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Aus Natur und Geisteswelt
Sammlung wissenschaftlich-gemeinverständlicher Darstellungen
28. Band
Von
Max Geitel
Ober- und Geh. Regierungsrat im Reichs-Patentamt
Zweite Auflage
Mit 31 Abbildungen im Text
Verlag und Druck von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin 1922
Schutzformel für die Vereinigten Staaten von Amerika:
Copyright 1922 by B. G. Teubner in Leipzig
Alle Rechte, einschließlich des Übersetzungsrechts, vorbehalten
Die Leistungen der Technik der Neuzeit reden eine so machtvolle und überzeugende Sprache, daß – im Gegensatz zu früheren Zeiten – die Kenntnis der wesentlichsten Zweige der Technik zu dem Rüstzeug des Gebildeten gehört. Die Schöpfungen der Ingenieurtechnik nehmen insofern eine besondere und eigenartige Stellung ein, als sie sich der Allgemeinheit am unmittelbarsten vor Augen führen und durch den Segen, den sie bringen, am nachhaltigsten und verständlichsten den Ruhm der Technik von heute predigen.
Überaus schwierig war es, die Auswahl aus der reichen Fülle des Stoffes zu treffen. Wie in der gesamten Technik, so überbietet die Schöpfung der Ingenieurtechnik von heute die von gestern. Was vor wenigen Monaten noch als die Höchstleistung galt, ist oft schon dann veraltet, wenn es aus dem Plan in die Wirklichkeit übertragen wurde. Was der Ingenieur zu Beginn seiner Laufbahn bewunderte, wird häufig von ihm heute belächelt. Der Weltkrieg, der zu einem erheblichen Teile mit technischen Mitteln geführt wurde, hat dies in besonderem Maße bestätigt und Leistungen gezeitigt, die bisher als unerfüllbar galten. Die Auswahl aus den Schöpfungen der Ingenieurtechnik ist, wie in der ersten Auflage, auf solche beschränkt, von denen nach menschlicher Voraussicht anzunehmen ist, daß sie auf längere Zeit hinaus als Meisterwerke gelten werden.
Berlin-Wilmersdorf, im Dezember 1921.
Max Geitel.
Seite | |
Einleitung | 5 |
I. Eiserne Brücken und Hochbauten | 7 |
Die Forthbrücke | 10 |
Die Zambesibrücke | 13 |
Die Hohenzollernbrücke bei Köln | 14 |
Die Hoanghobrücke | 16 |
Die Brücke über den St. Lorenzstrom bei Quebec | 18 |
Der Eiffelturm | 19 |
Die 260 m-Türme der Großstation Nauen | 19 |
Das Woolworth-Gebäude in New York | 21 |
Eisenbetonbauten | 22 |
II. Tunnelbauten | 24 |
Der Simplontunnel | 27 |
Der Lötschbergtunnel | 30 |
III. Kanalbauten | 31 |
Der Panamakanal | 31 |
Der Kaiser-Wilhelm-Kanal (Nord-Ostsee-Kanal) | 38 |
Der Großschiffahrtsweg Berlin–Stettin | 41 |
IV. Staudämme, Talsperren und elektrische Überlandzentralen | 44 |
V. Elektrische Fernbahnen | 54 |
Allgemeines | 54 |
Magdeburg–Leipzig–Halle | 57 |
Die Jungfrau-Bahn | 58 |
Die Lötschberg-Bahn | 61 |
Die Montblanc-Bahn | 62 |
VI. Hoch- und Untergrundbahnen | 63 |
Berlin | 65 |
London | 67 |
Paris | 67 |
New York | 68 |
Philadelphia | 69 |
Chicago | 70 |
VII. Die drahtlose Telegraphie und Telephonie | 70 |
Allgemeines | 70 |
Die Großstation Nauen | 74 |
VIII. Neuzeitliche Riesen-Dampfschiffe | 79 |
Allgemeines | 79 |
»Lusitania« | 82 |
»Mauretania« | 82 |
»Olympic« | 82 |
»Titanic« | 82 |
»Aquitania« | 83 |
»Kronprinzessin Cecilie« | 84 |
»George Washington« | 84 |
»Imperator« | 84 |
»Vaterland« | 84 |
IX. Lenkbare Luftschiffe und Flugzeuge | 87 |
Starre Luftschiffe | 88 |
Halbstarre Luftschiffe | 88 |
Unstarre Luftschiffe | 88 |
Das Luftschiff während des Weltkrieges | 93 |
Eindecker | 94 |
Zwei- und Mehrdecker | 97 |
Das Flugzeug während des Weltkrieges | 99 |
Die Opfer der Flugtechnik | 100 |
X. Technische Kriegsleistungen | 101 |
Allgemeines | 101 |
Das deutsche Ferngeschütz | 104 |
Das Handels-U-Boot »Deutschland« | 105 |
Die Tanks | 105 |
Die Gewinnung des Luftstickstoffes | 106 |
Die Synthese des Ammoniaks | 107 |
Eine jede Technik ist merkwürdig, wenn sie sich an vorzügliche Gegenstände, ja wohl gar an solche heranwagt, die über ihr Vermögen hinausreichen.
Goethe.
Wenn wir in den nachstehenden Abhandlungen eine Anzahl von Schöpfungen der Ingenieurtechnik der Neuzeit in Wort und Bild vorführen, so fassen wir hierbei das Gebiet der Ingenieurtechnik im weitesten Sinne des Sprachgebrauches auf, nicht in dem engen Sinne der technischen Wissenschaft und Sprachweise. Abraham a S. Clara, das Vorbild des Schillerschen Wallenstein-Kapuziners, erteilt der Stadt Nürnberg folgendes wohlverdiente Lob: »Weit mehr Künstler seynd von dieser Stadt herkommen, als gewaffnete Soldaten gestiegen aus dem großen Trojanischen Pferd, daß man also schier solle diese Stadt nicht mehr Nürnberg, sondern Hirnberg nennen, zumahlen so viel vernünftige und zu allen Künsten capable Köpff anzutreffen«. Von jeher hat der Stand der Ingenieure solche »capable Köpff« unter seinen Gliedern gezählt. Ihnen verdankt die Menschheit von heute einen guten Teil ihres Hochstandes. Zu den verständnisvollsten Kennern und Bewunderern der Technik gehörte Goethe. Mit sicherem Blicke erkannte er dasjenige in der Tätigkeit des Technikers, das diesem die Bewunderung der Mit- und Nachwelt einträgt und das darin besteht, daß er sich an solche Gegenstände heranwagt, die über sein Vermögen hinausgehen oder doch hinauszugehen scheinen. Dieser Wagemut tritt uns in den nachstehend behandelten Beispielen der Ingenieurtechnik in besonders hellem Glanze entgegen. Hierbei werden wir uns, entsprechend der vorstehend gegebenen weiteren Ausdehnung des Begriffes des Ingenieurs, nicht nur mit den Leistungen des Bau- und des Maschinen-Ingenieurs befassen, sondern auch dem Schiffbautechniker und dem Bezwinger der Lüfte und des Raumes sowie dem Ingenieur-Chemiker und dem Kriegs-Ingenieur die verdiente Würdigung widerfahren lassen.
Wir beginnen mit der Beschreibung einiger hervorragender Eisenbauten. Hier sind es die Brücken, die als Überwinder der trennenden Macht der Flüsse und Meeresarme schon seit den ältesten Zeiten bei der Allgemeinheit das Gefühl der Bewunderung und der Dankbarkeit gegen die Erbauer erweckten. Treffend bringt dies Schiller in dem Distichon »Die schöne Brücke« zum Ausdruck:
Allerdings machen die neuzeitlichen Brückenbauten weniger Anspruch auf Schönheit als auf Sicherheit und Zweckmäßigkeit. Aber unter Würdigung ihrer hohen Bedeutung als Vermittler des Verkehrs, der Kultur, des Austausches körperlicher und geistiger Güter, gewinnen ihre den Gesetzen der zahlenmäßigen Berechnung unterworfenen Formen nicht minder die Weihe der Schönheit als die formvollendetsten zu Stein gewordenen Dichtungen der Architektur. Im Anschluß an die Brückenbauten führen wir die Riesenbauten der Wolkenkratzer vor und einige bemerkenswerte Anwendungen des neuesten Baustoffes, des Eisenbetons. Sodann wenden wir uns der Beschreibung der Durchbohrung eines der größten Bergriesen der Alpenwelt zu, um hierauf einige der hervorragendsten Beispiele aus dem Gebiete des Kanalbaues, auf dem schon unsere Vorfahren Großes leisteten, folgen zu lassen. Auch auf dem Gebiete der die Wasserkräfte der Flüsse und Bäche aufspeichernden Staudämme, denen wir uns alsdann widmen, haben unsre Väter bereits Hervorragendes geleistet. Um so neuzeitlicher sind diejenigen Ingenieurleistungen, denen wir uns in den folgenden Abschnitten widmen: die elektrische Kraftverteilung, die elektrischen Fernbahnen, die Hoch- und Untergrundbahnen unsrer Riesenstädte, die den Ozean durchquerenden Riesenpaläste, die den Traum des Dädalus erfüllenden Luftschiffe und Flugzeuge, der jüngste Triumph in der Meisterung der Naturkräfte: die drahtlose Telegraphie und die hervorragendsten durch den Weltkrieg gezeitigten Ingenieurleistungen.
Mehrere der von uns zu behandelnden Schöpfungen der Ingenieurtechnik können füglich zu den sieben Weltwundern der Neuzeit gerechnet werden. Allerdings ist die Bemessung des Begriffes »Wunder« in hohem Maße von der Auffassung des einzelnen abhängig. Eine amerikanische technische Zeitschrift hat den Versuch gemacht, durch eine bei[7] ihren Lesern gehaltene Umfrage festzustellen, welche sieben Weltwunder der Neuzeit an die Stelle der mit Ausnahme der Pyramiden vom Erdboden verschwundenen sieben Weltwunder des Altertums zu setzen seien. Die überwiegende Mehrzahl der abgegebenen Stimmen stellte die sieben Weltwunder der Neuzeit in der nachfolgend wiedergegebenen Reihenfolge hin: 1. die drahtlose Telegraphie, 2. das Telephon, 3. der Flugapparat, 4. das Radium, 5. die Antiseptika, 6. die Spektralanalyse, 7. die X-Strahlen. Eine große deutsche Tageszeitung erließ die gleiche Umfrage. Die hier abgegebenen Stimmen vereinigten sich in der nachstehenden Reihenfolge auf die drahtlose Telegraphie, den Panamakanal, das lenkbare Luftschiff, die Flugmaschine, die Radiumanwendung, den Kinematograph, den Riesendampfer »Imperator«.
Die gewaltige Entwicklung, die der Brückenbau in den letzten Jahrzehnten genommen hat, und die uns in der Überbrückung immer größerer Spannweiten entgegentritt, hat zweierlei Quellen, die beide aus der wissenschaftlichen Vertiefung entspringen, die die Technik im allgemeinen und die Ingenieurtechnik im besonderen genommen hat. Zunächst ist hier die Vervollkommnung der verschiedenen auf die Darstellung von Eisen und Stahl abzielenden Arbeitsverfahren zu nennen. Sodann war es die Ausgestaltung und Anwendung der Mathematik und Mechanik durch Ritter, Culmann, Schwedler, Müller-Breslau u. a. m., die in der sog. graphischen Statik dem Ingenieur das Mittel in die Hand gab, um die in den einzelnen Teilen der Bauwerke auftretende Inanspruchnahme nicht nur rechnerisch, sondern auch zeichnerisch festzulegen und die einzelnen Bauteile mit dem Aufwand geringsten Materials und doch vollkommen sicher auszuführen.
Im Jahre 1778 wurde die erste noch heute in Benutzung befindliche eiserne Brücke bei Iron-Bridge in England erbaut. Sie hat eine Spannweite von 33 m. Im Laufe der Jahrzehnte erhöhten sich die Spannweiten allmählich mit der Vervollkommnung der Eisendarstellung und des wissenschaftlichen Rüstzeuges zu früher nicht geahnten Ausmaßen. Nachstehend bringen wir eine kleine Auslese aus den größten eisernen Brücken der Erde.
Spannweite: | |
Zambesibrücke | 152,4 m |
Nordostsee-Kanal-Brücke bei Grünental | 156,8 m |
Hohenzollernbrücke bei Köln | 159,92 m |
Dourobrücke bei Oporto | 160,00 m |
Wupperbrücke bei Müngsten (Abb. 1) | 160,00 m |
Nordostsee-Kanal-Brücke bei Levensau | 163,40 m |
Garabit-Viadukt | 165,00 m |
Niagarabrücke | 167,64 m |
Viaur-Viadukt | 220,00 m |
Mississippibrücke bei Memphis | 240,00 m |
Höllentor-Brücke über den East River bei New York | 298,00 m |
Forth-Brücke (Abb. 2) | 521,20 m |
Brücke über d. St. Lorenzstrom bei Quebec | 548,64 m |
Besonders große Spannweiten weisen die neuzeitlichen Hängebrücken auf. Wir nennen hier:
Spannweite: | |
Die Niagarabrücke mit | 250,34 m |
Die East-River-Brücke bei New York mit | 487,60 m |
Die projektierte Hudsonbrücke bei New York mit | 987,55 m |
Aus der Zahl der großen Brückenbauten eine geeignete Auswahl zu treffen, ist eine schwierige Aufgabe. Immerhin ist bezüglich der nachstehend beschriebenen fünf großen Brückenbauten festzustellen, daß jede derselben eine eigenartige Stellung einnimmt: die Forthbrücke [10] fordert unsre Bewunderung durch ihre gewaltigen Abmessungen heraus; bei der Zambesibrücke waren erhebliche örtliche Schwierigkeiten zu überwinden; der Bau der Hohenzollernbrücke bei Köln mußte sich unter überaus schwierigen Verhältnissen vollziehen, da es sich hier um den Ersatz einer einen außerordentlich regen Eisenbahnverkehr vermittelnden Riesenbrücke handelte; die Hoanghobrücke fesselt uns durch ihre riesenhaften Abmessungen und die aus der entlegenen Lage des Bauplatzes sich ergebenden Schwierigkeiten; der Bau der St. Lorenzbrücke wurde zweimal durch schwere Unfälle unterbrochen, die die Fertigstellung um Jahre verzögerten.
Die Tatsache, daß der Bau der Forthbrücke überhaupt beabsichtigt und ausgeführt wurde, bildet einen Beleg für die Richtigkeit des Spruches: »Zeit ist Geld«, denn die durch den Bau der Brücke und der erforderlichen Nebenanlagen verschlungene Summe beläuft sich auf insgesamt 67 400 000 Mk., während die erreichte Entfernungsverminderung nur den sehr geringen Betrag von 40 km ausmacht, also eine Strecke, für deren Bewältigung das Dampfroß noch nicht den Aufwand einer halben Stunde gebraucht. Ein von Bouch, dem Erbauer der am 28. Dezember 1879 mit einem vollbesetzten Personenzuge durch einen Sturm in die Tiefe gerissenen Tay-Brücke, herrührender Plan war abgelehnt worden. An Stelle desselben entschied man sich für einen von den Ingenieuren John Fowler und Benjamin Baker aufgestellten Entwurf. Dieser sah eine Brücke nach dem von dem Deutsch-Amerikaner Gerber bereits bei der Niagarabrücke mit Erfolg angewandten Kantilever-, Ausleger-, Krag- oder Konsol-System vor. Das Kennzeichen dieser Bauweise besteht darin, daß die Brücke ohne Anwendung eines dieselbe stützenden Baugerüstes von beiden Ufern aus konsolartig vorgebaut wird, bis sie in der Mitte, hoch über den Fluten zum Schluß gebracht wird.
Die in Abb. 2 in einer Gesamtansicht dargestellte Brücke überspannt mit zwei Öffnungen von je 521,20 m lichter Weite den Firth of Forth. Um den den Meeresarm befahrenden Schiffen den Durchgang zu gestatten, liegen die Eisenbahnschienen in einer Höhe von 47,7 m über dem Wasserspiegel. Die die Konsolen oder Ausleger nach beiden Seiten hin entsendenden Mittelpfeiler sind 107 m hoch. Die Gesamtlänge der Brücke beträgt 2466,1 m. Die Anwendung der Kantilever- oder Konsol-Bauart erschien im vorliegenden Falle um deswillen geboten, weil die Tiefe des Meeresarmes an der zu[11] überbrückenden Stelle 60 m beträgt, und daher die Aufstellung eines Baugerüstes der Brücke unmöglich war. Demnach begann man den Bau zunächst mit der Errichtung der beiden großen, aus je 4 Eckpfeilern bestehenden Mittelpfeiler, von denen aus dann die gewaltigen eigentlichen Träger, die Konsolen oder Ausleger, nach beiden Seiten hin vorgebaut wurden. Diese zielbewußt und ohne erheblichen Unfall ausgeführte Leistung ist in höchstem Maße bewunderungswürdig, wenn man sie mit dem Bau des Eiffelturmes (Abb. 7) vergleicht, denn jeder von den Mittelpfeilern ausladende Brückenarm entspricht einem Eiffelturm. Ist schon der senkrechte Aufbau des letzteren als eine Ingenieurleistung ersten Ranges zu bezeichnen, um wieviel mehr muß dies von dem wagerecht in schwindelnder Höhe erfolgten gerüstlosen Vortrieb dieses Riesenturmes gelten. Zwischen den Endpunkten der von den Mittelpfeilern nach beiden Seiten hin ausladenden Konsolen wird der noch zu überbrückende Teil der Spannweite durch einen mit Hilfe von Gelenken eingeschalteten Fachwerksträger überspannt. Diese Bauart wird als Kantilever- oder Konsolbrücke mit freischwebenden Stützpunkten benannt und findet dort Anwendung, wo aus irgendwelchen Gründen die Errichtung eines Baugerüstes zwischen den Stützpunkten nicht möglich, und die Spannweite besonders groß ist. Abb. 3 zeigt ein lebendes Modell der Forthbrücke: Die beiden auf Stühlen sitzenden Personen entsprechen den beiden Hauptpfeilern, während der mittlere, gelenkige Teil der Brücke durch den von der mittleren Person eingenommenen Sitz dargestellt wird. Die Arme der beiden ersteren Personen sind als Konsolen ausgebildet. Die über dem Wasser liegenden Konsolen tragen das gelenkige Zwischenstück, während die dem Lande zugekehrten Konsolen hier durch Fundamente gesichert sind.
Für jeden der 4 Eckpfeiler eines jeden Hauptpfeilers wurde ein Mauerkörper von 15 m Durchmesser errichtet; die Verankerung der Eckpfeiler auf diesen Mauerkörpern erfolgte durch 48 Stahlbolzen von 65 mm Stärke. Der südliche Pfeiler ist auf eisernen Sinkkästen, Caissons, ausgebaut, die unter Anwendung von Druckluft durch die hier vorhandene starke Schlammschicht bis auf den festen Baugrund[12] hinabgesenkt wurden. Ein solcher Sinkkasten hatte einen Durchmesser von 21,3 m. Drei derselben wurden ohne Unfall an den Ort ihrer Bestimmung gebracht. Bei der Verlegung des vierten Kastens aber ereignete sich am Neujahrstage 1885 ein schwerer, den Bau stark verzögernder Unfall. An diesem Tage ruhte die Arbeit. Der Kasten, der glücklich bis an die Stelle gebracht war, wo er versenkt werden sollte, setzte sich so tief im Schlamm fest, daß die Flut ihn nicht zu heben vermochte. Er füllte sich mit Wasser, neigte sich zur Seite und wurde außerdem noch 4½ m von der ihm bestimmten Stelle abgetrieben. Endlich, im Oktober, wurde der Caisson an seinen richtigen Ort gebracht. Auch die beiden südlichen Eckpfeiler des Mittelpfeilers ruhen auf Sinkkästen. Die Lage des nördlichen Pfeilers ermöglichte es, daß dessen Fundamente durchgehends unter Anwendung von Fangdämmen ausgeführt werden konnten. Die Pfeiler und die Konsolen sind aus röhrenförmigen Säulen und Streben zusammengefügt. Der Durchmesser dieser Röhren beträgt bis zu 3,66 m. Überaus schwierig gestaltete sich die Ausführung der Knotenpunkte, das sind die Verbindungen zwischen den einzelnen Röhren und Streben. Die Brücke weist Stellen auf, wo zehn verschiedene Teile von ungewöhnlichen Abmessungen und Formen zusammenstoßen und miteinander verbunden werden mußten. Um diese Verbindungen zu erleichtern, ließ man den kreisförmigen Querschnitt der Röhren in der Nähe der Knotenpunkte in eine viereckige Form übergehen. Das Hinausbauen der Konsolen geschah in der Weise, daß durch hydraulische Nietmaschinen die einzelnen Rohrteile und Bleche voreinandergebracht wurden. Hierbei war dafür Sorge zu tragen, daß die beiden nach verschiedenen entgegengesetzten Richtungen ausladenden Konsolen gleichmäßig vorgetrieben wurden, damit der Hauptpfeiler nicht einseitig belastet und zum Kippen gebracht wurde. Beide Konsolen mußten sich also während des gesamten Bauvorganges das Gleichgewicht halten. Die mit Hilfe der Nietmaschinen voreinander gebrachten Teile mußten, bevor sie mit den bereits fertiggestellten Teilen in feste Verbindung gebracht werden konnten, durch Hilfskonstruktionen abgestützt werden. Der dem Fortgang des Vortriebes der Konsolen entsprechende Vorschub der Nietmaschinen geschah auf hydraulischem Wege. Besondere Sorgfalt erforderte auch die Innehaltung der Richtung bei dem Vorbau der Konsolen. Das zwischen diesen liegende bewegliche Schlußglied wurde zunächst in fester Verbindung mit jenen ausgeführt und[13] erst nach erfolgter Fertigstellung an seinen beiden Enden auf Rollen gelegt. Die gewaltigen Abmessungen der Brücke spiegeln sich u. a. in dem Einfluß wider, den die Erhöhung der Luftwärme auf das Baumaterial ausübt. Die aus dem Temperaturunterschied entspringenden Längsverschiebungen betragen fast 1 m; bescheint die Sonne die Brücke einseitig, so hat dies eine Bewegung von 0,2 m senkrecht zur Brückenachse zur Folge.
Am 4. März 1890 wurde die Brücke ihrer Bestimmung übergeben.
Die im Zuge der Kap-Kairo-Eisenbahn den Zambesifluß unterhalb der Viktoriafälle überspannende Brücke ist in ihrem Hauptteile ebenfalls nach dem Kantilever- oder Auslegersystem erbaut. Dieser den reißenden Strom übersetzende Hauptteil ist gleich der Forthbrücke ohne Gerüst von beiden Ufern aus vorgebaut und hat eine lichte Weite von 152,4 m; die Pfeilhöhe des Bogens der Eisenkonstruktion beträgt 27,4 m. Die Brücke liegt fast unmittelbar unterhalb der Fälle, die bei über 1600 m Breite die Fluten des Zambesi in eine Tiefe von 140 m hinabstürzen lassen. Die Gesamtlänge der Brücke beträgt 198 m, also ein keineswegs ungewöhnliches Maß. Was aber den Bau, insbesondere dessen Vorarbeiten überaus schwierig gestaltete, das waren außergewöhnliche örtliche Verhältnisse. Diese ergaben sich aus der großen Höhe der steil aus den Wirbeln des Stromes emporragenden Felsufer und hatten zur Folge, daß die Brücke von beiden Ufern aus in der schwindelnden Höhe von 115 m über dem Wasserspiegel vorgebaut werden mußte. Um das Maß der Entfernung der beiden Ufer festzustellen, wurde eine Rakete, an der ein dünnes Seil befestigt war, über den Fluß geschleudert und mit Hilfe dieses Seiles ein Telephondraht über den Fluß gespannt, und außerdem ein Stahldraht zum Messen der Entfernung gezogen. Der Telephondraht war erforderlich, weil, um von einem zum andern Ufer zu gelangen, ein Umweg von 16 km zurückzulegen war. Der den Bau leitende Ingenieur C. Beresford Fox begnügte sich aber nicht mit der telephonischen Verständigung, sondern ließ an einem über den Fluß gespannten Drahtseil ein Sitzbrett anbringen, auf dem er sich mittels eines endlosen Seiles in schwindelnder Höhe von der einen zu der andern Baustelle ziehen ließ. Um die während des Baues etwa abstürzenden Arbeiter vor dem sichern Tode des Ertrinkens zu bewahren, wurde ein Schutznetz über den Strom ausgespannt.
Die am 5. Oktober 1859 nach 4½jähriger Bauzeit eröffnete, von der Köln-Mindener Eisenbahngesellschaft mit einem Aufwand von 3 927 434 Talern gleich rund 11 780 000 Mk. erbaute Kölner Rheinbrücke (eine Gitterbrücke mit 4 Öffnungen) genügte bereits seit geraumer Zeit nicht mehr den erhöhten Anforderungen, die der zunehmende Verkehr an sie stellte. Dieser war von 8–10 täglich die Brücke befahrenden planmäßigen Zügen auf 380 gestiegen. Am 19. Juni 1907 wurde mit dem Bau der an die Stelle dieser alten Rheinbrücke tretenden Hohenzollernbrücke, Abb. 4, begonnen. Diese hat nur 3 Öffnungen, deren mittlere 159,92 m und deren beiden seitlichen Öffnungen je 116 m Lichtweite besitzen. Der Bau dieser neuen Brücke, einer Bogenbrücke mit angehängter Fahrbahn, gestaltete sich um deswillen schwierig, weil während der Bauzeit der Straßenverkehr und der Eisenbahnbetrieb aufrecht zu erhalten waren, und außerdem schiffahrtspolizeiliche Erschwernisse zu überwinden waren.
Der Entwurf des ingenieurbautechnischen Teiles wurde im Mini[15]sterium der öffentlichen Arbeiten zu Berlin, nachdem er in der Eisenbahndirektion Köln aufgestellt war, geprüft und festgestellt. Die Berechnung und bauliche Durchbildung der eisernen Überbauten wurde der Aktiengesellschaft Harkort zu Duisburg und der Maschinenbauanstalt Nürnberg, Zweiganstalt Gustavsburg, übertragen. Die obere Leitung lag bei der Eisenbahndirektion Köln. Von besonderer Eigenart sind die die Beseitigung der alten Brücke bezweckenden Arbeiten. Hätte man diese in der üblichen Weise abgebrochen, indem man Holzjoche zu deren Unterfangung in den Strom einrammte und über diesen den Überbau stückweise entfernte, so würde man 2–3 Monate an der Bauzeit verloren haben. Infolgedessen entschloß man sich, die Brücke mit Hilfe des Wasserstoff-Sauerstoff-Verfahrens zu zerschneiden, und die so gewonnenen Einzelteile mittels schwimmender Gerüste zu entfernen und ans Ufer zu setzen. Das Eisenwerk der alten Brücke bestand aus zwei durchlaufenden, auf dem mittelsten der drei Strompfeiler unterbrochenen Gitterträgern von 8,5 m Höhe. Jeder der Träger hatte nach Beseitigung der Fahrbahn ein Gewicht von rund 840 t. Da jede der vier Öffnungen getrennt entfernt werden mußte, wurden zunächst die Träger auf den Zwischenpfeilern durchschnitten. Nunmehr wurde ein entsprechend angeordnetes Gerüst (vgl. Abb. 5), das auf rechteckigen Kähnen von entsprechender Tragkraft stand, durch Schlepp[16]dampfer unter den auszufahrenden Träger gebracht und dort verankert. Die Kähne waren mit Wasserballast gefüllt. Wurde dieser durch Pumpen aus den Kähnen hinausgeschafft, so hoben sich jene und lüfteten hierbei den auf dem Gerüst ruhenden Träger von seinen Stützpunkten nach oben. Sobald der Träger frei schwebte, wurden die Anker gelichtet, und das Schwimmgerüst mit dem auf ihm liegenden Träger durch Schleppdampfer in ein seitlich gelegenes Abbruchgerüst übergeführt. Die Beseitigung der mittleren Öffnungen vollzog sich in der kurzen Zeit von 40 Minuten. Die Beseitigung der rechtsseitigen Öffnung dauerte eine Stunde, die der linksseitigen Öffnung 2½ Stunden. Bei dem Bau der neuen Brücke sind rund 11 500 cbm Werksteine und 46 500 cbm Beton verbaut, 8600 cbm Ziegelsteinmauerwerk, 610 t Profileisen für die Gründungsarbeiten und 160 t sonstiges im Mauerwerk vermauertes Eisen mit einem Kostenaufwand von 3 530 000 Mk. Das Gesamtgewicht des eisernen Überbaues betrug 16 560 t bei einem Kostenaufwand von 4 290 000 Mk. Die Gesamtkosten betrugen, ausschließlich der an den Portalen aufgestellten Reiterstandbilder und der Verwaltungskosten, rund 13 300 000 Mk.
Die den Hoangho im Zuge der Tientsin-Pukow-Bahn überbrückende in Abb. 6 dargestellte gewaltige Brücke ist von der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg, Werk Gustavsburg, erbaut und im November 1912 eröffnet worden. Der Hoangho oder »gelbe Fluß« bildet seiner tückischen Eigenschaften wegen von jeher den »gelben Kummer« Chinas. Im Laufe der Jahrhunderte hat er unter Vernichtung von Tausenden von Menschenleben die ihn umgebenden Deiche durchbrochen und seine Mündung verlegt. Dieses geschah insgesamt neunmal, zuletzt[17] im Jahre 1851, wo sich die Mündung, die bisher südlich der Schantunghalbinsel lag, nach ihrem jetzigen Orte verlegte. Dort, wo die Brücke den Fluß 200 km oberhalb der Mündung überschreitet, hat dieser eine Breite von etwa 500 m. Die Breite des hier zu überbrückenden Überschwemmungsgebiets beläuft sich jedoch auf etwa 1300 m, woraus sich die ungewöhnliche Länge des Bauwerks erklärt. Diese beträgt einschließlich der Pfeiler 1255,20 m. Hiervon entfallen 834 m auf die Flutbrücken, während der Rest von 421,20 m auf den Hauptstrom entfällt. Die Überbrückung der 834 m weiten Flutöffnungen erfolgt durch 9 selbständige Parallelträger von je 91,50 m Spannweite. Der Hauptstrom wird dagegen durch ein großartiges zusammenhängendes Bauwerk überspannt. Die Hauptbrücke wird durch zwei nebeneinander im Abstand von 9,40 m liegende Fachwerkträger von 421 m Länge gebildet, eingeteilt in zwei Seitenöffnungen von je 128 m und eine Mittelöffnung von 164 m. Bei dem Bau der Brücke handelte es sich darum, diese zunächst eingleisig auszuführen, jedoch derart, daß sie jederzeit mit geringsten Kosten in eine zweigleisige umgebaut werden kann. Demnach ist der Abstand der Hauptträger von Haus aus für einen zweigleisigen Betrieb gewählt. Dagegen sind die Abmessungen der Hauptträger nur so gewählt, daß sie für einen eingleisigen Betrieb genügen; sie müssen also bei dem Übergange zu zweigleisigem Betrieb verstärkt werden. Dies soll in der Weise geschehen, daß neben jedem Hauptträger ein weiterer Hauptträger aufgestellt und an jeder senkrechten Strebe mit dem bestehenden Hauptträger durch ein vom Ober- bis zum Untergurt durchlaufendes Blech verbunden wird. Diese Art der Verstärkung hat den Vorteil, daß in die zunächst ausgeführten Brückenteile kein überflüssiger Baustoff hineingebaut wird, und daß später lediglich eine Aufstellung der hinzukommenden Hauptträger, nicht aber eine Abänderung der vorhandenen Träger erforderlich ist. Die einzige zu erfüllende Aufgabe besteht darin, den neu hinzukommenden Hauptträger mit dem bereits vorhandenen Hauptträger zu einem einheitlichen Ganzen zu vereinigen. Erhebliche Schwierigkeiten boten die Fundierungsarbeiten, da der Untergrund selbst in 50 m Tiefe noch keinen tragfähigen Boden ergab. Infolgedessen mußte man sich dazu entschließen, Sinkkästen unter Luftdruck zu versenken und von diesen aus Rammpfähle zu schlagen. Jeder der Mittelstrompfeiler steht auf etwa 250 solcher Pfähle.
