The Project Gutenberg EBook of Tahiti: Roman aus der Südsee. Vierter Band, by Friedrich Gerstäcker This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org Title: Tahiti: Roman aus der Südsee. Vierter Band Author: Friedrich Gerstäcker Release Date: June 23, 2014 [EBook #46083] Language: German Character set encoding: ISO-8859-1 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK TAHITI *** Produced by richyfourtytwo and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
Roman aus der Südsee
von
Friedrich Gerstäcker.
Zweite unveränderte Auflage.
Vierter Band.
Der Verfasser behält sich die Uebersetzung dieses Werkes vor.
Leipzig,
Hermann Costenoble.
1857.
Seite | |||
Cap. | 1. | Die Schlacht von Mahaena | 1 |
" | 2. | Alte Abrechnungen | 55 |
" | 3. | Das Lager der Insulaner | 103 |
" | 4. | Die Flucht | 142 |
" | 5. | Lefévre und Aumama | 170 |
" | 6. | Der Angriff auf Papetee | 218 |
" | 7. | René und Susanna | 248 |
" | 8. | Schluß | 302 |
»Joranna!« – und die Palmen rauschten dazu ihre leise wehmüthige Weise, und wie grollend, zürnend tönte der dumpfe Donner der Brandung ihm in's Ohr – »Joranna!« – »Und doch ja auch nur für wenige Tage!« rief er dann plötzlich sich abwendend und mit der Hand die Stirne streichend, als ob er da alle die trüben traurigen Ideen fortwischen wolle. »Unsinn, sich das Herz da schwer zu machen mit Sorge und Noth und tollen, trüben Ideen; wie rasch verfliegt die Stunde, und Wochen schwinden, daß man sie kaum zählen kann. Nein, nicht muthwillig mag ich mir das Leben schwer machen, ein tückisches Schicksal quält und neckt uns überdies schon genug, wirft Wermuth in den süßesten Becher, oder giebt der Frucht Stacheln nach der unsere Lippe sich sehnt. Fort; in der Stadt vergeß ich die Grillen und mein Haus mag heute sehen wie es allein fertig wird.«
Und den Hut fest in die Stirn drückend, die Arme über der Brust zusammengeschlagen und den Kopf gesenkt, ging er mit raschen Schritten nach der Stadt zurück und betrat, seine Grillen wie er sie nannte, mit einer Flasche Wein niederzuschwemmen, das erst seit kurzer Zeit etablirte Haus eines Franzosen, Viktor, ließ sich eine Flasche Claret geben, und setzte sich, ein paar Gläser rasch hintereinander hinunterstürzend, den Kopf in die Hand gestützt, allein an einen Tisch, in die entfernteste Ecke der Stube – gedankenvoll auf das vor ihm ausbreitende Meer hinausschauend.
Wohl eine Stunde mochte er so gesessen haben, die Flasche stand geleert vor ihm, und noch immer starrte er düster vor sich hin, als eine Hand ihm derb auf die Schulter klopfte und eine fröhliche Stimme seinen Namen rief:
»René!«
René schaute langsam auf, sprang aber im nächsten Augenblick von seinem Sitz empor und rief, dem Freund beide Arme entgegenstreckend und ihn an's Herz drückend:
»Adolphe! mein lieber, lieber Freund, wo kommst Du her? zehntausendmal willkommen auf Tahiti.«
»Und Dir geht es gut?« frug Adolphe, die ersten herzlichen Begrüßungen vorüber – »es gefällt Dir hier, und Du bereust Dein Weglaufen nicht?«
»Bereuen?« lächelte René, »ich habe Alles hier, was das Menschenherz nur fordern oder verlangen könnte und sollte bereuen? – Doch« – unterbrach er sich plötzlich, den Freund erstaunt betrachtend – »spielst Du Maskerade oder ist es jetzt Sitte hier geworden, französische Uniformen anzulegen? was thut der Wallfischfänger in der Officiersuniform?«
»Peste!« lachte Adolphe, »ich hatte das Leben ebenfalls satt, und da uns gute Kräfte hier fehlen, hielt ich den Zeitpunkt für geeignet, meine alte Carrière wieder aufzunehmen. Hol der Teufel die Freiheit am Bord eines Wallfischfängers; durch Du Petit Thouars selber, von dem ich die Ehre habe schon seit frühern Zeiten gekannt – vielleicht überschätzt zu sein, sind mir die Epauletten wieder auf die Schultern gedrückt, mit denen ich seit langer Zeit fertig zu sein glaubte.«
»Und seit wann bist Du hier?« frug René erstaunt.
»Seit drei Tagen etwa; aber wie mir gesagt wurde, wärst Du zurück nach Atiu gegangen, wo wir Dich damals ließen.«
»Ich habe die Erlaubniß noch nicht erhalten, einer langweiligen Untersuchung wegen.«
»Ich weiß, ich weiß, wegen einer Französischen Schildwache, man hielt das aber für abgemacht – nun desto besser, so hab' ich Dich doch hier noch getroffen, ich wäre aber später jedenfalls einmal hinübergekommen, Dich zu besuchen. Mensch ist es möglich – Du hier verheirathet und Familienvater? – nun die Sache klingt gefährlicher, wie sie ist.«
»Ich fühle mich glücklich darin,« sagte René. –
»Und was willst Du jetzt auf Atiu?«
»Dort bleiben.«
»Bah, Unsinn –«
»Unsinn? – weshalb?«
»Du willst Dich, mit acht und zwanzig Jahren in einem Cocospalmenwald vergraben und mit der Welt fertig sein? – Mensch bist Du denn wahnsinnig oder hast Du die Lektionen am Bord des Delaware noch nicht vergessen? und ein indianisches Mädchen – René, René, ich fürchte fast, Du hast da Dir selber einen recht bösen Streich gespielt, und ich habe Dir am Ende gar keinen so besonderen Dienst geleistet, als ich die Bande durchschnitt die Dich hielten. Das Schlimmste gereicht uns oft zum Glück, und das gerade, was wir armen kurzsichtigen Sterblichen im Anfang für die Krönung unserer Wünsche halten, ist nicht selten der Beginn von – gerade dem Gegentheil.«
»Du kennst Sadie nicht,« lächelte René – »sie ist nur Indianerin von Geburt, sonst aber fast ganz in europäischen Sitten und Gebräuchen auferzogen.«
»Desto schlimmer für sie,« brummte Adolphe kopfschüttelnd. »Ich habe auch darüber schon Manches munkeln hören. Aber was zum Teufel bleibst Du da nicht wenigstens in Papetee? – hier hast Du doch einen Wirkungskreis für irgend eine Thätigkeit; auf Atiu versauerst Du ja doch, und zehn Jahre dort, machen Dich untüchtig für irgend einen menschlichen Beruf.«
»Verhältnisse, lieber Adolphe, bestimmen den Menschen,« lächelte der Freund, wenn auch nicht mehr so ganz unbefangen. »Sadie fühlte sich hier nicht glücklich zwischen den Europäerinnen und –«
»Aber ich denke sie hat eine ganz europäische Erziehung bekommen – wie stimmt das?«
»Ich – ich selber fühlte auch daß wir dort drüben würden viel freier, ungehinderter leben können« entgegnete René ausweichend.
»Ungehinderter? das glaub der Teufel,« lachte Adolphe, »wer sollte Euch dort stören? wenn da nicht einmal zufällig ein vereinzelter Wallfischfänger anlangte – aber apropos René – weißt Du denn, daß Capitain Lewis Tochter hier auf Tahiti und sogar in Papetee ist?«
René fühlte, daß ihm das Blut in die Schläfe stieg und drehte sich rasch ab, nach einer frischen Flasche Wein zu rufen.
»Ich weiß es,« sagte er gleichgültig – »ich habe sie hier auf einem Ball kennen lernen, sie wohnt jetzt bei Belards; aber Adolphe –« rief er, rascher sich dem Freund wieder zudrehend, der ihn aufmerksam betrachtete – »Du hast mir ja noch gar nicht erzählt, was Ihr damals mit dem ehrwürdigen Manne gemacht habt, den Ihr statt meiner an Bord nahmt. Was sagte er denn, als er wieder zu sich selber kam?«
»Was er sagte?« lachte Adolphe in der Erinnerung an jenen Abend laut auf, »er war Feuer und Flamme, und wollte augenblicklich an Land gesetzt sein. Mein Glück übrigens wars, daß er behauptete Einer der Bootsleute habe ihn zu Boden geschlagen und gebunden und geknebelt, und unser alter Seehund von Harpunier wußte recht gut, daß ich nicht lange genug oben gewesen war, das möglicher Weise zu Stande zu bringen, wenn er mir's auch zutraute, während keiner der Anderen das Boot verlassen haben wollte, und auch in der That verlassen hatte. So ärgerlich der Alte übrigens auch war, daß wir Dich nicht, trotz aller gemachten Auslagen, wie des Aufenthalts und bösen Beispiels wegen, wiederbrachten, so sehr freute er sich doch jedenfalls heimlich, daß es gerade der Schwarzrock gewesen, der darunter leiden mußte, noch dazu, da er einen Matrosen verrathen, und wir Alle kamen so, wenigstens für den Augenblick, mit einem blauen Auge davon. Nichtsdestoweniger hatten sie gegründete Ursache auf mich den stärksten Verdacht einer Mitwissenschaft zu werfen, und wenn ich mir auch nicht gerade besonders viel daraus machte, wurde doch das Leben an Bord für mich dadurch nach und nach so fatal, daß ich mich zuletzt in Honolulu, als wir von oben wieder herunter kamen, auszahlen ließ und nicht einmal mit dem Schiff zu Hause ging. Ich bin übrigens dem geistlichen Herrn eben heute Morgen hier in der Straße begegnet – und ob er mich nicht wieder erkannte? Wie er nur einen Blick auf mich warf, blieb er im ersten Moment überrascht stehen, – er wußte wahrscheinlich nicht gleich wo er mich hinthun sollte; als ich aber ein, vielleicht etwas malitiöses Lächeln doch nicht verbeißen konnte, und ihm auch wahrscheinlich dabei einfiel bei welcher, für ihn so fatalen Gelegenheit wir uns zum letzten Mal gesehen, quoll ihm das Blut wie eine Springfluth in's Gesicht und er ging rasch, und ohne mich weiter eines Blicks zu würdigen, an mir vorüber, die Straße hinab.«
»Ja, er hat hier seine Mission« sagte René noch in der Erinnerung an heut Morgen, mit zusammengezogenen Brauen, »mir aber ist er bis heute ausgewichen wie dem bösen Feind, und wirklich heute Morgen zum ersten Mal hat er meine Schwelle, in meiner Anwesenheit überschritten, um Abschied von meiner Frau zu nehmen.«
»Will er fort?«
»Nein, meine Frau hab' ich hinüber nach Atiu, mit einem der anderen protestantischen Missionaire geschickt, um später nachzukommen.«
»So so?« sagte Adolphe gedehnt, »Du bleibst jetzt noch allein in Papetee – und wo wirst Du wohnen?«
»Ich wollte eigentlich gern in meinem Haus draußen bleiben, aber ich fürchte es wird nicht gehen – heute Morgen wenigstens kreuzten schon dumpfe Gerüchte von einem wirklichen Aufstand, und was ich hier darüber gehört, bestätigt das nur. Als einzelner Franzose setzte ich mich da draußen doch am Ende Unannehmlichkeiten aus.«
»Nein, Gott bewahre« rief Adolphe rasch – »diese Indianer sind seelensgute Menschen wenn in Frieden gelassen, aber treib' sie erst einmal dazu daß Blut fließt, und sie sind wie die Tiger, unersättlich. – Ich fürchte auch wir bekommen hier noch einen verwünscht schweren Stand, denn die zwei Schiffe sollen, wie ich höre, an allen Inseln zugleich anklopfen, und wenn sie da in Papetee nicht eine recht tüchtige Besatzung zurücklassen, so weht einmal eines Morgens die Tahitische Flagge statt der Französischen, und für unsere Leben, alle mitsammen, möcht' ich dann keinen Franc geben. Die Missionaire thun außerdem was sie können, die Eingeborenen gegen uns aufzuhetzen.«
»Verdenken kann ich's ihnen nicht« entgegnete René, die geleerten Gläser wieder vollschenkend, »haben sie doch meine Landsleute hier vollständig aus dem Sattel gehoben, und jeder wehrt sich seines Brodes so gut er kann.«
»Peste, René, Du vertheidigst die Schwarzröcke wohl gar?« lachte Adolphe. »Wetter mein Bursche, hast Du Dich geändert. Die Luft hier muß anstecken.«
»'Bist im Irrthum, Adolphe, nur den Stand selber vertheidige ich, der hier ein Recht hat zu existiren, sobald wir nur den Schatten eines solchen beanspruchen wollten. Stände ihnen die eigene Bibel nicht dabei im Wege, wären sie gerade die Leute die sich zu Herren des Landes erklären dürften, insoweit sie zuerst hier ihren Wohnsitz, und damit nach dem Rechte der Entdecker, Besitz von dem Lande nahmen. Doch es fällt mir nicht ein ihre Parthei zu ergreifen« setzte er rasch hinzu, »und Gott weiß es, sie haben mir das Leben hier schon manchmal recht verbittert, ja – hätten es mir verleiden können.«
»Haben Sie Dich nicht auch bekehren wollen?« lachte Adolphe.
»Nun ja, im Anfang wohl dann und wann, das gaben sie aber doch bald auf – die Besseren unter ihnen sind auch tüchtige wackere Leute, Menschen die, wenn auch nicht immer den Kopf, doch jedenfalls das Herz auf der rechten Stelle haben, die Mehrzahl aber, mit ihrem ewigen Beten und Psalmensingen, könnte einen Heiligen zu Verzweiflung bringen. Ich glaube wenn ich noch ein Jahr hier in Papetee geblieben wäre, hätten sie mir mein Weib entweder abtrünnig, oder da das nicht ging, verrückt gemacht.«
»Hat Dir der Ehrwürdige Mr. Rowe noch Nichts weiter in den Weg gelegt?« frug Adolphe.
»Er hat noch nichts Anderes gethan fast, als gesucht einen Anhaltepunkt zu finden. Es hieß einmal, er sollte mit einem speciellen Auftrag an die Tafel der Missionaire abgeschickt werden, den hat aber wahrscheinlich Mr. Pritchard mitbekommen, den sie hier fortschicken mußten, wenn sie je hoffen wollten, sich mit den Eingeborenen wieder anders als mit den Waffen in der Hand zu verständigen. Ich wollte übrigens dieser Rowe wäre fort von hier, mir verbittert sein kaltes scheinheiliges Gesicht jedesmal den ganzen Tag, wenn er mir einmal zufällig über den Weg läuft, und ich kann mich des Gedankens kaum erwehren, daß er mir noch irgend einmal feindlich in's Leben greift. Seine Schuld wird's auch in der That nicht sein, wenn er eine, sich ihm vielleicht einmal bietende Gelegenheit unbenutzt vorübergehen ließe. Doch fort mit dem Schleicher, wir haben wahrlich Besseres zu thun, als an ihn zu denken. Und Du bleibst jetzt hier auf den Inseln, Adolphe?«
»Eine Zeitlang wenigstens, und so lange es etwas zu thun giebt,« erwiederte der Freund.
»Wenn Du nur einmal eine kurze Zeit hier bist, wird es Dir auch schon besser gefallen« lächelte René, »vielleicht sogar machst Du mir's nach, und wir werden noch am Ende Nachbarn – Adolphe, diese Inseln sind ein wirkliches Paradies.«
Adolphe schüttelte mit dem Kopf.
»Und doch möchte ich es nicht auf die Länge der Zeit mit Dir theilen« sagte er ernster – »ja, nach einem langen und vielleicht langweiligen Kreuzzug durch die Meere, nach Eis und Schneegestöber da oben in jenen unwirthlichen Regionen, nach Entbehrungen und Strapatzen, wie sie der verweichlichte Landbewohner kaum für möglich halten würde – und in der That auch kaum für möglich hält – thut es Einem wohl, wieder einmal eine kurze Zeit unter Palmen auszuruhn, – und die freundlichen Gesichter der Eingeborenen, wenn erst einmal diese unglücklichen Conflikte vorüber sind, bilden keine unangenehme Zugabe solcher Rast –; aber da bleiben, wohnen, heirathen, und seine Existenz hier beschließen? nein, ich glaube ich hielte das gar nicht aus, ja ich bin fest davon überzeugt daß ich nicht einmal den Versuch machen möchte.«
»Und was könnte das Herz mehr verlangen als es hier findet?« rief René – »was bietet Dir Gottes Welt Schöneres, wohin Dich der unstete Fuß auch trägt, als diese Küsten, wenn Du ein Wesen hier findest, das dieses Glück mit Dir theilt? was würde Dir in diesem Paradiese fehlen?«
»Der Nerv es zu genießen, es zu schätzen« rief Adolphe rasch, »Thätigkeit – Entbehrungen, Leben mit einem Wort, wie es der alte Herr da oben für uns erschaffen, und gar erstaunlich weise eingerichtet hat – ich verginge in dem Müßiggang. Nein René, nein, und tausendmal nein, wenn Du Dir selber vorlügen willst daß Du Dich glücklich darin fühlst. Ich glaube es nicht, weil ich überhaupt nicht an Unmöglichkeiten glauben mag, und Dir noch obendrein so etwas gar nicht wünschen wollte. Du mit Deinem leichten lebensfrischen Herzen, der Abgott Deiner Kreise einst in Paris, der eben nur übermüthig und übersättigt wurde durch das Glück, das überall auf ihn einstürmte. Du, dem noch bis jetzt kein Welttheil vermögend war in seinen Grenzen zu halten, Du solltest jetzt Deine Heimath in einer Bambushütte gefunden haben und mit Deinen Lebensbedürfnissen auf einen Brodfruchtbaum und eine Angel angewiesen sein? – Unsinn René! – hahaha komisch ist's aber doch, wenn ich mir das so denke, und komischer noch daß ich ernstlich dagegen anstreite. Bah! geh Du einfach wieder nach Atiu hinüber, aber mit dem was Dir jetzt durch Herz und Seele zieht, was Dir schon, Du magst es verleugnen wie Du willst, in den Augen mit unvertilgbaren Zügen geschrieben steht, lebst Du noch ein Jahr drüben und springst nachher wieder selbst an Bord eines Wallfischfängers, wenn Du auf keine andere Weise fortkommen kannst, oder – Du bist elend und unglücklich.«
»Nein nein Adolphe, Du hast Unrecht« rief René, aber er war aufgesprungen, und ging mit raschen Schritten im Zimmer auf und ab. »Du hast Unrecht, und ich werde es Dir beweisen; habe ich Dir doch schon früher gezeigt was ich durchsetzen kann, und auch damals hieltest Du es für unmöglich.«
»Armer René« sagte Adolphe – »schon mit den Worten gestehst Du mir Alles ein, ohne es selber vielleicht zu wissen; und doch irrst Du Dich. In tollkühnem Muth, einer Gefahr trotzend, die sich Dir noch so wild und furchtbar entgegenstellt, ja; im kecken Wurfe bist Du im Stande und setzest Dein Leben ein und gewinnst. Ich glaube nicht daß Du Dich durch irgend eine Schwierigkeit oder Gefahr von irgend einem gefaßten Vorsatz, wär er noch so wahnsinnig, zurückschrecken ließest. Du hast mir das mehrfach bewiesen und am schlagendsten durch Deinen Ein- wie Austritt an Bord des Wallfischfängers; hier aber, wo es darauf ankommt durch zähes geduldiges Ausharren ein Ziel zu erreichen, gäbe es keinen unpassenderen Gesellen dazu wie Dich, und zwingst Du Dich hinein, so gehst Du darüber zu Grunde – denk' an mich.«
Wilder Lärm draußen unterbrach sie hier; die Leute sprangen durch einander und verworrene Rufe wurden laut. Die beiden jungen Leute waren der Thür zugeeilt, zu sehn was es gäbe, als draußen die scharfen Schläge einer Trommel ertönten.
»Alle Wetter!« rief Adolphe, »es scheint Ernst zu werden, die Trommel ruft uns auf unsere Sammelplätze. Und wo sehen wir uns wieder, René?«
»Heute Abend hier.«
»Gut denn, und ade so lange!« und mit herzlichem Kuß und Handdruck trennten sich die Freunde, Adolphe seinem neuen Beruf mit all dem lebendigen Feuereifer obliegend, eben in dem Neuen der Sache den Reiz findend der ihn auch für manche Last und Unannehmlichkeit entschädigen mußte, während René in der Thür stehen blieb und ihm die Straße hinab nachschaute, bis ihn eine Biegung derselben seinen Blicken entzog. Tief aufseufzend drehte er sich dann um und wandte sich, theils in das Haus zurück zu gehen und seinen Hut zu holen, theils zu sehen was es gebe, als er seinen Namen gerufen hörte und sich umschauend Lefévre erkannte, der mit ausgestreckter Hand auf ihn zu kam.
Der früher so muntere und leichtherzige Nachbar sah aber gar verändert und angegriffen aus. Er trug den linken Arm in der Binde und war bleich und abgemagert, auch der Blick seines Auges hatte etwas Feindliches, Stieres gewonnen, das er sonst nicht gehabt.
»Hallo Lefévre, wie sehn Sie aus?« rief René erstaunt – »wo wurden Sie denn verwundet, und sind denn unsere Truppen schon mit den Eingeborenen zusammengetroffen?«
»Hier noch nicht« sagte Lefévre, mit einem eignen Lächeln in den scharf ausgeprägten und keineswegs angenehmen Zügen, »wenigstens bis heute Morgen nicht, aber jetzt gerade gehts los, und ich will mir nur eben meinen Säbel und meine Pistolen holen, als Freiwilliger den Spaß mit zu machen.«
»Mit dem Arm in der Binde?« sagte René kopfschüttelnd. »Sie sollten froh sein daß Sie eine Entschuldigung haben nicht gegen die Eingeborenen fechten zu müssen, weshalb das muthwillig herbeiziehen. Gehören wir Beiden nicht zu ihnen?«
»Zu den rothen Hallunken?« rief Lefévre mit einem wilden Fluch – »hol sie der Teufel alle, denn nicht Frieden giebts, bis wir die eine Hälfte von ihnen todtgeschlagen, und die andere in ihre Bergschluchten hineingejagt haben, dort von Feis und wilden Ziegen ihr Mahl zu halten. Daß die Pest zwischen sie fahre!«
»Lefévre?« rief René erstaunt – »was ist denn mit Ihnen vorgegangen? – wo ist Aumama?«
Lefévre lachte höhnisch und rief, den Kopf zurückwerfend:
»Zu ihrem Gesindel zurückgekehrt, aus dem ich ein Thor war sie heraus zu ziehen – nun, ich habe wenigstens meinen Spaß mit ihr gehabt – Sie haben Sadie auch wieder nach Atiu zurückgeschickt, wie ich höre. Gescheut, die Dirnen sind recht gut für eine kurze Zeit, so etwas muß aber nicht zu lange dauern, sonst wird es langweilig.«
»Ich habe sie hinübergeschickt um selber nachzugehn« erwiederte René ernst, »und haben Sie sich so leicht von Ihrer Frau trennen können?«
»Frau trennen können« lachte Lefévre – »wenn es ihr nicht mehr Thränen gekostet hat wie mir, sind wir alle Beide ungemein leicht davon gekommen. Aber wissen Sie daß der Teufel losgegangen ist? die Burschen machen Ernst.«
»Doch nicht hier in Papetee?« sagte René.
»Nicht gerade in der Stadt, aber in Mahaena haben sie sich verbarrikadirt und einen Trupp Soldaten, der sie von dort vertreiben wollte, mit blutigen Köpfen zurückgejagt. Eben ist die Nachricht hier hergekommen, und es soll jetzt gleich ein Bataillon dorthin aufbrechen, den Empörern zu zeigen mit wem sie eigentlich in ihrer Verblendung den Krieg begonnen. Durch diese protestantischen Missionaire aufgehetzt, glauben und hoffen sie immer noch auf die Unterstützung gar nicht vorhandener englischer Schiffe, es wäre ja sonst doch nicht möglich, daß sie nur einen Augenblick daran denken könnten, ernsthaften Widerstand zu leisten. Aber dort rückt schon das Militair heran, kommen Sie mit, René, wir machen uns einen kleinen Spaziergang dahinunter, und helfen die Burschen mit in die Berge jagen.«
René schüttelte mit dem Kopf.
»Ich habe Nichts in dem Kampf zu thun« sagte er ernster, »meine Landsleute mögen das unter sich ausmachen.«
»Bah, Sie werden doch nicht zusehn wollen wie wir uns schlagen?«
»Warum nicht? – so lange ich kein Interesse dabei habe.«
»Und wenn sie uns hier in der Stadt angreifen?«
»Sie schienen ja eben noch nicht einmal zu glauben daß sie einem einzelnen Bataillon Stand halten könnten.«
»Ei, der Teufel traue den Schuften, manchmal sind sie zäh und werfen sich mit ihren nackten Leibern ganz tollkühn und einer besseren Sache werth in die Bayonnette, wie bei Tairabu.«
»Sie vertheidigen ihr Vaterland« sagte René ernst – »das ist die beste Sache, die sie vertheidigen können.«
»Meinetwegen« lachte der Franzose, »ich aber habe nun einmal meine ganz besondere Malice auf sie – also adieu, wenn Sie denn durchaus nicht mitwollen und auf Wiedersehn!« und rasch seinen Säbel umschnallend, den er indeß aus der Ecke geholt, und wobei ihm Einer der hier zur Bedienung gehaltenen indianischen Burschen, da er die linke Hand nicht gebrauchen konnte, helfen mußte, verließ er das Haus mit schnellen Schritten sich dem indeß schon voraus marschirten Trupp anzuschließen.
Die Sonne von Tahiti beschien, zum ersten Mal wieder, seit ihre Feudal- und Religionskriege bei Seite geworfen waren, ein wildes und kriegerisches Bild.
Kaum mehr als etwa zwölf englische Meilen von Papetee entfernt, wo die friedlichen leicht gebauten Bambushütten von Mahaena standen, hinter denen sich die gewaltigen Bergesmassen in steilen kurzen Hängen erheben, hatten sich die Bewohner der benachbarten Distrikte, nach dem Angriff auf Tairabu, zu kurzem Kriegsrath gesammelt, und mit zornig blitzenden Augen und geschwungenen Speeren Rache verlangt für das vergossene Blut der Brüder. Ein Schrei der Entrüstung zuckte durch das ganze Land, und was an waffenfähiger Mannschaft in der Nähe war eilte herbei, seinen Arm der Sache des Vaterlandes anzutragen.
Die am meisten fanatisirten Häuptlinge der Eingeborenen hatten sich hier gesammelt, Aonui und Potowai, Taaniri, Kahuahu und selbst Teraitane, und Boten wurden an Paofai, Tati, Utami, Hitoti und Paraita abgeschickt, diese ebenfalls der vaterländischen Sache zuzuwenden. Einzelne von diesen aber, wie Paofai und Hitoti hatten sich direkt geweigert Pomares Sache zu der ihrigen zu machen, während Paraita, Krankheit vorschützend, ebenfalls in Papetee blieb und nur Tati und Utami, der eine sich nach Papara, der andere nach Papeneeo zurückzog, dabei jedenfalls ihren Rücktritt von den französischen Interessen erklärend.
Nicht müßig aber beriethen nur die Häuptlinge in Mahaena, sondern zu gleicher Zeit wurden an dem einen passendsten Hügelhang, auf den Vorschlag und unter der Anleitung mehrer englischer und irischer Matrosen, Befestigungen aufgeworfen, einem etwaigen Angriff auch die Spitze bieten und abwarten zu können, bis die ganze Insel gemeinschaftlich gegen die Unterdrücker aufstehn würde. Ueberhaupt hatten sich eine ganze Zahl Fremder, die sich früher hier nieder gelassen und den Einfluß der Franzosen fürchteten, den Eingeborenen gleich von allem Anfang angeschlossen, von denen sie, wenigstens von den meisten, gar sehr willkommen geheißen wurden. Es war diesen schon gewissermaßen eine Beruhigung Weiße mit sich gegen Weiße zu wissen und in der Führung der Feuerwaffe, die sie hier zum ersten Mal in die Hände bekamen, brauchten sie auch noch Leute die sie mit den Geheimnissen derselben betraut machten. Die meisten dieser Weißen waren früher entlaufene Matrosen von Wallfischfängern, ja hie und da aber auch sogar von den französischen Kriegsschiffen selber, die sich in den steilen unwirthbaren Bergen nicht halten konnten, und jetzt wohl genöthigt wurden die Waffen aufzugreifen, ihre eigene Freiheit zu vertheidigen.
Unter ihnen befand sich Jack sowohl, wie Jim O'Flannagan, dem der Aufenthalt in Papetee nach seinem letzten Zusammentreffen mit dem Lieutenant der Jeanne d'Arc doch zu heiß geworden war, und der doch auch kein Schiff finden konnte die Insel jetzt gerade, was er mit Vergnügen gethan haben würde, zu verlassen. Auch der Neger war dort, eine herkulische Gestalt, der vor einigen Abenden erst einen Zank mit mehren französischen Soldaten bekommen und vier davon so zugerichtet hatte, daß er sich nur durch die Flucht der blutigen Rache der übrigen entzog. Manche Andere waren durch die Franzosen selber zu diesem letzten verzweifelten Schritt getrieben, die unkluger Weise in jedem Engländer oder Amerikaner einen Verräther ihrer Sache sahen und diese auf Schiffe packen wollten, um sie von Tahiti wenigstens zu entfernen, oder auch möglicher Weise unter Aufsicht zu halten, bis der Conflikt erst entschieden und das tahitische Volk selber vollständig unterworfen gewesen wäre.
Mit dieser Beihülfe war Mahaena, oder vielmehr das Fort von Mahaena, wie man die rohe Verschanzung nannte, gar nicht so schlecht befestigt worden. Ein etwa fünf Fuß hoher und ungemein starker Erdwall sollte sie vor allen Dingen gegen die Kugeln der Kriegsschiffe schützen, die man jedenfalls bei einem Angriff der Franzosen erwarten mußte, während sich das Rücktheil der kleinen Veste an den steilen Hügel selber lehnte und die Zerrissenheit der Schluchten nur einen einzelnen, den Eingeborenen allein bekannten Pfad dort hinaufließ, den wenige Mann hätten gegen eine gewaltige Ueberzahl vertheidigen können. Auf dem Wall aber schützte ein starkes Pallisadenwerk, von den starren zackigen Aesten der Guiaven aufgeschichtet, das kleine Fort fast vollständig gegen einen Bayonnetangriff, und Boten waren indeß schon nach allen Richtungen abgesandt, die Krieger der verschiedenen Stämme herbei zu ziehen und hier zu sammeln und dann einen vereinten Angriff auf Papetee zu wagen.
Die Franzosen wollten ihnen aber da keineswegs so lange Zeit gönnen, weil sie schon des bösen Beispiels wegen suchen mußten die Eingeborenen von jedem Fleck wo sie sich befestigen konnten, zu vertreiben, ihnen vor allen Dingen das Vertrauen zu nehmen, daß sie sich überhaupt einem ihrer ernstlichen Angriffe mit Erfolg entgegenstellen könnten. Die Scharte von Tairabu mußte sobald als möglich wieder ausgewetzt werden.
Am frühen Morgen hatten deshalb auch die beiden dorthin beorderten Schiffe, die Uranie wie der Dampfer Phaeton ihre Truppen gelandet, aber noch keinen wirklichen Angriff unternommen, weil man erst die Ankunft der aus der Stadt herbeigezogenen Truppen erwarten wollte, und es war Mittag geworden bis diese eintrafen; dann aber eröffneten beide Kriegsschiffe auch ihr Feuer auf das kleine Fort. Der Schlag gegen die Empörer sollte mit einem Mal geführt und alle die Frevler vernichtet oder zerstreut werden.
Oben im Fort selber herrschte indessen ein reges Leben. Die Frauen und Kinder hatten sich schon bei Ankunft der Schiffe in die Berge geflüchtet, und nur ein Theil derselben, meist lauter junge kräftige Weiber, waren ihren Männern oder Vätern gefolgt, das Pittoreske der Scene dadurch nur noch erhöhend. Ueberall auf dem weiten geräumigen Plateau kauerten sie über den dampfenden Kochgruben, das Mittagsmahl für die Krieger zu bereiten; mit dem schmalen Holzspaten warfen sie die Erde herab und lüfteten die über saftige Ferkel oder Brodfrucht gedeckten Blätter, zu sehn ob sie bräunen und gahr werden wollten, und breiteten dann die glatten Blätter der Banane oder des Tutuibaumes auf ebene Stellen aus, als Tisch dem leckeren Mahle. Indianer und Europäer saßen dabei wild durcheinander gestreut, und wenn irgend Jemand überhaupt bei der Gasterei ausgezeichnet wurde, bei der nur die Häuptlinge für sich einen etwas erhöhten Platz gewählt hatten, so war es der Neger Pompey, dem die Frauen und Mädchen, vielleicht seiner brillant schwarz glänzenden Farbe wegen, die besten Stücke aussuchten und zuerst die Cocosnuß zum Trinken reichten. »Pompey« ließ sich das auch ganz ruhig, und wie ein Mann, der an etwas derartiges gewöhnt ist, gefallen, und that der Mahlzeit alle Ehre an, während er mit den Männern selber lachte und Geschichten erzählte, und der Ausgelassenste von Allen schien. Dann, in einem förmlichen Paroxismus von Fröhlichkeit, warf er sich nicht selten hintenüber, zwei Reihen der glänzendsten Zähne dabei zeigend, und die Eingeborenen schrieen und jubelten um ihn herum.
Ein gar verschiedenes Bild hiervon zeigte eine andere Gruppe, an einem der entferntesten Theile der Verschanzung, denn dort hatte der ehrwürdige Bruder Dennis, jeder Gefahr von Außen her trotzend und recht gut wissend daß die Franzosen einen Angriff beabsichtigten, eine kleine Schaar seiner Gemeinde um sich versammelt, die in den wunderlichsten und oft nicht immer ehrerbietigsten Stellungen der Predigt lauschten. Die meisten saßen allerdings auf Steinen oder ausgebreiteten Matten, jeder seiner eigenen Bequemlichkeit folgend, ruhig und aufmerksam vor ihm, andere hatten sich aber auch, von den Schanzarbeiten ermüdet, der Länge lang ausgestreckt, und lauschten mit halbgeschlossenen Augen der Predigt, mit leiser Stimme die dann und wann gesungenen Hymnen nachbrummend, während noch Andere emsig dabei beschäftigt waren ihr indeß gahr gewordenes Mittagsbrod mit ihren Holzspaten zu Tag zu fördern, das sie dann auch augenblicklich an Ort und Stelle, und zu gleicher Zeit der körperlichen wie geistigen Nahrung hingegeben, verzehrten.
Ueberall aufgestellte Waffen, Musketen mit und ohne Bayonnette, Speere, ja hie und da sogar noch Bogen und Pfeile, Keulen, Wurfspeere, Cavallerie- und Infanteriesäbel, Aexte und Beile, gaben dabei dem ganzen Bilde ein kriegerisches Aussehn, und wild dazwischen herumtanzende Mädchen, sich weder um die Predigt noch die Essenden kümmernd, vollendeten die Scene. Unordentlich durch einander gewürfelt lag und stand Alles, Niemand schien da, der einen Oberbefehl über das Ganze habe, oder irgend einen Einfluß darauf ausüben könne, und ohne Dach und Fach, nur hie und da mit ein paar rasch und unregelmäßig aufgesetzten Pandanus oder Bananenblatt-Dächern, machte auch das ganze Lager weit eher den Eindruck einer wandernden bewaffneten Caravane, die sich hier zur Mittagszeit eine kurze Rast gegönnt und in der nächsten Stunde wieder aufbrechen würde, als einer wirklichen Befestigung, die bestimmt war einem mächtigen Feinde auf längere Zeit Trotz zu bieten und Widerstand zu leisten.
Und diese Waffen – rostige Musketen und hölzerne Speere, Keulen und Beile, die sich dem furchtbaren Geschütz der Feinde entgegenstellen sollten; wie Spott und grimmer Hohn lehnten die dünnen Lanzen an den Erdwällen und kauerten oder standen die halbnackten Männer daneben, ihrem Geschick verfallen wie es schien, wenn die geschlossenen Colonnen der Feinde anrücken und ihre donnernden Geschütze die Todesboten in die kleine Veste schmettern würden. Und hatten sie keine Ahnung der furchtbaren Gefahr die ihnen drohe? – noch war es Zeit, noch konnten sie, durch Guiaven-Dickichte versteckt die sicheren Berge erreichen, wohin ihnen der schwerfälligere Feind nicht zu folgen vermochte. Auch der finstere Priester dort in der Ecke weckte mit donnernder Stimme die Unglücklichen zu Buße und Reue »in der elften Stunde.« Die offene Bibel im linken Arm, die rechte gegen sie ausgestreckt und das bleiche ausdrucksvolle Gesicht zum blauen Himmel flehend, zitternd emporgewandt, stand er da, ein mahnendes Bild dem Sünder, ein Wegweiser zu dem Thron des Höchsten.
Horch – ein leiser Trommelwirbel vom andern Ende des Lagers – die Betenden wandten den Kopf halb danach um – fürchten sie den anrückenden Feind? – Noch einmal, lauter als vorher und ein gellender Jubelruf der den Ton begleitet –
»Horch!« schrie eine jauchzende Mädchenstimme, fortwerfend was sie gerade in Händen hielt und in der Erregung des Augenblicks, von dem Feind bedroht, selbst die Nähe des sonst so gefürchteten Missionairs nicht achtend.
Es war Maire, trotz dem noch lange nicht wieder gewachsenen Haar die tollste der Schaar, die den Zwang erst einmal abgeschüttelt dem sie unwillkürlich das Knie gebeugt, jetzt fast gar nicht wußte wie sie die versäumte Zeit am raschesten und wildesten wieder nachholen könne.
»Maire! Maire!« riefen einzelne Stimmen warnend, aber die Trommel wirbelte weit verlockender darein und die tolle Dirne war schon lange, von fünf oder sechs andern jetzt gefolgt, zum Nationaltanz angesprungen, dem sie in seinen wildesten Formen und Stellungen folgte.
Aonui, der fromme Häuptling, und Potowai waren aufgesprungen und schauten mit gerunzelten Brauen auf den Unfug, der selbst im Angesicht des frommen Missionairs verübt wurde, und dieser sprach einige ernste drohende Worte zu den Männern. Aber die Männer waren nicht allein Christen, sie waren auch Häuptlinge, und fühlten recht gut wie sie jetzt gerade, im Begriff einen gefährlichen Kampf zu bestehen, dem jungen Volk nicht den tollen Muth wehren durften, der wohl die Grenzen der Schicklichkeit übertritt, dann aber auch wieder im ernsten Kampf, dem stärkern Feind gegenüber, ihm die starre und kecke Todesverachtung gab, in dem aufgeregten fröhlichen Blut.
»Maire! Maire!« rief Aonui endlich, aber mehr ermahnend als strafend von seinem erhöhten Platze nieder, »wahre Dich Mädchen und denke an Deinen Gott – wer weiß ob Du nicht in der nächsten Stunde schon vor seinem Richterstuhl stehst –«
»Ich?« schrie das tolle Mädchen in jubelnder Lust zurück, während sie das Oberkleid von den Schultern riß und von sich schleuderte »ich? –
Und jubelnd und jauchzend fiel der Chor ein, Männer und Frauen, denn viele von diesen freute es, daß sich dem sonst so gefürchteten Missionair eines der Mädchen keck entgegengestellt hatte, und die einzelne Trommel, ein altes englisches Instrument, und in früherer Zeit einmal von irgend einem Kriegsschiff gegen wer weiß was für werthvolle Sachen eingetauscht, schlug rasselnd ein in den tobenden Chor, den das zürnende Gebet des Missionairs nicht übertäuben konnte.
Der fromme Aonui kam aber auf einen anderen Ausweg, und mit den um ihn geschaarten Seinen, denen er rasch ein Zeichen gegeben, begann er jetzt ohne Weiteres eines ihrer gewöhnlichen und von allen gekannten Kirchenlieder, das sie im Chor so gern sangen und dem sich auch augenblicklich die Nächsten anschlossen. Weiter und weiter drängte die fromme Melodie hinein in die Masse, den Tanz und Sang der Einzelnen schon halb übertönend, mehr und mehr schwollen die Töne im vollen rauschenden Chor, ein Preis dem Herrn in der Höhe und ein Gebet um seinen Schutz, seine Hülfe in Drangsal und Noth.
Die Tänzer standen still und horchten den Tönen – selbst der Trommler, der im Anfang wie in Schadenfreude nur ärger auf das gespannte Fell losgeschlagen, schwieg mit dem wilden Tanz und folgte leise dem Takte der Hymne mit den Schlägeln – wunderliche Begleitung dem frommen Lied:
»Der Feind – der Feind!« dröhnte da plötzlich ein gellender Schrei selbst über das jetzt zum vollen Chor angewachsene Lied hinaus, das die Landbrise weit weit hin über das Wasser trug, aber die Sänger störte es nicht. Einzelne flüsterten das Schreckenswort nach, »der Feind – der Feind!« und zwei oder drei sprangen auf die Brüstungen nach den erwarteten Colonnen auszuschauen, aber Aonui mit voller kräftiger Stimme, die Arme, wie Hülfe suchend zum Himmel aufgestreckt, erhob seine Stimme nun um so lauter, und donnernd überschallte den Ruf der Schluß des Verses:
»Der Feind! der Feind!« schallte es jetzt aber dringender, gellender als vorher – von unten herauf tönten die scharfen schmetternden Töne der Trompeten, und dumpfer Trommelschlag wirbelte d'rein, während die ausgesandten Laufer und Wächter athemlos aus dem, die Umschanzungen begränzenden Holz brachen und die Nachricht brachten, daß der Feind in zwei starken Colonnen anrücke, und sich, wie es schien, zum Sturm rüste auf das Fort.
Oben wirbelte aber auch schon die Trommel den Schlachtenruf, während die Männer nach ihren Waffen sprangen, und noch drängte und trieb Alles durcheinander, in ungeordneten Haufen dem allerdings schon früher durch Teraitane für jeden bestimmten Platze zuzueilen, als der erste Gruß von den Schiffen herüber schmetterte, und die Uranie wie der Dampfer in voller Flankensalve ihre Kugeln theils in dem Wall begruben, theils vor oder hinter ihnen die Guiavenstämme krachend zusammenschlugen.
Einen Augenblick stand die Schaar wie erschreckt; es war bei fast allen das erste Mal, daß sie die furchtbare Wirkung einer solchen Kugel beobachten konnten; Jim O'Flannagan aber, der seine Zeit bis dahin benutzt und während die andern getanzt oder gesungen, auf eine Matte ausgestreckt ein ganz tüchtiges Mittagsschläfchen gehalten hatte, sprang bei dem, ihm gut genug bekannten Lauten empor, und den Hut um den Kopf schwingend, rief er ein donnerndes dröhnendes Hurrah den feindlichen Kugeln keck und furchtlos entgegen.
Die Salve aber, die vollkommen erfolglos gewesen, wie der herausfordernde Ton des Iren, dem sich Pompey jetzt zugesellte und sein zweites Hip hip hip hurra ertönen ließ, fand Anklang in den kecken und muthigen Herzen der Krieger, und der tahitische Schlachtenschrei, der das Echo in diesen Thälern seit langen Jahren nicht geweckt hatte, brach in wilder jubelnder Lust von ihren Lippen.
Es war ein stilles, friedliches Volk, das den Krieg fast ängstlich so lange vermieden hatte, wie es nur irgend eine Aussicht auf gütliche Beilegung seiner Zwistigkeiten sah, das aber jetzt auch, da es die Fremden zu arg getrieben, rücksichtslos auf irgend eine größere Macht die noch vielleicht an ihre Küste geworfen werden könnte, die Waffen aufgriff, und nun mit eben dem kecken, vielleicht unbewußten Muth der Gefahr entgegenging, wie es früher in seine Kirche oder zu seinem Tanz gegangen war.
Nur dieser erste Augenblick der Erwartung war peinlich – die Ungewißheit von welcher Seite der Angriff zuerst geschehen würde, und ob sie es überhaupt wagen würden die Eingebornen in ihrer festen Stellung anzugreifen. Von diesen, mit vielleicht zwanzig oder dreißig Europäern und vierzig oder fünfzig Frauen, waren etwa 1000 Krieger dort versammelt; die Hälfte aber kaum mit ordentlichem Feuergewehr bewaffnet, führten die Anderen noch ihre alten hölzernen Speere von Oros Zeit, und Viele Schleudern und Wurfspeere. Hier aber zeigte sich jetzt ein gewaltiger Nachtheil gegen frühere Zeit, wo eben diese unscheinbaren Waffen selbst in den Händen der nackten Wilden zu furchtbarer Wehr durch die Geschicklichkeit geworden waren, mit der sie sich derselben zu bedienen wußten. Die Zeit war vorbei, denn die Missionaire hatten ihnen ernstlich jede Art solcher »heidnischer« Waffenspiele untersagt gehabt, weil diese ihre Gedanken nur wieder zu dem alten viel zu sehr geliebten Kriegsgott Oro zurückführen mußte, und sie Alles zu vermeiden suchten, was die Erinnerung an jene Zeit ihrem Gedächtniß erhalten konnte. Die wenigen Eingeborenen, die sich noch im Gebrauch der Schleuder – früher eine ihrer gefährlichsten Waffen – tüchtig geübt gehalten, hatten sich nie dem Einfluß der Missionaire unterworfen gehabt, oder es heimlich gethan, und Wurfspeer sowohl, wie Bogen und Pfeil die Hälfte ihrer Gefahr für die Angreifer verloren. Nichtsdestoweniger gab ihnen ihre feste Stellung dafür wieder andere Vortheile, und mit trotzigem, jetzt fast ungeduldigem Muth erwarteten sie den immer noch hinausgezögerten Angriff.
Eine Gefahr existirt nur so lange sie droht, und hat gewöhnlich all ihre Furchtbarkeit verloren, so bald sie erst wirklich einmal in's Leben tritt; das Leben kämpft dann dagegen an, und in dem Ringen gerade liegt die Vergessenheit derselben.
Schmetternder Trompetenschall tönte herauf; von den Schiffen drüben blitzte es wieder in langer zuckender Reihe, und prasselnd hagelte auf's Neue ein eiserner Kugelgruß von da herüber gegen die kleine Veste, von wo sie mit trotzigem Jubelruf begrüßt und beantwortet wurde.
»Dort kommen sie, meine Burschen!« schrie da Pompey, der an der einen Flanke, seiner riesigen Kräfte und vielleicht auch seiner schwarzen Farbe wegen, mit einem Anführerposten betraut war – »da kommen sie, nun hurrah und wahrt Euer Feuer, bis sie aus den Büschen heraustreten und vollkommen draußen im Freien sind – keinen Schuß eher, und keinen Speerwurf, wenn Ihr nicht den Mann schon fast mit der Spitze erreichen könnt – verdamme die hölzernen Dinger« murmelte er dann leise vor sich hin – »s'ist doch nur so, als wenn man sich nach Tisch mit Zahnstochern wirft.«
»Für die Bibel! für die Bibel!« schrie Aonui auf der anderen Seite, wirklich seine Bibel im linken Arm, die er fest an die Brust gedrückt hielt, indeß er mit der rechten Hand seine Muskete schwenkte – »für die Bibel Ihr Streiter Gottes, der Herr ist mit uns und wird die Feinde zerstreuen, wie Spreu vor dem Winde!«
Jim, der nicht weit von ihm stand, brummte etwas in den Bart und sah nach seiner Muskete, während der ehrwürdige Mr. Dennis die meisten der Frauen um sich gesammelt hatte und mit ihnen im brünstigen Gebet auf den Knieen lag, vom Herrn der Heerscharen die Abwendung so schweren Leides zu erflehen, »wenn das noch eben irgend möglich sei, und mit seinen himmlischen Rathschlüssen übereinstimme.«
Näher und näher wirbelten die Trommeln, schmetterten die Hörner der Stürmenden; auf einer kleinen Anhöhe, nicht sehr weit von dem Fort, aber etwas tiefer als dieses liegend, waren mehre Feldstücke aufgepflanzt, die von jetzt ein lebhaftes Feuer auf den Wall begannen, ohne jedoch irgend einen Schaden anzurichten, als hie und da ein paar der aufgeschichteten Guiaven-Pallisaden einzureißen und einige leichte Verwundungen der nächst dabei Stehenden zu verursachen, die aber kaum beachtet und mit nur herausfordernderem Geschrei beantwortet wurden.
Jetzt aber rückten auch in geschlossenen Colonnen die Verstärkungen von Papetee, eine Compagnie Marine-Infanterie mit den Soldaten des Phaeton und der Uranie und den dazu gegebenen Seeleuten, in geschlossenen Colonnen gegen die Verschanzung an, und wo sich ein Kopf irgendwo darüber blicken ließ, wurden gerathewohl Schüsse hinübergefeuert, die Eingeborenen zu schrecken und zurückzuhalten, daß die Stürmenden den Wall erst einmal erreichen und ersteigen konnten. Aber weit furchtbarerer Widerstand erwartete sie hier als sie je vermuthet hatten.
Pompey, der sein dunkles Gesicht einem dichten darübergehaltenen Guiavenbusch anvertraut hatte, unbelästigt die Stürmenden vor allen Dingen beobachten zu können, gab zuerst das Zeichen. Er hatte etwa fünfzig mit Musketen bewaffnete Männer unter seinem Befehl, denen er schon den ganzen Morgen mit größtem Eifer und vielem Erfolg das rasche Laden beigebracht und sie den Werth bequemer Patrontaschen gelehrt hatte, und kaum zeigte sich die erste Colonne im Sturmschritt den steilen Hügel erklimmend, in dem Bereich ihrer Kugeln, als er mit gellendem Schrei seinen Arm, das verabredete Zeichen, emporwarf, seine Büchse aufgriff, und von seinen Leuten redlich dabei unterstützt, eine wirkungsvolle Salve in die anstürmenden Feinde gab, die vor solch unerwartetem Gruß allerdings einen Augenblick stutzten und zurückprallten. Aber es war auch wirklich nur ein Augenblick, denn mit einem wilden, zornigen Hurrah, nicht allein jetzt den Feind zu besiegen, sondern auch die gefallenen Kameraden zu rächen, warfen sich die Soldaten, rasch ihre Gewehre abfeuernd, und ohne sich selbst Zeit zu nehmen wieder zu laden, auf die Schanzen, den Wall mit Sturm zu nehmen und den dahinter versteckten Gegner zu vertreiben.
Gleichen Anprall hatte Aonui abzuhalten, der aber den größten Theil der Europäer in seiner Schaar zählte und die Feinde ebenfalls mit wohlgezielten Schüssen empfing. Aber auch hier, nach kaum einmal gewechselter Salve, flogen die Franzosen zum Bayonnetangriff und nachdrängend in keckem Muth, warfen sie sich tollkühn gegen die Schanzen an.
Hier aber zeigte sich der Vortheil des zu Pallisaden benutzten Guiavenholzes, das starr und elastisch, die rauhen knorrigen und doch schwachen Aeste überall hinausstreckte, keinen Halt dem bietend, der sich daran fest klammern wollte, und doch auch wieder dem Druck nachgebend statt zu zerbrechen. Wie in einer Falle gehalten staken die ersten der Stürmer zwischen dem zähen überall auszweigenden Holz und die Speere der dahinter stehenden Wilden suchten und fanden mit leichter Mühe förmlich vertheidigungslose Opfer.
Einzelnes Musketenfeuer prasselte dazwischen – hie und da hatte ein Trupp tollkühner Franzosen in die Lanzen und Bayonnette der Feinde hinein sich seine Bahn erzwungen, und Posto gefaßt auf dem Erddamm, von dem sie vergebens jetzt niederzupressen suchten, die Einzelnen, in die Schaar der Feinde, einem gewissen Heldentod entgegen. Dazu suchten die weiter unten aufgestellten Feldstücke alle die Plätze zu bestreichen, wo kein französisches Militair im Angriff war, die Feinde an dieser Stelle wenigstens von dem Damm zu halten; aber tiefer stehend als das Fort selber, waren sie nicht im Stande irgend einen wesentlichen Schaden zu thun, und die Eingeborenen achteten die Kugeln gar nicht, die draußen harmlos in die Erdwälle oder in den Hügel selber einschlugen.
Wilder und tödtlicher wurde das Handgemenge, besonders da, wo Aonui an Jim O'Flannagans Seite mit wahrem Heldenmuthe focht. Der alte Mann hatte aber doch die Bibel, die er bis dahin unverdrossen im Arm getragen, in der Hitze des Gefechts fallen lassen, ohne es in der That gewahr zu werden, zweimal schon sein Gewehr mit Erfolg auf den Feind abgefeuert, und eben wieder zum dritten Mal geladen. Jim O'Flannagan, der Ire kämpfte neben ihm, und wenn auch nicht mit so kecker Todesverachtung wie der Indianer, vielleicht mit dafür desto günstigerem Erfolg, denn keineswegs gesonnen sein Leben irgend einer unnöthigen Gefahr auszusetzen, hielt er sich immer etwas mehr im Rückhalt, jeden Platz aber dann um so gewandter und auch entschlossener vertheidigend, wo die Franzosen irgend festen Fuß zu fassen drohten. Er wußte genau für was er kämpfe, und hatte überhaupt keine Idee gehabt, daß die »Fremden« einen solchen ernsten Angriff auf das kleine Fort beabsichtigen könnten. Jetzt aber durfte er den Platz nicht gut mehr verlassen, ohne bei den Eingeborenen als feige verschrieen zu werden und die einzige Vorsicht die er nun brauchte, war sein Gesicht so wenig als möglich auf dem Wall zu zeigen, während er doch selber dann und wann einmal einen Blick nach unten zu gewinnen suchte, ob er nicht seinen gefährlichsten Feind und Gegner unter den Stürmenden entdecken und vielleicht unschädlich machen könne.
Die Matrosen der Jeanne d'Arc waren allerdings bei dem Sturm betheiligt, denn Einer von ihnen, der sich zu keck den Uebrigen vorausgewagt, lag von Jims Kugel getroffen todt in dem inneren Wall, der Strohhut war ihm vom Kopf gefallen und das breite schwarze Band darum trug den vollen Namen des Schiffes. Vergebens suchte er aber nach jenem Officier, die Leute der Jeanne d'Arc schienen von Fremden, ihm wenigstens Unbekannten angeführt zu werden, und zwei von diesen hatte er schon, immer nur sein Augenmerk auf die eine Schaar gerichtet, den einen gleich auf dem Fleck erschossen, den andern tödtlich verwundet, daß er fortgetragen werden mußte.
Pompey auf seiner Seite hatte ebenfalls mit den ihm beigegebenen Leuten, Wunder der Tapferkeit gethan, und die nackten Burschen warfen sich mit kaltblütiger Todesverachtung immer auf's Neue dem scharfen Stahl der Bayonnette entgegen, hier mit Schleuder und Wurfspeer, auf die kürzeste Entfernung oft in einem förmlichen Kugelregen ihr Opfer suchend und findend, und dort, unter den drohenden Waffen der Feinde gefallene oder verwundete Kameraden herausholend, als ob sie sicher im Schatten ihrer Palmen lägen.
Teraitane hatte den Oberbefehl des Ganzen, aber weder sein Befehl noch seine Stimme wurde in dem Gewirr von Tönen, dem Schießen und Schreien, Trompeten und Trommeln gehört, während bald darauf, indeß der Wind sich nach dem Zenith der Sonne wieder legte, der Pulverdampf wie ein dichter Schleier auf dem Hügel lag, und ein Feuern von den Schiffen aus ganz unmöglich machte, indem sie von dort nicht mehr Freund und Feind unterscheiden konnten. Und selbst im Einzelkampf war dieser Pulverqualm den Eingeborenen günstig, denn die Franzosen konnten von ihrer Schießwaffe erst in einer Entfernung Gebrauch machen, wo selbst die leichten Wurfspeere tödtlich wirkten und die sicher geschleuderten Steine manches Opfer trafen und zu Boden warfen. Aber auch erbittert durch den unverhofften Widerstand warfen sich die Matrosen besonders, immer auf's Neue gegen den Wall, von ihren Officieren unerschrocken angeführt, einen Eingang zu erzwingen und den Feind in seine Berge zu treiben.
Bertrand führte übrigens wirklich die Seeleute vom Bord der Jeanne d'Arc, wenn ihn Jim O'Flannagan auch noch nicht gesehn, und Adolphe focht mit einer kleinen und schon tüchtig zusammengeschmolzenen Schaar der Marine-Infanterie an seiner Seite, selber aus mehren Wunden blutend, aber unbekümmert darum die Seinen immer zu neuen Anstrengungen treibend.
Die Trompeten und Trommeln waren ihnen dabei mehr zum Schaden als Nutzen gewesen, denn während sie die Leute, die dessen kaum noch bedurften, mehr anfeuern sollten, verriethen sie den Belagerten immer schon im Voraus die genaue Stelle wo der nächste Angriff geschehen sollte, und zogen sie dorthin, den Stürmenden ihre ganze Macht entgegenzuwerfen. Bertrand sandte deshalb jetzt auf Adolphes Rath seine Trommler sowohl wie Trompeter, durch die Guiaven und den Nebel gedeckt, am Hang hinunter, von dort aus, wenn sie das Fort eine kurze Strecke umgangen hatten, einen Scheinangriff zu blasen, während sie dann zu gleicher Zeit auf anderer Stelle das Fort suchen wollten zu forciren. Glücklich und unbemerkt hatten diese auch, von einem jungen Seecadetten geführt, die eben bezeichnete Stelle erreicht, und wie sie dort zum Angriff bliesen und den, von den Eingeborenen jetzt nur zu gut gekannten Sturmmarsch wirbelten, flogen die meisten der Vertheidiger dort hin, dem erwarteten Angriff zu begegnen.
