ist es doch noch gut,
Daß Tieck und Du im Sommer kommen.
Daß der Gedank’ euch nur nicht wird benommen,
Sonst würd’ ich Euch entsetzlich schelten,
Und euch auch gleiches mit gleichem vergelten,
Und im Herbst nicht kommen nach Berlin,
Und läse aus Rache auch nicht Tiecks Zerbin!
Drum laßt euch rathen und kommt wie der Wind,
Damit ihr dem Unglück vorbeugt geschwind.
Das muß ich Euch nun betheuern sehr,
Die Unger’n trüg’ ich gleich ins Meer,
Wenn ich an Eurer Stelle wär;
Und wenn ihr meinen Rath befolgt,
So hängt ihr einen Mühlstein an,
Damit sie nicht an’s Ufer kann;
Denn unkraut geht so leicht nicht unter.
[S. 29]
Ihr seht, ich bin entzezlich toll
Und ganz des dummen Zeuges voll,
Das macht ich habe Faust gelesen,
Da fuhr in mich sein tolles Wesen.
Nun gute Nacht! es brummt zehn Uhr,
Daß es mir durch alle Glieder fuhr.
Nehmt mir’s nur nicht schief,
Daß ich nicht eher einschlief
Und euch noch erst so ennuyirte;
Es ist gewiß nicht gern geschehn,
Denn eigentlich war’s auf amusement für euch abgesehn.
Und wenn ihr just nicht in der Laune
Seid, das heute zu lesen so laßt’s liegen.
Der Geist davon wird nicht verfliegen.
Nun grüß’ ich euch ins gesammt recht schön
Und werde bald zu Bette gehn.

Auguste.

ich habe würklich sehr geschmiert,
doch das Blättchen bedarf keiner
äußeren Zierd.

An
Friedrich Schlegel
und seinen Busenfreund
Ludwig Tieck


Bacherer, Dr. G.

Wäre auch dieser Herr B. der, theils in Wien, theils an andern Orten als „Publizist“ thätige, Verfasser eines unter dem Titel „Portefoglio“ erschienenen Buches voll politischer, diplomatischer, litterarischer und anderer Anekdoten — oder Unwahrheiten, so würde dessen Autorruhm schwerlich Veranlassung geben, seinen Namen unserer Briefsammlung einzureihen. Nachstehende Zeilen sind jedoch immer ein hübscher Beitrag zur Entstehungsgeschichte gewisser anonymer Feindseligkeiten gegen Männer wie Tieck. „Ah, Du warst beschäftiget, Du warst unwohl, und Du hast mich, Mich, der ich mir einige pikante Notizen für einen höhnischen Journalbericht aus Dresden bei Dir holen wollte, nicht angenommen? Du hast mir die Gelegenheit geraubt, Dich in Deiner Häuslichkeit zu belauern, und dann Witze darüber zu machen? — Na, warte! Dessen „„werd’ ich eingedenk seyn!““

[S. 30]

Ew. Wohlgeboren

hatten im Verlaufe dreier Wochen zweimal die Gefälligkeit, meine beabsichtigten Besuche bei Ihnen abweisen zu laßen. Diese waren zu keinem andern Zwecke als zu dem einer einfachen Begrüssung intendirt. Da Sie nun dieser leztern sich zu begeben so entschieden gesonnen sind, bleibt mir blos noch die Ehre, Ihnen anzuzeigen, daß ich mit derselben Entschiedenheit Ihres Willens und des darin sich characteristisch spiegelnden Benehmens gegen mich, eingedenk sein werde.

Dresden, 12. Januar 1840.

Dr. G. Bacherer.


Baudissin, Wolf Heinr. Friedr. Carl, Graf.

Geboren den 30. Januar 1789 zu Rantzau. —

Es gehört mit zu den landläufigsten Ungerechtigkeiten der mystischen sogen. „moralischen Person“ Publikum geheißen, daß allzuhäufig, wenn vom verdeutschten Shakespeare die Rede ist, wie er unter der Firma „Schlegel-Tieck“ kursirt, der Name dieses Mannes verschwiegen bleibt. Ja, sieht man doch Theateranzeigen genug, auf denen zu lesen steht: „Othello — oder Lear, übersetzt von Tieck.“ Gerade diese Dichtungen, so wie noch mindestens zehn andere in der Sammlung enthaltene Uebertragungen, hat der vortreffliche Graf geliefert, der nach zurückgelegter diplomatischer Wirksamkeit in Stockholm, Wien, Paris, sich 1827 zu Dresden niederließ. Weshalb dort? Das künden uns die schönen Worte im ersten der nachstehenden Briefe — (leider haben sich in T.’s Nachlaß nur deren drei vorgefunden!) — welche lauten: „Ich weiß kaum wie ich vorher gelebt habe, ehe ich Sie lesen und reden hörte?“ - Drei feste Bänder: persönliche Freundschaft, poetische Begeisterung, wissenschaftliches Streben fesselten ihn an Tieck. Er gehörte zu den Auserwählten, welche von Meister Ludwig nicht mehr empfingen, als sie ihm zu geben im Stande waren. Er hat dem geliebten Freunde unermüdlich treu, thätig, fördernd und aufopfernd zur Seite gestanden. Aus dem Schüler ward bald ein selbstständiger Meister. Nachdem er schon lange vorher (1819) Sh’s K. Heinrich VIII. in eigner Verdeutschung erscheinen lassen, gab er später (1836) Ben Johnson und dessen Schule,[S. 31] ein bedeutendes Werk, heraus. Außerdem rührt von ihm die, durch Tieck eingeführte, Sammlung Shakspeare’scher (?) Jugendarbeiten: Eduard III. — Thomas Cooxwell — Oldcastle — Londoner Verschwender in musterhafter Uebertragung her. Im Jahre 1848 edirte er aus mittelhochdeutscher Litteratur: Iwein mit dem Löwen und Wigalois.

I.

Dienstag Morgen.

Wollen Sie uns die Freude machen, mein verehrtester Gönner, Morgen Mittag um halb 3 mit uns zu essen? Sie würden Frau v. Hardenberg hier finden, u. außer ihr die beyden Extremen des menschlichen Alters ihren Bruder Cay u. Dahl’s.

Ich wünsche fast daß Fr. v. Rehberg den Heinrich VIII. noch verschiebe damit es uns heut wieder so gut werde wie gestern. Wenn Sie den jungen Hauch um seines Enthusiasmus willen geliebt haben so hoffe ich von Ihnen für mein Zuhören gebilligt zu werden; ich weiß kaum wie ich vorher gelebt habe ehe ich Sie lesen und reden hörte, u. kann mir das Paradies ohne die Sonnabende bey Ihnen, u. die Pirnaische Gasse, gar nicht mehr vorstellen.

Ganz der Ihrige

W. Baudissin.

II.

Mittwoch Morgen.

Theuerster Freund!

Wenn ich nicht allen Glauben an poetische Gerechtigkeit, Nemesis und Vorsehung aufgeben soll, so erfüllen Sie die Bitte, die ich Ihnen halb verzweifelt und erschöpft an’s Herz lege: lassen Sie Herrn von Bülow die zweite Hälfte der[S. 32] Abschrift Ihrer Novelle zur Strafe dafür collationiren, daß er Ihnen einen solchen heillosen Abschreiber empfohlen! Wäre ich der — — — oder sonst ein Tyrann, ich ließe ihn stäupen. Hier in diesem constitutionellen gebildeten Lande sollte man ihn in die Kleinkinderschule schicken, oder in’s Hospital thun. Mitunter sind seine Confusionen höchst ergötzlich; er schreibt ganz getrost: Mineralog statt Monolog, Kaffe statt Kuß, die Dummen statt die Damen, Fußweg statt Kunst, Signalisten-Corps statt Diplomatisches, u. s. w. Aber dergleichen Redeblumen können doch zuletzt für die unzähligen Verwünschungen und Seufzer nicht trösten, die seine incurable Stupidität uns erpreßt.

Ich hätte während ich Ihnen diese Zeilen schreibe, noch eine halbe Seite mehr nachsehen können; aber ohne Scherz und Uebertreibung, ich habe in diesen Tagen besonders viel zu thun, und kann, wenn die Correktur eilt, sie nicht wohl übernehmen. Sie selbst sollen sich auf keine Weise damit befassen. Aber finden Sie nicht vielleicht Jemand Anders? Ihre Handschrift lieset sich vortrefflich — (!!) — und macht gar keine Schwierigkeit. — (??) —

Dann habe ich Ihnen noch einen Wunsch vorzutragen. Es hieß gestern, Frau von Savigny werde Donnerstag abreisen. Wenn das, wie ich noch nicht recht glaube, wirklich der Fall ist, müßte ich wohl heute Abend zu ihr gehn, und würde dann inständigst bitten, mir für den Every Man in his humour irgend einen andern Abend bestimmen zu wollen. Bleibt sie aber, so komme ich auf jeden Fall. Mein Diener soll Ihnen darüber mündlichen Bescheid ertheilen.

Ganz der Ihrige

W. Baudissin.

[S. 33]

III.

Dresden, den 7. November.

Ich sende Ihnen, theurer verehrtester Freund, anliegend einen Brief den mir Dr. Minckwitz für Sie eingehändigt, um Ihnen ans Herz zu legen, Sie möchten seiner Uebersetzungen gedenken, falls nach der Antigone noch andre Sophocleische Trgödien zur Aufführung kommen sollten. Fast war mir’s leid als ich den Auftrag übernahm, denn er kam mir vor wie ein böses Omen: ich will mich immer noch nicht an den Gedanken gewöhnen daß Sie, dem zu Liebe ich recht eigentlich mich entschieden hatte manchen andern Rücksichten entgegen wieder nach Dresden zurückzukehren, vielleicht nun ganz in Berlin zu bleiben entschloßen sind. Wenn’s aber denn wirklich so wäre, so sollen Sie mein erster, u. Ihre hiesigen Freunde u. ich selbst mein zweyter Gedanke seyn, u. ich wünsche Ihnen Glück zu Ihrem gewiß sehr schönen u. erweiterten Wirkungs-Kreise.

Ich habe Ihnen von meiner Sommerreise her noch angelegentliche Grüße zu bestellen von Loebell, von dem vortrefflichen, Sophien u. mir sehr lieb gewordnen Immermann, u. von Herrn v. Uechtritz. Eben so trägt mir meine Frau das allerherzlichste für Sie auf, u. wird sich sehr oft mit mir nach Ihnen sehnen: wir beyde bitten uns der Gräfin, so wie Herrn v. Raumer, bestens zu empfehlen, u. Agnes zu grüßen. — Auf eine Antwort von Ihnen dürfen weder Minckwitz noch ich hoffen: sollten Sie aber Notiz von seinem Anerbieten nehmen, so schriebe vielleicht Agnes ein paar Zeilen? —

Mit treuster Freundschaft und Verehrung

der Ihrige

W. Baudissin.


[S. 34]

Baudissin, Karl, Graf.

Der Schreiber nachstehenden Schreibens ist des edlen Grafen Wolf naher Verwandter, dessen Töchter bei ihrem Oheim längere Zeit in Dresden verweilten. Die älteste, von der ebenfalls im Briefe Erwähnung geschieht, lebt gegenwärtig als Gemahlin des K. H. Gesandten in Wien, und wird als kunstsinnige, hochgebildete Dame allgemein verehrt.

Graf Karl, ihr Vater, ist Verfasser des Buches „der Geist in der Natur.“

Sein Sohn Adalbert, eben so bekannt durch die wechselvollen Schicksale reich-bewegten Lebens, als beliebt im Fache humoristisch-romantischer Erzählungen, entwickelt ein fruchtbares auf vielfache Erfahrungen gestütztes, und durch diese gefördertes Talent.

Horsens, den 14. December 1830.

Verehrtester Herr Hofrath!

Selbst auf die Gefahr hin, Ihnen lästig zu fallen stehe ich nicht länger an, einige Zeilen an Sie zu richten. Die Erzählungen meiner Tochter Bella enthalten unzählige Beweise, wie viel Freundlichkeit und Güte Sie ihr erweisen, und meine älteste Tochter hat neulich, gleich nach ihrer Ankunft in Dresden, die zuvorkommendste Aufnahme in Ihrem Hause erfahren. Erlauben Sie mir, Ihnen und den Ihrigen meinen Dank für so viele Güte abzustatten, welches zu thun mir eine um so größere Freude gewährt, als ich dadurch Gelegenheit erhalte, gegen einen Mann, dessen Schriften mir so theuer sind, meine Verehrung auszusprechen. Wären Sie Herr Hofrath nicht gewohnt, in weit treffenderen Worten als ich es vermag, den Eindruck geschildert zu sehen den Ihre Schriften in der Seele des Lesers zurücklassen, so würde ich es versuchen, und Ihnen erzählen, wie ich noch jetzt keine gewirkte Tapete ohne Schauder betrachten kann, weil ich vor 20 Jahren Ihren Karl von Berneck gelesen habe; wie ich meinen Kindern, wenn sie Abends um mich versammelt sind, Ihre Märchen[S. 35] erzähle, und mich im blonden Eckbert und den Haimondskindern fast nie der Thränen erwehre; und wie Franz Sternbald und die Herzensergießungen eines Klosterbruders in meinem Innern einen Frühling der Gefühle, ein tönendes sonniges Leben hervorriefen, wie noch keine Musik, kein plastisches Kunstwerk dieß an mir vermogt haben.

Keine Prosa spricht mich so an, reißt mich so mit sich fort, wie die Ihrige. Denn während mir Goethe’s Prosa incorrekt und eckig (!?) vorkömmt; Schiller hochtrabend, und die mehrsten Schriftsteller matt; fühle ich mich bey der Ihrigen von Empfindungen durchglüht, die ich nicht beschreiben kann. Wie sehr beneide ich meine Kinder, die das Glück haben Sie selbst Ihre Schriften vorlesen zu hören, und deren Genuß durch solchen Vortrag noch erhöht wird. Ich schmeichle mir oft mit der Hoffnung, daß es mir, dem Bewohner der ultima Thule noch möglich seyn wird Dresden zu besuchen, wo sich jetzt so Vieles meinem Herzen Theures aufhält. Auf diesen Fall erlauben Sie Herr Hofrath daß ich mich zu einer Vorlesung bei Ihnen anmelde, wo es mich zugleich freuen wird, Ihnen mündlich sagen zu können, mit welcher Verehrung und Hochachtung ich bin

Ihr

ergebenster C. Baudissin.


Bauer, Caroline.

Diese Schauspielerin, welche auf der Bühne — wie im Leben die ersten Rollen sehr wohl zu behaupten verstand, und dann plötzlich, unter noch immer räthselhaften Verhältnissen von beiden Schauplätzen verschwand, ohne daß es Einem ihrer ehemaligen Verehrer gelungen wäre, etwas bestimmtes über ihre späteren Schicksale zu erforschen, war bei Tieck sehr beliebt und geachtet. Sie wußte ihn zu behandeln, gab sich in seinem Hause nur als lernende Hörerin, und deutete seine Schwächen zu ihrem Vortheile aus. Er schwor darauf, daß sie auf ihn schwöre — und[S. 36] wer er besser wußte, hütete sich wohl ihn zu enttäuschen. Da nahm er denn leicht äußerliche Anmuth und Glätte für innerliches, künstlerisches Walten. Sie war eine geschickte, elegante Darstellerin. Mehr nicht. Sie galt lange, und an vielen Orten, wo sie triumphirte, für eine große Schauspielerin. Aber niemals wären auf sie die Worte anzuwenden gewesen: „Hast Du mir Thränen in’s Auge gelockt und Lust in die Seele!“

Bremen, den 24. Mai.

Hochverehrter Freund!

Beinahe vom Ende der Welt — sende ich Ihnen die herzlichsten Glückwünsche zu Ihrem Geburtstage! meine Mutter schließt denselben die innigsten mit an, und beide hoffen wir Sie gesund und heiter wiederzusehen.

Während Sie theurer Freund, das schöne Frühjahr in aller Ruhe genießen, habe ich sehr unruhige, aber auch angenehme Tage verlebt. —

Hamburg hat mir sehr gefallen, das Haus fand ich gar nicht zu groß, das Publikum sehr freundlich — aber die Gesellschaft schlechter wie eine herumziehende Truppe. Die Enghaus ist fort, Schmidt, Lenz zu stumpf, Hr. Baison ist der einzig helle Punkt, die Perle der Gesellschaft! Das ist viel gesagt. Wenn Schröder die Vorstellung der Donna Diana gesehen! Denken Sie Geehrter Freund, daß Perin nicht im Standte war ein Lächeln dem Publikum zu entlocken — Niemand erhielt ein Zeichen des Beifalls, 4 mal versuchte ich Leben in diese Maße zu bringen. Dann sagte ich der Direction aufrichtig: mit solcher Umgebung könnte ich nicht weiter spielen. Die Stumme von Portici gieng sehr brillant da brauchte ich nur die Münk zur Unterstützung.

Hier geht unter Rottmayers Leitung alles beßer, und ich athmete leichter als ich in der „Stuart“ auftrat. — Schwärmerei nach der Mode macht sich gut, wenn alles so wie hier rasch in einander greift.

[S. 37]

Rottmayer ist ein vorzüglicher Künstler, und gebildeter Mann, gewiß werden Sie ihn, mein Geehrter Herr Hofrath recht lieb gewinnen. Er empfiehlt sich ganz ergebenst, wenn er zu Gastrollen kommt möchte er den Klingsberg in „der unglücklichen Ehe durch Delicatesse“ spielen, da würden wir dies schöne Stück geben können, doch ich komme in’s Plaudern und raube Ihre Zeit, also mündlich hole ich nach, ich habe viel, viel zu erzählen! —

Nur noch die schönsten Empfehlungen! an Frau Gräfin! so wie Ihren lieben Fräulein Töchtern viel Herzliches! —

Auf frohes Wiedersehen! Verehrter Freund!

Hochachtungsvoll und bestens ergebene

Caroline Bauer.


Bauernfeld, Eduard von.

Geb. zu Wien 1804, dort angestellt in einem kaiserl. Amte. Lustspieldichter von großem Rufe, dessen „Bürgerlich und Romantisch“ — „Bekenntnisse“ — „Tagebuch“ — „Großjährig“ — und viele andere, mit verdientem Glücke über alle deutschen Bühnen gingen und zum Theil noch lebendig sind. Auf ernsterem Gebiete zeichnete ihn „Ein deutscher Krieger“ aus. Sein Dialog ist eben so reich an guten Gedanken wie an sinnvollen und feinen Wendungen. Gesammelt sind seine dramatischen Arbeiten in den „Lustspielen“ (1833) — und dem „Theater“ (1836–37). Er hat Mehreres aus dem Englischen übersetzt, und zwar meisterhaft. Z. B. den Coriolanus, der in einer Gesammt-Edition Shakespeares (Wien, bei Sollinger) steht, welche leider, wie es damals üblich, viel Nachdruck, unter A., den ganzen Schlegelschen Shakespeare enthält.

Die zwei hier mitgetheilten Briefe betreffen seinen „Fortunat,“ einen Versuch hochromantischer Gattung im Drama, der sehr viel Schönheiten bietet und der wohl verdient hätte, von anderen deutschen Bühnen, außerhalb Oesterreich, wieder aufgenommen zu werden. — Aber wem fällt so etwas ein? Wir haben ja Ueberfluß an poetischen Neuigkeiten.

[S. 38]

I.

Wien d. 29. Septemb. 1834.

Hochverehrter Herr!

Das beiliegende Schauspiel „Fortunat“ wage ich Ihnen, hochverehrter Herr, zur Einsicht vorzulegen, eh’ ich es noch einem Theater zur Aufführung übergebe. Ich gestehe, daß mich dieser Stoff seit Jahren beschäftigt, und daß ich mir eigentlichst Mühe gab, dasjenige, was mir daran poetisch erschien, in dramatischer, wo möglich in theatralischer Form wieder zu geben. Natürlich konnt’ ich zu diesen Zwecken nur einige Umrisse der ursprünglichen Fabel beibehalten, und war gewisser Maßen gezwungen, die dramatische Handlung erst zu erfinden. Bei solchem Verfahren würde ich mich glücklich preisen, wenn es mir nicht mißlungen ist, den Sinn und Geist der Fabel auch in dieser veränderten Form nicht verwischt zu haben. Der erste Akt meines Schauspiels bildet eine Art Vorspiel: Fortunat als Jüngling im elterlichen Hause; dieser Theil unterscheidet sich in Ton und Darstellungsweise wesentlich von den übrigen Akten, worin die Abentheuer behandelt sind, die sich mehr dem Heroischen nähern. Der Schluß soll mit dem Anfang wieder zusammen greifen. Um das Theater-Publikum, welches leider ein allzu großer Feind des Phantastischen ist, auf das Wunderliche des Inhalts vorzubereiten, hab’ ich noch einen Prolog beschlossen, welchen Fortuna halten soll. —

Ich kann es mir nicht bergen, daß meine bisherigen theatralischen Arbeiten mir bei Ihnen, hochverehrter Herr, keinesweges das Zutrauen erwecken werden, daß ich einem Stoff, wie der vorliegende, gewachsen sei; allein auch bei jenen, mehr im französischen Sinne geschriebenen Lustspielen leitete mich eine Absicht, welche Sie vielleicht nicht ganz mißbilligen werden, wenn Sie mir in der Folge etwa gestatten, mich hierüber näher zu erklären.

[S. 39]

Indem ich Ihrem Urtheil über die vorliegende Arbeit mit Verlangen entgegen sehe, unterzeichne ich mich mit Hochachtung

Hochverehrter Herr

Ihren

ganz ergebensten

Eduard v. Bauernfeld,
(J. P. Sollingers Buchhandlung in der obern Bäckerstraße.)

II.

Wien d. 28. März 1835.

Verehrter Herr!

Ihre aufmunternden Zeilen über Fortunat kamen eben wenige Tage an vor der Aufführung dieses Stücks in einem hiesigen Vorstadttheater. Das Stück — fiel durch. Das Publikum schien das Volksmährchen gar nicht zu kennen, wunderte sich über den Sekel u. s. w. Zudem hatten Saphir mit seinen Anhängern und andere Uebelgesinnte Parthei gebildet; überdieß besitzen die beiden Holtei’s, welche z. 1. M. als engagirte Mitglieder spielten (Vasko und Rosamunde), keine Freunde unter den Schreibern der hiesigen Journale, welche, wie fast überall, in den schlechtesten Händen sind. Am zweiten Abend ging die Sache besser, u. Holtei’s wurden gerufen. Uebrigens wurde mir bei dieser Sache klar, daß das Stück auch auf unserm Hoftheater nicht gefallen hätte, und zwar nicht nur wegen seiner dramatischen Gebrechen, sondern hauptsächlich deßhalb, weil das Wiener-Publikum für das Freiere und Phantastische durchaus keinen Sinn mitbringt. So wurde ein Meisterwerk unserer Literatur „der Prinz v. Homburg“, mit welchem ich meinen Versuch natürlicher Weise nicht von Ferne zu vergleichen wage, auf den Hoftheater förm[S. 40]lich ausgelacht. — Sollten Sie, hochverehrter Herr, trotz jenes Erfolges dennoch die Aufführung des Fortunat beabsichtigen (welcher auch vom Berliner Hoftheater angenommen wurde), so werde ich so frei seyn, Ihnen in der Folge einige Abänderungen und Abkürzungen vorzuschlagen, welche sich bei der zweiten Darstellung als zweckmäßig erwiesen. —

Für den übrigen Inhalt Ihres Briefes, welche eine weit bessere Meinung für mich ausspricht, als ich bisher im Stande war zu verdienen, danke ich mit aufrichtigem Herzen. Schon in meinen frühesten Jünglingsjahren hatten, nebst Göthe und Shakespeare, Ihre Werke den größten Einfluß auf mich ausgeübt. Ich schrieb wohl über ein Dutzend Stücke beiläufig in den Manieren aller dieser Meister, worin sich vielleicht disjecta membra poëtae entdecken lassen; aber das Ganze blieb stets ungenügend. In der Folge fühlte ich ein brennendes Bedürfniß, das Theater kennen zu lernen. So kamen denn jene leichten Lustspiele zum Vorschein, bei denen, ich weiß es wohl, häufig das Poetische einer gewissen Technik aufgeopfert wurde, die sich aber der Theater-Schriftsteller durchaus erwerben muß. Dabei erschien mir die natürliche Auffassung moderner Zustände auch in das Feld der Poesie zu gehören, u. im bisherigen Deutschen Lustspiel noch wenig bebaut. — Schlimm ist’s, daß nun gerade der Versuch, wo ich der Poesie näher zu kommen dachte, verunglücken soll. Das soll mich jedoch nicht abhalten, dasjenige, was ich im Gefühl und im Gedanken einmal als das Richtige erkannt habe, mit Bedacht fortzubilden. Ist meine Kraft zu gering, dann hilft freilich die gute Absicht zu Nichts. Steht mir nur der Zeitgeschmack und die Gemeinheit entgegen, dann hoffe ich noch durchzudringen.

Verzeihen Sie, verehrter Herr, daß ich Sie mit einem so weitläufigen Schreiben belästige; aber ich fühlte ein wahres Bedürfniß, Ihnen den Gang meiner poetischen Bildung eini[S. 41]ger Maßen darzulegen, da ich Ihnen, ohne Sie persönlich zu kennen, so Vieles verdanke.

Sollten Sie mir einige billigende Worte entweder selbst schreiben oder durch Rettich mittheilen wollen, so werden Sie dadurch sehr beglücken

Ihren

dankbaren Verehrer

Bauernfeld.
(J. P. Sollingers Buchhandlung in der obern Bäckerstraße.)


Beskow, Bernh. v.

Geb. am 19. April 1796 zu Stockholm, Hofmarschall, längere Zeit hindurch Theater-Intendant. Seine bedeutendsten dramatischen Werke sind: Erich XIV. — Hildegard — Torkel Knutson — Gustav Adolph in Deutschland. — Seine erste Dichtung war (1819) Carl XII.

Die von ihm vorgefundenen hier mitgetheilten Briefe werden jedweden unbefangenen Leser für den ausgezeichneten Menschen einnehmen. Der erste, in welchem er das lange, durch Trennung und Zeit verstummte Verhältniß zwischen sich und Tieck wieder belebend auffrischt, erscheint uns wie ein wichtiges Dokument. So feurig, so wahr, so überzeugend hat vielleicht noch kein Deutscher für deutsches Verdienst gesprochen, als dieser schwedische Hofmarschall. Was er bei Gelegenheit britischer Commentatoren des Shakespeare über die unschätzbare Eigenschaft des Deutschen sagt, fremden Werth in seiner ganzen Bedeutung anerkennend zu durchdringen, sollte in Erz gegraben werden. Welch’ ein Geist in diesem Manne, welche Seele, welches Herz! Nun, Tieck muß es tief empfunden haben. Schon nach Verlauf einiger Monate, wie das zweite Schreiben beweiset, begrüßen sie sich mit dem brüderlichen Du! — Damit ist Tieck in reiferen Jahren nicht freigebig gewesen.

I.

Stockholm den 28. Februar 1835.

Sie haben mich ein par mal durch Nordische Reisende so freundlich grüssen lassen, daß ich mir den Genuß nicht länger versagen kann, Ihnen selbst meinen Dank abzustatten, nicht[S. 42] bloß für diese Gütige Erinnerung „aus den Tagen, die nicht mehr sind,“ sondern noch für so manche Wohlthaten, die ich Ihnen, dem herrlichen, vertraulichen Dichter, seit so vielen, einsamen Jahren noch schuldig bin.

Sie müssen nehmlich wissen, mein edler vortreflicher Freund! daß ich nach unsrer Trennung noch viel vertrauter mit Ihnen gelebt, gedacht, geschwärmt und das innere schöne Leben genossen habe, als einst bei der persönlichen Gegenwart, in dem geistreichen, von unserm guten Burgsdorf gebildeten Gesellschaftskreise.

Bei unsrer ersten Bekanntschaft war mein Geist noch etwas zu klassisch gestimmt, um sich in Ihren selbständigen freien Dichtungen überall heimisch zu fühlen. Ich hatte mich in früher Jugend so tief verirrt im Dickicht trübseliger Schwärmerei, und mich so mühselig zum Licht emporgearbeitet, daß ich noch lange eine Art von Scheu behielt, selbst vor jeder dichterischen Dämmerung, wo solche mir etwa mehr Abend- als Morgenröthe zu verkündigen schien. Dagegen hatte mir vom Anfange an Ihr geflügelter Genius grosse Ehrfurcht eingeflößt, und noch anziehender fand ich den Menschen in Ihnen. Es freut mich noch, daß ich Ihren Werth so zeitig gefühlt hatte; denn als ich einer sehr geistreichen Freundin aus jener Zeit Ihren Abdallah u. Lowell geliehen hatte, und sie, etwas kunstrichterisch, anmerkte: „es schiene ihr immer etwas anmassend, wenn ein „junger Mensch“ mit Werken anfinge, welche die ganze Reife eines Göthe forderten, um eigenthümlichen Werth zu haben,“ so hatte ich schon den Mut, ihr zu antworten: „Wenn ich mich nicht sehr irre, so werden Sie noch einmal die Werke dieses jungen Menschen neben die Göthischen in Ihrer Büchersamlung aufstellen.“

Seit dieser Zeit nun schmeichle ich mir einer Ihrer besten Leser gewesen zu sein, was überhaupt meine Stärke aus[S. 43]macht; denn mein eigenes Schreiben, oder Dichten, hat meinem Geist eigentlich nur zur Bewegung gedient, wodurch die Gesundheit eines tüchtigen Lesers gehörig befördert wird. Auch besitze ich, Gottlob, Sinn und Gemüt genug, um bei reich-begabten Schriftstellern alles mitzuentdecken, was sie nicht selten bloß dem Weissen zwischen den Zeilen anvertraut haben. Der sel. Schleiermacher bat mich einmal, seine „Kritik der Sittenlehre“ für eine gelehrte Zeitung zu beurtheilen. Ich entschuldigte mich aber damit, daß ich das Buch wahrscheinlich nicht hinlänglich verstanden hätte; denn an mehrern Stellen folgerte ich aus dem innern Zusammenhang seiner Begriffsentwickelungen etwas viel Bedenklichers, als was er selbst zu lehren schien. Darauf antwortete er mir scherzend: „Eben deswegen, weil ich Dich als einen so guten und gründlichen Leser kenne, wollte ich daß Du gewisse Dinge zur Sprache bringen solltest, die ich meine Gründe hatte, hier nicht näher zu erörtern. Die von Dir gerügte Zweideutigkeit ist unverkennbar für den Selbstdenker, aber absichtlich; und Du kannst überzeugt sein, daß unsre alltäglichen Bücherrichter sich nicht dabei aufhalten werden.“ —

Eben so fromm und aufmerksam glaube ich nun die meisten Ihrer Schriften, gelesen und wieder gelesen zu haben. Nicht alle, denn vieles von den neuern ist mir unbekannt geblieben in diesem Nordischen Winkel, vorzüglich von dem, was hie u. da in Zeitschriften abgedruckt worden. Um so sehnsuchtsvoller erwarte ich nun die Sammlung Ihrer sämmtlichen Werke, die ich schon bei meinem Berliner Buchhändler bestellt habe. Einen innerlich und äusserlich so reichen, durch seine Eigenthümlichkeit ehrfurchtgebietenden Dichter, wie Tiek, betrachte ich nehmlich gerne wie den Strasburger Münster. Wer möchte hier einzeln abgebrochene Zierrathen u. Figuren bewundern? — Wer den Eindruck dieser andächtigen Begeisterung nicht in sich aufzunehmen[S. 44] vermag; wer sich dem Genuß des Ganzen nicht unbedingt hingiebt, — der mag ja lieber freundliche Gartenhäuser beschauen, oder zierliche Nachbildungen alterthümlicher Tempel anstaunen! — Es mag immer bloß ein eigenthümliches Gefühl sein, Schmeichelei ist es wenigstens nicht, wenn ich freimütig bekenne, daß mir Ihr Dichtergenius so gar mehrof a piece“ scheint, wie Göthes, dem übrigens wohl niemand eine vielseitigere Bewunderung zollt, als ich. Aber daß Ihre Muse, seitdem ich inniger mit ihr vertraut worden, die gemütlichste Lebensgefährtin gewesen, die mein späteres Leben überall begleitet, überall frisch u. jugendlich erhalten hat, — das ist eben der eigentliche Gegenstand dieses Danksagungs-Schreibens; denn bloß als ein solches müssen Sie diese unbedeutenden Blätter betrachten. Ist doch die Samlung Ihrer kleinen Gedichte schon seit Jahren mein Gesangbuch gewesen — hier vorzüglich, wo ich von allen meinen ehemaligen Glaubensgenossen so entfernt, und so vereinsamt zurückblicke nach dem gelobten Lande meiner genußreichen Jugend. Mag es sein, daß deutsches Blut, von väterlicher und mütterlicher Seite, noch immer in meinen Adern siedet, das kein Nordwind zu kühlen vermag, — Deutschland ist u. bleibt auf ewig das wahre Vaterland meines Geistes u. meines Herzens, und diese lebendige Anhänglichkeit an das „Land der Eichen“ ist mir nicht angebildet worden durch meine dortige Erziehung, sondern diese hat jene nur früher u. vollständiger in mir entwickelt. Auch ist jenes Gefühl nicht etwa durch spätes Entbehren in diesem Augenblick unruhiger geweckt worden. Schon vor einigen und 20 Jahren durchglühte mich diese Vorliebe so kräftig, daß Göthe mich einmal im Scherze: „einen Allemand enragé“ nannte, u. mich rieth nach England zu reisen, wo man mich mit dem Gruß empfangen würde: „No German nonsense swells my British heart.“ (ein[S. 45] Vers aus einer damals eben erschienen Satire: Pursuits of Literature.)

Wohl habe ich seitdem einen bedeutenden Theil meines zersplitterten Lebens in Frankreich u. England zugebracht; aber mich dort nur um so lebhafter überzeugt, daß der Reichthum des geistigen Lebens sich in diesen beiden Ländern mit dem Deutschen keinesweges messen kann. Und doch gehör’ ich zu denjenigen, die sich auch in der Fremde leicht ansiedeln. Ueberall suchte ich dort mir Sprache, Sitten u. Ansichten der Einwohner so freisinnig, wie möglich anzueignen, weil man nur dadurch Nutzen u. Freude hat von seinen Reisen und seinen vielseitigen Beobachtungen. Aber auch das ist ja ein seltener Vorzug des Deutschen Genius, daß er das Vortreffliche des Fremdartigen oft treuer u. reiner in sich aufnimmt, als die Eingebornen selbst. Daß Sie den Shakespeare unstreitig richtiger fassen u. erklären, als alle die kunstrichterischen John Bulls, deren ich, während meines Aufenthalts in London, so viele zusammenbrachte, daß solche jetzt 27! dicke Oktavbände füllen. — Aber mir wenigstens hat das Einseitige jener feingeschliffenen Ausbildung der Nichtdeutschen, den Reichthum der einheimischen nur um so lieber und theurer gemacht. —

„Mit dem rost-beef u. dem Porter vertrage ich mich schon ganz einheimisch; den Kohlendampf liebe ich sogar, — schrieb ich aus London an eine Freundin in Berlin, — die Aussenwelt genügt hier vollkommen, aber mein inneres Leben schnappt überall vergebens nach Deutscher Luft, u. mein Geist vermißt sehnsuchtsvoll Deutsche Freiheit!“ — Von Frankreich lassen Sie uns nicht sprechen. Die Pariser Kinderschuhe hatten wir doch wohl schon ausgetreten, lange ehe Ludwig Filipps „freisinnige“ Unterthanen anfingen, dramatische Stiefel und lange Beinkleider nach deutschem Schnitt nothdürftig zusammen zu pfuschern; und ihren[S. 46] Victor Hugo zu einem Shakespeare aufzustutzen. Uebrigens lieb’ ich die Franzosen sehr, so lange sie Kunst und Leben leicht und scherzhaft nehmen. Nur der großartige Ernst scheint ihrer Natur nicht angeboren, weswegen auch ihre Staatsumwälzung so jämmerlich mißglückte.

Freilich sagte mir Chenier einmal mit großer Selbstgefälligkeit: „Ich habe wirklich Schillers Don Carlos durchgeblättert; man muß auch das Mißlungene nicht verachten. Das Unglück Deutscher Dichter ist, daß sie nun einmal ohne Geschmack geboren sind, und von eigentlicher Kunst u. Gemütsschilderungen nicht einmal von unsern großen Meistern etwas gelernt haben. Ich gedenke nun selbst, einen Filipp II. zu schreiben!“ —

Dagegen habe ich wohl manchmal auch von den Bessern der Unsrigen hören müssen: „die deutsche Art u. Kunst sei allerdings reich, tief u. vielseitig, dafür scheine sie aber auch immer nur ein unendliches Bruchstück bleiben zu wollen.“ Dies liesse sich wohl auch in einem gewissen Sinne behaupten; erinnert mich aber an ein sinniges Wort der sel. Varnhagen, als jemand in ihrer kleinen Gesellschaft sagte, „es ist doch Schade, daß der Faust nur ein Bruchstück wäre.“ — „Schade?! rief sie aus. Als wäre das nicht gerade das größte Verdienst dieses unendlichen Gedichts! Gerade dadurch ist es ja eine so treue Darstellung der ganzen Menschheit; denn was ist sie, das Leben u. die Welt für uns anders, als ein ewig anziehendes, ewig unvollendetes Bruchstück? Göthe darf das Gedicht nicht fortsetzen, oder gar vollenden, wenn sein Gemählde noch dem Urbilde gleich bleiben soll; denn all unser Denken, Träumen u. Ahnen; alle unsre geistige u. sinnliche Liebe, alles was wir von Gott, oder dem Teufel uns einbilden; — Genuß, Sehnsucht, Verzweiflung, Tugend und Verbrechen — alles enthält schon dieses überreiche Bruchstück eines unendlichen Kunstwerks.“

[S. 47]

Und nach dieser Ansicht zweifle ich sehr, ob meine Freundin den 2ten Theil des Faust für eine Vollendung des ursprünglichen Gedichts hätte gelten lassen. —

Ich würde also auch mit denen nicht streiten, die etwa alle Ihre Dichtungen zusammengenommen, als ein solches unendliches Bruchstück des großen Weltgedichtes betrachten möchten. Bleibt das Vollendete des Lebens nicht in jeder Rücksicht bloß ein Gegenstand der Ahnung und der Sehnsucht?

„Warum Schmachten?
Warum Sehnen?
Alle Thränen
ach! sie trachten
weit nach Ferne,
wo sie wähnen
schönre Sterne!“ —

Was gäbe ich nicht darum, mein edler Freund, wenn ich jetzt nur einige Stündchen mit Ihnen verplaudern könnte, vorzüglich auch über Göthe, den so sinnlich-klaren, u. doch in mancher Rücksicht so unerforschlichen Proteus. Wie viele Fragezeichen habe ich nicht überall an den Rand gezeichnet, worauf Sie mir vielleicht antworten könnten, auch wo diese Antworten Ihnen nicht erleichtert würden durch übereinstimmende Gesinnung, sondern bloß durch scharfsinnigeres Ahnungsvermögen eines so nahverwandten Genius. Wie tief bedauere ich, daß ich die Zeit unsers Beisammenseins nicht mehr benuzte; denn verloren war bei mir nie etwas, noch so früh empfangenes, sondern wucherte gewöhnlich das ganze Leben hindurch, wenn es auch spät erst zur Frucht reifte. O! mihi praeteritos referat si Jupiter annos!

Und doch war jene Zeit ein herrlicher, unvergeßlicher Frühling! Einer mit dem ich damals das geistige Leben am ver[S. 48]traulichsten durcharbeitete, war Friedrich Schlegel, den ich immer den Dichter nannte, während sein Bruder mir bloß der Dichtende hieß. Als Tiefdenker mir unendlich überlegen, fand er doch bald so viel Empfänglichkeit in mir, daß er behauptete noch niemand gefunden zu haben, mit dem er sich so allseitig hätte mittheilen können, ohne in Streit zu gerathen, auch wo wir noch so entgegengesetzte Grundsätze verriethen.

Nach seinem Uebertritt zur römischen Kirche, schrieb mir Schleiermacher: „Kanst Du mir diesen Schritt unsers Freundes wohl näher erklären? Ich frage Dich, weil er mir selbst gesagt, er hätte mit Keinem so ernst u. so offenmütig, wie mit Dir, das Christenthum, nach allen dessen Richtungen durchgeforscht. Ich kann mir seine innern Gründe unmöglich denken; u. weltliche mag ich bei einem solchen Manne durchaus nicht annehmen.“

Allein ich hatte damals Schl. in mehreren Jahren nicht gesprochen; wohl aber haben seine spätern Schriften mich mit seinem Katholizismus versöhnt. Es scheint nehmlich, daß, wenigstens gleichzeitig mit diesem Uebergang, auch eine wirkliche Sinnesänderung bei ihm vorgegangen; denn wie mild, billig und wahrhaft christlich finden wir ihn, selbst in seinen spätern Streitschriften, wenn wir solche mit den frühern vergleichen. Jacobi machte dieselbe Bemerkung, u. schrieb mir einmal: „Hätten Sie wohl je geglaubt, daß Fr. Schlegel u. ich einander bei Gegenständen der Vernunftforschung so freundlich und christbrüderlich begegnen würden?“ — Eine große Hinneigung zur Neuplatonischen Auffassung des Christenthums hatte ich früh in ihm entdeckt, welche mir nun durchaus nicht zusagte. Dagegen versicherte ich ihm, man könne dem Christenthum nicht inniger zugethan sein, wie ich, wenn man nur nicht forderte, daß ich ein strengerer Christ sein solte, als — Christus selbst. Ich hätte[S. 49] nehmlich überall gefunden, selbst bei meinen Hernhutern, wiewohl da seltener, daß die eifrigsten Christen sich in 2 ganz bestimmte Klassen abtheilen ließen. Die einen wären die Gelehrten, oder Historischen, denen das sich nach u. nach entwickelte Lehrgebäude des Glaubens wichtig u. heilig sei — die Rechtgläubigen jeder Kirche, — die andern hingegen empfänden bloß ein tiefes Bedürfniß, sich die Gesinnungen, die ganze Denk- u. Empfindungsweise des Erlösers kindlich anzueignen. Ihnen ist das wichtigere, „den Willen desjenigen zu thun, der Ihn gesandt hat, u. dadurch inne zu werden, ob seine Lehre von Gott sei.“ — Alle Spizfindigkeiten der Kirchengelehrten scheinen ihnen unwesentlich. Die Dreieinigkeit macht ihnen keinen Kummer, u. selbst von Christus mögen Sie wohl sagen wie Haller von seiner Geliebten:

„Ich strebe nicht Dich zu vergöttern,
die Menschheit ziert Dich allzusehr.“ —

Zu dieser 2ten Klasse nun bekenne ich mich mit aller Innbrunst des Herzens, u. aller Freiheit der Seele. — Dabei leugne ich keinesweges, daß nicht beide Eigenschaften sehr glücklich vereinigt werden können; nur allgemein kann dies nicht angenommen werden; u. ohne diese christliche Gesinnung, scheint mir die gelehrte Rechtgläubigkeit von sehr geringem Werth. — Daher hat auch A. W. Schlegel mich u. die Frau von Staël schrecklich ermüdet durch seine streitsüchtigen Anempfehlungen eines solchen gelehrten Katholizismus. —

Hier aber müssen Sie mir erlauben, eine ähnliche Bemerkung zu machen über die verschiedenartigen Schüler u. Anbeter der Muse, zumahl dies Sie selbst etwas näher angeht. Ich theile nehmlich diese ebenfalls in 2 sehr bestimmte Klassen. Die wirklichen Dichter, die Selbstschöpfer im Reiche des Genius, die Beherrscher der Einbildungskraft und[S. 50] der Seelenvermögen; — dann aber die „poetischen Menschen“, die zwar für allen Reichthum der Dichtung die regsamste Empfänglichkeit besitzen, die aber keine Kraft von der Natur empfingen, selbst hervorzubringen was sie im Geist so lebhaft anschauen. Sie verwandeln gewissermassen ihr ganzes Leben, die sie umgebende Wirklichkeit, ihr Denken u. ihr Gefühl zu einem Gedicht; aber stummgeboren vermögen sie was ihr inneres bewegt, nicht auszuhauchen in Gesang u. Rede.

Daß selbst die Halbgötter der ersten Klasse nicht immer diese innerliche Poesie der zweiten in einem gleich hohen Grade besitzen, glaube ich nur zu oft wahrgenommen zu haben, und jene Stummgeborenen, zu denen ich, Leider selbst gehöre, müssen sich nur damit trösten, daß gerade diese nie zur Flamme auflodernde Glut ihr inneres Leben gewöhnlich länger warm und jugendlich erhält.

Freilich ist es eine herrliche Erscheinung der Menschheit, wenn ein hoher Genius diese oft gesonderten Eigenschaften in sich vereinigt, und dies, liebster Tieck! ist nach meiner Ueberzeugung, Ihr glückliches Loos. Sie sind doch unstreitig ein großer Dichter, aber welcher Kenner entdeckt nicht zugleich in dem kleinsten Ihrer Lieder den echt-poetischen Menschen, der so freundlich anzieht, u. Zutrauen einflößt, während man den ersten bewundert? Sie sehen, ich spreche so offen mit Ihnen, wie mit einem Dritten, ich erkläre nur mein dankbares Gefühl für Sie — denn ein plattes Lob wäre von meiner Seite schon anmaßend. In dieser Rücksicht stehen Sie uns offenbar näher als Göthe — dessen Seele, ich möchte sagen nicht jungfräulich genug ist, um ein so kindliches Gemüt zu besitzen. —

Begreifen Sie also nun, woher ich den Mut genommen habe, mich so ausführlich mit Ihnen zu unterhalten, als hätten wir uns vor wenig Tagen gesprochen. — Ich setze nehmlich[S. 51] voraus, daß der poetische Mensch in Ihnen noch eben so jugendlich u. umgänglich ist, wie zu der Zeit, die ich noch so lebhaft in mein Gedächtniß zurückrufe. Von mir kann ich wenigstens ehrlich versichern, daß ich den Jahren keine Macht über mein inneres Leben gönne. Schon auf der Schule kamen Schleiermacher u. ich überein, daß ein früheres, oder späteres Altwerden des geistigen Menschen, doch eine wahre Niederträchtigkeit sei, welches immer eine schlechte Erziehung, oder eine leichtsinnig verschwendete Jugend verriethe. Auch hat er bis zu seinem Tod diese Wahrheit bestätigt; und als er mich kurz vorher besuchte, konnten wir an einander nicht die mindeste Veränderung gewahr werden. Freilich war er ein par Jahr jünger, als ich, dafür aber doch älter als Sie, für den also gar keine Entschuldigung gilt, wenn Sie schon aufhören wollten, ein Jüngling zu sein.

Ohne allen Scherz: ich wüste nicht, daß ich seit meinem 20. Jahre irgend eine Verwandlung erlitten hätte. Ernst war schon das Gemüt des Jünglings, u. eben deswegen, hat bei mir die Heiterkeit u. der Frohsinn immer auf einem so sichern Grunde geruht. Meine Freude am Leben, u. selbst an allen Liebhabereien des Geistes, u. der Empfindungen ist noch ganz die nehmliche. Vorzüglich sind aber Wissenschaften und Künste noch immer eine unerschöpfliche Quelle eines fortdauernden Lebensgenusses. Und wie dankbar gedenke ich auch in dieser Hinsicht meiner gründlichen Erziehung auf einer Deutschen Schule. Alles dort eingesammelte habe ich das ganze Leben hindurch so treu aufbewahrt, daß ich es immer mit Sicherheit wieder hervorsuchen kann, wenn es auch Jahrzehende hindurch völlig geschlummert. Schleiermacher war ganz verwundert, als er mich jezt viel tiefer eingeweiht fand in allen Geheimnissen griechischer Schriftsteller, als auf der Universität, wo wir uns Tag u. Nacht mit ihnen beschäftigten. Dies gab uns Gelegenheit vor hiesigen Gelehrten mit unsern[S. 52] Herrnhutischen Schulen zu prahlen, die wir beide nirgends übertroffen gefunden. Zufällig wurde behauptet: daß die Kunst Lateinische Verse zu machen, heute zu Tage völlig ausgestorben sei, auch diejenigen, welche in der Jugend sich damit beschäftigt hätten, würden keinen Versuch mehr darin wagen. — „Was meinst Du? sagte Schleiermacher, Du galtest ja sonst für einen geübten Lateinischen Dichter.“ — „Ich meine, antwortete ich, daß man nichts vergißt, was man gründlich gelernt hat, und ich nehme noch eine Wette an, ob ich gleich in beinah 40 Jahren keinen Lateinischen Vers geschrieben habe.“ — u. so schickte ich unsern Upsaliensern bald darauf ein ziemlich langes Gedicht, für welches sie mich auf meine alten Tage noch zum Magister machen wollten. Auch hatte ich wirkl. kaum 10 Zeilen geschrieben, als es mir vorkam, als hätte ich eine seit Jahren verschlossene Schublade geöfnet, in der ich noch alles in der vollkommensten Ordnung wieder fand. Wer vergißt denn jemals, was er wirklich treu u. redlich geliebt hat. Ein gutes, vielseitiges Gedächtniß steht immer in Verhältniß zu der Menge von Gegenständen, die uns einst eine lebendige Theilnahme eingeflößt haben, u. selten nimmt das Gedächtniß früher ab, als das Herz vertrocknet. —

Uebrigens muß ich mich wohl auf Gelehrsamkeit beschränken, da ich als „Stummgeboren“ nichts besseres thun kan, u. da mir die hiesige Alltagswelt zu blaß ist, um mich ihr oft hinzugeben. Genußreicher finde ich freilich mein kleines Museum, wo mir immer noch die Tage zu kurz scheinen, um solche nicht wie sonst durch halbe Nächte zu verlängern.

Wie wollte ich aber noch mit Ihnen die herrlichen Gegenden um Dresden durchwandern, wo der Jüngling bisweilen an einem Tage 6 bis 7 Meilen zu Fuße machte; u. ich hoffe Sie sollten mich da noch so ungealtert finden, wie eine hiesige Freundin, die mich neulich fragte: „Waren Sie denn[S. 53] in Ihrer Jugend wirklich auch so jugendlich wie jezt?“ — — Ach! mein Deutschland! und mein Knabenfrohes Sachsen!

„Ach! wie sehnt sich für und für
schönes Land! mein Herz nach Dir!
Werd’ ich nie Dir näher kommen,
Da mein Sinn so zu dir steht?
Kömmt kein Schifchen angeschwommen,
Das dann unter Segel geht? —
Doch mich halten harte Bande!

Und nun, mein edler Freund! mit der innigsten brüderlichen Umarmung

Ganz der Ihrige

v. Beskow.

II.

Stockholm am 8. Juny 1835.

Theuerster Freund!

Ueberbringer Dieses ist der Hr. Hagberg, der Weltweisheit Doctor, und Sohn eines unserer vorzüglichsten Kanzelredner und Kirchenväter. Dieser junge Reisende besitzt ein hübsches poetisches Talent und hat zweymahl den Preis der Schwedischen Akademie erhalten, nämlich für ein Gedicht über Gustav Adolph den Großen und für eine Uebersetzung von Tassos Gerusalemme liberata. Auch ist er bey der Universität in Upsala Docens der Griechischen Sprache. Da er auf seiner Reise nach Italien im vorbeygehen Dresden zu besuchen gedenkt, habe ich mir das Vergnügen nicht versagen können, mich durch ihn bey Dir in Erinnerung zu bringen, und ihm überdies, mittelst dieser Zeilen die Freude zu verschaffen, Deine und der Deinigen Bekanntschaft zu machen,[S. 54] wovon er mich oft, als von einer der theuersten Rückerinnerungen an meine Wanderungen in fremden Ländern, hat sprechen hören.

Die letzten Nachrichten die ich aus Dresden gehabt, sind von Baron v. Lüttichau. Er meldet daß Du, zu unserer großen Freude, frisch und gesund bist, daß aber, leider, in dem Befinden Deiner Frau keine verbesserung vorgegangen ist. Dieser letztere Umstand geht uns herzlich nahe, und wir hoffen und wünschen innig, daß dieses bald einen Uebergang habe. Was uns betrifft sind wir Gottlob! jetzt beyde gesund und meine Frau hat sich bey der Diät, die der vortreffliche Carus ihr vorgeschrieben hat, besonders wohl befunden. Grüß ihn tausendfach und herzlich!

Diesen Sommer bringen wir auf einem Landgut zwey Meilen von der Hauptstadt zu; aber nächstes Jahr hoffen wir, geliebt es Gott! wieder eine Reise südwärts machen zu können, und werden dann gewiß Dresden besuchen. — Was hast Du jetzt vor? — Was geschieht in der Deutschen Litteratur? — Wie steht es mit Eurem Theater? — Wie befinden sich unsere Freunde? — Dies sind Fragen, die wir so gern beantwortet hätten, die aber in die leere Luft verhallen.

Der Doctor Hagberg wird nähere Nachrichten von uns ertheilen können. Leb’ indessen wohl, theuerster Freund! Empfange die herzlichen Grüße meiner Frau an Dich, und unsere gemeinschaftliche an Deine ganze liebenswürdige Umgebung, und an alle unsere Freunde in Dresden — das liebe Dresden! — Noch einmahl, lebe wohl! und vergiß nicht gänzlich

Deinen

beständigen Freund

Bernh. v. Beskow.

[S. 55]

III.

Stockholm den 16. Juli 1835.

Theuerster Freund!

Ob ich gleich neulich einem auf Reisen gehenden Landsmanne, dem Hr. Doct. Hagberg aus Upsala, einige Zeilen an Dich mitgab, so kann ich doch nicht umhin die Gelegenheit zu benutzen, die sich jetzt mir wieder darbietet, Deine Schwedischen Freunde, die sich so oft mit Dankbarkeit und Sehnsucht Dresdens, Deiner und der Deinigen erinnern, Deinem uns so theuren Andenken zu empfehlen. Gern wäre ich statt des Briefes selbst gekommen; doch der Erfüllung dieses Wunsches darf ich erst in einem Jahre vielleicht entgegensehen. Dann hoff ich mich aber auch los und ledig machen zu können.

Ueberbringer dieses Schreibens ist ein junger, liebenswürdiger Dichter, Herr Böttiger, der Zweymahl von der Schwedischen Akademie belohnt worden ist; nähmlich für ein Gedicht über Gustav Vasa und für ein anderes Gustav Adolph bey Lützen genannt. Außerdem hat er mehrere lyrische Gedichte herausgegeben wovon eine Samlung in kurzer Zeit drey Ausgaben erlebt hat — eine bey uns sehr seltene Erscheinung, zumahl in einer so antipoetischen Zeit, wie die unsrige, und bey dem wenig zahlreichen Publicum, worauf ein Schwedischer Schriftsteller zu rechnen hat. Hr. Böttiger ist Doctor der Weltweisheit und Docens wie auch Unterbibliothekar bey der Universität in Upsala. Sein anspruchloser, liebenswürdiger und rechtschaffener Charakter hat ihm in der Heimath allgemeiner Liebe und Achtung erworben, und ich vermuthe daß er auch jenseit des Meeres Freunde und gleichsinnige Herzen finden wird.

Die Gesundheit meiner Frau fährt fort sich zusehends zu verbeßern. Sie läßt Dich und Deine liebe Umgebung tausendfach grüßen. Bestelle auch meinen herzlichen Gruß an Deine[S. 56] sämtliche Hausgenoßen und alle unsere Dresdener Freunde. Als ein wohlgemeintes Andenken von Schweden und Deinen hiesigen Freunden habe ich dem Dr. Böttiger ein paar Schaumünzen mitgegeben, um sie Dir zu überbringen. Dieselben stellen Tegnér und Berzelius vor, und gehören zu einer Samlung deren Herausgabe ich hieselbst besorge.

Lebe wohl und vergiß nicht

Deinen

unveränderlichen Freund

Bernh. v. Beskow.

IV.

Stockholm, den 19. July 1836.

Theuerster Freund!

So lange habe ich die Beantwortung Deines herzlich willkommenen, freundschaftlichen Briefes verzögert, daß ich fast gewärtig seyn muß, die Dinte in der Feder vor Scham darüber erröthen zu sehen. Daß jedoch dieser Verzug nicht von Undankbarkeit oder Vergeßlichkeit herrührte, davon kanst Du doch völlig überzeugt seyn. Es war aber mein Wunsch meiner Antwort einen grösern und dauerhaftern Beweis meiner Erkentlichkeit beyzufügen, und zwar durch das Werk, welches Du mir erlaubt hast mit Deinem Nahmen zu schmücken. Die Bemühung diesem Werke eine Abfaßung zu geben, wodurch es nicht gar zu unwürdig werden möchte Dir zugeignet zu werden, erforderte natürlicher Weise einige Zeit; und doch wäre das Buch bereits in Deinen Händen wenn mir nicht unglücklicherweise eine der Amtsverrichtungen, deren ich mehr habe als ich brauche, ein anderes Geschäft, das keinen Aufschub duldete, auferlegt hätte. Die Schwedische Akademie sollte nehmlich ihr Jubeljahr feyern, und als beständiger Sekretär derselben muste ich über alles was wir in diesen 50 Jahren — nicht gethan einen ausführlichen Bericht ver[S. 57]faßen. Dies war in der That ein sauberes Stück Arbeit; doch zog ich mich zwischen „Dichtung und Wahrheit“ so ziemlich aus der Sache, und die Akademie sagte bey der Auflesung des Aufsatzes wie unser (weiland) gutmüthiger König Adolph Friederich, als der Hofkanzler den Ständen den Bericht über die von Seiten der Regierung genommenen Maßregeln vorlaß: „Haben Wir das alles gethan?

Sobald das Jubelfest vorüber war, und die darüber abgefasten Verhandlungen gedruckt worden, unternahm ich wieder con amore die Bearbeitung der Dramatischen Versuche, die ich Dir zu widmen wünschte. Allein jetzt ist ein neues Hindernis eingetreten, welches mich auf längere Zeit jeder litterarischen Beschäftigung zu entreißen droht. Seine Majestät, mein Allergnädigster König, haben Seine Absicht zu äusern geruht — mich zum Ober-Intendenten der öffentlichen Gebäude und überdieß zum beständigen Präses der Akademie der freyen Künste zu ernennen. Zwar habe ich mir, mit ehrfurchtvoller Dankbarkeit, jenes hohe Vertrauen unterthänigst verbeten; aber Seine Majestät haben keinen andern bisher ernennen wollen und wenn Sr. Majestät Wunsch zum Befehl übergeht, werde ich demselben natürlich um so mehr Folge leisten müßen, da ich noch kürzlich ebenso viele als unverdiente Beweise Seiner königlichen Gnade erhalten habe, — der große Polar-stern, das Comthur-Band der Ober-Beamten des Seraphiner-Orden, &c. — so daß ich mich jetzt ausstaffiren kann wie jener alte Mann, von dem Du einst erzähltest, daß er einen ganzen Büschel von Bändern an der Brust trüge. Sollte ich indeßen nebst der neuen, wovon jetzt die Rede ist, auch meine bisherigen Amtsgeschäfte versehen, so würde mir schwerlich Zeit zu litterarischen Beschäftigungen übrig bleiben, welches mir sehr leid wäre und schwerlich könnte ich Dich auch dann, wie es meine Absicht gewesen, nächstes Jahr in Dresden besuchen, und vielleicht gar einen Abstecher nach Italien[S. 58] machen[3]. Doch das Alles steht in Gottes Hand, und Der lenkt alles zum Besten.

Mit der innigsten Freude haben wir vernommen daß Dein und der Deinigen Gesundheits Zustand fortwährend Gut gewesen und daß Deine Feder uns jedes Jahr neue Meisterwerke schenkt. Ein ausschließend litterarisches Leben, wie das Deinige wäre auch bey dem hundertsten Theil Deines schöpferischen Geistes beneidenswerth, aber nur als Schriftsteller zu leben ist bey uns in Norden fast Beyspiellos. Unsere Litteratoren sind entweder Bischöfe Beamte und Lehrer bey den Universitäten, oder Reichstagsrepräsentanten und Publicisten. Außerdem nehmen unsere Akademien viele Zeit weg. Meine Wenigkeit, z. B. befindet sich Mitglied von 5 solchen hier in Stockholm, die zum Theil wöchentlich Zusammenkünfte haben. Bisweilen gewähren sie doch einige Freude, diejenige zum Beispiel die ich jetzt erfahre indem ich Dir, im Namen der Akademie der Geschichte, der Alterthümer und der schönen Wißenschaften, beygebendes Diplom übergebe, deßen Einladung die Akademie Dich ersucht, als einen Beweis ihrer ausgezeichneten und erfurchtvollen Hochachtung für Deine unsterblichen litterarischen Verdienste gütigst annehmen zu wollen. Haller, Goethe und Schiller sind, unter Deinen Landsleuten, früher Mitglieder dieser Akademie gewesen, und unter den jetzt lebenden auswärtigen Mitgliedern zählen wir Heeren und Sismondi. Dein vortrefflicher Fürst, Prinz Johann, geruhte im vorigen Jahr die Einladung zum Ehren-Mitgliede anzunehmen.

Herzlichen Dank für alle Freundschaft und Güte, die Du so vielen meiner Landsleute erzeigt hast! Du errichtest Dir dadurch auch ein Pantheon von dankbaren Herzen hier im Norden. Auch ist kein litterarischer Name hier so geliebt[S. 59] und verehrt als der Deinige. Möchtest Du nur nicht ermüden die Lappländischen Pilger aufzunehmen! Aber es ist nicht möglich ihr Verlangen Dich zu sehen und zu hören im Zaum zu halten, und es giebt keinen Schweden deßen Weg durch Deutschland geht, der sich nicht ein Wort der Empfehlung an Dich ausbittet. Jetzt sind ihrer drey im Anzuge, welche Du mir gütigst erlauben wirst bey dieser Gelegenheit anzumelden, nämlich ein junger Bildhauer Herr Zuarnström (eine ganz Nordische Natur) der sich nach Rom begiebt, und ein Hr. Arwidson, sein Reisgefährte, ein sehr litterarisch gebildeter Mann, mit gründlichen Kenntnißen und einen scharfen, selbständigen Verstande. Sie werden sich etwa ein Monath in Dresden aufhalten und es wäßert ihnen schon den Mund nach einer Vorlesung aus den Shakespeare. Mein dritter Landsman, welcher Dir auf seiner Rückreise aus dem Carlsbade im August seine Aufwartung zu machen gedenkt, ist mein bester Schul- und Jugendfreund, der Baron v. Sprengporten, jetzt Oberstadthalter in Stockholm, ein vortrefflicher und sehr unterrichteter Mann, der ohne Anspruch Dichter zu seyn recht hübsche Verse schreibt und ein besonderer Freund der Deutschen und Englischen Litteratur ist.

Die Gesundheit meiner Frau ist Gottlob, ziemlich gut gewesen; aber Sie sehnt sich, ebenso wie ich, nach Dresden wo wir uns noch beßer befanden. Melde ihren und meinen herzlichen Gruß an Deine ganze liebenswürdige Umgebung. Auch viele Empfehlungen an unsere theuren und achtungswerthen Freunde v. Lüttichau, Carus, Sternberg, Dahl u. a. — Lebe wohl, geliebter und vortrefflicher Freund, und vergiß nicht Deinen bis in den Tod unveränderlich

ergebenen

Bernh. v. Beskow.

[S. 60]

V.

Stockholm, den 18. August 1836.

Theuerster Freund,

der Ueberbringer dieser Zeilen[4] ist der Königl. Bibliothekar Rydquist, der zugleich in der Schwedischen Akademie mein Amanuensis ist, ein in der Geschichte der Litteratur sehr bewanderter Mann, deßen Schrifte von den hiesigen Akademien mehrmals gekrönt worden, und der besonders durch zwey Werke, nähmlich eine „vergleichende Characteristik der älteren und neueren Litteratur“ und eine „Untersuchung über die ältesten Schauspiele des Nordens“ Aufsehen erregt hat. Er hat überdieß mehrere Jahre hindurch eine Zeitung für die Litteratur und schöne Kunst herausgegeben, welche sich vor allen andern in diesem Fach hieselbst erschienenen rühmlich ausgezeichnet hat. Zu der Reise die er jetzt nach Italien unternimmt, hat er sowohl vom Könige als von der Schwedischen Akademie Unterstützung erhalten, und da ich ihm keinen größeren Gefallen thun kann, als wenn ich ihm eine Gelegenheit verschaffe Deine Bekanntschaft zu machen, so verlaße ich mich auch diesmal auf die Güte die Du so vielen meiner Landsleute erzeigt hast, diesem, auf welchen ich einen besonderen Werth setze, zu Deinen Abendgesellschaften den Zutritt zu verstatten. Er wird sich wahrscheinlich eine oder ein paar Wochen in Dresden aufhalten.

Bis jetzt bin ich, Gott sey Dank, von der neuen Amtsgeschäften frey geblieben, womit ich, laut meines letzten Briefes (vom 19. July) bedroht war, und ich drücke daher fleißig an dem Werke, welches ich Dir zu widmen wünsche. (Hr. Rydquist kennt es schon und kan davon einigen Bescheid geben.) Darf ich meine jetzige Freiheit ungestört genießen, so hoff’ ich zuverläßig künftigen Sommer eine Reise nach Dres[S. 61]den machen zu können, wohin wir, meine Frau so wohl als ich, uns so innig sehnen.

Meine Frau empfiehlt sich freundschaftlichst Dir und den Deinigen, womit ich meinen herzlichen Gruß an Deine ganze Umgebung und alle unsere Freunde in Dresden verbinde. Lebe wohl, theuerster Freund, und behalte, wie bisher, in wohlwollendem Andenken

Deinen

unveränderlichen Freund

Bernh. v. Beskow.

VI.

Stockholm 22. December 1838.

Theuerster Freund!

Für die frohe Ueberraschung die Du mir durch Deinen letzten freundschaftsvollen Brief geschenckt hast, kann ich Dir nicht warm genug danken. Ich erhielt ihn so eben durch den jungen Schauspieler, der von Deutschland zurückgekommen ist. — Es ist, wie Du sagst, zu traurig, daß die Menschen die sich etwas zu sagen haben, getrennt sind und wie in eine Verbannung leben. Um so viel schätzbarer ist jede schriftliche Mittheilung von einem in der Ferne lebenden Freunde. Dein schöner Brief hat mich in Deinen Kreis zurückgeführt und alle frohe, nur zu bald verfloßene Stunden, die ich in dem gemüthlichen Dresden verlebte, in mein Gedächtniß zurückgerufen.

Besonders danke ich Dir für alle Güte, die Du meinen Landsleuten erweißest. Du bist einer der vorzüglichsten Schutzgeister der Schweden auf Deutscher Erde. Auch bewahren sie als das schönste Andenken ihrer Wanderung, die Erinnerung Dich gesehen, mit Dir gesprochen, und Dich lesen gehört zu haben. Deine hiesigen, Dir persöhnlich ergebenen Bewunderer bilden eine Colonie die mit jedem Jahre zuwächst.[S. 62] Welchen Einfluß Du seit 30 Jahren auf die Schwedische Litteratur ausübst, ist Dir bereits bekannt, wie auch daß verschiedene Deiner Werke in unsere Sprache herübergetragen sind. Wahrscheinlich weist Du auch schon aus erster Hand, daß Oehlenschläger angefangen hat Deine Novellen zu übersetzen. Dieser guter Freund hat auch mir die unverdiente Ehre erzeigt meine (Dir zugeeigneten) Dramatischen Studien ins Dänische hinüberzutragen. In Deutschland und Dänemark wird die eigentliche schöne Litteratur noch mit Wärme von dem Publikum umgefast. Hier hingegen kann sich nunmehr fast gar keine Schriftstellerey ohne Zusatz von Politik auf allgemeine Theilnahme Rechnung machen. Kannengießerey, schmähende und gaukelnde Tageblätter, haben beynahe alle andere Lectüre verdrängt, und es wird Dich wundern zu erfahren, daß ein hiesiger Publicist, wie man sagt, eine jährliche Einnahme von 40,000 Rtlr. (Reichstahler) Schwedisch Banco hat, das heist mehr für einen Jahrgang Tageblätter als alle beßere Schriftsteller Schwedens zusammengenommen mit allen ihren Werken verdient haben. So lange sich die Kannengießerey und der Tadel innerhalb der gesetzlichen Schranken halten, ist davon nichts zu sagen; wenn aber solches zu hemmenden Maßregeln herausfordert, wenn die hemmenden Maßregeln Mord und Todtschlag nach sich ziehen und der Streit über das Aeußerungsrecht sich endlich in einen Kampf um Leben und Eigenthum auflösen kann, dann wird die Preßfreyheit, anstatt ein Mittel zu Aufklärung und Veredlung zu seyn, eine Losung zur Anarchie und Pöbelherrschaft. In solchem Fall habet Ihr in Deutschland nicht viel Ursache über eine beschränktere Preßfreyheit zu klagen.

Wundere Dich daher nicht, wenn ich Dir unter dergleichen Verhältnißen nicht Vieles über die Schwedische Litteratur sagen kann. Die Dichter haben ihre Leyern an die Weidenbäume gehängt, um sie nicht von Steinen zerschmettert zu[S. 63] sehen. Geyer allein hat mit diesem Jahre eine litterarische Monatschrift angefangen, die aber gleich zur Politik übergegangen ist und wahrscheinlich in ihrem Fortgange nur dieses Fach umfaßen wird. — —

Meine Frau ist unbeschreiblich dankbar für Dein gütiges Andenken und bittet mich Dich und Deine liebenswürdige Umgebung herzlichst zu grüßen. Auch ich bitte um meine ehrerbietige Empfehlung an die Damen, bey denen ich mich auch durch beygehende kleine Romanze von meiner Fabrik in Erinnerung zu bringen wünsche. Sie hatte das Glück bey ihnen und besonders bey der Gräfin Beyfall zu finden, als ich dieselbe zuletzt in ihrem Salon sang. — Grüße auch herzlich S. Ex. v. Lüttichau, Carus, Sternberg und andere Freunde! Mein inniger Wunsch ist Dich künftiges Jahr in dem lieben Dresden wiederzusehen. Gott schenke Dir und den Deinigen fortdauernde Gesundheit, Freude und Wohlseyn, dies wünscht Dein unveränderlich und

dankbarst ergebener Freund

Bernh. v. Beskow.

VII.

Stockholm den 20. Nov. 1839.

Theuerster Freund!

Es ist nun so lange her seitdem ich das Vergnügen hatte mich bey Dir in Erinnerung zu bringen, daß ich nicht umhin kann die Gelegenheit zu benutzen, die sich jetz darbietet Dir mit einem Freunde dem Major v. Hazelius, einige Zeilen zu übersenden. Dieser Freund ist Adjutant bey unserm Kronprinzen, ein ausgezeichneter Verfaßer in den Kriegs-Wißenschaften, ein Mann von weitumfaßender Bildung und warmem Gefühl für Poesie und Kunst. Auch ist er mit Atterbom, Geyer, und Deinen Schwedischen Freunden nahe verbunden.

[S. 64]

Durch die Landsleute die in den letzten Zeiten Dresden besuchten, habe ich mit Freude Dein Wohlbefinden erfahren, wie auch daß Du noch immer in der ewigen Jugend der Dichtkunst fortlebst. Dies ist schön — beneidenswerth hätte ich gesagt, wenn Freundschaft und Neid vereinbar wären. Was mich betrifft, so haben sich die finstern und rauhen Geister der Amtsprosa meiner immer mehr und mehr bemächtigt und mich aus dem Lustgarten der Dichtung erbärmlich verjagt. Zwar blicke ich noch sehnsuchtsvoll und verstohlen dahin zurück; allein ich fürchte daß ich deßen Luft nicht ahtmen werde ehe ich mich jenseits der Ostsee, in Dresden oder am Rhein, in der Schweiz oder in Italien befinde. Mit den ersten Tagen des künftigen Jahres fängt der Reichstag in Stockholm an, der wahrscheinlich, wie gewöhnlich, 18 Monate dauert. Die poetische Stimmung, welche Partei-Streitigkeiten, Haß und Neid erzeugen können, kann man leicht vorhersehen. Wie gerne hätte ich nicht meine Vaterstadt grade in dem gegenwärtigen Zeitpunkt verlaßen, aber da ich leider Representant bin, und da alle diejenigen welche der Sache der Ruhe und der Ordnung angehören in einer Zeit, wie die jetzige ist, auf ihrem Posten seyn müßen, so halte ich es für Pflicht, der mitbürgerlichen Obliegenheit meine einzelne Neigung zu opfern. In so fern ich es vermeiden kann werde ich freylich nicht an den Debatten Theil nehmen; aber wegen der Ausschüße und der Votirungen muß man doch zugegen seyn.

Mein letztes poetisches Werk ist eine Dramatische historische Schilderung, Gustav Adolph in Deutschland genannt. Ich bin seitdem mit einigen Commentaren zu unserm originellen Kunstphilosophen Ehrenswärd beschäftigt gewesen allein diese Arbeit ist so oft unterbrochen worden daß ich nicht weiß wann sie beendigt werden kann. Ich erinnere mich nicht, ob ich in irgend in einem vorhergehenden Briefe erwähnt habe, daß[S. 65] unser Freund Oehlenschläger vom welchem meine Dramatische Studien ins Dänische übersetzt worden sind, dieselbe nun auch in Deutsche Tracht gekleidet hat. Dieses freuet mich um so mehr, da sie dadurch auch meinen Deutschen Freunden bekannt werden können.

Noch immer hoffe ich auf die Verwirklichung eines meiner schönste Träume für die Zukunft, nämlich Dich wieder in Dresden besuchen und in Deinem Abendkreise eines poetischen Lebens genießen zu können. Meine Frau theilt lebhaft diesen Wunsch und bittet um ihren herzlichen Gruß an Dich und Deine Umgebung, womit ich den meinigen an Deine Damen verbinde. Empfiehl uns auch unsern übrigen Dresdener-Freunden, besonder Excellenz Lüttichau, Carus, Sternberg, Dahl u. a. — Gott erhalte Dich und die Deinigen; Er gebe Euch Glück und Gesundheit, und laße Euch alle wohl gehen! Lebe wohl und erfreue gelegentlich mit ein paar Zeilen

Deinen

unveränderlich ergebenen Freund

Bernh. v. Beskow.

N. S. Wenn ich das Datum meines Briefes betrachte so finde ich, das es heute gerade 20 Jahre sind, seitdem ich Deine Bekanntschaft machte, die meinem Leben so manche schöne und unvergeßliche Stunde gewährt hat. Wollte Gott, daß ich Dir heute über 20 Jahre wieder schreiben und Dich daran erinnern, oder, noch lieber, daß ich das Andenken davon in Dresden mit Dir feyern könnte!

VIII.

Stockholm den 27. July 1841.

Theuerster Freund!

Es ist wieder jetzt eine geraume Zeit, seitdem ich von mir hören ließ, und ich kann deswegen nicht umhin des Hr. Hofpredigers Dr. v. Lagergrens Reise durch Dresden zu benutzen,[S. 66] um mich bei Dir in Erinnerung zu bringen. Oder bist Du vielleicht jetzt nicht in Deiner ehemaligen, poetischen, kunstreichen Heimat, in Deutschlands Florenz? — Man sagt, Du seyst von dem Könige von Preußen eingeladen worden jährlich einen Theil des Sommers bey Ihm zuzubringen. Immerhin. — Wo Du auch seyn magst, ist mein Herz immer bey Dir, und wenn Dich auch dieser Brief nicht erreicht, so umschweben Dich doch stets meine wärmsten Wünsche für Dein Wohlgehen!

Ueberbringer dieser Zeilen, der Königl. Hofprediger Dr. v. Lagergren, ein Schüler unsers verewigten ausgezeichneten Dichters und Redners des Erzbischofs Wallin, ist, ohne Rücksicht auf seine geistliche Gelehrsamkeit, ein Mann von ausgedehnter und feiner Bildung, und in Litteratur, Kunst und Musik wohl bewandert; auch als Repräsentant ist er auf unsrem Ritterhause aufgetreten, und Du kanst also von Ihm manche interessante Aufschlüße über unser Land, unsere Litteratur und unsere übrige Stellung erhalten. Er reist über Dresden nach München, Wien, Florens, Rom und Neapel, und zurück über die Rhein-Gegenden, und Paris. Sollte es Deine Zeit Dir erlauben diesen rechtschaffenen und achtungswerthen Mann mit einer Eintrittskarte an einen Deiner Freunde in irgend einer von jenen Städten zu beehren, so würde ich Dir dafür besonders verbunden seyn. Meine eigenen Verbindungen mit dem Auslande sind leider fast zergangen.

Mein Schneckenleben dauert noch immer fort wie bisher. Ungeachtet siebenjähriger Vorsätze, Wünsche und Bemühungen, eine alltägliche Frohnarbeit los zu werden und den freyen Wanderstab ergreifen zu können, sitze ich hier in der Bergskluft und habe noch keine nähere Aussicht auf Befreyung, als die, welche ich während der ganzen Zeit hatte, nämlich die Hoffnung auf das nächste Jahr. Manche Verhältniße[S. 67] halten mich hier zurück, unter anderen der Wunsch unseres fast 80-jährigen Königs daß diejenigen, der Er mit dem Nahmen seiner Ergebenen und Freunde beehrt, hier bleiben möchten. — Meine litterarische Laufbahn ist während der letzten Jahre unterbrochen gewesen. Die Politik reißt Alles mit sich fort. Auch zählen wir gegenwärtig in unserm wenig bevölkerten Lande 70 bis 80 Kannengießerische Zeitungen (eine jährliche Sündflut von politischen Flugschriften und Scharteken ungerechnet) und nur ein einziges litterarisches Wochenblatt mit einem höchst beschränkten Publikum. — Dii meliora!

Meine Frau bittet um ihren herzlichen Gruß, womit ich meine Empfehlung an Deine Damen verbinde. Grüße auch von uns alle Dresdener-Freunde und gedenke Deines bis in den Tod

ergebenen Freundes

Bernh. v. Beskow.

N. S. Hast Du etwa Oehlenschlägers Uebersetzung von meinen Dramatischen Studien gesehen? — Hat sich irgend eine Deutsche Zeitung oder Zeitschrift darüber ausgesprochen? Aus der litterarischen Welt dringt keine Kunde mehr zu mir.

IX.

Stockholm den 25. October 1844.

Theuerster Freund!

Im Januar Monat dieses Jahrs sandte ich Dir von Rom aus einen Brief, den Du, wie ich vermuthe, richtig empfangen hast. Ich hatte damals die Hoffnung auf meiner Rückreise den Weg über Berlin nehmen zu können. Späterhin eingetroffene Umstände, (worunter das Hinscheiden des damaligen Königes und der bald darauf zusammenberufene Reichstag)[S. 68] nöthigten mich indessen die Reise nach dem Vaterlande zu beschleunigen und den Weg über Paris zu nehmen. Die Freude Dich wiederzusehen mußte daher bis zu meiner nächsten Reise ins Ausland aufgeschoben werden, und damit, hoffe ich, wird es nicht gar zu lange dauern. Unterdessen ist es mir ein Vergnügen, Dir zu der Ehrenbezeugung, welche unser jetziger König Dir bey seiner Krönung durch das Nordstern-Kreuz ertheilt hat, Glück zu wünschen. Es ist dieselbe Zierde welche Linné und Haller getragen haben, und welche bey uns die größten Litterarischen Verdienste auszeichnet, weshalb sie auch nicht unter den vielen Beweisen von der Achtung der Zeitgenoßen fehlen mußte, welche Dir von so vielen Ländern aus dargereicht wurden.

Auch ist es mir eine Freude gewesen, durch den berühmten Jakob Grimm, der uns vor einiger Zeit besuchte, Dein Wohlbefinden zu erfahren. Wenn Du Grimm siehst so grüße ihn herzlich von mir. Meine Frau, deren Gesundheit während des Aufenthalts in Italien beträchtlich gewonnen hat, bittet um ihren freundschaftlichsten Gruß an Dich und an die Gräfinn, welcher Du auch meine ehrerbietige Empfehlung machen wirst. Lebewohl, theuerster Freund, und bewahre stets im wohlwollendem Andenken

Deinen

ergebensten

Bernh. v. Beskow.


Böttiger, Karl August.

Geboren den 8. Juni 1760 zu Reichenbach im sächsischen Voigtlande, gestorben den 17. November 1835 zu Dresden, wo er von 1804 bis 1821 Studiendirektor des Pagenhauses, späterhin der Ritterakademie gewesen. Alle Welt weiß von seiner früheren Stellung als Gymnas.-Direktor und Oberkonsist.-Rath zu Weimar; von seinem wissenschaftlichen Verkehr mit den größten Geistern; von seiner gediegenen Alterthumskunde; von seinen[S. 69] zahlreichen und gelehrten Werken in diesem Gebiete; — aber auch von seinen kritisch-theatralischen „Entwickelungen“ und breiten Recensionen —. Letztere zogen ihm damals, wo Iffland in W. Gastrollen gegeben, den scharfen Ausfall im Gestiefelten Kater zu. Und es ist ein wohlthuender Beweis von der Versönlichkeit des Alters, daß zwischen ihm und Tieck in Dresden ein unverstellt herzlicher Umgang möglich wurde, der allen alten Groll aufhob. Deß’ zum Zeichen stehe dies kleine Briefchen (das einzige welches vorlag) hier abgedruckt, obgleich es kürzer ist, wie die Vorrede dazu.

Von Hause den 12. July 1835.

Verehrtester Herr Hofrath.

Bis ich mich selbst bedanken komme, empfangen Sie vorläufig meinen aufrichtigsten Dank für so zuvorkommende Güte in Mittheilung von Bettina’s Briefen.

Ich fürchte mein litterarischer Optimismus wird an dieser Klippe doch Schiffbruch leiden und verspreche schnelle Zurücksendung.

Ich bitte um die Erlaubniß, in den nächsten Tagen Ihnen einige Minuten rauben zu dürfen.

Sie wissen, daß Raupach die ehrenwerthe Struve’sche Trinkgesellschaft (??) mit einer Menagerie verglichen hatte. Am Morgen nach seiner Abreise fand man neben der Liste einliegen: Der Bär ist nach Bern abgereiset.

Mögen Sie wohl seyn! Ich werde mich Ende dieses Monats einige Tage in Teplitz erfrischen.

Hochachtungsvoll und treu-

ergebenst

Böttiger.


Boisserée, Sulpice.

Ueber die Verdienste, welche sich dieser außerordentliche Mann, im Vereine mit seinen Brüdern: Melchior und Baptiste Bertram um Studium und Geschichte altdeutscher Kunst erworben, ist kein Wort weiter[S. 70] nöthig. Im Jahre 1831 ging von ihm das große Werk aus, welches den Kölner Dom in seiner ganzen erhabenen Gesammtheit zur Anschauung brachte, und dadurch gab eigentlich B. den ersten entscheidenden Impuls zum Ausbau dieses bewundernswürdigen Denkmals aus großer Zeit. — Die von ihm hier mitgetheilten vier Briefe reichen von 1815 (B. ist 1783 zu Köln geboren) bis 1835. Der erste derselben möchte in seiner, nur kunsthistorischen Mittheilungen gewidmeten, Ausführlichkeit vielen unserer Leser zu lang dünken. Doch da er von Tieck ausdrücklich für die Aufnahme bezeichnet worden, durfte er nicht zurückgelegt werden.

I.

Heidelberg am 25. November 1815.

Werther Freund, auf Ihre lieben freundlichen Klagen über mein Stillschweigen hätte ich ebengleich antworten sollen, und habe es auch in Gedanken gethan, aber dafür die Feder anzusetzen, war mir bisher wegen unaufhörlichen Geschäften kleinen Reisen und allerley Zerstreuungen rein unmöglich.

Daß wir Ihre Freundschaft nicht vergeßen, daß wir Sie lieb behalten, wird Ihnen Ihr Freund Burgsdorf geschrieben und gesagt haben.

Ihr Andenken an die sterbende Maria und Ihr lebhafter Wunsch, den Meister dieser Herrlichen Bildes zu kennen, freut uns von ganzem Herzen; es geschieht uns gar zu selten, daß Sinn und Geistvolle Freunde unsere Forschungen in der alten Kunstgeschichte mit uns theilen, noch weniger, daß einer, wie Sie, mehrere Jahre lang seine Aufmerksamkeit auf einen einzigen und Hauptgegenstand wendet.

Die Frage nach dem Meister unseres Bildes war eine der wichtigsten und schwierigsten zugleich; sie konnte nicht beantwortet werden, ohne die ganze altniederländische Kunstgeschichte neu zu beleben, darum gelang es uns auch erst im vorigen Jahr, nach einer vierten Kunstreise in Braband, sie mit voller Gewißheit zu entscheiden. — Ihre Fragen und Bemerkungen geben uns nun ein angenehmes Wiederspiel unserer eigenen[S. 71] Forschungen, sie kommen der Wahrheit sehr nahe, ohne sie erreichen zu können, weil es an Mannichfaltigkeit der vergleichbaren Werke und an festen Punkten fehlt; dabey aber geben sie uns eine gar schöne Bestätigung unseres Urtheils über die Dresdener Bilder, welches natürlich eine bedeutende Stelle in dem Kreise unserer Untersuchung einnimmt.

Daß die sterbende Maria von einem der bedeutendsten Niederländer und von einem der späteren mit Lucas von Leyden und Dürer gleichzeitigen, der Italien — den Raphael und den Leonardo gekannt — herrühren muste, das hatten wir immer gefordert. Aber wer sollte der glückliche gewesen seyn? Da er sich von den früheren großen Männern von Eyck und Hemmelinck und auch durchaus von dem Zeitverwandten Lucas von Leyden unterscheidet!

Sie vermutheten zwar damals schon, als Sie das Bild sahen, es könne von Meister Lucas seyn, allein Ihre Vermuthung stüzte sich blos auf das kleine Bildchen: die Anbethung der Könige in Dreßden, welches Sie mit dem größten Recht unserem Meister, die Verfaßer des Catalogs hingegen mit destomehr Unrecht dem Lucas von Leyden zuschreiben.

Die Bilder von Lucas von Leyden in Paris, andere bey Lieversberg in Köln, das jüngste Gericht in Leyden selbst, das Altar-Bild mit Flügelthüren, welches wir von ihm besitzen (welches aber bey Ihrem Besuch noch in Köln war) — alle diese Bilder, wenn Sie dieselben ohne gar zu große Unterbrechung nacheinander betrachten und vergleichen könnten, wie wir gethan haben, würden Sie überzeugen, daß Lucas von Leyden ein anderer, und nicht so einfach ruhig anmuthig, nicht so leicht und frey war, wie unser Mann.

Der Ausdruck bey Lucas ist immer etwas geziert empfindsam oder dunkel schwermüthig; die Mienen sind häufig was man gekniffen nennt; die Zeichnung geht bey vieler wahr[S. 72]haften Großartigkeit doch sehr oft und besonders an den äußersten Theilen an Händen, Füßen u. s. w. ins Kleinliche und Rauhe. Dagegen erhebt ihn seine Ausführung Kraft und Rundung in der Farbe noch über unseren Meister.

Alles dieses gilt auch von der Maria bei Frauenholz in Nürnberg, die an Glanz und Pracht der Mahlerey das vollkommenste ist, was ich von Lucas kenne. Die Ihnen scheinende Aehnlichkeit mit unserem Meister hat ihren Grund blos in der Schule, Gleichzeitigkeit und Landsmannschaft. Und dies findet sich noch viel mehr bey den in Dresden für Mabuse angegebenen drey Königen: Die Ruhe, die Anmuth die Zartheit im Ausdruck und wieder manches einzelne, die Gestaltung der Hände u. s. w stimmt, wie Sie richtig bemercken, sehr mit unserem Meister überein, jedoch zeigt sich ein bedeutender Unterschied in der Zeichnung ganz besonders aber in der Farbe. Dieses ist Ihnen auch nicht entgangen und Sie glauben daher, das Bild sey früher als jenes Kleine gemahlt und nicht gehörig gereinigt.

Ich begreife es nur zu gut, daß Sie sich auf diese Weise aus dem Dunkel zu helfen suchen, denn mich selbst hat das Bild in die gröste Unruhe und Verwirrung gesezt. — Ich erkannte die Verwandschaft, nur konnte ich den Unterschied der Farbe nicht für einen Mangel an Reinigung halten. Es war das erste Bild, welches mir von der Art vorgekommen. Ich wuste nicht, wem ich es zuschreiben sollte; eine andere Behandlungsweise unsers Meisters anzunehmen, hatte viele Schwierigkeiten, weil es natürlich eine frühere seyn muste, dafür waren aber einzelne Theile besonders die Köpfe der beyden vorderen Figuren, des Lukas und Dominikus mit viel zu großer Kunst Fertigkeit ausgeführt. Und doch hinwieder, wer sollte der andere verwandte Meister seyn? Die Angabe des Catalogs konnte mir nichts gelten, ich hatte schon zu viele Erfahrungen gemacht, daß man in der altdeutschen Kunst an[S. 73] die Taufe der Gallerie Directoren nicht glauben darf. — Indeßen nach Carl von Mander’s Geschichte der Nieder Ländischen Mahler waren Johann Mabuse und Johann Schoorel die einzigen, auf die sich dencken ließ, und die man kennen lernen mußte, ehe man sich erlaubte, irgend einen Unbekannten für unseren Meister anzunehmen, welches ohnehin bey dem Zeitalter, dem er angehört, sehr gewagt gewesen wäre.