Die den Bau leitenden deutschen Ingenieure Borkowetz und Preis und der Bauchef der Eisenbahn, Baurat Dorpmüller, hatten nicht nur mit den Elementen, mit Hochwasser und Eis, sondern mit dem offenen und versteckten Widerstand der Chinesen zu kämpfen. – Das Eisengewicht der Strombrücke beträgt gegen 3700 t, das Gesamtgewicht des Überbaus 4100 t, jeder Strompfeiler hat eine Last von 1600 t zu tragen.
Der Bau der bei Quebec den Lorenzstrom überschreitenden Brücke wurde durch ein im Jahre 1887 erlassenes Gesetz genehmigt. Die Brücke sollte eine Mittelöffnung von rund 549 m Spannweite besitzen, die von je zwei 171,56 m langen Konsolen und einem 205,88 m langen eingehängten Mittelträger überspannt wurde. Die Gesamtlänge der Brücke sollte 988,2 m betragen; außer zwei Vollspurgleisen und zwei Straßenbahngleisen waren zwei Fahrstraßen mit äußeren Fußwegen vorgesehen. Am 29. August 1907 brach die Brücke während des Baues zusammen. Der neue Entwurf setzte die Länge der Konsolen auf 176,9 m, die des eingehängten Mittelträgers auf 195,2 m fest, so daß die Mittelöffnung wieder die Spannweite von 549 m erhielt. Die Gesamtlänge der Brücke blieb unverändert. Am 11. September 1916 stürzte der Mittelträger, als er mittels hydraulischer Pressen und Schraubenwinden emporgewunden und mit den Konsolen verbunden werden sollte, in die Tiefe. Nun wurde ein neuer Mittelträger erbaut und am 24. September 1917 in die Brücke eingefügt. Die mit der St. Lawrence Bridge Company in Montreal getroffene Abmachung schloß mit dem Betrage von 1 750 000 Pfund Sterling ab.
Die großen Fortschritte, die sich in der Darstellung des Eisens vollzogen, und die durch die wissenschaftliche Vertiefung der Technik geschaffene Möglichkeit, die Beanspruchung der einzelnen Bauteile zu verfolgen, hatten alsbald zur Folge, daß sich das Eisen auch als Baustoff für Riesenhochbauten erfolgreich einführte. Die höchsten aus Stein aufgeführten Bauwerke, das Washington-Denkmal (172 m), die Türme des Kölner Doms (159 m) u. a. m. geben etwa die oberste Grenze an, bis zu welcher man sich der Gesteine als Baustoff bedienen darf. Darüber hinaus werden die unteren Mauerschichten durch das Gewicht der höheren Schichten derart auf Druck beansprucht, daß sie zerbröckeln. Eine derartige Gefahr liegt bei dem Eisen in weiter Ferne. Handelt es sich um die Aufführung solcher Bauten, deren Wandungen nicht[19] geschlossen zu sein brauchen, dann hat das leichte und zierliche Maschengefüge der Eisenbauten im Gegensatz zu den vollen Steinwänden noch den Vorzug, daß es dem Winde eine erheblich geringere Angriffsfläche darbietet.
Als erster in Eisen errichteter Riesenhochbau ist der 300 m hohe Eiffelturm (Abb. 7) zu nennen, der eins der hervorragendsten Schaustücke der Pariser Weltausstellung 1889 bildete und bis heute den Ruhm in Anspruch nehmen kann, das höchste Bauwerk der Erde zu sein. Ursprünglich lediglich dazu bestimmt, ein glänzendes Ausstellungsstück zu bilden, hat der Eiffelturm sich immer mehr und mehr in den Dienst der Wissenschaft und des Verkehrs gestellt, indem er ein Laboratorium zur Untersuchung des Luftwiderstandes, eine meteorologische Station und eine Großstation für drahtlose Telegraphie trägt, die während des Weltkrieges sich für unsere Feinde als überaus wertvoll erwiesen hat.
Der Eiffelturm wird durch die beiden 260 m hohen Riesentürme der Telefunken-Groß-Station Nauen an Höhe fast erreicht, an Kühnheit des Aufbaues aber bei weitem übertroffen. Erbauer ist der Oberingenieur Bräckerbohm der Hein, Lehmann & Co., A.-G. zu Berlin. Bereits im Jahre 1909 erhielt diese von der Gesellschaft für drahtlose Telegraphie (Telefunken) den Auftrag zum Bau eines 100 m[20] hohen als Antennenträger dienenden turmähnlichen, unten isolierten Mastes. Dieser erhielt einen dreieckigen Querschnitt und wurde gegen Umkippen durch Spannseile gesichert; die Aufstellung erforderte sechs Wochen. Im Jahre 1911 ergab sich die Notwendigkeit, diesen 100 m hohen Mast auf das Doppelte zu erhöhen, da ein Neubau aus verschiedenen Gründen unmöglich war. Gegen Weihnachten 1911 war die Erhöhung fast vollständig erfolgt, als die Arbeiten durch schwere Stürme überrascht wurden. Aus irgendwelchen Ursachen war in etwa 150 m die Erhöhung eingeknickt, und es erfolgte ein Zusammensturz des Turmes, glücklicherweise ohne Folgen für die Arbeiter und die benachbarten Gebäude. Als Notbehelf wurden auf Vorschlag der vorgenannten Firma zwei 120 m hohe Rohrmaste errichtet. Diese wurden auf der Erde liegend zusammengebaut und in einem Stück mit Hilfe eines 40 m hohen Hilfsmastes aufgerichtet. Wenige Wochen nach jenem Einsturz beschloß die Telefunken-Gesellschaft die Errichtung eines Turmes von 260 m Höhe, der in seinen Grundprinzipien mit dem eingestürzten Turme übereinstimmt, und dessen Verhältnisse zu dem Eiffelturm und zu dem Kölner Dom die Abb. 7 zeigt. Bisher hatte die Isolation derartig schwerer Türme große Schwierigkeiten bereitet. Jetzt aber war es gelungen, die für die Isolation erforderlichen großen massiven Porzellankörper herzustellen. Die Aufstellung dieses Riesenturmes erforderte trotz der ungünstigen Jahreszeit (Wintermonate 1912/13) im ganzen nur 5 Monate. Die den Turm sichernden Spannvorrichtungen wirken derart zuverlässig, daß selbst bei den stärksten Stürmen kaum eine Bewegung der Abspannseile bemerkbar ist. Diese Bewegung wäre auch durchaus unschädlich, da der Mast sowohl an der Erde wie in der Mitte mit einem Gelenk versehen ist, das etwaige Schwingungen ausgleicht. Das Bauwerk stellt das Beste dar, was an Ermöglichung des Ausbaus und an Standsicherheit zu erreichen ist. Dies tritt besonders hervor, wenn man sich die Belastung vergegenwärtigt, die dieser 260 m hohe Turm zu tragen hat. Auf diesem ruht ein Drahtseil, das ihn an der Spitze mit 30 000 kg senkrecht und mit 6000 kg wagerecht belastet, eine Beanspruchung, welcher der Eiffelturm trotz der in ihn hineingebauten gewaltigen Eisenmassen nicht gewachsen wäre. Das Gewicht des 260 m hohen Turmes beträgt 360 000 kg; der Druck auf das Fundament beläuft sich bei Stürmen auf etwa 800 000 kg. Dieser 260 m-Turm befindet sich in Nauen in zwei Ausführungen; außerdem sind dort noch vorhanden: 2 Maste[21] von je 150 m und 4 Maste von je 120 m Höhe; ferner ein 134 m hoher Turm. Trotz des verblüffend leichten Aufbaus sind alle diese Türme durchaus standsicher.
Große Leistungen ermöglicht das Eisen insbesondere im Hochbau bei der Errichtung der »Wolkenkratzer« der amerikanischen Großstädte. Noch im Jahre 1880 begnügte man sich in den Vereinigten Staaten mit 5–6 Stockwerken, bis man durch das Steigen der Bodenpreise gezwungen wurde, »in den offenen Raum zu flüchten«.
In der baulichen Ausbildung der Wolkenkratzer sind zwei Zeitabschnitte zu unterscheiden, deren erster bis zum Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, deren zweiter bis zur Gegenwart reicht. In dem ersten Zeitabschnitt übertrug man die für ein gewöhnliches Steingebäude üblichen Baugrundsätze auf Gebäude von doppelter und dreifacher Höhe. Hierbei war das Mauerwerk der hauptsächlich tragende Teil, während das Eisen nur zur gegenseitigen Versteifung der Wände, der Balkenlagen und des Daches benutzt wurde. Bald aber stellte sich heraus, daß diese Bauweise für die Errichtung höherer Gebäude nicht benutzbar war, weil in den unteren Geschossen die Mauerstärke ungebührlich vergrößert werden mußte, infolgedessen der verfügbare Bebauungsraum in unerwünschtem Maße beengt wurde. Die Eigenlast der Gebäude und damit deren Druck auf die Fundamente wurde ungemein groß. Hierdurch gelangte man auf eine andere Bauweise, die sog. »Skelett- und Furnierkonstruktion« (skeleton and veneer construction). Die bisher benutzten schweren Mauerwerksmassen sind hierbei durch aus Eisen hergestellte Gerippe ersetzt, die die sämtlichen Belastungen aufnehmen und auf das Fundament übertragen. Die Verteilung der inneren Räume läßt sich leicht in das Gerippe einbauen, während die feuerfesten Verkleidungen in Stein, Ziegel, Terrakotta u. dgl. gleichsam wie ein Furnier das ganze innere Eisengerippe umgeben. Diese Gerippebauart hat gegenüber der früheren Bauweise noch den großen Vorzug des raschen Aufbaus. Bauten, die früher ein Jahr und mehr beanspruchten, werden jetzt in 5–6 Monaten errichtet. Die mit dieser Bauweise zu erreichende größte Gebäudehöhe schätzt man auf 600 m.
Der höchste Wolkenkratzer ist das in Abb. 8 dargestellte Woolworth-Gebäude in New York, das mit einem Kostenaufwand von 80 Mill. Mk. errichtet wurde. Es liegt am Broadway mit einer Front von 47 m und auf dem Park Place und Barklay Street mit einer Fas[22]sadenlänge von je 60 m. Der Turm erhebt sich vom Broadway mit 55 Stockwerken und besitzt 26 m im Quadrat. Der übrige Teil des Gebäudes hat 29 Stockwerke. Die Höhe des Turms über dem Straßenpflaster beträgt 221 m. Da auch unter der Straße noch Geschosse von 37,50 m Tiefe liegen, so ergibt sich eine Gesamthöhe vom Fundament bis zur Spitze des Turms von 258,50 m. Wenn sämtliche Räume vermietet sind, faßt der Bau 10 000 Personen. Der ausführende Architekt Cass Gilbert hat es verstanden, durch Anwendung des gotischen Stils und durch eigenartige Farbenzusammenstellung des Mauerwerks einen durchaus künstlerisch und harmonisch wirkenden Eindruck zu erwecken. Die von der Otis-Gesellschaft gelieferten, den Innenverkehr vermittelnden gewaltigen 26 elektrischen Fahrstühle besitzen eine Geschwindigkeit von 3,5 m in der Sekunde.
Angesichts der Wohnungsnot ist man auch in Deutschland dem Bau von Wolkenkratzern nähergetreten, wegen der hohen Eisenpreise aber bisher ohne tatsächlichen Erfolg. Da ist von Interesse, daß der Bau von Häusern bis zu 22 Stockwerken möglich ist ohne Anwendung von Eisen. Vorbedingung für derartige hohe Häuser ist, daß sie mit rundem oder elliptischem Grundriß aufgeführt werden und hierdurch befähigt sind, dem Winddruck besser zu widerstehen als Gebäude mit flachen Wänden und rechteckigem Grundriß.
In der neuesten Zeit nimmt der Eisenbeton in schnell steigendem Maße an Bedeutung als Baustoff zu. Derselbe besteht aus einer innigen Vereinigung von Eisen und Beton und verdankt seine hohe Festigkeit dem Umstande, daß jeder der beiden Baustoffe, aus denen er zusammengesetzt ist, diejenige Beanspruchung aufnimmt, wofür er besonders geeignet ist. Das Eisen nimmt die Zugspannungen, der Beton nimmt die Druckbeanspruchungen auf. Der Eisenbeton, der sich durch unbedingte Feuersicherheit, schnelle und billige Ausführbarkeit, Dauerhaftigkeit und leichtes Anpassungsvermögen auszeichnet, wird in der Weise hergestellt, daß ein Netzwerk von Eisenstäben, das in seiner Gestalt dem zu schaffenden Bauwerk entspricht, von einer Schalung umgeben wird und in dieser Schalung mit flüssigem Beton umgossen wird, der bei seiner Erstarrung eine unlösbare Verbindung mit dem eisernen Netzwerk eingeht. Die weitestgehende Verwendung findet der Eisenbeton zunächst im Hoch- und Brückenbau, sodann im Tiefbau und im Wasserbau. Die weitest gespannte Eisenbetonbrücke überschreitet den Mississippi bei Minneapolis mit einem Bogen von 121,92 m Weite [24] und 26,82 m Pfeilhöhe. Jenseits des Ozeans verwendet man den Eisenbeton auch als Baustoff für Wolkenkratzer. Neuerdings hat der Eisenbeton eine zunehmende Bedeutung als Schiffbaustoff gewonnen, und zwar sowohl für Binnen-, wie für Seeschiffe. Als Vorzüge des Eisenbetonschiffbaus sind außer den bereits genannten zu nennen: Wasserdichtheit, elastisches Verhalten gegen Stoß, kurze Bauzeit, Möglichkeit der Reihenherstellung von Schiffen gleicher Bauart, geringe Reibung im Wasser, hohe Widerstandskraft gegen Seewasser, geringer Ansatz von Pflanzen und Muscheln am Schiffskörper. Anfangs wurde die Einführung des Eisenbetons in den Schiffbau durch den Umstand stark erschwert, daß sich das Eigengewicht der Schiffe im Verhältnis zu deren Ladefähigkeit sehr ungünstig gestaltete. Dieses Mißverhältnis scheint aber durch Schaffung eines sehr leichten Betons beseitigt zu sein. Schließlich werden jetzt auch Eisenbahnwagen in steigendem Maße aus Eisenbeton hergestellt. Der aus Eisenbeton hergestellte Wagen hat gegenüber dem eisernen Wagen den großen, bei den jetzigen hohen Eisenpreisen besonders wichtigen Vorzug, daß er erheblich weniger Eisen in Anspruch nimmt; so stehen beispielsweise den 2200 kg Profileisen des eisernen offenen 20 t-Güterwagens nur 700 kg Bandeisen und 200 kg Flach- und Quadrateisen des Eisenbetonwagens gegenüber.
Von jeher hat der Riesenwall der Alpen den Wagemut der durch ihn voneinander getrennten Völkerschaften erregt.
Die ersten großen über die Alpen führenden Verkehrsstraßen stammen aus dem 18. Jahrhundert: Kaiserin Maria Theresia erbaute 1772 die über den Brenner führende »Kaiserstraße«; Napoleon I. schuf die Heerstraßen über den Mont Cenis und über den Simplon. Noch andre die Alpen überschreitende Straßen folgten, und als die Eisenbahnen in die Erscheinung traten, da gesellten sich zu diesen die das Gebirgsmassiv durchbohrenden Tunnel, die höchsten Glanzleistungen neuzeitlicher Ingenieurtechnik darstellend. Der erste größere Tunnelbau war der 2½ km lange Hauensteintunnel bei Olten in der Schweiz. Derselbe hat nebenbei eine traurige Berühmtheit dadurch erlangt, daß während seines Baues am 28. Mai 1857 70 Arbeiter durch den Einsturz eines Schachtes den Tod fanden. Die hier gesammelten Erfahrungen ermutigten im Jahre 1859 zum Bau des 12 km langen Mont[25] Cenistunnels, der nach 11jähriger Bauzeit zum Durchschlag und im 12. Jahre zur Vollendung gebracht wurde. Der tägliche Vortrieb betrug, da man allein über Handbohrung verfügte, auf jeder Seite nur 1,5 m täglich. Der im Jahre 1872 begonnene, am 29. Februar 1880 zum Durchschlag gebrachte Gotthardtunnel hat eine Länge von 14,984 km; hier erzielte man, da inzwischen die Tunnelbohrmaschine ins Leben gerufen war, einen täglichen Fortschritt von 2,11 m auf jeder Seite.
Der nächste in Angriff genommene große Alpentunnel war der den Simplon durchschneidende. Er ist ein unmittelbarer und scharfer Nebenbuhler seiner beiden Vorgänger, denn ihm liegt, gleich jenen, dieselbe große Aufgabe innerhalb des internationalen Verkehrs zwischen dem Norden und Süden Europas ob. Diese Aufgabe zwang schon bei der Festlegung der beiden Tunnelmündungen zu wichtigen Erwägungen. Ein Tunnel ist um so billiger und schneller herzustellen, je kürzer er ist, oder, mit anderen Worten, in je größerer Höhe er das Gebirge durchbohrt. Hiermit wachsen aber die Schwierigkeiten, die sich der Beförderung der Züge entgegenstellen. Diese müssen größere und länger ausgedehnte Steigungen hinaufbefördert werden, und die im Freien liegenden Eisenbahnstrecken können gegen Schneeverwehungen und sonstige Naturereignisse nur unter erheblichem Aufwand von Personal- und Unterhaltungskosten geschützt werden. Demnach hat man dem Simplontunnel, um ihn zu einem stets betriebsbereiten Mittel des internationalen Verkehrs zu machen, eine möglichst tiefe Lage gegeben und ihn als einen sog. Basistunnel, der den Gebirgsstock an seiner Wurzel durchfährt, ausgeführt. Der Simplontunnel liegt 450 m tiefer als der Gotthardtunnel. Trotzdem aber konnte man ihn derart in das Gelände einfügen, daß er nur 5 km länger ist als der Gotthardtunnel, nämlich 19,803 km. Die nördlich bei Brig gelegene Tunnelmündung liegt 686 m, die südliche (Abb. 9), bei Iselle liegt 634 m über dem Meere.
Wie bei allen großen Gebirgstunneln stellte die trigonometrische Festlegung der Tunnelachse die höchsten Anforderungen an deren Leiter, Professor Rosenmund-Zürich, wie an dessen Gehilfen und an die zur Anwendung gelangenden Meßgeräte. Die neuzeitlichen Tunnel werden von beiden Seiten her gleichzeitig in das Gebirge vorgetrieben, und es muß daher Vorsorge getroffen werden, daß die einander entgegenstrebenden Arbeiterscharen sich im Innern des Berges treffen und nicht aneinander vorbeigehen. Zu diesem Zwecke wird der be[26]treffende Gebirgsabschnitt mit einem sog. Triangulationsnetz überzogen. Die Ecken der dieses Triangulationsnetz bildenden Dreiecke liegen auf Bergspitzen, und es werden nun diejenigen Winkel, unter denen diese mit sichtbaren Signalen ausgestatteten Bergspitzen zueinander stehen, gemessen und festgestellt. Hat man den Gebirgsstock auf diese Weise gleichsam in ein Netz von Dreiecken eingesponnen, so ist nur noch erforderlich, die Winkel zwischen den Tunnelmundlöchern und den von diesen aus sichtbaren Bergspitzen zu messen. Nunmehr kann die Mittelachse des Tunnels über das Gebirge hinweg durch Signalstangen festgelegt werden. Um sicher zu sein, daß sich die Arbeiten im Innern des Berges genau unterhalb dieser über das Gebirge hin festgelegten Linie bewegen, wird letztere über beide Tunnelmündungen hinaus verlängert, und in dieser Verlängerung der Tunnelachse werden Beobachtungsposten aufgestellt, von denen aus man mittels scharfer Fernrohre die im Berge fortschreitende Tunnelöffnung und die über das Gebirge festgelegte Tunnelachse beobachten und gegenseitig verfolgen kann. Um dies zu ermöglichen, werden in der[27] Mittellinie des fortschreitenden Tunnels scharf leuchtende Lichter angebracht. Stellt man ein Fernrohr auf die über das Gebirge gelegte Achse ein und dreht man dasselbe alsdann in senkrechter Richtung so tief abwärts, daß man in das Innere des Tunnels hineinblickt, so müssen die hier angebrachten Lichter in derselben senkrechten Ebene liegend erscheinen wie jene Achse. Ist dies nicht der Fall, so muß der Vortrieb des Tunnels entsprechend geändert werden. Die Arbeiten des Professor Rosenmund wurden stark durch Luftspiegelungen gestört, die von Temperaturunterschieden der Tunnelluft herrührten. Sie gelangten aber zu einer so genauen Durchführung, daß die beiden Tunnelachsen, als sie am 25. Februar 1905 sich begegneten, nur um 20,2 cm in der Wagerechten und um 8,7 cm in der Senkrechten voneinander abwichen.
Bei dem Gotthardtunnel hatte man sich mit derjenigen Lüftung begnügt, die durch die aus den Gesteinsbohrmaschinen austretende Abluft bewirkt wurde. Diese genügte jedoch bei weitem nicht, und die vor Ort herrschende, durch die Sprengstoffe, die Lampen und die menschlichen Ausdünstungen hervorgerufene Luftverschlechterung hatte zahlreiche Krankheits- und Todesfälle unter der Tunnelmannschaft zur Folge. Man mußte bei dem Simplontunnel nach dieser Richtung um so vorsichtiger verfahren, weil man auf außergewöhnliche Temperaturen im Innern des Gebirges gefaßt sein mußte, und weil der Tunnel der längste bisher in Angriff genommene war. Man nahm die für 500 Arbeiter erforderliche Luftmenge zu 1500 cbm in der Minute an und gelangte zu einem überaus eigenartigen und wirksamen Hilfsmittel, um diese große Menge tatsächlich an Ort und Stelle zu schaffen. Dieses Hilfsmittel bestand in einem Parallelstollen, den man in gleicher Höhenlage neben dem eigentlichen Tunnel vortrieb und den man als Luftzuführungsrohr benutzte. Diese beiden Stollen wurden in Abständen von je 100 m durch Querschläge miteinander verbunden. Von diesen Querschlägen wurde jeweilig nur der am nächsten vor Ort liegende, also der letzte, offen gehalten, während alle übrigen Querschläge geschlossen wurden. Mittels gewaltiger Fliehkraftgebläse wurde in den einen Stollen Luft eingetrieben; diese trat durch den vordersten Querschlag in den anderen Stollen über, um dann durch diesen und dessen Mundloch wieder ins Freie zu treten. Unsere Abb. 9 läßt die Mundlöcher der beiden Stollen deutlich erkennen. Auf diese Weise strich also durch den Tunnel andauernd ein für die erforder[28]liche Lufterneuerung und Luftkühlung hinreichender Luftstrom hindurch. Diejenige kurze Strecke, welche zwischen dem letzten Querschlag und der vordersten Arbeitsstelle lag, wurde durch besondere Leitungen mit Frischluft versorgt. Der Abstand der beiden Tunnelachsen beträgt 17 m. Einer dieser Tunnel wurde sofort auf den erforderlichen Querschnitt ausgearbeitet. Der zweite Tunnel wird erst jetzt zu einem Volltunnel erweitert.
Entsprechend den großen im Innern des Berges auszuführenden Arbeiten waren die vor dem Tunnel zu errichtenden Werk- und Kraftanlagen bemessen. Die hierauf verwandten Kosten belaufen sich auf 4 Mill. Fr. auf jeder Tunnelseite. Auf der Nordseite konnte man der Rhone eine dem Kraftbedarf von 2000 P.S. genügende Wassermenge entnehmen; auf der Südseite stellte die Diveria die gleiche Menge nebst Gefälle zur Verfügung. Bevor die Wasserkraftanlagen in Benutzung genommen werden konnten, behalf man sich mit Halblokomobilen. Die im Innern des Tunnels verkehrenden Lokomotiven wurden mit Preßluft von 80 Atm. betrieben. Elektrische Beleuchtung kam nur außerhalb des Tunnels zur Anwendung. Die Werkstätten hatten einen derartigen Umfang und waren außerdem mit den verschiedenartigsten Einrichtungen in einer Weise ausgestattet, daß weitestgehende Ausbesserungsarbeiten und Neuherstellungen in ihnen ausgeführt werden konnten. Besonders hervorzuheben sind die großen auf das vorzüglichste eingerichteten Bade- und Waschhäuser für die Arbeiter und Ingenieure, die Krankenhäuser und die Arbeiterwohnungen. Der Gesamtverbrauch an Sprengstoffen belief sich auf 2000 t oder 200 Eisenbahnwagenladungen.
Während des Baues stellten sich unvorhergesehene, nur mit äußerstem Aufwande besonderer neuer Maßnahmen zu überwindende Schwierigkeiten ein. Man hatte dieselben um so weniger erwartet, als die geologischen Verhältnisse sich im Laufe des Vortriebs des Tunnels nicht im Einklang mit den Gutachten der Sachverständigen ergaben, die eine überaus günstige Gesteinslagerung als wahrscheinlich vorhanden angegeben hatten. Unsre Abb. 10 gibt in ihrem oberen Teile das geologische Profil wieder, wie man es erwartet hatte, und in ihrem unteren Teile, wie es auf Grund der gemachten Erfahrungen sich ergab. Die auftretenden Schwierigkeiten waren mehrfacher Art. In der mittleren 7 km langen Strecke hatte man trockenen, steil aufgerichteten Gneis erwartet. Statt dessen traf man auf wasserführende,[29] flach und selbst wagerecht verlaufende Schichten, wodurch die Bohrarbeit und die Ausmauerung des Tunnels auf das äußerste erschwert wurden. Auf der nördlichen Seite, wo man auf eine Gesteinswärme von höchstens 42° C gerechnet hatte, stieg diese auf die gewaltige Höhe von 56° C. Auf der Südseite schlug man kalte Quellen an, die unter hohem Druck bis zu 1200 l Wasser in der Sekunde in den Stollen ergossen. Um die Schwierigkeiten zum Übermaß zu steigern, schloß sich an diese wasserführende Strecke eine Druckstelle an mit derartig brüchigem Gestein, daß dessen Druck selbst die stärksten Holzrüstungen nicht zu widerstehen vermochten. Hier mußte ein besondrer 42 m langer Eisenbetonstollen geschaffen werden, dessen Vortrieb, Ausweitung und Ausmauerung allein etwa 1½ Jahre in Anspruch nahm, mit einem Kostenaufwand von rund 20 000 Mk. für das laufende Meter. Schließlich traten, als die Vortriebs[30]arbeiten sich von Norden und Süden her bis auf etwa 2 km genähert hatten, heiße Quellen von 45° C, ja bis zu 50° C auf, die an die Arbeiter die übermenschlichsten Anforderungen stellten. Am 25. Februar 1905 erfolgte der Durchschlag. Hierbei wichen, wie bereits erwähnt wurde, die Tunnelachsen nur 202 mm in der Wagerechten und 87 mm in der Höhe ab, gewiß ein glänzender Beweis für die Sorgfalt, mit der die Vorarbeiten ausgeführt waren. Die Zahl der Todesopfer, die der Bau gefordert hatte, betrug auf der Nordseite 22, auf der Südseite 20. Am 25. Januar 1906 durchfuhr der erste Zug den Tunnel; am 1. Juni 1906 wurde dieser dem Verkehr übergeben. Die Kosten beliefen sich einschließlich der Herstellung und teilweisen Ausmauerung des Parallelstollens sowie Beschotterung und Gleisverlegung im Haupttunnel auf 58,2 Mill. Fr.; hiervon entfielen 8,4 Mill. auf die Werkstattsanlagen vor den Tunnelmündungen in Brig und Iselle.
Der auf der Simplonbahn sich vollziehende Verkehr hat eine große Förderung durch den Bau der Lötschbergbahn erfahren, die am 1. Juli 1913 dem Betrieb übergeben wurde. Diese Bahn hat insgesamt nur eine Länge von 74 km. Auf dieser kurzen Strecke aber häuften sich die zu überwindenden Schwierigkeiten in ganz außergewöhnlichem Maße. Unter den zahlreichen Bauten dieser Bahn steht an erster Stelle der Lötschbergtunnel mit einer Länge von 14,536 km. Derselbe verläuft nicht nach einer geraden Linie, sondern weist beiderseits erhebliche Kurven auf. Während des Baues sah man sich sogar genötigt, die Achse des Tunnels zu verlegen. Es war dies eine Folge des Umstandes, daß am 24. Juli 1908 man unerwarteterweise das Gasteinertal anbohrte, was das Hereinbrechen großer Schlamm- und Schuttmassen zur Folge hatte, in denen 25 Arbeiter den Tod fanden. Die nunmehr dem Tunnel gegebene neue Richtung umgeht das Gasteinertal, hat aber eine Verlängerung des Tunnels um nicht weniger als 800 m zur Folge. Der erzielte tägliche Vortrieb betrug auf der Nordseite gegen 9, auf der Südseite etwa 5 m.
Dem Tunnelbau werden in nächster Zeit voraussichtlich eine Anzahl besonders schwieriger Aufgaben gestellt werden. Zwar wird der in Kellermanns Roman »Der Tunnel« anschaulich geschilderte Bau des Tunnels Europa–Amerika noch lange auf sich warten lassen, aber die Untertunnelung des Ärmelkanals, der Straße von Gibraltar, der Beringstraße, des Bosporus u. a. m. rücken der Verwirklichung[31] immer näher. Dieses erscheint um so wahrscheinlicher, als die Untertunnelung breiter Flußläufe, so der Themse bei London, der Elbe bei Hamburg, der Spree bei Berlin sowie verschiedener amerikanischer Ströme mit vollem Erfolg ausgeführt wurde.
