Title: Landesverein Sächsischer Heimatschutz — Mitteilungen Band XI, Heft 10-12
Monatsschrift für Heimatschutz und Denkmalpflege
Author: Landesverein Sächsischer Heimatschutz
Release date: November 15, 2022 [eBook #69359]
Language: German
Original publication: Germany: Landesverein Sächsischer Heimatschutz
Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net
Anmerkungen zur Transkription
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Landesverein Sächsischer
Heimatschutz
Dresden
Monatsschrift für Heimatschutz und Denkmalpflege
Band XI
Inhalt: Weihnachtsspiele der Sächsischen Oberlausitz – Wiedersberg – Zur Geschichte des Jägerhofes zu Dresden – Das obere sächsische Erzgebirge – Die Schlösser im Walde, Moritzburg und Fasanenschlößchen – Ludwig Richters Weihnachtskunst – Edgar Hahnewald: Sächsische Landschaften – Jagdschloß Rehefeld – Eine wiedergefundene alte Postmeilensäule – Das Kamenzer Forstfest – Postmeilensäulen – Karl Schmidt †
Einzelpreis dieses Heftes M. 200.–, Bezugspreis für einen Band (aus 12 Nummern bestehend) M. 200.–, für Behörden und Büchereien M. 100.–. Mitglieder erhalten die Mitteilungen kostenlos, Mindestjahresbeitrag M. 100.–, freiwillige Einschätzung erbeten
Geschäftsstelle: Dresden-A., Schießgasse 24
Dresden 1922
Ein Jahr nähert sich dem Ende, das in seiner zweiten Hälfte eine Teuerung brachte, die jede und alle Berechnung unmöglich machte. Wenn wir trotzdem bis hierher durchkamen und dieses stattliche letzte diesjährige Heft unsrer Mitteilungen in uneingeschränktem Umfang, in alter Ausstattung – wie früher – herausgeben konnten, so zeugt dies von der Festigkeit der wirtschaftlichen Lage unsres Vereins, von unserm unbeugsamen Willen »Durchzuhalten«. Tausende von Zuschriften mit diesem Wort und reichen Geldspenden haben uns dazu ermuntert und dies ermöglicht. Wir konnten nicht jedem einzelnen danken – und das lag auch nicht in der Absicht unsrer Spender –, den Dank unseres Vereins statten wir durch das weitere Erscheinen der grünen Hefte, durch unsre weitere Tätigkeit ab. Und dazu bitten wir erneut – was eigentlich in dieser schweren Zeit selbstverständlich ist – um die Hilfe, die Unterstützung aller unsrer Mitglieder. Wenn wir den diesjährigen Jahresbeitrag rückwirkend auf mindestens 100 M. erhöhen müssen, so bedeutet diese Summe bei der heutigen Teuerung ein so kleines Entgelt bei dem vielen, das wir bieten, daß wir, um bestehen zu können, auf erneute freiwillige Beiträge von allen denen, die dazu irgendwie in der Lage sind, direkt angewiesen sind. Das Postgeld jedes Heftes kostet uns heute schon 12 M., ab 15. Dezember 24 M. Würden wir die alljährlichen Gesamtkosten unsrer Mitteilungen auf die Zahl unsrer Mitglieder umlegen, so müßten wir einen Jahresbeitrag von 300 M. fordern. Das wollen und können wir nicht, weil wir sonst die vielen wirtschaftlich schwachen Mitglieder, Rentner, Schüler, Schülerinnen und viele andere verlieren würden, und warum sollen wir so vielen unsrer Volksgenossen die Zugehörigkeit zu ihrem Heimatverein unmöglich machen, zu einem Verein der ihnen das letzte, was wir besitzen, die Heimat erst lieb und wert macht.
Bei der Bemessung eines freiwilligen Weihnachtsbeitrages für uns, der zur Beschaffung des Papiers für unsre nächstjährigen Mitteilungen verwendet werden soll, bitten wir an die heutigen Kosten der illustrierten Zeitschriften und der Tageszeitungen zu denken, um einen Maßstab für unsre Leistungsfähigkeit zu erhalten. Von der Höhe der eingehenden Beträge wird das weitere Erscheinen unsrer Mitteilungen wesentlich abhängen. Wir bitten daher herzlich, uns im schweren Kampf ums Dasein auch weiter zu helfen und dadurch die größte sächsische Kulturbewegung lebensfähig zu erhalten zur eigenen Freude.
Mögen alle bedenken, daß bei uns eine Arbeit geleistet wird, wo uns kein politischer Trennungsgraben zerklüftet, auf der uns und unsren Nachfahren eine verjüngende Freude an Heimat und Vaterland erwachsen wird.
Weihnachten 1922.
Landesverein Sächsischer Heimatschutz
Dresden-A., Schießgasse.
[201]
Die Mitteilungen des Vereins werden in Bänden zu 12 Nummern herausgegeben
Abgeschlossen am 1. November 1922
Von Friedrich Sieber, Crostau bei Schirgiswalde
Ich weiß noch, wie freudig erregt wir Chorjungen eines kleinen Dorfes der Südlausitz am ersten Adventsonntag auf unsren Chorplätzen saßen, wie wir mit hellen Stimmen der festlichen Gemeinde das strahlende Lied entgegenjubelten: »Macht hoch die Tür, die Tor’ macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit!« Lag doch das Totenfest mit seinen Novembernebeln und düstern Melodien hinter uns, war doch endlich die gleichförmige Zeit der festlosen Trinitatissonntage vorüber! Nun war die Zeit wieder ahnungsreich geworden. Schnee und Weihnachten dufteten von ferne. Und am Abende kamen die ersten Boten des hellen Festes: das Christkind mit seiner wunder- und schauerreichen Begleitung zog durch das dunkle, schweigende Dorf …
Weihnachtsspiele sind bis zur Gegenwart in vielen Ortschaften der Oberlausitz lebendig geblieben. Aber von Jahr zu Jahr werden die Aufführungen seltner. Die Kinder spielen die Stücke für sich als Kinderspiel. Dadurch werden Texte und Melodien immer entstellter. Oft flattern nur noch schwerverständliche Bruchstücke durch die Köpfe. Und doch lassen die Trümmer des noch Vorhandenen deutlich erkennen, daß in unsrer Heimat die Überlieferung einst so üppig und breit strömte, wie etwa in Schlesien. (Vergleiche das erschöpfende Werk Friedrich Vogts:[202] Die schlesischen Weihnachtsspiele, Teubner 1901.) Die Oberlausitzer Weihnachtsspiele zerfallen ihrem Stoffcharakter nach in drei Gruppen: Adventspiele, Christgeburtspiele, Herodesspiele. Innerhalb der Oberlausitz bestehen in der Spielüberlieferung augenscheinliche landschaftliche Besonderheiten. In der nördlichen Lausitz ist die Überlieferung offenbar treuer und reichhaltiger. Vielleicht ist dies durch die überwiegend landwirtschaftliche Bevölkerung bedingt, vielleicht auch durch den Einfluß wendischen Volkstums, das volkstümlichen Überlieferungen ausgeprägt konservativ gegenüberzustehen pflegt.
In der Südlausitz ist das kurze Adventspiel, aus drei oder vier Personen bestehend, gebräuchlich. Zu dieser Art gehört auch das von Kruschwitz in den »Bunten Bildern aus dem Sachsenlande« mitgeteilte Spiel vom Eigenschen Kreise. Engel, Christkind, Ruprecht treten nacheinander auf. Der Engel übernimmt die Rolle des Ankündigers, des Anklägers der Kinder, und als das Christkind daraufhin Ernst macht, mit seinen Gaben zurückzuhalten, die Rolle des erfolgreichen Verteidigers. Das Christkind, von einem Mädchen gespielt, ist milde, sanfte Schenkerin. Der Ruprecht spielt die eigentlich pädagogische Rolle. Das Ziel seines Auftretens ist Einschüchterung, die als erste Stufe zur Besserung betrachtet wird. Worte und Gebaren sind aber mit so reichlicher Plumpheit und gewollter Komik verbunden, daß er nur bei den ganz Kleinen seinen Zweck erreicht, für die Größeren wird er zur lustigen Figur, die allerdings noch mit einem angenehmen Gruseln umwoben ist. Die drei immer wiederkehrenden Forderungen, die Ruprecht den Kindern auferlegt und worüber er sie examiniert, sind: Ihr sollt fleißig beten! Ihr sollt fleißig in der Schule sein! Ihr sollt den Eltern gehorchen!
In der Zittauer Gegend wird das Spiel durch die Einführung des Petrus erweitert. (Vergleiche die von Paul Stöbe in der »Oberlausitzer Heimatzeitung« Nummer 7, 1919, mitgeteilten Zittauer Weihnachtsspiele.) Aber die Gestalt des Petrus ist in der Südlausitz ziemlich charakterlos. Er kommt über seine Selbstvorstellung als gewissenhafter, strenger Schließer des Himmels nicht hinaus. Sowohl die Spiele mit drei als auch mit vier Personen sind ihrer Art nach nahe verwandt mit denen, die Friedrich Vogt im Riesengebirge sammelte und sammeln ließ (Agnetendorf, Schreiberhau, Warmbrunn, Liebau). Es finden sich zahlreiche, wörtlich übereinstimmende Versgruppen, zum Beispiel die Einführungsworte des Ruprecht:
Oberlausitzer Spiele, die mit den bei Vogt aufgeführten völlig übereinstimmten, wenn auch nur in ihrem Aufbau, habe ich nicht gefunden. Aber nicht nur die Texte weichen voneinander ab; große Teile der Spiele werden psalmodierend gesungen oder im Sprechgesang vorgetragen. Melodie sowohl als Sprechgesang sind in der Oberlausitz den schlesischen Spielen gegenüber oft von eigenartiger selbständiger Prägung. Die melodische Grundfigur des kurzen Südlausitzer Spiels klingt folgendermaßen. Der Engel als Spieleröffner singt im Sprechgesang:
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In der Nordlausitz ist das Adventspiel mit dem Christgeburtspiele zu einer innigen Einheit verschmolzen. In der Südlausitz ist mir keine Überlieferung des Christgeburtspiels zu Gesicht oder zu Gehör gekommen, trotzdem Zittau wegen seiner ausgelassenen Christaufführungen berühmt und berüchtigt war. Bestand doch hier um 1700 unter der Handwerkerschaft sogar ein »Heiliger Christrat«, der die Spiele in Szene setzte. Das Adventspiel der Nordlausitz weist einige Besonderheiten auf. Spielankündiger ist das Schäfermädchen. Es tritt im Dirndlkleid auf, mit einem Hirtenstab, einem Schäfchen und einer Klingel in den Händen. Es rezitiert im Sprechgesang:
[204]
Diese eigenartige Spieleröffnerin hat das Nordlausitzer Adventspiel gemeinsam mit einem Spiele aus der Reichenberger Gegend. Während des Spiels bleibt das Schäfermädchen geradezu die Spielleiterin. Es ruft alle erforderlichen Personen mit Klingelzeichen herein. Das Schäfermädchen hat den Engel aus seiner Rolle verdrängt. Damit ist eine durchaus volkstümliche, tief im Heimatleben wurzelnde Gestalt in das Spiel eingedrungen, war doch die Schäferei an den Sudetenhängen und im Vorlande der Sudeten ein wichtiger Erwerbszweig der Bewohner. In diesem Zusammenhang ist auch der von Stöbe (a. a. O.) mitgeteilte Hirtenspruch zu erwähnen:
Der Spruch wurde 1753 erstmalig gedruckt und gehört dem kurzen Spiel »Vom guten Hirten« an, das in das Christgeburtspiel aufging. Das zur Einheit verschmolzne Nordlausitzer Advent- und Christgeburtspiel ist verhältnismäßig personenreich. Nach dem Schäfermädchen treten Maria und Joseph auf, Maria im langen Rock, das Gesicht mit weißem Tuche verhangen, Joseph in langen schwarzen Hosen, Hemdärmeln, Schnurrbart, Halbzylinder, Stock, Quirl, Töpfchen in der einen Hand; in der andern trägt er mit Maria die Wiege, in der das Jesulein als Puppe liegt. Die Melodie ihres Eingangsliedes klingt an alte kirchliche Tonarten an:
[205]
In dieser letzten Drohung ist noch der düstre Teufelscharakter Ruprechts angedeutet. Noch in den gelehrten Weihnachtsspielen des siebzehnten Jahrhunderts erscheint Ruprecht als eine Art Teufel, der dem heiligen Christ die Seelen der Kinder abspenstig machen will. Nun wird vom Schäfermädchen das Christkind hereingerufen. Es trägt ein weißes Kleid mit Sternen übersät, Stern auf dem Kopfe, Flügel, geschmücktes Christbäumchen in der Hand. Mit dem Auftreten des großen Christkindes neben dem kleinen ist das Volk einer beliebten Darstellungseigentümlichkeit treu geblieben. Es liebt es, eine Person in einer großen und einer kleinen Ausgabe vor Augen zu stellen und findet darin nicht den geringsten Widerspruch. Dem Christkind folgt der Engel Gabriel, dessen Tätigkeit infolge seiner Verdrängung durch das Schäfermädchen nur darin besteht, zwei Strophen des »Vom Himmel hoch« zu singen. Eine scharf ausgeprägte Persönlichkeit ist Petrus. Er ist der heilige, leidenschaftliche Eiferer. Er trägt Vollbart, eine Krone auf dem Haupte, Zepter und Schlüssel in der Hand:
Während alle Personen in mehr oder weniger reinem Hochdeutsch sprechen, dröhnt Ruprecht in derbster Mundart herein:
Besonders lehrreich ist das letzte vierreihige rhythmische Gefüge. Es ist aus dem Dreikönigsspiel (der erste Teil des Herodesspiels) hierher verweht worden und wird ursprünglich vom Mohrenkönig gesprochen. Wir gewinnen hier einen tiefen Einblick in die Art und Weise, wie die Spiele gestaltet werden. Um typische Persönlichkeiten hat sich ein verwirrender Reichtum sprachlicher Formen gelagert, die ihr Wesen ausdrücken. Die Hauptsorge der Überlieferung besteht nicht darin,[206] die Sprachformen getreu zu erhalten, sondern die typischen Persönlichkeitscharaktere unverfälscht zu bewahren. So herrscht in der Aneinanderreihung der Wortformen ziemliche Willkür. Zahlreiche Abweichungen und Lesarten entstehen. Wir werden an die Form der italienischen Stegreifkomödie (comoedia dell’ arte) erinnert. In dem oben erwähnten Falle findet eine Annäherung zweier Persönlichkeitssphären statt. Komik hier – Komik da: die Wortform springt von der einen Sphäre in die andre über.
Nach dem Auftreten des Ruprecht zieht singend der Engelchor ein. Das Adventspiel bricht ab, das Christgeburtspiel beginnt. Gemessen an der, an dieser Stelle besonders breiten schlesischen Überlieferung, sind die in der Nordlausitz noch lebendigen Reste dürftig zu nennen. Es fehlt die Herbergsuche, die Erscheinung der Engel, das zögernde, bäurisch-komische Aufbrechen der Hirten, die Hirtenanbetung, die Beschenkung des Kindes, die Reue des Wirtes. Es hat sich erhalten der wertvollste lyrische Kern des Stückes: das Kindelwiegen. Die Szene ist von außerordentlicher Zartheit und Innigkeit. Sie geht zurück auf ein hessisches Weihnachtsspiel des fünfzehnten Jahrhunderts. Die älteste Form des Zwiegesanges zwischen Maria und Joseph ist uns in einer Leipziger Aufzeichnung vom Jahre 1305 erhalten.
Maria (singt):
Joseph:
Das Lied wurde im Gottesdienst von Knaben und Mädchen gesungen, die den Reihen um die Krippe schlangen, die am Altarplatz stand. Die gemessenen Bewegungen wurden von Hymnen begleitet. Das Kindelwiegen hat in der nördlichen Lausitz folgende Form angenommen:
[207]
Maria (singt):
Joseph (spricht):
Chor der Darsteller wiederholt:
In dieser Art wiederholt der Chor während der ganzen Szene, was der Chorführer vorsingt oder spricht.
Maria (singt):
Joseph (singt):
Maria (singt):
Joseph (bückt sich und quirlt).
Schäfermädchen (singt):
Maria (tut es).
Die Lausitzer Form des Kindelwiegens zeigt allen schlesischen Lesarten gegenüber folgende Eigentümlichkeiten auf: es fehlt in Schlesien die Aufforderung zum Breikochen, die Aufforderung des Schäfermädchens an Maria, es fehlt der immer wiederkehrende Wiegengesang nani, nani, nein, der vielleicht einen Rest hymnischer Gesänge darstellt; die Melodie ist durchaus selbständig, auch der von Bernhard Schneider in seiner wertvollen Sammlung mitgeteilten gegenüber (»Lied und Spiel zum Preise des Christkinds«. A. Huhle, 1913, Heft 5). Der allgemeine Abschiedsgesang aller Darsteller, der im Anfang an die bei Vogt mitgeteilte Schreiberhauer Lesart erinnert, schließt das Spiel ab:
[208]
Die dritte Gruppe der Weihnachtsspiele bilden die Herodesspiele. Für sie fließt meiner Erfahrung nach die Überlieferung in der Oberlausitz am spärlichsten. Bekannt geworden ist das von Professor Dr. Curt Müller im Schulprogramm der Realschule zu Löbau (1900) bearbeitete Markersdorfer Herodesspiel. Eine nah verwandte, bruchstückartige Fassung habe ich in Crostau vorgefunden. Das Oberlausitzer[209] Spiel gehört zu dem Typus, der auf Hans Sachs zurückzuführen ist. Nach einem kurzen Vorspruch des ersten Weisen hört Herodes ein Geräusch. In schlesischen Lesarten klopft es, oder Trompeten werden geblasen, oder ein fürchterlicher Knall erdröhnt.
Bei uns spricht Herodes:
Der Marschall (Diener) holt die drei Könige, die Urheber des Geräusches, herbei. Herodes erkundet Zweck und Ziel der Reise. Jüdische Schriftgelehrte werden um Rat gefragt. Die Weisen brechen von Herodes auf. Nun fehlen im Oberlausitzer Spiel wichtige Stücke: die Anbetung in Bethlehem, die Engelsbotschaft. Dargestellt ist wieder, wie die Weisen erwachen, ihren Traum austauschen und beschließen, auf andern Wegen heimwärts zu ziehen. Am Hofe des Herodes herrscht Unruhe über das Ausbleiben der Weisen. Herodes gibt dem Marschall den Befehl zum Kindermord. Der Marschall meldet den Vollzug des Befehls. Der Tod tritt zu Herodes mit der Sense (nicht mit dem Pfeil) und nimmt ihn in vergeltender Gerechtigkeit mit in sein Totenhaus.
Es ist nicht verwunderlich, daß die Überlieferung für das Herodesspiel spärlicher fließt. Der Stoff ist starr und spröde und widersetzt sich der ästhetischen Verzauberung. Die Form ist in weiten Teilen der Dialog. Das Spiel ist melodienarm. Trotzdem weist es ausgeprägte volkstümliche Eigenheiten auf. Die Personen sind in derben Strichen flächenhaft umrissen. Nuancierende und vertiefende Linien fehlen. Das Herodesspiel gleicht wie kein andres einem kräftigen, grell bemalten Holzschnitt. Adventspiel und Christgeburtspiel sind mehr musikalisch als bildhaft. Sie bringen in überwiegender Weise seelischen Ausdruck, nicht raum-zeithafte Darstellung. Der reine Sprechvortrag nimmt in ihnen nur geringen Raum ein. Er steigert sich zum Sprechgesang, um an den Höhepunkten in reine Ausdruckskunst, Lyrik und Musik, überzugehen. Das, was den Spielen bei allen technischen Unbeholfenheiten unaussprechlichen Zauber verleiht, ist ihr Hervorströmen aus einer machtvollen, innig und tief erlebten Geisteswelt. Der volkstümliche Spieler steht im magischen Banne zwingender Überlieferung und spricht sie ergriffen aus. Er wird zum Instrument einer übersinnlichen, symbolhaft erschauten Welt. Seine engumschränkte Einzelpersönlichkeit wird dabei ausgelöscht. Ich kann nicht verschweigen, daß ich so ergreifende Darstellungen in der Oberlausitz nur von Kindern erlebt habe. In früheren Jahrzehnten hat, wie mir erzählt wurde, ein ähnlich würdiger Ernst die erwachsenen Spieler beseelt, wie wir es etwa heute noch in Oberammergau erleben können. Aber zu so ergriffenen Spielern gehört eine ebenso ergriffene Zuhörerschaft. Die Darstellungen der Volksspiele waren keine Theateraufführungen; allen gemeinsames innerstes Seelentum trat bild- und klanghaft vor die Sinne. Über den Szenen schwebten die magischen Zauber des kultischen Ursprungs. Die meisten Wiederbelebungsversuche der Spiele durch Erwachsene sind heute aus tiefen entwicklungspsychologischen Gründen unecht. Der Durchschnittserwachsene ist ungläubig. Er ist ausgeprägtes Individuum. Er steht vor seinem Publikum. Neben der Tradition zeigt er sich, er spielt Theater … Er weiß, daß er in diesen Spielen[210] eine Rarität vor sich hat, und all das vernichtet die Wirkung der schlichten Stücke im Keime. Nur auserlesenen frommen Seelen mag es in hingebender Liebe und eindringendem Eifer heute noch hier und da gelingen, die heilige Einfalt, die tiefe Gebundenheit und Innigkeit der Spiele zum Ausdruck zu bringen (Haas-Berkow). Aber was die fortschreitende individualistische Zerstäubung dem Erwachsenen genommen hat, das ist im Kinde lebendig geblieben. Das Kind unsrer Heimat steht noch im tiefen Banne des Weihnachtszaubers. Mag es auch bereits bei vielen Gelegenheiten individueller Schauspieler sein: beim Weihnachtsspiel ist es erklingende Saite großer Symbole. Damit haben die Weihnachtsspiele wie manches andre uralte Volksgut ihre letzte Pflege- und Zufluchtstätte erreicht: das Kind …
Von Paul Apitzsch, Ölsnitz i. V.
