The Project Gutenberg EBook of Clementine, by Fanny Lewald This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org Title: Clementine Author: Fanny Lewald Release Date: June 14, 2014 [EBook #45965] Language: German *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK CLEMENTINE *** Produced by The Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This book was produced from scanned images of public domain material from the Google Print project.) [ Symbole für Schriftarten: _gesperrt_, =Antiqua= ] Clementine. =Woman's love! how strong is it in its weakness, how beautiful in its guilt.= =BULWER, Pelham.= Leipzig: F. A. Brockhaus. 1843. Erstes Kapitel. Also weil der Herr Geheimrath mich gestern geistreich gefunden, soll und muß ich ihn heirathen? fragte Clementine und sah dabei lachend ihre jüngere Schwester, die Professor Reich, an, die ganz erhitzt auf dem Sopha ihres Wohnzimmers saß. Darum allein nicht, entgegnete diese, aber Du darfst diese Verbindung nicht ausschlagen, wie alle andern, die sich Dir boten. Der Geheimrath von Meining ist ein sehr geachteter, fein gebildeter und reicher Mann; er ist freilich 50 Jahre, Du bist aber schon 27, was kann denn passender sein? Du hast mir selbst gesagt, daß Du an Dein früheres Verhältniß zu Robert Thalberg mit vollkommener Ruhe dächtest; warum also wieder ein Glück, ein wahrhaftes Glück von Dir weisen, das sich Dir vielleicht nie wieder bietet? Mein Mann wünscht diese Verbindung, die Tante, Deine letzte Instanz, dringt darauf, Meining erwartet das Glück seines Lebens davon und Du selbst hältst Meining nicht nur für einen liebenswürdigen, sondern auch für einen ehrenwerthen Mann; was willst Du denn eigentlich, Clementine? Ich will nicht lügen, Marie! Ich will, ich kann es nicht, und je achtungswerther mir der Geheimrath erscheint, um so weniger möchte ich ihn täuschen; ich kann nicht heirathen, quäle mich nicht. Beide Damen gingen fast erzürnt von einander; die kleine, rosige Professorin in die Arbeitsstube ihres Mannes, um ihm das vermuthliche Mislingen ihres Planes mitzutheilen; die ernste, schlanke Clementine auf ihr Zimmer, um den Sturm, den diese Unterhaltung in ihr erregt hatte, ruhig austoben zu lassen. Clementine und Marie Frei waren die Töchter eines hochgestellten preußischen Beamten. Sie hatten früh ihre Mutter verloren und eine Tante, Frau von Alven, eine kluge, feinfühlende Frau, die Witwe und deren einziges Kind früh gestorben war, hatte die Erziehung der beiden Mädchen im Frei'schen Hause übernommen. Nichts konnte aber verschiedener sein, als der Charakter dieser beiden Schwestern: Clementine, heftig, geistreich und zu tiefem Fühlen geneigt, wurde schnell von plötzlichen Eindrücken gefesselt, die sich dauernd ihrer Seele einprägten; was sie einmal ergriffen hatte, was ihr lieb geworden war, das konnte keine Macht ihr entreißen, das hielt sie fest fürs Leben. Aus diesem Gefühl entsprang die treue Anhänglichkeit für Frau von Alven, die innige Liebe für ihren Vater und die fast mütterliche Zärtlichkeit für die um sechs Jahre jüngere Marie; aber zugleich auch eine leidenschaftliche, unwandelbare Liebe für Robert Thalberg, einen jungen Mann, mit dem sie in ihrer ersten Jugend in allen befreundeten Familien zusammengetroffen war. Thalberg hatte in tausend Dingen die auffallendste Charakterähnlichkeit mit Clementinen. Auch auf ihn wirkten in seiner Jugend die Eindrücke des Moments, und obgleich mit dem schärfsten Verstande und ungewöhnlichem Geiste begabt, hatte sein leidenschaftliches Herz ihn häufig fortgerissen und er sich oft dadurch in eigenthümlich verwickelte Verhältnisse gebracht, die bald störend, bald fördernd auf ihn gewirkt. Ein ungebändigter Freiheitssinn, ein an Tollkühnheit grenzender Muth, eigensinniges Beharren auf seinem Willen und doch eine fast kindliche Weichheit gegen die Personen, die er liebte, machten ihn für die Frauen unwiderstehlich; besonders da ein imposantes, männlich schönes Aeußere gleich anfangs für ihn einnahm. Thalberg hatte der lebhaften, interessanten Clementine, wie alle jungen Leute ihres Kreises, seine Huldigungen dargebracht, weil sie hübsch und in der Mode war; bei näherer Bekanntschaft entdeckten Beide aber eine solche Aehnlichkeit in ihren Neigungen und Gesinnungen, sie begegneten sich so oft in ihrem Enthusiasmus für das Schöne, daß das gewöhnliche Wohlgefallen sich in eine wirkliche, ernste Neigung verwandelte und sie sich gegenseitig, ohne durch bestimmtes Versprechen an einander gebunden zu sein, als zu einander gehörend betrachteten. Clementinens Verwandte sahen ein Verhältniß, das für die Zukunft so viel Glück zu versprechen schien, ruhig wachsen, und als Thalberg Berlin verließ, nahm man allgemein an, daß das junge Paar längst einig und verlobt sei. Clementine selbst lebte jetzt nur in der Erinnerung an Robert; Alles, was ihr begegnete, was sie that, wurde im Geiste Robert's Urtheil unterworfen, der, um mehrere Jahre älter als sie, einen wesentlichen Einfluß auch auf ihre geistige Richtung ausgeübt hatte. Sie liebte Alles, was seinem Willen angemessen schien, verwarf Alles, was gegen seine Ansichten sein konnte, und lebte getrennt von ihm, mitten in der Gesellschaft, doch ganz allein mit dem fernen Geliebten; wie jene Nonnen, die, sich beständig unter den Augen ihres himmlischen Bräutigams wähnend, nur seinem Willen leben und kein anderes Gesetz kennen als das seine. Die Liebe zu dem Abwesenden war ein religiöser Cultus in ihrer Brust, und selbst der Gedanke, es könne ihr jemals möglich sein, den dringenden Bewerbungen anderer Männer die geringste Aufmerksamkeit zu gönnen, fiel ihr nie ein. Sie liebte die Ihrigen, half der Tante treulich die schöne Marie erziehen und bildete rastlos an sich fort, damit Robert, wenn er einst wiederkäme, sie nicht unter seinen Erwartungen fände. So waren ein paar Jahre vergangen, die kleine Marie war zu einem reizenden Mädchen herangewachsen und das harmloseste, unbefangenste Kind geblieben. Ihre Familie, ihre Toilette, die Bälle, ihre kleinen Abenteuer von gestern -- das war die Welt, die sie kannte; man liebte sie allgemein und was konnte sie noch wünschen? Sie war das verzogene Kind des Hauses. Bald nach ihrem 16. Geburtstage hatte Professor Reich um ihre Hand geworben, hatte die Zustimmung des Vaters erhalten und die kleine Braut war mit der Myrthenkrone und dem weißen Schleier zum Altare mit demselben Gefühle gegangen, mit dem sie ein Jahr vorher, am Tage ihrer Confirmation, die Kirche betreten hatte. Sie hatte das Bewußtsein eines wichtigen Schrittes, ohne sich die Folgen desselben klar zu machen; und nachdem der schwere Abschied von Vater, Schwester und Tante vorüber war, folgte sie ihrem Manne, froh und sorglos wie ein Kind, nach Heidelberg, wo er angestellt war. Clementine blieb nun allein zurück. Sie war stiller und ernster geworden, von Robert hatte sie nur selten gehört, die Zeit seiner Rückkehr wurde von den Seinen immer weiter hinausgeschoben und sie konnte es sich nicht verhehlen, daß Robert's Wunsch, sie wiederzusehen, lange nicht mehr so lebhaft sein müsse, als in jener Stunde, wo sie unter den heißesten Thränen mit dem ersten glühenden Kusse von einander Abschied genommen hatten. In dieser Zeit erkrankte der Geheimrath Frei und nach wenig Wochen standen die Tante und Clementine an seinem Sarge; ihr ganzes Leben war nur ein Schrei des Schmerzes, der Robert herbeirief, um alles Leid an seinem Herzen auszuweinen, um alle Liebe, die der theuere Vater besessen hatte, auf den geliebten Freund zu vererben -- aber Robert, obgleich ihm der Todesfall angezeigt worden, kam nicht; und seine Mutter äußerte gegen Frau von Alven, daß ihr Sohn wol sobald nicht zurückkehren würde, da Berufsverhältnisse und, wie sie glaube, auch eine kleine Neigung ihn an seinen jetzigen Aufenthalt fesselten. Frau von Alven erschrak, hielt es aber für ihre Pflicht, endlich einmal mit Clementinen offen über deren Zukunft zu sprechen. Sie war durch den Tod ihres Vaters unumschränkte Herrin ihrer Handlungen geworden; die Tante sehnte sich in ihre Vaterstadt zurück, und so trat sie eines Tages ganz plötzlich vor Clementine mit der Frage hin, welche Plane sie nun für die nächste Zeit gemacht habe? Sie theilte ihrer Nichte ihren Wunsch mit, Berlin zu verlassen, verschwieg ihr nicht, was Madame Thalberg ihr gesagt, und war nicht wenig überrascht, Clementine bei der Nachricht, die für sie ein Todesstoß sein mußte, anscheinend ganz ruhig zu finden. »Ich weiß es längst, gute Tante! sagte sie, daß Robert mich nicht liebt, sehr lange schon; und daß er jetzt für mich kein Wort des Trostes, der Theilnahme hat, keinen Gruß durch die Seinen, das nimmt mir mit dem letzten Zweifel die letzte Hoffnung; aber es ändert in meinen Gefühlen für ihn Nichts. Wir waren Beide durch keinen Eid an einander gebunden, Robert liebt mich nicht mehr, hat mich vielleicht nie geliebt, und ich habe sein Wohlwollen für Liebe gehalten -- so glaubt er sich frei und ist es auch; denn nicht der Eid, sondern die Liebe bindet. Ich aber liebe ihn mehr als je, er ist Alles, Alles, was ich liebe, und darum bin ich sein, auch wenn wir uns nie wieder sehen sollten. Entgegne mir darauf Nichts, fuhr sie fort, als ihre Tante eine Einwendung machen wollte, ich weiß, wie gut Du es mit mir meinst; darum laß mich mir selbst. Dich aber länger von den Freunden und der Heimat zu trennen, wohin es Dich zieht, dazu habe ich kein Recht; Marie verlangt nach mir, ich werde nach Heidelberg gehen, werde ihr nützlich sein und in dem Kreise ihres Hauses meine Zukunft finden. Versprich mir aber, daß Du mir nie fehlen wirst, wenn ich Dein bedarf.« Frau von Alven weinte still; Clementine kniete vor ihr nieder, küßte ihre Hände und bat: »und nun noch Eins! Ich habe seit Jahren mehr gelitten, als ich zu leiden für möglich hielt; ich fürchte jede Berührung meiner tiefen Wunde mehr als den Tod; versprich mir, daß Robert's Name nicht mehr zwischen uns genannt wird und daß wir uns trennen ohne Abschied; wir bleiben ja doch ewig beisammen.« Die Tante gelobte Alles und wenig Wochen darauf rollte der Postwagen, welcher Frau von Alven in ihre Heimat führte, an Clementinens Wohnung vorüber, in der sie mit ihrem Schwager am Fenster stand, der gekommen war, sie nach Heidelberg abzuholen. Nach den schmerzlichen Aufregungen der letzten Zeit, dem wehmüthigen Gefühl, von den Räumen zu scheiden, die so lange stille Zeugen ihres Lebens waren, that die Ruhe im Hause der Professorin Clementinen anfänglich sehr wohl. Sie hatte die junge Frau fast unverändert gefunden; Marie liebte ihren Reich von Herzen, betete ihre beiden Kinder an, sorgte treulich für ihr Haus und war eine Frau, wie die Mehrzahl der Männer sie wünscht. Der Professor hielt regelmäßig seine Vorlesungen, arbeitete den Rest der Zeit emsig in seiner Studirstube und ließ sich während der Mahlzeiten mit der größten Theilnahme Alles erzählen, was in der Zwischenzeit von der Frau, den Kindern und den Dienstboten irgend zu erzählen war. Beide Eheleute waren durchaus zufrieden mit einander und wünschten nichts Besseres, als daß es immer so bliebe: ohne bestimmten Blick in die Zukunft, ohne lebhaftes Gedenken einer Vergangenheit, ging ein Tag nach dem andern hin und alle Abwechselung in Mariens Leben machte der Besuch gleichgestimmter Frauen und ein Spaziergang in der nächsten Umgebung. -- Es dauerte auch nicht lange, bis Clementine sich äußerlich in diese Lebensart gefunden hatte, und bald war sie Allen unentbehrlich geworden; ihr ewig beweglicher Geist hatte tausend neue Spiele für die Kinder, manche Erleichterung für Marie, manche Bequemlichkeit für den Professor hervorgerufen; es machte ihr Vergnügen, die Ihrigen zu erfreuen -- aber sie selbst fühlte sich einsamer als vorher. Getrennt von ihren gewohnten Umgebungen, von der Tante, der ihr ganzes Herz offen lag, in der gleichförmigen Lebensart im Reich'schen Hause, fühlte sie eine solche geistige Leere, daß nur die wunderbar schöne Natur Heidelbergs sie aus ihrer Apathie zu reißen vermochte. Um sich zu zerstreuen, suchte sie eifrig längst vernachlässigte Studien wieder hervor, sie schmückte ihr kleines Stübchen, das nach dem Neckar sah, auf das freundlichste; aber vergebens. Stundenlang saß sie mit dem Buche in der Hand, sah den schönen Strom vorüberfließen, blickte ernsthaft die kleinen Häuser von Weinheim an und sah doch Nichts, als Robert's Bild, wie er zuletzt vor ihr gestanden; dachte Nichts, als die tiefe Demüthigung, verschmäht zu sein. In einem kleinen Orte wie Heidelberg konnte eine Erscheinung, wie Clementine, nicht unbemerkt bleiben; ihre ganze Persönlichkeit flößte lebhaftes Interesse ein, während ihr nach Außen abgeschlossenes Wesen für Kälte und Stolz galt. Man hatte sie bei ihrer Ankunft in alle Zirkel eingeführt, und überall hatte sie einen neuen Reiz in die Gesellschaft gebracht; besonders waren es die jüngeren Mädchen und die älteren Männer, die sich ihr anschlossen. Die Mädchen, weil sie von ihr keine Beeinträchtigung zu fürchten hatten, da sie jede Annäherung und eben so fein als bestimmt zurückwies; die älteren Männer, weil in ihrer Unterhaltung so viel Belebendes und Anregendes lag, daß sie sich die glücklichen Bemerkungen, die Clementine sie machen ließ, unbedingt als ihr eigenstes Eigenthum zuschrieben. Unter diesen Männern war unstreitig der Geheimrath von Meining der Bedeutendste. Er galt für einen der ersten Aerzte Deutschlands, war ein stattlicher Mann von 50 Jahren und so wohl conservirt, daß er den Ansprüchen, auch durch sein Aeußeres zu gefallen, nicht ganz entsagt hatte. Man sah, daß er in der Jugend ein schöner Mann gewesen sein mußte, und mit einer bei älteren Männern nicht seltenen Eitelkeit ließ er bisweilen errathen, daß ihm das Glück bei den Frauen hold gewesen sei. Auch stand er noch jetzt in großer Gunst bei den Damen und wurde gern gesehen in jeder Gesellschaft. Manche Mutter hätte ihn, der ihr selbst früher den Hof gemacht, recht gern zum Schwiegersohne angenommen, und allerdings war er, vermöge seiner Stellung, Das, was man gewöhnlich eine gute Partie zu nennen pflegt. In seiner Jugend hatte er die Frauen zu sehr geliebt, um sich an Eine dauernd binden zu mögen; dann hatte diese Leidenschaft ernsten Studien Platz gemacht, er hatte Reichthum, Ehre und einen großen Ruf erworben, und der Gedanke, sich zu verheirathen, war allmälig ganz in den Hintergrund getreten, je mehr Reiz die materiellen Genüsse des Daseins für ihn gewannen und je mehr sich der eigenthümliche Egoismus aller Hagestolzen in ihm ausgebildet hatte. Doch war sein Gefühl für das Schöne und Gute niemals erloschen; er war in einzelnen Momenten einer Lebhaftigkeit und Hingebung fähig, die einem jüngeren Manne anzugehören schienen, und in dieser Stimmung konnte er die bedeutendsten Opfer bringen; dann fühlte er die Möglichkeit und den Wunsch, Andere an seinem Glücke Theil nehmen zu lassen, und hätte vielleicht daran gedacht, eine Frau zu nehmen, wenn es ihm nicht unbequem gewesen wäre, danach zu suchen. Doch ließ er sich die Neckereien über diesen Punkt recht gern gefallen und lächelte wohlgefällig, wenn man behauptete, an einem schönen Morgen werde er einst ganz plötzlich mit einer Braut angefahren kommen, die ein Phönix an Schönheit und Liebenswürdigkeit sein und ihm wie ein Ideal erscheinen werde; sowie sein Haus ihr das schönste, sein Rock der beste und überhaupt Alles, was sein eigen, ihr wie das Vollkommenste vorkomme. Als Freund des Professor Reich und als Arzt der Familie hatte er Clementine in ihrer Häuslichkeit kennen und schätzen gelernt. Er hatte durch Marien, noch vor Clementinens Ankunft, erfahren, daß diese dem Grame über eine unglückliche Liebe fast erlegen sei, und nun sah er sie selbst; noch schön, obgleich lange über die erste Jugend hinaus, und liebenswürdiger und geistreicher, als irgend eine Frau, die er kannte. Er sah das Mädchen, das der Mittelpunkt der Gesellschaft geworden, eben so liebenswürdig im Hause; sie hatte Rath für den Bedrängten und die zärtlichste Sorgfalt für den Leidenden; unermüdlich besorgt für Andere, schien sie zufrieden, ohne gerade froh zu sein, und ihre Ruhe wurde durch jene kleinen Veranlassungen, welche die meisten Frauen außer Fassung bringen, niemals erschüttert. Ihre äußeren Vorzüge zogen ihn an, und wenn er manchmal auf ihrem ausdrucksvollen Gesicht die Spuren eines tiefen Leidens, oder gar ihre Augen noch trübe von vergossenen Thränen sah, flößte sie ihm das lebhafteste Interesse ein. Er hatte einmal mit Reich über Clementine gesprochen, und dieser hatte geäußert, seine Schwägerin sei allerdings ein vortreffliches Mädchen, nur leider zu überspannt, und er wünsche Nichts sehnlicher, als daß sie bald einen vernünftigen Mann bekäme, den sie liebe; denn sonst würde sie sich aufreiben durch ihren selbgenährten Gram. Ob Reich diese Bemerkung absichtlich gemacht, ob eine Absicht in des Geheimraths Frage gelegen, lassen wir dahingestellt sein; nur das steht fest, daß von jenem Tage an in Meining der Gedanke an eine Verbindung mit Clementinen erwachte. Dieses Mädchen in seinem Hause walten zu sehen, von ihrem Geiste seine Mußestunden verschönen zu lassen, ihrer milden Pflege in kranken Tagen zu genießen und sie, der er von Herzen zugethan war, ihren Kummer vergessen zu machen, war bald sein Lieblingswunsch geworden; er hielt sich für den Mann, der sie über den verlorenen Geliebten zu trösten vermöchte, und je mehr und je länger er seine Bewerbungen um sie fortsetzte, je mehr verliebt wurde er in sie, je gewisser, daß er ihr nicht gleichgültig bleiben könne: so trat er denn, nachdem sie einen Abend vorher sich freundlich in Gesellschaft begegnet waren, am nächsten Morgen mit seiner Werbung um Clementinens Hand vor den Professor. Reich war sehr erfreut, Marie entzückt über das Glück, das sich ihrer Schwester bot; Clementine allein sprach ihr gewöhnliches: »ich kann und werde nicht heirathen.« Man schrieb der Tante, diese bestürmte die Arme mit den dringendsten Vorstellungen, Meining wollte ihr Zeit lassen, sich zu entschließen, und unterdessen nahmen die Ermahnungen und das Zureden des Professors und Mariens kein Ende; die Unterhaltungen, mochten sie mit Abdel Kadher oder mit den Kindern beginnen, endeten zu Clementinens Qual doch immer wieder mit dem Geheimrath von Meining. Bei einer solchen Scene fanden wir die Damen am Anfang unserer Erzählung, und es war nöthig so weit zurückzugehen, um den Leser mit den handelnden Personen bekannt zu machen, wobei wir uns zugleich das Recht vorbehalten, den Faden der Ereignisse, so oft es uns geeignet scheint, in den eigenhändigen Papieren und Briefen derselben zu verfolgen. Zweites Kapitel. Sinnend stand Clementine am Fenster, als sie in ihr Stübchen getreten war; Gedanken zogen, wie Bilder eines Schattenspieles, schnell an ihrer Seele vorüber; sie wollte dem Zureden ein Ende machen und mit der Tante dabei beginnen: so setzte sie sich nieder und schrieb: Clementine an Frau von Alven. Dein Brief hat mir wehe gethan, Tante! Traust Du mir bei meinen Handlungen keine anderen Motive, als Ueberspannung oder Eigensinn zu? Hältst Du mich denn für ein Kind, das die Verhältnisse des Lebens verkennt? So gut als Ihr Alle weiß ich, daß nach den Begriffen der Welt die Stellung einer verheiratheten Frau ehrenvoller ist, als die eines Mädchens. Glaubt mir aber, daß es eine tiefe Nothwendigkeit ist, die mich abhält, den Schritt zu thun, zu dem Ihr Alle mich überreden möchtet. Ich hasse die Ehe nicht; im Gegentheil, ich halte sie so hoch, daß ich sie und zugleich mich zu erniedrigen fürchte, wenn ich dies heilige Band knüpfte, ohne daß mein Gefühl Theil daran hätte. Was kann es Beglückenderes geben, als mit einem geliebten Manne sein Leben zu verbringen? Für ihn zu sorgen, seine Freuden und Leiden zu theilen, zu wissen: Alles, was mein Herz bewegt, Alles, was mich berührt, theilt und fühlt mein bester Freund mit mir? Beide leben dann ein doppeltes Leben. O! ich habe mir das oft himmlisch schön gedacht, ich habe es heiß gewünscht, und ich halte heute noch die Ehe für den einzigen Weg, der den Menschen zu der größten Vollkommenheit führt, die seiner Individualität möglich ist. Darum aber kann ich den Gedanken an eine gleichgültige Ehe nicht ertragen, weil sie für mich eine unglückliche wäre; und ich habe es nie begreifen können, wie in der Ehe irgend Etwas die Menschen an einander kettet, als ihr Herz. Die Ehe ist in ihrer Reinheit die keuscheste, heiligste Verbindung, die gedacht werden kann; rein, wie ein Engel des Lichts, geht das Weib aus den Armen ihres _geliebten_ Gatten hervor, und wenn man mir, nach dem katholischen Ritus, die Madonna die reine Mutter Gottes nannte, hat für mich ein rührend tiefer Sinn darin gelegen, ein ganz anderer Gedanke, als die Kirche ihn will. Ja! die Ehe ist rein! und aus der Umarmung liebender Gatten kann ein göttlicher Mensch, ein Retter der Welt entstehen. Aber was hat man aus der Ehe gemacht? -- ein Ding, bei dessen Nennung wohlerzogene Mädchen die Augen niederschlagen, über das Männer witzeln und Frauen sich heimlich lächelnd ansehen. Die Ehen, die ich täglich vor meinen Augen schließen sehe, sind schlimmer als Prostitution. Erschrick nicht vor dem Worte, da Du mich zu der That überreden möchtest, Tante! Ist es nicht gleich, ob ein leichtfertiges, sittlich verwahrlostes Mädchen sich für eitlen Putz dem Manne hingibt, oder ob Eltern ihr Kind für Millionen opfern? Der Kaufpreis ändert die Sache nicht; und ich gestehe Dir, ich würde das Weib, das augenblickliche Leidenschaft und heißer Sinnentaumel hinreißt, groß finden, gegen diejenige, die das Bild eines geliebten Mannes im Herzen, sich dem Ungeliebten ergibt, für den Preis seines Ranges und Namens. -- Könnte ich glauben, der priesterliche Segen hätte Kraft zu binden und zu lösen, könnte das »Ja«, das ich spräche, eine ganze Vergangenheit aus meiner Seele tilgen, wer weiß, was ich thäte. So aber! -- ich liebe Robert, der mich verschmäht, dem meine ganze, ungetheilte, anbetende Liebe kein Glück zu bieten vermochte, als ich jung und blühend war; und ich sollte einen Ehrenmann, der von mir die Freude seines Lebens erwartet, mit einem heiligen Eide betrügen? Ich sollte ihm ein Weib werden, das die Achtung vor sich selbst verloren hat? Das könnt Ihr nicht meinen, das kannst Du nicht wollen. Ich denke mit Ruhe an Robert, so lange ich mir selbst lebe, tritt aber der Gedanke, einem Anderen gehören zu sollen, vor mein Auge, dann sehe ich, daß ich nur in Robert lebe und daß mir der Traum der Vergangenheit mehr ist, als irgend eine Zukunft mir bieten könnte. Laß mir die Ruhe meines Bewußtseins. _Clementine._ Der Geheimrath v. Meining an Clementine Frei. Mein theures Fräulein! Seit längerer Zeit erwarte ich Ihre Antwort auf eine Frage, die über meine Zukunft entscheiden soll. Sie wissen, wie werth Sie mir sind, lassen Sie mich offen sagen, wie warm und innig ich Sie liebe, wenn gleich es einem Manne reiferen Alters nicht anstehen mag, eine Leidenschaft zu bekennen, die der Jugend angehört. Ich habe in meinem Berufe Frauen in allen Verhältnissen kennen lernen, und ich achte das Weib; ich achte und liebe in Ihnen das Weib, das klar über sich selbst und das Leben, zu dem Gefühl seiner Würde gekommen ist. Clementine, ich bin nicht jung genug, Ihnen schwärmerische Schwüre zu leisten, aber ich biete Ihnen meine Hand mit offenem Herzen. Was ein besorgter Gatte, ein zärtlicher Freund Ihnen sein könnte, das schwöre ich, das sollen Sie in mir finden, und dadurch allein will ich Sie gewinnen; nur aus freier Neigung sollen Sie die Meine werden. Ich verlasse Heidelberg auf kurze Zeit: Sie sollen Ruhe haben, einen Entschluß zu fassen. Möge er zu meinen Gunsten sein! Der Ihrige. _v. Meining._ Frau v. Alven an Clementine. Ich ehre Dein Gefühl, mein Kind! wenn gleich ich es nicht unbedingt richtig heißen kann, und es liegt mehr Egoismus darin, als Du glaubst. Du gefällst Dir darin, Dich als die Leidende, die Reine zu betrachten, und Du bist Beides. Ich weiß, was Du geduldet, kenne ganz Dein reines Herz; Du bist einmal das Opfer Deiner Liebe und Robert's geworden, ein zufälliges Opfer gegen Deinen Willen: das entbindet Dich nicht der Pflicht, Dich mit Bewußtsein, aus freier Wahl für das Wohl Anderer zu opfern. Das Weib ist geschaffen zu leiden und zu beglücken; thust Du das? Du glaubst Dich mit Deiner Pflicht abgefunden, wenn Du Marien Dein Leben widmest, ihr den Haushalt erleichterst, obgleich sie dessen nicht bedarf. Du nimmst Dich der Kinder an, wenn Du Neigung dazu hast, und glaubst sie zu erziehen, und der Menschheit, die an jeden von uns Rechte hat, damit Deine Schuld zu zahlen. Belüge Dich nicht selbst, meine liebe Tochter! Du, vor Vielen dazu berufen, einem Manne das Leben zu verschönen, mit dem unerschöpflichen Reichthum an Liebe und Nachsicht, Du willst das nicht, weil es Dir zu schwer scheint, ernst gegen eine Neigung zu kämpfen, deren Gegenstand diese Liebe gewiß nicht einmal wünscht und Deiner nicht mehr denkt. Und wenn Mariens Kinder, die Du so sehr liebst, heranwachsen; wenn Marie und die Kinder Deiner nicht mehr bedürfen werden, was wird dann die unvermeidliche Leere Deines Herzens ausfüllen? -- Ich habe das Glück Mutter zu sein, nur wenige Tage gekannt, und doch wirft das Andenken daran ein verschönendes Licht über mein ganzes Leben; magst Du noch so scharf und richtig denken, noch so lebhaft fühlen, _das_ Glück kannst Du nicht begreifen, nicht ermessen, bis Du es gekannt. Ich selbst habe Alven ohne alle Neigung geheirathet, komme ich Dir deshalb wie eine Verworfene vor? Das aber schwöre ich Dir, so lieb mir Dein Glück ist, ich habe den Vater meines Kindes von Grund der Seele geliebt; wir haben uns in guten und bösen Stunden treu zur Seite gestanden, und ich habe nach seinem Tode mich nie entschließen können, zu einer zweiten Ehe zu schreiten, obgleich ich sehr jung war und es mir, wie Du weißt, an Bewerbern nicht fehlte. Ich mag Dir hart scheinen, aber ich bekenne es, ich werde irre an Dir. Du hältst so viel darauf, die Achtung vor Dir selbst nicht zu verlieren, weil Dir das leichter wird, als die unsere zu verdienen. _Du_ achtest Dich, wenn Du Deiner Liebe treu bleibst, das ist bequem und leicht -- wir aber würden Dich achten, wenn Du dem Glücke eines Anderen, eines braven Mannes, Deine Neigungen zu opfern im Stande wärest. Zwingen kann man Dich nicht, Du bist reich und unabhängig in jeder Beziehung -- aber ich appellire an Dein richtiges Urtheil, an Deine Wahrheitsliebe und an Dein Herz. Täusche Dich nicht selbst; täusche nicht die Erwartungen Deiner mütterlichen Freundin. Clementine an den Geheimrath v. Meining. Der Mann, der mir mit so ehrendem Vertrauen entgegenkommt, der mir seine Zukunft weihen will, muß wissen, an wen er sich gewandt hat; und wahr, wie gegen mich selbst, will ich gegen Sie sein. Eine heiße, tiefe Liebe hat seit meiner frühesten Jugend mein Herz erfüllt; diese Liebe ist nur flüchtig erwidert worden, sie hat mein Herz gebrochen. Einsam, mit meinem Schmerz nach innen gewiesen, sind mir Jahre des Leidens vergangen; ich habe mich gewöhnt allein zu stehen, ich habe es versucht, die Erinnerung an meine Liebe zu bekämpfen -- es ist mir nicht gelungen; und so konnte es mir nie einfallen, den Bewerbungen, mit denen man mich ehrte, Folge zu leisten, besonders da die Mehrzahl jener Bewerber mir vollkommen gleichgültig, und ich ihnen fast ganz fremd war. Sie kennen mich lange und gut, und ich gestehe Ihnen gern, daß Ihre Freundschaft mir werth, daß mir an Ihrer Achtung gelegen war -- aber niemals die Ihre zu werden, war noch vor wenig Tagen mein fester Entschluß; ich wollte mich nicht verheirathen. Nicht das Zureden meiner Schwester macht mich in meiner Gesinnung schwanken, sondern die ernsten