Teraitanes scharfes Ohr hatte aber gleich vom ersten Augenblick mistrauisch den etwas zu ungewöhnlich lauten und herausfordernden Tönen gelauscht, und rasch die Blöße entdeckend, die auf der einen Seite der Verschanzung gegeben wurde, während auf der anderen noch immer kein Schuß fiel, sprang er vor und rief Aonui mit seinen Leuten von dort ab, auf ihrem Posten zu bleiben und ihre Seite des Walles zu vertheidigen. Er brauchte ihnen aber seine Gründe nicht auseinanderzusetzen, denn in demselben Augenblick fast hörten sie den raschen regelmäßigen Schritt einer stürmenden Schaar, die lautlos und drohend heranrückte.
»Wehrt Euch!« rief Teraitane »und Feuer! sobald Ihr sie sehen könnt!« und unter dem Knall der Musketen warfen sich die von Bertrand und Adolphe geführten Seeleute dem kleinen schwachen Corps, das diese Stelle noch besetzt hielt, entgegen, erzwangen den Damm und warfen die Guiavenbüsche, während ein Theil der Truppe die Eingeborenen mit dem gefällten Bayonnette zurückhielt, hinter sich hinab, freie Bahn zu bekommen für sich und die Nachfolger, und drangen dann, während die hinten Stehenden so rasch als möglich nachpreßten, gerad' hinein in die ihnen entgegenstarrenden Speere und Bayonnette.
Die Pistolen der Matrosen thaten hier schlimme Wirkung, und trotz dem daß sich Aonui mit den Seinen in voller Todesverachtung den feindlichen Kugeln aussetzten, und ihnen jeden Zollbreit Raumes mit scharfer Waffe streitig machten, faßten die Franzosen schon mehr und mehr festen Fuß, selbst bis in die Verschanzung selber hinein, wo sie sich auch vielleicht, waren sie in diesem Augenblick von Außen gehörig unterstützt, behauptet hätten. Der Nebel, der ihr Eindringen aber begünstigte, verhinderte auch die Freunde, die errungenen Vortheile zu sehn, während der gellende Schlachtenschrei Teraitanes die Seinen zu sich rief, die jetzt in mehren Trupps, dort Gefahr wissend, herbeistürmten.
Auch Pompey, der sich mit durch den falschen Alarm der Trompeten und Trommeln hatte täuschen lassen und nach dort zu vergebens einen Augenblick hinausgehorcht, den anrückenden Feind in dem Nebel erscheinen zu sehn, hörte jetzt den Schlachtenlärm zu seiner Rechten, und die ihm nächsten Indianer rasch an sich rufend, sprang er mit ihnen der bedrohten Stelle zu.
Bertrand kämpfte hier in den vordersten Reihen, mit unerschütterlicher Kaltblütigkeit die nach ihm gerichteten Stöße parirend und mit scharfer Klinge sich mehr und mehr Bahn hauend in den Menschenknäul; da fiel sein Blick plötzlich auf eine bekannte Gestalt – er sah die Mündung eines Gewehrs, fast dicht vor sich, auf seinen Kopf gerichtet und behielt eben noch Zeit mit dem Säbel unter das auf ihn zeigende und gerad' erreichbare Bayonnett zu schlagen, als auch die Kugel so dicht über seinem Kopf hinpfiff, daß sie ihm einen Theil der Haut mitnahm!
»Hund!« schrie er in demselben Augenblick und warf sich auf den erkannten Verbrecher, und während er die nach ihm gestoßene Waffe noch einmal parirte, führte er mit dem Säbel einen so gut gemeinten Hieb nach der Stirn des Iren, daß nur eine rasche Wendung von dessen Kopf dem Streich das tödtliche nahm, während die scharfe Waffe an der Seite seines Schädels nieder fuhr, den oberen Theil des linken Ohres mit nahm und auf dem Schlüsselbein abprallte. Zu gleicher Zeit sprang Bertrand zu und den Iren mit der Linken fassend, wollte er ihn eben zurück und nach seinen Leuten zu reißen, als Pompey mit der Verstärkung auf dem Kampfplatz erschien und mit solcher Wucht gegen den Franzosen anprallte, daß dieser seinen Gefangenen loslassen mußte und alle seine Stärke und Gewandtheit gebrauchte, sich gegen den neuen riesigen Feind zu vertheidigen.
Die Soldaten und Matrosen fanden sich aber in diesem Momente auch so von allen Seiten bedrängt, daß an ein Vordringen weiter gar nicht mehr gedacht werden konnte, ja Bertrand fast sogar der Rückzug abgeschnitten wäre, hätte sich nicht Adolphe mit seinen regulären Truppen, die eigene Gefahr misachtend, hineingeworfen, ihn heraushauen zu helfen, während von der andern Seite der erste Lieutenant der Jeanne d'Arc ebenfalls mit einem kleinen Trupp Matrosen einen Scheinangriff machte, die Aufmerksamkeit der Belagerten von dort in etwas abzulenken und den Kameraden Luft zu gönnen.
»Hierher meine Jungen«, rief dieser seinen Leuten zu, »hinein mit Euch, und treibt mir die rothen Schufte da einmal zu Paaren,« und über einen niedergeschossenen Guiavenstamm springend wollte er eben über einen kleinen freien Raum der innern Schanze laufen, von seinen Leuten gefolgt den Kameraden Hülfe zu bringen, als eine pulverrauchgeschwärzte Gestalt auf ihn zusprang die er in dem von Blut entstellten Zügen kaum wieder erkannte, und mit heiserer Stimme ihn anschrie:
»Hallo mein Herzchen, bist Du hierhergekommen uns einmal zu besuchen« und der Bursche richtete dabei, auf kaum zwei Schritt Entfernung ein weitmündiges Sattelpistol auf den Officier –
»Schurke!« schrie dieser, seinen entsprungenen Matrosen in ihm erkennend – »Du meldest Dich gerade zur rechten Zeit,« und zum Hiebe ausholend wollte er auf ihn einspringen, als Jack, der ruhig seine Zeit erwartet hatte, ihm das Pistol so nahe vor den Augen abfeuerte, daß der Pulverblitz seine Augenwimper versengte und die Rehposten mit denen es geladen war den Unglücklichen mit zerschmettertem Hirn zu Boden warf.
»Vergeltung – Rache!« jubelte der Matrose und stieß einen gellenden Freudenschrei aus, der von der anderen Seite des Forts beantwortet wurde, und von dort her stürmte neue Hülfe. Die Seeleute aber, die sich nicht weiter unterstützt sahen und dem neuen Anprall nicht hätten die Stirne bieten können, faßten ihren erschossenen Officier auf, und zogen sich damit, durch vorgehaltene Bayonnette ihren Rückzug deckend, wieder die Schanze hinauf und jetzt, den Hörnern folgend die von allen Seiten den wirklichen Rückzug bliesen, in die Guiaven hinein, dem schon wieder eröffneten Feuer nicht länger und nutzlos ausgesetzt zu sein.
Es wäre unmöglich den Jubel zu beschreiben, der bei dem Rückzug, ja der Flucht der Feinde, in der kleinen so tapfer vertheidigten Veste ausbrach. Im ersten Augenblick konnten sie ihren Sieg noch nicht gleich übersehen, denn der Nebel lag zu dicht auf der ganzen Kuppe, als aber jetzt ein Windstoß von der See herüber die duftigen Schleier faßte und auseinander riß, sie rechts und links in die steilen Schluchten hineinzudrängen, und der Feind, von dem wilden Anprall der Eingeborenen zurückgeworfen, nirgend mehr zu sehen war, ja seine Todten und Verwundeten sogar hatte zurücklassen müssen, da tönte ein gellender, trotziger Jubelschrei aus den Kehlen der Sieger, und der eigenen Wunden nicht achtend sprangen und rannten sie, ihre Speere und Waffen schwingend wild und toll umher.
Während ein Theil aber wieder, rasch um den Missionair gesammelt, zu einer Dankeshymne die Stimme erhob, dem Herrn der Heerschaaren, der seine Hand über ihnen gehalten in der schweren Stunde, flogen die Mädchen und jungen Leute wieder zum kecken ausgelassenen Tanz. Maire vor Allen, auf den blutgetränkten Boden des einen Walles springend, auf dem der Kampf am hartnäckigsten gewesen und wo selbst die Guiavenbüsche von den Stürmenden wie Belagerten zur Seite gerissen waren, freien Spielraum für ihre Waffen zu haben und Auge in Auge den Gegner zu treffen und zu bekämpfen, war die tollste; dort stand und sprang jetzt das halbnackte, bildschöne wilde Mädchen mit blitzenden funkelnden Augen in den wildesten unanständigen Gebärden ihres Tanzes nach den Schiffen hinüber spottend und drohend –
»Kommt!« sang oder schrie sie vielmehr dabei, denn die Adern ihrer Schläfe waren zum Zerspringen angespannt,
Ein wilder, gar nicht dieser Erde angehörender Schrei endete das kecke Lied, und die Arme emporwerfend, während von einer benachbarten, kaum zugänglichen Felskuppe der Donner der Geschütze ganz in der Nähe herüberschmetterte und die überraschten Eingeborenen erschreckt aufschauen machte nach dem neuen Gegner – flog der von einer Kartätsche zerrissene Körper der jungen Tänzerin – ein furchtbarer Anblick – über den inneren Wall herunter in die Verschanzung.
Einzelne Kugeln schlugen noch außerdem hie und da ein, und zum ersten Mal erkannten die Belagerten jetzt daß die Feinde, während des Nebels jedenfalls, eine bessere und höher gelegene Position für ihre Geschütze eingenommen hatten, und wenn sie auch sich nicht denken konnten wie die Feranis den fast unzugänglichen schmalen Pfad dort hinauf allein gefunden haben konnten, ließ sich doch die Thatsache selber, die ihnen Kugel nach Kugel herüber sandte, nicht verleugnen.
Die Franzosen hatten aber auch in der That den Platz durch Verrath genommen, und zwar von einem »Capitain Henry«, wie behauptet wird dem Sohn eines englischen Missionairs, selber geführt, der dem französischen Commandant zuerst den Angriff auf jenen so vortrefflich befestigten Punkt ganz abgerathen und jetzt, als der Angriff zurückgeschlagen worden, den Sieg dadurch auf Seite der Franzosen zu lenken suchte, daß er ihnen den Pfad zeigte, ihre Geschütze günstiger placiren und damit zum Theil die innere Verschanzung der Eingeborenen beherrschen zu können. Durch den Nebel begünstigt, als abgeschickte Boten den wahrscheinlichen Ausgang des Kampfes gemeldet, wurden die Geschütze an Ort und Stelle hinaufgeschleppt und die erste Ahnung welche die Eingeborenen von der gefährlichen Nähe bekommen, war eben die, von dort herübergefeuerte erste Salve.
»Damn it!« schrie Pompey, als er einen mehr zornigen als überraschten Blick dort hinüber geworfen – »wir stürmen das Nest da oben, und werfen ihnen nachher ihre Kugeln auf die Schiffe zurück! wer geht mit?«
Ein wildes jubelndes Geschrei antwortete ihm, und die trotzigen halbnackten Gestalten griffen ihre Waffen fester und machten sich schon bereit, nur eben der ersten Andeutung folgend, ihre Leiber todesmuthig der Gefahr entgegenzuwerfen. Teraitane aber, der das Terrain dort besser kannte und die Unmöglichkeit einsah, von hier oben die fast steile Wand zu den Kanonen hinaufzulaufen, während sie noch dazu von der Artillerie vertheidigt werden konnte, wollte seine Einwilligung nicht geben und hielt, einen neuen Sturm auf das Fort jetzt, unter dem Schutz jener Kanonen mit Recht erwartend, die Seinen zurück.
Auf diesen sollten sie auch gar nicht so lange zu warten haben; der erste Lieutenant der Uranie, der den Oberbefehl über die Stürmenden führte, konnte von einer kleinen Anhöhe aus den neuen und vortheilhaften Stand ihrer Geschütze erkennen, und die Hörner riefen seine Leute, die Ueberraschung des ersten Augenblicks zu benutzen, schnell wieder zum erneuten Angriff des Forts herbei.
Hier aber fanden sie trotzdem noch immer den alten, hartnäckigen Widerstand, und eine halbe Stunde mochte der erbitterte Kampf, Fuß an Fuß von beiden Seiten gedauert haben, wobei den Eingeborenen die höher stehenden Kanonen der Feinde allerdings wesentlichen Schaden thaten, als Pompey endlich, nach kurzem Kriegsrath mit Teraitane und Aonui einen Rückzug in die Berge beschloß, theils von einer anderen Bergspitze aus die dort stationirte Artillerie im Rücken zu fassen, theils die Franzosen zu verlocken ihnen in das Dickicht nachzufolgen, und sie dann, von den Guiaven geschützt zu umzingeln und abzuschneiden, während ihnen die eignen Kanonen im Dickicht keinen Beistand mehr leisten konnten.
Teraitane war nicht ganz damit einverstanden, denn er fürchtete, daß sich die Franzosen vielleicht in dem Fort fest setzen möchten, wo sie dann gezwungen gewesen wären den Platz, den sie jetzt behaupteten, wieder zu erstürmen, Aonui und die Uebrigen aber, die den Versuch wenigstens gemacht haben wollten die gegen sie spielenden Kanonen wegzunehmen oder zu verjagen, überstimmten den Führer, und die Frauen voranschickend, die einen Moment freier Zeit benutzten über den offenen Platz zu fliehen, folgten die Krieger jetzt in kleinen einzelnen Trupps aus dem Fort hinaus bergan, die Verschanzung für den Augenblick den Feinden vollkommen überlassend.
Unten von den Schiffen aus, und während die Soldaten mit Jubelruf von dem verlassenen Fort Besitz ergriffen, sahen sie aber kaum die hellgekleideten Gestalten hinter den Verschanzungen sichtbar werden, als sie, wo das nur irgend anging, ihre Kugeln darauf richteten, und die Eingeborenen fanden sich plötzlich in einem eisernen Regen, der rechts und links Verderben brachte. Furchtbar war die Wirkung der schweren Kugeln in dem dichten Oberholz der Mapes und Wibäume und einzelne Cocospalmen splitterten im Stamme von einander, und warfen die gewaltige schwere Krone rasselnd in die Tiefe, ihre gewichtigen Früchte auf die Flüchtigen niederhagelnd.
Aber die Franzosen dachten gar nicht daran dem Feind zu folgen, denn ihre Reihen waren selber furchtbar gelichtet, und nur rasch ihre Todten zusammentragend und mit etwas Sand und Erde leicht überwerfend, griffen sie die Verwundeten auf und zogen sich mit ihnen, völlig damit zufrieden den Feind, wie sie glaubten, aus der Schanze geworfen zu haben, rasch zurück auf die Schiffe.
Die Artillerie schlug indessen allerdings den tollkühnen Angriff der Eingeborenen auf ihre, fast uneinnehmbare Stellung zurück, hatte aber ebenfalls, da sie das Fort geräumt sah, keine weitere Veranlassung dort oben zu bleiben und folgte, auf dem Rückzug noch von einzelnen Trupps der durch den Wald zerstreuten Insulaner arg belästigt, der übrigen Mannschaft nach den Schiffen. Die Verwundeten wurden meist Alle auf die Fregatte gebracht, und wenige Stunden später lichteten die beiden Kriegsschiffe, noch auf Alles unverdrossen feuernd was sich am Ufer nur einigermaßen verdächtig zeigte, die Anker und segelten nach Papetee zurück.
Noch an demselben Abend liefen die Schiffe, die günstige Seebrise benutzend, wieder in den Hafen ein, wohin sie aber, wenn auch als Sieger zurückgekehrt, keine freudige Nachricht brachten. Der unerwartet kräftige Widerstand den sie gefunden, die Tapferkeit der Eingeborenen, die noch dazu weit besser bewaffnet waren als man vermuthen konnte, der Verlust vieler braver Soldaten und selbst von vier Officieren, warf einen düsteren Schatten über den Siegesmarsch, mit dem die Truppen an der Landung aufmarschirten, und konnte wahrlich nicht durch den langen Trauerzug der Verwundeten, denen man an Land bessere Pflege zu gewähren hoffte, gemildert werden.
Selbst die kleine Stadt, von der man nicht einmal aller Eingebornen sicher war, schien gefährdet, und ausgesandte Spione meldeten auch allerdings, daß sich kleine Trupps bewaffneter Insulaner ganz in der Nähe zeigten und recognoscirten; vielleicht gar mit der Absicht einen Ueberfall zu wagen und die dort aufgespeicherten Vorräthe der Feinde wegzunehmen, wie auch den Feind aus diesem wichtigsten Anhaltepunkt – dem besten Hafen der ganzen Inseln zu verjagen und die Flagge der Pomaren, deren Bedeutung sie erst jetzt ordentlich anfingen einzusehn, wieder an ihrer alten Stelle aufzupflanzen.
René hatte noch an demselben Abend Adolphe aufgesucht, den Verlauf des Tages zu erfahren; er selber war ebenfalls jetzt auf Papetee angewiesen, denn die Eingeborenen streiften überall in kleinen Trupps um die Stadt herum und sein Haus war, mit dem wenigen was er noch darin gelassen, von irgend einer boshaften oder muthwilligen Schaar angezündet worden und bis auf den Grund niedergebrannt; ein Insulaner der dort nicht weit entfernt wohnte und seinen Landsleuten, ebenfalls als es mit den Feranis haltend, bekannt war, hatte, ihren Zorn fürchtend, die Flucht ergriffen und die Nachricht mit nach Papetee gebracht.
Seine Papiere trug er aber bei sich, und seine wichtigsten Effecten waren schon glücklicher Weise mit Sadie nach Atiu hinüber gesandt worden, der Verlust des Uebrigen kränkte ihn deshalb wenig. Er sah übrigens auch daraus wie die Eingeborenen ihm, jedenfalls seiner Abstammung wegen, selber gesinnt wären, und sein baldiger Abschied von Tahiti schmerzte ihn desto weniger.
Die Nacht schlief er mit in dem Bambusschuppen, in dem Adolphe einquartirt lag, und beschloß am nächsten Morgen, als er hörte daß Gouverneur Bruat schon weit früher als man erwartet hatte zurückgekehrt sei, diesem seine Aufwartung zu machen, und die Erlaubniß zur Abreise einzuholen.
Der Gouverneur hatte allerdings, durch den plötzlich ausgebrochenen Krieg auf Tahiti, vor der Hand seine Inspektionsreise nach den Nachbarinseln aufgegeben. Hier mußte vor allen Dingen der Friede wieder hergestellt, mußten die Eingeborenen unterworfen oder wenigstens eingeschüchtert sein, ehe er selber wagen durfte sich von dem Hauptschauplatz zu entfernen.
Bertrand, der übrigens selber mehrfach, wenn auch nur leicht, in dem gestrigen Kampf verwundet war, übernahm es ihn anzumelden und sein Gesuch schon gleich von vornherein zu bevorworten. Gouverneur Bruat empfing ihn auch in der That ungemein freundlich, und seiner Bitte stand nicht das Mindeste mehr im Weg.
»Es thut mir leid, lieber Delavigne, daß ich Sie das nicht habe schon vor einigen Tagen, wenigstens vor meiner Abreise wissen lassen, noch dazu da es Sie in ihren Familienverhältnissen derangirt hat, aber Sie müssen mich wirklich mit dem tollen Treiben unserer Gegenwart entschuldigen, das meinen armen Kopf so entsetzlich in Anspruch genommen. Man möchte jetzt in einem Augenblick überall sein, theils zu mäßigen, theils zu verhüten, und ich weiß wirklich nicht wem man im gegenwärtigen Moment mehr auf die Finger zu sehen hat, eben den Eingeborenen, oder unseren Freunden, den Engländern und Amerikanern.«
»So kann ich also Tahiti verlassen wann ich will, und bin von dem unwürdigen Verdacht der auf mir, wunderbarer Weise ruhte, freigesprochen?« frug René.
»Lieber Delavigne, ich habe Sie noch keinen Augenblick in Verdacht gehabt« lachte der Gouverneur, »und es würde mir nicht eingefallen sein die Sache auf eine, für Sie so unangenehme Weise hinaus zu dehnen, hätten wir nicht, allerdings anonym, eine förmliche Anklage gegen Sie eingeschickt bekommen, die wir schon, um wenigstens spätere Misdeutungen zu vermeiden, nicht ganz ignoriren durften.«
»Eine Anklage gegen mich?« frug René erstaunt.
Monsieur Bruat nickte achselzuckend mit dem Kopf.
»Von einem Landsmann?« frug der junge Mann weiter.
»Wohl schwerlich – der Brief war englisch, die Hand aber jedenfalls verstellt und hie und da mit orthographischen – vielleicht übrigens absichtlichen Fehlern. Doch dem sei wie ihm wolle« brach er rasch ab, »die Sache ist vorbei und jeder Form genügt; außer dem haben wir auch seit einigen Tagen ziemlich gegründete Ursache einen Engländer selber der That in Verdacht zu halten, der schon eines anderen Verbrechens angeklagt steht, und gestern auch eben bei den Empörern gesehen ist. Vielleicht hat auch der den Brief geschrieben.«
»Das glaub' ich schwerlich« sagte René kopfschüttelnd, »den Dienst hat mir vielleicht ein guter Freund geleistet. Kennen Sie den Namen des verdächtigen Engländers?«
»Jim O'Flannagan.«
»Aha, ich kenne den Burschen; es ist ein Ire.«
»So? – möglich, nun von Tahiti fort kann er nicht, und da hoffe ich denn bald seine nähere Bekanntschaft zu machen. Aber wie wollen Sie selber jetzt nach Atiu hinüberkommen? haben Sie irgend eine Gelegenheit?«
»Im Augenblick nicht« entgegnete René, »doch wird sich die schon finden, die Missionscutter kreuzen ja immer dann und wann einmal herüber und hinüber.«
»Die Missionaire entwickeln überhaupt eine wunderbare Thätigkeit in dieser Zeit« entgegnete finster der Gouverneur – »und sie sollten sich doch Mr. Pritchards Beispiel zu Herzen nehmen. Ich werde sie scharf überwachen lassen, und dann unnachsichtlich das an ihnen zur Ausführung bringen, was sie selber, ohne sogar Veranlassung dazu gehabt zu haben, an unseren eigenen Priestern ausgeübt. Daß diese Herren immer das geistliche und weltliche Regiment mit einander verwechseln, und gar so gern aus dem einen in das andere hinüberpfuschen wollen. Doch dem sei wie ihm wolle, wir werden den Herren zu begegnen wissen, und sie haben es sich selber zuzuschreiben wenn sie nachher vielleicht etwas rauher behandelt werden, als ihrer Bequemlichkeit und ihrer Stellung zusagt.«
»Ich glaube daß hie und da ein freundliches Wort zwischen den Eingeborenen und der jetzigen Regierung manches Unglück vermeiden könnte« sagte René nachdenkend – »den Insulanern sind eine Menge falscher Begriffe beigebracht, und mit unsern Sitten und Gebräuchen nicht bekannt, erscheint ihnen theils Manches schroffer als es im Anfang gemeint war, theils haben wir selber Vieles was sie gethan zu streng und ernst genommen. Die aufgezogene Flagge vor dem Haus der Königin z. B. hatte meiner Meinung nach keineswegs die Bedeutung die ihr der Admiral gab; es muß zu Misverständnissen führen, wenn wir denselben Maßstab unserer Handlungen an den der Eingeborenen legen wollen. Ich bin fest überzeugt daß Pomare in der Krone nichts weiter wie ein glänzendes Spielzeug sah.«
»Pomare vielleicht« sagte der Gouverneur, »aber nicht die sie ihr gaben – der Insulanerin gegenüber hätte es vielleicht kaum einer Gegendemonstration bedurft, das geb ich zu, aber die Missionaire wußten recht gut um was es sich handelte, und deren Auslegung wäre allein nach England und Frankreich hinüber berichtet worden.«
»Und die arme Pomare verlor darüber ihr Reich.«
Der Gouverneur zuckte mit den Achseln.
»In einer Hinsicht haben Sie übrigens recht« sagte er nach einer kleinen Pause, in der er einige Mal mit schnellen Schritten im Zimmer auf und ab gegangen war; »ich glaube selber daß ein Wort der Verständigung zu seiner Zeit weit mehr wirken würde, als die aufgepflanzten Kanonen und Bayonnette unserer Soldaten. Mir liegt besonders daran weiteres Blutvergießen zu vermeiden, auch sind wir hier gar nicht so stark, viele Siege wie der gestrige gewinnen zu können, der uns vier unserer besten Officiere und – und sehr viel gute Soldaten und Leute gekostet hat. Um so mehr leid thut es mir deshalb jetzt gerade Sie, lieber Delavigne zu verlieren, da eben Sie vor allen Anderen, in Ihrer Stellung zu den Eingeborenen, im Stande wären manches Gute zu wirken, manchen Conflict zu vermeiden. Wir würden Ihnen auch sehr dankbar sein, wenn Sie sich entschließen könnten uns, wenigstens einen kleinen Theil Ihrer Zeit zu widmen. Nicht allein daß sie dadurch den Insulanern selber einen ungemein großen Dienst erweisen, denn auf die Länge der Zeit können sie ja nun doch einmal unseren Waffen nicht Stand halten, während sie von jeder weiteren Hülfe durch unsere Schiffe abgeschnitten sind, Sie würden auch vielleicht manchem Landsmann dadurch das Leben erhalten.«
»Aber in welcher Art glauben Sie, daß ich das im Stande wäre?« frug René, zu ihm aufschauend.
»Sie wissen daß sich die Insulaner, Mahaena nicht für so sicher haltend, an anderen Orten wieder festgesetzt haben, ja noch in diesem Augenblick in Begriff sind zu verschanzen; die steilen Thäler, Schluchten könnte man sie eher nennen, dieses Landes, bieten den Eingeborenen dabei in der Vertheidigung unendliche Vortheile, und ihre Positionen werden immer nur mit großem Verlust an Menschenleben genommen werden können; aber sie werden doch genommen und die Erbitterung muß natürlich nach jeder geschlagenen Schlacht soviel höher steigen, der Riß soviel unheilbarer werden. Jetzt ist dabei vielleicht noch eine Aussöhnung möglich, Pomare mag zurückkehren und unter dem französischen Protectorat nominell, wenigstens den Eingeborenen gegenüber, fortregieren und wir ersparen eine Masse gutes Blut der einen wie anderen Parthei.«
»Die Missionaire werden aber nie in einen Frieden willigen« sagte René, »der die Gewalt ganz in die Hände ihrer Feinde giebt, und sie förmlich aus dem Land verjagt.«
»Es denkt ja aber gar Niemand daran das zu thun« rief der Gouverneur, »als eben ihre eigene starre Unduldsamkeit, die nun einmal keine andere Religion neben sich dulden will und mag. Nur gleiche Berechtigung verlangen wir für unsere Religion, wozu wir ein Recht hätten, selbst wenn es uns unsere Kanonen hier nicht sicherten, und wenn sie von der Vortrefflichkeit ihres Glaubens so vollkommen überzeugt sind, wie sie vorgeben, weshalb fürchten sie denn unter gleichen Verhältnissen mit ihm in die Schranken zu treten?«
»Und glauben Sie, Herr Gouverneur, daß ich im Stande wäre bei einem derartigen Versuch etwas Gutes zu wirken?« frug René – »darf ich den Insulanern wirklich die Versicherungen Ihrer friedlichen Gesinnung bringen und daß Pomare nach Tahiti zurückkehren mag, zwischen ihnen zu leben – ihnen ihre Königin, wie daß ferner keinem in der Ausübung seiner Religion die mindeste Schwierigkeit in den Weg gelegt werden soll?«
»Das Alles, auf mein Ehrenwort,« erwiederte der Gouverneur – »noch mehr – es soll Alles vergessen und vergeben sein zwischen beiden Theilen, was bis jetzt geschehn – den einen Burschen natürlich ausgenommen, der noch alte Rechnung hat – es liegt mir ja nicht daran die Insulaner zu unterwerfen und sie zur Anerkennung unserer Macht zu zwingen – zum Henker nein, wir wollen friedlich und freundlich zwischen ihnen leben, und nicht immer der Gefahr neuer Ausbrüche und Revolutionen ausgesetzt sein. Es ist auch wahrhaftig nicht einmal Ehre mit einem solchen Sieg zu gewinnen, wo uns die ganze civilisirte Welt nachher anschreit, wir hätten einen Haufen nackter Wilden mit hölzernen Speeren und Schwertern durch unsere Kanonen zusammengeschossen, während die Burschen in der That ganz verständig selber schießen können, und viel mehr Gewehre und Munition haben, wie ich eine Ahnung hatte.«
»Gebe Gott daß ich dann einen günstigen Erfolg bringe« sagte rasch René – »gern will ich mich dem Auftrag unterziehn, und wie ich die Eingeborenen kenne, werden sie gern und willig zu ihren Hütten zurückkehren, dort in Frieden zu leben. Sie sind gut und friedlich von Natur, wie Ihnen ihr ganzes Betragen auch schon, selbst nach der Besitzergreifung, bewiesen haben muß, und wären sie nicht gar so arg gereizt, sie würden selbst jetzt nicht daran gedacht haben die Waffen aufzugreifen.«
»Die Waffen waren einmal da« sagte der Gouverneur finster »und mußten gebraucht werden. Es ist auch möglich daß das Einführen derselben eine kaufmännische Speculation gewesen, es sollte mir wenigstens lieb sein das zu glauben; fast aber fürchte ich, daß da auch noch eine andere Hand mit im Spiel gewesen, und war das wirklich, so dürfen wir auch nicht zu viel von einem freundlichen Wort hoffen. Nichtsdestoweniger will ich jedenfalls, mir selber später keine Vorwürfe machen zu können, die Sache versucht haben – ich weiß auch daß ich dadurch im Sinn meiner Regierung handele, die um Alles einen ausgedehnteren Kampf um diese Besitzung zu vermeiden wünscht. Sind Sie also im Stande ein derartiges Uebereinkommen, einen Vertrag oder wie Sie es nennen wollen in Wirklichkeit zu ermöglichen, so rechnen Sie dabei ganz auf meine Unterstützung sowohl, wie wärmste Dankbarkeit.«
»Und wann wünschen Sie daß ich da aufbrechen soll?« frug René.
»Sobald Sie wollen; am Besten gleich morgen früh, denn jeder neue Tag führt dem Feind auch neue Hülfstruppen über die Berge zu, und macht ihn immer nur noch starrköpfiger auf der einmal eingeschlagenen Bahn beharren. Jetzt haben wir auch noch eine Anzahl Kriegsschiffe in der Bai, unter deren Kanonen sich ein Friedensabschluß weit anders ausnimmt, als wenn wir nur hier auf die geringe Zahl unserer Landtruppen, und vielleicht überall vom Feind umgeben, in die Stadt eingeschlossen sind. Sobald Sie zurückkehren statten Sie mir gleich Bericht ab. Gedenken Sie allein zu gehn, oder soll ich Ihnen eine Flagge und Bedeckung mitgeben?«
»Ich glaube ich gehe besser ohne das Alles« sagte René, »die französische Flagge ist in diesem Augenblick nicht beliebt genug eine Empfehlung zu sein, denn die Erinnerung an die erlittene, und jetzt erst eigentlich begriffene Demüthigung liegt noch zu frisch in ihrem Gedächtniß. Allein hab' ich weniger zu fürchten, da mich Manche von ihnen kennen, ja mit mir befreundet sind.«
»Wie Sie denken« erwiederte Mr. Bruat sich die Lippe beißend, »und dann noch eins. – Sind Sie einmal oben, können Sie vielleicht auch etwas über den Schuft Jim O'Flannagan erfahren; Monsieur Bertrand, der sich eben so warm für Sie verwandt, und, wenn ich nicht irre ein Jugendfreund von Ihnen ist, hat mit diesem Burschen ein ganz besonderes Capitel abzumachen, und will ihn gestern über die Stirn gehauen haben, so daß er sogar leicht an seiner Wunde zu erkennen wäre. Außerdem habe ich einen nicht unbedeutenden Preis auf seinen Fang gesetzt; vielleicht sind Sie im Stand, in den Bergen etwas Näheres über ihn zu hören.«
»Ich spreche Bertrand jedenfalls noch heute Abend« erwiederte René, »auch hat er mir schon selber von dem Iren und seinem früheren Leben erzählt; er scheint eine Art von Land- und Seepirat gewesen zu sein, und soll sich hier besonders mit dem Schmuggeln verbotener Spirituosen befassen.«
»Ein gefährlicher Charakter, besonders in jetziger Zeit« sagte Mr. Bruat – »aber wer kommt da unten? was ist das für ein wunderlicher Kauz – kennen Sie den Burschen, Delavigne?«
René war rasch an's Fenster getreten, dem ausgestreckten Arme des Gouverneurs mit den Augen folgend, warf aber kaum einen Blick auf die Gestalt, als er auch lächelnd wieder zurück trat und sagte:
»Das ist Einer unserer originellsten Charaktere in Papetee, und trotzdem dies das erste Mal, daß ich ihn wirklich in der Stadt erblicke. Er ist Schuster und wohnt draußen in den Guiaven in einer gewöhnlichen Bambushütte mit einer alten irischen oder englischen Hexe, die sie »Mütterchen Tot« nennen, und ihre beiderseitige Hauptbeschäftigung soll sein – wenn das Gerücht nicht lügt – Spirituosen an die Eingeborenen auszuschenken.«
»Und hat man das bis jetzt geduldet?« frug der Gouverneur rasch.
»Noch hat ihnen Nichts bewiesen werden können« lachte René, »denn die Alte ist zu schlau sich leicht erwischen zu lassen. Die Sache muß aber auch noch einen anderen Zusammenhang haben, denn selbst die Missionaire dulden sie dort im Busch, trotz dem ziemlich allgemein ausgesprochenen Betrieb. Aber der Schuhmacher kommt wahrlich hier in's Haus; das muß denn etwas ungemein Wichtiges sein, was ihn hierher führt. So viel ich weiß haßt er uns Franzosen wie die Sünde, und soll fast den ganzen ausgeschlagenen Tag in der Bibel lesen.«
»Sie empfehlen mir den Mann immer mehr« lachte der Gouverneur – »er scheint mir übrigens mehr Carricatur als Original, und es sollte mich gar nicht wundern, wenn er sich nicht vielleicht bei den französischen Behörden über seine englische Gattin beklagen und sich mit unter das Protectorat stellen wollte – hahaha, da hätten wir gleich einen praktischen Nutzen für Englische Bürger, die doch im Anfang solches Geschrei darüber erhoben. Aber wahrhaftig, ich glaube er will zu mir.«
Eine Ordonanz trat in diesem Augenblick in's Zimmer und meldete daß ein verdächtig aussehendes Individuum, das halb englisch halb insulanisch spräche, vorgelassen zu werden verlange und in größter Eile zu sein behaupte, auch etwas sehr Wichtiges mitzutheilen habe.
»Dann Herr Gouverneur« sagte René, »erlauben Sie vielleicht daß ich mich entferne.«
»Nein, das erlaube ich nicht« lachte dieser, »dann brauche ich Sie zum Dollmetscher; für ein Gemisch von Englisch und Indianisch halte ich mich nicht sattelfest genug. Oder haben Sie irgend etwas anderes, besonderes vor?«
»Nicht das entfernteste« entgegnete der junge Mann, »es wird mir das größte Vergnügen machen Ihnen dienen zu können.«
»Ich wollte ich dürfte Sie vollständig beim Wort nehmen, Delavigne« sagte Mr. Bruat, der Ordonanz dazwischen ein einfaches »er soll herein kommen« zurufend. »Wir brauchen jetzt Leute, tüchtige Leute, und für solche ist gerade auch wieder der jetzige Zeitpunkt vortrefflich, ihr Glück zu machen. Was haben Sie drüben in Atiu? das läuft Ihnen nicht weg, und der jetzige Moment kehrt vielleicht im Leben nicht wieder. – Aber ich will Ihnen nicht zureden« unterbrach er sich rasch, »Sie mögen sich das noch mit sich selber überlegen; da kommt auch eben unser dringender Besuch – wie heißt der Bursche?«
»Murphy, wenn ich nicht irre.«
»Ein ächt irischer Name, dem das Gesicht keine Schande macht. Sehn Sie nur was für tückisch blitzende Augen der Bursche im Kopfe trägt; etwas Gutes hat den nicht zu mir geführt, soviel ist sicher. Und was wollt Ihr? – ach ich vergaß, bitte Delavigne fragen Sie einmal den Feuerbrand was er von mir will – Peste, wie er aussieht.«
Murphy hatte sich indessen langsam und scheu zur Thür herein geschoben, und stand da, wie eine Fledermaus am Tage, die beiden Männer, die französisch mit einander sprachen, mistrauisch betrachtend. Ein finster drohender Ausdruck legte sich aber in seine Züge und schien sich dort in die Falten und Pockennarben ordentlich festzuhängen, als beide Männer, nicht im Stande beim Anblick der Gestalt ernsthaft zu bleiben, erst an zu lächeln fingen, und dann endlich in ein laut schallendes und anhaltendes Lachen ausbrachen.
Murphy hatte übrigens dazu gar gegründete Ursache gegeben. Zuerst trug er wieder, als die einzig mögliche Zeit, und vielleicht auch andere Mängel zu verdecken, den erbsgelben Rock, bis an den Hals zugeknöpft, mit den Schößen unten an seine nackten Waden, oder wenigstens an einen Klumpen von Sehnen und Muskeln schlagend, der hinter dem Wadenbeine irgendwie befestigt schien. Die Beine staken in sehr defekten, unten wenigstens ausgefranzten Hosen; seine Extremitäten vom Hals ab, Kopf Hände und Füße waren bloß, die letzteren dem eigenen Handwerk zum Trotz, und nur um den linken Fuß, mit dem er vielleicht in eine Glasscherbe oder sonst etwas getreten, hatte er sich ein Stück gelbbrauner Tapa geschlagen und mit Bast befestigt. Nahm man nun noch das wunderlich zusammengezogene, halb boshafte halb komische, von Blatternarben zerrissene Gesicht des kleinen Iren dazu, mit dem brennend rothen struppigen Haar und den kleinen hellgrauen stechenden Augen, so war die Fröhlichkeit der beiden Männer zu entschuldigen, die durch den verlegenen Ausdruck des Mannes eher noch erhöht als vermindert wurde.
Murphy schien aber nicht in der Stimmung vielen Spaß mit sich machen zu lassen, und mit einem mürrischen Seitenblick auf die vor ihm Stehenden und einem halblaut gemurmelten »damned fools ye«[1] wollte er sich eben wieder umdrehn und das Zimmer ohne weitres verlassen, als ihn René in Englisch anrief und ihn frug was er vom Gouverneur Bruat wünsche.
Bei der Englischen Anrede stutzte der Ire, und sah erst René, dann den Gouverneur ein paar Secunden mit seinen stechenden Augen forschend an, dann aber, wie sich besinnend um was er eigentlich hier hergekommen, sagte er im breitesten irischen Dialekte:
»Seid Ihr der Misther Gouverneur?«
»Nicht ich – dieser Herr da.«
»Und kann der nicht für sich selber sprechen?«
»Ich werde dollmetschen, Murphy« erwiederte René lächelnd – »was führt Euch her?«
»Murphy?« wiederholte der Ire erstaunt seinen Namen, »wo bei Jäsus, habt Ihr den Namen her, Sirrah? – aber s'ist einerlei« fuhr er dann rascher fort. »Ihr Franzosen spionirt ja doch überall herum – aber Ihr habt eine Belohnung auf das Einfangen von einem weggelaufenen Mann gesetzt – wollt Ihr die zahlen?«
»Ha – wer ist das?« rief der Gouverneur rasch, der den ungefähren Sinn der letzten Worte verstanden hatte.
»Jäsus mein Herzchen – ob er nicht blos so thut als ob er keine Ohren hätte« sagte Murphy mit einem breiten Grinsen, »aber was sagt er jetzt?«
René wechselte rasch einige Worte mit dem Gouverneur und wandte sich dann wieder an den Iren.
»Und wer ist's den Du zu vergeben hast, mein Bursche? – wenn's der rechte ist kannst Du einen schönen Thaler Geld verdienen – wie heißt er?«
»Jim O'Flannagan – damn his eyes[2] und Jack irgend noch sonst was.«
»Alle Beide?«
»Sitzen jetzt in der Falle.«
»Und wo ist das?«
Wieder verzog sich das Gesicht des Mannes zu einem breiten halb pfiffigen halb höhnischen Grinsen und er knurrte:
»Soll Euch Murphy das Nest nennen eh' er das Silber hat?«
»Das Nest wird Mütterchen Tots Hotel sein« sagte René gleichgültig während der Mann einen überraschten tückischen Blick auf ihn warf – »doch hab' keine Furcht, wenn Du die beiden Burschen in des Gouverneurs Hände lieferst, wird Dir Dein Lohn nicht entgehn. Aber – wie ist mir denn?« frug er sich besinnend und gegen den Gouverneur gewandt – »der eine von ihnen hat doch nur ein Verbrechen verübt, nicht wahr?«
»Der andere ist ein entsprungener Matrose« sagte Mr. Bruat.
»Hm« murmelte René vor sich hin – »doch es liegt Ihnen daran nur den einen zu fassen?«
»Nein, nein alle Beide – sind Sie alle Beide im Haus? – bitte fragen Sie den Burschen einmal.«
»Habt Ihr sie alle Beide im Haus – auf den einen sind fünfhundert, auf den andern nur zwei gesetzt!«
»Alle Beide« bestätigte Murphy, »aber rasch müssen Sie machen, wenn Sie die Vögel noch erwischen wollen – die Sonne ist nicht weit mehr vom Untergehn und jetzt ist die Zeit – später steh ich für Nichts, denn fort wollen sie auch.«
»Fort? – wohin?«
»Wohin? – weiß ich's?« sagte der Kleine mürrisch – »nur ihre Bündel haben sie bei sich, und ihre Waffen, und ein Canoe ist nicht schwer zu finden am Strande, wer Lust dazu hat!«
»Nicht unwahrscheinlich« sagte, mit dem Kopf nickend, der Gouverneur, der aufmerksam dem Gespräch gefolgt war, und jedenfalls so viel Englisch verstand, den ungefähren Sinn zu begreifen. »Dann haben wir keine Zeit zu verlieren, und Sie können den Spaß mit ansehn Delavigne.«
Er klingelte und sagte, als die Ordonanz gleich darauf in militärischer Stellung eintrat:
»Lieutnant Bertrand von der Jeanne d'Arc lasse ich ersuchen augenblicklich zu mir zu kommen – er ist an Land, Du wirst ihn drüben im Café bei Victor finden – es ist eilig.«
Der Soldat verschwand blitzesschnell wieder durch die Thür und vielleicht zehn Minuten später, während der Gouverneur mit auf dem Rücken zusammengelegten Händen im Zimmer auf und ab ging, Murphy ungeduldig von einem Fuß auf den andern schaukelte und bald nach der Thür bald nach dem Fenster sah, hörten sie die raschen Schritte des jungen Officiers über die hölzerne Verandah kommen; wenige Secunden später betrat er das Zimmer, das Nöthigste jetzt über die rasch auszuführende Expedition zu berathen, das Berathene eben so rasch auszuführen.
Die Bambushütte in der Mrs. Tot ihren Wohnsitz aufgeschlagen, lag, wie sich der Leser erinnern wird, einige hundert Schritt von der äußersten und jetzt von Gräben und Wällen eingeschlossenen Grenze der eigentlichen Stadt Papetee entfernt, tief in den Guiaven und Fruchtbäumen versteckt, und jetzt also von jedem Verkehr mit ihren europäischen Gästen, den Matrosen der Englischen oder Französischen Schiffe, vollkommen abgeschnitten. Französische Matrosen hatten sich überhaupt bei ihr sehr selten, und nur dann und wann einmal von den Mädchen selber dorthin gezogen, sehen lassen, deshalb auch ihre Sympathieen nicht, und ein kleiner Transport ächten holländischen Genevres, eine Parthie versetzten Kartoffelbranntweins, den sie sich in Jims Abwesenheit von einem anderen ungeschickteren Bekannten wollte besorgen lassen, war ihr noch außerdem erst an dem gestrigen Tage von einer französischen Patrouille entdeckt und confiscirt worden, und damit dem Fasse ihrer Geduld der Boden ausgestoßen.
Die Hütte selber lag auch in den letzten Tagen wie leer und verlassen, denn wenn auch gerade jetzt dem verbotenen und so vortheilhaften Einzelverkauf der Spirituosen Nichts im Wege stand, da die Franzosen in ihren Schanzen gewissermaßen eingeschlossen lagen, wenigstens nicht daran dachten nur um dem Schmuggeln zu steuern kleine Patrouillen in das Dickicht hinauszuschicken, die von den Eingeborenen leicht überrascht und aufgehoben werden konnten, so lag doch auch der Platz wieder für diese zu weit von ihrem jetzt eingenommenen Lager entfernt, und sprachen ja einmal Einzelne dann und wann vor, so geschah das meist nur auf Kundschaft, vielleicht irgend wen ihrer abtrünnigen und den Feranis ergebene Landsleute, die sie jetzt fast mehr haßten als die Feranis selber, zu überraschen und aufzuheben. Murphy konnte fast den ganzen ausgeschlagenen Tag ungestört in seiner Bibel lesen, und Mütterchen Tot saß in einem Winkel ihrer Hütte, in einer Stimmung, die nur eine Ursache suchte, Gift und Galle gegen den ersten ihr in den Weg Laufenden auszuspritzen.
Es war spät am Nachmittag als die Stille fast zum ersten Mal durch die Schritte dreier Männer unterbrochen wurde, die den schmalen aus den Bergen niederführenden Pfad herunter kamen und sich der Hütte näherten. Es waren zwei Weiße und ein Insulaner – drei alte Bekannte von uns, Jim O'Flannagan, Jack und Raiteo, der Dollmetscher von Atiu, der mit dem ehrwürdigen Mr. Rowe von dort herübergekommen, und die Verhältnisse hier viel zu interessant und versprechend gefunden zu haben schien, Tahiti so bald wieder mit der stillen Heimathsinsel zu vertauschen. Der Indianer wurde voran in die Hütte geschickt, zu sehen ob die Luft rein und keine Gefahr zu fürchten sei.
»Nun was giebt's?« knurrte die Alte, als der Insulaner den Kopf in die Thür steckte und, Niemanden weiter darin erblickend wie die beiden Besitzer, eben so rasch fast wieder verschwand – »die Pest auf Deinen Kopf, Du rother Hallunke, kommst Du zum Spioniren hierher und weiter Nichts? daß Dich ein Hai packe das erste Mal wo Du den Fuß wieder in Salzwasser setzest, und Du Gift in dem ersten Glase Brandy säufst. Ha? – wer kommt da? – auf mit Dir Du fauler schuftiger Tagedieb dort, oder ich stehe auf und schlage Dir das vermaledeite Buch um die Ohren herum, das ich Dir tausendmal schon hätte verbrennen sollen, wenn meine verfluchte alberne Gutmüthigkeit nicht wäre. Auf mit Dir, sag' ich, und sieh nach – daß ich Dir Beine mache« knurrte sie dann leiser hinterher, als Murphy, innerlich Verwünschungen ausstoßend, denen er sich nur scheute Worte zu geben, aber doch dem Ruf gleichsam instinktartig gehorsam, aufstand, und durch die Stäbe der Bambuswand schaute.
Sie sollten jedoch über den Besuch nicht lange in Zweifel gelassen werden, denn schon wenige Secunden später riß Jim O'Flannagan selber die Thür auf und betrat, immer aber noch einen mistrauischen Blick umherwerfend, und von Jack und Raiteo gefolgt, das Haus, wo ihn Mrs. Tot mit einem halb erstaunten halb mürrischen Gesicht empfing.
»Segne meine Seele Mann, wie seht Ihr aus« kreischte sie aber, als sie einen vollen Blick auf die Gestalt des Iren geworfen, die sie jetzt erst wieder erkannte. »Mensch, haben Euch die Feranis oder die Teufel in den Krallen gehabt, daß sie Euch nicht einen Zollbreit gesundes Fleisch im Gesicht gelassen? – wenn's nicht an Eueren Haaren und Euerer ganzen Gestalt wäre, an Eurer liebenswürdigen Physionomie hätte ich Euch im Leben nicht wieder erkannt. Wo kommt Ihr her und was führt Euch zu mir?«
»Verdammt gastliche Frage« knurrte der Ire, ohne weitres zu ihrem Bett gehend und sich dort, todesmatt und erschöpft, nieder werfend – »hol mir vor allen Dingen eine Cocosnuß, Murphy, – heh – hörst Du Schuft, da in der Ecke, und laß das verdammte Buch liegen – eine Cocosnuß will ich haben zum Trinken.«
»Und ist es meiner Mutter Sohn zu dem Ihr Schuft sagt?« knurrte der kleine Schuhmacher mit einem giftigen Blick nach dem so gefürchteten wie gehaßten Manne – »holt sie Euch selber.«
Jim wollte sich, mit einem wild ausgestoßenen Fluch wieder von seinem Lager emporrichten, den Iren zu zwingen seinem Befehl Folge zu leisten, Mrs. Tot aber, weniger vielleicht dem Gast zu Gefallen als indignirt daß Mr. Murphy überhaupt Jemandem wagen konnte zu widersprechen, hinkte auf den kleinen, in seinen warmen Rock eingeknöpften Mann zu, riß dem, trotzig seinen Platz Behauptenden das Buch, das er auf den Knieen hielt, aus der Hand und es hinter sich schleudernd fuhr sie mit einer solchen Fluth von Schimpfwörtern über ihn her, denen die immer heftiger werdenden Bewegungen noch etwas viel Schlimmeres beizugeben drohten, daß sich Murphy endlich, wie ein bissiger Hund der gefürchteten Peitsche gegenüber, langsam und rückwärts von seinem Stuhl hinunter und der Thüre zu zog, durch die er gleich darauf, dem Befehl Folge zu leisten, verschwand.
»Hol die unnütze tagdiebische Bestie der Henker« geiferte die Alte aber noch hinter ihm her – »sitzt da den lieben ausgeschlagenen Tag auf seinen faulen Knochen und –«
»Na laß das Knurren Alte!« rief sie aber der Ire jetzt ungeduldig an, »ich bin gerade nicht in einer Stimmung Dein Geschwätz anzuhören – Du mein Bursche da springst indessen nach dem Wasser hinunter, und siehst ob unser Canoe in Ordnung ist, daß wir mit Dunkelwerden hier fortkommen, denn nach dem Abendschuß patrouilliren die Boote in der Bai, und Du Mütterchen schaffst uns schnell etwas zu essen herbei, ich bin fast verhungert und brauche Stärke.«
»Mensch, wie seht Ihr aus und wo wollt Ihr hin?« rief aber die Alte dagegen, sich vor ihn hinstellend und ihn aufmerksam betrachtend, »Ihr habt eher Pflaster in Euer Gesicht wie in den Magen nöthig; wer hat Euch denn so zugerichtet.«
»Ein Schuft, dem ich's vielleicht später noch einmal gedenken kann« fluchte der Ire, »jetzt aber wird mir der Platz hier zu warm, und ich muß machen daß ich fortkomme. Das lumpige Indianervolk kann sich doch nicht auf die Länge der Zeit gegen die Franzosen halten, und nachher, wenn sie Alle leer ausgehn, möchte die Geschichte auf mir hängen bleiben. Ich habe überdies mein Theil ab, und könnte auch doch nicht mehr mit schlagen und da oben in den feuchten Bergen sitzen zu bleiben und Feis[3] zu fressen, dazu gebricht mir die Lust. Ich will wieder in See!«
»In See? an Bord eines Kriegsschiffs?« frug die Alte erstaunt.
»Nein, hinüber nach – übrigens wird's wohl einerlei sein ob Ihr's wißt oder nicht – Schwatzen hat schon Manchen gereut, Schweigen selten. Wo der blatternarbige Schuft nur bleibt mit der Cocosnuß – gieb mir einen Schluck Brandy indessen Alte, den Aerger hinunter zu spülen.«
»Mit den Wunden auf Euch?« rief Mrs. Tot kopfschüttelnd, »wenn Ihr jetzt Brandy tränkt, trocknete Euch das Fieber die Adern aus, und schnürte Euch das Herz zusammen.«
»Herz – pah – nur nicht den Hals, Mütterchen, nur nicht den Hals – weiß der Teufel, seit mich gestern der Schuft am Kragen hatte und mich mit fortschleifen wollte, bin ich auf einmal so furchtbar besorgt um meine Luftröhre geworden – s'ist auch eine nichtswürdige Erfindung einen Menschen daran aufhängen zu wollen – Brandy, Alte, Brandy; zum Teufel was geht Dich mein Fieber an.«
»Schrei doch nicht so« sagte Jack jetzt, während Mrs. Tot kopfschüttelnd und innerlich murrend und schimpfend dem Befehle Folge leistete – »Du wirst uns noch einen Besuch auf den Hals ziehn, ehe wir wieder Salzwasser unter dem Kiel haben. Wetter noch einmal, mir wird's auch unheimlich an Land jetzt, und das zerschossene Gesicht von dem Officier will mir nicht aus dem Sinn; nun, ich hatt's ihm lange zugeschworen und er hat's tausendmal an mir verdient.«
»Ich wollte Du hättest den – Anderen so getroffen, das wär für uns Beide besser.«
»Seh ich nicht ein« brummte Jack, – »für Dich vielleicht – aber bis es für uns Beide gut würde, könnten wir noch manche Ladung Pulver gebrauchen. Nein, fort, ich habe das Leben satt, und gäbe jetzt Gott weiß was darum, wenn mich der Teufel nicht geplagt hätte, gerade auf dieser vermaledeiten Insel zu entwischen, wo sie uns beinah gefangen hätten wie die Ratte in der Falle. – Entwischen, als ob ich überhaupt schon entwischt wäre; wer konnte sich aber auch denken daß die Eingeborenen solchen Skandal anfingen.«
»Hah, das thut gut« sagte Jim, sich den Mund wischend, nachdem er das ihm gereichte Glas Brandy auf einen Zug geleert und jetzt ein paar Bissen der hinzugelegten Brodfrüchte förmlich verschlang, von der er sich auch zugleich einen Theil in die Tasche steckte – »das gießt ordentlich wieder Feuer durch die Adern und giebt den Gliedern neue Stärke.«
»Weißer Mann!« sagte in diesem Augenblick die vorsichtig gedämpfte Stimme des Indianers, der den Kopf zur Thür herein steckte – »ist Alles in Ordnung – Canoe flott und dunkel wird's auch bald – in kleiner Zeit können wir auf Wasser sein – kein Boot in Sicht.«
»Gut – komme gleich« sagte Jim, der sich das Glas noch einmal voll geschenkt hatte, aufstehend und es wieder leerend – »bleib draußen am Weg wo ich Dir gezeigt habe, und wenn Jemand kommt weißt Du das Zeichen.«
»Alles fertig« sagte Raiteo erstaunt – »weshalb warten?«
»Weiß schon – weiß schon, komme gleich – mach schnell« erwiederte aber der Ire ungeduldig und der Indianer zog sich zurück.
Jack war indessen zu Jim hinangetreten, und ein paar Worte mit ihm wechselnd, griff er seine Waffe auf und ging zur Thür, während Jim, den Mütterchen Tot indeß etwas mistrauisch beobachtet hatte, sich zu dieser wandte und mit freundlicher Stimme – wenn in den rauhen Laut überhaupt ein freundlicher Ton gelegt werden konnte – sagte:
»Hör, Mütterchen – ich habe noch eine rechte Bitte an Dich, ehe wir gehn – wirst Du sie erfüllen?«
»Bitte? – Bitte?« knurrte aber die Alte – »was hab' ich mit Bitten zu thun – hab noch in meinem Leben Nichts von einem anderen Menschen erbeten – Alles bezahlt. Wo nur der Schuft von Schuster jetzt bleibt bis spät in die Nacht hinein – na komm Du mir zu Hause – und meinen Rock hat er auch mit – heh Murphy – Mur-phy!« Sie betonte die letzte Sylbe des Wortes mit ihrer scharfen kreischenden Stimme, und der Laut drang gellend durch den Wald.
