Project Gutenberg's Der Erbe. Zweiter Band., by Friedrich Gerstäcker

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Title: Der Erbe. Zweiter Band.

Author: Friedrich Gerstäcker

Release Date: August 4, 2014 [EBook #46504]

Language: German

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Der Erbe.


Roman
von
Friedrich Gerstäcker.

Die Uebersetzung dieses Werkes in fremde Sprachen wird vorbehalten.

Zweiter Band.


Jena,
Hermann Costenoble.
1867.

Inhaltsverzeichniß.

Seite
1. Am Krankenbett 7
2. Zwei Glückliche 24
3. Frau Heßberger 54
4. Neben der Werkstätte 86
5. Die Werbung 112
6. Staatsanwalt Witte zu Hause  136
7. Bei der Leiche 164
8. Der Raubmord 185
9. Die Untersuchung 222
10. Verschiedene Eindrücke 248
11. Rath Frühbach 275
12. Die Nachbarin 296
13. Das Geständniß 323

1.
Am Krankenbett.

Ungleich der stürmischen oder doch bewegten Unterhaltung im unteren Theil des Schlosses verhandelten die Personen im oberen, in Benno's Krankenstube, und Benno selber saß mit hochgerötheten Wangen in seinem Bett und lauschte der Erklärung Baumann's, der vor ihm auf einem kleinen Tische die mitgebrachte Maschine stehen hatte und jetzt ihre Wirksamkeit beschrieb.

»Aber woher haben Sie das wunderliche Ding, Baumann?« sagte der Knabe mit blitzenden Augen, denn sein ganzes Interesse war geweckt worden. »Doch nicht selber gefertigt? Das sieht ja gerade so aus, als ob es schon über hundert Jahre alt wäre.«

»Das ist es auch vielleicht, lieber Baron,« erwiederte der junge Mechanikus, »und eine nicht ganz werthlose Antiquität, die dem alten, reichen Salomon gehört.«

»Aber was, um Gottes willen, stellt es vor? Was bezweckt es? All' die vielen Räder, die schwere Kugel dann und die Hebel!«

»Es sollte ein altes Problem lösen,« lächelte Baumann, »das perpetuum mobile

»Um vielleicht durch ein perpetuum immobile zu beweisen, daß es auch das Gegentheil geben müsse,« lachte Benno, der seine Krankheit ganz vergessen hatte. »Wie komisch das ist! Es rührt und regt sich ja gar nicht.«

»Weil es noch nicht in Gang gebracht ist,« erwiederte Baumann; »wenn das aber geschieht – und wir wollen das gleich einmal thun –, so kann ich Ihnen versichern, daß es ununterbrochen fortläuft und kein Aufhören mehr zu berechnen ist, die Zeit natürlich ausgenommen, wo sich das Material selber abnutzt und die Räder ausgeleiert werden – ein Nachtheil, der allen Menschenwerken anhängt, ob er sie nun später oder früher ereilt.«

»Und wie kommen Sie dazu, Baumann?«

»Es war die erste Arbeit, die mir, seit ich mich selbstständig etablirt habe, anvertraut wurde,« sagte der junge Mechanikus, »und ich glaube, ich habe meine Aufgabe ehrenvoll gelöst, denn der alte Salomon versicherte mir, er hätte das kleine Werk schon in alle größeren Städte Deutschlands, zu den berühmtesten Arbeitern gesandt, ohne es je reparirt zu bekommen. Die Antwort von Allen habe gelautet, sie wollten lieber etwas Aehnliches neu herstellen, als den Fehler finden, der hier die Räder verhinderte, fortzuarbeiten. Und doch lag das Ganze nur an einer Kleinigkeit, an einem falsch eingesetzten Rädchen, das vielleicht einmal eine ungeschickte Hand beim Reinmachen herausgenommen und, da es Aehnlichkeit mit einem andern hatte, nicht wieder an die rechte Stelle brachte. Das aber störte natürlich die Arbeit des ganzen Werkes, weil seine Zähne etwas weiter aus einander stehen.«

»Und Sie fanden den Fehler?«

»Gewiß, und Sie sollen sich jetzt selber überzeugen, wie günstig und glatt es geht. Drei Tage und drei Nächte habe ich es schon bei mir im Zimmer in Gang gehabt; es arbeitet vortrefflich, und ein Ablaufen des Räderwerkes ist, so lange die Räder selber in Ordnung bleiben, gar nicht denkbar.«

Er hatte dabei die Messingkugel auf einen bestimmten Punkt gelegt und ließ sie dort auf einen Hebel fallen; dadurch kam das ganze Räderwerk in Gang, und die Kugel selber wurde langsam, aber in genau abgemessener Weise nach und nach und von Zahn zu Zahn wieder hinauf an ihre alte Stelle gebracht, um ihren Kreislauf dort von Neuem zu beginnen. Jedesmal aber, wenn sie den Punkt erreichte und dann wie vorher ab und auf den Hebel traf, brachte sie das Ganze von Frischem in Gang.

Kathinka, die sich noch im Zimmer befand, hatte der kleinen Maschine, an der sich Benno nicht satt sehen konnte, mit vielem Interesse zugeschaut, aber doch dabei manchmal aus dem Fenster gehorcht, denn es war ihr fast, als ob sie unten die scharfe, keifende Stimme des Fräuleins von Wendelsheim hörte. Was war da wieder vorgefallen – und sicher trug wieder der Baron Bruno daran die Schuld, der eben dort zum Thore hinaussprengte, oder hatte wenigstens die Ursache gegeben. Sollte sie selber jetzt hinuntergehen? Es war wohl besser, sie wartete noch eine kurze Zeit, bis der Sturm ein wenig ausgetobt; sie mochte der »Tante« nicht muthwillig in den Weg laufen.

Eine Viertelstunde verging noch so, und Benno konnte nicht müde werden, das kleine Kunstwerk zu beobachten, das, freilich immer nur eine Spielerei, doch dem Verfertiger alle Ehre machte, als plötzlich die Thür rasch geöffnet wurde und Tante Aurelia einen Blick in's Zimmer warf.

»So,« rief sie dabei, »und Du sitzest noch hier, die Hände im Schooß, und weißt gar nicht, daß unten Alles auf dem Kopfe steht? Und Benno soll seinen Thee wohl ebenfalls kalt trinken, Mamsell, heh? Haben wir Dich deshalb in's Haus genommen und die langen Jahre gefüttert, um nur eine Hofdame aus Dir zu machen, die sich Morgens in Staat wirft und dann den ganzen Tag spazieren geht?«

»Ich wußte nicht, daß es schon so spät war,« sagte Kathinka schüchtern und glitt an der Zornigen vorbei aus der Thür, während die Tante ihr nachzankte: »Und wozu hast Du Deine Augen, als Dich selber darum zu bekümmern und nach der Uhr zu sehen, Du nachlässiges Ding Du! Den jungen Leuten nachlaufen, ja, das kann sie, aber zu sonst ist sie auf der Gotteswelt nichts nutz, und ich erlebe doch hoffentlich auch noch die Zeit, wo wir die Bürde hier vom Halse los werden!«

Kathinka hatte wahrscheinlich nicht die Hälfte der harten Worte mehr gehört, denn sie war in Schreck und Scham die Treppe hinabgesprungen. Benno aber, als sie die Thür wieder schloß, jedenfalls um ihr nachzugehen und ihre Strafpredigt fortzusetzen, seufzte recht tief auf und sagte traurig: »Das arme, arme Mädchen! Sie ist so gut und brav, arbeitet von früh bis spät und pflegt mich, wie es eine Mutter nicht besser könnte, und nie ist die Tante mit ihr zufrieden; immer und ewig zankt sie und macht ihr unser Haus zu einer Hölle. O, daß ich nur gesund wäre und ihr beistehen könnte! Aber wenn ich nur laut reden will, sticht es mich hier so in der Brust, und ich muß dann stundenlang regungslos auf meinem Kissen liegen.«

»Ich glaube,« sagte Baumann leise, »das gnädige Fräulein Tante zankt mit Jedermann und braucht täglich einen gesunden Skandal, um sich bei frischen Kräften zu erhalten. Es ist auch so eine Art perpetuum mobile, das ich aber, aufrichtig gesagt, lieber nicht repariren möchte, wenn es einmal aufhören sollte zu arbeiten.«

»Sie haben recht, Baumann,« lächelte Benno, »und ihre Zunge ist die Kugel, die stets auf's Neue das ganze Räderwerk in Bewegung setzt, denn schon nach den ersten Worten arbeitet sie sich selber in die größte Aufregung hinein. Nur mit mir zankt sie nicht, so gern sie es auch manchmal möchte, und daß Sie mich besuchen, scheint ihr auch nicht angenehm zu sein.«

»Ich habe wenigstens noch nie einen freundlichen Blick oder Gruß von ihr bekommen.«

»Dessen können sich überhaupt nur wenig Menschen rühmen,« seufzte Benno. »O, warum sich und Anderen das Leben so schwer machen! Es ist doch so schön und, ach, so kurz!«

Kathinka trat herein und brachte den Thee, setzte ihn aber nur auf den Tisch und verließ augenblicklich das Zimmer wieder. Sie hatte rothgeweinte Augen und wollte die wahrscheinlich nicht vor den jungen Leuten sehen lassen.

Baumann's Blick haftete auch mit innigem Mitleiden auf ihr; sie war so jung und so unglücklich schon, stand so ohne Schutz und Freunde da, und ertrug doch Alles mit so stiller Demuth, ohne ein einziges Wort der Widerrede! Er hatte auch wirklich einen bittern Fluch gegen die »steinerne Tante« auf den Lippen, verbiß ihn aber, um Benno nicht wehe zu thun, und setzte nun langsam die Maschine außer Gang und zurück neben seinen Hut.

»Sie wollen doch noch nicht fort, Baumann?« fragte Benno rasch. »Du lieber Gott, dann bin ich ja ganz allein, denn Kathinka hat die Tante weggejagt und Bruno ist ja auch wieder fortgeritten, er wäre sonst gewiß noch einmal heraufgekommen.«

»Ich kann noch etwas bleiben, lieber Baron, aber ich fürchte, Sie regen sich zu sehr auf. Sie sehen jetzt schon so blaß aus.«

»Weil ich mich über die Tante geärgert habe,« sagte der Knabe. »Weshalb zankt sie immer mit der armen Kathinka – ich bin ja auch gar nicht krank mehr, nur noch schwach, wie mir der Doctor selber gesagt hat, und nur ausruhen soll ich mich, recht ordentlich ausruhen, damit ich wieder zu Kräften komme – könnt' ich nur fort von hier!«

»Aber wohin?« fragte Baumann.

»Bruno hat mir versprochen,« fuhr der Knabe mit leuchtenden Blicken fort, »wenn er jetzt das viele Geld von seiner großen Erbschaft bekommt, was ja nur noch wenige Wochen dauert, dann macht er mit mir eine Reise nach Italien. Dort ist weiche, warme Luft, dort erhol' ich mich gewiß in so viel Tagen, wie hier in Monden, und dann nehmen wir Kathinka als Krankenpflegerin mit – ja, Baumann, gewiß! Ich habe es schon Alles mit meinem Bruder ausgemacht – ich brauche noch Pflege unterwegs, wenigstens in der ersten Zeit – aber die Tante,« setzte er lächelnd hinzu, »die lassen wir hier in dem alten, öden Schlosse, wo es mir immer ist, als ob die Mauern über mir zusammenbrechen müßten, und dann kann sie nicht mehr mit Kathinka zanken, und sie wird wieder heiter und glücklich werden und wieder lachen – ach, Baumann, Sie sollten sie einmal lachen hören, wie herzlich, wie lieb das klingt! Aber,« setzte er leise hinzu, »es ist schon lange her, daß ich es nicht mehr gehört habe, und es thut mir doch so wohl.«

Er lag viele Minuten still und regungslos, und Baumann, das Herz von innigem Mitleiden mit dem Armen erfüllt, wagte selber nicht das Schweigen zu brechen. Welchen Trost hätte er ihm auch geben können? Endlich sagte Benno wieder:

»Wo nur der Vater heute sein mag, daß er nicht ein einziges Mal zu mir heraufkommt, und er weiß doch, wie ich mich immer freue, ihn hier zu sehen – aber freilich,« setzte er seufzend hinzu, »bei mir hier oben ist es so langweilig, und er hat so wenig Geduld – da ist die Kathinka besser, und wenn sie dürfte, säße sie halbe Tage lang an meinem Bett und erzählte mir ihre wunderhübschen Geschichten. Ach, sie kann so schön erzählen, Baumann, und wenn sie es thut, seh' ich all' die Personen, die sie beschreibt, all' die Feen und Elfen mit ihren lieben Gestalten um mein Bett stehen, und es wird mir dann so wohl, o, so wohl...«

Er sank zurück, Todtenblässe deckte seine Züge, er war ohnmächtig geworden, und Baumann zog jetzt die Klingel, um Hülfe herbeizurufen, aber nur die Magd erschien. Das gnädige Fräulein Tante war unten in den Ställen und zankte sich gerade mit einer der Viehmägde, Fräulein Kathinka war aber in den Garten geschickt, um dort die Blumen zu begießen.

Benno erholte sich jedoch, wie ihm nur Baumann ein nasses Tuch um die Stirn legte, rasch von selber wieder; aber er war jetzt so schwach geworden, daß er nach Ruhe verlangte.

»Ich will schlafen,« sagte er leise, indem er dem Freund die Hand reichte – »heute bin ich recht elend, aber wenn Sie wieder herauskommen, finden Sie mich von allen Schmerzen frei – dann beginnt eine glückliche Zeit. Leben Sie wohl, mein guter Baumann!« Er drehte sich ab und legte sich auf die Seite. Baumann sah nur noch die eingefallenen Wangen, die hohlen Schläfe und geschlossenen Augen. Es war ihm, als ob er einen Todten verließ, als er, seine Maschine im Arm, die Thür des Zimmers hinter sich zudrückte.

Er stieg langsam die Treppe hinunter und betrat durch eine Seitenthür den Garten – es wurde unten im Park an dem einen Theile der Mauer gebaut, und er wußte, daß er dort hinaus ein bedeutendes Stück seines Weges abschneiden konnte –, aber er mußte an dem Gartensaal vorüber, und als er die Thür desselben passirte, bemerkte er den alten Freiherrn, der dort, die Stirn noch immer an die Glasscheibe gelegt, stand und anscheinend hinaus in den Garten sah. Im ersten Momente wollte er ihn auch anreden und ihm sagen, daß Benno wieder eine Ohnmacht gehabt. Der Kranke schlief aber jetzt gerade; wenn der Baron hinaufging, störte er ihn nur wieder. Das vorher gerufene Mädchen würde es schon der Tante sagen; er selber beschloß, nichts davon zu erwähnen. Nur als er vorüberging, zog er seinen Hut ab und grüßte den alten Herrn, dessen stieres Auge auf ihm haftete – aber ob er ihn trotzdem nicht sah? Er dankte wenigstens nicht, noch gab er irgend ein Zeichen der Erkennung. Still und regungslos stand er an der Glasthür und starrte, wie in das Leere, in die grünen Büsche und Sträucher hinein. Dem jungen Mann wurde es auch ganz unheimlich, als er ihn da so stehen sah. Was um Gottes willen war vorgegangen, das den alten, sonst so strengen und kalten Herrn dermaßen erschüttern und von seiner nächsten Umgebung ablenken konnte!

»Soll mich der Himmel vor Macht und Reichthum bewahren,« flüsterte Baumann leise vor sich hin, als er durch die laubigen Gänge des Parkes schritt, »wenn ich sie solcher Art mit meinem Seelenfrieden erkaufen mußte! Wie kummervoll der Mann aussieht! Hat er vielleicht von dem neuen Anfall des jüngsten Kindes gehört und sorgt sich darüber? – armer Vater! – Oder ist es etwas Anderes, das ihn drückt? Wenn so, dann müßte er es auch allein tragen, denn er hat keinen Freund, dem er sich anvertrauen könnte oder wollte.« Er war wohl ein »vornehmer Herr,« aber er stand allein, trostlos allein in der weiten Welt, und Niemand half ihm seine Lasten tragen, und doch war der Glanz und Prunk, der ihn umgab, und das Meiste von alledem, nur noch gemacht, wie Baumann recht gut wußte. Ein übertünchtes Elend, um Rang und Stand mit den letzten, fast erschöpften Kräften aufrecht zu erhalten, und das Alles ohne die Spur von häuslichem Glück und Frieden, und nichts in dem großen, öden Schlosse, als Stolz, Haß und Unfriede, und dazwischen den lauernden Tod am Krankenbett des Sohnes!

Baumann war, in seine trüben Gedanken vertieft, rasch durch den Park jener Stelle zugeschritten, an welcher, wie er wußte, die Mauer niedergeworfen worden und eben neu aufgebaut werden sollte. Er hatte auch auf seine Umgebung wenig oder gar nicht geachtet, als er plötzlich ein lichtes Kleid durch die Büsche schimmern sah und gleich darauf Kathinka erkannte. Sie kam gerade, eine große, aber jetzt leere Gießkanne in der Hand, von den ihr anvertrauten Beeten her und wollte nach dem Schloß zurück. Als sie Baumann bemerkte, war es auch fast, als ob ihr Fuß einen Moment zögerte; sie wäre ihm in der That am liebsten ausgewichen, denn ihre Augen zeigten noch Spuren von vergossenen Thränen, und sie scheute sich, die den Fremden sehen zu lassen; aber es ging nicht mehr, er war schon zu nahe herangekommen, und Baumann selber ging auf sie zu, um ihr den Unfall mitzutheilen, der Benno während ihrer Abwesenheit betroffen.

»Du lieber Gott,« rief sie erschreckt aus, »der arme junge Mensch! O, nicht einen Augenblick sollte er allein gelassen werden – sie wissen ja gar nicht, wie krank er ist, sie können es nicht wissen, oder sie würden anders handeln. Ich will gleich zu ihm.«

»Lassen Sie ihn jetzt,« sagte Baumann freundlich; »er ist eingeschlafen, und die Ruhe wird ihm gut thun; er bedarf ihrer.«

»Er wird bald von allen seinen Leiden ausruhen,« sagte Kathinka traurig – »bald und für immer.«

»Halten Sie seinen Zustand wirklich für so gefährlich?«

»Ich fürchte, ja. Er hat die letzten Tage an Kräften in erschreckender Weise abgenommen, und seine Augen haben einen so unheimlichen Glanz bekommen.«

»Der arme, arme Benno, wie wenig Freude hat er noch im Leben gehabt, und so jung schon sterben – sterben jetzt, da vielleicht in dem Reichthum seines Bruders und dem neu erwachenden Glanz des Hauses auch ein besseres Dasein für ihn beginnen könnte! Glauben Sie nicht?« fuhr er fort, als Kathinka leise mit dem Kopf schüttelte. »Bruno würde gewiß freundlich mit ihm sein, er ist von Herzen gut und hat ihn lieb.«

»Ja,« sagte Kathinka, »Bruno schon, aber die Tante ist der böse Geist im Hause, der kein Glück und keinen Frieden aufkommen läßt, und ich selber hätte es auch schon lange verlassen, wenn ich nicht Benno's wegen bliebe. Aber er hat sich so an mich gewöhnt, daß er ganz unglücklich sein würde, wenn ich ginge – sonst lieber trocken Brot unter Fremden essen,« setzte sie leise hinzu.

»Sie haben ein schweres Leben hier im Hause, mein armes Fräulein,« sagte Baumann mitleidsvoll, »und ich begreife da wirklich die Tante nicht, denn sie hat Benno lieb, das zeigt sich in Allem, und doch kränkt sie ihn so oft durch Sie. Er sagte mir selber heute, daß ihn das Zanken wieder krank gemacht.«

»Ich muß zum Hause zurück,« erwiederte Kathinka ausweichend. »Benno könnte aufwachen und nach mir verlangen, und meine Arbeit ist hier beendet. Leben Sie wohl, Herr Baumann!« Und mit leichten Schritten eilte sie den Gang hinab dem Schlosse zu.

Fritz Baumann verließ den Park heute mit recht schwerem Herzen. Er hatte den kranken Knaben wirklich liebgewonnen, und wie lange konnte es noch dauern, bis er in der kühlen Erde ruhte! Dann kehrte auch er nicht mehr in den Schatten dieser Bäume zurück, dann war auch ihm der Weg hieher abgeschnitten, denn er fühlte recht gut, daß ihn der Baron wie die Tante hier nur Benno's wegen duldeten. Er selber würde sie auch nie aufgesucht haben.

Er stand noch und sah zu dem Schloß nachdenkend zurück, das gerade hier, bei einer Biegung des Weges, durch die dichten Wipfel sichtbar wurde, als er plötzlich das schmerzliche Winseln und Heulen eines Hundes und scharfe Peitschenschläge auf dessen Rücken hörte. Es war der Revierförster, der seinen Dachs an der Leine hatte und aus irgend einem Grund jämmerlich abprügelte.

»Du großer Gott,« sagte Baumann fast unwillkürlich vor sich hin, »ist das ein trostloser Platz hier – nicht einmal ein Hund kann sich da wohl fühlen! Ich will dem Himmel danken, wenn ich ihn nicht mehr zu betreten brauche!« Und rasch ausschreitend, erreichte er bald darauf die Parkbrücke und gleich dahinter die freie Straße, wo er ordentlich aufathmete, als ob er einem Gefängniß entwichen sei.

2.
Zwei Glückliche.

Bruno von Wendelsheim war in scharfem Trab in die Stadt zurückgeritten, aber heute wahrlich in keiner so gedrückten Stimmung, als er sonst wohl das väterliche Haus verlassen; denn jenes ruhige Gefühl überkam ihn dabei, das uns immer ergreift und beherrscht, wenn wir nach langen, peinigenden Zweifeln über irgend einen wichtigen Abschied unseres Lebens zu einem bestimmten und festen Entschlusse gekommen sind.

Liebe – wann hatte er Liebe je in seinem Vaterhaus gefunden? Nie, nie! Nur mit Furcht war er erzogen und geleitet worden, nur Furcht hatte er vor dem strengen alten Herrn gekannt, bis er heranwuchs und auch diese abschüttelte. Dann war nichts geblieben, als das Bewußtsein, daß er dem Manne, als seinem Vater, Achtung und Gehorsam schuldig sei – aber nur Gehorsam so weit, als es nicht sein eigenes Lebensglück, seine ganze Zukunft betraf, die zu leiten er durch seine Härte und Gleichgültigkeit schon des Rechtes verlustig gegangen war.

Als er heute Morgen hinaus nach Wendelsheim ritt, war er denn auch nur darauf gefaßt gewesen, nach seiner Erklärung einem Sturm von Vorwürfen und Zornesworten zu begegnen, die ja auch kaum ausbleiben konnten, da er zum ersten Mal es wagte, nicht allein vollkommen unabhängig seinem Vater entgegenzutreten, nein, ihn sogar an seinem verwundbarsten Punkt, seinem alten Adelsstolz, seinem unantastbaren Stammbaum zu verletzen. Daß er gänzlich unvorbereitet darauf war, ihn, statt aufbrausend und wüthend, nur weich und schmerzbewegt, ja, wie gebrochen zu finden, läßt sich denken; er würde es nie im Leben für möglich gehalten haben, und so überrascht, so erschüttert selbst fühlte er sich davon, daß er sogar für einen Moment schwankend in seinem Entschluß wurde, um von dem alten Mann den Schmerz zu nehmen, bis die Tante mit ihrem kalten, höhnischen Blicke in's Zimmer trat und mit ihrem Augenblick Alles, Alles zurückrief, was er in seinem Leben hier erduldet.

Seine ganze, ihm abgestohlene und mißhandelte Jugend lag bei ihrem Anblick vor seinen Augen; all' die Thränen, die er im Stillen geweint, all' der heimliche Ingrimm, den sie in die Kindesbrust gepflanzt und mit ihm groß gezogen, aber immer nur genährt, nie auch selbst durch ein freundliches Wort gemildert hatte, und gerade das Bewußtsein, ihrem starren, keines guten Gedankens fähigen Herzen noch einmal einen Streich zu versetzen, sie endlich einmal fühlen und wissen zu lassen, daß ihre Herrschaft vorbei sei und sie aufgehört habe, den Knaben zu meistern, warf alles Mitleid für den Vater über Bord. Er sah nur seine geopferte Jugend, fühlte nur, zum ersten Mal in seinem Leben, das Bewußtsein in sich erwachen, zu vergelten, und in der wonnigen Empfindung, gerade dieser Frau den Fehdehandschuh hinwerfen zu können, gerade ihr zu zeigen, daß ihr Regiment über ihn aufgehört und sie darauf verzichten müsse, ihn als Knaben zu behandeln, vergaß er selbst den Schmerz des Vaters über das ihm zugefügte Leid.

Jetzt war es geschehen, der Würfel gefallen, und ihm blieb nichts weiter übrig, als nach seinem Gefühl zu handeln.

Damit trabte er auf seinem Weg dahin, und noch nie war ihm der Himmel so blau, die Erde so frisch und maiengrün, die Luft so mild, der Vögel Sang so lieb erschienen, wie gerade heute, wo er nicht allein zum ersten Mal seinem Herzen folgen, sondern auch eine heilige Pflicht erfüllen durfte, die ihn lange gedrückt.

Daß ihn Rebekka liebte – wie konnte es ihm Geheimniß bleiben, da des Mädchens ganze Seele ja in dessen Augen lag? Und wenn es ihn bis jetzt nur immer in das Haus, in das trauliche Stübchen des alten Salomon zog, so verließ er es auch jedesmal mit den bittersten Vorwürfen gegen sich selbst, daß er eine Leidenschaft nähre und unterhalte, der er, wie er damals dachte, nie gerecht werden durfte. Und doch war er nicht im Stande, jenen Zauber zu meiden, den Rebekka schon selber auf ihn ausübte, und der alte Salomon schüttelte wohl oft, von ihm ungesehen, den Kopf, wenn er mit dem Mädchen am Instrument saß und die Tochter dann, glücklich in der Nähe des Geliebten, mit jubelnder Stimme ihre Lieder sang.

Er, der alte Salomon, kannte die Verhältnisse der Menschen draußen auf dem Schauplatz, den wir die Welt nennen; er kannte sie besser wohl als tausend Andere, denn er hatte mit allen Schichten der Bevölkerung und besonders mit den Großen und Vornehmen verkehrt, und er war von ihnen geschmeichelt und auf Händen getragen oder auch unter die Füße getreten worden, gerade wie man ihn gebrauchte. Er kannte aber auch die Ansichten, den Stolz und Hochmuth dieser Leute, die, was ihren Stammbaum betraf, doch hätten zu dem Juden mit Neid und Bewunderung aufsehen müssen, denn keiner von allen leitete so weit zurück als dessen Abstammung, die zu Abraham hinaufreichte. Aber ihre Standesvorurtheile machten sie blind – blind gegen Alles, nur nicht gegen ihren eigenen Werth, und Salomon wußte gut genug, daß sie, so hoch sie sich selber überschätzten, eben so tief den Juden verachteten, den sie wohl gebrauchen und benutzen konnten, wo er ihren Zwecken diente oder ihnen nöthig wurde, dem sie aber sonst nie verstattet hätten, auch nur in ihre Nähe sich zu wagen, viel weniger denn auf gleichen Rang, auf gleiche Stufe mit ihnen zu treten.

Und was sollte da aus einer Liebe werden, die er im Herzen der Tochter gegen Einen jenes, ihnen stets fremd gebliebenen Stammes sich entwickeln sah? Er fürchtete das Hoffnungslose einer solchen Leidenschaft, aber wagte, aus Liebe zu dem einzigen Kinde, nicht einmal einen Einspruch zu thun, ja, ihr nicht einmal die Gefahr zu nennen, in der sie schwebe, aus Furcht nur, die Gefahr gerade dadurch erst heraufzubeschwören.

Er mochte den jungen Officier wohl leiden: er war anders, als die Uebrigen seines Standes und Gewerbes, und hatte sich seit der Zeit, wo er zufällig einmal Rebekka im Laden ihres Vaters gesehen und kennen gelernt, stets so achtungsvoll und dabei so einfach und herzlich betragen, daß er es nicht über sich gewinnen konnte, ihn abzuweisen – und doch wäre es vielleicht besser, viel besser gewesen. Damals nun, als er zu ihm um das Anlehen kam und er es ihm verweigerte, glaubte er den Zeitpunkt gekommen, wo er ein Verhältniß abbrechen konnte, das anfing ihm Sorge zu machen. War einmal das Capitel »Geld« zwischen ihm und Rebekka besprochen und verhandelt worden, dann wußte er recht gut, daß der Zauber schwinden mußte, der bis jetzt auf der seltenen Erscheinung des Geliebten gelegen – aber er hatte sich geirrt. Bruno fühlte das selber; er wagte das Wort nicht auszusprechen, und wenn er auch fast verzweifelnd das Haus verlassen mußte, das einzige Wesen auf der weiten Welt, das ihn wirklich liebte, sollte nie einen Schatten auf seiner Ehre sehen.

Damit war der ganze Plan des alten Salomon in Trümmer gegangen und das gerade beschleunigt, was er vermieden haben wollte – eine Erklärung der Beiden, ein Erkennen und Sichbewußtwerden des Gefühls, das nun natürlich nicht mehr zurückgehalten werden konnte. Was nun kam – er mußte der Sache ihren Lauf lassen, sah aber die Zukunft, trotzdem daß seine Frau und Rebekka darin schwelgten, in einem trüben, traurigen Licht – und er war ein Mann, der viel, viel erlebt hatte und sich nicht so leicht in etwas täuschen ließ. – Aber wo blieb indessen der Baron? Seit jenem Tage, an welchem er den Wechsel erhalten, waren acht, waren vierzehn Tage verflossen, ohne daß er sich im Hause Salomon's wieder hätte sehen lassen. Rebekka erwartete seine Rückkunft mit heißem Sehnen, der Vater zählte ebenfalls die Tage, aber aus einem andern Grunde; denn jeder schwindende Tag bestätigte nun mehr und mehr seine Ueberzeugung, daß Baron von Wendelsheim doch endlich selber eingesehen habe – leider, leider nur zu spät für sein armes Kind –, der reiche Baron passe nicht in die Familie des Juden.

Bruno von Wendelsheim ritt indessen fröhlich seine Bahn entlang. Er war mit sich im Reinen, und wenn er auch wochenlang gekämpft und das Für und Wider erwogen, jetzt kannte er nur ein einziges Ziel: das Haus der Geliebten, und dem eilte er entgegen, so rasch ihn sein altes Pferd nur tragen konnte.

An seiner Wohnung hielt er an, um vorher sein Thier einzustellen und dann den Weg zu der Judengasse zu Fuß zurückzulegen; der alte Salomon hatte ja keine Stallung, und ein Officierspferd dort wäre nur aufgefallen. Dann reinigte er sich erst von dem Staub der Straße, überraschte auch seinen Burschen etwas durch den Vorwurf, daß er die Knöpfe der neuen Uniform lange nicht blank genug geputzt und den Rock selber nicht sauber ausgebürstet habe – denn sonst achtete er nie so viel auf sein Aeußeres, um deshalb je mit ihm zu zanken.

»Haben Sie Ihre Mappe schon nachgesehen? Es sind auch heute Morgen wieder ein paar Briefe gekommen, Herr Lieutenant,« sagte der Bursche, als Wendelsheim gerade das Zimmer verlassen wollte.

Bruno trat noch einmal zum Tisch zurück und öffnete die Mappe; es waren drei Briefe – zwei Rechnungen – er konnte das liniirte Formular schon durch das Couvert unterscheiden und kannte derartige Zuschriften nur zu gut; der dritte – kopfschüttelnd und rasch brach er ihn auf – wahrhaftig, er enthielt wieder den geheimnißvollen Fünfthalerschein, ohne weitere Andeutung, woher er kam, und auch das nämliche Siegel wieder, mit einem Fünfgroschenstück zugedrückt. Auch die Handschrift der Adresse war die nämliche wie früher. Wer, um Gottes willen, konnte nur der Geber dieser sich regelmäßig folgenden Geschenke sein, und durfte er sie länger annehmen, ohne sich vielleicht für spätere Zeiten eine lästige Verbindlichkeit aufzuladen? Aber es schien jetzt eben so unmöglich, sie zurückzusenden, als früher – denn wohin? Der Brief war hier in der Stadt jedenfalls, ohne Angabe des Inhalts oder Namens des Absenders, in einen Briefkasten geworfen und von der Post befördert worden.

Oft und oft hatte er auch schon daran gedacht, sich durch die Zeitung gegen derartige Zusendungen, die ihm jedesmal ein unangenehmes Gefühl hervorriefen, zu verwahren, sich aber immer gescheut, das öffentlich zu thun. Brauchte er denn aber seinen Namen zu nennen? So viel Leute gab es sicherlich nicht in der Stadt, die anonym fünf Thaler verschickten. Wenn er nur den Anfangsbuchstaben seines Namens darunter setzte, genügte das. Nicht einmal die Zeitungsexpedition brauchte zu wissen, wer die Annonce einrückte – sein Bursche sollte sie hintragen und nur abgeben – das Geld für die Insertionsgebühren konnte er hineinwickeln – das war das Beste – weshalb hatte er es nicht schon lange gethan? Ohne sich auch weiter zu besinnen, setzte er sich an seinen Tisch und schrieb auf einen Zettel:

»Der Unterzeichnete verbittet sich jede weitere Zusendung von Fünfthalerscheinen; das überschickte Geld ist wieder bei ihm abzuholen. Wo, wird der Absender wohl wissen.

W.«

»So,« sagte er, als er den ungefähren Betrag für den Abdruck hineinwickelte, »das hier trägst Du gleich auf die Expedition des Tageblatts und giebst es nur ab – verstanden?«

»Sehr wohl, Herr Lieutenant.«

»Und wenn Dich Jemand dort fragt, von wem die Annonce kommt, so nennst Du keinen Namen – Du weißt es nicht.«

»Sehr wohl, Herr Lieutenant.«

»Und wenn ich um acht Uhr noch nicht da sein sollte, brauchst Du nicht länger auf mich zu warten.«

»Sehr wohl, Herr Lieutenant.«

Lieutenant von Wendelsheim verließ seine Wohnung und schritt, alle anderen Gedanken von sich abschüttelnd, als nur die lieben, glücklichen an sein schönes Ziel, die Straße hinab.

Am Seitenwege, von seinem Hause gar nicht weit entfernt, grüßte ihn wieder eine ältliche Frau, und er sah sie, gedankenlos den Gruß erwiedernd, von der Seite an. Er kannte sie auch, hatte sie wenigstens oft auf der Straße gesehen; sie mußte jedenfalls hier in der Nähe wohnen – was kümmerte ihn die Frau!

Die Frau blieb aber noch lange, als er schon die Straße hinab und um die Ecke verschwunden war, stehen und sah ihm nach, und ein paar große, helle Thränen glänzten dabei in ihren Augen. Doch sagte sie nicht ein Wort, kein Laut kam über ihre Lippen, und nur still und schweigend wandte sie sich ab, drückte die zusammengefalteten Hände auf die Brust und verfolgte ihren Weg in entgegengesetzter Richtung, als die war, welche der Lieutenant eingeschlagen hatte.

Lieutenant von Wendelsheim beschleunigte indessen seine Schritte, um aus dem Menschengewühl der Hauptstraße zu kommen, und erst als er in die nur zu gut gekannte Seitengasse einbog, ging er langsamer, denn übergroße Eile wäre hier zu sehr aufgefallen. – Jetzt betrat er endlich das Judenviertel wieder, mit seinem ekelhaften Schmutz und fatalen süß-säuerlichen Geruch, der ihn jedesmal zwang, das Taschentuch an die Nase zu nehmen, und mußte hier wirklich Acht geben, um nicht an die überall umher spielenden, schauerlich schmutzigen Kinder anzustreifen, die allerdings nicht solche Rücksicht auf ihre Kleider nahmen. Scheue Blicke voll Ekel und Abscheu warf er auch nach rechts und links in die düsteren Spelunken hinein, die von Unrath strotzten und ihre faulen Dünste aushauchten. – Und diesem Volk entstammte Rebekka! – wie ein eisiges Gefühl zuckte es ihm durch's Herz – aber kaum eine Secunde lang. Das hier war ja nur der Abschaum der Masse, der Auswurf des ganzen zurückgesetzten und durch Jahrhunderte hindurch mißhandelten und unterdrückten Stammes, und welche edle Blüthen er treiben konnte, o, sein Mädchen, seine Rebekka war ihm da ja der schönste, der herrlichste Beweis!

Ohne weiter nach links oder rechts zu sehen, eilte er seine Bahn vorwärts die Straße entlang und athmete erst wieder auf, als er die Erweiterung und damit den besseren Theil derselben erreichte. Von da ab hatte er auch nicht mehr weit zu dem Haus des alten Salomon, und wenige Minuten später stand er auf der Schwelle.

Als er die Thür öffnete, sah er den alten Mann, der in seinem Laden, den Kopf in die Hand gestützt, vor einem dicken Buche saß und darin las.

Als er das Oeffnen der Thür hörte, hob er den Kopf, fuhr aber im nächsten Augenblicke schon erschreckt von seinem Sitze empor. Er hatte den Lieutenant erkannt, und so unerwartet mußte er ihm gekommen sein, daß er es ordentlich in den Gliedern fühlte und sich wieder hinsetzen mußte – er hatte für den Augenblick die Kraft verloren, aufrecht zu stehen.

»Mein lieber alter Freund! nicht wahr, ich bin lange geblieben, um mein Versprechen einzulösen?« rief Bruno und ging, ihm die Hand entgegenstreckend, auf ihn zu.

Der alte Mann nahm die Hand, aber er sagte leise: »Der Herr Baron hat nur versprochen, wiederzukommen, wenn die Zeit um ist, um die Wechsel einzulösen; ich weiß von nichts Anderem?«

»Von nichts Anderem, Salomon? – und Rebekka?«

Der alte Salomon schwieg und schaute lange und still vor sich nieder; er sah auch heute bleich und eingefallen aus – oder machte das nur das halbe Dämmerlicht des düstern, gewölbeartigen Ladens? Endlich stand er langsam auf.

»Setzen Sie sich, Herr Baron,« sagte er ernst, aber nicht unfreundlich, »ich habe ein Wort mit Ihnen zu reden; nicht Jude zu Baron, sondern Mann zu Mann oder, wenn Sie lieber wollen, wie Mensch zu Mensch, wie Vater zu Sohn – ich bin alt genug dazu, Gott weiß es, und Sie wissen, daß ich es immer gut gemeint habe mit Ihnen und Ihnen manchen guten, vernünftigen Rath gegeben die letzten Jahre – wollte der Herr, daß er gefallen wäre auf guten Boden!«

»Aber, bester alter Freund....!«

»Setzen Sie sich einen Augenblick, Herr Baron, es ist gut, daß wir allein sind,« unterbrach ihn der alte Mann; »wir können auch keine Störung gebrauchen und wollen keine. Ich werde den Laden schließen, Herr Baron – wie haißt Geschäft, wir Beide haben auch ein Geschäft mit einander, was ist wichtiger, als ob ich einen alten saracenischen Dolch oder einen Pfeifenkopf verkaufe.«

Salomon ließ keine Einrede gelten, zündete die Lampe an, ging vor die Thür, schloß selber die eisenbeschlagenen Läden, verriegelte die eben so verwahrte Thür oben und unten, drehte den Schlüssel um und kam dann langsam zu dem jungen Officier zurück, der ihn nach all' diesen feierlichen und mit der größten Ruhe ausgeführten Vorbereitungen doch nicht ganz ohne Herzklopfen erwartete. Als er dann wieder zur Lampe trat, zog er seinen Stuhl dem des Barons gegenüber, setzte sich und begann ohne weitere Umschweife.

»So, Herr Baron, jetzt sind wir zu Dreien: der liebe Gott und Sie und ich, weiter Niemand – braucht auch nie ein Mensch weiter auf der Welt zu wissen, was wir hier mitsammen haben gesprochen – und nun will ich Ihnen etwas sagen. Sie haben betreten mein Haus – nicht meinen Laden, mein' ich, wo ich mache Geschäfte und verkehre mit aller Welt, nein, das eigentliche innerste Heiligthum meines Hauses – auch nicht als Baron oder Cavalier, sondern als Freund vom alten Salomon, denn Barone oder Cavaliere kommen sonst nicht dahin. Sie haben dort gesehen mein Kind, meine Rebekka, und mein Kind hat Sie gesehen, und der Vater hat Sie gern gehabt, weil Sie ein gutes Gesicht und ein gutes Herz haben, und die Tochter hat Sie gern gehabt – nicht als Baron oder Cavalier, sondern als Freund vom Vater – und als Freund von sich. Sie haben mit ihr gemusicirt und gesungen – schöne Lieder, brave Lieder; mir altem Manne ist dabei das Herz aufgegangen, und ich habe mir gesagt: Kein böser Mensch kann so spielen, kann solche Musik machen, und der alte Salomon ist eingeschlafen in seiner Wachsamkeit, bis es war zu spät. Jetzt ist er aufgewacht, und er muß mit Ihnen reden, damit kein Unglück geschieht, nicht im Laden oder Geschäft, sondern im eigenen Hause.«

»Aber lieber, bester Salomon, deshalb bin ich ja gerade selber hieher gekommen!« sagte Bruno.

»Sind Sie?« wiederholte der alte Mann und sah ihn scharf und forschend an. »Nun, desto besser dann, um so leichter und schneller werden wir damit zu Stande kommen. Aber lassen Sie mich ausreden – ich muß reden, denn ich habe es die ganzen langen Wochen auf der Seele gehabt und es hat mir das Herz beinahe abgedrückt – ich muß reden, meinet-, Ihret- und Rebekka's wegen.«

»Und kann ich Euch nicht vielleicht vorher durch eine ganz einfache und bestimmte Erklärung beruhigen?« sagte Bruno.

Der alte Mann sah ihn rasch und forschend an. »Durch welche?« fragte er.

»Ich bin heute hieher gekommen, um bei Euch um die Hand Rebekka's anzuhalten.«

Salomon schwieg; er war augenscheinlich im ersten Moment überrascht und wußte nicht gleich, was er erwiedern sollte. Aber der kalte Verstand des alten Juden ließ sich nicht so rasch durch ein erwachendes Gefühl bewältigen; er hatte diesen Fall vorhergesehen, wenn auch vielleicht nicht in so bestimmter Weise ausgesprochen, und mit ruhigen, fast klanglosen Worten entgegnete er endlich:

»Da haben wir's – gerade wie ich vermuthet habe: heißes Blut und kleiner Verstand wirft den Wagen in den Sand. So hören Sie, Herr Baron, was ein alter Mann zu Ihnen sagt: die Erklärung macht Ihrem Herzen Ehre, und sie thut mir gut, weil sie mir beweist, daß ich mich nicht ganz in Ihnen geirrt. Sie glauben, Sie haben Ihr Wort gegeben, und Sie wollen es halten. Als Cavalier wollen Sie es halten und als gewöhnlicher Mensch – aber es geht nicht. Sie werden wohnen auf dem Schlosse Wendelsheim – wir werden wohnen in der Judengasse, und damit hab' ich gesagt Alles, was zu sagen ist. Sie werden haben wollen die Rebekka zur Frau, aber Ihr Herr Vater ist ein vornehmer, ist ein strenger Herr – er wird lachen, wenn Sie es ihm erzählen zum ersten Mal – er wird weinen, wenn Sie es ihm erzählen zum zweiten Mal, und er wird Ihnen seinen Fluch geben, wenn Sie es erzählen zum dritten Mal. Aber die Tochter des alten Salomon soll einziehen in ihre neue Heimath nicht mit des Vaters Fluch, nein, mit des Vaters Segen. Noch ist es Zeit, noch ist die Wunde nicht so tief geschlagen, daß nicht Jahre im Stande wären, sie zu heilen, und deshalb habe ich heute mit Ihnen gesprochen. Sie sind jetzt – lassen Sie mich ausreden, Herr Baron, ich bitte Sie – Sie sind jetzt nichts als ein armer Lieutenant, der Schulden gemacht hat, und glaubt, er wäre dem alten Salomon eine Verbindlichkeit schuldig, weil er sie für ihn bezahlt. Es spricht das für Ihr gutes Herz, aber nicht für Ihren Verstand. Sie werden sein in kurzer Zeit ein reicher Mann selber, ein Baron von altem Adel und Stammbaum – aber wenn Sie wirklich heiratheten des alten Juden Tochter würden Sie sich fühlen geschlagen und unglücklich Ihr ganzes Leben lang. Ich freue mich, daß Sie gekommen sind zu mir und um die Hand meiner Rebekka angehalten haben – wenn sie es auch nie erfahren wird –, ich bin stolz darauf, aber damit lassen Sie die Sache zu Ende sein. Ich liebe Sie, Herr Baron, ich glaube, Sie sind ein guter Mensch – aber ich liebe mein Kind mehr, und, Gott der Gerechte, wer kann's mir übel deuten? Sie würde sich unglücklich fühlen und elend sein, wenn sie in das alte Schloß einzöge und der alte Baron sagte: »Ich will nichts von ihr wissen – es ist des Juden Tochter!« Und Sie würden sich unglücklich fühlen, denn Sie sind der Sohn vom Vater, vom alten Herrn Baron; und die Diener und Mägde im Schlosse würden die Achseln zucken, und die Pferdejungen im Stalle von der Mißheirath sprechen, und der alte Salomon würde sich am unglücklichsten von Allen fühlen, denn er hält sein Kind lieb und werth, und wenn er einen Stolz hat auf der Welt, so ist es Rebekka – und sein ehrlicher, unbescholtener Name.«

»Und darf auch ich jetzt reden, Salomon?«

»Reden Sie,« sagte der alte Mann resignirt: »ich habe gesprochen, und es ist nicht mehr als recht, daß ich auch die Entgegnung höre.«

»Ihr wißt, Salomon,« erwiederte Bruno, ohne sich auf eine Widerlegung des eben Gesagten einzulassen, ja, ohne sie nur zu versuchen, »wie ich in meines Vaters Hause erzogen, wie von dem Vater selber, wie von der Tante besonders behandelt bin; ich habe Euch das schon manchmal, wenn wir hier unten plaudernd saßen, erzählt – Euch erzählt, weil Ihr der Einzige waret, zu dem ich Vertrauen fassen konnte.«

»Ich weiß es, ich weiß es,« nickte der alte Mann – »ich weiß es auch von anderen Leuten, denn es konnte kein Geheimniß bleiben und ist viel gesprochen darüber in der Stadt. Das Fräulein Tante – die Gnädige muß sein eine liebe Frau – Gott der Gerechte soll mir behüten – aber das ändert an der Sache nichts.«

»Doch, Salomon, doch,« rief Bruno; »mein Vater hat nie etwas gethan, um sich meine Dankbarkeit und Liebe zu verdienen – ich bin aufgezogen in meines Vaters Hause nicht wie der älteste Sohn vom Hause, nein, wie ein lästiger Fremder, dessen man sich nun einmal nicht entledigen kann. Und Liebe? Niemand hat Liebe zu mir gehabt. Endlich aber ist die Zeit gekommen, wo ich selbstständig in das Leben trete, und beim Himmel, ich will selbstständig handeln! Ich habe ein Herz gefunden, das mit ganzer, treuer Liebe an mir hängt, das einzige Herz auf dem weiten Erdenrund, und das wenigstens soll mir nicht verloren gehen alberner Vorurtheile und eines rostigen Stammbaumes wegen. Ich bin frei und mein eigener Herr, sobald ich mein vierundzwanzigstes Jahr erreicht, also in wenigen Wochen. Meinen Abschied hab' ich schon eingereicht und werde die Ausfertigung desselben in den nächsten Tagen erhalten. Dann bindet mich nichts mehr an diese Stadt, als die Regelung meiner Geschäfte, die ich mit gutem Gewissen Euch, meinem alten, bewährten Freund, überlassen kann; ich selber ziehe fort. Mag mein Vater, mag die Tante das alte, öde Schloß bewohnen, ich will meinem Gott danken, wenn ich die düsteren Mauern nicht mehr zu sehen, nicht mehr zu betreten brauche. Weit hinweg von hier ziehe ich, in ein fernes Land – nach Italien – aber nicht allein. Meine Gattin führe ich dorthin mit mir – meine Rebekka. Gebt mir Euer Kind, Salomon – ich will es auf Händen tragen mein ganzes Leben lang – gebt mir Rebekka, und Ihr sollt es nie, nie bereuen, mir vertraut zu haben!«

Der alte Mann saß schweigend und wie gebrochen vor dem Officier auf seinem Stuhle. Er antwortete nicht – er nickte nur still und traurig vor sich hin mit dem Kopf; endlich sagte er leise:

»Ich hab' es mir gedacht – ich hab' es mir gedacht – junges Blut, junges Blut! Und wenn Sie nachher reich sind und vornehm, und andere vornehme junge Damen sehen, die Sie hätten heirathen können und mit denen Sie auch glücklich und zugleich geachtet und hochangesehen gewesen wären, dann kommt die Reue, und mein armes Kind, das fühlt das dann mit und härmt und grämt sich und sorgt sich ab – und der Vater, der das schon lange gesehen hat, rauft sich die Haare und den Bart und verwünscht, daß er damals nicht hart gewesen, hart wie ein Stein.«

»Gebt mir Euer Kind, Vater!« drängte Bruno. »Wollt Ihr es jetzt gewiß unglücklich machen, weil Ihr in dem Wahn lebt, daß es später einmal unglücklich werden könnte? Rebekka liebt mich – sie hängt mit ganzer Seele an mir, und ihr reiches Herz müßte brechen, wenn Ihr diese Liebe aus ihrer Brust reißen wolltet – gebt mir Eure Rebekka, Vater!«

Noch immer sagte Salomon kein Wort, und der düstere Schein der Lampe nur warf sein Licht auf seine bleichen, wie von tiefem Schmerz durchfurchten Züge. Endlich flüsterte er leise:

»Er hat recht – ihr Herz würde brechen – es soll sein – es soll sein, der liebe Gott hat's so gewollt und der liebe Gott mag's weiter führen. Sie wird ihre Eltern verlassen und den Glauben ihrer Väter – Du sollst Vater und Mutter verlassen und dem Manne folgen, aber sie wird Gott nicht verlassen, wenn sie auch unter anderen Formen zu ihm betet – er hat's selber gewollt – er hat's selber gewollt.«

»Salomon....«

Der alte Jude stand auf; er hob den Lampenschirm zurück, daß deren Licht jetzt voll auf Bruno's Züge fiel, und sah dann lange und ernst in die bittenden, aber guten und ehrlichen Augen des jungen Mannes; und jetzt erst – jetzt zum ersten Male flog ein leichter Schimmer über sein eigenes Antlitz. Bruno hielt auch den Blick fest aus, und während jetzt sogar ein Lächeln um die feingeschnittenen Lippen des alten Mannes zuckte, sagte er: »Und der Baron will des Juden Tochter freien?«

»Des Juden Tochter, und er ist stolz darauf, Vater; er will glücklich werden und sie glücklich machen!«

»Jehovah hat's gewollt – ich kann's nicht hindern,« nickte der alte Mann – »dann kommen Sie zu Rebekka und fragen Sie das Mädchen selber. Sagt Sie Ja – der alte Salomon wird nicht sagen Nein – er hat es leider nie gethan, wo es vielleicht besser gewesen wäre. Kommen Sie, daß wir der Sache ein Ende machen.«

Und die Lampe aufgreifend, trug er sie zur Hinterthür, öffnete dort, löschte die Lampe aus, schloß die Thür wieder hinter sich, riegelte sie, hing noch ein Schloß daran und schritt dann mit dem jungen Mann der wohlbekannten Treppe zu.

Und wie klopfte Bruno das Herz, als er die Stufen hinanstieg, und wie langsam ging ihm der Vater – wie gern wäre er ihm vorausgeeilt! Aber Salomon, der sich das wohl denken konnte, hatte die Hand auf seinen Arm gelegt und ließ ihn nicht rascher vorwärts, als er selber ging.

»Geduld,« sagte er dabei, »Geduld, junger Mann; es ist ein ernster Schritt, den Sie thun, und da ziemt keine Hast – der ernsteste Schritt, den ein Mann thun kann – Gott der Gerechte weiß es, und kein Rückschritt möglich – außer durch ein Thor des Jammers und Herzeleids für zwei verfehlte Leben. Gehen Sie ihn langsam und mit Bedacht. Und jetzt noch,« fuhr er plötzlich fort, »ist eine Umkehr möglich – noch weiß Rebekka nicht, daß wir kommen – noch läßt sich vielleicht....«

»Vater,« bat Bruno, »Gott will es, daß sich zwei Herzen, die sich auf ewig angehören sollen, finden – wollen Sie da eingreifen?«

»Nein,« sagte der alte Mann feierlich, »es ist auch jetzt zu spät; sie hat uns – sie hat Ihre Stimme schon gehört – also wie Er will, vorwärts denn.«

Und oben öffnete sich die Thür. »Vater,« rief Rebekka's Stimme, »bist Du das?«

»Ich bin es, mein Kind,« sagte der alte Mann.

»Und kommst Du allein? Mit wem sprichst Du?«

»Ich komme nicht allein, Rebekka, ich bringe Dir Jemanden.«

Wieder wollte Bruno voraus, aber der alte Mann ließ ihn nicht; er hielt ihn fest am Aermel, und oben wurde die Thür wieder zugeschlagen. Gleich darauf hatten Sie die obere Etage erreicht.

»Und darf ich jetzt hinein?«

»Gehen Sie,« sagte der Alte, »es hilft mir doch nichts. Einen Augenblick könnt' ich es noch hinauszögern, nicht länger – was liegt an dem Augenblicke – 's ist ein Tropfen im Meere – gehen Sie.«

Bruno hatte sich schon lange von ihm losgemacht, die Thür geöffnet und den schmalen Vorsaal durchschritten. Dort im Zimmer stand Rebekka, wie sie gewöhnlich ging, in einem blüthenweißen Kleid, die rabenschwarzen Locken auf den vollen Nacken niederfallend, und diese Art von Tunica durch einen jener zierlichen russischen Platina-Gürtel zusammengehalten. So stand sie da – ein Bild jungfräulicher Scham und Liebe – die Arme halb dem Nahenden entgegengestreckt, und doch auch wieder den elastischen Körper wie scheu zurückgebeugt, als ob sie ihm entfliehen, ihn meiden wolle.

»Rebekka,« rief Bruno, die Arme nach ihr ausbreitend, »Rebekka – süßes, herziges Lieb – willst Du mein sein – willst Du mir angehören für Dein ganzes Leben und Freud' und Leid mit mir tragen, Lust und Schmerz – willst Du mein Weib sein und Dein Herz mir geben?«

»Mein Herz?« sagte Rebekka mit leiser Stimme, die aber wie ein Choral in Bruno's Ohren klang. »Mein Herz – hab' ich es denn noch? Ist es nicht längst schon Dein?« Und als er auf sie zuflog und sie in seine Arme, an seine Brust drückte, da lehnte sie ihr Haupt wie müde an ihn und flüsterte: »Bruno – mein lieber, lieber Bruno – o, wie danke ich Dir, daß Du gekommen bist – wie werd' ich es Dir ewig danken!«

Und die Mutter saß in der Ecke, und die hellen Thränen liefen ihr über die Wangen nieder; und der Vater stand mit gefalteten Händen vor ihnen und sah mit Schmerz und Lust zugleich das junge, jetzt so glückliche, so überselige Paar. Dann nahm er langsam ihre Hände, legte sie in einander und sagte freundlich:

»So geht denn zusammen den Weg durch dieses Leben: Ihr werdet ihn nicht glatt finden: Haß, Neid, Stolz und Ehrgeiz werden in Euren Pfad treten und Euer Glück bedrohen. Laßt sie – seid Euch selbst genug und sucht in der Familie, wie unsere Vorväter es schon gethan, allein den Frieden, den Euch die Welt vielleicht weigern oder streitig machen möchte. Er, der die Bitten eines alten Mannes gehört, welcher stets, wo es seine schwachen Kräfte erlaubten, nach Seinem Willen oder Geiste gehandelt hat – – segne Euch!«

Und jetzt kam auch die Mutter herbei und küßte die Kinder und setzte sich dann wieder in ihre Ecke und fing von vorn zu weinen an, aber vor lauter Freude und Seligkeit.