Der Plan eines Durchstichs der Landenge von Panama wurde schon alsbald nach der Entdeckung Amerikas, seit dem Jahre 1524, zum Teil unter Benutzung des Nicaragua-Sees, erwogen und ist dann im Laufe der Jahrhunderte wiederholt aufgetaucht, um erst in jüngster Zeit zur Ausführung gebracht zu werden. Auch Alexander von Humboldt und Goethe haben sich mit dieser gewaltigsten Verkehrsfrage beschäftigt. Letzterer hat hierbei eine verblüffende prophetische Voraussicht entwickelt. Im Jahre 1827 äußerte er sich: »Wundern sollte es mich, wenn die Vereinigten Staaten es sich sollten entgehen lassen, ein solches Werk in ihre Hände zu bekommen. Es ist vorauszusehen, daß dieser jugendliche Staat bei seiner entschiedenen Tendenz nach Westen in 30 bis 40 Jahren auch die großen Landstrecken jenseits der Felsengebirge in Besitz genommen und bevölkert haben wird … Ich wiederhole also: Es ist für die Vereinigten Staaten durchaus unerläßlich, daß sie sich eine Durchfahrt aus dem Mexikanischen Meerbusen in den Stillen Ozean bewerkstelligen, und ich bin gewiß, daß sie es erreichen.«
Die Ereignisse haben Goethes Voraussicht bestätigt: die Vereinigten Staaten haben das Erbteil der Franzosen angetreten, die als die ersten sich an das große Werk herangewagt haben, ohne es der Vollendung entgegenführen zu können. Im Jahre 1879 trat zu Paris unter dem Vorsitz von Ferdinand v. Lesseps eine internationale Kommission zusammen, um von den für den Durchstich des Isthmus von Panama eingegangenen elf Plänen einen zur Ausführung auszuwählen. Unter diesen Plänen befanden sich die verschiedensten Lösungen. Mehrere schlugen einen Durchstich in der Höhe des Meeresspiegels vor, das sogenannte »Seehöhenprojekt«, wobei für den Durchschlag der Kordilleren ein Tunnel oder ein Einschnitt erforderlich wurde. Andere brachten einen Kanal in Vorschlag, der durch Schleusentreppen das Gebirge überschritt. Nach eingehenden Beratungen entschloß man sich für den Bau eines von Meer zu Meer ohne Schleusen verlaufenden[32] Niveau- oder Seehöhen-Kanals. Der Kanal sollte eine Länge von 75 km, eine Tiefe von 8,5 m, eine Breite von 56 m in der Ebene und eine Breite von 22 m im Berglande erhalten. Das Gebirge sollte in einem 6 km langen Tunnel durchstochen werden. Die Kosten waren auf 843 Millionen Fr. veranschlagt. Die Bauzeit war vertragsmäßig auf 12, höchstens auf 18 Jahre festgesetzt. Auffallenderweise hatte das Großkapital bei der Zeichnung der Aktien eine starke Rückhaltung beobachtet. Die Vereinigten Staaten von Amerika brachten den Unternehmern unter Betonung der Monroedoktrin ein starkes Mißtrauen entgegen. Auch England bewies kein Wohlwollen. Als man mit dem Bau am 1. Februar 1882 begonnen hatte, zeigte sich, daß man die Schwierigkeiten des Unternehmens erheblich unterschätzt hatte. Diese bestanden nicht nur in zu überwindenden Hindernissen, die die eigenartigen Boden- und Wasserverhältnisse mit sich brachten, sie lagen vielmehr auch großenteils auf gesundheitlichem Gebiet und stellten den Fortgang der Arbeiten durch mörderische Seuchen in Frage. Bis zum Jahre 1884 mußten vier Anleihen aufgenommen werden. Im folgenden Jahre, als man sich vor täglichen Ausgaben von mehr als 1 Mill. Fr. sah, schätzte Lesseps die für den Bau erforderliche Summe auf 1400 Mill. Fr. Etwa 20 000 Arbeiter waren bei dem Bau beschäftigt, 150 Lokomotiven, 5000 Kippwagen, 20 Naßbagger, 80 Trockenbagger, 4 Seebagger zählten zu den Betriebsmitteln der Bauunternehmer. Schon damals hatten die Erdarbeiten durch massenhafte Rutschungen zu leiden. Der Chagresfluß erwies sich durch die gewaltigen Wassermassen, die er zur Zeit der Regenzeit dahinwälzt, als überaus tückisch. Im Laufe des Jahres 1886, als man 22 Mill. cbm Erde ausgeschachtet und festgestellt hatte, daß dies nur ein Viertel der gesamten Erdarbeiten ausmachte, kam man zu der Überzeugung, daß der Bau eines Niveaukanals nicht ausführbar sei. Man entschloß sich daher zum Bau eines Schleusenkanals, für welchen das erforderliche Betriebswasser in mehreren großen Sammelbecken aufgespeichert werden sollte. Die finanziellen Schwierigkeiten nahmen aber inzwischen immer mehr zu; im März 1889 geriet die Baugesellschaft in Konkurs, nachdem Lesseps kurz vorher die Leitung des Unternehmens niedergelegt hatte. Den Passiven im Betrage von 1172 Mill. standen Aktive nur im Betrage von 231 Mill. gegenüber. Zahlreiche kleine Kapitalisten hatten den Verlust ihrer Spargroschen zu beklagen. Die Gerichte griffen ein, und es entrollte sich jener hinfort zum Schlagwort gewordene Panama[33]skandal, in den eine große Zahl von Beamten, Parlamentariern und Geldleuten verwickelt wurde. Lesseps, der 87jährige Erbauer des Suezkanals, wurde mit 5 Jahr Gefängnis bestraft. Dieses Urteil wurde aus formalen Gründen wieder aufgehoben, da das Vergehen verjährt war. Lesseps aber starb am 7. Dezember 1894 in geistiger Umnachtung. Eine Liquidationskommission wurde eingesetzt, der es gelang, eine neue Gesellschaft mit einem Kapital von nur 65 Mill. Fr. zu bilden, während 900 Mill. erforderlich gewesen wären. Dieser Gesellschaft wurde die inzwischen erloschene Baukonzession bis zum Jahre 1903 verlängert, und sie suchte nunmehr, ihre Rechte an die Vereinigten Staaten zu verkaufen. Hier stellte sich aber eine unvorhergesehene Schwierigkeit ein, indem der Staat Kolumbien sich weigerte, an die Vereinigten Staaten das für den Kanalbau erforderliche Land zu überlassen. Diese Schwierigkeit wurde schließlich dadurch beseitigt, daß der Staat Panama sich von Kolumbien trennte und den Vereinigten Staaten zu beiden Seiten des Kanals einen Landstrich von 18 km Breite nebst allen Hoheitsrechten abtrat. Dies geschah im November 1903. Nunmehr begann eine erneute Prüfung der Frage, in welcher Form der Kanal am vorteilhaftesten zur Ausführung gelangen könne. Zu diesem Zwecke wurden zwei Kommissionen, eine amerikanische und eine internationale, eingesetzt. Erstere entschied sich für einen Schleusenkanal, letztere für einen Niveaukanal. Präsident Roosevelt entschloß sich für einen Schleusenkanal. Der Kongreß entschied sich in dem gleichen Sinne, und die Vereinigten Staaten begannen in der zweiten Hälfte des Jahres 1906 mit dem Bau nach folgendem allgemeinen Plane.
Der Kanal (Abb. 11) benutzt so weit als möglich das Bett der Flüsse Rio Chagres und Rio Grande Superior, so daß der Kanal zum Teil einen seeartigen Eindruck erweckt. An der Wasserscheide der Landenge, bei Culebra, steht auf eine Länge von 12,8 km ein Flußlauf nicht zur Verfügung; hier muß das Gebirge mit einem gewaltigen Einschnitte durchbrochen werden. Ursprünglich hatte man aus Sparsamkeitsrücksichten hier eine geringere Kanalbreite in Aussicht genommen. Durch die auf die Zunahme der Größe der Kriegsschiffe gebotene Rücksichtnahme hat man sich aber veranlaßt gesehen, auch in diesem Einschnitt die Breite des Kanals auf 92 m zu bringen. Der Rio Chagres schwillt während der Regenzeit plötzlich derart an, daß es sich erforderlich machte, seine Wassermengen aufzustauen und[34] diese allmählich je nach Bedarf zur Speisung des Kanals zu verwenden. Diesem Zwecke dient ein bei Gatun errichtetes Staubecken von 425 qkm Fläche, das in einer Höhe von 26 m über dem mittleren Spiegel der zu verbindenden Ozeane liegt. Zu diesem Stausee führen vom Stillen Ozean drei Doppelschleusen und vom Atlantischen Ozean ebenfalls drei Doppelschleusen hinauf. Für weitere Sicherung des für die Speisung des Kanals und seiner Schleusen erforderlichen Wassers sind dann noch zwei Vorratsbecken, bei Miraflores und bei Gamboa, vorgesehen. Der Kanal erstreckt sich an seinen beiden Enden in das Meer hinaus, und zwar 11 km weit in die Limonbucht und 13 km in die Bai von Panama. Im Jahre 1906 schätzte man die Gesamtkosten für die Arbeiten am Kanal auf 140 Mill. Dollar, nach Verlauf von 3 Jahren schätzte man sie auf das Doppelte. Hierzu kamen noch für die Hafenbauten in Colon und Panama, für Eisenbahnbauten, für an die französische Gesellschaft und an die Republik Panama zu leistende Zahlungen mehr als 200 Mill. Dollar, so daß[35] die Gesamtkosten im Jahre 1909 durch Taft auf etwa 360 Mill. Dollar oder 1½ Milliarde Mark geschätzt wurden.
Am 10. Oktober 1913 fiel die letzte Erdwand, die den Gatun-See von dem Culebra-Einschnitte trennte, durch eine von Washington aus durch Präsident Wilson bewirkte Sprengung, so daß hinfort die Wasser der beiden Ozeane miteinander in Verbindung standen.
Am 8. Juni 1914 durchfuhr der erste größere Dampfer von 4000 t Rauminhalt die Schleusen von Gatun, und am 15. August fand die Eröffnung des Kanals statt. An diesem Tage legte der Dampfer »Ancon« mit dem um die Fertigstellung des Kanals hochverdienten Oberst Goethals an Bord die Fahrt von Christobal zum Stillen Ozean in 9 Stunden zurück, wovon 70 Minuten auf die Schleusen von Gatun entfielen. Die Summe der Baukosten wurde zu 1575 Mill. Mark angegeben. Hierin sind 168 Mill. Mark eingeschlossen, die die französische Kanalgesellschaft erhalten hat, aber nicht deren auf 700 bis 800 Mill. Mark bezifferte Verluste. Die Unterhaltungskosten werden auf jährlich 2 205 000 Mark geschätzt; hierzu kommen noch 1 050 000 Mark für die an Panama zu zahlende Rente.
Die ernsteste Gefahr droht dem Kanal, abgesehen von Erdbeben und vulkanischen Ausbrüchen, auch nach seiner Vollendung von den Abrutschungen, die an den Böschungen auftraten und im Culebra-Einschnitt immer wieder neue Erdmassen in das Kanalbett warfen. Dieser Einschnitt erreicht eine Tiefe von 160 m unterhalb seines Randes; der Kölner Dom könnte also in demselben stehen, ohne mit seinen Turmspitzen über die Böschung emporzuragen. Das hier zu durchfahrende Gestein ist allerdings, so lange es im Gebirge ansteht, überaus hart, verwittert jedoch, wenn es mit der Luft in Berührung kommt, schnell. Außerdem ist es mit Ton durchsetzt, der durch die tropischen Regengüsse erweicht wird und das Gestein in das Kanalbett hinabgleiten läßt. Schon im Jahre 1887 stürzten in einer Nacht 78 000 cbm von den Böschungen. Am 9. Februar 1911 stürzten 30 0000 cbm Erde und Fels ab, 50 Menschenleben vernichtend und 3 Eisenbahnzüge unter sich begrabend; am 5. September 1912 stürzte eine Erdmasse ab, die auf 1 200 000 cbm, von andrer Seite sogar auf 7 Mill. cbm geschätzt wurde. Am 4. August 1915 begann ein riesiger Erdrutsch im Culebra-Einschnitt, der vom 18. September 1915 bis zum 16. April 1916 eine Sperrung des Kanals verursachte. Die abgestürzten Erdmassen beliefen sich auf etwa 10 Mill. cbm. Außerdem aber[36] wölbte sich der Boden des Kanalbettes um 4 bis 5 m empor, eine Erscheinung, die man bei der Planung des Kanals nicht erwartet und daher nicht berücksichtigt hatte. Wie Professor Balschin in der Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde in Berlin ausführte, stellt die Erdoberfläche eine Gleichgewichtsfläche dar, die bestrebt ist, bei derartigen gewaltsamen Eingriffen, wie es der Culebra-Einschnitt ist, ihre ursprüngliche Form wiederherzustellen. Jedenfalls haben die im Culebra-Einschnitt auftretenden Schwierigkeiten deutlich ergeben, daß der von Lesseps und andern Sachverständigen geplante schleusenlose Niveaukanal unausführbar gewesen wäre.
Während der langen Bauzeit haben sich inzwischen die Abmessungen der Ozeanschiffe derart erhöht, daß man die Dimensionen des Kanals und seiner Schleusen erheblich vergrößern mußte. Trotzdem aber steht der Kanal dem erweiterten Nord-Ostsee-Kanal, wie die nachstehende Zusammenstellung erkennen läßt, in den Abmessungen seiner Schleusen nicht unwesentlich nach:
Panama-Kanal | Nord-Ostsee-Kanal | |
Schleusenlänge | 304,8 m | 330 m |
Schleusenbreite | 33,53 m | 45 m |
Wassertiefe | 12,19 m | 13,77 m |
Wasserinhalt | 124 581 cbm | 207 900 cbm |
Die Sohlenbreite des Kanals auf der freien Strecke, das heißt außerhalb der Schleusen, beträgt zwischen 150 bis 300 m in den Seestrecken, im Culebra-Einschnitt 92 m, in den Zufahrtskanälen an beiden Ozeanen 150 m. In der oberen Haltung hat der Kanal eine Tiefe von 13,80 m, innerhalb des Sees ist diese vielfach größer. Zwischen dem tiefen Wasser der beiden Ozeane beträgt die Gesamtlänge des Kanals 80 km. Die Schleusentreppen, die von den beiden Ozeanen zu der obern Kanalhaltung emporführen, überwinden eine Höhe von 26 m. Alle Schleusen wurden als Doppelschleusen ausgeführt, das heißt jede Schleuse besitzt zwei Kammern nebeneinander, so daß gleichzeitig nach beiden Richtungen hin durchgeschleust werden kann. Die Abmessungen sind bei allen Schleusen die gleichen, in der vorstehenden Zusammenstellung angeführten. Die Sohlen und die Seitenwandungen der Schleusen sind aus Beton ausgeführt. Unsre Abb. 12 gewährt einen Einblick in den Bau einer Schleusenwandung. Wir sehen hier links die steilabfallende Innenwandung, die mit Hilfe eines großen verschiebbaren eisernen Gerüstes fertiggestellt wird. An ihrer[37] rechten Außenseite fällt die Wand treppenförmig ab. Die in dem Querschnitt der Wand sichtbare runde Öffnung, ein sog. Umlauf, dient zur Zuführung und Abführung des die Schleusen füllenden Wassers. Sie würde imstande sein, einem Eisenbahnzug Durchgang zu gewähren und steht durch Querkanäle mit einem entsprechenden in der anderen Schleusenwand angebrachten Umlauf in Verbindung; von diesen Umläufen tritt das Wasser durch im Schleusenboden angebrachte Öffnungen in die Schleuse hinein. Sollen kleinere, eine geringere Wassermenge erfordernde Schiffe durchgeschleust werden, so können die Schleusen durch Zwischentore in Abschnitte von 120 m und 185 m Länge zerlegt werden. Zum Abschluß der Schleusen dienen eiserne Stemmtore von 20 m Länge, 14 m bzw. 25 m Höhe und 2,15 m Stärke. Jedes Schiff wird durch elektrische Lokomotiven in die Schleusen eingebracht; Sicherheitstore und Schutzketten schützen die eigentlichen Schleusentore vor dem Rammen. Versagen diese Maßnahmen den Dienst, so kann noch eine von der Seitenmauer aus einschwenkbare Nottür den Abschluß der Schleuse bewirken.
Die Zahl der insgesamt beschäftigten Arbeiter betrug im Jahre 1911 44 000, davon 12 000 Europäer. Im Jahre 1912 war sie auf 36 000 vermindert; hiervon entfielen auf den eigentlichen Kanalbau 28 000.
Neben den umfangreichen Erdrutschungen bildet die Beschaffung der für die Speisung des Kanals, insbesondere der Schleusen, erforderlichen Wassermenge den Gegenstand der Sorge. Als Wasserhaltung[38] dient in erster Linie der künstlich aufgestaute Gatun-See. Hier besteht die Schwierigkeit, den Staudamm und den Boden des Sees so dicht zu gestalten, daß nicht unverhältnismäßig große, die Aufrechterhaltung des Betriebs gefährdende Sickerverluste auftreten. Zwar hat man dem Damm an seiner Wurzel die außerordentliche Stärke von 518 m gegeben. Trotzdem aber wird von Fachleuten die Befürchtung ausgesprochen, daß man hierdurch eine unbedingte Wasserdichtheit nicht erzielt haben wird. Dies erscheint um so wahrscheinlicher, als der Damm an zwei Stellen über alten Flußbetten steht, die bis zu 88 m Tiefe mit Geröll, Lehm und andern Flußablagerungen angefüllt sind.
Über allen dem Kanal drohenden Fährnissen steht die Erdbebengefahr. Wie er dieser gegenüber sich verhalten wird, bleibt abzuwarten.
Während der ersten sechs Betriebsjahre, jeweilig vom 1. Juli bis 30. Juni gerechnet, hat sich der Verkehr im Panamakanal wie folgt entwickelt:
1914/15 | 4 970 000 t |
1915/16 | 3 140 000 t |
1916/17 | 7 229 000 t |
1917/18 | 7 640 000 t |
1918/19 | 6 878 000 t |
1919/20 | 9 374 000 t. |
Der die Nordsee mit der Ostsee verbindende Kaiser-Wilhelm-Kanal oder Nord-Ostsee-Kanal ist in den Jahren 1887–1895 mit einem Kostenaufwand von rund 156 Mill. Mark erbaut. Er ist an 99 km lang und wurde mit einer Sohlenbreite von 22 m ausgeführt; seine Tiefe beträgt 8 m bis 10,3 m. Die Breite des Wasserspiegels beläuft sich bei gewöhnlichem Wasserstande, der dem mittleren Wasserstande der Ostsee gleicht, auf 67 m. Als Wendestelle für die größern, den Kanal durchfahrenden Schiffe dient der Audorfer See bei Rendsburg. Der Kanal ist nur an seinen beiden Enden, bei Brunsbüttel an der Elbe und bei Holtenau an der Kieler Föhrde, mit Schleusen, und zwar mit je zweien ausgestattet. Dieselben sind für gewöhnlich geschlossen und werden nur geöffnet, wenn Schiffe hindurchgelassen werden. Die Brunsbütteler Schleuse dient außerdem noch der Entwässerung. Die Endschleusen waren erforderlich, um die Schwankungen des Wasserstandes der Elbe, die schon bei gewöhnlichem Flutwechsel 2,6 m betragen, und die der Kieler Föhrde, die bei starkem Winde sehr beträchtlich sind, von dem Kanal fernzuhalten. Als dieser erbaut wurde, rechnete man damit, daß man es in der absehbaren Zukunft mit Schiffen von höchstens 145 m Länge, 23 m Breite und 8,5 m Tiefgang zu tun haben werde, und man rechnete mit einem[39] Verkehr von etwa 18 000 Schiffen mit 5½ Mill. Netto-Registertonnen1 Raumgehalt. Allmählich überstiegen aber die Schiffe nach Zahl und Inhalt diese Voraussetzungen. Im zehnten Jahre nach der Eröffnung (1905) durchfuhren den Kanal 33 147 Schiffe mit 5 749 949 Netto-Registertonnen; hierbei hatte die Durchschnittsgröße der Schiffe sich von 94 auf 175 Netto-Registertonnen erhöht.
1 1 Registertonne = 100 Kubikfuß englisch = 2,83 cbm.
Inzwischen wuchsen die Abmessungen der Schiffe, sowohl der Kriegs-, wie der Handelsmarine derart, daß auf eine Erweiterung des Kanals gesonnen werden mußte; war dieser doch für Schiffe von den Abmessungen der »Mauretania«, »Lusitania«, »Olympic«, »Imperator« und »Vaterland« nicht benutzbar; dasselbe galt von den neueren Linienschiffen und den großen Kreuzern. Der seitens des Kanalamts in Kiel und des Reichsamts des Innern zu Berlin ausgearbeitete Entwurf für die Erweiterung des Kaiser-Wilhelm-Kanals fand daher im Jahre 1907 sofort die Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften des Deutschen Reichs. Bei den Einfahrten des Kanals sah man sogleich von einem Umbau der Schleusen ab und man ging zu deren völligem Neubau über. Dagegen wurde für das Kanalbett nur eine dem voraussichtlichen spätern Bedarf entsprechende Erweiterung angenommen, da jenes jederzeit anstandslos erweitert werden kann. Der neue Querschnitt des Kanals hat bei einer Sohlenbreite von 44 m eine Wassertiefe von 11 m und eine Breite des Wasserspiegels von 102 m. Für das Begegnen der Schiffe sind 10 zweiseitige Ausweichen von 600 bis 1100 m Länge und eine einseitige von 1400 m Länge vorgesehen. Vier der erstgenannten Ausweichen (von 1000 m Länge) sind mit Wendestellen versehen. Die Erweiterungsbauten sind so ausgedehnt, daß die für dieselben erforderlichen Bodenaushebungen im Betrage von rund 102 Mill. cbm erheblich größer sind als die bei der Herstellung des ursprünglichen Kaiser-Wilhelm-Kanals ausgebaggerten, 83 Mill. cbm betragenden Erdmassen. Die neuen Kanalschleusen sind größer als die des Panama-Kanals und die größten der Welt. Jede derselben hat eine nutzbare Kammerlänge von 330 m, eine lichte Weite von 45 m und eine Drempel- und Sohlenbreite von 13,77 m unter dem mittlern Wasserstande des Kanals. Dies bedeutet eine Tiefe von 12,4 m unter dem gewöhnlichen Elbniedrigwasser, sowie von 13,77 m unter dem[40] mittleren Ostseewasser. Diese Tiefe soll auch beschädigten und infolgedessen tiefer gehenden Schiffen noch das Einlaufen ermöglichen.
Die Schleusen bestehen im wesentlichen aus Beton. Jede derselben hat 3 Schiebetore, von denen das mittlere die 330 m betragende Länge zwischen Außen- und Binnentor in zwei kleinere Kammern von 100 m und 221 m nutzbarer Länge zerlegt und außerdem zur Reserve dienen soll. Jede der beiden Schleusenanlagen umfaßt an 40 0000 cbm Mauerwerk. Auf der Kopfbreite der Schleusentore können zwei beladene Heuwagen von einer Schleusenkammer zur andern hinüberfahren.
Zur Überführung der den Kanal kreuzenden Landverkehrswege dienten bei dem ursprünglichen Kanale zwei eiserne Eisenbahn- und Straßenhochbrücken (Bogenbrücken), bei Grünenthal und Levensau, mit 42 m lichter Höhe über dem gewöhnlichen Wasserspiegel, eine einarmige Eisenbahndrehbrücke bei Taterpfahl, zwei Eisenbahndrehbrücken derselben Bauart und eine Straßendrehbrücke bei Rendsburg, ferner eine Prahmdrehbrücke für den Straßenverkehr in Holtenau, außerdem eine Anzahl durch Handbetrieb oder motorisch bewegter Fähren. Diese Überführungen mußten infolge der Erweiterung des Kanals wesentlich ergänzt und umgebaut werden. Die eisernen Hochbrücken bei Grünenthal, für die Eisenbahn Neumünster–Heida und eine Landstraße, und bei Levensau (Eisenbahn Kiel–Flensburg und eine Landstraße) konnten bestehen bleiben und erforderten nur neue Ufersicherungen, da ihre Spannweiten auch für den erweiterten Kanal genügten. Dagegen mußten die Drehbrücken bei Taterpfahl und Rendsburg sowie die Prahmdrehbrücken bei Holtenau durch eiserne Hochbrücken und die Straßendrehbrücke bei Rendsburg durch eine neue, weitergespannte Drehbrücke ersetzt werden. Die drei neuen Hochbrücken müssen, gleich den beiden bestehenden Hochbrücken, eine lichte Höhe von 42 m über dem mittleren Kanalwasserstand besitzen. Da diese Bauwerke in niedrigen Gegenden zu errichten waren, erforderten sie beiderseits lange Rampen mit Dammschüttungen. Hierbei gestaltete sich die Einfahrt in den Bahnhof Rendsburg sehr schwierig; sie konnte nur unter Zuhilfenahme einer Schleife ermöglicht werden, die an die den Kanal überspannende Hochbrücke führt und die größte Brückenanlage Deutschlands bildet. Die Kosten der Kanalerweiterung sind auf insgesamt 223 Mill. Mk. veranschlagt. Bemerkenswert ist, daß, wenn auch im ganzen die Kosten der Kanalerweiterung – insbesondere die Baggerarbeiten und die Anlage der Schleusen – die ent[41]sprechenden Kosten des ursprünglichen Kanals erheblich übertreffen, dennoch infolge der inzwischen erfolgten Fortschritte der Technik eine im Durchschnitt billigere Ausführung möglich war.
Unter den zahlreichen Kanalbauten der Gegenwart nimmt der Großschiffahrtsweg Berlin–Stettin insofern eine besonders hervorragende Stellung ein, weil er bezweckt, die Hauptstadt des Deutschen Reiches mit dem Meere zu verbinden. Als bester Anschlußort Berlins an die See bot sich Stettin dar. Der Verkehr zwischen Berlin und Stettin vollzog sich in früheren Zeiten zunächst in der Weise, daß die Waren die Spree aufwärts bis zum oberhalb von Fürstenwalde belegenen Kersdorfer See befördert wurden, von hier auf dem Landwege bis Frankfurt a. O. und von dort die Oder abwärts nach Stettin gelangten. Im 17. Jahrhundert wurde eine Verbindung zu Wasser zwischen der Havel und der Oder durch den Bau des Finow-Kanals hergestellt. Dieser war aber bei weitem nicht imstande, den zwischen Berlin und Stettin bestehenden lebhaften Verkehr zu bewältigen, und so schritt man dann im Jahre 1904 zu dem Bau des Großschiffahrtsweges Berlin–Stettin. Derselbe hat eine Länge von 100 km; er beginnt in zwei Armen von Spandau und von Plötzensee aus, die sich im Tegeler See vereinigen. Sodann folgt er dem Laufe der Havel bis zum Lehnitzsee und geht von hier nach Nieder-Finow a. d. Oder. Die Spiegelbreite des Kanals beträgt 33 m, seine Tiefe 3 m. Der zu bewältigende Jahresverkehr beträgt 4 900 000 t. Für den Transport der Waren dienen 600 t-Kähne; zwei dieser Kähne können sich im Kanal anstandslos ausweichen. Die Gesamtkosten belaufen sich auf etwa 43 Mill. Mk., für die die Zinsgarantie seitens der Städte Berlin, Stettin und Charlottenburg ihrem wesentlichen Betrage nach übernommen wurde. Zwischen dem Lehnitzsee und Nieder-Finow bietet der Kanal etwas Eigenartiges dar, indem er hier höher als das benachbarte Gelände liegt. Er muß also in einem Damm dahingeführt werden, dessen Sicherung gegen Durchsickern besondere Maßnahmen, nämlich das Aufbringen einer Tonschicht erforderte, deren Stärke zwischen 30 und 80 cm schwankt. Auf dieser 50 km langen Strecke würde ein Dammbruch die Gefahr mit sich bringen, daß die Wasser des Kanals sich über die benachbarte Gegend ergießen, daß der Kanal sich entleerte und die unterwegs befindlichen Schiffe auf Grund gerieten. Um allen diesen bösen Vorkommnissen vorzubeugen, ist auf dieser Strecke an drei Stellen eine sog. Wassertorbrücke oder ein Sicherheitstor in den Kanal hineingebaut.[42] Diese Vorrichtung besteht in einer senkrecht auf- und abwärts bewegbaren Wand, die erforderlichenfalls in das Profil des Kanals hinabgelassen werden kann und dieses absperrt, im übrigen aber stets oberhalb des Wasserspiegels schwebt und den Verkehr nicht hindert.
Der Abstieg in das Odertal bei Nieder-Finow, wo ein Höhenunterschied zwischen der Scheitelhaltung und der Oder von 36 m besteht, geschieht durch vier Schleusen. Später soll hier noch ein Hebewerk errichtet werden. Dieses Hebewerk ist in Abb. 13 dargestellt und besteht aus einem gewaltigen aus Eisenfachwerk hergestellten Wagebalken, der an seinen beiden Enden einen Trog trägt, in welchen die Schiffe hineinfahren. Wird der Wagebalken gedreht, so senkt sich dessen eines Ende nach unten, während das andere Ende aufwärts schwingt. Hierbei werden die die Schiffe enthaltenden Tröge entweder mit der oberen oder mit der unteren Haltung in Verbindung gebracht, so daß die Schiffe dann ihre Fahrt weiter fortsetzen können. Bei Hohensaaten sind zwei Schleppzugsschleusen erbaut. Dieselben haben eine Länge von 220 m und eine Breite von 19 m; sie können einen ganzen Schleppzug von sechs großen Kähnen nebst dem Schleppdampfer auf einmal durchschleusen. Bemerkenswert ist noch der Brückenkanal, der bei Eberswalde den Kanal über die 11 m tiefer liegende Eisenbahn Berlin–Stettin hinwegführt. Zum Ablassen des Kanals dient eine ungefähr in der Mitte der Scheitelhaltung vorgesehene Anlage. Diese besteht aus einem durch eine kleine Pumpe in Gang zu setzenden Heber, der in der Sekunde bis zu 4000 l Wasser über den Kanaldamm hinweg in den Mäckersee hinüberpumpt, der dann das Wasser durch den Finow-Kanal der Oder zuführt.
Die Erfahrungen des Weltkrieges haben ergeben, daß das Fehlen eines die Eisenbahnen entlastenden Netzes von Wasserstraßen sich sehr störend bemerkbar macht, sobald erstere in Folge anderweitiger Überlastung die Beförderung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse, der Kohle, des Eisens und sonstiger Massengüter nicht ausführen können. Daher befinden sich jetzt zwei wichtige deutsche Kanalverbindungen im Bau und in weiterer Ausgestaltung: der vom Westen zum Osten führende[43] Mittellandkanal und der die Donau mit dem Rhein verbindende Rhein-Donau-Kanal. Der Bau dieser Wasserstraße wurde schon von Goethe als erforderlich bezeichnet, der aber die Kosten für unerschwinglich hielt »zumal in Erwägung unserer deutschen Mittel«.
Wenngleich zur Überwindung der von Kanälen zu überschreitenden Höhenzüge und Gebirge meist Schleusentreppen genügen, die die Höhe allmählich erklimmen, so treten doch hin und wieder auch Verhältnisse auf, die dazu zwingen, die Höhendifferenzen in einem einzigen Absatz zu überwinden. Das vorstehend beschriebene bei Nieder-Finow geplante Schiffshebewerk bildet hierfür ein Beispiel. Ein anderes Beispiel, das im Zuge des Dortmund-Ems-Kanals bei Henrichenburg im Betrieb befindliche Hebewerk, stellt Abb. 14 dar. Bei diesem ruht der das zu hebende oder zu senkende Schiff aufnehmende Trog auf fünf Schwimmern, die sich in in die Erde hineingebauten Brunnen auf- und abwärts bewegen können, je nachdem in diese Brunnen Wasser hineingelassen wird, das die Schwimmer und den Trog emporhebt. Soll der Trog gesenkt werden, so wird das Wasser aus den Brunnen hinausgelassen. Bei einer Anzahl von Schiffshebewerken ruht der das Schiff aufnehmende Trog auf Kolben, die in hydraulischen Zylindern durch Wasserdruck gehoben werden. Soll das Schiff gesenkt werden, so läßt man das Wasser aus den Zylindern hinaustreten.
Die ersten Anfänge des Baus von Staudämmen und Talsperren reichen bis in das frühe Altertum zurück. Schon damals erkannte man deren hohen Wert, der für jene Zeiten darin sich verkörperte, daß in wasserreichen Monaten Vorräte gesammelt wurden, die während der wasserarmen, trockenen Zeit zur Bewässerung der Ländereien dienten. Schon vor Tausenden von Jahren baute man derartige zum Teil sehr ansehnliche Wasserspeicher in Ägypten, auf Ceylon, in China, Japan und in Indien. Zu den bedeutendsten Staudämmen des Altertums gehört der Möris-See, so benannt nach seinem Erbauer, dem König Möris. Dieser gewaltige See war imstande, Milliarden von Kubikmetern Wasser aus dem Nil zur Zeit der Hochwasser aufzunehmen und aufzuspeichern. Am Euphrat errichtete schon die Königin Nitokris eine großartige Stauanlage. Aus der späteren Zeit, beginnend um die Mitte des 16. Jahrhunderts, sind die planmäßig angelegten Stauanlagen des Oberharzes zu nennen, die für die dortigen Bergwerke das Aufschlagwasser lieferten und während des Weltkrieges die Aufrechter[45]haltung der Kupfergewinnung ermöglichten, die an andern Orten Deutschlands durch den Kohlenmangel gehindert wurde.