»Alle Wetter, Mütterchen, was Du noch für eine helle Stimme hast« sagte Jim, unruhig nach Jack zurück schauend, »aber laß das Schreien einmal sein jetzt und beantworte mir eine Frage – ich werde Dich sobald nicht wieder incommodiren.«
»Und was giebt's? – was wollt Ihr von mir?« rief die Alte mürrisch – »Eueren Brandy habt Ihr auch noch nicht bezahlt.«
»So? nun, wir machen das dann zusammen ab« sagte Jim, während ein spöttisches Lächeln um seine Lippen zuckte; »aber um wieder auf meine Bitte zu kommen, Mütterchen, so bin ich wahrhaftig für den Augenblick in Geldverlegenheit, und Du mußt mir auf ein paar Monat zweihundert Dollar borgen?«
»Zweihundert Dollar? – mußt?« rief aber die Alte, mehr erzürnt fast als erschreckt über die Forderung – »ist das etwa Euere Bitte, heh? – mußt zweihundert Dollar borgen, als ob ich die hundert Dollars nur so unter den Matten herumliegen hätte, und sie vorzuholen brauchte, wenn es irgend einem Vagabunden einfiele zu mir zu kommen und danach zu fragen. Mußt mir zweihundert Dollar borgen – heh Murphy, ob ich den Schuft nicht bei den Beinen aufhänge, wenn er wieder zurückkommt, die feige, nichtsnutzige faule Canaille, die sich in den Wald und unter einen Busch draußen drückt, wenn sie zu irgend einer Arbeit aufgerufen wird – Murphy!«
»Mütterchen Du mußt sie mir borgen« sagte aber Jim jetzt, ihr näher tretend mit unterdrückter Stimme, der man es jedoch wohl anhörte, wie er sich nur gewaltsam Mühe gab den in ihm auflodernden Zorn noch zu dämpfen. »Ich habe Alles Geld was ich bei mir führte bei unserem letzten Kampf verloren, und nicht einen Franc mehr im Vermögen, und an der Stelle, wo ich ein kleines Capital früher einmal vergraben, haben mir die verfluchten Franzosen gerade ein Fort darauf gebaut daß ich jetzt auch nicht dazu kann. Ich muß später wieder hierher zurück, das zu heben, und Dein Geld ist Dir sicher.«
»Aber ich habe kein Geld zum Verborgen« schrie die Alte, vielleicht absichtlich mit lauter Stimme und mehr von seiner Annäherung zurückweichend – »was Ihr für mich gearbeitet, hab' ich Euch baar bezahlt, höher bezahlt wie ich es eigentlich vor Gott und meinem Gewissen verantworten konnte, und das Bischen Nutzen was ich durch den Verkauf der Sachen hätte haben können, lief in Euere Taschen, eh' ich den Spunt geöffnet.«
»Wenn Du nicht aufhörst zu schreien« zürnte sie der Ire jetzt mit tödtlich blitzenden Augen an, »so sag' ich Dir, wo Du Dein Geld hast – hörst Du mich? – wirst Du jetzt Vernunft annehmen und schweigen?«
»Sagt Ihr mir wo ich mein Geld habe?« rief aber die Alte, die todtenbleich wurde und sich erschreckt umschaute – »was wollt Ihr von mir, Mensch? von einer alten schwachen Frau, die kaum ihr Leben noch fristen kann in Noth und Dürftigkeit, bei diesen entsetzlichen Zeiten?«
»Ihr werdet da herum trödeln bis die Alte uns die ganze Nachbarschaft über den Hals geschrieen hat« knurrte aber jetzt Jack von der Thür aus – »es wird dunkel Jim, wir müssen wahrhaftig machen daß wir fortkommen.«
»Was habt Ihr – was wollt Ihr?« rief aber jetzt die Alte, der zum ersten Mal die wirkliche Absicht der beiden Buben klar zu werden schien – »ich habe nicht einen Franc im Hause, so wahr ich selig zu werden hoffe – Murphy – Murphy!«
»Schreist Du jetzt noch einmal nach dem verdammten Schuft« zischte ihr Jim aber da, ihren Arm ergreifend, den sie ihm vergebens wieder zu entreißen suchte, in's Ohr – »so thu ich etwas, das mich nachher gereuen könnte; und nun genug Firlefanz um eine so einfache Sache. Ich muß 200 Dollar haben, und wenn Du die so rasch und willig als möglich herausgiebst, so schwör ich Dir hier, daß wir Dir nichts thun, Dir nichts weiter anrühren werden, und das Geld sollst Du, sobald ich es irgend wieder erschwingen kann, oder im Stande bin das hier auf der Insel vergrabene auszuheben, wiederbekommen.«
»Ich habe kein Geld – nicht einen Penny.«
»Daß Dich die Lüge ersticke, Bestie« schrie aber Jim jetzt, selber die Geduld verlierend – »soll ich die Calabasse unter der Lampe dort ausgraben, und Dir die vier oder fünf andern Stellen zeigen an denen Du noch Geld eingescharrt? heh? – oder willst Du selber Rath schaffen? Schnell jetzt denn wir haben nicht fünf Minuten Zeit mehr und schon viel zu lange getrödelt.«
»Die Calabasse unter der Lampe?« schrie aber die Alte jetzt in Schreck und Entsetzen laut auf – »ha, Teufel die Ihr seid – Hülfe! Mörder!« –
Die eiserne Faust des Iren lag an ihrer Kehle und erstickte jeden weiteren Laut.
»Hier Jack« sagte der Räuber dann ruhig zu dem herbeispringenden Genossen – »nimm mir einmal die Alte ab, halt sie aber ruhig, indeß ich das Geld heraufhole.« –
»Na das hätten wir vor einer Viertelstunde schon eben so bequem haben können« fluchte der Matrose, den Mund der Alten, die sich in des Iren Griff wand, mit einem Tuch bedeckend und verschließend – »so Madame, nur für ein klein Weilchen, wenn der Herr Gemahl zurück kommt, kannst Du ihm dann die ganze Geschichte weitläufig auseinander setzen – wird sich unmenschlich freuen wenn er es hört. Hast Du's, Jim?«
»Noch nicht« sagte sein Kamerad, der die Lampe ohne weiteres bei Seite geworfen hatte und die darunter befindliche lockere Erde mit seinem großen Messer aufstach und mit den Händen hinauswarf – »Teufel noch einmal, das Ding steckt tiefer wie ich glaubte.«
»Weißt Du aber auch gewiß daß das der Platz ist?«
Jim lachte ohne darauf zu erwiedern und grub eifrig weiter, die Frau aber, die sich jetzt wieder zu erholen anfing, verdoppelte ihre Anstrengungen los zu kommen, und Jack hatte wirklich Mühe sie unter zu halten.
»Hol der Teufel die Alte« brummte er dabei – »sie wird es sich selber zuzuschreiben haben, wenn sie zu Schaden kommt.«
»Da ist er« rief aber auch in diesem Augenblick Jim, die aufgestochene Erde rasch und freudig auswerfend – »ich hab' ihn schon mit dem Messer gefühlt; so, jetzt wird unsere Reisecasse gleich in Ordnung sein.«
»Mach schnell Jim, ich kann die Alte wahrhaftig nicht länger halten« rief aber auch Jack, »ich muß ihr sonst die Kehle allen Ernstes zuschnüren – was auch eben kein großer Verlust wäre.«
»Nein – halt!« rief aber Jim, ohne jedoch seine Arbeit zu unterbrechen – »thu' ihr Nichts zu Leide, Jack, Mütterchen Tot und ich sind viel zu gute alte Bekannte, als daß ich die Ursache ihres Todes sein möchte – kannst Du ihr nicht die Arme und Füße binden?«
»Ich habe alle beide Hände voll zu thun, ihr nur eben den Mund zuzuhalten« knurrte Jack.
»Hier ist der Beutel!« rief Jim und das Klirren des Geldes, das auch wahrscheinlich an das Ohr der Eigenthümerin drang, trieb diese zu neuen rasenden, aber doch vergebenen Anstrengungen.
»So komm wenigstens her daß Du mir sie binden hilfst« rief Jack jetzt zwischen den, fest aufeinander gebissenen Zähnen durch – »allein bring' ich's nicht zu Stande.«
»Kann nicht einmal ein altes Weib bändigen« lachte der Ire, dem Rufe jedoch nichtsdestoweniger Folge leistend. Jack hatte, wie fast jeder Matrose, die Taschen voll dünner Seilen und kurzen Enden Tau und die Alte lag bald, unfähig sich weiter zu bewegen, gebunden und geknebelt auf ihrer Matratze und dem im Kampf heruntergerissenen Mosquitonetz.
»So, nun aber fort« rief Jim, »denn Murphy kann jeden Augenblick wieder zurück kommen und besser ist besser. Da Jack, vergiß Dein Gewehr nicht und nimm unsere beiden Bündel, ich trage das Geld – wir haben genug!« und mit heiserem Lachen sprang er, von dem Kameraden gefolgt, aus der Thür, den schmalen Pfad entlang der nach dem Wasser führte, und sich eben noch in dem dunklen Schatten erkennen ließ. Kaum aber hatten sie die Hütte zehn Schritt hinter sich, als das gellende Angstgeschrei der Alten, die sich gewußt hatte von ihrem Knebel zu befreien, an ihr Ohr schlug, und beide erschreckt halten machte.
»Der alte Drachen wird den ganzen Wald rebellisch machen« rief Jim mit dem Fuße stampfend – »weißt Du denn noch nicht einmal einen Knebel einzudrehn?«
»Ach laß sie schreien« brummte Jack, »in zehn Minuten sind wir auf dem Wasser und in der Dunkelheit finden sie doch unsere Spur nicht.«
»Nein, nein« rief aber Jim ängstlich, »wir können nicht gerade im See halten und müssen erst lange Strecke an den Riffen hin – wenn der Alarm gegeben wird, kommen uns doch am Ende die Boote in den Weg. Spring zurück und drück ihr den Knebel wieder ein, aber mach rasch, ich bringe indeß das Geld in Sicherheit – Du kennst ja mein Zeichen.«
»Wart lieber hier, ich könnte mich verirren« rief aber der, mit dem Walde gar nicht vertraute Jack, »hol der Teufel die Bäume, einer sieht wie der andere aus.«
»So mach rasch« rief Jim – »Raiteo wird auf uns warten.«
Jack sprang in das Haus zurück und Jim horchte einen Augenblick, bis der Kamerad hinter den Guiaven verschwunden war, sprang aber dann mit flüchtigen Sätzen dem Strande zu, Raiteo zu treffen.
Dieser befand sich jedoch keineswegs auf der bezeichneten Stelle, sondern war ein sowohl sehr überraschter, als erstaunter Zeuge der letzten Scene gewesen. Stutzig gemacht nämlich, durch den barschen Befehl das Haus zu verlassen, und mistrauisch gegen die beiden Männer, fiel ihm auch zugleich wieder das unter den Insulanern bestehende Gerücht ein, Mütterchen Tot sei steinreich und habe ihre ganze Hütte mit Silberstücken gepflastert, über die nur eben wieder dünne Erde gestreut wäre. Vor der Habgier der Eingeborenen schützte sie freilich auch der Ruf ihres Einverständnisses mit bösen Geistern (Murphy las deshalb auch nur immer in der Bibel, diese von sich abzuhalten), aber mit den Weißen war das etwas anderes und er fand denn auch, wie er sich nur vorsichtig hinter die Bambusstäbe gedrückt, seinen schlimmsten Verdacht gar bald bestätigt.
Als Jack nach dem Hause zurücksprang, lag der Insulaner, nicht fünf Schritt von den beiden versteckt, in dem dichten Unterbusch, unschlüssig was zu thun, und erst als er den einen, mit dem geraubten Gelde dem Strande zu fliehen sah, folgte er diesem – sein Vortheil lag da, wo er das Geld wußte.
Einen Augenblick hielt aber selbst Jim in seinem Lauf ein als ein gellender wilder Angstschrei von der Hütte her an sein Ohr schlug. Dann war Alles ruhig – todtenstill, und nur einen Fluch in den Bart murmelnd, setzte er seinen Weg fort und hatte eben den Rand des kleinen Flusses und damit eine schmale offene Lichtung erreicht, wo gerade Raiteo seiner harren sollte, als er es rechts und links in den Büschen rascheln hörte und bestürzt stehen blieb, des Geräusches sicher zu sein, ehe er sich dem offenen Platz anvertraute.
»Raiteo!« rief er dabei mit leiser, vorsichtig gedämpfter Stimme, und gab das verabredete Signal – aber kein Raiteo antwortete, denn dieser, obgleich dicht hinter ihm, hatte ebenfalls etwas vernommen das da nicht hingehörte, und wollte jedenfalls erst wissen was es sei, ehe er selber durch irgend eine Antwort seine Gegenwart verriethe.
Alles war todtenstill, als plötzlich ein wilder, wirrer Lärm von der Richtung wo er hergekommen zu ihnen herübertönte, und gleich darauf ein Schuß fiel.
»Tod und Teufel, das war Zeit« lachte Jim in sich hinein – »sollte mich gar nicht wundern wenn Jack in einen warmen Platz gerathen ist; jetzt aber auch fort –« und mit ein paar Sätzen die Lichtung überfliegend, begrüßte er mit einem Freudenruf das dort versteckt gehaltene Canoe. – Noch aber hatte sein Fuß es nicht berührt als es wieder an beiden Seiten in dem Dickicht raschelte und brach, und zwei dunkle Gestalten plötzlich daraus vorsprangen.
»Hell and damnation!« schrie der Verbrecher, der kaum Zeit behielt das geraubte Geld in einen Busch hinein fallen zu lassen und sein Gewehr aufzugreifen, als sich auch der Eine der Männer gegen ihn anwarf, dessen Gesicht er nur zu wohl erkannte.
»Haben wir Dich, Kamerad!« rief der Bootsmann der Jeanne d'Arc, als er, den kurzen Cutlaß[4] in der Faust, unerschrocken gegen die vorgehaltene Waffe des Iren ansprang – »ergieb Dich, denn Du bist mein Gefangener.«
»Noch nicht« zischte aber der zur Verzweiflung getriebene zwischen den Zähnen durch, und die abgefeuerte Kugel riß dem Feind die linke Backe in demselben Moment auf, als sein Cutlaß das Bayonnett zur Seite schlug. Im nächsten Moment war aber auch der andere Matrose an seiner Seite, und sich auf den Iren werfend, umfaßte er diesen mit seinen sehnigen Armen und riß ihn mit sich zu Boden. Jim O'Flannagan lag, wenige Minuten später, überwunden und gebunden in der Gewalt seiner Feinde.
»So – das war abgemacht« sagte der Bootsmann ruhig, der sich jetzt die verwundete Backe hielt, und das Blut zu stillen sucht. – »Peste, wie mich der Schuft jetzt zugerichtet hat, und es war gut gemeint – aber den Andern werden sie wohl auch erwischt haben. Der kleine rothhaarige Schuft hatte doch recht, daß er uns hier herum zu Wasser schickte, und wie ich nur das Canoe sah wußt' ich daß wir ihn abfangen würden. Aber hallo, was ist das?«
»Indianer, bei Gott!« sagte der andere Matrose, nachdem sie eine kurze Weile einem neu beginnenden Lärm und Schreien gelauscht, dem gleich darauf das Knattern eines förmlichen Kleingewehrfeuers folgte.
Jim horchte hoch auf – da war Hülfe möglich – wenn ihn die Insulaner hier entdeckten hätten sie ihn jedenfalls befreit, und er stieß jetzt plötzlich mit lauter gellender Stimme den oft gehörten Schlachtschrei derselben aus!
»Brav gemacht mein Junge« lachte aber der Bootsmann, mit dem Kopfe nickend – »recht brav für Dein Alter, schade nur, daß Du deine Lunge so ganz umsonst anstrengst« – und dann seine Pfeife an die Lippen bringend, that er einen kurzen scharfen Pfiff, dem gleich darauf durch die regelmäßigen Ruderschläge eines heranschäumenden Bootes geantwortet wurde.
»Hier den Burschen in's Boot und vier mit ihm zurück, so rasch Ihr könnt nach Papetee – Ihr Anderen mit Eueren Waffen her zu mir.«
Dem Befehl ward augenblicklich Folge geleistet, der sich aus allen Kräften sträubende Verbrecher in's Boot geworfen, und wie der größte Theil der Mannschaft an Land gesprungen war, glitt das scharfgebaute Fahrzeug geräuschlos wieder zurück in die Fluth und verschwand gleich darauf unter dem dichten Schatten der überhängenden Uferbäume; die Matrosen aber folgten still und schweigend dem ihnen rasch voranschreitenden Bootsmann dem Schauplatz des Kampfes zu, der jetzt wieder heißer zu entbrennen schien.
Ueber den Platz aber, als ihn Alle verlassen, glitt die dunkle Gestalt des Insulaners, des schlauen Raiteo, der in seinem Versteck ein stiller Zeuge des Ganzen gewesen. Das Boot mit seinem Gefangenen, übrigens wie der forteilende Trupp der Seeleute, schien ihn wenig zu interessiren – er horchte nur aufmerksam einen Augenblick nach beiden Seiten hin, ob auch wirklich Alle den Platz verlassen und keiner von ihnen zurückkehrte, ihn zu stören, und als er sich davon überzeugt, schlich er sich geräuschlos zu der Stelle hin wo das Canoe angehangen lag, und Jim O'Flannagan von den vorspringenden Seeleuten überrascht war. Die schon stark eingebrochene Dämmerung ließ ihn gerade noch erkennen was er suchte, den dort eingeworfenen Sack mit Geld, und während sich ein höchst selbstzufriednes vergnügtes Lächeln über seine Züge stahl, verschwand er mit seinem so ohne alle Anstrengung erbeuteten Schatz in der Dickung.
Jack hatte indessen seinen Auftrag rasch und vollständig ausgeführt, als er aber die Hütte wieder verließ sah er todtenbleich aus und sein stierer Blick starrte wild und mistrauisch umher.
»Jim!« rief er, als er mit flüchtigen Sätzen den Pfad hinabspringend den Kameraden nicht auf der alten Stelle fand. »Jim – wo zum Teufel steckst Du – ist das auch der rechte Weg?« rief er dann sich bestürzt und unsicher umschauend – »hier der Baum lag doch vorher hier nicht – na das fehlte mir jetzt« und mit ausbrechender Angst floh er die wenigen Schritte zum Haus zurück, dort zu sehn ob noch irgend ein anderer Pfad nach dem Wasser hin auszweige.
»Hier ist er – halt ihn – steh Schurke!« rief es in dem Moment von drei vier Seiten – Jack, mit einem Angstschrei zusammenfahrend, griff sein Gewehr auf, aber der Finger berührte zu früh den Drücker und der Schuß ging in die Luft, während sich von drei oder vier Seiten die Soldaten auf ihn warfen, ihn entwaffneten und seine Hände banden.
»So mein Bursch'« sagte Bertrand, der an ihn hinangetreten war und ihn erkannt hatte – »haben wir Dich wieder? – wo ist Dein Kamerad?«
»Schenkt mir das Leben ich will Euch Alles gestehn!« schrie der Unglückliche in Verzweiflung in die Knie brechend.
»Untersucht das Haus erst ob Ihr nicht den Andern darin findet – der größte Hallunke fehlt noch immer« rief aber der Lieutenant ohne auf das Gewimmer des Mannes zu achten. »Tod und Teufel wenn er uns wieder entgangen sein sollte. Ha, was ist das da?«
Er hatte Ursache zu fragen, denn vier oder fünf Schüsse fielen in diesem Augenblick aus dem Dickicht, und wilde Zurufe antworteten sich herüber und hinüber.
»Die Insulaner!« rief René, das Gewehr aufgreifend, daß der Gefangene hatte fallen lassen – »alle Wetter, Bertrand, wenn wir einen Trupp der Burschen über uns bekommen, können wir uns gratuliren.«
»Bleib Du bei den Gefangenen René« – rief ihm der Freund zu – »wir haben das Haus oben umzingelt und dürfen den Iren nicht aufgeben, wenn er drinnen steckt. Du magst zwei Mann noch bei Dir behalten. Wir werfen die Insulaner zurück und ziehen uns dann von hier nach dem nicht so fernen breiten Weg hinunter; sobald es dunkel wird können sie auch nichts machen.«
Der Officier rief seine Leute zusammen und rückte rasch zum Entsatz nach der Hütte hinauf, während René mit den beiden Seeleuten als Wache zurückblieb; aber es war ihm ein unbehagliches Gefühl, einen wieder eingefangenen Matrosen zu bewachen – sein eignes Bild stieg ihm vor der Seele auf, und er hätte Gott weiß was darum gegeben, den Mann befreien zu dürfen.
»Was hast Du verbrochen, mein Bursche?« frug er, zu ihm hinantretend, »daß Du das Weite suchen mußtest?«
»Nichts, Ew. Gnaden, auf der weiten Gotteswelt, als Schiffs müde« – stöhnte der Mann, von dem freundlichen Tone getroffen – »und ein armer Rücken wird's jetzt sein, der für die Beine bezahlen muß – oh armer Jack, armer Jack.«
René hatte sich die Patrontasche umgehangen, die man dem Gefangenen abgenommen und fing an sein Gewehr zu laden – er hatte dem Gebundenen den Rücken zugedreht, und hörte wie die Leute heimlich mit ihm flüsterten.
»Wenn sie klug sind« dachte er bei sich selber, »werden sie wissen was sie zu thun haben – ich sollte nicht an ihrer Stelle sein.«
Die regelmäßigen raschen Schritte von Europäern kamen vom Wasser herauf – es war der Bootsmann mit seinen Leuten der das Schießen gehört. Kaum hatten diese aber die kleine Gruppe erreicht, als dicht vor ihnen auch wieder ein anderer Trupp Indianer hereinbrach und wahrscheinlich geglaubt hatte, den am Haus befindlichen Franzosen den Rückzug abzuschneiden. Diese wurden aber warm von der Bootsmannschaft empfangen, und noch im Kampf sah René wie sich der Gefangene vom Boden aufrichtete.
»Lauf« dachte er bei sich selber, »wenn Du weiter nichts verbrochen hast« und nicht unmittelbarer Zeuge zu sein, trat er ein paar Schritte in das Dickicht, das jetzt geladene Gewehr in der Hand, hinein, als er sich plötzlich gefaßt und zu Boden geworfen fühlte und gleich darauf gellte ein wilder Jubelruf an sein Ohr. Rings um ihn her brachen und rauschten die Büsche – Schüsse fielen und wilde halbnackte Gestalten sprangen über und neben ihm hin. Aber nicht halten konnten sie sich gegen die Uebermacht – von dem Haus zurück stürmte jetzt Bertrand mit den Seinen, dem Kampfplatz zu, und René hörte wie die Insulaner sich ebenfalls zur Vertheidigung sammelten. Er wollte um Hülfe rufen, aber seine Stimme wurde von dem, ihn umtobenden Lärm übertäubt – er wollte sich aufrichten, aber vier kräftige Arme umschlangen ihn, und während er die Kugeln der Freunde konnte um sich her einschlagen hören, trugen ihn die Sieger weiter in das Dickicht hinein, wohin ihnen die Europäer jetzt gar nicht mehr wagen durften zu folgen. Weiter und weiter entfernte sich der Lärm der Kämpfenden, denn die Insulaner folgten den sich jetzt nach Papetee zurück ziehenden Franzosen auf dem Fuß, sie wenigstens noch so viel als möglich zu belästigen, und verhallte endlich in der Ferne. Erst dann ließen ihn die Eingeborenen wieder auf den Boden nieder, und er wurde jetzt mit ziemlich barscher Stimme bedeutet, ihnen in die Berge zu folgen.
René befand sich in der keineswegs angenehmen Lage, mit auf den Rücken gebundenen Händen durch ein Dickicht in völliger Dunkelheit zu marschiren, wo man am hellen Tage seine Bahn kaum finden konnte. Die Guiaven wurden hier auch wirklich so dicht, daß die Insulaner selber nicht mehr darin fortkamen, wenigstens ihren Gefangenen nicht weiter bringen konnten, und deshalb beschlossen, da, wo sie sich gerade befanden zu lagern; erst am nächsten Morgen mit Tagesanbruch ihr Lager in den Bergen zu erreichen. Sie schienen auch keineswegs zu befürchten hier von Feinden überrascht zu werden, denn sie rieben sich Feuer an, räumten bei dessen Schein einen kleinen Platz in dem Dickicht frei, wo sie sich ordentlich ausstrecken konnten, und während Einzelne zum Fouragiren abgeschickt waren, und etwas später mit allen möglichen Früchten und sogar einem Ferkel zurückkamen das sie, Gott weiß wie, im Dickicht überrascht hatten, wurden Steine glühend gemacht und Einer ihrer gewöhnlichen Bratofen gegraben, um den sie sich bald, rings von kleinen Qualmfeuern umgeben die Mosquitos abzuhalten, sammelten, und nun an zu lachen und zu erzählen fingen, als ob sie sich mitten im Frieden und nicht auf einem Streifzug befänden, der ihnen jeden Augenblick wieder Speer oder Musketen die Hand drücken konnte.
René hatte Anfangs gehofft er werde unter der Schaar wenigstens einen oder den anderen Bekannten finden, es schienen aber lauter Eingeborene von der anderen Seite der Insel, ja vielleicht gar von Imeo, von wo schon einzelne Canoes mit Kriegern heimlicher Weise gelandet waren, den Brüdern auf Tahiti im Kampf gegen ihre Feinde beizustehn, was auf keiner Insel so wirksam ausgeführt werden konnte, wie gerade hier.
Mit lauter fremden Gesichtern um sich her, machte er dann auch gar keinen Versuch die Leute zu überzeugen, wie er gerade mit der ganzen Sache am wenigsten zu thun gehabt, suchte sich einen warmen Platz an einem der Feuer, wo er sich unter den Rauch legen konnte, und bat dann Einen der Eingeborenen ihm die Hände los zu binden da er schlafen wolle, und das auf diese Weise nicht möglich machen könne.
Der Insulaner sah ihn erst erstaunt an; er hatte wahrscheinlich gar nicht geahnt, daß der Wi Wi so fertig ihre Sprache spräche, willfahrte ihm dann aber, da keine Gefahr war daß er sich ihnen durch die Flucht entziehen könne, und nachdem René noch gesehen, wie Wachen in verschiedenen Richtungen ausgestellt wurden, einem wenn auch nicht wahrscheinlichen, doch möglichen Ueberfall zu begegnen, schob er sich einen daliegenden Stein unter den Kopf, warf sich auf die rechte Seite und war bald, unbekümmert um das Lachen und Lärmen um ihn her und die Gefahr in der er sich vielleicht selber befand, sanft und süß eingeschlafen.
Am nächsten Morgen weckte ihn in der That erst der Morgenschuß der Fregatte, der voll und dröhnend zu ihnen herüberbrach, und sein schmetterndes Echo in den Bergen fand. Eine Dämmerung existirt in diesen Breiten gar nicht, der Tag beginnt faktisch erst mit der Sonne, und Phöbus überrascht die Nacht, wenn er mit seinem leuchtenden Gespann dem Meer entsteigt.
Die Insulaner hatten sich indeß schon zum Aufbruch gerüstet, man gab ihm ein Stück kalte geröstete Brodfrucht und ein paar Bananen, und der kleine Trupp setzte sich dann, den Gefangenen in die Mitte nehmend, wieder in Bewegung, bald darauf das Thal erreichend in dem das Lager sich befand, und wo sie einen schmalen Fußpfad trafen, dem sie mit geringerer Anstrengung folgen konnten. Seine Hände hatte man ihm übrigens nicht wieder gebunden – er hätte auch den flüchtigen Söhnen dieser Wälder im Leben nicht hier entspringen können.
Nach stündigem Marsch etwa, bei dem sie sich übrigens langsam fortbewegten, erreichten sie die ersten ausgestellten Vorposten der Eingeborenen, mit Musketen und Seitengewehren bewaffnet, die sich eifrig nach den Vorgängen des verflossenen Abends, von denen sie schon gehört zu haben schienen, erkundigten. Sie hielten sich aber nicht bei ihnen auf, sondern stiegen jetzt mit schnelleren Schritten das schmale Thal hinan, hie und da von einzelnen, rings an den steilen Wänden und hinter Felsstücken wohl verdeckten Posten angerufen, die auch durch Zeichen und einen eigenthümlich ausgestoßenen Schrei ihre Ankunft weiter meldeten.
Endlich öffnete sich das Thal etwas, die Bergwand lief hier weniger steil zum Wasser nieder und bildete eine Art Kessel, in dem René einfach aufgeworfene Schanzen zu finden erwartete, sich aber hier zu seinem Erstaunen plötzlich in einer förmlichen kleinen Colonie sah, in der Hütten ringsum errichtet, die Guiaven und anderen Sträucher niedergehauen und mit ihrem Holz zwar nicht sehr hohe, aber sicherlich sehr feste und schwer zu überwindende Barrieren errichtet waren. Kanonen hatten sie hier nicht zu fürchten, für die zuerst eine vollständige Straße hätte ausgehauen werden müssen, und einem Angriff von kleinem Gewehrfeuer, gegen das sie auch noch überdies ein im Inneren aufgeworfener niederer Erddamm schützte, konnten sie hoffen mit Erfolg zu begegnen.
Was aber René vor allem Anderen überraschte war die vollkommene Ruhe die in dem kleinen Lager herrschte – man hörte weder Singen noch Schreien, sah weder tanzende noch lachende Gruppen, und nur hie und da standen einzelne kleine Trupps zusammen, sich leise mit einander unterhaltend. Das Rauschen der mächtigen Baumwipfel unterbrach kaum die feierliche Stille.
Es war Sabbath – der Sabbath der Eingeborenen wenigstens, und selber der Gefangene wäre nicht weiter beachtet worden, hätte nicht René Viele der hier Versammelten gekannt und auf sie zugehend sie begrüßt. Die aber, die ihm sonst freundlich die Hand geschüttelt und ihm das herzliche Joranna entgegengerufen, wandten sich theils ab, ihn nicht zu sehen, theils nickten sie einfach mit dem Kopf und drückten sich dann langsam aus seiner Nähe, nicht weiter mit ihm in Berührung zu kommen. Es war augenscheinlich daß sie ihn vermeiden wollten, und René fühlte das kaum, als ihm das Blut auch schon in Zorn und Unmuth in die Schläfe stieg und er sich finster, die Arme auf der Brust verschränkt, an einen mächtigen Mapebaum lehnte, das Resultat seiner Gefangennahme ruhig abzuwarten.
Er hatte noch nicht lange so gestanden, als eine kleine Glocke läutete und die Insulaner, die wie René zu seinem Erstaunen jetzt sah, gar keine Waffen zu haben schienen, alle dem entfernteren Ende des Lagers zuzogen, wo roh von Steinen gebaut eine Art Rednerstand aufgerichtet und ein schlanker danebenstehender schwacher Baum abgekappt und mit einem Bret darauf befestigt war, gewissermaßen zur Kanzel zu dienen.
»Auch eine Predigt?« murmelte René erstaunt vor sich hin – »Wetter nocheinmal, die Burschen haben sich hier so häuslich eingerichtet, als ob sie gar nicht wieder zum Wasser hinunter zu ziehn gedächten, und kein Gewehr zu sehn, kein Degen, kein Speer, womit, zum Henker, wollen sie sich denn vertheidigen, wenn sie hier angegriffen werden? – Ha, Mr. Rowe« unterbrach er sich aber wirklich überrascht, als der finstere Mann aus einer kleinen, gar nicht so weit von ihm entfernten Hütte trat, und fast dicht an ihm vorüber, ohne den Blick aber nur ein einziges Mal zu ihm aufzuheben, der wunderlichen Kanzel zuschritt.
Die Insulaner hatten sich indessen Alle um ihn versammelt, nur vier ausgenommen, die dem jungen Franzosen augenscheinlich als Wache beigegeben waren. Es dauerte auch nur wenige Minuten länger, so begann der religiöse Gesang, irgend eine von den Missionairen in's Tahitische übersetzte Hymne nach der Melodie eines alten Englischen Volksliedes, deren sie sich wunderbarer Weise am meisten bedienten[5] und Vers nach Vers zog sich monoton und bleiern durch eine volle Stunde tödtend hin.
»Das wird langweilig, meine Burschen« sagte René endlich, der jetzt wohl einsah daß ihm nichts anderes übrig blieb, als den Gottesdienst ruhig und geduldig auszuhalten, und der sich indessen die Zeit durch ein Gespräch mit seinen Wächtern zu kürzen hoffte, »treibt Ihr's hier alle Tage so, oder blos am Sabbath?«
»Bst!« sagte aber der älteste der Eingeborenen mit einem verdrießlichen Kopfschütteln – »bst – nicht sprechen, Ferani; heute ist Sabbath, heute darf Nichts gethan werden wie beten. Du mußt still sein.«
»Das hat mir noch gefehlt« brummte René mit einem tief aufgeholten Seufzer – »Hunger und Beten – heut' werd ich ein richtiger Büßer und kann einen Theil meiner Sünden los werden.« Wohl wissend aber daß mit den Wilden in dieser Hinsicht nichts anzufangen war, und auch nicht gesonnen sich hier oben, nun doch einmal in ihrer Gewalt, vielleicht noch mehr Feinde zu machen, wenn er ihre Andacht auf eine oder die andere Art störte, warf er sich unter den Baum, drehte der frommen Versammlung den Rücken zu, und versuchte zu schlafen.
»Könnte Dir auch nichts schaden wenn Du ein Bischen zuhörtest und was lerntest« sagte der Eine wieder leise zu ihm – »Miti Aue ist ein tüchtiger Mann und weiß Alles ganz genau was einmal geschehen wird.«
»Ich wollte er könnte mir dann sagen wo ich morgen um diese Zeit bin« lachte René.
»Bst« sagte der Eingeborene wieder rasch und erschreckt – »nicht so laut – wenn Du auch kein Christ bist, kannst Du doch Frieden halten.«
René biß sich auf die Lippen, aber er erwiederte Nichts weiter und lehnte sich zurück zum Schlafen. Der Gesang hatte jetzt aufgehört und die Predigt begonnen, und der junge Mann hörte in einer Art Halbtraum die scharfe gellende Stimme des ehrwürdigen Mr. Rowe, die in klappernder monotoner Weise, die einzelnen Sätze schroff von einander gerissen, diesen Kindern des Südens die starren Dogmen der christlichen Religion erklärte, und sie vor dem Antichrist warnte, der mit scharfen Krallen vor ihrer Thüre läge und sie drohe zu verschlingen, wie sie die Schwelle überträten.
»Christen nannten sie sich, jene Menschen, die das Volk verführten, ihre Religion und ihren Sabbath mit Füßen traten, ihre Regierung stürzten, ihre Männer erschlugen, ihre Frauen entehrten, und von den sicheren Schiffen aus die tödtlichen Kugeln in friedliche Wohnungen und Hütten schleuderten. Christen nannten sie sich, aber sie verleugneten den Herrn, sie verleugneten sein Wort und ihre Priester; anstatt im Sack und in der Asche Buße zu thun, gingen in Gold und Silber blitzenden Gewändern einher, ein Greuel dem Herrn und jedem frommen Christen. Aber Gottes Donner schlief nicht, seiner Rache Blitz lag gerichtet schon in der gehobenen Hand, und seine unendliche Langmuth nur verzögerte noch den Wurf, der Verderben niederschleudern sollte und mußte auf die Verräther und Feinde dieses Insellands. Wehe den Strafbaren, wehe den Meineidigen – wehe den Mördern – wehe den Gotteslästern und Bibelschändern – wehe allen die sich schuldig wußten in der letzten Stunde des Gerichts, denn des Herren Rache würde sie treffen in das siebente und zehnte Glied, und ihren Saamen vertilgen von der Erde!«
Wilder und drohender hallte die Predigt von des geifernden Mannes Lippen, seine Rede war eine Rede des Zorns und der Rache; sie machte das Blut kochen in den Adern, bei Freund und Feind, und die Hand suchte unwillkürlich eine Waffe dem zornigen ingrimmigen Wort die That folgen zu lassen zu Haß und Blut.
René konnte es zuletzt nicht mehr ertragen; er sprang auf von seinem Lager und ging mit raschen Schritten und fest über die Brust geschränkten Armen auf dem kleinen Raume hin und wieder, von seinen Wächtern mistrauisch dabei mit den Augen verfolgt. Aber er dachte nicht an Flucht, und nur die Scheu den Gottesdienst dieses Volkes als Katholik zu stören, und dem Missionair noch mehr Ursache zu geben wider ihn und seine Landsleute zu eifern, hielt ihn ab, nicht mitten in die feindliche Predigt hinein zu springen und dem fanatischen Priester den Lug und Trug seiner Rede in's Gesicht zu schleudern.
Die Predigt hatte sich endlich mühsam und krampfhaft dem Schluß zugewandt; das letzte Gebet folgte, die Eingeborenen wandten sich, der Sitte der Methodisten nach, ab von dem Geistlichen, ihr Gebet zu verrichten, und ein stiller heiliger Friede schien, mit dem Verhallen der rauhen feindlichen Worte, über den Betenden zu ruhen.
Ein Schuß!
Wie durch Zauberei änderte sich das Bild – die Schaar der Frommen, auf die Knie niedergeworfen in brünstigem Gebet – keine Waffe zu sehn, die den feindlichen Charakter dieses Lagers in der Wildniß hätte verrathen können, kein Laut zu hören wie das dumpfe Murmeln der zu ihrem Gott erhobenen Stimmen. Da hinein brach der Knall des in geringer Entfernung abgefeuerten Gewehrs, die Männer schnellten im Nu empor, und nach allen Seiten auseinander stiebend enthüllte jeder Stein fast, und jeder Busch, jede wie nachlässig hingeworfene Matte, jeder Streifen zusammengereihter Pandanusblätter, der zum Bedachen irgend einer neuen Hütte verwandt werden sollte als der Sabbath die Arbeit unterbrach, einen Haufen Gewehre oder Lanzen, Speere, Patrontaschen, Säbel, Messer und Beile, und die wirbelnde Trommel rief die verschiedenen Trupps zu ihren, schon vorher bestimmten Sammelplätzen, den Feind zurück zu weisen, der es wagen sollte, sie in dieser festen Stellung anzugreifen.
René war mit staunender Bewunderung Zeuge der fabelhaften Schnelle gewesen, mit der sich die Kirche hier vor seinen Augen, und wie nach der Berührung eines Zauberstabes, in ein trotziges Kriegslager verwandelte, und der ehrwürdige Mr. Rowe allein schien regungslos bei dieser plötzlichen Metamorphose seine Stelle behauptet zu haben. Nur mit erhobenen Händen und Augen stand er da, Vergebung niederflehend von dem Herrn der Heerschaaren für das Häufchen der Gläubigen, die durch den rücksichtslosen Feind gezwungen wurden doppelte Sünde zu begehen, den Sabbath zu brechen und vielleicht noch gar Bruderblut zu vergießen, und die Frauen und Mädchen schaarten sich in ängstlicher Erwartung um ihn her, mit jeder Secunde das jetzt gekannte und gefürchtete Pfeifen der Kugeln und das Prasseln des Kleingewehrfeuers zu erwarten, das wieder Viele der ihrigen, vielleicht Väter, Brüder und Gatten niederschmettern sollte in ihr frühes, freudloses Grab.
Aber es kam nicht – Alles blieb ruhig, und wohl zehn Minuten standen die Krieger in gespannter, peinlicher Erwartung. Ein einzelner Indianer wurde zuletzt von den Wachen angezeigt, der langsam den Pfad herauf kam und mit seinem Tuche winkte. Die Posten kannten ihn, René aber konnte einen Ausruf des Staunens nicht unterdrücken, als er in dem Boten, denn als solcher wies er sich aus, seinen alten Freund oder Feind, wie die Sache gerade stand, von Atiu, als er Raiteo in ihm erkannte.
Raiteo hatte auch ihn jedenfalls gesehn und erkannt, denn ein eignes zweideutiges Lächeln zuckte um seine Lippen, aber er drehte weder den Kopf nach ihm um, noch kümmerte er sich im mindesten um ihn, sondern schritt gerade hindurch durch die ihm bereitwillig Platz machenden Krieger, direkt auf den Missionair zu, der sein Gebet jetzt ebenfalls beendet zu haben schien und ihn mit fragenden finsteren Blicken erwartete.
»Wer hat geschossen? – wer hat den Frieden unsers Sabbaths gestört?« – frug der Geistliche streng, als ihm der Indianer gegenüber stand, und eine derartige Anrede erst wirklich erwartet zu haben schien – »sind unsere Gesetze, die Gesetze Gottes nicht streng genug solchen Frevel zu verhüten oder, wenn geschehen, zu bestrafen? – wo kommst Du her jetzt, Bruder Raiteo und was bringst Du? – antworte wenn ich Dich frage, denn meine Zeit ist kostbar, und jede Minute wird dem Heiligsten, Höchsten dieser sündhaften Erde abgezogen und ist unwiederbringlich verloren.«
»Wer geschossen hat weiß ich nicht,« entgegnete Raiteo vollkommen ruhig, und wenig bekümmert wie es schien um die harten Worte seines Vorgesetzten – »es wird wahrscheinlich einer von den Schildwachen gewesen sein, die das Signal gaben, als sie die Franzosen den Berg herauf kommen sahen.«
»Die Wi Wis?« riefen die ihm nächst stehenden Indianer rasch – »wo sind sie – wie viel – haben sie Kanonen mit.«
»Sie bringen eine Botschaft von Papetee« fuhr Raiteo aber, gegen den Geistlichen gewandt, fort.
»Was wollen sie von uns?« frug dieser finster – »heute ist kein Tag mit ihnen zu verhandeln – der Sabbath ist heilig und darf nicht ihretwegen gebrochen werden.«
»Wenn Du eine Botschaft von den Feranis bringst, Bursche, so hast Du Dich damit an mich zu wenden und an Niemand anders!« unterbrach in diesem Augenblick eine ernste tiefe Stimme das Gespräch der beiden, und der alte wackere Häuptling Utami, einen Tapamantel um seine Schulter geschlagen, der nur den rechten mit einem langen Europäischen Pallasch bewehrten Arm frei und nackt ließ, trat aus einer Gruppe von Eingeborenen vor und dem Boten gegenüber.
»Bruder Utami« sagte Mr. Rowe mit etwas scharfer zurechtweisender Stimme, »ich verkündete in diesem Augenblick das Wort des Herrn an heiliger Stätte, und es war richtig, glaub ich, meiner schwachen Meinung nach, daß sich der Bote, noch dazu ein junger Diener des Höchsten durch unsern schwachen Beistand, an mich wandte, die Entweihung des Sabbaths zu entschuldigen.«
»Bringst Du Botschaft über irgend etwas das mit Gottes Wort in Verbindung steht?« frug der Häuptling finster, ohne auf den Einwurf weiter zu achten.
»Botschaft von den Feranis unten, Utami.«
»Dann hast Du das Wort auch an mich zu richten, als den Häuptling und an niemand Anders« lautete die barsche Antwort, die das Blut in die Wangen des Priesters jagte, aber er wagte doch nicht dem ernsten Mann entgegen zu treten, und die Finger falteten sich wieder wie unwillkürlich in einander und die Augen suchten den Himmel – es war ein Blick der Versöhnung, der aber an Utami leider total verloren ging.
»Wer feuerte den Schuß?« frug jetzt der Häuptling wieder und sah den Insulaner forschend an.
»Einer der Posten glaub ich, als sie die Wi Wis den Berg heraufkommen sahen, und wahrscheinlich glaubten es kämen mehr hinterdrein.«
»Wie viele sind es ihrer?«
»Drei blos, als Abgeschickte.«
»Und was wollen sie von uns?«
»Daß Du den gestern gefangengenommenen Wi-Wi frei gebest und mit ihnen zurückgehen lassest in's Lager. Er gehörte nicht mit zu den Soldaten und wäre ganz aus Versehn gestern gefangen genommen.«
»Und ist das ein Grund unsere Sabbathfeier zu unterbrechen?« rief aber jetzt Bruder Rowe die Hände in Staunen und Entrüstung zum Himmel gehoben – »sollen wir, eines gefangenen Katholiken wegen, der gastlich an dieser Küste aufgenommen, sein Weib von sich gestoßen und die Hand gegen die Kinder dieses Bodens, ein zweiter Kain, aufgehoben hat, den Gottesdienst so vieler frommer Christen unterbrechen, denen vielleicht nur der heutige Tag noch gegeben ist ihre Sünden zu bereuen und zu Gott umzukehren, während sie vielleicht morgen schon vor ihrem Richter stehen?«
»Singe Du weiter, Mi-to-na-re« sagte der Häuptling ernst – »wir Führer dieser Schaar wollen berathen was zu thun – Raiteo, Du magst hier meiner Antwort harren« – und mit langsamen Schritten, den ihm nächsten Häuptlingen winkend ihm zu folgen, schritt er der am entferntesten Theil des Lagers errichteten Berathungshütte zu, wo er sich, bald von den andern umgeben, auf einer der dort überall ausgebreiteten Matten niederließ.
Die Hauptführer der Eingeborenen waren aber leider nicht Alle hier versammelt; Tati, der mächtigste derselben fehlte, mit ihm Paofai und Paraita – die letzteren beiden lebten sogar in Papetee, unter französischem Einfluß und wie es hieß, von ihm gewonnen, während sich Tati, den Missionairen und ihrer Parthei wie den Feranis in ihrem Uebermuth zürnend, nach Papara zurückgezogen hatte. Nur Utami – von denen die den Vertrag unterschrieben der Einzige, der edel und kühn genug war den begangenen Fehler einzusehn und dem Volk mit dem Schwert in der Faust bewies, daß er nie daran gedacht es zu verrathen und sich geirrt als er nach dem Feind des Vaterlands die Hand um Hülfe ausstreckte – hatte sich mit den Seinen in die Berge zurückgezogen, fest entschlossen ihre Unabhängigkeit und Freiheit zu wahren, so lange ihnen Gott die Kräfte dazu lassen würde.
Außerdem waren hier oben versammelt Aonui, der rechte Arm der Missionaire, und Potowai, Teraitane, Kahauha und Taaniri, die von den Franzosen als Rebellen erklärten Führer der Eingeborenen, mit vielen Anderen vom südlichen Theil der Insel, und dem östlichen, und auch Fanue wurde mit seinen Streitern von Tairabu erwartet, von wo aus er herüberkommen und sich dem Hauptstamme anschließen sollte, wenn es Noth that einen gemeinschaftlichen, und Hauptschlag gegen die in Papetee jetzt ziemlich zusammengedrängten Feranis zu unternehmen, und dem Krieg dadurch vielleicht ein Ende zu machen.
Die Berathung der Häuptlinge dauerte nicht lange, schien aber gegen Utamis Willen entschieden zu haben – der alte Häuptling sprach finster und heftig gegen die Mehrzahl der Uebrigen und seine Stimme drang manchmal, wie das dumpfe drohende Rollen der Brandung zu der Versammlung herüber. Diese wurde indeß durch den Geistlichen in ununterbrochenem aber schwerlich andächtigem Gebet gehalten, zu dem jetzt die Waffen nicht mehr passen wollten, und das sie stören mußten, hätte nicht das eigene Interesse an den Verhandlungen schon ohnehin ihren Geist dort hin, und von dem Inhalt ihrer Andacht abgelenkt.
Utami blieb, als die Uebrigen aufstanden, in düsterem Brüten auf seiner Matte zurück, während Aonui, mit einem heiteren und milden Ausdruck in den Zügen, einem Theil der Uebrigen voran, von denen sich die meisten gleich wieder unter die Betenden mischten, zu Bruder Rowe halb, halb zu Raiteo gewandt sagte:
»Wir wollen fortfahren unsere Augen zu Gott zu erheben, Bruder Aue – Raiteo, Du magst den Feranis melden daß sie uns morgen früh mit Sonnenaufgang bei der Berathung ihrer Frage und der Untersuchung des Gefangenen finden sollen. Heute ist der dem Herrn geweihte Tag und nichts Irdisches, vielweniger die Privatverhältnisse eines Papisten, sollen uns abhalten von unserer Pflicht, die wir zuerst dem Höchsten, dann erst unseren eigenen Zuständen schulden.«
»Und die Feranis sollen wieder nach Papetee zurückgehn?« frug Raiteo, halb mit einem Anflug von Schadenfreude in den Worten.
»Ich habe es gesagt« erwiederte Bruder Aonui.
»Und der Wi Wi soll hier oben bleiben?« setzte Raiteo mit demselben Blick hinzu.
»Störe uns nicht weiter durch Deine nutzlosen Fragen, Bruder Raiteo« sagte der Geistliche da mit freundlicher doch zurechtweisender Stimme, »Du hast Deine Antwort, melde sie den Feranis, obgleich ich nicht recht weiß wie Du dazu kommst ihr Bote zu sein.«
»Ich war gestern –«
»Ruhig – ich will heute keine Erzählung irdischer Dinge mit anhören, wir haben genug unserer kostbaren Zeit auf leichtsinnige Weise vergeudet – weshalb gehst Du nicht?«
»Ich?« sagte Raiteo – und es war fast unmöglich bei den Worten einen bestimmten Ausdruck für seine Züge zu finden, in denen es zuckte und zog als er sich dazu zwang ernst und ehrbar auszusehn – »ich? – was hab ich weiter mit den Wi Wis zu thun – ich habe sie den Berg heraufgebracht weil ich mußte – unten, wo sie nicht weiter dürfen, stehn sie – Jemand Anders kann sie hinunter bringen.«
»Möge sie Gott erleuchten« sagte Bruder Rowe mit einem flehenden Blick nach oben, und in die schrillen Töne eines Psalms einbiegend, dem der Chor gleich darauf mit lauter lebendiger Stimme folgte, wurde jede Verhandlung über den Gegenstand vollkommen abgeschnitten und aus dem Bereich weiterer Besprechung gebracht. Raiteo aber kauerte sich, gleich wo er stand, auf den Boden nieder und erhob seine Stimme vor dem Herrn, lauter und andächtiger, wenn man seinem äußeren Menschen glauben wollte, als irgend eines der übrigen Mitglieder der Gemeinde.
Teraitane allein, der keineswegs beabsichtigte die Feranis auf solche Weise zu behandeln, und nur noch mehr und unnützer Weise zu reizen, verließ das Lager und stieg den Pfad hinab, ihnen die Meldung selber zu bringen, daß die Häuptlinge beschlossen hätten heute, als an einem Sabbath, sich in keine weltlichen Dinge zu mischen, und das Verhör und die Untersuchung des Gefangenen auf morgen früh verschieben wollten.
Lieutnant Bertrand, der von Gouverneur Bruat selber abgeschickt war den Gefangenen zurückzufordern, wollte sich jedoch so noch nicht abweisen lassen, und drohte mit der Rache der Franzosen, wenn dem jungen Manne auch nur ein Haar gekrümmt würde; hierauf aber hatte der alte Häuptling nur einen finstern Blick und ein trotziges Lachen.
»Holt ihn Euch wenn Ihr nicht warten könnt« sagte er finster, »oder wenn Ihr glaubt daß Ihr die Macht habt Euere Drohungen wahr zu machen. Teraitane freut sich darauf Euch mit blutigen Köpfen wieder heim zu schicken.«
»Du stehst mir für sein Leben!« rief da Bertrand rasch zuspringend, in der Absicht den Häuptling als Geisel für den Freund, unter dem Lager der Insulaner fort zu führen; Teraitane aber glitt ihm unter den Händen hin, und wie aus dem Boden gewachsen tauchten rechts und links von ihm bewaffnete und finstere Gestalten auf, Speere und die drohenden Läufe der Musketen fest und zürnend auf ihn gerichtet. Bertrand riß unerschrocken den Degen aus der Scheide, und seine Begleiter fällten die Gewehre, einem jetzt sicher erwarteten Angriff zu begegnen, der Häuptling aber winkte ihnen mit der Hand und sagte ernst:
»Ruhe heute am Sabbath! – ich könnte Dich jetzt gefangen nehmen oder tödten, Du tollköpfiger Ferani, aber ich will es nicht thun – weniger vielleicht Deinetwegen, als die fromme Gemeinde droben nicht noch einmal in ihrer Sabbathfeier zu stören. Gehe zurück – Du siehst, Du bist nicht im Stande Deinen bösen Vorsatz auszuführen, gehe zurück und schicke morgen wieder herauf, zu hören was die Häuptlinge über den Gefangenen beschließen werden.«
Und sich ruhig und furchtlos von dem Feind abwendend, der aber noch aufmerksam und mistrauisch von den übrigen Eingeborenen bewacht wurde, schritt er langsam wieder den Pfad hinauf den er gekommen, während sich Bertrand, unmuthig und unzufrieden mit sich selber, aber auch recht gut einsehend daß er durch weiteres Vordringen René und sich nur schaden aber gar nichts nützen könne, ebenfalls wieder zurück, in's Thal nieder, wandte.
René hatte indessen in peinlicher Spannung die wie er sich recht gut denken konnte seinetwegen gepflogenen Unterhandlungen von weitem beobachtet, wobei ihn Raiteos Erscheinen besonders in Erstaunen setzte. Daß ihn übrigens der Bursche keines Blickes würdigte, als er an ihm vorüber ging, beruhigte ihn wenigstens über dessen Gesinnung gegen sich selber. Er kannte den schlauen Gesellen gut genug, der, wenn ihm der Gefangene gleichgültig gewesen wäre, jedenfalls ein paar Worte mit ihm gewechselt hätte, und wenn es auch nur deshalb gewesen wäre, vor den Eingeborenen von Tahiti mit seinem Englisch zu prahlen; das aber hätte, meinte er es wirklich gut mit ihm, auch leicht zu einer Vermuthung gegenseitigen Verständnisses führen und sie mistrauisch machen können, während er dagegen, durch ein völliges Ignoriren des Fremden, Raum zu keinem derartigen Verdacht geben konnte.
Daß der Gouverneur seine Auslieferung verlangt hatte, konnte er sich denken, und weshalb wurde die verweigert? was wollten sie mit ihm? – was konnten sie von ihm verlangen? und woher auf einmal dies kalte feindliche Benehmen sogar solcher der Eingeborenen gegen ihn, mit denen er sonst auf einem ganz friedlichen Fuß gestanden? Alle die Fragen gingen ihm wirr und in unbestimmten Bildern durch das Hirn, und das ewig lange gleichgültige Absingen der Psalmen dazwischen, klang ihm wie Spott in seinem Unmuth und machte ihn die Zähne fest auf einander beißen, bittere Zornesworte zurück zu halten.
Der Gottesdienst nahm indessen seinen ungestörten Fortgang; dem Singen folgten wieder Gebete und dem Gebete wieder geistliche Lieder, und als die feierliche Handlung endlich mit einem langen Segen geschlossen wurde, schieden sich die Zuhörer in ihre verschiedenen Gruppen oder Familien, an kalten Speisen, da heute Nichts gebraten werden durfte, ihre Mahlzeit zu halten, und sich für neue Bet-Uebungen auf den Nachmittag vorzubereiten.
Auch die Frauen, von denen er viele kannte, hielten sich fern von ihm – sogar Aumama, die er unter ihnen entdeckte, kam ihm nicht nah, und saß nur ernst und schweigend auf ihrer Matte, am Fuß eines breitästigen stehengelassenen Orangenbusches, und ließ den Blick oft lange und ernst auf ihm haften; als er aber selber seine Stelle verlassen wollte zu ihr hinzugehn, bedeuteten ihn seine Wächter daß er das nicht dürfe – er sei hier gefangen, und wenn sie ihm nicht Hände und Füße gebunden, wäre das eine bloße Gefälligkeit. Was hätte ihm Widerstand gegen die Uebermacht geholfen – der konnte seine Lage nur verschlimmern.
Als letztes Aushülfsmittel verlangte er den Häuptling Utami zu sprechen, den er gesehen hatte und mit dem er früher schon manches freundliche Wort gewechselt; er habe ihm, wie er seinen Wächtern sagte, Wichtiges mitzutheilen. Deren Antwort lautete dagegen ein- wie allemal: »es sei Sabbath heute, und weder Utami noch irgend ein anderer Häuptling werde sich mit ihm oder irgend etwas Anderem als eben der sonntäglichen Feier befassen – er müsse bis morgen warten.«
»Bis morgen warten – Tod und Teufel!« die Ungeduld hätte ihn verzehren mögen, aber wieder begannen, nach dem kurzen frugalen Mahl der Uebrigen, die Bet- und Singübungen, und die einzige Notiz die man von ihm nahm, war, daß ihm etwas kalte geröstete Brodfrucht und eine Cocosnuß gebracht wurde, seinen Hunger und Durst zu stillen, und die Minuten schlichen wie Stunden an seiner Seele vorüber. So wurde es Nacht – das südliche Kreuz über ihm drehte sich so langsam, als ob es Monate lang Zeit habe um seine eigne Axe zu kommen, und die kühle feuchte Bergluft, mit der inneren Aufregung vielleicht, schüttelte ihm die Glieder in Fieberfrost.
Endlich brach der Morgen an – im Osten zeigte sich ein heller Schein der rasch und mächtig wuchs, und der Morgenschuß der Uranie, der selbst bis hierher deutlich drang, kündete die dem Meer entstiegene Sonne.
Die Eingeborenen waren aber schon vorher auf und thätig gewesen; ihre Feuer, Steine glühend zu machen, loderten nach allen Seiten hin, und ein reges Leben und Treiben herrschte in dem kleinen Lager.
»Utami will Dich haben« kündete da endlich ein junger Bursch dem Gefangenen den Willen des Häuptlings – »komm mit mir!« und voranschreitend führte er ihn, durch die Lagerplätze der Insulaner hin, deren keiner Wort oder Gruß für ihn hatte. Sie Alle blickten finster auf ihn, und René, ärgerlich über den Hochmuth der »rothhäutigen Schufte« wie er sie jetzt vor sich hinbrummend nannte, schritt mit verschränkten Armen stolz und rasch zwischen ihnen hin – hie und da einen auf ihn gerichteten Blick mit keckem und herausforderndem Ausdruck begegnend. Die Burschen sollten wenigstens nicht glauben daß sie ihn einschüchtern konnten.
Der alte Häuptling saß auf einer Matte auf der Erde, um ihn alle die übrigen Häupter und Aeltesten des Lagers, während sich die Eingeborenen, obgleich in Gehörweite, doch in anständiger und ehrerbietiger Ferne von den Richtern hielten, die über den Fremden jetzt ihr Urtheil sprechen sollten.
René schlug das Herz lauter in der Brust, als er alle diese feierlichen Vorbereitungen sah, aber sein leichter Sinn trug ihn rasch über den Ernst des Augenblicks hin, und die vor ihnen kauernde Schaar, hinter der sich die Frauen und Mädchen in dicht gedrängter Masse neugierig hielten, mit einem flüchtigen Blick überfliegend sagte er lächelnd:
»Nun, was giebt's Ihr Männer, daß Ihr hier zu Gericht sitzt wie über einen Missethäter? was wollt Ihr von mir, und warum habt Ihr mich gestern den ganzen Tag und die Nacht ohne Matte selbst auf dem Boden liegen lassen? – Ist das Euere gerühmte Gastlichkeit? – Ich wäre heute selber, im Auftrag des Gouverneurs von Tahiti zu Euch gekommen, Euch seine Vorschläge zu bringen, als mich ein Trupp Euerer Leute vorgestern Abend überfiel und wie einen Mörder durch Dickicht und Busch in die Berge schleppte. Was hab ich verbrochen?«
Ein leises Murmeln des Erstaunens über die kecke Rede lief durch die Versammlung, und die meisten der Häuptlinge, besonders Aonui, Potowai und andere schüttelten misbilligend mit den Köpfen und flüsterten mit einander, aber Utami entgegnete ihm ernst, doch ohne Strenge oder Haß im Ton.