Freude und Seligkeit glänzte aber auch aus den Augen der Liebenden, die jetzt, fest aneinander gelehnt, zusammen saßen und von ihrer Zukunft, von ihrem Glück sprachen. Vergessen war für Bruno, was da draußen lag – vergessen das finstere Schloß mit all' seinen trüben Erinnerungen und überstandenen Schmerzen – vergessen alles ertragene Leid nur in der Wonne dieses Augenblicks. – Und Vater und Mutter saßen dabei, hörten dem Plaudern zu und wurden selber wieder jung in der Erinnerung an ihre eigene Liebe.

So verging ihnen mit Zauberschnelle die Zeit, und als es dunkelte und Rebekka aufsprang, um Licht zu holen, da setzte sich Bruno an das Instrument, und in jubelnden Tönen machte sich seine Seele Luft, bis Rebekka zurückkam, zu ihm trat, ihre Hand auf seine Schulter legte und glücklich, überglücklich ihre alten Lieder sang. Jetzt aber saßen die beiden Eltern zusammen in der Ecke, hatten Einer des Andern Hand gefaßt und hörten zu, bis die Zeit kam, daß die Mutter das Abendbrot bestellen mußte, denn Bruno sollte heute zum ersten Male mit ihnen essen.

Er blieb auch lange; er konnte sich nicht losreißen von dem Glück dieser ersten Stunden und geizte förmlich mit den Secunden, und als er endlich gehen mußte, als die Glocke auf dem alten, nicht fernen Dome die zehnte Stunde schlug, da nahm er wieder und wieder Abschied von der Geliebten, als ob sie sich für's ganze Leben und nicht auf wenige Stunden nur trennen müßten.

Der alte Salomon gab ihm das Geleit durch den Hof.

»Und wann darf ich wiederkommen, Vater?«

»Hab' ich jetzt ein Recht, darüber zu bestimmen?« sagte der alte Mann. »Lieber Himmel, was für eine Frage! Mich besuchen Sie doch nicht, und die Rebekka – werden Sie kommen morgen früh um neun Uhr, wird es ihr sein nicht zu früh. Gute Nacht, Herr Baron – Gute Nacht!«

Bruno trat hinaus auf die Straße, und von dem Lichte noch geblendet, das er eben verlassen, konnten sich seine Augen nicht gleich an die Dunkelheit gewöhnen. Trotzdem war es ihm, als ob er eine menschliche Gestalt, Schatten gleich, von einem der verschlossenen Ladenfenster fortgleiten sah, und diese hielt, als ob unschlüssig, wohin sie sich wenden solle, an der andern Seite der Straße. Der junge Mann wäre auch gern darauf zugegangen, aber es lag ihm selber noch nichts daran, es zu früh in der Stadt bekannt werden zu lassen, in welcher nächsten Beziehung er zu Salomon stehe. Er schritt deshalb, ohne sich weiter nach der Persönlichkeit umzusehen, die Straße hinab, bis er den ersten Nachtwächter traf, und schickte diesen dann zurück mit der Weisung, auf jene Gegend Acht zu geben, da sich dort ein verdächtiger Bursche herumtreibe. Der Nachtwächter folgte auch der Weisung und suchte den ganzen Weg ab, fand aber Niemanden mehr vor. Wer es auch gewesen, er hatte sich nicht länger dort aufgehalten und war verschwunden.

3.
Frau Heßberger.

Oben in der dritten Etage eines der Häuser in der Bergstraße von Alburg saß der Schuhmacher Heßberger mit einem Gesellen und drei Lehrjungen bei der Arbeit und war emsig beschäftigt, ein Paar sehr elegante Damenschuhe, die einen außerordentlich kleinen Fuß verriethen, frisch zu besohlen. Er hatte seinen Tisch aber dicht an's Fenster gerückt, denn schwere, graue Wolken lagen vor der Sonne und dumpf grollender Donner verrieth ein nahendes Gewitter. Nichtsdestoweniger arbeitete er fleißig fort und schien sich um das Wetter draußen wenig zu kümmern, bis plötzlich ein greller Blitz die Stube hell erleuchtete und gleich darauf ein so schmetternder Donnerschlag hinterdrein folgte, daß der kleine Mann ordentlich zusammenfuhr. Statt jedes andern Ausrufes setzte er aber plötzlich mit gellender Stimme in einen Choral ein, daß sich die Lehrjungen unter einander ansahen und heimlich lachten, aber nur ganz heimlich, denn es wäre ihnen bös ergangen, wenn es der Meister gemerkt oder nur Verdacht geschöpft hätte. Dieser aber, nur mit seiner Sohle (denn er unterbrach seine Arbeit nicht) und dem Lied beschäftigt, schrie mehr, als er sang, während der Regen an die Fenster peitschte:

»O Mensch gedenk' an's Ende,
Willst Du nicht Uebles thun –
Der Tod bringt oft behende
Das allerletzte Nun.
Am Lebens-Augenblicke
Hängt ewig Wohl und Weh',
Drum denke wohl zurücke,
Wohin Dein Ende geh'!«

Und wieder ein Blitz – wieder ein Schlag, als ob die Erde von einander bersten wollte, und die Fensterscheiben zitterten und klapperten ordentlich dazu. Der Schuhmacher ließ sich aber nicht stören, und ohne eine Miene zu verziehen, setzte er eben zu dem gerade so beginnenden zweiten Vers ein:

»O Mensch, gedenk' an's Ende –«

als es heftig an die Thür pochte und der Gesell, ohne dazu des Meisters Befehl abzuwarten, laut »Herein« schrie. Fast zu gleicher Zeit wurde dieselbe auch geöffnet, und eine etwas corpulente Frau, einen triefenden rothbaumwollenen Regenschirm mit Messinggriff in der Hand, den Hut etwas zerdrückt und jedenfalls von dem Unwetter mitgenommen, das Gesicht geröthet und eben nicht besonders freundlich ausschauend, trat in's Zimmer und warf einen raschen Blick darin umher.

Der Schuhmacher schien dabei keine besondere Lust zu haben, sich in seiner Andacht stören zu lassen, denn er fuhr, ohne auch nur den Kopf nach der Thür umzudrehen, unverdrossen fort:

»Wer weiß, ob nicht noch heut'
Der Tod Dich treffen könnte,
Drum mache Dich bereit –«

Die Dame schien aber nicht gesonnen, das Ende des geistlichen Liedes abzuwarten, denn mit einer ziemlich tiefen und derben Stimme rief sie dazwischen: »Na, bei mir könnt Ihr Eure Faxen lassen, Meister Heßberger! Ist Eure Frau zu Haus? Das fehlte auch noch, daß ich in dem Hundewetter den Weg umsonst gemacht hätte!«

Der Schuhmacher fuhr blitzschnell herum. Er kannte die tiefe Stimme und sagte, von seinem Sessel emporspringend und den Schuh, an dem er arbeitete, ziemlich rücksichtslos bei Seite werfend: »Ach, Madame Müller – ist mir doch sehr angenehm, Ihre werthe Persönlichkeit wieder einmal nach so langer Zeit condoliren zu dürfen.«

»Reden Sie keinen Unsinn,« erwiederte Madame Müller, gar nicht, wie es schien, in der Stimmung, viele Worte zu machen. »Was Ihnen angenehm oder nicht, kümmert mich einen Quark. Ich will wissen, ob ihre Frau zu Hause ist.«

»Bitte, Madame Müller,« sagte Heßberger, »ich rede nur ganz höflich, und eine Höflichkeit ist der andern werth; Madame scheinen aber – o Du Herr Jesus, der Donner! – nicht guter Laune zu sein. Da wird sich meine Frau ganz besonders daüber scharmiren, paßt ihr gerade – sie ist drinne – bitte, treten Sie näher, demelliren Sie mir aber nur das Porzellan nicht!«

Madame Müller warf ihm einen nichts weniger als achtungsvollen Blick zu und stieg dann, ohne es weiter der Mühe werth zu halten, ihm noch eine Antwort zu geben, über alles mögliche im Wege gestreute Schuh- und Lederzeug, über Leisten, Handwerksgeräth und andere derartige Dinge hinweg der Thür zu, welche, wie sie aus früheren Zeiten wußte, das Wohn- und Schlafzimmer der Heßberger'schen Gatten von der Werkstätte abschloß. Sie klopfte auch hier nicht lange an, wartete wenigstens nicht einmal den gewöhnlichen Zuruf ab, sondern trat in demselben Moment in's Zimmer, als wieder ein greller Blitz über den Himmel zuckte und gleich darauf, aber doch etwas später als bisher, grollender, dumpfer Donner hinterdrein rollte. Das Gewitter war jedenfalls vorübergezogen, und nur der Regen goß noch in Strömen nieder.

Mit dem Donnerschlag – selber ein kleines Gewitter in sich – stand aber Madame Müller auf der Schwelle, und der barsche Gruß schon, den sie der Herrin vom Hause entgegenrief: »Guten Tag, Frau Heßberger, ich habe 'was mit Ihnen zu reden!« deutete nicht viel Gutes.

Heßberger, obgleich er keine Ahnung hatte, was die Frau, mit der sie seit Jahren nicht verkehrt, hieher im Zorne geführt haben könne, fühlte sich doch vielleicht nach verschiedenen Seiten hin nicht so ganz sattelfest, und da er wußte, daß seine Frau bei irgend einer passenden Gelegenheit, sehr laut sprach und die Frau Müller schrie, so bemühte er sich bei Zeiten, wenigstens einen lästigen Zeugen zu entfernen – kein Mensch konnte ja sagen, was da verhandelt wurde.

»Backhof,« brummte er deshalb, eben nicht besonders heiter gestimmt, »Sie können Schicht machen und mir noch einen Weg besorgen.«

»Aber ich möchte so gern noch den Schuh fertig machen,« sagte der Gesell, denn in der Nebenstube wurden die Stimmen schon etwas lauter, und er wünschte vielleicht ebenfalls, einen etwa entstehenden Zank mit anzuhören, der sicherlich der Mühe werth sein mußte. Seine Meisterin kannte er, was ihre Zunge betraf; die eben gekommene Frau sah auch nicht so aus, als ob es ihr an den Sprachwerkzeugen fehle, und

Es schwankt der Sieg, wenn Griech' auf Grieche trifft.

Sein Meister mochte aber Verdacht geschöpft haben, daß ein anderer Wunsch, als nur den alten Schuh fertig zu bekommen, in seinem Herzen lauere. Zeit war auch nicht zu versäumen, denn Madame Müller schien nicht viel zu verlieren, und er sagte deshalb hastig: »Machen Sie ein bischen zu – die Stiefel sollten schon um drei Uhr beim Herrn Geheimen Obergerichtsrath sein.«

»Ja, aber Meister, die bringen doch sonst immer die Jungen fort. Das ist doch nicht meine Sache...«

»Das weiß ich wohl; ich will es auch nicht for Plesir haben« sagte Heßberger, der sich augenscheinlich die größte Mühe geben mußte, höflich zu bleiben. »Hier sind fünf Groschen, da trinken Sie einmal auf meine Gesundheit – aber machen Sie ein bischen – alleh, Backhof – und hier, nehmen Sie dem Herrn Geheimen Obergerichtsrath gleich die quintirte Rechnung mit.«

Backhof, der Gesell, merkte wohl, daß ihn der Meister unter jeder Bedingung los sein wollte, und es wäre doch jetzt hier so hübsch gewesen – gerade ging's da drinnen los. Aber er hatte auch nicht gut einen Vorwand, da zu bleiben; die fünf Groschen lockten ihn ebenfalls. Er stand auf, warf sein Schurzfell ab und zog den am Nagel hängenden Rock an, dann nahm er Rechnung und Stiefel und ging damit hinaus, immer noch in der Hoffnung, auch dort etwas zu hören. Darin sah er sich jedoch getäuscht, denn die dazwischen liegende Küche war wie gewöhnlich abgeschlossen.

Den Meister genirten jetzt noch die Lehrjungen, aber doch nicht so viel, als es der Gesell gethan hätte, denn die waren eine etwas lebhafte Unterhaltung im Hause schon gewohnt und – konnten nicht die Condition wechseln, sie mußten im Hause bleiben, durften also nichts daraus schwatzen, oder – der Teufel sollte sie bei lebendigem Leibe holen! Er ging auch wirklich selber wieder zu seiner Arbeit zurück, aber es war keine Andacht dabei. Die großen, schweren Tropfen schlugen draußen gegen die Scheiben, daß sie das Zimmer fast dunkel machten, und da drinnen wurden die beiden Damen immer lauter und heftiger. Das ging nicht mehr, er mußte da einschreiten oder doch wenigstens erfahren, um was es sich handelte; denn was ihn dabei beunruhigte, war, daß er die Stimme seiner Frau gar nicht so scharf hervorhörte; Madame Müller schien ziemlich allein das Wort zu führen, und das konnte unmöglich ein gutes Zeichen sein. Wenn die Frau Heßberger eine gute oder doch wenigstens haltbare Sache hatte, sprach sie auch gewöhnlich mit – und wie!

Er fühlte sich nicht mehr behaglich auf seinem Schemel. Er stand auf, band sich anstandshalber das Schurzfell ab, wobei sich die Jungen schon wieder unter einander anstießen, fuhr in den schwarzen, abgeschabten Frack hinein, und dann sein fettglänzendes Mützchen abnehmend und die Haare vorn in die Stirn streichend – es war dies die einzige Art, wie er seine Frisur arrangirte –, drehte er sich noch einmal gegen die Jungen um und sagte: »Daß mir keiner von Euch von seinem Schämbel aufsteht, oder – Ihr wißt wohl...« Und damit stieg er nach der Thür hinüber.

Als er sie öffnete, fand er die Damen in sehr lebhafter Unterhaltung.

Frau Heßberger hatte friedlich, trotz Blitz und Donnerwetter, am Fenster gesessen und eine etwas sehr schadhaft gewordene Unterjacke ihres Gemahls ausgebessert. Sie beschäftigte sich allerdings in geeigneten Stunden vortheilhafter mit der höheren Magie, mit Kartenlegen und Prophezeien, wofür sie, wunderbarer Weise, in Alburg ein sehr gläubiges Publikum fand. Aber die nothwendigen Hausarbeiten mußten doch auch erledigt werden, und Frau Heßberger war die richtige Frau dazu, um das zu besorgen.

Und dazwischen zuckte der Blitz und prasselte der Donner; aber wie eine nur von metallenen Rädern abhängige Maschine saß sie dazwischen und rührte und regte sich nicht weiter, als es ihre Arbeit erforderte. Sie blinzelte nicht mit den Augen, wenn das gelbe, grelle Licht durch das Zimmer zischte, sie fuhr nicht zusammen, wenn der Donner das Haus in seinen Grundfesten zu erschüttern drohte – sie hatte überhaupt keine Nerven, die das möglich machen konnten.

Drinnen in der Werkstatt hörte sie eine Stimme, aber sie achtete nicht darauf. Der Besuch, der zu ihr kam – verschleierte Damen gewöhnlich, manchmal in Begleitung von jungen Herren – traf erst in viel späterer Stunde und bei vollständig angebrochener Dunkelheit ein; was früher kam, wollte nur Stiefel oder Schuhe haben.

Da klopfte es plötzlich, und wie sie ein halb erstauntes »Herein!« rief, stand, auch schon mit prasselndem Donner, eine fremde Frau auf der Schwelle, deren Züge sie sich nicht einmal, mit anderen Personen im Kopfe, gleich zurück in's Gedächtniß rief. Der Frau selbst schien aber gar nichts daran gelegen, sie lange über sich in Zweifel zu lassen, denn sowie sie nur die Schwelle betrat, sagte sie schon mit ihrer etwas tiefen Altstimme, den Raum dabei mit den Blicken überfliegend:

»Guten Tag, Frau Heßberger! Ich hab' mit Ihnen zu reden.«

»Madame Müller, so wahr ich einst selig zu werden hoffe!« rief Frau Heßberger, und nicht einmal in gekünsteltem Erstaunen aus, denn so gut und genau sie die Frau kannte, so lange Zeit war verflossen, seit sie dieselbe nicht gesehen. »Ei, was verschafft mir denn die Ehre eines so unverhofften Besuches? Freue mich doch wirklich sehr!«

»Wollen wir erst abwarten,« sagte Madame Müller, noch immer den triefenden Schirm in der Hand, mit dem sie schon eine lange nasse Gosse über Leder und Leisten gezogen und jetzt anfing, einen kleinen See in der Stube zu bilden. »Thut mir leid, daß ich das Zimmer naß mache, aber ich weiß nicht, wohin mit dem Schirm; geben Sie einmal einen von den Blumenuntersetzern her – das Wetter ist schuld.«

Frau Heßberger gehorchte wunderbarer Weise augenblicklich der Anforderung und würde dadurch besonders die Lehrjungen, wenn sie hätten Zeugen sein können, sehr in Erstaunen gesetzt haben; die Madame Müller stellte deshalb ihren Schirm dort ein, denn sie war selber viel zu reinlich und hielt bei sich zu Hause zu sehr auf Ordnung, um eine andere Stube zu beschmutzen. Sobald sie ihr »Regendach« aber untergebracht sah, drehte sie sich auch gegen des Schuhmachers Gattin um.

»So – und jetzt haben wir ein paar Worte mit einander zu wechseln, Madame Heßberger, wenn es Ihnen recht ist,« sagte Madame Müller, aber gleich in einem so entschiedenen Ton, daß man ihm wohl anhörte, sie würde eben reden, ob es recht wäre oder nicht.

»Wir Beiden, Madame Müller? Aber wollen Sie denn nicht Platz nehmen? Sie stehen ja da an der Thür....«

»Sagen Sie einmal, Frau Heßberger,« fuhr die Frau fort, ohne die Einladung weiter zu beachten, »was haben Sie denn von mir in der Stadt erzählt, wenn ich fragen darf?«

»Ich? Von Ihnen?« sagte des Schusters Frau, doch nicht mit einem recht reinen Gewissen, denn sie sprach gewöhnlich sehr viel über andere Leute und nie etwas Gutes, und fühlte sich natürlich nicht so recht sicher, daß irgend eine oder die andere Bemerkung einem oder dem andern der Betreffenden zu Ohren gekommen sein konnte. Jedenfalls mußte sie erst einmal hören, um was es sich eigentlich handle. »Und was sollte ich von Ihnen gesprochen haben? Was hätte ich denn eigentlich sprechen oder erzählen können? Ich weiß ja doch gar nichts von Ihnen!«

»Desto schlimmer, Frau Heßberger, desto schlimmer,« rief Madame Müller, keineswegs gesonnen, sich auf solche summarische Weise abspeisen zu lassen; auf anfängliches Leugnen war sie überdies gefaßt. »Aber aus der Luft greifen's die Leute nicht, das ist nicht möglich, und Ihre Zunge kenn' ich, die ist in der ganzen Stadt bekannt!«

»Hören Sie, Madame Müller,« sagte Frau Heßberger, doch jetzt auch ein bischen warm werdend, obgleich sie noch immer sehr zurückhielt, denn sie mußte erst wissen, auf was die Frau eigentlich abzielte, »beleidigen brauche ich mich hier in meinem eigenen Hause nicht zu lassen, denn wenn ich in der Stadt bekannt bin....«

»So? Aber zu mir schicken Sie die Leute in das eigene Haus!« fuhr die Frau Müller, den rechten Arm in die Seite stemmend, fort. »Ich soll mich im eigenen Hause beleidigen und verunglimpfen lassen, nicht wahr? Dagegen haben Sie nichts, o, Gott bewahre, das ist ja nur die Frau Müller, eine allein stehende Frau und Wittwe – jawohl, die muß sich Alles gefallen lassen! Aber der liebe Gott hat mir auch eine Zunge gegeben, mit der ich mich wenigstens vertheidigen kann, und die will ich denn auch gebrauchen, so lange mir der Herr die Kraft läßt.«

»Daß Sie eine gute Zunge haben, Madame Müller, hat Ihnen noch Niemand abgestritten,« sagte die Frau Heßberger, jetzt ebenfalls gereizt.

»Und Sie brauchen mir die wahrhaftig nicht vorzuwerfen, Frau Heßberger, Sie am allerwenigsten!« rief der Gegenpart wieder, und zwar lauter, als es die Umgebung eigentlich nöthig machte.

»Aber wär's Ihnen denn nicht gefällig, Madame Müller, jetzt einmal zu sagen, was Sie von mir wollen?« sagte die Frau Heßberger mit einem ironischen Knix.

»Jawohl, Frau Heßberger,« erwiederte die Dame, gerade in der Stimmung, ihr den Knix mit Zinsen zurückzugeben, »wie Sie befehlen – oder möchten Sie mich lieber gleich hinauswerfen? Aber dann wollen wir doch einmal sehen, ob die Gerichte nicht eine arme, allein stehende Frau schützen!«

»So, Madame Müller, und wissen Sie, daß ich jetzt gleich hingehen und Sie verklagen kann, wenn Sie mir mit den Gerichten drohen?«

»Ja, gehen Sie nur, Frau Heßberger, gehen Sie nur,« rief die Frau Müller in Eifer, »wenn Sie Einem die Worte im Munde herumdrehen wollen! Aber dann wird sich auch zeigen, was Sie dem alten Schlabbermaul, dem Herrn Rath Frühbach, von mir und meinem Kinde erzählt haben, daß ich es umgetauscht hätte und daß mein Kind nicht mein Kind, sondern ein Kind vom Baron von Wendelsheim wäre – Sie schlechte Person Sie....«

»Was?« sagte die Frau, jetzt wirklich erstaunt und in dem Gegenstand ganz die »schlechte Person« überhörend (sie bemerkte auch in dem Augenblicke kaum, daß ihr Gatte im Frack in's Zimmer trat). »Ich hätte dem Rath Frühbach erzählt, Sie hätten ein Kind umgetauscht und Ihre Tochter wäre die Tochter vom Baron?«

»Wenn die Damen so freundlich sein wollten,« sagte Heßberger, der mit seinem gewinnendsten Lächeln die alte Fettmütze zwischen den Fingern zerdrückte, »nur ein klein wenig leiser zu schreien – die Lehrjungen drin spitzen die Ohren und horchen, und brauchen doch wahrhaftig nicht zu wissen, über was wir hier conserviren.«

»Meinethalben kann's die ganze Stadt wissen,« sagte Frau Müller mit Würde; »ich habe ein reines Gewissen, und von Ihnen, Herr Heßberger, lasse ich mir den Mund noch lange nicht verbieten, Sie wären nicht der Mann danach!«

Heßberger warf ihr, als sie vornehm über ihn wegsah – und sie war auch wenigstens einen halben Kopf größer als er –, einen tückischen Blick zu, hütete sich aber wohl, sie noch mehr zu reizen, und sagte mit seiner freundlichsten Stimme: »Würde ich mir auch gar nicht unterstehen, verehrte Madame. Aber wollen Sie sich denn nicht platzen? Die ganze Sache scheint mir übrigens, so viel ich bis jetzt davon gehört habe, auf einem Mißverständniß zu beruhen, denn meine Frau kann doch unmöglich etwas derartiges obschönes Gerede mit dem Herrn Rath Früh....«

»Ich habe überhaupt mit dem Herrn Rath Frühbach noch in meinem Leben kein Wort gesprochen!« rief hier die Frau Heßberger dazwischen. »Seine Frau kommt manchmal zu mir – eine liebe, gute Seele, die sich die Karte legen läßt und wissen will, ob sie 'was in der Lotterie gewinnt oder ob ihr Mann eine Anstellung als Director kriegt, aber nie ist auch nur der Name der Madame Müller in ihrer Gegenwart über meine Zunge gekommen!«

»Und der Rath Frühbach soll aus freien Stücken zu mir hinaus nach Vollmers kommen und sich noch dazu einen lebendigen, wirklichen Major mitbringen, wenn an der ganzen Sache kein wahres Wort wäre? Das machen Sie einer Andern weis, aber mir nicht, verehrte Frau Heßberger! Ich will gar nicht behaupten, daß ich zu den Gescheidtesten gehöre, aber so dumm bin ich denn doch, Gott sei Dank, noch lange nicht!«

»Was denn für ein Major?« sagte die Frau Heßberger, aufmerksam werdend.

»Ein Major von Hansen oder Halsen, wenn Sie's wissen wollen, ein alter Herr, der ehrwürdig genug aussah, um gescheidt zu sein – und von solchen Leuten muß man sich solche Dinge sagen lassen! Aber damit ist die Sache nicht abgethan, Frau Heßberger, damit ist sie wahrhaftig noch nicht abgethan! Ich bin eine ehrliche Frau, und Alles, was ich habe, ist mein ehrlicher Name, und den lasse ich mir noch lange nicht von jeder hergelaufenen Person abschneiden!«

»So, Madame Müller,« rief jetzt des Schusters Frau, deren Geduld ebenfalls scharf auf die Neige ging, »jetzt möcht' ich nur wissen, ob Sie mich etwa mit der »hergelaufenen Person« meinen, denn wenn Einer von uns eine hergelaufene Person ist....«

»Entschuldigen Sie, meine Damen,« fuhr hier Heßberger dazwischen, der alle Ursache hatte, einen drohenden Ausbruch zu vermeiden, »wenn jener Herr Geheimer Rath etwas Derartiges gegen Sie geäußert hat, Madame Müller, so sind Sie vollständig berechtigt, böse darüber zu werden, jede anständige Frau würde das. Aber dann seien Sie auch so gut und theilen uns genau mit, was er von uns gesagt hat, dann können wir uns verdefendiren, und den Herrn Geheimen Rath wollen wir nachher schon kriegen.«

Madame Müller zögerte einen Moment. Sie fühlte vielleicht, daß sie ein wenig zu weit gegangen sein mochte. Das Verlangen des Schusters war auch zu vernünftig, um eine Einwendung zuzulassen. Die Heßbergers mußten erst erfahren, was sie gesagt haben sollten, und dann sich vertheidigen; das war in der Ordnung, und Madame Müller auch nur eigentlich in der ersten Hitze ein wenig wirr in die Geschichte hineingefahren. Sie sah sich deshalb, als erste Einleitung in ein ruhigeres Geleise, nach einem Stuhl um, den ihr Heßberger bereitwillig hinschob, und sagte dann: »Gut, ich will Ihnen die Sache erzählen, wenn mir auch die Galle noch einmal dabei überläuft; ach, daß ich mir so 'was muß auf meine alten Tage gefallen lassen, wo mir in der Jugend kein Mensch einen Vorwurf machen konnte! Aber ich will wissen, ob der alte grauhaarige Schwätzer die Wahrheit gesprochen oder ob er gelogen hat, und wenn ich damit bis hinauf zum König gehen müßte.«

Und nun erzählte sie mit ziemlich kurz gedrängten Worten, aber natürlich noch immer in jener gereizten Stimmung, welche die Erinnerung an den Morgen in ihr hervorrief, dem aufmerksam zuhörenden Heßberger'schen Ehepaare die Erlebnisse mit Rath Frühbach und dem Major, und Heßberger unterbrach oder störte sie darin nur ein einziges Mal, indem er leise und vorsichtig an die Thür der Werkstatt schlich und diese dann plötzlich aufriß, ob er vielleicht einen seiner Jungen beim Horchen ertappte. Die aber kannten schon sein Manöver und hüteten sich wohl, etwas Derartiges zu versuchen. Wie angeleimt saßen sie auf ihren Schemeln, und darüber beruhigt, schloß der Schuhmacher die Thür wieder.

Die Frau Heßberger schüttelte aber, während ihr Besuch erzählte, immer nur schweigend mit dem Kopf; denn obgleich sie sich von dieser Anklage, dem Rath Frühbach etwas Aehnliches erzählt zu haben, vollkommen rein wußte, so begriff sie doch in aller Welt nicht, wie der genannte Herr erstlich zur Frau Müller kam, und dann auch nicht, wie er sie auf solche Weise da hinein bringen konnte. Aber der Major – den kannte sie gut genug, und der stak auch jedenfalls hinter dem Ganzen.

Ihr Mann mußte ähnliche Gedanken gehabt haben, denn wie die Frau einen Augenblick schwieg, mehr um Athem zu schöpfen, als weil es ihr an Stoff gefehlt hätte – sie würde einen Monat lang damit ausgereicht haben –, sagte er artig:

»Escusiren Sie, Madame Müller, behauptete denn der Herr Geheime Major etwas Aehnliches?«

»Ja, ob es ein geheimer Major war oder nicht,« sagte Madame Müller, »weiß ich nicht – eine Uniform trug er freilich nicht, wie sich's für einen Major gehört, sondern einen alten grauen Rock und einen runden Hut –, aber er sprach wenig oder gar nichts; der Rath führte ziemlich allein das Wort und trank auch allein meinen Wein aus, der graue Sünder der... Aber nun, Frau Heßberger, frage ich Sie, wie konnten Sie sich unterstehen, etwas Derartiges von mir zu erzählen? Habe ich je in meinem ganzen Leben...«

»Ereifern Sie sich nicht unnöthiger Weise, Madame Müllern,« sagte die Heßberger mit Würde, denn sie hatte Zeit genug gehabt, um sich Alles genau zu überlegen. »Ich kann es auf die Hostie beschwören, daß Ihnen jener Herr Rath, was mich betrifft, nichts als blanke Lügen erzählt hat, und wenn Sie mir ihn hieherbringen, will ich ihm das in's Gesicht hinein sagen. Und was Ihren Major betrifft, so kenn' ich den gar nicht und habe ihn wohl noch nicht einmal gesehen, viel weniger gesprochen, und noch viel weniger über Sie. Außerdem,« fuhr sie fort, als sie sah, daß Madame Müller etwas darauf erwiedern wollte, »steht hier die Frau, die von der Geburt des Wendelsheim'schen Kindes an bei ihm war, und doch wohl wissen müßte, ob es vertauscht wäre oder nicht, denn mir kann in der Hinsicht Keiner ein X für ein U machen. Ich habe aber den Jungen – und ein prächtiger junger Herr ist es geworden – zuerst auf den Armen gehabt, und Wochen und Monate und Jahre lang vor Augen, und wenn den hätte Einer auswechseln wollen, der hätte es klug anlegen müssen. Aber ich weiß, woher das Alles kommt: der Major steckt dahinter; das ist derselbe, der das Geld gekriegt hätte, oder doch ein ganz Theil davon, wenn die Wendelsheim'sche Familie ohne männlichen Erben geblieben wäre. Jetzt hat sie, Gott sei Dank, deren zwei, und da nun das Geld bald ausgezahlt werden soll, kommt bei ihm die Wuth und der Aerger, daß er nichts kriegt und leer ausgeht, und er versucht's auf allerlei Art, um noch einen Haken daran zu finden.«

»Aber, Heßbergern,« sagte die Madame Müller, »das ist ja doch gar nicht möglich! So schlecht kann doch ein Mensch gar nicht sein...«

»Lehren Sie mich die Menschen kennen, Madame Müllern!« sagte die Heßberger, während der Schuster einen salbungsvollen Blick nach oben warf und schwer aufseufzend mit dem Kopf nickte – er schien sie ebenfalls zu kennen. »Mir sind schlimmere Dinge passirt,« fuhr die Frau fort, »viel schlimmere, und die ersten Jahre – Sie waren wohl damals schon in die weite Welt gegangen und über die See –, da hatten sie bald dies, bald das Gerede, und Alles über die arme Heßberger, die konnte herhalten, weil sie zu gutmüthig war, fest gegen sie aufzutreten. Aber zuletzt mußten sie's doch aufgeben – Wahrheit und Ehrlichkeit bleiben immer oben, Madame Müllern, immer und ewig, und wie sie erst ausfanden, daß sie mir nichts anhaben konnten, ließen sie mich zufrieden.«

»Und dann wollen sie jetzt vielleicht mit mir dasselbe Spiel versuchen?« rief Madame Müller, deren ganzer Zorn sich nun gegen ihren neulichen Besuch kehrte. »Aber da sind sie an die Falsche gerathen! Ich bin nicht zu gutmüthig, die Versicherung kann ich Ihnen geben, Heßbergern, und wenn mich neulich nicht der Aerger und Zorn so krank gemacht hätte, daß ich mich niederlegen und volle zehn Tage das Bett hüten mußte, ich wäre augenblicklich auf die Gerichte gelaufen! Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben, und dazu heute so gut ein Tag, wie gestern oder vor acht Tagen!«

»Aber, beste Madame Müller,« sagte Heßberger sehr artig, »da treten Sie die Geschichte erst recht breit. Ich würde solche Menschen mit Verachtung strafen und laufen lassen. Die kommen Ihnen nicht wieder, so viel kann ich Ihnen versichern.«

»Na, das fehlte mir auch noch, daß die wiederkämen,« sagte die Frau, ganz resolut von ihrem Stuhl aufstehend und nach ihrem Schirm greifend, den sie wie eine Waffe packte; »ich wollte ihnen zeigen, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat! Aber so kommen sie nicht davon, so viel ist sicher, denn ich will nicht umsonst die ganze Zeit vor Aerger krank im Bett gelegen haben! Ich suche mir einen Advocaten, und dann wollen wir doch einmal sehen, ob so ein paar Kerle zu mir hereinbrechen und mir ihre Lügen unter die Nase reiben dürfen!«

»Da müssen Sie schmähliches Geld blechen,« sagte Heßberger, »und es hilft Ihnen gar nichts.«

»Und wenn mich die Geschichte zwanzig blanke Thaler kosten sollte!« rief Madame Müller bestimmt und schlug sich mit dem nassen Regenschirm in die linke Hand. »Ich kenne freilich die Advocaten hier nicht, denn ich habe mit derlei Leute nie in meinem Leben etwas zu thun gehabt; aber ich gehe zu Eurem Schwager, dem alten Baumann, das ist ein ehrlicher, braver Mensch, der den Kopf auf der rechten Stelle hat. Der wird mir schon einen ordentlichen Menschen nennen können, der Einen nicht blos zum Vergnügen über's Ohr haut.«

»Liebe Madame Müller,« sagte da die Frau Heßberger rasch, »thun Sie das nicht; mein Schwager ist ein seelensguter Mensch, aber was weiß der von den Advocaten! Wenn Sie denn absolut einmal Ihren Willen durchsetzen wollen, so wohnt hier gleich nebenan ein sehr tüchtiger Mann, der Herr....«

»Lassen Sie mich nur machen, Frau Heßberger,« sagte Madame Müller, die eben nicht besonders viel auf eine Empfehlung derselben zu geben schien. »Ich bin von klein auf in der Welt gewesen und weiß selber, was ich zu thun habe. Meister Baumann ist ein ganz tüchtiger Mann, und ich will auch gar keinen spitzfindigen Advocaten, sondern nur einen ehrlichen haben. Wenn Sie dann vorgeladen werden, brauchen Sie nur auszusagen, was Sie mir heute versichert haben, und dann wollen wir die beiden Herren, den Herrn Rath und den Herrn Major, schon kriegen, darauf dürfen Sie sich verlassen!«

»Aber es regnet so sehr, meine gute Madame,« sagte Heßberger, der sie jetzt merkwürdiger Weise noch gar so gern eine Weile da behalten hätte.

»Und wenn es Schusterjungen regnete, Herr Heßberger,« versicherte Madame Müller, »ich komme mit meinem Parapluie schon durch. Also guten Morgen allerseits – wünsche gesegnete Mahlzeit!« und damit öffnete sie die Thür der Werkstatt selber, schritt, ohne mehr nach rechts oder links einen Blick zu wenden, hindurch und stieg dann langsam die etwas steile und dunkle Treppe hinab.

Unten im Hausflur hatte sich indessen ebenfalls Gesellschaft eingefunden. Der Staatsanwalt Witte war, gerade wie der Schauer begann, ohne Regenschirm die Straße heruntergekommen und, da er sich besonders vor Erkältung fürchtete, dort untergetreten. Er glaubte natürlich, daß es, da es mit solcher Wuth und Heftigkeit einsetzte, auch eben so rasch vorüberziehen würde, denn »gestrenge Herren regieren nicht lange.« Aber der Donner folgte immer langsamer und in größeren Zwischenräumen dem Blitz, bis zuletzt noch kaum ein leises Grollen hörbar wurde, und immer wollte der eigentliche Guß nicht nachlassen, ja, schien eher heftiger zu werden.

Witte schüttelte mit dem Kopf, fand sich aber darein, eine Weile auszuhalten, denn ewig konnte es ja nicht dauern, und vielleicht kam auch eine leere Droschke vorüber, die er dann angerufen hätte. Wer aber hat schon je bei Regenwetter, und wenn er sie am nothwendigsten brauchte, eine leere Droschke gefunden? Es kommt gar nicht vor, und überhaupt scheinen die Droschkenkutscher in solcher Zeit einzukriechen wie die Fliegen, denn man trifft nur in Ausnahmefällen einen von ihnen auf der Straße. Der Staatsanwalt lauerte denn auch vergeblich eine volle Viertelstunde und nahm sich schon ein paarmal vor, lieber mitten im Regen hinauszuspringen und lieber scharf an den Häusern wegzulaufen. Jedesmal aber, wenn er zu solch einem halben Entschlusse gekommen war, schien es, als ob es mit frischen Kräften an zu gießen fing; es dachte gar nicht daran, aufzuhören, und er gab jedesmal den Versuch wieder auf.

Wie er noch so dastand, arbeitete sich ein Herr mit einem großen hellblauen seidenen Regenschirm an der Thür vorüber; gerade aber als er vor dem Thorwege war, kam ein plötzlicher Windstoß die Straße herunter, faßte unter den Schirm und klappte im Nu die Fischbeinstäbe nach oben, während eine benachbarte Dachtraufe, welche ebenfalls durch den Windstoß eine andere Richtung erhielt, ihren vollen Inhalt über den unglücklichen und nun vollständig wehrlosen Eigenthümer des Schirmes ausschüttete.

»Herr Du meine Güte!« sagte der Mann und fuhr mit einem Seitensprung so rasch in das Haus hinein, daß ihm Witte kaum aus dem Weg kommen konnte. Dort bog er sich dann vor, um wenigstens erst einmal das Gröbste von Hut und Rock ablaufen zu lassen; dann nahm er die Brille ab, um diese klar zu wischen, denn er war vollständig überschüttet worden, und Witte erkannte jetzt erst in dem Eingeregneten den Rath Frühbach.

»Ei, ei, mein lieber Herr Rath,« sagte er, »Sie sind ja in ein ganz gehöriges Sturzbad hineingerathen. Das nenn' ich ja vollkommen unter Wasser gesetzt. Es ist aber auch wirklich ein Hundewetter.«

Rath Frühbach brauchte einige Zeit, bis er seine Sehwerkzeuge wieder in Ordnung hatte, denn er erkannte den Staatsanwalt nicht gleich an der Stimme. Während er aber die Brille noch abwischte, bog er den Kopf herunter, als ob er sie auf der Nase hätte und darüber hinwegsehen wollte, und rief plötzlich aus: »Ei, mein lieber Herr Staatsanwalt, das ist mir ja ein ganz besonderes Vergnügen, Sie hier so zufällig zu treffen! Das nehme mir aber kein Mensch übel, so ein Wetter ist ja noch gar nicht dagewesen – dreht Einem den Schirm ordentlich um. Aber so ist es mir einmal in Schwerin gegangen. Da spaziere ich auch in aller Gemüthlichkeit, bei fast wolkenreinem Himmel, ein Stückchen vor die Stadt hinaus, hatte aber doch den Schirm aus Vorsicht mitgenommen, als plötzlich ein Gewitter ankommt, und ich war draußen auf freiem Felde, und wenigstens auf tausend Schritte nach keiner Richtung hin ein Haus. Na, ich spannte den Schirm auf, und nun dicke durch. Ja, aber du lieber Gott, das wurde immer ärger, das regnete, als ob es mit Mulden gösse, genau so, wie jetzt da draußen, und es hörte auch den ganzen Nachmittag nicht auf.«

»Wenn wir nur eine Droschke bekommen könnten,« sagte der Staatsanwalt, der ungeduldig indessen auf die Straße hinaus sah; »ich habe gar nicht einmal so lange Zeit, ich muß nach Hause, und nun das Wetter – mit meinen dünnen Stiefeln – wenn ich nur wenigstens Gummischuhe mitgenommen hätte!«

»Die helfen auch nicht viel,« sagte der Rath. »Da kam ich einmal Abends in Schwerin aus dem Theater; es war auch nasses Wetter gewesen, und ich hatte meine Gummischuhe mitgenommen. Während der Vorstellung mußte sich aber der Wind gedreht haben; es wurde bitter kalt und fror, und wie ich nur hinaus auf die steinerne Treppe trete, fühle ich schon, daß ich an zu rutschen fange. Ich trete also sehr vorsichtig hinunter auf das Pflaster, erst mit dem rechten und dann mit dem linken Fuß, und immer ein bischen weiter, und so bin ich den ganzen Weg nach Haus gegangen.«

Der Staatsanwalt überlegte sich eben, ob er nicht lieber dem Regen und einem jedenfalls darauf folgenden Schnupfen, als den endlosen Erzählungen des Raths trotzen sollte, als hinter ihnen eine Frau die Treppe herunterkam, auf welche Rath Frühbach, da er gerade wieder seinen Schirm in Ordnung brachte, gar nicht achtete.

Es regnete noch mit derselben Hartnäckigkeit weiter, und die Frau spannte unten im Flur, ohne sich um die Herren zu bekümmern, ihren Schirm auf, wollte auch eben hinaus in den Guß treten, als ihr Auge zufällig auf Rath Frühbach fiel, der ihr in seiner aufmerksamen Weise Platz machte.

»Ne, so 'was lebt nicht!« rief sie plötzlich im größten Erstaunen aus. »Da ist er ja – wenn man den Wolf nennt, kommt er gerennt! Ist auch ein vortreffliches Plätzchen hier, um andere ehrliche Leute wieder schlecht zu machen und zu bereden, nicht wahr? Jawohl, kann ich mir denken! Aber jetzt wollen wir einmal sehen, ob die Gerichte das zugeben! Wenn noch Recht und Gerechtigkeit im Lande ist, so will ich's schon finden, darauf können Sie sich verlassen, und Ihren saubern Major, den kauf' ich mir noch dazu!«

»Liebe, beste Frau,« sagte der Rath, der zu seinem Entsetzen die Frau Müller aus Vollmers erkannt hatte und jetzt nicht übel Lust zu haben schien, seine ganze Existenz abzuleugnen, denn der Staatsanwalt durfte um Gottes willen nichts von der Geschichte erfahren.

Madame Müller war aber nicht die Frau, irgend jemand Anderes reden zu lassen, so lange sie noch etwas zu sagen hatte, und die wohlwollende Anrede reizte sie ganz besonders: »Der Teufel ist Ihre »liebe, beste Frau!« rief sie zornig und schien nicht übel Lust zu haben, den schon geöffneten Schirm wieder zu schließen. »Sie sollen mir aber vor's Messer, darauf können Sie sich verlassen, und wenn ich....«

»Heh, Droschke! Droschke!« rief der Staatsanwalt auf die Straße hinaus. Er begriff nicht recht, was Rath Frühbach mit der Frau haben oder gehabt haben konnte, hatte aber auch keine große Lust, einem etwaigen Streit zuzuhören, und der Wagen, der gerade zufällig gegenüber eine »Fuhre« abgesetzt, kam ihm gut zu Statten. Der Kutscher hörte auch den Ruf und lenkte um, und mit einem kurzen Gruß gegen den Rath sprang der Staatsanwalt mitten in den Regen hinaus.

Das war dem Rath aber zu viel. Mit der entsetzlichen Frau sollte er hier im Thorweg, und außerdem noch durchaus naß, das Unwetter abwarten? Nein – hier drinnen wüthete es ärger als draußen, und einen herzhaften Entschluß fassend, spannte er mit einem plötzlichen Ruck seinen Schirm, sagte »Guten Morgen, Madame!« und war mit drei Schritten wieder unter der Traufe. Er hörte noch hinter sich her etwas von »Gerichten« und »Hausschleichern«, aber der auf den Schirm schlagende Regen ertödtete die Worte, und dem Sturm in die Zähne arbeitete er sich, Madame Müller ihrem eigenen Schicksal überlassend, die Straße hinauf.

4.
Neben der Werkstätte.

Neben der Werkstätte des Schlossers Baumann befand sich das kleine, aber ganz behaglich eingerichtete Wohnzimmer der Familie, und zwar nicht etwa behaglich durch elegante Möbel oder sonstigen Zierath, sondern weit mehr durch die wirklich auffallende Sauberkeit, die dort herrschte, so daß Baumann selber oft lachte, wenn er mit seinem rußgeschwärzten Gesicht, und eben solchen bloßen Armen zum Frühstück oder sonst einmal hereinkam und dann meinte, er passe da eigentlich gar nicht hin und müsse immer vorher an der Thür »abgetreten« werden. Er paßte aber und gehörte trotzdem da ganz besonders hinein, denn seinem unermüdlichen Fleiß sowohl als seiner Geschicklichkeit verdankte die Familie gerade diese Behaglichkeit, die nur die Frau noch durch ihr ewig thätiges Schaffen und Sorgen zu erhöhen und zu erhalten wußte.

Baumann hätte sich auch in der That keine bessere Frau wünschen und sie auf der weiten Welt finden können; eine sorgsamere für ihn und seine Bequemlichkeit gewiß nicht, denn was sie ihm an den Augen absehen konnte, das that sie. Dabei war in den langen Jahren ihrer Verheirathung auch noch nicht ein einziger Zank zwischen ihnen vorgekommen, und nur manchmal neckte sie der alte Schlosser mit dem »Stückchen Hochmuthsteufel«, der in ihr stecke, und meinte dann wohl, es sei jammerschade, daß sie keine Gräfin geworden wäre und in Sammet und Seide und mit langen Schleppkleidern hätte umhergehen können, das würde ihr außerordentlich gut gestanden haben. Aber das war immer nur im Scherz und wurde so gesagt und aufgenommen.

Heute saß sie allein in der Stube an ihrem Nähtisch und arbeitete ein Kleidchen für ihr kleines Töchterchen, das seit acht Tagen zum ersten Mal in die Schule geschickt war und nun doch Manches brauchte, um anständig zwischen den übrigen Kindern zu erscheinen. Wenn es auch blos Kattunröckchen tragen durfte, denn der Vater litt das nicht anders, konnten die doch wenigstens sauber und nett gemacht sein, und darin, wie überhaupt in allen Dingen, besaß sie eine besonders geschickte Hand.

Draußen wetterte es gerade, was vom Himmel herunter wollte; der Blitz zischte, der Donner rollte und die ersten schweren Tropfen fingen an zu fallen. Die Leute auf der Straße liefen, was sie laufen konnten, um irgend ein schützendes Obdach zu erreichen, und ein paar vorüberfahrende Droschkenkutscher hieben mit ganz ungewohnter Energie auf ihre Pferde ein.

Die Frau Baumann warf einen besorgten Blick auf die Straße und nach dem Himmel hinauf – aber ihre Else saß jetzt schon lange sicher in der Schule, und bis die aus war, hatte sich das Wetter auch gewiß wieder verzogen. Nur die Schmiede ängstigte sie etwas; dort lag so viel Eisen, und sie fürchtete immer, daß der Blitz einmal da einschlagen könnte, hatte auch ihren Mann oft und oft gebeten, nur doch wenigstens so lange mit Arbeiten aufzuhören, als ein Gewitter dauere. Der aber lachte dazu und meinte, der Blitz, wenn er einmal einschlagen wolle, könne ihn überall treffen, jedenfalls eben so leicht in der Stube, wie in der Werkstätte, und der liebe Gott sei aller Orten. Die Arbeit dürfe aber nicht rasten, und nur wenn einmal ein Gewitter an einem Sonntag käme, verspräche er ihr, nicht dabei am Ambos zu stehen, was er überhaupt nicht am Sonntag that. Es war mit dem Manne eben nichts anzufangen.

Baumann hämmerte denn auch, mit seinem zweiten Sohn, einem andern Gesellen und dem Lehrjungen an seiner Seite, wacker darauf los, daß die Funken nach allen Seiten hinausspritzten, und warf nur einen schmunzelnden Blick nach der Thür, als der Regen plötzlich mit voller Wucht einsetzte und niederschlug. Wie die Menschen draußen sprangen, um unter Dach zu kommen – aber er stand trocken, und lustig schlug er wieder auf das rothglühende Eisen ein.

Da fuhr plötzlich ein Schirm in die weit geöffnete Thür, und als er den Kopf dorthin wandte, tauchte sein ältester Sohn Fritz darunter auf und rief ihm lachend einen Guten Morgen zu.

»Na nu?« sagte der Alte, indem er den Hammer ruhen ließ und ihn erstaunt betrachtete. »Wo kommst Du bei dem Wetter her, und noch dazu in Sonntagskleidern? Du – trägst wohl wieder ausgebesserte Arbeiten aus, mein Junge, he?«

»Nein, Vater,« rief Fritz, aber doch ein wenig verlegen, denn er wußte recht gut, auf was der alte Mann anspielte, »wegzutragen habe ich heute nichts; aber ich wollte nur einmal zu Dir und Mutter kommen, um etwas mit Euch zu reden.«

»In Sonntagskleidern?«

»Ich habe überhaupt noch einen Besuch zu machen – Professor Anders, der Astronom, hat mich gebeten, wegen einer größeren Arbeit zu ihm zu kommen, und da – mochte ich doch nicht in meinen Arbeitskleidern gehen. Uebrigens erwischte mich das Wetter, und ich bin nur eben noch glücklich vor Thorschluß hier eingefahren, Ist die Mutter zu Hause?«

»Ja, sie sitzt drinnen – geh' nur hinein; wenn ich hier mit dem Schlüssel fertig bin, komme ich gleich nach, denn in dem Aufzug kannst Du mir doch nichts helfen – Donnerwetter, Glacéhandschuh' – na, und das Alles, um einem Professor einen Besuch zu machen. Ich gehe bei solchen Wegen allerdings auch in Leder, aber mit meinem Schurzfell. Junge, Junge, Du wirst mir verdammt fein und geschniegelt, und ich habe es bis jetzt gar nicht geglaubt, daß zwischen einem Schlosser und einem Mechanikus solch' ein Unterschied wäre. Du, Karl, mach' einmal Deinem Herrn Bruder die Thür auf, daß er sich die Glacéhandschuh' nicht an der vielleicht rußigen Klinke schmutzig reibt.«

»Danke, Vater, danke,« lachte Fritz, indem er der Thür zusprang, »so gefährlich ist's denn doch noch nicht, und das kann ich allein besorgen.«

Der Vater sah ihm, das Eisen in der Hand und den Hammer noch auf dem Ambos ruhend, in einer etwas gebückten Stellung nach, so lange er ihm mit den Augen folgen konnte, und ein leises, aber nicht unfreundliches Lächeln flog über seine ehrlichen Züge. Dann schüttelte er still vor sich hin den Kopf, und wieder hob sich der schwere Hammer, als ob es eine Feder gewesen wäre, und kam wuchtig auf das sprühende Eisen nieder.

Fritz, der seinen Schirm in der Werkstätte abgestellt hatte, denn auf dem Boden dort mochte er triefen, wie er wollte, trat zur Mutter in's Zimmer und setzte sich zu ihr, und die Beiden sprachen lange und angelegentlich mit einander – ja, eine so wichtige Sache mußten sie wohl verhandeln, daß die Mutter sogar ihre Arbeit ruhen ließ und die Hände im Schooß faltete, bis der Vater zu ihnen herein kam.

»Na,« sagte er, als er sie da so sitzen sah, »eine Hand kann ich Dir heute nicht geben, mein Junge; Du bist mir zu fein, und zum Waschen hab' ich keine Zeit, denn ich muß gleich wieder hinaus. Also was hast Du zu sagen, und was ist denn überhaupt mit Euch Beiden? Ihr seht mir ja alle Zwei so feierlich aus? Hör' einmal, Junge, ich glaube, Du willst doch wieder eine fertige Arbeit austragen, he?«

»Eine Arbeit gerade nicht, Vater,« lächelte Fritz, doch etwas verlegen; »aber weit vom Ziel hast Du allerdings nicht vorbeigeschossen.«

»Auf den Knopf getroffen,« lachte der Alte, »he? Dem Jungen steckt ein Frauenzimmer im Kopfe!«

»Er will heirathen, Gottfried,« nickte die Mutter, während ein freundliches Lächeln über ihre Züge flog.