Vorstellungen meiner Tante, die mich sehr ergriffen haben. Ich habe schwer mit mir gekämpft, und ich will die Ihre werden, wenn ich Ihnen nach diesen Geständnissen genüge. Ich erkenne vollkommen und freudig Ihren Werth, darum aber zweifle ich, daß ein gebrochenes Herz Ihrer würdig sei. Glauben Sie dennoch, daß ich zu Ihrem Glücke beitragen könne, so thue ich es von Herzen, und will streng über mich wachen, das Glück zu verdienen, das einer Frau an Ihrer Seite werden kann. Mit innigster Achtung. _Clementine._ Der Geheimrath v. Meining an Clementine. Haben Sie Dank! wir werden glücklich sein. Armes, krankes Kind! Ist es denn nicht die Pflicht des Arztes zu heilen und zu lindern? Wie gern will ich Dich schonen, meine Clementine! wie sorgsam werde ich die wunde Seele meines kranken Weibes hüten und heilen. Wirf die Vergangenheit von Dir, insofern sie Dich schmerzt, bewahre jedes Andenken, das Dir werth ist; nur Eines versprich mir und nimm es als Beweis meines vollen Vertrauens -- nenne mir _nie_ den Namen des Mannes, der Dich leiden machte, niemals Geliebte! Ich kenne Dich und traue Dir unbedingt. In drei Tagen kehre ich zurück; möge die Hoffnung auf dies Wiedersehen, meine holde, meine theure Braut! Dich so beglücken, als mich. Auf Wiedersehen denn, Geliebte! Der Deine. _Meining._ Drittes Kapitel. Die Tage bis zur Rückkehr des Geheimraths vergingen Clementinen in der heftigsten Aufregung. Der Brief Ihrer Tante, die Bitten und Vorstellungen Reich's und Mariens hatten sie zu einem Entschlusse gebracht, dessen sie sich nie fähig gehalten hätte. Meining war ihr mit so edlem Vertrauen entgegengekommen; es hob sie momentan in ihren eigenen Augen, daß sie, deren Herz seine Jugend eingebüßt hatte, noch einen so bedeutenden Mann als Meining, fesseln und beglücken könne; sie wollte ein neues Leben beginnen, weil sie es nun einmal gelobt, ihre Vergangenheit zu opfern; und bei all' diesen Entwürfen zitterte sie vor dem Gedanken an Meining's Ankunft. Während der letzten Nacht, die sie schlaflos verbrachte, fiel ihr plötzlich ein, sie müsse eigentlich noch einmal an Robert schreiben, ihm ihre Verlobung anzeigen und ihm befehlen, sie ganz wie eine Fremde zu betrachten, wenn sie jemals sich begegnen sollten. Aber Robert schreiben? durfte das Meining's Braut! -- ihm befehlen, sie zu meiden, hieße ja, ihm bekennen, daß er ihr theuer und gefährlich sei, und befehlen! -- ihm befehlen, dessen Auge ihr Leitstern, dessen leisester Wunsch ihr unumstößlichstes Gesetz gewesen war? Alle Qualen, alle Gewissensbisse bestürmten sie, sie wollte für Meining leben und dachte nur an Robert. In wilden Fieberträumen verging der letzte Theil der Nacht; der Morgen sah hell und klar in ihr Fenster, als sie die schweren, müden Augenlieder aufschlug; sie war vollkommen ermattet, ließ sich theilnahmlos ankleiden und sah kalt wie eine Fremde den Anstalten zu, die Marie, mit unruhiger Freude, für die Ankunft des Geheimraths traf. Endlich erschien er. Clementine, die in entscheidenden Momenten eine große Gewalt über sich besaß, ging ihm bis zur Thüre entgegen und bot ihm ihre Hand zum Willkomm; Meining schloß sie herzlich in seine Arme, küßte ihre Stirne und der Bund war geschlossen. Es liegt im Charakter der Frauen, sich in unabwendbare Verhältnisse leichter zu fügen, als man es nach der Unruhe, die sie vor der Entscheidung peinigt, für möglich halten könnte. Jetzt war die neue Braut plötzlich zu einer Ruhe und Klarheit gekommen, die Meining entzückte, und ihrer Familie die Ueberzeugung gab, daß sie Recht gethan hätten, auf diese Verbindung zu dringen. Es war im Beginne des Frühjahres, und schon im Juni sollte die Hochzeit gefeiert werden. Clementine traf selbst die nöthigen Anstalten für den neuen Haushalt, hatte eine Menge Meldungsbriefe an entfernte Freunde zu schreiben, Glückwünsche zu beantworten und blieb dadurch in einer fortwährenden Thätigkeit, die ihr wenig Zeit zum Nachdenken übrig ließ. Ihr Bräutigam brachte jeden Abend und jede Stunde, die sein Beruf ihm frei ließ, in ihrer Gesellschaft zu und hatte aufgeregt durch die neuen Verhältnisse, eine Jugendlichkeit wieder gewonnen, die er längst verloren und deren er sich nicht mehr fähig geglaubt hatte. So war sie ihm von Herzen gut geworden, da sie mit jedem Tage seinen gebildeten, klaren Geist und seinen liebenswürdigen Charakter mehr kennen lernte, der sich freilich grade jetzt in seinem günstigsten Lichte zeigte, und darum Clementine die Hoffnung auf eine beglückende Zukunft gab. Indessen rückte endlich der Hochzeitstag heran, dessen Vorabend in einer befreundeten Familie, nach alter, deutscher Art, mit Poltern zugebracht werden sollte. Dem Brautpaare selbst war das nichts weniger als angenehm; man konnte sich aber dem wohlgemeinten Anerbieten der Freunde nicht füglich entziehen, und Meining äußerte lachend, am Ende sei auch eine ganze glückliche Zukunft mit ein paar lästigen Stunden nicht zu schwer erkauft. Sie fuhren zum Polterabende hin und Clementine fühlte sich auf das Unangenehmste berührt, von dem widrigen Wechsel possenhafter Scherze und ganz ernsthafter Gedanken; weil sie selbst so ernst, so feierlich gestimmt war, daß jeder Scherz sie verletzen mußte. Meining hingegen fand das Ganze nur eine langweilige Einrichtung, die man aber leicht aushalten könne, und mußte über manchen Einfall von Herzen lachen, obgleich er eben so froh war als seine Braut, als die Gesellschaft sich endlich gegen Morgen trennte. Nachdem er Clementine vor ihrem Hause aus dem Wagen gehoben und sie einen Augenblick vor der Thür weilend, sich nach dem Schlosse wendete, fielen die letzten matten Strahlen des Mondes zitternd darüber hin, und es schien ihr unmöglich, sich jetzt, mit dem übervollen Herzen, in die engen Räume eines Zimmers zu sperren. Lieber Meining! bat sie, wenn sie nicht zu müde sind, geben Sie heute noch einem, vielleicht extravaganten Einfalle nach; ich will dafür auch von morgen ab eine grundvernünftige Frau werden. Lassen Sie uns hinauf gehen auf's Schloß, es ist kaum eine Stunde bis Sonnenaufgang; wir wollen heute, an dem Tage, an dem uns Beiden ein neues Leben beginnt, auch den Tag beginnen sehen. Meining war es gern zufrieden; die Nacht war unbeschreiblich mild und schön. Schweigend stiegen sie den Weg hinan, der von der Hirschgasse aufwärts führt. Eine Welt von Gedanken zog durch Clementinens Brust, sie sah Meining an, und auch vor seinem geistigen Auge schien sein früheres Leben, ihre Zukunft vorüberzugehen. Es war ein feierlicher Gottesdienst in ihrem Herzen. Oben auf der Höhe angelangt, sah man nichts, als einen dichten, weißen Nebel, der die ganze Gegend verdeckte; die Luft wehte kühl und Meining hüllte besorgt die erbleichende Clementine in die wärmende Mantille. Gedankenvoll ließen sie sich auf der Bank vor dem Weingärtchen nieder -- da plötzlich schmettert ein tausendstimmiger Lerchenchor gen Himmel, der Nebel zerreißt vor dem ersten Lichtblick der Sonne, und wie von unsichtbaren Geisterhänden fortgezogen, schwindet der dichte, weiße Schleier und das Neckarthal liegt vor den trunkenen Augen der Entzückten. Drüben das kleine Weinheim mit seinen in Laub versteckten, weißen Häusern; vor ihnen der lachende, jugendmuthige Strom mit Kähnen, die von Neckargemünd daherzogen, um sie her die Wipfel der Bäume, die am Fuße des Berges wurzeln, mit dem berauschenden Dufte der ganzen reichen Vegetation und zu ihren Füßen das kleine schlummernde Heidelberg. Clementine war selig vor Wonne, das reinste, heiligste Gefühl zog ihr Herz zu den Menschen, die Gott einer solchen Welt werth gehalten und mit Thränen der Begeisterung warf sie sich an Meining's Brust und sprach: Ach! laß uns schön sein, wie diese Welt, wahr und rein, wie dies Licht. Jetzt, jetzt, bin ich Dein und mehr als irgend ein Eid morgen am Altare bindet mich diese Stunde an Dich. Ja, wir wollen glücklich, wir wollen dieser Welt werth sein! Sieh, Guter! ich habe jetzt nichts, nichts auf der Welt als Dich; sei Du meine Welt, stehe mir bei, wenn ich wanke, und verlasse mich nie! Sie war während des Sonnenaufgangs plötzlich aufgestanden, nun in heftiger Bewegung vor Meining auf die Kniee hingesunken und badete seine Hände in Thränen. Er zog sie empor, gerührt und erschreckt durch ihre Leidenschaftlichkeit; preßte sie fest an seine Brust und der innige Druck seiner Hand, der Ton seiner Stimme hatte noch mehr Beruhigendes, als die Worte: Clementine! mein Leben, mein Weib! ich werde Dir nie fehlen, Du bist mein und nichts soll uns jemals trennen. -- Eine Weile hielt er sie noch schweigend in den Armen, dann trieb er zum Aufbruch, denn Clementine schauerte in der leichten Kleidung; und um sie allmälig zu beruhigen, sagte er scherzend, komm, komm, mein Herz! daß uns die guten Heidelberger nicht zurückkehren sehen; was würden die von ihrem Aeskulap denken, wenn sie wüßten, daß er seine zarte Braut dem ungesunden Morgennebel preis gibt. So, unter freundlichen Gesprächen, führte er die leidenschaftlich Bewegte nach Hause. Viertes Kapitel. Nach einigen Monaten finden wir Clementinen wieder. Der Hochzeitstag, die Feste nach demselben waren vorüber, das eheliche Leben zu einer ruhigen Gewohnheit geworden. Meining war ungemein beschäftigt, seine Kranken, seine Collegia, ein größeres Werk, das er zu schreiben begonnen und das während des Brautstandes liegen geblieben war, nahmen seine ganze Zeit in Anspruch; während Clementine eigentlich ohne alle wirkliche Beschäftigung war und es ihr selbst an jenen wohlthätigen Zerstreuungen fehlte, die der Umgang mit Freunden bietet. Ihre Haushaltsangelegenheiten ließen sich in einer Stunde abthun; Meining war den ganzen Morgen außer dem Hause in Anspruch genommen; kehrte er Mittags zurück, so hatte ihn die große, angreifende Praxis so müde gemacht, daß er nothwendig eine Stunde der Ruhe haben mußte, um sich für die Geschäfte des Nachmittages zu stärken, und waren auch diese endlich beendet, dann ging es an ein so eifriges Arbeiten und Studiren, daß sogar Clementinens Vorschläge zu kleinen Ausflügen, zu denen die reizende Lage Heidelbergs sehr lockt, fast immer abgelehnt wurden. Führte das Abendessen sie wieder zusammen, so war Meining so zerstreut, so geistig beschäftigt und abgespannt, daß er oft um Entschuldigung bat und seinen Beruf verwünschte, der ihn ganz und gar absorbire, und ihm den ruhigen Genuß seiner Häuslichkeit unmöglich mache. Vor seiner Verheirathung hatte der Geheimrath oft mit Clementinen den Plan besprochen, sich von den größeren Gesellschaften, in denen er bisher fast jeden Abend zugebracht, fern zu halten, da er derselben überdrüssig geworden und auch Clementine keine besondere Freude daran gehabt hatte. Statt dessen wollten sie einen kleinen Kreis gewählter Freunde, wenigstens einmal in der Woche, bei sich versammeln, von deren traulichem Umgange sich Meining und Clementine viel Genuß versprachen, und den sie am Anfange des Winters wirklich mehrmals eingeladen hatte. Grade an solchen Abenden war dann ihr Mann aber zufällig abgerufen worden, nach einer Stunde zerstreut von dem Bette eines schwer Erkrankten wiedergekehrt, und eine nicht zu beschreibende Mißstimmung hatte sich dadurch der kleinen Gesellschaft bemächtigt, die der Wirthin freundlichste Aufmerksamkeit kaum zu bannen vermochte, so daß auch dieser Versuch bald aufgegeben werden mußte, besonders da Meining selbst auch daran keine Lust zu finden schien, und offen erklärte, er fände diese Art von Geselligkeit noch viel unbequemer, als die großen Zirkel, in denen man ungestört plaudern und unbeachtet schweigen könne; ja er fühle entschieden, daß er jetzt, wo er seine Clementine bei sich habe, erst die Sphäre gefunden, in der ihm nach der Arbeit wohl und behaglich werde. Glaube mir, pflegte er zu seiner Frau zu sagen, für mich beginnt in Dir ein neues Leben; ich arbeite zehnmal mehr und besser als früher, denn ich arbeite nicht für mich allein; und finde nach der Arbeit hier bei Dir mehr Freude und Genuß, als mir jemals die Salons boten, in denen ich stundenlang im Frack, den Hut in der Hand, Conversation machen und wahre Thorheiten anhören mußte. Wenn Du mir beistimmst, leben wir Beide nur für uns allein. Clementine willigte ein; ihre geselligen Verbindungen lösten sich fast ganz auf; sie sah es ziemlich gleichgültig an, weil Meining's Zufriedenheit ihr letztes Ziel war, und sie selbst in der Ehe mehr gesucht hatte, und Anderes, als ein glänzendes Leben in der Gesellschaft. Ihre ungewöhnliche geistige Regsamkeit, die Meining an dem Mädchen so interessant gefunden, war in der Zurückgezogenheit, in der sie lebten, doppelt groß geworden; der Kreis ihrer Gedanken hatte sich erweitert in den neuen Verhältnissen; sie fühlte sich berechtigt und werth, auch das geistige Leben ihres Mannes zu theilen und zu verschönen, und sehnte oft den Abend herbei, um mit Meining ein paar Stunden plaudern zu können, weil sie hoffte, er würde, wie als Bräutigam, Lust daran finden; er würde ihr die Ereignisse des Tages mit jener sicheren Klarheit, die ihm so eigenthümlich war, erzählen; ihr seine Gedanken darüber mittheilen, ihre Ansichten hören und berichtigen -- mit einem Worte, er würde sie wie einen Freund betrachten, wie den vertrautesten Freund, dem jeder Gedanke enthüllt werden muß, weil er ihn versteht; weil er ihn liebt, um des Freundes willen, der ihn gedacht. Davon war aber gar nicht die Rede! Clementine sah nun ein, daß Meining ihre geistigen Eigenschaften jetzt am wenigsten schätze, daß er diese an seiner Gattin leicht entbehren, vielleicht gar nicht vermissen würde. Er bedurfte nur einer sorglichen Frau, einer freundlichen Gesellschafterin, mit der er sich über unbedeutende Dinge heiter unterhielt, wenn er nicht zu müde war, die er wirklich sehr lieb hatte und der er gern viel Freude bereitet hätte, wenn er vor übergroßer Beschäftigung Zeit gefunden, an Das zu denken, was sie erfreuen könnte. Vor Allem aber fühlte er sich sehr froh, ein so komfortables Haus und eine Frau zu besitzen, die jedem seiner Wünsche mit der größten Bereitwilligkeit zuvorkam. Er pries sich glücklich, grade diese Frau gewählt zu haben, und zweifelte nicht, daß sie sich zufrieden fühlte, weil er es war und es noch immer mehr wurde, je länger sie mit einander lebten. Ganz anders sah es aber nach Jahresfrist in der Seele der jungen Frau aus. Sie konnte nie jenen Sonnenaufgang an ihrem Hochzeitstage vergessen; und es schmerzte sie tief, daß trotz der Treue, mit welcher sie das Versprechen jener Stunde gehalten, ihr das Glück durchaus nicht geworden war, das sie damals hoffte; es schmerzte sie, daß das Leben, ohne unsre Schuld, so weit zurückbleibt hinter Dem, was es sein könnte; daß es uns nicht vergönnt ist, Das zu werden, wozu die Fähigkeit in uns liegt. Darum konnte Clementine niemals den Wunsch aufgeben, mehr von der Seele und dem Herzen ihres Mannes zu besitzen, als jene ruhige Neigung, die er für sie hatte; er hatte sich zuerst, das wußte sie, in ihr Aeußeres verliebt; er hatte ihren guten Willen, ihr wohlwollendes Herz und einen sittlichen, zuverlässigen Charakter in ihr erkannt, und diese Eigenschaften schätzte er an ihr. Sie aber wollte geliebt sein um ihres Herzens willen, sie wollte ihn durch den Reichthum ihrer Liebe an ihr innerstes Leben fesseln. Doch jener Schätze von Liebe und Hingebung, deren sie sich bewußt war, bedurfte der ruhige, ältere Mann nicht. Er war kein leidenschaftlicher Mensch, wie Robert, der heute die Geliebte auf's Tiefste kränkte und all ihre Nachsicht erforderte, während die Gluth seiner Liebe morgen ihre Thränen trocknet und eine Versöhnung herbeiführt, die durch keinen Schmerz zu theuer erkauft wird. Auch das war ihr, wie schon gesagt, unangenehm, daß Meining auf ihren Geist jetzt fast gar keinen Werth mehr zu legen schien; und obgleich sie sich ihm aus Ueberzeugung in dieser Hinsicht eben so freudig unterordnete, als in jeder andern, hätte sie es doch gern gesehen, daß er mehr Freude an demselben, den er früher so sehr bewunderte, gehabt hätte; und sie vermißte es oft schmerzlich, daß er ihren Enthusiasmus für das Schöne und Große zwar begreife, doch nicht lebhaft theile; ohne zu bedenken, daß sie von dem bejahrten Manne nicht die Leidenschaftlichkeit fordern könne, die ihr angeboren und durch ihre Liebe zu dem enthusiastischen Robert nur gesteigert worden war. Mag immerhin Egoismus in dem Gefühle liegen, Andere auf die Art und Weise beglücken zu wollen, die uns die beglückendste scheint; ohne zu fragen, ob es die Weise ist, die unsere Lieben wünschen -- es ist ein Egoismus, von welchem nur wenige Menschen ganz frei sein möchten und der Clementine doppelt quälte, da sie sich in doppelter Hinsicht beeinträchtigt fand. Einmal weil sie sich nicht ausgefüllt fühlte und dann, weil sie nicht so glücklich zu machen glaubte, als sie gewünscht. Sie wollte ihrem Manne einen Himmel bereiten, sie traute es sich zu -- und er begehrte nur ein ganz gewöhnliches Erdenglück, sodaß ihr oft in besonders traurigen Stunden der demüthigende Gedanke gekommen war, jede tüchtige, gutmüthige Haushälterin könne sie ihrem Manne ersetzen, ihm das Glück gewähren, das er in ihr finde, und obgleich sie ihm und sich damit Unrecht that, lag dennoch etwas Wahres darin. Sie machte an sich die Erfahrung, die sich täglich im Leben wiederholt, daß Altersverschiedenheit für das Glück der Ehe gefährlicher wird, als man gewöhnlich glaubt; auch dann, wenn der Mann der bedeutend Aeltere ist. Das Mädchen, wenngleich nicht mehr jung, bekommt durch die Ehe eine zweite Jugend, weil sie erst dadurch ihren wahren Beruf zu erfüllen beginnt, und man sieht häufig, selbst in körperlicher Beziehung, ganz passirte Mädchen zu schönen Frauen werden, die den Titel einer »jungen Frau«, den man ihnen allgemein gibt, vollkommen rechtfertigen. Während der ältere Mann, den man bis dahin einen Mann in den besten Jahren, einen galanten Mann nannte, plötzlich vom geselligen Schauplatz abgetreten, durch die Ehe zu einem alten Manne wird, wenn, wie es in der Regel geschieht, die ruhige Häuslichkeit ihn von der Mühe, jung und galant zu scheinen, befreit. Der ältere Mann, der sich verheirathet, will gewöhnlich ausruhen vom Leben; das ältere Mädchen, deren Gefühl nicht so durch das Leben üsirt ist, wie das der Männer, will nun erst zu leben beginnen, und natürlich kann es dabei an Täuschungen und Enttäuschungen nicht fehlen, die auch, wie wir sahen, bei Clementinen nicht ausblieben. In einer Art stummer Resignation gewöhnte sie sich wieder an das stille Innenleben, zu dem sie sehr geneigt war und das sie Jahre hindurch als Mädchen geführt hatte. Sie erfüllte auf's Strengste ihre Pflichten, suchte nach Beschäftigung umher, ergriff, der Billigung Meining's gewiß, bald dies bald jenes und fühlte sich immer unglücklicher, je länger dies Leben währte. Gar oft sehnte sie sich in jene Zeit zurück, wo sie einsam da gestanden und ungestört das Recht, zu leiden, gehabt hatte, weil Niemand mit ihr und durch sie litt. Jetzt war das vorüber -- was sollte Meining denken, wenn er sie traurig, gar weinend fände? Hieße es nicht mit Undank seine ruhige, immer gleiche Güte lohnen, wenn er sie nicht zufrieden sähe? -- ach! und Nichts ist so schwer, Nichts reibt den Körper so auf, als zufrieden und glücklich zu scheinen, weil die Vernunft es fordert, während das Herz keinen Theil daran hat und Nichts davon weiß. Eine krankhafte Abspannung bemächtigte sich Clementinens, die auch dem Auge ihres Gatten sichtbar werden mußte. Auf sein ängstliches Befragen erklärte sie, sie sei durchaus gesund, er sähe ja selbst, daß sie keinen Schmerz habe; es müsse ein zufälliges Unbehagen sein, das sich gewiß bald geben würde. Seinen Vorschlag, mit Marien und deren Kindern, die sie noch immer sehr liebte, das nahe Baden zu besuchen, schlug sie bestimmt ab, weil sie sich weder Heilung noch gerade Zerstreuung davon versprach und vor Allem Meining, der sich so sehr an sie gewöhnt hatte, daß er sie ungern vermißte, nicht allein lassen wollte. Es war ihr fester Vorsatz, wenigstens Meining glücklich zu machen, da sie selbst es nicht geworden. Darum nahm sie sich mehr als je vor, über sich zu wachen, schien auch wieder heiterer zu werden und neue Kraft zu gewinnen; Meining beruhigte sich über ihren Zustand, und es blieb Alles, wie es gewesen war. Wie konnte es auch anders sein! Clementine, aufgewachsen unter dem tropischen Himmel glühender Leidenschaft, hatte sich plötzlich in die gemäßigte, wenn auch noch milde Zone ruhiger Vernunft verpflanzt gefunden, wo ihr üppiges Seelenleben keine Nahrung fand, wie sie dieselbe bedurfte, und nicht freudig leben und treiben, sondern nur kränkelnd fortvegetiren konnte, ohne Farbe, ohne Blüthe, durch die angeborne Kraft ihres innern Markes. Fünftes Kapitel. Es war im Sommer am zweiten Jahrestage ihrer Hochzeit, als Clementine arbeitend in ihrem Zimmer saß, in einer jener Stimmungen, in denen das Leid der ganzen Welt auf uns zu ruhen scheint. Sie hatte am Morgen ihren Mann aufgesucht, ihn aber beschäftigt gefunden und ihn nicht sprechen können; dann hatte sie, weil ihr das Herz so übervoll war, ihrer Tante schreiben wollen; aber was konnte sie ihr sagen? Der Briefwechsel zwischen ihnen war sehr selten geworden. Unwahr gegen diese treue, mütterliche Freundin zu sein, hätte sie nicht vermocht und ein Wort der Klage, des Mismuthes laut werden zu lassen, wäre ihr wie ein Unrecht gegen Meining vorgekommen, das dieser nicht um sie verdient hatte. So war es kein bestimmter Schmerz, der sie drückte, aber eine Traurigkeit, eine Müdigkeit, die an Auflösung grenzte. Trübe Ahnungen einer freudlosen Zukunft wechselten mit wehmüthigen Erinnerungen an eine längst entschwundene Zeit. Sie dachte der Zuversicht, mit welcher sie vor zwei Jahren in dies Haus getreten war, und wie wenig sie das Glück gefunden, das sie gehofft; freilich war es nur ihre Schuld, denn ihr Mann war sich gleich geblieben, immer gut und freundlich gegen sie. Es sei eine Schwärmerei, sagte sie sich, daß sie nicht glücklich zu sein vermochte mit ihrem Loose, das hundert Frauen ihr beneidet hätten. Wie durfte sie auch von dem bejahrten Manne eine Leidenschaft fordern, die sie selbst nicht für ihn hatte? Ihre auf Achtung gegründete Neigung erwiederte er herzlich, aber Liebe, wie sie derselben bedurfte, konnte er nicht mehr empfinden, seine Frau konnte nicht sein ausschließlicher Gedanke sein, da er durch seinen Ruf und seine Berühmtheit ebenso und früher der ganzen Menschheit und der Welt gehört hatte, als ihr. Er hatte eine Frau genommen, um an ihrer Seite Ruhe zu finden nach der Arbeit des Tages. Dafür hatte sie Theil an seiner Ehre, trug seinen berühmten Namen und hatte ja selbst nur ein ruhiges Glück erwarten können, als sie die Seine geworden. Wie durfte sie mehr verlangen? Wie sich zurücksehnen nach den lebhaften, stürmischen Eindrücken ihrer Jugend? Sie klagte sich an, ungerecht gegen Meining zu sein; sie war unzufrieden mit sich selbst und versank zuletzt in ein dumpfes Hinbrüten, aus dem Meining's Tritte, die sie auf der Treppe hörte, sie aufschreckten. In der besten Laune trat er, mit einem großen Briefe in der Hand, in das Zimmer. Rathe, liebe Frau! sagte er, was ich Dir hier bringe? Aber rathe etwas Großes, Gutes, denn es übertrifft meine Erwartungen und wird auch Dich sicher sehr erfreuen! Clementine rieth mehrmals vergebens, bis der Geheimrath ihr den Brief zu lesen gab, der eine Anfrage des preußischen Ministeriums enthielt, ob Meining sich entschließen könne, seine heidelberger Verhältnisse mit einer Anstellung in Berlin zu vertauschen, die ihm unter den glänzendsten Bedingungen angetragen wurde. Diesen Brief habe ich vor 14 Tagen erhalten, fügte er hinzu, habe mir nun Alles reiflich überlegt und denke, heute an die preußischen Behörden zu schreiben, daß ich ihre Bedingungen annehme. Ich werde dort eine freie und glänzendere Stellung haben, als hier, und Du wirst in Deiner Vaterstadt Dich gewiß viel behaglicher fühlen, als in dem kleinen Heidelberg. Und das bescheerst Du, Lieber, mir heute zu unserm Hochzeitstage? fragte Clementine, sehr erfreut durch diese Aufmerksamkeit ihres Mannes und durch die Hoffnung einer Veränderung, die ihr augenblicklich erwünscht schien, weil es eben eine Veränderung war. Unser Hochzeitstag ist heute? Sieh, Clementine! das hatte ich bis in den Tod vergessen. Deshalb kamst Du wol auch heute so früh in mein Arbeitszimmer? Aber ich konnte Dich nicht sprechen, weil ich einen Kranken bei mir hatte. Nachher kamen gleich meine Studenten; dann wartete schon mein Wagen, ich mußte zu einem Consilium und konnte nicht mehr zu Dir kommen. Ach, armes Kind! und ich glaube gar, heute Morgen bin ich heftig gewesen! Sage mir selbst, war es nicht so? Clementine hatte es allerdings wehe gethan, daß ihr Mann sie mit einem recht unfreundlichen störe mich nicht, ich habe keine Zeit fortgeschickt hatte, als sie zu ihm ging, um ihn einen Augenblick zu sprechen; daß er auch den ganzen Vormittag nicht zu ihr gekommen war, was freilich öfter geschah; aber sie dachte, am Hochzeitstage hätte er kommen müssen, den hätte er nicht vergessen dürfen. Immer geneigt, die Schuld sich beizumessen und das Beste zu glauben, hatte sie Meining, als er ihr den Brief brachte, beschämt bekennen wollen, wie sie geglaubt, er hätte ihres Hochzeitstages nicht gedacht, ein Unrecht, das keine Frau so leicht vergibt; aber nun hörte sie es, es war ihm wirklich ganz und gar entfallen, und nur zufällig hatte er ihr heute den Brief gegeben. Seine Freundlichkeit vertrieb indeß den innern Verdruß gleich, und sie setzten sich Beide so fröhlich an die kleine Tafel, wie Clementine es lange nicht gewesen war. Meining war lebhaft, wie in der ersten Zeit ihrer Bekanntschaft; er machte die prächtigsten Plane für die Zukunft; er klagte sich an, daß er seine arme Clementine über die Gebühr vernachlässigt, daß er und sie ihr Leben gar nicht recht genossen hätten. Nun soll es anders werden, sagte er; mein Werk liegt gedruckt und hat schon seine erste Frucht, meine Berufung nach Berlin, getragen; aber nicht mir allein, der leidenden Menschheit muß und wird es nützen. Ich darf mir nun schon Etwas mehr Ruhe gönnen. Die Praxis gebe ich auf und beschäftige mich in Berlin nur mit theoretischen Arbeiten und mit der Klinik. Mögen meine Schüler den Weg verfolgen, den ich ihnen gebahnt; ich will anfangen auszuruhen. Nur eine praktische Erfahrung will ich machen, daß Du, meine liebe Clementine! eben so vortrefflich die Honneurs eines großen Hauses, als das Glück der engsten Häuslichkeit zu machen verstehst, daß Du überall gleich liebenswürdig, überall dieselbe bist. Bist Du der Einsamkeit denn müde, lieber Meining? Und wird Dir das Leben in der Gesellschaft Berlins behagen, da es Dir hier kein Vergnügen machte? fragte sie. Ganz gewiß! Darin bin ich sonderbar! Ich bedarf von Zeit zu Zeit gänzlicher Veränderung der Lebensweise; und wie ich vor zwei Jahren mich nach vollkommener Zurückgezogenheit sehnte und großes Glück darin fand, so freue ich mich jetzt der Abwechselung und verspreche mir viel davon, auch für Dich. Ich habe mir das Alles überdacht, schon meine Verhältnisse zum Hofe werden mich nöthigen, ein Haus zu machen, und was sollte uns daran hindern? Denn mir ist es Ernst damit, und daß Du Dich gleich jetzt davon überzeugst, lasse ich meine Collegia für den heutigen Abend absagen und wir bleiben zusammen. Clementine nahm den Vorschlag mit Dank an; sie glaubte nur zu gern an eine frohe Zukunft; nicht erwägend, daß unsere Entwürfe und Hoffnungen dem Balle gleichen, den frohe Kinder in die Luft werfen. Mag er noch so prächtig, noch so hoch steigen, das Gesetz der Schwere zieht ihn unwiderstehlich nieder, und man ist froh, wenn man ihn wieder in den Händen hält, mit denen man ihn