Von Mabuse erzählt Carl van Mander: Er war Zeitgenoß von Lucas von Leyden, sehr leichtsinnig und ungebunden in seinem Lebens Wandel hingegen in der Behandlung seiner Werke so verwunderlich geschickt, sauber und geduldig, als irgend ein Künstler seyn mochte. Er studirte in der Jugend fließig die Natur, zog dann nach Italien und brachte die rechte Art zu ordnen, das Mahlen von Geschichten mit Nackten Gestalten und allerley dichterischen Verzierungen nach Flandern. — Auch reiste Albr. Dürer im Jahr 1521, wie dieser in seinem eigenen Tagebuch bestätigt, nach Middelburg um das Haupt Stück von Mabuse zu sehen, und bewunderte es sehr. Das Bild wurde nachher mit samt der Kirche vom Blitz vernichtet. Im Jahr 1527 besuchte Lucas von Leyden den Mabuse zu Middelburg und gab ihm und den übrigen Mahlern ein prächtiges Gastmahl, welches ihm 60 Gulden kostete; eben so prächtig gastierte er auch die Mahler zu Gent, Mecheln und Antwerpen, überall begleitete ihn Mabuse sehr prunkend in Goldstoff gekleidet, Lucas aber trug gelb seidenen Kamelot, der in der Sonne wie Gold glänzte. — Seit dieser Reise war Lucas immer kränklich und brachte die 6 lezten Jahre seines Lebens mit Mahlen und Kupferstechen im Bett zu. Einige glaubten, er habe von neidischen Künstlern Gift bekommen, er starb 39 Jahr Alt im Jahr 1533. — Das Sterbejahr von Mabuse wird, jedoch nicht ganz zuverläßig, auf 1562 angegeben.

Ich stelle Ihnen alle diese Umstände so ausführlich zusammen, damit, wenn der Karl van Mander Ihnen nicht zur[S. 74] Hand seyn sollte, Sie doch gleich eine bequeme Uebersicht haben und so fahre ich auf dieselbe Weise von Schoorel fort:

Dieser hat vor allen ein neues Licht aus Italien in die Niederländische Kunst gebracht, und soll ihn deshalb Franz Floris die Fackel der Niederländischen Kunst genannt haben. Er wurde im Jahr 1495 in dem Dorf Schoorel bey Alckmar gebohren und verlohr als Kind seine Eltern. Von Jugend auf hatte er eine Große Neigung zum Zeichnen, so daß er in der Schule mit dem Feder Meßer allerley Bildwerk auf die Hörnenen Tinten Fäßer schnitt und darum von dem Schulmeister sehr lieb gehalten und gepriesen wurde. Man gab ihn früh nach Harlem zum Meister Willem Cornelisz in die Lehre. Hier blieb er 3 Jahre, kam dann 1512 zu Jacob Cornelisz nach Amsterdam, in deßen 12 jährige Tochter er sich verliebte, wurde durch den Ruhm des Mabuse nach Utrecht gezogen, lernte bey ihm, konnte aber wegen deßen ausgelaßenem Lebens Wandel nicht lange bleiben; gieng nach Köln, Speyer, Straßburg, Basel, besuchte überall die Mahler Stuben und verkaufte seine Bilder, je wie sie fertig wurden. Nirgend verweilte er lange, denn er arbeitete sehr schnell. In Nürnberg lernte er einige Zeit bey Dürer, doch konnte er sich über Luthers Neuerungen nicht mit ihm verstehen, und reiste nach Steyer in Kärnthen, wo ein Edelmann ihm seine Tochter geben wollte, die Treue gegen die Geliebte in Amsterdam hinderte Schoorel diesen Antrag anzunehmen; so zog er nach Venedig und von da nach Jerusalem. Dies geschah im Jahr 1520 und im selbigen Jahr kehrte er aus dem gelobten Lande zurück. Auf der Rückfarth mahlte er ein Bild für die Geburts Stätte Christi, er sandte es von Venedig dahin, es wurde seitdem von Reisenden an diesem heiligen Ort gesehen. In Italien besuchte er nun verschiedene Städte, kam endlich nach Rom, lernte Pabst Hadrian den VIten, einen Utrechter, kennen, mahlte ihn und wurde Aufseher über das Belvedere. Der Pabst aber regierte[S. 75] nur anderthalb Jahre; nach seinem Tod, im Jahr 1523 oder 1524, zog Schoorel wieder nach Utrecht; hier hörte er, daß ihm seine Geliebte untreu geworden, und sich mit einem Goldschmidt vermählt hatte; blieb eine Zeitlang in Utrecht, wohnte dann in Harlem und nahm später eine geistliche Pfründe in Utrecht an. Er war mild und fröhlich von Geist, gesellig und angenehm im Umgang, gewandt und fertig in vielen Sprachen, übte Dichtkunst und Musik. Bey allen diesen persönlichen Vorzügen verschaffte ihm seine Kunst leicht die Gunst vieler großen Herren und Fürsten. Er starb im Jahr 1562: Sieben und Sechszig Jahr alt. Eine Grabschrift unter seinem Bildniß bezeugt es. Das Bildniß wurde 1560 von dem berühmten Bildniß Mahler Antonio Moro gemahlt. Dieser Moro (eigentlich Mor) und Martin Hemskirch waren seine Schüler.

Sie sehen wohl lieber Freund, daß diese beyden Lebens Beschreibungen vortreflich zu den Bemerkungen paßen, welche wir wechselseitig über unsere sterbende Maria und über jenen großen drey Könige in Dresden gemacht haben; die Verwandschaft mit einander und mit Lukas Leyden, dann die Bekanntschaft mit den Italienischen Meistern und alles übrige erklärt sich daraus. Indeßen um aufs klare zu kommen, muste man wenigstens von einem der beyden Meister zuverläßige Bilder kennen lernen. Dies ist uns nun rücksichtlich des Mabuse gelungen, und ich kann Ihnen versichern, daß diesmal der Dresdener Katalog recht hat.

In dem Museum zu Brüssel befindet sich ein ächtes Bild aus der ersten Zeit von Mabuse, wir selbst besitzen jetzt eins aus der mittleren Zeit, wie das Dresdener, und ein Zweites aus der letzteren Zeit, welches mehr in italienischer als in Deutscher Art gemahlt, und ganz dem Leonardo nachgeahmt ist. Ein gründlicher Mahlerey-Kenner in Brüssel, der selbst eins der besten Gemählde von Mabuse die in seinem Leben angeführte[S. 76] kleine Kreuz Abnahme, in Händen gehabt hat, bestätigte uns die Aechtheit dieser Bilder; auch sahen wir diesen Herbst bey einem französischen Mahlerey Händler noch eine schöne Anbethung der Könige, welche gleich auf den ersten Blick an die Dresdener erinnerte und mehrere ganz ähnliche Köpfe hatte. An allen diesen Bildern selbst an dem ganz dem Leonardo nachgebildeten bemerckt man dieselbe grau-bläuliche nebelartige Farben-Behandlung wie an dem Dresdener Bild.

Die Folgerung auf den liebenswürdigen Meister Schoorel macht sich nun von selbst. Es ist uns zwar noch nicht sowohl geworden, anderwärts ein zuverläßiges Bild von ihm zu Gesicht zu bekommen; was man unter seinem Namen in Brüssel zeigt, hat weder innere noch äußere Gründe für sich und kann kaum als Werck eines der mittelmäßigsten Niederländischen Mahler gelten. Hingegen stimmt mit unserer sterbenden Maria, mit den kleinen drey Königen in Dresden, und mit noch 3 anderen kleinen Bildern in unserer Sammlung alles zusammen, was die Lebens Beschreibung aussagt. Ja zulezt tritt noch ein Aeußerer Umstand dazu, welcher der Sache fast unumstößliche Gewißheit giebt, und das ist die Aehnlichkeit mit den ersten Wercken von Martin Hemskerck; denn von diesem erzählt Carl van Mander, er sey, nachdem er bey mehreren Meistern gelernt, zuletzt Schüler bey Schoorel gewesen, und habe deßen Mahlerey so nachzuahmen gewust, daß man seine Wercke schwer von denen des Meisters habe unterscheiden können; bis er dann freylich nachher seine eigenthümliche und vollends den Italienern nachgebildete Weise angenommen. — Die Bilder von Hemskerck aber sind genau bekannt, und wir besitzen selbst eine ganze Reihe aus den verschiedenen Zeiten seines Lebens; wobey man sich zur Genüge überzeugen kann, daß die ersten würklich dem Schoorel sehr nahe kommen und darum auch alles übertreffen was Hemskerck nachher gemahlt hat.

[S. 77]

Ich hoffe, Sie werden mit dieser Auflösung des Räthsels zufrieden seyn, um so mehr weil Schoorels Geschichte manches Aehnliche mit Ihrem Sternbald hat. Zum Theil auch aus diesem Grunde, ich muß es nur gestehen, habe ich die Lebens Beschreibung so umständlich ausgezogen und mich lieber der Gefahr ausgesezt, Ihnen längst bekannte Dinge zu wiederholen, als irgend etwas unberührt zu laßen, was Ihnen neu seyn und eine Dichterische Veranlaßung werden könnte.

Auf jeden Fall Sehen Sie daraus wenigstens meinen guten Willen, das lange Stillschweigen abzubüßen. Sie werden es mir überhaupt gern verzeihen, da Sie das Wesen und Treiben eines Antiquaren, dem es Ernst ist, so gut kennen; wircklich es scheint, als müste uns selbst unter der Hand alles zum Alterthum werden, ehe wir es fördern können, und darum ist das Urtheil der Gesellschaft im Phantasus über den Freund Ernst so wahr als scharf und witzig.

Indeßen wenn man beharrlich bleibt und der Himmel einem Glück und Gesundheit schenckt, bringt man trotz aller Schwerfälligkeit, die nun einmal am Fach haftet, endlich doch das erwünschte und oft mehr als das erwünschte zu Stande.

Sie sollten uns jetzt nur wieder besuchen und sehen, welche reiche Vollständigkeit wir in der Sammlung der Niederländischen Meister erreicht haben. Von Meister Hemmelinck, von dem nach der Vertheilung des Pariser Museums keine einzige Gallerie ein Bild aufzuweisen hat, sind seit 3 Jahren — 6 seiner schönsten Wercke und zwar aus den drey verschiedenen Zeiten seiner Entwickelung bey uns eingekehrt. — Dieser Meister würde Ihnen unendlich Gefallen; er war Schüler von Eyck, von dem Sie bey uns die Darbringung im Tempel gesehen haben; er übertraf ihn und alle anderen — Zeitgenoßen sowohl als Nachfolger in der Farbe und Ausführung, und steht fast höher als Schoorel, mit dem man ihn jedoch nicht vergleichen kann, weil beyder Art und Wesen ganz verschieden[S. 78] ist. Nur G. v. Eyck allein kann durchaus über den Hemmelinck gesezt werden, wegen der Großartigkeit Einfachheit und Tiefe der Natur Anschauung und Darstellungs Gabe. — Von ihm besitzen wir zu jener Darbringung im Tempel das Mittelstück, die Anbethung der Könige, und das Gegenstück, die Verkündigung, dann seit vorigem Jahre auch den Heiligen Lukas, der die Maria mahlt, gleichfalls ein Großes und übermaßen prächtiges Bild.

Ich würde gar nicht zu Ende kommen, wenn ich Ihnen eine Uebersicht und Beschreibung der ganzen Sammlung geben wollte, überdem werden Sie solche nächstens von Goethe lesen. In den drey Monathen, welche ich diesen Sommer und Herbst mit ihm zugebracht habe, ist eine kleine Schrift über Kunst und Alterthum in den Rhein und Mayn-Gegenden vorbereitet worden. Köln unsere Sammlung und das Strasburger Münster werden die Hauptpunkte seyn, zwischen denen sich das andere, auch das neuere, Kunstwesen samt allen Wünschen und Aussichten anreihen soll. Er beschäftigt sich jetzt mit der Ausarbeitung, drey Bogen sind bereits gedruckt.

Sie werden sich gewiß darüber freuen, daß dieser so lange ungläubige Freund nun so ernsthaft an unserer Liebe für die altdeutsche Kunst Theil nimmt, deren erste Anregung wir nie aufhören werden, Ihnen und Friedrich Schlegel zu verdancken.

Mein etwas elephantisches Werck vom Köllner Dom geht seinen langsamen aber sichern Schritt — vorwärts — Die 5 Platten zur ersten Lieferung werden mit Anfang des neuen Jahrs fertig; die Probedrücke versprechen sowohl in Rücksicht der Kraft und Würckung als in Rücksicht der Zierlichkeit und Gründlichkeit eine befriedigende Ausführung. — Das andere kleinere Werck altdeutscher Baudenckmahle, von den ältesten Zeiten bis zur Entstehung der sogenannten gothischen Baukunst, wird nun auch in Gang gesezt, aber nicht in blosen Umrißen, wie das, welches vor kurzem mein Freund Moller in Darmstadt[S. 79] herausgegeben und wozu ich ihn veranlaßt habe. — Es geschieht einem oft so mit Freunden, daß sie nur halbweg einen guten Rath befolgen und ihn halb verderben. — Meine geschäftlichen Arbeiten sind sehr vorbereitet, und ich hoffe, diesen Winter in einer Abhandlung die vorläufige Uebersicht der ganzen Geschichte der christlichen und Deutschen Baukunst, und in einer Zweiten Abhandlung die Geschichte der Deutschen Bauleute und Steinmetzen auszuarbeiten — So werden wir dann endlich dem Willibald doch etwas auf den Fuß treten.

Nun aber nach so vielem Schwatzen muß ich an den Schluß denken, und will auch darum, und noch aus anderen Gründen, die Freudens Bezeugungen, daß wir als Köllner Ihre Landsleute geworden sind, auf spätere Zeiten versparen. Nur das kann ich nicht verschweigen, daß ich seit Jahr und Tag bey aller patriotischen Erhebung des Prinzen Zirbin eingedenk gewesen bin, und mir vorgenommen haben, diesen Unsterblichen immer im besten Andencken zu behalten.

Alle Ihren hiesigen Freunde sind wohl und grüßen so wie mein Bruder und Bertram aufs schönste und freundlichste. Laßen Sie mich meine Unart des Stillschweigens nicht entgelten. — Laßen Sie bald gutes und angenehmes von sich hören und sagen Sie mir Ihre Meynung von dem jüngsten Gericht von Eyck, welches von Paris nach Berlin gekommen, und ein Eigenthum der Stadt Danzig ist. Einige halten das Bild nicht von Eyck, sondern von einem Schüler deßelben Ouwater genannt. Es soll die Jahreszahl und ein E auf einem Leichenstein stehen, könnten Sie diese zu Ihren Bemerkungen beifügen, so würden Sie mich sehr verbinden. Ich werde von nun an gewiß schneller und kürzer antworten.

Unveränderlich Ihr Freund

Sulpitz Boisserée.

N. S. Die Frau V. der Horst heist seit dem Frühjahr Fr. Professorin Schelver.

[S. 80]

II.

Stuttgart, 18. Decbr. 1819.

Wohlgeborener
Hochzuverehrender Herr!

Euer Wohlgeboren erlauben mir, Ihnen die Anzeige des mit Anfang künftigen Jahrs erscheinenden Kunstblatts hierbey zu übersenden und dasselbe Ihrer gütigen Theilnahme zu empfehlen. Wir wünschen das Beste der Kunst wesentlich zu fördern, und würden uns desshalb glücklich schätzen, von einem unsrer ersten Schriftsteller, der so lebendig auch auf die Kunst gewirkt hat, durch Beyträge unterstützt zu werden. Indem ich Sie darum angelegentlichst bitte, verharre ich mit vollkommenster Hochachtung.

Euer Wohlgeboren

gehorsamster Diener

Dr. Schorn.

Verehrtester Freund.

Ich kann mirs nicht versagen, diesem Briefe ein paar flüchtige Zeilen beizufügen und Ihnen Dr. S. als einen sinnigen KunstFreund zu empfehlen, den ich seit mehreren Jahren freundschaftlich kenne, und nun Hr. v. Cotta zum Redacteur des neuen Kunstblatts vorgeschlagen habe. Ich weiß wohl, es ist ein gewagter Versuch mit einem periodischen Blatt über Kunst, wenn man darin einen edelen würdigen Geist erhalten will. — Indeß hoffe ich die Zeitungs Form wird durch das Interesse historischer Notizen von allen Kunst Ergebnissen — in äußerer Rücksicht — sichern, und was[S. 81] das innere und wesentliche betrift, so bin ich überzeugt, daß dies immer bedeutend und höchst würksam bleiben wird, wenn man auf die Theilnahme von Männern, wie Sie, rechnen kann. Denn der Raum, der für beurtheilende Aufsätze und Abhandlungen über allgemeine Gegenstände übrig bleibt, ist, ohne im einzeln zu sehr zu beschränken, im Ganzen doch so klein, daß man ohne unbescheidene Ansprüche an solche Theilnahme zu machen, hoffen darf ihn gröstentheils von ihnen benuzt zu sehen.

Möchten Sie nicht einzelne Stücke aus dem Neuen Sternbald, oder sonst einiges aus Ihrem Vorrath über Kunst mittheilen. Es würde im Anfang — da man sich gern empfehlen mag — doppelt willkommen seyn. Ich denke verschiedenes zu den Biographien von Eyck — Hemmeling und andern, dann über die alt Cölln. Schule — und wieder über altdeutsche Architecten einiges zu geben; aber nur nach und nach. Ich habe gar zu viel mit der Herausgabe des Doms zu thuen, die ich in Paris veranstalten muß. Ich bin und bleibe nun einmal der alte Narr, der mit niederländischem Ernst nicht nachläßt, bis die Ausführung so weit gebracht ist, als aufs strengste nach den Umständen gefordert werden kann. Im Frühjahr, hoffe ich, soll endlich dieses Admiral-Schiff vom Stapel gelaßen werden.

Mein Bruder und Bertram empfehlen sich mit mir Ihrem freundschaftlichen Angedencken.

Sulpitz Boisserée

eiligst.

III.

München am 30. Septbr. 1832.

Es freut mich Ihnen, mein innigst geliebter Freund, endlich einmal ein Lebenszeichen geben zu können. Dr. Braun aus Gotha bietet mir die Gelegenheit dazu, und ich ergreife sie[S. 82] um so lieber, als ich Ihnen denselben recht wohl empfehlen kann. Dieser junge Mann hat 2½ Jahre hier zugebracht und ist allen, die ihn näher kennen gelernt, lieb geworden; er besizt viele philologische Kenntniße besonders auch von altdeutscher Litteratur, zugleich hat er sich mit dem Studium der Kunst und der Kunstgeschichte beschäftigt. Er wird Ihnen auf die mannichfaltigste Weise von dem hiesigen wissenschaftlichen und artistischen Treiben berichten und erzählen können.

Mein Wunsch, Sie auf der Rückreise von Berlin nochmals zu besuchen, ist mir leider durch das langweilige Kalte Fieber vereitelt worden, welches mich Zehn Tage nach meiner Ankunft in der vielgepriesenen Stadt befallen, dann mit seinen schlimmen Folgen mich Monate lang geplagt und endlich mich aber und abermals heimgesucht hat. Alle meine Plane sind mir durch dieses verwünschte Fieber verdorben worden; erst vor einigen Tagen hat es mich wieder verlaßen, und ich wage noch kaum zu hoffen, daß es das letzte Mal gewesen sey.

Die kurze Zeit, die ich bei Ihnen zugebracht, gewährt mir immer die liebste Erinnerung von der ganzen Reise. Könnte ich es möglich machen, meinen Besuch bald zu wiederholen, oder einstweilen auch nur einen Briefwechsel mit Ihnen anzuknüpfen, von dem ich hoffen dürfte, daß Sie ihn gerne unterhalten möchten! Heute kann ich nur diese Wünsche ausdrücken, ich bin auf alle Weise zu sehr bedrängt. Es wird aber wohl die gute Stunde kommen, wo mir ein Mehreres gelingt, ich werde sie nicht vorbeigehen laßen. Das Leben ist so kurz, daß man kein Mittel vernachläßigen sollte, sich mit denen zu unterhalten, die uns die liebsten Freunde sind; und es gehört mit zu meinen Leiden, daß ich durch das Fieber abgehalten worden, gleich im ersten Nachhall unserer Gespräche Ihnen zu schreiben, wie ich mir es vorgesetzt hatte. Also bis Nächstens.

[S. 83]

Meine Frau, mein Bruder und Bertram grüßen mit mir Sie und die lieben Ihrigen auf das freundschaftlichste und unter den herzlichsten besten Wünschen

ganz

Der Ihrige

Sulpiz Boisserée.

Auch den gemeinschaftlichen Freunden alles Liebe und Gute.

IV.

München, 14. October 1835.

Geliebter Freund.

Ich benutze die Rückreise des Hofr. Hase, um Ihnen die schon seit dem Juni für Sie bereit liegende Abhandlung über den Tempel des Heil. Grabes zu senden. Es ist die Frucht einer früh angefangenen, oft wieder fortgesetzten und erst vor anderthalb Jahren ganz vollendeten Arbeit, der Sie so Liebe wie Beharrlichkeit ansehen werden. Der Entwurf der Zeichnungen hat mich gleich in der ersten Zeit beschäftigt und hat mir zu allen Zeiten, besonders auch später bei der näheren Ausführung viele Freude gemacht. — Es ist das erste, was ich seit den Ergäntzungen zum köln. Dom von meinen Entwürfen architecton. Zeichnungen bekannt mache. Möchten Sie auch einige Freude daran haben. Möchte Ihnen überhaupt die ganze Abhandlung gefallen und Veranlaßung geben, mir zu schreiben. Ich würde Ihnen dafür recht sehr dankbar seyn; an Erwiederung sollte es nicht fehlen. Ich sehne mich oft von ganzem Herzen nach Ihrer geistreichen, belebenden Unterhaltung; denn es giebt eine Menge Dinge und Verhältnisse von dem höchsten Werth, über die ich mich nur Wenigen mittheilen und mit Niemand so gut verständigen kann, als[S. 84] mit Ihnen, theuerster Freund. Diesen Sommer hoffte ich Sie in Baden zu finden, aber gerade dieses mal sind Sie nicht gekommen, und in vorigem Jahr ist mir die Hoffnung, daß Sie uns hier besuchen würden vereitelt worden. —

Wie es im nächsten Jahr werden wird? wer kann es wissen! Darum lassen Sie uns, zwar immer das günstigste hoffend, in der Gegenwart das Gewisse vorziehen und Briefe wechseln, bis uns so wohl wird, uns des Wiedersehens zu erfreuen. Vorigen Winter habe Ihrer ganz besonders oft gedacht indem ich die Einleitung zu meinen Beiträgen zur Geschichte der altdeutschen Malerei geschrieben. Die Berufung zur General-Inspection der Denkmale des Mittelalters in Bayern und andere mir ganz unerwartete, keineswegs mit diesem Geschäft zusammenhängende Arbeiten (— Vertretung der Akademie der Wissenschaften und des General-Conservatoriums aller hiesigen wissenschaftlichen Sammlungen und Anstalten bei dem Ministerium des Innern —) hat mich in der Redaction jener Beiträge unterbrochen. Auch kamen vielerlei Leiden dazu, wovon ich mich jedoch in Baden und Heidelberg glücklich erholt habe. Bleibe ich gesund, so hoffe ich diesen Winter den Faden wieder aufzunehmen, und so lange fortzuspinnen bis ich fertig bin. Wie steht es denn mit Ihrem Vorhaben in Betreff des Sternbald? Sagen Sie mir doch etwas darüber. Ich komme mir, wenn ich in die Zeiten der Jugend zurückdenke, immer einsamer vor; es sind schon viele dahingegangen, die wir geliebt, an denen wir uns belehrt, erfreut und erhoben haben; und nun ist die Welt großentheils so verwirrt abgeschmackt und niederträchtig geworden, daß ich das Bedürfniß doppelt fühle, mit den wenigen Bewährten und Verehrten Männern alter Zeit desto fester zusammen zu halten. Nehmen Sie dieses Geständniß zu Herzen und lassen Sie mich es nicht vergebens gemacht haben.

[S. 85]

Meine Frau, Bruder und Freunde grüßen mit mir Sie, die lieben Ihrigen und alle gemeinsamen Freunde, von ganzem Herzen alles Gute, Schöne, Glückliche: Gottes-Seegen wünschend!

Sulpiz Boisserée.


Bothe, Friedrich Heinrich.

Seitdem Tieck’s beredeter Mund im Tode verstummte, bei wem wäre über die Bedeutung vieler einzelner Blätter in diesem Nachlasse bunt durcheinander geworfener Briefschaften Aufschluß zu suchen, als bei Rudolf Köpke, dem gewissenhaftesten, hingebendsten, eingehendsten aller Biographen, die da waren und sein werden. Dieser unermüdliche Durchforscher des Tieck’schen Herzens von dessen frühesten Lebensjahren bis zum sanften Ende des verklärten Greises, sagt uns, daß Bothe Ludwig’s stürmische Bewerbungen um erwiedernde Freundschaft nur durch schnöde Kälte vergolten habe. Die beiden Mitschüler standen sich als zwei total verschiedene Naturen so fern wie möglich, und dennoch kämpfte des Einen feurige Liebe immer wieder um Gegenliebe. Ja, man könnte sagen: Tieck hat sich förmlich weggeworfen, um nur ein zärtliches Wort zu erbetteln, — und immer vergeblich. Er machte alle Wasser- und Feuerproben stolzverschmähter Sehnsucht durch, und es brauchte lange, eh’ er zu dem Entschlusse kam, sich loszureißen. Dann entließ er solch’ gefühllosen Pedanten allerdings mit dem unzweideutigen Abschiedsworte: „So geh’ denn, dummer Junge!“

Daß ihr Wiedersehn in Halle (1792) keine gesegneteren Früchte trug, ist leicht begreiflich. Dreiunddreißig Jahre später sind sie in Mannheim, von wo aus B. sich als „rühriger Philolog“ bekannt gemacht hatte, abermals zusammengetroffen, und wie Tieck ihn da fand, sah er nun wohl klar, „daß nur schwärmerischer Jugend-Enthusiasmus“ von Freundschaft habe träumen können zwischen Jenem und ihm selbst.

Aus dieser Epoche schreibt sich der erste der aufgenommenen Briefe. Der zweite, siebzehn Jahre nacher, ist an den Tieck gerichtet, der von einem geistreichen Könige geehrt und persönlich geliebt, hohe Achtung am Hofe genießt und dessen fördernde Protektion erbeten wird.

[S. 86]

Der zum Jüngling erwachsende Knabe hat auf des glühenden Jünglings feurige Liebe kalten Hohn gegossen. Der alte Mann wendet sich jetzt, kühnen Vertrauens voll, an den einst Verstoßenen, dessen Protektion er nachsucht. Wie liebenswürdig muß der alte T. dem alten B. in Mannheim entgegengetreten sein, daß der Letztere dazu Muth fand!

I.

Mannheim, den 12. Juni 1825.

Mein theuerster Freund.

Dein traulicher Besuch neulich war so kurz, daß ich mich hier noch ein wenig ausplaudern muß.

Daß Du, durch Dein Wort gebunden, an jenem schönen Abend nicht bei uns bleiben, von unserem Brodt essen, von unserem Wein trinken konntest, that mir weh: denn wie selten im Leben sind so heitere Augenblicke, wo alle Repräsentation wegfällt, und wir nach langer Zeit endlich einmal wieder bloß wir selber sind! Kommst Du wieder hieher, so mache mir doch ja diese Freude!

Deinen Shakspeare erwarte ich mit Verlangen; so auch Deine Werke. Läse ich nur nicht so ungern Gutes auf Löschpapier, und wären die bessern Ausgaben nicht so theuer! Doch muß ich dies Beides haben, wenn auch nicht auf der Stelle, doch mit der Zeit; denn eine ganze Wagenladung Berufsschriften, die ich vor Kurzem anschaffen mußte, hat jetzt meine Kasse erschöpft, über die ohnedis Göttin Abundanzia nicht waltet. —

Der Hofbuchhändler Götz, der mich eben besucht, und hört, daß ich an den berühmten Dichter Tieck schreibe, von dem er so Vieles auswendig weiß, bittet mich, diese Erstlingsgabe seiner Muse Dir mitzusenden. Der junge, schöne Mann, ein Enkel des anakreontischen Götz, dem Ramler die Krallen, vielleicht auch etwas die Flügel stutzte, scheint mir etwas zu versprechen, trotz mancher, meist provinzieller Inkorrektheiten.

[S. 87]

Sieh doch zu, was an der Sache ist, und, wenn er Aufmunterung verdient, so laß doch gelegentlich ein gütiges Wort über ihn in der Abendzeitung, oder in der Leipzig. Lit. Ztg., oder wo Du sonst willst, fallen. Wie glücklich würde ihn Das machen, den Bescheidenen!

Lebe recht wohl, mein lieber freundlicher Tieck, und behalt lieb

Deinen

Bothe.

II.

Leipzig, Blumen- und Kreuzgassenecke im Hause
des Hrn. von Kötteritz, den 18. Juli 1842.

Mein alter Freund.

Längst hätte ich Dir geschrieben und Dir zu der glücklichen Gestaltung Deiner Verhältnisse gratuliert, wenn ich nicht von Monat zu Monat im Begriff gewesen wäre, mich nach Leipzig zu übersiedeln wegen des fast gänzlichen Mangels an litterarischem Verkehr in Süddeutschland. Hier ist es zwar in dieser Hinsicht auch eben nicht erfreulich, aber doch weht überhaupt mehr Lebensluft und die Hoffnung verschwindet wenigstens nicht bis auf den letzten Schimmer. Hier hoffte ich also entweder Dich selbst zu sehen, oder doch sonst mich in leichtere Verbindung mit Dir zu setzen, und so erhältst Du jezt diese Zeilen.

Da ich Deine Theilnahme an meinem Schicksal kenne, so versäum’ ich nicht, Dir einen Plan mitzutheilen, auf den der hiesige Ort gleichsam hindeutet, und den auch einige meiner Leipziger Bekannten, z. B. Prof. Westermann, gut finden. Ich habe nämlich vor, ein Pensionat zu errichten für Studierende aus guten Häusern des Auslandes, Deutsche oder Nichtdeutsche, die entweder die hiesigen höhern Gelehrten[S. 88]schulen, oder (und zwar vornehmlich) die ausgezeichnete Handelsschule besuchen wollen, sei es, um sich hier von Hause aus zu bilden, oder wenigstens um ihre Kenntnisse zu vervollkommnen, wozu kaum ein anderer Ort mehr geeignet ist. Für gehörige Aufsicht, gesunde Wohnung, nahrhafte Kost, Aufwartung &c. werden ich und meine Frau — Du kennst sie — gewissenhafte Sorge tragen, und vor der Hand, bis zu ihrer bevorstehenden Verheirathung mit einem geschickten Rechtsmann im Badischen, wird auch meine Tochter uns dabei behülflich sein. So scheint guter Erfolg zu hoffen, zumal ich das Honorar, über das ich Näheres auf frankirte Briefe melden will, so billig bestimmen werde, als die Lokalität erlaubt.

Habe denn die Güte, dies Vorhaben in Deinem großen und angesehenen Kreise freundlich bekannt zu machen und zu fördern, durch dessen Realisierung der Abend meines sehr umwölkten Lebenstages erheitert werden würde. Du weißt, daß ich Dir von Kindheit an aufrichtig zugethan war, keine Zeile gegen Dich schrieb, (wie mancher schlecht Unterrichtete wohl meinte wegen meiner Verbindung mit F. Nicolai,) und oft Dich gegen Hasser und Neider vertheidigte. Kannst Du auch sonst, vielleicht gar höhern Orts, dazu beitragen, meine Lage zu verbessern (denn ein langwieriger, von mir ganz unverschuldeter, Prozeß hat fast mein ganzes, ohnehin nie beträchtliches, Vermögen aufgezehrt), so sei fest überzeugt, daß Du Dein Wohlwollen an keinen Undankbaren verschwenden wirst. Da ich einigen Ruf in der Litteratur bis auf die neueste Zeit behauptet habe, (s. z. B. Wolfs Lexikon deutscher Dichter und Prosaisten[5]), so würde Deine Empfehlung des Jugend[S. 89]freundes zu irgend einer erträglichen Stelle an einer Bibliothek, oder als Archivar, Sekretär &c. Dir gewiß nicht verdacht werden, vielmehr den Edelmuth eines Mannes zeigen, der, aus stürmischer Flut gerettet, auch den noch darin Kämpfenden ans Land ziehen hilft. Auch ein kleines Wartegeld bis zur Anstellung wäre mir erwünscht, dergleichen man ja Solchen zu bewilligen pflegt, denen man überhaupt wohlwill; und warum mich gänzlich hintansetzen wollen, da Magdeburg mein Geburtsort ist, mein Vater (der Steuerkommissarius Ernst Christoph B. in Magdeburg) ein anerkannt tüchtiger Staatsdiener war und ich selbst nichts verschuldete, vielmehr meinen Patriotismus mannichfaltig durch Wort und Schrift bewährte? — —

Lebe wohl, verehrter Freund, und gedenke

Deines

Bothe.


Braniß, Christlieb Julius.

Geb. am 18. September 1792 in Breslau, Professor der Philosophie an der dortigen Universität.

Die Hauptwerke, die ihn außerhalb seiner Vaterstadt bekannt gemacht, und ihm seine hohe Stellung in der gelehrten Welt sichern, sind: Grundriß der Logik (1830) — System der Methaphysik (1834) — Geschichte der Philosophie seit Kant (1842, unvollendet). —

Ein Gelehrter, wie es wenige giebt; ein Philosoph und Logiker, den schönen Künsten vertraut; ein Musiker von höchster Ausbildung; ein Komponist reich an sinnigen Melodieen; ein Lebemann von heiterem, geselligem Tone; eine unverwüstliche Natur; ein Greis mit ungeschwächter Jugendkraft.

[S. 90]

I.

Ludwig Tieck an Braniß.

Dresden den 24. Jul. 40.

Geehrter Herr Professor,

Ich wünsche, daß Sie das Buch, welches Ihnen Herr Max in meinem Nahmen überreichen wird, als ein Zeichen meiner wahren Hochachtung annehmen mögen: eben so ist es mein Wunsch, daß es Ihnen Vergnügen und Theilnahme geben und erregen möge.

Diese Geschichte, wie ich auch in der Vorrede andeute, habe ich lange mit mir herum getragen: seit ich den Camoens schrieb, traten mir die Gestalten immer näher, und forderten mich gleichsam auf, sie aus dem Gefängnisse meines Gedächtnisses und der Phantasie zu befreien; denn das Buch ist doch wie ein Pendant zum Cam. und Shakspear-Novellen zu betrachten.

Erlaubt es Ihre Zeit, oder können Sie die Neigung fassen, ein Urtheil über das Werk auszusprechen, so freue ich mich schon im Voraus, etwas Gediegenes und Lehrreiches über eine meiner Lieblings-Arbeiten zu vernehmen. Nur müssen Sie nicht das Vorurtheil fassen, daß Bedenken und Tadel eines unpartheiischen und reifen Mannes mich kränken, oder verletzen könne.

Man hat so viel Unnützes und Freches über die Emancipation der Weiber geschwatzt. Das Schiksal und der Charakter dieser Vittoria reissen sie auch aus den herkömmlichen conventionellen Formen; aber, nach meiner Ansicht, so wie es der ächten Weiblichkeit, einem starken Gemüthe, erlaubt sein kann. Verhältnisse beugen die grossen Naturen, aber vernichten sie nicht.

Doch — der Poet kann und soll nur sein Werk für sich sprechen lassen. Auch war ich nie der Ansicht, daß es gut[S. 91] sei, wenn zu viel Kunst-Absicht (oder künstliche, oder philosophische &c.) in das äussere Bewußtsein tritt: denn Begeisterung sieht doch immer weiter und hat alles Dergleichen, so viel gut und nöthig ist, in sich.

Doch ich sage alles dis nur einem Wissenden, und schliesse deshalb, indem ich nur noch den Wunsch ausspreche, daß Sie mir Ihr Wohlwollen erhalten, Dresden einmal auf längere Zeit besuchen, damit wir uns näher kommen, und so nenne ich mich mit Hochachtung

Ihren

ergebnen Freund

L. Tieck.

II.

Braniß an L. Tieck.

Breslau 6. Sept. 40.

Mein hochverehrter Herr Hofrath,

Wenn ich Ihnen erst jetzt für das köstliche Geschenk, das Sie mir mit Ihrer Vittoria gemacht, meinen herzlichsten Dank sage, so hat dieß allein darin seinen Grund, daß ich Ihnen nicht eher nahen wollte, als bis ich Ihrem mich so ehrenden Impulse folgend ein öffentliches Wort über das liebe Gedicht gesprochen. Dieß ist nunmehr geschehen, und — wie ein Mensch nur sagen kann: hie bin ich — so erlaube ich mir Ihnen in beifolgenden Zeitungsblättern einen Aufsatz zu überreichen, von dem ich wünschen will, daß damit etwas gethan sei.

Ich habe den in dieser Arbeit ausgedrückten Gedanken lange ernstlich bebrütet, doch mußten die Resultate dieses Processes meist unausgesprochen bleiben, damit der Bericht sich in den Grenzen eines Zeitungsartikels halte. Was ich gab, sollte vornehmlich dem Treiben einer Ihrer Poesie, somit der Poesie[S. 92] überhaupt abholden Partei begegnen, deren ästhetisch-philosophisches Geschwätz nur dadurch Einfluß gewinnt, daß ihm nichts Tüchtiges entgegentritt. Namentlich wollte ich in Bezug auf die Accorombona diejenigen Einwendungen, von denen ich recht gut weiß, daß sie gegen das Buch des Breitesten werden erhoben werden, von vornherein paralysiren und unschädlich machen.

Ob es mir gelungen, ob mir überhaupt in der Arbeit etwas gelungen ist, weiß ich nicht, kann es auch hier nicht erfahren; denn außer Epstein (der Ihnen ja wohl bekannt,) weiß ich hier in Sachen der Poesie keinen wahren Gläubigen; ich selbst bin von lauter Neologen umgeben. So bin ich denn darüber noch ganz unschlüßig, ob ich dem Aufsatz, bei dem ich es allerdings nicht auf das Binnenpublicum schlesischer Zeitungsleser abgesehen habe, durch Wiederabdruck in einer gelesenen Zeitschrift größere Verbreitung schaffen, oder die Acten als geschlossen betrachten soll. Sie allein könnten hierüber in letzter Instanz entscheiden.

Daß ich mich über das Benehmen unsres Königs gegen Sie höchlichst gefreut habe, versteht sich ganz von selbst.

Mit wahrer Verehrung

Ihr

herzlichst ergebener

Braniß.

III.

Ludwig Tieck an Braniß.

Dresden den lezten Octbr. 40.

Geehrter Herr Professor,

Ich fühle mich gedrungen, Ihnen noch einmal ausdrücklich für Ihre meisterhafte Beurtheilung meines Romans meinen herzlichsten Dank auszusprechen. Welche Freude, auf diese[S. 93] Art verstanden zu werden! Immer war es meine Ansicht und Ueberzeugung, daß die ächte Rezension sich wiederum dem Kunstwerk nähern, selbst eins werden müsse. So ist es mit solchen Aufsätzen, wie der Ihrige. Alles, was vom Enthusiasmus ausgeht und diesen verdient, kann nur vom Enthusiasmus gefaßt und verstanden werden. Was nützen alle die philosophischen (halben) Schwätzereien, die nur aussagen, der Autor sei nicht, wie sie: ein sklavischer, unselbstständiger Schüler irgend eines Systems. Seit meinen männlichen Jahren habe ich mich um alle diese Heroen der verschiedenartigen Secten nicht mehr gekümmert: kann man doch nur von verwandten Gemüthern lernen: — und wahrlich, Lernen ist eine grosse Wollust.

Auch meine Freunde hier haben sich Ihrer lehrreichen Abhandlung sehr erfreut. Was könnte das für ein Journal sein, wenn die ächten Menschen, die wahrhaft Erkennenden sich in Deutschland vereinigten, Sie, und noch Wenige, die mir gerade bekannt sind, und gewiß manche Geister, welche schweigen, verborgen sind, und die wir beide nicht kennen.

Könnten Sie doch in Dresden leben! Könnte ich doch Ihren Umgang geniessen! In meiner Nähe fehlt ein aufregender Geist; mit denen ich hier in Freundschaft verbunden bin, — wackre Männer, — aber sie empfangen mehr von mir, als ich von Ihnen. Daß man in Gesellschaft niemals, oder doch nur selten verstanden wird, bin ich freilich seit vielen Jahren gewohnt und ich bin in der Hinsicht resignirt. Es war gewiß immer so. Aber Raumer, Solger, Sie, Löbell, — wir könnten doch, denke ich, einen ganz artigen Senat bilden. —

Ihre Blätter wandern immerdar hier unter denen herum, die sie zu lesen verdienen: ich möchte Ihnen noch gern dies und jenes Bestimmte sagen, oder fragen: — aber ich habe, wie gesagt, den schönen Aufsatz selbst lange aus den Augen verlohren. Sprechen möchte ich mit Ihnen einmal so recht[S. 94] aus dem Herzen: als Sie lezt hier waren, war die Zeit zu kurtz und die Gesellschaft genirte. Vielleicht wird mir einmal diese Freude. — Bis dahin reiche ich Ihnen von fern die Hand als einem Geistes-Verwandten und Verbündeten und Sie stehn mit Ihrem Seelen-Reichthum mir als ein alter Freund ganz nahe.

Nehmen Sie diese eiligen unbefriedigenden Worte wohlwollend auf.

Ihr

ganz eigner

Ludw. Tieck.


Brentano, Clemens.

Geb. zu Frankfurt a. M. 1777, gestorben zu Aschaffenburg 1842.

Von 1800 bis 1838, von den „Satiren und poetischen Spielen“ bis zu „Gokel, Hinkel und Gakeleia“ reichen seine wunderlich-phantastischen Erzeugnisse, die entschieden als Geburten der hyper-romantischen Schule betrachtet, aber doch wahrlich auch nicht unterschätzt werden dürfen. Wie aus dem redlich- und ernst-strebenden deutschen Forscher, als welchen ihn die Briefe an Tieck (vorzüglich der herrlich-klare aus Wien, 1813) bezeichnen, jener späterhin oft so seltsam verschwommene, barocke und unklare Poet sich entwickeln konnte,... das wäre gewiß einer psychologisch-gestaltenden Lebensschilderung würdig. Freilich müßte dieselbe nicht von irgend einem Parteistandpunkte ausgehen! Keime zum späteren Brentano lassen sich allerdings auch schon in einzelnen Briefzeilen des früheren entdecken.

I.

Marburg, den 11ten Jenner 1802.

Ihr gütiges Schreiben traf mich erst in Erfurt auf meiner Rückreiße hierher, ich würde ihnen schon sicher früher geschrieben haben, hätte ich etwas Bestimmtes von der Sache gewust, und jezt, ihnen selbst kann nichts unangenehmer sein, als mir, waß ich drüber weiß, denn ich hatte wahrlich bisher keine einzige Aussicht und Hoffnung, als sie an unserm Theater[S. 95] zu wißen, denn Ihnen nahe zu sein, und zu helfen, wo es meine Kräfte erlaubten, die Bühne von Fr. aus wieder für Deutschland in ihre Rechte einzusezzen, ja ich wollte mich unter ihrer Leitung ganz der Sache widmen, und durch diese Kunst mehr im Bürgerlichen gewurzelt, meinem geringen Talente eingreifendere und festere Bewegungen geben. — Göthe? hat er sie empfohlen? Es ist nicht alles von Göthe zu erwarten. O für mich ist die Geschichte so erbärmlich, daß ich ungern davon spreche, der Kaufmann, dem ihr Brief zum Uebergeben geschickt wurde, hat ihn grade dem grösten Vieh bei der ganzen Direktion übergeben dem Doktor G....., das ganze Theater steht nun wie vorher und......, der unwißendste, dummste, ungeschickteste Schauspieler ist wie ehedem an der Regie. Die zwei erträglichsten Männer in Fr. auf deren Hülfe ich rechnen konnte, Geheimrath Willmer, Göthes Jugendfreund, und Moriz Bethmann schreiben mir beiliegende Briefe — Sollten sie noch keine Antwort auf Ihren Brief erhalten haben, so wäre eine satirische Anfrage im Hamburger Coresp. wo sich die Frankfurter Theater Direktion jezt aufhalte, eine verdiente Rache. Ob Göthe wohl geschrieben hat, es wäre das Gegentheil ein großer Unverstand — und Sie nach Frankfurt befördern wäre mehr Vorschub für die deutsche Kunst, als Propyläen. Ich bin so böß, ich weiß nicht wie, mir bricht alles vor den Füßen, auch dies. Eine erneuerte Anfrage und zwar derb, wenn Sie keine Antwort erhielten, könnte nüzzlich sein, auch eine Frage an Göthe. Faßen sie sich, denn ich weiß, es thut ihnen gewiß leid, wie mir, aber diese Leute verdienen es nicht beßer.

Ich habe mit Ritter, der mit mir bis Gotha reißte, über allerlei gesprochen, und eine Idee von mir, die auch er lebhaft faßte, durchdringt mich jezt noch mehr. Wie wäre es, ein Theater von Grund aus nach eignen Ideen unter ihrer Leitung zu errichten, es zum Voraus mit einer Anzahl neuer[S. 96] Stükke zu unterstüzzen, etwa im Geschmacke von Gozzi’s Schooskind, der Sakchischen Truppe doch in Hinsicht auf Zeit und Ort modifizirt, ich bin sicher es ließe sich eine Zahl tauglicher Subjekte unter den Laien der Kunst finden, die ihr Talent unter ihrer Leitung einer von Auswürfen der Bürgerlichen Gesellschaft reinen Verbindung fürs Theater gerne hingäben. Klingt diese Idee auch bei Ihnen an? Ließe sich wohl eine Stadt finden, die zusammen träte etwa Bremen mit Aktien, oder eine Stadt in Schlesien? — Nach der Lage der Sachen meine ich es wäre bald Zeit zu so etwas, schreiben Sie mir doch hierüber einige gütige Worte, ich bin mit allem dem meinigen zur Unterstüzzung in ohngefähr zwei Jahren total fähig, wenn einige Hofnung ist, daß eine solche Unternehmung sich nicht selbst und mein kleines Vermögen zerstöre, Sie wißen nicht, wie determinirt ich bin, und wie gerne ich täglich lieber Cinthio, Trufaldin und Scaramuzz wäre, als Brentano. — Ihre gütige Lektüre des Godwi hat mich gerührt, es ist mir wie ein Vater, der ein krankes krüppelhaftes Kind erzeugte, das Theils nicht verstanden, und meistens verachtet wird, wenn ein glücklicher Vater spricht, ich habe mich heute doch an Manchem deines armen Sohnes gefreut. — Zur Göthischen Aufgabe hab ich ein Stück geschickt, das wohl in Vielem mehr ihnen gefallen könnte, als Göthen, es heist, Last es euch gefallen. Diesen Winter übersezze ich einen Band unbekanter alter spanischen Novellen, sonst beschäftige ich mich mit dem theatralischen, und habe mehrere Schauspiele entworfen. Immer aber noch kann ich mich nicht überzeugen, daß unsre Trauerspiele sein dürften wie Griechische, auch nicht wie Schillersche, höchstens wie Schaksspearsche, die doch eigentlich Häußliche sind. Trauerspiele ohne Vaterland, sind wie Helden ohne Schicksal, die Seele muß Held sein, und die Reihe der Begebenheit, die Geschichte Schiksal, ich habe die Idee zu einem Trauerspiel mit 25 Helden die vom Schicksal[S. 97] getödet werden, den lezten aber kanns aus Müdigkeit nicht hinunter kriegen und stirbt selbst, er aber wird Schicksalloß von den Göttern davon geführt, und im 5 Akt im Himmel unter den Göttern als weinendes Kind geboren. Sein sie mir gut, ich bin ihr treuster, liebendster Schüler, und Diener

Clemens Brentano.

So eben habe ich eine kindische Freude, um des kindischen halber verzeihen sie mir, daß ich sie äußere. Arnim, den sie kennen, und sicher lieben, schreibt mir seinen ersten Brief von Regensburg, und schreibt mir so viel über sein Entzükken über Sie, ich weiß sicher, daß vielleicht Arnim der einzige Deutsche ist, der Sie ließt, wie sie es meinen. Sie glauben nicht, wie reich mich Arnims Brief macht, und verzeihen sie, daß ich wie ein Kind sein Spielzeug ihnen das zeigen muß, wenn irgend ein Mensch gerne für sie sich regt und opfert, so ist es sicher Arnim und Brentano, er für den Frohsinn, ich für die Wehmuth ihrer Muse.

Ich wohne bei H. v. Savigny in Marburg.

II.

Marburg in Hessen den 22ten April 1804.

Sie wissen gewiß, daß ich Sie liebe, von Herzen liebe, und daß ich glücklich wäre, Sie irgendwo hingestellt zu sehen, wo es Ihnen wohl ergieng, ohne daß Sie aus aller Berührung mit den Menschen gebracht wären; Ich hatte einstens einen nachher verunglückten Plan, wie sie wißen, mit dem Frankfurter Theater; Ohne zu wissen, ob es gelingt, oder ob Sie einwilligen würden, wenn es gelänge, habe ich die Idee gefaßt, ob es nicht möglich sein sollte ihnen eine Professur der schönen Wißenschaften in Heidelberg zu verschaffen, wo es Ihnen so sehr gefallen hat. Könnte Ihnen diese Hoffnung[S. 98] sehr angenehm sein, so bitte ich Sie herzlich, sie als äußerst ungewiß anzusehen, damit Sie durch das Fehlschlagen nicht betrübt werden mögen. Nun will ich Ihnen kurz aus einander setzen, wie ich auf die Idee gekommen bin. Sie wissen, daß Heidelberg durch Baden neu organisirt wird, man geht dabei bescheiden und würdiger zu Werk, als in Würzburg. Der Minister von Edelsheim, der das Ganze leitet ist human, voll guten Willens, aber es fehlt dort, wie überall an Ansicht, Herr Professor Kreuzer von hier ein Philolog, mein Freund, ein bescheidner geistvoller Mann ist auf die einfachste Art dorthin berufen worden, er hatte den Ruf nach Wilna, und da er etwas vor der Fremde scheute, so sendete er vorerst seine Einleitung in den Herodot an seinen Freund den Professor Daub in Heidelberg mit der Anfrage, ob sie schon einen Philologen dort hätten? Dieser schickte das Buch an den organisirenden Minister von Edelsheim nach Karlsruhe, und wenige Tage hierauf erhielt Kreuzer von dem Minister die Einladung zu einer Professur. Eben so ist mein Schwager der Professor von Savigny von hier dahin berufen worden, der aber wegen einer großen gelehrten Reise, es bis zu seiner Rückkehr abgelehnt hat. Da ich durch diese Männer nun allen Umgang hier verlohr, so war ich anfangs willens mit meiner Frau nach Dresden zu ziehen, um in ihrer Nähe zu sein, lieber Tieck, denn sie wissen es vielleicht nicht, mit welcher kindischen Sehnsucht ich immer an Sie gedenke, und wie ich in mir selbst fest überzeugt bin, nur ihre Nähe, ihr Umgang könne eine fürchterliche Unruhe und unerklärbare Muthlosigkeit, die mich zusichtlich zerrüttet, auflösen, ich hatte diese große Translokation fest beschloßen, als ich plötzlich in dieser Idee durch meine Familiengeschäfte, und meine Vermögungsumstände verhindert ward, welche mir es nicht erlauben mich weit von Frankfurt zu fixiren. Heidelberg ist mir der einzig taugliche Ort dazu, und da ich wegen der Ausführung meines Plans an den[S. 99] Dr. Creuzer nach Heidelberg schrieb, und zugleich meinen Wunsch, sie dort angestellt zu wißen, ihm mittheilte, weil es mir bekannt ist, daß das Ministerium sehr auf die Vorschläge der Professoren bei der Besetzung der Professuren achtet, so hat er mir auf diesen lezten Punkt folgendes geantwortet, was ich Ihnen abschriftlich mittheile, indem Sie dadurch am leichtesten au fait gebracht werden können.

„Mit ihrem frommen Wunsche, Ludwig Tieck betreffend, stimme ich aus voller Seele zusammen. In der That, wenn ich jezt bei meinen einsamen Wanderungen in den mächtigen Ruinen des hiesigen Schloßes unsere neudeutsche Kleinheit fühle, empfinde ich lebhaft, daß hier ein Ort für Männer sei, die das alte große Deutschland im Herzen tragen, für Dichter, wie Tieck einer ist, die den alten romantischen Gesang in seiner Tiefe aufzufassen und auf eine würdige Art wieder zu beleben vermögen. Urtheilen sie also selbst, wie sehr ihr Wunsch auch der meinige ist, ohne daß ich die persönlichen Beziehungen kenne, die Ihnen Tiecks Umgang zum Bedürfniß machen. Aber warum kann ich Ihnen hier nicht mit so großer Zuversicht entgegenkommen! — Sehen Sie, das gehört zu der Seite Heidelbergs, die ich nicht mit dem frohen Muthe schon jezt anzupreisen wage, als die hiesige Natur, die hiesigen Menschen und die geselligen Verhältniße. Ich habe mich in Carlsruhe wo ich neulich war, selbst überzeugt, daß man zwar die besten Absichten für die Universität, auch recht gute einzelne Ideen hat, daß es aber bis jezt an einem recht tüchtigen Mittelpunkt aller wißenschaftlichen Ansicht, und folglich an einer tiefgefaßten Einsicht in die hiesigen gelehrten Bedürfniße fehlt. — Ich habe nach Kräften geredet — aber da viel zu wirken, dazu gehört ein Mann in einem ganz freien Verhältniß zu dem hiesigen Land, den sein Stand, sein Vermögen, sein öffentlicher Credit auf eine gewiße Höhe gestellt hat — ein solcher Mann ist Savigny, dessen Besuch der Mini[S. 100]ster dringend wünscht. Ich habe es Savigny schon geschrieben, er kann viel dort thun, und auch für Tieck, aber er muß eilen, denn man empfiehlt hier rechts und links, und es ist auch bereits schon ein obskurer Mensch als Aestetiker projecktirt, noch ist es Zeit für Tieck zu wirken. Wie wäre es, wenn er seinen Wunsch dazu, etwa mit seiner Ausgabe der Minnelieder und der vortreflichen bescheidnen lehrenden gelehrten Vorrede, an einen der Freunde, die er sich bei seinem Aufenthalt hier unter den Gelehrten erworben hat, sendete, wie wären wir alle belohnt, wenn er mit uns sein könnte.“

Dieses sind die Worte meines Freundes, an Savigny habe ich bereits geschrieben, er liebt sie, wie ich, wenn er überhaubt nach seinen eigenthümlichen Grundsätzen und Plänen, sein Ansehen bei dem Minister zu gebrauchen Lust hat, so wird er auch gewiß für sie arbeiten, lieber, theurer Herr Tieck, o thun sie doch auch irgend Etwas darzu, ich wäre ewig glücklich, alle meine Hofnungen würden wieder erstehen, wenn ich dort unter ihrer Leitung, an einer Reproducktion der alten Heldengedichte arbeiten könnte. Wie herrlich wäre es, nach einem gewissen Plan arbeitend in einer ganzen Gesellschaft, die verschiedenen Heldengedichte wieder zu verbinden und hervorzuführen, ich wollte gern auf alle eigne Arbeiten Verzicht thun, und mein ganzes Leben für diese Arbeiten anwenden. Bei dieser Gelegenheit sage ich ihnen mein Herzlichen Dank für die große Belehrung, die sie mir, und allen ihren gelehrigen Lesern in der Vorrede zu den Minneliedern gegeben haben, lieber Tieck, wenn sie auf Erden in bürgerlichen Umständen nie glücklich sein sollten, so muß es auch wahr sein, daß sie ihren Himmel bereits im Herzen tragen. Ich habe vor einiger Zeit unter einigen poetischen alten Manuskripten von minderm Wehrt, eine Sammlung Minnelieder aus dem 14 und 15 Saeculo gekauft, die Lieder sind noch nicht edirt, und meist Nahmenlos, und von verschiedenem Wehrt, folgende Verfasser, die ich nicht[S. 101] kenne kommen unter ihnen vor, der Brandberger, Heinrich Graff von Würtemberg, H. v. Schromberger, Johann Sasse. Die Samlung enthält vorzüglich viele sogenante Wächter-Romanzen, und auch einen vollständigen Gedichtwechsel zwischen einem Edelmann und einer Fürstinn, von deren Gemahl er des Ehebruchs beschuldigt hingerichtet wird, doch alles nahmenlos, einige Strophen sind überschrieben, dies diechtete der Herre dri Stunnden vor seim Tot. Ich gedenke sie nächstens theilweiß bekannt zu machen, auch besizze ich in demselben Band, die von dem Minnesinger Nithard, dem Hofnarr des Otto des frölichen von Oestereich gesungenen eignen Schalksstreiche mit Bauren, und manches Andere, auch die seltene Ausgabe des Titurell, und noch vieles, waß dahin schlägt. Wie glücklich wäre ich in ihrer Nähe weißlicher fort zu sammlen und nebst Ihnen alles das zu benutzen. Eine Vereinigung zu einer gemeinschaftlichen zugleich hervortretenden Bearbeitung mehrerer sich gegenseitig unterstützender Gedichte jener Zeit ist immer mehr mein Wunsch, und ich würde mit aller Anstrengung und Liebe unter ihrer Leitung nach einer durch sie vorgeschlagenen Form, die Nibelungen, den Parzival, oder den Titurell oder waß sie wünschten bearbeiten. Ach aber alles dieses verhindert die Ferne, ich gehe einsam an ihrem Stöckchen durch die Welt, an ihrem lieben Stock, waß ich den Stock liebe, ihr Marseiller Marsch, „o Stock o Stock o Vaterland,“ hat für mich durch ihn eine andere Bedeutung erhalten. Geliebter Tieck sollte sich ein widriges Geschick, das bis jezt alle meine schönen Wünsche vereitelte abermals zwischen meine Hofnungen und ihre Erfüllung stellen, so verzeihen sie meiner Liebe, und sein sie versichert, daß Sie kein Herz so besitzen wie das meinige, wenn sie sich hierüber ein wenig freuen können, wenn es ihnen wohl thun kann, daß ich mich in jeder Stunde nach Ihnen oft mit Trähnen sehne, so ist auch das mir schon ein Lohn. Schreiben sie mir doch gleich auf meine Projeckte,[S. 102] und auch nach Heidelberg, wenn es Ihnen gut dünkt. Meine Frau, die nächstens ein Kindchen bekömmt, wünscht Ihnen Glück, und sich einen Sohn wie Ludwig Tieck. Ihr treuer

Clemens Brentano.

Grüßen sie den lieben H. v. Burgsdorf.

Dieser Brief muß erst zu ihrem Bruder nach Weimar oder zu Frommann laufen, da ich den Nahmen ihres Aufenthalts vergessen habe, eilen sie doch zu antworten. Kann denn ihr Burgsdorf nichts für Heidelberg thun?

III.

Marburg, den 28t. Mai 1804.

Ich habe ohnlängst, da ich ihren Aufenthalt nicht wußte, durch Herrn Doktor Herder in Weimar einen Brief an Sie gelangen lassen, ich weiß nicht, ob Sie ihn erhielten, sein Innhalt war die Frage, ob Sie wohl eine Professur der schönen Wissenschaften in Heidelberg annehmen würden, ich habe ihnen zugleich auseinandergesetzt, in wiefern ich Etwas dafür thun könnte, ohne noch ihre Erklärung zu wissen, habe ich meine Idee meinem Schwager mitgetheilt, da dieser in Carlsruhe viel vermag, ja beinah das Meiste, ich mußte es diesem sagen, denn er wird in wenig Wochen nach Italien gehen, und er konnte daher nicht auf ihre Erklärung harren, gestern begehrt er dringend ihre Erklärung an mich, in wiefern er sie nun nöthig hat, würde sich zeigen, wenn sie die Güte hätten mir sogleich zu antworten, ob ich ihnen durch meinen Vorschlag wonicht einen Dienst geleistet, doch meine treue ernste Liebe bewiesen habe. Ihr

Clemens Brentano.

Schreiben Sie ihre Erklärung, ob ihnen so etwas annehmbar schiene, an mich, aber so gleich!

[S. 103]

IV.

Erdberggaße No. 98 an der Landstraße
in Wien 1813 den 12. Juli.

Liebster Tieck!

Ich bin nach einer dreitägigen Reise, auf welcher mich das Leben sehr en Bagatelle traktierte, in Wien angekommen, in der so mannichfach gepriesenen Stadt, der Eindruck, den sie mir gemacht, ist ganz von meiner Erwartung verschieden, die Stadt, die ich bereits nach allen Seiten durchschnitten macht einen Eindruck wie Leipzig, Dresden und München durch einander, der herrliche Münster steht wunderbar, wie ein altes Gespenst, im modernen Getümmel, da sizzt die Spinne drinn, in deren Geweb, alle die modernen Fliegen hängen, und gebe es einen ewigen wandelnden Jesus wie einen Juden, so stände sie da, wie ein solcher unter den Jesuiten. Das Ganze ist wie überall, nur diese Kirche, ist wie Nirgends, „Ueberal und Nirgends“ aber ist ein Spiesischer Roman in dem viele Anlage, viel Stoff, aber kein Zug einer großen bildenden willenwollen- und vermögenden Meisterhand waltet. Mit Weg und Steg und Marschrouten beschäftigt, habe ich noch nicht von ihren Empfehlungen Gebrauch gemacht, werde es aber nächstens thun, und Ihnen dann treulich berichten. Ich will Ihnen nur meine gestrigen Entdeckungen erzählen; denen ich das einliegende Schreiben verdanke. Ich suchte Adam Müller auf, er bewohnt das Gräflich Carolische Schloß und Garten am Ende der Favoriten Linie gegen dem Theresianum über, ein äußerst reitzendes einsames grosartiges Lokal, wo er mit Unterstützung des Erzh. Maximilians eine Erziehungs Anstalt gründen soll, gegen welche von der Unwissenheit und Pfafferei viele Kämpfe eröffnet sind. Ich fand dort den Hofrath Fischer, den ich von Berlin kenne als Partikülier wohnend. Als Gehülfen der Anstalt aber einen sehr besonne[S. 104]nen Künstler und Freund Runges, den Mahler Klinghofström aus Schwedisch Pommern und einen alten Freund von mir den jungen H. v. Eichendorf aus Schlesien, nebst drei Priestern aus dem von Warschau durch die Franzosen vertriebenen Orden der Redemptoristen, Alle aßen wir zußammen und das Gemisch von nordischen Gelehrten und südlichen Priestern mit angenehmen Frauen und ihren kleinen Kindern in einem schönen Saal unter einem Gespräch über die heutige Predigt machte mir in meiner außerweltlichen Seele, die auch nicht grade geistlich ist, ein seltsames Weltbild von Heutzutage. Doch brachte ich einen reitzenden Tag zu und war beinah so neutral und vergnügt und fromm und gottlos als die Vögel auf den Castanienbäumen vor dem Fenster. Ich glaube auch Sie könnten dort sehr glücklich sein. Ich selbst wohne in dem reitzendsten Hauß, sind gleich die Wände von den herrlichen Kunstsammlungen eines ruhigen, geschmackvollen und reichen antiquarischen Gelehrten entblößt, so sprechen doch klassische Mottos über leeren Büchergestellen wie Grabschrifften zu mir, und den reitzenden Garten schmücken herrliche Abgüße von Antiken, und den schattigten Lauben Gang unter dichten Akazien hinab schmücken helle Büsten der edelsten Griechen und Römer, alles das erfüllt mich mit tiefer Rührung über den Untergang eines großartig und wissenschaftlich ausgebauten und eingerichteten Lebenswinkels in den Händen von Erben, die an Münzen 100 mahl so reich sind, als der treffliche Verstorbene, den sie in einem kunstlosen Sarg unter die Todtensammlung der Erde gestellt haben, ich fühle durch meine Umgebung seltsame Wellen in meiner Seele sich bewegen, mögen sie meine Seele nach irgend einer heiligen Insel hinführen. Jezt noch, lieber Tieck, herzlichen Dank, für Liebe und Schonung, ich bedarf Beides, um besser zu werden. Dem guten Leitenberger theilen Sie den Inhalt dieses Schreibens mit und sagen Sie ihm das herzliche Lebewohl, das ich ihm,[S. 105] weil ich ihn nicht fand, nicht selbst sagen konnte, auch nochmals zärtlichen Dank für alle seine Liebe und Güte. Auch Weber grüßen sie herzlich. Hier macht ein Stück von einem jungen Dichter Müllner aus Weißenfels, die Schuld, nicht nur vor dem Volk, sondern auch vor den denkenden Kennern die gröste Sensation, so bald ich es gesehen, schreibe ich Ihnen darüber. Empfehlen Sie mich den Ihrigen und der gütigen Gräfin Henriette, Humbold ist noch in Gitschin (?) oder schon in Prag beim Congress

ihr

Clemens Brentano.

V.

(Ohne Datum.)

Sehr verehrungswürdiger Freund!

Herr Förster, ein junger Gelehrter aus Altenburg, der die Preußischen Feldzüge mitgemacht und blessirt, jezt hier Lehrer bei einer Militairschule ist, hat mich gebeten, ihm einige Zeilen an Sie einzulegen. Dieser junge Mann ist recht wacker und bescheiden. Er bat mich um meinen Rath bei einem Taschenbuch auf 1817, dessen Herausgabe die Maurersche Buchhandlung ihm anvertraut. Ich habe ihn aufgefordert, Sie um einige Beiträge zu ersuchen, und ihm mein Vorwort versprochen. Sie können das Honorar selbst bestimmen. Jeder kleine Aufsatz, selbst ein kleines Schauspiel, oder ein Bruchstück ihrer Arbeit über Schakespeare, etwa ein Akt ihres Donauweibchens, oder was sie sonst haben, wäre interessant und würde seinen Dank verdienen. Wollen Sie vielleicht über Theater sprechen? das können Sie so herrlich. Fr. von Kleist hat ihnen die kleistischen Papiere übermacht, daraus ließe sich vielleicht, um das Publikum aufmerksam zu machen schon etwas mittheilen. Kurz, sein sie gütig, geben Sie, was Sie haben, und wollen; ich habe nie in einen Almanach geschrieben,[S. 106] weil die Herausgeber meist gar hofärtig waren. Dieser gute junge Mann ist aber bescheiden und läßt sich rathen. Auch Herrn von Schütz, sprechen Sie um einige kleine Beiträge an und eröffnen Sie ihm dieselben Bedingungen. Haben Sie sonst etwas von lebenden oder verstorbenen Freunden so theilen Sie es gütig mit. Fouqué grassirt hier gewaltig bei dem Unverstand, er ist viel besser, als seine Leser, die ganz hölzern sind. Er hat ein großes Glück in seiner Theater-Unschuld, und versäumt keine Vorstellung mit vollkomner Befriedigung beizuwohnen. Man spricht noch immer stark von einem zweiten Theater unter Fouqués Leitung. Bei welchem Fund ein blindes Huhn kein Gerstenkorn gefunden. Meine Wuht gegen das Schauspiel wird täglich größer. Sie liegen so nah, wer Sie verstände wüßte Sie gewiß so in Thätigkeit zu setzen, daß Sie gar nicht gehindert wären, der Gicht abzuwarten. Ich hatte dem alten Waagen eine herliche Gelegenheit gefunden, seine Bilder hier aufzustellen und zu verkaufen, als ich mir die Finger stumpf geschrieben und Alles in Ordnung glaubte, gab er auf einmahl Alles auf. Ich wünsche nicht, daß es der Schaden der Kinder sei. Wir grüssen Sie alle herzlich, (Lücke im Briefe, durch ein weggerissenes Stückchen Papier) Albertis und Mutter, und die Meinigen. Meinen Herzlichen Gruß an den liebenswürdigsten H. von Schütz, er war recht freundlich gegen mich und ich habe ihn sehr lieb gewonnen. Empfehlen Sie mich den Ihrigen, mit vollkomner Verehrung

ihr ergebener

Clemens Brentano.

VI.

(Ohne Datum.)

Ich sende Ihnen hier, liebster Tieck die englischen Comödien, ich habe nur diesen Theil und fürchte, daß Ihnen nun doch nicht ganz geholfen sey, herzlich bitte ich Sie mir das[S. 107] Buch nicht über zwei Monate zu behalten, indem ich einiges daraus bekannt zu machen mich verbunden habe, so viel ich weiß, wollten Sie es ja nicht abdrucken, sondern bei ihrem Buch über Schakespear benutzen. Den Titurel bin ich leider nicht im Stande Ihnen jezt zu senden, da ich ihn dem jungen Dichter und Philologen Wilhelm Müller, der den alten englischen Faust meisterhaft übersetzt hat, auf einige Zeit eben bei Erhalt ihres gütigen Briefes mitgetheilt. Was mich von litterarischen älteren Producten in der letzten Zeit besonders verwundert hat, war eine Uebersetzung der Celestina aus 16ten Jahrhundert in Strasburg erschienen, von so ungemeiner Genialität und ungeheurer Macht und freien elastischen Spannung und Biegung der Sprache, wie mir in meinem Leben nie etwas vorgekommen, eine andre bessre Uebersetzung ist gar nicht möglich. Ich kann nur den Fischart für den Meister halten, es verhält sich ganz zum Original, wie seine Geschichtsklitterung zum Rabelais. Es wurde mir leider auf der Auktion bis 30 Thlr. getrieben, die ich nicht hatte. Ich halte es für eins der merkwürdigsten deutschen Produkte, es ist hier in die Prinz Heinrichsche Bibliothek gekommen. Leben Sie herzlich wohl und bleiben Sie mir ein bischen gut. Görres arbeitet an einer Volks-Liedersammlung von der ersten deutschen Zeit bis jetzt, einer Entwicklung des Ideenkreises im Mittelalter, und einer Sagensammlung.

Ihr

Clemens Brentano.


Brockhaus, Friedrich Arnold.

Geb. den 4. Mai 1772 in Dortmund, gestorben am 20. August 1823 zu Leipzig. Begründer einer weltberühmten buchhändlerischen Firma (F. A. Brockhaus) und mehrfacher genialer bibliographischer wie literarischer Unternehmungen. Er lebte erst in Amsterdam, sodann in Altenburg, und[S. 108] zog endlich nach Leipzig, wo er bis zum Tode wirkte. Der nachstehend mitgetheilte Brief ist nicht unwichtig für eine richtige Anschauung geschäftlicher Verhältnisse zwischen Autor und Verleger, über welche ein großer Theil der gebildeten Welt sich noch immer seltsame Begriffe macht.

Hr. Dr. Ludwig Tiek Wohlgeb. in Dresden.

Leipzig den 30. May 1823.

Sehr verehrter Freund.

In der Druckerey hat man mir die Versicherung gegeben, daß die Vorschule bis zu Ende der nächsten Woche ausgesetzt seyn solle. Es wird sich also noch machen laßen, daß Sie alles vor Ihrer Reise nach Töplitz corrigiren können.

Wegen der bemerkten Druckfehler, so hat der Setzer in der Druckerei, der solche auszumerzen gehabt hätte, darin allerdings Fehler begangen. Indeßen sind sie doch nicht sehr bedeutend. Ein Verzeichniß derselben wird am Ende aber immer nützlich seyn.

Die Solgeriana liegen mir aus bemerkten Ursachen sehr am Herzen!

Daß es die Novelle vor allen Dingen thun muß, können Sie denken. Ich bitte Sie daher auf das dringendste, mich damit nicht stecken zu laßen, da es mich in die empfindlichste Verlegenheit bringen würde!

Was die Herausgabe Ihrer sämtlichen Werke anbetrifft, so glaube ich, daß ich mich auf für Sie verehrtester Freund annehmliche Bedingungen mit Ihnen verstehen würde, wenn Sie deshalb vorab mit Reimer auseinander wären. Aber mich meinerseits mit diesem deshalb in Feindschaft und Streit zu setzen, mag ich nicht und könnte ich Schätze dabei gewinnen.

Wäre ich in Ihrer Stelle, so würde ich R. sehr einfach erklären, daß sowohl Berücksichtigung Ihrer Familie als der Wunsch Ihre Werke gesammelt in einer anständig und einförmig gedruckten Ausgabe erscheinen zu sehen, Sie zu dem[S. 109] festen Beschluß gebracht hätte, im nächsten Jahre eine Gesamtausgabe davon zu veranstalten. Was Wieland, Göthen, Schillern und den Herderschen Erben Recht gewesen und geworden müße es auch Ihnen seyn. Sie glaubten ihm aber vor andern den Vorzug geben zu müßen, weshalb Sie sich zuerst an ihn wendeten. Er möge sich also cathegorisch darüber erklären, wie er darüber denke, und wie er eine solche Gesamtausgabe zu honoriren gedenke. Ihre Bedingung eines saubern guten Drucks sey dabey nicht außer Acht zu laßen.

Können Sie sich dann mit R. nicht einigen und ergeht aus Ihrer Correspondenz mit ihm, daß er darauf resignirt, so trete ich gerne mit Ihnen in nähere Unterhandlung, die auch wohl zu einem Resultate führen dürfte, wenn man dem Publikum in dieser Ausgabe (letzter Hand) wesentliche Verbeßerungen der frühern Schriften und einiges Neue versprechen dürfte und ich der reellen und schnellen Ablieferung des Msc. gewis bliebe.

Auf das Hochachtungsvollste und Freundschaftlichste

Brockhaus.


Brühl, Karl Friedrich Moriz Paul, Graf.

Geb. zu Pfördten am 18. Mai 1772, gestorben zu Berlin 9. August 1837. Von 1815 bis 1828 Generalintendant der Königlichen Schauspiele, späterhin der Museen und Kunstanstalten Berlins. Sein redlicher Eifer für das Edle und Schöne, seine wahre Humanität, seine stets vermittelnde Bereitwilligkeit und Milde, seine männliche Ausdauer im kleinlichen quälenden Kriege gegen Spontini’s Intriguen und Uebergriffe, wobei er stets für deutsches Wesen und Kunst kämpfte, auch siegreich für Carl Maria Weber’s Interesse stritt — dies Alles sichert dem edlen Manne ein ehrenvolles Gedächtniß. Die fünf an Tieck gerichteten Briefchen bekunden, daß er diesem nicht minder anhänglich und ergeben gewesen, wie seinem großen Freunde Goethe, dem er bis zum Tode geistig und gemüthlich nahe stand.

[S. 110]

I.

Dresden, 28. August 1829.

Erlauben Sie mir werther Herr Hofrath, Ihnen hier meinen aufrichtigen Glückwunsch über die gestrige so glückliche gelungene Darstellung des Faust, vorzüglich aber über den schönen Prolog auszusprechen, mit welchem Sie uns beschenkt haben. — Er ist mir in jedem Sinne vortrefflich erschienen, und ich fühle mich gedrungen Sie um Erlaubniß zu bitten, ihn abschreiben zu dürffen in sofern er nicht etwa im Druck erscheint. — Ich habe nicht allein den Wunsch ihn für mich zu besitzen sondern möchte ihn auch gern dem Herzog Carl von Meklenburg schicken, welchem ich Bericht erstatten will über alles was ich gestern gesehen und gehört. —

Die Einrichtung des ganzen schien mir höchst gelungen und das Spiel der Mitwirkenden, fast in allen Stücken, sehr lobenswerth. Auch die scenirte Einrichtung leistete alles was auf einem so kleinen Theater zu fordern ist. Verzeyhen Sie mir meine bescheidene Frage; — werden Sie nicht hie und da noch, den Stift ansetzen? War die letzte Scene nicht zu lang — so vortrefflich sie auch gespielt wurde?! Verzeyhen Sie werther Herr Hofrath diese bescheidenen Fragen, und genehmigen Sie die Versicherung meiner vollkommensten Hochachtung und freundlichen Ergebenheit

Brühl.

II.

Seifersdorf, 20. September 1829.

Meine Abreise ist durch einen höchst unangenehmen Vorfall verzögert worden nehmlich durch den plötzlichen Todt meines Pachters so daß ich nun erst in einigen Tagen meinem lieben, stillen, Seifersdorf Valet sagen werde. —

[S. 111]

Diese Verzögerung verschafft mir indeß das Vergnügen Ihnen werther Herr Hofrath noch von hier aus den verbindlichsten Dank im Nahmen des Herzog Carl von Meklenburg, für gütige Uebersendung des Prologs zu Faust — auszudrücken. — Vor einigen Tagen erst habe ich ein sehr langes Schreiben von ihm gehabt, in welchem er viel über Faust, und deßen Ausführbarkeit und Aufführbarkeit spricht, — sich aber vorzüglich günstig und außerordentlich beyfällig über Ihren Prolog ausdrückt. — Vieleicht schreibt er Ihnen noch selbst über diesen Gegenstand! —

Bey dieser Gelegenheit kann ich nicht umhin, wie der Schüler im Faust, Ihnen werthester Herr Hofrath beyfolgend mein Stammbuch zu übersenden mit der dringenden Bitte Ihren Nahmen hineinzuschreiben.

Lachen Sie nicht über mich — ich habe aber gleichfalls wie jener Primaner, eine große Vorliebe für Stammbücher. — Da ich nur noch bis Sonnabend hier bleibe, so muß ich so unbescheiden seyn, — nicht allein um Erfüllung meiner Bitte, sondern auch um baldige Erfüllung derselben dringend zu ersuchen! — Am nächsten Freytage kömmt ein Bote in die Stadt und wird — wenn Sie es erlauben — das Buch wieder abhohlen.

Indem ich mich, werther Herr Hofrath, Ihrem und der Ihrigen gütigem Andenken dringend empfehle bitte ich Sie, die Versicherungen meiner aufrichtigsten Hochachtung und freundlichsten Ergebenheit empfangen zu wollen.

Brühl.

Würde vieleicht Gräfin Finkenstein als eine so vieljährige Bekannte, gleichfalls so gütig seyn sich in das Stammbuch einzuschreiben?

[S. 112]

III.

Berlin, den 11ten April 1833.

Die Ueberbringer dieses, — mein Vetter, der junge Graf Pourtales-Gorgier und sein Führer, Herr Godet, beide aus Neuchatel — wollen die Universitäts-Ferien benutzen, um Dresden’s Kunst-Schätze und Umgebungen kennen zu lernen. — Nehmen Sie, werther Herr Hofrath! dieselben um meinetwillen gütig auf. — Hr. Godet ist ein sehr gebildeter Mann und der Deutschen Sprache mächtig.

Bevorstehenden Sommer hoffe ich nach Seifersdorff, folglich auch nach Dresden zu kommen, un freue mich schon im Voraus recht herzlich darauf, Sie und alle Ihre lieben Hausgenossen wieder zu sehen.

Seitdem wir uns nicht gesehen haben, war ich unbeschreiblich leidend, und habe mehreremale an meinem Leben verzweifelt. Seit 5 Wochen habe ich aber der Fahne der Homöopathie geschworen, und fühle daher schon meinen Krankheitsstoff bedeutend erleichtert; der Himmel gebe seinen Seegen weiter. — Wer so hoffnungslos — als ich im Laufe verflossenen Winters — war, fühlt sich durch jede kleine Hoffnung schon beglückt.

Empfehlen Sie mich, werther Herr Hofrath! Ihrer lieben Familie und der Gräfin Finkenstein auf das Angelegentlichste, und halten Sie sich meiner unwandelbaren Hochachtung und freundschaftlichsten Ergebenheit fest überzeugt.

Brühl.

IV.

Berlin, 9. July 1835.

Ew. Hochwohlgebohren

wünscht der Ueberbringer, Hr. Peters Großherzoglich Meklenburgscher Hof Schauspieler, — durch mich empfohlen zu seyn, und so sehr ich im allgemeinen Empfehlungen scheue, so will[S. 113] ich Sie doch bitten, werther Herr Hofrath den Mann quaestionis gütig aufzunehmen. Er hat ein bedeutendes Talent, und es thut mir nur leid, daß die ihm in Dresden zugestandenen Rollen sich nur im Kreise der niederen Komik bewegen, wo er zuweilen ein wenig durchgeht. — Ich halte ihn für ein höheres Fach außerordentlich brauchbar. — So habe ich zum Beyspiel den Wachtmeister in Wallensteins Lager nie besser spielen sehen als durch ihn. Wenn Sie ihm zu einer Rolle dieser Art verhelfen wollen, so werden Sie gewiß mit ihm zufrieden seyn. Er ist auch Sänger, das heißt er hat eine sehr angenehme Stimme, aber keine bedeutende Kunstbildung. Nun Sie werden ja sehen, was Sie mit ihm anfangen können.

Indem ich Sie bitte, werther Herr Hofrath, mich Ihrer lieben Familie und Gräfin Finkenstein gehorsamst zu empfehlen, schließe ich mit der Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung und freundlichsten Ergebenheit

Brühl.

V.

Berlin, 28. März 1837.

Ew. Wohlgebohren

erlaube ich mir den Ueberbringer Hr. v. Mètral von Saint Saphorin angelegentlichst zu empfehlen. Er ist ein Schweitzer aus dem Canton Waadt und stammt aus einer der geachtetesten Familie dieses Cantons. Die Beendigung seiner theologischen Studien haben ihn nach Berlin gebracht, und er ist mir von mehreren Seiten, nahmentlich von meinen Verwandten in der Schweitz — sehr dringend empfohlen. Ich habe ihn hier oft bey mir gesehen, und ihn als einen wohl unterrichteten wackeren jungen Mann kennen lernen.

Gegenwärtig benutzt er die Ferien um Dresden und Prag[S. 114] zu besuchen, und daselbst die bedeutenden Kunst-Anstalten so wie berühmte Litteratoren und Künstler kennen zu lernen. Nehmen Sie denselben gütig auf, und wenn es die Gelegenheit giebt, so erlauben Sie ihm einer Vorlesung beyzuwohnen.

Ich freue mich im nächsten Sommer das Vergnügen zu haben, Sie werther Herr Hofrath, hoffentlich — wieder zu sehen, und Ihnen mündlich die Versicherungen meiner unwandelbaren Hochachtung und freundlichsten Ergebenheit wiederhohlen zu können.

Brühl.


Bürger, Elisa.

Eine Frau, welche durch ein aus der Ferne zugesandtes Liedchen unsern armen Bürger, den wahrhaft deutschen Sänger, zu fesseln und ihn in’s Ehejoch zu verlocken wußte, würde schon an und für sich auf dieses Plätzchen in vorliegender Sammlung Anspruch haben. Wer aber Tieck jemals von Angesicht gesehen, der muß überrascht werden durch eine Zeile im Briefe dieser Frau, die ihm eben niemals gegenüber stand, und dennoch die bedeutsamen Worte ahnend niederschreibt: „Dessen Augensterne ich wohl einmal funkeln sehen möchte, wenn ihn Begeisterung erfüllt!“ Etwas Treffenderes, deshalb Schöneres, dürfte schwerlich über seinen Anblick gesagt worden sein. Darin werden Alle übereinstimmen, deren Augen den seinigen begegnet sind.

Frkf. am Main den 22. May 1830.

Verehrtester Herr Hofrath!

Diese Zeilen sind die Ersten welche ich an Sie zu richten Veranlassung finde, und ich zage nicht bei dem Wagstück, denn ich erweise Jemand einen Dienst, und erreiche zugleich einen lang gehegten Wunsch. Mit welchen Empfindungen haben ihre Geistesflammen mich oft ergriffen, belebt, entzündet! Sie lesend lebte ich oft um Sie, und so schreibe ich jezt nicht an einen mir Fremden, sondern nur an einen Fernen, Hoch[S. 115]geachteten, dessen Augensterne ich wohl Einmal funkeln sehen mögte wenn ihn Begeistrung erfüllt! Doch ich hemme die vergeblichen Wünsche, um einem, vielleicht leichter zu erreichenden, eines Kunst-Sohnes zu genügen.

Das einliegende Schreiben ist von einem jungen Schauspieler, dem es ein rechter heiliger Ernst ist dem höhern Genius zu huldigen. Die Natur hat ihn mit einem Aeusseren begabt welches zu der Tragödie vollkommen paßt; Gros, schlank, hellbraun von Haaren, blaue Augen, einen feingeformten Mund mit blendend weißen Zähnen, hat er eine Aussenseite welche für ihn einnimmt, dabei ein kräftiges und wohltönendes Sprachorgan, jeder Modulation fähig. Unter Ihren Augen, von Ihnen beobachtet und zurecht gewiesen könnte er einem vorzüglichen Grad der Kunstweihe entgegen reifen. Er hat Gewandtheit und geistige Auffassung; sein Roderich im Leben ein Traum, sein Romeo, sein Don Cäsar sind treffliche Beweise seines Kunstberufs. Wird es ihm durch Ihre Fürsprache vergönnt in Dresden als Gast zu erscheinen, so sind seine schönsten Wünsche erfüllt wenn er Ihre Huld gewinnt. Aufs innigste bitte ich Sie, der schon so Manchem Wohlwollen bewies, es diesem Manne nicht zu versagen, und erwarte hoffend Ihre gütige Entschließung.

Mit unbegrenzter Verehrung

Ihnen

ergeben.

Elise Bürger.

(Theodora.)


Büsching, Johann Gustav Gottlieb.

Geb. zu Berlin am 19. September 1783, gestorben zu Breslau am 4. Mai 1829. Sohn des Geographen Christ. Friedr. B. begann er eine amtliche Laufbahn (1806) bei der Regierung in Berlin, hielt jedoch nicht lange als Referendar aus, und folgte dem Drange seines Herzens, der ihn[S. 116] zum Studium germanistischer Wissenschaft, Literatur, Geschichte und Kunst zog. Den Uebergang bildete das ihm zu Theil gewordene Commissorium bei Inventur der aufgelösten Stifter und Klöster in Schlesien, wo er so recht in antiquarischen Schätzen wühlen durfte. 1811 wurde er Archivar, 1816 Privat-Docent, 1817 außerordentlicher, 1823 ordentlicher Professor an der Breslauer Universität. Unermüdet fleißig, treu im Streben und Forschen, gut und liebevoll gegen alle Menschen, gewährte ihm sein redliches Wollen durch niemals rastende Thätigkeit befriedigenden inneren Ersatz für oftmals zweifelhafte äußerliche Erfolge. Trotzdem daß das Verzeichniß seiner vielseitigen kunsthistorischen, literarischen, antiquarischen und belletristischen Schriften zwei lange Seiten füllt, kam er doch als Autor niemals recht auf einen grünen Zweig, und blieb fast immer beim succès d’éstime. Das hielt ihn jedoch nicht ab, unverdrossen seiner guten Sache um ihrer selbst Willen alle Opfer zu bringen, die ein edler Mensch — und nur ein solcher — zu bringen weiß. Sein Brief an T. ist auch ein Beleg dafür. Klingt es nicht wehmüthig-naiv, daß der Redacteur (nicht „auf gemeinschaftliche“) sondern auf eigene Kosten, der zugleich Herausgeber und Verleger ist, von thätigen Mitarbeitern träumt, die keinen Anspruch machen wollen honorirt zu werden? — Guter Büsching!

Er hat unendlich viel durch Editionen schon vergessener Dichtungen, Urkunden und Kunstsachen, die seine Hand vor Untergang rettete, gefördert. Das Meiste davon dürfte schwerlich über die Kreise der Fach-Genossenschaft gedrungen sein. Was aber allgemeinste Verbreitung fand ist das in jeder Beziehung wichtige Buch „Lieben, Lust und Leben der Deutschen des 16. Jahrhunderts in den Begebenheiten des Ritters Hans von Schweinichen.“ (Drei Bände, Breslau 1820–23.)

Und um Schlesien erwarb er sich noch ein ganz besonderes Verdienst, indem er die alte Ritterburg bei Kynau (unweit Schweidnitz und Charlottenbrunn) ankaufte und theilweise restaurirte. Auch für dieses Opfer ist dem großherzigen Mann geringe Dankbarkeit im Leben begegnet. Desto näher liegt die Pflicht, Seiner überall in Ehren zu gedenken.

Breslau d. 9. Weinmonat 1816.

Wohlgeborener,
Hochverehrter Herr Doktor.

