The Project Gutenberg EBook of Meine Lebens-Erinnerungen - Vierter Band (of 4), by Adam Oehlenschläger This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have to check the laws of the country where you are located before using this ebook. Title: Meine Lebens-Erinnerungen - Vierter Band (of 4) Author: Adam Oehlenschläger Release Date: March 23, 2015 [EBook #48569] Language: German Character set encoding: ISO-8859-1 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK MEINE LEBENS-ERINNERUNGEN *** Produced by Thorsten Kontowski, Jens Nordmann and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This book was produced from scanned images of public domain material from the Google Print project.)
Ein Nachlaß
von
Adam Oehlenschläger.
Deutsche Originalausgabe.
Vierter Band.
Leipzig
Verlag von Carl B. Lorck.
1850.
Nur wenige Worte erlaube ich mir diesem vierten und letzten Bande der Erinnerungen vorauszuschicken.
Das eigene Manuscript des Verfassers endigt mit dem Anfang der Reise im Jahre 1844, Seite 151. Bei der Darstellung seiner spätern Lebensereignisse habe ich diejenigen seiner Briefe benutzt, die in meinem Besitze waren, und Auszüge aus denselben gemacht, je nachdem sie mir passend schienen. In diesen Briefen spiegelt sich seine Individualität so klar und lebendig in den verschiedensten Lebensverhältnissen ab, daß der Leser aus denselben ein weit besseres Bild von ihm erhalten wird, als eine noch so treue Erzählung, selbst wenn mir eine solche glücken könnte, zu geben vermöchte. Die Auszüge enthalten hauptsächlich, was das eigene Leben des Dichters, seine Urtheile und Ansichten über wichtige Zeitverhältnisse und Begebenheiten, Persönlichkeiten, Kunstwerke u. dgl. betrifft. Sollte man auch finden, daß einzelne kleine Züge hätten weggelassen werden können, so muß ich dazu bemerken, daß ich es für meine Pflicht hielt, mich nicht so sehr von Privatrücksichten leiten zu lassen, und daß ich dies und jenes beibehalten habe, was, wenngleich für die Gegenwart von wenigerem Interesse, einem kommenden Geschlechte von Nutzen sein und Aufklärungen geben kann, die man möglicherweise sonst vermissen würde.
Kopenhagen, im März 1851.
Johannes Oehlenschläger.
Ich hätte noch auf ein Jahr mit Bertouch leicht und angenehm nach Italien reisen können; aber das Heimweh, das mich vor neun Jahren in Rom ergriff, und mich verhinderte, Neapel zu sehen, ergriff mich nun wieder, und verhinderte mich Rom noch einmal zu sehen. Obgleich ich gewissermaßen durch einen freiwilligen Ostracismus aus meinem Vaterlande geflohen war, um den Haß meiner Feinde zu dämpfen, und ich gewiß klug gethan hätte, noch länger fortzubleiben, so konnte ich es doch nicht; ich sehnte mich nach meinem Hause, meinen Kindern; ich konnte nicht länger ohne sie sein. Ich schlug deßhalb Herrn Hjort (jetzt Professor in Sorde) vor, an meiner Statt zu reisen, und da er und Bertouch damit zufrieden waren, zog ich das häusliche Glück im Kreise meiner Lieben vor; aber es zog wieder von mehreren Seiten ein Ungewitter am Horizonte meines Glückes auf.
Baggesen hatte, während ich fort war, ein Singspiel, die Zauberharfe, geschrieben, welche Kuhlau componirte. Aus „Holger Danske“ und „Erik dem Guten“ hatte man bereits gesehen, wie wenig er sich zu dramatischer Dichtung eignete; nun da er „Ludlam's Höhle“ und „die Räuberburg“ als die elendesten Pfuscherarbeiten heruntergerissen hatte, verlangte man natürlich mehr von ihm, und es wurde doch noch weniger. Und hierzu kam noch das Gerücht, daß das Stück nicht Original von ihm sei, sondern daß er es nach einem ihm von einem Andern anvertrauten Manuscripte umgearbeitet habe. Baggesen bewies juridisch sein Recht an dem Stücke; und wenn man es ihm ästethisch[6] absprechen wollte, so konnte dies meiner Ansicht nach nur geschehen, weil es zu mittelmäßig war. Da er nun mehrere Jahre hindurch fast ausschließlich meine dramatischen Werke als der Bühne unwürdig heruntergerissen hatte, so war es ganz natürlich, daß man mit seinem Benehmen unzufrieden war, und wenn es für das Auspfeifen überhaupt eine Entschuldigung giebt, so fand sie sich gewiß hier. Das Schlimmste war, daß Kuhlau's schöne Musik dabei ein gleiches Schicksal leiden mußte; und besser wäre es freilich gewesen, wenn man — was man auch Kuhlau's Genie schuldete — das Auspfeifen unterlassen hätte; um so mehr, als es über Den ausging, den man rächen wollte. Kurz nach meiner Rückkehr sollte Herr Violoncellist Funk ein Benefiz haben. Bei solchen Gelegenheiten wird ein beliebtes Stück gewählt, das Zulauf hat. Da dies nun mit Ludlam's Höhle der Fall war, so wählte er es. Aber das war ein gefundenes Fressen, für meine Feinde. Nun pfiffen sie auch hier; und so ging es mir wie Lars in Freia's Altar, dem Bilbo eine Ohrfeige giebt, weil Clotilde ihm einen Korb gegeben hat. Dergleichen geschieht oft im menschlichen Leben. Das Beste war, daß die Ohrfeige, die mir bestimmt war, weil Thalia Baggesen einen Korb gegeben hatte, mich nicht traf.
Aber bald sollte ich einen wirklichen Kummer erleiden. Meine geliebte Schwester Sophia, deren Munterkeit und Lebenskraft so lange gegen den Stoß angekämpft hatte, den sie in dem unglückseligen Scharlachfieber bekommen, mußte endlich unterliegen. Bis zur letzten Zeit war sie die Seele ihres Kreises. Nun kam ein hitziges Fieber und riß sie fort. Das letzte Mal, wo ich sie besuchte, saß sie aufrecht im Bette und sprach irre. „Gott segne Dich, meine gute Schwester,“ sagte ich beim Abschiede. „Ja,“ sagte sie, indem sie auf mich hinstarrte, „das wäre nicht so übel!“ — Ich glaubte doch noch nicht, daß sie sterben würde. O. H. Mynster, ihr Arzt, meinte auch, daß nicht alle Hoffnung[7] verloren sei. Ich ging zwar betrübt, aber doch ruhig nach Hause; es ist nicht meine Art, die Hoffnung aufzugeben, ehe sie mich ganz entschieden verläßt. Ich wollte nach meiner Gewohnheit ein Wenig ins Theater gehen, um mich zu zerstreuen, als mich in demselben Augenblicke eine erschütternde Traurigkeit befiel. Ich ging in mein kleines Zimmer, warf mich auf die Knie und rief weinend: „Ach, meine geliebte Schwester! Nun stirbst Du gewiß in diesem Augenblicke! Habe Dank für alle Deine Liebe und schwesterliche Hingebung! Gott erfreue Dich in seinem Himmel!“ Eine Stunde darauf kam die Nachricht ihres Todes. Sie war gerade in jenem Augenblicke entschlummert.
Im October desselben Jahres verlor ich zwei meiner besten Freunde, Ole Hieronymus Mynster und Michael Rosing. Rosing war viele Jahre hindurch körperlich gelähmt gewesen. Ich besuchte ihn oft und las ihm die Tragödien vor, in denen er leider nicht mehr spielen konnte, die er aber, wie es seine bald funkelnden, bald thränenvollen Augen bezeugten, gut verstand. Wenn ich meine Visiten hübsch regelmäßig wiederholte, sagte er beim Eintreten: „Guten Tag, mein Sohn!“ wenn ich aber zu lange fort blieb, sagte er: „Guten Tag, Herr Professor!“ Bei seiner Beerdigung begegnete ich Rahbek auf der Treppe allein. Wir hatten seit der fatalen Freia's-Altars-Fehde nicht wieder mit einander gesprochen. Ich fiel ihm um den Hals, und nun waren wir die alten Freunde. Mynster wurde an demselben Tage, wie Rosing beerdigt und ich folgte ihnen Beiden zu ihrer letzten Ruhestätte.
Mein William hatte einen braunen Fleck auf dem Kinn, den ich gern beseitigt gesehen hätte. Ich hatte gehört, daß es hälfe, wenn man ihn mit dem Finger einer Leiche berührte, und wollte dieses Experiment versuchen. Ich fragte den kleinen vierjährigen Knaben, ob wir Mynster besuchen wollten. Das Kind wußte nicht, daß Mynster todt sei und konnte sich überhaupt[8] noch keinen Begriff vom Tode machen. Mit Erlaubniß der Familie traten wir in die Leichenkammer. Es war dasselbe Haus, in dem der Verstorbene und ich so oft lustig mit einander gescherzt hatten. Nun lag er still und ernst da, als ich das Tuch zurückschlug: „Der gute Mynster schläft!“ sagte ich leise, „komm, William, willst Du ihn sehen?“ — Der Knabe näherte sich furchtsam, ich berührte sein Kinn mit dem kalten Finger der Leiche, und wir eilten fort. Erst auf der Straße fragte William: „Vater: warum war Professor Mynster so weiß im Gesicht?“ Ich gab ihm eine beruhigende Antwort. Die Kur half nicht; erst ein paar Jahr später verschwand der braune Fleck durch Hülfe des Professors Jakobsen, und hinterließ nur eine unbedeutende Narbe.
Wenn die lieben Todten uns verlassen, knüpft uns das Band fester an die Lebenden. Das Jahr vorher hatte ich meine Tragödie die Blutbrüder, schön gebunden von Paris, ebenso wie mehrere Jahre vorher Hakon und andere nach Hause geschickt. Meine Frau hatte mir von der Freude geschrieben, die sie, Karl Heger, Boye und Hauch durch die plötzliche Ueberraschung gehabt haben, und ich beschloß selbst ein Mal, Zeuge einer solchen zu sein. Auf Friedrichsberg, wo Madame Voigt, die Wittwe des Schloßverwalters die Güte hatte, mir einige Jahre hindurch Zimmer für den Sommer zu überlassen, schrieb ich den kleinen Hirtenknaben, ließ ihn hübsch einbinden, und packte ihn mit einem Briefe ein, als ob er mit der Post von Paris käme. Eines Freitags nach Tisch, als die Leute beim Kaffee saßen, kam das Mädchen herein und brachte der Frau vom Hause das Paket. — Sie machte große Augen, wurde angenehm überrascht, und nun konnte ich, nachdem ich mich an der Verwunderung Aller geweidet hatte, mich selbst hinsetzen und ihnen das Stück vorlesen. — In demselben Jahre, am[9] 3. September, schenkte mir Gott als Ersatz für so viele Verluste, meine jüngste Tochter Maria Louise.
Eine neue Bekanntschaft, die ich in der letzten Zeit gemacht hatte, und die zu einer wahren Freundschaft wurde, war die der liebenswürdigen Generalin Hegermann-Lindenkrone, vielleicht das poetischeste weibliche Gemüth, das Dänemark besessen hat; und in ihrem Familienkreise fand ich durchaus das Gepräge des freundlichen Geistes, der ihre Gedichte beseelt.
Im Jahre 1818 schrieb ich noch das Lustspiel Robinson in England. Ich hatte auch die Freude, unsern großen Landsmann Thorwaldsen wieder im Vaterlande zu sehen. Wir wetteiferten Alle, ihm zu huldigen, und bei dem Feste auf der Schießbahn, hielt ich eine Rede, und dichtete ein Lied, welches bei Tisch gesungen wurde, und sich in meinen Werken abgedruckt findet.
Die Götter des Nordens, eins meiner Hauptwerke, wurde im Jahre 1819 gedichtet. Ich wandte hier ebenso wie in Helge verschiedene Versarten zu diesen zwar zusammenhängenden, aber im Charakter und Wesen sehr abweichenden Fabeln an. Thor's Reise nach Jothunheim (bereits im Jahre 1805 gedichtet) diente dem Ganzen als Einleitung.
Am 28. November starb mein Waulundur, Christiane's Vater, mein alter Freund der Conferenzrath Hans Heger, mit dem ich mehrere Jahre hindurch in kindlichster Vertraulichkeit gelebt hatte. Er liebte mich wie ein Vater, und jedes Lorbeerblatt, das ich gewann, war, als ob er es selbst gewonnen. Der, welcher meine Gefühle für ihn näher kennen zu lernen wünscht, den verweise ich auf das Gedicht, welches ich bei seinem Tode, und auf ein anderes, welches ich kurz vorher zu seinem Jubelfeste schrieb. Beide befinden sich in meinen Werken.
Meine folgenden Arbeiten (1820) war das Singspiel Tordenskjold und die Tragödie Erik und Abel. — Tordenskjold wurde angenommen und honorirt, aber nicht aufgeführt. Es hieß: „daß dieses Stück nicht aufgeführt werden könne, weil König Friedrich IV. darin auftrete.“ Die Erlaubniß, dänische Könige auf die Bühne zu bringen, ging nicht weiter, als bis zur Souverainetät. Christian IV. konnte folglich auftreten, aber Friedrich IV. nicht. Außerdem sang er im Stücke. Mir wäre Nichts leichter gewesen, als dieses Lied zu streichen; ja mit geringer Mühe hätte ich auch das Stück so umarbeiten können, daß der König nicht darin auftrat; aber dadurch hätte die Scene mit Tordenskjold an dramatischer Wirkung verloren; außerdem wußte ich, daß nicht deßhalb das Stück verworfen wurde, und als nun mein Freund Collin als Theaterdirector an betreffender Stelle darauf aufmerksam machte, daß das Stück angenommen sei, und daß es nicht anginge, mir meine Einnahme zu entziehen, so erhielt ich vierhundert Thaler, und war froh, da ich gern allen Chikanen ausweichen mochte, denen ich ausgesetzt war, wenn meine Stücke gespielt wurden, aber nicht das Geld entbehren konnte. Außerdem wußte ich, daß eigentlich nicht der angeführten Gründe wegen das Stück verworfen wurde; aber Rahbek vertraute mir, daß es folgendermaßen zusammenhänge: Ich hatte das Stück bei Schimmelmann's in einer großen Gesellschaft vorgelesen, wo Hofdamen und Hofherren zuhörten, und diesen gefielen die Scenen mit dem Matrosen nicht, der von Tordenskjold's Extraction von dem Kutscher der vornehmen Frau, u. s. w. spricht.
„Hättest du Ihnen wenigstens Namen als species gegeben,“ sagte Rahbek, „so hätten sie es vielleicht gehen lassen; aber nun wurde der vernünftige und der unvernünftige Hofmann als Genus genannt, und das konnte man nicht leiden.“ Das Stück wurde also nicht gegeben, und harrt noch eines guten Componisten, um vielleicht zu einer Zeit zu gefallen, wo dergleichen Einwendungen nicht mehr gemacht werden.
Man las das Stück mit Vergnügen; ich hatte es Thaarup dedicirt, und hatte die Freude, diesen edlen Dichtergreis ganz zu gewinnen, der sich eine Zeitlang zur Partei meiner Gegner geschlagen hatte. In seinem letzten Lebensjahre besuchte er mich oft. Schon früher hatte sein gutes Herz und seine poetische Natur das Widerstreben oft besiegt, welches der Aeltere zuweilen empfindet, den Jüngern anzuerkennen. — Als ich das erste Mal ins Ausland reiste, sagte er zu Steffen Heger: „Wenn die Deutschen ihn nur nicht verderben!“ Heger las ihm als Antwort Etwas aus meinem Aladdin vor, und als Thaarup es gehört hatte, strich er sich auf seine gewöhnliche humoristische Weise das Kinn und sagte: „Laß ihn nur gehen! er wird sich schon hüten!“ — Ich hatte stets den Dichter des Erntefestes geliebt, und als er kurz darauf starb, schrieb ich aus vollem Herzen:
Ungefähr zu derselben Zeit gewann das Theater und besonders meine Stücke sehr viel durch das Erscheinen der beiden großen Talente Fräulein Brenöe und Herrn Nielsen auf dem Theater. Foersom war vor drei Jahren gestorben; in Ryge[12] hatten wir den Mann, den charakteristischen Helden, den Greis für die Tragödie, aber es fehlte uns noch der Held als Liebhaber und die Liebhaberin. — Diesen Mangel füllten Herr Nielsen und Fräulein Brenöe aus. — Nielsen trat als Axel auf, zeigte was wir von ihm erwarten konnten und hatte unsere Erwartungen nicht getäuscht. Unter Fräulein Brenöe's ersten Rollen war Sophia in Erik und Abel, in der sie gleich die anmuthige und gefühlvolle Natur an den Tag legte, durch die wir später immer gerührt wurden. Ihr Genie für die Bühne zeigte sich bald in großem Umfange.
Der kleine Hirtenknabe hatte Glück gemacht. Erik und Abel machte es auch (1821). Feindliche Brüder tragisch darzustellen, ist ein alter Stoff, an dem sich auch Neuere versucht haben. Wenn aber La Harpe von Racine's frères ennemis sagt: Sujet, qui ne pouvait guère réussir sur notre théâtre; ni l'un, ni l'autre des deux frères ne peut inspirer d'interet; tous deux sont à peu près également coupables, également odieux etc. — so paßt das nicht auf Erik und Abel. Der Erstere kommt seinem Bruder versöhnlich entgegen und rührt uns, da er in einem frommen Augenblicke ohne es zu ahnen von der Hand des Meuchelmörders fällt. An dem unglücklichen Abel rächt sich später, eben so rührend, das erwachende Gewissen. Der bloße Haß kann nie tragisch sein, ebensowenig, wie irgend ein anderes Laster; aber der Kampf des Hasses, des Lasters mit den edlern Eigenschaften in der Brust des Menschen, der Sieg oder die Niederlage desselben, dichterisch dargestellt, interessirt, begeistert und rührt.
In dieser Zeit war ich zwei Mal in Lebensgefahr, und das merkwürdigerweise auf der Bühne in meinen eigenen Stücken. Eines[13] Abends, als der kleine Hirtenknabe aufgeführt wurde, und ich gegen meine Gewohnheit auf die Bühne gegangen war, um mit Ryge zu sprechen, stürzte eine der größten Coulissen dicht an meinem Kopfe nieder. Wäre sie zwei Zoll näher gekommen, so hätte sie mich getödtet, und man hätte dann bei dem Aufgange des Vorhangs die Blutspur dem Publikum zeigen können; wo der Dichter des kleinen Hirtenknaben sein Leben beschlossen hat. — Das zweite Mal war es auf einem Privattheater. Ich war wieder in Borup's Gesellschaft eingetreten, und spielte zuweilen, wenn auch selten mit. Nun wollte man daselbst einmal Correggio aufführen, und wünschte, daß ich Michel Angelo's Rolle spielen solle. Ich that es; aber obgleich mein Spiel nicht mißfiel, so fiel ich doch in meinem eigenen Stücke durch. Ich ging nämlich beim Schluß des dritten Actes zur linken Seite hinaus, wo ich vorher nicht gewesen war. Einen einzigen Schritt weit von der Coulisse war eine Oeffnung nach dem Keller mit einer schmalen Treppe auf der entgegengesetzten Seite. Ich ahnte eine solche Fallgrube nicht, stürzte die Treppe hinab, und kam glücklicherweise davon, indem ich mir nur Haut und Fleisch am Schienbein verletzte. Es war doch ziemlich schlimm; denn ich konnte drei Wochen lang nicht gehen. Wenn ich einen Schritt mehr seitwärts getreten wäre, so wäre ich in den Keller gestürzt, und hätte wahrscheinlich den Hals gebrochen. — Als ich nach überstandener Gefahr und glücklich hergestellt, meinem Freunde J. P. Mynster dies Ereigniß und den ähnlichen Unfall erzählte, den ich vor zwölf Jahren in Italien zwischen dem vierten und fünften Acte Correggio's, den ich damals schrieb, in der Cascade in Tivoli gehabt hatte, sagte er: „Nun ja! das nächste Mal kommt es also zwischen dem zweiten und dritten Acte!“
In diesem Jahre verließ uns mein Freund Hauch, um ins Ausland zu reisen.
Im Jahre 1822 sollte Holbergs Jubelfest begangen werden. Es war 100 Jahre, seitdem der große Dichter Dänemark durch seine erste Komödie, den politischen Kannegießer, erfreut hatte; und dieser Dichter Holberg war derselbe Professor Holberg, der Dänemark seine historischen Werke geschenkt hatte; und dieser Professor Holberg war derselbe Baron Holberg, der Dänemark seine Baronie Soröe verehrt hatte. Ursachen genug, sich seiner mit Dankbarkeit zu erinnern. Und doch war der Enthusiasmus nicht sonderlich groß. Die Damen können Holberg nicht leiden, weil er plump ist, weil keine Liebe in seinen Lustspielen vorkommt, und die Damen haben in Sachen des Geschmackes einen entschiedenen Einfluß auf die Männer. Was die Plumpheiten betrifft, so ist es leicht, die schlimmsten bei der Aufführung fortzulassen; und von der Liebe ist eigentlich auch nicht die Rede; aber Holberg's Stücken fehlt eine gewisse galante Plaisanterie; es wird nicht die Cour in ihnen gemacht, und das ist das Unglück! Wollten doch unsere Modedamen, die sich sonst soviel nach den Pariserinnen richten, von ihnen unsern Holberg so achten lernen, wie jene ihren Moliere schätzen; und wo die Dame, die Molière's muntern Witz und gesunde Satyre nicht zu schätzen weiß, für eine Gans gehalten wird.
Doch waren Leute genug von Geschmack und Verstand beiderlei Geschlechts in Kopenhagen, um das Fest zu feiern. Es wurde mir übertragen, ein dramatisches Vorspiel zu schreiben, und ich hatte die Freude, vier Abende kurz hinter einander die Anwesenden für unsern unsterblichen Dichter zu begeistern.
Da dieses Jubelfest so die Herzen im Tempel Apollo's verschmolzen hatte, schien es mir, daß es einmal Zeit sei, Robinson in England spielen zu lassen. Freilich hatte ich gehört, daß Mehrere unzufrieden mit der Theescene im Stück seien, weil sie darin Beziehungen auf sich zu finden glaubten. Ein Dichter kann nicht aus dem Nichts schaffen, und eine Satyre,[15] die nicht die Mißbräuche der Zeit trifft, ist ohne Salz; aber ich war mir bewußt, daß sich keine Persönlichkeiten im Stücke fanden, und viele, die es gelesen, wünschten es aufgeführt zu sehen.
Rahbek, mit dem ich bei der Beerdigung unseres gemeinsamen Freundes O. H. Mynster wieder ganz versöhnt worden war, schrieb mir folgenden Brief darüber:
„ Ich danke Dir für Dein Lustspiel, das ich gleich zu lesen anfing, das ich nicht von mir legen konnte, bis ich es ausgelesen hatte, und ich beeile mich es Dir zu senden, damit es gedruckt, angenommen und aufgeführt werden könne, da wir so lange keine gute Originalcomödie gehabt haben.
Ich habe Dir, wie Du siehst, bereits gesagt, daß Deine Komödie gut ist, und trage kein Bedenken, hinzuzufügen, daß der ganze Theil, der zwischen Selkirk, William, Betty, Defoe und Sir Robert Edgarson, außerordentlich schön ist; nur möchte ich Du wolltest Peter, wie die Gärtner es nennen, strafen, d. h. etwas beschneiden. — Ich muß übrigens bei dieser Gelegenheit bemerken, daß, wie ich stets die drei ersten Acte Deines Correggio's für einen Nathan der Weise über Kunst gehalten habe, so finde ich, daß die Scene im Gelehrtenklub ein lucianischer Dialog über sogenannte Kritik, oder ein lehrreicher Commentar über Lessing's Worte sei, daß der, welcher eine Art von Kunstschönheiten schätzen könne, sei es als Dichter oder in andern Künsten, sich darum nicht einbilden darf, daß er alle zu beurtheilen verstehe; da es keine schlechtere aber auch keine gewöhnlichere Kritik giebt als die, welche incommensurable Größen mit derselben Elle mißt. Also — „Courage, mon ami! Voilà la bonne comédie, et peut-être quelque-chose de mieux!“
Ich ließ also das Stück aufführen, und es gewann großen Beifall.
Ein ausgezeichnetes Talent wurde erst bei dieser Gelegenheit erkannt und geschätzt. Unser witziger komischer Rosenkilde erwarb sich als Peter reichen Applaus.
Aber — es war ganz richtig — die Theescene konnte man nicht leiden, und obgleich sie ganz ohne Persönlichkeiten war, so wollte man doch Persönlichkeiten darin finden. Dies genügte einer gewissen Partei, mich zu kränken und Lärm im Stücke zu machen. Die unsinnigste Einrichtung, welche der Unverschämtheit und Ungerechtigkeit eine Hinterthür im Tempel der Musen öffnet, von der aus sie, ohne das geringste Risiko, ihres Sieges sicher, Geschmack und Genie verhöhnen können, fand früher im Theater und findet leider noch jetzt darin statt. Aus alten Zeiten her, wo man das Theater wie eine Bretterbude betrachtete, in welcher Menschen, die nicht auf qualificirte Achtung rechnen durften, sich dazu hergaben, die Leute wie andere Gaukler zu amüsiren, und wo die Stücke, welche man spielte, als eine Art Spaß betrachtet wurden, die nur hierzu daseien, und also von den Launen der hohen Herrscher (des Publikums) abhingen, nahm man an, daß das tyrannische Recht, das Urtheil über Leben und Tod eines Stückes zu fällen, mit den paar Groschen bezahlt sei, die man für ein Billet gegeben hatte. Dieses Recht wird noch jetzt geachtet. Jeder hat das Recht, sein Urtheil zu fällen. Das mag nun sein, und obgleich das Pfeifen im Theater eine alte Unsitte ist, die abgeschafft werden sollte, so könnte man sich doch wohl hierein finden, wenn es so eingerichtet wäre, daß das Publikum selbst das Urtheil fällen dürfte. Und aus Achtung für das Publikum ist ja diese Erlaubniß gegeben, sodaß die öffentliche Meinung den Ausschlag geben kann. Aber in der Art der Erlaubniß, die hier herrscht, liegt eine ebenso große Beleidigung gegen das Publikum, wie gegen den Dichter, der das Stück geschrieben hat. In Paris (von wo wir doch, was die Theatereinrichtung betrifft, unsere ganze Weisheit geholt haben) ist es ganz anders. Dort ist dieser Streit zwischen den Meinungen so gestattet, daß es ein wirklicher Streit wird, der sich mehr oder weniger auf ein ästethisches Urtheil stützt. Dort pfeift man in einem Stücke gleich an den Stellen, von denen man glaubt, daß sie es verdienen.[17] Wenn diese Stellen nun von einer andern Partei in Schutz genommen werden, so kommt es darauf an, welche von beiden die siegende ist. Es trifft sich äußerst selten, daß die Meinungen gerade gleich getheilt sind. Die stärkere Partei siegt, die schwächere muß schweigen, und wenn das nicht geschieht, so heißt es: „A la porte!“ und die Spectakelmacher müssen hinaus, wenn sie nicht ruhig sein wollen. So vermag das Stück zu siegen, und das Publikum das Stück bis zu Ende zu sehen. Hier ist keins von beiden möglich; erst wenn der Vorhang fällt, ist es zu pfeifen erlaubt, früher zehn, jetzt fünf Minuten, bis das Gongon ertönt, dann kommt die Polizei und bringt die noch Pfeifenden fort. Aber in fünf Minuten können zwei, drei Menschen mit gellenden Pfeifen in größter Ruhe und unter dem Schutze der Polizei dem ganzen Publikum opponiren; und da das Schrillen der Pfeifen viel stärker ist als das Händeklatschen, so kann es dem Ohre so erscheinen als wenn der Kampf fast gleich wäre. Dies kann so oft wiederholt werden als Jemand Lust dazu hat, und das Pfeifen gilt nur den Dichtern, nie den Schauspielern; denn da erst gepfiffen werden darf, wenn der Vorhang gefallen ist, so kann der Tadel nie diese treffen.
So wurde auch einige Abende hintereinander von einigen Wenigen nach der Vorstellung von Robinson in England gepfiffen, während ein stürmischer Beifall des ganzen Hauses vergebens suchte, sie zu unterdrücken. Ich war selbst im Parket zugegen und blickte mit Gleichmuth auf die Pfeifenden, bis Collin mich einmal bat, fortzubleiben, um sie nicht zu irritiren. Das that ich denn auch, und so hörten sie endlich zu pfeifen auf, und das Stück wurde in aller Ruhe gespielt.
Ich hatte bisher fast alle meine dänischen Dramen und Erzählungen in das Deutsche übersetzt, auch einige lyrische; an das Epische wagte ich mich nicht. Nun bekam ich Lust, das neuere deutsche Publikum mit unserm großen Holberg[18] bekannt zu machen. Herr Brockhaus in Leipzig übernahm den Verlag.
Und als ich wieder in die Uebung gekommen war, soviel Deutsch zu schreiben, bekam ich Lust, wieder einmal Etwas von vorn herein in dieser Sprache zu dichten, was, seit dem Correggio, nicht geschehen war. Ich bearbeitete mein altes Lieblingsbuch Albertus Julius ganz frei, und benutzte nur seine guten Hauptsituationen. Der Stoff gab mir Gelegenheit, eine Menge Charaktere zu schildern; poetische Begebenheiten zu erfinden und sie in natürliche Verbindung zu bringen. Man muß die Inseln im Südmeer nicht wie einen einzelnen Roman, sondern wie einen Cyklus von Erzählungen betrachten; nicht in einer losen Verbindung (wie in Tausend und einer Nacht oder wie in Boccaccio's Decameron), sondern im innern poetischen Zusammenhang und in einem Vereinigungspunkt von gemeinsamem Interesse. — Ueber dieses Werk erschienen in Deutschland drei für mich ehrenvolle Recensionen; einige andere rissen es herunter. In Dänemark wollten die Inseln im Südmeer lange Zeit nicht schmecken. Ich hatte die dänische Uebersetzung auf Subscription erscheinen lassen; glaubte man vielleicht, es koste zu viel und sei zu viel auf ein Mal zu lesen? ich weiß es nicht; genug, man war mit dem Buche unzufrieden, und ich glaube ganz besonders die, welche es nicht gelesen hatten.
Uebrigens will ich gern gestehen, daß die Inseln im Südmeer einen üblichen Fehler von Romandichtungen hatten, das Werk war zu weitläufig. Ein Drittheil hätte zum Vortheil des Werkes fortgelassen werden können. Dies ist bei den neuen Auflagen sowohl im Dänischen wie im Deutschen geschehen.
Obgleich ich nun in diesen größtentheils erotischen Erzählungen keineswegs Walter Scott nachzuahmen suchte, der fast gar nicht erotisch ist, so wird doch das folgende Fragment eines Briefes, den ich diesem großen Mann mit meinen Schriften ungefähr zu derselben Zeit sandte, da ich meinen Roman dichtete, den Leser überzeugen, wie sehr ich ihn bewunderte und liebte.
„Dem herrlichen Dichter, mit dem ich in vertrauter Bekanntschaft gelebt habe, danke ich einen mehrjährigen Genuß, ohne ihn jemals mit meinen irdischen Augen gesehen, ohne jemals seine Stimme gehört oder einen Druck seiner Hand empfangen zu haben. Ich kenne ihn nicht, aber ich kenne seinen rothhaarigen Campbell mit den langen Armen und der ausgedehnten Wirksamkeit; seine holde Diana Vernon, die in ihrer Kälte, wie der Mond leuchtet; seinen kräftig-schrecklichen Mac Merilles; seinen in seiner Unbedeutendheit höchst poetischen Simson mit den schiefen Beinen; seinen königlichen Bettler in dem zerfetzten Gewande. Ich sehe seine entsetzlichen Schwärmer in der dunkeln Hütte, wie sie auf die Uhr blicken und sie auf Zwölf stellen, damit sie ihre Opfer tödten können. Ich sehe Allen Mac Auley in seinen Plaid gehüllt mit stolzem, gerührtem Seherblick, einen wunderbaren Gegensatz, wie ein Funke in der Asche zu der fast erloschenen Flamme des Alterthums, zu dem sanguinischen, launischen Egoisten Dalgetty bilden. Ich sehe Maria Stuart, frei selbst als Gefangene, in ihrer Anmuth, und Elisabeth in ihrem eifersüchtigen Geistesgefängniß auf dem Throne. Ich finde dem Herzog von Argyle in dem schönsten Verhältniß zu der heroisch anmuthigen Jenny Deans. Die jüdische Madonna Rebecca erweicht mein Herz; und in der Schilderung ihres Vaters und des Narren Wamba, finde ich — wie in Allem — Shakespeare's Landsmann und Nachkommen. Der stolze Fergus rührt mich auf dem Wagen zur Richtstätte. Ich bin heimisch in Schottland, ohne dort gewesen zu sein; ich kenne die einsamen Wege über die Moräste des Landes hin nach den fernen Bergen; die Hütten mit ihren Rauchsäulen, die Felsen mit ihren Höhlen, den Bach mit seinen Elfen, das Kloster mit seinen Mönchen, die Burg mit ihren Rittern. Ja selbst in Glasgow habe ich einen vertrauten Freund in dem liebenswürdigen, thätigen Spießbürger Jarwin.“
„In allen diesen Gestalten treffe ich stets einen in den verschiedensten Gesichten sich offenbarenden Genius, den großen[20] Dichter selbst; und diesem schreibe ich diese Zeilen, um ihm meine Gefühle an den Tag zu legen.“
Walter Scott gestand bekanntlich damals noch nicht, daß er der Verfasser der Romane sei; von seinen andern Poesien hatte ich in meinem Briefe nicht viel gesprochen. Er konnte mir also nur durch dritte Hand als Anonymus danken; das that er denn auch auf das Freundlichste und sagte mir viel Verbindliches, indem er mir auch seine Werke, sowohl die Gedichte, wie die Romane sandte.
Wir schrieben uns später einige Male. Sir Walter Scott wollte mir einen englischen Verleger für die Inseln im Südmeere verschaffen, die Herr Gillies nach dem deutschen Manuscripte, das ich ihm sandte, zu übersetzen versprochen hatte. Aber obgleich ich oft ehrenvoll im Edinburgh Magazine besprochen und stückweise übersetzt war, und obgleich Sir Walter Scott eine Vorrede zu meinem Romane schreiben wollte, gelang es ihm doch nicht, einen Verleger zu finden, der soviel bezahlen wollte, daß Herr Gillies und ich Vortheil davon haben konnten, wenn wir das Honorar theilten. Walter Scott, dem es leid that, nicht durchführen zu können, was er gehofft und wozu er mich selbst aufgemuntert hatte, schrieb an Feldborg, der damals in London war und meine Commission übernommen hatte: „Mr. Cadel says, no German Work has ever stood the expence of translating; and we know how very small that is. In short, I had the mortification to see, that he is not in humour with the undertaking. I wish, you would look into Constables shop, and talk with Cadel on the subject. He will tell you, that I offered to do any thing in my power, to make the British public acquainted with Mr. Oehlenschlaegers merit, and I will turn your evidence, that the matter does not miscarry for lack of zeal on my part.“
Uebrigens war für meinen Antheil nur die Rede von hundert Pfund. Kurze Zeit darauf hatte Sir Walter Scott selbst das Unglück, durch den Bankerott des Herrn Constable[21] ein bedeutendes Vermögen zu verlieren, aber er verschmerzte seinen Verlust und hat uns später mit mehreren Werken erfreut, unter denen z. B. Quentin Durward und das schöne Mädchen von Perth sich mit jedem seiner besten Werke aus früherer Zelt sicherlich messen können.
Indessen versahen andere Dichter die dänische Literatur und Bühne reichlich mit ihren Werken.
Ludwig Heiberg hatte bereits im Jahre 1814 sein Marionettentheater herausgegeben. Ein paar Jahr, bevor es gedruckt wurde, sah ich eins dieser Stücke, ich glaube Don Juan, bei seiner Mutter, Frau Gyllembourg, aufführen, und der poetische Geist und Ton darin, überraschte mich und gefiel mir ganz besonders. Das Stück wurde gut gespielt, woran ohne Zweifel der Dichter selbst Theil nahm. Es war auch wirklich etwas Kindliches darin, das mich rührte. Dies kam vielleicht zum Theil von der Erinnerung vergangener Jahre, wo der Dichter selbst Kind bei seiner Mutter gewesen war, deren Weihnachtsfeier, mit ihren Geschenken und Spielen sich diesem Marionettenspiele näherten, theils rührte mich das Kunstkindliche im Marionettenspiele selbst, die Erinnerungen an Kasperle im Thiergarten u. s. w. Vor mehreren Jahren hatte ich in Halle die Marionettentragödie Faust gesehen, in der sehr viel Gutes ist, besonders in den tragikomischen Scenen, und die Lessing in seiner Dramaturgie lobt. Und so mangelhaft es auch ist, könnte man doch wünschen, tragische Werke öfter so aufführen zu sehen; man müßte dann aber auch selbst soviel Phantasie mitbringen, daß sie die sonst unaufhörlich gestörte Illusion ersetzen kann.
Um ein großes tragisches Drama mit vielen Personen aufzuführen, wird ein großes Personal von so poetisch gebildeten Menschen erfordert, wie man sie selten findet. Im Marionettenspiele kann man sich die Diction von wenigen unsichtbar Spielenden meisterlich gesprochen denken, die mehrere Rollen[22] ausführen. So wurde es ein Zwischending von Vorlesung und einem Bilde fürs Auge, mit dem man doch nicht zu scharf sehen, oder es bewaffnen durfte, wenn man nicht den Mangel der Pantomime entdecken wollte.
Als Heiberg diese Stücke: Don Juan und Töpfer Walter, drucken ließ, nannte er sie noch: Marionettentheater, weil er meinte, „daß der kindliche Geist der der eigentliche Charakter des Marionettentheaters ist, sich mehr oder weniger sichtbar durch dasselbe ziehe“. Aber hierin kann ich doch nicht mit ihm einig sein. Erstens liegt kein kindlicher Geist in irgend einem der Stücke des alten Marionettentheaters selbst; es war die Kunst in der Kindheit, die etwas Naives in ihren gestrandeten Versuchen und ihrer kecken Unwissenheit hatte. Diese Heiberg'schen Stücke sind, wenn man sie liest, durchaus nicht kindlich. Das erste: Don Juan, ist eine sehr gute freie Behandlung von Molière's Drama, besonders in den komischen Partieen. Aber ein Schauspiel, das Laster, Verbrechen, Ausschweifungen, Leichtfertigkeit und Spott, Scherz, Abscheu und Entsetzen darüber darstellt, kann doch nicht kindlich genannt werden. Der Töpfer Walter ist ohne Zweifel eine der poetischsten Dichtungen Heiberg's; besonders ist die Scene mit Walter und Ulf, wo der erste Gott und der Natur eine ewige Freundschaft schwört, sublim und tragisch erschütternd. Aber wenn man die Stellen ausnimmt, wo Doctor Pancreas Prügel bekommt, ist doch Nichts darin, das an das Marionettenspiel erinnert. Das Verhältniß zwischen Rosa und Walter ist anmuthig und rührend; aber merkwürdig ist es, wie der junge Dichter bereits hier fürchtet sentimental zu sein, sodaß er sich (mit der später so sehr gepriesenen Ironie) beeilt, den Eindruck auf den Leser zu vernichten, den seine Begeisterung geweckt hat, indem er Harlekin mit einer Plattitüde das Stück beschließen läßt.
Ein paar Jahr später erschien Heiberg's Weihnachtsscherz und Neujahrsspiele, eine Fortsetzung meines Sct. Hansspieles. Dieses Stück steht ohne Zweifel den frühern um[23] Vieles nach. Es ist in seiner ganzen Composition eine Nachahmung von Tieck's „gestiefeltem Kater“, „Zerbino“ und der „verkehrten Welt“. Der ganze Spaß, die Illusion aufzuheben, und die Zuschauer selbst mit in die Handlung zu verwickeln, ist nach Tieck. Doch fehlt es mehreren Scenen nicht an Witz und Humor. Die kleine Nanine tritt schön und ergreifend auf; doch verschwindet dies, wenn sie in den Himmel kommt, und die Engel das irdische Weihnachtsspiel nur fortsetzen, das doch wohl eine Ahnung von etwas viel Höherm jenseits sein soll. Die Satyre über den Mangel an Fleisch und Blut in der Ingemann'schen Blanca ist treffend. In einem Dialoge, der sich nicht genügend in Kraft und Begeisterung erhebt, entwickelt sich ein dem Gil Blas entnommener Stoff der auf die Menge durch schöne lyrische Stellen wirkte, in dem aber der Haupteindruck doch peinlich wird, weil es ein Unglück ist, das durch Intrigue oder Mißverständnis ohne Entwickelung großer und interessanter Charaktere geschieht. Dem milden, ruhigen Ingemann, der die Literatur durch so viele schöne, besonders elegische Gedichte bereichert, und viele Leser dadurch erfreut hat, daß er in seinen dichterischen Erzählungen den Volkston zu treffen wußte, fehlt das Feuer, der Pathos, den die Tragödie nicht entbehren kann. Bei dem Norweger Boye, der kurz darauf mehrere Dramen für die Bühne dichtete, finden wir Feuer und Pathos; dagegen wieder zu wenig Milde und schaffende Phantasie.
In diese Jahre fiel meine Bekanntschaft mit der Zeuthen'schen Familie, welche später als unsere Kinder aufwuchsen, durch das ganze Leben fortgesetzt und zur Freundschaft wurde. Den alten Etatsrath Zeuthen hatte ich bereits in meiner Kindheit gekannt, als er, ein eifriger Freund der Schule für die Nachwelt sich derselben eifrig annahm und ich oft beim Examen den muntern, imposanten Mann mit dem klugen Gesichte und den feurigen braunen Augen als Director sah. Später in meiner[24] Jugend, als ich Rahbek's Freund wurde, hörte ich diesen und Andere oft Gutes von Zeuthen reden; obwohl sie nicht miteinander umgingen. Zeuthen und Rahbek waren beide Jütländer, aus den Dörfern, nach denen sie genannt wurden. Sie waren beide mit dem reichen Knud Lyne verwandt, nach dem Rahbek seine Vornamen empfing, und von dem er viel erbte; Zeuthen zwar am meisten, aber Rahbek, soviel ich weiß, doch 12,000 Reichsbankthaler, für damalige Zeit eine nicht unbedeutende Summe. Zeuthen, der Jurist, später Assessor am Hof- und Stadtgericht und Geldmann war, schlug Rahbek vor, sein Vermögen so zu verwalten, daß er gute Zinsen erhalten und mit der Zeit durch Ankauf von Grundstücken gleich Zeuthen reich werden sollte. Aber das wollte Rahbek durchaus nicht, er trug das Geld in der Tasche; nach Rousseau'schen Ideen meinte er, Geld müsse ein gemeinsames Eigenthum für Alle sein; mit diesen communistischen Grundsätzen lieh er, oder richtiger gesagt, gab er seinen Freunden, was sie brauchten; er selbst machte eine Reise ins Ausland auf eigene Kosten, ohne Buch zu führen, oder auch nur etwas aufzuschreiben, und so währte es nicht lange, bis der gute Rahbek nicht einen Schilling mehr besaß, und oft in Verlegenheit gerieth, wenn die guten Freunde, an die er sich nun in der Noth wenden mußte, seine communistischen Grundsätze nicht theilten. Es währte dagegen nicht lange, als sich Zeuthen ein schönes Gut kaufen konnte. Dergleichen mochte Rahbek aber nicht, das war ihm zu vornehm. Daß zwei Menschen von so durchaus verschiedenem Character nicht Neigung empfanden zusammen zu leben, ist begreiflich, doch achteten sie gegenseitig ihre guten Eigenschaften und Zeuthen hatte auch Sinn für die schönen Wissenschaften; obgleich man eigentlich nicht sagen konnte, daß er ein Schöngeist war. In der ersten Zeit unserer Bekanntschaft hatte er ein prächtiges Fest veranstaltet, was er häufig that. Hier fand ich einen Mann bei Tisch, den ich oft in meiner Kindheit, in steifer Uniform als Gardecapitain im Friedrichsberger Schloßhofe herumstiefeln gesehen,[25] und von dem ich damals nicht ahnte, daß ich jemals sein Tischnachbar werden würde; er war der Kammerherr Schrödersee. Obgleich ich glaube, daß er von einem gelehrten Großvater abstammte, hatte Schrödersee in seiner Jugend doch dem Studentenwesen einen tödtlichen Haß geschworen; er war ein sehr eleganter, steifer, gepuderter Officier; an der Fehde, die zu Ewald's Zeit zwischen jungen Officieren und Studenten, veranlaßt durch Bredal's dramatisches Journal, stattfand, soll Schrödersee kräftig Theil genommen haben, und man glaubt, daß Ewald eine Tirade in seinen brutalen Claqueurs auf ihn bezogen habe. Es war recht merkwürdig mit diesen Lieutenants- und Studentenfehden, die sich damals oft wiederholten; aber sie trugen doch alle nach und nach dazu bei, die häßliche feindliche Trennung zwischen Kriegern und Gelehrten aufzuheben, bis endlich die Jünglinge der militairischen Hochschule und der Universität einander wie Brüder herzlich umarmten. Hierfür können wir bereits Holberg danken, der in seinem Jakob v. Tyboe das us und das von verspottete. In Deutschland hielt sich diese Trennung bis in die neuesten Zeiten aufrecht, aber aus einem ganz andern Grunde, hier standen Adel und Bürgerschaft sich gegenüber; und hier ging es nicht wie im Norden, wo dieses Vorurtheil sich niemals eingewurzelt hatte, wo das deutsche „Von“, das uns von Holstein hergekommen war, sich nicht in die Marine eingenistet hat, und wo der Adel seinen Todesstoß im Jahre 1660 erhielt. Aber um auf Schrödersee zurückzukommen, so beschuldigte man ihn, in seiner Jugend zu jenen Bramarbasirern gehört zu haben. Wenn er im Parquet mit seinem gepuderten Kopfe und seiner großen Nase dastand, so blickte er oft auf eine Weise ins Parterre, welche die demokratischen Köpfe daselbst verdroß. Aber Schrödersee war in der Periode, wo ich ihn kannte, älter, zahmer und billigdenkender geworden. Wenn er auch keine Kenntnisse hatte, so war er doch ein witziger Kopf. Als der Danebrog-Orden auf mehrere Grade erweitert und er Ritter wurde, und man ihm gratulirte,[26] antwortete er: „Er ist noch sehr jung!“ womit er meinte, daß er, als ein alter Cavalier, auf einen höhern Grad gehofft hatte. Als Graf Yoldy, früherer spanischer Minister, Oberkammerjunker wurde, auf welchen Posten Schrödersee gehofft hatte, scherzte der König einmal mit ihm und sagte: „Schrödersee! Ihr scheint mir in der letzten Zeit so steif geworden zu sein“. „„Ew. Maj.““, antwortete Schrödersee, „„das kommt daher, weil ich eine spanische Fliege im Nacken habe““. — Hier bei Zeuthens richtete er eine Replik an mich, die sehr gutmüthig und entschieden den Gegensatz von stolzer Eitelkeit war. Denn als der Wirth, wie ich zum ersten Male bei ihm speiste, nach alter Sitte einen Toast proponirte, „Denen zu Ehren, die die Kunst und Kultur im Lande befördert hatten“, rief Schrödersee laut über den Tisch mir zu: „Der Toast gilt uns Beiden“!
Einige Jahre darauf begegnete ich ihm wieder auf der Marmorbrücke beim Christiansburger Schloß. „Wie befindet sich der Herr Kammerherr“? fragte ich. „„Ach was, schlecht geht's mir““, antwortete er; „„ich bin ein altes Pferd; den man eine Kugel durch den Kopf jagen muß““! Damit zeigte er auf das Ohr, wo die Kugel hineingehen sollte, und verließ mich. Wenige Tage darauf begegnete ich auf derselben Stelle dem Oberhofmeister der Königin, Brockenhuus. Wir waren sehr gute Freunde vom Theater her, wo er mir einmal gesagt hatte, als er von seinen Vorfahren sprach: „Wir kamen mit Erik von Pommern hieher“. Bei dieser Begegnung auf der Marmorbrücke wandte er sich nun wehmüthig nach dem Schloß zu und sagte: „Sie können glauben, da habe ich viel Plaisir gehabt“! „„Nun““, antwortete ich, „„Ew. Excellenz können noch viel Plaisir auf der Welt haben““. „Ach“, seufzte er, „ich werde nie wieder soviel Plaisir haben“. Er ging; ich stand einen Augenblick im Nachdenken versunken, und gedachte der Zeit, wo ich als kleiner Knabe 1796 auf dieser Brücke stand, in der finstern Nacht das Schloß mit den gelben, rothen und[27] blauen Flammen und mit der dunkeln Rauchwolke brennen und den Thurm wanken und mit starkem Geräusche mit drei Donnerschlägen durch alle drei Stockwerke hindurchstürzen sah. Sic transit gloria mundi!
Der Leser verzeihe mir diese und ähnliche Ideenassociationen, welche einige Gleichheit mit der lange gestatteten lyrischen Unordnung in der Ode haben, und welche zu erwähnen zuläßt, was sonst nicht berührt werden könnte, und das doch nicht ohne Interesse ist und dazu beiträgt, ein Zeitgemälde zu vervollständigen.
Mehr als mit dem alten Zeuthen lebte ich mit seinem Sohne Wilhelm, Assessor im Hof- und Stadtgericht, später im höchsten Gericht, und mit dessen Frau und Schwester, die beide geistvolle und begabte Naturen waren. Wilhelm Zeuthen wurde mein Freund; wir brachten mehrere Jahre in traulichem Zusammenleben zu, und besuchten einander oft. Als seine und meine Kinder aufwuchsen, dehnte sich die Freundschaft auch auf sie aus, und wir brachten jeden Sommer mehrere Wochen bei ihm zu. Sein jüngerer Bruder lebte im Auslande, und ich lernte ihn nie kennen. Wilhelm Zeuthen war seinen Grundsätzen nach liberal; er liebte die Poesie und zeigte mir große Zuneigung. Dieser schöne, starke, feurige, junge Mann hatte dasselbe Unglück wie Bentzon: er hinkte etwas in Folge eines unglücklichen Zufalls in der Kindheit. Dadurch fehlte ihm die nothwendige Bewegung und das wurde ein Nagel zu seinem Sarge. Da er nicht genug gehen konnte, so versuchte er zum Ersatz auf einem kleinen Wagen ohne Federn zu fahren, der unmenschlich stieß. Einmal lud er mich schelmisch ein, solch eine Spazierfahrt mitzumachen, ich kannte den Wagen nicht, setzte mich hinauf, und wurde ganz entsetzlich durchgeschüttelt, ohne sein Mitleiden zu erwecken, da er meinte, daß mir, der etwas bequem sei, so etwas ganz gut bekommen würde. Er hatte eine ganz herrliche Tenorstimme und erfreute mich oft durch seinen Gesang. So lebten wir mehrere Sommer zusammen. Da[28] starb er an einer plötzlichen Krankheit in Kopenhagen. Er sollte auf dem Kirchhofe seines Guts begraben werden, und seine Freunde zogen einen Tag vorher hinaus um ihn zu Grabe zu geleiten. Welch' trauriges Gefühl, als wir hier als Gäste zum letzten Male in seinem Hause schliefen. Wir saßen in der Dämmerung noch beim Mittagstische — da hörten wir einen Wagen auf dem Hofe rollen. Es war der geschlossene Wagen mit der Leiche. Unser lieber Wirth, unser lebensfroher, gastfreier Zeuthen saß nicht mehr unter uns — rothwangig mit den funkelnden, schönen, braunen Augen. Nun brachten sie seinen entseelten Körper. Wir erhoben uns Alle schweigend, drückten einander die Hände, und ich dachte: „Das ist das Loos des Schönen auf der Erde“.
Im Jahre 1820 lag es mir als Professor ob, das Universitätsprogramm zu schreiben, und die lateinische Rede am Reformationsfeste zu halten. Ich hatte eine Zeit lang vorher wieder die Römersprache vorgenommen, die ich seit meiner juristischen Studienzeit versäumt hatte. Nun las ich fleißig, besonders Cicero's Schriften, doch auch die Dichter, von denen mich besonders Ovid interessirte, und ich gab Holberg fast Recht, daß er der beste der römischen Poeten sei. Er hat nicht Virgil's Reinheit und Klarheit, aber er ist origineller. Unter den Alten näherte er sich am meisten den modernen Dichtern, weil er der Einzige ist, der das Herz rührt. Das hat ihm eine gewisse Schule zur Last gelegt, und ihm weiche Sentimentalität vorgeworfen. Daß diese ihn oft, besonders in seinen Tristien hingerissen hatte, will ich gern zugestehen. Aber es waren auch nicht solche Klagen, die mich rührten. Seinen schönen, epischen Dichtungen Daphne, Philemon und Baucis, und besonders Pyramus und Thisbe, diese antike Romeo und Julie waren es, die im Vortrage und in der Schilderung der Göthe'schen Poesie gleichen. Da ich Dichtung und Studium nicht gut von einander trennen[29] konnte, so übersetzte ich diese Sachen, ebenso wie ich vor einigen Jahren Horaz, Properz und Catull übersetzt hatte.
Aber nun sollte ich selbst Lateinisch schreiben! Es gab freilich einen bequemen Ausweg, dem es nicht an Beispielen fehlte, es von einem Andern machen zu lassen. Aber da ich es niemals leiden konnte, eine Fertigkeit vorzugeben, die ich nicht besaß, so beschloß ich lieber in Gottes Namen in meinen alten Tagen (ich war damals 40 Jahre alt) wieder in die Schule zu gehen, einen Lehrer im Lateinischen zu nehmen, und bei ihm täglich zu arbeiten. Das that ich denn auch und Herr Repp half mir ein Jahr lang treulich. Aber hier zeigte sich nun eine Eigenthümlichkeit, welche mich verhinderte, die Sache zur Reife zu bringen. Es ist mir stets unerträglich gewesen, viel Grammatik zu lernen; ohne diese hatte ich meine Muttersprache, und merkwürdigerweise auch die deutsche gelernt, in der ich nach dem Urtheil von Sachverständigen mit den Besten wetteifern konnte, obgleich ich — aus jenem Grunde — niemals kleine Fehler vermeiden konnte, die von Andern leicht geändert wurden. Mit dem Allernothwendigsten, den Declinationen, den Conjugationen und den wichtigsten Regeln versehen, begab ich mich auf das Glatteis des Styls, wobei oft der komische, aber sehr natürliche Fall eintrat, daß ein Satz, von dem mein Lehrer erklärte, daß er Ciceronianisch sei, mit einem argen Sprachfehler abwechselte, den ich doch gleich selbst ändern konnte, wenn ich darauf aufmerksam gemacht wurde. So saß ich also ein paar Jahre und übte mich, erst mit Herrn Repp, später mit meinem Freunde, dem Oberlehrer Olsen. Mit Repp fing ich auch an, Lateinisch zu sprechen, wenn wir nach Friedrichsberg zusammen spazieren gingen. Ich entsinne mich noch, daß ich ein Mal mit ihm in der Allee vor dem Kirchhofe bei einem schwierigen Satze stehen blieb, und es hätte mich gar nicht gewundert, wenn die Todten sich über meine Phrase im Grabe umgewendet hätten.
Indessen bekam ich im Laufe eines Jahres noch einige Fertigkeit, und flickte mein Programm und meine Rede zusammen,[30] die von den Betreffenden durchgesehen und gereinigt, nicht ganz zu verwerfen war, und sogar vom Bischof Fogtmann der copia verborum wegen gelobt ward, die sich darin befand, was daher kam, weil ich unverdrossen mein Lexicon benutzt hatte. Außerdem gehen Geschmack und Wahl der Worte aus einer Sprachform in die andere über, und hierin kam mir meine Fertigkeit im Dänischen und Deutschen zu Hülfe. Oft, wenn mir ein Wort fehlte, das meine Lehrer mir gesagt hatten, schüttelte ich so lange mit dem Kopfe, bis das rechte kam, in dem die feine Nüancirung ausgedrückt war, die ich bezeichnen wollte. Ich kannte das Wort wohl, aber ich hatte es nicht gleich im Gedächtniß zur Hand.
Da ich nun einmal dabei bin, meiner lateinischen Arbeiten zu erwähnen, und wohl kaum wieder darauf zurückkomme, will ich bemerken, daß ich mehrere Jahre später, 1828 und 1829 zwei lateinische Reden als Dekan und Prodekan; 1832 wieder zwei als Rector, 1834 eine als Dekan, und endlich 1847 eine ganz kleine in derselben Eigenschaft hielt; von diesen ließ ich mir doch zwei von einem guten Freunde übersetzen, da mir schien, daß ich mich lange genug mit einer Uebung herumgequält hatte, bei der doch Nichts weiter herauskam.
Da ich hier einmal bei der Universität bin, will ich, ohne mich ängstlich an die Chronologie zu halten, der Professorengesellschaften erwähnen, die eine Zeitlang fortgesetzt wurden. Diese Professorengesellschaften waren für mich die langweiligsten Gesellschaften, denen ich in meinem ganzen Leben beigewohnt habe. Nicht als ob es an vortrefflichen, geselligen Leuten gefehlt hätte; aber Ton und Einrichtung waren im Ganzen nicht nach meinem Geschmack. Eigentlich waren lange Abendgesellschaften, in denen weder musicirt noch Karten gespielt wurde, nie nach meinem Sinn, selbst wenn Damen daran Theil nahmen.[31] Hier waren nun keine Damen, mit Ausnahme der Wirthin; es wurde Taback geraucht und Punsch getrunken. An keinem von Beiden konnte ich Theil nehmen, da ich in diesem Jahre starke Anfälle von Podagra bekam, welche Krankheit mich zwar nicht verlassen hat, aber doch in der spätern Periode meines Lebens viel milder geworden ist. Hierzu kam, daß ich verstimmt und zurückhaltend in einer Zeit war, wo ich so viele Gegner hatte; meine Collegen waren auch zum Theil aus Bescheidenheit und Delikatesse zurückhaltend gegen mich. Aber selbst an und für sich hatte hier, wie es wohl gewöhnlich der Fall ist, eine Versammlung von Gelehrten kein besonderes gesellschaftliches Talent. Sie gingen meistens mit ihren Pfeifen umher und unterhielten sich in einzelnem Gespräch. Sobald der Anstand es gestattete, zog ich mich zurück und ich glaube, daß Mehrere meinen Geschmack getheilt haben, weil die Gesellschaft in ein paar Jahren ganz aufhörte. Junge Studenten, bei denen jeder Gegenstand neu ist, und Veranlassung zum Gespräch giebt, können sich auf diese Weise wohl unterhalten; aber wenn der Aeltere sich auf solche Art unterhalten soll, so kann er auch mit Göthe sagen:
Mit meinen Freunden, den Professoren Peter Erasmus Müller, Jens Möller und dem Arzt, Etatsrath Herholdt, setzte ich den Umgang fort, und wir spielten oft L'hombre zusammen. An P. E. Müller knüpfte mich besonders unsere gemeinsame Liebe zu dem Altnordischen. Mein Jugendfreund J. P. Münster, damals Prediger an der Frauenkirche, war auch in der Professorengesellschaft gewesen; er heirathete eine Tochter des Bischofs Münter, wir besuchten einander und sahen uns oft bei Rahbeks und Münters.
Ungefähr zu der Zelt kam ein Mann nach Kopenhagen, der Epoche in der musikalischen Welt machte, der Gesanglehrer Siboni. König Christian VIII. hatte, als Prinz, ihn in Italien kennen gelernt, wo Siboni sich als Tenorist auszeichnete; später wurde er Singmeister, und fast ebenso berühmt, wie jetzt Garcia geworden. Was Wunder daß man ihn unter sehr günstigen Bedingungen nach Kopenhagen rief. Der große, sehr schöne, kräftige Italiener kam, und machte gleich in der vornehmen Welt und besonders bei den Damen großes Glück. In den ersten Jahren spielte er zuweilen auch eine musikalische Heldenrolle auf der Bühne; aber obgleich er wie ein Held aussah, und sich einen Theil von Talma's Manieren angeeignet hatte, so ward ihm doch bisweilen die Stimme untreu, und wenn er gleich den Mangel an Kraft im Tone durch Triller und Rouladen zu verbergen suchte, so half das doch nicht viel, und er hörte bald selbst auf, als Sänger zu wirken. Dagegen wurde er nun ein vortrefflicher Gesanglehrer, dessen unser Theaterpersonal dringend bedurfte, auch bildete er einige gute Schüler, obgleich sein Umgang mit den Großen, die ihn Alle zum Privatlehrer für ihre Töchter haben wollten, ihm viele Zeit raubte.
