Title: Reisen durch die Inselwelt der Südsee
Author: Max Prager
Release date: June 1, 2022 [eBook #68221]
Language: German
Original publication: Germany: Verlag von Carl Jansen
Credits: Peter Becker, Franz L Kuhlmann and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net
Anmerkungen zur Transkription
Das Deckblatt wurde vom Einband des Originals übernommen und geht damit in die "public domain".
Offensichtliche typografische und Fehler bei der Zeichensetzung sind stillschweigend bereinigt.
Mit einer kartographischen Skizze.
Von
M. Prager, Kapitän.
Kiel.
Verlag von Carl Jansen.
Kommissions-Verlag für den Buchhandel: Robert Cordes, Kiel.
In nachfolgender Schilderung ist versucht worden, dem geneigten Leser zwar ein beschränktes, aber doch möglichst anschauliches Bild über die Eigenart, Sitten und Gebräuche ihm unbekannter oder wenig gekannter Völker zu geben. Nicht minder ist die Entstehung der Koralleninseln, die Beschaffenheit hoher vulkanischer Berge und Inselmassen, sowie die in der Südsee entfaltete reiche Pflanzenwelt besprochen worden. Heftige Ausbrüche thätiger Vulkane, Stromverhältnisse des Ozeans und Wirbelstürme sind, soweit darüber persönliche Erfahrungen gesammelt werden konnten, in die Aufzählung der eigenen Erlebnisse des Verfassers mit hineingezogen.
Die so große, vielgestaltige und fruchtbare Inselwelt des Stillen Ozeans zeigt dem Beobachter in allen Formen ein anmuthiges Bild, zu dem er sich hingezogen fühlt, und das, soweit eigenes Können es vermag, in einfacher Erzählung wiederzugeben versucht ist. Die Gefahren mancher Art, wie solche auch dem Seemanne zwischen den gefährlichen Koralleninseln auflauern, sind an gehöriger Stelle eingefügt.
Sollte es mir gelingen, den Blick für die Werthschätzung auswärtiger Besitzungen zu schärfen, die Theilnahme für die kolonialen Bestrebungen der Reichsregierung zu mehren, so würde ich darin schon eine Anerkennung meiner Arbeit finden.
Der Verfasser.
Tief im Süden des Indischen Ozeans, auf jenen Breiten, wo der weite Weg nach Australien durch die Kugelform unserer Erde verkürzt wird und meistens günstige, westliche Winde die Fahrt eines Schiffes beschleunigen, zog im Jahre 1884 einsam ein deutsches Barkschiff seines Weges dem fernen Ziele entgegen.
Monde waren hingegangen, ehe mit Hülfe wechselnder Winde der Atlantische Ozean von Nord bis Süd durchzogen war; die Hälfte des nahezu 14000 Seemeilen langen Weges, von der deutschen Küste bis zu den Gestaden Australiens, war ungefähr zurückgelegt, als der Längengrad vom Kap der guten Hoffnung 18° 29' Ost von Greenwich auf etwa 44° Süd Breite passirt wurde und das schöne Passatwetter, das bis zu der Insel Tristan d'Acunha vorherrschend gewesen, überging zu kühlerem und unfreundlicherem. Der Winter war auf der südlichen Halbkugel hereingebrochen; je tiefer südlich das Schiff vor umlaufenden westlichen Winden lief, desto kälter, ungemüthlicher wurde das Wetter.
Hohe schaumgekrönte Wogen, die zischend längs den Borden des in bewegter See schwer rollenden Schiffes aufliefen und im wilden Wettlauf dieses überholten, fegten, vom Winde gepeitscht, ihren Gischt über das Deck. Kurz waren die Tage und nur selten blickten aus dem drohenden Gewölk, wenn es plötzlich zerrissen erschien, ein belebender Sonnenstrahl; die tiefe Bläue des Himmelsgewölbes Tage und Tage lang nicht gesehen, war dann für den einsam auf dem Weltmeer Hinziehenden ein Hoffnungsschimmer.
Endlos scheint der Ozean, kein Schiff, kein Segel auf der weiten, wildbewegten Wasserwüste ist zu entdecken, ebenso einsam scheint der gewaltige Meerbewohner, der Walfisch, durch die Fluthen zu ziehen, der von Zeit zu Zeit die warme Athemluft aus seinem einfachen oder doppelten Spritzloch hervorstößt, um darauf, so lange es ihm an der Oberfläche gefällt, wieder frische Luft in die Lungen einzuziehen. In der kälteren Atmosphäre verdichtet sich die ausgestoßene [2] feuchte Athemluft und bleibt um so länger sichtbar, je kälter die Temperatur auf der Oberfläche des Meeres ist. Mächtige Thiere sind es, in den sich überstürzenden Wogen kaum sichtbar, ihre Größe läßt sich nur ungefähr schätzen, wenn kurz nach dem Sichtbarwerden des Wasserdampfes das Thier in die Tiefe schießt und über die Wogenkämme emporragend, der Schwanz durch die Fluthen peitscht.
Die Habsucht des Menschen hat in wenigen Jahrzehnten ungezählte Schaaren dieser nützlichen Thiergattung vernichtet, selten findet man heute noch eine Anzahl der mächtigen Thiere beisammen, die einsam über die gewaltige Meerestiefe hinziehen, welche einst von Abertausenden belebt war, denen sie reiche Nahrung geboten.
Wind und Wogen sind in den Monaten Juli und August auf diesen südlichen Breiten meistens immer im Aufruhr; so setzte diesmal auf der Höhe der Krozet-Inseln ein äußerst schwerer, westlicher Sturm ein. Das Schiff, von den Fittichen des Windes getrieben, floh vor der brüllenden, wilden See; aber ob auch den Masten die denkbar größte Last aufgebürdet wurde, mußten doch nach und nach mit der wachsenden Kraft des Sturmes die Segel gekürzt werden und acht Tage lang lief das Schiff, während in der Luft die schwarzen Wolkenmassen dahinjagten wie ein gehetztes Wild, vor seinen dichtgerefften Sturmsegeln dahin, von den Wellen geschoben, die Bergen gleich von hinten heranrollten und deren Schaumkronen sich vernichtend über das in allen Fugen erzitternde Schiff ergossen. Uebermächtig war die Gewalt der Elemente, und hätte es ohne große Gefahr für Schiff und Mannschaft geschehen können, so würde der wilde Lauf vor solcher gefährlichen See durch Beidrehen an den Wind aufgegeben worden sein.
Jedoch ein guter Renner war die Bark, saß ihr auch die wilde See drohend und verderbenbringend auf den Fersen, die sie, tief ins Wogenthal getaucht, kaum abzuschütteln vermochte, so hob sie sich doch immer wieder siegreich empor, hinjagend durch Nacht und Schrecken.
Weit über den 80. Längengrad hinaus führte der erlahmende Sturm das wackere Schiff und mit von Norden bis Süd-Westen umspringenden steifen Winden wurde nach monatelanger Fahrt wieder Land, die Südküste Australiens, gesichtet.
Im sicheren Hafen von Melbourne, jener jungen, aufblühenden Stadt der Paläste — australischen Goldfeldern und dem Strome des Edelmetalls, der hier sich staute, verdankt sie ihr schnelles Wachsthum — wurde, um die werthvolle Ladung zu entlöschen, wochenlang Rast gehalten.