Unweit der sächsisch-bayrischen Grenze, etwas abseits der Staatsstraße Plauen-Hof, hockt zwischen den schräggeneigten Waldhängen des oberen Feilebachtales ein Häuflein Häuser: das vogtländische Kirchdorf Wiedersberg. Hoch über Tal und Dorf liegen im dichten Mischwalde versteckt die Mauerüberreste des gleichnamigen alten Raubschlosses. Es ist eigenartig, daß über Entstehung, Geschichte und Verfall der wenigen vogtländischen Burg- und Kirchenruinen geheimnisvolles Dämmerdunkel ausgebreitet ist. Oder vielmehr nicht eigenartig. Zahlreiche Kriege und Brandschatzungen des Mittelalters haben in dem alten Durchzugslande zwischen Mittel- und Süddeutschland Schloßarchive und Rathausakten, Klosterurkunden und Kirchenbücher vernichtet. Daß man die Zeit der Erbauung der Burg Elsterberg, des Schlosses Libau, der Veste Wiedersberg, der Wallfahrtskirchen am Burgstein nicht mit Bestimmtheit anzugeben vermag, nimmt weiter nicht wunder. Aber daß man über Zeit und Art ihres plötzlichen oder allmählichen Untergangs so gar nichts weiß, daß man nicht einmal anzugeben imstande ist, ob Zerstörung, Brand oder Verfall vorliegt, ist doch immerhin merkwürdig. So soll die Veste Elsterberg bereits in dem sogenannten Vogtländischen Kriege 1354 in Trümmer gesunken sein. Von den andern drei weiß man nicht, ob sie auch schon in diesem Kriege oder im Hussitenkriege oder im Dreißigjährigen Kriege zerstört worden sind oder ob sie überhaupt auf gewaltsame Weise ihren Untergang gefunden haben. Möglicherweise teilen sie alle das Schicksal eines fünften Schlosses, des zu Geilsdorf. Von diesem ist urkundlich nachweisbar, daß es 1667 durch den Grafen Tattenbach erbaut worden ist. Ebenso sicher ist, daß keinerlei Kriegsnöte an seinem Mark gezehrt haben und daß lediglich der berühmte und berüchtigte Zahn der Zeit die Ursache seines Dahinscheidens war.
Völlig sagenhaft ist die von einzelnen Historikern vertretene Ansicht, Schloß Wiedersberg sei von Kaiser Heinrich I. (919 bis 936) zum Schutze gegen die Sorben angelegt worden. Vielmehr wird 1203 zum ersten Male eine Burg Wiedersberg erwähnt und 1288 ein Eberhard von Wiedersperch. Im Jahre 1386 belehnte[212] Markgraf Wilhelm I. von Meißen den Ritter Jan Rabe mit Wiedersberg. 1421 verkauften die Rabe das Besitztum an die Familie von Machwitz, die es bis 1580 besaß. Der Rittersitz wechselte dann rasch nacheinander seinen Eigentümer und gehört seit 1840 der Familie Gräf. Eine ausführliche Geschichte der Veste Wiedersberg brachte A. Moschkau im Jahrgange 1878 der Zeitschrift »Saxonia« (Seite 36, 49 und 56).
Die Ruinen sind gegenwärtig von sehr geringem Umfange. Sie bestehen aus einem viereckigen Turm, einigen Mauerresten und dreifachen Schanzgräben. Ein stark angekohlter Balken im Wartturm deutet auf Brand. Indes kann dies auch in ursächlichem Zusammenhange mit der bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts hier betriebenen Pechsiederei stehen. Denn unmittelbar darunter liegen, halb im Erdreich vergraben, zwei alte, geborstene Griebenherde. Das neben den Mauerüberresten stehende ehemalige herrschaftliche Jägerhäuschen ist in ein bescheidenes Bergwirtshaus umgewandelt worden. Der in dieser winzigen Waldklause hausende Pächter, Namens Bauer, hat den Krieg 1870 bis 1871 mitgemacht, wurde verwundet und ins Lazarett nach Dresden gebracht. Dort gehörte er zu denen, die sich der besonderen Fürsorge der damaligen Kronprinzessin und nachmaligen Königin Carola zu erfreuen hatten. Nach Gesundung und Rückkehr in die vogtländische Heimat entspann sich ein interessanter Briefwechsel zwischen der Königin und dem einfachen Tischlermeister Bauer in Wiedersberg. Bis zum Tode der Königin währte das gewiß seltene Freundschaftsband. Der alte Veteran weiß recht anregend davon zu plaudern und zeigt auf Verlangen die Originale der zahlreichen Briefe, die er pietätvoll in einer großen Mappe vereinigt hat. Seine Behausung gleicht dem Knusperhäuschen der Hexe im Märchen von Hänsel und Gretel. Vor dem Eingange krallt eine mächtige knorrige Kiefer ihre Wurzeln ins Felsgestein, und am prächtigsten zeigt sich der Wiedersberger Burgberg, wenn im Frühherbst die buntfarbigen Laubbäume aus dem dunklen Grün der Fichten und Föhren hervorleuchten.
Auf steinigem Wege steigen wir hinunter ins Dorf Wiedersberg. Ein steiler, beschwerlicher Abstieg. Der Klausner im Knusperhäuschen ist neben seinem Doppelberufe als Gastwirt und Tischlermeister auch noch als Standesbeamter tätig, und die guten Wiedersberger, die sich dem Ehejoche zu beugen gedenken, treten einen schweren Gang an, wenn sie zum Standesamte wallen.
Im Dorfe selbst sind drei bemerkenswerte Gebäude: Rittergut, Kirche und Gasthof, welche, wie auch anderswo, eng beisammenliegen. Die Pfarrei Wiedersberg gehörte nebst Sachsgrün, Eichigt, Krebes und einigen anderen zu den sogenannten »Streitpfarren«. Obwohl in Sachsen gelegen, übte in diesen ehemals zum Erzbistum Bamberg gehörigen Kirchgemeinden die Krone Bayern das Patronatsrecht aus, und erst 1845 wurde dieses Recht durch Vergleich an Sachsen abgetreten. Das Wiedersberger Gotteshaus enthält zwei Holzschnitzwerke unbekannter Meister: einen Taufengel und den mit der Kanzel verbundenen Hochaltar. Den Taufengel mit dem »hölzernen Wiesenblumenstrauß« hat Kurt Arnold Findeisen in seinem ersten Versbuch »Mutterland« besungen.
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Der Schnitzaltar ist kein Kunstwerk, ist vielmehr in seiner köstlichen Naivität als Arbeit eines bäuerlichen oder bürgerlichen Handwerksmeisters anzusprechen. Zwischen den lebensgroßen Figuren des Petrus und Paulus ist eine etwas kleinere Kreuzigungsgruppe dargestellt. Als eine Art Predella erhebt sich unmittelbar über dem Altartisch eine stark realistische »Einsetzung des heiligen Abendmahls«. Der unbekannte Schnitzmeister war nicht imstande, den an der Brust Jesu liegenden Lieblingsjünger Johannes naturwahr darzustellen. Diese Einzelfigur wirkt in ihrer mißratenen Kleinheit als Knabengestalt. Sehr geschickt dagegen sind die links und rechts herabhängenden Blumenbänder ausgearbeitet.
Ein wahres Juwel echter Heimatkunst ist der in der Mitte des Dorfes gelegene, im Jahre 1711 erbaute Gasthof. Das an derselben Stelle stehende frühere Wiedersberger Wirtshaus beherbergte, wie eine in Dresden liegende Urkunde berichtet, den im Jahre 1354 hier durchreisenden Kaiser Karl IV. Eine Stange ragt vom braunen Fachwerkbau weit über die schmale Dorfstraße. Am vorderen Ende dieser Stange hängt ein altertümliches, wertvolles Wirtshausschild. Kein Geringerer als Hermann Vogel hat das Wiedersberger Gasthaus samt dem Wirtshausschilde im Bilde festgehalten, und zwar im »Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen« in der illustrierten Ausgabe der Grimmschen Kinder- und Hausmärchen: An der rechten Seite der Dorfstraße der Gasthof, links das Holzgeländer am Feilebach. Droben auf waldiger Höhe das Raubschloß. Auf der Straße der Wirt mit dem tapferen Junker. Und das Malersignum H. V. ist eingedrückt dem feisten Hinterschenkel eines über den Weg laufenden – Schweines. Der Märchenmaler, der so gern hier oben im abgelegenen Feilebachtal seine Staffelei aufstellte, ruht nun schon seit zwei Jahren im kleinen Krebeser Dorfkirchhofe. Zwei noch lebende heimische Künstler traten sein geistiges Erbe an. Das Mittelalter ging in der künstlerischen Innen- und Außenschmückung von Gebäuden lediglich bei Schlössern und Rathäusern, Kirchen- und Patrizierwohnungen über das rein Handwerksmäßige hinaus. Die neuere Zeit hat das höchst anerkennenswerte Bestreben, auch bei Neu- und Umbauten großstädtischer Warenhäuser und Banken, Fabrikanlagen und Fremdenhöfe, Dielen und Bars hervorragende Künstler und Kunstgewerbler zur Mitarbeit heranzuziehen. Daß aber ein vom Kunstbetriebe der Großstadt weit abgelegener Dorfgasthof sich etwas derartiges leistet, dürfte doch wohl zu den Seltenheiten gehören. Die fünf graugrün gestrichenen Fensterläden des Wiedersberger Gasthauses sind von den Kunstmalern Albin Enders, Weischlitz und Alfred Hofmann, Stollberg mit Originalbildern und Sinnsprüchen geziert worden. Die geräumige Gaststube atmet wohltuende Beschaulichkeit, und ihre ländlich-einfache Innenausstattung zeugt von feinem, künstlerischem Empfinden. Buntgeblümte Vorhänge an den niedrigen Fenstern. Geranien und[214] Levkoien auf allen Simsen. Eine von der Diele bis zur Decke reichende altmodische Ticktackuhr. Ein glänzender Spiegel aus Urgroßvaters Zeiten über dem Sofa in der Ecke. Überhaupt diese Ecke! Die ganze Wand ist bedeckt mit Radierungen von Albin Enders – Ruine Burgstein, Rittergut Wiedersberg und Rathaus Plauen –, mit alten Stichen in braungetönten Holzrahmen und allerhand andern Köstlichkeiten. In der Mitte des Tisches steht ein Strauß leuchtender Chrysanthemen, blaublütiger Glockenblumen und purpurner Kuckuckslichtnelken. Daneben liegt, mit seinem buntgekästelten Buchdeckel stimmungsvoll dazu passend, Kurt Arnold Findeisens »Mutterland«. In der rechten Wandecke eingebaut, ein kleiner Schrank mit dem Fremdenbuch. Dies Buch ist es wert, daß man ein geruhsam Stündlein sich mit ihm abgibt. Hier ist Albin Enders, der Hausmaler, zum Hauspoeten geworden. Das von ihm verfaßte und eigenhändig eingetragene Geleitwort lautet:
Und dann folgen in bunter Reihe Beiträge von Louis Riedel, Emil Schwarz und anderen bekannten und unbekannten Poeten des Vogtlandes. Das Wertvollste aber sind zahlreiche Federzeichnungen des zweiten Wiedersberger Hauskünstlers Alfred Hofmann, Stollberg. Es gibt im Vogtlande nur noch ein Fremdenbuch, das sich an künstlerischem Werte dem Wiedersberger an die Seite stellen könnte: das Burgsteinalbum der Rahmig-Milda.
So ist der kleine Raum geweiht durch Eigenarbeiten begnadeter heimischer Maler und Dichter.
Die Heimat ist auch in ihren unbedeutendsten und abgelegensten Winkeln groß und bedeutend für den, der mit offenem Auge und warmem Herzschlag ihre Schönheiten schaut.
Von Dr. Koepert
Bei den nahen Beziehungen des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz und dem Verein für Sächsische Volkskunde und Volkskunst dürfte auch die Geschichte des Jägerhofes, in dessen Restgebäude der letztgenannte Verein sein herrliches Volksmuseum untergebracht hat, für unsere Leser von Interesse sein. Handelt es sich doch hier um ein Baudenkmal, das in früheren jagdfrohen Zeiten von großer Bedeutung war, wie die folgenden Ausführungen beweisen werden.
Was nun zunächst die Baugeschichte betrifft, so sei bemerkt, daß das älteste Jägerhaus, von dem berichtet wird, vor dem Wilsdruffer Tor an der Weißeritz gelegen war. Sein Erbauer war Herzog Albrecht. Im Jahre 1492 schenkte Herzog Georg der Bärtige dieses Haus einem alten Diener seines[215] Vaters wegen treuer Dienste mit dem dazugehörigen Garten. Als Ersatz hierfür errichtete er in der Nähe des Jakobihospitals ein neues Jägerhaus, das gleichfalls die Jagdgerätschaften beherbergte, für die Jäger aber keine Unterkunft bot. Diesem Zwecke diente vielmehr ein in der Nähe des Schlosses gelegenes Förstereihaus. Kurfürst August (1553–1586) begnügte sich nicht mit der Jagd auf inländisches Wild, sondern erwarb einige Löwen, die bei Kampfjagden Verwendung finden sollten und zu deren Unterbringung er die Herstellung eines besonderen Löwenzwingers auf der Elbbrücke durch folgendes Schreiben an den Brückenmeister anordnete: »Lieber getrewer. Wir haben unsern Oberzeug- und Baumeister und lieben und getrewen Kaspar Vogt ein Baw uf der ElbBrücken zu Behaltung ezlicher Lewen zu thun befolhen, dargegen wir begern, Ihr wollet den zum forderlichsten seiner Angabe nach machen und fertigen lassen, dergleichen Torhaus auch vollenden, wie er euch anzeigen wirdt und ihn den nichts verhindern lasset, darum thut er unsere Meinung. Datum Dresden den 8. Tag Aprilis 1554. An den Brücken Meister.« Daß das Gebäude wirklich vollendet und seinem Zwecke dienstbar gemacht wurde, geht aus der Tatsache hervor, daß 1558 die »Brückenlöwen« aus ihren Fängen zu einem Kampfjagen herbeigeführt wurden. Im Jahre 1612 wurde ein besonderes Löwenhaus auf der Schössergasse in Form eines viereckigen niedrigen Turmes erbaut, der aber 1839 wieder abgetragen wurde. Im Jahre 1568 verlegte Kurfürst August die Jägerei nach Altdresden, der jetzigen Neustadt, und zwar »um allda, weil selbige Stadt (die jetzige Altstadt) damals ganz offen und unverschlossen gestanden, der Wildbahne zum Fürsuchen, Spüren und in Sonderheit den Wolfsjagden desto näher zu sein.« Damit war der Grund zu dem »Jägerhofe« gelegt, dessen Lage noch jetzt ungefähr an dem stehengebliebenen Restgebäude zu erkennen ist. Der Jägerhof hat im Laufe der Jahrhunderte mancherlei Erweiterungen und Veränderungen erfahren, die sich bis in die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts hinein erstreckten. Nachdem schon die beiden Kurfürsten Christian I. und II. (1582–1611) den Jägerhof vergrößert hatten, erfolgte durch Kurfürst Johann Georg I. eine wesentliche Verschönerung und Vergrößerung, die ihren Abschluß fand in der im Juli 1617 erfolgten feierlichen Einweihung. Über einige Grundstückserwerbungen, die für die Vergrößerung benötigt wurden, gibt ein Aktenstück vom 28. März 1611 Auskunft, das mir gelegentlich meiner Forschungen über altsächsische Jagdgeschichte im hiesigen Hauptstaatsarchiv zu Gesicht kam. Dasselbe behandelt eine Grundstückserwerbung aus dem Jahre 1608 und lautet: »Ew. churfürstliche Gnaden sind meine unterthänigste, gehorsambste Dienste treuen Vleißes jederzeit zuvorn; gnädigster Herr, Euer fürstlichen Gnaden soll ich unterthänigst nicht vorbehalten, das wir Euer fürstlichen Gnaden vor drey Jahren (1608) das Jägerhauß zu Altdresden erweitern lassen, uf Euer fürstlichen Gnaden gnedigstes Begern Ich meinen Garten darzu, vor und umb 300 Fl. Meißnische Werung, 21 Groschen für ein Gulden gerechnet, welche der schösser mir davor einheischigk geworden, und Michaelis 1608 zalett werden sollen, unterthänigst hinlassen müssen, welcher dann zum teill zu solchem Jägerhaus gezogen, zum teill aber mit andern daran stoßenden Stücken verwechselt worden. Wan ich aber solche 300 Fl. bishero nicht bekommen, viel weniger einige Zinsen davon erlanget, und mir armen gesellen solcher verzugk zu größtem Schaden[216] gereihen tut, also gelanget an Euer fürstlichen Gnaden mein unterthänigstes höchst vleißiges Bitten, Euer fürstlichen Gnaden wollen gnedigst zu befehligen geruhen, das mir 300 Fl. zu sambt den Zinsen sonder ferneren verzugk gefolget werden mögen. Unterschrieb: Kilian Prager.« 1625 verkaufte der Bürger und Leineweber Martin Schilling dem Kurfürsten für 450 Gulden einen Acker, um dessen Bezahlung er 1628 bittet. Eine bedeutende Erweiterung erfolgte 1632, als durch Vermittlung des Schössers wieder eine Anzahl Häuser, die auf der Klostergasse gelegen waren, angekauft wurden. Hierüber ist folgende Designation, datiert vom 28. Januar 1632, vorhanden:
1. Auf der Nachtseite, den Röhrenkasten und Weinbergen zu: Christoph Fröhlich, ein Handelsmann, welcher zwar wegen leibesbeschwerung nicht selbst erscheinen kann, hat sich durch seine Hausfrau Catharine erbieten lassen, das er seine beiden wohnhäuser, als eins nach der gassen, das andre nach der Wiesen gelegen, nebst ein Garthen und Weinberglein, ganz bezahlt, Ihrer Churfürstlichen Durchlaucht zu schuldigen, unterthänigst Gehorsamb umb und vor 1200 Thaler abtreten und abfolgen lassen will, ungeachtet es ihm um viel mehreres kostete.
2. Joachim Koch, Jagt-Zeugknecht, berichtet, das er sein Hauß umb und vor 145 Thaler bahrgeld anno 1629 erkaufft, so er auch albereit bahr bezahlt, erbietet sich, solches umb 145 Thaler, wie er dasselbe erkaufft, wiederum abzutreten, weil er noch wenig darin gebessert hat.
3. Valentin Hieße, Jagtzeugschneider, hat sein Hauß vermöge des Kaufbriefs umb 220 Thaler erkauft; darauf er 150 Thaler bezahlt und ist die übrigen 70 Thaler wie auch, was an Steuern und andern gefällen, bis dato fellig, noch zu bezahlen schuldig, erbietet sich bey obiger Kaufsumme solches wiederumb abzutreten.
4. Hanns Wolff, Thorwärter im Jägerhauß, hat sein Haus umb 185 Thaler bahrgeldt erkaufft und bezahlt, auch über 70 Thaler darin verbauet, will solches um 200 Thaler wieder abtreten.
Auf der linken Seite, gegen den Althan zu:
5. Anna Baßin, Hans Andreas Witbe, helt ihr Hauß umb 400 Thaler, weil es ihr unlängst so viel gelten wolle; Ist eine arme Witbe und viel schuldig; 20 Thaler ist an der Kaufsumme ihr zurückgehandelt worden, verbliebe 380 Thaler.
6. Christian Eckardt, helt sein Hauß umb 400 Thaler. Ist endlich auf 300 Thaler gehandelt worden.
7. Silvester Kahlhorn, Trommelschläger, hat sein Hauß anfangs umb 480 Thaler erkaufft, 60 Thaler darin verbessert und gebauet, und 9 Thaler 15 Groschen der Herrschaft vor den Raum geben, will solches umb 350 Thaler wieder abtreten.
8. Christian Urban Hoffmanns Witbe, hat ihr Häußlein vor 24 Jahren umb 160 Thaler bahr geldt erkaufft und bezahlt und diese Zeit über 30 Thaler darin gebessert, will solches, als eine arme Witbe, um 190 Thaler wieder hinlassen.
Summe der ganzen Kaufsumme aller ob specifizirten Häußer thuts 2985 Thaler.
Für eine Erweiterung des Jägerhofes hatten auch 1639 mehrere Bürger in Altdresden ihre Grundstücke verkauft. Auf ihre Bitte um Bezahlung ihrer Häuser äußert sich Kurfürst Johann Georg I. in einem an den Schösser Paul Weber für den Rat zu Dresden gerichteten Schreiben wie folgt: »Liebe getrewe, Ihr wißet[217] Euch zu erinnern, was wir wegen Abtragung teils Häußer auf der Klostergaßen und den Kohlmarkt zu Altdresden mündlich befohlen. Was es dann aus derlei angeführten vrsachen nicht zu endern gehet, also begehren wir hiermit, ihr wollet solchen unsern Befehlich gehorsambst nachkommen, zu verhütung aber vielen besorglichen Klagens vorher mit den Besizern einen ungefähren Kauff schließen, die noch rückständigen Herrschaftsgefälle an Landtsteuern, Jagddienst, Raumgeldern und dergleichen abziehen undt Sie im übrigen biß zu beßer Zeit zur gedult vermahnen lassen, sodann, wie ihr dieser unser verordnungk nachgekommen, unterthänigst berichten, und unser ratificatio darüber erwartten« …
Demnach scheint in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges das Geld sehr knapp gewesen zu sein, denn wegen obiger Schuld hatten sich die Bürger Georg Wolf, Soldat in der Untergarde, Michael Basse, Büchsenmacher, und Martha Tobias Pohlens, »Defensioners allhier selige nachgelassene arme lahme Witbe« an den Nachfolger Kurfürst Johann Georg II. mit folgendem Schuldverzeichnis gewandt (5. Dezember 1556): Verzeichniß, was wir nachgesetzte arme Bürger und Witbe wegen Ihro Churfürstlichen Durchlaucht nahe gelegenen Jägerhauses anno 1639 im Monat Marty unser abgebrochenen Häußer, nach Abzug aller Churfürstlichen sowohl Ratsgefälle annoch zu fordern und bitten unterthänigst, daß Ihro Churfürstliche Durchlaucht solche uns von den izo einkommenden Hufengeldern gnädigst bezahlen lassen wollten. Als: 176 Thaler 9 Groschen 5 Pfennige Michael Basse, dessen Hauß im Kauf 200 Thaler galt; 163 Thaler 4 Groschen George Wolf, dem Kaufe nach 200 Thaler; 276 Thaler 20 Groschen 11 Pfennige Tobias Pohlens Witbe, dem Kaufe nach 300 Thaler. Thut 616 Thaler 8 Groschen 4 Pfennige.
Eine ausführliche Beschreibung des Jägerhofes findet sich in der Dresdner Chronik von Weck vom Jahre 1680. Hier sind auch die in den Sälen befindlichen Gemälde ausführlicher geschildert, ferner ist die Rede von einem Löwenhaus, in welches die früher im Löwenhause auf der Schössergasse aufbewahrten ausländischen Raubtiere überführt wurden. In dem Festsaal des Jägerhofes wird vor allem ein Gemälde erwähnt, das den Einzug des Kaisers Matthias, König von Böhmen, nebst Erzherzog Ferdinand in Altdresden (1617), ferner die Jagden, die ihnen zu Ehren auf dem Altmarkt stattfanden, darstellt; ein anderes Gemälde stellt die 1602 erfolgte Rettung des Kurfürsten aus Lebensgefahr dar, als derselbe auf einem Schiff infolge einer Pulverexplosion bei Pillnitz beinahe ums Leben gekommen wäre. Auch befand sich in gedachtem Saal eine große Tafel, auf welcher alle Tiere, welche Seine Churfürstliche Durchlaucht von 1611 bis 1653 gefangen, geschossen und gehetzt hat, verzeichnet sind und deren Zahl sich auf 113 629 Stück erstreckte.