Nach Dr. G. Respondek ergibt sich folgende Übersicht über die in den wichtigsten Industrieländern vorhandenen Wasserkräfte:
Land | ausgenutzte | verfügbare | ausgenutzt |
Wasserkräfte in P.S. | v. H. | ||
Vereinigte Staaten | 7 000 000 | 28 100 000 | 24,9 |
Kanada | 1 735 000 | 18 803 000 | 9,2 |
Frankreich | 1 100 000 | 5 587 000 | 11,6 |
Norwegen | 1 120 000 | 5 500 000 | 20,4 |
Spanien | 440 000 | 5 000 000 | 8,8 |
Schweden | 7 045 000 | 4 500 000 | 15,6 |
Italien | 976 300 | 4 000 000 | 24,4 |
Schweiz | 511 000 | 2 000 000 | 25,5 |
Deutschland | 618 000 | 1 425 000 | 43,4 |
Großbritannien | 80 000 | 963 000 | 8,3 |
Demnach steht Deutschland bezüglich der Ausnutzung seiner Wasserkräfte an erster Stelle. Dagegen entfallen von seinen Wasserkräften nur 0,02 P.S. auf den Kopf der Bevölkerung, während dieser Betrag in den übrigen Ländern um ein vielfaches höher ist. Will also Deutschland im Wettkampf mit den übrigen Industrieländern nicht unterliegen, so muß es seine Wasserkräfte voll ausbauen.
In der neuesten Zeit hat der Bau der Staudämme und Talsperren auf Grund wissenschaftlicher Vertiefung einen ungeahnten Aufschwung genommen, und wir begegnen zurzeit in allen Weltteilen Neubauten und Plänen, deren einer den andren an Größe überbietet. Es ist dies zu einem erheblichen Teil das Verdienst des im Jahr 1904 verstorbenen Aachener Professors Intze.
Die Talsperren können verschiedenen Zwecken dienen, von denen meist mehrere bei den einzelnen Anlagen in Betracht kommen. Hier ist an erster Stelle die Gewinnung von Kraft zu nennen; diese ist in der neusten Zeit um deswillen von besonderer Bedeutung, weil der mittels der Wasserkräfte erzeugte elektrische Strom bequem und wirtschaftlich vorteilhaft über weite Strecken dahingeleitet und zum Betrieb von Arbeitsmaschinen aller Art benutzt werden kann. An sonstigen Aufgaben, die die Staudämme zu erfüllen haben, sind zu nennen: der Hochwasserschutz, die Bewässerung von Ländereien, die Versorgung von Ortschaften[46] mit Trinkwasser, die Erhöhung des Niedrigwassers der Flüsse und – was neuerdings von besonderer Wichtigkeit ist – die Speisung der Schiffahrtskanäle.
Die Anlage der Staudämme ermöglicht sich am bequemsten im Gebirge, denn hier kann durch Errichtung einer Staumauer ein Tal alsbald in einen Stausee verwandelt werden. Die Vorarbeiten bestehen in der auf Grund meteorologischer und statistischer Aufzeichnungen erfolgenden Feststellung der im Laufe des Jahres aus Niederschlägen und Zuflüssen zu erwartenden Wassermengen. Besondere Sorgfalt ist der Berechnung der Abmessungen der Staumauern zuzuwenden, für welche als Baustoffe in erster Linie Erde und Mauerwerk in Betracht kommen. Der Querschnitt der Mauer nimmt entsprechend der Beanspruchung, die sie durch das im Becken aufgestaute Wasser erfährt, von oben nach unten hin zu und weist oft sehr erhebliche Abmessungen auf. Fehlerhafte Berechnung der letzteren kann zu den folgenschwersten Ereignissen führen. Wir erwähnen hier als den verderblichsten Dammbruch, dem am 31. Mai 1889 der im Tale des South Forkflusses in der Nähe der Stadt Johnstown in Pennsylvanien belegene im Jahre 1842 erbaute Staudamm zum Opfer fiel; derselbe kostete gegen 4000 Menschen das Leben und verursachte einen Schaden von 35 Mill. Dollar. Dem am 27. April 1895 erfolgten Einsturz der Sperrmauer von Bouzy fielen 90 Menschen zum Opfer.
Im Innern der Mauer müssen Stollen und Rohrleitungen angebracht werden, durch welche das Wasser dem Becken entnommen und seiner Zweckbestimmung zugeführt wird. Auch müssen für den Fall, daß die aufgestaute Wassermenge einen die Mauer gefährdenden Betrag übersteigt, Überläufe und Auslässe vorgesehen werden, um rechtzeitig eine Entlastung der Mauern herbeizuführen. Die Mauern müssen ferner, um dem Druck des Wassers widerstehen zu können, nach der Wasserseite zu gewölbt verlaufen. Die älteste nach neuzeitlichen Grundsätzen erbaute Stauanlage Deutschlands ist die im Jahre 1889 begonnene Eschebachtalsperre; dieselbe dient der Wasserversorgung der Stadt Remscheid. Zu den größten Staubecken der Erde gehört die Urftalsperre bei Gmünd in der Eifel (Abb. 15); dieselbe vermag gegen 45,5 Mill. cbm Wasser zu stauen und bezweckt die Verhütung von Hochwasser und die Lieferung von Kraft. Die Kosten ihrer Herstellung betrugen 4 Mill. Mk. Die Staumauer hat eine Höhe von 58 m und eine Länge von 228 m. Auch das Wupper- und Ruhrtal, der Frei[47]staat Sachsen und Schlesien verfügen über eine Anzahl von großartigen Talsperren. In Schlesien sind besonders die Gebiete des Bobers und des Queis zu nennen, für die im ganzen 17 Stauanlagen geplant sind. Hier waren vor allem die verderblichen Hochwasserkatastrophen des Jahres 1897 die treibende Ursache. Die bei Marklissa belegene, 15 Mill. Kubikmeter fassende Talsperre hatte gelegentlich der Hochflut des Sommers 1907 Gelegenheit, sich segensreich zu bewähren. Diese Anlage erzielte durch Abgabe von Kraft schon im Jahr 1908 eine Jahreseinnahme von etwa 240 000 Mk. Von umfangreicheren Abmessungen ist eine andre Anlage Schlesiens, nämlich die in den Jahren 1903–1912 bei Mauer erbaute Bober-Talsperre mit einem Inhalt von 50,5 Mill. cbm. Die Sperre bei Marklissa hat eine Länge von 130 m, eine Mauerwerksmasse von 65 000 cbm und eine Höhe von 45 m. Die Sperre bei Mauer ist 270 m lang, hat eine Mauerwerksmasse von 250 000 cbm und eine Höhe von 60 m.
Die Abführung des aufgespeicherten Wassers geschieht für gewöhnlich durch Grundablässe, bei besondern Umständen aber, so z. B. bei Erreichung einer übergroßen Stauhöhe, durch Überfälle. Die Grund[48]ablässe liegen in der Tiefe des Staubeckens und gestatten, das Wasser von unten abzulassen. Sie bestehen in Kanälen, die mit Schieberverschlüssen ausgestattet sind; letztere werden von der Krone der Staumauer oder von einem in das Becken vorgebauten Häuschen aus bewegt. Die Weite dieser Kanäle ist oft eine sehr beträchtliche und beträgt z. B. bei der Marklissa-Sperre 1,10 m, bei der Mauer-Sperre 1,50 m. Die Schieber stehen unter einem sehr hohen Wasserdruck. Dieser beträgt bei 1,10 m Rohrweite und 40 m Wassertiefe 38 000 kg; bei 1,5 m Weite und 48 m Wassertiefe 84 000 kg. Diese Belastungen sind, da das Wasser mit mehr als 20 m Geschwindigkeit in der Sekunde austritt, mit starken Stößen verbunden. Außerdem bilden sich hinter den Verschlußvorrichtungen infolge der saugenden Wirkung des ausströmenden Wassers luftleere Räume. Aus alledem folgt, daß der Bau sicher wirkender Abschlußvorrichtungen der Grundablässe eine überaus schwer zu lösende Aufgabe bildet. Auf Grund von Versuchen ist es endlich gelungen, Schieber herzustellen, die den eigenartigen Anforderungen genügen. Die Überfälle, die z. B. bei Marklissa während des Hochwassers 780 cbm, bei Mauer sogar 1200 cbm in der Sekunde abführen müssen, werden entweder in Kaskaden- und Treppenform oder als einziger großer von der Krone der Sperrmauer sich herabstürzender Fall ausgeführt. Bei den Kaskadenüberfällen (Abb. 15) ergießt sich das von der Krone der Sperrmauer herabfallende Wasser über eine Anzahl von Treppenstufen abwärts.
Das größte Staubecken Europas ist die Edertalsperre bei Hemfurt in Waldeck mit einer Staumenge von 202,4 Mill. cbm. Dieser Stausee, dem drei blühende Dörfer vollständig und zwei Dörfer teilweise zum Opfer fielen, hat eine Länge von 27 km und eine größte Breite von 1 km. Der Anlaß zum Bau dieses mit einem Kostenaufwand von ca. 20 Mill. Mk. ausgeführten Riesenwerkes wurde durch die Notwendigkeit gegeben, den im Bau begriffenen Mittellandkanal aus der Weser zu speisen und zugleich eine Verbesserung des Fahrwassers der Weser bei niedrigem Wasserstande zu schaffen. Bei Minden überschreitet der Mittellandkanal die Weser mittels eines den Strom brückenartig überspannenden Bauwerks, eines sog. Brückenkanals, und hier sollten aus der Weser 7500 l pro Sekunde in den Kanal emporgepumpt werden. Diese Wassermenge konnte nun aber ohne schwere Schädigung der Schiffahrt der Weser nicht dauernd entzogen werden. Auch eine Kanalisation der Weser erschien nicht angängig, da der[49] Staat Bremen seine Zusage, die bedeutenden Kosten zu tragen, zurückzog, als der preußische Landtag den Bau des Kanals nicht sogleich vom Rhein bis zur Elbe, sondern vorläufig nur bis Hannover bewilligte. Infolgedessen faßte man den Plan, im Quellgebiet der Weser Talsperren zu schaffen. Eine derselben liegt an der Diemel bei Niedermarsberg mit 45 Mill. cbm Staumenge; die zweite ist die Edertalsperre. Hier lagen die Verhältnisse besonders günstig, da das abzusperrende Tal besonders eng ist und ein sehr günstiger Baugrund zur Verfügung steht. Die Sperrmauer hat eine Höhe von 48 m über der Talsohle und eine Länge von 400 m; sie beanspruchte 300 000 cbm Mauerwerk. Am linken Abhang des Tales liegt eine große Überlandzentrale, welche die in dem Stausee aufgespeicherten Kräfte in elektrischen Strom verwandelt und in dieser Form 100 km weit fortleitet, um der Landwirtschaft und der Industrie dienstbar gemacht zu werden. Außer an den beiden Talhängen zu je sechs angeordneten 1,35 m bis 1,5 m weiten Eisenrohren ist unmittelbar unterhalb der Mauerkrone ein Überfall von 145 m Länge für das Hochwasser angebracht. Außerdem erhielt die Mauer noch 14 Notauslässe 14,5 m unterhalb der Mauerkrone. Diese werden geöffnet, wenn der Gefahrpunkt erreicht ist, d. h. wenn man das Mauerwerk nicht dem vollen Wasserdruck aussetzen will. Am Fuße der Mauer ist ein Becken von 6 m Tiefe angebracht, das zum Abfangen der von der Mauer herabstürzenden Wassermengen dient. Auf diese Weise wird die Geschwindigkeit dieser Wassermengen derart gemildert, daß sie unbedenklich ihren Weg talabwärts fortsetzen können, ohne daß zu befürchten ist, daß sie eine verheerende reißende Wirkung ausüben können.
Die im Juli 1913 in Betrieb genommene Möhnetalsperre bei Soest erhielt einen Inhalt von 130 Mill. cbm, ist vom Ruhrtalsperrenverein erbaut und bildet die zehnte im Ruhrgebiet errichtete Sperre. Sie umfaßt die Flußgelände der Möhne und Heve; der Rückstau erstreckt sich im Möhnetal auf 10 km, im Hevetal auf etwa 5 km. Ihrem Bau fielen die Dörfer Kettlersteich und Delecke zum Opfer, außerdem noch Teile einiger andrer Dörfer, so daß insgesamt 200 von 700 Personen bewohnte Gebäude niedergerissen werden mußten. Das dem Staubecken zugehörige Niederschlagsgebiet umfaßt 416 qkm mit einem jährlichen mittleren Abfluß von 245 Mill. cbm. Zur Verbindung der Ufer des Sperrbeckens, das im Grundriß die Gestalt einer ungleichschenkligen Gabel hat und sich aus dem Möhnesee und[50] dem Hevesee zusammensetzt, sind außer der Sperrmauer zwei umfangreiche Viadukte und mehrere kleine Anlagen erbaut; der eine dieser Viadukte, der Delecke-Viadukt, besteht aus 16 Steinbogen. Die Gesamtkosten belaufen sich auf etwa 22 Mill. Mk. Der Grundriß der Mauer verläuft nach einer Parabel. Die Länge derselben beträgt an der Krone 650 m, die Höhe von der Fundamentsohle ab 40 m, vom Talboden ab 33 m, die Breite unten am Fuß 34,20 m, oben an der Krone 6,25 m. Die Abgabe des Wassers erfolgt durch vier schmiedeeiserne Rohre von 1,40 m Durchmesser; jedes derselben ist dreifach verschließbar. Das gegenwärtig seiner Verwirklichung entgegengehende großzügige »Bayernwerk« Oskar von Millers bezweckt, ein Hochspannungsnetz zu schaffen, das alle im rechtsrheinischen Bayern zerstreuten Wasser- und Dampfkräfte sammelt und deren gegenseitige Unterstützung und bessere Ausnutzung gewährleistet. Es wird darauf gerechnet, daß durch die Kuppelung der einzelnen Elektrizitäts-Erzeugungsanlagen an sonst durch Dampfkräfte zu erzeugender Elektrizität 166 Mill. Kilowattstunden jährlich im ersten und 253 Mill. Kilowattstunden im zweiten Ausbau erspart werden. Während des ersten Ausbaues kommen in der Hauptsache nur die Wasserkräfte des Walchensees in Betracht, zu denen im zweiten Ausbau noch die des Lechs bei Schwangau hinzutreten. Im Lennetal wird eine Riesentalsperre mit einem Inhalt von 180 Mill. cbm errichtet werden. Sie hat die Aufgabe des von uns bereits erwähnten Ruhrtalsperren-Vereins wesentlich zu erweitern und den genossenschaftlichen Bau von Talsperren zu fördern, indem den Vereinigungen der Triebwerkbesitzer Zuschüsse gewährt werden.
Überaus rührig sind die Vereinigten Staaten von Amerika mit dem Bau von Talsperren vorgegangen. Diese dienen hier vielfach der Wasserversorgung der Städte. Hier ist zunächst der in den Jahren 1886–1888 mit einem Aufwand von 1 200 000 Fr. erbaute Sweetwater-Damm in Kalifornien zu nennen. Seine Stauhöhe betrug ursprünglich 18,3 m, wurde aber später auf 27,45 m gebracht. Die Länge der Mauerkrone beläuft sich auf 103,6 m. Der Radius, nach welchem die Mauer verläuft, beträgt 67,66 m. Die Entnahme des Wassers erfolgt von einem in 15 m Abstand von der Mauer errichteten Turm, von dem aus sieben Öffnungen, die in verschiedenen Höhenlagen angebracht sind, bedient werden können. Das Becken faßt 22 Mill. cbm und hat eine Oberfläche von 2,95 qkm. Den im Laufe eines Jahres[51] durch Verdunstung erfolgenden Wasserverlust schätzt man auf 1,22 m Wasserhöhe. Der in einem Nebental des Hudsons gelegene Croton-Damm liefert einen Teil der für New York erforderlichen Wassermenge; er hat einen Inhalt von 121 Mill. cbm und ein Niederschlagsgebiet von 349 qkm. Der Roosevelt-Damm in Arizona, der in den Jahren 1906–1911 mit einem Kostenaufwand von 15 Mill. Mk. errichtet wurde, faßt 1500 Mill. cbm und wäre imstande, 5200 qkm mit einer 0,3 m hohen Wasserschicht zu bedecken. Die Stärke der Mauer beträgt unten an der Wurzel 51,5 m, oben an der eine Fahrstraße tragenden Krone 5 m. Die Höhe der Mauer beträgt 85 m. Unterhalb des Dammes liegt eine Kraftstation, in welcher durch sechs Turbinen elektrischer Strom erzeugt wird, der auf 45 000 Volt transformiert und über Berge und wüste Strecken zu den Ortschaften Mesa und Phönix geleitet wird.
Sammelbecken von außergewöhnlichen Abmessungen umfaßt auch die neue Wasserversorgung von New York. Zu den allerneusten und größten Stauwerken gehört eines, das in der Wiege der Stauwerke, in Ägypten, in erweiterter Gestalt dem Betrieb übergeben wurde. Es ist dies der bei Assuan errichtete Nildamm. Dieser wurde im Jahre 1903 zuerst für eine Staumenge von 1000 Mill. cbm ausgeführt, in neuerer Zeit aber derart erhöht, daß er 1300 Mill. cbm staut und nach Bedarf zur Bewässerung Unterägyptens abgibt.
Die größte elektrische Kraftzentrale liegt an den Niagarafällen und versorgt über Hunderte von Kilometern hinaus zahlreiche industrielle Werke und Verkehrsanlagen mit Strom. Dort wurde im Jahre 1879 die erste Dynamomaschine mit einer Leistung von 36 Pferdekräften für die Beleuchtung der Fälle aufgestellt. Jetzt leisten die elektrischen Anlagen rund 850 000 Pferdestärken. Die aus den Niagarafällen zu erzielenden Pferdekräfte werden auf 2 500 000 P.S. geschätzt. Das größte Dampfkraftwerk der Erde, das bei Bitterfeld belegene Golpawerk wurde während des Krieges fertiggestellt und führt u. a. der Stadt Berlin mittels einer 132 km langen Leitung 30 000 Kilowatt zu.
Eine jede elektrische Kraftübertragungsanlage besteht aus folgenden Teilen: dem den Strom erzeugenden Kraftwerke (Wassermotoren, Dampfmaschinen, Großgasmaschinen), der Hochspannungsleitung, den Transformatoren, den den Strom am Verbrauchsort aufnehmenden Einrichtungen, bestehend in Motoren, Lampen, chemischen Apparaten usw.
Für die elektrische Kraftübertragung haben sämtliche Arten des elektrischen Stroms: Gleichstrom, Wechselstrom und Drehstrom Anwendung gefunden. Unter Gleichstrom versteht man diejenige Stromart, bei welcher der Strom wie ein ständig laufender Wasserstrahl stets in derselben Richtung sich bewegt. Der Wechselstrom ändert in rascher Folge seine Stärke und Richtung, und zwar in seiner üblichen Form fünfzigmal in der Sekunde. Man kann ihn mit dem in einer gewöhnlichen Kolbendampfmaschine wirkenden, hin- und hergehenden Dampfstrom vergleichen. Werden mehrere solcher Wechselströme benutzt, die ihre Richtung zu verschiedenen Zeiten wechseln, so erhält man den Mehrphasen- oder Drehstrom, so benannt, um ihn von dem Einphasenstrom zu unterscheiden. Um den Vergleich mit der Dampfmaschine beizubehalten, entspricht der Mehrphasen- oder Drehstrom dem in einer Mehrzylinder-Dampfmaschine mit gegeneinander versetzten Kurbeln arbeitenden Dampfstrom.
Der elektrische Strom besitzt eine gewisse Spannung und eine gewisse Stärke. Erstere entspricht, wenn wir uns des Vergleichs mit dem dahinströmenden Wasser weiter bedienen, dem Druck, letztere der Menge des dahinströmenden Wassers. Die Spannung wird in Volt, die Stromstärke in Ampere gemessen. Die Leistung erhält man durch die Multiplikation der in Volt gemessenen Spannung mit der in Ampere gemessenen Stromstärke. Das Produkt: 1 Volt mal 1 Ampere nennt man 1 Watt; 1000 Watt nennt man 1 Kilowatt. 0,6 Kilowatt entsprechen einer Pferdekraft.
Will man Gleichstrom für die Kraftübertragung benutzen, muß man in der Maschine selbst Strom von entsprechend hoher Spannung erzeugen. Dies ist schwierig und nur in gewissem Maße möglich. Nun ist aber die Kraftübertragung auf die hochgespannten Ströme angewiesen, wie nachstehende Überlegung ergibt. Der Querschnitt des zur Fortleitung des Stromes dienenden Drahtes ist proportional der zu befördernden Zahl der Ampere. Man kann also einen um so dünnern, das ist billigern Draht benutzen, je geringer die Zahl der Ampere ist. Der Wechselstrom hat dem Gleichstrom gegenüber den großen Vorzug, daß er sich auf sehr hohe Spannungen transformieren läßt. Hierbei verringert sich die Zahl der Ampere, so daß man den Strom in Leitungen geringen Querschnitts fortleiten und alsdann am Orte des Verbrauchs wieder auf Strom von der niedrigern für den jeweiligen Zweck geeigneten Spannung heruntertransformieren kann.[53] Demgemäß benutzt man Gleichstrom innerhalb von industriellen Anlagen und Ortschaften geringerer Ausdehnung und zum Betriebe von Straßenbahnen. Soll aber die Übertragung über beträchtlichere Entfernungen hin erfolgen, so benutzt man Wechselstrom, und zwar meist Drehstrom, da dieser hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit den Einphasenstrom übertrifft.
Die elektrische Kraftübertragung im heutigen Sinne datiert vom 25. August 1891. An diesem Tage wurde die Kraft des bei Lauffen belegenen Neckarfalls nach Frankfurt a. M. übertragen, und zwar anläßlich des dort tagenden Internationalen Elektrotechniker-Kongresses und der dort veranstalteten elektrotechnischen Ausstellung. Die Übertragung von 300 P.S. erfolgte hier mit 8000 Volt auf eine Entfernung von 170 km bei einem Wirkungsgrad von 75%. In Europa sind jetzt Überlandzentralen mit Spannungen bis zu 110 000 Volt, in Amerika sogar bis zu 140 000 Volt und mehr im Betriebe. Die Übertragung kann in wirtschaftlich einwandfreier Weise bis auf 5000 km erfolgen. Weitere Steigerungen auf größere Entfernungen und auf 200 000 bis 250 000 Volt Spannung liegen bereits im Bereiche technischer und wirtschaftlicher Möglichkeit. Die Verlegung der viele Kilometer entlang das Land überspannenden Leitungsnetze gestaltet sich häufig sehr schwierig, insbesondere dann, wenn breite Ströme oder Meeresarme zu überschreiten sind. Die größte Spannweite von 1463 m weist die den St. Lorenzstrom bei Three Rivers überschreitende Leitung auf. An den Ufern sind zwei Gittertürme von 107 m Höhe errichtet, die an ihren Spitzen zwei das Kabel tragende 31 m lange Arme besitzen.
Die Leben und Gesundheit bedrohenden Eigenschaften des elektrischen Stromes, die man anfangs stark unterschätzt hat, und die von den Freileitungen aus ihren verderblichen Weg nehmen können, sind geeignet, die Entwicklung des Luftverkehrs stark zu beeinträchtigen.
Jedes mit einer Freileitung in Berührung kommende Luftfahrzeug ist dem Verderben ausgesetzt. Hier eine alle Teile befriedigende Lösung zu finden, erscheint z. Z. unmöglich, und es wird von den Vertretern des Luftverkehrs die Forderung erhoben, die gefahrbringenden Freileitungen durch Kabel zu ersetzen oder unterirdisch zu verlegen. Man hat bisher versucht, unter großem Kostenaufwande die Freileitungen durch Blechhauben, farbige Ringe, Isolatoren usw., durch ungewöhnlich gefärbte oder gebaute Masten auf weite Entfernungen hin kenntlich zu machen. Alle diese Mittel versagen bei Dunkelheit und unsichtigem Wetter, werden auch meist erst dann erkannt, wenn es zu spät ist.
Die erste elektrische Eisenbahn wurde auf der Berliner Gewerbeausstellung im Jahre 1879 durch Werner Siemens in Betrieb gesetzt (Abb. 16). Auf Grund der mit dieser ersten, gewissermaßen nur einen Versuch bildenden Elektrobahn gemachten Erfahrungen erbaute sodann die Firma Siemens & Halske, Berlin, eine dem regelrechten Personenverkehr dienende Bahn zwischen dem Anhalter Bahnhof und der Hauptkadettenanstalt zu Lichterfelde bei Berlin. Es war dies die erste elektrische Eisenbahn der Welt im heutigen Sinne.
Werner Siemens hatte bereits erkannt, daß der elektrische Betrieb sich besonders für die Überwindung starker Steigungen, für Bergwerke und für städtische Hochbahnen eigne. Die Entwicklung der elektrischen Eisenbahnen hat sich in der Weise vollzogen, daß diese zunächst sich auf die von Werner Siemens vorstehend skizzierten Verhältnisse sowie auf den Betrieb von Straßenbahnen beschränkten, sich dann aber auch unter dem Vorgange Amerikas dem Betriebe der Fernbahnen zuwendeten. In den Vereinigten Staaten von Amerika ging man infolge der Stärke des dortigen Verkehrs mit dem Bau elektrischer Bahnen mit außerordentlicher Schnelligkeit vor. Schon im Jahre 1890 waren dort 2600 km elektrischer Eisenbahnen im Betrieb. Einige Jahre später begann auch in Europa eine Zunahme des elektrischen Betriebes, zunächst allerdings nur bei den Straßenbahnen. Vom Jahre 1911 aber setzte, unterstützt durch die Leistungen der deutschen Elektrizitätswerke, der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft, der Union Elektrizitäts-Gesellschaft, Siemens & Halske, Schuckertwerke, Bergmann A.-G. auch in Europa unter Führung der preußischen und der schwedischen Staatsbahnverwaltung, der Bau von elektrischen Vollbahnen kräftig ein. Schon im Jahre 1903 waren von der Studiengesellschaft für elektrische Schnellbahnen auf der Strecke Marienfelde–Zossen Versuche mit elektrischen Lokomotiven der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft und der Firma Siemens & Halske angestellt, die Fahrgeschwindigkeiten von mehr als 200 km in der Stunde ergaben, also die Geschwindigkeiten der Dampflokomotiven verdoppelten. Hier wurde hochgespannter Drehstrom benutzt, der den Motoren durch drei seitlich des Gleises angeordnete Drahtleitungen zugeführt wurde. Die Gründe, die die Preußische Staatsbahnverwaltung dazu geführt haben, für den Betrieb[55] von Vollbahnen den elektrischen Strom, und zwar den sog. einphasigen Wechselstrom zu benutzen, sind die folgenden. Für Fernbahnen und Güterverkehr ist der Betrieb mittels Gleichstrom von niedriger Spannung zu kostspielig. Bei Verwendung von Drehstrom ist allerdings ein elektrischer Betrieb von Fernbahnen möglich, jedoch ist – abgesehen von der erforderlichen doppelten Leitung – die notwendige Wirtschaftlichkeit nur bei wenigen bestimmten Geschwindigkeiten zu erzielen, wodurch die Anwendbarkeit des Drehstroms stark beschränkt wird. Demgegenüber bietet der einphasige Wechselstrom eine Betriebsform der elektrischen Zugförderung, die den Anforderungen des Eisenbahnbetriebes in weitestem Umfange zu genügen vermag. Er gestattet, elektrische Leistung mit sehr hoher Spannung und daher in praktisch fast unbegrenzter Größe auf weite Entfernungen zu übertragen und den Triebfahrzeugen oder Lokomotiven durch eine einfache Fahrleitung, ähnlich wie bei den Straßenbahnen, zuzuführen. Auch können Triebmaschinen verwendet werden, die sich in vollkommenster Weise den wechselnden Bedingungen des Bahnbetriebes anpassen.
Die elektrische Zugbeförderung hat gegenüber dem Dampfbetrieb folgende Vorzüge: geringeres Gewicht der Antriebseinrichtungen, bezogen auf die Einheit der Leistung; wesentliche Ersparnis an Brennstoff bei dichter Zugfolge, bei kurzen Abständen der Haltepunkte, bei schwerem Verkehr und großer Fahrgeschwindigkeit, sowie auf Strecken mit starken und langen Steigungen; Möglichkeit, Wasserkräfte sowie minderwertige Brennstoffe, wie Braunkohlen und Torf, für die Beförderung der Züge nutzbar zu machen; Rückgewinnung von Arbeit im Gefälle; geringere Unterhaltungskosten der Triebfahrzeuge; geringere Aufwendungen für die Fahrmannschaft, da elektrische Triebfahrzeuge nur mit einem Mann besetzt zu werden brauchen; die Fahrkurbel kann so eingerichtet werden, daß der Zug selbsttätig zum Stillstand gebracht wird, wenn der Fahrer sie nicht in ganz bestimmter Weise handhabt, was eintreten würde, wenn der Fahrer dienstunfähig wird; geringer Raddruck der Triebfahrzeuge und daher geringere Beschaffungs- und Unterhaltungskosten des Oberbaues, weil die Anzahl der Triebachsen weniger beschränkt ist als bei Dampflokomotiven. Auch lassen sich elektrische Lokomotiven leistungsfähiger als Dampflokomotiven und in solcher Bauart herstellen, daß sie enge Krümmungen ohne wesentlichen Zwang durchfahren können. Hierdurch wird es möglich, bei Anlage neuer Bahnen diese dem Gelände besser anzupassen als Dampfbahnen, was unter Umständen eine erhebliche Verminderung der Baukosten zur Folge hat. Ferner läßt sich ein vorhandenes Bahnnetz besser ausnutzen, da gegenüber Dampfbetrieb die Zugfolge mehr verdichtet, die Zugbelastung und Geschwindigkeit erhöht werden können und auch Bahnen mit ungünstigen Steigungs- und Krümmungsverhältnissen dem großen Verkehr, dem sie sonst schwer zugänglich sind, dienstbar werden. Zu diesen Vorzügen treten dann noch Ersparnisse hinzu, die sich aus dem Wegfall der Kohlenvorräte, der Wasserstationen, Gasanstalten und der besonderen Elektrizitätswerke zur Beleuchtung und Kraftversorgung der Bahnhöfe und Werkstätten ergeben. Der Personenverkehr kann durch Einlegen von mit Akkumulatoren betriebenen Triebwagenfahrten in Fahrplanlücken mit verhältnismäßig geringem Mehraufwand verbessert werden. Auch ist es möglich, den Lokomotivbestand wegen der kürzeren Ruhepausen besser auszunutzen und die Anzahl der Lokomotivgattungen einzuschränken, weil die elektrische Ausrüstung bei Güter- und Personenzuglokomotiven die gleiche ist, und nur für den Schnellzugdienst besondere Lokomotiven erforderlich sind.