Das Goldfieber, das schon viel Tausende zur Pflichtverletzung trieb, übte auch auf die Mannschaft des deutschen Schiffes seinen verderblichen Einfluß aus, und die Hälfte derselben folgte dem lockenden Rufe nach goldenen Schätzen, den gewissenlose Agenten [3] ertönen ließen. Gleich vielen anderen folgten die Bethörten und vertauschten den harten Seemannsberuf mit dem eines Diggers, um unter Entbehrungen, in harter Arbeit, fern in den wegelosen Steppen des wasserarmen Innern Australiens nach den begehrlichen Schätzen der Erde zu graben.
Bitter Enttäuschte, die viel ärmer als sie einst ausgezogen, zur Küste zurückgekehrt waren und nur von Hunger, Durst und schlimmen Erfahrungen zu erzählen wußten (kaum daß sie im Stande gewesen, das äußerst theure Leben in der Wildniß zu fristen, so wenig hold war ihnen das Glück gewesen, so spärlich nur hatten sie Gold gefunden), ersetzten zum Theil die Flüchtigen. Froh noch konnte mancher Schiffsführer sein, wenn es ihm gelang, mit Angehörigen anderer Nationen sein Schiff wieder zu besetzen, da fast ohne Ausnahme jedem, wenn nicht die ganze, so doch ein Theil der Schiffsbesatzung entlaufen war. So mußten denn ebenfalls auf dem deutschen Schiffe Norweger, Schweden oder Engländer als Ersatz mit landesüblicher hoher Löhnung angenommen werden und das Kommando, sonst im biederen Plattdeutsch geführt, machte nothgedrungen dem englischen Platz.
Das Schiff, auf welchem sich der Schreiber dieser Zeilen als Reisender befand, war gleich vor Beginn der Fahrt nach den Samoa-Inseln im Stillen Ozean bestimmt, und Ende Oktober des Jahres 1884 lichteten wir die Anker, um von Melbourne weiter die Fahrt nach Apia fortzusetzen. Widrige Winde in der Baßstraße, zwischen dem Festlande von Australien und der Insel Tasmanien, unfreundliches Wetter mit kalten Regenschauern erschwerten das Aufkreuzen in derselben, bis nach Tagen schließlich raumer Wind das Passiren der in dem östlichen Theile dieser Straße liegenden Inseln und Felsenrocks möglich machte.
Als wir dann den freien Ozean gewonnen hatten, war es nothwendig, möglichst weit nach Osten aufzusegeln, und selbst als wir dicht unter der Nordspitze von Neu-Seeland gekommen waren und die drei König-Inseln sichteten, wurde noch immer der Kurs mehr östlich als nördlich gehalten, damit, wenn wir die Region des Süd-Ost-Passatwindes erreicht hätten, mit freiem Winde nordwärts gesteuert werden konnte. Schon auf der Höhe der Kermadec-Inseln wurde das Schiff von Windstillen befallen, die zeitweilig, von schweren Regenböen unterbrochen, nur ein sprungweises Vorwärtskommen gestatteten, bis auch dieser Gürtel unbeständiger Winde passirt war und auf etwa 25° S. Br. der Passatwind kräftig einsetzte.
Jetzt hatte die langdauernde Stille, bei der die Segel in eintöniger Weise an die Masten klappten, auf einmal ein Ende; die spiegelglatten Fluthen des Ozeans durch aufspringende Böen zeitweilig aufgeregt, sprangen übermüthig die Schaumkronen der Wellen an der Bordwand des Schiffes empor, das unter voller Segelkraft mit schneller Fahrt dahineilte.
[4] Als wir östlich von den Tonga- (Freundschafts-) Inseln nordwärts steuerten, war das erste Land, welches in Sicht kam, die Insel Niue, aber zwei Tage später schon tauchte am Horizonte des tiefblauen Tropenhimmels die gebirgige Inselmasse der Samoagruppe klar und deutlich empor, immer höher aus den Fluthen des im Sonnenglanze blinkenden Meeres aufsteigend, je näher sich beflügelten Laufes das Schiff seinem endlichen Ziele näherte.
Zur Rechten die Insel Tutuila mit ihren zerrissenen Bergen, einst thätigen Vulkanen, hebt sich zuerst, wenn man der Straße zwischen der Insel Upolu und Tutuila zusteuert, die über 30 Seemeilen breit ist, die mächtige Bergmasse aus den blauen Fluthen des Ozeans, während die langgestreckte Insel Upolu, massiver und höher, aus der Ferne wie in weißen Nebel getaucht erscheint, über der die blauen Bergkuppen vereinzelt emporragen. Immer deutlicher jedoch tritt auch hier das Unterland hervor, und die hochragenden Kronen der Kokospalmen, einen Kranz um alles sichtbare Land bildend, erscheinen wie ein endloser Wald, der sich längs dem Ufer hinstreckt. Sobald auch die Ufer ganz sichtbar geworden, zieht sich weit von Land ein weißer Silbergürtel hin, erzeugt durch die das Ufer umsäumenden Korallenriffe, an welchen sich wilddonnernd die ziemlich bewegte See unablässig bricht.
Ein eigenartiges Bild blühender Tropenlandschaft bietet das Ganze, man fühlt sich unwillkürlich versucht, anzunehmen, unter diesem blauen Himmelsdome, unter den im Winde wogenden Palmenkronen müsse ein ewiger Friede wohnen, müsse die Natur ein Paradies geschaffen haben.
Vorüber ziehen an der Ostseite der nach dem Innern immer höher sich aufthürmenden Berge dieser Insel, die mächtigen abgesprengten Rocks gleichenden Inseln Nuulua und Nuutele, und weiter, sobald nach Nord-Westen das Auge wieder den freien Ozean erblickt, die riffumkränzte Insel Fanuatapu. Wenn diese umsegelt ist, läuft das Schiff vor dem Winde nahezu westwärts längs der von Korallenriffen reinen Küste, und nur die reiche Tropenwelt vom Strande aufwärts bis zu den sanften Höhen zeigt sich im ewig grünen Schmucke, kein kahles Gestein wird sichtbar, dicht mit Busch und Wald scheint Thal und Hügel bedeckt — als ein gesegnetes Land hebt sich diese Insel aus der Tiefe des mächtigen Ozeans. Hin und wieder treten zwischen den hohen Stämmen der schlanken Palmen am Strande wie dunklere Punkte die Hütten der Eingebornen, am steilen Ufer erbaut, von der grünschimmernden See ab, ebenso gleitet zeitweilig über eine tiefere Bucht ein Kanoe eilend hin, von kräftigen Armen vorwärts getrieben, obschon von den Insassen bei so großem Abstande nichts Genaues zu sehen ist.
Ist man zwölf Seemeilen längs der Nord-Ostküste gesegelt, so öffnet sich hinter der Nannivi-Spitze der Hafen von Falisa, von [5] hier aber läuft an der Küste weiter ein mächtiges Korallenriff, an dessen Kante die See schäumt und brandet. Das Land erhebt sich im Innern der Insel höher und höher, über die welligen Bergmassen ragt der Berg Fao spitz empor; ein Bergrücken durchschneidet die ganze Insel von Ost bis West, dessen einzelne Ausläufer nur hier und dort bis an die Küste vordringen.