Ein interessantes Aktenstück, das ich der Güte des Herrn Hofrat Professor Seyfert verdanke, gibt Kunde von einer Reparierung der Dächer und Aufsetzen des neu vergoldeten Turmknopfes im Jägerhofe und enthält noch mancherlei wissenswerte Einzelheiten aus der Zeit um 1671; es sei hier auszugsweise wiedergegeben: »Demnach der Durchlauchtigste Hochgeborene Fürst und Herr, Herr Johann Georg der Andere, Hertzog zu Sachßen, Jülich, Kleve und Bergk des Heil. Röm. Reichs Ertz-Marschall und Churfürst Landtgraff in Düringen, Marggraff zu Meißen, auch Ober- und Nieder Lausitz, Burggraf zu Magdeburg, Graff zu der Marck und[218] Ravensberg, Herr zum Ravenstein, Unser allerseits gnädigster Herr und gütigster Landes-Vater, Bey nothwendiger Reparierung dieses Churf. Sächß. Jägerhauses und derer Dächer-Außbeßerung, unter andern auch diesen Thurm besteigen, und selbigen Knopff, weil er ziemlich wandelbar befunden, den 15. Septembris des 1671sten Jahres herunter nehmen, hingegen diesen sambt der Fahne gantz neu verfertigt vergüldeten, den 19ten dieses umb 2 Uhr wieder hinaufsetzen lassen, haben Höchstermeldte Ihr Churf. Durchl. der werten Posterität zu gutem Andenken in gegenwertigen Knopff, welcher guter 3. Viertel übern Diameter, nachfolgende kurtz entworffene Nachricht hinein zu legen und zu verwahren vor gut befunden und gnädigst anbefohlen, Und zwar, so soll anitzo nicht weitläuffig berühret, was etwan im Römischen Reich und andern Orten hin und wieder dieses Jahr geschehen, welches denen Historien: Chronic und Novellen Schreibern zu überlassen, sondern nur dieses, was vor weniger Zeit allhier in unsern Landen geschehen. Wir haben Gott lob und Danck wohlfeile Zeiten, wir wissen von keiner ungesunden Lufft und graßirenden Seuche, keine so wohl öffentl. als innerlichen Kriege und rebellion, sondern es blühet und grünet annoch heutigen Tages bei unß der Anno 1648 durch göttliche Gnade im Heil. Röm. Reich allgemeine sowol Religion- als Profan Friede, daß dannenhero dero Churfürstenthum und Lande an Einwohnern und Unterthanen sehr wohl zugenommen, also daß sowohl in Städten als Dörffern die liebe Jugend in starker Anzahl heran gewachßen und daß Land sich umb ein merkliches gebessert, zu welchem ende dann Unser gnädigster Herr aus Landes Väterl. Vorsorge in seinem gantzen Lande anitzo eine Revision durch die Herren Ober Consistoriales und hierzu verordnete Commißarien unter denen geistlichen angestellet die schwachen Pfarren sonderl. aufm Lande und in den Dörffern von dem benachbarten verstercket, die starcken mit einsetzung noch eines pfarrers, damit der Gottesdienst desto besser und füglicher abgewartet, einem Seelsorger auch sein Ambt nicht so schwer wird: Zertheilet, die Winckel Schüler abgeschafft, hingegen die öffentlichen Stadt- und Landschulen erweitert … Inzwischen ist nicht zu vergessen, daß an der vor drey Jahren durch einen starcken unversehenen Donnerschlag hohen biß auff den innern Gang gantz herunter geschlagenen Kreutzthurm Haube und Seiten Thürmchen, nach der Schule zu in Neu-Dresden, wie auch in diesem Jägerhause nechst den Bärengarten an einem Löwenhause (so den 8ten July instehenden Jahres von Churf. Durchl. selbst eigner Person, neben hohen Cavalieren und hierzu verordnete Baumeister durch legung des Ersten Grundsteins zu bauen angefangen worden) annoch sehr starck gearbeitet wird, zu dem ende, damit Stadt Dresden desto ehe wieder gezieret und die beyden vom Großhertzog von Florentz Ihr Churf. Durchl. von dort aus allhier nacher Dreßden zu einem Präsent geschickten Löwen, welche nach einem verflossenen Jahre drey junge Löwen, als in diesen Landen noch nicht erhört, gezeuget und zumahl wegen des alten in Neu-Dreßden zu kleinen und sehr baufälligen Löwenhauses [in der Schössergasse] wie auch besserer Lauff und Bequemlichkeit vor Selbige, mit der Zeit hinein gethan würden, umb so viel desto mehr und weiln die hiergezeugten Jungen Löwen eine fürtreffliche rarität beym Hause Sachsen sind, soll dieses itztgedachte Löwenhauß vor eilff Wochen nunmehr angefangen und zehn Ellen über die Erden aufgeführt, auch zu einer sonderbaren[219] künftigen Zierde des Jägerhauses, der vierte Theil davon noch vor winters ins Dach gebracht werden. Im übrigen ist zum Schluß zu vermelden,
Was an Churf. Durchl. und dero Bedienten damahls noch am Leben gewesen
als:
Churfürst Johann Georg der Andere dieses Namens als itzt regierender Herr und Churfürst, sambt dero Vielgel. Herrn Brüdern als: Hertzog August zu Halle, Hertzog Christian zu Merseburg und Hertzog Moritz zu Zeitz, wie auch derselben allerseits jungen Herrlein und Fräulein die Durchlauchtigste Churfürstin zu Sachßen, Frau Magdalena Sibylla geb. Markgräfin zu Brandenburg. (Folgen die übrigen Prinzen.)
Die Barmhertzigkeit des Höchsten lasse das Churhaus Sachßen zu mächtigen Schutz und Schirm der Evangelischen reinen Lehre unveränderter Augsburgischen Confession unter den Fittichen seiner väterl. Huld kräftiglich erwachsen, für allen geist- und leibl. Feinden siegreich bestehen und in seinem allerheyligsten Namen zeitlich und ewig gesegnet seyn!
Von Jägerey Bedienten:
Der Oberjägermeister Herr Loth. von Bomsdorff auf Medingen, der Oberforstmeister Herr Wolff Siegm. von Pflug, der Pirschmeister Herr Johann Georg Sittich, der Wagenmeister Herr Christian Angermann.
Von Steinmetzen, Maurern und Zimmerleuten:
Nikolaß Sauter, Hofsteinmetz, Andreas Hoffmeister und Jakob Richter, beyde Hofmaurermeister, Caspar Hempel, Jägermaurermeister, Matthes Schumann, Hofzimmermeister, Michel Fuchs, Jagtzimmermeister.
Von Bau-Ambts Bedienten:
Der Oberlandbaumeister Wolff Caspar von Klengel auf Radeburg und Nauendorff, welcher zu itztgedachten Löwen Hause die invention gegeben und der Landbaumeister Johann Albert Eckart, welcher gedachtes Gebäude fortstellet.«
Neubauten entstanden noch 1720, 1722, 1723. Im Jahre 1740 kam der 90 Ellen lange und 14 Ellen breite englische Hundestall hinzu. 1743 beantragte der Oberhofjägermeister Graf Wolffersdorf den Bau eines Stockwerks auf das große Vordergebäude des Jägerhofes als Dienstwohnung für sich und erbot sich, die Baukosten von 10 000 Talern gegen ratenweise Rückzahlung vorzuschießen. Das Bauholz wurde der Heide entnommen. Nach einem Plan, der die Lage des Jägerhofes ums Jahr 1750 zeigt, enthält dieser folgende Gebäude und Plätze: Der Jägerhof, ein freier Platz, auf dem Wassertröge für die Hunde und einige große Linden standen, wurde umsäumt nach Westen von dem langen und alten Zeughaus, das nach Süden in das Hauptgebäude nach der Straßenfront zu überging, dasselbe enthielt im Parterre die englischen Hundeställe, darüber war der große Jägersaal. Im Parterre waren noch die Reise- und Jagdwagen untergebracht. In dem anschließenden westlichen Flügel war die Pirschmeisterwohnung. Auf der anderen Seite des Eingangstores war das vordere hohe Zeughaus. Der Jägerhofplatz wurde nach Norden abgeschlossen durch das Wildbretgewölbe, den Hundezwinger[220] und das Jägerwirtshaus. Hinter diesem Gebäudeblock war zunächst das hohe Zeughaus, von ihm durch einen schmalen Gang getrennt die Gebäude für die wilden Tiere: die sogenannten Affenstuben, Tiger- und Löwenfänge und die Wohnung für den Löwenwärter. Die ganze Anlage hieß das Löwenhaus, zu dem noch ein großer freier Platz gehörte. Gleich neben dieser Anlage befand sich der Bärengarten mit dem Bärenfang. Der Bärengarten wurde nach Süden von einem Wagenschuppen, nach Westen vom sogenannten Winterlager und nach Norden von den Ställen für die Kommissariatspferde abgeschlossen. Weitere Plätze waren noch der Jagdzimmerhof, Jagdröhrenhof und Auslaufplätze für die Hunde.
Es liegt auf der Hand, daß bei so einer großen Anlage fortwährend kleinere Umbauten, Reparaturen usw. sich nötig machten, daher man auch besondere Handwerker anstellte, z. B. Jagdtischler, Jagdschlosser, Jagdglaser. So z. B. wurden 1728 vier Fänge neu gemacht für das Löwenhaus. Der vom Zimmermeister Johann Breißner gemachte Anschlag von 119 Taler 23 Groschen 3 Pfennig wurde vom damaligen Landbaumeister Pöppelmann geprüft und auf 107 Taler 2 Groschen herabgesetzt. Die Glanzzeit des Jägerhofes fällt entschieden in die erste Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, aber auch schon Mitte des siebzehnten Jahrhunderts waren die Hundeställe und Menagerie gut besetzt, wie aus einem Bericht aus dem Jahre 1654 hervorgeht. Es kamen nämlich wegen einer Auseinandersetzung in der Jülich-Hatzfeldschen und Erfurtischen Sache auf Veranlassung des Kurfürsten Johann Georg I. der Dr. Georg Franzke, Fürstl. Sächs. Geh. Rat und Kanzler zu Gotha, und Dr. Rudolf Wilhelm Krauße, Fürstl. Sächs. Konsistorialrat zu Weimar, nach Dresden und besuchten außer andern Sehenswürdigkeiten auch das Jagdhaus in Altdresden. An Jagdzeug ohne Reh-, Wolf- und Hasennetze waren über dreihundert Fuder zu finden, ohne die, die die Kurfürstlichen Forstmeister auf dem Lande hatten. Mit den Netzen konnte man fünfzehn Meilen Weges stellen. Drei große Häuser mit allerhand Jagdzeugen waren vorhanden, in welchen die Wagen vierfach standen.
Über das, was die Zeughäuser des Jägerhofes enthielten, sind wir genau unterrichtet, da aus dem Jahre 1725 ein Inventurverzeichnis, angefertigt vom Proviantverwalter Johann Friedrich Heylandt, vorhanden ist. Es waren vorhanden: 22 Fuder und 2 Tücher, hohe Tücher so grüngefärbete. – 2 Fuder Schuß-Tücher, an 4 Tüchern. – 1 Fuder hohe Zwilligten Tücher, an 5 Tüchern so bey Lustjagen aufm Schloßhofe wie auch im Jägerhofe gebrauchet worden. – 14 Fuder Mittel-Tücher, an 42 Tüchern. – 9 Fuder Schmahle Tücher, an 27 Tüchern. – 1 Quertuch mit dem gemachten Churf. Wappen. – 4 Lauff-Flügel-Tücher. – 6 Fuder dänisches Zeug, an 36 Tüchern, 5 Tücher oder sog. Fußlappen. – 18 Fuder und 1 Gebund Hirschlappen, an 361 Gebunden. – 9 Fuder Fang-Netze, an 25 Netzen. – 1 Fuder Fang-Netze so schwächer, an 13 Netzen. – 2 Krumb-Ruthen-Netze. – 5 Fuder Spiegel-Netze, an 11 Netzen. – 7 Prell-Netze. – 1 Quertuch-Netze. – 3 Rehe-Netzgen, ums Rehehäusgen zu stellen. – 11 Rehe- und Hasen-Netze. – 110 Wolfs-Netze. – 1 Netz in Fuchszwinger gehörig. – 2 Kaninchen-Netze. – 60 Lerchen-Schlebnetze. – 90 Zwilligtne Wagendecken. – 90 Wagen mit zugehörigen Hemmketten und Vorläge-Wangen, Zum Hohen-, Mittel- und dähnischen Tüchern, Lappen und Netzen. – 1 Rock-Wagen. – 1 Wirck-Wagen. – 1 Wagen zur[222] Blauhuts-Mondur. – 1 Wagen mit der Feldschmiede. – 2 Pirsch-Wagen. – 1 Roll-Wagen. – 5 Schirmwagen. – 1 langer Hunde-Wagen. – 4 Wagen zum Hirsch-Kasten. – 1 Wagen zum Rehhäusgen. – 1 Kalesche zur Hirsch- und Schweins-Waage. – 4 eiserne grüngemahlte Gitterwagen vor die Löwen, Tiger und Bäre. – 3 Bären-Wagen [mit denen die im Lande gefangenen Bären aus den an verschiedenen Orten z. B. Hohnstein, Augustusburg befindliche Bärengärten nach Dresden in den Jägerhof transportiert wurden]. – 9 Zeug-Schlitten, worbey das Stellzeug an Forrkeln, Gabeln, Schlegeln, Haarken, Krum-Ruthen, Äxten, Picken, Stickeln, Radehauen, Lampen und Wagen-Winden, desgl. die Bären-, Hirsch-, Sau-, Wolfs-, Lux-, Fuchs- und Haasenkästen, nicht weniger die Schieß- und Hundeschirme, Fürstenhäusergen [aus denen die Fürstlichkeiten bei eingestellten Tagen das Wild beschossen], Fuchsprellen, Wolfs- und Fuchszeugen, Wolfskeulen, Biber- und Fischottergabeln, auch wenn was sonsten zur Jagerey gehörig, wegen dessen Weitläufigkeit, nicht spezificiert ist.
Nach diesem Verzeichnisse des Proviantverwalters Heylandt kann man ermessen, wie große Anforderungen an die Jägerei gestellt wurden und wie umständlich der Jagdbetrieb in der damaligen Zeit sich gestaltete. In dem bekannten Werke von Fleming: »Der Vollkommene Teutsche Jäger«, Leipzig 1719 finden sich nähere Angaben über die damals üblichen Jagdmethoden. Leider ist uns vieles von diesen Jagdgerätschaften verloren gegangen, aber vieles findet sich vielleicht noch in den Forstämtern und auf dem Lande zerstreut unbeachtet vor, dessen Erhaltung und Sammlung aus heimatlichem Interesse äußerst wünschenswert wäre. Wie schön und erstrebenswert wäre es, wenn in dem jetzt noch erhaltenen Teile des Jägerhofes, in unserm herrlichen volkskundlichen Museum, alles das gesammelt und aufgestellt würde, was von der Altsächsischen Jägerei noch erhalten geblieben ist. Unser Hofrat Seyfert würde sich gewiß einer solchen Sammlung gegenüber, die so recht eigentlich im Jägerhof am rechten Platz ist, nicht ablehnend verhalten und ihr ein bescheidenes Plätzchen einräumen. Es hat sich auch zu diesem Zweck ein Ausschuß gebildet, denen Herren vom Deutschen Jagdschutzverein, höhere Forstbeamte und Mitglieder des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz angehören. Hoffentlich nimmt dieser Ausschuß bald Veranlassung, mit einem diesbezüglichen Aufruf an die Öffentlichkeit zu treten und zur Sammlung und Ablieferung alter, auf die Jagd bezüglicher Gebrauchsgegenstände aufzufordern.
Von lebendem Inventar waren in den Hundeställen vorhanden: 37 große englische Doggen und Bärenbeißer, jeder an einer eisernen Kette, 30 Leithunde, 20 Jagdleithunde, 20 Besuchknechtsleithunde, 40 Hirschhunde, 40 Koppeljagdhunde, 5 Leib- und Kammerhunde, 50 englische Hunde, 40 Saufinder, 50 Dachsschleifer, 20 Streichweidhunde. In besonderen Behältnissen waren damals 40 Bären zu sehen. Im Löwenhaus befanden sich zwei weiße Füchse, ein Kreuzfuchs, ein indianischer Fuchs, 25 Luchse, vier weiße und ein schwarzer Bär, ein Tigertier, gelb mit schwarzen Flecken (also wahrscheinlich ein Leopard), ein Löwe, eine Löwin, jedes in einem absonderlichen Behältnis, ein »halber Pavian« und ein Affe.
Die ausländischen wilden Tiere wurden teils angekauft, teils erhielt sie der Kurfürst als Geschenk von anderen Fürsten. So erhielt König Friedrich August I.[223] vom König von Schweden 1731 einen Löwen, zwei Löwinnen, einen Tiger, eine indische Katze, Tiere, welche ihm selbst vom Dey von Algier und Tunis geschenkt und durch einen aus Holstein stammenden freigelassenen Sklaven überbracht worden waren. 1728 erhielt er vom Markgrafen von Bayreuth vier Tiger geschenkt. Es scheint übrigens, als ob es sich öfter statt Tigern um Leoparden gehandelt hat, da auch die Wendung: »ein gefleckt Tigerthier« vorkommt. Der König Friedrich August I. kaufte auf der Leipziger Ostermesse 1727 drei Affen, ebenso 1731 ein Stachelschwein, 1729 eine Löwin, einen Tiger, einen Pavian, ein »arabisch Tier«; 1726 wurden erworben ein schwarzer Fuchs, Mammarcke genannt, und ein roter afrikanischer Fuchs (wahrscheinlich Schakal). Im Jahre 1730 rüstete August der Starke sogar eine Expedition nach Afrika aus, mit der Aufgabe, seltene Tiere entweder lebendig oder in Häuten, Skeletten oder Abbildungen zu erlangen.
K. von Weber hat über diese sächsische Expedition nach Afrika genaueres im Archiv für die Sächsische Geschichte (Bd. III, 1865) berichtet. Der Leiter der Expedition, Hebenstreit, studierte in Leipzig Medizin und ward 1729 Doktor. Durch den ihm befreundeten Leibmedikus von Heucher wurde er dem König empfohlen, dem er einen Plan einer Entdeckungsreise nach Afrika zur Erlangung seltener Tiere und Pflanzen entwickelte. Der Plan fand den Beifall des Königs, der Hebenstreit veranlaßte, sich tüchtige Reisegefährten auszusuchen. Er wählte als Zeichner Chr. Aug. Ebersbach, als Botanist Chr. Gottlieb Ludwig, als Anatomist Zach. Phil. Schulze, als Mechanist Joh. Heinr. Buchner, als Maler Chr. Friedr. Schuberth. In Hebenstreits Instruktion war bestimmt, daß er in Afrika »für die königlichen Cabinette und die Menagerie Thiere, Vögel, Kräuter, Blumen, Gewächse, Steine nebst anderen Dingen, für welche er eine aparte Spezifikation bekommen, sammeln solle« usw.; lebendige Tiere sollte er in mehreren Exemplaren kaufen und zu ihrer Wartung Leute annehmen oder Sklaven und Mohren kaufen. Er sollte flüchtig alle Sachen abmalen lassen und als Schildereien überschicken. Aus der Hofapotheke wurden ihm die nötigen Medikamente verabfolgt; außerdem erhielt er zwei Büchsen, zwei Flinten und zwei Paar Pistolen. Die Reisedauer war auf zwei bis drei Jahre bestimmt. Am 28. September 1731 wurde Hebenstreit durch den Kabinettsminister Grafen Brühl vereidigt und am 30. Oktober 1731 wurde von Leipzig aus die Reise angetreten. Am 24. Januar 1732 schifften sich die Reisenden auf einem englischen Schiffe nach Algier ein, dessen Dey die Fremdlinge wohlwollend aufnahm. Dem leidenden Sohne des Dey konnte Hebenstreit durch seine ärztliche Kunst helfen, und er erhielt als ärztliches Honorar eine junge Löwin und zwei Stachelschweine. Von der Stadt Algier reisten sie nach Blida und besuchten das Innere von Algier. In der Landschaft Amùrah erhielt Hebenstreit vom Aga einen jungen Löwen und einen jungen Bacheraluasch, bubalum Aldrovandi oder wilden Ochsen, »der die Gestalt eines Hirsches habe, dem er in allem gleiche, bis auf die Beine und Hörner, welche letztere denen der Gazelle gleichen«. Das noch junge Tier wurde mit der Milch einiger Ziegen, welche Hebenstreit kaufte, aufgezogen. Ein Marabout (Priester) beschenkte ihn ebenfalls mit einem Bacheraluasch, und zwar einem Weibchen. Hebenstreit hatte sich dem Aga angeschlossen, der mit zahlreicher bewaffneter Begleitung die Steuern eintrieb. Bei einer botanischen Exkursion[224] erlangte Hebenstreit ein Chamäleon, das ihm von sehr großer Seltenheit erschien. Am 26. Mai 1732 traf er wieder in Algier ein und sandte seine Tiere auf einem englischen Schiffe nach Marseille. Es waren ein junger Löwe, drei Bacheraluasche, die aber auf dem Schiffe starben, zwei Gazellen, zwei Strauße, zwei Genetten, zwei Frettchen, zwei afrikanische Hühner und ein schöner Falke. Zum Wärter bestellte er einen von ihm freigekauften Sklaven, den Chirurgus Renneberg aus Schleitz. Er selbst blieb noch in Algier, von wo aus er nach Konstantia, Tunis und Tripolis ging. An der Küste in der Nähe von Bona, lernte Hebenstreit auch die Korallenfischerei kennen. In Biserta gelang es ihm, verschiedene Tiere, wie Strauße und Flamingos, sowie auch schöne Pferde zu erlangen. Zwei Mitglieder seiner Gesellschaft ließ er nebst den Tieren in Tunis zurück und ging selbst mit drei Gefährten nach Tripolis. Am 19. Dezember 1732 schifften sich die Reisenden nach Malta ein, um am 1. Februar wieder nach Tunis zurückzukehren und von da aus ganz Numidien zu bereisen. In Zaguan bekam er zwei einjährige Löwen, welche die Einwohner in einer Höhle gefangengehalten hatten. In dem seichten Kanal, den die Insel Querquenor bildet, beobachtete Hebenstreit das Fischen der Schwämme und gelangte auch in den Besitz von acht Antilopen, die dort sehr häufig waren. In dem Wüstenorte Capra erhielt er ein von ihm Audét genanntes Tier, das von der Ziege die Hörner, vom Hirsch den Kopf, die wolligen Haare vom Schaf entlehnt zu haben schien. Von Tunis aus sandte Hebenstreit am 17. April 1733 seinen Gefährten Ludwig wegen dessen schwacher Gesundheit mit den erlangten Tieren und Sammlungen auf einem Hamburger Schiff nach Europa zurück. Ludwig wurde später in Leipzig Professor der Medizin und veröffentlichte als Ergebnis seiner Reiseerfahrungen eine Epistola de vomitu navigantium. Da Friedrich August I. am 1. Dezember 1733 gestorben war, wurde Hebenstreit von dessen Nachfolger Friedrich August II. zurückgerufen. Im Mai 1733 landete er in Marseille. Für das Kgl. Naturalien- und Raritätenkabinett brachte er eine reiche Sammlung von Pflanzen, Muscheln und anderen ausländischen Seltenheiten mit. Die Zahl der lebenden Tiere war im Verhältnis zu den Kosten und der Dauer der Reise gering. Dazu kam, daß eine große Anzahl Tiere noch auf der Seereise umkam, wie z. B. Antilopen, Chamäleons, zwei Strauße. Von lebenden Tieren gelangten mit Hebenstreit nach Hamburg: sieben Strauße, welche dann in einem Gehege bei Moritzburg untergebracht wurden, zwei bunte Esel (Zebras), einige Schafe mit großen Schwänzen und Hörnern, zwei guinäische Schafe, ein Tiger (!?), ein Löwe, ein Dabba oder afrikanischer Wolf, ein Dieb (afrikanischer Fuchs), zwei Stachelschweine, eine Demoiselle (Jungfernkranich), vier afrikanische Mäuse (wahrscheinlich Springmäuse), fünf guinäische Hühner, zwei Geier, ein Adler, drei Meerkatzen, zwei Affen, allerhand Tauben. In dem mitangeführten Tiger hat man wohl einen Leopard zu vermuten, da die Verbreitung der Tiger auf Asien beschränkt ist.