Einige Jahre vorher war Rossini aufgetreten und setzte die Welt durch sein Genie in Erstaunen. In seinen Opern hatte Siboni geglänzt, er konnte sie auswendig, betete ihren Componisten an; was Wunder, daß er versuchte, sie auf die dänische Bühne zu verpflanzen? Aber hier traf er auf Widerstand. Weyse und später Kuhlau hatten auf die dänische musikalische Welt eingewirkt, wo vorher Naumann, Schulz und Kuntzen geblüht hatten. Fremde, welche diese nicht kannten, beschuldigten die Dänen, unmusikalisch zu sein. Viel vortreffliche Stimmen haben wir nicht gehabt; die rauhe Luft in der Nähe des Meeres, der häufige Wind und Regen wirken nicht wohlthätig auf die Stimme ein; daß diese Elemente aber auch auf das Ohr und die Seele in Bezug auf Empfängniß musikalischer[33] Eindrücke ungünstig einwirke, wäre wohl thöricht zu behaupten. Das tiefe Gefühl für das Poetische in der Musik hat der gebildete Däne wohl eben so gut, wie für die Poesie selbst; und dramatische Musik, welche Leidenschaften, milde Gefühle und Charaktere ausdrücken soll, muß immer poetisch sein.
Rossini, der schon als kleiner Knabe mit seiner Mutter auf dem Theater sang, entwickelte früh sein Talent, aber erst später seinen Geschmack und sein Gefühl. Nach vielen mittelmäßigen Versuchen componirte er die Oper Tancred, die außerordentliches Glück machte. Es zeigte sich außer der fruchtbaren Phantasie in der Erfindung von Melodieen, in Rossini's Compositionen eine Richtung, welche neu war, und also Aufsehen machen, eine Modesache werden und zur Nachahmung reizen mußte. Sowie Haydn und Mozart den eigentlichen Gebrauch der Blasinstrumente in die Musik einführten, so versuchte Rossini die menschliche Stimme selbst zu einem Blasinstrumente zu machen. Kein Instrument erreicht die Menschenstimme an Wohlklang; Rossini fand, daß besonders die Frauenstimme ebensogut wie Oboe, Violine und Clarinette, die schwierigsten Passagen in der Musik ausführen konnte. Nun componirte er Gesangsnummern, in denen Dieses stattfand, wo der eigentliche Gesang ganz von Trillern, Rouladen u. s. w. betäubt und verziert wurde, sodaß derselbe eine untergeordnete Rolle spielte. In seinem Vaterlande fand er schöne Stimmen, die durch Uebung vermochten, diese Compositionen mit größter Reinheit, Gewandtheit und Stärke auszuführen. Was Wunder, daß diese neue Erfindung, dieser bisher nicht dagewesene Genuß, eine außerordentliche Wirkung auf die Menge ausübte, die überhaupt stets mehr von dem Sinnlichen als dem Geistigen hingerissen wird. Ja selbst die tiefer und wahrer Fühlenden erstaunten über diese neue Erfindung, und die seltene Virtuosität in der Ausführung sagte ihnen im Anfange zu. Aber bald sahen alle wahren Kenner ein, daß dieser Luxus, wenn er fortgesetzt und übertrieben würde, zum Untergange des reinen Geschmackes und der wahren Musik[34] beitragen müsse, weil dieser sich zu sehr von der Natur entfernte. Die italienische Musik hat oft an solchen Ausschweifungen und Uebertreibungen gelitten. Schon in der Mitte des 16. Jahrhunderts wollte Papst Marcellus II. die entartete Musik, als des Gottesdienstes unwürdig, aus der Kirche vertreiben, als Palästrina sie rettete.
Der abscheuliche Mißbrauch, Castraten Liebhaber spielen zu lassen, veränderte sich nun in Rossini's Zeit so weit, daß jetzt Frauenzimmer mit starken Altstimmen Liebhaber spielten, denn wirkliche Männer darin auftreten zu lassen — zu einer solchen Trivialität konnte die italienische Kunst sich nicht herablassen — deshalb hatte stets ein Frauenzimmer den Helden Tancred gespielt und gesungen, und das geschah auch hier. Diese musikalische „Haupt- und Staatsaction“ hat mir, trotz aller seiner schönen Melodieen und seines brillanten Accompagnements nie gefallen.
Da nun Siboni durchaus kein Interesse für die deutsche, französische und dänische Musik hatte, da bei festlichen Gelegenheiten nur Rossini'sche Opern aufgeführt wurden: so weckte dies das Mißvergnügen des Nationalgefühls, und gab Veranlassung dazu, daß sich eine Partei im Theater bildete, die, um sich zu rächen, stets die italienischen Opern auspfiff, welche den Tag nach dem Feste aufgeführt wurden, was gewiß sehr ungerecht war. Aber sie entschuldigte sich damit, daß sie nicht die Musik, sondern die Wahl der Opern auspfiff. Der Hof stand ganz auf Siboni's Seite; ich hatte gehört, daß der König böse auf mich sei, weil er glaubte, daß ich Theil daran hätte; ich eilte zu ihm hinauf, um ihn von meiner Unschuld zu überzeugen. „Ja,“ sagte er, „ich glaube wohl, daß Sie nicht unmittelbar daran Theil genommen haben, aber doch mittelbar.“ „„Weder mittelbar noch unmittelbar, Ew. Majestät!““ antwortete ich; „„ich hasse Spectakel im Tempel der Kunst zu sehr, und habe selbst zu viel durch Kabalen gelitten, als daß ich sie gegen Andere ausüben sollte.““ „Ja, ja!“ antwortete er und legte die Hand[35] auf meine Schulter: „ich weiß, Sie sind ein braver Mann.“ Damit ging ich.
Ich nannte es unbillig, daß man die Rossini'schen Opern auspfiff, und das war es gewiß, wenn auch Dinge darin vorkamen, die gegen den guten Geschmack und den natürlichen Sinn verstießen, und als es erst Mode war, wurde, wie in der französischen Revolutionszeit, alle Musik, die den aristokratischen (hier italienischen) Schnitt hatte, zur Guillotine geschleppt. Es that mir unter Anderm sehr leid, daß wir nicht La gazza ladra zu hören bekamen, in welcher Oper auch das Sujet schön ist: eine stehlende Elster, die ein unschuldiges Mädchen auf das Schaffot bringt, aber sie im Augenblicke des Todes wieder rettet.
Bei Geheimrath Malling's hörte ich oft schöne Melodieen vortragen. Die älteste Tochter (später Frau Professorin Hohlenberg), hatte eine herrliche Stimme. In dieses Haus kamen auch Weyse und Siboni. Man kann sich nicht zwei verschiedenere Menschen denken. Jener bleich, kränklich, ein Sonderling, größtentheils fremde Musik verschmähend, und aus der Wieland'schen Schule hervorgegangen, auch die meiste neuere Poesie verdammend; aber Weyse war ein musikalisches Genie, phantasirte unvergleichlich schön, war in Sprachen und selbst in Metaphysik bewandert, witzig, schelmisch und unterhaltend, wenn er bei guter Laune war. Er ging am liebsten mit ganz jungen Leuten um, hatte eine große Anzahl von Freunden unter diesen, und spielte ihnen gern etwas vor. Er war ein ausgezeichneter Virtuos auf dem Fortepiano gewesen; später gab er sich nicht mehr damit ab; erst als Moscheles uns einmal besuchte, bekam er Lust, sich wieder zu üben, und Moscheles erstaunte über seine Fertigkeit, in der er selbst ihm nur wenig nachgab. Weyse war ein armer Kaufmannslehrling in Altona; hier entdeckte der Professor Cramer in Kiel sein musikalisches Genie und sandte ihn zum Kapellmeister Schulz nach Kopenhagen. Weyse hatte sich selbst mit einer gewissen Fertigkeit Klavierspielen gelehrt, Schulz mußte ihm erst den falschen Fingersatz abgewöhnen[36] und ihm den richtigen lehren. Uebrigens that er in den ersten Jahren nicht viel, und Schulz soll einmal, unzufrieden darüber, gesagt haben: „Wenn ich sein Genie hätte, was würde aus mir geworden sein!“ Er meinte nämlich, verbunden mit der Charakterstärke und dem tiefen Gefühl, was er selbst hatte. Der Grundton in Weyse's Wesen war eine muntere Schelmerei, ein origineller Humor, daher ist gewiß auch der „Schlaftrunk“ als seine beste dramatische Composition zu betrachten; aber er besaß auch eine reiche träumerische Phantasie und ein fein elegisch schwärmerisches Gefühl. Das Spukwesen in Ludlam's-Höhle ist vortrefflich ausgedrückt, und in vielen Nummern zeigt sich auch tiefes Gefühl und schöne Humanität. Selbst von Denen, welche Weyse als Theatercomponisten nicht lieben, wurde doch seine Kirchenmusik sehr geschätzt. In dieser zeigen sich gewiß die erwähnten Eigenschaften oft mit den herrlichsten Harmonieen verbunden, welche darlegten, daß Weyse's Compositionen ihre Nahrung ebenso sehr in der gründlichen Bach'schen Schule, wie in der alten italienischen Kirchenmusik gefunden hatten, und daß er ein würdiger Schüler von Schulz war; doch fehlte ihm das warme Herz und die echte christliche Begeisterung desselben. In Weyse's Kirchenmusik finde ich den religiösen Künstler mehr als den religiösen Menschen; er ist auch nicht, wenngleich im Besitz viel reicherer musikalischer Mittel, nicht so originell und melodienreich als Schulz.
Kuhlau war durchaus anders als Weyse. Letzterer, der fast von seiner Kindheit auf hier gewesen war, war Dänisch geworden; Kuhlau blieb immer Deutsch. Kuhlau war ein schöner Mann mit rothen Wangen, hatte aber in seiner Jugend das Unglück gehabt, ein Auge zu verlieren. Er gab sich weder mit fremden Sprachen noch Wissenschaften ab; er trank sein Glas Wein, rauchte seine Pfeife Taback, war ein gelehrter Musiker und componirte schöne Musik. In seiner Musik waren nicht der Duft, die Schwärmerei, die geistigen Ahnungen, wie in Weyse's; aber mehr Körper, stärkere Effecte, größerer Melodienreichthum,[37] und mehr lebendige dramatische Bewegung. Nach Kuntzen's Tod wäre es Weyse leicht geworden, Kapellmeister zu werden, wenn er es darauf angelegt hätte. Aber er war zu bequem für dieses Amt und verstand auch nicht, das Ganze mit Kraft und Bestimmtheit in Ordnung zu erhalten. Kuhlau wurde es auch nicht. Schall dagegen, der Concertmeister war, wurde nun Chef vom Orchester, wozu er sich vortrefflich eignete; dagegen verachteten Weyse und Kuhlau ihn als Componisten, woran sie gewiß Unrecht thaten. Kuhlau sagte von ihm: „Er kann nicht acht Tacte nacheinander richtig setzen.“ Das war sehr übertrieben; aber es ist ganz gewiß, daß Schall von Kindesbeinen auf beim Theater erst als Figurant, dann als Repetiteur, endlich als Concertmeister durch practische Uebung einen großen Theil Dessen ersetzte, was ihm als Theoretiker abging. Er war ein echt musikalisches Genie; seine erste Arbeit, „die Chinafahrer“ ist voller Leben und Humor. Zur Balletcomposition hatte er ein entschiedenes Talent. Zuerst zeigte er dies in kleinen komischen Balleten. Seine Compositionen von Lagertha, Rolf Blaubart und Romeo sind vortrefflich; und ungeachtet aller grammatikalischen Fehler (d. h. Fehler gegen den Generalbaß; den Kirnberger konnte er nicht verstehen, als mein seliger Schwiegervater ihm diesen lieh) waren seine Musikstücke voll Effect, Melodie, Charakter, und einige von ihnen in einem tragischen Fluge und einer Begeisterung, in der weder Weyse noch Kuhlau ihn erreichten. Aber Galleotti, der die Ballete zu Schall's Musik componirt hatte, war nun todt; die Ballete wurden nur selten aufgeführt und Bournonville, der später Galleotti bedeutend überragte, war noch nicht aufgetreten.
Die vortrefflichen französischen Singspiele hatte unser Theater von Monsigny's Deserteuren bis zu Boyeldieu's Rothkäppchen[38] mit Glück aufgeführt; nicht die stark pathetische Musik darf man in diesen Stücken suchen; dagegen werden die Gefühle der Liebe, der Humanität, der Munterkeit, eines milden Mitleides, echte französische Nationalität, Anmuth und Naivetät in diesen originellen und schönen Compositionen ausgedrückt, und das französische Singspiel ist gewiß eine der schönsten Blumen in der französischen Kunst. Welche Namen begegnen uns hier nicht? Monsigny, Gretry, Daleyrac, Isouard, Mehul, Cherubini (ganz französisch in diesem Genre), Boyeldieu, sowie auch später Auber. Und die Texte zu diesen Stücken sind oft vortrefflich, wenn auch nicht von Seiten der Ausführung, so doch des Stoffes und der Situationen: der Deserteur, der Böttcher, Felix, Zemire und Azor, Richard Löwenherz, die kleinen Savoyarden, Joconde, der Schatz, Aschenbrödel, Rothkäppchen, die weiße Dame, der neue Gutsbesitzer u. s. w. Der große Gluck, obgleich ein Deutscher, hatte seine musikalischen Tragödien zu französischen Texten gedichtet. In Mehul fand er einen großen und würdigen Nachfolger, denn Joseph in Egypten verbindet die hohe Einfalt und den Pathos Gluck's mit musikalischem Reichthum und Anwendung von Instrumenten der neuern Periode. Auch Auber wußte sich dieses Pathos auf eine Weise zu bedienen, die in die politische Stimmung eingriff, sodaß seine Stumme von Portici der Vorläufer und Beförderer einer Revolution ward, sowie eine Comödie, Figaro's Hochzeit, der einer frühern gewesen war. Durch die schöne, genußreiche Verbindung von Poesie und Musik, von Schauspiel und Oper, hatte sich die Opéra comique in Paris stets ausgezeichnet, und, was gute Schauspieler betraf, dem Théâtre français fast stets die Spitze geboten. Auch bei uns hatte das Talent in diesen Stücken, von Frau Walters bis zu Madame Frydendahls, Gielstrup's, Knudsen's und Frydendahl's Zeit geblüht. So war der Zustand auf unserer musikalischen Bühne, als Siboni mit seinem mächtigen Rossini kam, der ganz Europa eingenommen hatte, und nun auch uns einnahm.
Der Wessel'sche Vers:
paßte nun hier in Kopenhagen sowohl auf unsere, wie auf seine Zeit; aber er konnte leicht mißverstanden werden. Es muß ein Unterschied zwischen den gebildeten Dänen (der größte Theil war vom Mittelstande), und zwischen den Vornehmen (der größte Theil war aus den Herzogthümern), gemacht werden. Von Königin Margaretha's Zeit an, haben der Hof und die Vornehmen stets Lust gehabt sich vom Volke durch die Sprache, erst durch Deutsch, dann durch Französisch und Italienisch zu trennen. Was mir besonders in Frankreich gefiel, war: daß das ganze Volk Eine Sprache redete, und daß das Land keine Hofsprache hatte. Aber selbst in Frankreich war die italienische Oper, wo das hohe Entrée den Mittelstand verhinderte hinzukommen, der Sammelplatz für den Hof und die beau monde. Hier sah man einander; die Oper war ein Sammelplatz, ein Salon, eine Fortsetzung und Variation der Hofvergnügungen; die Kunst wurde als etwas Untergeordnetes betrachtet, nur die Virtuosität war es, mit der man sich die Zeit vertrieb, und die man aus Eitelkeit protegirte.
Aber Eins dürfen wir bei dieser Gelegenheit nicht vergessen: Christian VIII. und seine holde Gemahlin, Caroline Amalie, waren in ihrer schönsten Zeit im schönen Italien gewesen, wo Alle sie bewunderten und darin wetteiferten, ihnen zu huldigen; hier hatten sie mehrere Monate in dem herrlichen Neapel gelebt, und Rossini's Musik von den größten Virtuosen vortragen gehört. Wie natürlich, daß sie einige Jahre nach ihrer Heimkehr sich freuten, diese lieben Jugenderinnerungen zu[40] erneuern, die schöne Sprache wiederzuhören, mit der sie so vertraut geworden waren? Hierzu kam, daß immer einige gute Sänger da waren, die die italienische Kraft im Ton mitbrachten, welche unser Klima selten zuläßt, und Madame Forconi war zu gleicher Zelt eine sehr gute Schauspielerin voller Feuer und Gefühl.
Siboni war also eine Zeitlang hier der Herrscher über den Geschmack in der Musik. Es ist natürlich, daß man mehrere komische Anecdoten von dem feurigen Italiener erzählte, der auch gleichsam das Dänische auf seine Lippen zwingen wollte, ehe er es konnte. Seine Unwissenheit in der Sprache gab auch zuweilen Veranlassung zu lächerlichen Mißverständnissen.
Nun lernten wir also recht Rossini kennen, dessen Moses, Othello und besonders Wilhelm Tell ihn von einer viel größern Seite zeigten, als wir ihn anfangs gekannt hatten. Auch der herrliche Bellini, dessen Norma eine unvergleichliche Musiktragödie ist, erfreute uns. Den außerordentlichen Lärm und die Ausschmückungen durch Fiorituren vergab man gern dem Genie, wenn nicht die wirkliche Schönheit dadurch übertäubt und versteckt wurde, sowie später von Donizetti und besonders dem ebenso lärmenden, wie melodie- und characterlosen Verdi, der Jericho's Mauern durch Posaunentöne einstürzen läßt, wenn ein Mädchen eine süßliche Liebesarie singt; dessen tragische und komische Musik ganz in demselben Styl ist, und der das rothe Meer wie Eulenspiegel (aber ohne Witz) malt, indem er die ganze Wand mit Zinnober bestreicht; fügt man nun noch hinzu, daß diese lärmenden Opern nur einigermaßen damit entschuldigt werden können, daß sie für ungewöhnlich große Schauspielhäuser componirt sind, so fiel diese Entschuldigung ganz fort, wenn man sie in einem kleinen eingeschlossenen Raume, wie unser Hoftheater, hören mußte, wo sie — was mich betrifft — wie eine Bremse brummten, die Einem in's Ohr gekommen war.
Man erzählt von einem preußischen Prinzen, daß er, als er einmal aus diesen Stücken herauskam, wo sein Ohr sehr gelitten hatte, sich an der milden Einwirkung des Zapfenstreichs erquickte, der ihn auf der Straße entgegenkam. Auf eine viel angenehmere Weise sorgte J. L. Heiberg für unsere musikalische Erfrischung. Er verfaßte eine Reihe burlesker Comödien, die er Vaudevilles nannte; aber sie standen sowohl im komischen Humor, wie in musikalischer Beziehung, weit über den meisten französischen Vaudevillen, von denen sich doch einige in der idyllischen und historisch-charakteristischen Art auszeichneten; Heiberg's Stücke waren alle Das, was die Franzosen Farcen nennen; aber meine Leser wissen, daß ich mit dieser Benennung nichts Tadelndes verbinde, da ich, im Gegentheil, selbst Schauspiele dieser Art gedichtet habe. Daß später mein Freia's Altar, den ich wohl an die Seite der Heiberg'schen Farcen zu stellen wage, in seiner fliegenden Post als ein jämmerliches Product heruntergerissen wurde, darein mußte ich mich, wie in so vieles Andere fügen. Diese Stücke sind ohne Zweifel im Besitz von Humor und luftigen Situationen; hierzu kommt, daß sie in musikalischer Beziehung weit die französischen Vaudevilles überragen, deren Dialog jeden Augenblick von einem einzelnen Vers unterbrochen wird, welcher einen kleinen witzigen Einfall (pointe) enthält, auf eine bekannte Melodie von Schauspielern gesungen wird, die gar keine Sänger sind ja größtentheils nicht singen können, und insofern gar keine Prätensionen machen, sodaß der Vortrag bei ihren Liedern mehr Recitation als Gesang genannt werden kann. Auf unserm Theater, wo Schauspiel und Singspiel verbunden sind, konnte Heiberg wirkliche Sänger anwenden. Seine musikalische Bildung und sein Geschmack gaben ihm Gelegenheit, ganz vortreffliche Musiknummern zu wählen, die durchaus zum Gegenstande paßten, was nicht wenig zum Erfolg der Stücke beitrug. Was ihnen aber noch mehr Beifall erwarb, war die Art, wie sie nach den Talenten der Schauspieler berechnet waren. So machte „König Salomon[42] und Hutmacher Jürgen“, das in den Hauptsituationen große Aehnlichkeit mit dem Singspiel: der Einzug, vom Vater des Dichters, hatte, außerordentliches Glück, hauptsächlich durch Ryge's vortrefflichen Juden. In den „Aprilnarren“ stellte der herrliche Winslöw einen ganz eigenthümlichen Charakter in Zierlich dar. In „Der Recensent und das Thier“ und in „die Unzertrennlichen“ stand Rosenkilde als ein würdiger Nebenbuhler Brünet's und Potier's in seinem unvergleichlichen Trop und Hummer da. In „Die Dänen in Paris“ und in „Kjöge's Hauskreuz“ bewunderten wir Phister's herrliche, vortreffliche, dänische Bauerjungen. Was aber in diesen Stücken besonders dazu beitrug, ihnen die außerordentliche Kraft, mit der sie wirkten, zu verleihen, war: daß Thalia selbst vom Olymp herniederstieg und darin spielte. Sie trat zuerst vermummt, wie eine kleine tanzende Terpsichore im Ballet auf, und Heiberg war scharfblickend genug, um ihren Werth zu entdecken, sich ihrer anzunehmen, sie erziehen und in seinen Stücken auftreten zu lassen, wo sie alle Menschen durch ihre unbeschreibliche Grazie, ihre muntere Schelmerei, ihre Anmuth und ihr Genie hinriß. Später hat sie sein Leben als seine Gattin beglückt, und uns in vielen Rollen Gelegenheit gegeben, ihre Reife zu bewundern. Auch meine Stücke hat sie geehrt und ihnen genützt. Ihr Talent, einen liebenswürdigen Jungen zu spielen, zeigte sich in dem „kleinen Schachspieler“; in „Gyda“ war sie die tragische, abgelebte Hexe, und in „Dina“ und „Gudrun“ das anmuthige, blühende, eigenthümliche Weib.
Als ich eine Zeitlang Deutsch geschrieben hatte, gab ich meine dänischen Gedichte in drei Bänden heraus und schrieb einige Singspiele, ehe ich wieder größere Werke anfing. Es geht dem Dichter wie dem Maler; die Einförmigkeit ermüdet, die Abwechselung stärkt. Ein thätiger Geist kann nicht ganz ruhen. Aber es giebt eine leichtere Arbeit, die doch mehr erquickt,[43] als die bloße Ruhe. Diese Arbeit kann auch ein angenehmer Genuß für den Leser und Zuschauer sein, dessen Geist nicht stets auf das Höchste gespannt sein will. Wenn man den Strom tragisch herabstürzen, die Quelle lyrisch durch Blumen dahin hüpfen gesehen, so kann man wohl zuweilen dem ruhigen muntern Bache folgen, wie er mit kleinen Steinen in seinem Bette spielt, oder im Schilfrohre schäumt. — Aber diese Freiheit versagte man mir. Ich durfte nicht komisch und lustig sein. Ich sei nicht komisch, sagten meine Tadler. Aber sie sagten es zu derselben Zeit, als sie behaupteten, daß ich auch nicht recht lyrisch, oder episch, oder tragisch, oder überhaupt echt dramatisch sei, daß all' meine Werke, bis auf die Romanzen, mehr oder weniger mißglückte Versuche seien, denen es an Charakter, Composition, Gedankenreichthum und Witz fehlte. Aber — mirabile dictu — doch sei ich ein wahres Genie und ein großer Dichter! — Also nur die Phantasie und das Gefühl sollten zuweilen unbewußt und wie im Traume über mich kommen und mich den Parnaß, wie einen Nachtwandler das Dach, im Mondenscheine ersteigen machen. Uebrigens war es merkwürdig, daß größtentheils Poeten, oder Leute, die selbst Verse machten, mich so streng tadelten.
Ein Stück, welches mir wirklich mißglückte, war „Die Flucht aus dem Kloster.“ Eine kühne Idee verführte mich, es zu schreiben. Ich wollte das Meiste von den Tönen in Mozart's Cosi fan tutte mit menschlichem Stoff verbinden, denn der Text, zu dem er die Musik componirt hatte, war wirklich unter aller Kritik. Hier ist nicht die Rede von der Ausführung oder von der poetischen Behandlung des Stoffes, sonst würde auch die Zauberflöte unter aller Kritik sein. Aber all' die poetischen Elemente: das Uebernatürliche, das Erhabene, das Erotische, das Anmuthige, das Luftige und Naive bewegen sich in der Zauberflöte wie in einem Traume, deutlich gemacht und poetisch[44] ausgemalt durch die Musik, und wenn man nicht Schikaneder's Unsinn liest, und dem Dialoge nicht aufmerksam folgt, so genießt man durch Mozart, der hier zugleich Dichter und Componist ist, die schönsten Märchen. Aber Cosi fan tutte ist lauter schwache Unnatur. Zwei Liebhaber kommen nach einer fingirten Reise verkleidet zurück, um ihre Geliebten zu prüfen, ohne daß diese sie kennen, und hierdurch entstehen buhlerische Coquetterien (eine echte Wiener Torte), die nur den Wienern schmecken konnten. Aber Mozart's Musik schmeckte Allen; denn wenn man sie hörte, waren diese schönen Töne, in denen besonders das Adagio vorherrscht, voller Gefühl und Wahrheit. Aber ein neues Stück zu einer großen fremden Musik mit combinirten Nummern zu schreiben, wurde stets für eine Unmöglichkeit gehalten; und ich überzeugte mich davon, obgleich ein großer Theil recht gut ging und nur der letzte Act und der Schluß des Stückes sich nicht fügen wollte. Es wurde doch vier Mal kurz hintereinander aufgeführt.
Im Jahre 1826 schrieb ich die Wäringer in Constantinopel, in denen das herrliche Kleeblatt, Madame Werschall (jetzt Nielsen) als Maria, Ryge als Eremit und Nielsen als Harald mich kräftig unterstützte. Das Stück erwarb sich großen Beifall. Die folgende Tragödie: Karl der Große fand auch Beifall, aber kein so volles Haus. Ryge war hier wieder herrlich als Karl, nicht minder waren es Madame Werschall und Fräulein Pätges (jetzt Frau Heiberg), als seine Töchter Imma und Bertha. Ich habe dieses Stück vielfach umgearbeitet. Die Scene zwischen Karl und Wittekind endigt jetzt die Tragödie. Die Episode mit Gottfried und dem Bilde des Holger Danske ist aus dem Stücke herausgenommen und zu einem Nachspiel gemacht.
Von den Drillingsbrüdern von Damask, wozu Kuhlau herrliche Musikpieçen geschrieben hat, kann ich wohl sagen,[45] daß sie nicht das Glück machten, welches sie verdienten. Dies entsprang hauptsächlich aus der Schwierigkeit, drei Schauspieler zu finden, die einander so glichen, daß es natürlich war, wenn man den einen für den andern hielt. Man wollte und konnte keine Masken gebrauchen; an die Leichtigkeit hingegen, durch aufgeklebte Augenbrauen, Nasen und Bärte, die Aehnlichkeit hervorzubringen, dachte man nicht. Winslöw war als Babekan und Madame Werschall als Lyra vortrefflich. Ich übersetzte später dieses Stück ins Deutsche; es erwarb sich Tieck's Beifall (ich hatte es ihm vorgelesen), und er las es selbst häufig in seinen Abendgesellschaften vor.
In den Longobarden, einem Stücke in Einem Akte, das darauf folgte, suchte ich Sophokles noch um einige Grade näher zu kommen, wie in Baldur und Yrsa, obgleich der Stoff in Baldur großartiger und in Yrsa rührender ist.
Im Jahre 1827 schrieb ich das Heldengedicht Hrolf Krake, der sich von meinen beiden andern epischen Gedichten: Helge und die Götter des Nordens, in Charakter und Colorit durchaus absondert, sowie auch diese beiden untereinander verschieden sind. Die Romanzen in Helge sind kecke, leicht hingeworfene Skizzen, starke Conturen der nordischen Natur und äußerer Thaten, wobei wohl auch mit einzelnen deutlichen Zügen der geistige Zustand angedeutet ist. Die Götter des Nordens sind große, sorgfältig ausgeführte Phantasie- und Naturbilder für religiöse und philosophische Ideen. Hrolf Krake nähert sich der Tragödie und ist mehr ein eigentliches Epos. Hier wird zwar auch das alte Heldenleben in epischer Vollständigkeit dargestellt; aber das Charakteristische, das innere Menschliche ist die Hauptsache. Tugend und Laster, Charaktere, milde Sitten und Barbarei kämpfen tragisch und rühren wie in der Tragödie zu Schrecken und Mitleid.
Vor vielen Jahren war von der Gesellschaft der schönen[46] Wissenschaften ein Preis für eine gute Epopöe ausgesetzt. Der Pastor Jens Michael Hertz gab im Jahre 1804 sein in Hexametern geschriebenes befreites Israel heraus. Obgleich nun die Richter meinten, sie dürften dem Verfasser für das eingereichte Preisgedicht der epischen Poesie nicht das ganze Honorar geben, so bekam er doch 600 Reichsthaler; 400 Thaler waren also übrig geblieben, und erwarteten nach einem Verlauf von 23 Jahren den Würdigen, der sie verdienen könne. Ich hatte freilich bereits die Götter des Nordens und Helge gedichtet; da diese Gedichte aber nicht in Einem Versmaße zusammenhängen, sondern Cyklen mehrerer (freilich zusammenhängender) Gedichte waren, so wagte ich nicht, um die 400 Thaler zu bitten, da ich mich der Möglichkeit auszusetzen befürchtete, daß man sagen könnte, es seien keine ordentlichen Epopöen. Der Gebrauch, den Dichtern Honorar zu geben, die nicht darum ansuchten, war in der Gesellschaft noch nicht eingeführt, und ich erhielt also Nichts. Indessen lief mir doch das Wasser nach den 400 Thalern im Munde zusammen, und obgleich Hrolf Krake kein wirklich klassisches Epopöe war, da ich weder die Muse des Gesanges angerufen, noch Homer und Virgil nachzuahmen, sondern im Gegentheil so originell und national, als möglich zu sein versucht hatte, so dachte ich, daß es vielleicht doch anginge, und reichte der Gesellschaft durch Rahbek, welcher ihr Secretair war, das Gedicht ein.
Später hörte ich, daß Geheimrath Malling, der Präsident der Gesellschaft, Mühe gehabt hatte, mit dem Metrum zurechtzukommen, das ich im Hrolf Krake gewählt hatte; aber Hohlenberg, Professor der Theologie, sein Schwiegersohn, war dem Gedichte zu Hülfe gekommen, hatte es ihm vorgelesen; und hierdurch war er auf die Wirkung aufmerksam geworden, die ich durch das Versmaaß hervorzubringen gesucht hatte. Helge und die Götter des Nordens waren Verbindungen von mehr getrennten Gedichten, deren Verschiedenheit in Inhalt und Wesen auch Verschiedenartigkeit in Ton und Ausdruck erfordert. Hier[47] kamen mir also die wechselnden Versformen (und bei Helge sogar die Tragödienform) sehr zu Hülfe. Aber Hrolf Krake war ein zusammenhängendes Ganze, bei dem der Grundton nicht verändert werden durfte. Ich hatte mich also nach einer Versart umgesehen, die durchweg gebraucht werden konnte; aber wie nun eine solche finden? Den Hexameter wollte ich nicht wählen, um in meinem Gedicht nicht das griechische Colorit vorwalten zu lassen. Man könnte sagen: Warum gebrauchtest Du denn den Trimeter in vielen Deiner nordischen Tragödien? ich antworte: Eine edle, große Sprachform mußte ich haben; die alte, nordische Poesie besitzt keine solche dramatische Form; der Trimeter hat eine hohe Einfalt, und das alte nordische Heldenleben zeigt in seinen großen Thaten eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Altgriechischen; deßhalb ließ sich der Trimeter mit seiner kräftigen Würde sehr gut in das Nordische überführen ohne dessen Eigenthümlichkeit zu verwischen. Wenn ich nichts Anderes gehabt hätte, würde ich den Hexameter auch hier gebraucht haben; aber wir hatten, wenn auch nicht von der Edda und den Skalden her, so doch von den Kämpenweisen des Mittelalters einen epischen Grundton, der weder verschmäht noch verkannt werden durfte. Aber in den Kämpenweisen gehen die vier kurzen Zeilen zu sehr in das Lyrische über, und ermüden das Ohr durch die Wiederholung. In dem deutschen Nibelungenliede sind die Zeilen doppelt so lang und nehmen doppelt so viel Stoff in sich auf; aber auch so schien mir für ein großes Gedicht der Klang zu monoton wiederzukehren. Darin besteht der Vorzug des Hexameters, daß er den Wohlklang des Verses der Abwechselung der Prosa in Takt und Wortwendungen verbindet. Ich beschloß nun in dem Hrolf Krake selbst ein ganz episches Versmaaß zu bilden, indem ich die Verse, wie sie sich im Nibelungenliede finden, bald in größeren, bald in kleineren Perioden verband; mit einem Aufenthalt in den Zeilen, bald hier bald da, bald am Ende mit einem Reim; auf diese Weise schaffte ich mir selbst einen Vers, der noch nicht gebraucht war, und glaube dadurch[48] auch die Versmonotonie vermieden zu haben, die sich in den schönen Dichtungen Ariost's und Tasso's findet.
Hrolf Krake wurde von der Gesellschaft der schönen Wissenschaften gut aufgenommen, und ich bekam die 400 Thaler.
In dem Jahre wo ich Hrolf Krake schrieb, starb Baggesen in Deutschland. In den späteren Jahren nach meiner Erklärung an das Publikum hatte er aufgehört mich zu verfolgen. Der Tod versöhnt, und das ist das Schöne am Tode, daß er die ganze Schattenseite des Menschen im Dunkel des Grabes verschwinden läßt; die Lichtseite bleibt wie ein Lichtgenius zurück, wie das Unsterbliche, das, wenn der Mensch sich ausgezeichnet hat, nicht allein dem Himmel angehört, sondern auch etwas Himmlisches auf der Erde zurückläßt. Und das war mit Baggesen gewiß der Fall. Seine muntere Laune, sein Witz, seine augenblicklich aufflackernde Begeisterung, seine Beredsamkeit, sein durch viele Reisen und geistige Beschäftigung erworbenes Wissen und seine Menschenkenntniß, seine unendliche Freundlichkeit und Ergebenheit, wenn er gut gegen Jemand gestimmt war: alles Das mußte ihm Freunde und Bewunderer erwerben. Aber was ihm leider fehlte, war Ausdauer in Gefühl, Ansichten und Handlungen, und dieses Wanken störte die meisten schönen Verhältnisse in seinem Leben, wenn sie eine Zelt lang gewährt hatten. Er hatte nicht männliche Kraft genug, um seine Bestimmung recht zu erkennen und die Eitelkeit trieb ihn zu sehr nach dem Scheine zu haschen, und sich selbst und Andere durch Spitzfindigkeiten und Halbwahrheiten zu täuschen, die in einem fieberhaft erregten Zustande zu Unwahrheiten und Sünden gegen Recht und Billigkeit übergingen. Wenige Andere sind mehr von seinen glänzenden guten Eigenschaften eingenommen gewesen, als ich. In Paris lebten wir in brüderlichem Verhältnisse, erst in Kopenhagen wandte sich das Blatt ganz. Wenn ich im Anfange etwas geduldig und vorsichtig gegen ihn gewesen wäre,[49] so würde er wohl nicht soweit gegangen sein. Eine gewisse Heftigkeit und Stolz in meinem Wesen fachte damals das Feuer an. Ich achtete vielleicht auch sein Genie zu wenig; erst mit den Jahren kommt man zu der besonnenen Billigkeit, die Jedem sein Recht widerfahren läßt und nicht von gewissen Vorurtheilen der Zeit beherrscht wird. Gegen Ende unsers Zusammenlebens war der Bruch so gewaltig stark geworden, daß erst der Tod eine Brücke über diesen Abgrund schlagen mußte. Das war nun geschehen; der Eindruck der milden friedlichen Tage kehrte zurück; die schöne Erinnerung rührte mich, und in diesem Gefühle schrieb ich folgenden Prolog, der auf dem Theater bei seiner Gedächtnißfeier gesprochen wurde.
Kurz darauf verlor ich meinen Vater. Dieser Greis zeichnete sich noch in einem Alter von 79 Jahren durch Kraft und Munterkeit aus. Seine blauen Augen strahlten, seine rothen Wangen glühten wie bei einem Jüngling. Wir nannten ihn den Alten vom Berge. Mehrere Jahre hindurch war es meine größte Freude, ihn am Sonntag mit Weib und Kindern zu besuchen, und die Kleinen da spielen zu lassen, wo ich als Kind selbst gespielt. Er war hitzig und aufbrausend, hatte aber das beste Herz, war versöhnlich, zuvorkommend, wohlthätig und von Allen die ihn kannten, wegen seiner Gutmüthigkeit und seines Humors geliebt. Er war eitel auf seinen Sohn; aber als vernünftiger Vater, der seinen Sohn nicht verziehen wollte, ließ er mich Nichts davon merken. Nur zuweilen überrumpelte ich sein Gefühl, wenn er meine Gedichte gelesen hatte. Er unterhielt sich gern mit Spaziergängern auf dem Schloßberge und besonders gern mit Studenten; dann leitete er die Rede auf mich, und wenn sie etwas Gutes von mir sagten, that es ihm wohl, da er sein Incognito noch unentdeckt glaubte. Das wußten viele gute Menschen und machten dem Alten oft die unschuldige Freude. Unser Freund Professor Sibbern schrieb vor[51] einigen Jahren zu seinem Geburtstage ein Gedicht, in dem folgende ehrende Worte standen.
Er hatte viel natürlichen Witz, von dem ich einige Züge anführen will. Als er einmal in der Stadt bei einer reichen Freundin zu Mittag gespeist hatte, wo aber der Ueberfluß nicht stets mit Geschmack und Ordnung vereinigt war, und wir nach der Rückkehr ihn fragten, wie es ihm gegangen sei, antwortete er: „Vortrefflich, ich lebte grade so gut wie Christus am Kreuze, ich bekam Essig und Myrrhen.“ Der König kam einmal hinaus, um eine Fuchsjagd im Südfelde zu halten. Die Treiber umringten es klappernd. Am Eingange zum Südfelde stand mein Vater und machte als Schloßverwalter die Honneurs. Der König ging voran und die Hofherren folgten in geringem Abstande nach. „Guten Morgen, Oehlenschläger,“ rief der König, „sind viel Füchse im Südfelde?“ — „„Noch nicht, Euer Majestät!““ antwortete mein Vater sich tief verbeugend, mit einem Blicke auf die Hofherren, „„aber sie werden gleich kommen.““ Das Gelächter, das Friedrich der Sechste aufschlug, zeigte, daß er ihn verstanden hatte. — Aber nicht immer gefielen dem Könige die Antworten des Alten. Als er einmal mit ihm über einige Zimmer im Schlosse zur weiteren Benutzung sprach, sagte[52] mein Vater: „Euer Majestät! s' ist kein Loch mehr da, groß genug, daß ein deutscher Prinz darin liegen könnte.“ Mit ernster Miene aber schonendem Tone, sagte der König zum Oberhofmarschall: „S' ist Oehlenschläger!“ Er meinte also, „dem man Etwas zu Gute halten muß.“ Als mein Vater einmal den König um freies Holz bat, fragte dieser scherzend: „Sind Sie nicht Holzverwalter?“ — „„Ja, Euer Majestät!““ — „Und Sie wollen mich glauben machen, Sie hätten nicht freies Holz?“ — „„Vielen Dank, Euer Majestät!““ antwortete mein Vater, indem er sich wegen der in scherzendem Tone gegebenen Erlaubniß tief verbeugte. Mit seiner alten Magd hatte er, wenn er allein saß, viel komische Gespräche. Als Organist an der Friedrichsberger Kirche war er gewohnt, Begräbnisse mit derselben Munterkeit zu betrachten wie Hochzeiten und Kindtaufen; denn bei solchen Gelegenheiten ertönte die Orgel und war Etwas zu verdienen. Eine stille Beerdigung war früher eine Strafe, die nur Selbstmörder und andere große Verbrecher traf. Eines Winterabends sagte er zu dem Mädchen, die in demselben Zimmer spann, wo er im Lehnstuhle las: „Hast Du Aeltern?“ — „„Nein!““ — „Verwandte und Freunde?“ — „„Nein!““ — „Na, das hat nichts zu sagen, Du sollst doch ehrlich begraben werden, wenn Du einmal stirbst, Du sollst einen großen, festen Sarg von gutem Fichtenholz bekommen, und für ein hübsches Leichenhemde will ich auch sorgen.“ Das Mädchen dankte sehr, konnte aber nicht begreifen, woher diese Güte käme, da ihr nicht das Geringste fehlte, und sie zwanzig Jahre jünger war, als er. Aber es war, als er da saß und las, ihm eingefallen, daß sich so etwas ereignen könne, und so wollte er aus lauter Sorge für das arme Mädchen, da er fürchtete daß die bevorstehenden Ausgaben bei der Beerdigung sie ängstigen könnten, ihr den Stein vom Herzen nehmen. Auf diese Weise konnte er ihr nun nicht helfen, da er früher als sie starb, aber er half ihr doch wirklich während seiner Lebenszeit, und das auf eigene Weise. Er spielte in der Lotterie. Der Collecteur wohnte in der Friedrichsberger[53] Allee und besuchte ihn mitunter des Vormittags. Als mein Vater sich einmal darüber beklagte, daß er nie Etwas gewonnen hätte, rieth ihm der Andere, weiter zu spielen, „man könne ja nicht wissen, ob das Glück sich nicht wenden würde.“ Mein Vater nahm also ein Loos, schenkte es aber dem Mädchen, und diese gewann wirklich 500 Thaler. Einige Zeit darauf wurde derselbe Collecteur ergriffen als Betrüger, der durch Taschenspielerkünste alle Nummern ziehen konnte, die er wollte, und sich dadurch große Summen angeeignet hatte, die er nachher wieder mit Dirnen und vornehmen Gästen vergeudete. Zuweilen hatte er gute Freunde gewinnen lassen; es mußte also meinem Vater lieb sein, daß er nicht gewonnen hatte, aber das Mädchen nahm es nicht so genau und bekam auf diese Weise mehr als sie zur anständigen Beerdigung brauchte.
Gegen das Ende seines letzten Lebensjahres begann mein Vater zu kränkeln und litt oft an Erkältungen. Im Frühjahr 1827 bekam er das kalte Fieber, das oft wiederkehrte, und in der Hitze desselben starb er in einer frühen Morgenstunde. Als ich hinaus kam und seine freundliche Leiche in der kleinen Kammer sah, wo ich als Knabe so viele Jahre neben ihm geschlafen hatte, sang eine Nachtigall draußen im Baum. Und — sonderbar — ich habe nie, weder früher noch später, eine Nachtigall daselbst gehört. Einige Tage später fuhr er den Hügel hinab, den er so oft betreten hatte, und in der Kirche, in der er 46 Jahre lang die Orgel gespielt und Psalmen gesungen hatte, wurde sein Sarg vor dem Altar hingestellt, und sein würdiger Freund, Herr Hofprediger Schiödte, der, obgleich ein jüngerer Mann, viele Jahre mit ihm umgegangen war, sprach ehrende Worte an seiner Leiche.
Nun wurde mir also das Friedrichsberger Schloß, das mir während meines ganzen Lebens meine eigentliche Heimath gewesen war, eine fremde Stätte, und der liebe Heerd von einer andern Familie eingenommen. Zufälligerweise geschahen gleich[54] nach dem Tode meines Vaters viele Veränderungen an dem Schlosse, dem Garten und der Landstraße, welche viel dazu beitrugen, mir das Wohlbekannte fremd zu machen. Der kleine Garten meines Vaters, den er aus einem Steinhaufen in ein fruchtbares Plätzchen umgewandelt hatte, lag neben dem der Kronprinzessin. So lange der Greis lebte, konnte sie es nicht über sich gewinnen, ihm denselben zu entziehen, aber, als er nun todt war, wurde das Plankenwerk fortgenommen, dieser Platz verändert und mit den übrigen Anlagen verbunden. Einige Fruchtbäume blieben stehen, und hier muß ich einen schönen Zug vom Herzen der Kronprinzessin anführen. — Im nächsten Jahre in der Kirschenzeit schickte sie meinen Kindern einen Korb mit Kirschen, in welchem ein kleiner Zettel lag auf dem von ihrer Hand geschrieben stand:
„Von des Großvaters Baum
Caroline“.
Ich habe diesen Zettel in mein Stammbuch geklebt.
Kurz nach dem Tode meines Vaters kam mein Freund Carsten Hauch von seiner Reise ins Ausland zurück. Das Wiedersehen erfreute mich, denn ich hatte lange den Umgang dieses herrlichen Freundes entbehrt. Seine Reise hatte seine Kenntnisse vermehrt und erweitert, und ihn mit vielseitiger Bildung bereichert; auch den Musen hatte er gehuldigt und brachte mehre Dichtungen heim, die er in Italien geschrieben hatte. Von diesen gefiel mir Die Hamadryade am Wenigsten; aber da Ludwig Tieck besonders dieses Gedicht (das auch Deutsch geschrieben war) gelobt und sich erboten hatte, es mit einer Vorrede herauszugeben — was übrigens unterblieb, — so wollte ich nicht widersprechen.
In Tiberius bewunderte ich das vortreffliche historische Portrait und fand, daß Hauch den Tacitus meisterhaft in Poesie übertragen habe. In diesem sowie in den übrigen Stücken[55] herrscht eine edle Indignation über die empörenden Laster der Erde, die sich in beißender, tragischer Satire ausspricht. Die vielen schönen pathetischen Stellen, die originellen Bilder, z. B. Gregor's Beschreibung der Kirche, Tiber's Monologe, zeugen von wahrem Dichtergenie. Nur scheint es mir, als ob in diesen Tragödien und später besonders in Don Juan zuviel Grau in Grau gemalt sei.
Daß er in seinem babylonischen Thurmbau (in dem übrigens viel Aristophanisches ist) zu weit ging, muß mit der Heftigkeit entschuldigt werden zu der man leicht verleitet wird, wenn man lange vergebens gegen Unbilligkeit und Spott ankämpft.
Im Mai 1828 erhielt ich vom Buchhändler Max in Breslau einen Brief, der mich auf angenehme Weise überraschte. Als deutscher Verfasser hatte ich in oft wechselnden Verhältnissen zu deutschen Buchhändlern gestanden. Cotta kam mir liberal entgegen, bezahlte gut, that aber nichts, meinen Büchern Absatz zu verschaffen. Er druckte sie, wie der alte Brockhaus sagte, auf Löschpapier, ließ sie auf dem Boden liegen, ohne recht für den Absatz zu sorgen, und sie dann in seinen eigenen Blättern herunterreißen. Das Manuscript zum Palnatoke war ihm abhanden gekommen, doch fand er es aber nach Jahren wieder. Meinen Correggio ließ er auch mehrere Jahre liegen, ehe er ihn druckte. Kein ästhetisches Werk in Deutschland hat größeres Glück gemacht. Correggio wurde auf allen Theatern 30 Jahre lang gespielt, und Cotta, der keinen Contract mit mir geschlossen, hat gewiß mehrere Auflagen davon gemacht. Uebrigens glaube ich, daß er an den meisten meiner Arbeiten verloren hat; das Altnordische schmeckte den Deutschen nicht. Zuletzt hatte weder er, noch der jüngere Brockhaus Lust, meine Gedichte zu verlegen. Als ein Beispiel hierfür mag dienen, daß mir Brockhaus die Uebersetzung meines Helge zurücksandte, ohne das Werk verlegen zu wollen. Helge hatte ich nicht ganz allein[56] übersetzt; ein Herr Voß in der deutschen Kanzlei hatte erst das Gedicht übersetzt und mir dann erlaubt, es ganz nach meinem Sinne zu bearbeiten. Das hatte ich dann auch gethan. So ist Helge in der Sammlung gedruckt, die später bei Max erschien, und so las Brockhaus das Gedicht, wie er mir versicherte, mit großem Vergnügen. Aber er wagte nicht, es zu verlegen, aus Furcht vor Mangel an Absatz. Die Uebersetzung von Tegnér's Frithiof war in Aller Mund und erlebte eine Auflage nach der andern; — aber Helge wurde nie besprochen und stets nur von Wenigen gelesen. Weshalb? theils wohl, weil die Kraft der Originalsprache nicht darin war; das war aber auch bei den Uebersetzungen des Frithiof nicht der Fall. Die Hauptursache war, daß Frithiof mit seiner sentimental-erotischen Lyrik den Damen gefiel; dagegen hatten nur wenige deutsche Männer Interesse für das Episch-Heroische in Helge.
Ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben, als Schriftsteller in Deutschland ferner noch aufzutreten, als Max mir schrieb:
„Euer Wohlgeboren wollen mir vergönnen einige Zeilen an Sie richten zu dürfen. Es betrifft Ihre Werke, welche vor vielen andern es verdienen, vollständig gesammelt in einer neuen Ausgabe zu erscheinen. Erlauben es Zeit und Verhältnisse an eine Gesammtausgabe Ihrer vortrefflichen Schriften zu denken, so wage ich es mich als Verleger anzubieten, — indem ich und meine Firma dadurch geehrt werden. Die Autoren sind einmal die Sonnen der Buchhändler, diese erhalten nur Licht und Glanz durch jene, und todt ist ihr Wirken, wird es nicht durch jene belebt“.
Das war nun eine erfreuliche Nachricht, und wir wurden bald einig.
Noch ein paar Jahre nach dem Tode meines Vaters blieb mir das Hügelhaus in jeder Beziehung ungestört. Rahbeks hatten keine Kinder, sie lebten in denselben Zimmern, auf dieselbe Weise, wie vor dreißig Jahren, wo ich ihre Bekanntschaft[57] machte. Eines Abends, im Jahre 1828, als ich bei ihnen am Tische saß, schien es mir selbst so höchst wunderbar, daß ich kein rechtes Vertrauen zur irdischen Beständigkeit fassen wollte, sie erschien mir wie ein Blendwerk. Und das war es, denn kurz darauf verschwand die schöne Seifenblase. Camma Rahbek's Husten nahm immer mehr zu; sie hatte einige Jahre hindurch gekränkelt, und man gewöhnt sich endlich an so Etwas, daß man sich nicht mehr darüber beunruhigt, weil man immer hofft, daß es wenigstens beim Alten bleiben werde; aber der Lampe fehlt es endlich an Oel und sie geht aus. Rahbek hat im letzten Theil seiner Erinnerungen ihren Tod so anziehend und schön beschrieben, daß ich nichts Besseres thun kann, als den Leser, der mehr von ihr wissen will, darauf zu verweisen. Mein Freund, Bischof Mynster, hat uns eine vortreffliche Charakteristik von Beiden gegeben.
Als in den letzten Tagen ihr Husten sich sehr verschlimmerte, schenkte ihr Frau Brun eine hübsche Ziege, deren Milch sie trank, und die sie zu ihrem Vergnügen im Zimmer hatte. Ich pflegte ihr sonst selten Etwas von dem, was ich schrieb, vorzulesen, aber nun fühlte ich gleichsam einen Drang dazu in der Ahnung, daß es das letzte Mal sei. Ich hatte grade Karl den Großen vollendet, und Camma lag auf ihrem Sopha und hörte zu, während Rahbek an ihrer Seite saß. Ich entsinne mich noch, wie sie bei der Stelle zusammenschreckte, wo Wittekind Karl, der ihn bittet, die Axt liegen zu lassen, mit einem donnernden: „Nein, Karl“! antwortet. Sie folgte der Lectüre mit Theilnahme und Aufmerksamkeit. Dies war aber auch unser letzter geistiger Verkehr hier auf Erden. In der strengen Winterkälte bekam ich einen Podagraanfall; der starke Frost hat vielleicht auch ihr Ende beschleunigt; sie starb und ich konnte ihrem Sarge nicht folgen, aber ich schrieb ein Lied, das sich in meinen Gedichten findet.
Rahbek folgte seiner Camma ein Jahr darauf. Dieser merkwürdige Mann hat viel zur Verbreitung der ästhetischen Kultur[58] in seinem Vaterlande beigetragen, obgleich er oft verkannt wurde, und, wie dies häufig der Fall ist, viel von der Undankbarkeit einer jüngern Zeit litt. Rahbek's Geist war nicht tief, seine Phantasie nicht feurig, sein Verstand nicht scharf, aber mit einer außerordentlichen Liebe für den Theil der Poesie, für den er sympathisirte, hatte er seine Empfänglichkeit dafür, seine Einsicht darin durch unablässiges Studium und wiederholte Lektüre ausgebildet. Mit feinem Scharfblicke, Witz und Beobachtungsgabe ging er auf das Psychologische in den dichterischen Motiven ein; aber obgleich Ewald ihn erst geweckt hatte, und er diesen Dichter stets als unerreichbar groß ansah, so hatte doch Rahbek's eigene Natur ihm besonders die Schilderungen des Lebens lieb gemacht, die sich in den Iffland'schen Stücken finden, von denen wir nach seiner Zeit herrliche Früchte in den von Heiberg herausgegebenen Alltagsgeschichten, kurz, in dem poetischen Genrebild erhalten haben. In den besseren Iffland'schen Stücken spielte Madame Rosing in Rahbek's jüngern Jahren ganz vortrefflich; diese herrliche Künstlerin hatte einen tiefen Eindruck auf Rahbek gemacht, er liebte sie mit platonischer Liebe, und das trug gewiß nicht wenig dazu bei, ihn diese häuslichen Scenen lieb gewinnen zu lassen, die sein erstes sentimentales Entzücken über Rousseau's neue Heloise und Göthe's Werk verdrängte. Für das Pathetische hat er von Natur weniger Interesse, obgleich das Große und Patriotische stets einen tiefen Eindruck auf ihn machte. Aber in seiner witzigen kalten Stimmung konnte er auch oft das Schwülstige und Uebertriebene auffinden, das er ebenso sehr wie den Luxus und die Vornehmheit haßte.
Als Ryge einmal von Deutschland nach Hause kam, wo er Eßlair gesehen hatte, und nun Hakon Jarl wieder spielte, meinte Rahbek, daß er wider seine Gewohnheit ein Bischen zu stark auftrüge, und sagte, indem er ihn fortwährend durch sein Perspectiv ansah: „Ja, das ist ganz gut, aber die Natur ist nicht Deutsch“. Daß Rahbek witzig war, und daß seine[59] Trinklieder mit das Beste sind, was wir in dieser Art besitzen, darüber sind Alle einig. Und ihm selbst lag doch nichts am Trinken, obgleich er sich in seiner Jugend in Dreyer's Klub und in der Norwegischen Gesellschaft aus Freundlichkeit und Nachgiebigkeit gegen die Anderen bisweilen einen Rausch getrunken hatte. „Der Wein schmeckt mir eigentlich wie Essig“, sagte er. Und darin hatte er Recht; denn der Wein, den er in einzelnen Flaschen täglich nach dem Hügelhause aus der Stadt holen ließ, hatte wirklich viel gemein mit dieser Säure. — Rahbek fehlte es an Charakterfestigkeit, so eigensinnig er auch war; eine gewisse Schwäche des Geistes verhinderte ihn zuweilen ganz aufrichtig zu sein; aber im Grunde war er ein sehr guter und sanfter Mensch. Er hatte nicht nur Witz, sondern auch echtes Gefühl als Dichter in seiner Bearbeitung von Der Todten Wiederkehr, seinem Marienhügel u. a. m. an dem Tag gelegt. In seiner Persönlichkeit war sehr viel Komisches. Zwei Dinge, zu denen die Natur ihm jede Fähigkeit versagt hatte, hatte er am liebsten werden wollen, und beklagte immer, daß ihm die Umstände dies versagt hätten, nämlich Soldat und Schauspieler. Im Studentencorps war er stets ein eifriger Krieger; obgleich er nicht das Exercitium lernen konnte, und selbst einmal gestand, „daß sie ihn zum Lieutenant à la Suite gemacht hätten, weil er nicht zum Gemeinen taugte“, trug er doch noch beständig die Uniform, nachdem sie die Andern schon längst abgelegt hatten. Comödie wollte er ungeheuer gern spielen. Einmal sollte Robinson in England in Borups Gesellschaft aufgeführt werden. Ich begegnete Rahbek sehr vergnügt auf der Straße. „Wo willst Du hin“? fragte ich — „„Ich will meine eigene Rolle spielen““. Es war die des Magister Romanus. Rahbek meinte, daß ich in der Replik, wo von diesem Magister gesagt wird, daß er für jede Meinung, die er sagte, wenn sie noch so alltäglich sei, eine classische Autorität anführen müsse, auf ihn gestichelt hätte.
Rahbek war ein Cyniker; seiner Frau schenkte er oft schöne[60] Kleider und Putz; er selbst aber ging in einem groben dunkelblauen Rock und kaufte sich erst einen neuen, wenn der alte ganz abgetragen war. Ich sah ihn einmal, wie er auf offener Straße, vor einem Kleiderladen, einen Rock anprobirte, den er kaufen wollte. Einen Regenschirm brauchte er niemals; oft kam er durch und durch naß vom Hügelhause zur Stadt, um Vorlesungen zu halten. Einmal wollte ihm der Pedell einen Rock leihen, da er wie eine gebadete Maus aussah, aber er nahm ihn nicht an; naß, wie er war, bestieg er das Katheder. Es wäre gewiß kein Wunder gewesen, wenn er in diesem Zustande eine ziemlich trockene Vorlesung gehalten hatte. Gastfrei empfing er seine Freunde bei seinen kleinen Abendgesellschaften; aber wenn man den ganzen Weg gekommen war, ohne beschmutzt worden zu sein, so konnte man dies doch unmöglich vermeiden, wenn man dicht an seine Hausthür kam, die durch einen Tümpel verschanzt war. Bischof Mynster schenkte Rahbek einmal etwas, das er selbst finden sollte, zu seinem Geburtstage; wenn es aber Andere nicht gesagt hätten, so würde er selbst es nicht entdeckt haben: es war nämlich ein eiserner Abstreicher, den Mynster draußen vor der Thüre hatte anbringen lassen. Als Rahbek todt war, that es den Leuten leid, zu hören, daß das liebe Hügelhaus, welches so reich an schönen Erinnerungen war, eingerissen und umgebaut werden sollte! Aber dies war wirklich durchaus nothwendig, denn das Hügelhaus war eine elende Baracke, die nicht länger stehen konnte. Bereits vor dreißig Jahren war es ein schlechtes Gebäude; aber es lag anmuthig bei dem Südfelde (wohin Rahbek übrigens niemals einen Fuß setzte) und er liebte die schöne Aussicht von dort. Eigentlich hatte Pram diesen hübschen Landsitz gefunden und Rahbek vorgeschlagen, dort mit ihm zu wohnen; denn von selbst wäre Dieser nicht darauf gefallen. Eines komischen Scherzes von Pram entsinne ich mich, den Rahbek mir erzählte. Als sie die Wohnung gemiethet hatten, ging Rahbek umher, die Zimmer anzusehen, und als er zu dem Zimmer zurückkehrte, wo er Pram[61] verlassen hatte, lag dieser auf dem Rücken, alle Viere von sich gestreckt, auf den Dielen. Rahbek wurde ängstlich und glaubte, Pram hätte einen Anfall bekommen; dieser aber beruhigte ihn und sagte: „Mir fehlt Nichts; ich habe mich nur so hingelegt, damit das Zimmer ein Bischen höher wird“.
Im Sommer 1829 bekam ich eines Tags einen Brief vom Literaten Ove Thomsen, in dem er mir vorschlug, mit ihm eine Lustfahrt auf dem Dampfschiffe nach Malmöe und Lund zu machen. — Eine solche Aufforderung war nöthig, denn sonst wäre es mir nicht eingefallen und ich hätte mich mit meiner gewöhnlichen Abendpromenade nach Friedrichsberg begnügt.