emporwarf. So ist es fast keinem Menschen gegeben, sich lange in jener Stimmung zu erhalten, in die ein Moment der Aufregung uns versetzt; glücklich diejenigen Gemüther, denen das Andenken an solche Augenblicke nicht ganz entschwindet, denen es ein Höhenpunkt, ein Ziel bleibt, nach dem das Auge sich gern wendet, zu dem der Wunsch hinstrebt. Nach der ersten, freudigen Spannung, in welche diese Unterhaltung sie versetzt, fiel es Clementinen schwer auf's Herz, sie müsse das neue Glück mit der Trennung von Marien und den Kindern erkaufen, die ihr fast unentbehrlich waren, was ihr Mann wohl wußte. Aber daran hatte er gar nicht gedacht; er hatte mit keiner Sylbe gefragt, ob seine Frau eben so gern nach Berlin gehe, als er selbst, sondern es bestimmt vorausgesetzt, weil es ihm recht war. Eigen war es doch auch, ihr eine Ueberraschung zu bereiten durch einen Entschluß, der auf ihr ganzes Leben von so wesentlichem Einflusse war, der ihre ganze Zukunft in sich schloß. Meining konnte gewiß sein, daß sie sich keinem Plane entgegen zeigen würde, den er werth hielt, aber schon die gewöhnlichste Rücksicht hätte es verlangt, daß er seiner Frau die Berufung gleich mitgetheilt und wenigstens scheinbar um ihre Meinung gefragt hätte. Das war es eben, was sie auch oft drückte! Ihr Mann behandelte sie wie ein Kind, das man sehr liebt, dem man jeden Kummer ersparen möchte -- aber sie war kein Kind, sie war seine Frau, die mit ihm seine Sorgen theilen wollte und seine Zurückhaltung für Geringschätzung auslegte. Meining hatte ihr nie etwas über seine früheren Verhältnisse gesagt, nie um die ihrigen gefragt; sie hatten Beide ihre sorglich verschwiegenen Geheimnisse und eigentlich Nichts gemeinsam, als die Gegenwart. Sie empfand das störend, es schien ihr eine Art von Gleichgültigkeit zu sein, und darum versuchte sie es auch an jenem Abende, nachdem sie von einer Fahrt in's Freie zurückgekehrt waren und ihr Mann wieder von Berlin, von seinen Entwürfen für die Zukunft sprach, einmal offen mit ihm über ihre frühere Neigung für Robert zu reden, was ihr jetzt, da sie in ihre Vaterstadt zurückkehren sollte, fast wie eine unerläßliche Pflicht schien. Kaum aber merkte Meining ihre Absicht, als er sie mit den Worten unterbrach: Ja! Du hast Recht, wir müssen uns einmal darüber verständigen. Ich weiß, mein Kind! daß Dir vielleicht Manches über mein früheres Leben erzählt worden ist, das Deine Besorgniß und, warum soll ich nicht die Wahrheit sagen? auch Deine Neugier erregt haben mag; aber.... Lieber Meining! entgegnete Clementine, Neugier ist es wahrhaftig nicht. Ich habe aber oft gedacht, wenn ich Dich plötzlich, mitten in einer heitern Unterhaltung, ernsthaft oder nachdenkend werden sah, es möchten wol Erinnerungen aus vergangener Zeit sein, die Dich beschäftigten; und es hat mir dann leid gethan, nicht einmal ahnen zu können, was Dich bewegte. Eheleute dürfen keine Geheimnisse vor einander haben, und ich gestehe Dir offen, es liegt auch etwas Verletzendes, Trauriges darin, vor dem Leben seines Mannes, wie vor einem unlösbaren Räthsel zu stehen. Nun, ein für allemal, liebste Clementine! laß das Räthsel unerrathen! Es liegt in meiner Vergangenheit Nichts, dessen ich mich zu schämen hätte; Nichts, was ich bereue, und Nichts, was Deine oder meine Zukunft beunruhigen könnte -- und was das Vertrauen zwischen Eheleuten betrifft, so halte ich das, ehrlich gesagt, wie Du es ansiehst, für eine unnöthige, kaum delikate Neugier. Mache kein böses Gesicht, liebe Frau, und überlege, ob ich nicht Recht habe? Aber, wandte sie ein, man beurtheilt den Menschen doch ganz anders, wenn man die Elemente kennt, die auf seine Bildung wirkten. Das sind ja Redensarten, mein Kind! Daß ich jung war, Leidenschaften hatte, wie jeder Andere, das kannst Du Dir denken, daß ich dabei eben so oft glücklich als unglücklich war, das versteht sich von selbst; und ob die Gegenstände dieser Liebe Malchen oder Rosamunde hießen, ob sie blond oder braun waren, das ist wol ziemlich gleichgültig, da sie jetzt jedenfalls alt und grau sind und Deine Eifersucht nicht mehr erregen können. Uebrigens, schloß er scherzend, übrigens kennst Du meine letzte, unwandelbare Neigung und Liebe für ein gewisses Fräulein Clementine Frei, das, einige überspannte Ideen abgerechnet, ein ganz vollkommenes Geschöpf ist. Von dieser Clementine hängt das Glück meiner Zukunft ab, und ich glaube an sie so unbedingt, daß mir ihr liebes, offenes Auge mehr Garantien gibt, als alles Erzählen aus der Vergangenheit. Clementine mußte lachen, schien aber doch nicht ganz zufrieden, so daß Meining wohl fühlte, heute müsse er sich ganz darüber aussprechen. Deshalb fuhr er plötzlich ernsthaft fort: Wenn ein verständiger Mann eine Frau nimmt, deren Vater er sein könnte, so muß es mit vollem Vertrauen auf den sittlichen Werth dieser Frau geschehen. Nicht um Dir aus meinen frühern Verhältnissen ein Geheimniß zu machen, vermeide ich die Berührung der Vergangenheit, sondern aus Schonung für uns Beide. Du hast mir, als ich um Dich warb, gesagt, daß Dein Herz nicht frei sei; ich habe dennoch gewünscht, Dich die Meine zu nennen, und es ist, bei Gott! nie ein Zweifel an Dir in meine Seele gekommen. Aber ich wiederhole Dir es heute, was ich Dir damals schrieb: ich will von Dir den Namen Deines frühern Geliebten _niemals_ wissen. Vielleicht begegnen wir ihm im Leben; glaubst Du, ich sei so ganz frei von Eifersucht, daß ich Dich nicht ängstlich beobachten, daß ich nicht ganz gleichgültige Dinge mißdeuten würde? Meining, bester Meining! Darum verlangtest Du, ich sollte gegen Dich schweigen? Kannst Du denn glauben, daß ich jemals.... Ich glaube, daß ein Funke nie besser geborgen ist, als da, wo kein Luftzug ihn trifft. Die Liebe, der man entsagt hat, ruht am sichersten in tiefster Brust, ohne daß ein Wort ihr neues Leben gibt. Ich habe stets die Frauen belacht, die gegen eine Leidenschaft zu kämpfen behaupteten und, indem sie dies immerfort sagten, aller Welt von dieser Leidenschaft erzählten, von der sonst vielleicht Niemand etwas gewußt hätte. Darum also, um Dir den Sieg über eine Neigung, die Du selbst unterdrücken wolltest und mußtest, zu erleichtern, um mir das Ridikül eines Eifersüchtigen mit grauem Haare zu ersparen, darum wollte ich, daß nie von Deiner Jugendliebe zwischen uns die Rede sein sollte; darum wünsche ich es noch jetzt so. Ich weiß Dir Dank für das Glück, das ich in Dir gefunden; ich bin durchaus zufrieden, ich segne den heutigen Tag, meine Wahl und Dich -- aber, ich bekenne Dir's offen, die Art von Vertrauen, die Du meinst, liebe ich nicht. Es liegt oft viel mehr Vertrauen zwischen Eheleuten im diskreten Schweigen, als in plauderhaften Mittheilungen. Ich denke, meine kluge Clementine, Du verstehst mich; wo nicht -- nun so verlange ich, als strenger Herr, Gehorsam, wenn es selbst gegen Deine Ansicht wäre. Meining schien höchst aufgeregt; er stand auf und ging langsam im Zimmer auf und ab, bis er zuletzt gedankenvoll, die Stirne gegen die Scheiben gelehnt, am Fenster stehen blieb. Clementine war keines Wortes mächtig. Tief durchdrungen von ihres Mannes gütiger und kluger Liebe, that es ihr Leid, ein Gespräch herbeigeführt zu haben, das ihm unangenehm war und ihm den Abend eines Tages verdarb, der so freundlich begonnen hatte -- und doch that ihr, trotz alle dem, Meining's augenblickliches Leiden unbeschreiblich wohl. Sie sah, daß er sie heftig liebe, daß er sie nicht entbehren könne, und sie fand eine Jugendlichkeit des Gefühls in seiner Liebe, die sie, ohne es selbst zu wissen, fortwährend vermißt hatte. Vergebens strebte sie den Anfang zu einer Unterhaltung zu finden, die ihren Mann zerstreuen könnte, ihn abzöge von den peinlichen Gedanken; sie war selbst so erschüttert, daß sie ihren Gefühlen Raum lassen mußte. Auch vermochte sie es nicht, nach Art mancher Frauen, über Dinge, die sie beschämen, mit verstellter Ruhe fortzugehen -- darum stand sie auf, schlang ihren Arm durch Meining's Arm und sprach: Sei nicht böse, Lieber, wenn ich Unrecht hatte, und bleibe mir gut! Sage nur, Du böser, strenger Herr, wie Du es willst, ich werde schon gehorchen, und nun komme und stecke als Zeichen der Versöhnung die Friedenspfeife an. Indeß bereite ich den Thee und -- das ist _mein_ Friedens- und Versöhnungspfand. Ein Kuß, den ihr Mann mit vielen andern erwiderte, war das Ende dieser Scene, und nachdem Meining den beabsichtigten Brief an das preußische Ministerium geschrieben, verging der Abend den Beiden auf das Angenehmste, wie er begonnen, in traulichem Plaudern über die künftigen Verhältnisse und langem Ueberlegen, wie es möglich sein würde, später auch dem Professor Reich in Berlin eine Anstellung zu verschaffen, damit Clementine und Marie nicht wieder getrennt würden, was beiden Schwestern gar schwer fiel. Sechstes Kapitel. Indessen kam die Zeit dieser Trennung, die für den Oktober festgesetzt war, schneller heran, als man es wünschte. Nun es dazu gekommen war, fiel der Abschied von Heidelberg dem Geheimrath und seiner Frau viel schwerer, als sie es geglaubt hatten. Sie waren an das mildere Klima, an den kürzern Winter gewöhnt. Meining hatte eine lange Reihe von Jahren dort gelebt und in manchem seiner Collegen einen Freund gefunden; Clementine konnte sich von Marien und namentlich von den Kindern nicht losreißen, und dadurch begann die Reise zu dem sehr ersehnten Ziele mit heißen Thränen und schwerem Herzen, wie es gar oft im Leben geschieht. Meining und Clementine hatten sich eigentlich auf die Reise selbst unbeschreiblich gefreut. Der Geheimrath hatte es sich zum Feste gemacht, seine junge, liebenswürdige Frau all seinen alten Freunden, die sie auf dem Wege besuchen wollten, zu präsentiren und ihrer Bewunderung zu genießen; während Clementine, die sehr reiselustig war, sich doppelten Genuß davon in der Gesellschaft ihres Mannes versprach. Es lag ein eigner Zauber für sie in dem Gedanken, mitten in der fremden Umgebung mit ihrem Manne allein zu sein, nur auf einander angewiesen, ganz auf sich selbst beschränkt. Sie wußte, daß ihr Herz weit und froh werde, so oft es ihr vergönnt war, wie ein leichter Zugvogel die Welt zu durchfliegen; sie hoffte dasselbe von Meining und war im Voraus entzückt über das Glück, das sie Beide in dieser Stimmung empfinden mußten. Leider aber verbitterte der Himmel selbst die erwartete Freude. Das Wetter war schon am Tage ihrer Abreise ungewöhnlich kühl und regnig geworden und blieb fast beständig schlecht. Man konnte kaum daran denken, den Wagen zu verlassen, fand es auf den Landstraßen neblig, trotz der noch frühen Jahreszeit; in den Städten still, weil der Regen die Leute zu Hause hielt. Meining, der sonst immer gesund war, hatte, darauf trotzend, sich eine Erkältung zugezogen, die, wenn auch unbedeutend, ihn doch mislaunig machte, und das Wiedersehen seiner frühern Bekannten trug noch dazu bei, ihn vollends zu verstimmen. Die Meisten hatten so gewaltig gealtert, daß ihr Anblick ihm peinlich war, weil es ihn selbst auf unangenehme Weise an seine vorgerückten Jahre mahnte. Er fand Einige mitten in einer großen Familie, gedrückt von Sorgen und nicht belohnt für ihr Leben, wie sie es verdienten, Andere untergegangen in Egoismus und Pedanterie, Wenige in zusagenden Verhältnissen, verheirathet mit Frauen ihres Alters und zufrieden mit ihrem Geschicke. Diese konnten es nicht unterlassen, ihn halb im Ernste, halb scherzend darauf aufmerksam zu machen, daß er doch eine gar junge Frau gewählt hätte, was, trotz ihrer Liebenswürdigkeit, immer bedenklich sei; Jene rührten ihn durch eine Masse von Klagen, durch Leiden, denen er nicht abhelfen konnte, und je mehr er Grund hatte glücklich zu sein, um so drückender wurde ihm die Lage seiner frühern Bekannten. Unwohl und niedergeschlagen, wie er es war, drang er auf die größte Beschleunigung der Reise und beschloß Tag und Nacht zu fahren, um schneller an das Ziel und zur Ruhe zu gelangen, womit seine Frau, unter diesen Verhältnissen, ganz einverstanden sein mußte. Bei der Eile, mit welcher die Reise zurückgelegt wurde, sah sich Clementine wie mit einem Zauberstabe in ihre geliebte Vaterstadt versetzt. Als sie zuerst die bekannten Plätze erblickte, überfiel sie eine so tiefe Wehmuth, daß ihr die Thränen aus den Augen stürzten und sie sich, wie ein banges Kind, an Meining schmiegte, nicht wissend, ob es Freude oder Schmerz, Hoffnung oder Furcht sei, was sie bewegte. Da ging die erste bekannte Person vorüber, und ein Gefühl von unbeschreiblichem Vergnügen trocknete die Thränen. Nun war es bald ein Dienstmädchen, das in ihrem elterlichen Hause gedient, ein Offizier, mit dem sie auf den Bällen getanzt, ein Fenster, an dem sie oft mit einer Freundin gestanden, ein Laden, in dem sie als kleines Kind ihr Spielzeug gekauft -- kurz auf jedem Schritte neue Gegenstände der freudigsten Erinnerung. Sie war wieder zum frohen Kinde geworden, und Meining konnte gar nicht Alles sehen und bewundern, was ihm Clementine, als des Sehens und Bewunderns werth, zeigte. Er wurde selbst heiter, als er den Ort, an dem er zu wirken berufen war, so glänzend und bewegt vor sich sah, und die Freude seiner Frau erhöhte diese Stimmung bedeutend. Jetzt bog der Wagen in die Jägerstraße ein; Clementine zitterte -- sie hielten vor ihrem Hause, vor dem Hause ihrer verstorbenen Eltern, in dem sie jetzt wieder wohnen sollte. Sie war immer im Besitze dieses Grundstückes geblieben, das ein Verwandter für sie verwaltet hatte, als sie Berlin verließ, und hatte sich das Quartier, welches ihre Eltern einst bewohnten, reserviren lassen, sobald sie die Nachricht von Meining's Berufung in ihre Vaterstadt erhalten. Jetzt trat sie in die wohlbekannten Räume. Es war ihr, als hätte sie sie eben verlassen, als kehre sie von einem Spaziergange zurück; aber wie war Alles so fremd, so öde! Die Zimmer, kaum nothdürftig möblirt, schallten wieder von der Stimme der Sprechenden; nur die Stimme des theuern Vaters, der herzliche Willkomm der Tante tönten nicht an ihr Ohr -- sie waren todt, entfernt! und doch saß da drüben am Fenster noch die schöne, stattliche Frau mit dem Wachtelhündchen, vor der Thüre die alte Blumenverkäuferin mit dem ewigen Strickstrumpf; noch gingen die Offiziere und Referendare lorgnirend und grüßend an den Fenstern der gefeierten Sängerin vorüber; die Schauspieler eilten zur Probe in das nahe Theater; die Gourmands zogen zu Thiermann -- es war Alles das Alte geblieben, nur Clementine war eine Andere, eine Fremde in der Heimat geworden. Mit diesen Gefühlen betrat sie ihr ehemaliges Stübchen und versank in tiefe Gedanken, aus denen das Fragen ihrer Jungfer und des Dieners sie rissen, die arrangiren, auspacken und placiren wollten. Dann kam Meining hinzu, die Wohnung wurde durchwandert, Rücksprache über die nöthigsten Erfordernisse genommen und das Treiben des Augenblickes machte sein Recht geltend für diesen Tag und die ganze nächste Zeit. Auch fanden sich jetzt wirklich eine Menge Geschäfte für sie. Meining wünschte sein Haus glänzend einzurichten, es zu dem Sammelplatz der geistigen Celebritäten zu machen, und in diesem Sinne mußten die Einrichtungen getroffen werden, wobei Clementinens geläuterter Geschmack, ihr angeborner Schönheitssinn ihm vortrefflich zu Statten kamen. In wenigen Wochen waren die öden Zimmer in die eleganteste Wohnung verwandelt, die trotz der modernen Pracht einfach und komfortable erschien, weil ihre Besitzerin heimisch darin und für diese Umgebung geschaffen war. Meining fand eine Freude daran, Clementine in diesen neuen Verhältnissen zu betrachten. Fast täglich wurden ihr Fremde vorgestellt. Ein großer Kreis fing an, sich um sie zu versammeln, und, obgleich das Alles sie augenblicklich zerstreute, vermißte sie doch gar sehr ihre früheren Bekannten, deren nur noch äußerst wenige in Berlin lebten. Von den Mädchen waren die meisten verheirathet und mit ihren Männern nach fernen Orten gezogen. Die alten Freunde ihres Vaters waren theils gestorben, theils, da sie dem Beamtenstande angehörten, ebenfalls versetzt; so, daß ihr eigentlich nur die Frau des Banquier Klenke von dem frühern Kreise geblieben war. Diese Marianne Klenke hatte Clementine erst ein Jahr vor ihrer Abreise von Berlin kennen gelernt, und Beide hatten sich, vielleicht grade wegen ihrer vollkommen unähnlichen Charaktere, mehr seitig angezogen. Clementine war damals schon traurig und unglücklich durch den Verlust ihres Robert's gewesen, und es hatte sie gefreut zu sehen, daß Jemand so lebensfroh, so vollkommen glücklich sein könne, als Marianne, deren gutmüthiges, offenes Wesen sie für dieselbe eingenommen hatte. Sie hatte Freude daran gefunden, Mariannen, die arm war und bei entfernten Verwandten lebte, Theil nehmen zu lassen an den Zerstreuungen und Genüssen, die ihr elterliches Haus fast täglich bot. Dort hatte Klenke, einer der reichsten Banquiers der Stadt, sie kennen gelernt, sich in sie verliebt und sie bald nach Clementinens Abreise geheirathet. Klenke hatte in der ersten Zeit seiner Ehe der jungen Frau in Allem den Willen gelassen, und diese hatte sich in ein Meer von Zerstreuungen gestürzt, die nicht ganz ohne nachtheiligen Einfluß auf sie geblieben waren. Eine Anlage zu Affektation und Koketterie, die Clementine oft an ihr getadelt, hatte sich mehr ausgebildet; da sie ihrem Manne aber auf's Innigste ergeben war und sehr glücklich mit ihrem kleinen Töchterchen, ließ Clementine die Hoffnung nicht schwinden, Marianne werde von den Thorheiten, die sie in den neuen Verhältnissen angenommen, zurückkommen, je mehr diese ihr zur gleichgültigen Gewohnheit und ihr Kind ihre Freude und Beschäftigung werden würde. So gab sie sich ohne Rückhalt dem Vergnügen hin, das ihr das Beisammensein mit Mariannen gewährte, die »außer sich vor Entzücken« über die Rückkehr ihrer Clementine schien, und beide Frauen beschlossen viel beisammen zu sein, weil ihre Männer durch Geschäfte gefesselt und sie dadurch oft allein waren. Meining hatte zwar anfangs seinen Vorsatz, keine Praxis zu übernehmen, durchaus festhalten wollen; konnte es aber nicht durchführen, da er bald von den ersten Familien in bedenklichen Fällen zu Rath gezogen wurde und die Hülfe, die der Vornehme und Reiche forderte, dem Armen nicht versagen konnte. Dadurch machte es sich ganz anders, als er es beschlossen hatte. Eine ungeheure Praxis absorbirte ihn so sehr, daß er kaum Zeit für die nöthigsten Vorbereitungen zu seinen Vorlesungen bei der Universität behielt, und die Folge davon war, daß Clementine ihn noch weniger sah, als in Heidelberg, da er sich in Berlin der Gesellschaft nicht entziehen konnte und wollte und somit auch die wenigen freien Abendstunden besetzt waren, die sie in Heidelberg doch immer mitsammen verlebt hatten. Oft traf es sich, daß die Eheleute, die sich Morgens nur flüchtig gesehen und gesprochen hatten, erst zur Stunde des Diners wieder zusammentrafen, das sie außer dem Hause oder in Gesellschaft im Hause einnahmen, und daß dann Meining seiner Frau dringend zuredete, den Abend, den er bei irgend einem Staatsmanne zubrachte, nicht allein zu verleben, sondern das Theater oder irgend einen Ort zu besuchen, an dem sie sich zu unterhalten hoffe. Das war auch der Fall, als sie einen Mittag in kleinerm Kreise im Klenke'schen Hause dinirt hatten. Die Gesellschaft war zeitig aus einander gegangen, und Madame Klenke beschwor Clementine, den Rest des Abends bei ihr zuzubringen, um, wie in der Mädchenzeit, _ein wenig zu plaudern_, welches der Kunstausdruck der Damen für ihre vertrautesten Herzensergießungen ist. Später, zum Thee, sollten die Männer zurückkehren. Marianne hatte der Geheimräthin nie nahe genug gestanden, als daß diese geneigt sein konnte, mit ihr über die Verhältnisse ihrer Vergangenheit oder über ihre jetzige Lage zu sprechen, und obgleich sie sich deshalb von dem Abende keinen besondern Genuß versprach, willigte sie doch gern ein, ihn mit Marianne zu verleben, der viel daran gelegen zu sein schien. Nachdem die Männer sich entfernt hatten, zogen sich die beiden Damen in ein kleineres Zimmer zurück, setzten sich behaglich auf ein Sopha und begannen, wie gewöhnlich, mit den nahliegendsten Dingen. So tadelte Madame Klenke Clementinens Toilette. Du gehst wirklich wie eine Nonne, Clementine! sagte sie; schon als Mädchen haben Deine ewigen, dunkeln Kleider, Deine einfachen Hüte mich tödtlich gelangweilt; nun aber, wenn man Deine prachtvolle Equipage und die Diener in schönster Livree sieht, müßte man wirklich meinen, nun werde eine Dame in strahlender Toilette daraus hervorsehen -- =mais non!= eine Herrnhutherin, eine =soeur grise= sieht heraus, mit edlen Zügen, dunkeln Augen, der interessantesten Blässe; und man erfährt verwundert, die Dame im schwarzen Kleide, =collet monté=, die in graziöser Nachlässigkeit in den Wagenkissen lehnt, sei die junge, reiche Geheimräthin von Meining, die Frau eines unserer berühmtesten Männer, der sie unaufhörlich mit Schmuck und Putz überhäuft. Und weißt Du, =dearest love=! Man muß in der That glauben, Du wärest nicht glücklich. Die junge, schöne Frau eines alten Mannes, die so =languissante= aussieht und jeden Schmuck verschmäht, muß durchaus unglücklich sein. Aber =plaisanterie à part!= bist Du denn glücklich verheirathet? Ich konnte mir gar nicht denken, daß Du jemals einen so alten Mann heirathen würdest. Wie lebst Du denn eigentlich, mein Herz? Siehst Du das nicht, Marianne? sehr zufrieden. Meining ist nicht mehr jung, aber er ist so gut, so geistreich, so brav und hat mich so lieb, daß mir gar Nichts zu wünschen bleiben kann. Und in der That! jung bin ich auch nicht mehr; Meining ist 53, aber ich bin auch schon dreißig Jahre, und damit ist man doch wirklich nicht mehr eine junge Frau. Marianne lachte laut auf. Als ob ich jünger wäre! und doch behandelt mich mein 34jähriger Mann ebenso wie unsere kleine Nanny, nur daß er gern möchte, die Kleine lernte sprechen und ich schweigen. Mutter und Tochter verrathen aber wenig Anlage zu den Eigenschaften, die man ihnen wünscht. Schade überhaupt, daß Du nicht meinen Mann geheirathet; er ist bezaubert von Deinem ruhigen Anstande, von Deinem verständigen, geistreichen Wesen, und als der Geheimrath neulich erzählte, daß Ihr in Heidelberg ganz wie die Einsiedler gelebt und wie häuslich Du eigentlich wärest, schien das meinem Manne =le comble du bonheur=, während ich mir fest vornahm, Dich für die fabelhafte Langeweile zu entschädigen. Was hast Du denn eigentlich dort angefangen? Mein Gott! ich habe ganz angenehm gelebt. Besonders scheint es mir in der Erinnerung so. Freilich war ich viel allein -- aber hier sehe ich Meining fast gar nicht; und so sehr mich auch augenblicklich das Leben in der Gesellschaft unterhält, so werde ich es sehr bald müde werden und Meining vielleicht noch früher als ich. Dann beginnen wir wol unser stilles Leben wieder, und Du kannst selbst sehen kommen, wie wir es machen. Um Alles nicht! lieber Engel, damit bleibe mir fern. Sage mir nur in aller Welt, was Du den Tag hindurch angefangen hast; =quant à moi!= Ich stürbe bei dem bloßen Gedanken. Ich habe gelesen, liebste Marianne! Habe selbst den Haushalt besorgt, Mariens Kinder unterrichtet, und damit ist mir die Zeit vergangen. Du weißt, ich bin auch als Mädchen gern zu Hause gewesen. Madame Klenke sah plötzlich fest in Clementinens Augen und sagte mit schmeichelnder Stimme: Hören Sie, gnädige Frau! =je me méfie de votre sincérité= -- mir ist es oft gewesen, als hätten Dero Gestrengen, was man so nennt, =une passion malheureuse= gehabt, und als hätten Sie sich nachher aus =dépit amoureux= verheirathet. Nein, sei nicht böse, süße, einzige Clementine, fuhr sie fort, als sie bemerkte, daß Letztere plötzlich glühendroth und sehr ernst wurde -- ich habe es in der That geglaubt, als ich Dich kennen lernte, aber nie gewagt, Dich darum zu fragen; und Madame Thalberg, die ich, ehe sie Berlin verließ, einmal deshalb anging, weil Du mit ihr früher so bekannt warst, sagte mir, sie hätte nie davon gehört. Nun wollte ich Dich selbst heute einmal fragen, und da wirst Du böse! sei gut -- ich weiß ja, Du bist ein Tugendspiegel; aber daß Du keinen Scherz verstehst, das ist doch schlecht von Dir. Clementine war schnell ihrer Aufwallung Meister geworden und bemühte sich, der peinlichen Unterhaltung ein Ende zu machen. Sie versuchte die Neckerei in derselben Art zu erwiedern, bat endlich, Marianne möge ihr die kleine Nanny holen lassen, und in dem Tändeln mit dem Kinde verging die Zeit bis zur Rückkehr der Männer. Meining fand seine Frau verstimmt; sie klagte über Ermüdung und trieb früher als gewöhnlich zum Aufbruch. Siebentes Kapitel. Das gesellige Leben bewegte sich rasch und bunt; Gesellschaften, Theater, Bälle und Concerte wechselten fast täglich mit einander ab. Meining, der in Heidelberg sich ganz in die engste Häuslichkeit zurückgezogen hatte, fand nun, wie er es selbst vorausgesehen, eine große Freude an der Gesellschaft. Die ehrenvolle und höchst schmeichelhafte Art, mit der ihm von allen Seiten gehuldigt ward, freute ihn und regte ihn an; dazu kam, daß er sich von seinen nähern Bekannten hatte überreden lassen, Karte spielen zu lernen, und er fand darin eine so angenehme Zerstreuung, ein so geistreiches Ausruhen nach der Arbeit, daß ihm schon darum die Gesellschaft lieb wurde, weil er sicher war, dort seine Partie Whist oder =L'hombre= nicht zu entbehren. Dadurch sah sich Clementine aus der abgeschlossensten Einförmigkeit schnell in eine ganz entgegengesetzte Sphäre versetzt. Der Name ihres Mannes, sein Rang und Reichthum und ihre eigne Liebenswürdigkeit zogen die Blicke auf sie. Man bemühte sich, sie in den Zirkeln zu haben, und der Nachsatz: kommen Sie, Frau von Meining ist auch bei uns, wurde mancher Einladung hinzugefügt. Clementine lächelte oft selbst, wenn sie bedachte, wie sie gar Nichts dazu thue, den Ruf unwiderstehlicher Liebenswürdigkeit und des anmuthigsten Geistes zu verdienen; denn sie fühlte, daß das ganze Geheimniß der Kunst, zu gefallen, bei ihr darin läge, Jeden gewähren zu lassen. Sie sprach im Ganzen wenig und ruhig, hörte mit Verstand zu, konnte aber doch bisweilen, wenn ihr Gefühl angeregt wurde, zu dem lebhaftesten Gespräch hingerissen werden oder einen Streit durch eine geschickte Wendung beenden. Das nahm die Männer für sie ein. Und obgleich sie nach jener Unterhaltung mit Marianne mehr Sorgfalt auf die Eleganz ihrer Toilette verwendete, um zu keinen ähnlichen Bemerkungen Anlaß zu geben, machte ihr gänzliches Verzichten auf jene Bewunderung, die durch eigne Schönheit und Pracht der Kleidung hervorgerufen wird, den Neid und die Eifersucht der Frauen schweigen, die sonst sich leicht ihrer bemächtigt und ihre Ruhe gestört hätten. Meining's zärtliche Eitelkeit auf seine Clementine fand hier in dem größern Kreise die reichlichste Nahrung. Mehr als jemals entzückt von seiner Frau, hätte er gern alle Pracht und allen Luxus der Welt um sie vereinigt, um den Edelstein, den er in ihr besaß, auch in der glänzendsten Fassung zu zeigen. Hatte er sie früher geachtet und werth gehalten, so war er nun recht eigentlich verliebt in sie, wie er es nur jemals in frühster Jugend gewesen. Sie war ihm die treue Gefährtin von früher und doch eine ganz neue Erscheinung, und er hatte Nichts lieber, als wenn man ihn dieser Frau wegen glücklich pries. Dann unterließ er nie, ihre häuslichen Tugenden, von deren Ausübung jetzt gar nicht mehr die Rede war, auf das Eifrigste zu rühmen und hinzuzufügen, wie thöricht es sei, zu einer glücklichen Ehe Gleichheit des Alters als wesentliche Bedingung zu betrachten. Er sei fast noch einmal so alt, als seine Frau, und doch vollkommen glücklich. Und in der That, die Ehe des Geheimraths von Meining galt für ein Muster von Zufriedenheit, Eintracht und