Schon längst war es mein Wunsch und Wille, mich mit Wiederholung einer von Ew. Wohlgeboren schon einmal gütigst und freundlich angenommenen Bitte an Sie zu wenden,[S. 117] es verzögerte sich aber immer, da ich wünschte Ihnen von demjenigen, wozu ich Sie einzuladen Willens war, mehr zu übersenden, als ich in früheren Monaten dieses Jahres im Stande war. Eine Reise und andere Abhaltungen in diesen letztern Wochen verzögerte wieder die Erfüllung meines Vornehmens, desto lieber ergreife ich aber die jetzige sich mir darbietende Gelegenheit, Brief und Anlagen sicher in Ihre Hände zu bringen.

Schon vor 6 Jahren war ich so frei, Sie zu einer Unternehmung einzuladen, welche kurz darauf, theils durch die Unzulänglichkeit des Buchhändlers, theils durch meine Versetzung hieher einschlief. Damals waren Sie so gütig, mir für mein Pantheon gefällige Beiträge zu versprechen und jetzt nehme ich Ihre Güte wieder in Anspruch, indem ich mir zu meinen wöchentl. Nachrichten, deren erste neue Hefte ich das Vergnügen habe, Ihnen beikommend zu überreichen, Ihre gütige Hülfe erbitte.

Den Umfang, welchen ich dem Ganzen zu geben wünsche, zeigen die bis jetzt vollendeten Hefte; vieles kann nur Stückwerk, nur hingeworfener Gedanke sein, die Mangelhaftigkeit des Ueberblicks, der jetzt nur erlaubt ist, muß es entschuldigen. Nach gediegenen, tüchtigen und eingreifenden Aufsätzen verlange ich aber sehr und dringend und so wendet sich denn vorzüglich auch meine Bitte zu Ew. Wohlgeboren:

mich freundlichst mit den schon einmal früher versprochenen Aufsätzen zu erfreuen.

Besonders würden mich auch Beiträge über Kunst des Mittelalters sehr erfreuen. Da ich zugleich Herausgeber und Verleger bin, so erlauben Sie mir, daß ich mich als dieser frei erkläre. Bei der Lauigkeit und Schlechtigkeit des Buchhandels, besonders hier in Breslau, konnte ich nicht darauf rechnen, einen Verleger zu finden, der das kostspielige Unternehmen übernahm. Vielfach herum zu fragen und abschlägige Ant[S. 118]worten zu hören, dazu war ich doch zu stolz. Ich unternahm es daher auf eigene Kosten und habe gesehen, daß die Liebe zur Vorzeit noch immer mehr Wort als That ist, indem ich bis jetzt kaum über die Hälfte der Kosten gedeckt bin. Demungeachtet werde ich, da ich das Unternehmen für ein ersprießliches halte, es auch im folgenden Jahre fortsetzen, kann aber freilich Ihnen keinen Ehrensold anbieten (!). Versichern kann ich indessen, daß, sobald ein Vortheil sich ergiebt, ich mich auch immer nur als Haushälter ansehen und jeglichem meiner Herren Mitarbeiter nach Maßgabe des Einkommens auch die gehabte Arbeit und Mühe vergüten werde.

Erlauben Sie mir noch ein paar Worte über den Brief, der mit diesem zugleich kommt, oder der vielmehr dies Schreiben nur mitnimmt. Herr Hermann[6] wünscht und bittet um Ihr Urteil über seine Arbeit. Es ist ein guter, bescheidener Mann, dem es mit der Sache, welche er treibt, ernst ist und er fürchtet daher kein Urteil, welches zur Besserung seines Unternehmens gereichen kann.

Raumer und Hagen werden jetzt in Venedig sein. Von diesem habe ich erst ein paar Zeilen erhalten, jener ist fleißiger: Beide haben schon manches Wichtige aufgefunden.

Indem ich mich Ihrer Gewogenheit empfehle, füge ich noch die Bitte hinzu, mich mit einer gütigen Antwort und wo möglich gleich mit Beiträgen zu erfreuen und versichere mit größter Hochachtung und Ergebenheit zu sein

Ew. Wohlgeboren

gehorsamer Diener

Büsching.


[S. 119]

C.

Wer ist diese C? und welchen Sinn haben ihre sublimen Geständnisse, die für uns Geheimnisse bleiben? Welche Beziehung auf Tieck’s Verhältniß zu ihr? Lebt noch jemand, der sie zu enträthseln verstünde? Schwerlich! — So mögen sie denn gleich einer Blüthe aus seinem Frühling aufbewahrt werden! Ist ja doch jegliche Blüthe ein Mysterium!

Ich wollte erst sagen, ich könnte noch nicht schreiben, ich wollte erst wieder zu mir selbst kommen, — aber warum das gegen Sie, der Sie mein Gemüth in seiner Verwirrung besser erklären werden, als es das gelungendste Bemühen mich auszusprechen, thuen könnte. — Wie unaussprechlich hat mich Ihr Brief gerührt. — Ich bin eigentlich betäubt und fühle mich recht stumpf in diesem Augenblick, aber doch lege ich allen Werth des schönsten Andenkens auf ihn und fühle daß meinem Herzen nichts von der Existenz geraubt werden kann, die in diesem unbegreiflich schicksalvollen Jahre, wie nach einer Auferstehung über mich gekommen ist und ich weiß in diesem Augenblick kein anderes Wort ihm Erlösung zu geben, als Sie meinen theuersten Lehrer zu nennen. — Dies ist das Gefühl, was mir im ersten Augenblick Ihrer Bekanntschaft, so wunderbar gegen Sie erschien, und wovon ich seitdem die Spur in der schönsten Ruhe meines Gemüthes und in der Art erfahren habe, womit ich das Leben ergreife — und laße. — Ich habe Glauben, das fühle ich. — Wenn ich auf meine erste Kindheit und Jugend zurücksehe, erkenne ich ihn als meinen Engel, ich kann ihm folgen in alle den Irrthümern von denen er mich nicht retten konnte, und finde ihn wieder in den tausend Erlösungen, die mir immer das Bild jener letzten waren, nach der ich mich jetzt mit Liebe und Wonne und nicht mehr mit Ungestüm sehne. — Aber daß Sie dies Wort über mich aussprechen mußten. — Ich kann nicht sagen wie ich das gegen Sie empfinde. — Alles Räthselhafte meines[S. 120] Gemüths, hat sich plötzlich in mir gelöst, ich fühle daß ich der Verklärung wirklich nahe bin, die Sie mir verkündigt haben. — Gleich nach Ihrer letzten Abreise von M. fühlte ich dies mit einer Gewalt daß ich Unrecht that, Ihnen nicht damals zu schreiben. — Jetzt ist mir unter den vielfachen Anfechtungen der Freude diese unaussprechliche klare Stille entschwunden. — Aber ich weiß es, Ihre wohlthätige milde Gegenwart giebt Sie mir wieder und dann wird es mein Entzücken und meine Heilung seyn, meine ganze Seele zu Ihnen sprechen zu laßen. —

C.


Carové, Friedr. Wilh.

Geb. den 20. Juni 1789 in Koblenz, 1811 Conseiller auditeur beim Apellationsgerichtshof zu Trier, 1814 Einnehmer beim Rheinzollamt in Gernsheim, 1818 Doktor der Philosophie, Hegels Schüler, 1819 Privatdocent in Breslau, später in Frankfurt, Heidelberg, München &c. Philosophischer Schriftsteller, Gegner des Katholicismus, als welcher er sich in „Die allein selig machende Kirche“ (1826) u. a. Werken ausspricht. Er hat vielerlei historisch-politische, auch literargeschichtliche Schriften publicirt.

Heidelberg, d. 27. 9. 1820.

Verehrtester Freund!

Es freut mich, nun endlich Ihrem Wunsche entsprechen zu können, indem ich Ihnen den Band alter englischer Schriften, von welchem ich Ihnen einigemale Meldung gethan, hiermit übersende. Sollten Sie dessen gelegentliche Benutzung in 3 Monaten beenden können, so würde es mir angenehm seyn, ihn demnächst durch Buchhändlergelegenheit zurückzuerhalten, da ich die erste darin enthaltene Abhandlung, entweder ganz oder im Auszuge, als höchst wichtigen Beitrag zur Hexengeschichte wie zum Somnabulismus, dem Publikum mitzutheilen gesonnen bin. —

[S. 121]

Von meiner Reise sage ich nur wenig, da Ihnen die Städte und Gegenden, die ich durchwandert, schon durch Selbstsicht bekannt sind.

In München freute es mich so liberale Anstalten zum Genuß und zum Studium der Kunstwerke vorzufinden, die man in Dresden einigermaßen vermißt. Auch scheint der geistvolle Cornelius dort eine freiere Strebung unter den werdenden Künstlern zu erregen. —

In Tyrol und besonders zu Innsbruck gedachte ich oftmals dankbar Ihres freundlichen Rathes, auf meiner Wanderung doch nicht die stattlichen Gebirglagerungen dieses Landes ungesehen zu lassen. Denn, wenn auch die Schweizer Jungfrau alle anderen jemals gesehenen Naturgrößen überglänzt und in Dämmerung hinabgesetzt hat, so ragen doch aus dieser auch die Tyroler Berge noch abendgeröthet hinaus. Wer freilich die Herrlichkeit der natürlichen Welt in einem einzigen Bilde vereint zu sehen wünscht, der kann nur auf dem königlichen Rhigi seines Wunsches Ziel erreichen. —

In Strasburg sah ich den auswandernden Görres. Die alte Welt hilft ihm die neueste ertragen und tragen. Mögen die Blitze am sonnenhellen Firmamente seine Feinde zur besseren Gesinnung hinüberschüttern, da das Wetterleuchten unbeachtet vorübergegangen. — Auch der bekannte Seher Müller[7] aus hiesiger Umgegend sah schon im vorigen November gewaltigen Krieg gegen Italien. Dieser soll jedoch, wie ich heute aus seinem eigenen Munde vernommen, der letzte seyn vor tausendjährigem Frieden. — Des Mannes schlichtes unbefangenes Wesen flößt Glauben ein an seine Worte. (!)

Von meinem Thun und Treiben weiß ich nichts Erhebliches mitzutheilen. Noch lebe ich nur dem Studium und der[S. 122] Selbstverarbeitung, und ob ich um Ostern lehrend wieder auftrete, lasse ich für jetzt noch unbestimmt. Was Noth thut, ist Mehr, als sich in kurzer Frist erarbeiten läßt. — Nur Schelver, den tieffühligen trefflichen Mann sehe ich oft; ausserdem einsam. —

Möge Ihnen und Ihren Lieben, die ich freundlichst grüße, Gesundheit fröhliche Tage bereiten, und mir Ihr freundliches Angedenken unverloren bleiben.

Mit inniger Verehrung

Ihr ergebenster

F. W. Carové.

P. S. Ihre Güte wird mir verzeihen, wenn ich einen Brief an Friedrich mit der Bitte beilege, denselben gefälligst an seine Bestimmung befördern zu wollen.


Carus, Karl Gustav.

Geboren am 3. Januar 1789 zu Leipzig, Hof-Leibarzt und Geheimerrath in Dresden, berühmt durch seine Werke in verschiedenen Gebieten des Wissens und der Kunst: Briefe über Landschaftsmalerei (1831) — System der Physiologie (1838–40) — Goethe (1843) — Psyche (1846) — Physis (1847) — Nicht zu vergessen ein, wahrscheinlich nur als Manuskript für Freunde gedruckter, kleiner, und dennoch großer Aufsatz über journalistische Schriftstellerei, der damals schon ein ernstes Wort zu seiner Zeit, heute hunderttausendfältig aufgelegt werden sollte. Es thut wohl, einem Manne, der uns im Leben kalt, zurückhaltend, fast vornehm-abstoßend erschien, hier so vertraut und innig liebevoll zu begegnen. Auch Einer der bedeutenden Menschen, die Goethe hoch über Alles stellend, Tieck vollständig zu würdigen wußten. Das sind die glorreichsten Zeugen für Meister Ludwig.

[S. 123]

I.

(ohne Datum.)

Lieber Freund!

Ich bitte um den 3. Theil meiner Physiologie. Können Sie vielleicht die Urania beifügen damit wir Ihrer Waldeinsamkeit uns erfreuen können, so werden wir Ihnen sehr dankbar seyn.

Ihre Entschuldigung beim Prinzen habe bestens gemacht und der Prinz benutzte nur diese Gelegenheit um Ihnen das Manuskript über Dante wieder in Erinnerung bringen zu lassen. Oder haben Sie es schon an Förster gegeben? —

Hoffentlich sind Sie wieder ganz wohl! — Ich werde mich nächstens davon persönlich zu überzeugen suchen!

Ihr

treu ergebener

Carus.

II.

Dresden d. 304 43.

Mein verehrter Freund!

Ich wünschte Sie hätten sehen können, wie sehr Alle die Meinigen sich erfreuten als ich ihnen sagen konnte: „seht hier einen Brief von unserm theuren Tiek!“ selbst die etwas wehmüthige Stimmung des Briefes welche aussprach, Sie haben uns noch lieb und werth und sähen sich zuweilen gern noch bei uns, that dem Herzen wohl! — Möge indeß bald alles was noch von Krankheit obschwebt sich verlieren und ein recht heiterer Sommer Ihnen wieder volle Freude des Daseyns und gewohnte Wirksamkeit geben! Wir hoffen daß auch dann noch unser Andenken Ihnen den Wunsch giebt wieder einmal in unsrer Nähe zu weilen!

[S. 124]

Fräulein von Hagn haben wir leider nicht bei uns gesehen. Sie gab den Brief ab als niemand zu Hause war, ich bin zweimal bei ihr gewesen um ihr meine Dienste anzubieten und traf sie nicht zu Hause. Bei Serre’s war eine Soirée veranstaltet wohin sie kommen sollte und kam nicht — so daß wir sie nur ein paarmal auf dem Theater gesehen haben. Sie gefiel mir besonders in „Voltaire’s Ferien“ und noch besser im „Tagebuch.“ Weniger in der „Schule des Lebens“ — aber auch welch ein Stück! — übermäßig erbärmlich — mit „einem übermäßigen Mangel an Witz“ ausgestattet[8]. — Ueberhaupt ist unser Schauspiel — — — — — — — — — — Neulich sah man — — — Shakespear hat in jener Nacht sich gewiß 3 mal von einer Seite zu andern gekehrt! — Ich höre indeß daß es bei Ihnen nicht besser geht und dort Ihre Lehren auch in den Wind gehen! — O Himmel! —

Kommt Ihnen denn die Lust nicht, wieder etwas zu schreiben oder zu dictiren? — Wir schmachten oft danach wieder einmal etwas von Ihnen zu lesen!

Ich gebe diesen Brief dem Vater unsrer Frau von Lüttichau mit. Die liebe Frau hat auch viel Noth gehabt. Sie soll jetzt wieder Eselsmilch trinken und ich hoffe daß sie dabei sich wieder mehr erholt.

In einigen Wochen hoffe ich Ihnen mein Büchlein über Göthe senden zu können welches ich in diesem Winter vollendet[S. 125] habe, möge es Ihnen Freude machen, es sind mancherlei Gedanken hinein verwebt worden.

Die Meinigen grüßen Sie herzlich. Empfehlen Sie uns der gnädigen Gräfin! und bleiben Sie gut

Ihrem

Carus.

III.

Dresden d. 267 43.

Mein theurer verehrter Freund!

Erlauben Sie daß ich Ihnen beiliegend mein Büchlein von Göthe sende und um freundliche Aufnahme desselben bitte. — Sehr würde es mich freuen wenn Sie mir über dasselbe schreiben und mir die Gedanken mittheilen wollten die Ihnen bei dessen Lectüre gekommen sind.

Wir haben jeden der von Berlin kommenden Freunde immer sorgfältig über Ihr Befinden ausgefragt, und uns gefreut fast durchgängig nur gute Nachrichten aus Ihrem Hause zu vernehmen. Möge das immer so fort gehen und bald alle Spur des erlittnen Unfalles vollkommen verwischt seyn! —

Was uns betrifft so genießen wir jetzt der Pillnitzer Landluft und befinden uns munter und gesund. Frau v. Lüttichau war in der letzten Zeit auch recht wohl wird aber nun wieder Ulbersdorf beziehen wohin sie die besten Wünsche begleiten.

Die Arbeit die ich mir gegenwärtig zur Aufgabe gemacht habe ist eine Psychologie welche die Art der Bearbeitung von welcher ich Ihnen v. Raumer und v. Langen einst ein für mein System der Physiologie bestimmtes Stück vorlas, in größerer Vollständigkeit behandeln soll. — Wünschen Sie mir Glück zu diesem schwierigen Unternehmen! —

[S. 126]

Sr. Majestät dem Könige v. Preußen habe ich gleichfalls durch Humboldt ein Exemplar der Schrift über Göthe überreichen lassen. Erfahren Sie wie er sich darüber äußert so theilen Sie mir doch darüber einiges mit.

Am 24. Juli unterlag v. Rumohr hier einem wiederholten Anfalle von Schlagfluß welcher hauptsächlich durch den schlechten Zustand seiner Brustorgane herbeigeführt worden war.

Wie gern möchte ich bei Ihnen der Aufführung der Medea beiwohnen! — Vielleicht führt mich ein gutes Glück im Herbst einmal wieder in Ihre Gegend! — Und so mit den herzlichsten Empfehlungen der Meinigen an Sie und an die würdige Gräfin Finkenstein

mit treuer Hochachtung und Freundschaft

Ihr

ergebenster

Carus.

IV.

Dresden, d. 21. Mai 1844.

Herrn Geheim Rath
D. Tiek
Zum 31. Mai 1844.

Noch im Fortgehen von Dresden wendet sich ein Ihnen wahrhaft ergebner Freund an Sie, mit der Bitte diese Blätter freundlich und nachsichtig aufzunehmen. Manches davon ist Ihnen von früherher bekannt, und andres sehnt sich Ihnen bekannt zu werden.

Im vorigen Winter haben diese Gedanken hie und da unter Freunden Billigung erfahren, immer aber schwebt mir vor daß es für ein besondres Glück zu achten sey wenn ich sie[S. 127] Ihnen zu Ihrem Geburtstage vorlegen könnte was nun hoffentlich gelingt. —

Möchten Sie der Gesinnung die sich in diesen Aufsätzen ausspricht Ihre Billigung, Ihre Zustimmung nicht versagen! —

Ich werde Ihren Tag an den Küsten von England feyern und dort wie hier die besten Wünsche hegen, daß Gesundheit und Heiterkeit auch in den folgenden Jahren mehr und mehr sich bewähre und Sie erfreue!

Treulichst grüßend

Ihr

Carus.

V.

Dresden d. 154 45.

Mein verehrter Freund!

Erlauben Sie mir Ihnen durch diese Zeilen einen Mann vorzustellen welcher mir vor kurzen ein Empfehlungsschreiben von der Unger aus Florenz überbrachte und den wir etwas über 8 Tage in Dresden gesehen haben. — Er war eine Zeit lang Secretair der östereichischen Kaiserin heißt v. Gar und wird jedenfalls in kurzem, nachdem er seine wissenschaftliche Reise durch Deutschland vollendet hat, Oberbibliothekar des Großherzogs in Florenz. Können Sie ihm behülflich seyn daß die literarischen Schätze von Berlin sich ihm öffnen, so wird schon seinen Wünschen entsprochen seyn. Er ist der Haupt-Redacteur des Archivo istorico und ein angenehmer gebildeter Mann.

Mit Freude habe ich von Mehreren erfahren daß es gegenwärtig mit Ihrer Gesundheit recht gut geht. Sie lesen wieder öfters — leider ohne daß ich es höre! — und bereiten den Aischylos vor zur Aufführung! — Nun möge das Alles so fort immer weiter gedeihen! — Es kann wohl seyn daß ich in[S. 128] diesem Jahre einmal nach Berlin komme und dann klopfe ich sogleich bey Ihnen an.

Von den Meinigen kann ich Ihnen, nebst den herzlichsten Empfehlungen, nur Gutes melden. — Wir sind wohl und leben in gewohnter thätiger Weise fort. Mein Reisetagebuch von England und Schottland habe ich diesen Winter in Ordnung gebracht und möchte Ihnen wohl Einiges daraus mittheilen was Ihre eignen Erinnerungen wieder erneuen könnte. Frau v. Lüttichau sehen wir viel und sie ist uns eine treue liebe Freundin. Wir sprechen oft von Ihnen zusammen.

Ihre liebenswürdige Königin habe ich jetzt fast täglich gesehen und gesprochen und mich ihres Wohlseyns und ihrer unerschöpflichen Anmuth gefreut. Heute erwarten wir auch den König.

Und so sage ich Ihnen denn für heute herzliches Lebewohl! — Erhalten Sie uns Ihre Theilnahme und Ihre Freundschaft, und seyn Sie überzeugt von der treuen ausdauernden Freundschaft

Ihres

Ihnen treu ergebnen

Carus.

VI.

Dresden d. 26/11. 47.

Mein theurer Freund!

Von unsrer Freundin Fr. v. Lüttichau erfuhr ich gestern was Sie betroffen und es drängt mich Ihnen ein Freundeswort als Zeichen dessen zu senden was ich bei dieser Nachricht für Sie empfand und was immerfort in mir nachdröhnt! — Jeder Glockenschlag des Todesläutens geliebter oder verehrter Menschen rührt immer eigenthümlich an dem Vorhange[S. 129] welcher die großen Geheimnisse der Seele und alles Lebens verhüllt — nicht daß er den Vorhang zu heben vermöchte aber er durchzittert ihn mit einer Ahnung von dem was er verbirgt und es wird deutlicher in uns daß hinter ihm wie vor ihm nur ein Leben und ein Geist sich bethätigen könne und indem die Thräne aus unserm Auge sinkt, wird sie zugleich zum Thau welcher eine eigne große Freudigkeit als Blüthe erschließt, und Das ist es was wir den eigentlichen Trost nennen dürfen.

So, denke ich mir, ist es in Ihrer Seele und nur das wollte ich Ihnen aussprechen und Ihnen die Hand drücken und sagen daß Sie mir theuer und verehrt sind! und somit kein Wort weiter als daß auch die Meinigen Ihnen treuste Theilnahme senden!

Für immer

Ihr

Carus.


Chezy, Wilhelmine Christine v., geb. v. Klencke.

Als Enkelin der Karschin am 26. Januar 1783 zu Berlin geboren, 1805 mit dem Orientalisten Chezy zu Paris vermählt, nach fünfjähriger Ehe von ihm geschieden, wechselte sie wandernd, dichtend, oft ihren Aufenthalt, und gewann ihrem regen Geiste, ihrem guten Herzen eben so viele Freunde, als sie sich durch vielfache Rücksichtslosigkeiten Tadler zuzog. Daß sie ein ächter, berufener Poet, die von der Großmutter ihr angeerbten Gaben zu lieblicher Entfaltung brachte, müssen unparteiische Beurtheiler zugestehen. In ihren Gedichten, 2 B. (1812) — Herzenstöne auf Pilgerwegen (1833) — Stundenblumen, 4 B. (1824–27) — duften viele reine, anmuthige Blüthen. Minder bedeutend möchten „Erzählungen und Novellen“ 2 B. (1822) — so wie der Roman Emma’s Prüfungen (1827) — befunden werden. Ihr durchaus weibliches Talent war lyrisch nicht episch. Am allerwenigsten war es dramatisch, und daran hatte Weber zu leiden. Man könnte die scherzhafte Grab[S. 130]schrift Lessings, Voltaire betreffend, parodisch auf den Operntext zur Euryanthe und auf Frau Wilhelmine anwenden, wo Jener sagt:

„Der liebe Gott verzeih’ in Gnade
Ihm seine Henriade &c.
Denn was er sonst an’s Licht gebracht,
Das hat er ziemlich gut gemacht!“

wenn Henriade in Euryanthe umgewandelt würde.

Nichts vermag übrigens der Verstorbenen (†185?) einen schöneren Nachruhm zu sichern, wie ihr eigner Brief d. d. Cölln 26. October 1815. — Der überstrahlt mit verklärendem Lichte alle dunklen Schattenseiten ihres unbeglückten Daseins.

I.

Cölln 26. Okt. 1815.

Ihr liebevolles Schreiben, Verehrter Freund und Meister, kam erst heut 26. Oktober in meine Hand, ein neidischer Genius, der über die Versendung gewaltet, hatte nun erst seine Macht verloren. Mit einer bey dieser Angelegenheit offt mir zu Theil gewordenen Rührung legt ich die neue Gabe der Liebe und des Vertrauens zu den Uebrigen, Ihr Sammeln und Sorgen, als von Ihnen, entzündete mich, und Segen ruhe auf der Verwendung! Schon bin ich hier und in Belgien sehr fleißig gewesen, laßen Sie mich Ihnen sagen, der Sie es verstehen, daß ich im Herzen freudig bin, weil Gott mich gewürdigt hat schon recht heiß für die gute Sache zu leiden, ich hatte und habe viel zu bekämpfen, und in Namur war meine Gegenwart rettend gegen Mißbrauch und Trug, und schützend gegen die um sich greifende Ruhr, mit der das Lazareth bedroht war, und da ich durch außerordentliche Stärkungen und Labungen, nach Anleitung guter Aerzte vorzubeugen im Stand war. Jetzt wirke ich hier auf verschiedene Weise, in Namur ist jetzt Alles im besten Stand, eben so in Lüttich, in Lacambre waltet Jungfer Lippmann, in Brüssel Frau v. Donop, in Loewen Frau v. Tuchsen. Meine Haupt-Angelegenheit in[S. 131] diesem Augenblick ist gerichtliche Bethätigung der von mir gegen gewißenlose Menschen gemachten Anzeigen, welche durch eine inkompetente Komißion untersucht, und als falsch befunden worden, diese laß ich jetzt noch einmahl untersuchen, denn es betrifft nicht Kleinigkeiten. Nebenbey besuch ich noch die hiesigen Spitäler, und sorge für einzelne Bedürfniße, ich hoffe die Sache geht schnell zu Ende, dann werd ich wieder nach Belgien oder nach den Ardennen gehn. Gott hat Großes für uns gethan, der Mensch weiß aber immer Gottes Werk zu zerstückeln, mir ahnt wenig Gutes davon daß Frankreich unbewacht bleibt, und dennoch ist es vielleicht das geringste Uebel von Beiden, daß unser Herzblut noch einmahl fließt, oder daß die Truppen in Frankreich sittenlos und ruchlos werden. Ich bin innerlich überzeugt daß der Feldzug mit nächstem Frühjahr wieder eröffnet wird. Wie sehr unsre Opfer von Fleurus Wavre und Waterloo Hülfe und Unterstützung bedürfen, das darf ich Ihnen wohl sagen, da Sie so treu und liebreich gesammelt haben, rein ausgeplündert liegen sie da mit zerschmetterten Gliedern, in schwerer Eiterung, bey erträglicher Kost und Reinlichkeit, jedoch auf Strohsäcken, und in diesem oder jenem Lazareth, mehr oder minder gut gepflegt und gestärkt. Laßen Sie mich es Ihnen mit glühendem Schmerz sagen daß Viele hätten können gerettet werden wenn die Behandlung weiser, die Pflege freygebiger war! — Nur, wie ich mich überzeugt habe Deutz, Düsseldorff, Aachen, und wie man mir gesagt Loewen, sind die Orte, wo ein mütterlicher Geist der Pflege herrschte, und wo die Menschen gerettet worden. Hier ist es leidlich, aber durchaus kein Sinn für individuelle Noth, sondern nur ein eiffriges Aufspeichern, welches bey den jetzigen Aussichten auf den nächsten Feldzug sein Gutes haben kann. Ich selbst habe bey den vielen Bosheiten mit denen ich kämpfe unendlich viel Süßes im Lindern und Helfen gefunden, und bin getrost in Gott, der mir in dem schweren Stand gegen[S. 132] fühllose Ruchlosigkeit helfen wird. Meine ganze Seele ist so tief getränkt vom Kelch des Jammers, der über diese leidende, hinschmachtende hinfaulende Jugend ausgegoßen ist, daß ich jetzt für nichts Anders Sinn habe, sonst könnt ich Ihnen viel von unschätzbaren Ueberbleibseln aus der ältesten teutschen Zeit sagen, welche ich hir bei Freyherrn von Mehring, bei Fochem und Lievemberg angetroffen, insbesondre bey dem Ersten. Unser Isidorus hat mir lange nicht geschrieben, ich ihm lange nicht, denn ich gehöre nichts Erfreuendem mehr, bis mein Werk vollbracht ist. Sagen Sie, edler Tieck den edeln Geberinnen meinen gerührtesten Dank, sie müßen sich aber mit dem Werke noch gedulden, denn unmöglich kann ich jetzt schon mich damit beschäftigen, da auch noch täglich Subskription eingeht. Der Ertrag ist bis jetzt etwas über 1600 Thaler, von denen zwey Drittheile verwandt sind. Seyn Sie fest überzeugt, daß ich unmittelbar nach vollbrachter That das verheißene Werk seines edeln Berufs würdig auszustatten hoffe, und dann nicht damit säumen werde. Es ist von der Huld und Theilnahme unsrer edelsten und höchsten Frauen begabt. Nun Gott mit Ihnen, der Sie sein Dichter sind! Er erfreue Sie, wie Sie mich erfreuten! Ihr Entzücken sey dem gleich, das von Ihrem Genius ausgeht!

Wilhelmine Chezy.

II.

17. Dez. 1816 Berlin.

Es gehört einige Dreistigkeit zu, nach so langem Schweigen zum erstenmahl wieder mit einer Bitte zu erscheinen, und doch sündige ich auf das Bewußtseyn Ihrer Güte hin, und komme bittend, liebend und glaubend, weil der Größe des Genius die des Gemüths nicht leicht nachsteht, ich komme Ihnen, verehrter Tieck die Angelegenheit meines Freundes Gubitz an das Herz[S. 133] zu legen, und Ihnen zugleich Nachricht von der nahen Erscheinung meines Werkes zu geben, und Sie vorläufig mit dem Innhalt bekannt zu machen. Da ich von meinen bisherigen Arbeiten abgeschnitten lebe, habe ich dies Werk ganz aus meiner Stimmung in dieser Zeit hervorrufen müßen, um die wachsende Ungeduld der Unterschreibenden zu befriedigen. Es enthält viele Gedichte, ein kleines Lustspiel in Versen, und eine romantische Geschichte, welche ich die Mahnung unsrer Zeit nenne. Unter den Gedichten ist viel Lyrisches, und manche Romanze, Legende und Volkssage, die der drey Schwäne nach Gottschalk ist eine der gelungensten. Einige Blätter, überschrieben aus meinem innern Leben habe ich aus Briefen von 1814 an einen Freund genommen und habe überhaupt das Ganze der Arbeiten in Prosa aus der frischesten Zeit gegriffen. Ich hoffe das freundliche Zutrauen der Theilnahme nicht getäuscht zu sehn. Das Manuskript wird jetzt abgeschrieben, und geht dann sogleich an Engelmann in Heidelberg ab, der den Druck schön und schnell, und die Versendung pünktlich besorgen wird, das Lustspiel: Rembrand’s Todt dichtete ich 1813, hab es bis jetzt ruhig liegen laßen, und kann es zum Glück in Heidelberg aus einem Fach meines Büreaus nehmen und drucken laßen, denn ich kann mich nicht entschließen, die Fülle meiner Papiere der Post zu vertrauen, und dem Zufall des Fortschickens Preis zu geben, und überdem sehn ich mich nach meinen grünen Bergen zurück. Hier ist kein poetisches Leben, die südteutsche Gegend hat, wenn nicht immer in den Menschen, doch in Quell Blume Epheu Trümmer und Bergen die Poesie, hier fehlts an Menschen und an der Natur zugleich. Freylich ist mir das Leben schaal geworden seit ich von Friedrich und Dorotheen getrennt bin, wenn gleich auch dies noch nicht ganz das Rechte war, weil ich selbst damahls erst hätte anders seyn müßen.

Meine Rechtsangelegenheit, von welcher Sie, Verehrter[S. 134] Freund! in öffentlichen Blättern manches gelesen haben werden, scheint ihrem seligen Ende zu nahen. Es scheint stark dahin gearbeitet zu werden, daß sie zerrinne: as water is in water. Was läßt sich dazu thun? Ich habe in der ganzen Angelegenheit unaussprechlich gelitten, und die Erfahrungen auf dieser Laufbahn hatten mich so abgelöst vom Leben daß es einer solchen Anregung bedurfte als die der Ehre und Rechtlichkeit, um noch dichten und so mein Wort lösen zu können. Es liegt etwas Süßes in meinem heißen Sehnen nach Ruh. Bis zum Weinen schweben mir meine grünen Berge vor Augen, und als ich nach Heidelberg schrieb, um meine Abreise nach Berlin, und die mir zugefügten Abscheulichkeiten zu melden, war meine ganze Klage das Eine Wort: ich werde dies Jahr die Mandeln nicht blühen sehen! Wer weis, „wann ich sie wieder blühen sehe!“ In Bouchers Treibhause haben sie nichts für mich! Ich weiß nicht ob Sie schon von unserm Bauern Johann Adam Müller erfahren, der hier unerwartet angekommen, und neuen Krieg geweissagt? Ich kenne den redlichen Mann, und mir ist noch unvergeßen, wie er am 14. Dez. 1814 nach Heidelberg kam uns Napoleons nahe Landung und den Krieg im Frühjahr zu verkünden, welche der Geist ihm offenbart. Ich habe Müller diesmahl einen Mittag und Abend bey mir gesehn, und eine kleine Auswahl meiner liebsten Freunde und Freundinnen um ihn her vereinigt. Die Rührung und Anerkennung des Kreises sind mir unvergeßlich, denn dieser schlichte treuherzige Mann, so ganz Natur und Reinheit, so ruhig, so still beseeligt im Bewußtseyn der göttlichen Einwirkung erinnert immer an Schillers Ausspruch:

Das findet in Einfalt ein kindlich Gemüth.

Dies Zeichen, daß sich Gott der Welt wiederum unmittelbar naht, das seit neun Jahren sich schon in den Erscheinungen dieses Mannes bewährt, der Zeitlebens nur rechtlich, fromm[S. 135] und einfach war, rührt und beseeligt mich, und giebt allen meinen Gedanken ein neues Leben. Ich habe immer nur die Kunst für göttliche Offenbarung und Eingebung gehalten, und alles künstlerische Streben nur für den Drang die Nebel zu zerstreuen, die das innere Auge umziehn. Welch ein Trost wenn die göttliche Offenbarung in das Leben tritt, und es uns vergönnt ist, in die Zukunft zu schauen, um unser Herz vorzubereiten, auf künftiges, nahes, unerläßliches Weh. Die Mächtigen haben nicht für die Beruhigung der Völker gearbeitet, keine Treu ist belohnt, kein Opfer anerkannt worden, unser reinstes Herzblut ist vergebens gefloßen. Wie könnt’ es denn so bleiben? Doch vielleicht sind Ihnen Müllers neue Weißagungen noch nicht bekannt, ich gebe sie Ihnen treu aus seinem Munde:

Eh die Baumblüthe aufbricht beginnt der Krieg, er endigt noch im May. Wiederum werden es die Preußen ausfechten. N. kommt fort, im Süden von Frankreich bricht die Empörung aus, in Frankreich ist der Krieg, dort findet Napoleon sein Grab in der dritten unermeßlich blutigen Schlacht. Frankreich wird in drey Stück getheilt. Einen der wichtigsten Punkte der Offenbarung will Müller nur dem König sagen, den er noch nicht gesehn. Mein ganzes Gemüth wird tief von seiner Ruhe erschüttert, mit welcher er ausspricht: Das hab ich gesehen. Meine Freundinnen wendeten sich weg, und weinten, es sind fromme sehr in Einklang ausgebildete Frauen und Mädchen. Der begeisterte Blick, und die milde Gemüthlichkeit dieses Mannes werden selbst von herzlosen Spöttern geachtet. Wenn ich mich selbst noch gegen einen festen Glauben an die Wahrheit seiner Gesichte waffne, so mag ich doch nicht zweifeln. Daß es ihm selbst heiliger Ernst ist, darüber ist kein Zweifel mehr, doch halten ihn noch Viele für getäuscht. Die Zeit wird aufklären, ob Gott uns wiederum, wie in der Vorzeit unmittelbarer Annäherung würdigt, und dadurch die[S. 136] Seelen wecken und sich zuwenden will! Dieser heiße Wunsch macht mich geneigter zum Glauben an die wahrhafft göttliche Sendung dieses Mannes, als die Thatsachen selbst, die bereits dafür zeugen. Ich habe mein Selbst der Zeit geweyhet, alles Eigne streb ich zu vernichten, daß jeder Pulsschlag dem Ganzen angehöre, mich schmerzt nur das Elend der Völker, mich kann nur das erfreuen, was ich noch Gutes vermag, und mit heißen Thränen bitt ich oft den Herrn daß er die Menschen an sich ziehe, damit ein Jeder sein Ich vernichte, und in himmlischer Liebe wiedergeboren werde. Von dem Allen habe ich Ihren Schrifften, vornähmlich der Genoveva sehr viel zu danken, und dem Sternbald. Die ersten Stimmen klangen daraus in mein Herz, und der Grundton, den sie geweckt klingt nun durchs Leben fort. Gute Nacht! geben Sie mir ein freundliches Zeichen, ich sehne mich längst schon danach.

Thiergarten No. 50.

Helmine.

III.

Berlin d. 6. Merz 1817.

Verehrter Freund!

Es ist wohl nur Scherz, daß Sie in meinem Brief den Wunsch ausgedrückt gefunden, Sie möchten Antheil an dem Gesellschafter nehmen? Oder es ist ein Mißverständniß, denn ich habe Gubitz zu einem wohlthätigen Zweck eine Novelle gegeben, die ich selbst liebte, und zum Theil nach Calderon gearbeitet habe, nach el Conde Lucanor; zu diesem Zweck glaubte ich Sie von Gubitz eingeladen, und legte ein Vorwort ein. Was Zeitschrifts Artikel, welche es sey, betrifft, so würde mir das nicht ein gleiches Interesse eingeflößt haben, wenn gleich Gubitz in der Seinigen von Arnim, u. m. A. freundlich unterstützt wird, und herzlich zu wünschen scheint ihr einen[S. 137] bleibenden Werth zu geben. Nun zum Wichtigsten! Ich werde vor Anfang May Berlin schwerlich verlaßen, weiß aber dann noch nicht bestimmt wo ich seyn werde. Ich liebe hier die Natur nicht, die rauhe Luft ist mir ungesund, das Leben wird Einem hier nicht leicht, wie im Süden, allein ich möchte gern Pommern und Rügen und Schlesien einmahl bereisen, und vor Allem der Heymath nicht mehr so fern wieder seyn, denn es ist doch ein liebes Band an das Leben. Ich glaube also nicht daß ich, wenn ich nach Heidelberg gehe, länger als bis künftigen Winter dort bleibe, und in Dresden suchen werde meine Kinder auszubilden. Wilhelm neigt entschieden zur Malerey, Max entschieden zur Musik, beyde sind geborne Dichter, das sind mir liebliche Sterne der Zukunft, vor Allen lieb ist mir die innere ungetrübte Unschuld, die Glaubenskraft und Wahrheit der Natur dieser Kinder. So darf ich denn hoffen Sie hier im April und im August in Heidelberg zu sehen, wo ich vermuthlich seyn werde! —

Ich darf hoffen, daß mein Werk Ihnen eine wahrhaffte Freude machen wird. Ich könnte es nun längst abgesendet haben, doch fürchte ich mich es der Post zu vertrauen, da es noch nicht abgeschrieben, und ich selten oder nie Koncepte mache. Auf jeden Fall kommt es dann rasch in die Hände der Theilnehmenden. Müllers Leben ist so einfach und gottgefällig, daß man ihn lieben muß, wenn man ihn kennt, sicher bedarf ich seiner nicht zum Glauben, nur würde es mir lieb seyn, wenn sich Gott wieder unmittelbarer als bisher durch wunderbare Zeichen der Welt nähern wollte, wie wohl sonst geschah. Ihr Freund Schelver hat den Müller auch lieb. Sollte das Schicksal Müller ein démenti geben, so behielten wir ja den Frieden, nach dem die Welt seufzt, die Welt sieht mir aber gar nicht friedlich aus! — Loebens Hesperiden gedenk ich selbst fortzusetzen, sie enthalten bis jetzt viel Schönes, ich finde aber daß er seine Sache nicht geschickt[S. 138] angefangen. Die Fantasie über die Zahlen ist nicht anziehend, das Theegespräch u. A. gefällt mir nicht, er mußte aus einem schönen Vorrath vom Schönsten sogleich geben, ich weiß auch gar nicht warum und wie er von seinen früheren Gedanken abgekommen, das Buch mit mir herauszugeben, und ihm so unsre Freunde alle zu gewinnen? Ich bin noch nicht so glücklich gewesen Ihre neusten Werke zu lesen, freue mich ganz unaussprechlich darauf. In den Old Plays habe ich den Fortunat mit wahrem Vergnügen gelesen, ist er Ihnen bekannt? In Heidelberg hoffe ich viel von den zurückgekommenen Manuskripten. Wie mit Bleigewichten bin ich seit 2 verhängnißvollen Jahren dergestalt in das Praktische hineingezogen, daß ich sogar aus mir selbst Novellen, Erzählungen und Romane schreiben kann, ich konnt es ehedem nicht, jetzt aber bedarf ich wieder Natur und Einsamkeit, und sehne mich herzlich danach, um eine Ueberfülle von Bildern zur Ruh und Klarheit zu bringen, und sie der Welt zu geben. Sie nur zu sehen, würde mich fast betrüben, denn was ich in Ihren Schöpfungen liebe ist nicht der irdische Reiz der sie schmückt, sondern der himmlische Quell, aus welchem dieser hervorgeht.


Collier, John Payne[9].

Geboren 1789, hat P. C. seine literarische Laufbahn als Zeitungsschreiber, und zwar als Mitarbeiter der Londoner Morning Chronicle, begonnen.

Im Jahre 1820 gab er einen „poetischen Decamerone“ heraus.

Als Literarhistoriker machte er sich zuerst dadurch bekannt, daß er in den Jahren 1825–28 die von Dodsley früher gesammelten und herausgegebenen „alten Dramen“ (Old Plays) neu edirte. Es war ihm bei dieser Gelegenheit gelungen, eilf bisher noch nicht bekannte, alte Stücke, zum Theil aus der Zeit Shakspeare’s aufzufinden und zu publiziren.

[S. 139]

Im Jahre 1831 gab er eine „Geschichte der dramatischen Poesie“ heraus, welche ihm die Gönnerschaft des Herzogs von Devonshire und anderer mäcenatischen Lords verschaffte, deren reiche Bücher- und Handschriften-Sammlungen ihm fortan zur Verfügung standen. Hier (in der Bibliothek des Lord Ellesmere) fand er angeblich die interessanten, handschriftlichen Erinnerungen an Shakspeare und dessen Schauspieler-Gesellschaft, die er 1835 in dem Buche „Neue Thatsachen Shakspeare’s Leben betreffend“ (New facts regarding the Life of Shakspeare) verwerthete. Diesen „Thatsachen“ folgten im Jahre 1836 „New Particulars“ (neue Einzelheiten) und im Jahre 1839 „Further Particulars“ (Weitere &c.) aus dem Leben des großen dramatischen Dichters. Nachdem er 1842–44 mit Hilfe seiner zwanzigjährigen Studien Shakspeare’s eine neue Ausgabe von dessen Werken besorgt und herausgegeben hatte, wurde ihm vom Parlament eine jährliche Pension von 100 Pfd. Sterl. bewilligt und ward er zum Vicepräsidenten der Archäologischen Gesellschaft (Society of Antiquaries) ernannt.

Bemerkenswerth ist auch noch eine von ihm im Jahre 1846 herausgegebene Sammlung von „Denkwürdigkeiten der vornehmsten Schauspieler, die in Shakspeare’s Stücken mitgewirkt.“

Am meisten bekannt gemacht, wiewohl leider in einem unrühmlichen Sinne, hat sich aber Payne Collier durch seine im Jahre 1852 erschienenen:

„Notes and Emendations to the text of Shakspeare’s Plays, from early manuscript corrections in a copy of the Folio, 1662, in the possession of J. Payne Collier.“

In diesem Buche werden über fünfzehnhundert wichtige Correkturen des Shakspeare’schen Textes mitgetheilt, die der Herausgeber in einem zufällig in seinen Besitz gekommenen Exemplare der Folio-Ausgabe des Dichters von 1632 gefunden haben wollte, und zwar war als dieser „alte Korrektor“ ein gewißer Thomas Perkins bezeichnet, der zur Zeit Shakspeare’s bereits gelebt und seine Verbesserungen zum Theil nach eigener besserer Kenntniß des Textes und zum Theil nach Mittheilungen gemacht haben sollte, welche ihm von Schauspielern der Shakspeare-Aera gemacht worden waren.

In England wurde von P. C. selbst eine neue Ausgabe Shakspeare’s mit den Emendationen des alten Correktors veranstaltet, und in Deutschland fanden sich gleichzeitig zwei Uebersetzer „des wichtigen Ergänzungsbandes zu allen Uebersetzungen Sh’s“ in den Herren Julius Frese und F. A. Leo.

[S. 140]

In England und in Deutschland wurden zwar sofort sehr gewichtige Zweifel an der Echtheit und Einwendungen gegen die Richtigkeit der gedachten Korrekturen erhoben: in England durch Knight, Singer und Dyce, und in Deutschland (1853) durch Nicolaus Delius, den Herausgeber der vortrefflichen deutschen Ausgabe von Shakspeare’s Werken in englischer Sprache. Das Publikum ließ sich jedoch sechs bis sieben Jahre lang durch die Autorität Colliers täuschen und kaufte seinen verballhornten Shakspeare, bis endlich im Jahre 1859 die Kontroverse, die sich in England und Deutschland erhoben hatte, durch eine gründliche Untersuchung der berufensten Sachverständigen entschieden wurde, an deren Spitze Sir Frederick Madden Oberaufseher der Manuscripte des britischen Museums stand und denen sich die gelehrten Archivare Englands, die Beamten des Master of the Rolls, angeschlossen hatten.

Diese Untersuchung an dem sogenannten Perkins-Folio selbst, das inzwischen durch P. Collier für hohen Preis an den Herzog von Devonshire verkauft worden war, hat ergeben, daß sämmtliche Korrekturen in diesem alten Buche eine neuere Fabrication seien. Man entdeckte, daß Jemand mit Bleistift sämmtliche Korrekturen vorgezeichnet hatte, worauf sie dann mit Dinte in einer englischen Fracturschrift des siebzehnten Jahrhunderts übermalt worden. Man ermittelte, daß die Bleistift-Vorzeichnungen von P. Colliers Handschrift, daß an einzelnen Stellen die Korrekturen wieder ausgewaschen waren, und daß die Worte „Thomas Perkins his booke,“ die auf dem Deckel des Buches stehen, in einer ganz anderen, neueren Handschrift als die des 17. Jahrhunderts geschrieben seien. Das Protokoll dieser Ermittelungen ist sowohl von einem der Bibliothekare des Britischen Museums, Herrn Hamilton, als von einem englischen Kritiker, C. Mansfield Ingelby, in einem ausführlichen Werke „A Complete View of the Shakspeare-Controversy“ publizirt worden.

Aus dem letztgedachten Werke ist zugleich ersichtlich, daß auch die früheren Publicationen Payne-Colliers über Shakspeare zum Theil gefälscht seien. Leider ist jedoch ein Theil der sogenannten „Thatsachen aus Sh’s Leben,“ die P. C. ermittelt haben wollte, wie z. B. seine wachsende Betheiligung bei den Theater-Unternehmungen in London, bei dem Pagen-Unterricht am Hofe Jacob’s I. &c. in alle neueren Lebensbeschreibungen des Dichters übergegangen, und auch von deutschen Autoritäten sind sie noch in neuester Zeit vielfach nacherzählt worden, so daß wir selbst in den besten Biographieen des „Schwans vom Avon“ einen fast unentwirrbaren Knäuel von Wahrheit und Dichtung vor uns haben.

[S. 141]

Payne Collier’s Namen ist jedoch seitdem vollständig verschollen. Er genießt zwar noch seine ihm vom Parlamente bewilligte Pension, jedoch nirgends mehr die Achtung seiner Landsleute.

24 Brompton Square
near London

Augst 21st. 1842.

Sir

I make no apology for addressing the following question to you.

Have you any information respecting any visit paid by Shakespeare either to Italy or to any other part of the Continent?

It is stated in London that you possess some such information, and as I am now engaged on an edition of Shakespeare’s Works, which will be preceded by a new Life of the Poet, you will see at once how valuable any fresh tidings would be to me.

If I understood your language half, or one quarter, as you have proved that you understand mine, I should be better able to avail myself of the valuable matter you have from time to time printed regarding the biography and writings of our great dramatist.

I do not hesitate a moment in believing that should you have obtained any such information, as that to which I have referred, you will not object to communicate it to a person who has devoted his life to understand a writer, whom it requires more than a life to comprehend and appreciate. I am,

Sir,

with the greatest respect and most sincere
admiration your very obedient
Servant J. Payne Collier.

[S. 142]

My friend Mr. H. C. Robinson desires me to present to you his best compliments, and to add that he hopes to find you at Berlin, when he visits Prussia next year.

Adresse.
Ludwig Tieck Esqre.
Berlin

By favour of his Excellency
the Chevalier Bunsen.


Collin, Matthäus von.

Geb. zu Wien am 3. März 1779, gestorben daselbst am 23. November 1824. Er begann als Professor der Aesthetik, wie der Geschichte der Philosophie, an der Universität Krakau, gelangte später an die Wiener Hochschule, ward 1815 Lehrer des Herzogs von Reichstadt, und redigirte erst die Wiener Literaturzeitung, von 1818 die Wiener Jahrbücher der Literatur.

Seine dramatischen Dichtungen: der Tod Friedrichs des Streitbaren — Marius — Bela’s Krieg mit dem Vater — die feindlichen Söhne — Essex (eine Bearbeitung des alten Trauerspieles) — und manche andere sind längst vergessen. Sind es doch auch die seines unstreitig höher stehenden Bruders Heinrich, dessen Mäon — Regulus u. a. wir noch vor fünfzig Jahren mit jugendlichem Entzücken darstellen sahen! —

Nachstehende, an Tieck gerichtete Briefe zeigen den Menschen, den Gelehrten, den Poeten, — die Zeit — und den Ort auf unterrichtende Weise. In ihrer pedantischen selbstbewußten Sicherheit schildern sie das alte Wien. Sie sind lehrreich für die Literaturgeschichte. — Wer doch auch Tieck’s Erwiederungen hätte!

I.

Wien, den 19ten May 1817.

Verehrter Freund!

Ich bin so frey Ihnen durch Herrn Büsching in Breßlau beyfolgende 4 B. meiner dramatischen Dichtungen zu senden, und ersuche Sie dieselben als ein Zeichen meiner Verehrung und Dankbarkeit betrachten zu wollen, indem Sie, obgleich[S. 143] ich in ganz anderer Art arbeite, dennoch durch Ihre Dichtungen seit früher Zeit mein Lehrer gewesen sind. Friedrich den Streitbaren, den Sie im Manuscripte lasen, werden Sie hier sehr verändert treffen, so auch Bela, den Sie aus der ersten Auflage kennen. Ich hoffe, Sie befinden sich jetzt besser, als seit einiger Zeit her, denn ich hörte, sie seyen fortwährend unpäßlich gewesen. Ich bin jetzt nach Hof gekommen, und Erzieher des Prinzen von Parma geworden, bin verheirathet, habe drey Kinder; kurz, Sie können sich keinen vollständigeren Hausvater denken. Wie oft habe ich an jene schöne Zeit zurück gedacht, wo ich das Glück hatte, Sie, den ich bis dahin nur aus Entfernung verehrt hatte, persönlich kennen zu lernen! mein guter Bruder ist uns seitdem vorausgegangen; Ihre nähere Bekanntschaft war für ihn von den fruchtreichsten Folgen gewesen. Wie sehr er Sie ehrte, habe ich in dessen Lebensbeschreibung, die dem letzten Bande seiner Werke beygefügt ist, klar genug dargestellt. Ich werde, so wie ich eine schickliche Gelegenheit finde, Ihnen, da ich einige besondere Abdrücke der Biographie machen ließ, ein Exemplar zuschicken, da ich hoffe, es werde Sie diese Biographie wegen so mancher darinn entwickelten Eigenheiten Wiens und des hiesigen Lebens interessiren. Wenn Sie sich noch an das, was ich zwar bezweifle, erinnern sollten, was Sie mir über Fried. den Streitbaren und Bela bemerkten, so werden Sie finden, daß ich, so viel es mir möglich war, Ihre Bemerkungen benützte. Ich habe eigentlich die Absicht bey meinen, vaterländischen Stoff enthaltenden dramatischen Arbeiten ein größeres in sich zusammenhängendes Werk von 10 bis 12 Schauspielen zu bilden, welche die Zeit Leopold des Glorreichen und Friedrich des Streitbaren bis zur Herankunft Rudolfs von Habsburg umfassen sollen. Ich lasse aber für jetzt diese Schauspiele außer der Ordnung drucken, weil ich vorerst bemerkbar machen will, daß jedes ein für sich bestehendes in sich abgeschloßnes[S. 144] Ganzes sey. Ich ersuche Sie recht sehr, Ihrer Abneigung gegen Briefe-Schreiben ungeachtet, mir Ihre Bemerkungen ohne Umschweife mitzutheilen, und mich auf dasjenige aufmerksam zu machen, was ich nach Ihrer Meynung etwa versäumt oder verfehlt haben könnte. Sie kennen mich hinlänglich, um zu glauben, daß ich dieß Ersuchen, in ganz reiner Absicht an Sie stelle; nur bitte ich dieß eine gegenwärtig zu halten, daß der eine Theil der Geschichte, den ich bearbeite, es erfordert, der Leidenschaftlichkeit einzelner Charaktere nur geringen Raum zu gönnen, und alles mehr im Gleichgewichte des Gefühls zu halten, als z. B. Shakespeare gethan hat. Auch werden einige mit eingeflochtene ritterliche Lustspiele, wenn das Ganze vollendet seyn wird, den Charakter des Ganzen außer allen Zweifel stellen. Von dem, was bis jetzt gedruckt ist, sind die Schauspiele im 3. Bande das erste oder früheste: es wird aber auch der Herr Kaspar von Rastenberg mit dessen traurigen Küchenbegebenheiten, die Sie im Manuscripte lasen, freylich überarbeitet, in der Sammlung erscheinen.

Wenn Sie jetzt wieder nach Wien kämen, würden Sie es gar sehr, und ich glaube nicht zu seinem Vortheile verändert finden. Diese letzten Kriege haben den Volkscharacter gleichsam sich selbst entwandt, und ihm ganz fremdartige Eigenheiten aufgeprägt. So strebt auch z. B. das Leopoldstädter Theater jetzt nach Bildung, und kaum vermag das entschiedene Talent einiger Komiker die alte Weise jener Bühne noch einigermaßen dort festzuhalten. Die alte Treue, wenn sie auch hin und wieder noch dieselbe ist, hat doch ein anderes Gesicht angenommen, und schämt sich der ehemaligen Einfalt. Uebrigens ist jetzt bey uns die Zeit eingetreten, wo auch der Bürger die Kunst Geld zu machen für die edelste der Künste hält. Mit Poesie beschäftiget man sich mehr als sonst; aber ich glaube gar nicht, daß dieß wie ein gutes Zeichen zu[S. 145] betrachten sey, da der Oesterreicher weit mehr für ein poetisches Leben als für Kunstbetrachtungen geschaffen ist; ich glaube dadurch meinen Landesleuten und mir selbst keineswegs etwas nachtheiliges zu bezeugen, sondern will nur sagen, daß dieses Haften an den Kunstproducten, dieß Umkehren und Wenden und Bekritteln uns ganz fremd sey.

Ich habe jetzt den Fortunat mit sehr großem Vergnügen gelesen, und insbesondere die große Kunst bewundert, mit der Sie einen dramatischen Zusammenhang in diesen höchst schwierigen Stof zu bringen gewußt haben. Ich glaube aber es wäre besser gewesen, drey Theile statt zwey zu bilden, so daß der erste mit der Vermählung Fortunats aufhörte, der dritte aber mit der Reise Andalosia’s anfinge. Wenn etwa im 4t. Band das Donauweibchen kömmt, will ich mich im Voraus als einen glücklichen Menschen betrachten, wenn ich mir die Stunden vorstelle, wo ich dieß Stück lesen werde; denn ich kann an die Bruchstücke, die sie uns vorlasen, nie ohne Begeisterung denken. Man hat jetzt Hoffnung das Originalmanuscript des Frauendienstes aus der Dunkelheit hervor zu ziehen, wo wohl die jetzt bestehenden Lücken ausgefüllt sich finden würden. Herr Schottky, der von Breßlau hieher kam, ist diesem Manuscripte auf der Spur; ich wünsche ihm alles mögliche Glück. Jetzt ist man hier beym Theater sehr auf Trauerspiele in Form der Schuld erpicht, ich bitte aber meinen Butes nicht dazu rechnen, den ich schon 1806 so entworfen hatte, wie er jetzt erscheint. Friedrich Schlegel läßt gar nichts von sich hören, ich habe ihm gestern geschrieben. Ich bitte mich den Ihrigen unbekannter Weise zu empfehlen. Mit vollkommenster Hochachtung

Ihr

ergebenster

M. Collin.

[S. 146]

II.

Baaden in Oesterreich den 11ten July 1818.

Verehrtester Freund!

Ich habe einen Brief an Sie vor mir liegen, den ich, nachdem ich lange auf die versprochne Recension des Voßischen Shakspeare gewartet, im April d. J. ausführlich genug schrieb; ich weiß nicht, warum ich immer zauderte ihn abzuschicken. Endlich erfuhr ich, daß diese Uebersetzung noch gar nicht erschienen sey, und ich beschloß Ihnen von Neuem zu schreiben. Den Hafner so wie den 1ten B. der Jahrbücher schickte ich vorläufig durch die Gesandtschaft an Reimer in Berlin, ich hoffe, Sie werden diese Bücher erhalten haben. Meines Bruders Werke werde ich Ihnen, wenn ich wieder nach Wien komme, zusenden, ich fürchtete das Paket zu groß zu machen. Wollten Sie nicht die Güte haben, irgend ein anderes Werk zur Beurtheilung zu übernehmen, bis Sie vielleicht 2 oder 3 Bände Shakespears zur Hand haben? Vielleicht Solgers Gespräche über das Schöne? Sie haben jetzt den 1ten B. der Jahrbücher bereits durchsehen können, so daß ich kaum bemerken darf, daß die Recensionen so lang seyn können, als Sie es nur immer für nöthig halten; je mehr und weitläuffiger Sie sich über Ihre eigenen Ansichten verbreiten wollen, desto besser ist es, weil man gern ein, in so fern dieß bey Anzeigen fremder Werke möglich ist, durch sich selbst bestehendes Werk in diesen Jahrbüchen liefern möchte. Auch wäre es sehr schön, wenn Sie Bouterweck sogleich vornehmen wollten; denn erscheine nun ein neuer Band oder nicht, so ist der Gegenstand so wichtig, daß er auch ohne Veranlassung der Erscheinung eines neuen Bandes für die Jahrbücher mehr als geeignet ist.

[S. 147]

A. W. Schlegel hat sich für jetzt entschuldigt, und liefert nichts, Friedrich Schlegel hat mir eine Schaar Bücher vorgeschlagen, aber bis jetzt noch nicht eine Zeile geliefert. Ich bitte hierinn Ihren Freunden nicht nachzuahmen, sondern einem nur das Beste der Kunst und Wissenschaft bezweckenden Institute auch durch Ihre Beyträge beförderlich zu seyn. Ich ersuche auch A. W. Schlegel das alt deutsche Theater anzuzeigen, und weiß jetzt nicht, wem ich es übergeben soll. Den Phantasus werde ich, wenn der 4. B. erscheint, im Ganzen anzeigen, ich that es nicht gegenwärtig, weil ich nicht sogleich den Böttiger durch die Anzeige des gestiefelten Katers kränken wollte, da er in Hinsicht der Entstehung der Jahrbücher sich einiges Verdienst erworben. Seine Briefe an mich sind, ich weiß nicht soll ich sagen lächerlich oder ärgerlich; denn er muntert mich immer auf, ihm Geheimniße zu vertrauen, die nicht existiren; und obwohl er aus dem ersten Bande der Jahrb. hätte sehen können, daß sie ein ganz harmloses Werk sind, schreibt er doch an andere: ob er auch trauen dürfe? Eben so fürchtet er die Censur unaussprechlich, und doch schreibt er in einem Fache, dem die strengste Censur nicht leicht beykommen kann.

Wie sehr mich das, was Sie mir über meine dramatischen Arbeiten schrieben, aufgemuntert hat, kann ich unmöglich sagen. Daß ich ganz Ihre Ansicht des historischen Schauspiels habe, glaubte ich schon während Ihrer Anwesenheit in Wien aus manchen Aeusserungen zu bemerken; mir ist dieselbe so zu sagen, natürlich, und gar nicht die Folge eines besonderen Studiums, obgleich ich jetzt bereits viele Jahre auf die solidere Begründung derselben verwendet habe. Es wäre sehr zu wünschen, daß Ihr so lang erwartetes Werk über Shakespeare endlich erschiene, denn ausser so manchen höchst schätzbaren Beyträgen zur Kenntniß der Werke selbst und zur[S. 148] Erklärung mancher Einzelnheiten, wird wohl damit das erstemal, seit über den Dichter geschrieben worden, eine erschöpfende Ansicht seiner Wesenheit oder poetischen Eigenthümlichkeit an das Licht treten. Ich habe einmal versucht in Fr. Schlegels Museum eine Entwickelung des Shakespearschen Schauspiels vom historischen Standpunkte aus, als den diesem Dichter wesentlichen, zu geben, und Sie würden mich sehr verbinden, wenn Sie mir hierüber Ihre Meynung eröffnen wollten.

Was meine Schauspiele betrifft, so muß ich hier vorläufig bemerken, daß sie freylich nicht ganz jene historische Treue haben, welche ein strenger Verehrer der Geschichte fordern könnte; ich glaube aber, daß sie im historischen Style geschrieben sind: nämlich nach jener Ansicht des Dichters, nach welcher nicht eine Idee durch dramatische Einkleidung poetisch realisirt werden will, sondern nach welcher das Gegebene, die Handlung als bereits realisirtes Ideal des Lebens aufgefaßt, und in dieser Ansicht als solches dargestellt wird. Hierinn unterscheidet sich, wie ich glaube, die historische Dichtung von der romantischen wie von der antiken, und es gibt auf diese Weise noch eine dritte Dichtungsform, nämlich die historische. Weil ich etwas dergleichen in der Vorrede zum 1ten B. meiner dram. Dichtungen sagte, hat ein Recensent der Leipzig. Lit. Zeit. (ich vermuthe Adolf Müllner, der Verf. der Schuld) im Juny- oder Julyhefte vor. Jahres sich sehr anmaßend über mich lustig gemacht, wie er überhaupt diese Dramen aus einem sehr willkürlichen Standpunkte beurtheilte, und mit mir wie mit einem Schuljungen sprach.

Ferner muß ich bemerken, daß diese meine Dichtungen Bruchstücke eines ausgedehnten Ganzen sind, welches die Zeit Leopolds des Glorreichen bis zur Ankunft Rudolfs von Habsburg umfassen soll. Ich werde daher klüger auch nichts mehr drucken lassen, bis ich das Ganze auf einmal geben kann.[S. 149] Alles wird sich in drey Haupttheile bringen lassen: Leopold der Glorreiche, Friedrich der Streitbare, Ottokar. Die erste Abtheilung hat durchaus mehr den Charakter des Lustspiels im edlern Style, und ich denke ihr sogar den Kaspar v. Rastenberg, den Sie in österr. Mundart lasen, nach vorhergegangner Umarbeitung einzuverleiben. Die Kunringer sind der Uebertritt aus der heitern Zeit Leopolds in die ernste und arbeitsvolle Friedrichs, und wie in diesen Kunringern das heitere Heldenthum untergeht, glaubte ich auch den lustigen Auswuchs jener Zeit, Herrn Kaspar sammt Gefolge in einer, allerdings das Trauerspiel parodirenden Weise, als dessen absolutester Gegensatz, seinem Ende zuführen zu sollen. Ich glaube nicht, daß Sie, theuerster Freund, nach dieser Auseinandersetzung H. Kaspar und die Seinen weiter in den Kunringern anstössig finden werden. Daß die feindlichen Söhne Sie nicht so, wie Bela, angesprochen haben, finde ich zwar leider nur ganz der Sache angemessen, glaube aber, daß die wahre Ursache darinn liegt, weil dieß Stück, wie mir scheint, den Eindruck eines Fragments macht; denn ein historisches Schauspiel in 3 Akten ist beynahe etwas lächerliches. Diesen Uebelstand habe ich von Anfang her empfunden, weiß mir aber nicht recht zu helfen. Es wäre zwar leicht, zwischen dieses Stück und der dramatischen Scene, Heinrich der Grausame, einen Akt einzuschieben, und so ein Stück von 5 Akten zu erhalten; die 3 ersten Akte dieses neuen Schauspiels hätten dann aber nur 8 Tage Entfernung vom Sch. Bela, und die letzten 2 würden einen Zeitraum von beyläufig 4 Jahren umfassen. Dem Heinrich d. Grausamen habe ich keineswegs unrecht gethan. Sie scheinen mir überhaupt die Familiengeschichte der Babenberger mit der des ungrischen Hauses damaliger Zeit zu verwechseln, denn unter den Babenbergern findet sich, die Vorgänge mit Heiner d. Grausamen abgerechnet, kein Zwiespalt. Friedrich[S. 150] d. St. hat sich nie etwas gegen Vater und Geschwister zu Schulden kommen lassen, und was Petrus de Vineis gegen ihn z. B. in Hinsicht der Mutter vorbringt, sind eben nur Herrn Peters Lügen. Uebrigens ist die von Ihnen gegebene Darstellung Fr. d. St. gewiß sehr treffend, und Sie werden finden daß ich ihn im Ganzen eben so auffaßte; einiges was diesem im Tode Fr. d. St. durch zu große Weichheit widersprechen mag, rührt noch von der ersten jugendlichern Bearbeitung her, und ich werde es in der Folge berichtigen. Mehr Unrecht, den Kunringern gegenüber, konnte ich nicht in seine Schaale legen, ohne das poetische Gleichgewicht zu zerstören. Heinrich Lichtenstein hatte den Fehler, etwas geitzig zu seyn doch war er ein guter Feldherr. Sein Haus ist übrigens ein der österr. Geschichte so wichtiges, daß man wohl die demselben gebührende Ehre auf Heinrichs Haupt legen konnte. Mit dem Ganzen dieser Lust- Schau- und Trauerspiele will ich eigentlich den Untergang der edlern deutschen Heldenzeit in der prosaischeren Verstandesepoche des angränzenden Jahrhunderts darstellen, doch eine Aussicht auf deren Wiedererneuerung offen lassen.

Dieß ist dasjenige, was ich Ihnen, verehrtester Freund, über meine Ansichten und Zwecke bey Dichtung dieser Schauspiele sagen zu sollen glaubte, theils um mich zu rechtfertigen, theils um guten Rath von Ihnen zu empfangen. Ich bin übrigens der Meynung, daß, obgleich die Zeit dazu Veranlassung zu geben scheint, man dennoch bis jetzt noch gar keinen Sinn für das historische Schauspiel habe, und daß ich daher wenigstens für jetzt, wenn ich von dem eingeschlagenen Wege nicht abgehe, nicht zum Volksdichter berufen seyn könne. Weil übrigens das Theater von meinen Schauspielen keine Notiz nimmt; indem ich dort nicht als Bittsteller mit meinen Manuscripten erscheinen und den Schauspielern den Hof machen[S. 151] mag, so nimmt auch das nächste Publikum, die Wiener Lesewelt, von mir als Schauspieldichter keine Notiz, und die Herren und Damen von Hof z. B. mit welchen ich in meinen jetzigen Verhältnißen oft zusammen treffe, wissen nicht einmal, daß ich etwas dergleichen geschrieben, welches ich auch weder wünsche noch verlange. Glücklicher Weise bin ich in einer so unabhängigen Lage, daß ich meinen Ideen, ohne durch dergleichen gehemmt zu werden, folgen kann. Daß ich aber nicht etwa aus einem kleinlichen Verdruße über die Unaufmerksamkeit auf meine Schauspiele die Meynung gewonnen habe, daß man keinen Geschmack an historischen Werken finde, werden Sie leicht glauben. Wo gefallen die eigentlichen historischen Schauspiele Shakespeares? Schillers Stücke haben nicht wegen ihres sich hin und wieder dem Historischen nähernden Charakters Beyfall gefunden. Man verlangt in Trauerspielen meistens nur Ueberschwung der Leidenschaft, Partheyanregung für diesen oder jenen Helden, und kann die im historischen Dichter, auch bey der dargestellten höchsten Erschütterung dramatischer Personen, vorwaltende Ruhe des Gemüthes weder vertragen noch auch begreifen. Ich glaube aber darum keineswegs, daß es um das Theater so schlimm stehe, als manche behaupten wollen; denn es findet sich für vieles Schöne viel Sinn, wenigstens im Wiener Publikum, und unter andern wäre jetzt der wahre Zeitpunkt das spanische Theater auf der Bühne geltend zu machen. Im Auffassen des Komischen feinerer Art zeigt sich ein zartes Gefühl, und ein sehr richtiger Tact: Trauerspiele, wenn deren bewegendes Prinzip aufgeregte Leidenschaft ist, oder wenn ihr Werth in einer gewissen stillern Ueberschauung des Lebens und seiner Verhältniße beruht, sind jederzeit sicher, begriffen und mit Liebe aufgefaßt zu werden. Es hat sich jetzt hier ein junger Dichter, Herr Grillparzer, hervorgethan, dessen zweytes[S. 152] Werk, ein Trauerspiel: Sappho, mit einem Beyfalle, wie ihn nur immer der größte Dichter erwarten könnte, aufgenommen wurde. Die Erfindung ist schwach, die Ausführung aber sowohl in Sprache als Charakterzeichnung ein vollgültiger Beweis seines Dichterberufes; und obwohl man viel zu übertriebnen Lärm dieses Stücks wegen erhoben hat, glaube ich doch daß es weit besser sey, als wenn man, herkömmlicher Weise, ein rühmlich in die Bahn tretendes Talent verunglimpft, und nur von dessen Blößen gesprochen hätte. Ich höre überdieß, daß er sehr bescheiden ist, und sich keineswegs auf dieß Werk, welches er nur als einen Versuch gelten lassen will, etwas zu gute thut. Er hat einen Jahrgehalt von 1000 F. sammt Zulagen, so daß er jährlich auf 2000 F. oder mehr kommen wird, erhalten, um sich mit Musse der Dichtkunst widmen zu können.

Ich ersuche Sie sehr, mich nicht so lange auf eine Antwort warten zu lassen, als ich unseligerweise mir zu Schulden kommen ließ; denn ein Brief von Ihnen ist mir über alles werth. Wollten Sie mich nicht benachrichtigen, was im 4ten B. des Phantasus erscheinen wird? Den Fortunat bewundre ich insbesondre wegen der sinnreichen Auflösung der Schwierigkeit, aus all diesen verschiedenen Elementen ein Ganzes zu formen, welches Sie durch die eingeflochtenen, auf den verschiedenen Punkten der Reise wieder zum Vorschein kommenden Personen der Heimath, bewirkt haben. Ich glaube aber jetzt, daß das Ganze nicht in zwey, sondern in 3 Schauspiele hätte gesondert werden sollen, wo dann freylich im 2ten eine, vom Buche (mehr als der Charakter Ihrer Dichtung verstatten mag) unabhängige Erfindung hätte eintreten müßen. Wenn das Donauweibchen vollendet würde, wäre es eine schöne Sache. Ich habe im 2ten B. der Jahrbücher bey Gelegenheit der Sängerfahrt, einiges darüber gesagt, mich aber[S. 153] nicht so herauslassen können, als ich wünschte, weil weniger gedruckt ist, als ich aus Ihrem Munde in Wien vernommen habe. Ich bitte der Jahrbücher, und mehr noch meiner eingedenk zu seyn.

Mit Hochachtung und Freundschaft

Collin.

Ich ersuche mir die Briefe, meines unstetten Aufenthalts wegen, an die Gerold’sche Buchhandlung in Wien zu schicken, wie Sie mit dem ersten thaten.

III.

Wien, den 18ten November 1818.

Theuerster Freund!

Die Beantwortung Ihres gefälligen Schreibens vom 22t. Oktober, welches ich den 31t. erhielt, verschob ich bis heute, weil ich die Vollendung des 3t. B. der Jahrbücher erst abwarten wollte. Ich lege diesem 3t. B. ein Exemplar der Werke meines Bruders bey, welches ich Sie als ein Andenken, das Sie sowohl an meinen verstorbenen Bruder als mich erinnere, zu empfangen bitte. Ich hätte manches, was sich in diesen Werken befindet, nicht drucken lassen sollen; allein ich ging damals von andern Ansichten aus, als gegenwärtig. Die Biographie befindet sich am Schluße des Ganzen. Ich sende dießmal das Packet durch die Diligence, damit nicht wieder Verspätungen eintreten: gegenwärtig hoffe ich indeß, werden Sie den 2t. B. der Jahrbücher erhalten haben. Wie sehr bedaure ich, daß Sie von dieser bösen Krankheit so arg heimgesucht sind; ich meine nicht von den Jahrbüchern, sondern von der Gicht! Fragen Sie doch einmal Dr. Rust, ob er nicht glaube, daß Ihnen die Schwefelräucherungen, wie man sie jetzt in Wien an vielen Gichtkranken mit Glück in Anwendung bringt, nutzen dürften. Diese Räucherungen sind, wie[S. 154] ich in den Zeitungen las, in Berlin durch die gewissenlose Ungeschicklichkeit der Experimentirenden sehr in Mißkredit gekommen, Dr. Rust aber, der kürzlich erst in Wien war, wird sich vielleicht von den hiesigen heilbringenden Versuchen überzeugt haben. Sehr erfreute mich Ihre und Herrn Solgers Billigung der Jahrbücher; der 3t. Band ist etwas trocknener Natur, mit dem 4t. aber hoffe ich sollen Sie beyde sehr zufrieden seyn. Wenn Herr Solger Theil an dem Unternehmen haben wollte, würde es mir eine sehr grosse Freude seyn; denn seit lange verehre ich seine Kenntniße wie die Gründlichkeit seines Urtheils, und wenn ich ihn nicht sogleich einlud, geschah es nur deßhalb, weil ich nicht hoffen konnte, daß er der Einladung eines ihm ganz unbekannten Mannes zu einem vor der Erscheinung selbst noch zweifelhaften Unternehmen Folge leisten würde. Jetzt darf ich dieß wohl hoffen, insbesondere wenn Sie, verehrter Freund, mich vertreten wollten, und ich schließe daher beyliegendes offenes Einladungsschreiben bey, welches ich Sie aufs beste zu unterstützen bitte. Den Gedanken, selbst Jahrbücher herauszugeben, sollten Sie fahren lassen; denn dieses Herausgeben ist wirklich eine Gattung spiritueller Gicht, und hinterläßt mir wenigstens ununterbrochne Lähmungen, die mir nicht gestatten, eigene Werke zu Tage zu fördern. Ich bin daher eigentlich an diesen Jahrbüchern krank, und zu meinem großen Schaden; denn ich sehe mich in allem gehemmt. Uebrigens will ich gern zugeben, daß Ihnen die Sache nicht so viel Arbeit als mir machen würde.

Ich ersuche Sie recht dringend, bald an eine Arbeit für die Jahrbücher zu gehen. Es ist mir schon ein übles Vorzeichen, daß Sie mir wieder Ostern als den Zeitpunkt anmerken, wo ich etwas zu erwarten habe, denn diese unglücklichen Ostern haben mir auch in diesem laufenden Jahre Früchte, die Sie mir versprachen, bringen sollen, ich bin aber leer ausgegangen.[S. 155] Die Hauptsache ist, wie mich dünkt, daß Sie sich vorerst auf ein einzelnes Werk zur Anzeige beschränken, um Ihre Gedanken nicht zu sehr zu zerstreuen. Welche Beurtheilung Sie mir immer liefern werden, sie wird für die Jahrbücher ein Gewinn seyn. Fr. Schlegel, welcher hier angekommen, zeigt endlich Ernst, etwas beyzutragen, wobey ihn der Himmel unterstützen wolle. Daß Sie meine Ansicht des historischen Schauspiels als die Ihre erkennen, macht mir ungemeine Freude; denn Sie werden sich wohl erinnern, daß Sie mit mir über diesen Gegenstand nicht sprachen, und nur einige Aeusserungen, die Sie damals bey Gelegenheit des Bela fallen ließen, erregten in mir schon damals die Vermuthung, daß meine Ansicht der Ihrigen verwandt seyn müßte. Aber wann wird dieser schon durch so viele Jahre zurückgehaltene Shakespeare erscheinen? Ich würde, wenn ich wie Sie wäre, zugleich eine englische Uebersetzung für die Heimath des Dichters besorgen, wo das Werk für jeden Fall große Aufmerksamkeit erregen wird. Sogleich nach Erscheinung des 4t. Theils des Phantasus werde ich eine Anzeige desselben für die Jahrbücher verfassen, und dieselbe zum Anhaltspunkte wählen, um überhaupt über das Charakteristische und den Geist Ihrer Dichtungen nach meiner Ein- oder Ansicht zu sprechen, nur ersuche ich Sie dann den Willen für die That gelten zu lassen; denn ich weiß sehr wohl, welch ein schwieriges ja gefährliches Unternehmen dieß seyn wird, da es sich dabey nicht darum handeln darf, Lobsprüche zu ertheilen, und sich mit der ausgesprochenen Versicherung des bey den Lesungen empfundenen Vergnügens zu begnügen.

Wenn A. W. Schlegel endlich seinen Shakespear vollenden wollte, wäre es eine schöne Sache. Ich sehe nicht ein, wie ihm beym Anblicke des Voßischen nicht die Pflicht klar wird, was er begonnen, auch hindurch zu führen. Es kann ihm auch keineswegs schwer fallen.

[S. 156]

Bey genauerer Ueberlegung wird es doch besser seyn, Ihnen meines Bruders Werke, sechs Bände, des Umfangs wegen durch eine Buchhändlergelegenheit zu übermachen, und hier nur allein den 3t. B. der Jahrbücher zu überschicken. Ich ersuche Sie um die Fortdauer Ihrer Freundschaft, und wiederhole meine Bitte um baldige Einsendung eines Beytrags.

Ihr wahrester Freund

Collin.

IV.

Wien, den 14t. März 1820.

Theuerster Freund!

Sie werden aus beyliegendem 8t. Bande der Jahrbücher ersehen, daß selbst Friedrich Schlegel fleißig geworden, und eine vortreffliche Abhandlung geliefert hat. Aus einem Briefe des H. v. Schütz, den ich vorgestern erhielt, ersehe ich, daß Sie einen Ausflug nach Dresden gemacht. Möchte doch Ihre Gesundheit endlich wieder zurückkehren! Schreiben Sie doch wenigstens, wie Sie sich befinden, wenn ich auch keine Arbeit erhalte. Ueber letzteren Punkt bitte ich Sie aber mir aufrichtig zu sagen, ob ich in einem halben Jahre die Recension des Voßischen Shakespeare erhalte oder nicht? weil ich im letztern Falle doch trachten müßte, einen andern Recensenten zu finden. Möchten Sie doch alles thun, wovon Sie sich eine solide dauernde Besserung Ihrer Gesundheit versprechen können. Leben Sie wohl!

Ihr

Freund und Diener

Collin.

Herrn Ludwig Tieck.

[S. 157]

V.

Wien, 12t. Febr. 1823.

Verehrter Freund!

Ich bin so frey, Ihnen in der Anlage einen Abdruck meiner Recension über die neuere dramatische Literatur zuzusenden, und bitte Sie diese Zusendung als ein Zeichen meiner Hochachtung zu betrachten. Wenn ich mich in Hinsicht des Werthes neuerer dramatischer Dichtung mit Ihnen in Opposition befinde, so ist dieß in Folge einer, von den Aussagen der Vorrede zu Kleist, verschiedenen Ansicht, die ich Sie mir zu gute zu halten bitte. Diese Sache wollte öffentlich ausgesprochen seyn; daß ich übrigens gegen Sie und Ihre Dichtungen die schuldige Achtung hege, wird Ihnen diese Recension selbst am besten bewähren. Hochachtungsvoll

Ihr

Freund und Diener

Collin.


Creuzer, Georg Friedrich.

Geboren zu Marburg i. H. den 10. März 1771, seit 1804 Prof. der Philologie in Heidelberg, wo er sein Lehramt 1848 niederlegte. Unsterblich durch das große Werk: Symbolik und Mythologie der alten Völker, besonders der Griechen, 4 B. (1810–12.) Die „Deutschen Schriften“ (1837–47) enthalten in 9 B. die vorzüglichsten seiner vielen archäologischen Arbeiten.

Wie liebenswürdig und erquickend athmet des gelehrten ernsten Forschers lebensfrische Vielseitigkeit aus diesen wenigen Zeilen. Und wie theuer muß auch ihm und seinen Heidelberger Freunden Tiecks Persönlichkeit gewesen seyn!

Heidelberg, d. 6ten Sept. 1825.

Ich hoffe, mein hochzuverehrender Herr und Freund, Sie sind von Ihrer Sommerreise glücklich zurück, und haben sich nun der wohlthätigen Wirkungen zu erfreuen, die diese Bewe[S. 158]gungen in freier Luft mit dem Wechsel der Gegenstände hervorzubringen pflegen. Möchten Sie nun wieder recht lange frisch und gesund bleiben.

Erst jetzt kann ich mein Versprechen erfüllen, weil ich die Vollendung der Görresschen Anzeige abwarten mußte. Ich habe also die Ehre Ihnen hiebei die sämmtlichen, nach ziemlich langen Zwischenräumen erschienenen Anzeigeblätter von Görres zu übersenden. Ich wäre begierig zu erfahren, was Sie zu dem Ganzen sagen. Der geniale Freund Görres, es ist nicht zu leugnen, ist mitunter etwas metaphysisch geworden. — Das kann er nun nicht lassen. — Aber die lange Anzeige wird wohl auch wegen des ganzen Tons und Inhalts bei wenigen Leuten in dem galanten Sachsen Glück machen.

Hiebei auch die Recension von Thibaut mit einem achtungsvollen Gruß des Recensenten an Sie, aber auch zugleich mit einer Bitte, welche Thibaut auf beiliegendes Blättchen niedergeschrieben.

Dürften wir nicht hoffen, daß Sie einmal Ihre Gedanken über Thibauts Ideen und Bestrebungen über und in der Musik dem Publikum mitzutheilen Sich entschließen? Der H. Kocher ist ein sehr heller klarer Mann und dazu noch in voller Jugendkraft. Er war neulich hier bei uns.

Auch der Cantor H. Rink in Darmstadt ist auf demselben Wege. Er kann nur nicht wie er will, weil vielleicht in keinem deutschen Lande dem Götzendienst der laulichsten Flachheit so sehr gehuldigt wird als dorten; wo auch Kirchen- und Schulzeitungen wie Pilze aus der Erde wachsen — sonnen- und würzlose Vegetabilien — während Kirchen und Schulen gänzlich zerfallen. Rink war wieder in seiner Lebensluft, als er neulich mit mir im Thibautschen Singverein die alten Choräle von Palestrina und andern Altmeistern hörte.

— Unsern Freund Sulpiz Boisseree hoffe ich alle Tage auf seiner Rückreise nach Stuttgart hier zu sehen. Er schrieb[S. 159] mir neulich von Wiesbaden, wo er etwas angegriffen aus dem Pariser Getöse angekommen war. — Das Domwerk wird, trotz der bisherigen schlechten Rentirung, doch eifrigst fortgesetzt werden.

— Mit Hrn. Hofrath Schelver steht es wieder ziemlich gut.

Hr. Prof. Loos war über Ihren Gruß hocherfreut.

Aus dem Kayserschen Hause soll ich Ihnen die ehrfurchtsvollsten Grüße melden, womit die Meinigen die ihren verbinden. Werden wir Sie denn nicht wieder einmal auf längere Zeit hier verehren können? — Das war doch neulich eine gar zu flüchtige Erscheinung.

— Haben Sie doch die Güte, beiliegenden Bogen an Hrn. Dr. und Prof. Sillig an der Kreuzschule abgeben zu lassen.

Leben Sie wohl, und erhalten Sie mir Ihr Wohlwollen. Ich beharre mit Verehrung der

Ihre

Friedr. Creuzer.


David, Pierre Jean.

Genannt: David d’Angers, weil er zu Angers geboren ward — am 12. Mai 1793. Er gilt für einen großen Bildhauer. Um seinen Ruhm auch außerhalb Frankreich zu verbreiten, unternahm er Kunstreisen nach Deutschland, wo er (1828) in Weimar mit Goethe’s kolossaler Büste begann. Seine Anwesenheit fiel in die Zeit, da der Faust zum ersten Male in W. auf der Bühne erschien. Er zeigte sich begeistert für Goethe. Jedesmal wenn er eine Sitzung beendet hatte, rief er aus: Welche Stirn! Welch’ ein Kopf! Ein Halbgott! — Einige Jahre später kam er wieder nach Deutschland, modellirte die ebenfalls grandiosen Brustbilder seiner Kunstgenossen: Dannecker in Stuttgart, Rauch in Berlin, und auch Schelling’s in München, so wie L. Tieck’s in Dresden.

Als eines seiner bedeutendsten Werke wird das Haut-Relief im Giebelfelde des Pariser Pantheon’s gepriesen.

[S. 160]

I.

Paris, 21. mai 1837.

Monsieur et illustre ami!

Je n’ai pas voulu laisser partir Mr. de Cubière sans le charger de quelques lignes pour vous. Je voulais vous écrire lorsque nous avons reçu la triste nouvelle de la perte cruelle que vous avez éprouvé; mais j’etais a ce moment très malade. Nous serions bien heureux de vous revoir ainsi que Mesdemoiselles Thieck, car nous comptons parmi les moments les plus heureux de notre séjour en Allemagne ceux que nous avons passés dans votre agréable société. Nous conservons avec une véritable joie l’espoir de vous voir l’année prochaine vers cette époque ci lorsque nous passerons par l’Allemagne pour nous rendre en Italie où nous ferons un assez long séjour.

Je serais bien heureux si parmi vos occupations plus utiles et si précieuses pour la postérité, vous pouviez quelque fois trouver l’instant de m’honorer d’un mot de vous, pour nous donner de vos chères nouvelles. Si vous saviez a quel point la lettre pleine d’amitié et de bienveillante indulgence que vous avez bien voulu m’écrire, m’a causé de joie vous ne regretteriez pas de perdre un peu de tems pour l’un de vos plus sincères admirateurs.

Agréez je vous prie, Monsieur et illustre ami l’assurance de ma haute considération et de mon bien sincère attachement.

David.

Soyez je vous prie assez bon pour présenter mes respectueux hommages a Mesdemoiselles Thieck et à la comtesse Finkenstein.

[S. 161]

II.

Monsieur et honorable ami.

Mr. Carnot fils du célèbre Ministre de la guerre va revoir l’Allemagne qu’il a habitée pendant de nombreuses années, je lui donne auprès de vous une lettre d’introduction car il désire ardemment faire la connaissance de l’un des plus grands génies de votre beau pays; il est accompagné de sa femme et pourront vous dire tout deux combien nous avons regretté Emilie et moi de ne pouvoir faire le voyage avec eux.

Veuillez nous rappeller au bon souvenir de votre famille et recevoir nos complimens bien affectueux.

Croyez je vous prie, Monsieur et honorable ami, à mon sincère devouement et à ma profonde admiration pour vous.

David.


Deinhardstein, Johann Ludwig.

Geboren am 21. Juni 1794 zu Wien, wo er 1827 Professor der Aesthetik wurde. Daneben hat er schon früher Censurgeschäfte verwaltet. Im Jahre 1832 gelang es ihm, wohl nicht auf geraden Wegen, den hochverdienten Schreyvogel (West) zu verdrängen, und dessen Stelle als Hoftheatral-Sekretair, mit jener Mosels vereint, unter dem Titel „Vicedirektor“ zu bekleiden. Er bekam auch den Rang eines wirkl. Regierungsrathes. Deinhardstein — vorher der größte Frondeur, der durchtriebenste „G’spaßmacher“, der Anstifter aller lustigen und übermüthigen Streiche, der Spießgesell Castelli’s bei tausend Mystificationen, der unerschöpfliche Erfinder oft gefährlicher Neckereien und „Gassenbuben-Dummheiten“, ein Haupturheber „ludlamitischen“ Wahnsinns — — — nun ein Staatsbeamter, voll gemessener Würde, gleich Polonius; von Orden geschmückt; streng-streichender Censor! Aber der eingeborne Schelm guckte immer noch durch. —

Sein erstes Auftreten in der Litteratur geschah durch den „Almanach der Kunstredner,“ (1812?) eine gute Anthologie, mit Theodor Bar. Sydows, des Wiener Declamators par excellence wohlgetroffenem Portrait, und eignen lyrischen Produktionen. Sodann hat er sich in’s dramatische Fach geworfen. In vielen theatralischen Gattungen hat er Vielerlei geliefert. Den entschiedensten Beifall fand (auch von Goethe aus[S. 162]gezeichnet) sein Hanns Sachs. Am längsten auf der Bühne gehalten hat sich hauptsächlich wohl durch Ludwig Löwe’s berühmte Meister-Darstellung: Garrik in Bristol.