Mit meinem jüngsten Sohne William machte ich nun diese schwedische Reise, und als ich auf dem Schiffe stand und mich der fremden Küste näherte, konnte ich selbst nicht begreifen, warum es mir nie eingefallen war, öfter hinüber zu fahren. Von meiner frühesten Kindheit an hatte vom Friedrichsberger Hügel aus stets die Schoonen'sche Landstrecke den Horizont für mein Auge gebildet. Durch das Telescop meines Vaters hatte ich oft nach Malmöe hinüber gesehen, wenn der Sonnenschein daselbst auf den Kirchthurm fiel.
In dem Bade Ramlöse bei Helsingborg, war ich freilich schon gewesen. Um einmal an einer gesellschaftlichen Unterhaltung an diesem Orte Theil zu nehmen, und um das Gewimmel der Nachbarnation zu sehen, von der ich nur Einzelne kannte, fuhr ich eines Tags hinüber, als ein Ball stattfinden sollte. A. S. Oersted, Spieß, Winckler und noch viele Dänen fuhren mit. Man hatte nicht den König Karl Johann zum Feste erwartet; er kam, und dies veränderte die Situation etwas. Man hatte geglaubt, daß der Ballsaal zu öffentlichem Gebrauche sei, nun kam der schwedische Hof, aber die Fremden wurden sehr artig empfangen. Im Saal konnte freilich Keiner in des Königs Quadrille tanzen, der ihm nicht vorgestellt war,[62] weshalb der Hofmarschall mit vieler Höflichkeit mehrere sich eindrängende Gäste darauf aufmerksam machen mußte. Ich drängte mich durch das Gewimmel, um in das Vorgemach zu kommen, das auch voller Menschen war. Hier wollte ich an der Thüre stehen bleiben, um den König zu sehen, wenn er vorbeiginge, weil ich doch diesen großen Helden und ausgezeichneten Menschen einmal in meinem Leben zu sehen wünschte. Ich hatte noch nicht lange gestanden, als sich ein Adjutant den Weg zu mir bahnte, und mich fragte: „ob ich Oehlenschläger sei!“ Ich antwortete: „„Ja.““ „Dann habe ich den Befehl, Sie zu Se. Majestät zu bringen.“ Ich folgte ihm und stand vor Karl Johann's ausgezeichnetem Antlitz. Er sprach sehr gnädig mit mir, und fragte mich unter Anderm, ob ich einige schöne schwedische Damen gesehen habe. Als ich es bejahte, lud er mich ein, da zu bleiben und mit zu Abend zu speisen. Ich saß lange und sprach mit dem alten Grafen de la Gardie, später aber, als ich in den Pavillon gehen wollte, um zu speisen, war dieser schon ganz besetzt, zum Theil von Dänen, die wohl kaum eingeladen worden waren. Ich bekam nichts. Dies gab mir Veranlassung, viele Jahre darauf den König Oskar zum Lachen zu bringen, als ich ihm erzählte, daß ich einmal von einem Souper mit trocknem Munde gehen mußte, obgleich sein hochseliger Vater mich selbst eingeladen hätte.
Wir reisten also nach Malmöe. Der gegen alle Dänen so freundliche und äußerst gastfreie Landrichter Hoffmann näherte sich in einem Boote dem Dampfschiff, um uns zu empfangen. Im Wagen des Landrichters fuhr ich mit meiner Reisegesellschaft in die Stadt. Wie wohlgestimmt fühlte ich mich gleich bei diesem heitern Mann! Die fremde Küste übte, in der schönsten Jahreszeit vor uns ausgebreitet, ihre Zaubermacht auf uns aus. Wir waren von lauter zuvorkommenden Schweden umgeben; der früher dem dänischen Ohr so feindlich klingende[63] Dialekt schmeichelte sich mit allem Wohlklange ein. Mein lustiger, herzlicher Wirth bewohnt ein Haus, das, wenn auch nicht regelmäßig, doch behaglich ist. Eine Menge Zimmer hängen voll von Kupferstichen und Gemälden; gute Möbel standen überall, und ein mechanischer Canarienvogel in einem Bauer wurde gleich in Bewegung gesetzt und mußte uns etwas vorpfeifen. Kleine Tannenzweige waren auf die Dielen gestreut. Dies ist ein allgemeiner Brauch in Schweden, und ich möchte ihn um Vieles nicht entbehren; es versetzte meine Einbildung ganz in das Land der Tannen- und Fichtenwälder.
Später gingen wir mit dem Probst Gullander in die Kirche, die ich so oft vom Friedrichsberger Hügel gesehen hatte. Hier traf ich Leichensteine und Tafeln voll von dänischen Grabschriften. Die Bauern in Schoonen haben noch sehr viel von unserer Sprache, und die andern Schweden sagen von ihnen, daß sie Dänisch sprechen. Der Knudsaal auf dem Stadthause, groß und schön gebaut, erinnerte gleichfalls an Dänemark; in der Vorhalle hängen die Bilder der Königin Margaretha und aller dänischen Unionskönige, und im Saale selbst ist der Hintergrund mit einem Bild geschmückt, das den König Knud den Heiligen in Lebensgröße darstellt. Ich sah auch die Portraits Karl XII. und Gustav III., beides schöne junge Köpfe; aber man kann sich keinen größern Gegensatz denken, von trotziger Ehrlichkeit und feiner List, die sich unter der Maske der Höflichkeit verbirgt.
Unser guter Landrichter fuhr uns darauf nach Lund, wo wir in dem Hause des verstorbenen Professors Lidbeck abstiegen, und wo der Adjunct Wieselgren mich bewirthete. Nach der Mahlzeit kam eine Deputation Lunder Studenten, schwarz gekleidet, mit Degen an der Seite, und luden mich ein, in nächster Woche dem Rectorwechsel und der Magisterpromotion beizuwohnen. Professor Engeström führte mich darauf in die Bibliothek, in das Museum und endlich in den botanischen Garten, wo die Studenten in einem Pavillon sich versammelt hatten. —[64] Engeström sagte mir hier einige ehrende Worte; alsdann wurde ein vierstimmiges Lied gesungen.
Darauf ging ich mit Engeström zu Professor Lindfors, der Kindtaufe hatte und mich bei dieser Gelegenheit bei sich zu sehen wünschte. Wenn ich kurz zuvor in dem Pavillon die begeisterte akademische Jugend kennen gelernt hatte, so erfreute es mich hier, bei einem kleinen Feste, fast alle Professoren zusammen zu sehen und mit einigen Bekanntschaft zu machen, unter Anderen mit einem alten ehrwürdigen Juristen, der mir sagte: „Ich kenne auch Kopenhagen, aber nur aus dem vorigen Jahrhundert.“ Die idyllische Weise, wie solche Feste gefeiert werden in dem mit Blumen geschmückten Zimmer, wo der Wirth selbst mit dem Präsentirteller umhergeht und den Gästen Wein anbietet, erinnerte mich an meine Jugend, als ähnliche alte Gebräuche auch noch bei uns stattfanden und die Herzlichkeit und Festlichkeit noch nicht ganz und gar durch das galante und vornehme Element verdrängt waren.
Nun fuhr ich mit meiner Gesellschaft wieder nach Malmöe und glaubte Alles sei vorbei; aber wie ward ich überrascht, als ich eine weite Strecke von der Stadt entfernt alle Studenten wiedersah; als der Adjunct der theologischen Facultät Thestrup an den Wagen trat und in einer begeisterten Rede im Namen der Schweden für den Genuß dankte, den ihnen meine Schriften bereitet hätten. Unter einem oft wiederholten Hurrah fuhr ich tief bewegt davon, es erschien mir wie ein Traum. Ich, der zu Hause soviel Verfolgungen hatte erleiden müssen, der unaufhörlich in öffentlichen Blättern getadelt, der jeden Augenblick auf der Bühne angegriffen wurde, der nicht mehr in der galanten Welt Mode war, ich ward hier so aufgenommen! — Aber ich wurde deshalb nicht undankbar gegen mein geliebtes Dänemark. Die schöne Flamme eines begeisterten Augenblickes ergriff mich, aber ich vergaß nicht, daß es ein begeisterter Augenblick war; ich wußte, daß ich auch daheim Freunde hatte.
Wenn man einander doch recht verstehen wollte! Viele[65] glauben, daß wir Dichter, als höchst eitle Wesen stets Weihrauch verlangen; daß wir nicht glücklich seien, wenn nicht von uns gesprochen wird. Durchaus nicht! das allzugroße Lob ängstigt im Gegentheil, weil wir fürchten, daß die Tadelsucht auf den Augenblick, sich zu rächen harre. Wären wir doch so glücklich, eine ruhige, unerschütterliche Achtung, wie ein anderer ehrlicher Bürger im Staate zu genießen, der sich durch die Handlungen seines Lebens Zutrauen erworben hat. Aber nein! Erst zweifelt man, daß wir Dichter seien, und kaum haben wir dies bewiesen, so zweifelt man, daß wir es bleiben werden. Mit jedem neuen Werke müssen wir, wie vom Anfang an, Alles beweisen. Und gefällt ein Werk nicht, so übertäubt der Tadel eine Zeit lang alles frühere Lob. Alle Halbgebildeten wollen uns unsere Kunst lehren; eine Menge Leser trauen sich zu uns als Richter übersehen zu können. Also sind wir in unserer eignen Kunst die am Verstande Aermsten! Jean Paul sagt: „Wer sich, wie Adelung das Genie ohne Verstand denkt, der denkt es wirklich ohne Verstand! — Aber das geschieht doch oft. Die Reife und Menschenkenntniß, der Scharfsinn und die Urtheilskraft, die dazu gehören ein großes Dichterwerk zu beginnen und zu vollenden, kommen nicht in Betracht. Es glückt uns zuweilen,“ heißt es, — „und häufiger mißglückt es.“ „Wir sind große Kinder, die mit verbundenen Augen in das Glücksspiel des Genie's hineingreifen; Fruchtbäume, die reife oder unreife Früchte, gerade wie es sich trifft, den vernünftigen, gebildeten, geschmackvollen Essern darbieten!“ — Und mit dieser Achtung, die fast an Verachtung grenzt, sollten wir uns begnügen lassen! — denn was ist ein Künstler, wenn er nicht einmal ein Mann ist? Und was ist ein Mann, ohne Vernunft, ohne Geschmack, ohne Sicherheit in seiner Kunst? Ich will nicht ausführlicher erinnern, was ich durch unbilliges Herunterreißen gelitten habe; ich will nur noch erzählen, daß auch meine Kinder von anderen Kindern Hohn und Spott ertragen mußten, weil sie einen solchen Vater hatten. Das war auch ganz natürlich,[66] denn Kinder sprechen nach, was sie von den Aeltern hören. Aber diese Stimmung war, Gott sei Dank, schon ziemlich vorüber. Heute hatte mein Sohn Freude an seinem Vater, und meine guten Landsleute hatten sich auch gefreut, was sie bei der Heimkehr mir durch ein Vivat kundgaben; auch das Jahr darauf ehrten mich dänische Studenten an meinem Geburtstage durch ein Hoch.
Nach oben gethaner Aeußerung hoffe ich, daß man mich weder der Eitelkeit noch des Hochmuthes beschuldigen wird, wenn ich mich künftig öfter bei der Güte und Ehre aufhalte, die mir daheim und in der Fremde erwiesen worden, ebenso wie ich früher oft bei der Feindseligkeit und dem Undank weilte, die ich ertragen mußte. Man hat mich zuweilen der Eitelkeit und Eigenliebe angeklagt. Es dürfte bei dieser Gelegenheit wohl der Ort sein, von diesen Fehlern und der Anwendung auf mich zu sprechen. Daß ich ehrlich und aufrichtig bin, glaube ich durch mein ganzes Leben bewiesen zu haben. Wir wollen erst die Eitelkeit vornehmen. Die eigentliche Eitelkeit besteht darin, daß man sich mit Kleinigkeiten brüstet, oder scheinen will, was man nicht ist. Diese Eitelkeit trifft mich nicht: ich hatte stets einen Abscheu davor, mich mit fremden Federn zu schmücken. In meiner Jugend suchte ich mein Aeußeres so hübsch als möglich zu machen; aber das war nicht Eitelkeit, um zu glänzen, sondern um den Damen zu gefallen, die mir stets außerordentlich gefielen. Diese Lust zu gefallen, die ja jedem Dichter bei seinen Werken vorschwebt, ist nicht Eitelkeit, sondern ein ganz natürlicher Trieb. Wozu sollte man sie sonst veröffentlichen? Ich leugne nicht, daß es Dichter giebt, selbst einige mit scharfem Verstande und viel Phantasie, die mit Recht eitel genannt werden können, weil sie mehr an sich selbst als an ihr Werk denken, aber derjenige, der mit warmem Herzen seine geistigen Erzeugnisse mehr als sich selbst liebt, wünscht ja nichts Anderes als Sympathie zu finden,[67] das heißt Liebe und Harmonie in der Gedanken- und Gefühlsweise, und das ist nicht Eitelkeit: das ist eine der unentbehrlichsten Grundtriebe der Natur. Diese Lust zu gefallen leitet, mit Tüchtigkeit verbunden, zu all den liebenswürdigen, erquickenden Verhältnissen im Leben, die der kalte Egoist, der hochmüthig schweigt und sich selbst genügt, weder kennt noch zu denen er beiträgt. Er ist der wirkliche Eitle, denn er strebt nach einem Nichts, das weder Realität noch Idealität hat. — Was nun die Selbstliebe betrifft, so ist diese auch natürlich, wenn sie mit Liebe zu allem Guten außer uns verbunden ist. Als Christus sagte: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst,“ räumte er der Selbstliebe eine bedeutende Stelle ein. Wer nicht sich selbst und Andere belügt, gesteht auch, daß er sie hat. Sie ist genau mit dem Selbsterhaltungstriebe verbunden. Daß die heroische Selbstaufopferung für Andere etwas Großes und Erhabenes ist, das bei weitem nicht Alle besitzen, leugne ich nicht; die verschiedenen Tugenden strahlen in verschiedenen Richtungen; der Künstler ist meist gewöhnt, seine Lebenskraft seinem Werke zu opfern; doch kann auch er, wenn es die Noth verlangt und die Begeisterung ihn entflammt, Leben und Blut für Vaterland, Gesundheit, Glück und Freude, für seine Lieben aufopfern.
Es giebt noch mehrere Gründe das zu besprechen, was ich nun künftig besprechen werde. Es verschweigen, hieße meiner Biographie ihren halben Stoff rauben, hieße undankbar sein gegen die vielen Edlen, die dazu beigetragen haben, mir mein Leben zu versüßen; würde Züge vernichten und verwischen, die zur Charakteristik des Zeitalters gehören.
Ich reiste also den Sonntag darauf mit meiner Familie nach Malmöe. Es war, als ob das Schicksal bestimmt hatte, daß ich die wenigen Tage, die ich in Schweden zubrachte, Zeuge der verschiedenartigsten Auftritte menschlicher Zustände, Leidenschaften und Gefühle sein sollte. Herr Crysander, Vorsteher des Irrenhauses,[68] zeigte uns diese Anstalt; und hier sahen wir travestirte tragische Masken genug in einem lustigen Tanze. Einen eingebildeten Gott, eine 70jährige alte Jungfrau, die noch wie eine Hamlet'sche Ophelia mit Blumen und bunten Lappen schwärmte, einen verrückten Gelehrten, der täglich einen Bogen voll Krimskrams schrieb u. s. w. — Diese Scene wechselte mit einer durchaus entgegengesetzten Art. Der hochverdiente Landeshauptmann Baron Klinteberg war gestorben. So wie ich in der vorigen Woche eine Einladung in Lund zu einer Kindtaufe erhielt, so bekam ich hier eine zu einer Beerdigung. Eigentlich war es eine Beisetzung, denn die Leiche wurde Abends in eine Kapelle gebracht, um später beerdigt zu werden. Ich trat in den dunkeln Saal, wo schwarze Vorhänge das blendende Tageslicht verdeckten, und schwache Wachskerzen ihren Schimmer über den schwarzen Sarg warfen. Die angesehenen Männer der Gegend standen stumm in einem Kreise, der Propst Gullander trat hervor und sprach kräftig und rührend. Das Gefühl, daß ich hier als Lutheraner unter Lutheranern stand, die fast meine Sprache redeten, und ungefähr unsere Religionsbräuche hatten, brachte mich den Schweden noch näher; aber hauptsächlich daß ich mich als Christ und Mensch unter christlichen Menschen an einem Sarge befand! — Der edle Sohn, der durch den Tod seines edlen Vaters vernichtet war, rührte mein Herz, und ich fand es so schön, daß, als der Sarg auf den Leichenwagen getragen werden sollte, er selbst, nach dem Gebrauch des Landes, anfaßte und die Leiche des Vaters hinabtragen half, indem er sein Haupt über den Deckel hinbeugte und ihn mit Thränen benetzte.
Welch ein Unterschied! als ich später in der herrlichsten Abendröthe, im Treiben munterer Menschen, nach dem Hafen hinunter zum Dampfschiff ging, das gepfropft voll unter einem brüderlichen Hurrah von Dänen und Schweden nach Kopenhagen zurückkehrte.
Den Tag darauf aßen wir bei Kammerrath Qvenzel, wo die besten Männer Malmö's versammelt waren, und mir wieder[69] ein Lied zu Ehren sangen. Ich saß neben der anmuthigen Frau Kiellander, einer jungen Dame voll Talenten und feiner Bildung. Ich ahnte nicht an diesem warmen Sommertage, daß sie den Winter darauf mit ihrem Manne und ihrem Kinde in den kalten Wogen unter dem Eise den Tod finden würde! —
Nachmittags fuhren wir nach Lund, um das Concert von Fräulein Schoulz in dem alten Dom zu hören. Mit welcher Ehrfurcht betrat ich diesen Tempel! Eines der größten Denkmäler dänischer Geschichte. Absalon's, Anders Sunesen's und Saxos Heimath, von wo die älteste dänische Wissenschaftlichkeit ausging. Ich erhob die Augen mit Ehrfurcht zu der heiligen Wölbung, unter welcher der Staub so vieler dänischer Ritter und Geistlichen ruht. Ich sah in der Krypta den versteinerten Zauberer Finn die Säule umklammern, und oben in dem innern Chor stand der heilige Laurentius aus Erz gegossen, auf einer Säule, seinen Rost in der Hand haltend. In dem äußern Chor der Kirche war eine Erhöhung mit reichen Blumengewinden und Kränzen zum heutigen Feste gebaut. Aber heute Abend benutzte sie das junge schwedische Fräulein, und schlug wie eine Nachtigall ihre reinen Triller unter der Wölbung in die Abendröthe hinaus, zur Freude für die vielen Menschen, welche die Kirche anfüllten. Hier traf ich meinen Freund, den Bischof Tegnér wieder, der mich verschiedene Male in Kopenhagen besucht hatte.
Wir aßen Abends zusammen bei der Frau Bischof Faxe, und wurden durch die Studenten vom Tisch in den Lustgarten gerufen, um ein Vivat zu empfangen, das sich verstärkte, als wir unsern Dank und unsere Gefühle in einigen herzlichen Worten aussprachen.
Am nächsten Tage verkündete der tiefe, starke Glockenklang vom Thurme des ehrwürdigen Doms herab die Feierlichkeit.[70] Man versammelte sich im Museum; die ganze gelehrte Welt aus den südlichen schwedischen Provinzen war zugegen und auch ein Theil der Honoratioren aus der Nachbarschaft.
Der Zug ging in folgender Ordnung zur Kirche: erst zwei kleine, hübsche, weißgekleidete Mädchen mit herabhängenden Locken, welche Körbe mit Lorbeerkränzen trugen; dann die jungen Gelehrten paarweise, die zu Magistern creirt werden sollten. — Nun bahnten die Pedelle, mit silbernen Sceptern in den Händen einer neuen Abtheilung den Weg, dessen erstes Paar war: Tegnér, der als Bischof in Wexiö für den abwesenden Schoonen'schen Bischof Faxe an der Stelle des Patrons Sr. königlichen Hoheit des Kronprinzen, dem Feste beiwohnte; neben ihm ging der Rector magnificus Engeström in rothem Sammtmantel und mit einem goldgallonirten runden Sammthut. Darauf kam der oberste Befehlshaber Schoonen's, Generallieutenant Baron Cederström, neben dem man mir einen Platz angewiesen hatte, dann folgte Baron Gustav Gyllenkrok, Generaladjutant Oberst Clairfeldt und alle Professoren und Adjuncten paarweise.
Wir gingen Alle, außer dem Bischof und dem Rector, mit entblößtem Haupte in die Kirche. Es war eine starke Sommerhitze, und ich mußte meinen Hut oft als Sonnenschirm über meinen Scheitel halten. Auf dem Wege, während der Zug sich Schritt vor Schritt durch die Stadt bewegte, hatte ich Gelegenheit die Bekanntschaft meines edlen Nachbars, General Cederströms zu machen; sein herrliches offenes Antlitz hatte mir gleich Vertrauen eingeflößt, und ich fand mich nicht getäuscht. Unsere Herzen kamen sich entgegen und ich merkte, daß es den edlen Kriegsmann erfreute, den dänischen Dichter durch einen Platz an seiner Seite zu ehren. So fand ich auch die anderen schwedischen Herren. Unter dem Geläute der Glocken und dem Donner der Kanonen traten wir in die Domkirche ein, die, obgleich sie voll Menschen war, doch durch ihre Kühlung erquickte.
Tegnér hatte mir vorher gesagt, was er beabsichtige. „Zum Doctor kann ich Dich nicht ohne Wissen des Patrons[71] creiren,“ sagte er: „aber er wird Nichts dagegen haben, wenn ich Dich als Dichter kröne“.
Nachdem er das Fest mit einer schwedischen Rede in Hexametern begonnen, und zum Schluß den Rector gebeten hatte, die Magisterpromotion zu beginnen, wandte er sich an mich, der zu seiner Seite am Hochaltare stand und sagte, erst zu Engeström und dann zu mir, mit lauter Stimme vor der Versammlung;
Aber bevor Du den Lorbeer vertheilst, so schenke mir einen.
Nicht für mich; in dem einen jedoch will adeln ich Alle.
Nordens Sängermonarch ist hier, der Adam der Skalden.
Erbe des Throns im Reich des Gesangs, denn der Thron er ist Göthe's.
Wüßte doch Oskar darum, im Namen des Theuern geschäh es.
Nun nicht ist's in dem seinen, noch minder in meinem, es ist im
Namen des ew'gen Gesangs, lauttönend in Hakon und Helge,
Daß ich Dir biete den Kranz; er wuchs wo Saxo gelebt hat.
Hin sind die Zeiten der Trennung — im Reiche des Geistes, dem freien
Sollten ja nimmer sie sein — und verschwisterte Lieder ertönen
Ueber den Sund und entzücken uns jetzt, und vor allen die Deinen.
Drum beut Svea den Kranz Dir — ich sprech' im Namen von Svea:
Nimm von dem Bruder ihn an, und trag ihn zur Ehre des Tages.
Mit diesen Worten setzte er unter dem Schall der Pauken, Trompeten und dem Donner der Kanonen einen Lorbeerkranz auf mein Haupt.
Alle lächelten mir dabei freundlich zu; ich war tief bewegt, faßte mich aber, und sprach ein Gedicht, das ich aus Dankbarkeit für all' die Güte und Ehre geschrieben hatte, die man mir bei meinem ersten Besuche erwiesen hatte; und in dem Dom von Lund ertönte wieder nach Verlauf von mehrern Hundert Jahren die dänische Sprache mit lauter Stimme von begeisterten Lippen.
Daß Tegnér sich in seinen Erwartungen nicht getäuscht hatte, zeigte der Ausfall, da seine schwedische Majestät einige Monate darauf mich mit dem Nordsternorden beehrte, und seine königliche Hoheit der Kronprinz seine Einwilligung dazu gab, daß die Universität Lund mir das philosophische Doctordiplom sandte.
Mittags nach der Promotion war große Studentengesellschaft in Lund, zu der die Honoratioren und Professoren eingeladen wurden. Ich ging zuvor in den Saal, um mir einen kühlen Platz zu suchen, aber es traf sich so, daß gerade die Ehrenplätze von der Sonne beschienen waren, und es gab dort keine Rouleaux. Das würde mir nun alle Freude gestört haben; aber kaum merkte man meine Noth in der Sonnenhitze, als einige rasche Hände ein paar Rouleaux improvisirten, was eine bedeutende Erleichterung verursachte, um so mehr, als ich — nach Tegnér's Beispiel — gewagt hatte, mein Halstuch abzubinden.
Hier wurden nun wieder Toaste ausgebracht. Als wir vom Tische aufstehen wollten, ergriffen mich ein Dutzend Musensöhne bei den Beinen und hoben mich auf ihre Schultern; das ist hier zu Lande Gebrauch, wenn man Jemand eine ganz besondere Ehre erweisen will. Dasselbe war wieder unten im Lusthause im botanischen Garten beim Kaffee der Fall, wo Professor Agardh mich durch eine kleine Rede ehrte.
Am Abend wagte ich mich, der fürchterlichen Hitze wegen, fast nicht auf den Ball. Ich ging in den Lustgarten hinab, setzte mich unter die großen schattigen Bäume und ließ mich mit ein paar stillen, freundlichen Bürgern in ein Gespräch ein, die auch dorthin gekommen waren, um sich in der Abendkühle zu erquicken.
Ziemlich spät am nächsten Nachmittage fuhren wir im Wagen des Landrichters nach Malmöe. Ein kleiner, schelmischer Kobold, der wahrscheinlich meinte, daß wir Schoonen nicht ohne irgend einen Unfall verlassen dürften, zerbrach an unserm Wagen die Axe; aber es war nur eine Viertelstunde Weges von Malmöe. In der schönen Sommernacht genossen wir nun erst recht die Kühle und hatten einen angenehmen Spaziergang.
Am nächsten Tage segelten wir mit dem Packetboote bei gutem Winde nach Kopenhagen, und eine Lustreise war damit beendigt, die mir und meiner Familie unvergeßlich bleiben wird.
Ebenso glaube ich, daß viele Dänen freundlich des Besuchs gedenken werden, den der Dichter Axel's und Frithiofs mit Agardh, Thestrup und vielen Einwohnern Schoonen's, uns kurz darauf im Thiergarten bei Bellevüe machten, wo wir Gelegenheit hatten, unseren Nachbarn für all' die Gastfreundschaft, die wir bei ihnen genossen hatten, auch einige Freundlichkeit zu erweisen.
Unsere bisherige Wohnung in der Breiten-Straße war uns zu klein geworden; der Bischof Münter, der stets freundlich gegen uns gewesen war, und den ich oft bei seiner Schwester, Frau Brun, sah, überließ uns gern, unter günstigen Bedingungen, seine Parterre-Etage, die groß genug für uns war. Dieser feurige, gutmüthige Mann lebte mit seiner Gelehrsamkeit und Phantasie größtentheils in den südlichen Ländern, wohin die Theologie und Philosophie ihm winkten. Ich hatte seine Abhandlungen von den „Karthageniensern“ und „der Stellung des Weibes in den ersten christlichen Jahrhunderten“ mit vielem Interesse gelesen. Nur Schade, daß man so wenig erfahren kann, wo die Geschichte schweigt. Sollte man es für möglich halten, wenn man es nicht wüßte, daß man die Sprache eines Volks, welches an Stärke und weltgeschichtlicher Bedeutung mit den Römern wetteiferte, nur aus einer Replik in einem Lustspiele jener Zeit kennt? — Münter's Kirchengeschichte war auch sehr geachtet. Seine Uebersetzung der Offenbarung Johannis ist von einem guten Vorwort über die erste christliche Poesie begleitet und in der in Hexametern geschriebenen Uebersetzung erkennt man den würdigen Schüler Klopstock's. Münter liebte sehr die historischen Reliquien aus alter Zeit, er hatte eine Menge Steine mit Hieroglyphen aus Egypten, Mauersteine mit Verzierungen aus Babylon, Steine mit Fischen von den ersten christlichen Grabmälern her, Pagoden u. s. w. Dies Alles schenkte er dem Vaterlande und ließ es in die Wände der[74] Amtswohnung des Bischofs einmauern. Eines Tages ließ er eine Pagode, die mit gekreuzten Beinen dasaß, in eine Nische setzen, die über einer Thür angebracht war. Etwas Zerstreutes hatte Münter immer in seinem Wesen gehabt. Er stand lange da und starrte die Pagode und die Nische an, endlich rief er dem Maurergesellen, der neben ihm stand, eifrig zu: „Die Nische ist zu niedrig; die Pagode hat keinen Platz, wenn sie aufstehen will“! „„Ew. Hochehrwürden““! antwortete der Maurergeselle ganz ernst, „„das thut sie wohl nicht““. Mit dieser Zerstreutheit verband Münter eine sanguinische Zuversicht, daß Alles was geschehen möchte gut ausfallen würde, die ihn selten verließ. Eines Mittags kam Sophie, seine Tochter, zu uns herunter, und theilte uns ganz erschreckt mit, daß ihrer Schwester Ida eine Fischgräte in den Hals gekommen sei. Ich eilte hinauf. Ein Barbier war bereits geholt und stand mit einem langen Fischbeine da und sondirte Ida's Hals, wobei ich, so wenig sie auch einer Wölfin glich, doch an die äsopische Fabel vom Wolfe und Kranich dachte. Ich wollte fragen, wie es gehe, als der Bischof mir entgegentrat. Er stand mit einer Correktur, die er sehr aufmerksam las, mitten im Zimmer, und rief in einem Tone, der zeigte, wie tief er in seiner Arbeit versunken sei: „Oehlenschläger! soll hier ein Komma stehen, oder nicht“? „„Ew. Hochehrwürden““! antwortete ich ernst: „„wir wollen uns doch erst nach dem Komma umsehen, das Ihrer Tochter im Halse steckt““. „O“, antwortete er ganz ruhig, „das wird sich schon wieder geben“. Und das war auch der Fall; aber das konnte er doch nicht so bestimmt voraus wissen. Er hatte auch gleich nach dem Barbier geschickt. Als dieser die Operation zur Zufriedenheit aller Theile gemacht hatte, schenkte ihm der Bischof ein Glas Wein aus der Flasche ein, die noch auf dem Mittagstische stand; und als der Barbier es mit einer tiefen Verbeugung und den Worten leerte: „Ew. Eminenz“! belohnte Münter ihn mit einem freundlichen väterlichen Lächeln.
Gerade so wie Bittermann im Menschenhaß und Reue und[75] wie Bröndsted, stand Münter mit der ganzen Welt in Correspondenz; nur mit dem Unterschiede, daß die erstere erlogen, die beiden letzteren aber wirkliche waren. Das kam nun Keinem wunderbarer vor als mir, der ich das entschiedene Extrem davon abgab. Bröndsted hatte mir während unsers Aufenthalts in Paris einen Widerwillen gegen diese Passion beigebracht. Oft, wenn ich zu ihm kam, hatte er nicht Zeit mit mir zu sprechen, weil er Briefe schreiben mußte, sodaß ich, als ich einmal ärgerlich darüber aus dem Zimmer ging, sagte: „Ich wollte wünschen, ich wäre der abwesende correspondirende Freund“! Eines Tags begegnete ich Münter mit einem versiegelten Packet auf der Treppe, das ihm unfrankirt aus Italien geschickt worden war und einen Louisd'or kostete. „Ich weiß nun, daß es Nichts werth ist“! rief er verzweifelt. „„So schicken Sie es doch uneröffnet zurück, Hochehrwürden““! Aber das konnte er nicht über's Herz bringen. Er war auch neugierig zu wissen, was darin sei, bezahlte seinen Louisd'or, und fand — eine langweilige italienische Doctordissertation.
Er hatte mich sehr lieb, als ich aber Ritter vom Nordstern wurde, sagte er mir in einem Tone, als ob er mir eine Reprimande geben wollte: „Der König liebt das nicht“! Ich antwortete ihm, daß ich keine Schritte gethan hätte, um den Orden zu bekommen, und daß Bischof Tegnér mir geschrieben: „König Karl Johann hat hierdurch nur Schwedens Wunsch erfüllt“.
Wenige Jahre darauf kam Ida eines Abends zu uns herunter und sagte, daß ein apoplectischer Anfall ihren Vater getroffen habe. Ich eilte hinauf, nahm ihn in meine Arme, er war noch bei Bewußtsein, wurde zu Bett gebracht, starb aber in der folgenden Nacht.
Er war in der letzten Zeit nicht auf Rosen gewandelt; mit bewundernswürdiger Geduld aber hatte er ein schweres Hauskreuz getragen. Seine edle Gattin — mit ebenso viel Verstand, wie Gemüth begabt — verfiel in eine tiefe Melancholie, die bis zu ihrem Tode währte.
Nach Münters Tode wurde P. E. Müller Bischof, und ich blieb in dem Bischofshause wohnen. Man wünschte eine Büste von dem Dahingegangenen zu besitzen; Freund nahm eine Todtenmaske ab, und mußte sich nun mit einem Portrait von Hornemann und seinem eigenen Gedächtnisse helfen. Alles ging recht gut, bis auf die Augen. Da gab ihm ein Freund den Rath: „Die Augen“, sagte er, „sind ja noch da, frisch und klar; Sie brauchen Sie nur zu kopiren“. Das war ein Räthsel! Die Augen des todten Münter lebten noch! Aber der Freund hatte ganz recht. Er meinte die Augen von Frau Friederike Brun, die denen ihres seligen Bruders auf ein Haar glichen. Freund brachte die nach der Schwester modellirten Augen an der Büste des Bruders an, und Keiner zweifelte, daß es seine eigenen seien. Die sehr ähnliche in Marmor ausgeführte Büste wurde der Universität geschenkt, und im Consistorium aufgestellt.
Ein Bekannter des Bischofs Münter machte mir in diesen Jahren einmal einen Besuch. Es war ein großer, stattlicher Schwede, der mir beim Eintritt seinen Namen nannte, den ich aber nicht verstand. Da ich mich nun genirte, ihn wieder darnach zu fragen, hoffte ich ihn im Laufe des Gesprächs nochmals zu hören, oder ihn durch Eins oder das Andere errathen zu können. Er sagte, daß er gekommen sei, um mich zu fragen, was ich von dem Stoffe zu einem Vaudeville halte, das er zu schreiben gedenke. Er erzählte es mir; es war recht hübsch, und ich hielt daran fest und dachte: es ist also ein Vaudevillendichter. Darauf sprach er von Münter, als von einem alten Freunde: „ich muß Ihnen sagen“, fuhr er fort, „daß ich auch Theologie studirt und die Offenbarung Johannis übersetzt habe“. — Ein Vaudevillendichter, dachte ich nun, der auch Theolog ist. „Münter ist auch Freimaurer“, fuhr er fort, „all seine Freimaurerei hat er von mir gelernt, denn ich bin Meister vom[77] Stuhl“. Jetzt rechnete ich im Kopfe weiter zusammen: Vaudevillendichter, Theolog, Meister vom Stuhl. — Nun sprach er vom König Karl Johann, den er sehr lobte, und sagte: „Ich kenne ihn gut! Ich habe manches Glas mit ihm geleert“. Ich sagte: Vaudevillendichter, Theolog, Meister vom Stuhle, und ein Freund von Karl Johann. Er fuhr fort: „Hier in Dänemark tragen die Leute nicht ihre Orden; morgen gehe ich in die Kirche, da lege ich die meinigen an“. „„Das können Sie auch sehr gut““, antwortete ich, und er fuhr fort: „Ich habe sie alle mit“! Ich sagte: Vaudevillendichter, Theolog, Meister vom Stuhl, Karl Johann's intimer Freund, Seraphimritter. Endlich sprach der Fremde von seinem Sohne, den er daran erinnert hatte, daß ihr Stammvater zu den Ersten gehört habe, welche bei der Eroberung Jerusalems die Mauern dieser Stadt bestiegen. Nun wurde mir klar, daß es der Graf von Saltza sein müsse. Und der war es auch.
Als wir nun bekannt miteinander geworden waren, führte er mich zu seiner Familie nach dem Hôtel du Nord. Dort traf ich den schönen alten Grafen de la Gardie, dessen Bekanntschaft ich in Ramlöse gemacht hatte, und der mir erzählte, daß sein Ururgroßvater bei der Belagerung Kopenhagens Einer der Ersten auf dem Walle gewesen sei. Es war auch ein Baron Bannér dort, von dem Saltza scherzend erzählte, daß er von einem Koch abstamme, der bei einer wichtigen Gelegenheit den Seinigen dadurch den Sieg verschafft hatte, daß er seine Schürze und den Küchenbesen als Banner benutzte, und so die Fliehenden zurückrief. Später nahm Saltza mich in sein Zimmer, zeigte mir verschiedene fromme Bücher, und äußerte religiöse Ansichten, in die ich mich nicht weiter mit ihm einließ.
Da ich hier von Schweden spreche, muß ich noch einige von den lieben Freunden nennen, die von Zeit zu Zeit über den Sund kamen, um uns zu besuchen. Schon im Jahre 1819[78] lernte ich Beskow kennen, der später einer meiner besten Freunde wurde, und auf den ich im Folgenden zurückkomme. Tegnér trat als ein munterer, rothwangiger, goldlockiger Jüngling bei mir ein, als ich schon ein paar Jahre Professor gewesen war. Früher hatte ich den noch blonderen Ling, Dichter und Fechtmeister gesehen, der in seiner Gylfe, Phantasie und Sinn für altnordische Poesie zeigte, ohne doch eigentlich den richtigen Ton in der Darstellung gefunden zu haben. Geijer schenkte mir in späteren Jahren auch einen kurzen Besuch, aber wir lernten einander doch nicht recht persönlich kennen. Er hatte meine früheren Arbeiten gelesen, später, vielleicht durch den häufigen Tadel bewogen den er über mich gehört hatte, sagte er selbst in einer Schrift, die von ihm erschien, daß er mir nicht weiter gefolgt sei. Obgleich er die harten Angriffe mißbilligt, so scheint es doch, als ob sie ihm das Zutrauen zu meiner Entwickelung geraubt hätten und er mich deßhalb fallen ließ. Ich selbst lernte diesen ausgezeichneten Mann erst kennen und schätzen, als ich seine Chronik des schwedischen Reiches las; philosophisch-dichterisch hat er die älteste Mythologie und Sagengeschichte des Nordens aufgefaßt, wie noch kein Anderer. Der Geschichtsschreiber Geijer war auch Dichter, hat gute Lieder geschrieben und selbst reizende Melodieen dazu componirt. Später besuchte mich Fryxell, und ich wurde sehr für diesen liebenswürdigen Mann eingenommen, durch dessen vortrefflich geschriebene Geschichte ich Schweden erst recht kennen gelernt habe.
Noch muß ich hier des unglücklichen Grafen Frederik Classon Horn erwähnen, der als Theilnehmer an dem Königsmorde Gustavs des Dritten nach Dänemark floh, wo er unter dem Namen Classon mehrere Jahre ein armes, kummervolles Leben führte. Ich lernte ihn bei Rahbeks kennen, und er besuchte mich. Er war auch Dichter, blies vortrefflich die Flöte und soll ein vorzüglicher[79] Mathematiker gewesen sein. Obgleich er mir nie recht seine Reue über das Verbrechen eingestehen wollte, und, wenn man von Gustav III. sprach, sagte: „Das war, hol' mich der Teufel, ein sakermentscher Ränkemacher“, so konnte man doch die Gebeugtheit an seinem ganzen Wesen erkennen, denn Horn war weit davon entfernt, ein grausamer, blutdürstiger Mensch zu sein; phantastische Freiheitsschwärmerei mit persönlicher Unzufriedenheit verbunden, hatte ihn, ebenso wie Ribbing, mit Ankarström in Verbindung gebracht, der Gustavs eigentlicher Feind war. Die alten Aristokraten, Pechlin und Liljehorn, benutzten diese demokratisch gesinnten Jüngeren als ihre Handlanger, obgleich beide Parteien von entgegengesetzten Motiven getrieben wurden. — Als die Gefangenen im Correctionshause auf Christianshafen Aufruhr gemacht hatten, und mehrere von ihnen hingerichtet waren, schlug Steffen Heger, der viel mit Horn umging, ihm vor, daß sie eines Nachmittags hinausgehen wollten, um die Köpfe der Hingerichteten auf den Stangen zu sehen. Der phantastische Horn war gleich dazu bereit. Auf der Richtstätte beobachtete Heger, welchen Eindruck es auf ihn machte. Er stand lange still da, und starrte auf die leblosen Köpfe; darauf sagte er leise, indem er fortging: „Ich bin“, indem er den Zeigefinger in den Mund steckte, „hol' mich der Teufel! auch nicht weit davon entfernt gewesen“! — Ich beklagte oft diesen unglücklichen Mann, wenn ich mit ihm zusammen war und ihn betrachtete, ohne daß er es merkte. Er war groß und schlank, hatte ein sehr ausdrucksvolles Gesicht, Adlernase und feurige Augen, aus denen Begeisterung und Milde sprach. Ich stellte ihn mir als Minister mit Ordensband und Sternen vor, eine Stellung, die er in seinen Verhältnissen leicht hätte erreichen können, wenn nicht die verbrecherische That ihn in Armuth und Elend gestürzt hätte: ein Zustand, den er nach Allem, was geschehen war, doch ein Glück nennen mußte, da er dem Schafote entging. Gewiß muß etwas Schiefes in der Natur und ein Mangel an höherm Humanitätsgefühl in[80] der Seele sein, die sich verlocken und verblenden läßt, einen Meuchelmord zu begehen.
Er schenkte mir seine Gedichte, in die er schrieb: „Meine Thränen bei Deinem Correggio waren ohne Zweifel ein Deiner würdigeres Opfer als diese Blätter“.
Mit Berzelius machte ich keine nähere Bekanntschaft. Er besuchte mich einmal den Tag vor seiner Abreise, und da er hörte, daß ich im Theater sei, sagte er: „Ja, ja, das ist nun sein Laboratorium“.
Eines merkwürdigen Mannes muß ich hier erwähnen, den ich von meiner frühen Jugend her kannte, und dessen Bekanntschaft jetzt erneuert wurde. Es war der Kammerherr Ries. Er war Christian VII. dienstthuender Cavalier gewesen, und ich sah ihn täglich mit dem Könige spazieren gehen. Im Anfange meiner Dichterperiode besuchte ich ihn auf dem Friedrichsberger Schloß; er hatte meine Arbeiten gern, war selbst deutscher Dichter, und ich übersetzte ein paar seiner Stücke ins Dänische. Nun vergingen wohl zwanzig Jahre, ehe wir uns wiedersahen. Er war nach Christian VII. Tode Zollbeamter auf Fehmarn geworden. Er war mir stets gefolgt, seine Liebe zu meinen Schriften war gestiegen; beim Eintreten in mein Zimmer fiel er mir um den Hals und bat mich in dem kräftigen, herzlichen Tone, den ich von Alters her kannte, ihn Du zu nennen. Wir wurden bald Freunde und Vertraute, obgleich er um eine gute Zahl von Jahren älter war als ich. Er war ein großer, starker Mann, der seine Jugend unter dem Militair zugebracht hatte; sein ausdrucksvolles Gesicht war derb und ehrlich; ich nannte ihn meinen Götz von Berlichingen. Er hatte viel mit Christian VII. zusammen gelebt; ich bat ihn, seine Memoiren zu schreiben, die gewiß viel Interesse gehabt haben würden, er versprach es, aber[81] es wurde nie Etwas daraus. Es war wohl auch noch zu früh, damals Etwas zu erzählen, was übrigens Alle wußten. Die Geistesschwäche des Königs hatte den sonderbaren Charakter, daß der äußere Anstand aufrecht erhalten werden konnte, ohne daß man ihn von seinem Hof zu entfernen, oder ihn abzusetzen brauchte; der Kronprinz, sein Erbe, wurde schon bei seinen Lebzeiten sein Nachfolger. Er war es, der die Macht in Händen hatte; Alles ging nach ihm, Alles bestimmte er, nur mußte Christian unterschreiben. Zuweilen hielt dies ziemlich schwer, wenn man ihn aber das drohende Wort „Absetzung“ ins Ohr flüsterte, so wurde ihm angst, und er that, was man wollte. Kleine Neckereien, eine Folge seiner Krankheit, suchte man durch Vorsicht zu verhindern. So waren die Pagen instruirt, bei der Tafel seinen Stuhl festzuhalten, wenn er zuweilen aufstehen wollte, um die Andern am Essen zu verhindern. Einen und den andern Pagenstreich dagegen konnte man doch nicht hintertreiben. Es war am Hofe verboten, mit ihm zu reden, und ihm zu antworten, wenn er fragte; nichtsdestoweniger hatte ihn ein Page doch einmal in einen Winkel zu locken gewußt, und ihm gesagt: „Verrückter rex! mach' mich zum Kammerjunker“. — Bei dieser Gelegenheit will ich auch erwähnen, wie er einmal einen Kammerherrn creirte. Er war genöthigt worden, die Kammerherrnbestallung für einen Mann zu unterschreiben, den er nicht leiden konnte. In demselben Augenblicke kam einer der niedern Hausofficianten ins Kabinet, in seiner gelben Jacke, die Mütze mit des Königs Namenszuge auf dem Kopfe, mit einer Tracht Brennholz auf dem Rücken, das er beim Kamine niederlegte. „Du, höre mal“! rief der König: „willst Du Kammerherr sein“? Auf die wiederholte Frage antwortete der Knecht, daß es nicht so übel wäre, wenn er es werden könnte. „Nichts ist leichter“! antwortete der König, „folge mir“! Es war gerade eine Versammlung des Hofes in dem großen Saal neben dem Kabinete. Der König faßte den Hausknecht bei der Hand, öffnete die Thür, trat in[82] die Mitte der Versammlung ein und rief mit lauter Stimme: „Ich ernenne diesen Mann zu meinem Kammerherrn“. Der Marschall nahm später den Mann zu sich hinauf; dieser sah selbst ein, daß er nicht zum Kammerherrn paßte, und daß ihm mit einer Würde nicht gedient sein könne, zu deren Aufrechterhaltung ihm die Mittel fehlten; und er war deshalb sehr erfreut über die Nachricht, daß man, in Betracht der gnädigen Gesinnung, welche Sr. Majestät gegen ihn gezeigt habe, ihm ein schönes Bauerngut kaufen wolle. — Aber Christian hatte auch seine lichten Augenblicke. Einmal in einer ähnlichen Abendgesellschaft trat er mitten unter den großen Hofschwarm, machte ein Zeichen mit der Hand und rief: Ruhe! Und als Alle vor Verwunderung und Bestürzung schwiegen, declamirte er laut, deutlich, vortrefflich und mit tiefem Ernste Klopstock's Ode an die Fürsten. Als es geschehen war, lachte er laut und ging wieder. — In seiner Jugend hatte er (ebenso wie Gustav III. in Schweden, den er Vetter Don Quixote nannte) viel scenisches Talent gehabt, und soll den Orosman in Voltaire's Zaïre gut gespielt haben.
Ries versuchte auf alle Weise, ihn zu zerstreuen und zu unterhalten, so gut er konnte. Er war mitten im Treiben des Hofes sein einziger Umgang. Sie spielten täglich Billard zusammen; der König wollte immer hoch spielen. Ries that als ob er sich darin fand, und gewann scheinbar große Summen. Wenn er dann sagte: „Wollen Ew. Majestät nicht die Gnade haben mich zu bezahlen, ich brauche Geld“, so antwortete der König schlau: „Sprecht mit dem Kronprinzen“!
Aber obgleich nun Christian VII. auf seine Art Ries lieb hatte, und vom Morgen bis zum Abend mit ihm lebte, so war Christian doch so kalt, gefühllos und feig geworden, daß es ihn gar nicht geschmerzt hätte, wenn man ihm eines Tages erzählt haben würde: „Ries ist gefangen“! „Und“, sagte dieser, „hätte er gehört, daß ich hingerichtet werden sollte, so würde er nicht nach der Ursache gefragt, oder irgend einen Schritt gethan haben, um mich zu retten“.
Ries starb vor ein paar Jahren; in seinen Gedichten war Phantasie und Kraft, er hatte etwas „Bürger'sches“, und die Romanze glückte ihm am besten.
Ein Mann, dessen ich mich gerade wegen seiner außerordentlichen Verschiedenheit von Ries bei dieser Gelegenheit erinnere, und der mich oft besuchte, war Commandeur Sölling. Keiner leugnet, daß der dänische Matrose stets etwas ganz besonderes Charakteristisches gehabt habe. So lange das deutsche Element hier in Dänemark herrschte, war der Seeetat fast das Einzige, was das nationale Gefühl repräsentirte. Unsere alten Wikingszüge, Knud's, Svend Gabelbart's, Waldemar's und Absalon's Heldenzüge, und (nachdem die unglückselige lübecker Zeit vorüber war, wo die deutschen Krämer auf ihren Schiffen hersegelten und uns in Zucht hielten) das Andenken an die Juels Hvidtfeldt, Adeler, und Tordenskjold frischte das alte nationale Gefühl auf. Diesem Gefühle setzte die Schlacht am 2. April 1801 die Krone auf, bei welcher Gelegenheit Nelson sagte: (Siehe: Southey, Life of Nelson): „Die Franzosen schlagen sich gut; aber das Feuer, das die Dänen vier Stunden lang ausgehalten haben, würden jene nicht eine einzige ertragen haben.“
Das muntere, schnelle, stolze, unerschrockene, launige, oft witzige Wesen, das sich so vielfach bei dem dänischen Matrosen zeigt, fand sich auch bei vielen der Officiere. Englisch und Französisch wurde auf der Seecadettenakademie gelehrt, aber nicht Deutsch. Mit dem Deutschen hatten die Söhne des Meeres Nichts zu thun; sie trugen kein Von vor ihrem Namen, und selbst der Adelige legte als Marineofficier das seinige ab. Ein gewisses Verspotten der Convenienz gehörte mit zu diesem Tone. Allmälig hörte dieser auf; Sölling aber war noch eines der Exemplare, die dieses Gepräge behalten hatten, er setzte es fort, und das stand dem kleinen gewandten, feurigen Seemanne gut,[84] man mußte es ihm verzeihen, daß er das Wesen bisweilen mit einer Art Coquetterie übertrieb, und es ein Bischen zu lange als alter Mann fortsetzte. — Ein paar Anekdoten von ihm fallen mir ein. Als er ein Mal aus Westindien von einer mißglückten Speculation heimkehrte (die dänischen Marineofficiere hatten damals das Recht Handel zu treiben), bei seiner hübschen Frau auf Fredensburg zum Kaffee war und sie ihm ein paar Henkeltassen vorsetzte, sagte er: „Nein, liebes Kind, dazu haben wir, hol mich der Teufel, die Mittel nicht!“ Damit brach er die Henkel von der Kaffeetasse ab. — In der Operette Peter's Hochzeit kommt ein schöner Seemannschor vor, der vor mehreren Jahren bei der Aufführung auf Verlangen des Publikums wiederholt wurde; denn obgleich es eigentlich nicht gestattet war, sich nach dem Dacaporuf zu richten, so fand hier eine Ausnahme statt, und es wurde nicht als eine Wiederholung aus Kunstgenuß, sondern — was es auch war — aus Vaterlandsbegeisterung betrachtet. Es ist sehr möglich, daß Sölling auch damals Derjenige war, der Dacapo gerufen hatte. Das war aber schon lange her. Nun sollte wieder Peter's Hochzeit aufgeführt werden, und er ging hin, um sein Dacapo wieder zu rufen, da er aber nicht musikalisch war, so hatte er vergessen, daß die Strophen des Chores mehrere Male wiederholt werden. Kaum waren sie das erste Mal gesungen, so stand er im Parterre auf (ich war selbst zugegen) und rief sehr höflich, aber mit durchdringender Donnerstimme: „Dürften wir Sie wohl bitten, das noch ein Mal zu singen?“ Da die Wiederholung gleich kam, so nahm man weiter keine Rücksicht auf die Aufforderung und setzte den Chor fort. Sölling aber ließ sich nicht abschrecken, und als er merkte, daß es wirklich zu Ende sei, bat er noch ein Mal darum, und sein Wunsch wurde erfüllt. — Sölling hatte sich dadurch bei der Marine verdient gemacht, daß er die bedeckten Lootsenboote in Norwegen einführte, wodurch jährlich viele Menschenleben gerettet wurden. Hier stiftete er die Bombenbüchse, eine Anstalt in der alte Seeleute Aufnahme[85] fanden. Wegen der Concerte, die jährlich zum Besten dieser Stiftung gegeben wurden, kam Sölling oft zu mir, um sich Lieder schreiben zu lassen. Bei solchen Gelegenheiten hatten wir lange Gespräche, in denen er mir seine Schicksale und Abenteuer erzählte. Diese Erzählung begleitete er stets sehr lebhaft mit starken Bewegungen und Ausdrücken. Einmal stand er mit mir am Fenster meines Zimmers, das nach der Universität zu lag. Hier erzählte er mir eine Geschichte, die ich vergessen habe, wie er einmal an einer Thüre gelauscht und durch eine Spalte in der Diele geblickt habe, um Etwas zu erfahren. „Ich zog den Rock aus, sagte er“ (dabei that er es), „warf mich auf die Erde“ (dieselbe Bewegung), „und sah durch die Spalte!“ (da legte er das Gesicht gegen meine Thür). „„Lieber Herr Commandeur!““ sagte ich: „„ich verstehe Sie auch ohne das. Was sollen die Leute denken, wenn man, von der Straße aus, sieht, daß Ihr Rock ausgezogen wird und Sie auf den Boden stürzen, während ich neben Ihnen stehe? Man muß ja glauben, daß ich Sie in meinem eigenen Hause überfalle und plündere. Und wenn nun Jemand kommt und die Thüre öffnet, so schlägt er Sie vor die Stirn.““ „O, es ist nicht so gefährlich,“ sagte er, und sprang wieder auf.
Im Jahre 1830 machte der Buchhändler Heinrich Brockhaus mit seiner Frau eine Reise nach Kopenhagen. Er besuchte mich. Frau Brockhaus und meine Tochter Charlotte wurden bald sehr gute Freundinnen, und da sie mich baten, diese mit nach Leipzig nehmen zu können, und mich, sie im nächsten Sommer abzuholen, willigte ich gern ein. Ich traf dort im Juni 1831, wie es verabredet war, ein. Während dieser Zeit hatte Charlotte Deutsch wie eine Eingeborne gelernt, und corrigirte mich zuweilen, wenn ich Danismen sagte. Ich hatte auch den Fischer übersetzt und umgearbeitet, den, da er nicht zum Accord mit Max gehörte, Brockhaus verlegte. Prinz Friedrich von Sachsen[86] war damals in Leipzig und hatte die Revue über die Communalgarde abgehalten. Friedrich Brockhaus war hier sein Adjutant. Der Prinz lud mich Abends im Theater in seine Loge ein, und ich versprach ihm, meine Aufwartung zu machen, wenn ich nach Dresden kommen würde. Als wir von Leipzig abreisten, begleitete uns Charlotte's Freundin, Fräulein Ottilie Wagner, eine Schwester der Frau Brockhaus, nach Kopenhagen. Wir reisten zuerst nach Dresden und dann nach Berlin; aber ich hatte nicht Zeit, mich an diesen Orten lange aufzuhalten, da ich nach Hause mußte, um das Rectorat zu übernehmen. In Dresden war ich einmal bei dem Prinzen Friedrich zu Mittag. Hier traf ich den berühmten Dr. med. Carus, der in Dresden für eines der größten ästhetischen Lichter galt, und ein specieller Freund von Tieck war. Er kam mir nicht sehr freundlich entgegen, opponirte vornehm, und als die Rede auf Thorwaldsen kam, sagte Herr Carus, daß Thorwaldsen kein Bildhauer sei; er sei mehr Maler, und deshalb sei auch das Basrelief, das sich der Malerei mehr nähere, ihm am besten geglückt. Ich erstaunte höchlichst, und antwortete nur: „Wenn Thorwaldsen nicht Bildhauer ist, dann weiß ich nicht, was ein Bildhauer ist.“ Ich erinnerte mich meines Gesprächs vor 15 Jahren mit Tieck, als er sagte: „Wenn Canova ein Bildhauer ist, so weiß ich nicht, was ein Bildhauer ist“ und ich dachte: „Ihr guten Leute; wüßtet Ihr nur was Ihr selbst seid.“ Ich konnte leicht einsehen, daß ich als Dichter nicht viel in Carus' Augen gelten konnte, da mein großer Landsmann so abgefertigt wurde.
Aber Tieck fand ich sehr liebenswürdig, er kam mir freundlich entgegen und das rührte mich. Ich las ihm meinen Fischer und die Drillingsbrüder von Damask vor, die ihm gefielen. Ich dedicirte ihm beide Stücke mit folgendem Gedicht:
Tieck schrieb in mein Stammbuch:
Dein treuer Freund und Bruder
Ludwig Tieck.
So verbrachte ich einige schöne Tage mit Tieck; ja eines Abends nahm er sogar meine deutsche Uebersetzung des Holberg hervor und las uns ein Stück daraus vor, während er sich gewöhnlich an die alte Uebersetzung zu halten pflegte, was er auch wohl später wieder that. Die pedantische Weitläufigkeit im Styl und die Plumpheit in den Ausdrücken, die Holberg selbst weit übersteigen, waren für ihn, der das Original nicht kannte, nicht abstoßend. Tieck war als vortrefflicher Vorleser bekannt; dieses Talent hatte er entwickelt, als er eine Reihe von Jahren, als die Gicht ihn am Gehen verhinderte, fast jeden Abend in einem Kreise von Freunden oder Reisenden, die ihn besuchten, eins oder das andere Dichterwerk vorlas. Die Aerzte hatten ihm diese körperliche Anstrengung gerathen, die also ebenso nützlich[89] für ihn, wie angenehm für Andere wurde. Es war für ihn ein doppelter Nutzen; denn er machte sich dadurch eine große Menge von Freunden verbunden, welche seine Gastfreundschaft, und jeden Abend eine so schöne Unterhaltung in seinem Hause genossen. Freilich mußte es ihm viel kosten; oft waren zwanzig und mehr Menschen jeden Abend zum Thee da. Ob Tieck damals eine Pension hatte, weiß ich nicht. Er schrieb jedes Jahr eine Novelle für Brockhaus' Urania, die ihm sehr gut honorirt wurde. Aber er stand in einem andern merkwürdigen Verhältnisse, das so charakterisch war, daß es hier besprochen zu werden verdient. Durch seine außerordentliche Persönlichkeit — er hatte ein schönes Gesicht, dessen große, braune, feurige, und wenn er wollte, milde Augen, welche Alle einnahmen, die ihm begegneten — durch seine Beredtsamkeit, die oft satyrisch und polemisch war, schuf er sich eine große Partei. Da er nun ganz sein eigener Herr war, kein Amt hatte, durchaus nicht von der Zeit abhing, und sehr viel Lust spürte, umherzureisen, und Kunstwerke und Naturschönheiten zu sehen, so fand er sehr leicht junge enthusiastische Freunde, die nichts mehr wünschten, als in dem innigsten Verhältnisse mit ihm zu stehen, und das Leben mit ihm zu theilen. So fand er früh einen Baron Burgstorph, später den berühmten Rumohr, die beide reich waren, und eine Freude daran fanden, Das herbeizuschaffen, was Tieck fehlte. Auf diese Art reiste er wahrscheinlich nach Italien. Daß Rumohr später Tieck nicht leiden konnte, beweist Nichts, da Rumohr ein Sonderling und rechthaberisch hinsichtlich seiner Kunsturtheile war (wenn auch wirklich ein seltener Kunstkenner); er wollte auch Poet, wenigstens Novellenschreiber sein, und hat als solcher wahrscheinlich Tieck nicht gefallen. In spätern Jahren hatte sich eine Gräfin Finkenstein aus einer der ersten preußischen Familien der Tieck'schen ganz angeschlossen. Tieck's Frau war eine Tochter des Predigers Alberti, seine Töchter, Dorothea und Agnes, waren bereits erwachsen. Nun lebten sie mehrere Jahre zusammen, und die Einladungen von Tieck geschahen stets[90] im Namen der Gräfin von Finkenstein. Sie freute sich während der Vorlesungen zugegenzusein, und ihre Augen beobachteten die der Zuhörer, um zu sehen, welchen Eindruck der Vortrag ihres Lieblings auf sie machte.