Hebenstreit wirkte dann bis zu seinem im Jahre 1757 erfolgten Tode in der medizinischen Fakultät der Universität Leipzig als Professor der Pathologie und Therapie.
Die Bedürfnisse für die Tiere wurden meist durch den Oberhofjägermeister beim Kammerkollegium beantragt, und zwar für jedes Tier einzeln. Jedoch kümmerte sich König August der Starke persönlich eingehend um die Angelegenheiten[226] des Jägerhofes und ließ sich Bericht erstatten. Das tägliche Deputat für einen Löwen betrug acht Pfund Rindfleisch, ebenso für den Leoparden; für den Tiger waren fünf Pfund Rindfleisch bewilligt, für den afrikanischen Fuchs wurden täglich zwei Groschen Verpflegungsgeld bewilligt, für einen Affen ein Groschen. Ein Luchs erhielt drei Pfund Rindfleisch. Für die Verpflegung des Stachelschweins, von dem übrigens ein Paar vorhanden war, waren zwei Groschen täglich ausgesetzt. Diese hatten sich wiederholt vermehrt, und so wurde für jedes Junge, nachdem es selbständig geworden war, ein Groschen bewilligt. Indes die mit der Auszahlung des Geldes beauftragten Beamten scheinen sehr säumig gewesen zu sein, da sich der mit der Verpflegung der Stachelschweine betraute Löwenwärter Naumann mehrfach an den König selbst wendet und um Auszahlung des rückständigen Verpflegungsgeldes bittet. Trotz der großen Summen, die die Unterhaltung der Jägerei kostete, war man doch bestrebt, möglichst sparsam zu wirtschaften, wie aus folgendem Aktenstück hervorgeht.
»Allerdurchlauchtigster, Großmächtigster König und Herr!
Ew. Kgl. Majestät und Churf. Durchlaucht haben zwar dem am 16. Okt. verwichenen Jahres in dero Löwenhaus anhero gebrachten Leopard zur tägl. Unterhaltung 8 Pfund Schöpsenfleisch allergnädigst geordnet, welches ich auch bis ultimo Dezember verwichenen Jahres um denjenigen Preyß, davor 14 Pf. gleichwie das Rindfleisch mir bezahlet wird, an den Löwenwärter geliefert. Nachdem aber bekannt, daß besagtes Schöpsenfleisch jedesmahl im Sommer im Preyß zu steigen pfleget, daß solches vielmahls das Pfund zu 18, 20 und mehr Pfennigen zu stehen kommt, welches dann bei heuriger notorischen Theuerung umb so viel mehr zu besorgen stehet, ich aber erwehntes Schöpsenfleisch um besagten Preyß weiter nicht zu liefern vermögend bin. Und aber der Löwenwärter vermöge beiliegenden Attestates vorzugeben weiß und anführet, wie das Rindfleisch diesem Leopard zur Speisung viel zuträglicher als Schöpsenfleisch sei, indem er hierdurch besser gedeyen und Kraft bekäme, überlasse zu Ew. Kgl. Majestät allergnäd. resolution, ob dieselbe geruhen wolle, statt des in der Verordnung enthaltenen Schöpsenfleisches nunmehro Rindfleisch, welches ich das ganze Jahr über vor 14 Pf. zu liefern verbunden bin, allergn. zu verwilligen und solches vom 1. Januar a. c. den Anfang nehmen lassen.
Dresden 1. Febr. 1727.
Ew. Kgl. Maj. u. Churf. Durchlaucht
Johann Georg Geym, Hofmetzger.«
Mit Bezug auf vorstehendes berichtet der Löwenwärter Christian Naumann: »Ein leobardt ist Anno 1726 den 16. oktober inß Königs Löwenhauß gebracht worden. Darauf ist täglich gegeben worden 8 Pf. Schebsenfleisch, nachdem aber solch fleisch nicht umb den Preiß kan geliefert werden, so hab ich dem leobardt Rindfleisch gegeben und befindet sich bey Rindfleisch besser als bei Schebsenfleisch. Dahero ich bei dem Hofmetzger angehalten umb Rindfleisch, bekam auch solches richtig und ist der anfang gemacht worden.«
In den Streckenberichten erscheinen zum ersten Male ausländische Tiere, die bei Kampfjagen usw. verwandt wurden, bei Johann Georg II., welcher fünf Löwen, vier Löwinnen, zwei Tiger, vier Affen erlegte; bei Johann Georg III. erschienen[228] ein Löwe, ein Leopard, ein Panther im Streckenbericht, während König August der Starke drei Löwen, zwei Panther, fünf Tiger, sechs Affen, ein Tier »Menschenfresser« genannt, und ein Stachelschwein (!) zur Strecke brachte.
Daß der Verkehr mit den wilden Tieren auch im Jägerhofe nicht ohne Gefahr für die Wärter war, zeigt folgender dem »Sammler« entnommener Bericht: »An bestimmten Tagen wurden diese Tiere aus ihren Tierkästen gelassen, um diese von Unrat zu reinigen; nachher trieb man sie wieder in ihr Behältnis und legte ein Schloß vor die Tür. An einem Tage läßt man einen Tiger aus Unvorsichtigkeit aus dem Kasten bleiben, welcher sich in einem Winkel des Tiergartens versteckt hatte. Der Hüter begibt sich, seiner Verbindlichkeit nach, nach dem Tiergarten und wird plötzlich von dem Tiger, der sich aufrichtet, angefallen. Die Gefahr flößt dem Manne eine außerordentliche Herzhaftigkeit ein. Er ergriff mit der linken Hand den Hals dieser Bestie und hat noch Entschließung genug, um dem Tiere geschwinde die Luftröhre zusammenzudrücken. Er greift auch mit der rechten Hand zu und drängt mit solcher Gewalt seine Brust an die Brust des Tieres, daß dieses weder mit seinen Zähnen noch mit seinen Tatzen dem Leibe des Hüters schaden konnte. In diesem kläglichen Zustande stunden sie beide vier oder fünf Minuten gegeneinander angeklemmt. Endlich verzweifelt der Hüter an der längeren Fortdauer seiner Kräfte, ließ die Bestie plötzlich mit aller Macht aus seinen Händen und stieß sie weit zurück. In dieser Bestürzung wich sie geschwind nach dem Winkel des Kastens und ließ ihrem Überwinder Zeit genug, um in der Flucht wiewohl halbtot die Türe zu erreichen. Eben dieser Hüter mußte sich 1738 mit einer starken Meerkatze oder einem Affen herumschlagen, welche sich von der Kette losgerissen hatte. Dieser Kampf fiel so unglücklich aus, daß er mit großer Not mit dem Leben davon kam. Seine rechte Hand ward abscheulich zugerichtet und er lag sehr lange krank.«
Mit König August III. war der Höhepunkt der sächsischen Jägerei erreicht, wenigstens was den Aufwand für dieselbe betrifft. König Friedrich August der Gerechte liebte zwar die Jagd auch, aber seiner einfachen sparsamen Natur entsprach auch ein einfacher Jagdbetrieb. Beim Jägerhof waren 1826 noch folgende Offizianten angestellt: ein Jagdzeughauswagenmeister, ein Jäger bei den Hunden, ein Jägerhausbursche, ein Rauchmeister, acht Jagd- und Zeugdiener, ein Pirschkarrenknecht, zwölf Jagdstalleute, ein Hundsbursche. Dazu kamen noch sieben Jagdhandwerker. 1830 wurde der Jägerhof in eine Kavalleriekaserne umgewandelt. Über das fernere Schicksal des Jägerhofes geben die beiden folgenden Schriftstücke Auskunft. Das erste, ausgestellt am 12. September 1837, lautet: »Unter der Regierung Sr. Majestät des König Friedrich August II. wurde im Jahre 1837 der Reiterkasernenflügel E nebst den daran befindlichen Thürmen mit Blitzableitern versehen, und deshalb die Spillen und Knöpfe letzterer abgenommen und so wie die Dächer repariret, wobey die darinn vorgefundenen älteren Nachrichten hiermit wieder im Originale beygelegt worden. Wir fügen noch nachrichtlich bey, daß im Jahre 1831 unter der Regierung Sr. Maj. des höchstsel. Königs Anton, der bis dahin bestandene Jägerhof mit Ausschluß der Kreis-Oberforstmeisterwohnung, an die Militärbehörde abgetreten, die alten unpassenden und höchst schadhaften Gebäude, bis auf den Flügel E und F[229] nebst dem alten Zeugschuppen, abgetragen und aus den gewonnenen Räumen die Flügel A B C und D, sowie das Reitbahngebäude und Arresthaus, nach dem Entwurfe und unter der Oberleitung des damaligen Commandanten des Ingenieur-Corps und Direktors des Militär-Oberbauamts, Oberstleutn. Johann Carl Anton Ulrich neu erbauet wurden … Die Reparatur der Thürme besorgte der Schieferdecker Johann Friedrich Streubel.«
Und endlich in einem aus dem Jahre 1858 stammenden Aktenstück heißt es: »Als Ergänzung zur Geschichte des ehemaligen Jägerhofes, derzeit Neustädter Reiter-Caserne genannt, über dessen Einrichtung die Urkunde vom 12. Sept. 1837 das Nähere besagt, ist noch zu erwähnen, daß der im Jahre 1831 stehengebliebene alte Jagdzeugschuppen im Jahre 1851 abgetragen und an dessen Stelle ein neuer Flügel unter der Bezeichnung ›Flügel G der Neustädter Reiter-Caserne‹ zu erbauen angefangen worden ist. In demselben Jahre 1851 wurde auch die große Hälfte des Flügels E der Neustädter Reiter-Caserne zu Lokalitäten einer allgemeinen Offiziers-Speiseanstalt für die Dresdner Garnison eingerichtet, welche sich bisher im Flügel F derselben Caserne befanden. Zu erwähnen ist noch, daß bei Umwandlung des Jägerhofs in die Reiter-Caserne der sogen. ›kleine Jägerhof‹ zu einer Pionier-Kaserne eingerichtet wurde, bestehend aus einem Vordergebäude, dem Hintergebäude und zwei Stallgebäuden …« Mit der Verlegung der Kasernen in die sog. Albertstadt wurde ein Gebäude nach dem andern des alten Jägerhofes abgebrochen, bis auf eins, in dem sich nach einem zweckmäßigen Umbau das im September 1913 eröffnete Landesmuseum für Sächsische Volkskunst befindet.
Wanderbilder aus der Heimat von Max Esch
Bilder von A. Heinicke, Freiberg
Der Tiefstand der deutschen Mark hat der regelmäßig vor dem Kriege eintretenden Reisewut ins Ausland jetzt einen jähen Riegel vorgeschoben, von welcher Tatsache die landschaftlich hervorragenden Gegenden Deutschlands, namentlich auch die Gebirge, den meisten Vorteil hatten. Noch nie hat unser Erzgebirge einen solch starken Fremdenstrom zu verzeichnen gehabt, wie in diesem Sommer. Namentlich das obere Erzgebirge und die dortigen drei einzelnen Berge wiesen Massenbesuch auf, aber auch stille, verschwiegene Winkel in Seitentälern wurden nicht übersehen, und jedermann war des Lobes voll von den Schönheiten, dem steten Auf und Ab des Gebirges.
Das Erzgebirge mit seiner herben Schönheit – im Reiche noch leider viel zu wenig gewürdigt, denn der Massenbesuch in diesem Sommer entstammte in der großen Hauptsache aus Sachsen – besitzt ja auch so viele Gegenden, die wohl verdienen, aufgesucht zu werden. So bringt die Bahn den Fremden von[230] Flöha – an der Dresden–Chemnitzer Hauptbahnlinie gelegen – bereits in eines der schönsten deutschen Mittelgebirgstäler, das der mittleren Zschopau, und gibt ihm so förmlich einen Hinweis auf das, was seiner nun wartet.
Durch ein enges, vielfach gewundenes Tal mit turmhohen üppig bewaldeten Felsenwänden, die auch vielfach nackte, zerfurchte basteiartige Vorsprünge und Felsnasen aus dem umrahmenden Grün hervorstrecken, fährt die Bahn, fast immer nur wenige Meter über dem Zschopauspiegel bleibend und den Windungen des wild dahinstürmenden Flüßchens folgend, ins Gebirge hinein, an den ältesten Siedlungen des Erzgebirges vorüber. Von links grüßt aus einer Talspalte bei Erdmannsdorf, nur wenige Kilometer hinter Flöha, die Wartburg des Erzgebirges, die Augustusburg, nach der hinauf eine Drahtseilbahn führt, mit ihren kompakten Türmen nach dem Zschopautal hinüber. In malerisch schöner Umgebung liegt das Städtchen Zschopau in dreihundertsiebzig Metern Höhe. Die Gründung der Burganlage in dem Städtchen, Wildeck, wird dem Sachsenherrscher Heinrich I. zugeschrieben. Noch heute heißt der älteste Teil der Burganlage (zwischen 920 und 930 erbaut), der auf dem Hofe stehende Burgfried, der »dicke Heinrich«. Sonst können uns die kleinen Häuschen des Städtchens, wie überhaupt die in allen Gebirgsorten zumeist nicht viel Charakteristisches zeigen. Die Nöte des Dreißigjährigen Krieges haben auch die alten Siedlungen im Erzgebirge nicht verschont, in ihnen ging das wertvolle Alte an Gebäuden zu Grunde, an deren Stelle trat ärmliches, nüchternes Bauwerk.
Man tut gut, in Zschopau die Reise zu unterbrechen, um eine Fußwanderung zschopauaufwärts bis Wolkenstein durch den romantischsten Teil des Flußtales zu unternehmen.
Über Scharfenstein mit seinem hoch oben liegenden alten Schlosse, das nach dem großen Brande im Mai 1921 wieder in alter Gestalt erstanden ist, führt der Weg. Auch die Burg Scharfenstein reicht in ihren ältesten Anfängen bis in die frühesten Jahrhunderte zurück. Sie wird dann in der Geschichte 1312 erwähnt, als Friedrich der Freudige sie erstürmte. Seit dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts befindet sie sich im Besitz des v. Einsiedelschen Geschlechtes. Weiter ist Scharfenstein auch der Geburtsort des in ganz Sachsen bekannt gewordenen kühnen Wildschützen Karl Stülpner, dessen abenteuerliches Leben in den Schluchten und Wäldern des Gebirges vom Volke mit dem Mantel der Romantik umgeben wurde.
Hinter Hopfgarten beginnt die sogenannte Wolkensteiner Schweiz mit ihrem prächtigen Hochwalde, den pittoresken Felsgebilden und Steilwänden. Straße und Bahn führen unmittelbar an der Zschopau entlang. Vor Wolkenstein liegt in einem Seitentale das Warmbad Wolkenstein, das schon im dreizehnten Jahrhundert durch seine heißen Heilquellen von sich reden machte und das unzähligen Leidenden die Gesundheit wieder brachte. Wolkenstein selbst liegt weiter flußaufwärts. Hoch oben erhebt sich das Städtchen auf steiler, grünumsponnener Felsenwand noch heute im Schutze des alten trutzigen Schlosses, überragt von dem alten Kirchlein. Vierhundertneunzig Meter am rechten Ufer der Zschopau thront Wolkenstein hoch, während der Marktplatz zwanzig Meter[232] tiefer und der Bahnhof gar nur dreihunderteinundneunzig Meter, also fast hundert Meter tiefer, gelegen ist. Wuchtig blickt die altersgraue Burganlage, die bereits im elften Jahrhundert in ihren Grundrissen erbaut worden ist, über die Stadt weit ins Tal hinein. Wir befinden uns hier an einer der ältesten Siedlungen des Erzgebirges, an einem ehemaligen Zentralpunkte. Es ist so interessant hier, daß sich der Naturfreund nur schwer von diesem wunderbaren Erdenfleckchen trennen kann. Die Wanderung von Zschopau aus beansprucht nur einige Stunden, so daß es ratsam erscheint, noch weiter nach Wiesenbad – ebenfalls Heilbad – im Tale durch den schönen Fichtenhochwald und vielfach auch an der Zschopau entlang, zu wandern. Prächtige Landschaftsbilder erblickt der Wanderer auch hier in reicher Fülle, so daß die mehrstündige Wanderung wie im Fluge verstrichen ist. Halbwegs zwischen Wolkenstein und Wiesenbad mündet das romantische Preßnitztal in das der Zschopau. Den Besuch dieses Tales, das von Wolkenstein aus durch eine Kleinbahn nach Jöhstadt erschlossen ist und eine gute Straße im Grunde des Tales aufweist, sollte sich kein Besucher des Erzgebirges entgehen lassen.
Von Wiesenbad an würde ich bis Annaberg die Benützung der Bahn vorschlagen. Zwar interessant ist auch das Zschopautal bis Schönfeld-Wiesa noch, und ebenso das Sehmatal, in das die Bahnlinie dann einmündet, doch den schönsten Teil hat der Wanderer, der meinem Ratschlage gefolgt ist, bereits hinter sich.
Schnell genug erblickt der Reisende den Hauptort des oberen Erzgebirges am Westabfall des achthundertzweiunddreißig Meter hohen Pöhlberges, dessen wuchtiger und umfangreicher Fuß sich aus dem Sehma- und aus dem östlich benachbarten Pöhlbachtal erhebt, um sich nach oben kegelartig zuzuspitzen und schließlich zu einer gegen hundert Meter abfallenden breiten tafelförmigen Basaltkuppe auszuwachsen, die mit ihrem dichten Fichtenhochwalde, von einem der benachbarten Berge gesehen, einer riesigen Pelzmütze gleicht.
Annaberg mit seinen gegen zwanzigtausend Einwohnern bildet in jeder Weise den geschäftlichen und gesellschaftlichen Zentralpunkt des oberen Gebirges. Es liegt hoch über dem Sehmatal und zieht sich den Hang nach dem Pöhlberge zu hinauf, klettert auch stellenweise mit seinen Häuschen ins Tal hinab, doch der Reisende erblickt das freundliche Stadtbild mit dem hohen Turm der St. Annenkirche, dem niederen des Bergkirchleins, dem Rathausturm und dem gelblichroten neuen und umfangreichen Seminargebäude als zusammenhängendes Ganzes auf dem Bergrücken über dem Tal, überragt von dem dunklen Pöhlberge mit seinem hellen Unterkunftshause und dem dreißig Meter hohen Aussichtsturm. Posamenten-, Präge-, Kartonnagen-Industrie, Perldrechslerei, Perltaschenfabrikation und -handel, Pappen- und Papierfabrikation, letztere im Tale, wo auch Holzschleifereien vorhanden sind, bilden die Erwerbszweige der Bevölkerung. Annaberg liegt über sechshundert Meter hoch.
Kein Besucher Annabergs sollte sich bei klarem Wetter die Besteigung des Pöhlbergs, der von den drei einzelnen oberen Basaltbergen allein einen gut instand gehaltenen Rundgang um den ganzen Berg aufweist, entgehen lassen. Er genießt von dem Aussichtsturm einen umfassenden Rundblick über das ganze Erzgebirge[233] und weit ins Tiefland hinein. Sehenswert ist auch das Innere der Annenkirche und das gegenüberliegende Erzgebirgsmuseum.
Daran, daß Annaberg dem Erzbergbau seine Entstehung und Blüte verdankt, wie auch die Schwesterstadt Buchholz, erinnern in der Gegend noch zahlreiche alte Halden, die mit ihrem Buschwerk und Baumbestand namentlich den westlichen Sehmahöhen, gegenüber von Buchholz und Annaberg, einen parkartigen Anstrich geben. Gegenüber von Annaberg, am Fuße des sechshundertsechsundsechzig Meter hohen Schreckenberges, von dem man einen prächtigen Überblick über das zusammenhängende Bild Annaberg–Frohnau–Buchholz–Cunersdorf hat, liegt ebenfalls ein Zeuge aus jenen fernen Glanztagen, der Frohnauer Hammer, der das älteste deutsche Hammerwerk, das in seiner ursprünglichen Gestalt auf uns überkommen ist, enthält. Er wird bereits um 1300 herum als Mühlwerk urkundlich erwähnt. Seine Entstehung aber läßt sich nicht nachweisen. Aus der Mühle wurde zunächst ein Silber-, dann ein Kupferhammer und schließlich ein Eisenhammer. Die drei alten Hämmer sind noch in ursprünglicher Gestalt vorhanden, ebenso die beiden großen Schmiedefeuer mit den riesigen Holzblasebälgen. Sehenswert ist auch das ehemalige, 1697 erbaute Herrenhaus mit dem reichen Holzwerk, den Holzdecken und dem dreistöckigen hohen Schieferdach. Es befindet sich jetzt die weit im Gebirge bekannte gemütliche Hammerschenke (Pächter Max Lorenz), in der besonders erzgebirgische Lieder zur Laute gepflegt[234] werden, in dem Gebäude. Der Hammer ist in Heft 5, Band I 1909, dieser Zeitschrift eingehend gewürdigt.