Glück. Denn daß Clementine unter den Spitzen und Perlen ihr Herz leer und sich mitten in der größten Gesellschaft häufig verlassen fühlte, das konnte die Welt nicht wissen. Sie sehnte sich, da ihre Ehe kinderlos zu bleiben schien, nach Mariens Kindern, mit denen sie sich in Heidelberg viel beschäftigt, und hätte Alles darum gegeben, wenn Marie ihr eines derselben anvertraut hätte, wozu aber weder Marie noch Meining, der das unruhige, kindliche Treiben nicht liebte, die geringste Neigung zeigten, sodaß sie auch diesen Wunsch bald aufgeben mußte und das tiefe Liebebedürfniß in ihrer Seele unbefriedigt blieb. Sie fühlte sich alt werden und arm in all' dem Reichthum, der sie umgab, und die Ueberzeugung, in ihrem Leben könne keine Freude mehr erblühen, faßte tiefer als je Wurzel in ihr. Dazu kam, daß die neue Lebensweise sie aufregte und angriff, und, was sie sich selbst kaum zu gestehen wagte, Robert's Bild trat hier, wo sie die schönste Zeit ihres Lebens mit ihm verlebt hatte, unaufhörlich vor ihr inneres Auge. Wenn sie bisweilen einsam und abgespannt in ihrem Mädchenstübchen saß, das sie sich jetzt zum Boudoir erwählt hatte, gedachte sie mit inniger Wehmuth an die Stunden, die sie hier in Robert's Andenken verträumt, und ein Gefühl gänzlicher Trostlosigkeit bemächtigte sich ihrer, ohne daß sie selbst sich dessen deutlich bewußt war. In dieser Stimmung traf sie in den ersten Tagen des Dezembers folgendes Billet von Frau von Stein, einer Dame, die für einige Zeit in Berlin lebte und in deren Hause der Geheimrath Arzt war, wodurch sie auch in nähern geselligen Beziehungen standen. Frau v. Stein an die Geheimräthin v. Meining. Liebste Meining! Ihr Mann verläßt mich eben, mit dem Versprechen, heute Mittag bei mir ein Diner =à l'improviste= anzunehmen, wenn Sie ihn begleiten wollen. Und wollen müssen Sie diesmal; wäre es nur, um den interessantesten Mann von der Welt, den =lion= der letzten marienbader =saison=, kennen zu lernen, der mich heute besuchte, und den ich eingeladen habe. Ich, die Fremde, habe ihm, der nur für wenige Tage hier ist, alles Schöne seiner Vaterstadt versprochen und ihm gesagt, er werde auch die geistreichste, liebenswürdigste Frau Berlins bei mir finden. Machen Sie mich nicht zur Lügnerin, Beste! und stellen Sie sich hübsch um vier Uhr ein. Der Geheimrath läßt Ihnen durch mich sagen, er werde Sie abholen kommen. Auf Wiedersehen also? _Anna von Stein._ Clementine war um vier Uhr bereits fertig, als der Geheimrath nach Hause kam, um mit ihr zu dem Diner zu fahren. Sie fanden die aus wenig Personen bestehende Gesellschaft schon beisammen. Frau von Stein mit einer Dame im ersten Zimmer, die Herren in der Nebenstube, die eben angekommenen Zeitungen durchblätternd. Auch Meining trat in das Kabinet und kehrte nach einiger Zeit mit einem Herrn zurück, den Clementine, da sie mit dem Rücken gegen die Thüre gesessen, erst erblickte, als Meining ihn ihr mit den Worten vorstellte: Liebe Clementine! Herr Thalberg, der, wie ich eben höre, ein Freund Deines väterlichen Hauses war. Clementine war wie gelähmt; ein furchtbarer Schmerz durchzuckte ihre Brust, ihr Herz schlug so heftig, daß es sie betäubte, sie war keines Wortes mächtig, und ihre Aufregung wäre Niemand entgegen, wenn nicht Frau von Stein in komischem Verdruße ausgerufen hätte: Also Sie kennen einander? O! das ist himmelschreiendes Unrecht. Liebste Meining! das ist ja der marienbader =lion=, den ich Ihnen gemeldet hatte, und nun ist es ein ganz alter Bekannter Ihrer Familie, den Sie besser kennen, als ich. Clementine erwiederte den Scherz mit einem erzwungenen Lächeln und Robert entgegnete: Für mich, gnädige Frau! ist die Ueberraschung, die Sie mir zugedacht, um so größer, da ich Frau von Meining noch in Heidelberg vermuthete. In Wahrheit, wir Landleute werden so fremd in der großen Welt, daß wir auch von den glänzendsten Gestirnen an ihrem Horizonte wenig erfahren. Diese künstliche, kalte Galanterie brachte Clementine wieder zu sich. Es gelang ihr, eine gleichgültig höfliche Antwort zu geben. Sie fragte, ob Thalberg viel auf dem Lande lebe, und erfuhr, daß er, nach dem Tode eines Verwandten, dessen große Güter an der mecklenburger Grenze geerbt und dort seinen Wohnort gewählt habe, da ihm das Landleben und die damit verbundene Thätigkeit sehr zusage. Nur dann und wann, schloß er, verlasse ich meine kleine Residenz, wie im vorigen Jahre, um das Marienbad, und jetzt, um meine Vaterstadt nach mehrjähriger Abwesenheit zu besuchen. Doch denke ich höchstens ein paar Wochen hier zu verweilen. Ein Diener meldete, daß servirt sei, und die Gesellschaft begab sich zur Tafel. Clementine glaubte unter dem Einfluß eines schönen Traumes zu sein, dem sie ewige Dauer wünschte. Sie sah Robert wieder! Das war die stolze, hohe Gestalt, das befehlende Auge, die königliche, bleiche Stirne, das war der Mund, der so kalt und eisig spotten und so süß, so unwiderstehlich sein konnte, wenn er sich zu Bitten herabließ; das war das schöne, dunkle Haar mit der Fülle seiner reichen Locken, das bei ihrem Abschiede sich auf ihre Stirne gedrückt hatte. Jeder Laut seiner Stimme war ihr bekannt, aus jedem Worte sprach sie eine beseligende Vergangenheit an. Neues Leben schien für sie zu beginnen, ihr Gesicht glühte, ihr Herz schlug frei, -- so mag es Dem zu Muthe sein, der nach langem Leiden und hoffnungsloser Krankheit aus winterlicher Nacht plötzlich gesund in den belebenden Strahl der Sonne geführt würde und rings umher Frühling sähe. Nicht der Vergangenheit, nicht der Zukunft gedachte sie, sie war glücklich im Moment. Während Clementine in seligen Empfindungen schwelgte, war die Unterhaltung bei Tisch lebhaft geworden; Meining sprach sich anerkennend über die ganze Richtung aus, die er in der preußischen Verwaltung gefunden, und die es ihm, außer manchen Andern, sehr lieb mache, seine jetzige Stellung angenommen zu haben. Er wunderte sich, daß Thalberg, der von seiner Familie für den Staatsdienst bestimmt worden und die ersten Schritte dazu mit Neigung gethan hatte, sich plötzlich aus der Carrière zurückgezogen habe, und fragte ihn, was ihn dazu bewogen hätte. Vor allen Dingen, entgegnete dieser, der Wunsch nach Unabhängigkeit. Man kann im Grunde den Staatsdienst doch nur von zwei Gesichtspunkten aus betrachten; einmal, als ein Mittel zu ehrenvoller, segensreicher Wirksamkeit, oder als Mittel zum Erwerb. Von beiden Seiten aber bot er mir keine Befriedigung. Und ich hätte grade geglaubt, daß der Wunsch nach Wirksamkeit in der Administration, der Sie sich gewidmet hatten, volle Genüge finden müsse, sagte Meining. Nicht im Geringsten, Herr Geheimrath! der Dienst bei der Verwaltung ist ein reines Maschinenwesen, und die niedern Beamten gleichen einer Uhr, die gehen muß, wenn sie aufgezogen wird. Glücklich genug, wenn der Uhrmacher sein Fach versteht und die Räder nicht zum Gehen zwingen will, nachdem er die Feder zerbrochen. Mich dünkt aber, daß es in Preußen an einsichtsvollen Dirigenten nicht fehle; dafür bürgt das allgemeine Fortschreiten des Staates. Wenigstens können Sie nicht leugnen, daß überall der beste Wille vorhanden ist! fuhr Meining fort. Das leugne ich auch nicht! entgegnete Thalberg. Die Frage für den Staatsdiener, der sich nicht zur Maschine hergeben will, ist nur die, ob seine Ansichten von Menschenglück, von Fortschritt mit denen übereinstimmen, die ihm zu verbreiten befohlen werden. Das war nun leider mein Fall nicht. Ich sah und erkannte manches Gute, das gefördert wurde; aber mir blieb das drückende Gefühl von Unvollständigkeit, das ich bei der polnischen Revolution empfand, in der die Edelleute um und für eine Freiheit kämpften, die sie ihren Bauern, die leibeigen blieben, vorenthielten. Diese Halbheit machte mir meinen Beruf unerträglich, weil ich für Halbheiten nicht mein ganzes Wirken opfern wollte. Und so sind auch Sie, ein geborner Preuße, ein Gegner Ihrer Regierung? fragte der Geheimrath. Durchaus nicht! war die Antwort. Ich habe jedesmal, wenn ich nach längerer Abwesenheit in mein Vaterland zurückkehrte, mich geborgen gefühlt und zufrieden; ich bin stolz auf manche unserer Institutionen, die eine herrliche Basis für die demokratische und constitutionelle Erziehung des Volkes geben; ich meine unsere Landwehr und die Städteverwaltung, von denen namentlich die erstere so tief in das Leben des Volkes gedrungen ist, daß keine Gewalt sie vernichten könnte. Aber daß sie nun auf halbem Wege stehen bleiben, daß man sich einbildet, stillstehen zu können und zu dürfen; das ist es, was ich tadle und wogegen wir kämpfen müssen. Der einzelne Beamte, wenn er nicht auf der ersten Stelle steht, vermag dies nicht, wol aber der unabhängige Mann. Nach einer der ersten Stellen im Staatsdienst zu ringen, fühlte ich keine Neigung, weil man sie, glücklichsten Falls, doch oft erst erreicht, wenn man müde vom Wege und Kampfe ist; -- um den unbedeutenden Gelderwerb war es mir in meinen Verhältnissen nicht zu thun, und ich dachte bereits lange meine Entlassung zu fordern, als mir unerwartet der große Güterbesitz meines Onkels zufiel. Das entschied meinen Entschluß, der mich keinen Augenblick gereut hat. Wenn aber alle guten Köpfe so dächten wie Sie, Herr Thalberg, und sich im Unmuth zurückziehen wollten, so würde diese Art von Patriotismus der guten Sache keinen Vortheil bringen, wandte Meining fast tadelnd ein. Es scheint mir, als ob Die, denen es Ernst darum ist, sich selbst und ihre Neigung opfern müßten, um die stillstehende Staatsmaschine, wie Sie dieselbe nennen, wieder in Gang zu bringen. Und thun wir das nicht? rief Thalberg. Die schwerfällige Staatsmaschine hat an einem Hügel, der ihr ein gewaltiges Hinderniß ist, Halt gemacht und kann nicht vorwärts. Sie mit Gewalt darüber fortzuziehen, wäre Thorheit -- aber wir tragen den Hügel ab, sodaß sie leicht darüber fortrollen kann. Ich ehre unser Königshaus und vor Allem den redlichen, durchaus achtungswerthen Willen unsers alten Königs; ich glaube, er hat die freisinnigsten, ehrlichsten Absichten; -- aber er hält die Zeit noch nicht geeignet zu ihrer Ausführung, das Volk nicht reif dazu. Eine Revolution, die immer demoralisirend wirkt, würde Viel, wenn nicht Alles verderben; darum muß man nur schnell dazu thun, die Zeit herbeizuführen und dem Volke die reife Gesinnung zu geben, bei der es nicht nur möglich wird, ihm die verheißenen Freiheiten zu gewähren, sondern unmöglich, sie ihm vorzuenthalten. Von uns, den Gutsbesitzern, den Bauern, den Gewerbtreibenden, muß und wird die neue Zeit beginnen -- nicht von der Aristokratie oder von der Intelligenz. Und ich hoffe, diese Erkenntniß und dieser Wille sind vorherrschend unter uns und werden ruhig und sicher zum Ziele führen, da wir nicht zerstören wollen, um neu zu bauen -- sondern nur schon Vorhandenes, Gegründetes ausbauen, nach den Bedürfnissen unserer Zeit. So bewegte sich das Gespräch eine Weile fort. Die ganze kleine Gesellschaft nahm allmälig Theil daran; selbst die Damen mischten hin und her eine Bemerkung ein, und es fiel Frau von Stein auf, daß Clementine stiller als gewöhnlich war. Auf ihr Befragen entgegnete Clementine, daß ihr mit dem Wiedersehen von Thalberg das Andenken an ihre Jugend, an Entfernte und Gestorbene erwache und sie bewege, und bat, man möge es ihr zu gut halten. Aber auch Meining, der bisher auf das Eifrigste mit Thalberg gesprochen, sagte, als man sich vom Tische erhob: Aber sage mir in aller Welt, liebste Clementine! was hast Du heute? Herr Thalberg muß glauben, Du habest das Sprechen verschworen -- oder wärest Du unwohl? Deine Hand ist in der That sehr kalt. Keines von Beidem! lieber Meining, antwortete sie, Du weißt ja, daß ich manchmal meine stillen Tage habe, und außerdem war mir die Unterhaltung so interessant, daß ich lieber hören als sprechen mochte und gern noch länger zugehört hätte. Nun, das soll Dir werden, mein Kind! Ich habe Herrn Thalberg eben gebeten, morgen den Abend bei uns allein zuzubringen, und ich denke, er schlägt es uns nicht ab, sagte Meining. Im Gegentheil, gnädige Frau! ich würde es mit Freuden annehmen, wenn ich nicht fürchten darf zu stören.... Sie werden uns sehr willkommen sein, entgegnete endlich Clementine. Wir bewohnen wieder das Haus meiner verstorbenen Eltern, und ich werde mich freuen, Sie dort zu sehen. Nach einer Weile trennte sich die Gesellschaft. Meining fuhr gegen seine Gewohnheit gleich mit nach Hause und drang nochmals in seine Frau, ihm den Grund ihrer auffallenden Zerstreutheit und Theilnahmlosigkeit zu sagen. Sie entschuldigte sich wie gegen Frau von Stein und Meining ließ es ebenfalls gelten. Einen Augenblick hatte Clementine geschwankt, ob sie nicht Meining sagen solle: es ist Robert, mein Robert, nimm die Einladung für morgen zurück -- dann aber fiel ihr die Unterredung ein, die sie einst mit Meining in dieser Beziehung gehabt. Sie bedachte, daß Thalberg nur wenige Tage in Berlin bleiben, daß sie ihn, außer morgen Abend, wahrscheinlich gar nicht mehr sehen werde; sie beschäftigte sich, um sich zu zerstreuen, den Rest des Abends mit tausend Dingen, die Meining angenehm sein konnten, und erhielt sich dadurch in einer Art Heiterkeit, die ihren Mann ganz ruhig über sie machte. Sie aber entschlief mit dem traurigen Bewußtsein, ihren Mann absichtlich getäuscht zu haben, und Robert's Bild, seine Anwesenheit waren ihr letzter Gedanke. Achtes Kapitel. Robert Thalberg an den Hauptmann v. Feld. _Berlin_, d. 5. Dezember 1839. Seit vier Tagen bin ich hier, habe meine kleine Angelegenheit mit den Behörden arrangirt und die wenigen alten Bekannten, die ich noch gefunden, wieder einmal begrüßt. Es ist ein Unrecht von Dir, daß Du Deine langweilige Garnison nicht verläßt und die 20 Meilen herüberfährst, damit wir in Berlin, dem Schauplatz unsrer raschen Jugend, endlich noch einmal ein paar Tage zusammenleben. Mir ist hier Vieles fremd geworden in den drei Jahren meiner Abwesenheit, und ich könnte ganz ernsthafte Betrachtungen machen über das Leben und die Vergänglichkeit und Eile desselben, wenn ich sehe, wie eine ganze Generation, die ich früher gekannt, bereits gestorben, und eine neue, junge Welt herangewachsen, die mir fremd ist. Schade nur, daß diese Bemerkung, in der so viel Schmerzliches liegt, für Alle eben so alt, als für den Einzelnen immer neu ist. Für mich liegt darin jedesmal die dringende Aufforderung, das Leben intensiv so schnell und viel zu genießen, als ich es vermag, und Andern zu nützen, so gut es geht. Augenblicklich unterhält mich das Stadtleben wieder vortrefflich, und doch weiß ich, daß ich mich nach wenig Tagen zurücksehnen werde nach meinem lieben Hochberg, daß mir die =beau monde= fade, die Stadt eng vorkommen wird, und daß ich mit doppelter Lust zu meinen wintergrünen Wäldern, zu meinen gefrornen Seen zurückeilen werde. Auch habe ich, für den Fall, daß diese Lust mich plötzlich anwandelt, meine Einrichtungen getroffen. Die Bücher, Karten und Kupferstiche, die ich hier zu kaufen dachte, sind, wie die Flinten und die übrigen Dinge, besorgt, und ich glaube fast, länger als acht Tage halte ich es nicht aus, mich zu amüsiren. Es sei denn, Du träfest währenddessen hier ein. Denke Dir, welch sonderbares =rencontre= ich hier gehabt! Du erinnerst Dich wol der schönen Clementine Frei, der ich Dich zuerst auf einem Brühl'schen Balle vorstellte, und der Du bald, wie wir Alle, die Cour machtest, bis Du zufällig bemerktest, daß mich ein lebhafteres Interesse an sie fesselte. Damals war ich fest entschlossen, sie zu der Meinen zu machen, denn ich liebte sie oder glaubte es wenigstens, und unsre Verbindung war eine zwischen uns und den beiden Familien stillschweigend abgemachte Sache. Wie das aber manchmal geht, Zeit, Entfernung und neue Eindrücke verdrängten ihr Bild aus meiner Seele und -- doch Du kennst die Vergangenheit mit ihren stürmischen Erinnerungen, die zwischen meinem Damals und Jetzt liegt. Genug also! ich habe Clementine unerwartet als Geheimräthin von Meining wieder gesehen und sie sehr verändert gefunden. Es ist, so scheint mir, nur noch die Spur von ihrer Schönheit vorhanden. Sie sieht leidend aus und älter, als sie ist; eine wehmüthige Ruhe, ein melancholischer Ausdruck der Augen, der durch die lieblichen Züge um den Mund nicht gemildert wird, lassen mich vermuthen, daß sie viel gelitten hat. Ihr Mann ist bedeutend älter, fast ein Greis. Er ist offenbar sehr eitel und stolz auf die Frau, die hier wieder sehr =en vogue= ist; übrigens ein angenehmer, geistreicher Mann, der mich für den heutigen Abend eingeladen hat. Mein Name und ich waren ihm fremd -- wie ich Clementine kannte, wundert mich das eigentlich. Ich schreibe Dir nur so flüchtig, weil ich bestimmt voraussetze, Dich hier wiederzusehen. Laß mich bald von Dir hören, damit ich meinen Aufenthalt danach einrichte. Derselbe an denselben. Den 8. Dezember. Also bleibst Du wirklich Deinem Vorsatze treu, alter Freund! und wir sehen uns erst wieder, wenn die Entenjagd Dich, Du Nimrod, nach Hochberg führt? Es ist eine Thorheit, daß Du jetzt nicht kommst; aber lange nicht so thöricht, als Dein Vorschlag, daß ich länger in Berlin bleiben und mir unter den Töchtern des Landes eine Burgfrau für Schloß Hochberg suchen solle. Ich denke, über _den_ Punkt kennst Du meine Gesinnungen. Nach den Täuschungen, die ich erfahren, nach jener rasenden Leidenschaft, mit der ich an Caroline hing, und die verrathen ward für einen Laffen, bin ich mit der Liebe für immer fertig, und eine bloße Haushälterin -- dazu bedarf ich keiner Frau, die ich behalten muß, wenn sich der geliebte, sentimentale Engel in eine exigeante, launenhafte Hausfrau verwandelt hat. Mit aller Weisheit lernt man seine Braut erst kennen, wenn sie zur Frau geworden ist; und mögen dann die Charaktere noch so elend zusammenpassen, man ist an einander gefesselt und schleppt die hemmende Last mit sich, wie der Gefangene die Kette. Ich kenne das! -- und überlege Dir selbst, wie viele von unsern früheren Bekannten glücklich oder innerlich gefördert worden sind durch die Ehe, die ich übrigens nicht angreifen will. Sie paßt nur nicht für Jeden, und ich glaube, ich würde mich jetzt darin ausnehmen, als wenn ich mir die Kleider anzöge, die ich zu meinem Confirmationstage trug. Hätte ich zu 26 Jahren geheirathet, ich wäre nun vielleicht ein solider Hausvater, der seinen Kohl baut, die Frau Gemahlin Sonntags zur Kirche führt und die Jungen buchstabiren lehrt. Jetzt möchte das nicht mehr angehen. Nimm selbst den Fall, ich fände ein Weib, wie ich es wünschen müßte, das Wort und Probe hielte -- wo wäre die Gewißheit, daß ich für sie paßte? In der Ehe wird gar zu oft nur Einer von den Gatten glücklich -- das scheint mir auch bei Meining und der Frau der Fall zu sein, bei denen ich neulich einen Abend zubrachte. Er ist durchaus zufrieden -- ob sie es ist? Ich zweifle. Auch ist sie in Wahrheit zu jung für den Mann, den Jeder für ihren Vater halten muß. Sie kann wirklich noch hübsch sein, gradezu hübsch; obgleich sie mir, als ich sie zuerst wiedersah, gewaltig verändert schien, finde ich mich jetzt in den bekannten Zügen zurück, erfreue mich an dem feinen Ausdruck ihres Gesichts und namentlich an ihrer schönen Farbe, wenn sie lebhaft spricht. Es ist nicht jenes plumpe Roth, das heißes Blut und die Sinne in die Wangen treiben, sondern der lichte, zarte Wiederschein einer glühenden Seele und ganz etwas Eigenthümliches an ihr. Sie ist überhaupt eine interessante Frau. Heute Abend noch einen Ball bei Klenke, morgen ein paar Besuche, und dann geht's bald nach Hochberg zurück. Der Hauptmann Feld an Robert Thalberg. d. 11. Dezember. Ich kenne Dich zu lange, um nicht zu wissen, daß ich diesen Brief in Gottes Namen nach Berlin richten kann, und daß er Dich dort finden wird. Fährst Du nicht wirklich sehr bald ab, liebster Thalberg, so bleibst Du lange dort, und willst Du wissen, was Dich festhalten wird? Die Geheimräthin von Meining. Ich habe immer die Ueberzeugung gehabt, daß Dir Clementine Frei mehr war, als Du nachher in Deiner Sturm- und Drangperiode selbst glaubtest; wo Du von Freundschaft, herzlicher Anerkennung und allem Teufelszeug fabeltest, während eine ganz gesunde, innige Liebe Dir im Herzen saß -- bis jene unglückselige, aber doch göttlich schöne Caroline wie ein zerstörender Komet an Deinem Horizonte erschien und Dich in ihren Weltfahrten und Wirbeln mit fortriß. Es war eine tolle Zeit. Du bist übrigens mit den Weibern gar nicht so fertig, als Du glaubst, und wenn Du nicht bald eine vernünftige Frau nimmst, stehe ich für Nichts. Sei gescheut und mache aus Großmuth und Reue, »aus herzlicher Anerkennung und Freundschaft«, keine dummen Streiche. Das ist ein ehrlich Soldatenwort -- kurz und bündig, wie ich es liebe. Aus Clementinens Papieren. D. 6. Dezember. Gott sei Dank! Der Abend ist vorüber. Der Mensch kann doch gewaltig viel über sich gewinnen. Nach dem Eindruck, nach dem Entzücken und der namenlosen Angst, mit der ich Robert gestern wiedersah, hätte ich es nicht für möglich gehalten, den heutigen Abend so ruhig mit ihm verleben zu können. Wie schlug mir das Herz, als er in unser Wohnzimmer trat, als ich ihn hier erblickte, wo ich einst an seinem Herzen die bittersten Thränen des Abschiedes weinte und doch einen Himmel von Hoffnungen in der Brust hatte. Auch ihn schien es zu bewegen, als er in die alte, bekannte Wohnung trat, die ihm doch fremd geworden sein muß, in den neuen Anordnungen, wie ich selbst es ihm bin. Seine Stimme klang unglaublich weich und mild, es lag die Versöhnung einer langen Vergangenheit darin -- oder trog mich mein Wunsch? Er ist noch ganz der Alte, der seltene Mann, der er mir immer war; auch Meining scheint ihn besonders anziehend zu finden und hat ihn dringend zur Wiederkehr geladen, die ich aber nicht wünsche, weil sie mir den größten Zwang auferlegt. Es ist so schwer, gegen Jemand den gleichgültigen Ton der Gesellschaft zu finden, der uns einst so nahe stand, und dessen Stimme des Echo in unsrer Seele erweckt. Aber was man ernstlich will, muß man erreichen können; auch fährt Thalberg ja in den nächsten Tagen fort, und Alles bleibt wie es war. Er muß viel gedacht und erlebt haben, es klingt so Vieles aus seinen Reden hervor, was er nicht ausspricht und was ich dennoch höre und verstehe. Wenn ich nur nicht innerlich so aufgeregt wäre; ich fiebre und bebe unaufhörlich: so ein Frauenkörper ist ein gar gebrechlich Ding. Ich wollte doch, Robert wäre schon fort. D. 8. Dezember. Es ist fast zwei Uhr in der Nacht; ich komme eben von Mariannens Ball zurück, und ich glaube, ich gerathe wieder in die Kindheit, so munter und frisch bin ich. An Schlaf ist noch gar nicht zu denken. Das macht aber das erste, klare Winterwetter, das auf mich immer einen belebenden Einfluß geübt hat -- sogar schreibelustig bin ich; habe ich doch vorgestern und heute meinen alten Vertrauten, das Tagebuch, vorgenommen, das mir seit Jahren fremd geworden ist. Meining sagt aber auch, Mariannens Fest sei ganz reizend gewesen, und ich möchte es mir zum Maßstab für unsern Ball nehmen. Das Leben in diesen Kreisen ist eigentlich doch interessanter, als es mir seit lange schien; und heute, wo ich alle jungen Frauen meiner Bekanntschaft tanzen sah, hat es mir fast leid gethan, daß ich es seit meiner Verheirathung aufgegeben habe. Robert Thalberg bat mich dringend, nur einmal zu walzen; er tanze sonst auch nicht mehr, wir müßten zusammen eine Ausnahme machen; ich mochte aber nicht. Als ich mich entschloß, Meining's Frau zu werden, habe ich durch die Verbindung mit einem so viel ältern Manne dergleichen Genüssen entsagt, indeß habe ich das nie bereut. Marianne fragte mich heute, als ich, während die Andern tanzten, hinter Meining's Stuhl stehend, dem Whist zusah und Thalberg neben mir war, ob wir nicht sehr glücklich wären, einander wieder zu sehen? Wir müßten doch alte Bekannte und Jugendfreunde sein. Robert antwortete: Ich bin es gewiß und wünsche nur, daß Frau von Meining mich nicht ungern wieder gesehen hat. Darauf kam Klenke und rief lachend: Ach! lieber Thalberg! keine Frau sieht einen alten Anbeter ungern wieder, so lange sie jung und schön ist; und von der Seite ist Frau von Meining sicher ohne Sorgen. Mir war die ganze Unterhaltung höchst zuwider, ich schämte mich und fürchtete, mein Mann könne es hören; der war aber so sehr in sein Spiel vertieft, daß er nicht auf das Geschwätz merkte. Endlich ging ich zu den alten Damen ins Nebenzimmer, aber auch dahin kam mir Marianne neckend nach; lachte, that geheimnisvoll und sagte: Also den Hof hast Du Dir doch auch machen lassen, =ma belle=! und der galante Thalberg hat das noch nicht vergessen. Denn als ich ihn heute Etwas ins Gebet nahm, gestand er, er halte Dich für eine höchst interessante und schöne Frau. Und darin hat er so unrecht nicht; denn heute, wo Du einmal trotz Deiner Einfachheit =in full dress= bist, siehst Du wirklich so =lady like=, so distinguirt aus, daß es jeder Einzelne bemerkt. Du hast immer ein gewisses =je ne sais quoi=, das man fühlt und sieht, aber nicht nachmachen kann -- heute indeß bist Du ganz reizend! -- Ah! da kommt wieder der schöne Thalberg -- ich will nicht stören, =car l'on revient toujours à ses premiers amours=, nicht wahr Herr Thalberg? -- und damit ging sie fort. Ich war in der peinlichsten Verlegenheit, nahm mich aber zusammen, und wir sprachen noch einen Moment über Marianne und ihre leichtfertige Weise, welche ihre trefflichen Eigenschaften oft ganz ungenießbar macht. Thalberg meinte, sie gliche frappant einem Kupferstiche, den er in diesen Tagen gekauft, und den er mir morgen zur Ansicht schicken wolle. Dann hatte Meining grade seine Partie beendet, und wir fuhren nach Hause, als man zum =souper= ging. Neuntes Kapitel. Am nächsten Morgen hatte Clementine eben ihren Wagen zu einer Fahrt in den Thiergarten vorfahren lassen, als man ihr Herrn Thalberg meldete. Sie empfing ihn, und er entschuldigte sich, daß er den Kupferstich selbst bringe; er habe sich aber das Vergnügen, sie zu sehen, nicht versagen können. Doch wolle er sie von ihrer Promenade nicht abhalten und bäte um die Erlaubniß, sie zu ihrem Wagen führen zu dürfen. So geschah es. Während sie die Treppe hinunterstiegen, überlegte Clementine, was sie nun eigentlich thun solle. Jeden Andern hätte sie augenblicklich aufgefordert, den Abend in ihrem Hause zuzubringen, und Thalberg darum zu bitten, konnte sie sich nicht überwinden. Was würde aber Meining dazu sagen, wenn sie ihm erzählte, wie flüchtig sie Thalberg abgefertigt hätte, und was würde dieser selbst von ihr denken? So entschloß sie sich, ihn für den Abend einzuladen, und Thalberg sagte freudig zu. Am Mittage erzählte sie dem Geheimrath von Thalberg's Besuch und ihrer Einladung, der sich derselben freute und hinzufügte, er habe den Obrist B. und den Maler R., die er zufällig gesprochen, zu einer Partie bei sich geladen. Wir machen dann ruhig erst unser Spiel, und Du mußt Deinen Gast, da er nicht spielt, selbst unterhalten, bis zum Abendessen. So waren denn, als die drei Herren sich zum Spiele gesetzt hatten, Robert und Clementine allein am Theetische. Die arme Frau fühlte eine mädchenhafte Scheu, als sie nun, nach langjähriger Trennung, zum erstenmal mit dem geliebten Manne, der ihr ein Fremder sein mußte, allein war. Allein in jenen Zimmern, in denen sie so oft in glücklicher Unbefangenheit und im Gefühl der wärmsten Liebe sich begegnet waren! Nun war das Alles anders. Ihre Befangenheit entging dem scharfen Auge Thalberg's nicht, dessen Blicke glühend auf ihr ruhten; denn auch er war von lebhaften Erinnerungen bewegt. Dadurch wollte anfangs kein rechtes Gespräch in den Gang kommen, und Thalberg blätterte in halber Zerstreutheit in einem Buche, das zufällig auf dem Sopha lag. Es war das Buch der Lieder