Tieck las den Holberg mit seiner gewöhnlichen Virtuosität und Laune vor; aber es fehlte ihm natürlich Etwas vom nationalen Elemente. Ich hätte gern auch einmal ein Stück von Holberg vorgelesen, um Tieck eine Idee von der Art und Weise zu geben, wie wir Dänen den Dichter auffassen; auch mir ist zu Hause Beifall beim Vorlesen von Dichterwerken geworden, obwohl ich nur selten las. Aber — ich merkte wohl, daß Tieck ein Bedürfniß hatte, selbst zu lesen, und sprach also nicht davon. Wenn es Dramen waren, so ging es gut; zuweilen aber las er ganz lange Novellen vor, und das war zu viel. Auch glückte ihm das Komische viel besser als das Tragische, wobei er nicht selten in einen trockenen, manirirten Ton verfiel. Wenn nun hiezu kam, daß die Fenster selbst in den Hundstagen geschlossen werden mußten, so verursachte mir das eine Betäubung, die zuweilen in unbezwinglichen Schlummer überging.
In Dresden besuchte ich auch meinen alten Freund Böttiger. Seit dem gestiefelten Kater, in welchem Stücke Böttiger eine persönliche Rolle spielt, war kein gutes Vernehmen zwischen ihm und Tieck gewesen, wobei die Schuld wohl mehr an diesem als an jenem liegen mochte. Tieck sprach stets mit Geringschätzung von Böttiger, der vorsichtige, artige, alte Mann dagegen wägte stets seine Worte ab. Nur einmal, da es ungeheuer heiß war, sagte er mit schelmischem Lächeln: „Sie sollen Tieck heute Abend hören! Sie Glücklicher“!
In mein Stammbuch schrieb er:
In Berlin ging ich gleich zu meinem alten Gönner, dem Grafen Bernstorff, der nun preußischer Minister war. Er kam mir mit offenen Armen entgegen, und sagte, indem er auf den Tisch zeigte: „Da liegen Sie! Ich habe mich gerade in diesen Tagen mit Ihnen beschäftigt“. Es war meine Deutsch geschriebene Selbstbiographie, mit der meine Werke bei Max anfingen.
Ein paar Tage darauf fuhr ich nach Tegel hinaus, um den Staatsminister Wilhelm von Humboldt, nicht als Minister, sondern als Gelehrten, als Aesthethiker, und als Schiller's vieljährigen vertrauten Freund, zu besuchen. Es hatte sich bisher in meinem Leben noch nicht so gefügt, daß ich mit diesem seltenen Manne zusammengetroffen war. Seine Frau hatte ich in Rom 1809 sehr gut gekannt, wo ich sie zuweilen mit Frau Brun und Thorwaldsen besuchte.
Als ich nach Tegel in den kleinen Lusthain kam, der an das Haus stößt, wo er wohnte, stand Graf Raczynski da und zeichnete eine Waldpartie. Er war mehrere Jahre preußischer Minister in Kopenhagen, wo er mich gleich besuchte und mich zu seinem gastlichen Tische einlud. Er war reich, ein Pole von Geburt, Kunstkenner, Freund der Poesie, und zeichnete selbst. — Als ich ihm erzählte, daß ich Humboldt besuchen wolle, sagte er mir, daß er bereits dort gewesen, aber nicht angenommen worden sei. Ich wollte wieder umkehren; aber Raczynski sagte: „Nein, gehen Sie nur! Sie werden schon vorgelassen“! Er meinte wohl, daß, obgleich der Minister nicht für den Minister zu Hause sein wollte, um sich nicht mit Staatsangelegenheiten beschäftigen zu müssen, er doch gerade dadurch als Gelehrter[92] und Kunstfreund eine Musezeit gewonnen hätte, die er dem Dichter schenken könne. Und das war auch der Fall. Humboldt kam mir wie ein alter Freund entgegen, ergriff meine beiden Hände, sah mich lange und freundlich mit seinen großen geistvollen Augen an, indem er ausrief: „Oehlenschläger“!
Wir hatten nun ein langes Gespräch, und ich mußte mit ihm durch den Wald zum prächtigen Grabmal seiner Frau gehen. Auf dem Wege stand Raczynski noch immer und zeichnete. Humboldt grüßte ihn freundlich, ohne das Gespräch zu unterbrechen, und ging weiter. Dies war das erste und letzte Mal, daß ich diesen ausgezeichneten Mann sah.
Mit Raczynski war ich im Theater und sah Devrient den Shylok und Madame Stich die Portia in Shakespeare's Kaufmann von Venedig spielen. Ich bewunderte hier die letzten Strahlen des großen Künstlergenies, das sich seinem Ende näherte. Madame Stich war anmuthig und herrlich als Portia. —
Einen angenehmen Abend brachte ich bei einer Familie zu, die später durch ihr unglückliches Geschick berühmt geworden. Es war dies beim Doctor Stieglitz und seiner jungen reizenden Frau. Hier traf ich auch Theodor Mundt als ganz jungen Mann. Er hat später in einer Schrift das unglückliche Ereigniß erzählt. Die junge Charlotte Stieglitz liebte ihren Mann sehr, und er sie; aber doch glaubte sie, von einer stillen, sonderbaren Schwärmerei ergriffen, daß sie ihn nicht glücklich mache. Sie sprach nicht darüber, und er hatte keine Ahnung von Dem, was in ihrem Innern vorging. Einmal, als er in Gesellschaft gehen wollte, hatte sie sich zu entschuldigen gewußt. Als er nach Hause kam, fand er das Haus in der gewöhnlichen Ordnung, aber seine Frau hatte sich zu Bett gelegt. Er näherte sich dem Bette, das auch sehr reinlich mit feinen, weißen Laken bedeckt war. Sie lag lächelnd in graciösem Negligée da. Aber einige Blutflecken erschreckten ihn, und als er die Decke zurückschlug,[93] sah er die schöne Charlotte Stieglitz mit einem Dolche in der Brust in ihrem Blute schwimmen.
Bei meiner Rückkehr in die Heimath wurde ich Rector, und war in den Jahren 1831, 32 und 33 sehr fleißig. Ich schrieb und hielt zwei lateinische Reden, gab die Monatsschrift Prometheus heraus, wobei ich nur wenig Hülfe hatte, und in der Vieles Original war; außerdem schrieb ich die Tragödien Tordenskjold und Königin Margareta.
Prometheus enthält unter Anderm Novellen vom Herausgeber, Urtheile über Heiberg's, Overskou's und Hertz's dramatische Arbeiten, die Vertheidigung Thomas Thaarup's gegen Molbech's Herabsetzung, eine Widerlegung der Beurtheilung desselben über Balder's Tod von Ewald u. a. m. Aber hiervon will ich keine Auszüge geben, da ich, wenn diese ausführlichere Lebensbeschreibung erschienen ist, gedenke, meine ästethischen Abhandlungen in einem besondern Bande herauszugeben.
Fräulein Ottilie Wagner, welche mit von Leipzig gekommen war, blieb ein Jahr bei uns und war Charlotte's vertraute Freundin. — Ich muß nun Etwas von diesem lieben Kinde, das mich so früh verließ, sprechen. Alle, die sie kannten, waren von ihrem Wesen und ihren Fähigkeiten eingenommen. Auf der Reise hatte sie auf Jeden, dem sie begegnete, einen angenehmen Eindruck gemacht, unter Anderen auf Tieck, was man aus dem Gedichte sieht, das er mir schrieb. Sie hatte viele Fertigkeiten, tanzte hübsch, spielte gut das Piano, sang mit Leichtigkeit und Grazie alle Mozart'schen und Rossini'schen Arien. Sie sprach Deutsch so gut wie Dänisch, konnte Französisch und Englisch, wie auch etwas Italienisch; alle weiblichen Arbeiten gingen ihr leicht von Händen. Sie war witzig, begeistert und oft beredt; aber eigentlich munter war sie nicht, und es fehlte ihr die[94] im Leben nöthige Besonnenheit und Ruhe; sie nahm auch keine Rücksicht auf Verhältnisse; was sie wollte, das wollte sie. Wenn Alles nach ihrem Wunsche ging, war sie kindlich und sanft; aber Widerstand konnte sie zu einer Leidenschaftlichkeit bringen, die keine Vernunftgründe mehr annahm.
Liebe zur Poesie und Schauspielkunst hatte sie von mir geerbt; sie sah den jungen Ludwig Phister, der gerade damals anfing sich auszuzeichnen; er besuchte uns zuweilen, hörte sie singen und wurde von ihr eingenommen. Sie gewann ihn lieb, wollte ihr Schicksal mit ihm theilen, und betrat als seine Gattin selbst auf kurze Zeit die Bühne. Ich sah ein, daß es damit keinen Bestand haben würde. Obgleich sie das Hegersche Talent geerbt hatte, Leuten ihre Stimme nachzumachen, sodaß ihre Freunde und Freundinnen sich gruppenweise um sie versammelten, wenn sie ihnen dies Vergnügen bereitete, so besaß sie doch wohl kaum ein eigentliches Talent für die Bühne. Hatte sie auch viele Jahre hindurch als Dilettantin die größten Arien schön gesungen, so war dies doch für eine Künstlerin nicht genügend; es fehlte ihr die nöthige Schule, und Siboni, der sie sonst sehr lieb hatte, durfte sie doch nur in der kleinen Partie der Fanchon auftreten lassen. Und selbst hier hätte sie beinahe nicht ausgereicht; denn als sie eine kleine Arie singen sollte, vergaß sie gleich einzufallen und verneigte sich bittend gegen den Concertmeister Schall, welcher dirigirte. Aber er konnte nicht noch einmal anfangen, und schüttelte mit dem Kopfe. Nun faßte sie sich, fiel rasch im nächsten Tacte ein, und sang ihre Arie so gut, daß sie einen stürmischen Beifall erhielt, der kaum enden wollte. Aber sowohl sie als auch wir Anderen fühlten wohl, daß dieser Ausbruch des Publikums nicht als Beifall für die Sängerin, sondern als Theilnahme für die Tochter des Dichters betrachtet werden mußte. Sie wurde selbst bald dieser Versuche müde und trat zurück.
Ich hatte einen so freundlichen Empfang in Schweden gefunden, daß die Lust, Norwegen einmal zu sehen, natürlich in mir erwachen mußte. Ich zweifelte nicht daran, daß ich auch dort Freunde finden würde. Freilich war eine Zeitlang nach Norwegens Vereinigung mit Schweden eine eigenthümliche Stimmung gegen Dänemark und Alles was Dänisch war, eingetreten, sodaß dies fast von einem solchen Versuche hätte abschrecken können. Aber diese Verachtung, die fast in Haß überging, fand sich nur bei einigen exaltirten jungen Leuten, die freilich in den ersten Jahren den Ton angaben. Nun hatte der Sturm sich gelegt, Billigkeit war an seine Stelle getreten, die Stimme der Aelteren wurde wieder gehört. Von der Zeit an, wo ich denken konnte, bis zum Jahre 1814, d. h. von meinen frühsten Kinderjahren an bis in mein reifes Mannesalter, war ich gewohnt gewesen, die Norweger als meine Landsleute und Norwegen halb als mein Vaterland zu betrachten. Deshalb entstand auch, wenn ich dichtete, niemals in meinem Herzen die Frage, ob die Scene in Dänemark oder in Norwegen, ob der Held ein Norweger oder ein Däne sein solle. Und trotz der politischen Trennung ist dieses Gefühl bei mir nie erstorben, weil die Sprache und Literatur und viele Familienverhältnisse uns stets geistig verbinden.
Bei Rahbeks war ich als Jüngling gewöhnt begabte junge Norweger zu sehen. Das rasche, stolze Wesen der Bergbewohner sagte uns zu, weil es mit inniger Gutmüthigkeit verbunden war. Wenn sie uns recht kennen gelernt hatten, liebten sie uns. Ueber ihr zuweilen zu weit getriebenes Selbstgefühl scherzten wir. Eines Abends sagte Camma in dem muntern Tone, der ihr so gut stand, zu einem jungen norwegischen Maler Kalmeier: „Ich mag die Norweger sehr gern, wenn sie nur nicht so großmäulig wären; doch Kalmeier macht eine Ausnahme“. — „„Ich wär nicht großmäulig““? fragte Kalmeier in demselben lustigen Tone: „„ich bin es gerade erst recht““!
Meine Freundschaft zu den vielen Norwegern, mit denen[96] ich in verschiedenen Zeiten verkehrt hatte, machte, daß ich Norwegen stets liebte. Baldur der Gute und die Götter des Nordens gehören ja ebenso sehr Norwegen, wie Dänemark; Hakon Jarl, Axel, Hagbarth, Stärkodder, Tordenskjold sind norwegische Helden. Ich meinte es sei unvernünftig und herzlos, wenn man diese Gedichte, als etwas der norwegischen Literatur Fremdes, von ihr trennen wollte. Aber es gab auch Niemanden, der das that, und als ich in das liebe Felsenland kam, fand ich die freundlichste Aufnahme.
In einem Gedichte, die Reise nach Norwegen, habe ich poetisch beschrieben, was mir dort begegnet; in meinen gesammelten Schriften habe ich diese Gedichte getrennt; einige stehen unter den lyrischen Gedichten, andere unter den Romanzen.
In Christiania traf ich einige alte Bekannte wieder, die hier meine Freunde wurden, unter Anderen den Staatsrath Treschow, die Professoren Sverdrup und Schjelderup. Wir waren Alle vor etwa zwanzig Jahren Collegen an der Kopenhagener Universität gewesen. Treschow war mir früh dadurch merkwürdig, daß er bereits Rosing's Rector gewesen war, als dieser in Drontheim die Schule besuchte. Ich machte dem Prinzen Oskar meine Aufwartung, um ihm für die Gnade zu danken, die er mir erwiesen hatte. Der schöne junge Fürst kam mir freundlich entgegen, und ich lernte in ihm bald den vertrauten Freund der Musen kennen. Ich war zweimal bei ihm zur Tafel. Ryge war nach Christiania gekommen und Hakon Jarl sollte aufgeführt werden. Prinz Oskar lud mich ein, ihm in seine Loge zu folgen; aber ich verstand ihn nicht recht und glaubte, ich sollte mich beim Theater einfinden. Ich stand und wartete, aber der Wagen des Prinzen kam noch immer nicht. Endlich spazierten seine Cavaliere nach dem Theater und wunderten sich, mich an der Thür stehen zu sehen; sie erzählten mir, daß der Prinz mich im Hôtel mit seinem Wagen[97] erwarte. Nun wurde ich sehr verlegen und bat einen der Cavaliere, der ohnehin zurückkehren wollte, mich zu entschuldigen und dem Prinzen zu sagen, daß ich seine Einladung mißverstanden hätte, mich aber jetzt schäme wieder durch die Stadt zurückzugehen. Der Prinz lachte und nahm meine Entschuldigung freundlich auf; ich war bei ihm in der Loge und Ryge spielte seinen Hakon, aber nicht ganz mit dem Leben, wie gewöhnlich, da es ihm an Unterstützung bei seinen Mitspielern fehlte. Bei dieser Gelegenheit merkte ich im Laufe des Gesprächs während des Schauspiels, daß der Prinz Oskar seinen Suorro Sturleson und seine isländischen Sagen trotz Einem kannte.
Ein paar Tage darauf kamen die Professoren Sverdrup, Hersleb und Hansteen zu mir ins Hôtel du Nord, um als Deputation der Universität, der Männer des Storthings und der Stadt mich zu einem Festmahle einzuladen. Ich habe beschlossen, im Verlauf dieser Biographie, mit Ausnahme der historisch merkwürdigen Gedichte, alle diejenigen zu überspringen, welche mich bei dieser und ähnlichen Gelegenheiten ehrten; deshalb lasse ich hier auch Welhaven's schönes Lied aus. Was ich aber nicht über mich gewinnen kann auszulassen, ist Sverdrup's Rede. Dieser seltene, schöne, kräftige Norweger, von griechischem Geiste gebildet, einer der ersten Staatsbürger des Landes, der in der Katastrophe von 1814 großen Einfluß auf König Christian gehabt, und ihn unter Anderm dazu vermocht hatte, als er nach Drontheim zur Krönung reiste, keinen Anspruch auf die Souverainetät zu machen; — dieser Mann ehrte mich bei dem Feste durch eine Rede, welche ich ebenso hoch stelle, wie die Ordensdecoration eines Fürsten, und sie deshalb nicht entbehren möchte. Ich besitze sie von seiner eigener Hand; meine Leser sollen sie kennen lernen, und ich drucke sie deshalb hier ab.
„In seinem Zeitalter ausgezeichnet durch große und seltene Dichtergaben, und als Lehrer und Meister seiner und aller künftigen Zeiten dazustehen, ist groß und herrlich, und weckt Aller Bewunderung. Wenn diese herrlichsten Gaben des menschlichen Geistes sich aus einem frommen und tiefen Gemüthe entwickelt haben, so strahlen sie in mildem Glanze der Liebe und gewinnen alle Herzen. Lebhafte Anerkennung von dem hohen Werthe des großen Dichters unsers Nordens, Dankbarkeit und Liebe, haben heute diese Gesellschaft norwegischer Männer und Jünglinge versammelt, welche ihre Dankbarkeit und ihre hohe Achtung vor dem Dichter Adam Oehlenschläger an den Tag legen möchten, der uns zuerst die großen, geistigen Schätze kennen lehrte, welche unsere Vorfahren uns hinterlassen haben, und in unserer eigenen Heimath unserm Blicke eine neue und große Welt der Poesie, der Wissenschaft und Kunst öffnete; der mit dem Falkenblicke des Genie's durchschaute, mit der lebhaftesten Phantasie vereinigte und in den kräftigsten, anmuthigsten und schmelzendsten Tönen sang, was unsere Vorfahren geahnt, gedacht, gehandelt und gelitten haben. Empfange, edler Dichter, den ungeheucheltsten Beweis unserer Hochachtung und Liebe, und sei willkommen, herzlich willkommen in dem alten Felsenlande unserer Väter“!
Es war mir bei diesem Mahle lieb, als ich dankbar einen Toast auf Norwegens Wohl ausbringen wollte, denselben mit einem herrlichen, norwegischen Liede aus älterer Zeit begleiten zu können, das Keiner der Anwesenden, außer mir, auswendig wußte, weshalb ich es auch vor der ganzen Gesellschaft allein sang; es war das herrliche Volkslied Nordahl Bruun's: „Wohn' ich auf dem hohen Fels u. s. w.“. Ein schöneres giebt es nicht, und schon durch dieses allein hat sich der Verfasser einen verdienten Namen unter den norwegischen Dichtern erworben. Zarine und Einar Tambeskjälver konnten ihn ihm nicht verschaffen; und seine andern Gesänge stehen weit unter jenem.
In Opslo besuchte ich den ehrwürdigen Bischof Sörensen. Seinen Fenstern gerade gegenüber hatte die Kirche gestanden, wo Sigurd, der Jerusalemsfahrer, begraben war. Wir spielten l'Hombre zusammen; ich war unglücklich gewesen und hatte verloren; es war unbedeutend, denn ich spiele nie hoch; aber der gute alte Bischof wollte wahrscheinlich, daß ich auch nicht das Geringste in seinem Hause verlieren sollte, weshalb er, als das Spiel zu Ende war, alle Marken untereinander warf.
In Opslo begegnete ich einigen so zerlumpten Armen, wie ich sie nie früher gesehen hatte. Einige taumelten umher und konnten kaum stehen. Ich glaubte sie wären krank, hörte aber zu meiner Beruhigung, daß sie nur betrunken seien.
Ich beschloß eine Reise ins Land, wenn gleich diesmal nur ins Christianiastift zu machen. Mein Freund, der Buchhändler Dahl, der mir stets die größte Zuneigung gezeigt hatte (ich kannte ihn von Kindheit an), übernahm, als Reisegefährte, die nothwendigen Geschäfte.
Ich sah zuerst den herrlichen Krogklev, der zwar nicht zu den wilden, großen Gebirgsgegenden gehört, welche sich im Stift Bergen, besonders in Telemarken finden; aber er ist schön und malerisch, man kann leicht von der Hauptstadt dahin gelangen, und er wird in Norwegen, sowie der Rigi in der Schweiz, von allen Reisenden besucht. Der Krogklev hat vor den wilden Berggegenden das voraus, daß er eine hohe, kühne Natur mit ruhiger Thalschönheit vereinigt, denn durch seine Riesenspalten sieht man (bei Sonnenschein) das ganze, lachende, fruchtbare Ringerike, wo Halfdan Svarte's Haupt mitten auf dem Felde begraben liegt, und von dort kamen wir nach dem Predigerhause in Norderhoug, das durch die Sage von der tapfern Anna Kolbjörnsen verherrlicht ist.
Die Ströme und Wasserfälle, Ringerike und Modun, die zwei Skjutszwillinge, die mich fuhren, das schöne norwegische[100] Bauermädchen in der Hütte, Sct. Olaf's alte Sage, die man überall hört, wo ein Felsstück seltsam hervorspringt, meine Fahrt in die Kongsberger Grube hinab, wo ich vor Müdigkeit fast nicht wieder hinaufgekommen wäre, mein Besuch in Drammen bei dem gastfreien Amtmann Blom, wo ich mein Bild an der Wand, einen alten Jugendfreund Wulfsberg bei Tisch, und in der Kirche Erinnerungen der Kindheit fand; — das Alles findet sich zugleich mit meinem dankbaren Lebewohl in dem Gedichte: „Die Reise nach Norwegen“ besungen.
Sobald das oben genannte Werk gedruckt war, sandte ich meinem königlichen Gönner, dem Kronprinzen Oskar, ein Exemplar desselben. Sr. Majestät wird gewiß nicht zürnen oder es ungnädig aufnehmen, daß ich den Brief, mit dem er mich beehrte, hier abdrucke; ich kann mir die Freude nicht versagen, die mir erwiesene Ehre zu veröffentlichen, und die Nachwelt soll den Ton kennen lernen, in dem ein erhabener Fürst zu einem Künstler sprach.
Stockholm, den 28. Februar 1830.
„Herr Professor Oehlenschläger! Mit wahrhafter Freude habe ich die mir übersandte Reise in Norwegen gelesen, welche nicht allein so schöne Bilder von der Natur und dem Volke des Nordens bringt, wie man sie vom Verfasser des Hakon Jarl erwarten konnte, sondern welche auch in mir die Erinnerung an die angenehmen Stunden wiedererweckt hat, welche ich im vergangenen Sommer in Norwegen zubrachte. Unter die vielen Veranlassungen zur Freude, welche ich daselbst gefunden, zähle ich auch die Befriedigung, einen Mann persönlich kennen gelernt zu haben, dessen allgemein geachtete Schriften mir so lange bekannt waren, und mir so viele Genüsse bereiteten. Der ungetheilte Beifall, den Ihre Arbeiten, Herr Professor, hier in Schweden gefunden haben, muß Sie überzeugen, daß wir mit Freuden den Sänger Helge's und der Götter des Nordens[101] bei uns sehen würden; und indem ich Sie an Ihr Versprechen erinnere, uns einmal zu besuchen, wiederhole ich, was ich mündlich in Norwegen äußerte, daß Sie uns herzlich willkommen sein werden, wenn die Umstände es Ihnen gestatten, diese Reise zu unternehmen.
Ich benutze mit Freuden diese Gelegenheit, Sie, Herr Professor, meiner besondern Hochachtung und aufrichtigen Freundschaft zu versichern.
Oskar“.
In diesem Jahre starb mein Freund, der Bischof Peter Erasmus Müller, der sich durch seine vortreffliche Sagenbibliothek und andere Schriften so verdient um die nordische Literatur gemacht hat. Nun wurde der Confessionarius Dr. Jakob Peter Mynster Bischof und mußte seinen Amtsantritt mit dem traurigen Geschäfte beginnen, einen seiner ältesten Freunde aus seinem Paradiese oder dem Bischofshause zu jagen. Es war nicht anders möglich, da die Wittwe des Bischofs in den Zimmern wohnen sollte, die ich früher inne hatte. Ich zog also nach der Weststraße, wo es lange nicht so schön war. Aber ich wollte gern in der Nähe des Westthores wohnen, um leicht nach Friedrichsberg hinauskommen zu können, wo ich jeden Nachmittag meinen Thee trank. Die Weststraße bot mir überhaupt liebe Erinnerungen dar; dort hatte ich in meiner Jugend fünf Jahre gelebt, den Aladdin und mehrere andere Dichtungen geschrieben; dort hatten Oersteds gewohnt, und mir war im Kreise meiner lieben Schwester manche frohe Stunde daselbst verstrichen.
Aber es hatte bei dieser Ortsveränderung nicht sein Bewenden, eine andere viel größere, geistige Veränderung sollte in mein Leben eingreifen; ich sollte wieder einen Schmerz und eine Wehmuth gleich denen bei Sophia's und Camma's Tod empfinden; meine Charlotte folgte ihnen.
Das Jahr vorher hatte sie eine Tochter geboren, die nach ihrer seligen Tante genannt wurde; nun war sie wieder guter Hoffnung und sehr schwächlich. Ihre frühere, blühende Gesundheit war dahin. Ich besuchte sie täglich nach der Entbindung, und hatte doch noch Hoffnung. Ich hatte gerade kurz vorher meinen Sokrates geschrieben, mußte ihr Viel davon erzählen, und besonders Daphne beschäftigte ihre Phantasie. Das letzte Mal, als ich sie besuchte, war sie dem Tode nahe. Ich hatte ihr einmal von Herder erzählt, der, als er seinem Ende nahe war, einen Freund gebeten hatte: „Sage mir einen großen Gedanken“! Nun flüsterte sie mir freundlich zu: „Sage mir einen Trost“! Ach, ich konnte in diesem Augenblicke Nichts sagen. Ich drückte ihre Hand mit einem liebevollen Vaterblick und ging. Als ich das nächste Mal wieder kam, bedurfte sie keines Trostes mehr. Das bleiche Antlitz zeigte keinen Zug von Schmerz oder Kummer. Die hohe, schöne Ruhe lag darauf, die man in den griechischen Marmorköpfen bewundert, aber es lag noch mehr, es lag etwas Himmlisches darin.
Am Beerdigungstage, als ihre Leiche fast bedeckt von Hyacinthen war, welche die Freundinnen reichlich in dem frühen kurzen Lenze gesandt hatten, beschien die Sonne noch einmal ihre herrliche Stirn, die ich küßte, ehe der Schreiner den Deckel des Sarges aufnagelte. Der gute Mynster hielt eine schöne Gedächtnißrede über sie in der Friedrichsberger Kirche, wobei er auf den Vers von Salis hindeutete:
Charlotte's Tod versetzte meine Seele eine Zeitlang wieder in den wehmüthigen Zustand, der ein starker Zug meines Charakters ist und der in unglücklichen Augenblicken oft die Ueberhand nahm, mich aber nie so beherrschte, daß er mir meine Kraft geraubt und meinem Geiste eine Einseitigkeit gegeben hätte, die[103] ihn unfähig gemacht haben würde, als echter Dichter das Menschenleben zu fühlen, zu schauen und darzustellen. Hierdurch unterscheidet das gesunde Gefühl sich von der schwachen, krankhaften Gerührtheit, die man später, sehr unphilosophisch, mit jenem vermischt und mit Verachtung Sentimentalität genannt hat; aber nur die krankhafte Sentimentalität muß verworfen und verachtet werden; die gesunde ist die Wirkung vom gemüthlichen Theile des Menschenwesens, sie ist der negative, empfängliche, leidende Theil, dessen Organ wir Seele nennen, sowie der Geist das Organ für den positiven, handelnden ist. Es muß in unserm Ich sowohl ein Activum, wie ein Passivum existiren. Dieses Letztere spricht seine höchste Idealität im Christenthum aus; ohne das würden wir bei aller Kraft Heiden bleiben, und wenn diese Kraft nicht durch Liebe, Selbstverleugnung, Hoffnung und Trost geleitet wird, so werden wir wieder zu wilden Barbaren. Diese Gedanken sollten einleuchtend scheinen. Christus lehrte sie uns mit himmlischer Begeisterung. Aber die Menschen haben stets einen dämonischen Hang, das milde Gefühl zu verachten, und selbst viele Begabte suchen sie aus der Philosophie, der Religion, der Poesie und also — wenn es ihnen glückte — aus dem Leben selbst zu verdrängen. Aber es glückt ihnen nicht! Die Vernunft wird doch die Oberhand behalten; und die Vernunft ist die harmonische Verbindung von Verstand und Herz, von Geist und Seele.
Ich besuchte also nach dem Tode der lieben Dahingeschiedenen den Kirchhof recht oft, und setzte auf ihren Leichenstein (ohne zu wissen, oder mich zu erinnern, daß David Dasselbe von seinem Sohne gesagt hatte): „Sie kommt nicht mehr zu uns, aber wir kommen zu ihr“!
Von diesen allzuhäufigen Kirchhofbesuchen brachte mich nun eine sehr herzliche und ehrende Einladung des Prinzen Christian ab: ihn in Odensee auf Fühnen, wo er Gouverneur war, zu besuchen.
Mein Aufenthalt daselbst war sehr angenehm; und ich hatte, indem ich einen Monat lang vom Morgen bis zum Abend mit ihm umging, recht Gelegenheit, seinen milden, freundlichen Charakter kennen zu lernen, der mit Kenntnissen nach allen Richtungen und einer Intelligenz verbunden war, die unter Fürsten ihres Gleichen sucht.
Eines Morgens — ich bin nie eigentlich ein Freund der frühen Morgenstunden gewesen — erschreckte mich der Lakai, als ich noch in Morpheus' Arme lag, indem er mich mit den Worten weckte: „Se. königl. Hoheit, die im Garten spazieren geht, wünscht, daß Sie ein Wenig zu ihm herunterkommen mögen“. Ich warf mich eilig in die Kleider und kam, sobald ich konnte, d. h. nach einer Viertelstunde. Der Prinz, der wohl von meiner Langschläferei gehört haben mochte, kam mir lächelnd in einer herrlichen Allee entgegen, in der er mit einem Buche auf- und abging, und mit seinem Stock auf eine Schnecke zeigte, die ich beinahe zertreten hätte, als ich mich ihm näherte. Ich ging oft mit ihm in diesen kühlen Alleen im heißen Sommer; aber eines Tages, als es unerträglich heiß war, sagte er: „Nun wollen wir einmal hinausgehen, und die Wegearbeit besehen“. Und nun mußte ich ihm in der brennenden Mittagshitze auf die Landstraße folgen, wo wir vor los umherliegenden Steinen kaum vorwärts kommen konnten. Als er die Arbeit angesehen, und mit den Steinsetzern gesprochen hatte, gingen wir wieder in den schattigen Garten zurück. „Es war draußen heiß“, sagte er lächelnd. — „„Hier ists freilich besser, Ew. königliche Hoheit““! antwortete ich.
Er vereinigte in Odensee das Wesen des Fürsten mit der bequemen Freiheit des Privatmannes. Mittags war er in Uniform; dann wurden die Gäste zur Tafel gezogen, und Alles war königlich. Aber am Abend hatte er es so eingerichtet, daß bei seinem Gouvernementssecretair, Herrn Etatsrath Holten, Soirée war. Hierher kam er dann selbst als Gast im schwarzen Frack. Zur Abendgesellschaft waren alle Stände eingeladen:[105] Gutsbesitzer, Officiere, Beamte und Bürger aus der Stadt. Wenn ich das Tabackrauchen ausnehme, so ging es hier zu, wie in jeder andern bürgerlichen Gesellschaft auf dem Lande.
Der Prinz nahm an dem Kartenspiel Theil. Am ersten Abend, wo ich da war, und er mich nicht sah, fragte er Holten: „Wo ist Oehlenschläger“? — „„Er sitzt im andern Zimmer und spielt l'Hombre““! — „Spielen Sie l'Hombre“, sagte der Prinz, als ich zu ihm hineinkam, „dann sollten Sie doch eigentlich mit uns spielen“. — „„Nein““, antwortete ich, „„Ew. königl. Hoheit spielen nicht mein Spiel; ich spiele nie höher, als vier Points zu einem Schilling““.
Der Herzog von Augustenburg besuchte den Prinz Christian in Odensee. Hier sah er mich. Sein Vater hatte mein Glück gemacht, indem er den König auf Schimmelmann's Empfehlung vermochte, mich als Professor an der Kopenhagener Universität anzustellen. Kein Wunder, daß ich dem Sohne dankbar entgegen kam. — Er bat mich, ihn einmal zu besuchen, und hiervon nahm Prinz Christian Veranlassung, mich mitzunehmen, als er nach Alsen fuhr. Wer ahnte damals, was leider später geschehen ist? Ich war der Gast des Herzogs von Augustenburg; obgleich er etwas Kaltes und Stolzes hatte, das die Herzen nicht gewann, so war er doch sehr artig und zuvorkommend. Schön war er auch und von der Natur reich begabt. Obgleich man stets merkte, daß er sich als eine fürstliche Person fühle, war doch etwas Burschikoses in seinem Wesen. Er war durchaus der Gegensatz des Prinzen Christian. Dieser hatte, ohne Stolz zu zeigen, einen Tact, durch den der richtige Ton zwischen ihm und seiner Umgebung stets auf eine natürliche Weise aufrechterhalten wurde. Prinz Christian war ein fleißiger Beobachter alles Dessen, was geschah; er hörte gern Andere sprechen; das Geistreiche interessirte, das Schöne rührte ihn; heiterer Humor konnte ihn herzlich lachen machen. Der Herzog[106] hatte diese Aufmerksamkeit für Andere nicht; er war stets eifrig mit seinen eigenen Ideen beschäftigt, und seine Conversation bestand eigentlich darin, daß er diese mit einem festen Glauben an ihre Richtigkeit mittheilte. Prinz Christian konnte den Taback nicht ausstehen; der Herzog hatte eine Tabagie à la Friedrich Wilhelm I., wo er seine Vorlesungen hielt. Ob diese damals bereits politischer Natur waren, will ich ungesagt sein lassen, denn ich rauche auch nicht Taback und war nur einmal in der Tabagie, als der Herzog selbst mir auf dem Vorsaale nachkam und mich hineinholte. Von Poesie und Kunst war nicht die Rede. Als ich sagte, daß ich zum Prinzen und der Prinzessin heruntergehen müsse, um Helge vorzulesen, antwortete er: „O das eilt nicht; Sie können noch ein Bischen warten, bis der Prinz zum Thee alle seine zwölf Zwiebacke verzehrt haben wird“. Ich dachte: Zwölf kleine Zwiebacke sind kein großes Abendbrod. Auch anderer Spott blieb nicht aus. Mittags bei Tische, gewöhnlich, wenn der Herzog nach Art der englischen Lords selbst den Braten vorschnitt, begannen die Sticheleien gegen den Prinzen Christian (auch zuweilen gegen die Prinzessin), und es ging oft so weit, daß ich dachte: wird der Prinz nun nicht aufstehen und fortgehen? Aber er fand sich sehr geduldig darein. Nur einmal, als wir uns eines Morgens, wie gewöhnlich, die Vollblutpferde des Herzogs in ihren hübschen Ständen besahen, legte Prinz Christian seine Hand auf meine Schulter und sagte: „Nun sind wir in unserm Elemente“!
Zu Caroline Amaliens Geburtstag brachte der Herzog meine Gesundheit aus und forderte die andern Herrschaften auf, ein Gleiches zu thun. Ich habe später oft hieran gedacht, und mich darüber gewundert. Ich wußte, daß der Herzog sich nicht viel um Poesie kümmere; ich glaube er hat nur wenig von meinen Schriften gelesen, und doch bekam er diesen Einfall! — Aber ich fühlte mich nicht recht heimisch auf Augustenburg, obgleich der Herzog in gutem Vernehmen mit der Herzogin lebte, die sehr liebenswürdig war und reizende Kinder hatte. Das gespannte[107] Verhältniß zwischen Prinz Christian und ihm peinigte mich. Ich war froh, als ich fort war, zählte die Tage bis zu meiner Abreise, und athmete erst wieder leicht, als ich Abschied genommen hatte und von dannen fuhr.
Als Prinz Christian und die Prinzessin auch nach Seeland zurückkamen, war ich eines Tages bei ihnen auf Sorgenfrei zu Tafel. Nach der Mahlzeit sagte mir der Marschall, daß Ihre königlichen Hoheiten mit mir im Gemache der Prinzessin sprechen wollten. Auf dem Wege dorthin begegnete ich dem Prinzen, der ein großes Gemälde trug. Es war ein Bild von Södring, Axel und Valborg's Grab, das ein junges Bauernpaar mit Rosen bekränzt. Der Prinz stellte es vor mir auf, zog ein Blatt Papier hervor und las, augenscheinlich bewegt, ein von ihm selbst verfaßtes Gedicht vor, welches in Uebersetzung lautet:
Dem Dichter Adam Oehlenschläger gewidmet von
Christian Frederik.
Dieses Gedicht überreichte mir der gute Fürst, nachdem er es mir vorgelesen hatte, umarmte und küßte mich, und die Prinzessin reichte mir freundlich die Hand.
Kaum saß ich zu Hause in Ruhe, so wurde der Himmel meines Glücks wieder durch Wolken verdunkelt. Eines Abends, als beide Oersteds mich besuchten, kam eine Ordonnanz vom Prinzen Christian, um zu melden, daß mein lieber Schwager und treuer Freund, Karl Heger, plötzlich gestorben sei. Ich habe in einem Gedichte über ihn Alles gesagt, was ich von diesem edlen, seltenen Menschen sagen konnte. Er war Bibliothekar des Prinzen und sehr bei ihm beliebt. Eine Stunde vorher war er noch bei dem Prinzen gewesen, als Jemand zu ihm kam. Dieser sah ihn in seinem Lehnstuhle, mit dem neuen Testamente auf dem Schooße dasitzen. So war er sanft hinübergeschlummert. Er wurde auf dem Friedrichsberger Kirchhofe neben Camma und Rahbek beerdigt.
Mein Sokrates sollte nun aufgeführt werden. Ich war überzeugt, daß Ryge diese Rolle vortrefflich spielen würde, und er soll es auch gethan haben; ich sah die ersten Vorstellungen nicht, und das Stück wurde nur zweimal aufgeführt, es machte kein Glück. Der ganze damals herrschende Ton verwarf es, und kein einziger Aesthetiker stand öffentlich mir zur Seite, außer Wilster in Soröe. In der Monatsschrift für Literatur erschien eine Recension, die mit Verstand, Sachkenntniß, Achtung und Wohlwollen, aber kalt und tadelnd geschrieben war, trotz der Zugeständnisse des Guten, die mir der Verfasser weder vorenthalten konnte noch wollte. Diese Kritik trug mehr das Gepräge des Philologen und Antiquars, als eines reifen Geschmackrichters. Obwohl zugestanden wurde, daß das Stück seine Entstehung dem Dichtergeiste und einem sorgfältigen Studium verdanke,[109] so genügte es doch nicht, weil es nicht das Product vieljähriger gründlicher Gelehrsamkeit war, und weil sich Dies und Jenes den Ideen und Gefühlen der Gegenwart fügte. Danach durfte ein Dichter niemals eine Sage des Alterthums behandeln, und von diesem Standpunkte aus betrachtet, müßten all' meine nordischen Heldendramen verworfen werden. Meine Fähigkeiten wurden auch darin besprochen, und — nach der damals gebräuchlichen Weise — nannte man mein allzusehr überwiegendes Gefühl für das Gute „die Wollust des Guten“, und tadelte es als zu einseitig für echt dichterische Compositionen, wenngleich es persönlich zu achten sei. Ich hatte Aristophanes Unrecht gethan, indem ich ihn selbst die Anwendung des Namens Sokrates' zu seinem Lustspiele „die Wolken“ eine jugendliche Unbesonnenheit nennen ließ. Was noch mehr dazu beitrug, die Leser gegen mein Stück zu stimmen, war eine deutsche Abhandlung des Professor Forchhammer in Kiel, welche damals erschien, und in der er bewies, daß Sokrates wirklich ein Empörer gewesen, und ihm also kein Unrecht geschehen sei.
Da ich hier nun wieder zu einem Ruhepunkte in meiner Dichterbahn gelange, so will ich hieran einen Ueberblick über den Geschmack knüpfen, der damals herrschte und den ich eine Zeitlang vergebens bekämpfte. Wir haben in dem Vorigen gesehen, wie Göthe, Tieck — die romantische Schule — gegen das Rührende in der Poesie als gegen etwas Schwaches und Weichliches polemisirten. Eine Zeitlang später hatten sich phantastische Convulsionen in Werner's, Müllner's, Grillparzer's und den französischen Stücken Victor Hugo's bewegt: hier galt es nicht, wie Aristoteles es nennt, die Leidenschaften durch Schreck und Mitleid zu läutern, sondern vorzüglich durch brillante Schilderungen bewunderter Laster gespannt und nervenerschüttert zu werden. Von der andern Seite schwebte die unschuldige, naive Dichtkunst in Gefahr, durch glänzende Talente mit außerordentlicher[110] Sprachfertigkeit verdrängt zu werden. An der Spitze dieser steht Lord Byron als ein wirklicher Dichter. Aber drücken sich nicht Egoismus, Sinnlichkeit, Stolz und Verachtung in allen Werken seiner hinreißenden Beredtsamkeit aus? Schöne, tiefe Gedanken, eine lebhafte Phantasie, eine starke, wichtige Begeisterung findet sich gewiß darin; aber stets hört man den englischen Lord, der, während er sich selbst der Laster beschuldigt, doch stolz auf alle Andere und alle bürgerlichen Verhältnisse herabblickt. Es ist der blasirte Jüngling, der die Sinnengluth hinreißend, nie aber die wahre Liebe schildert, und schließlich von den Frauen sagt: „Wenn sie einen Spiegel und ein Zuckerplätzchen haben, so sind sie zufrieden“. Byron ist ein vortrefflicher poetischer Landschaftsmaler; aber die poetische Landschaftsmalerei ist ein untergeordnetes Genre. Echt dramatisch konnte er nie werden; denn die einzige Person, die er recht episch und dramatisch schildert, war, wie gesagt, Lord Byron, sei dies nun als Childe Harold, Don Juan, Manfred oder in einer andern Gestalt. Und doch blickt er mit tiefer Verachtung auf seinen Landsmann, den Stolz Englands, den göttlichen Shakespeare herab und spricht von ihm in einem Briefe an die Lady Betterton, als von einem Pöbeldichter. Daß aber Byron bei seiner Jugend und Schönheit (bis auf den Klumpfuß), seinem Genie, seiner englischen Lordschaft, seiner Tapferkeit, seiner persönlichen Entschiedenheit und endlich bei seiner lobenswerthen Begeisterung für die griechische Sache, welche damals Europa's höchstes Interesse weckte, eine glänzende Epoche machen mußte, ist ganz natürlich, und ich mißgönne ihm seinen Lorbeer nicht, den er, wenn auch Alles, was hier gesagt, wahr ist, doch verdient. Der unglückliche Klumpfuß hat gewiß nicht wenig zu dem Stolz und Spleen beigetragen, der ihn unablässig peinigte und sein Leben verkürzte.
In Deutschland spielte Graf Platen eine Art Byron. Sie hatten das gemein, daß der Eine Lord, der Andere Graf und Beide vorzügliche Künstler in der Behandlung der Sprache[111] waren. Platen hat ebenso wie Byron einige schöne Sachen geschrieben; aber sein Stolz war kälter und unangenehmer, und er legte seine Gedanken in elegante, polirte Versformen, wie in Marmorsarkophage.
Noch zwei deutsche Aesthetiker, von denen Einer ein begabter Dichter war, äußerten sich damals mit der ganzen Kraft der Beredtsamkeit, vornehm, polemisch und mit der Verachtung gegen alles Geltende, wie sie damals Mode war. Dies waren Börne und Heine. Ihr Adel war älter, als der Byron's und Platen's, denn sie stammten von David und Salomon ab; da man aber diesen Stammbaum nicht anerkannte, so erweckte das einen Depit in ihrem Wesen und ihrem Styl, der sie oft mehr als billig erbitterte.
Heine hatte alle Ingredienzien zu einem wahren Dichter, mit Ausnahme des treuen Herzens, des männlichen Charakters, des wahren Ernstes und tiefer Ehrfurcht vor dem Heiligen. Was übrigens Phantasie, augenblickliches Gefühl, Verstand und besonders Witz hervorbringen kann, darin excellirte er und riß die Jugend hin. Seine Phantasie und sein Witz erfreuten auch mich. Der Ton in seinen lyrischen Gedichten ist, trotz all' seiner Kühnheit, nicht originell, sondern ahmt unbewußt den Ton von Göthe's jüngern Gedichten nach, in denen sich auch eine gewisse stolze Verachtung gegen die Umgebung, aber gewiß viel mehr Herz zeigt. Rückert florirte damals auch; aber obgleich ich seinen Blumenflor bewunderte, konnte ich mich doch aus Mangel an frischer Luft nicht lange in seinen Treibhäusern aufhalten, in denen mir die Blumen über den Kopf wuchsen.
Bei uns hatten sich mehrere Dichter mit Recht geltend gemacht. Heiberg's Vaudevillen gehörten zur Tagesordnung. Als Professor der dänischen Sprache in Kiel hatte er eine nordische Mythologie herausgegeben, in der er besonders Rücksicht auf meine Götter des Nordens genommen und viele Stellen daraus vortrefflich übersetzt hatte; aber nun gefiel ich ihm nicht mehr; er war ein eifriger Hegelianer geworden, und da meine[112] Werke nicht den Hegel'schen Bedingungen genügten, so schätzte er wohl eins und das andere davon, betrachtete aber alles Andere mit Ausnahme der ältesten Arbeiten als mißglückt. Das thaten Mehrere. Sie trennten das Gute, das ich hervorgebracht hatte, von dem Mißglückten, das allein ich nun schuf; sie theilten mein Leben in zwei Theile; nur in der ersten Periode hatte ich dichterisch gelebt; nun war der Dichter todt; mit seinem Gespenst wollten sie Nichts zu thun haben und verstanden sich, ihrer eigenen Einbildung nach, viel besser auf den wahren Oehlenschläger, als der arme Geist, der nach seinem Tode spukte.
So stand ich also allein da. Hauch, der auch lange leiden mußte, weil er zu meiner Schule gehörte, richtete sich etwas nach der Zeit, und vermied so den Tadel. Einige, die vielleicht an mir sahen, wie wenig ein Dichtername zu bedeuten habe, traten anonym hervor und zogen aus dieser Namenlosigkeit großen Vortheil. So galt Overskou's Comödie „Oststraße und Weststraße“ als ein Meisterstück, dem nichts gleiche, bis man den Verfasser kannte; später hatte das wirklich gute Stück Mühe genug, sich zu halten. Hertz's „Gespensterbriefe“, die auch anonym erschienen, machten Furore. Sie waren in einer witzigen, eleganten Sprache, mit vielen freien und geistreichen Bemerkungen geschrieben; aber der Geschmack, für den sie kämpften, berührte eigentlich nur die Form; und als Form wurde wieder hauptsächlich die schöne Sprachform angesehen. Der Kern eines Gedichtes, die viel wesentlichere Form des Stoffes, kam nicht in Betracht. Das Gespenst, welches hier herauf beschworen und gewissermaßen als Heiliger und Schutzgeist angebetet wurde, um den guten Geschmack wieder herzustellen, war — merkwürdiger Weise — der selige Baggesen! Und was noch merkwürdiger war, viele gebildete und verständige Leser, die wenige Jahre vorher Baggesen getadelt und gemißbilligt hatten, nahmen dies für gute Waare an und schworen wieder zu Baggesen's Fahne.
Der talentvolle Hertz hatte einige Stücke geschrieben und[113] schrieb deren noch mehrere. Mir gefiel er am besten in seinen Lustspielen, besonders in der Sparkasse und in der Debatte im „Polizeifreund“. In Svend Düring's Haus ist viel Schönes, besonders der schwärmerische Charakter der Liebhaberin, der von Frau Heiberg vortrefflich dargestellt wurde. Die Mutterliebe, welche in der alten herrlichen Kämpeweise die Hauptrolle spielt, hat in Hertz's Stück wenig zu bedeuten. Die Kinder leiden nicht Noth und das Gespenst kommt nicht, um sie zu pflegen, sondern um Wehe über ihre Stiefmutter zu rufen. Die Musik von Herrn Rung ist schön und that ihre Wirkung, besonders in den Gespensterscenen. Hertz hatte die Kämpeweisen fleißig studirt und viele Redensarten und Ausdrücke derselben in seiner gereimten Tragödie angebracht. Wilster sagt in seiner Uebersetzung des Euripides: „Neuere Dichter haben zuweilen den Uebergang des Dialogs zu lyrischem Schwunge durch die Anwendung des Reimes ausgedrückt. Am schönsten hat Oehlenschläger diese tragische Lyrik in der Königin Margarete behandelt, wo er die Scenen zwischen Ingeborg und Oluf in dem herrlichen alten Versmaße der Kämpeweisen gedichtet hat. Diese Idee ist, wie bekannt, im Großen in Svend Düring's Haus ausgeführt“.
Aber obgleich nun die Anonymität damals von guter Wirkung gewesen war, so bedienten sich doch nicht Alle derselben; im Gegentheil wirkte einer unserer Dichter, der in gewisser Richtung sich wohlverdienten Ruhm erworben hat, gerade außerordentlich viel durch seine Persönlichkeit. Die subjektiv-originelle Auffassung des Mährchenhaften war so ganz mit Andersen's Wesen verwachsen, daß er selbst richtig fühlte, die persönliche Mitteilung vollende, so zu sagen, seine Dichtung, weshalb er auch auf alle Weise, durch Bekanntschaften, Besuche und häufige Reisen in ein persönliches Verhältniß zu seinen Lesern zu kommen und ihnen mündlich das Werk mitzutheilen suchte. Und es ist nicht zu leugnen, daß es dadurch etwas an Naivetät und Humor gewann, den das gedruckte Wort nicht ganz hervorzurufen vermochte. Freilich könnte man sagen, daß dies ebenso mit jedem[114] Dichterwerke geht, wenn der Dichter die Gabe hat, gut vorzulesen; was aber dabei verloren oder gewonnen wird, entspringt doch mehr oder weniger aus der Natur der Dichtung. Christian Winther und Paludan Müller schrieben auch unter eigenem Namen und machten dem Namen Ehre.
Aber ich kehre wieder zu Sokrates zurück.
Was hatte mich veranlaßt, diesen Stoff zu behandeln? Die Lust, mich durch eigene Productivität originell zu zeigen, konnte es nicht sein; denn das ganze Zeitalter in Griechenland, in dem Sokrates lebte, steht ja in der Geschichte genau ausgemalt da; er selbst tritt bei Plato und Xenophon so bestimmt und charakteristisch hervor, daß etwas Selbstgemachtes hier ganz thöricht und geschmacklos gewesen wäre. Aber der wahre Dichter singt nicht aus Eitelkeit und Egoismus, sondern aus Liebe zum Gegenstande. Ich liebte Sokrates; meine Phantasie, mein Gedanke, mein Gefühl empfanden Lust, sich mit ihm zu beschäftigen. Ich wollte das Zeitalter, den Plato, den Xenophon studiren, und das wurde mir erst recht möglich, als ich dieses Studium in Verbindung mit meiner eigenen Kunst brachte; die Activität, die dabei meinen Geist in Bewegung setzte, verlieh ihm erst die wahre Kraft, den Gegenstand zu erfassen. Außerdem — eine historische Person muß so bestimmt und deutlich hervortreten, als möglich — gehört doch Dichtergeist dazu, ihn auf die Scene zu bringen, ihn sich in selbst erfundener, dramatischer Composition bewegen zu lassen. Es ist so, als ob man ein vortreffliches Gemälde sähe, das ein Zauberer durch seinen Stab aus dem Rahmen heraustreten und sich in verschiedenen Gemüthszuständen bewegen ließe, ohne daß dadurch das Bild die richtige Zeichnung verlöre. Ich wollte Kampf und Versöhnung zwischen dem ethischen und ästhetischen Princip, in Sokrates und Aristophanes darstellen. In Xantippe und Daphne fand ich Gelegenheit, von mir selbst erfundene Charaktere zu zeichnen. Und obgleich mein Stück nicht das Produkt eigentlicher Gelehrsamkeit war (ich habe mich niemals für ein Stockgelehrten ausgegeben), so[115] darf ich doch behaupten, daß hier nicht die Gelehrsamkeit in Betracht kam, sondern das dichterische Talent, verbunden mit den historischen Charakteren und der tragischen Handlung. Wenn diese so wirkte, wie sie wirken sollte, so würde es vielleicht nicht so übel gewesen sein, das große Publikum (hier ist nicht von einzelnen Gelehrten die Rede) über ein Zeitalter zu unterrichten, das so wichtig, so lehrreich war, und so großen Einfluß auf alle folgenden Zeiten gehabt hat.
Ich hatte doch die Genugthuung, daß ein Mann, der sich in dieser Angelegenheit, was Gelehrsamkeit und Kenntniß der griechischen Literatur betraf, mit dem Besten messen konnte, mein Freund Bröndsted, Professor der griechischen Sprache, eine poetische Natur, ein warmes, edles Herz, ein Mann, der lange in Griechenland gelebt, und die Sprache wie seine Muttersprache gelernt hatte, mir zu meinem Geburtstage einen Ring mit dem Bilde des Sokrates und von einem Gedichte begleitet, worin er sich in anerkennendster Weise aussprach, übersandte.
Ein großer Uebelstand für mich war der, daß mir, da mehrere meiner neuen Stücke nur einige Male gegeben wurden und ich dadurch meine Einnahme verlor, das nothwendige Geld fehlte; und da die Stücke aus demselben Grunde auch keinen guten Absatz hatten, und ich außerdem ein schlechter Buchhändler war, so kam ich in Schulden, die bedeutend wuchsen, und um so empfindlicher wurden, da ich keinen Ausweg zu ihrer Bezahlung sah. Denn auch der Absatz meiner deutschen Schriften verringerte sich zum Theil durch den fortgesetzten Tadel in der Heimath, der auch in deutsche Blätter überging. Max, der vor wenigen Jahren noch so zuvorkommend gewesen war, sandte mir die Uebersetzung von Olaf dem Heiligen, den italienischen Räubern und Tordenskjold als Werke zurück, die meiner nicht würdig seien. Campe in Hamburg verlegte sie doch; er setzte aber bei dem Verlage gewiß zu. In den Blättern für literarische Unterhaltung stand eine Recension von einigen Zeilen über diese Stücke. Einen Beweis (und zwar den einzigen), wie tief[116] ich als dramatischer Verfasser gesunken sei, zog der Recensent daraus, daß ich in einer Parenthese in meinem Tordenskjold Stahl in einer Terz ausfallen lasse, welche Tordenskjold parirt. Man sollte es nicht für möglich halten, daß eine solche Bêtise in einem Blatte aufgenommen werden konnte, das in allgemeiner Achtung stand; aber es verhält sich doch so.
Um nun einiges Geld zu bekommen, übersetzte ich durcheinander all' die Stücke fürs Theater, die der Directeur Collin mir schaffte. Einige von diesen waren doch von Bedeutung; so legte ich den Text in den Partituren zur italienischen Norma, dem deutschen Freischütz und dem englischen Oberon dänische Worte unter.
In diesem Jahre starb auch meine Freundin Frau Friederike Brun, mit der ich so viele angenehme Stunden verlebt hatte. Von diesem ausgezeichnetem Weib muß ich umständlicher sprechen. Sie war eine Tochter des Predigers der deutschen Petrikirche in Kopenhagen, des Dr. Münter, der, wie er es sicher hoffte, Struensee bekehrt hatte, wie man dies in der Bekehrungsgeschichte lesen kann, die Münter nach dem Tode des Unglücklichen herausgab. Daß Struensee, als Gefangener, da er sich seinem Ende näherte, in dem Gespräch mit dem begabten, von Religion begeisterten, durch die Wissenschaft gründlich gebildeten Münter seine flache Voltaire'sche Philosophie aufgab, die ihn gelehrt hatte, daß der Mensch eine Maschine sei, deren geistiges Leben zugleich mit dem irdischen aufhöre, ist ganz natürlich und wahrscheinlich. Es kann nicht geleugnet werden, daß zu einer Zeit, wo das Deutsche hier im Lande die Ueberhand gewonnen hatte, die begabtesten Deutschen, welche hier ihr Glück machten, sich wirklich durch eine höhere Bildung auszeichneten, als die Dänen. Bernstorff war ein ausgezeichneter Minister; Klopstock, Deutschlands großer Dichter, besuchte uns auch und schrieb einige Gesänge der Messiade in Kopenhagen bei seinem Freunde, dem Prokanzler Cramer, dessen Haus der Sitz der Musen war, in das auch der ältere[117] Schlegel kam, der den nordischen Aufseher schrieb, in welchem er seine Landsleute mit dem dänischen Guten bekannt zu machen suchte. Nach Bernstorff zeichnete sich der jüngere Schimmelmann als Liebling der Musen und als Mäcen aus. Cramer's Tochter verheirathete sich später mit Schimmelmann's Secretair Kirstein. Schiller schickte aus Dankbarkeit Schimmelmann (der während seiner Krankheit zugleich mit dem Herzoge von Augustenburg für ihn gesorgt hatte) seine Tragödien, ehe sie gedruckt wurden. In diesen Zirkeln wuchs die junge liebenswürdige Friederike Münter auf. Und man kann diesen Deutschen nicht den Vorwurf machen, daß sie das dänische Gute ignorirt hätten. Schlegel war Holberg's eifriger Apostel und hat gewiß dazu beigetragen, daß Schröder dessen Stücke auf die deutsche Bühne brachte und selbst so meisterhaft darin spielte. Als Ewald starb, streute die junge Friederike Münter Blumen auf sein Grab; und ihr Bruder (der Bischof) war Ewald's warmer Freund. Aber es ist natürlich, daß ihre ganze Umgebung, ihre Ehe und späteren Reisen sie Deutsch ausbildeten, und sie selbst Dichterin wurde. Ihre Ehe war merkwürdig. Es würde einem Lustspieldichter schwer werden, einen komischeren Contrast zwischen einem Ehepaare herauszufinden, als den zwischen der mit Salis und Matthisson innig sympathisirenden Friederike Münter und dem fast ausschließlich mit Gelderwerb und Handelsspeculationen beschäftigten Constantin Brun. Er fing als armer Commis an, aber er war ein hübscher junger Mann und ein gewandter Kopf. Münter war ein Freund des alten Schimmelmann, und dieser hatte viele Handelsverhältnisse ganz in seiner Hand. Brun machte der jungen Friederike den Hof, wurde ihr Mann und durch Schimmelmann's Hülfe kam er gleich in gute Handelsverhältnisse, die er mit seinem großen Erwerbgenie benutzte, so daß es nicht lange währte, bis er reich wurde. So habe ich ihn kennen gelernt; er äußerte bei jeder Gelegenheit seinen Spott und sein Mißvergnügen über die poetischen Narrheiten seiner Frau, wie er sie nannte. Es war nicht zu leugnen,[118] daß sie etwas zu sentimental war; an Oekonomie dachte sie nicht, und unglücklicher Weise wurde sie von einer Taubheit heimgesucht, die in späteren Jahren zunahm. Aber diese Taubheit hatte doch auch ihre gute Seite: sie konnte ihren Mann nicht schelten hören; und dessen Handelsgeist hatte wiederum seine gute Seite: er machte sie zu einer reichen Frau, und sie würde weder alle einsichtsvollen Männer und Frauen Europa's mit so vieler Einsicht und Urtheilsfähigkeit, noch die Natur mit so vielem poetischen Malertalent kennen gelernt haben, wenn sie nicht durch das Vermögen ihres Mannes die Mittel erlangt hätte, eine Reise nach der andern und besonders nach ihrem lieben Italien zu machen. Constantin schalt und brummte, aber sie hörte es nicht. Eines schönen Tages stand ich neben ihm auf Sophienholm in Frederiksdal. „Ist das nun nicht ein herrlicher schöner Ort“? fragte er mich — „und doch will sie wieder aus dem Lande fort. Es ist rein um toll zu werden“. Aber das Beste dabei war, daß er sie, trotz all' des Lärmens, den er machte, doch thun ließ, was sie wollte, und es, trotz all' der Klagen über die vielen Ausgaben, doch seiner Eitelkeit schmeichelte, das eleganteste und angenehmste Haus in Kopenhagen zu machen, wozu Er das Geld, seine Frau Geist, Grazie und Anmuth beisteuerte. Keines von Beiden konnte entbehrt werden. Ganz psychologisch merkwürdig war der Geist der Sparsamkeit, der bei ihm zum Instinkt geworden war, wie bei einem Eichhörnchen das Sammeln der Nüsse in einem hohlen Baum. Er zeigte uns nämlich eine große Schublade voll Zucker. Diesen Zucker hatte er in der Harmonie zum Kaffee, den er dort jeden Nachmittag trank, bekommen; jeden Tag aber sparte er einige Stücke und nahm sie in der Tasche mit nach Hause. Es war in seinem Charakter ein naiv-komisches Element. Einmal kam ein Mann zu ihm und bat ihn um ein Gelddarlehn. Brun versicherte, er hätte Nichts, und um es ihm zu beweisen, öffnete er seine Schatulle, zog alle Schubläden heraus und zeigte ihm, daß kein Geld darin sei.