Von Annaberg sollte niemand versäumen, dem angrenzenden Buchholz einen Besuch abzustatten. Beide Städte stoßen aneinander. Tief unten, wohl gegen hundert Meter tiefer, windet sich die Sehma in engem Tale dahin, überall eingeengt von steiler baumbewachsener Felsenwand. Buchholz zählt nicht ganz zehntausend Einwohner und kann die gleiche Industrie wie Annaberg aufweisen. Es ist, was sein Stadtbild betrifft, eins der interessantesten Städtchen Sachsens. Die Häuser ziehen sich terrassenartig die Bergwände, namentlich die an der westlichen Seite, steil hinauf, so daß es den Anschein erweckt, als ob sieben und noch mehr ganz stattliche Gebäude übereinanderstehen. Während die Talstraße an der Sehma eine Höhenlage von gegen fünfhundertzwanzig Metern hat, weist die Höhenmarke am Rathause fünfhundertachtundfünfzig Meter auf, und die alte Schlettauer Straße mit ihren Häuschen steigt die steile Wand bis auf gegen siebenhundert Meter hinan. Im Mittelpunkt aber liegt die Katharinenkirche mit ihrem reichgegliederten Turme. Von Buchholz aus kann die Weiterfahrt ins obere Gebirge nun vom Bahnhof Königstraße oder vom Buchholzer Hauptbahnhofe fortgesetzt werden.
Durch das Sehmatal geht die Fahrt aufwärts durch Sehma und Cranzahl hindurch. In Cranzahl zweigt die Schmalspurbahn nach Oberwiesenthal ab, während die Hauptbahn in einem großen Bogen um den Fuß des achthundertachtundneunzig[235] Meter hohen bewaldeten Bärensteins herum nach Bärenstein und weiter nach Weipert fährt. Der Bärenstein ähnelt in seinem Aussehen und dem westlichen Steilabsturz nicht nur dem Pöhlberge, sondern auch dem westlich an der oberen Zschopau sich erhebenden achthundertsieben Meter hohen Scheibenberge. Die Entfernung zwischen Bärenstein und Pöhlberg beträgt in der Luftlinie sechseinhalb Kilometer, die zwischen Bärenstein und Scheibenberg sieben Kilometer. Durch eine Linie verbunden bilden die drei Berge ein Dreieck. Auch die letzteren beiden besitzen Unterkunftshäuser mit je dreißig Meter hohen Aussichtstürmen.
Von Cranzahl aus bringt die Kleinbahn uns durch das wohl eine Meile lange Neudorf im Sehmatale nach dem höchsten Städtchen Deutschlands, Oberwiesenthal, an den Fuß der Kuppe des Fichtelberges, die sich nur gegen dreihundert Meter höher erhebt und von Oberwiesenthal aus bequem zu ersteigen ist. Es ist eine interessante Bergfahrt, die namentlich, wenn die Bahn die Fichtelbergvorberge, vom Sehmatale abbiegend, erklettert, von hohem landschaftlichen Reize ist.
Gleich einer dunklen senkrecht aufstrebenden Mauer erheben sich die Vorberge des Fichtelberges aus dem Sehmatalkessel bis zu eintausendfünfzig Meter, abgerahmt von dem dunklen stumpfen Kegel des eintausendzweihundertfünfzehn Meter hohen Fichtelbergs und dem gegen dreißig Meter höheren des benachbarten böhmischen Keilbergs.
Die Gegend um den Fichtelberg weist auch an klaren Herbst- und Wintertagen einen regen Verkehr auf. Bei den Schneeschuhläufern ganz Deutschlands sind die[236] weiten Hänge um den Berg beliebt. In schneereichen Wintern gibt der Fremdenverkehr in Oberwiesenthal dem in den Sommer- und Herbstmonaten kaum viel nach, da außer den Wintersportlern auch Naturfreunde die weiße Bergespracht zu schätzen wissen, das Zauber- und Feenreich, das der Winter mit seiner dicken Schnee- und Eisdecke hier aufbaut. Freilich, den Fichten und den Kronen der übrigen Bäume hier oben rasiert die Schneelast nur zu oft ganze Seiten fort, so daß die Bäume hier oft ein merkwürdiges Aussehen angenommen haben.
Umfassend aber ist bei klarer Sicht der Rundblick vom dreißig Meter hohen Turme des Unterkunftshauses. Da liegt das ganze Erzgebirge um uns ausgebreitet, zu unseren Füßen die drei Wiesenthal: Ober- mit Unter-, Böhmisch- und Hammer-Unterwiesenthal. Im Westen blauen in der Ferne einzelne Thüringer und Harzberge in schwachen Umrissen, im Osten reichen die Blicke bis nach dem Lausitzer Gebirge, überall aber um uns liegt das Erzgebirge mit seinen Bergen, Graten, welligen Hochflächen und gewundenen Tallinien, erheben sich Ortschaften unter grauen Schieferdächern in unendlicher Zahl, deren Namen niemand zu nennen weiß.
Oberwiesenthal, das auch nach seiner Verschmelzung mit Unterwiesenthal noch nicht dreitausend Einwohner zählt, kann für sich den Ruhm in Anspruch nehmen, das höchstgelegenste Städtchen Deutschlands zu sein (neunhundertachtzehn Meter). Es liegt am tiefeingeschnittenen Grenz-Pöhlbachtale und bildet mit den benachbarten[237] Ortschaften dies- und jenseits des Bachlaufes fast eine zusammenhängende Linie bis nach dem deutsch-böhmischen Städtchen Weipert, dem Bärenstein gegenüber.
Die kleinen, zumeist in hellen Farbtönen gehaltenen Häuschen Oberwiesenthals mit den niedrigen Fenstern und den grauschwärzlichen Schieferdächern scheinen sich um die weiße stattliche Kirche mit dem hohen Turm und um das Rathaus im Rechtecke zu gruppieren. Sie bieten nicht viel des Interessanten, heimeln aber gerade ihrer Schlichtheit wegen ungemein an. Dem Fremdenverkehr entsprechend besitzt das Städtchen eine ganze Anzahl einfacher und auch vornehmerer Unterkunftsstätten, von denen das stattliche Sporthotel und das Fichtelberg-Unterkunftshaus auch den verwöhntesten Ansprüchen genügen können, ersteres auch hinsichtlich der Preise. Oberwiesenthal verdankt seine Gründung gleich Annaberg und Buchholz dem Silberbergbau, der indes im ganzen oberen Erzgebirge schon vor langen Zeiten eingestellt worden ist. Jetzt gibt einige Industrie und der lebhafte Fremdenverkehr der Bewohnerschaft Verdienstmöglichkeiten. In Oberwiesenthal wirkte auch der Malermeister Hertel, der sogenannte erzgebirgische »Herrgottschnitzer«, dessen Weihnachtsberge weit über Sachsen hinaus einen guten Ruf genossen. Nach einem arbeitsreichen Leben hat er im vergangenen Jahre die müden Augen für immer geschlossen. Schüler des Meisters setzen sein Werk fort. Das Stadtbild Oberwiesenthals wird recht wirkungsvoll abgerahmt durch die langgestreckten Keilberg- und Fichtelbergrücken.
Vom Fichtelberge aus haben ihren Ursprung die große Mittweida, die nach Nordwesten abfließt, Zschopau, Sehma und Pöhlbach, die beinahe nördlich in gewundene Täler hinabeilen. Gute Straßen führen hinab nach Crottendorf ins obere Zschopautal, ins Sehma- und Pöhlbachtal, so daß der Abstieg vom Fichtelberg nach allen Richtungen aus angetreten werden kann, da außer den eben genannten Straßen auch solche nach dem Keilberg und nach Gottesgab ins Böhmische hineinführen. Über Crottendorf gelangen wir über den Scheibenberg mit seiner prachtvollen Fernsicht über das westliche Gebirge nach dem an seiner Kuppe nur etwas über einhundertfünfzig Meter niedriger liegenden gleichnamigen Städtchen, von dort in das schöne Mittweidatal über Ober- und Unter-Scheibe nach Mittweida-Markersbach, Raschau, Grünstädtel nach Schwarzenberg ins romantische Schwarzwassertal. Eine reichliche Tagestour aber ist dazu erforderlich. Bilder hoher Romantik und solche wunderbarer Lieblichkeit wechseln in steter Folge. Von Schwarzenberg ist es bis Aue nicht allzu fern. Beide Städte liegen an der Werdau–Zwickau–Aue–Buchholz–Annaberger Bahnlinie, die das Erzgebirge von Westen erschließt. Es würde den Raum aber weit überschreiten heißen, wollte ich hier des Näheren auf diese Route eingehen.
Die Wege ins Sehmatal und in das des Pöhlbaches bringen uns wieder den alten Weg zurück, den wir gekommen sind. Nur daß das Pöhlbachtal weiter östlicher verläuft und in Sachsen nach Bärenstein noch Königswalde, in prächtiger Talmulde gelegen, Geyersdorf am Ostfuße des Pöhlberges aufzuweisen hat.
Eine prachtvolle Wanderung, hart an der Grenze entlang führt uns von Bärenstein aus durch schönen Fichtenhochwald über Berg und Tal nach dem[238] Grenzstädtchen Jöhstadt (siebenhundertneunundvierzig Meter). Es liegt zum Teil tief unten im Schwarzwassertale, teils oben auf der Höhe und zeigt den Charakter eines echten Erzgebirgsstädtchens. Das forellenreiche, über Felsgestein einhertollende Schwarzwasser stürmt der Preßnitz zu, das es bei Schmalzgrube erreicht. Höhenzüge, Bergkuppen und -wellen von achthundertzwölf, achthundertsiebenundzwanzig, siebenhundertvierundneunzig, siebenhunderteinundachtzig, siebenhundertachtundachtzig, achthundertachtundfünfzig, achthunderteinundzwanzig Metern Höhe geben[239] uns mit ihren dunklen Waldbekrönungen das stete Geleit auf dieser Wanderung nach dem Preßnitztal.
Schmalzgrube selbst besteht nur aus wenigen im Walde fast versteckten und verstreuten Häusern und Gehöften und ist von allen Seiten von Bergen umschlossen. Ruhe und Einsamkeit kann der Naturfreund in diesem Tale auskosten und daneben ladet die Schönheit der Natur, die köstlich reine Höhenwaldluft, die durch keinen Essenrauch verpestet wird, unwillkürlich zum Verweilen ein. Wald und Berge, soweit das Auge reicht!
Gern wird man in dem freundlichen Ort übernachten, um am nächsten Morgen eine Talwanderung nach Wolkenstein anzutreten oder aber mit der Kleinbahn dorthin zu fahren, denn auch diese führt das Tal, nur wenige Meter über der Preßnitz gelegen, und den vielen Windungen des Flüßchens treu folgend, hinab.
Das Preßnitztal mit seinen hohen Talwänden gehört zu den Perlen des oberen Erzgebirges und sollte viel mehr aufgesucht werden. Es besitzt romantische, aber noch mehr idyllische Reize auf engem Raume vereint und trägt bald Thüringer Charakter. Ich möchte es mit dem oberen Schwarzatale zwischen Katzhütte und Schwarzburg vergleichen. Schmale Bachtäler münden zudem von allen Seiten in das Tal und gestalten die Szenerie noch mannigfaltiger. Dazu kommt, daß das sächsische Preßnitztal von Schmalzgrube bis nach der Mündung eine gute Straße aufweist, die etwa drei Meilen lang ist, so daß die Talwanderung in einer bequemen Tagestour mit reichlichen Rastpunkten zu erledigen ist. Noch manche schöne Wanderung könnte ich hier anführen, doch befürchte ich, den Leser zu ermüden und auch den mir zur Verfügung stehenden Raum zu überschreiten. Vielleicht in späteren Wanderbildern etwas mehr vom Erzgebirge.
Moritzburg und Fasanenschlößchen
Von K. Berger, Leipzig
Aufnahmen von Walter Hahn, Dresden
Es liegt eine tiefe Symbolik darin, wie die deutsche Sprache die Entfernung und Entfremdung von der heimatlichen Scholle bezeichnet: »Elend« hieß im Mittelalter der Landfremde und »bodenlos«, das ist uns mehr als schlimm noch heute. Und daß gerade wir Deutschen die so tiefsinnige und weise Sage von Antäus, dessen Kraft sich immer wieder erneute, so oft er Mutter Erde berührte, so wohl nachzuempfinden vermögen, das beweist allein überzeugender als dicke Folianten die Seelenverwandtschaft, die über Zeiten und Meere das Volk Hölderlins und Winkelmanns mit dem begnadeten Stamme im klassischen Griechenland verbindet.
Ja, draußen, vor der Stadt, wo der frische Wind das dicke graue Gewölk der Alltagssorgen, etwas unsanft vielleicht, aber desto nachhaltiger hinwegfegt, draußen in Feld und Heide, von denen so viele kräftige Sprüche und frohe deutsche Lieder wissen, dort suche dir Erholung und Belebung zugleich. Trotz Winters und aller Not der Zeit wirst du sie dort auch jetzt noch immer neu finden.
[240]
Dichter gütiger Schnee deckt nach Wochen rauhen Barfrostes Wald und Wiesen und so manche Verunzierungen älterer und neuester Zeit, indes wir langsam durch den Lößnitzgrund aufwärts steigen. Ganz still ist es, so still, daß es leise seidig knistert, so oft einer der gefiederten, heute, ach, so kleinlaut verstimmten Sänger mit seiner Schwinge Schnee von einem Zweige streift. Hinter der Meierei weitet sich das Tal; eine Wiese, rings umhegt von herben Kiefern und schütteren Birken. Ein Häuschen in Efeu steht am Rande. Spielplatz der Waldelfen im sommerlichen Mittagsflirren oder doch der Ferienkinder mit Zupfgeige und bunten Bändern und viel Sonnenglanz auf Wangen und in Augen. Wie lange noch? Vom Hange rechts ist schon mancher stattliche Stamm in den letzten Monaten zuviel abgeschlagen worden, und doppelt solange als auf gutem Boden, wird es auf dem kargen Hange währen, bis in Menschenaltern auch nur ein Baum wieder erwachsen ist, wie er, zwei Handbreit im Durchmesser, auf dem Stamme selbst heute nur wenige Papiertaler erbringt. Das geltende Recht, noch stehend unter den Nachwirkungen der Freihandelslehre, die auch dem sächsischen »Heimatschutzgesetz« von 1909 noch allenthalben grundsätzlichen Widerspruch entgegensetzte, gestattet leider den Schutz des reinen Naturdenkmals nur erst in sehr kümmerlichem Umfange. Möchte bald in unserer Zeit der gedanken- und bedenkenlosen Geldmacher und der heimatlosen wirtschaftlichen Machthaber solchem Tun durch Maßnahmen (Forstschutzgesetz!) gesteuert werden, die die Erschöpfung der besten Kraftquellen und Jungbrunnen unserer Städte und ihrer Kinder durch Fortentwicklung des geltenden Rechtes wirksam und entsprechend der Überzeugung weitester und bester Teile der Bevölkerung des Landes künftig unmöglich machen. Bannwald, Freiwald,[241] »Friedewald« – das Blockhaus der Eisenbahnstation, die wir inzwischen durchschreiten, erinnert noch daran –, das war gerade der Forst ringsum, die spätere Burggrafenheide von der Meißner Gegend bis nach Klotzsche, selbst schon in grauen, rauheren Jahrhunderten mittelalterlicher Geschichte.
Bei Dippelsdorf endet der Grund. Jenseits liegt ein großer Teich, der den Namen des Dorfes trägt. Mitten hindurch führt auf schmalem Damme die Bahn. Wie brauste und wogte er damals, als sich tausend und abertausend weiße Wellenkämme in jenen Tag- und Nachtgleichestürmen überstürzten, die an dem Septembersonntage 1914, mit der Kunde von dem großen Siege an den masurischen Seen zugleich, brausend über das deutsche Land fuhren und drüben an der Landstraße zum Moritzburger Schlosse so manchen Stamm krachend zerpellten. Heute freilich liegen all die Teiche in der Runde tot unter Winters lähmender kalter Faust, so wie das deutsche Land ringsum.
Aber es wird ein Auferstehen kommen in neuen Lenzen nach Jahren der Not, der Raffsucht und des Neides; ein echteres dauernderes Auferstehen und Leben wird es sein als jenes, das die Treibhausluft der Filmwelt der Moritzburger Wald- und Wasserherrlichkeit und seinem ehrwürdigen Schlosse bereitet hat. Der Film wollte diese großartige großlinige Landschaft zur billigen Staffage herausgeputzter Herrschaften herabdrücken. Doch da rächte sie sich und erdrückte all ihr turbulentes Gewimmel so, daß von zweihundert Brokatgewändern und vierhundert Perücken weniger Erinnerung übrig blieb als von dem einen naturgetreuen[242] Bilde des sonnenbeschienenen Sees mit der schlanken Gondel und der Insel, die auf seinen Wassern schwimmt.
Und die kleine Insel mit den wispernden und doch diskreten Espen träumt auch heute vor unseren entzückten Augen friedvoll, ahnungslos sozusagen, nun wir durch die große Allee allmählich den Schloßteich erreicht haben, vorbei an dem Kuppelbau der Kirche, die in den Maßen etwas überheblich erscheint und vorüber am Landstallamt, an dessen Tore ein weiser oder doch launiger Herrscher seinen churfürstlichen Hofnarren Fröhlich und Schmiedel zum Dank für manche erfrischende Wahrheit Büsten setzen ließ.
Der Schloßteich ist erst in den Jahren 1722 bis 1730 durch umfangreiche Ausschachtungen aus drei kleineren Weihern entstanden. August der Starke war es, der aus dem kleinen Jagdschlosse, das Kurfürst Moritz 1542 begonnen hatte, durch den Meister des Zwingers, Daniel Pöppelmann, den Bau in der heutigen Gestalt mit seiner bezwingend selbstverständlichen Ausgeglichenheit der Maße und Massen errichten ließ. Die besten Meister standen ihm bei: Longuelune, der auch die vornehm verhaltene Pracht des Japanischen Palais in Dresden erschuf, Knöffel und Permoser als Plastiker, Louis Silvester als Maler. Ihrem Zusammenwirken danken wir all die beruhigten und beruhigenden Harmonien des Zusammenklangs und Ineinanderfließens ihrer Künste im Innern wie im Äußern und in der Umgebung dieses wahrhaft königlichen Waldschlosses. Nur die Türme des Baues gehen im wesentlichen noch bis auf das sechzehnte Jahrhundert zurück. Damals[243] aber verband sie wie es noch jetzt im Hermsdorfer Schlosse des Fürsten Schönburg zu sehen ist, nur eine Mauer, innerhalb deren das weit kleinere alte Jagdschloß stand. Auch die Kapelle stammt aus älterer Zeit. 1661–1672 erbaute sie der jagdfrohe Johann Georg der Zweite, der sich 1638 mit der Tochter des Kurfürsten von Brandenburg in Moritzburg vermählt hatte. In jener hohen Zeit des Weidwerks und des Weines ließ der Fürst eine Tafel anbringen, darauf stand:
Und in den Grundstein der Kapelle mauerte er eine Kapsel mit einer Flasche roten und weißen Weines. – – Es war derselbe Fürst, der sich auch das Schlößchen Hoflößnitz unten in den Weinbergen erbauen und so lebensfroh auszieren ließ. Seine Mahnung aber fand genug Nachahmung: Aurora von Königsmarck und Peter der Große, Friedrich der Große und der erste Napoleon, sein Bruder König »Lustigk« von Westfalen und noch im Weltkriege der Kaiser Karl von Österreich und mit ihm die Kaiserin aus Welschland auf dem wohl letzten feierlichen Fürstenbesuche alten Stils, den Moritzburg und Sachsen überhaupt sah. Nur einige der glänzenden Gäste sind das, die die Säle des Schlosses im Laufe der Jahrhunderte durchschritten.
Sollen wir auch von den einzelnen Räumen noch sprechen? Wer in Sachsen Sinn für ehrwürdige und kunstreiche Pracht hat, kennt sie ja: den Speisesaal und[244] den Monströsensaal mit den stärksten und seltsamsten Edelhirschgeweihen, die überhaupt bekannt sind, Geweihe wie sie nur bei der freien Wildbahn und der reichlichen Tierfütterung früherer Jahrhunderte sich überhaupt entwickeln konnten, darunter jener einzigartige 66-Ender. Und er kennt auch die Zimmer mit den alten China- und Japanporzellanen auf den Kaminen in dämmriger Pracht, den Gobelins und Intarsien, den vergoldeten Ledertapeten und all der andern Herrlichkeit.
Eher noch wäre von dem Schlößchen eine halbe Stunde ostwärts, jenseits der durch Roheit und Habsucht der letzten Jahre fast verwaisten Wildfütterung zu erzählen, drüben am alten Fasanengehege mit der leider abgebrochenen Volière voll umständlicher ländlicher Schnitzarbeit, die der weidfrohe Sieger von Beaumont so liebte. Um 1775 baute es sich Friedrich August der Gerechte am Ufer des sanften Großteiches, dessen Lieblichkeit ein düsterer Leuchtturm und die dräuende »Dardanellen«mauer vergeblich ins Heroische zu steigern versuchen. Er entsprach der Wesensart des fürstlichen Bauherrn, der beinahe der sächsische Zeitgenosse und Geistesverwandte Friedrich Wilhelms des Dritten war, und anderen Formats des Leibes wie des Lebenszuschnitts als August der Starke. Und auch das zierliche Rokoko und Empire und die spielerischen Chinoiserien seines Fasanenschlößchens spiegeln seine Wesensart ähnlich wieder wie etwa die saubere Bürgerlichkeit des Schlößchens auf der Potsdamer Pfaueninsel die des Gemahls der Königin Luise und umgekehrt der große kraftvolle Zug des Moritzburger Jagdschlosses selbst die Vollkraft seiner beiden großen Bauherrn Moritz und August.
Aber das Beste, das dem Wanderer beschieden, ist vielleicht gar nicht der langsam verdunkelnde äußere Glanz im Innern dieser Schlösser, für die jetzt leider, wenn nicht Pflege, so doch Leben, Nimbus, und zumal Ehrfurcht allzusehr schon oder noch fehlen. Das Beste ist, was nicht sichtbar um die Mauern und Statuen und auf den Teichen webt und raunt, und was dem nie fehlen wird, der den Weg zur Mutter Natur zu finden weiß und dabei immerhin bei Frau Historia einmal mit beschaulich einkehren mag. Die beiden Chinesen auf dem geschweiften Dache des Fasanenpalais nicken im Winde bestätigend. Und sie sind alt genug, die Welt zu kennen.