Ist die dem Lande vorgelagerte Riffmasse passirt, so öffnet sich der von Korallenbänken und Riffen umgebene sichere Hafen von Saluafata, der zu dieser Zeit schon von den deutschen Kriegsschiffen als bester Depotplatz und Gesundheitsstation anerkannt und benutzt wurde. Alle Riffe, von See aus gesehen, scheinen direkt mit dem Lande verbunden zu sein, wenigstens läßt das grünschimmernde Wasser, sobald die ausgedehnten Bänke damit bedeckt sind, solches anfänglich vermuthen, in der That aber bilden diese häufig ein zwar vielfach geformtes, doch getrenntes Ganze für sich, so daß selbst bei der Ebbe es für ein Boot möglich ist, dicht unter Land oder in geringer Entfernung davon innerhalb der Riffe im ruhigen Wasser zu fahren. Selbst die Kriegskanoes der Eingeborenen, 40 und mehr Mann fassend, benutzen nur diese Wasserstraßen, um von Ort zu Ort zu gelangen, obwohl diese sich auch nicht scheuen, mit den leichtgebauten Fahrzeugen auf die offene See hinauszurudern, wenn das Meer ruhig ist und eine Nothwendigkeit dazu vorliegt.
Angebracht scheint es mir hier, gleich über die Entstehung, Fortpflanzung und Bildung der Korallenbänke eine kurze Beschreibung zu geben, weil im Laufe dieser Erzählung vielfach der gefährlichen Korallenbänke wird Erwähnung gethan werden.
Die Koralle, eine Polypenart, siedelt sich am häufigsten in den tropischen Gegenden an, an geschützten Küsten oder auf nicht tiefer als 50 Meter liegendem Meeresgrunde, sind die Bedingungen zur Fortpflanzung günstig, d. h. reichliche Nahrung und eine nicht unter 18° C. sinkende Wassertemperatur vorhanden, so breiten sie sich sehr schnell aus und bilden durch das Absterben der Milliarden kalkhaltiger Thiere allmählich eine feste steinige Masse.
Sie wächst bis zur Ebbegrenze, d. h. bis zum niedrigsten Stande des Meeresspiegels, dann hört aus Mangel an genügender Nahrungszufuhr ihr Wachsthum auf, dafür aber dehnen sie sich nach der offenen See mehr und mehr aus, selbst die schweren, auf solchem Randriff brechenden Wogen hindern die Thierchen nicht am Weiterbau. Lücken, durch sehr schwere Brandung hervorgerufen, füllen sie schnell wieder. Meistens bildet der äußere Rand eines Riffes eine steile Wand, was namentlich der Fall ist, wenn an solchem die Wassertiefe schon beträchtlich ist.
Um es zu verstehen, daß selbst auf abschüssigem Grunde ein Korallenriff an Ausdehnung gewinnen kann, muß man bedenken, wie die Korallenthiere bis zu der Tiefe von 50 Meter immer [6] weiter an gebildeten Bänken fortbauen, so über großen Tiefen frei hängende Massen bilden, die schließlich durch die Gewalt der See oder ihrer eigenen Schwere abbrechen und versinken. Solche abgestürzten Massen aber, im Laufe der Zeiten übereinander gethürmt, geben den Thieren immer neue Ansiedelungspunkte und die Folge ist, daß an vielen Riffen eine steile, senkrechte Wand gefunden wird, die aus einer Tiefe von mehreren hundert Fuß bis zur Oberfläche des Meeres aufragt.
Eine eigenthümliche Erscheinung ist ferner, daß an der Mündung von Bächen und Flüssen die Koralle sich nicht ausbreitet, es erklären sich hierdurch die kleineren oder größeren Riffpassagen, die man bei Wallriffen unter Inseln oder Festland immer findet. Der Grund dafür ist, daß den Korallenthieren durch das Süßwasser die benöthigte Nahrung entzogen wird und sie naturgemäß absterben, oder, wo durch brandende See ihnen solche doch noch zugeführt wird, sich nur äußerst langsam ausdehnen. Ebenso werden die Thierchen an der gedeihlichen Fortpflanzung unter Land auch dadurch gehindert, daß, während schon an und für sich das Meer ihnen geringere Nahrung zuführt, die Landwinde vom Ufer vielen feinen Staub abwehen. Dadurch erklärt es sich, wie häufig in der Nähe des Landes die Koralle das Weiterbauen eingestellt hat und Durchfahrten für Boote und Kanoes freigeblieben sind. Orte, wo die Koralle im Meere nicht gedeiht, sich vielleicht überhaupt nicht angesiedelt hat, wie man solchen Vorgang an Inseln beobachten kann — eine Seite derselben ist mit Riffen eingefaßt, die andere nicht — ist fast immer auf eine kältere Meeresströmung zurückzuführen, die unter Küsten oder Inseln hinzieht.
Das ausgedehnte Gebiet des Großen Ozeans, dessen weitverzweigte Inselwelt vielfach heute noch ein Vulkanheerd ist, bringt hin und wieder plötzliche Veränderungen hervor, für Jahrtausende beständig gebliebene Riffe versinken oder heben sich. Tritt solche Verschiebung ein, sinkt z. B. ein Riff unter die Meeresoberfläche, so baut sich die Koralle ungemein schnell auch auf schon erstorbenen Flächen wieder an und führt das Riff zur Meeresoberfläche; hingegen heben sich unter Wasser gebildete Bänke, was zur Folge hat, daß im größeren Umkreise auch der Meeresboden gehoben wird, so nimmt die Koralle am Randriff ihre Arbeit wieder auf, da sie auf einer Tiefenlinie von ungefähr 2000 Meter nicht weiter bauen kann, weil der in solcher Tiefe große Kohlensäuregehalt des Meerwassers einen Weiterbau verhindert.
Was die Bildung der Korallen-Inseln anbetrifft, so entstehen solche nur durch Anhäufung losgelöster Korallenblöcke, die durch schwere Seen bei Stürmen oder Orkanen auf das Riff getragen werden. Ueberwiegt auch am Riffrande das Wachsthum der Koralle den Verlust, welcher durch die unablässig anbrandenden Wogen entsteht, die solche Theile und Theilchen loslösen und auf [7] dem Riffe ebenfalls ablagern, so tragen doch diese dazu bei, schon etwa über Fluthhöhe angehäufte harte Korallenmassen zu verbinden und heftige Winde thun das Ihre, zu Zeiten der Ebbe den leichten Korallenmörtel immer höher aufzuhäufen. Dann fehlt nur noch die Vegetation; angeschwemmte Kokosnuß und Pandanuß finden fruchtbaren Boden; Samen, von Seevögeln oder den Wogen zugetragen, keimen auf der kleinen Fläche, die hierdurch auch immer mehr an Ausdehnung gewinnt, bis im Laufe der Zeiten Inseln von beträchtlichem Umfange entstehen.
Bei der Beschreibung des Marschall-Atolls und anderer werde ich auf deren muthmaßliche Bildung zurückkommen, obgleich die Entstehung der heutigen Inselgruppe auf ganz gleiche Vorgänge zurückzuführen ist.
Sieben Seemeilen weiter westlich von dem, dem Hafen von Saluafata vorgelagerten Riffe — die Küste zeigt auf dieser Strecke nur wenig Korallenbildungen — erhebt sich von der Vailele-Bai erst wieder das massive, von hier die ganze Küste westwärts umfassende Korallenriff. Die brandenden Wogen an denselben mahnen zur Vorsicht, man ist deshalb gewohnt, einen größeren Abstand zu halten, als bei günstigem Winde nöthig wäre, da die Wassertiefe fast überall bis dicht unter das Riff beträchtlich ist.