»Ob ich's mir nicht gedacht habe!«

»Und so ein sauberes Mädchen hat er sich ausgesucht!«

»Na, er wird keine Schmiergans nehmen,« lachte der Alte. »Und wie heißt sie? Alles natürlich schon fix und fertig gemacht, und jetzt nur noch eine nachträgliche Anmeldung bei den Eltern, die weiter nichts nöthig haben, als den üblichen Segen dazu zu geben. Ist mir auch recht; habe doch schon genug zu thun, und könnte mich mit derlei nicht mehr auf meine alten Tage befassen.«

»Nein, Vater,« sagte Fritz, »fertig gemacht ist noch gar nichts; ich bin im Gegentheil eben im Begriff, den allerersten Schritt dazu zu thun.«

»So–o?« sagte der Vater, etwas erstaunt; »das ist ja merkwürdig. Na, hat die Sache etwa einen Haken?«

»Nein, Gottfried,« sagte die Frau, »ganz und gar nicht; es ist Alles glatt und recht und wie sich's gehört, und der Fritz ist ein braver Junge, der uns nur bei einer so wichtigen Sache vorher um Rath fragen wollte.«

»Bah, Alte, laß Dir nichts weiß machen,« lachte der Schlossermeister – »um Rath fragen. Sieht der aus, als ob er erst noch um Rath fragen wollte, und steckt schon bis über die Ohren in seinen Sonntagskleidern drin? Nur hören will er, daß wir sagen: Ei, mein lieber Sohn, das hast Du brav gemacht – geh' doch geschwind hin und hol' Deinen Schatz! Und dann läuft er von selber.«

»Aber Gottfried...«

»Na, mach' keine langen Geschichten, Also wie heißt sie und wer ist's? daß ich wieder hinaus an meine Arbeit komme.«

»Ich bin vielleicht in meinen Ansprüchen etwas keck gewesen, Vater,« sagte Fritz, aber jetzt schon lange nicht mehr so zuversichtlich, als vorher; »aber ich – ich glaube glücklich zu werden.«

»Hm, das glauben wir gewöhnlich Alle,« lächelte der Schlossermeister gutmüthig; »na, aber nun schlag' einmal los, das Eisen wird sonst kalt – wer ist's denn?«

»Ottilie Witte, Vater.«

»Die Tochter des Staatsanwalts?«

»Ja, Vater.«

Der alte Mann war stehengeblieben und sah ihn ernst und forschend an. Aber er erwiederte lange kein Wort, gab auch kein Zeichen des Beifalls oder Mißfallens; endlich fragte er langsam: »Und will sie Dich haben?«

»Ich weiß es nicht, Vater, aber ich glaube es,« sagte Fritz herzlich: »sie war immer so gut und lieb mit mir, und wir haben ja schon als Kinder Braut und Bräutigam mitsammen gespielt.«

»Ich will Dir 'was sagen, mein Junge,« nickte der Alte, »die Sache gefällt mir nicht.«

»Gefällt Dir nicht, Gottfried?« rief die Frau. »Und hätte er sich ein netteres, hübscheres Mädchen in der ganzen Stadt aussuchen können?«

»Nein – sie ist mir nur zu nett,« erwiederte der Schlossermeister. »Wärst Du zu mir gekommen und hättest gesagt: Vater, ich habe mir die Tochter vom Schneidermeister So und So oder vom Schuster So und So zur Frau ausersehen und will sie heirathen, so würde ich geantwortet haben: Bravo, mein Sohn, thu' das, und Gott gebe seinen Segen dazu – meinen hast Du. Aber die vornehme Tochter des Staatsanwalts, die große Gesellschaften mit lauter Adeligen geben – das thut kein gut.«

»Aber, Vater, Ottilie ist so einfach erzogen – so wirthschaftlich!«

»Und bist Du wirklich überzeugt, daß sie Dich gern hat – nein, nicht so,« fuhr er rasch fort, als Fritz darauf erwiedern wollte – »und was wir so gewöhnlich darunter verstehen – ich meine, ob Du überzeugt bist, daß sie Dich so gern hat, um Dich wirklich zu heirathen und dem Handwerker vor allen übrigen vornehmen Bewerbern die Hand zu reichen?«

»Wenn ich es nicht fest glaubte, würde ich sie nicht darum fragen, Vater!«

»Ja,« nickte dieser, »denn ein richtiger Korb muß eine verflucht unangenehme Geschichte sein – möchte mir gerade keinen holen. Aber mir ist die Sache doch nicht recht – werde freilich nicht viel darum gefragt werden. Aber Du paßt in die Familie nicht hinein, und wir gar nicht, und ich glaube selbst nicht einmal, daß sich die Eltern – die Mutter wenigstens – besonders erfreut darüber zeigen würden.«

»Aber, Gottfried, ich weiß gar nicht, was Du immer für Bedenken hast!«

»Keine anderen, als solche, für die ich auch einen Grund hätte. Wenn sie wirklich an so etwas dächten, weshalb haben sie denn da den Fritz neulich nicht zu ihrem Ball geladen, wie? Wenn er ihnen gut genug zum Schwiegersohne wäre, müßte er es doch ganz gewiß erst recht als Gast sein. Es hat aber Niemand von ihnen daran gedacht, während es von adeligen Lieutenants nur so geschwärmt haben soll.«

»Aber was Du auch nicht Alles heraussuchst!«

»Ich suche gar nichts heraus, Alte, als was einmal drin liegt, und so viel ist sicher« – er mußte einen Augenblick mit Reden aufhören, denn so furchtbar dröhnte der Donner, daß die Worte lautlos verhallten – »so viel ist sicher,« fuhr er dann fort, ohne sich weiter irre machen zu lassen, »daß die Familie, meiner Meinung nach, mit ihrer Tochter weiter oder höher hinaus will, als sie einem Handwerker zu geben!«

»Aber ein Mechanikus ist doch kein Handwerker, Gottfried!«

»Nenne es, wie Du willst, es bleibt immer dasselbe,« beharrte störrisch der Alte. »Und haben wir nicht neulich schon einmal davon gesprochen, wo ich dazu kam, wie ihr einer von den Lieutenants, ich glaube, es war der Wendelsheim, so zärtlich die Hand küßte – und wie freute sie sich darüber! Das gäb' nicht einmal eine Frau für Dich, wenn sie Dich selber wollte.«

»Aber, Vater, Ottilie ist gewiß nicht coquet.«

»Gerade ist sie's, und recht sehr,« sagte der Alte; »Du siehst es nur nicht, weil die Liebe, wie gewöhnlich, blind ist. Richtig coquet ist sie, und ihre Mutter hat sie dazu angelernt. Allen Respect vor dem Vater. Der alte Witte gilt in der ganzen Stadt für einen schlichten und dazu braven und rechtlichen Mann; aber der Frau steckt der Hochmuthsteufel noch viel ärger im Kopfe als Dir, Alte – die möchte mit der Nase die Decke abreiben, und über Unsereinen guckt sie nur immer so hoch hinweg, als ob man seinen Kopf auf einer Stange trüge. Geh' mir mit der; ich hab' früher ein paarmal mit ihr zu thun gehabt und sie auch einmal bei einer Gelegenheit recht tüchtig ablaufen lassen. Nachher ist sie etwas artiger oder herablassender geworden.«

»Aber der Fritz ist auch von guter Familie,« sagte die Frau, »und dazu ein stattlicher Bursche.«

»Nicht was derartige Leute eine »gute Familie« nennen, Mutter,« sagte der Schlossermeister; »das Wort »gut« heißt bei denen nur immer sehr vornehm oder sehr reich, und wo möglich beides zusammen – das sind die besten – ein ehrlicher Handwerker wird nicht mit dazu gezählt.«

»Aber wenn sich die Herzen nun zusammenfinden, Vater?« sagte Fritz.

»Das sind Bücherideen,« rief der Alte; »denn wenn die Familien nachher nicht zusammenpassen, so giebt's Streit und Unfrieden, Haß und Eifersucht. Ich wollte, Du hättest Dir eine Schneiderstochter ausgesucht, Fritz, oder noch viel tausendmal lieber eine von unserem Gewerke; nachher solltest Du einmal sehen, wie lustig und vergnügt ich noch auf Deiner Hochzeit tanzen würde; so aber ist's nichts, und wenn uns die Madame Witte wirklich einlüde, so müßten wir's uns noch zur Ehre schätzen und uns fein anständig und ehrbar betragen.«

Fritz Baumann's Mutter hatte still und schweigend vor sich nieder gesehen, aber kein Wort mehr gesagt, und Fritz wunderte sich eigentlich, daß sie nicht seine Partei stärker nahm; aber der Alte hatte auch recht, denn sein Entschluß stand zu fest, um sich noch von seiner Liebe abwenden zu lassen. Ottilie war schon seit langen Jahren sein Ideal aller Weiblichkeit gewesen, und nur um sie zu gewinnen, hatte er sich mit beispiellosem Fleiße abgemüht, sein Ziel so bald zu erreichen. Jetzt stand er unabhängig da, nicht mit der Hoffnung, nein, mit der Gewißheit, sich sein Brot gut und reichlich verdienen zu können und eine Frau und Familie dabei zu ernähren. Er wollte keine Mitgift, er verlangte keine; was sie brauchten, konnte er selber beschaffen, und die Mutter hatte ihm schon versprochen, in der ersten Zeit, wenn sich die Ausgaben vielleicht unerwartet zu sehr häufen sollten, beizuspringen. Was brauchte er mehr? Er trat ja nicht als Bittender in Witte's Haus – wie er bat, wollte er auch bringen, der Tochter einen treuen Gatten, den Eltern einen wackern Sohn.

»Vater,« sagte er deshalb, »Du siehst die Sache zu schwarz. Ich gebe zu, daß es Ottiliens Mutter vielleicht lieber sähe, wenn ihre Tochter eine vornehmere Partie machte; es ist das ja natürlich. Aber sie wird auch nicht der Liebe derselben entgegentreten wollen, und ist mir Ottilie wirklich gut...«

»Was Du noch nicht einmal zu wissen scheinst.«

»Was ich aber von Herzen hoffe – dann, glaub' ich, wird sie sich auch nicht sträuben, ihre Einwilligung zu geben. In unserer Stadt besteht noch die alte Achtung vor dem Bürgerstande, und dem gehören wir so gut an, wie der Staatsanwalt Witte. Er ist eben so wenig adelig oder Baron, als wir, und wenn seine Frau wirklich daran dächte, ihr Kind Einem aus jenem Stande zu geben, so wäre der Sprung weit größer, als von uns zu ihr.«

»Ja,« sagte der Vater, »das klingt ganz vernünftig, ist aber nur einfach nicht wahr, weil Sitten und Gewohnheiten die ganze Geschichte gewöhnlich herumdrehen. Aber was kann's helfen – Du, als mein echter Sohn, hast natürlich gerade einen solchen Dickschädel, wie ich, und der muß erst ein paarmal irgendwo gegen rennen, ehe er gescheidt wird – also lauf'. Mit Vernunftgründen ist bei Dir doch nichts auszurichten, Du mußt durch Schaden klug werden.«

»Vater...«

»Es ist nicht anders – aber das Wetter warte erst ab, sonst kommst Du wie eine gebadete Maus als Brautwerber, und naß sieht ein Fisch recht hübsch aus, aber kein Mensch – der Guß kann ja doch nicht ewig dauern. Jesus, wie das noch regnet; wie dicke Seile kommt's von oben herunter, und auf der Straße könnte man beinahe mit einem Boote fahren – Herein!«

Der Ausruf galt einem starken und ganz entschiedenen Klopfen an der Thür, die sich auch gleich darauf öffnete und das uns wohl bekannte Gesicht der Madame Müller zeigte.

»Guten Tag Alle mitsammen!« sagte sie, ihren Regenschirm vorsichtiger Weise draußen lassend. »Jemine, meine Güte, ist das ein Wetter, und bei dem wird man herausgejagt, wo man so ruhig zwischen seinen vier Pfählen sitzen könnte! Ich werde mir wohl wieder den Tod an einem Schnupfen holen, denn aus den Schuhen hebt mich das Wasser bald heraus – bis an die Knöchel geht's Einem ja da draußen!«

»Madame Müller,« lachte Baumann, »so wahr ich lebe – na, Sie haben sich eine schöne Witterung zum Spazierengehen ausgesucht – aber kommen Sie doch nur herein! Sie wollen doch nicht in der Thür stehen bleiben?«

»Nein,« sagte Madame Müller mit einem Blick auf das reinliche Zimmer; »aber ich triefe nur so, und mein verwünschter blauer Kittel färbt ab – ich werde Ihnen einen blauen Streifen in's Zimmer bringen. So einen Regen hab' ich noch gar nicht erlebt; das ist ja ein wahrer Wolkenbruch!«

»Aber Sie sind doch nicht von Vollmers herein zu Fuß gegangen?« rief Frau Baumann, indem sie ihr behülflich war, das Tuch abzunehmen und aufzuhängen.

»Na, weiter fehlt mir nichts,« sagte die Dame; »aber ich hatte vorher noch einen Besuch zu machen, und jetzt bin ich hieher gekommen, Herr Baumann, um Sie in einer Sache um Rath zu fragen.«

»Mich?« lachte der Schlossermeister. »Da wären Sie wohl an der falschen Thür; ich bin doch kein Advocat.«

»Ja, eben einen guten, anständigen Advocaten will ich bei Ihnen erfragen,« sagte die Frau; »es giebt derlei Volk genug in der Stadt, alle drei Thüren weit klebt ein Schild, aber wer sich da nicht auskennt, ist auch gleich verrathen und verkauft.«

»Hm,« sagte Baumann, »und was haben Sie mit einem Advocaten zu thun? Wer die nicht sehr nothwendig hat, soll die Finger um Gottes willen davon lassen; mit denen ist nicht gut Kirschen essen.«

»Das weiß ich,« nickte Madame Müller entschieden mit dem Kopf, indem sie sich auf den ihr hingeschobenen Stuhl niederließ. »Ah, da ist ja auch der Fritz – alle Wetter, ist der groß und ein hübscher Junge geworden, Baumann! Der ist ja einen halben Kopf größer als Sie, und Sie gehören auch nicht mit zu den Kleinsten.«

»Ja, und jetzt Meister und selbstständig geworden,« nickte der Vater mit einem beifälligen Lächeln auf den Sohn; »er hat 'was gelernt, der Junge, das muß man ihm lassen, und wird sich schon durchhelfen in der Welt.«

»Dafür kann man Gott nicht genug danken,« nickte die Frau, »wenn man Freude an seinen Kindern erlebt – aber was ich gleich sagen wollte, Meister, wissen Sie hier in der Nähe einen ordentlichen Advocaten, der weiß, was Rechtens ist?«

»Das sollten sie eigentlich alle wissen,« lächelte der Meister, »aber es kommt darauf an, zu was Sie ihn haben wollen. Brauchen Sie einen recht verschmitzten und durchtriebenen, so...«

»Nein, den brauch' ich nicht,« rief Madame Müller; »ich will einen ehrlichen haben, der geradeweg ist, denn ich habe auch eine ehrliche Sache!«

»Ja, liebe Madame Müller,« sagte Baumann, sich den Kopf kratzend, »mit den Advocaten hier in der Stadt bin ich, Gott sei Dank, nicht besonders bekannt; aber wenn Sie in der Sache einen guten Rath hören wollen, dann gehen Sie zum Staatsanwalt Witte. Ob er sich selber damit einläßt, weiß ich nicht, aber was der Ihnen sagt, können Sie getrost thun, denn das ist ein ehrlicher Mann.«

»Gut, danke schön, weiter verlang' ich nichts; das Uebrige besorg' ich mir dann schon selber, denn auf den Kopf gefallen bin ich auch nicht, und in meinem eigenen Hause brauche ich mich nicht beschimpfen und beleidigen zu lassen.«

»Nein, das allerdings nicht,« sagte Meister Baumann; »und hat das wirklich Jemand gethan?«

»Ih, denken Sie nur,« rief die Frau, »kommen da neulich – ich habe zehn Tage von dem Aerger krank im Bette gelegen – so ein paar ganz anständig gekleidete Herren – der eine war ein Rath und der andere ein Major – zu mir in's Haus hinein und reden so zuckersüß und gehen immer wie die Katze um den heißen Brei herum, thun auch, als ob sie gar nicht zu mir, sondern nur zu meinem Schwiegersohn gewollt hätten, der gerade wieder mit meiner Tochter fortgefahren war. Wie ich aber nicht anbiß, denn wer denkt denn in seiner Gutmüthigkeit an so 'was, fingen sie an vom Baron Wendelsheim und seinem ältesten Sohn zu reden.«

»Vom Baron Wendelsheim?« rief Frau Baumann.

»Ja wohl,« nickte Madame Müller; »und auf einmal sagte mir der eine von ihnen, der Rath – und ein Mundwerk hatte er, daß Einem angst und bange wurde – sagte mir der Rath – man sollte es gar nicht für möglich halten –, das Bild von meiner Tochter, das über meinem Sopha hängt und das der Maler Schröter hier gemalt hat, wie sie neunzehn Jahre alt war, wäre gar nicht meine Tochter, sondern das Kind vom Baron, und ich hätte das Kind vertauscht, und die Heßberger hätte es ihnen erzählt.«

»Aber das ist doch ganz unmöglich!« rief Frau Baumann, von ihrem Stuhl emporfahrend.

»Na, ich hab' ihnen aber heimgeleuchtet,« lachte Madame Müller ingrimmig vor sich hin, »die kommen so bald nicht wieder! Was ich ihnen eigentlich gesagt habe, weiß ich gar nicht mehr; aber Excellenz habe ich sie nicht genannt, darauf können Sie sich verlassen. Ich wollte auch gleich nachher auf's Gericht und das Lumpengesindel auf frischer That verklagen; aber der Aerger war mir so in die Glieder geschlagen, daß ich mich wahrhaftig zu Bett legen mußte, und da kriegte ich meinen alten Rheumatismus in das linke Knie, daß ich mich die ganze Zeit nicht rühren konnte. Aber jetzt geht's wieder, und mein erster Gang war heute Morgen zur Heßbergern, Ihrer Schwester, Baumannen, um der einmal ordentlich die Leviten zu lesen, daß sie von einer ehrlichen Frau solche Schandgeschichten erzählt. Die leugnet aber Stein und Bein; kein Wort will sie, weder mit dem Rath noch mit dem Major, gesprochen haben. Aber ich trau' ihr nicht, Baumannen, wenn's auch Ihre Schwester ist; sie hat immer ihre Hinterkniffe gehabt, so lange ich sie kenne, und da wollen wir denn kurzen Proceß machen. Ich muß der Sache auf den Grund gehen, und wenn die Heßberger recht hat, dann sollen mir die beiden Patrone, der Rath und der Major, vor's Messer.«

»Aber, liebe Madame Müller,« sagte Baumann kopfschüttelnd, während seine Frau aufstand und in die Küche ging, »wegen eines solchen Klatsches wollen Sie vor Gericht? Wenn Sie meinem Rathe folgen, so lassen Sie die Hände davon, denn dabei kommt nichts heraus, als höchstens Lauferei und Geldkosten. Kennen Sie denn den Rath Frühbach?«

»Ich? In meinem ganzen Leben hab' ich den Menschen nicht gesehen.«

»Nun ja, der ist aber in der ganzen Stadt dafür bekannt, daß er die Leute auf der Straße anfällt und todtschwatzt.«

»Aber dann soll er mir nicht in's Haus kommen, und Ihnen kann es auch nicht recht sein, Baumann, daß er von Ihrer Schwägerin solche Sachen erzählt.«

»Liebe Madame Müller,« sagte Baumann und sah sich vorher im Zimmer um, ob seine Frau nicht da wäre, »von meiner Schwägerin wollen wir nicht weiter reden; die schwatzt auch mehr, als sie verantworten kann, wenn ich auch nicht gerade glaube, daß sie das gesagt hat, und noch weniger zum Rath Frühbach. Die Heßberger hat ein böses Mundwerk, und je weniger ich von ihr zu sehen bekomme, desto lieber ist es mir – wenn ich's auch meine Alte nicht gern merken lasse, da es ihr weh thut.«

»Nun ja, es sind Schwestern,« sagte Madame Müller; »so ungleich habe ich aber noch gar keine Schwestern gesehen – im ganzen Leben nicht. Ihre Frau ist eine brave, ordentliche Hausfrau, und die Heßberger – na, ich will mir das Maul nicht verbrennen. Hat sie mich aber wirklich auf eine solche gemeine Weise hinter meinem Rücken schlecht gemacht, dann soll sie auch dafür bezahlen, und hat sie's nicht, gut, dann kriegen wir den Rath, denn Einer von Beiden hat gelogen, und bei der Müllern sind sie nur unglücklicher Weise gerade an die Unrechte gerathen. A propos, wo wohnt der Herr Witte?«

Der alte Baumann sah Fritz an, der wie auf Kohlen saß und nur das Aufhören des Regens erwartete. Was interessirte ihn der Alteweiberklatsch! Der wollte jetzt hinüber, und wenn ihm die Frau Müller in die Quere kam, war nichts zu machen – die mußte er deshalb noch eine Weile zurückhalten.

»O, gar nicht weit von hier,« sagte er nach einer kleinen Pause; »aber jetzt können Sie ihn nicht sprechen, Madame Müller. Der Mann hat so viel zu thun, daß er nur in bestimmten Stunden Fremde annimmt. Weißt Du, in welcher Zeit das ist, Fritz?«

»Ich weiß es nicht, Vater,« sagte Fritz, dem selber nichts daran lag, daß ihm die Frau jetzt zuvorkam. »Vor halb Eins ist er, glaub' ich, nicht zu sprechen.«

»Gut, dann geh' ich um halb Eins hin,« nickte die Frau, die sich nun einmal von ihrem Vorsatz nicht abbringen ließ.

»Dann bleiben Sie aber so lange bei uns, Madame Müller,« sagte Baumann, »und essen mit uns, was da ist – viel wird's so nicht geben, und ich glaube, meine Frau ist auch deshalb schon hinaus in die Küche gegangen.«

»Schön, Herr Baumann, von Ihnen nehm' ich das an, denn ich weiß, Sie meinen's genau so, wie Sie's sagen.«

»Ich glaube nicht, daß mich schon Jemand anders gefunden hat.«

»Nein, gewiß nicht – also, es bleibt dabei; und indessen trocknet mir auch die Fahne ein bischen ab, daß ich nicht gar so schlumpig aussehe, wenn man zu fremden Leuten kommt.«

»Na, Fritz, dann könntest Du wohl indessen Deinen Weg abmachen,« wandte sich der Alte jetzt an diesen, »und vielleicht bist Du zum Essen wieder hier – Du müßtest denn gleich eingeladen werden,« setzte er mit einem eigenthümlichen Lächeln hinzu.

»Wo will denn der Fritz hin, er ist ja in seinem Sonntagsstaat?«

»O, nur zu einem Professor wegen Instrumente,« meinte der Vater; »der Regen hat ja auch jetzt aufgehört, und da oben guckt schon wieder der blaue Himmel durch. Das war aber ein Wetter!«

Ein eigenes, schelmisches Lächeln flog über die Züge des jungen Mannes, als er eben an seinen Professor dachte. Aber der Vater hatte Recht, denn wenn er gehen wollte, war es besser, er ging gleich, und ließ sich nicht von der alten Frau Müller zuvorkommen, da er doch den alten Staatsanwalt selber gern einmal vorher gesprochen hätte. Wo war nur die Mutter hingerathen? Er suchte sie draußen in der Küche, konnte sie aber auch dort nicht finden; er hätte gern Abschied von ihr genommen, da er einen so wichtigen Schritt seines Lebens thun wollte – aber er sah sie ja auch gleich nachher.

»Also, Vater, ich gehe jetzt,« sagte er, auf diesen zugehend und ihm die Hand reichend – der alte Baumann wischte aber die seinige erst an einem dort liegenden Tuche ab – »und so wie ich etwas Genaueres erfahre, komme ich her und theile es Euch mit.«

»Schön, mein Junge,« schmunzelte der Alte, »und – grüß' mir Deinen Professor,« setzte er hinzu, »und sag' ihm – wenn Ihr Euch über die Arbeit einigt, natürlich –, er möchte doch auch einmal zu mir herüber in die Werkstätte kommen – verstanden?«

»Gewiß, Vater,« sagte Fritz, während ihm das Blut in die Schläfe stieg, »und hoffentlich einigen wir uns ja. Grüß' die Mutter noch einmal – Adieu – Adieu, Madame Müller!« Und rasch wandte er sich und schritt zur Thür hinaus.

5.
Die Werbung.

Es war doch ein ganz eigenes, beklemmendes Gefühl, mit dem Fritz die Werkstätte durchschritt; denn wenn er sich die Sache bis dahin auch in den rosigsten Farben ausgemalt hatte, so fing ihm das Herz jetzt, da er sich der Entscheidung gegenüber sah, merkwürdig an zu schlagen und zu klopfen, und er war eigentlich ganz zufrieden damit, daß er an der auf die Straße hinausführenden Thür noch einen Augenblick halten mußte, um das Regenwasser erst ein wenig ablaufen zu lassen, denn wie ein Sturzbach kam es noch die Straße nieder. Das ging aber doch verhältnißmaßig rasch, denn da kein neuer Zufluß mehr kam, hatten sich die Dächer bald geleert, und die Schleusen sogen genug davon ein, um wenigstens die Trottoirs frei zu machen.

Der Weg war auch nicht so weit; gleich in der andern Straße wohnte der Staatsanwalt, und mit einem unwillkürlich aus tiefster Brust heraufgeholten Seufzer schritt jetzt Fritz Baumann seinen Weg entlang. Allerdings war er noch immer unschlüssig, wie er es machen, ob er zuerst Ottilie selber oder lieber ihren Vater aufsuchen solle. Der alte Witte, das wußte er, hatte ihn gern und sich oft mit ihm über seine künftigen Pläne und Aussichten unterhalten. Aber nützte ihm das bei der Tochter? Wenn ihn Ottilie wirklich liebte, brauchte es da der Zureden des Vaters? Und doch beschlich ihn wieder ein recht fatales Gefühl, wenn er an das dachte, was sein eigener Vater vor wenigen Minuten zu ihm gesagt. Es war nur zu wahr, daß eine Menge adeliger Herren mit dem Hause verkehrten, und als er am Abend jenes Balles unter den erleuchteten Fenstern vorüberging, gab es ihm selber einen Stich durch's Herz. Aber damals konnte sie ihn eigentlich noch gar nicht einladen, und wie lieb hatte sich Ottilie gegen ihn gezeigt, ja, wie deutlich bewiesen, welchen Antheil sie an ihm nehme, als er ihr an jenem Tage mittheilte, daß er selbstständig geworden. War ihr in jenem Augenblick das Blut nicht in einem wahren Strom in die Schläfe gestiegen, und wie gut, wie herzig hatte sie dabei ausgesehen! Daß auch gerade damals der alberne Ballbesuch kam – er war so auf dem besten Wege gewesen und hätte vielleicht damals schon die Gewißheit seines Glückes bekommen.

Aber es war selbst jetzt noch nicht zu spät, und heute, besonders unmittelbar nach dem schlechten Wetter, kaum eine Störung zu befürchten. Er wollte es auch ganz dem Zufall überlassen, mit wem er zuerst sprach, mit dem Vater oder der Tochter, wen er zuerst traf – nur nicht mit der Mutter, denn zu der hatte er selber kein rechtes Vertrauen und nie recht warm in ihrer Gegenwart werden können.

Aber, lieber Gott, wie rasch ihm diesmal die Zeit verflossen war! Er befand sich schon im Hause, schon auf der Treppe, ehe er nur eigentlich selber wußte, wie er dahin gekommen. Und wie schwer ihm die Füße wurden, als er die Stufen hinanstieg, so merkwürdig schwer, und sonst war er sie so leicht hinaufgesprungen! Aber es konnte nichts mehr helfen; er mußte vorwärts. Wie hatte er sich auch nach dem Augenblick gesehnt! Jetzt war er ja da, und er selber nur thöricht und zaghaft, wenn er sich davor fürchtete. Er stieg auch mit festen Schritten die wenigen Stufen hinan, die ihn noch von dem Vorsaal trennten, und wollte sich eben entschlossen nach links wenden, wo er Ottiliens Zimmer wußte, als der Staatsanwalt selber von dort herauskam und auf seine eigene Stube zuging. Als er den jungen Mann bemerkte, rief er freundlich aus:

»Ah, lieber Baumann, wollen Sie zu mir? Kommen Sie hier herein!« Und damit, ohne eine weitere Antwort abzuwarten, schritt er in sein Büreau, dessen Thür er hinter sich offen ließ.

Fritz Baumann konnte jetzt gar nicht anders, als ihm folgen, und nahm das für einen Fingerzeig, denn ein wenig abergläubisch sind wir ja Alle mit einander. Er sollte zuerst mit dem Vater sprechen, und es war vielleicht auch besser so.

Vorn im Büreau saßen und standen fünf verschiedene Schreiber in einem nicht überhellen Gemach; die Leute kritzelten mit ihren Federn und warfen kaum einen Blick darüber hin nach dem Eingetretenen. Ihr Chef war gerade wiedergekommen, und der mußte sie thätig bei der Arbeit finden. Gleich dahinter hatte der Staatsanwalt sein Privatzimmer, und als Fritz Baumann das hinter demselben her betrat, drückte er die Thür in's Schloß, denn die Schreiber brauchten gerade nicht zu wissen, um was es sich hier handle.

»Nun, mein lieber Baumaun,« sagte der Staatsanwalt in seiner cordialen Weise, »was führt Sie zu mir? Setzen Sie sich – Sie rauchen doch?«

»Ich danke freundlichst – heute nicht,« lehnte der junge Mann ab.

»Heute nicht?« lachte Witte, indem er sich die eigene Cigarre anzündete. »Es ist doch nicht etwa Ihr Geburtstag oder sonst eine feierliche Gelegenheit?«

»Lieber Herr Witte,« sagte Fritz, dem es jetzt fast die Kehle zusammenschnürte, »ich – bin allerdings aus einer ganz eigenthümlichen Ursache zu Ihnen gekommen.«

»So? Na, da lassen Sie einmal hören. Wie mir Ottilie neulich sagte, sind Sie ja jetzt Ihr eigener Herr geworden, wie?«

»Allerdings, und das – auch eigentlich die Ursache, weshalb ich zu Ihnen komme...«

»So? Doch keine Schwierigkeiten in der Stadt? Die wollten wir bald klar bekommen.«

»Nein, Herr Witte – eine – Familienangelegenheit....«

»Eine Familienangelegenheit?« sagte der Staatsanwalt etwas gedehnt, und zum ersten Mal flog sein Blick über des jungen Mannes sonntägliche Kleidung; auch die Glacéhandschuhe war er nicht an ihm gewohnt. »Und die betrifft, wenn ich fragen darf?«

»Sie selbst.« – Fritz war in Gang gekommen, und jetzt half ja doch kein längeres hinter dem Berge halten.

»Mich selbst?« lachte Witte. »Sie wollen mich doch nicht selbst bei mir selber verklagen?«

»Nein, Herr Witte,« sagte Fritz ernst, aber freundlich; »aber Ihre Meinung wollte ich in einer Sache hören, die mich sowohl als Sie betrifft.«

»Und die wäre?« fragte Witte, und sein erster Verdacht wurde durch die Aeußerung nur bestärkt – er hatte einen Freiwerber vor sich.

»Ich wollte Sie um die Hand Ihrer Tochter bitten,« platzte denn auch der junge Baumann ohne Weiteres heraus.

»Alle Wetter!« rief Witte erstaunt. »Und haben Sie mit Ottilien schon darüber gesprochen?«

»Nein, Herr Witte; ich bin allerdings deshalb heute herübergekommen, aber da ich Sie zuerst traf, hielt ich es für besser, vorher Ihre Meinung darüber zu hören. Ich brauche Ihnen auch nicht zu sagen, daß ich den Schritt genügend vorbereitet thue. Ich kann Ottilien eine zwar nur bescheidene, aber vollkommen ausreichende Existenz bieten und sie von allen Nahrungssorgen fern halten, ja, ihr aus eigenen Mitteln, ohne irgend eine Mitgift zu beanspruchen, auch noch manche Bequemlichkeit bieten. Mit nur einigermaßen bescheidenen Ansprüchen reichen wir dann sicher aus, denn ich habe jetzt schon, besonders von auswärts, so viele ehrenvolle Aufträge und Arbeiten bekommen, daß ich, wenn sich dieselben nicht einmal steigern, schon jetzt genöthigt bin, einige Gehülfen anzunehmen.«

»Lieber Baumann,« sagte der Staatsanwalt, der bei den letzten Worten still und nachdenkend vor sich niedergesehen hatte, »ich weiß, daß Sie ein braver, tüchtiger Mann sind, kenne Sie auch die langen Jahre und habe Sie von Herzen gern. Ihr Vater ist ebenfalls ein braver, geachteter Bürger in der Stadt....«

»Aber?« sagte Fritz und sah erwartungsvoll zu ihm auf.

»Erwarten Sie kein Aber von meiner Seite,« fuhr jedoch der Staatsanwalt mit dem Kopf schüttelnd, fort. »Hätten Sie mit Ottilien schon gesprochen und ihr Jawort erhalten, so würde ich selber gegen ihre Wahl nichts einzuwenden haben, ja, aufrichtig gesagt, wären Sie mir, mit Ihrem einfachen, anspruchslosen Wesen, lieber als vielleicht mancher andere Schwiegersohn. Das Aber liegt allein bei meiner Tochter, und mit der müssen Sie vorher darüber in's Klare kommen; denn das werden Sie keinesfalls von mir erwarten oder wünschen, daß ich meinem Kind in einer so wichtigen Sache zureden oder sie gar bereden solle.«

»Lieber Herr Witte, Sie glauben mir wohl, daß ich an etwas Aehnliches nicht gedacht habe.«

»Gut, dann gehen Sie hinüber zu meiner Tochter und fragen sie selber. Sie treffen es günstig, denn sie ist gerade ganz allein. Aber Eins beantworten Sie mir erst: Haben Sie irgend eine – wie soll ich gleich sagen – eine gegründete Ursache, zu glauben, daß Ottilie Sie wirklich liebt?«

»Bester Herr Witte....«

»Ich will es nicht meinetwegen wissen, lieber Baumann, denn das ist Ihre Sache; aber ich sage Ihnen ganz aufrichtig, daß meine Idee, wenn ich überhaupt einmal an etwas Derartiges dachte, nach einer andern Richtung hin lag. Ich glaubte, Ottilie hätte eine Neigung nach einer andern Seite gefaßt. Aber, lieber Gott, wer kennt ein Mädchenherz aus, und noch dazu ich, der ich mir die Stunden abstehlen muß, die ich in meiner Familie zubringe!«

»Nach anderer Richtung hin?«

»Ich sage Ihnen, es ist das nur eine Vermuthung, und nichts, gar nichts, worüber ich selber mit mir in's Klare gekommen wäre. Sie waren Spielgefährten zusammen....«

»Ja, und immer, seit der Zeit, habe ich Ottilie im Herzen getragen.«

»Also wirklich eine erste Liebe? Aber haben Sie noch nie eine Andeutung davon gegen sie fallen lassen?«

»Neulich, als ich sie zum letzten Male sprach.«

»Und was sagte sie da?«

»Wir wurden gestört – es kam Besuch – es war unmittelbar nach dem Ball, den Sie damals gaben. Aber wenn ich nach ihrem Erröthen und dem Ausdruck ihrer lieben Züge gehen darf, so ist sie mir gut.«

»Na, dann versuchen Sie Ihr Glück in Gottes Namen,« nickte der Staatsanwalt; »der Henker soll aus dem Mädchen klug werden! Von mir haben Sie auch keinen Widerspruch zu fürchten, wobei ich jedoch nicht eben so sicher für die Mutter einstehen möchte. Aber das läßt sich am Ende auch überwinden, und wenn sich ihr Kind glücklich darin fühlt, wird sie auch nichts dagegen haben dürfen.«

»Mein lieber Herr Witte, wie herzlich danke ich Ihnen....«

»Noch haben Sie für gar nichts zu danken, lieber Baumann,« sagte der alte Herr; »denn hoffentlich halten Sie mich doch für einen vernünftigen Mann, der sein Kind eben so gern, oder noch ein groß Theil lieber einem braven Techniker, als irgend einem vornehmen Flieg' in die Luft giebt. Reden Sie mit dem Mädel, und wenn Ottilie damit einverstanden ist und Sie so lieb hat, wie – ich es eigentlich wünsche, dann in Gottes Namen!«

Damit drückte er dem jungen Manne herzlich die Hand und öffnete ihm selbst die Thür, und Fritz flog mehr als er ging – sehr zum Erstaunen der Schreiber – durch die Stube und über den Vorsaal hin.

Fritz klopfte herzhaft an – jetzt war der Bann gebrochen, und als er nach einem rasch folgenden »Herein!« die Thür öffnete, kam ihm Ottilie schon auf halbem Weg entgegen, und es war fast, als ob sie die Hand nach ihm ausstrecke. Aber wie verlegen wurde sie, als sie den jungen Baumann erkannte und stotterte:

»Entschuldigen Sie, Herr Baumann, ich dachte – es ging gerade Jemand – eine Freundin von mir – unten vorüber, und ich – glaubte, sie wäre zu mir heraufgekommen.«

»Und bekomme ich keine Hand, Fräulein Ottilie?«

»Gewiß, warum nicht?« sagte das junge Mädchen, aber immer noch befangen, indem sie ihm die Hand reichte. Sie wußte auch dabei gar nicht, wie sonderbar ihr der junge Mann heute vorkam, ganz anders als sonst – und was wollte er nur? Eine Arbeit war doch nicht bestellt worden.

Fritz aber, dem ihre Verlegenheit nicht entgehen konnte, fuhr rasch fort: »Es thut mir leid, Fräulein Ottilie, daß Sie durch mein Erscheinen vielleicht enttäuscht wurden. Soll ich aber aufrichtig sein, so bin ich froh, daß Sie jetzt keinen Besuch bekommen haben, denn ich möchte ein paar Worte mit Ihnen reden – Sie um etwas fragen.«

»Mich?«

»Ja.«

»Nun, wenn ich Ihnen in irgend etwas Auskunft geben kann, von Herzen gern.«

»Erinnern Sie sich noch der Zeit, Fräulein Ottilie, wo wir zusammen spielten und als Kinder so fröhlich mit einander waren?«

»Sie holen weit aus; aber ich dächte, Sie hätten mich neulich schon darum gefragt. Gewiß, und weshalb nicht?«

»Wissen Sie noch, was wir damals spielten, Ottilie?«

Ottilie erschrak. Bei ihrem bloßen Vornamen hatte sie Baumann seit jener Zeit nie wieder genannt, und sie erinnerte sich auch, was sie hauptsächlich zusammen gespielt hatten: Braut und Bräutigam. Jetzt wurde ihr klar, was ihr früherer Spielgefährte von ihr wollte, weshalb er so feierlich auftrat. Wieder erblaßte sie auch und wurde dann feuerroth, fühlte aber zu gleicher Zeit, daß sie jeder Erklärung, so lange es noch Zeit war, zuvorkommen müsse, und sagte rasch:

»Lieber Himmel, Herr Baumann, was spielen Kinder nicht oft mit einander! Aber die Zeiten sind jetzt vorüber, Sie ein gereifter Mann geworden, ich bin ebenfalls aus den Kinderschuhen gewachsen; lassen wir die alten Sachen ruhen. Was wollen Sie mich denn fragen? Sie entschuldigen, ich muß zum Vater hinüber.«

»Ihr Vater schickt mich gerade zu Ihnen.«

»Mein Vater? Aber weshalb?«

»Ich kann nicht lange Worte machen, Ottilie,« brach jetzt Baumann durch alle Hindernisse. »Schon neulich sagte ich Ihnen, daß ich selbstständig geworden sei und jetzt beabsichtige, einen Hausstand zu gründen. Wollen Sie mir darin helfen? Wollen Sie mein Weib werden? Seit meiner frühesten Jugend trage ich Sie im Herzen, nie hat der Gedanke an ein anderes Wesen meine Brust erfüllt. Sehen Sie den Groschen hier, den Sie mir vor einiger Zeit gaben? Wie ein Heiligthum trage ich ihn seitdem auf meinem Herzen. Ich weiß,« fuhr er bewegt fort, als Ottilie erbleichend schwieg, »ich bin nicht aus vornehmem Stand, und Glanz und Rang kann ich Ihnen nicht bieten, aber ein treues Herz, Ottilie, und einen geachteten, ehrlichen Namen. Mein Auskommen habe ich auch; Sie sollen wahrlich an meiner Hand weder Noth noch Sorge kennen lernen, und wenn Ihr Herz nur ein klein wenig...«

»Halten Sie ein, Herr Baumann,« unterbrach ihn Ottilie mit fast tonloser, aber doch vollkommen deutlicher Stimme, »Gehen Sie nicht weiter und hören Sie mich erst an.«

Baumann erschrak wirklich über die Blässe, die plötzlich alle Farbe aus ihren Wangen trieb, nur ihre Augen hatten einen ganz merkwürdigen Glanz angenommen, aber ihr Ausdruck war nicht mehr so freundlich, als vorher. Das Mädchen jedoch, während sie sich mit der Hand an dem nächsten Tisch stützte, fuhr mit immer fester werdender Stimme fort:

»Ich danke Ihnen für das Vertrauen, das Sie in mich zu setzen scheinen. Man sagt ja, daß ein jeder solcher Antrag ein junges Mädchen ehrt, und ich darf mich deshalb nicht gekränkt dadurch fühlen. Was aber Ihre Liebe betrifft, so thut es mir leid – ich kann sie nicht erwiedern.«

»Ottilie!«

»Es ist nothwendig, daß wir offen gegen einander sind,« fuhr die Jungfrau fort, und ihr Auge blitzte dabei wie in verhaltenem Zorn, »schon deshalb nothwendig, um jedes Mißverständniß für die Zukunft zu vermeiden: nehmen Sie daher die Versicherung, daß ich niemals Ihre Gattin werden kann und will.«

»Und weshalb nicht, Ottilie?«

»Sie haben kein Recht zu dieser Frage,« erwiederte das junge Mädchen mit eisiger Kälte. »Wenn ich als Kind nicht den Unterschied kannte, der uns von einander trennt, so darf man das dem Kinde wohl verzeihen. Sie werden mir gestatten, daß ich mich jetzt in die Schranken, die mir von der Gesellschaft geboten sind, zurückziehe.«

Baumann sah das junge, wirklich selbst in ihrem Zorn bildschöne Mädchen groß und fast erstaunt an. Das war kein liebes, sanftes Herz, wie er es sich in dieser Brust gedacht; das war nichts als eitler Stolz und Hochmuth, der diese Worte sprach, und die Jungfrau, wenn sie auch ihre Worte milderte, stand ihm in der That genau so gegenüber, als ob er sie auf das Tödtlichste beleidigt hätte. Ihm selber stieg jetzt das Blut in die Stirn, denn er schämte sich der Rolle, die er hier spielte, obgleich er in der ehrlichsten Absicht hergekommen. Das war nicht die Tochter ihres Vaters, das war die Tochter ihrer Mutter, und wie er nur fühlte, daß hier jedes weitere Wort vergeblich sei, ja, seine Lage nur unangenehmer machen konnte, sagte er artig, aber jetzt ebenfalls nur kalt und höflich:

»Fräulein Ottilie, ich muß Sie um Verzeihung bitten, ich wußte nicht, daß Ihr Verstand schon so vollständig Ihrem Herzen über den Kopf gewachsen war. Ich bin mir jetzt unserer beiderseitigen Stellung bewußt, und seien Sie versichert, ich werde Ihnen nie wieder lästig fallen.«

Ottilie wurde blutroth. Das klang wie ein Vorwurf, und während sie vielleicht fühlte, daß sie ihn verdient hatte, empörte sich doch auch wieder ihre Eitelkeit dagegen, auch nur Aehnliches von dem Handwerker zu ertragen. Fritz Baumann ließ ihr aber keine Zeit, zu irgend einem Entschluß zu kommen. Er verbeugte sich kalt – sein Hut stand neben ihm auf dem Tisch –, und wenige Secunden später schloß sich die Thür hinter ihm.

Fritz Baumann dachte auch nicht daran, den Staatsanwalt wieder aufzusuchen. Er konnte ihn jetzt nicht sprechen, denn die Thränen standen ihm in den Augen, und Hals und Kehle waren ihm wie zugeschnürt. Aber nicht der Schmerz um eine verlorene Geliebte trieb ihm das Wasser zwischen die Wimpern, sondern weit mehr verletztes Ehrgefühl.

Ottilie verachtete in ihm den Handwerker, der es gewagt hatte, zu ihr, der vornehmen Dame, die Augen zu erheben, und was war sie? Eines Advocaten Tochter, eines Bürgers der Stadt, wie sein alter, braver, von Allen geachteter Vater ebenfalls Bürger war. Er biß die Zähne zusammen und stieg langsam die Treppe hinab.

»Ein Korb,« murmelte er dabei, »ein Korb in aller Form, und wie ertheilt – so höhnisch, so kalt, so herzlos!« Was war ihr der Jugendgespiele, was die Liebe, die er für sie im Herzen trug!

So schritt er über die Straße hinüber, so die Bahn entlang nach seines Vaters Hause, und erst als er dort auf der Schwelle stand, zögerte er wieder, denn er schämte sich, dem alten Mann unter die Augen zu treten. Hatte der es ihm nicht vorausgesagt? Aber das konnte er nicht wissen; kein Mensch konnte hinter so lieben, treuen Augen solche Eitelkeit, eine so herzlose Brust vermuthen. Und wie würde jetzt das überstolze Mädchen auf ihn herabsehen, wenn sie ihm je wieder begegnete! Und konnte er sie denn hassen? Er schüttelte traurig vor sich hin den Kopf. Ach, zu lange hatte er jenes selige Gefühl der Liebe mit sich herumgetragen, um es jetzt so rasch und plötzlich gegen Haß umzutauschen!

Aber da war er an der Schwelle, ja, er stand in der Werkstatt, ehe er es selber recht wußte. Und sollte er hineingehen?

Die Stube öffnete sich, und Madame Müller, die indessen die ganze Zeit hier gesessen hatte, kam heraus. Sein Vater begleitete sie an die Thür.

»Sie können gar nicht fehlen, Madame,« sagte er; »links gehen Sie hinunter, und dann biegen Sie rechts hinein in die erste Straße. Es muß etwa das sechste oder siebente Haus sein; Sie sehen schon das kleine Porzellanschild an der Thür unten: »Staatsanwalt Witte.« Wenn Sie es denn nun einmal nicht anders haben wollen; aber ich an Ihrer Stelle... Holla, Fritz, schon wieder da? Junge, das ist schnell gegangen, fast ein bischen zu schnell,« setzte er langsamer hinzu. »Na, komm nur herein; es ist beinahe, als ob ich heute meinen Ambos gar nicht wieder warm kriegen sollte.«

Madame Müller grüßte, griff ihren, indeß vollständig abgelaufenen Regenschirm wieder auf und verließ das Haus, während Fritz langsam dem Vater in die Stube folgte.

»Wo ist die Mutter, Vater?«

»Weiß der liebe Gott, was sie vorhin angewandelt,« sagte der Alte; »sie wurde auf einmal unwohl, und hat sich auf ihr Bett gelegt. Ach, das geht rasch vorüber! Wenn man in die Jahre kommt, packt Einen manchmal so 'was ganz plötzlich, dauert aber gewöhnlich nicht lange. Mir wurde auch neulich einmal sehr schlecht, wie ich den drei Centner schweren Krahn auf den Wagen gehoben hatte; aber es ging gleich wieder vorüber. Altersschwäche, mein Junge, weiter nichts. Aber was ist mit Dir? Du schneidest gerade so ein Gesicht, als ob Dir der Hafer verhagelt wäre. Abgeblitzt, heh?«

»Ja, Vater,« sagte Fritz mit fester und entschlossener Stimme, denn er hätte dem Vater gegenüber nicht einmal Ausflüchte suchen mögen. »Du hattest recht – wär' ich Deinem Rath gefolgt!«

»Hm, und was sagte sie?« fragte der Vater, indem er beide Hände vorn in sein Schurzfell schob.

Fritz sah eine Zeit lang schweigend vor sich nieder. Endlich flüsterte er: »Sie sagte, Vater, daß sie sich jetzt, wenn wir auch früher als Kinder mit einander gespielt hätten, in den Schranken halten müsse, welche die Gesellschaft für sie gezogen.«

»Unsinn,« brummte der Schlossermeister; »das versteh' ich nicht. Was hat die Gesellschaft mit Eurer Heirath zu thun?«

»Sie meinte damit,« fuhr Fritz finster fort, »daß sie zu vornehm wäre, um einen Handwerker zu heirathen, wenn Dir das deutlicher ist.«

»Das ist allerdings deutlich genug,« lachte der alte Schlosser ingrimmig vor sich hin; »aber nicht anders, als ich's mir gedacht hatte. Und die Mutter war natürlich ganz damit einverstanden?«

»Die Mutter war gar nicht zu Hause.«

»Und der Vater?«

»Ist ein Ehrenmann. Ich sprach mit ihm vorher darüber, und er war freundlich und gut, und sagte mir, daß er mit Freuden seine Einwilligung geben würde, wenn die Tochter es wünsche.«

»Also ich hatte wieder einmal recht?«

»Ja, Vater.«

»Armer Junge,« nickte der Vater nach längerer Pause, in der Beide ihren Gedanken folgten. »Das war freilich ein böser Gang, und ein mäßiger Amboß ist manchmal leichter zu tragen, als so ein Korb. Aber laß Dir's nicht leid sein, Fritz. Mir ist dabei, ich gebe Dir mein Wort, eine Last vom Herzen, denn das Mädel hätte nicht zu Dir gepaßt, und Ihr wäret Beide für Euer ganzes Leben unglücklich geworden. Gleich und Gleich gesellt sich gern; aber mit der Familie, den alten Staatsanwalt ausgenommen, würden wir nie zusammen gegangen sein. Es ist gegen die Natur; und was wär' das nachher für ein Leben, wenn man nicht einmal den Sohn in seinem eigenen Hause besuchen dürfte, und die Schwiegereltern wie Hund und Katze zusammen lebten! Und paßt Du etwa zu Bällen und großen Mittagsessen, wo eine Menge vornehmes Pack zusammenkommt und die Handwerker über die Achsel ansieht? Daß sich das Volk selber nicht ernähren kann, und mit seinem Adelsstolz vom Staate gefüttert werden muß, sehen sie nicht ein! Das gehört sich, das war in der Weltgeschichte nie anders; aber der Plebs darf ihnen nicht in die Quere kommen!«

»Wittes sind ja aber doch gar nicht adelig, Vater...«

»Um so viel schlimmer, mein Junge. Mit einem wirklich vornehmen Manne ist immer leicht verkehren, aber das unausstehlichste Gesindel sind derlei Bürgerliche, wenn sie sich in den Adel hineindrängen, und die alte Frau Witte mitsammt ihrer Tochter gehören zu der Race, von der Frisur oben bis zur Fußspitze hinunter.«

Fritz hatte sich auf einen Stuhl geworfen und stützte den Kopf in die Hand.

»Und Alles umsonst,« sagte er leise; »wie habe ich gearbeitet und geschafft, wie gedarbt und gespart, nur immer mit der einen Hoffnung im Herzen, und jetzt Alles vergebens!«

»Wenn ich nur so 'was nicht hören müßte!« rief der alte Schlossermeister. »Du redest gerade, als ob Du ein Greis von einigen achtzig Jahren wärst und Dich nun ganz behaglich in die Grube legen könntest. Du hast gearbeitet und geschafft, ja, aber nicht für die stolze Liese, die sich zu gut dünkt, eines braven Mannes Frau zu werden, sondern für Dich selbst, und was Du gethan und geleistet hast, kommt Dir jetzt selber zu Gute. Erste Liebe – ja, prosit die Mahlzeit! Wie wenig Menschen giebt es auf der Welt, die ihre erste Liebe bekommen! Das ist die Blüthe am Baume, die Frucht kommt später, und junges Volk glaubt gewöhnlich, wenn es sich in das erste glatte Gesicht vergafft hat, daß es sterben und verderben würde und müsse, wenn sie das nicht als Eigenthum bekämen, 's ist aber nicht wahr, und sie leben ruhig fort, und finden auch bald eine Andere, die sie eines Besseren belehrt. Glaubst Du, daß Deine Mutter meine erste Liebe gewesen wäre, oder ich ihre? Gott bewahre! Ich hatte ein Mädel gern, das mit einer Familie von England gekommen war, ein blitzsauberes Ding, und ich hätte mich damals mit Vergnügen für sie todtschlagen lassen. Nachher hat sie den dicken Wirth in Eichenbach geheirathet und jetzt zehn oder zwölf Kinder, lauter Jungen, und ich danke meinem Schöpfer noch heute, daß ich Deine Mutter und nicht sie bekommen habe, denn sie ist ein Drache, und der Skandal im Hause hört nicht auf, während Deine Mutter und ich in Frieden und Liebe die langen, langen Jahre verlebt und nie den Tag bereut haben, an dem wir unsere Hände in einander legten und Ja sagten. Willst Du fort?«

Fritz war aufgestanden und hatte seinen Hut genommen. »Ja, Vater,« sagte er, »ich will nach Hause und wieder mein Arbeitszeug anziehen, ich werde die Gedanken sonst nicht los.«

»Da hast Du recht,« nickte der Vater, »das Gescheidteste, was Du thun kannst, und wenn Du meinem Rathe folgen willst, mein Junge, so freie das nächste Mal, wie ich um Deine Mutter gefreit habe, nicht in einem feinen Rock und mit nichtsnutzigen Handschuhen an den Händen, sondern im Schurzfell. Die Ehen halten nachher, und wenn Ihr Euch Beide lieb habt in der Arbeit, so habt Ihr Euch auch lieb im Glück und Ueberfluß – umgekehrt stimmt's nicht.«

»Adieu, Vater!«

»Hast Du denn schon gegessen?«

»Ist mir heute der Appetit vergangen,« sagte der junge Mann, indem er ohne weiteren Gruß zur Thür hinausschritt.

Der alte Schlossermeister blieb noch eine Weile am Tisch stehen und sah ihm nach. So lieb es ihm auch sein mochte, daß aus der Verbindung, der er nie etwas Gutes zugetraut, nichts geworden war, so ärgerte es ihn doch, daß jenes stolze Ding seinen Fritz so hatte ablaufen lassen. Aber das dauerte nicht lange; Meister Baumann war kein Charakter, der stundenlang über geschehene Dinge nachgegrübelt hätte.

»Wetterhexe!« brummte er nur leise in den Bart, dann schob er sich das Käppchen auf's linke Ohr, und zehn Minuten später schallten die Schläge seines Hammers wieder so lustig durch die Werkstatt, wie nur je.

6.
Staatsanwalt Witte zu Hause.

Der Staatsanwalt Witte war indessen durch den Antrag des jungen Technikers ebenso überrascht worden, wie seine Tochter selber, ohne aber auch nur für Einen Moment seinen praktischen Standpunkt zu verlieren. Er hatte allerdings keine Ahnung gehabt, daß nach dieser Richtung hin bei Ottilien eine Neigung im Aufkeimen wäre – weit eher nach anderer, und das mußte doch der Fall sein, sonst würde der junge, sonst so schüchterne Mann nicht gleich mit einem directen Antrage vorgetreten sein. Aber er wäre nicht böse darüber gewesen, denn er kannte Fritz Baumann als einen strebsamen, ordentlichen und fleißigen jungen Techniker, und gegen die Eltern war ebenfalls nichts einzuwenden. Ein etwas »vornehmerer« Schwiegersohn wäre vielleicht auch ihm recht gewesen, aber er dachte doch zu vernünftig, um das ein Hinderniß sein zu lassen, wenn Ottilie selber ihr Glück darin sah – that sie das aber wirklich?

Er ging in seinem kleinen Zimmer auf und ab und dachte gar nicht an Arbeiten, denn wichtigere Dinge kreuzten ihm jetzt das Hirn – die Zukunft seines einzigen Kindes. Allerdings wollte die Mutter – das wußte er gut genug – hoch mit ihr hinaus, und ihr wäre eine derartige Verbindung ein bedeutender Strich durch die Rechnung gewesen; bei ihr fanden sie deshalb auch gewiß noch hartnäckigen Widerstand – aber neigte sich denn nicht Ottilie selber ganz den Ansichten der Mutter, und sollte sie die so auf einmal und so plötzlich gewechselt haben?

Der Staatsanwalt blieb plötzlich in der Stube stehen. Wenn er nun selber einmal zu seiner Tochter hinüberging – aber das verdarb am Ende mehr, als es gut machte. Er hätte auch nicht einmal zureden können und mögen, denn – eine brillante Partie war es immer nicht; aber er würde auch nicht abgeredet haben. Es war besser, er ließ der Sache eben ihren natürlichen Lauf.

Draußen auf dem Gang wurde eine Thür geöffnet und hastig wieder geschlossen; er hörte es deutlich, denn seine eigene, in das Schreibzimmer führende Thür stand noch offen – das konnte doch nicht schon der Brautwerber gewesen sein – vielleicht seine Frau. Er schritt hinaus über den Vorsaal in seiner Frau Wohnstube, um dort aus dem Fenster auf die Straße zu sehen. Wahrhaftig, dort ging der junge Baumann mit raschen Schritten gerade über den Weg!

»Abgelehnt,« nickte er leise vor sich hin – »ob ich es mir denn nicht gedacht habe – armer Junge – aber es ist, wie ich gefürchtet: das Mädel hat, wie man so sagt, große Rosinen im Topfe, und ihre Mama quellt sie noch auf.« – Er zuckte mit den Achseln. – »Ich kann's nicht ändern, und das Gescheiteste wird sein, ich thue, als ob ich gar nichts von der ganzen Geschichte wüßte.«

Damit drehte er sich um und glitt wieder – dieses Mal mit geräuschlosen Schritten – in sein Büreau hinüber, wo er sich an sein Pult setzte und arbeitete. Er wollte das Ganze ruhig an sich kommen lassen.