Daß er ein sehr eitler Mensch gewesen, davon giebt eine Zeile dieses Briefes Kenntniß. Daß Niemand gleich ihm gestrebt habe, sich äußerliche Auszeichnungen und Ehrenzeichen zu er— —werben, dürfte Jeder behaupten, der ihn gekannt, den guten Castelli jedoch nicht gekannt hat. Es läßt sich schwer entscheiden, welcher von diesen Zweien gieriger nach Bändchen und Kreuzchen haschte?

Er galt hier und da für perfid und falsch. Andere lobten seine Bonhommie. Wahrscheinlich hatten Beide Recht. Wohlwollend war und blieb er — so lange seine Interessen es ihm gestatteten!

Wien, am 15. September 1844.

Hochverehrter Herr geheimer Hofrath!

Nach zurückgelegter Reise rufen lebhafte Erinnerungen an die liebevolle Güte und Freundlichkeit, deren Sie in Potsdam mich werth gehalten haben, den innigsten Dank in mir auf. Ihr Anblick und Ihre Benehmungsweise hat mich in unserer Zeit der Zerrißenheit und der Lüge erhoben und gestärkt.

Ihr König, den Sie so treffend mit den Worten geschildert haben, „man würde die Vortrefflichkeit seines Characters auf der Bühne für unwahrscheinlich halten,“ wird nun wohl wieder in seiner großartigen Hauptstadt seyn. Leider wurde mir der eigentliche Zweck meiner Reise, Ihm persönlich meinen Dank für die Dedications-Annahme meiner Gedichte — die wie Sie werden erfahren haben bedeutendes Glück machen — zu Füßen zu legen, durch die übergroße Sorgfalt des für mich intercedirten österreichischen Gesandten, vereitelt.

Ueber Tschech ist hier nur eine Stimme — die der Verachtung laut. Am Besten ist es, so wenig als möglich von ihm und über ihn reden zu laßen. Ich mindestens halte dieß mit allen Zeitungen und Schriften, die von ihm handeln, wenn sie mir zur Censur vorkommen, so, und wünsche, daß es überall so gehalten werde; zeitlebens mit ihm in den Narren[S. 163]thurm wäre wohl die paßendste, und in Berücksichtigung ähnlicher Gesellen die heilsamste Strafe.

Der Plan, den ich Ihnen verehrtester Herr Hofrath mitgetheilt habe, in den Jahrbüchern der Literatur fortwährend die neuesten wichtigsten Erscheinungen und Bestrebungen im Gebiethe der Wißenschaft und Kunst in Preußen, besprechen und erklären zu laßen geht seiner Reife entgegen. Ich habe die stimmfähigsten Männer dafür gewonnen, darunter Ihren Verwandten Herrn Director von Waagen, der mir mit Mund und Hand seine Theilnahme zusagte. Sie erinnern ihn wohl gelegentlich daran. Gehört es doch mit zu den schönen Eigenheiten Ihres Characters, das Gute energisch fördern zu helfen, wo Sie es vermögen.

Erinnern Sie sich meiner zuweilen und in Güte. Ich habe nur zu wünschen, Gott möge den König dem Lande erhalten, und Sie dem Könige, dann steht es gut um Preußen und um die Kunst.

In tiefer Hochachtung

Euer Hochwohlgeboren

gehors. Diener

Regierungsr. v. Deinhardstein.


Devrient, Eduard.

Geboren am 11. August 1801 zu Berlin, wo sein Vater, Ludwig Devrients Bruder, heimisch war. Des Oheims glorreiches Beispiel hat dessen Neffen, die drei Brüder: KarlEmilEduard auch auf die Bühne gezogen. Eduard begann als Sänger (Bassist), zeichnete sich schon in der Oper als sinniger Darsteller aus, ging sodann in’s recitirende Drama über, wurde 1844 als Regisseur nach Dresden berufen und übernahm endlich die ihm von S. K. Hoheit dem Großherzoge von Baden anvertraute dramaturgische Leitung des Hoftheaters in Karlsruh.

Eduard Devrient gehört zu den seltenen Schauspielern — und Theater-Menschen überhaupt, — die bei ausdauerndem und nie erkaltendem Feuereifer für die Bretterwelt, sich zu keiner Epoche ihres Lebens von Leidenschaften hinreißen ließen, sondern gemessen, ernst, scheinbar kalt, auf[S. 164] dem schmalen Pfade reinster Sittenstrenge und Moral, ohne jegliche Ausschreitung, ihr hohes Ziel verfolgten. Vielleicht trug sich solche Leidenschaftlosigkeit mitunter auf seine Darstellungen über? „Der Mensch gewinnt, was der Poet verliert!“ — weshalb sollte der Schauspieler an sich, weshalb sollten wir an ihm nicht vermissen, was dem Menschen und seiner Würde zu Gute kam? Darum kann er immer ein ausgezeichneter Künstler seyn!

Auch als dramatischer Schriftsteller hat Eduard D. bewährt, daß konsequenter Fleiß, geleitet von geistiger Einsicht, gestützt auf praktische Umsicht unverkümmerte Erfolge feiern kann; zuverlässiger als haltlose, wenngleich geniale Uebereilung. Die schönsten Sieg doch errang ihm dieses sein edles, unermüdliches Streben, Wollen, Durchführen im Gebiete historisch-dramaturgischer Autorschaft. Seine Geschichte der deutschen Schauspielkunst, 4 B. (1848–62) sichert ihm einen dauernden Platz neben den tüchtigsten Männern. Wahrlich, nicht ohne Grund ernannte ihn eine der berühmtesten Hochschulen bei’m Jubelfeste zum Ehrendoktor.

Neun Briefe an Tieck mögen durch ihren Inhalt bestätigen, was aufrichtige Hochachtung ihnen vorangeschickt.

I.

Berlin, den 31. Mai 1835.

Schon längst, verehrter Mann, habe ich dem Drange, auch in der Ferne in lebendiger Beziehung zu Ihnen zu bleiben, durch mittelbare Mittheilungen an meinen Bruder zu genügen gesucht, ohne daß sie mir eigentlich Befriedigung gebracht hätten; dennoch glaubte ich bisher durch directe Zuschrift Sie nicht belästigen zu dürfen. Heut nun giebt eine Art von geschäftlichem Anlaß mir einen Vorwand an Sie zu schreiben und ich ergreife ihn mit Begierde.

Es ist ein Auftrag des Vereins dramatischer Künstler, — von dessen Bestehen ich Ihnen durch meinen Bruder Mittheilung gemacht — welcher mich zu Ihnen führt. Vom Anfange seines Bestehens an, haben wir nämlich Redeübungen vorgenommen, haben gesucht die störenden Ungleichheiten und Unregelmäßigkeiten in der Aussprache abzustellen, was uns auch in vielen Stücken leicht gelungen ist, da nämlich, wo wir[S. 165] uns schnell über die Regel vereinigten und die Unrichtigkeit der Aussprache nur von übler Angewöhnung oder ererbtem Idiom herrührte. Nicht zu erledigen ist uns dagegen bis jetzt die Feststellung der Aussprache des Consonanten g geblieben.

In mehr als 20 Sitzungen ist diese Angelegenheit zur Sprache gekommen, wir haben die ernstlichsten Studien und Beobachtungen darüber angestellt, haben Belehrung gesucht wo sie irgend zu finden war und dennoch ist es uns immer noch nicht gelungen, eine Allen genügende Regel festzustellen: wo in der Mitte und am Ende der Wörter das g weich und wo es hart auszusprechen sei. — Raupach’s Ansicht, welche ich einholte, gab auf eine Zeit den Ausschlag, er rieth uns, das g überall hart auszusprechen, außer nach dem Laute i. Hiernach verfuhren wir eine Zeit lang bei unsren Leseübungen, bald aber erhob sich Widerspruch von vielen Seiten dagegen, man fand, daß durch die strenge Befolgung dieser Regel einige zu große Härten in der Sprache erzeugt würden z. B. in: gerügt, gelegt, Magdeburg, — kurz überall, wo das g vor einem Consonanten stehe. Mehrere gingen noch weiter und behaupteten: das g müsse nicht nur nach dem i, sondern auch noch nach dem e weich ausgesprochen werden, führten dafür Beweise aus der organischen Bildung des Lautes g und aus seiner Verwandtschaft mit dem ch an, welches ebenfalls nach a o u härter, nach e i aber weicher gesprochen werde, wie in: Bach, Loch, Buch - Rechen, mich. Andre wollten nun dagegen das g überall hart, auch nach dem i ausgesprochen haben und behaupteten nur unsre Ungewohnheit erzeuge dabei Härten für unsre Zungen, wie für unsre Ohren. Die Mehrzahl der Mitglieder des Vereins vereinigte sich über eine fünffache Art das g auszusprechen: 1) die ganz harte zu Anfang jedes Wortes: Gott, Gift u. s. w., 2) eine minder harte, mit sanfterem Drucke des hinteren Zungentheiles[S. 166] gegen den Gaumen, in: Auge, legen, Weg, Betrag, Sarg, Burg, 3) eine weiche gleich dem j, vor einem Consonanten in vergnügt, gelegt, Magd, 4) eine gleich dem ch in: König, Essig, 5) eine nasale, kaum hörbare, nach dem n, in: Ring, bang, fingen, Range. — Ueber die Anwendung aber der 2. und 3. Art der Aussprache herrscht nun immer noch die größte Verschiedenheit der Ansichten und ich, als Secretair des Vereines, bin daher aufgefordert worden, Sie verehrter Mann zu bitten, uns Ihre Meinung über diesen Gegenstand zu sagen. Der Antheil, den Sie der dramatischen Kunst und jeder redlichen Bestrebung für sie schenken, läßt uns hoffen, daß Sie uns Ihre Hülfe in unsren Nöthen nicht versagen werden. Da wir es nicht wagen, unsre Wünsche bis zu einer directen schriftlichen Antwort auszudehnen, so geht meine Bitte dahin, daß Sie vielleicht die Güte hätten, meinem Bruder, welcher wol von Wien zurückgekehrt sein wird, die Regel, das Gesetz, welches Sie selbst Sich über die Aussprache des g gebildet haben, in die Feder zu sagen. Leider habe ich mein Gedächtniß vergebens durchstört, um die Erinnerung von der Art und Weise aufzufinden, wie Sie das g bei Ihren Vorlesungen aussprechen; meine Aufmerksamkeit war auf diesen Gegenstand nicht so scharf gerichtet. Um den Antheil, den Sie unsrem Vereine hoffentlich schenken, zu unterhalten, berichte ich, daß derselbe den besten Fortgang hat, daß er bereits die Früchte hervorbringt, welche man bei seiner Jugend irgend erwarten darf. Es bildet sich eine edlere, freundliche Gesinnung unter den Künstlern, eine Art von künstlerischer Verbrüderung, ein Bewußtsein von gegenseitiger Abhängigkeit und Zusammengehörigkeit. Es ist eine lebhafte Anregung für alle Gegenstände der Kunst, ein Streben nach gemeinsamer Forthülfe, nach einer Einheit des Handelns entstanden, welche das Beste verspricht. Noch hat die freimüthige gegenseitige Beurtheilung der Darstellungen keinen Anlaß zu Empfindlichkeiten[S. 167] oder persönlichen üblem Vernehmen gegeben, im Gegentheile haben wir an uns Allen schon die großen Vortheile solcher offnen Besprechungen deutlich erfahren und somit hoffe ich, von diesem Vereine in der Zukunft für uns die schönste Wirkung zu erleben; ja, wenn unser Beispiel an allen größeren Bühnen Nachahmung findet, so könnte sich die dramatische Kunst dadurch überhaupt aus ihrem Kern heraus wiederbeleben. Mögen diese Hoffnungen Ihnen, verehrter Mann, auch allzu sanguinisch erscheinen, so werden Sie sie doch nicht schelten, da sie aus einer warmen, eifrigen Liebe für unsre Kunst hervorgehn.

Ich kann nicht schließen ohne die Gelegenheit wahrzunehmen, auch Ihren wohlwollenden Antheil für meine Person und mein künstlerisches Fortschreiten, durch einige Notizen anzufrischen. Seit einem Jahre etwa habe ich, wozu Sie mich längst aufgefordert, wichtige Rollen im Schauspiele übernommen und mein Studium besonders darauf gewendet. Die Darstellung des standhaften Prinzen, des Ludwig XIII. und des jungen Königs in: Die Schule des Lebens von Raupach, haben durch ihr Gelingen mir Vertrauen für die höchsten Aufgaben erworben und so will ich nun mit Freudigkeit auf dieser Bahn weiterstreben, auf welcher die Erinnerungen an jene Stunden, die ich in Ihrer Nähe gelebt, mir zur wichtigsten Förderung gedeihen. Raupach, dessen Zutrauen und lehrreicher Anregung ich sehr viel verdanke, könnte bei seiner Anwesenheit in Dresden, Ihnen von mir Ausführlicheres sagen, wenn es Ihr Interesse irgend erregen dürfte. Möchte es mein gutes Glück noch einmal fügen, daß ich vor Ihnen die Resultate meines Strebens darlegen könnte. Vielleicht schenken Sie doch noch Berlin den längst verheißenen Besuch, es würde mir zur süßesten Genugthuung gereichen, wenn Sie in meinen Darstellungen erkennten, daß meine innige Verehrung für Ihre Worte und Werke an meiner künstlerischen Richtung[S. 168] wesentlichen Antheil gehabt. Indem ich nun herzlich wünsche, daß meine Dreistigkeit: Sie mit einem so langen Briefe belästigt zu haben, Sie nicht von mir abwenden möge, bitte ich recht sehr, mich der Gräfin von Finkenstein und Ihrem ganzen liebenswürdigen Hause angelegentlich zu empfehlen und die Versicherung der innigsten Verehrung und Ergebenheit anzunehmen, welche ich für alle Zeiten für Sie hege.

Eduard Devrient.

II.

Berlin, d. 4. Novbr. 1835.

Sehr geehrter Herr Hofrath!

Seitdem wir im vergangenen Winter zu unsrer und unsrer Freunde größten Freude, in meinem Hause Ihr Rothkäppchen aufgeführt hatten, beschäftigte mich der Plan, eines Ihrer größeren Stücke für die Bühne zu gewinnen. Der Blaubart erschien mir zunächst dafür geeignet und ich habe mich nun fast ein Jahr lang damit umhergetragen: die Auskunftsmittel zu finden, welche nöthig wären, um, der Form nach, dies vortreffliche Gedicht der jetzigen Bühne anzueignen. Immermann hat mir indeß freilich den Vortritt in dieser Herzensangelegenheit genommen, aber seine Aufführung, über welche ich genaue Erkundigung eingezogen, hat mich noch mehr in meiner Ansicht von der Weise bestärkt, in welcher man zunächst das Stück dem heutigen Theater und Publikum anzubieten hätte. Nun habe ich meinen Versuch mit einer Einrichtung des Gedichtes gemacht, habe es Ihrem Freunde, dem Prof. v. Raumer vorgelegt, welcher mir das Zeugniß gegeben, daß durch meine Hand an dem Werke nichts verstümmelt worden, daß mein Zusammendrängen und Sammeln der Handlung nur an der Form verändert habe. So trete ich denn, beschirmt von diesem Zeugniße, vor Sie hin, verehrter Mann, und bitte[S. 169] um die Erlaubniß: Ihr Gedicht, mit meiner scenischen Einrichtung auf die Bühne bringen zu dürfen.

Nach langem Ueberlegen habe ich mich entschieden, Ihnen das Spezielle meiner Einrichtung nicht mitzutheilen, wenn Sie es anders nicht begehren. Billigen können Sie es schwerlich, denn Sie haben ja die Gestalt Ihres Gedichts anders gedacht, die Form, welche mir nothwendig erschien, kann Ihnen nie natürlich werden; warum sollte ich Sie also mit der Beurtheilung belästigen? Lassen Sie mich den Versuch auf meine Gefahr wagen, selbst sein Mißlingen kann ja dem Gedichte nicht schaden, das in 4 bis 5 Ausgaben längst ein Eigenthum Deutschlands geworden ist. Besser also, Sie haben gar keinen Antheil an seiner Erscheinung auf der Bühne, als daß ein Antheil des Mißlingens auf Sie geworfen werden dürfte. Diese Schuld trage ich dann allein. Wenn aber mein Unternehmen gelingt — und ich rechne zuversichtlich darauf — so ist der Erfolg natürlich der Ihrige und ich habe mir eine lebenslange stille Genugthuung bereitet.

Dies ist meine Ansicht von der Angelegenheit, ich wünsche nichts sehnlicher, als daß Sie darauf eingehen möchten. Daß ich mit ehrerbietiger Scheu und begeisterter Liebe an das Werk gegangen bin, daß ich jede Scene, jedes Wort auf das Bedenklichste abgewogen, ehe ich mich zu einer Verkürzung oder Umstaltung entschlossen und nur das an dem Gedichte geändert habe, was nothwendig sein Heimischwerden auf der heutigen Bühne gehindert hätte — davon sind Sie gewiß überzeugt, und wie ich dieses Zutrauens nicht unwerth zu sein glaube, hoffe ich auch, Sie werden Sich entschließen können, mir die erbetene Erlaubniß zu ertheilen.

In den nächsten Tagen habe ich dem Grafen Redern das Stück, wie es nun ist, vorzulesen, er ist sehr erwärmt für diese Unternehmung. Ich möchte nun schnell die nöthige Musik componiren und die anderweitigen Vorbereitungen treffen[S. 170] lassen, damit die Aufführung wo möglich schon im Anfange des neuen Jahres Statt finden könne. Fast alle Rollen werden bei uns gut zu besetzen sein, wo es am inneren Verständniß des Werkes fehlen sollte, wird sich nachhelfen lassen. Den Simon denke ich zu spielen, und trage ein sehnsüchtiges Verlangen nach der Lösung der Schwierigkeiten, welche diese Rolle bietet. Kurz mein Herz ist so ganz erfüllt von diesem Vorhaben, daß ich zuversichtlich hoffe, Gott werde ihm das Gedeihen und Sie Ihre Zustimmung nicht versagen.

Ganz der Ihrige

Eduard Devrient.

III.

Berlin 6/4. 38.

Hochgeehrter Herr Hofrath!

Die innigste Freude hat mir Ihr Schreiben erregt, das mir einen so wohlwollenden Antheil für mein Stück, eine so tröstliche und ermuthigende Billigung meiner Intentionen bekundete. Ich weiß sehr wohl, daß Sie das bürgerliche Drama nicht verwerfen, aber ich fürchtete: die Tendenz meines Stückes möchte Ihnen nicht bestimmt genug ausgedrückt erscheinen, freilich hätte ich Ihrem ebenso scharfen, feinen als wohlwollendem Blicke mehr vertrauen sollen, aber ich war durch manches Mißverstehen von einigen Seiten her zaghaft gemacht worden. Man erkannte nicht, oder wollte nicht erkennen, daß ich die Kleinlichkeit und misère unsrer Zustände nicht um ihrer selbst willen habe schildern wollen, sondern um sie vor unsren Augen in ihrer Nichtigkeit zerbröckeln zu lassen und uns an einer idealen Anschauung, an einer Tüchtigkeit der Gesinnung aufzurichten. Ich habe eben zeigen wollen, daß wer Gesetze von unsrer socialen Elendigkeit annimmt, ebenso verloren ist, als wer alle Bande und[S. 171] Schranken phantastisch überfliegt, daß aber das Verfolgen eines höheren, geistigen Zieles, das Maaßhalten in den Forderungen an das Leben, zuletzt auch in allen Beziehungen das Leben bezwingen muß. Darum konnte ich auch alles mögliche Geld verloren gehn lassen und die Hauptfiguren zuletzt glücklich machen, ohne dies in den meisten bürgerlichen Stücken nöthige Hülfsmittel. Dies ist wol eine Art von Rechnenprobe über die geistige Bedeutung des Stückes, aber nur die Wohlwollenden nehmen sie an.

Ihr Beifall hat nun all den Genuß gekrönt, den mir die Aufführung dieses Stückes bereitet, das Publikum hat durch sechs gefüllte Häuser und den lebhaftesten Beifall seine Theilnahme ausgesprochen, die Schauspieler sind mit Lust bei der Darstellung, viele gute und tüchtige Menschen habe ich gerührt und erfreut, Sie billigen, was ich gethan — welch menschliches Unternehmen könnte einen schöneren Erfolg haben? Gespannt bin ich auf die Wirkung, welche das Stück von andren Bühnen herab machen wird; einige der gezeichneten Zustände sind ganz lokal. Ein rasches, lebhaftes Zusammenspiel ist hier Hauptbedingung, das Stück empfängt auf der Bühne ein ganz neues Leben und ich möchte Sie, verehrter Herr, bitten, die beabsichtigten Abkürzungen noch bis zu den Theaterproben aufzuschieben und erst darüber zu entscheiden, wenn das Spiel schon im Zuge ist.

Welche Rolle mein Bruder am förderlichsten für das Stück übernehmen möchte, darüber kann ich in der That nicht entscheiden, da ich das jetzige Personal Ihrer Bühne nicht kenne. — So eben habe ich einen Brief meines Bruders erhalten, aus dem ich ersehe, daß Herr Baison bei Ihrer Bühne angestellt ist, ich habe denselben hier als „Landwirth“ gesehen und mein Wunsch ist daher unbedenklich, daß er den Christoph, mein Bruder den Born spielen möge; ich werde meinem Bruder darüber schreiben, der mir größere Lust zum Christoph zu[S. 172] haben scheint. Obschon die Rolle des Born nicht groß ist, so repräsentirt sie doch, (trotz ihres Antheiles an den Verirrungen in pedantischem Besserungseifer) den Typus des Edlen und Tüchtigen, für die Darstellung ist es daher von großer Wichtigkeit, daß ein Schauspieler sie übernehme, der in edlen und idealen Gestalten anerkannt ist vom Publikum. Daß mein Bruder das mir so neidenswerth erscheinende Verhältniß zu Ihnen nicht benutzt, thut mir recht herzlich leid, ich möchte nur glauben, daß er mehr Ihre Sprache, als Ihre Intentionen mißversteht, da ich in ihm immer eine so edle, künstlerische Natur gesehen, daß ich mir im allgemeinen kein Abweichen von Ihrer Richtung bei ihm denken kann. Der Beifall der Menge ist freilich ein gefährlich Ding, und ich fühle zu genau, wie der Schauspieler alltäglich sich die eigentliche Würde und Höhe seines Berufes vor’s Auge halten muß, um sich nicht der weichen Beifallswoge zu überlassen, die, wie Sie nur zu richtig sagen, durch so kleine Künste zu erreichen ist. So unähnlich der Künstler dem Prediger sein soll, darin muß er ihm gleich stehen, daß er den Leuten zeige, was sie erfahren sollen, nicht was sie erfahren wollen. Ueberhaupt giebt es vielleicht keinen Stand, von dem so sehr eine Fülle der Tugenden gefordert wird, als der unsrige. Selbstverläugnend sollen wir sein, beim größten Anreiz zu Eitelkeit und Selbstsucht, uns aufgeben an das Total einer Darstellung, wo es so leicht ist sich abgesonderten Vortheil und Beifall zu verdienen, das Höchste und Vergeistigte immerfort anbieten, wo es wenig geschätzt, dagegen das Geringe und Gemeine begierig verlangt wird und reichlich gelohnt. — In der That, das Abweichen von den Berufstugenden rächt sich in jedem Stande auch äußerlich, beim Schauspieler wird es belohnt und gefeiert, dennoch soll er getreu bleiben — wahrlich um der Größe der Aufgabe willen ist es fast zu verzeihen, daß wir sie so miserabel lösen. Und das ist es doch überhaupt, woran die ganze[S. 173] Bühne krankt und ehe der Staat ihr nicht eine strenge Forderung stellt, ehe die Gesellschaft nicht anfängt Ernst und Bedeutsamkeit vom Theater zu verlangen, wird der bessere oder schlechtere Zustand, wie die Wellen des Meeres, immer von den zufälligen Winden abhängen... Die herrschende aria cattiva hat auch den Schauspielerverein, den ich mit einigen erfrischenden Hoffnungen gestiftet, bis auf 3 Mitglieder heruntergebracht, und keine Wirksamkeit für das Ganze ist mehr von ihm zu hoffen. Ich dachte, dieser Verein sollte eine Gesinnung unter uns erwecken, vergaß aber, daß sie für das Bestehen des Vereines schon vorhanden sein müßte. Jetzt sehe ich ein, diese Gesinnung muß, mit der Bildung zugleich, in Schauspielerschulen gepflanzt werden, die es aber nicht giebt. Im allgemeinen haben die Schauspieler keinen Respect vor ihrem Berufe und daher mißbrauchen sie ihn. Es scheint, der Mensch achtet nur, was ihm sauer wird; wenn die jungen Schauspieler arbeiten müßten, bevor sie zur Production zugelassen würden, wie alle andren Künstler, so würden sie mit mehr Ernst und Achtung daran gehn, sie würden beim Studiren gelernt haben, wie himmelweit wir immer von dem Ideale unsres Berufes entfernt bleiben.

Entschuldigen Sie meine Redseligkeit, es giebt ja nicht viele Orte, wo ich meinem Kummer Luft machen kann. Mit meiner persönlichen Stellung hier, nach der Sie so freundlich fragen, könnte ich sehr wohl zufrieden sein, ich fühle mich oft beschämt vor den Beweisen der Achtung, die mir von Tüchtigen entgegenkommt, auch läßt sich hin und wieder etwas Gutes und Rechtes bei uns hindurch bugsiren, — mit dem Blaubart ist mir’s freilich immer noch nicht geglückt, — die Anstellung Seydelmanns kann unser Personal sehr förderlich vervollständigen, aber der Durst nach der tief ins Leben greifenden Wirksamkeit, welche die Bühne haben könnte und sollte, der Durst brennt immer ungestillt in der Seele. Es soll auch wol so[S. 174] sein und bleiben. Wie unendlich werth würde es mir sein, mich einmal wieder mündlich gegen Sie verehrter Mann aussprechen, vielleicht Ihnen etwas von dem zeigen zu können, was ich seit 4 Jahren gelernt; vor dem nächsten Jahre habe ich aber dazu keine Aussicht. In diesem Sommer muß ich hier bleiben, mein neues Haus ausbauen und damit die Ruhe und Arbeitsgemächlichkeit für mein häusliches Leben ein für allemal feststellen. Erhalten Sie mir Ihr unschätzbares Wohlwollen, ich bleibe mit unveränderlicher Verehrung und Anhänglichkeit

der Ihrige

Eduard Devrient.

Darf ich um Beförderung der Einlage ergebenst bitten?

IV.

Berlin 29. Oktbr. 1838.

Mein hochverehrter Freund!

Das Gefühl der Angehörigkeit, das Sie mir vor 16 Jahren einflößten, als ich bei meinem ersten Ausfluge in die Welt in Ihre Nähe kam, hat im Verlaufe der Jahre eine fortdauernde Bestätigung gefunden. Theils in dem Antheil, der mir bei meinen Arbeiten für die Bühne von Ihnen zu Theil wurde, dann in den geistigen Beziehungen, welche Ihre Schriften mir fortdauernd eröffneten — wie ich denn kürzlich wieder bei abermaligem Lesen der dramaturgischen Blätter ein Fülle eigner Wahrnehmungen und Erfahrungen bestätigt und gesichert gefunden — und nun hat in der neuesten Zeit Ihr rührender Antheil für mein Stück mich so reich gemacht, daß ich in diesem Bewußtsein: Ihnen zuzugehören, recht beruhigt und erquickt mich fühle in all den Wirbeln der trübseligsten Erfahrungen, die das heutige Kunstleben bewegen.[S. 175] Ich mag Ihnen deshalb auch gar keinen Dank sagen, erstens weil ich ihn doch nicht auszudrücken wüßte, dann weil ich weiß daß, da sie meine Arbeit Ihres Antheils werth gefunden, Ihnen Alles was Sie gethan, selbst ein Genuß Ihres Liebesschatzes war. Es ist ja eben so süß: Wohlwollen und Freundlichkeit bezeugen, als sie empfangen. Aber die Theilnahme und Ermunterung, die ich von Ihnen erfahren, auch die welche ich von Immermann erhalten, das sind die eigentlichen Trophäen, die ich mir aus dem übergünstigen Erfolge des Stückes davon trage und worauf ich mir in der Stille meines Herzens wahrhaft etwas zu gute thue. Möge der Himmel mir nun Muße schenken und gute Einfälle dazu, damit ich Ihrem Vertrauen ferner entsprechen könne. Jetzt ist es das Studium wichtiger Rollen, das mich, nach überstandener mühsamer Einrichtung in meinem neuen Hause, ganz in Anspruch nimmt. Besonders ist es der Hamlet, der sich meiner ganzen Seele bemeistert hat, die Beschäftigung mit diesem tiefbedeutsamen Charakter hat sogar, das fühle ich lebhaft, einen großen Einfluß auf meine Lebensanschauung ausgeübt, und ich wollte oft, ich könnte mich retten aus dem Gefühle: wie ekel schaal und unerquicklich das ganze Treiben dieser Welt ist. Wie gern möchte ich mich über diese Gestalt des Hamlet einmal mit Ihnen aussprechen. Es müßte ja dabei Alles zur Sprache kommen, was den Menschen Weh bereitet, alles was dem Schauspieler Lust an der Höhe seines Berufes geben kann. Mir ist es wunderlich mit diesem Charakter ergangen. Immerdar hat mich die volle Gewalt des poetischen Lebens im ersten Akte erschüttert, aber Hamlet hat im Verfolge des Stückes mich kalt gelassen, die Entwicklung erschien mir willkührlich, grillig, der Hamlet selbst der unleidlichste Gesell von der Welt, ich konnte es zu keiner Theilnahme bringen, so oft ich ansetzte, so aufmerksam ich Alles las, was darüber geschrieben war; ja dies machte mich nur verwirrter.[S. 176] Ich begann das Studium der Rolle im Frühjahre, wie eine Verpflichtung, aber da ich nun in alle Lebensfasern eindrang, entdeckte ich bald die Wahrheit einzelner Zustände, Stimmungen und Geistesrichtungen und wie durch einen Zauber schossen die einzelnen Strahlen zum Sterne zusammen, ich sah Licht wie nach langer Blendung, fühlte auf einmal den glühend warmen Lebenspuls in der Gestalt, die bisher nur wie ein flacher Schatten von meinem Auge stand. Da sahe ich denn, daß durch Alles was über den Charakter geschrieben worden, er mir nicht zugänglicher wurde, sein Mangel an Thatkraft war mir immer ein zu willkührlicher Grund seines Thuns, jetzt erkannte ich, daß dieser Mangel nur ein Ergebniß der Ueberfülle der Anschauung in ihm ist. — Doch ich mache mich wol schlecht verständlich. — In Hamlet finde ich den großen Erdenschmerz: sein Ideal niemals erfüllen zu können, den ewigen Zwiespalt, in den der Mensch gesetzt ist, begabt mit aller Befähigung das Höchste zu erkennen, zu wollen, es aber an sich und Andren nie darstellen zu können; woraus zuletzt die tiefste Verachtung der Welt hervorgehn kann. Alles widerstrebt hier dem reinen Seelendrange, überall stört die Nichtigkeit und Elendigkeit, die eigne Mangelhaftigkeit und Gebrechlichkeit läßt den Geist in einem Kerker sich fühlen, er isolirt sich immer mehr, dieser höheren Selbstsucht fehlen dann, vermöge seiner irdischen Natur, alle Kleinlichkeiten der Eitelkeit nicht und je mehr der Mensch sich nun vertieft in geistiges Leben, in höhere Reflection im Umfassen des Universums, je untüchtiger wird er, seine Thätigkeit auf irgend einen kleinen Kreis, auf irgend eine Arbeit oder eine That beschränken und fesseln zu können. Dies, meine ich, hat Shakespeare im Hamlet zeigen wollen, man könnte aus diesem ewigen Weh des Lebens noch 100 vortreffliche Stücke machen, so reich und mannichfaltig erscheinen einem von diesem Standpunkte aus die Conflicte der Dinge. Der große Dichter hat nun in[S. 177] seinem unvergleichlichen Gedichte den Menschen einem furchtbaren Verbrechen gegenübergestellt, einer That, welche die größte menschliche Verderblichkeit bezeugt und das entschiedenste Entgegenhandeln fordert. So ist Alles hier auf das Schärfste gestellt und muß die schlagendsten Wirkungen hervorbringen. Ein einfacher Mensch wäre schnell fertig mit dem, was zu thun ist, aber der so geistig Gesteigerte hat einen viel größeren Drang, sich die ganze Fülle des Vorganges allseitig zum Bewußtsein zu bringen, er muß alles daran durchdenken, mit bittren Schmerzen durchempfinden, die äußere That bleibt, als das Geringere immer zurück und dadurch zerfällt er völlig mit sich selbst. Ich weiß nicht, ob ich das ganz gesagt habe, was ich meine, ich bin wenig geschickt etwas zu deduciren, was mir überzeugend lebendig in der Seele brennt, ich wäre glückselig, wenn meine Darstellung es zur vollen Anschauung brächte.

Aus dieser Erkenntniß des Hamlet erklären sich mir nun alle Widersprüche und Uebertreibungen seines Benehmens. Die an Vergötterung streifende Liebe zu seinem Vater, die rührende Liebe zu seiner Mutter, die überall durch den Abscheu gegen ihre Handlungen hervorbricht, die Härte gegen Ophelia, in welcher er seine eigne Liebe mißhandelt. Wie schön ist das „ich liebte Euch nicht“ d. h. „so wie ich Euch lieben sollte, das was man nur Liebe nennen sollte, das fühlte ich nicht, dazu bin ich, wie alle Menschen zu elend.“ Dies Ungenügen seiner selbst, der Höhe seines Ideales gegenüber, scheint so sehr zu contrastiren mit der Selbgefälligkeit, in der er sich gegen die Höflinge überhebt und wie erschreckend wahr ist dies Alles? Das sind die Kleinlichkeiten der großen Menschen; der Hamlet ist dafür ein treuer Spiegel auf jedem Blatte. Er sagt „Sie narren mich, daß mir die Geduld fast reißt“ und doch ist er es, der die unbedeutenden Menschen fortdauernd reitzt, ihre Streiche vor ihm zu machen. Die Sehnsucht nach dem Tode[S. 178] und dies Schaudern vor der Verwesung, dann der verstellte Wahnsinn, wie ist er doch nur eine Zuflucht für den übermannten Geist, keine besonnene, kluge Wahl — doch ich langweile Sie mit dem Auseinanderschälen einer Frucht, deren Gehalt Sie so genau kennen. Wollte ich Alles sagen, was ich beim Studium dieser Rolle erfahren, ich müßte jede Rede commentiren, ein Buch darüber schreiben. Wüßte ich doch, was Sie zu meiner Ansicht sagen? Wie sehr habe ich bedauert in Ihren Schriften nichts Ausführliches über den Hamlet selbst zu finden, was Sie in den dramaturgischen Blättern andeuten genügte meinem Durste nicht, so vertraut mir Manches erschien. Was im Wilhelm Meister steht, hat mir bis jetzt gar nichts geholfen. Sein Sie mir nur nicht böse, daß ich so schwatzhaft bin und mich klüger als die Klügsten anstelle, meine Seele ist zu voll von dieser Arbeit und es mag wol ein Beweis prägnanten Lebens am Hamlet sein, daß ein Jeder, der sich ernstlich mit ihm beschäftigt, eine eigne und besondre Anschauung will gefunden haben; so ist’s ja mit allem Großen und Bedeutenden, man ist nie ganz in Uebereinstimmung darüber. So kann ich auch nicht begreifen, wie bedeutende Schauspieler haben den Hamlet besonnen oder sentimental darstellen können, beides liegt ihm, meine ich, ganz fern; eine leidenschaftliche Bitterkeit, lebhafte Erregbarkeit und ein sich ganz Verlieren in Stimmungen und Vorstellungen, das scheinen mir seine Grundzüge zu sein. Doch genug des Raisonnirens, die Aufführung ist vor der Thür. Könnte ich Sie nur dazu hieher bannen und hernach von Ihnen hören, wie viel oder wie wenig ich von meinen eignen Ansichten getroffen und wo sie sich bewährt, wo nicht. Es bedarf Ihrer freundlichen Aufforderung sicher nicht, um mich zu treiben, einmal wieder Dresden und Ihr Gespräch zu suchen und wenn die Umstände mich begünstigen, so wird ein Reiseplan zum nächsten Frühjahre ausgeführt, dessen route quer durch[S. 179] Ihr Zimmer führt. Welche Erwartungen und Wünsche knüpfe ich schon längst daran! Seit meiner letzten Anwesenheit in Dresden hat sich der Kreis meiner künstlerischen Wirksamkeit so verändert und mit ihm meine Erfahrungen und Wahrnehmungen. Wie gern zeigte ich mich Ihnen nun einmal in Allem, was ich kann und weiß; ich bin gewiß von Ihnen das Lösungswort für manches Dunkle und Unverstandene in mir zu hören. Nun ich will mich der Hoffnung hingeben, es ist so süß, sich mit der Erwartung großer Erfrischungen durch das Jammerthal unsres Bühnenlebens hindurchzuschlagen. Erhalten Sie mir Ihr Wohlwollen, es ist mein Sporn und Stolz in meinen Bestrebungen.

Ganz der Ihrige

Eduard Devrient.

V.

Berlin d. 31t. Januar 1839.

Mein hochverehrter Freund!

Ein junger dänischer Componist, Baron von Löwensciold und der Coppenhagener Theaterdichter Borgaard, welche auf ihrer Reise durch Deutschland, Italien und Frankreich begriffen sind, wünschen sehnlichst, bei ihrem Aufenthalte in Dresden, in Ihre Nähe zu kommen. Es ist der nächste Zweck dieser Zeilen, Sie verehrter Mann, um die Erlaubniß zu bitten, daß diese Herren Sie besuchen dürfen, vielleicht einer Ihrer Vorlesungen beiwohnen. Da sie in der ernstlichen Absicht reisen, zu lernen, so ist das was ich erbitte von so großer Wichtigkeit für sie, daß ich nicht fürchten darf, Sie werden es versagen. Von dem jungen Musiker habe ich recht schöne Proben seines Talentes gesehen, außerdem bringen beide einen reinen Geschmack, keine Vorliebe für irgend etwas Verkehrtes mit, so daß es mir recht lohnend schien ihren Gesichtskreis zu erweitern.[S. 180] Ich übergebe sie Ihrem Wohlwollen, auf welches ich noch nie vergebliche Rechnung gemacht. So hoffe ich auch Ihnen nicht lästig zu werden, wenn ich Sie ein Weilchen von mir unterhalte. Ich habe nun in den letzten Monaten erst den Hamlet, dann den Tasso gespielt, und zu meiner innigsten Freude durch beide Rollen, nicht nur einen äußerlichen Erfolg errungen, sondern einen wahrhaften Eindruck bei vielen guten und tüchtigen Menschen hervorgebracht. Im Hamlet habe ich vieles wieder hergestellt, was meine Vorgänger seit Wolf unterschlagen hatten, wobei z. B. zuerst Opheliens Begräbniß beseitigt worden, zuletzt sogar die ganze Kirchhofscene. Ich habe es sogar durchgesetzt, die Theaterscene nach Ihrem Vorschlage in den dramaturg. Blättern einzurichten und die Wirkung hat es vollständig gerechtfertigt. Die ganze Scene gewinnt unendlich an Sammlung und rückt ihr Hauptinteresse eigentlich erst dadurch dem Beschauer vor die Augen. Am Tasso habe ich im Verfolge des Studiums viel größere Freude gehabt, als ich anfangs glaubte. Im Allgemeinen legt man dieser Rolle hauptsächlich ein rhetorisches Interesse bei, ich habe gefunden, daß dies sehr untergeordnet ist, der Charakter ist mit der äußersten Sorgfalt ausgeführt und jedes Wort daran ist charakteristisch. Im Grunde ist es ein unleidlicher Gesell, in Selbstsucht vollgenährt, die überall, selbst in seiner Liebe zur Prinzessin ihn bestimmt und umherwirft, der Reichthum seiner Fantasie allein läßt ihn liebenswürdig erscheinen und bei aller Zweideutigkeit seines Wesens, die uns stets verletzt, müssen wir ihn wieder gelten lassen, weil er so durchaus naiv sich auslebt; es fällt ihm niemals ein, daß er auch nur im Entferntesten Unrecht habe, wenn er sich noch so abscheulich zeigt. Es ist eigentlich ein pathologisches Interesse, was uns an ihn fesselt. Ich habe mit rechter Lust daran gearbeitet und freue mich, bei ferneren Wiederholungen alle Farben recht sicher zu stellen. Das Publikum, wir hatten freilich ein ganz[S. 181] auserlesenes, ging ganz auf meine Zeichnung ein, es war ein Abend, der viele Schock andrer, die man mit schaler Brodarbeit hinbringen muß, überhalten kann.

Meine Reisepläne, die ich im Herbst bildete, und worin ein Besuch bei Ihnen meine Hauptrolle spielte, habe ich verworfen, und hoffe Ihnen auch im nächsten Jahre noch willkommen zu sein. Ich muß und will nach Paris reisen; ich bin gewiß, daß vor den französischen Bühnen noch viel zu lernen ist. Die frappante Auffassung, die große Rührigkeit des Lebens überhaupt, das sind Dinge, die einem Deutschen treffliche Anregungen geben können. Ich halte mich für sicher genug, mir keine Art der Nachahmung aufpacken zu lassen, nur frische, neue, fremde Anregungen suche ich und bin gewiß, sie zu meinem Nutzen zu finden. Ich denke, Sie billigen mein Unternehmen; außerdem ist Paris so reich an geistigem und sinnlichem Leben, daß seine Kenntniß eine Art von unentbehrlichem Bildungsmittel ist. Ich denke mich in 4–6 Wochen dahin aufzumachen, vielleicht erlebe ich Manches, was Sie interessiren dürfte, dann nehmen Sie meine Mittheilung wol freundlich auf.

Ganz der Ihrige

Eduard Devrient.

VI.

Berlin d. 8t. Dezbr. 39.

Hochgeehrter Freund und Gönner!

Meine Pariser Briefe sandte ich Ihnen, ohne eine Zeile zur Begleitung mitzugeben; es war kurz nach dem Tode meiner Tochter, und ich vermochte noch nicht viel Anderes als meinen Verlust zu denken. Vielleicht haben Sie von unsrem Unglück gehört und werden mir den Mangel an Form verziehen haben. Es würde mir unendlich viel Freude machen, wenn[S. 182] ich erfahren könnte, ob diese Briefe Ihnen irgend etwas Erwünschtes gebracht haben? ob die Gesichtspunkte, aus denen ich die Dinge gesehen, von dem Ihrigen nicht allzusehr abweichen? — Ich entbehre es gar zu sehr, so lange nicht mit Ihnen zusammengewesen zu sein, ich wollte auf meiner Heimreise noch nach Dresden kommen, die Zeit war zu kurz und meine Sehnsucht nach Haus zu groß, es ging nicht an. So muß ich nun eine Menge von Gegenständen bei Seite gestellt sein lassen, bis auf eine günstige Zeit, die vielleicht im nächsten Sommer sich erzwingen läßt.

Heut trete ich nun schon wieder mit einer kleinen Arbeit vor Sie hin, die ich aber mit einer Art von entschuldigender Erklärung begleiten muß. Mit meinem Unmuthe gegen Uebertragung der französischen Bühnenstücke im Allgemeinen scheint es im Widerspruche zu stehen, daß ich selbst mich damit beschäftigt habe, ein französisches Stück auf unsrer Bühne heimisch zu machen, aber die Veranlassung dazu war mannichfacher Art. Ich sah dies Stück in Paris vortrefflich dargestellt, fand es den Kräften der deutschen Bühne angemessen, Bau und Charakter des Stückes sehr nach deutschem Sinn und Schnitt, die nöthigen Modificationen traten mir lebendig entgegen, ebenso manche Erweiterung und Bereicherung des Dialoges für deutsche Gefühls- und Denkweise, so daß ich das Stück mitnahm. — Jetzt nach dem Tode meiner Tochter verlangte mich nach einer Arbeit, die mich beschäftige ohne anzustrengen und so nahm ich das Stück vor. Es fing mich an zu interessiren, die Darstellung französischer Zustände durch eine bequeme Form deutschverständlich zu machen, durch Abkürzen und Hinzufügen den Situationen noch mehr Lebendigkeit zu geben, und ich bin auf diesem Wege wenigstens zu der speciellen Einsicht gelangt, daß unsre gewöhnlichen Uebersetzer das Wichtigste an ihrer Aufgabe immer versäumen. —[S. 183] Natürlich kann ich bei diesem ersten Versuche, der zugleich auch wohl mein letzter sein möchte, nicht erreicht haben, was ich als nothwendig bei einer Bearbeitung für unsre Bühne erkannt, aber ich hoffe, das Stück, wie es da ist wird eine angenehme Aufgabe für die Darstellung, und eine willkommene Gabe für das Publikum sein. Daß ich es Ihnen mittheile, geschieht hauptsächlich, um keine Gelegenheit zu verabsäumen, mein Gedächtniß bei Ihnen aufzufrischen und Ihnen einen Antheil für die eine Hälfte meiner Bestrebungen für die Bühne aufzudringen. Alles was ich von dieser letzten Arbeit hoffe, ist daß Sie sie nicht mißbilligen mögen. Von meiner Schauspielerthätigkeit weiß ich leider nicht viel zu sagen; unser Repertoir ist ganz elend, die neuerscheinenden Stücke sind matt und liefern wahrhaft trostlose Aufgaben, unsre Meisterwerke dagegen werden höchst selten aufgeführt, obschon unser Publikum jederzeit den allerlebendigsten Antheil dafür zeigt. Nur einige bequem aufführbare Stücke halten sich auf unsrem Repertoire, die größeren kommen bei dem geräuschvollen Geschäftsstrudel unsres Bühnenlebens höchst selten zu Stande. Nichts ist aber so niederschlagend, so entnervend für den Künstler, als der Mangel an Aufgaben, die alle seine Kräfte in Anspruch nehmen. Wenn tagtäglich nichts mehr von einem gefordert wird, als was man schon längst geleistet hat, so ist es kaum möglich sich vor einem bloßen Arbeiter-Schlendrian zu bewahren. So ist dann nichts natürlicher, als daß ich mich in Zeiten der Noth immer zu schriftstellerischer Thätigkeit flüchte, um Beschäftigung und Erregung zu finden. Einen Aufsatz, den Sie in dem Berliner Theateralmanach finden werden, möchte ich auch wohl Ihrer Durchsicht empfehlen, aber ich fürchte, Sie schelten mich unbescheiden, weil ich Ihnen mit meinen Arbeiten so lästig werde.

So scheide ich denn heut mit dem Wunsche, daß meine heutige[S. 184] Sendung Sie wohlauf und heiter treffen und Ihre wohlwollende Freundlichkeit für mich neuanregen möge.

Mit unwandelbarer Ergebenheit

Ihr

Eduard Devrient.

VII.

Berlin 15/11. 41.

Mein hochverehrter Gönner!

Es war mir gestern Vormittag weder möglich einen Platz in Ihrer Nähe zu erhalten, um jede leise Nuancirung Ihres Ausdruckes mir zu sichrem Gewinn zu machen, noch nachher auf schickliche Weise zu Ihnen zu gelangen, um meines Theiles Ihnen meinen Dank für diese Vorlesung abzustatten, die mir wieder eine Fülle der reichsten und wunderbarsten Anschauungen geboten hat. So war mir es auch nicht möglich, Ihnen verabredeter Maaßen meinen von Ihnen gewünschten schriftlichen Vorschlag über die Besetzung des Blaubart zu überreichen; ich theile Ihnen denselben also hier mit, Ihrem Dafürhalten eine jede Modification anheimgebend.

Peter Berner Herr Seydelmann.
Mechtilde Frau Wolf.
Anton Herr Stavinsky.
Simon Devrient.
Leopold Grua.
Anna Frl. Bertha Stich.
Agnes Clara Stich.
Heymon Herr Franz.
Konrad Freund.
Martin Bethge.
Hans von Marloff Rott.
[S. 185] Brigitte Frl. Auguste v. Hagn.
Reinhold Herr v. Lavalde.
Casper Wauer.
Winfred Gern.
Ulrich Hartmann.
Rathgeber Rüthling.
Narr Weiß.
Arzt Blume.

Möchte Ihre Anwesenheit dazu beitragen dies wunderbar fantastische Gedicht unsrer Bühne zu gewinnen, ich würde es, abgesehen davon, daß dadurch einer meiner Lieblingswünsche erfüllt würde, für einen entschiedenen Schritt zur Erweiterung unsrer Thätigkeit und des theatralischen Gesichtskreises mit Freuden begrüßen. In der Hoffnung vor Ihrer Abreise Sie noch einmal zu sehen, zeichne ich in Verehrung

Ihr

Eduard Devrient.

VIII.

Dresden, d. 13t. July 1846.

Wie lange ist es schon, daß ich Ihnen, hochverehrter Mann, schreiben wollte! Zuerst in der Freude meines Herzens über die reiche Erndte, die meine Saat auf dem von Ihnen urbar gemachten Felde mir eingetragen. Ich verschob es um immer reichere Resultate Ihnen vorlegen zu können und Ihnen zu beweisen, daß all Ihre üblen Prophezeihungen nicht eingetroffen seien. Dann kam eine andre Zeit, wo ich Ihnen schreiben wollte aus tief verletztem Herzen und Ihnen gestehen, daß Sie Recht gehabt mit Ihren Vorhersagungen, wo ich meine Ungläubigkeit rechtfertigen wollte, weil man gewisse Dinge nie glauben darf, bis man sie nicht erlebt, weil es edler ist unter ihrer Erfahrung zu erliegen, als ihre Möglichkeit im Voraus anzunehmen. Und doch, da ich Ihnen von den Verhältnißen hier nichts zu sagen wußte, was Sie nicht wußten, habe ich Ihnen den Ausdruck der ersten Bitterkeit erspart.[S. 186] Besser kann ich mir die Fortdauer Ihrer unschätzbaren Theilnahme verdienen, wenn ich Ihnen sage, daß die Erfahrungen, die ich hier gemacht, und die von keiner noch so schmerzlichen meines Lebens überwogen werden, dennoch den Werth der Resultate nicht verringern, die ich aus meiner Wirksamkeit gezogen. Ich habe mich überzeugt, daß die besten Pläne ausführbar sind, daß es weder an Kräften noch gutem Willen bei den Schauspielern, noch an bereitwilliger Empfänglichkeit im Publikum fehlt, um die deutsche Bühne auf die Höhe der Forderungen unsrer Zeit zu heben. Es ist eben nicht die Schuld unsrer Bühne, daß sie nicht mehr taugt; auch das ist ein Trost. — Habe ich mich in meiner Regieführung in That und Gesinnung als Ihren Jünger gefühlt und gezeigt, ja gerade um deswillen eine ehrenvolle Anfechtung erfahren, so hoffe ich sollen Sie mich in einer literarischen Arbeit Ihnen ebenso getreu erfinden, der ich mich jetzt mit allem Eifer hingegeben habe. Ich versuche mich an einer Entwicklungsgeschichte der deutschen Schauspielkunst. Wie oft bedaure ich aber dabei nicht in Ihrer Nähe zu sein! Von welcher Wichtigkeit müßten mir Ihr Rath, Ihre Andeutungen, Ihre Auskunft sein! Nun muß ich mir einsam forthelfen, finde hier auch nicht alles von Büchern, was mir nöthig wäre. Indessen steht mein Sinn so sehr auf diese Arbeit, daß ich nicht davon kann.

Eine andre Angelegenheit liegt mir noch am Herzen, es ist die Künstlerlaufbahn meiner Tochter, deren Neigung ich denn doch, nach langem heftigen Kampfe nachgegeben habe und an der Intensität ihres Talentes wohl erkenne, daß ich nicht anders durfte. Herr von Lüttichau hat sie angestellt und so soll sie unter meinen Augen ihre Schule machen.

Es ist eigenthümlich, daß das Mädchen an Ihren Gedichten die ersten bedeutenden Zeugen ihrer Fähigkeit gefunden. Als neunjähriges Kind erregte sie als Rothkäppchen unsre Aufmerksamkeit, in den Scenen des Blaubart, die wir vor[S. 187] unsrer Abreise von Berlin bei Lenne’s aufführten, erschien ihr Beruf schon unzweifelhaft. Gern möchte ich nun, daß sie an dieser Rolle sich bald öffentlich versuchte. Das Original aufzuführen, wie es in Berlin bei der mehr verbreiteten literarischen Bildung möglich war, scheint mir hier in Dresden nicht gerathen. Sie selbst, verehrter Mann, kennen ja das hiesige Publikum genug, um meine Bedenken zu theilen. Möchten Sie mir wohl erlauben, dem Gedichte die Form zu geben, die mir der Stimmung hier und den Kräften unsrer Bühne angemessen scheint? Sie billigten vor 3–4 Jahren die Bearbeitung, welche ich Ihnen vorlegte, wollen Sie mir gestatten in dieser Weise Herrn von Lüttichau die Aufführung vorzuschlagen? Ich würde dann Tauberts Musik benutzen, aber mit einigen Modificationen, denn mir scheint, daß er das Gedicht zu sehr eingeengt hat durch melodramatische Behandlung. Das würde ich mit ihm bereden. Sobald mit Ihrer Bewilligung mein Plan gelingt, dem Gedichte die populaire Wirkung zu sichern, die ich davon erwarte, so werde ich bei der ferneren Verbreitung die Bestimmung über die eingehenden Honorare Ihnen anheimstellen, wie ich es schon bei dem ersten thun werde.

Wollen Sie also, verehrter Mann, das Vertrauen erneuern, mit welchem Sie schon vor mehreren Jahren mir eine Einrichtung des Gedichtes übertrugen, so würden Sie mich ebenso hoch ehren als erfreuen und meine Tochter würde Ihnen eine der schönsten Gelegenheiten danken ihr Talent zu bilden. Ich bitte um einige Zeilen, die mir Ihre Willensmeinung kund thun und hoffe, daß Sie meine Bitte bald gewähren.

Meine Frau und Tochter empfehlen sich Ihnen auf das Angelegentlichste. Darf ich bitten die Frau Gräfin Vinkenstein an unsre hochachtungsvolle Ergebenheit zu erinnern?

Ihr gänzlich ergebener

Eduard Devrient.

IX.

Dresden d. 24t. März 1847.

Gern hätte ich Ihnen, mein innig verehrter Freund und Meister, von dem Gelingen meines Unternehmens mit Ihrem Blaubart gemeldet. Ich habe gezögert, weil ich einem Scheine von Hoffnung dafür traute, aber ich sehe nun wohl, ich muß den sehr liebgewordenen Plan fallen lassen. Man weicht meiner wiederholten Anregung aus, es ist auch Alles so anders geworden, daß einem Unternehmen, das sich vor dem Alltäglichen auszeichnet, wenig Gelingen zu prophezeien wäre. Ich habe mich und den Blaubart auf das zweite Gebiet zurückgezogen, welches ich als die Erbschaft Ihres Wirkens in Dresden mir angeeignet. Aus der von Ihnen eingeschlagenen dramaturgischen Bahn verdrängt, habe ich versucht Ihren Platz als Vorleser einzunehmen, so wenigstens, daß Ihr Gedächtniß bei Ihren Freunden und Anhängern durch mich immer wieder angefrischt werde. So habe ich denn in diesem Winter eine Reihe guter Stücke vor empfänglichen und reifen Zuhörern von einem Lesepulte aus in Scene gesetzt und dargestellt und zweimal den Blaubart zum Ergötzen und zu wahrhafter Erschütterung zahlreicher Zuhörer vorgetragen. Dieser Erfolg ist nun freilich nicht so umfassend als ein theatralischer, aber er ist sichrer und hat tiefer ergriffen. So habe ich die Genugthuung, daß Ihr Geist hier immer gegenwärtig wirkend fortlebt. Freilich ist er mir auch gerade jetzt unausgesetzter nahe als jemals. Die Geschichte der deutschen Schauspielkunst, welche ich zu bearbeiten unternommen habe, bringt, je weiter und tiefer ich forsche, alles was ich von Ihnen je über das Wesen unsrer Kunst vernommen habe, mir wieder frisch in die Gedanken und läßt so Vieles, was mir sonst Zweifel machte, zu völliger Ueberzeugung werden. Mit dem was Sie über die Entwicklung der deutschen Bühne hier und da in[S. 189] Ihren Werken ausgesprochen — leider ist es nur viel zu wenig für mein Bedürfniß — fühle ich mich immer mehr und mehr in Uebereinstimmung gerathen, so daß ich Ihre Anschauungen als die allerunfehlbarsten habe erkennen lernen. Ein Jeder, der gewissenhaft forscht, wird Ihre Ansichten als die einzig passenden Schlüssel erkennen, durch welche man zu der einfachsten und natürlichsten Erkenntniß der Dinge gelangt. Durch meine geschichtlichen Forschungen bin ich erst in vollständige Uebereinstimmung mit Ihnen gekommen, jetzt erst habe ich verstehen gelernt, was ich seit 1822 aus Ihrem Munde gehört. Es ist alles so wie Sie es gesagt haben und Keiner hat die Dinge mit so deutschem Herzen für die deutsche Kunst empfunden wie Sie. Ungeblendet von literarischen Glorien haben Sie immer dem Gedeihen der Kunst nachgefragt, Sie haben die Sache der deutschen Schauspielkunst im Herzen getragen, an die doch das Gedeihen des Theaters geknüpft ist, Sie haben auf nur gesunde und naturgemäße Entwicklung gedrungen. Jetzt wo ich die Ueberfülle des geschichtlichen Stoffes von den geistlichen Spielen an bis in die Göthe-Schillersche Schule zu Weimar durchgearbeitet habe, jetzt ist es mir klar geworden, wie ungeheuer Recht Sie mit so Vielem hatten, wovor ich oft gestutzt. Ich weiß, es freut Sie, daß mir die vollständige Erkenntniß davon aufgegangen und daß ich sie als meinen Dank Ihnen ausspreche, — darum halte ich nicht zurück. Ich hoffe Sie sollen mit meinem Buche nicht unzufrieden sein, denn wenn Sie auch viel daran vermissen werden, den guten Willen und getreuen Sinn für die Sache für welche ich arbeite, wird niemand besser würdigen können, als Sie.

Wie oft sehne ich mich nach Ihrem Rathe, Ihren Nachweisungen aus dem Schatze Ihrer Kenntniße auf diesem Gebiete, wie viel vollständiger würde mein Buch in Ihrer Nähe werden. Darauf muß ich nun freilich verzichten. Mich tröstet es, daß ich der erste bin, der einen Weg durch die[S. 190] Ruinenwüste bahnt, so wird von mir auch fürs erste nur die gangbare Straße gefordert werden können.

Den Nachrichten zufolge, welche wir zuletzt von Ihrem Befinden erhalten haben, trifft dieses Blatt Sie in leidlichem Wohlsein. Hoffentlich wird der Sommer und Ihr Aufenthalt in Potsdam Sie wieder vollständig erfrischen. Vielleicht kann ich mich doch so einrichten, bevor ich meinen ersten Band drucken lassen, zu Ihnen zu kommen und Ihren Rath über Einiges zu erbitten. Möchte es mir schon deshalb vergönnt sein, um mich von Ihrem Wohlergehen überzeugen zu können.

Leben Sie wohl, hochverehrter Mann, und gedenken Sie meiner mit dem alten Wohlwollen

ganz der Ihrige

Eduard Devrient.


Devrient, Carl.

Wenn Emil Devrient, der „ewige Jüngling,“ die bis in’s Alter blühende Macht des Schönen in theatralischer Kunst personificirt; wenn Eduard den Werth besonnen-wirkender theoretischer Studien zur Geltung bringt; dann dürfen wir Carl, der drei Brüder ältesten, (denn er schlug schon die Befreiungskriege mit, und kehrte von Wunden geziert wieder heim,) als den nächsten Erben seines Oheim’s im Genialen betrachten. Carl hat Rollen gehabt, — manchmal nur einzelne Scenen, — wo er, begeistert, zu wahrer Begeisterung hinriß. Aber seine Darstellungen waren ungleich. Er hing vom Augenblick, von dessen Stimmungen ab. Es ist vorgekommen, daß er bei Gastspielen als Räuber Moor — als Lear — als Hamlet in einem Akte die größten Reminiscenzen aller Theaterfreunde überbot, — daß er im andern, durch irgend welche Zufälligkeit gestört, wichtige Momente fallen ließ, und sich selbst nicht ähnlich blieb. Dennoch wird er mit vollem Rechte als eine Zierde des K. Hoftheaters zu Hannover geschätzt, und ist allgemein geachtet und beliebt wegen seines geraden, männlichen Charakters.

[S. 191]

I.

Baden-Baden, d. 16. Aug. 41.

Verehrter Herr Geheimrath!

Vor mehr als zwanzig Jahren, als ich, ein unbedeutender junger Mensch aufs Gradewohl nach Dresden kam, waren Sie es, Herr Geheimrath, durch dessen Verwendung ich meine Anstellung dort erhielt. Stets zeigten Sie mir damals durch freundliche Zurechtweisung und wohl gemeinten Rath den wahren Weg der Kunst, und wenn ich auch zuweilen Ihre Ansichten nicht begreifend, mich gegen Ihre väterliche Leitung sträubte, so erkannte ich doch später, als ich nicht mehr in Ihrer Nähe weilen durfte, wie tief sich Ihre unschätzbaren Lehren mir eingeprägt hatten, und ich strebte nun mit redlichem Eifer sie auszuüben. Oft hat es mich nachher gefreut, wenn Kenner an meinen Darstellungen meinen ersten Meister erkannten. — Jetzt ist ein Zeitpunkt gekommen, wo ich zeigen möchte, was ich großentheils Ihnen zu verdanken habe. In meiner Vaterstadt ist jetzt das Terrain, wo ich meine Fähigkeiten geltend machen müsste, wenn überhaupt meine Laufbahn noch eine neue günstige Wendung nehmen soll. Darum mein innigverehrter Gönner, wenn Sie glauben es noch einmal mit mir wagen zu können, so bitte ich Sie dringend, legen Sie ein kräftiges Fürwort für mich ein, damit mir die Gelegenheit gegeben werde, auf der Berliner Bühne einige Proben meines Talentes zu liefern, und an der Concurrenz um eine dort freigewordene ehrenvolle Stelle Theil zu nehmen. Meine Verbindlichkeiten in Hanover kann ich zu jeder Stunde lösen. Ich werde in 12 Tagen wieder in Berlin sein, und ein gewichtiges Wort von Ihnen zu meinen Gunsten ausgesprochen ist es, wovon ich eine gastliche Aufnahme bey Herrn von Küstner erwarten darf.

Ich hoffe Sie im besten Wohlsein zu finden, doch wenn die sogenannte schöne Jahreszeit auch dort so rauh und[S. 192] unfreundlich ist, wie hier in dem sonst so lieblichen Baden, so wird der Genuß der freien Luft leider nicht sehr wohlthätig auf Ihre theure Gesundheit wirken können. Meinen ehrerbietigen Respect bitte ich der Frau Gräfin von Finkenstein zu vermelden, und nenne mich mit nie ersterbender Dankbarkeit und Verehrung

Ew. Hochwohlgeboren

innigst ergebener

Carl Devrient.

II.

Hannover, d. 3t. April 45.

Hochgeehrter Herr Geheimrath!

Absichtlich habe ich es unterlassen Sie mit der Mittheilung meiner unerfreulichen Unterhandlungen mit dem Herrn Geheimrath v. Küstner über mein Gastspiel zu behelligen, doch nun, da dasselbe endlich zu Stande gekommen ist, nehme ich meine Zuflucht wieder zu Ihnen verehrter Gönner, und bitte Sie um Ihren gütigen Rath und Beistand. Die Aussichten auf einen glänzenden Erfolg meiner Darstellungen sind nur sehr schwach, weil die Zahl der mir bewilligten Rollen auf sechs beschränkt ist, und ich nicht Gelegenheit haben werde, meine Fähigkeiten im ganzen Umfang meines Wirkungskreises zu zeigen. Mein erstes Auftreten in „die Wahnsinnige“ und „der Diplomat“ hat nur den Zweck mich in zwey ganz verschiedenen Gattungen bey dem Publikum vortheilhaft einzuführen, doch wird gleich darauf als ernstere Prüfung der Hamlet folgen, und hierin habe ich von Ihrem strengen Urtheil alles zu fürchten und zu hoffen. Die beiden nächsten Rollen in „das Glas Wasser“ und „der Sohn der Wildniß“ sind wegen der Bequemlichkeit, mit welcher sie auf das Repertoir zu bringen waren, gewählt, sowie ich mich denn nicht rühmen kann, daß meinetwegen länger ruhende Stücke nach[S. 193]studirt wurden. Eine Väterrolle muß ich aber in jedem Falle spielen, entweder den Wallenstein oder König Lear, wenn mein Vossischer Text mit der Kaufmannschen Uebersetzung zu vereinbaren ist. Vielleicht rathen Sie Herr Geheimrath auch zu dem Faust, vorausgesetzt daß ich dann schon wagen kann, eine blos schwierige aber nicht dankbare Rolle zu spielen. Die Weigerung des Herrn Hendrichs mich während meiner Abwesenheit hier als Gast zu ersetzen, ist auch der Grund, weshalb mein Urlaub nur sehr beschränkt ausgefallen ist, und dennoch werde ich auch dort diesen Herren sehr vermissen, weil ohne ihn weder „Donna Diana,“ worin ich den Perin spiele, noch Kaiser „Friedrich und sein Sohn,“ worin ich eine mir sehr zusagende Väterrolle hätte, aufgeführt werden kann.

Am 10t. werde ich mir sogleich die Ehre geben Ihnen meinen Besuch zu machen, und will nur wünschen daß Ihre Gesundheit Ihnen verstatten wird meinen Vorstellungen beizuwohnen.

Erhalten Sie mir nur Ihre wohlwollenden Gesinnungen und seien Sie meines unvergänglichen Dankes gewiß.

Mit inniger Verehrung und Hochachtung bin ich

Ew. Hochwohlgeboren

aufrichtig ergebener

Carl Devrient.


Eschenburg, Joh. Joachim.

Geboren den 1. Dec. 1743 zu Hamburg, gest. den 29. Febr. 1820 zu Braunschweig, als Geheimer Justizrath. Das hier mitgetheilte Briefchen enthält eigentlich gar nichts für den oberflächlichen Leser — und dennoch in wenigen Zeilen so viel für Jeden, der des Greises milde Klagen über Altersschwäche und Lebensmattigkeit in Verbindung zu bringen weiß mit des herrlichen Mannes thatkräftiger Vergangenheit. Eschenburg, Lessings, wie aller „Größen“ seiner Zeit Bundesgenosse und Freund, hat nicht allein Großes gefördert durch Werke als da sind: Beispielsammlung zur Theorie und Litteratur der schönen Wissenschaften, 8 B. (1788–95)[S. 194] — Lehrbuch der Wissenschaftskunde (in dritter Aufl. 1809) — Entwurf einer Theorie und Litteratur der schönen Wissenschaften (1836) — Handbuch der klassischen Litteratur (in achter Aufl. 1837) — auch ohne solche Denkmäler, die er sich selbst aufgerichtet, wäre der Mann unsterblich durch seine gewissenhafte, klar-verständliche, eben so gelehrte als fleißige Verdeutschung Shakespeares. Daß Niemand mit moderner Geringschätzung auf die theilweise veraltete Form blicke, in welcher uns Eschenburg das Verständniß für den Genius Englands, der ganzen Welt, eröffnete. Er hat den Grund gelegt, auf dem alle seine Nachfolger weiter gebaut. Schlegel wie Tieck haben das nie geleugnet. Wer Eschenburgs Shakespeare, das Riesenwerk eines einzigen deutschen Mannes, nicht mit Ehrfurcht betrachtet, der ist ein Barbar!

Braunschweig, d. 24t, Aug. 1812.

Je lieber man jetzt in der Vergangenheit als in der Gegenwart lebt; desto erfreulicher war mir Ihr neuliches Schreiben und die darin enthaltene Versicherung von der Fortdauer Ihrer Freundschaft. An den schlechten Zügen meiner Buchstaben, die ich mit der zitternden linken Hand mehr male als schreibe, sehen Sie, daß ich auch in dieser Rücksicht Ursache habe, die Vergangenheit der Gegenwart vorzuziehen.

Sehr leid aber thut es mir, daß ich von den verlangten Büchern kein einziges besitze. In England selbst habe ich manche derselben ehedem vergeblich aufzutreiben versucht. Ich besitze nur 3 Quartbände von Capell’s School for Sh. deren dritter Band lauter Auszüge aus alten, und meistens auch aus den von Ihnen verlangten Schriften, enthält. Diese sind zum Theil weitläufiger als die von den Auslegern mitgetheilten Fragmente. Von den Folioausgaben des Sh. besitze ich bloß eine spätere ohne Titel von 1664 oder 1685. Sie sehen also, daß ich ärmer bin als Sie mich glauben. Mit herzlicher Ergebenheit

Der Ihrige

Eschenburg.


[S. 195]

Förster, Karl.
Förster, Luise, geb. Förster.
Förster, Friedr.

Karl Förster, geb. den 31. April 1784 zu Naumburg, gestorben den 18. Dec. 1841 zu Dresden, wo er seit 1807 Professor am Kadettenhause gewesen. Als Uebersetzer des Petrarca, Tasso, Dante gerühmt, hat er auch einen „Abriß der allgemeinen Litteraturgeschichte“ geliefert, 4 B. (1827–30.) — Poesieen enthält das Buch: Raphael, ein Cyclus von Gedichten. Ueber des Dichters wie über des Menschen Werth sprechen am Schönsten die hier mitgetheilten Briefe der Gattin:

Luise Förster, geb. Förster, welche sie nach des edlen Mannes Tode an Ludw. Tieck richtete, der das Ehepaar herzlich liebte und achtete. Er auch hat die von der Wittwe herausgegebenen „Gedichte“ Karls, 2 B. (1842) mit einem Vorworte begleitet. Vier Jahre später erschienen, von Luisen verfaßt: Biographische und litterarische Skizzen aus der Zeit Karl Försters.

Luise ist die Schwester von

Friedrich Förster, geb. am 24. Sept. 1792, des tüchtigen Mannes, der das Schwerdt wie die Feder zu führen verstand, der weder im Kriege noch im Frieden hinter’m Berge hielt, der manch’ kühnes Wort sprach, ohne die anhänglichste Treue für den Thron in Zweifel zu stellen, und dem deshalb der berliner Witz den Beinamen „der Hofdemagoge“ beilegte. Preußischer Offizier kehrte er 1815 mit dem Ehrenzeichen der Tapferkeit geschmückt aus Frankreich heim, und zeigte sich als Lehrer, Historiker, Publicist, Redakteur und Dichter nach allen Richtungen, in den verschiedensten Gebieten. Oftmals hat er für momentane Zeit- oder Gelegenheitsstimmungen auf bewundernswerthe Weise den Ton getroffen, und Lieder von ausnehmender Schönheit geliefert, in Ernst und Scherz. Wie lange galt sein „Demagogisch: Es wollt’ einmal im Königreich &c.“ für eine Schöpfung Goethe’s, und als solche für eine der genialsten! — Er ist lange jung geblieben, auch mit ergrauendem Haare, und nachstehender burschikos-gemüthlicher Brief des Fünfundzwanzigjährigen liegt dem Wesen des hohen Sechszigers noch gar nicht fern.

[S. 196]

I.

V. J., d. 20st. Juni 1831.

Innigst verehrter Herr Hofrath,

Seit drei Tagen sitze ich unter den Heften meiner Zöglinge, deren Arbeiten mir zur Correctur vorliegen; Sie verzeihen mir daher gewiß, wenn ich, was ich gestern und heute mündlich thun wollte, aber leider nicht konnte, jetzt mit zwei Worten schriftlich thue.

Ich war am Sonnabend in Retzsch’s Hause, fand ihn aber nicht und erfuhr, daß er seit längerer Zeit schon seinen Weinberg bewohnt und nur Donnerstag in die Stadt kommt. Wünschen Sie es nun, so gehe ich künftigen Donnerstag oder Freitag, wo er auch noch hier seyn wird, zu ihm.

Athme ich morgen freier, so hole ich mir selbst Ihre Antwort.

Mit immer treuer Verehrung und Liebe

ganz der Ihrige

Förster.

II.

Dresden, d. 28t. Juli 1842.

Hochverehrter theuerster Freund, Ihnen den treuesten liebevollsten Gruß!

Eine kleine Mittheilung, aus Ihrem Ziebinger Leben, wo Eine von Ihrer Milde Beschützte, Ihnen mit den Worten entgegen trat: „Verzeihen Sie daß ich noch lebe,“ rührte mich durch die innige Weise, wie Sie es erzählten, damals tief; jetzt möchte ich jene Bitte für mich und meine Wünsche wiederholen. Also — verehrter Freund: verzeihen Sie daß ich noch lebe und, flehend und vertrauensvoll zu Ihnen den thränenschweren Blick aufrichte und, Sie auf das allerinnigste bitte, Ihr treues Wort, welches Sie so liebevoll und bestimmt[S. 197] gegeben, ist es irgend möglich (und was wäre Ihrer Güte und hohen Gesinnung nicht möglich?) auf das Schleunigste zu lösen. Brockhaus läßt ohne die versprochene Einleitung den Druck nicht beginnen. Die Welt sieht eben so sehnsuchtvoll den einführenden Worten des ruhmbekränzten Meister Ludwig Tieck als den Dichtungen des unvergeßlich in seinem Leben, wie in seinen Schriften so ausgezeichneten Hingeschiedenen entgegen. — Die Subscribenten endlich sind des Harrens so müde, daß sie nach und nach sterben. Drei derselben, deren Namen auf den Listen stehen: Graf Einsiedel, G. Schwarz, Gräfin Dennewitz Bülow, sind wirklich indessen aus dem Leben geschieden.

Lassen Sie, viel Verehrter, alles dieses und meine Bedrängnisse, die Sie ja kennen, zu Herzen sich gehen und senden Sie mir in nächsten Tagen die verheißene Einleitung. Kenne ich doch Ihre edle hohe Gesinnung, und weiß daß Sie es mit Freuden thun werden; da Ihnen ja das Andenken an den Mann, — der Sie immerdar treu und warm und redlich geliebt, der Sie, wie vielleicht Wenige, ganz in Ihrem reichen Werthe kannte und erkannte, — auch theuer und heilig ist. — Ihre Worte werden dem Verklärten den wohlverdienten Ehrenkranz reichen, den er wohl noch im Leben zu empfangen berechtigt war.

Wäre es Ihnen vielleicht bequemer die Einleitung ohne biographische Notizen zu geben, so ließe eine kurze biographische Skizze sich wohl leicht beigeben, womit Sie nicht gemüht sein sollten. Wäre es Ihnen wünschenswerth bei der zu schreibenden Einleitung wiederum einen kurzen Blick in einige von Försters Poesien zu thun, so wären die Gedichte über Rafael wohl geeignet dazu, und Sie könnten sie leicht von Försters Freund, dem Regierungsrath Streckfuß in Berlin erhalten.

Nur um Sie nicht durch längeres Lesen zu belästigen,[S. 198] theile ich Ihnen nichts von Dresden mit, als was Sie wissen: daß Alle mit großer Sehnsucht Ihrer Rückkunft entgegen sehen.

Der theuren verehrten Gräfin sagen Sie freundlich mein und meiner Kinder ehrerbietigsten Grüße. Letztere rufen mit mir im Voraus Ihnen tausend Segensworte zu für das Liebesdenkmal, welches Sie unserm Verklärten bringen werden! —

In unwandelbarer treuer Anhänglichkeit und Verehrung

Ihre ergebene

Luise Förster geb. Förster.

III.

Dresden, d. 17t. Decb. 1842.

Als Sie, mein theurer hoher Freund, von uns schieden, folgten Ihnen meine treulichsten Wünsche, meine besten Dankes- und Segensworte für Ihr unwandelbares Wohlwollen, womit Sie viele schöne Jahre hindurch uns beglückt, und das Gefühl einer innigen wehmuthvollen Sehnsucht, welches jeder Verwaisung folgt, hat mich seitdem nie verlassen, denn daß ich seit Ihrer Abreise mich einer wahrhaft geistigen Verwaisung hingegeben fühle, glauben Sie mir gewiß. Da, als der größte Erdenschmerz meinen einst so hellen Lebensweg für immer umnachtete, fand ich in Ihrer Nähe Kräftigung für meine Seele, fühlte mich gefestigt den Forderungen, die das Leben noch von mir heischt, mit heitrer Energie zu begegnen, ja selbst der alte frohe Muth versuchte wohl zuweilen die gebrochenen Schwingen wieder zu regen, jetzt scheinen sie auf immer gelähmt; mögen auch Viele hier über Ihre Uebersiedelung trauern, tiefer und schmerzlicher, als ich, kann Niemand den Verlust dieser Trennung empfinden. —

Wie oft habe ich in diesen Tagen Ihnen die Hand gereicht, und Ihnen im Geist den vollsten heißesten Herzensdank zuge[S. 199]rufen, für das ehrende Denkmal der Treue, wodurch Sie meinen hingeschiedenen Freund fortleben lassen, ja gleichsam ein Auferstehungsfest ihm bereitet haben. Sie haben den letzten Erdenwunsch des edelsten Geistes erfüllt und ich sehe die Aufgabe, an der mein Leben und mein Lieben hing, durch Sie gelöst, und von welchem Dankgefühl ich durchdrungen, — wo soll ich ein Wort finden, nur anzudeuten, was ich Ihnen sagen möchte! Die Segnungen meiner Kinder mögen beredter zu Ihnen sprechen als mein stummer Dank. — Der Druck der von Ihnen bevorworteten Gedichte, ist in diesen Tagen beendet, wovon Sie Freund Brockhaus schon unterrichtet hat. Das Werk ist in aller Weise würdig ausgestattet, und wird des herzlichsten Willkommens in der litterarischen Welt gewiß nicht entbehren; während der Correcturen sind die Herrlichkeiten dieser Dichtungen von neuem mir recht klar geworden; und es ist mir ein wohlthuender Gedanke, daß Sie beim Wiederlesen der gesammten Gedichte mit Freude und Theilnahme weilen werden. Ueber Anderes des litt. Nachlasses meines heißgeliebten Freundes hoffe ich später Ihren freundlichen Weisungen nachzukommen. Von dem Dresdner Leben weiß ich Ihnen nichts mitzutheilen, da ich bis auf Wenige, die ich zuweilen sehe, abgeschieden von der äußern Welt lebe: aber von der Ihnen so theuren Freundin, deren Eigenthum eine reiche innre Welt ist — von der ich sagen möchte: sie ist ein verkörperter Seelenhauch, Ihre liebste der Elfen, — es ist wohl überflüssig den Namen „Fr. v. Lüttichau“ erst zu nennen, — diese traute Freundinn grüßt Sie in inniger herzlicher Liebe, und fügt in Ihrer unnachahmlichen Schalkheit hinzu, der briefscheue Freund möge Ihr nur „eine Quittung über die jüngst ihm gesendeten Briefe zukommen lassen.“

So genügsam würde ich nun freilich nicht sein; wie wollte ich jauchzen, wenn einige Worte von Ihrer Hand mir sagten:[S. 200] meine Gesundheit hat sich gefestigt, und mit alten Gesinnungen gedenke ich Derer, die mich treu im Herzen trage. Gewiß werden Sie das liebe schöne Dresden nicht vergessen, noch weniger Derer, die darin voll Sehnsucht, Liebe und Verehrung Ihrer treulich gedenken. Der lieben hochgeehrten Gräfin, bringen Sie wohl freundlichst meine ehrerbietigsten Grüße.

Leben Sie wohl zu tausendmalen! Jede Freude und jedes Heil sei mit Ihnen. In treuer unwandelbarer Verehrung Ihnen immer ergeben.

Luise Förster geb. Förster.

IV. (Unvollständig.)

Dresden, d. Mai 1843.

Theuerster, verehrter Freund,

Ihre Huld gestatte mir, zu Ihrem nahen Festtage Ihnen schon heute, „Heil! Glück auf!zuzurufen, und gewiß nehmen Sie mit aller Freundlichkeit die herzinnigsten Wünsche getreuster Anhänglichkeit dahin. — Wenn vordem in seiner Lenz und Blüthenpracht der Mai wiederum die Erde grüßte, und ich mit meinem liebsten Förster hinaus wandelte in die frische verjüngte Welt, da meinten wir immer, die Erde habe sich zur Feier Ihres Lebensfesttages so leuchtend geschmückt, und jede Blume, die unser Auge entzückte, ward im Voraus in den Kranz geschlungen, der Sie erfreuen sollte. Zwanzig Jahre hindurch feierten wir mit Ihnen den Tag an welchem Sie geboren, als das schönste Fest des Jahres, und in unvergeßnem Erinnern stehen jene Tage hell vor meiner Seele, und klingen wie süße Lieder aus einer Zauberwelt in mein verödet Dasein. Denn meine Hand faßt nach keiner Blüthe mehr, die Blumen sind entfärbt und die Kränze zerflattert. Aber unverloren und unversehrt bleibt mir der eine Frühling:[S. 201] die Erinnerung an gute, schöne Stunden! Wie viele solche erwählte Stunden wir Ihnen dankten, wird durch die Tagebücher meines hingeschiedenen Freundes mir immer klarer und lebendiger, und wie theuer Sie seinem Herzen waren, davon geben jene Blätter das treuste Zeugniß.

Seit dem Frühlinge beschäftige ich mich wieder mit Auszügen aus diesen Tagebüchern, welche einen überraschenden Reichthum von Anschaungen aller Art bieten. Nach Ihrem weisen Rathe und freundlichen Wunsche werde ich diesen Fragmenten, welche jedoch eines Zusammenhanges nicht entbehren, die wissenschaftlichen prosaischen Arbeiten ein- und beifügen; wie oft ich bei dieser Arbeit, Ihren hellen Blick, Ihren feinen geläuterten Geschmack, die Sicherheit, die Andern freundlich den rechten Weg zeigt, vermisse, glauben Sie mir gewiß.

Läßt der Himmel diese Arbeit mich noch vollenden, so werden Sie in derselben sich vielfach erwähnt finden; immer in jener Verehrung und Anerkennung, in welcher F. Ihnen ergeben war; auch sind alle diese Mittheilungen von solchem Interesse, daß sie eine gemeinsame, allgemeine Theilnahme nicht entbehren werden, auch ist ihr Inhalt der Art, daß mir kein Zweifel über die Aufnahme und Ihre Zustimmung kommen kann. Um aber in aller Weise beruhigt zu sein, bitte ich Sie über nachfolgendes mir durch einige Worte zu sagen, ob dessen Veröffentlichung Ihnen recht.

Aus dem Tagebuch Juli 1825.

Frohes Wiedersehen mit Tieck, der gesund und heiter von seiner Reise zurückgekehrt — — — — — — Der vor Kurzem in Rom erfolgte Tod des Maler Müller veranlaßte den Freund zu einer Mittheilung deren Inhalt auch einer künftigen Zeit aufbewahrt bleibe. — Zwei verschiedene Werke, über ein und denselben Gegenstand: die heilige Genovefa sind von beiden Dichtern im Druck erschienen; im J. 1799 die großartige Dichtung Tiecks; die Müllersche, welche ein[S. 202] rühmlich Zeugniß eines nicht geringen Talents giebt und theilweise viel Treffliches enthält — war schon 1778 entstanden, wurde aber erst später bekannt. — Die thörigte Behauptung, Tieck habe sein Werk nach jenem geschaffen, fand Glauben, ja ja es giebt noch Kurzsichtige genug, welche von dem Gegentheil schwer zu überzeugen sind, heute wurde darüber mir folgender Aufschluß. Tieck äußerte sich sehr anerkennend über Müller. „Müller“ sprach er: „war ein Mensch von großem Genie; die frische Natur, die lyrische Leichtigkeit seiner Poesie, die echte Genialität in seinen Leistungen, haben mich immer entzückt, und es ist zu beklagen das dies schöne Talent sich nicht dem Studium der Dichtkunst ausschließlich zugewendet. Im Leben war er ein wunderlicher Kauz und nicht leicht mit ihm zu verkehren; seinen Golo und Genovefa, welche so viel Schönes bieten, gab er mir einst in der Handschrift zur Durchsicht mit dem Wunsche, einen Buchhändler dafür zu finden, was ihm bis jetzt nicht möglich geworden; aber auch mir gelang es nicht. — Die schöne rührende Legende, die mich immer so innig angezogen, wurde später von mir bearbeitet, ohne dabei das Mindeste des Müllerschen Werks zu benutzen; nur das Motto wiederholte ich, und das als Reminiscenz, welches mir zu einem Liede Veranlassung gab. Der gute Müller aber entblödete sich nicht, mich eines Eingriffs in sein Eigenthum zu beschuldigen. Um nun jenen thörigten Gerüchten Einhalt zu thun, gab ich selbst die Müllersche ...“ (Hier bricht der Auszug aus dem F.’schen Tagebuche ab, weil das letzte Blatt dieses Briefes, wahrscheinlich durch Schuld des Buchbinders, abhanden gekommen.)

[S. 203]

V.

Dresden im Lenzmond 1844.

Theuerster hochverehrter Freund,

Das kleine Werk, welches vor beinahe Jahresfrist — an Ihrem letzten Geburtstage, ich Ihnen zu senden hoffte, da schon damals die ersten Bogen unter der Presse waren, ist erst jetzt vollendet abgedruckt, und so trage ich nicht die Schuld der Säumniß. Sie aber werden gewiß mit derselben Freude die Arbeit des verklärten, von Ihnen so treu geliebten Freundes dahin nehmen; sie ist ja auf einem Boden erwachsen, der Ihr unantastbarer Grundbesitz war und bleibt, denn: was im Reiche des Schönen Leben findet und Gedeihen, ist Ihr Eigenthum. Auch werden Sie mir nicht zürnen, daß ich diese Dichtungen Ihnen zugeeignet, Sie wissen ja daß dieses geringste Zeichen meiner Verehrung aus der tiefgehendsten Achtung, aus der allinnigsten Anhänglichkeit hervorgegangen, und Ihre wandellos wohlwollende Gesinnung, deren ich mich so viele unvergeßne Jahre hindurch erfreute — und welche ich immerdar zu meinen schönsten Lebensgütern zählte, giebt mir die Gewißheit, daß Sie diese Zueignung in alter Milde und Güte dahin nehmen.

Bei dem Ordnen und den Correcturen dieser Uebersetzungen, sind die hohen Schönheiten Torquato Tasso’s mir recht licht aufgegangen. Die üppigste Gedankenfülle bewegt sich in der süßesten Sprache, in den reizvollsten Bildern, der reinste Hauch der Poesie weht in den tiefempfundenen Liebesklagen, Liebeshoffnungen und Liebesschmerzen und voll unnachahmlicher Anmuth sind all die zarten Wendungen eines heiter kindlichen Witzes, und wahrhaft rührend der großartige Humor, der noch durch Thränen lächelt. Tasso steht als lyrischer Dichter gewiß sehr hoch, und ihn in seiner ureignen Schönheit der deutschen Sprache zu zuführen, war gewiß Förster vor Allen[S. 204] berufen. Daß ich dieser Uebersetzung eine Abhandlung F. über Tasso als lyrischen Dichter beifügte, werden Sie gewiß angemessen finden; es ist dieser Aufsatz eine tief durchdachte Arbeit.

Die Biographie Försters habe ich vorigen Herbst vollendet, und dabei die Freude gehabt, Ihr liebes Bild und manche reiche unvergeßne Stunde in frischem Glanze vergegenwärtigt zu sehen, da seine Tageshefte so manches mit Ihnen Durchgesprochene aufgezeichnet haben. Es hat überhaupt diese Arbeit mir einen reichen Quell des Trostes geboten; mein ganzes geistiges Sein in dieses reine Leben, in diesen reichen schönen Geist zu versenken, gab dem wunden Herzen den besten Trost. Ob, wenn und wie ich diese Arbeit der Oeffentlichkeit zuführe weiß ich noch nicht; der Muth, die Kraft zu den lästigen geschäftlichen Schritten einer Herausgabe fordern von einer Frau eine große Selbstverläugnung. Außer Ihren so freundlichen Aeußerungen über diese Arbeit, und der liebreichen Ermunterung zu deren Fortsetzung, könnte wohl auch außer der Billigung einiger Freunde das eigne Gefühl mich zur Herausgabe ermuthigen, denn mit tiefstem heiligsten Ernst habe ich die Aufgabe vollbracht.

