The Project Gutenberg eBook of Der Freigeist

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Title: Der Freigeist

Author: Gotthold Ephraim Lessing

Release date: November 1, 2005 [eBook #9325]
Most recently updated: February 23, 2015

Language: German

Credits: Produced by Delphine Lettau

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Der Freigeist

Gotthold Ephraim Lessing

Ein Lustspiel in fünf Aufzügen

Verfertigt im Jahre 1749

Personen:

Adrast, der Freigeist
Theophan, ein junger Geistlicher
Lisidor
Juliane und Henriette, Töchter des Lisidor
Frau Philane
Araspe, Theophans Vetter
Johann
Martin
Lisette
Ein Wechsler

Die Szene ist ein Saal.

Erster Aufzug

Erster Auftritt

Adrast. Theophan.

Theophan. Werden Sie es übelnehmen, Adrast, wenn ich mich endlich über den stolzen Kaltsinn beklage, den Sie nicht aufhören, gegen mich zu äußern? Schon seit Monaten sind wir in einem Hause, und warten auf einerlei Glück. Zwei liebenswürdige Schwestern sollen es uns machen. Bedenken Sie doch, Adrast! können wir noch dringender eingeladen werden, uns zu lieben, und eine Freundschaft unter uns zu stiften, wie sie unter Brüdern sein sollte? Wie oft bin ich nicht darauf bestanden?—

Adrast. Ebenso oft haben Sie gesehen, daß ich mich nicht einlassen will. Freundschaft? Freundschaft unter uns?—Wissen Sie, muß ich fragen, was Freundschaft ist?

Theophan. Ob ich es weiß?

Adrast. Alle Fragen bestürzen, deren wir nicht gewärtig sind. Gut,
Sie wissen es. Aber meine Art zu denken, und die Ihrige, diese kennen
Sie doch auch?

Theophan. Ich verstehe Sie. Also sollen wir wohl Feinde sein?

Adrast. Sie haben mich schön verstanden! Feinde? Ist denn kein
Mittel? Muß denn der Mensch eines von beiden, hassen, oder lieben?
Gleichgültig wollen wir einander bleiben. Und ich weiß, eigentlich
wünschen Sie dieses selbst. Lernen Sie wenigstens nur die
Aufrichtigkeit von mir.

Theophan. Ich bin bereit. Werden Sie mich aber diese Tugend in aller ihrer Lauterkeit lehren?

Adrast. Erst fragen Sie sich selbst, ob sie Ihnen in aller ihrer
Lauterkeit gefallen würde?

Theophan. Gewiß. Und Ihnen zu zeigen, ob Ihr künftiger Schüler einige Fähigkeit dazu hat, wollen Sie mich wohl einen Versuch machen lassen?

Adrast. Recht gern.

Theophan. Wo nur mein Versuch nicht ein Meisterstück wird. Hören Sie also, Adrast—Aber erlauben Sie mir, daß ich mit einer Schmeichelei gegen mich selbst anfange. Ich habe von jeher einigen Wert auf meine Freundschaft gelegt; ich bin vorsichtig, ich bin karg damit gewesen. Sie sind der erste, dem ich sie angeboten habe; und Sie sind der einzige, dem ich sie aufdringen will.—Umsonst sagt mir Ihr verächtlicher Blick, daß es mir nicht gelingen solle. Gewiß, es soll mir gelingen. Ihr eigen Herz ist mir Bürge; Ihr eigen Herz, Adrast, welches unendlich besser ist, als es Ihr Witz, der sich in gewisse groß scheinende Meinungen verliebt hat, vielleicht wünschet.

Adrast. Ich hasse die Lobsprüche, Theophan, und besonders die, welche meinem Herzen auf Unkosten meines Verstandes gegeben werden. Ich weiß eigentlich nicht, was das für Schwachheiten sein müssen (Schwachheiten aber müssen es sein), derentwegen Ihnen mein Herz so wohlgefällt; das aber weiß ich, daß ich nicht eher ruhen werde, als bis ich sie, durch Hülfe meines Verstandes, daraus verdrungen habe.

Theophan. Ich habe die Probe meiner Aufrichtigkeit kaum angefangen, und Ihre Empfindlichkeit ist schon rege. Ich werde nicht weit kommen.

Adrast. So weit als Sie wollen. Fahren Sie nur fort.

Theophan. Wirklich?—Ihr Herz also ist das beste, das man finden kann. Es ist zu gut, Ihrem Geiste zu dienen, den das Neue, das Besondere geblendet hat, den ein Anschein von Gründlichkeit zu glänzenden Irrtümern dahinreißt, und der, aus Begierde bemerkt zu werden, Sie mit aller Gewalt zu etwas machen will, was nur Feinde der Tugend, was nur Bösewichter sein sollten. Nennen Sie es, wie Sie wollen: Freidenker, starker Geist, Deist; ja, wenn Sie ehrwürdige Benennungen mißbrauchen wollen, nennen Sie es Philosoph: es ist ein Ungeheuer, es ist die Schande der Menschheit. Und Sie, Adrast, den die Natur zu einer Zierde derselben bestimmte, der nur seinen eignen Empfindungen folgen dürfte, um es zu sein; Sie, mit einer solchen Anlage zu allem, was edel und groß ist, Sie entehren sich vorsätzlich. Sie stürzen sich mit Bedacht aus Ihrer Höhe herab, bei dem Pöbel der Geister einen Ruhm zu erlangen, für den ich lieber aller Welt Schande wählen wollte.

Adrast. Sie vergessen sich, Theophan, und wenn ich Sie nicht unterbreche, so glauben Sie endlich gar, daß Sie sich an dem Platze befinden, auf welchem Ihresgleichen ganze Stunden ungestört schwatzen dürfen.

Theophan. Nein, Adrast, Sie unterbrechen keinen überlästigen Prediger; besinnen Sie sich nur: Sie unterbrechen bloß einen Freund,—wider Ihren Willen nenne ich mich so,—der eine Probe seiner Freimütigkeit ablegen sollte.

Adrast. Und eine Probe seiner Schmeichelei abgeleget hat;—aber einer verdeckten Schmeichelei, einer Schmeichelei, die eine gewisse Bitterkeit annimmt, um destoweniger Schmeichelei zu scheinen.—Sie werden machen, daß ich Sie endlich auch verachte.—Wenn Sie die Freimütigkeit kennten, so würden Sie mir alles unter die Augen gesagt haben, was Sie in Ihrem Herzen von mir denken. Ihr Mund würde mir keine gute Seite geliehen haben, die mir Ihre innere Überzeugung nicht zugestehet. Sie würden mich geradeweg einen Ruchlosen gescholten haben, der sich der Religion nur deswegen zu entziehen suche, damit er seinen Lüsten desto sicherer nachhängen könne. Um sich pathetischer auszudrücken, würden Sie mich einen Höllenbrand, einen eingefleischten Teufel genannt haben. Sie würden keine Verwünschungen gespart, kurz, Sie würden sich so erwiesen haben, wie sich ein Theolog gegen die Verächter seines Aberglaubens, und also auch seines Ansehens, erweisen muß.

Theophan. Ich erstaune. Was für Begriffe!

Adrast. Begriffe, die ich von tausend Beispielen abgesondert habe.—
Doch wir kommen zu weit. Ich weiß, was ich weiß, und habe längst
gelernt, die Larve von dem Gesichte zu unterscheiden. Es ist eine
Karnevalserfahrung: je schöner die erste, desto häßlicher das andere.

Theophan. Sie wollen damit sagen—

Adrast. Ich will nichts damit sagen, als daß ich noch zu wenig Grund habe, die Allgemeinheit meines Urteils von den Gliedern Ihres Standes, um Ihretwillen einzuschränken. Ich habe mich nach den Ausnahmen zu lange vergebens umgesehen, als daß ich hoffen könnte, die erste an Ihnen zu finden. Ich müßte Sie länger, ich müßte Sie unter verschiedenen Umständen gekannt haben, wenn—

Theophan. Wenn Sie meinem Gesichte die Gerechtigkeit widerfahren lassen sollten, es für keine Larve zu halten. Wohl! Aber wie können Sie kürzer dazu gelangen, als wenn Sie mich Ihres nähern Umganges würdigen? Machen Sie mich zu Ihrem Freunde, stellen Sie mich auf die Probe—

Adrast. Sachte! die Probe käme zu spät, wenn ich Sie bereits zu meinem Freunde angenommen hätte. Ich habe geglaubt, sie müsse vorhergehen.

Theophan. Es gibt Grade in der Freundschaft, Adrast; und ich verlange den vertrautesten noch nicht.

Adrast. Kurz, auch zu dem niedrigsten können Sie nicht fähig sein.

Theophan. Ich kann nicht dazu fähig sein? Wo liegt die Unmöglichkeit?

Adrast. Kennen Sie, Theophan, wohl ein Buch, welches das Buch aller Bücher sein soll; welches alle unsere Pflichten enthalten, welches uns zu allen Tugenden die sichersten Vorschriften erteilen soll, und welches der Freundschaft gleichwohl mit keinem Worte gedenkt? Kennen Sie dieses Buch?

Theophan. Ich sehe Sie kommen, Adrast. Welchem Collin haben Sie diesen armseligen Einwurf abgeborgt?

Adrast. Abgeborgt, oder selbst erfunden: es ist gleich viel. Es muß ein kleiner Geist sein, der sich Wahrheiten zu borgen schämt.

Theophan. Wahrheiten!—Sind Ihre übrigen Wahrheiten von gleicher
Güte? Können Sie mich einen Augenblick anhören?

Adrast. Wieder predigen?

Theophan. Zwingen Sie mich nicht darzu? Oder wollen Sie, daß man Ihre seichten Spöttereien unbeantwortet lassen soll, damit es scheine, als könne man nicht darauf antworten?

Adrast. Und was können Sie denn darauf antworten?

Theophan. Dieses. Sagen Sie mir, ist die Liebe unter der Freundschaft, oder die Freundschaft unter der Liebe begriffen? Notwendig das letztere. Derjenige also, der die Liebe in ihrem allerweitesten Umfange gebietet, gebietet der nicht auch die Freundschaft? Ich sollte es glauben; und es ist so wenig wahr, daß unser Gesetzgeber die Freundschaft seines Gebotes nicht würdig geschätzt habe, daß er vielmehr seine Lehre zu einer Freundschaft gegen die ganze Welt gemacht hat.

Adrast. Sie bürden ihm Ungereimtheiten auf. Freundschaft gegen die ganze Welt? Was ist das? Mein Freund muß kein Freund der ganzen Welt sein.

Theophan. Und also ist Ihnen wohl nichts Freundschaft als jene Übereinstimmung der Temperamente, jene angeborne Harmonie der Gemüter, jener heimliche Zug gegeneinander, jene unsichtbare Kette, die zwei einerlei denkende, einerlei wollende Seelen verknüpfet?

Adrast. Ja, nur dieses ist mir Freundschaft.

Theophan. Nur dieses? Sie widersprechen sich also selbst.

Adrast. Oh! daß ihr Leute doch überall Widersprüche findet, außer nur da nicht, wo sie wirklich sind!

Theophan. Überlegen Sie es. Wenn diese, ohne Zweifel nicht willkürliche, Übereinstimmung der Seelen, diese in uns liegende Harmonie mit einem andern einzelnen Wesen allein die wahre Freundschaft ausmacht: wie können Sie verlangen, daß sie der Gegenstand eines Gesetzes sein soll? Wo sie ist, darf sie nicht geboten werden; und wo sie nicht ist, da wird sie umsonst geboten. Und wie können Sie es unserm Lehrer zur Last legen, daß er die Freundschaft in diesem Verstande übergangen hat? Er hat uns eine edlere Freundschaft befohlen, welche jenes blinden Hanges, den auch die unvernünftigen Tiere nicht missen, entbehren kann: eine Freundschaft, die sich nach erkannten Vollkommenheiten mitteilet; welche sich nicht von der Natur lenken läßt, sondern welche die Natur selbst lenket.

Adrast. O Geschwätze!

Theophan. Ich muß Ihnen dieses sagen, Adrast, ob Sie es gleich ebensowohl wissen könnten, als ich; und auch wissen sollten. Was würden Sie selbst von mir denken, wenn ich den Verdacht nicht mit aller Gewalt von mir abzulenken suchte, als mache mich die Religion zu einem Verächter der Freundschaft, die Religion, die Sie nur allzugern aus einem wichtigen Grunde verachten möchten?—Sehen Sie mich nicht so geringschätzig an; wenden Sie sich nicht auf eine so beleidigende Art von mir—

Adrast (beiseite). Das Pfaffengeschmeiß!—

Theophan. Ich sehe, Sie gebrauchen Zeit, den ersten Widerwillen zu unterdrücken, den eine widerlegte Lieblingsmeinung natürlicherweise erregt.—Ich will Sie verlassen. Ich erfuhr itzt ohnedem, daß einer von meinen Anverwandten mit der Post angelangt sei. Ich gehe ihm entgegen, und werde die Ehre haben Ihnen denselben vorzustellen.

Zweiter Auftritt

Adrast.—Daß ich ihn nimmermehr wiedersehen dürfte! Welcher von euch Schwarzröcken wäre auch kein Heuchler?—Priestern habe ich mein Unglück zu danken. Sie haben mich gedrückt, verfolgt, so nahe sie auch das Blut mit mir verbunden hatte. Hassen will ich dich, Theophan und alle deines Ordens! Muß ich denn auch hier in die Verwandtschaft der Geistlichkeit geraten?—Er, dieser Schleicher, dieser blöde Verleugner seines Verstandes, soll mein Schwager werden?—Und mein Schwager durch Julianen?—Durch Julianen?—Welch grausames Geschick verfolgt mich doch überall! Ein alter Freund meines verstorbenen Vaters trägt mir eine von seinen Töchtern an. Ich eile herbei, und muß zu spät kommen, und muß die, welche auf den ersten Anblick mein ganzes Herz hatte, die, mit der ich allein glücklich leben konnte, schon versprochen finden. Ach Juliane! So warest du mir nicht bestimmt? du, die ich liebe? Und so soll ich mich mit einer Schwester begnügen, die ich nicht liebe?—

Dritter Auftritt

Lisidor. Adrast.

Lisidor. Da haben wir's! Schon wieder allein, Adrast? Sagen Sie mir, müssen die Philosophen so zu Winkel kriechen? Ich wollte doch lieber sonst was sein—Und, wenn ich recht gehört habe, so sprachen Sie ja wohl gar mit sich selber? Nu, nu! es ist schon wahr: ihr Herren Grillenfänger könnt freilich mit niemand Klügerm reden, als mit euch selber. Aber gleichwohl ist unsereiner auch kein Katzenkopf. Ich schwatze eins mit, es mag sein, von was es will.

Adrast. Verzeihen Sie—

Lisidor. Je, mit Seinem Verzeihen! Er hat mir ja noch nichts zuwider getan—Ich habe gern, wenn die Leute lustig sind. Und ich will kein ehrlicher Mann sein, wenn ich mir nicht eine rechte Freude darauf eingebildet habe, den Wildfang, wie sie Ihn sonst zu Hause nannten, zu meinem Schwiegersohne zu haben. Freilich ist Er seitdem groß gewachsen; Er ist auf Reisen gewesen; Er hat Land und Leute gesehen. Aber, daß Er so gar sehr verändert würde wiedergekommen sein, das hätte ich mir nicht träumen lassen. Da geht Er nun, und spintisiert von dem, was ist—und was nicht ist,—von dem, was sein könnte, und wenn es sein könnte, warum es wieder nicht sein könnte;—von der Notwendigkeit, der halben und ganzen, der notwendigen Notwendigkeit, und der nicht notwendigen Notwendigkeit;—von den A—A—wie heißen die kleinen Dingerchen, die so in den Sonnenstrahlen herumfliegen? von den A—A—Sage doch, Adrast—

Adrast. Von den Atomis, wollen Sie sagen.

Lisidor. Ja, ja, von den Atomis, von den Atomis. So heißen sie, weil man ihrer ein ganz Tausend mit einem Atem hinunterschlucken kann.

Adrast. Ha! ha! ha!

Lisidor. Er lacht, Adrast? Ja, mein gutes Bürschchen, du mußt nicht glauben, daß ich von den Sachen ganz und gar nichts verstehe. Ich habe euch, Ihn und den Theophan, ja oft genug darüber zanken hören. Ich behalte mir das Beste. Wenn ihr euch in den Haaren liegt, so fische ich im trüben. Da fällt manche Brocke ab, die keiner von euch brauchen kann, und die ist für mich. Ihr dürft deswegen nicht neidisch auf mich sein; denn ich bereichere mich nicht von einem allein. Das nehme ich von dir, mein lieber Adrast; und das vom Theophan; und aus allen dem mache ich mir hernach ein Ganzes—

Adrast. Das vortrefflich ungeheuer sein muß.

Lisidor. Wieso?

Adrast. Sie verbinden Tag und Nacht, wenn Sie meine mit Theophans
Gedanken verbinden.

Lisidor. Je nu! so wird eine angenehme Dämmerung daraus.—Und überhaupt ist es nicht einmal wahr, daß ihr so sehr voneinander unterschieden wäret. Einbildungen! Einbildungen! Wie vielmal habe ich nicht allen beiden zugleich recht gegeben? Ich bin es nur allzuwohl überzeugt, daß alle ehrliche Leute einerlei glauben.

Adrast. Sollten! sollten! das ist wahr.

Lisidor. Nun da sehe man! was ist nun das wieder für ein Unterscheid? Glauben, oder glauben sollen: es kömmt auf eines heraus. Wer kann alle Worte so abzirkeln?—Und ich wette was, wenn ihr nur erst werdet Schwäger sein, kein Ei wird dem andern ähnlicher sein können.—

Adrast. Als ich dem Theophan, und er mir?

Lisidor. Gewiß. Noch wißt ihr nicht, was das heißt, miteinander verwandt sein. Der Verwandtschaft wegen wird der einen Daumen breit, und der einen Daumen breit nachgeben. Und einen Daumen breit, und wieder einen Daumen breit, das macht zwei Daumen breit; und zwei Daumen breit—ich bin ein Schelm, wenn ihr die auseinander seid.— Nichts aber könnte mich in der Welt wohl so vergnügen, als daß meine Töchter so vortrefflich für euch passen. Die Juliane ist eine geborne Priesterfrau; und Henriette—in ganz Deutschland muß kein Mädchen zu finden sein, das sich für Ihn, Adrast, besser schickte. Hübsch, munter, fix; sie singt, sie tanzt, sie spielt; kurz, sie ist meine leibhafte Tochter. Juliane dargegen ist die liebe, heilige Einfalt.

Adrast. Juliane? Sagen Sie das nicht. Ihre Vollkommenheiten fallen vielleicht nur weniger in die Augen. Ihre Schönheit blendet nicht; aber sie geht ans Herz. Man läßt sich gern von ihren stillen Reizen fesseln, und man biegt sich mit Bedacht in ihr Joch, das uns andere in einer fröhlichen Unbesonnenheit überwerfen müssen. Sie redet wenig; aber auch ihr geringstes Wort hat Vernunft.

Lisidor. Und Henriette?

Adrast. Es ist wahr: Henriette weiß sich frei und witzig auszudrücken. Würde es aber Juliane nicht auch können, wenn sie nur wollte, und wenn sie nicht Wahrheit und Empfindung jenem prahlenden Schimmer vorzöge? Alle Tugenden scheinen sich in ihrer Seele verbunden zu haben—

Lisidor. Und Henriette?

Adrast. Es sei ferne, daß ich Henrietten irgend eine Tugend absprechen sollte. Aber es gibt ein gewisses Äußeres, welches sie schwerlich vermuten ließe, wenn man nicht andre Gründe für sie hätte. Julianens gesetzte Anmut, ihre ungezwungene Bescheidenheit, ihre ruhige Freude, ihre—

Lisidor. Und Henriettens?

Adrast. Henriettens wilde Annehmlichkeiten, ihre wohl lassende
Dreustigkeit, ihre fröhlichen Entzückungen stechen mit den gründlichen
Eigenschaften ihrer Schwester vortrefflich ab. Aber Juliane gewinnt
dabei—

Lisidor. Und Henriette?

Adrast. Verlieret dabei nichts. Nur daß Juliane—

Lisidor. Ho! ho! Herr Adrast, ich will doch nicht hoffen, daß Sie auch an der Narrheit krank liegen, welche die Leute nur das für gut und schön erkennen läßt, was sie nicht bekommen können. Wer Henker hat Sie denn gedungen, Julianen zu loben?

Adrast. Fallen Sie auf nichts Widriges. Ich habe bloß zeigen wollen, daß mich die Liebe für meine Henriette gegen die Vorzüge ihrer Schwester nicht blind mache.

Lisidor. Nu, nu! wenn das ist, so mag es hingehen. Sie ist auch gewiß ein gutes Kind, die Juliane. Sie ist der Augapfel ihrer Großmutter. Und das gute, alte Weib hat tausendmal gesagt, die Freude über ihr Julchen erhielte sie noch am Leben.