»Nicht zu fragen, Ferani, sondern zu antworten bist Du hierher beschieden – sei aufrichtig, es ist das Beste für Dich.«
»Nun so fragt, nachher werdet Ihr ja wohl auch mir die Rede gestatten« entgegnete René kurz.
»Was brachte Euch Feranis vorgestern Abend aus der widerrechtlich in Besitz genommenen Stadt bewaffnet hervor, und weshalb grifft Ihr unsere Männer an und erschluget zwei und führtet Andere gefangen fort?«
»Zuerst« erwiederte René, »gehörte ich gar nicht mit zu der Patrouille, der ich mich nur anschloß halb müßiger Zeit wegen, halb der Habhaftwerdung eines Verbrechers beizuwohnen, dessen Nähe dem Gouverneur gemeldet worden, und den er zu fangen und unschädlich zu machen wünschte. Die Patrouille hatte keinen anderen Zweck und die Insulaner überfielen sie zuerst, die Gefangenen wieder zu befreien.«
»So hatten unsere Kundschafter doch recht und O'Fa-na-ga ist gefangen« sagte der Häuptling, »aber was hatte er gethan?«
»Gemordet und geraubt in früherer Zeit« entgegnete René; »er ist ein böser Mensch, und Einer der Officiere hatte ihn erkannt.«
»Ihr bringt da Anschuldigungen von denen wir nichts wissen« sagte aber Utami – »oft hätten wir können Einzelne von Euch gefangen nehmen, aber wir haben es nicht gethan, wir führten keinen Krieg mit Einzelnen und wir erwarteten dasselbe von Euch. O'Fanaga kämpfte in unseren Reihen und stand unter unserem Schutz.«
»Dann hätte er darunter bleiben sollen« lachte René, »jetzt wird ihm schwerlich viel Zeit mehr gegeben werden den zu beanspruchen.«
»Dann schlimm für Dich!« rief Aonui hier, zornig den Arm gegen ihn ausstreckend – »dasselbe Schicksal des O'Fa-na-ga unten von Deinen Landsleuten trifft, Ferani, erwartet auch Dich.«
»Möcht' ich mir nicht wünschen« lachte René, noch immer fest entschlossen den Insulanern gegenüber auch keinen Schein von Furcht zu zeigen – »haben sie ihn gefangen, so erwartet ihn der Strick – wenn er nicht schon hängt.«
»Dann hängst auch Du!« schrie Potowai, den Arm wild gegen ihn ausstreckend – »O'Fa-na-ga war mein Freund.«
»Schlechte Empfehlung für Dich« sagte der unerschütterliche Franzose.
»Ruhe – Frieden!« gebot aber Utami – »und Du Ferani thust nicht wohl daran die Männer noch zu reizen, die über Dich zu Gericht sitzen sollen.«
»Dazu habt Ihr kein Recht!« rief aber, sich hoch emporrichtend der junge Mann – »und wehe Euch wenn Ihr es wagen solltet Hand an mich zu legen.«
»Kein Recht? – und wer sonst?« sagte Utami ruhig zu ihm aufschauend – »wer anders als wir, ist der rechtmäßige Eigenthümer dieses Bodens, seit Pomare feige den Schutz bei dem Fremden suchte? Glaubst Du daß Ihr das Recht erworben habt auf dieser Insel zu herrschen, weil die Kanonen Euerer Schiffe ihre Kugeln in die friedlichen am Ufer stehenden Fischerhütten schleudern können? Deine Landsleute haben den Krieg in dieses stille harmlose Land gebracht, den Namen Gottes haben sie zur Decke gebraucht, unter der sie ihre bösen Absichten und Pläne verbargen; ihre Landsleute, dieselben die mit ihnen einen Gott anbeten, gaben sie vor wollten sie schützen, weil sie noch ein Stück von einem Gewissen hatten, und sich schämten mit ihren eigennützigen, verbrecherischen Absichten so frei zu Tag zu kommen, und hätten wir ihnen den Schutz eingeräumt, so breiteten sie ihre Macht aus über das Land, und schon während sie ihrer Aussage nach für ihren Gott arbeiteten, füllten sie sich die eigenen Schiffe und legten ihre Arme über das Eigenthum eines andern fremden Volkes. Nun wir aber ihren Priestern die Erlaubniß gegeben hatten hier ungehindert zu predigen und gleiche Rechte mit den unsrigen zu haben, aber nur den Schutz zurückweisen den sie uns angedeihen lassen wollen, und der in Euerer Sprache etwas ganz anderes bedeuten muß als in der unseren, denn in der unseren heißt das, was Ihr darunter zu verstehen scheint, Diebstahl, nun kommt Ihr mit Eueren wahren Absichten zu Tag. Wie in einem Spiel der Areois habt Ihr eine Maske vor Euerem wahren Gesicht gehabt, die Ihr jetzt abwerft, da sie Euch nicht mehr verbirgt – stützt Euch auf Verträge, die Ihr anders auslegtet und benutztet als sie gemeint waren, sendet Euere Spione und Priester in unser Land unser Volk zu verderben und abtrünnig zu machen, und dringt zuletzt mit gewaffneter Hand in unsere Heimath, zerstört unsere Häuser, verwüstet unsere Felder, zerschmettert mit Eueren Kanonenkugeln unsere Cocospalmen und Brodfruchtbäume, die Stämme die uns und unseren Kindern Nahrung geben und dringt mit gewaffneter Hand in die Berge und Haine ein, unsere Männer zu erschlagen, unsere Weiber mit fortzuschleppen oder zu entehren.«
»Und was hab ich mit alle dem zu thun?« entgegnete René ausweichend einer allerdings nur zu wohl begründeten Anklage gegenüber – »gehörte ich zu den Eroberern? – gehöre ich jetzt dazu? kam ich nicht, ein Fremder, auf Euere Inseln und wurde heimisch darauf aus freiem Willen und mit der Zustimmung eines Euerer Häuptlinge? – nahm ich mir nicht ein Weib aus Euerem Stamme?«
»Und wo ist die jetzt?« unterbrach ihn ruhig Utami.
»Jetzt? – in unserer früheren Heimath hoffentlich, zu der sie mit Einem Euerer Priester hinüberging, mich zu erwarten.«
»Dich zu erwarten« – wiederholte leise und ernst mit dem Kopf nickend der Häuptling – »willst Du das ein Anrecht auf unsern Schutz machen, daß Du die Frau wieder von Dir schickst, die an Deiner Seite bleiben sollte, bis zu ihrem Tode? –«
René wollte heftig darauf antworten, aber er besann sich, biß die Unterlippe und sagte finster:
»Was meine Familienverhältnisse betrifft bin ich, denk' ich, nur mir selber die Rechenschaft schuldig.«
»Haß und Elend säet Ihr« sagte Utami ernst, fast traurig, »und verlangt Freundschaft, verlangt Liebe dafür.«
»Nicht ich, Utami« rief René aber, von dem weichen Tone getroffen, rasch – »nicht ich, bei unserem Gott, und auch mir hat all das Leid was diese Inseln jetzt durch meine Landsleute, es ist wahr, getroffen, das Herz zerschnitten. Nicht ich billige ihr Verfahren, und hätte meine Stimme ein Gewicht, noch heute lichteten jene stolzen Schiffe ihre Anker und kehrten den Bug heimwärts, nie nie wieder den Frieden dieses stillen Inselreichs zu stören. Aber zu spät kommt solch ein frommer Wunsch« setzte er ruhiger hinzu – »die Gier der Fremden, wie Euer eigener Unfriede – der Stolz Euerer Priester, vielleicht die von ihnen erst aufgestachelte oder geweckte fanatische Wuth des Volks, sind Hand in Hand gegangen, dem Fremden das Recht, das scheinbare Recht wenigstens zu geben, auf das er jetzt sich stützt und das er mit dem Uebergewicht seiner Waffen aufrecht erhält. Nur Blutvergießen kann noch verhindert werden – nur die Möglichkeit ist noch da weitere Kämpfe zu vermeiden, die hunderten von Unschuldigen das Leben kosten und Jammer und Elend über Euere Familien bringen müssen, und das zu vermitteln wäre ich gestern, oder wenn Ihr es da, als an einem Sabbath, nicht annahmt, heute dann im Auftrag des Gouverneurs selber zu Euch heraufgekommen, Euch den Frieden zu bieten von seiner Hand.«
»Was braucht er Frieden zu bieten« rief Teraitane finster – »er soll unsere Bai verlassen mit seinen Schiffen und wir haben Frieden; sind wir es die den Krieg begonnen haben, die ihn fortführen?«
»Und ob Ihr Recht habt, hilft Euch das doch Nichts« sagte René ruhig – »der Fremde hat die Macht, die Gewalt in Händen; Frankreich hat Besitz von den Inseln ergriffen, und nur jene lügnerischen Versprechungen, die Euch von dem Schutz und der Hülfe Englands gemacht wurden, konnten Euch zu dem verzweifeltsten aller Entschlüsse treiben, Euch dem Mächtigeren zu widersetzen. So nehmt Vernunft an – bleibt thatsächlich im Besitz Eures Landes, des Haupt ja nur den anderen Namen bekommen, und glaubt dann nicht daß unsere Priester mit gleichem Haß gegen die Eueren kämpfen werden, als diese es gethan. Euere Religion, Euer Glaube bleibt Euch geschützt, wenn Ihr für den die Waffen aufgegriffen.«
»Wir kämpfen nicht für unseren Glauben!« rief jetzt Utami zornig und die Hand geballt – »wir kämpfen für unser Land, für unsere Heimath. Der Glaube liegt in des Menschen eigner Brust, und wenn wir verhindert würden dem einen Tempel zu bauen, wählte er sich das eigene Herz. Wir wollen für uns keine solche Mauer, uns dahinter zu verstecken, wir wollen sie Euch aber auch nicht lassen. Offen und frei heraus sollt Ihr sagen »wir wollen Euer Land – Euere Brodfruchtbäume, Euere Palmen, Euere Taro- und Patatenfelder, Euere Baien und die Fische darin, Euere Häuser, Euere Frauen – Euere Männer sollen für uns arbeiten und wir wollen ihre Herren sein.« Was Glauben – wenn Euer Gott die Macht besäße uns den zu nehmen, hätte er nicht geduldet daß andere Priester zuerst gekommen wären uns ihren Glauben zu bringen. Friedlich unterwerfen sollen wir uns, das ist was Ihr wollt, aber das ist zu spät. Macht die wieder lebendig die Euere Kugeln und Bayonnette getroffen – ruft die wieder in's Leben zurück die kalt und bleich in der Erde jetzt liegen, todt und blutig weil sie eben an ihrem Gott und Fürsten hingen, und dann wollen wir von Fried und Freundschaft reden, die Erneuerung solchen Unheils zu verhindern; jetzt nicht.«
»Die Antwort soll der Häuptling der Feranis auch bekommen denn sein Frieden heißt Knechtschaft, seine Freundschaft Schmach, Du aber bleibst gefangen, bis uns die Männer zurückgeliefert sind, die mit halfen unsere Berge gegen den Uebermuth Deiner Landsleute zu vertheidigen, und geschieht ihnen ein Leides, so stirbst auch Du.«
»Der Eine von ihnen ist ein schwerer Verbrecher!« rief René unwillig – »er hat Menschen ermordet und beraubt – wollt Ihr mich mit einem solchen gleich stellen?«
»Deine Landsleute haben auch Menschen gemordet« rief Aonui heftig – »und sind im Begriff uns Alles zu nehmen was wir haben – selbst unsere Bibel – das Heil unserer Seelen.«
»Auge um Auge, Zahn um Zahn!« sagte auch Teraitane – »jeden Gefangenen tauschen wir ein, Mann um Mann – für jeden Bruder den sie uns erschlagen verlangen wir volle Bezahlung in Blut zurück – und ehe wir die nicht bekommen, kein Friede bis wir die Feranis bezwungen oder sie uns.«
»Peste!« rief jetzt der junge Mann, ungeduldig werdend und mit dem Fuße stampfend – »was hab ich mit dem Allen zu schaffen? Wenn Ihr meinen Landsleuten nicht gutwillig Euer Land – ich könnte fast sagen das unsrige, überlassen wollt – und verdenken mag ich's Euch nicht, was kümmert das mich? Ich gehöre nach Papetee, oder jetzt vielmehr, meine Heimath wieder verändernd, nach Atiu, nicht zu den Schiffen die hierher gekommen sind Euch zu bekriegen, und dort der Priester selber, so finster er nach mir herüber blickt, muß mir bezeugen, daß ich mein Weib nur vorangeschickt, weil mich eben meine eigenen Landsleute im Verdacht hatten, mit Euch gegen sie mich verschworen zu haben, und mich nicht fort lassen wollten. Der ehrwürdige Herr da ist mein Freund gerade nicht, aber er wird eine Thatsache für mich bestätigen müssen.«
Mr. Rowe war schon seit einiger Zeit den versammelten Häuptlingen näher getreten, ohne jedoch ein Wort hinein zu reden; Manche von ihnen waren ihm keineswegs so untergeben wie er es, in Christlicher Demuth, für nützlich und nothwendig hielt, und er wollte sich keiner neuen Zurückweisung aussetzen. Direkt aber jetzt von dem Gefangenen angeredet, ja gewissermaßen zum Zeugen für ihn angerufen, hatte er ein volles, und wahrscheinlich längst erwünschtes Recht zum Reden bekommen und sagte rasch, aber mit einem tiefgeholten, wie schmerzlichen Seufzer:
»Der Ferani hätte wohl Jemanden in diesem Lager gefunden, der günstiger für ihn sprechen könnte als ich.«
»Sie können nicht leugnen daß Sie bei unserem Abschied zugegen waren« rief René mit blitzenden Augen.
»Mein Herz hängt nicht an weltlichen Dingen, mein Auge sieht nicht auf irdische Handlungen, wo das Wohl und Wehe der Seele an einem dünnen Faden über dem Abgrund des Verderbens hängt« – sagte der Geistliche ausweichend. »Ich weiß nicht, ob der Ferani beabsichtigt auf diesen Inseln sein Leben zu beschließen – Gott allein prüfet das Herz und die Nieren – aber ich weiß daß er sie nie hätte betreten sollen und daß die Frauen und Mädchen dieser Inseln nur Fluch und Thränen bis jetzt geerndtet haben nach kurzer Lust, und oft ewige Reue und Verdammniß.«
»Sie wissen daß ich in Atiu als Bürger des Landes aufgenommen wurde!« rief René.
»Ich weiß Nichts« sagte Mr. Rowe finster mit dem Kopf schüttelnd, »als daß die Verbindung mit einer Tochter des Landes zwischen einem Papisten und einem Mitglied unserer heiligen Kirche gegen die Gesetze dieses Landes, gegen die Gesetze Gottes und meine deutlich danach ausgesprochenen Worte waren. Ich will nichts weiter wissen – ich habe all das Unrecht das mir selbst darob geschehen, vergessen und vergeben, wie es einem Christen geziemt – ich begreife nur nicht wie ein Bürger des Landes dann in die Gesellschaft der Feranis kam, die einen Trupp seiner »Landsleute« wenn er ein Bürger des Landes war, überfiel, zwei tödtete und zwei Andere, Freunde derselben in Gefangenschaft schleppte – ich sage ich weiß das nicht« setzte er rasch hinzu, als er sah daß ihm René darauf entgegnen wollte, »kümmere mich auch nicht um die weltliche Gerechtigkeit, die ihren Gang haben muß durch die Häuptlinge und Richter des Landes.« Und langsam sich abwendend schritt er der kleinen, für ihn besonders errichteten Rohrhütte zu, hinter deren Thürmatte er verschwand.
René wollte in der That anfänglich, und in heftigen Worten darauf erwiedern, aber er besann sich eines Besseren und nur die Unterlippe einbeißend, daß das Blut daraus zurückwich, sah er dem frommen Mann mit einem finstern verächtlichen Lächeln nach und schien jetzt kein Wort weiter zu seiner Vertheidigung verlieren zu wollen.
Die Häuptlinge beriethen indessen eifrig und mit leiser Stimme mit einander, waren aber noch zu keinem Beschluß gekommen, als ein Läufer von draußen die Ankunft mehrerer Feranis meldete, die den anführenden Häuptling dieses Postens zu sprechen verlangten. Andere ausgesandte Spione meldeten zu gleicher Zeit daß mehre Abtheilungen Französischer Soldaten wieder im Anzug wären, und jedenfalls einen Sturm auf ihr Lager beabsichtigten.
Da die Insulaner ihre Vertheidigungsmittel nicht zu verrathen wünschten, beschloß man die Fremden nicht heraufzulassen, sondern ihnen Utami entgegenzuschicken, der ihre Absicht von ihnen erfahren und ihnen gleich Antwort darauf ertheilen konnte. Den Gefangenen war man fest entschlossen nur gegen die beiden Engländer wieder einzutauschen, von deren beabsichtigten Flucht sie natürlich Nichts wußten, und von denen sie O'Flannagans Hülfe und Waffen, wie seinen Unterricht nicht so leicht ersetzen konnten. War denen aber ein Leid geschehn, dann sollten die Feranis sehen, daß sie Gleiches mit Gleichem vergelten konnten und die Rache der Fremden, doch einmal zum Aeußersten entschlossen, nicht fürchteten.
René befand sich übrigens durch solchen Entschluß der Insulaner in einer höchst gefährlichen Lage, denn wenn auch Jack durch seine Hülfe entsprungen war, und jetzt vielleicht an der Küste auf eine Gelegenheit zu entkommen paßte, hatte Jim O'Flannagan, wenn wirklich gefangen, nur geringe Hoffnung der gerechten Strafe zu entgehn, und Gouverneur Bruat würde nie daran gedacht haben ihn wieder auszuliefern. Konnten sich dann die, von dem Missionair vielleicht noch gar darin bestärkten Insulaner nicht doch am Ende hinreißen lassen ihre Drohung wahr zu machen? – von Mr. Rowe hatte er das Schlimmste zu fürchten, so viel wußte er recht gut, und er verdachte es dem würdigen Manne nicht einmal, wenn er die endlich gebotene und gewiß lang genug erwartete Gelegenheit auch ergriffen hätte.
Flucht wäre das einzige Mittel gewesen und die war unausführbar, denn den einzigen gangbaren und so schmalen Pfad hielten die Insulaner an verschiedenen Stellen besetzt, während andere Schleichwege durch den Wald nur eben ihnen bekannt waren. Wer in den zerrissenen Schluchten nicht jeden Stein kannte wurde überall durch Abgründe oder Felswände aufgehalten, die es ihm Tage gekostet hätte zu umgehn, und wie leicht war er da von den flüchtigen und der Berge kundigen Insulanern wieder eingeholt.
Seine einzige Hoffnung blieb jetzt noch auf die neuerdings abgeschickten Gesandten – von dem erwarteten Angriff wußte er noch Nichts – schlug deren Botschaft fehl dann – doch beim Teufel, was lag ihm am Leben? – Ob sie ihn nur einschüchtern wollten mit ihrer Drohung, oder ob es ihnen Ernst war mit seinem Tod, wenn dem gefangenen Iren ein Leid geschehen, was lag daran? – sie sollten ihn weder weich noch ängstlich finden, und mußte es sein, so wollte er dem Tod so keck und leicht in's Auge sehen als je –
Als je? – ein eigenes, wunderbares Gefühl durchzuckte ihm das Herz; – als je? In verzweifelter Angst hatte seine Seele mit ihren feinsten Fasern und Gedanken am Leben fest geklammert als der Tod, oder so Schlimmes, als die Gefangenschaft auf seinem Schiff, ihn wieder seinem kaum gewonnenen Glück auf Atiu entreißen wollte. Das Leben war ihm so lieb – so theuer da gewesen und entmannt fast hatte ihn die Furcht es da zu verlieren, wo ihm eben erst das Heiligthum gezeigt war das er betreten konnte, und von dessen Schwelle selbst ein tückisches Geschick ihn schleudern wollte. Alles, Alles hatte er nachher erreicht, was er erhofft in seinen schönsten, kühnsten Träumen – den Gipfel seiner Wünsche erstiegen und eine Heimath gefunden in dem Paradies, das ihn umgab – und jetzt? – Was war es, das ihn jetzt gleichgültig machte gegen den Tod? was war geschehn – verloren daß er sich der tödtlichen Gefahr so kalt und keck entgegenstellen mochte? – und Sadie? – Er barg das Antlitz in den Händen und preßte die fieberglühende Stirn, die Gedanken hinauszuscheuchen, die wirren, quälenden Gedanken, denen er nicht Raum gönnen wollte da oben. Nicht jetzt – nicht jetzt sollten sie nahen diese Schatten, die er nicht kennen nicht fühlen mochte und die ihm doch die Seele peinigten mit unsichtbarem aber desto gewaltigerem Pfeil – Sadie – wie ein Traum lag die Zeit, die schöne Zeit hinter ihm, und der Tod sollte ihn jetzt davon trennen. Der Tod? – sollte ihn davon trennen? – Nein, nein fort mit dem verführerischen Bild das sich ihm jetzt, jetzt nicht entgegenstellen durfte – er war nicht schuldig – rein und treu konnte sie sein Angedenken wahren in ihrer Brust, und dem Kinde des Vaters Namen nennen im Gebet. – Hinweg mit allem Schmerz, hinweg mit der Thräne, die sich ihm leise in's Auge stehlen wollte – er war nicht schuldig – und weshalb wünschte er sich da den Tod?
Schüsse knallten und Trompeten schmetterten – hoch empor aus seinen Träumen zuckte er, und so hinein hatte er sich wieder in die Gedanken der Vergangenheit gelebt, daß er erschrak als er aufsah und die bewaffneten Wächter neben sich erkannte.
Auf ihn zu schritt da Aonui, der finstere fanatische Häuptling, und grimmigste Feind den die Feranis unter den Führern der Eingeborenen auf den Inseln hatten, und das tückische Blitzen seines Auges verrieth was in ihm glühte und hinausdrängen wollte in's Freie. Dicht hinter ihm, mit einem ernsten, aber ziemlich gleichgültigen Gesicht, hielt sich Raiteo, der vorher schon eine lange und eifrige Unterhaltung mit ihm gehabt, und schien dazu bestimmt die Befehle seines Oberen auszuführen. Aonui galt als die rechte Hand des ehrwürdigen Mr. Rowe, und die Eingeborenen hielten ihn in hohen Ehren und fürchteten ihn, denn er war gerecht aber streng, und sein fanatischer Eifer, durch irgend einen Bibelspruch in irgend eine Bahn gelenkt, riß ihn oft mit sich fort zu Gutem oder Bösem.
»Deine Gehülfen kommen Dich zu befreien« sagte er finster, »aber sie werden zu spät den Hügel erreichen – wir hatten ihnen die Möglichkeit Deiner Auslieferung gestellt – sie haben sie verworfen und wollen uns jetzt mit frechen Drohungen einschüchtern – wende Deine Seele noch zu Gott, denn Dir sind die Minuten zugezählt.«
Renés Auge blitzte in Trotz und Zorn zu ihm empor und eine feindliche Entgegnung lag auf seinen Lippen, da traf ihn Raiteos Blick und der schlaue warnende Ausdruck darin machte ihn stutzen. Des Burschen ganzes Benehmen deutete auf irgend einen Plan, und sein verstohlenes rasches Blinken schien ihn ängstlich aufzufordern dem Verlangen zu folgen und nicht durch Eigensinn den ruhigen Gang der Ereignisse vielleicht zu stören. Aonui sah daß sein Blick auf irgend einem Gegenstand hinter ihm haftete und schaute sich um, sein Auge traf aber nur das ruhige gleichgültig kalte Antlitz seines Begleiters und René, jetzt fest überzeugt daß er des Atiuers Beistand auf seiner Seite habe, sagte finster doch leidenschaftslos:
»Thut was Ihr wollt und was Ihr verantworten könnt, aber bedenkt daß Euch meine Landsleute zu furchtbarer Rechenschaft ziehen werden. Nicht mehr der freundlose Seemann, der entblößt von Allem auf eine fremde Insel sprang stehe ich jetzt zwischen Euch – die Regierung eines mächtigen Staates hält ihre Hand schützend über mich, und wehe Euch, wenn Ihr die mächtige erst zur Rache reizt. Bis jetzt schütztet und vertheidigtet Ihr nur Euer Land – Ihr hattet recht – entweiht die gute Sache nicht durch Mord!«
»Nicht Dich zu hören bin ich gekommen, sondern Dich zu richten« sagte der Häuptling finster und mürrisch, und horchte einen Moment dem jetzt wieder beginnenden Schießen, das, der Richtung nach, den aufgestellten und an verschiedenen Plätzen stationirten Vorposten galt, auch näher und näher kam. »Bete zu Deinem Gott« sagte er dann, sich wieder zu dem Gefangenen wendend, »denn Du hast nur noch eine Viertelstunde zu leben.«
»Beten« – rief René – unwillig mit dem Fuße stampfend – »beten – Nichts als beten; – den Namen Gottes kaut Ihr den ganzen Tag und denkt dabei an Haß und Mord – beten!«
»Du willst nicht beten?« sagte Aonui rasch.
René sah das unwillige Zucken in Raiteos Gesicht und frug ausweichend:
»Wie lange Zeit ist mir noch gewährt?«
»Der Schatten dieses Baumes darf keine Handbreit mehr zur Seite weichen« erwiederte der fanatische Häuptling – »die Schläge Deines Herzens sind gezählt.«
»Es ist gut« erwiederte René aber seine Hände waren frei, und nicht gesonnen als ein geduldiges Opfer zu fallen, suchten seine Augen nach einer Waffe, deren er sich zu geeigneter Zeit bemächtigen könnte.
»Soll ich ihn in das Haus zum Beten führen?« sagte jetzt Raiteo leise zu dem Häuptling gewandt – »die Feranis beten nie im Freien.«
Aonui nickte bejahend mit dem Kopf und Raiteo, des jungen Mannes Arm ergreifend sagte laut:
»Komm Wi Wi – Du sollst nicht sagen daß wir Dich gezwungen haben Deinen Gott in anderer Art zu verehren als Du es gewohnt bist – komm« flüsterte er dabei leise und führte ihn der Hütte zu, während seine Wächter, die von Aonui jetzt einen neuen und wie es schien unerwarteten Befehl bekamen, ihm zögernd, und rasch und leise mit einander redend, folgten, dann aber vor dem Eingang des kleinen mit Matten verhangenen Platzes, die Bayonnette gefällt, ihren Posten wieder einnahmen.
Wilder Lärm tobte indessen im Lager – die Franzosen hatten die Vorposten zurückgeworfen und ihre Kugeln trafen schon, über den Damm hin, in die Wipfel der Bäume, ohne freilich bis jetzt noch einen der Eingeborenen verwundet zu haben. Diese standen aber, an ihren verschiedenen Posten in der Verschanzung vertheilt, den jetzt von allen Seiten fast schmetternden Trompeten, die überall den Feind vermuthen ließen, auch nach jeder Richtung hin die Stirn zu bieten. Die Franzosen nämlich, den alten Plan verfolgend, hatten, um den Feind irre zu führen, kleine Detachements mit Signalisten nach rechts und links abgeschickt, das Lager in einer Entfernung zu umzingeln und dann von allen Seiten vorzudringen und zu feuern. Dadurch beunruhigten sie nicht allein die Besatzung und schüchterten sie ein, da sie den Feind viel stärker vermuthen mußten als er wirklich war, sondern sie hatte auch auf dem Punkte, wo sie den Hauptangriff machten, nicht den Widerstand der jetzt überall hin vertheilten Besatzung zu befürchten, und konnten eher dadurch hoffen den vortrefflich bewaffneten und von dem Terrain so sehr begünstigten Feind aus seiner festen Stellung hinauszuwerfen. Wenn damit dann auch kein Hauptschlag geschah, denn den Rückzug in die dicht bewaldeten Berge waren sie nicht im Stande ihnen abzuschneiden, wurden sie doch aus der zu großen Nähe von Papetee, auf das sie von hier aus immer leicht Streifzüge und Ueberfälle unternehmen konnten, vertrieben, und das Wichtigste von Allem, ihr Vertrauen zu sich selbst, das nach der Schlacht von Mahaena nur noch mehr gestiegen, in etwas wieder nieder gedrückt.
Außerdem feuerte auch Renés Gefangennahme den Gouverneur an, Alles zu thun die Insulaner für etwas zu züchtigen, dessen Recht er ihnen unter keiner Bedingung zugestehen wollte. Einen seiner Nation nämlich zu halten oder gar zu richten. Bedingungen durfte er sich daher auch, von solchem Grundsatz ausgehend, keine vorschreiben lassen, und die Waffen mußten den Kampf entscheiden.
Um René wäre es aber freilich schlecht gestanden, wenn er von daher auf Hülfe hätte rechnen sollen, und Utami selber konnte oder wollte ihn nicht schützen. Der Franzose der freundlich und gastlich von ihnen selbst in ihre Familien aufgenommen worden, und dann sich doch gegen sie wandte – wie er nicht anders glauben konnte – verdiente härtere Strafe als der, der gleich mit den Waffen in der Hand und in offener Feindschaft an ihr Ufer sprang. Der letztere trat nur ihre Rechte mit Füßen, der andere auch ihre Herzen.
Anders dachte Raiteo, und von dem Protestantischen Missionair mit herüber nach Tahiti genommen, hatte er in einer starken Hinneigung zum Christenthum sich eine Menge Vortheile erwachsen sehn, die er als einfacher Insulaner einer abgelegenen Insel nie im Leben erreicht haben würde. Raiteo war ehrgeizig, und der schon in früheren Jahren von dem Wallfischfänger erhaltene und so schlecht verdiente Lohn hatte, mit dem Beginn eines Vermögens, auch das Streben und Verlangen nach mehr und größerem in ihm erweckt. Als Mitonare öffneten sich ihm dazu, wie er recht gut wußte, zahlreiche Quellen, und er wäre jedenfalls nicht säumig dabei gewesen sie zu benutzen, sobald sich nur die Gelegenheit dazu geboten. Als er aber die Verhältnisse in Tahiti näher kennen lernte und die Macht, die von den Feranis entwickelt wurde, wie daneben die Gleichgiltigkeit der Englischen Schiffe sah, stiegen Zweifel in ihm auf der Ausführbarkeit seiner Berechnungen wegen, und er fing an die Vortheile zu überschlagen die der Segen der Katholischen Religion vielleicht auf sein geistiges wie körperliches Wohl haben könne. Die in die Berge gedrängte Lage der Eingeborenen gefiel ihm auch nicht, und mit der Ueberzeugung war ihm auch der Entschluß gekommen einen entscheidenden Schritt zu thun und – ein anderer Mensch zu werden.
Die erste Gelegenheit hierzu bot die Flucht der beiden Seeleute, die er begünstigte und die, so schlecht für den andern Theil, so vortrefflich für ihn selber ausgeschlagen war. Nur die Feranis wollten ihm nicht gleich auf sein ehrlich Gesicht glauben, daß er es treu und ehrlich mit ihnen und ihrer Sache meine, und schickten ihn deshalb, seine Nutzbarkeit auf die Probe zu stellen, mit dem zum ersten Mal abgesandten Officier als Führer und Unterhändler. Der ungünstige Erfolg dieser Sendung machte ihn aber besorgt seine Sicherheit gleich hinterher den Franzosen wieder anzuvertrauen, und da er sein Geld gut verwahrt wußte, beschloß er lieber eine bessere Gelegenheit abzuwarten, sich seinen neuen Gönnern nicht allein wirklich zu empfehlen, sondern auch vielleicht einen neuen Nutzen daraus zu ziehn. Diese bot sich ihm jetzt.
Der junge Franzose war, wie er sich vorher zu erkundigen gewußt, reich, und ihm, wie er sich fest überzeugt fühlte, auch noch von früherher verpflichtet; die Eingeborenen von Tahiti konnten auf die Länge der Zeit nicht siegen – als Bewohner von Atiu fühlte er auch eben kein besonderes Interesse für sie – und wer weiß was dann aus den Protestantischen Missionairen wurde – deshalb schien es ihm weit zweckmäßiger das Gewisse für das Ungewisse zu nehmen – und danach handelte er.
Kaum fiel deshalb die Matte hinter ihnen, die sie den Blicken der Außenstehenden und Wartenden entzog, als Raiteo vorsprang, ein Geflecht von Pandanusblättern aufhob und damit zwei blanke Cavalleriesäbel den Blicken des jungen Mannes enthüllte. René that keine Frage, aber er mußte an sich halten einen Jubelruf zu unterdrücken, und rasch die eine Waffe aufgreifend, während sein Führer die andere nahm, sah er nur noch eben wie dieser die Blätter der Rückwand von einander schob und hindurch schlüpfte und folgte ihm, ohne nur eine Frage über das wie und wohin zu thun.
Die Hütte stand dicht an der Verschanzung, nach rechts und links von kleinen Trupps der Eingeborenen bewacht, dicht hinter ihr war aber ein Raum von vielleicht zwanzig oder dreißig Schritt Breite, da eine Felswand gerade dahinter ziemlich steil niederdachte, freigelassen, und diese Stelle hatte sich der schlaue Bursche zu ihrer Flucht ausersehn. Wohl wurden sie augenblicklich entdeckt, sowie sie nur auf die Schanze sprangen, und eine Eidechse hätte kaum ungesehn darüber kommen können, ehe aber die mit Schießwaffen wenig vertrauten Insulaner zum Schuß fertig waren, oder sich überhaupt von dem Erstaunen über den kecken Fluchtversuch erholen konnten, hatte Raiteo des jungen Mannes Hand ergriffen und ihn nach vorn reißend glitten sie schon im nächsten Augenblick mit Blitzesschnelle den steilen schlüpfrigen Hang hinunter in ein Dickicht niederen Grases, von hochstämmigen Guiaven, die hier gar gedeihlichen Boden gefunden, überwachsen.
Keineswegs aber waren sie hier schon jeder Gefahr enthoben, denn nicht allein wurden ihnen von oben mehre Schüsse nachgefeuert, und sie hörten die Kugeln rings um sich einschlagen, sondern fünf oder sechs Indianer, und unter ihnen die von Aonui angefeuerten Wächter, folgten ihnen ohne weiteres Säumen mit wirklich kecker Entschlossenheit, und durch das Dickicht aufgehalten wäre René gar nicht im Stande gewesen ihnen so rasch zu entgehn. Sein Leben wenigstens so theuer als möglich zu verkaufen wandte er sich deshalb auch schon, die blanke Waffe in der Faust, gegen sie um, als dicht hinter ihm die befreundeten Signalhörner tönten, und die Eingeborenen im ersten Schreck an Stamm und Busch klammerten, dem hier gar nicht vermutheten Feind nicht in die Hände zu fallen.
Den Moment benutzten die Flüchtigen der Richtung zuzuspringen, in der sie die Hörner gehört, und den Verfolgern blieb Nichts weiter übrig als ihnen ihre Kugeln nachzusenden und sich so rasch als möglich wieder zurückzuziehn, nicht vielleicht gar von den möglicher Weise nachdrängenden Feinden abgeschnitten zu werden. Die Kugeln blieben übrigens erfolglos, eine ausgenommen, die Raiteos Oberschenkel traf und durch das dicke Fleisch desselben fuhr, ihn aber keineswegs in seiner Flucht aufhielt sondern dieselbe eher noch, wenn das überhaupt möglich gewesen wäre, beschleunigte.
Das Feuern sowohl, wie der Lärm den sie in den Büschen machten, hatte aber schon das kleine Piquet, das aus einem Dutzend Matrosen von der Uranie und dem Signalisten, von einem Seecadet angeführt, bestand, ihnen in den Weg gebracht, und René, auf sie zuspringend, wollte sich ihnen jetzt, in Zorn und Unmuth über die erlittene Behandlung und der eben kaum entgangenen Todesgefahr, augenblicklich wieder anschließen, das Lager mit gewaffneter Hand erstürmen zu helfen; Raiteo aber merkte das kaum, als er erklärte mit der erhaltenen Wunde nicht allein weiter gehn zu können, und den jungen Franzosen ernstlich aufforderte, ihn, der ihm eben erst das Leben gerettet und seinetwegen gerade den Schuß erhalten, jetzt nicht hülflos im Walde liegen zu lassen, daß er vielleicht gar wieder in die Hände der Tahitier fiele.
René konnte und wollte das allerdings nicht und wünschte den Verwundeten von einem der Matrosen geleiten zu lassen; der Seecadet hatte aber dazu keine Ordre, und Raiteo selber weigerte sich mit einem Fremden zu gehn, der erstlich seine Sprache nicht verstünde, dann keine Verbindlichkeit gegen ihn hätte, und ihn möglicher Weise hinter dem nächsten Dickicht sitzen ließ. René durfte ihn nicht verlassen und nur deshalb dem Seecadet seinen Namen nennend, wobei er ihn bat, es sobald als möglich dem kommandirenden Officier wissen zu lassen, daß er der Gefangenschaft glücklich entkommen sei, führte er den jetzt immer erschöpfter werdenden Insulaner bergab in's Thal nieder, dem gar nicht so sehr entfernten Papetee zu, fest entschlossen so rasch er könne zurück zu kehren und an dem Kampfe noch womöglich Theil zu nehmen.
Das aber lag keineswegs in Raiteos Plan, dessen Wunde ihn wenig genug genirt haben würde, wenn er eben allein hätte gehen wollen; erstlich aber mußte er in Papetee einen Zeugen für sich haben, wenn er auf einen günstigen Empfang rechnen wollte, und dann war ihm der junge Franzose jetzt zu großem Dank verpflichtet. Lief der aber gleich wieder zurück, und wurde vielleicht vor den Kopf geschossen, so war für ihn jeder von seiner That erhoffte Nutzen verloren, und er hatte nicht allein Nichts verdient, sondern die Eingeborenen wie besonders seinen Missionair, ohne den geringsten Vortheil davon für sich selber zu haben, auf das grimmigste erbittert, und gegen sich aufgebracht. Das zu verhindern war jetzt seine Aufgabe, und er stöhnte und ächzte so langsam den Berg nieder und mußte sich so oft setzen und ausruhen, daß sie eben den Wall von Papetee erreichten, als das Schießen oben aufhörte, und kurze Zeit darauf die schmetternden Hörner der rückkehrenden Franzosen diese als Sieger kündete. In der That hatten sie auch mit dem Bayonnett die Eingeborenen aus ihren Schanzen hinausgetrieben und in die Berge gejagt, und erst als sie sich dort nach allen Richtungen wieder sammelten, und aus dem Dickicht heraus einen Angriff drohten, bei dem die nicht mit dem Wald vertrauten Fremden vielleicht übel gefahren wären, zogen sie sich zurück, mit dem Erfolg ihrer Expedition vollkommen befriedigt, und auch nicht gerade mit zu viel Verlust.
René brachte nun, in Papetee wieder glücklich angelangt, vor allen Dingen Raiteo, der ihm allerdings diesmal einen wichtigen Dienst erwiesen, in gute Pflege, damit er sich rasch von seiner Wunde erholen könne, die auch bald darauf Einer der dortigen Militärärzte untersuchte und als ziemlich unbedeutend, jedenfalls völlig gefahrlos erklärte. Das beendet aber suchte er auch ungesäumt den Gouverneur auf, ihm Bericht zu erstatten über sein Abenteuer sowohl, wie über den sehr ungewissen Erfolg den er von gütiger Ausgleichung zu hoffen habe.
Den Gouverneur fand er gerade mit dem Verhör des Mannes beschäftigt, der fast die Ursache seines eigenen Todes gewesen wäre, mit Jim O'Flannagan und ließ sich nur anmelden, um seine glückliche Rückkunft anzuzeigen und zu passenderer Zeit wiederzukehren, wurde aber augenblicklich hinein beschieden und ohne Weiteres vorgelassen.
»Sie kommen mir wie gerufen, Delavigne!« rief ihm der Gouverneur schon von weitem entgegen – »Ihre erlebten Abenteuer sollen Sie mir nachher erzählen, aber wir haben hier einen Burschen, der Alles verspricht was man von ihm fordert, seinen Hals nur aus der Schlinge zu retten in der er sich festgefahren, und dem ich durch Jemand mit dem Land Vertrauten möchte einmal auf den Zahn fühlen lassen.«
Jim O'Flannagan befand sich in der unangenehmsten Lage von der Welt: mit auf dem Rücken gebundenen Händen zwischen zwei Marine-Soldaten mit gezogenen Säbeln und eines Verbrechens überführt, das ihm die Raanocke vollkommen sicher in Aussicht stellte. Er schien auch seine Situation vollkommen zu begreifen, denn er sah todtenbleich aus und die Augen lagen ihm tief und düster in den Höhlen; aber um den Mund zuckte doch noch immer der alte Trotz, und die Stirn gerunzelt, blickte er finster und mistrauisch auf den neuen Ankömmling, gleich aus seinem ersten Erscheinen zu errathen ob er ihm nützen oder schaden könne.
»Hier der Bursche« fuhr der Gouverneur dann fort, als er dem jungen Mann herzlich die Hand gedrückt, »thut Alles in seinen Kräften stehende, das muß man ihm lassen, sein allerdings den Gesetzen verfallenes verbrechenreiches Leben zu retten. In ihm ganz würdiger Weise hat er uns auch schon gestern seinen eigenen Kameraden wieder in die Hände geliefert.«
»Den entsprungenen Matrosen?« rief René rasch und erstaunt.
»Ja, er war mehr als das,« lachte der Gouverneur, »er war auch der Helfershelfer des Gesellen da in früherer Zeit, und Theilnehmer selbst des Mordes wegen dem wir diesen eigentlich zum Tod verurtheilt haben, wobei noch der stärkste Verdacht vorliegt, daß er eine alte Frau erschlagen hat, die man an jenem Abend mit dem Zeichen gewaltsamen Mordes an sich und sogar gebunden in ihrer Hütte gefunden. Sie hätten übrigens dabei sein sollen wie wir den Burschen fingen; es war wie mit einem Lockvogel. Doch das konnte noch nicht genügend sein dieses werthlose Leben wirklich zu guarantiren, und er will jetzt mehr thun, er verspricht uns die Anführer der Indianer – jene Häuptlinge die in diesem Augenblick den meisten Einfluß auf die Eingeborenen ausüben, zu überantworten, und das wäre allerdings seinen Hals werth, denn es würde Ströme Blutes ersparen und manchem braven Mann das Leben retten, sowohl von unserer wie feindlicher Seite. Nun möchte ich von Ihnen wissen, Delavigne, ob sein Plan, den er mir vorher mitgetheilt, einen Schein von Wahrscheinlichkeit hat, oder ob es nur eben eine bloße Finte ist ein paar Tage länger athmen zu können, was ich allerdings vermuthe.«
»Und wie glaubt er das möglich zu machen?« frug René.
»Die Ausführung beruht auf einer, morgen früh stattfindenden Zusammenkunft, von der er unterrichtet sein will, und soll in den Eigenthümlichkeiten des Termins begründet sein. Sind Sie mit den Bergen hier, oberhalb der Stadt, genau bekannt?«
»So ziemlich, aber doch wohl nicht hinreichend; aber ein anderer hier ansässiger und jetzt wieder in Französischen Diensten stehender Landsmann, Lefévre, der lange Jahre auf Tahiti lebt, kennt dagegen, wie ich glaube, jeden Baum um Papetee und in den nächsten Bergen. Vielleicht wäre es zeitsparend ihn ebenfalls rufen zu lassen, seine Meinung mit zu hören.«
Der Gouverneur klingelte, und die Ordonnanz wurde beschieden Herrn Lefévre zu ersuchen augenblicklich sich hier einzufinden. René stattete indessen mit leiser Stimme dem Gouverneur Bericht ab, über seine Abenteuer sowohl, als den Erfolg den ein Friedensvorschlag auf die Häuptlinge gehabt, und wie er in der That selber glaube, daß alle freundlichen Vorstellungen bei den Eingeborenen auf vollkommen unfruchtbaren Boden fallen würden. Danach erschien es also ebenfalls nur noch wünschenswerther die einflußreichsten Häuptlinge, da sie keinem gütlichen Vergleich lauschen wollten, womöglich gefangen zu nehmen, und ihnen den Frieden dann selber diktiren zu können.
Lefévre kam endlich, und als er das Zimmer betrat flog sein Blick rasch und wie scheu von Einem der Männer zum Andern, als ob er im Voraus zu errathen wünsche was man von ihm wolle. Die freundliche Anrede des Gouverneurs setzte ihn aber darüber bald außer Zweifel und nach den nöthigsten Vorbemerkungen begann der Examen des Gefangenen.
»Woher weißt Du, Gesell, überhaupt, daß die Häuptlinge an dem Tag und zu der Stunde eine Zusammenkunft halten wollen, was hattest Du mit ihnen zu thun?« frug der Gouverneur.
»Ein weißer Mann, der mit einem Gewehr umzugehen versteht, ist ihnen in jetziger Zeit soviel als ein Häuptling« erwiederte mürrisch der Ire, dem die vielen Zeugen nicht gerade angenehm zu sein schienen, »ich bin zu allen ihren Berathungen gezogen.«
»Hm, das klingt wahrscheinlich – aber weshalb wurde diese Berathung auf so viele Tage hinausgeschoben – weshalb findet sie gerade morgen statt?«
»Am Freitag faßte man den Beschluß« erwiederte Jim, »am Sonnabend, als an dem Sabbath, konnten und durften, ihren jetzigen Gesetzen nach, keine Boten abgeschickt werden. Heute sind die erst nach dem Süden der Insel hinübergegangen und vor heut Abend, ja vor heut Nacht, können die aufgeforderten Häuptlinge den Platz der Zusammenkunft nicht erreicht haben.«
»Und weshalb findet die Berathung nicht in dem Lager selber statt?«
»Sie wollen dem Einfluß der Missionaire entgehn« erwiederte der Ire – »ich selber habe den Antrag gestellt, weil ich die Schwarzröcke hasse und sie den Eingeborenen, wo sie nur ihre Nase in deren innere Angelegenheiten stecken, noch nichts wie Unheil gebracht. Utami, Teraitane und manche Andere, gehen ihnen ebenfalls aus dem Weg wo sie können, und Aonui wie Potowai sind nur ihre Posaunen.«
»Und wo ist der Sammelplatz?«
»Hier im oberen Thal, etwa eine englische Meile von Papetee dicht unter dem Felsenhang auf dem oben die drei Cocospalmen stehen.«
»Kennen Sie den Platz?« wandte sich der Gouverneur jetzt zu den beiden jungen Leuten, und Beide bestätigten es.
»Aber in welcher Schlucht?« frug Lefévre jetzt – »es kommen da drei von oben herunter.«
»In der mittleren« lautete die Antwort.
»Das ist die einzige die einen Ausgang hat, die andern beiden sind von steilen Hängen abgeschlossen; und wo da?«
»Kennt Ihr den Platz wo die einzelne, jetzt von Utami bewohnte Hütte steht?« frug der Ire den Franzosen.
»Allerdings; der Ort wäre nicht übel gewählt – und wie viel Häuptlinge sollen dort zusammen kommen?«
»Utami, Teraitane und Aonui von hier und Fanue und noch ein Anderer, dessen Namen ich vergessen habe, von Tairabu der Eine, und vom südlichen Theil der Insel der Andere, auch wurde davon gesprochen daß von dorther ein Abgesandter von Huaheine und Bola Bola erwartet werde, und man vermuthete daß sie zusammen eintreffen würden.«
»Ha, das wäre nicht übel« rief der Gouverneur, »aber auf welche Art wären sie da zu fangen?«
»An dem Platz leichter als irgend wo anders« bestätigte jedoch Lefévre die Angabe des Gefangenen – »auf dem Rückweg ließe sich leicht ein Vorposten hinschieben dem die Umstellten weder rechts noch links auszuweichen vermöchten, wenn sie eben nicht fliegen können, und der Eingang des schmalen Thales ist mit zwölf Mann vollständig zu schließen. Wenn sich das Alles so verhält, wie es der Bursche angiebt und das Ganze rasch und richtig angelegt und ausgeführt würde, ließe sich ein günstiger Erfolg da schon hoffen. Keinenfalls hätte man viel zu riskiren, da man sich rasch wieder auf die Stadt zurückziehen könnte und es nicht anzunehmen ist daß die Eingeborenen, nach der heutigen Niederlage, morgen schon sich so nahe heranwagen sollten. Im Gegentheil hab' ich noch kurz vorher ehe ich hierher kam, von einem der uns ergebenen Indianer gehört, daß die feindlichen Krieger eine weiter zurückgelegene feste Stellung im Hautauethal einnehmen würden, sich dort sicher verschanzt zu halten und die von England versprochene Hülfe zu erwarten.«
»Das Sicherste wird dann jedenfalls sein« entgegnete der Gouverneur, »ein starkes Detachement im Rücken aufzustellen, und dadurch selbst jeder möglichen Ueberraschung zuvorzukommen. Fragen Sie einmal den Burschen was er dazu sagt?«
Jim schüttelte aber dazu mit dem Kopf.
»Dann wirds Nichts« brummte er finster – »sobald hier nur zwanzig Soldaten auf einmal aus der Stadt marschiren, wissen sie's auch oben schon in den Bergen und rüsten sich auf einen Angriff; kleine Patrouillen sind aber bis jetzt täglich ausgezogen und selten belästigt worden, weil eben die Eingeborenen keinen Angriffskrieg führen wollen. Diese auch allein dürfen hoffen einen wirklichen Ueberfall auszuführen, eine größere Abtheilung Militair nie.«
»Und wer bürgt uns für die Sicherheit solcher schwachen Patrouillen?« frug der Gouverneur.
»Bin ich nicht selber in Euerer Gewalt und geh ich nicht mit?« sagte Jim.
»Schlechte Guarantie das« meinte René kopfschüttelnd, »der Bursche hat nicht einmal mehr ein Leben zu riskiren und aufrichtig gesagt, möchte ich nicht einem einzigen Menschen an seine Versicherungen wagen; das Ganze scheint mir wenigstens, ein abenteuerliches Märchen, seinen Hals noch eine Zeitlang aus der Schlinge zu halten, oder gar in den Bergen in Sicherheit zu bringen; ich würde ungemein vorsichtig zu Werke gehen.«
Die Franzosen unterhielten sich untereinander natürlich in ihrer eigenen Sprache, und der Gefangene schaute dabei mistrauisch von Einem zum Anderen, in dem Ausdruck ihrer Züge vielleicht die unverstandenen Worte zu lesen.
Lefévre übrigens war für den Plan; mit jenem Theil des Berges genau bekannt, schien ihm ein solcher Ueberfall ziemlich leicht auszuführen, dann aber lag ihm vor allen Dingen daran als wirklicher Officier in die Armee eintreten zu dürfen, was ihm bis jetzt immer noch aus verschiedenen Ursachen verweigert worden, ihm aber dann, wenn er sich bei einer solchen Expedition auszeichnete, kaum entgehen konnte. Außerdem war, Jim's Aussage nach, der alte Häuptling Fanue ebenfalls gegenwärtig, den er noch von Tairabu her aus ganzem Herzen haßte. Hier bot sich ihm also nicht allein die Möglichkeit einer vortheilhafteren Stellung, nein auch zugleich die Aussicht sich an einem Feind zu rächen, und er war fest entschlossen die Gelegenheit nicht ungenützt entschlüpfen zu lassen.
Jim sollte übrigens heute Abend nichts Bestimmteres weiter über Annahme oder Nichtannahme seines Planes erfahren; auf einen Wink des Gouverneurs wurde er, als er all die nöthig scheinende Auskunft gegeben, wieder abgeführt, und Lefévre erklärte sich jetzt bereit die Führung einer Patrouille zu übernehmen, die, wie der Gefangene allerdings recht habe, nur schwach sein dürfe, wenn sie nicht die Aufmerksamkeit der wachsamen Eingeborenen erregen wolle, aber keineswegs möchte er sich auch ganz allein mit wenigen Mann in den Wald hinein wagen, wo es doch immer ungewiß wäre ob sie nicht auf eine stärkere Abtheilung der Feinde stoßen könnten. Deshalb sollten mehre kleine Trupps nach einander und nach verschiedenen Richtungen hin, wie eben zum Recognosciren, die Stadt verlassen, und sich nach jenem Thal hinüber ziehn. Die zuerst gefeuerten Schüsse mochten sie dann herbeirufen, denn nachdem geschossen war, blieb es doch unmöglich ihren Plan länger geheim zu halten und dann brauchten sie Hülfe, sich wieder zur Stadt zurück durchschlagen zu können.
Als er den Gouverneur damit einverstanden fand, beurlaubte er sich, die noch nöthigen Vorbereitungen zu treffen, wie sich auch seine, ihm passensten Leute selber zur Begleitung auszusuchen, und nur noch beschlossen wurde daß Jim, natürlich gut verwahrt und bewacht, den Trupp führen solle, dem nicht unmittelbar der Angriff galt, und der nur hinten die etwaige Flucht der Häuptlinge abzuschneiden hatte.
»Und wollen Sie den Zug begleiten, Delavigne?« frug der Gouverneur, als Lefévre das Zimmer verlassen und er ebenfalls im Begriff war sich zu empfehlen.
Der junge Mann schüttelte mit dem Kopf.
»Ich will auf den Inseln leben« sagte er, und es war fast, als ob er sich Gewalt anthun müsse für diese Antwort – »und – möchte Alles vermeiden in zu feindselige Berührung mit den Bewohnern zu kommen – wenn auch nicht meinet, doch meiner Frau wegen.«
»Aber Lefévre lebt auch hier« lachte der Gouverneur, »und genirt sich nicht, wie Sie sehn – er nahm die Sache mit einem ordentlichen Feuereifer auf, und ich bin fest überzeugt, er wird sein Möglichstes thun seinen Zweck zu erreichen.«
»Wir Menschen haben verschiedene Charaktere« erwiederte René ausweichend – »Lefévre denkt darin wahrscheinlich, wie in manchem Anderen auch anders wie ich. Außerdem verspreche ich mir nicht den geringsten Erfolg von dieser Mission – ich fürchte die Insulaner sitzen uns näher als wir glauben.«
»Bah« lachte der Gouverneur, »die Burschen wagen sich nicht wieder in den Bereich unserer Kanonen, und werden sich jedenfalls mit Plänkeleien begnügen, bis sie's satt bekommen, oder wir im Stande sind ihnen die Rädelsführer wegzufangen; der Indianer selber ist viel zu indolent einen Krieg aus Grundsatz zu führen. Doch dem sei wie ihm wolle« brach er plötzlich kurz ab, »ich möchte Ihnen nicht zureden, wünsche es aber Ihrer selbst wegen, daß Sie noch von dem unglückseligen Gedanken zurückkommen, auf einer wüsten Insel Ihr Leben zu beschließen.«
»Wüsten Insel« sagte René, lächelnd den Kopf schüttelnd.
»Wüst für uns, und wenn es ein Paradies an Scenerie wäre – wo wohnen Sie jetzt, Delavigne?«
»Nirgend« lachte der junge Mann, »mein Haus draußen haben sie mir abgebrannt, so hab' ich mich derweil bei Vater Conet einquartirt, der mir ein Zimmer freundlich zur Verfügung stellte.«
»Ah, dort sind Sie gut aufgehoben, sonst hätt' ich selber Rath für Sie geschafft; unser Krieg hat Sie geschädigt und es wird an uns sein, Ihnen das später wieder zu vergüten. So, jetzt guten Abend, und ich hoffe Sie morgen wieder zu sehn.«
Mit Tagesanbruch am nächsten Morgen durchzogen mehrere Patrouillen langsamen abgemessenen Schrittes die Stadt; die den Franzosen freundlich gesinnten, oder dort auch nur geduldeten Eingeborenen waren aber viel zu sehr daran gewöhnt, darin Außerordentliches vermuthen zu können. Die verschiedenen Posten wurden gewöhnlich durch solche Patrouillen abgelöst oder auch nur revidirt, und außerdem sandte der Gouverneur sogar nicht selten kleine Trupps über die Verschanzungen hinaus, zu untersuchen ob sich nicht feindliche Schwärme der Stadt näherten, kleine Ueberfälle zu versuchen, in denen sie es dann selten gegen die Feranis selber, sondern fast nur gegen die ihrer Landsleute abgesehn hatten, die es mit den Feinden des Vaterlandes hielten. Wehe denen, wenn sie in ihre Hände fielen, und der Feuerbrand wurde in manche solche Hütte geschleudert, trotz den rings aufgestellten Posten und Pikets der sie schützenden Soldaten.
Eine dieser Patrouillen war noch vor Tag, wo kein Eingeborener sich durfte in den Straßen der Stadt sehen lassen, an den oberen Theil der Stadt marschirt, hatte den kleinen dort aus den Bergen kommenden Bach oder Fluß, über den die Brücke abgebrochen war, gekreuzt, und auf dem ziemlich breiten Weg eine Strecke fortmarschirend sich rechts in das Dickicht geschlagen, wo sie Halt machte, den Tag abzuwarten. In ihrer Mitte aber führte sie den Iren, Jim O'Flannagan, mit auf den Rücken gebundenen Händen, während Lefévre den Trupp anführte, der, außer drei von ihm selber ausgesuchten Leuten, noch aus dem Bootsmann und zwei Matrosen des Jeanne d'Arc bestand, welchen letzteren besonders die Bewachung des Gefangenen anvertraut worden. Ein anderer, ihm beigegebener Officier, Adolphe, sollte die zweite Patrouille erwarten, ihre Führung zu übernehmen.
Jim ging mürrisch zwischen ihnen, und schien mit der Rolle die er dabei zu spielen hatte nicht recht einverstanden zu sein, nichtsdestoweniger war ihm sein Leben gesichert worden, wenn er die Häupter der Rebellen, todt oder lebendig in die Hände der Franzosen lieferte.
Erst nach Tagesanbruch folgte die zweite Patrouille der ersten; Marinesoldaten, wie sie zum gewöhnlichen Dienst gebraucht wurden, und um jeden Verdacht zu vermeiden von einem jungen Fähndrich angeführt. Auf einer besprochenen Stelle vereinigten sich die beiden und wurden jetzt so vertheilt, daß Adolphe den Iren und seine Wache bekam, der ihn hinter die Schlucht und dorthin führen sollte, wo sie den umstellten Häuptlingen den Weg in die Berge abschneiden konnten, und dafür die Hälfte der zweiten Patrouille, sechzehn Mann mit dem Fähndrich, zu Lefévres Unterstützung zurückließ.