Fragt Ihre Theilnahme nach meinem Leben — es ist sehr still, sehr zurückgezogen, aber in dieser selbst gewählten werthen Zurückgezogenheit, vermisse ich doch zuweilen die Masse geistiger Elemente, die vielgestaltig mich umgeben, deren Segen ich fast bewußtlos dahin genommen, die jetzt mir zeigen, wie doch mein ganzes Sein mit diesen Elementen verwachsen. So ist denn mein Leben, eines der Erinnerung und gehört in der Gegenwart nur noch den Pflichten an.

Der theuren verehrten Gräfin bringen Sie meine herzinnigsten Grüße, die meiner Kinder gehören Ihnen Beide.

Sie würden mir eine große, große Beruhigung geben, wenn Sie nur in zwei Schriftworten mir sagten, daß Sie in[S. 205] der Zuneigung des Tasso, keine Unbescheidenheit meinerseits sehen. In wandellos treuer Anhänglichkeit

Ihre

Luise Förster.

Sollte — indem Sie das Blättchen lesen — die treue Friederike mit dem Theebret vorüber streifen, so empfängt sie durch Ihre Güte diesen: Gruß!

VI.

Berlin, d. 26t. Febr. 1817.

Werthester Freund

Was man für Freunde zu besorgen hat, soll man nie einem andern übergeben — ja das wußt ich wohl, aber that nicht darnach. Nun frag ich heute in der Maurerschen Buchhandlung nach, ob Ihnen das gewünschte Verzeichniß zugeschickt worden sei — und zu meinem Leidwesen war es vergessen. Ich eile Ihnen nun das meine zu schicken; zum Glück daß auf den ersten Seiten sich nichts erhebliches findet, um so eher werden Sie mich entschuldigen. — — —

Noch bessern Trost hab ich eben noch von dem Versteigerer eingeholt — die Biestersche Auction ist noch auf 14 Tage verschoben und so behalten Sie Zeit sich denn nach Herzenslust auszuwählen, nur vergessen Sie die Bemerkung nicht, daß mit „dem Anhang“ der Anfang gemacht wird. —

Von den von Ihnen gewünschten Büchern ist nur wenig eingegangen, mich freut nur sehr, daß ich den Heywood noch habe auftreiben können, da Ihnen daran so viel gelegen schien. Von allen andern hab ich nur die „dreierlei Wirkungen“ erhalten und zwar nach der Versicherung meines Geheimen Oberhof-Hauptregulateur, aus der „einfachen Ursache“ daß Sie zu geringen Preiß angesetzt hatten.

Nun endlich will ich Ihnen auch Rede stehen wegen des Taschenbuches, dessen Ausbleiben aber mehr oder vielmehr[S. 206] allein dem Buchhändler und dem Kupferstecher zur Schuld zu rechnen ist. Es erscheint für das Jahr 1818 freilich aber schon zu guter Zeit in diesem Jahre; es ist in Leipzig gedruckt und die Bogen, die ich davon gesehen, sind schön und sauber und ohne Druckfehler; ich hoffe, daß es auch als ein spätgebornes Kind noch immer eine freundliche Aufnahme finden wird. Für die Kriegsbücher des Frontinus hat sich mein Buchhändler noch nicht entschieden, würden Sie mir aber die Handschrift zuschicken, so würde ich ihn wohl dazu bewegen oder ein andrer würde sich finden. —

Nun möcht ich Ihnen wohl auch noch einiges über mein Leben und Streben überhaupt mittheilen, wenn ich irgend hoffen darf, daß Sie einen armen, fahrenden Schüler anhören.

Obwohl ich 25 Jahre zähle, so bin ich doch ein zu Zeiten sehr unruhiger Kopf, einen festen Halt in wissenschaftl. Hinsicht hab ich, als Lehrer der Geschichte und Erdkunde an der hiesigen Artillerie-Schule (Freund, ich lese jetzt die Geschichte des 30jährigen Krieges, habe das theatrum Europaeum vor — neunzehn Folio-Bände! und noch viele andre alte Chroniken) daran läßt sich von der Dichtung immer einiges anknüpfen; und mag die Poesie auch schön und lieblich sein, wo sie an Wiesenbächen und Quellen sich zur Schäferin und ihren Lämmern gesellt, ich mag sie lieber da begrüßen, wo sie im Harnisch daherfährt und den Völkern einen lebendigen Odem in die Nasen bläßt; und so erscheint sie mir in der Geschichte. —

Aber da bin ich zugleich auch von einer andern Seite gefaßt worden; aufgeregt durch die neuste Zeit und durch die Hoffnungen, die mich eingeführt haben in diese — nahm ich thätigen und lebhaften Antheil an allem was Volk und Vaterland angeht, mit einem Wort ich bin ein heftiger Politicus, kann keinen Tag leben ohne Zeitung zu lesen und höre Jahn’s Vorlesungen über deutsches Volksthum und hasse die Juden.

Da ich freien Eintritt in das Theater habe, so bin ich da[S. 207] sehr oft zu finden, ärgre mich freilich mehr, als ich mich freue; wenn ich mich aber dort einmal freue, so geht es mir auch recht durch Blut und Leben; — wenn Scheakspeare — Göthe, Calderon — Mozart sich vernehmen lassen, so daß sie sich uns wirklich offenbaren, da fühlt sich wohl einmal auch eine Menschenseele gestärkt. — Dies ist also der eine Halt meines Lebens, den andern möcht ich nicht gern verschweigen und dennoch wird es mir schwer zu sagen. — Ich würde mehr noch mit Ihnen davon plaudern, wenn mich die Dämmerungsstunde nicht ermahnte — meine Augen zu schonen? — ach nein — zu meiner Braut will ich und mit ihr den Phantasus lesen. Leben Sie wohl, geliebter Tick, und erfreuen Sie bald mit Ihrer Gegenwart

Ihren

Freund Förster.


Follen, August.

Geboren den 21. Januar 1794 zu Gießen. — Dichter volksthümlicher Lieder in den „Freien Stimmen frischer Jugend;“ — meisterhafter Uebersetzer; — Herausgeber des vortrefflichen Werkes: „Bildersaal deutscher Dichtung.“ — Wenn er wegen damals sogenannter demagogischer Umtriebe Verdrüßlichkeiten gehabt, so ist doch in seiner Seele keine Verbitterung zurückgeblieben, welche freimüthiger und gerechter Einsicht in Staatsverhältnisse hinderlich wäre. Unparteiischer und objektiver, dabei aber auch strenger könnte kein Absolutist die Zustände in „Meister Zschokke’s freiem Aarau“ verurtheilen, als dieser einst verfolgte „Demagoge“ in dem ersten dieser beiden höchst merkwürdigen Briefe thut; — deren Schreiber ein Jeder lieben und achten lernt, mag er zu welcher Partei es immer wolle gehören.

I.

Schloß Altikon, 23ten Januar 1828.

Verehrter Herr!

Der alte Ulrich Hegner in Winterthur, der zu meiner Freude in der Nähe meiner Einsamkeit wohnt, und von dem ich eben mit der Dresdener Morgenzeitung zurückkehre, ist die[S. 208] nächste Veranlassung dieser Zeilen; ich soll Sie freundlich von ihm grüßen!

Ich schicke Ihnen hier den eben erschienenen ersten Theil meines Bildersaals, mit dem Wunsche, aber keineswegs dem Ansinnen, daß Sie das Buch in Ihrer Bücherschau mustern möchten. — Da mir die Sache, derentwillen ich dasselbe herausgab, sehr wichtig scheint, ja mir heilig ist, so werden Sie es natürlich finden, wenn ich mich um billigendes oder mißbilligendes Urtheil von Solchen angelegentlichst erkundige, von denen ich etwas Erkleckliches lernen zu können hoffe.

Den Zweck des Buches, hoff’ ich deutlich genug in der Vorrede ausgesprochen zu haben. Meine Theorie gieng nicht von apriorischer Spekulation aus, sondern von der pädagog. Erfahrung. In Aarau wie in der Schweiz überhaupt ist man nicht poetisch, man scheint die Poesie an die Natur abgetreten zu haben, und ihre Rosen haben aus dem Fabrikdunst sich unter den Alpenschnee geflüchtet, wo sie bessere Nahrung finden, als in dem Schmutz der ehrlosen kleinlichen Stadt- und Landintriguen, welche die alte, ausgelaufene Uhr stündlich aufziehen müssen, wenn sie noch länger vierteln und schlagen soll. Um nicht Donquixotisch in meiner Amtsführung dazustehen, mußte ich mich als Lehrer der deutschen Sprache und Literatur in Aarau, einigermaaßen dem grassirenden Geschmack akkomodiren, und versuchte es anfangs vielfältig mit allerhand rhetorischen Uebungen, mit popular philosophischen Lehrweisen et. c. die Jugend (sie tritt erst mit dem 14t. Jahre in die Kantonsschule) geistig zu bethätigen. Alles vergebens! sie wurden täglich altkluger und einfältiger, fast so geistreich wie die Alten. Dazu fand ich eine unbesiegliche Abneigung oder Unfähigkeit zu rechter geistiger Anstrengung nebst unzureichendem Sprachvermögen, das wenige, was sie zu erdenken wußten, nur erträglich auszudrücken; — anderntheils einen[S. 209] Mangel jugendlicher Frische und Frohsinns, wie ich in meiner Jugend nirgends erfahren hatte. — Ohne sonderliche Hoffnung bedeutender Ausbeute, und mehr um durch den Reiz des Wechsels zur Belebung der erschlafften Kapazität hinzuwirken, versuchte ich jetzt in den verschiedenen Klassen den Unterricht durch und zur Poesie, — und ich kann es Ihnen nicht schildern, wie überrascht ich durch die allerersten Leistungen der Schüler ward, wie noch viel mehr durch die totale Aenderung ihres ganzen Wesens und Benehmens, bis zur Absiegelung dieser inneren Verwandlung in Ton, Blick, Zügen und Gebehrden, so daß mir die gute alte Fabel von den Thieren des Orpheus bis an den Katheder vorrückte. Und doch hatte ich nur die Rolle des Vorlesers und Erklärers, oder bei den metrischen Uebungen des Notenschreibers, wo die Schüler aus dem Stegreife den Text erfanden. — Hätt’ ich nicht eine in Unwahrheit des ganzen Daseins und in Boßheit gemeiner Seelen versunkene Stadt gegen mich gehabt, welche es durchaus nicht ertragen mochte, die Jugend mit einem gewissen stillen ästhetischen Ekel vor Gemeinheit und Flachheit gewaffnet zu sehen, so würde meine Kränklichkeit mich gleichwohl noch lange nicht aus diesem schönen Wirkungskreise entfernt haben; aber es ist keine Freude beim Rebbau, wenn die Ziegenböcke über Nacht abkauen, was über Tage Hübsches gewachsen ist. Der sehr warme Antheil an meinen Leistungen von Seiten der wackeren beiden Bürgermeister und einiger Regierungsglieder war keineswegs hinreichend, um mir den Boden, den ich bei der Jugend eroberte, vor der Masse zu schützen; denn in Meister Zschoke’s freiem Aarau ist man liberal, republikanisch, also ein Feind von allem, was einer Regierung gut dünkt, und die unermüdliche schamloseste Lüge und Verläumdung, welcher kein autokratisch über das Parteigetriebe erhabener, durchgreifender Herrscherwille entgegen treten kann, behält überall das Feld, oder doch das[S. 210] Straßenpflaster. Daß ich unter so ungünstigen Verhältnißen dennoch eine allerdings gewaltige Wirkung sah, wenn schon der beste Theil der Erndte mir durch Maifröste verdorben ward; daß ich, nachdem es mir gelungen, die Phantasie der Knaben zu beleben, alle ihre geistigen Kräfte in lebendigem Treiben erblickte; daß ich, wo ich sonst, ich mochte leichte oder schwere, historische, sonst rhetorische Aufgaben mittheilen, nur Trivialitäten in lendenlahmer, fader Alltagssprache erhielt, nun in gebundner und ungebundner Rede Arbeiten zu Gesicht bekam, die mich Anfangs oft in Zweifel wegen ihrer Authentizität versetzten, besonders von Individuen, die bei meinen achtbaren Kollegen und bei mir für geistig impotent gegolten: dieß alles lenkte mein Nachdenken auf den psychologischen Grund jener Erscheinungen, und bestätigte hinwieder die gewonnene Theorie, welche Sie in der Vorrede ausgesprochen finden. Leider ist sie etwas aphoristisch gerathen, ich entschloß mich erst zu allerletzt, auf dringendes Ansuchen, eine solche Vorrede dem Buche mitzugeben und mußte, da der Druck sich nimmer verschieben ließ, meine Materialien etwas übereilt zusammenstellen: sonst hatt’ ich im Sinne, ein eignes Buch über die hier besprochnen Gegenstände zu schreiben. Inzwischen hat vielleicht diese Weise der Mittheilung vor einer mehr wissenschaftlich abrundenden den Vorzug der Frische und Unmittelbarkeit für manchen Leser.

Wenn ich Ihnen hiemit eine Art Vorrede, wie Lessing sie will, nämlich daß sie die Geschichte der Entstehung des Buches enthalte, zuschreibe, so wundern Sie sich nicht über meine vielleicht etwas naiv scheinende Zutraulichkeit; — von Jugend auf waren Sie mein liebster Dichter und Schriftsteller, und so werden Sie diese Zutraulichkeit wenigstens sehr natürlich finden. Um so mehr hat es mich geschmerzt, neulich vernehmen zu müssen, daß Ihnen mein Fragment gebliebener Aufsatz über Tiecks Stellung zur deutschen Literatur &c. schon[S. 211] darum mißbeliebig gewesen, weil Sie — darauf ungefähr lief das Räsonnement hinaus — hauptsächlich nur die Ironie in Ihren Poesien anerkennen. Das geht mir nun, offen zu reden, so sehr gegen den Strich, daß es mir gestiefelte, elektrische Funken ausgetrieben hat, und ich aus meinem Innersten knurrte: hat ihn denn der alte Nestor bei seinen Lebzeiten in seinem eigenen Blumengarten heimgesucht? Hat er, wie der gute Tasso sein befreites in das wiedererlangte Jerusalem, seine romantischen Zauberlaternen und seine altdeutschen Nordlichter mitsammt den Elmsfeuern des graziosen, tanzenden Elfenscherzes, in das — Kühlfaß der Ironie beigesteckt? — Ei, Gott bewahre! (und so streichelte ich mich wieder zur Ordnung) seine Apotheose seiner Ironie ist nur selbst eine mystifizirende Ironie, denn diese Dinger sind wie die Zwiebeln, nämlich nur einsackende eingesackte Häute, nur Würze der Speisen, nicht Speise, außer für die Juden.

Seit ich — im Jahr 1821 — das lang gewünschte Vergnügen hatte, Sie in Dresden zu sehen, hab’ ich keine Studien mehr über Shakspeare gemacht und die projektirte Uebersetzung ganz aufgegeben, da ich auf die Ihrige hoffen durfte. Dagegen habe ich eine poet. Behandlung der Heimonskinder angefangen, aber auch aufgeben müssen, weil mir die alten pros. Heimonskinder sowohl, als die poet. aus der Heidelb. Bibl. fehlen. Der alte Laßberg in Eppishausen, sonst mein literar. Delphi, ist mir auch verstummt wegen des alten Volksbuches; wegen der Heidelb. Mspte verwies er mich an Görres, der davon eine Abschrift habe. Ich wandte mich an ihn, der mir sonst wohlbekannt ist, bin aber noch ohne Antwort. Doch freilich traf ihn mein Brief bei der Abreise von Straßburg. Weit wichtiger aber wäre mir die alte Prosa, denn für eine Abschrift des Heidelb. Mspts. kann ich etwa durch Geld schon sorgen. Wenn Sie mir etwa rücksichtlich des alten Volksbuches behülflich sein könnten und wollten, so[S. 212] geschähe mir etwas sehnlich Gewünschtes. Proben meiner Behandlungsweise stehen im Morg. Bl. 1826, N. 215 ff.

Jetzt leben Sie wohl, ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen gute Gesundheit und ein aquilae senectus. Ihr ergebenster

A. A. L. Follen.

II.

Schloß Altikon, am 25ten August 1829.

Mein Verehrtester Herr!

In aller Eile, welche mir die Ausfertigung vieler Pakete nebst Briefen zu diesem zweiten Theile meines Buches, welches morgen versandt werden soll — und auf dessen Beendung der Buchdrucker mich 9 Monate warten ließ —, auferlegt, kann ich doch nicht unterlassen, auch an Sie ein Paar Zeilen zu richten; sonst hatt’ ich mir vorgenommen, einen langen Brief zu schreiben.

Vor allem wollt’ ich mich erkundigen nach jener Abschrift aus einem alten Gedichte von den Heimonskindern, welches Sie mir bei Ihrem Besuche in der Schweiz versprachen. Ich bitte Sie um dessen baldmöglichste Mittheilung sehr angelegentlich, denn ich habe jetzt etwas Muße und möchte alles Ernstes hinter mein poetisches Projekt, die Heimonskinder, gerathen. Gewissermaßen einen Vorläufer, hab’ ich ins Morgenblatt, mit Anfang laufenden Jahres, geschickt: Malegyes und Vivian; es ist aber in Prosa, dazu gar nicht ganz nach meinem Wunsch ausgefallen, da ich die letzte Hälfte, die Geschichte des Vivian, übers Knie abbrechen mußte, wegen des Raums; Cotta ist daran Schuld, der den Anfang der Erzählung, die ich nur vorläufig ihm mittheilte, frischweg abdrucken ließ und so mußt’ ich nolens volens nachhinken. Ich weiß nicht, ob Sie es gelesen, und wüßte sehr gerne, was Sie zu der Anlage des Ganzen, besonders zu der Karakteristik sagten?

[S. 213]

Vorgestern hab’ ich Ihres Freundes Solger „Vorlesungen über die Aesthetik“ gelesen, oder vielmehr also ungebunden, d. h. roh, verschlungen, daher noch nicht assimilirt. Vieles aber ist mir keineswegs glatt eingegangen. — So fiel mir seine Ansicht von der Lyrik, die er vorzugsweise und an sich — allegorisch nennt, vor der Hand als willkührlich auf. Mir ist jedes lyrische Gedicht ein Bild des Dichters selbst in der Situation oder den Zustande eines schön Empfindenden, welches denn auch allegorisch behandelt sein kann, aber die Nothwendigkeit solcher Behandlung ist mir rein unabsehbar. — Auch mit seiner Theorie des antiken Drama’s konnte ich mich noch nicht befreunden. Wohl für einen christlichen Zuschauer, aber nicht für den heidnischen Helden, welcher tragisch untergeht, kann sein Untergang eine Verherrlichung des offenbarten Göttlichen und ihm ein Opfertod sein; dem griech. Volksglauben ist ja das Leben heiter, und gerade die Existenz, welche vernichtet wird, ist das erfreuliche, nach dem Tode trauriges Schattenleben. Einleuchtend freilich ist, warum das Schicksal die Gräuel rächt, unangesehen die persönliche Schuld oder Unschuld des Thäters, und so ist das Schicksal als gerecht allwaltend erhaben und erhebend; denn in der plastischen Schönheit, im schönen Ebenmaaße, besteht dem Griechen die Idee, das Schicksal stellt das verletzte Ebenmaaß her; für den Griechen ist das bewußte Fest- und Heilighalten dieses Ebenmaaßes Gebot des Sittengesetzes und des Menschen Tugend und Religion. — Die Heiterkeit der Griechen kann ich mir nie anders erklären denn instinktartig, wie die Natur die Auszehrenden heiter und hoffend sein läßt.

Unvermerkt merk’ ich, komm ich ins Briefschreiben. — Wie sehr hätt’ es mich gefreut, Sie, laut halbem Versprechen, diesen Sommer wieder in der Schweiz zu sehen! Ihre Erschei[S. 214]nung war mir überaus wohlthuend und die Erinnerung noch so heiter!

Erfreuen Sie mich, ich bitte sehr, doch bald mit Uebersendung des versprochenen Mspts!

Hochachtungsvoll

Ihr

ergebenster

A. A. L. Follen.

N.S. Verwichnen Herbst sandt’ ich einige Alpenpflanzen durch einen jungen Menschen von Dresden, Schulze, für Fräulein Dorothe, — sind sie auch angekommen? Meine hochachtungsvollen Grüße an die Frau Gräfin!


Freytag, Gustav.

Geboren am 13. Juli 1816 zu Kreuzburg in Schlesien; 1839 habilitirte er sich als Privatdocent in Breslau, wo er auch öffentliche Vorträge litterar-historischer Gattung vor großen Hörerkreisen hielt, bei denen sich der Zauber gewinnender Persönlichkeit entfaltete. Aus den vierziger Jahren datirt sein erstes (Preis-) Lustspiel „Kunz von Rosen,“ dessen Originalität mit jugendlicher Frische hervortrat. Ein Bändchen vermischter Gedichte (1845) trägt den seltsamen Titel „Zu Breslau,“ der seiner Verbreitung gewiß nicht förderlich gewesen, was um des reizenden Inhalts Willen sehr zu beklagen ist. Dann kam (1847) die Valentine und (1848) Graf Waldemar, zwei Dramen, welche bald auf allen deutschen Bühnen heimisch wurden. Mittlerweile war Fr. nach Leipzig übersiedelt, wo er „die Grenzboten“ redigirte und sich mehr und mehr in die Politik warf. Davon tragen auch das Schauspiel: die Journalisten (1854) und die Tragödie: Die Fabier (1859) unverkennbare Spuren. Sein Roman: „Soll und Haben“ (1857) lieferte (ein noch nie erlebtes Beispiel) den Beweis, daß es auch in Deutschland möglich ist, auf diesem Felde einen vollkommenen Succeß zu erleben, wie wir ihn bis dahin nur in Frankreich, oder England möglich hielten. Sieben oder acht Auflagen in wenig Jahren vergriffen! Das war noch nicht da, und dürfte sich auch schwerlich wiederholen! — Der Dichter[S. 215] trägt gegenwärtig Titel und Orden, und erfreut sich von allen Seiten her anerkennender Auszeichnungen.

Mit desto reinerer Freude dürfen wir beide Briefe des berühmten Mannes an Tieck begrüßen, aus denen so innig und anmuthig der herzliche, einfache, naturwahre Mensch redet.

I.

Breslau 5. Juni 1847.

Hochverehrter Herr!

Gestatten Sie mir, Ihnen aus der Ferne noch einmal zu sagen, daß ich mich herzlich der Stunde freue, welche mir Ihre Persönlichkeit in die Seele führte und daß ich Ihnen sehr dankbar dafür bin, daß Sie mir gütig und wohlwollend entgegentraten.

Wir Jungen sind schlimm daran; wir bleiben in vieler Beziehung roh und dünkelhaft, weil uns der lebendige Verkehr mit dem Größten der Gegenwart und nächsten Vergangenheit so sehr fehlt. Da formt denn Jeder so für sich an seinem Seelchen, saugt in sich, was grade in seinen Kreis fällt und hält sich endlich für fertig und etwas Großes, weil die Andern eben so klein sind. Ihnen mag das wohl manchmal gar kläglich und lächerlich erscheinen, das wunderliche Spreizen und Stolziren einer unreifen, kraftlosen Jugend, mich aber, der ich mitten darin stecke, beängstigt das doch. Wie lange ist’s, daß Göthe noch lebte, noch hat ein gnädiges Geschick uns Ihr Bild erhalten; und wohin sind wir gekommen? Ist mit Ihnen und Ihren Freunden der starke Quell poetischer Kraft dem deutschen Volk versiegt, wenigstens für die nächste Zeit? Oder ist es ein Glück für uns, daß wir Alle, Publicum, Theater und Dichter recht dumm geworden sind, damit wir auf eigenen Beinen stehn lernen? „Gott weiß es“ — das aber fühlt sich für einen[S. 216] Jüngern heraus, daß es viel werth ist, einmal Einen zu sehen, der ein Held ist aus der Väter Zeit.

Und deßhalb wiederhole ich Ihnen, hochverehrter Mann, jetzt wenige Tage nach Ihrem Geburtsfeste, die Versicherung treuer Ergebenheit und ehrerbietiger Zuneigung.

Zürnen Sie nicht, daß ich ein Paar Bände meiner Fabrik beilege; ich wünsche sehnlichst, daß Sie die Güte haben möchten, meine Valentine zu lesen und grade jetzt habe ich selbst kein Exemplar, ich habe zu wenig für den Manuscriptdruck abziehen lassen, doch habe ich für eins gesorgt und bitte um die Erlaubniß, dasselbe unter Kreuzband, sobald es in meinen Händen ist, nachsenden zu dürfen.

Haben Sie die Güte, Frau Gräfin Finkenstein von meiner respektvollsten Ergebenheit zu versichern.

Mit Ehrerbietung

Freytag.

II.

Dresden 1. Febr 1848.

Mein hochverehrter, würdiger Freund

Erst heut kann ich Ihnen danken, ich war körperlich leidend. Ich lese Ihren Brief immer wieder mit Freude und Rührung, auch mit Stolz. Wie liebevoll ist Ihr Lob und Ihre Sorge um mich so weise. Vor Allem giebt mir eine Stelle zu denken. Sie fürchten, zu Vieles in meinen Stücken könne Erlebtes sein. Das ist zwar nicht der Fall, für die Valentine fand ich den ethischen Inhalt allerdings in meinem Leben, beim Waldemar ist Alles erfunden, bis auf ein Paar kleine schlechte Witze; aber es ist doch etwas Bedenkliches dabei, und Ihre Bemerkung hat mir’s wieder in die Gedanken gebracht, ohne daß ichs vollständig zu begreifen vermag. In meiner[S. 217] Art Charaktere zu empfinden und darzustellen, ist etwas Eigenthümliches, was nicht normal ist, etwas Ueberschüssiges, das den idealen Gestalten eine Portraitphysiognomie giebt. Das schadet ihrer Idealität, jedenfalls erschwert es dem Schauspieler die Darstellung. Was ist das? Ist das ein Ueberfluß, den Zeit und Praxis wohl mildern können, oder ists nicht vielmehr ein Mangel, ein organischer Fehler in der Gestaltung? Es scheint mir aber diese Eigenthümlichkeit daher zu kommen, daß ich mit vielen kleinen Strichen zeichne, deren ich mich nicht erwehren kann, weil sie mir schnell und lustig aus der Feder laufen; das giebt einen Schein von innerem Reichthum, hinter dem sich wohl Dürftigkeit verbergen kann. Es ist eine Art Arabeskenzeichnerei, bei der ich mir sehr klein vorkomme, wenn ich sie gegen die einfachen, kühnen und großgeschwungenen Linien Shakespearscher Conturen halte. Und ich fürchte sehr, dieser Uebelstand wird mich verhindern, dem Theater viel zu werden und Großes in unsrer Kunst zu leisten. Ich versuche mich aber nächstens an einem Stoff mit großen Leidenschaften, um dahinter zu kommen, wie es mit meiner Kraft steht. Wohl aber erkenne ich, daß in der gegenwärtigen Schlaffheit und Nichtswürdigkeit des dramatischen Schaffens mein Beruf ist, die Fahne künstlerischer Wahrheit und Ehrlichkeit zu tragen, bis ein Bessrer kommt, der sie mir aus der Hand nimmt. Das wird mir vielleicht weh thun, es soll mich nicht verwirren.

Mein Unglück ist, daß ich allein stehe, sehr allein, ich entbehre der Förderung durch Mitstrebende zu sehr. Mit den Andern habe ich wenig gemein. — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — —[10]. „Der Gelehrte“ war eine 4 Jahre alte, aufge[S. 218]stutzte Uebung im Vers, er ist nicht fertig geworden, weil ich dieser Manier gram wurde. — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — —. Und wohin ich sehe, zur Zeit nirgend ein Mann, mit dem ich Hand in Hand gehen möchte. Ihre liebevolle Theilnahme ist mir ein rechter Sonnenblick. Und wenig fehlt, so käme ich nach Berlin und Ihnen auf den Hals, um von Ihrer Nähe das zu erbitten, was mir an meisten fehlt, eine Künstlerseele. Sie selbst würden wenigstens die Empfindung haben, Jemandem recht wohl zu thun, und ich würde um Vieles reicher und stärker. Und doch, obgleich ich frei bin, wie ein Vogel, kann ich in Berlin auf die Länge schwerlich froh sein, ich kann diesen Wust von Thorheit und Arroganz, der sich um die dortigen Theaterzustände gelegt hat, nicht vertragen. — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — —. Und das Alles müßig ansehn zu müssen! Sie sind glücklich, Sie haben die Ruhe und Sicherheit eines großen, starkbewegten Lebens in sich, und wenn das Völkchen zu Ihren Füßen Dummheiten macht, bis an Ihr Haupt reichen sie nicht. Sie sehen aber muß ich, und will ich, und bald. Sobald die Witterung milder wird, komme ich nach Berlin und da Sie mir erlauben Sie zu sehen, will ich dies zu meinem Hauptzweck machen, und mich nicht darum kümmern, ob der Waldemar grade gegeben wird. Erwarte ich doch auch wenig von der Aufführung in Berlin. Die Viereck kenne ich gar nicht, ich werde aber Ihrer Andeutung nach ihr die Rolle geben lassen. Und Sie selbst wollen ihr dabei helfen. Das macht mich sehr froh und ist mir ein gutes Omen und innig danke ich Ihnen im Voraus dafür.

[S. 219]

Möchte der Winter Ihnen ohne die Belästigungen vergehn, die er uns Allen bringt. So ödes Licht und die Natur so schmutzig, man lebt doch nie mehr in der Hoffnung, als im Winter. Das ist recht die Zeit dazu, Pläne zu machen. Auch ich habe welche. Zuerst komme ich nach Berlin, zu Ihnen; dann schreibe ich zwei übermüthige Stücke, eins nach dem andern. Das erste soll ein Volksstück werden, ich habe unser Märchen vom schlafenden Dornröschen zu Grunde gelegt, und lasse vier schnurrige Gesellen darnach ausziehn. Das Ganze soll so sehr als möglich der herrschenden Form der Wiener Possen sich anschließen, damit die Laune und Satyre, über die ich etwa commandiren kann, nicht zu sehr befremdlich werde. Dies Stück ist schon einmal gemacht[11], aber es ist zu sehr Skizze geblieben, ich muß es lustiger, burlesker austreiben. Dazu warte ich auf Uebermuth. — Das Zweite soll was Großes werden, und ich kann sehr ausführlich melden, was es Alles werden soll, da ich noch über nichts im Klaren bin.

Leben Sie wohl, mein lieber, hochgeehrter Mann, bleiben Sie mir hold, ich bin

mit inniger Verehrung

Ihr

treu ergebener

Freytag.


Genast, Eduard.

Dieser mit vollem Recht geachtete dramtische Sänger und Darsteller hat seinen Lebenslauf in dem vielgelesenen Buche: „Aus dem Tagebuche eines alten Schauspielers“ selbst geschildert, und es dürfte nicht schwierig sein, in demselben die Beziehungen auf beide hier mitgetheilte Briefe[S. 220] zu finden. Er verbindet und vermittelt durch dasselbe gewissermaßen drei Generationen, von seinem (in Trachenberg, auf Fürst Hatzfeldts schlesischem Schlosse — nicht wie er schreibt: Drachenberg — geborenem) Vater, Schillers später nie mehr erreichtem Kapuziner, bis zu seinem neuerdings mit verdientem Glücke in der Litteratur aufgetretenem Sohne, dessen Roman: „Das hohe Haus“ viele Freunde gefunden hat.

I.

Weimar den 26sten März 1840.

Hochverehrter Herr und Gönner!

Gestützt auf die mannichfachen Beweise von Wohlwollen, deren ich mich von Ihnen zu erfreuen hatte, und auf welche ich stolz bin, wage ich es, durch diese Zeilen Herrn Götze, Tenoristen vom hiesigen Theater, meinen Freund und Schüler, Ihnen vorzustellen. Doppelter Beweggrund veranlaßt mich zu diesem, vielleicht unbescheidenen Schritte, für den ich aber dennoch Ihre Verzeihung hoffe, da ich Ihr warmes Interesse für jedes aufstrebende Talent aus eigener Erfahrung kenne: Zuerst erfülle ich hierdurch den sehnlichen Wunsch des Herren Götze nach der persönlichen Bekanntschaft des ersten Litteraten unserer Zeit, zweitens wünsche und bitte ich dringend, daß Sie diesen talentvollen, aber schüchternen jungen Mann, der seinen ersten bedeutenden Ausflug wagt, Ihres Rathes und Schutzes würdigen möchten. Ich weiß sehr wohl, daß ich es nicht wagen dürfte, einen gewöhnlichen Opernsänger Ihrer Theilnahme zu empfehlen, doch zu diesen gehört wahrlich Herr Götze nicht; hat er auch das Ziel noch nicht erreicht — er gehört erst seit drei Jahren der Bühne an — so strebt er doch mit allen Kräften ein dramatischer Sänger und Charakter-Darsteller zu werden, und als solchen glaubte ich ihn Ihrer gütigen Beachtung nicht unwerth. Zu gleicher Zeit ist er ein ausgezeichneter Geiger, ein Schüler Spohrs, und gehört somit der Kunst auf doppelte Weise an. Obwohl ein Liebling[S. 221] unseres Publicums und seit beinahe zwei Jahren im Besitz des ganzen ersten Tenor-Fachs, ist doch seine Stellung beim hiesigen Theater, in pecuniärer Hinsicht, sehr beschränkt, und da er Frau und Kind zu erhalten hat, so wünsche ich von Herzen, daß er die Erwartung, die Herr von Lüttichau von ihm zu hegen scheint, erfüllen und sich eine sorgenfreie Lage in Dresden gründen möge.

Ich hege die schöne Hoffnung, im nächsten Sommer Ihnen meine Verehrung persönlich bezeugen zu können: Herr von Lüttichau hatte bei meiner letzten Anwesenheit in Dresden die Güte mich und meine Frau zu einem Gastspiel aufzufordern, und ich habe in diesen Tagen angefragt, ob es während unserer Ferien — July und August — stattfinden könne. Mir schmeichelnd, mich mit der gewohnten Güte von Ihnen aufgenommen zu sehen, und hoffend, daß Sie mir wegen meiner Freiheit nicht zürnen, empfehle ich mich und meine Frau Ihrem Wohlwollen, und verbleibe mit der aufrichtigsten Verehrung

Euer Wohlgeboren

ganz ergebenster

Ed. Genast.

II.

Ohne Datum.

Hochverehrter Herr!

Ihre vor zwey Jahren mir bewiesene Güte giebt mir den Muth einen, seit länger Zeit schon gehegten Wunsch vor Ihnen auszusprechen. Ich war so glücklich mich Ihres Rathes bey dem Einstudiren des Wallensteins zu erfreuen. Was ich in dieser Rolle leiste haben Männer, deren Urtheil ich achte, zum Beyspiel Rochlitz, wenn auch noch nicht vollkommen, doch nicht[S. 222] mißlungen genannt. Meine Darstellung dieses Charakters auf der von Ihnen gegebenen Ansicht beruhend, von Ihnen selbst geprüft und beurtheilt zu wissen ist der Wunsch, den ich, nicht ohne die Furcht Ihnen lästig zu werden, Ihnen vortragen möchte: — Der Gesundheitszustand eines meiner beyden Kinder macht mir im Frühjahr dieses Jahres, in welchem ohnehin unser Theater wegen nöthiger Baureparaturen geschlossen wird, eine Reise nach Töplitz zur Pflicht, diese führt uns durch Dresden, wo wir auf jeden Fall uns einige Tage verweilen werden, um uns des Glückes Ihrer Nähe nach einer Entbehrung von 2 Jahren wiederum zu erfreuen, und wäre es den Verhältnißen Ihrer Bühne anpassend, so wünschten wir, meine Frau und ich auf derselben nur einige Gastrollen und unter diesen Wallenstein und Thekla vor Ihren Augen zu spielen.

Ich hoffe Verzeihung für mein Anliegen, auch wenn Sie es mir versagen, indem ich mich dankbar der Zeit erinnere, wo Sie mir vergönnten in Ihrem Familienzirkel die schönsten und genußreichsten Stunden meines Lebens zu verbringen. — Meine Frau empfiehlt sich Ihnen und den verehrten Ihrigen, und ich bin mit ausgezeichneter und wahrer Verehrung

Euer Wohlgeboren

ergebenster Ed. Genast.


Gerle, W. A.

Professor am Prager Konservatorium, von seinen Freunden kurzweg: „Wagerle“ genannt; ein Scherzname, der die Entstehung dem lustigen Lustspieldichter W. von Marsano — vor etlichen und vierzig Jahren Lieutenant in Prag, jetzt (1864) pens. Feldmarschall-Lieutenant in Görz verdankt. Gerle war ein fleißiger, bescheidener Mann, der mit seinen poetischen und litterar. Produktionen niemals entschieden durchdrang, und immer nur so viel Glück und Freude daran erlebte, daß es hinreichte, um zu neuen Versuchen angeregt, ihm Täuschung und Aerger zu bereiten.[S. 223] Alt, einsam und lebensmüde hat er (1846? 47?) den Tod in dem Fluthen jenes Stromes gesucht, in welchen von der berühmten Prager Bruck der heilige Nepomuck hinab gestürzt wurde. — Ihm ist keine Bildsäule errichtet worden, obwohl auch er ein Dulder war. Deshalb wollten wir seiner gedenken. Und solche gute Absicht diene der Aufnahme unbedeutender Blätter zur Rechtfertigung. Hat er doch unsern Tieck geliebt!

I.

Prag 19. Juny XIX.

Wohlgeborner,
Hochgeehrtester Herr Professor!

Wenige Monate nach Ihrer Abreise von hier, benutzte ich die Erlaubniß, die Sie mir ertheilt, Ihnen Nachricht von meiner Existenz geben zu dürfen — ich erfuhr nie, ob Ihnen jener Brief zugekommen sey, und erhielt keine Antwort; später erfuhr ich durch Liebich, daß Sie sehr krank seyen, und endlich, Sie hätten eine neue Reise unternommen — so verschob sich ein zweiter Versuch bisher immer; aber nun kann ich mir die Freude nicht versagen, Ihnen meine Mährchen (die, wenn etwas aus ihnen geworden, es doch einzig Ihnen zu verdanken haben) zugleich mit der Geschichte ihrer Umstaltung zuzusenden. Sie waren so gütig mir zuzutrauen, daß ich im Stande seyn würde, sie nach den höhern Ansichten dieser Gattung, die ich von Ihnen empfing, zu verändern; aber ich hatte dennoch mehrere Jahre nicht den Muth dazu, bis es mir endlich im Herbst 1817 vorkam, als sey mir plötzlich ein Licht aufgegangen, und ich mit so viel Muth und Freudigkeit arbeitete, daß die Arbeit sehr schnell von statten ging. Empfangen Sie hier, was ich geliefert, und sprechen Sie das Urtheil, ob ich Ihr Vertrauen einigermaßen gerechtfertigt habe, oder ob Sie mit Bedauern einsehen, daß Sie mir mehr Kraft zutrauten, als ich besitze.

[S. 224]

Auch das Trauerspiel, dessen Plan sie einst lasen, (doch hoffe ich, Sie würden ihn in dieser Umstaltung kaum wieder erkennen, denn ich habe nur die Grundzüge beibehalten) ist vollendet, und wenn unsre gute Stadt in einer directen Verbindung mit Ihrem Aufenthaltsort, oder wenigstens mit Frankfurt an der Oder stünde, so würde ich so frei gewesen seyn, auch über dieses mir Ihr Urtheil zu erbitten. Graf Herzan — welcher den redlichen Mahner bei mir macht, wenn ich faul bin — war damit zufrieden, und mehrere, zum Theil strenge Kritiker sprachen Bemerkungen über dasselbe aus, mit denen ich zufrieden seyn kann. Wenn ich nicht irre, so äußerten sie einst (was ich selbst befürchtete), der weissagende Knabe werde zu wenig thätig, gleichsam nur als Chorus erscheinen — mit Vergnügen kann ich Ihnen sagen, daß dieß nicht der Fall ist, und Hebenstreit — der strenge Gegner Müllners und der Schicksalstragödien — meinte, ich würde nichts aus dem Jungen bringen, und gestand mir, als er fertig war, das habe er nicht erwartet.

Sie sehen, daß ich ein wenig in das Ding vernarrt bin, wie es gewöhnlich mit den jüngsten Kindern geht — je nun! es ist seiner öffentlichen Prüfung entgegen gegangen und Directionen und Publikum werden mich vielleicht bald eines andern belehren; es ist einstweilen in Wien verboten worden, weil es — eine Schicksalstragödie ist, und nach Dresden und Berlin habe ich es auch gesandt, wir wollen sehen, was daraus wird.

Was halten Sie von Grillparzer? ich wäre sehr begierig, Ihr Urtheil über seine Ahnfrau und Sappho zu hören; auch Graf Herzan — der sich Ihnen herzlich empfiehlt — würden Sie durch diese Mittheilung eine große Freude machen.

Ich empfehle mich Ihrem freundlichen Andenken, und bin mit Verehrung

der Ihrige

Gerle.

[S. 225]

II.

Prag 19. Juny XX.

Verehrtester Herr und Freund!

Empfangen Sie vor allem meinen herzlichen Dank für die große Freude, die Sie mir durch Ihren lieben, gütigen Brief gemacht haben — es ist mir ein großer Stein vom Herzen, seit ich mir schmeicheln darf, Sie seyen nicht ganz unzufrieden mit den Veränderungen, die ich gemacht — Ja selbst Ihr Tadel ist mir doppelt angenehm, weil ich selbst, als ich die Mährchen gedruckt zur Hand bekam, etwas Aehnliches zu bemerken glaubte. — Daß Sie sich nun in Dresden befinden ist mir sehr lieb, da ich doch nun eher wieder hoffen darf mich eines Zusammentreffens zu erfreuen, und, wenn Sie unsre gute alte Stadt nicht besuchen, gewiß trachten werde, einmahl einen Ausflug nach Ihrer freundlichen Elbstadt zu machen. Auch Graf Herźan, welcher sich Ihnen herzlich empfiehlt, hofft gewiß Sie diesen Herbst dort zu besuchen, er war sehr vergnügt, endlich wieder einmahl etwas von Ihnen zu hören, nachdem wir uns so unzählige Mahle von Ihnen unterhalten und das Jahr 1813 zurückgewünscht hatten (doch er wahrscheinlich ohne Verwunderung.) Leitenberger wohnt wieder hier und seine Adresse ist: „Auf dem Roßmarkt im Marmorhaus.“

Auch für die Bekanntschaft des würdigen und kunstsinnigen Herrn Superintendenten Spieker bin ich Ihnen sehr dankbar und bedaure nur, daß die Kürze seines Aufenthaltes mir nicht erlaubte, ihm mehr dienstlich zu seyn, auch ließ das unfreundliche und unsichere Wetter eine Fahrt auf den Karlstein nicht wohl zu.

Ich darf mir wohl kaum schmeicheln, daß Sie mir so bald wieder ein paar Zeilen schenken werden, doch kann ich Sie[S. 226] versichern, wenn Sie eine Viertelstunde daran wenden wollen, einen frohen Menschen zu machen, so thun Sie es gelegentlich einmahl wieder, und sollten Sie in den nächsten Monaten der Abendzeitung ein Mährchen: „St. Stephens Freydthof“ finden, so lassen Sie mich doch wissen, ob ich vor- oder rückwärts gegangen, ob ich das Mährchenschreiben aufgeben oder fortsetzen soll? Hätte ich nicht gefürchtet, Ihre Güte zu sehr zu mißbrauchen, so würde ich Ihnen einen dramatischen Versuch, dessen ich schon in meinem vorigen Briefe erwähnte, mittheilen — doch ich bescheide mich, Ihnen nicht zu viel von Ihrer kostbaren Zeit zu rauben — möchten Sie uns doch recht bald und mit recht viel beschenken. Ihre Genoveva ist noch nicht hier in Prag. Graf Herzan und ich warten mit Schmerzen darauf.

Ich muß schließen, denn ich soll diesen Brief Ihrem Freunde heute noch ins Theater bringen — von dem er Ihnen selbst erzählen mag, es wird nicht viel Tröstliches seyn.

Ich empfehle mich Ihrem gütigen Andenken und bin mit Freundschaft und inniger Verehrung

Der Ihrige

Gerle.

III.

Prag, 27/4 XXXVII.

Hochverehrter Herr und Freund!

Ich habe seit einer Reihe von Jahren Ihre kostbare Zeit nicht in Anspruch zu nehmen gewagt, heute aber verleitet mich die Sorgfalt für ein Kind, dessen halber Vater ich bin, wieder einmahl auf Ihre Güte und Nachsicht loszusündigen. Von Dresden aus dazu ermuntert, habe ich, noch ehe das Preislustspiel: „Die Vormundschaft“ in den Buchhandel gekommen war, desselbe im Manuscript an die königliche[S. 227] Hoftheater-Direction eingesandt, und harre der Entscheidung, ob Sie es nicht für unwürdig halten, auf das Repertoire der Hofbühne einzuwandern; ob Sie auch das Publikum von Dresden als Richter in dieser theatralischen Streitsache — denn das ist es geworden — aufrufen wollen. Ich schmeichle mir nicht mit der Wahrscheinlichkeit; doch liegt die Sache nicht außer den Grenzen der Möglichkeit, und für diesen möglichen Fall erlaube ich mir noch eine Bemerkung: So lohnend sich, wenigstens in pecuniärer Hinsicht, die „Vormundschaft“ meinem Mitarbeiter und mir zu erweisen scheint, möchte ich doch nie wieder um einen ähnlichen Preis concurriren, überhaupt nie mehr ein Stück in die Welt hinaus senden, bevor ich es mir, und wäre es nur auf einem Haustheater, habe vorspielen lassen. Ich hörte wiederhohlt aus Wien die Klage, daß sich das Ende zu sehr dehne, konnte jedoch nicht darauf kommen, wie da zu helfen, ohne manche im ersten Acte mit Absicht angelegte Fäden gewaltsam abzureißen; aber kaum hatte ich es zum erstenmahle gesehen, als ich das kinderleicht fand, und in einer halben Stunde die nöthigen Veränderungen fertig hatte. Sollte also der erwähnte mögliche Fall eintreten, so wage ich die Bitte, das Manuscript nach dem mitfolgenden Blättchen einrichten zu lassen, und die beiden Rollen des Legationsrathes von Morgenstern und Candidaten Hasper aus dem Personale zu streichen, was auch die Besetzung sehr erleichtert, da Jeder von Beiden nur ein paar Reden hat, und daher kein Schauspieler selbe gern übernimmt.

Ich habe die Ehre, mich Ihrer Güte und Freundschaft zu empfehlen, und bin mit der innigsten Hochachtung

Ihr bereitwilligster

Gerle.


[S. 228]

Gerstenbergk, Friedrich von.

Als erklärter Günstling des damaligen Erbgroßherzogs, Karl August’s einzigen Sohnes; als vertrauter Hausfreund der allverehrten Johanna Schopenhauer, stand G. in Weimar doch eigentlich isolirt, was wohl aus seinem sarkastischen Wesen, aus seiner Neigung für satyrische Schärfe erklärlich wird. Schade daß die von ihm gedichteten: Kaledonischen Erzählungen, (leider von Druckfehlern förmlich entstellt,) nicht später in die Lesewelt traten, nachdem dieselbe durch Walter Scott schon in jene Gegenden eingeführt war! Dieses Buch hätte verdient großes Aufsehen zu machen. Selten wird man so lebensfrische Schilderungen unmittelbarer Eindrücke genießen. Es ist spurlos verschwunden. Fast erging es dessen hochbegabtem Autor nicht anders. Wie sein hoher Gönner, sein vertrauter Freund, zur Regierung gelangte, wurde G., in welchem viele Weimaraner schon den künftigen Staatslenker geahnt, als Kanzler nach Eisenach versetzt. Es war eine Beförderung, doch in ganz anderm Sinne. Zuletzt haben wir ihn, nachdem er in Pension getreten war, bei Tieck in Dresden gesehen. Seine frühere Schärfe hatte sich in resignirende Milde umgewandelt, und diese kleidete ihn sehr gut.

I.

Weimar, 15. Februar 1821.

Ich möchte diesen Brief so gern mit einem „mein verehrter Freund!“ anfangen, gäbe mir die Zeit, seit welcher wir uns kennen, so viel Recht dazu als mein inneres Gefühl. Mit etwas Anderem will ich nicht beginnen und so habe, wie ein geistreicher Britte scherzend sagt, dieser Brief lieber gar keinen Anfang.

Mit wahrer Betrübniß bin ich von Dresden gegangen, so lieb ich sonst Weimar habe. Ich fühlte damals, was mir hier fehlen würde. Sie sind es; ich habe hier keinen Mann, der mir Freund wäre und von dem ich lernen könnte, der mein Gefühl so begriff wie Sie, der mein Streben ermunterte. Nie kann ich vergessen, wie freundlich Sie den Unbekannnten empfiengen, wie wohlwollend; nicht kann ich Ihnen mit Worten ausdrücken, wie wohl es meinem Geiste, meinem Herzen[S. 229] bei Ihnen war; wie schnell ich fühlte: wir sollten uns immer nahe bleiben. Nehmen Sie das nicht als Anmaßung von mir. Ich bin literarisch verstimmt, weil mir nichts gut genug dünkte von meinen Produkzionen, weil ich rings um mich eigentlich Nichts hervorgebracht sehe, was mir würdig dünkt der Poesie, die ich meine. Sie würden mich, wäre ich in Ihrer Nähe, aufmuntern, beleben, berichtigen. Aus Eigennutz habe ich denn um mich geblickt nach einer Möglichkeit, Sie zum Beleben für den poetischen Kirchhof zu gewinnen, der noch Weimar heißt; wo die Poesie, die ganze Literatur zu Grabe getragen wird von den Furien, welche Politik und Vornehmsein losgelassen hat. Aber ich kenne nur zwei Stellen, Ihrer Würde, Ihrem Wunsche gemäß, von denen wir sprachen. Die eine ist nicht ledig, die andere kann ein Mann wie Sie für den Augenblick nicht annehmen. Ich habe dem Erbgroßherzog viel von Ihnen erzählt und werde streben, meine Wünsche vorzubereiten, ohne Sie im Mindesten zu kompromittiren. Aber was hilft dies der Gegenwart? Und wie kurz und kostbar ist unsere zugemessene Zeit!

Die Damen Schopenhauer, welche mir hier so viel sind, theilen meine Anhänglichkeit an Sie und so kann ich wenigstens oft von Ihnen sprechen. Beide grüßen Sie von Herzen; besonders ergeben, mehr wie sonst Jemand, ist Ihnen die Mutter, die auf Ihr Urtheil über „Gabriele“ stolzer ist, als über irgend eines. Ich möchte fragend hinzusetzen: wollen Sie der Verfasserin nicht die Freude Ihrer öffentlichen Kritik gönnen?

Wie geht es meinem lieben Grafen Kalkreuth? ich freue mich theilnahmvoll, daß er in Ihrer Nähe ist; es ist einer der besten Menschen die ich kenne, ich wollte ich könnte ihm zeigen, wie lieb er mir ist. Grüßen Sie ihn innig, Herrn v. Malsburg freundlich.

Freund Weber soll mir auf meine Anfrage antworten. Ich denke seiner oft und bitte den Himmel um Wiederkehr seiner[S. 230] frohen Laune. Der Frau Gräfin Finkenstein danke ich ehrerbietig für die gnädige Aufnahme; bei Ihrer jüngsten Fräulein Tochter empfehlen Sie mich zur Gewogenheit.

Oben konnte ich keinen Anfang finden; hier will mir kein Ende kommen. Es geht mir in Weimar wie in Dresden, wenn ich bei Ihnen bin; die Trennung wird mir so schwer. So sei der Wunsch: „baldiges Wiedersehn!“ das frohe Wort, mit welchem ich mir jene zu erleichtern suche.

An ihn knüpfe ich nur noch die Bitte: lassen Sie mich nicht untergehn in Ihrem Andenken! lassen Sie mich wissen, daß diese Zeilen zu Ihnen, in die liebe Klause kamen, wo ich so gern dem Sorgenstuhle gegenüber saß und Zwiesprache hielt. Der Himmel lindre Ihre Schmerzen.

Mit großer Anhänglichkeit

der Ihrige

Friedrich von Gerstenbergk.

II.

Weimar, 14. Mai 1828.

Verehrter Herr und Freund!

Wenn auch fern und fast immer von Ihnen getrennt, denke ich doch oft Ihrer mit wahrer Anhänglickeit und meine Frau zählt sich unter Ihre Verehrerinnen, wie sie Ihnen selbst sagte. So kommen wir denn vereint heut, Sie zu bitten, zu gestatten, daß wir Ihren Nahmen als den eines Taufpathen unserer im April gebohrenen Tochter in das Kirchenbuch eintragen lassen dürfen. Es wird Ihnen diese Bitte wunderbar und überraschend erscheinen, uns gab sie wahre Verehrung und Anhänglichkeit ein. Dankbar, sehr dankbar erinnert sich meine gute Frau der Theilnahme, welche sie im Herbste v. J., bei einem traurigen Ereignisse in Ihrem Hause fand und dankt noch tausendmal der Frau Gräfin Finkenstein, welcher auch ich mich ehrerbietig zu Gnaden empfehle.

[S. 231]

Der Nahme Gerstenbergk hat einigen Anspruch auf das Wohlwollen der deutschen Dichter. Hindern mich auch düstere Berufsarbeiten, selbst mit ein Stück vom Parnaß zu erklimmen, so bin ich doch mit Auge und Ort gern dort und so wie mein Knabe sich einst freuen soll, daß Göthe sein Pathe ist, so wollte ich, daß meine Marie, lebt sie, mit Stolz einst daran denken könnte: ihr Pathe sei Tieck, der Freund ihrer Aeltern gewesen. Große Erinnerungen wecken oft Fleiß und Liebe zur Poesie. Und so wie ich mit Grimm oft des großen Kanzlers v. Gerstenbergk denke, der so viel Kalvinisten hinrichten ließ, so danke ich dem Andenken an meinen Großoheim, den Dichter von Gerstenbergk meine Liebe zur Poesie, zum Wissen.

Dame Schopenhauer verläßt uns in diesen Tagen; macht eine Reise in die Niederlande, grüßt Sie aber freundlich. Wenn Sie Quandt sehen, meine theilnahmvollen Grüße. Meine gute Frau empfiehlt sich mit mir Ihren Damen; ich aber bin unwandelbar

Ihr

Freund und Verehrer

von Gerstenbergk.


Gmelin, Leopold.

Geb. 1788 am 2. Aug. zu Göttingen; Sohn von Johann Friedrich; gest. am 13. April 1853 zu Heidelberg, wo er bis 1851 als Professor der Medicin und Chemie an der Universität docirt hatte, und sich zwei Jahre vor seinem Tode in Ruhestand versetzen ließ.

Gelehrter Verfasser vieler in sein Fach schlagender, und physiologischer wissenschaftlicher Werke und Schriften.

I.

Heidelberg, d. 27. April 1831.

Hochverehrtester Freund und Gönner!

Ein Brief von Ihrer Hand, veranlaßt durch Ihre menschenfreundliche Theilnahme am Schicksale eines würdigen[S. 232] Künstlers, war mir eine höchst erfreuliche Erscheinung; nur wurde diese Freude durch die schmerzliche Ueberzeugung getrübt, daß für Herrn Prof. Cauer wegen einer befriedigenden Anstellung in Heidelberg nicht viel zu hoffen sein möchte. Ohne Zweifel haben Sie die Hauptsache bereits von Frau v. Metting erfahren; und in dieser Voraussetzung habe ich, der ich mich der Trägheit im Correspondiren noch in viel höherem Maaße rühmen darf, als Sie es von sich gethan haben, die Beantwortung Ihres liebevollen Schreibens bis auf die Ferien und die Abtretung meines Prorectorats hinausgeschoben, so daß, weil noch andre Wüste auf ihre Erledigung warteten, ich erst jetzt dazu komme.

Mit der Stelle eines akademischen Zeichenlehrers oder Professors der Zeichenkunst und Mahlerei verhält es sich so: Unser seliger Prof. Roux hatte zwar eine Besoldung von 800 fl.; allein diese hatte er nicht bloß seinen allerdings sehr anzuerkennenden Verdiensten zu verdanken, sondern zugleich der kräftigen Verwendung seines berühmten Schwagers Gensler. In den letzten Jahren haben die Ausgaben unserer Universität deren Einnahmen um mehrere 1000 fl. überschritten, und es hängt nun Alles vom gegenwärtigen badischen Landtage ab, ob und um wieviel die Einnahme vergrößert werden soll. Wenn keine oder eine ungenügende Verbesserung beliebt werden sollte, so müssen wir auf die Anstellung eines Zeichenlehrers vor der Hand gänzlich verzichten; aber auch im günstigsten Falle wird die für einen Solchen auszuwerfende Besoldung schwerlich 400 fl. übersteigen. So wünschenswerth es nun auch für unsre Stadt und für unser ganzes Land sein würde, wenn wir mit dem Zeichenlehrer zugleich einen tüchtigen Bildhauer gewännen, so frägt es sich, ob Prof. Cauer auch bei einer so geringen Besoldung geneigt sein würde, die Stelle zu übernehmen. In diesem Falle darf ich Ihnen gar nicht verbergen, daß noch viele andre Competenten vorhanden[S. 233] sind, von denen Einige den, vielleicht in den Augen der Regierung in Anschlag kommenden Vorzug haben, Landeskinder zu sein, andre den Vorzug, daß sie sich bereits einige Zeit hier aufhalten, und dem hiesigen Publicum ihren Leistungen nach genauer bekannt sind, wobei sich Koopmann aus Hamburg und Schmidt aus Rheinbaiern am meisten Anerkennung erworben haben. Diese Mittheilung soll Herrn Prof. Cauer nicht abschrecken, sondern nur ihn mit den Verhältnissen bekannt machen. Sollte er sich daher mit einer so geringen Besoldung zufrieden geben, so lassen Sie es gefälligst den Hofrath Rau, als jetzigen Prorector und Bekannten der Frau v. Metting, oder mich innerhalb 4 bis 6 Wochen gefälligst wißen. Eher wird auf keinen Fall an die Wiederbesetzung der Stelle gedacht. Was ich dann nach meiner besten Ueberzeugung für Prof. Cauer thun kann, soll geschehen; nur bleibt bei den angeführten Verhältnissen der Erfolg immer zweifelhaft. Die Bittschrift des Prof. Cauer nebst den Zeugnissen befinden sich in den Händen des neuen Prorectors, und Herr Prof. Cauer hat zu bestimmen, ob ihm die Zeugnisse sogleich zurückgeschickt werden sollen, oder erst nach ausgemachter Sache.

Unser gemeinschaftlicher Aufenthalt in Baden ist meiner Frau und mir immer in süßem Andenken. Herzlich bedauert haben wir es, daß nicht Ihre vorjährige Reise nach und von Baden Sie über Heidelberg führte, und daß auch wir nicht dahin kommen konnten. Diesen Sommer, Mitte Juni, gedenken wir dahin zu gehn. Wie schön, wenn wir dort wieder mit Ihnen zusammenträfen! Unser Malchen Engletz wird uns zwar nicht begleiten; sie ist seit 1½ Jahren an den Pfarrer Frank in Lich (Hessendarmstadt) glücklich verheirathet, hat schon ein Töchterchen, und hat uns vor einigen Wochen mit ihrem Manne auf ein Paar Tage besucht. Durch Ihre Grüße, die ich größtentheils ausgerichtet habe, habe ich überall viele[S. 234] Freude erregt. Schlosser, sofern Sie darunter wahrscheinlich den auf Stift Neuburg wohnenden verstehn, habe ich noch nichts von Ihnen sagen können, da er sich den Winter hindurch in Frankfurt aufgehalten hat, und erst in diesen Tagen zurückgekommen ist. Creuzer hat vor 8 Wochen seine Frau verloren; so sehr ihn dieser Verlust angriff, so befindet er sich gegenwärtig doch ganz erträglich. Abeggs sind recht wohl, so bekümmernd auch im letzten Winter die Nachrichten wegen des damals in Göttingen studirenden und jetzt nach Frankreich geflohenen Sohns waren.

Meine Frau emphiehlt sich Ihnen, Ihrer Frau Gemahlin, Ihren Fräulein Töchtern und der gnädigen Gräfin Finkenstein auf das Herzlichste, und ich erlaube mir, wiewohl zum Theil unbekannt, mich hierin meiner Frau anzuschließen.

Mit ausgezeichnetster Hochachtung

Ihr

ergebenster Diener

und Freund

L. Gmelin.

II.

Heidelberg, d. 12. Juni 1833.

Hochverehrtester Freund und Gönner!

Erlauben Sie mir gütigst, meinen Bruder, Dr. juris aus Tübingen, der auf einer Reise in das nördliche Deutschland auch die in vieler Hinsicht ausgezeichnetste Stadt desselben kennen zu lernen wünscht, bei Ihnen einzuführen. Welche Anleitung für den Besuch der dortigen vielen Kunstmerkwürdigkeiten könnte ihm interessanter und nützlicher sein, als die Ihrige? und Sie haben mir zu viele Beweise von Freundschaft und Wohlwollen gegeben, als daß ich nicht hoffen dürfte, daß Sie ein wenig hiervon auf meinen Bruder übertragen werden.

Die Mahlerstelle an unserer Universität ist noch immer[S. 235] nicht besetzt; wahrscheinlich erhält sie nächstens ein junger Heidelberger, welcher in der Zeichnung naturhistorischer und medicinischer Gegenstände sehr geschickt und dadurch mehreren unserer Professoren sehr nöthig ist, jedoch nur mit einem Gehalte von 200 fl.

Umbreits befinden sich sehr wohl und erfreuen sich ihrer 2 artigen Töchterchen. Von Abeggs heftigem Blutspeien im letzten Winter, das ihn dem Tode sehr nahe brachte, haben Sie wohl schon etwas vernommen. Er hat sich nun ziemlich erholt, doch darf er noch lang nicht predigen; Baden, wo er sich jetzt mit seiner Familie aufhält, wirkt sehr wohlthätig auf ihn; nur haben beide Kinder dort die Masern bekommen, und zwar der Kleine gefährlich.

Meine Frau leidet anhaltend an rheumatischen Beschwerden; da der wiederholte Gebrauch von Bädern nichts helfen wollte, so hat sie ihn für dieses Jahr ausgesetzt. Ohnehin sind die spätern Badereisen nie so vergnügt ausgefallen, wie die, auf welcher wir mit Ihnen zusammenzutreffen das Glück hatten. Voriges Jahr bekam sie gar im Wildbad das Scharlachfieber, welches der Arzt verkannte, so daß er sie nach 5 Tagen wieder in das Bad und spatzieren gehn ließ; doch Gottlob! ohne weiteren Schaden, als daß die Füße etwas anschwollen.

Sie empfiehlt sich mit mir Ihnen, Ihrer verehrten Frau Gemalin, und Fräulein Töchtern, so wie der gnädigen Gräfin v. Finkenstein auf das Angelegentlichste.

Mit größter Hochachtung habe ich die Ehre zu sein

Ihr

ergebenster Diener

L. Gmelin.


[S. 236]

Görres, Jakob Joseph von.

Geb. am 25. Januar 1776 zu Koblenz, gest. am 29. Januar 1848 in München; als ob der ehemalige Jakobiner und nachmalige Ultramontane Eile gehabt hätte, das verhängnißvolle Jahr vor Eintritt der Monate Februar und März zu verlassen!

Ueber was, und was Er geschrieben... beinahe wäre zu fragen erlaubt: über was er nicht geschrieben? Deutschland — Europa und die Revolution — Christliche Mystik! Aphorismen über Kunst — wie Mythengeschichte der asiatischen Welt! „Anathasius“ — wie die deutschen Volksbücher! — Ein Philologe und ein Journalist! — Ein mächtiger Geist; ein ächter deutscher Mann; und dabei doch auch fanatisch für Don Carlos von Spanien und dessen Legitimität! Revolutionair und Absolutist in einer Person! — Dieser sein Brief mit allen humoristischen Absonderlichkeiten und genialen Blitzen ist recht sein eigen.

Strasburg, 1. August 1823.

Es ergiebt sich endlich die Gelegenheit, eine altergraue Briefschuld abzutragen. Ich hatte schon im vorigen Jahre Metzlern aufgetragen, Ihnen meine letzte Schrift zuzuschicken, nicht damit sie den Quark lesen sollten, sondern um eine solche Gelegenheit vom Zaune herabzubrechen. Aber da hat sich der alte Briefadam, den Sie auch gar wohl kennen, hineingelegt, und die Sache um ein paar Tage verschieben machen, darüber war die Versendung gemacht, und es im Uebrigen beym Alten geblieben. Wie mir aber nun Prof. Bruch von hier gesagt, daß er über Dresden nach Norden gehe, habe ich ihn mir sogleich zum Bothen bestellt, und er hat, wie nun eine Hand die Andere wäscht, mich gebethen, ihn bey der Gelegenheit bey Ihnen einzuführen, was ich ohne Bedenken thue, da er ein wackerer, gescheidter Mensch, und durch seine Familie von Cöln her noch ein halber Landsmann ist.

Hinter ihm komme ich selber dann herein, und setze mich auf ein paar Augenblicke zu Ihnen hin, oder stelle mich vor Sie, wie damal unten, und nachdem erst alle Thüren und Fenster wohl verschlossen sind, des Zugwinds wegen, können[S. 237] wir von allerley reden, am nächsten von Ihnen. Ich habe vor einigen Tagen im Dresdner ordinari Wochenblatt aus Ihrem Munde gehört, wie Sie krank gewesen, wovon das Letzte Wort freylich wieder gut macht, was das Erste schlimm gemacht, ohne jedoch den Uebellaut des Ganzen für mein Ohr auszutilgen. In demselben Blatte lese ich mit Erbauung die Flickschusterey, die Sie am teutschen Theater treiben, und entschuldige und beschönige damit aufs Beste die Meinige, die ich aus ähnlicher Liebhaberey und mit gleicher Hoffnungslosigkeit am teutschen Reiche seither ausgeübt. In der That verhalten sich Beyde wie Szene und Parterre, die sich wechselweiße zuhorchen und die Misere einander beklatschen, wir Beyde aber sind als Critici engagirt, und unser Amt ist, die Seligen unglücklich zu machen und so zu beunruhigen, damit, daß wir ihnen die gute alte Zeit vorhalten, uns selber aber criticiren wir einander mit nichten, weil monachus monachum non decimat. Zwar schien es mir, als ob Sie in Ihrer neulichen Narrennovelle mir in etwas in mein Gebieth hinübergepfuscht hätten; inzwischen beruhige ich mich damit, daß ich ja auch, wenn es mir einfällt, im Namen des teutschen Theaters eine Critik Ihrer Theatercritik schreiben kann, was aber freylich Alles zuletzt nur zu einer wechselseitigen Aufreibung ausschlagen würde.

Sie verlangen nun wohl auch einige Nachricht von unserm Thun und Treiben hier in der Fremde zu erhalten. Sie wißen die Stadt Strasburg ist der Hauptort der ehemaligen Landgrafschaft Elsaß, unter 48° und einigen Minuten Nordbreite, Stadt und Festung von mehr als 50000 Einwohnern bey starker Garnison, besitzt ein berühmtes Münster in der sogenannten gothischen Bauart, einige andere ansehnliche Kirchen, darunter die von St. Thomas mit dem schönen Monument des Marschalls von Sachsen, eine protestantische und katholische Academie, Präfectur, Tribunalien, ein neues geschmackvoll erbau[S. 238]tes Theater, fünf und vierzig Brücken, über die verschiedenen Arme der Preusch, viele Fabricken und Manufacturen und sehr aufgeklärte, gebildete, beyder Sprachen erfahrene, aufgeweckte Einwohner, die fleißig die Bibliotheken und andere öffentliche Bildungsorte besuchen. Dort sitzen wir nun mit Kind und Kegel wie Wasserlinsen auf der reichlich ausgegossenen Feuchtigkeit des Landes schwimmend, und darum frisch grünend wie die Wälle, und ruhig wartend, ob es der selbst übergeschnappten Direction gelingt, die Bewohner Ihres Convictes mit denen wir in Liaison stehen, wieder zurecht zu bringen; in welcher Erwartung man sich schon etwas Geduld einlegen muß. Der Mann, wie gesagt, giebt sich mit den Comödianten ab; die Frau härmt sich heimlich ab, daß sie ganz wohlbeleibt wird, die Kinder kränken sich, daß sie Beyden über die Köpfe wachsen, Alle grüßen jedoch in ihrem Harme aufs herzlichste nach Dresden hinüber, und laden zur Besichtigung der eben ausgelegten Herrlichkeiten aufs freundlichste ein.

Die erste Tracht unseres Briefwechsels ist somit abgehoben, und wenn Sie nun in andern vier Jahren wieder eine Antwort schreiben, so können wir nach und nach eine schöne Titanencorrespondenz einleiten, wo die Riesenbübchen da stehen und sich die Briefschaften wie Bälle aus einem Welttheil in den Andern, und einem Jahrhundert ins Andere zu werfen. Behalten Sie sich gesund und frisch, damit Sie den ablangen vieljährigen Umlauf noch recht oft zurücklegen, und es gescheidter machen als jener Burgsdorf, der doch hoffentlich nicht der Ihrige seyn wird, von dem ich vor Monathen in der Hamburger Zeitung den Sterbfall angekündigt gelesen.

Ihr

J. Görres.


[S. 239]

Goethe.

I.

(Ohne Datum.)

Ich war in einiger Verlegenheit was ich Ihnen, werther Herr Tiek, auf Ihre Anfrage zu antworten hätte. Indessen ist Herr Frommann bey mir gewesen, ich habe ihm aufrichtig und weitläufig meine Meynung gesagt und ziehe mich nunmehr deshalb ins Kurze zusammen.

Ich würde Ihnen niemals rathen eine Stelle anzunehmen, die so viel routinirte Gewandheit erfordert, wenn man sie mit einer gewissen Aisance begleiten[12] und nicht sein Leben darüber aufopfern will. Doch übernimmt die Jugend wohl manches in Hoffnung durchzukommen und nach einigen Prüfungsjahren zu einem erwünschten Genuß zu gelangen. Durchaus abrathen kann ich also auch nicht.

Was eine Empfehlung betrifft so darf ich damit wohl nicht hervortreten, weil ich, auf verschiedene an mich geschehene Anträge, verweigert habe an jenem Geschäft irgend einigen Antheil zu nehmen. Sollten Sie zu jenem Platz gelangen und ich kann Ihnen alsdann mit etwas dienen; so werde ich es mit Vergnügen thun. Ihren Herrn Bruder hoffen wir hier bald wieder zu sehen und beim Schloßbau zu beschäftigen.

Goethe.

II.

Weimar, den 2t. Januar 1824.

Ew. Wohlgeb.

Haben mich mit Ihrem werthen vertraulichen Briefe gar sehr erfreut, wogegen ich den empfohlnen wackern Mann[S. 240] freundlich aufgenommen, und, obgleich nur kurze Zeit, mich mit ihm gern unterhalten habe. Ein Jeder den Sie mir senden soll mir gleicherweise lieb seyn.

In dem nächsten Hefte von Kunst und Alterthum finden Sie ein heiteres wohlgemeintes, obgleich flüchtiges Wort über Ihre Verlobten. Merkwürdig ist es immer daß von den zerstückelten Gliedern unsers anarchischen Literatur- und Kunstwesens gar manche sich zu der frömmelnden Fahne sammeln, welche freylich die Schwachen am Geiste und an Talenten sektenartig in Schutz nimmt. Schade ist es dabey doch immer daß so manche löbliche Fähigkeit und Fertigkeit auf diesem falschen Wege, wohl erst gewisse Vortheile, später aber großen Nachtheil empfindet; wie ich aufs deutlichste in vielfachen Einzelnheiten die zu mir gelangt ungern gewahr werde. Wenn denn aber wie man sich nicht verbergen darf gegen dieses nur seicht und immer seichter sich verbreitende Gewässer nicht zu wirken ist, so halt ich’s doch für gut, ja für nöthig von Zeit zu Zeit ein öffentliches Zeugniß zu geben, daß man anders denkt, wie es denn auch in Ihrer Novelle ganz am rechten Platz geschehen.

Sollten Sie von manchem was Sie öffentlich auszusprechen geneigt wären mir baldige Kenntniß geben, so würde ich es dankbar empfangen; bey der nothwendigen Beschränkung, in der ich mich halten muß um nur einigermassen übernommene Pflichten zu erfüllen, trifft auch das Beste spät bey mir ein, da dem minderen aller Zugang ganz und gar versagt ist.

Laßen Sie uns ja bey dieser Gelegenheit wohl betrachten, welchen großen Werth es hat mehrere Jahre neben einander, wenn auch in verschiedenen Richtungen gegangen zu seyn. Waren die früheren Zwecke redlich und ernstlich, so neigen sie sich in späteren Tagen wieder von selbst zu einander, besonders wenn man gewahren muß daß die nachfolgenden in solchen Divergenzen hinauszuschwärmen geboren sind, die kein Begegnen[S. 241] mit dem was wir für das Aechte und Wahre halten, jemals hoffen lassen.

Gern erwähn’ ich auch Ihrer fortgesetzten Vorlesungen, wodurch Sie Geist und Sinne unserer früheren Tage, auf die wir immer mit einigem Wohlgefallen zurückzusehen berechtigt sind, lebendig zu erhalten wissen.

Grüßend, wünschend, treu theilnehmend

Goethe.

III.

Weimar, den 9t. May 1824.

Ew. Wohlgeb.

stelle mit wenigen Worten einen jungen Sänger und Schauspieler, Eduard Genast, vor; er ist auf unserm Theater einem verdienten Vater geboren, verließ es jung um sich anderweit für die bürgerliche Gesellschaft zu bilden, kehrte darauf, wegen bedeutender Stimme zur Bühne zurück, zog von uns weg, und von der Ausbildung seines Talents weiß ich daher nichts zu sagen. Sie werden ihn bald beurtheilen und vielleicht mit wenigen kräftigen Worten zu fördern geneigt seyn.

Von Herrn Helbig hoffe ich bey seinem hiesigen Aufenthalt zu vernehmen, daß Sie Sich wohl befinden; er ist in der Schopenhauerischen Familie gut aufgenommen und soll auch mir willkommen seyn.

Der ich zugleich die Gelegenheit ergreife, Sie meiner vollkommenen Hochschätzung und aufrichtigen Theilnahme zu versichern

ergebenst

J. W. v. Goethe.

IV.

Weimar, den 9. Septbr. 1829.

Gar wohl erinnere ich mich, theuerster Mann, der guten Abendstunden, in welchen Sie mir die neuentstandene Geno[S. 242]veva vorlasen, die mich so sehr hinriß, daß ich die nah ertönende Thurmglocke überhörte und Mitternacht unvermuthet herbeykam. Die freundliche Theilnahme, die Sie nachher dem Gelingen meiner Arbeiten gegönnt, wie Sie manche davon durch Vorlesen erst anschaulich und eindringlich gemacht, ist mir nicht unbemerkt geblieben; so daß ein endliches Wiedersehen die frühsten wohlwollenden Gesinnungen freundlichst erneuen mußte.

Nunmehr erhalt ich durch die Aufführung von Faust und die demselben vorgeschickten gewogenen Worte die angenehmste Versicherung aufs Neue.

Wenn ich nun zeither mich alles desjenigen zu erfreuen hatte, was Ihnen zum Aufbau und zur Ausbildung unsrer Literatur fortschreitend beyzutragen gelungen ist und ich manche Winke sehr gut zu verstehen glaubte, um zu so löblichen Absichten mitzuwirken; so bleibt mir einen reinen Dank zu entrichten kaum mehr übrig als der Wunsch: es möge fernerhin ein so schönes und eignes Verhältniß, so früh gestattet und so viele Jahre erhalten und bewährt, mich auch noch meine übrigen Lebenstage begleiten.

Meine besten Empfehlungen an die lieben Ihrigen, deren Erinnerung ich immer gegenwärtig zu seyn wünsche.

Hochachtungsvoll

in treuer Anhänglichkeit

J. W. v. Goethe.


Grabbe, Christian Dietrich.

Geboren am 14. December 1801 zu Detmold, gestorben daselbst am 12. September 1836.

Herzog von Gothland; Scherz, Satire, Ironie; Tiefere Bedeutung; unter dem Titel: „Dramatische Dichtungen,“ 2 B. (1827.) — Don Juan und Faust (1829.) — Friedrich Barbarossa (1829.) — Heinrich VI.[S. 243] (1830.) — Aschenbrödel (1835.) — Hannibal (1835.) — Die Hermannschlacht (1838.) — und a. mehr.

Unter den fünf Briefen an Tieck befinden sich zwei, die seltsamer Weise beide aus Detmold vom 29. Aug. 1823 überschrieben sind.

I.

Leipzig, den 18. März 1823.

Hochverehrter Herr und Meister!

Das wehmüthige Gefühl, welches jeden Gebildeten ergreift, wenn er hört, daß ein Mann wie Sie, der ganz Deutschland mit seinen Werken erfreut, an schmerzlicher Krankheit leiden muß, kann ich Ihnen nicht schildern; könnte ich Ihre Gicht nur auf meine jungen Schultern laden!

Gewiß beurtheilen Sie zwar nicht mein Lustspiel, aber mich selbst zu strenge, wenn Sie glauben, daß ich mich noch jetzt in solchen Gemeinheiten gefalle; das Stück entstand ja mit dem Gothland zugleich in einer Periode, die nun schon wenigstens in soweit vorüber ist, daß ich neulich, als ich im Stillen mein Trauerspiel durchsah, glühend roth wurde. Ich hoffe, daß Sie mich in meinem neuesten Producte, welches ich Ihnen bald zu übersenden gedenke, in mehrfacher Hinsicht nicht wieder erkennen. Jugendlicher Keckheit, die ihre Narrethei einsieht, pflegt man ja von allen Fehlern am leichtesten zu verzeihen, und ich bitte zagend um Nachsicht.

Vielleicht hat selten Jemand seinen gewählten Beruf so ungern verlassen als ich. Ich habe mich deshalb seit einem Jahre an Hohe und Niedere gewendet, und ich weiß, daß ich mich niemals völlig von den Wissenschaften loszureißen vermag, aber Sie haben sicher schon zum Theil aus meinem vorigen Briefe wahrgenommen, wie wenig ich auf diesem Wege eine Beförderung erwarten darf, und sollte ich einst so glücklich seyn, Sie mündlich kennen zu lernen, so bin ich überzeugt, daß Sie selbst mich gleich nach unserer ersten Unterredung zu meinem Vorhaben ermuntern werden.

[S. 244]

Ueber mein etwaiges Talent zur Bühne wage ich mich nicht weiter auszulassen, weil ich dabei zu leicht in den Schein der Selbsthudelei verfallen möchte: ich versichere nur ganz einfach, daß ich meine Stimme ohne Anstrengung vom feinsten Mädchendiscant bis zum tiefsten Basse moduliren kann, und daß der höchste Tadel, welchen man in Gesellschaften über meine Darstellung aussprach, darin bestand, daß ich die Charactere beinahe zu scharf und eigenthümlich aufgriffe und im Tragischen den Zuschauer zu sehr erschreckte. Auch lautet es läppisch, aber ich muß es doch sagen, daß ich in dem Augenblick keine Rolle wüßte, die ich mir nicht binnen zwei Wochen zu spielen getraute; mindestens zweifle ich nicht, daß, wenn ich z. B. den Hamlet oder Lear gut sollte darstellen können, ich den Falstaff oder Dupperich nicht weniger gut agiren würde; ja es scheint beinahe, als vermöchte nur diese Allgemeinheit mein Gemüth in steter Frische erhalten. Da ich aus Westphalen bin, wo man das Hochdeutsche im Gegensatz zum Plattdeutschen um so reiner ausspricht, und da ich noch dazu drei Jahre lang in Leipzig und Berlin auf meine Mundart geachtet habe, so brauche ich wegen meines Dialekts wohl nicht bange zu seyn.

Wie gerne ich übrigens klein anfangen und mich in alle Schranken fügen werde, kann ich Ihnen nicht genug versichern, und wenn Sie nun gar sich herablassen wollten, mich während dieser Zeit der Niedrigkeit bisweilen Ihrer Belehrung zu würdigen, so hätte ich Ursache, der gesegnetsten und einflußreichsten Periode meines Lebens entgegen zu blicken. Und bekäme ich auch nur eine Gage von 200 rthlr., so würde ich in diesem Falle selbst den reichsten Banquier in Deutschland nicht beneiden. Aber leider! leider! — ich zittere, indem ich es niederschreibe, und ich würde es nimmer thun, wenn es sich nicht um Alles handelte — muß ich Sie ersuchen, mir, wenn es möglich ist, wenigstens mit einem einzigen Worte und[S. 245] zwar — — mit der nächsten Post zu antworten. Sie können ja von Ihrem Bedienten bloß das Wörtchen „Hoffnung“ oder „wahrscheinliche Anstellung“ in den Brief schreiben lassen, — es soll mir genug seyn, und ich weiß dann doch, wie ich mich hier zu verhalten habe. Auch verlange ich ja gar nicht Gewißheit, sondern nur die Aussicht, ob ich in Dresden, wenn ich mich als solchen bewähre, wie ich mich in diesem Briefe darstelle, vielleicht ein Unterkommen, bei dem ich nicht zu Grunde gehe, finden kann. — Nebenbei liegt ein Brief von dem Herrn Professor Wendt, welcher mich auf Ihre gütige Empfehlung sehr freundlich empfing; den Herr Dr. Wagner habe ich bis jetzt noch nicht treffen können. — Ich stürze für Sie in’s Feuer.

Ihr

gehorsamster Ch. D. Grabbe.

(Addresse: Fleischergasse, nro. 241.)

II.

Detmold den 29sten Aug. 1823.

Hochwohlgeborner Herr!
Verehrtester Herr Geheimrath!

Ihrer ausgezeichneten Güte bin ich die drei schönsten Monate meines Lebens schuldig, und selbst auf die Gefahr Sie zu langweilen, bin ich verpflichtet Ihnen Rechenschaft aus der Ferne zu geben. Ich reis’te natürlich ein wenig trübe von Dresden ab, und kam so nach Leipzig, wo ich mit mehreren Jugendfreunden die letzten Blüthen der Erinnerung abpflückte. Ermuthigt durch den Gedanken an Ewr. Hochwohlgeboren trat ich nachher in Braunschweig vor Klingemann, und die Schonung und Humanität, mit welcher Sie mich behandelt hatten, war einer der Trostgründe, welche mich aufrecht[S. 246] erhielten, als mir die Anstellung abgeschlagen wurde. Gewiß bin ich es zum größten Theil Ihrem Beispiele schuldig, daß mir die dasige Theaterdirection eins meiner Stücke mit 30 rthlr. abkaufte, welche mich in den Stand setzten, nach Hannover zu eilen und mich dort zu erbieten, von der Pike auf an der Bühne zu dienen. Aber leider war der Freiherr Grothe eben nach Süddeutschland gereis’t, und ich konnte auf der Stelle keine sichere Antwort erhalten. Ich hielt für meine Pflicht, nicht länger das Geld auf’s Ungewisse hin im Gasthause zu verzehren, sondern zu Fuße einige Thaler zu meinen Eltern zu tragen. Mich ergriff’s wie ein Krampf, als ich über die schwärzlichen Berge meiner Heimath, dem traurigen Wiedersehen entgegen klettern mußte. Doch genug von allem, — ich habe kein Recht, Sie an meiner Lage Theil nehmen zu lassen — sie ist zu abscheulich. — Bisweilen habe ich die Idee, mich nach Bremen zu dem neu entstehenden Theater zu wenden, aber wie darf ich solche Reise auf Wagniß unternehmen? — Könnten Ewr. Hochwohlgeboren mich zu irgend einem Geschäfte gebrauchen, welches anderthalb hundert Thaler einbrächte, so wäre ich erlös’t und glücklich. Vielleicht hätte ich dann bald Gelegenheit mich weiter empor zu bringen, oder zum wenigsten könnte ich sie doch abwarten.

Ich denke fast stündlich Ihrer wie eines guten Genius, und würde dieß wahrlich nicht niedergeschrieben haben, wenn es mir nicht unwillkührlich aus der Feder geflossen wäre. Wenn Ewr. Hochwohlgeboren mich auf irgend eine Art einer kurzen Antwort würdigten, so würde ich innigst erfreut seyn, selbst wenn sie meine Bitte nicht gewährte. Auf alle Fälle würde ich daraus frischen Lebensstoff ziehen, dessen ich oft recht sehr bedarf. — Mit der tiefsten Hochachtung bin ich

Ewr. Hochwohlgeboren

gehorsamster

Ch. Grabbe.

III.

Detmold den 29sten Aug. 1823.

Verehrtester Herr!

Jetzt erst, nachdem ich alles versucht und abgemacht habe, kann und darf ich Ihnen schreiben. — Mich übermannt die Erinnerung an den vergangenen Frühling, wo ich so ruhig und beglückt in Ihrer Nähe lebte. Wenn ich nur nicht fürchten müßte, daß Sie meiner Persönlichkeit nicht eben mit angenehmen Gefühlen gedächten! Gleich zu Anfang machte mich das Bewußtseyn, Ihnen mit meinem Vorlesen mißfallen zu haben, scheu und verlegen, und als Sie dennoch fortfuhren sich so sichtbar für mich zu interessiren, artete meine Verlegenheit und Dankbarkeit fast in Tölpelhaftigkeit aus. Verzeihen Sie, daß ich nochmals über dieß Thema zu sprechen wagte; es liegt mir wie ein Stein auf dem Herzen! — Als ich von Dresden abreis’te, war es mir, als sollte ich durch eine Tonne mit zwei Papierböden (Braunschweig und Leipzig) auf das harte Steinpflaster fallen. Wie ein Ertrinkender sich an jedem Grashälmchen festhält, hielt ich mich an jedem Augenblicke fest. Die Einladung mehrerer Universitätsfreunde, einige Wochen bei ihnen zu logiren, war mir hoch willkommen, weil sie die Zeit meines Sturzes zu verschieben schien. Mit Mühe riß ich mich endlich los und eilte weiter, indem ich mich unterwegs mit der Erinnerung begnügte. So kam ich nach Braunschweig und fand in dem Doctor Köchy einen treuen Helfer; aber noch besser und sicherer nützte mir Ihr Brief, geliebtester Meister. Eine Anstellung wurde mir zwar schon beim ersten Besuche, den ich Klingemann machte, unbedingt versagt, und ich saß grade zerstört und hoffnungslos auf meinem Zimmer im Gasthofe, als mir die tröstende Nachricht gebracht wurde, daß mir die Theaterdirection auf Veran[S. 248]lassung Ihrer Empfehlung, für eins meiner Schauspiele 30 rthlr. geben wolle. Ich reichte Nannette und Maria, welches ich gut abgeschrieben bei mir hatte, dafür hin, und unter der ausdrücklichen Erlaubniß, es dennoch drucken zu lassen, wenn es mir gefiele, ward es angenommen. Nun konnte ich nach Hannover reisen und dort mein Glück versuchen; ich habe jedoch immer ein bischen Unglück, und so war denn der Freiherr von Grothe, welcher dort alles gilt, am Morgen meiner Ankunft abgereis’t. Jetzt gingen meine Hoffnungen auf das Theater zu Bremen, und ich wäre dahin gereis’t, wenn nicht meine Baarschaft bis auf siebzehn Thaler zusammengeschmolzen wäre; ich hielt es also für besser, mich aufzumachen, allen Hohn zu ertragen und meinen Eltern zwölf Thaler Geld zu bringen. Wenn ich meine Mutter nicht zu sehr liebte, so würde ich Ihr die elenden Zweigroschenstücke auf der Post geschickt und für mich einen edleren Weg eingeschlagen haben; ich hätte nämlich blind und dreist mein Geschick versucht; aber wenn sie nicht wüßte, wo ich wäre und was ich triebe, so würde es ihr seyn, als wenn ihr ein Arm fehlte. So schlich ich mich Nachts um 11 Uhr in das verwünschte Detmold ein, weckte meine Eltern aus dem Schlafe, und ward von ihnen, denen ich ihr ganzes kleines Vermögen weggesogen, die ich so oft mit leeren Hoffnungen getäuscht, die meinetwegen von der halben Stadt verspottet werden, mit Freudenthränen empfangen. Ja, ich mußte mich noch obendrein mit der plumpsten Grobheit waffnen, weil ich sonst in das heftigste Weinen ausgebrochen wäre und eine Ifflandische Scene aufgeführt hätte. — Nun sitze ich hier in einer engen Kammer, ziehe die Gardinen vor, damit mich die Nachbarn nicht sehn, und weiß keine Menschen in den gesammten lippischen Landen, denen ich mich deutlich machen könnte, selbst[S. 249] dem Herrn Pastor Pustkuchen nicht. Mein Malheur besteht einzig darin, daß ich in keiner größern Stadt, sondern in einer Gegend geboren bin, wo man einen gebildeten Menschen für einen verschlechterten Mastochsen hält. — Ich fürchte, ich fürchte, daß Sie, theuerster Herr, es bereuen, jemals einige Theilnahme für mich geäußert zu haben, weil ich Sie mit diesen Erzählungen meiner Leiden beschwere. Ich bitte Sie aber, sich wenigstens um mich keine Mühe zu geben; höchstens ersuche ich Sie, wenn Sie irgend eine theatralische, schriftstellerische oder abschreiberische Carriere kennten, die mit meiner Person zu besetzen wäre und ohngefähr 150 rthlr. einbrächte, an mich zu denken. Ich habe oft gehofft, daß ich in Berlin zum Beispiel, bei einem Haltpuncte von einigen Groschen täglich, am ersten vorwärts kommen würde. — Was meine Autorschaft betrifft, so konnte ich bei meinen Umständen nur wenig leisten; die letzten Acte des Sulla, welche ich umarbeite und etwas ernstlicher nehme als die drei ersten, sind noch nicht vollendet: die Idee zu einem anderen Faust, der mit dem Don Juan zusammentrifft, entwickelt sich in meinem Gehirnkasten mehr und mehr; ich habe in Bezug auf dieses Stück dem heiteren Humor, der das Tragische im Hamlet so mildernd durchweht, fleißig nachgespürt. An einer erträglichen, für unsre Zeit passenden Erzählung, soll es mir auch nicht fehlen, wenn ich erst nur ein wenig von dem edlen Ton Ihrer Novellen in der Gewalt hätte. — — Als ich nach Braunschweig kam, eilte ich zuerst zu Vieweg, um Ihren Auftrag zu vollziehen; Ihr Name verschaffte mir einen außerordentlich höflichen Empfang, und man versicherte, die Bücher an den leipziger Commissionär von Hilscher abgeschickt zu haben, aber sie müßten unterwegs verloren gegangen seyn. Ich wollte, ich hätte sie gefunden! — Ich bin sehr verzagt und suche die[S. 250] Hoffnung einer baldigen Antwort in mir zu vertilgen; alles Heil und Glück Ihnen, Ihrer Gemahlinn, Ihren Töchtern und Ihrem ganzen Hause! — Immer verbleibe ich

Ihr

hochachtungsvollster Verehrer

Ch. Grabbe.