Erschwert wird daher auch das Auffinden der Einfahrt, die zum Hafen von Apia führt; namentlich für einen mit den Verhältnissen und den Strömungen nicht vertrauten Schiffsführer hat die erste Ansegelung etwas Schwieriges. Wohl geben der Apia-Berg, ferner auf diesem und die an dessen Fuße auf dem kleineren Waea-Hügel errichtete Baken und Feuer ein gutes Merkzeichen, doch diese sind nicht immer, wenn Dünste und feuchte Nebel darüber lagern und tiefhängende schwere Regenwolken das Innere der Insel verhüllen, aus größerer Entfernung sichtbar und selbst der Hafenlootse kann sich bei bewegter See auch nicht immer weit aus dem Schutze der Riffe herauswagen, um dem irrenden Schiffe als Wegweiser zu dienen. Dazu kommt, daß der nach Westen setzende Strom ein Schiff leicht über die Peilrichtung der gegebenen Zeichen hinaustreibt, und manchem Führer geht es so wie es auch mir ergangen ist, daß er, gegen schwachen Ostwind kreuzend, weit fortgetrieben wird und er Tage braucht, ehe er die Höhe des Hafens wieder erreicht.
Man bezeichnet auch den durch den im Apia-Hafen mündenden Vaisigano-Fluß gebildeten Wasserfall, der landeinwärts bei dem Dorfe Maniani liegt, als gutes Merkzeichen, da er im Sonnenlichte hell blinkend seine Wasser aus beträchtlicher Höhe abstürzt und auch weit von See aus sichtbar ist; allein da solche Fälle bei günstiger Beleuchtung an der Nordseite der Insel mehrere zu sehen sind, so ist der Vaisigano-Wasserfall kein untrügliches Zeichen. In den Monaten Mai bis November wird man indes hier meistens [8] immer klares Wetter antreffen und es dann nicht schwierig sein, die Einfahrt in den gut geschützten Hafen zu finden.
Es war am 19. November 1884 als wir, schon nach hereingebrochener Dunkelheit, den sicheren Hafen erreichten und ich nach einer Reise von 175 Tagen (der Aufenthalt in Melbourne eingerechnet) das Land betrat, wo für mich eine jahrelange Thätigkeit im Dienste der deutschen Handels- und Plantagen-Gesellschaft vorgesehen war. Dem Fremdartigen, das einem in fern entlegenen Ländern entgegentritt, wendet man anfänglich seine ganze Aufmerksamkeit zu; so fühlte man sich auch hier, wo schon die reiche Tropenwelt, die ganze Großartigkeit der Scenerie die Sinne gefangen nahm, versucht, die gewonnenen Eindrücke auf sich wirken zu lassen, und das Wohlgefälligste, was dem Beobachter hier in diesem schönen Erdenparadiese entgegentritt, sind die Bewohner dieses gesegneten Landes selbst.
Stolze, stattliche Gestalten sind die Männer, groß und schlank gebaut, Klugheit und Kraft verrathend, soweit letztere aus dem stolzen Gang und dem wohlgenährten Körper ersichtlich ist. Der Körper ist bis auf den Lendenschurz, den Lava-Lava, den sie gefällig um die Hüften tragen, nackt, die Beine fast bis zum Unterleib tätowirt, stechen die blauen Streifen oder Ringe von der lichtbraunen Farbe des Körpers auffällig ab. Die Frauen sind selten über Mittelgröße, haben hübsche, anmuthige Gestalten, zeigen Sanftmuth und gefälliges Wesen, vor allem, wenn noch Jugendreiz sie schmückt und sie ihre Schönheit durch die duftenden Kinder der hier üppig blühenden Flora zu heben bemüht sind, die sie kranzartig sich in das starke, mähnenartige, schwarze Haar einflechten.
Ein sorglos glücklich Volk, dem die Natur ihre reichen Schätze ohne Arbeit und Müh in den Schooß wirft, scheinen diese Ureinwohner zu sein. Wohin man den Blick wendet, Früchte beladene Kokospalmen, vereinzelt oder in großen Gruppen, Apfelsinen und Brotfruchtbäume neben der zuckersüßen Banane, der wohlschmeckenden, nahrhaften Yamswurzel, dem Zuckerrohr und der Taroknolle, machen die Hauptbestandtheile der Nahrung der Eingeborenen aus, nur die letzten Arten bedürfen der Anpflanzung und sehr geringer Pflege. Der Palmenbaum, der Milch, Oel und saftigen Kern giebt, Gewebe und wohlschmeckendes Getränk, um Dörfer und Hütten gepflanzt, genügte allein schon den Eingebornen zu sättigen und zu befriedigen. Nicht die Größe des Flächenraumes schätzt dieser deshalb hoch, sondern die Zahl der Palmenbäume, die ihm zu eigen gehören.
Der große Hafen von Apia, durch die vorspringende Matautuspitze und die weitgestreckte schmale Landzunge Mulinun gebildet, durch die weit in See sich erstreckenden Riffe eingeengt und eigentlich erst geschaffen, bietet genügenden Raum und Wassertiefe für eine ganze Anzahl großer Schiffe; der kleinere Hafen hingegen ist etwas [9] beengt, bietet aber für jedes Schiff, wenn solches wegen seines Tiefganges nicht im großen verbleiben muß, eine noch gesichertere Lage. Uebrigens ist der kleine Hafen eigentlich nur der Ankerplatz für die der Plantagen-Gesellschaft zugehörenden Schiffe.
Auffällig und sofort ins Auge fallend sind die großen Bauten der Deutschen Handels-Gesellschaft, vor allem das gefällige Hauptgebäude, das in seiner Ausdehnung nicht bloß die Kontore, sondern auch die Wohnung des derzeitigen Chefs, des Herrn Konsuls Weber, sowie aller im Innern-Dienst Angestellten enthält.
Das Innere des großen Quadrats nimmt ein gefälliger Ziergarten ein, dessen Bäume und Pflanzen viel dazu beitragen, die heiße Schwüle der Abende zu mildern und erfrischende Kühle verbreiten. Alle Häuser der Europäer, aus Holz erbaut, das nach Bedarf von amerikanischen Schiffen eingeführt wird, stehen um einige Fuß über dem Erdboden erhöht meistens auf gemauerten Korallenpfeilern. Es ist dies insofern eine zwingende Nothwendigkeit, als, abgesehen davon, daß während der Regenzeit vom November bis April, die Feuchtigkeit fern gehalten wird, dem zahlreichen Ungeziefer nach Möglichkeit gewehrt werden muß.
Ratten in Unmenge, Ameisen zu Milliarden bürgern sich in den Häusern gar zu gerne ein und namentlich gegen letztere, die durchaus nichts, was eßbar ist, verschonen, kämpft hier der Mensch vergeblich an. Um diese kleinen geschäftigen Thierchen, die unter Dielen, in den Holzfüllungen ihre Heimstätte aufschlagen, nur einigermaßen vom Genießbaren fernzuhalten, müssen Tischbeine, überhaupt alle Gefäße, die Eßbares enthalten, in Wasserbehälter gestellt werden, das ist die einzige Methode, mit einigem Erfolge Speisen, Früchte u. s. w. vor Verderben durch Ameisen zu schützen.