Dieser mußte übrigens Adolphe mit seinen Leuten größeren Vorsprung lassen, da sie einen weit längeren Weg zurückzulegen hatten, und Jim verlangte jetzt von seinen Wächtern sie sollten ihn losbinden, oder ihm doch wenigstens die Hände so weit frei machen, daß er seine Arme zum Schutz gegen die überall vorstehenden Zweige gebrauchen könne. Adolphe wollte ihm darin auch gern willfahren, der Bootsmann traute aber dem Burschen nicht recht, und erst nach einigem Hin- und Herreden, und besonders dadurch bestimmt, daß Jim behauptete sie würden den bezeichneten Platz zu spät erreichen und Alles damit versäumen, wenn er selber nicht ein klein wenig rascher aus der Stelle rücken könne, wurden ihm die Hände gelöst; um den oberen Theil seiner Arme aber blieb das Tau befestigt, und der Seemann selber hielt das wie eine Art Zügel in seiner linken Hand.
So rückten sie zwar langsam, aber vollkommen geräuschlos durch einen Theil des Dickichts, der von den Eingeborenen, die hier in der Nähe der Stadt ihre Hütten fast sämmtlich verlassen hatten, nur höchst selten betreten wurde, und sie also auch nicht so leicht Entdeckung zu fürchten brauchten. Jim schien übrigens hier mit dem Wald vollkommen vertraut, denn er bog bald hier bald da, rechts oder links ab, kleine offene Lichtungen oder freiere Pfade zu erreichen, denen sie einmal eine Strecke folgen konnten, und warnte sie immer auf das sorgsamste, wenn sie in die Nähe irgend einer Ansiedlung kamen, die oft wie eine Oase in der Sandwüste, so hier in dem dichtverschlungenen Guiavendickicht lag. Da endlich weit genug vorgerückt, schlugen sie jetzt wieder eine mehr Südwestliche Richtung ein, den Hang des Berges zu, der hier in fast abgerundeter Spitze nach dem Meer hin abdachte, und betraten jetzt zum ersten Mal einen ziemlich begangenen und auch offenen Weg, dem sie nun so weit rascher folgen konnten.
»Wo führt der Pfad hin, Kamerad?« frug der Bootsmann da leise, als sie ihn eine Zeitlang schweigend und bergauf verfolgt hatten.
»Pst« war aber die einzige etwas mürrische Antwort die er erhielt, und da der Ausdruck in des Gefangenen Zügen ebenfalls die höchste Aufmerksamkeit und Spannung verrieth, als ob er mit jedem Schritt irgend etwas Außerordentliches zu finden oder hören erwarte, begnügte sich der Seemann auch für jetzt damit, und spannte seine Sinne nur selber schärfer an, einer irgendwoher drohenden Gefahr auch rascher begegnen zu können.
Der Weg war indessen so steil geworden, daß der Bootsmann, auf den ungeduldigen Blick des Gefangenen hin, das Tau verlängern mußte das er in der Hand hielt, um diesen im Fortschreiten nicht zu sehr aufzuhalten. Wenn Jim übrigens dadurch geglaubt einen Vortheil zu erreichen, hatte er sich geirrt, denn der Seemann trug es fest und doppelt um die Hand geschlungen, wie man einen Spürhund etwa an langer Leine auf der Schweißfährte hinziehen läßt, willens ihm jeden Raum eben zu lassen das Wild zu verfolgen – aber nicht mehr. Die Uebrigen folgten in langer, und manchmal eben nicht ganz geräuschloser Linie, Adolphe dicht hinter dem Bootsmann und die beiden Matrosen dicht hinter ihm, von den Soldaten gefolgt. Die Seeleute zeigten sich auch ziemlich behend, besonders im Vermeiden des so häufigen trockenen Gestrüpps und übergeworfener Aeste, das nach allen Richtungen hin ihren Pfad kreuzte, die Soldaten dagegen waren viel unbeholfener, traten auf und knackten manchen dürren Ast, und machten den Führer oft mit finsterem warnenden Blick auf sie zurückschauen. In der That benutzte Jim auch solche Gelegenheit nur zu gern, sich von dem Stand und Verhalten seiner Begleiter zu überzeugen.
Der Bootsmann, als das beste und einfachste Mittel ihm anzuzeigen daß er mit ihm zu reden wünsche, zupfte den Iren jetzt, durch ein leises Zucken der Hand, am Tau, und dieser drehte rasch den Kopf zurück.
»Halt!« kommandirte flüsternd der Seemann.
»Was giebts« frug jener eben so zurück.
»Hier mein Officier wünscht zu wissen wie weit wir noch etwa haben, damit er seine Leute danach rüsten kann.«
»Er soll ihnen sagen daß sie nicht einen solchen Heidenlärm machen« brummte dieser – »das ist alle Rüstung die sie jetzt brauchen; sonst noch was?«
»Und wie weit haben wir noch?«
»Weit genug den Platz nie zu erreichen, wenn wir jetzt gerade gehört würden, und nahe genug in kaum zehn Minuten vielleicht schon in Sicht des Feindes, oder doch in Rufes Nähe zu sein.«
Der Matrose nickte zufrieden und Jim setzte seinen Weg wieder fort, war aber noch nicht zehn Schritt höher geklettert, als er seinem Führer winkte in dem Laube noch vorsichtiger zu sein, und sich jetzt links gerade in das Dickicht hinein hielt. Der Bootsmann wollte ihn erst daran verhindern und in dem offenen Pfade selber halten, es war ihm aber fast, als ob er das Geräusch von Stimmen höre, und die ängstliche Vorsicht sehend, mit der der Ire hier selber weiter schritt, ließ er ihn gewähren.
Adolphe selber war mit dieser Art des Fortrückens am wenigsten einverstanden; der Dritte in der Reihe konnte er fast Nichts hören oder sehn, und wurden sie gerade an einer solchen buschigen Stelle von einem Feind überrascht, so waren sie, in der Verteidigung vereinzelt, der größten Gefahr ausgesetzt aufgerieben zu werden, und weit genug hatten sie sich in die Berge hineingewagt, die Begegnung eines Feindes wohl erwarten zu dürfen. Es ließ sich aber Nichts dagegen thun, und weit konnten sie von der bestimmten Stelle ebenfalls nicht mehr sein, so fügte er sich dann, Flüche leise in den Bart murmelnd, in das Unabwendbare, nur jetzt bemüht seine Leute, die jeden Augenblick fast mit den Fußspitzen in dürren Aesten hängen blieben, oder an Steinen, auf denen sie nicht festen Halt genug genommen, ausrutschten, in Ordnung und ruhig zu halten.
Da endlich erreichten sie eine scheinbar offene Stelle im Wald, wo die Sonne wenigstens licht und voll durch die sonst fast für sie undurchdringlichen Guiaven fiel, und der Seemann fand, daß sie sich einer steilen oder wenigstens sehr abschüssigen – er konnte das von da wo er stand noch nicht recht erkennen – Bergwand genähert hatten, von der aus sie jedenfalls einen Ueberblick in das vor ihnen liegende Thal bekommen mußten. Jim hatte sich dahinaus auch schon vollkommen orientirt, und den Bootsmann und Officier vorsichtig zu sich heranwinkend, zeigte er durch einen kleinen Busch, der sie nach unten zu verdeckte, in das Thal nieder, wo Beide zu ihrem, keineswegs freudigen Erstaunen, und auf einer Stelle wo sie Niemand erwartet hatten, einen Trupp von etwa zwanzig oder fünfundzwanzig bewaffneten Eingeborenen lagern fanden. Die ganze Entfernung von diesen betrug kaum zweihundert und funfzig Schritt, und das laute Knacken eines dürren Astes hätte fast dort gehört werden müssen – ein lautes Wort konnte sie verrathen.
»Pest und Tod!« zischte aber Adolphe zwischen den Zähnen durch, als er mit einem Blick die Gefahr übersehen hatte, in der sie sich befanden – »Hund verdammter, Du hast uns auf die falsche Fährte und absichtlich von dem Wege ab, hierher geführt. Ist das hier die Stelle eine kleine Zahl Indianer durch einen Hohlweg oder auf einem schmalen Damme abzuschneiden, wo eine ganze Armee rechts und links von uns durchpassiren könnte ohne daß wir etwas von ihr zu hören oder zu sehn bekämen?«
»Bst!« sagte Jim mit unzerstörbarem Gleichmuth aber das Gesicht jetzt von Todtenblässe, doch mit einem Ausdruck fester tödtlicher Entschlossenheit darin, überzogen – »bst Mounsier, nicht so laut, denn die Burschen da unten könnten uns hören und uns zu Gaste bitten, wogegen ich nun allerdings nicht das mindeste einzuwenden hätte, was für die angenehme Gesellschaft hier aber nichts weniger als wünschenswerth wäre.«
»Wo ist die Stelle zu der Du uns zu führen versprochen?« frug Adolphe rasch und finster, aber mit vorsichtig unterdrückter Stimme:
Jim lachte leise vor sich hin, und es lag etwas Teuflisches in dem Lächeln das Adolphe fast unwillkürlich nach dem Griff seiner Pistolen suchen machte; aber der Ire sagte jetzt, noch immer mit leiser, aber fester bestimmter und wie es schien zum Aeußersten entschlossener Stimme.
»Wenn Ihr nicht schon lange gemerkt habt, daß ich meinen Weg verfehlt, ist das nicht meine Schuld – laßt Euere Pistolen im Gürtel, Kamerad, mit denen könnt Ihr keinen Menschen schrecken der den Strick um den Hals trägt; aber hört mich jetzt an und entschließt Euch dann rasch, denn meine wie Euere Zeit ist kostbar. Mein gutes Glück hat uns in Rufs Nähe einer Schaar von Eingeborenen gebracht –«
»Dein gutes Glück, Schuft?« knirschte der Bootsmann mit den Zähnen, »wage es einen Laut auszustoßen und soll mich Gott strafen, wenn ich Dir nicht beide Hackensehnen durchschneide, oder Dich an den nächsten Ast hänge, ehe die Schufte da unten selbst in Schußnähe sein könnten.«
»Dazu hast Du Deinen eignen Hals zu lieb, Kamerad« lachte der Gefangene, »ich selber aber hätte nichts Besseres verdient, wenn ich eine so kostbare und nie im Leben wiederkehrende Gelegenheit jetzt unbenutzt vorübergehen ließe. Noch bin ich in Euerer Gewalt und Ihr könnt mich, ehe meine Beschützer herankommen, tödten, soll das aber Jemand fürchten, der jetzt die Wahl hat zwischen einem raschen Tod und dem Galgen? – bah, soviel für Euere Macht –« und er schnalzte mit dem Finger. »Doch Dienst gegen Dienst« fuhr er dann fort, als er sah daß der Bootsmann das Tau das ihn hielt nur rascher und entschlossener packte – »Ihr seht daß Ihr, wenn entdeckt, diesem hier vor uns lagernden Trupp nicht entgehen könnt, während ein einziger Schuß, hier abgefeuert, neue Feinde vielleicht noch von jeder anderen Seite herbeiruft, die Euch den Weg nach Papetee zurück mit leichter Mühe abschneiden und Euch ohne große Gefahr für sich selber, aus dem Dickicht heraus einzeln wegschießen könnten.«
»Und wenn sie mir die Glieder stückweis vom Leibe rissen« knirschte der Bootsmann zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch – »erst seh ich Dich hängen Bestie, und dann mögen sie machen mit mir was sie wollen.«
»Noch habt Ihr einen Ausweg« sagte Jim ohne sich im Mindesten aus seiner Fassung bringen zu lassen – »Dienst um Dienst; laßt mich frei, und ich verspreche Euch, daß ich hier still und regungslos liegen bleiben will, bis Ihr außer jeder Gefahr die Wälle von Papetee sicher und unbelästigt wieder gewonnen haben könnt.«
»Daß sie nachher in Papetee mit Fingern auf uns wiesen« zischte Adolphe mit fest zusammengezogenen Brauen – »thue Dein Schlimmstes Schuft, aber beim ewigen Gott, ehe ich Dich lebendig aus meinen Händen ließ, hing ich Dich selber an die nächste Guiave hier. Und nun zurück von da oben, wir haben ohnedies schon Zeit genug versäumt, und hältst Du Dich ruhig, will ich Dir versprechen mein Möglichstes in Papetee zu versuchen Deinen Hals frei zu bekommen; aber kein Wort weiter und jetzt marsch.«
»Das Anerbieten ist freundlich genug« sagte Jim, »aber da weiß ich ein Besseres –« und ehe der Bootsmann, der das Tau noch fest in der Hand hielt, nur eine Ahnung davon hatte, warf sich der Gefangene, das ganze Gewicht seines Körpers in den Sprung legend, durch den Busch hindurch, den steilen Abhang, an dessen Rand er stand, hinunter. Er würde auch jedenfalls seinen Zweck und den Boden unten erreicht haben, wo er höchstens von den kaum sehr gefährlichen und ihm sicher gleichgültigen Kugeln auf kurze Zeit bedroht blieb, denn der Seemann, der einen Sprung dort hinunter für ganz unmöglich gehalten, stand keineswegs fest genug sich dagegen zu stemmen und wurde im Nu von dem Gewicht des schweren Mannes zu Boden gerissen; aber das Tau das er um die Hand trug hakte glücklicher Weise in eine der dort gerade vorragenden starren und zähen Guiavenwurzeln, und der Ire fand sich im nächsten Augenblick, an den Armen aufgehangen, schwebend an der Klippe.
»Hülfe – Hülfe!« gellte dabei, jetzt zum Aeußersten getrieben, sein wilder Schrei durch den Wald, und die dort gelagerten Eingeborenen sprangen, ihre Waffen aufgreifend, rasch in die Höh' und heran – »Hülfe! Hülfe!«
»Teufel verdammter!« schrie aber Adolphe, sein Pistol aus dem Gürtel reißend und an den Rand der Schlucht springend, während der Bootsmann, der durch das Gewicht des Gefangenen niedergeworfen war, das Tau aber immer noch fest um die linke Hand hielt, es mit der rechten jetzt ebenfalls zu erreichen suchte, dem fast ausgerenkten Arm Erleichterung zu verschaffen. Dieser sah aber kaum die Absicht seines Officiers als er, unbekümmert um sich selber ausrief:
»Nein, nein Monsieur – halt – hier Jean, hier Petit – faßt das hier – weiter vorn – so – haltet fest – sacrrrr, ob mir der Hallunke nicht bald den Arm mit der Wurzel herausgerissen hat, und nun herauf mit ihm, daß ich seinen Hals bekommen kann.«
»Dort stürmen die Eingeborenen schon herbei!« rief Adolphe.
»S'ist nun doch einmal einerlei« rief der Bootsmann trotzig, »ob sie uns hier oder funfzig Schritt weiter unten einholen, ja im Gegentheil, hier können wir ihnen erst eine Salve geben; aber ich gehe nicht eher vom Fleck bis ich den Schuft nicht gehangen habe.«
»Hülfe – Hülfe – Hülfe« gellte der Schrei des Gefangenen, der vielleicht kaum sechs Schritt von der Erde entfernt, seine Kräfte in wilder Verzweiflung anstrengte dem Tau zu entgehn, oder die oben Stehenden mit sich nieder zu reißen. War es ihm aber mit dem ersten Wurf nicht gelungen, so blieb es nachher für ihn ganz unmöglich, denn die beiden Matrosen hatten, unbekümmert um den rohen Feind und nur dem Befehl ihres Bootsmanns gehorchend, rasch die Gewehre nieder geworfen und das Tau gefaßt, an dem sie den sich mächtig aber umsonst dagegen Sträubenden mit einem lauten und trotzigen »Ahoyho – ahoy-y« emporzogen – es war eine neue fast fingerstarke Hanfleine und hätte zwei solche Burschen getragen.
»Top! – avast da!« rief der Bootsmann jetzt, als er den Kragen des Iren erreichen konnte, indem er ganz kaltblütig aus dem anderen Ende des Taues das er in der Hand hielt, eine Schlinge machte – »haltet einen Augenblick, und Einer von Euch schnüre ihm einmal wieder die Hände auf den Rücken – oh hol der Teufel die Kugel, kehr Dich nicht daran Jean, so –«
»Hülfe – Hülfe!« tobte der Gefangene indessen in Todesangst, der jetzt eine Ahnung von dem bekommen mochte, was seine Henker mit ihm beabsichtigten, »Hülfe – Hülfe!«
»Strample nur Bestie – wirst gleich fertig sein« brummte der Bootsmann zwischen den Zähnen durch, zwischen denen er jetzt sein Messer hielt.
Wilde Ausrufe tönten nun von rechts und links herüber, und die ersten der Insulaner erkannten kaum die Gestalten von Europäern auf dem Abhang als sie auch schon, – unbekümmert ob Freund ob Feind dadurch getroffen würde, ihre Gewehre dorthin abfeuerten. Eine der Kugeln schlug an den Fels an, an dem der Gefangene sich sträubend hing, eine andere zischte dicht an des Bootsmanns Kopf vorbei; vollkommen ruhig aber legte der Seemann die fertige Schleife um den Hals des jetzt laut aufkreischenden Iren, und einen Theil des Taues dann mit seinem Messer trennend, das Ende mit der Schlinge gleich darauf mit einem Seeknoten um den nächsten Guiavenstamm zu schlagen, rief er, indem er das Messer in die Scheide zurückstieß:
»Jetzt bete, Schuft, Deine Zeit ist abgelaufen, bis ich zwölf zähle bist Du eine Leiche.«
»Laßt mich los – nein, zieht mich hinauf!« schrie der Unglückliche in Todesangst – »ich will Euch zurückführen – sicher nach Papetee – ich weiß Schleichwege dorthin – ich muß – ich muß dort – gehangen sein.«
»Bete während ich zähle!« rief der Seemann – »eins, zwei, drei, vier, fünf.«
»Ich will Alles gestehen – ich habe noch einen Mord verübt den ich bekennen muß! um Gotteswillen.«
»Sechs, sieben, acht, neun, zehn.«
»Hülfe – Hülfe!« kreischte mit gellender Stimme der Mann und der Angstschweiß troff ihm in schweren Tropfen von der Stirn nieder. – Wieder wurden dabei zwei Schüsse auf sie abgefeuert, und die eine Kugel traf sogar den Stamm, der bestimmt war den Verurteilten zu tragen.
»Elf, zwölf! –« zählte aber der Bootsmann, unbekümmert um Alles was um ihn her vorging, weiter – »so mein Bursche, die Zeit war vorüber, und was Deine Morde betrifft, die Du auf dem Gewissen hast, so zweifle ich gar nicht daran, daß Du Dir mit dem Erzählen derselben eine ganze Woche Frist gewinnen könntest – aber das ist zu spät jetzt – so nieder mit ihm, meine Jungen, und dann vielleicht eine Salve über sein Grab auf die rothen Schufte da unten, wenns Ihnen recht ist, Monsieur. – Laßt los!«
Ein gellender Aufschrei folgte dem Befehl, aber der Todeskampf des Verbrechers machte dem rasch ein Ende, und während die Matrosen ihre Gewehre wieder aufgriffen, kommandirte Adolphe, der sich schaudernd von der Execution abgewandt hatte, sie aber auch nicht verhindern wollte, Feuer.
Einzelne der Eingeborenen hatten sich indessen schon ziemlich nahe herangewagt, zu sehen was es eigentlich hier mitten im Dickicht gebe, und was die tollkühnen Wi Wis so keck und zuversichtlich sowohl in den Wald geführt, als auch was der furchtbare Hülferuf Eins der ihren bedeute; die ziemlich sicher gezielten Kugeln trieben sie aber rasch wieder zurück, ihre Schaar zu sammeln und zu einem ernstlichen Angriff auf die Feinde zu ordnen.
Für den kleinen Trupp war es jedoch ebenfalls die höchste Zeit sich zurückzuziehn, und den Kamm des Abhangs rasch zwischen sich und die Feinde bringend, wenigstens für jetzt vor ihren Kugeln geschützt zu sein, machte der Bootsmann den Vorschlag, den vor kurzer Zeit erst verlassenen Pfad zu verfolgen, und dann vielleicht mit der anderen Patrouille wieder zusammenzustoßen und sich zu verstärken. Adolphe aber, von seinen früheren Jagden her gewohnt die Richtung zu beachten, der er im Walde folgte, wollte davon Nichts hören; sie kamen auf dem Pfad nur immer weiter vom Strand ab und in die Berge hinein, und durch das Schießen aufmerksam gemacht, durften sie jetzt wohl erwarten noch mehr Verfolger auf ihre Fersen zu bekommen, ehe sie Papetee wieder erreichten, als ihnen lieb war. So die kleine Schaar um sich sammelnd, ließ er sie wieder gegen den Abhang vorrücken, die Gegner wenigstens auf kurze Zeit vielleicht damit zu täuschen, daß sie diese Position behaupten wollten; es war aber keiner von den Eingeborenen mehr zu sehen. Während sich der Bootsmann jetzt noch einmal zu dem Gerichteten nieder bog, zu untersuchen ob der Bursche da unten todt sei, rief das Kommandowort des Officiers die Soldaten in Reih und Glied, und als sich der Seemann wieder, völlig befriedigt, emporrichtete, marschirte der kleine Trupp, zu dem die Matrosen den Nachtrab bildeten, über den schmalen offenen Raum der Richtung zu, nach der sie den Pfad wußten, brach sich dort durch die Büsche Bahn, und folgte dem gefundenen offenen Weg endlich in einem kurzen Trab, aus der Nähe der Feinde zu kommen.
Diese waren indessen aber auch nicht müßig gewesen, und mit dem Wald vertraut, den gehaßten Fremden schon weit genug vorgeeilt sie zu belästigen und in ihrem Marsch aufzuhalten. Einzelne Schüsse fielen aus dem Dickicht, von denen eine Kugel sogar Adolphe in der Seite streifte, und einige Mal brach und raschelte es in den Büschen nach allen Richtungen, daß der Officier schon, einen allgemeinen Angriff gewärtigend, die Seinen halten und sich sammeln ließ. Augenscheinlich wollte der Feind dabei nur Zeit gewinnen, denn Boten waren sicher schon nach Verstärkung abgesandt, den kleinen Trupp der Fremden förmlich aufzuheben, und erst als sie sahen daß diese sich eben nicht aufhalten ließen und näher und näher wieder der Stadt zurückten, tönte plötzlich von allen Seiten ihr gellendes Kampfgeschrei und wie ein Rudel Wölfe fielen sie, dem Tod trotzend über die sie ruhig erwartenden Europäer her.
Wohlgezielte Schüsse empfingen sie aber hier, und die kleine Schaar wies den Angriff so muthig zurück, daß der Feind, seine Todten und Verwundeten aufgreifend, wieder im Dickicht verschwand und die Feranis eine Strecke lang ihre Bahn ruhig verfolgen ließ. Diese aber hatten auch einen schwer Verwundeten, der eine Matrose war durch den Leib getroffen und mußte jetzt von zweien getragen werden; doch die Leute wechselten unverdrossen mit einander ab, sich zur Vertheidigung stellend so wie sie die Feinde kommen hörten und ihre Flucht fortsetzend, sobald ihnen ein Augenblick Zeit gelassen wurde, bis ihnen, gar nicht weit entfernt, und auch schon ziemlich in der Nähe der Stadt, ein französisches Signalhorn neue Hoffnung brachte. Ihr Signal antwortete dem, und vielleicht zehn Minuten später rückte eine starke Colonne Marinesoldaten, zur Hülfe nachgesandt als ausgeschickte Spione die Kunde von dem gehörten Schießen nach Papetee gebracht, auf der Straße heran.
Von der, unter Lefévre abgegangenen Schaar hatte man ebenfalls Schießen gehört und eine andere Compagnie war ihr zur Hülfe nachgesandt, der Erfolg jedoch natürlich noch nicht bekannt.
Lefévre hatte indessen, mit dem Wald und allen Schleichpfaden um die Stadt herum vollkommen gut vertraut, auch ziemlich sicher daß sie gerade nach der gestrigen Niederlage der Eingeborenen nicht gleich wieder einen Angriff von ihnen befürchten durften, seinen Weg sehr rasch, aber auch etwas unvorsichtig verfolgt. Ein jahrelanger Aufenthalt auf den Inseln mußte ihn allerdings mit dem ganzen Leben und Wesen der Eingeborenen vollkommen vertraut gemacht haben, und er hielt sich ihnen an Schlauheit im Walde noch für überlegen; er hatte die Eingeborenen aber nie kennen lernen wie sie sich jetzt zeigten – gereizt und tapfer, dem eroberungssüchtigen Feind gegenüber, und vertraute dabei vielleicht zu viel auf das Uebergewicht, was ihm die bessere Führung der Schießwaffe jedenfalls geben sollte.
Wenig sich deshalb an das Geräusch kehrend, das sie etwa machten, rückten sie vorerst, so schnell ihnen das Dickicht den Fortgang erlaubte, durch die schon mehrfach erwähnte Guiavenniederung, in der sie sich jedoch mehr rechts hielten als Adolphe mit seinem Trupp, bis sie mit dem Fuß der Berge auch die Grenze der Guiaven oder diese doch hier so vereinzelt fanden, ihnen weiter kein Hinderniß mehr in den Weg legen zu können. Hochstämmige Mape- und Wibäume, Aitos, die Tiairis, mit einzelnen Brodfruchtbäumen, den prächtigen Tamanu oder Ati, der immergrünen callophyllum inophyllum und der Beringtonia Speciosa bildeten hier den herrlichsten Hochwald, den nur hie und da kleine Dickichte von Guiaven oder Citronen und Orangen füllten, während da und dort einzelne wehende Palmen mit ihren weit und zierlich gezackten Kronen selbst über die höchsten Wipfel dieser mächtigen Stämme hinausragten – die Könige der Wälder.
Hier hielten sie einen Augenblick; Lefévre selber, ehe sie das Thal betraten, wollte erst recognosciren ob sich vielleicht in dem, darin niederführenden und sonst sehr betretenen Pfad frische Spuren erkennen ließen und wohin sie gingen; es war aber Nichts zu sehn und nach dem, in letzter Nacht gefallenen Schauerregen noch kein Fuß wieder bergab gekommen – ihre Bahn lag frei. So wieder zurück zu den Seinen gehend, ermahnte er sie jetzt, da sie doch gewissermaßen feindliches Gebiet beträten, zu Vorsicht, besonders nicht mehr Geräusch im Gehn zu machen, als unumgänglich nöthig war, und setzte sich dann mit dem kleinen Zug wieder in Bewegung, das Thal hinauf und dem Lauf des kleinen Stromes, der hier klar und rauschend aus den Bergen nieder kam, folgend.
Eine Viertelstunde mochten sie so langsam in dem schmalen Thale fortgeschritten sein, dann und wann den Bergbach, der sich herüber und hinüber warf in seinem Bett, kreuzend, weil schroffe Felswand oder schlüpfriger steiler Hang ein Fortrücken an ein und demselben Ufer unmöglich machte, als der Seecadet, ein junger Bursch von vielleicht dreizehn Jahren, der hinter dem Zuge eine kleine Strecke zurück geblieben war, weil er mit dem An- und Ausziehen seiner Stiefeln beim Wasserdurchwaten nicht so rasch fertig werden konnte, eilig, und jetzt an kein Ausziehn mehr denkend, nachkam, an der kleinen Schaar vorbeiglitt und dem Führer mit etwas ängstlicher und erschreckter Miene meldete, daß er eben ziemlich fest überzeugt zu sein glaube, die Gestalt eines Eingeborenen in dem von den hohen Laubbäumen dicht überschatteten Thalgrund gesehn zu haben.
»Ein Gespenst haben Sie gesehn« lachte aber Lefévre, »Sie sehen ja todtenbleich aus, mein junger Herr – und die Hosen und Stiefel bis hoch hinauf naß – die Gestalt hat Ihnen wohl Beine gemacht?«
»Ich gebe Ihnen mein Wort daß es ein Indianer war – Mann oder Frau konnte ich natürlich nicht erkennen, denn sie gehen Beide ziemlich gleich gekleidet« erwiederte aber der junge Bursch jetzt mit fester und etwas beleidigter Stimme – er war nicht feige und die halbe Anschuldigung solcher Schwachheit machte ihn hoch erröthen.
»Und was that er dort, mon enfant?« lächelte der Führer.
»Das weiß ich nicht, Monsieur; als ich ihn zuerst sah, stand er aufrecht an einem Baume, im nächsten Augenblick aber, ob er nun bemerkt haben mochte daß er entdeckt sei oder aus sonst einem Grund, schien es mir als ob er sich auf den Boden niederdrücke, oder sich bücke, aber er blieb verschwunden, und ich stand etwa fünf Minuten vergebens da, sein Emporrichten wieder zu erwarten.«
»Er wird Lichtnüsse gesammelt haben« lachte Lefévre, »die liegen dort in Masse im Wald herum; oder er hat sich zum Schlafen niedergekauert. Und sind Sie hingegangen um zuzusehn was aus ihm geworden?«
»Nein, Monsieur,« sagte der junge Mann, »ich wollte nicht ohne Ordre den Pfad verlassen, und Ihnen vor allen Dingen die Meldung machen.«
»Es ist gut – haltet hier einen Augenblick – ich will selber mit zurückgehn und sehn was es war – wir sind gleich wieder da« und dem Cadetten einen Wink gebend, der ihm rasch voranschritt, suchte er mit ihm die vielleicht zweihundert Schritt entfernte Stelle wieder auf, wo der junge Mann behauptete den Insulaner gesehn zu haben. Dieser fand auch die Stelle ohne Schwierigkeit wieder, bezeichnete dem Führer ihrer kleinen Schaar den Platz, und kroch dann selbst voran durch die Büsche dem Stamm zu, an dem die Gestalt gestanden haben sollte. Lefévre folgte ihm, vorsichtig dabei rings umhorchend, ob sie nicht doch vielleicht den schlauen Feind in der Nähe hätten, und auf dem Boden zugleich nach frisch eingedrückten Spuren suchend. Der Grund war hier weich und dicht mit Laub und Moos bedeckt, und an manchen Stellen von den silbergrauen Tutuinüssen[6], der Frucht welche die Eingeborenen als Lichter brennen, wie überstreut. Hier ließen sich auch in der That die Eindrücke eines Fußes erkennen, ein Verfolgen derselben war aber, noch dazu in dem düsteren Schatten des Hochwaldes, wenn nicht unmöglich, doch sehr schwierig, und würde ihnen hier nutzlos viel Zeit gekostet haben; davon glaubte aber Lefévre überzeugt zu sein, daß die Fährten gerade dorthin zurückliefen, von wo sie herkamen und es blieb deshalb viel wahrscheinlicher daß der einzelne Wilde, den sie hier vielleicht überrascht hatten, scheu und erschreckt Bewaffneten zu begegnen, sein Heil in der Flucht gesucht und ihnen dann schwerlich mehr lästig fallen würde, als daß es ein ihnen auflauernder Spion gewesen. Keinenfalls ließ sich jetzt etwas an ihrem einmal gefaßten Plan ändern, und der Zwischenfall hatte wenigstens das Gute, Lefévre aufmerksam auf die doch möglichen Gefahren gemacht zu haben, die ihrer noch hier warteten.
Rasch holten sie jetzt den kleinen Trupp wieder ein, der sich indessen in dem kühlen Schatten eines mächtigen Mapebaumes gelagert, und aufsprang, als die Officiere zurückkehrten. Die Entfernung zu der bezeichneten Schlucht war aber nun auch gar nicht mehr so weit, und die zur Landmark dienenden Palmen konnten sie schon deutlich auf dem Felsenkamm erkennen.
Hier lag das Thal noch ziemlich breit; über losgerissene und schon wild genug umhergeworfene und oft rund und glatt gearbeitete und gewaschene Felsstücken hin kam der Waldbach wohl funfzehn bis achtzehn Schritt breit, toll und sprudelnd hernieder gesetzt in gewaltigen Sprüngen, den weißen Schaum aufwühlend aus cristallenem Grund, und nach dem Moos aufspritzend und daran zerrend, das sich der felsige Uferdamm wohl seit langen langen Jahren aufgesetzt, und die Schulter jetzt gegenstemmt gegen den muthwilligen, seinen Hauptschmuck zu wahren. Hier an einer steilen, schroffen Wand niederwaschend, von deren verwitterten Seiten bunte Farn- und Schlingpflanzen niederhingen und ihre Spitzen in der Fluth kühlten und tränkten, brach er sich wieder, als ob des Spieles müde, durch den felsigen Thalboden freien Weg zu dem anderen Hügelhang, hier sich eine mächtige Wurzel losspühlend und hin- und herreißend in seinem Strom, dorten sich selber einen Stein in das Bett rollend, den kecken Sprung hinüber zu thun, von dem sich die kleinen Wellen dann plätschernd und lachend erzählten, wenn sie die wieder frei gewordene Bahn blitzesschnell und das Sonnenlicht mit ihren Armen fangend, niederglitten, bis drüben ein anderer Fels ihrem Ansprung die breite Stirn bot und sie auf's Neue dem finsteren Nachbar hinüberschickte. Und Blumen und Früchte aus einem kälteren Klima nieder, weit oben aus den starren wild zerrissenen Schluchten trugen sie in's sonnige Thal, und spühlten sie leise an die moosige Uferbank; seltsam geformte, mit faserigem Netz überzogene Nüsse, phantastisch gezeichnete und gezackte Blätter und Blumen, von wunderbarem Farbenschmelz und Duft, sonderbar gewundene farbige Schlinggewächse, wie sie das wärmere Thal nicht erzeugte, und das badende Mädchen unten am Meeresstrand fing sie auf, schmückte sich damit, und dankte heimlich, aber ganz heimlich daß es um Gott die finsteren Mi-to-na-res nicht erfuhren, den freundlichen Geistern dafür, die ihm die Blumen oben von unwegsamer Klippe gepflückt und niedergesandt, in dem murmelnden Strom.
Und hoch und gewaltig thürmten sich die Bergmassen an beiden Seiten in steilen, von einander gerissenen Wänden[7] empor, als ob ein Gott den Berg gefaßt und zersplittert mit Riesenfaust, und dann seinen grünenden wehenden, blüthendurchwebten Mantel darüber geworfen hätte. Rankige Lianen flochten sich da von Klippe zu Klippe hin, in schwingenden Festons die Brücke bildend zwischen Baum und Wand und buschige Blumentrauben nieder schaukelnd in Moos und Farrenkraut. Palmen gediehen hier oben fast gar nicht mehr, oder standen nur spärlich und zerstreut; hoch aber auf der einen Wand, die sich viel hundert Fuß ein einziger schroffer aber dicht mit Moos und Kraut überzogener Fels gen Himmel streckte, standen am äußersten Rand, schüchtern in die schwindelnde Tiefe schauend, über der ihre Wipfel hingen, drei einzelne schlanke Palmen, an deren zähen Stämmen schon mancher wilde Sturm seine Kraft versucht, aber die mächtigen Bäume, je toller er an ihnen gerüttelt, nur um so tiefer und fester in den Boden gewurzelt hatte. Grad' an ihnen vorüber aber, und selbst aus ihrer Mitte heraus, sprang mit einem kecken Satz, sein moosiges Bett hinter sich lassend, wie der Wanderbursch die stille freundliche Heimath, ein wilder funkelnder schäumender Bergquell, mitten hinein in das helle rosige Licht, das ihn mit seinen buntesten schimmernsten Farben übergoß, während die Luft ihn in ihren Armen fing und den tobenden wilden Gesell in tausend und tausend blitzenden Perlen faßte und ein funkelnder Regen in das Thal hernieder sprühte.
Es war ein wunderherrlicher Morgen und der Thau, der noch im kühlen schattigen Thal in glitzernden Perlen auf der dichten Moosdecke lag, spiegelte in einzelnen zuckenden schillernden Lichtern den Sonnenstrahl wieder, der sich mühsam seinen Weg durch dichtbelaubte, eng in einander gereckte Zweige gebrochen, und wunderliche Schatten über das gelbe feuchte Laub am Boden warf. Und die kleine blaue Eidechse mit den klaren klugen Augen schaukelte sich auf dem schwanken Halm herüber und hinüber, und hei wie rasch sie sich in das raschelnde Laub hinunter fallen ließ und mit blitzschnellen Füßen über das weiche thauige Moos hinschoß, als sie die Menschen in ihrer Nähe gewahrte, eine schmale dunkelgrüne Spur auf die, mit schimmernden Tropfen besetzte Moosdecke ziehend. Hoch oben aber in den Lüften, still und wie fest gebannt in der klaren ätherreinen Luft mit den scharf und kühn geschnittenen Flügeln stand einer jener schlanken prächtigen Fischadler, den die Seeleute den man of wars bird, oder den Kriegsschiffvogel mit wirklich bezeichnendem Ausdruck nennen, als ob er verlangend in das sonnige Thal hernieder sähe und doch nicht wage, so keck und zuversichtlich er auch da oben durch die Lüfte strich und sich seine Beute mit kühnem Stoß selbst aus der klaren Fluth heraus holte, in das ihm fremde Element von Busch und Baum und Felsgestein einzutauchen.
Lefévre hatte seinen kleinen Trupp hier wieder halten lassen; er schien noch nicht ganz fest davon überzeugt zu sein, daß die andere Patrouille auch den Rückwechsel erreicht habe, und die ganze Expedition hätte in dem Fall ja scheitern können. Nach einer Viertelstunde endlich, selber ungeduldig sein Ziel zu gewinnen, brachen sie wieder auf, ohne auch nur dem mindesten Verdächtigen zu begegnen, und erreichten so den Eingang des von Jim bezeichneten schmalen Thales, das hier gewissermaßen die Abzweigung des Gebirgs in einer engen Schlucht durchbrach, und auf dieser wie jener Seite ausmündete. Oben darin, und gegen den hier durch ziehenden Passat durch einen breiten Felsvorsprung, wie ein vollkommen verwachsenes und kaum durchdringbares Orangendickicht geschützt, stand eine kleine Hütte und es hieß daß sie sich in letzterer Zeit, seit er Papetee und die Französische Sache verlassen, Utami zu seinem Aufenthalt gewählt habe, um von hier aus gewissermaßen die Operationen in beiden Thälern überwachen und leiten zu können.
Hier, als sie den Bergstrom wieder durchschritten, ließ Lefévre seine Leute auf den rollenden Felsmassen hin, die keine Spur bewahrten, einen Theil noch weiter aufwärts rücken den Eingang zum Thal vollkommen zu beherrschen und, falls ja ein einzelner Indianer oder ein Trupp hier vorüber ziehen sollte, sie irre zu leiten, und befahl ihnen dann, sich abseits vom Pfad so lange still und verborgen zu halten, bis er entweder selber wieder zurückkehre oder ihnen das Zeichen zum raschen Vordringen durch einen abgefeuerten Pistolenschuß gebe. Die größte Vorsicht, denn sie hatten es mit einem schlauen Feind zu thun, machte er ihnen dabei zur Pflicht, und er selber schlich sich dann, dem Fähndrich indessen das Commando überlassend, auf ihm vollkommen gut bekannten Pfaden, am Berge aufwärts, oben das Orangendickicht zu erreichen und von dort aus den verrathenen und umzingelten Feind zu beobachten. Seine Maßregeln konnte er dann leichter und sicherer danach nehmen.
Den steilen Hang der die Thäler von einander trennte, kletterte er so, mit dem gespannten Pistol in der Faust, einem etwa gelegten Hinterhalt nicht allein gerüstet entgegentreten zu können, sondern auch zugleich das Zeichen zum Herbeistürmen der Seinen zu geben, langsam und vorsichtig hinan; aber nicht das Mindeste ließ sich hören – der Omaomao flötete hier im Blüthenbusch so ruhig und ungestört, als ob noch nie der Fuß des Fremden seinen Frieden gestört, das Heiligthum seines stillen Waldes entweiht habe, und die schnelle raschelnde Eidechse im Laub, mit dem Summen der Grillen oder eines einzelnen schimmernden Käfers, war der einzige Laut, der sein Ohr traf, sein Auge aber immer rasch und vorsichtig der Richtung zulenkte. So hatte er endlich den ersten Abhang, der wie eine Art Terrasse an dem jetzt steil und unersteigbaren Felsen hinlief, erreicht, und ein hartbetretener, mit bröckliger Lavamasse gefüllter Pfad schlängelte sich hier entlang, der die Verbindung des Hauptthals mit dem Osten der Insel unterhielt.
Rasch folgte er diesem, von keinem hindernden Dickicht mehr belästigt, um den Rand des vielleicht noch dreihundert Schritt entfernten Orangenhains zu erreichen, als ein kaum unterdrückter Schrei seine Lippen trennte, denn dicht vor ihm, bis dahin aber von einem vorragenden Felsen, an dem sie gelehnt, gedeckt, stand die Gestalt einer Frau – stand Aumama – sein Weib und auch sie preßte erschreckt und todtenbleich beide Hände auf das, oh wohl so ängstlich pochende Herz als sie den Mann erkannte, der ihr das größte, schwerste Leid gethan.
»Aumama« flüsterte Lefévre bestürzt, und das Blut schoß ihm in vollen Strömen in Stirn und Wangen, »was, zum Henker, treibst Du hier, Mädchen, daß Du im Wald Versteckens spielst? – wo kommst Du her und was thust Du hier allein? oder ist noch Jemand bei Dir?« setzte er rasch, einen forschenden Blick dabei ringsum werfend, hinzu.
»Also Du – Du bist es« seufzte aber die Frau aus tiefster Brust, und wehmüthig dabei mit dem Kopf nickend, ohne eine seiner Fragen zu beantworten, ja ohne sie vielleicht gehört zu haben, »Du, der sich mit der Waffe in der Mörderfaust in unsere Berge schleicht, neues Unheil zu bringen dem armen, schon überdies mishandelten Lande? – Oh was haben wir Dir denn gethan?« setzte sie rascher und bewegter hinzu, »daß Du uns so unablässig verfolgst – ist es nicht genug daß Du die Ueberzeugung mit Dir nimmst ein Wesen elend gemacht zu haben auf der Welt?«
»Unsinn, Unsinn Aumama« sagte Lefévre kopfschüttelnd, »was fehlt Dir heute Mädchen, daß Du so tolles Zeug schwatzest, Du wirst Dich ohne mich so wohl befinden, wie Du es vielleicht nie mit mir gethan hast; aber sprich nicht so laut, mein Herz, denn ich bin hier allein im Wald und möchte nicht gern einem Schwarm Deiner Landsleute begegnen; sind deren in der Nähe?«
»Was suchst Du hier? – was willst Du bei uns? –« frug aber jetzt das Weib, sich mit fester Hand die Locken aus der Stirn werfend und den dunklen, thränenschweren Blick forschend auf ihn geheftet – »was trieb Dich mit der gespannten Feuerwaffe in der Hand hier her, wo ich, ein schwaches unbewehrtes Weib ungehindert und furchtlos gehe? – war es das böse Gewissen das Dich hinaus jagte aus den sicheren Wällen Deiner Freunde? – ha dem entgehst Du nicht, und die Kugel, die sich tückisch und unheilvoll in dem kleinen Rohr verbirgt – schützt und rettet Dich nicht vor dem.«
»Ich habe mich verirrt, Aumama« sagte Lefévre, das Pistol dabei in Ruhe setzend und in seinen Gürtel zurückschiebend – »ich bin vom Wege abgekommen.«
»Du Dich verirrt? verirrt an einer Stelle« sagte die Frau ungläubig, ja fast zornig mit dem Kopf schüttelnd, »wo wir hundert Mal zusammen den Berg erstiegen und in das wundervolle Thal hinab, auf die weite sonnenblitzende See hinausgeschaut? – Es ist aber doch möglich daß Du den Weg vergessen« setzte sie dann mit leiserer weicher Stimme und fast wie traurig hinzu – »vergaßest Du doch alles Andere was Du damals gesprochen.«
»Und wohnt jetzt wirklich Utami in der alten Hütte oben, Aumama?« frug Lefévre, der nicht allein jene Erinnerungen zu vermeiden wünschte, sondern dem auch daran lag, jetzt zu erfahren was er wissen mußte, wollte er nicht die Zeit hier leichtsinnig und nutzlos verstreichen lassen.
»Was hast Du mit dem alten Haus?« sagte Aumama aber finster – »was kümmerts Dich, ob es bewohnt ist oder leer steht. Nein, kehre zurück Mann in Deine Stadt – kehre zurück zu den Deinen – ich und die Kinder haben Dir verziehn – Gott hat es so gewollt, doch laß uns unseren Frieden. Ich wollte mich rächen einst an Dir – die Zeit ist jetzt vorbei, und während ich gerade dachte daß an solcher Stelle, die der Erinnerungen so viele und – so wehe für mich hat – der Zorn und Haß die Ueberhand gewinnen müsse, stimmt es mich weich und weibisch – gehe fort.«
»Utami wohnt jetzt in dem Haus – ich weiß es – ist er allein? – ich möchte ihn sprechen wenn es irgend geht –« sagte Lefévre, der dem Weibe wohl ansah daß sie mehr wußte als sie eigentlich sagen wollte.
»Du möchtest ihn sprechen? und weshalb?«
»Vielleicht bring ich ihm Frieden.«
»Oh, wer Dir trauen dürfte« sagte die Frau, tief aufseufzend – »aber« – setzte sie dann rascher hinzu – »willst Du allein zu ihm gehen?«
»Ich habe nur noch einen Knaben bei mir, den ich zurückließ und erst dann holen will.«
»Nur einen Knaben?« frug die Frau und ihre Augen hafteten scharf und forschend auf dem scheu sie meidenden Blick des Feranis. »Nur einen Knaben? und weshalb ließest Du den zurück? hattet Ihr nicht Beide Platz im Pfad?«
»Ist Utami allein?«
»Nein, noch ein anderer Häuptling ist bei ihm.«
»Kennst Du seinen Namen?«
»Fanue!«
»Von Tairabu« – rief Lefévre schnell, »und hat ihn Niemand hierher begleitet?«
»Wen wolltest Du noch?« frug Aumama lauernd, und die Augen blitzten Haß und Eifersucht auf den Verräther.
Wäre Lefévres Auge nicht dem Blick des Weibes ausgewichen, er hätte sich die Frage ersparen können, so aber sagte er mit erzwungener Gleichgültigkeit, und dabei mit dem Heft seines Pistols spielend.
»Ich meinte nur ob Nahuihua, das spröde wilde Ding von Tairabu vielleicht mit herüber gekommen wäre Dich zu besuchen.«
»Ja – sie ist da« hauchte Aumama, und die Unterlippe leicht zwischen die beiden Reihen ihrer perlenreinen Zähne gepreßt, die Augen fest und forschend auf den Fragenden geheftet, stand sie da, halb abgewandt von ihm, als ob sie fliehen wolle und doch nicht von der Stelle könne – dürfe.
»Sie ist da?« rief aber Lefévre rasch und unbedachtsam mit freudestrahlenden Blicken, und unwillkürlich fast machte er eine Bewegung nach vorwärts, aber sich besinnend setzte er hinzu – »doch einerlei – ich darf auch meinen Begleiter nicht im Stich lassen und muß den holen – leb wohl Aumama – doch vielleicht sehe ich Dich nachher noch wieder und – und Mädchen, wenn Du etwas brauchen solltest – wenn Dir irgend etwas fehlte, was ich Dir schaffen kann – laß mich's wissen in Papetee, und wenn's in meinen Kräften steht, sollst Du's haben.«
Aumama erwiederte Nichts, und sah ihn lange schweigend an; wie er ihr aber freundlich zunickte und sich wandte, den Pfad wieder zurück zu gehn, rief sie ihm nach und sagte leise:
»Bleib hier, Lefévre – gehe nicht wieder hinunter in's Thal. Willst Du wirklich mit Utami sprechen und will Dein Mund Frieden bringen und Freundschaft, so komm mit mir – allein, wie Du da stehst und gehst. Ich gebe Dir mein Wort, sicher sollst Du die Hütte betreten, sicher Papetee wieder erreichen – mit meinem eigenen Blute hafte ich Dir für das Deine. – Komm und ich will Dich führen, wie in früherer Zeit, und kein Groll soll in meinem Herzen Raum haben für Dich, kein Schlag desselben soll gegen Dich gerichtet sein.«
»Ich danke Dir Aumama, wenn ich auch Deinen Vorschlag jetzt nicht annehmen kann; ich weiß Du bist immer gut und freundlich gewesen« sagte Lefévre, »und es freut mich jetzt daß Du ruhig geworden und vernünftig. Sieh, wir haben das ja auf den Inseln auch in hundert anderen Beispielen und Fällen, daß ein Mann seine erste Frau verlassen und die jüngere Schwester derselben zum Weib genommen hat. Wenn Du ihr nicht mehr abredest, wird sie sich auch nicht länger sträuben, und vernünftig sein.«
»Wer?« sagte Aumama, aber so leise, daß Lefévre wirklich nur an der Bewegung ihrer Lippen errieth daß und was sie gesprochen.
»Nahuihua, närrisches Kind« lachte er, leise ihre Wange streichelnd, aber sie fuhr von der Berührung zurück, als ob er ein Messer auf sie gezückt hätte – »willst Du ihr zureden?«
»Ja« hauchte die Frau.
»Und es soll auch Dein Schade nicht sein, Aumama« flüsterte der Mann – »nun, nun, hab' keine Angst vor mir – fürchtetest Dich doch sonst nicht wenn ich Dir nahe kam. Aber ich muß fort« – setzte er rascher hinzu, »und meinen Kameraden holen – sage indessen nicht daß Du mich gesehen hast – ich will sie überraschen.« Und mit flüchtigen Sätzen, innerlich jubelnd über den leichten Doppelsieg dem er entgegenging, sprang er den Pfad zurück, den er gekommen, die Bewohner der Hütte noch nicht durch einen Schuß zu alarmiren, sondern seine kleine Schaar selber heraufzuholen, und dann vielleicht jeden Widerstand gleich von vorn herein unmöglich zu machen. Es war viel besser wenn das Ganze friedlich und ohne Blutvergießen beendet werden konnte, denn die Insulaner kämpften manchmal, besonders wenn zum äußersten getrieben, wie Rasende.
Aumama blieb allein zurück, und als seine Schritte hinter der nächsten Felswand, um die sich der Pfad zog, verklungen waren, barg sie ihr Antlitz in den Händen und schien den Schmerz, der ihr in wilder Qual die Brust zu zerreißen drohte, zurückbannen zu wollen mit aller Kraft in seine alte Veste. Aber es ging nicht – zu viel – zu viel war dem armen Herzen angethan und zugemuthet, zu viel, die Thränen mußten sich Bahn brechen endlich, hinaus in's Freie, und zwischen den zarten Fingern quollen sie hell und perlend vor und tropften heiß und brennend nieder auf das kühle Moos, das sie gierig auftrank, die Gramesboten.
Aber fort – fort mit den Gedanken – mit einem Wurf ihres Hauptes schleuderte sie die Locken aus der Stirn, die Thränen von den Wimpern, und sich hoch und stolz emporrichtend blickte sie wild und zornig umher. Er war fort – fort die Genossen zu holen in feiger Hinterlist, wie schon die ausgesandten Boten lang vorher gemeldet, und mit flüchtigem Fuß floh sie den Pfad hinauf, der Hütte zu, von der aus jetzt rechts und links bewaffnete Krieger hinausschlüpften – hier an dem Hang hin, hinter niedergestürzten Stämmen oder dichten Büschen sich bergend, dort den Orangenhain füllend mit ihrer Schaar, und einzelne mit scharf geladener Waffe in die Felsen vertheilt und Klippen der Bergeswand – regungslos wie selber aus Stein gehauen, und nur in den Augen das wilde trotzige Leben verrathend, das in ihnen kochte und trieb.
Jetzt krachten die Zweige unten, als die Schaar der Feinde leichtfüßig und rasch den weichen Berghang emporsprang, sicherem Sieg entgegen, und auf der Bergesspitze wieder wie vorher stand Aumama, die Hände fest und krampfhaft auf der Brust gekreuzt, das Auge stier und thränen-, die Wangen von Blute leer – und jetzt? – die Feranis stutzten und horchten dem fremden Laut.
»Uupa – uupa!« klang es leise von Kluft zu Kluft.
»Ha, die Turteltauben rufen, ein gutes Zeichen« lachte Lefévre, den Degen aus der Scheide reißend, »und dort auch steht Aumama, ihres Wortes getreu – ich bringe Besuch, mein Schatz.«
»Er ist willkommen« entgegnete das Weib mit eisiger Kälte, aber ihre Stimme drang kaum zu dem Ohr des Führers, als es ein anderer, herberer Laut begrüßte. Ein gellender Schrei brach aus Waldesschlucht und Berg – das ganze Thal schien einzustimmen in den furchtbaren Ton und mit scharfem tödtlichen Krach prasselte eine unregelmäßige Salve Kleingewehrfeuer drein.
»Verrath!« schrie Lefévre und sprang, die blanke Waffe in der Faust, auf Aumama zu; aber eine wilde Gestalt flog ihm in den Weg, sein Degen splitterte an einem vorgehaltenen, seinen Hieb parirenden Büchsenlauf, und im nächsten Augenblick traf ihn selbst das schwere Eisen an die Stirn, daß er mit dumpfem Todesschrei zusammenbrach.
Ha, wie sie flohn – den Berg hinab durch Busch und Strauch, ihre Waffen lassend, wenn sie ein Busch faßte und hielt, blind und taub in den Strom hinein, dessen schlüpfriger Grund ihnen die Füße fortriß und sie gegen die schleimigen glatten Felsblöcke warf, bis sie sich halten konnten – halten, um den jubelnden halbnackten Wilden am Ufer stehn zu sehn, wie er den Speer mit gellendem Lachen in der Faust schwang und schüttelte, und zum Todeswurf ausholend erbarmungslos in ihr Herz sandte, der Fluth die Leiche überlassend. Nach rechts und links stoben die wenigen Menschen, wie ein Volk aufgescheuchte Hühner auseinander – in Verzweiflung suchten sie an der steilen Wand emporzuklimmen, die sie zurückwarf in die Arme der Rächer, oder den Pfad entlang mit flüchtigen Sohlen dem flüchtigeren Feinde zu entgehn – umsonst; Speer oder Kugel traf sie ehe sie den dichteren Busch erreicht, oder wild tättowirte Gestalten tauchten auch wohl, wie dicht vor ihnen aus dem Boden auf, und schlangen mit gellendem Jubelruf ihre Arme um sie, die Entsetzten niederreißend mit sich, bis des Verfolgers Waffe das zuckende Leben hinaustrieb mit scharfer Wehr.
Nur Einer, von all den Anderen floh nicht und stand, den Säbel in der schwachen Faust, die Linke drohend ein Pistol gespannt, den Rücken gegen einen Fels gepreßt, noch ernst und trotzig da, dem Schlachten, das er nicht verhindern konnte, keck die Stirne bietend. Es war jener Knabe, den Lefévre erst vorher gehöhnt, und zwar mit Zügen, aus denen jeder Tropfen Bluts gewichen war, aber keck und entschlossen blitzenden Augen, die nur zu deutlich eher den Tod als Schande suchten.
Drei der Eingeborenen sprangen jetzt gegen ihn an, ihm die Wehr zu entreißen und seine noch feine klare aber feste Stimme warf ihnen ein trotziges »zurück« entgegen.
»Schont ihn!« bat Aumama, die auf ihn zu eilte, ihn zu schützen – »es ist nur ein Kind!«
»Aber ein ausgewachsenes!« schrie der eine Wilde, der schon Blut gekostet – »ergieb Dich!« und mit jähem Schwung hob er den gewichtigen Kolben zum jedenfalls verderblichen Schlag – da blitzte aus der aufgeworfenen Hand des jungen Burschen ein scharfer Strahl, dem der dumpfe Knall der Feuerwaffe folgte, und mit dem Blitz fast knickte die riesige Gestalt vor ihm zusammen, die Waffe stürzte prasselnd auf den steinigen Boden nieder und der Körper taumelte schwerfällig – eine Leiche – den steilen Hang hinunter. Aber zu viel der Feinde waren für die junge Hand; wohl schleuderte er dem nächsten mit glücklichem Wurf das Pistol gerade in's Gesicht, sich dessen auf kurze Frist erwehrend, wohl hieb die scharfe Klinge mit sicherer Hand geführt, tiefe Wunden in den nackten Leib des Anderen, und hätten sie Alle gefochten wie das Kind, manch Indianische Mutter würde an dem Abend ihre Wehklagen haben singen müssen über den Körpern der Erschlagenen; doch die Kräfte gaben aus, und wie Aumama vorsprang und der Waffen nicht achtend mit ihrem eigenen Körper den Knaben decken wollte, traf ein Speer, von sicherer und gewaltiger Hand geführt, die Brust des Unglücklichen, der todt zusammenbrach, und nicht Einer von dem ganzen Trupp kehrte zurück, die Schrecken jener Stunde zu erzählen.
»A hi a nu!« ein wilder Siegesschrei gellte durch die Berge und die dunkle Schaar sammelte sich unten im Thal; von allen Seiten rannten sie nieder, die Waffen in der Faust, und hohe trotzige Gestalten führten sie an zum neuen Kampf. »Nach Papetee« jubelte ihr Kriegeslied in einer der alten heidnischen Weisen – »nach Papetee, den Feind jetzt zu treffen mit scharfer Waffe – nach Papetee!« und die Erschlagenen zurücklassend wo sie ihr Geschick erreicht, zog die Schaar, anwachsend aus jeder Schlucht, wo andere Trupps in Versteck gelegen, das Thal hinab, dem einstmaligen Sitz der Pomaren zu, den Feind hinaus zu treiben oder zu vernichten.