(Adresse: Ch. Grabbe, stud. jur. in Detmold.)

IV.

Detmold den 22sten Sept. 182?

Verehrtester Herr und Meister!

Meine süßeste Lust besteht in dem Bewußtseyn, aus meinem Schlupfwinkel heraus mit Ihnen reden zu dürfen; Sie, seit Shakspeare der größte romantische Genius, dessen Werke, je mehr man sie studirt, um so wunderbarer strahlen und deren Ruhm durch die Zeit, die sonst alles vertilgt, nur immer mehr zunehmen kann, Sie verachten mich nicht gänzlich. Glauben Sie auch nicht, daß ich das eben Gesagte gegen meine Ueberzeugung, als leere Schmeichelei, geredet hätte; es wird Ihnen ganz eins seyn, ob ein miserabler Schlucker wie ich so oder so von Ihnen denkt; nur die Herzlichkeit meines Lobes kann ihm Werth verleihen. Ich mußte es niederschreiben, weil ich neulich durch einen, in meinem Geburtsneste, wo man die Litteratur nur vom Hörensagen kennt, höchst merkwürdigen Zufall, wieder einige Theile von dem Phantasus und mehrere Ihrer Novellen zu lesen bekam; noch nie fiel es mir so auf, daß Sie, so sehr auch das liebe Deutschland Sie anerkennt, dennoch eigentlich wohl noch nicht zum Sechsthel erkannt sind. Doch ich weiß nicht, ob Sie mir dieß Geschwäze übel nehmen. — Fürchten Sie nicht, daß ich Sie jetzt mit der Trödelbude meines Jammers unterhalten werde;[S. 251] betrachten Sie die paar Worte, welche ich darüber sage, wie eine Stelle aus einem schlechten Roman und achten Sie auf meine Bitten nicht, wenn Sie Ihnen mißfallen. — Ich kann es hier nicht aushalten und will bald wieder forteilen; einige Wochen denke ich noch zu verziehen, in der Hoffnung, daß ich vielleicht von Ihnen zwei Zeilen mit Rath oder Trost erhalte; meinen Eltern lüge ich stündlich vor, daß ich in der Ferne angestellt bin und sie freuen sich nicht wenig; wüßten sie das Gegentheil, so würden sie wie Schnee vergehen; dennoch wünsche ich aus voller Seele, daß sie eines sanften Todes schon längst gestorben wären, dann wäre ihnen besser und ich wäre frei. In Bremen, wohin ich geschrieben habe und wo ein Herr von Staff für mich zu wirken suchte, scheint sich keine Laufbahn aufzuthun. Wegen der Nähe meiner Heimath darf ich mich in Westpfahlen selbst nicht weiter umsehn. Ich meine, nach Berlin reisen zu müssen, dort, in einer größern Stadt, wo Theater, Schriftsteller, weitläuftige juristische Collegien sind, finde ich hoffentlich irgend einen Angelhaken. Sollte ich jemals aus meiner Lage wirklich heraus kommen, so wird sie sicher einen unendlichen Nutzen für mein Gemüth und meinen Geist haben, ja, ich würde wahrscheinlich eine echt christliche Idee von Gottes wunderbaren Wegen erhalten. — Da ich hier wenig mit Menschen umgehe, so schweife ich desto mehr in der Natur umher; sie ist wild und hübsch, und das ganze lippische Land rauscht von Bäumen, Waldbächen und fallenden Blättern; wenn ich aber so auf einem Berge stehe, fällt mir oft der nahende Winter ein und zum erstenmal in meinem Leben fürchte ich ihn, weil ich nicht weiß, ob ich eine warme Stube werde haben können. Meine Gesundheit ist eisenfest, und ich wollte nichts mehr wünschen, als daß ich sie Ihnen schenken könnte. O Herr! jedes Wort von Ihnen gilt viel; wenn Sie mir in Dresden, Berlin oder Leipzig irgendwo ein schmales Unterkommen bei einem Buchhändler oder Theater[S. 252] u. s. w. schaffen könnten, so hätten Sie mich und zwei alte Leute glücklich gemacht. Bis jetzt noch erliegt meine Seele nicht und sie hat die hereinstürmenden Unglücksfälle mit blutigen Köpfen zurückgeworfen; bei Gott, sie verdient es, daß Jemand ihr hilft. Eine kleine, kleine Antwort von Ihnen wäre schon Erlösung; aber wenn Sie mir auch dieß Gesuch abschlagen, so werde und kann ich doch nimmer und nimmer vergessen, was Sie mir schon Gutes und Edles gethan haben. Stets

Ihr

Ch. Grabbe.

(Besonders feindseelig scheint mir jetzt der hiesige Superintendent zu seyn, weil er, wie ich vermuthe, durch einen Landsmann, der mich in Berlin besuchte, erfahren hat, daß sich in meinem Lustspiel der Teufel für einen Generalsuperintendenten ausgibt.)

V.

Detmold den 30st. Oct. 1827.

Verehrtester Herr und Meister!

Die schönste und größte Zeit meines Lebens war die, wo ich mich persönlich von Ihnen belehren lassen konnte. Sie flößten mir durch Ihr Urtheil soviel Vertrauen zu meinen Werken ein, daß ich es gewagt habe, sie drucken zu lassen, und zwar um so mehr, als ich jetzt, wie Sie verehrtester Meister! zu wünschen schienen, auch im bürgerlichen Leben als Advocat und Substitut des Auditeurs fest und sicher stehe. Einigemal streiten meine Ansichten (insbesondere in der Abhandlung über Shakspeare) zum Theil mit den Ihrigen. Die Ihrigen sind gewiß die geistreicheren und besseren, — aber grade Sie,[S. 253] verehrtester Herr, werden als großer umfassender Dichter auch die freie Aeußerung meiner Ansichten nicht mißkennen.

Ein Exemplar meiner Werke ist angebogen, und innig hoffe ich um eine geneigte Antwort aus Ihrer Feder.

Mit größter Hochachtung und Liebe verharre ich

verehrtester Herr und Meister!

Ihr

gehorsamster Grabbe.

(Dieser Brief ist während meiner Anwesenheit in Frankfurt a. M. abgeschickt.)


Gries, Johann Dietrich.

Geboren am 7. Februar 1775 zu Hamburg, gestorben daselbst am 9. Februar 1842.

Seine Verdienste um wahrhafte, gefällige und deshalb doch nicht minder gründliche Verdeutschung großer italienischer und spanischer Poeten sind vielleicht nur ungenügend anerkannt worden. Wie leicht vergißt der Leser natürlich und wohltönend dahinfließender Strophen die ungeheuren Schwierigkeiten, welche sich dem deutschen Uebersetzer romanischer Sprachen entgegenstellen, während die englische bei solchen Bestrebungen ihre Stammverwandtschaft hilfreich bewährt! Gries hat ein langes Leben voll unermüdlichen Fleißes daran gesetzt, und der im ersten dieser Briefe citirte Ausspruch Solger’s: „er arbeitetet in seinem Beruf“ ist treffend. Tasso — Ariosto — Calderon — Boyardo u. a. sind dem Verständniß wie dem Gefühle unserer Nation durch ihn nahe gebracht worden, ohne daß letztere gerade besondere Erkenntlichkeit dem Spender so schöner Gaben bezeigt hätte! Sein Dasein war ein von Kränklichkeit bedrücktes. Selten fiel der Sonnenstrahl belebender Freude auf dies stille, jedem Hauch liebevollen Wohlwollens offene und empfängliche Gemüth. Die würdige, nur Großem und Schönen vertraute Frau Elise Campe-Hoffmann, hat auch ihm, wie mehreren ihrer verklärten vorangegangenen Freunde, eine biographische, psychologisch tiefe kleine Schrift gewidmet; — leider, gleich ihren übrigen ähnlichen Aufsätzen, als Manuskript für vertraute, gleichgesinnte Leser gedruckt.

Wir glauben noch erwähnen zu dürfen, daß Gries, trotz vieljähriger, hauptsächlich durch Taubheit bedingter, fast hypochondrischer Zurückge[S. 254]zogenheit, stets mit der Aussenwelt in geistigem Verkehre blieb, und daß er sich über manche Erscheinungen der Zeit in meisterlich versificirten, von Witz sprudelnden Epigrammen und Gelegenheitsscherzen auszusprechen liebte, deren Verlust sehr zu beklagen ist.

I.

Stuttgart, 1. Julius 1827.

Der angenehme Besuch, mit welchem Sie, mein verehrter Freund, mich vor zwei Jahren überraschten, hat mir so viel Freude gemacht, daß ich mir gleich vornahm, Ihnen auf irgend eine Weise meine Erkenntlichkeit zu bezeigen. Ich hatte kaum gehofft, daß Sie sich meiner und der Stunden, die wir in einer längst verschwundenen Zeit zusammen verlebten, noch erinnern würden; um so weniger, da andre Freunde aus jener mir unvergeßlichen Periode von meinem Vorhandenseyn schon lange keine Notiz mehr nehmen zu wollen scheinen. Desto mehr erfordert Ihr freundliches Andenken meinen Dank.

Hoffentlich werden die drei ersten Bändchen der umgearbeiteten Ariost-Uebersetzung, die der Verleger Ihnen zusenden sollte, schon längst in Ihren Händen seyn. Mögen Sie dieselben freundlich aufgenommen haben und sich dabei zuweilen eines Freundes erinnern, der Ihnen seit langer Zeit herzlich zugethan ist, der Ihnen so vielen, reichen Genuß verdankt. Alle Gaben, die Sie uns so reichlich gespendet, habe ich mir mit der größten Freude angeeignet, vor allen die herrlichen Novellen, und unter diesen wieder den unübertrefflichen Cevennen-Kampf, dessen Vollendung von so Vielen sehnlichst erwartet wird. Auch Ihren kritischen Bemühungen bin ich mit der größten Aufmerksamkeit gefolgt. Sollte Ihre Stimme auch für jetzt, wie die eines Predigers in der Wüste, zu verhallen scheinen: sie dringt dennoch durch und weckt in Manchem die Ahnung, ja die Erkenntniß des Besseren. Sie werden nicht ermüden, wie Lessing leider ermüdet; Sie sind[S. 255] ja der Einzige, auf den die deutsche Bühne die Hoffnung einer besseren Zeit zu gründen vermag.

Für eine andre Gabe bin ich Ihnen mehr als die Uebrigen verpflichtet; ich meine Solgers Briefwechsel. Die Freude an Ihren eigenen Briefen, die ich zu lesen und wieder zu lesen nicht müde werde, theile ich zwar mit Allen; aber in Solgers Briefen geht Einiges mich allein an. Die beifälligen Aeußerungen des trefflichen Mannes über meine Bestrebungen haben mich um so mehr erfreut, je unpartheiischer sie zu seyn scheinen; denn persönlich habe ich ihn leider wenig gekannt und bin nie in irgend einer Verbindung mit ihm gewesen. Das Eine Wort „er arbeitet in seinem Beruf“ hat mich schon oft ermuntert auf einer Laufbahn, die nicht zu den belohnendsten gehört. Wie sehr würde ich mich freuen, wenn ich wüßte, daß Sie, mein theurer Freund, diesem Ausspruche beistimmten!

Ob der neue Ariost Sie dazu veranlassen wird, weiß ich freilich nicht. Zwar wenn Fleiß und Sorgfalt allemal das Gelingen verbürgten, könnte ich wohl mit einiger Ruhe das Werk aus meinen Händen lassen; denn gewiß nicht weniger Mühe und kaum weniger Zeit, als auf die erste Uebersetzung, habe ich auf die Umarbeitung verwandt. Nur wenige Stanzen sind ganz unverändert geblieben, die meisten durchaus neu gearbeitet, die größere Zahl der übrigen hie und da ausgebessert. Allein indem ich diese Bände gedruckt vor mir sehe, fühle ich nur zu wohl, wie viel noch zur Vollendung fehlt, und ich darf nicht hoffen, auch nur das erreicht zu haben, was an meiner letzten Bearbeitung des befr. Jerusalem zu billigen seyn mag — die Aufgabe war freilich unweit schwieriger; denn Tasso’s gehaltener Ernst ließ sich in unsrer Sprache und in einem so gebundenen Versmaaße leichter nachbilden, als Ariosts immer wechselnde Laune. Dazu die strengen Gesetze, die ich mir vorgeschrieben habe; ich meine die durchgängige Reinheit der Reime und die Vermeidung des[S. 256] Hiats. Ich bin weit entfernt, von dem deutschen Original-Dichter die genaueste Beobachtung dieser Gesetze zu verlangen; allein der Uebersetzer kann, wie ich glaube, in Ansehung der Form nicht strenge genug seyn, da der Stoff ihm geschenkt wird.

Mit meinen Calderonischen Uebersetzungen ist es wahrscheinlich aus. Malsburg (dessen reinem Eifer ich übrigens alle Gerechtigkeit widerfahren lasse) hat meinem Unternehmen den ersten Stoß versetzt, den zweiten der jämmerliche Bärmann, nicht durch die Vorzüglichkeit (obwohl auch diese ihre Lobpreiser gefunden hat), sondern durch die Wohlfeilheit seiner Uebersetzungen. Das Publicum ist mit Calderon übersättigt, zumal wenn es für den Band mehr als 6 Groschen bezahlen soll. Meine Uebersetzung liegt, wie der Verleger sich ausdrückt. So liegt auch der Tasso seit geraumer Zeit, und dem Ariost wird es wahrscheinlich nicht besser gehen. Meine guten Verleger verstehen sich nicht auf’s Posaunen, und ich noch weniger; und so müssen wir den Gewinn den Nachdruckern und den Ruhm den Nachübersetzern überlassen.

Unter den letzten steht der fingerfertige Herr Streckfuß obenan, der durch seine vielen litterarischen Freunde meine Uebersetzungen meistens zu verdrängen gewußt hat. Als dieser Edle seinen Ariost herausgab, machte er mir in vollem Ernste den Vorschlag, wer von uns zuerst stürbe, sollte seine Arbeit dem Ueberlebenden zu freier Benutzung vermachen. Da ich hierauf nicht einging, hielt er vermuthlich bei seinem Tasso eine ähnliche Formalität für überflüssig und benutzte den meinigen dermaßen, daß er einen große Menge von Versen theils wörtlich, theils mit ganz geringer Abänderung, in seine Uebersetzung aufnahm. Ich habe mich für diese Freibeuterei nicht weiter gerächt, als durch einige ungedruckte Xenien, die freilich nicht in die Kategorie der zahmen gehören; z. B.

Höflich trug er sich an zu Rolands Erben im Todfall;
Unter den Lebenden, grob, hat er den Tasso beerbt.

Nicht den Fuß nur allein streckt Streckfuß, auch wohl die Finger
Streckt er, wenn es ihm frommt, aus nach des Anderen Gut.

Wünschest Du Brutus zu sehen mit Pantalon, Frack und Cravatte
Als Zierbengel, so lies Dante von Streckfuß verdeutscht.

Wie du auch streckest den Fuß, Streckfuß, du erreichest ihn nimmer,
Denn zum erreichen reicht, Füße zu strecken, nicht hin.

Nähm’ er die Verse zurück, die du ihm gestohlen, so gliche
Dein Jerusalem, Freund, einem durchlöcherten Sieb.

Es versteht sich, daß diese Expectorationen ganz unter uns bleiben. —

Ich stehe jetzt im Begriff, das gute Schwabenland zu verlassen, und gegen Ende Augusts haben Ihre Gedanken (wenn sie sich diese Mühe geben wollen) mich wieder in unserm alten Jena zu suchen. Das Stuttgarter Klima ist meiner Gesundheit so nachtheilig geworden, daß ich nicht wagen darf, noch einen vierten Winter hier zu verleben. Nach Jena kehre ich zurück, weil ich dort noch manche Freunde, meine Bücher, meine Wohnung und ganze Einrichtung habe. Mich an einem fremden Orte niederzulassen, hindert mich hauptsächlich mein übles Gehör, das mir den größten und besten Theil des Lebens verpfuscht hat. Sonst würde Dresden mich vor allen reitzen.

Daß mein guter Bruder in Frankfurt gestorben ist, wird Ihnen wahrscheinlich nicht unbekannt seyn. Für ihn selbst zwar ist der Tod kein Unglück zu nennen; er hat lange und schwer gelitten. Ich aber habe an ihm einen sehr treuen Freund, eine sichere Stütze verloren. Er hat mir oft gerühmt, wie freundlich Sie sich seiner angenommen haben, als er vor zwei Jahren, aus dem Marienbade zurück kehrend, in[S. 258] Dresden erkrankte. Nehmen Sie auch dafür meinen innigsten Dank!

Leben Sie wohl, mein theurer Freund, und bewahren Sie mir auch in Zukunft ein wohlwollendes Andenken.

Ihr

herzlich ergebener

J. D. Gries.

II.

Jena, 29. Mai 1829.

Mein theurer, geliebter Freund,

Wenn ich im Laufe des alltäglichen Lebens mich so ziemlich an den Verlust meines Gehörs gewöhnt habe und manchmal wohl dem Himmel danke, daß ich mit gutem Vorwande mich manchen langweiligen Unterhaltungen entziehen darf, so fehlt es doch nicht an Gelegenheiten, wo ich diesen Verlust, trotz der Gewohnheit so langer Jahre, sehr schmerzlich empfinde. Schmerzlicher selten, als bei Ihrer vorjährigen Anwesenheit in Jena. Ich bin nicht anmaaßend genug, um die Unterhaltung eines Mannes, auf den so Viele ein Recht zu haben glauben, für mich allein in Anspruch zu nehmen, und auf ein Gespräch mit Mehreren muß ich leider gänzlich Verzicht thun. Aber selbst die wenigen Augenblicke, welche Sie mir zu schenken gütig genug waren, konnte ich nicht so benutzen, wie ich gewünscht hätte. Es ist eine der schlimmsten Folgen meiner vieljährigen Harthörigkeit, daß ich allmählig auch das Sprechen fast ganz verlernt habe; daher fühle ich mich immer verlegen, wenn ich einmal in den Fall komme, mich mit ausgezeichneten Männern unterhalten zu können. Ich begreife nun vollkommen, warum die Taubgeborenen auch stumm seyn müssen; und ich fürchte fast, wenn ich noch länger[S. 259] lebe, werde ich am Ende genöthigt seyn, mich auch in ein Taubstummen-Institut zu begeben.

Dennoch hat Ihr Wiedersehen, mein bester Tieck, mir unbeschreibliches Vergnügen gemacht, um so mehr, da es auf den herrlichen Brief folgte, den ich zu lesen und wieder zu lesen nicht müde werde. Wie oft haben diese herzlichen, trostreichen Worte mich schon erquickt! Wohl bedarf ich in meiner isolirten Lage solcher Aufmunterung, wenn ich nicht ganz den Muth verlieren soll.

Der neue Calderonband, den Sie hier im Mscrpt. durchsahen, wird nun hoffentlich gedruckt in Ihren Händen seyn. Ihre Ansicht des Dichters stimmt so ganz mit der meinigen überein, daß ich schon aus diesem Grunde mich nicht enhalten konnte, Ihnen das Buch zu senden. Einen ganz reinen Genuß, wie die Alten, wie Shakspeare, Cervantes und Goethe in seinen besten Werken, wird Calderon uns nie gewähren. Er ist und bleibt durch und durch Manier, wenn gleich diese Manier eine edlere und vornehmere ist, als z. B. die der Franzosen. Ueber die Locken Absalons habe ich schon manche widersprechende Urtheile hören müssen. Einige tadeln sehr scharf, daß ich ein so indecentes Stück übersetzt habe; Andere billigen und loben meine Wahl. Es freut mich, Ihnen sagen zu können, daß Goethe unter diesen Letzten ist. Vielleicht giebt es wenige Stücke, welche die Vorzüge Calderons in ein so helles Licht setzten. Selbst die Charakteristik, deren Mangel man sonst dem Dichter wohl nicht ohne Grund vorwirft, scheint mir sehr vorzüglich. Wie herrlich ist, vor allen, der Charakter Davids dargestellt; mit wie treffenden Zügen die Verschiedenheit der Gemüthsart seiner Söhne bezeichnet. Dagegen fehlt es auch nicht an den Mängeln, die bei C. gewöhnlich zu finden sind. Dahin rechne ich besonders (den Gregorismus nicht zu erwähnen) den ungeheuern Ueberfluß an gemachten, stehenden Phrasen, die sich bei jeder ähnlichen[S. 260] Gelegenheit wiederholen. Dies geht so weit, daß ich glaube, wenn von den 108 Schauspielen C.’s etwa ¼ ganz auf uns gekommen wäre, von den übrigen aber nur der Plan, so würde man aus dem erhaltenen Viertel den ganzen Rest fast wörtlich wiederherstellen können. So hat z. B. der dritte Akt des Absalon in der Hauptsituation die größte Aehnlichkeit mit dem dritten Akt von La vida es sueno. Hier wie dort ein Sohn, der sich gegen den Vater empört; ein Vater, der vor dem Sohne flieht; ein Feldherr, der den Sturm beschwören will; ein Gracioso, der es mit keiner von beiden Parteien verderben mag u. s. w. Und so kommt es denn, daß in beiden Stücken die Personen fast wörtlich dieselben Redensarten im Munde führen.

Der Vorschlag ist gewiß eins von C.’s besten Mantel- und Degen-Stücken, obwohl es auch hier an auffallenden Aehnlichkeiten, z. B. mit der Dama duende und Los empeños, nicht fehlt. Sonderbar, daß diese Gattung in Deutschland so wenig ansprechen will, da doch in ihr, wie ich glaube, C. sich am reichsten und eigenthümlichsten zeigt. Es ist nicht zu läugnen, daß alle Personen seiner heroischen Stücke, in welchem Lande und zu welcher Zeit diese auch spielen, im Grunde nur verkleidete Spanier aus dem Zeitalter Philipps IV. sind. In den Lustspielen sind diese gerade an ihrer rechten Stelle; und hier will man sie nicht dulden, da man doch auf dem deutschen Theater mit allen übrigen Nationen sich recht gut verträgt.

Wir schicken nun diesen Band gleichsam als enfant perdu in die Welt hinaus, um zu versuchen, ob die sehr erloschene Theilnahme des Publikums sich einigermaaßen wieder beleben läßt. Der Verleger klagt jämmerlich über den elenden Absatz. Es gehört zu den seltsamsten Widersprüchen unsrer Zeit, daß, obwohl Jeder weiß, wer und wie man recensirt, dennoch die Recensionen einen so entschiedenen Ein[S. 261]fluß auf den Absatz eines Werkes haben. Die ersten Bände des Calderon, in den meisten kritischen Blättern mit Beifall angezeigt, haben schon zum zweitenmal gedruckt werden müssen; die letzten, von welchen die öffentliche Kritik wenig oder gar keine Notiz genommen, sind noch im Ueberfluß vorräthig. Ich zweifle sehr, daß dieser Band größere Aufmerksamkeit erregen wird, und aller Wahrscheinlichkeit nach werden mit ihm meine Curae Calderonicae beschlossen seyn.

Sie haben Wilh. Schlegel in Bonn gesehen. Allerdings wäre sein Urtheil über meine Verdeutschungen mir besonders wichtig; allein obwohl ich ihm die früheren Bände des Calderon, die Umarbeitungen des Tasso und den neuen Ariost zugesandt, hat er alle diese Sendungen nie mit einem einzigen Worte erwiedert. Die alte Zeit unsers Zusammenlebens in Jena und Dresden scheint ganz aus seinem Gedächtniß verschwunden zu seyn, sonst würde er doch wohl irgend ein Zeichen seines Andenkens gegeben haben. Oder scheinen ihm meine Bestrebungen aller Theilnahme so ganz unwürdig? „Wenn ich ein wenig Sanscrit nur verstände!“

Daß Fr. Schlegel so plötzlich, in Ihrer Nähe, aus dem Leben scheiden mußte, hat mich um Ihrentwillen tief erschüttert. Und überdies, er war ja doch auch ein Genosse jener unvergeßlichen Zeit von 1797–99, an die ich noch immer nicht ohne Sehnsucht zurückdenken kann. Zwar muß ich gestehen, geliebt habe ich ihn niemals, und das Thun und Treiben seiner späteren Jahre war mir von Herzen zuwider. Was hat nur diesen eminenten Geist auf so bedauernswürdige Abwege leiten können? Ich habe ihn zu lange gekannt, um annehmen zu können, daß es eigne, reine Ueberzeugung war; wenn er auch zuletzt vielleicht sich selber weiß machte, er glaube das alles, was er Andere glauben machen wollte.

Auch mir hat der Tod wieder ein schmerzliches Opfer abverlangt; ich habe einen Bruder in Hamburg verloren, der[S. 262] mir von allen meinen Geschwistern der liebste war. Dadurch ist auch die Reise nach H., die ich mir für diesen Sommer fest vorgenommen hatte, auf eine traurige Weise vereitelt worden.

Wie sind Sie denn durch diesen furchtbaren Winter gekommen, und durch diesen rauhen Frühling, der eigentlich nichts als ein etwas gelinderer Winter ist? Ich hoffe, Sie haben sich besser gehalten als ich; zwei Monate lang war ich krank und zu allem unfähig.

Leben Sie wohl, mein geliebter Freund; und wenn es möglich ist, schenken Sie mir bald einige Zeilen. Von ganzem Herzen

Ihr

J. D. Gries.


Haering, Wilhelm.

(pseud. Wilibald Alexis.)

Geboren 1798 zu Breslau, lebte dann in Berlin, und wohnt gegenwärtig, kränkelnd und zurückgezogen zu Arnstadt im Thüring’schen. — Nachdem er die gesammte Lesewelt durch eine Nachahmung Walter Scott’scher Romantik siegreich mystificirt und dadurch sogar des großen Vorbildes herzliches Wohlwollen gewonnen hatte: (Walladmor, 3 Bd. 1823.) — suchte er noch längere Zeit theils in einer ähnlichen Nachahmung: Schloß Avalon, 3 Bd. (1827.) — theils in verschiedenen Dramen, düsterer wie heiterer Färbung; theils in vielen kleineren Erzählungen, unter denen sich einige schon leuchtend hervorheben, den festen Standpunkt, den er zuerst mit: Cabanis, 6 Bd. (1833) — gewann, und nachher mit: Roland von Berlin, 3 Bd. (1840) — Der falsche Waldemar — Die Hosen des Herrn von Bredow — Hans Jürgen und Hans Jochen — Der Wärwolf — Ruhe ist die erste Bürgerpflicht — u. s. w. u. s. w. mächtig behauptete. Er ist der wahre, wirkliche, vaterländische Autor; der Walter Scott Brandenburgs; der gediegene Erzähler, dessen poetische Erfindungskraft aus dem festen Boden der Historie emporsteigt, ohne dieser jemals Gewalt zu thun.

Tieck hat ihn vollständig anerkannt, und von all’ seinen Schülern und Anhängern ist Wilibald Alexis der getreu’sten Einer gewesen und geblieben.

[S. 263]

I.

Berlin, d. 20ten Novbr. 1821.

Verehrter Herr!

Ihrem gütigen Versprechen zufolge gebe ich mir die Ehre, Ihnen beifolgend die eben durchgesehene Reinschrift meines Astolf zu übersenden, und wage es, Sie zu bitten, wenn Ihre Zeit es erlaubt, mir das versprochene Urtheil über die ganze Tragödie zukommen zu lassen. Je öfter ich meinen Astolf durchgesehn habe, um so gewisser wird es mir, daß er bis vielleicht auf einige kernigere Scenen des 4. Aktes Ihren Beifall nicht erhalten darf. Darum aber hab ich noch nicht den Muth und die Hoffnung verloren, dereinst Ihren Beifall anderweitig erlangen zu können, denn ich fühle jetzt wieder mehr Kraft und Vertrauen als seit geraumer Zeit. Meine juristischen Arbeiten erlauben mir jetzt keine Zeit zu eignen Schöpfungen zu verwenden, obgleich manche Bilder unwillkührlich zu Gebilden sich in mir formen, aber desto öfter denke ich in fortwährendem Selbstkampfe Ihren gewichtigen Lehren nach. Ich hoffe aber, daß ein Zeitpunkt, wo es mir erlaubt ist, meine Phantasien und Gedanken mit diesen Ihren Lehren zu verbinden und nach ihnen zu ordnen, nicht allzufern sein werde.

Leider hat der neue Herausgeber des Fouqué’schen Taschenbuches nur einige unbedeutendere Gedichte von mir aufgenommen, und ich kann somit nicht mich auf diese berufen. Dagegen ersuche ich Ew. Wohlgeboren mit der gehofften Beurtheilung meiner Tragödie mir auch ein Wort über meine beiden Romanzen zukommen zu lassen.

Noch verzeihen Sie, verehrtester Herr, wenn ich Sie ersuche, beifolgenden Brief an Herrn Hofr. Winckler, und den andern an Hrn. Julius zu überschicken. Mit ersterem bitte ich die beiden Spanischen Romanzen, mit letzterem den Astolf, wenn[S. 264] Sie ihn durchblättert haben, verabfolgen zu lassen. Beide Herren haben gütigst mir versprochen, meine Tragödie der Dresdener Theater-Direktion zu übergeben.

Mit der innigsten Hochachtung

Ew. Wohlgeboren

ergebenster

W. Haering. (Kochstraße 20.)

II.

Berlin, den 11ten Mai 1835.

Hochverehrtester Herr und Freund!

Ueberbringer dieses wünscht einige Zeilen als Beglaubigung zu seinem Eintritt in Ihrem Hause. Es ist Herr Dr. Fallati aus Stuttgart, Schwager des Justizministers v. Schwab, des Bruders des Dichters, selbst Dichter, wie Sie aus dem Morgenblatte wissen werden, und ein Mann, der, wenn Sie ihn einige Augenblicke gesehen, wohl nicht erst der Empfehlung bedarf.

Ich schließe diese Empfehlung mit diesen wenigen Zeilen, da ich, nach mehrfacher Erfahrung, nicht mehr sicher bin, ob sie zu Ihnen gelangen. Einige Briefe, Freunden, welche Ihre Bekanntschaft zu machen wünschten, mitgegeben, wurden von diesen für nichts angesehen, als was diese Zeilen sein sollen, und gelangten nicht an Sie; was mir sehr leid thut, da sie, nur beiläufig zu jenem Zwecke bestimmt, das Band der Dankbarkeit und Verehrung, was mich an Sie bindet, gelegentlich auffrischen sollten. Alles Das aber zu wiederholen, was ich während mehrerer Jahre dachte und in diesen Briefen niederlegte, dazu gehört eine besondere Stimmung; am wenigsten aber ist der Augenblick dazu geeignet, wo ein Abreisender mich eiligst um ein Paar Höflichkeitszeilen bittet.

Leider verschließt mein Gefühl (?) mir noch immer die Aussicht, Sie in Dresden zu sehen. Und von Ihrem Herkommen[S. 265] scheint die Rede auch verklungen zu sein. Möchte der kommende Ein und Dreißigste Sie recht wohl, heiter und gestimmt finden, an Ihren großen Werken, die einer Vollendung harren, fortzuarbeiten! — Daß Raumer von London aus dringend seiner Familie aufträgt, Sie von ihm wissen zu lassen, wird Ihnen wohl schon gemeldet sein. Bei allem Wohlbefinden, aller Ehre, die er genießt, drückt ihn die Größe der Stadt, des Weltverkehrs, und er sehnt sich nach seinen Familienkreisen zurück. Der Sommer und das Land wird ihn vielleicht anders stimmen.

Mit innigster Verehrung

Ihr

W. Haering.


Hagen, Friedr. Heinrich von der.

Geb. am 19. Februar 1780 zu Schmiedeberg in der Uckermark, lange Zeit Professor der deutschen Sprache und Litteratur an der Universität in Breslau, starb 1856 als solcher in Berlin.

Von der ersten Edition des Nibelungenliedes (1810) bis zum Tode in hohem Alter, ist sein Leben bezeichnet durch eine lange Reihe rühmlicher Werke im Gebiete altdeutscher Philologie und Poesie. Sein Fleiß im Fördern und Schaffen läßt sich an Bedeutung nur vergleichen mit seiner vielseitigsten Theilnahme und reinsten Begeisterung für alles Große und Schöne im Reiche der Wissenschaften und Künste. Zugänglich, mittheilsam, liebenswürdig im persönlichen Verkehr brachte er durch sein Erscheinen überall Heiterkeit und regen Frohsinn mit.

I.

Breslau, d. 12ten März 1813.

Theuerster Freund;

bloß meine Saumseligkeit ist schuld, daß ich Ihnen nicht schon längst von hier aus geschrieben und die mir so gütig geliehenen Sachen geschickt habe; und ich will mich nur mit dem allgemeinen Geschick der Briefe entschuldigen, welche meist mit einer Entschuldigungsformel, wovon auch diese hier nur[S. 266] eine der unzähligen Variazionen ist, anheben müssen. Meine Gesinnung hat sich mit dem Ort keinesweges geändert, wie die häufigen Unterhaltungen mit meinen und Ihren hiesigen Freunden über Sie und Ihre Werke bezeugen könnten, wobei wir immer auf einen baldigen Besuch von Ihnen selber gehofft haben. Bei meiner Herreise war es allerdings meine Absicht, Sie heimzusuchen, und ich freute mich recht darauf, aber leider waren Sie damals gerade von Ziebingen abwesend, und ich hatte nur das Vergnügen die Gegend Ihres Aufenthalts kennen zu lernen. — Hier haben mich zum Theil die neuen Verhältnisse und die Bibliothekgeschäfte etwas von meiner sonstigen Lebensweise abgezogen, doch kehre ich stäts dazu zurück, und nach der baldigen Aufstellung der Bibl., deren allmälige Entstehung mir auch Freude macht, hoffe ich wieder volle Muße zu haben. Ich denke noch oft an das Heldenbuch, wozu wir uns verbinden wollten, und habe mancherlei dazu vorgearbeitet. Wie steht’s nun mit Ihnen? Denken Sie auch noch daran? Mit herzlichstem Dank sende ich Ihnen die Ravenna-Schlacht zurück, die ich eben nochmal durchgelesen. Die Arbeit hat ganz meinen Beifall, und ich wünsche nichts mehr, als daß Sie solche recht bald vollenden, und das dazu gehörige Gedicht von Dietrichs Flucht ebenso darstellen. Ich wollte dann den Otnit und Wolfdietrich nach der Dresdener Hds. und den (ungedruckten) großen Rosengarten dazu geben; vielleicht bearbeiteten Sie dann auch noch den kleinen Rosengarten und den Rother. Lassen Sie mich doch hierüber recht bald etwas von Ihnen wissen. Das Original der Ravennaschlacht erlauben Sie mir gütigst noch einige Zeit; sobald Sie es wirklich gebrauchen wollen, erhalten Sie es ungesäumt. Jetzt aber frage ich noch an, ob Sie den genauen Abdruck desselben in dem 2ten Bde. der Samml., von welchem ich Ihnen die Ankündigung zur gefälligen Beförderung beilege, gütigst verstatten wollen. Hoffnung habe ich, wie Sie sehen,[S. 267] schon dazu gemacht; und meine freundliche Bitte darum füge ich hier hinzu. Ihrer Bearbeitung kann dieser Abdruck gar keinen Eintrag thun; und es versteht sich, daß das Honorar dafür, das Reimer freilich nur in Büchern giebt, Ihnen zu Gute kömmt. Geben Sie mir aber doch baldigst Bescheid, indem der Druck bald nach Ostern beginnen soll. — Ich bin auch sonst hier nicht säumig gewesen: die Edda-Lieder und Sagensamml. (welche ich Ihnen beilege) und die Fortsetzung des Museums sind erschienen, und eben lasse ich eine vollständige Uebersetzung der Wilkina- und Niflunga-Saga drucken, worauf dann die übrigen Nordischen Sachen über unsern Fabelkreis, übersetzt folgen sollen. Diesen Kreis vollständig zu bearbeiten in Original und Nachbildung, halte ich für meine eigentliche Aufgabe und liebsten Beruf, wenn ich mich nicht täusche; und bald werde ich alles beisammmen haben. — Ich gebe auch manche kleine Aufsätze in die hier schon im 2ten Jahr durch Gräter und Heinze erscheinende Alterthumszeitung Iduna und Hermode, in welcher zwar Kraut und Rüben durcheinander steht, die aber doch erfreulich ist, und Theilnahme verdient, zu welcher ich auch Sie auffordern möchte. Sie haben gewiß noch viele Nachrichten und Auszüge von Römischen Hds., welche hier willkommen und heilsam sein würden; theilen Sie also mit, und lassen auch hier Ihren Namen eine Zierde sein. — Ihr Frauendienst, und vor allen der Phantasus, ist uns diesen Winter eine rechte Erquickung gewesen, und die Gespräche darin haben uns Sie recht vergegenwärtigt, und unerschöpflichen Stoff zu neuen Gesprächen gegeben. Solgern habe ich mit der Stelle von dem Freund mit der Pfeife, und den aristophanischen Parodien im Däumchen geneckt; das Sonnet im gestiefelten Kater aber unserer verehrungswürdigen grauen Katze vorgelesen, worauf sie sich den Bart geputzt hat. Sie würden sich wundern, wenn Sie herkämen, dieselbe Grisette zu finden, obgleich es eine ganz andre, hier erst auf[S. 268]gezogene ist. Schon deshalb sollten Sie bald einmal herkommen. Jetzt ist hier freilich alles im Aufruhr und eine fürchterlich-schöne Zeit: ein so allgemeiner Aufstand der Gemüther und Kräfte für Vaterland und Freiheit, ist ein Stolz unserer Tage, der uns über uns selbst erhebt, aber zugleich mit großer Ergebung erfüllt; alles ist in der höchsten Spannung, und in den nächsten Tagen muß es losbrechen, und dann werden auf lange Zeit für uns die blutigen Würfel fallen. Steffens That wissen Sie; er kann von großer Wirkung in diesem Volkskriege sein durch seine wahrhafte Begeisterung, und das große Opfer, welches er bringt. — Auch Fouqué kam in diesen Tagen mit 80 Mann hier an, und geht wieder zu seinem alten Regiment: es ist Volker der Spielmann, der jetzt den Fiedelbogen mit dem Schwert abwechselt; ich habe ihn ermahnt, den Französischen Hunden wacker zum Tanz aufzuspielen; und er wollte mich durchaus mithaben, eingedenk des Verses: „Hagene und Volker geschieden sich doch nie“ aber noch habe ich keinen Beruf und gehöre zur Landwehr. Es muß freilich eine herrliche Lust sein, die Franzosen zu jagen und zu schlagen. An Kriegsdienern fehlt es uns schon nicht, und es sind einige sehr gute darunter. Der Himmel gebe nun seinen Segen! — Viele Grüße an Burgsdorf und andre Freunde, und von meiner Frau an Sie. Behalten Sie mich lieb, und schreiben mir auch wieder, sobald es sein kann. Leben Sie wohl und gesund.

Ganz der Ihrige

F. Hr. v. d. Hagen.

Noch lege ich eine Aufforderung bei, die eigentlich von Büsching herrührt und für sich selbst spricht, und der ich überall so patriot. Theilnahme wünsche, wie hier.

[S. 269]

II.

Breslau, d. 9ten Juni 1815.

Verehrtester Freund;

Herzlichen Dank für Ihren lieben Brief, der mich Ihres Wohlseins und Ihres Andenkens versichert. Den Ueberbringer desselben kannte ich schon, da ich vorigen Sommer mit ihm von Ziebingen aus, glaube ich, auf der Post zusammengefahren war, und wir uns bald aufgefunden und besonders an Ihnen einen lieben Vermittler näherer Bekanntschaft hatten. Ich denke, er befindet sich jetzo recht wohl hier, da er so ganz unter Freunden und Verwandten lebt, und so lieb gehalten wird, wie er es verdient. Ich sehe ihn oft, und er ist auch mein Zuhörer in den Nibelungen. Ihre Idee wegen eines Freibillets zum Theater war und ist leider unausführbar, da das Ganze in den Händen der Kaufleute ist, und Rhode, wenn er auch gewollt, nichts darin ausrichten konnte. Ich habe also lieber gar keinen Schritt dazu gethan: doch hatte ich es zuvor mit Raumer überlegt. — Endlich, liebster Fr., erhalten Sie nun auch, mit herzlichen Dank, Ihre Handschr. zurück. Die Kollation hat zuletzt noch etwas aufgehalten. Es freut mich, dass nun Ihr Heldenbuch auch vorrückt (mit so viel andrem, wie ich höre, und worauf wir alle uns so sehr freuen). Wie ist es denn aber nun: wollen Sie meine Beiträge noch, die wir damals verabredet? denken Sie doch auch an Zurückübergabe des Waltharius Aquitan. im Nibelungen Vers. Nächstens erhalten Sie auch Ihr Ex. der Nibel. wieder, welches ich eben noch vergleiche, ob ich auch nichts übersehen in der Hds. selber. Dabei soll dann auch die Volsunga-Saga übersetzt folgen, die noch beim Buchbinder steckt. Diesmal lege ich aber noch die Uebers. der Eddalieder bei, wovon Sie vermuthlich doch schon die Urschrift von mir haben. Möge Ihnen das Büchlein gefallen. Mit noch einem solchen Hefte will ich dann die Nord. Seite dieses Zyklus vor der Hand beschließen, und[S. 270] wende mich wieder recht mit neuer Lust und aller Liebe zu den deutschen Dichtungen. — Nächstens mehr: am besten wäre, Sie kämen her und machten das todte Schreiben ganz überflüssig, und läsen uns über Shakspeare und kein Ende (so hat Göthe einen Aufsatz im Morgenbl. überschrieben, den Sie lesen müssen). Behalten Sie mich lieb, so wie ich Sie von ganzem Herzen. Meine Frau grüßt beßtens, sie sitzt eben zwischen 2 treffl. Katzen, die Sie ja bald sehen müssen. Leben Sie recht wohl und gesund, und lassen bald von sich hören, sei’s geschrieben, gedruckt, oder am liebsten, gesprochen. —

Ihr treuer F. Hr. v. d. Hagen.

Reimer will allerdings für den Abdr. der Urschrift, den Sie gütigst verstattet, Honorar geben, aber nur in Büchern: in diesem Jahre möchte der Druck auch kaum beginnen.

III.

Breslau, d. 20sten Jan. 1818.

Theuerster Freund;

Ich denke, besser spät als nie: darum komme ich heute noch mit dem Ortneit, ob er etwa noch zu der Sammlung Altd. Gedichte zu rechter Zeit kömmt. Zuvor aber ist die Frage, ob er auch dazu paßt. Ich habe ihn nochmals ganz umgeschrieben (daher die Zögerung), in der Art, die ich jetzo für solche Arbeiten gut halte; und bitte Sie nun, mir recht bald zu sagen, ob Sie das Lied so gebrauchen können; worauf denn auch der Wolfdietrich, der genau dazu gehört, bald folgen soll. Finden Sie zu große Verschiedenheit, so senden Sie mir die Handschrift zugleich zurück. Ich meine aber, es kömmt bei solcher Sammlung nicht so sehr auf Gleichartigkeit an.

Dabei erhalten Sie die längst schuldige Wolsunga-Saga, vielleicht auch bald die Ragnars- und Nornagest’s-Saga. Möge Ihnen, dem trefflichsten Verdeutscher, mein Deutsch nicht ganz mißfallen. Die ebenfalls beifolgenden Psalmen[S. 271] bitte ich als eine kleine Zugabe anzunehmen: für die Sprache sind sie gewiß sehr wichtig. Sie gehören auch in die Reihe meiner Arbeiten, die Sie doch alle haben müssen; weil ich mir keinen liebern Leser zu denken weiß. So haben Sie gewiß auch kaum einen theilnehmenderen Leser, als ich bin: und eben habe ich durch Reimer ein großes Pack Ihrer Bücher erhalten, worunter das deutsche Theater mich höchst anzieht, aber noch beim Buchbinder ist. Den Fortunat dagegen habe ich alsbald meiner Frau (die Sie herzlich grüßt und mich recht oft nach Ihnen frägt) vorgelesen, und jeden der Abende freuten wir uns ordentlich kindisch auf die Fortsetzung, und wollten am Ende gern noch mehr hören. Ihre unsichtbare Nähe ist darin gar zu anziehend. — Nun haben wir doch bald den Shakspeare zu hoffen?

Hiebei eine Bitte für meinen Verleger Max, der gar zu gern etwas von Ihnen zu drucken wünscht. Er ist ein sehr guter Mensch, der gebildeteste der hiesigen Buchhändler, und verehrt Sie höchlich, und wird dabei auch gut honoriren. Haben Sie also Kleinigkeiten, etwa Märchen, Erzählungen, so würde vielleicht Steffens und auch ich (wenn ich darf) etwas unter Ihre Flügel geben. Vor allen wünschte Max auch wohl das poetische Kartenspiel zu einem Kartenalmanach zu übernehmen. Sie wünschten es damals auch, und wollen Sie noch, so senden Sie es recht bald, und Ihre Bedingungen dabei: aber bald muß es sein, da bekanntlich die Almanache noch Bode’s astronom. Jahrbücher einzuholen drohen. Auch hatte Max von einem Freunde Kleist’s vor etlichen Jahren schon das Versprechen seines Nachlasses: wollen Sie ihm denselben überlassen, so würde er ihn auch gern nehmen.

Von meinen Arbeiten berichtet zum Theil die Beilage: das Heldenbuch scheint mir das nächste und wichtigste. Es kommen zu den genannten Stücken nun noch aus der einzigen Wiener Hds. Dietlieb und Bitrolf, ganz in der Art und[S. 272] Reihe, wie Dietrichs Flucht; und vor allen Chautrun, in der Stanze und Länge der Nibel. (die auch in der Hds. sind), und scheinbar Gudrun; ihr Vater ist Hagen, ihr Bewerber Hettel, und doch eine ganz verschiedene Fabel, Nord., nämlich zum Theil die Eddaische von Högni, Hilde und Hedin. Dabei im Ausdruck, Darstellung auffallend den Nibel. ähnlich und wol nachgebildet, obgleich manchmal als Vorbild erscheinend, — und gewiß das trefflichste nächst jenem höchsten der Lieder. — Nächstens mehr davon. Leben Sie recht wohl und gesund, empfehlen mich allen lieben Ihrigen und allen Freunden in Ihrem Zauberschloß und behalten mich lieb.

Der Ihrige

F. Hr. v. d. Hagen.

IV.

Breslau, d. 17. März 1818.

Verehrtester Freund;

Entschuldigen Sie gütigst, daß ich nicht eher geantwortet habe: ich gedachte Ihnen zugleich allerlei mitzuschicken z. B. der Wolfdietrich, aber er ist leider noch nicht fertig. Dann waren auch in Ansehung der literar. Aufträge noch allerlei Erkundigungen nöthig; ich antworte aber jetzo, so gut ich kann.

Zuförderst ist Max sehr geneigt, auf alle ihre Plane einzugehen; nur sind noch einige Schwierigkeiten.

1) Die Karten, die mir und meiner Frau und meinen Zuhörern, denen ich sie als besten Kommentar der Nibel. gezeigt, ungemeine Freude gemacht, habe ich an Max für die gefoderte Summe von 10 Friedrichsd. von Gold verkauft. Es frägt sich aber zuvor, ob Sie mit der Art der Bekanntmachung zufrieden sind. Sogleich ein wirkliches Kartenspiel darnach machen zu lassen, würde großen Aufwand und viel Zeit erfodern, da es doch würdig geschehen muß. Der Vorschlag ist also eine Farbe und Heldenreihe nach der andern[S. 273] in einem taschenbuchartigen Bilderbuche auszugeben, neben einer kurzen Darstellung des jedesmaligen Sagenkreises in besonderer Beziehung auf die gewählten Helden. Artus soll den Reigen anheben und Karl beschließen. Und diese Erzählung am liebsten selber zu übernehmen, oder doch anderweitig zu genehmigen, ist nun die Anfoderung. Sind auf diese Weise alle 4 Reihen da, so können die Platten auch noch durch Hinzufügung der Kartenzeichen zu einer Ausgabe des Ganzen als ursprüngliches Kartenspiel (ähnl. den Cotta’sch. Kartenalmanachs) angewendet werden, zu welcher Sie das dazu erfundene Spiel mittheilen und auch Tod und Teufel hergeben müßten. Ein geschickter und sinniger Zeichnenlehrer Schall ist endlich glücklich zur Ausführung gefunden und übernimmt sie mit Liebe: seine Schüler sollen sie unter seinen Augen nach einem eigenen neuen Muster ausmalen. Ich denke mir die Lust der Jugend dabei: die Alten müssen bei diesem Spiel auch wieder jung werden. Dieß ist vielleicht der angenehmste Weg, alle für das vaterl. Alterthum zu gewinnen. So klein die Bilder sind, so sind sie im großen Styl und bekunden den Bildhauer, den Helden unter den Künstlern; und für die alten Helden und Heldinnen sind sie wahrhaft typisch: und daran haben wol beide Brüder gleichen Antheil.

2) Die Sammlung Altenglischer Schauspiele, so ist dieß wol ein Unternehmen, das den Verleger Ihres zu hoffenden Werkes über Shakspeare zunächst angeht, da es als Schule und Beispielsamml. dazu dienen soll. Haben Sie nun wegen des letzten schon anderweitig (etwa mit Reimer) unterhandelt? Und vor allen ist noch die Frage, soll diese Samml., wie Ihr Altengl. Theater, in Uebersetzung oder in der Ursprache erscheinen? Darüber ist Ihr Brief dunkel; ich vermuthe das erste, und dazu wäre Max geneigter, als zum letzten: das Werk über Shakspeare, worauf wir alle schon so lange harren, müßte aber dabei sein.

[S. 274]

3) Wegen der Englischen Romane ist nachgeforscht worden, ob sie schon übersetzt sind, bis jetzo aber nichts davon bekannt: und Max ist sehr willig dazu; nur wünscht er, daß Sie etwa kleine Vorrede oder Anmerkungen mit Ihrem Namen dazu geben, oder noch lieber als Herausgeber aufträten. Wer ist denn der Uebersetzer? Er soll verschwiegen bleiben.

4) Auch die Tieckisch-Solgerische Zeitschrift will Max gern in der verlangten Art übernehmen; nur wünscht er, daß erst zu Michaelis das erste Stück erscheinen möchte. Es sollte mir sehr lieb sein, wenn es hier erschiene, und gern will ich auch etwas beisteuern, in so lieber Gesellschaft zu erscheinen: ich mißtraue mir nur, etwas würdiges dazu liefern zu können. — Wenn Solger in den Ferien zu Ihnen kömmt, oder gar schon dort ist, so können Sie ja wohl alles vorbereiten und einleiten. Grüßen Sie ihn herzlich von mir, und nächstens würde er die versprochenen Bücher bekommen. Wie gerne wäre ich auch in diesen schönen Tagen, die wahre Frühlingsboten sind, bei Ihnen in Ihrem Zauberschlosse!

Besprechen Sie doch auch mit Solger die Ausgabe der Kleistischen Werke, weshalb ich schon an Sie beide auch für Max geschrieben. Es ist endlich Zeit, daß dieser Edelstein erkannt werde.

5) Endlich, die Sammlung von Erzählungen, Novellen, Mährchen, Schauspielen, was es sei, so ist von Ihnen alles willkommen (z. B. auch die ganze Donaunymphe, wovon der herrliche Anfang in der Sängerfahrt). Sie sollen, wie sich versteht, an der Spitze stehen. Steffens hat einige Mährchen oder Erzählungen (z. B. die, woraus Schellings Darstellung in Terzinen herrührt) dazu versprochen; aber es ist unsicher, da er jetzt mit den Zerrbildern der Zeit beschäftigt ist; in welche sich jetzo die Turnfehde einmischt (durch Passow’s Turnziel). Dann giebt Raumer einige geschichtl. Schaustücke; und ich werde mit einigen ganz bescheidenen Mährchen hinter[S. 275]drein kommen. Wegen des Honorars wünscht Max, Sie möchten für das Mskpt. einen runden Preis annehmen, da er es in sehr kleinem Format drucken will, und nicht wie den, auch zu großen, Phantasus, den Sie als Norm genommen: oder 2 Louisd. für einen solchen kleinen Bogen annehmen. Schicken Sie nur recht bald alles was Sie irgend haben und geben wollen. Max wird es alsbald honoriren. Auch antworten Sie recht bald auf alles: am besten, Sie thun beides zugleich.

Bald hoffe ich den Wolfdietrich zu bezwingen. Jetzo sitze ich tief in meinen Reisepapieren, die zu redigiren: ich liefere dazu ein Urkundenbuch aller Denkmale des Mittelalters, die ich unterwegs gefunden und gesammelt. Auch beginnt nun endlich das große Heldenbuch in der Ursprache (von Gudrun habe ich Ihnen wohl schon geschrieben?), da Reimer endlich das Papier dazu sendet. Der Druck geschieht hier. Schreiben Sie mir doch, was Ihnen von meinen Büchern noch fehlt, und es fliegt sogleich zu Ihnen. Nun liebster Freund, leben Sie wohl und gesund; meine Frau grüßt Sie herzlich. Behalten Sie mich lieb.

Der Ihrigste

v. d. Hagen.

V.

Breslau, d. 9ten Jan 1819.

Mein theuerster Freund;

Ich bin in langer Briefschuld gegen Sie, und habe sie selbst ins neue Jahr mit hinüber nehmen müssen: ich habe aber dafür desto mehr an Sie gedacht, indem ich mich immer daran gemahnt habe. Unterdessen haben Sie zwei Bände gedruckter Briefe von mir erhalten, die ich allerdings auch mit an Sie geschrieben habe. Ich hatte große Scheu, sie herauszugeben, und bin auch noch sehr besorgt, daß viel Dummes[S. 276] oder Unbedeutendes darin stehen geblieben, und fürchte mich insonderheit vor Ihrem durchschauenden Blicke. Aber nun ist’s einmal geschehen, und Sie bekommen bald einen dritten, ja noch einen vierten Band. Warum haben Sie Ihre Reisebriefe noch nicht herausgegeben? die würden mich gewiß abgeschreckt haben, meine drucken zu lassen. Ich bin so in das Kunstlabyrinth hinein gerathen, daß ich noch nicht weiß, wie ich wieder herauskommen soll: indessen gefällt es mir sehr darin, und ist auch wohl kein bloßer Durchgang. Am liebsten ist mir dabei, daß ich auch hier meinem Herzen genugthun und Ihrer (in München) so gedenken konnte, wie es Ihnen hoffentlich nicht mißfallen hat. Von Ihrem trefflichen Bruder wird noch in Pisa und Carrara die Rede sein; mit seinem treuen Rauch habe ich mich schon mit Vergnügen an unser nur zu kurzes Beisammensein erinnert. Seine und Ihre schöne Karten sind immer noch in meinen Händen; wären Sie mir nicht so lieb, so hätten Sie sie schon längst wieder; ich kann immer ihre Bekanntmachung noch nicht aufgeben, und sie wäre gewiß schon zu Stande, wenn der hiesige treffliche Buchdrucker Barth, der eine geschickte Steindruckerei hat, nicht kürzlich gestorben wäre. Ich stehe aber mit seinen Erben noch deswegen in Unterhandlung, und bitte nur noch um eine kurze Frist: ich hoffe das Geforderte gewiß für Sie zu erhalten. — Sodann, wie stehts mit den Mährchen oder Erzählungen für Max? er verlangt heißhungrig darnach, und ich bitte mit ihm recht sehr darum. Steffens (der Sie bei der Durchreise doch wohl sehen wird) hat seine Beiträge sicher versprochen, wenn Sie vorangingen, und ich gebe auch einiges von Novellen oder Erzählungen dazu, wenn Sie mich nicht verschmähen: Sie müssen aber der Herausgeber sein, und mich unter ihre Federn und Flügel nehmen. — Im Herbst bin ich in Wien gewesen, mit vielem Nutzen und Vergnügen, bedaure aber höchlich, dadurch meinen lieben Solger hier nicht gesehen zu[S. 277] haben. Wien ergänzte meine bisherigen Wanderungen in Deutschland: es ist herrlich, das Volk still vergnügt, der Stephan in gewisser Rücksicht vollkommener als der Freiburger und Straßburger Münster, und die Bildergallerie erstaunlich: wer sie nicht gesehen, kennt den Dürer nicht, und seine Anbetung der Dreieinigkeit kann neben Eick und den andern Boissereeschen Bildern bestehen. — Dann machten wir (meine Frau mit) die Nibelungenfahrt aufwärts bis Linz, besuchten in Pechlarn den milden Markgrafen, — und reisten über Mölk und andere gastliche Abteien bis auf den herrlichen Traunsee — und über das reiche Prag heim. Nun habe ich freilich wieder alle Hände voll zu thun und nachzuholen: die Briefe, die große Samml. des Heldenbuchs, die eben im Druck beginnt (die Originale: was macht unsre Bearbeitung?), die neue Asugabe der Nibelungen, und Tristan; — es wird freilich immer weniger fertig als man denkt; aber die eigentliche Lust ist ja das Machen, Entwerfen, — nicht das Fertige. — Meine Frau grüßt beßtens, und ich alle die lieben Ihrigen und Freunde in Ihrem Zauberschloß. Behalten Sie mich lieb, und antworten auch einmal

Ihrem treuen

Hagen.

VI.

Breslau, 17. Septbr. 1822.

Verehrtester Freund;

Sie werden mich sehr undankbar schelten, daß ich nach so viel empfangener Gastfreundschaft seit Jahr und Tag nichts habe von mir vernehmen lassen. Aber Sie wissen wohl, der Mensch ist eine undankbare Creatur, und ich will mich durch nichts anders entschuldigen, als daß ich noch immer hoffte selber wieder in das jetzo für mich so vielfach anziehende Dresden zu kommen. Leider ist dazu jetzo Aussicht und Jahrszeit[S. 278] vorüber, und ich sende nur durch Freund Holtey den herzlichsten Gruß und diesen schwarzen Dank für so viel Gutes, Schönes und Liebes, das ich durch Sie und Ihren Zauberkreis genossen und noch daran zehre. Kurz gedenke ich nur, daß ich die Heimkehr glücklich nach meinem Sinne, der auf Abweichung gefaßt war, vollführt, — über die Basaltburg von Stolpen nach Rumburg, dann zu Fuß nach Zittau, auf die Felsenburg des Oybin, über die Basaltburg des Friedländers (dessen wahres Bildniß dort zu sehen) und Kloster Haindorf in das heimliche Liebwerda, dann bergauf über die weit ins Flachland schauende Tafelfichte (wenn es nicht eine märchenhafte Teufelsfichte, wie ich auf der Karte fand) und die Iserkämme, nach Flinsberg, und so wieder am Fuße des Gebirges hin nach dem Warmen Bronnen, der mir ein Jungbronnen sein sollte: aber es war anders beschlossen, und kaum vom halbnächtlichen Marsche ausgeruht, trat Steffens herein und wiegelte mich mit seinen mineral. Studenten zu einer Gebirgsfahrt auf; und abermals giengs hinauf, über den abgesperrten Kochelfall, auf den Riesenkamm, zu der stürmischen Sturmhaube, den schneelosen Schneegruben, deren Basalte wir jedoch nicht erklimmen konnten, zu den Elbquellen, die wir Ihnen nicht zurückhalten wollten, zu den Gebirgsseen, endlich hinauf zur Koppe und Kuppel des ungeheuren Doms, wo uns im Scheine der Morgensonne auf die Schneefelder der Wolken gegen Böhmen hin, noch das leibhafte Rübezahlgespenst und Gespinst, in den vom Sturme ausgezogenen und nach dem schönen Schlesischen Thale gewehten Wolkenflocken mit seiner wilden Jagd auf dreibeinigen Rossen (unsere Schatten mit dem Wanderstabe) erschien, und uns sogar noch mit runden Regenbogen und Heiligenscheinen auf jenem Wolkenschnee verblenden wollte: wir aber stiegen getrost hinauf zur Kapelle und beteten an, nicht den Teufel, obwohl den der uns die Herrlichkeit seiner Welt aufthat. Wir mußten freilich[S. 279] wieder hinunter, stiegen noch in ein Bergwerk, und blieben in Schmiedeberg, wo uns die Studenten mit Stadtmusik ein Vivat zur glückl. Beendigung der Bergfahrt ausriefen; ruhten am Sabbath bei den gastlichen Alberti’s; dann wir (Proff. mit York) weiter über Landshut und das merkwürdige Grüssau nach Adersbach, dem versteinten Breslauer Wollmarkt und der Spottlarve der Sächs. Sandsteinschweiz: weiter nach dem neufreundl. Cudowa, wo mehre Collegen sich verjüngen wollten, aber sich fortzankten; und nun zurück über die Heuscheur (die ernsthafte Fortsetzung von Adersbach) und schöne Bergmauern, Braunau, das lachende Thal von Tannhausen, nach Charlottenbrunn und dem freundlichen Waldenburg, — wo mehrtägige Ruhe bei den gastlichen Alberti’s, Durchfahrt des Berges (wie Herzog Ernst) im Altwasser Steinkohlen-Werk, Alberti’s treffl. Spinnmaschiene, die herrl. Burg Neuhaus, des frommen Greises Waagen schöne Bildersamml. und dort eine Nachmittagspredigt unsers gottbegeisterten Scheibel, welche uns alle in Thränen auf die Knie warf, bis der Vollmond uns heimleuchtete. — Zum Uebergange in die gute Stadt Breslau war ein fröhliches Mahl in Fürstenstein. — Und seitdem sitze ich nun noch hier, und lese und schreibe und bin fröhlich und guter Dinge, auch leidlich gesund seit dem Luft-Bade. Der Tristan ist zwar abermals in der Geburt unglücklich gewesen und verbrannt — eine etwas zu starke Rezension — steigt aber wie ein Phönix aus der Asche. Die Niebel.-Uebersetz. 2te Ausg. erscheint bald in Frankf. a. M., das Heldenbuch Bd. 2 hier, und die Heldenbilder, soweit sie fertig, anbei: der Schluß nächstens. Viele Grüße an alle die lieben Ihrigen und an Raumers; diesen schreibe ich nächstens besonders: heute nur, daß heute Middeldorpf abermals sein Magnifiker College geworden. Steffens ist in Berlin. Herzlich Lebewohl.

Der Ihrigste

v. d. Hagen.

VII.

Sylvester 1843.

Verehrtester Freund;

Mit den herzlichsten Wünschen zum neuen Jahre, sende ich im alten noch den wackern Bucher zurück, der mich und die Meinigen (katholischen) ebenso ergetzt als erstaunt hat durch die ungeheure Derbheit und Freiheit. — Zugleich bin ich so frei, Sie an Ihr gütiges Versprechen eines Beitrages zur Germania Bd. 6 zu erinnern (Bd. 5 habe ich Ihnen doch gebracht?). Wollten Sie mir das Musik-Heft mit den ersten gedruckten Liedern Wolfgangs durch Ueberbr. auf einige Tage anvertrauen, so würde ich die Lieder ausschreiben, welche Sie mit einer kleinen Vorrede begleiten wollten. Ich möchte gern, wie bisher, in jedem Bande Nibelungen und Göthe als Anfang und kein Ende haben. — Von ganzem Herzen

Der Ihrige

v. d. Hagen.

VIII.

Berlin, 1. Sept. 1844.

Verehrtester Freund;

Ich hatte von Tage zu Tage gehofft, Beikommendes selber zu überbringen, aber der naßkalte s. g. Sommer, der überall nicht nur die Schleusen des Himmels, sondern auch die Brunnen der Tiefe aufgethan, benimmt alle Lust, auszufliegen; und überdies hat eine dicke Backe mich fast 8 Tage im Zimmer gefangen. Ich wünsche, daß es Ihnen und der gnädigen Gräfin dort im Grünen recht wohl sein, und Ihnen zunächst das Göthesche Liederbuch in beider Gestalt gefallen mag. Verlangen Sie etwa eine Anzahl Abdrücke der besondern Ausgabe, so geben Sie mir einen Wink und ich besorge sie. Auch[S. 281] die übrigen Gaben der Germania wünschen Ihren Beifall. Meine Untersuchung der Quellen des Faust (die Sie doch gewis auch nicht in England suchen) hätte ich Ihnen gern vor dem Druck vorgelegt: aber die Vorlesung in der Akademie, und dann der Abdruck in Germania drängte: gewis hätten Sie aus Ihrer reichen Sammlung und noch reicheren Kunde, manches dazu freundlich mitgetheilt. Den Abdruck des Engl. Faustbuchs bei Thoms erfahre ich eben erst: es bestätigt aber wol meine Annahme, daß es eben, wie das Französische und Niederländische, aus dem älteren und kürzeren deutschen Buche (nicht Widmanns) hervorgegangen. Was sagen Sie zum Faust reimweise? daß er so ganz verschollen! —

Unser Reisende von Profession hat glücklich schon den Ohio! begrüßt, und den Niagara besungen, und ist auf der Heimkehr, der er sich sehr freut, und wir mit ihm. Offenbar ist Bruder Jonathan noch in den Flegeljahren; seine langen Beine reichen überall über den Kopf hinaus, und er spuckt scheuslich um sich als ein tabackwiederkäuender Vierfüßer. Die Weiber welken früh durch das harte Fleisch und heiße Maisbrot mit schmelzendem Fett, das sie verschlingen, und leben auf einem enormen Fuß. So lautet die letzte Schilderung des Antipoden, der sonst wohl Gefallen hat an Jemands Beinen, doch nicht an denen der Yankees. Ende October ist er wieder hier, und der Herbst wird uns Alle wieder traulich versammeln. Zuvor wünsche ich aber Ihnen, wie uns allen, noch einigen warmen Sonnenschein.

Mit herzlicher Verehrung

ganz der Ihrige

v. d. Hagen.

Ich lasse eben das alte merkwürdige Heldengedicht vom ungenähten heiligen Rock, oder König Orendel von Trier, aus der einzigen Straßb. Hds. und aus dem alten Dr. 1512,[S. 282] davon, außer meinem Ex., das ich aus Rom heimgebracht, nur noch eins in München bekannt ist, abdrucken, mit Einleitung: Ist Ihnen noch etwas dahin gehöriges bekannt, so steuern Sie es freundlich bei.


Hagen, Ernst August.

Geboren am 12. April 1797 zu Königsberg i. Pr., wo er seit 1831 ordentlicher Professor der Kunst- und Litteraturgeschichte a. d. k. Universität ist. Er gründete den dortigen Kunstverein und giebt seit 1846 die neuen preuß. Provinzialblätter heraus.

Als er noch Student war, gewann er schon seinem romantischen Gedichte: Olfried und Lisena die öffentlich ausgesprochene Theilnahme Goethe’s. Im Jahre 1822 erschien von ihm eine Sammlung jugendlicher Poesieen. Seine Künstlergeschichten: Norica (1827) — und: Die Chronik s. Vaterstadt vom Florentiner Ghiberti, 2 Bd. (1833) haben großes Aufsehn gemacht. Die kunstwissenschaftlichen Vorträge, welche er in K. zu halten pflegt, versammeln das ausgewählteste Auditorium. — Doch all’ seine ernsten Studien haben nie vermocht, den Drang nach der Theaterwelt, der in ihm sich regt, zu unterdrücken. Es ist ihm stets Bedürfniß gewesen (wovon auch dieser Brief, der einzige in Tieck’s Sammlung vorgefundene, zeugt), sich an dramatischen Schöpfungen zu dilettiren. Den sprechendsten Ausdruck nun und nimmer absterbender Vorliebe für das Bühnenwesen im höheren Sinne, giebt seine vor einigen Jahren erschienene „Geschichte des Königsberger Theaters,“ welche in einem starken Bande eine große Masse schätzbarsten Materials mit seltenem Fleiße und strenger Gewissenhaftigkeit darbietet.

Wer den vortrefflichen Mann persönlich kennt, muß ihn auch lieb haben.

Königsberg, 5. Nov. 1837.

Hochwohlgeborner,
Hoch zu verehrender Herr und Gönner!

Zu oft und gern vergegenwärtige ich mir das Wohlwollen, dessen Ew. Hochwohlgeboren mich würdigen, als daß ich länger dem Drange widerstehen kann, in diese Zeilen eine ganz ergebenste Bitte einzuschließen. Um dem Vorwurf der Unbe[S. 283]scheidenheit zu begegnen, wenn gegenwärtige Sendung unmittelbar einer andern folgen sollte, sey mir eine kurze Erörterung gestattet. Vor geraumer Zeit erbot sich mir ein hiesiger Buchhändler ein Manuscript sicher nach Dresden an einen Freund zu befördern, der dasselbe Ew. Hochwohlgeboren einhändigen sollte. Mit nicht geringem Verdruß erfahre ich von ihm, daß das Manuscript verloren gegangen seyn müsse, da er bis jetzt vergeblich auf den Empfang gewartet. Zu schmerzlich war mir der Gedanke, der Erlaubniß, meine dramatischen Dichtungen dem ersten Dramaturgen vorlegen zu dürfen, nicht froh werden zu können. Daher entschloß ich mich, eines meiner älteren Stücke abschreiben zu lassen und zwar dasjenige, das sich zur Darstellung auf der Bühne eignen dürfte, um es in Stelle des verschollenen der Prüfung von Ew. Hochwohlgeboren zu unterwerfen. Den Stoff liehen mir die russischen Volksepopöien, die unter dem Titel: „Fürst Wladimir und dessen Tafelrunde“ anonym vom Hofrath Busse in einer gefälligen Uebersetzung herausgegeben sind. Möchte es mir gelungen seyn, durch Hervorhebung des naiv humoristischen Elements den Sagen dramatische Bewegung und Einheit gegeben zu haben! Mag der schriftstellerische Versuch bewähren, wie gern ich von je her auf die Worte des Lehrers schwöre: „Wie die jetzige und künftige Zeit mit ihren besten Bestrebungen schon im Shakspear liegt, so sollen wir uns eben darum von hieraus entwickeln und Natur, Wahrheit und Kunst finden.“

Neuerlichst ist von mir in dem von Dr. Reumont herausgegebenen Jahrbuch: „Thalia“ eine Uebersetzung von Polizians Orfeo im Druck erschienen. Merkwürdig war es mir, in diesem ältesten italienischen Drama als Scenerie den Balkon im Hintergrunde der Bühne zu finden, von dessen Existenz mir nur in den französischen Stücken bis jetzt kein Beispiel vorgekommen ist.

[S. 284]

Eben ist das Gastspiel der Madame Crelinger mit ihren beiden Töchtern auf hiesiger Bühne beendigt. Ausgezeichnet und vollendet erschien mir die tragische Künstlerin als Katharina in den Günstlingen, als Sappho und Gräfin Orsina.

Mit der gehorsamsten Bitte, mich Ihren Fräulein Töchtern angelegentlichst empfehlen zu wollen, habe ich die Ehre mich mit der ausgezeichnetsten Hochachtung zu unterzeichnen als

Ew. Hochwohlgeboren

gehorsamster

A. Hagen.


Hagn, Charlotte von.

Wer diese zu ihrer Zeit so beliebte Schauspielerin noch in ihrer Wirksamkeit gesehen, und wer außerdem Neigung hat, Betrachtungen über Bühnen-Charaktere außerhalb der Bühne anzustellen, dem dürften diese zwei Briefe nicht unwichtig erscheinen; wenn er die kindliche Hingebung des ersten mit der fast vornehmen Fassung des zweiten vergleicht. Allerdings liegen zwölf Jahre, reich an Erlebnissen, dazwischen. Man lieset aus den Zeilen des letzteren leicht heraus, wie unnütz der berühmten Künstlerin die „Lehrstunde“ dünkte, welche Tieck ihr widmen wollte. Vielleicht hatte sie nicht ganz Unrecht? Für Jedweden „vom Handwerk“ wird der praktische Gewinn, der aus Unterweisungen hervorgeht, wie ein Mann (sey es der bedeutendste!) einer geistvollen und geübten Schauspielerin sie ertheilen kann, immer zweifelhaft bleiben. — Es war eine von Tieck’s größten Selbsttäuschungen, daß er an diesen seinen unmittelbaren Einfluß glaubte. — Ach, hätte er hören können, wie auch Diejenigen, die er sich als aufrichtigst ergeben wähnte, darüber sprachen!

I.

München, den 20t. July 1831.

Verehrungswürdiger Herr Hofrath!

Ehrfurcht und Liebe, die mein ganzes Herz für Sie erhabener Mann! lebhaft erfüllen, beschwichtigen nun auch in mir das Bangen der Schuld. — Schuldig werden Sie mich hei[S. 285]ßen, und meine Handlung als eine sehr tadelnswürdige bezeichnen. — Ich gestehe Ihnen offen: ich selbst vermag mich nicht zu rechtfertigen, und dennoch fühle ich mich lebendig überzeugt, daß ich so handeln mußte. Man kann mich leichtsinnig, unbesonnen, ja sogar carakterlos schelten; indeß wer in meiner Lage einer andern Empfindung als der eines gehorsamen Kindes gefolgt wäre, den würde man gewiß keinen Menschen, sondern ein unnatürliches und verächtliches Wesen genannt haben. — Ich habe kein Hehl vor Ihnen, und spreche mich gegen Sie so freymüthig aus als ich denke. — Angeborne Sehnsucht nach der Fremde, die freundliche, ja ausgezeichnete Aufnahme, die mein jugendliches und schwaches Kunstwirken in Dresden fand, die trefflichen und schätzbaren Freunde, die ich dort in so kurzer Zeit kennen lernte, die vortheilhaften, gewinnreichen Anträge, welche mir die k. sächs. Hoftheater-Intendanz gemacht hatte, eine vermehrte Thätigkeit im auserlesensten Kreise meines Kunstwirkens, alles dieses zog mich mit einem unwiderstehlichen Zauber nach dem lieben, mir ewig unvergeßlichen Dresden und zu einer voreiligen Unterzeichnung hin. Jedoch was ich zu wenig beachtete, geschah. Von allen Seiten umdrängten mich Freunde, Verwandte, Geschwisterte, am dringendsten aber meine Mutter. Diese gute Frau kam nie aus ihrem Vaterlande nur selten aus München. Viele Kinder, widrige Schicksale, Krankheiten und Kummer schwächten allmählig ihren Körper, und sie befindet sich schon seit mehreren Jahren fast immer in einem leidenden Zustande. Sie ist mir das Theuerste, Heiligste auf der Welt, denn so lange ich lebe, hängt sie stets mit der mütterlichsten, zärtlichsten Sorgfalt an mir. Anfangs schien sie meinem sehnlichen Wunsche und H. Devrients überzeugenden Gründen nachzugeben; allein als sie sah, daß es zum Ernste kam, da bot sie alles auf, um mich zurückzuhalten. Sie bat mich zu berücksichtigen, daß, wenn ich München verließe, mein Bruder nie[S. 286]mals im Kadetenkorps aufgenommen würde, wodurch ich also dessen ganzes künftiges Lebensglück zerstöhren würde! Sie beschwor mich zu bleiben, denn sie könne ihre Vaterstadt nicht verlaßen, sie fühle es, daß Sehnsucht nach der Heimath ihr schon vor der Zeit ein Grab bereiten würde. Sie erinnerte mich an mein Gelöbniß, sie nie zu verlaßen, welches ich nach dem Tode meines unglücklichen Vaters that. — Was sollte ich nun thun? Was konnte, was durfte ich? ich opferte meine Neigung, mein ganzes Lebensglück, und versprach meiner Mutter, so lange sie lebt, München nicht zu verlaßen. — — Jetzt verdammen Sie mich! — Mögen viele mich falsch verstehen, falsch beurtheilen, Sie sollen es nicht; der Mann, welchem ich mit der innigsten Hochachtung und reinsten Verehrung ergeben bin, und dem ich mich mit kindlicher Offenheit vertraute, soll nicht meinen innern bessern Werth verkennen, und ich bin überzeugt, daß Sie gewiß das Gefühl der Anhänglichkeit, mit dem ich für meine Mutter und meine Geschwisterte (das einzige aber theure Vermächtniß eines ewig theuren Vaters) lebe ehren werden. Halten Sie mich deßhalb auch in der Entfernung Ihrer Achtung werth, und bleiben Sie mir fort und fort mit der freundlichen Zuneigung gewogen, welche Sie mir während meiner Anwesenheit in Dresden so gütig bewiesen. Ihr Andenken bleibt mir ewig unvergeßlich und so lange ich lebe wird das Gefühl meiner reinsten Verehrung in meiner Seele bestehen für den Mann, den Deutschland mit eben so vieler Bewunderung anbethet, wie er von mir warm und herzlich verehrt wird, und mit diesen Empfindungen verbleibe ich so lang ich lebe

Ihre

ergebene Charlotte v. Hagn.

k. b. Hofschauspielerin.

P. S. Ihrer liebenswürdigen Familie meine innigsten Grüße.

[S. 287]

II.

Berlin, d. 13. Septbr. 1843.

Hochzuverehrender Herr Hofrath.

Durch meine Schwester Auguste hatten Sie die Güte mich wißen zu laßen, daß Sie Sonnabend um 3 Uhr mich zu sprechen wünschen. Wie unendlich bedauere ich, daß dies morgen, wo ich den Vicomte v. Letorières spiele und Morgens zwei Proben habe, unmöglich sein dürfte. Auch möchte ich mich schon mit der nicht kleinen Aufgabe, die Sie mir im Sommernachtstraum zugedacht, etwas beschäftigt haben, um nicht unvorbereitet zu erscheinen. Haben Sie die Güte, mir zu Montag oder Dienstag eine Stunde zu bestimmen, in der ich den Vorzug genießen kann, Sie zu sehen.

Wenn mir außerdem noch eine Bitte erlaubt ist, so möchte ich darauf aufmerksam machen, wie es vortheilhaft sein dürfte, die Leseprobe zu Freitag oder Sonnabend (Mitwoch und Donnerstag bin ich in Urlaub) mehrere Tage vorher bestimmen zu laßen, damit sich alle andern Mitglieder schon vorher mit ihren Rollen befreunden können, was freilich immer der Fall sein müßte, aber bei uns ein wenig aus der Uebung gekommen. Bitte, verrathen Sie mich nicht für meinen Wink, ich bekomme sonst das Chor der Faulen gegen mich —

Mit der größten Ergebenheit

Ihre

stets ergebene

Dienerin Charlotte v. Hagn.


Halling, Karl.

Die rücksichtslose Energie des, mit dieser Namens-Unterschrift versehenen Briefes, macht uns höchst begierig etwas Näheres über die Leistungen eines Poeten zu erfahren, der Goethe’n so kurz und entschieden abfertigt; der mit den Unglücklichen, welche Goethe für einen Dichter zu halten, und von ihm günstig zu sprechen wagen, eben so wenig Umstände macht, als mit Schinkel und solch armen Leuten. — Es gelang unseren[S. 288] Nachforschungen, nur eines Büchleins habhaft zu werden, welches 1833 in „Fr. Heinr. Brothe’s Verlagshandlung (?) zu Breslau“, als erstes Bändchen, unter dem Titel: „Altdeutsche Schauspiele. Ihrer Schönheit wegen für die Bühne unserer Zeit bearbeitet von Karl Halling“ das Drama: „Fioretto“ enthält. Im Vorworte wünscht der Bearbeiter sich und dem Publikum Glück zu diesem aus tiefer Vergessenheit ins Leben gerufenen Funde! So etwas ist geeignet, beim Leser große Erwartungen zu wecken. Doch schon auf den ersten Seiten zeigte sich, daß dieser „Fioretto“ genannte Fund nichts anderes sey, als die aus Christian Weise’s keinesweges „vergessenem“ Zittauschen Schultheater entnommene: „Triumphirende Keuschheit!“ daß die „Bearbeitung“ in nichts weiter bestehe, als die Weglassung einiger allzuderben Ausdrücke! Solches Schauspiel für darstellbar auf öffentlichen Bühnen zu halten, setzt mindestens Ansichten voraus, die mit der Existenz des Theaters unverträglich sind.

Aus der H.’schen Vorrede ist zu entnehmen, daß jenes „glückhafte Schifflein“ welches er (siehe die erste Zeile des Briefes) an T. sendet, auf eine 1828 in Tübingen verlegte Edition sich bezieht, unter dem Titel: „Joh. Fischarts glückhaftes Schiff von Zürich; in treuem Abdruck erläutert, mit bevorwortendem Beitrage von Ludwig Uhland begleitet.“ —

Auch soll Herr H. in den Jahren 1833–35 sich in Breslau aufgehalten haben!

Berlin, am ersten Tage des Frühlings 1829.

Wohlgeborener Herr!
Innigst verehrter Herr!

Glücklich wird hoffentlich mein glückhaftes Schifflein in Ihre Hände gekommen sein, als Sie von Ihrer Reise durch die Schweiz zurückgekehrt. Mein Geist segelte mit ihm, den Mann zu begrüßen, der schon seit meinen frühesten Jahren mir mein Inneres abgewann, und ich beneidete oft mein Büchlein um den Gruß, war oft mismüthig auf meinen Reisen, daß mich mein Weg nie zu Ihnen führen wollte, Sie von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen, da ich außer Oesterreich so ziemlich ganz Deutschland und auch Sachsen durchwandert bin, aber leider in früheren Jahren nach Dresden kommen mußte, wo ich Ihnen aus Schüchternheit vorüberging.

[S. 289]

Jetzt vergraben unter Büchern, scheint der Sonnenstrahl noch fern, welcher mich hervorrufen wird zu einer Wanderung nach Dresden, Sie zu begrüßen, und oft in Mußestunden erhoben und gestärkt durch Ihre herrlichen vaterländischen Werke, kann ich dem inneren Drange nicht widerstehen, der mit nothwendig macht, wenigstens schriftlich Ihnen, dem Manne, den ich von Tage zu Tage mehr bewundern lerne, näher zu treten.

Es wurde dieser Brief schon zu einem Gelübde an mich, als ich heimgekehrt zu Tübingen Ihren Sternbald wiederlas, der mich mit seligen Erinnerungen auf das Dürersfest nach Nürnberg, an das Grab unseres großen Meisters, vor sein Selbstgemälde, zurückzauberte, und dieses Gelübde löse ich jetzt.

Ich wollte Ihnen damals, innigst verehrter Herr, beikommende Gedichte zur gütigen Beurtheilung mittheilen, aber ich bin jetzt kühner, da mich kürzlich ein Freund aufgefodert, meine Gedichte einzeln in Zeitschriften erscheinen zu lassen, und zwar mit den Worten: „Glauben Sie mir, das Gute, Verdauliche muß wahren Heißhunger erregen bei denen, die sich an dem süßlichen Gesäure den Magen verdorben. Meinen Vorschlag nicht für ungut! (er kennt meinen Widerwillen gegen diese zeitliche Schriften) denn ganze Liedersammlungen wird man nicht mehr los.“ Ich bin jetzt kühner, da ich Ihre Ausgabe der Schriften Lenzens gelesen, die herrliche Einleitung bewundert, und die heute noch tauben Geschlechtern predigenden Worte mir tief ins Herz geschrieben habe.

Sie sagen daselbst, innigst verehrter Herr: „Ginge man mit demselben eifernden Glauben zur Sache (wie wir alle um das Alterthum kennen und schätzen zu lernen daran gehen müssen) um unsere Zeit, unser Vaterland, Eigenthümliches, und das Ehrwürdige unserer Geschichte und des neuen Lebens kennen zu lernen, so würde sich eine Gesellschaft von ächten[S. 290] Patrioten bilden, die wohl einen Gegensatz zur Secte jener früheren Philologen (auch wohl noch der heutigen) machen könnte!“ — Wollte Gott!

Ich ward kühner durch dieses Wort, kühn genug Ihnen, innigst verehrter Herr, diese meine ersten dichterischen Versuche zu übersenden, mit der Bitte um ein streng richtendes Urtheil, und sollte es so günstig ausfallen, mit der Bitte um ein Vorwort.

Keimt nicht in der Brust jedes Jünglings der Wunsch, nicht spurlos der Welt vorübergehen? Ist nicht Mittheilung das erste Bedürfniß der jugendlichen Brust? Reicht man nicht manchem — unbekannten Bettler eine milde Gabe von seiner reichbesetzten Tafel? Ist nicht mancher schwache Arm stark unter Leitung eines weisen Führers, und ich daher vielleicht würdig unter Ihrer Fahne zu kämpfen, einzutreten in die heiligen Reihen jener Patrioten, die für Vaterland und deutsche Kunst leben und sterben wollen? wenigstens mich unter ihr dazu zu bilden?

Tollkühnheit und halben Wahnsinn möchte Mancher, der nie Wünsche und Regungen einer jugendlich stürmischen Seele kennen lernte, aus diesem Briefe erlesen, Sie nicht, innigst verehrter Herr, der Dichter nicht.

Vor drei bis vier Jahren schon hatte mein dermaliger Lehrer, Franz Horn, fast alle diese beigelegten Gedichte drucken zu lassen mir erlaubt, aber ich fühlte damals, was ich später erkannt: daß unsere Kunst heute kein Vaterland hat, darum war mein Entschluß, nicht eine Zeile eher drucken zu lassen, als bis ich der Welt das Vaterland meiner Lieder gezeigt, und bis heute habe ich es gehalten. Nur Hr. G. Schwab hat ohne mein Wissen das Lied „Wenn sie lächelte“ (Morgbl. 13. Febr. 1828) abdrucken lassen. Seither wie früher wiegten mich jene süße Zeit der Minne, jenes starke Heldenalter, jene wundervolle Mährchenwelt in selige Träume, Luther weckte mich,[S. 291] Hutten zeigte mir die Wunden meiner Jugendseele, Fischart heilte meinen Trübsinn: deutscher Himmel, Dürer und deutsches Volkslied waren meine Bildner, Göthe der Zügel wilder Fantasien, Shakespeare der Zauberspiegel der schönen Natur, wird so nichts aus mir — das fühle ich — so liegt es an meiner Kraft, nicht an meinem Willen.

Aber erproben muß jeder Jüngling seine Kraft, denn ohne Selbstvertrauen giebt es keinen Künstler und keine Kunst, und darum mit Hutten, ich habs gewagt! — —

Ich lege Ihnen zugleich, innigst verehrter Herr, zwei andere Kinder bei, die in der Zeit der Sehnsucht, die blaue Ferne des lieben deutschen Vaterlandes zu erschauen, entstanden sind. Sie mögen Ihnen meine Ansicht bewähren, mit der ich meine größeren Wanderungen antrat, und diese Ansichten reiften mehr und mehr bei mir. Ich sah die Weihequelle deutschen Gesanges, und die übrigen deutschen Blüthenländer, und es ward mir klarer, wie ein Dichter, der nicht im Geiste seines Volkes dichtet, kein wahrer Dichter sein kann. Wo ich hinüberschaute über die Gränze, hinter der unsere deutsche Sprache verhallt, fand ich eine andere Luft wehn. Ich vernahm, wie unser deutsches Land in allen Gegenden einen Grundcharakter hat, des Traulichernsten, der sich nirgends verleugnen kann, vernahm, daß unser deutsches Land das Gemüth Europas, das Herz Europas ist, und im Herzen erwacht die Kunst. Weil Europas Haupt mit dem ewig winterlichen greisen Silberhaare des Nordens umziert ist, weil sein Fuß zu leichtbeschwingt nach den Blüthenmelodien seines Himmels gaukelnd tanzt, darum muß im ewig reifen und ewig jugendlichen Herzen die höchste Kunst entkeimen und erblühen können, und zwar die romantische Kunst, die vom Fuße den reicher duftenden Blüthenstaub schütteln muß, um den Blick ernster, freier zu den Sternen zu schwingen. Shakespeare hätte in Italien nicht Shakespeare sein können.