Andrerseits läßt sich bei Prüfung der Wirtschaftlichkeit des elektrischen Betriebes im Vergleich zum Dampfbetrieb nicht verkennen, daß die Kraftwerke und die Leitungen bedeutende Anlagekosten und daher auch einen großen Aufwand an Zinsen und Rücklagen beanspruchen. Hieraus folgt, daß elektrischer Betrieb auf Bahnen mit schwachem Verkehr dem Dampfbetrieb wegen schlechter Ausnutzung der teuren Anlagen nachsteht, wenn nicht ein Ausgleich durch Abgabe elektrischer Energie für Nebenzwecke möglich ist. Demnach ist der elektrische Betrieb in erster Linie für Bahnen mit erheblichen Leistungen ins Auge zu fassen, und namentlich für solche, wo die elektrische Energie aus Wasserkräften oder aus billigen Brennstoffen gewonnen werden kann.
Hinsichtlich der Zuverlässigkeit steht der elektrische Betrieb, wie die bereits vorliegenden reichen Erfahrungen lehren, hinter dem Dampfbetrieb nicht zurück. Störungen, die durch Unfälle in einem Kraftwerk verursacht werden, können durch Bereithaltung von Aushilfsmaschinen oder durch Anlage mehrerer untereinander verbundener Stromerzeugungsanlagen vermieden werden. Die neuesten Hilfsmittel der Technik gewährleisten eine sehr betriebssichere Herstellung der Leitungsanlagen und Triebfahrzeuge. Aus allen diesen Umständen hat die preußische Staatsbahnverwaltung es als ihre unabweisbare Pflicht erkannt, die Einführung der elektrischen Zugförderung mit Nachdruck zu betreiben.
Auf Grund aller dieser Erwägungen ging man dann im Gebiete der preußisch-hessischen Staatsbahnen mit der Einführung des elektrischen Betriebes vor. Die hierzu erforderlichen Vorarbeiten konnten als abgeschlossen gelten, nachdem eine größere Anlage, die Stadt- und Vorortbahn Blankenese–Ohlsdorf, die Brauchbarkeit des elektrischen Betriebes mit einphasigem Wechselstrom ergeben hatte.
Die erste seitens der preußischen Staatseisenbahn-Verwaltung in Betrieb gesetzte elektrische Fern-Eisenbahn ist die Linie Magdeburg–Bitterfeld–Leipzig und Leipzig–Halle a. d. S. Zunächst hat man die Strecke Dessau–Bitterfeld elektrisiert und ist auf Grund der hier gemachten Erfahrungen zu der Elektrisierung der übrigen Strecke übergegangen, von denen die von Magdeburg nach Leipzig 118 km lang ist. Die ursprünglich auf 10 000 Volt bemessene Fahrdrahtspannung ist auf Grund der mit der Fahrleitungsanlage Dessau–Bitterfeld gemachten günstigen Erfahrungen auf 15 000 Volt erhöht. Das[58] den elektrischen Strom liefernde Kraftwerk liegt bei dem Dorfe Muldenstein bei Bitterfeld und benutzt als Brennstoff die dort zu billigem Preise zur Verfügung stehende Braunkohle. Die Betriebsmaschinen dieses Kraftwerks sind 5 Dampfturbinen von je 5000 P.S. Der Strom von 60 000 Volt Spannung wird durch eine kupferne Leitung nach Bitterfeld und sodann zu den Unterwerken: Gommern bei Magdeburg, Marke zwischen Dessau und Bitterfeld, Wahren zwischen Halle und Leipzig geleitet. In diesen Unterwerken wird die Spannung auf 15 000 Volt heruntertransformiert.
Die Fahrleitung wird von eisernen Masten getragen. Auf der Strecke Dessau–Bitterfeld stehen dieselben in Abständen von je 75 m; auf den übrigen Strecken ist dieser Abstand auf 100 m erhöht. Hierdurch wird außer einer Verminderung der Porzellanisolatoren auch eine bessere Übersichtlichkeit der freien Strecke und hiermit eine bessere Sichtbarkeit der Signale erzielt. Das Tragseil der Fahrleitung besteht auf der freien Strecke großenteils aus Stahl, teilweise auch aus Bronze. Auf denjenigen Bahnhöfen, auf denen neben den elektrischen Lokomotiven auch Dampflokomotiven verkehren, wird die gegen die Rauchgase weniger empfindliche Bronze oder sog. Monnotmetall, Kupferpanzerstahl, verwendet.
Auf der Strecke schwillt der Verkehr zur Zeit der Rübenernte stark an. Die Gewichte der Personenzüge betragen durchschnittlich 170 t, diejenigen der Schnellzüge 130 t, die der Güterzüge schwanken zwischen 600 t und 1500 t. Die Lokomotiven besitzen einen oder zwei hochliegend angeordnete Triebmotoren, die ihre Energie unter Vermittlung einer Blindachse auf die Treibachsen übertragen. Die Vorteile dieser Bauart liegen in der durch die hohe Schwerpunktslage gewährleisteten guten Lauffähigkeit der Lokomotiven, in der Zugänglichkeit der Triebmotoren auch während der Fahrt. Abb. 17 stellt einen Personenzug einer elektrischen Vollbahn nebst den Drahtleitungen dar.
Unter den elektrischen Fernbahnen steht, was Überwindung der bei dem Bau in die Erscheinung tretenden Schwierigkeiten betrifft, an erster Stelle die zur Spitze der Jungfrau (Abb. 18), führende elektrische Eisenbahn. Sie geht von der Station Klein-Scheidegg der Wengernalpbahn in einer Meereshöhe von 2063 m aus und wird mit einer Gesamtlänge von 12 km bis zur Spitze der Jungfrau (4166 m über dem Meere) hinaufgeführt. Sie ist im Hinblick auf die zu überwindenden starken Steigungen als Zahnradbahn von 1 m Spurweite aus[59]gebildet. Die einzelnen Stationen sind, von Scheidegg ab beginnend: Eigergletscher, Rothstock, Eigerwand, Eismeer, Jungfraujoch, Jungfrau. Die Station Jungfrau liegt etwa 70 m unter dem Gipfel; dieser letzte Höhenbetrag wird durch einen senkrechten Aufzug überwunden.
Die größte Steigung beträgt 250 ‰; die kleinsten Krümmungsradien betragen in den Tunneln 200 m, auf der freien Strecke 100 m. Der bei weitem überwiegende Teil der Bahn liegt in Tunneln; nur 2,2 km, nämlich von Scheidegg bis kurz hinter Eigergletscher, liegen frei. Der Betrieb erfolgt durch Drehstrom. Dieser wird mit 7000 Volt Spannung in einem bei Lauterbrunnen belegenen Kraftwerk erzeugt, nach der Kleinen Scheidegg geleitet und hier für den Lokomotivenbetrieb auf 500 Volt umgeformt. Den Lokomotiven wird der elektrische Strom durch eine Oberleitung zugeführt; jede Lokomotive hat 2 Motoren von je 150 P.S. Die Fahrgeschwindigkeit beträgt nicht über 8,5 km in der Stunde. Zur Sicherung der Züge sind drei voneinander unabhängige Bremseinrichtungen vorgesehen, von denen jede einzelne den ganzen Zug halten kann.
Die Stationen sind in den Fels eingesprengt, jedoch mit Öffnungen nach der Außenseite des Berges zu ausgestattet, um einen Überblick [61] über die Welt des Hochgebirges zu ermöglichen. Die ganze Bahn ist fast ein einziger scharf aufsteigender Tunnel. Die Station Eigergletscher wurde, nachdem mit den Bauarbeiten im Jahre 1896 begonnen war, am 19. September 1898 dem Verkehr übergeben; ihr folgte am 18. Juni 1903 die Station »Eigerwand« und am 25. Juli 1905 die Station »Eismeer«. Der Bau ruhte nun bis zum Winter 1907. Man befolgte nämlich bei dem Bau der Jungfraubahn das Prinzip der stufenweisen Vollendung, da diese sich als finanziell vorteilhaft erwiesen hat. Ursprünglich sollte die ganze Linie innerhalb von 7 Jahren mit einem Kostenaufwande von 8 000 000 Fr. ausgeführt werden. Nun stellte sich aber, wie bei vielen anderen Riesenwerken, alsbald heraus, daß die veranschlagten Baukosten erheblich überschritten werden mußten und zwar allmählich um 2 000 000 Fr. Das zu durchbohrende Gestein zeigte nämlich eine derartige Härte, daß der laufende Meter des Tunnels über 1000 Fr. kostete. Dadurch, daß man in die Bauarbeiten Pausen einschaltete, erreichte man eine bessere Verzinsung des aufgewendeten Kapitals.
Die Tunnelstrecke Eismeer–Jungfraujoch hat eine Länge von 3,5 km und wurde am 1. August 1912 eröffnet. Man begann zunächst hinter der Station Eismeer mit dem Ausbruch eines Raumes zur Aufnahme der Einrichtungen für den Betrieb der Bohrmaschinen und für die Aufrechterhaltung der Lüftung. Auch trieb man einen Querstollen ins Freie hinaus, aus dem man das ausgebrochene Gestein in die Tiefe hinabstürzte. Im Juni 1911 brach man einen zweiten Hilfsstollen, den 60 m langen Mönchsstollen zur Südwestwand des »Mönch« hindurch, wodurch die Ventilation erheblich verbessert und der Abwurf des losgesprengten Materials wesentlich erleichtert wurde. Der Vortrieb des Tunnels betrug wegen der großen Härte des Gesteins (Gneis) nur etwa 3,5 m täglich.
Die für die Rentabilität der Bahn erforderliche Zahl von jährlich 50 000 Besuchern wurde bereits im Jahre 1911 um 34 000 überschritten.
Von besonderem Interesse ist die am 1. Juli 1913 dem Betriebe übergebene Lötschbergbahn, deren Bedeutung darin besteht, daß sie Deutschland und Nordfrankreich sowie der nördlichen Schweiz einen bequemen Zugang zum oberen Rhonetal und an die Simplonlinie ermöglicht. In diese geht sie bei Brig in Wallis über. Die Länge beträgt 74 km. Außerordentlich waren auch hier die zu überwindenden[62] Terrainhindernisse; unter den zahlreichen Bauten sind der 1665 m lange Kehrtunnel bei Fürthen, der von uns bereits auf S. 30 behandelte 14 536 m lange Lötschbergtunnel und außerdem noch 12 Tunnel besonders hervorzuheben. Die höchste Steigung beträgt 27%; die kleinsten Radien der Krümmungen sind 300 m. Die elektrischen Lokomotiven haben 5 miteinander gekuppelte Achsen und außerdem vorn und hinten je eine Laufachse. Sie besitzen 2500 P.S. und können auf einer Steigung von 17% einen Zug von 530 t und auf einer Steigung von 27% einen Zug von 310 t mit einer Stundengeschwindigkeit von 50 km befördern. Ihre Maximalgeschwindigkeit beläuft sich auf 75 km in der Stunde. Die Lokomotiven haben folgende Abmessungen: Größte Länge über die Puffer gemessen 16,000 m; totaler Radstand 11,340 m; Triebraddurchmesser 1,350 m; Laufraddurchmesser 0,850 m; maximaler Achsdruck 16,6 t; Totalgewicht 104 t; Reibungsgewicht 78,2 t.
Zum Gipfel des Montblanc führen zwei Zahnradbahnen und eine Seilschwebebahn. Die eine Zahnradbahn hat Höchststeigungen von 250‰ und kleinste Krümmungen von 50 m Radius. Sie führt von dem 580 m über dem Meere gelegenen Le Fayet zu dem Aiguille du Gouter (3820 m über dem Meere) hinauf und ist etwa 18,5 km lang. Auf ihrer obersten Strecke verlaufen 3,1 km in einem Tunnel.
Gegenwärtig steht das gesamte Eisenbahnwesen im Zeichen der Elektrisierung, der Umstellung des Dampfbetriebes auf elektrischen Betrieb. Die preußische Staatsbahnverwaltung hat außer der bereits erwähnten Strecke Dessau–Bitterfeld auch die Elektrisierung der 270 km langen Strecke Lauban–Königszelt und der Berliner Stadtbahn in Angriff genommen und ihre durch den Krieg, insbesondere den Mangel an Kupferfahrdraht unterbrochenen Arbeiten wieder aufgenommen. Die bayerischen Bahnen werden, beginnend mit der Linie München–Partenkirchen, von dem »Bayernwerk« aus mit Strom versorgt werden. In Schweden wird bereits seit einigen Jahren die im Norden liegende 130 km lange Reichsgrenzenbahn elektrisch betrieben, und weitere Elektrisierungen folgten. In der über billige Wasserkräfte verfügenden Schweiz ging zuerst die Gotthardbahn mit ihrer 110 km langen Strecke Erstfeld–Bellinzona vor, um sodann zur Elektrisierung des gesamten 266 km langen Netzes Luzern–Chiasso überzugehen. Unter dem Druck der durch den Weltkrieg verursachten Kohlennot wurden diese Arbeiten beschleunigt und im Jahre 1918[63] wurde beschlossen, die gesamten 2750 km umfassenden Schweizer Bundesbahnen im Laufe von 30 Jahren auf elektrischen Betrieb umzustellen. Auch in den Vereinigten Staaten von Amerika verbreitet sich der elektrische Betrieb andauernd, und in England wurde am Anfang des Jahres 1920 ein Ausschuß eingesetzt, um die grundlegenden Fragen zu beraten. Von ausschlaggebender Wichtigkeit ist die Wahl der Stromart: Gleichstrom, Drehstrom und Einphasenwechselstrom. Der Gleichstrombetrieb, der aus dem Stadtbetriebe übernommen wurde, kommt im Fernbahnbetrieb nur gemeinsam mit Erzeugung von Drehstrom und Umformung in Gleichstrom zur Verwendung. Das Gleichstromsystem ist erst durch seine neuerdings erfolgte Entwicklung für Betriebsspannungen bis zu 3000 Volt wirtschaftlich verwendbar geworden. Dasselbe befindet sich neben dem Einphasensystem in den Vereinigten Staaten in Benutzung, deren größte elektrische Bahnanlage mit 3000 Volt Gleichstrom betrieben wird. Von Amerika aus soll eine Vorliebe für den Gleichstrom sich auf Frankreich übertragen haben. Das Drehstromsystem mit seinem bezüglich der Geschwindigkeit schwer zu regulierenden Drehstrommotor und mit seiner den Bau der Kreuzungen und Weichen sehr erschwerenden zweipoligen Fahrleitung wird nur noch von den italienischen Staatseisenbahnen benutzt. Das Einphasensystem mit seinem einpoligen Fahrdraht und seiner hohen Arbeitsspannung ermöglicht eine Kraftübertragung von einfachster Form. Zu den vorgenannten Systemen kommen dann noch gemischte Systeme hinzu, ohne jedoch zu erheblicher Verbreitung zu gelangen. Als normale Stromart ist in Deutschland, der Schweiz, Österreich, Schweden, Norwegen Einphasenwechselstrom von 15 000 Volt und 16⅔ Perioden angenommen. Im Jahre 1920 waren von dem 35 0000 km umfassenden europäischen Bahnnetz etwa 2000 km, von den 585 000 km umfassenden amerikanischen Bahnen etwa 4000 km für elektrische Zugbeförderung eingerichtet.
Die von den Hoch- und Untergrundbahnen, den Stadtschnellbahnen, zu lösende Verkehrsaufgabe bringt der Direktor der Berliner Hochbahngesellschaft, Geh. Baurat P. Wittig, treffend mit folgenden Worten zum Ausdruck: »Wie sind die Entfernungen zu überwinden, die sich innerhalb der riesenhaft anwachsenden Groß[64]städte auftun, deren Durchmessung für die großen Volksschichten, denen die Wirtschaftsgesetze moderner Kulturentwicklung die großstädtischen Erwerbs- und Daseinsformen aufgenötigt haben, zur täglichen Notwendigkeit wird?« Tatsächlich bildet die sachgemäße Ausbildung der die verschiedenen Stadtteile und Vororte schnell und billig miteinander verbindenden Eisenbahnen eine der wichtigsten Lebensbedingungen der Großstädte.
Die erste unterirdische Schnellbahn wurde im Jahre 1863 in London eröffnet; sie wurde mit Dampf betrieben. In New York wurden die ersten Hochbahnen, auf denen mittels Dampflokomotiven beförderte Züge verkehrten, im Jahre 1878 dem Betriebe übergeben. Die unter- oder oberirdische Führung des Schnellverkehrs ist erforderlich, um den Fußgänger- und Fuhrwerksverkehr der Straßen nicht zu gefährden. Dieser erfordert, daß die Straßenbahnen eine mittlere Geschwindigkeit von 15 km in der Stunde nicht überschreiten, eine Geschwindigkeit, die für die Erzielung des städtischen Schnellverkehrs viel zu gering ist. Als fernerer, auf den Bau von Hoch- und Untergrundbahnen hindrängender Umstand ist dann noch die oft zu geringe Breite der Straßen zu nennen.
Als Betriebsmittel für die Hoch- und Untergrundbahnen kommt gegenwärtig nur die Elektrizität in Frage. Die Vorteile, die sie gegenüber der Dampfkraft, abgesehen von dem Fortfall der Rauchentwicklung, bietet, sind: Fortfall der Lokomotiven und Verteilung der Triebkraft auf die einzelnen Wagen, schnelles Anfahren und Anhalten, Möglichkeit, die Stärke der Kraft leicht zu wechseln und größere Steigungen und engere Krümmungen zu durchfahren. Der elektrische Strom hat außerdem noch den großen Vorzug, daß er neben der Kraft auch noch das Licht darbietet.
Der Stadtschnellverkehr im heutigen Sinne beginnt mit dem Jahre 1900, und zwar mit der Pariser Untergrundbahn und der Zentral-Londonbahn. Zurzeit verfügen folgende Großstädte über ein Netz von Untergrund- und Hochbahnen: London, Paris, Berlin, Budapest, New York, Boston, Chicago, Philadelphia, Madrid, Buenos Aires. In diesen Städten drängten die Bevölkerungsverhältnisse gebieterisch hin auf den Bau von Verkehrsmitteln, die die inneren Stadtteile mit der Außenstadt verbanden und der Bevölkerung gestatteten, im Innern der Stadt den Erwerb zu suchen, dagegen in den billigeren Vororten ihr Heim aufzuschlagen.
Der Bau der Stadtschnellbahnen hat die inneren Bezirke der Städte entvölkert. Dies tritt besonders kraß bei der Londoner City in die Erscheinung. Diese zählte im Jahre 1850 an 300 000 Einwohner, besitzt aber heute kaum noch Wohnstätten in erheblicher Zahl. Täglich strömen hier an 1½ Mill. Menschen dem Stadtinnern zu, um abends wieder nach außerhalb zu eilen. Nachstehend lassen wir eine kurze Beschreibung einiger Stadtschnellbahnen folgen:
Berlin verfügt sowohl über Hoch-, als auch über Untergrundbahnen, deren erste Stammlinie Zoologischer Garten–Potsdamer Platz–Warschauer Brücke im Jahre 1902 eröffnet wurde. Die Bahn ist normalspurig und überall zweigleisig ausgeführt. Sie verläuft zur Hälfte auf Hochbahn-, zur Hälfte auf Untergrundstrecken. Die Krümmungshalbmesser gehen bis auf 80 m herab; das stärkste Gefälle beträgt 31,3 ‰. Die Entfernung der Stationen beträgt im Mittel 0,85 km. Die Hochbahnstrecken verlaufen meist auf Eisenviadukten oberhalb von Straßen. Einer der schwierigsten Teile des Baues ist der zwischen dem Leipziger Platz und dem Spittelmarkt belegene; derselbe verursachte einen Kostenaufwand von 10 Mill. Mk. für das km.
Im Verlaufe des Jahres 1913 sind die Strecken Spittelmarkt–Alexanderplatz–Schönhauser Allee sowie Wittenbergplatz–Wilmersdorf–Dahlem dem Verkehr übergeben; letztere verläuft teils als Untergrund-, teils als Einschnittbahn. Die Strecke Spittelmarkt–Alexanderplatz unterfährt die Spree in einem mit seiner Sohle 10 m unter dem Spreespiegel liegenden Tunnel, dessen Bau durch einen Wassereinbruch eine erhebliche Verzögerung erfahren hat. Dieser Tunnel ist 125 m lang und ganz in Eisenbeton ausgeführt; er hat 4½ Mill. Mk. erfordert. An beiden Enden des Tunnels befinden sich zwei Lüftungsschächte, die zur Ventilation des Tunnels dienen und im Falle der Not als Aussteigschächte benutzt werden können. Außerdem ist an jedem dieser Schächte eine schnell aufzustellende Bohlenwand vorgesehen, um den Tunnel schnell abschließen zu können.
Der Bahnhof »Alexanderplatz« wird, wenn die Strecke zur Frankfurter Allee ausgeführt werden wird, zweietagig ausgeführt werden; die obere Etage gehört der Linie Klosterstraße–Schönhauser Allee, die untere der Linie Klosterstraße–Frankfurter Allee an. Außer dem Spreetunnel war auf der Strecke Spittelmarkt–Schönhauser Allee noch ein zweites interessantes Bauwerk auszuführen; es war dies die Kreuzung[66] mit dem Notauslaß der Berliner Kanalisation. Abb. 19 zeigt den Übergang von der Hoch- zur Untergrundbahn am Nollendorfplatz.
Die immer weitergehende Ausgestaltung der Berliner Hoch- und Untergrundbahn hat eine sehr starke Vermehrung des Zugumlaufes zur Folge. Demgemäß ist Vorsorge getroffen, daß in Zeiten großen Verkehrsandranges auf den Stammlinien 40 bis 50 Züge von je 8 Wagen mit je einem Fassungsvermögen von 500 Personen stündlich in jeder Richtung abgefertigt werden können. An Stelle der bisherigen, mit der Hand bedienten Signaleinrichtungen, die einem solchen Betriebe nicht gewachsen sind, tritt eine selbsttätige Sicherungsanlage der englischen Firma Mc. Kenzie, Holland und Westinghouse, die sich auf den Londoner Stadtschnellbahnen bewährt hat. Dieselbe besitzt eine derartige Anpassungsfähigkeit, daß sie eine beliebig weitgehende Aufteilung der Stationsabstände in einzelne Streckenabschnitte ermöglicht. Zur Zeit befinden sich zwei weitere Untergrundbahnen im Bau, die den Norden mit dem Süden Berlins in Verbindung bringen sollen.
Die mittlere Spannung des Betriebsstromes (Gleichstrom) beträgt 750 Volt. Derselbe wird zum Teil unmittelbar als Gleichstrom erzeugt, zum Teil in Unterstationen aus Drehstrom von 10 000 Volt umgeformt.
In London wurde im Jahre 1890 die erste elektrische Untergrundbahn geschaffen, die City- und Südlondonbahn, an die sich dann die kurze City- and Waterloobahn anschloß. Das Jahr 1900 brachte die Eröffnung der Zentral-Londonbahn, der sich im Jahre 1904 die Great Northam und Citybahn anschloß. Diese vier Linien schufen ein 25 km umfassendes Netz von Röhrenbahnen im verkehrsreichsten Teile der Stadt. Es folgte sodann eine weitere Gruppe von Röhrenuntergrundbahnen, die Bakerloobahn, (Abkürzung von Bakerstreet-Waterloobahnhof) eröffnet 1906, die Piccadillybahn, eröffnet 1906 und die Hampsteadbahn, eröffnet 1907. Diese Bahnen und die der City bilden ein Röhrennetz von 60 km doppelgleisiger Bahnen. Sie liegen in 20 bis 50 m Tiefe; die Verbindung mit dem Niveau der Straße erfolgt durch elektrische Fahrstühle. Der Bau der Tunnel erfolgte mittels Schildvortriebs. Außerdem greift eine Anzahl elektrisch betriebener Bahnen mit einem über 100 km umfassenden Bahnnetz in das Außengebiet Londons ein.
Das eigentliche, geschlossen bebaute London besteht in der Grafschaft London. Das Gebiet der von London abhängigen Vororte, d. h. Außen-London wird etwa durch die Grenzlinie des hauptstädtischen Polizeibezirks, die auch im wesentlichen die wirtschaftliche Einheit Groß-London umschließt, von dem offenen Lande abgegrenzt. Nach Kemmann vollzog sich innerhalb dieser Gebiete die Bevölkerungszunahme wie folgt:
Zunahme im | Innerhalb der | In Außen-London | In Groß-London |
Jahrzehnt | Grafschaft | ||
1891–1901 | +308 313 | +639 283 | +947 596 |
1901–1911 | - 13 306 | +684 867 | +671 561 |
Paris besitzt ein sehr dichtes Netz von Hoch- und Untergrundbahnen. Besondere Schwierigkeiten bereitete die Unterbohrung der beiden Seinearme mit der Cité-Insel. Hier erfolgte der Bau auf einer längeren Strecke unter Wasser durch Versenken großer, mittels Druckluft niedergebrachter Caissons (Abb. 20). Ein zweiter Seinetunnel ist mit Schildvortrieb ausgeführt. Die übrigen Kreuzungen der Seine erfolgen auf Brücken. Die Bauausführung der Untergrundbahnstrecken geschah bei einzelnen Strecken im Tagebau, im allgemeinen aber im bergmännischen[68] Verfahren, für das der weiche Kalksteinuntergrund die günstigsten Bedingungen bot. Schwierig gestaltete sich der Bau dort, wo die Tunnel durch unterirdische Steinbrüche geführt werden mußten.
Die einzelnen Linien sind völlig unabhängig voneinander, an jedem Ende mit Rückkehrschleifen abgeschlossen, die in Umsteigebahnhöfe zusammengeleitet werden. Die Züge gehen während des regelmäßigen Betriebes nirgends von einer Linie zu einer anderen über. An den Schnittpunkten muß umgestiegen werden. Für die einzelnen Linien hat man zur Bequemlichkeit des Publikums die Nummernbezeichnung eingeführt; dieselbe gibt im wesentlichen auch die Reihenfolge ihres Ausbaus wieder.
In New York drängt sich das geschäftliche Leben und der Verkehr in dem südlichsten Teile der Manhattan-Insel zusammen, und zwar entsprechend dem Beginn und dem Schluß der Geschäftszeit, mit einer bestimmten Regelmäßigkeit. Die Stadtschnellbahnen New Yorks bestehen in Hochbahnen und in Untergrundbahnen. Erstere sind als einfachste Eisenkonstruktionen ausgeführt, auf denen die Schienen ohne Zwischenlagen aufgelagert sind, so daß der Regen hindurchfallen kann, und man von unten nach oben und umgekehrt hindurchblicken kann. Die Untergrundbahn ist zum Teil viergleisig. Die mittleren Gleise dienen dem Expreßverkehr. Dieser überschlägt eine Anzahl von Stationen und bietet daher eine schnellere Beförderung dar als die Lokalzüge. Der Verbindung Manhattans mit den durch den Hudson und den East River getrennten Bezirken New Jersey und Brooklyn dienen eine große Anzahl von Brücken und Tunneln. Bereits im Jahre 1883 wurde der East River überbrückt; im Laufe der Jahre folgten die Manhattanbrücke, die Williamsburger Brücke, die Blackwells-Island-Brücke, die Hellgate-Brücke. Die Zahl der Unter[69]wassertunnel beträgt 14; sie dienen teils dem Betriebe von Stadtschnellbahnen, teils dem Fernverkehr.
Die Gesamtlänge der New Yorker Hoch- und Untergrundbahnen beträgt 480 Gleis-Kilometer, deren Verdoppelung bevorsteht.
In dem Viereck zwischen der 7. und 9. Avenue und der 31. und 33. Straße ist der Durchgangsbahnhof der Pennsylvania-Bahn errichtet, die früher jenseits des Hudsons in Jersey City endete und jetzt durch einen Tunnel unter dem Hudson nach New York hineingeführt und durch einen anderen Tunnel unter dem East River nach Long Island weiter geleitet ist. Die Gleise und Bahnsteige mußten in mehr als 12 m Tiefe unter Straßenhöhe angelegt werden, da die Bahn infolge der Untertunnelungen tief angelegt werden mußte und städtischerseits verlangt wurde, daß an den Straßenkreuzungen die Möglichkeit gelassen werden sollte, über der Bahn städtische Untergrundbahnen hinzuführen.
Zwei weitere Unternehmungen, die 4. Avenuebahn in Brooklyn und die sog. Centrestraßenschleife in Manhattan befinden sich in Vorbereitung.
Philadelphia besitzt 12 km Stadtschnellbahnen; hiervon sind 8 km als Hochbahn, 4 km als Untergrundbahn ausgeführt; erstere haben im Gegensatz zu der New Yorker Bauweise eine geschlossene Fahrbahn. Die Schnellbahnen Philadelphias sind durch Umsteigebahnhöfe an Städtebahnen angeschlossen, d. h. an Bahnen, welche, indem sie teils auf, teils neben Straßen verlaufen, zwei oder mehrere Städte durch häufige Fahrgelegenheit miteinander verbinden. Diese Städtebahnen haben sich in den Vereinigten Staaten zu einem vollständigen System von Überlandbahnen entwickelt.
Die elektrischen Schnellbahnen Chicagos bestehen in vier Hochbahnen. Jenseits der eigentlichen Geschäftsstadt verläuft eine 3,2 km lange Hochbahnschleife, die Union loop, auf welche die von den verschiedenen Seiten heraneilenden Hochbahnzüge übergehen, um das Geschäftsviertel zu durchfahren. Ein Teil der von außen herankommenden Hochbahnen endigt außerdem in Kopfbahnhöfen, die vor der genannten Schleife liegen.
Die Betriebsverhältnisse sind hier überaus schwierig, da die sämtlichen Hochbahnen auf der Schleife miteinander verkettet sind. Die Benutzung der Schienengleise der Hochbahnschleife ist auf die vier Hochbahnen in der Weise verteilt, daß zwei das Innengleis, zwei[70] das Außengleis benutzen. Die hiermit verbundenen Übelstände haben bereits Anlaß gegeben zu grundlegenden Änderungsvorschlägen, die auf dem Bau von Untergrundbahnen beruhen.
Für die Beförderung von Gütern besitzt Chicago ein schmalspuriges Untergrundbahnnetz von 97 km Gleislänge. Dasselbe verzweigt sich über das gesamte Geschäftsviertel und besitzt Anschluß an 26 Güterbahnhöfe, sämtliche Personenbahnhöfe und zahlreiche gewerbliche Anlagen und öffentliche Anstalten. Die Tunnel liegen etwa 10 m unter der Straßenfläche. Die Züge werden mit geringer Geschwindigkeit durch elektrische Lokomotiven befördert.
Die Baukosten der Hoch- und Untergrundbahnen sind wegen der zu überwindenden großen technischen Schwierigkeiten selbstverständlich sehr hoch. Sie schwankten bei Untergrundbahnen zwischen 5 bis 10 Mill. Mk. für 1 km. Die letztgenannte Summe mußte bei der Berliner Untergrundbahn für die Strecke Leipziger Platz–Spittelmarkt aufgewendet werden, und zwar in Folge großer und wertvoller Gebäude, die unterfahren werden mußten. Der Bau des 125 m langen Spreetunnels kostete etwa 4½ Mill. Mk.
Bei Hochbahnen schwankten die Kosten zwischen 2 bis 3 Mill. Mk. für 1 km. Der Weltkrieg hat hier wie überall eine Vervielfachung der Kosten zur Folge gehabt.