Von Walther Hoffmann
Diese Worte von Nikolaus Lenau finden auch in dieser trüben Zeit in unsern Herzen den stärksten Widerhall. Lenau war auch einer der deutschen Romantiker. Und die deutsche Romantik in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts ist es ja gewesen, die, wie allen unsern Sitten, Bräuchen und Liedern, so auch unserm[245] Weihnachtsfest seine schönsten Geheimnisse abgelauscht und sich in seinen Zauber am tiefsten versenkt hat. Ihr entstammen unsere liebsten Weihnachtslieder, sowie die Sitte des Christbaums, von dem z. B. Schleiermacher in einer Schrift von 1806 noch nichts weiß. Zwar hatte auch das achtzehnte Jahrhundert schon sein Weihnachten. Ein Brief von Goethe aus Frankfurt, am Christtag früh 1772 geschrieben, bezeugt es. »Ich habe diese Zeit des Jahres gar lieb, die Lieder, die man singt, und die Kälte, die eingefallen ist, macht mich vollends vergnügt.« Des Türmers Lied: »Gelobet seyst du Jesu Christ« hat ihn ergriffen. Am Christabend ist er über den Markt gegangen und sah »die vielen Lichter und Spielsachen«. Aber wenn wir uns solch eine Weihnachtsstube des achtzehnten Jahrhunderts mit der steifen, aus Stöcken gezimmerten Lichterpyramide auf einem der alten Stiche des bekannten Berliner Kupferstechers Chodowiecki ansehen, und das nicht minder steife Gehaben der Menschen darauf, bis herab zu den Kindern, so mutet uns das alles doch recht wenig volkstümlich und kindertümlich an.
Die Romantik brachte uns eine Rückkehr zur Natur, auch zur menschlichen Natürlichkeit. Und sie schenkte uns einen Künstler, in dessen ganzer Erscheinung das natürliche Wesen so wahr und echt uns entgegentritt und zugleich wie von einem verklärenden Schimmer umflossen ist. Das ist Ludwig Richter. Und in seiner Weihnachtskunst tritt uns dies alles ganz besonders vor Augen.
Richters Weihnachtskunst ist, wie es jedes echte Kunstwerk sein muß, aus seinem Leben erwachsen. Seine Kindheit und das Leben im Elternhaus war nüchtern. Dort und in der Schule blieb das religiöse Bedürfnis unbefriedigt und ungenährt. Und es ist bezeichnend, daß er aus seiner Jugend, aus der er sonst in seinen herrlichen »Lebenserinnerungen« jeden anheimelnden Zug mit Liebe festgehalten hat, niemals etwas von Weihnachten erzählt, als nur das eine, daß er Weihnachten 1820 in Frankreich »mit den Gedanken viel daheim« war und am zweiten Feiertag an einen Ball denken mußte, den er vor Jahr und Tag mit seiner Braut Auguste besucht hatte.
[246]
Das große Erwachen kam über ihn erst in Rom, wo er durch die Güte des Dresdner Buchhändlers Christoph Arnold seit Herbst 1823 leben und sich weiter ausbilden durfte. Dort ist ihm das Weihnachten 1824 zu einem besonders tiefen Erlebnis geworden. Wehmütig sehnte er sich heimwärts inmitten der Herrlichkeiten Roms. »O hätte ich doch ein kleines Stündchen in Dresden sein können, um unerkannt durch die nächtlichen Gassen zu laufen und die erleuchteten Fenster zu sehen!« Es verlangte ihn, daheim »diese alten, schönen Feste recht innig zu begehen unter lieben Freunden oder an der Seite der Geliebten«. Da schwärmt er nun doch in seinem Tagebuche von den »schönen, süßen Zeiten«, von »unsern alten, heiligen, herrlichen Gebräuchen«, ohne die der Deutsche nicht leben könne, ohne kalt und endlich schlecht zu werden. Das ist es, was ihm unter dem Klang aller Glocken Roms zum Bewußtsein kam. Und es fielen ihm Schillers Worte ein:
Am Neujahrstag 1825 aber schrieb er in sein Tagebuch: »Mir ist um Mitternacht ein neu Gestirn aufgegangen, es leuchtet und wärmt zum Leben, und ich fange nun erst an zu leben, nämlich im Glauben und in der Wahrheit.« Diese Worte beziehen sich auf den Silvesterabend, den er wenige Stunden vorher mit seinen drei vertrautesten Freunden in dem Dachstübchen einer engen Gasse verbracht hatte. Unter dem Läuten aller Glocken der ewigen Stadt feierten sie das Neujahr mit dem Choral »Nun danket alle Gott«. Dieser Abend hatte die weihevolle Stimmung vom Weihnachtstag her noch verstärkt und vertieft, und Richter hat später wiederholt von jenen Tagen als den entscheidendsten seines Lebens gesprochen. »Die Weihnachts- und Neujahrszeit ist mir immer doppelt lieb und heilig, weil es[247] die Zeit meiner zweiten Geburt zu einem wahrhaften und besseren Leben geworden ist.« Liegt über Richters Briefen auch sonst immer ein Hauch zarten, feinen Empfindens, so erhalten vollends die um die Jahreswende geschriebenen immer einen besonderen tiefen Klang.
Dies alles kann nicht übergangen werden, wenn wir uns nach Richters Weihnachtskunst umschauen. Denn hier zeigt sich das, was auch aus seinen Bildern spricht, daß er nicht nur die ästhetischen Werte, sondern auch die religiösen Kräfte dieses Festes aller Feste nachzuerleben wußte. Und aus diesem frommen Erleben, nicht nur aus der künstlerischen Begabung, erklärt sich der Reichtum, die Kraft und Lebendigkeit seiner Weihnachtsbilder. Der große Dichter Otto Ludwig, der damals auch in Dresden lebte, labte sich noch auf seinem letzten Krankenlager an Richters Bildern, fuhr mit knöchernem Finger darüber hin und sagte: »Das ist noch einer, der den Kindern ihren Weihnachtsbaum anzünden kann. Nach ihm wird’s keiner mehr so können.«
Ja, es müssen doch schöne Jahre gewesen sein, die stillen vierziger und fünfziger Jahre, die solche edlen Früchte deutscher Kunst und deutschen Gemütes zeitigten. Da verging kaum ein Weihnachten, zu dem nicht unser Dresdner Meister seinem Volk ein Werk von seiner Hand auf den Weihnachtstisch legte: 1840 die Geschichte des deutschen Volkes von Duller mit vierundvierzig Holzschnitten, 1841 den Landprediger von Wakefield, 1842 Musäus’ Volksmärchen mit sogar hunderteinundfünfzig Holzschnitten, 1844 die köstlichen Illustrationen zu den Studentenliedern, denen 1846 die Volkslieder folgten und so fort bis zu dem großen Bechstein von 1853 mit seinen hundertsiebzig meisterhaften Märchenbildern. Aber das sind nur die bekanntesten. Dazwischen laufen die alljährlich erscheinenden Volkskalender[248] von Nieritz und die »Spinnstuben« des rheinischen Volksschriftstellers W. O. von Horn. Vor allem aber weihnachtlichen Charakter trugen die kleinen, heute fast vergessenen und verschollenen Kinderbücher des Dresdner Schriftstellers und Buchhändlers Löschke, der sich Traugott nannte: An der Krippe zu Bethlehem, Familienlieder und der in drei Jahren wiederkehrende Knecht Ruprecht. Das alles waren Gaben an das deutsche Volk, die sich trotz ihrer äußeren Schlichtheit mit allem messen dürfen, was nachmals »für den Büchertisch« zu Weihnachten geschaffen worden ist. Und es ist bemerkenswert, daß auch jetzt noch immer die Bücher und Mappen Ludwig Richters sich auf dem Bücher-Weihnachtsmarkt siegreich behaupten.
Leider läßt sich meine Absicht nicht durchführen, Richters Weihnachtsbilder in größerer Zahl hier darzubieten. Man nehme mit den wenigen Proben vorlieb. Sein ältestes Weihnachtsbild finde ich in dem Büchlein »Bilder und Reime für Kinder«, das zuerst 1844 bei Justus Naumann in Dresden erschien. Da ist der Christmarkt dargestellt, eine Weihnachtsbude, um die sich die Kinder drängen, mit der stolzen Firma »Caspar Mops aus Chemnitz«. Die erste Darstellung aber des lieblichen Wunders von Bethlehem, der sich mit immer neuer Gestaltungslust unsres Meisters so viele anreihten, erschien 1847 (Abb. 1) in einer heute fast unauffindbaren Illustrierten Jugendzeitung (Leipzig, Brockhaus). Wie ist hier das hohe Thema, das die Kunst ganzer Jahrhunderte in allen Variationen gespielt und bis zum Höchsten gesteigert hatte, so ganz ins Schlicht-Menschliche übertragen! Am ersten werden wir dabei noch an Meister Dürer erinnert, dessen geniale, derbe, ausdrucksfähige Holzschnittkunst ja auch auf Richter wie eine Offenbarung wirkte. In Rom hatte er beim Freunde Veit zum ersten Male diese Blätter gesehen, und seinen Einzug in Meißen als junger Ehemann feierte er, der damals am allerwenigsten zu brechen und zu beißen hatte, mit dem Erwerb von Dürers Marienleben[249] für zweiundzwanzig harte Taler. Gerade Richters Weihnachtskunst bestätigt es, daß diese für ihn bedeutende Summe »reiche Zinsen getragen« hat. Doch diese starke Anregung des deutschen Altmeisters hat ihn nicht zu schwächlicher Nachahmung verleitet. Richter blieb ein Eigener, so sehr, daß man ihn in seinen Holzschnitten sofort erkennt. Er ist weicher, kindlicher als Dürer, aber nicht weichlich,[250] nicht sentimental wie die »Nazarener« jener Zeit, sondern immer gesund, natürlich, einfältig.
Man soll gerade auch Richters frühe Arbeiten im kleineren Format nicht übersehen. Sie gehören zu seinen schönsten und ursprünglichsten. Zwei Perlen sind die Abb. 2 und 3 aus dem Büchlein »An der Krippe zu Bethlehem« von 1852, der nächtliche, vom Öllämpchen erleuchtete Stall mit den Dudelsack blasenden Hirten und vor allem das ganz zarte Bild des schwebenden Kindleins in der Krippe unter dem Christbaum mit den singenden Engeln. Aus dem »Knecht Ruprecht« von 1854 ist dann die versonnene »Flucht nach Ägypten« durch den deutschen Wald, aus dessen Dunkel die heilige Familie heraustritt (Abb. 4).
[251]
Mit den Jahren nimmt Richters Kunst einen größeren Stil an. So schuf er 1855 für die Mappe »Beschauliches und Erbauliches« den Weihnachtschoral vom alten Meißner Stadtturm (Abb. 5). Christmorgen ist es. Das erste Tageslicht dämmert unter den Sternen herauf. In den Häusern brennen die Lichter, denn man rüstet sich zum Gang in die Christmette. Im Turm aber schwingt die Weihnachtsglocke. Und nun schwingen die Klänge des Chorals über der eben[252] erwachenden Stadt. Die Kinder sind so munter, wie sonst nie im ganzen Jahr in so früher Morgenstunde. Hell bescheinen die Kerzen und Windlaternen ihre pausbäckigen Gesichter. Ihr Gesang aber wird von dem schwarzen Kater auf dem Dach akkompagniert. Ja, es ist so vieles in diesem Bilde, was wir uns auch für unsre Weihnachtsfeier wieder herbeiwünschen möchten. Richter hat dieses Bild geschaffen mit wundem und wehem Herzen, als ihm sein liebes Weib durch einen[253] Herzschlag plötzlich entrissen worden war. Er hat sich nicht verbittern lassen, er wußte nun noch viel besser, was Weihnachtsfreude ist: »Christenfreude«, wie er ein ganzes Buch aus demselben Jahr, ein rechtes Bekenntnisbuch seiner selbst und Trostbuch für das deutsche Haus, betitelte.
Dieselbe Mappe enthält auch das Bild vom Dresdner Weihnachtsmarkt (Abb. 6) mit dem Schloßturm im Hintergrunde, wo das kümmerliche Dasein dieser kleinen Geschäftsleute mit ihren Pflaumenmännern durch goldenen Humor verklärt wird.
Uralte Volkssitte steigt vor uns auf in dem Bilde aus Richters Spätzeit, den heiligen drei Königen (Abb. 7), diesem alten Mummenschanz der Weihnachtszeit. Die volkstümliche Theatralik der drei Darsteller ist köstlich getroffen. Aber auch der ganze Friede der stillen heiligen Nacht umschwebt dieses Bild.
Ja, Friede! Das ist auch der Inhalt des letzten Bildes, das wir hier zeigen (Abb. 8), aus Schillers Glocke, obwohl es kein Weihnachtsbild ist. Friede auf Erden! Weihnachten bringt ihn uns, auch in einer friedlosen Zeit. Es ist die Aufgabe des deutschen Hauses, sich trotz allen Kämpfen draußen auch jetzt dem Geiste des Friedens von neuem zu öffnen, besonders in der Weihnachtszeit. Und Ludwig Richter ist der Mann, der mit seiner Weihnachtskunst auch uns den Weg zeigt, zur rechten Christfreude zu kommen und selber die rechte Weihnachtskunst zu lernen. Denn Weihnachten zu feiern ist auch eine Kunst, die gelernt und geübt sein will. Möchte darum gerade Ludwig Richter unser guter treuer Hausfreund bleiben und noch viel mehr werden, bei alt und jung, besonders in der Winters- und Weihnachtszeit[1].
[1] Anmerkung der Schriftleitung. Wir verweisen auf die köstliche Veröffentlichung des Verfassers »Ludwig Richter als Radierer«. Großquart, 80 Seiten mit 51 Bildern, hart gebunden. Preis M. 1200,–, zu beziehen beim Heimatschutz, Dresden-A., Schießgasse 24.
III. Band der Heimatbücherei des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz, Dresden 1922[2]
»Sehne dich und wandre«, unter dieses Leitwort sind die Schilderungen des neuen Bandes der Heimatbücherei gestellt. Ja, Sehnsucht lernt man und fühlt man, wenn man im Geiste mit ihm geht. Man spürt fühlbar einen Reiz und innerlichen Zwang, hinauszuwandern in die so mannigfaltigen sächsischen Landschaften, deren Fülle und Reichtum an Formen, Farben und Gestalten hier so stimmungsvoll an uns vorüberziehen.
Das Auge des Malers, der Mund des Dichters, die Gestaltungskraft des Künstlers vereinen sich, um uns mitten hineinzuführen und erleben zu lassen, was uns das Herz warm macht und die Augen hell, wie schön die Heimat ist und wie köstlich das Wandern und Schauen in ihrem seligen Raum. Vor allem aber spürt man in dem Buche das Herzpochen eines, der seine Heimat heiß liebt und mit immer neuer Sehnsucht sucht. Er liegt im grünen Grase unter schwanken Halmen. »Im Felde schlägt die Wachtel. Und da draußen, grün und blau, duftig und glasklar[254] liegen die sächsischen Lande. Sie sind unsre Heimat. Und in sie hinauszuschauen, war lange ein ersehntes Glück.« »Du bist meine Heimat, du bist der Boden, auf dem mein Geschlecht durch die Jahrhunderte wuchs, auf dem es die Scholle grub, in Dörfern webte, in Städten strebte, auf dem es lebte und liebte und litt und lachte und starb …
Du bist Orplid, mein Land …!«
Diese Heimatliebe und Bodenständigkeit machen ihn zum rechten Führer, der zu schauen, zu beseelen und zu deuten weiß. Nicht bloß im Sonnenschein und blühenden Sommerwinde, nein auch in triefendem Regen unter grauem Gewölk, auf leuchtenden, blaubeschatteten Schneepfaden und in stiebendem Flockenwirbel und auch in duftender Nacht auf holprigem Steig im schwarzen Walde werden wir von ihm heimatfroh gemacht.
Eine wunderbare Fülle von Farben tönt in seinen Worten wieder und köstliche Bilder leuchten in seinen Schilderungen wie schimmernder Schmuck auf.
»Alte Kastanien senken ihre Zweige tief zur Wiese hinab und ihre Blätterhände scheinen weiße Blütenleuchter behutsam aus dem Grase zu heben.« So werden tausendfach gesehene Dinge zu Bildern voll poetischen Reizes und schimmernder Farbigkeit. –
Möge das Buch hinausgehen und die Freude und Liebe zur Heimat vermehren und vertiefen. In unsrer Armut und Knechtschaft sind wir noch reich, denn unsrer Heimat Herrlichkeit ist uns geblieben. Wir wollen sie uns nicht rauben lassen, sondern immer tiefer und fester erfassen. Ein berufener Mund ist es, der sie uns hier kündet. Laß dich von ihm zur Heimatfreude führen, zum Heimatstolz erheben, mit neuer Heimatliebe segnen.
Rieß, Freiberg.
[2] Preis M. 950,–. Bestellkarte in diesem Heft.
Von A. Klengel
Auf der Wanderung durchs deutsche Märchenland führt uns der Weg oft an verwunschenen Schlössern vorüber! Burgen liegen, unnahbar unserm Schritt, verträumt auf hohen Bergen, Schlösser einsam und versteckt im tiefen Walde, durch einen Machtspruch verzaubert und der Erlösung harrend.
Weit hinter uns liegt heute dies Traumland unsrer Kindheit, kaum die Erinnerung ist geblieben an die Märchen, denen wir einst so gern und andächtig lauschten. Und doch tauchen auf unsern Wanderungen durchs schöne Heimatland zuweilen Gestalten auf, die urplötzlich in uns wachrufen, was eingeschlummert war unter den Eindrücken des Alltags, was verweht schien in den Stürmen des Lebens. Dann liegt greifbar vor uns, was einst das Kinderherz erfreute, das kindliche Gemüt beseelte.
Ein solches Märchenbild ist das Jagdschloß Rehefeld droben an der Landesgrenze im meilenweiten Hochwald des Erzgebirges. Einsam und verlassen liegt das turmüberragte und erkergeschmückte Bauwerk hoch am Hange des Weißeritztales. Zum verwunschenen Märchenschloß wurde es, als das Königspaar Albert[255] und Carola dahingegangen war. Das muntere Treiben königlicher Weidmannsherrlichkeit verstummte, des Jagdhorns letzter Ton war verhallt, die Läden schlossen sich über den blinkenden Fenstern des Schlosses und nur ernstes Waldesrauschen umklingt noch die Stätte, wo einst ein edles Herrscherpaar, fern von höfischen Pflichten, Erholung suchte in unberührter Waldnatur und Mensch war auf herbschöner Heimaterde.
Ein Märchenschloß liegt vor uns! Dicht heran drängt sich der dunkle Wald und des Waldes Tiere suchen vertraut seine Nähe. Zu Füßen des Schloßberghanges strömt die Weißeritz in jugendlicher Schnelle talwärts und bietet mit den verstreut liegenden Holzhäuschen der Dörfer Zaunhaus und Rehefeld ein Bild, das in seiner schlichten Anmut an ein einsames Hochgebirgstal erinnert. Und darüber hinaus, soweit das Auge reicht, breitet sich dunkler, harzduftender Fichtenwald aus in ernster, herber Schönheit.
Die weiten Wälder um das Jagdschloß Rehefeld sind mit der nun Geschichte gewordenen alten kursächsischen und königlichen Weidmannsherrlichkeit untrennbar verbunden. Schon Name und Entstehung der beiden nahen Dörfchen Zaunhaus und Rehefeld lassen dies erkennen. Zaunhaus verdankt seinen Ursprung dem Zaun- und Forsthause, das Kurfürst Moritz um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts als Amtswohnung des Zaunknechtes am großen Wildzaun an der nahen böhmischen Grenze errichtete. Der eigentliche Ort entstand im achtzehnten Jahrhundert, als sich Waldarbeiter auf Räumen ansiedelten, die man ihnen aus den kurfürstlichen Waldungen »vererbte«. Einen ähnlichen Ursprung hat das Dörfchen[256] Rehefeld. Kurfürst Johann Georg II. errichtete um 1670 dort im Wald ein Forsthäuschen, das dem Oberforstmeister überwiesen wurde und später, gleich einem kleinen Rittergut, Schriftsässigkeit und Jurisdiktion erhielt; es ist das heutige Forstamt. Auch hier siedelten sich Waldarbeiter auf geräumtem Kahlschlag am Weißeritzufer an. Es entstand ein Dörfchen, das ursprünglich Sorgenfrey genannt wurde, aber vom König August II. bei einer Jagd den Namen Rehefeld erhielt.
Die weiten und zum Teil unwegsamen Waldungen boten dem Wild seit alter Zeit treffliche, geschützte Standorte und den Landesherren reiches Weidmannsheil. Zwar fließen die Quellen, die von der Erlegung des ritterlichen Wildes vergangener Tage – Bär, Wolf und Sau – in dieser Gegend berichten, nur spärlich; daß jedoch ein urwüchsiger Wildbestand vorhanden war, ist daraus zu erkennen, daß noch im Jahre 1715 in der Nähe ein Vielfraß (Gulo borealis) erlegt wurde.
Von größter Bedeutung für diese heimatlichen Jagdgründe war jedoch immer das stolze Edelwild unsrer Gebirgswälder, der Rothirsch. Der Hirschjagd und Hirschhege, die unter König Albert dort ihren Höhepunkt erreichten, verdankt auch das Jagdschloß Rehefeld sein Dasein. Infolge der ums Jahr 1860 einsetzenden sorgsamen Hege hatte sich der etwas verkümmerte Edelhirsch des östlichen Erzgebirges prächtig entwickelt und gut vermehrt, standen doch z. B. im Jahre 1892 auf dem etwa sechzehntausend Hektar umfassenden Rehefelder Jagdrevier gegen siebenhundert Stück Rotwild. Stattliche Vierzehnender mit einer Stangenhöhe bis zu ein Meter zehn Zentimeter waren keine Seltenheit und noch heute erzählen die alten Gebirgsbewohner gern von den gewaltigen Rudeln prächtiger Edelhirsche, die im hohen Schnee zur Fütterung zogen und von den kapitalen Platzhirschen, die an nebelfeuchten Herbsttagen mit dumpfdröhnendem Brunftschrei ihre Rivalen zum Kampfe riefen.