[S. 292]

Verschieden aber einstimmig zum schönsten Einklange stellen sich die deutschen Lande in ihrem Charakter dar, und können doch nur verschiedene Töne den Einklang bilden! Der Naturcharakter schafft den in ihm athmenden menschlichen, er ist der Erzeuger desselben, des eigenthümlichen Volkscharakters, Volksgeistes, und wie dieser der Einklang der einzelnen Seelen des Volkes, so ist jener Naturcharakter auch mehr im Einklange als in seinen einzelnen Tönen wahrnehmbar, und daher die Aehnlichkeit beider, daher muß jeder wahre Künstler ein Priester seines Volkes sein, seines Himmels, muß im Geiste seines Volkes dichten, wenn er bei der ewigen Meisterin des Schönen, der Natur, wie Shakespeare in die Schule gegangen. Wer das nicht kann, hat wahrlich nicht in ihr die weite empfängliche Knabenseele mit schönen Keimen gefüllt, um sie als Jüngling oder Mann erblühen zu lassen, auszuhauchen, sondern er hat wie drei Jahrhunderte Deutschlands mit dem Siebe der Danaiden Wasser geschöpft, und wußte es nicht, oder ist wie Göthe auf dem rechten Pfade ermüdet. (!) Warum ist der Baier nicht Schwabe, der Preuße nicht Rheinländer, und doch sind alle Deutsche? Man besteige in München den Frauenthurm, in Schwaben den Hohenstaufen und die Waldburg am Bodensee, den Niederwald bei Bingen, den Marienthurm in Berlin, die Koppe in Schlesien, schaue hinaus in die blaue Ferne, und man wird das Räthsel gelöst finden. Wie seine Sprache so muß der Geist anders tönen, aber immer ein Deutscher. Wer Griechenland nie sah, nie das Hochland der Schotten, nie die Wiege der Eddalieder und der Nibelungen, wird diese, den Ossian, den Homer, nur halb bewundern, geschweige in ihrem Tone dichten, aber dennoch, fehlten alle örtlichen Beziehungen in jenen Werken, würde man jeden Gesang in seinem Vaterlande suchen. Und weßhalb? deßhalb, weil jene ersten Sänger nur den Einklang ihrer Mutter Natur zu Meistern hatten. Hätte Deutschland[S. 293] nichts von Rom und Griechenland, von seinem Himmel, seinen Blüthen gewußt, wäre der Pfaffenschwindel nicht einst Meister geworden des deutschen — Gemüthes, hätten wir die ersten uns übrigen Stimmen seines Gesanges, seiner Malerei, die Natur im Blicke weiter gesungen, weiter gebildet, es sollte heute die Welt diesen Künsten wie unserer Musik huldigen. Der Form und alter Ueberbleibsel entbehrend, konnte sie weniger nachäffen, und darum reifte Mozart in unserem Vaterlande. Heut zu Tage zwingt sie sich dazu, und darum fällt sie von ihrem Gipfel. Wenn unsere Maler den reinen Spiegel der entkeimenden Knabenseele an Italienischen Fluren und Gemälden nährten und färbten, möchte es ihnen vielleicht gelingen, und doch nur vielleicht, Raphael zu copiren (weiter wollen sie nichts); die schon begehrende mannbare Jünglingsseele (wie die Sternbalds) verliert sein züchtiges Vaterland aus den Augen vor den üppigen Hüften, vor dem schwellenden Busen Italiens, und mit ihm die jugendliche Weihe zum Künstler. Kaum erträgliche Zeichner und Kopisten, die Italien umschlingen möchten, Deutschland nicht lassen können, solche Halbheiten, solche Zwittergestalten sendet uns Italien zurück, und das Modegeschlecht unserer heutigen Welt läßt sich kitzeln durch das tanzende Farbenspiel, da es selbst nur ein halbes Geschlecht ist. Sternbald könnte vielleicht noch gerettet werden, weil er das Traumbild seiner Einbildungskraft in Rom selbst findet, weil das seine lüsterne Seele in vorige Schranken bringen kann, und es ihm unter deutschen Blüthen entkeimte. Göthe ward der Meister des deutschen Herzens selbst in der verbildetsten Zeit, Gemeingut des deutschen Volkes bis er nach Italien ging. Bis dahin war der deutsche Himmel der Hintergrund seiner Gemälde, und der verbildetste Mensch kann da, wo es Mode gestattet, die Mutterbrust seines Vaterlandes, die ihn wachsen ließ, nicht lieblos von sich weisen. Seit er zurückgekehrt aus Italien[S. 294] findet man seine Schriften nur im Zimmer der panartigen Gelehrten im Golde des Herzens gebunden, und das wird ihr Loos sein bis an der Welt Ende. Mozarts Opern, und Shakespears Schauspiele haben stets ein volles Haus, Zuhörer und Bewunderer vom Berliner Lampenputzer bis zur Krone hinauf. Das ist das größte Lob eines Kunstwerks. Shakespeare ist ganz Britte, und darum ein den Deutschen verwandter Geist, darum die Sonne, die allen künstlerischen Gestirnen Licht geben soll. Eine Gemeinbildung der Kunst wird es erst dann geben, wenn es keine Natur mehr giebt.

Mit solchen Gedanken wanderte ich, kehrte ich heim, besuchte Franz Horn und sprach ihm eines Abends in einer Damengesellschaft meine Ansicht aus, da der Lauf des Gespräches uns darauf führte. Mein obiges Wort über Göthe war ihm Ketzerei, und ohne ein Wort zur Widerlegung, gebot mich seine Autorität zur Ruhe, meine falsche Ansicht einzusehen. Ich ihres Schwertes entwöhnt entgegnete, freilich mit einem zu rauhen Studentenausdrucke, der als solcher nicht so gewichtig sein konnte: es sei doch unleugbar in der neuesten Ausgabe seiner Schriften erbärmliches Zeug enthalten. Horn donnerte: „wie können Sie sich unterstehen mir das Wort auszusprechen!“ Ich sagte kalt: „man kann nie willkürlich jemandem seinen Verstand unterordnen.“ Er fühlte sich getroffen und schwieg. Seine Frau Gemahlin nahm auf meine Antwort jetzt sehr unzeitig das Wort und sagte: „dann sind sie nicht Horns Schüler, dann sollten sie Horns Kreis meiden.“ Ich ging, er ließ mich gehen, und ich freue mich heute, daß der Nebel, in den Dankbarkeit mir den Mann hüllte, fallen durfte, um mich noch früh genug über die geistige Größe des Mannes belehren zu lassen.

Hier habe ich Ihnen, innigst verehrter Herr, die Hauptcharakterzüge unserer Berlinischen Kritik über Kunst gegeben. Wen nun nicht Göthe entweder durch Misverständniß seiner[S. 295] Schriften fesselt, oder wie Horn, durch zugesendete Exemplare zu geistigen Sclaven macht (wirklich empfing Horn 1825 ein Exemplar des neu aufgelegten Werther zum Andenken) den macht heuer Hegel kopfverdreht theils durch den Dunstkreis seiner philosophischen Terminationsausdrücke, theils durch manche wirklich vortreffliche Ansichten, die aber wiederum einseitig und starkgläubig an Göthes späterer Richtung (nach der Mittagstunde) kleben, und um, wie es scheint, in diesem Halbjahre ganz Berlin mit Sturm für Göthe zu erobern, las er (Göthische) Philosophie der Kunst, und ein milchbärtiger Schüler von ihm, Herr Dr. Hotho, ein publicum direct über Göthe, und hatte ungefähr ein Auditorium von 400 Personen. Da ist denn auch, innigst verehrter Herr, Ihre Einleitung zum Lenz übel weggekommen, doch war sein Urtheil milchbärtig wie sein Kinn. Junge Leute pflegen nur zu vergöttern oder zu verdammen, und geht es mir selbst vielleicht doch manchmal so. Aber schlimm ist es, schlimm fürwahr! Denn zehn Sperlinge überschreien doch wohl eine Nachtigall. Wer nicht Göthe vergöttert, weil es einmal hergebracht, sondern ruhig bei sich denkt, was hätte dieser große Mann durch sein Genie seinem Volke werden können, seinem Vaterlande, seiner Kunst ohne Wanken nützen können, wer nicht wie Hegel und Hotho unsere alten heiligen Gesänge verdammt, kommt in den Verdacht, so wenig jenen als diese verstanden zu haben, und davor hütet sich die eitle Welt. Viel gelehrte Worte, wenn auch nur ein Gänsehirnchen dahinter, thut nichts! Der große Schnabel muß alles verdecken.

So sind unsere Maler, nicht viel besser unsere Bildner, aber am abgeschmacktesten der vom Olymp selber stammende Baumeister Schinkel. Wenn der gute Mann von der ganzen Griechischen Kunst mehr weiß, als wie ungefähr jonische Säulen mögen ausgesehen haben, so laß ich Kopf und Kragen. Und dieser Verkleisterer des Schönen schwingt sich auf den[S. 296] Fittigen des Ruhmes durch alle Lande! Was ist dieses Würmchen gegen die Meister des Domes zu Köln, der Kirche zu Oppenheim, des Münsters zu Straßburg, und ihre Namen sind fast vergessen! was ist diese Säulenflickerei gegen jene Werke, dieser Säulenfabrikant gegen jene Meister? Mein Gefühl beim Schauen dieser Riesenwerke spricht Sternbald aus. Darum kein Wort als „Heil uns Deutschen,“ denn nur ein deutscher Geist vermochte sie zu ersinnen, zu erschaffen, vermochte Millionen Töne, jeder würdig das Leben eines Künstlers auszufüllen, zu einer, einer großen Himmelsharmonie zusammen zu stimmen. Nur ein Deutscher vermochte es, weil unsere heidnischen Väter durch die Natur gedrungen, in ihrer Religion schon Himmel und Erde versöhnten; denn in ihren heiligen Hainen rauschte und wehte der ernste Gott, wie später in den Münstern des Mittelalters.

Zurück zu Schinkel. Weil man nie ein Wohnhaus in deutschem Style sah, da jede Stadt selbst wehrhaft den Raum sparen mußte, in jedem Kriege ein kostbares Werk der Zerstörung Preis gegeben sah, glaubt dieses Baumeister-Gewürm, nur Kirchen gezieme der Styl (gothischer genannt), hält diesen auch wohl noch für katholisch, erzkatholisch, und drum heute unbrauchbar, und denkt nicht an das Capital der Säule im Münster zu Straßburg, was den freieren Geist des gewaltigen Erwin von Steinbach aussprach, von ihm gleichsam zum Verständniß des ganzen Werkes, ein kräftiges Epigramm auf die Pfaffen seiner Zeit, hingestellt war. Heute ist es zerstört, da Fischart den Sinn des Meisters vor das Auge der großen Welt führte, aber es war doch da. Wer ein solches Werk schaffen konnte, mußte Gott anbeten im Geist und in der Wahrheit. Sollte diese Bauart von einem — denkenden Künstler auf weltliche Bauwerke nicht anzuwenden sein, da in unsere Eichenhaine doch auch der freundliche Sonnenstrahl[S. 297] dringt, und jedes Blatt den Fuß zu heiterem Tanze schwingt? Ist das nicht möglich, so ist jene Gothisch genannte Baukunst auch keine deutsche, und paßt nicht zu unserem Himmel. Lernten doch unsere Künstler erst selber denken, dann ginge alles und würde alles gut!

Weil wir in einem militärischen Staate leben, so scheint es, glaubt der große Schinkel auch seine Kunst der militärischen Disciplin überantworten zu müssen. Denn um an seinem Museum die Kahlheit des oberen Gesimses zu verbergen, setzt er auf die Vorderseite eine Reihe Adler hin, die in Reihe und Glied, Augen rechts, Augen links, wie die Soldaten im Lustgarten aufgepflanzt stehen, und aus ihrer dreijährigen Militärischen Dienstzeit was profitirt zu haben scheinen. Hätte er ihnen nur Patrontaschen, Säbel und Gewehre umgehängt, dann wären dieses Creaturen doch für polnische Rekruten als Vorbild brauchbar. Das ist Schinkels griechische Kunst!!! Ich wollte im Herbst schon einmal in hiesigen Zeitungen wohlthätige Beiträge sammeln, um den armen nackten Wesen oben auf dem Museum bei hereinbrechendem Winter Hosen und Wams machen zu lassen, damit sie nicht erfrören oder sich erkälteten in unserem Klima. Denn wahrlich es friert einen, wenn man sie anschaut, wie sie sich mit ihren Rossen tummeln möchten und doch nicht können. Unsere Väter fühlten unser Klima und stellten ihre Figuren immer unter ein kleines Dach von Verzierungen.

Unser Theater giebt meistens aus dem Französischen übersetztes schales Zeug, oder Opern wie Spontinis, wo alle Mittel ersonnen werden, dem Hörer (nicht durch Musik) die Ohren zu stopfen, so daß eine ehrbare hiesige Bürgerfrau, die aus einer der Opern kommend, den Tambour gegenüber trommeln hört, ausruft: „Gott sei Dank, doch einmal wieder vernünftige Musik.“ — Der Don Juan ist über ein Vierteljahr[S. 298] nicht gegeben worden. — Nur Devrient ergötzt mich manchmal in Shakespearschen Rollen, für die er geboren ist, wie die Rollen für ihn.

In Gesellschaften darf man von solchen meinen Ansichten nicht eine Silbe fallen lassen. Rings um mich her kein Freund, der dächte wie ich, oder den Hegel nicht abwendig machte, und doch ist Mittheilung das erste Bedürfniß der menschlichen Natur. Da sitze ich nun vergraben unter meinen Büchern, und suche und finde nur Freude und Stärkung in Ihren und Herrn von Schleges (?) Schriften. Aber die Quelle braucht ein Bette um zu strömen, der Gedanke das Wort. Was Wunder! wenn meine jugendliche Brust die hemmenden Felsen wogend zerschmettert, die meiner Kühnheit drohn, mich fern halten von Ihnen. Sollten Sie um deswillen nicht Nachsicht mit mir haben? Gewiß! Sie haben den Sternbald geschrieben. Und muß sich doch heute jeder junge Autor gleich beim ersten Auftreten zu einer Partei bekennen, wenn er nicht gleich von den orthodoxen, starkgläubigen aber schwachverständigen Göthianern als Spion an den ersten besten Baum aufgeknüpft werden will, oder sich von ihren zahnlosen Gebissen (nicht zerfleischen) aber angnurren, und wacker zausen lassen mag, daß ihm Hören und Sehen dabei vergeht.

Und unter solchen widrigen Gestirnen soll und muß sich meine Seele in einem größeren Dichtwerke ergießen, das nach vier Lehr- und Wanderjahren endlich gereift, muß sich ergießen, da mir die Seele überhoch angeschwollen. Und dieses Werk, das beinah fertig, und von meinen Bekannten trotz ihrer abweichenden Ansichten von Kunst zu meiner großen Freude doch einstimmig gelobt wird (ich habe noch kein Urtheil über dasselbe) dieses Werk möchte ich mit meinen Gedichten gern anmelden, wenn diese nämlich ganz reif sein sollten.

Wie würde mich daher ein verzeihendes Wörtchen aus[S. 299] Ihrem Munde, meine Kühnheit milde richtend, in meiner Einsamkeit emporrichten! wie vollends erquicken, wenn diese Lieder, trübe Klänge aus meinem Jugendleben, in ihm einiges Lob erhielten, wie beseligen, wenn sie würdig wären mit Ihrem weihenden segnenden Vorworte (der milden Gabe an einen unbekannten Bettler) schön bekränzt in die Welt zu treten! Jede jugendliche Brust wogt heute auf in mächtigem Selbstvertauen, und füllt sich morgen mit Strömen von Unmuth, von Zweifeln an seiner Kraft, Misfallen an seinen Erstlingen, bis sie einen Stab fand ruhigeren Schrittes zu wandern, und so die meine. Drum kann ich nur mit wenigen Blättern hervortreten, obwohl junge Autoren gern starke Bücher schreiben. Ich muß es daher (um nicht zu wenig jung zu erscheinen) durch weitläuftigen Druck und starkes Papier er erzwingen suchen. So würden sie ja wohl ein Bändchen füllen.

In der That fehlte oft nicht viel, ich hätte die meisten der Lieder, unwürdig ihres Gegenstandes, zerstört, nur seit Herr Prof. Gustav Schwab das erwähnte Lied hat drucken lassen, und zwar mit lobendem Motto, gewann ich dauernderes Vertrauen.

Darum bitte ich nochmals um Verzeihung für meine Kühnheit, und um ein recht strenges Urtheil, wenn Ihre gemessene Zeit es Ihnen, innigst verehrter Herr, gestatten sollte.

In tiefster innigster Verehrung und Hochachtung empfiehlt sich voll ängstlicher Erwartung verharrend

Euerer Wohlgeboren

ganz ergebenster Diener

Stud. Karl Halling.

Alexanderstraße Nr. 27. beim Hauptmann
v. Frankenberg wohnhaft.


[S. 300]

Hallwachs.

Geheimrath H. und dessen Gemahlin bildeten gewissermaßen den Mittelpunkt des Kreises, von dem zu seiner Zeit in Darmstadt das geistige Leben ausging. Staatsbeamter, Familienvater — und Musensohn zugleich, belebte dieser für Kunst und Wissen lebende Mann, im Vereine mit Höpffner, Gottfr. Weber, Jaup, Georg Heumann, Hout’s u. a. Gleichgesinnten jene Geselligkeit, die nicht einzig und allein auf Essen und Trinken gestellt sein will. — Sein unbedingter, fast ausschließlicher Goethe-Cultus hat ihn, wie drei Briefe bezeugen, doch nicht abgehalten, einen hübschen Seitenaltar für eine Tieck-Kapelle zu stiften, und diesen ebenfalls gebührend auszustatten. —

Er starb als Großherzogl. Minister. Die Lücke, die sein Tod in der Staatsverwaltung verursachte, mag genügend ausgefüllt worden sein.

Was er den Seinigen, den Freunden, der gebildeten Welt Darmstadt’s gewesen ist und bedeutet hat, — dafür giebt es keinen Ersatz.

I.

Darmstadt, d. 21. Aug. 1836.

Auf Ihren Brief vom 14. d., verehrtester Freund, würde ich sogleich geantwortet haben, wenn ich nicht den Schluß der verspäteten und oft unterbrochenen Versteigerung hätte abwarten wollen. Aus der Anlage sehen Sie nun das Resultat. Wenn wir auch 4 Schriften nicht erhalten haben, so können wir doch wohl triumphiren. Sie haben nun ihren Holinshed und es kostet Sie derselbe mit der Dreingabe der anderen 7 Bde. noch lange nicht das, was Sie für die beiden geliebten Folianten (welche 3 Thle. umschließen) geben wollten. Ihre Leidenschaft kann sich nun Genüge thun; ich mache nur eine einige Bedingung dabei, nämlich die, daß Sie Ihrer Jagd auf Holinshed und dessen glücklichem Fund eine halb ernst- und halb scherzhafte Novelle widmen, welche noch einen Vorläufer zu Ihrem Buche über S. machen soll. Ich werde Ihren Schatz aufbewahren, bis Sie ihn zu heben kommen; wenn er mir nur bis dahin nicht verbrannt, oder gestohlen[S. 301] oder (damit ich Sie mit einer gegenwärtigeren Gefahr zu uns herantreibe) von den vielen Kindern im Hause beschädigt wird!

Ihr Unglück bei Wiesloch hat die regste Theilnahme bei uns gefunden; überzeugen Sie uns bald, daß es nichts an Ihnen zurückgelassen hat. Aber wie kommen Sie über Wiesloch? Haben Sie Dstdt. incognito überfahren? Sie werden sich in diesem Punkte rechtfertigen müssen.

Der nach Mainz versetzte Hallwachs ist mein Doppeltgänger, nämlich mein Bruder. (Diese Jean Paulische Phrase nebst Parenthese gebrauche ich zu Ihrer Strafe, weil der Argwohn wegen Ihres Durchschleichens nach B. mir zum voraus nicht zu beseitigen zu seyn scheint.)

Rehbergs Tod ist Ihnen bekannt; er soll in der letzten Zeit noch viel gelitten haben. Mein Schwager Höpfner kam zufällig zu seinem Tode und hat ihn nicht mehr gesehen. Die Rehberg wird wahrscheinlich in der Nähe von Hannover, bei dem Stift Marienwerder, ihren Wohnsitz nehmen. Ein anderer Schwager von mir (der seine Familie in betrübteren Verhältnissen zurückläßt, als Rehberg die seinige) starb auch in diesen Tagen, und die Frau meines Bruders in Mainz liegt zu Frankfurt tödtlich krank, was uns alles vielen Kummer bereitet.

Heumann ist wohl zurück; ein Bayer ist er längst, jedoch nicht durch Verbauern, sondern durch Verprinzeln.

Er grüßt Sie herzlichst, wie wir alle, sammt und sonders, und alle bitten wir Sie, der Frau Gräfin unsere innige Verehrung auszudrücken und unsere Freude, daß sie mit Ihnen komme.

Nun noch eine Frage; Ihre Freunde haben sich hier eher vermehrt, als vermindert. Wäre es Ihnen recht, wenn sich dieselben, in ähnlicher Weise wie damals, als Sie zum erstenmal bei uns waren, bei einem Mittagessen auf dem bekannten Karlshofe, um Sie versammelten? Oder wollen Sie[S. 302] nichts dergleichen? Schreiben Sie mir solches aufrichtig und womöglich den Tag Ihrer Ankunft, damit wir hübsch zu Hause bleiben und am Tage des Dichters nicht fortlaufen.

Herzlichst

Ihr

W. Hallwachs.

II.

Darmstadt, d. 2. Juli 1841.

Verehrtester Freund!

Wir schwiegen, weil wir mit Ihnen fühlten.

Ja, kommen Sie doch endlich. Wir harren schon lange. Und wenn es Ihnen und den Ihrigen in meiner kinderreichen Wohnung nicht zu lärmend und unbequem ist, so erfüllen Sie unsere freudige Hoffnung und kehren alle bei uns ein.

Da Sie Montags nach Baden zurückkommen, so schreibe ich dahin. Wenn ich bis Mittwoch den 7. nichts Weiteres von Ihnen höre, nehme ich an, daß dieses Blatt Sie nicht in Baden getroffen, und schreibe nochmals poste restante nach Heidelberg. Findet solches aber Sie zur rechten Zeit, so laßen Sie am 5. oder 6ten eine weitere Zeile an mich abgehen und sagen Sie mir kurz, daß und wann Sie zu uns kommen, auch ob die Damen ihre Bedienung ganz nahe bei sich haben müßen, so wie überhaupt, welche Bequemlichkeiten Sie etwa besonders wünschen. Und wenn nicht Sie, so schreibt vielleicht die verehrteste Gräfin darüber an meine Frau, oder Ihre liebe Tochter Agnes an meine Tochter Auguste.

Heumann befindet sich zu Brückenau. Die liebe Rehberg reist am 7. von Hannover ab und hofft am 14. hier einzutreffen.

Mehrere Ihnen befreundete Seelen finden Sie nicht mehr hier.

[S. 303]

Alle die noch leben und in unserer Mitte sind grüßen Sie und winken Ihnen mit klopfenden Herzen.

Unwandelbar

der Ihrige

Hallwachs.

N. S. Ihr lieber Brief traf mich in der Frühe, mitten in meiner Familie, an meinem Geburtstage und krönte die Geschenke, welche auf dem Tische für mich ausgebreitet lagen.

III.

Darmstadt, d. 27. Sept. 1842.

Verehrtester Freund!

Der wahrscheinliche Ueberbringer dieses Blattes ist der Landgerichts-Präsident Bessel von Saarbrücken, welcher sich auf seiner Reise nach Berlin einige Stunden bei uns aufgehalten hat, und den wir gebeten haben, sich womöglich von Ihrem Befinden persönlich zu überzeugen, da, nach so vielen guten Nachrichten, plötzlich eine von einem Ihnen zugestoßenen Unwohlseyn in die Zeitungen übergegangen ist.

Alle Getreuen in D. grüßen Sie herzlichst und laßen Ihnen sagen, wie sie an allem, was man von Ihnen hört und liest, mit Freude und Sehnsucht und Bangen, mit vollstem Herzen hängen.

Laßen Sie mich noch mit unseren herzlichen Glückwünschen zur Verlobung, vielleicht jetzo schon Vermählung, Ihrer lieben Tochter Agnes die Nachricht verbinden, daß meine Auguste deren Beispiel schnell gefolgt ist und sich mit einem hiesigen braven Officier, der zugleich militärischer Schriftsteller ist, Oberlieutnant Scholl, versprochen hat. Wollen wir nicht etwa beide Hochzeiten zusammen auf dem Heidelberger Schloß feiern?

Aber ach! der König wird Sie uns nun auf immer entrissen haben!

[S. 304]

Möchten Sie doch, indem Sie diese Zeilen fassen, ganz wohl seyn, und unter den innigsten Begrüßungen der Ihrigen, mit ganz heiterem Auge zugleich die erneuerte Zusage unserer frischesten Liebe und Verehrung aufnehmen.

W. Hallwachs.


Hardenberg, Friedrich Freiherr von.

Novalis.

Geb. am 2. Mai 1772, gest. 1801 als Amtshauptmann zu Weißenfels.

Leider haben sich nur vier Briefe von seiner Hand in T.’s Nachlaß vorgefunden, die wir unverkürzt geben.

Ihnen folgen deren sieben von seinem jüngeren Bruder Karl, dessen Dichterberuf Friedrich lobend erwähnt, und welcher Freunden der Poesie unter dem Namen Rostorf erinnerlich sein wird, wenn gleich sein edles Streben keinen so hohen Flug nahm, daß er neben Novalis noch genannt würde.

Das Schreiben eines dritten Bruders, Anton, bildet den Schluß.

I.

Weißenfels, den 6ten August.
(Ohne Jahreszahl.)

So gern ich Dich, liebster Tieck, noch einmal besucht hätte, so wird mir doch dieser Wunsch durch eine plötzliche Reise unmöglich gemacht. Ich bringe einen meiner jüngeren Brüder nach Dresden — Du kannst übrigens denken, daß ich nicht böse bin, da ich so meine Julie besuchen kann — bey der ich Morgen Abend hoffentlich zu sitzen denke. Unterdeß hätt’ ich gewünscht, Dich und sie sehn zu können — doch weiß ich nicht, ob dies angehn wird, da ich wahrscheinlich über die Mitte des Monats in Dresden bleiben muß — und dann bist Du ja fort. Auf Michaelis hoff’ ich Dich hier zu umarmen. Mutter und Schwester laden Deine liebe Frau auf das freundlichste ein — und grüßen Sie herzlich im voraus. Auch mich empfiehl Ihr herzlich. Auch Deinen übrigen Verwandten sage, daß ich mich mit Liebe jenes frohen Abends erinnern[S. 305] werde, den ich unter Ihnen zugebracht habe — der so reich an mannichfachen Genüssen war und durch den schöne Art noch schöner ausgehoben wurde. Eine einfache Beschreibung gäbe ein liebliches romantisches Bruchstück.

Deine Bekanntschaft hebt ein neues Buch in meinem Leben an. — An Dir hab’ ich so manches vereinigt gefunden — was ich bisher nur vereinzelt unter meinen Bekannten fand. — Wie meine Julie mir von allen das Beste zu besitzen scheint, so scheinst auch Du mir jeden in der Blüthe zu berühren und verwandt zu seyn. Du hast auf mich einen tiefen, reitzenden Eindruck gemacht. — Noch hat mich keiner so leise und doch so überall angeregt wie Du. Jedes Wort von Dir versteh’ ich ganz. Nirgend stoß ich auch nur von weiten an. Nichts menschliches ist Dir fremd — Du nimmst an allem Theil — und breitest Dich leicht wie ein Duft gleich über alle Gegenstände und hängst am liebsten doch an Blumen.

Gehe ja Weißenfels nicht vorbey — ich freue mich mit der Ernsten jezt recht weitläuftig von Dir sprechen zu können.

Lebe wohl.

Dein

treuer Freund

Hardenberg.

An Grieshammer leg ich hier ein Briefchen bey.

II.

(Ohne Datum. Oben ein Streifen weggeschnitten.
Auch keine Unterschrift und kein Schluß.)

Es thut mir herzlich leid, daß Du noch immer Dein Kniereißen nicht los bist. Hoffentlich hast Du alles gebraucht, was in solchen Fällen versucht wird — als warme Bäder, Bandagen von Wachstaffent, Elektricität, Guajac, und Tafia, Säuren und Mercurialmittel. Gern hätt’ ich Dich besucht — aber[S. 306] bis jetzt war es nicht möglich — Du mußt im Frühjahr nach Töplitz gehn, wenn es sich nicht verliert. Ich kann mir denken, daß Du sehr gelitten hast. — Mich wundert, daß Du dabey so heiteren Sinns geblieben bist, um so schöne Sachen auszudenken. Ich höre, daß Du eine wundersame Melusine gedichtet hast. Auf alles bin ich gespannt — besonders auch auf Dein Gedicht über Böhme. Fridrich (Schlegel?) verharrt in Müssiggange, und hat nichts, als einige Gedichte, von denen ich mehr zu wissen wünschte, zu stande gebracht. Du hast Dich mit Wilhelm zum gemeinschaftlichen Angriff des Cervantes verbunden, welches eine angenehme Aussicht eröffnet. Ich bin würklich sehr fleißig. — Wenn Du die mannigfaltigen Zerstreuungen, Zeitverluste und Geschäfte meines Berufes kenntest, so würdest Du mir ein gutes Lob ertheilen, daß ich soviel nebenbey gemacht habe. Mein Roman ist im vollen Gange. 12 gedruckte Bogen sind ohngefähr fertig. Der ganze Plan ruht ziemlich ausgeführt in meinem Kopfe. Es werden 2 Bände werden — der Erste ist in 3 Wochen hoffentlich fertig. Er enthält die Andeutungen und das Fußgestell des 2ten Theils. Das Ganze soll eine Apotheose der Poesie seyn. Heinrich von Ofterdingen wird im 1sten Theile zum Dichter reif — und im zweyten, als Dichter verklärt. Er wird mancherley Aehnlichkeiten mit dem Sternbald haben — nur nicht die Leichtigkeit. Doch wird dieser Mangel vielleicht dem Inhalt nicht ungünstig. Es ist ein erster Versuch in jeder Hinsicht — die erste Frucht der bei mir wieder erwachten Poesie, um deren Erstehung Deine Bekanntschaft das größeste Verdienst hat. Ueber Speculanten war ich ganz Speculation geworden. Es sind einige Lieder darin von meiner Art. Ich gefalle mir sehr in der eigentlichen Romanze.

Ich werde mannigfachen Nutzen von meinem Roman haben — der Kopf wimmelt mir von Ideen zu Romanen[S. 307] und Lustspielen. Sollt ich Dich bald sehn, so bring ich eine Erzählung und ein Märchen aus meinem Roman zur Probe mit.

Jacob Böhm lese ich jetzt im Zusammenhange und fange ihn an zu verstehn, wie er verstanden werden muß. Man sieht durchaus in ihm den gewaltigen Frühling mit seinen quellenden, treibenden, bildenden und mischenden Kräften, die von innen heraus die Welt gebären. — Ein ächtes Chaos voll dunkler Begier und wunderbaren Leben — einen wahren, auseinandergehenden Microcosmus. Es ist mir sehr lieb, ihn durch Dich kennen gelernt zu haben. — Um so besser ist es, daß die Lehrlinge ruhn — die jezt auf eine ganz andere Art erscheinen sollen. — Es soll ein ächtsinnbildlicher Naturroman werden. Erst muß Heinrich fertig seyn — Eins nach dem Andern, sonst wird nichts fertig. Darum sind auch die Predigten liegen geblieben und ich denke sie sollen nichts verlieren. Wenn die Litt. Zeit. nicht so jämmerlich wäre, so hätt’ ich Lust gehabt, eine Recension von Wilh. Meist. L. einzuschicken — die freylich das völlige Gegenstück zu Fridrichs Aufsatze seyn würde. Soviel ich auch aus Meister gelernt habe und noch lerne, so odiös ist doch im Grunde das ganze Buch. Ich habe die ganze Recension im Kopfe. — Es ist ein Candide gegen die Poesie — ein nobilitirter Roman. Man weiß nicht wer schlechter wegkömmt — die Poesie oder der Adel, jene weil er sie zum Adel, dieser weil er ihn zur Poesie rechnet. Mit Stroh und Läppchen ist der Garten der Poesie nachgemacht. Anstatt die Comödiantinnen zu Musen zu machen, werden die Musen zu Comödiantinnen gemacht. Es ist mir unbegreiflich, wie ich so lange habe blind seyn können. Der Verstand ist darin wie ein naiver Teufel. Das Buch ist unendlich merkwürdig — aber man freut sich doch herzlich, wenn man von der ängstlichen Peinlichkeit des 4ten Theils erlößt und zum Schluß gekommen ist. Welch heitre Fröhlichkeit herrscht[S. 308] nicht dagegen in Böhm, und diese ist’s doch allein, in der wir leben, wie der Fisch im Wasser. — Ich wollte noch viel darüber sagen, denn es ist mir alles so klar und ich sehe so deutlich die große Kunst, mit der die Poesie durch sich selbst im Meister vernichtet wird — und während sie im Hintergrunde scheitert, die Oeconomie sicher auf festem Grund und Boden mit ihren Freunden sich gütlich thut, und Achselzuckend nach dem Meere sieht.

Mein Bruder grüßt Dich herzlich — auch meine Eltern und Sidonie nehmen den wärmsten Antheil an Deinen Widerwärtigkeiten, und lassen auch freundschaftlich grüßen. Wegen meiner Lieder hast Du nicht ganz Unrecht. Fridrichen sage, daß es gut sey, wenn er das Wort Hymnen wegließe. Ueber das Gedicht selbst mündlich mehr. Grüße die (weggeschnittener Streifen).... gern das Frühjahr zu unserer Zusammenkunft erwarte — entschuldige mich, daß ich nicht selbst Fridrichen... (andere Seite des Streifens.)

III.

Weißenfels, den 5ten April.
(Ohne Jahreszahl.)

Nur einige Zeilen heute, lieber Tieck — Deine Idee mit Severin ist vergeblich — denn er hat kein Geld. — Doch hab ich ihn auf jeden Fall sondirt, aber er sagte mir, daß er gar nichts unternehmen könne.

Sollte denn Dein Schwager nicht die Oper am füglichsten übernehmen können. Er kann den meisten Profit darausziehn, wenn er sie komponirt.

Mein Buchhändler Grieshammer hat auch kein Geld, und Göschen ist ein Narr, der auch noch überdem einen Groll gegen Dich hat, und selbst die Flügel einziehn muß. Doch Du kennst ja mehr Buchhändler, als ich, und hast mit vielen schon in Connexion gestanden, die für Sie nicht unvortheilhaft gewesen[S. 309] ist. Du kannst Dir auf alle Weise besser rathen, als ich. Meine Geschäfte haben mir noch nicht erlaubt, die Reisen zu machen, auf denen ich Gelegenheit finden könnte Dir zu helfen. Sobald ich nur wegkommen kann, will ich fort. Indeß verlasse Dich nicht auf meine Spekulationen. Mancherley Umstände können mir in den Weg treten und es den Männern, an die ich mich wenden will, vor der Hand unmöglich machen, meinen Wunsch zu befriedigen. Ich will auch noch einen Mann zu Rathe ziehn, der mehr Menschen kennt und vielleicht eine gute Gelegenheit weiß.

Das Schlimmste, lieber Tieck, ist, daß Du keinen bestimmten Aufenthalt hast. Du könntest viel leichter Geld kriegen, wenn Du an einem Ort einheimisch wärst und mit vielen Leuten auf einem vertraulichen Fuße. Sähen sie dann Deine genaueingerichtete Wirthschaft und Du hättest Geldbedürfnisse, so würden Sie Dir ohne große Umstände borgen. Aber so steht es nicht zu ändern, daß die Meisten nicht dran wollen, einem Unbekannten, einem Schriftsteller, ohne festes Einkommen, auf sein bloßes Wort etwas vorzuschießen. Es ist dies eine Unbequemlichkeit Deiner Lebensart, die schwer zu vermeiden ist. Ich versichre, wenn Du nur eine kleine Stelle hättest, so wüßt’ ich eine Menge Leute, die Dir Kredit geben würden, aber so darf ich nicht dran denken. Wenn ich zu Dir komme, welches bald geschehn wird, wollen wir weitläuftiger darüber sprechen, vielleicht, daß uns dann noch ein guter Rath beyfällt. Ich denke mit der Ernsten euch zu besuchen, die diese Woche hoffentlich hier durch geht.

Fertig bin ich mit dem ersten Theile meines Romans. Ich laß ihn eben abschreiben und bring ihn mit. Es ist mir lieb, einen Anfang mit der Ausführung einer größeren Idee gemacht zu haben. — Ich habe viele Jahre nicht daran gekonnt einen größeren Plan mit Geduld auszuführen, und nun seh ich mit Vergnügen diese Schwierigkeit hinter mir. Eignes Arbeiten[S. 310] bildet in der That mehr, als widerholtes Lesen. Beym Selbstangriff findet man erst die eigentlichen Schwierigkeiten und lernt die Kunst schätzen. Der bloße Liebhaber wird nothwendig unendlich viel übersehn, und nur das Gemüth des Werks allenfalls richtig beurtheilen können. Deine Schriften sind mir seitdem viel lehrreicher geworden, und ich lese sie nie, ohne neuen Genuß und neue Entdeckungen. Am Schluß hab ich ein Märchen eingeschaltet, das mir vorzügliche Freude gewährt hat. Es sollte mich recht freuen, wenn es Dir gefiele.

Mein Bruder (Karl Rostorf) ist recht fleißig und es rührt sich in ihm unser gemeinschaftliches Band, die Poesie. Er dichtet und schreibt, und wie mich dünkt, nicht ohne Hoffnungen. Er hat in kurzer Zeit viele Schwierigkeiten der ersten Versuche überwunden und seine Versification bildet sich immer mehr. Ich habe ihn gebeten nur ämsig fortzufahren und sich von den Fehlern der ersten Versuche nicht abschrecken zu lassen. Er muß sich nachgerade von dem Einfluß seiner Lieblingsmuster los machen lernen. Man lernt nur nachgerade ohne Hülfe gehn und es ist gut, wenn die Muster auch ihren eigenen romantischen Gang gehn.

Du bist ihm noch hinderlich. Er hat sich in Dich hineingelesen und nun wird alles tieckisch. Ich suche, ihn Dir mit guter Manier abwendig zu machen — Kann er erst selbst gehn, so mag er immer in Deine Fußtapfen treten. Es freut mich sein Eyfer, der ihm gewiß belohnt wird, und ich seh ihn gern in eine Beschäftigung vertieft, die auf alle Weise zur Reife befördert, und den anmuthigsten Lebensgenuß gewährt. Lebe wohl. Empfiehl uns Deiner Frau. Sidonie ist krank, indeß scheint es nicht von Bedeutung.

Dein

Freund

Hardenberg.

[S. 311]

IV.

Dresden, den 1ten Januar 1801.

Dein Brief hat mich herzlich gefreut. Wie lange wär ich Dir zuvorgekommen, wenn nicht seit dem August mich eine langwierige Krankheit des Unterleibes und der Brust völlig außer Thätigkeit gesezt hätte. Noch währt sie und kann noch lange währen. An Arbeit ist jetzt nicht zu denken. Der Winter legt meiner Genesung große Schwierigkeiten in den Weg und ich kann vor dem Sommer und vielleicht dem Gebrauch des Karlsbades auf keine gründliche Besserung hoffen. Ich schlendre so hin. Karl ist mein beständiger Pfleger — Julie ist auch hier und ich habe bis auf Kräfte und Gesundheit alles was mir angenehm seyn kann. In die Zeit meiner Krankheit haben sich überdies die traurigsten Eräugnisse für meine und Juliens Familie gedrängt; die sich alle auf Krankheit und Tod beziehn — so daß es eine trübe Zeit gewesen ist. Ich bin meist heiter gewesen.

Deine Bitte wegen Faust wird Ernst vielleicht erfüllen können. Deine Schwägerin und die Ernsten sehn wir am liebsten und häufigsten. Erstere gefällt uns allen sehr. Beyde freun sich unbeschreiblich auf Deine Herkunft. Auch Körner wünscht sehr Dich kennen zu lernen.

Urtheile bitt ich Dich mir jezt zu erlassen. Gearbeitet hab’ ich gar nichts — aber mich viel mit Poesie in Gedanken und im Lesen beschäftigt. Mündlich könnt ich Dir viel sagen. Sobald ich wieder etwas machen kann, bin ich zu jeder Theilnahme bereitwillig. Von Schlegels hab’ ich seit langer Zeit wenig gehört, und gesehn!

Beym Florentin bin ich ziemlich Deiner Meynung.

Die Sonette haben mir herrlich gefallen.

Ich bleibe noch längere Zeit hier. Deine Briefe werden mir äußerst lieb seyn, aber Du mußt mit magern Antworten[S. 312] vorlieb nehmen. Was mich sehr plagt, daß ich nicht viel sprechen darf und das war mir zum denken fast unentbehrlich.

Lebe wohl — grüße Deine liebe Frau herzlich. Karl wird selbst an Dich schreiben.

Dein

treuer Freund

Hardenberg sen.

V.

Dresden, den 2ten Januar 1801.

Ihnen, lieber Tiek, muß ich auch, wenn auch nur wenige Zeilen, schreiben. Ein jeder Freund, und nun besonders so ein seltener wie Sie, l. Tiek, ist mir jetzt doppelt willkommen, da Alles schwankend um mich wird, und auch das Liebste mir zu entfliehen scheint. Friz wird Ihnen schon das meiste geschrieben haben; leider geht es mit seiner Gesundheit noch nicht besser: — Ich bin froh, Sie, lieber Tiek, noch kennen gelernt zu haben: Ich komme mir mit jedem Schritt mehr isolirt vor, und ich freue mich unendlich, in Ihnen, nicht allein einen solchen Freund meines guten Friz, sondern auch so tausend Aehnlichkeiten von ihm zu wissen. — Ich lebe jetzt in den traurigsten Erwartungen, und nur die gewisse Ueberzeugung, daß unser jetziges Leben nur eine flüchtige Reise ist, und ein inniges Vertrauen auf Religion, die meine tröstende Freundin bleibt, erhalten mich in leisen Hoffnungen. — Der Kunst und Poesie werde ich ewig treu seyn; ich bin es Friz und Ihnen schuldig, daß ich von dieser Stufe herab auf das gewöhnliche Leben blikke. — Wären jezt nicht die trüben Zeiten, so hätte ich Ihnen vielleicht ein paar Gedichte von mir geschickt; vielleicht geschieht es noch. —

Wie sehr mich Ihre Genoveva erquickt und begeistert hat, kann ich Ihnen nur mündlich sagen. — Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie vielleicht bald wieder an Friz, oder mich[S. 313] schrieben; den erstern, der durch seine Krankheit jezt in Allem gehemmt ist, macht ein Brief von Ihnen unendliche Freude. — Zu Ostern sehen wir uns doch wohl? Gott weiß, wie es dann steht? Ich verlange nicht in die Zukunft zu schauen, in stiller Ergebenheit will ich tragen. — Bleiben Sie nur der Freund Ihres Sie aufrichtig

liebenden

Carl Hardenberg.

VI.

Weissenfels, d. 15ten Februar 1801.

Wir sind wieder hier, lieber Tiek; die Aerzte riethen meinem Bruder Veränderung des Orts, und Ruhe, Bequemlichkeit, und gänzliche Lossagung von Geschäften und unruhigen Zerstreuungen; Alles dies fanden wir hier, und überdem sehnte sich mein Bruder sehr nach Hause. — Ihren lieben Brief, theurer Freund, habe ich erhalten, und wie sehr mir Ihre herzliche Theilnahme wohlgethan, und mich tief gerührt hat, kann ich nicht mit Worten ausdrücken; Ach lieber Tiek, das ist ja das Einzige, was uns auf diesem dürren Boden übrig bleibt; Alles vergeht und verschwindet in dem lockern Sande, und wie dankbar können wir seyn, wenn nur noch Theilnahme geliebter Freunde uns bis zum lezten Schritte dieses wunderlichen Labyrinthes begleitet. Mein Schicksal hat viel ähnliches mit den Ihrigen; Meine liebsten Wünsche, meine schönsten Hoffnungen versanken im Augenblick der Erfüllung, plözlich, wie von einem Blitzschlag bey klarem Himmel; Wohl mir! daß ich schon oft Stunden habe, wo die Erde mit allen ihren räthselhaften Begebenheiten tief unter mir liegt, und ich aus der reinen Luft einer künftigen Welt, hell und klar herabsehe; dann bin ich glücklich, und danke dem Unendlichen für diese himmlische Offenbarung; Aber wer kann sich losreißen[S. 314] auf immer von seinen Geliebten? Wer sich der Thränen bey ihren Leiden enthalten? Ich nicht! und ich will auch nur dulden, und in Ergebenheit die Lasten dieser Welt tragen. — Mit Friz geht es nicht gut; die Aussichten werden mit jedem Tage trüber; Wenn nur seine Leiden nicht gemehrt werden; denn jezt sind diese noch erträglich; Nun des Herrn Wille geschehe, er wird einst diese dunkeln Räthsel lösen. — Sie sind auch krank gewesen, guter Tiek? und haben doch zu uns kommen wollen? Nein, Sie haben es recht gemacht, daß Sie nicht gekommen sind; Sie hätten nur Leiden gesehen, und vielleicht Ihrer Gesundheit geschadet, und diese sind Sie Ihrer Frau, Ihrem Kind und allen Ihren Freunden schuldig; ich suche mich nur vor eignen Vorwürfen, etwas versehen zu haben, zu hüten, dann wird alles leichter zu tragen. — Die Abreise von Dresden machte uns nur der Abschied von Ihrer guten Schwägerin, die wir herzlich lieben, und der Ernst schwer; sie haben beyde viel zur Erheiterung meines guten Friz beygetragen, und wir haben besonders der ersteren manche freundliche Stunde zu danken. Mit meiner Schwester Sidonie, gieng es auch nicht zum Besten, doch ist sie jezt wieder besser, und lebt bey meiner ältern Schwester, die in diesem Frühjahr ihre Niederkunft erwartet, in der Ober-Lausitz. — Leben Sie wohl, liebster Freund, grüßen Sie Ihre liebe Frau, auch von meiner Mutter, herzlich. Ewig

Ihr

Carl Hardenberg.

VII.

Weissenfels, d. 16ten Juny 1801.

Endlich, lieber Tiek, kann ich Ihnen schreiben, und das Versprochene schikken. — Mein Schicksal ändert noch nicht den seltsamen Gang, und ich kann nur um treuen Muth und[S. 315] Ergebung bitten, daß ich selbst nicht untergehe, auf dem stürmischen Meere, wo ich unter lauter Trümmern mich nur mit Mühe aufrecht erhalte; aber, Gott sey Dank, ich habe mehr Kraft und Stärke, als ich selbst glaubte, und ich kann heiter seyn, und andern noch Trost und Hoffnung zusprechen. — Wundervoller und plözlicher werden wenig Menschen mündig und frey gesprochen, als ich; und nur Hülfe von oben herab, konnte mir dauernden Muth geben, nicht zu versinken auf immer in diesen bunten Getümmel. Mir ist schon oft zu Muthe gewesen, als könnte es nun nicht länger währen; als müßte ein Engel herabkommen und uns wekken aus dem düstern, traurigen Traum; aber der Engel ist ja schon da, es liegt nur an uns, ihn aus uns selbst hervorgehn zu lassen. — Die Stütze des Harfners Augustin ist uns sehr angemessen; Mit dieser Ueberzeugung wären wir Alle auf einmal frey. — Meine Schwester Sidonie ist sehr krank; Auch Julie lag gefährlich; doch geht es mit der leztern wenigstens etwas besser; ich darf nicht thun, als nähme ich Antheil daran; Bey uns ist natürlich stille Trauer, und im ganzen Hause fürchtet jeder einen neuen Verlust; Keiner will den andern seine trüben Ahndungen merken lassen, und doch wird nur das Gespräch der Erinnerung gewidmet; — ich war selbst krank, und bin es zum Theil noch, und hatte mich lange für das Zusammentreffen der ganzen Familie gefürchtet; und nun da Alles noch schlimmer geht, nun kann ich den Andern Ruhe und Heiterkeit zeigen, und sie bedürfen meiner, um sich nicht ganz dem Trübsinn zu überlassen. — Sagen Sie nichts in Dresden von Juliens Krankheit; Ihre Anverwandten mögten es zur unrechten Zeit erfahren. — Andurch erhalten Sie die versprochene Fortsetzung von Heinrich; ich hatte mich in der Bogen Zahl, sowie auch in der Zahl der geistlichen Gedichte geirrt; Ich habe diese 2 Bogen, und besonders das Gedicht mit tiefer Andacht gelesen. — Wenn Sie fertig sind, bitte ich mir das[S. 316] Manuscript wieder aus; eine Abschrift will ich Ihnen dann geben. — Von seinen andern Papieren schikke ich Fr. Schl. nächstens einiges von den leztern Aufsätzen, aber mit vieler Auswahl; Sie mein guter Tiek sollen sie ohne Auswahl haben; Sie würden gewiß meine Gründe billigen. — Zugleich erhalten Sie einige Gedichte von mir; die 3 geistlichen sind ganz nach der Zeit Ordnung aufgeschrieben; sie sind das lezte vollständige, was ich gemacht habe; Jezt nur fange ich an, wieder an Arbeiten und Pläne zu denken; davon mündlich mehr; ich sehe Sie gewiß noch dies Jahr, die 3 andern Gedichte sind schon früher gemacht; das eine, sind meine ersten Stanzen, und bedürften freilich noch mancher Ausbesserung; Ihr ächtes Urtheil versagen Sie mir gewiß nicht; In Ihnen mein guter lieber Tiek höre ich meinen Friz; Herzliches Lebewohl.

Ihr

Carl Hardenberg.

N. S.

Ihre liebe Frau und Schwägerin grüßen Sie bestens; Was meynt die Leztere zu dem Vorschlag, Friz zu mahlen? — Das 1ste Buch von meinem Roman sollen Sie bei Gelegenheit erhalten. — Ich nehme jetzt meinen Abschied; schon in diesen Tagen; Was dann aus mir wird, ist noch nicht ganz bestimmt; Wahrscheinlich Oekonom, oder Forstmann; mir ist am Ende jeder Stand recht; Nur muß ich jezt eine Lage wählen, wo ich im Anfange viel zu thun, und doch auch Gelegenheit meine Gesundheit zu schonen, habe. — Wie geht es mit Ihrer Gesundheit? Grüßen Sie die Ernst.

Zum 1sten July gehe ich ins Bad nach Liebenstein; adressiren Sie aber nur an mich hierher.

Haben Sie doch die Güte, mir Ihre Wohnung zu bezeichnen.

[S. 317]

VIII.

Meiningen, d. 12ten Novbr. 1801.

Ihnen, mein guter Tiek, intressirt das Schicksal Ihres Freundes zu sehr, als daß ich nicht mit Gewißheit voraussehen sollte, daß Ihnen die Nachricht einer wichtigen und freundlichen Veränderung meiner Lebens Weise angenehm seyn würde. — Ich bin versprochen, und zwar auf eine, mir selbst kaum begreifliche, zufällige, schnelle Weise versprochen; Meine liebe Braut, ist eine Frl. v. Uttenhoven von hier; Ihr Vater ist Geh. Kammerrath; — Meine Caroline ist ein liebes, einfaches, weibliches Wesen; der heilige Ernst fehlt Ihr nicht, und Ihre zärtliche Liebe macht mich so glücklich, als ich hier auf dem Boden der Prüfung noch werden konnte. — Es kömmt mir noch mannigmal vor, als träumte ich, und kaum wage ich es, die frohen Stunden fest zu halten; Werde ich glücklich, so ist es nur der Seegen meines Friz, der mich ewig umschwebt; er war und ist mein Genius des Himmels; und was ich genieße, habe ich nur durch ihn. — Wahrscheinlich werde ich nun den Winter hier zubringen; — In Weissenfels sieht es noch trüb und traurig aus; dort ist der Frieden entflohen; Meine gute Schwester wird wohl bald ausgelitten haben. — Desto theurer ist mir mein jetziges Verhältniß; ich hätte das Alles nicht ertragen, hätte mir der Himmel nicht auf einer andern Seite frohe Aussichten gezeigt; — Sollte ich noch länger auf der Erde bleiben, so mußte ich wieder gefesselt werden; für mich war Alles locker und lose geworden. — Mit F. Schlegel habe ich bey meiner Durchreise nur wenige Worte gesprochen; ich bin ganz mit Ihnen, wegen der Herausgabe der nachgelassenen Schriften, einverstanden; machen Sie es ganz nach Ihrem Sinne; Sie guter Tiek, kannten unsern Friz am tiefsten in Hinsicht seiner litterärischen Arbeiten, und Sie können auch am Besten urtheilen, was dem[S. 318] Druck kann übergeben werden; Nur eine kleine Auswahl unbedeutender Aufsätze aus frühern Jahren behalte ich mir vor; Wie? und Wann? Ihnen die Papiere schikken? kann ich zwar noch nicht genau bestimmen, doch denke ich, in einigen Monaten gewiß. — Haben Sie die Lehrlinge von Sais? es ist das einzige Manuscript, das mir fehlt. — Für die Aenderungen in dem Liede in Ihrem Musen-Almanach, der mich unendlich freut, den herzlichen Dank; ich fühle jetzt wie nothwendig sie waren. — Haben Sie Zeit, guter Tiek, so schreiben Sie mir doch einmal hierher; können Sie mir dann vielleicht einige meiner Lieder corrigirt mitschikken? Adjeu; Ewig

Ihr

Carl Hardenberg.

IX.

Meiningen, d. 18ten Januar 1802.

Ihren Brief vom 26ten Dezbr. erhielt ich in den ersten Tagen meines Glücks, da ich meine Caroline ganz mein nennen konnte, und sie zum 1sten Mal als mein liebes Weib umarmte; Sie können denken, wie unendlich werth mir nun des Freundes Gruß war, da ich mich ohnehin so lange nach einem Brief von Ihnen gesehnt hatte; — doch zuerst die herzliche Bitte, alle Entschuldigung wegen Nichtschreibens, oder verzögerter Beantwortung auf immer aus unserer Correspondenz zu verbannen; Freundschaft, wie die unsrige, ist nicht an Buchstaben gebunden: unsere Seelen sind inniger, als durch Briefe verbunden; die Freunde meines ewig geliebten Friz, sind für mich ein Vermächtniß für die Ewigkeit, und wohl mir, wenn Sie einen Theil Ihrer Freundschaft für den Verklärten, auf mich übertragen; doch, auch davon bin ich bey Ihnen, lieber Tiek, den ich den ersten seiner Freunde nennen kann, überzeugt; also dieses Capitel wäre geschlossen. — Wie[S. 319] seltsam ich in den ersten Tagen des völligen Besitzes meines lieben, lieben Weibes gestimmt war, kann ich nicht ausdrükken; in meinem Innern wogte Alles in wilder Verwirrung; die trübe Vergangenheit, und freudige Gegenwart beengten mich auf eine wunderliche Weise; das Schicksal hatte mich mit so eiserner Hand angegriffen, daß ich es nicht begreifen konnte, wie mich auf einmal so milde Frühlingsluft anwehte, und ich wie durch einen Zauberschlag aus tiefer Nacht, in den himmlischen Glanz eines neuen Morgens versezt war. — Erwacht bin ich jezt zu frischem Leben und Thätigkeit, und dankbar bin ich wenigstens für diese köstlichen Augenblikke; die Erde mit ihren Bewohnern ist mir nicht mehr fremd, und ich gehe wieder mit neuem Muthe dem bunten Labyrinthe entgegen. — Der 1ste Januar war mein Hochzeits-Tag; mein guter Vater überraschte uns den Tag zuvor; meine Zufriedenheit stärkt auch meine guten, so tief gebeugten Eltern; den herzlichen Dank für ihr Andenken an sie. — Meine wenigen Gedichte sind ganz zu Ihrer Disposition lieber Tiek, nur bitte ich den Namen Rostorf nicht zu vergessen; der Name wäre mir gleichgültig, aber mein guter Friz hat mir selbigen noch gegeben; Alles, was Sie daran ändern, ist mir Recht; Sie guter Tiek sind und werden mein Führer auf dem Wege der Poesie, der ich ewig treu bin, bleiben; — Mit den Gedichten in dem Musen-Almanach haben Sie mir viel Freude gemacht, und neue Lust ins Herz gebracht; und ich freue mich, sehr bald wieder etwas von Ihnen zu lesen; Jezt habe ich zwar keine fertigen Gedichte, aber vielleicht kann ich Ihnen bald einige zusenden; ich habe wieder zu arbeiten angefangen, und denke vor der Messe noch etwas Ganzes fertig zu liefern. — Von den Mspt. unsers Friz kann ich Ihnen nur jezt die beykommenden geistlichen Gedichte senden; das übrige muß bis auf meine Rükkunft nach Weissenfels beruhen, und leider kann ich vor Ende Februars nicht dahin kommen; dann denke ich[S. 320] Fr. Schl. dort zu sehen, und die Auswahl zu machen; Ueber die Lehrlinge bin ich wirklich in Sorge, doch können sich selbige wohl noch bey den Mscpt. in Weissenfels finden; Ihnen beyden bleibt ohne Frage ganz allein die Auswahl und Redaktion.

Meine Frau grüßt Sie und Ihre liebe Frau sehr herzlich, und freut sich unendlich auf Ihre Bekanntschaft, Ihre Schwägerin, die Ernst und Dora Stok bitte ich von mir bestens zu grüßen; ich versetze mich oft in den Zirkel meiner geliebten Freunde. — Ueber Jean Paul, der hier hauset, hätte ich Ihnen noch manches närrische zu schreiben; aber er verliert nachgerade das Intressante, und die Post eilt; Leben Sie wohl, theurer bester Freund; Habe ich zur Oster-Messe vielleicht Hoffnung, Sie in Leipzig zu sehen? Auf immer

Ihr

Carl.

Die Manuscpt. darf ich mir wohl zurück erbitten.

X.

Weissenfels, d. 6ten May 1802.

Ihren Brief, mein theurer Freund, fand ich bey der Zurükkunft von einer kleinen Reise, und eile Ihnen nur sobald als möglich zu antworten; — die verlangten Papiere müssen nun schon in Ihren Händen seyn, da ich selbige noch den Tag vor meiner Abreise auf die Post gab. — Die Lehrlinge will ich noch soviel als möglich suchen; ich zweifle aber sehr an dem Finden; da ich schon mehrmals vergeblich gesucht habe; unbegreiflich ist mir es, wo sie hin sind; da ich noch den Tag nach seinem Heimgang Alles unter meinen Beschluß nahm; eine einzige Möglichkeit wäre noch, daß sie Julie hätte, diese sehe ich zur Messe; dann kann ich Ihnen Nachricht geben. — Daß ich den wärmsten Antheil an Ihrem Schicksal nehme, das, lieber Tiek, brauche ich Ihnen wohl nicht zu versichern;[S. 321] Sie sind einer der geliebtesten Freunde meines Herzens; und ich habe verlohren genug, um zu fühlen, wie der Verlust geliebter Menschen schmerzt; Aber kann der arme Mensch mehr geben als Theilnahme? — doch ich muß schließen. In Leipzig sehe ich Sie gewiß; den 17ten bin ich auf mehre Tage dort, und im Hotel de Saxe zu erfragen. — Fr. Schl. muß vor wenig Tagen einen Brief von mir erhalten haben. — Auf den Sonntag sehe ich Ritter in Schlöben; die Mnscpt. die Sie jetzt haben, wollte ich ihm blos zum Ansehen geben, da er mich sehr darum bat. — Dienstag Abend als den 11ten bin ich wieder hier und erwarte Fr. Schl. — Grüßen Sie Alles; meine Frau grüßt Sie beyde herzlich; — Auf ewig

Ihr

Carl.

XI.

Meiningen, d. 31. August 1802.

Mit wahrer Freude ergreife ich die Feder, Ihnen, lieber theurer Freund, zu schreiben, und Ihnen auch aus der Ferne mein Andenken, meine warme Anhänglichkeit zu zeigen und zuzurufen. — Immer verschob ich den Brief, da ich erst das Mnscpt. erwartete, das nun in Abschrift beyliegt; — Es war bey Julien, und diese bittet mich, das Mnscpt. selbst nicht aus den Händen zu geben, ich habe es Ihnen also abschreiben lassen, doch ohne seine eigenhändigen Annotationen a. m. zu vergessen, und freue mich um so mehr, es Ihnen jezt senden zu können, da es zum 2ten Th. seiner Schr. durchaus unentbehrlich ist. — Es hat mich unbeschreiblich ergözt, da ich es jezt wieder mehrmalen durchgelesen, und diese wenigen Bogen bleiben eine Vorhalle voll unendlichen Reichthums; ich begreife jezt wohl, daß Er hat sterben müssen; Wir sind noch nicht reif zu den ungeheuern Offenbarungen, die durch ihn, zu[S. 322] uns gekommen wären. — Ich lebe jezt sehr glüklich, und im eigentlichsten Sinne des Worts, der Liebe im Schooß! — Sehr froh würde es mich freilich machen, Sie, lieber Tiek, und andere Freunde in der Nähe zu haben; aber darauf leiste ich auch noch nicht Verzicht, daß es wenigstens künftig geschieht. Seit ich verheirathet bin, werde ich täglich ruhiger und nüchterner, ohne jedoch an Fantasie zu verlieren, oder gleichsam erdigerer Natur zu werden; — Ich kann es mit Worten gar nicht sagen, wie mir so alles anders, so vieles klar und hell erscheint, was vorher nur in trüben Nebel gehüllt war; Es ist, als hätten sich die Erfahrungen des reifen Alters mit dem Gefühl ewiger Jugend und glücklicher Kindheit verbunden; — Ja oft fühle ich mich so unbeschreiblich und seltsam, daß ich meyne, ich sey nahe am Ziel des Lebens! Aber was ist denn auch Nah und Ferne? Die Zeit ist nur das traumerregende Prinzip! Wir träumten nicht, wenn wir keine Zeit hätten. Ich freue mich sehr, Sie, lieber Tiek, bald zu sehen, und sollte denn dies auf der Michaelis-Messe nicht möglich seyn? Dann bin ich wieder in Weissenfels und bleibe den ganzen Winter daselbst; — Sie haben gewiß herrliche Dinge in der Zeit gearbeitet, und die Aussicht zu diesem Genuß macht mich sehr lüstern. — Auch ich habe einiges in der Arbeit, und wie lieb würde mir es seyn, Ihnen so manches zeigen zu können, und wieviel habe ich mit Ihnen zu sprechen. — Hier bin ich von mündlicher geistvoller Gesellschaft gänzlich abgeschnitten, und Heil mir! daß mein Glück und Leben jezt nur in mir und meiner Line ruht; die andern Menschen könnten einen toll für Lachen oder Mitleiden machen; sie sind in mancher Hinsicht viel dümmer als ich ahnden konnte; Jean Paul, der hier lebt, wird täglich armseeliger und natürlich auch übermüthiger; Es ist ganz spaßhaft, wie er oft unbewußt einige Rollen im gestiefelten Kater und Zerbino übernimt. — Fr. Schlegel hat mir viel Freude mit einem Brief aus Paris am 31ten July[S. 323] gemacht; Er grüßt Sie und alle Freunde tausendmal, und sehnt sich in dem unpoetischen Clima sehr nach erfrischender Kost aus Deutschland; Er trägt mir auf Sie zu bitten, den 2ten Theil von N. Schr. bald herauszugeben; Verheyrathet ist er; so scheint es wenigstens nach seinem Briefe. — Beyliegend erhalten Sie ein Gedicht von Fr. Schl., was er mir zugeschickt hat; theilen Sie es doch den andern Freunden auch mit; ich schikte es Ritter im Original zu. — Vor seiner Abreise bewog er mich noch mehre Gedichte in Vermehren’s Almanach zu geben; das an Sie und Schlegels ist dabey. — Schreiben Sie an Steffens, so grüßen Sie ihn herzlich von mir; ich habe ihn in Leipzig und Weissenfels sehr verändert gefunden und sehr liebgewonnen. Ist es wahr, daß er eine Ihrer Nichten aus Gibichstein heyrathet? Dann kömmt er ja wohl bald wieder nach Deutschland? — Leben Sie wohl, theurer lieber Freund; Meine Frau grüßt Sie und die Ihrige herzlich, und ich bin auf ewig

Ihr

Carl Hardenberg.

P. S.

Ende des künftigen Monats reise ich nach Weissenfels zurück.

XII.

Dresden, den 2ten Decemb. 1803.

Es war mir durch einen unvorhergesehenen Zufall nicht möglich, Ihnen eher als mit der heutigen Post die Bücher zu überschicken, die ich Ihnen erstanden habe; recht leid thut es mir, daß ich nur so wenig erhalten habe, da Sie mir aber über die andern so bestimmte Aufträge gegeben hatten, so mußte ich sie gehn laßen. No. 135 oder Libri ChronicorumGeorgii Altenii, und 1854, oder Braunii Abbildung und[S. 324] Beschreibung aller Städte, habe ich, da sie sehr groß und deßfals nicht gut zu transportiren sind, hier behalten und will sie, wenn ich noch weggehn sollte, der Alberti übergeben. Das Geld hat mir die Alberti gegeben. Wäre mir der verwünschte Doktor Petzold nicht in die Quere gekommen, so hätte ich den Percival sehr billig erhalten, doch hat er durch seine sehr große Reue, die er sowohl gegen die Alberti als gegen mich geäußert hat, wieder in etwas meine Vergebung erlangt. Wegen Burgsdorfs Buche, von dem mir die Alberti gesagt hat, weiß ich noch nichts, ich bin schon zweymal bey Heusinger gewesen, habe ihn aber nicht angetroffen, sobald ich ihn treffe, will ich Ihnen den Erfolg schreiben.

Ich habe jezt das Nibelungen-Lied wieder zu lesen angefangen und es hat mir aufs neue sehr gefallen, ich wünsche immer mehr Ihre baldige Ausgabe davon, da ich mir von der verständlichern Sprache manchen Aufschluß erwarte. Ich habe eben in dieser Zeit das gemeine Volksbuch den gehörnten Siegfried gelesen, der meiner Meynung nach eine bloße Parodie des Nibelungen Liedes ist; mir ist es so vorgekommen, als ob schon zu der Zeit, wo dieser der gehörnte Siegfried geschrieben, die Bedeutung der Nibelungen schon so unbekannt und unbegreiflich gewesen ist, daß man an ihre Stelle den König Egwaldus substituirt hat. Auf jeden Fall aber scheint es mir, als ob der Aufschluß davon blos im Norden zu finden sey, da wenn das südlichere Deutschland daran Antheil genommen hätte, wir auf jeden Fall bestimmtere Nachrichten davon haben müßten, da König Ezzel oder Attila den Römern und andern cultivirtern Völkern so nahe war. So der Kampf zwischen Dietrich von Bern und dem Riesen Eck, der auch unter dem Nahmen des gehörnten Siegfrieds in diesen vor sich geht. Weiß ich nur erst die Stäte, wo ich mein Haus künftig bauen soll und bin ich dadurch gewißermaßen erst in einen bestimmten Ruhestand versezt, so will ich mit rechtem Eifer die nor[S. 325]dische Geschichte zu treiben anfangen, da ich ganz allein von Ihr nähere Aufklärung hoffe. Wie gern hätte ich gewünscht, mündlich mit Ihnen über diesen und so manchen andern Gegenstand, der mir am Herzen liegt, sprechen zu können, aber leider sehe ich in diesem Augenblick keine Aussicht dazu, da meine ehlige Verbindung mit der Welt mir immer näher tritt. So sehr ich mich auch freue auf diesen Augenblick der Verbindung, so kömmt es mir doch stets vor, als wenn ich wie einst die Töchter der Israeliten meine verlohrne Freiheit auf den Gebirgen beweinen müßte; das Eintreten in die vesten bürgerlichen Verhältniße, erscheint mir wie der prosaische Theil der Ehe, die nur erst durch die wirkliche Ehe zur reinen Poesie erhoben werden kann, die aber wie die Zahlen in der Mathematik oder die Noten in der Musik schlechterdings vorangehn müßen, ehe wir zum Abend oder zu der eigentlichen Ehe gelangen. Sie müßen eigentlich recht der Text oder der erläuternde Commentar zu jener großen Abendmusik seyn, und ich gestehe, daß sie mir nur aus dem Gesichtspunkt angesehn, erträglich werden. Mein jetziges Verhältniß habe ich nie als Verhältniß betrachten können, sondern immer nur als Kette, die ich entweder zerbrach oder deren drückende Last ich so viel als möglich geduldig ertrug. Es sezte mich mit den Menschen in gar keine Verbindung, und da mein künftiges mich schlechterdings dazu nöthigt, so ist mir dafür am meisten bange, und ich kann Ihnen wohl sagen, daß mich die Brautnacht nicht wenig beunruhigt, und diese quälende Unruhe hat mich bis jezt von vielem abgehalten. Ich warte nun täglich auf bestimmtere Nachrichten, die mich in Hinsicht auf meine Reise zu Ihnen ebenfalls bestimmen werden. Wird binnen hier und Ostern nichts daraus, was ich Ihnen alsbald schreiben werde, so komme ich in der Zeit gewiß nach Ziebingen, und bitte Sie dann mir nur die Zeit zu bestimmen, im Fall ich aber zu Weihnachten von hier weggehe, so muß ich mich trösten,[S. 326] Sie auf einer Reise nach Franken wiederzusehen. Grüßen Sie Ihre liebe Frau und Burgsdorf auf das verbindlichste, vor Weihnachten erhalten Sie gewiß noch Briefe von mir. Klinkowström und Böhndoll lassen Sie sehr schön grüßen, ewig und unveränderlich

Ihr

Freund

Anton Hardenberg.


Hauch, Johann Carsten von.

Geb. 1791 zu Fredrikshold in Dänemark, als Prof. der Aesthetik an der Kopenhagener Universität angestellt. Verfasser zahlreicher Tragödien, unter denen sich auch ein Bajazet, Tiberius, Gregor der VII., u. a. m. zum Theil vaterländische befinden. Seine Erzählungen werden in Deutschland gern gelesen. Tiecks Antheil gewann er hauptsächlich durch das episch-dramatische Gedicht: die Hamadryaden (1830), obwohl, wie aus dem Datum dieses Schreibens hervorgeht, sie schon lange vorher in persönlich-freundschaftlichen Beziehungen gestanden.

Copenhagen, d. 17. Decbr. 1827.

Mein edler Freund!

Schon lange hatte ich beschlossen an Sie zu schreiben, nur daß ich plötzlich in eine Menge von Verrichtungen hineingeworfen wurde, die zum Theil meine übrigen Pläne durchkreutzten, hat mich davon bis jetzt abhalten können. Ich hoffte immer Ihnen meinen Gregor überschicken zu können, muß aber jetzt die Uebersetzung aufschieben, jene Hoffnung aber ist auch ein Grund, warum ich nicht geschrieben. — Wie alles was von einem Manne kömmt, dessen Ansehen bedeutend genug ist, um jedes von seinen Worten Gewicht zu geben, so war auch ein übertriebener Bericht Ihres Urtheils über meine Gedichte mir hier vorangeeilt. — Er wurde von einigen Zeitungsschreibern aufgefangen, und hat für mich den unangenehmen Erfolg gehabt, daß eine schonungslose Reac[S. 327]tion dadurch hervorgerufen wurde. — Schiefe Aufnahme aber und ungerechten Tadel muß ein Jeder ertragen lernen, der öffentlich hervortreten will; tüchtigere Männer als ich, ja selbst die Besten haben es ertragen müssen, so kann ich es wohl auch.

Es that mir sehr leid, daß ich in Berlin Ihren Herrn Bruder nicht sehen konnte; ein unglücklicher Zufall, von meinem Beine verursacht, zwang mich in Berlin beynahe ohne Ausnahme das Zimmer zu hüten, Umstände riefen mich hernach schnell fort, so daß ich beynahe keinen Gebrauch von den freundlichen Briefen machen konnte, die ich Ihrer Güte verdankte. Ich schmeichle mir aber immer mit der Hoffnung Berlin und Dresden wiederzusehen. — Es trifft sich so glücklich, daß ich mitunter ein halbes Jahr keine Vorlesungen zu halten brauche, diese Zeit werde ich gewiß nicht unbenutzt vorbeyschlüpfen lassen, sollten auch einige Opfer um einen Freund wie Sie wiederzusehen nöthig seyn, es verlohnt sich wohl die Mühe. — Ich lese diesen Winter über zwey Wissenschaften, Physik und Zoologie. Das erste Mahl am wenigsten nimmt so Etwas die ganze Zeit in Anspruch. Anstatt zu dichten muß ich Physisch-mathematische Vorlesungen halten. — Wenige Dichter sind vielleicht in der fatalen Lage gewesen.

Unsre kritische Litteratur geht in der späteren Zeit so ziemlich denselben Gang wie die Deutsche. Schiefe gezierte Recensionen, wo mit einigen Redensarten vornehm gespielt, wo Wahrheit und Natur als unanständig, prosaisch und gemein verschrien, und doch jede Aeußerung einer frischen Phantasie verspottet, jeder ernste Gedanke mit dem Nahmen Mystik verketzert wird; wo man keinen Ausdruck recht findet, bis er zur Geschrobenheit herausgedrechselt worden, wo der Cothurn so hoch verlängert wird, daß die Dichter auf Stelzen einhergehen, sind in der Tages-Ordnung. — Rhetorische kalte Trauerspiele machen großes Glück. Wir haben einen Dich[S. 328]ter, der drey oder vier Tragoedien jedes Jahr wie von der Kanzel herab predigt. An der Seite eines Andern steht ein Recensent, der bey jedem neuen Werke versichert, daß der Verfasser sich jetzt selbst überboten habe, oder daß der reinste Mondenglanz der Sittlichkeit dieses anmuthige Werk bekränze. Vom schmutzigen Sonnenlichte kann in solchen zarten Bildern nicht die Rede seyn. Wenn Jemand sein Gedicht einen geschichtlichen Roman nennt, meint der feine Recensent, es wäre doch besser, wenn der Verfasser es eine Romantische Geschichte genannt hätte. — Es giebt wenige Dichter bey uns, die nicht von guten Freunden mit dem Nahmen genialisch geschmückt worden sind. — Die besten Worte werden so gemißbraucht. In der That Oehlenschläger steht doch hoch und allein in unsrer Litteratur, wenn man ihn mit diesen Zwergen vergleicht. — Auch Heiberg giebt eine Zeitung aus, wo viele gemischte Sachen stehen, aber nicht ohne treffende Bemerkungen. — Wäre seine Seele so tief, als sein Geist leicht beweglich und gewandt, könnte er gewiß was Tüchtiges leisten. — Sonst ist bey uns, wie gesagt, Plattheit und Versunkenheit wunderbar gemischt; ich weiß einen Fall, wo einer von unsern Autoren, der nicht unberühmt ist, angefragt hat, ob nicht das Licht aus den Augen einer Katze herlänglich wäre um einen Liebesbrief darin zu lesen. Mir scheint in der Erfindung etwas Herculisches zu liegen, man konnte wohl darunter non plus ultra schreiben. Wer kann so Etwas überbieten! Ein unglücklicher König, ein Held und Liebender ist so weit gekommen, daß er kein Licht hat, nichts, nur die Augen einer Katze. Was sind alle die Bettlerkönige des Euripides dagegen! kann Jemand sein eignes Bestreben naiver parodieren. — Sie hatten recht: Nicolai war ein tüchtiger Mensch gegen diese. Lieber ein wirklicher consequenter prosaischer, als so ein poetischer Esel zu seyn. Der Erste bleibt doch in seinen Gränzen, schüttelt den Kopf, macht ein philosophisches[S. 329] Gesicht, begnügt sich mit seinen Disteln, und treibt sein Geschäft ganz erträglich. —

Von Oehlenschläger und Rahbek viele freundliche Grüße. — Vergeben Sie, edler Freund, mein Stillschweigen zuvor und mein langes unnöthiges Schwätzen jetzt. Viele Grüße an Ihre liebenswürdige Familie, an den braven Dahl und an den Herrn v. Irgensberg, wenn Sie ihn sehen. Ich empfehle mich Ihrem freundlichem Andenken.

Der Ihrige

C. Hauch.

P. S. Ich bitte sehr den Herrn Grauhling zu grüßen, und mich bey ihm zu entschuldigen, daß ich ihm noch nichts für seine Zeitung geschickt habe. — Künftiges Frühjahr bekomme ich Zeit, und werde dann das Versäumte einhohlen. —


Hauff, Wilhelm.

Geb. am 29. Nov. 1802 zu Stuttgart, gest. am 18. Nov. 1827. — Von seinen Werken gedenken wir mit besonderer Verehrung an folgende: Lichtenstein, ein Roman, 3 Bde. — Phantasieen im Bremer Rathskeller. — Mittheilungen aus den Memoiren des Satans. — Märchen (viele Auflagen). — H’s. „Sämmtliche Werke“ wurden in 36 Bändchen von Gust. Schwab herausgegeben. —

Der Mann im Monde, eine Parodie Clauren’scher Manier, und die Controvers-Predigt gegen diesen Modeschriftsteller gaben Veranlassung, erstere zu einem Processe, letztere zu einer komischen Scene. Hauff war, etwa ein Jahr vor seinem Tode, in Berlin gewesen, wo er eben besagte, zwar witzige, aber furchtbar grobe, stellenweise cynische Controverspredigt in der litterarischen („Mittwochs-“)Gesellschaft vorlesen ließ. Bald nach ihm fand sich Fr. Haug, der bekannte Epigrammatist, dabei aber der sanfteste, friedfertigste alte Herr, in Berlin ein. Geheimer Hofrath Heun (Clauren) bewohnte zur Zeit im Thiergarten eine Villa; was der ehemalige Berliner „Sommerplaisir“ nannte. Vor dieser saß er eines schönen Abends mit seiner Nichte auf einer an die Straße herausragenden „Altane“ beim Thee, als Haug mit einem andern Herren des Weges kam, welcher Letztere den Gast unterrichtete, daß auf jenem Holzgerüste der Autor der Mimili throne. Haug verlangte vorgestellt zu wer[S. 330]den, der Berliner beeilte sich solchen Wunsch zu erfüllen, Clauren (etwas harthörig) verstand Hauff, und schnaubte Beide von Oben herab zornig an, fragend: wie man sich eines so plumpen Scherzes zu unterfangen wage? Haug zog mit einer langen Nase, länger als die von ihm hundertfach bespöttelte „Wahl’sche“ davon.

Erst am nächsten Tage ward der Irrthum aufgeklärt und Clauren stattete dem unschuldigen Stuttgarter eine Deprecations-Visite ab.

Stuttgart, 30ten März 1827.

Mein sehr verehrter Herr!

Sie erinnern Sich vielleicht, wenn Sie die Unterschrift dieses Briefes lesen, meiner noch als eines jungen Mannes der Sie während seines Aufenthalts zu Dresden zuweilen besuchen durfte. Wie gerne ich immer kam, haben Sie vielleicht gesehen; war es mir doch als ich von Dresden wegging, als sey ich nur in Ihrem Hause gewesen. Ich mache die alte Erlaubniß geltend, Sie an diesem Abend wieder zu besuchen: o daß ich den kleinen heiteren Zirkel wiedersehen, die Stimmen alle hören könnte, welchen ich so gerne lauschte! Doch eine Stimme möchte ich vor allen vernehmen: es ist die Ihrige — über mich.

Sie haben mich beym Abschied wohlwollend aufgefordert fleißig zu seyn; ich habe es versucht und wieder versucht, aber ich fand, es fehlt mir der Muth. Als ich unbekannt mit der Welt in Schwaben lebte, war ich muthig, unverdrossen; als ich Länder und treffliche Männer gesehen hatte und an Erfahrungen reicher heimkehrte, begann der Muth, das Selbstvertrauen mir zu mangeln. Nun ist der Frühling wieder über unsern Bergen aufgegangen und ich fühle mich kräftiger, wenn nicht vertrauensvoller. Doch ehe ich mich an die Arbeit wage, will ich zuvor Sie fragen, ob Sie glauben, daß es räthlich sey zu beginnen?

Ich möchte nemlich die Kämpfe in Tyrol im Jahre 1809 in den Rahmen eines Romans fassen. Ich liebe Gegend und[S. 331] Volk jener Berge und in neueren Zeiten scheint mir kein Bild so intereßant, als dieser Streit zwischen reinem Patriotismus und dem Ehrgefühl einer stolzen Armee, zwischen redlichen, einfältigen Sitten und den Erfindungen und Künsten der Menschen.

Ich fühle nun in mir ein Bedürfniß nach Trost und Ermunterung zu diesem Werk, und lieber laße ich das Bild in seinen ersten Umrißen, als daß ich es ohne Ihre Zustimmung beginne. Diese Bitte um ein Paar Zeilen guten Rathes könnte sonderbar und lästig erscheinen, wenn es nicht von alten Zeiten her Sitte gewesen wäre, daß die Jünger ihre Meister um Rath fragten. Auf das Urtheil öffentlicher Critik, wie sie gewöhnlich heut zu Tage betrieben wird, darf ich umsoweniger hören, da sie mir zuweilen ohne Grund schmeichelte, mich zu verwunden suchte, ohne mir meine Blößen anzudeuten.

Sie wohnen zu hoch über dieser Region, als daß die Stimmen zu Ihnen drängen; Sie vernehmen sie wie ein sonderbares, undeutliches Murmeln; ob für eine einzelne, bittende Stimme aus der Ferne Ihr Ohr geöffnet sey, habe ich versucht auch auf die Gefahr hin, für unbescheiden zu gelten.

Ich wünsche Sie möchten versichert seyn, daß mich zu diesem Briefe, welchen ich zu schreiben einige Tage zauderte, nur ein offenes, redliches Herz und jene Bewunderung, jenes ehrfurchtsvolle Zutrauen bereden konnten, womit ich bin

Mein sehr verehrter Herr!

Ihr ganz ergebener

Dr. Wilhelm Hauff.


[S. 332]

Hebbel, Friedrich.

Geb. zu Wesselburen in Dithmarschen am 18. März 1813, gest. in Wien am 13. December 1863.

Was der zweite dieser Briefe an Innigkeit des Gefühls — bei einem so exclusiven und zurückhaltenden Manne wie Hebbel zweifach bedeutsam — kund thut, das kam aus wahrem, aufrichtigsten Herzen. Zwei verschiedenere Menschen kann es auf Erden kaum noch geben, als Tieck und Hebbel ihrem Seyn, Wesen und Dichten nach gewesen sind. Dennoch erkannten sie sich und waren gerecht gegen einander. Mit tiefer Rührung pflegte Hebbel von seinem letzten Besuche bei Tieck zu erzählen, wo dieser ihm aus dem Krankenbette heraus die Hand gereicht, ihn „vor seinem Abscheiden von der Erde“ noch einmal begrüßt, und ihm Lebewohl zugerufen hatte: „für dieses Leben!“

I.

Hamburg, d. 21ten April 1839.

Hochverehrter Herr!

Im Julymonat vorigen Jahres war ich so frei, Ihnen von München, meinem damaligen Aufenthaltsorte, aus ein Manuscript, enthaltend einen komischen Roman, eine Erzählung und ein Märchen, zu übersenden. Ich bin inzwischen nach Hamburg zurückgekehrt und habe Aussicht, bei einem hiesigen Buchhändler meine Arbeit anzubringen, befinde mich aber leider nicht im Besitz einer Abschrift. Ich muß Sie daher angelegentlichst ersuchen, mir das vorgedachte Manuscript gütigst sogleich remittiren und die Mühe, die ich Ihnen aus Anlaß einer sehr bedrängten Lage durch die Sendung machte, entschuldigen zu wollen.

In der Ueberzeugung, daß ich diesmal keine Fehlbitte thue, bin ich

mit der vollkommensten Hochachtung,

hochverehrter Herr,

Ihr ganz ergebenster
Friedrich Hebbel,
Literat.

Adresse:
Stadtdeich Nr. 43
bei Herrn Ziese.

[S. 333]

II.

Hamburg, d. 17. Febr. 1840.

Hochverehrter Herr!

Wenn ich meine hohe Freude über den Empfang Ihres Briefs vom 23. Juny v. J. nicht sogleich aussprach, so werden Sie den Grund leicht errathen haben. Ich mogte Ihnen mit Versicherungen, die sich von selbst verstehen, keinen Ihrer Augenblicke rauben, und je höheren Werth ich darauf legte, daß Sie mich auch für die Zukunft zu einem für mich so ehrenvollen Vertrauen ermunterten, um so weniger konnte ich mich entschließen, Ihnen leere Allgemeinheiten zu schreiben. Nur auf Einen Punct, den Sie, widerlicher Erfahrungen gedenkend, in Ihrem Briefe anregten, hätte ich Ihnen Etwas zu erwiedern gehabt; ich hätte Ihnen aus voller Seele zurufen mögen, daß die Verehrung, die ich Ihnen zolle, durch persönliche Rücksichten so wenig verringert, als noch erhöht werden kann, und daß ich, einer schnöden Parthei gegenüber, die ihre Furcht und ihr Zittern hinter eitler Arroganz zu verstecken sucht, ewig meinen Stolz darin setzen, ja, meine Pflicht darin sehen werde, einem Mann, der aller Zeit angehört, so viel an mir liegt, den ihm gebührenden Tribut darzubringen.

Jetzt erlaube ich mir, von dem Vertrauen, zu welchem Sie mich aufforderten, Gebrauch zu machen. Ich habe ein Trauerspiel geschrieben, das ich zur Aufführung zu bringen wünsche, und ich nehme mir die Freiheit, Ihnen hiebei ein Exemplar desselben zu übersenden. Ich ersuche Sie um freundliche Vermittelung bei der dortigen Bühne, vor Allem aber bitte ich Sie um Ihr Urtheil, das mir bei diesem Werk, welches mir ganz aus Geist und Herzen floß, und welches ich, bei klarer Erkenntniß vieles Tadelswerthen und Mangelhaften in den Einzelheiten, dennoch in seiner Totalität nicht für mißlungen halten kann, von der höchsten Wichtigkeit ist. Ein[S. 334] einfaches Wort von Ihnen, es sey günstig oder nicht, ist mir mehr, als ein Trompetentusch der gesammten deutschen Journalistik, den ich leicht hervorrufen könnte, wenn ich nur zu Gegendiensten bereit wäre. Eine lyrische Fontaine werden Sie nicht finden; ob ich aber nicht auf der entgegengesetzten Seite zu weit gegangen und in der dramatischen Concentration hie und da zu starr geworden bin, das ist es, was ich von Ihnen zu erfahren wünsche. Ich selbst erlaube mir über mein Stück nur die eine Bemerkung, daß es in sehr kurzer Zeit entstanden ist.

Sie werden verzeihen, daß ich mein Trauerspiel, statt es direct bei der Direction des Theaters einzureichen, an Sie zu schicken wagte; auch werden Sie mir, wie ich hoffe, in Berücksichtigung des Dringlichen einer solchen Angelegenheit eine möglichst baldige Antwort zu Theil werden lassen.

Ich bin und verbleibe, hochverehrter Herr,

mit vollkommenster Hochachtung

Ihr aufrichtigster Verehrer

Friedrich Hebbel.

Addr.: Stadtdeich Nr. 43.


Hegner, Ulrich.

Geb. 1759 in Winterthur, gest. am 3. Jan. 1840 in Zürich, als Regierungs-Mitglied. —

Dessen 1812 erschienene Erzählung: die Molkenkur hat wohl die meiste Verbreitung gefunden. Ueber „Saly“ gingen die Urtheile sehr auseinander; Solger z. B. stimmte mit Tieck’s günstiger Meinung wenig zusammen.

Seine „Gesammelten Schriften“ sind in fünf Bänden (1828) ausgegeben worden.

I.

Winterthur, 17. August 1831.