Im Jahre 1888 erbrachte Professor Heinrich Hertz in Bonn den Nachweis, daß alle Strahlungserscheinungen elektromagnetische Oszillationen im Weltäther sind, die sich nur durch die Größe der Wellenlänge voneinander unterscheiden. Diese Hertzsche Wellentheorie steht in Übereinstimmung mit dem, was Goethe in bewundernswerter Voraussicht zum Ausdruck gebracht hat, indem er im Jahre 1825 in seinem »Versuch einer Witterungslehre« unter dem Stichwort »Elektrizität« wörtlich sagt: »Diese darf man wohl und im höchstem Sinne als problematisch ansprechen. Wir betrachten sie daher vorerst unabhängig von allen übrigen Erscheinungen; sie ist das durchgehende, allgegenwärtige Element, das alles materielle Dasein begleitet, und ebenso das atmosphärische, man kann sie sich unbefangen als »Weltseele« denken«. Bei der drahtlosen Telegraphie und Telephonie werden[71] diese Oszillationen in der Weise ausgenutzt, daß schnelle Schwingungen elektrischer Energie in Gestalt von kurzen und langen Wellenzügen, die den bekannten telegraphischen Morsezeichen entsprechen, von einer Sendestation durch den Luftraum zu einer Empfangsstation entsendet und hier aufgefangen werden. Demgemäß besitzt jede drahtlose Telegraphenanlage folgende wesentliche Einrichtungen: Vorrichtungen, in denen Wechselströme hoher Frequenz erzeugt werden, eine sog. Antenne, welche die elektrische Energie auf der Ausgangsstation ausstrahlt, eine Antenne, die auf der Empfangsstation die dort eintreffenden Wellen auffängt, und schließlich eine Empfangseinrichtung, die die Ausstrahlungen bemerkbar macht. Wenn der elektrische Funke von einer Leitung zu einer anderen Leitung hinüberspringt, so entstehen außer einem knallartigen Geräusch (Knallfunken) in der umgebenden Luft Wellen, die mit denjenigen Wellenzügen vergleichbar sind, welche entstehen, wenn ein Stein auf eine Wasserfläche hinabfällt, sich jedoch von diesen dadurch unterscheiden, daß sie sich nicht in konzentrischen Ringen, sondern in konzentrischen Kugelflächen fortpflanzen. Die Benutzung der Hertzschen Wellen konnte erst dann erfolgen, nachdem Branly in dem sog. Kohärer das Mittel geschaffen hatte, das Vorhandensein jener Wellen festzustellen. Der erste, dem es gelang erfolgreich weite Entfernungen mit Sicherheit drahtlos zu überbrücken, war der Italiener Marconi, der im Jahre 1896 bahnbrechende Versuche unternahm und hiermit die drahtlose Telegraphie ins Leben rief. An der Ausgestaltung der Funkentelegraphie sind aber in besonderem Maße der verstorbene Prof. Slaby von der Berliner Technischen Hochschule und Graf Georg von Arco, dessen damaliger Assistent, jetziger Direktor der Telefunken-Gesellschaft zu Berlin beteiligt. Ihnen ist an erster Stelle der heutige Hochstand der drahtlosen Nachrichten-Übermittlung zu verdanken. Sie haben die größte Anlage der Welt, die Groß-Station Nauen in jahrzehntelanger Arbeit geschaffen, und die Geschichte dieser Großstation ist zugleich die Geschichte der drahtlosen Telegraphie und Telephonie.
Für die Aufnahme der von der Sendestation ausgesandten Schwingungen wird eine Antenne benutzt, die derjenigen der Sendestation gleicht. Unterwegs wird die ausgesandte Energie immer schwächer, da jeder Baum, jedes Haus von ihr einen Betrag aufzehrt. Schließlich gelangt ein gewisser Betrag von Energie in die Empfangsantenne. Diese ist genau so elektrisch bemessen wie die Antenne der Sendestation, d. h. sie ist »abgestimmt«. In einer derartig abgestimmten Antenne[72] schwillt der durch die ankommenden Fernwirkungen erzeugte Strom zu einer größeren Stärke als in einer nicht abgestimmten Antenne an. Daher kann man durch elektrische Abstimmung die Fernwirkung erhöhen.
Die Erzeugung der Wechselströme hoher Frequenz kann auf verschiedene Weise erfolgen. Nach Poulsen geschieht sie durch einen Lichtbogen. Dieser brennt in einer Wasserstoff-Atmosphäre zwischen einer festen gekühlten Kupferelektrode und einer verstellbaren, durch einen Elektromotor in langsame Umdrehungen versetzten Kohlenelektrode. Um die Energie zu steigern, wird der Lichtbogen in einem durch die Pole eines kräftigen Elektromagneten gebildeten magnetischen Felde erzeugt.
Mit Hilfe des Poulsen-Senders lassen sich sog. »ungedämpfte« elektrische Schwingungen erzeugen, deren Wesen in folgendem besteht. Wenn ein Wellenzug wegen allzu großer Entfernung der Sendestation nicht mehr imstande ist, die Antenne der Empfangsstation zu erregen, so wird auch durch die folgenden Wellenzüge keine Erregung bewirkt, ja es kann sogar der vorhergehende Wellenzug durch die folgenden Wellenzüge abgeschwächt werden. Werden aber ständig gleichmäßig starke Wellen, »ungedämpfte Schwingungen«, entsendet, so wird jede vorhergehende Welle durch die ihr folgende verstärkt, und die Antenne wird erregt. Man kann daher sehr schwache Wellen benutzen, zu deren Erzeugung große elektrische Anlagen nicht erforderlich sind. Nach einem anderen Verfahren, das besonders für Großstationen geeignet ist, werden die Wechselströme hoher Frequenz auf einer besonderen Art von Wechselstrom-Dynamomaschine, der Hochfrequenz-Maschine, erzeugt, um deren Ausbildung sich Professor Goldschmidt, die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft und Graf Arco besonders verdient gemacht haben.
Ein drittes Verfahren zur Erzeugung von Hochfrequenz beruht auf der Funkenentladung, mit deren Hilfe man Hochfrequenzenergiemengen bis 100 Kilowatt und Frequenzen bis zu Millionen in der Sekunde und herab bis zu wenigen Tausend erzeugt. Das Energiequantum eines jeden einzelnen Funkens wird in einen abklingenden Wechselstromzug umgesetzt, der die Fernwirkungen erzeugt. Man benutzt häufig eine Funkenfolge von 1000 pro Sekunde. Vor der Erzeugung mittels der Maschine hat die Funkenmethode folgende Vorzüge: völlige Stetigkeit der Periodenzahl, doppelte Charakteristik der Sender nach Hoch- und Tonfrequenz, veränderliche Aufspeicherung[73] der sekundlichen Energie zur Erzielung größerer Momenteffekte am Empfänger. Das System der »tönenden Löschfunken«, dessen Prinzip von Professor Max Wien angegeben ist, bildete eine Zeitlang die vollkommenste Form der Funkenmethode. Dieses System hat drei Merkmale: Die Pausen zwischen den Wellenzügen sind verschwindend klein; die Wellenzüge folgen mit völliger Regelmäßigkeit, infolgedessen in dem Telephon der Empfangsstation ein Ton erzeugt wird; der Funken löscht schnell. Bei dem System der Löschfunken besteht der Funken nur während der allerersten Schwingungen. Nach seinem Erlöschen schwingt ein langer Wellenzug. Da der Funken ein energieverzehrender Widerstand ist, so ist also bei den Löschfunken der Energieverlust praktisch völlig beseitigt. Die »tönenden Löschfunken« sind bis zu Anordnungen von 100 Kilowatt-Schwingungsenergie durchgebildet.
Neuerdings reißen die Kathodenstrahlröhren die Herrschaft an sich. Während des Weltkriegs trat die Notwendigkeit auf, daß eine sehr große Anzahl von drahtlosen Stationen in Betrieb gesetzt werden mußten, ohne daß eine gegenseitige Störung eintrat. Dieser Aufgabe zeigten sich die tönenden Löschfunken nicht gewachsen, da für diese eine wesentlich größere Schärfe der Abstimmung erforderlich war. Hier nun trat der Kathodenröhrensender mit vollem Erfolg in die Lücke, der dasjenige leistete, was man bereits vor mehr als zehn Jahren von dem Poulsen-Lichtbogen erwartet hatte.
Einer der wichtigsten Fortschritte ist die Braunsche Rahmenantenne, eine Antenne, die, wie der Name besagt, eine rahmenförmige Gestalt besitzt. Schon im Jahre 1913 konnte Professor Braun von Straßburg i. E. mittels eines zu einer Spule zusammengewickelten Drahtes das Strahlungsfeld der Funkstation des Eiffelturms messen. Hierbei war jedoch die Empfangsenergie so gering, daß eine solche Antennenform erst dann zu einer tatsächlichen Bedeutung gelangte, nachdem die Telefunken-Gesellschaft durch Verstärkereinrichtungen eine mehr als 10 000fache Lautstärke erzielte. Unter Zuhilfenahme eines quadratischen Rahmens kann man jetzt in der Telefunken-Ausstellung zu Berlin sämtliche große europäische Funkstationen aufnehmen. Ein Rahmen von 3,3 m Seitenlänge ermöglicht den Empfang der bei New York belegenen Station Sayville. Insbesondere eignet sich die Braunsche Rahmenantenne zur Richtungsbestimmung, denn sie nimmt Schwingungen nur dann bemerkbar an, wenn sie in Richtung auf den Sender derjenigen Station steht, deren Richtung festgestellt werden soll.
Der Arbeitsgang einer drahtlosen Telegraphenanlage vollzieht sich nun in der Weise, daß ein Teil der den Antennen der Sendestation zugeführten Hochfrequenzenergie als Fernwirkung ausstrahlt. Über die Art und Weise, auf welchem Wege diese Ausstrahlung erfolgt, ob nur durch die Luft oder nur die Erde oder durch die Luft und die Erde, sind im Jahre 1894 von Erich Rathenau, im Jahre 1896 von Strecker und im Jahre 1898 von Professor Braun Versuche ausgeführt, die sich speziell auf die Untersuchung der Übertragung durch die Erde bezogen. Später hat Dr. Kiebiz diese Versuche wieder aufgenommen und ist hierbei zu sehr günstigen Ergebnissen gelangt; mit einer an einem Vormittage mit 5 Arbeitern ausgelegten Antenne hat er die Signale einer 6000 km entfernten Station in Canada gehört.
Bei den Landstationen besteht die Antenne meist in einem einzigen Mast oder Turm, von dessen Spitze nach allen Richtungen hin Drähte nach abwärts in radialer Richtung verlaufen, gleichsam einen aus Drähten bestehenden Schirm bildend. Diese Antennen nennt man Schirm-Antennen. Auf Schiffen bringt man die Antennen meist derart an, daß sie von zwei Masten getragen werden.
Naturgemäß muß eine um so größere Energiemenge in die Antenne getrieben und von dieser ausgestrahlt werden, je größer die Entfernung ist, auf welche die Übertragung von Nachrichten erfolgen soll. Mit der Größe der Energie wächst auch die erforderliche Höhe des Turmes und Größe der Antenne, wobei die Baukosten mit der dritten Potenz der Turmhöhe wachsen. Vielleicht tritt hier einmal die Erdantenne wirksam in die Bresche.
In der Groß-Station Nauen besitzt Deutschland die einzige Anlage der Welt, die seit dem Jahre 1918 die gesamte Erde umfaßt. Ihre Entstehungsgeschichte zerfällt in vier Abschnitte, die der Entwicklung der gesamten drahtlosen Telegraphie und Telephonie entsprechen. Der die Jahre 1906–1909 umfassende Abschnitt bildet das Zeitalter des Knallfunkens: faustdicke Funken gingen mit heftigem Getöse zwischen mächtigen Zinkfunkenstellen des Senders über und ließen die Morsezeichen weit über die Umgebung hinaus ertönen. Den Träger der Schirmantenne bildete ein Eisengittermast von 100 m Höhe. Reichweitenversuche ergaben eine gute Nachrichtenübermittlung bis Teneriffa auf rund 3600 km. Der zweite die Jahre 1909–1911 umfassende Abschnitt stand im Zeichen der tönenden Löschfunken, nachdem die vielfach vorausgesagte Verdrängung der Funkenmethode durch[75] den Bogenlampensender nicht eingetreten war. Es wurde eine sog. L-Antenne mit bevorzugter Strahlung nach bestimmter Richtung geschaffen, deren Längsachse in die Richtung nach Togo gelegt wurde. Die nach dort unternommenen Verkehrsversuche verliefen befriedigend. Die tönende Station besteht heute noch und dient zur Abgabe von Zeit- und Wettersignalen sowie Presseberichten. Mit einer kleinen Hochfrequenzmaschine System Graf Arco wurde im Juni 1913 eine gute telephonische Gesprächsübertragung nach Wien erzielt.
Mit derselben Maschine wurden Telegramme auf 6400 km nach Sayville bei New York befördert. Diese Versuche führten zur Aufstellung einer großen Hochfrequenz-Maschinenanlage. Außerordentlichen Anforderungen mußte Nauen während des Weltkrieges, der uns die Benutzung der Überseekabel unmöglich machte, genügen. Die weitere Verstärkung der Station wurde nötig. Eine Maschinensenderanlage für 400 Kilowatt Antennenleistung und eine solche für 150 Kilowatt, die die bisherige ersetzen sollte, wurden geschaffen. Unter Benutzung der Maste der bisherigen Antenne entstand durch Hinzufügung eines weiteren 260 m hohen Mastes und zweier Türme von 120 m Höhe die sog. A-Antenne. Senkrecht dazu wurde für den zweiten Sender die sog. B-Antenne in Form einer Dreieckantenne errichtet. Nach der Vergrößerung der Anlagen wurde auf 20 000 km die von Telefunken im Jahre 1912 in Neuseeland errichtete Station Awanui gehört, und von 1918 ab umfaßte die Reichweite Nauens den gesamten Erdball. In China, Mexiko, Niederländisch-Indien nahm man die Nachrichten von »Poz«, dem Rufnamen Nauens, während des Krieges regelmäßig auf. Der Schnellsende- und Empfangsbetrieb auf große Entfernungen ist bei einer Wortgeschwindigkeit von 75 Worten in der Minute sichergestellt, wodurch die drahtlose Fernübermittlung dem Kabelbetrieb in gewisser Hinsicht überlegen ist. Bei diesen Leistungen der Gesellschaft für drahtlose Telegraphie sind die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft und die Firma Siemens & Halske hervorragend beteiligt. Des weiteren die Firma Hein, Lehmann & Co. zu Berlin, die die eigenartige in der ganzen Welt bewährte Bauart der abgespannten, isolierten Funkentürme schuf und deren Oberingenieur Bräckerbohm die Riesentürme errichtete. Die im April 1915 gegründete Betriebsgesellschaft »Drahtloser Übersee-Verkehr A. G.« ist nunmehr Besitzerin der Groß-Station Nauen, (Abb. 21 u. 22) die ein Gelände von 300 ha bedeckt.
In der von »Telefunken« bereits im Jahre 1907 zwischen Nauen und Berlin ausgeführten drahtlosen Telephonie konnte anfangs zu gleicher Zeit nur gesendet oder empfangen werden; am Empfänger mußte gewartet werden, bis am Sender das Sprechen beendet war. Nunmehr kann man ebenso gegensprechen wie in der Drahttelephonie. Zu diesem Zweck erhält jede Station zwei Antennen, von denen die eine unter Aufnahme des Mikrophons am Sender, und die andere mit etwas abweichender Welle am Empfänger liegt. Während bisher Berlin–Rom, London–Paris die weitesten Strecken waren, auf denen die drahtlose Telephonie mit Erfolg benutzt wurde, hat Nauen diese Leistungen in neuester Zeit um ein vielfaches übertroffen und eine Entfernung von 4340 km, gleich der Strecke Nauen–Neufundland mit drahtloser Telephonie überbrückt. Dies geschah während der Fahrt des argentinischen Dampfers »Bahia Blanca« im Juni 1921 von Europa nach Amerika. Ein Empfang auf noch weitere Entfernungen war nur aus dem Grunde nicht möglich, weil der Dampfer eine Stelle des Atlantischen Ozeans erreichte, in welcher atmosphärische Störungen weitere Versuche unmöglich machten.
Eine große Verschiedenheit besteht zwischen den bei Tag und Nacht erzielbaren Reichweiten. Diese Beobachtung machte man zuerst bei den Schiffsstationen, die bei Nacht erheblich größere Reichweiten als bei Tag erzielten. Dies erklärt sich dadurch, daß das Licht der Feind der elektrischen Wellen ist und zwar um so mehr, je höher die Frequenz der Wechselströme ist. Nun kann man zwar unschwer Hochfrequenzströme von niedriger Periodenzahl erzeugen, diese Ströme sind aber höchst unökonomisch. Je höher eine Antenne ist, um so mehr kann man mit der Periode herabgehen. Bei einem 40 m hohen Schiffsmast dürften etwa 600 000 und bei einer 100 m hohen Landantenne etwa 100 000 Perioden des Hochfrequenzstromes die untere Grenze bilden. Wendet man eine geringere Frequenz an, so erreicht man allerdings die gleiche Antennenenergie, aber nur ganz geringe Fernwirkungen werden von der Empfangsantenne aufgenommen. Für eine Verbindung auf große Entfernungen, die selbst bei stärkstem Tageslicht arbeitet, ist eine niedrige Frequenz erforderlich, diese aber verlangt hohe Antennen, wie sie auf Schiffen nicht errichtet werden können. Von besonderer Wichtigkeit ist, daß es neuerdings der Telefunken-Gesellschaft gelungen ist, einen drahtlosen Schreibempfang über 12 000 km, nämlich von Geltow bei Potsdam bis zu der javanischen Station Malabar auszuführen.
Von besonderem Interesse ist die Anwendung der drahtlosen Telegraphie in der Luftschiffahrt und in Flugzeugen. Hier hat sie während des Krieges erfolgreichst zu dauernder Verbindung der Lenkluftschiffe und der Flugzeuge mit der Erde gedient. Während der im Aufklärungsdienst tätige Flieger in früheren Zeiten zu seiner Befehlsstelle zurückkehren mußte, um hier über seine gemachten Beobachtungen zu berichten, gibt die an Bord des Flugapparates angebrachte Funkentelegraphenstation die Möglichkeit, daß der Beobachter während der Fahrt seine Aufzeichnungen zur Erde übermittelt.
Ein drahtloser Telegrammverkehr wurde zum erstenmal während des oberrheinischen Überlandfluges im Jahre 1912 eingerichtet. Er diente in erster Linie den Zwecken der Sicherung der Luftschiffahrt, stand aber auch den Passagieren für ihre persönlichen Telegramme zur Verfügung. Mit Erfolg wird die drahtlose Telegraphie auch zur Verbindung mit fahrenden Eisenbahnzügen benutzt.
Überaus segensreich hat sich die drahtlose Telegraphie bei Schiffsunfällen erwiesen, indem sie die mit Sendeapparaten ausgestatteten Schiffe in den Stand setzte, andere Schiffe mit Erfolg um Hilfe zu bitten. Abb. 23 zeigt die Antennenanlage des Dampfers »Imperator«.
Bevor wir uns der Beschreibung einiger neuzeitlicher Riesendampfschiffe zuwenden, ist es für das Verständnis der nachstehend angegebenen Größenverhältnisse der Schiffe erforderlich, die Erklärung einiger sich stets wiederholender Fachausdrücke zu geben.
Unter dem Deplacement eines Schiffes versteht man das Gewicht derjenigen Wassermenge, die das Schiff, wenn es schwimmt, verdrängt; man begegnet daher auch häufig an Stelle des fremdsprachlichen »De[80]placement« dem gut deutschen Wort »Wasserverdrängung«. Nach dem »Archimedischen Prinzip«, das seinem Entdecker den hinfort zum Schlagwort gewordenen Ausruf »Heureka!« Ich hab's gefunden! entlockte, verdrängt das schwimmende Schiff eine Wassermenge, die genau so viel wiegt wie das Schiff selbst mit seinem sämtlichen Inhalt. Die Wasserverdrängung wird angegeben in Tonnen zu je 1000 kg. Für die Zwecke der Schiffsvermessung, welch letztere maßgeblich ist für die Ladefähigkeit und Wirtschaftlichkeit des Schiffs sowie für die Berechnung der Lotsengebühren, Kanal- und Hafenabgaben, sowie der Zölle, gilt als Einheit die Registertonne. Dieselbe beträgt 100 englische Kubikfuß oder 2,83 cbm. Mißt man den gesamten Inhalt der sämtlichen Räume eines Schiffs einschließlich der bei den jetzigen Riesenschiffen oft sehr erheblichen Aufbauten in Kubikmetern und dividiert man den auf diese Weise gefundenen Betrag durch 2,83, so erhält man den Bruttotonnengehalt des Schiffs.
Für die Bemessung der von einem Schiffe zu leistenden Abgaben kommt dessen Fähigkeit, gewinnbringende Ladung zu befördern (Stauvermögen), in Betracht. Diese wird dargestellt durch den Nettotonnengehalt und wird festgestellt, indem von dem vorstehend genannten Inhalt der Gesamträume des Schiffs, also von dem Bruttotonnengehalt, alle diejenigen Räume abgezogen werden, die nicht für Aufnahme der Ladung, sondern für Betriebszwecke erforderlich sind. Dies sind die Räume für die Maschinen und Kessel, die die Kohlen aufnehmenden Bunker, die Mannschafts-, die Küchen- und sonstigen Wirtschaftsräume usw. Die Geschwindigkeit der Schiffe wird in Seemeilen oder Knoten (1852 m) gemessen.
Das erste Dampfschiff, dem nach heutigen Begriffen der Name eines Ozeanriesen zukommt, war der im Jahre 1860 zum ersten Male das Weltmeer durchquerende »Great Eastern«. Der Entwurf des Schiffs rührte von Isambard Kingdom Brunel, dem Sohne des im Jahre 1849 verstorbenen Erbauers des Themsetunnels, Marc Isambart Brunel, her. Der »Great Eastern« hatte eine Länge von 207 m, eine Breite von 25,3 m und ein Deplacement von 19 000 t; die Maschinen leisteten 7700 P.S. Der Antrieb erfolgte durch zwei seitliche Schaufelräder und durch eine Schraube. Die erzielte Geschwindigkeit betrug 14½ Knoten. Die Abmessungen des »Great Eastern« sind erst im Jahre 1903 durch den Schnelldampfer »Kaiser Wilhelm II.« des Norddeutschen Lloyd übertroffen[81] worden; seine Geschwindigkeit ist erst im Jahre 1879 erreicht worden. Die für die Fertigstellung des Schiffs erforderliche Zeit betrug insgesamt 8 Jahre, eine kleine Ewigkeit im Vergleich zu der Bauzeit unsrer heutigen Riesendampfer. Der »Great Eastern« vermochte 4000 Personen und gewaltige Mengen von Frachtgütern zu befördern. Leider aber bestand zu damaliger Zeit noch kein Bedürfnis nach einem so leistungsfähigen transatlantischen Beförderungsmittel. Glücklicherweise konnte der »Great Eastern« seine Riesenkräfte in andrer Weise, nämlich bei dem Verlegen transatlantischer Telegraphenkabel verwerten. Jedoch auch dieser vorübergehende Erfolg konnte nicht verhindern, daß das Schiff im Jahre 1891 auf Abbruch verkauft werden mußte.
Die Abmessungen der Ozeandampfer blieben bis in die siebziger Jahre bis zur Hälfte gegenüber denen des »Great Eastern« zurück. Erst in den achtziger Jahren baute man Schiffe von 160–170 m Länge. In den folgenden Jahren nahm der Überseeverkehr einen derartigen Aufschwung, daß der Bau von Riesendampfern sich erforderlich machte, von denen der eine den andern andauernd an Größe und Geschwindigkeit übertraf. Ein angestrengter Wettbewerb entspann sich zwischen den großen transatlantischen Dampfergesellschaften und spornte die Schiffbauingenieure zu immer großartigeren Leistungen an. Mit Genugtuung können wir hier feststellen, daß die großen deutschen Gesellschaften, der Norddeutsche Lloyd und die Hamburg-Amerika-Linie, stets an hervorragender Stelle standen und sich dort andauernd behauptet haben. Die Sicherheit und Schnelligkeit der Schiffe dieser deutschen Großbetriebe hat zur Folge gehabt, daß sie von den Reisenden aller Völker bevorzugt wurden. Nicht minder erfreulich ist der Umstand, daß der Bau der von den deutschen Reedereien in Fahrt gesetzten Riesendampfer, der früher ausschließlich auf englischen Werften erfolgte, von den deutschen Werften in der vollkommensten Weise ausgeführt wurde. Der Umstand, daß der Weltkrieg uns unserer zu höchster Leistungsfähigkeit entfalteten Handelsflotte beraubt hat, darf uns nicht dazu führen, diese Glanzleistungen des deutschen Schiffbaues mit Stillschweigen zu übergehen, dies um so weniger, weil sie uns die Gewähr geben, daß uns die Mittel zu Gebote stehen, den uns gewaltsam entrissenen Hochstand wiederzugewinnen. Der erste der auf einer deutschen Werft, dem Stettiner »Vulkan«, erbauten Ozeanriesen war der Schnelldampfer »Kaiser Wilhelm der Große« des Norddeutschen Lloyd. Derselbe wurde im Jahre 1897 vollendet und[82] erzielte sofort den hocherfreulichen Erfolg, daß er einen Geschwindigkeitsrekord, der bis dahin von englischen Schiffen gehalten war, brach. Die Abmessungen des Dampfers sind in der auf S. 83 wiedergegebnen Tabelle enthalten.
Im Jahre 1907 stellte die Cunard-Linie unter Beihilfe der englischen Regierung die Dampfer »Lusitania« und »Mauretania« in Dienst. Die Abmessungen dieser Schiffe sind: Größte Länge 239,2 m; größte Breite 26,8 m; Raumtiefe 18,3 m; Tiefgang 10,0 m; Deplacement 38 000 t: Bruttotonnengehalt 32 500; Zahl der Passagiere 2200; Besatzung 827 Mann. Der Antrieb erfolgt durch vier mittels Dampfturbinen von 68 000 P.S. betriebene Schrauben. Wenige Jahre später stellte die White Star-Linie ohne Beihilfe der englischen Regierung die Schiffe »Olympic« und »Titanic« in Dienst. Diese beiden Schiffe übertrafen in ihren Abmessungen um ein erhebliches die »Mauretania« und die »Lusitania«. Die »Titanic« wurde in der Nacht vom 14. zum 15. April 1912 auf den Bänken von Neu-Fundland von einem Eisberge angerannt und in den Grund gebohrt. Von den an Bord befindlichen 2358 Personen konnten nur 868 gerettet werden, so daß 1490 Menschenleben verloren gingen. Diese Zahl steht in der langen Geschichte der verderblichen Schiffsunfälle an erster Stelle. Soweit eine Übersicht der bei den größten einschlägigen Unfällen vernichteten Menschenleben zur Verfügung steht, kommt dem Untergange der »Titanic« der zwischen den Schiffen »Defence« und »St. Georg« im Jahre 1811 an der Küste Jütlands erfolgte Zusammenstoß am nächsten; bei diesem fanden 1400 Personen den Tod. Die »Olympic« faßt 45 000 Registertonnen; ihre Länge beträgt 264 m; 24,8 m mehr als die »Mauretania«. Die Breite beträgt 28 m. Das oberste der 11 Decks liegt 29 m über dem Kiel, und um noch weitere 21 m überragen die Schornsteine das Deck. 15 wasserdichte Schotten teilen das Schiff in Abteilungen und halten dasselbe bei Verletzungen der Schiffshaut über Wasser. Diese Schotten vermochten, entweder infolge mangelhafter Handhabung oder infolge Versagens der Vorrichtungen, nicht das Schwesterschiff »Titanic« vor dem Untergange zu bewahren. Die Besatzung zählt 860 Mann, und außer gewaltigen Mengen an Frachtgut kann das Schiff 2500 Personen befördern. Während die »Olympic« ihre Vorgängerinnen an Größe übertrifft, steht sie diesen hinsichtlich der Geschwindigkeit nach. Sie erreicht nur 24 Knoten, während die beiden Cunarddampfer 25 Knoten in der[83] Stunde zurücklegen. Diese Verminderung der Geschwindigkeit ist aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus erfolgt. Man weiß, daß mit zunehmender Geschwindigkeit die Maschinenstärke, die Maschinengröße und mit dieser der Kohlenverbrauch und die Betriebskosten in einem Maße zunehmen, daß sie nicht mehr im Einklang stehen mit den wenigen Stunden, die sie während der Fahrt einholen können, d. h. mit der erzielbaren Zeitersparnis. Bei Handelsschiffen spielt aber die Wirtschaftlichkeit die Hauptrolle, ganz abgesehen davon, daß die Zurücklegung tunlichst beschleunigter Ozeanfahrten allmählich zu einem teuren und unfruchtbaren Sport geworden ist. Die Cunard-Linie gab, offenbar unter dem Druck, den der Bau der später zu beschreibenden deutschen Riesendampfer »Imperator« und »Vaterland« auf sie ausübte, den Bau des Dampfers »Aquitania« in Auftrag. Derselbe faßt 50 000 Registertonnen brutto und entwickelt eine Geschwindigkeit von 23 Knoten in der Stunde. Die Besatzung zählt 950 Mann; die Zahl der Passagiere beträgt 4000.
Unter den neueren Riesendampfern nehmen einen hervorragenden Platz die 4 durch den Weltkrieg uns verloren gegangenen Schnelldampfer des Norddeutschen Lloyd ein: »Kaiser Wilhelm der Große«, »Kronprinz Wilhelm«, »Kaiser Wilhelm II.«, »Kronprinzessin Cecilie«. Sie sind sämtlich vom Stettiner »Vulkan« erbaut. Ihre wesentlichsten Verhältnisse sind in der nachstehenden Tabelle aufgeführt:
Kaiser | Kronprinz | Kaiser | Kron- | |
Wilhelm | Wilhelm | Wilhelm II. | prinzessin | |
der Große | vom Stapel | vom Stapel | Cecilie | |
vom Stapel | gelassen | gelassen | vom Stapel | |
gelassen | 30. März | 12. August | gelassen | |
4. Mai 1897 | 1901 | 1902 | 1. Dez. 1906 | |
Länge | 197,70 m | 202,17 m | 215,34 m | 215,34 m |
Breite | 20,10 m | 20,10 m | 21,94 m | 21,94 m |
Raumtiefe | 11,90 m | 11,97 m | 12,25 m | 12,35 m |
Wasserverdrängung | 24 300 t | 22 700 t | 28 800 t | 28 800 t |
Brutto-Registertonnen | 14 349 | 14 908 | 19 361 | 19 503 |
Passagiere | 1742 | 1858 | 1829 | 1825 |
Besatzung | 503 | 527 | 665 | 686 |
Tragfähigkeit | 6400 t | 6900 t | 8700 t | 8300 t |
Geschwindigkeit | 22,5 Kn. | 23 Kn. | 23,75 Kn. | 24 Kn. |
Ein solcher Schnelldampfer ist mit allen erdenklichen Einrichtungen versehen, um die höchste Bequemlichkeit und die größte Sicherheit zu gewähren. Auf dem Dampfer »Kronprinzessin Cecilie« sind insgesamt 72 Dampfmaschinen für die verschiedensten Zwecke aufgestellt; 5 Dynamos speisen 3100 elektrische Lampen. Der Dampf wird in 19 Zylinderkesseln (12 Doppel- und 7 Einfachkessel) erzeugt mit 124 Feuerungen von insgesamt 290 qm Rostfläche. Hier werden innerhalb 24 Stunden 700 t Kohlen verbrannt. Vor den Kesseln sind andauernd 80 Mann beschäftigt, die nach vierstündiger Arbeit 8 Stunden Ruhe genießen.
Unter den Sicherheitsvorrichtungen sind die wasserdichten Schotten, die Feuerlöscheinrichtungen, die Unterwassersignale, die Apparate für drahtlose Telegraphie und die Vorrichtungen für das Zuwasserlassen der Rettungsboote zu nennen.