König Albert lag schon als Kronprinz oft und auf längere Zeit dem Weidwerk in Rehefeld ob. Da er und seine oft zahlreichen Jagdgäste in den kleinen und weit voneinander entfernten Orten nur unter Schwierigkeiten Unterkunft fanden, wurde im Jahre 1869 das schlichte Jagdschlößchen erbaut. Der überaus zierliche, in nordischer Bauweise ausgeführte Holzbau ist ein Weihnachtsgeschenk der damaligen Kronprinzessin Carola an ihren Gemahl. Auch die fürstliche Geschenkgeberin hatte Gefallen gefunden an dem herrlichen Fleckchen Erde, auf dem Rehefeld liegt. Bis zu ihrem Tode verbrachte sie die Sommerwochen im Jagdschloß Rehefeld, im freundnachbarlichen Verkehr mit den schlichten Gebirgsbewohnern und von ihnen geliebt und verehrt.
Obwohl das Schlößchen das Königspaar regelmäßig auf längere Zeit beherbergte, ist seine innere Ausführung und Ausstattung außerordentlich bescheiden. Es reicht jedenfalls bei weitem nicht an das heran, was man gemeinhin unter einem vornehmen Landhause versteht, von höfischem Prunk kann überhaupt keine Rede sein. Die innere Ausstattung, der sogar die gemütliche erzgebirgische Ofenbank um den mächtigen Kachelofen des Eßzimmers nicht fehlt, ist ganz dazu angetan, Naturfreunden ein trauliches Heim zu bieten, die schwerer Pflichten ledig für einige Zeit ganz der herrlichen Waldumgebung leben wollen.
Den Bedürfnissen eines längeren Aufenthalts der Besitzer und ihrer Gäste entsprechend, machten sich später einige Ergänzungen erforderlich. In der Nähe[257] entstand ein Stallgebäude und ein schlichtes Haus für Hofpersonal und Küche. Ein Schmuckstück für sich ist die im Jahre 1879 nach Plänen der Meyerschen Kunstanstalt in München in skandinavischer Bauweise errichtete winzige Kapelle. In den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts erhielt die Südseite des Schlosses einen niedrigen spitzbedachten Turm. War das Bauwerk, streng genommen, zuerst nur ein Jagdhaus gewesen, so konnte es nunmehr Anspruch auf den Namen Schloß erheben; denn nach landläufigen Begriffen gehört nun einmal zu jedem Schloß ein Turm.
Das Schloß und seine Nebengebäude sind bis auf die Grundmauern durchweg aus Holz erbaut. Es darf deshalb nicht wundernehmen, daß uns beim Eintritt in die Vorhalle das Bild des St. Florian entgegenleuchtet, des Schutzheiligen gegen Feuersgefahr, zu dem man in Süddeutschland einst betete: O du heil’ger Florian, laß stehn dies Haus, zünd’ andre an! Die schmückende Ausstattung des Jagdschlosses entspricht ganz seiner Bestimmung und Umgebung. Außer Gemälden der Jagdmaler Mühlig und Guido Hammer bildet eine Sammlung starker Geweihe von Hirschen, die König Albert auf Rehefelder Revier erlegte, die Hauptzierde. Dazu gesellen sich andre jagdliche Erinnerungen aus König Alberts Zeit.
Nach König Alberts Ableben verblaßte der Stern Rehefelds. Zwar hielt sich die Königin Carola bis zu ihrem Tode noch alljährlich längere Zeit dort auf, doch die Bedeutung des Schlößchens als Stätte fröhlichen Weidwerks war geschwunden. Der reiche Bestand an Edelhirschen wurde herabgemindert, und was heute dort noch durch den Wald zieht als alter deutscher Weidmannsherrlichkeit letztes Vermächtnis ist kaum ein schwacher Abglanz aus der Zeit, da die schwarzgelbe Standarte auf dem Schloßturme verkündete, daß der greise königliche Jäger seine geliebten Rehefelder Jagdgründe aufgesucht hatte und daß die Königin gekommen war, um mit der Rehefelder Jugend schlicht-fröhliche Kinderfeste zu feiern.
Fest verriegelt sind heute Türen und Fenster des vom Wind und Wetter gebräunten Jagdschlosses. Vergeblich klopft der Wandrer, Einlaß begehrend, beim Schloßverwalter an; Rehefeld ist als Privateigentum für jeden Besuch gesperrt!
Man tut recht daran! Warum die wenigen Sehenswürdigkeiten des Schlosses öffentlicher Schaulust preisgeben? Das Königspaar wohnte hier, um sich der herrlichen Waldnatur zu freuen, die selten so schön und ursprünglich erhalten ist, wie hier im stillen Weißeritztal. Auch den sinnigen Wandrer schlägt der Heimatwald in seinen Bann, er freut sich seiner Schönheit und zieht zufrieden seine Straße, auch ohne den Fuß über die Schwelle des Schlosses gesetzt zu haben.
[258]
Erfreulicherweise haben die in diesen Blättern wiederholt gegebenen Hinweise jetzt zur Auffindung einer der so selten gewordenen Halbe-Meilensäulen aus der Zeit August des Starken geführt.
Seit alters stand an der Staatsstraße von Öderan nach Freiberg, in der Nähe des Öderaner Schützenhauses eine alte Steinbank. Architekt Kempe aus Öderan, dem die eigenartige Form des Steinsitzes aufgefallen war, ließ in diesem Sommer die Bank abbrechen und es ergab sich, daß diese aus Teilen einer der alten Postmeilensäulen aufgebaut war. Die Initialen, Posthorn und Jahreszahl 1722 waren noch wohl erhalten, desgleichen auch die Entfernungsangaben: Öderan ½ Stunde und Chemnitz 51/8 Stunde. Mit dankenswerter Hilfe des Erzgebirgsvereins Öderan und des Landesamtes für Denkmalpflege gelang es den Bemühungen des Herrn Kempe, das seltene Stück wieder am alten Platz aufzustellen, wo es nun als Zeuge vergangener sächsischer Geschichte eindringlich und reizvoll im Landschaftsbilde steht (siehe Abbildung).
Dr. Bachmann.
[259]
Von Dr. phil. Gerhard Stephan
Wohl jedes Dorf und auch die meisten kleineren Städte haben ihre Schulfeste. Was diese Feiern vor vielen andern besonders in den jetzigen Zeiten auszeichnet, ist ihr ganz und gar unpolitischer Charakter: arm und reich, hoch und niedrig nehmen daran teil und freuen sich an dem Jubel der Kinder. Alle Gegensätze sind verschwunden und jeder fühlt sich als ein Teil des Ganzen. Wenn es doch im Staatsleben auch so wäre!
An Größe wohl, kaum aber an Bedeutung und innerem Werte dürfte eine Stadt oder ein Dorf durch das Kamenzer Forstfest übertroffen werden, das jährlich in der Zeit des Bartholomäustages (24. August) gefeiert wird. Fast eine ganze Woche, vom Montag, oder wenn man will, gar vom Sonntag an bis zum Freitag wird da unser Städtchen in Atem gehalten. Ich vermag es selbst nicht zu sagen, was es ist, das dieses Fest für einen Kamenzer so lieb macht, denn der Jahrmarktsrummel im nahen »Forst«, von dem diese Schulfeier seinen Namen hat, mit seinen Karussells, Luftschaukeln, Schieß-, Würstchen- und Würfelbuden ist ja überall anzutreffen und auch der Kinderauszug gehört eigentlich auch anderswo zur Veranstaltung, wenn auch vielleicht nicht in derartig reicher Ausstattung. Tatsache ist und bleibt jedenfalls, daß man einen Kamenzer nie tiefer beleidigen kann, als wenn man über »sein« Forstfest spottet oder überhaupt daran herummäkelt. Für ihn gibt es eben nur dieses Fest, es sind sozusagen seine Nationalfeiertage, die er da erlebt. Wer sich in der Fremde aufhält, sieht zu, daß er seine Ferien zur Forstzeit legen kann, und es gibt viele unsrer Landsleute, die jahre- und jahrzehntelang nicht in ihre Heimat gekommen sind, dann aber plötzlich zum Forstfest eintreffen[3].
Die Sage hat diese Kinderfeiertage umrankt. Zur Hussitenzeit, so erzählt man – die Geschichte ähnelt ganz der von Naumburg – lag ein feindlicher Fürst mit seinen Horden vor der Stadt und drohte, ungeduldig ob ihres langen Widerstandes und ergrimmt über den Tod vieler seiner Krieger, mit dem Schlimmsten. In der Stadt aber sah es übel aus, der Hunger mußte bald die Übergabe erzwingen. Man bot dem Tschechen Geld, daß er den Ort schone, doch der Böhme hatte sich verschworen, Kamenz auszuplündern und niederzubrennen. Da, in der höchsten Not, zog der Schulmeister mit den Kindern, jedes im weißen Sterbekleide, ins Lager hinaus vor das Zelt des feindlichen Führers und stimmte dort das Lied »Du Friedensfürst, Herr Jesu Christ« an. Der wilde Slawe wurde von dem Gesang der unschuldigen Kinder so gerührt, daß er noch in der Nacht abzog und Kamenz unbehelligt ließ.
Der böse Historikus freilich hat an dieser schönen Erzählung nichts Wahres gelassen. Die Geschichte weiß vielmehr nur von Greueln dieser fanatischen Glaubensstreiter zu berichten. Im Jahre 1429 drangen sie durch das baufällige Schloß[260] in die Stadt ein und brannten sie nieder. Und zwei Jahre später, als sie wiederkamen, mußte man ein schweres Lösegeld zahlen, um sie loszuwerden. – Man wird es dem Lokalpatriotismus des Kamenzers zugute rechnen, wenn er, sich derartiger unangenehmer Sachen ungern erinnernd, sie durch jene hübsche Sage zu verdecken sucht, aber freilich, diese Entschuldigung zählt bei dem Kritiker nicht.
Doch der Geschichtsforscher suchte nach einem anderen Grund und glaubte ihn in den alten Stadtannalen des trefflichen Caspar Haferkorn gefunden zu haben, der etwa folgendes berichtet: Im Jahre 1520 herrschte infolge langanhaltender Hitze eine große Dürre. Um Regen vom Himmel zu erflehen, zogen der Schulmeister, seine Kinder und über dreihundert Jungfrauen in weißen Kleidern, ein Wermutkränzlein auf dem Kopf und ein Paternoster in den Händen, barfuß nach den umliegenden Kapellen St. Just, St. Anna, St. Walpurgis, St. Jacob und St. Wolfgang. Gott erhörte ihr Gebet und sandte am nächsten Tag den langersehnten Regen. Der alte Oberlehrer Klix, ein besonders um die Familie Lessing verdienter Forscher, vermutete nun, daß diese Prozessionen, von denen diese eine wegen ihrer gewaltigen Wirkung in der Stadtchronik Aufnahme gefunden hat, die Ursache zum Forstfeste sei. Doch dieser Grund befriedigt ebensowenig – an einer Prozession pflegen auch Erwachsene teilzunehmen – wie der, daß der Ursprung des Forstfestes in den Gregoriusfesten des Mittelalters, Kinderfeiern, die am Gregoriustage abgehalten wurden, läge. Denn der Gregoriustag fällt in das Frühjahr – 12. März.
In der vorjährigen »Forstfestzeitung« – auch eine solche gibt es! – hat nun Georg Uhlig, der derzeitige Stadtarchivar, eine den Ursprung des Festes wohl[261] richtigtreffende Deutung gegeben, wenn er es als Nachfolgerin der alten Schülerfeste der Lateinschulen erklärt. Ob es sich nun um den »Rutenzug« (virgatum), – das heißt die Schüler zogen aus und schnitten die Ruten, mit denen sie dann das Jahr über verprügelt wurden – oder eine Ursache anderer Art handelt, ist letzten Endes gleichgültig. – – – –
Forstfest! Die Kinder träumen das ganze Jahr davon. »Nach den Großen Ferien ham mer ’ne Woche Schule – da wird nischt gemacht – und dann – nu da is eben Forscht.« Und die guten Mütters haben Arbeit über Arbeit, daß ja das weiße Kleid, der weiße Anzug, die weißen Schuhe und Strümpfe, die Schärpen und was weiß ich, in Ordnung sind. Die Mädels gehen seit den Großen Ferien meist recht merkwürdig frisiert, ihre Haare sind alle ganz fest an den Kopf zu kleinen Röllchen (Schnecken nennt sie der Volksmund) zusammengedreht »von wegen der Locken«. Weißwarenhändler, Schuhmacher und alle verwandten Handarbeiter machen glänzende Geschäfte, und die Gärtner haben alle Hände voll zu tun, um die Kränze, Girlanden, Blumenkörbchen, Bögen herzustellen, Gere und Marschallstäbe zu umwinden. Manch einer geht freilich auch mit einem großen Korb zu dem nahen Busch und holt sich da sein Eichenlaub, und Gott sei Dank verträgt unser Kamenzer Wald diese kleine Schädigung, ebenso die Heide, die auch ihre roten Blüten zum Schmuck hergeben muß.
Sonntag. Im »Forst« entwickelt sich das eifrigste Jahrmarktsleben und der Städter eilt hinaus, um schon die Vorfreuden des nahenden Festes zu genießen. Auch der Landmann ist hergekommen, um für seine Lieben was zu erhaschen, er hat in der Woche meist keine Zeit für solche »Albernheiten«, aber Sonntags – ja das ist ganz was anderes,
Forstfest-Montag. Überall regen sich fleißige Hände, um die Straßen zu schmücken: Girlanden werden von einem Hause zum gegenüberliegenden gespannt, Kränze aufgehängt, Fahnen hochgezogen. Einige fremde Schulen mit ihren Lehrern pilgern durch die Straßen und begucken einstweilen die »Sehenswürdigkeiten«, wobei sie meist das Innere des Andreasbrunnens interessanter finden als den schmucken Renaissancebau darüber, der von Dr. Andreas Guntherius proconsul Camicianus meldet, daß er »patriae pietate impulsus« (also »aus Heimatliebe«!) den Brunnen auf seine Kosten habe 1570 erbauen lassen.
½12 Uhr. Eifriges Streben der festlich geputzten Kleinen mit ihren Kränzlein und Fähnchen zur Schule. Für gewöhnlich haben sie es nicht so eilig, aber heute! Die Alten suchen sich inzwischen einen Platz auf dem Schulhofe zu sichern, sie wollen das Forstfestlied hören, das sie einst als Kinder selbst gesungen haben. Die Turner mit ihrem schmucken Eichenzweig am Hut und die gestrenge »Polizei«, an der heute hocherhobenen Hauptes mancher Junge vorbeischreitet: »Achtung, jetzt komme ich, heute kannst du mir nichts tun,« ja, sie haben eifrig aufzupassen, damit hübsch Ordnung gehalten wird, und die Kinder ins Schulhaus hereinkommen.
12 Uhr. Die Musik setzt ein, die Schultore öffnen sich und hervor ergießt sich der Kinderschwarm. Es sind weit über tausend, die da herausmarschiert kommen. Voran einige ältere mit Kränzen, sie dienen zum festen Halt, denn hinter ihnen strömen die ganz kleinen, die dies Jahr das erstemal mitfeiern. Von den Jungens einige mit[262] Kränzen um ihren Ersten, der die Klassenfahne trägt, die Mehrzahl mit Fähnchen, wobei die jüngsten beiden Jahrgänge die Stadtfarben rot-weiß tragen. Die nächsten die Landesfarben weiß-grün, die älteren die Reichsfarben, bis voriges Jahr schwarz-weiß-rot, heuer schwarz-rot-gold (neben mir stand ein Graubart, dem man ansieht, daß er in seinem Leben gearbeitet, der meinte, wie im Selbstgespräch: »Unser Schwarzweißrot war doch schöner! Das sind außerdem die jahrhundertealten (!!) Farben!« – Volksmeinung, wann wird sie von unsern »Volksvertretern« einmal respektiert werden?). Die ältesten Jungen trugen efeuumwundene Gere. Die Mädels bieten ein fast noch abwechslungsreicheres Bild: Blumenkörbchen wechseln mit Girlanden, ihnen folgen Bogen und Kränze. Die Realschule als Schluß zieht in ihren rotweißen Schulfarben heraus, Jungens, Mädels und wieder Jungens, ihrer schönen seidenen Fahne folgend. Nach mancherlei Verschlingungen hat sich alles im weiten Umkreis aufgestellt. Die Musik macht eine kleine Pause, dann setzt sie von neuem ein und heraus treten die Fahnengruppen mit den alten, einst von Jugendfreunden gestifteten Bannern.
Auch sie nehmen Aufstellung und nun ertönt das liebe Forstfestlied (es ist erst in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts mit Ausnahme des ersten Verses entstanden (Melodie Gaudeamus igitur)):
Der alte Kamenzer Oberlehrer Klix war es, der dieses Gedicht einst verfertigt[4], es spricht so recht jedem Kamenzer aus dem Herzen und man sieht gar oft manches Auge tränengefüllt, wenn das Lied erklingt. Da denkt erst mancher an seine Kindheit zurück, die nun so weit und unwiederbringlich zurückliegt »da auch ihm der Liebe Hand Kränze einst gewunden«.
Was soll ich nun, nach dem eigentlichen Höhepunkt des Festes, noch erzählen? Der Schuldirektor spricht einige Worte, dann ertönt ein neues Lied, hierauf setzt sich der Zug durchs Klostertor nach dem Markt in Bewegung, singt hier, nach vollendetem Aufmarsch, abermals und rückt dann durch die Bautzner Straße bis zum Eulenberg, wo er sich auflöst. Alles eilt nach Hause, oft von der treusorgenden Mutter oder dem lieben Vater oder Bruder in Empfang genommen, die dann den schweren Kranz abnehmen, um ihn nach Hause zu tragen. Dort aber läßt es der »kleinen Welt« keine Ruhe, sie können kaum Kaffee trinken, dann gehts eiligst nach den Wiesen auf dem Forstfestplatz, wo die Kleineren spielen, die Größeren kegeln oder schießen. »Herr Manke, wir wollen mal das machen,« bittet so ein kleines Mädel und flüstert ihrem geduldigen Lehrer ihre Wünsche ins Ohr, »Herr Klugmann, kanns losgehen?« meint ein größerer Junge schon selbstbewußt, denn er brennt darauf, als erster den bunten Vogel da oben um einen Span zu erleichtern, und ist dann wenig erbaut, als, unter Freudegeheul der ganzen Meute, sein Schuß »in weitem stets geschweiftem Bogen hinauf bis in des Himmels Blau« fliegt. Die lieben Angehörigen stehen dabei, um ein bißchen zuzusehen, aber ihre »Herren« Kinder haben heute meist keine Zeit, denn da gilts bald mal einen großen Zwieback zu holen, der dieses Jahr an Stelle des »Würstchens mit Semmel« getreten war und auch nur deshalb, weil die Stadtväter in kluger Berechnung auf die gute Laune der Forstfestbesucher eine allgemeine Feststeuer in Höhe von fünf Meter eingeführt hatten, bald »muß« man auf der Riesenbahn, der Luftschaukel oder dem Karussell fahren oder »Modo homo« (!) dem lebenden Toten, von dem sein Herr in eindringlicher Sprache versichert, daß ganze Berge Geschirr vor ihm zerworfen werden könnten, ohne daß er aus seiner Suggestion erwache (»er hat gut reden, nur wird heute kein Geschirr zerschmissen,« meinte einer recht trocken), während das Fräulein an der Kasse ebenfalls in Hypnose fällt, aber jedesmal wieder erwacht, wenn einer sich zur Kasse »drängt«, einen Besuch abzustatten. Ja, ja, die guten Eltern werden eigentlich erst dann wieder gebraucht, wenn das nötige Kleingeld fehlt. – – –
Den folgenden Tag ziehen nur die oberen Klassen aus, hinaus in den Forst zum Schauturnen. Am Mittwoch ist »Lehrerschießen« – es soll meist recht »fröhlich«[264] dabei zugehen, doch darüber schweigt des Sängers Höflichkeit. Und am Donnerstag wiederholt sich nur der Auszug vom Montag, ebenso das Spielen und Schießen.
Abends aber bei Dunkelwerden ist der »Einzug« der Kinder mit Musik und Buntfeuer. Die meisten Häuser, durch die sich der Zug bewegt, haben illuminiert und der Jubelruf der Kleinen mit ihrem »Vivat, vivat hoch!« will kein Ende nehmen. Bis zum Markt bewegt sich der Strom, dort findet das schöne Fest mit einer kurzen Rede des Direktors, dessen Schlußworte meist die typische Wendung haben: »Morgen früh um 8 Uhr auf Wiedersehn! Gute Nacht!« und dem schönen Leuthener Choral »Nun danket alle Gott« seinen offiziellen Schluß.
»Offiziell« sage ich, denn daran halten sich die Bogenschützen absolut nicht, denn dieses Völkchen zieht vielmehr am Freitag mit großem Tschingterassassa durch alle Straßen der Stadt, um, wie es »offiziell« heißt, die Würdenträger des vorigen Jahres, die Fahne und so weiter abzuholen, aber ich glaube, sie wollen auch die Stadt ein bißchen aus dem Schlafe wecken nach dem bekannten Unteroffiziers-Weckruf: »Aufstehen, ich muß auch aufstehen!« Nun, jedenfalls macht das viele Herumziehen auch durstig, und deshalb wird öfters mal Halt gemacht und eingekehrt, einmal beim »Schützenbruder« Büsche, dann im »Feuerhaus«, und so geht das erst noch eine Weile so fort. Jedenfalls ist es meist schon etwas spät–er, bis man sich zum regelrechten Ausmarsch aufmacht – natürlich in den Forst, wo auch wieder eifrig ge–so–en, i nu, geschossen wird.
Damit ist aber nun auch wirklich das Forstfest ganz zu Ende und die Schaubudenleutchen und Luftschaukelbesitzer müssen ihr Krämchen zumachen – bis zum nächsten Male.
[3] So war in diesem Jahre (1922) aus dem fernen Amerika ein Kamenzer hergekommen, und hat – dank der Valuta – manchem Kinde und auch Erwachsenen mit seinen Dollars eine Freude gemacht.
[4] Mit Ausnahme des ersten Verses, dessen Verfasser mir unbekannt ist. Früher – vor 1892 – wurde der erste Vers des jetzigen Liedes gesungen und dann als zweiter, dritter und vierter Vers die entsprechenden des alten: Brüder laßt uns lustig sein! von Joh. Christian Günther.
Zu meiner Abhandlung in Heft 4 bis 6 der Mitteilungen habe ich eine große Zahl von Zuschriften erhalten, in denen mir Postzeichen genannt werden, die in meinen Verzeichnissen fehlen. Ich will versuchen, diese Funde nach und nach an ihren Standorten selbst aufzusuchen und werde im Sommer nächsten Jahres in Form eines Nachtrages darüber berichten.
Ich bitte deshalb auch weiterhin, mich auf unbekannte Stücke, mit möglichst genauer Beschreibung von Standort und Aussehen (Skizze) aufmerksam zu machen.
Dr. Kuhfahl,
Dresden-A., Lipsiusstraße 14.