Ein wahres Heer voll Ungeziefer aber beherbergen die Kopraschuppen, jene Gebäude, welche aufgespeicherte Vorräthe an getrockneter Kokosnuß enthalten. Kopra ist der in Stücke geschnittene und an der Sonne getrocknete Kern der Nuß, jenes werthvolle Erzeugniß, das in Europa die feinsten Oele, Seifen, Säuren u. s. w. giebt und jederzeit hoch im Preise steht. In solchen Gebäuden wimmelt es von Ratten, Käfern, Kakerlaken und Ameisen, die hier überreiche Nahrung finden, Tausendfuß und anderes gefährlicheres Gewürm, selbst den Skorpion habe ich zuweilen an anderen Orten bemerkt.
Eine langandauernde Lagerung des Kopras, dessen reicher Oelgehalt bedeutende Wärme erzeugt, bringt durch Eintrocknen schon einen Gewichtsverlust mit sich, mehr aber verliert die Güte desselben durch die erwähnten Thierarten. Bei der Verschiffung des Kopras wird natürlich solch lästiges Gewürm mit in das Schiff übergeführt und monatelanges Lagern großer Mengen Kopra in einem Schiffsraume hat zur Folge, daß namentlich Ameisen und Kakerlaken sich einbürgern, gegen deren Vertilgung nordische Kälte nur das einzige durchgreifende Mittel abgiebt.
[10] Die ausgedehnten Bauten der deutschen Factorei und das dazu gehörige Gelände trägt den Namen „Savala“, die langgestreckte Landzunge, auf welcher sich mehrere kleinere Dörfer als „Songi“ und ganz am Ende die Wohnung des derzeitigen Königs „Maliatoa“ befindet, heißt „Mulinuu“. Gebüsch, Palmen und Brotfruchtbäume bedecken diese Landfläche, die im Hintergrunde ein dichter Mangrovensumpf umsäumt, die Brutstätte der lästigen Mosquitos und des zu Zeiten austretenden Malariafiebers.
Das Klima der meerumrauschten Insel ist im Allgemeinen als ein gesundes zu bezeichnen; wie ich aus eigener Erfahrung weiß, hat der Europäer, den tödtliches Fieber befällt, es meist immer selbst verschuldet und zwar dadurch, daß er die in den Zimmern herrschende drückend heiße Luft durch Oeffnen von Thür und Fenstern während des Schlafes in der thaukalten Nacht zu mildern sucht, deren feuchte Luft zwar angenehm den Körper kühlt, aber auch eine verderbliche Einwirkung auf die Gesundheit ausübt. Wenige Monate nach meiner Ankunft (ein längerer Aufenthalt am Lande war mir vorgeschrieben) hatte ich durch solche Unachtsamkeit mir ein schlimmes Fieber zugezogen; zwischen Tod und Leben rang ich lange, bis doch die Natur, unterstützt durch die Kunst der Aerzte, Sieger blieb.
Man wandelt nicht ungestraft unter Palmen, das bestätigt sich auch hier selbst bei den Eingebornen; unter anderen Krankheiten sei nur die den Körper verunstaltende Elephantiasis angeführt. Häufig tritt diese Krankheit auf, und wenn sie auch im ersten Stadium noch schmerzlos ist, so schleppt doch der Betroffene ein meistens sehr dick angeschwollenes Bein, das ihm äußerst lästig und am Gehen hinderlich ist, herum, selbst langansässige Europäer befällt zuweilen dieses unangenehme Leiden.
Von der äußersten Spitze der Landzunge Mulinuu führt ein bequemer Weg rings um die Bai nach Matautu, der als eine eigentliche Straße aber erst von der deutschen Factorei an zu betrachten ist. Zur Rechten liegen dort einige gefällige Cottages, im Styl englischer Landhäuser erbaut, mit vorliegenden Gärten und dem freien Ausblick auf den Hafen; die Straße selbst wird von hohen Apfelsinenbäumen beschattet, deren kugelrunde noch unreife Früchte den jungen Samoanerknaben als Spielbälle dienen, indem diese sich die fast nackende, lebhafte Schaar mit Geschick zuwirft.
Weiterhin erst im eigentlichen Matafele, wie die Hauptansiedelung der Europäer benannt wird, reihen sich Häuser zu beiden Seiten der Straße, Hotels, Gastwirthschaften und Privatwohnungen, hinter diesen das Samoanerdorf Matafele. Dem Durstigen winkt hier in den geräumigen Wirthschaften ein kühler Trunk, durch künstliches Eis gekühlt; denn Durst, durch die Sonnengluth erzeugt, hat Jedermann, auch stehen neben Versandbier, das ausnahmslos deutsches Erzeugniß ist, Spirituosen, ja die theuersten [11] Sorten edlerer Getränke jedem zur Verfügung, sofern der dafür geforderte hohe Preis nicht den Geldbeutel zu bedenklich leert, da unter einem Sixhenie, d. h. 50 Pfennigen, nichts erhältlich ist, eine Flasche Bier aber schon zwei Mark kostet und Weine noch bedeutend höher im Preise stehen.
An Vergnügungen fehlt es auch nicht, die meisten Wirthe, dazumal vornehmlich Deutsche, haben neben einem Tanzsaal, wo gelegentlich zum Klavier oder Harmonika jeder mit den hübschen Samoanerinnen, die leidenschaftlich dem Tanze und Spiel sich hingeben, tüchtig das Tanzbein schwingen kann, auch für Liebhaber des Kegelsports gute Bahnen eingerichtet, und diese werden von dem zahlreichen Personal der Factorei und sonstigen Deutschen auch tüchtig benutzt.
Damit freilich sind die hauptsächlichsten Vergnügungen lokaler Art erschöpft, Jagdliebhabern bietet sich solches in anderer Weise, da zahlreiche wilde Tauben und Hühner, selbst verwilderte Schweine in den Bergen zu finden sind; auch sonntägliche Reitausflüge nach den Plantagen Vailele, Vaivase, Vaitele, selbst bis nach Molefenua ausgedehnt, finden viele Theilnehmer, besonders aber sind Picknicks mit Damen, den Kindern einiger langansässiger Europäer, und Samoanerinnen, die ihre lichtbraunen Schwestern oftmals noch an Schönheit übertreffen, für die Jüngeren ein beliebtes Vergnügen, zu deren Veranstaltung Ausflüge in die schönsten Orte der Umgebung von Apia gemacht werden.
Hierbei fehlt, was ich gleich erwähnen will, gewöhnlich nicht der bei den Samoanern so beliebte Schweinebraten, und wenn auch sonst der stolze Eingeborne sich nicht herbei läßt, eine Handreichung zu thun, so übernehmen bei solcher Gelegenheit die Aufgeforderten doch gerne das Amt eines Mundschenks und bereiten eigenhändig nach ihrer Weise den köstlich duftenden Braten.
Nach der Anzahl der Theilnehmer wird ein mittelgroßes Schwein vorher geschlachtet, sehr sauber gereinigt und zerschnitten bereit gelegt. In einer Grube, die rings mit Steinen ausgefüllt ist, werden diese durch ein in derselben entzündetes Feuer glühend heiß gemacht, das Schwein in große Bananenblätter fest eingewickelt, wird nach Verlöschen des Feuers dasselbe dann in die Grube gebettet und auch mit ebenso heißen Steinen zugedeckt, worüber dann Erde geschüttet werden muß, um zu verhindern, daß die Hitze entweicht.