Eine andre Art von Riesenschiffen, die sog. Postdampfer gestatten eine weitgehende Ausnutzung der umfangreichen Schiffsräume für Ladungszwecke und lassen außerdem noch die Unterbringung einer Anzahl von Passagieren zu. Die Überfahrt von Deutschland nach New York dauert auf diesen Schiffen allerdings 2–3 Tage länger als auf den Schnelldampfern, verläuft aber im übrigen unter den gleichen Verhältnissen des Komforts und der Sicherheit.
Der Postdampfer des Norddeutschen Lloyd, der Doppelschraubendampfer »George Washington« mit einem Bruttogehalt von 25 570 Registertonnen, bildete einen Typ für sich, obgleich die Grundsätze, nach denen er erbaut ist, im wesentlichen dieselben sind wie bei den vorgenannten Postdampfern. Er ist vom Stettiner »Vulkan« erbaut und gehörte zu den größten Dampfern der deutschen Handelsflotte. Seine Länge beträgt 220,18 m, seine Breite 23,77 m, seine Tiefe 16,46 m. Seine beiden vierzylindrigen Vierfach-Expansionsmaschinen indizieren 20 000 P.S.; sie verleihen dem Schiffe eine Geschwindigkeit von 19 Knoten in der Stunde. Die größte Passagierzahl beträgt 2891; die Besatzung zählt 586 Köpfe.
Unter sämtlichen Ozeanriesen der Erde stehen an erster Stelle die Dampfer »Imperator« (Abb. 24) und »Vaterland« (Abb. 25) der Hamburg-Amerika-Linie. Ersterer ist erbaut auf der Werft des Stettiner »Vulkan« in Hamburg und hat am 11. Juni 1913 seine erste Ausreise nach Amerika angetreten. Letzterer ist auf der Werft von Blohm und Voß in Hamburg am 3. April 1913 vom Stapel gelaufen.
Am 18. Juni 1910 legte man den Kiel zum »Imperator« und es begann die Herstellung des doppelten Schiffbodens. Dieser ist für die Sicherheit des Schiffes um deswillen von besonderer Bedeutung, weil, wenn der äußere Boden aus irgendeinem Grunde leck wird, der innere das Schiff vor dem Eindringen von Wasser schützt.
Die Länge des Schiffes beträgt 276 m; die Breite 30 m, die Tiefe über 19 m; das Bootsdeck liegt 30,5 m und die Spitze der Lademasten 75 m über dem Kiel.
Für das körperliche Wohlbefinden der Passagiere ist durch reichlich bemessene Promenadendecks, Turnhallen und Badegelegenheiten gesorgt. Mehr als 220 Wannenbäder und Duschen sind für die Passagiere aller vier Klassen vorgesehen. Als eine großartige Neuerung ist hier ein Schwimmbassin von 12,5 m Länge, 6,5 m Breite und 2¼ m Wassertiefe zu nennen, an das sich hygienische Bäder der verschiedensten Art in großer Zahl anschließen.
Zur Bewegung des Schiffes dienen 4 Schrauben, die durch Dampfturbinen angetrieben werden, die mehr als 60 000 P.S. entwickeln. Zu den auf dem »Imperator« vorgesehenen Neuerungen gehört auch die Einführung des Kreiselkompasses. Dieser unterliegt nicht den Gesetzen des Magnetismus, sondern denen der Trägheit und der Erdrotation, ist also den Störungen gegenüber, denen magnetische Kompasse [87] auf eisernen Schiffen ausgesetzt sind, unempfindlich. Um das Schiff Tag und Nacht mittels Funkentelegraphie mit anderen Schiffen in Verbindung zu halten, befinden sich 3 Telegraphisten an Bord.
Mit der Kiellegung des »Vaterland«, des Schwesterschiffes des »Imperator«, wurde im September 1911 begonnen, und schon im Frühjahr 1912 waren die Spanten, die mächtigen Querrippen des Schiffskörpers, aufgerichtet. Am 3. April 1913 erfolgte bereits der Stapellauf, eine erstaunlich kurze Bauzeit, wenn man sie mit derjenigen des »Great Eastern« vergleicht, die volle 8 Jahre umfaßte. Durchschnittlich waren täglich 1800 Arbeiter beschäftigt. Zur Verarbeitung gelangten 34,5 Mill. kg gewalzter Stahl, 2 Mill. kg Gußeisen, 1 Mill. kg Kupfer, 6,5 Mill. kg Holz.
Die Zahl der Passagiere beträgt bei voller Belegung des »Imperator« und des »Vaterland« 700 in der ersten, 600 in der zweiten, 1050 in der dritten und 1700 in der vierten Klasse, insgesamt also 4050. Hinzu kommt dann noch die Besatzung von etwa 1200 Köpfen.
Schon im Jahre 1784, also fast unmittelbar nachdem die Gebrüder Montgolfier die ersten Luftballons steigen ließen, traten Vorschläge auf, die darauf abzielten, den Luftballon lenkbar zu gestalten. Als erster ist hier der französische General Meusnier zu nennen, dessen Lenkballon um deswillen ein besonderes Interesse verdient, weil er in seinem Innern Luftfächer »Ballonets«, enthielt, die auch heute noch bei den Luftschiffen »unstarren« Systems dazu dienen, diese auf eine gewisse Höhenlage zu bringen, ohne daß es erforderlich ist, Ballast zu werfen oder das Gasventil zu öffnen. Im Jahre 1852 trat dann der französische Ingenieur Girard mit zwei Versuchsballons an die Öffentlichkeit, jedoch ohne Erfolg. Meusnier, Girard sowie auch einige der späteren Bahnbrecher des Lenkballons hatten unter dem Umstande zu leiden, daß ihnen ein leichter und kräftiger, die Schraube antreibender Motor nicht zur Verfügung stand. Der Vorschlag, die Luftschiffschraube durch Menschenkraft zu bewegen, stellte sich als unausführbar heraus. Im Jahre 1870/71, während der Belagerung von Paris, versuchte der französische Marine-Ingenieur Dupuy de Lôme einen solchen durch Menschenkraft bewegten Ballon zu bauen. Es folgten alsdann der deutsche Ingenieur Paul Hänlein, der im Jahre 1872[88] einen durch eine Gasmaschine bewegten Ballon ausführte, und die Franzosen Gaston und Albert Tissandier (1883), Renard und Krebs (1884), die als Antriebsmaschine einen Elektromotor benutzten. Die beiden letztgenannten Offiziere konnten sich rühmen, den Beweis der Lenkbarkeit des Luftballons erbracht zu haben. Ihr Ballon »La France« hatte die Form eines Torpedos, vorn dicker als hinten; die Länge betrug 50,42 m, der größte Durchmesser 8,40 m, der Inhalt 186,4 cbm. Der Elektromotor hatte 8,5 P.S. Die Schraube war an der Vorderseite der Gondel angebracht. Die Geschwindigkeit betrug 23 km in der Stunde.
Es folgten sodann der Deutsche Dr. Wölfert und der Franzose Severo, die beide ihre Versuche mit dem Tode bezahlten, der Österreicher Schwarz, der einen Ballon aus Aluminium herstellte, jedoch im Jahre 1897 mit diesem scheiterte, sowie der Brasilianer Santos Dumont; letzterem gelang es mit einem seiner zahlreichen ausgeführten Luftschiffe, dem sechsten derselben, den Eiffelturm zu umkreisen. Alle diese Bahnbrecher des lenkbaren Luftschiffes stehen weit hinter dem »Eroberer der Luft«, dem deutschen General Graf Ferdinand v. Zeppelin zurück, der berufen war, die vielumworbene Aufgabe erfolgreichst zu lösen. Die Versuche des Grafen v. Zeppelin, die durch Gottlieb Daimlers Erfindung eines leichten, leistungsfähigen Motors (1887) begünstigt wurden, begannen in den Jahren 1892–94 und führten in den Jahren 1898–1900 zum Bau des ersten Versuchsluftschiffes, das am 2. Juli 1900 sich zum ersten Mal von dem Spiegel des Bodensees aus in die Lüfte erhob. Dasselbe war mit zwei Daimler-Motoren von je 16 P.S. ausgestattet und hatte eine Geschwindigkeit von 7,2 m in der Sekunde (27 km in der Stunde). Am 17. Oktober 1900 legte dieses Luftschiff eine Fahrzeit von 1½ Stunden zurück.
Es gibt drei Arten von lenkbaren Luftschiffen, das starre, das halbstarre und das unstarre System. Das starre System ist dadurch gekennzeichnet, daß der Tragkörper, also der eigentliche Ballon, aus starrem Stoffe (Blech u. dgl.) besteht, oder ein starres mit Ballonstoff überzogenes Gerüst besitzt. Die Gondel ist mit dem Tragkörper starr verbunden. Bei dem halbstarren System ist nur eine kielförmige Längsversteifung des Tragkörpers vorgesehen, ohne daß sonst noch ein starres Gerippe vorhanden ist. Die Gondel kann mit dem Tragkörper starr verbunden oder an Drahtseilen aufgehängt sein. Bei den unstarren Systemen besitzt der Tragkörper keinerlei starre[89] Versteifungen, und die Gondel ist an Drähten oder Drahtseilen aufgehängt. Alle drei Systeme gehen ineinander über und grenzen sich untereinander nicht bestimmt ab.
Die Zeppelinschen Luftschiffe gehören dem starren System an. Am 17. Januar 1906 stieg ein zweites, verbessertes Zeppelin-Luftschiff auf, erreichte eine Höhe von 400 m und landete bei Kießlegg im Algäu, wurde aber durch einen Sturm von seiner Verankerung losgerissen und zerstört. Graf Zeppelin hat trotz verschiedener schwerer Mißgeschicke und trotz des Widerspruchs gewisser Fachkreise sein starres System immer weiter ausgebildet und zur höchsten Vollkommenheit gebracht. Unter den zahlreichen Wechselfällen, die Graf Zeppelin zu überwinden hatte, steht an erster Stelle der Unfall, dem im August 1908 sein viertes Luftschiff bei Echterdingen zum Opfer fiel, nachdem es am 1. Juli desselben Jahres eine zweistündige Fahrt vom Bodensee in die Schweiz und am 4. August eine Fahrt nach Mainz glücklich zurückgelegt hatte. Dieses Mißgeschick des schon damals zu höchster Volkstümlichkeit gelangten, bereits im Feldzug 1870/71 ruhmvoll bewährten deutschen Reiteroffiziers löste in erfreulicher Weise den Opfermut des deutschen Volkes aus. Eine binnen kurzer Zeit gesammelte Nationalspende setzte den Grafen in den Stand, seine erfolgreichen Arbeiten fortzusetzen.
Das erste Zeppelinluftschiff bestand aus einem starren Gerüst von Aluminiumträgern, das sich nach vorn und hinten verjüngte und mit Ballonstoff überzogen war; der auf diese Weise gebildete Ballonkörper hatte den Querschnitt eines 24-Ecks (Abb. 26); in diesem lagen Querwände, die ihn in 17 Abteilungen zerlegten, deren jede einen mit Gas gefüllten Ballon aufnahm. Diese Einrichtung findet sich auch heute noch bei den neusten Zeppelinschiffen. Der Gasinhalt des Ballons betrug insgesamt 11 300 cbm. Jeder der beiden 15pferdigen Daimlermotoren trieb die aus Stahlrohren und Universalgelenken bestehende Transmission[90] an, die zwei Schrauben in Drehung versetzten. Diese waren vierflügelig, hatten einen Durchmesser von 1,1 m und waren zu beiden Seiten des Ballonkörpers angebracht.
Steuervorrichtungen (Abb. 27) dienen dazu, das Luftschiff in der Wagerechten, d. h. nach rechts oder links zu lenken sowie auf- und abwärts zu bewegen. Dieselben haben im Laufe der Zeit mehrfach erhebliche Änderungen erfahren. Im wesentlichen haben sie folgende Einrichtung. Um das Schiff in der Wagerechten, d. h. nach rechts oder nach links zu drehen, dienen senkrechte Flächen, die am Hinterteile des Luftschiffes angebracht sind und genau so gehandhabt werden wie die Steuer der Wasserschiffe. Als Vertikalsteuer, d. h. zum Heben oder Senken des Ballons, dienen am Vorder- und am Hinterteil angebrachte wagerechte, um wagerechte Achsen drehbare Flächen. Wenn diese sämtlichen Flächen wagerecht stehen, so bewegt sich das Luftschiff in wagerechter Richtung. Werden diese Flächen so gedreht, daß ihre Vorderkante höher steht als die Hinterkante, so wird der Ballon durch den unter diesen Flächen nach aufwärts wirkenden Luftdruck gehoben.[91] Werden die Vertikalsteuer in die entgegengesetzte Lage gebracht, so daß ihre Vorderkante tiefer liegt als die Hinterkante, so wird das Luftschiff abwärts gedrückt, sinkt also zur Erde, ohne daß erforderlich ist, Gas ausströmen zu lassen.
Die beiden Zeppelin-Luftkreuzer »Schwaben« und »Viktoria Luise«, deren ersterer leider im Juni 1912 einer Brandkatastrophe zum Opfer fiel, waren mit einer Geschwindigkeit von 75,6 km in der Stunde die schnellsten Luftschiffe der Erde und haben sich für Passagierfahrten mit regelmäßiger Fahrt auf kurze und weite Strecken bestens bewährt. Die Erzielung einer so großen Geschwindigkeit war nur dadurch möglich, daß es gelungen war, stärkere Motoren zu bauen, die nicht schwerer als ihre Vorgänger waren. Auch eine zweckmäßigere Ausbildung der Spitze, sowie eine Verkürzung des Luftschiffkörpers haben hierzu wesentlich beigetragen. Bei diesen Zeppelinluftschiffen sind die sämtlichen Steuerflächen hinten am Heck angebracht. Sie hatten drei Maybachmotoren von je 145 P.S.; ihre Länge betrug 140 m, ihr Durchmesser 14 m; ihr Gasinhalt 18 000 cbm. Die Zahl der voneinander getrennten Gaszellen war dieselbe wie bei dem ältesten Zeppelinluftschiff, nämlich 17.
Ein wesentlicher Vorteil des starren Systems hat sich bei diesen Luftkreuzern ergeben. Diese Bauart ermöglicht es nämlich, daß die von der deutschen Militärverwaltung erworbenen Zeppelin-Luftschiffe sich ohne alle weiteren Hilfsmittel und ohne Ballastabgabe auf über 2000 m erhoben. Die »Viktoria Luise« erreichte eine Höhe von 1000 m in 4 Min. 19 Sek. Die Zeppelin-Passagierluftschiffe hatten drei Gondeln. In der vorderen, der Führergondel, war ein Motor von 145 P.S. aufgestellt, sowie die Züge zur Bedienung der Steuerräder. Die mittlere Gondel bot Raum für 24 Passagiere. Die hintere Gondel enthielt zwei Motoren von je 145 P.S. Der in der Führergondel aufgestellte Motor trieb ein Paar zweiflügeliger Luftschrauben mit 500 Umdrehungen in der Minute. Die in der hinteren Gondel angebrachten zwei Motoren trieben je eine vierflügelige Luftschraube von gleichfalls 500 Umdrehungen in der Minute. Mit einem Vorrat von 1500 kg an Öl und Benzin konnte ein solches Luftschiff etwa 15 Stunden mit sämtlichen drei Motoren und 20 Stunden mit zwei Motoren arbeiten und 900 bis 1000 km zurücklegen. Das Personal bestand aus dem Führer, einem Ingenieur, zwei Steuerleuten und vier bis fünf Monteuren. Außer den Passagierräumen nebst kaltem Buffet besitzt das[92] neuzeitliche Luftschiff ein wissenschaftliches Laboratorium für luftelektrische Messungen, eine Station für drahtlose Telegraphie und eine Poststation.
Nach dem starren System ist außer den Zeppelin-Luftschiffen auch das Schütte-Lanz-Luftschiff erbaut und zwar in den Jahren 1909–1911 auf der Werft der Firma Heinrich Lanz in Rheinau bei Mannheim. Von den Zeppelinschiffen unterschied es sich dadurch, daß das Gerippe des Tragkörpers aus leichtem fourniertem Holz bestand und daß die Gondeln zwar in der wagerechten Ebene unverschiebbar starr, in der senkrechten aber unstarr aufgehängt waren. Bei dieser Anordnung wurden die Tragseile, wenn das Schiff beim Landen auf den Erdboden stieß, schlaff und entlasteten den Tragkörper. Nachdem es am 17. Oktober 1911 den ersten Aufstieg unternommen hatte, hat auch dieses Schiff eine große Anzahl von Fernfahrten glücklich ausgeführt, ist aber leider am 17. Juli 1913 bei Schneidemühl durch einen Sturm losgerissen und zerschellt.
Einen Hauptvertreter der halbstarren Bauart bildete der nach den Entwürfen des Kommandeurs der Preußischen Luftschiffertruppen Major Groß und des Oberingenieurs Basenach in mehreren Ausführungen erbaute deutsche Militärballon (Abb. 28). Der erste derselben wurde im Jahre 1907 fertiggestellt. Der Tragkörper desselben hatte eine Länge von 40 m und einen Durchmesser von 12 m; der Gasinhalt betrug 1800 cbm. Der Antrieb erfolgte durch zwei drei[93]flügelige Luftschrauben, die an der unter dem Ballon befindlichen Starrfläche angebracht waren. Die Übertragung des Antriebs der Schrauben von der den Motor tragenden Gondel erfolgte durch Hanfseile. Die Starrfläche hing unterhalb des Tragkörpers an Drahtseilen. Auf Grund der mit diesem ersten Ballon gemachten Erfahrungen hat man die Abmessungen der späteren Ausführungen des deutschen Militärballons erheblich vergrößert und hiermit ebenfalls befriedigende Ergebnisse erzielt.
Neben dem Grafen Zeppelin und unabhängig von diesem hat sich der bayrische Major von Parseval mit dem Bau eines lenkbaren Luftschiffes beschäftigt und ist hierbei zu der unstarren Bauart gelangt. Die Erwägungen, aus denen heraus Major Dr. v. Parseval zu dieser Bauart sich bekannt hat, sind dem Bestreben entsprungen, in Anlehnung an die guten Eigenschaften des Freiballons folgende Anforderungen tunlichst zu erfüllen: einfachen Transport des Ballons bei geringer Raumbeanspruchung, schnelle Inbetriebsetzung, Erreichung größtmöglichen Nutzauftriebs, tunlichste Entbehrlichkeit von Hallen, schnelles Abmontieren und Verladen. Im Innern des Ballons, an der vorderen und hinteren Spitze, liegt je ein kleinerer Ballon, Ballonet, der bereits von Meusnier vorgeschlagenen Art und Wirkungsweise. Diese werden durch einen Motor mittels Luft aufgeblasen, was vom Führerstande aus geregelt werden kann. Wird in das vordere Ballonet Luft eingeblasen, so senkt sich die Spitze des Ballons, und umgekehrt. Auf diese Weise kann man die Höhenlage des Ballons ändern. Am hinteren Ende des Ballons sind dann noch zwei wagerechte und eine horizontale Steuerfläche angeordnet. Auch die Parsevalluftschiffe, die von der der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft in Berlin nahestehenden Luftfahrzeug-Gesellschaft m. b. H. hergestellt wurden, sind in größerer Anzahl gebaut worden.
Als der Weltkrieg begann, verfügte die deutsche Heeresleitung über neun Zeppelin-, ein Schütte-Lanz- und ein Parseval-Luftschiff. Nach Schwarte »Die Technik im Weltkriege« betrug die Größe der Schiffe starrer Bauart rund 20 000 bis 25 000 cbm; ihre Geschwindigkeit etwa 75 km in der Stunde, ihre Kriegsfahrthöhe höchstens 2400 m. Die Besatzung zählte 10 bis 20 Mann, an Abwurfballast wurden 800 bis 1000 kg mitgeführt. Der Verlust einiger dieser Luftschiffe zwang, auf Mittel zu sinnen, um die Abwehr zu erschweren und die Wirksamkeit der Angriffe zu erhöhen. Die Zahl und Stärke der An[94]triebsmaschinen stieg daher schließlich auf 5 von je 240 P.S., der Rauminhalt erhöhte sich zuletzt bis auf 55 000 cbm. Man erreichte Höhen bis zu 7000 m und Geschwindigkeiten bis zu 90 km in der Stunde und unternahm erfolgreiche Luftangriffe auf England. Trotz dieser großartigen Fortschritte, die die Technik des Luftschiffbaus erzielte, waren die Verluste derart groß, daß am Anfang 1917 die völlige Einstellung der Heeresluftschiffahrt erfolgte. Nach Beendigung des Krieges hat das lenkbare Luftschiff eine überaus erfolgreiche Anwendung als Verkehrsluftschiff gefunden. Am 24. August 1919 nahm das Luftschiff »Bodensee« der mit der Hamburg-Amerika-Linie verbundenen Deutschen Luftschiffahrts A. G. (»Delag«) einen regelmäßigen Luftverkehr zwischen Friedrichshafen am Bodensee und Staaken bei Berlin mit 21 Passagieren auf und vollführte die Fahrt zum Teil mit mehr als 120 km Stundengeschwindigkeit. Trotz schweren Sturmwetters legte »Bodensee« die Hin- und Rückfahrt Berlin–Stockholm in 16 Stunden zurück.
Die Flugzeuge, Flugmaschinen oder Aeroplane unterscheiden sich von den Lenkballons wesentlich dadurch, daß ihr Tragkörper aus einer oder mehreren schräg gegen die Wagerechte gestellten Flächen besteht, die entweder eben oder gewölbt sind. Je nachdem das Flugzeug eine oder mehrere Tragflächen besitzt, unterscheidet man Eindecker, Zweidecker usw. Die Vorwärtsbewegung wird entweder durch die Schwerkraft erzielt, indem der Flieger sich mit seiner Maschine von einem erhöhten Punkte abwärts durch die Luft dahingleiten läßt, oder durch Luftschrauben, die durch einen Motor in Drehung versetzt werden. Die für den ernsthaften Gebrauch in Frage kommenden Flugzeuge sind nur solche der letzteren Art. Das Auf- oder Abwärtsfliegen wird dadurch erreicht, daß entweder die Tragflächen selbst (ähnlich wie die Höhensteuer der Lenkballons) oder besondere wagerechte Steuerflächen schräg eingestellt werden. Die Steuerung in der Wagerechten, also nach rechts oder nach links, erfolgt meist durch senkrechte Steuerflächen. Der erste, der den Bau eines durch einen Motor angetriebenen Flugzeuges unternahm, war der Engländer Henson, der im Jahre 1842 das Modell eines mit einer 20pferdigen Dampfmaschine ausgestatteten Drachenfliegers erbaute, jedoch ohne nennenswerten Erfolg. Das neuzeitliche Flugzeug ist im wesentlichen aus den Arbeiten des deutschen Ingenieurs Lilienthal und der Amerikaner Gebrüder Wilbur und Orville Wright aufgebaut. Ersterer[95] führte bereits im Jahre 1890 Gleitversuche von einem besonders hierzu errichteten Abflughügel aus und befaßte sich auch bereits mit dem Bau eines mit Motorantrieb ausgestatteten Gleitflugzeuges. Leider wurde Lilienthal im besten Mannesalter am 12. August 1896 das Opfer seiner bahnbrechenden Versuche. Den Gebrüdern Wright war es beschieden, nachdem im Jahre 1896 auch durch Chanute zahlreiche Gleitmaschinen im Gleitfluge versucht worden waren, einen lebensfähigen Flugapparat zu bauen. Die Zahl der Bauarten von Flugmaschinen ist eine überaus große; betrug doch nach dem Jahrbuche der Motorluftschiff-Studiengesellschaft 1911/12 die Zahl der deutschen Flugzeugfabriken an 20. Diesem Jahrbuch entnehmen wir auch, daß bei dessen Abschluß die Franzosen über 1000 Flugzeugführer, die Engländer über 300, die Deutschen über 250 verfügten.
Unter den Eindeckern sind hervorzuheben der Flieger des Franzosen Blériot (Abb. 29) und der Rumpler-Eindecker (Abb. 30). Blériot führte in einem seiner Eindecker am 25. Juli 1909 einen Flug über den Kanal von Frankreich nach England aus. Er legte eine 31 km lange Strecke in 27 Min. zurück. Die Tragfläche hatte eine Spannweite von 8,6 m und eine Breite von 1,8 m; ihr Flächenareal betrug 14 qm. An der Stirnseite war eine zweiflügelige Luftschraube angebracht, die durch einen dreizylindrigen Anzanimotor von 24 P.S. angetrieben wurde. Der Motor wog einschließlich seiner 24 kg schweren Schwungscheiben 65 kg. Die Seitensteuerung wurde durch eine am Hinterteile des Gerüstes angebrachte senkrechte Fläche[96] bewirkt, die Höhensteuerung durch zwei seitlich der wagerechten Stabilisierungsfläche am Hinterende angebrachte und um wagerechte Achsen drehbare kleine Steuerflächen. Der gesamte Apparat wog 340 kg.
Unter den deutschen Eindeckern hat sich die Etrich-Rumpler-»Taube« durch zahlreiche mit und ohne Passagier ausgeführte weite und schnelle Überlandflüge einen überaus vorteilhaften Ruf verschafft. Beispielsweise legte im Juli 1913 der deutsche Militärflieger Leutnant Joly in Begleitung des Generalstabshauptmanns Osius die 1200 km lange Strecke Köln–Königsberg i. Pr. auf einer »Taube« in 8 Std. 5 Min. zurück. Diese Eindecker, das Ergebnis der Arbeiten der österreichischen Flugtechniker Igo Etrich, Fr. Wels und der Rumplerwerke zeichneten sich durch große Stabilität und Widerstandsfähigkeit gegen Windströmungen und Böen aus. Etrich baute außerdem einen von ihm »Schwalbe« genannten Eindecker. Dieser unterschied sich von der »Taube« dadurch, daß das Versteifungsgerüst der Flügel fortgefallen war und daß die Verspannung derselben durch Drähte erfolgte. Die »Schwalbe« erreichte mit einem 65pferdigen Motor eine Geschwindigkeit von 115 km in der Stunde. Oberleutnant Bier führte auf ihr innerhalb 28 Min. einen Höhenflug von 2400 m aus. Bei der Rumpler-»Taube« sind die Flügelrippen an ihren Enden, um elastisch zu sein, aus Bambus hergestellt. Dasselbe ist bei den Schwanz- und Kielflossen der Fall, die durch Verwindung ihrer biegsamen Enden als Höhen- und Seitensteuer dienen. Neben den bereits genannten Motoren gelangte auch der achtzylindrige wassergekühlte Äolusmotor von Rumpler zur Verwendung.
Bei der ersten Form des Zweideckers der Gebrüder W. und O. Wright waren die beiden übereinander liegenden Tragflächen 12,5 m lang und 2 m breit; sie waren leicht gewölbt und standen in einem Abstande von 1,8 m voneinander, der durch 16 senkrechte Streben, in zwei Reihen zu je 8 angeordnet, gewahrt wurde. Vorn, 3,5 m vor den beiden Tragflächen angeordnet lag das Höhensteuer. Das Seitensteuer war an der Rückseite der Tragflächen angeordnet. Der vierzylindrige Benzinmotor von 25 P.S. wog betriebsfähig 90 kg und war an der unteren Tragfläche angebracht: er trieb zwei an der Rückseite der Tragfläche angeordnete Luftschrauben von 2,8 m Durchmesser an, die 480 Umdrehungen in der Minute machten, und zwar im entgegengesetzten Sinne. Ein solcher Apparat hatte im betriebsfähigen Zustande ein Gewicht von 345 kg. Auf sehr glatter Unterlage kann derselbe ohne weitere Hilfsmittel die zum Aufstieg erforderliche Geschwindigkeit erlangen. Für gewöhnlich reichte aber hierzu die Kraft der Luftschraube nicht aus. Um dem Apparat diese Geschwindigkeit zu verleihen, benutzten die Gebrüder Wright bei ihren ersten Apparaten die Zugkraft eines aus einer Höhe von 8 m fallenden Gewichts von 700 kg. Dieses Gewicht zog den Flugapparat auf einer 20 m langen Schiene dahin, wobei sich dessen Geschwindigkeit alsbald derart erhöhte, daß er, nachdem die den Zug vermittelnde Schnur ausgelöst war, sich in die Lüfte emporhob. Diese Art der Einleitung des Fliegens war sehr umständlich und unsicher. Der Umstand, daß die Gebrüder Wright mit einer großen Hartnäckigkeit bei demselben verblieben, hat zur Folge gehabt, daß die Wrightsche Flugmaschine überholt wurde. Später hat die Wrightsche Maschine sich von jeder Anfahrvorrichtung freigemacht. Die Steuerung wird durch zwei Hebel gehandhabt. Einer dieser Hebel ermöglichte ein Auf- oder ein Abbiegen der äußersten Enden der Tragflächen. Werden die Hinterränder der Tragflächenenden zur rechten Seite des Fliegers nach unten gebogen, so erfährt der abgebogene Teil einen vergrößerten Luftwiderstand; infolgedessen erhält die ganze rechte Hälfte des Flugzeuges Auftrieb und dreht sich nach oben. Die entgegengesetzten Verhältnisse treten ein, wenn die linke Tragflächenhälfte aufwärts gedreht wird. Diese erhält dann Druck von oben und dreht sich infolgedessen nach unten. Da sich also die Drehwirkungen der beiden Flügelenden verstärken, können auf diese Weise äußere Kräfte, z. B. Windstöße, die das Gleichgewicht stören, unschädlich gemacht werden.
Wie wir bereits berichteten, bedarf der heutige Wrightapparat für die Einleitung des Fliegens nicht mehr der lebendigen Kraft eines Fallgewichts. Dies ist dadurch erreicht, daß der Apparat auf Räder gesetzt ist. Die Standsicherheit, die infolge Fehlens eines Schwanzes zu wünschen übrig ließ, ist durch Hinzufügung einer Schwanzflosse vermehrt. Bei den neuen Apparaten ist das vordre Höhensteuer fortgefallen. Seine Aufgabe erfüllt der hinterste Teil der Schwanzflosse, der zu diesem Zwecke biegsam gemacht wurde. Der Motor von 30–35 P.S. macht 1325 Umdrehungen in der Minute; die Propeller haben 2,59 m Durchmesser und machen 428 Umdrehungen in der Minute. Bei einer besonderen Abart dem Ad Astra-Wright-Zweidecker, erfolgt der Antrieb nur durch eine einzige Schraube.
Zu den bekanntesten Zweideckern zählen der Albatros- (Abb. 31) und der Voisin-Zweidecker. Die beiden 1,5 m voneinander entfernten gewölbten Tragflächen haben eine Breite von 2 m und eine Länge von 10 m. Hinter dieser Hauptzelle ist eine zweite kleinere, die Steuerzelle, angebracht. Der Apparat ruht auf vier Rädern, die um senkrechte Achsen gedreht werden können, so daß ein Abflug und ein Landen auch bei seitlichen Winden möglich ist.
Wenn der Flugapparat mit seinen Rädern auf dem Erdboden[99] steht, bilden die Flächen gegen diesen einen Winkel von 10°. Der Apparat hebt sich vom Boden empor, wenn er eine Geschwindigkeit von 13–14 m in der Sekunde erreicht hat. Der Motor treibt eine Schraube von 2,3 m Durchmesser an; er macht 1100 Umdrehungen in der Minute und leistet 36–39 P.S.