Adrast. Ach!

Lisidor. Das war ja gar geseufzt. Was Geier ficht Ihn an? Pfui! Ein junger gesunder Mann, der alle Viertelstunden eine Frau nehmen will, wird seufzen? Spare Er Sein Seufzen, bis Er die Frau hat!

Vierter Auftritt

Johann. Adrast. Lisidor.

Johann. Pst! Pst!

Lisidor. Nu? Nu?

Johann. Pst! Pst!

Adrast. Was gibt's?

Johann. Pst! Pst!

Lisidor. Pst! Pst! Mosjeu Johann. Kann der Schurke nicht näher kommen?

Johann. Pst, Herr Adrast! Ein Wort im Vertrauen.

Adrast. So komm her!

Johann. Im Vertrauen, Herr Adrast.

Lisidor (welcher auf ihn zu geht). Nun? was willst du?

Johann (geht auf die andre Seite). Pst! Herr Adrast, nur ein
Wörtchen, ganz im Vertrauen!

Adrast. So pack dich her, und rede.

Lisidor. Rede! rede! Was kann der Schwiegersohn haben, das der
Schwiegervater nicht hören dürfte?

Johann. Herr Adrast! (Zieht ihn an dem Ärmel beiseite.)

Lisidor. Du Spitzbube, willst mich mit aller Gewalt vom Platze haben.
Rede nur, rede! ich gehe schon.

Johann. Oh! Sie sind gar zu höflich. Wenn Sie einen kleinen Augenblick dort in die Ecke treten wollen: so können Sie immer da bleiben.

Adrast. Bleiben Sie doch! ich bitte.

Lisidor. Nu! wenn ihr meint—(indem er auf sie zu kömmt).

Adrast. Nun sage, was willst du?

Johann (welcher sieht, daß ihm Lisidor wieder nahe steht). Nichts.

Adrast. Nichts?

Johann. Nichts, gar nichts.

Lisidor. Das Wörtchen im Vertrauen, hast du es schon wieder vergessen?

Johann. Potz Stern! sind Sie da? Ich denke, Sie stehen dort im
Winkel.

Lisidor. Narre, der Winkel ist näher gerückt.

Johann. Daran hat er sehr unrecht getan.

Adrast. Halte mich nicht länger auf, und rede.

Johann. Herr Lisidor, mein Herr wird böse.

Adrast. Ich habe vor ihm nichts Geheimes: rede!

Johann. So habe ich auch nichts für Sie.

Lisidor. Galgendieb, ich muß dir nur deinen Willen tun.—Ich gehe auf meine Stube, Adrast: wenn Sie zu mir kommen wollen—

Adrast. Ich werde Ihnen gleich folgen.

Fünfter Auftritt

Johann. Adrast,

Johann. Ist er fort?

Adrast. Was hast du mir denn zu sagen? Ich wette, es ist eine
Kleinigkeit; und der Alte wird sich einbilden, daß es Halssachen sind.

Johann. Eine Kleinigkeit? Mit einem Worte, Herr Adrast, wir sind verloren. Und Sie konnten verlangen, daß ich es in Gegenwart des Lisidors sagen sollte?

Adrast. Verloren? Und wie denn? Erkläre dich.

Johann. Was ist da zu erklären? Kurz, wir sind verloren.—Aber so unvorsichtig hätte ich mir Sie doch nimmermehr eingebildet, daß Sie es sogar Ihren künftigen Schwiegervater wollten hören lassen—

Adrast. So laß mich es nur hören—

Johann. Wahrhaftig, er hätte die Lust auf einmal verlieren können, es jemals zu werden.—So ein Streich!

Adrast. Nun? was denn für ein Streich? Wie lange wirst du mich noch martern?

Johann. Ein ganz verdammter Streich.—Ja, ja! wenn der Bediente nicht oft behutsamer wäre, als der Herr: es würden artige Dinge herauskommen.

Adrast. Nichtswürdiger Schlingel—

Johann. Ho, ho! ist das mein Dank? Wenn ich es doch nur gesagt hätte, wie der Alte da war. Wir hätten wollen sehen! wir hätten wollen sehen—

Adrast. Daß dich dieser und jener—

Johann. Ha, ha! nach dem diesen und jenen wird nicht mehr gefragt.
Ich weiß doch wohl, daß Sie den Teufel meinen, und daß keiner ist.
Ich müßte wenig von Ihnen gelernt haben, wenn ich nicht der ganzen
Hölle ein Schnippchen schlagen wollte.

Adrast. Ich glaube, du spielst den Freigeist? Ein ehrlicher Mann möchte einen Ekel davor bekommen, wenn er sieht, daß es ein jeder Lumpenhund sein will.—Aber ich verbiete dir nunmehr, mir ein Wort zu sagen. Ich weiß doch, daß es nichts ist.

Johann. Ich sollte es Ihnen nicht sagen? Ich sollte Sie so in Ihr
Unglück rennen lassen? Das wollen wir sehen.

Adrast. Gehe mir aus den Augen!

Johann. Nur Geduld!—Sie erinnern sich doch wohl so ohngefähr, wie
Sie Ihre Sachen zu Hause gelassen haben?

Adrast. Ich mag nichts wissen.

Johann. Ich sage Ihnen ja auch noch nichts.—Sie erinnern sich doch wohl auch der Wechsel, die Sie an den Herrn Araspe vor Jahr und Tag ausstellten?

Adrast. Schweig, ich mag nichts davon hören.

Johann. Ohne Zweifel, weil Sie sie vergessen wollen? Wenn sie nur dadurch bezahlt würden.—Aber wissen Sie denn auch, daß sie verfallen sind?

Adrast. Ich weiß, daß du dich nicht darum zu bekümmern hast.

Johann. Auch das verbeiße ich.—Sie denken freilich: Weit davon, ist gut für den Schuß; und Herr Araspe hat eben nicht nötig, so sehr dahinterher zu sein. Aber, was meinen Sie, wenn ich den Herrn Araspe—

Adrast. Nun was?

Johann. Jetzt den Augenblick vom Postwagen hätte steigen sehen?

Adrast. Was sagst du? Ich erstaune—

Johann. Das tat ich auch, als ich ihn sah.

Adrast. Du, Araspen gesehen? Araspen hier?

Johann. Mein Herr, ich habe mich auf den Fuß gesetzt, daß ich Ihre und meine Schuldner gleich auf den ersten Blick erkenne; ja ich rieche sie schon, wenn sie auch noch hundert Schritt von mir sind.

Adrast (nachdem er nachgedacht). Ich bin verloren!

Johann. Das war ja mein erstes Wort.

Adrast. Was ist anzufangen?

Johann. Das beste wird sein: wir packen auf, und ziehen weiter.

Adrast. Das ist unmöglich.

Johann. Nun so machen Sie sich gefaßt, zu bezahlen.

Adrast. Das kann ich nicht; die Summe ist zu groß.

Johann. Oh! ich sagte auch nur so.—Sie sinnen?

Adrast. Doch wer weiß auch, ob er ausdrücklich meinetwegen hergekommen ist. Er kann andre Geschäfte haben.

Johann. Je nu! so wird er das Geschäfte mit Ihnen so beiher treiben.
Wir sind doch immer geklatscht.

Adrast. Du hast recht.—Ich möchte rasend werden, wenn ich an alle die Streiche gedenke, die mir ein ungerechtes Schicksal zu spielen nicht aufhört.—Doch wider wen murre ich? Wider ein taubes Ohngefähr? Wider einen blinden Zufall, der uns ohne Absicht und ohne Vorsatz schwerfällt? Ha! nichtswürdiges Leben!—

Johann. Oh! lassen Sie mir das Leben ungeschimpft. So einer
Kleinigkeit wegen sich mit ihm zu überwerfen, das wäre was Gescheutes!

Adrast. So rate mir doch, wenn du es für eine Kleinigkeit ansiehst.

Johann. Fällt Ihnen im Ernste kein Mittel ein?—Bald werde ich Sie gar nicht mehr für den großen Geist halten, für den ich Sie doch immer gehalten habe. Fortgehen wollen Sie nicht; bezahlen können Sie nicht: was ist denn noch übrig?

Adrast. Mich ausklagen zu lassen.

Johann. O pfui! Worauf ich gleich zuerst fallen würde, wenn ich auch bezahlen könnte—

Adrast. Und was ist denn das?

Johann. Schwören Sie den Bettel ab.

Adrast (mit einer bittern Verachtung). Schurke!

Johann. Wie? Was bin ich? So einen brüderlichen Rat—

Adrast. Ja wohl ein brüderlicher Rat, den du nur deinen Brüdern,
Leuten deinesgleichen, geben solltest.

Johann. Sind Sie Adrast? Ich habe Sie wohl niemals über das Schwören spotten hören?

Adrast. Über das Schwören, als Schwören, nicht aber als eine bloße Beteurung seines Wortes. Diese muß einem ehrlichen Manne heilig sein, und wenn auch weder Gott noch Strafe ist. Ich würde mich ewig schämen, meine Unterschrift geleugnet zu haben, und ohne Verachtung meiner selbst, nie mehr meinen Namen schreiben können.

Johann. Aberglauben über Aberglauben. Zu einer Türe haben Sie ihn herausgejagt, und zu der andern lassen Sie ihn wieder herein.

Adrast. Schweig! ich mag dein lästerliches Geschwätze nicht anhören. Ich will Araspen aufsuchen. Ich will ihm Vorstellungen tun; ich will ihm von meiner Heirat sagen; ich will ihm Zinsen über Zinsen versprechen.—Ich treffe ihn doch wohl noch in dem Posthause?

Johann. Vielleicht.—Da geht er, der barmherzige Schlucker. Das Maul ist groß genug an ihm; aber wenn es dazu kömmt, daß er das, was er glaubt, mit Taten beweisen soll, da zittert das alte Weib! Wohl dem, der nach seiner Überzeugung auch leben kann! So hat er doch noch etwas davon. Ich sollte an seiner Stelle sein.—Doch ich muß nur sehen, wo er bleibt.

(Ende des ersten Aufzugs.)

Zweiter Aufzug

Erster Auftritt

Juliane. Henriette. Lisette.

Lisette. Vor allen Dingen, meine lieben Mamsells, ehe ich Ihre kleine Streitigkeit schlichte, lassen Sie uns ausmachen, welcher von Ihnen ich heute zugehöre. Sie wissen wohl, Ihre Herrschaft über mich ist umzechig. Denn weil es unmöglich sein soll, zweien Herren zu dienen, So hat Ihr wohlweiser Papa—neigen Sie sich, Mamsells, neigen Sie sich! —so hat, sage ich, Ihr wohlweiser Papa wohlbedächtig mich damit verschonen wollen, das Unmögliche möglich zu machen. Er hat jede von Ihnen einen Tag um den andern zu meiner hauptsächlichen Gebieterin gemacht; so daß ich den einen Tag der sanften Juliane ehrbares Mädchen, und den andern der muntern Henriette wilde Lisette sein muß. Aber jetzt, seitdem die fremden Herren im Hause sind—

Henriette. Unsre Anbeter meinst du—

Lisette. Ja, ja! Ihre Anbeter, welche bald Ihre hochbefehlenden Ehemänner sein werden—Seitdem, sage ich, diese im Hause sind, geht alles drüber und drunter; ich werde aus einer Hand in die andere geschmissen; und ach! unsere schöne Ordnung liegt mit dem Nähzeuge, das Sie seit eben der Zeit nicht angesehen haben, unterm Nachttische. Hervor wieder damit! Ich muß wissen, woran ich mit Ihnen bin, wenn ich ein unparteiisches Urteil fällen soll.

Henriette. Das wollen wir bald ausrechnen.—Du besinnst dich doch
wohl auf den letzten Feiertag, da dich meine Schwester mit in die
Nachmittagspredigt schleppte, so gerne du auch mit mir auf unser
Vorwerk gefahren wärest? Du warst damals sehr strenge, Juliane!—

Juliane. Ich habe doch wohl nicht einer ehrlichen Seele einen vergeblichen Weg nach ihr hinaus gemacht?

Henriette. Lisette—

Lisette. Stille, Mamsell Henriette! nicht aus der Schule geschwatzt, oder—

Henriette. Mädchen drohe nicht! Du weißt wohl, ich habe ein gut
Gewissen.

Lisette. Ich auch.—Doch lassen Sie uns nicht das Hundertste ins Tausendste schwatzen.—Recht! an den Feiertag will ich gedenken! Er war der letzte in unsrer Ordnung; denn noch den Abend kam Theophan an.

Henriette. Und also, mit Erlaubnis meiner Schwester, bist du heute meine.

Juliane. Ohne Widerrede.

Lisette. Juchhei! Mamsellchen. Ich bin also heute Ihre: Juchhei!

Juliane. Ist das dein Lösungswort unter ihrer Fahne?

Lisette. Ohne weitre Umstände: erzählen Sie mir nunmehr Ihre
Streitigkeit.—Unterdessen lege ich mein Gesicht in richterliche
Falten.

Juliane. Streitigkeit? Eine wichtige Streitigkeit? Ihr seid beide
Schäkerinnen.—Ich will nichts mehr davon hören.

Henriette. So? Du willst keinen Richter erkennen? Ein klarer Beweis, daß du unrecht hast.—Höre nur, Lisette! wir haben über unsre Anbeter gezankt. Ich will die Dinger immer noch so nennen, mag doch zuletzt daraus werden, was da will.

Lisette. Das dachte ich. Über was könnten sich zwei gute Schwestern auch sonst zanken? Es ist freilich verdrießlich, wenn man sein künftiges Haupt verachten hört.

Henriette. Schwude! Mädchen; du willst ganz auf die falsche Seite. Keine hat des andern Anbeter verachtet; sondern unser Zank kam daher, weil eine des andern Anbeter—schon wieder Anbeter!—allzusehr erhob.

Lisette. Eine neue Art Zanks! wahrhaftig, eine neue Art!

Henriette. Kannst du es anders sagen, Juliane?

Juliane. Oh! verschone mich doch damit.

Henriette. Hoffe auf kein Verschonen, wenn du nicht widerrufst.—Sage, Lisette, hast du unsre Männerchen schon einmal gegeneinander gehalten? Was dünkt dich? Juliane macht ihren armen Theophan herunter, als wenn er ein kleines Ungeheuer wäre.

Juliane. Unartige Schwester! Wann habe ich dieses getan? Mußt du aus einer flüchtigen Anmerkung, die du mir gar nicht hättest aufmutzen sollen, solche Folgen ziehen?

Henriette. Ich seh, man muß dich böse machen, wenn du mit der Sprache heraus sollst.—Eine flüchtige Anmerkung nennst du es? Warum strittest du denn über ihre Gründlichkeit?

Juliane. Du hast doch närrische Ausdrücke! Fingst du nicht den ganzen Handel selbst an? Ich glaubte, wie sehr ich dir schmeicheln würde, wenn ich deinen Adrast den wohlgemachtesten Mann nennte, den ich jemals gesehen hätte. Du hättest mir für meine Gesinnungen danken, nicht aber widersprechen sollen.

Henriette. Sieh, wie wunderlich du bist! Was war mein Widerspruch anders, als ein Dank? Und wie konnte ich mich nachdrücklicher bedanken, als wenn ich den unverdienten Lobspruch auf deinen Theophan zurückschob?—

Lisette. Sie hat recht!

Juliane. Nein, sie hat nicht recht. Denn eben dieses verdroß mich. Muß sie auf einen so kindischen Fuß mit mir umgehen? Sahe sie mich nicht dadurch für ein kleines spielendes Mädchen an, das zu ihr gesagt hätte: Deine Puppe ist die schönste; und dem sie also, um es nicht böse zu machen, antworten müßte: Nein, deine ist die schönste?

Lisette. Nun hat sie recht!

Henriette. Oh! geh, du bist eine artige Richterin. Hast du schon vergessen, daß du mir heute angehörst?

Lisette. Desto schärfer eben werde ich gegen Sie sein, damit ich nicht parteiisch lasse.

Juliane. Glaube mir nur, daß ich bessere Eigenschaften an einer Mannsperson zu schätzen weiß, als seine Gestalt. Und es ist genug, daß ich diese bessern Eigenschaften an dem Theophan finde. Sein Geist- -

Henriette. Von dem ist ja nicht die Rede. Jetzt kömmt es auf den
Körper an, und dieser ist an dem Theophan schöner, du magst sagen, was
du willst. Adrast ist besser gewachsen: gut; er hat einen schönern
Fuß: ich habe nichts dawider. Aber laß uns auf das Gesicht kommen.—

Juliane. So stückweise habe ich mich nicht eingelassen.

Henriette. Das ist eben dein Fehler.—Was für ein Stolz, was für eine Verachtung aller andern blickt nicht dem Adrast aus jeder Miene! Du wirst es Adel nennen; aber machst du es dadurch schön? Umsonst sind seine Gesichtszüge noch so regelmäßig: sein Eigensinn, seine Lust zum Spotten hat eine gewisse Falte hineingebracht, die ihm in meinen Augen recht häßlich läßt. Aber ich will sie ihm gewiß herausbringen: laß nur die Flitterwochen erst vorbei sein.—Dein Theophan hingegen hat das liebenswürdigste Gesicht von der Welt. Es herrscht eine Freundlichkeit darin, die sich niemals verleugnet.—

Juliane. Sage mir doch nur nichts, was ich ebensogut bemerkt habe, als du. Allein eben diese seine Freundlichkeit ist nicht sowohl das Eigentum seines Gesichts, als die Folge seiner innern Ruhe. Die Schönheit der Seele bringt auch in einen ungestalteten Körper Reize; so wie ihre Häßlichkeit dem vortrefflichsten Baue und den schönsten Gliedern desselben, ich weiß nicht was eindrückt, das einen unzuerklärenden Verdruß erwecket. Wenn Adrast eben der fromme Mann wäre, der Theophan ist; wenn seine Seele von ebenso göttlichen Strahlen der Wahrheit, die er sich mit Gewalt zu verkennen bestrebet, erleuchtet wäre: so würde er ein Engel unter den Menschen sein; da er jetzt kaum ein Mensch unter den Menschen ist. Zürne nicht, Henriette, daß ich so verächtlich von ihm rede. Wenn er in gute Hände fällt, kann er noch alles das werden, was er jetzt nicht ist, weil er es nie hat sein wollen. Seine Begriffe von der Ehre, von der natürlichen Billigkeit sind vortrefflich.—

Henriette (spöttisch). Oh! du machst ihn auch gar zu sehr herunter.— Aber im Ernste, kann ich nicht sagen, daß du mich nunmehr für das kleine spielende Mädchen ansiehst? Ich mag ja nicht von dir seinetwegen zufriedengestellt sein. Er ist, wie er ist, und lange gut für mich. Du sprachst von guten Händen, in die er fallen müßte, wenn noch was aus ihm werden sollte. Da er in meine nunmehr gefallen ist, wird er wohl nicht anders werden. Mich nach ihm zu richten, wird mein einziger Kunstgriff sein, uns das Leben erträglich zu machen. Nur die verdrießlichen Gesichter muß er ablegen; und da werde ich ihm die Gesichter deines Theophans zum Muster vorschlagen.

Juliane. Schon wieder Theophan, und seine freundlichen Gesichter?

Lisette. Stille! Mamsell—

Zweiter Auftritt

Theophan. Juliane. Henriette. Lisette.

Henriette (springt dem Theophan entgegen). Kommen Sie doch, Theophan, kommen Sie!—Können Sie wohl glauben, daß ich Ihre Partei gegen meine Schwester habe halten müssen? Bewundern Sie meine Uneigennützigkeit. Ich habe Sie bis in den Himmel erhoben, da ich doch weiß, daß ich Sie nicht bekomme, sondern daß Sie für meine Schwester bestimmt sind, die Ihren Wert nicht kennet. Denken Sie nur, sie behauptet, daß Sie keine so schöne Person vorstellten, als Adrast. Ich weiß nicht, wie sie das behaupten kann. Ich sehe doch den Adrast mit den Augen einer Verliebten an, das ist, ich mache mir ihn noch zehnmal schöner, als er ist, und gleichwohl geben Sie ihm, meines Bedünkens, nichts nach. Sie spricht zwar, auf der Seite des Geistes hätten Sie mehr Vorzüge; aber was wissen wir Frauenzimmer denn vom Geiste?

Juliane. Die Schwätzerin! Sie kennen sie, Theophan: glauben Sie ihr nicht.