Ihr Brief, mein verehrter Freund, (wer meine Kinder liebt, ist mein Freund, und verehrt war mir der Name Tieck[S. 335] schon lange) hat mir große Freude gemacht; ich hab ihn erst den 28. Juli erhalten, und seitdem einige kleine Reisen unternommen, die mich an der Antwort hinderten. Aber was soll ich Ihnen antworten, lieber möchte ich Sie sehen und sprechen, da wollten wir uns bald verstehen! Denn wenn ich Ihnen jetzt von dem wohlthätigen Eindruck schreibe, den Ihre Schriften, besonders Sternbalds Wanderungen, vor Jahren auf mich gemacht haben, so sieht das aus, wie ein schuldiges Gegencompliment, weil unsre nähere Bekanntschaft erst angeht und wir einander noch persönlich zu fremde sind. Und doch ist es wahr, ein köstlicher Fund war mir damals jenes Buch, so wie die Phantasien über die Kunst und Phantasus. Die schöne, einfache Sprache, echte Empfindung, der zarte originelle Sinn, und die menschliche Schätzung des Höheren, die ich darin fand, waren mir tröstende Erscheinungen in einer düstern Lage, wo ich mich gerade von dem Gegentheil jener schönen Eigenschaften umgeben glaubte. Daher ist mir der Handschlag, den Sie mir bieten, höchst willkommen, und an mir soll es nicht fehlen, denselben auf das freundschaftlichste zu erwiedern.

Sie verlangen einige Aufschlüsse über die Entstehung von Saly. — Bis zu unserer Revolution bekleidete ich eine Stelle, die schon seit bald dreyhundert Jahren auf meiner Familie beruhte, und mich mit Hohen und Niedern bekannt machte, die Landschreiberey der Grafschaft Kyburg. Durch die politische Veränderung hörte dieß sogenannte aristokratische Privilegium auf, ich kam von der Stelle weg, und nach Zürich in das Appellationsgericht, das damals wie beynahe alle andre Behörden größtentheils mit Revolutionsmännern besetzt war. Da lernte ich nun alle politischen Partien (ich war von keiner, weil beyde extravagirten) und ihr geheimes Treiben ziemlich genau kennen, um so viel besser, da ich drey Jahre im Hause und am Tische Lavaters lebte, dessen thätiger Geist[S. 336] und Vielwirksamkeit von allen Seiten in Anspruch genommen ward. So drängte sich in mir ein klares Bild jener merkwürdigen Tage zusammen, und ließ mir keine Ruhe, bis ich es auf’s Papier warf, als einen Spiegel jener Menschen und Zeiten, wobey ich aber, alle Porträte sorgfältig vermeidend, es in den Roman einkleidete, der, wie seine Anlage zeigt, weiter ausgeführt werden sollte. Allein als ich bis zum wirklichen Ausbruche der Umwältzung und der neuen stürmischen Organisation kam, fiel mir die Feder aus der Hand, weil ohne individuelle Bezeichnungen, und dadurch unausbleibliche Störungen meiner Ruhe, das Geschichtliche nicht weiter hätte fortgeführt werden können. So blieb das Bruchstück mehr als zehen Jahre lang liegen, und kam nur in die Hände weniger Freunde, bis es endlich, nachdem die erste Molkenkur schon lange erschienen war, den Weg unter die Presse fand. In der Schweitz wurde es häufig gelesen, in Pallästen (hätte ich bald gesagt, wenn wir welche hätten) wie in Hütten; aber nie wäre mir ein Gedanke daran gekommen, (weil es so ganz örtlich und vaterländisch ist) daß es auch auswärts theilnehmende Leser fände. Desto besser, weil unerwartet — und eine große Ehre und Freude für mich, daß selbst ein Tieck dem Werklein seinen Beyfall gibt. — Meine Absicht war, und spuckt mir noch zuweilen im Kopf herum, den alten christlichen Weltweisen in Brem (weggerissen).... aus der aufgestörten Schweitz hinweg und mit einigen (abermals weggerissen)... nach Holland ziehen zu lassen, und Klara sollte ein Tagebuch darüber führen. Aber wie es geht, wenn man eine Arbeit lange beyseits gelegt hat, man fängt unterdessen andre an, und kann und mag nicht mehr an die alte gehen.

So viel von mir. Jetzt wünschte ich aber hinwiederum auch etwas von Ihnen zu hören, das heißt, von Ihrem Leben und Treiben. Ich glaubte, Sie lebten in Berlin, jetzt[S. 337] sehe ich, daß Sie in Dresden sind; wollen Sie mich nicht auch etwas von Ihrer persönlichen Lage wissen lassen? Ich lebe hier in einer kleinen Handelsstadt, wo ich (ich weiß nicht, soll ich sagen leider oder nicht) gar keinen litterarischen Umgang habe, und nichts von vorzüglichen Menschen erfahre, als was ich aus Journalen herausbringe. — Gibt es kein gestochenes Bild von Ihnen, damit ich mir auch eine leibliche Vorstellung von Ihnen machen könne? Begreift der angekündigte Shakespear seine sämmtlichen Schauspiele und eine ganz neue Uebersetzung? Sind die Gedichte schon heraus? — Kurz wenn Sie mich mit einem Briefe erfreuen wollen, so thun Sie es bald, und lassen mich auch so genannte Kleinigkeiten von Ihnen wissen, denn diese sind von Männern, die man schon lange im Großen kennt und schätzt, nie unbedeutend.

Herzlich grüßend

der Ihrige

U. Hegner.

Addr.: V. Hegner zum Frieden (denn es giebt hier noch mehrere meines Geschlechts — ohne weitern Titel).

Hrn. Brekling bitte zu grüßen. Er schreibt mir zuweilen, gibt mir aber seine Addresse nie, so daß ich nicht antworten kann.

II.

Winterthur, 17. Febr. 1829.

Ich habe, Verehrtester, etwas auf dem Herzen, das ich abladen muß. Schon Herr Reimer schrieb mir aus Dresden, daß Ihr Aufenthalt allhier Sie nicht nach Erwartung befriedigt habe, und Hr. Follen hat mir dieß neulich noch des weitern bestätigt. Da es mir nun schmerzlich wehe thäte, mein liebevoller Tieck, etwas von Ihrer Achtung zu verlieren, so[S. 338] fühle ich mich zu einiger Erklärung meiner scheinbaren Zurückhaltung gedrungen.

Von Kindheit an war ich ein sehr einsamer Mensch, wodurch ich mir eine anfängliche Verlegenheit unter Fremden zugezogen habe, die ich mir nicht mehr abgewöhnen kann. Sie hingegen sind ein in Gesellschaft verbreiteter Mann, von leichtem Umgange. Sie sprechen sehr gut; ich kann gar nicht sprechen, das macht mein Reden mir selbst langweilig, (weggerissen)... andern. Und so geht, ehe ich zum vertraulichen Worte komme, gewöhnlich die Zeit verloren.

Hätte ich Sie nur ein paar Tage allein bey mir, so würden unsre opposita, alsdann juxta se posita, statt schroffer sich zu zeigen, wahrscheinlich bald in Einklang kommen; denn im Grunde sind wir doch Eines Geistes (wenn auch nicht quantitativ), und der Geist ist es, der lebendig macht, das Fleisch äußerlicher Angewöhnung ist wenig nütze, ist Unkraut, das wenn es auch heute noch stände, schon morgen in den Ofen geworfen seyn würde.

Ich hätte freylich auch gewünscht, länger mich mit Ihnen unterhalten zu können, aber da Sie äußerten, daß Sie nach Tische verreisen wollten, so mußte ich doch vor Tische gehen; ich besorgte überdies die Frauenzimmer zu geniren. Hätten Sie mir nur ein Wort vom Bleiben gesagt, wie gerne wär ich geblieben!

Nehmen Sie diese Herzenserleichterung auf, wie sie gemeint ist, theurer Mann, als den Wunsch, nicht in Ihrem freundschaftlichen Andenken verloren zu haben, und lassen Sie mir dasselbe ferner gewähren!

Ulrich Hegner.


[S. 339]

Heiberg, Johann Ludwig.

Geb. den 14. Decbr. 1791 in Kopenhagen, wurde 1849 Direktor des dortigen K. Theaters. Obwohl seine vorzügliche, anerkannt produktive Thätigkeit sich im Lustspiel und dramatischen Märchen bewegt, hat er doch auch verschiedene Erzählungen geliefert, die in deutscher Uebertragung verbreitet sind. Er ist in seinem Vaterlande sehr beliebt, und verdient es gewiß. Aus denjenigen seiner Arbeiten, die hier zu Lande bekannt wurden, ließ sich aber schwerlich errathen, daß er einer der eifrigsten Anhänger Hegel’scher Philosophie sei, was er jedoch wirklich ist, oder wenigstens war.

An Herrn Ludwig Tieck in Dresden.

Kopenhagen, den 5ten May 1827.

Zwar darf ich nicht hoffen, von Ihnen, auch nur dem Namen nach, gekannt zu seyn. Leider ist unser Land so klein, und unsre Literatur eben deswegen so wenig nach dem Auslande verbreitet, daß selbst derjenige, der zehnmal so viel für dieselbe gethan hätte, als ich mich gethan zu haben rühmen darf, dennoch eines besonderen literarischen Paßes bedarf, um seinen Namen über die Grenze unbehindert paßiren zu lassen. Auch bin ich nie in Dresden gewesen. Ich habe mich während drey Jahren in Paris aufgehalten, ging aber auf der Hinreise über London, und hatte auf der Rückreise durch Deutschland so große Eile, daß ich den kürzesten Weg nehmen mußte. Später bin ich während einiger Monate in Berlin gewesen, wo ich besonders mit den Herren Professoren Hegel und Gans in genauerer Verbindung stand; allein auch damals wurde mein Plan, von dortaus Dresden zu besuchen, vereitelt.

Die Veranlassung aber zu diesem Briefe ist ein Packet Bücher, das ich vor einigen Tagen so frei gewesen bin, Ihnen zu schicken. Ich habe es an unsere Chargé d’ affaires, den Herrn von Irgens-Berg in Dresden adressirt, von dem Sie es binnen kurzer Zeit erhalten werden; und auch dieses hat[S. 340] wiederum eine Veranlassung, zu deren kurzen Erörterung ich mir Ihre Erlaubniß ausbitte.

Ich habe seit zwey Jahren einige Vaudevillen für die hiesige Bühne geschrieben; ich sage: geschrieben, denn ich habe mich wohl gehütet, fremde Arbeiten dieser Art auf dänischen Boden roh zu verpflanzen, oder, wie man es gewöhnlich nennt, zu bearbeiten. Meine Absicht war, die Neuerungssucht, die jetzt im Publikum herrscht, indem sie ihm für das Alte den Sinn mehr und mehr benimmt, und so manches Abgeschmackte herbeigeführt hat, einmal, wo möglich, zu einem löblichen Zwecke zu benutzen, d. h. zur Wiedererweckung des unserm Volke tief eingewurzelten Sinnes für das Local-Comische, eines Sinnes, der aber seit Holbergs Zeiten kaum einige Nahrung erhalten hat. Wie ich nun zugleich gesehen hatte, daß eine höchst mittelmäßige Posse, Die Wiener in Berlin, von Demoiselle Pohlmann und deutschredenden Dänen nicht besonders gut ausgeführt, beym hiesigen Publikum Eingang finden konnte, so mußte ich mich überzeugen, daß selbst in den schlechtesten Stücken dieser Art ein gewisser Melodienzauber herrschen könne, und diesen beschloß ich daher zu einer wahrhafteren comischen Wirkung zu benutzen. Es schien mir nämlich, daß auch das Vaudeville zu einer dramatischen Kunstart herausgebildet werden könne, und daß eine solche Ausbildung, beym Stand der hiesigen Bühne, nicht ohne poetisches Verdienst sein würde. Meine sonstigen Ansichten dieses Gegenstandes habe ich in einer besonderen dramaturgischen Abhandlung, die in dem besagten Packete zugleich befindlich ist, weiter aus einander gesetzt. Wie gesagt, schrieb ich dann einige local-comische Vaudevillen, die aufgeführt und mit einem hier unerhörten Beyfall aufgenommen wurden. Jetzt aber entstand unter den Literaten die Frage, ob diese neue Richtung ein Schritt vorwärts oder rückwärts zu nennen sey. Es ist natürlich, daß ich der ersten Meinung bin; es ist[S. 341] eben so natürlich, daß Leute, die Ihre gerechten Aeußerungen gegen die jetzige Rohheit der Verfasser, welche, die Dichtarten und die Localitäten verwechselnd, dasjenige, das in einer gewissen Kunstsphäre gut ist, in eine andere ganz mechanisch überführen und verderben, und welche ferner nur auf das Aeußere und Zufällige in der Kunst bedacht sind; — es ist natürlich, sage ich, daß Leute, die Ihren gerechten Eifer gegen diese Pfuschereien kennen, ohne ihn recht verstanden zu haben (denn daß Sie Müllner, Grillparzer und Houwald tadeln, und H. v. Kleist rühmen, das werden diese Leute nie verstehen) — daß sie, sage ich, sich Ihrer, als einer schlecht verstandenen Autorität, bedienen, um die von Ihnen ausgesprochene Misbilligung nachgeäffter französischer Witzspiele auf meine Arbeiten anzuwenden, die doch in einem ganz anderen Sinne entworfen und ausgeführt sind, und wenigstens keine unverdaute Aufnahme fremdartiger Substanzen, sondern, wie ich mir schmeichle, eine nationale Assimilation sind. Ich darf glauben, daß ich Ihre dramaturgischen Schriften mit größerer Einsicht gelesen habe, als die meisten unserer Theater-Kritiker, und bin der Meinung, daß Sie meine Vaudevillen als recht lobenswerthe Bestrebungen nach einem richtigeren Geschmack anerkennen werden. Vielleicht aber, daß ich mich darin geirrt habe. Auf jeden Fall wünsche ich recht sehr, Ihr aufrichtiges Urtheil darüber zu vernehmen. Ich habe daher mir die Freyheit genommen, Ihnen alle diese Kleinigkeiten zu schicken. Sie verstehen die dänische Sprache, Sie sind ein berühmter Kenner von Holberg, und Sie sind beynahe der Einzige, der in jetziger Zeit für die Sache der wahren Kunst gegen Uebertreibungen, Mißverständniße und Thorheiten aller Art kräftig redet. Haben Sie daher die Güte, bey Gelegenheit meine kleine Bühnenstücke so wie die dramaturgische Abhandlung durchzublättern und mir Ihre Meinung darüber, wenn auch nur in aller Kürze, mitzutheilen. Sie werden mich dadurch,[S. 342] sogar im Falle eines ungünstigen Urtheils, ganz besonders verpflichten.

In demselben Packete finden Sie auch ein von mir, auf Verlangen der hiesigen Direction, bearbeitetes fremdes Vaudeville: Die 7 Mädchen in Uniform. Ich habe es nur deswegen beygelegt, damit Sie sehen mögen, daß Ihre kurzen Bemerkungen über diese Kleinigkeit bey meiner Bearbeitung nicht ohne Einfluß gewesen sind. Zugleich werden Sie die bis jetzt erschienenen Nummern eines von mir seit Neujahr redigirten Wochenblattes vorfinden.

Ich weiß nicht, ob meine deutsch geschriebene Nordische Mythologie nach der Edda und Oehlenschläger, die zur letzten Michaelismesse erschien, Ihnen zu Gesicht gekommen ist. Ich würde sie beygelegt haben, wenn ich nicht gefürchtet hätte, das Packet sey schon zu groß geworden.

Ihr Freund Oehlenschläger hat ein neues Trauerspiel „Vaeringernd i Myklegard“ geschrieben, und beschäftigt sich jetzt mit einer deutschen Uebersetzung davon.

Verzeihen Sie gütigst meine Zudringlichkeit.

Mit besonderer Hochachtung ganz ergebenst

J. L. Heiberg, Dr. phil.


Hensel, Wilhelm.

Geb. den 6. Juli 1794 zu Trebbin, Professor an der k. Akademie der Künste in Berlin, und Historienmaler. Die geist- und tonreiche Schwester Felix Mendelssohns war seine Gattin. Als junger Mann trieb er auch Poesie, und mit glücklichem Erfolg. Sein Lustspiel: „Ritter Hans“ ward beifällig aufgenommen. Mit dem theuren Freunde Wilhelm Müller und Andern im Vereine gab er (1816) Gedichte heraus unter dem Titel: Bundesblüthen.

Für die hervorragendsten der von ihm gemalten Kunstwerke werden „Herzog von Braunschweig vor der Schlacht von Quatrebas“ und sein „Christus vor Pilatus“ (in der berliner Garnisonkirche) gehalten.

[S. 343]

Berlin, den 11ten July 1829.

Dieser Brief ist kein Empfehlungsbrief, höchstens einer mich selbst wieder zu empfehlen nach so langer Zeit, und ich habe die freundliche Ueberbringerin gebeten, dies besser zu thun. Durch sie hoff’ ich auch recht viel zu hören von Ihnen, denn sie weiß was man gern hat, und kann es sagen auch. Jeden der aus Dresden kam hab’ ich ausgefragt, hier und in Rom, nie aber war mir genug was ich erfuhr. Neulich hatt’ ich die angenehme Ueberraschung Frau von L. zu sehen, und gleich waren wir bei Ihnen und Ihrem Kreis. Zu meiner Beruhigung hör’ ich, daß es mit Ihrer Gesundheit jetzt besser geht, was denn immer ein Vortheil für uns Alle ist; wodurch die Theilnahme an Ihrem Wohle allerdings egoistisch erscheint. Indessen wissen Sie doch auch wohl wer Sie nicht blos Ihrer Werke wegen liebt, und lassen sich auch von mir ferner die alte Doppelliebe gefallen. Die treuste Anhänglichkeit hab’ ich Ihnen und den verehrten Ihrigen gewiß stets bewahrt; möcht’ ich dagegen hoffen dürfen, daß auch in Ihrem Kreise noch mein Andenken lebt!

Ich gebe den Gedanken nicht auf einmal selbst nachzufragen, wollt’ es auch schon auf der Rückreise von Italien thun, mußte dann aber rasch meinen Bildern nach. Was sich seitdem in Leben und Kunst mit mir zugetragen, wissen Sie in den Hauptpunkten durch gemeinschaftliche Freunde bereits. Wollten Sie Näheres hören kann Fräulein Saling (Marianne?) meine liebe künftige Cousine, die beste Auskunft geben.

Diese Worte sind in Eil geschrieben, es ist ein Tag voller Sitzungen heut und morgen früh ist der Brief schon Dresden näher als ich. Dresden —! wieviel Erinnerungen knüpfen sich an den Namen in mir! Wehmüthige auch. Aber doch steht er leuchtend in mir, und ich möchte Sie wiedersehn!

[S. 344]

Leben Sie wohl und bleiben Sie mir freundlich gesinnt. Ihrem lieben Kreise den herzlichsten Gruß! Treu und verehrend

ganz Ihr

Wilhelm Hensel.

Ihren Herrn Bruder sah ich vor wenigen Tagen recht wohl.


Hermann, F. R.

Die zwei Briefe dieses unglücklichen (siehe die Anmerkung in Büsching’s Schreiben) und gänzlich vergessenen Mannes sind aufgenommen worden, weil er doch der Erste gewesen ist, der die seitdem von bedeutenden Dichtern durchgeführte Idee, dramatisirter Nibelunger, gefaßt und auf seine Weise in’s Werk gesetzt hat, und weil Tieck ihm ermunternd entgegen gekommen ist.

Wo das Manuskript seiner Dramen — und ob es noch existirt? vermochten wir nicht zu erfahren.

Gewiß, eine traurige Empfindung, die aufgeregt wird durch den Gedanken, daß eine Dichtung, an welche ein Mensch die besten Jahre seiner Jugend gesetzt, auf welche er Hoffnungen bauete, welche von bedeutenden Männern mit Theilnahme betrachtet ward... so gänzlich verschollen ist; daß all’ sein Streben nichtig blieb.

Nun, es ist wohl Manchem so ergangen; nur, daß nicht Alle wahnsinnig darüber wurden.

I.

Breslau, d. 8t. Dez. 1816.

Wohlgeborener Herr,
Hochzuverehrender Herr Doktor!

Ich schwebe mit meinem lieben Geisteskinde Chriemhilde nun recht zwischen Furcht und Hoffnung, ob Sie die Sünderinn begnadigen oder verdammen werden. Wenn ich mich auf die Seite der unbefangenen kälteren Beschauung hinneige, und gleichsam von oben herab das Ganze überblicke, da treten freilich mehr und mehr Unebenheiten aus dem Gebilde hervor, die sich in horizontaler Richtung verbargen und deckten; und[S. 345] so bin ich jezt mit Manchem, besonders mit dem Anfange und der Mitte des Drama’s nicht recht zufrieden. Sie werden es wohl am besten beurtheilen können, inwiefern meinem guten Willen und meiner Anstrengung die dazu erforderliche Kraft entsprach. Aber Sie werden auch alle die Hindernisse, die mit diesem Stoffe und seiner dramatischen Behandlung verbunden sind, als Künstler überschauen; denn nur der Dichter kann den Dichter ganz beurtheilen. — Ich hätte mir es freilich leichter machen können, wenn ich den Stoff mit mehr freier Fantasie behandelt, und mich in einer freieren Form mit Hinsicht auf seine äußere Gestaltung bewegt hätte. Und so ist denn, leider! durch das zu ängstliche Anschmiegen an das Epische des Urbildes viel Dramatisches untergegangen. Bei Siegfrieds Tod will ich mich aber schon mehr gehen lassen, wie man sagt, da sein Stoff sich mehr dem Drama anschmiegt. Obwohl das Lied gegen die Katastrophe hin sehr reichhaltig an Werkstoff für lebendige Darstellung scheint, so ist es doch eigentlich kein dramatischer, und so mußte ich, wie Sie es billigen werden, das Meiste bei Seite schieben, oder unter der Szene halten, um nicht ein gräßliches Bild der blutigsten Vernichtung aufzustellen.

Ich habe nun schon mancherlei, oft ganz entgegengesetzte Urtheile über meine versuchsähnliche Arbeit vernommen. Graf Brühl meinte, wenn das Stück Effect machen sollte, müßte Siegfrieds Tod drinnen vorkommen, wie im Lear die Ländertheilung, im Hamlet der Geist wesentlich erforderlich sind, um bei dem Publikum das Interesse für Chriemhildens Rache rege zu machen; eine Erzählung davon als Exposition reiche nicht hin. Siegfrieds Tod hinein zu weben, hatte Schwierigkeiten; 13 Jahre waren seit seinem Tode, und 7 Jahre seit Chriemhildens neuer Vermählung verflossen; und hätte dann, abgesehen vom chronischen Uebelstande, nicht Siegfrieds Tod wieder motivirt, und somit ein Quasi-Dualismus in die[S. 346] Handlung hineingeschoben werden müssen? Daß ich aber Siegfrieds Tod besonders bearbeiten will, wußte er doch. — Prof. Rhode hingegen lehnte sich gegen die veralteten Formen der Sprache auf, wobei, wie er meint, alle Logik unterging; besonders will ihm die Konstruction des Hilfswortes thun nicht behagen. Auch läßt er sich recht hämisch über ein Wort aus, was nur ein Schreibfehler war. Ueber Ein Wort!! Das nenn’ ich mir einen Theater-Direktor. — Dem Herrn Schall gefiel die äußere Form nicht, er meinte allen Reim und besonders Assonanz vertrüge das Drama nicht: Auch ließe sich nie ein Epos als Drama bearbeiten; ich meinte wohl, daß den Drama’s erst das Epos vorausging, wie bei den Griechen es der Fall ist. — Und so wurde mir mein Wurf zur theatralischen Darstellung vereitelt. Schall hätte es vielleicht vermocht, es hier zur Darstellung zu bringen, zumal wenn einiges im Dialog verkürzt und so die Handlung mehr zusammen gedrängt worden wäre, allein er that nicht nur nichts, sondern eiferte selbst schon gegen die Darstellung eines so blutigen Stoffes. — In Berlin würde man das Stück vielleicht gegeben haben, wenn ich Kosacken-Tänze, Soldaten-Aufzüge, ein paar Knall-Effekte und etwa noch einen Hund hätte hinein schroten können. — Nun haben es die Kaiserl. Kustoden der Bibliothek zu Wien von mir durch Büsching begehrt, da sie es nun auf die Wiener Bühne zu bringen gedenken. — Ich glaube nicht, daß es ihnen gelingen wird. Nun seh ich noch mit innigem Verlangen Ihrem Endurtheile entgegen, das ich mit ungeheuchelter Verehrung aufnehmen werde. Es soll mich ausschließlich bei meiner eben angefangenen Arbeit leiten. —

Ich hatte mir vor und während der Arbeit so manches Schöne geträumt, was nachher wie Wasser zerrann. Und wie manch kalter vernichtender Ausspruch von 3 Worten über mein ganzes Ringen und Trachten mußte mich nicht herzlich verwunden! — Ich wollte nun ganz von meinem Unternehmen[S. 347] abstehen, als mich die freundliche Ermahnung Hagens: „Nur frisch und froh an’s Werk, und nicht den Muth verloren“ aus Venedig aufmunterte. Nun denn, so will ich’s weiter versuchen, wenn auch Sie es billigen.

Mögen Sie es gütigst entschuldigen, daß ich Sie so viel mit meinem Geisteskinde, so schwach und unbeholfen, belästige.

Zu Ihnen habe ich nun nach Ihrer freundlichen Aufnahme in Zibingen mein ganzes Vertrauen gefaßt. Möchten Sie mein Meister seyn wollen! Hier bin ich so einsam und abgeschlossen — und Ihnen möcht’ ich gern von Zeit zu Zeit ganz mein Inneres ausschütten, den ich schon so lange innigst verehre und liebe

Ew. Wohlgeboren

ergebenster

Hermann.

II.

Breslau, d. 9ten März 1817.

Wohlgeborener Herr,
Hochzuverehrender Herr Doctor!

Ihr gütiges Schreiben vom 4. d. hätte mich wohl sehr betrüben können, wenn es am Schluße nicht einige tröstliche und freundliche Ermahnungen enthielte, die wieder mein Vertrauen zu Ihnen erwecken und beleben. Wenn ich die hier und da in Ihrem Briefe zerstreuten Andeutungen zusammenstelle, sprechen Sie nicht leise und schonend Ihr Urtheil über den gänzlichen Fehlgriff meines Versuches aus? — Indessen bin ich Ihnen für die Freimüthigkeit Ihrer Aeußerungen um so mehr vebunden, da sie einestheils mir ein Beweis sind, daß Sie dennoch den mißlungenen Versuch einer näheren Beurtheilung nicht ganz unwürdig fanden, theils aber auch meine dunkeln Zweifel mehr noch rege machten, und mich auf den Standpunkt eines jetzt freieren Ueberschauens sezten.

Doch Sie erlauben mir Einiges hier nieder zu schreiben, nicht um Ihre Gründe und Ansichten, die auch beinah ganz[S. 348] die meinigen sind, zu bestreiten — nein! ich will Ihnen nur herzlich mittheilen, was Sie auch als ein Sündenbekenntnis an- und aufnehmen mögen. — Im Mai v. J., als ich mich, frei von aller Weltverbindung, mit heißem Eifer zu den Musen hinwandte, las ich das erste Mal die Nibelungen mit ganz freiem Gemüth, und so begeistert und unfreiwillig ergriffen sann ich nicht lange hin und her, und nur zu rasch war der Plan — oder vielmehr nur ein Umriß eines Planes in einigen Stunden entworfen, die erste Szene noch an demselben Tage und das Ganze in noch nicht vollen 6 Wochen gefertigt. Rastlos war ich beschäftigt, mußte mir die Kenntnis der verwandten Sagen doch auch verschaffen. — Dies und das Lastende des überwältigenden Stoffes drückte mich nieder, nicht frei beherrschte ich die ganze Idee, sondern ließ so mich von ihr beherrschen. Nur meine unwandelbare Liebe für die Herrlichkeit der Fabel konnte mich bei all den unsäglichen Schwierigkeiten, mit denen ich zu kämpfen hatte, ermuthigen. Hiezu kam auch noch, daß die verworrene Idee der Gestaltung des Ganzen gegen den Schluß hin immer mehr sich aufklärte, — aber ich war zu weit vorgeschritten — alles hätt’ ich über den Haufen werfen müssen — und nun — wie und was dagegen aufstellen? — Dies war ein peinigender Gedanke und in ihm ging nun vollends die Freiheit meines Gemüths unter.

Und wie ich denn das Ganze gefertiget hatte, sah ich wohl hier und da manche Gebrechlichkeit — aber doch ward es mir nicht klar, wie ich den Stoff in theatralischer Beschränkung anders wenden und handhaben sollte. Dies Eine hielt ich immer fest im Auge — nehmlich die stäte Hinsicht auf die theatralische Darstellung, die mich freilich sehr beschränkte, und die ich nach Ihrem Winke, um das Ganze mit größeren und freieren Formen zu umschließen, hätte aufgeben sollen. Aber ich weiß nicht, ob ich mich täusche, wenn ich glaube, daß durch zu weite Ausdehnung die drastische Kraft des Drama’s wohl[S. 349] erschlaffen dürfte, die in gegebenen Grenzen sicherer und schöner sich bewegt. Auf der Bühne tritt das Drama eigentlich wieder in’s Leben — ja wird da erst zum Leben. Wohl weiß ich es, welche Forderungen das schaulustige Publikum an seine Dichter macht. Deßhalb haben Sie und Göthe sich von der Bühnendichtung zurückgezogen, aber wie mich däucht mit Unrecht. Sie würden eine Nazional-Bühne haben schaffen können, wenn Sie nur wollten. Sind nicht die griechischen Dramen selbst aus der ersten Epoche, sind nicht fast alle des Shakspear’s und Calderon’s für die Bühne gedichtet?

Im Liede war die Katastrophe gegeben und gewiß mit einer Tiefe des Gemüths wie sonst nirgends in einer der verwandten Sagen — konnte ich mich hier wie überhaupt bei der ganzen Fabel so frei und mit unbeschränkter Willkür fassen, wie etwa Shakspear es mit einer Novelle that? — Ich glaube, die Würde der Sage, ein heiliges unverletzliches Erbe der Nazion, ließ es nicht zu. — Und nun war der Catastrophe so viel vorausgegangen, was ich damals für Pflicht hielt in Erzählungen (mithin episch) einzuflechten — den fürchterlichen blutigen Ausgang mußt’ ich hinter der Szene halten, und so trat denn natürlich die Wechselwirkung zwischen Drama und Epos wieder ein. Aber eben weil das schreckbare Grausen hinter dem Vorhange schwebt, ergreift es nicht minder unser Gemüth, und wird es nicht mehr zu einer Luftspiegelung in duftiger Ferne? — Wenn auch in den ersten 2 Akten meines Trauerspiels weniger äußere Handlung ist, als in den folgenden, so habe ich dagegen eine ruhigere Entwickelung der Karaktere beabsichtigt. — Der Strom schwillt allmählig an, und bricht überwallend und durchreißend erst später die Ufer, und dieses ruhige Fortschreiten neigt sich denn zum Epischen hin, und da war es, wo vielleicht das Urbild zu kräftig in mich herüber wirkte.

Die Mannigfaltigkeit der äußeren Form mit Hinsicht auf[S. 350] Sprache hat nicht Ihren Beifall. Aber darf sich denn nicht ein romantischer Stoff in reichen bunten Formen bewegen? Und haben nicht die altgriechischen Urtypen eine Ueberfülle von Mannigfaltigkeit und Abwechselung? Was soll ich von Calderon, Shakspeare in den romantischen Dramen, von Göthe im Faust, von Schiller in der Braut sagen? Und ist nicht diese Fülle auch Ihnen, freilich in einem reineren plastischen Ebenmaße, eigen? — Der Nibelungen-Vers soll schleppend sein? Da er den streng beobachteten gleitenden Abschnitt hat, und so gewißermaßen in 2 Hälften zerfällt, so hat er wohl in sich schon Abwechselung genug, ohne das Ohr zu ermüden. Ich habe mich seiner selten, und nur da bedient, wo ein ruhiger Gang der Handlung eintritt. — Einige Alexandriner sind unter die Trimeter eingeschlichen, und werden, schon lang wie Schlachtschöpfe roth bezeichnet, ausgeprakt werden. In dem antithesischen Dialog hab ich sie mit Willen beibehalten, was Sie auch billigen werden. — Aber auch meine Lieder (Romanzen) sollen aus der neuen Zeit herüberklingen? Die eine — das Riesenweib — ist im altnordischen Stil, wenn auch freie Dichtung; die zweite — Siegfrieds Tod — nach der bekannten Sage; die dritte — Wolfdieterich mit den Geister-Recken kämpfend — nach dem Heldenbuche gefaßt. Ein hiesiger Dramaturg und dann auch ein gewißer Kunstrichter machten mir bittere Vorwürfe, daß ich auch diese Lieder in veraltete Formen gebracht hätte. — Diese Lieder können Sie doch nicht meinen. Aber keine anderen giebt’s nicht in diesem Trauerspiele.

Ueber die Zeichnung der Charaktere, und vorzüglich über mein Herzenskind Dietlinde, die ich mit vielem Bestreben rein und im Gegensatze zu Chriemhilden, durchzuführen gedachte, sowie über Hagen, Volker und Attila, der gewiß schwer zu fassen war, beliebten Sie auch gar nichts zu erinnern.

In Ihre vortrefflichen, wenn auch nur flüchtig hingewor[S. 351]fenen Bemerkungen über das Nazionale stimme ich mit ganzer Seele ein, und von daher werden Sie den ersten gewagten Versuch an dem herrlichsten Denkmal des einst da gewesenen großen nazionalen Lebens theilnehmend entschuldigen, denn was stände sonst als Stoff für’s Nazional-Drama einladender da, als die reiche unerschöpfliche Quelle des Mittelalters und seiner noch früher vorangehenden Heldenzeit? — Streng haben Sie gerichtet, aber ich verehre auch in Ihnen den Meister, und jedes Wort war mir ein lehrreicher Wink.

Und so komm’ ich denn wieder, Ihrer gütigen Einladung zufolge, mit dem zweiten Versuch: Der Nibelungen Hort, und lege ihn wieder Ihrer geneigten und kritischen Prüfung vor. Ich bin der deutschen Sage ausschließend treu geblieben. Was ich erfunden, glaub ich, ist dem Geiste dieser Sage nicht entfremdet. — Der Raub des Magdthums, wie er im Liede dargestellt ist, war doch nicht dramatisch aufzufassen, und ihn hinter dem Vorhange zu halten, wäre noch ärger geworden. —

Nach einiger Zeit, wenn ich mit Siegfried fertig bin, was wohl in 5 Wochen sein dürfte, will ich Chriemh. Rache noch einer Revision unterwerfen, und in die ersten 2 Akte mehr dramat. Leben zu bringen trachten.

Da ich Siegfried mit dem Hort nach Wien senden will, um die Aufführung wenigstens des ersteren zu erringen — wenn die Riesen und die Zwerge im zweiten wieder Umstände machten — so bitte ich Sie, mir binnen 3 Wochen das beifolgende Manuscript nebst Ihrem Resultat gütigst zurückzusenden.

Nochmals empfehle ich mich Ihrer geneigten Aufmerksamkeit für mich, und wünsche nichts sehnlicher, als mich Ihrer Freundschaft in der Folge würdiger zu machen.

Mit der innigsten Verehrung

Ihr ergebenster

F. R. Hermann.


[S. 352]

Heumann, Georg.

Archivrath H., dessen Geheimrath Hallwachs in seinen Briefen scherzend erwähnt, und der hier in den seinigen wiederum wohlbekannte, hervorragende Darmstädter Namen mit der ihm eigenen Pietät citirt. Heumann war für D. in gewissem Sinne, was der Kanzelar Friedrich von Müller für Weimar gewesen; besonders ausgezeichneten Fremden gegenüber. Nur daß Darmstadt nicht Weimar war, und daß Heumann keinen Goethe zur Seite und im Rücken hatte.

Dagegen besaß er unschätzbare Vorzüge in Wahrheit und Aufrichtigkeit einer liebenswerthen Natur, innerlichen Enthusiasmus und kindliche Naivetät.

Täuschen ließ er sich leicht — doch er täuschte nie, und wen er lieb gewonnen, dem gehörte sein ganzes redliches Herz.

I.

Darmstadt, d. 7t Mai 1844.

Werden Sie die Hand noch kennen, welche sich Ihnen, verehrtester Mann, unvergeßlichster Freund unser Aller! in diesen Zeilen naht? — Es ist lange, lange, daß kein äußeres Zeichen die unauslöschliche, innere Liebe und Hingebung an Sie bezeugt hat, noch länger, daß ich Sie nicht von Angesicht zu Angesicht gesehen. Dafür ist das über meinem Schreibtisch hängende Bild, wie anredend und ähnlich auch, kein Ersatz, nur in diesem Augenblick regt es die Phantasie lebendiger auf und giebt die freundliche Täuschung größerer Nähe. Als Sie sich, bei letztem Hierseyn, bei der Familie Hallwachs einige Zeit verweilten, war ich abwesend; durch Briefe und Erzählungen ward der Verlust dieser Tage mir nur allzufühlbar gemacht. — Nach meiner jetzigen Lage hätte ich ihn nicht mehr zu befürchten. An Dienst- und Urlaubzeit nicht mehr gebunden, bin ich zum wahren Freiherrn befördert. Bedenkliche Gesundheitszustände, welche die Anstrengungen des Geschäftes nicht mehr erlaubten, welchen ich hätte erliegen müssen, veranlaßten mich, nach einigem Kampfe,[S. 353] zum Austritt aus dem Staatsdienst; nach bald 40jähriger Dienstzeit, ward er mir endlich auf die ehrenvollste Weise gewährt. Hinderte mich nicht noch eine weitläufige Arbeit, welche erst vollendet seyn muß, so wäre ich schon bei dem herrlichen Frühling, zur Herstellung oder doch einiger Erholung meiner sehr schwankenden Gesundheit, nach Baden abgereist. In vierzehn Tagen hoffe ich es zu können und benutze vorher eine Stunde der Muße, um, mit Aufträgen verschiedenster Art, eine Gedankenreise zu Ihnen vorzunehmen. — Vor Allen hat mir das von Dalwigk’sche Haus aufgetragen: Den Tod des Hauptes der Familie, des allgemein hochverehrten Generallieutenants und Gouverneurs der Residenz, zu notificiren, mit der Bitte, auch der Frau Gräfin Finkenstein, im Namen der Familie, Mittheilung davon zu machen. Der ältere Sohn, Reinhard v. D., welchem die Notificationen obliegen, ist in Worms als Kreisrath angestellt, von hier abwesend, und der jüngere, Alexander, derselbe welchen Sie in seinen jüngeren Jahren, Ihren Leberecht nannten und damit gleichsam die Weihe für sein rechtes Leben gaben, (woran er sich noch gern mit kindlicher Verehrung für Sie, mit Genugthuung erinnert) hat mich gebeten, Ihnen ausdrücklich Folgendes zu sagen: „Seine Erschütterung und seine Wehmuth seyen zu groß, um selbst schreiben zu können; eben habe er, um anderen freundlichen Stoffs willen, Ihnen schreiben wollen, als dieses schmerzliche Ereigniß ihn, wie ein Blitz vom hellen Himmel, getroffen habe.“ Wirklich war die Erschütterung des großen, starken, bald 40jährigen Mannes, um so ergreifender, als, bei seinem durchaus natürlichen und wahren Charakter, (der doch so gern mit Festigkeit und Entschiedenheit, die er in seinen verschiedenen Aemtern, als Richter und Intendant, so nöthig hat, auftritt) der Schmerz das klarste Gepräge des kindlichen, unüberwindlichen Gefühls eines liebenden Sohnes hatte. — Die[S. 354] tief betrübte Wittwe und bedenklich kränkliche Tochter empfehlen sich gleichfalls Ihrem und der Frau Gräfin Andenken. Eine große Genugthuung war den Hinterlassenen die feierliche, auf höchste Veranlassung mit größtem militairischen Glanz veranstaltete letzte Ehre des allgemein durch alle Stände beliebten ritterlichen, edlen Mannes. Prinz Emil übernahm selbst das Commando; — die Prinzen des Hauses folgten, mit einem unübersehbaren Zuge. — Die ergreifende Scene am Grabe werde ich nie vergessen. Von der Schwester der Frau v. D., — W. Rehberg in Hannover sind die Nachrichten betrübend. Helene leidet an einer unheilbaren Herzkrankheit, wie es scheint. In dieser durch jede Eigenschaft des Geistes und Herzens so hochgestellten Familie endet es nicht glücklich!

Noch Einiges über unsere Theaterzustände und den neueren Intendanten, welcher wie ein deus ex machina hervorsprang. Alexander v. D. ist nun bereits seit zwei Jahren die Führung des Hoftheaters von dem Großherzog, — welcher großes Vertrauen in seine redliche Gewissenhaftigkeit und unermüdliche Thätigkeit, seinen ehrenhaften Charakter setzt, wovon er ihm erst neuerlich aus eigener Bewegung durch Beförderung zur Oberfinanzkammer Beweise gegeben, — übertragen worden. Wie bescheiden er auch Anfangs das ganz unerwartete abzulehnen suchte, als ohne Erfahrung und hinlängliche Einsicht, sollte der Kelch doch nicht an ihm vorübergehen, und er hat ihn bereits mit Standhaftigkeit bis auf den bitteren Grund geleert. Doch scheint auch für ihn, bei seiner Liebe für schöne Literatur (und Geschichte) und seiner Liebhaberei an Theatereinrichtungen und Vorstellungen von Jugend auf, ein Zaubertrank hineingemischt, denn eine solche Beharrlichkeit und unermüdlich-thätige Ausdauer in so schwankenden Theaterzuständen wie die hiesigen, wo Hemmungen, Störungen, Quertreibereien[S. 355] und Einflüsse von allen Seiten, wie es namentlich bei Hoftheatern kleiner Residenzen unvermeidlich scheint, — mit zufälligen, hindernden Umständen sich kreuzen, — so viel Unverdrossenheit bei so vielem Verdruß und noch nicht überall hinlänglich gewonnener Ruhe, sie viel Uneigennützigkeit und Gewissenhaftigkeit bei keinem Lohn, als dem der sogenannten, mit Undank oft theuer genug erkauften, Ehre, ist mir noch nicht vorgekommen und wird mir nur begreiflicher, wenn ich bedenke, daß mich auch schon seit meinen Jugendjahren das Gelüste anwandelte, an dem Rande dieses Kraters herumzuspatzieren, und daß die Liebe zu Poesie und Kunst, namentlich zur dramatischen, auch bei mir oft Leidenschaft war, — heimlich? (nein öffentlich!) noch ist. — — —

Weil Leberecht nun den Augiasstall der Mißbräuche, Anmaßung, Unordnungen, und Regellosigkeit mit scharfer Gabel gemistet, ökonomisch, polizeilich und conservativ verwaltend, mit etwas strenger Consequenz zu einem sicheren Standpunkt gelangt ist, sich über eigene, anfängliche Mißgriffe belehrt und das Ab- und Zuthun mehr gelernt hat, — nachdem er den intriguanten, insolenten, unwahren Herrn Becker (er ist Ihnen wohlbekannt!) als Regisseur beseitigt hat, ihn nur als gewandten, brauchbaren, beliebten Schauspieler tolerirt, ihm aber dabei beständig das Schwerdt des Dionys durch nur immer einjähriges Engagement über dem Haupte schweben läßt, seit er die Primadonna-Wirthschaft abgestellt, — gute Engagements geschlossen, an Erfahrung, Einsicht und Urtheil zunimmt, — ist das Schwerste überstanden und zu erwarten, daß nächsten Winter sich das Theater sehr heben wird. — Es stellt sich übrigens auch hier die Wahrheit heraus, daß ein Theaterregiment, mehr als ein anderes, Feinde macht und zwar desto mehr, je gewissenhafter es geführt wird. — Der Intendant hatte die große Freude, seinen Eifer, den Sommernachttraum, ungeachtet aller Hindernisse,[S. 356] zur würdigen Aufführung zu bringen, glänzend belohnt zu sehen. Er wollte Ihnen seine Freude, — Verehrung und Dank, — durch einen kleinen Bericht darüber bezeugen, — aber das plötzlich eintretende traurige Ereigniß hielt ihn ab. Ich thue es statt seiner nun mit Freuden. Welche Genugthuung empfanden namentlich Ihre vielen Verehrer und Freunde! Es war für die gewählte, mehr als je einmüthig gestimmte Versammlung einer der interessantesten und heitersten Theaterabende der ganzen Saison. Mein Neffe Sartorius, welcher sich angelegentlichst empfiehlt, zieht die Darstellung in manchen (selbst wesentlichen) Einzelheiten, namentlich in der Besetzung und zwar ausdrücklich in der Rolle des Puck, der Berliner vor. Der beiliegende Aufsatz von einem anständigen Litteraten (leider haben wir der unanständigen und unverständigen mehr als Musen sind) — Herr August Schnetzler dürfte Sie interessiren und, wie ich auch noch Manches hinzuzufügen hätte, mein Referat pleonastisch machen. — In vielen andern Blättern wurde mit lebhafter Anerkennung davon gesprochen, in der Mainzer enthusiastisch. — Ich habe es versucht, in einem kurzen Abriß, nur über den Erfolg, mein Scherflein beizutragen und Herrn von Küstner, um die Vermittlung des Einrückens unter die Kunstnachrichten der Pr. Staatszeitung gebeten. — Wir sind voll Verlangen zu hören: „Shakespeares Sturm“ sey gegeben; stürmisch werden wir uns auch seiner bemächtigen! —

Noch habe ich die herzlichsten Empfehlungen von der Familie des Geh. Raths Hallwachs, von Höpfner und meiner Schwester auszurichten, auch an die Gräfin F., und die innigsten Wünsche für Ihr Wohlseyn, womit sich vereint Ihr ewig liebender

Freund und Verehrer

G. Heumann.

[S. 357]

NS. Die Notificationen der Verheirathung der einzigen Tochter des Geh. Raths Hallwachs mit Oberlieutenant Scholl wird bei Ihnen angelangt sein? Das junge Ehepaar hat sich im Sommernachttraum mit jugendlich unbefangenem Sinn auf das Harmloseste ergötzt; der junge Ehemann überzeugt täglich seine Frau, daß sie nicht blind wie Titania ist!

II.

Darmstadt, d. 3t. Octbr. 1846.

Auf die mannichfachste Weise werde ich an Sie, verehrungswürdiger theuerster Freund! erinnert. Jeder Anlaß dazu ist mir eine große Freude; mir, der ich im Stillen so oft mit innigster Liebe und Dankbarkeit, mit tiefer Rührung an die Stunden zurückdenke, welche ich vor einigen Monaten bei Ihnen verlebte. Ihre aufopfernde Güte widmete und so viele und reiche; — sie bleiben mir und meinem Neffen Sartorius, der sich Ihnen ehrerbietigst empfiehlt, — unvergeßlich.

Alle die vielen Verehrer und Freunde, welche sich vor 18 Jahren, (1828) und mehrmals später, zuletzt vor 5 Jahren, (1841) — an den Festabenden um Sie her versammelten — oder sonst die Gelegenheit suchten und fanden, Ihnen nahe zu seyn, wollten von mir über Ihr Befinden hören. Unter diesen war auch Justizrath Buchner, ein naher Verwandter von mir, deßen Sohn die Freude haben soll, Ihnen diese Zeilen zu überbringen. Der gebildete junge Mann, den Musen befreundet, wie es sein Vater ist, (Sie finden unter Ihren Papieren Gedichte, welche Sie feiern,) gehört zu dem von dem Uebermuth der Zeit noch unberührten, edlen Theil des jungen Deutschlands, welcher sich den unsterblichen Namen der Nation noch mit Pietät und dem ehrfurchtvollen Verlangen naht, zu lernen, zu lieben und zu verehren.[S. 358] Laßen Sie sich den braven Jüngling empfohlen seyn, wie sich auch sein Vater verehrungsvollst Ihnen empfiehlt. — Es ist doch eine Freude, wenn man immer noch kommende Generationen zu dem Manne senden kann, deßen Name mit jenen Andern, trotz dem ohnmächtigen Bemühen ephemerer Geister sich an deren Stelle bedeutend und jene vergessen zu machen, fortleben wird, wenn diese in dem Munde der Nation und Geschichte längst verschollen sind. —

Zu den mannichfachen Veranlassungen der Erinnerung an Sie, unvergeßlicher Freund! trug auch wieder der gestrige Theaterzettel bei; er nannte uns Ihren theuren Namen. „Ein Sommernachttraum“ ward gegeben, wie sie ihn für die Darstellung eingerichtet haben. Dem reich und feenhaft, glänzend und schön ausgestatteten, poetischen Traum, folgte, gleichsam nach dem Erwachen am Schluß, ein stürmischer Beifall. Das Haus war gefüllter, als es an Werktagen gewöhnlich ist und überhaupt muß man es den Darmstädtern nachsagen, daß klaßische Namen und Stücke sie fort und fort mehr anziehen, als die Tendenzen der Gegenwart, trotz allem eifrigen oder industriösen? modernen Geschrei: „daß jene Rococo seyen!“ und: „laßt die Todten ruhen!“ u. s. w. u. s. w. In acht Tagen kommt Jenny Lind zu einer Reihe von Gastrollen. Sie versicherte: „gern hier verweilt zu haben und gern wiederzukommen!“ Sie kennen das wunderbar begabte Mädchen, in welchem sich Kunst, Poesie und der Adel der Persönlichkeit zu einer Wahrheit vereinigen, waren aber abgehalten, ihren Darstellungen beizuwohnen, in welchen sich wohl das Vollendeteste zeigt, was musikalisch-dramatische Darstellungskunst in poetischer Schönheit und Wahrheit zu leisten vermag. — — Der Hoftheater-Intendant, von Dalwigk, der das Mögliche für das Theater mit unermüdlich thätigem Willen zu thun sucht, hat sich auch dieses Verdienst um Bestand und Ansehen der Bühne erworben.[S. 359] Er ist nicht der Letzte gewesen, welcher angelegentlich nach Ihnen gefragt hat und wird sich freuen von mir zu hören, daß ich ihn in freundliche Erinnerung gebracht habe. Hatten Sie doch auch mit Antheil seines seligen Vaters, seiner Mutter und der uns unvergeßlichen Abende bei diesen seinen verehrungswürdigen Eltern gedacht, und seines unvergeßlichen Oheims, des uns unersetzlichen Höpfners. —

Auch von dem Geheimrath Hallwachs’schen Hause würde ich Ihnen zu sagen haben, wollte sich nicht meine Nichte selbst in Erinnerung mit den ihrigen bringen. So bleibt mir nur noch übrig die ehrerbietigen und herzlichen Empfehlungen auszurichten, wodurch sich meine Schwester der Frau Gräfin und Ihnen in Erinnerung bringen will. Damit vereinigt sich, unter innigsten Wünschen für das Wohl Ihres Hauses,

Ihr

in treuer Liebe und Verehrung

ergebenster

G. Heumann.


Heydrich, Moritz.

Dramatischer Schriftsteller, als dessen bedeutendstes Werk die Tragödie: Tiberius Grachus genannt wird. Er soll, wie wir vernehmen, jetzt in Dresden leben.

Seine Briefe, von denen besonders der erste Zeugniß giebt des allgemeinen Vertrauens, welches die poetische Jugend zu dem heitern Greise nach Dresden zog, gehören als Lichtpunkte in dieses, aus vielfachen Zuschriften hervortretende Bild Meister Ludwig Tieck’s.

Es sind übrigens drei Briefe Herrn H.’s aufbewahrt; den mittleren, die geistreichste Schilderung einer in Hamburg stattgehabten Repräsentation enthaltend, haben wir unterschlagen zu müssen geglaubt, weil er Darsteller, Publikum und den Verfasser eines „vaterländischen Schauspiels“ mit all zu bittrem Humor, wenn gleich noch so witzig, geißelt. Wär’ es uns gelungen, des Briefstellers Adresse zu erhalten, dann würden wir uns die Erlaubniß von ihm dafür erbeten haben; ohne diese wagen wir die öffentliche Mittheilung nicht.

[S. 360]

I.

Dresden, d. 30. März 1842.

Hochgeehrter Herr Hofrath!

Es muß befremden, wenn ein ganz unbekannter junger Mensch ohne irgend welche Empfehlung es wagt, sich schüchtern Ihnen zu nahen, und vielleicht läßt sich diese Kühnheit nur durch die tiefe Begeisterung rechtfertigen, die ihn fast wider Willen zu Ihnen getrieben. Findet doch auch der Dürftige ein Gehör beim Reichen und blickt doch der einsame Wanderer viel sehnender nach der Sonne als tausend Andere; lacht sie doch Allen gleich; nur freilich in dem Einen blos behagliche Wärme, in dem Andern glühende Kraft weckend! Gewiß Sie grollen mir nicht! Ihre Werke haben mich zu sehr entzückt, und trotz aller Demüthigung so erhoben und begeistert, daß ich Dresden nicht verlassen kann, ohne Ihnen, wäre es nur einmal, die liebe wunderspendende Hand gedrückt zu haben! Aufzuweisen habe ich nichts, als ein warmes für Poesie und deren gegenwärtigen Choryphaen glühendes Herz! Ahnen und Empfehlungsbriefe verlangt nur der Alltagstroß. Ich stehe nach vielen Kämpfen auf einer Bahn, die ich trotz aller Schwäche nie verlassen werde. Zwei Jahre studierte ich Jura — es war unmöglich — lieber einen Trunk Wasser in den Wonnegärten der Poesie, als Weinschläuche und Goldkisten im dürren Sand! Unter Stürmen gedeiht keine zarte Blume. Gedichte in Masse — Entwürfe, aber nichts Ganzes! Fester Wille wühlt erst das Bett dem Strom, auf dem dann leicht und tönend die Wellen hüpfen! Aus tiefster Einsamkeit nahe ich Ihnen, vielleicht daß Sie mir später wehrend oder ermunternd ein Wort von Ihnen gönnen! Ich fühle ganz meine Kühnheit — doch der Jüngling ist einmal kühn! Veröffentlicht habe ich noch nichts, werde es auch sicher sehr spät thun[S. 361] — doch der Strebende lauscht in der Einsamkeit nach dem Himmel — ein Gottesurtheil zu hören! Ein Wort von Ihnen wiegt Millionen Andrer Worte auf! Bei mir habe ich leider gar nichts. Vor der Hand studiere ich in Leipzig, sehne mich aber fort — meine Umstände sind nicht schlecht — Musik allein kann mich einstweilen ernähren, wenn die Poesie durch Sie mich noch jetzt aus ihrem Tempel weist — bürgerliche Verhältnisse widern mich an — frei und ungebunden — oder todt! Gegen Leichtsinn schützen Erfahrungen und frühe Krankheit. — Literarische Bekanntschaften habe ich gar nicht. Bin zum Mitsprechen noch zu jung, zum Journalklimpern zu alt, was doch mehr Eitelkeit als wahres Streben verräth. Ich studiere Philosophie und wünschte später die Bühne zur Bühne. Schwache Versuche dazu wage ich noch nicht, Ihnen zu zeigen. Vor ganz kurzer Zeit war ich Zeuge des vielleicht schönsten aller Feste, des 80. Geburtstags eines edlen rüstigen Greises im Kreise seiner Enkel. Jeder Enkel wollte etwas bringen, die Kräfte sind sehr schwach — viele Rücksichten — ein Kunstwerk kann da nicht werden. Doch da ich dies Einzige bei mir habe, so erlaube ich dies prosaische Heftchen beizulegen. Darf ich es Freitag 4 Uhr abholen? Und nun die Hauptbitte und der nächste Zweck dieser kühnen Zeilen: darf ich vielleicht ein Eckchen mir erbitten, um einer Ihrer Vorlesungen — oder vielmehr ihren Poesienströmen zu lauschen? Was hat doch der glückliche Empfohlne vor dem einsamen Enthusiast voraus. Nur einmal Sie sehen und hören! Es staunen ja so Viele den Lenz an — doch wie verschieden sind der Staunenden Empfindungen dabei! Nicht Neugier — die tiefste Begeistrung treibt mich, die Sie für Ewigkeiten in mir genährt haben!

Ihr

Sie tiefverehrender

Moritz Heydrich, st. ph.

II.

Hamburg, 30. October 1846.

Hochverehrter Herr!

Mit innigstem Entzücken erhielt ich so eben Ihr freundliches Schreiben, in dem Sie meinen Wunsch wegen Durchlesung des Mspt. so herablassend erfüllen. Ich hatte kaum gehofft, daß Sie bei Ihrer so vielseitigen Thätigkeit und Beanspruchung sich meiner Sache annehmen würden, und da ich ein Engagement in die Nähe Bremen’s nach Bremerhaven angenommen, so gab ich das Mspt. einem Freunde, der es gern lesen wollte, und mir Aussicht wegen eines Verlegers versprach. Jenes Zigeunerkünstlerengagement in Bremerhaven ist in meinem so höchst contrastreichen Leben des Allerseltsamste, und wiewohl diese etwas excentrische Reise mir jezt an Erfahrungen und Bildern eine wahre Humorfundgrube ist, so war sie doch in der Gegenwart ein wahrhaft grauenvoller Anblick des Lebens und Treibens reisender Bühnen. Wann wird diese schmachvolle Theatermisère in Deutschland einmal enden? Wann wird eine wahrhaft kunstsinnige Leitung junger Talente ähnlich wie in Frankreich auch bei uns eine anständige Theaterschule begründen? Ja wären es noch Sheakspearische „Zettels“ diese Schneider und Schuster-Directoren — aber es sind eben nur Gauner und Gaukler. Ich habe dort freilich Rollen genug zu spielen gehabt, auch mit 5 Musikern und 1½ Singstimme den Freischütz dirigirt, aber das Kunstinstitut widerte mich schon am ersten Tage namenlos an. Die Methode des Spielens war ziemlich holzhackermäßig. Früh 6 Uhr bekam man eine Rolle von 2–12 Bogen, die Probe war 10 Uhr und die Vorstellung davon[S. 363] am nämlichen Tage. Dennoch spielten sie Alle so, als wären sie Ludwig Devrient’s, und Einige versicherten mich, ihr Genie werde schrecklich verkannt. Gott sieht das Herz an! würde Sancho bei ihrem Spiele gesagt haben, die Polizei steckte aber den Einen ein, weil er Gaunerrollen im Leben studirte. Dabei behauptete der Director, seine Bühne sei eine Kunstbühne, und versprach mir, mich zu bilden; als ich beim Hinausgehen gerührt nach meinem Taschentuche suchte, war es leider verschwunden. Und solcher Bettelbanden giebt es hunderte, bei denen oft gute Talente und Grund und Boden, in Schlamm und Koth versinken. Ich hätte mich verachten müssen, wäre ich bei dem Packe geblieben, gebe aber die Anschauungen dieser ewigdenkwürdigen Reise nicht verloren, sondern denke, sie einst zu gestalten. Wiewohl ich Aussichten nach Schleswig habe, so ist doch das Verhältniß dort etwas unsicher, und den Weg durch Winkelbühnen gebe ich entschieden auf. Lieber die kleinsten Rollen, aber nur bei einer anständigen Bühne. Da ich Gottlob Mittel habe, um neben Klavierstunden anständig zu leben, so wird sich wohl früher oder später etwas Solides für mich finden. Inzwischen wird es mir beinahe Lebensbedürfniß über mein Buch einen Aufschluß zu bekommen. Ich hab’ es sogleich hieher zitirt, und schicke es dann sogleich, mag es nun zum Feuertode oder zum Drucke verdammt werden. Sie müßten meine Verehrung für Sie, großer, tiefsinniger Meister, kennen, das namenlose dithyrambische Jauchzen, das Ihr einziger Humor mir verursachte, so oft seine Töne meinem Ohre erklangen, Sie würden dann gewiß meine Scheu und Verlegenheit selbst hinter meiner unbescheidnen Bitte erblicken. Gleichwohl mußte ich’s wagen, um nur etwas klar über mich, d. h. über mein Buch zu sehen. Es ist eine musikalische Symphonie, und wenn Sie ihr „Nein“ aussprechen, gilt es mir mehr, als wenn sämmtliche so ge[S. 364]nannte moderne Humoristen und Dichter es für den Druck reif sprächen. O wer doch den Zauber Ihrer wunderbarschönen tiefsinnigeinfachen Sprache hätte — den Zauber Ihrer Formenwelt — o was sind gegen Ihren ewig jungen Genius diese sämmtlichen modernen deutschen Humorepigonen. Soviel weiß ich entschieden, daß Sie mein ganzes Wesen schon aus meinem flüchtigen Briefe divinirt haben, denn wenn mit irgend einem Menschen, so treiben Selbstbewußtsein und bewußtloser Humor, Vorsatz und Absichtslosigkeit mit mir tolle Scherzotänze. Alle diese Widersprüche zur Harmonie zu leiten, ist Aufgabe meines Lebens, folglich auch meines Buch’s. Dringend bitte ich Sie, es wie ein Vater zu lesen, dem ein unmündiges Kind sein erstes selbstgeschaffnes Spielwerk zeigt — o schon tausendmal habe ich Ihre lieben, lieben Zeilen durchlesen mit heiligem Entzücken, wie wohl thun sie mir, der geistig so ganz, ganz allein steht. Nicht als ob ich mir irgend wichtig vorkäme, aber in meinem Elemente mögte ich bald mehr leben als bisher, und das will im Grunde doch jeder Mensch. Nur der lichte Farbenbogen des luftigen Humor’s, der hell auf dunkler Wolke steht, entschädigt mich mit seinem Wunderglanze für tausend geistige Leiden — und wie selig würde ich sein, wenn der Humorrausch, der all mein Wesen mitten in Wüsten frisch und rege erhält, wirklich aus dem reinen Urdasee mir emporschäumte und nicht aus dumpfem Sumpfe voll Irrlichter! Haben Sie nochmals tausend, tausend Dank für die freundliche Bereitwilligkeit und Herablassung und verzeihen Sie einem aufrichtigen Verehrer Ihres Genius seine Kühnheit. Möge die Mutter Natur Ihnen Ihre wunderbar-schöpferische Jugendfülle unversehrt erhalten, und mögten Sie in den Herzen derer, die Ihre Werke innig verehren, Ersatz finden für tausend Leiden, die ein unkünstlerisches Zeitalter oft Ihrem wunderseltsamen Geiste verursachen mag. Dankbar[S. 365] küsse ich Ihre seegnende Hand, und bin mit aufrichtiger tiefer Verehrung und Dankbarkeit

Ew. Wohlgeboren

ergebenster

Moritz Heydrich,

Schauspieler.

Addr. Louis Gabain, Deichstraße 58, Hamburg.


Hirzel, S.

Nachstehendes Briefchen eines hochgeachteten Verlagsbuchhändlers soll nur als Einleitung dienen, für das in Abschrift beigelegte räthselhafte Schreiben des Dichters Klinger an die Reich’sche Buchhandlung, vom Jahre 1777.

Kein Mensch bezweifelt, und Tieck hat es als abgemacht angenommen, daß Lenz Autor des Drama’s „die Soldaten“ gewesen sey!

Was mochte Klinger’n bewegen, solch’ unbegreiflichen Schritt zu thun, der unter honetten Leuten (zu denen er doch gewiß zählt) in der Literatur-Geschichte unerhört ist?

I.

Leipzig, 30. Sept. 1837.

Hochverehrter Herr!

Indem ich Ihnen anbei eine getreue Abschrift des besprochenen Briefes übersende, soll ich die Gelegenheit benutzen, Sie aufs dringendste um Einsendung der Vorrede zu Novalis zu ersuchen. Mein Schwiegervater hatte zuversichtlich erwartet, ich würde dieselbe mitbringen.

Lassen Sie mich Ihnen nochmals ehrerbietig danken für die freundliche Aufnahme, die ich in Ihrem Hause gefunden, und genehmigen Sie die Versicherung aufrichtiger Verehrung von

Ihrem

ergebensten

S. Hirzel.

[S. 366]

II.

Dresden, den 6. März 77.

Hochedelgebohrner
Hochgeehrter Herr!

Ich bin gegenwärtig genöthigt, Ew. Hoch Edl. zu melden, daß nicht Lenz, sondern Ich Verfasser der Soldaten bin. Gewisse Verhältnisse forderten damals das Verschweigen meines Namens, die jetzt wegfallen. Ich bitte Sie, diese Nachricht sobald als möglich bekannt zu machen und weiter nichts zu sagen, als man wisse mit Zuverlässigkeit, daß man Hrn. Lenz fälschlich für den Verfasser gehalten habe und daß ich es sei. Könnten Sie’s in Meßcataloge setzen lassen unter meinem Namen wär noch besser; Ich hoffe dies von Ihrer Güte.

Noch wollt ich anfragen und Sie bitten, ob Sie nicht eine neue Comoedie (die Seiler in Leipzig geben wird) von mir auf die Messe noch verlegen wollten. Sollte dies geschehen können, so haben Sie die Gewogenheit, mir Dero Entschließung wissen zu lassen. Im Fall nicht, so habe ich die Ehre mit Ihnen im Verlauf von 14 Tagen mündlich hierüber zu sprechen. Vor einigen Wochen war Kaufmann hier bei mir, der wie Sie wissen, wieder nach Rußland reist.

Ew. Hoch Edl.

Ergebenster Diener

F. M. Klinger.


Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus.

Geb. zu Königsberg am 24. Januar 1776, gest. zu Berlin am 24. Juli 1822. Musikdirektor, Kompositeur, Kammergerichtsrath und berühmter Schriftsteller; Eduard Hitzig’s vertrauter Freund, wie Ludwig Devrient’s Genosse; phantastischer Dichter, wie strenger, gewissen[S. 367]hafter Aktenmann — welche wunderbaren Gegensätze! — Es ist befremdend von seiner Hand in Tieck’s Briefsammlung nur dieses eine Zettelchen zu entecken. Er hat doch unfehlbar öfters an Letzteren geschrieben. Was ist aus den übrigen Blättern geworden?

Berlin, d. 19. August 1820.

Mit innigem Vergnügen habe ich ihre freundlichen Worte, mein hochverehrtester Freund! (stolz bin ich darauf Sie so nennen zu dürfen) durch H. Molbeen (?)[13] erhalten, ohne den Ueberbringer zu sehen, der mich leider nicht im Hause traf, da ich in Geschäften abwesend. Morgen werde ich aber den intereßanten Norden bey mir bewillkommnen und mich mühen dem günstigen Vorurtheil, das Sie, mein gütiger Freund! ihm für mich eingeflößt zu haben scheinen, zu entsprechen! —

Ach! — nur zu sehr fühle ich das, was Sie mir über die Tendenz, über die ganze (hin und her wohl verfehlte) Art meiner schriftstellerischen Versuche sagen. Mögen Sie aber meiner übrigen Verhältniße qua Kammer-Gerichtsrath &c. &c. &c. gedenken? — Doch freilich, in der Kunst gelten dergleichen Ausreden ganz und gar nichts —

Ich empfehle Ihnen H. Kühne[14], Schauspieler aus Hamburg, der in der That auf schöne Weise in den höchstherrlichen Phantasus hineingehört, und zwar, wie ich denke,[S. 368] rühmlicher Weise. — Er überbringt Ihnen diese wenigen Worte, die ich mir weiteres vorbehaltend, eilig aufschrieb.

Hochachtungsvoll

Ihr innigst ergebenster

Hoffmann.


Holtei, Karl Eduard von.

Geb. zu Breslau am 24ten Januar 1798. Aus den vielen Blättern während eines dreißigjährigen persönlichen und schriftlichen Verkehres geschrieben, die Tieck sämmtlich, bis auf das kleinste, nichtigste Zettelchen zurückgelegt hatte, sind nur die zwei ausgewählt worden, die Er — offenbar für diesen Zweck — kopiren ließ. Der erste Brief von seiner 60ten Geburtstagsfeier in Berlin handelnd, nimmt diesen Platz mit vollem Rechte ein. Der zweite muß sich auf des Verstorbenen letzten Willen berufen.

I.

Berlin, d. 2ten Juni 1833.

Theurer und geliebter Meister!

Ein kurzer Bericht über das Tieckfest vom 31ten Mai 1833 soll auch aus meiner Feder fließen. Ich will Alles umständlich erzählen und auch die kleinsten Nebendinge nicht verschweigen, Ihnen ein lebendiges Bild des Abends zu geben, der lange in unsern Herzen nachhallen wird.

Rauch, Raumer, Wilh. Neumann, Haering und ich hatten an Alle, von denen wir wußten, oder voraussetzen durften, daß sie in irgend einer nähern geistigen Beziehung zu Ihnen stehen, gedruckte Einladungen erlassen. Leider konnten nur 223 Meldungen angenommen werden, weil der einzige zur Zeit disponible Speisesaal nicht mehr Personen faßt. Eben so viele mußten abgewiesen werden.

Man versammelte sich von 8 Uhr des Abends an im Lokale des Englischen Hauses. Die Kommenden wurden von[S. 369] uns, dem fünfblättrigen Kleeblatt, empfangen und in die vorderen Zimmer geführt, wo zunächst jeder und jede sich in das rothe, Ihnen durch unsre Hähnel überreichte Buch einschreiben sollte. Ich fürchte, manche haben es nicht gethan, weil die Angst und Eile: sich Plätze im Speisesaal zu sichern, zu groß war. Deshalb leg’ ich hier eine diplomatisch genaue Abschrift der Liste zur Ergänzung bei. Bald nach neun Uhr ging der lange Zug zur Tafel. Ihr Bruder Friedrich saß unter Ihrer mit Lorbeerkränzen geschmückten, mit Guirlanden umhangenen Büste. Vor ihm ein frischer Kranz. Neben ihm die Damen Steffens und Alberti; ihm gegenüber Rauch. An dieser Tafel saßen die sogenannten Standespersonen und es war viel Geheimes darunter. Den rechten Flügel bildeten Johannes Schulze und der Weimarische Kanzler v. Müller.

An der zweiten Tafel präsidirte Raumer, zwischen meiner Frau und der Hähnel, weiter unten Crelingers, Beers, — da ging es schon nicht so geheim zu, vielmehr recht laut.

Die dritte Tafel ward von Neumann und mir commandirt. Viel lustige Gesellen, und man behauptet, dort zuerst hätten die Champagner-Pfropfen geknallt.

Schändliche Verläumdung! Das war an der vierten Tafel. Diese, der Obhut des soliden Wilibald Alexis anvertraut, barg an einer ihrer Ecken das Königstädter Personale. Dort, ach dort war es, wo die ersten Schüsse fielen. Der dicke Kapellmeister Gläser hatte drei Gläser vor sich. Er schien ihr Vater zu sein.

Man saß — und es erschien Frikandeau von Kalbfleisch mit irgend einer spitzfündigen Sauce.

Welch tiefes, tiefes Schweigen! Das war der erste Anlauf. Nun hatten sich die hungrigen Leiber gestärkt; jetzt machten der Geist Prätensionen und das Herz.

Rauch erhob sich und sagte: es lebe der König und das[S. 370] Königliche Haus! — Nun geht die Sache eigentlich erst an. Haering hielt eine sehr geistreiche Rede (gewiß wird er sie Ihnen senden) — die, wie aus dem bedeutsamen Aufmerken hervorging, nach Verdienst gewürdigt wurde.

Mittlerweile hatten sich auch noch die verspäteten Theatermitglieder eingefunden, und ich durfte demnach die Aufforderung ergehen lassen, daß diejenigen Anwesenden, die im Aufzuge der Romanze beschäftigt wären, mir auf das Musikchor folgen möchten.

Die Vertheilung der Rollen war folgende:

Der Glaube, Hr. Laddey.
Die Liebe, Mlle. Hähnel.
Die Tapferkeit, Mlle. Felsenheim.
Der Scherz, Hr. Bercht. †
Die Romanze, M. Crelinger. †
Eine Pilgerin, Mad. Laddey.
Ein Liebender, Hr. Schwanfelder.
Ein Ritter, Hr. Ed. Devrient. †
Ein Hirtenmädchen, Julie v. Holtei.
Der Dichter, Hr. Rott. †
Erster Reisender, Hr. Greiner.
Zweiter Reisender, Hr. Fischer.
Ein Küster, Holtei.

(Die gekreuzigten sind vom Hoftheater, die andern aus meinem Sprengel.)

Die vom Kapellmeister Gläser komponirten Chöre und Solis wurden von den Sängern des Königstädtischen Theaters und mehrern Dilettanten gesungen.

Das Gedicht wurde mit Verstand und Wärme gesprochen. Vorzüglich auszuzeichnen ist nach meinem Gefühl der junge Schwanfelder, den ich noch niemals so feurig-edel sprechen hörte.

Als der Schlußchor: „Mondbeglänzte Zaubernacht“ aus[S. 371]geklungen hatte, erhob sich Steffens, der schon vierzehn Tage vorher förmlich darum sich beworben hatte, den Haupttoast auszubringen. Wir blieben Alle auf dem Chore, um am Schlusse seiner Rede in das von unten aus zweihundert Kehlen empordonnernde „Hoch!“ musikalisch einzustimmen; wobei besonders die Bestrebungen unsrer Frauen und Mädchen zu rühmen sind. Mad. Crelinger und meine Frau sangen ersten Tenor.

Nun war der Pokal — (dessen Unterschale leider nicht fertig geworden ist, und der deshalb auch erst später in Dresden eintreffen wird) von seiner Stelle einmal gerückt; nun ziemte es sich, ihn seine Wanderung beginnen zu lassen und dies geschah mit dem von mir gesprochenen Gedichte, welches überschrieben ist: „dem Mai.“

Ich darf übrigens als Berichterstatter, der eben so die materiellen wie die spirituellen Interessen im Auge haben mußte, weil er quasi Oeconom des Festes war, nicht verschweigen, daß während dieser Zeit ein gutes, künstliches Hühnerfrikassee und eine wohlgemeinte Mehlspeise mehr vertilgt, als geschont wurden. Auch zeigten sich Räusche.

Raumer glaubte nun das Andenken an Ihren Mitgebornen, den edlen Staatskanzler nicht länger verschieben zu dürfen, und sprach mit bewegter Stimme die Worte, deren Abschrift auch in der Mappe liegt. Man stimmte mit ernster Begeisterung ein.

Hier muß beiläufig bemerkt werden, daß der Dichter und Maler August Kopisch den glücklichen Gedanken hatte, dem Pokal, als er bei ihm vorbeizog, einen poetischen Seegen- und Wander-Spruch mitzugeben, von dem ich leider keine Abschrift erbeuten konnte, weil das Durcheinander zu groß wurde. Mein Festlied wurde nun von mir gesungen, vom Chore begleitet, und sehr lebhaft aufgenommen.

Die Bratenschüsseln fanden jetzt eine andre Generation.[S. 372] Man war jubelnd laut geworden. Die Lust tobte aus Gläserklang und fröhlichem Geschwätz von allen Seiten her.

Ich brachte die Gesundheit und das Lebehoch des Bruders des Gefeierten, des edlen Künstlers, des Bildhauers Friedrich Tieck!

Haering bat um die Erlaubniß, einen demagogisch-loyalen Toast zu sprechen. Es galt: das Gedeihen eines Aufruhrs und auch sein baldiges Ende! „des Aufruhrs in den Cevennen!“ — Lauter Jubel. Mit mir stieß der Buchhändler Duncker an. Ich suchte nach Reimer, konnte ihn aber im Gedränge nicht finden. Denn nun waren die Bande der Ordnung gelöst.

Raumer flog wie ein Schmetterling von einer Schauspielerin zur andern; meine Frau und die Hähnel schienen ihm in dieser Stimmung zu gesetzt. Alte Geheimeräthe winkten nach Champagner, junge Schriftsteller rezitirten Stellen aus Genovefa — ich murmelte in den Bart, wie Böttiger.

Baumkuchen stürzten ein wie Throne, und als der Oberkellner mich fragte: wer hier im Saale Tiecks nächster Verwandter wäre, denn der Aufsatz des Hauptkuchens müsse nach altem ritus vor jenen Verwandten gesetzt werden, und der Aufsatz sei ein Tempel — — da verleugnete ich Ihren Bruder und schrie: der Tempel muß vor Madame Steffens gestellt werden! Aber Gott im Himmel, was hatte ich gemacht? Es war ein veritabel heidnischer Tempel. Kaum daß ich noch in der Eile einen zuckernen nackten Amor beim Fittig packen und ihn herausschmeißen konnte. — So spielt das Schicksal.

Was sich nun weiter begeben, weiß ich nicht genau. Ich finde mich erst wieder, als ich der Hähnel in den Wagen helfe, ihr die Mappe und tausend Grüße für Sie mitgebe und ihr glückliche Reise wünsche. Da schlug es zwei vom Thurm; der Sommermorgen dämmerte durch die Mondnacht, und[S. 373] die Nebel des Weines zogen aus meinem Haupte. Ich sagte still vor mich hin: „der Mai und Tieck, sie werden ewig leben!“ und schlief in den ersten Juni so tief hinein, daß ich fast erschrack, als man mich weckte.

Eben las ich durch, was ich geschrieben, und finde es matt und erbärmlich. Aber ich weiß gewiß, daß ich nichts Besseres zu Stande bringe; deshalb mag es so abgeben, wie es ist. Vergebens wird man sich bemühen, die Stimmung noch einmal hervorzurufen, die bei einer solchen Gelegenheit eines fühlenden Herzens sich bemächtigt. Was man darüber sagt, scheint kalt und schwach, mit der innern Erinnerung verglichen.

Aber es war ein schöner Abend!

Und nun noch ein Wort von mir, ein Wort, welches mir schwer auf der Seele liegt, seitdem der Professor Löbell aus Bonn mich bei seinem letzten hiesigen Aufenthalte eingeschüchtert hat. Es wird bald von mir ein Band Erzählungen erscheinen, die ich gewagt habe, Ihnen zuzueignen. Nun sagte Löbell, dem ich das erzählte, es schicke sich nicht, eine solche Zueignung in die Welt gehen zu lassen, ohne die Erlaubniß dessen, dem sie gilt. Wenn Ihnen nun noch zum Ueberfluß die Erzählungen recht misfallen, dann sind Sie wohl gar böse, und ich habe einen dummen Streich gemacht?

Ich erwarte mit Zittern und Zagen die Ankunft der Exemplare, um Ihnen dann das erste zum Urtheilsspruche zu senden. —

Soll ich Sie diesen Sommer denn sehen? Ich beginne im August ein Gastspiel in Leipzig, und hatte sehr darauf gerechnet, auf ein paar Tage hinüber nach Dresden zu kommen. Da vernehm’ ich, Sie würden zu jener Zeit in Baaden sein? — Das wäre denn eben auch mein altes Unglück!

Aber ich will Sie nicht länger quälen mit meiner Schrei[S. 374]berei. Lassen Sie mich nur noch sagen, wie ich bin und ewig bleiben werde

Ihr dankbar und treu ergebner

Holtei.

NB. Die Liste wird mit andern Papieren nachfolgen.

II.

Wien, den 6ten Januar 1836.

Auf meinen, vor einem Jahre an Sie aus Wien gerichteten Brief, haben Sie mir nicht geantwortet, theuerster Meister, und dies hat mir sehr wehe gethan. Nicht weil ich an jene Zeilen den Wunsch geknüpft hatte, in Dresden zu spielen, und weil Ihr Schweigen diesen Wunsch vereitelte; sondern mehr deshalb, weil ich daraus ersehe, daß ich Ihnen wenig gelte. Ich habe freilich nichts, was mich berechtigte, Ihre Liebe zu fordern, als etwa meine immer an den Tag gelegte Liebe für Sie — und so mußte ich mich schon bescheiden, ohne deßhalb in meinen Gesinnungen irre zu werden.

Jetzt habe ich eine gewisse Verpflichtung, an Sie zu schreiben, weil ich Ihnen Nachricht von einer meiner neuen Arbeiten geben muß, die ohne Sie nicht entstanden seyn würde. Ich hatte nach längerer Pause wieder einmal Ihres Dichterlebens zweiten Theil gelesen und mich dadurch angeregt gefühlt, daß ich mich unmittelbar daran machte, ein Schauspiel zu beginnen, welches denn nun auch unter dem Titel: Shakspeare in der Heimath, oder die Freunde, über die Bretter gegangen ist. Es war erst mein Wille, auf dem Anschlagezettel dies Drama als ein nach Tieck’s Novelle gebildetes zu bezeichnen. Aber nach näherer Berathung wagte ich es doch nicht, dieses für Wien lockende Aushängeschild zu benutzen, weil ich mich im Feuer des Gefechtes gar zu weit von dem Gang Ihrer Dichtung entfernt hatte. Ich habe Manches aus S.’s Leben aufnehmen zu müssen geglaubt, was Ihre Novelle ignorirt, und habe anderseits gar vieles unbenützt lassen müssen, was für[S. 375] ein Schauspiel, wie wir es brauchen, zu bunt, zu reich gewesen wäre. Auch mußte ich, um zwischen Stratford und London gewissermaßen eine Brücke zu bauen, eine Figur erfinden die in der Person des Sir Lucy von Charlescotes an Sh.’s Wald- und Wildfrevel erinnert, und zugleich jenen Stutzer bezeichnet, den Sie Franzis nennen. Die gute Rosaline ist nun gar etwas ganz anderes geworden, denn um der Censur Willen, (von der Sie keinen Begriff haben, wie dieselbe hier waltet,) durfte ich jenes Weib und ihre Verhältnisse nur ganz oberflächlich nehmen. Auch so ist noch die gute Hälfte der Rolle total weggestrichen worden. Die größte Keckheit meiner Arbeit besteht in der Einführung der Elisabeth, welche bei Gelegenheit eines Maskenfestes den Dichter gleichsam heilig spricht. Auch den jungen Southampton habe ich seiner Mutter, und ihren Einwendungen gegen seinen Umgang mit einem Comödianten, sichtlich gegenüber gestellt. Beide Scenen machen jedesmal eine entschiedene Wirkung. Von den Sonetten habe ich das 81te:

Or I shall live your epitaph to make

in die Handlung verflochten und die Freude gehabt, es mit stürmischen Beifall aufgenommen zu hören. Die Umwandlung des Vaters (den nebenbei gesagt meine Wenigkeit spielt) lasse ich, — und dies ist der einzige Punkt wo ich den epischen Gang Ihres Meisterwerkes rein dramatisch fand, — auch durch ein Citat bewirken, und zwar durch die Rede Heinrich des fünften: „Wer wünschte so? mein Vetter Westmorland? &c.“ Ich wünschte Ihnen, und wünsche es nun seit 8 Abenden bei jeder Aufführung, daß Sie den Jubel hören könnten, wenn Southampton am Schluße dieser Rede fragt: Nun Alter was sagt Ihr dazu? — und ich ihm entgegne „ja, sey er noch so niedrig! und wär’ ich dabei gewesen, ich hätte mein Blut auch für ihn vergossen und wäre auch sein Bruder geworden. — Crispin, Crispinian! Mary, mein Schwerdt,[S. 376] meine Lanze! Ich will hinaus! Für unsern guten König Heinrich will ich sterben! Gott und Sankt Georg! Alt-England für immer!“ Dann faßt mich Heinrich S. beim Arm und ruft: Heh, Alter wo seyd Ihr? Und ich sage: „In Frankreich, Herr, in Azincourt!“ und da bricht es los, daß wir nicht weiter reden können.

Diese Arbeit ist mein Schwanengesang für Wien. Denn das Theater, an das ich mich in blindem Vertrauen auf seinen Direktor gekettet hatte, ist (durch die Perfidie dieses Mannes, nachdem er, ein muthwilliger Bankerotteur, entflohen,) in Trümmer gesunken und wir spielen nur auf seinen Ruinen. Der Frühling löset es auf. Die Burg ist mir und meinem Genre verschlossen. Und fände sich bei den andern Vorstadttheatern Gelegenheit zu wirken, so hätte ich der Censur wegen, die mir eine Arbeit nach der andern untersagt, nicht mehr den Muth. Was hier verboten wird, ist eben so unglaublich, als das „Warum?“ unerklärlich bleibt. Am Ende herrscht reine Willkühr und ich staune wahrhaftig bisweilen eben so sehr über das Stehengebliebene, als ich mich über das Weggestrichene verwundere.

So wird denn wieder ein Wanderleben beginnen und von Ihnen hängt es ab, ob ich mich mit meinen harmlosen Productionen auch nach Dresden wenden soll? Ohne Sie belästigen zu wollen, rechne ich doch mit Gewißheit auf eine Zeile von Ihrer Hand, worin Sie mir einen freundlichen Wink geben.

Ich empfehle mich Ihnen und den verehrten Ihrigen mit alter Anhänglichkeit und Treue verharrend

Ihr

Holtei.


Ende des ersten Bandes.


Druck von Robert Nischkowsky in Breslau.


Fußnoten:

[1] Die Verdienste, welche sich der Breslauer Stud. philol. Herr Karl Schuler durch unermüdlichen Fleiß und eingehendes Verständniß um Herstellung eines brauchbaren Manuskriptes erwarb, sind dankbar hervorzuheben.

[2] Daß sie dieses mehrfach geblieben sind, ist nicht meine Schuld; ich habe weder Zeit noch Mühe gespart, Aufschlüsse zu erhalten, welche kein Hand- und Hilfsbuch, kein Lexikon, keine Litteraturgeschichte gab. Um eine aus wenigen Worten bestehende Notiz über Geburt und Tod zu erhalten, habe ich oft Briefe geschrieben die eben so viele Seiten zählten. Und auch diese haben nicht immer Rath geschafft. H.

[3] In ein paar Monate hoff ich doch das Buch mit die Zueignung senden zu können.

[4] Nebst ein paar Schaumünze, über Geyer und Wallin.

[5] Prof. G. Hermann übersandte mir bald nach meiner Ankunft das Diplom eines Ehrenmitgliedes der, von ihm gestifteten, Societas graeca, so daß ich nun 3 Gelehrtenvereinen angehöre, diesem, der lat. Gesellschaft in Jena und der Ges. für deutsche Sprache in Berlin. Ehre genug, aber —

[6] Dr. Fr. Hermann, der das Nibelungen-Epos in einige Dramen zwängte. Der Erste auf dieser seither öfters beschrittenen steilen Bahn. Er hat sein Leben mit fruchtlosen Versuchen hingequält, jene Versuche bei Bühnen anzubringen, und ist dann in Elend und Wahnsinn untergegangen. Es finden sich einige von ihm an Tieck gerichtete Briefe vor.

[7] Diesem Propheten begegnen wir bald noch einmal auf umstehenden Blättern. Ist es möglich, möchte man fragen, daß derlei Unsinn Aufmerksamkeit erregte bei solchen Hörern?

[8] Anmerkung. Die vielleicht ungerechte Härte dieser und ähnlicher, in anderen Briefen enthaltener Urtheile, geben wir mit gewissenhafter Treue, wie sie der Redaktion gebührt, wieder, indem wir unsere eigne Ansicht bescheidentlich im Innern vorbehalten. Leider steht die moderne dramatische Poesie nicht auf der Höhe, daß man Raupachs produktive Kraft so unbedingt verwerfen dürfte.

[9] Wir verdanken diese umfassende Belehrung der Güte des Herrn Dr. Jos. Lehmann, Redakt. des Magazins für ausl. Literatur.

[10] Mehrere hier durch Striche angedeutete Lücken sind (mit innigem Bedauern) gemacht worden, weil wir uns kein Recht anmaßen, vertrauliche Mittheilungen in die Oeffentlichkeit zu bringen. Tiecks Wille scheint allerdings gewesen zu sein, den herrlichen Brief unverstümmelt abdrucken zu lassen. Er hätt’ es verantworten können.

[11] Die erste Bearbeitung, (1845) die wir im Manuskripte genießen und uns an ihr ergötzen durften, erweckte im Leser ungleich günstigere Meinung, als hier der gegen sich strenge Dichter selbst ausspricht.

[12] „Begleiten“ statt: bekleiden; so hat der Sekretair geschrieben. Das ist im Sächsischen und auch in Süddeutschland häufig. Wie man auch nicht selten „verleiten“ anstatt: verleiden lieset.

[13] Hat Hoffmann falsch gelesen, und ist vielleicht „Molbach“ gemeint?

[14] Kühne, mit seinem Familiennamen Lenz, ein Enkelneffe des Dichters, der sich als Schauspieler zuerst Kühne genannt hatte, während der späteren Periode seiner Künstlerlaufbahn aber den nom de guerre wieder gegen den ursprünglichen Vaternamen umtauschte. Hoffmann muß das gar nicht gewußt haben. Wir bringen unter L. ein Schreiben von diesem Lenz-Kühne.

Anmerkungen zur Transkription:

Der vorliegende Text wurde anhand der 1864 erschienenen Buchausgabe möglichst originalgetreu wiedergegeben. Die Zeichensetzung wurde stillschweigend korrigiert. Aufgrund der Vielfalt der persönlichern Schreibstile der verschiedenen Autoren wurden ungewöhnliche und inkonsistente Schreibweisen aber beibehalten, jedoch wurden offensichtliche Druckfehler korrigiert:

Die Nummerierung der Briefe auf S. 127/128 von K. G. Carus (Nr. V bzw. VI) ist im Original vertauscht wiedergegeben; die korrekte Zahlenreihenfolge wurde wiederhergestellt.

Gesperrter Text wird in serifenloser Schrift wiedergegeben.

*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 49083 ***