Was Frau Brun betraf, so machte sie durch ihre liebenswürdige Persönlichkeit, ihren ausgezeichneten Geist und durch die, bei einem Weibe seltenen, Kenntnisse Eroberungen, wohin sie kam, vom Palast bis zur Hütte, und es gab damals fast keine einzige männliche und weibliche Berühmtheit in Dänemark, Deutschland, der Schweiz und Italien, die sie nicht kannte, mit der sie nicht in freundschaftlicher Verbindung gestanden und deren Wesen sie nicht mehr oder weniger mit Phantasie und Verstand erfaßt hätte, und durch charakteristische lebendige Züge zu schildern vermochte. Dies trug sehr viel dazu bei, ihren Umgang angenehm zu machen; man hörte sie gern erzählen; und als ihre Taubheit zunahm, war sie auch interessanter im zusammenhängenderen Vortrage, als im Gespräche. An Dem, was rund um sie her vorging, konnte sie nicht recht Theil nehmen. Sie war von jungen Damen umringt, denn außer ihren eigenen Töchtern und Nichten hielten sich auch zwei Töchter des in Paris verstorbenen Ministers Dreyer in ihrem Hause auf. Sie waren in einer pariser Pensionsanstalt erzogen; die älteste, Mariquita, war sehr begabt; in diesem Zirkel bekam der junge Ludwig Heiberg, den man im Scherz „l'enfant“ nannte, und der oft zu Bruns kam, seine erste Politur. Daß nun die gute Frau Brun, die so in ihren eigenen Gedanken vertieft war, die neuste Zeit nicht recht kannte und zuweilen etwas zu sentimental war, der lieben leichtsinnigen Jugend mitunter, wenn nicht Ursache, so doch Veranlassung zum Lachen gab, kann man sich leicht denken. Es ging der guten Dichterin wie es Jedermann unter den sündigen Menschenkindern ging: die Fehler fallen viel leichter in die Augen, als die Vorzüge. So ging es auch in Italien, wo ich mit ihr zusammen war. „Gott hat mir die Gnade erwiesen“, sagte sie einmal in einem Concert, „daß ich für Musik nicht taub bin“. — „Die Gnade hat Gott ihr nicht erwiesen“, sagte der Maler Christel Riepenhausen, der ein großer Schelm war; denn als wir einmal in einem Passionsconcert zusammen waren, das mit[120] einem starken Chore anfing, fragte sie mich, nachdem der Chor gesungen war: „Geht's nicht bald an?“ Ich entschuldigte diese anscheinend komische Unwahrheit mit einer Delikatesse von ihrer Seite, die man mißverstand; sie meine, es würde ihren Freunden lieber sein und den eigenen Genuß nicht stören, wenn sie glaubten, daß auch ihre Freundin Theil daran nehmen könne. Man hielt sie auch für geizig, obgleich sie es nicht war. In der für Dänemark schlimmsten Finanzperiode reiste sie nach Italien. Das kostete schon viel und ihr guter Mann fand sich darein; daß er ihr aber Summen gegeben hätte, um Kunstwerke zu kaufen, daran war nicht zu denken. Doch waren die Künstler in Rom unzufrieden damit, daß sie es nicht that. Ich besuchte einmal mit ihr den berühmten Landschaftsmaler Reinhart, eine kräftige, derbe Gestalt. Er besaß ein Buch, was sie gern lesen wollte, und sie bat ihn, es ihr zu leihen. „Ja,“ rief er mit fast zürnender Donnerstimme, „Sie können es nehmen; aber Sie sollen es mir wiedergeben; denn ich bin arm und Sie sind reich.“ — „„Der gute Reinhart,““ sagte sie milde mit einem versöhnenden Lächeln.
Die Taubheit war ihr oft sehr unbequem, da sie die Einwendungen und Bemerkungen nicht hören konnte, die man ihr machte, und sie war daher gewöhnt, ihrem eigenen Kopfe zu folgen. Als sie von Italien zurückkam, gab sie wöchentlich musikalische Soiréen, bei denen Ida mit ihrer anmuthigen Persönlichkeit und ihrer schönen Stimme die Hauptrolle spielte. In Italien giebt man solche Gesellschaften, ohne die Gäste mit etwas Anderem als einem Glase Eiswasser, oder höchstens einer Portion Eis zu tractiren. Das wollte Frau Brun hier einführen. Sie war aber auch die Einzige in der ganzen Gesellschaft, der es gefiel. Der Concertmeister Schall, der es übernommen hatte, diese Concerte zu dirigiren, sagte ihr gerade heraus, daß man hier zu Lande daran gewöhnt sei, Abendbrod zu essen. Was geschieht? Bei dem nächsten Concert führt der Diener ihn in ein kleines Zimmer, wo ein elegantes Souper angerichtet[121] war; aber — nur für ihn! Erst als er sich, wie Don Juan, weigerte, sich allein an den Tisch zu setzen, wurde es Frau Brun einleuchtend, daß sie mit der Einrichtung der Speiseanstalt etwas mehr ins Große gehen müsse, und bei dem nächsten Concerte fehlte auch Nichts, um die Gäste sowohl körperlich, als geistig zu erquicken. Bei solchen Concerten saß sie zuweilen mit einem Stäbchen im Munde, das den Resonanzboden des Instruments berührte, wenn dasselbe von einem Virtuosen, z. B. als Moscheles da war, gespielt wurde. Siboni löste Schall als ihren Concertmeister ab. Nun wurden lauter moderne Sachen gesungen. Wenn sie mitunter einmal aus alter Liebe zu dem herrlichen Schultz Etwas von ihm vortragen ließ, so wurde das auch als etwas Lächerliches betrachtet, in das man sich finden müsse.
Ida war ein anmuthiges Mädchen, blendend weiß, schlank, wie eine Nymphe, mit einem ovalen, regelmäßigen, blondlockigen Kopfe und einem Gesicht, dessen muntere Freundlichkeit auf uns Alle Eindruck machte, obgleich ihre blaßblauen Augen nicht feurig funkelten. Mein Vetter, der Maler, Professor Lund, brachte sie bewußt oder unbewußt auf den meisten seiner Bilder an. Die Mutter war ganz verliebt in ihre Tochter und sah in ihr ein Genie, was sie doch nicht war; für Poesie hatte Ida nicht viel Sinn, obgleich sie gern über das Lustige lachte, und wenn sie gleich schön sang, so war ihr musikalischer Geschmack doch durchaus modern. In Italien hatte sie auch von der Lady Hamilton gelernt, schöne malerische Stellungen auszuführen, was sie freilich in dem Lenze der Jugend mit ihrer Nymphengestalt besser kleidete, als Madame Händel-Schütz mit ihrem schwerfälligen Körper, nachdem sie schon fast verblüht war.
Es vergingen einige Jahre und Ida hatte in der ganzen Zeit, so viel ich weiß, keinen Freier gehabt. Sie selbst war nicht erotischer Natur, sondern etwas undinenmäßig kalt. Da kam der österreichische Minister Graf Bombelles. Seine Jugend war dahin; er war durchaus nicht hübsch, sondern bleich und sehr[122] pockennarbig. Er hatte eine heisere Stimme; war aber ein heller Kopf, ein lustiger, munterer Mann. Er verliebte sich sterblich in Ida und suchte sie auf alle Weise zu gewinnen. Eines Abends z. B. sprang er, als sie von einer Gesellschaft nach Hause fuhr, auf ihren Wagen, und half ihr als Diener beim Aussteigen. Das Ende vom Liede war, daß er sie zur Frau bekam und mit ihr fortreiste; und Sophienholm war nicht mehr Sophienholm, nachdem es seine Nachtigall verloren hatte. Einige Jahre lang kam ich auch nicht zu Bruns; aber das hatte einen andern Grund. In der schlimmsten Baggesen'schen Zeit traf ich ihn als Frau Brun's alten Freund dort, und das störte mir den Genuß ihrer Gesellschaft. Da sie das nun wohl merken mochte, fiel sie auf einen wunderlichen Gedanken. Sie hatte ihrem Portier befohlen, daß er, wenn Baggesen da sei, mir sagen solle, sie wäre nicht zu Hause, und ebenso umgekehrt zu Baggesen, wenn ich dort war. Dadurch glaubte sie nun eine bewaffnete Neutralität gestiftet zu haben, die nach dem Sinne beider feindlichen Mächte sein müsse; und ich glaube auch, daß Baggesen sich darein fand; denn sie klagte später nur über mich, der ich fortblieb, sobald ich das wunderliche Portierarrangement erfahren hatte.
Mehrere angenehme Ueberraschungen wurden mir in den Jahren 1838 und 39 bereitet. Man wird sich erinnern, daß der Bischof Münter, mir, als ich Ritter vom Nordsternorden geworden war, sagte: „Der König kann es nicht leiden“! und ich hatte später Ursache, ihm zu glauben; denn drei Mal war ich von der Universitätsdirection meiner Anciennetät als Professor zufolge zum Etatsrath vorgeschlagen, ohne daß ich es wurde; und ich weiß, daß alle Betreffenden sich darüber wunderten. Vielleicht hat der selige König geglaubt, daß ich selbst mich um jenen Orden bemüht habe. Die Wunde des verlorenen Norwegens war noch nicht geheilt — und die Unzufriedenheit des Königs läßt sich menschlich erklären. Aber sein gutes[123] Herz gestattete ihm doch nicht lange dem Unschuldigen zu grollen.
Im Jahre 1838 wohnten die königlichen Herrschaften nicht auf Friedrichsberg; das Schloß stand leer, und ich bekam so große Lust, wieder einmal dort zu wohnen, daß ich dem Triebe nicht widerstehen konnte, meinen Wunsch gegen den Oberhofmarschall auszusprechen. Er trug dieses darauf dem Könige vor und brachte mir die angenehme Nachricht, die ich gar nicht erwartet hatte, daß der König es gleich erlaubt und gesagt hätte: er könne ganz gut begreifen, daß ich wünschte, wieder einmal da zu wohnen, wo ich meine Kindheit verlebt, und wo er mich gekannt hätte, als ich nicht größer, als so war! Hier machte er mit der Hand eine Bewegung nach der Erde zu. — Ich zog also mit meiner lieben Marie hinaus und lebte in schönen Jugenderinnerungen mit dem theuren Kinde, das mich (was ich damals noch nicht wußte) bald verlassen sollte; ich ging, von vergangener Zeit träumend, umher und besuchte täglich die Portraits meiner ältesten Geliebten in den königlichen Zimmern. Die Vergangenheit stand wieder so klar vor mir, daß ich Lust bekam, mein Leben ausführlicher und vollständiger, als das erste Mal zu schreiben, und ich begann die gegenwärtige Ausgabe. Damals vollendete ich nur die Periode meiner Kindheit. Manche Stelle zeugt von diesem meinen letzten Aufenthalte auf dem Schlosse, z. B. die genaue Beschreibung und das Urtheil über das große Gemälde von Rubens, das, von Lorenzen copirt, in dem Zimmer der Königin hing. Täglich ging ich mit meiner Maria im Garten und im Südfelde spazieren, wie ich es gethan hatte, als sie klein war. In diesem Sommer schrieb ich auch die Tragödie: „Knud der Große“.
In unserer ländlichen Einsamkeit wurden wir durch die freudige Nachricht überrascht, daß Thorwaldsen nach Dänemark komme, um sein übriges Leben bei uns zuzubringen.
Sein Empfang ist eine historische Scene, deren Schilderung nicht in ein idyllisches Gemälde gehört. Ich war auch auf der[124] Rhede in einem Boote, um ihn zu begrüßen, was mir wegen des großen Schwarmes von Fahrzeugen doch nicht glückte; aber ich sah ihn ziemlich fern in dem Königsboote sitzen, und entdeckte da bereits, daß sein Haar, welches früher (nach seinem eigenen lustigen Ausdrucke) gepudert gewesen, nun schneeweiß geworden war.
In diesem Jahre ernannte mich König Friedrich VI., ohne einen Vorschlag von Seiten der Universität, als ich es am wenigsten erwartete, zum Etatsrath.
Im Jahre 1839 fiel es meinem Freunde Bournonville ein, meinen Aladdin zur Aufführung auf dem Theater einzurichten. Mit dem ihm eigenen Geschmacke wählte er die Musiknummern, componirte schöne Tänze zu den Feenscenen und Aufzügen und tanzte selbst vortrefflich darin. Ich hatte ihm und Overskou die Vollmacht gegeben, das Stück nach Gutdünken zu kürzen und zusammenzuziehen. So wurde es wiederholt mit vielem Beifall gegeben und verschaffte mir eine so reiche Einnahme, daß ich eine Freude genießen konnte, die mir in meinem ganzen Ehestandsleben nur ein einziges Mal, vor 22 Jahren, zu Theil geworden war, und an der ich jetzt auf dem Schlosse Geschmack gefunden hatte: einen Sommer mit meiner ganzen Familie auf dem Lande zuzubringen.
Gegen Ende dieses Jahres starb auch König Friedrich VI. Ich schrieb als Universitätsprogramm ein Gedicht über ihn, und es wurde mir übertragen, die Trauercantate zu verfassen, welche bei seiner Beisetzung in der Roeskilder Domkirche aufgeführt wurde. Ich war mit dort, und bei einer schneidenden Kälte bei dem Probst Hertz einquartirt, wo ich diese Nacht dem lieben Gott für Etwas dankte, das ich sonst verabscheute, nämlich für[125] ein paar warme Federkissen. Mit meiner Cantate, zu der Weyse die Musik geschrieben hatte, war ich selbst nicht recht zufrieden. Im Programm hatte ich das ganze preiswürdige Leben Friedrich's VI. in naiven Knüttelversen besprochen; aber sein Tod versetzte mich nicht in eine höhere Begeisterung. Auch die alte Einrichtung von Solo, Duett, Recitativ und Chor genirte mich. Später schrieb Heiberg eine Cantate für die Universität, welche besser war, als die meinige; Weyse's Musik war auch besser, besonders fand sich ein Duett von unvergleichlicher Schönheit darin.
Im Jahre 1840 zeigte Tegnér mir in einem sehr freundschaftlichen Briefe an, daß mir König Karl Johann das Großkreuz des Nordsternordens ertheilt habe, und ich erhielt auch bald das Diplom. Zu gleicher Zeit sandte der Kronprinz mir eine goldene Medaille mit seinem Brustbilde und der Inschrift: Memoriae pignus, nebst folgenden Zeilen:
„Herr Etatsrath Oehlenschläger! Durch mehrfache wichtige Geschäfte abgehalten, sah ich mich länger, als ich wollte und wünschte, der Freude beraubt, Ihnen meine Dankbarkeit für das schmeichelhafte Gedicht zu bezeugen, das Sie mir letzthin, von Ihren ins Deutsche übertragenen Arbeiten begleitet, zugeeignet haben“.
„Mehrere unter diesen sind mir zwar alte und liebe Bekannte, aber als Geschenk des Verfassers haben sie für mich einen neuen und erhöhten Werth. Ueber das schöne Gedicht darf zwar Der, welcher der Gegenstand desselben ist, nicht urtheilen, aber ich kann es mir doch nicht versagen, Ihnen, Herr Etatsrath, meinen Dank für die freundschaftliche Gesinnung auszusprechen, die sich darin zeigt, und die ich mit derselben Aufrichtigkeit, wenn auch in einfacheren Worten, erwidere. Das Andenken an unsere Begegnung in Christiania bereitet mir stets Freude, und ich rief es mir aufs Neue ins Gedächtniß zurück,[126] als Ihr Sohn mich besuchte. Ich hoffe, daß er meine Grüße bestellt hat, und daß Sie, Herr Etatsrath, bald Ihr Versprechen, Ihre schwedischen Freunde zu besuchen, erfüllen werden. Indem ich mit Freude diese Gelegenheit benutze, Sie meiner Freundschaft und Hochachtung zu versichern, bitte ich Sie, die beifolgende Medaille anzunehmen, welche, wie ich hoffe, Sie an Denjenigen erinnern wird, der, wie ich, Ihren Geist und Ihre Eigenschaften, Herr Etatsrath, so hochschätzt.
Stockholm, den 8. Mai 1840.
Oskar“.
In diesem Sommer wurde König Christian VIII. und Königin Karolina Amalia auf Friedrichsborg mit vieler Pracht gekrönt. Die Ritter vom Elephantenorden und die Großkreuze des Dannebrog waren in purpurrothen und citrongelben Sammetmänteln, weißen Seidentricots und großen Federhüten gekleidet. Die Meisten nahmen sich in dieser ihnen ungewohnten Tracht eigenthümlich aus.
Der König machte mich in diesem Jahre, am Tage seiner silbernen Hochzeit, zum Dannebrogsmann. Ich hatte auf seinen Befehl eine Tischcantate zum Krönungsfeste gedichtet, die, von Fröhlich componirt, bei Tafel aufgeführt wurde. Aber die Unmasse von Menschen, die hin- und herging, um zu sehen, wie die Majestäten von den Staatsministern bedient wurden, kümmerten sich nur wenig um die Musik; die Herrschaften saßen am andern Ende des Rittersaales; die Teller klirrten, die Menge lärmte, und ich glaube, daß Keiner, mit Ausnahme der Spielenden und Singenden, die Cantate gehört hat. Ich war selbst im Saale, hörte sie aber nicht.
Steffens war auch zugegen. Der König hatte ihn mit seiner Familie nach Dänemark eingeladen und bezahlte die Reise. Ich besuchte mit Thorwaldsen, Steffens und Grundtvig den Baron Stampe auf Nysöe. Schon früher war ich einige Male[127] mit Thorwaldsen dort gewesen. Des Abends, wenn wir nicht Lotto spielten (das einzige Spiel, an dem Thorwaldsen Theil nahm, wo er aber auch ein sehr leidenschaftlicher Spieler war und sich ebenso sehr freute, wenn er einige Schillinge gewonnen, als wenn er eine bedeutende Summe für seine Arbeiten bekommen hatte), mußte ich ihnen Etwas aus Holberg oder meinen eigenen Arbeiten vorlesen, und dann war er ein aufmerksamer Zuhörer. Er liebte überhaupt das Schauspiel sehr; in Kopenhagen saßen wir fast jeden Abend im Theater neben einander. Er konnte herzlich lachen und bei den rührenden Stellen rannen ihm die Thränen an den Wangen herab. Er hatte oft davon gesprochen, meine Büste zu modelliren; aber es verzögerte sich immer und ich mochte nicht daran erinnern. Endlich machte die Baronesse Stampe kurzen Prozeß damit. Sie bestellte bei dem Tischler ein Brett mit einem Stift darin, ließ ein Gefäß mit nassem Ton heraufbringen, formte mit ihren eigenen Händen einen großen Klumpen davon mit einem Hals wie an einer Flasche, und aus dieser Erde schuf Thorwaldsen seinen Adam, d. h. meine Büste. Den nächsten Tag hatte er keine Lust, daran zu arbeiten, und entschuldigte sich damit, daß er nicht recht aufgelegt sei. Als ich dann wieder zu ihm kam, componirte er die Skizze zu einem Taufengel. Ich fand es sehr natürlich, daß er lieber an einem Taufengel als an einem getauften Poeten arbeiten wollte.
Den nächsten Tag dagegen war er fleißig an der Büste beschäftigt und machte sie fertig. Er modellirte auch ein Basrelief von Steffens, als derselbe hier war. Bei Tische hielt Steffens Vorlesungen, die weder Grundtvig noch mir gefielen. Mein Verhältniß zu meinem alten Freunde war ganz wunderlicher Art. Er übersprang ganz die 37 Jahre, die wir getrennt gewesen waren und sprach mit mir noch immer, wie mit seinem Schüler vom Jahre 1803. Ich fand mich darein; einstmals gingen wir im Südfelde zusammen spazieren und es freute mich, alte Erinnerungen wieder heraufzubeschwören. In diesen Gefühlen sympathisirten[128] wir brüderlich. Seine Frau war auch hier; die schöne Hanna Reichardt hatte sich außerordentlich gut conservirt; wir waren stets gute Freunde. Seine Tochter Klärchen hatte viel von dem Geiste des Vaters geerbt. Verstand und Herz standen bei ihr in seltener Harmonie. — In diesem Jahre feierte auch meine Tochter Marie ihre Hochzeit mit dem Doctor Wollert Konow aus Norwegen.
Im Jahre 1841 dichtete ich Dina. Ich las meiner Frau und meinen Kindern die drei ersten Acte in demselben Zimmer vor, in welchem sie in kurzer Zeit als eine Leiche stehen sollte. Noch hatten wir keine Ahnung davon, obgleich sie in den letzten Jahren ihre Gesundheit verloren hatte. Sie konnte Nachts nicht schlafen. Die Folge davon war, daß sie oft am Tage einschlummerte und nicht recht an Dem Theil nehmen konnte, was uns Anderen interessirte. Meine Dichtungen hörte sie stets mit großer Aufmerksamkeit und Theilnahme an. Da ich an dem fünften Acte von Dina arbeitete, konnte ich ihr noch das Meiste davon vorlesen. Das Letzte, was sie hörte, war Eleonore Christine's Monolog, wo sie aus Liebe zu Mann und Kindern beschließt, das geliebte Vaterland zu verlassen. Da füllten sich Christiane's große blaue Augen, die trotz aller Schwäche noch nicht den Stempel ihrer frühern Schönheit verloren hatten, mit Thränen. Und das war der Abschied dieser edlen Seele vom Dichter und Gatten, denn später ergriff die Lähmung und das Fieber des Todes sie und machte ihren Geist unempfänglich für zarte, rührende Eindrücke. Selbst der kleine Enkel konnte sie nicht recht erfreuen. Sie war oft vom Schwindel geplagt gewesen; ein krampfhaftes Zucken des Mundes und der Augenliden ließ einen apoplectischen Anfall befürchten. Das würde, sagten die Aerzte, sie, wenn auch langsamer, dem Tode zugeführt haben. Nun endigte gutmüthige Dienstfertigkeit, die ein Charakterzug bei ihr war, plötzlich ihr Leben. Eine arme Frau,[129] die im Hause zuweilen waschen und dergleichen half, wurde krank. Christiane besuchte sie und bekam den Typhus! An dem letzten Tage ihres Lebens wo ich sie sah, lag sie wie in einer Betäubung, kannte mich kaum und als ich mit unterdrücktem Gefühl ihr Lebewohl sagte, machte sie eine mechanische Bewegung mit der Hand nach dem Munde zu. Ich ging untröstlich nach Friedrichsberg hinaus; aber da hatte ich keine Hütte mehr, keinen Winkel, in den ich mich hinsetzen und über meine Einsamkeit trauern konnte. Der Kaufmann Melchior, den ich früher von einer edeln Seite kennen gelernt hatte, erlaubte mir in einem Hause zu wohnen, das er in der Friedrichsberger Allee besaß, bis ich andere Zimmer finden würde. Kaum war ich dort hinaus, als mein Sohn Wilhelm mir die Nachricht von dem Tode seiner Mutter brachte.
In dieser Trauer kam Bröndsted zu mir und fragte mich mit seiner gewöhnlichen herzlichen Bereitwilligkeit, ob er mir irgend einen Dienst leisten könne? „Ja,“ antwortete ich, „das kannst Du. In diesem Hause kann ich nur einige Tage bleiben; ich weiß, daß das Schloßverwalterhaus leer steht. Da verbrachte ich, als mein seliger Vater noch lebte, manchen Sommer, und es würde mir Trost gewähren, wenn ich die Erlaubniß erhielte, jetzt wieder dort zu wohnen. Aber ich bin zu betrübt und niedergeschlagen, als daß ich zum König gehen und ihn darum bitten könnte. Willst Du es für mich thun“? — „„Ja, mit größtem Vergnügen!““ — Er ging. Den Tag darauf kam er wieder und brachte mir einen Brief, den der König mir geschrieben hatte, in welchem stand, daß es Sr. Majestät freue, meine Trauer lindern zu können, und daß er gleich Befehl gegeben habe, daß das Schloßverwalterhaus mir für diesen Sommer eingeräumt werde. Dafür hatte ich nun meinen guten Bröndsted zu danken, wenigstens dafür, daß es so schnell geschah; denn mir selbst wäre es in meiner Gemüthsbewegung unmöglich gewesen zum Könige zu gehen.
Ich zog nun mit meinen Söhnen in das Schloßverwalterhaus.[130] Mein Schwiegersohn Konow und meine Tochter wohnten in der Stadt. Er hatte erst die Absicht gehabt, sich ein Gut in Dänemark zu kaufen. Aber da er keins fand, was ihm convenirte, und da wohl auch der freiheitsliebende Norweger sich nicht dazu entschließen konnte, Unterthan eines souverainen Königs zu werden (damals zeigte sich viel Gährung und Opposition hier im Lande), so beschloß er ein schönes Gut, Steen, zwei Meilen von seiner Vaterstadt Bergen, zu kaufen. Nun sollte ich also auch, wenngleich, gottlob nicht für stets, meine Maria verlieren.
Die traurigen, stillen Vormittage in der ersten Zeit nach Christiane's Tod (mich trennte nur ein breiter Platz von dem Kirchhofe auf dem sie begraben war) brachte ich damit zu, alle ihre Briefe zu lesen, wodurch ich mich gleichsam in meine erste Jugend zurückversetzte und das entschwundene Leben noch ein Mal mit ihr durchlebte. Ich miethete Zimmer für den Winter, besuchte die lieben Neuvermählten, und ihre Nähe erquickte mich sehr, bis die Abschiedsstunde kam, wo ich meine schmerzlichen Gefühle bemeistern mußte. Die Trauer wurde durch den tröstlichen Gedanken gemindert, daß ich sie, unserer Verabredung gemäß, bald in Norwegen besuchen würde.
Bevor sie aber abreisten, versuchte eine Zahl der begabtesten und gebildetsten jungen Männer des Vaterlandes, mich dadurch zu trösten, daß sie mir einen neuen ehrenvollen Beweis ihrer Achtung gaben. Ich erhielt folgenden Brief:
„Der Studentenverein an Adam Oehlenschläger!
Sie vollenden heute das 62. Jahr ihres Lebens, welches dem Dienste der Musen geheiligt war, dessen bedeutungsvolle Wirksamkeit ihrem Namen Unsterblichkeit verleihen wird. Gegen diese muß eine wenn auch noch so kräftig ausgesprochene Anerkennung eines kleinen Kreises der Gegenwart einem Nichts gleich sein; aber eine Gesellschaft junger Musensöhne, welche Sie in einer Reihe von Jahren mit Freuden unter sich gesehen hat, fühlt die Pflicht auszusprechen, daß sie es für eine Ehre[131] für die Gesellschaft hält, Sie zu deren Mitgliedern zu zählen. Der Studentenverein bittet Sie daher, den Platz als Ehrenmitglied der Gesellschaft anzunehmen, und indem wir, die Vorsteher des Vereins, Ihnen dies, laut uns gegebenem Auftrage, mittheilen, konnten wir dem Drange nicht widerstehen, Ihnen persönlich unsere Freude darüber auszusprechen, daß uns die Ehre zu Theil geworden ist, diese Handlung der Gerechtigkeit gegen den ersten Dichter unseres Vaterlandes zu vollziehen.
Das Seniorat des Studentenvereins am 14. Nov. 1841“.
Diese Huldigung war früher nur Rahbek und Thorwaldsen zu Theil geworden, und es fand in Folge derselben ein schönes Fest Statt.
In demselben Jahre wurde ich Commandeur des Dannebrogordens. Kurz darauf ward ich auch Mitglied der niederländischen Gesellschaft der Wissenschaften, und erhielt die große goldene Medaille der schwedischen Akademie für Geist und Geschmack (för Snille och Smak).
Der König hatte mir erlaubt, „diesen Sommer“ im Schloßverwalterhause zu wohnen. Ich wünschte nun sehr, daß diese Erlaubniß auf mehrere Sommer ausgedehnt werden möchte. Als ich ihm für seine Güte dankte, fragte er, ob nicht auch ein Garten dabei sei, und ob ich diesen pflege? Dies gab mir die beste Gelegenheit, meine Bitte anzubringen. Ich antwortete, daß ich ihn sehr gern pflegen würde, wenn ich hoffen könnte, in der Zukunft auch die Früchte zu ernten. Der König antwortete: „Wenn es möglich sei, sollte ich die Erlaubniß erhalten, dort wohnen zu bleiben“, und als ich in dem muntern Tone, in dem er mich gern sprechen hörte, antwortete: „für Ew. Majestät ist sehr Viel möglich“, erlaubte er mir die Wohnung zu behalten. Ungefähr um dieselbe Zeit starb die Conferenzräthin Jessen, welche nach dem Tode ihres Mannes auf dem im[132] Friedrichsberger Garten, von üppigen Gebüschen und Bäumen verborgen gelegenen Fasanenhofe wohnen geblieben war. Der Oberhofmarschall Levetzau, den ich von Jugend auf kannte, und der stets freundlich mit mir gewesen war, erzählte mir, daß der König mir erlaubt habe, zu wohnen, wo ich es selbst am liebsten wünschte: entweder im Schloßverwalterhause oder auf dem Fasanenhofe. Als ein Freund des Alten, an das sich viele liebe Erinnerungen knüpften, zog ich es zuerst vor, da zu bleiben, wo ich war; als mir aber der Marschall lächelnd rieth, erst den Fasanenhof anzusehen, that ich es und schwankte nicht länger.
In dieser Zeit traten kurz nach einander zwei traurige Todesfälle ein, welche mir zwei meiner besten Freunde raubten. Zuerst starb plötzlich mein lieber Peter Wullf. Ich hatte ihn im Jahre 1814 als Capitain und Lehrer der Seecadetten kennen gelernt. Unsere Freundschaft wurde in der Baggesen'schen Periode geknüpft, in welcher Wulff sich uns warm angeschlossen hatte.
Er schrieb schöne Gedichte, und setzte die Foersom'sche Uebersetzung des Shakespeare zwar nicht mit der Virtuosität Foersom's, aber doch lobenswerth fort. Jetzt war er Contreadmiral und Generaladjutant. Seine gute Frau hatte er einige Jahre vorher verloren. In dem liebenswürdigen Kreise seiner Familie verlebte ich viel heitere Tage. Weyse war auch ein Freund des Hauses und erquickte uns oft durch seine schönen Phantasieen am Fortepiano.
Der gute Wulff litt zuweilen an einem leichten Podagra, war aber niemals eigentlich krank. Eines Abends im Theater fühlte er sich nicht recht wohl, ging hinaus, nahm eine Droschke, um nach Hause zu fahren, und ehe er nach der Cadetten-Akademie kam, — war er todt!
Im folgenden Jahre hatte mein lieber Bröndsted ein ähnliches Schicksal. Von Natur war er riesenstark und genoß einer vortrefflichen Gesundheit. Aber er war vollblütig und bedurfte der Bewegung. Da er nun viel saß und nach alter Gewohnheit immer lange zögerte ehe er sich in Bewegung setzte, so beeilte er sich dann um[133] so mehr zu Pferde, denn er ritt lieber, als er ging. Ein paar Jahre wohnte er des Sommers auf Friedrichsberg, wo ich ihn und seine liebenswürdigen Töchter Friederike und Marie häufig besuchte. Die armen Mädchen gingen oft des Abends um sieben, halb acht Uhr auf die Landstraße, um nach ihrem Vater zu sehen, der noch nicht zum Mittagsessen gekommen war. Wenn sie ihn dann in weiter Ferne herangalopiren sahen, freuten sie sich. Leider sollte diese Freude bald in Trauer verwandelt werden.
In Kopenhagen wollte er eines Tags zu einem der Thore hinaus reiten. Auf der Esplanade begegnete ihm der Etatsrath, späterer Minister Bang. Sie hielten an und sprachen mit einander. Das Gespräch war zu Ende und Bröndsted wollte weiter reiten, als er, gutmüthig und höflich wie er stets war, den unglücklichen Einfall bekam, Bang für eine Abhandlung zu danken, die dieser kurz zuvor geschrieben hatte. Rasch und kühn warf er das Pferd herum; aber bei dieser Bewegung fiel er ab. Er war zwar an das Reiten gewöhnt; aber da er kurz und untersetzt war, konnte er sich nicht fest genug halten. Er bekam einen fürchterlichen Schlag, wobei er wohl merkte, daß Etwas in seinem Körper zerbrach. Er hatte noch so viel Kraft, daß er sich mit Hülfe eines Andern nach dem nahe gelegenen Friedrichshospital schleppen konnte. In den ersten Tagen schien es, als ob die Gefahr nicht sehr groß sei; nun aber schwoll der Körper auf, und er starb glücklicherweise plötzlich, wobei er von heftigen Schmerzen verschont blieb. Das Becken war ihm gebrochen! und doch hatte er Muskelkraft und Körperstärke genug gehabt, um von der Esplanade nach dem Hospital zu gehen. Armer Bröndsted! wie viele Gefahren hast Du in Deinem Leben besiegt! auf Felsen und Bergen in der dunkeln Nacht bist Du an tiefen Abhängen vorübergeritten — und es hatte Dich Nichts betroffen! Und nun solltest Du an einem schönen, stillen, hellen Tage unter den freundlichen Bäumen in einer schönen Allee der Hauptstadt Deines Vaterlandes stürzen!
Ehe ich nach Norwegen reiste, wurde Dina aufgeführt und machte vorzüglich durch das vortreffliche Spiel der Frau Heiberg Glück. Das Stück wurde sehr gelobt; die Tadler hielten sich nun daran, „daß ich der Geschichte Gewalt angethan, Ulfeld als zu schlecht und Dina als zu gut gezeichnet hätte; daß sie eine niedere Verbrecherin sei“. Aber Alles, was zu Ulfeld's Lob gesagt werden kann, habe ich ihm im Stücke gelassen; ich habe ihn nur auch mit seinen Schattenseiten gezeichnet. Daß ich durch die Idealisirung Dina's der Geschichte zu nahe getreten sei, können nur Thoren sagen. Dina ist gar keine historische Person. Ihr Auftreten ist eine Privatanekdote in Ulfeld's Leben; wenn diese mir Veranlassung dazu gegeben hat, und es mir geglückt ist, aus einem groben Feuerstein einen Diamanten herauszuschlagen, so ist dies ein Gewinn für die Poesie und kein Verlust für die Geschichte. Die strenge historische Wahrheit würde bei den meisten Stoffen die Dichterschönheit unmöglich machen. Hakon Jarl schlachtete thatsächlich seinen Sohn ohne Liebe; er verbarg sich, ehe er von seinem Diener gemordet wurde, in einem Schweinestalle; Palnatoke erschoß den Harald Blauzahn von hinten in einem Walde, wo derselbe bei einer gewissen Verrichtung saß; Hagbarth schlich sich nach der Kämpeweise nach Signe's Kammer und lag bei ihr, als er ergriffen wurde. Habe ich auch hier die Geschichte verunstaltet? Sophokles sagte zum Euripides: „Du zeichnest Deine Helden, wie sie sind, ich wie sie sein sollten“. „Aber“, wird man sagen, „Du hast Ulfeld eines Meuchelmordes beschuldigt“. Das habe ich nicht gethan. Dina hat ihn dessen beschuldigt; selbst als sie zum Tode ging berief sie ihn noch vor Gottes Richterstuhl, und das Ganze blieb — ein ewiges Geheimniß. — Dies genügte dem Dichter. Ich habe jenes Motiv, welches die Triebfeder meines Werkes war, soviel als möglich moderirt. Es ist nur ein flüchtiger Gedanke des erhitzten Ulfeld, wird aber von der tragischen Nemesis festgehalten. Die Möglichkeit eines solchen Gedankens lag nicht außerhalb Ulfeld's Charakters, er war bei all seinen glänzenden großen Eigenschaften[135] herrschsüchtig und rachgierig; und wenn gleich die Humanität gebot, seine Schandsäule niederzureißen, so wird doch die historische Wahrheit selbst nie leugnen können, daß zu großer Ehrgeiz und Stolz, sowie Mangel an Edelmuth und echter Tugend ihn zum Landesverrath getrieben haben.
Im Juni reiste ich mit meinem jüngsten Sohne Wilhelm nach Norwegen. Als Reisegefährte folgte uns der Violinist Ole Bull, der durch sein seltenes Talent einen nicht nur europäischen, sondern einen Weltruhm erlangte. Ich hatte oft Gelegenheit gehabt, diesen großen Künstler zu bewundern, aber auch mich über ihn zu wundern. Sein Leben ist merkwürdig: wie er als ein armer, unbekannter Musiker durch Paris kam, und von der äußersten Noth getrieben, beabsichtigte, in der Verzweiflung sein Leben zu enden, als er gerettet, gekannt, gehört, anerkannt, geliebt, verheirathet, und sich durch seine Concerte bald ein erkleckliches Vermögen erwarb. Seine musikalischen Leistungen waren ein Ausdruck seines eigenen Charakters; eine eigenthümliche Mischung von liebenswürdiger kindlicher Gutmüthigkeit und Milde, die oft durch eine unruhige Heftigkeit unterbrochen wurde. So wechselten die schönsten, schmelzendsten Töne und genialsten Phantasien mit einem plötzlichen, gellen Schreien der Saiten ab. Es war gleichsam, als ob Bull ein Vergnügen daran fand, mit launischem Wankelmuth die milde feierliche Stimmung zu vernichten, die er selbst erweckt hatte, und dieselben Zuhörer, die er soeben noch entzückte, durch eine Bizarrerie zu verletzen, die nicht ihn beherrschte, sondern die er in stolzer Laune hervorrief, wenn er wollte. Er kam mir oft wie ein Maler vor, der uns ein schönes Bild zeigt, das er soeben vollendet, und in dem Augenblicke, wo wir es genauer betrachten wollen, mit einem Pinsel darüber hinfährt und es wieder verwischt. Doch muß man ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen. Wir hörten manch' herrliches Stück, das nicht auf diese Weise abgebrochen[136] wurde; und es ist höchst wahrscheinlich, daß diese Manier ihn im reifen Alter ganz verlassen hat. Keiner spielte ein Adagio von Mozart so anmuthig, wie er, hier verleugneten sich ganz jene grellen Töne einer zu heftigen Persönlichkeit. Ich sage, daß er ebenso in seinem Leben war: er machte zuweilen das Gute schlimm; aber mit der Kindlichkeit, die dem kräftigen, schönen, jungen Norweger so gut stand, war es ihm auch leicht, das Schlimme wieder gut zu machen.
Als er mir ein Mal auf dem Schiffe mißfallen hatte, weil er zu übertrieben auf die Schweden loszog, und ich fortging und mich auf eine Bank abseits setzte, kam er bald nachher auf allen Vieren kriechend und bellte mich wie ein Hund an. Das war nun eine ebenso originelle wie liebenswürdige Art, die Versöhnung herbeizuführen, und den Verstimmten zum Lachen zu bringen. Er besuchte mich mehrere Male in Kopenhagen. In Christiania, wo seine kleine hübsche Frau wohnte, die sich als Pariserin nicht recht in den Norden finden konnte, war ich zu Mittag bei ihm, und als wir reisten, war er so gut, uns einen seiner Wagen zur Fahrt nach Bergen, seiner Vaterstadt, zu leihen, wohin er auch bald reisen wollte. Er war außerordentlich stark; seine Arme waren wie von Eisen gegossen, und es ist wohl möglich, daß es seine allzu große Körperkraft war, die zuweilen ungeduldig die milden Töne unterbrach, während er mit dem Haupte schüttelte, daß ihm die Haare in die schönen braunen Augen fielen. Ein Beweis für seine Gutmüthigkeit ist, daß er mir seinen besten Wagen zu dieser Reise lieh. Er selbst beabsichtigte, in einem Wagen mit drei Rädern zu fahren; als man ihm aber vorstellte, wie gefährlich dies sei, wählte er einen großen Wagen, der nicht ordentlich die Spur hielt, und mit dem er auch ein Mal umwarf und beinahe den Hals gebrochen hätte. Als er vor dem Könige in Kopenhagen spielte, und Friedrich VI. ihn fragte, von wem er seine Kunst gelernt habe, antwortete er: „Von den norwegischen Felsen, Ew. Majestät!“ Der König, der an solche poetische Redensarten nicht gewöhnt[137] war, und den Namen eines Menschen erwartet hatte, setzte das Gespräch nicht weiter fort.
In Christiania besuchte ich meine alten Freunde und Gönner. Der Einzige, den ich nicht so fand, wie ich ihn verlassen hatte, war Sverdrup, der an Augenschwäche litt, und den ich nie wieder sah. Die Studenten begrüßten mich eines Abends im Hôtel du Nord mit einem Ständchen. Ich machte die Bekanntschaft Schweigaard's, eines der brillantesten Köpfe des Nordens, der Genie und Kenntnisse mit einem edlen Herzen verband, Dahl kam uns mit der alten Freundschaft entgegen, und seine gute Frau erquickte uns unter Andern mit schöner italienischer Musik. Collets empfing mich mit unveränderter Herzlichkeit. Auch meinen alten Reisekamerad Krog sah ich wieder, und lernte seinen Vater, den Staatsrath kennen, der, als ich das erste Mal Norwegen besuchte, in Schweden gewesen war.
Der Statthalter Baron Lövenskjold erwies mir viel Freundlichkeit und Ehre. Am Namenstage des Königs waren wir bei ihm zu Tisch, und bei dem dritten Toast bat er mich, Dänemark Norwegens brüderlichen Gruß zu bringen. Fünf Jahre darauf sah ich seinen Sohn in Dänemark; der begeisterte, tapfere Norweger kam her, um unter dem Dannebrog für die Sache unsers Vaterlands zu kämpfen. Seine ehrliche, derbe, herzliche Freundlichkeit rührte uns Alle. Er war oft bei mir auf dem Fasanenhofe. Als ich in die Stadt gezogen war, kam der Diener eines Tages herein und sagte: „Herr! draußen steht ein Soldat, der mit Ihnen zu sprechen wünscht.“ Ich ging hinaus. Die Gardinen waren der Sonne wegen herabgelassen; ich konnte das Gesicht nicht recht erkennen, und sah nur einen Soldaten in seinem groben Rock, mit Patrontasche und Säbel, der ehrerbietig an den Czako faßte. Es war Lövenskjold, der in den Kampf ging. Nachdem er sich bereits durch Tapferkeit ausgezeichnet und Dannebrogsmann geworden war, besuchte er[138] uns wieder; wir hatten die Freude, ihn im Soldatenrocke an unserm Tisch zu sehen und auf sein Wohl zu trinken, ehe er seinem ehrenvollen Tode entgegenging. Er steht vor meiner Seele als ein schönes Ideal all' der edlen Norweger und Schweden, die mit ihrem Bruderherzen für uns stritten, und ihr Blut für uns wagten und vergossen.
Den Reiseplan nach Bergen hatte uns unser Freund Holger Collet aufgeschrieben; und da der Staatsrath Sibbern einen Tag vorher eine weite Strecke auf demselben Wege gefahren war, so hatte er Pferde für uns bestellt. Holger hatte uns aber zu kurze Zeit gelassen, und obgleich wir eilten, so mußten wir doch an ein paar Orten doppelt bezahlen, weil man uns zur bestimmten Zeit vergebens erwartet. Der Weg führt größtentheils an Abgründen entlang, doch ereignen sich selten Unglücksfälle; denn die norwegischen Pferde sind ebenso wie die italienischen Esel daran gewöhnt, die Felsen auf und ab zu klettern. Zwei Dinge gehören zu den wichtigen Erfordernissen einer Reise in Norwegen: ein guter Kutscher und ein Cabriolet. Ersteren verschafften wir uns; aber statt des Cabriolets bekamen wir Bull's Chaise. Da diese nun ziemlich hoch war, so war sie auch gefährlicher; hatte aber auch wieder den Vortheil, daß sie beim Regen zugemacht werden, und daß man mehr darin mit sich führen konnte. Im Anfange erschien mir die Nähe des Abgrundes etwas bedenklich; aber man gewöhnt sich an Alles und es währte nicht lange, so ließ ich den lieben Herrgott sorgen und schlief ganz ruhig in dem bequemen Wagen. Selbst eine Stelle, wo ein paar Tage vorher eine Karre mit einem Pferde herabgestürzt war, machte keinen Eindruck auf mich.
Wir machten unsere Reise in vier bis fünf Tagen. Ich will hier nicht all' die Ruhepunkte aufzählen, sondern nur einiges Charakteristischen, dessen ich mich entsinne, Erwähnung thun. Am ersten Abend kamen wir in ein Haus, wo der Wirth und[139] die Wirthin, obgleich Bauersleute, meine Biographie und mein Freia's Altar gelesen hatten, und sich alle Mühe gaben, uns nach besten Kräften zu bewirthen. Zu dem Ende brateten sie ein Spanferkel, das sie auf den Tisch setzten. Unglücklicherweise aber konnte ich Nichts davon genießen; denn es ist mir stets zuwider gewesen, von einem Spanferkel zu essen, das mit Kopf und Schwanz und geschlossenen Augen, fast als ob es noch lebte auf den Tisch kommt. Das Gefühl von einer Art Kanibalismus bei dem Genusse eines, wenn auch nicht Mitmenschen, so doch Mitgeschöpfes macht mir die Mahlzeit widerlich. Es darf keine Spur des verschwundenen Lebens mehr vorhanden sein, wenn die Fleischspeise schmecken soll. Nur durch diesen Selbstbetrug versöhnt sich unser, wenn auch nicht ethischer, so doch ästhetischer Sinn mit den Forderungen der Natur. Indessen kostete ich doch von der Speise, um den braven Leuten nicht zu mißfallen, die uns so gern Etwas zu Gute thun wollten.
Der Wagen wankte oft an steilen Punkten; das störte mich aber doch nicht in der Betrachtung der wunderbaren Natur. Norwegen besteht mit Ausnahme einiger großen Thäler aus lauter Felsen, zwischen deren Spalten die Flüsse dahinströmen. Zwischen dem Fluß auf der einen Seite und dem Felsen auf der andern erstreckt sich ein breiter oder schmaler Erdstreifen mit Ackerboden und einem Fahrwege zwischen sich und dem Flusse. Das ist Norwegen! Man hat so viel von dem kalten unfruchtbaren Klima gesprochen; nicht das Klima im Ganzen genommen ist es, das Norwegens Unfruchtbarkeit verursacht; hieran sind größtentheils die unglücklichen einzelnen Nachtfröste schuld. Eine einzige Nacht kann die Ernte eines ganzen Jahres zerstören. Was Norwegen besonders fehlt, ist Erde. Steine können nicht zu Brot werden, und Norwegen besteht größtentheils aus Steinen und Wasser. Aber wenn eine Zaubermacht die gegen Süden gewandten Bergabhänge hinreichend mit fruchtbarer Erde bedecken könnte, so würde Norwegen ein Paradies werden; denn das Klima auf der Süd- und auf der Nordseite[140] des Berges ist durchaus verschieden. Wo die Sonne in dem Thale scheint, welches die Felsen vor Stürmen schützen und die Sonnenwärme verstärken, indem sie die Strahlen zurückwerfen, würde fruchtbare Erde den Fleiß des Landmannes durch die reichste Ernte belohnen.
Unser Kutscher fuhr rasch. Aber ein Mal hatte er schlechte Pferde bekommen, und wollte auf einer unwegsamen Stelle sie mit der Peitsche vorwärts zwingen, was wir ihm aber untersagten. Die Bauern umgaben uns in großen Haufen, darunter war auch ein baumstarker großer Bauer mit finsterm Gesicht, der sich uns erbittert und drohend mit wilden Blicken näherte. Glücklicherweise kam der Prediger dazu, der ihn beruhigte, sonst wäre es dem Kutscher und uns vielleicht auch schlecht gegangen. Dies war der erste und letzte Norweger auf meiner Reise, der sich mir unfreundlich zeigte.
Wir näherten uns dem Filefjeld, dessen Kamm jetzt, in der Mitte des Sommers noch an vielen Stellen mit Schnee bedeckt war. Hier aßen wir einen guten Rennthierbraten, und ein starker Bauer trug mich auf seinem Rücken durch den Schnee; doch nicht ganz ohne Schwierigkeit; denn ich war nicht so leicht, als er geglaubt hatte.
Von dort kamen wir nach dem Leerthale, wo Manöver gewesen war. Die Soldaten mußten von fernen Gegenden dorthin ziehen, um einen flachen Raum von genügender Ausdehnung zu finden, auf dem sie marschiren und exerciren konnten.
Von hier fuhren wir mit einer Abtheilung norwegischer Soldaten auf einem Dampfschiffe nach Bergen wo uns meine geliebte Maria und ihr Mann auf einem Boote im Hafen entgegenkamen. In dem Augenblick, wo ich aus dem Schiff ins Boot steigen sollte, mußte ich, als ich mein geliebtes Kind wiedersah, meine Gefühle unterdrücken, um nicht ins Wasser zu fallen. In der Stadt erwartete uns ihr Wagen, und nun fuhren wir rasch den herrlichen Weg entlang bergauf, bergab nach Steen.
Bei der Einfahrt in Konow's Gut stand in dem Thore[141] das Kindermädchen mit dem kleinen Harald, der seinen Großvater an der Grenze empfangen sollte. Durch eine lange Allee mit gut bebauten Feldern zu beiden Seiten, von nackten, hohen Riesenfelsen begrenzt, kamen wir nach dem traulich und schön eingerichteten Hause. Hier verbrachte ich sechs glückliche Wochen im Schooße meiner Familie. Meine Maria spielte mir täglich einige der Mozart'schen und Beethoven'schen Compositionen vor, die ich stets so gern hörte, und ich ging daran, meine Tragödie „Erik Glipping“ zu vollenden, die ich bereits im Fasanenhofe begonnen hatte. In Bergen besuchte ich den herrlichen Christie, der Stiftsamtmann gewesen, Staatsminister hätte werden können, sich aber mit dem Amte eines Zollinspectors begnügte, und einer der Begründer der norwegischen Constitution war.
Es währte nicht lange, so erhielt ich eine Einladung von Bergens Einwohnern aus allen Classen zu einem Feste im Locale der dramatischen Gesellschaft. Ich wurde von den Stiftsamtmännern Hagerup und Christie, dem Amtmann Schütz und den Directoren der Gesellschaft empfangen, und in des Prinzen Oskar Loge hinaufgeführt. Ungefähr fünfhundert Personen empfingen mich mit einem Liede und einem schönen Prologe von meinem alten Freunde, dem Oberlehrer Lyder Sagen. Später war Souper und Ball für über hundert Personen. Ich sprach meinen Dank für diese Ehre in einem Gedichte aus, das in meinen Sammlungen abgedruckt ist. Aber es blieb nicht dabei; die edlen Bergener erwiesen mir auf mehrere Arten ihre Zuneigung.
Je mehr sich die Abreise näherte, desto schwerer athmeten Maria und ich, und manche Thränen wischten wir fort, die sich am Ende doch nicht mehr verbergen ließen. Wir hatten Beide versucht unser Gefühl zu unterdrücken, wenn vom Abschiede die Rede war; aber wir wußten wohl, was wir einander waren, und der Gedanke an die schwere Trennung, die uns bevorstand, erschütterte uns. Eines Vormittags, als Konow und William ausgegangen waren, hatte ich mich in mein Zimmer gesetzt und[142] las; als ich zu Maria hineinkam, fand ich sie an ihrem Nähtische still weinend. Ich fragte sie besorgt um die Ursache? „Du gehst von mir weg und liest,“ sagte sie, „während ich hier allein bin. Dazu hast Du Zeit genug, wenn uns mehr als eine Thür trennt.“ In solchen Zügen äußerte sich ihr schönes Herz.
In ein paar Bäume auf dem Wege nach der See zu hatte ich einige Worte eingeschnitten; gleich vornan in einen: „Lebe wohl!“ und weiter unten am Strande: „Auf Wiedersehn!“ Nun schnitten wir auch unsere Namen in einen Baum im Garten. Bei dieser Gelegenheit darf ich eines poetischen Charakters nicht vergessen. Die Sage von den Hausgeistern ist hinreichend bekannt: es sind gute, unschuldige Wesen, die mit größter Bescheidenheit nur wenig von Dem genießen, was man ihnen anbietet, und mit größter Freude allen nur möglichen Nutzen im Hause thun, während sie sich an die Familie anschließen. Freilich haben sie etwas Wunderliches an sich, aber das wird hinreichend durch ihr muntres Wesen und ihre innige Gutmüthigkeit ersetzt. Solch' einen Hausgeist besitzt Steen im Onkel Jahn. Ohne an den Speculationen und dem Handelsfleiße seiner Brüder, wodurch diese reiche Männer wurden, Theil zu nehmen, führte er ein abenteuerliches Leben, ging in seiner Jugend auf die See, und schloß sich später als ein reisendes Mitglied den Familien an. Auf Steen ist er der Abgott der Kinder, denn er lebt mit ihnen wie ein Kind, erzählt ihnen Märchen, spielt ihnen auf der Violine und der Mundharmonika vor, und sie haben kein Spiel, an dem er nicht Theil nähme. Aber er kann auch schmieden, zimmern und dem Hauswesen nützen.
Als nun Maria und ich zum Abschiede unsere Namen in einen Baum geschnitten hatten, fand Onkel Jahn die Idee so hübsch, daß er Lust bekam, auch den seinigen daneben zu stellen. Als ihm aber später Jemand sagte, daß sein Name nicht dahin paße, wollte er ihn durchaus wieder wegschneiden, und es kostete viele Mühe, ihn zu bewegen, daß er denselben stehen ließ.
So riß ich mich denn also aus den Armen meiner geliebten Maria. Um uns zu trösten, versprach der gute Konow, sie bald mit dem kleinen Harald nach Dänemark zu bringen. Und er hielt mehr, als er versprochen hatte, denn Harald kam mit noch zwei Brüdern.
Das Wetter war herrlich, es ging kein Wind, darum kümmerte sich aber das Dampfschiff nicht. Ich starrte lange nach der Küste hinüber, als ich an Steen vorüber fuhr, aber es war zu weit, um Jemanden sehen zu können, und das war recht gut; denn der Anblick der Geliebten würde die Wunde nur wieder aufgerissen haben. Beim Vorübersegeln betrachtete ich die große, schöne Stadt, die zwischen nackten Felsen eingeklammert liegt. Auch Norwegen hat in früheren Zeiten durch die Deutschen gelitten. Hier setzten sich die Hanse-Kaufleute fest und belästigten lange die Bergener Bürger. Die alten Heldenkönige, die hier gestrahlt hatten, wurden vergessen, selbst ihre Grabmäler in den Kirchen sind zerstört, und keiner wußte, wo sie gestanden hatten. Die nackten Felsen machten einen traurigen Eindruck; doch würden die der Stadt zunächst gelegenen nicht so unfruchtbar sein, wenn sie vor dem Viehe geschützt worden wären, das die hervorsproßenden Keime abnagt, wenn man das Ackerland nicht einhegt. Auf dem eingehegten Gute des Stiftsamtmanns Hagerup z. B. erstreckte sich das Grüne ein gutes Stück den Berg empor.
Um mich zu erheitern, hatte das Schicksal uns den herrlichen Rosenkilde auf das Schiff geführt. Diesen vortrefflichen Schauspieler, ebenso ausgezeichnet durch seinen Humor wie durch sein Herz, der sich auch im „Fest der Freunde“ als ein guter Dichter bewährt hat, kannte ich bereits seit meiner Jugend, wo er oft bei Madame Möller in der Weststraße aß. Er war auf einer Kunstreise begriffen, und kam von Drontheim. Das Wetter war so schön und ruhig, daß wir auf dem Verdecke[144] Karten spielen konnten. Eine große Anzahl norwegischer Matrosen wurden auf dem Schiffe transportirt; jetzt hatten wir Gelegenheit, norwegische Seeleute zu sehen, sowie auf der Fahrt vom Leerthale nach Bergen Soldaten. Des Abends legten sie sich bis früh auf dem Decke zur Ruhe, und wenn wir Andern, die wir später zu Bette gingen, über das Verdeck gehen wollten, mußten wir über die schlafenden Matrosen wegschreiten. Ich fragte einmal den Capitain im Scherz, ob er nicht fürchtete, daß sie Aufruhr machen könnten? „Davor bin ich von moralischer Seite sicher,“ sagte er. — „„Genügt das?““ fragte ich. — Er zeigte auf fünf bis sechs Männer, die Riesen nichts nachgaben, und sagte: „Auf diese kann ich mich in jedem Falle verlassen.“
Es geht sehr langsam auf dieser Reise, weil man zwischen unzähligen Scheeren und Bänken in der Nähe kleiner Felseninseln dahin fahren muß. Ueberall gebraucht man Lootsen. Wir näherten uns einmal zwei solchen Straßen, deren eine breit, die andere sehr eng war. Aber gerade durch diese letztere mußten wir fahren, denn in der andern wären wir auf den Grund gelaufen.
In Stavanger, wo das Schiff sich einen Tag aufhielt, war ich in der Kirche, und sah das Taufbecken, in dem Steffens getauft worden war. Er kam ein Jahr alt mit seinen Eltern nach Dänemark; sie hatten gerade ein Jahr in Norwegen gelebt. Erst als Jüngling besuchte er Norwegen wieder; indessen hatte er doch das Recht Norwegen sein Vaterland zu nennen.
Im Jahre 1844 verlor Dänemark seinen Thorwaldsen. Er war ein paar Jahre vorher wieder in Italien gewesen. Sein Herz schwebte zwischen Süden und Norden. In Italien hatte er sein Leben von der ersten Jugend an bis zum Alter zugebracht. Dort hatte er sein Genie entwickelt, dort war er groß und weltberühmt geworden. Aber obgleich er Italien liebte,[145] und die griechischen Werke ihm heilige Götterbilder für Studium und Kunst wurden, so brachte er nach Rom doch eine so stark nordische Persönlichkeit mit, daß weder Zeit noch Raum ihr Gepräge verwischen konnten, und wenn er uns besuchte, so war er in Wort und That, als ob er nie fern gewesen wäre. Thorwaldsen hatte, wie die meisten Künstler seiner Zeit, keine wissenschaftliche Erziehung gehabt. Sprachen waren nicht seine Sache; selbst seine eigne Muttersprache redete er schlecht; aber er war ein unvergleichlicher Meister in der Fingersprache. Wenn eine Sprache so vortrefflich ist, daß man in derselben das Höchste und Beste ausdrücken kann, und wenn man dies thut, so ist man beredt, selbst wenn man auch stumm wäre. Die Sprache selbst ist nur ein sinnliches Mittel um die Gedanken des Geistes und die Gefühle der Seele auszudrücken; unzählige Menschen schreien und grunzen, trotz ihrer Sprache, wie die Thiere, zwitschern wie die Vögel, schwatzen wie Staarmätze und Papageien. Wenn Mozart und Thorwaldsen die höchste Intelligenz in Tönen und Bildern ausdrücken, so hat weder die tiefsinnige noch die flache Metaphysik Recht, ihre Ideen undeutlich und dunkel zu nennen, weil sie dieselben nicht in Begriffe aufzulösen verstehen. Diese Begriffsauflöserei, diese bornirte Logik hat oft durch triviale Spitzfindigkeit die Begeisterung vernichtet, den Eindruck geschwächt und der Flachheit einen breiten Weg geöffnet, um den guten Geschmack durch Sophismen und Wortklauberei zu verderben. Die gesunde Logik, die wahre Philosophie steht in dem innigsten Verhältnisse zu Kunst und Genie, wie Minerva zu den Musen; wir sprechen hier nur von dem Misbrauche, der sich am Häufigsten findet. Auf eine naive, aber gerade richtige Weise entwickelte sich Thorwaldsen's Kunst, stets auf dem praktischen Wege. — Man erzählt sich eine hübsche Geschichte, wie ein Deutscher, der sich seinen Kunstgeschmack durch Theorien und Abstractionen gebildet, zu ihm kam, kurz bevor er nach Rom reiste und als er eben ein paar Figuren componirt hatte, die für sein Alter merkwürdig schön waren. Der Fremde wollte wissen, welchen[146] Weg er gegangen sei, welche Werke er studirt habe, um zum Ziele zu gelangen. Thorwaldsen, der all' das gelehrte Geschwätz nicht verstand, starrte ihn lange verblüfft an und sagte endlich: „Ach so! Sie wollen wissen, wie ich die Statue gemacht habe?“ — „„Ja, das möchte ich gern wissen!““ — „Das will ich Ihnen sagen,“ antwortete Thorwaldsen, der sich alle Mühe gab, recht deutlich zu sein, damit der Fremde ihn verstehen könne; — „ich nahm ein Bret, bohrte ein Loch hinein, steckte dann eine Stange in das Loch, nahm feuchten Thon, den ich um die Stange legte — und dann machte ich sie!“ Welch unbewußte herrliche Satire liegt in dieser scheinbaren Einfalt!