Theophan. Ich ihr nicht glauben, schönste Juliane? Warum wollen Sie mich nicht in der glücklichen Überzeugung lassen, daß Sie so vorteilhaft von mir gesprochen haben?—Ich danke Ihnen, angenehmste Henriette, für Ihre Verteidigung; ich danke Ihnen umsovielmehr, je stärker ich selbst überführet bin, daß Sie eine schlechte Sache haben verteidigen müssen. Allein—

Henriette. Oh! Theophan, von Ihnen verlange ich es nicht, daß Sie mir recht geben sollen. Es ist eine andere gewisse Person—

Juliane. Lassen Sie dieser andern Person Gerechtigkeit widerfahren,
Theophan. Sie werden, hoffe ich, meine Gesinnungen kennen—

Theophan. Gehen Sie nicht mit mir, als mit einem Fremden um, liebste
Juliane. Brauchen Sie keine Einlenkungen; ich würde bei jeder nähern
Bestimmung verlieren.—Bei den Büchern, in einer engen staubigten
Studierstube, vergißt man des Körpers sehr leicht; und Sie wissen, der
Körper muß ebensowohl bearbeitet werden, als die Seele, wenn beide
diejenigen Vollkommenheiten erhalten sollen, deren sie fähig sind.
Adrast ist in der großen Welt erzogen worden; er hat alles, was bei
derselben beliebt macht—

Henriette. Und wenn es auch Fehler sein sollten.—

Theophan. Wenigstens habe ich diese Anmerkung nicht machen wollen.— Aber nur Geduld! ein großer Verstand kann diesen Fehlern nicht immer ergeben sein. Adrast wird das Kleine derselben endlich einsehen, welches sich nur allzusehr durch das Leere verrät, das sie in unsern Herzen zurücklassen. Ich bin seiner Umkehr so gewiß, daß ich ihn schon im voraus darum liebe.—Wie glücklich werden Sie mit ihm leben, glückliche Henriette!

Henriette. So edel spricht Adrast niemals von Ihnen, Theophan.—

Juliane. Abermals eine recht garstige Anmerkung, meine liebe Schwester.—Was suchst du damit, daß du dem Theophan dieses sagst? Es ist allezeit besser, wenn man es nicht weiß, wer von uns übel spricht. Die Kenntnis unserer Verleumder wirkt auch in dem großmütigsten Herzen eine Art von Entfernung gegen sie, die ihre Aussöhnung mit der beleidigten Person nur noch schwerer macht.

Theophan. Sie entzücken mich, Juliane. Aber fürchten Sie nichts! Eben darin soll über kurz oder lang mein Triumph bestehen, daß ich den mich jetzt verachtenden Adrast besser von mir zu urteilen gezwungen habe. Würde ich aber nicht diesen ganzen Triumph zernichten, wenn ich selbst einigen Groll gegen ihn fassen wollte? Noch hat er sich nicht die Mühe genommen, mich näher kennenzulernen. Vielleicht, daß ich ein Mittel finde, ihn dazu zu vermögen.—Lassen Sie uns nur jetzt davon abbrechen; und erlauben Sie, daß ich einen meiner nächsten Blutsfreunde bei Ihnen anmelden darf, der sich ein Vergnügen daraus gemacht hat, mich hier zu überraschen.—

Juliane. Einen Anverwandten?

Henriette. Und wer ist es?

Theophan. Araspe.

Juliane. Araspe?

Henriette. Ei! das ist ja vortrefflich! Wo ist er denn?

Theophan. Er war eben abgestiegen, und hat mir versprochen, unverzüglich nachzufolgen.

Henriette. Weiß es der Papa schon?

Theophan. Ich glaube nicht.

Juliane. Und die Großmama?

Henriette. Komm, Schwesterchen! diese fröhliche Nachricht müssen wir ihnen zuerst bringen.—Du bist doch nicht böse auf mich?

Juliane. Wer kann auf dich böse sein, Schmeichlerin? Komm nur!

Theophan. Erlauben Sie, daß ich ihn hier erwarte.

Henriette. Bringen Sie ihn aber nur bald. Hören Sie!

Dritter Auftritt

Theophan. Lisette.

Lisette. Ich bleibe, Herr Theophan, um Ihnen noch ein kleines großes Kompliment zu machen. Wahrhaftig! Sie sind der glücklichste Mann von der Welt! und wenn Herr Lisidor, glaube ich, noch zwei Töchter hätte, so würden sie doch alle viere in Sie verliebt sein.

Theophan. Wie versteht Lisette das?

Lisette. Ich verstehe es so: daß wenn es alle viere sein würden, es jetzt alle zwei sein müssen.

Theophan (lächelnd). Noch dunkler!

Lisette. Das sagt Ihr Lächeln nicht.—Wenn Sie aber wirklich Ihre
Verdienste selbst nicht kennen, so sind Sie nur desto liebenswerter.
Juliane liebt Sie: und das geht mit rechten Dingen zu, denn sie soll
Sie lieben. Nur schade, daß ihre Liebe so ein gar vernünftiges
Ansehen hat. Aber was soll ich zu Henrietten sagen? Gewiß sie liebt
Sie auch, und was das Verzweifeltste dabei ist, sie liebt Sie—aus
Liebe.—Wenn Sie sie doch nur alle beide auch heiraten könnten!

Theophan. Sie meint es sehr gut, Lisette!

Lisette. Ja, wahrhaftig! alsdann sollten Sie mich noch obendrein behalten.

Theophan. Noch besser! Aber ich sehe, Lisette hat Verstand—

Lisette. Verstand? Auf das Kompliment weiß ich, leider! nichts zu antworten. Auf ein anders: Lisette ist schön, habe ich wohl ungefähr antworten lernen: Mein Herr, Sie scherzen. Ich weiß nicht, ob sich diese Antwort hieher auch schickt.

Theophan. Ohne Umstände!—Lisette kann mir einen Dienst erzeigen, wenn sie mir ihre wahre Meinung von Julianen entdeckt. Ich bin gewiß, daß sie auch in ihren Mutmaßungen nicht weit vom Ziele treffen wird. Es gibt gewisse Dinge, wo ein Frauenzimmerauge immer schärfer sieht, als hundert Augen der Mannspersonen.

Lisette. Verzweifelt! diese Erfahrung können Sie wohl nimmermehr aus Büchern haben—Aber, wenn Sie nur acht auf meine Reden gegeben hätten; ich habe Ihnen bereits meine wahre Meinung von Julianen gesagt. Sagte ich Ihnen nicht, daß mir ihre Liebe ein gar zu vernünftiges Ansehen zu haben scheine? Darin liegt alles, was ich davon denke. Überlegung, Pflicht, vorzügliche Schönheiten der Seele—Ihnen die Wahrheit zu sagen, gegen so vortreffliche Worte, in einem weiblichen Munde, mag ein Liebhaber immer ein wenig mißtrauisch sein. Und noch eine kleine Beobachtung gehöret hieher: diese nämlich, daß sie mit den schönen Worten weit sparsamer gewesen, als Herr Theophan allein im Hause war.

Theophan. Gewiß?

Lisette (nachdem sie ihn einen Augenblick angesehen). Herr Theophan!
Herr Theophan! Sie sagen dieses Gewiß mit einer Art,—mit einer Art,—

Theophan. Mit was für einer Art?

Lisette. Ja! nun ist sie wieder weg. Die Mannspersonen! die Mannspersonen! Und wenn es auch gleich die allerfrömmsten sind—Doch ich will mich nicht irremachen lassen. Seit Adrast im Hause ist, wollte ich sagen, fallen zwischen dem Adrast und Julianen dann und wann Blicke vor—

Theophan. Blicke?—Sie beunruhiget mich, Lisette.

Lisette. Und das Beunruhigen können Sie so ruhig aussprechen, so
ruhig—Ja, Blicke fallen zwischen ihnen vor; Blicke, die nicht ein
Haar anders sind, als die Blicke, die dann und wann zwischen Mamsell
Henrietten und dem vierten vorfallen—

Theophan. Was für einem vierten?

Lisette. Werden Sie nicht ungehalten. Wenn ich Sie gleich den vierten nenne, so sind Sie eigentlich doch in aller Absicht der erste.

Theophan (die ersten Worte beiseite). Die Schlaue!—Sie beschämt mich für meine Neubegierde, und ich habe es verdient. Nichtsdestoweniger aber irret Sie sich, Lisette; gewaltig irret Sie sich—

Lisette. O pfui! Sie machten mir vorhin ein so artiges Kompliment, und nunmehr gereuet es Sie auf einmal, mir es gemacht zu haben.—Ich müßte gar nichts von dem Verstande besitzen, den Sie mir beilegten, wenn ich mich so gar gewaltig irren sollte.—

Theophan (unruhig und zerstreut). Aber wo bleibt er denn?—

Lisette. Mein Verstand?—Wo er will.—So viel ist gewiß, daß Adrast bei Henrietten ziemlich schlecht steht, sosehr sie sich auch nach seiner Weise zu richten scheint. Sie kann alles leiden, nur geringgeschätzt zu werden, kann sie nicht leiden. Sie weiß es allzuwohl, für was uns Adrast ansieht: für nichts, als Geschöpfchen, die aus keiner andern Absicht da sind, als den Männern ein Vergnügen zu machen. Und das ist doch sehr nichtswürdig gedacht! Aber da kann man sehen, in was für gottlose Irrtümer die ungläubigen Leute verfallen.—Nu? Hören Sie mir nicht mehr zu, Herr Theophan? Wie so zerstreut? wie so unruhig?

Theophan. Ich weiß nicht, wo mein Vetter bleibt?—

Lisette. Er wird ja wohl kommen.—

Theophan. Ich muß ihm wirklich nur wieder entgegengehn.—Adieu,
Lisette!

Vierter Auftritt

Lisette. Das heiße ich kurz abgebrochen!—Er wird doch nicht verdrießlich geworden sein, daß ich ihm ein wenig auf den Zahn fühlte? Das brave Männchen! Ich will nur gerne sehen, was noch daraus werden wird. Ich gönne ihm wirklich alles Gutes, und wenn es nach mir gehen sollte, so wüßte ich schon, was ich täte.—(Indem sie sich umsieht.) Wer kömmt denn da den Gang hervor?—Sind die es?—Ein Paar allerliebste Schlingel! Adrasts Johann, und Theophans Martin: die wahren Bilder ihrer Herren, von der häßlichen Seite! Aus Freigeisterei ist jener ein Spitzbube; und aus Frömmigkeit dieser ein Dummkopf. Ich muß mir doch die Lust machen, sie zu behorchen. (Sie tritt zurück.)

Fünfter Auftritt

Lisette, halb versteckt hinter einer Szene. Johann. Martin.

Johann. Was ich dir sage!

Martin. Du mußt mich für sehr dumm ansehen. Dein Herr ein Atheist? das glaube sonst einer! Er sieht ja aus wie ich und du. Er hat Hände und Füße; er hat das Maul in der Breite und die Nase in der Länge, wie ein Mensch; er red't, wie ein Mensch; er ißt, wie ein Mensch:—und soll ein Atheist sein?

Johann. Nun? sind denn die Atheisten keine Menschen?

Martin. Menschen? Ha! ha! ha! Nun höre ich, daß du selber nicht weißt, was ein Atheist ist.

Johann. Zum Henker! du wirst es wohl besser wissen. Ei! belehre doch deinen unwissenden Nächsten.

Martin. Hör zu!—Ein Atheist ist—eine Brut der Hölle, die sich, wie der Teufel, tausendmal verstellen kann. Bald ist's ein listiger Fuchs, bald ein wilder Bär;—bald ist's ein Esel, bald ein Philosoph;—bald ist's ein Hund, bald ein unverschämter Poete. Kurz, es ist ein Untier, das schon lebendig bei dem Satan in der Hölle brennt,—eine Pest der Erde,—eine abscheuliche Kreatur,—ein Vieh, das dummer ist, als ein Vieh;—ein Seelenkannibal,—ein Antichrist,—ein schreckliches Ungeheuer—

Johann. Es hat Bocksfüße: nicht? Zwei Hörner? einen Schwanz?—

Martin. Das kann wohl sein.—Es ist ein Wechselbalg, den die Hölle durch—durch einen unzüchtigen Beischlaf mit der Weisheit dieser Welt erzeugt hat;—es ist—ja, sieh, das ist ein Atheist. So hat ihn unser Pfarr abgemalt; der kennt ihn aus großen Büchern.

Johann. Einfältiger Schöps!—Sieh mich doch einmal an.

Martin. Nu?

Johann. Was siehst du an mir?

Martin. Nichts, als was ich zehnmal besser an mir sehen kann.

Johann. Findest du denn etwas Erschreckliches, etwas Abscheuliches an mir? Bin ich nicht ein Mensch, wie du? Hast du jemals gesehen, daß ich ein Fuchs, ein Esel, oder ein Kannibal gewesen wäre?

Martin. Den Esel laß immer weg, wenn ich dir antworten soll, wie du gerne willst.—Aber, warum fragst du das?

Johann. Weil ich selbst ein Atheist bin; das ist, ein starker Geist, wie es jetzt jeder ehrlicher Kerl nach der Mode sein muß. Du sprichst, ein Atheist brenne lebendig in der Hölle. Nun! rieche einmal: riechst du einen Brand an mir?

Martin. Drum eben bist du keiner.

Johann. Ich wäre keiner? Tue mir nicht die Schande an, daran zu zweifeln, oder—Doch wahrhaftig, das Mitleiden verhindert mich, böse zu werden. Du bist zu beklagen, armer Schelm!

Martin. Arm? Laß einmal sehen, wer die vergangene Woche das meiste Trinkgeld gekriegt hat. (Er greift in die Tasche.) Du bist ein lüderlicher Teufel, du versäufst alles—

Johann. Laß stecken! Ich rede von einer ganz andern Armut, von der Armut des Geistes, der sich mit lauter elenden Brocken des Aberglaubens ernähren, und mit lauter armseligen Lumpen der Dummheit kleiden muß.—Aber so geht es euch Leuten, die ihr nicht weiter, als höchstens vier Meilen hinter den Backofen kommt. Wenn du gereiset wärest, wie ich—

Martin. Gereist bist du? Laß hören, wo bist du gewesen?

Johann. Ich bin gewesen—in Frankreich—

Martin. In Frankreich? Mit deinem Herrn?

Johann. Ja, mein Herr war mit.

Martin. Das ist das Land, wo die Franzosen wohnen?—So wie ich einmal einen gesehen habe,—das war eine schnurrige Kröte! In einem Augenblicke konnte er sich siebenmal auf dem Absatze herumdrehen, und dazu pfeifen.

Johann. Ja, es gibt große Geister unter ihnen! Ich bin da erst recht klug geworden.

Martin. Hast du denn auch Frankreich'sch gelernt?

Johann. Französisch, willst, du sagen:—vollkommen.

Martin. Oh! rede einmal!

Johann. Das will ich wohl tun.—Quelle heure est-il, maraut? Le père et la mère une fille de coups de bâton. Comment coquin? Diantre diable carogne à vous servir.

Martin. Das ist schnakisch! Und das Zeug können die Leute da verstehen? Sag einmal, was hieß das auf deutsch?

Johann. Ja! auf deutsch! Du guter Narre, das läßt sich auf deutsch nicht so sagen. Solche feine Gedanken können nur französisch ausgedrückt werden.

Martin. Der Blitz!—Nu? wo bist du weiter gewesen?

Johann. Weiter? In England—

Martin. In England?—Kannst du auch Engländ'sch

Johann. Was werde ich nicht können?

Martin. Sprich doch!

Johann. Du mußt wissen, es ist eben wie das Französische. Es ist französisch, versteh mich, auf englisch ausgesprochen. Was hörst du dir dran ab?—Ich will dir ganz andre Dinge sagen, wenn du mir zuhören willst. Dinge, die ihresgleichen nicht haben müssen. Zum Exempel, auf unsern vorigen Punkt zu kommen: sei kein Narr, und glaube, daß ein Atheist so ein schrecklich Ding ist. Ein Atheist ist nichts weiter, als ein Mensch, der keinen Gott glaubt.—

Martin. Keinen Gott? Je! das ist ja noch viel ärger! Keinen Gott?
Was glaubt er denn?

Johann. Nichts.

Martin. Das ist wohl eine mächtige Mühe.

Johann. Ei! Mühe! Wenn auch nichts glauben eine Mühe wäre, so glaubten ich und mein Herr gewiß alles. Wir sind geschworne Feinde alles dessen, was Mühe macht. Der Mensch ist in der Welt, vergnügt und lustig zu leben. Die Freude, das Lachen, das Kurtisieren, das Saufen sind seine Pflichten. Die Mühe ist diesen Pflichten hinderlich; also ist es auch notwendig seine Pflicht, die Mühe zu fliehen.—Sieh, das war ein Schluß, der mehr Gründliches enthält, als die ganze Bibel.

Martin. Ich wollt's. Aber sage mir doch, was hat man denn in der
Welt ohne Mühe?

Johann. Alles was man erbt, und was man erheiratet. Mein Herr erbte von seinem Vater und von zwei reichen Vettern keine kleinen Summen; und ich muß ihm das Zeugnis geben, er hat sie, als ein braver Kerl, durchgebracht. Jetzt bekömmt er ein reich Mädel, und, wenn er klug ist, so fängt er es wieder an, wo er es gelassen hat. Seit einiger Zeit ist er mir zwar ganz aus der Art geschlagen; und ich sehe wohl, auch die Freigeisterei bleibt nicht klug, wenn sie auf die Freite geht. Doch ich will ihn schon wieder in Gang bringen.—Und höre, Martin, ich will auch dein Glück machen. Ich habe einen Einfall; aber ich glaube nicht, daß ich ihn anders wohl von mir geben kann, als—bei einem Glase Wein. Du klimpertst vorhin mit deinen Trinkgeldern; und gewiß, du bist in Gefahr, keine mehr zu bekommen, wenn man nicht sieht, daß du sie dazu anwendest, wozu sie dir gegeben werden. Zum Trinken, guter Martin, zum Trinken: darum heißen es Trinkgelder.—

Martin. Still! Herr Johann, still!—Du bist mir so noch Revansche schuldig. Habe ich dich nicht jenen Abend nur noch freigehalten?— Doch, laß einmal hören! was ist denn das für ein Glück, das ich von dir zu hoffen habe?

Johann. Höre, wenn mein Herr heiratet, so muß er noch einen Bedienten annehmen.—Eine Kanne Wein, so sollst du bei mir den Vorzug haben. Du versauerst doch nur bei deinem dummen Schwarzrocke. Du sollst bei Adrasten mehr Lohn und mehr Freiheit haben; und ich will dich noch obendrein zu einem starken Geiste machen, der es mit dem Teufel und seiner Großmutter aufnimmt, wenn nur erst einer wäre.

Martin. Was? wenn erst einer wäre? Ho! ho! Ist es nicht genug, daß du keinen Gott glaubst? willst du noch dazu keinen Teufel glauben? Oh! male ihn nicht an die Wand! Er läßt sich nicht so lange herumhudeln, wie der liebe Gott. Der liebe Gott ist gar zu gut, und lacht über einen solchen Narren, wie du bist. Aber der Teufel— dem läuft gleich die Laus über die Leber; und darnach sieht's nicht gut aus.—Nein, bei dir ist kein Aushalten: ich will nur gehen.—

Johann (hält ihn zurück). Spitzbube! Spitzbube! denkst du, daß ich deine Streiche nicht merke? Du fürchtest dich mehr für die Kanne Wein, die du geben sollst, als für den Teufel. Halt!—Ich kann dich aber bei dem allen unmöglich in dergleichen Aberglauben stecken lassen. Überlege dir's nur:—Der Teufel—der Teufel—Ha! ha! ha!—Und dir kömmt es nicht lächerlich vor? Je! so lache doch!

Martin. Wenn kein Teufel wäre, wo kämen denn die hin, die ihn auslachen?—Darauf antworte mir einmal! den Knoten beiß mir auf! Siehst du, daß ich auch weiß, wie man euch Leute zuschanden machen muß?

Johann. Ein neuer Irrtum! Und wie kannst du so ungläubig gegen meine Worte sein? Es sind die Aussprüche der Weltweisheit, die Orakel der Vernunft! Es ist bewiesen, sage ich dir, in Büchern ist es bewiesen, daß es weder Teufel noch Hölle gibt.—Kennst du Balthasarn? Es war ein berühmter Bäcker in Holland.

Martin. Was gehn mich die Bäcker in Holland an? Wer weiß, ob sie so gute Brezeln backen, wie der hier an der Ecke.

Johann. Ei! das war ein gelehrter Bäcker! Seine bezauberte Welt—ha! —das ist ein Buch! Mein Herr hat es einmal gelesen. Kurz, ich verweise dich auf das Buch, so wie man mich darauf verwiesen hat, und will dir nur im Vertrauen sagen: Der muß ein Ochse, ein Rindvieh, ein altes Weib sein, der einen Teufel glauben kann. Soll ich dir's zuschwören, daß keiner ist?—Ich will ein Hundsfott sein!

Martin. Pah! der Schwur geht wohl mit.

Johann. Nun, sieh,—ich will, ich will—auf der Stelle verblinden, wenn ein Teufel ist.