Eine gute Viertelstunde, vielleicht etwas länger, mochte er so ungestört geblieben sein, als einer seiner Schreiber den Kopf in die Thür steckte und sagte: »Herr Staatsanwalt, es ist eine Frau hier, die Sie selber zu sprechen wünscht.«

»Wer ist es?«

»Die Frau Müller aus Vollmers.«

»Soll herein kommen,« sagte der Staatsanwalt mürrisch; er hatte den Kopf voll und die Störung war ihm nicht gelegen.

»Guten Tag, Herr Advocat!« sagte Madame Müller, indem sie sich in der Stube nach einem Platz umsah, wo sie ihren Schirm abstellen konnte, denn sie brauchte ihre Hände für den Strickbeutel.

»Guten Tag, liebe Frau! Was wünschen Sie?«

»Sehen Sie, Herr Advocat,« sagte Madame Müller, indem sie den Schirm glücklich hinter dem Sopha anbrachte, »ich bin die Frau Müller aus Vollmers, und daß mir kein Mensch 'was Böses oder Schlechtes nachsagen kann, das will ich Ihnen beweisen. Da, hier,« fuhr sie fort, indem sie ein ganzes Paket Schriftstücke aus ihrem Arbeitsbeutel nahm, »ist mein Tauf- und Impfschein, mein Confirmations-Zeugniß, mein altes Dienstbuch, denn ich.....«

»Meine gute Madame,« sagte Witte ruhig, »Sie sind hier mit ihrer Beschwerde am unrechten Platz. Daß Sie eine brave, rechtliche Frau sind, glaube ich Ihnen auf Ihr Wort, aber ich habe mit der Sache....«

»Na, aber dann brauchen auch so ein paar alte Schleicher nicht zu mir in's Haus zu kommen,« rief die Frau entrüstet, »und mir alle möglichen Grobheiten und Injurien zu sagen!«

»Liebe Madame Müller,« sagte Witte ungeduldig werdend, »Sie sind hier an den vollkommen unrechten Ort gerathen; denn wenn Sie, wie ich nach Ihren Reden vermuthen muß, in Ihrem eigenen Hause beleidigt wurden, so gehen Sie einfach auf die Polizei und beschweren sich dort. Einen Advocaten haben Sie dazu überhaupt nicht nöthig.«

»Aber ich will einen haben,« sagte die Frau ganz entschieden, »denn wenn ich gegen ein paar so vornehme Herren auf die Polizei gehe, so steckt die mit ihnen durch, und Unsereiner kann mit langer Nase wieder abziehen.«

Witte lachte. »Sie haben gute Ansichten von der Polizei, aber Sie sind im Irrthum; ob Sie ein Baron oder ein Graf oder wer sonst beleidigt hat, bleibt dasselbe – die Gesetze sind für Alle gleich. Aber jetzt, liebe Madame, bitte ich Sie, mich zu entschuldigen; ich bin sehr beschäftigt und habe auch mit der Sache gar nichts zu thun. Gehen Sie nur auf die Polizei.«

»Nein,« sagte die Frau – »Gott bewahre Einen vor der Polizei! Einen Advocaten will ich haben, und wenn's auch kein Baron oder Graf war, so war's doch ein Major und ein Rath, und den Rath besonders, den Herrn Frühbach, den soll mir der Advocat drangsaliren, daß er schwarz wird!«

»Rath Frühbach – und ein Major?« sagte Witte, plötzlich aufmerksam werdend, denn er mußte an den verbissenen Major von Halsen denken. »Wie hieß der Major?«

»Halsen,« sagte die Frau, »Major von Halsen.«

»Und der soll Sie in Ihrem eigenen Hause beleidigt haben?« sagte der Staatsanwalt kopfschüttelnd. »Das ist wohl nur ein Irrthum, liebe Frau, denn der alte Herr kränkelt fortwährend und wäre kaum zu Ihnen nach Vollmers gekommen.«

»Irrthum? Ja, schöner Irrthum!« rief die Frau. »Kränklich sieht er aus, denn er humpelte an einem Stock herum. Aber wo soll da ein Irrthum herkommen, wenn er mir in meinem eigenen Hause sagt – das heißt, der Rath, nicht der Major –, das Bild, das über meinem Sopha hängt, wäre nicht meine Tochter, sondern die Tochter vom Baron von Wendelsheim, und daß ich die Kinder vertauscht hätte, wo ich den jungen Baron selber auf meinen eigenen Armen zehn volle Monate herumgetragen und genährt habe.«

»Von Wendelsheim?« sagte Witte, der schon ungeduldig auf seinem Stuhl herumgerückt war, jetzt plötzlich aufmerksam werdend. Dahinter stak wieder der unglückliche Major, so viel war sicher, und hatte jetzt, wie es schien, seinen tollen Verdacht so weit getrieben, um einen Eclat herbeizuführen. Witte selber fing aber an, sich nach den Vorgängen von heute Morgen mehr und näher für den Namen Wendelsheim zu interessiren. Seine Tochter mußte eine andere Neigung haben, oder sie hätte den Freier nicht so rasch und entschieden abgewiesen, und er wünschte nun wenigstens der Klagesache auf den Grund zu kommen, um wo möglich ein Oeffentlichwerden der fatalen Rederei zu verhindern. Anstatt die Frau deshalb abzuweisen, legte er die Feder hin, drehte sich auf seinem Stuhl herum und sagte: »Dann lassen Sie wenigstens einmal hören, was die Herren von Ihnen gewollt haben; bitte, nehmen Sie Platz und reden Sie ein wenig leiser.«

Madame Müller verlangte nichts weiter, als einen Platz zum Sitzen und eine Aufforderung zum Reden, und begann nun auch ohne Säumen mit ihrer gewöhnlichen Weitschweifigkeit nach allen Himmelsrichtungen hin auszuholen. Witte war aber nicht der Mann, der ihr das hingehen ließ. Wie er nur erst einmal herausbekam, worauf es abzielte, hielt er sie auch in dem Geleise, und wenn sie nach links oder rechts ausbrechen wollte, schnitt er ihr augenblicklich den Faden ab und brachte sie wieder in die richtige Bahn. So hatte er denn auch nach einer kleinen halben Stunde, denn die Zeit gebrauchte Madame Müller doch, um sich gehörig zu entwickeln, nicht allein den größten Theil ihrer Lebensgeschichte – so weit sich dieselbe nämlich auf das Wendelsheim'sche Haus und die spätere Zeit bezog –, sondern auch die genauen Vorgänge jenes Morgens erfahren, wo der Major und der Rath Frühbach so schmählich abgefahren waren. Wiederholt producirte dabei Madame Müller jenen ganzen Stoß von Papieren, der ihre Unschuld bekräftigen sollte, wenn der Staatsanwalt überhaupt noch an derselben gezweifelt hätte. Witte wies sie jetzt auch nicht ganz zurück, sondern blätterte sie durch, um den Tag zu erfahren, an welchem sie damals zuerst in Wendelsheim'sche Dienste, und zwar als Amme, eingetreten war; das Datum notirte er sich und schnürte das Paket dann wieder zusammen. Uebrigens stimmte dasselbe genau mit ihrer Angabe, und das wußte er schon selber aus früheren Nachforschungen, daß die Frau wirklich erst in der Nacht, und zwar mehrere Stunden nach der Geburt des Kindes, durch den herrschaftlichen Kutscher in einem verschlossenen Wagen aus ihrem Heimathsort abgeholt worden sei und die Wartung des Säuglings dann übernommen habe. Die Madame Müller machte dabei den Eindruck einer zwar etwas derben und überschwatzhaften, aber doch grundehrlichen Frau, und der Staatsanwalt mußte nur im Stillen für sich lachen, wenn er sich die Scene dachte, wo Frühbach und der Major einen Angriff auf sie versucht hatten, es natürlich so ungeschickt als möglich anfingen und mit einem Donnerwetter und völlig geschlagen wieder abziehen mußten. So gern er aber dem Major sowohl wie dem Rath eine kleine Lection gegönnt hätte, die nicht ausblieb, wenn die Sache vor Gericht kam, so durfte er es doch nicht so weit gehen lassen, schon des unausbleiblichen Geredes wegen, das darüber entstanden wäre. Er freute sich jetzt ordentlich, die Frau nicht gleich abgewiesen zu haben, und es galt jetzt nur, sie von ihrer Klage abzubringen. Uebrigens zeigte sich das gar nicht so leicht, denn Madame Müller hatte einen ganz entschiedenen Charakter wie ihren eigenen Kopf, und Witte wurde deshalb höflich.

»Liebe Madame,« sagte er, als sie ihren letzten Satz damit schloß, daß er jetzt eine ordentliche und tüchtige Klage gegen die »beiden Subjecte« aufsetzen solle – »die Anklage oder Verdächtigung der beiden Herren ist viel zu ungeschickt und leer, als daß Sie darauf das geringste Gewicht legen könnten – kein vernünftiger Mensch wird deshalb etwas Derartiges von Ihnen glauben.«

»Und deshalb sollen sie mir gerade an's Messer,« sagte Madame Müller, indem sie auf ihren Strickbeutel klopfte: »da drinnen steht's, daß ich mir von solcher – Bagage meinen ehrlichen Namen nicht brauche verschimpfiren zu lassen!«

»Davon rede ich nicht,« sagte der Staatsanwalt, »das ist eine Sache, die sich von selbst versteht; aber Sie sehen mir gerade so aus, als ob Sie auch praktischer Natur wären – hab' ich nicht recht?«

»Na, ich sollte denken,« sagte die Frau, »wenn man sich einmal so lange in der Welt herumgetrieben hat....«

»Nun gut, dann müssen Sie sich doch auch von einer solchen Klage einen praktischen Nutzen versprechen, nicht wahr?«

»Ich will nichts für mich davon haben,« sagte die Frau, die ihn falsch verstand; »nur die Beiden sollen abgestraft werden, wie sich's gehört und wie sie's verdient haben.«

»Das meine ich nicht,« sagte kopfschüttelnd Witte; »Sie selber haben natürlich nichts davon, als Lauferei und Unannehmlichkeiten, und das wäre das Wenigste, denn denen muß sich jeder unterziehen, der vor Gericht geht. Aber um ganz reine Sache zu haben und die Schuld allein auf Ihre Gegner zu wälzen, fürchte ich, sind Sie schon gleich von Haus aus zu weit gegangen.«

»Ich – wie so denn?«

»Sie scheinen mir etwas heftiger Natur, und wie ich vorhin aus Ihrer ganzen Erzählung vernommen, haben Sie den Herren nicht allein tüchtig die Wahrheit gesagt – dagegen ließe sich nichts einwenden –, sondern Sie haben auch Schimpfworte wie Schafskopf und dergleichen gebraucht und dadurch eine Beleidigung nicht allein erlitten, sondern auch gleich erwiedert.«

»Aber der Henker soll da ruhig bleiben, wenn Einem in seinem eigenen Hause...«

»Ich gebe Ihnen ganz recht, verehrte Frau – in meinen Augen sind Sie vollkommen entschuldigt und wir Alle hätten unter ähnlichen Verhältnissen vielleicht das nämliche gethan; aber die Gesetze sind darin außerordentlich streng, und bedenken Sie selber, wie das aussehen würde, wenn Sie Jemanden gerade eines Vergehens wegen anklagen wollten, das Sie ebenso gegen ihn verübt.«

»Ach bah – was ist denn das, wenn ich einen Menschen einen Schafskopf nenne?«

»Bitte um Verzeihung, Madame, einen gewöhnlichen Menschen vielleicht nicht, aber bedenken Sie, einen Rath! Sie beleidigen dadurch nicht allein den Mann, sondern den Staat, ja, den König selbst, der ihn zum Rath gemacht hat, denn Sie sagen damit, daß er einen Schafskopf zum Rath ernannt habe.«

»Na, und das kommt wohl nicht vor?«

Witte zuckte die Achseln. »Wir dürfen es aber nicht aussprechen,« sagte er, »und Sie könnten in den Fall kommen – und kommen sicher hinein –, daß Sie den Herren noch öffentlich Abbitte thun müßten.«

»Und das nennen Sie Gerechtigkeit?« rief Madame Müller, den Arm entrüstet in die Seite stemmend. »Der Wurm krümmt sich, wenn er getreten wird, und eine arme, alleinstehende Frau, die nichts hat, als ihre Zunge, soll noch nicht einmal Schafskopf damit sagen dürfen?«

»Und auf was wollen Sie eigentlich klagen, Madame Müller? Der Herr Rath hat behauptet, daß das Bild in Ihrer Stube nicht das Ihrer Tochter, sondern einer Tochter des Barons von Wendelsheim wäre. Gut, das ist aber noch immer keine Beleidigung, sondern nur ein Irrthum.«

»Aber der Baron hat ja gar keine Tochter, und er meinte damit...«

»Was er damit meinte, können wir Beide nicht wissen, und noch weniger das Gericht. Wir vermuthen allerdings, was er damit meinen konnte; aber darauf läßt sich keine Klage basiren.«

»Aber er sagte mir auch direct auf den Kopf zu, ich hätte die Kinder umgetauscht.«

»Das wäre allerdings eher ein Grund, um klagbar aufzutreten; aber erinnern Sie sich noch ganz genau der Worte? Bedenken Sie wohl, so genau, daß Sie dieselben auch beschwören können; denn es wäre ja wohl sehr leicht möglich, daß er eine Vertauschung behauptet und Sie dabei genannt habe, ohne gerade zu sagen, daß Sie die eigentliche Person wären, welche die Vertauschung bewirkt hätte. Auf das Setzen der Worte kommt hier Alles an. Können Sie sich noch genau darauf besinnen?«

»Ja, Du lieber Gott,« sagte Madame Müller, doch jetzt stutzig gemacht, »es sind nun zehn oder zwölf Tage darüber hingegangen – den Sinn weiß ich noch genau, und der war so...«

»Wie Sie ihn nämlich verstanden haben.«

»Nun natürlich – aber die einzelnen Worte, wer kann die so lange und so genau im Kopfe behalten?«

»Und doch kommt gerade auf die Worte Alles an,« sagte Witte; »wenn Sie die nicht genau vor Gericht beschwören können, so fällt Ihre ganze Klage zusammen und Sie werden abgewiesen. Rath Frühbach aber, der weit eher im Stande ist, seinen Schafskopf eidlich zu erhärten, dreht den Spieß nachher um, und Sie haben außer Ihren Laufereien auch noch Kosten und Unannehmlichkeiten.«

»Das nehme mir aber kein Mensch übel,« rief Madame Müller entrüstet aus, »da hört doch die Gerechtigkeit auf, wenn sich eine arme, alleinstehende Frau sollte ungestraft beleidigen lassen, blos weil sie nicht mehr genau weiß, was das Lumpenvolk gesagt hat! Denken Sie denn, daß man in einem solchen Augenblick, wo Einem die Galle überläuft, auch auf jede Silbe so genau passen und sie gleich aufschreiben kann? Und das glaub' ich auch nicht,« setzte sie bestimmt hinzu, indem sie von ihrem Stuhl aufstand und einen Blick nach ihrem Schirm warf; »das wollen wir doch erst noch einmal sehen.«

»Wollen Sie mir die Sache überlassen, Madame Müller?«

»Dazu war ich von Anfang an hergekommen; aber wenn Sie mir gleich von vorn herein sagen, daß ich...«

»Erlauben Sie mir einmal, verehrte Madame – Sie wollen doch nur Genugthuung für die angethane Beleidigung, nicht wahr?«

»Weiter nichts auf der Gotteswelt.«

»Also ist es Ihnen doch auch einerlei, ob Sie die vor Gericht oder privatim bekommen?«

»Das weiß ich nicht,« sagte Madame Müller.

»Die Sache bleibt doch immer dieselbe, nur mit dem Unterschiede, daß Sie auf privatem Wege Ihren Zweck gewiß erreichen, aber auf gerichtlichem Wege nicht; und außerdem haben Sie auf ersterem gar keine Kosten.«

»Hm – und was wollen Sie thun?«

»Ich werde den Herrn Rath Frühbach und den Major von Halsen veranlassen, daß sie Ihnen schriftlich eine Ehrenerklärung geben, nicht gewillt gewesen zu sein, Sie zu beleidigen.«

»Und daß Alles, was sie gesagt haben, lauter Lügen sind.«

»Das läßt sich Alles auf eine feine Art darin anbringen, und daß die beiden Herren ferner bedauern, Sie durch irgend ein Wort und eine Andeutung gekränkt zu haben.«

»Und von dem Schafskopf sagen wir nichts weiter?«

»Der bleibt unberührt.«

»Und wenn sie's nicht thun?«

»Dann bleibt Ihnen immer noch die Klage offen, so gut, als heute. Aber lassen Sie mich den Versuch machen, und ich glaube, Sie werden davon befriedigt sein. Lieber Gott, ich habe ja doch wahrhaftig nichts dabei! Sie hören, daß ich nicht Einen Pfennig für meine Mühe verlange; aber ich sehe, daß Sie eine brave, rechtschaffene Frau sind, und möchte Sie nicht in Ungelegenheiten bringen.«

»Gut denn, Herr Advocat,« sagte die Frau, indem sie ihm treuherzig die Hand entgegenstreckte; »ich sehe, Sie meinen es wirklich ehrlich, und ich will Ihrem Rathe folgen.«

»Aber eine Bedingung habe ich noch dabei,« sagte Witte: »daß Sie nämlich den Brief der beiden Herren nicht öffentlich herumzeigen. Die Ehrenerklärung ist nur für Sie bestimmt. Und was hätten Sie auch davon? Andere Menschen würden sich nur darüber lustig machen, denn die Welt liebt nichts so sehr, als Skandal und Klatschereien.«

»Nun, soll mir auch nicht darauf ankommen,« sagte Madame Müller nach einigem Bedenken.

»Also es bleibt dabei?«

»Wenn ich einmal das Wort gesagt habe, können Sie ein Haus darauf bauen,« versicherte Madame Müller mit Würde.

»Dann können Sie sich auch darauf verlassen, daß ich Ihnen die verlangte Genugthuung schaffe. Ich schicke Ihnen den Brief oder bringe ihn vielleicht selber. Ich muß so nächstens einmal nach Vollmers hinauskommen.«

»Soll mir sehr angenehm sein,« sagte Madame Müller. »Und nun leben Sie so lange wohl, Herr Advocat, und machen Sie's gut – ich verlasse mich ganz auf Sie!«

Und sehr befriedigt griff sie ihren Schirm wieder auf und schritt, die sämmtlichen Schreiber, die ihr nachschauten, freundlich grüßend, zur Thür hinaus.

Witte war an seinem Pult stehen geblieben und dachte eben über das Fatale der ganzen Angelegenheit nach, als einer der Leute wieder in's Zimmer sah und sagte: »Herr Staatsanwalt, Frau Gemahlin hat schon ein paarmal nach Ihnen gefragt; möchten gefälligst einmal hinüber kommen.«

»Ja – gleich,« sagte Witte und kratzte sich am Hinterkopf. Er wußte, was ihm dort bevorstand; die Sache ließ sich aber nicht ändern. Wenn Frau Gemahlin etwas Derartiges vorhatte, wurde sie gewöhnlich sehr bald ungeduldig, und je eher er es also abmachte, desto besser.

Als er aber den Vorsaal betrat, hörte er weder bei seiner Tochter, noch bei seiner Frau im Zimmer Stimmen, wonach er ganz richtig schloß, daß Beide nicht mehr zusammen sein könnten, sonst hätten sie sich jedenfalls »ausgesprochen.« Er ging also zu seiner Frau hinüber und fand dieselbe auch richtig, wie er vermuthet, allein in ihrem Gemach, in dem sie wie eine gereizte Löwin auf und ab schritt. Das Barometer deutete auf Sturm.

»Du hattest mich rufen lassen, Therese?«

»Ist es wahr, daß Du den Sohn vom Schlosser Baumann zu Ottilien hinüber geschickt hast?« fragte die Dame mit zorngerötheten Wangen.

»Allerdings, mein Schatz; er wollte mit ihr sprechen.«

»Und wußtest Du, was er mit ihr sprechen wollte?«

»Auch das wußte ich. Er wollte ihr einen Heirathsantrag machen.«

Die Frau blieb mit nach unten gefalteten Händen vor ihm stehen und machte dabei ein so erstauntes Gesicht, als ob er ihr eben erzählt hätte, daß er am nächsten Sonntag zum Besten irgend einer armen Familie auf dem Seile tanzen würde.

»Ist es denn möglich?« rief sie endlich aus. »Du, der Vater, schickst den Schlossergesellen zu Deinem eigenen Kinde, um ihr einen Heirathsantrag zu machen? Wenn ich es nicht mit meinen eigenen Ohren gehört hätte, ich würde es gar nicht glauben.«

»Nun,« sagte Witte, immer noch in der Hoffnung, ein drohendes Ungewitter von sich abzuwenden, denn er vermied am liebsten jede häusliche Aufregung – »und was ist da weiter? Jedem anständigen jungen Mann steht es frei, sich um ein Mädchen, das ihm gefällt, zu bewerben. Ob sie ihn nehmen will, ist dann ihre Sache.«

»Und wenn sie ihn nun genommen hätte, Dietrich, wenn sie nicht vernünftiger gewesen wäre, als Du, der Staatsanwalt Witte?«

»Bitte,« sagte ihr Mann, »Du redest einmal wieder in den Tag hinein. Wenn sie ihn wirklich genommen hätte, wäre es auch noch kein Unglück gewesen, denn der junge Baumann ist ein braver, anständiger Mensch, der gewiß einmal eine recht gute Carrière macht und eine Frau ernähren kann.«

»So?« rief die Frau, die eigentlich hatte heftig werden wollen, aber vor lauter Erstaunen über das Unerhörte gar nicht dazu kommen konnte. »Und in unsere Gesellschaft wolltest Du den alten Schlosser, der im Schurzfell in der ganzen Stadt herumläuft, bringen?«

»Der alte Baumann ist ein so braver, tüchtiger Mann, wie er in der ganzen Stadt zu finden ist,« sagte der Staatsanwalt mürrisch; »ob er in einem Schurzfell oder im Frack herumläuft, ist mir ganz einerlei.«

»In der That, Herr Staatsanwalt,« sagte seine Frau, die jetzt auf den ironischen Ton umsprang, »und der Schuhmacher Heßberger als Schwäher mit seinem »Gelobt sei Jesus Christus« wäre Ihnen auch wohl einerlei, wie? Noch dazu, wenn die alte Kartenlegerin, die Heßberger, uns ihren Besuch als nächste Verwandte machte?«

»An das Lumpengesindel habe ich wirklich gar nicht gedacht,« sagte der Staatsanwalt doch etwas verlegen.

»Nun, dann ist es nur ein Glück,« rief seine Frau, »daß andere Menschen mehr Ueberlegung haben. Das sag' ich Dir aber, Dietrich, wenn sich meine Tochter so weggeworfen hätte, nicht Einen Schritt wäre ich ihr über die Schwelle gekommen oder hätte geduldet, daß Einer ihrer Sippschaft die meine überschritte!«

Der Staatsanwalt warf den Kopf ungeduldig herüber und hinüber, denn er besaß zu viel gesunden Menschenverstand, um nicht das Haltlose einer solchen Behauptung einzusehen. Aber die Sache war einmal erledigt, wozu also noch einen häuslichen Zwist deshalb heraufbeschwören, was er durch Widersprechen jedenfalls gethan haben würde. Er setzte sich auf einen Stuhl und sah aus dem Fenster.

»Und diese Unverschämtheit von dem Menschen,« fuhr aber Frau Witte fort, die noch lange nicht alle ihre Trümpfe ausgespielt hatte, »so etwas ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen; daß er nur die Stirn haben konnte, dem Mädchen gegenüber zu treten!«

»Na, das nimm mir aber doch nicht übel, liebes Kind,« sagte jetzt der Staatsanwalt, dem das ein wenig zu stark wurde, »so groß ist denn doch die »Unverschämtheit« nicht, wie Du Dich ausdrückst; er ist aus einer bürgerlichen Familie, und wir sind nichts Besseres.«

»Nichts Besseres?« rief Madame Witte, die heute aus ihrem Erstaunen gar nicht herauskam. »Witte, ich begreife Dich nicht. Du, einer der ersten Staatsbeamten, der geachtetste Rechtsgelehrte in der ganzen Stadt, zu dessen Gesellschaften sich der Adel drängt, und Herr Fritz Baumann, der Neffe vom Schuster Heßberger, den man seines ekelhaften Tabaksgeruches wegen nicht einmal in's Zimmer läßt, wenn er ein paar geflickte Schuhe zurückbringt!«

»Ach was,« sagte der Staatsanwalt, »Baumann ist nicht der Sohn von dem Schuster, sondern nur der Neffe, und überdies die ganze Sache abgemacht. Ottilie hat ihm einen Korb gegeben, und er wird sich jetzt nach einer andern Frau umsehen.«

»Das hoffe ich auch,« sagte die Frau Staatsanwalt, und warf den Kopf so weit zurück, daß sie auf ihren Gatten herabsehen mußte; »und er wird jetzt doch auch aller Wahrscheinlichkeit nach so klug geworden sein, um nicht wieder eine Familie wie die unsere mit seiner Zudringlichkeit zu belästigen. Was aber der Mensch für ein Glück hat, daß ich nicht zu Hause war!«

Jetzt wurde es aber dem alten Witte doch zu bunt; er hatte schon die ganze Zeit den Kopf geschüttelt, nun hielt er es für nöthig, einzuschreiten, und auf seinem Sitz herumfahrend, rief er aus: »Und was ist denn die unsere für eine so großbrodige Familie, daß ein braver Techniker sie entehren würde, wenn er hinein heirathete? Dein Vater war ein Subaltern-Beamter mit vierhundert Thalern Gehalt, und der meinige ein ehrlicher Schneider, der sich das Brot vom Munde abdarbte, um seinen Sohn studiren zu lassen. Und was hatten wir denn etwa, als wir uns heiratheten, Therese? Hunger und Kummer in allen Ecken, und oft nicht das Geld im Hause, um einen Laib Brot baar zu bezahlen. Daß ich fleißig war und nachher dabei Glück hatte, das ist mein ganzes Verdienst, und daß Du das Wenige zusammennahmst und wirthschaftlich sorgtest, das Deine, und das thun andere ehrliche Handwerker auch.«

»Aber jetzt, Dietrich!« rief die Frau, ordentlich erschreckt über die ganz ungewohnte Heftigkeit des Mannes.

»Aber jetzt,« fuhr der Staatsanwalt, der einmal im Zuge war, fort, »geht es uns besser; ich verdiene mehr, als wir brauchen, und wir haben uns größere Lebensbequemlichkeiten angeschafft und in Kreise Zutritt gewonnen, die uns sonst eben so über die Achsel anschauten, wie Du jetzt die Handwerker. Aber das ist falsch, das ist unrecht, und wenn Du nur nicht einmal Deine Strafe dafür bekommst!«

»Das ist blos Deine grenzenlose Bescheidenheit, die aus Dir spricht,« lenkte die Frau in etwas ein, denn auf diese Wendung war sie nicht gefaßt gewesen; »jeder Mensch strebt nach etwas Höherem.«

»Und weshalb wirfst Du das also dem jungen Baumann vor?«

»Aber es muß erreichbar sein, Dietrich,« sagte seine Frau; »und Ottilie, mit der Erziehung, die sie genossen hat, scheint denn auch schon ihre Wahl nach einer andern Seite hin getroffen zu haben.«

»So–o,« sagte der Staatsanwalt gedehnt, »in der That? Und nach welcher, wenn ich fragen darf?«

»Du weißt doch, daß der junge Baron von Wendelsheim sie entschieden ausgezeichnet hat?«

»Davon weiß ich gar nichts,« sagte der Vater, »und habe nichts davon bemerkt – war auch nicht böse darüber.«

»Du hast nichts gemerkt,« sagte seine Frau, »weil Du immer Deine Acten und Processe im Kopfe hast; ich habe es aber gemerkt, und als Mutter mußte ich es merken.«

»Er hat sich, so viel ich weiß, seit einer Ewigkeit gar nicht bei uns sehen lassen.«

»Er war vor acht Tagen bei uns zum Thee.«

»Weil er von mir etwas wegen der Erbschaftsangelegenheit erfragen wollte und Du ihn so nöthigtest, da zu bleiben, daß er hätte grob werden müssen, um es auszuschlagen.«

»Er blieb sehr gern, kann ich Dir sagen.«

»Und hat nachher mit mir und dem Justizrath den halben Abend Whist gespielt.«

»Aber er setzte sich immer so, daß er Ottilien im Auge hatte.«

»Weil ihn der Justizrath bat, den Platz mit ihm zu wechseln, denn das Licht blendete ihn so.«

»Du könntest eine Heilige ärgerlich machen, Dietrich.«

»Weil ich nicht sehe, was nicht da ist?«

»Du hast immer etwas auf den armen Lieutenant gehabt.«

»Ich muß aufrichtig gestehen, daß ich ihn früher nicht besonders leiden konnte,« sagte der Staatsanwalt; »er hatte so etwas Rüdes, oder – ich weiß nicht, wie ich sagen soll – Junkerhaftes in seinem ganzen Wesen. Seit einigen Wochen aber hat er sich sehr zu seinem Vortheil geändert und das letzte Mal sogar merkwürdiger Weise nicht eine einzige Silbe von Pferden erwähnt.«

»Und wenn der nun um Ottiliens Hand anhalten sollte, würde der Dir nicht lieber sein, als Dein »Techniker«?«

Der Staatsanwalt sah eine Weile still und schweigend vor sich nieder. Allerlei wunderliche Gedanken gingen ihm im Kopf herum.

»Ich weiß es nicht,« sagte er endlich; »aber es ist auch nicht der Mühe werth, sich jetzt schon den Kopf darüber zu zerbrechen, denn er hat noch nicht angefragt. Der alte Schlosser Baumann ist mir übrigens lieber als der alte Baron Wendelsheim. Hat sich Ottilie etwa gegen Dich ausgesprochen?«

Seine Frau zögerte mit der Antwort; endlich sagte sie: »Nein – nicht direct; aber ich habe so meine Vermuthungen, und glaube nicht, daß ich weit am Ziel vorbeischieße.«

Der Staatsanwalt war aufgestanden und ging mit auf den Rücken gelegten Händen im Zimmer auf und ab.

»Soll ich Dir einen Rath geben, Mutter?« sagte er endlich, indem er vor seiner Frau stehen blieb und sie wohl freundlich, aber doch sehr ernst ansah.

»Nun,« meinte diese, »wenn es etwas Gescheidtes wäre; ein guter Rath ist Goldes werth, wie das Sprichwort sagt.«

»Aber die Leute glauben gewöhnlich nie, daß es ein guter ist, und thun doch, was sie wollen; leider Gottes erleb' ich das fast alle Tage! Aber es schadet nichts – es ist einmal mein Amt. Wenn Du also meinem Rath folgen willst, Mutter, so unterstützest Du Ottilien nicht in solchen Ideen. Dir ist ein Handwerker nicht recht – bei mir wäre dasselbe mit einem Adeligen, dessen Sippschaft uns vielleicht über die Achsel ansähe.«

»Aber Vater...«

»Ich werde mein Kind nicht zwingen,« fuhr Witte fort; »hat sie ihr Herz wirklich vergeben, und ist es nicht allein Rang und Reichthum, den sie erlangen will – in Gottes Namen; ob der Mann ein Wappenschild oder ein Schurzfell trägt, wenn er nur brav und rechtschaffen ist, mir soll er willkommen sein; aber ich habe mir nachher auch keine Vorwürfe zu machen, wenn die Wahl nicht zum Glück meines Kindes ausschlug.«

»Aber Dietrich, Du wirst doch nicht glauben...«

»Meinen Rath hast Du gehört,« sagte ihr Gatte; »jetzt thu', was Du nicht lassen kannst – ich habe einen Weg zu gehen. Wo ist denn Ottilie?«

»Drüben in ihrem Zimmer; sie war ganz außer sich über den Antrag.«

Der alte Witte seufzte tief auf; aber er sagte kein Wort mehr, steckte seine Brille in die Tasche und verließ das Zimmer.

7.
Bei der Leiche.

Fritz Baumann, als er seines Vaters Haus verließ, schritt, seinen trüben und bitteren Gedanken folgend, der eigenen Wohnung zu. Abgewiesen und verachtet! Das war das Wort, das ihn am schmerzlichsten verwundete – verachtet gerade von ihr, an der er seine ganze Jugendzeit mit so treuer Liebe gehangen, so daß nur immer, wenn er sich ein Glück der Zukunft dachte, ihr Name in seinem Herzen freudig widerklang! Und jetzt sollte er das Alles, was er die langen Jahre gehegt und gepflegt, herausreißen und zerstören.

Mit welcher Lust war er früher an seine Arbeit gegangen, wie hatte er freudig ganze Nächte geopfert, um sich auszubilden und recht Tüchtiges zu leisten, nur immer in dem einen Gedanken, ihrer werth zu werden und sie sich zu erringen! Das schwand jetzt Alles vor den kalten, hochmüthigen Worten des jungen Mädchens, und leer und ausgestorben lag die Welt vor ihm. So in diese quälenden Erinnerungen vertieft war er auch, daß er gar nicht darauf achtete, als ein Reiter auf dem Straßenpflaster dicht an ihm vorübertrabte und den Kopf nach ihm wandte. Erst als er sein Pferd einzügelte und an ihn anritt, sah er auf und erkannte den Lieutenant von Wendelsheim.

»Herr Baumann,« rief dieser, »ich hatte Sie im ersten Augenblick gar nicht erkannt...«

»Herr Baron!« sagte Fritz erstaunt, denn es war das erste Mal, daß ihn der Officier auf der Straße anredete.

»Lieber Baumann,« sagte der junge Wendelsheim bewegt, »ich weiß, Sie haben meinen Bruder immer gern gehabt, und er hat auch viel von Ihnen gehalten; seine Arbeiten waren ja die einzigen Lichtblicke seines Lebens – er ist todt.«

»Großer Gott!« rief Baumann erschreckt aus.

»Soeben habe ich durch einen Boten die Nachricht erhalten,« fuhr Wendelsheim fort, »und reite jetzt selber hinaus. Wollen Sie ihn noch einmal sehen, so kommen Sie nach.« Und sein Pferd herumwerfend, setzte er seinen Weg rasch wieder fort.

»Armer Benno!« seufzte Fritz, der in der Kunde fast sein eigenes Leid vergaß. »So ein reiches Leben so früh, so furchtbar früh dahingerafft! Und wie wenig Freude hat er genossen, wie seine schöne Jugendzeit verbringen müssen! Hätte ich so viel Ursache, dem Schicksal zu grollen, wie er?«

Er war an seiner Wohnung angelangt und blieb stehen. Aber wie hätte er jetzt wieder mit Lust und Liebe an seine Arbeit gehen können, wo ihm der Kopf vom vielen Denken schmerzte! Der Lieutenant hatte recht – er wollte hinaus und den armen jungen Freund noch einmal sehen. Jetzt war das auch möglich, im ersten Schmerz ein Besuch gerechtfertigt; später und bei der Beerdigung, wenn all' die adelige Verwandtschaft mit ihrem Todtengepränge zusammenkam, konnte und wollte er sich nicht eindrängen.

»Sie sollen Dich nicht zum zweiten Male verachten,« murmelte er finster vor sich hin, »und ich werde von jetzt ab Ottiliens Wort beherzigen und in den Kreisen bleiben, in denen Niemand wagen darf, mich über die Achsel anzusehen. Ihnen gönne ich dann ihre vornehme Welt, es ist ja doch nur Alles Schein, und sie mögen sich glücklich darin fühlen, wenn sie können.«

Er hatte indessen seinen Weg dem Wendelsheim'schen Schlosse zu rasch verfolgt, und erst vor der Stadt draußen wurde ihm wohler, freier zu Muthe, denn er fühlte sich allein, während es ihm in den engen Straßen immer so vorkam, als ob die Leute nach ihm aus den Fenstern sähen und zugleich wissen müßten, welche Schmach ihm heute angethan. Er ging auch von da an langsamer, und als er endlich in der Ferne das alte Schloß mit den düsteren Baumgruppen seines Parkes vor sich liegen sah, da schwand der bittere Groll in seinem Herzen in der Wehmuth über den Verlust des jungen Freundes, und die Scene dieses Morgens war fast vergessen.

So erreichte er das Dorf und schritt hindurch, so stieg er zum Schlosse hinauf, und als er in das Thor trat, sah er die Leute dort niedergedrückt stehen und mit einander plaudern, und einer der Mägde liefen, während sie mit ihrer Hofarbeit beschäftigt war, die großen Thränen an den Backen nieder. Hatten sie doch Alle den armen kranken jungen Herrn, der immer so gut und freundlich mit ihnen war, von Herzen gern gehabt, und jetzt, da er gestorben, kam ihnen das alte, öde Schloß noch einmal so wüst, noch einmal so öde vor.

Den Gärtner traf er auf dem Hof. »Gehen Sie hinauf, Herr Baumann,« sagte er zu ihm, als er ihn erkannte; »oben liegt das arme junge Blut, aber jetzt freut er sich nicht mehr, wenn Sie kommen, oder wenn ich ihm Blumen bringe – ich habe sie ihm eben wieder hinaufgetragen. Mir ist jetzt gerade so zu Muthe, als ob es Winter geworden wäre und der Schnee auf den Beeten läge. Nun wird's hübsch hier im Hause werden.« Und damit wandte er sich ab und schritt wieder in den Park hinaus.

Fritz Baumann stieg die Treppe hinauf. Er begegnete Niemandem im ganzen Hause; es schien Alles wie ausgestorben, und an des jungen Benno Zimmer angekommen, scheute er sich ordentlich zu klopfen, aus Furcht, der Todte könne allein darin liegen. Er drückte auch erst nach einigem Zögern die Klinke auf, und als er die Thür öffnete, sah er sich dem todten jungen Freund gegenüber.

Dort lag er, so still und friedlich wie ein schlummernd Kind, so bleich und weiß fast wie das Kissen selber, auf dem er ruhte, und nur die dunkeln vollen Locken beschatteten seine edlen Züge. Die Hände hatte man ihm auf der Brust gefaltet, aber eine freundliche Hand Blumen über ihn ausgestreut – Rosen und Reseda, Astern und Camellien –, und Fritz stand vor ihm, den Blick fest auf das liebe Antlitz geheftet, und schaute ihn so lange ernst und sinnend an, bis ihm selber vorquellende Thränen die Augen füllten und das Bild des Todes in den blitzenden Zähren verschwamm.

»Mein armer, armer Benno,« flüsterte er dabei, »so bist auch Du hingegangen, und ich soll Dein gutes, treues Auge, Dein freundliches Lächeln nimmer wiedersehen und nie mehr den Druck deiner Hand fühlen! So leb' denn wohl – ich selber bin ein Fremder in diesen Räumen und werde sie und Dich nicht wiedersehen – leb' wohl!« – Und dabei bog er sich über die Leiche und drückte einen Kuß auf die bleichen Lippen. – »Gott lasse Dir die Erde leicht sein!«

»Amen!« sagte eine leise Stimme, und als er überrascht aufsah, denn er hatte geglaubt, daß er allein mit dem Todten im Zimmer wäre, bemerkte er Kathinka, die, halb von der einen Gardine verdeckt, am Fenster stand. Ihr bleiches liebes Antlitz war aber von Thränen überströmt, und ihr Auge hing mit tiefer Schwermuth an den Zügen der Leiche.

»Fräulein Kathinka,« sagte Fritz bewegt, »ich hatte Sie nicht gesehen – o, wie weh mir der Verlust unseres armen Benno thut!«

»Ihm ist wohl,« sagte das junge Mädchen mit leisem, traurigem Kopfnicken; »er hat Alles überstanden, und sein Tod war leicht und schmerzlos.«

»Sie waren bei ihm?«

»Ja – er starb heute Morgen in meinen Armen, gerade wie ich ihn unterstützen wollte, um sich etwas höher zu legen, denn er klagte, daß es ihm an Luft fehle. Noch sterbend hat er mir einen Gruß für Sie aufgetragen.«

»Mein armer Benno! Und sein Vater war nicht bei ihm?«

»Nein. Der Herr Baron hat in der letzten Zeit sein Zimmer fast nicht mehr verlassen.«

»Und Fräulein von Wendelsheim?«

»Sie kam auf meinen Hülferuf, und zum ersten Male habe ich sie bewegt gesehen; aber sie fürchtet sich vor Leichen: sie stand dort an der Thür und winkte mir nur zu, bei dem Todten zu bleiben.«

»Und sein Bruder?«

»Er war lange bei ihm und hat heiße Thränen vergossen; jetzt ist er bei dem Vater. Woher erfuhren Sie es so rasch?«

»Der junge Baron traf mich in der Stadt, und ich konnte dem Wunsch nicht widerstehen, dem armen Todten Lebewohl zu sagen. Du großer Gott,« fuhr er dann fort, während er an das Fenster trat und hinaussah, »wie öde wird das jetzt hier im Schlosse werden! Wie wird auch Ihnen der Knabe fehlen, Fräulein, der so mit ganzer Seele an Ihnen hing!«

»Ich habe hier im Schlosse Alles an ihm verloren,« sagte das junge Mädchen leise, »denn er war nicht allein mein einziger Trost in der Einsamkeit, sondern auch mein Schutz.«

»Ihr Schutz, Fräulein?«

»Die Tante wird mich jetzt entbehren können,« sagte Kathinka leise, »und ich selber wäre auch nicht im Stande, allen ihren Anforderungen zu genügen. Ich werde am Ersten nächsten Monats Wendelsheim verlassen.«

»Sie wollen auch fort?«

»Ja, und da wir uns wahrscheinlich nicht wiedersehen, so leben Sie wohl, Herr Baumann – ich muß fort und dem Herrn Baron das Frühstück bringen, und – die Tante würde auch sonst böse. Nicht wahr, Sie bleiben nicht länger hier allein? Ich bekomme sonst gezankt.«

»Nein, liebes Fräulein,« sagte Fritz bitter, »haben Sie keine Furcht, daß ich dem Fräulein von Wendelsheim je Grund zur Unzufriedenheit geben sollte. Ich werde ihr auch wohl schwerlich wieder in den Weg kommen, so wenig wie sie mich suchen wird. So leben Sie wohl, und schütze Sie Gott auf Ihrer einsamen Bahn!« Damit reichte er ihr die Hand und verließ dann mit einem letzten Abschiedsblick auf die Leiche das Zimmer.

Drüben am Gang hörte er heftiges Reden – das war die Tante –, und es klang wie ein Mißton in dem Hause des Todes; was es aber war, mochte er nicht untersuchen. Ihn selber trieb es fort, um ihr aus dem Weg zu kommen, denn er fürchtete heute für sich, daß er ihren gewöhnlichen Hochmuth nicht so leicht und geduldig ertragen hätte, als sonst. Er gewann die Treppe und eilte hinab. Unten stand einer der Diener und horchte nach dem Zank hinauf.

»Gott soll uns bewahren, nicht einmal an einem solchen Tage hält sie Ruhe! Sind Sie ihr in den Weg gelaufen, Herr Baumann?«

»Nein,« sagte Fritz; »sie hat mich gar nicht gesehen.«

»Gar nicht gesehen? Na, dann haben Sie heute Ihren Glückstag, das muß wahr sein!«

»Ja, meinen Glückstag in der That,« nickte Fritz finster vor sich hin – »ich werde ihn mir merken. Adieu, Freund!« Und ohne sich weiter aufzuhalten, verließ er das Schloß und schritt in die Stadt zurück. Still vor sich hinträumend, ging er auch ziemlich rasch seinen Weg und bemerkte gar nicht dabei, daß er unterwegs einen Herrn überholte, der, seine linke Hand auf dem Rücken, den Kopf etwas zurückgebeugt und außerordentlich gerade, aber auch ein wenig steif, derselben Richtung folgend wie er, nach der Stadt zuspazierte. Ohne zu grüßen oder ihn anzusehen, passirte er ihn auch, als er sich plötzlich angerufen hörte und natürlich schon unwillkürlich den Kopf dorthin wandte.

»Ah, mein lieber Baumann,« rief der Spaziergänger, »wohin so eilig? Warten Sie ein wenig, ich begleite Sie, und zu Zweien macht sich ein langweiliger Weg immer besser!«

»Herr Rath Frühbach!« sagte Baumann, halb überrascht, von dem Herrn angeredet zu werden, der sich sonst in der Stadt gar nicht um ihn bekümmerte. Er kannte aber den Rath zu wenig, dem vor der Stadt und in einsamer Gegend jedes menschliche Wesen, und wäre es eine alte Bauerfrau gewesen, nur als gute Beute galt, um ein Gespräch mit ihr anzuknüpfen und seiner Suada freien Lauf zu lassen. Baumann würde auch viel lieber allein gegangen sein, aber er konnte jetzt nicht mehr gut ausweichen und schritt, etwas langsamer als vorher, neben dem Rathe her.

»Aber nun ein mäßigeres Tempo, mein junger Freund,« sagte der Rath, indem er ihm mit seinem Stockknopf in den Arm hakte. »Das glaub' ich, wie ich noch in Ihrem Alter war, da konnte ich auch laufen, und es kamen nur Wenige mit mir fort. Da bin ich einmal in Schwerin – kennen Sie Schwerin?«

»Nein, Herr Rath.«

»Ah, wie schade! – wunderschöne Stadt, und ungemein gemüthlich – da bin ich einmal in Schwerin, wie ich Ihnen erzählen wollte, eines Morgens früh aufgestanden, um einen Spaziergang zu machen, denn ich muß regelmäßig jeden Tag mein Quantum gehen, um ordentlich in Schweiß zu kommen, da meine Verdauung nie in Ordnung ist. Unterwegs traf ich denn auch einen intimen Freund von mir, den Grafen Kotopshien, der in einer geheimen Mission an unserem Hofe war – ein liebenswürdiger Mensch, sage ich Ihnen, so einfach und human – wir haben kostbare Abende mit einander verlebt. Das war ein famoser Fußgänger, und der Arzt hatte ihm auch das Gehen verordnet. Wir marschirten also zusammen los, und zwar in keinem Paradeschritt, das versichere ich Ihnen – ich führte sogar noch dabei die Unterhaltung. Der Graf hielt es aber nicht lange aus. »Nein, lieber Rath,« sagte er, wie wir eine Strecke zusammen gegangen waren, »Sie laufen mir zu rasch« – und so bog er richtig in die nächste Straße ein.«

Frühbach hätte sich keinen besseren Gesellschafter auf der weiten Welt wünschen können, als Fritz Baumann heute war; denn mit seinen eigenen trüben Gedanken beschäftigt, schritt er nur schweigend neben ihm her, und er hörte wohl Worte, verstand aber deren Sinn nicht, und mühte sich noch viel weniger, ihn aufzufassen. Aber auch dem Rath, so sehr er in seinen interessanten Erinnerungen schwelgen mochte, konnte die niedergedrückte Stimmung seines Begleiters nicht entgehen.

»Nun,« sagte er nach einer kleinen Weile, indem er ihn von der Seite ansah, »was fehlt Ihnen denn eigentlich heute? Sie schneiden ja ein ordentliches Trauergesicht.«

»Ich komme auch aus einem Trauerhause, Herr Rath.«

»So? Woher denn?«

»Aus Schloß Wendelsheim.«

»Alle Wetter,« rief Rath Frühbach und drehte sich rascher nach ihm um, als er sich sonst zu bewegen pflegte, »der alte Baron gestorben?« Und unwillkürlich überkam ihn ein behagliches Gefühl, denn nach den letzten Vorgängen in Vollmers und mit dem Bewußtsein, was er dort angerichtet und die entsetzliche Frau Müller gedroht hatte, würde er auf gar keine angenehmere Kunde haben denken können. Er sollte sich aber darin getäuscht sehen.

»Nein,« sagte Fritz, »der alte Baron nicht, aber der jüngste, der zweite Sohn, Benno, ist heute Morgen verschieden. Ich komme eben von seiner Leiche.«

»Hm – so?« sagte der Rath, indem er den Stockknopf im Gehen an seine Lippen hielt. »Also der junge Baron – schade!«

»Ja, es war so ein lieber Knabe,« seufzte Baumann, der ihn ganz falsch verstand. »Armes Kind!«

»Hm,« fuhr der Rath fort, dessen Gedanken unter der Zeit mit ihm durchgegangen waren, »der Baron von Wendelsheim hatte nur die zwei Söhne?«

»Er hat jetzt nur noch einen.«

»Ja, der in den nächsten Tagen die große Erbschaft macht. Sie wissen wohl nichts Näheres über die Sache?«

»Ueber welche Sache?«

»Nun, über die Erbschaft, mein' ich – oder über den Erben. Es wurde einmal eine Zeit lang so vielerlei erzählt....«

»Ich habe nichts gehört,« sagte Fritz, »kümmere mich auch in der That nur wenig um den Stadtklatsch.«

»Ja, da haben Sie ganz recht, junger Freund,« lenkte der Rath ein, der wohl merkte, daß er von seinem Begleiter nichts Neues über diese Angelegenheit erfahren würde. »Das ist auch genau dasselbe, was ich immer meiner Frau sage. Was hat denn aber dem jungen Baron eigentlich gefehlt?«

»Ach, ein böses, innerliches Leiden!« seufzte Fritz. »Rettung war wohl nicht gut möglich, denn er kränkelte von frühester Jugend an. Es soll ein Herzfehler gewesen sein.«

»Das ist schlimm,« sagte Rath Frühbach, bedenklich mit dem Kopf schüttelnd, »das ist sehr schlimm. Da wohnte in Schwerin ein sehr guter Freund von mir – er war früher Präsident der Ersten Kammer, aber ein bischen hypochondrisch und, wie er glaubte, mit einem Leberleiden behaftet. Er behauptete nämlich stets, seine Leber sei zu groß; es war aber nicht wahr, sondern sein Herz. Oft und oft haben wir zusammen auf dem Sopha gesessen, und er hat mir von seiner Krankheit erzählt und ich ihm von ähnlichen Fällen, die mir zu Ohren gekommen waren. Lieber Gott, wenn man älter wird, bekommt man ja auch nach verschiedenen Richtungen hin Erfahrung, und ich rieth ihm damals – ich weiß es noch, als ob es gestern gewesen wäre – wieder und wieder, er solle eine Aepfelwein-Cur gebrauchen. Aber bewahre – er blieb hartnäckig auf seinem Kopf, und nach vierzehn Tagen war er todt. Durch den Aepfelwein wäre er vielleicht zu retten gewesen; der hätte ihm das Herz zusammengezogen.«

Sie erreichten jetzt die Stadt, wenigstens die ersten Häuserreihen der Vorstadt, wo noch ziemlich viel Scheunen und Ställe zwischen Wohngebäuden standen; der Rath erzählte aber immer fort. Jeder Gegenstand, ob es ein Paar Ochsen im Zuge, ein von einem Dache gefallener Ziegel, ein ohne Maulkorb herumlaufender Hund, ein vor der Thür stehen gebliebenes Faß, kurz, was auch immer war, er knüpfte eine Erinnerung an Schwerin daran, und Baumann wurde die Gesellschaft endlich lästig. Er hatte sich auch schon vorgenommen, unter irgend einer Entschuldigung an der nächsten Seitenstraße einzubiegen, als gerade wie er sich von dem Rath verabschieden wollte der Staatsanwalt Witte um die Ecke bog und auf Frühbach einlenkte. Er hatte im ersten Augenblick auch jedenfalls nur ihn erkannt.

»Ah, mein lieber Rath, sehr erfreut, daß ich Sie treffe – habe Sie schon in der ganzen Stadt wie eine Stecknadel gesucht!«

»Mich?« sagte der Rath verwundert, denn sonst war er gewöhnlich auf der Suche.

Fritz Baumann war blutroth geworden, als er den Staatsanwalt bemerkte, und wollte sich mit einer Verbeugung entfernen. Aber jetzt erkannte Witte auch ihn und sagte, indem er ihm die Hand entgegenstreckte:

»Herr Baumann, entschuldigen Sie, ich hatte hier unsern Rath so fest auf dem Korn, daß ich gar nicht auf seinen Begleiter achtete!« Sein Blick traf dabei den des jungen Mannes, und der herzliche, derbe Druck der Hand bewies diesem wenigstens, daß der Vater andere Gefühle hege als die Tochter – und wie dankbar war er ihm dafür!

Frühbach merkte aber natürlich von diesem Zwischenspiele gar nichts. Dem glücklichen Sterblichen, der nur an der Oberfläche herumschwamm und Blasen fischte, war die Begrüßung der beiden Männer eine gewöhnliche Höflichkeitsform, und er sagte deshalb auch, darüber hinwegsehend: »Aber was um des Himmels willen wollten Sie von mir? – Ah, Adieu, lieber Baumann – Adieu, auf Wiedersehen! – Sehr netter junger Mann, der Baumann, wie?«

Der Staatsanwalt nickte und sah sinnend dem Davongehenden nach; aber die Frage des Raths war doch zu direct gewesen, und sich wieder an diesen wendend, indem er ihn unter den Arm nahm und die Straße hinabführte, erwiederte er: »Ja so, was ich gleich sagen wollte, den Major habe ich heute vergeblich gesucht; ich war zweimal bei ihm draußen.«

»Den Major?« wiederholte Frühbach, und Frau Müller stand in all' ihrer Entsetzlichkeit leibhaftig vor ihm.

»Jawohl, Eurer fatalen Geschichte wegen,« bestätigte der Staatsanwalt; »er war aber nirgends anzutreffen, und wie ich zu Ihnen kam, hieß es ebenfalls, Sie wären über Land.«

»Ja, Sie wissen wohl, bester Staatsanwalt, meiner Verdauung wegen....«

»Na, das ist jetzt einerlei, und die Hauptsache bleibt, daß ich Sie erwischt habe.«

»Aber ich begreife gar nicht....«

»Ich werde Sie nicht lange zappeln lassen. Sie waren neulich mit dem Major in Vollmers, wie?«

»Ich? – Ah, ja doch – ich erinnere mich jetzt.«

Der Staatsanwalt lachte: »Ah so, Sie sind wohl der Mann mit dem schwachen Gedächtniß? Nun, Scherz bei Seite, die Sache ist ernsthaft genug. Sie haben da draußen einen dummen Streich gemacht....«

»Aber, lieber Herr Staatsanwalt....«

»Bitte, lassen Sie mich ausreden, denn ich habe nicht viel Zeit, und außerdem meine besonderen Gründe, die ganze Geschichte ohne Eclat beigelegt zu sehen. Also hören Sie mir einfach zu, was ich Ihnen sagen werde.«

»Ich bin wirklich neugierig,« log der Rath.