Aber Thorwaldsen wurde, als er nach Rom kam, ein gelehrter Grieche, denn er studirte die griechische Bildhauerkunst mit einer Tiefe und Gründlichkeit, von der kein griechischer Philolog eine Ahnung hatte. Canova war sein großer Vorgänger; ihm, dem Italiener und Römer, dem klugen Weltmanne, war es viel leichter als Thorwaldsen geworden, sich berühmt zu machen. Seine prächtigen Ateliers lockten die reiche beau monde herbei; lange Zeit standen Thorwaldsen's Meisterwerke unter elenden Bretterschuppen; er selbst war unordentlich gekleidet, sprach die fremden Sprachen schlecht — und war ein Däne! Was konnte man aus Dänemark erwarten? Aber echte Kenner ließen sich doch nicht durch den Schein blenden. Der reiche Engländer Hope bestellte eine Marmorstatue seines Jason, dessen Thonmodell er, in seiner Verzweiflung, im Begriff war in Stücke zu schlagen, als er nach Hause reisen wollte, weil er keinen Käufer fand. Und nun währte es nicht lange, so überstrahlte er in den Augen wahrer Kunstkenner Canova. Aber man darf doch nicht vergessen, daß Canova der Erste war, der den schönen, guten Geschmack zurückbrachte. War er etwas zu kokett und sinnlich in seinen Werken, so war die Thorwaldsen'sche Keuschheit vielleicht zuweilen etwas zu kalt, und daß Jener der Vorgänger gewesen, darf man nie vergessen! Voß's Louise steht an poetischem Werthe unter Göthe's Hermann und Dorothea;[147] aber Göthe hätte Hermann und Dorothea schwerlich gedichtet, wenn Voß nicht vorher seine Louise geschrieben hätte. Während Thorwaldsen lebte und wirkte, besaß er am Ende seiner Laufbahn eine unbegrenzte Celebrität und Autorität. Später hat man in Deutschland auch angefangen, ihn zu bekritteln. Er könne sich nur in das Griechische versetzen; nicht die Kunst in die Gegenwart hinüberführen; trotz der göttlichen Apostel und des Taufengels war er nicht christlich genug; eigentlich sei er ganz besonders groß nur im Basrelief u. s. w. — Mir that es nur leid, daß er nicht die Götter des Nordens verherrlichte, da er doch aus Island stammte. Aber es ist gut, daß auch der Zukunft etwas zu thun übrig bleibt und vielleicht setzt Jerichau fort, was Freund und Bissen so gut begonnen haben.
Auf Nysöe bei Baron Stampe war ich oft mit ihm zusammen. Die Baronesse hatte ihm ein hübsches Atelier im Garten bauen lassen, und da vollendete er, im letzten Sommer, den er dort zubrachte, seine eigene Statue. Wie ein echter Baulundur steht er mit Hammer und Meißel da. Den letzten Winter und den letzten Tag seines Lebens war ich auch bei Stampe in Kopenhagen mit ihm zusammen. Er aß und trank gut, befand sich vollkommen wohl, saß mit mir auf dem Sopha und scherzte nach Tische beim Kaffee. Es stand ein Korb mit Visitenkarten auf dem Tische, in dem wir herumwühlten. „In alten Tagen“, sagte Thorwaldsen, „hatte man solche Visitenkarten nicht; da schrieb man die Namen auf wirkliche Karten.“ Einmal hatte sich eine Familie ein ganzes Spiel solcher Visitenkarten gesammelt, mit denen sie des Abends wieder spielten, wenn sie keine andern Karten hatten. „Ich kann nicht stechen“! sagte der Eine bei einer Partie. „„So gieb schlechtes Zeug zu““! sagte sein Aide, und da warf er den „Herzog von Württemberg“ drauf. Während dessen wühlte ich im Korbe umher, und fand eine Karte, auf der ein Name so klein gedruckt war, daß man ihn kaum lesen konnte; sie war aber wieder von[148] einem Anderen benutzt worden, der seinen Namen sehr groß auf die Rückseite geschrieben hatte. „Hier ist eine Karte“, sagte ich, indem ich sie Thorwaldsen hinreichte, „die man recht gut gebrauchen könnte, wenn man Trumpf zugeben wollte“. Er sah auf den kleingedruckten Namen, konnte ihn aber nicht lesen. „Kehre sie um“! sagte ich. Er that es und las: „Thorwaldsen“. So scherzten wir mit einander. Aber plötzlich sagte er ganz ernst: „„Oehlenschläger! den kleinen Genius der Poesie, den ich gemacht habe, habe ich zu einer Medaille für Dich bestimmt““. — „O, mein guter Thorwaldsen“! sagte ich nun in ganz anderm Tone; „das ist zu viel“! — „„Nein, das ist es nicht““, entgegnete er, indem er sich erhob. Das waren die letzten Worte, die er an mich richtete. Wir gingen nach Hause; er wollte ins Theater, und es war ein Zufall, daß ich ihn nicht begleitete. Im Schauspielhause starb er; als eine schöne Symphonie gespielt war, sank sein Haupt herab, und er gab den Geist auf, — ohne Angst, ohne Schmerzen und Krankenlager, wie er es gewünscht hatte.
Im täglichen Umgange war Thorwaldsen mild und freundlich; doch konnte er auch verdrießlich sein; gegen mich war er es aber nie. Einige beschuldigten ihn des Geizes, und wer ihn nur aus einzelnen Zügen kannte, mochte vielleicht Grund dazu haben; aber man kann den Mann nicht geizig nennen, der oft für hohen Preis so viele Arbeiten von andern Künstlern kaufte, um diese zu unterstützen; ja sogar zuweilen mittelmäßige Werke (was seine Gemäldesammlung zeigt) nur um den Bedürftigen zu helfen. Dagegen liebte Thorwaldsen nicht die täglichen Ausgaben. Eine arme Jugend hatte ihn daran gewöhnt, sich Vieles zu versagen, ohne es zu vermissen, und später, als Alle darin wetteiferten, ihm Aufmerksamkeit zu erweisen, gewöhnte er sich zuletzt so daran, daß es ihm gar nicht einfiel, sie zu vergelten. Er liebte es nicht, Bedienten Trinkgelder zu geben, und es circuliren in Bezug darauf manche lustige Anekdoten. Er las nicht viel, ja man kann fast sagen, gar nichts, denn es kostete[149] ihm Anstrengung. Im täglichen Verkehre hatte er Italienisch und Deutsch gelernt, sprach es aber mit dem schlechtesten Accent aus. Wenn er etwas componiren wollte, so las er ein paar Seiten in Voß's Homer oder benutzte höchstens eine Mythologie. Bei Stampe mußte ich ihm oft aus Holberg's Comödien und meinen Werken vorlesen. Man pflegte seine außerordentliche Bescheidenheit zu rühmen. Da er stets als ein unerreichbarer Meister betrachtet wurde, der nicht den geringsten Tadel verdiene, so ist es natürlich, daß er dieser Bewunderung mit einer gewissen schüchternen Verschämtheit begegnete. Das Genie kommt von Gott, und wenn das Werk gelungen ist, so steht der Meister mit einer kindlichen Naivetät da, die wohl auch Bescheidenheit genannt werden kann. Aber Thorwaldsen war so klar in seiner Kunst, daß er sehr wohl wußte, was er sei. Gegen Canova war er streng. „Sieh“, sagte er einmal in Rom zu mir, als wir das Atelier des großen Italieners besuchten — „der Riese da steht so schlecht auf seinen Füßen, daß er umfällt, wenn ich ihn mit dem Finger berühre. — Diese Gewänder sind Kohlblätter! — Da haut ein Fechter auf den andern ein, während dieser auf der Erde liegt; ein Straßenjunge würde doch warten bis er aufgestanden ist“. — Einmal saß er mit einem andern tüchtigen Bildhauer bei der Flasche. Sie hatten Beide etwas tief ins Glas geschaut. „Hör' 'mal, Thorwaldsen“! sagte der Andere nun munter, „Du bist ein großer Künstler, ein außerordentliches Genie; aber verzeih, daß ich Dir's sage — in Marmor kannst Du eigentlich doch nicht hauen“. — „„Sieh““, antwortete Thorwaldsen, „„wenn Du mir beide Hände auf den Rücken bindest und ich den Marmor mit meinen Zähnen nicht besser beiße, als Du ihn hauen kannst, so sollst Du mich einen Pfuscher nennen““! — Um dies zu verstehen, muß man wissen, daß Thorwaldsen mit dem reichen Genie und der großen Erfindungsgabe lieber seine Gestalten in Thon modellirte, was dann doch das eigentliche Kunstwerk war, als eine Copie davon in Marmor zu hauen, was eine beschwerliche und fast ängstliche Arbeit ist;[150] denn theils kann man unerwartet auf blaue Adern im Marmorblock stoßen, theils kann ein einziger Fehlschlag die Statue verderben. Aber da die Marmorstatue für die Ewigkeit ist, so muß der Künstler sich darein finden, und das that Thorwaldsen auch, und er konnte den Marmor bis zur höchsten Vollendung bearbeiten, obgleich er in einzelnen Werken, bei denen die Idee die Hauptsache ist, das Rasche und Kühne dem Glatten und Gezierten vorzog.
Von Dem, was rings um ihn vorging, wußte er nicht immer Bescheid. Als man ihm bei seiner Ankunft die Pferde vom Wagen spannte und ihn nach Charlottenburg zog, wußte er nichts davon, bis man es ihm später erzählte.
Von seinem fürstlichen Begräbnisse, zu dem ich eine Cantate geschrieben hatte, die mit Gläser's Musik in der Frauenkirche aufgeführt wurde, spreche ich nicht. Dies ist ein Akt, der der Geschichte angehört und nie vergessen wird. Das Volk geleitete ihn; sein König kam der Procession in der Kirche entgegen. Dänemark trauerte, freute sich aber in seinem Schmerz über den großen Künstler, der nie sterben konnte. Später schrieb ich ein Gedicht: „Das letzte Lebewohl“, das König Christian mich bat, an seiner Tafel vorzulesen, wo die Mitglieder der Akademie der Künste versammelt waren. Alle Lakaien und Diener mußten hinausgehen. Der Oberhofmarschall holte selbst den alten Rheinwein, mit dem, nach alter Väter Weise, ein prächtiges Trinkhorn gefüllt wurde; und während das Horn, nachdem zuerst der König daraus getrunken hatte, von Mund zu Mund ging, las der Skalde das Gedicht vor.
In demselben Jahre wurde ich Ehrenmitglied der Akademie der Künste. Ich glaube, daß dies damals ganz besonders aus Pietät für Thorwaldsen geschah, da man wußte, daß es sein Wunsch und Wille gewesen sei. Mitglied der Gesellschaft der Wissenschaften in Kopenhagen wurde ich nie. So viel ich[151] merken konnte, kam dies daher, weil man fürchtete, daß ich nicht einstimmig gewählt werden möchte und glaubte, daß es mir auf andere Weise nicht Freude bereiten würde.
In diesem Jahre verkaufte ich das Verlagsrecht meiner Werke auf zehn Jahre an den Universitätsbuchhändler Höst, und sah mich dadurch in den Stand gesetzt, wieder mit meinem jüngsten Sohne William eine Reise ins Ausland zu machen. Auf dieser Reise schrieb ich meinen andern Kindern Briefe, aus welchen ich Bruchstücke mittheilen werde, um die charakteristischen Züge zu bewahren und dem Leser den frischen Eindruck der Reise zu verschaffen, wie er damals, ungestört und ungeschwächt durch spätere Ereignisse, auf mich einwirkte.
Berlin, den 9. Mai 1844.
Beim herrlichsten Wetter kamen wir um zwölf Uhr des nächsten Morgens nach unserer Abfahrt aus Kopenhagen, in Stettin an. Hier nun sahen wir das Mirakel, denn so kann man es wohl nennen, wenn man zum ersten Mal auf der Eisenbahn fährt. Es war mir wie Aladdin zu Muthe, als er vom Geist des Ringes durch die Luft geführt wurde — nur ging es viel bequemer und nicht so gewaltig auf und ab. Freilich sah ich nicht so viel wie Aladdin, erstens weil die Wände des Wagens mich daran verhinderten, und zweitens, weil auch nichts zu sehen war. Berlin liegt, wie Palmyra, in einer Wüste — damit seine schönen Paläste und Gebäude nicht durch die Natur verdunkelt würden. Wie möchten sie sich z. B. neben den Felsen Thelemarkens ausnehmen? Zwischen den Sandkörnern der Mark-Brandenburg aber sind sie wahre Riesen.
Am zweiten Tage meiner Reise saß ich bereits hier in Berlin und trank Thee. Am folgenden Tage (den 2. Mai) gingen wir zu Steffens, wo es von Fremden wimmelte, da — sein Geburtstag war. Ich sagte natürlich gleich, daß ich auch von Kopenhagen gekommen sei, um ihm zu gratuliren. Von[152] dort ging ich zu Tieck, den ich zwar recht wohl, aber doch tief zusammengeknickt, und die Gräfin Finkenstein neben ihm mit einem grünen Schirm vor den Augen fand. Er erkannte mich nicht gleich, freute sich aber dann sehr und lud mich zu Tisch ein, wobei wir Steffens' Geburtstag feierten. — Am Sonntag fuhren wir auf der Eisenbahn nach Potsdam, um dem Baron Humboldt den Brief unsers Königs zu überreichen. Humboldt empfing mich sehr freundlich und ging gleich zu seinem Könige hinauf, um ihm zu sagen, daß ich anwesend, und einen Augenblick darauf kam er zurück, um mich zu ihm zu führen und mir zu sagen, daß ich zur Tafel geladen sei. Der König empfing mich mit großer Freundlichkeit, und ich sprach über Vieles mit ihm. — Humboldt fuhr mit uns, wie der König es bestimmt hatte, nach Sanssouci, und zeigte uns die Reliquien Friedrich's des Großen. — Nach der Tafel sprach ich mit der Königin, die sehr liebenswürdig ist, mit dem Prinzen Wilhelm und dessen Gemahlin. Als der König hörte, daß ich Dina mitgebracht hätte, lud er mich ein, es Dienstag Abend vorzulesen. Am bestimmten Tage fuhr ich Vormittags nach Potsdam. Steffens sollte beim Könige speisen. Nach der Tafel erzählte er, daß ich auch hatte dort sein sollen, daß es aber vergessen worden sei. Der König hatte Steffens zu meiner Vorlesung eingeladen. Dem König und der Königin gefiel das Stück, und er äußerte oft seinen lebhaften Beifall während des Vorlesens. Als wir gehen wollten — es war eine ziemlich große Gesellschaft — rief er mit lauter Stimme: „Baron Humboldt! Sorgen Sie als Ordenskanzler dafür, daß der Orden pour le merite, den Thorwaldsen getragen hat, Oehlenschläger gegeben werde! Es wird mich freuen, wenn er gerade diesen trägt“! Ihr könnt Euch meine Gefühle bei dieser großen Ehrenbezeugung vorstellen — die um so größer durch die Worte des Königs und seinen Wunsch wurden, daß ich Thorwaldsen's Orden erben solle. Ich dankte ihm mit gerührtem Herzen. Am Abend war es zu spät nach Berlin zu kommen, Steffens und ich blieben deshalb[153] im Gasthof zum Einsiedler, wo wir, wie in alten Tagen — in demselben Zimmer zusammen schliefen, und dann am nächsten Morgen nach Berlin fuhren. — —
Dresden, den 27. Mai.
— — Wir waren oft bei Tieck; in einer großen Gesellschaft zu Ehren des 81jährigen Bildhauer Schadow im Wintergarten, einem herrlichen Gebäude, wo es aber besonders schön im Winter sein muß, wenn man von Blumen umgeben ist; jetzt steht der Frühling selbst in all seiner Pracht und beschämt die schönste Kunst. — Bei dem Könige waren wir zum dritten Male in Potsdam zu Mittag. Er bat mich freundlich, bald wieder zu kommen. Es rührte mich innig, von dem alten, großen Humboldt zu scheiden, der sich wie ein Vater gegen mich bewiesen, und dessen Herz ich gewonnen habe. Die Prinzessin Wilhelm kam uns gleichfalls sehr liebevoll entgegen, sie bat mich, Etwas in ihr Stammbuch zu schreiben und ich schrieb nach Goethe's Gedicht im Wilhelm Meister Folgendes hinein:
Bei Tieck hörten wir „Ritter Blaubart“, „Fortunat“, „der Kaufmann von Venedig“, „der Däumling“ und Aeschylos' „Eumeniden“ vorlesen. Der Theaterdirector, Herr von Küstner, nahm eigenhändig eine Abschrift von „Dina“; wir verließen Berlin und gelangten am Pfingstabend in Dresden an, wo wir jetzt in Stadt Rom, der lieben Gemäldegalerie gegenüber wohnen, und wo ich nun wieder andachtvoll vor Raphael's und Correggio's ewigen Meisterwerken gestanden. Ich besuchte sogleich den Theaterchef, Geheimrath von Lüttichau, bei welchem wir Shakespeare's Uebersetzer, den Grafen Wolf Baudissin, trafen.
Dresden, den 12. Juni.
Es giebt zwei Arten Briefe zu schreiben. Die eine, wenn der Brief sofort abgehen muß — und dann wird die Erzählung[155] eigentlich nur das Gerippe der Reise; die andere, wenn man sich Zeit nehmen kann, und alsdann kann man — um bei dem Gleichnisse zu bleiben — dem Gerippe Muskeln, Adern, Nerven und Haut anlegen, und — wenn man selbst etwas Athem in seinen geistigen Lungen hat — auch der Nase des Reisegerippes einen lebendigen Geist einhauchen. Da ich nun heute Vormittag Zeit habe, — denn ich werde nicht, wie sonst um ein Uhr, sondern um drei Uhr speisen, weil ich von dem Prinzen Johann im Pirna'schen Garten zu Mittag eingeladen bin, — so will ich etwas mit Euch plaudern, meine lieben Kinder.
Es geht in der Natur, wie in der Kunst; sie wirkt am stärksten durch die Contraste; so z. B. kann man sich nichts Verschiedenartigeres denken, als Preußen und Sachsen. In Mark Brandenburg — namentlich um Berlin — ist weiter nichts als Sand, Wasser, die Linden und der Thiergarten — in Sachsen die schönste Natur, die man sich denken kann. Wir waren letzthin in Tharand, in einem anmuthigen, engen Thale, von steilen Gebirgen umgeben, mit der üppigsten Vegetation. Dort saßen wir an der Sonnenseite vor dem Hause und aßen zu Mittag. Was aber Häuser, Paläste, Einrichtungen und Militair betrifft, steht Preußen weit über Sachsen. Man muß die herrliche Haltung, den schönen Wuchs, das stolze, kriegerische Aussehen bei den Nachkommen Friedrich's II. und Blücher's bewundern. — Hier in Sachsen sehen die Soldaten erbärmlich aus! Gestern, als es regnete, und ich mit aufgespanntem Regenschirme dahineilte, hätte ich beinahe einer kleinen Schildwache in einem grauen Kittel, die ich fast gar nicht gesehen hatte, die Mütze vom Kopfe gestoßen; ich griff an den Hut und bat um Vergebung.
Letzthin sahen wir den Sommernachtstraum, den Lüttichau, glaube ich, die Artigkeit hatte, meinetwegen aufführen zu lassen. Felix Mendelsohn's Musik ist unvergleichlich — die Decorationen sind prachtvoll und das Spiel im Ganzen genommen, recht[156] gut. Es hatten sich viele Zuschauer eingefunden; aber die Leute wissen nicht recht, was sie zu diesen alten Späßen und Schwänken sagen sollen, und dieselben, welche die Schauspieler in Töpfer's und Raupach's Stücken hervorrufen, schämen sich — mit gutem Grunde — Shakespeare zu applaudiren.
Wir haben jetzt auch Antigone hier gesehen und das Stück hat mich außerordentlich erfreut, mehr als der Sommernachtstraum. Das Theater war ganz im griechischen Style eingerichtet. Auf einer großen Erhöhung stand der Palast mit seiner Vorhalle; von hier aus führten Stufen zu einem Platze mit dem Altar und zu diesem hin bewegte sich der Chor von einer noch niedrigern Stelle aus. Das Licht kam von oben; eine bewegliche Wand von unten anstatt des Vorhanges. Architektur und Trachten ausgezeichnet. Fräulein Beyer als Antigone edel und rührend; etwas mehr Kraft hätte man wünschen können. Es machte auf mich einen tiefen Eindruck, dieses drittehalbtausend Jahre alte Meisterwerk zu sehen. Die Musik von Mendelssohn ist unvergleichlich. Was der Chor singt, kann man allerdings nicht verstehen, wenn man es nicht liest, wenn einem aber die Situation und der Hauptgedanke bekannt ist, drückt die Musik Alles bis zur Vollkommenheit aus.
Wir haben die Bekanntschaft eines großen Theiles der vornehmsten und gebildetsten Damen Dresdens gemacht, die Prinzessinnen von Holstein, die Fürstin Löwenstein, Generalin von der Decken, Gräfin Lynar, Frau Förster, und man muß jeden Abend nach dem Theater in der Gesellschaft erscheinen. Wir haben einen schönen Abend beim Hofrath Winkler verbracht. Auch bei einer Gräfin Eggloffstein sind wir eingeladen gewesen, die ungeachtet ihrer vornehmen Verhältnisse — sie war lange Zeit Hofdame — sich der Malerkunst ganz hingegeben und schöne Sachen ausgeführt hat. Sie bat mich, für ihr Album mich zeichnen zu dürfen. Den vortrefflichen Maler Hübner und das anmuthige Fräulein Beyer haben wir auch besucht.
Ein sehr liebenswürdiger, dienstwilliger Mann Namens Kraukling, Director des Museum, lange Jahre Herausgeber der Morgenzeitung, ein guter Freund von Tieck, hat mir einen Verleger für meinen Oervarodd und meine deutsche Uebersetzung von Wessel's „Liebe ohne Strümpfe“ verschafft. — Uebermorgen früh reisen wir mit dem Dampfschiffe nach Teplitz und von dort über Prag nach Wien.
Wien, den 23. Juni.
— — Prag, diese große schöne Stadt kennt Ihr ja Alle; und wenn der liebe Gott sie nicht kennt, so thut es doch der heilige Nepomuk. Derselbe wird hier in seinem silbernen Sarge im Dome eifriger angebetet, als unser Herr Gott in den meisten andern Ländern.
Wir besuchten alle mögliche Kirchen, die sich durch Schönheit, Pracht und Größe auszeichneten, bis auf die Judenkirche, welche wie ein Schweinestall aussah; aber es ist ein antiker, merkwürdiger Schweinestall; er soll seine vierzehnhundert Jahre alt sein. Er müßte eigentlich in einem Museum für Alterthümer aufgestellt werden. Der König von Preußen ist ja mit einem guten Beispiele vorangegangen, indem er für Brandenburg die alte norwegische Kirche gekauft hat; und Brandenburg kann sie nöthig haben, denn die Religion drückt es nicht.
Wir waren auch in Mönchs- und Nonnenklöstern. Wir sahen eine Menge von kostbaren Monstranzen, die von einem Riesenmönche vorgezeigt wurden, der demjenigen in Walter Scott's Roman glich. Einige Spitzbuben hatten vor wenigen Monaten versucht, die Mönche todtzuschlagen, um die Kirchenjuwelen zu rauben; deshalb stand nun dieser mit seiner körperlichen Kraft vor dem Eingange als Schutz.
Wir sahen auch Wallenstein's Palast, Graf Nostiz' schöne Gemäldegalerie, und im Theater den Freischütz. In der Theinkirche[158] erblickten wir auch unsern guten alten ehrlichen Tycho de Brahe, er lehnte sich in voller Rüstung und mit Metallschienen — nicht allein um die Nase[1] — an einen braunen Leichenstein, der in die Säule festgemauert war.
Auf unseren Wanderungen hörten wir die Harfenistinnen schöne böhmische Volkslieder singen — das heißt Melodien, denn vom Texte verstand ich natürlicherweise kein Wort.
Weil wir von Sprachen reden, muß ich auch eine Anekdote aus Prag erzählen, die uns in dem Prämonstratenserkloster passirte, während uns der Guardian oder was er sonst war, umherführte. Als er hörte, daß ich Professor sei, betrachtete er mich auch als einen Gelehrten und bat mich inständig, ihm zu sagen, in welcher Sprache ein Buch der Bibliothek geschrieben, über welches ihn noch Keiner hätte belehren können. Ich stand wie auf Kohlen; denn obgleich ich, wie Holberg's Jeppe „lange Jahre bei der Malice gestanden und meine Sprachen gelernt habe“, so war ich doch in Zweifel, ob meine Gelehrsamkeit sich soweit erstreckte, daß ich ihm sagen konnte, was kein Anderer wußte. Genug, das Buch wurde hervorgeholt, und denkt Euch einmal, es war Dänisch, eine alte Uebersetzung eines französischen Schäfergedichts. Jetzt werdet Ihr wohl begreifen, daß ich meine ungeheure Erudition in den glänzendsten Farben spielen ließ, so daß der Guardian über meine Gelehrsamkeit Augen und Ohren aufsperrte.
Endlich sind wir jetzt in Wien und wohnen „Zum Erzherzog Karl“. Wir haben unsern Minister Löwenstern besucht. Herr von Holbein hat, ohne noch das Stück zu kennen, „Dina“ hier zur Aufführung angenommen. Alles würde jetzt hier gut und angenehm sein, wenn nicht die Hitze uns den Genuß verdürbe; sie hindert uns aber, den größten Theil des Tages[159] zu benutzen. Alles, was vornehm ist, rüstet sich zur Abreise oder ist schon abgereist. Aber Fürst Metternich ist doch noch hier und Löwenstern hat mir versprochen, mich zu ihm zu führen. Im Burgtheater sah ich den ersten Abend „Die beiden Klingsberge“, von Kotzebue, eines seiner besten Stücke, ganz vorzüglich gespielt, besonders von Laroche. Ich glaube, daß es auf die Länge — aller Flausen ungeachtet — mehr Freude gewähren wird, den lustigen Kotzebue als den trockenen Scribe zu sehen. Gestern Abend sahen wir drei Akte von Don Carlos. Laroche war als König Philipp, — der bestgezeichnete Charakter des Stückes, — wieder sehr gut; Posa — der schon aus Schiller's Hand zu modern und subjectiv hervorgegangen ist, — wurde von einem Schreier verdorben. Dieses Stück hat in seinem Sujet und in allen den linkischen „Liebesgeschichten“ für mich immer etwas Unangenehmes gehabt, wenn es auch große Schönheiten besitzt; für die Bühne ist es von Anfang an nicht bestimmt, und es verliert durch das Zuschneiden.
Wien, den 1. Juli.
Jetzt bin ich acht Tage in dem deutschen Paris gewesen, und konnte gern, was mich betrifft, weiter reisen, aber William ist solider und wünscht eine längere Bekanntschaft mit der Herrlichkeit dieser Welt. Der Grund, warum ich mich hier nicht angezogen fühle, ist theils, daß das Burgtheater geschlossen wird, und dann, daß es hier so fürchterlich heiß und so entsetzlich theuer ist, besonders das Fahren, und zu Fuße kann ich in dieser drückenden Hitze nicht weit gehen. Die Folgen hiervon sind, daß ich ganze Vormittage auf meinem Zimmer geblieben, nachdem ich alle möglichen Manövers mit Oeffnen der Fenster und Thüren, Herablassen der Rouleaux, Wasser- und Eau de Colognebesprengungen auf dem Fußboden versucht habe — und Bücher aus der Leihbibliothek gelesen. „Das haben wir nun zwar Alles besser und bequemer zu Hause“. Aber Ihr müßt Euch doch auch nicht vorstellen, daß ich — wie der selige[160] Professor Mynster in seiner Jugend — acht Tage im Bette hier in Wien gelegen habe, um Jean Paul zu lesen. Ich bin trotz Allem viel umhergestreift. Als ein Beispiel der hiesigen Preise will ich nur anführen, daß wir bis jetzt für zwei Tassen Thee mit Butter und Brod fast zwei Thaler Dänisch bezahlt haben; jetzt trinken wir Bier. Deutschland ist ein Bierland und selbst in den Weingegenden hat das Bier dermaßen um sich gegriffen, daß man fast keinen Wein trinkt. Das Bier ist in unsern Tagen Mode geworden, es drückt die Begeisterung und den Geschmack der Zeit aus; es ist die Hyppokrene des Tages.
Wien, den 4. Juli.
Ich bin zu Mittag bei dem Fürsten Metternich gewesen; der Ton bei dem Mittagstische war munterer und ungenirter als am Abende. Die Fürstin war sehr freundlich. Vor Tische zeigte sie mir einen Papagei aus Neuholland, dessen Brust mit hellen rosenrothen Federn bedeckt war und der allerlei Künste machen konnte: wie todt auf dem Tische liegen, mit dem Schnabel an ihrer Hand hängen, schaukeln wenn sie ihn bei den Füßen faßte. Sie ist eine sehr schöne Frau — die vierte des Fürsten Metternich — und dieses Exercitium mit dem Vogel hätte ein treffliches Genrebild abgegeben. Nach Tische spazierten wir im Garten, der Fürst war sehr freundlich und mild, aber zu einem eigentlichen Gespräche zwischen uns kam es nicht. Ich erzählte von Norwegen, und brachte auch ein paar Anekdoten, die ihn ergötzten. Im Garten stießen wir auf eine Hecke, hinter welcher sich ein Stück Land befand, wo große Haufen Erde als Gebirge, große Steine als Felsen umherlagen, und auch ein kleiner See mit seinem Kanale gegraben war. Hier spielten seine Kinder, und fuhren Erde in Schubkarren, und der Gärtner half ihnen eine kleine Welt schaffen. Es war mir ein sonderbares Gefühl, den großen Politiker, der so viel Einfluß in Europa hat, in dieser kleinen Kinderwelt zu betrachten, wie er dem Gärtner sehr anempfahl: „Sie müssen[161] ihnen da noch einen Wasserfall machen! Einen Wasserfall müssen sie durchaus noch haben“. Er wird jetzt alt; aber er hat ein herrliches, bedeutsames Gesicht; man sieht, daß er sehr schön gewesen. Er legte seine Hand ganz freundlich auf meine Schulter und lächelte, wenn ich dies oder jenes erzählte.
Den 12. Juli.
Wir sind bei dem Grafen Dietrichstein gewesen. Wir trafen die Familie desselben allein und unter derselben den Fürsten Dietrichstein, einen alten, freundlichen, weißhaarigen Mann. Den gelehrten Orientalisten Baron Hammer besuchten wir auch. Ich las ihm meine „Dina“ vor. Er hatte vor Kurzem seine Frau verloren und war sehr betrübt. „Es ist der erste frohe Tag, den unser Vater seit dem Tode der Mutter gehabt“, sagte der Sohn. Auch den Dichter Grillparzer habe ich getroffen, eine liebenswürdige Persönlichkeit, und bei dem Erzherzog Karl war ich in Baden zur Tafel geladen. Er und die Prinzessin waren höchst liebenswürdig und einfach. Ich saß neben dem Prinzen und wir sprachen unaufhörlich während der Mahlzeit. Als er hörte, daß ich einen Sohn bei mir hätte, sagte er: „Ach warum haben Sie ihn nicht mit hieher gebracht“. Er wohnt in einem Feenpalaste; in einem Paradiese. — Ein tüchtiger Maler, Namens Ammerling hat mich gemalt; ich habe ihm nur zweimal gesessen. In Blunck's Atelier freuten wir uns über seine geniale Darstellung der allegorischen Bilder: die vier Menschenalter, — vielleicht etwas zu allegorisch. Italienische und deutsche Opern haben wir gehört, wo Madame Heinefetter aus voller Kehle schrie. Letzthin hatten wir eines Nachmittags einen hohen Berg erstiegen; man forderte, ich sollte die Aussicht über Wien bewundern. Ich wischte den Schweiß von meiner Stirn und seufzte: „Ja hier ist es in der That allerliebst“. Mir fallen bei dergleichen Veranlassungen immer die Worte des Evangeliums ein: „Und der Teufel führte ihn auf einen hohen Berg,[162] und wies ihm alle Reiche der ganzen Welt in einem Augenblick.“
Heute Abend bin ich zu einer Gesellschaft eingeladen, die mir vor dem Abschiede noch eine Ehre zu erweisen wünscht.
Den 13. Juli.
Die Ehre war allerdings so groß wie möglich. Ein großer Saal und zwei Zimmer waren voll von Gästen. Der Schauspieler Anschütz, der mir gegenüber saß, recitirte mit lauter Stimme fünf bis sechs schöne Gedichte an mich und ebenso viele Male wurde meine Gesundheit ausgebracht und von lautem Beifallsrufe begleitet. Der Dichter Grillparzer, der neben mir saß, überreichte mir einen Lorbeerkranz, und mein freundlicher Bewunderer — ich kann sagen, mein wahrer Freund — Graf Dietrichstein, saß an meiner andern Seite. Das Bild von mir, das Ammerling gemalt hat, war im Saale aufgestellt. Kurz, mir wurde alle mögliche Ehre erwiesen. — Gott segne Euch Alle, meine Freunde! — Morgen früh werden wir abreisen. Heute packen wir ein, machen einige Abschiedsvisiten, und dann — lebe wohl Wien, für diesmal und wahrscheinlich für ewig.
Anschütz selbst hatte zu dem oben erwähnten Feste folgenden Trinkspruch gedichtet:
Von den übrigen bei dieser Gelegenheit gesprochenen Gedichten, möge hier folgendes von Ludwig Aug. Frankl Platz finden:
Bei Enthüllung des Bildes von Ammerling.
Der Dichter Grillparzer schrieb in des dänischen Dichters Stammbuch:
Baron Hammer schrieb:
München, den 27. Juli.
Die Tour nach Linz auf der Donau war sehr schön. Durch reizende Gegenden gelangten wir nach Ischl, einem ganz modernen, aber auch sehr schönen Badeorte, der jetzt ein Sammelplatz der vornehmen Welt ist. Fürst Metternich war auch hier angelangt. Man sagte mir im Wirthshause, daß sein Bediente zweimal da gewesen sei und nach mir gefragt habe. Es regnete und ich ließ mich — das erste und vielleicht das letzte Mal in meinem Leben — in einer Portechaise nach seiner Villa tragen, aber — er war nicht zu Hause und das war recht gut; denn ich glaube, daß wir Beide niemals in ein ordentliches Gespräch gekommen wären, da unsere Naturen und Ansichten gar zu verschieden sind. Von hier gingen wir nach Salzburg. Man kann aber nicht immer gutes Wetter beanspruchen, jetzt wurde es regnerisch, und der Nebel hing an den Bergen, welches uns im Genusse der schönen Fernsichten sehr beeinträchtigte — doch klärte sich der Himmel gegen Abend auf. Am nächsten Morgen in Salzburg regnete es wieder. Wir wohnten — wie in Wien — im „Erzherzog Karl“ am Markte. Ich blickte aus dem Fenster und wurde eine große herrliche Broncestatue gewahr. Denkt Euch meine Gefühle, als ich die Entdeckung machte: dieses königliche Denkmal sei — Mozart! Zwar wußte ich, daß man ihm ein solches errichtet hatte, aber ich glaubte es nicht so groß und kostbar. Also hier stand er herrlich — von Schwanthaler — und ich blickte in dasselbe offne, freundliche, kräftige, sanguinisch-gefühlvolle Antlitz, umgeben von den vollen zurückgestrichenen Haaren, das wir so viele Jahre auf dem kleinen Kupferstiche bewunderten, den ich von unserm seligen Vater geerbt; ich sah ihn wieder, wie er über dem alten Pianoforte meiner seligen Schwester Sophie hing; demselben, an dem die selige Lotte und meine — Gott sei gedankt! — frische und gesunde Marie, während zehn Jahre sich übten. Von dem liebevollsten Gefühle getrieben, ergriff ich die Feder, und[167] vermochte es aber nur schwach in folgenden Zeilen auszudrücken:
Auch Heydn liegt hier begraben. Es sind hier gleichfalls viele herrliche Denkmäler des Alterthums, unter andern eine[168] in den Felsen gemauerte Höhle, die dem ersten Eremiten im vierten Jahrhundert gehört hat. Der jähe Fels erstreckt sich bis an die Häuserreihe der Stadt. Aber ich will nicht in detaillirte Beschreibungen verfallen — das thun Andere viel besser als ich — aus bereits gedruckten Büchern. Auch will ich nicht Veranlassung nehmen, die Geschichte Becker's oder eines Andern abzuschreiben. Ihr sollt mich in meinen Briefskizzen ganz und gar so erblicken, wie ich alter poetischer Knabe in meinem fünfundsechzigsten Jahre zu guter Letzt durch Deutschland und Frankreich u. s. w. wandere. Wie ich auch immer mehr und mehr dieses hochweise Kritisiren hasse! Nein! wie ein Kind gehe ich wiederum jetzt hier in München und erstaune, freue mich und werde von den unsterblichen Kunstwerken hingerissen, welche die Welt und künftige Zeiten dem Kunstenthusiasmus eines Königs zu danken haben. Ich bin kein Kritikaster, wenn man mir auch einen Fehler an Sachen zeigen will, die ihre großen Schönheiten besitzen; einen solchen Fehler hinterher zu entdecken ist leicht; aber fast unmöglich ihm da zuvorzukommen, wo so viel Großes und Herrliches plötzlich, wie durch einen Zauberschlag entsteht. Ich lasse mich auch nicht auf bürgerliche, wenn auch gegründete Klagen über einseitige Richtungen ein, unter welchen das Ganze leidet. Gott weiß es, daß Keiner seinen Nächsten mehr als ich liebt; aber ich weiß auch, daß lange Zeiten verstrichen, in welchen das Spießbürgerthum auf Kosten der Kunst und alles höheren Geistigen blühete; wenn jetzt vielleicht hier das Umgekehrte der Fall ist, so thut es mir leid, aber wenn die Jetztzeit kein Wort mehr zu uns redet, weil sie verschwunden und vergessen sein wird, so stehen diese herrlichen Werke noch für die Ewigkeit da.
Wir haben die großen Maler Kaulbach und Heß in ihren Ateliers besucht, auch in Schwanthaler's Atelier sind wir gewesen. Er selbst war nach Italien gereist. Was soll ich sagen von diesen herrlichen steinernen, oft marmornen Gebäuden mit ihren Säulen, Fresken und Goldzierrathen, mit ihren Schätzen[169] von Gemälden und Bildhauerarbeiten. Hier gäbe es ein ganzes Jahr für jeden Tag etwas zu sehen — und wir müssen Alles in wenigen Tagen durchfliegen. Kaulbach und Heß sind große Meister; sie sind Cornelius ebenbürtig. Schwanthaler steht in genialer Production gewiß nicht weit hinter Thorwaldsen. Die Pinakothek besitzt einen großen Reichthum vorzüglicher Gemälde; aber Verschiedenes, das man für Werke Correggio's, Leonardo da Vinci's u. A. ausgiebt, ist schwerlich von diesen Meistern. Ich wunderte mich, als man mir einige kindische Schmierereien von Cimabue und Giotto zeigte; aber Dr. Ernst Förster (Herausgeber des Cotta'schen Kunstblattes) versicherte mir später, es sei nicht von ihnen und zeigte mir Zeichnungen, die er in Italien nach ihnen gemacht hatte, welche ganz anders waren. Der Commissionsrath Waagen, den wir von Berlin und Dresden kannten, erzeigte uns große Freundschaft, begleitete uns täglich auf unsern Wanderungen, und wir haben einen Abend bei ihm verbracht, wo ich meine Dina vorlas. Gestern Abend waren wir bei Förster, dessen freundliche, geistreiche Frau eine Tochter Jean Paul's ist. Es freute mich von seiner Tochter die Worte zu hören: „Er achtete Sie nicht blos als Dichter — er liebte Sie.“ Ich habe die Bekanntschaft des berühmten Philologen Thiersch gemacht; er kam mir außerordentlich freundlich entgegen, und als ich unseren Madvig nannte, sagte er: „Der ist unser größte Lateiner.“ — Es kitzelte mich in die Seele hinein, dies zu hören. Unser kleines Dänemark besitzt doch auch Leute, von denen sich jeder in seiner Richtung auszeichnet. Letzthin kam ein alter Mann, um mich zu besuchen; blickte mich mit seinen großen Augen an, und sagte freundlich: „Kennen Sie mich nicht wieder?“ Ich mußte verneinen; er aber erwiderte: „Und ich kannte Sie sogleich — Sie haben sich in den achtundzwanzig Jahren gar nicht verändert“. Es war der Baron Hormayr, der jetzt bairischer Gesandter in Hamburg ist. Er machte mir ein Geschenk mit seinem letzten Werke.
Den 30. Juli.
Gestern hatte man mir zu Ehren eine kleine Stunde außerhalb der Stadt eine Gesellschaft eingeladen und ein Fest veranstaltet, das sehr schön und ehrend war. Ich saß auf derselben Stelle, wo Thorwaldsen bei einer ähnlichen Gelegenheit gesessen hatte. Ein Becher nach dem andern wurde auf dänische und deutsche Bruderschaft geleert und drei Gedichte an mich wurden recitirt.
Heute habe ich das Schloß gesehen. Es ist schön und königlich, und die Hände herrlicher Künstler haben auch für die Ehre deutscher Dichter Sorge getragen: Göthe's, Schiller's, Tieck's, Wieland's. In der That, die Namen Cornelius, Kaulbach, Heß, Schnorr, Schwanthaler sind große Namen und der macht sich selbst nur klein, der sie verkleinern will! — Heute Abend habe ich ein Stück von Töpfer gesehen: „Karl XII. Heimkehr“, das miserabel ging und in welchem Karl XII. von einer Person gespielt wurde, die wie ein altes zahnloses Weib aussah. Morgen reisen wir nach Augsburg, um von dort nach Nürnberg zu gehen.
Paris, den 25. August.
Wir verließen einander in München, das sich immer mehr und mehr seines Namens würdig macht, da das Mönchswesen strebt die Oberhand zu gewinnen. Der gute König Ludwig hat so sehr viele schöne katholische Kirchen gebaut, in welchen die großen Künstler Engel und Heilige in übernatürlicher Größe auf goldenem Grunde gemalt haben. Da die Theater jetzt fertig sind, wird er auch in diesen die alten Mysterien aufführen lassen, und deshalb mystificirt er das Volk; ich kann es sonst nicht begreifen; daß es persönliche Bigotterie sein sollte, glaube ich nicht, und politisch ist es auch nicht.
Wir zogen also nach Augsburg, wo wir einen Tag verweilten, von dort alsdann nach Nürnberg, das ich noch nicht auf[171] irgend einer meiner Reisen gesehen hatte. Ich sehnte mich nach dieser mittelalterlichen Stadt, ich gedachte daselbst einige Tage zu verweilen, wie früher in ihrer Schwesterstadt, Florenz, in Italien. Dort hatte ich nur mit Dante, Giotto, Brunelleschi, Benvenuto, Michel Angelo gelebt, hier wollte ich es nur mit Albrecht Dürer, Willibald Pirkheimer, Hans Sachs. Aber — der Mensch denkt, Gott lenkt. In Florenz stahl mir der Wirth einige Louisd'or; hier bekam ich einen unerwarteten Besuch von meinem alten, langweiligen Verwandten, den ich aber der Verwandtschaft wegen nicht die Thüre weisen konnte — mein guter, ehrwürdiger Herr Podagra. Ich war des Nachts im feuchten Wetter gereist und deshalb nahm Herr Podagra Veranlassung, mich mit seinem Besuche zu beehren, der eben so lange dauerte, als Gott brauchte um die Welt zu erschaffen, nämlich sechs volle Tage, während welcher ich im Wirthshause sitzen und mich langweilen mußte. Glücklicherweise war in Nürnberg doch eine Leihbibliothek. Ich las wiederum O'Meara's Buch über Napoleon, der auf Helena saß, von einem ärgeren Podagra heimgesucht, als das meinige war. — Nach sechstägigem Schiffbruche auf dieser Sandklippe wurde mein Schiff wieder flott, und ich nahm wieder den Wanderstab zur Hand. Ob nun aber das Podagra oder etwas Anderes mich grämlich gemacht hat, — genug, Nürnberg amüsirte mich lange nicht so sehr als das Spielzeug, das ich in meiner Kindheit von dort erhalten hatte. Zwar waren dort viele schöne alterthümliche Gebäude — der herrliche Brunnen auf dem Markte, eine große Menge Bilder aus der alten deutschen Schule; wir fuhren auch nach der Mäusefalle, wo Hans Sachs starb; aber — das kleinliche Philisterthum unserer Zeit, und besonders der Mangel an einer schönen Natur der Umgegend, machte mir den Aufenthalt bis auf einige herrliche Augenblicke unangenehm. Ich sehnte mich außerordentlich, wenigstens in einen schönen Garten hinaus. Unser Lohndiener versicherte uns, daß wir auf der Eisenbahn schnell einen herrlichen Ort erreichen würden — Fürth. Wir befolgten denn[172] auch seinen Rath und kamen — wie soll ichs aber beschreiben? — an einen Ort, wo man unter einigen wenigen niederträchtigen Bäumen kaum einen Schatten von Schatten finde konnte; aber Bier gab es in Fülle. Ich war nahe daran, aus der Haut zu fahren, als ich, während William mit dem Lohndiener umherlief um die Unmerkwürdigkeiten des Ortes zu besehen, allein auf einem Stuhle dasaß mit meinem Seidel vor mir auf einem andern Stuhle (weil der Tisch über alle Beschreibung von Bier pichte) und meine Verzweiflung in Bier ertrank.
— — Frankfurt gehört nicht allein dem Mittelalter, sondern auch der jetzigen Zeit und da ich in der jetzigen Zeit lebe, so lebte ich auch etwas auf, als wir hier ankamen. Ich sah das noch schöne Haus, wo Goethe's Eltern gewohnt, und wo es ihm vom Anfange an so gut gegangen war. Nimmer konnte er sagen, daß er sein Brod mit Thränen aß und deshalb kannte er wohl auch nicht ganz „die himmlischen Mächte“, sondern gelangte nicht weiter als bis zu Jupiter, und bildete zuletzt sich selbst ein, er sei ein Jupiter. Aber mit kindlich treuem Gefühl für den großen Dichter betrat ich die Schwelle des Hauses und faßte den Griff der Thüre, den seine junge, kecke Hand so oft erfaßt und dachte: „wäre er immer doch ein frankfurter Doktor geblieben, statt eine weimar'sche Excellenz, so wäre er excellenter gewesen.“ Aber Gott segne ihn für all das Schöne, das er geschaffen und die Freude, die er mir und vielen Andern gewährt hat. Ich sah den alten Rathhaussaal u. s. w. und mein Genuß ward erhöhet, wenn ich dachte: auch diese Dinge haben Goethe's schöne junge Augen erblickt. Hier bekam er die ersten Ideen zu seinem Werther, Götz, Faust. Ich liebe ihn mehr, als ich oft selbst weiß: „O Neigung sage, wie hast du so tief im Herzen dich versteckt? wer hat dich, die verborgen schlief, geweckt? Ja Liebe, du wohl unsterblich bist!“ — Aber ich hätte auch verdient, daß er mich geliebt hätte — und es schmerzt mich bitter, jedes Mal, wenn ich diese Liebe vermisse. Jetzt wäre es doch vorbei gewesen! Und wo ich tiefe Sympathie finde, da[173] finde ich auch Liebe in seinen Werken. — In der Bildergalerie fanden wir schöne Gemälde von Lessing, der seinem Namen Ehre macht. Auf dem Kirchhofe sahen wir Thorwaldsen's Basrelief in der Bethmann'schen Gruft. — Jetzt ging es also wieder nach Köln auf dem Rheine. Ja, gewiß ist er ein herrlicher schöner Strom und die Ruinen üben eine großartige Wirkung aus. Aber ich vermag nicht mehr die jugendliche Trauer über den Verlust jener Zeit zu theilen, ich kann nicht mit Friedrich Schlegel ausrufen:
Die meisten dieser Burgen waren Raubschlösser. Sie sind niemals schöner gewesen, als gerade jetzt. Die Raupe ist aus der Seidenlarve herausgetreten und jetzt kann das poetische Gefühl sich ein schönes Kleid daraus spinnen. — Das Dampfschiff gleitet mit großer Schnelligkeit dahin, besonders, wenn es mit dem Strome geht. Es ist doch eine herrliche Erfindung um von einem Orte zum andern zu gelangen. Allerdings Veranlassung zu Reiseabenteuern giebt sie nicht. Früher, wenn Reisende sich auf einem Schiffe oder einem Postwagen begegneten, war es fast, als wenn Robinsone sich auf einer Insel trafen; jetzt ist es, als wenn Fremde in einer Restauration, bei einem Billard, oder auf einer Promenade zusammentreffen. Aber — Der, welcher fremde Bekanntschaften sucht, findet sie dessenungeachtet; — und jetzt ist man auch nicht gezwungen, Bekanntschaften zu machen, sondern man kann, wenn man will, allein reisen, selbst mitten in dem großen Getümmel, etwas worauf ich für meinen Theil viel Werth lege.
Und so gelangten wir in Köln an. — Welch ein wunderbares Werk ist doch der Dom! Ein echtes Bild der menschlichen Thätigkeit; das Höchste, das Herrlichste im Verein mit dem Unvollendeten, die schönste Kunst halbfertig. Dieser Chor, den der Ketzer Friedrich Wilhelm restauriren, wieder vergolden und malen ließ, ist über alle Beschreibung. Das Wunderbare hier ist nicht das Große, das Kühne; denn das finden wir auch an indischen und egyptischen Gebäuden, und in der römischen Baukunst ging die griechische Schönheit zum Heroisch-Riesenhaften über. Nein, es ist die echte — wie soll ich sie nennen — Humanität, die herab von diesen Säulen und Gewölben lächelt; in dieser Hoheit ist ein süßer himmlischer Friede, eine Sicherheit verborgen, wie in der Seele, wenn sie sich unschuldig und gut fühlt. Nicht die Schwärmerei oder geistige Trunkenheit des Mittelalters haben sie aufgeführt; diese Verhältnisse sind in einer hohen, rein menschlichen Seele entstanden. In dieser religiösen Erhebung ist Sittsamkeit und Tugend. Es ist sonderbar; aber es ist doch wahr! Deshalb ist auch all das Große hier so anmuthig; später, als der Chor fertig war, trieben die Mönche ihr Gaukelspiel. Es ergreift Einem ein sonderbares Gefühl, wenn man in der heiligen Dreikönigsgruft vor Gold, Silber und köstlichen Edelsteinen steht, wo Alles echt ist, nur nicht die heiligen drei Könige. Aber auf den alten Notenpulten liegen die ältesten Notenhefte, Pergamentfolianten. Sie rührten mich mehr, denn die heiligen drei Könige. — —
Ueber Lüttich und Brüssel ging es nun nach Paris, aber sonderbar genug, nicht auf Eisenbahnen, sondern auf einer Diligence Tag und Nacht, und nun befanden wir uns denn in dieser merkwürdigen, großen Stadt, wo ich einige Jahre meiner schönsten Jugend verlebt und einige meiner besten Werke geschrieben habe. Wir stiegen im Hotel de Valois ab und begaben uns gleich des Abends in die große Oper, wo wir Robert le diable sahen und gute Sänger hörten. Am nächsten Tage aber hatte das abscheuliche Podagra sich wieder eingefunden,[175] wahrscheinlich aus derselben Ursache wie letzthin, weil ich des Nachts im feuchten Wetter gereist war. Um es etwas besser zu bekommen, wechselten wir gleich das Logis und wohnen jetzt in Rue Richelieu Nro. 3. Hier bin ich nun wieder seit vier Tagen auf den Grund gerathen und zwar dem Theater français gegenüber. Nur zwanzig Schritte vom Eingange muß ich sitzen und sehen, wie die Leute sich auf der andern Seite der Straße in das Schauspielhaus drängen, weil die Rachel spielt. Aber heute befinde ich mich doch besser; die Sonne scheint, das Wetter scheint gut zu werden und es wird dann wohl auch bald mit mir gut werden, vielleicht heute noch.
Den 8. October.
Gestern beendete ich „Das Gespenst auf Herluf'sholm“. Und als das Manuscript fertig war, nahm ich es, wie gewöhnlich in die Hand und hielt es in die Höhe, indem ich bei mir selbst sagte: „Da ist wieder eine Arbeit fertig,“ Aber was geschah! Ich fing wie ein Kind zu weinen an und war betrübt, weil es jetzt fertig war und mich verlassen sollte. Ihr werdet sehen, daß es sehr national ist. Die Liebe zum Vaterlande und zu meinen Kindern ist die Ydun, die mich begeistert hat. Jean Paul sagt irgendwo, daß, wenn er einen Roman geschrieben, er oft so von der Heldin desselben eingenommen worden, daß es ihn zuletzt schmerzte, Abschied von ihr zu nehmen. Etwas Aehnliches habe ich oft gefühlt, und dieses Gefühl wird um so inniger im fremden Lande. Das Heimweh, das meine Jugend begleitete, fühle ich noch. Wenn dieses Gefühl, das der Grundton meiner Seele ist, immer die Oberhand gewänne, würde ich in eine krankhafte, schwache Sentimentalität verfallen; aber — da mein Geist kühn, munter und thätig ist, während meine Seele treu ihrer alten Liebe bleibt — so lebe ich auch noch immer fort, nehme an allem Schönen, Großen und Interessanten, das mir begegnet, Theil. Selbst an einem fröhlichen Mahl in guter Gesellschaft kann ich so vollständig[176] Theil nehmen, wie ein sanguinischer Prälat — und Keiner würde mir ansehen, daß ich vielleicht am Morgen desselben Tages mit Abälard geweint, oder mit Dante die Augenbrauen melancholisch zusammengezogen. Kurz, es geht mir wie dem berühmten französischen Schauspieler Chenard, während der Revolutionszeit im Jakobinerklub. Gewiß, der Dichter muß diese Flexibilität mit dem Schauspieler theilen; sein Vortheil ist nur der, daß sie viel größer und mit mehr Selbstständigkeit verknüpft ist. Das heißt nicht Einseitigkeit, sondern Vielseitigkeit. Diese Vielseitigkeit verbietet ihm es ausschließlich mit irgend einer einzelnen Partei der Zeit zu halten, aber er hält es mit dem Guten bei ihnen Allen in Ewigkeit.
Aber, Ihr wollt ein Bild von Paris, so wie es vor meiner Seele steht? Hm — soll es vielleicht so sein wie Goethe's Schilderung des römischen Carnevals? Das ist unmöglich! Weshalb? Weil Goethe's Schilderung Original war, und ich, wenn ich ihm nachahmen wollte, nur eine Copie liefern würde. Doch halt — jetzt geht mir ein Licht auf. — Paris hat sehr hoch hervorragende Schornsteine und Brandmauern; welche in der Entfernung den Häusern ihre Schönheit rauben. Die unterste Etage ist ein fortlaufender, ungeheuer großer, schöner, kostbarer Galanterieladen. Dieser Galanterieladen ist größer als Kopenhagen und besteht nicht allein aus Galanteriewaaren, aus Juwelen, Porzellan, Shawls, Stoffen, sondern auch aus Stiefeln, Würsten, Schinken, ja selbst aus Brennholz und Steinkohlen; denn Alles ist hier galant und nett bis zu einem gewissen Grade, insoweit man von der Straße und dem Laden aus es zu sehen vermag. Die schönste Eleganz ist mit Sicherheit und Annehmlichkeit verbunden. Deshalb die hohen Schornsteine, damit die Kamine nicht rauchen und die Häuser nicht abbrennen. Paris ist und bleibt der Mittelpunkt europäischer Cultur und — Humanität. Ja, es unterliegt keinem Zweifel, daß hier die größte gesellschaftliche Humanität in Europa zu Hause ist. Guizot (zu dem ich eingeladen gewesen und der[177] mir große Artigkeit und Freundlichkeit erwies) hat ein Buch geschrieben „Cours d'histoire moderne.“ In einem Abschnitte desselben histoire de la civilisation en France, vergleicht er die Engländer, Deutschen und Franzosen. Die Engländer lobt er des Reellen, die Deutschen des Ideellen, die Franzosen aber einer Vereinigung beider wegen, wodurch sie der englischen Plumpheit und der deutschen Spitzfindigkeit entgehen. Hierin hat er ohne Zweifel Recht; die Engländer sind tiefer, die Deutschen höher, als die Franzosen — aber wenn eine harmonische Verbindung der Kräfte (welcher die einseitige Virtuosität zum Opfer gebracht werden muß) das am meisten Menschliche ist — denn wir können nicht Alles besitzen — so herrscht auch die Humanität nirgends mehr, als unter dem französischen Volke. Das alte Gerede von der Leichtfertigkeit und Unzuverlässigkeit der Franzosen ist aus der Luft gegriffen. Die größte Tüchtigkeit und Ehrlichkeit findet sich bei Vielen, bei sehr Vielen. Es ist keine kalte Höflichkeit, die den Franzosen zur Artigkeit bewegt, es ist bon sens, es ist feines, edles Menschengefühl. Die Franzosen machen einander nicht sofort große Aufopferungen, aber wer thut das? Wo ist die deutsche, englische, nordische Tugend, die das thut? Dem ehrlichen Finder wird ein raisonables Douceur versprochen! Die Franzosen besitzen zwar ein selbstbehagliches — wenn man will — eitles Gefühl ihrer Vorzüge — aber sie sind gutmüthig und wirklich bescheiden; das ist mehr, als man von den Norddeutschen sagen kann, bei welchen Einbildung und Neid nicht selten vorkommen. Was den Franzosen besonders noch fehlt, ist die Kenntniß mehrerer Sprachen. Dies erkennen sie aber an. Sprachunterricht im Deutschen und Englischen verbreitet sich bei den Kindern, und man findet oft ältere Leute — ich habe mehrere getroffen, — die gut Deutsch sprechen. In einigen Abenden bin ich bei einem General Baron Pellatier eingeladen, dessen eine Tochter den größten Theil von Jean Paul's Hesperus übersetzt hat. Man spricht so viel von französischen Thorheiten in politischer[178] Richtung, man urtheilt aber nach den Oppositionsparteien der Zeitungen. Wo finden sich solche Thorheiten nicht? Es giebt auch hier eine große Masse billiger, vernünftiger Leute, und was nun die französischen politischen Thorheiten betrifft, die geschehen sind, so wollen wir darüber nicht die Nase zu sehr rümpfen! Mit seinem Blute hat Frankreich politische Experimente für ganz Europa gemacht. — Europa hat Früchte davon geerntet, und es würde unedel sein, den Nutzen, den man gehabt hat, mit Verachtung zu vergelten. Selbst die gräßliche Schlächterwuth während der Schreckenszeit der Revolution wird als ein Wahrzeichen dastehen, und die Zukunft vor dergleichen Auftritten bewahren und retten. Die Humanität herrscht hier; alle die alten aristokratischen Knaben- und Bubenstreiche liegen wie zerknitterte Papierblumen in dem alten Galanterieladen Faubourg St. Germain, und nur dort vielleicht noch in einem gewissen Zirkel, wenn man allein ist, wird die alte Menuett getanzt. — Aber selbst der französische Adel im Allgemeinen ist gar nicht so aristokratisch. Ich habe Marquis' und Grafen gehört, wie sie untereinander mit diesen alten Formen Spott getrieben. Es ist jetzt in Paris ein allgemeiner Grundsatz, daß in der guten Gesellschaft nur Geist und Talent als hervorragende Eigenschaften zur Geltung gelangen dürfen. Und welche Freiheit hier! Man lebt, wie es Einem beliebt. Klatscherei und Kleinstädterei findet man hier nicht. Alle Pedanterie verschwindet. Ueber Tische spricht man offen, warm und ernst — auch munter und fröhlich — und spaßt und spottet nicht immer (der Grundton der gesellschaftlichen Conversation in Kopenhagen) weil man sich genirt, sein Inneres herauszukehren und die Vertraulichkeit fürchtet, entweder weil man einander nicht traut, oder weil man aller Uneinigkeit entgehen will.