Von Kraft und Fettgehalt gar nichts verloren, wird nach Verlauf mehrerer Stunden der äußerst zarte Braten behutsam herausgenommen und auf frische Bananenblätter gelegt, dann reißt der Vertheiler mit den Händen das Schwein auf. Allen im Kreise umhersitzenden Theilnehmern am Mahle sind vorher Bananenblätter als Teller vorgelegt worden. Auf diese wirft mit vielem Geschick der eine oder andere Gehülfe des Mundschenks die von [12] diesem mit den Händen in Stücke zerrissenen Fleischtheile, dabei jedesmal den bezeichnend, dem sein Antheil zugeworfen werden soll.
Nach unsern verfeinerten Begriffen ist solche Behandlung des Fleisches sowohl, wie auch der ganze Vorgang etwas unappetitlich, indes stößt man sich weniger daran, da vor den eigenen Augen alles mit peinlichster Sauberkeit vorgenommen wird, auch liegt ein gewisser Reiz darin, Unbekanntes und Eigenartiges kennen zu lernen. So viel ist gewiß, ein jeder läßt sich das zarte Fleisch eines so bereiteten Schweines, das nachträglich mit Salz gewürzt wird, vortrefflich schmecken, dazu die zarten Yamswurzeln und Bananen, duftende Ananas und Orangen als Nachtisch. So wird solches Essen ein lukullisches Mahl, das mit Bier, Whisky und Sodawasser heruntergespült wird.
Gewöhnlich aber haben die theilnehmenden Samoanerinnen noch etwas zur Ueberraschung vorbereitet: nämlich das beliebte, pikante Palisami. In junge Bananenblätter mehrfach eingehüllt, liegt eine weiche, weiße Masse, unsern Windbeuteln vergleichbar, die, von den zartesten Blüthenblättern des Kokosbaumes umgeben, einen scharfen, aber angenehmen Geschmack hat, erzeugt durch die feinen Blättchen, die mit gegessen werden. Das Ganze besteht aus ganz fein geriebenen Kokosnußkernen, durchsetzt mit der weißen Kokosmilch. Der eintretende Säureprozeß trägt viel zum Wohlgeschmack bei.
Die Fröhlichkeit wird dann durch die ungemein wohlklingenden Gesänge der blumengeschmückten Samoanerinnen eingeleitet. Einer Vorsängerin, die Melodien und Text angiebt, folgt der ganze Chor mit einer auffallenden Richtigkeit, die anmuthigen Bewegungen, das taktmäßige Wiegen des Oberkörpers nach dem Rhythmus, das Klatschen der Hände auf den Beinen, Armen, Schultern und Kopf geschieht mit solcher Präzision, daß nur ein angeborenes Talent solche Fertigkeit hervorbringen kann. Nicht minder interessant sind die Tänze; wie auf Kommando bewegen sich die Füße und Gliedmaßen, das Aufreihen und Schließen einer Kette oder Ringes geschieht mit unfehlbarer Sicherheit, dazu kommt der melodische Gesang, kurz, es ist ein Genuß, den Bewegungen der graziösen Gestalten zuzusehen.
Oft habe ich in den Hütten der Eingebornen, wo gerne Gastfreundschaft geübt wird, bei kredenztem Kavatrunk Tanz und Spiel zusehen können und über die Sorglosigkeit der Eingebornen Betrachtungen anzustellen Gelegenheit gehabt, mit welcher die gütige Natur dieses glückliche Volk ausgestattet hat, das durch schöne Gestalt und heiteren Sinn ganz besonders bevorzugt ward.
Bei solchen Vergnügungen sowohl, wie bei einem Besuch in der schmucklosen Hütte des Eingebornen, wird der Nationaltrunk herumgereicht und ist dieser in folgender Weise zubereitet: die grüne Kavawurzel, sonst giftig, wird vollständig an der Sonne getrocknet, [13] bis sie gelb und die Fasern spröde geworden sind, wodurch sie ihre schädlichen Eigenschaften vollständig verliert. Die eigentliche und bei den Samoanern beliebte Zubereitung nun ist: es kauen die jungen Mädchen nach vorgenommener Reinigung des Mundes Theile dieser Wurzel mit ihrem vorzüglichen Gebiß klein, rollen solche in Kügelchen und legen diese in die Kavaschale, eine aus dem Holze des Brotfruchtbaumes künstlich geschnitzte und auf kurzen Füßen ruhende Mulde. Dann werden die Wasserbehälter, vollständige, möglichst große Kokosnüße, die so lange in Seewasser gelegen haben oder mit solchem angefüllt gewesen sind, bis der schmackhafte Kern in derselben sich aufgelöst hat und durch die kleinen Keimlöcher entfernt ist, herbeigebracht, die nach Bedarf vorräthig in oder außerhalb der Hütte hängen und nach vorgenommener Reinigung der Hände wird von ihnen so viel Wasser in die Schale gegossen, als erforderlich erscheint.
Die den Kavatrank bereitende Frau rührt nun mit einem bereitgehaltenen Büschel feiner Fasern von der Banane das Ganze durcheinander, bis das Gebräu eine schmutzig-bräunlich-gelbe Färbung angenommen hat, dabei ist sie mit dem Büschel bemüht, auch das kleinste Fäserchen der aufgelösten Kavawurzel zu entfernen. Ist der Trank bereitet, was durch Händeklatschen den Anwesenden kundgethan wird, so bezeichnet der Hausherr den vornehmsten Gast durch Aufruf und eines der jungen Mädchen hält, sich erhebend, eine durch vielen Gebrauch schön polirte Kokosnußschale über den Kavabehälter und läßt sich den ausgeschwenkten und wieder eingetauchten Faserbüschel darin ausdrücken, oder richtiger, das oft über einen halben Liter fassende Gefäß mit dem Getränke volllaufen. In graziöser Bewegung schreitet das Mädchen dann auf den Bezeichneten zu und kredenzt, vor dem Sitzenden sich neigend, das Getränk.
Hierbei ist es Regel (soll in einer Nichtannahme keine Beleidigung des Wirthes gefunden werden), daß die Schale geleert oder doch daraus getrunken wird, den Rest kann man seitwärts oder über den Kopf hinweg ausschütten und dann das leere Gefäß dem wartenden Mädchen zurückgeben. So geht es in der Runde fort, oft wird auch die große Schale nach Bedarf mehrmals aufs Neue gefüllt. Gesang, an welchem auch die Männer sich betheiligen, hilft ein solches Trinkgelage verschönern.
Die Kavawurzel besitzt auch die Eigenschaft, einem kranken und ermatteten Körper Ruhe zu geben, sowie eine schmerzstillende Wirkung auszuüben, sie hat deshalb weite Verbreitung als Genußmittel auch bei den übrigen Südseeinsulanern gefunden.
In größeren Mengen genossen, wirkt der Kavatrank aber doch berauschend, und bei vollständig klarem Kopfe hat man das Gefühl, als weiche der Erdboden unter den Füßen, eine Art Gefühllosigkeit macht sich in den Beinen bemerkbar und kaum spürt [14] man die Berührung mit dem Boden. Bei einem Ausfluge zu einem landeinwärts lebenden Europäer, wo in Ermangelung von Bier und anderen Getränken von den gefälligen Samoanern reichlich Kava kredenzt wurde und ich als Neuling schließlich auch Gefallen an dem eigenartigen Getränke fand, dessen Wirkung ich nicht kannte, machte ich auf dem langen Heimwege in dunkler Nacht dann die Erfahrung, daß ein neckischer Kobold sein Spiel mit mir zu treiben versuche.