von Heine, auf dessen Schriften sich nun die Unterhaltung wandte. Lieben Sie Heine noch so als früher? fragte Robert, ich weiß, daß Sie von den ersten Heine'schen Gedichten, die Sie kennen lernten, sehr entzückt waren; und wie mir dies Buch beweist, dauert diese Vorliebe fort. Nicht so unbedingt, als Sie glauben, entgegnete sie. Ich bekenne, daß mich das wahrhaft Poetische, das tief Gefühlte in den Liedern, die ich damals einzeln kennen lernte, lebhaft ergriff und anzog. Daß der Schmerz über eine verschmähte Liebe, dessen er sich schämt, sich in wilder Ironie verbirgt, das fand ich bei einem Manne eben so wahr als ergreifend -- daß er aber später Nichts mehr schont, selbst nicht diese Liebe, nicht die Sitte, nicht Gott, das hat ihn mir verleidet. Ja freilich, =à l'usage de la jeunesse= ist er nicht geschrieben! bemerkte Robert, und ein Zug von eisigem Hohn wurde um seinen Mund sichtbar. Aber wüßten Sie, meine gnädige Frau, wie gewaltsam uns Männer das Leben enttäuscht, wie es oft grausam und unerbittlich die letzten Bande, die uns an unsre Kindheits- und Jugendwelt fesselten, zerreißt; wie es uns Alles raubt, Glück, Poesie und Glaube -- Sie würden Heine vielleicht anders beurtheilen. Vielleicht! antwortete sie, ich müßte den Dichter beklagen, der so sehr an sich und der Menschheit irre werden konnte, daß er die Leidenschaft nur in ihren Tiefen aufsucht, wo sie der Unschönheit längst zum Raube geworden ist und dem reinen Gefühl einen Schauder des Entsetzens einflößt. Wenn ich von mir auf andre Frauen schließe, muß Heine's Zerrissenheit.... Also auch Sie, auch Sie! sprechen es nach, Heine ist zerrissen! O! das klingt sehr groß, sehr vornehm. Aber wer ist denn ganz? -- etwa die Leute, die in enger, dumpfer Beschränkung zwischen denselben vier Pfählen Wiege und Sarg haben? die aus Mangel an Temperament, aus Mangel an Leben keinen Reiz des Lebens, keine Verlockung der Sünde empfinden? Die Leute, die den heißesten Wunsch des Herzens, das einzige Glück ihres Daseins feige aufgeben, weil es gegen ein gemachtes, bürgerliches Gesetz anstößt? Die Leute also sind ganz, die sollen Heine beurtheilen? Glauben Sie mir, gnädige Frau! wer ein ganzer Mensch ist, ganz an Körper und Seele, von dieser in den Himmel gehoben, von jenem an die Erde gekettet, doppelt in seinen Wünschen und Bedürfnissen, auf der Erde ohne das ersehnte Glück, für den Himmel Nichts als eine unbestimmte Hoffnung -- wer sich da von dem zwiefachen Getriebe nicht zerreißen läßt, wer sich nicht blutig stößt an den Barrieren und Hecken bürgerlicher und göttlicher Gesetze -- der ist kein Mensch, der müßte ein Gott sein. Robert war, während er sprach, immer lebhafter geworden, und Clementine sah ihn in einer von jenen leidenschaftlichen Aufregungen, die sie so wohl kannte, und denen nur zu leicht ein Anfall tiefer Schwermuth folgte, wenn sie nicht durch Unterhaltung verbannt wurde. In solchen Augenblicken hatte sich früher oft ihr Einfluß auf sein Gemüth geltend gemacht, deshalb begann sie nach einer Pause, in der Robert in tiefes Denken versunken war: Nun wohl denn mir, daß ich kein Mann bin, daß mich das Leben nicht so hart enttäuscht hat, und daß mir mein bestimmter Weg vorgezeichnet ist. Und haben Sie diesen Weg nie schwer, nie rauh gefunden? O! doch, Herr Thalberg, schon der Weg zur Schule schien mir oft schwer, scherzte Clementine, um ihn von dem Gespräch abzuleiten. Und haben Sie nie die Neigung gehabt, von diesem vorgeschriebenen Wege abzuweichen, wenn er Ihnen unangenehm war? Niemals! -- als Kind hätte ich es aus Furcht vor Vater und Tante nicht gethan; später hätte ich mich vor meinen Gefährten geschämt, und dann ist mir das eigne Gefühl ein guter Compaß geworden, dessen Nadel mir immer wieder den rechten Weg zeigte und nach Norden wies. Ja! nach Norden, sagte Thalberg, nach dem Norden der kalten Vernunft, in dem das heiße Blut erstarrt. Aber Sie erwähnten Ihrer Tante, sagte er plötzlich abbrechend, wie geht es Frau von Alven und wo lebt sie jetzt? Damit war die Unterhaltung über Heine beendet und ging zu gleichgültigen Dingen über, obgleich auch bei diesen ein Wiederhall des Sturmes bemerkbar war, der Robert's Seele bewegte. Endlich hörten die Herren zu spielen auf, man ging zu Tisch und sprach während der Mahlzeit unter Anderm auch bald wieder über die politischen Ereignisse des Tages. Robert hing, wie wir sahen, den freisinnigsten Meinungen an und wunderte sich heute, daß Clementine, die in früher Jugend, als seine gelehrige Schülerin, all' seine Ansichten theilte, jetzt bedeutend mehr der konservativen Richtung geneigt schien. Mich dünkt, sagte er, Sie hätten einst mit viel größerer Theilnahme den liberalen Ideen unsrer Zeit gehuldigt, und ich hätte Sie begeistert gesehen, als die Julitage uns eine neue Aera zu verkünden schienen. Was hat Sie denn unsrer Fahne abwendig gemacht? Und wer sagt Ihnen denn, daß mich die große Idee der Freiheit nicht noch eben so erwärmt, daß ich den Enthusiasmus der Männer dafür nicht begreife? antwortete sie. Damals glaubte ich nur, auch für uns Frauen sei die Freiheit, nach der die Männer streben, ebenfalls ein unerläßliches Gut, und es sei unsre Pflicht, mit ihnen für Freiheit zu schwärmen und über Politik zu sprechen -- und nur von _dem_ Glauben bin ich zurückgekommen. Sehr mit Unrecht, gnädige Frau! sagte der Maler. Warum sollen die Frauen, die uns im Leben das höchste Glück gewähren, nicht auch mit uns Theil haben an den höchsten Schätzen, nach denen wir streben. Warum sollte ein Geschlecht, dem Eleonore Prohaska und das Mädchen von Saragossa angehörten, nicht eben so lebhaft den Sinn für Freiheit und Vaterland haben als wir? Für ein Vaterland, wandte Thalberg ein, haben die Frauen wirklich gar keinen Sinn und können ihn nicht haben, weil ihr Beruf sie nur zu oft der Heimat entfremdet und ihnen ein neues Vaterland gibt. Ich würde es gewiß meiner Frau, falls sie eine Französin oder Engländerin wäre, sehr verargen, wenn sie nicht mit mir von Herz und Seele eine Deutsche würde; und so sind die Frauen eigentlich geborne Kosmopoliten, die nur für allgemeine Weltfreiheit Interesse haben können, fügte er lächelnd hinzu. Wie sieht es denn nun mit Ihren Weltfreiheitsideen aus, gnädige Frau! fragte sie der Obrist. Ich sage Ihnen ja, antwortete sie, daß ich die demagogischen und liberalen Gesinnungen der Männer vollkommen begreife und achte, daß ich selbst aber eine gewaltige Aristokratin bin, und ich glaube, im Herzen sind wir Frauen es alle. Wir sind nicht gewöhnt, uns in die Menge zu verlieren; wir stehen abgesondert für uns und lassen uns von den Männern, denen wir, sobald wir sie lieben, ein ganz apartes Adelsdiplom zuerkennen, gern als treue Vasallen huldigen. Oder noch lieber beten wir den König unsres Herzens mit tiefster Demuth an, der uns viel mehr =un et indivisible= ist, als es den Franzosen jemals ihre Republik war. Alle lachten, und Meining sagte: Das sind auch die besten Grundsätze für Euch, denn Politik und Liberalismus kleiden die Damen nicht. Ich kannte selbst eine geistreiche Frau, die treue Freundin eines Mannes, der Deutschland die Freiheit predigte, bis sie ihn auf dem Montmartre begruben -- und so angenehm ich sie sonst immer fand, so unerträglich schien sie mir, wenn sie jene Ideen von Freiheit aussprach, die im Munde ihres Freundes groß und prophetisch geklungen hatten. Darin stimme ich Ihnen bei, Herr Geheimrath! fuhr Thalberg fort, und ich glaube auch, daß die wahre Stellung des Weibes eine abhängige sein muß. Ich wünsche nur, daß sie von dem freien Manne abhänge, der in ihr den Menschen achtet. Unsre Liebe ist ihre Freiheit, die ihnen allen Schutz und alle Rechte zuerkennt, deren sie bedürfen. Sie müssen mit uns den Gedanken der Freiheit theilen, ohne sie selbst zu begehren, weil für sie dieselbe ein Unding ist. Im Ganzen, bemerkte der Maler, als Clementine ihre volle Zustimmung zu Thalberg's Aeußerung gab, werden nicht alle Damen dieser Meinung sein; denn, wenn sie auch die =femme libre= der St. Simonisten empörend finden, so ließen sie sich doch nur zu gern ein bischen emancipiren, und ich für meinen Theil wollte Nichts dagegen haben, wenn mir einige so recht schöne junge Mädchen als Collegen oder Schüler in mein Atelier geschickt würden. Wenn es so weit ist, meinte Meining, lasse ich mir meine Frau zum Assistenten ernennen! Und glaubst Du, Lieber, daß ich dazu nicht vortrefflich wäre? Glaubst Du, wenn man mich von Jugend auf in all' den Wissenschaften unterrichtet hätte, mit denen man die jungen Leute so früh bekannt macht, ich hätte das nicht auch erlernen können? fragte Clementine. Im Gegentheil; ich bin überzeugt, Du wärest der niedlichste Professor im Mousselinkleide geworden und würdest die interessantesten Vorträge gehalten haben. In Fällen, in denen psychische Leiden der Krankheit zum Grunde liegen, würde so ein feiner, weiblicher Medikus mit seiner liebenswürdigen Neugier vielleicht schneller die Quelle des Uebels errathen, als wir Männer; denn eine gewisse Art von Penetration besitzen die Frauen gewiß in höherm Grade als wir, ich meine den Scharfsinn des Herzens, der wirklich sehr groß bei ihnen ist. Nun denn in Gottes Namen losmarschirt auf die Emancipation der Frauen, sagte der alte Obrist, nur in mein Regiment kommen Sie nicht. Ich kann weder die Kanonen abschaffen, deren Donner Ihnen so sehr zuwider ist, noch die Pferde, vor denen Sie sich fürchten, und auch mein Adjutant wird bei aller Verehrung für Sie seine Hunde nicht entbehren wollen, die Ihnen ebenfalls Angst verursachen. Sind Sie denn wirklich so furchtsam, fragte der Maler, ihre Züge und Augen drücken Nichts davon aus. O da kennen Sie meine Frau nicht, rief Meining. Sie nimmt es im Geiste mit Himmel und Erde auf; in der Wirklichkeit aber flößt fast jedes Thier ihr eine ganz solide Angst ein, und wenn vollends der liebe Gott uns ein ordentliches Gewitter schickt, führt er mir damit jedesmal meine Frau ins Zimmer, die, glaube ich, viel lieber auf Emancipation verzichtet, ehe sie während eines Gewitters allein bleibt. Aber um darauf zurückzukommen! ich möchte wohl wissen, was Du, liebe Clementine! Dir z. B. unter der Emancipation der Frauen gedacht hast. Ich habe überhaupt nicht daran gedacht, antwortete sie, weil ich sie, meinem ganzen Wesen nach, für mich nie begehrenswerth fand. Emancipirt wird das Weib, wie Herr Thalberg sehr wahr bemerkte, durch die Liebe und in der Ehe. Da soll sie gleiche, oft schwerere Pflichten haben, als ihr Mann; aber auch gleiches oder wenigstens ähnliches Recht. Man soll sie nicht gewaltsam niederhalten und ihr nicht unnöthig Leid aufbürden, das sie nicht tragen kann, ohne zu unterliegen. Unsre Freiheit liegt in uns; wir müssen Herr sein über uns selbst, sonst über Niemand -- und so denke ich, Alles, was die sogenannte Emancipation bezwecken könnte, wäre, eine Erziehung zu befördern, die uns für unsern Beruf tüchtiger machte. Also gleiches Recht vor Gericht und dergleichen schöne Dinge begehren Sie nicht? fragte der Obrist. Das mag vielleicht in manchen Fällen von Nutzen sein, die ich so augenblicklich nicht durchdenken kann -- es aber als Schutz gegen die Seinen zu benutzen, gegen Brüder, Väter oder Mann, das scheint mir ein so schauderhaftes Recht, wie die Trennung einer Ehe, die, obgleich ich eine gute Protestantin bin, in meinen Augen ein Sakrament und unauflöslich ist. Und so verdammen Sie Jeden, wandte der Maler ein, der sich scheiden läßt, weil er vielleicht das Leben mit dem Gatten oder der Frau nicht ertragen konnte? weil Laster und Verderbtheit des einen Theils oder auch nur ganz verschiedene Gesinnungen ein Leben zur Hölle machten und ein Glück untergruben, das in einer neuen Ehe auf das Schönste für zwei Menschen erblühen könnte? Verdammen kann ich Niemand, sagte Clementine bewegt, nur das weiß ich bestimmt, daß ich lieber sterben möchte, als mein Wort brechen, und daß ich die Möglichkeit, wie eine Frau zur zweiten Ehe schreiten könne, durchaus nicht begreife. Mit den Worten hob sie die Tafel auf. Meining küßte sie, trotz der Anwesenheit der Fremden, herzlich; sie machte sich aber eilig von seinem Arme los und ging mit Thalberg, der zuletzt gar keinen Antheil an der Unterhaltung genommen hatte, voran in den Salon, worauf die Gesellschaft sich bald trennte. Zehntes Kapitel. Thalberg war allmälig ein täglicher Gast im Meining'schen Hause geworden, da der Geheimrath ein lebhaftes Interesse in seinem Umgange fand, und er selbst Alles hervorsuchte, was ihm einen Grund bot, seine Besuche zu wiederholen. Clementine, ganz beherrscht von dem Zauber, den er immer auf sie geübt, kämpfte unaufhörlich gegen eine Liebe, die nie in ihr erloschen und in Thalberg's Brust leidenschaftlicher, als je, erwacht war. So waren etwa 14 Tage vergangen, als Robert seinem Freunde folgenden Brief schrieb. Thalberg an den Hauptmann v. Feld. d. 18. Dezember. Du hast wahr prophezeit, mein Freund, ich bin noch immer in Berlin und bleibe wol auch noch einige Zeit hier. Was soll ich auch am Ende jetzt in Hochberg beginnen? Ich sitze dort an den langen Winterabenden allein, grüble über Gott und Menschen und reformire die Welt in Gedanken, ohne daß bis jetzt in der Wirklichkeit das Geringste gebessert wird. Augenblicklich bin ich auf meinen Gütern gar nicht beschäftigt; meine Anordnungen für die Realisirung meiner Zwecke sind getroffen und müssen nun ruhig fortwachsen, ungestört, um zu gedeihen. Meine Geschäfte besorgt mein Verwalter, auf den ich mich verlassen kann, und ich habe ihm heute die nöthigen Befehle zukommen lassen, mit der Weisung, daß ich die Weihnachtszeit, ja vielleicht den ganzen Winter hier zubringen würde, und daß er mir mein Reitpferd und ein Paar Schlittenpferde hersenden möge. Ich behalte mein Coupee, das ich zur Reise benutzte, hier und habe gestern einen Schlitten gekauft, der Dir sehr gefallen würde. Ich habe mir nun hier ein Quartier genommen, mich häuslich eingerichtet, die alten Verbindungen erneut und finde mich wieder einmal ganz heimisch in Berlin. Die Abende, welche nicht durch bestimmte Einladungen besetzt sind, bringe ich häufig bei Klenke oder bei Geheimrath Meining zu, wo in kleinem Zirkel die Zeit auf das Angenehmste vergeht. Sehr viel trägt dazu die Geheimräthin bei, die eine ganz charmante Frau ist, voller Geist und Gefühl; anregend, wie keine Andre; dabei die angenehmste Tournüre und die wohlwollendste Höflichkeit, die bei ihr aus dem Herzen kommt. Alles um sie her ist Grazie und weibliche Eleganz! Mich dünkt oft, wenn ich ihren Hut oder ihren Handschuh liegen sehe, ich müßte ihn aus hundert andern als den ihren erkennen. Es ist ein Zauber von Weiblichkeit und Reinheit in Allem, was zu ihr gehört; und obgleich ihr Haus ganz nach dem jetzigen Geschmack eingerichtet ist, sieht es doch vollkommen anders aus, als bei den Uebrigen. Mir wenigstens wird schon behaglich und heimisch, wenn ich im Vorzimmer den Duft von Reseda bemerke, den sie sehr liebt und der ihre Zimmer erfüllt. Wenn ich mir denke, daß diese noch junge Frau dem alten Manne gehört, den sie doch nur wie ihren Vater lieben kann, thut sie mir bitterleid; und ich gestehe Dir, mir ist oft der Gedanke gekommen, ich hätte ein Unrecht gegen sie gut zu machen, und sie wäre glücklicher gewesen, wenn sie mein geworden wäre. Fände ich eine Frau, die ihr gliche, in deren Seele ich so klar lesen könnte und die mich so vollkommen verstände, als die Geheimräthin, ich glaube, ich könnte mich noch entschließen, mich zu verheirathen. Das einsame Leben auf Hochberg hat doch etwas Trauriges, das fange ich erst hier wieder zu fühlen an. Du siehst, Dein guter Rath von neulich trägt vielleicht noch Früchte; willst Du ihn aber wirksam unterstützen, so benutze die treffliche Schlittenbahn, mich hier zu besuchen. Ich habe hinlänglich Platz für uns Beide. _Thalberg._ Derselbe an denselben. Am zweiten Weihnachtstage. Ich kam gestern Abend zu Clementinen, um sie zu bitten, morgen bei einer Schlittenpartie, die wir am Vormittage bei Frau von Stein verabredet hatten, meine Dame zu sein. Es war etwa sechs Uhr. Der Diener, der mich melden ging, sagte mir gleich, Herr Geheimrath hätte außer dem Hause gespeist, die gnädige Frau sei allein, und er zweifle, daß sie mich annehmen würde. Dabei that er so geheimnißvoll, lächelte so pfiffig, daß ich neugierig wurde und ihm bis in den kleinen Salon folgte, der nur noch durch Clementinens Wohnzimmer von ihrem Boudoir getrennt ist, welches ich noch nicht kannte. Im Wohnzimmer brannte nur eine matte Lampe, und da der Diener nicht ahnte, daß ich ihm durch die dunkle Zimmerreihe gefolgt war, ließ er die Thüre offen, sodaß ich den reizendsten Anblick von der Welt hatte. Ich sah in ein höchst zierliches, kleines Gemach, mit grüner Seide tapeziert. Gegen das Fenster hin brannte ein Weihnachtsbaum mit seinen bunten Lichtern, eine Menge Spielzeug lag schon zerstreut umher, und ich hörte das jubelnde Lachen von Kinderstimmen, ehe ich die Kleinen sah. Eine der kleinen Stimmen rief grade: Aber Tante Clementine! Du bist die schönste und größte Puppe, wenn Du nur still halten möchtest. Endlich sah ich Clementine. Sie lag in einer grünen Couchette, die vor dem Kamin stand, und hielt ein engelschönes, zweijähriges Mädchen in den Armen. Zwei ältere Mädchen, etwa fünf- und siebenjährig, waren um sie beschäftigt, das eine ihr das Haar aufzuflechten, das andere ihr eine Masse von Corallen, die auf einem Tische vor ihnen lagen, umzubinden. Es war ein wundervolles Bild! Clementine war schöner, als ich sie je im Leben gesehen habe. Das glänzende, rabenschwarze Haar hing in aufgelösten Wellen herab, gemischt mit dicken Corallenschnüren, von denen ihr einige wie eine Binde über der Stirne lagen. Die Kinder hatten ihr die Aermel zurückgeschlagen, das Tuch abgebunden und sie mit mancherlei Schmuck behängt, den sie ihnen zum Spiele gegeben hatte. Hände, Hals und Arme waren marmorklar in der Beleuchtung und das fein geröthete Gesicht blendend schön in dem Ausdruck von Glück, das aus ihren Augen strahlte. Sie stand, als ich gemeldet wurde, rasch auf und gab dem Diener den Befehl, mich in ihr Wohnzimmer zu führen; sie würde gleich bereit sein, mich zu sehen. Die Thüren wurden zugemacht, ich ging schnell von meinem Lauscherposten zurück und wurde nach einigen Augenblicken in das Boudoir geführt, das nun einen ganz andern Anblick darbot. Die zerstreuten Spielsachen waren einigermaßen geordnet, die beiden größern Mädchen spielten seitwärts an dem Weihnachtsbaume, und nur das kleinste saß bei Clementine auf einer Causseuse. Sie selbst hatte in der Eile eine Haube aufgesetzt, sich in eine große, schwarze Mantille gewickelt und kam mir mit den Worten entgegen: Entschuldigen Sie mich, Herr Thalberg! daß ich Sie hier in der Unordnung empfange; ich habe mir aber für den heutigen Abend diese kleinen Gäste geladen und muß nun zusehen, daß sie keinen Schaden bei den Lichtern nehmen. Sie hielt das Kind, das sich ängstlich an sie schmiegte, auf dem Arme, während sie stand; nöthigte mich dann zum Sitzen und fragte nach meinem Begehr. Ich war so entzückt über die Scene, daß ich eigentlich Nichts begehrte, als sie anzusehen; die Schlittenfahrt hatte ich fast vergessen. Ich fragte, wer die Kinder wären, und erfuhr, es wären die Töchter von Madame T..., die hier im Hause wohne und die ihr die Kinder bisweilen überlasse. Es sind meine Gäste, fügte sie hinzu, wenn Meining nicht zu Hause ist, dem sie zu viel Geräusch machen, und ich habe sie mir heute geladen, um ihnen mit einem Weihnachtsbaume die Freude zu vergelten, die sie mir oft machen. Jetzt im Winter, wo die Natur uns keine Blume bietet, sind das meine lieben Pflänzchen, deren Wachsen und Gedeihen mich unsäglich freut. Sie glauben nicht, wie engelgut und gescheut solch ein unverdorbenes Kind ist. Halb mit mir, halb mit den Kindern beschäftigt, sprach sie abwechselnd scherzend mit uns. Ich hätte ihr ewig zuhören mögen. Plötzlich merkten wir ein helleres Aufflammen der Weihnachtslichter. Clementine, die sehr ängstlich besorgt für die Kinder schien, bat mich, die untern Lichter, an welche die Kinder reichen könnten, auszulöschen. Ich that es und nahm nun auch die beiden größern Mädchen zu uns hin. Nun ging es an ein Plaudern: Tante! wer ist der Herr? Ist das auch ein Onkel? Ja! Röschen, das ist der Onkel Thalberg. Warum bist Du nicht immer hier, Onkel? Weil ich nicht immer hier sein darf. Hast Du denn die Tante Clementine nicht lieb? O! sehr, sehr lieb! rief ich hingerissen aus. Kannst Du uns denn leiden? fragte die kleine Emma, unsre Wärterin sagt, der Onkel Geheimrath kann uns nicht leiden, weil er schon so alt ist. Tante, unterbrach Röschen, behalte lieber diesen Onkel hier und schicke den alten Onkel Meining fort. Ja! Tante! thue das, dieser Onkel ist so schön und freundlich wie Du, schicke den alten fort. Das Alles schwatzten die kleinen Dinger so schnell durch einander, daß man gar nicht Einhalt thun konnte. Clementine wurde glühendroth und gleich darauf sehr bleich; Thränen traten ihr in die Augen, die sie mir verbergen wollte, indem sie sich rasch zu Emma bückte und sagte: Schäme Dich, den guten, lieben Onkel Meining hast Du nicht lieb? Dann kann ich Dir auch nicht gut sein, wenn Du meinen lieben Meining nicht magst, und Du darfst nicht mehr herkommen, Du böses Kind! Ihre Stimme bebte, und ich sah, was sie litt -- o! mein Gott! ich hätte ihr dies Leiden mit meinem Leben vergelten wollen; denn, was soll ich es Dir verbergen -- ich liebe Clementine. Feld! wie spielt das Leben uns mit, und wie wenig verstehen wir unser Glück. Diese Frau war mein, und ich konnte sie verschmähen; sie liebt mich noch, und ich kann sie nicht besitzen. Ich habe ihr Leben zerstört, das fühle ich, und die Rache bleibt nicht aus; denn jetzt erst weiß ich, daß ich Nichts mehr vom Leben zu erwarten habe. Wie war es möglich, daß ich diese Liebe verkannte? Sie ist das einzige, wahre Gefühl meines Herzens gewesen, und ich selbst habe mich um das Glück gebracht; ihr und mein Unglück habe ich selbst bereitet. Um ihr nicht zu sagen, ich bete Dich an, um ihr nicht zu Füßen zu fallen, stand ich auf und brachte meine Schlittenfahrt in Vorschlag. Clementine refüsirte sie entschieden, da ihr Mann an dergleichen keinen Theil nähme und sie, ohne ihn, solche Partien nicht mitmache. Ich bekam einen Dank und empfahl mich -- ein unvergeßliches Bild in der Seele. Es ist mir lieb, daß sie nicht mit mir fährt; sie hat Recht, sie soll Alles vermeiden, was sie dem Schatten eines Vorwurfs aussetzen könnte. Grade weil ich sie anbete, will ich selbst über sie wachen und fast könnte ich wünschen, sie liebte mich nicht mehr, damit der reine Friede ihres Herzens nicht getrübt werde -- und doch scheint mir das Leben nur möglich in dem Bewußtsein ihrer Liebe. Daß ich bleibe -- bedarf nun keiner Bestätigung. _Thalberg._ Der Hauptmann v. Feld an Robert Thalberg. Den 27. Dezember. Unsinniger, was fängst Du an? Wirst Du denn niemals Ruhe finden? Denkst Du nicht mehr, daß Du Caroline eben so heiß geliebt, daß sie Dir auch das vollkommenste Weib geschienen? Rede mir nicht davon, daß Du bleiben willst; wenn Dir Clementinens Ruhe und Ehre werth sind, eile sie zu verlassen, ehe es für Euch Beide zu spät wird. Grade weil ich überzeugt bin, daß Clementine nie einen Andern liebte, als Dich, weil ich auch glaube, daß nur Vernunft und Pflicht sie an ihren Mann fesseln -- weil ich ihre und Deine Leidenschaftlichkeit kenne und fürchte, grade darum mußt Du fort. Und was willst Du? Sie zwingen, noch unglücklicher zu werden, als sie es vielleicht schon ist? Vielleicht war es nur ihr reines Bewußtsein, das sie bisher aufrecht erhielt, willst Du ihr das rauben? Willst Du die Ehre ihres Mannes, der Dich gastlich aufgenommen, ihren häuslichen Frieden Deinen Wünschen opfern? Du wirst es thun, aber sage mir nie mehr, daß Du Clementine geliebt hast. Der Deinige v. _Feld_. Robert Thalberg an den Hauptmann v. Feld. Den 29. Dezember. Deinen Brief habe ich erhalten, lieber Feld! Deine Vorwürfe vergebe ich Dir, weil ich sie nicht verdiene. Clementine ist mir heilig wie meine Ehre. Wie kannst Du aber Carolinens erwähnen, im Vergleich zu Clementinen? Jetzt fühle ich es mehr als je, daß nur Sinnlichkeit und Verblendung mich an Caroline fesselten. Als ich sie zuerst sah, als der entzückte, stürmische Beifall des Publikums sie über sich selbst erhob und sie alle Leidenschaften, die das Herz der Orsina durchtoben, selbst zu fühlen schien und nun dastand, ruhend in sich, abgeschlossen, fest und groß, mitten in einer untergehenden Welt, erschien sie mir so gewaltig, daß es mich trieb, dies Weib kennen zu lernen. Ich fand in ihr, was ich erwartet hatte, einen großen Charakter, ein glühendes Herz, versunken im Strudel des Lebens. Stunden des leidenschaftlichsten Entzückens hat sie mir gegeben. Liebe bedurfte sie nicht, flößte sie nicht ein. Ich war eitel darauf, _sie_ zu besitzen, die Alle mir beneideten; ich freute mich ihrer und schwelgte wie sie in ihren Triumphen. Wenn die Blicke der staunenden Menge trunken an ihr hingen und ihr kühnes Auge nur mich suchte; dann habe ich ein eigenthümliches Glück empfunden. Es liegt ein großer Reiz in der Hingebung einer Frau, die der Bühne, der Welt angehört; sie regte meine Phantasie mächtig an, meine Sinne waren in dem höchsten Aufruhr, ich war außer mir. Ich hätte sie und den Grafen ermorden können, als sie mit ihm entfloh -- ich hätte mit ihr die Welt durchziehen, mich mit ihr vernichten mögen; aber nie ist es mir eingefallen, niemals, sie mir als meine Hausfrau zu denken, wie Clementine mir ewig vor Augen steht. Wäre Caroline mir treu gewesen, ich hätte vielleicht nie an Haus und Weib gedacht, sie hätte mich fortgerissen. An ihr unstätes Leben gekettet, hätte ich mich über mich selbst, über sie, über Alles noch lange, wer weiß, ob nicht fast für immer getäuscht; denn sie war eine Titanennatur, der man schwer widerstand. Nun aber! Hättest Du Clementine, die schöne Geliebte meiner ersten Jugend, gesehen, wie ich, in der züchtigen Haube, die Kinder um sie her und sie selbst ein frohes Kind mit ihnen: Du würdest wie ich keinen andern Gedanken haben, als sie. Wenn ich sie mir denke, als mein Weib, mit meinem Kinde, in den Zimmern meines Schlosses -- ich wäre der seligste Mensch geworden. Ach! ich wollte unendlich glücklich sein oder unendlich elend -- und jetzo bin ich elend. Sie verlassen kann ich nicht; genug, daß sie sich mir entzieht, so viel sie kann, daß ich sie fast nur in Gesellschaft sehe. Ich weiß es ihr Dank, daß sie mich flieht; grade die reine, versagende, milde Frau liebe ich in ihr. Ich bleibe hier; denn ich weiß, sie und ich, wir haben Beide keine Hoffnung auf Glück, als das, uns in flüchtigen Momenten zu begegnen, die abzukürzen ich nicht den Muth habe. Denke von mir, was Du willst; ich bleibe. _Thalberg._ Elftes Kapitel. Aus Clementinens Tagebuch. Am zweiten Weihnachtsabend. Gott im Himmel! womit habe ich mein Loos verschuldet? Wie wage ich es noch, Meining in das Auge zu sehen, mich auf seinen Arm zu stützen, während mein Herz Nichts mehr kennt, als Robert und diese unglückselige Liebe? Ach, ich hätte mich so gern getäuscht; ich wollte mich überreden, daß ich ihn jetzt mit Ruhe sehen, daß er mir ein Freund werden, daß er mein armes, einsames Leben verschönen könne -- und ein Kind mit seiner Einfalt muß mir die Falscheit meines Herzens aufdecken. Arme, kleine Emma! was kannst Du dafür? Ich wollte ihn nicht mehr sehen; aber wie soll ich das machen, ohne Meining's Aufmerksamkeit zu erregen? So muß ich ihm täglich begegnen, mich verstellen, lügen und kalt scheinen, während die heißeste Liebe mich zu ihm zieht, während ich fühle, wie er mich liebt. Ach, nun ist es zu spät, Alles vorbei für mich, und mir bleibt keine