[265]
Am 7. Oktober ist in Dresden, in seinem Heim an der Dresdner Heide, der Begründer und der erste Vorsitzende des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz, unser Geheimer Baurat Dr. ing. e. h. Karl Schmidt in die ewige Heimat gegangen. Während des Druckes dieses Heftes erreichte uns die Trauerbotschaft. Mit nie ermüdetem Schaffen hat er unsern Verein geleitet und betreut, hat ihn mit seinen zweiundzwanzigtausend Mitgliedern zu dem stärksten und einflußreichsten in unserm deutschen Vaterlande gestaltet, und erst der Tod konnte seinem rastlosen Mühen ein Ende bereiten. In schweren Zeiten führte er den »Heimatschutz« zu der Höhe, die er jetzt einnimmt, unserm Volke zum Segen. Wohl ist er von uns geschieden, sein Werk wird aber so lange leben, als Heimatliebe lebt.
Karl Schmidt wurde am 16. November 1853 in Erfurt geboren. Er studierte an der Berliner Bauakademie und am Dresdner Polytechnikum. Er war 1878 bis 1882 beim Rate zu Dresden als Hilfsarchitekt tätig, um dann in den Staatsdienst einzutreten. Hier wurde er 1885 Landbau-Assistent, 1888 Regierungsbaumeister und 1891 Landbauinspektor. In dieser Zeit war er den Bauämtern Dresden und Zwickau und der Zentralstelle der Hochbauverwaltung in Dresden zuerteilt. Als Landbaumeister, welchen Titel er 1898 erhielt, hatte er die technische Leitung des Ständehausneubaues in Dresden, dessen künstlerische Gestaltung Meister Wallot schuf. Die Leitung des Landbauamtes Meißen vertauschte er im Jahre 1900 mit der des Amtes Dresden I. Im Jahre 1900 wurde er zum Baurat, 1902 zum Finanz- und Baurat und zum Vorstand des hochbautechnischen Bureaus und damit zum Stellvertreter der hochbautechnischen Räte und zum Mitglied des Technischen Oberprüfungsamtes ernannt. Zugleich trat er in die Kommission zur Erhaltung der Kunstdenkmäler ein. In vielseitigen Ämtern wirkte er, der inzwischen Oberbaurat und Geheimer Baurat geworden war, bis zum Jahre 1913, wo er in das Ministerium als Vortragender Rat berufen wurde. Am 1. Juli 1919 trat er in den Ruhestand. Die Technische Hochschule zu Hannover zeichnete ihn aus, indem sie ihn zu ihrem Ehrendoktor erwählte.
In seinen Stellungen, die ihn zur Gestaltung zahlreicher staatlicher Bauten beriefen, hat er mit allen Kräften zur Gesundung unsres Bauwesens gewirkt. Er hat es verstanden, hinsichtlich der sächsischen staatlichen Hochbauverwaltung die frühere künstlerische Unterwertigkeit der »amtlichen« Baukunst zu beseitigen. Ganz besonders aber hat er sich um den Kleinwohnungsbau verdient gemacht. Wenn ihm dies in geradezu vorbildlicher Weise gelungen ist, so verdankt er das zumal der überzeugenden[267] Art, wie er die Behörden und jedermann für seine Ideen zu gewinnen wußte. Was Karl Schmidt wollte, kann man mit kurzen Worten als bodenständige Bauweise, Rückkehr zur Einfachheit und Selbstverständlichkeit im Bauwesen bezeichnen. Noch ist es allen, die sich mit diesen wichtigen Fragen beschäftigt haben, in der Erinnerung, wie nüchtern und schematisch in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die staatlichen Bauten auf dem Lande gestaltet waren, wie immer mehr und mehr die Nachahmung städtischer Formen die ländliche Bauweise in Dorfkirchen, Pfarr- und Schulhäusern und Wohngebäuden verdrängt hatte, wie die Vorstädte der Großstädte nach charakterlosen Bauplänen emporwuchsen.
Da besann man sich allmählich auf die alten trefflichen Grundsätze unserer Vorfahren. Der Gedanke des Heimatschutzes brach sich Bahn. Und unser Schmidt stellte sich mit Gleichgesinnten begeistert an die Spitze der neuen Bewegung.
Bereits im Jahre 1896 bei der Ausstellung des sächsischen Handwerkes und Kunstgewerbes in Dresden, der eine Alte Stadt, eine Dorfanlage sowie zwei Museen ländlicher Kunst angegliedert waren, bei der weiter das große Volkstrachtenfest veranstaltet ward, trat Karl Schmidt mit seinen Freunden tatkräftig für den neuen Gedanken ein.
Im Verfolg dieser Bestrebungen, die dem Volkstum und der Wiederbelebung der bodenständigen Bauweise gewidmet waren, wurde 1897 der Verein für Sächsische Volkskunde (und Volkskunst) gegründet, aus dem dann der Landesverein zur Pflege heimatlicher Natur, Kunst und Bauweise emporwuchs, der später den Namen Landesverein Sächsischer Heimatschutz annahm. Die Gründung des letzteren ist Schmidts eigenstes Werk.
Schmidt hat, um seine Gedanken in die weitesten Kreise zu tragen, eine große Anzahl wertvoller Veröffentlichungen geschaffen. Dadurch konnte er auch seine überraschenden Erfolge verzeichnen.
Im Anfang blieben ihm Anfechtungen nicht erspart. Der Vorwurf, der Heimatschutz gehe auf Nachahmung überlebter Formen im Bauwesen aus, die nicht mehr zeitgemäß seien, traf aber in keiner Weise den Kern des Heimatschutzgedankens. Nur der Geist, nur die Gesinnung der alten Bauweise sollten wieder aufleben, die harmonischen Bilder in der Stadt und auf dem Lande wollte Karl Schmidt gewahrt wissen, nichts Fremdartiges sollte in unsre Städte und Dörfer, in unsere Forsten hineingetragen werden. Den neuen Errungenschaften aber sollte Rechnung getragen werden. Durchschlagend und überzeugend war auch der vielfach von Schmidt geführte Nachweis, daß die Bauten in bodenständiger Bauweise wirtschaftlicher und sparsamer sind, als die bekämpften. Ausschlaggebend wirkten hier zumal die wiederholten Ausstellungen von Beispielen und Gegenbeispielen, in denen häßliche und mustergültige Industriebauten, harmonische[268] Stadtbilder und Dorfansichten mit solchen, die durch gefühllose Neubauten gestört waren, gute Bauernhäuser mit städtisch empfundenen Neubauten zusammengestellt waren. Daß bei den empfohlenen Beispielen stets auch in erster Linie die wirtschaftlichen Bedürfnisse berücksichtigt waren, hat nicht an letzter Stelle den neuen Gedanken, die Schmidt verfocht, zum Siege verholfen.
Kein geringes Verdienst Schmidts war es, daß er immer die richtigen Männer zur Ausführung seiner Pläne zu finden wußte, daß sich wieder Baukünstler fanden, die es nicht verschmähten, ihre Kräfte den einfachen Aufgaben zu widmen, die ihnen der Heimatschutz entgegenbrachte, die wieder schlichte Häuser und Wohnungen in künstlerischem Sinne durchzugestalten lernten, anstatt nur in hoher Architektur zu machen. Und seine Gründung, der Landesverein Sächsischer Heimatschutz, seine Mitarbeiter und gleichgesinnte Männer waren bei all seinen Bestrebungen getreue Helfer. Die Worte, die der zweite Vorsitzende unsres Vereins, der langjährige Freund des Entschlafenen, Hofrat Professor O. Seyffert, am Sarge des Verewigten sprach, seien hier angeführt:
Wer älter wird, muß oft, sehr oft von lieben Freunden Abschied nehmen, deren Leben und Schaffen ein Teil des eigenen Lebens und Schaffens war.
Heute stehen Alte und Junge, Männer und Frauen an der Bahre des Mannes, der ihr Freund, ihr Führer gewesen ist. Heute trauern Tausende des sächsischen Volkes um Einen, der unendlich viel gegeben hat und dessen reiches Geschenk in unserer harten, schweren Zeit immer bedeutsamer, immer kostbarer wird. Er hat der Heimat gedient in jenen Zeiten, wo wir Alten jung waren, er hat uns dereinst zur Mitarbeit aufgerufen, er hat uns unser Leben wünschenswert gemacht, da er mit uns uns und anderen die Heimat eroberte, nicht in Kampf und Streit, sondern in friedvoller Arbeit. Und Segen krönte sein Werk.
Wandern wir heute durch unser sächsisches Vaterland, so werden wir überall an unsern Karl Schmidt gemahnt, überall werden wir die Spuren seines Heimatschutzes antreffen. Da rauscht es aus den Bächen, da tönt es aus den Gipfeln alter Bäume, da jubelt es im Sange der Vögel, da klingt es aus den Volksliedern wanderfroher Gesellen, da leuchtet es von den schlichten Dorfkirchen, Friedhöfen und traulichen Forsthäusern und anderen Menschenwerken: Heimatschutz.
Wer seine Heimat liebt, liebt auch sein Volk.
Und wir wollen sagen: Wer seine Heimat liebt, den liebt auch das Volk.
Und so erntete er, der reichen Segen spendete, reichen Dank.
Als der Weltkrieg beendet war, als es galt, die Heimat vor dem Materialismus, der sein widerwärtiges Haupt erhob, zu schützen, wo unser[269] Vaterland mehr Liebe als je gebrauchte, weil es krank und siech war, wo so manches zusammenbrach, was wir dereinst hoffnungsfroh errichtet, war es wieder unser Führer, der rastlos uns zu neuer Arbeit rief.
Und er war tätig bis in die letzte Zeit, wo seine Kräfte anfingen, nachzulassen, wo er Anrecht hatte, vom Schaffen auszuruhen. Er tat es nicht, der Nimmermüde, da er selbst seine Aufgabe nicht erfüllt sah. Nun hat ihn der Tod in die ewige Heimat gerufen und seiner Arbeit ein Ende gesetzt.
Aber eins wissen wir. Uns ist er nicht gestorben, uns lebt er weiter. Und wir wissen noch mehr. Wenn wir Alten ihm folgen werden, treten die Jungen, die mit uns schon jetzt am gemeinsamen Werk arbeiteten, in unsere vordersten Reihen, denn unsre heilige Sache ist nicht an Personen gebunden. Sie wird uns stark machen, das Lebenswerk des Heimgegangenen zwar nicht zu vollenden, aber weiterzuführen: denn vollenden kann es ja niemand in der sich ewig neugestaltenden Welt, die nicht alt wird wie wir Menschen, sondern jung bleibt. Aber die Liebe wird nimmer aufhören, die dem Menschen mit seiner Heimat verbindet.
Und das ist unser Trost und unser Glaube. Nun gilt es Abschied nehmen von unsrem Freunde. Noch einmal sagen wir unseren Dank. Wir geloben, wir Alten und wir Jungen, weiter zu wirken und zu schaffen im Dienste seines Heimatschutzes. Und dies Gelöbnis, lieber Karl Schmidt, ist unser Dank, und so wirst du in uns und in späteren Geschlechtern weiterleben.
Von Pfarrer W. Hoffmann, Chemnitz
Der Herbst ist wieder ins Land gekommen. Er ist die Zeit des Sterbens. Aber auch er hat seine Schönheit und seinen besonderen Segen. Denn er ist auch die Zeit der Ernte und der Frucht. Wenn aber ein geliebter Mensch uns durch den Tod entrissen wird, und das bittere Weh des Scheidens und Sterbens über uns kommt, dann soll es uns ein Trost sein, daß wir auch das menschliche Leben als eine Saat und Ernte anschauen dürfen. Ihr, liebe trauernde Freunde, steht jetzt noch ganz unter den dunklen Schatten des Todes. Die letzten Tage und Wochen, die vielen bangen, schweren Stunden bis zum letzten Atemzug Eures Heißgeliebten haben sich Euren Herzen aufs tiefste eingeprägt. Zum letzten Male habt Ihr in sein stilles bleiches Antlitz geschaut und seine erkalteten Hände gefaßt, die sonst so warm in den Euren lagen. Und doch geht es auch durch diese dunklen Tage wie ein stilles Leuchten. Denn welch’ ein reiches, gesegnetes Leben ist hier zum Ziele gekommen! Und wenn wir nun in dieser Stunde[270] in Liebe und Verehrung und in großer Dankbarkeit dieses Mannes gedenken, der so vielen teuer war, so dürfen wir es tun mit dem Wort des Neuen Testaments:
Er war ein gesegneter Mann. Indem wir das aussprechen, geben wir Gott die Ehre und danken ihm für dieses nun vollendete Mannesleben. Gott hatte ihn gesegnet mit reichen Gaben, mit körperlicher Kraft und Rüstigkeit bis ins Alter, und mit den besonderen Geistesgaben, die ihn hinleiteten zu seinem Lebensberuf. Und er hat den Acker seines Lebens nicht brach liegen lassen. Im Segen hat er gesäet, hat sich in seinen Lehrjahren die gründliche Ausbildung und Durchbildung verschafft, die ihn dann befähigte, in seinen Meisterjahren so große Aufgaben zu erfüllen. Das Geheimnis seiner Erfolge beruht vor allem auch darin, daß er auch als Schaffender immer ein Lernender blieb, getreu dem Goethewort:
Durfte er doch die Wiedergeburt der so tief daniederliegenden deutschen Baukunst mit erleben und mit heraufführen helfen. Im Staatsdienst allmählich zu leitenden Stellungen und zuletzt zur höchsten für ihn erreichbaren Stelle emporsteigend, hat er das Bauwesen in unserm engeren Vaterland entscheidend beeinflußt. Viele öffentlichen Bauwerke geben Zeugnis von seinem Schaffen. Auch die Baukunst ist beseelte Kunst. Sie weckt den harten, toten Stein zu einem neuen Leben. Auch in den Bauten eines Volkes offenbart sich sein Geist und sein Charakter. Denn es ist der Geist, der sich den Körper baut. Unser Entschlafener aber hat als einer der Ersten erkannt, daß wir auch auf diesem Gebiet unsere Stammesart pflegen müssen. Darum ging er bei unsern Vätern in die Schule, nicht um in falscher Altertümelei und Deutschtümelei ihre Weise nachzuahmen, wie man es wohl früher versuchte, sondern um in dieser Schule der Alten das wiederzugewinnen, was wir verloren hatten, den Sinn für unsre deutsche Eigenart, insbesondere den Sinn für Schlichtheit und Klarheit. Daß er sich so als ein immer Lernender in den Geist seiner Kunst versenkte, das war eine Saat, aus der dann, besonders in den letzten Jahren vor dem Kriege, eine reiche Ernte hervorging. So aber gehört auch er zu den Männern, die uns den Weg in die Zukunft gewiesen haben. Denn wenn wir jetzt durch die Not der Zeit zur Einfachheit geradezu gezwungen sind, so hat die Lebensarbeit dieses klarschauenden Mannes schon seit Jahren diesen Weg bahnen helfen.
Doch mitten in seinem Schaffen blieb er ein Mensch mit einem warmen Herzen. Auch von seinem persönlichen Leben dürfen wir es sagen. Wer da säet im Segen, der wird auch ernten im Segen. Viele danken ihm heute für seine treue Hilfsbereitschaft und Liebe. Vor allen aber danken es ihm die Seinen. Vierzig Jahre sollten sich in diesem Herbst vollenden, seit er mit der Erwählten seines Herzens den Lebensbund schloß. Und heute bezeugt es ihm die Gattin wieder, daß jener 20. November ein Segenstag gewesen ist. Liebe hat einst das Band geknüpft, und Treue hat es befestigt von Jahr zu Jahr. Liebe und Treue sind die gute Saat gewesen, die Euch einen herrlichen Lebenssommer schenkte und Euch auch den Herbst Eures Lebens vergoldete, selbst noch die letzten Tage, als die sorgende Liebe der Gattin nicht vom Bette des Kranken wich. Wo die echte Liebe in zwei Herzen Wurzel geschlagen hat, da wird ja jeder Tag des gemeinsamen Lebens, auch der Alltag mit seinen Pflichten und Sorgen, ja selbst der Tag der Trübsal und der Schmerzen zu einem goldnen Erntetag. So habt Ihr’s erleben dürfen, und dafür dankt Ihr Gott. Und wie habt Ihr, seine drei Söhne, unter dem besonderen Segen dieses Mannes, Eures Vaters, gestanden. Des Vaters Segen bauet den Kindern Häuser, sagt ein anderes Bibelwort. Er hat so viele[271] Häuser im Lande gebaut. Aber Euch half er bauen am Bau Eures eigenen Lebens, und jedes gute Wort, jeder väterliche Rat, jede Warnung und Ermutigung und sein ganzes Vorbild durften Euch als Bausteine dazu dienen. Und seine Freude war es, daß er selber den Segen seiner Liebe ernten durfte im Blick auf seine Kinder und Schwiegerkinder und im Anblick der jungen Enkelkinder, die er noch ganz besonders in sein Herz geschlossen hatte. Auch er durfte sagen mitten in allen Kämpfen, die ihm in seinem Wirken nicht erspart geblieben sind:
Der Friede des Hauses, das Glück der Familie, die Gemeinschaft der innig Verbundenen, das war die Ernte seiner Liebe, die Gott ihm gegeben.
Was Gott mir gibt, das müssen sie mir lassen. Das gilt aber auch von einem besonderen Werke, dem er gedient, ja das er selbst ins Leben gerufen hat. Das Herz wird mir warm, wenn ich nun sprechen darf im Namen vieler Tausende hier an diesem Sarge. Du gesegneter Mann, was bist du uns geworden als ein Vorkämpfer für die deutsche Heimat und für alles, was uns die Heimat lieb und wert macht! Unter deiner Führung haben wir erkannt, daß wir nicht nur im Kriege, sondern auch im Frieden die Heimat schützen müssen, unsre Hände halten müssen über all den Schätzen, die durch Natur und Geschichte, durch Gottes Hand und durch die Hände unsrer Väter dem Heimatlande geschenkt sind. Es sind jene Schätze, die nichts mit der Valuta und mit dem Marktwert zu tun haben, die aber eben darum unsre kostbarsten sind. Es sind die Güter, in denen unsre Gemütswerte ruhen. Diese Werte zu schützen gegenüber den allbeherrschenden materiellen Interessen, und zugleich in dem, was Neues geschaffen wird, den Sinn für das Heimatliche und Bodenständige neu zu wecken, das ist unsrem Freunde und Führer die besondere Aufgabe seines späteren Lebens geworden. Aus den Erfahrungen seines Berufes ist ihm diese neue Aufgabe erwachsen. Und er griff sie auf mit der ganzen Wärme seines Herzens, zugleich aber auch mit der ganzen Tatkraft seines Willens. Weil sich in ihm das Starke und das Milde paarten, das zarte, feine Verständnis für alles Heimatliche und der überlegene Wille, diesem Verständnis neue Geltung in unsrem Volke zu schaffen, darum war er der berufene Mann, unsren Sächsischen Heimatschutz ins Leben zu rufen und ihn zur stärksten derartigen Organisation in Deutschland zu machen. Bald genug freilich mußte er die Wahrheit des Wortes erfahren:
Aber in den Kämpfen um die Verwirklichung des Heimatschutzgedankens hat er es immer wieder wahr gemacht: Was Gott mir gibt, das müssen sie mir lassen. So hat er sich als ein wahrer Freund seines Volkes bewährt. Er hat mitgekämpft für das große Ziel, jedem Deutschen ein wirkliches Heim und ein Stück Heimaterde zu verschaffen. Und sind wir auch von diesem Ziele noch weit entfernt, so ist es ihm doch beschieden gewesen, auch hier aus seiner Saat schon eine reiche Ernte hervorgehen zu sehen. Der Gedanke des Heimatschutzes marschiert. Er kann nicht mehr aufgehalten werden. Die Idee hat sich stärker erwiesen, als die ihr entgegenstehenden Mächte. Sie ist schon eine Macht und ein Segen geworden. Wer da säet im Segen, der wird auch ernten im Segen.
Wo aber Ideen lebendig sind, die das System der bloßen Nützlichkeit und des nackten persönlichen Vorteils durchbrechen, wo der Sinn für das Ganze und die Liebe zum Volke erwacht, da ist Gott. Wir danken Gott, daß er uns diesen Mann schenkte[272] und vielen zum Segen werden ließ. Und dem allmächtigen, gnädigen Gott dürfen wir ihn getrost befehlen. Sein Heimgang lenke unsre Blicke in die ewige Heimat, und die hoffenden Herzen sprechen: Die Heimat der Seele ist droben im Licht. Amen.
Unter den Klängen des Liedes »Stille Nacht, heilige Nacht«, des Lieblingsliedes des Verewigten, senkten wir am 10. Oktober auf dem Inneren Neustädter Friedhof in Dresden die sterblichen Überreste unseres unvergeßlichen Gründers und Führers in die Erde.
Für die Schriftleitung des Textes verantwortlich: Werner Schmidt – Druck: Lehmannsche Buchdruckerei
Klischees von Römmler & Jonas, sämtlich in Dresden.
Soeben erschienen:
Edgar Hahnewald
Sächsische Landschaften
Band III der Heimatbücherei
des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz
Großoktav 250 Seiten ✤ hart gebunden
Vorzugspreis für Mitglieder des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz M. 950.–
Bestellkarte in diesem Heft
Gerhard Platz »Vom Wandern und Weilen im Heimatland«, der erste Band unsrer Heimatbücherei ist vergriffen und wird Ostern 1923 neu erscheinen. Der zweite Band: Max Zeibig »Bunte Gassen, helle Straßen« ist noch vorrätig und kostet jetzt M. 400.–. Nun reiht sich diesen beiden köstlichen Büchern Edgar Hahnewalds »Sächsische Landschaften« an. Stadtbaurat Rieß gab ihm auf Seite 253 dieses Heftes einige warmherzige Einführungsworte. Und so hoffen wir, daß auch das dritte Buch unsrer Heimatbücherei seinen Weg nehmen, die Sachsen Daheim und in der Fremde erfreuen und unserm Heimatlande zum Segen gereichen möge. Es entstand mit einem Kostenaufwand von mehreren Millionen Mark in einer der wirtschaftlich schwersten Zeit Deutschlands, in einer Zeit, wo viele verzagten.
Weihnachts-Verkaufs-Ausstellung
sächsischer Volks- und Kleinkunst
Spielwaren, Töpfereien, Holzarbeiten, Trachtenpuppen, erzgebirgische Klöppelarbeiten, Spankorbwaren usw.
Landesverein Sächsischer Heimatschutz
Dresden-A., Schießgasse 24
gegenüber dem Polizeipräsidium
Besichtigung ohne Kaufzwang gern gestattet
Lehmannsche Buchdruckerei, Dresden-A.
Weitere Anmerkungen zur Transkription
Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht. Die Sperrung der Autorennamen der Artikel wurde vereinheitlicht.