Das Kauen der Kavawurzel ist, wie erwähnt, im Allgemeinen gebräuchlich, doch bürgert sich, wenigstens wo ein häufigerer Verkehr mit Europäern stattfindet, mehr und mehr die Methode ein, diese Wurzel zwischen Steine zu zerklopfen und das unappetitliche Zerkauen mit den Zähnen unterbleibt. Die Zubereitung des Trankes bleibt sonst dieselbe.
Wie bei den meisten Naturvölkern, so herrscht auch bei den Samoanern keine strenge Sittlichkeit, doch darf als Beweis die Veranstaltung des Festes angesehen werden, welches zu Ehren der unbescholtenen Jungfrauen gefeiert wird. Bei diesem folgt Alt und Jung dem Zuge, an dessen Spitze die jungen Mädchen im reichsten Blumenschmuck einherschreiten. So allgemein ist diese Sitte, daß das Fest in jedem großen Dorfe begangen wird. Die Anwesenheit der Europäer ist bei solcher großen Festlichkeit sehr erwünscht, sind sie vorhanden, so wird ihnen der Ehrensitz an der Seite der Jungfrauen zutheil.
In gleicher Weise wie bei den geschilderten Picknicks wird auch hierbei, nur im großartigeren Maßstab, ein opulentes Mahl im grünen Grase unter den Wipfeln rauschender Palmen abgehalten, dem Gesang und Tanz folgt ein Schauspiel in dieser herrlichen, pittoresken Gegend und Umgebung, wie solches eindrucksvoller und natürlicher von den frohsinnigen Kindern eines gesegneten Fleckchen Erde nicht vorgeführt werden kann.
Reinlichkeit des Körpers ist eine Tugend des samoanischen Volkes, hervorgerufen durch die Anschauung, daß dadurch allerlei Krankheiten fern gehalten werden, zu jeder Tageszeit in den kühleren Stunden findet man an den Ufern der aus den Bergen kommenden Flüße und Bäche badende Mädchen und Frauen; ja dies ist so zu einem Bedürfnisse geworden, daß selbst Kranke sich zu den erfrischenden Wassern schleppen.
Um Haut und Körper geschmeidig zu erhalten, reiben namentlich Frauen und Mädchen sich mit Kokosnußöl ein, welches dem Braun der Hautfarbe etwas Glänzendes giebt; gleichwohl geht auch ein scharfer Geruch von ihnen aus, der ein empfindliches Riechorgan beleidigen kann; auch eine aneinandergereihte haselnußgroße Frucht, mit Vorliebe neben Muscheln und Blumenranken als Schmuck getragen, vermehrt den scharfen Geruch des Oels, die Gegenwart eines weiblichen Wesens macht sich sofort dadurch bemerkbar.
[15] Bei beiden Geschlechtern ist das Kopfhaar auffallend stark, andere Haare am Körper, selbst oft der sprießende spärliche Bart des Mannes, werden durch Ausreißen entfernt und wo sie sich dennoch zeigen, solche mit scharfen Glasscherben oder Muscheln abrasirt. Während die Männer sich nach und nach den ganzen Unterkörper tätowiren, haben die Frauen nur einzelne Punkte auf der Brust, und ich muß sagen, erstere müssen bei dem schmerzhaften Verfahren recht starke, wenig empfindliche Nerven besitzen, denn eine Anzahl dicht aneinandergereihter Nadeln, die bis auf eine gewisse Länge in die Haut eindringen, werden, befestigt an einem Holzstück, mit leichten Schlägen eines kleinen Holzhammers eingetrieben und auf diese Weise die einfache Zeichnung ausgeführt.
Das Kopfhaar der Samoaner ist stark und schwarz; findet man bei den Männern rothes, so ist dies künstlich erzeugt und beweist einen gewissen Grad von Eitelkeit. Schlanke Jünglinge, selbst Männer, erscheinen häufig am frühen Morgen mit einer eigenartig weißen Perücke geschmückt, bis über die Schläfe hinaus ist der ganze Kopf in eine starre, weiße Kalkmasse eingehüllt, was den Trägern solcher Kopfbedeckung ein eigenthümliches Aussehen giebt. Dabei sind sie auch noch darauf bedacht, ihre Frisur vor Verletzungen und Unordnung zu schützen.
Die Folge ist, daß unter beständiger Einwirkung von Kalk, der hier leicht aus gebrannten Korallensteinen zu gewinnen ist, das Haar allmählich bleicht und schließlich roth wird, neuer Nachwuchs muß natürlich immer auf gleiche Weise behandelt werden und die Eitelkeit legt dadurch dem sonst trägen und zur Arbeit wenig geneigten Samoaner doch gewisse Beschränkungen auf. Uebrigens ist ein Unterschied in der Sprache wie in der Bekleidung vorhanden. Während nämlich die Taimua, d. h. die Vornehmen, sich einer besonderen Sprache bedienen, im Gegensatz zu der der Faipule, d. h. des gemeinen Volkes, so ist es nur den Häuptlingen und den Mitgliedern einer Königsfamilie gestattet, weiße Lava-Lava, d. h. Lendenschurze zu tragen.
Als um das Jahr 1830 die ersten Europäer sich hier festgesetzt und allmählich der Handel an Ausdehnung gewann, war die Ausfuhr nach Europa vornehmlich Kokosnußöl, welches die Eingebornen in größerer Menge bereiteten, davon ist man aber längst abgekommen und führt die viel billigere Kopra unter Ausnutzung ihrer reichhaltigen Stoffe, die bei der ursprünglichen Oelgewinnung vergeudet wurden, lieber in Mengen aus.
Die Oelbereitung geschah, wie früher so auch heute noch, auf folgende Weise: die reife Kokosnuß wird aufgespalten und von der äußeren fasrigen Hülle befreit, so daß der ölhaltige Kern nur noch von der harten festen Schale umgeben bleibt, der Kern wird dann durch Hin- und Herscheuern auf einem wie eine Säge ausgezackten Stück Bandeisen oder hartem, schmalen Holz klein gerieben [16] und die gewonnene Maße dann in eine Mulde oder alten Kanoe geschüttet. Dann wird sie mit Seewasser übergossen und dem Gährungsprozesse überlassen. Das Oel sammelt sich überm Wasser und kann leicht abgeschöpft werden. Es ist sehr säurehaltig, wird deshalb leicht ranzig und eignet sich schlecht zum Gebrauch, der widrige Geruch hat auch etwas unangenehm Belästigendes an sich.
Um zu dem schon erwähnten Palisami oder zu einer Reisspeise, selbst Hühnersuppe, die benöthigte weiße Milch zu erhalten, braucht die kleingeriebene Kernmasse nur in einem Stückchen Zeug oder in Ermangelung dessen in einer weichen, feingewobenen Matte ausgedrückt zu werden, der weiße, wohlschmeckende Saft fließt durch das Gewebe ab, der Rest dient den Hühnern und Schweinen als Nahrung, die sehr gierig nach solchem Futter sind; namentlich muß vor letzteren die auf Matten ausgelegte Kopra geschützt werden, denn mit besonderer Vorliebe eignen sich diese Thiere den wohlschmeckenden, ihnen so mundgerecht gelegten Vorrath an.