Wahl, als fortzuschreiten auf dem Wege des Trugs, damit Meining wenigstens seine Ruhe erhalten werde und Robert nicht wisse, wie ich ihn liebe, wie ich meine Pflicht verletze. Ein Weib, die Frau eines so edlen Mannes, die einen Andern liebt! Wer mir das je als möglich vorgestellt hätte! -- und wie soll es enden. Den 28. Dezember. Der Wind tobt durch die Straßen und peitscht den Schnee vor sich her. Es ist so todt und kalt in der Luft; auch mir ist es fröstelnd und bang. Meining ist nicht zu Hause; ich wollte, er käme zurück und bliebe bei mir -- denn ich fürchte mich allein, vor mir selbst. Ich wollte lesen und vermochte es nicht; die Kinder, die ich holen ließ, sprachen von Onkel Thalberg, von dem mein Herz laut genug spricht. Dann wollte ich mich zerstreuen und sah auf die Straße hinaus; eine arme Frau ging vorüber, starr und weinend vor Kälte; ich ließ sie hereinholen, wärmen, speisen und kleiden -- wohl ihr, daß man ihr helfen kann. Mir kann Niemand helfen! Den 2. Januar. Mir träumte die ganze Nacht von Dir. Ich saß mit Dir und den Kindern, und wir sahen aus den Fenstern auf das Meer, das auf- und niederwogte, und Du wickeltest mein Haar zu Locken um Deine Hand, immer neue bildend und die frühern zerstörend. Darauf erzähltest Du von Deinen Reisen und Deinem Leben und sagtest: wir sind uns schon früher begegnet, da haben wir uns geliebt, und Du liebst mich noch, Clementine. Nun fing ich bitterlich an zu weinen. Du aber küßtest mein Haar und führtest mich hinab an's Meer. Schweigend und ruhend auf Deinem Arme, wandelte ich auf und ab mit Dir, und Du zogst lange, weiße Perlenschnüre aus den Wellen und schmücktest mein Haar, daß mir die vollen Perlenreihen bis an das Herz niederreichten. Da wurde mir entsetzlich bange, und ich sagte: aber Perlen bedeuten ja Angst und Thränen? und Du lächeltest trübe und sprachst: erwartest Du es anders, Geliebte? Ich wachte auf, in Thränen gebadet. Gott selbst wollte mich warnen im Traume. Was soll ich thun? Clementine an Frau v. Alven. _Berlin_, d. 3. Januar 1840. Glück auf zum neuen Jahre, meine gute Tante! und möge es uns nichts Uebles bringen. Hast Du mich denn ganz vergessen, daß auch kein Wort von Dir mehr zu hören ist? Ich sprach noch gestern mit Meining davon, der Dich leider noch immer nicht kennt; und wir überlegten, ob es nicht möglich wäre, daß Du jetzt für einige Zeit zu uns kämest. Mir geschähe der größte Gefallen, denn ich habe seit Jahren Nichts so sehnlich gewünscht, als wieder mit Dir, Du treue Freundin, zusammenzusein. Auch weiß ich eigentlich nicht, was Dich davon abhalten könnte, recht bald zu kommen, damit Du noch einen Theil der Winterfreuden und das beginnende Frühjahr mit uns genießen könntest. Du hast es mir immer abgeschlagen, uns in Heidelberg zu besuchen, unter dem doppelten Vorwande, die Reise sei zu weit, und Eheleute müßten erst Jahr und Tag allein mitsammen leben, ehe sie an einen Hausgenossen denken dürften. Beide Rücksichten fallen jetzt weg, und ich fange getrost an, Deine Wohnung bei uns einzurichten. Du sollst die Zimmer haben, die Du früher bewohntest; Alles soll an der alten Stelle stehen, und Deine Clementine hat auch die alte Liebe für Dich. Komm Herzens-Tante! ich bin so viel allein, ich habe Grillen, die ich nicht bannen kann; ich muß Dir Vieles sagen, ich bedarf dringend Deines Rathes, also laß Dich nicht vergebens bitten und erwarten. In acht Tagen könntest Du hier sein, wenn Du noch die gute, flinke Tante wärest. Meining, der engelgut gegen mich ist, bittet mit mir um Deinen Besuch und empfiehlt sich Dir bestens; so auch die Generalin und alle Deine übrigen Freunde, die sich ein Fest daraus machen, Dich wiederzusehen. Schreibe mir, welchen Tag Du einzutreffen denkst, gute Tante! Wir kommen Dir, wenn es Meining's Geschäfte erlauben, bis zur ersten Station entgegen oder schicken Dir mindestens unsern Wagen und Diener. Aber komme bald, denn ich bedarf Deiner. Deine _Clementine v. Meining_. Frau v. Alven an die Geheimräthin v. Meining. St...., d. 12. Januar 1840. Mein liebes Kind! ich wünsche gewiß ebenso sehr als Du, daß es uns vergönnt würde, eine Zeit mit einander zu verleben; leider müssen wir aber den Plan noch für eine Weile hinausschieben, da ich nicht wohl genug bin, jetzt an eine Reise zu denken. Indes will ich mich so rüsten, daß ich bei der nächsten gelinden Witterung mich auf den Weg mache, und so wollen wir Beide um einen milden Winter bitten. Was Du mir von Grillen und Klagen schreibst, das kann ich nach diesen unbestimmten Ausdrücken nicht verstehen; will es auch nicht, falls irgend etwas Deinen häuslichen Frieden gestört hätte. Dergleichen kommt wol in jeder Ehe vor, und man muß sich nur hüten, ein Wort davon, auch gegen die beste Freundin, laut werden zu lassen. Der Frieden stellt sich oft gar leicht wieder her; das ausgesprochene Wort kann aber nie zurückgenommen werden und ist nur zu oft eine Saat, die böse Früchte trägt. Meining ist, wie Du mir selbst sagst, gut und brav und liebt Dich -- mußt Du Dich also aussprechen, ist es Dir Bedürfniß, so sei es gegen ihn. Suche mit ihm und Dir selbst in's Reine zu kommen, und -- wenn Du dulden mußt, dulde schweigend. Das ist der einzige Rath, den ich für verheirathete Frauen habe. Im Frühjahr sehen wir uns, so Gott will, wieder; mögen dann mit dem Winter auch Deine Grillen verschwunden sein. Du warst ein kluges, kräftiges Mädchen; halte Dich, wie eine brave Frau soll, und schweige, mein Kind! damit Du in den Himmel kommst. Gott erhalte Dich, mein Töchterchen! und gebe uns ein frohes Wiedersehen, wie es herzlichst wünscht Deine treue Tante _Albertine v. Alven_. Dieser Brief verursachte Clementinen die lebhafteste Betrübniß. Sie hatte in der Verwirrung ihrer Seele keinen andern Ausweg gewußt, als die Tante zu ihrem Beistande herbeizurufen. Robert gänzlich zu vermeiden, war in ihren Verhältnissen unmöglich, ohne daß Meining es bemerkte; fast täglich traf sie mit dem Geliebten zusammen und litt unsäglich, wenn sie ihren Gatten so freundlich gegen Thalberg sah. Sie hätte Meining Alles bekennen mögen, ihn bitten, mit ihr an das Ende der Welt zu fliehen, damit sie dieses Elends ledig würde. Je mehr ihr Herz an Robert hing, je mehr Liebe sie dadurch ihrem Manne entzog, je mehr fühlte sie das Bedürfniß, demselben, wenn man so sagen kann, dienstbar zu sein, sich vor ihm zu demüthigen und ihn durch jede mögliche Aufmerksamkeit für die entzogene Liebe zu entschädigen. Wenn dann Meining erfreut und dankbar für so viel Zuvorkommenheit und Güte, sie in seine Arme schloß oder sie küßte, hätte sie vor Scham vergehen mögen; besonders wenn sie bemerkte, wie dann Robert's Auge unaufhörlich auf ihr ruhte, wie er die Farbe wechsele und düster werde und nicht Ruhe finde, bis Meining sich entfernte. Auf die Tante war ihre letzte Hoffnung gerichtet. Dieser ruhigen Frau ihr Leiden zu klagen, schien ihr der einzige Trost, und da Frau von Alven nur wenig ausging, hoffte Clementine darin eine Entschuldigung zu finden, wenn sie selbst sich in ihre Häuslichkeit zurückzöge. Aber Frau von Alven kam nicht. Clementine blieb mit ihrem Kummer allein und wußte Nichts zu thun, als die Zirkel so wenig als möglich zu besuchen, in denen sie Robert zu begegnen glaubte. Anfänglich schien Thalberg das zu billigen, und nur das Entzücken, mit dem er sie jedesmal wiedersah, verrieth ihr, wie schwer er sie vermißt hatte. Grade das Entbehren aber reizte und steigerte seine Leidenschaft auf das Höchste, und bald versuchte er ebenso eifrig Clementinen zu begegnen, als sie ihn zu vermeiden strebte. Wo er sie nur irgend vermuthen konnte, fehlte er niemals, und wenn sie sich nur für einen Augenblick im Theater oder auf der Promenade zeigte, war er sicher an ihrer Seite. Gelang es ihm, trotz alle Dem, ein paar Tage hindurch nicht, sie zu sehen und zu sprechen, hatte sie seine häufiger werdenden Besuche nicht angenommen, so wußte er sich durch den Geheimrath selbst eine Einladung zu verschaffen, und Clementine hatte nicht den Muth, ihm deshalb zu grollen. War er doch so glücklich in ihrer Nähe. Sie hätte ihm mit Freuden ihr Leben geopfert und wagte nicht ihm einen Blick oder ein freundliches Wort zu gönnen, weil sie, unaufhörlich gegen ihr Herz kämpfend, den Glauben in sich zu erhalten suchte, sie werde Robert's mit Ruhe gedenken, wenn sie ihn nicht mehr sähe, und es werde ihr gelingen, sich ihrem Manne zu erhalten. Zwölftes Kapitel. Fast in jedem Winter sind es nur eine kleine Anzahl von Personen, welche zum Mittelpunkte der Gesellschaft werden und die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich ziehen, Frauen sowol als Männer; und sind diese Letztern jung und liebenswürdig, so kann es nicht fehlen, daß sich die Augen der Mütter liebreich auf sie richten und die der Töchter sich schmachtend niederschlagen, wodurch die Stellung eines reichen Heirathskandidaten zu einer der unterhaltendsten von der Welt wird, wenn sein Herz frei und er in der Laune ist, die feinen Intriguen zu beobachten, die gesponnen werden, um ihn zu fesseln. Freundlichere Augen, süßeres Lächeln sah Rinaldo nicht in Armidens Gärten, als sie jeden Abend Thalberg erblickte, wohin er trat. Seine Erscheinung hatte in der Damenwelt Epoche gemacht; und seine glänzende Equipage, seine prächtigen Pferde hatten nicht dazu beigetragen, das Interesse zu vermeiden, welches seine Persönlichkeit eingeflößt hatte. Leider schien es aber, als ob seine schönen, schwarzen Augen die junge Damenwelt gar nicht bemerkten. Kalt und höflich bewegte er sich in ihrer Mitte, ohne irgend Jemand auszuzeichnen, sodaß endlich eine der älteren Damen, welche eine einzige Tochter hatte, sich entschloß, sich hinsichtlich ihrer Wünsche in diesem Punkte gegen Clementine auszusprechen. Die Staatsräthin Ringer war reich, ihre Johanna, eine hübsche, frische Blondine, von der klugen Mutter auf das Sorgfältigste erzogen und mit einem Worte »eine vortreffliche Partie«. Die Staatsräthin sah, daß Thalberg viel im Meining'schen Hause und anscheinend mit Clementinen befreundet war; daher entdeckte sie ihr, nach einer ewig langen Einleitung, daß sie lebhaft wünsche, ihre Johanna, die nun siebenzehn Jahre alt sei, zu verheirathen. Sie ist, wenn ich einmal sterbe, sagte sie, ganz verwaist, und ich versichere Sie, beste Geheimräthin, daß mich dieser Gedanke oft sehr beunruhigt. Nun gestehe ich Ihnen, mich hat Herr Thalberg in jeder Beziehung so angezogen, sein feines, geistreiches Wesen ist dabei so zutrauenerweckend, daß ich Nichts sehnlicher wünschen könnte, als diesem Manne meine Johanna zu geben. Und grade Das, was manchen Frauen an Thalberg mißfällt, das kalte Betragen gegen junge Mädchen, ist mir ein Beweis mehr, daß er ein sehr guter Ehemann und seiner Frau sehr ergeben sein würde. Sehen Sie, Liebste! wenn Sie Thalberg gelegentlich meiner Johanna vorstellten, sie vielleicht einmal zusammen einladen möchten -- damit sich die Leutchen näher kennen lernten -- mein Gott! das verpflichtet ja Niemand -- Thalberg selbst braucht es gar nicht zu wissen; und gelingt es, so haben wir zwei Menschen glücklich gemacht, und ich, liebste Freundin! bin Ihre ewige Schuldnerin. Sie hätte noch lange fortsprechen können, ohne von Clementinen unterbrochen zu werden, so erschrocken war diese anfangs bei dem Gedanken, Robert verheirathet zu wissen. Bald aber siegte ihre edlere Natur; es schien ihr, als zeige ihr der Himmel dadurch eine Möglichkeit, sich und Robert zu retten. Deshalb ging sie bereitwillig auf den Gedanken dieser Verbindung ein und versprach, so weit es in ihrer Macht stände, die nöthigen Schritte zu thun. Als aber die Staatsräthin sich entfernt hatte, warf sich Clementine mit heißen Thränen auf das Sopha; sie selbst sollte Robert eine Frau geben, sie sollte ihn veranlassen, ihrer zu vergessen, eine Andere zu lieben! -- sie sollte ihn dann nicht mehr sehen -- denn sicher würde er mit der jungen Frau gleich nach der Hochzeit nach Hochberg gehen. Eine entsetzliche Eifersucht bemächtigte sich ihrer; sie sah im Geiste Johanna schon in Hochberg walten; sie sah, wie Robert glücklich war mit der jungen Frau, wie er sie liebte -- und ein Gefühl von Neid und Bitterkeit, wie sie es nie gekannt, machte sie erbeben bei dem Gedanken, daß eine Andere nun das einzige Glück besitzen würde, nach dem sie, Clementine, sich ihr Leben hindurch gesehnt, daß eine Fremde ihrem Robert die Wonne bereiten würde, die er einst in ihr zu finden gehofft -- und wie glücklich müsse Robert mit seinem Herzen sein können! An dem Gedanken raffte sie sich empor. Des Geliebten Glück! das war ja Alles, was sie wollte. Sie selbst konnte ihm nur Schmerz, keine Freude bereiten; so sollte er glücklich werden, durch ein Mädchen, das sie ihm gewählt. Dann würde er freilich fortziehen, sie würde ihn entbehren und wie schwer entbehren! aber Robert würde glücklich sein, sie selbst ruhig werden in dem Bewußtsein des Unabänderlichen und durch die größte Hingebung würde sie ihr Unrecht gegen Meining zu sühnen versuchen. An dem Gelingen ihres Planes zweifelte sie keinen Augenblick. Ihre Eifersucht ließ sie in Johannen plötzlich eine unwiderstehliche Schönheit erblicken; sie fand sich selbst verblüht und alt; sie malte es sich aus, wie Robert frappirt sein würde durch Johannens jugendliche Reize; wie schnell er die arme Clementine wieder vergessen würde. Das aber sollte ihre gerechte Buße sein. Sie selbst wollte Johanna an sich ziehen und so weit sie es vermöchte, zu deren Ausbildung beitragen, damit Thalberg in seiner künftigen Frau all' das Glück fände, das Clementine ihm wünschte. So war in wenig Minuten aus einem jungen, fremden Mädchen, aus einem halben Kinde, das Nichts davon ahnte, ein Gegenstand des Hasses für Clementine geworden, dessen sie einen Augenblick später mit wehmüthiger, fast mütterlicher Rührung gedachte und an deren Zukunft sie mit den edelsten Gefühlen ihrer Seele hing. Eine Freude, wie nach guter That, belohnte sie für den Kampf dieser Stunde; sie fühlte sich ihrem Manne gegenüber durch ihr redliches Streben gerechtfertigt. Sie hatte Muth, ihm frei in das Auge zu sehen, und dachte mit weicher Ruhe an Robert, dessen Besuch sie an dem Abend erwartete, wo ihr Mann eine Partie mit dem Obrist und Klenke machen wollte und auch Marianne und Frau von Stein sich bei ihr angemeldet hatten. Man war schon am Ende des Februar; die Luft war mild, die Tage länger geworden. In dem Wohnzimmer der Geheimräthin waren die Fenster geöffnet, der leichte Abendwind bewegte die Blumen vor demselben auf und nieder und beugte die Blüthen einer mächtigen Cala, die in grünem Kübel neben dem Fauteuil stand, auf Clementinens schönes Haar. Ihre Nerven hatten durch die leidenschaftliche, unterdrückte Aufregung der letzten Zeit gelitten; sie fühlte sich angegriffen bis in das tiefste Herz und ruhte auch jetzt in ihrem Lehnsessel, damit ihre Gäste später Nichts von ihrer Schwäche gewahr würden. Sinnend blickte sie in den Kelch der weißen Blume und kühlte ihr Gesicht mit den großen, träumerischen Blättern. So mag wol die Lotosblume blühen, dachte sie, und sehnte sich hin nach den stillen Thälern einer fernen Welt, fort aus der Gesellschaft und aus Verhältnissen, die ihr zur Pein geworden waren, in eine Welt voll Frieden, Schönheit und Ruhe. Da wurde ihr Robert gemeldet, der, um sie wenigstens einen Augenblick allein zu sprechen, früher gekommen war, als sich die Gesellschaft in ihrem Hause zu versammeln pflegte. Sie hatten sich einige Tage hindurch nicht gesehen, Robert fand sie bleicher als sonst und fragte nach ihrem Befinden. Sie klagte über Ermüdung, drückte aber die Hoffnung aus, der Sommer werde sie herstellen, wenn sie erst ihre Wohnung im Thiergarten bezogen haben würde. Nur noch wenig Wochen, sagte sie, und wir wandern Alle aus und die Stadt wird leer; auch Sie gehen vermuthlich bald fort, lieber Thalberg? Ich weiß es selbst noch nicht, gnädige Frau, erwiederte er, Berlin ist mir so werth, so sehr Bedürfniß meiner Existenz geworden, daß sich meine bisherige Vorliebe für das Landleben bedeutend verringert hat; und es ist wol möglich, daß ich nur für eine Zeit nach Hochberg gehe, dort eine kleine Inspektion zu halten, und dann zurückkehre. Hochberg ist mir zu todt, zu still.... Das finde ich begreiflich, entgegnete Clementine, der das Herz heftig schlug, in dem Gedanken an ihren Plan, das finde ich begreiflich, weil Sie dort so ganz allein sind. Sie sollten es aber deshalb nicht aufgeben und werden es auch nicht, bei den hohen Begriffen, die sie von dem Beruf des Gutsbesitzers in unsrer Zeit haben. Ihre Besitzungen haben ein Recht an Sie, Sie haben eine Pflicht gegen Ihre Leute und dürfen, denke ich, eben so wenig immer in Berlin bleiben, als ein König seine Krone zu seinem Vergnügen niederlegen dürfte. Aber Sie sollten sich das Leben auf Hochberg angenehmer zu machen suchen, Sie sollten.... Gäste einladen? Wer kommt zu mir Einsamen? Freunde, welche die Jagd zu mir lockt, und dergleichen Gäste mehr. Ja, gnädige Frau! wenn ich Sie einmal dort sehen könnte, wenn Sie nur wenige Tage dort verweilen wollten! Sie glauben nicht, wie schön, wie paradiesisch schön mein liebes Hochberg ist! Aber Sie werden nicht kommen. Doch! antwortete Clementine leise und mit einer Eile, die ihr fremd war, so eilig wie Jemand eine schwere Last, die ihn erdrückt, von sich wirft, -- doch! Sie müssen nur vorher eine Frau nehmen; das wollte ich Ihnen lange schon rathen. Sie! rief Thalberg wie außer sich, Sie wollten mir das rathen! O! mein Gott! wie wenig haben wir uns verstanden. Können Sie denken.... Ich denke, sagte Clementine, die in tiefer Bewegung nach Fassung rang und sie durchaus gewinnen wollte, ich denke, bester Thalberg, daß Sie sich glücklich fühlen und glücklich machen sollen. Sie sind so gut, Sie fühlen den Werth der Häuslichkeit; warum wollen Sie einsam Ihr Leben verbringen? Ich selbst habe Ihnen eine Frau ausgesucht, es ist die erste Dame, der ich Sie heute über acht Tage auf meinem Balle vorstellen werde. Robert wollte sie mehrmals unterbrechen, sie ließ ihn aber nicht dazu kommen. Er war aufgestanden und ging heftig im Zimmer auf und ab. Beide schwiegen -- es war eine bange Pause. Ja! sagte er endlich und lächelte höhnisch, Sie haben Recht, ich bin ein leidenschaftlicher Thor, ein unbequemer Gast, den man um jeden Preis von sich entfernen muß; auch wenn es mein einziges, letztes Glück zerstörte. Sie haben Recht, und es soll anders werden. Ich bin neugierig auf Ihre Wahl, meine Gnädige! ich sehne mich, die Auserkorene kennen zu lernen -- ich bin grade in der Stimmung, einen liebenswürdigen Gatten zu machen. Aber freilich, eine Frau, die so viel Glück in der Ehe gefunden hat, als die Geheimräthin von Meining, will es Andern auch bereiten. O! über die großmüthigen Frauen! Wie ungerecht sind Sie, Thalberg! -- war Alles, was Clementine den stürmischen, unwürdigen Worten entgegnete, aber ein paar große Thränen zitterten in ihren Augen. Plötzlich blieb Robert vor ihr stehen, er war todtenbleich, und auch sein Auge war von Thränen feucht. Er sah sie lange unverwandt an, faßte ihre Hände und sprach: Sei es so! -- ja, gnädige Frau! Sie haben Recht, ich reise bald, weil Sie es wünschen. O! Sie sind rein und licht wie der Kelch dieser Blumen; tief wie in ihn, sehe ich in Ihr heiliges Herz. Machen Sie mit mir, was Sie wollen, ich habe keinen Willen als den Ihren. Damit bog er sich zu ihr nieder, daß er fast vor ihr kniete, küßte ihre Hände und ging eilig hinaus. Clementine war erschöpft. Sie schlug ihre Hände, wie betend, zusammen und blieb in schwermüthigem Hinbrüten, bis Marianne und die übrigen Gäste kamen. Dann nahm sie sich gewaltsam zusammen und verfiel dadurch in eine überreizte Laune, welche Frau von Stein und Marianne allerliebst und höchst unterhaltend fanden, und bei welcher der armen Frau fast das Herz brach und alle Nerven bebten. Auch war sie in den nächsten Tagen kaum im Stande, die nöthigen Einladungen und Besorgungen für ihren Ball anzuordnen; sie fühlte sich krank und bestand doch, trotz Meining's Abreden, darauf, den Ball am bestimmten Tage zu geben. Robert, der mehrmals hingekommen war, ließ sie, wie alle übrigen Besuche, abweisen und bat den Geheimrath, er möge ihr, da das gesellige Treiben sie wirklich angreife, ein paar Tage vollkommener Ruhe gönnen, deren sie nur bedürfe, um zu dem Balle frisch und gesund zu sein. Der verhängnißvolle Abend des 26. Februar kam heran. Die ganze Wohnung war glänzend geschmückt, alle Zimmer geöffnet, Blumen und Kerzen überall -- große Spiegel und glänzende Vergoldungen strahlten die Gasflammen und Kerzen fröhlich wieder. Der Geheimrath war in der besten Laune, als er Alles so festlich und heiter um sich her sah. Die Wohnung glich einem Tempel der Freude und des Lichtes, aber in Clementinens Seele war es tiefe Nacht. Sie trug eine Robe von schwarzem Sammet und eine einzige Schnur großer Perlen. Ihr Haar, einst Robert's Entzücken, war glatt gescheitelt, ohne Blumen, ohne Schmuck, und doch war sie schön, trotz ihrer Blässe. Sie hatte den ganzen Tag gezittert bei dem Gedanken an diesen Abend, sie hatte unaufhörlich mit sich gerungen. Nun war sie ruhig, aber müde; glorreich müde, wie ein Sieger nach der Schlacht. Allmälig versammelte sich die Gesellschaft und die Staatsräthin Ringer mit ihrer Tochter war unter den Ersten, die sich einstellten. Clementine ging ihnen ein paar Schritte entgegen und ein zuckendes Weh fuhr durch ihre Brust, als sie das kleine, junge Mädchen erblickte, das in dem Kleide von rosa Krepp und mit einem vollen Strauße von Rosen in den hellblonden Locken wie ein Bild der Jugend und des Lebens aussah. Wie segnend küßte sie das blühende Kind auf die Stirne und bat: Bleiben Sie bei mir, mein liebes Fräulein! und helfen Sie mir die Wirthin machen; Ihnen übergebe ich die junge, tanzlustige Welt, und Sie sind mir Bürge, daß diese sich amüsirt. Johanna war selig. Sie fiel der Geheimräthin um den Hals, nannte sie die beste, liebenswürdigste Frau der Erde, einen wahren Engel und war noch an ihrer Seite, als Thalberg eintrat. Seit jenem Abende hatte er Clementine nicht gesehen; rasch ging er auf sie zu, um sie womöglich gleich zu sprechen, um sie zu versöhnen; denn er wußte, wie unrecht, wie unendlich wehe er ihr gethan, und mehr noch, als sie selbst, hatte er in dieser Zeit gelitten. Kaum hatte er sie aber begrüßt, als Clementine, die es zu keiner Unterredung kommen ließ, ihm ihren kleinen Schützling vorstellte. Er sah sie betroffen an, verbeugte sich kalt gegen Johanna und zog sich, da die Geheimräthin als Wirthin in Anspruch genommen war, mit einigen Herren plaudernd zurück. Vergebens versuchte er, sie einen Moment allein zu sprechen, immer fand er fremde Herren und Damen an ihrer Seite, die nicht weichen wollten und bald ihn, bald sie mit sich fortzogen, was ihn unsäglich peinigte. Die ganze Gesellschaft stimmte in der Bewunderung ihrer Schönheit überein, und einige Herren fragten ihn, ob er das prächtige Tableau bemerkt habe, das die imposante, ernste Schönheit der Geheimräthin von Meining und die liebliche Johanna Ringer gebildet, als sie am Anfange des Abends einmal neben einander gestanden hätten. Allmälig näherte der Ball sich seinem Ende; laut jubelnd tönten die Straus'schen Walzer durch den Saal, Frohsinn und Eleganz herrschten allerwegen. Johanna, die Schönheit des Festes, strahlte vor kindlicher Lust -- nur Clementine und Robert theilten die Freude nicht. Um einen Augenblick zu ruhen, lehnte Clementine in der Brüstung eines Fensters und hörte theilnahmlos die faden Galanterien eines älteren Herrn an, während ihr Auge Robert und Johanna suchte. Da, als der Fremde sie endlich verließ, trat Robert eilig zu ihr: Sie sind krank gewesen, gnädige Frau! Sie haben gelitten, ich sehe es, sagte er, warum haben Sie mich bis heute verbannt? warum mir nicht gegönnt, Sie zu sehen, Ihnen zu sagen, wie tief mich mein Unrecht geschmerzt, das ich gegen Sie begangen? Wenn Sie wüßten, wie ich verlangte, Sie zu sprechen, Sie zu versöhnen, Sie würden mir längst vergeben haben. Denken Sie nicht daran, antwortete sie, ich hatte Nichts zu vergeben; sehen Sie lieber auf das fröhliche Leben um uns her, und sagen Sie mir auch, lieber Thalberg, wie Ihnen meine kleine Johanna gefällt? Robert schwieg einen Moment, dann sagte er ernst: Johanna Ringer ist ein schönes, glückliches Geschöpf; soll sie elend werden, wie ich? -- wie .... Viele? Clementine bebte zusammen, und Thalberg fuhr fort: Ich habe Sie verstanden, gnädige Frau! aber soll ein frohes, schuldloses Mädchen das Opfer werden für mich? Es _muß_ ein Opfer gebracht werden, das fühle ich; so will _ich_ es bringen, indem ich Sie verlasse. Morgen schon gehe ich nach Hochberg zurück; ich habe es gestern bereits den Bekannten gesagt, auch der Geheimrath weiß es. Morgen schon werde ich gehen und nur, um Sie noch einmal zu sehen, um Ihnen Lebewohl zu sagen, bin ich heute hier. Mögen Sie glücklich sein! und haben Sie Dank, den innigsten, heißesten Dank, für das Glück, das ich in ihrer Nähe fand. Leben Sie wohl, gnädige Frau! Clementine dachte zu sterben. Noch einmal ruhten Auge in Auge; dann sah sie Thalberg's edle, hohe Gestalt sich durch die Menge bewegen und im Nebenzimmer verschwinden. Ihre Sonne war untergegangen, es war kalt und Nacht um sie her. Gleich nach Thalberg's Entfernung kam die Staatsräthin Ringer herbei, fragte neugierig nach allem Möglichen und erfuhr von Clementine, die den Zweck dieser Fragen wohl kannte, daß Thalberg ihre Johanna sehr hübsch finde, daß er aber für jetzt in Geschäften nach Hochberg reise. Dankbar entfernte sich die erfreute Mutter. Andre Gäste folgten Abschied nehmend, preisend und scherzend -- Clementine vermochte nur mechanisch zu antworten. Es war ihr, als ob in wüstem Traume Larven und Masken in entsetzlichem Gewühl an ihr vorüberschwebten und mit Allgewalt auf sie einstürmten. Sie athmete erst auf, als die Zimmer leer wurden, als Meining ebenfalls sie verlassen hatte. Kalt sah sie um sich her, auf die matter brennenden Kerzen, auf die von der Wärme welkenden Blumen, die die Köpfchen sinken ließen, und sowie diese, gebrochen an Körper und Geist, zog sie sich zurück, und ein tiefer, lethargischer Schlaf sank auf ihre Augen. Dreizehntes Kapitel. Mit dem Gefühl der vollkommensten Stumpfheit erwachte Clementine am nächsten Morgen. Tag oder Nacht, Leben, Sterben, ihr war Alles gleichgültig. Ein grauer Nebel schien ihr über die Welt gebreitet, die warme Frühlingssonne schien ihr kalt, der blaue Himmel farblos. Was konnte der Tag ihr noch bringen? wie endlos lang würde die Zeit ihr werden -- was sollte sie denken überhaupt, was erwarten? wie das Leben ertragen? Fröstelnd bog sie sich in die Kissen zurück und wollte nochmals zu schlafen versuchen -- ach! im Schlafe hatte Robert's Bild vor ihrer Seele gestanden und im Wachen an ihn zu denken, war ihr Sünde. Da öffnete Meining leise ihre Thüre und fragte: Bist Du schon wach, mein Kind? Ich muß um acht Uhr fort, komme erst spät zurück und wollte sehen, wie es Dir nach dem Balle geht? Clementine richtete sich empor; der rothe Schein der seidenen Vorhänge fiel auf ihr Gesicht, und sie sah dadurch so frisch, so rosig aus, daß Meining nicht aufhören konnte, ihr zu sagen, wie hübsch sie sei, sie zu herzen und zu küssen, während sie kalt und regungslos dasaß. Jetzt, das fühlte sie, stand sie so tief, als jene Frauen, die ihr immer den entschiedensten Abscheu eingeflößt hatten; sie mußte die Liebkosungen eines Mannes dulden, und ihre ganze Seele gehörte einem Andern. Ein eisiger Schauer flog durch ihre Glieder, sie sank ohnmächtig auf ihr Lager zurück. Meining schellte nach dem Mädchen und eilte selbst Essenzen und =Eau de Cologne= aus der Toilette herbeizuholen, um ihr beizustehen. Als seine Frau