Ihr glaubt wohl, daß ich mich jetzt so in die Franzosen vergafft, daß ich in ihnen nur Götter erblicke. O nein! die Mängel springen ebensosehr in die Augen. So findet man, ungeachtet all der anmuthigen, geschmackvollen Eleganz, die das[179] Leben schmückt, es angenehmer und gemächlich macht, einen Mangel an höherer Kunst. In der Baukunst und Malerei stehen die Deutschen weit über den Franzosen. Wenn man von den Denkmälern Salzburgs, Münchens, ja selbst Lüttichs kommt — ärgert man sich in Paris an irgend einer Straßenecke eine plumpe steinerne Theaterdecoration mit der häßlichen Wand eines Hauses als Hintergrund zu finden, und dort Molière — ziemlich plump gemacht — über einem Springbrunnen sitzend! Wäre es doch immer noch Lafontaine, so wäre es wenigstens ein Calembourg gewesen. Aber von neueren Sachen hat Paris auch nicht viel in diesem Genre aufzuweisen, und das ältere leidet zu oft an dem Mangel, den eine sklavische Nachahmung der Griechen verursacht; so z. B. die Madeleinekirche. Pantheon ist ein großes, edles Gebäude; hier ruhen Voltaire und Rousseau; vor achtunddreißig Jahren sah ich ihre hölzernen Sarkophage (sie sollten Stein werden — aber sie sind noch nicht versteinert). In der Kuppel befindet sich ein sonderbares Frescobild von Gros, in welchem viel Schönes mit viel Bizarrem vereinigt ist. Die alten Frankenkönige und Königinnen sind gut, aber Ludwig XVIII. überreicht die Charte geschniegelt und frisirt. Das möchte noch sein, wenn nicht Ludwig XVI. gleichfalls frisirt und geputzt, und gekrönten Hauptes in den Wolken säße, in der Hand einen Palmzweig haltend und singend, wie ein Engel. Cuvier's plump gemachte Statue fand ich im Museum des botanischen Gartens unter lauter ausgestopften und unvernünftigen Bestien. Von den hiesigen Malern ist Horace Vernet ohne Zweifel Derjenige, der sich den großen deutschen Malern am meisten nähert. In der Galerie des Luxembourg sah ich ein Bild von ihm: Raphael mit seinen Jüngern und Michel Angelo, das vorzüglich ist.
Paris, den 8. Februar 1845.
— — Da ich weder die Gewohnheit habe, mich selber hervorzudrängen, noch mich zurückzuziehen, wo es Gelegenheit giebt, ausgezeichnete Menschen kennen zu lernen, so hatte ich[180] fast viertehalb Monate in Paris verbracht, ohne den vielgerühmten König Louis Philipp zu sehen, oder zu sprechen, der nach seinem Besuche in England sich einige Zeit in Eu aufhielt und später nach Saint-Cloud kam. Eines Tages trat unser Minister Herr von Kofs bei mir ein und erzählte, daß Seine Majestät den Wunsch geäußert hätte, mich zu sehen, daß er deshalb mich und William nach Saint-Cloud führen wollte. Herr von Kofs machte uns darauf aufmerksam, daß es eine Auszeichnung sei, sofort zu dem Abendzirkel des Königs zugezogen zu werden. Wir fuhren also am nächsten Abend um acht Uhr nach Saint-Cloud und gelangten auf einer schönen, geheitzten Treppe durch prächtige Zimmer in das Allerheiligste. Hier saß die edle alte Königin mit schneeweißen Haaren an einem großen Tische und legte ganz still für sich mit zwei Spiel Karten Cabala. Die Schwester des Königs, Madame Adelaide, legte auch Cabala mit wenigeren Karten, und die Herzogin von Nemours, sowie die Prinzessin von Joinville, waren mit Handarbeiten beschäftigt. Wir wurden der Königin vorgestellt, die sich sogleich nach dem Befinden unseres Königspaares erkundigte, und sich mit vieler Liebe dessen Aufenthaltes in Paris erinnerte. Darauf stellte uns Herr von Kofs Madame Adelaide vor. Kurz darauf kam ein etwas bejahrter, rascher, starker Mann mit weißem Barte und Haaren, die zu ergrauen begannen, munter und schnell herein. Er war ganz bürgerlich gekleidet, die Uhrkette in ein Knopfloch der Weste eingehängt. Sein Gesicht war frisch und gesund, freundlich und lebhaft. Er grüßte uns als seien wir alte Bekannte gewesen, und leitete sogleich ein Gespräch über Dänemark und Norwegen und seinen dortigen Aufenthalt ein. Er sei in Kopenhagen unter dem Namen „Möller“ gewesen, habe auf dem großen Markte gewohnt, Vahl und Suhm besucht, und sei überhaupt überall herumgewesen. Als ich die Bemerkung machte: „Majestät finden gewiß nicht, wie so viele Franzosen, die es nicht kennen, daß Dänemark ein schlechtes Land ist,“ sagte er: „Es ist ein schönes Land,[181] besonders Fünen; es ist die schönste Insel, die man sich denken kann.“ Er lobte gleichfalls Seeland und Holstein; er erzählte, daß er ein Creditiv auf das Haus de Conink gehabt habe — dasselbe sei nicht groß gewesen. Als er mit einem Schiffer von Kopenhagen abreisen wollte, und keinen Paß hatte, bemerkte ihm dieser: „Sie sind gewiß ein junger Mensch, der dumme Streiche gemacht hat.“ In dieser Weise sprach er eine ganze Stunde freundlich mit uns. Des schönen Norwegens und seines Aufenthalts bei den braven kräftigen Leuten erinnerte er sich gleichfalls mit großem Interesse. Als er sich zurückzog, bat er uns, den nächsten Abend im Theater zu erscheinen. Wir verbeugten uns dankend, erschienen auch am nächsten Abend in der prächtigen Versammlung. In Saint-Cloud ist es bei dergleichen Vorstellungen so eingerichtet, daß die königliche Gesellschaft sich von den Gemächern in die erste Etage begiebt; das Uebrige ist dem Publikum eingeräumt. Aufgeführt wurde: „Schwank über Schwank“, ein Stück, das in meiner Jugend bei uns oft gespielt wurde. Der König liebt das Alte. Ein anderes, kleineres Stück, das gespielt wurde, war nicht viel werth. Der König, der mir auch hier sehr freundlich entgegentrat, erzählte mir, daß dieses Stück von dem Sohne eines seiner alten Schulkameraden geschrieben sei. Er ließ sich noch ferner mit mir in ein Gespräch ein, und als England und dessen große Macht im Laufe desselben genannt wurde, und ich England das moderne Karthago nannte, sagte er scherzend: „Aber wir wollen doch nicht sagen, wie jener Römer: delenda est; ich halte auf den Frieden.“ Da ich eine friedliche Haut bin, so konnte ich mich nicht enthalten zu sagen: „Gott segne Ew. Majestät dafür“. Kurz darauf wurde der Hof nach Paris verlegt und es dauerte nicht lange, so wurde ich zur königlichen Tafel zu einem großen Diner eingeladen. Ich hatte vorher die Bekanntschaft der alten Marquise Dolomieu, Hofdame der Königin gemacht. Sie war die einzige, die ich kannte; sie nahm sich meiner sehr freundlich an und als wir zur Tafel gehen sollten,[182] ergriff sie meinen Arm und machte sich selbst zu meiner Tischnachbarin. Es war eine außerordentlich reiche Tafel; der Tisch strahlte von Gold u. s. w. Wir saßen in dem großen Speisesaale, wo auch Napoleon gesessen hatte. Die Tafelmusik war schön und es rührte mich, als zuerst „O Richard, o mon roi! l'univers d'abandonne“ gespielt wurde — nach der Mahlzeit stand ich in einem Winkel im großen Saale, woselbst der Kaffee servirt wurde. Der König arbeitete sich durch die Menge zu mir heran, faßte mich bei der Hand und führte mich aus meinem Winkel ein gutes Stück nach der Mitte des Saales, wo er mich einem hohen, schönen Manne vorstellte und davon ging. Der große Mann erzählte mir auf Französisch, daß er alle meine deutschen Arbeiten kenne, und bat mich, ihn zu besuchen. Ich glaubte, es sei eine fürstliche Person von hier und sagte: „Ich würde die Ehre haben“. Ich war der Ansicht, daß er einige Straßen weiter wohne. Er verabschiedete sich freundlich von mir. Später sah ich, daß ein Hofmann ihn mit großer Ehrerbietung anredete. Aber noch ging mir kein Licht auf. Erst zwei Abende später, als ich in der Opéra comique in den Zwischenakten im Moniteur las, daß der König und die Königin von Belgien wieder abgereist waren, rief ich aus: „Hättest Du Dir nicht denken können, daß es ein König sein mußte, dem der König Dich vorstellte!“ Und ich hatte mit ihm gesprochen wie mit einer Privatperson; — Vous gesagt und nicht einmal Monseigneur. Aber jetzt muß ich doch über Belgien nach Hause zurückkehren, um ihn zu besuchen.
Bei dem Herzoge von Nemours waren wir kurz darauf zum Konzert eingeladen. Er ist sehr freundlich und artig, ein schöner blonder, junger Mann, doch sieht er nicht so zutraulich aus, wie der Vater, wie Joinville und Aumale. Man sagt, daß er schüchtern und verlegen ist; er steht gewöhnlich mit gekreuzten Armen; seine Gemahlin ist eine Schönheit.
Weil nun der König mir so viele Freundlichkeit erwiesen, hielt ich es auch für meine Pflicht, mich, wie es Sitte ist, in den[183] ersten Tagen des Jahres aufs Schloß zu begeben und dort meinen Neujahrswunsch darzubringen. Gaimard kam und holte mich und William ab; er war in Uniform, William gleichfalls; aber ich hatte keine und Gaimard sagte: „Ich könnte schon in meinem schwarzen Frack erscheinen“. Aber was geschah? In dem Vorsaale wurde ich von einem Kammer- oder Hoffourir sehr artig angehalten, indem derselbe mich fragte, ob ich Deputirter sei? Als ich verneinte, zuckte er die Achseln und bedauerte, daß ich alsdann nicht vorgelassen werden könnte, da Alle in Uniform sein müßten. „Ich habe keine“, antwortete ich, und wollte bereits wieder umkehren. Gaimard, der ein gutmüthiger Kauz ist, begann den Lakaien auf der Treppe zu erzählen, daß ich ein großer Dichter, le Corneille de Danemarc sei. „Je'n suis sur“, antwortete einer der Lakaien, aber sie hätten doch keine Ordre, den dänischen Corneille einzulassen. Gaimard wollte durchaus erst mit einem Adjutanten reden; da dieser aber ebenfalls Nichts ausrichten konnte, entschlüpfte ich Gaimard und begab mich nach Hause. William begleitete mich, obgleich er hätte bleiben können, weil er in Galla war. Aber ich warf mich selbst in die äußerste Finsterniß, woselbst — wenn auch nicht Heulen, doch Zähneklappern war, denn es war kalt. Indessen hatte Gaimard die Hoffnung noch nicht aufgegeben; er sprach wiederholt mit einem Adjutanten, der es dem König berichtete, und dieser befahl sogleich, daß man mich einlassen sollte. Aber fort war ich.
Einige Tage später war wieder ein Hofball in Uniform, zu welchem wir eingeladen wurden. Obgleich nun der König mir erlaubt hatte, in schwarzem Fracke, wie ein Deputirter zu erscheinen, so wollte ich mich doch ein wenig putzen — denn ich hatte gehört, man könne sich ein habit de goût machen — da ich aber keinen Gout an Dem fand, was der Schneider forderte, um meinen neuen schwarzen Frack zu verderben, so miethete ich einen dreieckigen Hut, decorirte denselben mit der Danebrogs-Kokarde, miethete mir gleichfalls einen Hofdegen, und in diesem[184] Anzuge begab ich mich aufs Schloß. Der Hoffourir wollte mir auf der Treppe nachsetzen, fragte aber doch erst William, der hinter mir in Scharlach ging: „Ist das der dänische Poet?“ und als er bejahte, zog er sich mit den Worten zurück: „Er darf hinein“. So stolzirte ich also in dem ungeheuren Gewimmel von Uniformen umher, und wäre für einen Deputirten gehalten worden, wenn nicht meine fremden Orten, die ich, um mir doch ein Relief zu geben, angelegt hatte, den Scharfsinn der Pariser in Verlegenheit gesetzt hätten; sie betrachteten mich verwundert und wußten nicht, welchem der fünf Sinne angehörend sie mich betrachten sollten, ob dem Gesicht, Geruch, Gehör, Gefühl oder Geschmack. Daß es der Geschmack sein sollte, begriffen sie, trotz meines habit de goût wohl nicht. — Ich habe zu erzählen vergessen, daß ich es für meine Dichterpflicht hielt, dem König Ludwig Philipp, der mir so viele Achtung und Freundlichkeit erwiesen hatte, dieselbe nach Kräften ein wenig zu vergelten, d. h. ihm einige Verse zu widmen, worin ich ohne Schmeichelei und auch ohne Kriecherei sein Verhältniß zu meinem Vaterlande und zu mir poetisch aussprach. Ich schrieb also ein solches kleines Gedicht ohne Ueber- und Unterschrift, und nahm dasselbe mit mir, als ich zur Tafel beim Könige war. Während des Gesprächs mit ihm — wir standen allein in einer Nische — sagte ich: „Majestät, ich habe ein kleines Gedicht an Sie geschrieben“. — „Haben Sie es bei sich?“ „Ja, ich habe es in der Tasche“. — „Geben Sie es mir gleich; ich werde es in meinen Hut legen, so wird es Keiner gewahr werden“. Ich gab ihm die Verse. Sie waren in deutscher Sprache und lauten:
Einige Tage darauf hatte ich bei der Herzogin von Orleans, die ich bei den Hoffesten nicht gesehen hatte, eine Privataudienz. Sie kam mir sehr freundlich entgegen, redete mich gleich Deutsch an, sprach sehr anerkennend von meiner Dichterwirksamkeit und als ich fragte, ob Ihre Königliche Hoheit einige meiner Arbeiten kenne, sagte sie: „Ja, Alles was Deutsch geschrieben ist — die dänische Sprache verstehe ich leider nicht. Ich bin gerade jetzt bei einer Erzählung von Ihnen, welche ich mit großem Vergnügen lese, und ich erzähle sie meinem Sohne unter dem Lesen wieder“. Als sie nicht den sonderbaren, fremden Namen aussprechen konnte, fragte ich, ob es Oervarodd sei.[186] „Ja, ja Oervarodd“, antwortete sie freundlich lächelnd. — Der kleine Graf von Paris wird, wie recht und billig ist, als künftiger König von Frankreich während seiner ersten Kinderjahre ganz Französisch erzogen. Die Mutter spricht nur Französisch mit ihm und jetzt übersetzt sie ihm den Oervarodd. Sie ist eine außerordentlich reizende, geistreiche Dame, und besitzt den edelsten Charakter. Als sie hörte, daß ich eine kleine dänische Tragödie hier geschrieben, und dieselbe bereits ins Deutsche übersetzt hätte, bat sie mich, ihr das Werk, wenn es gedruckt sei, zu senden. Sie erzählte mir, daß der König ihr mein kleines Gedicht an ihn gezeigt und daß es sie Alle sehr erfreut habe.
Bei dem Diner beim Könige von Frankreich war ein kleiner Mann mit großen klugen Augen und einem Sterne auf der Brust zugegen. Er starrte mich mitunter an. Als der König mit mir gesprochen hatte, kam dieser Mann auf mich zu und fragte, ob ich ihn nicht besuchen wolle. Ich dankte verbindlichst und fragte, mit wem ich die Ehre zu sprechen hätte. „Rothschild“, sagte er. Welcher Zauber liegt nicht in diesem Namen! Als Klopstock seine Ode „die Gräber Rothschild's“ schrieb, dachte er gewiß nicht, daß dieser Mann in der Weise in der Geschichte strahlen sollte.
Als ich mich jetzt durch den Namen gewissermaßen in landsmannschaftlichen Beziehungen zu dem berühmten Hause fühlte, so nahm ich das Anerbieten an, und besuchte James Rothschild einige Tage später auf seinem Comptoir. Dort saß er vor dem einen, und sein um zwanzig Jahre älterer Bruder Salomon vor dem andern Pulte. Der Bruder hatte kaum zwei Worte mit mir gesprochen, so lud er mich auf zwei Tage später zu Mittag ein. James sandte einen Hausfreund, einen Advocaten Joël, zu seiner Frau, um zu erfragen, wenn es ihr genehm sei. Und es wurde dann sofort gleichfalls entschieden, daß ich andere zwei Tage später bei James sein sollte. Joël[187] ist ein Schöngeist; ein Wiener, der bei den für mich in Wien arrangirten Festlichkeiten zugegen war. Salomon ist ein gutmüthiger Sonderling. Vor der Mahlzeit saßen wir und plauderten. „Ja“, sagte er auf Deutsch — bei ihm wurde heute nur Deutsch gesprochen, ungeachtet vierzehn Personen zugegen waren — „es ist gut genug, reich zu sein, es hat seine Annehmlichkeiten, seine großen Annehmlichkeiten, aber, glauben Sie mir, auch seine großen Lasten. Wir hätten ja, was uns selbst betrifft, nicht nöthig, die Geschäfte fortzuführen; da aber das Wohl so vieler Menschen davon abhängt, so fühlen wir, daß es eine moralische Pflicht ist. Ich arbeite viel und mein Bruder James reibt sich ganz auf; er arbeitet täglich von 8 bis 5 Uhr im Büreau.“ Als wir später von den Merkwürdigkeiten von Paris sprachen, sagte er: „Ich bin jetzt hier seit 1811 gewesen und habe noch gar keine Merkwürdigkeiten gesehen. Ich bin noch nie in Versailles gewesen“. Dagegen besitzt er selbst solche Feenpaläste in Paris, Frankfurt und Wien. Als wir gespeist hatten und die Uhr halb 9 geworden war, frug er bei dem Kaffee: „Was machen Sie jetzt, wenn Sie nach Hause kommen?“ — „„Ich lese etwas und trinke später eine Tasse Thee““. — „Das thue ich nicht,“ antwortete Salomon, „ich gehe zu Bett. Ich gehe jeden Abend um 8½ Uhr zu Bette und stehe um 4 Uhr auf“. — Seine Frau ist eine freundliche bejahrte Dame mit einem treuherzigen Gesichte. Man sagt von ihnen Allen, daß sie sehr wohlthätig sind. Bei James trafen wir Humboldt, der nach Paris gekommen ist. Hier wurde aber Französisch gesprochen. Eine Schriftstellerin, Madame Gerardin, war auch hier. Victor Hugo war eingeladen, hatte sich aber entschuldigt, weil er mit einer Rede viel zu thun hätte, die er in der französischen Akademie halten müsse. James' Frau ist eine anmuthige junge Dame von außerordentlicher Bildung und vielem Geschmacke und Liebe zur Poesie. Ich bin später bei ihr gewesen und habe ihr meine neue Tragödie vorgelesen. Einige Tage nach diesen Mittagsgesellschaften waren wir zum Ball bei[188] Salomon. Es war ein ganz außergewöhnlich prachtvoller Ball. Die schönsten Zimmer mit andern kleinen Nebenzimmern verbunden, wie Corridors mit offenen Bogen. Ein großer Saal mit einer Tafel, prächtig erhellt von großen goldenen Armleuchtern, voll von Confituren und eingemachten Früchten zur beliebigen Auswahl der Gäste. Neben diesem Saale, gleichfalls unter Bogengängen, ein großer Conditorladen, in welchem mehrere Bediente standen und den Gästen alle Arten Eis, Limonade, Kuchen u. s. w. reichten. Aber dieses Alles war nur ein Vorspiel zu dem brillanten Souper, das die Gäste erwartete, das wir aber weder zu sehen, noch zu kosten bekamen, weil wir um ein Uhr nach Hause fuhren, vollkommen mit Dem zufrieden gestellt, was wir genossen hatten.
Gleich im Anfang unseres hiesigen Aufenthaltes führte uns Gaimard bei Arago und Villemain ein. Mit dem Ersteren hatte ich keinen weiteren Berührungspunkt. Wäre ich ein Komet gewesen, so hätte er mich ausgemessen und meine Wege kennen gelernt; jetzt war er so höflich einige Complimente an mich zu verschwenden und hiermit war meine Bahn zu ihm berechnet. Aber Villemain war ein Schöngeist und mit ihm hatte ich eine lange Unterredung, in welcher er sich sehr schön über fremde, besonders über englische Literatur aussprach. Es wollte mir eben nicht munden, daß er ein so großer Bewunderer Milton's sei; aber ungeachtet ich in seinen Aeußerungen viel Unrichtiges fand, waren sie doch ganz vernünftig. Er war sehr freundlich und sagte, er wolle mich bald in Gesellschaft mit andern Schöngeistern von Paris bei sich einladen. Es wurde übrigens nichts aus dieser Einladung. Einige Monate verstrichen; ich sprach ihn während dessen im Theater in der königlichen Loge, wir grüßten uns: „Ah, voila notre grand poëte chez le roi!“ sagte er freundlich, aber ließ sich nicht weiter mit mir ein. Kurz darauf erfuhr ich, daß er wahnsinnig geworden, der Arme! Man sagte, der Ministerposten habe ihn zu sehr angestrengt, er sei dazu nicht geschaffen, sondern hätte ein Gelehrter bleiben[189] sollen. Er war früher, als ich, Professor der schönen Wissenschaften. Ich würde ebenfalls nicht zum Minister taugen; aber ich glaube auch, daß ich nie so verrückt werden könnte, es sein zu wollen.
Einen andern, ausgezeichneten, aber gleichfalls unglücklichen Gelehrten habe ich hier besucht: den berühmten Thierry, den Verfasser der Geschichte der Normannen. Thierry's Werk scheint mir nicht allein das beste geschichtliche Werk Frankreichs, sondern überhaupt des jetzigen Europas zu sein. Es verbindet mit geschichtlicher Genauigkeit und Quellenstudium die Wahrheit des Geistes, die Wärme des Herzens und die zu einem guten historischen Werke nothwendige poetische Einbildungskraft, Alles wiederum mit der kindlichen Naivetät verknüpft, die wir bei Herodot und Snorro bewundern. Welchen Gegensatz bilden hierzu nicht die trockenen, wenn auch gelehrten Werke Thiers' und Dahlmann's, in welchen der Grundton eine kalte Polemik ist. Thierry ist noch kein alter Mann, kaum fünfzig Jahre, wohlhabend, allgemein geehrt und geliebt, aber — er ist blind und epileptisch. An dem Abende, den ich bei ihm verbrachte, wurde er auf einem kleinen Stuhle in die Stube zu uns hereingefahren. Er drückte freundlich meine Hand und sprach ersichtlich gern mit mir über unsere alte Geschichte, während wir Thee und eine Art Kuchen genossen, die ihm ein guter Freund aus Mailand gesandt hatte.
Einen Dichter von Bedeutung, der mir hier freundlich entgegengekommen ist, muß ich nennen, es ist Graf Alfred de Vigny. Ich habe den größten Theil seiner Werke gelesen. Er schenkte mir ein Exemplar seiner Dramen und schrieb darein: Hommage de sympathie et de haute éstime de la part de l'auteur?
— — Um jetzt wieder auf den großen Sieger, Victor — oder wie er der größern Deutlichkeit wegen auch genannt wird — Victor Hugo, Vicomte — zu kommen, so hatte ich, wie Ihr aus früheren Briefen wißt, zweimal versucht, sein Herz oder[190] wenigstens sein Logis zu stürmen. Aber hier sitzt er eben so gut gegen Besuche gesichert, wie Reinecke Fuchs in seiner Burg Malepartus und läßt sich verleugnen, wenn es nicht gerade Sonntag Abend ist, an welchem er allen Lusthabenden Audienz giebt und sie zur Cour vorläßt. Außer diesen Festtagen ist es unmöglich, sich Eingang zu verschaffen, ungeachtet ein Schneider der einzige ist, der seine Festung vertheidigt. Dieser Schneider ist zugleich Thürhüter, und nimmt, auf seinem Tische hockend, mit großer Behendigkeit die Visitenkarten entgegen, ohne sich in seiner Arbeit stören zu lassen. Da er gar keine Notiz von mir nahm, so dachte ich „was ist es auch der Mühe werth, Victor Hugo mit Gewalt zu nehmen? Das wäre eine Sünde, er will am Liebsten ungestört sein, lassen wir ihn; Paris ist groß genug für uns Beide!“
So standen die Sachen, als es der Zufall wollte, daß ein anderer Poet, Deschamps, ganz untergeordneten Ranges, aber ein sehr liebenswürdiger freundlicher Mann, der Deutsch versteht und Romanzen von Goethe und Schiller übersetzt hat, — auch meine Muse kennt und liebt, — uns zu einer Soirée einlud. Hier waren viele Menschen. Deschamps kam auf mich zu und fragte mich, ob ich Victor Hugo's Bekanntschaft machen wollte? Ich glaubte, er meinte, daß wir ihn gemeinschaftlich besuchen sollten, und antwortete ganz trocken: „Nein!“ Später kam er noch einmal, ich sagte noch einmal „Nein“, und fügte hinzu, „ich bin zweimal vergebens dort gewesen“. Später erfuhr ich, daß Victor Hugo in der Gesellschaft zugegen sei. Aber ungeachtet ich mich weder kostbar mache, oder streng auf die Form sehe, wo ich mehr als bloße Form wähne, so fand ich es hier doch unpassend, mich Victor Hugo vorstellen zu lassen, da ich zweimal bei ihm gewesen war und nur seinen Schneider zu sprechen bekommen hatte. Indessen betrachtete ich doch aus der Ferne den großen Mann, wie er dort zwischen einigen ältern Damen saß, die ihm die Cour machten. Schön ist er nicht, häßlich auch nicht, in einem blühenden Lebensalter, frisch,[191] fett, stark und gesund. Er sah gar nicht hochmüthig aus, eher etwas verlegen, wie Derjenige, dessen übermäßige Prätensionen mehr der Eitelkeit als dem Stolze entspringen. Endlich, als der Thee servirt wurde, und ich mich in dem andern Zimmer bei den Damen befand, sah ich Victor und Deschamps die Köpfe leise redend zusammenstecken und das Resultat hiervon war, daß Deschamps Victor Hugo zu mir führte und ihn mir vorstellte. Er sprach einige artige Worte, unter andern, daß die Franzosen „tort“ hätten, keine fremde Literatur zu kennen. Ich war ein wenig ungehalten, und antwortete: „Ja, das habt Ihr allerdings! Es wäre so dumm nicht, wenn Ihr Euch ein wenig um Eure Nachbarn bekümmertet“. Darauf wechselten wir mehrere artige Redensarten; zu einem ordentlichen Gespräche kam es aber nicht, und wir trennten uns, nachdem er mich wieder gebeten hatte, ihn zu besuchen.
Bei dem Herzoge von Nemours traf ich ihn wieder und da ich nun das erste Mal mich expectorirt und ihm ein wenig imponirt hatte, trat ich ihm freundlich entgegen und versprach, ihn zu besuchen, aber weder hier noch später auf einem Balle beim König kam es zu einer längern Unterhaltung zwischen uns.
Jetzt beschloß ich also ihn zu besuchen. Er wohnt weit entfernt, an dem Bastillenplatze, ich fuhr in einem Fiaker dahin; sein Audienzzimmer ist groß; die Familie saß im Dämmerlichte und ein einladendes Steinkohlenfeuer flackerte im Kamine. Hier, eh noch andere Gäste kamen, sprachen wir denn endlich von Diesem und Jenem. Hier ist der englische Schauspieler Macready mit seiner Truppe angekommen, um Shakespeare'sche Stücke aufzuführen. Ich hatte ihn als Hamlet gesehen. Victor Hugo lobte ihn. Ich entgegnete freundlich: „Ich bitte um Verzeihung; aber ich kann nicht Ihrer Ansicht sein. Hamlet muß ein liebenswürdiger, junger Mann sein, voller Schwärmerei, Gefühl, Humanität — er muß das Herz einnehmen, muß natürlich sein u. s. w. Macready ist alt, häßlich, affectirt, convulsivisch“. — „Vous avez raison“, sagte Victor Hugo, ohne[192] ferner seine Ansicht zu vertheidigen. Nun langten mehrere Gäste an, und damit war die Audienz zu Ende.
Es ist sonderbar mit diesen Franzosen; sie wissen gar nichts von uns Fremden, aber sie wünschen auch nichts von uns zu wissen; — sie fragen nur, wie wir in Paris uns „amüsiren“. Victor Hugo hat eine schöne Frau; zwei hübsche Söhne, und eine allerliebste Tochter. Er ließ sich nun in Conversation mit seinen Damen ein, und bekümmerte sich nicht mehr um mich, und ich gesellte mich zu einem Herrn Ehrenbaum, einem deutschen Doctor. Ich betrachtete das Zimmer, welches das Ansehen einer großen Rumpelkammer hatte, in dem eine Menge alte Möbel zusammengetragen waren, unter andern auch ein Thronhimmel aus den Zeiten Ludwig XIII. Ich hielt mich nicht lange auf, aber Victor war doch so höflich, mich bis zur Thüre zu geleiten. Ich hatte weder Nasses noch Trocknes genossen; doch jetzt bekam ich Nasses genug, denn der Regen goß in Strömen herab. Ich kannte die Straße nicht und verirrte mich. Mitten auf dem Bastillenplatze blieb ich endlich vor einem hohen, ungeheuern, schwarzen Gegenstande stehen. Es war der große Elephant, den Napoleon hier aufstellen ließ, der mir durch seine Gegenwart sagte, daß ich mich verirrt hatte, und gerade nach der entgegengesetzten Richtung gehen sollte. Hier fand ich aber endlich, wie eine gebadete Maus, einen elenden Fiaker, mit dem ich nach Hause fuhr. — Das war mir Alles ganz recht; was wollte ich dort? Ich habe viele von Victor Hugo's Werken wieder gelesen, obgleich ich bereits die Mehrzahl schon kannte. „Lucretia Borgia“, „Marion de Lorme“, „Le roi s'amusé“, „Marie Tudor“, „Ruiz Blas“, und ich befinde mich jetzt wieder mitten in seinem „Notre Dame de Paris“. Ich kann das Urtheil, das ich bereits früher über ihn ausgesprochen, nur wiederholen. Er ist ein Mann von Geist, von Feuer und Phantasie, und zweifelsohne derjenige der französischen Dichter, der das größte Talent besitzt. Aber er ist in einem hohen Grade bizarr und convulsivisch und[193] alle seine Helden und Heldinnen sind tragische Carrikaturen. Die unglückliche Ansicht, das Moralische und Tugendhafte in der Poesie als etwas Bornirtes, Unpoetisches, ja fast Einfältiges und Dummes zu betrachten — hat sich auch seiner bemächtigt. Weil so viele Stümper und Heuchler früher diese Motive zu flauen Affectationen mißbrauchten — ist er und Consorten (denn diese Tendenz ist ja auch in germanischen und skandinavischen Ländern Mode) darauf gefallen, das Laster fast zu vergöttern. Er schildert das Laster ohne Abscheu und Verachtung, mit glänzenden Farben, und durch die Art und Weise, wie es dargestellt wird, spendet er ihm Achtung und Bewunderung, während das Gute und Edle bei Seite geschoben und wie etwas Veraltetes, das nicht mehr der Zeit angehört, fast verachtet wird! — Leider, wenn es so fortgeht, so werden wir bald — wieder Barbaren werden können. Barbaren? Nein, dazu fehlt uns die kräftige Naivetät und die entschuldigende Unwissenheit. — Wieder wie die Thiere? Nein, dazu sind wir leider zu klug, zu erfahren und kenntnißreich. — Aber spitzfindige Bestien und gebildete, feine Cannibalen, das könnten wir werden! Doch — es hat keine Noth! Auch unser Zeitalter besitzt eine große Masse Menschen mit gesundem Sinn und Herzen, welche diese genialen Knabenstreiche verachten. In Victor Hugo's Dramen und Romanen findet man kaum einen Menschen mit gesundem Sinn und von honettem Charakter. Die Composition seiner Bühnenstücke ist sehr schwach und unnatürlich. Wenn Einer etwas erfahren soll, das er eigentlich nicht erfahren dürfte, so legt er sich auf der Stelle hin und stellt sich als schliefe er. Je nach dem Bedürfniß des Stückes springen die Personen aus Schränken, Wänden, Mauern u. s. w. hervor. Da es unmöglich ist, mit einer Tragödie irgend eine Wirkung zu bezwecken, wenn man das Herz nicht rührt, so wird solches denn auch durch diese oder jene edle Eigenschaft bei den lasterhaften Personen hervorgebracht. Aber wie — z. B. — kann man Mitleid mit einer Lukrezia Borgia fühlen, weil diese[194] Furie, dieser tragische Ausbund in ihren eigenen Sohn verliebt ist, und die Schuld seines Todes trägt. Und so ist es überall. Zuletzt wird dem Laster immer etwas Erhabenes und Edles beigegeben, das unser Mitleid erwecken soll. Weder Aeschylos, Sophokles, Shakespeare oder Schiller haben so gedacht. Selbst bei dem katholischen Calderon überholte seine gute Natur die schiefe Bildung — und, aller Vorurtheile, und alles Aberglaubens ungeachtet, schimmert das echt Humane bei ihm herrlich durch. Goethe neigte sich der Entschuldigung und der Idealisirung der Wollust in einigen seiner Werke zu. Eine gefallene Tugend — wo der Geist noch tugendhaft ist! — kann auch entschuldigt werden. Gretchen, Klärchen, die Bayadere sind schön und herrlich. Christus selbst entschuldigt die büßende Magdalena. Das ist aber etwas ganz Anderes, als Victor Hugo's Dirnen. Seine Dialoge sind übrigens geistreich und der Zwang des Reimes verhindert ihn nicht an einer natürlichen Diction. Es finden sich mehrere gute Scenen in seinen Werken, so z. B. König Ludwig, der Richelieu bis auf den Tod haßt und ihm doch blindlings gehorcht — wie der Vogel, der in den Rachen der zischenden Klapperschlange hinabfliegt. Victor Hugo ist interessant. Man langweilt sich nicht mit ihm. Aber — wenn man ihn gelesen, so hat man einen bittern Nachgeschmack, denn wodurch erweckt er besonders das Interesse? Durch das Grausenhafte! Seine Stücke sind meistentheils Hinrichtungsscenen. Man folgt ihm auf den Richtplatz. Er malt uns Alles aus: den Scharfrichter, das Beil, den Block, die Angst des Sünders, das Blut, das Grausen der Zuschauer; aber man schämt sich fast nach der Lectüre, bei einer solchen Hinrichtung zugegen gewesen zu sein, und wie Tiberius und Nero eine geistige Wollust in der Nervenerschütterung der Schrecken und in der Grausamkeit gefunden zu haben. Noch habe ich Victor Hugo's lyrische Gedichte zu lesen. Diese sollen edler, besser sein; die allgemeine Meinung hier ist, daß er eigentlich ein lyrischer Dichter ist. Es[195] wird mich erfreuen, von ihm etwas Schönes zu lesen. Die Schönheit ist doch der Stoff aller Kunst; Tugend und Wahrheit wird als etwas veraltetes verworfen. Ist die Schönheit gleichfalls veraltet? — Dann wäre es dem Loke geglückt, Ydun mit den Aepfeln wieder in Jothunheim in Ketten zu schmieden, und so könnte ja die ganze Natur veralten und ins Grab steigen. Das genialste Werk Victor Hugo's ist doch ohne Zweifel, der ungeheuren Mißgestalten und Auswüchse ungeachtet, sein Notre Dame de Paris. Es ist kein Kunstwerk; es ist ein unordentliches Magazin von Studien, welche mehr denn zur Hälfte das Buch füllen, und die gemacht sind, während er dasselbe schrieb. Die Ideen über das Romantische, über die alte Baukunst des Mittelalters hat er, aus unzusammenhängenden Mittheilungen und Traditionen, doch aus Deutschland geholt und in seiner Weise zugestutzt. Seine Abhandlung über die Architektur ist bis auf wenig Einfälle eine übertriebene Phantasterei. Wenn man weiß, was in dieser Richtung geschehen ist, seitdem Goethe seine kleine Abhandlung über Straßburg schrieb, und was später Wackenroder, Tieck, die Schlegel, Künstler und Kunstkenner wie der Architekt Moller, die Gebrüder Boisserée, wie in München die ausübenden Künstler geleistet haben, so wird Victor Hugo's Gerede davon kindisch und unwissend. Höchst sonderbar ist auch die Herzlosigkeit, die sich überall in dem Werke zeigt, der totale Mangel an religiösem Gefühl, wenn er z. B. die alte herrliche Kirche Notre Dame betrachtet — die ihm doch zu dem Ganzen begeistert hat, und diese edle, würdige Gedenktafel der Kunst nicht allein mit seinem abscheulichen, einäugigen, buckligen, rothhaarigen, tauben, boshaften Quasimodo vergleicht, sondern diese Bestie, als den Genius der Kirche hinstellt und sagt: „A tel point que, pour ceux, qui savent que Quasimodo a existé, Notre Dame est aujourd'hui déserte, inanimée, morte. On sent, qui'l y a quelque chose de disparu. Ce corps immense est vide, c'est un squelette; l'esprit la quitté, on en voit la place,[196] et voila tout. C'est comme un crane, ou il y a encore des trous pour les yeux; mais plus de regard.“
Eine solche Art des Fühlens und des Denkens findet man überall im Buche. Aber das Buch ist interessant, weil es gute Scenen, einige gute Charaktere besitzt, und weil es ein Bild des pariser Lebens der damaligen Zeit giebt. Seine Leser in dieser Weise zu unterhalten, indem er nämlich seinen Roman zu einer Zeitschilderung macht, in welcher das individuell Historische hervortritt, hatte Victor Hugo von Walter Scott gelernt. Aber wie weit schöner und besser malt nicht dieser! Bei Walter Scott tritt immer das Schöne, das Edle als die Hauptsache hervor. Victor Hugo schildert den Crapule; in seinen Dramen, in aristokratischer Weise, den vornehmen Crapule, der nur die Wollust und die großsprechende dumme Courage kennt, um unbedingt, Alles aufopfernd, seinem einzigen Abgotte, seinem Dalai-Lama, seinem Vitzli-Putzli — dem Point d'honneur zu huldigen. Hier in Notre Dame wimmelt es von Pöbel, von europäischen Cannibalen. Aber das historische Colorit und einige gute Erfindungen machen es amüsant zu lesen, so ist z. B. die Scene mit dem zerbrochenen Kruge vorzüglich. Die schönste aller Schilderungen Victor Hugo's findet sich gleichfalls in diesem Buche: „Esmeralda“, die einzige eigentlich anmuthige und unschuldige Schöpfung, die seiner Phantasie entsprungen. Sie giebt Veranlassung zu vielen schönen, echt poetischen Scenen. Wie diese seine anmuthige Schöpfung in menschlicher Weise entstanden ist und in dem wildesten Crapule leben und gedeihen kann, ist eine andere Frage. Wie sie schuh-, strumpf- und handschuhlos noch immer eine fast soignirte Schönheit bleiben kann — da sie doch keine Fee ist — darüber die Natur zu fragen, würde wenig nutzen; denn dieselbe leiht den Erfindungen Victor Hugo's nur flüchtige Züge. Wir könnten ebenso leicht fragen, wie dieser elende, bucklige Quasimodo so ungeheure Kräfte besitzen kann. Aber — Esmeralda ist voller Anmuth — und hatte Victor Hugo auch nur sie allein geschildert,[197] so war er schon dadurch Dichter. Einzelne Scenen mit ihr sind sogar meisterhaft, z. B., wo Phöbus sie vom Thurme zu den vornehmen Damen ruft; auch ihr Tod ist schön.
Aber, du lieber Gott, ich bin ja in eine lange Abhandlung gerathen, die den Briefton ganz verläßt! Jedoch — derselbe berührt etwas, allen denkenden und fühlenden Menschen unserer Zeit sehr Wichtiges: Das — in höherer Bedeutung — Sittliche, das in der engsten Bezeichnung zum Guten und Frommen steht.
Ich erinnere mich noch bei dieser Gelegenheit einer Aeußerung des Königs Louis Philipp gegen mich, die Ihr nicht ohne Interesse lesen werdet. Er klagte gleichfalls, indem er von dem Zeitgeiste sprach über les moeurs et les théâtres, und zuckte dabei mit den Achseln. Ich machte die Bemerkung, daß es gewiß schlimm und gefährlich sei, die Laster und die Ausschweifungen nur von einer brillanten Seite zu schildern. „Ich werde Ihnen eine Anekdote erzählen“, sagte der König, „die sich kürzlich hier ereignet hat. Ein junger Mann hatte eine Tante, die ihn sehr liebte. In einem schwachen Augenblicke vertraute sie ihm an, daß er in ihrem Testamente zum Universalerben eingesetzt sei. Kurz darauf stirbt die alte Tante; man findet, daß sie vergiftet ist, stellt eine Untersuchung an, und entdeckt, daß der junge Mann seine Wohlthäterin vergiftet hat. Er wird gefänglich eingezogen, zeigt aber — als die Thatsache hinlänglich erwiesen ist — nicht die geringste Trauer oder irgend eine Art von Gewissensbissen. In einem süßen menschenfreundlichen Tone betheuert er, die That vollbracht zu haben, um seiner Tante gefällig zu sein, weil sie alt und schwächlich, von den Krankheiten ihres Alters zu leiden hatte, und — weil sie doch so wie so baldigst hätte sterben müssen. Er hatte das Gift an einem Lamme versucht, das er gleichfalls sehr lieb hatte; dasselbe sei, wie später die Tante, ohne Schmerzen gestorben, und sie sei ihm also, aufrichtig gesprochen, noch obendrein verpflichtet, weil er ihr einen angenehmen, ruhigen[198] und schmerzlosen Tod verschafft habe! Wie gefällt Ihnen das?“ fragte der alte König, nachdem er die Geschichte beendet hatte, und blickte mir dabei mit wahrem Menschengefühl ins Auge.
Ich nenne ihn alt, er ist auch alt; doch, weit entfernt schwach zu sein, ist er ein kräftiger Mann. Als ich ihm mit einer gewissen Eitelkeit erzählte, daß ich fünfundsechzig Jahre alt sei, rief er mit fröhlichem Stolze: „Aber ich bin einundsiebenzig.“
Eines Abends war ich in Gesellschaft bei dem reichen Instrumentenmacher Erard, woselbst sich, wie Jemand sehr witzig sagte, dreitausend Freunde versammelt hatten. Die Einladung zu diesem Balle hatten wir Spontini, dem Schwager Erard's, zu verdanken. Er ist ein Mann von wahren Verdiensten. „Die Vestalin“ ist ein Meisterstück, und „Ferdinand Cortez“ ist ausgezeichnete Musik. Er soll in seinem Vaterlande viel Gutes geübt haben, weshalb der Papst ihm den Grafentitel verlieh. Er war in Berlin Musikdirector und wollte — laut seines Contractes — nicht dem Theaterchef Graf Redern weichen. Hier verlief er sich durch die Behauptung, der König selbst vermöge nicht, sein ihm gegebenes Wort zurückzunehmen, wenn auch derselbe den Willen dazu habe. Spontini's Feinde verstanden diese Aeußerung in ein crimen laesae majestatis zu verdrehen. Es wurde eine Commission niedergesetzt, man sprach von neun Monat Gefängniß in Spandau. Darauf wurde die Sache vom König selbst niedergeschlagen. Spontini erhielt seinen Abschied und bekam seinen ganzen, bedeutenden Gehalt als lebenslängliche Pension; jetzt lebt er auf einem großen Fuße in Paris.
Ich habe bereits in früheren Briefen meiner treuen Freundin, Madame Constant, der Wittwe Benjamin's, gebornen Comtesse Hardenberg, Erwähnung gethan. Sie ist eine freundliche, gastfreie, alte Frau, die noch einen muntern Geist besitzt, aber in einer sonderbaren Weise ganz ihr Gedächtniß — vergessen hat! Doch kehrt dasselbe mitunter zurück. Aber — sonderbar genug![199] — ich wurde empfangen und wie ein alter Freund in die Familie aufgenommen; jedoch einmal während eines Gesprächs mit mir hatte sie ganz vergessen, daß wir einander vor achtunddreißig Jahren gekannt hatten, trotzdem dies gerade der Grund des liebevollen Empfanges war. Einst frug sie mich — obwohl, wie es der liebe Gott weiß, mein Französisch, bei weitem nicht klassisch ist, ob ich auch Deutsch spräche. Wir hatten schon sehr oft Deutsch mit einander geredet. Sie ist noch aus der alten, höflichen Schule, sogar dermaßen, daß sie ihre Katze Mademoiselle und ihren Bedienten Monsieur nennt. „Merci Monsieur“ sagt sie oft, wenn ihr derselbe einen Teller reicht. Doch dies Letztere könnte man vielleicht eher der neueren Gleichheit, als der alten Höflichkeit zuschreiben. Eine komische Anekdote gab hier in der Gesellschaft Veranlassung zu vielem Lachen. Die gute, alte Frau läßt ihren Gästen nicht allein einen guten Rothwein, sondern gewöhnlich auch ein Glas Champagner einschenken. Nun war ihr der Champagner ausgegangen, und sie schrieb deshalb an ihren Commissionair. Sie hatte schreiben wollen: Faites-moi un envoi, comme le dernier. Aber, da sie sehr distrait ist, schrieb sie: „Faites-moi un enfant, comme le dernier“. Dieser naive Wunsch einer Frau ihres Alters konnte nicht anders als das Zwergfell Derjenigen erschüttern, die den Brief gelesen hatten.
Gestern (den 17) waren wir zu einem Fest bei der Gräfin Bourke. Vor einiger Zeit hatte ich bei ihr zu Mittag gespeist; doch die gestrige Einladung galt keiner Mahlzeit wo man ißt, sondern „wo man selbst gegessen wird“, wie Hamlet sagt — denn es war eine Einladung ihres Verwandten und Erben, des jungen Grafen Bourke, sie zur letzten Ruhestätte zu geleiten. Sie war eine alte einundachtzigjährige Frau. Als wir in das Trauerhaus traten, verletzte uns der Mangel an Feierlichkeit. Es waren keine Trauergardinen, keine Trauermäntel zu erblicken und das Gefolge trat, in seinem gewöhnlichen, täglichen Anzuge auf die Straße, fast wie zu einem Judenbegräbniß, heran, Einige in blauen, Andere mit grauen Beinkleidern — Alle aber mit schwarzen Handschuhen[200] angethan. Außen am Hause waren einige schwarze Teppiche mit silbernen Fransen aufgehängt, der Sarg stand im Thorwege, der in eine schwarze Trauerhalle verwandelt war. In dieser Weise begleiteten wir zu Fuße die selige Gräfin. Aber die schöne Magdalenenkirche war in der Nähe; hier fanden wir die Feierlichkeiten. Die Kirche war mit schwarzen Teppichen, mit dem Wappen der Verstorbenen geziert, und inmitten derselben, von unzähligen Wachskerzen umstellt, wurde der Sarg unter einen prächtigen Katafalk gestellt, der hoch in das Gewölbe hinaufragte. Schöne, alte Seelenmessen und Hymnen erklangen aus den kräftigen Baßstimmen der Mönche mit den Discanten der Knaben; es war dies keine moderne Kirchen-Theater-Musik. Hätten nur nicht die Pfaffen den Eindruck durch ihre Manövers verdorben. Bald verbeugten sie sich vor unserm lieben Herrgott nach rechts, nach links, bald schritten sie dorthin, bald dahin; dann mußten die Knaben mit Kerzen die Stufen bald hinab, bald hinan steigen. Mir kam es vor, als suchten sie den Herrgott und — als sei er nicht zu Hause und sie müßten warten, bis er käme. Endlich trug man den Sarg aus der Kirche auf den Leichenwagen, nachdem erst das ganze Gefolge ihn mit einem Weihwedel besprengt hatte. Es ist dies ein schönes Bild der persönlichen Theilnahme. Diese schuldet jeder Mensch dem andern an der hohen Pforte der Ewigkeit, und als solche bedienten William und ich, obgleich Protestanten, uns gleichfalls des Weihwassers. Des echten Weihwassers erblickte ich in der ganzen großen Versammlung nur zwei Tropfen, in den Augen des jungen Bourke, als der Sarg hinausgetragen wurde. Die Verewigte war ihm eine gute Tante gewesen: Grafentitel, Reichthum — Alles hatte er ihr zu verdanken.
Kopenhagen, den 20. Mai 1845.
— — In einem meiner frühern Briefe habe ich erzählt, daß König Louis Philipp mich, als ich einmal bei ihm zur Tafel war, bei der Hand faßte und zu einem Manne führte,[201] der sehr freundlich mit mir sprach, meine Schriften in der deutschen Ausgabe gelesen hatte, und mich bat, ihn zu besuchen. Ich kannte ihn nicht, aber später fand ich heraus, daß es der König von Belgien sein müsse. Die Reise ging also jetzt wieder über Brüssel. Ich war etwas unruhig über diese Einladung, weil ich es immer hinausgeschoben hatte, mich näher zu erkundigen, und jetzt, da es zum Treffen kam, nicht genau wußte, ob es auch wirklich der König sei, der mich eingeladen hatte. Ich studirte vorher Kupferstiche und Büsten — mitunter fand ich Aehnlichkeit mit dem hohen, großen Manne, der mich eingeladen hatte, mitunter nicht. Coopmans, unser Chargé d'affaires, kratzte sich auch hinterm Ohre, und sagte: es sei so nicht die Gewohnheit des Königs. Ich antwortete: dann erzeigen Sie mir die Güte, den König zu fragen, ob er es erlaubt, daß ich ihm meine Aufwartung mache, indem ich durch das Land reise. Dies fand Coopmans in der Ordnung; ich wurde zur Audienz angesagt. Es war ganz richtig. Der König sprach lange und freundlich mit mir. Einige Tage darauf wurde ich zur Tafel geladen, wo ich die Königin, die Tochter Louis Philipp's, sah — eine sehr gutmüthige, freundliche Dame — und am Tage darauf reiste ich ab[2].
Jetzt bekam ich gleichfalls Lust, wenigstens ein Stück von Holland zu sehen, umsomehr, weil es weder mehr Mühe noch mehr Geld erforderte. Wir reisten über die alte Stadt Antwerpen nach Amsterdam, einer interessanten Stadt, die fast aus lauter Kanalstraßen und Alleen besteht. Ich war auch hier genöthigt, einige Tage zu bleiben, um das Dampfschiff, das nach Hamburg ging, zu erwarten. Die holländische Sprache gefiel mir; sie klang mir wie Englisch, ohne französische Beimischung. Endlich kam das Dampfschiff an, wir gingen an Bord und erreichten bald und glücklich Hamburg, das ich gar nicht wiedererkannte;[202] wir stiegen in Streit's Hotel am Jungfernstieg ab. Ich besuchte den Theater-Director Cornet, der uns gleich Freibillets gab, aber bedauerte, daß wir uns diesen Abend mit seiner kleinen Loge auf der Bühne selbst begnügen müßten. Sämmtliche Billets des ungeheuern Theaters waren schon vergriffen, Jenny Lind sang die Norma. Dort saß ich nun und sah die liebliche nordische Jungfrau nach allen den französischen Talenten — aber sie hat auch Talent und ein gutes Spiel unterstützt ihre ausgezeichnete Stimme. Es schien mir, als sei Freia von Walhalla herabgestiegen, um einmal die südlichen Musen zu vertreiben. Als der erste Act aus war, hätte das ganze hamburgische Publikum mich beinahe an ihrer Hand zu sehen bekommen, denn ich lief auf sie zu, und ergriff ihre Hand in demselben Augenblick, als der Regisseur: „von der Bühne“ rief, denn sie sollte nach deutscher Sitte hervorgerufen werden. Sie wußte gar nicht, was es für ein Mann sei, der sie so vertraulich anredete und ihr in nordischer Sprache dankte; als sie mich aber erkannte, freute sie sich, und gedachte des Abends, den sie vor einigen Jahren bei mir verbracht hatte.
Die Schauspieler wollten durchaus Correggio vor mir spielen, und somit geboten mir Höflichkeit und Dankbarkeit, einige Tage länger als bestimmt war zu verweilen. Baison spielte die Titelrolle gut aber ein wenig zu sentimental. Bei dem Conferenzrath Donner auf Neumühl war ich zu Mittag eingeladen; er hat dort eine herrliche Villa an der Elbe mit Arbeiten von Thorwaldsen und Nissen geschmückt. Etatsrath Nagel, der in frühern Tagen Amanuensis bei Brandis war, gab uns ein prächtiges Frühstück und fuhr uns nach Blankenese. Weil ich von Brandis rede, muß ich eine Anekdote erzählen. Als er in den letzten Athemzügen lag, sagte er: „Der dumme Apotheker N. N. sagte immer die meisten Menschen stürben gegen Mitternacht; und nun kriegt der verfluchte Kerl auch Recht, was mich betrifft, denn ich werde auch ungefähr zwischen 11 und 12 sterben.“
Fasanenhof, den 5. Juli. 1845.
Meine liebe Maria!
— — Bei der großen Zusammenkunft der Studenten der drei nordischen Reiche, hatte mir das Comité vier Gäste, drei Schweden und einen Norweger, zugetheilt. Sie wohnten in der Stadt in meinen Zimmern; des Mittags kamen sie zu mir heraus und aßen mit mir zusammen, an den Tagen nämlich, an welchen keine öffentlichen Feste veranstaltet waren. Die Norweger und Schweden sind sehr beliebt, nicht allein bei den Studenten, sondern bei allen Einwohnern Kopenhagens. Eine so ungeheure Menschenmasse, wie die, welche sie vom Hafen aus nach der Universität begleitete, ist vielleicht noch nie in Kopenhagen gesehen worden. Viele Damen warfen Blumen auf die lieben norwegischen und schwedischen Gäste von den Fenstern herab. Ich bin überzeugt, daß die jungen Männer, von Achtung und Liebe für die Dänen erfüllt in ihre Heimath zurückgekehrt sind. Sie kamen auch im Zuge zu mir. Ich begrüßte sie in der großen Allee vor dem Fasanenhofe. Sie führten zwei Musikchöre mit sich, eins aus Upsala, eins aus Lund. Ein Docent Petterson aus Upsala hielt eine hübsche Rede an mich, und die Studenten sangen ein schönes Lied. Ich bezeigte ihnen meinen Dank, meine Freude darüber, daß der Funke nordischer Bruderliebe, den ich vielleicht durch meine Gedichte zu entzünden beigetragen, jetzt als eine Flamme in jeder nordischen Brust glühe. Ich sprach meine Freude darüber aus, daß mir so viele Ehre von einer so großen Versammlung in demselben Garten erzeigt werde, wo ich als Kind so lange Zeit einsam in meinen Träumereien umhergegangen sei. Ich bat sie, sie möchten, wenn sie einst wieder mit ihren Söhnen hierherkämen, und der Dichter-Greis nicht mehr sei, denselben sagen: „Hier schlug ein ehrliches, treues Herz für den brüderlichen Norden; in diesem sommerlichen Schatten besuchte ihn[204] Ydun und lehrte ihn die Lieder, die noch leben, und durch welche er uns noch frisch und jugendkräftig grüßt.“ — —
Was soll ich Dir jetzt noch erzählen, was Du nicht bereits schon weißt? Ich wüßte nichts. Doch ja — ich habe diese Nacht einen wirklich kuriosen Traum gehabt, den will ich Dir, und zwar ohne alle dichterische Ausschmückung erzählen: „Es träumte mir, ich hatte ein schönes Miniaturbild für ein Taschenbuch gemalt. Alle Menschen sagten, wenn ich das herausgäbe, würde das Buch ganz vorzüglich gehen. Aber dann begegnete mir Winckler (ich war ihm gestern im wachen Zustande im Südfelde begegnet), er bat mich um das Bild — ich gab es ihm, und mußte später viel von meinen Freunden leiden, weil ich mich von einem solchen Schatze getrennt hatte. Aber dann setzte ich mich wieder ruhig hin und malte eine Daguerreotype so künstlich, daß, wenn man sie von einer Seite sah, war sie Maria mit dem Christuskinde, von der andern Seite stellte sie Christus am Kreuze dar. Dies fand man, sei noch besser, und versicherte mir, daß, wenn ich damit nach Paris ginge, würde ich mein Glück machen und großes Vermögen erwerben. Dies wollte ich denn auch; als ich aber erfuhr, daß Raphael zufällig in Kopenhagen sei, wollte ich ihm das Bild erst zeigen. Ich besuchte ihn und wunderte mich darüber, daß er einem vornehmen Manne hier ganz ähnlich sah. So sieht Raphael aus? dachte ich. Mit diesen Augen, diesem Blick hat er soviel Schönes und Herrliches gesehen und durchschaut! Ich zeigte Raphael meine Daguerreotype. Er wurde ganz roth im Gesicht und sagte: „„Etwas so Schönes habe ich noch nie hervorgebracht. Hätte ich es doch gemacht! Wenn das doch meine Arbeit wäre! Wollen Sie sie mir nicht schenken, ich könnte es dann für meine Arbeit ausgeben.““ — Ich war so geschmeichelt und so entzückt, als Raphael den Wunsch äußerte, mein Bild geschaffen zu haben, daß ich rief: „Ja herzlich gern“! und ihm das Bild gab, indem ich doch zugleich über seine moderne Frisur sann, und darüber, daß er ein so kurzes Hinterhaar hatte. Nun[205] hatte ich auch diese Arbeit verschenkt, und mich selbst einer großen Einnahme beraubt, aber es war an Raphael. Ich trat später auf den Marktplatz hinaus, wo ich Raphael's Frau sah, auf einem Fleischerwagen sitzend, mit einer alten Kapuze auf dem Kopf; man sah deutlich, daß sie in ihrer Jugend schön gewesen, sie glich Frau S. Sie hielt das Bild in der Hand und fuhr damit auf dem vollgeladenen Fleischerwagen nach Paris; die großen Fleischstücke im Wagen zeigten sich noch meinem wehmüthig nachblickenden Auge, nachdem das Bild verschwunden war.“
War das nicht ein kurioser Traum? Ich glaube die Veranlassung desselben ist das Gefühl, das mich in dieser Zeit beherrscht, wo ich vier Theaterstücke drucken lasse, ohne sie auf die Bühne bringen zu können.
Heute Morgen, ehe ich noch frühstückte, ging ich in den Garten, und schnitt Georginen und grüne Rosenblätter für Deine zwei Portraits. Das Bild von Gärtner hängt hier in meinem Arbeitszimmer, das andere in dem großen Gartenzimmer, Vaters Büste, welche auf dem Ofen steht, gegenüber. Ich steckte die Blumen über die Rahmen der lieben Bilder. Doch das muß ich Dir sagen, dieser Gruß galt nicht allein Deinem Geburtstage, er ist Dir den ganzen Sommer hindurch gebracht worden. Die Georginen halten sich länger frisch als die Rosen; sie tragen den Namen Deiner seligen Mutter, und wenn ich die Bilder mit ihnen schmücke, däucht es mir, als sei sie, ein seliger Engel, dabei und spräche den Segen des Himmels über ihr Kind. Ich sage dann oft wie Walborg: „Ich grüß' Dich, meine Liebe! Guten Morgen“!
Aber höre jetzt — ich sitze nicht allein hier — eine große schöne Person, mit Blumen angethan, steht im Winkel am Schreibtische, dort wo mein alter Lehnstuhl stand. Diese Person ist — ein neuer Lehnstuhl, der gerade ganz akurat vorgestern hier eintraf, so pünktlich, daß er (oder sie) an diesem Tage in meiner kleinen Stube paradiren und Deine eigene Person vorstellen[206] konnte. Das ist fast mehr Sinn und Herz, als man von einem Lehnstuhl zu erwarten berechtigt ist. Aber beste Maria! was hast Du auch nicht auf seine Erziehung gewendet! Ein wenig streng bist Du gewesen, denn für jede schöne Blume, die er mir bringt, hast Du ihm unzählige Nadelstiche versetzt. Doch — diese Nadelstiche schmerzten ihn nicht, und mir thaten sie wohl; es sind keine Herzstiche, das versichere ich Dir. Das einzige Schlimme an diesem Lehnstuhle ist, daß ich es nicht über mein Herz gewinnen kann, darin zu sitzen; vom Anlehnen will ich nun gar nicht reden. William hat mir vorgeschlagen, den Stuhl mit einem Netze zu überziehen; darin hat er Recht. In einem Netze will ich Deine Liebe fangen, damit sie nicht davonflattere.