(Lisette springt geschwinde hinter der Szene hervor, und hält ihm rückwärts die Augen zu, indem sie dem Martin zugleich winkt.)

Martin. Das wäre noch was; aber du weißt schon, daß das nicht geschieht.

Johann (ängstlich). Ach! Martin, ach!

Martin. Was ist's?

Johann. Martin, wie wird mir? Wie ist mir, Martin?

Martin. Nu? was hast du denn?

Johann. Seh ich—oder—ach! daß Gott—Martin! Martin! wie wird es auf einmal so Nacht?

Martin. Nacht? Was willst du mit der Nacht?

Johann. Ach! so ist es nicht Nacht? Hülfe! Martin, Hülfe!

Martin. Was denn für Hülfe? Was fehlt dir denn?

Johann. Ach! ich bin blind, ich bin blind! Es liegt mir auf den
Augen, auf den Augen.—Ach! ich zittere am ganzen Leibe—

Martin. Blind bist du? Du wirst ja nicht?—Warte, ich will dich in die Augen schlagen, daß das Feuer herausspringt, und du sollst bald sehen—

Johann. Ach! ich bin gestraft, ich bin gestraft. Und du kannst meiner noch spotten? Hülfe! Martin, Hülfe!—(Er fällt auf die Knie.) Ich will mich gern bekehren! Ach! was bin ich für ein Bösewicht gewesen!—

Lisette (welche plötzlich gehen läßt, und, indem sie hervorspringt, ihm eine Ohrfeige gibt). Du Schlingel!

Martin. Ha! ha! ha!

Johann. Ach! ich komme wieder zu mir. (Indem er aufsteht.) Sie
Rabenaas, Lisette!

Lisette. Kann man euch Hundsfötter so ins Bockshorn jagen? Ha! ha! ha!

Martin. Krank lache ich mich noch darüber. Ha! ha! ha!

Johann. Lacht nur! lacht nur!—Ihr seid wohl albern, wenn ihr denkt, daß ich es nicht gemerkt habe.—(Beiseite.) Das Blitzmädel, was sie mir für einen Schreck abgejagt hat! Ich muß mich wieder erholen. (Geht langsam ab.)

Martin. Gehst du? Oh! lacht ihn doch aus! Je! lach Sie doch, Lisettchen, lach Sie doch! Ha! ha! ha! Das hat Sie vortrefflich gemacht; so schöne, so schöne, ich möchte Sie gleich küssen.—

Lisette. Oh! geh, geh, dummer Martin!

Martin. Komm Sie, wirklich! ich will Sie zu Weine führen. Ich will Sie mit der Kanne Wein traktieren, um die mich der Schurke prellen wollte. Komm Sie!

Lisette. Das fehlte mir noch. Ich will nur gehen, und meinen
Mamsells den Spaß erzählen.

Martin. Ja, und ich meinem Herrn.—Der war abgeführt! der war abgeführt!

(Ende des zweiten Aufzuges.)

Dritter Aufzug

Erster Auftritt

Theophan. Araspe.

Araspe. Was ich Ihnen sage, mein lieber Vetter. Das Vergnügen Sie zu überfallen, und die Begierde bei Ihrer Verbindung gegenwärtig zu sein, sind freilich die vornehmsten Ursachen meiner Anherkunft; nur die einzigen sind es nicht. Ich hatte den Aufenthalt des Adrast endlich ausgekundschaftet, und es war mir sehr lieb, auf diese Art, wie man sagt, zwei Würfe mit einem Steine zu tun. Die Wechsel des Adrast sind verfallen; und ich habe nicht die geringste Lust, ihm auch nur die allerkleinste Nachsicht zu gönnen. Ich erstaune zwar, ihn, welches ich mir nimmermehr eingebildet hätte, in dem Hause Ihres künftigen Schwiegervaters zu finden; ihn auf eben demselben Fuße, als Sie, Theophan, hier zu finden: aber gleichwohl,—und wenn ihn das Schicksal auch noch näher mit mir verbinden könnte,—

Theophan. Ich bitte Sie, liebster Vetter, beteuern Sie nichts.

Araspe. Warum nicht? Sie wissen wohl, Theophan, ich bin der Mann sonst nicht, welcher seine Schuldner auf eine grausame Art zu drücken fähig wäre.—

Theophan. Das weiß ich, und desto eher—

Araspe. Hier wird kein Desto eher gelten. Adrast, dieser Mann, der sich, auf eine ebenso abgeschmackte als ruchlose Art von andern Menschen zu unterscheiden sucht, verdient, daß man ihn auch wieder von andern Menschen unterscheide. Er muß die Vorrechte nicht genießen, die ein ehrlicher Mann seinen elenden Nächsten sonst gern genießen läßt. Einem spöttischen Freigeiste, welcher uns lieber das Edelste, was wir besitzen, rauben und uns alle Hoffnung eines künftigen glückseligern Lebens zunichte machen möchte, vergilt man noch lange nicht Gleiches mit Gleichem, wenn man ihm das gegenwärtige Leben ein wenig sauer macht.—Ich weiß, es ist der letzte Stoß, den ich dem Adrast versetze; er wird seinen Kredit nicht wieder herstellen können. Ja, ich wollte mich freuen, wenn ich sogar seine Heirat dadurch rückgängig machen könnte. Wenn mir es nur um mein Geld zu tun wäre: so sehen Sie wohl, daß ich diese Heirat lieber würde befördern helfen, weil er doch wohl dadurch wieder etwas in die Hände bekommen wird. Aber nein; und sollte ich bei dem Konkurse, welcher entstehen muß, auch ganz und gar ledig ausgehen: so will ich ihn dennoch auf das Äußerste bringen. Ja, wenn ich alles wohl erwäge, so glaube ich, ihm durch diese Grausamkeit noch eine Wohltat zu erweisen. Schlechtere Umstände werden ihn vielleicht zu ernsthaften Überlegungen bringen, die er in seinem Wohlstande zu machen, nicht wert gehalten hat; und vielleicht ändert sich, wie es fast immer zu geschehen pflegt, sein Charakter mit seinem Glücke.

Theophan. Ich habe Sie ausreden lassen. Ich glaube, Sie werden so billig sein, und mich nunmehr auch hören.

Araspe. Das werde ich.—Aber eingebildet hätte ich mir es nicht, daß ich an meinem frommen Vetter einen Verteidiger des Adrasts finden sollte.

Theophan. Ich bin es weniger, als es scheinet; und es kommen hier so viel Umstände zusammen, daß ich weiter fast nichts als meine eigne Sache führen werde. Adrast, wie ich fest überzeugt bin, ist von derjenigen Art Freigeister, die wohl etwas Besseres zu sein verdienten. Es ist auch sehr begreiflich, daß man in der Jugend so etwas gleichsam wider Willen werden kann. Man ist es aber alsdann nur so lange, bis der Verstand zu einer gewissen Reife gelangt ist, und sich das aufwallende Geblüte abgekühlt hat. Auf diesem kritischen Punkte steht jetzt Adrast; aber noch mit wankendem Fuße. Ein kleiner Wind, ein Hauch kann ihn wieder herabstürzen. Das Unglück, das Sie ihm drohen, würde ihn betäuben; er würde sich einer wütenden Verzweiflung überlassen, und Ursache zu haben glauben, sich um die Religion nicht zu bekümmern, deren strenge Anhänger sich kein Bedenken gemacht hätten, ihn zugrunde zu richten.

Araspe. Das ist etwas; aber—

Theophan. Nein, für einen Mann von Ihrer Denkungsart, liebster Vetter, muß dieses nicht nur etwas, sondern sehr viel sein. Sie haben die Sache von dieser Seite noch nicht betrachtet; Sie haben den Adrast nur als einen verlornen Mann angesehen, an dem man zum Überflusse noch eine desperate Kur wagen müsse. Aus diesem Grunde ist die Heftigkeit, mit der Sie wider ihn sprachen, zu entschuldigen. Lernen Sie ihn aber durch mich nunmehr unparteiischer beurteilen. Er ist in seinen Reden jetzt weit eingezogener, als man mir ihn sonst beschrieben hat. Wenn er streitet, so spottet er nicht mehr, sondern gibt sich alle Mühe, Gründe vorzubringen. Er fängt an, auf die Beweise, die man ihm entgegensetzt, zu antworten, und ich habe es ganz deutlich gemerkt, daß er sich schämt, wenn er nur halb darauf antworten kann. Freilich sucht er diese Scham noch dann und wann unter das Verächtliche eines Schimpfworts zu verstecken; aber nur Geduld! es ist schon viel, daß er diese Schimpfworte niemals mehr auf die heiligen Sachen, die man gegen ihn verteidiget, sondern bloß auf die Verteidiger fallen läßt. Seine Verachtung der Religion löset sich allmählich in die Verachtung derer auf, die sie lehren.

Araspe. Ist das wahr, Theophan?

Theophan. Sie werden Gelegenheit haben, sich selbst davon zu überzeugen.—Sie werden zwar hören, daß diese seine Verachtung der Geistlichen mich jetzt am meisten trifft; allein ich bitte Sie im voraus, nicht empfindlicher darüber zu werden, als ich selbst bin. Ich habe es mir fest vorgenommen, ihn nicht mit gleicher Münze zu bezahlen; sondern ihm vielmehr seine Freundschaft abzuzwingen, es mag auch kosten, was es will.

Araspe. Wenn Sie bei persönlichen Beleidigungen so großmütig sind—

Theophan. Stille! wir wollen es keine Großmut nennen. Es kann Eigennutz, es kann eine Art von Ehrgeiz sein, sein Vorurteil von den Gliedern meines Ordens durch mich zuschanden zu machen. Es sei aber, was es wolle, so weiß ich doch, daß Sie viel zu gütig sind, mir darin im Wege zu stehen. Adrast würde es ganz gewiß für ein abgekartetes Spiel halten, wenn er sähe, daß mein Vetter so scharf hinter ihm drein wäre. Seine Wut würde einzig auf mich fallen, und er würde mich überall als einen Niederträchtigen ausschreien, der ihm, unter tausend Versicherungen der Freundschaft, den Dolch ins Herz gestoßen habe. Ich wollte nicht gerne, daß er die Exempel von hämtückischen Pfaffen, wie er sie nennt, mit einigem Scheine der Wahrheit auch durch mich vermehren könnte.

Araspe. Lieber Vetter, das wollte ich noch tausendmal weniger, als
Sie.—

Theophan. Erlauben Sie also, daß ich Ihnen einen Vorschlag tue:—oder nein; es wird vielmehr eine Bitte sein.

Araspe. Nur ohne Umstände, Vetter. Sie wissen ja doch wohl, daß Sie mich in Ihrer Hand haben.

Theophan. Sie sollen so gütig sein und mir die Wechsel ausliefern, und meine Bezahlung dafür annehmen.

Araspe. Und Ihre Bezahlung dafür annehmen? Bei einem Haare hätten Sie mich böse gemacht. Was reden Sie von Bezahlung? Wenn ich Ihnen auch nicht gesagt hätte, daß es mir jetzt gar nicht um das Geld zu tun wäre: so sollten Sie doch wenigstens wissen, daß das, was meine ist, auch Ihre ist.

Theophan. Ich erkenne meinen Vetter.

Araspe. Und ich erkannte ihn fast nicht.—Mein nächster Blutsfreund, mein einziger Erbe, sieht mich als einen Fremden an, mit dem er handeln kann? (Indem er sein Taschenbuch herauszieht.) Hier sind die Wechsel! Sie sind Ihre! machen Sie damit was Ihnen gefällt.

Theophan. Aber erlauben Sie, liebster Vetter: ich werde nicht so frei damit schalten dürfen, wenn ich sie nicht auf die gehörige Art an mich gebracht habe.

Araspe. Welches ist denn die gehörige Art unter uns, wenn es nicht die ist, daß ich gebe, und Sie nehmen?—Doch damit ich alle Ihre Skrupel hebe: wohl! Sie sollen einen Revers von sich stellen, daß Sie die Summe dieser Wechsel nach meinem Tode bei der Erbschaft nicht noch einmal fodern wollen. (Lächelnd.) Wunderlicher Vetter! sehen Sie denn nicht, daß ich weiter nichts tue, als auf Abschlag bezahle?—

Theophan. Sie verwirren mich—

Araspe (der noch die Wechsel in Händen hat). Lassen Sie mich nur die
Wische nicht länger halten.

Theophan. Nehmen Sie unterdessen meinen Dank dafür an.

Araspe. Was für verlorne Worte! (Indem er sich umsieht.) Stecken
Sie hurtig ein; da kömmt Adrast selbst.

Zweiter Auftritt

Adrast. Theophan. Araspe.

Adrast (erstaunend). Himmel! Araspe hier?

Theophan. Adrast, ich habe das Vergnügen, Ihnen in dem Herrn Araspe meinen Vetter vorzustellen.

Adrast. Wie? Araspe Ihr Vetter?

Araspe. Oh! wir kennen einander schon. Es ist mir angenehm, Herr
Adrast, Sie hier zu sehen.

Adrast. Ich bin bereits die ganze Stadt nach Ihnen durchgerannt. Sie wissen, wie wir miteinander stehen, und ich wollte Ihnen die Mühe ersparen, mich aufzusuchen.

Araspe. Es wäre nicht nötig gewesen. Wir wollen von unserer Sache ein andermal sprechen. Theophan hat es auf sich genommen.—

Adrast. Theophan? Ha! nun ist es klar.—

Theophan. Was ist klar, Adrast? (Ruhig.)

Adrast. Ihre Falschheit, Ihre List—

Theophan (zum Araspe). Wir halten uns zu lange hier auf. Lisidor, lieber Vetter, wird Sie mit Schmerzen erwarten. Erlauben Sie, daß ich Sie zu ihm führe.—(Zum Adrast.) Darf ich bitten, Adrast, daß Sie einen Augenblick hier verziehen? Ich will den Araspe nur heraufbegleiten; ich werde gleich wieder hier sein.

Araspe. Wenn ich Ihnen raten darf, Adrast, so sein Sie gegen meinen
Vetter nicht ungerecht.—

Theophan. Er wird es nicht sein. Kommen Sie nur.

(Theophan und Araspe gehen ab.)

Dritter Auftritt

Adrast (bitter). Nein, gewiß, ich werde es auch nicht sein! Er ist unter allen seinesgleichen, die ich noch gekannt habe, der hassenswürdigste! Diese Gerechtigkeit will ich ihm widerfahren lassen. Er hat den Araspe ausdrücklich meinetwegen kommen lassen: das ist unleugbar. Es ist mir aber doch lieb, daß ich ihm nie einen redlichen Tropfen Bluts zugetrauet, und seine süßen Reden jederzeit für das gehalten habe, was sie sind.—

Vierter Auftritt

Adrast. Johann.

Johann. Nun? haben Sie den Araspe gefunden?

Adrast. Ja. (Noch bitter.)

Johann. Geht's gut?

Adrast. Vortrefflich.

Johann. Ich hätte es ihm auch raten wollen, daß er die geringste
Schwierigkeit gemacht hätte!—Und er hat doch schon wieder seinen
Abschied genommen?

Adrast. Verzieh nur: er wird uns gleich den unsrigen bringen.

Johann. Er den unsrigen?—Wo ist Araspe?—

Adrast. Beim Lisidor.

Johann. Araspe beim Lisidor? Araspe?

Adrast. Ja, Theophans Vetter.

Johann. Was frage ich nach des Narren Vetter? Ich meine Araspen.—

Adrast. Den meine ich auch.

Johann. Aber—

Adrast. Aber siehst du denn nicht, daß ich rasend werden möchte? Was plagst du mich noch? Du hörst ja, daß Theophan und Araspe Vettern sind.

Johann. Zum erstenmal in meinem Leben.—Vettern? Ei! desto besser; unsere Wechsel bleiben also in der Freundschaft, und Ihr neuer Herr Schwager wird dem alten Herrn Vetter schon zureden—

Adrast. Du Dummkopf!—Ja, er wird ihm zureden, mich ohne Nachsicht unglücklich zu machen.—Bist du denn so albern, es für einen Zufall anzusehen, daß Araspe hier ist? Siehst du denn nicht, daß es Theophan muß erfahren haben, wie ich mit seinem Vetter stehe? daß er ihm Nachricht von meinen Umständen gegeben hat? daß er ihn gezwungen hat, über Hals über Kopf eine so weite Reise zu tun, um die Gelegenheit ja nicht zu versäumen, meinen Ruin an den Tag zu bringen, und mir dadurch die letzte Zuflucht, die Gunst des Lisidors, zu vernichten?

Johann. Verdammt! wie gehen mir die Augen auf! Sie haben recht. Kann ich Esel denn, wenn von einem Geistlichen die Rede ist, nicht gleich auf das Allerboshafteste fallen?—Ha! wenn ich doch die Schwarzröcke auf einmal zu Pulver stampfen und in die Luft schießen könnte! Was für Streiche haben sie uns nicht schon gespielt! Der eine hat uns um manches Tausend Taler gebracht: das war der ehrwürdige Gemahl Ihrer lieben Schwester. Der andere—

Adrast. Oh! fange nicht an, mir meine Unfälle vorzuzählen. Ich will sie bald geendigt sehen. Alsdann will ich es doch abwarten, was mir das Glück noch nehmen kann, wann ich nichts mehr habe.

Johann. Was es Ihnen noch nehmen kann, wann Sie nichts mehr haben? Das will ich Ihnen gleich sagen: Mich wird es Ihnen alsdann noch nehmen.

Adrast. Ich verstehe dich, Holunke!—

Johann. Verschwenden Sie Ihren Zorn nicht an mir. Hier kömmt der, an welchem Sie ihn besser anwenden können.

Fünfter Auftritt

Theophan. Adrast. Johann.

Theophan. Ich bin wieder hier, Adrast. Es entfielen Ihnen vorhin einige Worte von Falschheit und List.—

Adrast. Beschuldigungen entfallen mir niemals. Wenn ich sie vorbringe, bringe ich sie mit Vorsatz und Überlegung vor.

Theophan. Aber eine nähere Erklärung—

Adrast. Die fodern Sie nur von sich selbst.

Johann (die ersten Worte beiseite). Hier muß ich hetzen.—Ja, ja, Herr Theophan! es ist schon bekannt, daß Ihnen mein Herr ein Dorn in den Augen ist.

Theophan. Adrast, haben Sie es ihm befohlen, an Ihrer Stelle zu antworten?

Johann. So? auch meine Verteidigung wollen Sie ihm nicht gönnen? Ich will doch sehen, wer mir verbieten soll, mich meines Herrn anzunehmen.

Theophan. Lassen Sie es ihn doch sehen, Adrast.

Adrast. Schweig!

Johann. Ich sollte—

Adrast. Noch ein Wort! (Drohend.)

Theophan. Nunmehr darf ich die Bitte um eine nähere Erklärung doch wohl wiederholen? Ich weiß sie mir selbst nicht zu geben.

Adrast. Erklären Sie sich denn gerne näher, Theophan?

Theophan. Mit Vergnügen, sobald es verlangt wird.

Adrast. Ei! so sagen Sie mir doch, was wollte denn Araspe, bei
Gelegenheit dessen, was Sie schon wissen, mit den Worten sagen:
Theophan hat es auf sich genommen?

Theophan. Darüber sollte sich Araspe eigentlich erklären. Doch ich kann es an seiner Statt tun. Er wollte sagen, daß er mir Ihre Wechsel zur Besorgung übergeben habe.

Adrast. Auf Ihr Anliegen?

Theophan. Das kann wohl sein.

Adrast. Und was haben Sie beschlossen, damit zu tun?

Theophan. Sie sind Ihnen ja noch nicht vorgewiesen worden? Können wir etwas beschließen, ehe wir wissen, was Sie darauf tun wollen?

Adrast. Kahle Ausflucht! Ihr Vetter weiß es längst, was ich darauf tun kann.

Theophan. Er weiß, daß Sie ihnen Genüge tun können. Und sind Sie alsdann nicht auseinander?

Adrast. Sie spotten.

Theophan. Ich bin nicht Adrast.

Adrast. Setzen Sie aber den Fall,—und Sie können ihn sicher setzen,— daß ich nicht imstande wäre zu bezahlen: was haben Sie alsdenn beschlossen?

Theophan. In diesem Falle ist noch nichts beschlossen.

Adrast. Aber was dürfte beschlossen werden?

Theophan. Das kömmt auf Araspen an. Doch sollte ich meinen, daß eine einzige Vorstellung, eine einzige höfliche Bitte bei einem Manne, wie Araspe ist, viel ausrichten könne.

Johann. Nachdem die Ohrenbläser sind.—

Adrast. Muß ich es noch einmal sagen, daß du schweigen sollst?

Theophan. Ich würde mir ein wahres Vergnügen machen, wenn ich Ihnen durch meine Vermittelung einen kleinen Dienst dabei erzeigen könnte.