»Die Frau Müller war bei mir und wollte Sie verklagen.«

»Mich?«

»Sie und den Major – ich habe es noch vor der Hand abgelenkt, aber nur unter Einer Bedingung.«

»Aber die Frau muß wahnsinnig sein!«

»Ich gebe Ihnen mein Wort, daß sie ihre Sinne vollkommen bei einander hat, und das Gericht würde sich der Meinung anschließen. Sie haben einen dummen Streich gemacht, lieber Rath – Sie oder der Major, oder Beide zusammen.«

»Wenn sich der Major in Thatsachen irrte, ist das meine Schuld?«

»Das bleibt sich jetzt vollkommen gleich. Sie haben sich verleiten lassen, da draußen Sachen zu behaupten, die Sie nicht beweisen können, und die Madame Müller scheint nicht die Frau zu sein, etwas Derartiges ruhig über sich ergehen zu lassen.«

»Aber was verlangt sie nur?«

»Zuerst bestand sie darauf, eine Klage gegen Sie Beide anhängig zu machen, und was das für ein Gerede in der Stadt gegeben hätte, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Sie will sich aber zufriedenstellen, wenn Sie ihr eine schriftliche Ehrenerklärung geben.«

»Ich?«

»Sie alle Beide – Sie sowohl als der Major. Ich habe das Ding jetzt aufgesetzt, und das müssen Sie unterschreiben.«

»Aber ich bitte Sie um Gottes willen,« rief Frühbach erschreckt, denn er hatte einen heiligen Respect vor allen Unterschriften – »ich weiß ja von der Frau gar nichts, weder ob sie irgend eines Vergehens schuldig oder unschuldig wie ein Lamm ist, und nur dem Major zu Liebe....«

»Desto schlimmer für Sie,« unterbrach ihn der Staatsanwalt, »daß Sie dann, wenn Sie gar nichts wissen, zu einer fremden Frau in's Haus gehen und ihr ein Verbrechen vorwerfen. Aber machen Sie, was Sie wollen, und glauben Sie um des Himmels willen nicht, daß ich Sie zu etwas überreden werde! Ich meine es gut mit Ihnen, und habe in der Sache weiter nichts zu thun. Es ist jetzt vier Uhr; um fünf Uhr bin ich draußen bei dem Major und lege Ihnen das Schriftstück vor, das Sie dann unterschreiben können oder nicht – wie Sie wollen.«

»Und wenn wir es nicht unterschreiben?«

»Gut, dann macht die Frau ihre Klage anhängig, und Sie können nachher meinetwegen die Sache abschwören.«

»Aber, bester Staatsanwalt....«

»Sie haben eine volle Stunde Zeit, um sich Alles reiflich zu überlegen. Ich werde mir den Kopf nicht weiter darüber zerbrechen.«

»Aber, lieber Staatsanwalt,« sagte Frühbach, »mir fällt da ein ganz ähnlicher Fall ein. In Schwerin waren wir eines Tages....«

»Mein lieber Rath, es thut mir leid, Sie zu unterbrechen, denn ich muß hier abbiegen. Vergleichen Sie im Geist indessen jenen analogen Fall aus Schwerin mit der gegenwärtigen Situation und richten Sie es sich so ein, daß Sie bis um fünf Uhr zu einem Entschluß gekommen sind. Haben Sie mich verstanden?«

»Vollkommen, Herr Staatsanwalt, aber....«

»Na, dann wünsche ich Ihnen einen guten Tag!« Und ohne dem verblüfft in der Straße stehen bleibenden Rath einen weiteren Einwand zu gestatten, nickte er ihm nur freundlich zu und bog in eine Quergasse ein. Er war nicht in der Stimmung, längere Auseinandersetzungen der Schweriner Chronik mit anzuhören.

8.
Der Raubmord.

Fritz Baumann hielt sich in seiner eigenen Wohnung. Das Herz war ihm so schwer, daß er sich scheute, anderen Menschen zu begegnen. Er hatte auch viel an Einem Tag verloren – den jungen Freund und die Geliebte – fast zu viel für Einen Tag; aber wenn in unserem wunderlichen Leben einmal ein Gewitter über ein Menschenherz hereinbricht, so folgt auch nicht selten Schlag auf Schlag, bis das Schicksal müde wird und seine Sonne wieder über den verödeten Platz scheinen läßt.

Fritz Baumann war aber keine Natur, die sich zu lange solch trübem und nutzlosem Grübeln hingegeben hätte. Eine Stunde brauchte er, um Alles abzuschütteln, was ihn im Anfange fast zu Boden drückte; wie er sich aber erst einmal auf seinem eigenen, kleinen Zimmer ordentlich ausgeweint, da kehrte sein elastischer Geist auch wieder die trotzige Seite heraus. Im ersten Moment, ja, und bei der Zusammenkunft mit dem Vater meinte er, daß jetzt all' sein Mühen und Ringen, da er das Ziel verfehlt, nach dem er gestrebt, auch vergebens gewesen sei, und das Leben, seine Zukunft lag schwarz und öde vor ihm da – aber wahrlich nicht lange. Nein, jetzt erst recht mit frischen Kräften wollte er seine Arbeit wieder aufnehmen – jetzt erst recht Ottilien beweisen, daß er, wenn er auch nicht ihre Liebe erringen konnte, doch wahrlich nicht ihre Verachtung verdient habe.

Mit dem Gedanken, dem Entschluß durchströmte ihn auch wieder ein neues, frisches Leben, und trotzig vor sich hin lachend, warf er seine Sonntagskleider ab und fuhr wieder in sein gewöhnliches Wochenzeug.

Zum Arbeiten war es heute freilich zu spät geworden – er fühlte sich dazu auch nicht besonders aufgelegt –, aber andere Sachen blieben noch zu erledigen, und morgen dann begann er wieder mit frischen Kräften.

In seiner Stube stand, noch immer in rastloser Thätigkeit, das perpetuum mobile, welches er damals Benno bei seinem letzten Besuch gezeigt und noch immer nicht an den Eigenthümer abgeliefert hatte, obgleich dieser schon ein paarmal danach geschickt. Das konnte er heute selber hintragen, denn einem Andern mochte er es nicht anvertrauen. Aber er mußte vorher damit bei den Eltern vorgehen, denen er davon erzählt. Die Mutter wollte es so gern einmal selber sehen; auch der Vater hatte mit ihm die Sache eifrig besprochen, wie es möglich sei, etwas herzustellen, das sich selber in Bewegung halte und nicht auslaufe. Ueberdies schämte er sich jetzt der Schwäche, die er heute Mittag dem alten Schlossermeister gegenüber gezeigt; der Vater sollte wenigstens sehen, daß er nicht lange Zeit gebraucht, um darüber Herr zu werden, und das würde ihn, wie er recht gut wußte, freuen.

So nahm er denn das kleine Kunstwerk auf und ging damit zu den Eltern hinüber, fand auch den Vater, obgleich es schon stark auf den Abend zuhielt, noch scharf bei seiner Arbeit.

»Holla, Fritz, was bringst Du da?«

»Das perpetuum mobile, Vater. Ihr wolltet es ja gern einmal sehen, und ich muß es jetzt wieder dem Eigenthümer hintragen.«

»Hm,« sagte der Alte, der nur einen flüchtigen Blick auf das Kunstwerk warf, während die Uebrigen darum herdrängten. Sein Auge flog forschend über die Züge des Sohnes, und wie damit befriedigt, fuhr er fort: »Bravo, mein Junge, Du hast den schwarzen Rock und damit eine ganze Menge anderer Dinge wieder ausgezogen, und das freut mich, freut mich von Herzen! Geh' nur damit in die Stube – laß die Pfoten davon, Karl, Du mußt doch gleich Alles betasten. Setz' es nur drinnen hin, Fritz, ich komme gleich nach.«

»Ist die Mutter drin?«

»Ja, ich glaube; sie war vorhin ausgegangen, ist aber wieder zurück. Weiß der Henker, was sie hat! Vorhin wurde sie doch auf einmal unwohl, aber es muß wohl wieder vorüber sein.«

Fritz ging in die Stube und fand zu seinem Erstaunen die Mutter, die er sonst nie ohne irgend eine Arbeit traf, wie in tiefen Gedanken auf und ab gehen. Wie sie ihn erkannte, blieb sie stehen, und während sie ihn ansah, traten ihr die Thränen in die Augen.

»Guten Abend, Mutter!« sagte Fritz, indem er das Mitgebrachte auf den Tisch stellte. »Ich wollte Dir hier einmal die kleine Maschine zeigen, von der ich Euch neulich erzählt. Es ist wirklich eine Art von Kunstwerk.«

»Fritz, mein armer, armer Fritz!« sagte die Frau, ohne einen Blick darauf zu werfen, indem sie auf ihn zuging, seine beiden Hände ergriff und ihm voll und traurig in die Augen schaute.

»Hat Dir der Vater erzählt?« sagte der junge Mann scheu und leise.

»Alles, Alles,« nickte die Frau; »o, das stolze, hochmüthige Ding – und wenn sie wüßte, was sie an Dir hätte!«

»Liebe Mutter,« lächelte Fritz verlegen, denn er hätte sich dieses neue Aufreißen der kaum geschlossenen Wunde lieber erspart, »ich glaube, sie hat, wenn nicht liebevoll, doch sehr vernünftig gehandelt. Ich war ein wenig zu hastig – ich bin noch nichts – ich muß mir selber erst einen Namen, einen Wirkungskreis schaffen, – und wenn die Jahre auch für den Mann nicht so rasch dahinfliegen – ein junges Mädchen kann darauf nicht warten.«

»Und Du vertheidigst sie noch?« sagte die Mutter. »O, Fritz, daß ich das Herzeleid erleben mußte!« Und ihr Gesicht in die Schürze bergend, sank sie auf einen Stuhl und schluchzte laut.

»Mutter,« bat Fritz und schlang seinen Arm um sie, »meine liebe, gute Mutter, aber so beruhige Dich doch; Du siehst ja, daß ich gefaßt und wieder ruhig bin! Was ist es denn auch weiter? Ich habe eben einen Korb bekommen, was sich schon bessere Männer gefallen lassen mußten. Sieh', der Vater kommt jetzt herein – Du weißt, daß er die Thränen nicht leiden kann.«

Die Frau stand auf, warf plötzlich ihre Arme um den Nacken des Sohnes, drückte einen Kuß auf seinen Mund und verließ dann durch die Küchenthür das Zimmer in demselben Augenblick, als es der alte Baumann von der Werkstätte aus betrat.

Fritz sah ihr erstaunt nach und konnte sich gar nicht denken, weshalb sich die Mutter gerade seine Abweisung so furchtbar zu Herzen nahm. War es vielleicht deshalb, weil sie gerade ihm zugeredet und ihn in seiner Liebe und der Hoffnung, die er darauf baute, bestärkt hatte?

»Was hat nur die Mutter, Vater?« fragte er diesen. »Sie weint, als ob ihr Herz brechen müsse, daß mich Ottilie verschmäht.«

»Weiß der liebe Gott,« erwiederte kopfschüttelnd der Schlossermeister, »was ihr in die Krone gefahren ist! Aber sie war schon den ganzen Mittag so aufgeregt und unruhig, wie ich sie noch nie gesehen habe – eigentlich seit die Müller zu uns kam, die allerdings genug schwatzt, um Einem den Kopf wirbelig zu machen. Aber laß sie nur: sie wird sich schon wieder zufrieden geben, ist ja sonst eine vernünftige, resolute Frau. Und nun laß einmal sehen, was Du mitgebracht hast – ei, Du kleiner Schelm, willst Du Deine naseweisen Finger davon lassen!« – Der Ausruf galt der kleinen Else, die sich, neugierig wie Kinder sind, an die Maschine gemacht hatte und mit ihren Fingerchen die Räder in Gang zu bringen suchte. – »Du wirst dem Fritz die ganze Arbeit verderben; komm, Schatz, setz' Dich mit dem Vater her, und nun wollen wir uns die Sache einmal betrachten.«

Damit nahm er die Kleine auf den Schooß und ließ sich neben dem Tische nieder, wo ihm Fritz, der die Maschine in Bewegung setzte, den Mechanismus erklärte.

Der alte Mann begriff das auch leicht genug, schüttelte aber doch dazu mit dem Kopf und sagte: »Hübsch ist das Ding, das läßt sich nicht leugnen, auch sinnreich erfunden und einfach ausgeführt; aber mir thut's immer leid, wenn ich solche Arbeiten sehe und an die Zeit und Mühe denke, die darauf verschwendet wurde. Die Bewegung ist da, aber die Kraft fehlt, um die Bewegung nutzbringend zu machen und Wasser und Feuer bei unseren Gewerken ersetzen zu können; und so lange wir die Kraft nicht hineinzulegen vermögen, bleibt die ganze Geschichte doch immer weiter nichts als eine hübsche Spielerei.«

»Aber auf Weiteres macht sie ja auch keinen Anspruch, Vater.«

»Und wo willst Du jetzt damit hin?«

»Zum alten Salomon, dem das Werk gehört, oder gehörte, denn er hat es, wie er mir sagte, schon an einen Engländer, aber nur unter der Bedingung verkauft, daß es wieder vollkommen in Stand gesetzt würde. Das ist jetzt geschehen, und er möchte es gern so bald als möglich abliefern.«

»Wo warst Du heute den ganzen Nachmittag?«

»Draußen in Schloß Wendelsheim. Der junge Baron Benno ist heute Morgen gestorben; ich wollte ihn gern noch einmal sehen.«

»Wer ist gestorben?« fragte die Mutter, die in diesem Augenblick wieder in's Zimmer trat und die letzten Worte gehört hatte.

»Der junge Benno von Wendelsheim, Mutter.«

»Und Du warst draußen bei ihm? Was hattest Du dort zu thun?« fragte die Frau rasch.

»Ich bin oft bei ihm gewesen, Mutter, besonders in der letzten Zeit, weil er selber große Freude an mechanischen Arbeiten fand, und ich ihm da oft aushelfen und ihn unterstützen mußte. Es war ein herzensguter, junger Bursche, auch voll Geist und Leben, und ich hatte ihn recht lieb gewonnen. Jetzt ist er todt,« setzte er leise hinzu, »und ich kann Euch gar nicht sagen, wie weh mir sein Tod gethan hat. Aber willst Du Dir nicht einmal die Maschine betrachten, Mutter? Du wolltest sie ja gern sehen, ehe ich sie fortbrächte, und ich bin gerade damit unterwegs.«

Die Frau nickte still und schweigend vor sich hin und trat mit zum Tisch; aber ihre Augen flogen über das Kunstwerk hin und starrten wie in's Leere.

»Siehst Du, wie hübsch sie arbeitet?« sagte Fritz. »Und so geht sie, ohne je aufgezogen zu werden, ununterbrochen fort, Jahr aus, Jahr ein. Jedesmal, wenn die Kugel diesen Punkt erreicht hat – aber Du achtest ja gar nicht darauf, Mutter – fehlt Dir denn etwas?«

»Nein, mein Kind,« versetzte die Frau; »nur im Kopf summt es mir so sonderbar, und – im Herzen thut mir etwas weh. Aber nimm es nur fort, ich verstehe ja doch nichts davon und sehe nur, daß es hin und her geht.«

Fritz mochte nicht weiter in sie dringen; er glaubte sicher, daß der heutige Vorfall bei Wittes sie so tief verletzt habe, und hütete sich deshalb wohl, noch einmal darauf zurückzukommen. Es wurde auch spät; im Zimmer fing es schon an zu dämmern, und der alte Salomon schloß immer, wie er recht gut wußte, sehr zeitig seinen Laden.

»Du willst fort, Fritz?«

»Ja, Vater, ich treffe den alten Mann sonst nicht mehr unten, und in seinem Hause weiß ich nicht Bescheid; auch sind die Wohnungen in der Judenstraße immer Abends fest verschlossen.«

»Dann komm aber auf dem Rückweg wieder vor und bleib' den Abend bei uns – ich lasse nachher Bier holen. Was sitzest Du so allein zu Hause?«

»Ja, Vater, ich werde kommen,« sagte der junge Mann, indem er die kleine Maschine wieder sorgfältig aufnahm – »also auf Wiedersehen, Mutter – Adieu, Else!« Und seine Mütze nehmend, verließ er die Stube und schritt auf die Straße hinaus.

Die Sonne mußte längst untergegangen sein, denn hier und da wurden schon die Lichter in den Läden angezündet. Fritz schritt deshalb auch wacker aus, um nicht zu spät zu kommen und den ganzen Weg umsonst zu machen, schnitt durch ein paar kleine Seitenstraßen und erreichte endlich die Judengasse, durch welche er jetzt so rasch als irgend möglich vorwärts eilte. Ueber die kleine Maschine hatte er nur sein Tuch gedeckt, damit nichts daran geschehen konnte.

In der Erweiterung der Straße, die er jetzt betrat, sah er sich einen Officier entgegenkommen, der in seinem ganzen Gang und Wesen dem Lieutenant von Wendelsheim ähnelte; um sein Gesicht zu erkennen, war es aber noch zu weit und zu dunkel, und ehe er an ihn hinankommen konnte, bog derselbe plötzlich nach links ein und verschwand in dem Hof, der zu dem Hause des alten Salomon gehörte.

»Was, um Gottes willen, hat denn der Lieutenant noch so spät bei dem alten Mann zu thun,« dachte Fritz, »und warum geht er nicht in den Laden – oder sollte der schon geschlossen sein? Dann seh' ich, daß ich den Eingang dort ebenfalls finde, mitnehmen möchte ich das schwere Ding doch nicht noch einmal.«

Er hatte indessen das Haus fast erreicht und sah, daß der Laden wirklich schon geschlossen sein mußte. Die Läden waren zu, ebenso die Thür; aber jedenfalls befand sich der alte Salomon noch im Innern, denn der Officier kam nicht wieder heraus.

War denn das wirklich Baron Wendelsheim gewesen, und schon so rasch vom Schloß zurückgekehrt – und ging gleich zu dem Juden, wo er doch nichts Anderes suchen konnte, als Geld zu borgen? Fritz schüttelte vor sich hin mit dem Kopf und überlegte sich eben, daß der Lieutenant gerade nicht besonders erfreut sein würde, wenn er ihn bei seinem Geldgeschäft überraschte; aber das ließ sich jetzt nicht mehr ändern. Hätte er nicht das Werk bei sich gehabt, wäre er vielleicht wieder umgekehrt.

Das Hofthor war noch offen, und gleich links hinein mußte auch die Thür zum Laden führen; er erinnerte sich, daß Salomon einmal dort hinausgegangen war, als er sich im Laden befand, um irgend etwas aus seiner Wohnung herunter zu holen.

Im Hofe war es fast noch dunkler als auf der Straße, denn das hohe Nachbargebäude schloß selbst den matten Widerschein des westlichen Himmels ab; aber die Thür in dem helleren Gebäude ließ sich noch deutlich erkennen, und als Fritz näher darauf zutrat, bemerkte er, daß sie nicht nur halb angelehnt, sondern auch noch Licht im Innern war. Salomon war also noch drinnen, und ohne sich lange zu besinnen, griff der junge Baumann nach der Thür und wollte sie eben öffnen, als plötzlich eine dunkle Gestalt ihm dieselbe aus der Hand riß, ihn bei Seite warf, daß er fast gestürzt wäre, und dann, ehe Fritz nur recht zur Besinnung kommen konnte, mit wenigen Sätzen aus dem Hof verschwand.

War das Salomon selber gewesen – oder vielleicht ein Dieb? Wie ihn nur der Gedanke durchzuckte, sprang er der Gestalt nach an das Hofthor und schrie in die menschenleere Straße hinaus: Hülfe! Diebe! Haltet ihn! Er wäre auch selber nachgesprungen, aber er sah jetzt nicht einmal, ob sich der Flüchtige nach links oder rechts gewandt hatte – und war es wirklich ein Dieb gewesen? Er mußte sich selber überzeugen und lief deshalb in den Laden zurück.

Dort stellte er sein Werk rasch auf einen Tisch und wollte die Lampe aufgreifen, um selber nachzusehen, als er vor sich auf dem Boden einen leblosen Körper lang ausgestreckt erkannte. Er hob ihn auf und hielt sein Gesicht gegen das Licht der Lampe – großer Gott, es war der alte Mann selber, mit Blut bedeckt – ermordet vielleicht von Räuberhänden! Aber hier konnte er nicht bleiben – er mußte Hülfe herbeirufen, nicht allein für den Ueberfallenen, sondern auch um dem Mörder so rasch als möglich nachzusetzen.

Er legte den unglücklichen alten Mann so sanft als möglich wieder auf den Boden zurück und eilte dann auf das Haus zu, das er aber verschlossen fand. Salomon trug den Drücker dazu immer in seiner Tasche. Aber dort hielt er sich nicht lange auf, klopfte nur heftig an, um die Bewohner aufmerksam zu machen, und sprang dann der Straße zu, um dort die Nachbarn zu alarmiren und Polizei herbeizurufen. Er war von Schreck und Entsetzen so verwirrt, daß er kaum selber wußte, was er that.

Mit flüchtigen Sätzen erreichte er auch das Hofthor und wollte eben hinaus auf die Straße springen, als er sich plötzlich von vier nervigen Fäusten gefaßt und gehalten fühlte.

»Um Gottes willen,« rief er, »der Mörder ist entflohen – ruft Leute, die ihm nachsetzen!«

»Heda, mein Bursche, ich glaube nicht, daß er so weit fort ist,« schrie ihn da ein derber Bursche an. – »Haltet ihn fest – gebt ihm Eins auf den Kopf, wenn er nicht still ist! Was ist hier vorgefallen?« riefen die Anderen.

Fritz Baumann rang aus Leibeskräften, um sich frei zu machen, denn durch den Irrthum entkam der wirkliche Thäter.

»Setzt nur nach!« rief er, als er sah, daß das nicht möglich war, denn immer mehr Leute kamen herbeigestürmt und warfen sich auf ihn. »Schickt Leute nach rechts und links die Straße hinunter – ein Mann ist dort hinaus geflohen – er kann nicht groß sein!«

»Na, Du wirst ihn schon später noch genauer beschreiben können!« rief ein corpulenter Bursche, ein Bierbrauer, der in der Nahe wohnte und mit herbeigesprungen war, als er den Lärm hörte.

In dem Hause selber wurden unruhig hin und her fahrende Lichter sichtbar. Baumann war in Verzweiflung.

»Aber Ihr könnt mich ja meinetwegen hier festhalten, seht nur, daß Ihr den weggelaufenen Mörder fangt!«

»Mörder?« schrie eine Frau aus dem Fenster in Todesangst.

»Mörder?« wiederholten auch die Leute unten im Hof erschreckt, und Einer schrie: »Mit der Laterne hieher – kommt einmal her, Freund, leuchtet einmal hieher!«

Der Zuruf galt einem der schüchternen Nachbarn, der mit einer Laterne herausgekommen war, um zu sehen, was vorgehe, und eben damit in dem Hofthor erschien. Der Mann kam auch, wenngleich ein wenig scheu, in demselben Augenblick mit der Laterne heran, als die Hausthür geöffnet wurde und ein Officier heraussprang.

»Was geht hier vor?« rief er, und Fritz erkannte zu seinem Erstaunen den Lieutenant Wendelsheim, den er indessen ganz vergessen hatte. Ehe er ihn aber anreden konnte, rief Einer von denen, die ihn noch immer wie in einem Schraubstock hielten, indem er die Laterne aufgriff und gegen Fritz Baumann anleuchtete:

»Mord! Bei Gott, seht, wie blutig der Kerl aussieht!«

»Herr Baumann!« rief auch jetzt der Lieutenant erschreckt. »Was ist vorgefallen? Wie kommen Sie hieher?«

»Der alte Salomon liegt da drinnen ermordet,« rief Fritz, »und mich haben die Menschen gefaßt, während sie den wirklichen Mörder entkommen ließen!«

»Salomon ermordet? Um Gottes willen, ein Licht!«

Oben an dem einen Fenster wurde der Aufschrei einer weiblichen Stimme gehört, und gleich darauf stürzte des alten Mannes Frau, an allen Gliedern zitternd, aus der Thür und dem Laden zu, aus dem ihr gellender Hülferuf gleich darauf ertönte.

Der Hof hatte sich indessen mehr und mehr mit Menschen gefüllt, und Alles drängte nach dem Laden. Wendelsheim aber fühlte, daß er hier, so lange noch keine Polizei eingetroffen war, die Leitung des Ganzen übernehmen müsse, und deshalb der Thür zuspringend, wies er die Masse zurück.

»Nur drei oder vier von Euch mögen eintreten,« sagte er, »Ihr Anderen wartet hier draußen. Ist schon Jemand auf die Polizei gelaufen? Noch nicht? Schickt augenblicklich einen Boten dorthin ab; ich werde so lange hier bleiben. Sie, Freund,« wandte er sich dann an einen ordentlich aussehenden Mann, der auch mit von der Straße hereingekommen war, »seien Sie so gut und fassen Sie an der Thür Posto, daß Niemand weiter eindrängt. Den jungen Mann da könnt Ihr ruhig loslassen; ich glaube nicht, daß er den Mord begangen hat.«

»Abwarten,« sagte der Bierbrauer, der nicht die geringste Lust hatte, sich die eingefangene Beute entgehen zu lassen. »Wovon ist denn der Bursche so blutig geworden? Wenn wir ihn jetzt loslassen, ist er in einer Viertelstunde über alle Berge. Gebt einmal einen Strick her, daß wir ihm die Hände ein bischen zusammenschnüren können.«

Wendelsheim hörte schon nicht mehr, was er sprach, denn er war jetzt ebenfalls in den Laden gesprungen, um dort zu sehen, was geschehen sei, und die alte Frau zu unterstützen. – –

Den Nachmittag um fünf Uhr war der Staatsanwalt Witte, pünktlich wie in allen Dingen, draußen bei dem Major erschienen, um mit diesem und dem Rath die Sache der Frau Müller in Ordnung zu bringen. Er that das auch nicht etwa, wie Madame Müller selber vielleicht glauben mochte, allein in ihrem Interesse, auch nicht, um dem Major und dem langweiligen Rath Frühbach eine Unannehmlichkeit zu ersparen, sondern einzig und allein seiner selbst wegen. Was er nämlich schon seit einiger Zeit, eben nicht zu seiner Freude, vermuthet hatte, daß Ottilie eine stille Neigung zu dem jungen Wendelsheim hege, hatte er in der Unterredung mit seiner Frau nur zu sehr bestätigt gefunden, es konnte ihm daran kein Zweifel bleiben, und hing die Frau Müller ihre Klage an die große Glocke, dann war des Geredes über die Familie Wendelsheim nachher auch kein Ende mehr.

Außerdem fühlte er sich fest davon überzeugt, daß die Frau an dem ihr von dem Major, nach Gott weiß welchen Combinationen, untergeschobenen Verbrechen vollkommen unschuldig sei. Es war bei dem alten Herrn nun einmal zur fixen Idee geworden, jenem früher aufgetauchten Gerücht, das er fest und bestimmt für eine Thatsache hielt, auf die Spur zu kommen, und je näher der Zeitpunkt rückte, wo er alle seine Hoffnungen sollte in nichts zerfließen sehen, desto eifriger wurde er darauf.

Er haßte den alten Baron von Wendelsheim – der ihm vielleicht nie etwas Anderes zu Leid gethan, als daß er einen Erben bekommen – von Grund seiner Seele, und immer in dem Wahn, daß er die Hand bei einem Betrug im Spiel gehabt, hielt er sich natürlich nur für schlecht und nichtswürdig behandelt. Daß er dabei kein Mittel unversucht ließ und scheute, um sein vorgestecktes Ziel zu erreichen, hatte er schon wieder in diesem Fall gründlich bewiesen, und es wurde deshalb wirklich Zeit, ihm seinen Standpunkt einmal klar zu machen. Konnte er doch auf solche Weise für sich gar nichts erreichen, wohl aber die Familie Wendelsheim dermaßen in das Gerede der Leute bringen, daß lange Jahre dazu gehört hätten, um den Eindruck zu verwischen oder nur abzuschwächen, und das war dem Staatsanwalt natürlich, wenn er sich die Möglichkeit einer näheren Verbindung mit der Familie dachte, schon persönlich nicht angenehm.

Besonders ärgerte sich Witte aber darüber, daß der Major auch den Rath Frühbach in die Angelegenheit gezogen hatte; denn dessen Rednertalent kannte er aus dem Grunde und zweifelte keinen Augenblick daran, daß der Rath schon in der ganzen verflossenen Woche von Haus zu Haus gegangen sei, um das merkwürdige Erlebniß zu erzählen. Darin aber that er dem Rath unrecht, denn Frühbach dachte gar nicht daran, mit den Erlebnissen jenes Morgens Staat zu machen. Er hatte mit keiner menschlichen Seele darüber gesprochen, und selbst als er den Major einmal wieder in der Zwischenzeit aufsuchte, kein Wort von der fatalen Angelegenheit erwähnt. Die Rolle, welche er selber dabei gespielt, gefiel ihm erstens nicht, und dann eignete sich der Gegenstand auch nicht zu seiner gewöhnlichen Unterhaltung, indem dort in Vollmers wirklich etwas geschehen war, er aber nur solche Scenen schilderte, in denen gar nichts passirte.

Der Staatsanwalt ärgerte sich aber trotzdem darüber und betrat diesesmal die Wohnung des Majors eben nicht in der besten Laune. Er hätte aber trotzdem beinahe gelacht, als er das Zimmer öffnete und das Bild des Jammers sah, das sich hier entwickelte.

Der Major saß in seinem Lehnstuhl, den Kopf verbunden und an dem einen Bein das Beinkleid aufgestreift, und vor ihm auf der Erde saß der Christian, ebenfalls eingewickelt und mit dem kläglichsten Gesicht von der Welt, und rieb ihm Knie und Wade mit Kampherspiritus ein, der einen penetranten Geruch im Zimmer verbreitete. Auf dem Sopha aber lag ausgestreckt, mit Kopfkissen und Decke, Frau von Bleßheim, und die alte Liese, einen riesigen warmen Umschlag auf der linken, fest eingebundenen Backe, brachte ihr eben eine Tasse des unvermeidlichen Camillenthees.

Zwischen den Allen aber saß Rath Frühbach auf einem Stuhl mitten in der Stube, einen dicken grauen Rock an und die Brille auf, die Schnupftabaksdose in der linken Hand und in Gedanken eine Prise nach der andern nehmend, so daß er schon auf dem, vorher mit weißem Sand bestreuten Fußboden der Stube – der alten Liese ewiger Aerger – einen braunen Fleck niedergefallenen Tabaks gebildet hatte.

»Alle Wetter,« rief der Staatsanwalt, als er in der Thür stehen blieb und sich die Gruppe betrachtete, »das sieht ja hier recht heiter und vergnügt aus, und der Jammer ist wieder in allen Ecken los! Nun, Major, ich dächte, vor einigen Tagen wären Sie gut genug auf den Beinen gewesen! Wo fehlt's jetzt wieder?«

»Machen Sie um Gottes willen die Thür zu, Staatsanwalt,« rief der Major, ohne die Frage gleich zu beantworten, denn bei dem Capitel nahm eine Erwiederung zu lange Zeit in Anspruch; »es zieht hier herein, und ich kann den Tod davon haben!«

»Zieht? Wir haben sechzehn Grad Wärme draußen,« sagte Witte, indem er gleichwohl dem Wunsch Folge leistete; »außerdem sind alle Fenster dicht geschlossen, und das ganze Zimmer riecht wie ein Schmetterlingskasten. Es scheinen mir aber freilich lauter »Trauerfalter« darin zu stecken – complicirte Sammlung, das muß wahr sein! Herr Gott, da liegt ja auch die gnädige Frau, und die Liese hat wieder Zahnschmerzen! Der Christian scheint heute der einzige Gesunde.«

»Ich? Ach, das Gott erbarm'!« stöhnte der Mann. »Hingesetzt hab' ich mich hier, um dem Herrn Major das Bein einzureiben; aber wie ich wieder in die Höhe kommen will, weiß der Himmel! Ich muß mir das Kreuz verrenkt haben, denn das wird mit jedem Tag ärger.«

»Und was fehlt Ihnen, Herr Rath?« fragte der Staatsanwalt, »denn ganz gesund können Sie doch unmöglich in diesem Lazareth sein.«

»Geistige Ruhe, verehrter Freund,« erwiederte Frühbach; »sonst, Dank dem Aepfelwein, den ich täglich trinke, und meiner steten Transspiration, nichts. Aber Sie sehen, ich habe mich pünktlich eingefunden.«

»Sehr wacker von Ihnen. Und Sie, Major, liegen wieder auf der Kante?«

Er hatte eigentlich recht. In der neulichen Aufregung schien der alte Herr, dessen Leiden überhaupt zum großen Theil nur eingebildet waren, seine ganze Krankheit vergessen oder wenigstens für den Augenblick beurlaubt zu haben. Jetzt aber, nach dem letzten verzweifelten Versuch, den er auch in der That als den letzten betrachten mußte, hatte er es aufgegeben, sein Ziel weiter zu verfolgen. Seine letzte Hoffnung war verschwunden, und mit dem Aufhören der Erregung trat, wie nach allen solchen Fällen, die gewöhnliche Abmattung ein, so daß er sich jetzt auf einmal kränker als je zu fühlen glaubte.

»Ja,« stöhnte er, »und das wird auch wohl der letzte Ruck sein, den die Krankheit thut; ich fühl's schon in den alten Knochen, lange kann das Elend nicht mehr dauern – o Gott! Christian, Esel – Er drückt mir ja den ganzen Knochen ein! Der Mensch arbeitet gerade so auf meinem Fleisch herum, als ob er ein Pferd striegelte. Setzen Sie sich, Staatsanwalt – wenn ich Jemanden lange stehen sehe, werde ich ganz nervös, denn ich fühle das Ziehen und Ausdehnen in meinen eigenen Gliedern.«

»Und Sie wissen, weshalb ich komme?« sagte der Staatsanwalt, indem er seinen Hut auf den Tisch stellte und der Einladung Folge leistete.

»Ja,« knurrte der Major, »der Rath da hat mir die ganze Geschichte erzählt, und ich wollte, daß der Teufel die Madame Müller und den – hm, verdammt, wenn ich so einen Brief unterschreibe!«

»Na, dann lassen Sie's bleiben,« sagte der Staatsanwalt, wieder von seinem Stuhl emporfahrend; »mir kann's recht sein, und nur Ihretwegen bin ich herausgekommen. Also Gott befohlen, Major, möchte hier nicht länger stören!«

»So bleiben Sie nur in's drei Teufels Namen sitzen!« schrie der Major. »Herr Gott, ärgern Sie mir nicht auch noch die Galle an den Hals – man muß doch erst über die Sache reden! Da, Christian, das ist genug, die Haut muß ja schon herunter sein, und das brennt wie Gift – macht, daß Ihr hinaus kommt, wir haben mit einander zu reden!«

»Ja, macht, daß Ihr 'naus kommt,« stöhnte der alte Gärtner, indem er sich mit beiden Armen auf den Boden stützte; »mich reibt Niemand ein, ich bin immer eingerieben, und jetzt soll man sich noch allein aufrichten, wo Einem das ganze Kreuz aus dem Geschick ist. Uff!« stöhnte er dabei und machte einen Versuch, aufzustehen, der aber mißglückte.

»Gott soll Einen bewahren!« sagte Witte, indem er auf den Mann zutrat und ihm unter den rechten Arm griff. »So, Freund, nun hebt Euch einmal – ohoi! Geht's?«

»Danke schönstens, Herr Staatsanwalt,« keuchte der Gärtner, der sich jetzt mit Mühe auf die Füße brachte, »der Herr vergelt's Ihnen! Wenn ich erst einmal in die Höhe bin und wieder in Gang komme, bring' ich mich wenigstens von der Stelle – wenn's nur nicht da hinten so stäche!«

Damit hinkte er, das linke Bein hinter sich drein schleppend, aus dem Zimmer, und Witte sah ihm nach, so lange er ihm mit den Augen folgen konnte. Nur erst, als er die Thür wieder hinter sich zugedrückt, sagte er:

»Aber um des Himmels willen, Major, weshalb schicken Sie den Mann nicht in ein wirkliches Lazareth und nehmen sich einen gesunden, kräftigen Menschen, der Ihre Haus- und Gartenarbeit auch verrichten kann?«

»Geht nicht,« knurrte der Major und schüttelte dabei mit dem Kopf; »halt ich nicht aus – kann keinen gesunden Menschen um mich herum haben – geht mir wider die Natur. Ja, wenn ich nicht selbst so elend wäre!«

Der Staatsanwalt, der kein weiteres Interesse bei der Sache hatte, sah sich im Zimmer um. Die Liese war auch mit ihrer Theekanne hinausgegangen, die Frau von Bleßheim lag nur noch auf dem Sopha und war krank, und es deshalb das Beste, zur Sache zu kommen.

»Eigentlich,« begann er, »haben wir gar nichts mehr mit einander zu reden, denn wenn Sie mir gleich von vornherein sagen, daß Sie den Brief nicht unterschreiben wollen, so läßt sich vor der Hand nichts in der Sache thun, bis die Klage erst einmal anhängig gemacht ist.«

»Aber auf was, zum Teufel, will denn die alte Hexe klagen?« rief der Major ärgerlich; »wir haben ihr ja nichts zu Leide gethan.«

»Sie haben ihr weiter nichts gethan, als sie beschuldigt, ein Verbrechen begangen zu haben,« sagte der Staatsanwalt trocken, »und da sie eine solche Verdächtigung nicht auf sich sitzen lassen will, so werden Sie einfach aufgefordert werden, Ihre Beweise zu bringen.«

»Aber wir haben keine,« rief der Major, »als die moralische Ueberzeugung, daß ich im Recht bin und ihre ganze Geschichte faul ist.«

»Eine moralische Ueberzeugung hat nur freilich vor dem Richter keinen Werth, Major, und Sie fallen damit gründlich ab. Aber vielleicht kann Ihnen der Rath Beweise bringen, da er, wie mir die Madame Müller erzählt hat, so entschieden in der Sache vorgegangen ist.«

Rath Frühbach hatte wunderbarer Weise und ganz gegen seine sonstige Gewohnheit bis jetzt kein Wort gesprochen und nur, in seine Gedanken vertieft, Tabak um sich her gestreut. Jetzt sagte er: »Da fällt mir eine Geschichte ein....«

»Lieber Rath,« rief Witte, ihn rücksichtslos unterbrechend, »ich bin nicht hieher gekommen, um Ihre Geschichten mit anzuhören, sondern die Angelegenheit zum Abschluß zu bringen. Hier ist der Brief« – und dabei nahm er das Papier aus der Tasche –, »ich habe ihn kurz und bündig gehalten, und es steht nichts darin, was Sie nicht mit gutem Gewissen unterschreiben können. Der Frau habe ich auch das Versprechen abgenommen, das Document als vollkommen privatim zu betrachten; sie wird es keinem andern Menschen zeigen. Nun lesen Sie es durch und sagen mir dann kurz und bündig, ob Sie damit die fatale Sache erledigen wollen oder nicht. Weiteres Reden ist vollkommen unnütz, und ich habe auch keine Zeit dazu.«

»Sie lassen Einen auch wirklich gar nicht zu Worte kommen, lieber Staatsanwalt,« meinte der Rath und nahm eine Doppelprise. »Wie kann man denn in einer so wichtigen Sache einen Beschluß fassen, wenn man sich nicht erst gehörig darüber ausgesprochen hat?«

»Ich dächte, Sie hätten da draußen gerade genug gesprochen,« nickte der Staatsanwalt, »und ich begreife Sie wirklich nicht, Major, wie ein sonst so ruhiger, vernünftiger Mann so seine Leidenschaft kann mit sich durchgehen lassen und in's Blaue hineinrasen.«

»Ich habe ja gar kein Wort gesagt!« rief der Major; »der Rath war aber nicht zu halten und behauptete nur immer, wenn man es ihr auf den Kopf zusage, würde sie augenblicklich gestehen.«

»In Schwerin hatten wir einen ganz ähnlichen Fall, und gerade durch meine Geistesgegenwart....«

»Haben Sie sich hier so in die Patsche geritten,« sagte der Staatsanwalt, der fest entschlossen schien, dem unglücklichen Manne jedesmal die Rede abzuschneiden, »daß Sie Vorspann brauchen, um wieder herauszukommen. Den bringe ich Ihnen jetzt; da, lesen Sie den Brief und seien Sie froh, wenn Sie so durchschlüpfen; denn wenn die etwas cholerische Frau wirklich klagt, so dürfen Sie sich auf eine Scene vor den Geschworenen gefaßt machen, an die Sie nachher ihr ganzes Leben zurückzudenken haben. Ueberfüllte Tribünen garantire ich Ihnen jedenfalls.«

Der Rath nahm den Brief und las ihn. Er war in der That in der mildesten Form abgefaßt und führte die ganze Sache auf ein Mißverständnis oder einen Irrthum zurück. Die beiden Herren erklärten nur zum Schlusse ihr Bedauern, die Frau unverdienter Weise vielleicht durch irgend ein Wort gekränkt zu haben, und baten sie, ihrer in Zukunft wieder freundlich zu gedenken, wie sie sich selber mit aufrichtiger Hochachtung zeichneten etc.

Der Rath kratzte sich hinter dem Ohr, reichte aber den Brief dem Major hinüber und sagte dabei: »Du lieber Himmel, das könnte man allenfalls einer Frau gegenüber unterzeichnen, nur um aus der unangenehmen Sache herauszukommen!«

Der Major hatte sich indessen das Bild mit dem Geschworenengericht, das ihm der Staatsanwalt entrollte, ausgemalt, und er würde lieber tausend Thaler gezahlt haben, als sich einer solchen Blamage aussetzen. Er, Major von Halsen, als Verklagter auf der Armensünderbank, und die Madame Müller vor den Schranken, gegen ihn auftretend! Es war gut, daß der Rath in dem Augenblick nicht hören konnte, was er über ihn dachte, denn ihm allein verdankte er doch nur das Alles. Aber er las den Brief erst einmal flüchtig durch, dann noch einmal langsam und bedächtig, und der Staatsanwalt betrachtete ihn dabei mit triumphirenden Blicken. Er wußte jetzt, daß er ihn fest hatte und die Sache erledigen konnte.

»Na denn meinetwegen,« sagte auch der alte Soldat endlich, indem er das Papier neben sich auf den Tisch warf; »geben Sie einmal Dinte und Feder von da drüben her, Rath – die Dinte wird wohl eingetrocknet sein, dort auf dem Ofen steht noch eine kleine Flasche. Wenn sich der alte Drache damit beruhigen will, mir kann's recht sein; aber meinen Hals möcht' ich zum Pfand einsetzen, daß sie die Lumperei doch begangen hat. Sie sollten nur das Bild von ihrer Tochter sehen, Staatsanwalt, das über ihrem Sopha in Vollmers hängt, ob das nicht das leibhafte Conterfei der Wendelsheim'schen Familie ist – jeder Zug, während der Lieutenant von Wendelsheim auch nicht die Spur von Aehnlichkeit mit dem alten Baron hat – nicht die Spur, sage ich Ihnen.«

»Aber das sind Alles keine Hauptbeweise, lieber Freund, und könnten nur vielleicht als Nebenbeweise in's Gewicht fallen. Eine solche Aehnlichkeit täuscht und ist oft nur zufällig, denn sie hängt von uns unbekannten Ursachen ab. Damit kommen Sie also nicht vom Fleck, und seien Sie so gut und machen Sie die Sache kurz, denn es wird schon dunkel und ich muß nach Hause.«

Der Major sah noch einen Augenblick still und verbissen vor sich nieder; endlich sagte er: »Na, mein lieber Rath, Sie nehme ich einmal wieder auf eine Entdeckungsreise mit!« griff dann die Feder auf, tunkte sie ein und schrieb seinen Namen unter das Document; dann schob er es dem Rath hin, und dieser, ohne sich länger zu sträuben, unterzeichnete ebenfalls.

»So,« sagte der Staatsanwalt, der die beiden Herren indessen schweigend beobachtet hatte, »das war jedenfalls das Gescheidteste, was Sie thun konnten, und ich hoffe die ganze Geschichte damit beizulegen. Wenn Sie aber meinem Rath noch folgen wollen, Major, so geben Sie jetzt Ihre Jagd auf und werden vernünftig, denn Sie müssen das Nutzlose derselben doch nachgerade eingesehen haben. Wäre wirklich in jener Zeit etwas dem Aehnliches in der Familie Wendelsheim vorgegangen, wie Sie vermuthen, so haben es die Jahre jetzt verwischt. Aber Alles, auf das Sie nur Ihren bösen Verdacht gründen, ist leere Vermuthung, oder, noch schlimmer, ekelhaftes Weibergeschwätz vergangener Jahre, und Sie können Ihrem Gott danken, daß diese Sache hier nicht dem alten Baron zu Ohren gekommen ist; er hätte Sie wahrhaftig nicht so leicht durchgelassen. Doch nun Gott befohlen, meine Herren! Ich habe mich hier länger aufgehalten, als ich wollte. Was fehlt denn eigentlich der Frau von Bleßheim auf dem Sopha?«

»Ach, nichts,« sagte der Major mürrisch; »sie bildet sich immer ein, daß sie krank ist.«

»Und Du wohl nicht?« rief die Dame, sich plötzlich sehr lebhaft aus ihrer liegenden Stellung aufrichtend. »Man muß ja allein schon davon krank werden, wenn man das ewige Gejammer mit anhört!«

»Na, wünsche allerseits einen recht angenehmen Abend!« sagte der Staatsanwalt, vergnügt, aus der Gesellschaft fortzukommen, und seinen Hut schwenkend, schritt er in die schon dämmernde Straße hinaus.

Es war in der That später geworden, als er gedacht, und er ging rasch den Weg hinab, der nach der Stadt zu führte; dabei zuckten ihm aber doch die letzten Reden des Majors durch den Kopf, besonders was derselbe von der Aehnlichkeit gesagt. Darin hatte der alte Major recht: der Lieutenant von Wendelsheim glich seinem Vater, was das Aeußere betraf, auch mit keiner Miene; er war erstlich kleiner als der alte Baron, und seine Züge, seine ganzen Bewegungen trugen einen entschieden andern Charakter. Aber was wollte das sagen? Wie oft kam das in der Welt vor, und konnte nicht einmal gegründete Ursache zu einem Verdacht, viel weniger denn zu einer Klage geben! Merkwürdig blieb es freilich immer, und der Staatsanwalt grübelte auf dem ganzen Weg darüber nach, daß wieder der zweite Sohn so entschieden die Züge der Eltern trug, und dadurch auch seinem Bruder nicht im geringsten ähnelte.

Aber mit all' solchem Nachgrübeln gelangt man natürlich zu keinem Resultat. Ob das Bild in der Stube der Frau Müller der Wendelsheim'schen Familie mehr glich als der Lieutenant, war ziemlich einerlei; deshalb blieb der Letztere doch der Sohn und Erbe, und mit dieser Schlußfolgerung betrat der Staatsanwalt wieder die eigentlichen Straßen der Stadt und schritt unwillkürlich etwas nach links hinüber, um seinen Weg nach Hause so viel als möglich abzukürzen. Es dunkelte allerdings schon stark, aber wenn er die Seitenstraßen benutzte, kam er doch wohl noch bei Zeiten nach Hause, um einige nothwendige Briefe zu unterzeichnen und vor Postschluß zu befördern.

Den kürzesten Weg hatte er durch die Judengasse, und wenn das auch gerade kein Platz war, den man Abends gern passirte, weil das Ausschütten von Gefäßen aus den Fenstern dort nur allzu häufig geschah, schien er dieser Gefahr doch heute Abend trotzen zu wollen, oder dachte auch vielleicht nicht einmal daran. Er bog ohne Weiteres in die Straße ein, hatte aber erst wenige Schritte darin gethan, als er einzelne Menschen rasch an sich vorüberspringen und einem bestimmten Hause zueilen sah, vor dessen Thür sie sich sammelten oder in den Hof eindrängten.

»Was ist denn hier geschehen oder was giebt's zu sehen?« fragte er einen der Leute, der eben dort wieder herauskam und über die Straße wollte.

»Sie haben den alten Salomon todtgeschlagen,« sagte der Mann und sprang in das nächste Haus, um noch eine Laterne zu holen.

»Du lieber Gott,« seufzte Witte, denn er kannte den alten Mann recht gut und hatte schon oft selber mit ihm zu thun gehabt – »das ist ja schrecklich!« Und rasch trat er mit in den Hof hinein, wo er zu der Stelle kam, an welcher die Nachbarn den jungen Baumann hielten und eben dabei waren, ihm die Hände auf den Rücken zu schnüren.

»Wen habt Ihr denn da, Ihr Leute?« fragte der Staatsanwalt, indem er zu ihnen trat, aber in der Dunkelheit nicht gleich die Züge der Einzelnen erkennen konnte.

»Den Halunken, der den alten Mann todtgeschlagen hat, und eben auskneifen wollte, als er mir in die Finger lief.«

Unwillkürlich nahm der Staatsanwalt dem Nächsten die Laterne ab und leuchtete damit dem vermutheten Verbrecher in's Gesicht.

»Herr Baumann!« rief er aber auch schon im nächsten Augenblick ordentlich entsetzt aus. »Das ist doch nicht möglich!«

»Sind Sie von der Polizei?« fragte ihn einer der Umstehenden.

»Nein, aber ich gehöre mit zu dem Fach – ich bin der Staatsanwalt.«

»Na, dann gehen Sie lieber mit in den Laden hinein, wo der alte Salomon liegt, bis ein Actuar oder sonst wer kommt,« sagte der Mann wieder.

»Aber, um Gottes willen, Herr Baumann, wie kommen Sie in diese Lage?«

»Ich hoffe doch nicht,« sagte Fritz, der todtenbleich geworden war, »daß Sie mich eines solchen Verbrechens fähig halten?«

»Nein, gewiß nicht!« rief Witte schnell.

»So, und weshalb wollte er denn da ausreißen und ist über und über blutig, he? – Ruhe, mein Bursche, das bitte ich mir aus; ob Du schuldig oder unschuldig bist, wird dann wohl die Polizei aus Dir herausdrücken, darauf verlaß Dich! Und jetzt machen Sie, daß Sie hineinkommen, damit Alles ordentlich zugeht! Es ist Niemand drin, wie ein Officier, und die wissen sich bei solchen Geschichten gewöhnlich nicht zu helfen.«

Das war allerdings richtig. Witte konnte auch hier im Augenblick, mit den näheren Umständen gar nicht bekannt, nichts helfen, und mußte den jungen Mann vor der Hand seinem Schicksal überlassen. Die Untersuchung stellte ja doch bald heraus, ob er schuldig wäre oder nicht.

9.
Die Untersuchung.

Als der Staatsanwalt Witte den düstern, unheimlichen Raum betrat, bemerkte er nur eine Anzahl dunkler Gestalten, die um einen auf dem Boden liegenden Gegenstand geschaart waren und von dem ungewissen Licht der Lampe mehr sichtbar gemacht als beleuchtet wurden. Mit dem Fuße stieß er dabei an einen klirrenden Körper, der am Boden lag, und als er ihn aufhob, fand er, daß es ein Sack mit Geld sei, den der Mörder hier jedenfalls auf der Flucht zurückgelassen. Die erste Person, die er, allerdings zu seinem Erstaunen, erkannte, war der Baron von Wendelsheim; denn er begriff nicht recht, wie dieser Abends noch so spät in die Judengasse kam, wenn ihn nicht auch vielleicht, wie ihn selber, der Zufall hier vorbeigeführt. Aber es war jetzt wahrlich keine Zeit dazu, um solche Betrachtungen anzustellen, und der Staatsanwalt, den gefundenen Beutel auf den Ladentisch stellend, trat näher zu der Gruppe, um vor allen Dingen den Zustand des gefallenen Opfers zu untersuchen.

»Ah, Herr Staatsanwalt,« rief Wendelsheim, als er ihn erkannte, »ein Glück, daß Sie kommen – hier ist ein schändliches Verbrechen verübt worden!«

Auf dem ausgestreckten Körper des alten Mannes lag, anscheinend leblos, eine weibliche Gestalt.

»Was ist das?« sagte Witte. »Sind Beide ermordet worden?«

»Es ist des alten Salomon Frau; sie muß ohnmächtig geworden sein – Ursache genug, wahrhaftig, bei solchem Anblick!«

»Ist der alte Mann todt?«

»Jedenfalls. Er hat zwei furchtbare Wunden am Kopf.«

»Hätten wir nicht besser die Frau fort und in ihre Wohnung geschafft, wo sie die nöthige Pflege finden kann? Nach Polizei ist doch geschickt?«

»Gewiß – faßt an, Ihr Leute, aber vorsichtig, und tragt die arme Frau drüben die Treppe hinauf; ich werde Euch den Weg zeigen – o, da kommt noch eine Laterne! Ich bin gleich wieder bei Ihnen, Herr Staatsanwalt.«

Es fiel Witte wohl auf, daß der Lieutenant so bekannt in dem Hause schien, aber er achtete doch nicht weiter darauf. In diesem Augenblick, und gerade als die Leute die in der That ohnmächtig gewordene alte Frau nach oben trugen, langte die Polizei an: ein Actuar, zwei Polizisten und zwei Gensdarmen. Der Actuar schien auch die Sache richtig zu behandeln. Der Gefangene, da er doch gebunden war und nicht entwischen konnte, wurde einem der Gensdarmen übergeben und der andere an das Hofthor postirt, um die Neugierigen abzuhalten, denn die Straße war schon mit Menschen angefüllt. Hatte sich doch das Gerücht, daß der alte Salomon ermordet sei, wie ein Lauffeuer durch die ganze Judengasse und den benachbarten Stadttheil verbreitet! Dann wurde der Hof von allen nicht hinein gehörenden Personen gesäubert und nur ein paar noch zur Aufsicht des Gefangenen zurückbehalten, wenn dieser ja einen verzweifelten Fluchtversuch machen sollte. Jetzt verhielt er sich freilich vollkommen ruhig, aber man weiß nicht – solche Leute passen manchmal ihre Zeit ab.

Eben so bedeutete der Actuar auch alle solche, welche Näheres über die That anzugeben wüßten oder vermutheten, draußen auf der Straße und in der Nähe zu bleiben, um nachher ihr Zeugniß abzulegen. Dann gingen sie – es waren jetzt nur noch der Actuar, die beiden Polizeidiener, der Staatsanwalt und Lieutenant von Wendelsheim – in den Laden zurück, um die Wunden des alten Mannes selber zu untersuchen. Der Actuar hatte übrigens auch schon nach dem Polizei-Arzt geschickt, der jeden Augenblick eintreffen konnte.

Der einzige Mensch, der wirklich Näheres über den Ueberfall wußte, stand draußen gebunden unter Gensdarmerie-Bewachung.

Salomon lag auf dem Rücken, den rechten Arm noch wie zum Schutz gegen die wahrscheinlich nach ihm geführten Schläge vorgestreckt. Er war aber mit Blut ordentlich überdeckt, und sein Kopf zeigte, als der Actuar mit der Lampe hinabreichte, zwei klaffende Wunden, aber schon mit geronnenem Blute überklebt, so daß man ihre Tiefe nicht gut erkennen konnte. Die Untersuchung derselben mußte aufgespart werden, bis der Arzt kam.

Wendelsheim fühlte indessen seinen Puls, aber dort war kein Leben erkennbar, und die Hand selbst kalt und krampfhaft geballt: auch ein Heben der allerdings noch warmen Brust ließ sich nicht unterscheiden.

»Armer Salomon,« sagte der Actuar, indem er sich kopfschüttelnd aufrichtete – »schade um ihn, es war ein braver, rechtschaffener Mensch, und verwünscht viel besser als tausend Andere, die sich Christen nennen! Aber wir können jetzt nichts thun, meine Herren, als ihn liegen lassen, bis der Arzt kommt, indessen aber den Laden untersuchen – möglich ja doch, daß wir etwas finden, was der oder die Mörder zurückgelassen haben, um dadurch auf seine Spur zu kommen. Möchte einer von den Herren wohl so freundlich sein und die Lampe nehmen?«

Der Staatsanwalt machte den Actuar jetzt auf den Geldsack aufmerksam, den er an der Thür gefunden; es waren noch Blutspuren daran, und jedenfalls mußte der Mörder gestört sein, daß er den im Stiche gelassen. Der eiserne Geldschrank stand offen; was daraus geraubt worden, konnte man natürlich nicht wissen. Der Actuar stellte den Beutel wieder in den Schrank und verschloß ihn.