— — Ich habe in der letzten Zelt einige Romanzen geschrieben: „Tannhäuser im Venusberge“, „Götz von Berlichingen und der Schmied“, „Die zwei Räuber.“ — Ich denke zum Winter eine kleine Sammlung Poesien drucken zu lassen. Meine Schauspiele sind jetzt unter der Presse. „Das Gespenst auf Herlufsholm“ ist schon beendet und „Garrick“ wird es bald. Dem Theater etwas einsenden, thue ich kaum wieder. Ich habe es satt, mich dem Mäkeln und Kritteln zu unterziehen. „Sucht euch einen andern Knecht“! sagt Göthe im Vorspiel zu Faust. Ich habe jetzt diese Karten der weltlichen Eitelkeit so lange gespielt, habe so oft die Vorhand und Zwischenhand gehabt, und bin mit guten Karten in der Hand beet geworden; kann ich nicht in der Hinterhand sein — und meiner Sache gewiß — so passe ich. Die Welt will immer etwas Neues, und daß Adam Oehlenschläger Schauspiele und Verse schreiben kann, ist ja was Altes und Abgedroschenes. Indessen besucht mich meine Muse doch noch immer, hat mich ganz lieb, und findet mich auch nicht zu alt für ein Liebesabenteuer mit ihr.
Kopenhagen, den 13. December 1845.
Ueber „Dina's“ Schicksal in Wien hat Castelli mir die Hiobspost gesandt, daß die Schauspieler gegen sie kabalisirten; aber vor einigen Tagen erhielt ich eine ganz entgegengesetzte Nachricht vom Director Holbein selbst. „Von einer Kabale — schreibt er — ist nicht nur keine Spur vorhanden, sondern vielmehr das Gegentheil. Mit Sorgfalt und Theilnahme für Gedicht und Dichter wird die Aufführung vorbereitet, und bald wird nichts dem schönen Kinde in den Weg treten.“ Da aber der religiöse Schluß, die Scene mit dem Mönch, in dem katholischen Wien nicht geduldet werden kann, so bat Holbein mich, eine „Schlußrede“ für Dina, ehe sie zum Tode geht, zu schreiben. Eine solche habe ich gedichtet und schreibe sie hier ab:
Den 4. Februar 1846.
Dina ist nun aufgeführt, aber das Stück machte kein Glück. Ich verstehe es nicht, den guten Leuten einen echten Wienertrank zu brauen. — Ein wiener Recensent, Namens Andreas Schuhmacher, hat es seinen Landsleuten ganz gut gesagt. Er schreibt:
„Von den zahlreichen Meisterwerken Oehlenschläger's war es der einzige „Correggio“ den Wien von der Bühne herab genießbar fand, und in diesem Werke selbst war es das Künstlerleben, die bühnliche Einheit und Faßlichkeit, und die entschiedene Hinneigung zum sentimentalen Raisonnement, was es allgemeiner zugänglich machte, als die übrigen Dramen Oehlenschläger's sammt und sonders. Auf diesem Boden war Kotzebue den größten Dichtern überlegen, die sich ja glücklich preisen durften, wenn sie mit dieser prosaischesten aller Seelen den Theaterlorbeer theilen konnten. Soviel nur, um darzuthun, daß die eben vom Publikum ziemlich einstimmig abgelehnte Dina nicht schlechter zu sein braucht, als andere von ganz Deutschland bewunderte, von ganz Dänemark gefeierte Dichtungen dieses Meisters. „Hakon Jarl“, „Hagbarth und Signe“, „Axel und Walborg“ würden das gleiche Schicksal mit der Dina theilen, wenn es Jemandem einfiele, sie mit unsern Schauspielern vor unserm Publikum zu geben. Mag die Dina zergliedern, wer will; ein Dichter schrieb sie, das beweist jedes Blatt! u. s. w.“
Meine kleine Tragödie „Das Land gefunden und verschwunden“ hat mir die Theater-Direction selbst aufzuführen angeboten. Es ist kein Knall-Effectstück; für das Historische und Nationale hat man — aller skandinavischen Vereine ungeachtet — nicht viel Sinn. Ich erwarte keine große Wirkung, aber das Stück wird gelesen und mit Achtung selbst von den Stimmgebenden besprochen.
Den 19. April 1846.
Jetzt bin ich schon lange wieder flott. Ihr wißt, ich war diesen Winter eine Zeitlang auf dem Podagra-Riff auf den Grund gerathen. Es wäre nun sehr langweilig gewesen, wenn ich nicht ein Amüsement gefunden, daß auch Andere, wie ich wünsche, amüsiren wird. Ich habe noch einmal ein Herz gefaßt und eine heroisch-nordische Tragödie in 5 Akten geschrieben, um eine leere Stelle an der Wand meiner dramatisch-historischen Bildergalerie auszufüllen. Werde nicht bange, wenn Du das Blatt wendest und liesest: „Amleth.“ Es ist bei weitem nicht meine Absicht gewesen, mit dem unsterblichen Shakespeare zu wetteifern; unsere Trauerspiele unterscheiden sich nicht nur darin, daß er (wie von Tyboe sein von) sein H voran, und ich (wie Stygotius) das meinige hinterher setze — sondern die Stücke sind in Composition und Characteren ganz und gar verschieden, welches Ihr erfahren werdet, wenn Ihr nach Frederiksberg kommt und ich es Euch vorlese. Ich habe bereits die Freude, daß mehrere competente Richter meinen Amleth gutgeheißen haben.
Den 30. Aug. 1846.
Hier sitze ich nun wieder zu Hause auf Frederiksberg mit allen meinen lieben Erinnerungen und sage, wie die verwittwete Königin einst zu mir sagte: „Ich lebe in den Erinnerungen.“ Habe Dank, meine geliebte Maria, für all Deine Liebe! Noch gehe ich nur kleine Touren, die ersten längern werden den Bäumen im Garten und im Südfelde gelten, wo ich Deinen geliebten Namen finde. Küsse die süßen Knaben, meinen Harald, meinen Adam und meinen kleinen Wollert vom Großvater, und sage ihnen: ich käme bald! Ach Gott, die längste Zeit wird bald verstrichen sein.
Comique (wie Harald richtig sagt), oder Commäk (wie Adam sich freier ausspricht), liegt mir zu Füßen. „Parole[210] d'honneur, ick hob' keen andern“! sagt der Jude in Heiberg's „König Salomon“ von seinem Schlafrock. Ein kleiner rother junger Hund, den mir v. d. Maase geschenkt hat, geht im Hofe umher und heult. Er soll Robin (Roy) heißen. Die Dienstboten nennen ihn Ruben und glauben, er sei nach einem Juden getauft. Leb wohl! Man scherzt oft mit einem schweren Herzen!
Erster Weihnachtstag 1846.
Um zuerst von einem nur geistigen Kinde zu reden — so wirst Du gelesen haben, daß Amleth Glück gemacht hat. Das Stück wurde an meinem 67. Geburtstag aufgeführt, und wenn auch an diesem Tage eine gewisse Pietät für den Vater auf das Kind überging, so erntete doch das Stück vielen Beifall und hat jedesmal ein volles Haus gegeben.
Am ersten Abend nach Aufführung des Stücks, als ich nach Hause gekommen war, brachte mir ein Lakai folgenden Brief vom Könige, der im Theater gewesen war.
„Herr Etatsrath Oehlenschläger! Sie haben mir durch Ihren Amleth einen großen Genuß bereitet. Ihr immer junger Dichter-Geist hat sich kräftig entfaltet und uns Alle begeistert; die Schönheit und Sinnigkeit des Gedichts haben uns zur Bewunderung hingerissen. Ich sehne mich nicht allein in meinem Namen, sondern auch im Auftrage der Königin Ihnen mündlich auszusprechen, was die dänische Dichtkunst Ihnen, dieses großen Vorbildes halber, schuldig ist, und wie sehr ich Sie, mein lieber Oehlenschläger, den Dichter, hochachte, der ich Ihnen heute viele frohe Lebensjahre wünsche.
Kopenhagen, 14. Nov. 1846.
Ihr wohlwollender
Christian R.“
Den 15. Februar 1847.
In diesem Jahre halte ich vor einem großen Auditorium Vorlesungen über meine eigenen Tragödien. Den ersten Abend entdeckte ich dort etwas, was ich in den 37 Jahren, wo ich an der Universität gelesen habe, noch nie wahrgenommen: nämlich eine Dame! Später kam noch eine. Am nächsten Abend waren deren fünf zugegen, dann zwölf, vierzehn. Ich erhielt nun einen sehr hübschen anonymen Brief, worin man mir sagte, daß mehre Damen mich zu hören wünschten, aber daß sie, obgleich man ihnen allerdings gesagt, daß meine Vorlesungen von Damen besucht würden, doch nicht recht wüßten, ob sie erscheinen dürften. Ich wußte nicht, was ich antworten sollte, denn hätte ich öffentlich gesagt: Kommen Sie nur! so wäre eine große Menge herbeigeströmt, zum Theil aus Neugierde. Ich schwieg also und dachte: Wenn sie wissen, daß bereits Damen da sind, so können sie ja ohne weitere Einladung kommen. Indessen wählte ich mir doch einen größeren Hörsaal, und hier stehe ich nun und lese vor einer bunten Reihe von Damen und Herren, die den Saal füllen.
Den 18. April 1847.
Meine Vorlesungen habe ich für diesen Winter geschlossen. Den letzten Tag fand ich in meinem Zimmer einen schönen Blumenkranz und ein schönes Gedicht von einer meiner (anonymen) Zuhörerinnen; ich nehme an von einer der anmuthigsten. Ich kenne keine von Ihnen, denn auf dem Katheder brauche ich keine Brille, und ohne solche vermag ich nicht weit zu sehen.
In dieser Zeit habe ich Amleth ins Deutsche übersetzt, was keine leichte Arbeit war, wenn man die Trimeter dem Genius der fremden Sprache entsprechend, mit Klang und Kraft wiedergeben[212] wollte. Dahl in Christiania verlegt meine neuen deutschen dramatischen Gedichte, nämlich „Dina“, „Garrick in Frankreich“, „Das Land gefunden und verschwunden“ und „Amleth.“
Frederiksberg, den 3. Juli 1847.
— — Weil wir von Tragödien reden, so darf ich nicht zu erzählen vergessen, daß meine neue Tragödie „Kiartan und Gudrun“ fix und fertig ist, und den Beifall der Kenner und Freunde gefunden hat. Es ist eine Liebes-Tragödie, aber von den frühern dieser Art darin verschieden, daß das Unglück nicht von Außen, sondern von Innen kommt.
Frau Heiberg wird eine vorzügliche Gudrun, einen heroischen, koketten, dämonischen Character spielen.
Das Sujet ist sehr frei behandelt, ganz nach eigener Erfindung. Es ist in Trimetern wie „Amleth“ und „Das Land gefunden und verschwunden“ geschrieben, und es spielt sowohl auf Island wie in Norwegen.
Bei Bing lasse ich von einigen alten Uebersetzungen: „Reinecke Fuchs“, „Götz von Berlichingen“ und Shakespeare's „Sommernachtstraum“ neue Auflagen besorgen. Reinecke Fuchs wird ganz umgearbeitet werden, denn es sind 40 Jahre her, daß ich ihn zuletzt Dänisch schrieb. Den „Sommernachtstraum“ dagegen vermag ich nicht zu verbessern.
Stockholm, den 13. Juli 1847.
Den Tag nach unserer Ankunft hier besuchten wir das Museum. Der alte Herr v. Röck, dessen Bekanntschaft ich vor 30 Jahren bei Frau v. Arnstein in Wien gemacht hatte, führte uns umher. Man gewinnt ihn lieb; er hat Sinn und Geschmack und große Liebe für das, was er vorzeigt; er ist[213] auch nicht ohne einen gewissen naiven Humor. Die herrlichen Arbeiten von Sergel imponirten mir. Er war doch auch ein echter Bildhauer, größer als Wiedewelt und ging Canova und Thorwaldsen voraus. Fogelberg's kolossale nordischen Götterbilder haben zwar etwas Plumpes an sich, aber das Genie spricht aus ihnen.
Gestern (Sonntag) waren wir des Vormittags in der Ridder-Holms-Kirche, wo ich mit Ehrfurcht vor Gustav Adolph's Granit-Sarkophag stand und mit bewundernder Erinnerung und Neugierde das Loch im Hute Karl's XII. sah, und seine großen Stiefeln und die großen Schlüssel eroberter Festungen betrachtete.
Mittags waren wir zur Tafel bei Sr. Majestät. Nach der Mahlzeit überreichte ich ihm meine zwei neuen Tragödien nebst einem Gedichte, welches ich am Vormittage geschrieben hatte. Er dankte mir herzlich, drückte wiederholt meine Hand und er, sowie die Königin und die Prinzen, die höchst liebenswürdig sind, unterhielten sich eine Stunde lang mit mir.
Montag besuchten wir am Vormittage die Antiquitätensammlung, und am Mittage fuhren wir mit Beskow, der uns abholte, nach dem Thiergarten, wo Staatsminister Due uns eingeladen hatte. Unter anderm wurde Falerner Wein servirt, und hier nahm Due eine hübsche und schmeichelnde Veranlassung, mir ein Hoch im Weine des Horaz zu bringen. Den ganzen Nachmittag unterhielt ich mich mit Due, der ein charmanter Mann ohne allen Dünkel ist; er erzählte von der Reise, die er kürzlich mit seiner Frau und Tochter nach Afrika, nach Algier gemacht, wo sie sich köstlich amüsirt hatten.
Stockholm, den 26. Juli 1847.
Ich habe wenig Zeit, Dir zu schreiben, will aber doch in der größten Eile Dir das Wichtigste, was sich mit uns ereignet hat, erzählen. Beim Könige war ich noch einmal zum Abschied.[214] Er war sehr gnädig, führte mich in seinen Zimmern umher, zeigte mir seine Gemälde, sein Schlafzimmer u. s. w. Sonntag gingen wir auf dem Dampfschiffe mit Beskow nach Gripsholm. Montag mit dem Dampfschiff nach Upsala. Ein Gutsbesitzer Troil hatte die dänische Flagge aufgezogen und salutirte (auf der Rückreise kam er selbst an Bord und begrüßte mich). Ueber das mir zu Ehren veranstaltete Fest in Upsala kannst Du in den Zeitungen lesen. Am nächsten Tage reisten wir von Upsala nach Danemora, wo Baron Tamm uns empfing, und uns die Gruben zeigte. Ein Bergmann, der aus der Grube heraufgewunden wurde, kam mit der Axt auf der Schulter und überreichte mir ein Gedicht, und während ich dasselbe las, feuerte man zwanzig Kanonenschüsse unten in der Grube ab; es dröhnte als wollte die Erde auseinanderspringen. Auf der Reise von Danemora waren wir auf Odins Hügel bei dem alten Upsala, traten auch in denselben, sahen eine Urne mit Asche und leerten einen Becher mit Meth.
Frederiksberg, den 16. Aug. 1847.
Die guten Schweden erwiesen mir, ebenso wie die guten Norweger, viele Ehre und Liebe bei meinem Aufenthalt in Schweden.
In den drei Wochen, die wir in Stockholm verbrachten, waren wir fast jeden Tag zu einem festlichen Diner. In der ersten großen Gesellschaft, die mir zu Ehren im Thiergarten veranstaltet wurde, saß ich zwischen dem alten Björnstjerna und dem Oberstatthalter Baron Sprengtporten. Als ein vortreffliches Lied von Beskow gesungen war, zeigte der alte Björnstjerna mit dem Finger auf eine der für mich ehrenvollsten Stellen und tippte eifrig darauf, und die Thränen standen ihm in den Augen, während er mich mit einem liebevollen Blick anlächelte. Ich erzähle dies, um der Herzlichkeit und Liebe Erwähnung[215] zu thun, die stets mit der Ehre, die man mir erzeigte, verknüpft waren, und die mir theurer als diese Ehre selbst sind.
Es würde Dir viel Spaß gemacht haben, wenn Du bei dem Feste des Kunstvereins im botanischen Garten zugegen gewesen wärest; dort kamen die stockholmer Damen en masse mit Blumen, die sie mir zuwarfen, während ich wohl sechs-, siebenmal die Runde unter ihnen machen mußte; es war ein wirkliches Gewimmel, sie füllten den ganzen Garten. — —
Glaube nicht, meine liebe Maria, daß ich ein so eitler Mensch bin, dies höher anzuschlagen, als sich gebührt. Die große Menge läßt sich zu gewissen Zeiten von Denjenigen animiren, die das Wort führen und den Ton angeben. Ich erinnere mich sehr gut aus der Zeit, wo man mich verfolgte, wie eine große Menge junger Herren mich geringschätzte, ja fast verachtete, als sei ich schon verblüht; sie waren dazu von meinen Feinden und Neidern verleitet, welche kurze Zelt die Macht erhalten hatten, oder wenigstens das Wort führten. Dergleichen muß man für das nehmen, was es eben ist. Aber ein Gefühl, das nicht ganz ohne Realität war, glaube ich allerdings, theilten Alle. Alle glaubten, ich sei einer der ersten gewesen, der zu dem guten Verständniß zwischen beiden Nachbarländern beigetragen. Alle sagten sie mir das. Als wir zur Tafel beim Könige waren, und ich ihm nach der Mahlzeit das Gedicht überreichte, wovon ich bereits erzählt habe, machte es einen ersichtlichen Eindruck auf die ganze Königsfamilie, und die Königin sagte mit Thränen in den Augen zu William: „Ihrem Vater und Tegnér haben wir vor Allen für das gute Einverständniß zu danken.“ Als William meine Tuchnadel, die ein wenig entzwei gegangen war, zu einem Goldarbeiter trug, betheuerte ihm derselbe gerührt, daß er keinen Pfennig dafür nehme. Als ich der Tochter unserer Wirthin die Miethe zahlte, wollte sie mir durchaus weinend die Hand für all die Freude küssen, die ihr meine Gedichte bereitet hatten.
Im Thiergarten speisten wir einmal in Byström's Villa.[216] Ein schönes Haus hat er sich dort ganz im italienischen Style erbaut und mit einem großen Theil seiner Arbeiten in der Hoffnung geschmückt, daß König Karl Johann, der ihn sehr ehrte und königlich bezahlte, es kaufen sollte. Unglücklicherweise starb der König 14 Tage zu früh, sonst wäre es geschehen. Aber Byström ist so reich, daß es ihn doch nicht ruinirt.
Meine Reise von Stockholm und Upsala nach Danemora will ich Dir nicht nochmals erzählen — wie Holberg's „Geert Westphaler“ die seinige von Hadersleben nach Kiel — die Zeitungen haben auch schon darüber berichtet. Nur das muß ich noch hinzufügen, daß das Dampfschiff, welches uns trug, mit Kanonen salutirte und daß von mehreren der Orte, an denen wir vorübersegelten, gleichfalls mit Kanonen salutirt und mit weißen, wehenden Tüchern gegrüßt wurde. In Upsala selbst hatten wir — wie billig — auch einen Besuch von Aukathor. Er schlug dem Verfasser von „Thors Drapa“ zu Ehren einige Fenster mit großem Hagel bei Böttiger ein, wo ich zu Mittag aß. Später, beim Feste, beleuchtete er durch seine Blitze die Gesichter der Redner und schlug die Pauken, daß es eine Lust war. Daß er ebenfalls in seinem freundlichen Eifer einige hundert Scheiben des Orangeriehauses zerschlug, muß man ihm zu Gute halten, es war Alles im gerechten Eifer, seinen Dichter zu ehren. Im Upsal-Hügel traf ich ihn nicht an, ich leerte aber zu Ehren seines Gedächtnisses einen Becher Meth. Auf der Rückreise besuchten wir Skogkloster, ein schönes, altes Schloß, bewohnt vom Grafen Brahe, einem Bruder des Brahe, der König Karl Johann's Augapfel war und aus Trauer um Diesen starb. Auch hier wurde bei unserer Ankunft mit Kanonen salutirt, die Gräfin und ihre Kinder standen am Ufer und bewillkommten uns. Der Graf war nicht zu Hause, kam aber gegen Mittag an; es war sein Geburtstag. Wir besahen das Schloß, das eine Menge historischer Merkwürdigkeiten besitzt; besonders hat Gustav Wrangel es mit vielem Raub aus dem dreißigjährigen Kriege bereichert. Doch hat er[217] einen frommen Sinn und Gottesfurcht mit seinem Raube verknüpft, denn die Kanzel und die Altartafel in der Kirche hat er den Deutschen abgenommen. Aber Napoleon's Generale waren nicht besser und lebten doch in einer humaneren Zeit.
„Man kann des Guten auch zu viel genießen,“ und die Wahrheit dieses Spruches fühlte ich, als ich ungefähr einen ganzen Monat so viel Ehre und Wohlleben genossen hatte. Deshalb nahmen wir auch Abschied. Einen alten Bekannten besuchten wir: Herr v. Brinckmann, der früher schwedischer Minister in Berlin gewesen ist. Er lebt jetzt wie ein Student, inmitten seiner großen Büchersammlung, die er schon der Universität Upsala vermacht hat. Wir (Beskow, dessen Frau, William und ich) hatten versprochen, zum Thee zu kommen. Der Theetopf und die Tassen, einige Teller mit Früchten und Kuchen standen schon da, als wir ankamen, auf einem Tische ohne Tischtuch. Er selbst war in einen alten Rock gekleidet, aber die schönen Augen waren voll Feuer, und er redete mich als einen alten Freund auf Deutsch an (vor 40 Jahren hatten wir einander in Berlin gesehen). Er fragte uns lustig: „Ists nicht dumm, daß man bald sterben soll, weil man 83 Jahre alt ist?“
Kopenhagen, Sept. 1847.
Madame Schröder-Devrient ist jetzt hier und macht uns durch die Ueberreste einer ausgezeichneten Größe staunen. Ich besitze doch sonst ein wenig Phantasie, aber es kostet mir viel, mir das Alte jung, das Abgeblühte schön, das Sündhafte unschuldig, ein Frauenzimmer als Mann und Deutsch als Dänisch vorzustellen (unsere Sänger sangen nämlich dänisch, die Schröder-Devrient deutsch). Doch in der Norma erstaunte ich im zweiten und dritten Akt über ihr vorzügliches Spiel. Sie ist den Jüngeren ein gutes Vorbild.
Kopenhagen, den 13. Jan. 1848.
Kiartan und Gudrun ist noch nicht vom Stapel gelaufen. Es waren verschiedene andere Sachen, die Anciennetät hatten, wie z. B. „Zauberei.“ Dieses Stück soll von einem sehr tüchtigen juristischen Beamten geschrieben sein. Der Zauber ist deshalb vom juridischen Standpunkte, mit langwierigen Untersuchungen, Proceß und Richterspruch geschrieben, aber der poetische Zauber fehlt. Deshalb wohl wurde am ersten Abend geflötet. Später wurde das Stück ebenso übertrieben in den Zeitungen gelobt, und jetzt geht es seinen ruhigen Gang; das Gezänk hat dem Verleger eine nochmalige Auflage verschafft.
Von literarischen Neuigkeiten haben wir mehre erhalten. Das Beste ist ohne Zweifel Bournonville's „Mein Theater-Leben.“ Dieses Buch ist wirklich ein geniales Product, und vieles darin ist höchst interessant. Seine Schilderungen anderer Künstler, als: Frydendahl, Ryge, Talma, Demoiselle Mars, Friedr. Lemaitre u. s. w. sind ganz vorzüglich. Die Art und Weise, wie er seine Kunst bespricht, macht Vergnügen und ist belehrend. Die kleinen Poesien, die er als Anhang gegeben hat, sind gleichfalls hübsch.
Velhaven ist diesen Winter hier. Er ist ein Mann von vielem Geist und Feuer, er disputirt mit Talent und Beredtheit, — seine Poesien, elegische Betrachtungen des norwegischen Stilllebens sind oft anmuthig, aber zu monoton und zu wenig original.
Ich habe in dieser Zelt aufs Neue meinen Amleth ins Deutsche übertragen. Erst hatte ich ihn wie die dänische Tragödie in Trimetern geschrieben, ich bemerkte aber, daß er dadurch etwas Steifes und Gezwungenes erhalten und schrieb ihn jetzt in fünffüßigen Jamben um. Das ist so zu sagen zu meinem Privatvergnügen. Die Deutschen kümmern sich für den Augenblick nicht um unsere Literatur. Ich konnte in Deutschland (viel habe ich allerdings auch nicht darum sollicitirt) keinen[219] Verleger finden; Dahl in Christiania verlegt die letzte Sammlung meiner ins Deutsche übersetzten Werke, wofür er natürlich nur ein geringes Honorar zahlen kann. Aber es amüsirt mich, und wenn auch kein einziger Deutscher lesen würde, was ich schreibe. Es wird schon eine bessere Zeit kommen. Auch Kiartan und Gudrun übersetze ich jetzt. Ein wenig Schriftstellerei muß ich als Morgenbeschäftigung treiben; immer lesen kann ich doch nicht. Zum Frühjahr, wenn wieder etwas belebende Wärme in die Luft kommt, und ich nach Frederiksberg ziehe, nehme ich wieder meine Lebens-Erinnerungen vor.
Den 22. Januar 1848.
Die Trauer, die das Land und mich durch den Tod des Königs getroffen, kennst Du bereits. Ich will nicht von dem Uebrigen reden, aber er war in 46 Jahren einer meiner aufmerksamsten und theilnehmendsten Zuhörer!
An seinem letzten Geburtstage war ich der Einzige, dem er seine königliche Gunst bezeigte[3]. An seinem letzten gesunden Lebenstag traf es sich so schön, daß ich ihn besuchte und ihm ein frohes Neujahr wünschte.
Er war nicht makellos — selbst die Sonne hat ihre Flecken — aber nach seinem Tode wird man ihm schon Recht widerfahren lassen. Friede sei mit ihm!
Vor drei Nächten hatte er die letzte schlaflose Nacht. Jetzt schläft er mit Hrolf Krake — und Alfred — und Hakon Adelstan!
Den 24. Januar 1848.
Das Oberhofmarschallamt hat mir antragen lassen, die Trauer-Cantate zu schreiben — ich habe sie bereits geschrieben. Sie geht vom Herzen und ich hoffe auch, sie wird zum Herzen gehen. Kapellmeister Gläser wird sie in Musik setzen.
Den 27. März 1848.
Hier im Lande traf uns der Tod Christian's VIII. und wir fühlen jetzt fast Alle, was wir an ihm verloren haben, wenn auch das Vaterland in froher Hoffnung auf Frederik VII. blickt. Wie es mit „Schleswig-Holstein“ werden wird, davon hat noch kein Mensch eine Ahnung, so verwickelt und unglücklich sind die Zustände. Durch die französischen Ereignisse werden sie wohl noch verwickelter werden. Daß in Frankreich in kurzer Zeit Unruhen ausbrechen würden, dazu waren die Zeichen bereits vor zwei Jahren da, als ich Paris besuchte. Alle bewunderten das Genie Ludwig Philipps; man räumte ihm auch persönliche Liebenswürdigkeit ein — man fand es natürlich, daß er mich für sich einnahm, aber man haßte fast überall seine Politik. Durch die totale Verwirrung und Ausleerung der Finanzen, durch die Bestechungen, die geduldet wurden, durch den ungesetzlichen Gebrauch der Macht erhielten ja die Franzosen das Recht Aufruhr zu machen. Ich hatte gerade den achten Band von Lamartine's „Girondisten“ beendigt, als die Revolution ausbrach. Ich hatte ihn aus diesem vorzüglichen Werke kennen lernen, und es freute mich zu erfahren, daß er und der herrliche[221] Arago (ein eiserner Character) sich unter den Anführern befand. Aber ich hätte doch lieber gewünscht, daß sie, unter größerer Beschränkung als bisher, den kleinen Grafen von Paris zum Präsidenten ihrer Republik gewählt und ihm den Königstitel gelassen hätten. Ich fürchte, die große europäische Republik wird sich nicht halten können. Ueberhaupt hat die Königsmacht in vielen Richtungen etwas Schönes und Gutes, was bedeutende Männer und Talente lieben müssen. Die republikanische Gleichheit geht leicht zu weit, sodaß es zuletzt keinen Unterschied zwischen Verdienst und Nichtverdienste giebt, weil der Neid einen zu großen Spielraum erhält. Lamartine's Manifest hat auch seine schwachen Seiten, welche die englischen Blätter mit Recht hervorgehoben haben. Hier in Kopenhagen lächeln gewisse hohe Beamte über die französische Zusage den „Arbeitern Arbeit zu verschaffen,“ was sie für eine Unmöglichkeit halten; mir scheint es aber, daß wenn die Menschen arbeiten können und arbeiten wollen, und ohne Arbeit nicht leben können und dessenungeachtet keine Arbeit erhalten können, so haben die staatlichen Einrichtungen sie zu legitimen Räubern und Aufrührern gemacht.
Wir haben hier zwei Theater-Neuigkeiten: Hertz's „Ninon“ und „Ein Sonntag auf Amak.“ „Ninon“ behagte mir nicht, und ich glaube, es geht Vielen wie mir. Das Stück hat viele schöne Denksprüche und lyrische Stellen, aber Ninon ist ein deutscher metaphysischer Professor, anstatt eine liebenswürdige Französin. Die Liebe des Sohnes ist fatal. Als er entdeckt, daß es seine Mutter ist, die er liebt, schießt er sich eine Kugel durch den Kopf! Wie viel Gelegenheit wäre hier nicht, die Läuterung und den Uebergang der erotischen Liebe zur kindlichen Liebe zu zeigen. Daß das Gegentheil geschichtlich ist, giebt keine Entschuldigung ab. Es geschieht soviel Dummes in der[222] Welt, das darzustellen unter der Würde der Poesie ist. „Der Sonntag auf Amak“ ist ein hübsches kleines Stück mit schönen herzergreifenden Melodien — original und national. Frau Heiberg ist ein unvergleichliches Amak-Mädchen. Das Ganze ist übrigens eine niedliche Bagatelle — und mit Frau Heiberg steht und fällt das Stück. Hertz hat später einen „Federigo“, ein Singspiel geschrieben; Musik von Rung. Es ist wieder eine Art Don Juan oder Robert der Teufel. Hier ist auch ein Teufel, er besitzt aber den einzigen Fehler, den ein Teufel nicht besitzen darf: er ist langweilig.
Aber in diesen Tagen sind freilich Alle so auf die Antwort aus Holstein gespannt, daß wir für nichts Anderes Sinn haben. Ich hoffe, die guten Leute werden in sich gehen und billige, vortheilhafte edle Bedingungen annehmen — sonst geht es schief.
Frederiksberg, den 28. Mai 1848.
Verzeihe mir, daß ich die Beantwortung Deines Briefes einige Tage aufgeschoben habe! Was in vielen Jahren der Grund war, daß ich meinen Freunden keine Briefe schrieb, und dadurch manch' schönes Verhältniß schwächte und abkühlte, welches ich später tief vermißte — macht mich in dieser Richtung auch nachlässig gegen meine Kinder. Aber ich kann Dich damit trösten (wenn das ein Trost ist), daß dieser Grund bald aufhören wird, und daß ich in meinen letzten Jahren ein besserer Briefschreiber werde. Wenn ich nämlich nicht mehr dichte, und einige Vormittagsstunden mit diesem Schreiben zubringe, werde ich mehr Luft zum Briefschreiben bekommen. Nun weiß ich zwar, daß Du gegen diesen Grund protestiren wirst, und ich verschwöre es auch nicht, zu dichten, aber ich glaube doch nicht, daß es viel mehr geben wird. Dies ist nun gar nicht, weil ich meine dichterische Kraft abnehmen spüre, dieselbe ist ebenso frisch[223] und kräftig, wie sie immer gewesen, aber weil ich fühle, daß „ein Mensch nur ein Mensch ist,“ und daß selbst der beste Dichter nicht mehr ist. Aus meinem eignen Wesen, meiner eigenen Individualität vermag ich nicht herauszugehen; ich kann zwar das verschiedenste Objective mit derselben verbinden, und das habe ich auch gethan, aber das Verschiedenartigste muß doch mit demselben Auge gesehen, mit demselben Herzen gefühlt, mit demselben Talente dargestellt und mit demselben Verstande aufgefaßt werden.
Und wenn man nun fast in einem halben Jahrhundert sich mit Werken beschäftigt hat, die den Fähigkeiten eines solchen Menschen entsprungen sind, so langweilt ein solcher Mensch zuletzt, und man bittet ihn, in einer höflichen Weise, zu schweigen, und er bittet sich selbst darum; denn er würde sich über fernere Variationen, wenn auch nicht über dasselbe Thema, so doch von demselben Geiste aufgefaßt — und wären sie noch so verschieden — langweilen. Es verschafft ihm dann mehr Vergnügen, Andere zu lesen, und es wird mich recht freuen, auf meine alten Tage zu lesen und zu studiren.
Aber ein Werk fehlt doch noch, und das soll auch, so Gott will, vollendet werden; ich meine den Schlüssel zum Ganzen, eine echt objective Darstellung der eigenen Subjectivität des Verfassers: Sein Leben und seine Ansichten. — —
Gestern vollendete ich die deutsche Uebersetzung von Kiartan und Gudrun. Ungeachtet meines jetzigen politischen Hasses gegen die Deutschen, verspüre ich doch Lust, diese Tragödie der deutschen Ausgabe meiner Werke einzureihen. Es wird schon die Zeit kommen, wo diese und mehrere meiner Werke in Deutschland mehr Anerkennung finden werden.
Soröe, den 7. Aug. 1848.
— — Unter andern habe ich auch deshalb die Beantwortung Deines Briefes aufgeschoben, weil ich mich mit einem neuen, ziemlich großen Gedichte beschäftigt habe, das jetzt vollendet ist. Es ist weder mehr noch weniger als eine Ars poëtica, ein Gedicht über die Dichtkunst, worin ich Alles ausgesprochen, was ich über die Dichtkunst während der fast 40 Jahre gedacht habe, in denen ich Lehrer an der Universität gewesen bin. Aber es wird erst einmal zum Neujahr gedruckt werden, wenn wir Frieden erhalten und die Aufmerksamkeit sich wieder auf solche Dinge richten wird. Wie es gehen wird, wissen wir für den Augenblick Alle nicht. Die Dänen brennen zwar vor Begierde, sich an dem deutschen Uebermuthe zu rächen, aber das kleine Dänemark kann nicht mit ganz Deutschland kämpfen. Doch frischen Muth! Wir wollen das Beste hoffen! Nichts hasse ich nächst Zagen so sehr als Klagen. Gott wird schon helfen!
Frederiksberg, den 30. Sept. 1848.
Um die Grillen zu verjagen, und weil es so lange mit dem Zustandekommen des Waffenstillstandes währt, schreibe ich unterdessen ein Heldengedicht „Regnar Lodbrok“ in zwölf Gesängen, von welchen zehn und ein halber fast beendet sind. Von frühern Werken hat es am meisten Aehnlichkeit mit „Helge“ d. h. in Form und im Ton: denn die Charactere, die Handlung und die Ereignisse sind sehr verschieden.
Ja, du lieber Gott, was soll ich machen? — In Regnar Lodbrok tröstete es mich, inmitten dieser Zeit politischer Kleinlichkeit, Thorheit und Kannegießerei mich in eine kräftige, barbarische Zeit zu vertiefen, wo es doch Männer gab, die da wußten, was sie wollten, und es verachteten, durch affectirtes Geschwätz besser zu erscheinen als sie waren. — — Daß ich[225] begreiflicherweise, um ein altes Gleichniß zu gebrauchen, diese rohe Wallnuß des Heidenthums in den Zucker der Humanität eingemacht und dazu die Kochkunst der Poesie benutzt habe, versteht sich von selbst. Daß diese Nuß weder zu bitter, noch zu wässerig, noch zu süße schmecken möge, ist mein eifrigster Wunsch, und wenn ich der nicht geringen Zahl von gebildeten Zuhörern, welche sie schon kennen, trauen darf, so habe ich das rechte Maaß getroffen.
— — Gestern Abend saß ich wieder einmal im Theater und hörte Mozart's herrlichen Don Juan, den ich nie zu oft hören kann. Von allen Kunstwerken, hätte ich beinahe gesagt, ist mir Don Juan das liebste, und überhaupt Mozart's Musik im Figaro und in der Zauberflöte. Man vermißt nichts. Da ist gar nichts auszusetzen. Es ist nicht wie ein Menschenwerk, sondern, wenn ich so sagen darf, ein Naturproduct in der Kunst, wie von Gott selbst geschaffen. Von allen großen Männern, die Deutschland aufzuweisen hat, muß es am stolzesten auf seinen Mozart sein, denn in allen andern Richtungen besitzen auch andere Nationen Männer, die mit den seinigen zu vergleichen sind; aber einen Mozart besitzen sie nicht. Rossini ist ein großes Genie, das ihm in Melodien-Reichthum und lieblicher Kraft nicht nachsteht — aber wie weit erhebt sich nicht Mozart über ihn in Höhe, in Tiefe, in Wahrheit, in Gefühl und Anmuth!
Kopenhagen, den 21. Januar 1849.
Wir sind um diese Weihnachtszeit mit mehren neuen Dichterwerken beschenkt worden. Hauch hat sich tief in das Altnordische einstudirt und einen „Thorwald Widförle“ geschrieben. Das Werk hat einige sehr schöne Partien, aber es fehlt ihm im Ganzen die Selbsterfindung; der alte Ton ist mitunter[226] etwas affectirt und das Ganze hat in meinen Augen mehr von einem geistreichen Studium, als von einer originalen Dichtung. Paludan-Müller hat ein sehr merkwürdiges Gedicht: Adam Homo geschrieben. Es ist eine große gereimte Alltagsgeschichte, gespickt mit subtilen philosophischen Reflexionen in sehr fließenden Versen. Es hat mir Freude gemacht, dieses Buch zu lesen, es hat viele amüsante, gut gezeichnete Genrebilder aufzuweisen. Eine Situation, wo die verlassene Geliebte am Todeslager des Helden, ihm unbekannt, als Krankenwärterin dient, ist schön und rührend. Aber der Geschmack hat viel einzuwenden; diese Reim-Chronik ist gar zu weitläufig, prolix (wie Göthe sagte). Der Held ist ein Alltagsmensch, sogar etwas schlingelhaft, und steht doch als Repräsentant der Menschheit da. Die philosophischen Abhandlungen, denen Paludan-Müller verfallen ist, brüsten sich zu sehr und sprechen, wenn auch oft die Wahrheit, nichts weiter aus, als was früher kürzer und viel klarer gesagt worden. Ein Heft Gedichte der Heldin, das man nach ihrem Tode findet, verwischte ganz das holde Bild von ihr, und enthält weiter nichts als Paludan-Müllersche Subtilitäten. Dessenungeachtet verdient das Buch in vielen Stücken Beifall und Lob.
Du hast wohl Kiartan und Gudrun gelesen; das Stück wurde gut gespielt und machte viel Glück. Auch Regnar Lodbrok und die Dichtkunst haben gefallen. Man wundert sich, daß ich noch in meinen alten Jahren etwas schreiben kann, das Saft und Kraft besitzt. Aber jetzt müssen wir auch bald aufhören, nicht weil die innere Kraft fehlt, sondern weil der Stoff erschöpft ist; ich finde keine Sujets mehr in meiner Geistesrichtung. Schilderungen der Gegenwart kann ich nicht liefern, ich kenne sie nicht; und wer kennt sie recht? Kaum der liebe Gott kennt sie, und sie selbst kennt sich gar nicht.
Einen täglichen Umgangs-Freund, den ich verloren habe, vermisse ich doch gerade nicht sehr, ich meine Dr. Christiani. Denn obgleich Christiani witzig, fröhlich und ein vorzüglicher[227] Gesellschafter ist, selbst große poetische Bildung besitzt und Göthe und Heine auswendig kann, auch mich persönlich liebt, so ist er doch weder recht dänisch, noch recht deutsch; Begeisterung fehlt ihm, er ist vielmehr blasirt, lebt immer in der Reflexion und muß Alles, was er sich aneignen will, in Hegel'sche Philosophie übersetzen — und die Rolle, die er hier spielte, wollte mir nicht munden. Er trug den Mantel zu sehr auf beiden Schultern, spielte mit zwei Schildern. Niemand kann zwei Herren dienen. Die Folge seiner subtilen Politik wurde die, daß weder Dänen noch Deutsche ihn mochten. Das Persönlichfreundliche und Talentvolle schätze ich noch bei ihm nach Verdienst.
Kopenhagen, den 24. März 1849.
Ich würde früher geschrieben haben, wenn ich nicht den Ausbruch des Krieges oder den Friedensschluß hätte abwarten wollen. Jetzt ist es doch zu einem achttägigen Waffenstillstand gekommen, der Einigen nicht behagt; die meisten Vernünftigen glauben doch, daß er gute Folgen haben wird, und daß er wenigstens die theuern Menschenleben während der Friedensunterhandlungen schont.
Ueber das politische Wesen ist es noch nicht möglich, ein Urtheil zu fällen. Auf dem Reichstage geht es schläfrig und langsam. Ich bin noch nie dagewesen. Gebe Gott, sie kämen so weit, das Wahlrecht ein wenig zu beschränken, sonst werden wir in den Schlamm hinabgezogen; doch ist noch Hoffnung vorhanden, denn der Kern des Reichstags besteht aus vernünftigen, tüchtigen Leuten.
Meine Tragödie Königin Margarethe ist wieder sehr gut gespielt worden. Mad. Nielsen und Herr Nielsen waren vorzüglich. Mad. Winslöv glücklich, und Mad. Holst spielte ihre Ingeborg anmuthig und rührend, wenn sie auch[228] seit der Zeit, wo das Stück zuletzt aufgeführt wurde (14 Jahre) sehr gut eine Tochter hätte haben können, die mit Rücksicht auf das Alter für die Rolle besser gepaßt hätte.
Vor einigen Tagen war ein Deutscher, Dr. Leo, bei mir, Redacteur des Nordischen Telegraphen. Er erzählte mir, daß die dänische Literatur durchaus nicht in Deutschland verschmäht sei, daß es im Gegentheil scheine, als hätten die letzten kriegerischen Begebenheiten Vielen die Augen geöffnet.
Frederike Bremer ist hier diesen Winter; sie ist eine gute fromme Seele.
Frederiksberg, den 17. Juli. 1849.
— — Ich sitze jetzt wieder hier und schreibe an meinen „Lebens-Erinnerungen“, die ich schon im Sommer 1838 begann, als wir auf dem Frederiksberger Schlosse in den Zimmern wohnten, die jetzt Hauch bewohnt. Es verstrichen seitdem viele Jahre, und mein „Leben“ blieb liegen (d. h. die Beschreibung) — jetzt habe ich es wieder vorgenommen. Denn wenn ich ganz zu schreiben aufhörte, so würde ich unfehlbar darüber hinsterben, wenn ich auch noch so lange lebte. Wenn ich nun auch die letzte Hälfte nur fragmentarisch behandeln werde, so giebt es doch Vieles, das ich etwas genauer erzählen und beschreiben möchte. Ich bin bis an die Baggesen'sche Periode und die zweite Reise ins Ausland gelangt.
Schlußwort.
Die Ausführung der oben ausgesprochenen Absicht, die letzte Hand an seine Lebens-Erinnerungen zu legen, sollte, wie die Leser bereits wissen, dem Dichter nicht vergönnt sein. Es bleibt nur übrig, seiner letzten Tage mit wenigen Worten zu gedenken.
Am 14. Nov. 1849 vollendete Oehlenschläger sein 70. Jahr. Um diesen Tag zu feiern, hatten die edelsten und hervorragendsten Männer seines Volkes ein großes allgemeines Fest in den Räumen der königlichen Schützen-Gilde zu Kopenhagen veranstaltet. Dichter und Künstler, Gelehrte und schlichte Bürger empfingen ihn hier, wo ihm ein erhabener, geschmückter Platz zwischen den Büsten von Holberg und Ewald bereitet war; Reden und festliche Gesänge, die von Herzen kamen und zu Herzen gingen, liehen den Gefühlen der Nation das Wort, und auch Schweden und Norwegen waren bei diesem Feste durch den schwedisch-norwegischen Minister-Resident in Kopenhagen vertreten, der ein Hoch auf den „Dichter-Fürst des Nordens“ ausbrachte, während die Frauen, die stillen Pflegerinnen nationaler Tugenden, durch Grundtvig's Hand und Mund dem Dichter einen Lorbeerkranz überreichten.
Nach dem ersten allgemeinen Hoch auf den Jubilar, das mit einer Begeisterung aufgenommen, die den Gefühlen der Versammlung und den unverwelklichen Verdiensten des Dichters entsprach, erhob sich derselbe, und in einem längern Gedichte, so jugendfrisch und voll männlicher Kraft, wie die Sprache seiner Muße immer war, brachte er seinen tiefgefühltesten Dank dar.
In einer der Strophen dieses Gedichtes heißt es:
Kaum ahnte es damals Jemand, daß zwei Monate später das Trauerlied über den Sarg des Dichters dort ertönen sollte, wo seine Wiege einst gestanden, in der Nähe jener Hallen, wo den noch kräftigen, lebensfrischen Greis kürzlich die Jubeltöne und die Huldigung dreier Brüder-Völker umrauschten. Zwar hatte er in jenem Gedicht auf den naheliegenden Friedhof gedeutet, aber er tröstete sich und Andere damit, daß eine „schöne Baum-Allee“, dorthin führte. Prangte auch diese, als man seinen Sarg durch dieselbe trug, noch nicht mit blühenden Bäumen und grünem Laube, so bildeten, wie ein Dichter in seinen Nachrufe sagt, dänische Männer und Frauen, trauernd um den Hingang ihres liebsten und größten Dichters, eine noch schönere Allee dahin.
Seines gesunden, blühenden Aussehens ungeachtet hatte er seit längerer Zeit einen beschwerlichen, schwankenden Gang gehabt. Er litt an Steifheit und Mangel an Kraft in den Knien, ein Uebelstand, der sich doch immer nach den fast jährlichen kleinen Anfällen von Podagra verringerte, welche nur in den letztern Jahren seltener kamen. Dies hinderte ihn, der Bewegung zu genießen, deren seine starke corpulente Constitution bedurfte, und er, der früher Sommer und Winter, in gutem und schlechtem Wetter, bei Sonnenschein und bei Regen, täglich nach Frederiksberg spazierte, begnügte sich jetzt, eine Viertelstunde in den Bogengängen des Christiansburger Schlosses sich zu ergehen, oder gar mitunter, wenn ihm das Wetter zu schlecht war, mit einer bestimmten Anzahl Gänge durch seine Zimmer. Auch seinen frühern allabendlichen Besuch im Schauspielhause stellte er manchmal in den letzten Jahren ein, und zog dann[231] vor, eine Partie L'hombre zu spielen. Sonderbar genug, fand er, der bis zu seinem vierzigsten Jahre immer Unwillen gegen Kartenspiel hegte, nun ein großes Vergnügen am L'hombrespiel, und wenn er den Tag über gedichtet und gelesen hatte, suchte er des Abends seine angenehmste Erholung am Spieltische mit einigen guten Freunden, oft nur mit seinen Kindern. Ungeachtet dieser zunehmenden Gemächlichkeit, die seinem übrigen Naturell so wenig glich, mitunter seine nächste Umgebung ängstigte, vermochte man doch keine bedenkliche Wirkung derselben zu spüren. Zwar zeigte er sich im Sommer 1849, wenn er des Vormittags in seinem Lehnstuhle, ein Buch in der Hand, saß, zum leichten Schlummer geneigt, aber wenn man zu ihm eintrat, war er immer wieder lebhaft wie sonst, und zum Scherz wie Ernst aufgelegt; er las wie früher laut vor, und sein Antlitz trug immer das Gepräge der Gesundheit und Kraft. Erst in den letzten Tagen des Novembers fühlte er Unwohlsein, Uebelkeit und Mattigkeit, und die gelbe Gesichtsfarbe ließ die Vermuthung zu, daß die Gelbsucht ihn zum dritten Male in seinem Leben angreifen würde. Nach ungefähr drei Wochen verschwand die gelbe Farbe, die Kräfte kehrten zurück und ihm wurde so wohl, daß er am 21. Dec. A. S. Oersted's Geburtstag in dem Freundeskreise zu feiern vermochte, den der Bruder H. C. Oersted an diesem Tage zu versammeln pflegte. Am 23. Dec. wohnte er zum letzten Male einem Familienfeste bei, und am Weihnachtsabend hatte er die Familie um sich in seiner Wohnung versammelt. Aber am folgenden Tage zeigten sich wieder Symptome, gleichsam wie von Gelbsucht und sein Zustand wurde wieder der frühere. Er hielt sich doch längere Zeit aufrecht, bis er von Mangel an Appetit und Verdauung ermattete. Dies mußte sowohl ihn selbst wie seine Umgebung beunruhigen, und er sprach öfterer die Ueberzeugung aus, daß er die Krankheit nicht überstände. Am 4. Januar 1850 schrieb er an seine Tochter, um dieser und ihren Angehörigen ein fröhliches Neujahr zu wünschen, und sie über seine Krankheit zu beruhigen.[232] Aber nur wenige Zeilen vermochte er zu schreiben, die Vollendung des Briefes überließ er seiner Schwiegertochter.
An den Tagen, wo er sich besser fühlte, ließ er sich von seinen Kindern und seiner Schwiegertochter ganze Capitel aus Göthe's „Wilhelm Meister“ vorlesen, und dieselbe Begeisterung und Liebe, die er sein ganzes Leben hindurch für den großen Dichter gefühlt hatte, sprach er noch auf dem Krankenlager wenige Tage vor seinem Tode aus. Selbst las er mitunter in einem dänischen Volksbuche: „Malling's große und gute Thaten“, das namentlich kurze Biographien dänischer und norwegischer verdienter Männer und Frauen enthält. — In den letzten acht Tagen nahm die Krankheit einen gefährlichern Character an, und da alle Mittel ohne Wirkung blieben, mußte man auf das Schlimmste vorbereitet sein. Am 19. Januar erwachte wieder eine schwache Hoffnung, aber die Symptome, die sich am Sonntag Morgen den 20. zeigten, verkündigten, daß es nicht Gelbsucht, sondern ein Geschwür in der Leber selbst sei, an welchem er litt. Als die Aerzte (sein alter College, Conferenzrath O. Bang, und sein Hausarzt, Dr. Hansen) des Vormittags in einem Nebenzimmer über seine Krankheit conferirten, fragte er seinen ältesten Sohn, was wohl die Aerzte über sein Befinden äußerten, und als dieser ihm antwortete: „Du darfst nichts fürchten!“ unterbrach er ihn gleich und sagte mit Wärme: „Lieber Sohn, glaubst Du, ich fürchte den Tod; nein, nicht im entferntesten!“ Nach einem kurzen Augenblick fügte er hinzu: „Was ist das Ganze — ein Hauch nur — und dann ist es vorüber!“ — Als Bang am Nachmittage desselben Tages sich entfernen wollte, rief er ihn zurück, blickte ihm freundlich ins Auge, drückte seine Hand und sagte: „Habe Dank für gute Kameradschaft!“ — Um 8 Uhr des Abends fühlte er schon die Hand des Todes und verlangte ein Kissen, das ihm seine Tochter Maria gestickt hatte, unter sein Kopfkissen gelegt. Dann und wann schlummerte er. Wenn er erwachte blickte er oft nach der Uhr, die neben seinem Bette hing, und fragte mehre Male, ob die Uhr[233] bald zehn sei. Zwischen neun und zehn Uhr rief er seinen ältesten Sohn zu sich und sagte ihm: „Du sollst das Manuscript meiner Lebens-Erinnerungen vollenden. Zu meiner Trauer-Feier im Theater will ich, daß mein Sokrates aufgeführt werden soll, aber die Scene in den Propyläen muß ausgelassen werden. Und jetzt lies mir die Stelle aus der Scene im 5. Akt zwischen Sokrates und Kebes vor, wo Sokrates vom Tode spricht, sie ist so unaussprechlich schön!“ Diese letzten Worte sprach er mit einem innigen, warmen Gefühl. Die Replik lautet:
Er hörte diesen Worten mit der größten Bewegtheit zu und blickte dabei mit einem seligen Lächeln vor sich hin. Als die Replik aus war, unterbrach er selbst das Vorlesen und nahm Abschied von seinen Söhnen, seiner Schwiegertochter und[234] ihrer Schwester, die mit den Dienern seines Hauses um sein Lager standen, bis er seinen letzten Seufzer aushauchte. Nach einem kurzen und leichten Todeskampf, unter welchem seine Blicke abwechselnd auf der Uhr und auf seinen Kindern ruhten, verschied er mit dem Schlage elf, ruhig, ohne Schmerzen und bis zum letzten Augenblicke im Besitz seiner vollen Geisteskraft.
Fußnoten:
[1] Tycho Brahe hatte bekanntlich eine silberne Nase, da sie ihm in einem Duell verstümmelt worden war.
[2] Kurz nach der Rückkehr von dieser Reise wurde Oehlenschläger zum Offizier des Leopold-Ordens ernannt.
[3] Der Dichter wurde zum Conferenzrath ernannt.
Inhalts-Uebersicht.
Erster Band.
Oehlenschläger's Vorältern 4–9. Sein Vater 9. Geburt 11. Erste Kindheits-Erinnerungen 12–46. Schulgang in Kopenhagen 47–88. Er soll Kaufmann werden, entscheidet sich aber für den gelehrten Stand 89–90. Erste Liebe 92. Neigung für das Theater 93–99. Theater-Verhältnisse in Dänemark 99–109. Bekanntschaften 109–115. Vorbereitungen zu dem Examen artium 115. Eintritt in das Schauspielerleben 116–146. Bekanntschaft mit den Gebrüdern Oersted 146–149. Abschied vom Schauspielerleben, Wiederanfang der Studien 150–152. Er lernt Schiller's und Göthe's Werke kennen 153–160. Tod seiner Mutter 160–162. Rahbek's Haus, Verlobung mit Christiane Heger 162–166. Beantwortung einer Preisfrage 167–168. Baggesen's Abreise 169–172. Die Schlacht am 2. April 1801 172–176. Briefwechsel mit Baggesen 176–179. Militairische Uebungen 179–184. Privattheater 184–186. Bekanntschaft mit den Gebrüdern Mynster und Bentzon, geselliges Leben, Pram, Weyse, Arndt, Frau Koren. Bull 186–204. Erstes Zusammentreffen mit Steffens 204–213. Polemik mit Baggesen, Rahbek und seine Frau 222–227. Literarische Wirksamkeit 228–233. Caspar Bartholin 233–237. Zusammenleben mit Steffens 237–245. Ein Symposion 245–248. Bekanntschaft mit Schimmelmanns und Bruns 249–252. Er erhält ein Reise-Stipendium 253.
Zweiter Band.
Erste Reise in Deutschland: Briefe in die Heimath und aus derselben. 5–9. Halle, Reichardts 9–11. Erstes Zusammentreffen mit Göthe 12–13. Briefe 13–20. Lafontaine 20. Schleiermacher 22. Deutsche schriftstellerische Versuche 24. Hakon Jarl 25–41. Berlin 43. Fichte 44–49. Himmel 50. Weimar 54. Wieland, Herder, Frau Schiller, Göthe, die weimar'sche Fürstenfamilie 54–62. Jena, Frommann, Göthe, Hegel 63–66. Gedicht an Charlotte Schiller 66–72. Dresden 73. Bröndsted, Koës, Münter 73–78. Die Bildergalerie 79–84. Sächsische Schweiz 87–89. Weimar, Schlacht bei Jena 92–100. Gotha, Frankfurt a. M. 101–102. Paris 103–113. Ueber die Tragödie 113–125. Die französischen Dramatiker 127–130. Malte-Brun 130–134. Die Schlegel 134–136. Umgang in Paris 137–140. Das Bombardement Kopenhagens 140–144. Baggesen 145–160. Straßburg 163–164. Stuttgart 165. Die Schweiz 167–171. Aufenthalt in Coppet 172–184. Savoyen 185–188. Mailand 189–196. Parma 196. Bologna 198. Florenz 200. Rom 207. Thorwaldsen 208–210. Frederike Brun 210–211. Lebensgefahr 213. Grotta Ferrata 215–218. Albano 218. Abschied von Rom 222. Pisa, Livorno, Florenz, Mailand, Simplon 223–228. Heidelberg, Weimar, Göthe 228–234.
Dritter Band.
Heimkehr 5. Professur 6–8. Gesellige Kreise 9–18. Dramatische Wirksamkeit 18–30. Trauung 31. Schimmelmann 33–36. Tragödien 36–39. Brandis 39–43. Neue Umgangskreise 44–46. Theater 46–51. Rückblick auf die erste Dichterperiode 52–77. Baggesen's Angriffe 77–81. Napoleon's Fall 82–88. Gräfin Mynster 89–90. Königskrönung 91–94. Der Dichter frühere Geltung 94–98. Theater-Verhältnisse 100–104. Zweite Reise ins Ausland 104. Auszug aus den Reisebriefen: Hamburg 106–111. Celle, Hannover, Göttingen, Kassel, Marburg, Frankfurt 111–119. Paris 121. Frau von Staël-Holstein 123–127. Das Theater 127–129. Die Pariserinnen 129–130. Passy 131–133. Jardin des plantes 135–136. Versailles 137–138. St. Denis 139–140. Die stille Woche 141–143. Das Museum 143–145. Das Ballet 146.[237] Abreise von Paris 153. Stuttgart 158. Wien 167. Das Theater 169. Laxenburg 171. Kloster Neuburg 180. Ein Magnetiseur 185–188. Dresden 189–196. Die Haide 197–199. Berlin 199. Lübeck 212. Heimkehr 213.
Vierter Band.
Neue Dichterwerke 8–20. Heiberg 21–23. Bekanntschaften 24–28. Verhältnisse als Professor 28–32. Musikalische Zustände 32–42. Dichtungen 42–48. Baggesen's Tod 48–50. Tod des Vaters Oehlenschläger's. 50–54. Deutsche Werke 55–56. Rahbek's und seiner Frau Tod 56–60. Erster Besuch in Schweben 61–66. Zweite Fahrt nach Schweden 67. Dichterkrönung in Lund 69–72. Der Bischof Mynster 73–76. Schwedische Bekanntschaften 77–80. Christian VII. 80–83. Sölling 83–85. Dritte Reise nach Deutschland: Leipzig 86. Dresden 86–90. Berlin 91–93. Reise nach Norwegen 95–110. Tod seiner Tochter Charlotte 101–103. Besuch beim Prinzen Christian in Odensee 103–105. Reise mit ihm nach Augustenburg 105–107. Der poetische Geschmack und die Kritik 109–116. Frederike Brun 116–122. Tod Friedrich's VI. 124–125. Zusammenleben mit Thorwaldsen 126–128. Tod seiner Frau 128–130. Tod Bröndsted's 132–133. Zweiter Besuch in Norwegen 135–143. Thorwaldsen's Tod 144–150. Vierte Reise in Deutschland: Berlin 151–154. Dresden 155–157. Prag 157–158. Wien 159–166. Salzburg 166–168. München 168–170. Nürnberg 170–172. Frankfurt 172. Der Rhein 173. Paris 175. Die Franzosen 176–179. Besuch bei Louis Philipp 180–186. Die Brüder Rothschild 186–187. Literarische Notabilitäten 188–198. Brüssel 200. Hamburg 201. Oehlenschläger's letzte Jahre, Auszüge aus seinen Briefen an seine Verwandten 203–212. Besuch in Schweden 212–218. Tod Christian's VIII. 219. Letzte literarische Wirksamkeit 222–228. Schlußwort. Fest zu Oehlenschlägers 70jährigen Geburtstage 229. Sein Tod 230–234.
Namenregister
der in Oehlenschläger's Lebens-Erinnerungen ausführlicher besprochenen Personen, Städte und literarischen Werke des Verfassers. Letztere sind mit * bezeichnet.
Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.
Anmerkungen zur Transkription:
Der Schmutztitel wurde entfernt.
Rechtschreibung und Zeichensetzung des Originaltextes wurden übernommen und offensichtliche Druck- und Setzfehler korrigiert.
Der Originaltext ist in Fraktur und fremdsprachliche Passagen sind in Antiqua gesetzt. Abkürzungen wie Dr. und römische Zahlen wie XV wurden nicht in Antiqua dargestellt.
Die Kapitelüberschriften aus den Kopfzeilen wurden in den Text als Randnotizen eingefügt.
End of the Project Gutenberg EBook of Meine Lebens-Erinnerungen - Vierter Band (of 4), by Adam Oehlenschläger *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK MEINE LEBENS-ERINNERUNGEN *** ***** This file should be named 48569-h.htm or 48569-h.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/4/8/5/6/48569/ Produced by Thorsten Kontowski, Jens Nordmann and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This book was produced from scanned images of public domain material from the Google Print project.) Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. 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Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For forty years, he produced and distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Most people start at our Web site which has the main PG search facility: www.gutenberg.org This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.