Adrast. Und Sie meinen, daß ich Sie mit einer demütigen Miene, mit einer kriechenden Liebkosung, mit einer niederträchtigen Schmeichelei darum ersuchen solle? Nein, so will ich Ihre Kitzelung über mich nicht vermehren. Wenn Sie mich mit dem ehrlichsten Gesichte versichert hätten, Ihr möglichstes zu tun, so würden Sie in einigen Augenblicken mit einer wehmütigen Stellung wiederkommen, und es bedauern, daß Ihre angewandte Mühe umsonst sei? Wie würden sich Ihre Augen an meiner Verwirrung weiden!

Theophan. Sie wollen mir also keine Gelegenheit geben, das Gegenteil zu beweisen?—Es soll Ihnen nur ein Wort kosten.

Adrast. Nein, auch dieses Wort will ich nicht verlieren. Denn kurz,— und hier haben Sie meine nähere Erklärung:—Araspe würde, ohne Ihr Anstiften, nicht hiehergekommen sein. Und nun, da Sie Ihre Mine, mich zu sprengen, so wohl angelegt hätten, sollten Sie durch ein einziges Wort können bewogen werden, sie nicht springen zu lassen? Führen Sie Ihr schönes Werk nur aus.

Theophan. Ich erstaune über Ihren Verdacht nicht. Ihre Gemütsart hat mich ihn vorhersehen lassen. Aber gleichwohl ist es gewiß, daß ich ebensowenig gewußt habe, daß Araspe Ihr Gläubiger sei, als Sie gewußt haben, daß er mein Vetter ist.

Adrast. Es wird sich zeigen.

Theophan. Zu Ihrem Vergnügen, hoffe ich.—Heitern Sie Ihr Gesicht nur auf, und folgen Sie mir mit zu der Gesellschaft.—

Adrast. Ich will sie nicht wieder sehen.

Theophan. Was für ein Entschluß! Ihren Freund, Ihre Geliebte—

Adrast. Wird mir wenig kosten, zu verlassen. Sorgen Sie aber nur nicht, daß es eher geschehen soll, als bis Sie befriediget sind. Ich will Ihren Verlust nicht, und sogleich noch das letzte Mittel versuchen.—

Theophan. Bleiben Sie, Adrast.—Es tut mir leid, daß ich Sie nicht gleich den Augenblick aus aller Ihrer Unruhe gerissen habe.—Lernen Sie meinen Vetter besser kennen, (indem er die Wechsel hervorzieht) und glauben Sie gewiß, wenn Sie schon von mir das Allernichtswürdigste denken wollen, daß wenigstens er ein Mann ist, der Ihre Hochachtung verdient. Er will Sie nicht anders, als mit dem sorglosesten Gesichte sehen, und gibt Ihnen deswegen Ihre Wechsel hier zurück. (Er reicht sie ihm dar.) Sie sollen sie selbst so lange verwahren, bis Sie ihn nach Ihrer Bequemlichkeit deswegen befriedigen können. Er glaubt, daß sie ihm in Ihren Händen ebenso sicher sind, als unter seinem eigenen Schlosse. Sie haben den Ruhm eines ehrlichen Mannes, wenn Sie schon den Ruhm eines frommen nicht haben.

Adrast (stutzig, indem er des Theophans Hand zurückstößt). Mit was für einem neuen Fallstricke drohen Sie mir? Die Wohltaten eines Feindes—

Theophan. Unter diesem Feinde verstehen Sie mich; was aber hat Araspe mit Ihrem Hasse zu tun? Er ist es, nicht ich, der Ihnen diese geringschätzige Wohltat erzeigen will; wenn anders eine armselige Gefälligkeit diesen Namen verdient.—Was überlegen Sie noch? Hier, Adrast! nehmen Sie Ihre Handschriften zurück!

Adrast. Ich will mich wohl dafür hüten.

Theophan. Ich bitte Sie, lassen Sie mich nicht unverrichteter Sache zu einem Manne zurückkommen, der es mit Ihnen gewiß redlich meinet. Er würde die Schuld seines verachteten Anerbietens auf mich schieben. (Indem er ihm die Wechsel aufs neue darreicht, reißt sie ihm Johann aus der Hand.)

Johann. Ha! ha! mein Herr, in wessen Händen sind die Wechsel nun?

Theophan (gelassen). In den deinigen, ohne Zweifel. Immer bewahre sie, anstatt deines Herrn.

Adrast (geht wütend auf den Bedienten los). Infamer! es kostet dein
Leben—

Theophan. Nicht so hitzig, Adrast.

Adrast. Den Augenblick gib sie ihm zurück! (Er nimmt sie ihm weg.)
Geh mir aus den Augen!

Johann. Nun, wahrhaftig!—

Adrast. Wo du noch eine Minute verziehst—(Er stößt ihn fort.)

Sechster Auftritt

Theophan. Adrast.

Adrast. Ich muß mich schämen, Theophan; ich glaube aber nicht, daß
Sie so gar weit gehen, und mich mit meinem Bedienten vermengen werden.-
-Nehmen Sie es zurück, was man Ihnen rauben wollte.—

Theophan. Es ist in der Hand, in der es sein soll.

Adrast. Nein. Ich verachte Sie viel zu sehr, als daß ich Sie abhalten sollte, eine niederträchtige Tat zu begehen.

Theophan. Das ist empfindlich! (Er nimmt die Wechsel zurück.)

Adrast. Es ist mir lieb, daß Sie mich nicht gezwungen, sie Ihnen vor die Füße zu werfen. Wenn sie wieder in meine Hände zurückkommen sollen, so werde ich anständigere Mittel dazu finden. Finde ich aber keine, so ist es ebendas. Sie werden sich freuen, mich zugrunde zu richten, und ich werde mich freuen, Sie von ganzem Herzen hassen zu können.

Theophan. Es sind doch wirklich Ihre Wechsel, Adrast? (Indem er sie aufschlägt und ihm zeigt.)

Adrast. Sie glauben etwa, daß ich sie leugnen werde?—

Theophan. Das glaube ich nicht; ich will bloß gewiß sein. (Er zerreißt sie gleichgültig.)

Adrast. Was machen Sie, Theophan?

Theophan. Nichts. (Indem er die Stücken in die Szene wirft.) Ich vernichte eine Nichtswürdigkeit, die einen Mann, wie Adrast ist, zu so kleinen Reden verleiten kann.

Adrast. Aber sie gehören nicht Ihnen.—

Theophan. Sorgen Sie nicht; ich tue, was ich verantworten kann.—
Bestehet Ihr Verdacht noch? (Geht ab.)

Siebenter Auftritt

Adrast (sieht ihm einige Augenblicke nach). Was für ein Mann! Ich habe tausend aus seinem Stande gefunden, die unter der Larve der Heiligkeit betrogen; aber noch keinen, der es, wie dieser, unter der Larve der Großmut, getan hätte.—Entweder er sucht mich zu beschämen, oder zu gewinnen. Keines von beiden soll ihm gelingen. Ich habe mich, zu gutem Glücke, auf einen hiesigen Wechsler besonnen, mit dem ich, bei bessern Umständen, ehemals Verkehr hatte. Er wird hoffentlich glauben, daß ich mich noch in ebendenselben befinde, und wenn das ist, mir ohne Anstand die nötige Summe vorschießen. Ich will ihn aber deswegen nicht zum Bocke machen, über dessen Hörner ich aus dem Brunnen springe. Ich habe noch liegende Gründe, die ich mit Vorteil verkaufen kann, wenn mir nur Zeit gelassen wird. Ich muß ihn aufsuchen.—

Achter Auftritt

Henriette. Adrast.

Henriette. Wo stecken Sie denn, Adrast? Man hat schon zwanzigmal nach Ihnen gefragt. Oh! schämen Sie sich, daß ich Sie zu einer Zeit suchen muß, da Sie mich suchen sollten. Sie spielen den Ehemann zu zeitig. Doch getrost! vielleicht spielen Sie dafür den Verliebten alsdann, wann ihn andre nicht mehr spielen.

Adrast. Erlauben Sie, Mademoiselle; ich habe nur noch etwas Nötiges außer dem Hause zu besorgen.

Henriette. Was können Sie jetzt Nötigers zu tun haben, als um mich zu sein?

Adrast. Sie scherzen.

Henriette. Ich scherze?—Das war ein allerliebstes Kompliment!

Adrast. Ich mache nie welche.

Henriette. Was für ein mürrisches Gesicht!—Wissen Sie, daß wir uns über diese mürrischen Gesichter zanken werden, noch ehe uns die Trauung die Erlaubnis dazu erteilt?

Adrast. Wissen Sie, daß ein solcher Einfall in Ihrem Munde nicht eben der artigste ist?

Henriette. Vielleicht, weil Sie glauben, daß die leichtsinnigen Einfälle nur in Ihrem Munde wohl lassen? Unterdessen haben Sie doch wohl kein Privilegium darüber?

Adrast. Sie machen Ihre Dinge vortrefflich. Ein Frauenzimmer, das so fertig antworten kann, ist sehr viel wert.

Henriette. Das ist wahr; denn wir schwachen Werkzeuge wissen sonst den Mund am allerwenigsten zu gebrauchen.

Adrast. Wollte Gott!

Henriette. Ihr treuherziges Wollte Gott! bringt mich zum Lachen, so sehr ich auch böse sein wollte. Ich bin schon wieder gut, Adrast.

Adrast. Sie sehen noch einmal so reizend aus, wenn Sie böse sein wollen; denn es kömmt doch selten weiter damit, als bis zur Ernsthaftigkeit, und diese läßt Ihrem Gesichte um so viel schöner, je fremder sie in demselben ist. Eine beständige Munterkeit, ein immer anhaltendes Lächeln wird unschmackhaft.

Henriette (ernsthaft). Oh! mein guter Herr, wenn das Ihr Fall ist, ich will es Ihnen schmackhaft genug machen.

Adrast. Ich wollte wünschen,—denn noch habe ich Ihnen nichts vorzuschreiben,—

Henriette. Dieses Noch ist mein Glück. Aber was wollten Sie denn wünschen?

Adrast. Daß Sie sich ein klein wenig mehr nach dem Exempel Ihrer ältesten Mademoisell Schwester richten möchten. Ich verlange nicht, daß Sie ihre ganze sittsame Art an sich nehmen sollen; wer weiß, ob sie Ihnen so anstehen würde?—

Henriette. St! die Pfeife verrät das Holz, woraus sie geschnitten ist. Lassen Sie doch hören, ob meine dazu stimmt?

Adrast. Ich höre.

Henriette. Es ist recht gut, daß Sie auf das Kapitel von Exempeln gekommen sind. Ich habe Ihnen auch einen kleinen Vers daraus vorzupredigen.

Adrast. Was für eine Art sich auszudrücken!

Henriette. Hum! Sie denken, weil Sie nichts vom Predigen halten. Sie werden finden, daß ich eine Liebhaberin davon bin. Aber hören Sie nur:—(In seinem vorigen Tone.) Ich wollte wünschen,—denn noch habe ich Ihnen nichts vorzuschreiben,—

Adrast. Und werden es auch niemals haben.

Henriette. Ja so!—Streichen Sie also das weg.—Ich wollte wünschen, daß Sie sich ein klein wenig mehr nach dem Exempel des Herrn Theophans bilden möchten. Ich verlange nicht, daß Sie seine ganze gefällige Art an sich nehmen sollen, weil ich nichts Unmögliches verlangen mag; aber so etwas davon würde Sie um ein gut Teil erträglicher machen. Dieser Theophan, der nach weit strengern Grundsätzen lebt, als die Grundsätze eines gewissen Freigeistes sind, ist allezeit aufgeräumt und gesprächig. Seine Tugend, und noch sonst etwas, worüber Sie aber lachen werden, seine Frömmigkeit—Lachen Sie nicht?

Adrast. Lassen Sie sich nicht stören. Reden Sie nur weiter. Ich will unterdessen meinen Gang verrichten, und gleich wieder hier sein. (Geht ab.)

Henriette. Sie dürfen nicht eilen. Sie kommen, wann Sie kommen: Sie werden mich nie wieder so treffen.—Welche Grobheit! Soll ich mich wohl darüber erzürnen?—Ich will mich besinnen. (Geht auf der andern Seite ab.)

(Ende des dritten Aufzuges.)

Vierter Aufzug

Erster Auftritt

Juliane. Henriette. Lisette.

Henriette. Sage was du willst; sein Betragen ist nicht zu entschuldigen.

Juliane. Davon würde sich alsdann erst urteilen lassen, wann ich auch seine Gründe gehört hätte. Aber, meine liebe Henriette, willst du mir wohl eine kleine schwesterliche Ermahnung nicht übelnehmen?

Henriette. Das kann ich dir nicht voraus sagen. Wenn sie dahin abzielen sollte, wohin ich mir einbilde—

Juliane. Ja, wenn du mit deinen Einbildungen dazu kömmst—

Henriette. Oh! ich bin mit meinen Einbildungen recht wohl zufrieden. Ich kann ihnen nicht nachsagen, daß sie mich jemals sehr irregeführt hätten.

Juliane. Was meinst du damit?

Henriette. Muß man denn immer etwas meinen? Du weißt ja wohl,
Henriette schwatzt gerne in den Tag hinein, und sie erstaunt allezeit
selber, wenn sie von ohngefähr ein Pünktchen trifft, welches das
Pünktchen ist, das man nicht gerne treffen lassen möchte.

Juliane. Nun höre einmal, Lisette!

Henriette. Ja, Lisette, laß uns doch hören, was das für eine schwesterliche Ermahnung ist, die sie mir erteilen will.

Juliane. Ich dir eine Ermahnung?

Henriette. Mich deucht, du sprachst davon.

Juliane. Ich würde sehr übel tun, wenn ich dir das geringste sagen wollte.

Henriette. Oh! ich bitte—

Juliane. Laß mich!

Henriette. Die Ermahnung, Schwesterchen!—

Juliane. Du verdienst sie nicht.

Henriette. So erteile sie mir ohne mein Verdienst.

Juliane. Du wirst mich böse machen.

Henriette. Und ich,—ich bin es schon. Aber denke nur nicht, daß ich
es über dich bin. Ich bin es über niemanden, als über den Adrast.
Und was mich unversöhnlich gegen ihn macht, ist dieses, daß meine
Schwester seinetwegen gegen mich ungerecht werden muß.

Juliane. Von welcher Schwester sprichst du?

Henriette. Von welcher?—von der, die ich gehabt habe.

Juliane. Habe ich dich jemals so empfindlich gesehen!—Du weißt es,
Lisette, was ich gesagt habe.

Lisette. Ja, das weiß ich; und es war wirklich weiter nichts, als eine unschuldige Lobrede auf den Adrast, an der ich nur das auszusetzen hatte, daß sie Mamsell Henrietten eifersüchtig machen mußte.

Juliane. Eine Lobrede auf Adrasten?

Henriette. Mich eifersüchtig?

Lisette. Nicht so stürmisch!—So geht's den Leuten, die mit der
Wahrheit geradedurch wollen: sie machen es niemanden recht.

Henriette. Mich eifersüchtig? Auf Adrasten eifersüchtig? Ich werde, von heute an, den Himmel um nichts inbrünstiger anflehen, als um die Errettung aus den Händen dieses Mannes.

Juliane. Ich? eine Lobrede auf Adrasten? Ist das eine Lobrede, wenn ich sage, daß ein Mann einen Tag nicht wie den andern aufgeräumt sein kann? Wenn ich sage, daß Adrasten die Bitterkeit, worüber meine Schwester klagt, nicht natürlich ist und daß sie ein zugestoßener Verdruß bei ihm müsse erregt haben? Wenn ich sage, daß ein Mann, wie er, der sich mit finsteren Nachdenken vielleicht nur zu sehr beschäftiget—

Zweiter Auftritt

Adrast. Juliane. Henriette. Lisette.

Henriette. Als wenn Sie gerufen wären, Adrast! Sie verließen mich vorhin, unhöflich genug, mitten in der Erhebung des Theophans; aber das hindert mich nicht, daß ich Ihnen nicht die Wiederholung Ihrer eigenen anzuhören gönnen sollte.—Sie sehen sich um? Nach Ihrer Lobrednerin gewiß? Ich bin es nicht, wahrhaftig! ich bin es nicht; meine Schwester ist es. Eine Betschwester, die Lobrednerin eines Freigeistes! Was für ein Widerspruch! Entweder Ihre Bekehrung muß vor der Türe sein, Adrast, oder meiner Schwester Verführung.

Juliane. Wie ausgelassen sie wieder auf einmal ist.

Henriette. Stehen Sie doch nicht so hölzern da!

Adrast. Ich nehme Sie zum Zeugen, schönste Juliane, wie verächtlich sie mir begegnet.

Henriette. Komm nur, Lisette! wir wollen sie allein lassen. Adrast braucht ohne Zweifel unsere Gegenwart weder zu seiner Danksagung, noch zu meiner Verklagung.

Juliane. Lisette soll hierbleiben.

Henriette. Nein, sie soll nicht.

Lisette. Sie wissen wohl, ich gehöre heute Mamsell Henrietten.

Henriette. Aber bei dem allen sieh dich vor, Schwester! Wenn mir dein Theophan aufstößt, so sollst du sehen, was geschieht. Sie dürfen nicht denken, Adrast, daß ich dieses sage, um Sie eifersüchtig zu machen. Ich fühle es in der Tat, daß ich anfange, Sie zu hassen.

Adrast. Es möchte Ihnen auch schwerlich gelingen, mich eifersüchtig zu machen.

Henriette. Oh! das wäre vortrefflich, wenn Sie mir hierinne gleich wären. Alsdann, erst alsdann würde unsre Ehe eine recht glückliche Ehe werden. Freuen Sie sich, Adrast! wie verächtlich wollen wir einander begegnen!—Du willst antworten, Schwester? Nun ist es Zeit. Fort, Lisette!

Dritter Auftritt

Adrast. Juliane.

Juliane. Adrast, Sie werden Geduld mit ihr haben müssen.—Sie verdient es aber auch; denn sie hat das beste Herz von der Welt, so verdächtig es ihre Zunge zu machen sucht.

Adrast. Allzugütige Juliane! Sie hat das Glück, Ihre Schwester zu sein; aber wie schlecht macht sie sich dieses Glück zunutze? Ich entschuldige jedes Frauenzimmer, das ohne merkliche Fehler nicht hat aufwachsen können, weil es ohne Erziehung und Beispiele hat aufwachsen müssen; aber ein Frauenzimmer zu entschuldigen, das eine Juliane zum Muster gehabt hat, und eine Henriette geworden ist: bis dahin langt meine Höflichkeit nicht.—

Juliane. Sie sind aufgebracht, Adrast: wie könnten Sie billig sein?

Adrast. Ich weiß nicht, was ich jetzo bin; aber ich weiß, daß ich aus
Empfindung rede.—

Juliane. Die zu heftig ist, als daß sie lange anhalten sollte.

Adrast. So prophezeien Sie mir mein Unglück.

Juliane. Wie?—Sie vergessen, in was für Verbindung Sie mit meiner
Schwester stehen?

Adrast. Ach! Juliane, warum muß ich Ihnen sagen, daß ich kein Herz für Ihre Schwester habe?

Juliane. Sie erschrecken mich.—

Adrast. Und ich habe Ihnen nur noch die kleinste Hälfte von dem gesagt, was ich Ihnen sagen muß.

Juliane. So erlauben Sie, daß ich mir die größre erspare. (Sie will fortgehen.)

Adrast. Wohin? Ich hätte Ihnen meine Veränderung entdeckt, und Sie wollten die Gründe, die mich dazu bewogen haben, nicht anhören? Sie wollten mich mit dem Verdachte verlassen, daß ich ein unbeständiger, leichtsinniger Flattergeist sei?

Juliane. Sie irren sich. Nicht ich; mein Vater, meine Schwester, haben allein auf Ihre Rechtfertigungen ein Recht.

Adrast. Allein? Ach!—

Juliane. Halten Sie mich nicht länger—

Adrast. Ich bitte nur um einen Augenblick. Der größte Verbrecher wird gehört—

Juliane. Von seinem Richter, Adrast; und ich bin Ihr Richter nicht.

Adrast. Aber ich beschwöre Sie, es jetzt sein zu wollen. Ihr Vater, schönste Juliane, und Ihre Schwester werden mich verdammen, und nicht richten. Ihnen allein traue ich die Billigkeit zu, die mich beruhigen kann.

Juliane (beiseite). Ich glaube, er beredet mich, ihn anzuhören.—Nun wohl! so sagen Sie denn, Adrast, was Sie wider meine Schwester so eingenommen hat?