Sie untersuchten jetzt den Boden und fanden dicht vor dem Schrank die ersten Blutspuren. Der Angriff hatte dort jedenfalls begonnen und der alte Mann sich wohl gewehrt. Dort machte der Ladentisch eine kleine Biegung, um die herum das Opfer wahrscheinlich nach der Thür flüchten wollte, als es den zweiten Schlag erhielt und zu Boden taumelte.

Eine Waffe oder irgend ein Instrument, mit welchem die Streiche versetzt sein konnten, fand sich nirgends, eben so wenig irgend ein anderer Gegenstand, der einem Fremden gehört haben konnte. Nur ein Taschentuch lag vorn im Laden am Boden, das in der Ecke die mit Roth gezeichneten Buchstaben F. B. trug. Der Actuar steckte es in die Tasche.

Beim Herumleuchten bemerkten sie noch eine geöffnete Schublade, an der aber von außen der Schlüssel steckte; sie enthielt mehrere Gold- und Silbersachen. Es war möglich, daß der oder die Diebe gewußt hatten, wo sich werthvolle Gegenstände befanden, und auch daraus geraubt haben konnten. Das ließ sich vielleicht durch Salomon's Frau constatiren, wenn sie sich wieder erholen würde; heute Abend wohl kaum mehr.

In diesem Augenblick trat der erwartete Polizei-Arzt ein und untersuchte den Körper des Erschlagenen; aber es war hier unten nicht viel zu machen. Er glaubte noch Leben zu erkennen, aber so schwach, daß es auch jeden Moment wieder schwinden konnte, und wünschte deshalb, denselben hinauf in seine Wohnung geschafft und auf ein Bett gelegt zu haben. Dort sollte dann auch in Gegenwart der Leiche das erste Verhör stattfinden.

Der Actuar ging jetzt hinaus an das Hofthor, vor dem die Menschen noch immer dicht gedrängt standen, und forderte Einzelne, die Näheres über das Verbrechen anzugeben wüßten, auf, hereinzukommen. Es meldeten sich aber nur zwei oder drei, die »etwas gesehen haben wollten.« Sie wurden herein beordert und dann gleich mit dazu verwandt, um den leblosen Körper des alten Mannes nach oben zu tragen.

Der Lieutenant, der zurückgekehrt war, nahm wieder die Leitung, und während er langsam mit der Lampe voranging, verschloß der Actuar zuerst die Ladenthür und ließ dann noch einen Augenblick den Zug halten, um zuerst einen Streifen Papier über das Schloß zu siegeln, damit Niemand den Platz betrete, bevor morgen, mit Tageslicht, eine genaue Untersuchung desselben stattgefunden hätte.

Wie still und friedlich, wie wohnlich, ja, fast patriarchalisch hatte sonst die Behausung des alten Salomon ausgesehen, und wie traurig verändert lag sie heute! Fremde, rauhe Gestalten drängten die Treppe hinauf und Tod und blutige Verwüstung schienen ihre Fährten in das Heiligthum eingedrückt zu haben. Es war auch fast, als ob die alte Dienerin des Hauses, die oben an der Treppe mit verweinten Augen stand, den vielen Fremden den Eintritt wehren wollte – aber brachten sie nicht ihren armen Herrn? Und dann sah sie auch die gefürchteten rothen Kragen der Polizei, gegen die sie am wenigsten gewagt haben würde, einen Widerstand zu leisten.

Jetzt hatten die Träger den oberen Rand der Treppe erreicht, und Witte, der dicht hinter ihnen folgte, sah staunend auf, als ein bildschönes Mädchen, die schwarzen Locken gelöst, das Antlitz marmorbleich, auf die Träger zustürzte und im ersten Moment sich auf den alten Mann werfen wollte. Aber fast gewaltsam hielt sie sich zurück, ihre großen dunklen Augen hingen an dem Gräßlichen, ihre kleine, weiße Hand war fest auf dem Herzen geballt; aber sie sagte kein Wort, durch keine Bewegung hinderte sie den Fortgang der Leute, und das Licht aus der Hand der Magd nehmend, winkte sie ihnen nur, ihr zu folgen.

»Alle Wetter, wer ist das?« flüsterte der Actuar dem neben ihm stehenden Staatsanwalt zu. »Das war ja ein bildschönes Mädchen, und der Lieutenant scheint hier sehr bekannt im Hause zu sein!«

»Wahrscheinlich die Tochter des alten Salomon,« nickte der Staatsanwalt, der die letzte Bemerkung ebenfalls gemacht hatte; »ich weiß, daß er eine Tochter hat, habe sie aber noch nie vorher gesehen.«

»Mir ist nie etwas Schöneres vorgekommen....«

»Es muß in der That außergewöhnlich sein, wenn sich selbst die Polizei davon ergriffen fühlt,« bemerkte der Staatsanwalt trocken – »aber da sind wir. Wie elegant das hier aussieht! Ich hätte wahrlich nicht gedacht, im Judenviertel solch ein Haus zu finden, besonders wenn man diese alten, rauchgeschwärzten Gebäude von außen ansieht!«

Die Träger folgten ihrer bleichen Führerin in ein Seitenzimmer, wie es schien, das eigentliche Schlafgemach des alten Mannes, neben dem der Arzt noch immer herging und seinen Kopf unterstützte. Dort winkte sie, ihn auf das Bett zu legen.

»Möchten Sie nicht vielleicht eine alte Decke unterlegen,« bemerkte der Arzt, als er das schneeweiße Linnen sah, »wir werden Alles mit Blut beflecken.«

»Nein,« hauchte die Tochter. – Es war das erste Wort, das sie sprach. – »O, sagen Sie mir um Gottes willen, ob er todt ist?«

»Ich glaube nicht, mein Fräulein,« erwiederte der Arzt theilnehmend dem ungeheuern Schmerz gegenüber, der in den Worten lag. »Ich kann Ihnen freilich für nichts stehen, denn ich habe die Wunden noch nicht untersucht, aber noch scheint Leben in ihm zu sein, wenn auch vielleicht nur ein Funken. Es soll gewiß Alles geschehen, was in menschlichen Kräften steht, um ihn, wenn irgend möglich, zu retten. Machen Sie sich aber auf das Schlimmste gefaßt; das Resultat kann kein Mensch vorher bestimmen.«

»Hat sich Ihre Frau Mutter wieder erholt?« fragte der Staatsanwalt jetzt, der ihr unwillkürlich näher getreten war. »Der plötzliche Schreck machte eine Ohnmacht ja natürlich.«

»Ich danke Ihnen,« sagte Rebekka leise, »sie ist wieder erwacht – o, dieser entsetzliche Abend!«

»Und haben Sie keine Vermuthung, wer der Thäter sein könne?« fragte der Actuar wieder.

»Keine,« hauchte das junge Mädchen, traurig mit dem Kopf schüttelnd; »mein Vater war ja so gut und brav, er hat keinem Menschen je ein Leides gethan – sie haben ihn nur berauben wollen.«

»Und wissen Sie nicht, ob in letzter Zeit vielleicht irgend Jemand häufiger als sonst in den Laden gekommen wäre?«

»Ich betrete den Laden nie oder doch nur so selten, daß ich es nicht weiß. Selbst die Mutter kommt nicht hinunter.«

»Hm – nun, wie steht es, Doctor?«

»Dürfte ich um etwas lauwarmes Wasser und einen Schwamm bitten?«

Es wurde rasch gebracht, und der Arzt ging jetzt daran, die Wunden sorgsam auszuwaschen und zu untersuchen.

Wendelsheim hatte indessen leise mit Rebekka gesprochen und sie gebeten, das Zimmer zu verlassen. Er selber glaubte fest, daß der alte Mann todt sei, und wollte ihr wenigstens den Schmerz der unmittelbaren Entdeckung ersparen. Rebekka weigerte sich aber; sie wollte das Entsetzliche selber hören – sie war gefaßt, wie sie sagte, und fürchtete keine Schwäche.

Staatsanwalt Witte beobachtete Beide scharf, während sie mit einander sprachen, und es hätte auch wahrlich nicht des Auges eines Juristen bedurft, um zu sehen, mit wie liebevoller Theilnahme des Barons Blick an den Zügen des Mädchens hing, wie vertrauend, wie gut sie zu ihm aufsah. Der Actuar glaubte aber seine Zeit indessen nicht unnütz versäumen zu dürfen, und sich im Zimmer umschauend, bemerkte er bald einen Tisch, auf welchem ein Schreibzeug stand – Papier wie alles Nöthige führte er überdies bei sich –, und er befahl jetzt, den Gefangenen herauf zu führen, und ließ die Leute, die sich als Zeugen gemeldet hatten, ebenfalls an die Thür treten. Um das Verhör kümmerte sich der Arzt nicht, der sich nur immer mit dem Verwundeten beschäftigte, während ihm Rebekka hülfreiche Hand dabei leistete. Wohl schnürte es ihr das Herz zusammen, und sie mußte sich ordentlich Gewalt anthun, um nicht in Klagen auszubrechen, als sie die furchtbaren Wunden sah, die des Mörders Waffe dem Vater geschlagen; aber kein Laut kam über ihre Lippen, und mit sorgsamer, nicht einmal zitternder Hand wusch sie das Blut von dem theuern Haupt und küßte dann die bleiche, kalte Stirn.

Fritz Baumann wurde jetzt hereingeführt, und mit Entsetzen hingen des Mädchens Blicke an dem edlen, aber jetzt bleichen Antlitz des jungen Mannes. Das war der Mörder? O, um Gott, was hatte er ihm gethan, daß er die blutige Faust gegen den armen schwachen alten Mann erheben sollte?

»Wer sind Sie und wie heißen Sie?« fragte der Actuar, der sich an seinem Tisch festgesetzt hatte und die Sache amtsmäßig zu betreiben begann.

»Mein Name ist Friedrich Baumann,« lautete die eben nicht sehr freundlich gegebene Antwort; »ich bin Mechanikus in hiesiger Stadt.«

»Schon einmal vor Gericht gestanden?«

»Nein.«

»Was hatten Sie heute Abend noch nach Dunkelwerden hier im Gehöft und im Laden des alten Salomon zu thun?«

»Ich habe ein Werk zurückgebracht, das ich für ihn reparirt hatte, fand aber den Laden schon verschlossen und sah nur eben noch in der Dämmerung, daß ein Officier vor mir den Hof betrat. Da ich demnach vermuthete, den alten Salomon noch im Laden zu finden, folgte ich ihm und fand auch die Ladenthür nur angelehnt und Licht im Innern. Wie ich aber den Platz eben betreten wollte, sprang eine dunkle Gestalt gegen mich an und floh zum Hofe hinaus. Ich hielt das Werk, das jetzt unten auf dem Tisch steht, noch in der Hand und war auch in dem Moment zu überrascht, um dem Flüchtigen gleich zu folgen, that aber dann, was ich für den Augenblick thun konnte. Im Laden sah ich den unglücklichen alten Mann am Boden liegen, und das Schlimmste fürchtend, sprang ich hinaus, fand die Hausthür verschlossen, klopfte dort scharf an und sprang dann vor das Thor, um Hülfe herbei zu holen, als ich von diesen Männern gefaßt und gehalten und selber des Mordes beschuldigt wurde.«

»Und wie kommt das Blut an Ihre Hände und Kleider?«

»Ich wollte den Erschlagenen aufrichten, fand aber bald, daß das unmöglich sei.«

»Ist dies Ihr Tuch? Es trägt die Buchstaben F. B.«

»Ja; ich hatte es über das Werk gedeckt, und es mag im Hof herunter gefallen sein.«

»Es lag im Laden.«

»Auch das ist möglich.«

»Was für ein Werk war das, welches Sie brachten?«

»Ein mechanisches Kunstwerk, das ich reparirt hatte.«

»An der Thür lag ein Sack mit Geld; wie ist der dahin gekommen?«

»Das weiß ich nicht; ich habe ihn nicht gesehen.«

»Haben Sie etwas fallen hören, als jene dunkle Gestalt, wie Sie sagen, aus der Thür sprang?«

»Nein – ich erinnere mich wenigstens nicht; ich war zu sehr überrascht.«

Der Actuar ließ ihn bei Seite treten und fragte jetzt die verschiedenen Leute aus, was sie über den Fall wüßten. Das war allerdings sehr wenig. Einige wollten einen Hülferuf gehört haben und waren herbeigelaufen; Andere, die sie laufen sahen, schlossen sich ihnen an.

»Wer hatte um Hülfe gerufen?« fragte der Actuar.

»Ich selber,« erwiederte Baumann, »wie ich jene dunkle Gestalt davonspringen sah. Ich hoffte, dadurch ihm Begegnende aufmerksam zu machen.«

»Und weshalb liefen Sie nicht gleich selber hinter ihm drein? Ich dächte, Sie wären jung und stark genug dazu.«

»Ich hatte das Werk unter dem Arm – es kam Alles so schnell – ich wußte ja auch damals noch nicht, ob wirklich ein Verbrechen verübt sei, ja, im ersten Augenblick war es mir sogar, als ob der Laufende der alte Salomon selber sei.«

»Sehr wahrscheinlich,« lächelte der Actuar verächtlich. »Und weshalb liefen Sie da selber davon?«

»Ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich nicht gelaufen bin,« erwiederte Baumann finster; »ich wollte auf die Straße springen, um Leute herbeizurufen, als diese mich faßten und natürlich den Verbrecher entwischen ließen.«

»Also Sie leugnen, weiter etwas von der That zu wissen?«

»Ich habe Ihnen Alles gesagt, was ich weiß, und bedauere, wenn Ihnen das nicht genügt.«

»Schön. Gensdarmen, führen Sie den Gefangenen in das Polizeigebäude in Untersuchungshaft – er soll eingeschlossen werden – ich komme gleich selber nach! Lassen Sie ihn unterwegs nicht entspringen, und daß er mit Niemandem verkehrt oder sich unterhält! Er wird auch vorher genau untersucht, ob er keine Waffen oder sonst etwas Verdächtiges bei sich trägt! Sind ihm die Hände noch fest auf dem Rücken gebunden?«

»Die kriegt er nicht los, Herr Actuar.«

»Gut – fort mit ihm; wir brauchen ihn heute hier nicht weiter.«

»Aber Sie können mich doch wahrhaftig nicht nur auf einen so wahnsinnigen Verdacht hin einkerkern wollen!« rief Baumann, bei dem der Zorn auch jetzt die Oberhand gewann. »Stehen denn hier nicht Männer, die mich kennen? Herr Staatsanwalt Witte, Herr Lieutenant von Wendelsheim, können Sie glauben, daß ich eines solchen Verbrechens auch nur fähig wäre?«

»Nein, das glaube ich nicht,« sagte Witte.

»Ich ebenfalls nicht,« fiel Wendelsheim ein.

»Meine Herren,« sagte der Actuar, »es thut mir leid, in dieser Sache auf Ihren Glauben keine Rücksicht nehmen zu können. Die Person hier ist unter verdächtigen Umständen angetroffen, und wir müssen uns ihrer jedenfalls so lange versichert halten, bis wir vollgültige Beweise ihrer Unschuld finden.«

»Aber ich habe den Hof nicht drei Minuten nach dem Lieutenant von Wendelsheim betreten – kaum zwei, wenn so viel – ich sah ihn in den Hof gehen.«

»Haben Sie etwas von dem Herrn bemerkt, Herr Baron?«

»Ich muß gestehen, daß ich mich gar nicht umgesehen,« sagte der Lieutenant. »Ich erinnere mich, Jemanden in der Straße bemerkt zu haben, als ich in den Hof einbog, aber es war schon dunkel und ich achtete auch nicht darauf.«

»Und wie lange vor der Entdeckung des Mordes waren Sie im Hause?«

»Allerdings nur wenige Momente; als ich den Hülferuf hörte, hatte ich eben erst das Zimmer betreten.«

»So? Na, das wird Alles die spätere Untersuchung ergeben. Also paßt mir gut auf ihn auf! Schultze mag lieber noch mitgehen, falls etwas vorfallen sollte oder vielleicht einige seiner Spießgesellen Miene machten, ihn zu befreien.«

»Mein lieber Herr Baumann,« sagte der Staatsanwalt jetzt zu dem Gefangenen, »fügen Sie sich vor der Hand in das Unvermeidliche, denn Ihre vorläufige Haft muß allerdings stattfinden; aber ich hoffe und bin fest davon überzeugt, daß Sie genügende Beweise Ihrer Unschuld beibringen werden. Ihre Haft wird in dem Fall nicht lange dauern, und ich ersuche Sie, Herr Actuar, dem Gefangenen jede Bequemlichkeit zu gestatten, welche die Gefängnißordnung erlaubt – auf meine Verantwortung und Garantie. Sorgen Sie dafür, Freund,« wandte er sich dann an den Gensdarmen, »daß das richtig bestellt und ausgeführt wird.«

Während die Leute den jungen Mann abführten, bog sich Witte zu dem Actuar über und flüsterte ihm etwas zu, womit dieser nicht recht einverstanden schien, denn er wiegte ein paarmal den Kopf hin und her, schrieb auch noch erst Einiges nieder. Dann wandte er sich plötzlich an den Lieutenant und sagte: »Und dürfte ich mir wohl erlauben, Herr Baron, Sie zu fragen, was Sie so spät, oder vielmehr so früh in's Haus geführt hat, da Sie doch schon hier waren, ehe der Lärm entstand, und eigentlich an dem Laden müssen vorübergegangen sein, während der Mord im Innern verübt wurde? Haben Sie nichts gehört?«

»Keinen Laut,« sagte Wendelsheim, von der Frage eben nicht erbaut, die Gegenwart des Staatsanwalts genirte ihn. »Als ich vorüberging, war Alles dunkel. Ob die Ladenthür angelehnt oder geschlossen war, weiß ich nicht einmal; ich habe mich nicht danach umgesehen, auch nicht das geringste Geräusch darin gehört, und glaubte deshalb, der alte Salomon befände sich oben in seiner Stube.«

»Und wie Sie oben in's Zimmer traten, hörten Sie den Hülferuf?«

»Ja.«

»War Jemand in dem Zimmer?«

»Allerdings; die Frau des alten Mannes und das Fräulein da.«

»Sie wollten den alten Mann sprechen?«

»Ich wollte der Familie, mit der ich befreundet bin,« sagte Wendelsheim ernst, aber entschieden, »eine Trauernachricht mittheilen, die mich heute betroffen hat – den Tod meines Bruders.«

»Der junge Baron Benno ist gestorben?« rief Witte rasch. »Ach, das thut mir wirklich recht leid um Sie Alle!«

»Ja,« sagte Wendelsheim leise, »es war ein schwerer Verlust, obgleich wir Alle schon lange darauf vorbereitet sein mußten.«

»In so jugendlichem Alter! Wie alt war Ihr Herr Bruder?«

»Noch nicht achtzehn Jahre.«

»Er lebt! Er lebt!« jubelte da plötzlich Rebekka, die neben dem Bett des Vaters gekniet und ihr Ohr an sein Herz gelegt hatte – was kümmerten sie die Fragen des Beamten!

»Es ist allerdings noch Leben vorhanden,« nickte der Arzt, »und die Wunden – wenn nicht im Innern der Hirnschale mehr Unheil angerichtet ist, als man von außen beurtheilen kann – sehen auch nicht gerade zu bösartig aus, wenigstens nicht so, um Ihnen jede Hoffnung zu rauben.«

»Er lebt, Doctor?« rief aber auch jetzt der Actuar. »Das allerdings würde die Untersuchung sehr erleichtern, wenn wir erst seine Aussage bekommen könnten!«

»Aber doch nicht heute Abend, Herr Actuar,« sagte der Arzt ruhig. »Ich muß überhaupt die Herren bitten, dieses Zimmer jetzt zu verlassen, damit der Verwundete kein Geräusch mehr hört und, wenn er ja schneller, als ich vermuthe, seine Besinnung wieder erhält, nicht erschrickt – ich stehe sonst für nichts.«

»O, er lebt! Er lebt!« jauchzte Rebekka leise vor sich hin, und wie ihrer selbst unbewußt, lehnte sie ihre Hand auf den Arm des jungen Officiers und schaute mit strahlendem Antlitz zu ihm auf.

Der alte Staatsanwalt nickte still vor sich hin mit dem Kopf, aber der Arzt drang jetzt entschieden auf Räumung des Zimmers. Der Kranke mußte Ruhe bekommen, und nur die Tochter sollte bei ihm bleiben. Er selber versprach aber, vor Mitternacht noch einmal nachzusehen, wie es ginge – er hatte noch einige Krankenbesuche zu machen und durfte die nicht vernachlässigen.

Der Lieutenant von Wendelsheim zögerte, mitzugehen. Der Staatsanwalt faßte ihn aber am Arm und sagte: »Kommen Sie einen Moment mit uns in ein anderes Zimmer oder auf den Hof, Herr Lieutenant. Ich habe den Herren einen Vorschlag zu machen, bei dem ich Sie ebenfalls betheiligt wünsche; Sie können ja nachher immer wieder zurückgehen.«

»Einen Vorschlag? Welchen?« fragte der Actuar.

»Bitte – unten; hier nichts weiter. Mein liebes Fräulein,« wandte er sich dann an Rebekka, »fassen Sie guten Muth; vielleicht und hoffentlich wird das Schwerste noch von Ihnen abgewandt. Seien Sie aber versichert, daß wir den innigsten Antheil an Ihrem Schicksal nehmen, und was geschehen kann, jene verruchten Buben, welche die That verübt, zur Strafe zu bringen, soll gewiß geschehen.«

»Aber jener junge Mensch hat meinen Vater doch gewiß nicht geschlagen,« sagte Rebekka mit tiefer Wehmuth im Ton.

»Ich bin fest davon überzeugt, daß er es nicht gethan hat,« bestätigte der Staatsanwalt; »doch das wird die Untersuchung bald ergeben.«

»Und bedenken Sie, daß Sie heute den Laden nicht mehr betreten dürfen,« sagte der Actuar; »er ist versiegelt.«

»Gott soll mich behüten, daß ich den Schreckensort in der Nacht betrete!« sagte das Mädchen zurückschaudernd.

»Kommen Sie, meine Herren, kommen Sie,« drängte der Arzt. »Der Kranke regt sich – ich mache Sie sonst für die Folgen verantwortlich« – und die drei Männer vor sich her schiebend, verließ er mit ihnen das Gemach.

»Und was wollten Sie uns sagen, Herr Staatsanwalt?« fragte der Gerichtsbeamte, als sie unten im Hof zusammenstanden, während der eine Polizeidiener noch draußen am Hofthor Wache hielt. Die alte Magd war mitgegangen, um hinter ihnen das Thor zuzuschließen.

»Ich habe,« sagte der Staatsanwalt, »schon oben meine Ueberzeugung ausgesprochen, daß der junge Baumann unschuldig ist; ich wiederhole das jetzt, und die Untersuchung wird es bestätigen. Wir wissen aber noch gar nicht, ob der alte Salomon den oder die Menschen, die ihn überfallen haben, erkannt hat, wenn er wirklich wieder zum Bewußtsein kommt, denn derartige Schufte schwärzen gewöhnlich ihre Gesichter oder brauchen andere Kunstgriffe. Wir müssen sie also in den ersten Tagen sicher machen, daß sie nichts zu fürchten haben, und das geschieht am besten durch das Gerücht von des alten Salomon's Tode. Die Stadt braucht vor der Hand nicht anders zu wissen, als daß der alte Mann wirklich erschlagen oder seinen Wunden erlegen sei, und meinetwegen auch, daß man den Mörder gefangen und eingezogen habe; ein falscher Verdacht schadet dem Namen des jungen Baumann, wenn er denn doch einmal abgeführt ist und gefangen gehalten wird, auch nicht mehr, und bekommen wir nachher die wirklichen Thäter heraus, so wollen wir ihn schon wieder weiß waschen.«

»Ich begreife nicht, was Sie damit bezwecken wollen,« sagte der Actuar.

»Ich halte es auch für das Beste,« meinte der Arzt. »Die Verbrecher lassen sich dadurch möglicher Weise verleiten, mit ihrem Gelde groß zu thun oder mehr zu verzehren, als ihre Bekannten an ihnen gewohnt sind – wie viele Diebstähle und Raubmorde sind schon dadurch an's Tageslicht gekommen!«

»Gut, ich habe nichts dagegen,« nickte der Actuar. »Wir können jedenfalls den Versuch machen, werden aber nichts dadurch erreichen, denn wenn nach drei Tagen die Beerdigung des alten Mannes nicht erfolgt, so wird man doch augenblicklich wissen, daß er nicht gestorben ist.«

»Drei Tage sind eine lange Zeit,« sagte der Staatsanwalt; »wir wollen wenigstens die uns gegebene Frist nach besten Kräften benutzen, und Sie, Herr Lieutenant, bitte ich, im eigenen Interesse der Familie, wenn Sie dieselbe wiedersehen sollten, sie zu bitten, Alles zu thun, um das Gerücht aufrecht zu erhalten. Aber jetzt guten Abend, meine Herren! Es ist spät geworden, und ich muß nach Hause, oder gehen wir Einen Weg?«

»Jedenfalls anfangs,« sagte der Arzt; »aber das Volk muß dort von dem Thor fort, daß wir keinen Lärm machen.«

»Ueberlassen Sie das mir, ich werde sie wegbringen,« sagte Witte.

Sie hatten jetzt den Thorweg erreicht und traten hinaus.

»Nun, wie steht's oben?« fragten zahlreiche Stimmen. »Wie geht's dem alten Manne?«

»Geht nach Hause, Leute,« sagte der Staatsanwalt, »und stört die arme Familie nicht in ihrer Trauer – der alte Salomon ist todt.«

»Gott der Gerechte, und so ein Mann – waih geschrieen!« tönte es von vielen Seiten. »Und die Mörder?«

»Werden ihrer Strafe nicht entgehen, verlaßt Euch darauf; eine so nichtswürdige That soll nicht ungeahndet hingehen.«

»Was ist der mehr,« sagte ein alter Israelit, der daneben stand; »werden sie ihm auch nicht viel thun – war es doch blos ein Jud', der alte Salomon!«

»Er war ein Mensch, und wer Menschenblut vergießt, deß Blut soll wieder vergossen werden. Aber jetzt geht nach Hause – Ihr seht, das Thor ist geschlossen, und Ihr könnt durch unnöthigen Lärm nur noch die Familie beunruhigen, die so schon Schmerz und Sorge genug hat.«

Das half. »Jawohl, jawohl!« riefen die Meisten, und wenig Minuten später war die Straße menschenleer.

10.
Verschiedene Eindrücke.

In Baumann's Haus, im Stübchen neben der Werkstatt, saß die Familie beim Abendbrot; aber der sonstige fröhliche Ton herrschte heute nicht in dem kleinen Kreise. Der Alte selber war ernst oder doch wenigstens nachdenkend und sprach nicht viel, und an wen er eigentlich die Zeit über gedacht hatte, verriethen die wenigen Worte, denen er endlich Laut gab.

»Jetzt kommt er nicht mehr,« sagte er, während er sein leergetrunkenes Glas wieder mit Bier füllte; »es muß schon lange neun Uhr vorbei sein. Er ist jedenfalls nach Hause gegangen und hat sich zu Bett gelegt.«

»Zu Hause ist er nicht, Vater,« meinte Karl; »ich war vorhin drüben bei ihm und wollte mir ein Stück Werkzeug borgen, aber der Schlüssel lag, wie gewöhnlich, wenn er ausgegangen ist, unter der Strohdecke.«

»Er sollte auch etwas Gescheidteres thun, als ihn dahin legen,« sagte die Mutter; »den Platz kennen die Diebe auch, und es ist schrecklich, was in letzterer Zeit wieder in Alburg gestohlen wird.«

»Das macht unsere gute Polizei, Mutter,« lachte der Schlosser; »denn wenn sich ein Dieb von der fangen läßt, so verdient er schon seiner Dummheit wegen Strafe.«

Die Frau seufzte, sagte aber nichts weiter, stand dann auf, nahm sich ein Gesangbuch von dem kleinen Bücherbrett und fing an, darin still vor sich hin zu lesen.

Der alte Schlossermeister war aufgestanden und ging eine Weile im Zimmer auf und ab. Er sah dabei manchmal die Frau an, als ob er sich mit ihr beschäftige – schwieg aber noch immer. Er hatte beide Hände vorn in seinen Hosengurt geschoben und pfiff leise vor sich hin, wie er gewöhnlich that, wenn er in recht tiefen Gedanken war. Die Frau achtete nicht auf ihn – sie las immer weiter, und endlich sah er, als er einmal hinter ihr vorüberging, daß ein im Lampenlichte blitzender Thränentropfen in das aufgeschlagene Buch fiel, ohne daß sie ihn wieder weggewischt hätte.

»Höre, Karl,« sagte er, indem er vor dem Sohn stehen blieb, »geh' jetzt zu Bett; ich habe mit Deiner Mutter noch 'was zu reden.«

»Ja, Vater,« sagte Karl, »mir ist's auch recht; ich bin müde, und bei Euch scheint's heute Abend langweilig zu sein. Die Mutter liest und Du pfeifst, da will ich lieber unter die Decke kriechen; morgen müssen wir doch wieder früh heraus – Gute Nacht mitsammen!«

Karl hatte schon lange das Zimmer verlassen, aber der alte Baumann schwieg noch immer. Er war nur stehen geblieben, pfiff nicht mehr und sah seine Frau an, die noch über das Buch gebeugt saß. Aber sie las auch jetzt nicht; ihr Auge flog darüber hin, und es war fast, als ob sie die Anrede des Mannes mit Zagen erwarte.

»Sag' einmal, Alte, was dir eigentlich ist,« begann der Schlossermeister, indem er sich mit beiden Händen auf ihre Stuhllehne stützte; »Du kommst mir ordentlich wie verwandelt vor. Du sitzest in Dich gekehrt, Du seufzest, liest in einem Gesangbuch, weinst sogar dabei. Hast Du 'was auf der Seele, wem besser könntest Du es wohl anvertrauen, als mir? Sorgt Dich aber 'was, ei, alle Wetter, dann bin ich auch gerade der Mann, um es Dir abzunehmen! Bist Du krank, Mutter?«

»Nein, Gottfried,« sagte die Frau leise, »ich bin nicht eigentlich krank; aber – ich weiß nicht – es liegt mir etwas so schwer auf dem Herzen, wie eine Ahnung – als ob uns etwas recht Schlimmes passiren müsse, und ich weiß doch eigentlich nicht, was.«

»Du lieber Gott, ja,« nickte Baumann, indem er sich jetzt neben sie niedersetzte und ihre Hand nahm, »man hat ja wohl solche Stunden, und die Doctoren sagen, es läge im Blut – aber ist's das auch wirklich, Alte? Sieh', wir sind jetzt die langen, langen Jahre mit einander verheirathet – unsere silberne Hochzeit liegt sogar hinter uns – und so glücklich mit einander gewesen, haben so zufrieden mitsammen gelebt, und nie, nie ist ein unfreundliches Wort zwischen uns gefallen. Wenn Du 'was hattest, das Dich drückte, sagtest Du's mir – wenn ich 'was hatte, that ich ein Gleiches und sagte es Dir – soll das jetzt anders werden!«

»Nein, Gottfried, nein – es wäre ja furchtbar!« seufzte die Frau und lehnte ihr Haupt an seine Brust; aber ihre Thränen fielen stärker.

»Na, also dann heraus mit der Sprache, Mutter,« lachte Baumann; »es drückt Dich 'was – ich seh's Dir an, und wenn ich der Sache nur erst einmal auf den Grund komme, wollen wir auch schon Rath schaffen.«

»Ja, aber was soll ich Dir denn sagen?« klagte die Frau; »ich weiß es ja selber nicht. Nur so ein dumpfes Gefühl liegt mir auf dem Herzen.«

»Hm,« brummte der Schlossermeister, »das ist genau so wie damals, als wir noch nicht lange verheirathet waren und bald nach der Geburt des einen Jungen – war's der Fritz oder Karl? – da machtest Du dieselben Geschichten, und wie lange dauerte das, und wie hab' ich mich damals gesorgt, und nachher war's doch nichts. Nach und nach wurde es besser, und alle Deine Ahnungen, wie Du's damals auch nanntest, fielen in den Sand.«

Die Frau nickte leise mit dem Kopf, und Baumann fuhr nach einer Weile fort:

»Aber ich weiß schon, wo das herkommt. Deine Schwester, die Heßberger, hat die ganze Zeit den Kopf voll solcher Schrullen, und mit ihrem Kartenlegen und Prophezeien bildet sie sich am Ende selber ein, daß sie 'was wüßte; und ein Wunder wär's nicht, wenn sie so viele Gänse findet, die's ihr glauben – und die hat Dich angesteckt. Mit all' ihren überirdischen Ideen und Einbildungen macht sie die Leute rein verrückt, und wenn man die ganze Geschichte bei Lichte besieht, so ist's nichts als Schwindel und blauer Dunst. Mir ist die Verwandtschaft auch schon lange leid, und ich war froh, daß Ihr nicht mehr zusammenkamt; heute Nachmittag war sie aber wieder ein paar Stunden da, und von der hast Du Dich auch nur beschwatzen lassen.«

»Ach, Gottfried, Du magst einmal die Schwester nicht leiden, und sie hat's doch so gut mit mir gemeint!«

»Das ist möglich,« sagte der Schlossermeister kopfschüttelnd, »aber wenn's wirklich so ist, jedenfalls verkehrt angefangen. Mit ihren verdammten Schrullen sollte sie zu Hause bleiben, und der – na, ich will Dir nicht weh thun, Alte, aber unser Schwager – wenn ich den verfluchten Kerl mit seinem »Gelobt sei Jesus Christus« nur sehe, wird mir schon steinübel.«

»Es ist ein seelensguter Mensch,« sagte die Frau, »und er thut meiner Schwester, was er ihr an den Augen absehen kann; er hat freilich seine Eigenheiten, und mir wär's auch lieber, wenn er nicht so viel in die Kirche ginge und den lieben Gott immer im Munde hätte. Aber es ist einmal seine schwache Seite, und wenn er sonst brav und fleißig ist, so haben wir doch gewiß keine Ursache, uns über ihn zu beklagen.«

»Meinetwegen,« brummte der Schlossermeister, »ich habe nichts dagegen; wenn Deine Schwester mit ihm auskommt, mir kann's ja recht sein. Aber mein Mann wär's nicht, und ich weiß auch, daß er mich nicht leiden kann – was ich ihm eben nicht besonders verdenke, denn viel freundliche Worte hat er von mir noch nicht gehört.«

»Du thust ihm gewiß Unrecht, Gottfried.«

»Ich will's ihm wünschen,« brummte der Mann – »aber wir sind ganz von dem abgekommen, was ich Dich vorhin fragte. Also Du kannst mir nicht sagen, was Dir auf dem Herzen liegt, Mutter? Du hast zu mir kein Vertrauen?«

»Kein Vertrauen zu Dir, Gottfried?« sagte die Frau herzlich. »Weiß ich denn nicht in den langen, langen Jahren, wie gut und treu und ehrlich Du es mit mir meinst, und hab' ich je Ursache zu einer Klage gegen Dich gehabt? Ach, Gottfried, Du bist der beste Mann, den es auf der Welt nur geben kann, und Alles, was mich niederdrückt und manchmal so weh und traurig stimmt, ist nur das Gefühl – nie solch ein Glück verdient zu haben.«

»Unsinn,« sagte der Schlossermeister halb verlegen; »Du redest gerade, Alte, als ob Du in mich verliebt wärst und mich zum Mann haben wolltest. Ein Glück, daß Niemand da ist, der uns hört; er müßte sonst Wunder glauben, was Du an mir hättest. Aber das weiß ich denn doch besser...«

Er horchte auf, denn draußen am Laden wurde gepocht. Die Werkstätte war schon verschlossen, und durch die in die Fensterläden eingeschnittenen herzförmigen Löcher konnte man von außen sehen, daß noch Licht im Zimmer war.

»Holla,« sagte der alte Baumann, »kommt da noch Besuch? Wer ist da?«

»Ich bin's, Meisterchen,« antwortete eine feine Stimme; »machen Sie nur einmal auf.«

»Ja, ich bin's, das kann ein Jeder sagen,« brummte der Schlosser.

»Das muß die Volkert, des Schneiders Frau, sein – unsere Nachbarin,« sagte die Mutter.

»Sind Sie das, Frau Volkert?«

»Ja, Meisterchen; ich habe Ihnen eine wichtige Neuigkeit zu bringen.«

»Das wird 'was Gescheidtes sein, was die alte Schwatzliese noch zu nachtschlafender Zeit hinüber jagt,« brummte Baumann leise vor sich hin, und setzte dann lauter hinzu: »Na, gehen Sie nur herum an die Werkstätte; ich mache auf.«

Damit verließ er kopfschüttelnd das Zimmer und hob die Barre zurück, die als einziger Verschluß vor der Werkstätte lag. Kaum aber war die Thür weit genug geöffnet, um einem menschlichen Wesen Zutritt zu gestatten, als ein kleines, schmächtiges Frauchen, ohne Crinoline, ohne Hut oder Haube auf, ohne Ueberrock, ohne Schuhe und Strümpfe, nur einfach im Unterrocke, als ob sie eben aus dem Bette aufgesprungen wäre, und ein altes, grün und roth carrirtes Tuch umgebunden, in die Thür hereinschlüpfte und sagte: »Ach, Meisterchen, ist denn das Fritzchen wohl zu Hause?«

»Und deshalb klopfen Sie uns heraus, um das zu erfragen?« sagte Baumann eben nicht besonders freundlich. »Warum gehen Sie nicht hinüber, wo er wohnt?«

»Ach, Meisterchen,« sagte die kleine Frau, »ich bin ja nur so von Hause fortgelaufen! Eben wollten wir uns in's Bettchen legen, denken Sie, da kommt das Fränzchen von Homeiers an's Fensterchen und klopft und ruft: He, Meisterchen, wißt Ihr schon, daß sie das alte Salomonchen in der Judengasse todtgeschlagen und das ganze Lädchen ausgeräumt und das eiserne Geldkistchen weggeschleppt haben?«

»Den alten Salomon?« rief Baumann, stutzig gemacht. »Den Henker auch, Fritz hat ihm ja noch heute Abend vor oder mit Dunkelwerden eine Arbeit hingetragen!«

»Na ja, Meisterchen, das Fritzchen soll ihn ja auch todtgeschlagen haben, und zwei Polizeidienerchen haben ihn fortgebracht. Ach, das Unglück!« schrie die kleine Frau und fing bitterlich an zu weinen.

»Was ist das?« rief Frau Baumann, erschreckt aus der Stube herausstürzend. »Was ist mit dem Fritz?«

»Ich weiß nicht,« sagte der alte Baumann, indem er sich mit der Hand an den Kopf faßte, »bin ich verrückt, oder ist die Meisterin verrückt – der Fritz soll den alten Salomon erschlagen – aber Unsinn – es ist zu dumm, wie man auch nur einen Augenblick so 'was denken kann – hahahaha, und da kommt die Meisterin im Unterrock und mit bloßen Füßen mitten in der Nacht herübergestürzt! Sie haben jedenfalls geträumt, Frau Volkert!«

»Ach Du liebes Gottchen,« winselte die Frau, »ich wollte, es wäre so! Aber das Fränzchen hat selber gesehen, daß sie das Fritzchen, mit den Händchen auf den Rücken gebunden, in die Polizei gebracht haben, und das eine Polizeidienerchen sagte, er hätte das Salomonchen umgebracht.«

»Wo willst Du hin, Gottfried?« rief seine Frau erschreckt, als er in die Stube ging und dort seinen Rock vom Nagel nahm.

»Zum Fritz hinüber, Alte, und sehen, ob er zu Hause ist, und wenn er nicht da ist, auf die Polizei; ich werde sonst verrückt, wenn ich mich mit dem Unsinn im Kopf die Nacht schlafen legen soll.«

Die Frau erwiederte nichts; stumm und schweigend stand sie mit gefalteten Händen und starrte vor sich auf den Boden nieder. Baumann aber, der nicht mit Unrecht fürchtete, daß des Schneiders Frau, wenn sie allein hier blieb, noch ein Unheil mit ihrer Zunge anrichten könne, sagte, gegen diese gewandt: »Und Sie kommen mit, Meisterin; Sie können sich ja auch auf den Tod in Ihren dünnen Kleidern erkälten, denn die Nächte werden schon frisch. Das ist jedenfalls ein leeres Geschwätz von dem Franz, und wir wollen der Sache bald auf den Grund kommen.«

»Ach Gott, ja, Meisterchen,« sagte die Frau, »Sie haben recht; mein altes Rheumatismuschen plagt mich so immer. Na, gute Nacht, Frau Baumann! Machen Sie sich nur keine Sorge – ach, Du liebes Himmelchen, mir ist der Schreck ordentlich in die Gliederchen gefahren!«

Und damit schlüpfte sie wieder wie ein Aal, und auch nicht viel breiter, zu der Thür hinaus, die der Meister für sie offenhielt.

Baumann verließ sie aber nicht, bis er sich erst fest überzeugt hatte, daß sie wirklich wieder nach Hause zurückgekehrt sei; dann erst wandte er sich und schritt zu der nicht fernen Wohnung seines Sohnes hinüber. Fritz war aber in der That noch nicht zu Hause, und jetzt wirklich beunruhigt, ging er direct auf die Polizei. Es fiel ihm allerdings nicht im Traum ein, auch nur ein Wort von dem zu glauben, was das alte Weib geschwatzt, denn daß sein Fritz keinen Menschen – noch dazu einen alten, schwachen Mann – umbringen würde, wußte er gut genug; aber er wollte sich wenigstens die Gewißheit holen, daß es eine Lüge gewesen, und dann der Schneidersfrau morgen früh schon seine Meinung sagen. Das hatte auch noch gefehlt, daß sie der Kathrine heute Abend solch einen Schreck in die Glieder jagte!

Auf der Polizei fand er nur die gerade die Wache habenden Diener der Gerechtigkeit, und er erschrak allerdings, als diese ihm bestätigten, daß der alte Jude Salomon heute Abend mit einbrechender Dunkelheit – eigentlich noch in der Dämmerung – überfallen und erschlagen sei; auch ein des Mordes verdächtiger Mann sei verhaftet worden; wie der aber hieß, konnten sie nicht sagen. Sie hatten seinen Namen nicht gehört und waren nicht da gewesen, als er eingebracht wurde.

Baumann verlangte jetzt ihn zu sehen; aber das ging natürlich nicht an. Erstlich durfte überhaupt Niemand zu ihm, bis es der Untersuchungsrichter erlaubte, und dann wäre es auch jetzt zu spät gewesen. Um zehn Uhr Nachts konnte man keinen Besuch mehr zu einem Gefangenen lassen.

Aber wenn sie sich nur wenigstens erkundigen wollten, wie er hieß und wer er sei.

Das ginge auch nicht – sie dürften hier nicht von ihrem Posten, um gleich bei der Hand zu sein, wenn etwas vorfiele, und der Gefängnißwärter schliefe schon lange. Der revidire seine Zellen regelmäßig jeden Abend um neun Uhr und läge mit dem Schlage halb zehn Uhr im Bett. Er solle morgen früh wieder vorkommen, dann könne er den Namen erfahren.

Der arme Baumann ging wie in einem Traum nach Hause. Der alte Salomon war in der Dämmerung ermordet worden, wie die Leute bestätigten, und das genau um die Zeit, in welcher Fritz bei ihm gewesen sein mußte. Daß er die That nicht verübt, verstand sich von selbst – aber welch unglückseliger Zufall hatte hier gewirkt!

Er ging noch einmal bei Fritzens Wohnung vor; doch das Haus war jetzt verschlossen, oben bei ihm aber auch kein Licht – er konnte noch nicht zurück sein – und jetzt daheim – welche Sorge würde sich wieder die Frau machen, und war das am Ende die Ahnung, die sie den ganzen Tag gequält hatte? Jedenfalls würde sie es sich einreden. Das verdammte alte Weib, daß die auch noch in der Nacht mit ihrer Hiobspost herüberkommen mußte!

Er bekam auch in der That einen schweren Stand mit seiner Frau, denn diese war so außer sich, daß sie sich selber nur immer anklagte, als ob sie an dem Allen schuld sei. Sie war furchtbar aufgeregt, und Baumann dankte seinem Gott, als er sie endlich dazu brachte, zu Bett zu gehen. Der nächste Morgen fand sie dann ruhiger und mußte ihnen ja überdies auch Gewißheit des Geschehenen bringen. Das Uebrige fand sich Alles von selber.

Der Staatsanwalt Witte war, als er Salomon's Haus verließ, noch ein Stück Weges mit seinen beiden Begleitern zusammen gegangen; dann bog er ab, seiner eigenen Wohnung zu, und schritt sehr nachdenkend und in eben nicht besonders freudiger Stimmung weiter. Es war auch in der That Manches, was ihm durch den Kopf ging, und er überlegte sich dabei hauptsächlich, ob es wohl der Mühe verlohnt hätte, daß er sich mit solchem Eifer der Sache der Frau Müller angenommen. Was ging ihn der Major oder der Rath Frühbach an und die Familie Wendelsheim? Er nickte, während er ging, immer still und nachdenkend vor sich hin; aber nicht etwa als Bestätigung eines früher gefaßten Verdachtes, sondern nur im Geist die verschiedenen übereinstimmenden Punkte der neu gemachten Entdeckung constatirend.

So erreichte er sein Haus, wo ihn die Familie zum Thee erwartete, denn mit der heutigen Expedition von Briefen war es zu spät geworden, und die Schreiber hatten auch schon lange das Büreau geschlossen und den Schlüssel drüben bei der Frau Staatsanwalt abgeliefert.

Er legte draußen Hut und Stock ab und betrat das Zimmer; aber die Frau Staatsanwalt konnte ihr Erstaunen über sein spätes Kommen nicht unterdrücken, denn es gab eigentlich kaum einen pünktlicheren Mann auf der ganzen Welt, als ihren Gatten.

»Liebes Herz,« sagte dieser auf ihre deshalb gemachte Bemerkung, »ich wäre pünktlich gekommen, wenn mich nicht ein ganz außergewöhnlicher Fall abgehalten hätte. Ich passirte ein Haus, in dem unmittelbar vorher ein Raubmord verübt worden, und mußte der Untersuchung mit beiwohnen.«

»Ein Raubmord – bei wem?« riefen beide Damen zugleich aus.

»Ihr kennt die Leute nicht, Kinder; in der Judengasse beim alten Salomon. Der Mann ist erschlagen und jedenfalls beraubt worden.«

»Das ist ja entsetzlich! Und hat man die Mörder gefaßt?«

»Man hat allerdings Jemanden gefaßt und abgeführt, aber vor der Hand nur auf einen Verdacht hin – einen Bekannten von uns, den jungen Fritz Baumann.«

»Den Fritz Baumann? Das habe ich mir gedacht,« rief die Frau Staatsanwalt, mit der rechten Hand in ihre Linke schlagend, »daß der noch einmal zu solch einem Ende kommen würde. Das war vorauszusehen, denn die Unverschämtheit, die der Mensch hat....«

»O Du großer Gott,« sagte Ottilie, »das wäre ja schrecklich – die armen Eltern!«

»Hm,« brummte der Staatsanwalt, »ich hatte mir vorgenommen, bei dem alten Baumann einzusprechen, habe es aber unterwegs schändlich vergessen. Nun, eine unangenehme Nachricht erfährt man nie zu spät.«

»Also der hat ihn todtgeschlagen?« fragte die Frau weiter, die eine grimme Genugthuung darin fühlte, den Menschen gedemüthigt und bestraft zu sehen, der es gewagt hatte, zu ihrer Tochter den Blick zu erheben.

»Liebe Therese, Du urtheilst viel zu rasch,« entgegnete Witte; »ich habe Dir gesagt, daß er nur auf einen Verdacht hin eingezogen ist, weil er dort betroffen wurde und Blut an den Kleidern hatte. Das Alles erklärt sich aber vielleicht sehr natürlich, und ich persönlich glaube auch nicht einmal an seine Schuld.«

»Der hat's gethan,« rief die Frau Staatsanwalt pathetisch, »der hat es heilig gethan, denn nun er bei uns abgefallen ist – und das wär' ihm gerade ein warmes Nest gewesen, wo er sich hätte hineinsetzen können –, trieb ihn der Ehrgeiz, rasch ein reicher Mann zu werden, um uns zu zeigen, was er könnte, und dazu war ihm kein Mittel zu schlecht; lehr' Du mich Menschen kennen!«

Ottilie schwieg. Was die Mutter sagte, hatte eine Wahrscheinlichkeit für sich, aber widerstrebte doch ihren Gefühlen, es zu glauben. Sie konnte sich nicht die Möglichkeit denken, daß der immer so schüchterne Mensch ein solches Verbrechen begehen mochte; aber im Herzen war sie jetzt doppelt froh, seine Bewerbung zurückgewiesen zu haben, und schon der Gedanke daran ihr entsetzlich.

»Höre, Therese,« sagte der Staatsanwalt mit großer Ruhe, indem er sich am Tisch niederließ und den für ihn eingeschenkten Thee nahm, »auf Deine Menschenkenntniß möchte ich doch nicht zu viel bauen. Was hältst Du zum Beispiel vom Lieutenant von Wendelsheim?«

»Das ist ein durchaus braver, solider Mensch,« sagte die Frau mit Würde, »ehrlich und rechtschaffen, und wenn der einmal käme, statt des hergelaufenen Vagabunden, und um Ottiliens Hand anhielte, mit Freuden gäbe ich meinen Segen – ein solches Vertrauen setze ich in ihn.«

»Hm – so?« sagte der Staatsanwalt, seinen Thee langsam umrührend und in die Tasse sehend.

Aber Ottilie war aufmerksam geworden: der Vater hatte noch etwas auf dem Herzen, das sah sie ihm an – hing es mit Bruno von Wendelsheim zusammen? Er ließ sie indeß nicht lange in Zweifel.

»Der Herr Lieutenant von Wendelsheim,« sagte er, »war heute Abend ebenfalls zugegen und befand sich merkwürdiger Weise, gerade während der Raubmord im Hause des alten Salomon verübt wurde, oben bei den Damen.«

»Bei welchen Damen?« sagte die Frau Staatsanwalt, hoch aufhorchend.

»Nun, bei den Damen vom Hause, der Frau und Tochter des alten Juden, und ich muß gestehen, daß ich in meinem ganzen Leben kein wirklich schöneres Mädchen gesehen habe, als diese moderne Rebekka ist.«

»Das ist nicht wahr,« sagte die Frau Staatsanwalt mit großer Bestimmtheit »und nur wieder eine von Deinen Erfindungen, um mich zu ärgern.«

»Wenn Du das so bestimmt weißt,« erwiederte Witte, »so brauchen wir auch nichts weiter darüber zu reden. Bitte, Ottilie, reiche mir doch einmal das Brot herüber.«

Der Staatsanwalt machte eine Kunstpause, denn er wußte recht gut, daß es seine Ehehälfte jetzt nicht dabei bewenden ließ; aber das so sehr bestimmt ausgesprochene »Das ist nicht wahr« hatte ihn geärgert, und er wollte sie dafür wenigstens dem Zwang einer neuen Anrede unterwerfen.

Die Frau Staatsanwalt ließ es aber ebenfalls an sich kommen, und da Ottilie natürlich keine Frage in dieser delicaten Angelegenheit wagte, so wurde eine ganze Weile nichts gehört, als das Klappern der Messer und Gabeln und das Klirren der Löffel in den Tassen. Endlich aber hielt es die Frau nicht länger aus – ihr Mann war mit seiner Schweigsamkeit in einer so wichtigen Angelegenheit gerade zum Verzweifeln. Mußte sie denn als Mutter nicht darum wissen?

»Was hatte denn aber der Herr Baron von Wendelsheim in dem Hause des Juden zu thun?« brach sie endlich das Schweigen. »Das ist doch nicht Sache des Militärs, sondern nur der Polizei.«

»Ich glaube auch nicht, daß er in militärischen Angelegenheiten dort vorgesprochen ist,« sagte Witte trocken.

»Und was wollte er sonst da? Witte, Du bist heute in einer Laune, um eine Heilige die Geduld verlieren zu machen!«

»Dann sei so gut und unterbrich mich künftig nicht, wenn ich Dir etwas erzähle, mit Deinem kategorischen »Das ist nicht wahr.« Wenn ich einmal eine Behauptung aufstelle, so kannst Du Dich auch fest darauf verlassen, daß sie wahr ist, und so sage ich Dir denn noch einmal: der Lieutenant von Wendelsheim war während der Katastrophe oben bei den Damen vom Hause, bei der Frau und Tochter des alten Salomon.«

»Aber was, um Gottes willen, hatte er dort zu thun? War er vielleicht aus Versehen in ein falsches Haus gekommen?«

»In der Judengasse? Sehr wahrscheinlich,« nickte ihr Gatte. »Uebrigens kann das nicht das erste Mal gewesen sein, daß er dort »aus Versehen« hinaufgerathen ist, denn er wußte außerordentlich gut Bescheid im Hause und leuchtete den Leuten, die sich dort nicht zurecht zu finden wußten, voran.«

»Der Baron von Wendelsheim?«

»Ist sehr intim in der Familie, die Versicherung kann ich Dir geben, Therese,« sagte der Staatsanwalt ernst, indem er ihr einen bedeutungsvollen Blick zuwarf, »und Deine Menschenkenntniß hat Dich dieses Mal, was etwa andere Voraussetzungen betreffen sollte, wie mir scheint, im Stich gelassen.«

»Und ist die Tochter wirklich so schön?« fragte Ottilie, die einen recht wehen Stich im Herzen fühlte, obgleich sie sich die größte Mühe gab, gleichgültig bei der Frage auszusehen.

»Ich habe nicht übertrieben,« versetzte der Vater. »Sie war allerdings in der Angst und Aufregung des Moments todtenblaß, aber dennoch nehme ich mein Wort nicht zurück: ich habe noch nie in meinem Leben ein so vollkommen schönes und dabei in jeder Bewegung edles Wesen gesehen, als jenes Mädchen.«

»Und das wird es auch gewesen sein, was ihn dort hingeführt hat,« sagte die Mutter, aber doch unruhig auf ihrem Stuhl herumrückend; »das hübsche Gesicht hat ihn angelockt. Aber ein Baron kann doch wahrhaftig im Leben nicht daran denken, ein Judenmädchen zu heirathen.«

Witte warf ihr einen strengen Blick zu. »Liebe Frau,« sagte er mit scharfer Betonung, »sobald Du vermuthest, daß er überhaupt bewogen werden könnte, sein Ahnenschild zu vergessen, so wäre das immer nur ein Schritt weiter. Nach den Verpflichtungen aber, die er, allem Anschein nach, in jener Familie eingegangen ist, hoffe ich, daß er unser Haus nicht mehr betreten wird. Du hast mich doch verstanden, Mutter?«

»Du gehst zu weit, Dietrich,« sagte die Frau unruhig; »man muß doch Jemanden hören, ehe man ihn verurtheilen darf, und Dir brauch' ich das wohl nicht einmal zu sagen.«

»Nein, aber in manchen Dingen genügt es auch, wenn man Jemanden sieht, anstatt ihn zu hören,« sagte der Staatsanwalt, »und ich kann Dir versichern, daß ich nach dem, was ich heute Abend gesehen habe, vollkommen befriedigt bin. Uebrigens ist das Thema kein so angenehmes, um zu lange dabei zu verweilen; ich habe auch noch zu arbeiten. Gute Nacht, Kinder, schlaft wohl! Ihr könnt mir wohl noch eine Flasche frisches Wasser in meine Stube schicken.«

Damit ging er zur Thür hinaus und ließ, seine Frau wenigstens, in einem unsagbaren Zustand von Bestürzung zurück, da ihr in diesem Augenblick eine ganze Colonie von Luftschlössern und Phantasiebauten durch und über einander gepoltert waren.