Das deutsche Feldheer trat nach Schwarte »Die Technik im Weltkriege« mit einhundertpferdigen Eindecker- und Doppeldecker-Aufklärungsabteilungen in den Weltkrieg. Das Flugzeug trug, abgesehen von den Brennstoffen und den beiden Insassen, an Nutzlast nur einige leichte Bomben oder die damals übliche kleine Kamera. Die Steigfähigkeit war so gering, daß das Erreichen der damals kriegsmäßigen Höhe von 800 m oft kaum und nur nach längerer Steigzeit möglich war, ein Umstand, der sich alsbald sehr nachteilig bemerkbar machte, da in Folge der aus Erdwaffen abgegebenen Treffer ein Fliegen in Höhen von 1200 bis 2000 m erforderlich wurde. Alsbald stellte sich auch die Notwendigkeit heraus, Maschinengewehre in das Flugzeug einzubauen. Hierbei wurden Einrichtungen geschaffen, die es ermöglichten, zwischen den Propellerflügeln hindurchzuschießen, ohne diese zu verletzen. Unter den zahllosen neuen Arten von Flugzeugen seien das gepanzerte Infanterieflugzeug, das Großflugzeug und das Riesenflugzeug hervorgehoben. Die mit zwei Motoren ausgestatteten Großflugzeuge besaßen eine große Tragfähigkeit (bis zu 2100 kg) und Steigfähigkeit und gelangten sogar als Angriffsflugzeuge gegen England zur Anwendung. Die Riesenflugzeuge besaßen drei bis vier Motoren, deren Stärke sich von 720 bis zuletzt auf 1800 P.S. steigerte. Die Spannweite betrug bis zu 48 m; die Besatzung bestand aus 5 bis 8 Mann. Der Betriebsstoffvorrat genügte für 8 bis 10 Flugstunden, die Nutzlast wuchs zuletzt bis auf 6000 kg, darunter 1000 bis 1500 kg Bombenlast. Die Geschwindigkeit betrug 110 bis 140 km in der Stunde. Die Steighöhe des vollbelasteten Flugzeugs stellte sich bis auf 4500 m, bei Verwendung von Gebläsen zur Konstanterhaltung der Motorleistung sogar bis auf 6000 m.
Das Jahr 1919 brachte den Flug über den Ozean im Flugzeug. Dieser wurde durch einen mit zwei Mann besetzten Doppeldecker innerhalb 16 Stunden mit einer mittleren Stundengeschwindigkeit von 200 km ausgeführt.
Nach Beendigung des Weltkrieges trat das Flugzeug erfolgreich als regelmäßiges Verkehrsmittel in Tätigkeit. Das Kabinenflugzeug[100] der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft hat beispielsweise Sitzgelegenheit für 6 Reisende, entwickelt eine Geschwindigkeit von 140 km in der Stunde und erreicht eine Höhe bis zu 4500 m. In der Zeit vom Mai 1919 bis September 1920 haben die Zeppelin-Werke G.m.b.H., Staaken nach dem Entwurf des Dr. Ing. Ad. K. Rohrbach ein mit vier 240 P.S.-Maybach-Motoren ausgestattetes, 12 bis 18 Passagiere aufnehmendes, 211 km in der Stunde zurücklegendes Eindecker-Schnellverkehrsflugzeug von 6072 kg Eigengewicht, aus Duraluminium erbaut. Die vier voneinander völlig unabhängigen, genau gleichen Motoranlagen sind von dem die Reisenden und die beiden Führer ausnehmenden Mittelrumpf vollständig getrennt. Die Motoren liegen am Vorderrande des Flügels und treiben unmittelbar je eine Zugschraube. Für Flüge in größeren Höhen erhält das Flugzeug eine Kompressorenanlage und kann dann eine Höhe bis zu 6100 m erreichen.
Nach fachmännischem Urteil gibt es auf der ganzen Erde keinen Ort, der von London im Flugzeug nicht innerhalb von 5 Tagen erreicht werden kann; so Konstantinopel in 20 Stunden, Petersburg in 18 Stunden, Berlin in 7½ Stunden, New York in 2 Tagen, Buenos Aires in 2½ Tagen, Ceylon in 2½ Tagen, Kapstadt in 3 Tagen, Tokio in 4½ Tagen, Melbourne in 5 Tagen. Bei den letztgenannten Reisen muß unterwegs ein Umsteigen in ein anderes Flugzeug erfolgen.
Die größte bisher noch nicht übertroffene Steighöhe, 10 800 m, erreichten am 31. Juli 1901 Prof. Berson und Prof. Süring mit dem Freiballon »Preußen«.
Die Eroberung der Lüfte hat eine außerordentlich hohe Zahl von Opfern gefordert, eine Zahl, die sich allmonatlich noch erhöht. Bis zum Anfang des Jahres 1912 zählte man 118 Todesopfer. Das Jahr 1912 verdoppelte diese Zahl, indem es 236 Fliegern den Tod brachte. Unter den einzelnen Ländern steht Deutschland bezüglich der Opfer des Jahres 1912 obenan mit 29 Toten, es folgen Frankreich mit 27, Amerika mit 18, England mit 15, Italien mit 9 Toten. Von den Unfällen entfielen 68 auf Eindecker, 50 auf Doppeldecker. Von den Getöteten waren 97 Führer und 21 Fluggäste. Die Ursachen der Abstürze bestanden meist im Abrutschen in der Kurve, mißglücktem Gleitflug, Flügelbruch, Versagen und Explosion des Motors.
Auch der Lenkballon hat schwere Katastrophen zu verzeichnen gehabt. Am 9. September 1913 wurde das deutsche Marineluftschiff[101] »L. 1« bei Helgoland das Opfer eines Orkans, wobei 14 Mann der Besatzung den Tod fanden. Fünf Wochen später, am 17. Oktober, stürzte das deutsche Marineluftschiff »L. 2« bei Johannisthal infolge einer Explosion ab, wobei die gesamte Besatzung sowie die Abnahmekommission des Reichsmarineamts, insgesamt 27 Personen, getötet wurden.
Trotz dieser an und für sich erheblich erscheinenden Zahl von Unfällen, die während des Krieges sich naturgemäß vervielfacht haben, hat die Sicherheit des Fliegens im Laufe der Zeit außerordentlich zugenommen. Während im Jahre 1908 ein Todesfall auf 2000 Flugkilometer entfiel, stieg letztere Zahl im Jahre 1909 schon auf 18 000 Flugkilometer, und im Jahre 1912 betrug sie 171 000, so daß innerhalb von 5 Jahren die Sicherheit sich um das Fünfundachtzigfache erhöhte. In Amerika ereignete sich vom 1. Januar bis zum 26. Dezember 1916 bei 73 Flugzeugen und 402 000 km kein tödlicher Unfall.
Der Weltkrieg ist im Gegensatz zu den früheren Kriegen wesentlich mit technischen Mitteln ausgefochten worden. Wenn der Sieg sich schließlich nicht den deutschen Waffen zugewendet hat, so trägt die deutsche Technik hieran nicht die Schuld: Vom ersten bis zum letzten Kampftage war sie zu Lande, über und unter Wasser, in den Lüften der Technik unserer Feinde nicht nur dauernd gleichwertig, sondern vielfach weit überlegen. Die Tätigkeit der Technik war sowohl an der Front wie in der Heimat dauernd eine auf das äußerste angestrengte. Immer und immer wieder wurde sie vor neue gewaltige Aufgaben gestellt. Zunächst war der Aufmarsch der Millionenheere mit ihren ins Ungemessene gesteigerten Mengen an Munition und sonstigem Kriegsgerät zu bewirken, eine Aufgabe, die sich für das an verschiedenen weit voneinander entfernten Fronten kämpfende deutsche Heer besonders schwierig gestaltete. Der Bewegungskrieg, der 1866 und 1870/71 eine schnelle Entscheidung herbeigeführt hatte, wurde durch den Stellungskrieg ersetzt. Dieser erforderte Waffen und Kriegsgerät, das als längst überwunden und veraltet galt und den Verhältnissen der Jetztzeit binnen kürzester Frist angepaßt werden mußte: Hand- und Gewehrgranaten, Minen-, Granaten- und Flammenwerfer, giftige Gase bildeten die Waffen des den Fernkampf ersetzenden Nahkampfes.
Die giftigen Gase wurden entweder den Artilleriegeschossen beigegeben oder unter Ausnutzung der Windrichtung als zusammenhängende Wolke in großer Frontbreite gegen den Feind vorgetrieben. Eine giftige Wirkung trat bereits bei den gebräuchlichen mit Pikrinsäure und Trinitrotuluol gefüllten Geschossen nebenbei auf, die u. a. Kohlenoxyd bildeten. Bei der planmäßigen Verwendung giftiger Gase beschränkte man sich zunächst darauf, den Gegner durch starke Reizung der Schleimhäute des Rachens, der Augen und der Nase zeitweilig kampfunfähig zu machen. Alsbald aber ging man zu Gasen mit tödlicher, mindestens aber gesundheitsschädlicher Wirkung über, wie Chlor, Phosgen, Chlorpikrin, Perstoff (perchlorierter Ameisensäuremethylester). Sorgfältig abgedichtete Gasmasken gewährten zwar einen gewissen Schutz, bildeten aber ein starkes Hindernis der Bewegungsfreiheit des einzelnen Mannes.
Trotz der erhöhten Bedeutung des Nahkampfes erforderten aber die Umstände auch eine wesentliche Erhöhung der Leistung der Schußwaffen bezüglich der zu bestreichenden Entfernungen wie bezüglich der Schußfolge. Für die Heranschaffung der gewaltig gesteigerten Munitionsmengen trat daher das Kraftfahrzeug an die Stelle des allzu wenig leistungsfähigen Zugtieres.
Plötzlich erschien zuletzt der eigenbewegte Panzerkampfwagen, der Tank, an der Front und mußte mit neuen Mitteln abgewehrt werden. Der Aufklärungsdienst verlangte Geschwader von Flugzeugen und Luftschiffen der verschiedensten Art. Die Nachrichtenübermittelung von der Heeresleitung zu den Stäben der einzelnen Heeresabteilungen und von diesen zur Front erforderte eine bisher unbekannte Ausgestaltung der Telegraphie, der Telephonie, der Signalgebung.
Der Seekrieg verlangte insbesondere den Bau zahlreicher seetüchtiger Unterseeboote mit großem Deplacement und weitem Aktionsradius. Die ersten Anfänge des Baues von Unterseebooten gehen bis auf Fulton, den Schöpfer des ersten brauchbaren Dampfschiffes, zurück, dem es im Jahre 1801 gelang, bei Havre vier Stunden unter Wasser zu verbleiben. Seine Erfindung geriet aber in Vergessenheit und wurde erst im Jahre 1848 durch Wilhelm Bauer wieder aufgenommen. Das von diesem erbaute U-Boot versank im Jahre 1851 im Kieler Hafen. Als gegen Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts die Torpedos sich als brauchbare Waffe erwiesen, begann Frankreich mit dem Bau der U-Boote, und im Laufe der Jahre entwickelten sich diese[103] zu einem überaus leistungsfähigen Kampfmittel. Das moderne U-Boot wird entweder als eigentliches Unterseeboot oder als Tauchboot benutzt. Im ersteren Falle wird es vollständig unter die Wasserfläche versenkt, im letzteren Falle nur so weit, daß es teilweise aus dem Wasser hervorragt. Als Unterseeboot bewegt es sich in der Nähe des Feindes, als Tauchboot bewegt es sich auf dem Marsche. Um das Boot mehr oder weniger zu versenken, wird in dessen Ballasttanks Wasser eingelassen, das wieder ausgepumpt wird, wenn ein Emporsteigen beabsichtigt wird. Demgemäß besteht das Unterseeboot aus dem sog. Druckkörper und der diesen umgebenden Hülle, die den Ballasttank bildet. In dem Druckkörper sind die Maschinen, die für die Schiffsführung erforderlichen Apparate, die Mannschafts- und die Provianträume untergebracht. Für die Unterwasserfahrt dienen mittels Akkumulatoren gespeiste elektrische Maschinen, für die Marschfahrt hat sich der Dieselmotor eingeführt. Hatten die ersten von uns erwähnten französischen U-Boote nur eine Wasserverdrängung von 30 t, so hat Deutschland es während des Krieges auf Boote von über 2000 t und von einem größten Fahrbereich von 25 000 Seemeilen gebracht. Fast wäre es den deutschen U-Booten gelungen, unsere Gegner, insbesondere England durch Mangel an Nahrungsmitteln und Rohstoffen niederzukämpfen. Haben doch die feindlichen und neutralen Handelsflotten nach dem Taschenbuch der Kriegsflotten 1917/18 durch kriegerische Maßnahmen, vor allem durch die U-Boote vom 1. August 1914 bis zum 1. Dezember 1917 insgesamt einen Verlust von 13 212 000 t erlitten.
Als unsere Heere siegreich Hunderte von Kilometern in Feindesland vordrangen, galt es, zahlreiche planmäßig gründlichst zerstörte Brücken binnen kürzester Frist mit den einfachsten Mitteln wiederherzustellen.
Diesen Frontleistungen schlossen sich die Leistungen der Heimat würdig an. Der Nachschub der Mannschaften, der Munition und der Verpflegungsmittel, der Rücktransport der Verwundeten vollzog sich mit sorgfältigst vorbereiteter Pünktlichkeit. Zahlreiche Groß- und Kleinbetriebe stellten sich von der Friedensarbeit auf die Erzeugung von Kriegsmaterial um. Hierbei traten Tausende von Frauen willig und erfolgreich an die Stelle der an der Front kämpfenden Männer in den Dienst der ungewohnten gefahrvollen Maschinenarbeit. Als die Einfuhr der wichtigsten Roh- und Fertigstoffe abgeschnitten war, hieß es, mit Hilfe der zur Verfügung stehenden knappen, oft völlig ungeeigneten Mittel[104] Ersatzstoffe schaffen. Aus der Zahl der Kriegsleistungen, die wir hier oberflächlich gemustert haben, mögen einige besonders bemerkenswerte näher erläutert werden.
Eine große Überraschung, die die deutsche Technik unseren Feinden bereitet hat, ereignete sich am 23. März 1918: an diesem Tage schlug das erste Geschoß des deutschen Ferngeschützes in Paris ein. In der Ballistik war man der unzutreffenden Auffassung gewesen, daß selbst bei der höchsten möglichen Steigerung der Anfangsgeschwindigkeit des Geschosses die Schußweite nicht diejenige Größe überschreiten könne, die die Rechnung für den günstigsten Fall, nämlich unter Zugrundelegung luftleeren Raumes, bei einem Steigungswinkel von 45° ergab. Gelegentlich eines Versuchs stellte sich aber heraus, daß eine weit größere Schußweite bei einem Steigungswinkel von 50° zu erreichen ist, eine Folge des Umstandes, daß das mit größerer Elevation abgeschossene Geschoß sich alsbald in einer Luftschicht geringerer Dichte befindet, in der der Widerstand der Luft ihm nicht entgegenwirkt. Das Ferngeschütz war ein Erzeugnis der Fried. Krupp-Aktien-Gesellschaft zu Essen und verdankte seine Entstehung und Durchbildung dem Professor Rausenberger. Der Aufstellungsort desselben lag 120 km entfernt von Paris. Der Scheitelpunkt des Geschosses lag bei Nanteuil 40 km über der Erde. Die Anfangsgeschwindigkeit betrug 1500 m; diese wurde dadurch erreicht, daß das Rohr eine Länge von 100 Kalibern, nämlich bei einem Kaliber von 21 cm eine Länge von etwa 20 m erhielt, wodurch die Ausnutzung des vollen Gasdruckes ermöglicht wurde. Die Flugzeit des Geschosses wurde zu 3 Minuten und 10 Sekunden berechnet. Das Geschoß wog etwa 100 kg. Das Gewicht der Pulverladung, das sonst im allgemeinen ¼ bis ⅓ des Geschoßgewichtes ausmacht, betrug ein Mehrfaches des Geschoßgewichtes. Besondere Schwierigkeiten bereitete die Führung des Geschosses in dem Rohre, da das Rohrinnere sich stark abnutzte. Infolgedessen bestand die Gefahr, daß die Pulvergase zwischen Rohrwand und Geschoß hindurchschlugen, und der Verbrennungsraum nach jedem Schuß sich erheblich vergrößerte. Um jedesmal die gleiche Anfangsgeschwindigkeit zu erzielen, mußte die Ladung nach jedem Schuß neu berechnet werden. Die Sprengladung des Geschosses betrug etwa 8 kg. Da es nicht ausgeschlossen war, daß das Geschoß vom Scheitelpunkte seiner Flugbahn ab nicht mehr mit der Spitze voraus fliegen, also mit seinem Boden auf das Ziel auftreffen werde, mußte ein beson[105]derer Zünder ersonnen werden. Die Zeitdauer des Fluges war so erheblich, daß bei dem Richten des Geschützes die Drehung der Erde berücksichtigt werden mußte. Auch machte sich infolge der großen Schußweite die Krümmung der Erdoberfläche geltend, infolgedessen das Ziel 1½ km unterhalb der in dem Geschützstande gezogenen Wagerechten lag.
Eine nicht minder große Überraschung wurde unseren Feinden durch die Amerikafahrt des Handels-U-Bootes »Deutschland« bereitet, nachdem kurz zuvor die Fachleute eine derartige Leistung in das Reich der Fabel verwiesen hatten. Dieses Handels-U-Boot, das auf der Germaniawerft in Kiel erbaut wurde, verdankte seine Entstehung dem Bremer Großkaufmann Alfred Lohmann. Sein Führer war der Lloyd-Kapitän König. Das Schiff hatte eine Länge von 63 m, eine größte Breite von 8,9 m, einen Tiefgang bei der Oberwasserfahrt von 4,5 m, eine Wasserverdrängung von 1900 t und verfügte bei einer Stundengeschwindigkeit von 8 Knoten über einen Aktionsradius von 20 000 Seemeilen.
Eine andere überraschende Kriegsleistung ging von unseren Feinden aus. Sie bestand in der gepanzerten Kampfmaschine, dem Tank, der zum ersten Male im September 1916 in der Schlacht zwischen Pozières und dem Lenzwalde in die Erscheinung trat und dann bei den Offensiven des Jahres 1917 bei Arras und Cambrai in größeren Massen eingesetzt wurde. Ein solcher Tank bewegt sich nicht auf Rädern fort, sondern auf beiderseits angebrachten endlosen Ketten, sog. Raupenketten oder Raupentrieben, die breite Platten tragen, die sich auf dem Erdboden aufsetzen. Durch diese Raupenketten wird das Eindringen des Fahrzeuges in weichen Boden verhindert, außerdem aber wird der Tank befähigt, größere Unebenheiten des Geländes, Trichter, Gräben usw. zu überschreiten. Die Engländer, die diese mit Benzinmotoren angetriebenen Kampfmaschinen zuerst benutzten, unterschieden männliche und weibliche Tanks; erstere bargen zwei Geschütze in sich, letztere waren mit Maschinengewehren besetzt. Unsere Artillerie hatte sich bald auf die Abwehr der Tanks derart eingestellt, daß z. B. bei Cambrai von etwa dreihundert Panzerkampfwagen einhundertundsieben vernichtet wurden. Der Name »Tank« war, wie nebenbei bemerkt sei, gewählt, um deren heimlich bewirkten Bau zu verschleiern und die Auffassung zu erwecken, es handele sich um fahrbare große Behälter für Betriebsstoffe. Die deutsche Technik[106] erschien alsbald ebenfalls mit Tanks auf den Schlachtfeldern. Diese hatten eine Besatzung von 18 Mann und führten sechs schwere Maschinengewehre, ein 5,7 cm Schnellfeuergeschütz, einige leichte Maschinengewehre, Flammenwerfer und Handgranaten. Ihre Panzerung war an den Stirnwänden 30 mm, an den Seitenwänden 20 mm stark, ihre Geschwindigkeit betrug bis zu 12 km in der Stunde. Wie das Kriegsluftschiff und das Kriegsflugzeug nach Beendigung des Krieges sich in den Dienst friedlicher Arbeit gestellt haben, so verrichtet auch der Tank jetzt nützliche Arbeit dort, wo es sich darum handelt, große Lasten über zerklüftetes Gelände sowie über starke Steigungen zu befördern.
Zu den größten Ruhmestaten der deutschen Technik, die der Weltkrieg gezeitigt hat, gehört die Vervollkommnung der Gewinnung des Stickstoffs aus der Luft und die Synthese des Ammoniaks. Ihnen haben wir es zu verdanken, daß wir nicht bereits wenige Monate nach Ausbruch des Krieges dem Hunger und dem Munitionsmangel erlegen sind. Als über unsere Küsten die Blockade verhängt war, blieb u. a. auch der chilenische Salpeter aus, der alljährlich in einer Menge von 700 000 t eingeführt wurde. Von dieser Menge waren vier Fünftel für unsere Landwirtschaft erforderlich, um uns eine ausreichende Ernte zu sichern. Nun erforderte aber auch die Herstellung der wichtigsten an der Front benötigten Explosivstoffe, Pulver, Schießbaumwolle usw. große Mengen der aus Salpeter gewonnenen Salpetersäure. Durch das Ausbleiben des Chilesalpeters würde daher unser Zusammenbruch alsbald herbeigeführt sein, hätte nicht die Gewinnung des Luftstickstoffes und die Synthese des Ammoniaks, dessen hohe Bedeutung für die Landwirtschaft bereits Liebig erkannte, mit durchschlagendem Erfolge rechtzeitig für Ersatz gesorgt und uns sogar dauernd vom Auslande unabhängig gemacht.
Die Gewinnung des Stickstoffs der Luft vollzieht sich durch Bindung desselben an Sauerstoff, also durch Stickstoffverbrennung. Nachdem bereits Priestley und Cavendish beobachtet hatten, daß Stickstoff und Sauerstoff unter der Einwirkung des elektrischen Funkens sich vereinigen, wies Nernst nach, daß diese Vereinigung wesentlich von der Temperatur beeinflußt wird. Birkeland und Eyde fanden, daß der in ein magnetisches Feld gebrachte Lichtbogen sich zu einer Scheibe erweitert, die ein vorzügliches Mittel zur Oxydation des 80 Teile der Luft bildenden Stickstoffs darstellt. Diese Flamme wird in einem[107] Ofen zwischen kupfernen, wassergekühlten Elektroden erzeugt, und gleichzeitig werden pro Minute 25 000 Liter Luft durch den Flammenraum des Ofens geleitet. Alsdann wird die Luft schnell abgekühlt und in Oxydationsbehälter geleitet, in denen sich das Stickstoffoxyd, indem es aus der Luft Sauerstoff aufnimmt, in Stickstoffdioxyd verwandelt. In einer Absorptionsvorrichtung wird das Stickstoffdioxyd in Salpetersäure überführt, die an Kalk gebunden wird. Das Kalziumnitrat wird alsdann entweder zur Darstellung von Salpetersäure oder als Düngemittel verwendet. Otto Schönherr von der Badischen Anilin- und Sodafabrik hat ein anderes vorteilhafteres Verfahren gefunden, bei welchem im Inneren eines Eisenrohres von relativ geringem Durchmesser der elektrische Lichtbogen erzeugt wird. Durch das Rohr wird zugleich Luft geleitet und mit dem Lichtbogen in Berührung gebracht.
Nach dem Verfahren von Dr. Frank† und Dr. Caro, Berlin, dem »Kalkstickstoff-Verfahren«, wird fein gepulvertes Kalziumkarbid in einer geschlossenen Retorte auf Rot- bis Weißglut erhitzt und reiner Stickstoff darüber geleitet. Dieser wird hier begierig absorbiert. Der Stickstoff wird entweder in der Weise dargestellt, daß Luft über glühende Kupferspäne geleitet wird, die den Sauerstoff binden, oder man benutzt aus flüssiger Luft dargestellten Stickstoff. Durch Behandlung mit Wasserdampf unter Druck kann der an den Kalkstickstoff gebundene Luftstickstoff in Form von Ammoniak gewonnen werden.
Die Synthese des Ammoniaks verwirklicht zu haben, ist das Verdienst des für diese Leistung mit dem Chemie-Nobelpreis 1918 bedachten Professors Dr. Haber von der Berliner Universität. Wie sich unter dem Einfluß des elektrischen Funkens Stickstoff mit Sauerstoff vereinigt, so verbindet sich unter ähnlichen Bedingungen Stickstoff mit Wasserstoff zu Ammoniak. Das Verfahren, das von Haber in Gemeinschaft mit der Badischen Anilin- und Sodafabrik zu einem Großbetrieb von höchster Leistungsfähigkeit vervollkommnet ist, bot besondere Schwierigkeiten, weil es Drucke bis zu 250 Atm. und Temperaturen zwischen 500 bis 700° erfordert. Auch sind für die Vergrößerung der Reaktionsgeschwindigkeit besonders geeignete sog. Katalysatoren nötig. Nach Überwindung aller dieser Hindernisse ist uns in der Synthese des Ammoniaks ein weiteres sicheres Mittel gegeben, unserer Landwirtschaft den ausländischen Salpeterstickstoff zu ersetzen, der uns vor dem Weltkriege alljährlich bis zu 180 Mill. Mk. kostete.
Am sausenden Webstuhl der Zeit. Übersicht über Wirkungen der Entwicklung d. Naturwissenschaften u. Technik a. d. gesamte Kulturleben. Von Prof. Dr. W. Launhardt. 4. Aufl. Mit 16 Abb. (ANuG Bd. 23.) Kart. M. 10.–, geb. M. 12.–
Ein geistreicher Rückblick auf die Entwicklung der Naturwissenschaften und der Technik, der die Weltwunder unserer Zeit verdankt werden, über die naturwissenschaftlichen Entdeckungen, die die Sinne verschärfen und vervollkommnen, wie über die Erfindungen, die unsere Herrschaft über den Raum in ungeahnter Weise ausgebreitet haben, die modernen Schußwaffen, wie die Fernrohre, die Eisenbahnen, Dampfschiffe und Luftfahrzeuge.
Naturwissenschaft und Technik der Gegenwart. Eine akademische Rede mit Zusätzen von Prof. Dr. R. v. Mises. (Abhandlungen und Vorträge a. d. Gebiete der Mathematik, Naturwissenschaft u. Technik, Heft 8.) M. 8.–
In fesselnder Darstellung führt der bekannte Gelehrte die große Bedeutung vor Augen, die den neuesten naturwissenschaftlichen Forschungen innerhalb unseres gesamten geistigen Lebens zukommt und zeigt, in welchem Verhältnis diese zu den sich überstürzenden technischen Fortschritten stehen. Dabei werden vor allem auch die Grundgedanken der Relativitätstheorie und der modernen Atomistik gemeinverständlich dargelegt.
Antike Technik. Sieben Vorträge von Geh. Oberreg.-Rat Prof. Dr. H. Diels. 2. Aufl. Mit 78 Abbild., 18 Taf. u. 1 Titelbild. Geh. M. 30.–, geb. M. 40.–
»… In meisterhafter Weise und mit erstaunlicher Beherrschung auch abgelegener kulturgeschichtlicher Gebiete aller Zeiten, zugleich in ausgeprägt praktischem Sinn hat Diels es verstanden, ein Stück großer Vergangenheit wieder zu erschließen.«
Physik und Kulturentwicklung durch technische und wissenschaftliche Erweiterung der menschlichen Naturanlagen. Von Geh. Hofrat Prof. Dr. Otto Wiener. 2. Aufl. Mit 72 Abb. Geh. M. 24.–, geb. M. 35.20
»Es ist konzentriertes Wissen, das uns hier geboten wird, die Zusammenfassung der Erkenntnisse und der bisher erzielten höchsten Leistungen auf allen Gebieten der Naturwissenschaft und Technik, ein Spiegelbild des Kulturfortschrittes der Menschheit, soweit es mit Physik zusammenhängt.«
Der Brückenbau. Ein Nachschlagebuch für die Praxis und Leitfaden für den technischen Unterricht. Von Gewerbeschulrat Reg.-Baumeister Baugewerkschuldirektor A. Schau. Mit 728 Abb. und 6 Tafeln. Geb. M. 64.–
»Die Darstellung ist bei aller Knappheit leicht verständlich und deutlich und sind gute, klare und einfache Abbildungen beigegeben. Das vorliegende Buch kann jedem Praktiker bestens empfohlen werden.«
Der Eisenbahnbau. Ein Nachschlagebuch für die Praxis und ein Leitfaden für den technischen Unterricht. Von Gewerbeschulrat Reg.-Baumeister Baugewerkschuldirektor A. Schau. 2 Teile in einem Bande. Mit 477 Abb. im Text und auf 1 Tafel. Geb. M. 66.70
»Die Behandlung des Stoffes ist klar und übersichtlich. Die beigefügten Skizzen sind sauber und deutlich mit den erforderlichen Maßen wiedergegeben. Das Buch kann sowohl für Lehrzwecke als für die Praxis des Eisenbahnwesens nur warm empfohlen werden.«
Deutsche Baukunst. Von Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Ad. Matthaei. 4 Bd. Kart. je M. 10.–, geb. je M. 12.–
Bd. I: Deutsche Baukunst im Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Ausgang der romanischen Baukunst. 4. Aufl. Mit 35 Abb. (ANuG Bd. 8.) Bd. II: Gotik und Spätgotik. 4. Aufl. Mit 67 Abb. und 3 Tafeln. (ANuG Bd. 9.) Bd. III: Deutsche Baukunst in der Renaissance und der Barockzeit bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. 2. Aufl. Mit 63 Abb. u. Tafeln. (ANuG Bd. 326.) Bd. IV: Deutsche Baukunst im 19. Jahrhundert und der Gegenwart. 2. Aufl. Mit 35 Abb. (ANuG Bd. 781.)
»In bündiger, überaus verständlicher Sprache entrollt der Verfasser die Entwicklungsgeschichte der deutschen Baukunst. Das Buch ist so recht geeignet, das zu erfüllen, was der Verfasser desselben ausspricht: ›Den Laien Klarheit schaffen über die Fragen der Baukunst und die Künstler auf jene Zeit hinweisen, in der die Baukunst der Ausdruck deutschen Wesens war.‹«
Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin
Preisänderung vorbehalten
Weitere Anmerkungen zur Transkription
Offensichtlich fehlerhafte Zeichensetzung wurde stillschweigend korrigiert, die Streckenstriche (–) wurden vereinheitlicht.
Die Auszeichnung der Maßeinheiten (mm, cm, m, km, qm, ha, qkm, l, cbm, kg, t, P.S., C), römischen Zahlen und von Dr. wurde entfernt.
Korrekturen:
S. 4: Seitenzahl 87 zu 88
Starre Luftschiffe 88
S. 7: drathlose zu drahtlose
… auf die drahtlose Telegraphie,
S. 16: lüsteten zu lüfteten
… und lüfteten hierbei den auf dem Gerüst ruhenden Träger …
S. 27: menschlischen zu menschlichen
die Lampen und die menschlichen Ausdünstungen …
S. 33: letzere zu letztere
… letztere für einen Niveaukanal.
S. 40: insbebesondere zu insbesondere
insbesondere die Baggerarbeiten …
S. 42: könnnen zu können
sie können einen ganzen Schleppzug …
S. 45: Absolute Zahlen und Prozentangaben bei Frankreich und Schweden sind unstimmig (wurden unverändert belassen).
S. 45: PS zu P.S.
Wasserkräfte in P.S.
… nur 0,02 P.S. auf den Kopf der Bevölkerung,
S. 48: Edertalspeere zu Edertalsperre
Das größte Staubecken Europas ist die Edertalsperre
S. 49: Hohe zu Höhe
Die Sperrmauer hat eine Höhe von 48 m …
S. 53: PS. zu P.S.
Die Übertragung von 300 P.S. erfolgte hier mit 8000 Volt …
S. 61: besonderen zu besonderem
Von besonderem Interesse ist die am 1. Juli 1913 …
S. 85: Dis zu Die
Die Länge des Schiffes beträgt 276 m;
S. 92: Ausstieg zu Aufstieg
… am 17. Oktober 1911 den ersten Aufstieg unternommen hatte,
S. 102: Dampfchiffes zu Dampfschiffes
den Schöpfer des ersten brauchbaren Dampfschiffes,