Adrast. Sie selbst hat mich wider sich eingenommen. Sie ist zu wenig Frauenzimmer, als daß ich sie als Frauenzimmer lieben könnte. Wenn ihre Lineamente nicht ihr Geschlecht bestärkten, so würde man sie für einen verkleideten wilden Jüngling halten, der zu ungeschickt wäre, seine angenommene Rolle zu spielen. Was für ein Mundwerk! Und was muß es für ein Geist sein, der diesen Mund in Beschäftigung erhält! Sagen Sie nicht, daß vielleicht Mund und Geist bei ihr wenig oder keine Verbindung miteinander haben. Desto schlimmer. Diese Unordnung, da ein jedes von diesen zwei Stücken seinen eignen Weg hält, macht zwar die Vergehungen einer solchen Person weniger strafbar; allein sie vernichtet auch alles Gute, was diese Person noch etwa an sich haben kann. Wenn ihre beißenden Spöttereien, ihre nachteiligen Anmerkungen deswegen zu übersehen sind, weil sie es, wie man zu reden pflegt, nicht so böse meinet; ist man nicht berechtiget, aus eben diesem Grunde dasjenige, was sie Rühmliches und Verbindliches sagt, ebenfalls für leere Töne anzusehen, bei welchen sie es vielleicht nicht so gut meinet? Wie kann man eines Art zu denken beurteilen, wenn man sie nicht aus seiner Art zu reden beurteilen soll? Und wenn der Schluß von der Rede auf die Gesinnung in dem einen Falle nicht gelten soll, warum soll er in dem andern gelten? Sie spricht mit dürren Worten, daß sie mich zu hassen anfange; und ich soll glauben, daß sie mich noch liebe? So werde ich auch glauben müssen, daß sie mich hasse, wenn sie sagen wird, daß sie mich zu lieben anfange.

Juliane. Adrast, Sie betrachten ihre kleinen Neckereien zu strenge, und verwechseln Falschheit mit Übereilung. Sie kann der letztern des Tages hundertmal schuldig werden; und von der erstern doch immer entfernt bleiben. Sie müssen es aus ihren Taten, und nicht aus ihren Reden, erfahren lernen, daß sie im Grunde die freundschaftlichste und zärtlichste Seele hat.

Adrast. Ach! Juliane, die Reden sind die ersten Anfänge der Taten, ihre Elemente gleichsam. Wie kann man vermuten, daß diejenige vorsichtig und gut handeln werde, der es nicht einmal gewöhnlich ist, vorsichtig und gut zu reden? Ihre Zunge verschont nichts, auch dasjenige nicht, was ihr das Heiligste von der Welt sein sollte. Pflicht, Tugend, Anständigkeit, Religion: alles ist ihrem Spotte ausgesetzt.—

Juliane. Stille, Adrast! Sie sollten der letzte sein, der diese
Anmerkung machte.

Adrast. Wieso?

Juliane. Wieso?—Soll ich aufrichtig reden?

Adrast. Als ob Sie anders reden könnten.—

Juliane. Wie, wenn das ganze Betragen meiner Schwester, ihr Bestreben leichtsinniger zu scheinen, als sie ist, ihre Begierde Spöttereien zu sagen, sich nur von einer gewissen Zeit herschrieben? Wie, wenn diese gewisse Zeit die Zeit Ihres Hierseins wäre, Adrast?

Adrast. Was sagen Sie?

Juliane. Ich will nicht sagen, daß Sie ihr mit einem bösen Exempel vorgegangen wären. Allein wozu verleitet uns nicht die Begierde zu gefallen? Wenn Sie Ihre Gesinnungen auch noch weniger geäußert hätten: —und Sie haben sie oft deutlich genug geäußert.—so würde sie Henriette doch erraten haben. Und sobald sie dieselben erriet, so bald war der Schluß, sich durch die Annehmung gleicher Gesinnungen bei Ihnen beliebt zu machen, für ein lebhaftes Mädchen sehr natürlich. Wollen Sie wohl nun so grausam sein, und ihr dasjenige als ein Verbrechen anrechnen, wofür Sie ihr, als für eine Schmeichelei, danken sollten?

Adrast. Ich danke niemanden, der klein genug ist, meinetwegen seinen
Charakter zu verlassen; und derjenige macht mir eine schlechte
Schmeichelei, der mich für einen Toren hält, welchem nichts als seine
Art gefalle, und der überall gern kleine Kopien und verjüngte
Abschilderungen von sich selbst sehen möchte.

Juliane. Aber auf diese Art werden Sie wenig Proselyten machen.

Adrast. Was denken Sie von mir, schönste Juliane? Ich Proselyten machen? Rasendes Unternehmen! Wem habe ich meine Gedanken jemals anschwatzen oder aufdringen wollen? Es sollte mir leid tun, sie unter den Pöbel gebracht zu wissen. Wenn ich sie oft laut und mit einer gewissen Heftigkeit verteidiget habe, so ist es in der Absicht, mich zu rechtfertigen, nicht, andere zu überreden, geschehen. Wenn meine Meinungen zu gemein würden, so würde ich der erste sein, der sie verließe, und die gegenseitigen annähme.

Juliane. Sie suchen also nur das Sonderbare?

Adrast. Nein, nicht das Sonderbare, sondern bloß das Wahre; und ich kann nicht dafür, wenn jenes, leider! eine Folge von diesem ist. Es ist mir unmöglich zu glauben, daß die Wahrheit gemein sein könne; ebenso unmöglich, als zu glauben, daß in der ganzen Welt auf einmal Tag sein könne. Das, was unter der Gestalt der Wahrheit unter allen Völkern herumschleicht, und auch von den Blödsinnigsten angenommen wird, ist gewiß keine Wahrheit, und man darf nur getrost die Hand, sie zu entkleiden, anlegen, so wird man den scheußlichsten Irrtum nackend vor sich stehen sehen.

Juliane. Wie elend sind die Menschen, und wie ungerecht ihr Schöpfer, wenn Sie recht haben, Adrast! Es muß entweder gar keine Wahrheit sein, oder sie muß von der Beschaffenheit sein, daß sie von den meisten, ja von allen, wenigstens im Wesentlichsten, empfunden werden kann.

Adrast. Es liegt nicht an der Wahrheit, daß sie es nicht werden kann, sondern an den Menschen.—Wir sollen glücklich in der Welt leben; dazu sind wir erschaffen; dazu sind wir einzig und allein erschaffen. Sooft die Wahrheit diesem großen Endzwecke hinderlich ist, sooft ist man verbunden, sie beiseite zu setzen; denn nur wenig Geister können in der Wahrheit selbst ihr Glück finden. Man lasse daher dem Pöbel seine Irrtümer; man lasse sie ihm, weil sie ein Grund seines Glückes und die Stütze des Staates sind, in welchem er für sich Sicherheit, Überfluß und Freude findet. Ihm die Religion nehmen, heißt ein wildes Pferd auf der fetten Weide losbinden, das, sobald es sich frei fühlt, lieber in unfruchtbaren Wäldern herumschweifen und Mangel leiden, als durch einen gemächlichen Dienst alles, was es braucht, erwerben will.— Doch nicht für den Pöbel allein, auch noch für einen andern Teil des menschlichen Geschlechts muß man die Religion beibehalten. Für den schönsten Teil, meine ich, dem sie eine Art von Zierde, wie dort eine Art von Zaume ist. Das Religiöse stehet der weiblichen Bescheidenheit sehr wohl; es gibt der Schönheit ein gewisses edles, gesetztes und schmachtendes Ansehen—

Juliane. Halten Sie, Adrast! Sie erweisen meinem Geschlechte ebensowenig Ehre, als der Religion. Jenes setzen Sie mit dem Pöbel in eine Klasse, so fein auch Ihre Wendung war; und diese machen Sie aufs höchste zu einer Art von Schminke, die das Geräte auf unsern Nachttischen vermehren kann. Nein, Adrast! die Religion ist eine Zierde für alle Menschen; und muß ihre wesentlichste Zierde sein. Ach! Sie verkennen sie aus Stolze; aber aus einem falschen Stolze. Was kann unsre Seele mit erhabenern Begriffen füllen, als die Religion? Und worin kann die Schönheit der Seele anders bestehen, als in solchen Begriffen? in würdigen Begriffen von Gott, von uns, von unsern Pflichten, von unserer Bestimmung? Was kann unser Herz, diesen Sammelplatz verderbter und unruhiger Leidenschaften, mehr reinigen, mehr beruhigen, als eben diese Religion? Was kann uns im Elende mehr aufrichten, als sie? Was kann uns zu wahrern Menschen, zu bessern Bürgern, zu aufrichtigern Freunden machen, als sie?—Fast schäme ich mich, Adrast, mit Ihnen so ernstlich zu reden. Es ist der Ton ohne Zweifel nicht, der Ihnen an einem Frauenzimmer gefällt, ob Ihnen gleich der entgegengesetzte ebensowenig zu gefallen scheinet. Sie könnten alles dieses aus einem beredtern Munde, aus dem Munde des Theophans hören.

Vierter Auftritt

Henriette. Juliane. Adrast.

Henriette (bleibt an der Szene horchend stehen). St!

Adrast. Sagen Sie mir nichts vom Theophan. Ein Wort von Ihnen hat mehr Nachdruck, als ein stundenlanges Geplärre von ihm. Sie wundern sich? Kann es bei der Macht, die eine Person über mich haben muß, die ich einzig liebe, die ich anbete, anders sein?—Ja, die ich liebe.— Das Wort ist hin! es ist gesagt! Ich bin mein Geheimnis los, bei dessen Verschweigung ich mich ewig gequälet hätte, von dessen Entdeckung ich aber darum nichts mehr hoffe.—Sie entfärben sich?—

Juliane. Was habe ich gehört? Adrast!—

Adrast (indem er niederfällt). Lassen Sie mich es Ihnen auf den Knien zuschwören, daß Sie die Wahrheit gehört haben.—Ich liebe Sie, schönste Juliane, und werde Sie ewig lieben. Nun, nun liegt mein Herz klar und aufgedeckt vor Ihnen da. Umsonst wollte ich mich und andere bereden, daß meine Gleichgültigkeit gegen Henrietten die Wirkung an ihr bemerkter nachteiliger Eigenschaften sei; da sie doch nichts, als die Wirkung einer schon gebundenen Neigung war. Ach! die liebenswürdige Henriette hat vielleicht keinen andern Fehler, als diesen, daß sie eine noch liebenswürdigere Schwester hat.—

Henriette. Bravo! die Szene muß ich den Theophan unterbrechen lassen.
—(Geht ab.)

Fünfter Auftritt

Juliane. Adrast.

Adrast (indem er gähling aufsteht). Wer sprach hier?

Juliane. Himmel! es war Henriettens Stimme.

Adrast. Ja, sie war es. Was für eine Neugierde! was für ein Vorwitz! Nein, nein! ich habe nichts zu widerrufen; sie hat alle die Fehler, die ich ihr beigelegt, und noch weit mehrere. Ich könnte sie nicht lieben, und wenn ich auch schon vollkommen frei, vollkommen gleichgültig gegen eine jede andere wäre.

Juliane. Was für Verdruß, Adrast, werden Sie mir zuziehen!

Adrast. Sorgen Sie nicht! Ich werde Ihnen allen diesen Verdruß durch meine plötzliche Entfernung zu ersparen wissen.

Juliane. Durch Ihre Entfernung?

Adrast. Ja, sie ist fest beschlossen. Meine Umstände sind von der Beschaffenheit, daß ich die Güte Lisidors mißbrauchen würde, wenn ich länger bliebe. Und über dieses will ich lieber meinen Abschied nehmen, als ihn bekommen.

Juliane. Sie überlegen nicht, was Sie sagen, Adrast. Von wem sollten
Sie ihn bekommen?

Adrast. Ich kenne die Väter, schönste Juliane, und kenne auch die Theophane. Erlauben Sie, daß ich mich nicht näher erklären darf. Ach! wenn ich mir schmeicheln könnte, daß Juliane—Ich sage nichts weiter. Ich will mir mit keiner Unmöglichkeit schmeicheln. Nein, Juliane kann den Adrast nicht lieben; sie muß ihn hassen.—

Juliane. Ich hasse niemanden, Adrast.—

Adrast. Sie hassen mich; denn hier ist Hassen eben das, was
Nichtlieben ist. Sie lieben den Theophan.—Ha! hier kömmt er selbst.

Sechster Auftritt

Theophan. Adrast. Juliane.

Juliane (beiseite). Was wird er sagen? was werde ich antworten?

Adrast. Ich kann mir es einbilden, auf wessen Anstiften Sie herkommen. Aber was glaubt sie damit zu gewinnen? Mich zu verwirren? mich wieder an sich zu ziehen?—Wie wohl läßt es Ihnen, Theophan, und Ihrem ehrwürdigen Charakter, das Werkzeug einer weiblichen Eifersucht zu sein! Oder kommen Sie gar, mich zur Rede zu setzen? Ich werde Ihnen alles gestehen; ich werde noch stolz darauf sein.

Theophan. Wovon reden Sie, Adrast? Ich verstehe kein Wort.

Juliane. Erlauben Sie, daß ich mich entferne. Theophan, ich schmeichle mir, daß Sie einige Hochachtung für mich haben; Sie werden keine ungerechte Auslegungen machen, und wenigstens glauben, daß ich meine Pflicht kenne, und daß sie mir zu heilig ist, sie auch nur in Gedanken zu verletzen.

Theophan. Verziehen Sie doch.—Was sollen diese Reden? Ich verstehe
Sie so wenig, als ich den Adrast verstanden habe.

Juliane. Es ist mir lieb, daß Sie aus einer unschuldigen Kleinigkeit nichts machen wollen. Aber lassen Sie mich—(Geht ab.)

Siebenter Auftritt

Adrast. Theophan.

Theophan. Ihre Geliebte, Adrast, schickte mich hierher: Ich würde hier nötig sein, sagte sie. Ich eile, und bekomme lauter Rätsel zu hören.

Adrast. Meine Geliebte?—Ei! wie fein haben Sie dieses angebracht!
Gewiß, Sie konnten Ihre Vorwürfe nicht kürzer fassen.

Theophan. Meine Vorwürfe? Was habe ich Ihnen denn vorzuwerfen?'

Adrast. Wollen Sie etwa die Bestätigung aus meinem Munde hören?

Theophan. Sagen Sie mir nur, was Sie bestätigen wollen? Ich stehe ganz erstaunt hier.—

Adrast. Das geht zu weit. Welche kriechende Verstellung! Doch damit sie Ihnen endlich nicht zu sauer wird, so will ich Sie mit Gewalt zwingen, sie abzulegen.—Ja, es ist alles wahr, was Ihnen Henriette hinterbracht hat. Sie war niederträchtig genug, uns zu behorchen.— Ich liebe Julianen, und habe ihr meine Liebe gestanden.—

Theophan. Sie lieben Julianen?

Adrast (spöttisch). Und was das Schlimmste dabei ist, ohne den
Theophan um Erlaubnis gebeten zu haben.

Theophan. Stellen Sie sich deswegen zufrieden. Sie haben nur eine sehr kleine Formalität übergangen.

Adrast. Ihre Gelassenheit, Theophan, ist hier nichts Besonders. Sie glauben Ihrer Sachen gewiß zu sein.—Und ach! wenn Sie es doch weniger wären! Wenn ich doch nur mit der geringsten Wahrscheinlichkeit hinzusetzen könnte, daß Juliane auch mich liebe. Was für eine Wollust sollte mir das Erschrecken sein, das sich in Ihrem Gesichte verraten würde! Was für ein Labsal für mich, wenn ich Sie seufzen hörte, wenn ich Sie zittern sähe! Wie würde ich mich freuen, wenn Sie Ihre ganze Wut an mir auslassen, und mich voller Verzweiflung, ich weiß nicht wohin, verwünschen müßten!

Theophan. So könnte Sie wohl kein Glück entzücken, wenn es nicht durch das Unglück eines andern gewürzt würde?—Ich bedaure den Adrast! Die Liebe muß alle ihre verderbliche Macht an ihm verschwendet haben, weil er so unanständig reden kann.

Adrast. Wohl! an dieser Miene, an dieser Wendung erinnere ich mich, was ich bin. Es ist wahr, ich bin Ihr Schuldner, Theophan: und gegen seine Schuldner hat man das Recht, immer ein wenig groß zu tun;—doch Geduld! ich hoffe es nicht lange mehr zu sein. Es hat sich noch ein ehrlicher Mann gefunden, der mich aus dieser Verlegenheit reißen will. Ich weiß nicht, wo er bleibt. Seinem Versprechen gemäß, hätte er bereits mit dem Gelde hier sein sollen. Ich werde wohltun, wenn ich ihn hole.

Theophan. Aber noch ein Wort, Adrast. Ich will Ihnen mein ganzes
Herz entdecken.—

Adrast. Diese Entdeckung würde mich nicht sehr belustigen. Ich gehe, und bald werde ich Ihnen mit einem kühnern Gesichte unter die Augen treten können. (Geht ab.)

Theophan (allein). Unbiegsamer Geist! Fast verzweifle ich an meinem Unternehmen. Alles ist bei ihm umsonst. Aber was würde er gesagt haben, wenn er mir Zeit gelassen hätte, ihn für sein Geständnis, mit einem andern ähnlichen Geständnisse zu bezahlen?—Sie kömmt.

Achter Auftritt

Henriette. Lisette. Theophan.

Henriette. Nun? Theophan, habe ich Sie nicht zu einem artigen
Anblicke verholfen?

Theophan. Sie sind leichtfertig, schöne Henriette. Aber was meinen Sie für einen Anblick? Kaum daß ich die Hauptsache mit Mühe und Not begriffen habe.

Henriette. O schade!—Sie kamen also zu langsam? und Adrast lag nicht mehr vor meiner Schwester auf den Knien?

Theophan. So hat er vor ihr auf den Knien gelegen?

Lisette. Leider für Sie alle beide!

Henriette. Und meine Schwester stand da,—ich kann es Ihnen nicht beschreiben,—stand da, fast, als wenn sie ihn in dieser unbequemen Stellung gerne gesehen hätte. Sie dauern mich, Theophan!—

Theophan. Soll ich Sie auch bedauren, mitleidiges Kind?

Henriette. Mich bedauren? Sie sollen mir Glück wünschen.

Lisette. Aber nein; so etwas schreit um Rache!

Theophan. Und wie meint Lisette denn, daß man sich rächen könne?

Lisette. Sie wollen sich also doch rächen?

Theophan. Vielleicht.

Lisette. Und Sie sich auch, Mamsell?

Henriette. Vielleicht.

Lisette. Gut! das sind zwei Vielleicht, womit sich etwas anfangen läßt.

Theophan. Aber es ist noch sehr ungewiß, ob Juliane den Adrast wiederliebt; und wenn dieses nicht ist, so würde ich zu zeitig auf Rache denken.

Lisette. Oh! die christliche Seele! Nun überlegt sie erst, daß man sich nicht rächen soll.

Theophan. Nicht so spöttisch, Lisette! Es würde hier von einer sehr unschuldigen Rache die Rede sein.

Henriette. Das meine ich auch; von einer sehr unschuldigen.

Lisette. Wer leugnet das? von einer so unschuldigen, daß man sich
mit gutem Gewissen darüber beratschlagen kann. Hören Sie nur! Ihre
Rache, Herr Theophan, wäre eine männliche Rache, nicht wahr? und Ihre
Rache, Mamsell Henriette, wäre eine weibliche Rache: eine männliche
Rache—nun, und eine weibliche Rache—Ja! wie bringe ich wohl das
Ding recht gescheut herum?

Henriette. Du bist eine Närrin mitsamt deinen Geschlechtern.

Lisette. Helfen Sie mir doch ein wenig, Herr Theophan.—Was meinen Sie dazu? Wenn zwei Personen einerlei Weg gehen müssen, nicht wahr? so ist es gut, daß diese zwei Personen einander Gesellschaft leisten?

Theophan. Jawohl; aber vorausgesetzt, daß diese zwei Personen einander leiden können.

Henriette. Das war der Punkt!

Lisette (beiseite). Will denn keines anbeißen? Ich muß einen andern
Zipfel fassen.—Es ist schon wahr, was Herr Theophan vorhin sagte, daß
es nämlich noch sehr ungewiß sei, ob Mamsell Juliane den Adrast liebe.
Ich setze sogar hinzu. Es ist noch sehr ungewiß, ob Herr Adrast
Mamsell Julianen wirklich liebt.

Henriette. O schweig, du unglückliche Zweiflerin. Es soll nun aber gewiß sein!

Lisette. Die Mannspersonen bekommen dann und wann gewisse Anfälle von einer gewissen wetterwendischen Krankheit, die aus einer gewissen Überladung des Herzens entspringt.

Henriette. Aus einer Überladung des Herzens? Schön gegeben!

Lisette. Ich will Ihnen gleich sagen, was das heißt. So wie Leute, die sich den Magen überladen haben, nicht eigentlich mehr wissen, was ihnen schmeckt, und was ihnen nicht schmeckt: so geht es auch den Leuten, die sich das Herz überladen haben. Sie wissen selbst nicht mehr, auf welche Seite das überladene Herz hinhängt, und da trifft es sich denn wohl, daß kleine Irrungen in der Person daraus entstehen.— Habe ich nicht recht, Herr Theophan?