Und bei den Todten allein blieb Aumama, das arme junge Weib; mit leisem scheuen Gang schritt sie zwischen den Erschlagenen hin – schaudernd wenn das warme Blut ihre Sohle netzte, und die Augen mit der Hand bergend vor dem entsetzlichen Anblick – zu der Stelle zurück, wo der Mann lag der ihr einst Treue geschworen, und deren Bruch mit seinem Tod gezahlt.
Todt – allmächtiger Gott wie lag das Haupt jetzt zerschmettert, das sie auf ihrem Schoos so oft gewiegt – und diese Lippen, die sie tausend und tausend Mal geküßt, so blutig – so kalt und blutig. Arme, arme Aumama, mit dem Tod des Mannes war auch der Haß, die Rache hingestorben, und bitter klagend saß sie bei der Leiche – sich selbst beweinend und die armen, verlassenen Kinder.
Mit der gebrochenen Waffe des Geliebten grub sie dann ein Grab; sie stach die lockere Erde auf und warf sie, mühsam und beharrlich mit den Händen hinaus – Stunde nach Stunde, und ohne Klagelaut. Von duftigem Fern pflückte sie dann ein Lager, weich und reinlich, und breitete es aus in der schmalen Gruft, und ihre Thränen flossen heiß darauf, und wie die letzte Ruhestätte ihm, der sie so unsagbar elend gemacht, bereitet war, trug sie, die letzten Kräfte anspannend, allein die Leiche hinein in ihr einsam Bett, deckte das blutige entstellte Antlitz mit ihrem Schultertuch und breitete Blumen und Blüthen über den Entschlafenen.
Unten vom Strand aus donnerten die Feuerschlünde der Feranis, und der Schall brach sich dröhnend sein Echo aus den steilen Schluchten, aber sie hörte es nicht; an dem offenen Grab saß sie, in Schmerz versunken und dachte der schönen Zeit zurück, die sie mit dem Gerichteten verlebt – was er gefehlt, was er verbrochen – sein Tod hatte das Alles gesühnt; mit dem Blut war die Schuld fortgewaschen von seiner Seele und nur der Geliebte lag ihr noch da, der Hingeschiedene – der Vater ihrer Kinder, das Ein, das Alles des armen Weibes. Oh wie hatte sie ihn so glühend gehaßt als er sie verließ der eigenen Schwester wegen, wie hatte ihr Herz so heiß und wild nach Rache gedürstet, an dem Verräther – und jetzt? der Haß war hingeschmolzen wie der Brandung Welle am starren Riff, hoch drohend und Verderben sprühend in ihrem Anprall, und das Ziel erreicht – zerfließend wieder in klare ruhige Fluth mit tausend blitzenden Thränenperlen nur auf der glatten Fläche.
Arme, arme Aumama – und wie sie sich über das Grab hinüberbog sang sie mit leiser Stimme die Todtenweise ihres Stammes, das letzte Joranna dem Hingeschiedenen.
Durch das Absegeln zweier Kriegsschiffe nach den Marquesas-Inseln war die französische Macht in Papetee sehr geschwächt worden, und in der That fingen auch an Provisionen zu fehlen, da die feindlich gesinnten Eingeborenen nicht allein keine Produkte mehr einbrachten, sondern auch die den Feranis freundlich gesinnten daran verhinderten, und nicht selten Einfälle selbst in die Stadt machten, ihre Häuser zu zerstören und ihre Fruchtbäume nieder zu schlagen oder zu tödten. Die Befestigung von Papetee selber war ziemlich gut und stark, aber zu ausgedehnt für die jetzt schwache Besatzung; die verschiedenen Bastionen konnten nicht alle gleich stark vertheidigt werden und es war hier wirklich mehr die Furcht die der Eingeborene vor den Kanonen der Feranis hatte, auf die sich der kecke Leichtsinn, ja die Tollkühnheit derselben verließ, mit wenigen hundert Mann, nicht einmal aller Bewohner in Papetee sicher, dem Angriff der ganzen Insel begegnen und ihren keineswegs so unbedeutenden Waffen Trotz bieten zu wollen.
Ein Handstreich war möglich, und zwar durch die Gefangennahme der Häuptlinge, denn in dem Volke selber lag kein rechter Trieb zum Widerstand, – wie sie gleichgültig die fremde Religion angenommen, würden sie es auch mit der Regierung gethan haben, wären die Eroberer in den einzelnen Stellen nicht eben zu schroff aufgetreten, und hätte die zugleich bedrohte Religion nicht durch ihre Priester stacheln helfen, dem sich der Häuptlingsstolz dann beigesellte. Eine wirkliche Schlacht, wo sie nicht unbedingt nöthig war, mußten die Franzosen aber jetzt sorgfältig vermeiden, denn jeder Mann den sie verloren schwächte ihre kleine Garnison um einen wichtigen Theil, und gab den Feinden größeren Muth und Selbstgefühl; ja der Gouverneur bereute schon fast die Expedition hinaus gesandt zu haben, selbst solchen Zweckes wegen, und sandte in einer Zeit, wo er glauben konnte daß sie ihr Ziel erreicht haben mußten, und die Aufmerksamkeit der Insulaner vielleicht noch mehr dadurch von ihnen abgelenkt wurde, zwei stärkere Trupps nach, die Patrouillen in ihren Bewegungen zu unterstützen, oder ihren Rückzug wenigstens zu decken.
Die erste, so ausgesandte Colonne traf, wie schon erzählt, auf die retirirenden Landsleute und zog sich mit diesen, nicht weiter als durch einzelne harmlose Schüsse behindert, auf Papetee zurück, die andere aber kam wenig über die nächste Umgebung der Stadt hinaus, denn ein dort im Hinterhalt liegender Schwarm von Eingeborenen, der jedenfalls schon von ihren Bewegungen vorher Kunde gehabt, griff sie in wilder ungebändigter Wuth an und zwang sie, von dem Terrain und seiner Ortskenntniß begünstigt, sich mit dem Verlust einzelner ihrer Leute, die sie nicht einmal im Stande waren mit fortzunehmen, auf die Stadt zurück zu ziehen.
Die kleine Garnison wurde natürlich durch diesen halben Angriff vollständig alarmirt. Die Wälle waren besetzt, die Kanonen geladen und gerichtet, und marschfertige Patrouillen zogen hin und wieder, die verschiedenen Punkte zu revidiren und Hülfe zu bringen wo sie Noth thun sollte.
In dem Caffeehaus des Franzosen Victor waren eine Anzahl Officiere versammelt, die von den verschiedenen Punkten eben Nachricht eingeholt und ihr frugales Mittagbrod mit einem, schon selten gewordenen Glase Claret würzen wollten. Auch René hatte sich hier eingefunden, saß aber still und allein, die Arme auf der Brust verschränkt, das kaum berührte Glas vor sich, und schien nur halb der lebendigen Beschreibung Adolphes zu lauschen, der seine Abenteuer an dem Tage, das Ende des Piraten und den von den Feinden so oft und hartnäckig bestrittenen Rückzug erzählte.
»Diable!« rief da Einer der älteren Officiere, »die Burschen machen bei Gott Ernst, und wir mögen nur immer unseren Wein austrinken, denn wer weiß ob uns nicht in der nächsten Minute die Lärmtrompete schon wieder an unsern Posten ruft. Die Soldaten werden knapp, aber mit den Officieren gehts noch knapper, und wenn sie noch ein paar von uns wegputzen, können wir uns nur Unterofficiere zu dem Geschäft abrichten.«
»Wißt Ihr schon daß die Jeanne d'Arc in diesen Tagen, wenigstens in nächster Zeit, ebenfalls segeln wird?« frug Bertrand.
»Das fehlt auch noch« riefen Andere, »dann doch sicher nicht, bis sie uns andere Schiffe zum Ersatz geschickt; wenn man nicht hier sich wenigstens den Rücken frei wüßte, möchte der Teufel einer ganzen Insel voll gut bewaffneter Indianer die Stirn bieten. Springen sie uns einmal über die Wälle und wir haben kein Schiff hier das ein paar Kugeln herüber werfen und uns im schlimmsten Fall an Bord nehmen kann, so sind wir alle zusammen verloren.«
»Wein her, Victor, Wein! aber rasch – es wird uns nicht mehr viel Zeit bleiben der Ruhe zu pflegen« rief ein junger Artillerie-Officier, der eben das Zimmer betrat, seine Mütze auf den Tisch und sich selber in einen Stuhl warf, »Tod und Teufel, ich glaube die Burschen machen Ernst.«
»Was giebt's Luçon?« frugen fünf, sechs Stimmen auf einmal – »neue Nachrichten? – ist Lefévre zurück?«
»Nichts zu hören von ihm und zu sehen, möchte nicht in seiner Haut stecken« rief der Neugekommene, sich ein Wasserglas rasch voll Wein schenkend, daß es über und auf den Tisch spritzte – »aber einen Gefangenen haben sie eben eingebracht, der hier in Papetee herum spionirte und von Rüstungen spricht, die an Point Venus wie an der östlichen Seite von hier statt finden sollen. Wir selber haben jetzt Spione nach beiden Richtungen abgeschickt und sobald die zurückkommen und das Ausgesagte betätigen giebt's jedenfalls Arbeit.«
»Was fehlt Dir nur heute, René?« sagte Adolphe, der sich jetzt zu ihm gesetzt hatte und seine Hand ergriff – »Donnerwetter Kamerad reiß Dich heraus aus den Grillen und sei endlich einmal wieder ein Mann, denn seit ich Dir heute von Belards erzählt, kommst Du mir wahrhaftig vor wie ein liebesieches Mädchen. Warum hast Du überhaupt das Haus gemieden? – sie scheinen Dich dort lieb zu haben und es würde Dich zerstreuen.«
»Es ist vergebene Mühe, Kamerad« lachte Bertrand jetzt, der zu ihnen an den Tisch trat, und wahrscheinlich glaubte, Adolphe habe ihm wieder zugeredet französische Dienste zu nehmen – »er hat den Geschmack am Handwerk verloren, das wenigste zu sagen, und wird hier ruhig sitzen und zusehn, während wir uns draußen mit dem Feind herumschlagen müssen, nur unser Leben und das Dach zu vertheidigen unter dem wir schlafen.«
»So weit wird's nicht kommen« lächelte René – froh dem Gespräch eine andere Wendung geben zu können – »die Eingeborenen sind gutmüthiger Natur, und wenn Ihr ihnen nur selber Raum zum Athmen gestattet, lassen sie Euch gern in Frieden.«
»Ja das hast Du wohl auch gemerkt?« lachte Bertrand – »die Eingeborenen sind gut genug, dagegen hab' ich Nichts, wenn wir eben nur allein mit denen auch zu thun hätten; die aber, die hinter ihnen stecken, die ihnen fortwährend in die Ohren schreien daß der liebe Gott in Gefahr wäre von den verdammten Baptisten geschändet zu werden, und ihnen schreckliche Geschichten vorerzählen von den Gräueln, denen ihre Seelen entgegen gingen, wenn sie dem Feind das »Feld des Glaubens« überließen, das sind die Hetzer, das die Feuerbrände, die die Gluth immer und immer wieder auf's Neue schüren. Und wenn es Männer wären, denen man mit dem Schwert entgegengehen könnte, sollte es gehn, aber es sind Weiber in langen Röcken, straf mich Gott, die mit den salbungsvollen langweiligen Gesichtern und den weißen Läppchen unter dem Kinn herumlaufen, und ihr fades nüchternes Gewäsch wie eine Sündfluth um sich her ausgießen, daß Einem ordentlichen Kerle schwach und weh wird. Demüthig und erbärmlich thun sie dabei, verdrehen die Augen und falten die Hände, und sehen so weich und schwammig aus, als ob ihnen Butter nicht im Mund zerginge, aber gieb ihnen einmal die Gewalt, laß sie sich nur oben schwimmend glauben mit einer »gläubigen Schaafheerde« unter sich, und sieh wie ihnen der Kamm wächst. »Christliches Bewußtsein« nennen sie's dann und noch anders, und Gesetze schreiben sie vor und Befehle; keine Kirche ist prächtig, keine Pfründe reich genug, keine weltliche Herrschaft soll über sie gebieten können, und keine weltliche Herrschaft giebt es dabei in die sie nicht hinein reden möchten in all ihrer christlichen Demuth. – Giftkröten!« rief er mit einem leise gemurmelten Fluch, und leerte das gefüllte Glas auf einen Zug.
»Hahahaha!« lachte ein Anderer, »Bertrand hat sich in die frommen Männer ordentlich verliebt – Dir haben sie's angetan mit ihrer unverbesserlichen Liebenswürdigkeit.«
Bertrand murmelte eine Antwort zwischen den Zähnen, indeß er sich sein Glas wieder füllte, und ging dann mit raschen ärgerlichen Schritten im Zimmer auf und ab.
»Sie sind es auch, die die Eingeborenen immer in böse Händel verwickeln« rief Adolphe, »und hast Du mir nicht selber erzählt, René, daß ohne Deines wunderlichen Atiuer Freundes Hülfe, von dem ich immer noch nicht herausbekommen kann, ob er ein Schuft oder ein ehrlicher Kerl ist – der Häuptling Aonui Dein Blut vergossen hätte? – wie man aber hier überall hört, ist gerade jener Aonui ein reines Werkzeug der Missionaire, den weit milderen und vernünftigeren Rathschlägen Utamis gerade entgegenarbeitend.«
»Zum Teufel, ja!« sagte René, die Stirne runzelnd in der Erinnerung an die, so knapp gemiedene Gefahr, »des Schuftes Aonui Schuld war's wahrlich nicht, daß ich jetzt hier noch bei einem kühlen Glas Claret sitze, und ich glaube er war wüthend genug über meine Flucht. Wenn eins mir auch den Degen noch einmal in die Hand drücken könnte gegen die Indianer, wär' es die Hoffnung dem schleichenden Hallunken zu begegnen, und ihm die Todesangst zurück zu zahlen.«
»Wer weiß, Delavigne, ob wir nicht Ihre Hülfe noch früher in Anspruch nehmen« sagte der junge Artillerielieutnant – »wir sind so schwach an Mannschaft, daß wir bei einem allgemeinen Sturm der Eingeborenen die Wälle gar nicht ordentlich besetzen, die Geschütze nicht gehörig bemannen können, und Sie werden sich wahrlich nicht ruhig in's Kaffeehaus setzen und ihren Wein trinken wollen, während wir draußen nicht Arme und Köpfe genug finden können die Stadt und die Weiber und Kinder vor dem Einbruch der wilden, und dann auch gewiß blutdürstigen Horden zu sichern. Selbst die Herren Belard und Brouard haben heute Morgen, von unserem prekären Stand und der Gefahr in der wir schweben in Kenntniß gesetzt, dem Gouverneur ihre Hülfe anbieten und ihn bitten lassen, über sie ganz zu disponiren, wie er es für gut finden würde. Sie werden sich nicht wollen von Monsieur Brouard ausstechen lassen.«
»Ist es denn wirklich so arg?« rief René – »ich habe nur immer geglaubt, Bertrand und Adolphe redeten mir so zu mich wieder zum Dienst zu bringen. Es versteht sich von selbst daß ich mich der Vertheidigung der Stadt nicht entziehe, wenn ich einmal darin bin, selbst wenn es nicht gälte meine eignen Landsleute mit vertheidigen zu helfen. Wird es da nöthig sein mich erst beim Gouverneur zu melden?«
»Gewiß« sagte der Artillerielieutnant, »aber wenn Sie das wollen kommen Sie mit mir, ich gehe in diesem Augenblick zu ihm, und weiß daß wir ihm Freude damit machen.«
»Dann laß Dich nur mit zu mir einrangiren!« rief Adolphe, »und wär' es nur der alten Zeiten wegen.«
»Und Atiu?« flüsterte René leise.
»Läuft Dir nicht fort« lachte der Freund, der die Worte gehört – »Mensch, danke Gott daß er Dir die Gelegenheit förmlich in den Schoos wirft Dich auszuzeichnen, und Dir eine Stellung hier auf den Inseln, wenn Du denn nun einmal Dein Leben darauf beschließen willst, zu erringen. Frankreich braucht solche Männer wie Dich zu seinen Colonieen, aber suche den Zweck Deines Lebens dann auch nicht blos in einer Bambushütte und in den Armen einer hübschen Dirne – ich bin auch kein Kostverächter, aber ich will ein Ziel haben zu dem ich aufschauen muß, eines das mir die Nerven und Adern mit Stolz und Freude füllt, dann freut mich auch ein häuslich Glück daheim, und wahrlich nur in solchen Verhältnissen kann ich es mir denken.«
»Ich kenne René gar nicht mehr« sagte Bertrand, »und glaube doch am Ende die Missionaire haben's ihm angethan.«
»Hahahaha« lachten Andere, »das wäre kein übler Spaß, wenn Delavigne Mitonare auf einer der Inseln drüben würde, und die Heidenkinder mit dem heiligen Wasser wüsche.«
»Gar nichts so Unmögliches« sagte Bertrand, »da sind schlimmere und wunderbarere Sachen vorgekommen in der Welt, und wenn er so fortliefe im alten Gleis, ständ ich ihm bei Gott für Nichts.«
»Er wird Euch zeigen ob er noch fechten kann« rief aber René jetzt, dem das Blut in Schaam und Aerger in die Schläfe stieg – »daß ich nicht muthwillig gegen die Eingeborenen fechten wollte, dafür hat ich den guten und mir selber genügenden Grund, ich bin in anderen Verhältnissen an diese Küsten geworfen als Ihr; aber treiben sie mich dazu, wie's mir jetzt fast scheint, denn ihrer Güte verdank ich's nicht daß ich noch athme, ei, dann bin ich auch meiner Verbindlichkeiten quitt und ledig, gegen die Herren von Tahiti, und so lange ich hier noch auf der Insel wohnen bleibe, will ich sie mir wenigstens mit helfen vom Leibe halten. Ob ich mich dabei wie ein Mitonare oder wie ein Franzose benehmen werde, mögen die Herren mir nachher bezeugen.«
»Bravo Delavigne – bravo!« rief es von allen Seiten und die meisten der jungen Offiziere sprangen auf ihn zu und schüttelten ihm die Hand; in dem Augenblick aber tönte draußen ein Horn – das Alarmsignal, das die beurlaubten Officiere zurück auf ihre Posten rief, und Mützen und Waffen aufgreifend, wurden die Gläser noch rasch voll geschenkt und geleert, und fort stürmten sie Alle mit flüchtigem Gruß neuen Kämpfen, neuen Gefahren, aber so sorglos entgegen, als ob sie zu irgend einem fröhlichen Feste den lustigen Reihen, und nicht schon arg zusammenschmolzene Schaaren dem unermüdlichen und ihnen an Zahl so weit überlegenen Feind entgegenführen sollten.
Der Aufstand der Eingeborenen war aber in der That nicht bloßes Gerücht gewesen, und René behielt kaum Zeit dem Gouverneur, der ihn freudig begrüßte, als Freiwilliger vorgestellt und bestätigt zu werden, als von Point Venus her die neue Botschaft kam, daß sich die Insulaner dort in einer Verschanzung festgesetzt und von da hereinbrechend einzelne Häuser der den Franzosen freundlich gesinnten Indianer niedergerissen, und die sich ihnen entgegenstellende Patrouille zurückgeworfen hätten.
Selbst auf die Gefahr hin Papetee für den Augenblick zu sehr von Truppen zu entblößen, mußten die Feinde aus dieser Stellung, die sie in der unmittelbaren Nähe der Stadt hielt, vertrieben werden, und mit wirbelndem Trommelschlag und schmetternden Trompeten sammelten sich die Franzosen in der Nähe des Missionsgebäudes, und rückten dann in dichten Colonnen dem Feind entgegen.
Der Platz wo sich die Eingeborenen diesmal festgesetzt, hieß Harpape und es schien fast, als ob sie durch diese Stellung die verhaßten Feranis nur eben aus ihren festen Verschanzungen herauslocken wollten, um sie desto wirksamer auf ihrem eigenen Terrain bekämpfen zu können. So hatten die Franzosen gerade die Missionsstation von Harpape erreicht und passirt, und die ersten Colonnen waren eben in dem dicht dahinter liegenden Orangenhain auf ihrem Weg, dem Fort der Eingeborenen zu, verschwunden, als überall aus dem Dickicht heraus das Feuern der Eingeborenen begann, deren Absicht jedenfalls gewesen war, die Feinde hier zu trennen und zu zerstreuen, und dann gemeinsam zu überfallen und zu vernichten. Das aber gelang ihnen allerdings nicht; ein scharfes Feuer wurde auf den Busch gerichtet, der den schlauen Feind verbarg, und von See aus warf ebenfalls ein kleiner Französischer Dampfer, der dort auf und nieder fuhr, die Bewegungen des Militairs zu unterstützen, Kugeln in alle Dickichte die ihm der Sammelplatz der Eingeborenen schienen. Wild fuhren diese dann manchmal auseinander, wenn ganz unerwartet, von einem ungesehenen, ungeahnten Feind geschleudert, eine Kugel hinein schmetterte, mitten zwischen sie, oder wie das nicht selten geschah, den Stamm einer gewaltigen Palme traf und splitterte, und der fruchtschwere riesige Wipfel dann prasselnd und krachend niederbrach über die Entsetzten.
Das Missionsgebäude lag hier mitten im Feuer, und war besonders den Kugeln des Dampfers ausgesetzt; zwei der Missionaire deshalb, die sich zu dieser Zeit gerade im Inneren desselben befanden, die Brüder Brower und Mac Kean traten auf die Verandah hinaus, um die Leute an Bord wenigstens wissen zu lassen wer sich hier aufhalte. Der Dampfer respektirte auch das Haus der Missionaire und glitt geräuschlos vorbei, erst auf der anderen Seite wieder sein Feuer eröffnend.
Gefährlicher schien für die beiden Männer, die in einer merkwürdigen Verblendung, ob aus Neugierde, ob aus Furcht, oder in der That weil sie hofften dadurch die Kugeln am sichersten von sich abzulenken, nicht allein in dem gefährdeten Haus, sondern auch auf der Verandah desselben blieben, das Kleingewehrfeuer der Truppen zu werden, die sich zuerst vor den Gebäuden gesammelt hatten und nun zu einem förmlichen Angriff rüsteten. Kaum hatten sie aber den Orangenhain wieder betreten, als auch von dort aufs Neue ein scharfes Feuer auf sie eröffnet wurde, und ein Theil der Truppen sprang in die Umzäunung der Kapelle oder des Bethauses, aus dieser, die aus aufgerichteten Cocosplanken bestand, eine zeitweilige Brustwehr zu bilden und den erwarteten Sturm der Eingeborenen besser und nachdrücklicher abweisen zu können. Diese kamen aber nicht, sondern begnügten sich nur mit der Vertheidigung des Dickichts, dem Feinde nicht die Vortheile des freien Feldes zu gönnen, und die Franzosen, des Plänkelns müde, bei dem sie nur Leute einbüßten und dem Feind auch nicht den geringsten, wenigstens sichtbaren Schaden zufügten, sammelten sich wieder in kleinen Colonnen, die versteckten Insulaner jetzt ernstlich aus ihren grünen Bollwerken heraus zu treiben, und auf ihr Hauptlager in Harpape zurückzuwerfen.
Gouverneur Bruat selber, der indessen am Missionshaus stillgehalten, hatte die beiden Missionaire gewarnt sich dem Zufall einer schlechtgezielten Kugel solcher Art auszusetzen, und sie zogen sich demnach in die Hinterzimmer des Gebäudes zurück; Rufen und Schreien draußen und das schärfere Schießen lockte sie aber auf's Neue vor, und erst als mehre Kugeln in das Dach und die Fenster des Gebäudes selber schlugen, wollten sie sich wieder zurückziehn – aber zu spät. Mr. Mac Kean hatte sich eben zum Gehn gewandt, da traf ihn eine von den Insulanern selber abgefeuerte Kugel in den Hinterkopf, und als ihn Mr. Brower taumeln und sinken sah und zuspringen wollte ihn zu halten, stürzten Beide auf den Boden der Verandah nieder. Mr. Brower zog ihn allerdings nun in das Gemach hinein und versuchte Alles ihn wieder in's Leben zurückzurufen, aber die Kugel war tödtlich gewesen – er athmete noch ein paar Mal leise und – war nicht mehr.
Die Soldaten indessen, sich wenig darum kümmernd was in der Verandah des Missionsgebäudes vorging, warfen sich in kalter Entschlossenheit auf den versteckten Feind, trieben ihn aus dem Schutz der Büsche hinaus und stürmten seine Schanzen, daß er, seine Todten und Verwundeten aufraffend, in wilder Flucht sein Heil suchen mußte. Gern hätte der Gouverneur sie nun auch weiter verfolgt, wären ihnen nicht zu gleicher Zeit die von Papetee herüber donnernden Kanonenschläge eine ernste Mahnung gewesen dorthin zurück zu kehren. Aus dem Hautauethal nieder hatten nämlich die Eingeborenen, nachdem sie Lefévre mit seiner kleinen Schaar erschlagen, von dem leichten Siege trunken, einen tollen Angriff gewagt, und als das Commando von Point Venus zurückkehrte, kam es eben nur noch zur rechten Zeit, die schon zum Aeußersten erschöpfte Besatzung von den immer und immer wiederkehrenden wüthenden Angriffen der Insulaner zu befreien, die nur zurückgeschlagen schienen, um mit doppelter Wuth und ungeschwächten Kräften ihre Ueberfälle zu erneuern.
Selbst der Untergang der Sonne setzte dem erbitterten Kampfe noch kein Ziel, und die Indianer suchten besonders unter dem Schutz der Dunkelheit einige der am schwächsten besetzten Punkte zu überrumpeln, bis ein paar zwischen sie abgefeuerte Raketen und über sie geworfene Leuchtkugeln sie erschreckt zurücktrieb in ihren sicheren Wald.
René hatte sich mehrfach an diesem Tag ausgezeichnet, auch ein paar leichte Streifwunden bekommen, aber ungeschwächt dadurch dem Kampfe Stand gehalten. Das herzliche Betragen seiner neuen Kameraden dabei that ihm wohl; es erweckte wieder die alten fröhlichen Erinnerungen aus früheren Tagen, früheren Zeiten, und mit dem Bewußtsein dazu, wie er den Kampf nicht muthwillig gesucht, und eben sein eigenes Leben nur mit vertheidigen helfe, das ihm noch gefährdet sein mußte, wäre er wieder in die Gewalt Aonuis oder jener fanatischen Parthei gefallen, kam wieder all der fröhliche Jugendübermuth in seine Seele, und er horchte mit blitzenden Augen den Plaudereien der Erzählenden, von Kampf und Sieg, Avancement und Orden – Orden in blutiger Schlacht mit dem Säbel in der Faust gewonnen, und nicht im Frieden behaglich eingeknöpft.
Die strengsten Patrouillen mußten aber die ganze Nacht hindurch die Außenwerke begehn; die Posten wurden unaufhörlich revidirt, und die Truppen warfen sich in ihren Kleidern, die blanke Waffe zum raschen Dienst bereit, auf ihre Matten, der Nacht ein paar Stunden Schlaf abzustehlen, und zum frischen Kampf am nächsten Morgen, an dessen Beginn keiner von Allen zweifelte, wieder bereit zu sein.
Sie hatten sich auch nicht geirrt; mit dem dämmernden Morgen schmetterten die Alarmhörner und wirbelten die Trommeln, das Kleingewehrfeuer von dem, den Schanzen gegenüberliegenden Dickichten begann schon wieder, und der Donner des schweren Geschützes von den Wällen brach prasselnd hinein in Guiavenbusch und Orangenhain, und trieb den Rauch in schwerfälligen Massen in der Niederung hin, sie mit dichten Schwaden füllend.
Die Franzosen hatten die Wälle so gleichmäßig als möglich besetzt, und der kleine Dampfer unterstützte sie dabei nach besten Kräften von der Seeseite.
Nichtsdestoweniger gelang es mehrmals den verschiedenen Trupps bis in das Innere der Verschanzungen zu brechen, wo sie manche der den Franzosen ergebenen Häuptlinge und andere Insulaner erschlugen, und das Französische Missionshaus zu stürmen suchten. In wildem unerschrockenem Trupp, das Feuer der Geschütze wie die in ihren Reihen angerichtete Verwüstung nicht achtend, warfen sie sich dem ihnen an Kriegskunst und Waffen weit überlegenen Feind trotzig entgegen, und die Alarmsignale der Französischen Truppen mußten in solchen Fällen Hülfe herbeirufen nach den am meisten bedrohten Punkte. Glücklicher Weise für die Besatzung versäumte der Feind solche Angriffe, obgleich zehnmal zurückgeworfen, weil sie fast die ganze Macht der Gegner im Widerstand fanden, an mehren Punkten zugleich zu unternehmen, Papetee wäre sonst unrettbar verloren gewesen; hartnäckig nur blieben die Eingeborenen bei ihrer alten Art des Angriffs und – konnten ihr Ziel nicht erreichen.
Aber auch hierdurch wurde die kleine Besatzung mehr und mehr entkräftet; die ewigen Stürme bald hier bald da, immer mit gleicher Wuth geführt, während die Insulaner, Tod und Wunden nicht scheuend immer nur danach zu trachten schienen den Feind zu treffen und zu schwächen, rieben sie nicht allein auf, sondern verminderten auch schon merklich ihre vertheidigungsfähige Mannschaft, und hie und da war schon der Wunsch unter den zum Tod erschöpften Leuten, den die Officiere Mühe genug hatten zu unterdrücken, aufgetaucht, daß sie den Dampfer heranrufen und an seinen Bord wenigstens ihr Leben sichern sollten, bis französische Schiffe mit Mannschaft und Provisionen ankämen und so nöthige Hülfe brächten. Lauter wurde der Wunsch, je wilder der unermüdliche Feind ihre Wälle stürmte, und mancher Blick der armen verwundeten und zum Tod erschöpften Truppen suchten den fernen Horizont nach so heiß ersehnter nöthiger Hülfe.
»Ein Segel!« wie ein elektrischer Schlag ging der Ruf durch das ganze Lager – »ein Segel am Horizont« – ein Kriegsschiff das uns Hülfe – das Verstärkung bringt – ein Kriegsschiff das schon mit dem Namen den kecken und übermüthigen Feind einschüchtert und zurück in seine Berge jagt, der bis jetzt zu glauben schien die wenigen Truppen seien allein zurückgelassen, die Insel im Besitz zu halten, und wenn sie die wieder vertrieben oder erschlügen, wären sie auf's Neue die Herren ihres Landes. Die Europäer mochten ihnen in der That etwas derartiges vorerzählt haben, als aber das fremde Schiff am Horizont auftauchte, oder vielmehr, um die östliche Landspitze her, schon in gar nicht mehr so großer Entfernung sichtbar wurde, hielten die Eingeborenen es ebenfalls für ein ihnen günstiges Omen, denn wenn die Franzosen hier wirklich allein zurückgelassen waren, konnte das neueinkommende Fahrzeug kein anderes als ein englisches sein, und einen Wetteifer galt es jetzt, die Feinde zu werfen und zu vertreiben, ehe fremde Hülfe selber gekommen sei.
Die beiden wichtigsten Anführer der Insulaner an diesem Tag waren aber der wilde Häuptling Fanue, und Pompey der Afrikaner, dem seine prächtige Hautfarbe wie riesige Kraft diese Auszeichnung verschafft hatte. Pompey besonders, während der Indianer mehr eine stille, mehr hartnäckige Tapferkeit entfaltete, rief die ihm blind folgenden Krieger immer mit einem wahren Jubelschrei zu neuem Angriff, und zehnmal zurückgeschlagen und aus vielen Wunden blutend, schien ihm das Alles nur ein leichtes fröhliches Spiel, dem er mit Singen und Lachen wieder entgegenflog.
Im Osten von Papetee hatte die schon zum Tod erschöpfte Mannschaft eben einen solchen Angriff zurückgeschlagen, bei dem in der That nur ein glücklicher Kartätschenschuß den Ausschlag gegeben, der den dicksten Haufen der Feinde traf, und furchtbare Verwüstung zwischen ihnen anrichtete. So vollständig waren sie dadurch überrascht worden, daß sie selbst ihre Todten auf dem Platze ließen, so schnell als möglich die Büsche wieder zu erreichen. René und Adolphe hatten hier zusammengekämpft, und der erstere besonders sich mit so kalter Todesverachtung dem Feind entgegengeworfen, und mit so unübertroffener Tapferkeit gefochten, daß ihm Gouverneur Bruat, der von einem Platz zum anderen galoppirte die Vertheidiger anzufeuern und etwa nöthige Anordnungen zu treffen, selber das Kreuz der Ehrenlegion auf die Brust heftete und ihn zum Capitain, an die Stelle seines gefallenen Vorgesetzten, avancirte.
»Du bist nun einmal ein Glückskind, René« lachte Adolphe, ihm auf die Schulter klopfend, »und Fortuna scheint Dich besonders ausersehen zu haben.«
»Fortuna ist ein Weib, Adolphe, und unbeständig, wer kann sagen wie mich die nächste Stunde findet und – ich weiß wahrhaftig nicht ob ich mich über mein unverhofftes, ungesuchtes Avancement freuen oder – oder ärgern soll.«
»Aergern?« lachte Adolphe – »Gott sei Dank, das wär' eine Ursache vom Zaun gebrochen. Aber Du hast's auch verdient, denn ich schlage mein Leben auch nicht gerade so übermäßig hoch an, doch mich solcher Art mitten zwischen die tollsten Haufen der Feinde und in Bayonnet und Speer gerade hinein zu werfen, fiele mir nicht ein – und ich bin nicht verheiratet.«
Am anderen Ende der Stadt begann in diesem Augenblick, und ehe René etwas erwiedern konnte, ein scharfes unregelmäßiges Schießen, dem die Französischen Signalhörner antworteten. – Der Gouverneur selber kam in diesem Augenblick zurückgesprengt, und den Platz erreichend wo die beiden Freunde standen, rief er schon von weitem:
»Herr Hauptmann Delavigne, mit ihrem Trupp vor so rasch Sie können; unser Missionshaus ist schon genommen und es gilt jetzt, den Feind wieder zurückzuwerfen, oder Papetee ist verloren!« – und an den Schanzen hinunter sprengte er, Hülfscorps noch abzuziehn, wo sie sich irgend entbehren ließen, den bedrängten Platz zu entsetzen, während René im Sturmschritt, die wirbelnde Trommel voran, dem bezeichneten Kampfplatz zueilte. Und es war die höchste Zeit, denn ein wilder Schwarm, den alten Fanue an der Spitze, hatte die Schanzen schon genommen, die Umzäunung des erst kürzlich errichteten Katholischen Missionshauses niedergerissen und dieses gestürmt und in Brand gesteckt.
Bertrand, der nach dem Tod des ersten Lieutenants der Jeanne d'Arc zu dessen Stelle avancirt war, kommandirte hier, war aber durch die wirkliche Todesverachtung der Masse, jeden Fußbreit Boden mit Schwert und Bayonnet vertheidigend, zurückgedrängt worden, denn die ganze Macht der Insulaner schien sie wieder auf diesen einen Punkt zusammengerafft zu haben, während der größte Theil der Französischen Besatzung noch von dem letzten Angriff her an der Ostseite Papetees stand.
Hoch auf loderte die Flamme aus dem, aus leichtem Fachwerk gebauten Missionshaus in die stille Luft, und leckte und nagte an den, wie ängstlich die langen Blattarme zurückwerfenden Palmen, deren Kronen sie dörrte; und hinein in das Prasseln des Holzes und das Wirbeln der Trommeln, hinein in das Knallen des Kleingewehrfeuers und Schmettern der Signalhörner, mischte sich das Jubelgeschrei der Eingeborenen, die hier von Pompey auf der rechten, von Fanue auf der linken Flanke geführt, während Utami selber das Centrum befehligte, in wildem Siegestaumel die Feinde aus einer Hecke der Gärten in die andere trieben, und wie es schien, sich zu dem Platz durchschlagen wollten, wo die Feranis eine Art Arsenal angelegt, und einen ziemlichen Vorrath von Munition und Waffen aufgestellt hatten.
Dicht vor dem Arsenal, in dem Grundstück eines der eingeborenen Richter, der sich auf Seiten der Feranis erklärt, hinter einem festen Zaun von gespaltenem Holz, der ihnen als Brustwehr diente, hielten die Franzosen wieder Stand und vertheidigten sich mit verzweifelter Tapferkeit gegen die Uebermacht. Viele der Eingeborenen, wie Ule der Richter selber, fochten in ihren Reihen, denn sie wußten recht gut daß gerade sie zuerst verloren gewesen wären, wenn die Insulaner die Feranis schlugen. Da brach Fanue von der Rechten zuerst durch den Zaun; von zwei Bayonnetten getroffen schlug er die Feinde trotzdem zu Boden, und auf Ule zuspringend, während die Seinen nachpreßten und die Aufmerksamkeit der Soldaten von ihm ablenkten, faßte er, seine Waffe fallen lassend, den verrätherischen Richter um den Leib, und trug den jetzt laut um Hülfe rufenden mit einem Triumphgeschrei in seinen Trupp hinein. Seine Absicht war dabei wohl gewesen ihn als Gefangenen mit in die Berge zu führen, aber die Wuth der Seinen dachte nicht an Aufschub ihrer Rache und sein Flehen nicht achtend warfen sie sich, selbst trotz der Einsprache des Häuptlings, in gellendem Jubelruf auf den Gestürzten, ordentlich wetteifernd, wer Beil oder Speer, Degen oder Bayonnet zuerst in seiner Brust begraben solle.
Dadurch war aber ihre Aufmerksamkeit zu sehr von dem Angriff selber abgelenkt worden; die Franzosen hatten sich wieder gesammelt und mit Bertrand an der Spitze räumten sie noch einmal die Umzäunung. Neue Massen preßten jedoch heran, und die wenige Mannschaft hätte den Platz nicht länger behaupten können, wäre nicht in diesem Augenblick René mit seiner kleinen Schaar dem schon siegestrunkenen Feind muthig in die Flanke gefallen.
Das neue Angriffsignal von einer anderen Seite machte sie stutzen und sie wichen dem jetzt erneuten Angriff Bertrands, nicht vielleicht im Rücken von einer stärkeren Macht umzingelt und abgeschnitten zu werden.
Der rechte, von Pompey geführte Flügel sammelte sich aber rasch, und der Neger erkannte kaum den Führer des kleinen Corps, als er sich ihm auch selber entgegenwarf, mit dessen Vernichtung dem Trupp das Haupt zu nehmen.
»Hierher, Kanakas!« schrie er mit seinem kecken gellenden Lachen, die schwarzen nackten muskulösen Arme emporwerfend – »hierher und der Sieg ist unser!« und der gleich darauf gegen den jungen Franzosen mit einem riesigen Pallasch geführte Streich hätte diesem jedenfalls verderblich werden müssen, wenn René nicht mit einem raschen Seitensprung dem furchtbaren Hieb entgangen wäre. Ehe sich der Coloß aber zu einem neuen Schlage zusammenraffen konnte, und wie er eben den Arm dazu hob, fuhr ihm die scharfe Klinge des geübten Fechters durch die Achselhöhle in die Brust, und nachspringend faßte René in demselben Augenblick, die eigene Klinge fahren lassend, die Hand des tödtlich Verwundeten und entwand ihr den Pallasch, ihn jetzt blitzesschnell auf die Häupter der ihm nächsten Feinde richtend.
So rasch und gewandt war die That ausgeführt, daß die ihm nächsten Eingeborenen ihren Verlust erst begriffen, als der riesige schwarze Körper vor ihnen zusammenbrach, und das kleine Häufchen der Franzosen mit einem donnernden Hurrah und gefälltem Bayonnet wüthend auf sie einpreßte.
Der rechte Flügel wich, und fröhliches Jubelgeschrei der Franzosen füllte zugleich die Luft, denn aus der Bai herüber donnerte ein Kanonenschuß, die schwere mächtige Kugel schwirrte über ihre Köpfe und traf einen starken Brodfruchtbaum dicht unter den Wipfel, seine breiten gewichtigen Aeste auseinanderreißend, während zugleich der Ruf L'Uranie, L'Uranie! neue Hoffnung den Bedrohten brachte. Das fremde Schiff war in die Bai eingelaufen und von seinem Heck flatterte frisch und frei in der Brise die dreifarbige Fahne.
Nichtsdestoweniger konnte die Hülfe von dort noch immer zu spät kommen, denn wenn auch der rechte Flügel, durch den Tod des Führers bestürzt gemacht, dem muthigen Angriff des Feindes wich, hielt Utami noch wacker Stand und drängte sogar mit Fanue zu gleicher Zeit auf's Neue vor, jetzt Alles daran setzend, das Arsenal zu erreichen und ebenfalls anzuzünden. Bertrand kam hierbei zwischen die beiden Colonnen, und der alte tapfere Utami, seinen schweren Säbel fast eben so viel als Keule wie als scharfe Waffe brauchend, arbeitete sich, von dem Kern der Seinen und fünf oder sechs gut bewaffneten Europäern dabei unterstützt, mehr und mehr nach dem Führer der Feranis durch, dem Kampf durch dessen Niederlage mit einem Schlag ein Ende zu machen. Kleine Trupps der Franzosen langten indessen zu gleicher Zeit auf dem Kampfplatz an, aber einzelne zerstreute Trupps der Eingeborenen empfingen sie auch überall, ihr Vorrücken aufzuhalten und der Hauptmacht Zeit zu gönnen das beabsichtigte Ziel zu erreichen; René nur, jedes Hinderniß besiegend, hatte sich endlich bis zu dem arg bedrohten Französischen Picket Bahn gehauen, und entdeckte hier kaum den alten Häuptling, dessen Einfluß auf die Insulaner er gut genug kannte, als er das Aeußerste daran zu setzen beschloß, ihn gefangen zu nehmen. Kein wirksameres Mittel gab es dann, den Frieden von den Eingeborenen zu erzwingen.
Bertrand gewahrte ebenfalls den alten greisen Indianer, der den Seinen voran, todesmuthig seinen Weg sich freischlug, und in ihm jedenfalls eine vorragende Persönlichkeit vermuthend, preßte er ihm entgegen und war im Begriff einen Stoß nach ihm zu führen, als ein vor ihm liegender, gestürzter Indianer sein Bein ergriff und ihn mit sich in demselben Augenblick zu Boden riß, in dem der greise Utami vorsprang und den schweren Pallasch in der Luft schwingend einen Hieb nach ihm führen wollte.
René sah die Gefahr des Freundes, und noch während er einen der Insulaner, der sich ihm in den Weg stellen wollte, zu Boden schlug, schrie er in Todesangst:
»Halt Utami – hierher Deinen Schlag – hier der Feind!« und dem nach Bertrands Haupt geführten Hieb in demselben Moment parirend, warf er sich mit voller Gewalt gegen den Häuptling und schlang, seinen rechten Arm mit der Waffe empordrängend, den linken um seinen Körper.
Ein jäher Schmerz durchzuckte ihn in dem Augenblick – er hörte dicht neben sich den Knall eines Pistols – er fühlte wie der Gefangene seinem Arm entglitt, sah, schon halb bewußtlos, die schützend über ihn gehaltenen Bayonnette der Seinen, und brach dann besinnungslos zusammen.
Als René wieder zum Bewußtsein kam und die Augen aufschlug, lag er unter einem hohen Mosquitonetz in einem halbdunklen Zimmer auf einem weichen Bett und hörte, – aber auch nur noch wie in einem Traum – daß sich Zwei in dem Gemach leise flüsternd mitsammen unterhielten. Er fühlte sich dabei merkwürdig schwach und wollte, wenigstens zu sehn wo er sich eigentlich befand, rasch den rechten Arm heben, das Mosquitonetz bei Seite zu schieben, als ihn ein furchtbar stechender Schmerz durchzuckte, daß er mit einem halblauten Schrei fast besinnungslos wieder auf sein Lager zurücksank.
Das Netz wurde jetzt zurückgeschoben, Jemand nahm seine Hand, fühlte seinen Puls und sagte nach kleiner Pause:
»Der Puls geht regelmäßiger, Mademoiselle; ich hoffe das Beste für unseren Freund.«
»Ist er erwacht?« sagte in diesem Augenblick eine Stimme, die dem Kranken das Blut in Fieberschnelle durch die Adern jagte, daß der Arzt, der noch die Hand in der seinen hielt, bedenklich mit dem Kopf schüttelte, und das Netz weiter zurück schob, die Gesichtszüge des Verwundeten erkennen zu können.
»Hallo« rief er aber, als er hier in die Augen des forschend zu ihm Aufschauenden blickte – »unser Patient hat wirklich ausgeschlafen, und sieht sich frisch und munter wieder in der Welt um. Wie geht es, Monsieur Delavigne – wie ist Ihnen jetzt? haben Sie Schmerzen?«
»Schmerzen? – nein – ja – hier in der Schulter – aber mir ist so wunderbar zu Muthe – wer ist noch im Zimmer?«
»Ihre Pflegerin, Monsieur, der Sie zu großem Dank verpflichtet sind, denn Sie haben uns die letzten elf Tage viele Sorge gemacht.«
»Letzten elf Tage?« wiederholte René erstaunt, »aber wer ist hier?«
»Halten Sie sich ruhig, Herr Delavigne« sagte da eine leise, oh ihm nur zu gut bekannte Stimme und wieder schoß ihm das Blut zum Herzen zurück und ein Stich, den es ihm durch die Schulter gab, machte ihn die Zähne fest aufeinander beißen.
»Susanna« flüsterte er mit kaum hörbarer Stimme vor sich hin, und ein glückliches Lächeln legte sich über die bleichen Züge. Aber die Erregung war auch zu stark gewesen für den geschwächten Körper, und mit geschlossenen Augen brauchte er viele Minuten Zeit seine Kräfte wieder zu sammeln, seine Sinne, die noch in traumhaften Bildern herüber und hinüber zuckten, der Gegenwart fest zu halten.
Als er die Augen wieder aufschlug war er allein im Zimmer mit dem Arzt, und dieser hob warnend den Finger, als er die auf ihn gerichteten Blicke bemerkte und sagte freundlich:
»Sie müssen sich, wenigstens heute, noch Alles Redens enthalten, Monsieur Delavigne; Sie sind viel zu schwach und angegriffen und können sich durch jede Aufregung den größten Schaden thun –«
»Aber lieber Doktor –«
»Ruhe« lächelte dieser – »ich kann mir etwa denken was Sie fragen wollen, und werde Ihnen deshalb, um Ihre wohl verzeihliche Neugierde zu befriedigen, einen kurzen Umriß alles dessen geben, was während den letzten elf Tagen, die Sie nun da eingeschachtelt liegen...«
»Elf Tagen?«
»Ja wohl, heut' ist der elfte Tag –, was also in dieser Zeit vorgegangen ist, und Sie werden manches Neue zu hören bekommen. Vor allen Dingen, und um Sie darüber zu beruhigen, ist unsere Position hier vollkommen gesichert und befestigt worden; noch an demselben Morgen, an dem Sie verwundet wurden, worauf Sie sich auch wohl noch besinnen können, kam die Uranie ein und schickte ihre Boote an Land, mit deren Hülfe wir den Feind bald wieder zurück in die Berge trieben. Am nächsten Tag liefen noch zwei andere Kriegsschiffe, eins von den Marquesas, eins von Valparaiso kommend, ein und brachte Verstärkung, wie die so nöthigen Provisionen. Die Insulaner wurden dann aber auch ohne weiteres angegriffen und in die Berge, oder doch wenigstens aus der Nähe von Papetee gejagt, und sie haben sich jetzt in mehren entfernteren Orten wie Papeneeo und besonders im Hautauethale verschanzt, bis wir einmal Zeit bekommen sie auch von dort zu verjagen.«
»Und ist Utami gefangen?« frug René.
»Utami? – der Anführer der Rebellen? ah, das ist wohl derselbe den Sie gefaßt hatten, als sie den Schuß bekamen? – nein, Gott bewahre, der hat sich tüchtig herausgehauen und Ihrem Freund Bertrand ebenfalls noch ein Andenken über den Schädel hinterlassen, an dem er wohl noch ein paar Monat mit verbundenem Kopf tragen wird. Schlimmer ist Lefévre weggekommen – von seinem kleinen Trupp ist nicht ein Mann zurückgekehrt, und ihre Leichen lagen oben zerstreut in den Bergen; nur von Lefévres Leiche war nicht die Spur zu finden, er müßte denn in einem frisch aufgeworfenen und mit Blumen geschmückten Grab liegen, das wir mitten auf dem Kampfplatz, wo die kleine Schaar überfallen worden, entdeckten, wenn man auch nicht recht begreift, wer sich die Mühe gegeben haben sollte, ihn gerade so sorgfältig zu bestatten, während die Uebrigen liegen geblieben waren, wie sie gefallen.«
»Aumama« flüsterte René und ein tiefer schmerzlicher Seufzer hob seine Brust.
»Für heute haben Sie aber Aufregung genug gehabt« sagte der Arzt, seinen Hut aufgreifend – »jetzt schlafen Sie ein paar Stunden, sich wieder zu erholen und ich werde gegen Abend zurück kommen und den Verband erneuen.«
»Aber wo bin ich verwundet?« frug René mit schwacher Stimme.
»Fragen Sie wo Sie nicht verwundet sind« lachte der Arzt, »Schrammen und Beulen haben Sie am ganzen Körper, nur die Hauptsache ist der letzte Schuß in die Schulter; doch er hat Nichts zu sagen« fügte er lächelnd hinzu, »halten Sie sich nur ruhig und besonders fern von jeder geistigen Aufregung – denn körperlich bewegen können Sie sich ohnedies nicht – und wir werden Sie bald genug wieder zusammen flicken.«
Er verließ nach kurzem Gruß das Zimmer, während René in einen leichten unruhigen Schlaf fiel und die freundliche Hand nicht sah, die an seinem Lager ihm Kühlung zufächelte und seinen Schlummer bewachte.
Als er die Augen wieder aufschlug war es Nacht – ein mattes Licht brannte im Zimmer, und neben seinem Bett hörte er die schweren regelmäßigen Athemzüge eines schlafenden Wärters. Ihn dürstete aber sehr und er streckte seinen linken gesunden Arm aus den Schlummernden zu wecken.
»Hallo!« rief dieser von dem Lehnstuhl in dem er gesessen, emporspringend, als ihn die Hand kaum berührte, »René, bist Du munter – wie ist Dir, mein wackerer Bursch?«
»Adolphe!« rief der Kranke, »das ist freundlich von Dir bei mir zu wachen.«
»Wie mir scheint hab' ich geschlafen« lachte der Freund – »aber bedarfst Du etwas?«
»Hier ist Dein Trank – frische Cocosmilch und Himbeerwasser, das wird Dir gut thun; und wie fühlst Du Dich jetzt?«
»Gut, sehr gut« lächelte René, »und es freut mich herzlich Dich bei mir zu sehn.«
»Alle Deine Kameraden haben abwechselnd bei Dir gewacht« erwiederte Adolphe, »sie haben Dich alle lieb, und die Dich noch nicht kannten, deren Herzen gewannst Du Dir durch Deinen tollkühnen Muth. Mensch, Du hast ein Glück das in's Aschgraue geht, und ich glaube Du könntest von einem Kirchthurm herunter springen und kämst gesund auf Deine Füße.«
»Nennst Du den Schuß ein Glück?« frug René kopfschüttelnd.
»Wenn ich dadurch das schönste Mädchen das je mein Auge gesehn zur Krankenwärterin bekäme, ließ ich mich hinschießen wohin Du willst« lachte Adolphe, »und die kleine niedliche Madame Belard ist auch mehr in Deinem Zimmer hier, wie in ihrem eignen gewesen.«
»So lieg' ich hier bei Belards?«
»Nun versteht sich, die Dich aufgenommen und gepflegt haben, als ob Du ein Kind vom Hause wärest. Monsieur Belard hat übrigens selber mit gefochten« fuhr Adolphe mit mehr unterdrückter Stimme und heimlichem Lachen fort – »oh, da sind kostbare Sachen vorgefallen, doch das Alles erzähle ich Dir einmal später, wenn Du Dich wieder herzlich auslachen und schütteln darfst; jetzt möcht es Dir weh thun. Schmerzt Dich Deine Wunde?«
»Nicht sehr, aber ich kann den Arm nicht regen – er ist doch nicht gebrochen?«
»Nein, darüber kannst Du Dich beruhigen; doch war's ein böser Schuß und hätte nicht dürfen einen Zoll tiefer kommen.«
»Wer weiß« seufzte René leise und schloß die Augen wieder.
Adolphe glaubte er wolle schlafen, schattete das Licht und setzte sich leise wieder auf den Stuhl nieder, als René seinen Namen rief.
»Bist Du fort, Adolphe?«
»Nein, sicher nicht – willst Du etwas?«
»Hast Du mit dem Arzt über meine Wunde gesprochen?« frug der junge Mann mit leiser Stimme.
»Allerdings; ich kann Dich fest versichern daß sie, wenn auch vielleicht ein wenig langwierig, keineswegs lebensgefährlich ist.«
René lag wieder eine ganze Weile ruhig, ohne zu antworten und frug dann langsam:
»Und wann glaubt er daß ich werde nach Atiu hinüber geschafft werden können?«
»Nach Atiu?« wiederholte Adolphe verwundert – »Mensch, hast Du ein Fieber daß Du jetzt an Atiu denkst, wo Dir der Arzt noch kaum vom Lager darf? Wenn Dir die Fahrt auch dorthin nichts schadete, vorausgesetzt daß ruhiges Wetter bliebe, wie wolltest Du Dich dort ohne ärztliche Hülfe wieder erholen? – Atiu – ich begreife Dich nicht.«
»Aber Sadie wird sich um mich ängstigen« sagte René.
»Ich habe daran gedacht« erwiederte ihm Adolphe, »und wollte ein paar Zeilen hinüber schreiben, es ist aber noch keine Gelegenheit dazu gewesen, die ganze Zeit, und erst in acht Tagen, glaub' ich, soll der Missionscutter wieder hinüber gehn.«
»Ich danke Dir, Adolphe« nickte ihm der Freund zu – »und nun will ich schlafen – ich bin doch recht matt und angegriffen, und der Kopf schwindelt mir von all dem Denken.«
Die Sonne stand schon hoch am nächsten Morgen, als er erwachte, und einen inländischen Knaben an seinem Bett fand, ihm das Frühstück zu reichen. Der Arzt war, wie ihm der junge Bursche sagte, schon dagewesen, hatte ihn aber nicht stören wollen und versprochen, in einer Stunde etwa wieder zu kommen.
René fühlte sich heute viel wohler und frischer als gestern; der Schlaf hatte ihn gestärkt, und auch die Schulter schmerzte ihn nicht so sehr wie gestern Abend.
»Darf man herein?« rief da eine fröhliche klare Stimme, als er schon etwa eine halbe Stunde in dem wohlthuenden Gefühle schmerzloser Ruhe gelegen und die durch die offenen Fenster strömende kühle balsamische Morgenluft eingeathmet hatte.
»Madame Belard« rief René freudig, und die kleine muntere Frau kam mit leichten, immer noch vorsichtigen Schritten in's Zimmer und zum Bett des Kranken, der ihr mit einem freundlichen, dankbaren Lächeln die Hand entgegenstreckte.
»Meine gute Madame Belard –«
»Ja, gute Madame Belard« lachte die kleine Frau halb besorgt halb zürnend, und doch auch wieder mit ihrem herzlichen Ausdruck im Ton – »das ist eine Wirthschaft die Einen freuen könnte. Zuerst nimmt der junge Herr Abschied, als ob es für's Leben wäre, und wenn man da ein paar Tage nachher noch ganz angegriffen und alterirt ist, läuft er so lange munter und vergnügt in der Stadt herum, ohne den Fuß noch einmal über die Schwelle zu setzen, bis er das Bischen Besinnung, was ihm eigentlich hätte sagen sollen wo seine besten Freunde wohnen, verliert, und leblos und zerhauen und zerschossen in's Haus getragen wird.«
»Sie haben recht, vollkommen recht, beste Frau« seufzte René – »und doch – wie gern wär' ich zu Ihnen gekommen – aber...«
»Ja, doch und aber, das sind Ihre Entschuldigungen – Sie sind übrigens jetzt in keinem Zustand, ordentlich ausgezankt zu werden, das verspar' ich mir, bis wir Sie wieder vollkommen wohl haben, denn geschenkt ist es Ihnen nicht. – Aber was Sie uns wieder in dieser Zeit für Sorge und Noth gemacht haben kann ich Ihnen gar nicht sagen; ich möchte nur wissen, was Sie noch einmal für ein Ende nehmen.«
»Liebe Madame Belard –«
»Und Susanna hat glühende Kohlen indessen auf Ihr Haupt gesammelt; dem Vater laufen Sie davon, und die Tochter wacht Tag und Nacht fast an Ihrem Bett.«
Ein stechender Schmerz zuckte durch Renés Schulter – er biß die Unterlippe zwischen die Zähne, und wurde leichenblaß.
»Um Gott, fehlt Ihnen etwas? – Sie haben wieder Schmerzen?« rief Madame Belard rasch, das Mosquitonetz mehr zurückwerfend, sein Gesicht deutlicher sehn zu können.
»Es ist Nichts – es geht gleich vorüber« sagte René, die Augen schließend und den Kopf halb abgewandt – »es zuckt mir nur manchmal in der Wunde; vielleicht liegt der Verband nicht ordentlich – der Doktor kommt ja nachher.«
Madame Belard nickte tief aufseufzend mit dem Kopf, erwiederte aber Nichts und der Kranke lag mehre Minuten schweigend auf seinem Lager. Endlich sagte er leise:
»Ich habe Fräulein Lewis eigentlich noch gar nicht gesehn, nur gehört gestern, wie ich zu mir kam. Sie ist doch nicht krank? –«
»Krank? – nein, aber verreist.«
»Verreist?« frug René rasch, den Kopf nach der Redenden umwendend, »verreist? wohin?«
»Sie hat schon lange einmal wieder nach Imeo hinüber gehen wollen, wohin ihre Freunde von Papara, der dort ausgebrochenen Unruhen wegen, zeitweilig übergesiedelt sind; aber sie mochte Sie auch nicht allein hier liegen lassen, so lange wir noch Nichts Gewisses über Ihren Zustand wußten, und darüber beruhigt, und da sich heute Morgen gerade eine Gelegenheit mit einem Französischen Dampfer bot, benutze sie dieselbe, und hat mir jetzt nur viel herzliche Grüße für Sie aufgetragen.«
René erwiederte kein Wort und Madame Belard fuhr nach längerer Pause mit lebendigerem Tone fort.