sich erholt und er sie verlassen hatte, befragte er das Mädchen, das seit Jahren bei ihr war, ob die Frau Geheimräthin vielleicht gestern schon geklagt, ob irgend Etwas vorgefallen wäre? erhielt aber nur den Bescheid, die gnädige Frau hätte gestern Abend sehr angestrengt geschienen, ihr befohlen, sie so schnell als möglich zu entkleiden und gleich das Licht auszulöschen, da sie nicht mehr lesen werde. Nur das wäre ihr aufgefallen, daß der gnädige Frau die Stimme beim Sprechen mehrmals versagt und daß sie ein immerwährendes Schauern gehabt hätte, als ob es sie kalt überliefe. Ueberhaupt, schloß sie, muß unsre gnädige Frau doch wol krank sein, obgleich sie es durchaus nicht wahr haben will; denn während sie in Heidelberg fortwährend las oder schrieb oder die Kinder von Professors bei sich hatte, kann sie jetzt schon seit vielen Wochen, Tage hindurch, wenn sie allein ist, aufgestützt sitzen und weinen oder mit gefalteten Händen starr auf einen Fleck sehen. Auch die Kinder dürfen nicht mehr zu ihr kommen. Und das dauert, bis der Herr Geheimrath nach Hause kommen; dann ist es plötzlich vorüber, die gnädige Frau erholt sich und wird wieder ganz munter. Dieser Bericht trug nicht dazu bei, Meining's Besorgniß zu beruhigen. Eine körperliche Störung war in der Gesundheit seiner Frau nicht vorhanden; allerdings hatte sie immer reizbare Nerven gehabt, aber ihre Energie hatte diese Reizbarkeit sonst glücklich und schnell überwunden. Auf mehrfach wiederholte Fragen deshalb hatte sie immer eine ausweichende oder ganz verneinende Antwort gegeben, und es blieb ihm daher nur die Vermuthung, daß irgend ein Seelenleiden seinen nachtheiligen Einfluß auf Clementine äußere. Vergebens aber sann er, was es sein könne. Er war es sich bewußt, seine Frau mit der herzlichsten Liebe umgeben zu haben, sie besaß Alles, was das Leben angenehm machen, es verschönen konnte; sie schien frei von Leidenschaften, die das Glück stören -- er wußte keinen Grund für das plötzliche Schwinden der Gesundheit aufzufinden und beschloß, sich noch heute an Madame Klenke zu wenden, um vielleicht durch diese auf die rechte Spur geleitet zu werden, da der Zustand seiner Frau ihn im höchsten Grade beunruhigte. Aber auch diese konnte ihm keinen Aufschluß geben. Sehen Sie, bester Geheimrath! Ihre Frau war immer anders als wir Andre, stiller, sehr =posée=, vernünftiger und besser als wir. Schon als Mädchen hatte sie an Putz und Gesellschaft keine Freude und nun als Frau ist sie auch wieder nicht wie wir. Sie hat gewiß die nobelsten Grundsätze, aber sie exagerirt, daß sie z. B. nie tanzt, weil sie verheirathet ist -- daß sie neulich nicht mit uns fuhr, als wir eine Schlittenpartie machten und wir Alle und Thalberg sie so sehr darum baten, nur darum nicht fuhr, weil Sie nicht daran Theil nahmen; das sind Alles eigenthümliche Ansichten, mit deren Ausübung sie uns Andre tadelt -- und wir, ich an der Spitze, möchten es ihr übel nehmen, =mais comment faire=? Sie ist so gut, so zuvorkommend, daß es ganz unmöglich ist, nicht für sie eingenommen zu sein, und das sind wir Alle, Frauen und Männer und mein gestrenger Herr und Thalberg vor Allen. Denn diese Beiden rühmen sie noch nebenher als das Muster einer Ehefrau, und wirklich »Meining wünscht oder Meining möchte nicht gern« ist das A und O bei ihr. Machen Sie nur, daß sie sich erholt, denn sie sieht jetzt bisweilen übel aus =à faire pitié=. O! und heute ist sie leidender, als ich sie je gesehen! bemerkte Meining, hätte sie nur den verdammten Ball aufgeschoben, wozu ich selbst vor ein paar Tagen rieth. Aber da war kein Halten, kein Abreden, der Ball mußte durchaus gegeben werden, weil die Arrangements einmal getroffen waren. Nun haben wir leider die Folgen. =As for the ball=, damit hat es seine eigne Bewandtniß, und da hat Clementine Ihnen nicht die Wahrheit gesagt. Die Arrangements ließen sich wol abändern, aber der Ball galt Thalberg und noch Jemand, sonst hätte sie ihn gewiß aufgeschoben, da sie sich, wie sie mir selbst sagte, sehr unwohl fühlte. Er galt Thalberg? Was soll das heißen? Sehen Sie, lieber Geheimrath! das rathe ich so, denn bestimmt weiß ich es nicht -- =mais pas si bête qu'on voudrait me croire=! Als ich neulich bei Clementinen vorfuhr, wurde ich abgewiesen; es hieß, sie hätte ein =tête à tête= mit der Staatsräthin Ringer -- was kann sie mit der fremden Frau haben? Nachher des Abends, als zuletzt die Partie bei Ihnen war, kam Thalberg, der erwartet wurde, nicht. Clementine sagte uns, er sei vorher bei ihr gewesen, sie hätte eine Weile mit ihm geplaudert und gestand mir, =en secrêt=, es sei die Rede von einer Verheirathung Thalberg's gewesen. Dabei war sie in der glücklichsten Laune, also hatte er gewiß eingewilligt. Nun kommt ihr Ball. Die kleine Ringer mußte die Tochter vom Hause machen, ich sah selbst, wie Thalberg ihr von Clementinen vorgestellt wurde, und =c'est une affaire finie=! Das eben nicht, beste Frau! denn Thalberg sagte mir vor einigen Tagen, daß er genöthigt sei, rasch nach Hochberg zu gehen, und er ist möglicher Weise schon fort, sagte Meining. =Comment donc!= abgereist? =I do'nt believe!= rief Marianne. Glauben Sie es immer, Sie werden bald seinen Abschiedsbesuch oder seine Karten empfangen; indeß wußte er selbst nicht, wie lange er fort bleiben würde. Dabei fällt mir ein, daß ich sehr lange hier bin und mich Ihnen empfehlen muß. Gehen Sie immer eine Stunde zu Clementinen, schöne Freundin; es wird ihr gut sein, und mir erzeigen Sie einen wahren Dienst damit; denn sie muß Zerstreuung haben. Adieu! und reden Sie ihr recht zu, bald in den Thiergarten zu ziehen; sie muß Ruhe haben, frische Luft und Bewegung, das wird das Beste für sie sein. Diese Unterhaltung, bei der Marianne auch nicht im Entferntesten den Gedanken zu hegen schien, daß die Geheimräthin sich unglücklich oder nur unzufrieden fühle, beruhigte Meining bedeutend; er ging rüstig an seine Tagesgeschäfte und fand, als er Mittags nach Hause kam, seine Frau in zierlichem Negligée, heiter und freundlich seiner wartend. Sie hatte, weil Meining ihr die größte Stille empfohlen, in ihrer Stube serviren lassen, obgleich sie sich ziemlich wohl fühlte, und sie bemühte sich, den Schreck, den sie ihrem Manne am Morgen verursacht, so viel als möglich in den Hintergrund treten zu lassen; da sie von Mariannen erfahren, welch beunruhigenden Eindruck ihr Anfall auf ihn gemacht hätte. Als von dem Plan die Rede war, das Landhaus sehr zeitig zu beziehen, machte Clementine den Vorschlag, gleich heute hinauszufahren, sich dort eine Weile zu ergehen und zu überlegen, wie man sich daselbst am behaglichsten einrichten werde, womit der Geheimrath sehr zufrieden war. Die Bewegung in frischer Luft that ihr sehr wohl und lohnte ihr den Zwang, den sie sich ihrem Manne gegenüber auferlegt hatte, als sie die Fahrt, ohne die geringste Neigung dazu, in Anregung brachte. Dann ließ sich Meining zu einem Freunde fahren, dem er den Abend zugesagt hatte, rieth seiner Frau sich zeitig zur Ruhe zu begeben, vor der Nacht noch eine Arzenei zu nehmen, die er ihr verordnet hatte, und so trennten sie sich für den Tag wieder auf die freundlichste Weise. Vierzehntes Kapitel. Aus Clementinens Tagebuch. Den 27. Februar. Gott sei Dank! Der erste Tag ist vorüber! und noch ein Tag und noch einer, so geht das Leben hin. Armer Meining! sollst Du es büßen, daß Du mich geliebt, mir vertraut hast? Soll das der Lohn Deiner Arbeit, die Freude Deines Alters sein, daß Dich in Deinem Hause ein kränkelndes, mißmüthiges Geschöpf empfängt? Und wie gut Meining ist, wie er für mich sorgt, und wie elend ich ihm danke! Nur zur Pein lebe ich noch in der Welt, mir und Allen. Robert, der -- -- O! Gott! fort, fort mit den Gedanken. Ich bin Meining's Weib, sein Glück, sein Wohl allein dürfen mein Ziel sein, und Gott im Himmel wird mir Kraft geben, es zu erreichen, wenn er sieht, wie ich danach ringe. Den 3. März. Ich bin wohler, Meining ist ruhig über mich. Es kann, es wird Alles noch gut werden, und warum sollte es nicht? Konnte ich dafür, wenn ein Gefühl, welches ich nicht absichtlich hervorrief, sich nicht gleich unterdrücken ließ, daß es mich beherrschte? und habe ich nicht Alles versucht, was mir Pflicht und Recht geboten? Nun ist es vorüber, Thalberg ist fort -- auch er wird Frieden finden und glücklich werden. Ich -- muß es sein, weil ich nicht mir gehöre. _Im Thiergarten_, d. 2. April. So wäre ich denn hier eingerichtet! Krank, traurig und müde bis zum Tode. Es gibt Leiden, die, Gott sei Dank! den meisten Menschen unbekannt bleiben. Nicht alt zu sein, und hoffnungslos in das Leben zu blicken, ohne Aussicht, ohne Wunsch für die Zukunft, nicht einmal den, daß es jemals anders werden möge. Wo ist die erste, frohe Jugendzeit hin, in der ich reich an Muth, an Lust und so überreich an Liebe in das Leben sah? Ich fühlte mich glücklich in der Liebe meines Vaters, kein andres Gefühl in meiner Seele, als ihm Freude zu machen und gut zu sein, um des Guten willen. Damals, es war, ehe ich Robert kannte, war ich frei! Frei? wenn ich es endlich würde, wenn mein Tod endlich diesem Elend ein Ende machte -- das wäre das Einzige, was ich wünschen darf, was ich wünsche. Dann würden Meining und Robert freundlich mein gedenken, und ich schliefe still, wie mein müdes Herz es bedarf. Den 10. April. Die Welt ist so schön, Alles scheint glücklich, warum kann ich es nicht sein? Dadurch kommt oft ein Gefühl von Bitterkeit in mein Herz, das mich erschreckt. Der Vogel darf glücklich und fröhlich von Blatt zu Blatt fliegen, die Blume findet Sonne und Regen, so viel sie bedarf, um schön zu erblühen; nur ich entbehre Das, was mein Dasein zum Leben machen könnte. Wenn ich Abends hinaufsehe, an das Firmament und die Milliarden Sterne in seliger Ruhe ihre ewige Bahn durchleuchten, so begreife ich nicht, wie nicht Ein Sternchen Mitleid fühlt mit mir, warum nicht Eines herunterkommt, mich zu trösten, oder warum es nicht heller hervorleuchtet, um mir ein Zeichen zu geben, daß es mich versteht, daß es mein Leiden, mein Sehnen, mein Verzagen kennt. Hätte ich meine Mutter noch, der ich Alles klagen dürfte, die würde mich nicht so kalt, so streng an meine Pflicht verweisen, als die Tante; sie würde ihr müdes Kind ausweinen lassen an ihrer Brust, sie würde mit mir weinen und mich beklagen. Pflicht! -- hat denn irgend ein Geschöpf außer dem Menschen eine andre Pflicht, als glücklich zu werden? Freilich kann aber nur der Mensch in seinem wahnsinnigen Dünkel so selbstvermessen sein, sich Pflichten zu _schaffen_, die ihm zu erfüllen fast unmöglich sind. Den 27. April. Nach mehrtägigem Ueberlegen und Zaudern hat Meining sich entschlossen, mit dem Prinzen zu gehen, und ist heute abgereist. Der Prinz hat dringend seine Begleitung gefordert, und er hat sie nicht ablehnen dürfen. Ich habe ihm angeboten, nachzufolgen, damit wir am Ziel der Reise zusammenträfen; ich wäre dann mit Marianne und ihrem Manne bis Wien gegangen und hätte den übrigen Theil der Reise allein mit meinem Mädchen und dem Diener meines Mannes fortgesetzt. Vielleicht hätte mir die Zerstreuung wohlgethan, und hauptsächlich hoffte ich Meining damit eine Freude zu machen, wenn er mich bald wieder um sich hätte und in K.... seine Häuslichkeit wieder fände, wo der Prinz sechs bis acht Wochen die Cur brauchen muß. Meining hat es aber nicht gewünscht, weil er glaubt, ich würde die Bergluft nicht ertragen können. Nun ist er abgereist und hat mit rührender Innigkeit mich mir selbst empfohlen; ich solle mich schonen, wie ich sein Leben schonen würde, mich pflegen, mich zerstreuen, damit er mich gesund und froh wiederfände, denn ich sei sein höchstes Gut! -- Wie es mich demüthigte! Ich weinte vor Scham, und Meining glaubte, daß meine Thränen nur dem Abschiede von ihm galten -- ich täusche ihn mit jedem Athemzuge! Elendes Dasein. Wenn er mein Vater wäre, wie könnte ich ihn lieben, ihn, der so gut, so gut ist; wie zufrieden würde er mit dem Gefühl von Verehrung sein, daß ich für ihn hege, wie würde er sich der Liebe seiner Tochter für Thalberg, den er so hoch hält, erfreuen. Jetzt aber! Den 4. Mai. Ich fühle mich freier, besser in Meining's Abwesenheit, weil ich mich nicht, wie ein harter Aufseher den widerspenstigen Sklaven, in jedem Augenblick zu bewachen, zu strafen habe -- weil ich nicht, wie ein feiger Sklave, Herz und Geist verstellen muß. Auch die vollkommene Stille um mich her thut mir wohl. Ich überschreite die Schwelle unsres Gartens kaum, ich ziehe mich ganz in mich selbst zurück, und es scheint mir, als ob dadurch mehr Klarheit und Friede in mein Gemüth käme. Nur noch einmal möchte ich Robert sehen, nur noch ein einzigesmal ihn sprechen! aber wozu auch? Könnte ich unter diesen schönen, säuselnden Bäumen schlafen, immerfort -- bis zu Meining's Rückkehr; tief, tief schlafen und dann erwachen, und die ganze Vergangenheit wäre mir entschwunden, wie das Bewußtsein eines bösen Traumes, wenn man früh die Augen aufschlägt und der liebe, helle Tag fröhlich durch die Fenster grüßt. Den 5. Mai. Die Tante kommt noch immer nicht, obgleich ich sie nochmals darum bat. Erst im Juni darf ich sie erwarten. Den 8. Mai. Schon seit Tagen kommt wieder kein Gedanke in mir auf, als der an Robert. Ich kann sein Bild nicht aus meinem Herzen bannen, in dessen Pulsschlägen es seit meiner Kindheit lebt. Leben und Robert lieben ist mir Eins -- wie konnte ich jemals wähnen, ich würde aufhören, ihn zu lieben? Wie hat man versuchen dürfen, mich zu einer Heirath zu überreden? Ich habe in der Zeit, die meiner Verlobung folgte, selbst geglaubt, ich müsse Robert ruhig wieder sehen können, weil er mein Gefühl, meinen Stolz so tief verletzt, ich würde ihn deshalb nicht mehr lieben. Thörichter Wahn! Jedes andre Empfinden ist ohnmächtig gegen Liebe -- sie ist Alles, Demuth, Hingebung, Selbstverleugnung, Geist, Wahrheit und Stolz; aber nur Stolz auf den Besitz des Geliebten, Stolz auf das Glück, von ihm gewählt zu sein. Das Alles habe ich selbst in mir zerstört und keine Möglichkeit, es jemals zu ändern. Nun fühle ich die Folgen dieses Schrittes an der innern Zerstörtheit meines Daseins. Mit aller Gluth der Seele zieht es mich zu dem Geliebten, ich möchte ihn nur einmal sehen, nur den Ton seiner Stimme hören -- ach und an seinem Herzen alles Elend vergessen und weinen. Den 12. Mai. Robert ist _hier_; er ist hier, in meiner Nähe, ich habe seine Stimme im Vorzimmer nach mir fragen hören, ich sah ihn durch den Garten zurückkehren und hinaufblicken nach meinen Fenstern. Das ist Glück! Das ist Sonne und Frühling! Er hat mir geschrieben, und ich habe den Brief uneröffnet zurückgesandt; ich hätte es nicht thun sollen. Und doch weiß ich nicht, was er schreibt, was er begehrt, und kann ich es gewähren? Auch seinen Besuch habe ich abgelehnt, wie einen Ueberlästigen habe ich ihn abweisen lassen. Wie wird er lachen über die Feigheit, die sich nur sicher fühlt hinter gewaltsamem Schutz, wie verächtlich wird es ihm erscheinen. Ich habe verboten, mir irgend einen Besuch zu melden, weil ich Robert allein nicht zurückweisen konnte. Mehr vermag ich nicht. Alle meine Gedanken sind auf ihn gerichtet, mein Herz verlangt ihn, die Sehnsucht ist zum körperlichen Schmerz geworden; ich fühle mich der Verzweiflung, dem Wahnsinn nahe, so verwirren sich meine Gedanken. Ich möchte zu ihm eilen, ich möchte ihm sagen, daß ich ihn anbete; ich, die dreißigjährige Frau, das Weib eines Andern, ich breche mein Wort, die Treue, die Ehe. Gott, Gott! nur der Tod kann mich retten, gib ihn mir bald, und möge Meining nie ahnen, was ich an ihm gesündigt. Seine Zukunft soll und muß ruhig bleiben, und muß ich leben, elend wie ich bin, so will ich allein es tragen -- allein, wie ich es fast immer war; Liebe und Freude entbehrend, allein leben und am liebsten -- bald allein und einsam sterben. Robert Thalberg an den Hauptmann v. Feld. _Berlin_, d. 16. Mai. Ich durfte nicht länger in Hochberg weilen, ich hielt es nicht aus, ohne sie, und bin wieder hier. Man hatte mir zufällig geschrieben, daß Clementine krank sei, daß ein Nervenleiden ihr Leben zu bedrohen scheine. Da litt es mich nicht länger dort, ich mußte sie sehen, ich eilte hieher. Begreifst Du es, Feld! Clementine leidet, sie stirbt, und ich bin ihr Mörder, wenn ich sie und mich nicht rette. Nun bin ich acht Tage hier, bin täglich bei ihr gewesen, aber niemals angenommen worden, weil sie sich zu angegriffen fühle, um Besuche anzunehmen. Was ich auch that, sie zu sehen, Alles war vergeblich, und es gibt Stunden, in denen ich mit Gewalt in ihr Zimmer dringen und sie zwingen möchte, mir nach Hochberg zu folgen und dort die Meine zu werden. Ich weiß es, an meiner tiefen Begeisterung für sie, daß sie mich liebt, daß sie für Meining nur kindliche Verehrung hat; warum sollen wir es büßen, daß sie sich unwürdige Fesseln anlegen ließ, die sie und mich erdrücken? Was kann der alte Mann an ihr lieben? Ja, der nicht weiß, was dieses große Herz bedarf, wie es geliebt werden muß, wie es zu lieben vermag. Und grade jetzt muß ich sie ungestört sprechen, mich mit ihr verständigen, da Meining nicht hier ist. Heute habe ich der Geliebten geschrieben; sie hat selbstquälerisch meinen Brief ungelesen zurückgesandt; ich möchte ihr diese Qualen, die sie sich vergrößert, ersparen und kann es nicht. Sie muß sie durchkämpfen, wie ich es that, um später die Ruhe in sich zu finden, deren sie bedarf. Sie muß es fühlen, wie ich, daß unsre Verbindung eine innere Nothwendigkeit ist, der zu widerstehen, außer dem Bereich der Natur und der Möglichkeit liegt. Waren je zwei Wesen für einander geschaffen, so ist es Clementine für mich; ich könnte sagen, sie sei der Weib gewordene Robert, sowie ich alle _ihre_ Gefühle, nur männlich stärker, in mir wiederfinde; und doch drückt es Das nicht aus, was wir einander sind. Plato hat Recht, die Natur schuf den Menschen und trennte ihn in Mann und Weib, damit beide Theile nach Vereinigung streben und ein doppelt glückliches Ganze werden, wenn sie nach schmerzlichem Entbehren sich zusammenfinden und harmonisch vollendet in Eins verschmelzen. Sie ist mein, mein anderes Ich, das ich nicht aufgeben kann, feige, wie der Selbstmörder sein Leben von sich wirft; sie ist die Liebe, der Duft, das Licht meiner Seele, der zarte Wiederhall alles Großen, das ich gedacht -- sie war mein, sie soll es wieder werden. Wende mir nicht ein, daß ich selbst sie aufgegeben hätte; ich hatte sie vernachlässigt, wir hatten uns vom Wege verirrt, uns verloren; aber früh oder spät mußten wir uns wiederfinden, wie es geschah, weil wir Eins sind. Nichts, selbst ihr eigner Wille nicht, soll sie mir jetzt entreißen. Ich will mein Glück um jeden Preis! -- nicht selbstsüchtig wie ein wilder Jüngling; ich will es, mit der ruhigen, kalten Ueberzeugung des Mannes, von Meining fordern und von Clementine, weil mein Glück das ihre ist und ihr Leben rettet. Warum weiset sie mich ab? Kann sie mich fürchten? So klein ist Clementine nicht, so gering kann sie von mir nicht denken. Glaubt sie mich zu überreden, daß es ihr gelingen werde, mich für Meining zu opfern, der mir mein Eigenthum, mein Leben geraubt hat? Nimmermehr! Hätte ich sie nur gesprochen -- aber sie will lieber sterben, als abweichen von Dem, was sie für Pflicht hält; freiwillig wird sie mir die Gunst des Wiedersehens nicht gewähren, und Niemand ist hier, bei dem ich sie treffen könnte. Marianne und Frau von Stein sind beide bereits verreist; sie verläßt ihr Haus nicht, seit Meining abwesend ist, und ich habe keine Wahl. Denke an mich; in wenig Stunden bin ich der seligste Mensch auf der Welt -- selig in ihrem Anschauen, in ihrer Liebe und in ihrer Nähe. Lebewohl! _Robert Thalberg._ Funfzehntes Kapitel. Es war ein schwüler, heißer Sonntagabend, ein Gewitter lag in der Luft und eine namenlose Beängstigung drückte Clementinens jetzt doppelt reizbare Nerven nieder. Ein Theil der Dienerschaft hatte die Erlaubniß, den Sonntag auswärts zuzubringen, benutzt; die Uebrigen hielten sich in einem der entlegensten Theile des Hauses auf, wo sich das Domestikenzimmer befand, da die Geheimräthin erklärt hatte, ihrer nicht zu bedürfen. Alles um sie her war still und einsam, sie saß lange in Nachdenken versunken allein. Der Himmel wurde trüber und trüber, wie ihre Stimmung; ihr Herz war unruhig und furchtsam, wie die Schwalben, die ängstlich hin und her flatterten. Eine Spinne hatte ihr Netz in einer Ecke aufgeschlagen und spann und spann den langen, gleichen Faden unermüdlich fort, so oft er abriß, ihn auf's Neue knüpfend -- kein Laut in der Natur, außer dem heimlichen Flüstern der Bäume, die nicht aufzuathmen und sich zu regen wagten, bei der glühenden Luft. Die Wolken sanken immer tiefer zur Erde nieder, sie mußten Clementinen erdrücken, wenn es so fortging -- sie hielt es nicht länger in den dumpfen Zimmern aus, sie hoffte frei aufzuathmen im Freien, sich selbst zu entfliehen und ging eilig hinab in die breiten Alleen des Gartens. Aber auch hier fand sie weder die Kühlung, noch die Beruhigung, deren sie bedurfte; sie wollte Bewegung, Leben, Menschen um sich sehen. Es trieb sie mit ungewohnter Hast, durch die schattigen Partien des Gartens, nach den offneren, freien Plätzen; sie näherte sich dabei der Straße und sah den Briefträger dem Thore zuschreiten, der ihr einen Brief des Geheimraths brachte. Es war fast zu dunkel geworden, ihn im Freien zu lesen und, da sie sich nicht entschließen konnte, in das Haus zurückzukehren, ging sie in den Pavillon, wo sie für den Abend zu bleiben dachte, zündete selbst die Lichter an und setzte sich nieder zum Lesen. Je länger sie las, je bewegter schien sie zu werden; endlich legte sie den Brief nieder, lehnte sich in den Divan zurück, das Gesicht in den Händen verbergend. Meining's zärtlicher, sehnsüchtiger Brief that ihr mehr wehe, als die härtesten Vorwürfe es vermocht hätten. Es ist so schwer, Lob zu ertragen, das man nicht verdient; Liebe zu empfangen, die man nicht erwiedern, und Vertrauen, das man nicht vergelten kann. Es wäre ihr nicht möglich gewesen, in dieser Stimmung den Brief zu beenden -- er war nicht an sie gerichtet; er galt _der_ Clementine, die Meining's würdig war, die Anspruch hatte auf seine Achtung -- das war sie nicht mehr. Hatte sie doch gestern noch Robert aufs Lebhafteste herbeigewünscht; wozu nützte der Kampf einzelner Stunden, wenn der Geliebte immer als Sieger hervorging? Sie warf sich vor, unredlich gegen sich selbst zu sein und -- auch diesmal hafteten ihre Gedanken wieder an Robert's Namen, bis sie in jenen Zustand versank, der, eben so fern vom Schlummer, als vom Wachen, nerveuse Menschen nach starker, geistiger Aufregung oft befällt; indem alle Gedanken in einander fließen und verschwimmen und die ganze Welt wie ein nebelgraues, unbestimmtes Etwas, das uns fremd und vollkommen gleichgültig ist, vor unsern getrübten Blicken erscheint. Da öffnet sich plötzlich die Thüre -- Clementine! ruft Robert's Stimme und mit einem Ausruf des höchsten Entzückens fliegt sie ihm entgegen und sinkt leichenblaß und bewußtlos in seine Arme. Unter den glühenden Küssen des Geliebten erwacht sie an seiner Brust, und die zärtlichsten Worte der Liebe, die süßesten Thränen sagen ihm, wie warm das Herz ihm schlägt, das an dem seinen klopft. Robert bat nicht um Liebe, er gelobte sie nicht, weil Beide es selig fühlten, daß ihr Wesen, ihr Athem -- ihr Blick Liebe sei, und doch floß das Geständniß ihrer Liebe von Clementinens Munde, doch hörte Robert nicht auf, der Geliebten zu sagen, wie glücklich er sei. Ist doch auch in der Liebe Geben seliger denn Nehmen. Süßer als die Stimme der sehnsuchtbebenden Nachtigall klangen Clementinens Worte in Robert's Ohr. Er ruhte zu ihren Füßen, küßte ihre Hände, beugte ihr Haupt zu sich hernieder, und sie barg wieder ihr Gesicht in seinem dunkeln Haar, das sie spielend durch die feinen Finger gleiten ließ. So wechselten Worte, die dem Himmel angehörten, mit kindischem Spiele, wie nur die wahre Liebe es schuldlos kennt. Draußen war es fast Nacht geworden. Ein heftiger Regen fiel in großen, rauschenden Tropfen hernieder; fern leuchtende Blitze zuckten durch die grünen Glasfenster und warfen sonderbares Streiflicht in das kleine Gemach. Die ängstliche Clementine suchte Robert's Hand, wie Schutz erbittend, und er fand die zaghafte Frau lieblicher als je in dieser Schwäche. Sieh, meine Clementine! sprach er, so will ich Dich immer behüten, immer suche Zuflucht bei mir. Wie liebe ich Dich in dieser Bangigkeit, wie froh macht mich das Gefühl meiner Kraft, Dir, Du Zarte, Schwache! gegenüber. Glaube mir, alle Eure Gewalt liegt in Eurer Hülfslosigkeit; werde nie muthig, nie stark, meine Geliebte! niemals könnte ich, wie Meining, Deiner süßen Furchtsamkeit lachen; und jedes Gewitter, das über uns aufzieht, soll mir ein liebes Erinnern an diese Stunde sein, ich will es segnen, wenn es Dich, mein Leben, künftig in den kühlen Gemächern unsres Hauses, nach Schutz verlangend, in meine Arme führt. Und abermals wollte er Clementine an sein Herz ziehen, aber bebend machte sie sich los aus den Armen des Geliebten. Meining's Name hatte die Welt für sie verwandelt, das Paradies ihrer Wonne versank, und die Wirklichkeit machte ihr strenges Recht geltend. In dem Taumel des Entzückens, in welches das unverhoffte Wiedersehen des Geliebten sie versetzt, hatte sie Alles vergessen, hatte Nichts gedacht, als das unaussprechliche Glück, das sie ihr Leben hindurch ersehnt, von Robert's Munde diese Worte der Liebe zu hören und ihm zu sagen, wie er ihre Welt, ihr Schicksal, ihre Gottheit gewesen sei, von ihrer Jugend an. Nun kam das niederschmetternde Bewußtsein über sie, daß diese erste Stunde des Glückes auch sicher die einzige und letzte für sie sein werde und müsse. Aber das Räthsel ihres Lebens war gelöst; der ewig glühende Funke in ihrer Brust war, wenn auch nur für einen Augenblick, frei und schön zur hellen Flamme emporgelodert; der tief verborgene Keim war zum Lichte durchgedrungen und hatte geblüht, zur Freude des Geliebten. Das konnte ihr genügen für ein langes Leben. Verlasse mich, Robert! bat sie plötzlich und schlang doch ihre Arme fesselnd um seinen Hals, verlasse mich und laß uns scheiden für immer. Du selbst hast mit dem Namen meines Gatten mich an ihn erinnert, den ich so treulos verrathe, der es nicht ahnt, in liebendem Vertrauen, daß sein Weib Dich liebt und ihn und sich selbst in Deinen Armen, an Deinem Herzen beweint. Gehe, Robert, gehe, Geliebter, wenn Du mich liebst! -- rief sie und ihre glühenden Thränen flossen auf seine Brust. Niemals, Clementine, verlasse ich Dich! Bist Du nicht mein? Mußt Du nicht mein sein und es ewig bleiben, weil Du es einmal gewesen? Ich will nicht mehr leben ohne Dich, hörst Du, mein Herz! ich will es nicht -- ich verlasse Dich nicht, und Du darfst nicht hinsterben in fruchtlosen Kämpfen. Leben sollst Du für mich, für mich allein, Du schöne, reine Lilie! Und denkst Du des Abends, als Dein müdes Haupt in den Blättern der Cala sich barg, wie hart ich war, wie ungerecht? Ach! ich war namenlos elend damals -- ich fühlte es, daß Meining uns nicht trennen darf, da _wir_ unauflöslich gebunden sind, daß er Dich nicht tödten darf, indem er Dich mir noch länger raubt, und doch hatte ich nicht wie jetzt den festen Glauben, daß er selbst, wenn er Dich liebt, auf.... Nicht weiter, ich beschwöre Dich, flehte Clementine, ach! Meining liebt mich, ich weiß es -- dringe nicht in mich, jetzt nicht -- verlasse mich nur jetzt, nur heute, mein einzig Geliebter -- morgen hörst Du von mir -- gewiß, nur jetzt gehe -- eile, mein Robert, ich bitte Dich. Ich _höre_ von Dir? und werde ich Dich nicht sehen? Willst Du Dich mir nach so ewigem Entbehren, nach einer kurzen Minute des höchsten Glückes wieder entziehen? Glaubst