Theophan. Ich will es überlegen.

Lisette. Sie sind freilich eine weit bessere Art von Mannspersonen, und ich halte Sie für allzu vorsichtig, als daß Sie Ihr Herz so überladen sollten.—Aber wissen Sie wohl, was ich für einen Einfall habe, wie wir gleichwohl hinter die Wahrheit mit dem Herrn Adrast und der Mamsell Juliane kommen wollen?

Theophan. Nun?

Henriette. Du würdest mich neugierig machen, wenn ich nicht schon hinter der Wahrheit wäre.—

Lisette. Wie? wenn wir einen gewissen blinden Lärm machten?

Henriette. Was ist das wieder?

Lisette. Ein blinder Lärm ist ein Lärm wohinter nichts ist; der aber doch die Gabe hat, den Feind—zu einer gewissen Aufmerksamkeit zu bringen.—Zum Exempel: Um zu erfahren, ob Mamsell Juliane den Adrast liebe, müßte sich Herr Theophan in jemand anders verliebt stellen; und um zu erfahren, ob Adrast Mamsell Julianen liebe, müßten Sie sich in jemand anders verliebt stellen. Und da es nun nicht lassen würde, wenn sich Herr Theophan in mich verliebt stellte, noch viel weniger, wenn Sie sich in seinen Martin verliebt stellen wollten: so wäre, kurz und gut, mein Rat, Sie stellten sich beide ineinander verliebt.—Ich rede nur von Stellen; merken Sie wohl, was ich sage! nur von Stellen; denn sonst könnte der blinde Lärm auf einmal Augen kriegen.—Nun sagen Sie mir beide, ist der Anschlag nicht gut?

Theophan (beiseite). Wo ich nicht gehe, so wird sie noch machen, daß ich mich werde erklären müssen.—Der Anschlag ist so schlimm nicht; aber—

Lisette. Sie sollen sich ja nur stellen.—

Theophan. Das Stellen eben ist es, was mir dabei nicht gefällt.

Lisette. Und Sie, Mamsell?

Henriette. Ich bin auch keine Liebhaberin vom Stellen.

Lisette. Besorgen Sie beide etwa, daß Sie es zu natürlich machen möchten?—Was stehen Sie so auf dem Sprunge, Herr Theophan? Was stehen Sie so in Gedanken, Mamsell?

Henriette. Oh! geh; es wäre in meinem Leben das erstemal.

Theophan. Ich muß mich auf einige Augenblicke beurlauben, schönste
Henriette.—

Lisette. Es ist nicht nötig. Sie sollen mir wahrhaftig nicht nachsagen, daß ich Sie weggeplaudert habe. Kommen Sie, Mamsell!—

Henriette. Es ist auch wahr, dein Plaudern ist manchmal recht ärgerlich. Komm!—Theophan, soll ich sagen, daß Sie nicht lange weg sein werden?

Theophan. Wenn ich bitten darf.—

(Henriette und Lisette geben auf der einen Seite ab. Indem Theophan auf der andern abgeben will, begegnet ihm der Wechsler.)

Neunter Auftritt

Theophan. Der Wechsler.

Der Wechsler. Sie werden verzeihen, mein Herr. Ich möchte nur ein
Wort mit dem Herrn Adrast sprechen.

Theophan. Eben jetzt ist er ausgegangen. Wollen Sie mir es auftragen?—

Der Wechsler. Wenn ich so frei sein darf.—Er hat eine Summe Geldes bei mir aufnehmen wollen, die ich ihm auch anfangs versprach. Ich habe aber nunmehr Bedenklichkeiten gefunden, und ich komme, es ihm wieder abzusagen: das ist es alles.

Theophan. Bedenklichkeiten, mein Herr? Was für Bedenklichkeiten? doch wohl keine von seiten des Adrast?

Der Wechsler. Warum nicht?

Theophan. Ist er kein Mann von Kredit?

Der Wechsler. Kredit, mein Herr, Sie werden wissen, was das ist. Man kann heute Kredit haben, ohne gewiß zu sein, daß man ihn morgen haben wird. Ich habe seine jetzigen Umstände erfahren.—

Theophan (beiseite). Ich muß mein möglichstes tun, daß diese nicht auskommen.—Sie müssen die falschen erfahren haben.—Kennen Sie mich, mein Herr?—

Der Wechsler. Von Person nicht; vielleicht, wenn ich Ihren Namen hören sollte.—

Theophan. Theophan.

Der Wechsler. Ein Name, von dem ich allezeit das Beste gehört habe.

Theophan. Wenn Sie dem Herrn Adrast die verlangte Summe nicht auf seine Unterschrift geben wollen, wollen Sie es wohl auf die meinige tun?

Der Wechsler. Mit Vergnügen.

Theophan. Haben Sie also die Güte, mich auf meine Stube zu begleiten. Ich will Ihnen die nötigen Versicherungen ausstellen; wobei es bloß darauf ankommen wird, diese Bürgschaft vor dem Adrast selbst geheim zu halten.

Der Wechsler. Vor ihm selbst?

Theophan. Allerdings; um ihm den Verdruß über Ihr Mißtrauen zu ersparen.—

Der Wechsler. Sie müssen ein großmütiger Freund sein.

Theophan. Lassen Sie uns nicht länger verziehen.

(Gehen ab.)

(Ende des vierten Aufzuges.)

Fünfter Aufzug

Erster Auftritt

Der Wechsler, von der einen Seite, und von der andern Adrast.

Adrast (vor sich). Ich habe meinen Mann nicht finden können.—

Der Wechsler (vor sich). So lasse ich es mir gefallen.—

Adrast. Aber sieh da!—Ei! mein Herr, finde ich Sie hier? So sind wir ohne Zweifel einander fehlgegangen?

Der Wechsler. Es ist mir lieb, mein Herr Adrast, daß ich Sie noch treffe.

Adrast. Ich habe Sie in Ihrer Wohnung gesucht. Die Sache leidet keinen Aufschub. Ich kann mich doch noch auf Sie verlassen?

Der Wechsler. Nunmehr, ja.

Adrast. Nunmehr? Was wollen Sie damit?

Der Wechsler. Nichts. Ja, Sie können sich auf mich verlassen.

Adrast. Ich will nicht hoffen, daß Sie einiges Mißtrauen gegen mich haben?

Der Wechsler. Im geringsten nicht.

Adrast. Oder, daß man Ihnen einiges beizubringen gesucht hat?

Der Wechsler. Noch viel weniger.

Adrast. Wir haben bereits miteinander zu tun gehabt, und Sie sollen mich auch künftig als einen ehrlichen Mann finden.

Der Wechsler. Ich bin ohne Sorgen.

Adrast. Es liegt meiner Ehre daran, diejenigen zuschanden zu machen, die boshaft genug sind, meinen Kredit zu schmälern.

Der Wechsler. Ich finde, daß man das Gegenteil tut.

Adrast. Oh! sagen Sie das nicht. Ich weiß wohl, daß ich meine
Feinde habe—

Der Wechsler. Sie haben aber auch Ihre Freunde.—

Adrast. Aufs höchste dem Namen nach. Ich würde auszulachen sein, wenn ich auf sie rechnen wollte.—Und glauben Sie, mein Herr, daß es mir nicht einmal lieb ist, daß Sie, in meiner Abwesenheit, hier in diesem Hause gewesen sind?

Der Wechsler. Und es muß Ihnen doch lieb sein.

Adrast. Es ist zwar das Haus, zu welchem ich mir nichts als Gutes versehen sollte; aber eine gewisse Person darin, mein Herr, eine gewisse Person—Ich weiß, ich würde es empfunden haben, wenn Sie mit derselben gesprochen hätten.

Der Wechsler. Ich habe eigentlich mit niemanden gesprochen; diejenige Person aber, bei welcher ich mich nach Ihnen erkundigte, hat die größte Ergebenheit gegen Sie bezeugt.

Adrast. Ich kann es Ihnen wohl sagen, wer die Person ist, vor deren übeln Nachrede ich mich einigermaßen fürchte. Es wird sogar gut sein, wenn Sie es wissen, damit Sie, wenn Ihnen nachteilige Dinge von mir zu Ohren kommen sollten, den Urheber kennen.

Der Wechsler. Ich werde nicht nötig haben, darauf zu hören.

Adrast. Aber doch—Mit einem Worte, es ist Theophan.

Der Wechsler (erstaunt). Theophan?

Adrast. Ja, Theophan. Er ist mein Feind—

Der Wechsler. Theophan Ihr Feind?

Adrast. Sie erstaunen?

Der Wechsler. Nicht ohne die größte Ursache.—

Adrast. Ohne Zweifel weil Sie glauben, daß ein Mann von seinem Stande nicht anders, als großmütig und edel sein könne?—

Der Wechsler. Mein Herr—

Adrast. Er ist der gefährlichste Heuchler, den ich unter seinesgleichen noch jemals gefunden habe.

Der Wechsler. Mein Herr—

Adrast. Er weiß, daß ich ihn kenne, und gibt sich daher alle Mühe, mich zu untergraben.—

Der Wechsler. Ich bitte Sie—

Adrast. Wenn Sie etwa eine gute Meinung von ihm haben, so irren Sie sich sehr. Vielleicht zwar, daß Sie ihn nur von der Seite seines Vermögens kennen; und wider dieses habe ich nichts: er ist reich; aber eben sein Reichtum schafft ihm Gelegenheit, auf die allerfeinste Art schaden zu können.

Der Wechsler. Was sagen Sie?

Adrast. Er wendet unbeschreibliche Ränke an, mich aus diesem Hause zu bringen; Ränke, denen er ein so unschuldiges Ansehen geben kann, daß ich selbst darüber erstaune.

Der Wechsler. Das ist zu arg! Länger kann ich durchaus nicht schweigen. Mein Herr, Sie hintergehen sich auf die erstaunlichste Art. —

Adrast. Ich mich?

Der Wechsler. Theophan kann das unmöglich sein, wofür Sie ihn ausgeben. Hören Sie alles! Ich kam hierher, mein Ihnen gegebenes Wort wieder zurückezunehmen. Ich hatte von sicherer Hand, nicht vom Theophan, Umstände von Ihnen erfahren, die mich dazu nötigten. Ich fand ihn hier, und ich glaubte, es ihm ohne Schwierigkeit sagen zu dürfen—

Adrast. Dem Theophan? Wie wird sich der Niederträchtige gekitzelt haben!

Der Wechsler. Gekitzelt? Er hat auf das nachdrücklichste für Sie gesprochen. Und kurz, wenn ich Ihnen mein erstes Versprechen halte, so geschieht es bloß in Betrachtung seiner.

Adrast. In Betrachtung seiner?—Wo bin ich?

Der Wechsler. Er hat mir schriftliche Versicherungen gegeben, die ich als eine Bürgschaft für Sie ansehen kann. Zwar hat er mir es zugleich verboten, jemanden das geringste davon zu sagen: allein ich konnte es unmöglich anhören, daß ein rechtschaffener Mann so unschuldig verlästert würde. Sie können die verlangte Summe bei mir abholen lassen, wann es Ihnen beliebt. Nur werden Sie mir den Gefallen tun und sich nichts gegen ihn merken lassen. Er bezeugte bei dem ganzen Handel so viel Aufrichtigkeit und Freundschaft für Sie, daß er ein Unmensch sein müßte, wenn er die Verstellung bis dahin treiben könnte.- -Leben Sie wohl! (Geht ab.)

Zweiter Auftritt

Adrast.—Was für ein neuer Streich!—Ich kann nicht wieder zur mir selbst kommen!—Es ist nicht auszuhalten!—Verachtungen, Beleidigungen, —Beleidigungen in dem Gegenstande, der ihm der liebste sein muß:— alles ist umsonst; nichts will er fühlen. Was kann ihn so verhärten? Die Bosheit allein, die Begierde allein, seine Rache reif werden zu lassen.—Wen sollte dieser Mann nicht hinter das Licht führen? Ich weiß nicht, was ich denken soll. Er dringt seine Wohltaten mit einer Art auf—Aber verwünscht sind seine Wohltaten, und seine Art! Und wenn auch keine Schlange unter diesen Blumen läge, so würde ich ihn doch nicht anders als hassen können. Hassen werde ich ihn, und wenn er mir das Leben rettete. Er hat mir das geraubt, was kostbarer ist, als das Leben: das Herz meiner Juliane; ein Raub, den er nicht ersetzen kann, und wenn er sich mir zu eigen schenkte. Doch er will ihn nicht ersetzen; ich dichte ihm noch eine zu gute Meinung an.—

Dritter Auftritt

Theophan. Adrast.

Theophan. In welcher heftigen Bewegung treffe ich Sie abermals Adrast?

Adrast. Sie ist Ihr Werk.

Theophan. So muß sie eines von denen Werken sein, die wir alsdann wider unsern Willen hervorbringen, wann wir uns am meisten nach ihrem Gegenteile bestreben. Ich wünsche nichts, als Sie ruhig zu sehen, damit Sie mit kaltem Blute von einer Sache mit mir reden könnten, die uns beide nicht näher angehen kann.

Adrast. Nicht wahr, Theophan? es ist der höchste Grad der List, wenn man alle seine Streiche so zu spielen weiß, daß die, denen man sie spielt, selbst nicht wissen, ob und was für Vorwürfe sie uns machen sollen?

Theophan. Ohne Zweifel.

Adrast. Wünschen Sie sich Glück: Sie haben diesen Grad erreicht.

Theophan. Was soll das wieder?

Adrast. Ich versprach Ihnen vorhin, die bewußten Wechsel zu bezahlen— (spöttisch) Sie werden es nicht übelnehmen, es kann nunmehr nicht sein. Ich will Ihnen, anstatt der zerrissenen, andere Wechsel schreiben.

Theophan (in eben dem Tone). Es ist wahr, ich habe sie in keiner andern Absicht zerrissen, als neue von Ihnen zu bekommen.—

Adrast. Es mag Ihre Absicht gewesen sein, oder nicht: Sie sollen sie haben.—Wollten Sie aber nicht etwa gern erfahren, warum ich sie nunmehr nicht bezahlen kann?

Theophan. Nun?

Adrast. Weil ich die Bürgschaften nicht liebe.

Theophan. Die Bürgschaften?

Adrast. Ja; und weil ich Ihrer Rechten nichts geben mag, was ich aus
Ihrer Linken nehmen müßte.

Theophan (beiseite). Der Wechsler hat mir nicht reinen Mund gehalten!

Adrast. Sie verstehen mich doch?

Theophan. Ich kann es nicht mit Gewißheit sagen.

Adrast. Ich gebe mir alle Mühe, Ihnen auf keine Weise verbunden zu sein: muß es mich also nicht verdrießen, daß Sie mich in den Verdacht bringen, als ob ich es gleichwohl zu sein Ursache hätte?

Theophan. Ich erstaune über Ihre Geschicklichkeit, alles auf der schlimmsten Seite zu betrachten.

Adrast. Und wie Sie gehört haben, so bin ich über die Ihrige erstaunt, diese schlimme Seite so vortrefflich zu verbergen. Noch weiß ich selbst nicht eigentlich, was ich davon denken soll.

Theophan. Weil Sie das Natürlichste davon nicht denken wollen.

Adrast. Dieses Natürlichste, meinen Sie vielleicht, wäre das, wenn ich dächte, daß Sie diesen Schritt aus Großmut, aus Vorsorge für meinen guten Namen getan hätten? Allein, mit Erlaubnis, hier wäre es gleich das Unnatürlichste.

Theophan. Sie haben doch wohl recht. Denn wie wäre es immer möglich, daß ein Mann von meinem Stande nur halb so menschliche Gesinnungen haben könnte?

Adrast. Lassen Sie uns Ihren Stand einmal beiseite setzen.

Theophan. Sollten Sie das wohl können?—

Adrast. Gesetzt also, Sie wären keiner von den Leuten, die, den Charakter der Frömmigkeit zu behaupten, ihre Leidenschaften so geheim, als möglich, halten müssen; die anfangs aus Wohlstand heucheln lernen, und endlich die Heuchelei als eine zweite Natur beibehalten; die nach ihren Grundsätzen verbunden sind, sich ehrlicher Leute, welche sie die Kinder der Welt nennen, zu entziehen, oder wenigstens aus keiner andern Absicht Umgang mit ihnen zu pflegen, als aus der niederträchtigen Absicht, sie auf ihre Seite zu lenken; gesetzt, Sie wären keiner von diesen: sind Sie nicht wenigstens ein Mensch, der Beleidigungen empfindet? Und auf einmal alles in allem zu sagen:— Sind Sie nicht ein Liebhaber, welcher Eifersucht fühlen muß?

Theophan. Es ist mir angenehm, daß Sie endlich auf diesen Punkt herauskommen.

Adrast. Vermuten Sie aber nur nicht, daß ich mit der geringsten
Mäßigung davon sprechen werde.

Theophan. So will ich es versuchen, desto mehrere dabei zu brauchen.

Adrast. Sie lieben Julianen, und ich—ich—was suche ich lange noch Worte?—Ich hasse Sie wegen dieser Liebe, ob ich gleich kein Recht auf den geliebten Gegenstand habe; und Sie, der Sie ein Recht darauf haben, sollten mich, der ich Sie um dieses Recht beneide, nicht auch hassen?

Theophan. Gewiß, ich sollte nicht.—Aber lassen Sie uns doch das
Recht untersuchen, das Sie und ich auf Julianen haben.

Adrast. Wenn dieses Recht auf die Stärke unserer Liebe ankäme, so würde ich es Ihnen vielleicht noch streitig machen. Es ist Ihr Glück, daß es auf die Einwilligung eines Vaters, und auf den Gehorsam einer Tochter ankömmt.—

Theophan. Hierauf will ich es durchaus nicht ankommen lassen. Die Liebe allein soll Richter sein. Aber merken Sie wohl, nicht bloß unsere, sondern vornehmlich die Liebe derjenigen, in deren Besitz Sie mich glauben. Wenn Sie mich überführen können, daß Sie von Julianen wiedergeliebet werden—

Adrast. So wollen Sie mir vielleicht Ihre Ansprüche abtreten?

Theophan. So muß ich.

Adrast. Wie höhnisch Sie mit mir umgehen!—Sie sind Ihrer Sachen gewiß, und überzeugt, daß Sie bei dieser Rodomontade nichts aufs Spiel setzen.

Theophan. Also können Sie mir es nicht sagen, ob Sie Juliane liebet?

Adrast. Wenn ich es könnte, würde ich wohl unterlassen, Sie mit diesem Vorzuge zu peinigen?

Theophan. Stille! Sie machen sich unmenschlicher, als Sie sind.—Nun wohl! so will ich,—ich will es Ihnen sagen, daß Sie Juliane liebt.

Adrast. Was sagen Sie?—Doch fast hätte ich über das Entzückende dieser Versicherung vergessen, aus wessen Munde ich sie höre. Recht so! Theophan, recht so! Man muß über seine Feinde spotten. Aber wollen Sie, diese Spötterei vollkommen zu machen, mich nicht auch versichern, daß Sie Julianen nicht lieben?

Theophan (verdrießlich). Es ist unmöglich, mit Ihnen ein vernünftiges
Wort zu sprechen. (Er will weggehen.)

Adrast (beiseite). Er wird zornig?—Warten Sie doch, Theophan.
Wissen Sie, daß die erste aufgebrachte Miene, die ich endlich von
Ihnen sehe, mich begierig macht, dieses vernünftige Wort zu hören?

Theophan (zornig). Und wissen Sie, daß ich endlich Ihres schimpflichen Betragens überdrüssig bin?

Adrast (beiseite). Er macht Ernst.—

Theophan (noch zornig). Ich will mich bestreben, daß Sie den Theophan so finden sollen, als Sie ihn sich vorstellen.

Adrast. Verziehen Sie. Ich glaube in Ihrem Trotze mehr Aufrichtigkeit zu sehen, als ich jemals in Ihrer Freundlichkeit gesehen habe.

Theophan. Wunderbarer Mensch! Muß man sich Ihnen gleichstellen, muß man ebenso stolz, ebenso argwöhnisch, ebenso grob sein, als Sie, um Ihr elendes Vertrauen zu gewinnen?

Adrast. Ich werde Ihnen diese Sprache, ihrer Neuigkeit wegen, vergeben müssen.

Theophan. Sie soll Ihnen alt genug werden!

Adrast. Aber in der Tat—Sie machen mich vollends verwirrt. Müssen
Sie mir Dinge, worauf alle mein Wohl ankömmt, mit einem fröhlichen
Gesichte sagen? Ich bitte Sie, sagen Sie es jetzt noch einmal, was
ich vorhin für eine Spötterei aufnehmen mußte.

Theophan. Wenn ich es sage, glauben Sie nur nicht, daß es um
Ihretwillen geschieht.

Adrast. Desto mehr werde ich mich darauf verlassen.