»Mein Mann hat auch mit gefochten, Monsieur, Sie hätten ihn nur sehn sollen, Delavigne, mit dem langen Schleppsäbel und der doppelläufigen Jagdflinte; er war aber wahrhaftig Feuer und Flamme und soll sich sogar bei derselben Affaire, wo Sie die Wunde bekamen, ebenfalls ausgezeichnet haben. Selbst Monsieur Brouard hatte sich bewaffnet und wie ich jetzt höre, sind wir allerdings nur mit genauer Noth, und Dank Ihrer aller Tapferkeit, dem traurigen Schicksal entgangen, von den Insulanern besiegt und dann auch jedenfalls gemordet zu werden, denn an jenem Tage hätten sie sicherlich keine Gnade geübt. Es ist eine seelensgute Nation, so lange man sie in Frieden läßt und in Freundschaft mit ihr lebt, aber furchtbar wenn gereizt, und blutdürstig glaub' ich, wie noch in den alten heidnischen Zeiten.«
»Und wird sie lange bleiben?« frug René, noch immer den Kopf der Wand zugedreht.
»Wer? – die Nation? – ah, Sie meinen Susanna?« fuhr Madame Belard, den Blick fest auf ihn geheftet, fort, als er schwieg und das Blut wieder in seine Wangen zurück kehrte; – »nein, ich glaube nicht. Sie darf sogar nicht sehr lange wegbleiben, denn sie hat noch manches vor ihrer Abreise zu besorgen.«
»Sie kehrt nach Europa zurück?« sagte René, aber so leise, daß sie die Worte kaum verstehen konnte.
»Mit dem ersten Französischen Kriegsschiff – Herr Brouard wird mit seiner Frau ebenfalls Tahiti verlassen und Susanna will sich ihnen anschließen; der Admiral hat ihnen schon früher die Erlaubniß dazu ertheilt – ich wollte ich könnte mit.«
»Und geht das so bald?«
»Das ist noch unbestimmt; es hieß zuerst die Uranie würde segeln, jetzt glaubt man übrigens daß die Jeanne d'Arc als ein schnelleres Fahrzeug den Vorzug bekommen soll; aber es kann noch immer einige Wochen dauern. Doch fehlt Ihnen etwas Delavigne? Sie sprechen so gedrückt? – haben Sie wieder Schmerzen? vielleicht kann ich Ihnen den Verband lindern. Lassen Sie das gut sein« fuhr sie lächelnd fort, als er langsam mit dem Kopf schüttelte, »ich bin gar kein so ungeschickter Chirurg, wie Sie bald finden sollten.«
»Ach beste Madame Belard« sagte René da seufzend – »wie tief bin ich nicht auch außerdem schon in Ihrer Schuld, und wie soll ich Ihnen das je danken können? – Sie haben mich hier aufgenommen und gepflegt –«
»Bst – bst – bst« rief aber Madame Belard erröthend und ihre kleine Hand auf seinen Mund legend – »erstlich sollen Sie eigentlich gar Nichts reden, und dann noch viel weniger solchen Unsinn. Sie sind mir in Nichts verpflichtet, denn es versteht sich von selbst, sogar in der Heimath, daß der Bürger in Kriegszeiten Einquartirung bekommt, wie viel mehr also in einem so wilden Land wie hier. Halten Sie sich nur recht ruhig, daß Sie uns bald wieder gesund werden, oder doch wenigstens aus dem Bett können, denn Ihren Arm werden Sie wohl in den ersten Monaten noch nicht wieder brauchen können.«
»Wenn ich nur – wenn ich nur nach Atiu schreiben könnte« sagte René endlich zögernd, und mit einem kaum unterdrückten Seufzer.
»Hinüber dürfen Sie nicht, Delavigne« sagte Madame Belard ernst, »daran brauchen Sie nicht zu denken; ich habe auch schon mit Lieutnant Adolphe darüber gesprochen, denn wenn sich auch Ihre Wunde bis jetzt ziemlich gut angelassen hat, verlangt sie noch immer, wie mir der Doktor gesagt, die sorgfältigste ärztliche Pflege, und so gut Sie Sadie, und vielleicht besser als wir hier, pflegen würde, so wenig ist sie im Stande dem zu genügen. Außerdem ist gar nicht mit dem Schuß zu spaßen, und wer weiß ob nicht selber schon der Transport die schlimmsten Folgen haben könnte.«
»Wenn es nur anginge« sagte René schüchtern und schwieg wieder, als ob er sich scheue auszureden, Madame Belard aber, die leicht seine Gedanken errieth, sagte freundlich. – »Sadie hier herüber zu bekommen? nicht wahr, das meinen Sie?«
»Aber nicht weil ich etwa glaube daß ich in Ihren Händen weniger gut aufgehoben wäre« rief der Verwundete schnell, »halten Sie mich nicht auch noch für undankbar, Madame Belard.«
»Nein, nein, lieber Delavigne« sagte die kleine Frau gerührt, »ich denke gar nicht daran, und Sie haben vollkommen recht; Sadie soll herüber kommen, so bald wir sie nur herüber bekommen können, und ich will heute noch an sie schreiben, daß der Brief bei erster Gelegenheit fertig ist. Wo aber kann man sich nach einer solchen erkundigen?«
»Im Hauptquartier und im Missionsgebäude« sagte René, »ich glaube aber fast daß in dem letzteren die erste Gelegenheit sein wird, denn die Missionaire unterhalten eine ziemlich regelmäßige Verbindung mit jener Gruppe.«
»Mein Mann soll noch heute Morgen die genausten Erkundigungen einziehn – sind Sie nun beruhigt?«
René streckte der kleinen freundlichen Frau mit einem dankenden Lächeln die Hand entgegen, die sie nahm und herzlich drückte, dann aber sagte sie, sich gewaltsam bezwingend, denn ein eigenes Weh dem sie nicht Worte geben konnte und wollte, schnürte ihr die Brust zusammen, »nachher schick ich Ihnen meinen Mann ein wenig, Delavigne, der mag Ihnen von dem Kampfe erzählen – er hat auch in der That von weiter noch Nichts gesprochen die ganze Zeit – das wird Sie unterhalten und zerstreuen und – regt Sie auch eben nicht so besonders auf. Aber da seh ich den Doktor kommen – nun erhalten Sie frischen Verband, und ich werde heute Susannas Stelle bei Ihnen vertreten.«
Der Doktor öffnete gleich darauf die Thür und grüßte Madame Belard freundlich.
»Ah Madame, sehr erfreut Sie hier zu sehn – und wie geht es unserem Kranken? – nun Monsieur? – guten Morgen, wie haben Sie geschlafen, und wie geht es unserem rechten Flügelknochen. Aber ha« – rief er etwas bestürzt aus, als er das Gesicht des jungen Mannes erblickte – »Sie sehn echauffirt aus, und haben sich jedenfalls, gegen meinen sehr strengen Befehl dahin, durch irgend etwas aufgeregt. Haben Sie Schmerzen?«
»Ja – ein Stechen in der Wunde – ich fühle den Pulsschlag so deutlich –«
»Da haben wir's, das Blut in Wallung; nun lassen Sie uns einmal untersuchen wie die Sache heute Morgen aussieht – hoffentlich nicht schlechter als gestern – wir dürfen nun nicht wieder zurück gehn, wir müssen machen daß wir vorwärts kommen.« Und während er noch sprach den Verband vorsichtig ablösend, hatte er kaum einen Blick auf die Wunde geworfen, als er auch schon sehr bedenklich mit dem Kopf schüttelte, und endlich seinem Unmuth in Worten Luft machte.
»Das ist nicht wie es sein sollte, die Entzündung ist eher schlimmer wie besser geworden, und wir müssen uns ungeheuer hüten daß wir keinen Rückfall bekommen. Ruhe ist aber dazu das Haupterforderniß, unbedingte, durch Nichts gestörte Ruhe, und wenn Sie Ihren Patienten bald wieder auf den Beinen sehn wollen, Madame, so müssen Sie mir dafür besonders mit Sorge tragen helfen. Ruhe ist ihm jetzt die beste Kur und je vollständiger er die genießen kann, desto eher wird sich seine jugendliche, kräftige Natur schon selber wieder Bahn brechen.«
Er gab dann noch mehre Verordnungen, bat Madame Belard keinen seiner Freunde, ohne Ausnahme welchen, wenn sie nicht unmittelbar bei der Verpflegung beschäftigt wären, zu ihm zu lassen, und versprach Nachmittag noch einmal vorzukommen und zu sehn ob sich nicht vielleicht bessere Symptome eingestellt hätten.
Es vergingen übrigens volle acht Tage, ehe wirklich eine wesentliche Besserung in dem Stand der Wunde eintrat; der Kranke hatte sich in der ganzen Zeit musterhaft gehalten und Monsieur und Madame Belard waren fast die Einzigen gewesen die Zutritt zu ihm gehabt, während sich indeß der Gouverneur sowohl wie alle übrigen Officiere täglich nach ihm entweder selber erkundigten oder erkundigen ließen.
Nach Atiu war noch immer keine Gelegenheit gewesen, doch sollte jetzt in etwa drei Tagen der Missionscutter hinüber gehn, und Madame Belard wartete nur auf die Ankunft des Geistlichen, der sich seit längerer Zeit in dem Lager der Eingeborenen im Hautauethale aufgehalten, diesem den Brief selber zu übergeben und seiner Sorgfalt zu empfehlen. Sie hatte René darüber beruhigt und ihm versichert, daß er seine Frau dann bald hier erwarten dürfe. Ein Zimmer für sie war schon hergerichtet worden.
Am andern Morgen kam Madame Belard früher als sonst zu dem Kranken, seinen Verband zu wechseln, was sie jetzt immer selbst besorgt, und sagte freundlich, aber mit einer gewissen ängstlichen Besorgniß im Blick:
»Delavigne, ich bringe Ihnen heute lieben Besuch – werden Sie sich kräftig genug fühlen ihn zu empfangen.«
»Fräulein Lewis?« sagte René mit leiser fragender Stimme, und er fühlte wie ihm das Blut in die Wangen stieg.
»Susanna ist schon seit gestern wieder zurück – die Jeanne d'Arc sollte übermorgen segeln, hat aber heute wieder Gegenordre bekommen und soll bis zur Ankunft der Reine blanche, die wir täglich von den Marquesas-Inseln her erwarten, liegen bleiben, wahrscheinlich Depeschen des Admirals mit nach Europa zu nehmen. Du Petit Thouars scheint zu Hause gern den Sieg über die Eingeborenen zugleich anzeigen zu wollen, und das hartnäckige Volk will sich noch immer nicht besiegen lassen, und hält sich unverdrossen in den Bergen in einer fast uneinnehmbaren Position.«
»Und Fräulein Lewis?«
»Kann doch unmöglich so lange hier im Haus bleiben« fuhr Madame Belard mit einem freundlichen Lächeln fort, »ohne sich selber von Ihrer Besserung zu überzeugen – wollen Sie ihr erlauben?«
»Madame, wie können Sie so grausamen Spott mit mir treiben« rief René, »erlauben – drängt es mich denn nicht ihr selber für ihre Theilnahme danken zu können?«
»Gut, ich schicke sie Ihnen, ich muß überdieß einmal hinüber zu Brouats, die jetzt in einem prächtigen Zustand leben; Alles gepackt und jeden Augenblick erwartend an Bord gerufen zu werden, existiren sie jetzt fast auf Indianische Weise, und ich habe ihnen nur indessen wenigstens das Nothdürftigste geborgt, damit sie noch essen, trinken und schlafen können.«
»Und Susanna?«
»Wird gleich erscheinen, aber – halten Sie sich hübsch ruhig – sprechen Sie so wenig wie möglich, und lassen Sie die junge Dame lieber erzählen; das wird Ihnen die Zeit vertreiben. Außerdem, wenn Sie etwas nach Europa zu schreiben haben, können Sie ihr diktiren – es wird jedenfalls die nächste Gelegenheit sein. Ich habe meine Briefe auch schon fertig. Doch nun ade, in einer Stunde, denk' ich, bin ich wieder bei Ihnen.«
Sie verließ rasch das Zimmer und René lag mit klopfendem Herzen und ängstlich schlagenden Pulsen, die Ankunft des Mädchens zu erwarten, das, er konnte es sich nicht mehr verhehlen, einen so gewaltigen Eindruck auf ihn gemacht. Mit jedem Tage hatte er dabei ihre Rückkehr sehnlicher, heißer erhofft, je mehr er alle diese Gefühle in seinem Inneren verschließen mußte, ja fast gefürchtet, indem er sich nach und nach alles dessen bewußt wurde, was Pflicht und – Ehre – er wagte kaum noch die Liebe zu nennen – ihm entgegenstellten.
Sadie – oh hätte er nie Tahiti betreten, nie in diese Augen geschaut, die jetzt den vergifteten Pfeil in seiner Brust zurücklassen mußten, ob sie sich selber gleich von ihm abwandten auf ewig. Sadie – er barg das bleiche Antlitz fest in der linken Hand und bitterer Vorwurf füllte ihm mit unendlichem Weh das Herz. Und dennoch, dennoch kämpfte das zauberschöne Bild dagegen an, und rang sich dort Bahn das Heiligste zu stürzen, das er so sorgsam, so freudig in tiefster Brust einst gepflegt. Sadie – arme Sadie; – aber noch war Rettung möglich; noch wenige Wochen, Tage vielleicht und das Schicksal selbst, das ihn – die eigne Brust hatte da keinen Vorwurf – dem machtlos in die Bahn geschleudert, was er gefürchtet, was er meiden wollte – trennte ihn wieder von jenem kalten, schönen Bild und hob den Zauber – gab ihn wieder frei. Er kehrte dann zurück nach Atiu, abgeschlossen lag hinter ihm die Welt, und in dem Bewußtsein erfüllter Pflicht, wollte er vergessen daß er ein Leben weggeworfen an einen Traum – so schön der auch gewesen. Und die Erinnerung? – doch was sich nutzlos quälen mit zukünftiger Zeit – die Erinnerung dann war Gegenwart jetzt, und wenn – ha, ein leichter Schritt auf der Verandah draußen – das klopfende Herz drohte ihm die Brust zu zersprengen, der Thürgriff drehte sich leise im Schloß – aber noch öffnete sich die Thür nicht und die Sekunden wurden zu Minuten. Er wollte rufen, aber er vermochte es nicht; die Zunge klebte ihm am Gaumen, und als er die Augen schloß, und bleich und erschöpft auf sein Kissen zurücksank, fühlte er mehr als er hörte daß Jemand das Zimmer betrat, und sich fast geräuschlos seinem Bette näherte.
Es war Susanna – schüchtern und ängstlich nahte sie dem Lager, und ihr Blick haftete in Schmerz und Mitleid auf den weh durchzuckten Zügen des Leidenden.
»Er schläft« flüsterte sie vor sich hin, und wollte sich, so geräuschlos wie sie jetzt gekommen, wieder zurückziehn als er die Augen öffnete, und sein leises »Susanna« sie an die Stelle bannte auf der sie stand.
»Monsieur Delavigne.«
Der junge Mann streckte schweigend die Hand nach ihr aus, und sie reichte ihm die ihrige.
»Und haben Sie sich so lange meinem Dank entzogen?« sagte er endlich, mit sanftem Vorwurf im Ton und mühsam den Seufzer zurückpressend, der ihm die Brust heben wollte, »war das recht von Ihnen?«
»Wie ist Ihnen jetzt, fühlen Sie sich leichter, wohler?« frug die Jungfrau ausweichend – »Sie sehen noch recht bleich und angegriffen aus!«
»Mir ist wohl jetzt, unendlich wohl« rief der Kranke – »und doch auch wieder recht weh« setzte er dann mit leiserer Stimme hinzu – »die Wunde sitzt zu tief.«
»Die Zeit wird sie heilen, René« hauchte Susanna, und wandte das Antlitz halb ab von ihm, die eigene Bewegung zu verbergen; aber ihre Hand zitterte in der seinen. René schüttelte langsam mit dem Kopf – er wollte reden, aber er fürchtete dem Gefühl Worte, Ausdruck zu geben. Noch hielt ein schwacher Damm die mächtig in ihm glühende Leidenschaft zurück, noch schlummerte das gefährliche Geheimniß, ob auch von Beiden gekannt, doch unausgesprochen in ihren Herzen – den Damm einmal durchbrochen und die Folgen waren nicht mehr zu berechnen, die Fluth dann nicht mehr zurück zu drängen.
Susanna fühlte das ebenfalls, und wenn sie auch früher in fast muthwilliger Lust der Bande gespottet hatte, die den jungen Mann, für den sie kaum ein flüchtiges Interesse fühlte, an ein Wesen fesselte das schon, ihren angewurzelten Begriffen nach, in seiner Abstammung so tief unter ihnen Beiden stand, so schien es als ob jetzt ein reineres, besseres Gefühl die Oberhand gewinnen sollte. Sie hatte gesiegt – vollständiger als sie es je erwartet, sich je bewußt gewesen zu erstreben, aber auf das eigene Herz dabei vergessen, der eigenen Stärke zu viel vertraut, und mit dem Wunsch dem Freunde Schmerz zu sparen, mischte sich jetzt die Furcht der eigenen Schwäche.
»Sie sind Capitain geworden« lächelte das Mädchen endlich, das zuerst die Fassung wieder gewann, mit einer eigenen Mischung von Stolz und Schmerz, und fest entschlossen dem Gespräch jetzt eine andere, gleichgültigere Richtung zu geben. – »Sie müssen aber auch wirklich mit einer ordentlich rasenden Tapferkeit gefochten haben. Monsieur Bertrand konnte uns nicht genug davon erzählen.«
»Bertrand ist mein Freund« lächelte René, dem sich mit der Wendung des Gesprächs eine Centnerlast von der Brust wälzte – »es hat ihm selber Freude gemacht etwas Günstiges über mich zu sagen, und da mag er wohl übertrieben haben. Ich that nicht mehr als alle Kameraden.«
»Dem ist doch wohl nicht so; man behauptet sogar, nur Ihrem ungestümen Angriff sei es zu danken, daß man im Stande gewesen wäre die Wilden von der Erstürmung des Arsenals abzuhalten, dessen Resultat dann furchtbar hätte sein müssen, da die Eingeborenen, mit keiner Idee von der entsetzlichen Wirkung und Macht des Pulvers, jedenfalls auf das aus trockenem Bambus bestehende Gebäude gefeuert hätten.«
»Toll genug wären sie dazu gewesen« lächelte René – »aber hat man keine weitere Nachricht von ihnen? ich habe doch heute Morgen wieder schießen hören – was bedeutet das?«
»Ihre Landsleute beabsichtigten heute einen neuen Angriff auf ihre Befestigungen« erwiederte Susanna, »aber man verzweifelt hier selber an dem Erfolg, denn durch die früheren Verluste gewitzigt, haben die Insulaner jetzt eine Stellung eingenommen die fast unnehmbar scheint, und sicherlich noch viele Leben kosten wird, wenn nicht ein günstiger Zufall vielleicht, oder Verrath, die Schlüssel dazu in ihre Hände spielt. Sie sehen aber recht angegriffen aus, Delavigne, Sie brauchen Ruhe und ich fürchte ich habe Sie durch – mein Schwatzen nur mehr aufgeregt. Ich lasse Sie jetzt allein, aber so lange ich noch hier bin – und bis nicht liebere Hände kommen mir das Amt abzunehmen« – setzte sie leiser hinzu – »gestatten Sie mir wohl wieder daß ich Ihre Pflege übernehmen darf. Es ist ja doch nur noch so kurze Zeit die wir zusammen sind, und ich möchte wenigstens mit der Beruhigung von hier scheiden, daß Sie Ihrer Genesung rasch entgegen gehn.«
»Die Fleischwunde wird heilen« sagte René düster.
»Und mit der erstarkt auch der Geist« fiel rasch Susanna ein; »glauben Sie mir, René, so lange der Körper nicht gesund ist, scheint uns die Sonne selbst matt und trüb, und das Leben oftmals eine Last; doch mit dem gesunderen Blut kehrt Muth und Freudigkeit in unser Herz zurück. So schlafen Sie wohl jetzt, und mögen freundliche Träume ihrem Geist die Stimmung geben die er braucht – wenn Sie sich gestärkt haben, kehr ich zu Ihnen zurück – gute Nacht!« und mit freundlichem Kopfnicken die Hand ihm entziehend, die sich leise wieder der seinen gefügt, glitt sie aus dem Zimmer, den Kranken sich selber und seinen Gedanken, seinen Träumen überlassend.
Susanna übernahm jetzt wieder das Amt als Renés Wärterin, jede Stunde fast die Ankunft der Reine-Blanche erwartend, die dann in kurzer Zeit die vollständig zum Auslaufen bereite Jeanne d'Arc entsenden konnte; aber sie vermied von da an allein mit dem Kranken zu sein, und was sie zusammen reden konnten betraf nur gleichgültige Gegenstände. Auch einen Brief hatte René mit Adolphes Hülfe, dem er ihn diktirte, nach Atiu geschrieben, Sadie von seinem Unfall in Kenntniß gesetzt, und sie gebeten den rückkehrenden Missionscutter zu benutzen und mit dem Kind zurück nach Papetee zu kommen, wenn sie sich seinetwegen ängstige; aber es gehe besser mit ihm und er hoffe selber doch, wie ihm der Arzt gesagt, spätestens in drei bis vier Wochen dessen Sorge entbehren und hinüber zu können, wo ihn der Gattin Pflege bald wieder herstellen und gesund machen würde. Er entschuldigte sich dann auch, trotz Adolphe's Kopfschütteln, bei Sadie, daß er selber die Waffen aufgegriffen gegen ihre Landsleute; aber sie hatten ihn dazu gezwungen, es war in Selbstvertheidigung gewesen, und er blieb nicht Soldat, sondern kehrte nach Atiu zurück.
Mit dem Brief wurde ein junger Bursch in das Missionshaus geschickt, einen der Ehrwürdigen Herren dort, der gerade nach Atiu hinüberging, zu bitten ihn richtig zu besorgen, und womöglich die junge Frau selber, jedenfalls aber eine Antwort zurück zu bringen.
Mr. Rowe, der sein früheres Amt wieder aufgenommen, und eben im Begriff stand sich nach Atiu einzuschiffen, erhielt Brief und Botschaft.
»An Madame Sadie Delavigne« sagte er, mit zusammengezogenen Brauen die Adresse des Schreibens lesend – »und der Brief wurde Dir für mich von Herrn Delavigne gegeben?«
»Für den Mitonare der nach Atiu ging« sagte der Bursch etwas bestürzt; »wenn es nicht recht ist nehm ich ihn wieder mit.«
»Es ist recht« sagte der Geistliche ruhig nach kleiner Pause, »der Brief ist in guten Händen – und ist der Verwundete bald wieder hergestellt?«
»Ai ta vau i ite, mi to na re« antwortete der Insulaner achselzuckend – »er liegt noch im Bett – böse Wunde.«
Der Geistliche nickte nur mit dem Kopf und der Eingeborene, der schon deshalb eine gewaltige Furcht vor dem Protestantischen Missionair hatte, weil er selber in einem katholischen Hause lebte, und sich seinen Landsleuten in den Bergen nicht angeschlossen, ließ sich den Abschied nicht zweimal gesagt sein, und schoß wie der Blitz zur Thür wieder hinaus und in's Freie.
Zwei Wochen waren solcher Art vergangen; René's Wunde hatte sich so weit gebessert, ihm das Aufsein wieder zu gestatten, aber die stattgehabte Entzündung seinen Arm so gelähmt, daß er noch nicht im Stande war ihn wieder zu gebrauchen. Die Kugel war ihm durch den, gerade zum Hieb ausholenden rechten Oberarm in die Schulter gedrungen, und dabei, wenn auch das Schultergelenk nicht verletzend, doch, ehe sie um den Oberarm herum ging, diesen so stark berührt, daß sie neben der gefährlichen Wunde noch eine Gehirnerschütterung hervorrief, die ihn so lange bewußtlos auf's Lager warf, und seine Heilung dann so sehr erschwerte. Er trug deshalb auch den Arm noch in der Binde und der Arzt, dem der Verlauf der Wunde gar nicht recht zu gefallen schien, hatte ihn schon einige Male versichert er bedauere Nichts mehr, als daß der junge Mann nicht jetzt die vaterländischen Bäder besuchen könne, die ihm gewiß von großem Nutzen sein würden. Er hoffe allerdings auf eine vollständige Herstellung, aber er könne allerdings nicht dafür einstehn, und müsse ihm von vornherein und ganz aufrichtig erklären, daß sich die Sache, im allergünstigsten Fall, als sehr langwierig herausstellen würde.
Zu gleicher Zeit war der Missionscutter von Atiu zurückgekehrt, hatte aber nur einen der Eingeborenen Mitonares von einer anderen Insel der Cooksgruppe und sonst nicht einmal einen Brief von Sadie mitgebracht, deren Schweigen sich René nicht zu erklären vermochte, und das ihn beunruhigt haben würde, wenn er nicht selber beabsichtigt hätte jetzt bald selber dorthin zurück zu kehren. Ihm blieb keine andere Wahl und er fing schon an, die Zeit herbei zu sehnen, die ihn endlich der jetzigen Qual entheben und Ruhe – o so heiß ersehnte Ruhe bringen solle.
In diesen Tagen wurde ein Dampfer, von Osten kommend, signalisirt – noch an dem nämlichen Abend lief er in dem Hafen ein und brachte die Post von Frankreich – Briefe aus der Heimath.
Briefe aus der Heimath – oh wie der Klang dem Herzen des fremden, wegemüden Wanderers so wohl thut; Briefe aus der Heimath. – Die lieben, so lang entbehrten, und doch so oft herbeigewünschten Züge theuerer Hand – die herzlichen Worte derer, von denen wir so lange geschieden, und die noch mit so inniger Liebe unserer gedenken – die wieder und wieder ausgesprochene Bitte heimzukehren – heim in offene Arme, an treue Herzen. Und dann die heimischen bekannten Namen, die wie der Klang von Kirchenglocken uns ernst und feierlich die Brust durchziehn – ach es ist ein frohes, ein seliges Gefühl, und selbst die fremde Welt die uns gerade umgiebt, nimmt in dem Augenblick der Heimath Farben an, und glüht und lacht, als ob daheim die Sonne, ein Frühlingsgruß dem Heimgekehrten, auf vaterländische Matten ihre milden Strahlen werfe.
Wie freudig blitzten an dem Tage die Augen aller der Glücklichen denen ein Brief geworden; wieder und wieder wurde er gelesen, geküßt und wieder gelesen, und der Inhalt dann ausgetauscht mit Anderer Reichthum.
Nur Einer, von alle diesen saß still und in sich gekehrt, unzufrieden und schwermüthig auf seiner Stube, den Kopf sorgenvoll in die Hand gestützt, das Auge starr und bewußtlos auf die wehende Palme geheftet, die vor dem Fenster stand, und unbeachtet ihr silbern melodisches Rauschen in das stille Gemach flüsterte.
Es war René – einen offenen Brief vor sich auf dem Schooß, und mit ernsten, finsteren Gedanken das Herz erfüllt, Gedanken denen selbst der Heimath Gruß das Bittere nicht rauben konnte.
»Daß die verdammte Kugel nicht einen Zollbreit tiefer traf, wie Adolphe sagt« murmelte er dabei leise vor sich hin – »jetzt wär's vorbei – drunten im kühlen Grund läg ich still und friedlich, einer anderen Welt entgegen zu träumen und Sadie – beweinte mich, wie man den Hingeschiedenen beweint und lebte glücklich unter ihren Palmen fort. Arme Sadie – der alte wackre Osborne hatte recht, nur daß die Warnung damals zu spät für uns Beide kam. Da steh ich denn jetzt am Ziel von Allem, was ich in früherer Zeit erstrebt, und bin ich glücklich? – elend bin ich, elend. Wie das edle Rennpferd an haferstrotzender Krippe mit zerschnittenen Flechsen liegt, das fröhliche Wiehern der vorbeistürmenden Kameraden hört, und kein Ziel mehr hat dem es entgegenstreben darf, so lieg ich hier. Vorbei die Zeit, wo es die breite starke Brust dem Strom entgegenwarf, vorbei die frohe Zeit, wo's mit dem Wind wetteifernd, donnernden Hufs entlang die Steppe flog – vorbei, ein warmer Stall, eine weiche Streu, das süße Futter im Trog und – die Flechsen zerschnitten – nicht einmal sterben kanns.«
»Hallo René, so trüb und traurig hier allein?« rief eine fröhliche Stimme und Adolphe stand vor ihm – »böse Nachrichten im Brief? Du machst ja bei Gott gerade wieder ein solch Gesicht, als wir zusammen vorn auf der Back des Delavare standen; willst wieder desertiren?«
René wandte den Kopf halb ab von dem Freund und reichte ihm die linke Hand – die Erinnerung an jene Zeit gab ihm, er wußte selbst nicht recht warum, einen Stich durch's Herz. Der Brief selber aber bot ihm Gelegenheit das Gespräch nach anderer Richtung hin zu wenden.
»Unangenehme Geldangelegenheiten, Adolphe« sagte er endlich, ihm den offenen Brief hinüber reichend, »da lies selbst.«
Adolphe nahm den Brief, durchflog ihn und sagte achselzuckend:
»Das läßt sich denken; die treiben jetzt daheim mit Deinem Geld was ihnen gutdünkt. Wär ich wie Du, ich ging auf's nächste Schiff und regulirte dann zu Haus die Sache selbst. Selbst ist der Mann, Du magst hier schreiben und schreiben so viel Du willst, eine einzige Woche an Ort und Stelle richtet mehr aus, als eine Jahre lange Correspondenz. Ueberdies ist die Sache gar nicht unbeträchtlich und schon eine solche Reise werth; und das nicht allein, Du schlägst zwei Fliegen gleich mit einem Schlag, denn, René, verhehle Dir nicht selber wie es mit Deiner Wunde steht; ohne die größte Vorsicht und Pflege kannst Du möglicher Weise einen steifen Arm Dein ganzes Leben hindurch behalten, und jetzt noch ist es vielleicht Zeit, durch die Dir empfohlenen warmen Bäder dem vorzubeugen. Du hättest dabei jetzt gerade die beste Gelegenheit, mit demselben Fahrzeug zu gehn, auf dem Brouards sich einschiffen.«
René sprang, von dem Gedanken getroffen, von seinem Sitze auf, und ging ein paar Mal mit raschen Schritten im Zimmer auf und ab. »Zurück nach Frankreich? – er selber? – mit –«
»Nein, nein« rief er plötzlich in ängstlicher Hast, als ob er selber fürchte der Versuchung nicht widerstehen zu können, die ihm so entsetzlich lockend vor die Seele trat; »zurück nach Frankreich? nein, nein, das ging nicht an – und wenn nur zum Besuch? Sadie – Sadie« murmelte er leise und wie beschwörend vor sich hin.
»Und was würde Dich hindern Deine Frau mitzunehmen?« sagte Adolphe, dem das leise geflüsterte Wort nicht entgangen, nach kurzer Pause – »es wäre zugleich eine Art Probierstein für Dich für spätere Zeiten.«
»Nein Adolphe, nein« sagte aber René nach kurzem Sinnen, seinen Platz am Fenster wieder einnehmend, denn der Arm fing ihn an zu schmerzen vom vielen hin- und hergehn – »nie im Leben würde sich Sadie dort glücklich fühlen – noch ich mit ihr. Wie eine Treibhauspflanze, ihrem heimischen Boden entrissen, müßte sie verkümmern und – so lebensfrisch sie hier im Schatten ihrer Palmen blüht, untergehn. Und dann zugleich mit – Brouards.«
»Es wäre eine so schöne Gelegenheit, wie Du sie Dir nur wünschen könntest.«
»Ja – Du hast recht und doch – es geht nicht; auch gäbe Sadie nie ihre Einwilligung dazu – und die Reise mit dem Kind.«
»Bah, bah, das sind Kleinigkeiten wenn man sonst nur will« lachte Adolphe, »doch das mache mit Dir selber aus; wichtig genug ist es aber jedenfalls es Dir genau zu überlegen, und Dir bleibt dabei nicht einmal viel Zeit, denn heute Morgen schon wurde ein Schiff signalisirt das, wie man allgemein glaubt, die Reine blanche ist.«
»Die Reine blanche? – schon jetzt?« rief René rasch und Adolphe sagte lachend:
»Nun, das ist nicht übel – seit drei oder vier Wochen wird sie stündlich fast erwartet und dumpfe Gerüchte gingen schon, daß sie irgendwo vielleicht gar in einem Typhoon zu Schaden gekommen, und Du sagst »schon jetzt?« Dir muß die Zeit ungeheuer rasch verflogen sein. Doch ich muß fort, René« brach er, nach der Uhr sehend ab, »der Gouverneur hat mich rufen lassen; gegen Abend seh ich Dich wieder und – überleg Dir's.«
René schüttelte langsam und ernst den Kopf, während Adolphe mit freundlichem Gruß das Zimmer verließ, und gleich unten an der Thür Lieutnant Bertrand traf, der langsam mit ihm die Straße hinabschlenderte.
Das signalisirte Schiff war in der That die Reine blanche, die zwei Stunden später etwa, unter dem grüßenden Donner der Kanonen, in den Hafen einlief. Der Admiral kam aber an diesem Tag gar nicht an Land, sondern empfing nur die von Frankreich für ihn eingegangenen Depeschen und schrieb bis spät in die Nacht hinein. Am anderen Morgen hatte er eine lange Konferenz mit dem Gouverneur, und die Jeanne d'Arc bekam Ordre sich auf den nächsten Tag segelfertig zu halten. Zu seinem Erstaunen aber bekam René eine Einladung an Bord des Admiralschiffs zu kommen, wo Du Petit Thouars ihn in einer wichtigen Angelegenheit zu sprechen wünschte. Er ging um die bestimmte Zeit und fand dort, außer dem Gouverneur Bruat, Monsieur Belard und Brouard, und mehre französische Officiere; unter ihnen Adolphe und Bertrand.
»Lieber Capitain Delavigne« redete ihn der Admiral gleich nach seinem Eintreten freundlich an – »ich habe einen Auftrag für Sie – einen wichtigen Auftrag, an dessen geschickter und ehrlicher Ausführung mir viel liegt, und zu dem ich mir hier in Tahiti einen passenden Mann suchen wollte. Diese Herren hier haben mir Alle einstimmig Sie vorgeschlagen, und auf so gute und ehrenvolle Empfehlung hin glaub' ich in Sie denn auch mein volles Vertrauen setzen zu können. Was sagen Sie dazu?«
»Ich erwarte Ihre Befehle zu hören« sagte René, wirklich jetzt neugierig, auf was das Alles hinauslaufen sollte.
»Ich habe Sie zu meinem Gesandten nach Paris ausersehn« sagte der Admiral lächelnd – »wollen Sie gehn?«
»Herr Admiral!« rief René überrascht, fast erschreckt.
»Ich will ganz aufrichtig mit Ihnen sein« fuhr aber Du Petit Thouars, ohne ihn weiter zu Wort kommen zu lassen, fort, »denn ich habe mich schon selber gegen die Herren hier ausgesprochen. Nach den hier auf Tahiti stattgehabten Vorfällen läßt es sich denken, daß nicht allein die Protestanten in Europa, sondern auch manche Leute, die mir gerade nicht freundlich gesinnt sind, die Sache so weit zu unserem Nachtheil ausbeuten werden, wie nur irgend möglich. Wir werden den friedlichen Naturkindern gegenüber als Barbaren und Gott weiß was sonst noch hingestellt werden, und besonders zweifle ich nicht daran, daß die uns feindlich gesinnten Missionaire das ihrige nach besten Kräften thun werden, unsere Thaten recht schwarz und entsetzlich anzustreichen. Dem zu begegnen brauche ich einen Mann, der Zeuge des Ganzen gewesen und die Verhältnisse hier kennt, der aber auch, wie Sie, unabhängig und unbetheiligt, bis Ihnen die Notwendigkeit und Selbsterhaltung die Waffen in die Hand zwang, dem Kampfe zugesehn, und ich verlange nichts weiter von Ihnen, als daß Sie der französischen Regierung meine Depeschen überbringen, und dort Alles so, der Wahrheit treu, schildern, wie Sie es hier gefunden.«
»Dieser so ehrenvolle Auftrag –« stammelte René und der Admiral fiel ihm in's Wort.
»Bietet Ihnen zugleich die Gelegenheit sich von ihrer Wunde, die, wie ich gehört habe, keineswegs so ganz harmloser Natur ist, wieder vollständig zu erholen; Sie bleiben unter der Behandlung Ihres bisherigen Arztes, der natürlich mit seinem Schiffe geht und haben, glaub' ich, wenn ich recht unterrichtet bin, ganz angenehme Gesellschaft unterwegs, eine Seereise von vier Monat etwa, schon erträglich zu machen.«
»Lieber Delavigne« nahm jetzt Monsieur Belard das Wort – »es wird Ihnen hier eine Auszeichnung geboten, die sogar mit den vorteilhaftesten Umständen für Ihre eigene Gesundheit zusammentrifft, und manchen Anderen unendlich glücklich machen würde – ich glaube Ihnen gratuliren zu dürfen.«
»Aber meine Frau« rief René, »so ehrenvoll Ihr Vertrauen für mich ist, Herr Admiral, und mit so großem innigen Dank ich versuchen würde ihm zu entsprechen, so hab' ich doch Pflichten hier zu erfüllen, die ich nicht vernachlässigen darf, wenn ich nicht in Ihrer eigenen Achtung sinken wollte.«
»Ich weiß, Sie haben ein Indianisches Mädchen zur Frau genommen« lächelte der Admiral – »sie ist auf einer der Nachbarinseln? machen Sie sich keine Sorge deshalb, die zehn oder zwölf Monate die Sie abwesend zu sein brauchen, wenn Sie wirklich so rasch wieder zurück kommen wollen, soll sie unter unserem Schutze stehn.«
»Aber sie weiß kaum daß ich verwundet bin – erwartet mich wahrscheinlich mit jedem Tag, und ich dürfte nicht eine solche Reise unternehmen, ohne sie vorher nicht wenigstens noch einmal gesehn, gesprochen zu haben.«
»Auch das ließe sich vereinigen« erwiederte der Admiral, dem daran gelegen schien, gerade den jungen Mann für seine Mission zu gewinnen – »sagten Sie nicht Atiu hieß die Insel, Monsieur Belard?«
»Atiu ist der Name.«
»Gut; bei einer Reise von so viel Monaten kommt es nicht auf einen einzelnen Tag und ein paar Seemeilen an; die Jeanne d'Arc mag Atiu anlaufen und kann dort vielleicht gleich noch eine Parthie süße Kartoffeln und Brodfrucht mit an Bord nehmen, die doch hier jetzt nicht so leicht zu bekommen sind. Ist der Wind nur einigermaßen günstig, so behalten Sie da jedenfalls ein paar Stunden Zeit Ihrer Frau Adieu zu sagen. Hat das Ihre letzten Zweifel beseitigt?«
»Ihre Güte Herr Admiral.«
»Schön, schön – ich will Sie auch nicht drängen; die Sache ist allerdings wichtig für Sie, und ich gebe Ihnen, ohne jetzt irgend ein Versprechen von Ihnen zu verlangen, zwei Stunden Frist; bis dann muß ich aber eine entscheidende Antwort haben. In zwei Stunden also –« er nahm seine Uhr heraus und sah nach der Zeit, »etwa drei Viertel auf zwei Uhr – wir wollen zwei Uhr sagen, erwarte ich Sie wieder hier und dann können Sie gleich mein Gast zu Tisch sein; also auf Wiedersehn bis dahin;« und dem jungen Mann wie den Uebrigen freundlich mit der Hand winkend, nahm er Capitain Sinclairs Arm und zog sich mit ihm in seine Privatcajüte zurück.
»Triumph!« rief Adolphe, als er mit René und Bertrand wieder im Boote saß, und rasch dem Lande zuruderte, »Triumph René – Mensch, wenn Du Dir Alles beim lieben Gott bestellt hättest, konnte es nicht besser ausgefallen sein – die zwei Stunden Bedenkzeit sind eine wahre Ironie.«
»Was soll ich thun?« sagte, tief aufseufzend, René.
»Was Du thun sollst?« wiederholte Bertrand erstaunt – »zugreifen mit Lust und Wonne, und Gott auf den Knieen dafür danken. Mir füllt es die Brust mit unbeschreiblicher Seligkeit, daß wir die Fahrt jetzt wieder heimwärts lenken, und Du stehst noch da und sinnst und überlegst. René, René, wenn Du Dir diese Gelegenheit entschlüpfen läßt, bereust Du's sicherlich – die kehrt nicht wieder.«
»Ich weiß auch gar nicht, ob ich's mit meinem Arm wagen darf eine so lange Reise zu unternehmen« sagte René jetzt sinnend. »Ich muß doch jedenfalls erst den Arzt darüber fragen?«
»Gehst Du jetzt zu Hause?« frug Adolphe.
»Bald wenigstens.«
»Gut, dann schick ich ihn Dir in einer halben Stunde etwa; ich weiß wo er sich in diesem Augenblick aufhält, und komme selber später vielleicht Dich wieder abzuholen, höre jedenfalls Deinen Entschluß und kann Dir dann vielleicht noch mit dem oder jenem helfen. So ade und erleuchte Dich Gott, Du kannst's brauchen« lachte der Freund, und seinen Arm in den Bertrands schiebend, gingen die beiden jungen Officiere, lebhaft das eben Geschehene besprechend, die Straße nieder.
Monsieur Belard war indessen mit seinem eigenen Canoe an Land gerudert und schon zu Haus als René, der noch eine Zeit lang in peinlicher Unentschlossenheit die Straße auf und ab gelaufen war, langsam die Treppe hinaufstieg. Er hörte dabei daß sich die beiden Eheleute eifrig und laut mitsammen unterhielten und wollte sich, ohne sie zu stören, auf sein Zimmer schleichen, denn der Kopf schwindelte ihm von all den wild auf ihn einstürmenden Gedanken und Plänen, aber Monsieur Belard hatte ihn kommen sehn, und ließ ihm keine Zeit zu ruhigem Ueberlegen.
»Und Sie wollen uns jetzt wirklich desertiren, Delavigne?« rief ihm die kleine Frau schon auf der Schwelle, traurig mit dem Kopf schüttelnd, entgegen, »und Susanna auch zu gleicher Zeit, und Brouards – Himmel, das wird eine förmliche Einöde werden hier in Papetee. Aber bis wann denken Sie zurück zu sein?«
»Ich weiß noch wahrlich nicht einmal ob ich überhaupt gehe – ob ich gehen darf« sagte tief aufseufzend der junge Mann – »noch habe ich zwei Stunden Zeit zur Entscheidung.«
»Die arme Sadie wäre freilich übel d'ran« sagte traurig die junge Frau – »das würde ihr einen rechten Schnitt durch's Leben geben – o Ihr Männer seid doch grausame rücksichtslose Menschen.«
»Aber lieber Gott« entschuldigte ihn hier Belard – »er bleibt ja doch keine Ewigkeit fort, und Geschäftsreisen gehen nun einmal dem häuslichen Leben vor, weil dieses nur eben wieder durch das Geschäft bestehen kann. Wenn René nicht selber nach Frankreich geht, so bin ich fest überzeugt daß er nach dem Brief, von dem mir Lieutnant Adolphe gesagt, das dort stehende Geld entweder ganz verliert, oder doch wenigstens bedeutend in Gefahr bringt, bis er am Ende doch noch hinüber muß. Dann aber kann er schweres Geld für die Reise bezahlen, während er sie jetzt im Gegentheil honorirt bekommt, und die angenehmste Gesellschaft von der Welt dabei hat. Susanna war schon ganz glücklich wie sie es hörte. Außerdem aber ist es auch nicht ganz einerlei, denk' ich, ob der junge Herr, wenn er hier bleibt, lebenslänglich mit einem steifen Arm herumläuft, oder sich jetzt in einem Bad zu Hause ordentlich auscuriren kann.«
»Ist wirklich die Gefahr vorhanden?« frug Madame Belard besorgt. René zuckte mit den Achseln.
»Gott nur weiß es« sagte er, tief Athem holend, als ob er sich ein Gewicht von der Brust wälzen wolle – »mir aber schnürt es das Herz zusammen in Angst und Sorge – ich kann nicht gehn. Mag mir der Arm gelähmt bleiben für Lebenszeit – mag ich das Geld verlieren daheim – Beelzebub gesegn' es ihnen; sie haben mich genug schon geärgert und gequält damit, aber ich darf Sadie, darf mein Kind so nicht verlassen. Wenn ihnen nun etwas geschähe während ich fort bin, könnte ich je wieder des Lebens froh werden, je wieder dem Himmel da droben klar ins Auge schauen?«
»Sie haben recht« seufzte Madame Belard, Monsieur Belard aber sagte:
»Unsinn – jagen Sie sich die Grillen aus dem Kopf; erstlich legt Ihr Schiff da an, und dann werde ich selber im nächsten Monat nach den Gesellschaftsinseln und der Cooksgruppe hinüber gehn, meine Einkäufe zu machen – dann verspreche ich Ihnen daß ich dort vorfahren will, und hat Sadie Lust, ei so bring ich sie mit zu uns herüber, und sie mag bei uns bleiben bis Sie zurückkehren. Meine Frau wird sich doch für jetzt einsam genug fühlen, wenn Sie Alle fort sind.«
»Sie kommt nicht her zu uns« sagte die kleine Frau, mit dem Kopf schüttelnd – »ihr ist nicht wohl bei fremden Leuten und ich wäre die Letzte, die Delavigne zureden würde einen solchen Schritt zu thun; er muß es selbst am besten wissen – und so ganz ohne Abschied.«
»Papperlapapp – mach Du ihm nun auch noch das Herz schwer« rief aber Mr. Belard dazwischen – »ich will ihm auch nicht zureden, aber er soll sich die Sache selber und ruhig überlegen.«
»Ruhig überlegen« sagte René tief aufseufzend – »ruhig überlegen, wo mir das Herz zerrissen ist – ich kann, ich darf nicht fort – doch ich störe Sie hier« setzte er rasch, seinen Hut wieder aufgreifend, hinzu – »ich will hinüber in mein Zimmer gehn – wenn der Arzt kommen sollte, bitte – schicken Sie ihn wieder fort – ich werde ihn heute Abend selber aufsuchen.«
Und rasch sich abdrehend, seine Bewegung zu verbergen, suchte er sein eignes kleines freundliches Gemach, und warf sich hier den Kopf gesenkt in einen Stuhl, indeß die Augen trüb und sorgenschwer den Boden suchten.
Wohl eine Stunde hatte er so gesessen, die ihm gegebene Frist war bald abgelaufen und noch kämpfte sein Herz unentschlossen an gegen alles das, was ihm verführerisch lockend vorgehalten wurde, als ein leichter Schritt selbst in seinem Zimmer ihn rasch aufschauen machte, und er mit freudigem Schreck jenes wunderherrliche Mädchenbild erkannte, das seine Träume gefüllt und Tage lang ihm das Herz mit nagender Reue gefoltert hatte.
»Susanna!« rief er, halb flehend, halb abwehrend, und er mußte gewaltsam an sich halten, das Gefühl jetzt zu bergen, das in ihm tobte.
Er hatte sie noch nie so schön gesehn; das volle, kastanienbraune Haar konnte kaum in seinen reichen üppigen Massen von einem lichtblauen seidenen Netz gehalten werden, und quoll und drängte aus jeder Masche hinaus in's Freie; den schlanken Körper umschloß ein einfach dunkles Seidenkleid, das dem makellosen Teint nur noch höhern Reiz verlieh, und in den dunklen Augen lag heute ein so eigener, wunderbarer Schmelz, ihn schwindelte hinein zu sehn in dieser Sterne Tiefe.
»Ich hatte mich so gefreut« sagte sie endlich mit leiser, aber sonderbar bewegter Stimme, einer Mischung von Unmuth und Schmerz, von getäuschter Hoffnung sowohl, wie gekränkter Eitelkeit, dem sogar das Bittere im Ton nicht fehlte – »daß wir Reisegefährten auf so langer, sonst so langweiliger Fahrt werden sollten – aber wie mir Marie jetzt sagt haben Sie sich anders besonnen, und können sich nicht auf die paar Monat trennen von Atiu.«
»Oh Susanna« rief René bittend – »sein Sie nicht grausam – haben Sie Mitleid, wenn nicht mit mir, doch mit Sadie.«
»Mitleid?« sagte das junge schöne Mädchen kalt – »Sie scherzen wohl, Herr Delavigne, in welcher Art sollte ich Mitleid mit der – Indianerin haben? Mitleid« wiederholte sie mit sonderbar bewegter Stimme – »das ist das falsche Wort – wer hat Mitleid mit – doch was steh' ich da und schwatze;« brach sie rasch, fast ängstlich ab, während ein leichtes flüchtiges, wie krankhaftes Roth ihre Wangen für einen Moment färbte, und dann eben so rasch verschwand – »ich habe noch so viel zu thun – will aber auch nicht böse auf Sie sein« setzte sie freundlicher hinzu – »ich habe Ihnen schon früher versprochen Ihre Briefe für Sie nach Frankreich zu schreiben – Sie sollen mir dieselben heute Abend, wenn Marie zu Hause kommt, die jetzt Madame Brouard packen hilft, diktiren. Wie geht es heute Ihrem Arm?«
»Gut – sehr gut« hauchte René.
»Sie werden mich doch wohl in den ersten Tagen manchmal vermissen« sagte das schöne Mädchen, halb von ihm abgewandt – »und das ist einigermaßen eine Genugthuung mir das zu denken – ich bin nicht im Stande Sie anders zu strafen.«
»Susanna.«
»Schon gut – es ist Alles vorbei – heute Abend erwarte ich Sie drüben zu unserer Correspondenz – ich muß jetzt fort.«
»Susanna.«
»A revoir, monsieur Delavigne« sie winkte ihm leicht mit der Hand und verließ, sich rasch abwendend, das Gemach.
René blieb, die Augen fest und krampfhaft mit der Hand bedeckt, viele Minuten lang im Zimmer stehn; seine Pulse schlugen – seine Stirn glühte, seine Glieder zitterten in Fieberfrost, und wie bewußtlos endlich griff er seinen Hut auf und stürmte in's Freie – an den Strand hinunter – dort lag ein Boot.
»Gerade zur rechten Zeit, Monsieur!« rief der Bootsmann der Jeanne d'Arc, dessen rasch aufgeworfene Hand die eben eingetauchten Riemen seiner Leute zurückhielt.
»Mr. Bertrand befahl mir, Sie hier bis zwei Uhr zu erwarten – es ist zwei vorbei und ich wollte eben hinüber fahren an Bord des Admiralschiffs, weitere Befehle einzuholen.«
René erwiederte kein Wort – er sprang in das Boot und wurde an Bord gerudert.
»Nun Delavigne!« rief ihm Bertrand, der mit dem Lieutnant der Reine Blanche auf dem Quarterdeck auf und ab ging – »das ist brav, daß Du kommst – der Admiral hat Dich schon mit Schmerzen erwartet. Und Du bist der unsere?«
»Ich bin's« sagte René leise und des Freundes Jubelruf nicht beantwortend und ihm nur die gebotene Hand fest und leidenschaftlich drückend – verschwand er die Cajütstreppe hinab in den inneren Raum.
Ueber die See heulte der Sturm; vor dicht gereeften Segeln peitschte die Jeanne d'Arc gegen die bäumenden zürnenden Wogen an, bis in den Kiel erzitternd vor den gewaltigen Stößen, mit denen sich die See seinem Bug entgegenwarf. Alle Luken waren fest verschlossen, und die von Papetee mitgenommenen Passagiere lagen, mit Ausnahme eines einzigen, halbtodt an Seekrankheit in ihren Coyen.
Den linken gesunden Arm um eine der Besahnwanten geschlagen, stand an der Luvseite des Quarterdecks, den stieren glanzlosen Blick fest auf die zackigen Kuppen einer aus der Ferne eben sichtbar vorschimmernden Insel geheftet, René Delavigne – neben ihm, das Telescop in der Hand, und den linken Arm, sich zu sichern, um eine der Pardunen gelegt, Capitain Sinclair.
»Sie sehn, Delavigne« sagte er endlich, nachdem er lange und aufmerksam durch das Glas geschaut, und dieses wieder von den Augen nahm, »der Sturm will nicht nachlassen, und ich bin nicht im Stande, so leid es mir selber thut, die Insel anzulaufen. Ja thät ich es selbst, in dieser See, was ich Ihnen gar nicht zu sagen brauche, könnte nicht einmal ein Boot leben. Außerdem bin ich hier in einem, mir vollkommen fremden und von verborgenen Klippen bedrohten Fahrwasser. Sie wissen wie wir gestern fast nur durch ein Wunder dem Korallenriff entgingen, und wir wären Alle verloren gewesen wenn wir das trafen.«
»Sie haben schon weit mehr gethan, Capitain Sinclair« sagte René mit ruhiger, aber fast tonloser Stimme, »als ich je gewagt hätte von Ihnen zu erbitten – mehr fast als sie verantworten können. Ich sehe ein daß es unmöglich ist Atiu zu erreichen, ja daß wir selber hier mit einbrechender Nacht vielleicht gefährdet würden länger zu kreuzen. Ich bitte Sie, thun Sie Ihre Pflicht.«
»Lieber Delavigne« sagte der Capitain gerührt, »ich fühle ganz das Bittere Ihrer Lage, aber trösten Sie sich auch wieder mit einer baldigen Rückkehr. Was sind die paar tausend Seemeilen herüber und hinüber, wie bald trägt uns das gute Schiff an die heimische Küste. – Gingen Sie aber jetzt nicht lieber hinunter? – wenn ich das Schiff vor dem Wind abfallen lasse, können wir wohl ein paar Seeen hinten über bekommen, ehe die Segel ordentlich gefaßt haben; die See geht gerade nicht so ungeheuer hoch eine Gefahr zu befürchten, aber es ist doch unangenehm.«
»Ich danke Ihnen« sagte der junge Mann leise – »wenn ich Ihnen hier nicht im Wege bin, möchte ich oben bleiben, bis wir – den anderen Cours liegen – es ist so bald Abend.«
»Wie Sie wollen, Delavigne – bleiben Sie nur da stehn wo Sie sind. – Monsieur Roland« wandte er sich dann zu dem zweiten Lieutnant, der auf der Leeseite des Quarterdecks indessen auf und ab gegangen war – »wir wollen die Marssegel lösen – lassen Sie dann Süd Süd Ost anliegen.«
»Zu Befehl, Monsieur.«
Der schrille Pfiff des Bootsmann gellte über Deck; wie die Katzen liefen die Leute an den Wanten hinauf auf die Marsraaen, die Reefknoten zu lösen und die Segel auszuschütteln, und gleich darauf stiegen die Raaen unter dem Chor der singenden Matrosen, die sich nach dem Tackt mit dem ganzen Gewicht ihres Körpers in das Tau legten, empor. Der Bug des Schiffes fiel vor dem Winde ab, die Raaen wurden fast vierkant gebraßt und der stolze Bau, der bis jetzt mühsam gegen die schweren Wogenmassen angekämpft, flog, von den nachpressenden noch gedrängt und geschoben, pfeilgeschwind über die rauschenden, zischenden, schäumenden, stürzenden Wogen hin, die Insel, der er den ganzen Tag vergebens zugestrebt, gerade hinter sich lassend.
Düsterer wurde es jetzt auf dem Wasser, die Sonne neigte sich dem Horizont und dichte Wolkenschatten sammelten sich mit der einbrechenden Nacht. René stand noch immer, jetzt an dem Heck des stattlichen Schiffes, hinter dem die spritzenden schäumenden Wogen dreinstürmten, die Augen fest und unverwandt auf das mehr und mehr in düsterer Ferne verschwimmende Land geheftet, das Alles barg, was ihm einst diese Erde zum Paradies geschaffen – Alles – Alles, und das, ein Punkt, am Horizont verschwand.
»Arme Sadie« hauchte er leise, und mit der Gewißheit des Verlustes empfand er erst – zum ersten Mal vielleicht seit langer Zeit, nicht was er verlor, nein, was er muthwillig fort von sich geworfen, und wie er das Bild sich ausmalte, seines armen verlassenen Weibes, wie sie geduldig seiner harrend mit dem Kind – dem süßen, lieben herzigen Kind auf jener, oh so wohlbekannten Stelle stand, da Tag nach Tag, und Woche nach Woche verstreichen sah in stets vergebenem Harren und nur der stille Seufzer, keine Klage, kein Vorwurf über ihre Lippen kam, da brach ihm fast das Herz, und da zum ersten Mal auch füllten Thränen, heiße brennende Thränen der Reue seine Augen.
Und drüben am Horizonte verschwand indeß das Land – noch ein dünner Streifen jetzt, wie ein blauer schmaler, kaum erkennbarer Wolkensaum, wie der dunkle Schattenrand des dämmernden Meeres selber – und jetzt – das Auge fand ihn nicht mehr – Joranna – Joranna hauchten die Lippen und der starke trotzige Mann barg weinend das kummerschwere Haupt in seiner Hand.