Du, daß ich einwilligen werde, mir auch nur einen Augenblick die Wonne Deiner Gegenwart rauben zu lassen, jetzt da Du endlich mein bist? Nein, mein Herz! morgen in aller Frühe bin ich bei Dir, muß ich in Deinen dunklen Augen die Offenbarung meines Daseins lesen und an Deinem Herzen empfinden, daß die Welt die Mühe des Lebens vergelten, überreich vergelten kann, in einem Herzschlag. Nur in _der_ Hoffnung gehe ich von hier und so gute Nacht, mein schönes, holdes Glück. Bleibe mir auch im Traume treu -- ist es mir doch wie ein Traum von Jenseits, daß ich Dich wieder gefunden, daß Du mir wieder leuchtest, Du lieber Stern meiner Jugend; gehe mir nie, nie wieder unter. Und nun lebe wohl und ruhe sanft, mein holdes, süßes Weib! Noch einmal sanken sie sich in die Arme, hob er die Geliebte zu sich empor und ruhte Herz an Herz, Mund an Mund. Noch ein langer, tiefer Kuß, den Clementine auf Robert's Stirne drückte, in den sie alle Gluth, alle Liebe ihres Lebens preßte, noch ein kurzer Moment voll Wonne, und Clementine war allein -- allein mit der Ueberzeugung, auf dem Gipfel ihres Lebens gestanden zu haben; entschlossen den Weg, der ihr zu machen blieb, unerschütterlich fest fortzuwandeln, das Andenken an ihr Glück in tiefster Seele. Sie wußte, daß es die letzte Stunde gewesen, die sie mit Robert verlebt, und war doch glücklicher als je, obgleich der Schmerz des Abschiedes ihr Herz zusammenpreßte. Jetzt begriff sie, was das Leben sei, und dankte Gott aus vollem Herzen dafür; nur der Gedanke an Meining, nicht der an Robert's Scheiden, störte sie in ihrer Wonne und trat bald als allein herrschend hervor. Schlaflos verging ihr die Nacht, sie strebte zu einem Entschlusse zu kommen, ob sie nun nicht endlich ihrem Manne Alles bekennen, seine Vergebung erflehen und ihr Schicksal in seine Hände legen, oder ob sie nach wie vor schweigen solle und dürfe? Sie konnte es sich nicht verbergen, daß Robert auf ihre Trennung von Meining rechne, um sie zu seiner Gattin zu machen. Tausend himmlische Träume von Liebes- und Eheglück gingen an ihrem Geiste vorüber; sie sah sich in Hochberg neben und mit ihm wirken, sie empfing ihn, wenn er Abends zurückkehrte, sie theilte seine Leiden, seine Freuden, sie sah ihn strahlend von Glück an ihrer Seite und sich selbst selig in seinen Armen, und mußte doch immer wieder des verrathenen Meining's mit Thränen denken, in dessen Leben das ihre so fest gewurzelt hatte, daß sie sich seine Trennung von ihm nicht als möglich denken konnte. Er war ihr Gatte, hatte ihr in den Jahren, die sie mit einander verlebt, mit rührender Liebe angehangen; sie war seine Freude, sein Glück, er hatte sie geehrt mit vollem Vertrauen, sie schauderte vor dem Gedanken, er würde ein Recht haben, die Treulose zu verachten und zu verstoßen, und er würde doch unglücklich sein ohne sie -- einsam und allein in seinem Alter, weil sie ihn verlassen, unglücklich zu werden, auf den Trümmern seines Glückes. Es war eine furchtbare Nacht für die Unglückliche -- als aber der Tag und mit ihm die Herrschaft der Vernunft über die zügellosen Schöpfungen der Phantasie und des Herzens begann, war sie mit sich einig geworden. Der frühe Morgen brachte ihr folgenden Brief von Robert: Ich kann die Zeit nicht erwarten, Geliebte, in der ich Dich wiedersehen darf, ich muß Dein denken, mit Dir sprechen, um sie zu verkürzen. Jene Besorgniß, die uns überfällt, jene Unruhe, die uns aufregt, wenn wir nach langer Abwesenheit in die Heimat kehren und die bekannten Thürme der Vaterstadt uns sichtbar werden -- dieser Unruhe kann ich jetzt nicht Herr werden, da ich mich endlich dem Ziele meines Lebens, der Erfüllung meiner sehnlichsten Hoffnungen, der geliebten Heimat meines Herzens nähere. Ich möchte bei Dir sein, Deine Hand in der meinen halten und in dem warmen Lichte Deiner Blicke die schöne Gewißheit Deines Besitzes fühlen. Wenn ich sonst tief in Deine unergründlichen Augen blickte und mein Bild so klein und beweglich sich darin wiederspiegeln sah, bin ich oft eifersüchtig geworden bei dem Gedanken, so klein und flüchtig könne mein Andenken in Deinem Herzen sein; nun aber verstehe ich das besser. So gewiß, so klar und so deutlich mein Bild, in vollkommner Gleichheit mit mir selbst, mich aus Deinem Auge verschönert anblickt, so wird jeder Gedanke, jedes Gefühl meines Daseins, mir, vollkommen verstanden, gleich gefühlt und doch unendlich schöner wiedergegeben, wenn es durch die läuternde Atmosphäre Deines Herzens, Deines Geistes gegangen ist. Ja! mein theures Herz! unsre beiden Seelen sind nur Eine, nur zusammen können wir das höchste Ziel erreichen, das uns zu erreichen möglich ist. Und wie froh, wie frei macht mich das Gefühl, daß ich in Dir den schönsten Preis des Lebens, Dich, Dein Herz, Deine Liebe wieder errungen habe, die nun mein sind für ewig. Wie kann ich Dir danken, wie Dich die Jahre von Schmerz und Kummer vergessen machen, die ich in unglücklicher Verblendung über Dich verhängt hatte? Nur das beruhigt mich, daß eine Liebe, wahr und stark wie meine, Alles ausgleicht, daß es kein Opfer gibt, _keines_, meine Clementine! das ich Dir nicht mit Freuden zu bringen im Stande wäre, wenn Dein Glück es erheischt. Und nicht wahr? Du hast vergeben, Du denkst nur mit Liebe an mich? Glaube mir, jetzt ist Alles gut. Ich fühlte es gestern, als Du in meinen Armen ruhtest, als Dein müdes Haupt auf meine Schulter sank; die Nacht des Leidens ist vorüber, und eine schöne Zeit wird uns werden. Nun erst werde ich mein Land lieben, ganz anders lieben, weil es den heimischen Herd enthält, an dem Du waltest; mit ganz anderm Sinne werde ich für die Zukunft säen und wirken für ein Geschlecht, das nach uns lebt -- o! eine schöne Zeit wird uns jetzt werden. Möge sie Dir mit dem heutigen Tage beginnen. Wirf Alles von Dir, was Dich ängstigt und quält, Geliebteste! Die Hindernisse irdischer Verhältnisse müssen vor der Gewalt unsrer Liebe schwinden. Noch wenig Tage vielleicht, und wir sind unzertrennlich vereint -- fühlst Du wie ich die Wonne dieses Gedankens? An _die_ Zeit denke, wenn wir uns heute wieder sehen, meine Clementine! und wünsche sie so sehnlich herbei als ich, der nach Dir verlangt mit aller Gluth und Liebe, welcher ein Menschenherz fähig ist. Ich möchte ein Gott sein, wenn Götter stärker zu lieben vermögen, als wir, um Dich so glücklich zu machen durch meine Liebe, als ich es wünsche, um Dir das Geschenk Deines Herzens zu danken. Auf baldiges, seliges Wiedersehen, Geliebte! Adieu! meine Clementine! noch zwei Stunden, ehe ich Dich sehe -- wie lange ist das noch und doch wie kurz gegen die lange Zeit, die ich Dich entbehrte. Ewig Dein _Robert._ Ruhig, wie ein verklärter Geist auf die Erde blicken mag, sah Clementine auf diesen Brief; sie war unwandelbar entschlossen. Sie hatte eine Stunde das höchste Glück des Lebens empfunden, nun fühlte sie die Kraft zu entsagen und beschloß Robert gleich jetzt zu antworten. Clementine an Robert. Die Worte Deiner Liebe, schrieb sie, haben mir unbeschreiblich wohl gethan und den reinsten Wiederhall in meiner Brust gefunden. Fest, wie an das Dasein Gottes, glaube ich an Deine Liebe und in diesem Vertrauen fordre ich von Dir ein Opfer, das mich das schwerste dünkt. Wir dürfen uns nicht wieder sehen, mein Freund! weil wir nicht für einander leben dürfen. Höre mich ruhig an, Du Geliebter! Mehr als ich es Dir sagen könnte, muß Dich gestern der Wonnetaumel, den mir Dein Wiedersehen bereitet, von meiner heißen Liebe überzeugt haben. Kein trüber Gedanke hat mir die Seligkeit gestört, das Geständniß Deiner Liebe von Deinem Munde zu hören, mein höchstes Glück in Deiner Freude zu genießen. Was der sehnlichste, einzige Wunsch des Mädchenherzens, der Traum meiner Nächte, war, Deine Liebe, Du hast sie der Frau gewährt, die sie Dir nicht lohnen darf. In den Jahren, die unsrer Trennung folgten, von Zweifeln an Dir gequält, von Dir entfernt und mich selbst aufgebend, habe ich Tage des herbsten Schmerzes verbracht, die nun _alle_ ausgetilgt sind aus meinem Leben durch eine Stunde des Glückes, und diese werde ich Dir ewig danken; wie in dieser Stunde soll mir Dein geliebtes Bild gegenwärtig bleiben. Die Deine aber werde ich nie. Ich darf mein Glück nicht auf Kosten der Ruhe und Ehre eines Mannes erkaufen, der mir sein Glück und seine Ehre anvertraut, mir seinen unbefleckten Namen gegeben hat. Kann ich die Liebe, die er für mich hegt, gewaltsam seinem Herzen rauben? Darf ich, die Jahre hindurch seine Gefährtin war, ihn verlassen, da das Alter sich ihm naht? Soll ich ihn dem Gespötte preisgeben, das grausam jeden verrathenen Ehemann verfolgt? Soll die Welt ihn verlachen, weil er großmüthig mir vertraute, obgleich er durch mich selbst wußte, daß mein Herz nicht ihm allein gehören könne? Du weißt es nicht, wie zart, wie schonend er mich behandelt, wie vollkommen er meine Achtung, meinen Dank verdient hat. Ob er mir verzeihen wird? ich weiß es nicht -- nur das fühle ich, daß ich mit mir gerungen habe, Tag und Nacht, mit festem Willen, um Dich aus meinem Herzen zu reißen, daß ich vor Gott mich schuldlos fühlen darf und selbst den seligen Abend nicht bereue, den ich gestern mit Dir verlebt, und der mich über eine freudlose Vergangenheit trösten, für eine schwere Zukunft entschädigen sollte. Ich lege mein Loos in Meining's Hände; er mag mir vergeben, mich von sich weisen -- Dein werde ich nie, auch dann nicht, wenn es mir beschieden wäre, meinen Gatten zu überleben. Sieh darin keine Schwärmerei, keine Ueberspannung: ich halte die Ehe, Du weißt es, für ein unauflösliches, ewig bindendes Band. Das Weib ist kein todter Besitz, der heute aus den Händen des Einen in die des Andern übergeht; ganz, ungetheilt, frei und frisch an Geist und Leib muß sie dem Manne gehören -- daß ich mit getheiltem Herzen Meining's Frau wurde, das ist das Unrecht, welches mein Leben zerstört und alle meine Leiden und auch Deine hervorgerufen hat. Ich that es, weil man mich überredete, es sei Pflicht; weil ich glaubte, ich könne Dein vergessen und frei werden. Noch einmal einen gleichen Schritt zu thun, die gleiche Sünde gegen Dich zu begehen, bewahre mich Gott. Eben so wenig, als ich es vermocht, Dich zu vergessen, so wenig würde das Andenken an Meining je für mich aufhören. Könntest Du eine Frau lieben, die ihres Gatten zu vergessen im Stande wäre? Willst Du ein Weib, das selbst in Deinen Armen an den Verrath denken würde, den es begangen? dem die Ruhe an Deinem Herzen durch Gewissensbisse vergällt wäre? Täusche Dich nicht, mein Robert! so würde es sein. Ich, gequält von innern Vorwürfen, Meining einsam und verhöhnt; sein Name, für dessen Ruhm er Jahre lang gearbeitet, den selbst Neid und Bosheit nicht anzutasten wagten, entehrt durch seine Frau -- und Du? Robert, ich fühle, was ich Dir einst hätte sein können, kann und wird Dir keine Andre werden -- was ich Dir jetzt noch werden könnte? Mein Herz zieht sich zusammen bei dem Gedanken, daß ich selbst mich um den Himmel gebracht, Dich so zu beglücken, als ich es gehofft. Jetzt wäre ich zweifach elend, denn ich würde Dich unglücklich sehen durch mich, und auch Deine Ehre wäre verloren. Oder ertrügest Du es ruhig, zu hören, das ist Thalberg, wegen dessen sich Meining von der Frau geschieden, die Thalberg jetzt geheirathet hat -- und die lächelnden Blicke, welche solche Worte begleiten -- o! es wäre ein Fluch, der über uns schwebte, gegen den wir keine Macht, auch nicht in unsern Herzen fänden. Traure um mich, Geliebter! wie ich Dich beweinen werde. Heute sterben wir für einander und nur, wie man der theuren Todten gedenkt, laß uns an einander denken. Die Thränen auf diesem Blatte zeigen Dir, ob ich das Opfer fühle, das ich bringe, das ich verlange. Es sind die letzten Augenblicke, die ich mit Dir verlebe. Ich möchte mein ganzes Herz Dir zeigen, wie es Dein ist und Dein war; Du weißt es und fühlst, wie schwer es mir wird, zu scheiden. Ich habe Dich so unaussprechlich lieb. Lebe denn wohl -- Robert, mein Leben, mein Glück! -- ich nehme Dich bei dem Worte, daß kein Opfer Dir zu schwer sei für mich. -- Versuche es nicht, mich zu überreden; es gelingt Dir nicht. Ich rechne darauf, daß Du noch heute Berlin verläßt, daß Du es nicht versuchst, mich wiederzusehen, weil Du mich liebst. Und nun Gottes schönster Segen über Dich! Möge eine reiche Zukunft Dich für den Schmerz dieses Scheidens entschädigen. Denke mein oft, wie einer Schwester, der Dein Glück tiefstes Bedürfnis ist; mögest Du das Glück finden, das Du von mir erwartet, mein heißgeliebter Robert! Lebe wohl, mein Robert! und denke ohne Sorge an mich -- jetzt werde ich Ruhe haben. Ich habe das schönste Glück empfunden -- ich konnte es besitzen und opfre es meiner Ueberzeugung -- das wird mir Frieden geben. Gott sei mit Dir auf allen Deinen Wegen, mein Geliebter, mein Freund! und nun lebe wohl. _Clementine._ Mit bebenden Händen wurde das Blatt gesiegelt und dem Diener übergeben. Es war geschehen -- tief athmend ging Clementine auf und nieder, und ein Friede, wie sie ihn nie gekannt, machte sie den Schmerz, das tiefe Leid ihrer Seele leichter tragen. Jetzt wollte sie Alles beenden, Meining sollte jede Verirrung ihres Herzens kennen, darum schrieb sie ihm: Clementine an Meining. Ich habe gestern Deinen Brief aus K.... erhalten, der mich tief gerührt und gedemüthigt hat -- um so tiefer, da ich mich selbst vor Dir anklagen muß. Ich habe es nie vermocht, meine Fehler zu beschönigen, und so will ich auch vor Dir, vor meinem Manne, nicht besser scheinen, als ich es bin. Du weißt, als Du mir Deine Hand angetragen, zögerte ich, sie anzunehmen, nicht aus Mißtrauen gegen Dich, sondern gegen mich selbst. Ich habe Dir es nicht verborgen, daß ich einen Andern geliebt, daß sein Andenken mir noch sehr theuer war -- aber ich hatte Dir versprochen, dagegen zu kämpfen, und das habe ich redlich gethan. Trotz Deiner Liebe, trotz meines festen Willens, ist diese Leidenschaft nicht erstorben -- sie ist neu erwacht, als ich den Gegenstand derselben, Robert Thalberg, wieder gesehen. Tausendmal hat das Geständniß auf meinen Lippen geschwebt, ich habe Dich um Schutz gegen mich anflehen wollen; aber Dein ausdrückliches Verbot, Dein Widerwillen gegen solches Vertrauen hat mich zurückgehalten, und mehr noch, daß ich Dich, den ich von Grund der Seele ehre und achte, nicht betrüben wollte. Deine Zufriedenheit, Dein Glück war der Zweck meines Lebens geworden, und ich mochte Dir nicht Schmerz bereiten, weil ich hoffte, allein den Sieg über mich zu gewinnen. Seit acht Tagen ist Thalberg zurückgekehrt hat täglich versucht, mich zu sprechen, was ich ihm nur verweigerte, weil ich es mußte. Gestern ist er unerwartet zu mir gekommen; ich habe das Geständniß seiner Liebe gehört, ich habe ihm gesagt, daß ich ihn liebe, und ich bekenne Dir das offen, weil ich mich frei vor Gott und vor Dir fühle. Daß ich nicht willig dieser Leidenschaft gefröhnt, daß ich mit aller Gewalt mich zu befreien gestrebt, dafür bürgt Dir Deine Kenntniß meines Herzens, meine Achtung vor unsrer Ehe und meine gebrochene Gesundheit. Du hast ein Recht, die Treulose von Dir zu weisen, mir Deine Liebe zu entziehen, aber Du mußt mir Deine Achtung erhalten; denn ich selbst habe Robert entsagt und für immer. Halte das nicht für leere Worte, welche Dich bestechen sollen; erst jetzt bin ich ganz frei, erst jetzt bin ich mit reinem Bewußtsein Dein, während am Tage unsrer Hochzeit das Andenken an Thalberg störend zwischen Dir und mir stand. Ich fühle mich unzertrennlich an Dich gebunden und würde mich noch als zu Dir gehörig betrachten, wenn Dein gekränkter Stolz mich verstieße. Dein Herz kann es nicht. Du kannst mich Das nicht wie ein Verbrechen büßen lassen, was ich gegen meinen Willen empfand; Du kannst mir Dein Vertrauen nicht entziehen, weil ich mich dessen durchaus würdig fühle. Und nun, mein Freund! mein guter, milder Freund! kennst und weißt Du Alles; gewähre mir Mitleid mit meiner Schwäche und erhalte mir, wenn Du es vermagst, Deine Liebe. Ich sage Dir nicht Alles, was ich für Dich fühle -- nur an Dich selbst appellire ich, und ich wünsche und hoffe, Du werdest Deinem Weibe kein strengerer Richter werden, als Du es sonst dem Menschenherzen zu sein pflegtest. Eine schwere Krankheit hat lange in mir gelegen, die Krisis ist vorüber, und ich werde genesen, ich fühle es. Du, der mit der Kranken so viel Nachsicht gehabt, Du wirst die Genesende nicht verlassen, die gesund werden will und wird, um für Dich zu leben. Vergib mir und sage mir bald, daß Dir mein Leben noch werth sei, daß Du meine Stütze und mein Freund bleiben willst -- schreibe mir bald, ich verlange sehr nach diesem Briefe, und vergib mir Alles, mein guter Mann, was ich, wissentlich oder nicht, Unrecht an Dir that. Vergib es mir, weil ich mir selbst vergeben kann, und laß mich Deine Clementine bleiben. Auch diesen Brief wollte Clementine gleich befördern, doch fand es sich, daß die Post nach K.... erst am folgenden Tage abgehe und daß er also noch liegen bleiben müsse. Dadurch gewann sie Zeit, an den Eindruck zu denken, den er auf Meining hervorbringen würde, auf ihn, der vollkommen arglos an sie und ihre Liebe glaubte. Wie würde es ihn betrüben, wie unglücklich würde es ihn machen! Sie hatte den Brief geschrieben, um sich selbst zufrieden zu stellen, sich genugzuthun; und sie empfand, daß in dieser Handlung viel mehr Egoismus als Tugend läge. Um sich zu beruhigen, um ihr Gewissen zu besänftigen, raubte sie Meining, von dessen Vergebung sie überzeugt sein konnte, die sie mit Recht zu verdienen glaubte, seine Ruhe. Was konnte die Folge von diesem Briefe sein? Meining würde traurig zurückkehren, mit der Gewißheit, das Unglück seiner Frau verursacht zu haben, indem er sie geheirathet; er würde argwöhnisch und verstimmt auf sie sehen, die sich ihm wie ein Muster von Entsagung, ein Opfer der Pflicht dargestellt hatte, nachdem sie wirklich Nichts als ihre Pflicht gethan. So beschloß sie, schweigend, wie sie gegen Meining gefehlt, auch zu ihm zurückzukehren. Niemand, außer Robert, sollte ahnen, was in ihrer Seele vorgegangen war. In dem Augenblick brachte man ihr diesen Brief von Robert. Robert Thalberg an die Geheimräthin v. Meining. Engel des Lichtes, großes, edles Herz! ich gehe. Ich scheide von Dir, weil Du es willst. Du hast Recht, jetzt ist's zu spät -- ich habe einst freventlich den Himmel unsres Glückes vernichtet und vermag nicht mehr, ihn uns zu erbauen, obgleich ich Dich mehr liebe, stärker, heißer als je. Wie _sehr_ liebe ich Dich! -- und muß ich erst nun, da die schwere Stunde ewiger Trennung uns naht, erkennen, daß Du noch viel reiner, edler und größer bist, als ich selbst in den begeistertsten Augenblicken es für möglich hielt? Warum, schöner Stern, scheinst Du mir in aller Pracht Deines Glanzes, wenn Du mir untergehen mußt für immer? Doch nein! Du bleibst! Du bleibst der feste Stern, auf den mein Auge blickt, der seine leuchtenden Strahlen in meine Seele wirft, wenn ich im Gewühl der Welt den Glauben an die Menschen zu verlieren fürchte. Du bist! -- und wer darf zweifeln an der Göttlichkeit des Menschen. Ich scheide von Dir! Du fühlst, wie ich, was dieses Wort bedeutet; was es heißt: zu entsagen. Darum soll kein Wort der Klage die heilige Stunde unsres Abschiedes beflecken. Wie jene selige Insel, die nur einmal in Jahrtausenden aus dem Meere taucht und deren Anblick dem Auserwählten Paradieses Wonne bereitet, dem sie zu schauen vergönnt ward, so taucht das Andenken an die Stunde dieser Nacht ewig beseligend aus dem Meere meines Lebens empor, und kein Sterblicher kann ermessen, was sie mir gebracht an Glück, an Wonne. Du hast mich überreich gemacht, Geliebte! überreich für immer -- denn wer vermag zu lieben wie Du! -- weh mir, daß ich selbst unsre Welt zerstört! Lebe denn wohl, Geliebte! laß mich Dir danken für die Gunst Deiner Liebe, für das Glück an Deinem Herzen. Unvergeßlich und doch so flüchtig, gleicht es jener stolzen Blume, die nur eine Stunde blüht, wohl wissend, daß diese eine Stunde vollendeter Schönheit mehr ist, als das ganze, matte Leben aller andern Blumen. Lebe wohl, schöne, hohe Königin der Nacht, Geliebte meiner Jugend, Weib meiner Seele! laß uns fortgehen auf der Bahn, die Du für uns gewählt und die ich gleich Dir betrete. Wir haben die reinste Freude des Lebens gekannt -- laß uns in Anderem das Glück suchen, das wir freiwillig opfern. O! nur noch einmal laß es mich sagen, nur noch dies eine Mal höre es an, daß ich Dich liebe, wie nur je ein Weib geliebt worden, daß ich Dich anbete, wie man die Gottheit anbetet, Dich, meine Clementine! ewig -- wenn auch getrennt für immer. Lebe wohl! _Robert._ Stumm drückte Clementine den Brief gegen ihr Herz und dankte Gott für die Kraft, die er ihr gegeben, zu siegen, wo sie es kaum gehofft. Sie war wie zu neuem Leben geboren, sie dachte Robert's nicht mehr mit der stürmischen Unruhe der Leidenschaft, mit den peinigenden Vorwürfen des Gewissens, mit der Sehnsucht, die ihn herbeiwünschte und sich deshalb verdammte -- sie weilte bei seinem Bilde mit der beglückenden Ueberzeugung, sich und ihn gerettet zu haben vom gemeinsamen Verderben; und selbst auf Meining's Rückkehr sah sie mit Zuversicht, weil sie sich seiner würdig fühlte. In dieser Stimmung legte sie Robert's Briefe und den, welchen sie für ihren Mann geschrieben, zusammen in die verborgenste Ecke ihres Schreibtisches -- dort sollten sie unberührt liegen, wie jene Dokumente, die man in das Fundament großer Denkmale für die Nachwelt legt; denn auch sie fing an zu bauen für die Zukunft, mit dem frömmsten Sinne und der Hoffnung, daß sie einen Tempel des häuslichen Glückes begründe, zur Freude ihres Gatten. Am andern Tage, als sie, nicht ohne tiefe Wehmuth, den Pavillon wieder betrat, fand sie noch Meining's Brief dort liegen, den sie in der Aufregung jenes Abends nicht beendet und dort vergessen hatte. Mit welch andern Empfindungen las sie ihn jetzt! Ja, selbst die Nachricht, daß Meining früher zurückkehren würde, als er geglaubt, daß sie ihn in vierzehn Tagen erwarten könne, war ihr lieb, und sie fing an, Alles für seine Heimkehr vorzubereiten, obgleich die Ereignisse der letzten Tage noch lebhaft in ihr nachhallten und Robert's Name in dem Verzeichniß der Abgereisten sie in der Einsamkeit manche stille Thräne kostete. Die wiedergewonnene Ruhe des Gemüthes verfehlte nicht, ihren wohlthätigen Einfluß auf Clementine zu äußern; sie brachte ihren Nächten Schlaf und ihren Nerven die verlorene Stärke, sodaß, als nach Verlauf der vierzehn Tage der Geheimrath zurückkehrte und seine Frau ihm freundlich, wenn auch mit heftig klopfendem Herzen, entgegenkam und ihm dann weinend um den Hals fiel, er sie viel wohler aussehen fand, als an dem Tage der Trennung. Er war ganz Glück, sie wieder zu sehen, und es verdroß ihn nur, wenn sie von Zeit zu Zeit seine Hand, die in der ihren ruhte, mit Innigkeit an ihre Lippen drückte, statt seine Küsse zu erwiedern. Es lag so viel Weiches, Demüthiges in ihrem Betragen, daß er sie unbeschreiblich liebenswürdig fand und es ihr tausendmal versicherte, wie froh er sei, sie wieder bei sich zu haben, und wie gar schwer ihm das Leben ohne sie geworden. Nun fand Clementine den Lohn für ihre Entsagung und schloß sich fester und fester an ihren Gatten an, je mehr sie Herr über sich selbst wurde. Als endlich im Juni Frau von Alven anlangte und das gute Einverständniß der Eheleute sah, konnte sie sich nicht enthalten, ihrer Nichte im engsten Vertrauen zu bemerken, es käme nur darauf an, daß Mann und Frau sich verständigen wollten, und sie hätte sehr klug gethan, daß sie nicht früher gekommen sei. Du wärst mit keinem Manne so glücklich geworden, als mit Meining, sagte sie, selbst mit Thalberg nicht, der Dir bei Deiner Verheirathung doch noch sehr am Herzen lag. Clementine wurde roth und bat die Tante, Thalberg in dieser Beziehung nicht zu erwähnen, da er im letzten Winter oft in ihrem Hause gewesen sei und Meining Nichts von ihrem frühern Verhältniß zu Robert wisse. Meining's Einfluß erlangte etwa zwei Jahre später Reich's Berufung nach Berlin, und als Marie die Schwester wiedersah und das gegenseitige Fragen und Erzählen begann, war eine der ersten Neuigkeiten, die Marie mitbrachte: ich habe auch in Wiesbaden Thalberg gesehen; was für ein schöner Mann ist der geworden! und seine Braut, ein Fräulein Ringer, die Dich tausendmal grüßen läßt, sagt mir, _Du_ hättest sie mit Thalberg bekannt gemacht. Sie werden gleich nach der Hochzeit auf Reisen gehen und ein paar Jahre fortbleiben; darauf besteht Thalberg, obgleich die Staatsräthin Ringer es nicht wünscht. Sehen Sie einmal, lieber Meining, wie ernsthaft Clementine wird! Wir Frauen sind doch närrische Geschöpfe; ich glaube, meine Schwester wundert sich heute noch, daß Thalberg, der in frühster Jugend eine große Passion für sie hatte, die sie theilte, sich schon entschließen kann, ein schönes, junges Mädchen zu heirathen. Sage einmal selbst, Clementine! ist's nicht so? Clementine schwieg, aber Meining drückte ihre Hand und sagte, als sie später allein waren, sehr bewegt: Armes Kind! jetzt weiß ich, woran Du vor zwei Jahren erkrankt, wie sehr Du gelitten hast -- es ist vorbei, und Gott gebe, daß ich Dir fortan jedes Leid ersparen könne. Eine herzliche Umarmung folgte diesen Worten, und Nichts hat fortan den Frieden dieser Ehe bedroht. Druck von F. A. _Brockhaus_ in _Leipzig_. [Hinweise zur Transkription Das Buch ist ursprünglich in Fraktur gesetzt. Fremdsprachige Abschnitte, die abweichend in Antiqua gesetzt wurden, sind in der Transkription markiert. Der Name "Bulwer" auf der Titelseite ist in Kapitälchen. Der Halbtitel "Clementine." wurde entfernt. Geändert wurden Seite 14: "Interresse" geändert in "Interesse" (ihre ganze Persönlichkeit flößte lebhaftes Interesse ein) Seite 15: "Berwerbung" geändert in "Bewerbung" (da sie jede Annäherung und Bewerbung eben so fein) Seite 21: "war, nöthig" geändert in "war nöthig" (und es war nöthig so weit zurückzugehen, um) Seite 70: "Frey" geändert in "Frei" (Liebe für ein gewisses Fräulein Clementine Frei) Seite 89: "gewöhlich" geändert in "gewöhnlich" (und begannen, wie gewöhnlich, mit den) Seite 99: "zeigten sodaß" geändert in "zeigten, sodaß" (die geringste Neigung zeigten, sodaß sie auch diesen Wunsch) Seite 103: "vermuhtete" geändert in "vermuthete" (da ich Frau von Meining noch in Heidelberg vermuthete) Seite 181: "so, weit" geändert in "so weit" (an sich ziehen und so weit sie es vermöchte) Seite 246: "anklangen" geändert in "anklagen" (da ich mich selbst vor Dir anklagen muß) Seite 249: "büssen" geändert in "büßen" (nicht wie ein Verbrechen büßen lassen) Nicht geändert wurden unterschiedliche Schreibweisen des Verbs: erwidern/erwiedern] End of the Project Gutenberg EBook of Clementine, by Fanny Lewald *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK CLEMENTINE *** ***** This file should be named 45965-8.txt or 45965-8.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/4/5/9/6/45965/ Produced by The Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This book was produced from scanned images of public domain material from the Google Print project.) 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact For additional contact information: Dr. Gregory B. Newby Chief Executive and Director gbnewby@pglaf.org Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide spread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. 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Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For forty years, he produced and distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Most people start at our Web site which has the main PG search facility: www.gutenberg.org This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.