Theophan. Aber ohne mich zu unterbrechen: das bitte ich.—

Adrast. Reden Sie nur.

Theophan. Ich will Ihnen den Schlüssel zu dem, was Sie hören sollen, gleich voraus geben. Meine Neigung hat mich nicht weniger betrogen, als Sie die Ihrige. Ich kenne und bewundere alle die Vollkommenheiten, die Julianen zu einer Zierde ihres Geschlechts machen; aber—ich liebe sie nicht.

Adrast. Sie—

Theophan. Es ist gleichviel, ob Sie es glauben oder nicht glauben.— Ich habe mir Mühe genug gegeben, meine Hochachtung in Liebe zu verwandeln. Aber eben bei dieser Bemühung habe ich Gelegenheit gehabt, es oft sehr deutlich zu merken, daß sich Juliane einen ähnlichen Zwang antut. Sie wollte mich lieben, und liebte mich nicht. Das Herz nimmt keine Gründe an, und will in diesem, wie in andern Stücken, seine Unabhängigkeit von dem Verstande behaupten. Man kann es tyrannisieren, aber nicht zwingen. Und was hilft es, sich selbst zum Märtyrer seiner Überlegungen zu machen, wenn man gewiß weiß, daß man keine Beruhigung dabei finden kann? Ich erbarmte mich also Julianens— oder vielmehr, ich erbarmte mich meiner selbst: ich unterdrückte meine wachsende Neigung gegen eine andre Person nicht länger und sahe es mit Vergnügen, daß auch Juliane zu ohnmächtig oder zu nachsehend war, der ihrigen zu widerstehen. Diese ging auf einen Mann, der ihrer ebenso unwürdig ist, als unwürdig er ist, einen Freund zu haben. Adrast würde sein Glück in ihren Augen längst gewahr geworden sein, wenn Adrast gelassen genug wäre, richtige Blicke zu tun. Er betrachtet alles durch das gefärbte Glas seiner vorgefaßten Meinungen, und alles obenhin; und würde wohl oft lieber seine Sinne verleugnen, als seinen Wahn aufgeben. Weil Juliane ihn liebenswürdig fand, konnte ich mir unmöglich einbilden, daß er so gar verderbt sei. Ich sann auf Mittel, es beiden mit der besten Art beizubringen, daß sie mich nicht als eine gefährliche Hinderung ansehen sollten. Ich kam nur jetzt in dieser Absicht hieher; allein ließ mich Adrast, ohne die schimpflichsten Abschreckungen, darauf kommen? Ich würde ihn, ohne ein weiteres Wort, verlassen haben, wenn ich mich nicht noch derjenigen Person wegen gezwungen hätte, der ich, von Grund meiner Seelen, alles gönne, was sie sich selbst wünscht.—Mehr habe ich ihm nicht zu sagen. (Er will fortgehen.)

Adrast. Wohin, Theophan?—Urteilen Sie aus meinem Stilleschweigen, wie groß mein Erstaunen sein müsse!—Es ist eine menschliche Schwachheit, sich dasjenige leicht überreden zu lassen, was man heftig wünscht. Soll ich ihr nachhängen? soll ich sie unterdrücken?

Theophan. Ich will bei Ihrer Überlegung nicht gegenwärtig sein.—

Adrast. Wehe dem, der mich auf eine so grausame Art aufzuziehen denkt!

Theophan. So räche mich denn Ihre marternde Ungewißheit an Ihnen!

Adrast (beiseite). Jetzt will ich ihn fangen.—Wollen Sie mir noch ein Wort erlauben, Theophan?—Wie können Sie über einen Menschen zürnen, der mehr aus Erstaunen über sein Glück, als aus Mißtrauen gegen Sie, zweifelt?—

Theophan. Adrast, ich werde mich schämen, nur einen Augenblick gezürnt zu haben, sobald Sie vernünftig reden wollen.

Adrast. Wenn es wahr ist, daß Sie Julianen nicht lieben, wird es nicht nötig sein, daß Sie sich dem Lisidor entdecken?

Theophan. Allerdings.

Adrast. Und Sie sind es wirklich gesonnen?

Theophan. Und zwar je eher, je lieber.

Adrast. Sie wollen dem Lisidor sagen, daß Sie Julianen nicht lieben?

Theophan. Was sonst?

Adrast. Daß Sie eine andere Person lieben?

Theophan. Vor allen Dingen; um ihm durchaus keine Ursache zu geben,
Julianen die rückgängige Verbindung zur Last zu legen.

Adrast. Wollten Sie wohl alles dieses gleich jetzo tun?

Theophan. Gleich jetzo?—

Adrast (beiseite). Nun habe ich ihn!—Ja, gleich jetzo.

Theophan. Wollten Sie aber auch wohl eben diesen Schritt tun? Wollten auch Sie dem Lisidor wohl sagen, daß Sie Henrietten nicht liebten?

Adrast. Ich brenne vor Verlangen.

Theophan. Und daß Sie Julianen liebten?

Adrast. Zweifeln Sie?

Theophan. Nun wohl! so kommen Sie.

Adrast (beiseite). Er will?—

Theophan. Nur geschwind!

Adrast. Überlegen Sie es recht.

Theophan. Und was soll ich denn noch überlegen?

Adrast. Noch ist es Zeit.—

Theophan. Sie halten sich selbst auf. Nur fort!—(Indem er vorangehen will.) Sie bleiben zurück? Sie stehen in Gedanken? Sie sehen mich mit einem Auge an, das Erstaunen verrät? Was soll das?—

Adrast (nach einer kleinen Pause). Theophan!—

Theophan. Nun?—Bin ich nicht bereit?

Adrast (gerührt). Theophan!—Sie sind doch wohl ein ehrlicher Mann.

Theophan. Wie kommen Sie jetzt darauf?

Adrast. Wie ich jetzt darauf komme? Kann ich einen stärkern Beweis verlangen, daß Ihnen mein Glück nicht gleichgültig ist?

Theophan. Sie erkennen dieses sehr spät—aber Sie erkennen es doch noch.—Liebster Adrast, ich muß Sie umarmen.—

Adrast. Ich schäme mich—lassen Sie mich allein; ich will ihnen bald folgen.—

Theophan. Ich werde Sie nicht allein lassen.—Ist es möglich, daß ich
Ihren Abscheu gegen mich überwunden habe? Daß ich ihn durch eine
Aufopferung überwunden habe, die mir so wenig kostet? Ach! Adrast,
Sie wissen noch nicht, wie eigennützig ich dabei bin; ich werde
vielleicht alle Ihre Hochachtung dadurch wieder verlieren:—Ich liebe
Henrietten.

Adrast. Sie lieben Henrietten? Himmel! so können wir ja hier noch beide glücklich sein. Warum haben wir uns nicht eher erklären müssen? O Theophan! Theophan! ich würde Ihre ganze Aufführung mit einem andern Auge angesehen haben. Sie würden der Bitterkeit meines Verdachts, meiner Vorwürfe nicht ausgesetzt gewesen sein.

Theophan. Keine Entschuldigungen, Adrast! Vorurteile und eine unglückliche Liebe sind zwei Stücke, deren eines schon hinreichet, einen Mann zu etwas ganz anderm zu machen, als er ist.—Aber was verweilen wir hier länger?

Adrast. Ja, Theophan, nun lassen Sie uns eilen.—Aber wenn uns
Lisidor zuwider wäre?—Wenn Juliane einen andern liebte?—

Theophan. Fassen Sie Mut. Hier kömmt Lisidor.

Vierter Auftritt

Lisidor. Theophan. Adrast.

Lisidor. Ihr seid mir feine Leute! Soll ich denn beständig mit dem fremden Vetter allein sein?

Theophan. Wir waren gleich im Begriff zu Ihnen zu kommen.

Lisidor. Was habt ihr nun wieder zusammen gemacht? gestritten? Glaubt mir doch nur, aus dem Streiten kömmt nichts heraus. Ihr habt alle beide, alle beide habt ihr recht.—Zum Exempel: (zum Theophan) Der spricht, die Vernunft ist schwach; und der (zum Adrast) spricht, die Vernunft ist stark. Jener beweiset mit starken Gründen, daß die Vernunft schwach ist; und dieser mit schwachen Gründen, daß sie stark ist. Kömmt das nun nicht auf eins heraus? schwach und stark, oder, stark und schwach: was ist denn da für ein Unterscheid?

Theophan. Erlauben Sie, wir haben jetzt weder von der Stärke, noch von der Schwäche der Vernunft gesprochen—

Lisidor. Nun! so war es von etwas anderm, das ebensowenig zu bedeuten hat.—Von der Freiheit etwa: Ob ein hungriger Esel, der zwischen zwei Bündeln Heu steht, die einander vollkommen gleich sind, das Vermögen hat, von dem ersten von dem besten zu fressen, oder, ob der Esel so ein Esel sein muß, daß er lieber verhungert?—

Adrast. Auch daran ist nicht gedacht worden. Wir beschäftigten uns mit einer Sache, bei der das Vornehmste nunmehr auf Sie ankömmt.

Lisidor. Auf mich?

Theophan. Auf Sie, der Sie unser ganzes Glück in Händen haben.

Lisidor. Oh! ihr werdet mir einen Gefallen tun, wenn ihr es so geschwind, als möglich, in eure eignen Hände nehmt.—Ihr meint doch wohl das Glück in Fischbeinröcken? Schon lange habe ich es selber nicht mehr gern behalten wollen. Denn der Mensch ist ein Mensch, und eine Jungfer eine Jungfer; und Glück und Glas wie bald bricht das!

Theophan. Wir werden zeitlebens nicht dankbar genug sein können, daß Sie uns einer so nahen Verbindung gewürdiget haben. Allein es stößt sich noch an eine sehr große Schwierigkeit.

Lisidor. Was?

Adrast. An eine Schwierigkeit, die unmöglich vorauszusehen war.

Lisidor. Nu?

Theophan und Adrast. Wir müssen Ihnen gestehen—

Lisidor. Alle beide zugleich? Was wird das sein? Ich muß euch ordentlich vernehmen.—Was gestehen Sie, Theophan?—

Theophan. Ich muß Ihnen gestehen,—daß ich Julianen nicht liebe.

Lisidor. Nicht liebe? habe ich recht gehört?—Und was ist denn Ihr
Geständnis, Adrast?—

Adrast. Ich muß Ihnen gestehen,—daß ich Henrietten nicht liebe.

Lisidor. Nicht liebe?—Sie nicht lieben, und Sie nicht lieben; das kann unmöglich sein! Ihr Streitköpfe, die ihr noch nie einig gewesen seid, solltet jetzo zum ersten Male einig sein, da es darauf ankömmt, mir den Stuhl vor die Türe zu setzen?—Ach! ihr scherzt, nun merke ich's erst.

Adrast. Wir? scherzen?

Lisidor. Oder ihr müßt nicht klug im Kopfe sein. Ihr meine Töchter nicht lieben? die Mädel weinen sich die Augen aus dem Kopfe.—Aber warum denn nicht? wenn ich fragen darf. Was fehlt denn Julianen, daß Sie sie nicht lieben können?

Theophan. Ihnen die Wahrheit zu gestehen, ich glaube, daß ihr Herz selbst für einen andern eingenommen ist.

Adrast. Und eben dieses vermute ich mit Grunde auch von Henrietten.

Lisidor. Ho! ho! dahinter muß ich kommen.—Lisette! he! Lisette!—
Ihr seid also wohl gar eifersüchtig, und wollt nur drohen?

Theophan. Drohen? da wir Ihrer Güte jetzt am nötigsten haben?

Lisidor. He da! Lisette!

Fünfter Auftritt

Lisette. Lisidor. Theophan. Adrast.

Lisette. Hier bin ich ja schon! Was gibt's?

Lisidor. Sage, sie sollen gleich herkommen.

Lisette. Wer denn?

Lisidor. Beide! hörst du nicht?

Lisette. Meine Jungfern?

Lisidor. Fragst du noch?

Lisette. Gleich will ich sie holen. (Indem sie wieder umkehrt.)
Kann ich ihnen nicht voraus sagen, was sie hier sollen?

Lisidor. Nein!

Lisette (geht und kömmt wieder). Wenn sie mich nun aber fragen?

Lisidor. Wirst du gehen?

Lisette. Ich geh.—(Kömmt wieder.) Es ist wohl etwas Wichtiges?

Lisidor. Ich glaube, du Maulaffe, willst es eher wissen, als sie?

Lisette. Nur sachte! ich bin so neugierig nicht.

Sechster Auftritt

Lisidor. Theophan. Adrast.

Lisidor. Ihr habt mich auf einmal ganz verwirrt gemacht. Doch nur Geduld, ich will das Ding schon wieder in seine Wege bringen. Das wäre mir gelegen, wenn ich mir ein Paar andere Schwiegersöhne suchen müßte! Ihr waret mir gleich so recht, und so ein Paar bekomme ich nicht wieder zusammen, wenn ich mir sie auch bestellen ließe.

Adrast. Sie sich andre Schwiegersöhne suchen?—Was für ein Unglück drohen Sie uns?

Lisidor. Ihr wollt doch wohl nicht die Mädel heiraten, ohne sie zu lieben? Da bin ich auch euer Diener.

Theophan. Ohne sie zu lieben?

Adrast. Wer sagt das?

Lisidor. Was habt ihr denn sonst gesagt?

Adrast. Ich bete Julianen an.

Lisidor. Julianen?

Theophan. Ich liebe Henrietten mehr, als mich selbst.

Lisidor. Henrietten?—Uph! Wird mir doch auf einmal ganz wieder leichte.—Ist das der Knoten? Also ist es weiter nichts, als daß sich einer in des andern seine Liebste verliebt hat? Also wäre der ganze Plunder mit einem Tausche gutzumachen?

Theophan. Wie gütig sind Sie, Lisidor!

Adrast. Sie erlauben uns also—

Lisidor. Was will ich tun? Es ist doch immer besser, ihr tauscht vor der Hochzeit, als daß ihr nach der Hochzeit tauscht. Wenn es meine Töchter zufrieden sind, ich bin es zufrieden.

Adrast. Wir schmeicheln uns, daß sie es sein werden.—Aber bei der Liebe, Lisidor, die Sie gegen uns zeigen, kann ich unmöglich anders, ich muß Ihnen noch ein Geständnis tun.

Lisidor. Noch eins?

Adrast. Ich würde nicht rechtschaffen handeln, wenn ich Ihnen meine
Umstände verhehlte.

Lisidor. Was für Umstände?

Adrast. Mein Vermögen ist so geschmolzen, daß ich, wenn ich alle meine Schulden bezahle, nichts übrig behalte.

Lisidor. Oh! schweig doch davon. Habe ich schon nach deinem Vermögen gefragt? Ich weiß so wohl, daß du ein lockrer Zeisig gewesen bist, und alles durchgebracht hast; aber eben deswegen will ich dir eine Tochter geben, damit du doch wieder etwas hast.—Nur stille! da sind sie; laßt mich machen.

Siebenter Auftritt

Juliane. Henriette. Lisette. Lisidor. Theophan. Adrast.

Lisette. Hier bringe ich sie, Herr Lisidor. Wir sind höchst begierig, zu wissen, was Sie zu befehlen haben.

Lisidor. Seht freundlich aus, Mädchens! ich will euch etwas
Fröhliches melden: Morgen soll's richtig werden. Macht euch gefaßt!

Lisette. Was soll richtig werden?

Lisidor. Für dich wird nichts mit richtig.—Lustig, Mädchens! Hochzeit! Hochzeit!—Nu? Ihr seht ja so barmherzig aus? Was fehlt dir, Juliane?

Juliane. Sie sollen mich allezeit gehorsam finden; aber nur diesesmal muß ich Ihnen vorstellen, daß Sie mich übereilen würden.—Himmel! morgen?

Lisidor. Und du, Henriette?

Henriette. Ich, lieber Herr Vater? ich werde morgen krank sein, todsterbenskrank!

Lisidor. Verschieb es immer bis übermorgen.

Henriette. Es kann nicht sein. Adrast weiß meine Ursachen.

Adrast. Ich weiß, schönste Henriette, daß Sie mich hassen.

Theophan. Und sie, liebste Juliane, Sie wollen gehorsam sein?—Wie nahe scheine ich meinem Glücke zu sein, und wie weit bin ich vielleicht noch davon entfernt!—Mit was für einem Gesichte soll ich es Ihnen sagen, daß ich der Ehre Ihrer Hand unwert bin? daß ich mir bei aller der Hochachtung, die ich für eine so vollkommene Person hegen muß, doch nicht getraue, dasjenige für Sie zu empfinden, was ich nur für eine einzige Person in der Welt empfinden will.

Lisette. Das ist ja wohl gar ein Korb? Es ist nicht erlaubt, daß auch Mannspersonen welche austeilen wollen. Hurtig also, Julianchen, mit der Sprache heraus!

Theophan. Nur ein eitles Frauenzimmer könnte meine Erklärung beleidigen; und ich weiß, daß Juliane über solche Schwachheiten so weit erhaben ist,—

Juliane. Ach Theophan! ich höre es schon: Sie haben zu scharfe
Blicke in mein Herz getan.—

Adrast. Sie sind nun frei, schönste Juliane. Ich habe Ihnen kein Bekenntnis weiter abzulegen, als das, welches ich Ihnen bereits abgelegt habe.—Was soll ich hoffen?

Juliane. Liebster Vater!—Adrast!—Theophan!—Schwester!—

Lisette. Nun merke ich alles. Geschwind muß das die Großmama erfahren. (Lisette läuft ab.)

Lisidor (zu Julianen). Siehst du, Mädchen, was du für Zeug angefangen hast?

Theophan. Aber Sie, liebste Henriette, was meinen Sie hierzu? Ist Adrast nicht ein ungetreuer Liebhaber? Ach! wenn Sie Ihre Augen auf einen getreuern werfen wollten! Wir sprachen vorhin von Rache, von einer unschuldigen Rache—

Henriette. Top! Theophan: ich räche mich.

Lisidor. Fein bedächtig, Henriette! Hast du schon die Krankheit auf morgen vergessen?

Henriette. Gut! Ich lasse mich verleugnen, wenn sie kömmt.

Lisidor. Seid ihr aber nicht wunderliches Volk! Ich wollte jedem zu seinem Rocke egales Futter geben, aber ich sehe wohl, euer Geschmack ist bunt. Der Fromme sollte die Fromme, und der Lustige die Lustige haben: Nichts! der Fromme will die Lustige, und der Lustige die Fromme.

Achter Auftritt

Frau Philane mit Lisetten und die Vorigen.

Frau Philane. Kinder, was höre ich? Ist es möglich?

Lisidor. Ja, Mama; ich glaube, Sie werden nicht dawider sein. Sie wollen nun einmal so—

Frau Philane. Ich sollte dawider sein? Diese Verändrung ist mein Wunsch, mein Gebet gewesen. Ach! Adrast, ach! Henriette, für euch habe ich oft gezittert! Ihr würdet ein unglückliches Paar geworden sein! Ihr braucht beide einen Gefährten, der den Weg besser kennet, als ihr. Theophan, Sie haben längst meinen Segen; aber wollen Sie mehr als diesen, wollen Sie auch den Segen des Himmels haben, so ziehen Sie eine Person aus Henrietten, die Ihrer wert ist. Und Sie, Adrast, ich habe Sie wohl sonst für einen bösen Mann gehalten; doch getrost! wer eine fromme Person lieben kann, muß selbst schon halb fromm sein. Ich verlasse mich seinetwegen auf dich, Julchen.—Vor allen Dingen bringe ihm bei, wackern Leuten, rechtschaffnen Geistlichen, nicht so verächtlich zu begegnen, als er dem Theophan begegnet.—

Adrast. Ach! Madame, erinnern Sie mich an mein Unrecht nicht.
Himmel! wenn ich mich überall so irre, als ich mich bei ihnen,
Theophan, geirret habe: was für ein Mensch, was für ein abscheulicher
Mensch bin ich!—

Lisidor. Habe ich's nicht gesagt, daß ihr die besten Freunde werden müßt, sobald als ihr Schwäger seid? Das ist nur der Anfang!

Theophan. Ich wiederhole es, Adrast: Sie sind besser, als Sie glauben; besser, als Sie zeither haben scheinen wollen.

Frau Philane. Nun! auch das ist mir ein Trost zu hören.—(Zum Lisidor.) Komm, mein Sohn, führe mich. Das Stehen wird mir zu sauer, und vor Freuden habe ich es ganz vergessen, daß ich Araspen allein gelassen.

Lisidor. Ja, wahrhaftig! da gibt's was zu erzählen! Kommen Sie,
Mama.—Aber keinen Tausch weiter! keinen Tausch weiter!

Lisette. Wie übel ist unsereinem dran, das nichts zu tauschen hat!

(Ende des Freigeists.)

Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Der Freigeist, von Gotthold
Ephraim Lessing.

End of Project Gutenberg's Der Freigeist, by Gotthold Ephraim Lessing