Der Lieutenant von Wendelsheim – ihr Lieutenant, den sie sich selber, wie sie glaubte, sorgfältig herangezogen, den sie für ihre Tochter ausgesucht und bestimmt, und kein erlaubtes Mittel unversucht gelassen hatte, um ihn heranzuziehen, in der Judenfamilie! Und die Schmach und Schande, wenn sie an die Frau Appellationsgerichtsräthin dachte, die sie zu ihrer Vertrauten in allen Herzensangelegenheiten gemacht, und die Frau konnte nicht schweigen, das wußte sie aus Erfahrung!

Ottilie war aufgestanden und zum Fenster getreten; das Herz schien ihr zum Zerspringen voll, aber sie wagte nicht, ein Wort zu äußern, und an dem Fenster klopfte sie in Gedanken eine Melodie und schlug dann leise mit der rechten Fußspitze den Tact, erschrak aber ordentlich und hörte auf, als ihr einfiel, daß das gerade die letzte Française sei, die sie mit dem Verräther getanzt hatte.

Aber war denn die Sache wirklich so schlimm? Die Frau Staatsanwalt konnte es sich noch nicht denken, aber darüber auch freilich mit der Tochter keine Rücksprache halten. Wer wußte denn, ob er nicht nur ganz flüchtig durch die Schönheit jenes Mädchens geblendet gewesen und gar nicht daran dachte, eine ernste Neigung für sie zu fühlen! Er hatte in der letzten Zeit viel Geld gebraucht – die Erbschaft wurde erst in den nächsten Wochen ausgezahlt; der alte Salomon verlieh aber Geld auf Zinsen, und was war natürlicher, als daß er sich, um den guten Willen des Vaters zu erwerben, ein klein wenig hatte um die Tochter bemühen müssen. Wenn sie nur Jemanden gewußt hätte, der ihr darüber nähere Auskunft geben konnte!

Und der Lieutenant sollte das Haus nicht wieder betreten? Lächerlich! Wer hätte es ihm denn verbieten wollen? Sie gewiß nicht – und ihr Mann? Ja, er gab manchmal, wenn ihn der »Hausherrndünkel« überlief, wie es die Frau Staatsanwalt nannte, solche Befehle; aber ob sie jedesmal ausgeführt wurden, war eine andere Sache. Sie selber erinnerte sich wenigstens zahlreicher Beispiele, wo ganz entschieden befohlene Anordnungen in das genaue Gegentheil umgeschlagen waren. Möglich, daß es auch diesmal der Fall sein konnte.

Anders traf Ottilie die Nachricht; sie war wirklich nicht allein im innersten Herzen, sondern auch in ihrem Stolz und Ehrgeiz verwundet, und selbst die Rückerinnerung an Vergangenes bot ihr keinen Trost. Sie hatte geglaubt, daß Bruno sie liebe; aber sie mußte sich jetzt selber gestehen, daß er ihr nie Gelegenheit geboten habe, es bestimmt zu wissen. Er war immer freundlich und artig gegen sie gewesen – aber nie mehr. Er hatte ihr Schmeicheleien gesagt, ja – aber nicht anders als all die gewöhnlichen schalen Redensarten lauten, mit denen junge Herren nur zu häufig eine Unterhaltung führen. Wenn sie denen aber eine andere Auslegung gegeben, war das nicht ihre Schuld gewesen? Und sie hätte jetzt weinen, bitterlich weinen mögen, wenn sie daran dachte, daß sie nur einen Augenblick den »Falschen« für werth gehalten, ihm mehr zu sein als eine flüchtige Ballbekanntschaft.

Das Thema eignete sich aber heute Abend für beide Theile nicht zur Unterhaltung, und wenn auch Ottilie mit ihrem Urtheil über den Baron von Wendelsheim viel mehr im Klaren war als ihre Mutter, die noch immer nach verschiedenen Seiten hin einen Anhalt suchte, so fühlte sich doch weder Mutter noch Tochter dazu aufgelegt, die Sache augenblicklich weiter zu erörtern.

Ottilie ging noch zum Flügel, phantasirte anfangs etwas schwermüthig, und ging dann wie zum Trotz in Strauß'sche Walzer über. Die Mutter dagegen saß still brütend in einer Ecke, hörte gar nicht auf das Spiel und fing langsam an, die eingestürzten Schlösser wieder aufzubauen.

11.
Rath Frühbach.

Am nächsten Morgen war der alte Schlossermeister schon vor Tagesanbruch auf den Füßen; er hatte keine Ruhe, und die Minuten wuchsen ihm zu Stunden, bis er hinaus und den »verlorenen Sohn« aufsuchen konnte. Mit fabelhafter Schnelle hatte sich aber indessen das Gerücht über den Raubanfall auf den alten Salomon und den vermeintlichen Mörder in der Stadt verbreitet, und schon als Baumann vorher noch einmal nach seines Sohnes Wohnung ging, in der kaum gewagten Hoffnung, ihn dort anzutreffen, begegnete er Leuten in der Straße, die ihn zu trösten versuchten und meinten, der alte Jude habe sich gewiß ungebührlich gegen den jungen, heißblütigen Mann gezeigt und dieser ihn nur im Jähzorn verwundet.

Er durfte nicht mehr an der Wahrheit des furchtbaren Gerüchts zweifeln, noch dazu, da er auch in dem Hause die Gewißheit bekam, daß Fritz gestern Abend nicht heimgekehrt sei und auswärts geschlafen haben müsse; dort wußten sie nämlich noch nichts von dem verübten Mord und dessen Folgen.

Mit flüchtigen Schritten eilte er jetzt zum Polizeigebäude, wo die in Untersuchungshaft befindlichen Verbrecher saßen. Er hörte hier allerdings die Bestätigung, daß Friedrich Baumann, Mechanikus aus Alburg, gestern Abend gefänglich eingebracht sei, wurde aber ganz kurz und bündig abgewiesen, als er nur die Bitte aussprach, den Sohn zu sehen und zu sprechen. Darüber hatte der Untersuchungsrichter zu bestimmen, der keinesfalls vor zehn Uhr kam; aber selbst dann, wie der Gefängnißwärter meinte, solle er sich keine Hoffnung machen, eine derartige Erlaubniß zu bekommen, bis nicht wenigstens der Angeklagte bekannt hätte. Nachher, jawohl, würde es keine weiteren Schwierigkeiten haben, und er möge sich dann wieder melden.

Der Schlossermeister lief jetzt in seiner Verzweiflung zu des alten Salomon Haus, um dort vielleicht etwas Näheres zu erfahren; aber auch dort wurde er nicht einmal eingelassen, denn die Thür war mit Polizei besetzt, da gerade eine besonders dazu gewählte Commission den gestern versiegelten Laden untersuchte, um vielleicht noch weitere Spuren aufzufinden. Ja, als er selbst seinen Namen nannte und sagte, er sei der Vater des jungen Mannes, gegen den ein so furchtbarer Verdacht vorliege, meinte der eine Polizeidiener, dann solle er nur ein klein wenig Geduld haben, denn in dem Falle könne er sich fest darauf verlassen, daß er schon selber vorgeladen würde, um über das frühere Leben des Verhafteten Aufklärung zu geben.

Ein letzter Versuch, den er machte, war beim Staatsanwalt Witte, denn er hatte zufällig gehört, daß dieser gestern Abend mit in der Wohnung des Ermordeten gewesen sei; aber er traf ihn nicht mehr zu Hause, er war selber früh aus- und seinen Geschäften nachgegangen.

Ganz gebrochen kehrte der alte Mann in seine eigene Heimath zurück, und wenig genug Trost fand er dort. Seine Frau fiel ihm, als er nur die Werkstätte betrat, um den Hals und schluchzte laut; die kleine Else weinte, weil sie die Mutter weinen sah, und Karl, sein zweiter Sohn, stand verdrossen bei der Arbeit. Drei, vier verschiedene Leute waren aber auch schon wieder dagewesen und hatten alle von der Schreckensgeschichte gesprochen und Näheres darüber natürlich in Baumann's eigenem Haus erfahren wollen, und wie das die Mutter aufregen mußte, ließ sich denken.

So verging der ganze Tag und die Nacht und der nächste Tag. Der Gefangene hatte indessen zwei Verhöre zu bestehen, war aber auf das bestimmteste bei seiner ersten Aussage, von welcher er durch keine Kreuzfragen abgebracht werden konnte, geblieben. Dann wurde auch sein Vater vorgefordert, aber nicht mit dem Sohn confrontirt. Man wollte nur hören, ob, was er über des jungen Mannes Weg zum alten Salomon aussagte, mit dem übereinstimme, was der Gefangene angegeben, und das war allerdings genau der Fall. Zeit wie Angabe trafen mit der Aussage überein, und daß mehrere Bewohner der Judengasse erklärten, ihn in der Dämmerung gesehen zu haben, wie er mehr gelaufen als gegangen sei und etwas unter dem Arm getragen habe, sprach eben so wenig gegen ihn, denn er leugnete das gar nicht ab und erklärte es einfach dadurch, daß er gefürchtet habe, den Laden des alten Mannes schon verschlossen zu finden.

Auch das Alarmiren der Hausbewohner durch Anklopfen und Hülferufen konnte auf keinen Andern zurückgeführt werden, als auf ihn selber, und hatte er das wirklich gethan, so war es natürlich nicht wahrscheinlich, daß er nach eben verübtem Verbrechen selber Lärm machen und die Verfolger auf seine Fährte hetzen würde.

Nichtsdestoweniger zögerte man noch immer, ihn zu entlassen, denn die Polizei gesteht nur sehr ungern und im äußersten Nothfall zu, daß sie einen Mißgriff gemacht. Irgend Jemanden mußten sie ja doch auch einstecken, und er war der einzig Verdächtige, den sie finden konnten. Jedenfalls beschloß der die Untersuchung führende Assessor, den Angeklagten so lange in Haft zu halten, bis sich Salomon wieder so weit erholt habe, um selber eine Aussage zu machen – möglich ja doch, daß er den kannte, der ihn angegriffen, und der alte Mann schien sich wirklich zu erholen, wenn man auch in der Stadt nichts davon erfuhr.

Witte's Rath war nämlich streng befolgt und das Gerücht absichtlich verbreitet und unterhalten worden, der Ueberfallene, der allerdings noch immer in Lebensgefahr schwebte und selbst noch in den ersten vierundzwanzig Stunden ohne Besinnung blieb, sei seinen Wunden erlegen. In seiner eigenen Wohnung aber wurde er indessen mit der größten Liebe und Sorgfalt gepflegt; Rebekka besonders wich Tag und Nacht nicht von seinem Lager.

Die Polizei hielt allerdings die strengsten und sorgfältigsten Nachforschungen nach allen Richtungen hin, um nur irgendwo eine andere Spur zu finden, der sie folgen könne – freilich ohne das geringste Resultat. Wenn der Gefangene die That wirklich nicht vollbracht hatte – und der Untersuchungsrichter zweifelte jetzt selber daran –, so schien sich der wirkliche Thäter dem strafenden Arm der Gerechtigkeit so schlau entzogen zu haben, daß sein Auffinden von Tag zu Tag schwerer und unwahrscheinlicher wurde; denn wie rasch konnte er bei der Leichtigkeit der Verbindungen Stadt und Land verlassen, und hatte das möglicher Weise auch vielleicht schon lange gethan. Was half es, daß fortwährend zwei Polizeibeamte am Bahnhofe stationirt blieben und alle Reisenden scharf musterten – jeden ausgehenden Koffer konnte man doch nicht visitiren und am Gesichte auch nicht so leicht einem Menschen ansehen, ob er ein Verbrechen begangen habe oder nicht – es liefen sonst nicht so viele Missethäter frei umher!

Auch Rath Frühbach entwickelte in dieser Zeit eine ganz besondere, wenn auch negative Art von Thätigkeit. Er lief nämlich von Morgens früh bis Abends spät auf der Straße herum und hielt Unglückliche, denen er begegnete, von ihren Geschäften ab, indem er ihnen Criminalgeschichten aus Schwerin erzählte, die mit der jetzigen in sofern Aehnlichkeit hatten, als sie sämmtlich ohne Resultat blieben. Leider aber kam er nur selten über die Einleitung hinaus, denn er war schon in der Stadt bekannt geworden, und wer irgend konnte, wich ihm aus. Ja, unter den Händen brachen sie ihm manchmal aus und ließen ihn mitten in einer Erzählung stehen, deren Pointe er gewöhnlich selbst nicht wußte, und deren Anfang er vergessen hatte.

Dadurch wurde seine Laune aber nicht gebessert; er fing an, die Menschen in seinem Herzen des Undanks zu beschuldigen und sich ähnlicher Fälle aus Schwerin zu erinnern, und war froh, als es endlich Mittag wurde, daß er nun doch nach Hause gehen, essen und sich darauf wie gewöhnlich schlafen legen konnte. Er versäumte auch nichts, wenn er schlief, und andere Menschen gewannen Zeit, also war es ein doppelter Vortheil, den er erzielte. Leider sollte er aber selbst in seiner Behausung heute keine Ruhe finden.

»Männi,« sagte die Frau Räthin, als er in's Zimmer trat und sich, wie immer in Transspiration, die Stirn abwischte, »der Schneider war wieder da, um das Zeug abzuholen, wovon Du Dir die neuen Beinkleider machen lassen wolltest – ich habe es aber nicht finden können; gieb es doch heraus.«

»Das Zeug?« sagte der Rath, indem er verwundert mitten in der Stube stehen blieb. »Aber, mein liebes Herz, das habe ich Dir ja schon vorgestern Morgen draußen in den Vorsaal gelegt und Dich dringend gebeten, es augenblicklich fortzuschaffen, da ich so abgerissen bin, daß ich mich kaum noch auf der Straße sehen lassen kann! Die Leute weichen mir überall aus.«

»Ja, ich erinnere mich wohl, Männi,« sagte seine Frau zärtlich, »daß Du mir das gesagt hast; aber wie Du fort warst, konnt' ich es nirgends finden, und nachher kam die schreckliche Geschichte mit dem alten Salomon dazwischen, und ich habe gar nicht wieder daran gedacht.«

»Dann liegt es am Ende jetzt noch draußen?«

»Nein, gewiß nicht; die Henriette und ich sind überall herumgekrochen, aber es ist nirgends zu finden. Du hast es gewiß wieder in Gedanken eingeschlossen, Männi – Du bist manchmal so zerstreut.«

»Ja, lieber Schatz,« sagte der Rath, der sich doch nicht ganz sicher fühlte, »möglich wäre es allerdings, denn ich habe jetzt so viel zu denken, daß ich oft selber nicht weiß, wo mir der Kopf steht. Die Leute hier in Alburg sind furchtbar weit in der Cultur zurück; es ist merkwürdig, sie wissen sich gar nicht zu helfen, und alle Augenblicke werde ich bald von der, bald von jener Seite um Rath gefragt.«

»So sieh' nur einmal nach, Männi, und nachher kann es die Henriette gleich hinübertragen, daß er es schnell macht.«

»Ja wohl, mein Täubchen,« erwiederte Frühbach, indem er den Schlüssel aus einer seiner Taschen herausarbeitete und erst die oberste, dann die zweite und dritte und vierte Schublade aufschloß, um das gesuchte Stück Zeug zu finden – aber es war nicht da. Er war niedergekniet und hatte jetzt einige Mühe, sich wieder aufzurichten, schüttelte aber dabei ununterbrochen mit dem Kopf und ging, aber mit nicht besserem Erfolg, an seinen Kleiderschrank, an den Schreibtisch, an eine andere Commode, kurz überallhin, wo sich ein solches Stück Tuch möglicher Weise hätte aufbewahren lassen – aber immer umsonst.

Die Henriette meldete, daß das Essen aufgetragen wäre und kalt und der unvermeidliche Aepfelwein warm würde – umsonst. Der Rath Frühbach suchte an den unmöglichsten Plätzen, die man gar nicht einmal alle nennen kann, nach seinem Stück Hosenzeug und kam zuletzt, aber auch erst ganz zuletzt, zu der Schlußfolgerung, daß es entweder verschwunden oder gestohlen sein müsse.

Mit der Ueberzeugung setzte er sich zu Tisch, und daß ihm dabei kein Bissen und kein Trunk schmeckte, läßt sich denken. Auch von dem Nachmittagsschlaf sah er ab, denn das Hosenzeug, groß carrirt, mit rothen, blauen und grünen Streifen, hatte drei Thaler zwanzig Groschen gekostet und war nicht so leicht aufzugeben. Jedenfalls mußte augenblicklich die Anzeige auf der Polizei gemacht werden, um dem Dieb wo möglich auf die Spur zu kommen.

Bei Tisch stellte der Rath aber noch eine genaue Untersuchung an, um zu erfahren, wer in den letzten Tagen bei ihnen gewesen wäre, und ob vielleicht auf eine oder die andere Person ein Verdacht fallen konnte – aber, Du lieber Gott, wie war es möglich, sich noch auf all' die Leute zu erinnern, die in solch einer Wirthschaft ein und aus gingen! Der Schneider war dagewesen und der Schuster, Leute, die Rechnungen brachten, der Briefträger, Bettler, die noch nicht wußten, daß in der ersten Etage nichts gegeben wurde, die Chorknaben, die Apfelsinen- und Bücklingsfrau und eine wahre Unzahl von Obst- und Gemüseweibern – es wäre ein hoffnungsloses Unternehmen gewesen, zwischen denen nach einer Spur zu suchen. Aber das war auch, wie er mit Bestimmtheit erklärte, gar nicht seine Sache, sondern die der Polizei, und ihm blieb deshalb nichts übrig, als eben nur die einfache Anzeige zu machen. Sein Hosenzeug mußte ihm die Sicherheitsbehörde wiederschaffen, denn dafür zahlte er sein Schutzgeld und seine Steuern.

Frühbach war wirklich in einer verzweifelten Stimmung; noch während des Essens tanzten ihm fortwährend die roth-blauen und grünen Carrés seines Hosenstoffes vor den Augen umher, und er konnte die Zeit kaum erwarten, wo er dem Actuar oben auf der Polizei erzählen durfte, daß er sich auf einen ganz ähnlichen Fall in Schwerin besinne, wo ihm ebenfalls noch ganz neues Leder zu einem Paar Stiefel, das er sich besonders zu diesem Zweck aus Rußland hatte kommen lassen, gestohlen worden sei. Er machte denn auch augenblicklich die Anzeige, und es wurden vier oder fünf Menschen, die nichts davon wußten, darüber vernommen. Nachher war er abgereist, aber sein Stiefelleder sollte er noch heute wiederbekommen.

Das Alles schadete aber nichts, die Anzeige mußte gemacht werden, das war er sich und seinen Mitmenschen schuldig. Die Unsicherheit in der Stadt nahm ja auch wirklich einen so bedenklichen Charakter an, daß man seines eigenen Lebens nicht mehr sicher war: Einbruch mit Todtschlag, Raub, Diebstahl in der eigenen, durch eine Vorsaalthür verschlossenen und mit einer Klingel versehenen Wohnung – das streifte schon an die Grenze des Unerhörten, und er nahm sich deshalb auch wirklich kaum Zeit, nach dem Essen eine Tasse Kaffee zu trinken, als er schon wieder seufzend zu Hut und Stock griff und hinaus auf die Straße eilte.

Daß Einen auch die Menschen nicht in Ruhe ließen! Legte er wohl je irgend Jemandem etwas in den Weg? War er nicht freundlich und gutmüthig mit Allen, ja, opferte er ihnen nicht oft aus reiner Gefälligkeit seine Zeit? Und das war sein Dank – Hosenzeug stehlen, was er noch nicht einmal bezahlt hatte!

In der Entrüstung dieses Bewußtseins beschleunigte er seine Schritte und schlug den geraden Weg nach dem Polizeigebäude ein, als er plötzlich einen kleinen, etwas corpulenten Mann vor sich hergehen sah, der – er nahm schnell die Brille ab und wischte sie aus, denn er glaubte, daß er sich geirrt haben müsse; das Muster des Hosenzeuges war ihm die ganze Zeit so vor den Augen herumgeschwebt, daß er es jetzt wahrscheinlich an allen ihm begegnenden Menschen entdeckte – aber nein, beim Himmel! der Mann da vor ihm trug, so wahr er lebte, seine Hosen, und Glück oder Zufall – es war ihm jetzt ganz gleichgültig – hatten ihn auf die rechte Spur geführt, oder ihm vielmehr den Uebelthäter gleich in die Hände geliefert.

Einige Schwierigkeiten hatte es allerdings noch, bis er den »Räuber seines Eigenthums« einholen konnte, denn er schritt genau so rasch aus, wie er selber – sollte er ihn vielleicht schon erkannt haben und jetzt absichtlich ihm aus dem Wege zu schlüpfen suchen? Aber das gelang ihm nicht: Frühbach war entschlossen, ihn nicht aus den Augen zu verlieren; und wenn er noch mehr schwitzte, als er jetzt schon that, der kam ihm nicht mehr aus.

So waren sie etwa zwei Straßen in einem gelinden Sturmschritt hinabgelaufen, Frühbach immer etwa zwanzig Schritt hinter seiner Beute, ohne im Stand zu sein, etwas an ihm zu gewinnen, als der vor ihm Gehende plötzlich vor einem Schuhladen stehen blieb und das ausgestellte Schuhwerk im Fenster betrachtete. In wenigen Secunden war der Rath an seiner Seite und erkannte jetzt ebenfalls zu seinem unbegrenzten Erstaunen in dem Träger seiner Hosen, wie er meinte, den Schuhmacher Heßberger, der auch für ihn arbeitete und gerade in der letzten Zeit öfter in seinem Hause gewesen war.

»Hallo, Meister,« sagte der Rath, wirklich auf's äußerste überrascht, indem er neben ihm stehen blieb und ihn betrachtete, als ob er eben aus dem Mond heruntergestiegen wäre, »wo kommen Sie denn her?«

»Ich? – Ach, schönsten guten Morgen, Herr Geheimer Rath! Hätte Sie beinah' nicht erkannt! Herr Du meine Güte, schwitzen Sie – tragen aber auch noch so einen dicken, warmen Sirtut bis obenhin zugeknöpft – wo ich herkomme? Von zu Haus. Ich bin ja nicht verreist gewesen. Hatte ja noch gestern die Ehre, Frau Geheime Räthin ein Paar Negluschehschuhe zu bringen – passen doch hoffentlich, wenn ich fragen darf?«

Der Rath wußte nicht gleich, wie er die Sache anfangen solle, um den nichtswürdigen Schuhmacher zu einem Geständniß zu bringen. Er hatte allerdings im ersten Moment Lust, es ihm auf den Kopf zuzusagen; aber die bittere Erfahrung, die er damit in Vollmers gemacht, schien ihn doch ein wenig eingeschüchtert zu haben. Er getraute sich nicht damit heraus und begann nun hintenherum die Sache auf eine schlaue Weise anzufangen, was allerdings seine schwache Seite war.

»Ja wohl, Herr Heßberger,« sagte er deshalb vor der Hand auf die Frage, die er nicht einmal recht verstanden hatte, »von Herzen gern – aber – wenn Sie mir erlauben – Sie tragen da ein Paar famose Beinkleider, prächtiges Muster – so ein Paar habe ich mir eigentlich längst gewünscht. Sind die hier gekauft?«

»Sehr schmeichelbar, Herr Geheimer Rath, wenn sie Ihnen gefallen,« sagte Heßberger mit selbstgefälliger Miene – »eigener Guh – selber ausgesucht. Wissen Sie, Unsereiner, der nur für die Mode arbeitet, muß doch auch ein bischen passé darin bleiben.«

»Ja wohl, Herr Heßberger, gewiß,« sagte Frühbach, der aber geglaubt hatte, den Schuhmacher durch diese Frage in Verlegenheit zu bringen, und sich darin vollkommen getäuscht sah. Heßberger war unbefangen wie ein neugeborenes Kind, der Rath aber nicht der Mann, sich so leicht abschütteln zu lassen, und er inquirirte deshalb unverdrossen weiter, wenn auch wieder auf einem Umweg.

»Möchte mir wohl auch so ein Paar Hosen kaufen – ganz famoser Stoff – erlauben Sie, wohl Wolle, wie?«

»Halb und halb, denk' ich,« sagte Heßberger, durch das seinem Kleidungsstück gespendete Lob ordentlich geschmeichelt – »etwas Baumwolle mank. Eigentlich trage ich nicht so theure Kleider, aber man kann doch nicht gut wie Preti und Kleti herumlaufen.«

»Und wo haben Sie dieselben gekauft, wenn ich fragen darf?« sagte Frühbach, denn er merkte wohl, daß er auf Umwegen nicht in einer Stunde zum Ziel gekommen wäre.

»Das Zeug? Hier gleich um die Ecke, Herr Geheimer Rath, beim Kaufmann Magnus – hat immer die besten Stoffe, und ich kaufe Alles dort, was ich für Damenschuhe brauche.«

Das war wieder ein Strich durch Frühbach's Rechnung, denn er hatte erwartet, daß Heßberger jetzt einen ganz entfernten Ort, vielleicht sogar eine andere Stadt als Kaufplatz angeben würde, wonach er dann sicher gewesen wäre, seinen einmal gefaßten Verdacht bestätigt zu finden. Statt dessen gab er einen Ort an, der kaum fünfzig Schritt von ihnen entfernt lag, eine Entdeckung irgend eines Betrugs also in wenigen Minuten herbeigeführt werden konnte. Aber selbst das hielt den außerordentlich zähen Rath nicht ab, der Sache weiter nachzuforschen. »Hören Sie, lieber Herr Heßberger,« sagte er, »hätten Sie vielleicht einen Augenblick Zeit, mit in den Laden zu gehen, nur damit ich den Leuten dort das Muster zeigen kann? Ich werde Sie nicht lange aufhalten, ich möchte mir nur gern ein ebensolches Paar bestellen.«

Der Rath erwartete jetzt selbstverständlich, daß der Schuhmacher irgend eine Ausflucht suchen würde, um diesem Dilemma zu entgehen. Er konnte ja Geschäfte oder sonst etwas Derartiges vorschützen. Aber Gott bewahre – nichts dem Aehnliches geschah, sondern der kleine höfliche Mann sagte in der unbefangensten Weise:

»Mit dem größten Plesirvergnügen, Herr Geheimer Rath, wenn Sie sich nur gefälligst hier mit herbemühen wollen. Sehen Sie, dort drüben können Sie schon das Schild von Magnussen absolviren – werden gleich dort sein – kann Ihnen auch das Geschäft wirklich ehcommodiren, sehr curlante Leute. Gleich da drüben ist noch ein Laden von Peters und Emmermann, kaufe da aber nie etwas; der Peters ist ein Mowäh Schusseh, hat immer die schlechtesten Waaren und die höchsten Preise und dabei ein ganz constipirter Mensch, ein ordentlicher Fantist, der glaubt, man könne nur bei ihm kaufen. Sehen Sie, da sind wir schon – bitte, seien Sie so frei und treten Sie näher – sollen gleich bedient werden.«

Rath Frühbach war ganz wie ausgewechselt. Sonst, wenn er mit Jemandem ging, führte er immer allein das Wort; heute sprach er fast keine Silbe, und Heßberger mußte ihn unterhalten. Etwas Aehnliches war noch gar nicht dagewesen. Das hatte freilich auch seinen Grund: früher zeigte die Magnetnadel seines Geistes und Erinnerungsvermögens nur immer ununterbrochen nach Schwerin, und er steuerte dabei unbesorgt seinen Cours; jetzt aber hatten sich die großcarrirten Hosen dazwischengeworfen, sein Pol war ihm für einen Moment vollkommen entschwunden; denn etwas Aehnliches hatte selbst er noch nicht erlebt, und seine Nadel zeigte keinen Cours mehr.

Heßberger dagegen benahm sich so unbefangen als möglich. »Der Herr Geheime Rath,« sagte er, »wünschen gern von dem Zeug zu ein Paar Bandellongs zu haben, wo ich vorige Woche von gekauft habe – bitte, dieses Muster – sehr geschmackvoller Stoff, so hammonische Farben. Bitte, Herr Geheimer Rath, werden gleich bekommen.«

Dem Rath Frühbach war es nicht ganz recht, für sich in einem Laden, wo er noch dazu Geheimer Rath genannt wurde, ein Paar Beinkleider nach demselben Muster auszusuchen, wie es der Schuhmacher Heßberger trug, und was auch früher sein Geschmack gewesen sein mochte, er verleugnete ihn jetzt und wählte, da ihm verschiedene Stücke vorgelegt wurden, etwas Anderes. Er gab auch die Ordre, den Stoff, den er gleich bezahlte, in sein Haus zu schicken, ließ sich aber doch eine Probe von dem geben, was Heßberger anhatte, und steckte sie in die Tasche. – Er war noch nicht recht mit sich im Klaren, was er thun solle. Heßberger wich ihm auch dabei nicht von der Seite, und da sich Frühbach nicht einmal von Schwerin her eines Beispiels erinnerte, daß er von einem Menschen loszukommen gesucht hätte, so war er dadurch vollkommen aus seinem Fahrwasser gebracht, ja ertrug die Begleitung des kleinen geschwätzigen Burschen noch wenigstens drei oder vier Straßen lang, wo dann Heßberger selber glücklicher Weise Geschäfte hatte und in eine Nebengasse einbiegen mußte.

Der Rath blieb mitten in der Straße stehen und sah ihm nach. Dort ging der Bursche mit seinen Hosen so unverschämt wie möglich hin, und er hatte sich ein Paar andere kaufen müssen. Und waren es auch wirklich seine? In dem Laden benahm er sich genau so, als ob er sie dort gekauft hätte, und die Leute da drinnen widersprachen ihm auch nicht. Frühbach war ganz irre geworden, und doch hätte er darauf schwören mögen, daß der kleine verschmitzte Schuster, der sich gerade in der letzten Zeit häufig bei ihm zu thun gemacht, das Zeug aus seinem Vorsaal mitgenommen.

Jedenfalls beschloß er auf die Polizei zu gehen und die Anzeige zu machen; das war überhaupt seine Pflicht, denn wenn die Polizei gar nicht erfuhr, daß gestohlen wurde, so konnte sie auch nicht nachforschen, und hätte dann – ein undenklicher Zustand – nichts zu thun gehabt. Mit dem Entschlusse bog er deshalb direct in die nächste Straße ein, um seinen Vorsatz augenblicklich zur Ausführung zu bringen.

12.
Die Nachbarin.

Dies war der dritte Tag nach dem Ueberfall, und auf dem Judenkirchhof hatte der Todtengräber, obgleich ihm merkwürdiger Weise kein Auftrag dafür geworden, schon ein Grab für den alten Salomon ausgeworfen; denn selbst in der Judengasse wußte man nicht anders, als daß er dort drüben in seiner Stube, wo auch die Fenster den ganzen Tag über geöffnet standen, ausgestreckt als Leiche auf dem Bett liege.

Am ersten Tage waren einige seiner nächsten Bekannten hinauf gelassen worden, um ihn noch einmal zu sehen, und damals lag er auch in der That wie ein Todter da und rührte und regte sich nicht, und die Leute waren an der Thür, ihre Gebete murmelnd, stehen geblieben. Später aber ließ man Niemanden mehr ein; es hieß, die alte Frau sei selber so krank geworden und bedürfe der Ruhe, und etwas Natürlicheres gab es ja nicht. Daß sie es überhaupt so lange ertragen, war ein Wunder. Der Arzt ging denn auch noch häufig aus und ein, und wenn er herauskam, fragten ihn die Leute nur immer, wie es der alten Frau ginge – nach Salomon erkundigte sich Niemand mehr.

Uebrigens schien die Vorsichtsmaßregel mit seinem fingirten Tode ganz unnöthiger Weise gebraucht zu sein, da Tag nach Tag verstrich, ohne daß die Polizei auch nur irgendwo den geringsten Anhaltspunkt für die That gefunden hätte, und selbst Salomon, als er wieder zur Besinnung kam, konnte ihr keine weitere Auskunft geben.

Am zweiten Tag schon schlug er die Augen auf und erkannte seine Frau und Tochter, und der stille Jubel im Hause läßt sich denken, als ihnen der Arzt erklärte, er hoffe ihn jetzt, wenn nicht etwas ganz Besonderes vorfiele, durchzubringen. Aber in den ersten Stunden durfte man ihn natürlich nicht mit Fragen quälen, ja selbst die Erinnerung an das Erlebte mußte, so viel als irgend möglich, ferngehalten werden. Der Actuar war allerdings noch an dem Abend da und wünschte ihn zu sprechen; aber der Doctor ließ ihn nicht hinein. Morgen vielleicht oder übermorgen, wenn er eine recht ruhige Nacht gehabt, möchte er wieder vorfragen, aber bis dahin nicht.

Diese Vorsicht erwies sich als ganz vortrefflich, denn der überhaupt zähe Körper des alten Mannes kräftigte sich durch die notwendige Ruhe so rasch, daß er schon am andern Morgen wieder in seinem Bett aufsaß und jetzt selber von dem Ueberfall jenes Abends zu sprechen begann.

Rebekka selbst schrieb jetzt ein paar Zeilen an den Actuar, der ihnen schon zu dem Zweck seine Adresse dagelassen hatte, und dieser kam ungesäumt, um einen so günstigen Zeitpunkt nicht zu verpassen. Aber wenig genug war es, was ihm Salomon über die Person des Räubers sagen konnte, denn so genau er ihn im Gesicht kannte und erklärte, ihn unter Tausenden herausfinden zu wollen, so wußte er doch seinen Namen nicht und konnte auch nicht sagen, ob er in Alburg selber oder in der Nachbarschaft wohne. Drei- oder viermal war er allerdings schon bei ihm gewesen; das erste Mal, um ihm eine Partie silberner Löffel zum Kauf anzubieten, den er aber verweigert habe, weil er die Sachen für gestohlen hielt und keine Unannehmlichkeiten haben wollte. Das zweite Mal war er unter dem Vorwand gekommen, selber ein silbernes Besteck zu kaufen, und hatte sich dann verschiedene Sachen zeigen lassen – natürlich nur in der Absicht, wie sich jetzt herausstellte, um die Gelegenheit auszukundschaften. Er kaufte auch damals nichts, versprach aber wiederzukommen, und erhandelte das dritte Mal wirklich einen silbernen Serviettenring, wofür er eine Zehnthaler-Note auf den Tisch legte. Das war an jenem Abend, kurz vor der Dämmerung. Wie aber Salomon leichtsinniger Weise an seinen Geldschrank ging und ihn öffnete, um die Note zu wechseln, sprang der Fremde plötzlich mit einem Satz über den Ladentisch und hatte ihn an der Gurgel. Er wollte schreien, aber er konnte nicht, der Schreck und die eiserne Faust des Räubers verhinderten ihn daran, und ehe er im Stande war, sich dem Griff zu entwinden, fühlte er einen schweren, dumpfen Schlag auf seinem Kopf, und was dann weiter mit ihm geschehen, vermochte er nicht mehr anzugeben.

Und wie sah der Mann aus?

Ja, genau konnte er das auch nicht sagen; er war die drei verschiedenen Male – wenigstens die beiden letzten, denn das erste Mal erinnerte er sich nicht mehr deutlich – nur in der Dämmerung zu ihm gekommen. Es sollte eine nicht große, aber ziemlich kräftige Gestalt sein, mit einem breiten Gesicht und kleinen verschmitzten Augen. Er trug – ja genau konnte er das auch nicht angeben –, er glaubte, einen grauen oder schwarzen kurzen Rock; er wußte nicht einmal, ob er einen Hut oder eine Mütze aufgehabt, denn er versicherte, daß er ihm immer hätte in die kleinen tückischen Augen sehen müssen.

Und sonst war er ihm nie hier in der Stadt begegnet?

Lieber Himmel, der alte Mann kam ja fast nicht vor seine Thür! Seit nun zehn Jahren, wo er nach Alburg gezogen war und das Haus da kaufte, war er kaum irgendwo anders hin, als zur bestimmten Zeit auf die Börse und vielleicht einmal mit seiner Familie an einem schönen Tag hinaus in den Wald gekommen. Wirthshäuser besuchte er gar nicht. Geschäftswege hatte er ebenfalls nicht; wer Geschäfte mit ihm machen wollte, kam zu ihm, und bis dahin erinnerte er sich nicht, den Menschen je gesehen zu haben.

Und war der junge Baumann jemals mit dem Menschen zusammen bei ihm gewesen?

Der junge Baumann – der Mechanikus? Nie.

Und er glaubte also nicht, daß jener Baumann bei dem Ueberfall betheiligt gewesen?

»Der junge Baumann? Gott der Gerechte,« rief der alte Mann aus, »würd' ich ihm anvertrauen meinen ganzen Laden mit Schlüssel und Schränken, als ich hab' die Beweise, daß er ist ein ehrlicher, braver Mensch, der junge Baumann!«

Der Actuar erzählte dem Alten jetzt, daß man gerade diesen in Verdacht gehabt habe, der Mörder zu sein, da er im Hofe unmittelbar nach der That und mit Blut bedeckt angetroffen worden sei; aber Salomon gerieth fast außer sich, als er hörte, daß man ihn noch auf den Verdacht hin gefangen halte.

»Der junge Baumann,« rief er, »wär' er dabeigewesen, der böse Mensch hätte nie wagen dürfen, Hand an einen alten Mann zu legen! Er kam immer allein, und wenn ich es hätte für möglich gehalten, daß etwas Derartiges könnte passiren mitten in einer großen Stadt und wo die Straßen sind noch belebt und die Häuser offen, ich würde gewesen sein vorsichtiger – aber der junge Baumann – Gott soll behüten – wegen meiner im Gefängniß! Lassen Sie den Mann los, Herr Actuar, denn wer weiß, wenn er nicht wär' dazugekommen und den Räuber verjagt hätte, ob ich noch lebte und erzählen könnte!«

Das war nun Alles schon recht, aber dem Actuar nicht im mindesten damit gedient, denn wenn er den Baumann losließ, hatte er keinen Andern dafür und mußte zugleich dabei eingestehen, daß er sich geirrt. Und war der alte Mann überdies auch wirklich ein genügender Zeuge, um den Gefangenen von jeder Schuld loszusprechen? War es überhaupt denkbar, daß irgend Jemand allein einen solchen Ueberfall unternommen hätte, wo er jeden Augenblick von außen gestört werden konnte und jeden Weg zur Flucht dann abgeschnitten sah? Zwei Gehülfen wenigstens durfte man bei einer solchen, jedenfalls vorher reiflich überlegten That annehmen, und während der eine den Ueberfall ausführte, stand der andere natürlich indessen Wache und half nur vielleicht im entscheidenden Augenblick. Daß Salomon dann den Zweiten, der anfangs vor der Thür stand, nicht gesehen hatte, ließ sich leicht erklären. Unter jeder Bedingung mußte aber der Versuch gemacht werden, den Gehülfen zu einem Geständniß zu bringen und dadurch den wirklichen Mörder herauszubekommen. So leicht ließ die Polizei Niemanden wieder frei.

Morgens um zehn Uhr, an dem nämlichen Tag, wurde der Schlossermeister noch einmal vorgeladen. Man hatte vergessen, ihm das Tuch zu zeigen, welches im Laden gefunden worden; er sollte bestätigen, daß es seinem Sohn gehöre, und sagen, ob er es schon in seiner Werkstätte, als er an dem Abend von ihm fortging, über die kleine Maschine, die sich allerdings im Laden gefunden, gedeckt hätte.

Schlossermeister Baumann mußte außerdem, ehe er vorkam, eine volle Stunde draußen auf der Galerie warten und konnte nachher auch nichts Bestimmtes aussagen. Seiner schlichten Meinung nach blieb sich ja das auch vollkommen gleich, ob das Tuch in der Werkstätte oder auf der Straße übergedeckt gewesen wäre; er begriff sogar nicht, wie man ihn nur einer solchen Bagatelle wegen wieder vorfordern und noch dazu so lange warten lassen konnte. Aber auf den Gerichten hat das Alles seine bestimmte Zeit, und die jungen Actuare, während sie selber nur für die gesetzlichen Stunden an das Büreau gebannt sind, verfügen gewöhnlich auf das willkürlichste über ihre vorgeladenen Zeugen. Dürfen sich diese doch nicht einmal darüber beschweren, ohne sich gleich einer Mißachtung des ganzen Instituts schuldig zu machen.

Auf das dringendste erneuerte er aber dabei seine Bitte, den gefangenen Sohn sprechen zu dürfen – es ging nicht an; der Gefangene hatte noch nichts gestanden, und es war da sehr leicht möglich, daß er von außen her Warnungen oder Nachrichten bekam, die auf den Lauf der Untersuchung störend hätten einwirken können. Die Gefühle eines Vaters durften dabei nicht in Betracht kommen.

Indessen wurde in ganz Alburg fast von nichts als dem Raubmord und hauptsächlich von dem Raubmörder Fritz Baumann gesprochen, denn als solcher galt er den Leuten, wie sich das von selbst versteht. Den alten Salomon persönlich kannten auch fast nur solche, die ihn in seiner eigenen Wohnung aufgesucht, denn in der eigentlichen Stadt ließ er sich nie blicken. Alles, was man von ihm wußte, war, daß er ein sehr reicher Jude sei, der aus Geiz ganz entsetzlich ärmlich lebe – zu welchem Gerücht vielleicht das unscheinbare Aeußere seines Hauses den Grund gegeben – und mehr aus Liebhaberei, als irgend eines besondern Vortheiles wegen den Antiquitäten-Laden gehalten und fortgeführt habe. Der war jetzt todt, und man interessirte sich nicht mehr viel für ihn, desto mehr aber für den jungen Baumann; denn die Frau Appellationsgerichtsräthin, der es die Frau Staatsanwalt, natürlich unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit, anvertraut, daß der junge Baumann gerade die Frechheit gehabt habe, um die Hand ihrer Ottilie anzuhalten, schien sich verpflichtet gefühlt zu haben, der Frau Präsident Beckhaus die wichtige Nachricht mitzutheilen, und da sich dort zufällig an dem nämlichen Nachmittag ein kleiner, aber gewählter Cirkel von Damen »aus den höheren Ständen« zusammenfand, so konnte die Folge davon nicht gut ausbleiben. An dem nämlichen Abend wußte die ganze Stadt, daß der junge Mechanikus Baumann von der Tochter des Staatsanwalts Witte einen Korb bekommen habe, da Fräulein Ottilie nächstens Baronin von Wendelsheim werden würde, und die Comtesse unterhielt sich über dieses höchst interessante Thema nicht eifriger beim Auskleiden mit ihrer Zofe, als die Mägde am Brunnen oder die Nachbarsfrauen an den verschiedenen Parterrefenstern das nämliche Thema besprachen.

Der kleinen Schneidersfrau neben Baumanns hatte es ebenfalls fast das Herz abgedrückt, sich mit der Mutter des Gefangenen über die Haupt- und Staatsangelegenheit zu unterhalten; der alte Schlossermeister schnitt ihr aber jedesmal die Möglichkeit dazu ab. Wie er ihrer nur ansichtig wurde, fuhr er schon auf sie ein und fragte sie, ob sie nicht wieder ein Unglück mit ihrem »Maul« anrichten wollte, und sie fürchtete ihn wie den Gottseibeiuns. Heute gegen Mittag sah sie ihn aber wieder in seinem guten Rock am Fenster vorbeigehen; er mußte sicher auf's Gericht, wo er nicht so bald mehr herunterkam, und die Zeit durfte sie nicht unbenutzt verstreichen lassen. Hatte sie doch auch in den letzten Tagen so viel Stoff in der Stadt angesammelt, daß sie eine volle Stunde davon erzählen konnte. Das mußte sie von sich abwälzen und wenn ihr »Meisterchen« auch ein wenig länger auf das Essen warten sollte.

Kaum sah sie also die Luft rein, als sie wie ein Schatten hinaus aus ihrem Haus und hinüber in die Werkstätte huschte, wo sie erst die Gesellen fragte, ob sie es auch schon gehört hätten, daß das »Fritzchen« Alles eingestanden hätte und am Freitag geköpft werden sollte; und als ihr dort Karl drohte, er würde ihr das »Hämmerchen«, ein Stück Eisen von etwa drei Pfund Schwere, an den Kopf werfen, wenn sie den Mund noch einmal aufthäte, fuhr sie in die Stube selber hinein, wo die Meisterin an ihrem Spinnrad saß.

Es ist eine traurige Thatsache in der Welt, daß eine einzige Zunge oft so viel Unheil anrichten kann. Wenn wir armen, kurzsichtigen Menschenkinder nur überhaupt immer wüßten, was uns zum Unheil oder zum Heil gereicht. Manches halten wir für ein Glück, was sich in späterer Zeit als unsern größten Fluch herausstellt, und dann wieder sehen wir den Himmel nur mit schwarzen, drohenden Wolken umzogen, wenn dahinter schon die helle, freundliche Sonne lacht und nur auf den Moment wartet, wo sie das düstere Gewölk durchbrechen und unsern Pfad mit ihren lieben Strahlen erhellen soll. Nur der Augenblick liegt uns erschlossen, alles Uebrige aber in Gottes Hand.

»Ach, liebe Frau Meisterin,« sagte die kleine, förmlich eingetrocknete Frau, indem sie wie ein Wiesel zur Thür hineinschlüpfte, das Schloß eindrückte und sich dann gleich auf eine dort stehende Fußbank niederkauerte, »erschrecken Sie nur nicht; aber erfahren müssen Sie es ja doch einmal, und das Unglück, ach Du liebes Gottchen, das Unglück!« Und die Schneidersfrau zog ihre Schürze über's Gesicht und schluchzte laut.

»Hören Sie einmal, Frau Volkert,« sagte die Frau Baumann, »wenn Sie mir etwas Bestimmtes mitzutheilen haben, so thun Sie es; aber schneiden Sie mir das Herz nicht nach einander in kleinen Stücken ab. Mir ist so angst und weh genug zu Sinn, machen Sie's nicht noch ärger, und was ich erfahren muß, je eher, desto besser, denn die Ungewißheit nimmt Einem sonst noch das bischen Verstand ganz mit fort.«

»Ach, das Fritzchen, das Fritzchen,« klagte die arme kleine Frau, »nein, daß er auch so 'was nur thun konnte, daß er auch so 'was nur thun konnte – und so braver Leutchen Kind, so braver Leutchen Kind!«

»Aber Sie glauben doch nicht etwa, daß mein Fritz die furchtbare That begangen haben kann, Meisterin?« rief die Frau Baumann wirklich halb außer sich.

»Aber es hat's ja schon gestanden,« klagte die kleine Frau wieder, »es hat's ja schon gestanden; die ganze Stadt weiß es ja, und das Fränzchen kam vorhin noch ganz besonders zu uns herüber, um uns das schreckliche Geschichtchen zu erzählen. Ach Du lieber Gott, Du lieber Gott, und übermorgen, noch dazu an einem Freitag, soll ihm das Köpfchen heruntergeschlagen werden.«

»Volkert,« stöhnte die Meisterin, indem sie von ihrem Stuhl aufsprang und ihr Herz mit beiden Händen faßte, »treibt Ihr auch noch Euren Spott mit mir?« Aber der Verdacht war gewiß unbegründet, denn die kleine Frau weinte selber so bitterlich, als ob ihr das eigene Herz darüber brechen sollte.

Des Schlossers Frau stand starr und unbeweglich neben ihr; das Antlitz war ihr todtenfahl geworden, ihre Glieder zitterten, ihr Auge haftete stier und gläsern an der Unglücksbotin. Endlich sagte sie mit leiser, heiserer Stimme: »Aber es kann ja gar nicht sein, Volkert; wenn der Fritz wirklich die schreckliche That verübt hat – und es müßte das in der Verzweiflung geschehen sein, denn an dem Tage war er seiner Sinne kaum mächtig –, wenn er den Juden wirklich erschlagen hat, so ist es im Zorn, in der furchtbaren Aufregung geschehen. Wer weiß auch, wie ihn der Mann gereizt, ob er ihn nicht gar vielleicht seines Unglücks wegen verspottet hat, daß der Fritz gegen ihn die Hand erhoben, und dann – dann können und dürfen sie ihn doch nicht am Leben strafen. Es ist nicht möglich! Denken Sie nur, Volkert, wie vor noch gar nicht so langer Zeit jener Officier den Mann erstochen hatte, und der war nur vom Wein aufgeregt gewesen, da bekam er zwei Jahre Festungsstrafe, wurde aber nach dem ersten Jahre schon begnadigt und kam wieder frei. Sie können und werden doch meinen Fritz nicht ärger strafen als Jemanden, der eine solche That im Trunk verübt?«

»Ja, aber liebe, beste Frau Baumannchen,« winselte die kleine Frau hinter ihrer naßgeweinten Schürze vor, »das war doch auch ganz 'was Anderes; das war ja doch auch ein Gräfchen, das den armen Menschen erstochen hatte, ein ganz vornehmes Gräfchen, und sein Vater war Ministerchen oder sonst so 'was. Ja, wenn das Fritzchen ein vornehmes Gräfchen oder ein Barönchen wäre und sein Vater kein Schlosserchen, dann könnten Sie recht haben, und er käme vielleicht ein Jährchen oder so in die Festung, und nachher wäre das Geschichtchen aus und würde kein Wörtchen mehr darum gesprochen. Aber so, ach Du mein liebes Himmelchen, wenn sie dem Herzen von einem Menschen das Köpfchen herunterschlagen!«

Die Frau Baumann hörte gar nicht mehr, was sie zuletzt sagte, und wie von einem neuen und plötzlichen Gedanken ergriffen, starrte sie die Schneidersfrau mit einem Blick an, daß diese jedenfalls darüber zu Tode erschrocken wäre, wenn sie nur hätte vor lauter Schluchzen aus den Augen sehen können.

»Und Ihr glaubt, Volkert, daß er frei käme, wenn es ein Baron oder Graf wäre?« sagte sie mit heiserer, fast tonloser Stimme.

»Ach, gewiß glaub' ich's,« wimmerte die kleine Frau; »und die Homeier war auch heute Morgen bei mir, und wir haben darüber gesprochen, und der ihr Männchen hatte dasselbe gesagt, und der versteht es, denn er ist Bote bei den Gerichtchen und hat immer die Actenstückchen von einem der Herren zum andern zu tragen. Aber ein Handwerkerchen, ach Du liebes Gottchen, das ist ja gar nichts! Deren giebt's die Hülle und die Fülle, und so ein armes Schlosserchen oder Schneiderchen, oder was es auch sonst ist, mit dem machen sie keine Umstände und lassen dem Gesetzchen seinen Lauf.«

»Ja, ja,« nickte die Schlossersfrau, »es ist wahr; wir sollen Alle vor den Gesetzen gleich sein, so steht's in den Büchern und so sagen's die Leute. Aber es ist nicht so: den Vornehmen lassen sie eine Hinterthür offen, und die schlüpfen durch, und mit den Armen und Gedrückten füllen sie ihre Zuchthäuser und Gefängnisse – und wer verdient mehr Strafe, wenn er ein Verbrechen begeht, der Reiche und Vornehme, der Alles, was er braucht, im Ueberfluß hat und im Uebermuth braucht, oder der Arme und Gedrückte, den oft Noth und Verzweiflung dazu treiben?«

»Aber wir machen's nicht besser, Frau Baumännchen,« klagte die Kleine; »wir ändern die Welt nicht, und dürfen noch nicht einmal ein Muckschen thun, sonst werden wir ebenfalls eingesteckt.«

»Ja, wenn es ein Graf oder Baron wäre,« sagte die Schlossersfrau, noch immer vor sich hinstierend.

»Aber er ist es nicht,« winselte die Kleine; »das Fritzchen ist ja nur ein Mechanikuschen, und noch ein ganz junges, und wenn's auch nur ein Jude war, den es todtgeschlagen hat, jetzt hetzen sie Alle dahinter her, bis sie ihn unten haben. O, mein Männchen sollten Sie darüber reden hören, Frau Nachbarin, der kann's! Die Härchen stehen Einem zu Berge, wenn er davon spricht, daß alle die Kaiserchen und Fürstchen sterben müßten, und das Völkchen allein zu sagen hätte, was es will. Aber er thut es nur immer, wenn wir allein mit einander sind, denn sie haben ihn schon einmal deswegen eingesteckt. Ja wahrhaftig, 's ist wahr,« setzte sie hinzu, als die Frau sie mit ihrem stieren Blick wie fragend anschaute; »sechs Wöchelchen hat er brummen müssen bei Wasser und Rübensuppe. Ach, und wie er wieder herauskam, war er so dünn geworden, man hätte ihn durch ein Nadelöhrchen fädeln können!«

»Und wer hat Euch gesagt, Nachbarin, daß der Fritz am Freitag schon hingerichtet werden sollte?«

»Wer? das Fränzchen; expreß ist es zu uns herübergelaufen gekommen. Und der Herr Staatsanwalt Witte hat sich die größte Mühe gegeben, um ihn frei zu bekommen, und gleich von Anfang an versprochen, daß er seine Partei nehmen wollte; aber wenn das Fritzchen nun gestanden hat, da ist freilich Alles vorbei.«

»Der Staatsanwalt Witte hat seine Partei genommen?«

»Ja, gewiß; das Fränzchen war ja an dem Abend dabei in der Judengasse, wo sie das Salomonchen im Laden fanden, und hat's mit seinen eigenen Oehrchen gehört.«

»Der Staatsanwalt Witte?« wiederholte die Frau kopfschüttelnd.

»Das ist ein braver, rechtlicher Mann,« bestätigte die Schneidersfrau, »und wenn ein armes Teufelchen zu ihm kommt, dem Jemand Unrecht thun will, da springt er mit beiden Füßchen in die Sache hinein, und ruht nicht, bis er ihn frei gemacht, und nimmt nachher auch noch nicht einmal ein Gröschchen Geld dafür.«

»Der Staatsanwalt Witte?« murmelte die Schlossersfrau noch einmal.

»Ja, und wie hat er sich neulich der Frau Müller aus Vollmers angenommen,« fuhr die redselige kleine Schneidersfrau fort. »Sie war noch bei uns, ehe sie wieder nach Vollmers hinausfuhr, und hat uns das ganze Geschichtchen erzählt. Da war ein Majorchen und ein Räthchen zu ihr gekommen, lauter vornehme Leutchen mit großen Titelchen, und hatten sie in ihrem eigenen Hause schlecht gemacht und ihr einen Kindertausch bei Wendelsheims draußen und Gott weiß was Alles vorgehalten. Aber sie ging an die rechte Schmiede. Der Herr Staatsanwalt hat ihr gesagt, daß sie sich nicht vor den Leuten zu fürchten brauchte; Abbitte müßten sie thun vor den Gerichtchen oder Beweischen bringen; und nun will er sie vorkriegen, und das wird ein schöner Skandal im Städtchen werden, wenn so ein paar große Herrchen vorgefordert werden und Beweischen bringen sollen – Herr Du mein Gottchen,« unterbrach sich aber die Frau plötzlich, als sie zufällig aus dem Fenster sah und den zurückkehrenden Baumann bemerkte, »da kommt das Schlossermeisterchen wieder, und wenn der mich hier findet, drückt er mich armes Weibsen todt. Er kann mich so nicht leiden, und hat mir verboten, daß ich wieder herüberkomme.«

»Ja,« nickte die Frau still vor sich hin, »sie werden die Beweise bringen – aber zu spät, zu spät! Heute ist Mittwoch – übermorgen, o mein Gott, mein Gott!«

»Nachbarin, ich rutsche durch die Küche auf das Höfchen,« sagte die Frau, die in dem Augenblick noch fast um sechs Zoll kleiner und schmächtiger schien; »wenn er mich findet, giebt's ein Unglück!«

Und ohne eine weitere Erlaubniß abzuwarten, fuhr sie durch die Hinterthür in die Küche hinein und verschwand dort in demselben Augenblick, als Baumann, seinen Hut noch auf dem Kopf und mit finster zusammengezogenen Brauen in's Zimmer trat. Sie hatte auch in der That recht gehabt, ihm in dieser Stimmung aus dem Weg zu gehen; freundlich wäre sie keinenfalls von ihm empfangen worden.