Auf Tahiti vertheidigten sich indessen die Insulaner mit unerschütterter, ungebrochener Tapferkeit gegen den täglich wachsenden, ihre Insel mit einer Kette von Bollwerken umziehenden Feind. Nicht Monate mehr, Jahre lang hielten sie sich in den, in den Bergen errichteten und befestigten Lagern und wiesen jeden Sturm und Angriff kaltblütig und unerschrocken zurück. Neue Schiffe kamen aber, mehr und mehr Truppen wurden auf den Kampfplatz geworfen, der den Indianern selber keinen Entsatz zu bringen vermochte, und das Resultat konnte zuletzt nicht zweifelhaft bleiben. Dennoch wäre es vielleicht noch so viel Jahre länger unentschieden geblieben, hätte ihnen nicht Verrath die Schluchten der Berge geöffnet.
Durch die Missionaire fortwährend in der thörichten Hoffnung gehalten, daß ihnen England doch noch, und zwar in kürzester Frist Hülfe schicken würde, zerstörte diesen Wahn zuerst der wackere Capitain des Englischen Dampfers Salamander, Capitain Hammond, der ihnen unumwunden und aufrichtig erklärte, so viel er wisse beabsichtige die Englische Regierung nicht sich in ihren Streit zu mischen, er selber habe wenigstens nicht den geringsten, dahin lautenden Auftrag bekommen, und sie möchten sich deshalb nicht falschen, betrügerischen Hoffnungen hingeben, die sie nur über ihre eigenen Vertheidigungsmittel irre führen, und zu unüberlegten, ihre Stellung verschlimmernden Schritten treiben müßten.
Pomare blieb an Bord der Basilisk, bis eine Englische Fregatte, der Carysford, von Lord William Paulet befehligt, am 17. Juli 1844 in Papetee eintraf, und nach vorhergegangener Besprechung mit Gouverneur Bruat, die Königin nach Barbara auf Imeo, wo Tabara, ihr erster Gemahl wohnte, hinüberbrachte, dort die Entscheidung der Mächte ruhig abzuwarten.
England hatte indeß die Behandlung seines Consuls nicht so ganz ungeahndet können hingehn lassen, während die Französischen Klagen gegen ihn auch wohl durch zu viel Beweise bekräftigt wurden, sie ganz zu verwerfen. Die Französische und Englische Regierung deshalb, nicht einer so trostlosen Sache wegen einen Europäischen Krieg zu beginnen, vereinigte sich dahin, daß die erstere den Admiral Du Petit Thouars, der bei seiner Rückkehr in Toulon von dem jungen Volk enthusiastisch empfangen und mit einem Ehrensäbel beschenkt wurde, trotz seiner Vertheidigung das Kommando entzog; die Englische Regierung dagegen versprach Mr. Pritchard, der sich den Französischen Interessen zu feindlich gezeigt, nie wieder nach Tahiti oder einer von den Franzosen in Besitz genommenen Inseln zu senden.
Am 19. Juni 1847 erließen die beiden Großmächte England und Frankreich ebenfalls eine Deklaration, in welcher sie die Unabhängigkeit der Inseln von Huaheine, Raiatea, Bola Bola etc. – erklärten, wie zugleich unter §. 3 bestimmten, daß »kein Häuptling von Tahiti zu ein und derselben Zeit über jene Inseln regieren könne.«
Nicht allein daß die Macht der Pomaren auf Tahiti und Imeo gebrochen war, sondern die ihnen bis jetzt wenigstens tributpflichtigen Stämme wurden, um die Franzosen fern zu halten, ihrer Oberherrschaft jetzt ebenfalls entzogen, und der Königsstamm der Pomaren sah seinen Stern untergehn auf ewig.
Ueber den Schluß des Krieges, den die Eingeborenen mit so wackerem Muth und fabelhafter Ausdauer gegen die, ihnen an Waffen und Kriegskunst so weit überlegenen Fremden führten, sagt ein Missionsbericht vom Januar 1847 das folgende:
»Etwa Anfang December des vorigen Jahres entdeckte ein Eingeborener von Atiu über dem Hautaualager (dessen Thal unmittelbar hinter Papetee liegt und eine Passage durch das Innere zu den beiden anderen Lagern eröffnete) einen gangbaren Pfad eine Klippe hinauf, wo die Feinde eine Position nehmen konnten, das unter ihnen liegende Lager zu beherrschen. Er war von den Eingeborenen desertirt, und erbot sich in Papetee die Feinde für eine besonders bestimmte Belohnung – ich glaube 200 Dollar – dort hinauf zu führen. Nicht lange nachher marschirten fast sämmtliche Truppen das Thal hinauf, die Hauptmasse formirte sich in Schlachtordnung auf der gewöhnlichen Passage, wie im Begriff einen neuen, schon so oft abgeschlagenen Sturm zu versuchen, und der Zweck wurde auch dadurch vollkommen erreicht, denn die Eingeborenen, von denen eine starke Abtheilung sogar fouragiren geschickt war, richteten ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Vertheidigung des einen Passes. Unter der Zeit schlich der Atiuer mit etwa dreißig den Franzosen ergebenen Eingeborenen und vierzig Soldaten, zu dem ihm wohlbekannten Pfad, und ließ von dort ein mitgenommenes Seil nieder, an diesem eine feste und schon zu dem Zweck bereit gehaltene Strickleiter aufzuziehn. Auf dieser folgten nun nach und nach die übrigen Soldaten, bis sie Alle die Klippe, und später den etwa 1000 Fuß hohen Abhang erreicht hatten, wo sie die Eingeborenen unmittelbar über ihrem Lager bedrohten, und furchtbare Verwüstung hätten unter ihnen anrichten können. Die Insulaner sahen auch bald daß weiterer Widerstand vergeblich war, streckten die Waffen und wurden als Kriegsgefangene in die Stadt gebracht.«
»Die Einnahme dieses Lagers öffnete den Franzosen jetzt den Weg zu den beiden anderen befestigten Plätzen; ihnen lag aber keineswegs daran die Insulaner zu bekämpfen, sie wollten sie sich nur unterwerfen, und entließen ihre Gefangenen augenblicklich wieder, sobald sie das Französische Protektorat anerkannt. Einer der entlassenen Häuptlinge wurde dann nach Buaania, der schwächsten Befestigung, als Parlamentair abgesandt sie zur Uebergabe aufzufordern, oder mit einem Angriff zu drohn. Diese ebenfalls, als sie hörten wie die Sachen doch nun einmal standen, unterwarfen sich, und streckten dort allein 250 Gewehre.«
»Das Lager von Papeeneo ergab sich zuletzt; die Vertheidiger zögerten mehrere Tage, endlich aber fügten auch sie sich der Uebermacht und marschirten, gerade am Neujahrstag, in die Stadt, wo sie ihre Waffen nieder legten. Sie kamen in langer Procession – die Häuptlinge voran, dann die Krieger, und die Frauen und Kinder zuletzt. Noch etwa hundert Schritt von den Französischen Truppen entfernt machten sie Halt, knieten nieder und beteten, dann erhoben sie sich zusammen und marschirten in die Stadt. Indessen waren von den Franzosen schon ihre eingeborenen Richter ernannt worden, diese empfingen sie mit freundlichem Gruß, bewillkommten sie als Brüder und führten sie nach dem Gouvernementshaus, wo sie ihre Waffen förmlich niederlegten und das Protektorat anerkannten. Eine allgemeine Amnestie (ohne Ausnahme) wurde dann verkündigt, alle Fehltritte wurden als vergessen betrachtet, und den Leuten angedeutet sich ruhig und unbesorgt wieder in ihre Heimath zu verfügen.«
Die geflüchtete Königin kehrte erst im Februar nach Tahiti zurück, wo sie von Gouverneur Bruat empfangen und von ihm, als dem Repräsentanten Frankreichs, in alle ihre Rechte und Privilegien als Königin von Tahiti und Morea, unter Französischem Protektorat anerkannt wurde. Ein aufgestelltes Musikchor spielte ein Französisches Nationallied und ein Salut von ein und zwanzig Schüssen donnerte seinen Segen dazu.
Ihre Majestät bekam von da an einen förmlichen Gehalt von der Französischen Regierung; etwa in derselben Art wie die abgesetzten Indischen Fürsten auf Java von den Holländern erhalten und bezahlt werden, als Mittelspersonen gewissermaßen zwischen den Eingeborenen, für die sie zu haften haben, und der fremden Regierung. Pomare erhält jährlich 5000 Dollar, und außerdem noch eine nicht unbeträchtliche Summe als Landzins, für Beamtenstellen etc. – so daß die ganze Summe fast 8000 Dollar betragen mag. Jeden Verkehr Ihrer Majestät aber mit Fremden, die auf Tahiti wohnten oder es besuchten, behielt sich das Protektorat vor, und eine gewünschte Audienz mußte vier und zwanzig Stunden vorher angezeigt und der Grund der gewünschten Zusammenkunft gegeben werden – wahrscheinlich um weiteren Aufreizungen zuvor zu kommen und sie von vorn herein unmöglich zu machen.
So war der Titel den Pomaren erhalten, aber sie hatten aufgehört zu regieren.
Die katholische Religion breitete sich dabei ebenfalls mehr und mehr aus; ein Bischof war von Frankreich herüber gekommen, und ein großer Theil der Indianer wandte sich der neuen Religion zu. Andere verharrten in ihrem Glauben, und sehr Viele »überlegten sich« die Sache; sie waren stutzig geworden auf dem eingeschlagenen Weg – ihr einfacher Verstand begriff die Spitzfindigkeiten der verschiedenen Sekten nicht, und bald dieser bald jener sich neigend, leben sie gleichgültig in den Tag hinein; ein geringer gebotener Vortheil kann sie der einen oder anderen Religion leicht gewinnen.
Es war Frieden in Tahiti; die Partheien hatten sich vereinigt, Paofai und Utami, Tati, Hitoti und Paraita waren Richter des Volks geworden, und die Sonne lachte so freundlich auf die blitzenden Uniformen der Französischen Soldaten nieder, die beim Parademarsch alle jungen Leute der Umgegend um sich sammelten zu heiterer Lust, als sie auf die Tapatücher von deren Voreltern nieder geschienen. Die zerschossenen Brodfruchtbäume und Palmen waren entfernt, und andere schon wieder an ihrer Stelle gewachsen, große steinerne Gebäude aufgeführt, breite Straßen angelegt, Brücken gebaut und – Straßenlaternen standen auf behauenen Corallblöcken am Strand des Hafens von Papetee.
Im November des letzten Jahres kam ein Schiff durch die Straße von Tahiti und Imeo eingesegelt und wurde da von Windstille befallen. Während es noch mit schwerfällig gegen den Mast schlagenden Segeln, mit der Gegenströmung eher wieder seinen Cours zurückgehend, dort lag, lief ein kleines, von zwei Eingeborenen gerudertes Boot von Morea herüber an ihnen vorbei, und wurde von Deck aus angerufen.
Ein Passagier wünschte mit an Land zu fahren, und da er ihre Sprache vollkommen gut verstand, einigten sie sich bald darüber. Das Boot legte sich an die Seite des Schiffs, die Fallreepstreppe wurde über Bord gehangen, und der Fremde stieg rasch hinab, wo er ohne Weiteres seinen Sitz im Heck des Bootes und der Steuerruder nahm.
»Gerad' da hinüber wohin Ihr den Bug jetzt gedreht habt liegt die Einfahrt der Bai« sagte der eine Indianer, als sie das Schiff verließen und rasch über das vollkommen ruhige Wasser dahin glitten.
»Ich weiß es« erwiederte der Europäer, ohne die Augen jetzt von dem, vor ihnen ausbreitenden Ufer fort zu nehmen, und die Indianer ruderten schweigend weiter. Durch die Einfahrt glitten sie, von der Fluth begünstigt, rasch hinein und am Ufer hinauf, vermieden die hie und da verborgenen Corallenriffe, deren Lage der fremde Mann zu dem unbegrenzten Erstaunen der beiden Insulaner vollkommen gut kannte, und landeten endlich in Matavaibai an dem Fuß eines ziemlich gut gehaltenen Gartens, in dem oben eine der gewöhnlichen großen Bambushütten, wie sie die wohlhabenderen Eingeborenen bewohnen, stand.
Woher kannte der Fremde den Platz so genau? und doch erinnerte sich keiner der Beiden, die hier seit ihrer Kindheit wohnten, ihn je gesehn zu haben. Es war ein schlanker kräftig gebauter Mann, und seine Bewegungen hätten fast jugendlich genannt werden können, nur daß dem das schon stark ergraute Haar und die tiefen Furchen seines Angesichts widersprachen.
Neun Jahre hatten René Delavigne zum Greis gemacht, so daß selbst zwei seiner alten Nachbarn ihn nicht wieder erkannten.
Er sprang an Land, und als er den festen Grund betrat, denselben Platz wo einst seine eigene Heimath gestanden und er vor neun Jahren Abschied von – Er durfte den Gedanken nicht ausdenken, denn er wollte den Insulanern die Aufregung nicht verrathen in der er sich befand; aber er brauchte in der That mehre Minuten, ehe er sich so weit gesammelt hatte sie wieder anzureden, und frug endlich ruhig, wem das Haus hier gehöre und wer es bewohne.
»Dies hier? Mitonare« – sagte der Eine von ihnen.
»Was für ein Mitonare? – ein Ferani oder Kanaka?«
»Kanaka – gewiß« erwiederte der Eingeborene lachend, »Kanaka Raiteo – da sitzt er« fügte er dann mit leiserer Stimme hinzu, als er mit dem Fremden den schmalen Weg hinauf und am Haus vorbei der Straße zu ging, und René erkannte die Gestalt seines alten Feindes oder Freundes, wie es sein Nutzen eben nur erheischte, der, sein bewegtes Leben mit einem gottseligen vertauscht, ausruhend vor seiner Thür unter einem schattigen Orangenbusch saß und, die aufgeschlagene Bibel neben sich auf einem Tisch, die Hände über einem ansehnlichen Bauch gefaltet, mit unbeschreiblicher Behaglichkeit die Last seiner Existenz zu tragen schien. Er war in Frack, Weste und Halstuch, so unbequem als möglich gekleidet, aber darunter nur in den Pareu, denn seine Landeskrankheit, die unter den älteren Eingeborenen ungemein häufige Elephantiasis, erlaubte ihm nicht, der ansehnlich geschwollenen Beine wegen, in Hosen zu fahren. Die Unbequemlichkeit abgerechnet hat diese wunderbare Krankheit aber weiter gar keine üblen Folgen, sondern verleiht im Gegentheil dem Träger eher noch ein würdiges achtbares Ansehn, wenigstens in den Augen seiner Landsleute, und die damit Behafteten werden alt und grau.
Als Raiteo den Fremden erblickte rief er ihm sein gastliches Haremai, haremai entgegen, und lud ihn durch Winken mit der Hand ein näher zu treten.
»Wollen wir nicht hin gehn? – Mitonare winkt« sagte der eine Insulaner, der ihn noch bis zu da, wo oben seine Hütte stand, begleitete – René zögerte auch fast unwillkürlich, aber er wandte sich wieder ab, grüßte mit der Hand nach dem würdigen Mann hinüber, und schritt rasch vorbei.
Langsam und allein verfolgte er, als ihn der Eingeborene verlassen hatte, seinen Weg, die jetzt breite und bequem ausgegrabene Straße entlang nach Papetee. Sein Blick flog dabei unwillkürlich von einer der gemachten Verbesserungen und Neuerungen zur anderen, ohne aber lange darauf zu haften; er schritt theilnahmlos an den Kasernen und Kapellen, an den Gouvernementsgebäuden und Befestigungen vorüber, bis er die kleine, wohlbekannte Gartenpforte erreichte, die zu Monsieur Belards Hause führte. Seine zitternde Hand legte sich auf den Drücker, als sein Blick auf eine kleine Porcellaintafel fiel, die einen fremden Namen trug.
Durch den Garten kam, die Hände in den Taschen seiner weiten Nankinghosen, und ein fröhliches Lied pfeifend, ein behäbig aussehend alter Herr von unverkennbar Englischem Ausdruck.
»Verzeihen Sie mein Herr« redete ihn René in dieser Sprache an – »bewohnte nicht dieses Haus in früherer Zeit ein – Monsieur Belard?«
»In früherer Zeit allerdings« erwiederte jener – »ich habe es von ihm gekauft.«
»Und Monsieur Belard?« frug René rasch.
»Ist vor zwei Jahren etwa zurück nach Frankreich gegangen.«
»Zurück nach Frankreich? – allein?«
»Mit seiner Frau.«
»Und er nahm – er nahm sonst keine Dienerschaft – keine Begleitung mit?«
»Niemand, so viel ich weiß; wir waren bis zur letzten Stunde noch zusammen.«
»Ich muß Ihre Zeit noch einen Augenblick in Anspruch nehmen« fuhr René nach kurzer Pause fort – »können Sie mir vielleicht Auskunft geben, ob Schiffe oder Fahrzeuge manchmal von hier nach den leewärts gelegenen Inseln gehn?«
»Selten, die Missionsfahrzeuge ausgenommen; aber wenn Sie Fracht dorthin haben sollten, so liegt gleich da unten ein kleiner Cutter, kaum größer wie eine Schiffsbarkasse, dessen Eigentümer ihn mir erst heute Morgen zu irgend einer Fahrt offerirte; den könnten Sie jeden Augenblick miethen. Sie sind wohl erst ganz kürzlich von Frankreich herübergekommen?«
»Nein Sir; ich habe Frankreich schon mehre Jahre verlassen.«
»Aber Sie sind Franzose?«
»Allerdings.«
»Das dacht ich mir – doch wir stehn hier so in der Thüre, wollen Sie nicht näher treten?«
»Ich danke Ihnen herzlich« sagte René, dem es ein unheimliches Gefühl war die Schwelle gerade bei fremden Menschen wieder zu überschreiten – »ich habe dann keine Zeit zu verlieren und erkundige mich lieber gleich nach den Bedingungen. Wissen Sie vielleicht zufällig wo ich den Eigenthümer finden kann?«
»Er ist ein Landsmann von ihnen und wenn Sie ihn nicht an Bord finden, können Sie ihn jedenfalls bei Viktor erfragen – er fährt aber nicht selber, sondern schickt seine Indianer. Sie gehn dazu die erste Querstraße hier hinauf in die sogenannte Broomroad, und dann rechts hinunter bis Sie –«
»Ich danke Ihnen, ich kenne den Platz.«
»Ah, desto besser« und mit freundlicher Verbeugung trennten sich die Männer.
Der frische Ostpassat blähte die Segel, das wackere kleine Schiff warf schäumend die schimmernden Wellen zurück, die hinter ihnen her tanzten und sprangen, und in wilder Lust ihre Häupter schüttelten, daß die klaren blitzenden Perlen davon absprühten, und der Himmel spannte sich klar und rein über das tiefblaue, wie mit einem durchsichtig goldenen Netz überzogene Meer.
Gerade vor dem Bug des Cutters, dem er mit schwellender Leinwand entgegen strebte, zeigte sich Land – über den Horizont auf stiegen die wunderlich gezackten blauen Kuppen einer kleinen Insel, und hoben sich höher und höher, jetzt die einzelnen Conturen der Schluchten und Berghänge klarer abzeichnend, jetzt den zackigen Baumwuchs selbst, auf dem oberen Kamm der Hügel deutlich unterscheidend, während rechts und links schon ein schmaler, dünner, blauer Streifen – das niedere Palmenland, das die Hügel umgab, ablief, und der Fluth gleichsam entquoll, als sich das scharfgebaute flüchtige Boot mehr und mehr dem Ufer näherte.
»Mein Atiu!« flüsterte René, als er vorn auf der Back des kleinen Fahrzeugs stand, wo die am Bug aufspritzenden Wogen unter seinen Füßen schäumten, »mein liebes Atiu – und dort der Hügelhang, der unvergessene mit seinen rauschenden flüsternden Palmen, den stillen Zeugen meines schönsten Glücks – da drüben das schmale schattige Thal mit den duftenden Blumen, dort oben die runde Kuppe, die das Ihiamoea trägt – dorthin das Joch, das sich hinüber spannt nach jenem Berg, über den mich Sadie führte in jener Nacht; und da unten – ha, dort kommt schon das helle friedliche Dach des Mitonares mit seinem Orangenhain und Bananengarten, seinem lauschigen Platz unter dem breitästigen Hibiscus und dem murmelnden Quell am Haus, über dem die Palme liegt. Es ist noch Alles so wie ich es verließ« setzte er tief aufseufzend hinzu, als das kleine schmale Fahrzeug der Einfahrt in die Riffe zu strebte, und wieder nach langen Jahren die stille so wohl bekannte Bai die waldigen Arme ausstreckte ihn zu begrüßen – »Alles, nur in der eigenen Brust ist es todt, und am Herzen nagt es und wühlt in Schmerz und Reue.«
Das Segel fiel – der kleine Cutter hatte den seichten Corallengrund erreicht, und drei von den vier Eingeborenen, die seine Besatzung bildeten, kamen nach vorn, den leichten Anker über Bord zu werfen. Wie er sank und den Grund faßte, schwang das leichte Fahrzeug vor der Fluth herum, und die kleinen Fluthwellen kräußten in dem sonst hier vollkommen stillen Wasser an seinem Ankertau und Bug.
Sie lagen kaum dreißig Schritt vom Land entfernt, konnten aber, der hier überall auszweigenden Corallen wegen, nicht näher hinan kommen und mußten von dort ein Canoe oder Boot herbei rufen. Am Ufer hatten sich indessen eine Menge Mädchen und Frauen und Männer gesammelt, den ungewohnten Besuch zu empfangen und zu besprechen, und René harrte mit ängstlich klopfendem Herzen des Augenblicks, der ihn an Land – der ihn unter jene Gruppen wieder bringen sollte, dort zu erfahren was er nicht den Muth gehabt, in eines Menschen Auge hinein auf Tahiti zu erkunden. Wer hätte auch dort ihm Nachricht geben sollen von der fernen Insel.
Jetzt stieß ein Canoe vom Strand – zwei alte Insulaner saßen darin, und das leichte schlanke Fahrzeug glitt pfeilschnell zwischen den hier überall aufragenden Corallenblöcken hin auf sie zu und legte sich langseits.
»Joranna, Joranna!« riefen die fröhlichen Menschen, »Joranna bo-y – komm an Land Fremder, komm an Land – wir haben Cocosnüsse für Dich und Brodfrucht – komm an Land!«
Wie das Joranna dem fremdgewordenen Mann durch die Seele schnitt – er kannte die beiden Männer, die manche Nacht in seiner Hütte geschlafen und von seiner Brodfrucht gegessen – und ihn kannte keiner. Und hatte er sich denn gar so sehr verändert, und Zeit und Gram sein Antlitz so entstellt, daß ihn selbst alte Freunde und Nachbarn nicht mehr kannten? es war das ein wehes, schmerzliches Gefühl. Aber männlich kämpfte er jetzt gegen jede solche Regung an; er wollte sich nicht verrathen, ehe er nicht gewisse Kunde von dem erhalten, was wie die Ahnung nahenden Verderbens auf seiner Seele lastete.
Das freundliche Joranna leise erwiedernd, stieg er in's Boot hinüber, die Ruder fielen ein und wenige Minuten später raschelten die Korallen unter seinen Füßen.
»Und Sadie?« – der Name lag auf seinen Lippen, aber der Mund wagte nicht ihn auszusprechen, und unwillkürlich suchte der scheue Blick unter den lachenden munteren Gruppen die theuren bekannten, und jetzt doch fast gefürchteten Züge der Geliebten. »Sadie«, oh wie das Wort ihm durch die Seele klang, und die Erinnerung in tausend und tausend lieben nie vergessenen Bildern alle die seligen Stunden wieder auf beschwor, deren Schauplatz der Boden hier gewesen.
»Er versteht unsere Sprache nicht« sagten die Insulaner dabei unter einander – »er weiß nicht wohin er gehen soll, wir wollen den Mitonare rufen.« Und ein paar sprangen dem Hause zu, während Andere seine Hände ergriffen, und ihm durch Zeichen jetzt, und mit einzelnen abgebrochenen Worten, begreiflich zu machen suchten, daß in dem Haus da drüben ein Europäer wohne, der sich freuen würde ihn zu sehn.
Mitonare – was für freundliche Scenen das eine Wort in seine Seele rief, und unwillkürlich fast suchte sein Auge die Gestalt des kleinen würdigen Mannes in der offenen Thür. Dort aber trat ihm in der That ein weißer Mann entgegen, und René erkannte mit freudigem Staunen den alten trefflichen Mr. Nelson, der, den Fremden erblickend, freundlich auf ihn zu kam und ihn frug, womit er ihm dienen könne. Auch dieser ahnte in dem ergrauten Fremden mit tiefgefurchten Zügen den jungen lebenskräftigen Mann nicht mehr, der damals in strotzender Jugendkraft wild und trotzig hinein in's Leben stürmte.
»Nur einer Frage wegen komm ich her, ehrwürdiger Herr« sagte René mit leiser Stimme, als ob er schon fürchte sich nur im Klang der Worte zu verrathen – »lebt hier noch – wohnt noch auf Atiu –?« – Wieder stockte er – er brachte den Namen nicht über seine Lippen.
»Wen meinen Sie?« sagte der Geistliche, ihm still und freundlich in's Auge sehend.
»Sonst wohnte Bruder Ezra hier im Haus« stammelte René endlich, der fühlte, daß er wenigstens eine Antwort geben müßte.
»Bruder Ezra« wiederholte der Geistliche, leise und nachdenkend dabei mit dem Kopfe nickend – »Bruder Ezra, ja ja, das war in früherer Zeit – jetzt existirt der freilich nicht mehr.«
»Ist er todt?« rief René schnell und erschreckt.
»Nein, nein« lächelte Mr. Nelson, »das gerade nicht; im Gegentheil erfreut er sich eines ganz besonders gesegneten Wohlseins; aber er hat nur den »Bruder Ezra« und den »Mi-to-na-re« abgeworfen und ist, wenn auch nicht gerade anerkannt zum alten Heidenthum, doch von unserer christlichen Gemeinschaft zurückgetreten. Der arme kleine Mann konnte die vielen, in ihm von so verschiedenen Seiten wachgerufenen Zweifel, nicht länger bekämpfen, und übersprang sein Ziel. Anstatt zu prüfen und das Beste zu behalten verwarf er Alles, und lebt nun ziemlich gleichgültig, aber anscheinend ganz zufrieden in den Tag hinein.«
»Und wo ist seine Wohnung?«
»Nicht sehr weit von hier; gleich über jenem niedern Hügelhang. Wenn Sie den Pfad wüßten –«
»Ich will Dich führen, Wi Wi« sagte da eine leise Stimme an seiner Seite und als sich René rasch dorthin wandte, sah er sich einer schlanken, ziemlich abgemagerten Frau gegenüber, die ihre Augen fest und forschend auf ihn gerichtet hielt.
»Aia!« rief er überrascht aus, aber die Frau ergriff seine Hand und ihn mit sich fortführend sagte sie:
»Komm – ich weiß wohin Du willst, und kenne den Weg fast so gut wie Du.«
»Herr Delavigne!« rief aber auch jetzt der Geistliche, der ihn ebenfalls erstaunt erkannte – »mein Gott, wie haben Sie sich verändert.«
»Nicht wahr?« sagte René mit dumpfer düsterer Stimme, »ich bin nicht jünger geworden in den neun Jahren.«
»Komm, komm!« rief aber die Frau, ungeduldig ihn mit sich fortziehend – »wir Alle nicht – unser Fleisch ist weich geworden, unser Haar grau – nur die Erinnerung ist noch frisch und jung;« und den, ihr jetzt willenlos folgenden durch den Garten, den lieben bekannten Pfad hinführend, schritt sie mit ihm durch einen Wald von Guiaven, der hier erst später entstanden zu jenem Hügelkamm hinauf, auf dem Sadiens Lieblingsplätzchen lag.
»Du hast Wort gehalten« sagte sie dabei, still und unheimlich in sich hinein lachend – »Du bist uns gefolgt – Du bist gekommen – Sadie hat es immer behauptet.«
»Bst – bst – jetzt noch nicht« flüsterte die Frau – »Du hast wirklich Atiu nicht ganz vergessen, und bist wiedergekommen – nur ein wenig spät – ein wenig zu spät; und Dein Haar ist so dünn und grau geworden, Wi Wi, in der kurzen Zeit« fuhr sie, plötzlich stehn bleibend und einen Schritt von ihm zurücktretend fort, »und was für Furchen Dir das böse Gewissen in Stirn und Wangen gegraben. – Hm, hm, hm« setzte sie kopfschüttelnd hinzu – »das war doch eine trübe Zeit für Alle – und hab ich es Euch nicht vorher gesagt?«
»Zu spät, Aia?« rief René mit zitternder Stimme – »sagtest Du zu spät?«
»Bst, bst« wiederholte aber die Frau, und schritt auf's Neue rasch voran – »kannst es jetzt auf einmal nicht erwarten, und hast Dich die langen Jahre nicht um sie bekümmert? Du kommst zeitig genug dorthin, Wi Wi.«
Sie sprach von jetzt an kein Wort mehr, und den Hügelhang hinan sprang sie mit flüchtigen Sätzen, daß ihr René kaum zu folgen vermochte, bis sie plötzlich oben sich wandte, und den Ferani erwartend zur Seite trat. Aber René folgte ihr nur langsam nach; – jeder Schritt, jeder Fußbreit hier, traf ihn wie scharfer Messerstich in's Herz, denn so gepflegt, als ob sie nie den Platz verlassen und sorgsam die kleinste Pflanze gewahrt, lag der Pfad hier, wo der Hügelhang selbst begann und die sorgende Hand verrieth, die ihn gehalten. Und war das seinet willen etwa geschehn? – Jetzt sah er schon die Wipfel seiner Palmen, die freilich höher geworden waren in der langen Zeit, jetzt erreichte er das kleine Orangendickicht, das den lauschigen Platz so treulich abschloß gegen der Menschen Blick von unten her, und jetzt – heiliger Gott – Sadie – ein jäher Schlag traf ihn durch Herz und Mark und wie vor einer Erscheinung, zusammengeschmettert von dem furchtbaren Augenblick, sank er in die Knie und blickte zweifelnd, staunend, seinen eigenen Sinnen nicht trauend, auf das was sich ihm bot. Dort stand sein Weib – dort stand Sadie so schön und wunderhold, so wild, so jugendfrisch als je; die dunklen flatternden Blumen durchflochtenen Locken, die freie offene Stirn, das dünne Schultertuch den nackten Leib umfliegend, den Arm ausgestreckt gegen ihn und die zarten Lippen halb und eben weit genug geöffnet, die Perlenzähne dahinter zu verrathen. –
»Sadie!« rief er und barg die Augen in der Hand, um sich dort auf kurze Zeit wenigstens das holde Bild zu wahren, das, wie er nicht anders zu glauben wagte, vor seinem äußeren Blick doch gleich zusammenschwinden mußte – »Sadie, Du arme – verrathene Sadie!« – und was der Schmerz jetzt in jahrelanger nagender Qual fast nicht vermocht, gegen was er angekämpft mit all seinem hartnäckig männlichen Trotz, das brach der eine Augenblick – das schmolz ihm die Rinde von dem starren Herz. Wie der wild erregte Strom an seinem Damme wühlt und leckt und wäscht, und unermüdlich arbeitet Tag und Nacht, bis er sich endlich die freie Bahn gerissen und nun unaufhaltsam hindurch drängt, und in seinem Sturz die Schranken alle vor sich niederwirft, die ihn bis dahin immer noch gehalten, den furchtbaren, so drängte sich jetzt seiner Thränen so lang und krampfhaft gedämmter, nun aber entfesselter Quell hinaus in's Freie, hinaus aus den brennenden Augenhöhlen – »Sadie« und die Stirn in den kühlen duftenden Fern pressend, der den Boden deckte, schluchzte er laut.
»Was fehlt dem fremden Mann? – ist er krank? und woher kennt er meinen Namen?« frug eine sanfte oh so wohl bekannte Stimme, und seinen Sinnen selbst mistrauend zuckte der Unglückliche empor und schaute, in krampfhafter Hast sich die wirren Haare aus der Stirn streichend, auf das liebliche holde Kind, das immer noch ruhig und freundlich vor ihm stand.
Aber auch Aia's Zorn war gewichen, als sie den Reuigen zerknirscht, vernichtet am Boden liegen sah, und während auch über ihre abgehärmten Züge die klaren schweren Thränen nieder tropften, sagte sie leise und mit unendlicher Weiche im Ton:
»Die Du rufst, falscher, treuloser Wi Wi – die liegt unter Dir in dem kühlen Grab, das wir, ihrer Bitte nach, ihr hier gegraben auf ihrer Lieblingsstelle. Der kleine flache blumengeschmückte Hügel vor Dir deckt das arme Herz, das hier zuletzt den Frieden fand den Du geraubt, und kalt und rücksichtslos unter die Füße getreten. Es hat Dich mehr geliebt als Du verdienst, mehr als Du je geahnt, und noch im Tode Dir vergeben und Gottes Segen auf Dein Haupt herabgefleht. – Kennst Du Dein Kind nicht mehr?«
»Mein Kind? – Sadie?« rief René, vom Boden aufspringend und die Arme nach der scheu zu ihm aufblickenden Jungfrau ausstreckend – »Sadie – mein armes, armes Kind.«
»Ist das mein Vater, Aia?« frug da mit schüchterner Stimme das holde Kind – »der Vater, um den die Mutter hier so oft geweint, und für den ich jeden Abend beten mußte, wenn dort die Sonne hinter der Hügelspitze sank?«
Aia konnte nicht sprechen, das Herz war ihr selber zu voll, aber sie nickte langsam mit dem Haupt und Sadie, auf den Vater zutretend und ihr Köpfchen vertrauungsvoll an seine Brust schmiegend, während er sie mit leidenschaftlicher Heftigkeit umschlang und an sich preßte und ihre Stirn mit heißen Küssen bedeckte, sagte leise:
»Wir haben Dich so lang erwartet, Vater. Du bist recht lang geblieben, und Mutter hatte Dich so lieb.«
»Mein Kind, Du brichst mir ja das Herz« flehte der sonst so starke Mann, den der Schmerz jetzt zu bewältigen drohte – »mein liebes – liebes Kind.«
»Komm – fort von hier!« rief aber jetzt Aia, die es nicht länger ertragen konnte, seinen Arm ergreifend – »komm, Ihr quält Euch und mich und die Schlafende da unten unter den Blumen. Komm mit hinunter, Wi Wi, zu Ahiahi, den Du sonst Bruder Ezra nanntest, daß wir uns Alle fassen und vernünftig werden – mir hat's die Adern bald aus der Stirn gebrannt.«
Und seine Hand nicht lassend, während das junge Mädchen, von dem Arm des Vaters umschlungen ihr Haupt an seine Brust gelehnt hielt, schritten sie langsam den Hügelhang an der anderen Seite hinab, wo hin ein neuer bequemer Pfad gebahnt war. Er führte zu der jetzigen Wohnung des Mitonares – wie ihn die Insulaner doch noch immer, trotz seinem dagegen ankämpfen nannten – nieder.
Mitonare saß vor seiner Thür, noch behäbiger und runder aussehend vielleicht wie vor neun Jahren; ganz auch wieder in seiner zwar heidnischen, aber jedenfalls bequemen und natürlichen Tracht, hatte er nur den weiten luftigen Pareu um die breiten Hüften geschlagen, und mit einem breitrundigen Strohhut auf dem Kopf – dem einzigen, das er von der fremden Mode beibehalten – trug er den Oberkörper nackt, auf dem die blauen zierlichen Linien der früheren Tattowirungen scharf und deutlich hervortraten. Ziemlich gleichgültig hatte er auch wohl bis jetzt die Schritte der Nahenden gehört, als sein Blick auf die ihm verhaßte Europäische Tracht des Fremden fiel, und er schon staunend und überrascht aufschaute über solch ungewohnten und auch wohl unwillkommenen Besuch. Wie er aber die Gruppe erkannte, sein Pflegekind im Arm des fremden Mannes, da durchblitzte ihn auch im Nu die Wahrheit des Ganzen.
»Der Wi Wi!« rief er, von seinem Stuhle aufspringend und dem Fremden fast wie unwillkürlich die Arme entgegenstreckend, dann aber, als ob er sich plötzlich besann, ließ er sie wieder sinken, fiel auf seinen Stuhl zurück und starrte, die Hände auf seinen Knieen gefaltet, mit erstaunten Blicken auf den einstigen Freund, der jetzt so ganz verändert, ein alter Mann geworden, vor ihm stand.
»Mitonare – Joranna – Joranna!« rief aber René, dicht vor ihm stehn bleibend und ihm die linke Hand zum Gruß entgegenstreckend – »hab ich mich so verändert, daß selbst Du, mein alter Freund, mich nicht mehr erkennst? dann muß es freilich arg sein, und ich darf es den Anderen nicht verdenken.«
Mitonare veränderte aber seine Stellung nicht, noch nahm er die gebotene Hand; nur in die schmerzdurchzuckten gefurchten Züge des Zurückgekehrten aufschauend sagte er leise, und fast mehr mit sich selber als zu dem Fremden redend.
»Das war die Strafe für begangene Sünde von dem da oben, wie er auch eben heißt – das war das einzige Gute was noch in dem falschen und leichtsinnigen Wi Wi stak, das Gewissen. Das bohrte und stach und mahnte und ließ nicht nach, ließ nicht Ruhe und trieb den Wi Wi wieder herüber über das große Wasser, die Stelle noch einmal zu sehn, wo er seinen ersten Meineid geschworen gegen den Allmächtigen.«
»Mitonare« flehte René, dem die Worte das Herz zerrissen.
Der kleine Mann schüttelte mit dem Kopf.
»Bah, bah« sagte er, »Mitonare steckt da drinn in den Kalebassen – da Frack, da Halstuch und Weste – da dicke Buch, und da Schuh und Hemd – Ahiahi ist ausgezogen, hat Bruder Ezra und Mitonare in den engen Nähten gelassen und der heißen schwarzen Tapa, und ist jetzt wieder ein Mann geworden, der sich nicht mehr fürchtet, und die Sache abwarten will wie es einmal wird. Ahiahi hat Zeit, und kommt dann mit Vater und Großvater zusammen – einerlei wo.«
»Ahiahi ist böse auf Dich weil Du die Mutter verlassen hast« sagte da Sadie, traurig zu dem Vater aufschauend, »er hat sie so lieb gehabt.«
Mitonare hatte wahrscheinlich recht ernst und böse bleiben wollen, die Töne aber schnitten ihm in's Herz, und des Mädchens Hand ergreifend, winkte er ihr und Aia fortzugehn. Aia sah daß er mit dem Wi Wi allein bleiben wollte, schlang deshalb ihren Arm um deren Schulter und zog sie leise von dem Vater fort in den Wald hinein, der die Hütte rings umgab.
»Da bist Du nun wieder auf Atiu, René« sagte der Mitonare endlich mit leiser, schmerzbewegter Stimme, das peinlich werdende Schweigen brechend – »da bist Du nun wieder, und wie ist Dir jetzt zu Muthe? – bös, bös – recht bös und weh – und wie weh erst hast Du allen denen gethan die Dich so lieb gehabt.«
René barg sein Antlitz in den Händen aber erwiederte kein Wort, und der Mitonare fuhr leise fort:
»Die erste Zeit war die Schlimmste – wie wir so Monat nach Monat saßen und Deiner harrten, und Fahrzeug nach Fahrzeug ankam von Tahiti, ohne auch nur einen Gruß zu bringen an die arme Frau, da hat Sadie viel geweint, und Tage und Nächte lang da oben gesessen, wo sie jetzt ausruht von ihrem Schmerz, um hinauszuschauen nach nahendem Segel – immer, immer wieder vergebens.«
René hatte rasch und erschreckt aufgesehen, und sagte jetzt mit vor innerer Angst und Aufregung fast erstickter Stimme:
»Und hat sie meinen Brief von Tahiti nicht bekommen, wie ich so schwer dort verwundet lag? – den Brief den der Missionscutter selber mit herüber gebracht und den der Missionair – ich weiß nicht welcher – versprochen hatte in ihre Hand zu geben und sie selber, und wenn nicht das, doch wenigstens Antwort mit zurück zu bringen?«
»Einen Brief? – der Mitonare?« sagte der kleine Mann kopfschüttelnd – »und wann war das?«
»Nur wenige Wochen nachdem sie mich verlassen« erwiederte René schnell.
»Da war Bruder Rowe selber hier« sagte der Kleine kopfschüttelnd, »und wußte von Nichts – hat kein Wort gesagt, keinen Brief – keine Nachricht gehabt für uns –«
»Und auch von Frankreich kam kein Brief hier an?« frug René in immer wachsender Angst.
Der Mitonare schüttelt aber traurig mit dem Kopf und sagte:
»Keiner – kein Brief, keine Nachricht – bis – bis der Mitonare zum letzten Mal zu Sadie kam – da hat er viel gesagt, und dann –« setzte er mit tief bewegter, kaum hörbarer Stimme hinzu – »dann war's vorbei.«
»Allmächtiger Gott, so sind meine Briefe verloren oder unterschlagen« rief René zerknirscht, »und Sadie hat glauben müssen ich hätte nie wieder ihrer gedacht.«
»Nie wieder ihrer gedacht?« sagte der Mitonare finster, »bah, bah, was hätte der Brief geholfen, wenn der Wi Wi selber fortblieb, und den hat doch Niemand vergessen können als er selber.«
»Arme, arme Sadie« stöhnte René.
»Ja wohl arme Sadie« sagte der Mitonare traurig – »und wie der finstere Mann erst einmal eine lange lange Zeit weggeblieben, und drüben gewesen war über dem großen Wasser, und wie er zurück kam und von dem Wi Wi erzählen konnte, daß er ihn drüben gesehn –«
René wurde aufmerksam und schien dem kleinen Mann die furchtbaren Worte von den Lippen rauben zu wollen, so fest hafteten seine Augen daran.
»Als er von dem großen Haus sagte in dem er dorten wohnte –« fuhr Mitonare immer heimlicher fort, wie jetzt selber schüchtern, als ob die Verstorbene noch einmal die Kunde hören könne, die ihr damals den Todesstoß gegeben – »und daß er – daß er sich wieder eine andere Frau genommen – das schöne weiße Mädchen das drüben auf Papetee gewesen, und mit dem er fortgefahren sei in einem Schiff, – da – da war's aus. Da brach ihr das Herz und – sie lebte wohl noch eine ganze Woche lang, und küßte ihr Kind viel und betete mit ihm, – aber – aber das Gift hatte gewirkt, und am nächsten Sabbath« – der kleine Mann konnte nicht mehr. Bis hierher hatte er sich, seinen Schmerz in der Gegenwart des Mannes der der Urheber all dieses Leids gewesen verbeißend, ruhig gehalten und wenn auch oft mit zitternder Stimme, doch selbst ohne Thräne im Auge forterzählt, die Erinnerung an das herbe Leid aber das ihn betroffen, in solcher Art wach gerüttelt, nahm auch ihm den letzten Halt, die letzte Festigkeit, und den Kopf auf die Knie niederbeugend, daß der Wi Wi die Thränen nicht sehen sollte, die er nicht mehr zurückhalten konnte, stützte er den Kopf in die Hände und schluchzte laut.
René wagte nicht das Schweigen zu unterbrechen – er stand da, erschüttert und vernichtet, und die gefalteten Hände vor sich nieder streckend, das Kinn auf die Brust gebeugt, starrte er mit todtbleichen Zügen und thränenlosen Augen vor sich nieder, bis der Mitonare sich endlich gewaltsam bezwang, die Thränen aus den Augen wischte und mit lebendigerer Stimme fortfuhr.
»Nachher kam Bruder Rowe wieder zu uns; die Mutter war fertig – wollte nun an der Tochter anfangen – kam wieder mit »Bruder Ezra« und »Mitonare«, Oros Zorn über ihn; kam mit dickem Buch und dem stachlichen Stock da hinten – aber Ahi-ahi ist nicht so schwach – Bruder Rowe kommt nicht wieder über den Hügel – da hinaus flog er, glaubte er hätte Arm und Bein gebrochen. – Jetzt ist Alles wieder gut,« setzte er dann mit ruhiger Stimme hinzu, »Ahiahi lebt zufrieden und glücklich – lernt keine Bibelverse mehr und kein kleines dünnes Buch, braucht Nichts mehr herzusagen und sich nicht mehr mit iti iti kanaka zu ärgern. Aber –« setzte er plötzlich rasch und erschreckt hinzu, als Sadie mit Aia zurückkehrten zum Haus, und ein neuer Gedanke sein Hirn durchzuckte – »was willst Du jetzt wieder hier auf Atiu – Wi Wi – bist Du gekommen die Mutter zu suchen oder – oder willst Du – Dein Kind mit Dir nehmen in die fremde kalte Welt hinaus?«
Renés Blick haftete mit unendlicher Wehmuth auf den lieben Zügen des holden Mädchens, das die letzten Worte gehört und sich schüchtern zu ihrem Pflegevater wandte.
»Fort von Dir, Vater?« sagte sie dabei – »fort von Aia – von Mutters Grab? – ich darf nicht – ich habe ihr versprochen ihr Lieblingsplätzchen da oben zu halten wie es ist.«
»Ja« setzte der kleine Mann finster, und doch mit angstgepreßter Stimme hinzu – »ja – Du kannst sie jetzt fortnehmen mit Dir – Du hast vielleicht das Recht dazu, und – sie ist auch jetzt fast so alt wie ihre Mutter damals war – gerade alt genug um auch draußen die Sprache der Wi Wis und der Beretanis zu lernen, und fremde Kleider zu tragen und sich elend zu fühlen – wie ihre Mutter. Hier hat sie freilich Nichts anderes getrieben als Tapa machen und singen und tanzen und fröhlich sein, und beten Abends wenn sie dem Grab der Mutter gute Nacht sagte; sie weiß Nichts weiter, als was wohl einen der jungen Burschen hier auf der Insel glücklich machen könnte – und sie dann vielleicht auch. – Aber nimm sie nur mit, bis sie ihr draußen auch das Herz gebrochen haben, wie ihrer Mutter, dann schick sie mir wieder, und Ahiahi wird ihr dann das Bett machen neben – neben der Anderen.«
»Nein, nein!« rief aber René, dem der nur zu gerechte Vorwurf tief in die Seele schnitt – »nein, Mitonare, ich habe schwer genug gesündigt an Euch hier; – nicht mehr – nicht mehr. Behalt Sadie, und wahre sie vor dem Fluch der ihrer Mutter Glück zertrümmerte – halte ihr Herz rein und gut, laß sie nie hinaus über das Rauschen ihrer Palmen, über das Donnern ihrer Brandung, und mir den Trost wenigstens zu glauben daß sie, mein Kind, hier glücklich lebt.«
Der Mitonare stand eine ganze Weile vor ihm, bald ihn, bald das Kind betrachtend, endlich ergriff er langsam des Mannes Hand und sagte leise und mit tief bewegter Stimme.
»Armer Wi Wi – armer René – Du bist recht alt geworden in den wenigen Jahren – und gewiß nicht glücklich, wie Du vielleicht geglaubt.« René schüttelte heftig und abwehrend mit dem Kopf und der kleine Mann fuhr, sich abwendend fort – »Die Menschen wissen's gewöhnlich nie wenn sie's sind – wollen Andere glücklich machen und machen sie, und manchmal auch sich selber elend. Dein Volk hat unserem Lande viel Schmerz gebracht. – Aber wie willst Du's haben?« setzte er dann ruhiger, freundlicher hinzu, dem Vorwurf vielleicht ein Wort des Trostes beizumischen – »ich weiß nicht, ob Du das Kind mir lassen willst, oder ob ihr vielleicht der weiße Mitonare, der sie schon oft hat haben wollen, die Sachen lehren soll, die sie bei mir nicht lernen kann?«
»Nein Mitonare, nein!« rief aber René rasch und bewegt – »kein Segen wäre das hier für sie, auf der stillen Insel, und Du selber hast Dir das größte Recht auf sie erworben. In lieblicher Unschuld ist das Mädchen aufgeblüht – wahre Du sie fortan, wie Du's bis jetzt gethan. Doch ich bin reich; ich will Dir Geld zurücklassen, daß Du –«
»Geld?« unterbrach ihn aber der Mitonare rasch und zornig – »Geld? willst Du selber den Fluch wieder säen auf Atiu, der unser Volk schlecht gemacht hat und geizig? Geld – fort damit, fort – es ist Gift darin und Haß und Neid, und sie wachsen mit den häßlichen runden Stücken. Siehst Du die reife Frucht da am Brodfruchtbaum? siehst Du das klare Wasser hier? – brauchen wir mehr? – Wir nicht, aber wer anders braucht davon; – die schwarzen Mitonares wollen Geld – immer nur Geld – denen gieb es wenn Du so viel hast; Ahiahi gönnt es ihnen – nicht uns hier; hast uns weh genug gethan; aber Du meinst es nicht so schlimm« setzte er ruhiger hinzu – »wußtest es nur nicht besser. Doch es ist Zeit für Dich, Sadie – die Sonne sinkt; komm Aia – laß die Beiden zusammen gehn – das Gebet dort oben am Hügel wird ihnen wohl thun. Gehst Du mit ihr, René?«
René barg sein Angesicht in den Händen und stand still und sprachlos, viele Secunden lang; endlich ermannte er sich. Als er die Hände fort nahm, war sein Antlitz fast todtenbleich, und er ging langsam auf den Mitonare zu, ergriff und schüttelte seine Hand, und küßte den darüber etwas verlegenen kleinen Mann auf den Mund; auch Aias Hand, die sie ihm willig überließ, nahm er und drückte sie, und sein Kind dann an sich ziehend, schritt er mit ihm langsam den kleinen Hang hinauf, dem Grab der Gattin zu.
Lange schon war die Sonne im Meer gesunken und tiefe Dunkelheit deckte das Land und den Ocean, noch immer aber saß der kleine Mitonare vor seiner Hütte, Vater und Tochter zu erwarten, und fing schon an unruhig zu werden über das gar so lange Ausbleiben der Beiden. Endlich erhob er sich, und wollte sich eben aufmachen ihnen entgegen zu gehn, als er leichte Schritte im Laub hörte, und gleich darauf Sadie – allein – vor ihm stand.
»Und wo hast Du den Wi Wi?« frug der Mitonare rasch und eine dunkle Ahnung zuckte ihm durch's Herz; Sadie aber schmiegte sich an seine Brust, und während er fühlte wie die heißen Thränen ihren Augen entquollen flüsterte sie:
»Er ist fort, Vater – fort, und wird nie wieder kehren.«
»Fort?« rief der Mitonare erschreckt – »mitten in der Nacht? – wohin? –«
»Fort mit seinem Boot« sagte die Jungfrau, das liebe Antlitz mit den Händen deckend –
»Durch die Corallenriffe bei Nacht?«
»Wir haben lange auf Mutters Grab gebetet, und er mit mir, wie's Mutter mich gelehrt; alle die alten Gebete hab' ich ihm gesagt, und – oh er hat geweint, als ob ihm das Herz brechen müßte an der theueren Stätte. Dann hat er mich an sich gezogen und mich geküßt, und wieder geküßt, und seine Sadie, sein liebes armes Kind genannt, und dann gesagt, er sei nicht werth zu leben, wo er uns Alle unglücklich gemacht. Da bat ich ihn bei uns zu bleiben und schlang meine Arme um ihn, aber er riß sich los von mir, und floh den Hang hinab, und als ich trauernd zurückblieb und ihm nach schaute, konnte ich das kleine Schiff erkennen, wie es den Anker hob, das Segel setzte – und mit der frischen Brise die heut Abend weht, glitt der dunkle Schatten des Fahrzeugs von sicherer Hand gesteuert durch die Riffe hin, der Einfahrt zu, durch die es bald verschwand.«
Der Mitonare erwiederte kein Wort; er küßte das Mädchen und ging hinein in sein Haus und blieb dort allein, den ganzen Abend.
Als sich die Sonne am anderen Morgen aus dem Meere hob, blickten die Insulaner vergebens nach dem kleinen Cutter aus – kein Segel war am ganzen Horizont zu sehn.
Druck von Ferber & Seydel in Leipzig.
[1] Verdammte Narren Ihr.
[2] Verdamm seine Augen.
[3] Wilde Bananen
[4] Kurze Degen an Bord von Schiffen gebrauchlich.
[5] Die Missionaire, von denen wohl wenige musikalisch sein mochten, hatten in früheren Jahren den Indianern zu ihren Hymnen keine anderen Melodieen bringen können, als die, die ihnen noch vom alten Vaterland im Gedächtniß waren, meist Volkslieder, denen sie den frommen Text dann anpassen mußten.
[6] Der Kern der Tutui- oder Tuituinuß hat große Aehnlichkeit mit unserer Wallnuß, ist aber eher noch öliger und brennt; ebenso wie auch der Kern unserer Wallnüsse ein ziemlich helles Licht verbreitet.
[7] In keinem Lande, auf keiner Insel der Welt, ist es so augenscheinlich wie hier, daß furchtbare Erderschütterungen die Berge in früheren Zeiten auseinandergerissen, und dadurch jene tiefen schroffen Thäler gebildet haben, die sich, Abgründen gleich, Meilen weit ausdehnen und deren Hänge in den meisten Ländern durch Zeit und Stürme abgerundet und zu selbstständigen verschiedenen Theilen wurden. Hier aber liegt noch die Kluft, wie sie jene geheimnisvolle Kraft der Tiefe mit furchtbarer Gewalt auseinander gesprengt, und wenn auch der üppig vorquellende Pflanzenwuchs solch fruchtbar vulkanischen Boden nicht mochte lange unbenutzt liegen lassen und die schroffen Hänge und Felsen selbst, bis in die höchsten und ungangbarsten Wände hinein, mit Busch- und Schlinggewachs mit Farrenkraut und Waldung selbst überzog, hat die Natur doch noch nicht Zeit genug bekommen jene scharf abgerissenen, durch den gewaltsamen Auswurf erzeugten Conturen wieder auszugleichen, und die Umrisse der Wände, trotz der tiefen eingebrochenen Schlucht dazwischen, zeigen deutlich und unverkennbar, wie sie früher ein Ganzes gebildet, in Bruch und Einschnitt die Riesenkraft verrathend die hier thätig gewesen.
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Änderungen
Seitenangabe
originaler Text
geänderter Text
Seite 9
lachte Adlophe. »Wetter mein Bursche
lachte Adolphe. »Wetter mein Bursche
Seite 10
Doch es fällt mir nicht ein ihre Partei zu ergreifen
Doch es fällt mir nicht ein ihre Parthei zu ergreifen
Seite 16
rief Leférre mit einem wilden Fluch
rief Lefévre mit einem wilden Fluch
Seite 17
wenigstens meinen Spaß mit Ihr gehabt
wenigstens meinen Spaß mit ihr gehabt
haben Sie sich so leicht von Ihrer Frau trennen konnen?
haben Sie sich so leicht von Ihrer Frau trennen können?
lachte Leferre – »wenn es ihr nicht mehr
lachte Lefévre – »wenn es ihr nicht mehr
Seite 20
gleicher Zeit wurden an dem einen passensten Hügelhang
gleicher Zeit wurden an dem einen passendsten Hügelhang
Seite 21
mit dem Lieutenant der Jeanne d'Ark
mit dem Lieutenant der Jeanne d'Arc
Seite 25
jeder seiner eigenen Beqemlichkeit folgend
jeder seiner eigenen Bequemlichkeit folgend
Seite 31
Colonnen anrucke, und sich, wie es schien,
Colonnen anrücke, und sich, wie es schien,
zum Sturm ruste auf das Fort
zum Sturm rüste auf das Fort
Seite 34
erwarteten sie den immer noch hinausgezogerten Angriff
erwarteten sie den immer noch hinausgezögerten Angriff
Seite 35
Für die Bibel! fur die Bibel!
Für die Bibel! für die Bibel!
Seite 45
Zu gleicher Zeit sprang Bertram zu und den Iren
Zu gleicher Zeit sprang Bertrand zu und den Iren
Seite 49
Hei wir Ihr –
Hei wie Ihr –
Seite 51
der erste Lieuteuant der Uranie
der erste Lieutenant der Uranie
Seite 53
der rechts nud links Verderben brachte
der rechts und links Verderben brachte
Seite 58
noch dazu da es sie in ihren Familienverhältnissen
noch dazu da es Sie in ihren Familienverhältnissen
Seite 62
vielleicht manchen Landsmann dadurch das Leben erhalten.
vielleicht manchem Landsmann dadurch das Leben erhalten.
Seite 66
Sind sie also im Stande ein
Sind Sie also im Stande ein
Seite 88
soll ich die Calabasse unter der Lampe dort aufgraben
soll ich die Calabasse unter der Lampe dort ausgraben
Seite 97
und wie der großte Theil der Mannschaft
und wie der größte Theil der Mannschaft
Seite 102
kraftige Arme umschlangen ihn
kräftige Arme umschlangen ihn
Seite 145
er erschrak als er auf sah
er erschrak als er aufsah
Seite 155
aber keineswegs in seiner Flucht aufhielt sondern dieselben
aber keineswegs in seiner Flucht aufhielt sondern dieselbe
Seite 170
am nächsten Morgen durchzogen mehre Patrouillen
am nächsten Morgen durchzogen mehrere Patrouillen
Seite 187
noch mehr Verfolger auf ihre Versen zu bekommen
noch mehr Verfolger auf ihre Fersen zu bekommen
Seite 197
bis in die hochsten und ungangbarsten Wände
bis in die höchsten und ungangbarsten Wände
Seite 251
wir einmal Zeit bekommen Sie auch von dort
wir einmal Zeit bekommen sie auch von dort
Seite 273
Toll genug wären Sie dazu gewesen
Toll genug wären sie dazu gewesen
Seite 276/277
aber die stattgehabte Entzundung seinen Arm so gelähmt
aber die stattgehabte Entzündung seinen Arm so gelähmt
Seite 312
Ws für ein Mitonare?
Was für ein Mitonare?
End of the Project Gutenberg EBook of Tahiti: Roman aus der Südsee. Vierter Band, by Friedrich Gerstäcker *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK TAHITI *** ***** This file should be named 46083-h.htm or 46083-h.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/4/6/0/8/46083/ Produced by richyfourtytwo and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. 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