»Wieder nichts!« sagte er, als er selbst ohne Gruß an seiner Frau vorüberging und an's Fenster trat. »Es ist rein um verrückt zu werden, daß sie Einem nicht einmal erlauben wollen, ihn nur zu sehen oder zu sprechen, und dabei erzählt sich das wahnsinnige Volk in der Stadt schon die tollsten und albernsten Geschichten!«

Seine Frau war im Zimmer; er hatte sie gesehen, als er an ihr vorüberging. Aber sie erwiederte kein Wort, richtete keine Frage an ihn, und mehr erstaunt als beunruhigt über dieses Schweigen, drehte er sich nach ihr um.

Seine Frau stand mitten im Zimmer; aber ihr Blick begegnete dem seinigen und hing mit unendlicher Liebe, aber auch einem unsagbaren Schmerz an ihm, so daß er sie ganz verwundert deshalb anstarrte.

»Nun,« sagte er endlich erstaunt, »was hast Du denn, Alte? Du siehst mich ja so merkwürdig an. Ist etwas vorgefallen?«

»Gottfried,« flüsterte die Frau mehr als sie sprach, ging auf ihn zu und lehnte langsam ihr Haupt an seine Brust, »Gottfried, mein braver, braver Gottfried, ich danke Dir für alles Liebe und Gute, das Du mir gethan, seit ich so glücklich wurde Dein Weib zu werden; ich danke Dir dafür viel tausend- und tausendmal, und möge Dich der Himmel dafür segnen!«

»Aber was hast Du nur?« sagte der Schlossermeister fast wie verlegen. »Was soll denn all' die Feierlichkeit? Und mit Bedanken? Ei, da glaub' ich, hat Einer von uns gerade so viel Ursache als der Andere.«

»Nein, Gottfried,« flüsterte die Frau wieder, »nein; Du weißt es nicht, und ich kann's Dir auch jetzt nicht sagen. Aber Du wirst's bald erfahren – bald – vielleicht heute noch, und dann – dann sei mir ja nicht so böse – denk' nicht, daß ich schlecht war, Gottfried, denk' es nicht – ich bin's nie gewesen! Nur übergroße, thörichte Liebe hat mich dazu getrieben. Wenn es mich aber auch die langen, langen Jahre gepeinigt und gequält, und ich größere Strafe dadurch erlitten habe, als wenn sie mir die Glieder mit Ketten zusammengeschnürt hätten, an Dir hab' ich doch gesündigt, an Dir und an ihm, und Alles, was jetzt in meinen Kräften steht, ist, das zu sühnen.«

»Aber, Mutter,« rief Baumann erschreckt, denn er glaubte im ersten Augenblick nicht anders, als daß sie über die Angst um den Sohn den Verstand verloren habe, »so schlimm ist's ja noch gar nicht, es kann noch Alles besser werden; habe nur guten Muth.«

»Den hab' ich, Gottfried, recht aus vollem Herzen,« nickte die Frau, und ihr Auge glänzte dabei von einem unheimlichen Feuer; »recht guten Muth hab' ich, denn ich bin jetzt auf dem richtigen Weg, und wollte Gott, o wollte Gott, ich wäre ihn früher gegangen, viel Unheil wäre dadurch Allen von uns erspart worden!«

»Komm, Alte, sei gut, mach' Dir deshalb keine Sorgen,« sagte Baumann freundlich, denn er gedachte sie jetzt nur zu beruhigen, damit sie die quälenden Gedanken fahren ließe. »Ist denn die Else noch nicht aus der Schule zurück? Es muß doch schon lange zwölf Uhr vorbei sein. Du hast auch noch nicht einmal den Tisch gedeckt?«

»Es muß sein, Gottfried,« nickte die Frau, die auf die letzten Worte gar nicht gehört oder geachtet hatte; »aber ich allein werde die Strafe erleiden, weil ich sie verdient habe – nicht Ihr – nicht er – es muß sein! Leb' denn wohl, Gottfried – Gott segne Dich viel tausendmal, und wenn Du....«

Die Aufregung war zu viel für sie. Sie wurde todtenbleich, und Baumann konnte sie noch eben mit seinem Arm auffangen, sonst wäre sie zu Boden gesunken. Jetzt wurde der alte Schlossermeister aber wirklich besorgt um den Zustand der Frau. Ihr tiefsinniges, zerstreutes Wesen, das entschieden nicht in ihrer Art lag, war ihm schon die letzten Tage aufgefallen, und die Ursache dafür suchte er natürlich nur in der Verhaftung des Sohnes. Aber er hatte nie geglaubt, daß es bei der nervenstarken Frau so gefährlich überhand nehmen könne. Er selber wußte auch in dem Augenblick gar nichts mit ihr anzufangen, als sie eben auf das Sopha zu legen; aber ein Arzt mußte her, vielleicht half ein Aderlaß oder irgend etwas Anderes, das der verordnen würde. Rasch entschlossen drückte er sich auch den Hut in die Stirn, rief dem in der Werkstätte arbeitenden Karl nur zu, einmal nach seiner Mutter zu sehen, es sei ihr unwohl geworden, er selber käme gleich wieder, und eilte dann, was er konnte, auf die Straße hinaus, um nach dem Arzt zu laufen und diesem gleich selber unterwegs die Krankheits-Symptome anzugeben.

Den nächsten Arzt fand er nicht zu Hause; aber der Medicinalrath Bennigs wohnte nur ein paar Straßen weiter, und den traf er glücklich gerade beim Frühstück an. Er mußte auch hereinkommen und dem alten Herrn, während er aß, den Fall genau erzählen, und der Arzt beruhigte ihn dabei. Es sei, wie er sagte, eine Nervenüberreizung, die sich wohl bald wieder geben würde; er wolle aber gleich selber mit ihm hinübergehen und die Kranke untersuchen – Sorge brauche er sich deshalb nicht zu machen.

Die beiden Männer waren auch bald wieder unterwegs, und Baumann beruhigte sich schon, als er, in der Nähe seiner Werkstätte angekommen, die Hämmer so lustig gehen hörte. Die Frau war jedenfalls wieder zu sich gekommen. Er hielt sich auch gar nicht da drinnen auf, sondern wollte gleich mit dem Medicinalrath durch die Werkstätte in die Stube gehen, als ihn Karl anrief.

»Vater, die Mutter ist nicht drin.«

»Nicht drin?« sagte Baumann erstaunt und sah sich nach ihm um.

»Ach,« meinte Karl, »es war ihr vorhin ein bischen schlecht geworden, und als sie wieder zu sich kam, meinte sie, sie wolle ein wenig an die frische Luft gehen, sie käme bald wieder.«

»Was,« rief Baumann erschreckt, »allein ist sie fort?«

»Ja,« sagte Karl, »natürlich; aber sie war so sonderbar. Die Else, die gerade aus der Schule kam, hat sie geherzt und geküßt, als ob sie auf ewig von ihr Abschied nehmen wolle, und auf mich ist sie auch zugegangen und hat mich an sich gedrückt und mir einen Kuß gegeben trotz meinem schwarzen Gesicht.«

»Großer Gott,« rief Baumann, jetzt zu Tod erschreckt, »was ist da vorgegangen und wo hinaus ist sie?«

»Ja, sie bog links um und ging die Straße hinunter.«

»Dort hinzu liegt der Fluß!« stöhnte Baumann, während Leichenblässe seine Züge deckte. Aber er war kein Mann, der sich lange einer Schwäche hingegeben hätte. »Fort, Karl,« rief er rasch, »setz' Deine Mütze auf und lauf', was Du kannst, da hinaus zu und suche die Mutter, und wenn Du sie findest, gehst Du ihr nicht von der Seite!«

»Aber, Vater....«

»Lauf', sag' ich, was Du laufen kannst – und Ihr Uebrigen alle auch – die Meisterin ist krank – sie war vorhin ohnmächtig geworden – es kann ihr ein Unglück geschehen, wenn Niemand bei ihr ist! Wo ist die Else?«

»Drinnen in der Stube, Vater. Sie weint, weil die Mutter weinte, als sie fortging.«

»Ich werde Sorge für das Kind tragen, Meister, und es in der Nachbarschaft unterbringen,« sagte der Medicinalrath; »sorgen Sie sich nicht deshalb und eilen Sie, selber Ihre Frau aufzusuchen, denn in einem solchen exaltirten Zustand kann man allerdings für nichts einstehen.«

»Ich danke Ihnen, Herr Doctor,« rief der Mann; »aber wir dürfen auch keinen Augenblick Zeit verlieren!« Und ohne weiter den Blick zu wenden, sprang er zur Thür hinaus und eilte, von Karl und den Uebrigen gefolgt, die sich bald nach verschiedenen Richtungen hin vertheilten, die Straße hinab und jetzt vor allen Dingen dem Ufer des Flusses zu, denn er fürchtete das Entsetzlichste.

13.
Das Geständniß.

Die Frau des Schlossermeisters Baumann hatte, wie Karl auch gesehen, das Haus verlassen und sich die Straße hinabgewandt; aber Baumann's Furcht, daß sie in Angst und Aufregung beabsichtigen könne, sich ein Leides anzuthun, war unbegründet. Sie folgte allerdings eine kurze Strecke der Straße, die sich dem Fluß und einer darüber führenden Brücke zuzog, drehte dann aber rechts ab in einen Seitenweg hinein, bis sie das Haus des Staatsanwalts Witte erreichte. Aber schon unterwegs zog sie die Blicke der Vorübergehenden auf sich, denn sie schien Niemanden zu sehen, sprach dabei mit sich selber und nickte dazu, während sie sich mit beiden Händen die Ellbogen hielt, als ob sie fröstele, ununterbrochen mit dem Kopfe.

Erst auch in dem Hause angelangt, kam sie ordentlich wieder zur Besinnung, denn bis dahin war sie wie in einem Traum fortgeschritten. Sie blieb auf dem Hausflur stehen, strich sich die Haare aus der Stirn, ordnete ihr Tuch etwas besser und sah nach ihrem Kleid, als ob sie irgendwo einen Besuch machen wolle, und stieg dann langsam, aber ohne irgend ein Zögern die Treppe hinauf.

Oben blieb sie stehen. Die eine Thür zeigte allerdings deutlich genug durch ein Schild das Büreau des Staatsanwalts an; aber sie wußte auch, daß dort viele Schreiber saßen, und sie wollte ihn allein sprechen. Ging sie lieber hinüber zu einer der in die Wohnung führenden Thüren? Aber nein, dort mußte sie fürchten, jenem Mädchen zu begegnen, das ihrem Fritz so weh gethan und ihn vielleicht gar zu der schwarzen That getrieben. Lieber zu den fremden Männern in die Stube – dort wurde sie doch nicht verachtet und zurückgestoßen, und ohne sich länger zu besinnen, schritt sie auf die bezeichnete Thür zu und klopfte an.

»Herein!« rief die monotone Stimme des einen der Schreiber, und die Frau stand auf der Schwelle und warf den Blick scheu in dem engen Raum umher.

»Ist der Herr Staatsanwalt zu Hause?«

Der Schreiber deutete, ohne eine weitere Antwort für nöthig zu halten, mit der Feder nach der Stube desselben.

»Ist er allein?«

»Ja, aber er wird nicht viel Zeit haben, er muß bald fort.«

»Ich muß ihn sprechen.«

»Gut, versuchen Sie es – da drinnen ist er« – und wieder kritzelten die Federn über das Papier.

Die Frau schritt der Thür zu, und einer der Leute blickte über sein Heft nach ihr hin – wie merkwürdig blaß sie aussah! Aber sie waren ja gewohnt, hier von allen Leidenschaften bewegten Menschen zu begegnen – wer wußte denn, was sie hatte! Drinnen der Staatsanwalt würde die Sache schon in Ordnung bringen.

»War das nicht die Baumann?« flüsterte einer der jungen Leute über sein Stehpult hinüber, »deren Sohn wegen der Salomon'schen Geschichte sitzt?«

»Ich glaube, ja,« sagte ein Anderer. »Der alte Salomon soll ja wohl heute beerdigt werden – so eine Judenleiche möchte ich gern einmal sehen....«

»Ja, aber sie lassen Einen nicht dazu,« meinte der Erste wieder; »in den Kirchhof darf man nicht hinein.«

»Und was machen sie mit dem Baumann?«

»Bah, sie haben ja gar keine Beweise gegen ihn und müssen ihn wieder laufen lassen! In der Zeit, wo er vorher gesehen ist, kann er die That gar nicht verübt haben, und ist auch sonst ein ganz anständiger Kerl!«

Die jungen Leute hatten weiter kein Interesse an der Sache und schrieben weiter, denn der Staatsanwalt konnte jeden Augenblick herauskommen, und es gab heute Morgen entsetzlich viel zu thun.

Drinnen im Zimmer des Staatsanwalts spielte indeß eine andere Scene.

»Frau Baumann?« sagte Witte, als er sie erkannte und sich wohl denken konnte, weshalb sie kam – des gefangenen Sohnes wegen. »Ja, es thut mir leid, aber so schnell geht die Sache nun einmal nicht mit unseren Gerichten. Uebrigens....«

»Kann ich ein paar Worte allein, ganz allein mit Ihnen sprechen, Herr Staatsanwalt?« unterbrach ihn die Frau, indem sie ihn mit ihren großen Augen scharf und doch bittend ansah. »Ich habe Ihnen etwas sehr Wichtiges zu sagen, aber es darf mich Niemand weiter hören, als Sie – und Gott,« setzte sie leise und kaum hörbar hinzu.

»Etwas sehr Wichtiges?« sagte Witte erstaunt.

»Etwas sehr Wichtiges,« wiederholte die Frau, »und Sie werden die Zeit nicht bereuen, die Sie darauf verwenden.«

»Hm« – Witte sah nach der Uhr; er hatte allerdings nicht viel Zeit, weil er zu einer wichtigen Besprechung auf das Criminalamt mußte. Wäre es aber wirklich etwas Wichtiges gewesen, so konnte er auch einen seiner Schreiber hinaufschicken und die Sache um eine halbe Stunde aufschieben lassen. Frauen hielten nur zu gewöhnlich eine Menge von Dingen für wichtig, die an sich unbedeutend genug waren – nun, er konnte wenigstens hören, was sie wollte.

Für solche Fälle, die auch gar nicht etwa so selten vorkamen, benutzte er gewöhnlich eine kleine, hinter seinem Arbeitszimmer befindliche Stube, in welcher nur eine Anzahl von Bücher-Regalen mit wenig gebrauchten Büchern und alten Acten und ein Tisch wie ein paar Stühle standen. Das Zimmer sah auf den Hof hinaus und lag so abgeschieden, daß kein darin gesprochenes Wort durch die Wände drang.

Witte stand auf und öffnete die Thür der Schreibstube. »Ich will jetzt nicht gestört werden,« sagte er hinaus; »wenn Jemand in der Zwischenzeit kommen und nach mir fragen sollte, so lassen Sie ihn nicht in mein Zimmer, sondern behalten ihn hier, bis ich selber herauskomme.«

»Sehr wohl, Herr Staatsanwalt.«

»So, Frau Baumann,« sagte dann Witte, indem er die Thür wieder schloß, »haben Sie jetzt die Güte und kommen Sie hier mit herein. Da drinnen hört Niemand, was Sie mir zu sagen haben; aber seien Sie so gut und machen Sie es so kurz als möglich, denn meine Zeit ist gemessen, und wenn die Sache nicht wirklich sehr wichtig ist, thäten Sie mir sogar einen Gefallen, wenn Sie lieber heute Nachmittag wieder vorkämen.«

»Es hängt Leben und Tod daran,« sagte die Frau ernst.

»Leben und Tod? Dann freilich geht das allem Andern vor – bitte, treten Sie näher, und nun setzen Sie sich und sagen mir, was Sie zu sagen haben. Sie zittern ja an allen Gliedern – ist etwas vorgefallen?«

»Lassen Sie mir nur einen Moment Zeit, Herr Staatsanwalt,« sagte die Frau, indem sie auf den nächsten Stuhl niedersank – »nur um meine Gedanken zusammenzubringen – es geht dann auch um so viel schneller. Mir wirbelt der der Kopf jetzt noch vom vielen Denken.«

Der Staatsanwalt sah nach der Uhr; es fehlte kaum noch eine Viertelstunde an der bestimmten Zeit, in der er fort mußte. Er wollte aber doch wenigstens erst wissen, um was es sich hier handle, und beobachtete deshalb ruhig die Frau, die aber seinem Blick noch auswich und nur einen Anfang zu suchen schien, mit dem sie beginnen könne. Endlich sagte sie:

»Es hilft doch nichts – es ist doch Alles vorbei und ich kann's nicht mehr ändern, also brauche ich auch keine Vorrede mehr zu machen. Erfahren müssen Sie's doch, und der liebe Gott mag's mir vergeben.«

»Aber was, liebe Frau?« sagte der Staatsanwalt, der aus den unzusammenhängenden Sätzen nicht klug wurde.

»Sie wissen eigentlich schon Alles,« flüsterte die Frau, »aber nur noch nicht recht – die Müller war schon bei Ihnen, und es ist jetzt vor den Gerichten.«

»Die Müller? Welche Müller?«

»Die Müller von Vollmers...«

»Aber was hat das mit Ihrem Sohn zu thun?«

»Es ist nicht mein Sohn!« stöhnte die Frau, indem sie sich krampfhaft an der Lehne ihres Stuhles festhielt. »Es ist – der Sohn – des – Baron von Wendelsheim!«

»Alle Teufel!« rief Witte, fast unwillkürlich vor seinem Stuhl emporspringend. »Die Sache ist allerdings wichtig – aber warten Sie einen Augenblick. Fassen Sie Muth, liebe Frau Baumann, gestehen Sie nur Alles aufrichtig, und was ich dann für Sie thun kann, das seien Sie versichert, daß ich es thun werde – ich bin gleich wieder bei Ihnen –« und rasch schritt er durch sein Arbeitszimmer der Schreibstube zu.

»Gerber,« sagte er hier, »Sie mögen einmal hinauf auf das Stadtgericht gehen und dort in Nr. II den Justizrath Bertling bitten, mich auf eine halbe Stunde zu entschuldigen – ich kann jetzt nicht fort. Ist frisches Wasser in der Flasche?«

»Jawohl, Herr Staatsanwalt – eben geholt.«

»Geben Sie mir einmal die Flasche – ich danke Ihnen – ein Glas habe ich selber drüben – ich bin für Niemanden zu sprechen.«

Der Staatsanwalt eilte mit der Flasche und einem Glase zu der Frau Baumann zurück, die sich aber in der Zwischenzeit vollständig erholt und jede Schwäche niedergekämpft hatte. Sie trank allerdings ein Glas Wasser, aber sie schien jetzt vollkommen ruhig und gefaßt. Das Schlimmste war auch eigentlich überstanden, das Geständniß selber abgelegt, das Geheimniß gebrochen, und jetzt blieb ihr nur noch übrig, die nöthige Aufklärung über das Einzelne zu geben, und das mußte ihr leicht werden, denn sie sprach ja nur die reine, lautere Wahrheit.

»Sie haben mir da vorher, meine liebe Frau Baumann,« begann der Staatsanwalt jetzt – denn er wollte vor allen Dingen die Thatsache constatirt haben – »eine wunderbare Eröffnung gemacht, in der ich Sie noch einmal fragen muß, ob ich Sie auch richtig verstanden habe. Sie sagten nämlich, daß Ihr Sohn – Sie meinten damit den Friedrich Baumann, nicht wahr?«

»Ja, Herr Staatsanwalt.«

»Nicht Ihr Sohn, sondern der des Barons von Wendelsheim wäre. Ist das richtig?«

»Ja, Herr Staatsanwalt.«

»Merkwürdig – und weiß der Baron Wendelsheim davon?«

»Nein, Herr Staatsanwalt.«

»Er weiß es nicht?« rief der Mann erstaunt.

»Nein, Herr Staatsanwalt.«

»Aber wie ist das um des Himmels willen möglich? Wußte es denn seine verstorbene Frau?«

»Eben so wenig; sie würde sich eher das Herz aus dem Leibe, als ihr eigenes Kind haben nehmen lassen.«

»Dann muß ich Ihnen aber gestehen, daß ich Ihre ganze Angabe nicht begreife, beste Frau, denn wenn beide Eltern nichts davon wissen, sagen Sie mir, wie es dann irgend möglich ist, einen derartigen Tausch – denn darauf hin läuft doch das Ganze hinaus – vorzunehmen?«

»Und doch ist es wahr,« nickte ruhig die Frau. »Wenn Sie mich aber geduldig anhören wollen, so werde ich Ihnen Alles erklären – Alles – und dann – möchte ich sterben, um die Schande nicht zu erleben, die mich betreffen muß.«

»Ich bin wirklich begierig,« sagte Witte, »denn ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich es nicht begreife.«

»Sie wissen, welche Clausel das Testament hat, das in den nächsten Tagen fällig sein muß,« sagte die Frau.

»Darüber beruhigen Sie sich; ich habe mich mit der verwünschten Geschichte so viel und bis jetzt so nutzlos beschäftigt, daß ich den Gegenstand durch und durch und bis in seine kleinsten Einzelheiten kenne.«

»Der Baron von Wendelsheim, wie mir meine Schwester, des Schuhmachers Heßberger Frau, sagte, hatte Angst, daß ihm kein Knabe, sondern ein Mädchen geboren würde, wonach die Erbschaft für ihn verloren gewesen wäre, und meine Schwester ist eine kluge, aber – Gott vergebe es ihr! – eine böse Frau. Der alte Baron zog sie zu Rathe, und sie wußte Rath. Mir sollte damals das erste Kind geboren werden, und sie war täglich um mich. Es ging uns noch knapp – wir mußten uns mühsam durchhelfen, um nur das tägliche Brot zu gewinnen. Baumann war ein junger Mensch, der damals erst anfing selbstständig zu werden; es reichte hier und da nicht aus, und ich sah für das Kind, das ich erwartete, nur bittere Noth und Sorge. Und doch war ich ehrgeizig. Ich wußte, was Baumann für ein geschickter, braver Mann sei, wie er getrost den Ersten an die Seite treten konnte, und wie doch Andere immer wieder durch Protection oder andere Vergünstigung die Arbeit bekamen, die er hätte eben so billig, und viel, viel besser und tüchtiger liefern können. Das fraß mir in's Herz – aber das nicht allein, auch eine Sünde, die sich meiner bemächtigt hatte: ich war eitel – ich ärgerte mich, wenn andere Handwerkerfrauen besser und vornehmer gekleidet gingen, als ich, und der böse Feind gewann seine Macht über mich.«

Witte hatte ihr aufmerksam zugehört, und hütete sich wohl, sie auch nur mit einem Wort zu unterbrechen. Die Frau, wie sie da vor ihm saß, sprach jetzt die Wahrheit, und wenn er der Sache je auf den Grund kommen wollte, so konnte er nichts Besseres thun, als sie eben ausreden lassen.

»Meine Schwester,« fuhr die Frau nach einer Pause fort, in der sie still vor sich niedergestarrt hatte, »kannte alle meine schwachen Seiten. Sie versicherte mir, daß ich einen Knaben bekommen würde, und der Knabe würde in Lumpen und Jammer groß und sein ganzes Leben geknechtet und herumgestoßen werden; denn was haben die Armen für Rechte auf der Welt! Aber in meinen Händen läge es, den Knaben, das Kind, für das ich mich schon sorgte und ängstigte, ehe es nur athmete, groß und vornehm zu machen und ihm Alles zuzuwenden, nach dem die Menschen hier auf Erden mit allen Kräften streben und es zu erreichen suchen: Rang und Reichthum. Kurz, sie schlug mir vor, den Knaben, wenn es ein Knabe würde, dem Baron von Wendelsheim zu überlassen, der ihn zu seinem Sohn und Erben heranziehen wollte, während ich dagegen sein eigenes Kind, wenn es ein Mädchen wäre, wie mein eigenes pflegen und warten, aber ihm nie im Leben verrathen sollte, wer seine wirklichen Eltern wären.

»Lange sträubte ich mich dagegen,« sagte die Frau mit einem tiefen Seufzer. »Der Gedanke war mir zu furchtbar, mein Kind, mein eigenes Kind herzugeben, um es von fremden Eltern erziehen und pflegen zu lassen. Aber der Hochmuthsteufel, der seinen Sitz in meinem Herzen aufgeschlagen, arbeitete auch in mir und ließ nicht Ruhe. Er malte mir vor, welch ein vornehmer, von allen Leuten geachteter Herr mein Knabe werden könnte, für den ich jetzt nur Noth und Armuth vor Augen sah, und – von dem Teufel geblendet, willigte ich endlich ein. Das Geld, was mir die Heßberger noch außerdem versprach, hatte keinen Werth für mich, reizte mich wenigstens nicht, oder machte mir die Sache leichter; nur mein Kind wollte ich groß und vornehm wissen, und stolz auf es sein können, und mich an ihm freuen, und das andere dafür pflegen und groß ziehen mit meinen besten Kräften – Du großer Gott, ich war selber noch jung und leichtsinnig, und hatte ja keine Ahnung, welche furchtbaren Folgen das in der Zukunft haben könnte!«

»Und dann?« fragte Witte, denn das Alles betraf nur Verabredungen und Vorsätze und hatte nicht den geringsten Werth für ihn.

»Dann,« fuhr die Frau fort, »dann schenkte mir Gott einen Knaben, ein liebes, herziges, gesundes Kind, und ich herzte und küßte ihn, und hatte alle meine Pläne und Hoffnungen vergessen, denn ich dachte es mir nicht mehr möglich, daß ich ihn je wieder freiwillig hergeben und aus meinen Armen lassen könnte. Unglücklicherweise traf es sich aber gerade damals, daß mein Mann verreisen mußte. Er hatte auf dem Gut in Vollmers ein eisernes Gitter aufzustellen.«

»In Vollmers?«

»Ja – wozu er drei oder vier Tage brauchte und auch dort natürlich übernachtete, um am nächsten Morgen gleich wieder mit Tagesgrauen anfangen zu können.«

»Und Ihr Mann wußte von der ganzen Verabredung nichts? Sie hatten nie mit ihm darüber gesprochen, ihn nie um seinen Rath gefragt?«

»Nie. Ich hätte es nicht gewagt, denn er wäre schon bei dem bloßen Gedanken außer sich gerathen, und kannte auch die Menschen besser als ich. Er mochte meinen Schwager nicht leiden, den er für einen Heuchler hielt, und verdachte mir sogar den Umgang mit der Schwester, obgleich er zu gut war, ihn mir ganz zu verbieten – o, wäre ich ihm gefolgt!«

»Und wie wurde es weiter?« fragte der Staatsanwalt, um sie von dieser Abschweifung zurückzubringen.

»An demselben Abend,« erzählte die Frau – »es wurde eben Dämmerung und ich war mit meinem Kind allein –, kam plötzlich meine Schwester zu mir. Sie trug einen weiten, dunkeln Mantel und war in großer Eile. Sie sagte mir, daß die Baronin von Wendelsheim draußen ein Mädchen geboren habe und das sie hinausgerufen wäre, um ihr beizustehen, und jetzt sei der Moment, um das Glück zu ergreifen und festzuhalten. Ich bat und beschwor sie, von ihrem Plan abzustehen; ich sagte ihr, daß ich mich von dem herzigen Knaben nicht trennen könne, daß ich sterben würde. Sie lachte darüber und meinte, mein Knabe solle ein großer und vornehmer Herr werden, und um das zu erreichen, brauche ich nichts zu thun, als viel Geld zu nehmen und still zu sein. Eine Entdeckung war auch nicht zu fürchten; sie allein hatte mir in meinen Nöthen beigestanden und Niemanden weiter dazu gerufen, mein Mann wußte noch nicht einmal, daß uns ein Kind geschenkt sei, und sollte es erst bei seiner Rückkehr erfahren. Sie ließ mir auch gar keine Zeit zum Ueberlegen, und schwach und erschöpft, wie ich mich fühlte, konnte ich ihr nicht einmal Widerstand leisten. Ich weinte und bat nur; aber sie fragte mich, ob ich nicht glaube, daß sie, als meine Schwester, es gut mit mir und dem Kinde meine und mir zu etwas rathen würde, was nicht zu unserem Besten wäre. Dann nahm sie das Kind, schloß die Thür von außen, daß Niemand zu mir konnte, und kam nicht wieder.

»Welche furchtbare Zeit habe ich an dem Abend verlebt!« fuhr sie endlich nach einer Pause fort, während ihr der Schweiß in großen Tropfen auf der Stirn stand und der Staatsanwalt noch immer mit dem Kopf schüttelte, denn er sah keinen Faden durch das Ganze. Wo war das Mädchen geblieben, daß die Baronin geboren haben sollte? – »Welche furchtbare, entsetzliche Zeit!« fuhr die Frau fort. »Ich könnte keine Worte finden, und wenn ich Jahre danach suchte. Stunde nach Stunde verging, und ich weinte nach meinem Kind, während draußen der Sturm die großen Tropfen gegen das Fenster peitschte und der Wind durch den Schornstein heulte. Wie lange ich so gelegen, weiß ich auch nicht: ich muß ohnmächtig geworden und wieder zu mir gekommen sein, ohne daß mir Jemand beistand. Da hörte ich plötzlich einen Schlüssel im Schloß herumdrehen, und nicht meine Schwester, aber mein Schwager trat zu mir herein. Sein Mantel troff von Wasser, aber zitternd, vor Freude zitternd, streckte ich die Arme nach ihm aus, denn ich hörte ein Kind darunter wimmern.

»Mein Kind, mein Kind! rief ich ihm entgegen. O Schwager, bringt Ihr mir mein Kind zurück!«

»Da habt Ihr's,« sagte der Mann mit einem lästerlichen Fluch. »Ist das ein Wetter, um einen Menschen darin hinaus zu jagen? Es war nichts – die Frau Baronin hat selber einen Knaben geboren – da habt Ihr das Eurige wieder, wir können's nicht gebrauchen.«

»Mit Jubel griff ich es und drückte es in meine Arme; aber ich wollte es auch sehen. Es war dunkel im Zimmer, dunkle Nacht. Neben meinem Bett stand ein Feuerzeug; ich machte Licht und entzündete die Lampe. Heßberger blieb neben meinem Bett stehen und hob mein liebes, liebes, schon verloren gegebenes Kind gegen das Licht; aber ein furchtbarer Schmerz zuckte mir durch die Brust.

»Das ist es ja nicht! schrie ich, von Angst und Schrecken erfüllt. Das ist es ja nicht! O, glaubt Ihr, daß ich mein Kind nicht wiederkennen würde?

»Da wurde er ängstlich und bat mich, nicht so zu schreien, die Wände wären dünn, und die Nachbarn könnten am Ende die Worte verstehen. Seine Frau würde am nächsten Morgen selber herüberkommen und mir Alles erklären; nur bis dahin solle ich ruhig sein und das arme Würmchen pflegen, das ohnedies schon halb erstarrt vor Kälte wäre. Und Gott sei es geklagt, er hatte recht! Der Mantel war in dem furchtbaren Wetter naß geworden; das arme, neugeborene Kind hatte kaum noch Leben in sich, als er es zu mir in's Bett legte, und ich konnte ihm ja nicht böse sein. Ich küßt' es und herzt' es, als ob es mein eigenes wäre, und nie die langen, langen Jahre hindurch durfte es sich beklagen, daß ihm eine Mutter gefehlt hätte.«

»Aber, beste Frau Baumann,« sagte der Staatsanwalt, der sie ruhig hatte ausreden lassen, jedoch die Hauptsache noch immer vermißte, obschon ein dunkler Verdacht über das Geschehene in ihm aufstieg – »ich verstehe das noch immer nicht; denn wenn die Frau Baronin wirklich einen Knaben und kein Mädchen....«

»Hören Sie nur weiter,« sagte die Frau, »ich bin gleich zu Ende. Am nächsten Morgen kam meine Schwester zu mir und wollte mir ebenfalls einreden, das sei mein Kind, was ich in den Armen halte; aber sie konnte das Mutterauge nicht täuschen, und wie sie denn endlich einsah, daß all' ihr Reden nichts half, da lenkte sie ein und meinte, sie habe mich das nur glauben machen wollen, damit ich mich um so leichter beruhigen solle. Aber jetzt mußte Sie mir die ganze Geschichte erzählen, oder ich drohte ihr, es meinem Mann zu sagen, und den fürchtete sie; so erfuhr ich denn Alles. Der Baron hatte mit ihr vorher heimlich abgemacht, das Kind, wenn es ein Mädchen sein sollte, gleich nach der Geburt gegen einen Knaben einzutauschen, und ihr dafür nicht allein reichen Lohn für sich, sondern auch für die Mutter des andern Kindes versprochen. Alle Vorbereitungen waren dazu auch getroffen gewesen, und meine Schwester hatte es so einzurichten gewußt, daß sie oben in der Wohnstube nur eine Person um sich hatte, auf die sie sich fest und sicher verlassen konnte.«

»Wer war das?« fragte Witte, mit einer Idee an die Madame Müller.

»Sie ist lange todt,« sagte die Frau; »eine arme Verwandte von uns, die bei Heßberger im Hause wohnte oder dort vielmehr diente. Sie zog aber fort von hier nach Amerika, und wie meine Schwester mir später erzählte, ist sie dort am gelben Fieber gestorben.«

»Und die war mit oben im Schlosse?«

»Ja; meine Schwester hatte auch im Schlosse, wie sie mir gestand, sehr leichte Arbeit, denn weniger der Baron als des Barons Schwester, das gnädige Fräulein von Wendelsheim selber, schien die Verabredung mit ihr getroffen zu haben und unterstützte sie so vollständig in der Ausführung, daß sie völlig freie Hand behielt. Mein Schwager Heßberger wartete mit meinem Knaben in einem kleinen Gartenhäuschen, in dem ein Ofen stand und das ordentlich erwärmt war, weil man ja doch die Zeit nicht genau bestimmen konnte, und die Frau Baronin bekam ihr eigenes Kind gar nicht zu sehen. Meine Schwester erschrak wohl, als sie sah, daß es auch ein Knabe sei; aber der Gewinn, den sie durch den Tausch erwartete, blendete sie – kein Mensch im Schlosse, weder der Baron, noch das gnädige Fräulein erfuhren je, daß ihnen ein Erbe geschenkt worden. Meine Schwester trug das Neugeborene gleich fort, und als sie mit meinem Kinde zurückkam, legten sie den Knaben der Frau Baronin in's Bett, die ihn dann herzte und küßte und Freudenthränen über ihr Glück vergoß.

»Am nächsten Morgen erst kam die Amme, die jetzige Müller aus Vollmers, die aber natürlich nichts von dem Tausch wissen konnte. Aber andere Menschen mußten doch Verdacht geschöpft haben, denn es wurde in der nächsten Zeit viel davon gesprochen, und manche Leute haben sich wohl Mühe gegeben, um hinter die Wahrheit zu kommen. Aber die Heßberger, obgleich damals noch ein junges Weibsen, war ihnen Allen zu schlau, und an mich dachte Niemand; denn wer hätte sich auch denken können, daß der Baron den eigenen Knaben weggegeben, um einen andern einzutauschen? Im Anfang weinte ich auch viel, und der Betrug schnitt mir in die Seele; aber die Schwester wußte mir Alles so golden hinzustellen, und wie wir jetzt viel Geld kriegen und reich und mein Sohn ein vornehmer Herr werden würde, und als mein Mann nach Hause kam, mit keiner Ahnung des Geschehenen, und mit dem Knaben auf dem Arme jubelnd in der Stube herumsprang, da wußte ich, daß er ihn eben so lieb haben würde, als ob es sein eigenes Kind gewesen wäre, und schwieg.«

»Also versteh' ich daraus,« sagte der Staatsanwalt, dessen klares und durchdringendes Auge fest, aber nicht unfreundlich auf der Frau haftete, »daß der Baron von Wendelsheim, oder mehr noch seine Schwester, ohne Vorwissen der Mutter einen Tausch des Kindes beabsichtigten, falls es ein Mädchen sei, und daß Ihre Schwester, trotzdem daß dem Baron ein Knabe geboren wurde, den Tausch ausführte und den Baron wie dessen Schwester glauben ließ, es sei eben ein Mädchen gewesen, nur um sich die ausgestellte Belohnung zu sichern.«

»So war es,« nickte die Frau still vor sich hin – »so war es.«

»Und hat sich der Baron selber später nie um sein wirkliches Kind bekümmert, nie es sehen wollen?«

»Doch,« nickte die Frau. »Da ich immer Angst hatte, daß das Verbrechen trotzdem an den Tag kommen könnte, beruhigte mich meine Schwester, indem sie mir alle getroffenen Vorsichtsmaßregeln erzählte. Auf einem Dorfe in der Nachbarschaft war wenige Tage nachher ein acht Tage altes Mädchen gestorben – dessen Todtenschein verschaffte sich meine Schwester und brachte ihn dem Baron, der von da an glaubte, sein eigenes Kind sei todt, und auch nie wieder seit der ganzen Zeit danach gefragt hat.«

»Das ist eine durchtriebene Person,« nickte der alte Anwalt vor sich hin. »Und welchen Lohn erhielten Sie dafür?«

»Ach, viel, viel Geld!« seufzte die Frau. »Mein Theil betrug, wie mir die Schwester sagte, dreitausend Thaler, und sie wußte das ebenfalls so einzurichten, daß mein Mann – ein gutes, ehrliches Herz außerdem – glauben mußte, es sei eine Erbschaft, die ich erhoben. Aber in so fern habe ich wenigstens gut gemacht, was ich konnte, und Alles, was in unseren Kräften stand, und was wir besonders mit Hülfe jener Summe ersparen konnten, auf die Erziehung des Pflegekindes gewandt. Fritz hat gewiß seine Mutter nie so vermißt, wie ich nach meinem eigenen Kind gejammert habe. Aber jetzt kann es nichts mehr helfen. Die Sache ist allerdings schon vor den Gerichten, und wenn sie den alten Baron und das gnädige Fräulein vorfordern, so müssen die wohl bekennen, doch sie können den Fritz damit nicht mehr retten, denn das dauert zu lange, und die Zeit verfliegt – er soll den Mord schon bekannt haben und ist zum Tode verurtheilt; aber er darf nicht sterben. Mit dem Sohn des Schlossermeisters Baumann machen sie wenig Umstände, das weiß ich. Die Volkert hat ganz recht: was liegt an solch einem armen Menschen und daran, was ihn dazu getrieben! Anders wird es aber, wenn sie erfahren, daß es ein Baron von Wendelsheim, der Erbe von so vielem Geld ist, den sie im Gefängniß halten, und den werden, den dürfen sie nicht tödten.

»So,« sagte die Frau, indem sie mühsam nach Athem rang, »jetzt haben Sie Alles gehört, was ich verbrochen, was mich hiehergetrieben. Ich weiß, daß ich damit Schmach und Schande auf mein eigenes Haupt lade; ich weiß, daß mein eigener Sohn, den ich reich und vornehm machen wollte, arm und niedrig wird, wie wir selber sind; ich weiß, daß ich Unglück über uns Alle bringe, aber Blut – Blut soll nicht vergossen werden, nicht meinethalben – nicht meinethalben. Ich habe Sünde genug auf dem Gewissen, aber ich will kein Blut darauf haben – um des Himmels willen kein Blut!«

Die Frau war erschöpft in ihrem Stuhl zusammengebrochen, und Witte sprang empor, denn er fürchtete, daß sie zu Boden fallen könnte; aber es war nicht körperliche Schwäche, sondern allein nur vollständige geistige Ermattung gewesen, die sie erfaßte, und dagegen glaubte er ein Mittel zu wissen. Er hatte in seiner Stube eine Flasche mit gutem Rum stehen; den holte er vor, goß ihr einen Theil davon unter das noch übrig gebliebene Wasser und hieß sie das trinken. Die Frau nahm es auch und that einen Schluck; aber sie war geistige Getränke nicht gewohnt und setzte es, innerlich schaudernd, wieder ab. Der Staatsanwalt dagegen schenkte sich ebenfalls ein Glas ein; er fühlte sich so aufgeregt, daß er etwas Derartiges bedurfte; aber er schüttelte sich nicht, und erst in der Stube ein paarmal auf und ab gehend, blieb er endlich wieder vor der Frau Baumann stehen.

»Und Ihr Sohn,« sagte er, »oder der Baron Friedrich von Wendelsheim, der er eigentlich ist, hat noch keine Ahnung von seinem Stande?«

Die Frau schüttelte mit dem Kopf.

»Und der Lieutenant eben so wenig?«

»Kein Mensch weiß etwas davon, als Heßbergers und ich – und jetzt Sie.«

»Hm,« sagte der Staatsanwalt, »das ist bei Gott eine wunderbare Geschichte und wird....« Er brach kurz ab, rieb sich mit der flachen Hand den Kopf und setzte seinen unterbrochenen Spaziergang fort.

»Wissen Sie, liebe Frau,« sagte er endlich, als er nochmals stehen blieb, »daß wir mit der Sache in ein wahres Wespennest hineingerathen, denn wenn die Heßberger'schen Eheleute leugnen – und das thun sie jedenfalls –, so glaubt uns nachher kein Mensch ein Wort von der ganzen Bescherung. Es sind vierundzwanzig Jahre darüber hingegangen, und der alte Baron – und sein Satan von einer Schwester erst recht – werden sich hüten, auch nur eine einzige der angeführten Thatsachen zuzugeben. Sie werden es für blanke Lüge und Verleumdung erklären.«

»Ich habe die Wahrheit gesprochen,« sagte die Frau feierlich, »so mir Gott in meiner letzten Stunde beistehen soll!«

»Ich glaube es Ihnen, liebe Frau, ich glaube es Ihnen, jede Silbe, und ich durchschaue auch jetzt das Ganze gut genug, aber Beweise – wo kriegen wir Beweise her? Die müssen wir schaffen, ehe wir nur damit herauskommen können, oder wir verderben Alles.«

»Und indessen tödten sie mir den Sohn, den ich genährt und erzogen und so lieb habe wie den eigenen!« rief die Frau in Angst und Aufregung.

»Wen? Den Fritz Baumann?«

»Hat er denn nicht gestanden und soll er nicht schon übermorgen hingerichtet werden?«

»Unsinn,« sagte der Staatsanwalt mürrisch, »altes Weibergeschwätz in der Stadt. So schnell geht die Sache nicht, und wenn er den alten Mann wirklich überfallen hätte, was ich aber nicht einmal glaube. Nein,« setzte er hinzu, als ihn die Frau zweifelnd anstarrte, »machen Sie sich deshalb keine Sorgen; Sie haben deren schon außerdem genug. Er sitzt allerdings noch im Gefängniß, und möglich, daß er auch noch ein paar Wochen dort bleiben muß, denn die Herren Richter haben darüber ihre eigenen Ansichten, aber weiter wird ihm nichts geschehen – verlassen Sie sich auf mich.«

»Aber die Volkert hat mir doch gesagt,« stammelte die Unglückliche ganz verstört – denn jetzt erst kam ihr der Gedanke, daß vielleicht das ganze Geständniß unnöthig gewesen wäre – »daß er bekannt hätte und am Freitag hingerichtet werden solle.«

Der Staatsanwalt mochte vielleicht ahnen, was in ihrer Seele vorging, und es lag ihm selber daran, das Gefühl jetzt nicht in ihr aufkommen zu lassen. »Ich weiß nicht, woher die Frau Volkert ihre Nachrichten schöpft,« sagte er deshalb, »kenne die Dame auch nicht und glaube nicht, daß der junge Mann sich zu dem Verbrechen bekannt hat. Wäre es aber auch wirklich der Fall, so beruhigen Sie sich vollständig, über eine so rasche Ausführung der Strafe. Das geschieht nicht und kann nach unseren Gesetzen gar nicht geschehen, da selbst einem jeden Verbrecher, und sei er der schwerste, der Weg zur Gnade des Königs noch immer offen steht. In diesem Fall aber und im Besitz des Geheimnisses, das Sie mir eben mitgetheilt, würde ich selber die nöthigen Schritte thun, um eine über ihn verhängte Strafe hinauszuschieben, und deshalb brauchen Sie sich keine Sorge zu machen – Ihr Fritz soll nicht sterben.«

Die Frau faltete die Hände. »Dann mag nachher mit mir geschehen, was da will,« sagte sie leise. »Und wenn ich das Furchtbare nun erst noch meinem braven Mann gestanden und seine Verzeihung erfleht habe, dann glaube ich auch, daß mir der liebe Gott die Sünde vergeben wird. Die Menschen mögen mich dann strafen – ich habe es verdient und will es gern ertragen.«

»Ihrem Mann wollen Sie es gestehen?« sagte der Staatsanwalt. »Hm – ja....«

»Und muß ich denn nicht?« fragte die Frau erstaunt. »O, wenn ich es vor langen, langen Jahren gethan hätte, es wäre vieles Elend abgewandt!«

»Die Sache ist nur die,« meinte Witte verlegen, »daß wir damit eigentlich nicht unter die Leute treten dürfen, bis wir nähere Beweise dafür bringen können. Haben Sie kein Zeichen, an dem Sie Ihr eigenes Kind fest bestimmen könnten, kein Maal oder sonst etwas?«

Die Frau schüttelte mit dem Kopf. »Nein,« sagte sie, »kein anderes Zeichen als das Herz der Mutter. Er kennt mich ja auch selber nicht,« setzte sie traurig hinzu; »wie oft habe ich mich ihm in den Weg gestellt, um ihm in die guten, treuen Augen – ganz wie sie sein Vater hat – zu schauen! Er kannte mich nicht einmal, sah mich kaum, dankte nur manchmal vornehm oder auch gar nicht und ging vorüber, und mir hätte das Herz dann in der Brust zerspringen mögen, daß ich's mit beiden Händen halten mußte.«

»Arme Frau....«

»Jawohl, arme Frau – o, was ich geduldet und getragen habe die ewig lange Zeit, und immer allein, immer allein, mit keiner Seele, der ich mich vertrauen durfte – ich könnt's nicht sagen. Jetzt zum ersten Mal fühl' ich mich leichter, jetzt zum ersten Mal ist mir, als ob ich wieder Frieden finden könnte. Aber mein armer Bruno,« setzte sie seufzend hinzu, »wie wird er es tragen? Muß er nicht seiner eigenen Mutter fluchen, daß sie ihm allen Glanz der Erde zeigte, nur um ihn dann wieder herauszureißen und zu einem der Niedrigsten zu machen?«

»Das ist wirklich eine verzweifelte Geschichte,« murmelte der Staatsanwalt, dem indessen eine ganze Menge von Dingen durch den Kopf fuhren. Nicht allein Herr Bruno von Wendelsheim würde nämlich erstaunt über den Wechsel der Verhältnisse sein, sondern auch seine eigene Frau. Aber was half ihm das Alles? Beweise brauchte er, weiter nichts als Beweise; denn daß das Zeugniß einer einzigen alten Frau nicht ausreichen würde, um besonders in einer so wichtigen und bedeutenden Erbschaftssache die ganze Erbfolge umzustoßen, konnte er sich nicht verhehlen. War es ja doch, wie das Gericht einwenden würde, ihr eigener Sohn, dem sie durch ein solches Geständniß das riesige Erbe zuwenden wollte, und daß man das nicht so ruhig hinnahm, ließ sich denken. Und was der Major dazu sagen würde? Recht hatte er freilich gehabt, daß damals nicht Alles redlich zugegangen, wenn es bei ihm auch blos Verdacht, nie Gewißheit gewesen; aber ihm half es trotzdem nichts, wie die Sachen standen. Und seine eigene Frau? Er kratzte sich mit der rechten Hand hinten am Kopf und lief noch immer mit schnellen Schritten im Zimmer auf und ab. Außerdem konnte er der Frau nicht verdenken, jetzt, da sie ihm das schwere Geheimniß eröffnet, auch ihr Herz gegen ihren Mann auszuschütten, und daß sie da einen harten Stand bekam, ließ sich denken. Aber ihm setzte sie damit ebenfalls das Messer an die Kehle, denn wenn jetzt etwas in der Sache geschehen sollte, mußte es rasch geschehen; er wußte nur nicht, wie.

Mitten im Herumlaufen fiel ihm sein Justizrath ein. »Hilf Himmel, wie rasch die halbe Stunde vorüber war!« Er mußte jetzt fort, denn es betraf einen wichtigen Fall, der nothwendig eine vorherige Besprechung erforderte, und die Zeit war jetzt schon beinahe abgelaufen.

»Liebe Frau Baumann,« sagte er deshalb, »ich muß fort, ich kann nicht länger ausbleiben. Gehen Sie indessen nach Hause und überlegen Sie sich die Sache noch einmal ordentlich unterwegs. Treibt Sie Ihr Herz, mit Ihrem Mann offen darüber zu sprechen – ich kann's Ihnen nicht verdenken –, so thun Sie es, aber bitten Sie ihn, mit keinem Menschen weiter darüber zu reden, bis ich ihn selber gesehen habe. Ich komme dann, wenn die Sitzung vorüber ist, bei Ihnen vor. Wollen Sie mir das versprechen?«

»Ja, Herr Staatsanwalt,« sagte die Frau leise, »denn ich glaube, daß Sie es gut mit uns meinen.«

»Sie können sich darauf verlassen, liebe Frau.«

»Und der Fritz? – Es geschieht ihm gewiß nichts Böses, wenn wir nicht gleich erzählen, daß er vornehmer Leute Kind ist?«

»Es geschieht ihm nichts, die Versicherung kann ich Ihnen geben. Ich werde dafür sorgen, daß er in keine Gefahr kommt, und wenn irgend eine Aenderung in der Untersuchung eintreten sollte, so komme ich augenblicklich zu Ihnen oder schicke nach Ihnen und lasse es Sie wissen.«

»Ich danke Ihnen, Herr Staatsanwalt, ich danke Ihnen recht von Herzen – auch für die freundlichen Worte, die Sie zu mir gesprochen. Ich hatte schon geglaubt und gefürchtet, alle Menschen, die mein Vergehen erführen, müßten mich von jetzt an nur hassen und verabscheuen, und ich trage doch wahrlich nicht die Schuld – o, ich allein hätte es nie, nie gethan!«

»Seien Sie ohne Sorge, Frau Baumann,« sagte der alte Herr, der aber jetzt etwas ungeduldig wurde. »Ich habe Sie nun kennen gelernt, und ich glaube, ich durchschaue das Ganze. Wir wollen sehen, wie sich Alles zum Besten wenden läßt, und in spätestens zwei oder drei Stunden bin ich bei Ihnen.«

Damit ging er nach der Thür zu und nahm drin in seinem Zimmer Hut und Stock. Frau Baumann folgte ihm auch, und mit gesenktem Haupte schritt sie zwischen den Schreibern hin, die sich indeß die Köpfe zerbrochen hatten, was die Frau so Wichtiges mit ihrem Chef zu sprechen hatte, daß er einen besondern Boten auf das Amt hinaufschickte, um eine Verhandlung aufzuschieben, und sie jetzt beinahe sogar versäumte. Aber sie erfuhren nichts. Der Staatsanwalt lief, ohne selbst seiner Frau Adieu zu sagen, die Treppe hinunter, um noch zur rechten Zeit an Ort und Stelle zu sein, und langsam – o, wie waren ihr die Füße so schwer geworden, als sie diesmal ihrer Heimath entgegenschritt – folgte ihm die Frau.

Ende des zweiten Bandes.

Druck von G. Pätz in Naumburg a. d. S.

Hinweise zur Transkription

Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt.

Der Halbtitel wurde entfernt.

Ein an den vorderen Buchdeckel angeklebter Zettel mit Verlagswerbung wurde nicht in den Text aufgenommen.

Abschnitte, die abweichend in Antiqua gesetzt wurden, sind in der Transkription in kursiver Schrift dargestellt.

Fehlende und falsch gesetzte Anführungszeichen wurden stillschweigend korrigiert.

Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, mit folgenden Ausnahmen:

Seite 43:
"," eingefügt
(wie von dem Vater selber, wie von der Tante besonders)

Seite 55:
"peischte" geändert in "peitschte"
(während der Regen an die Fenster peitschte)

Seite 107:
"senie" geändert in "seine"
(während seine Frau aufstand und in die Küche ging)

Seite 110:
"schmelmisches" geändert in "schelmisches"
(schelmisches Lächeln flog über die Züge des jungen Mannes)

Seite 127:
"das" geändert in "daß"
(ich wußte nicht, daß Ihr Verstand schon so vollständig)

Seite 145:
"Sie" geändert in "sie"
(deshalb sollen sie mir gerade an's Messer)

Seite 147:
"erwidert" vereinheitlicht zu "erwiedert"
(Beleidigung nicht allein erlitten, sondern auch gleich erwiedert)

Seite 155:
"," eingefügt
(sagte ihr Mann, »Du redest einmal wieder in den Tag hinein)

Seite 182:
"." eingefügt
(es noch vor der Hand abgelenkt, aber nur unter Einer Bedingung.«)

Seite 251:
"wie" geändert in "nie"
(nie ist ein unfreundliches Wort zwischen uns gefallen)

Seite 263:
"," eingefügt
(sagte dieser auf ihre deshalb gemachte Bemerkung, »ich wäre)

Seite 268:
"kamst" geändert in "kannst"
(so kannst Du Dich auch fest darauf verlassen)

Seite 280:
"Reisensenden" geändert in "Reisenden"
(und alle Reisenden scharf musterten)

Seite 281:
"," eingefügt
(er fing an, die Menschen in seinem Herzen)

Seite 284:
"mölich" geändert in "möglich"
(um dem Dieb wo möglich auf die Spur zu kommen)

Seite 287:
"Uebelhäter" geändert in "Uebelthäter"
(ihm vielmehr den Uebelthäter gleich in die Hände geliefert)

Seite 324:
"Bureau" vereinheitlicht zu "Büreau"
(deutlich genug durch ein Schild das Büreau des Staatsanwalts)

Seite 324:
"uud" geändert in "und"
(dort wurde sie doch nicht verachtet und zurückgestoßen)

Seite 329:
"." eingefügt
(Mir wirbelt der der Kopf jetzt noch vom vielen Denken.«)

Seite 342:
"das" geändert in "daß"
(meine Schwester hatte es so einzurichten gewußt, daß sie oben)

Seite 343:
"vergaß" geändert in "vergoß"
(und Freudenthränen über ihr Glück vergoß)






End of Project Gutenberg's Der Erbe. Zweiter Band., by Friedrich Gerstäcker

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER ERBE. ZWEITER BAND. ***

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the applicable state law.  The invalidity or unenforceability of any
provision of this agreement shall not void the remaining provisions.

1.F.6.  INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
with this agreement, and any volunteers associated with the production,
promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation information page at www.gutenberg.org


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at 809
North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887.  Email
contact links and up to date contact information can be found at the
Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     gbnewby@pglaf.org

Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit:  www.gutenberg.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For forty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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