Die Kokospalme ist überhaupt der von der gütigen Natur für viele Volksstämme gespendete Universal-Baum; diese erhabene, majestätische Bauart, die vielfältig dem Menschen Nahrung, Kleidung und Obdach giebt, hat auch den zivilisirten Europäer nach Gegenden gezogen, die ein einsam freudloses Dasein bieten, wo er oft mit wilden, selbst kannibalischen Stämmen, schwere Kämpfe bestehen mußte, ehe ein Tauschhandel um die werthvolle Kokosnuß eingeleitet werden konnte.
Die Kokospalme wächst überall in den Tropen, auf Korallen, wo sonst kein Gras noch Strauch zu sehen ist, senkt sie ihre Wurzeln tief ins Gestein und saugt das für sie nöthige Wasser auf, auch auf Hügeln und Bergen, wo der Boden gut ist und genügend Feuchtigkeit halten kann, findet man sie bis zu 500 Fuß überm Meeresspiegel. Auf verwittertem Lavagrunde gedeiht der Baum am besten; ist genügend Raum zur Ausdehnung vorhanden, so erreicht der astlose, schlanke Stamm oft eine Höhe von 90 Fuß, über dem sich die mächtige frucht- und blätterreiche Krone stolz in den Lüften wiegt.
Auf den Plantagen geht man in einem Tempel, der scheinbar endlos sein grünes Dach über viel Tausend Säulen wölbt; man ist wie in einem hehren, mächtigen Dome, unter dessen Wölbung ein reiner, stiller Friede waltet, ein Etwas, das jedem die Majestät der schaffenden Natur vor Augen führt.
Die Blätter der Palme, bis zu 30 Fuß Länge reichend, dienen, ineinander geflochten und schichtweise aufeinander gelegt, dem Eingebornen zur Bedachung seiner Hütten, die meistens rund oder oval nur aus einer Anzahl in den Boden gesetzter Palmenstämme bestehen, in der Mitte ist ein höherer Stamm, der das schräge Dach zu unterstützen hat. Die Wandbekleidung sind aufrollbare Matten, [17] die Nachts, wenn der mattenbelegte Raum als Schlafstätte benutzt wird, niedergelassen werden, höchstens giebt es ein abgetrenntes Heiligthum in jeder Hütte, das Schätze birgt und profanen Blicken nicht zugänglich ist, sonst ist bei Tage das Innere einer Hütte meist immer sichtbar.
Große Geschicklichkeit zeigen die Samoaner im Flechten der Matten, ihrer praktischen Fächer u. s. w. Auch hierfür giebt ihnen die Palme wieder das Material. Die feinen Blätter werden aufgerollt, eine zeitlang gut gewässert, und dann mit einem flachen Stein oder Holz geklopft. Dann verliert sich die Sprödigkeit und jedes Blatt, selbst zu feinen Streifchen leicht auftrennbar, giebt einen weichen, handlichen Stoff. Körbe zum Heimschleppen etwaiger Feldfrüchte oder Nüsse verfertigt sich der Samoaner erst an Ort und Stelle, ein Theil des gewaltigen Palmenblattes genügt dazu, und zwar reißt er die starke Mittelrippe des Blattes so auf, daß er zwei Theile erhält, flicht die schmalen Blättchen in einander, so daß beide Theile nun ein Ganzes bilden, biegt die geschmeidigen Rippen, befestigt sie und in wenig Minuten ist ein starker, fester Korb hergestellt.
Die zähen, biegsamen Rippen der schmalen, langen Blattstreifen werden auch nicht verworfen, sondern dienen, in Bündel gebunden, als Besen. In Ermangelung besserer habe ich mir häufig solche zum Schiffsgebrauch anfertigen lassen, die sich auch gut bewährten.
Die Blüthe der Palme tritt unterhalb der Blätterkrone in länglicher blattähnlicher Form am Stamme hervor, in ihr sammelt sich der süße Saft und zwar in solchen Massen, daß, wenn die Blüthe angeschnitten wird und man die Wunde nicht vernarben läßt, weit über die Dauer der Wachszeit hinaus der Saft fortwährend läuft. Solch ein Baum, dessen Blüthen zur Gewinnung dieses Saftes einmal angeschnitten sind, bringt in Folge davon keine Früchte, giebt aber den wohlschmeckenden, süßen Stoff „Toddy“, den jeder gerne trinkt; frisch ist er ein angenehm kühles Getränk, in Gährung übergegangen, was bald geschieht, wirkt er aber stark berauschend.
Der Palmenbaum wird durch die Entziehung des Saftes natürlich geschädigt, und wenn mit Nachlässigkeit verfahren wird, kann man sagen verblutet sich derselbe und stirbt langsam ab. Meistens werden immer dieselben Bäume zur Gewinnung des Toddy verwendet, da der Eingeborne den Werth der Palme ebenso wie der Europäer wohl zu schätzen weiß, auch ist das Toddystehlen, wozu der Samoaner große Neigung hat, arg verpönt und wird ein Europäer dadurch geschädigt, steht auf Toddy-Raub eine empfindliche Strafe.
Die junge Kokospalme bedarf eines fünfjährigen Wachsthums, ehe sie Früchte bringt, und auch dann muß der Boden gut sein; [18] auf Korallengrund gepflanzt, entwickelt sie sich langsamer und braucht etwa sieben Jahre. Von dieser Zeit aber an trägt sie auch immerwährend Nüsse, obwohl man eigentlich bei den zwei Mal im Jahr eintretenden Haupternten den Ertrag des einzelnen Baumes auf durchschnittlich 100 Nüsse rechnen kann. Drei Nüsse werden gemeinhin auf ein Pfund Kopra gerechnet.
Reife, abgefallene Nüsse treiben, wenn sie längere Zeit unbeachtet bleiben, leicht Keime. Häufig sah ich Haufen Nüsse, die mit jungen Schößlingen bedeckt waren, auf freier Erde liegen, es bedurfte nur einer Auspflanzung und der Entwicklung der anspruchslosen Pflanze stand nichts im Wege. Regel ist, daß jeder Baum 30 Fuß Spielraum erhält, aufeinandergedrängt entwickeln die Palmen sich schwerer, wenigstens ist der Ertrag kein guter. Jung und grün gepflückt ist die äußere Schale der Nuß noch verhältnißmäßig weich und inwendig ganz mit farbloser, wohlschmeckender Milch gefüllt.
Diese, wohlschmeckend, kühl und angenehm, stillt zwar den Durst, doch darf man nicht zu viel und zu häufig davon trinken, da sich dann leicht Unterleibsbeschwerden einstellen. Das innere, zarte Fleisch der Nuß, der in der Bildung begriffene Kern, ist für Mensch und Thier nicht minder angenehm.
Zur Zeit der Fruchtbildung, wenn die Faserhülle noch weich und dünn ist, machen sich mit Vorliebe die Ratten daran, die die Bäume, namentlich die etwas geneigten, selbst die höchsten, erklimmen und die Nüsse anschneiden und der angerichtete Schaden ist ganz beträchtlich. Gegen diese Nagethiere vermag der Pflanzer die Früchte nur dadurch einigermassen zu schützen, daß er seine Bäume mit Blechstreifen, über welche die Ratten schlecht hinwegkommen, benagelt, auch gefallene Nüsse möglichst schnell aufsammelt, da die scharfen Zähne der Ratten selbst die zähe Faserhülle und die äußerst harte Schale der Nuß durchzufressen vermögen. Ein Laie, der in den Besitz einer beinahe reifen Nuß gelangt ist, wird schwerlich solche leicht öffnen können, da das Durchschneiden der zähen Faserhülle selbst mit einem scharfen Messer kaum möglich ist.
Der Eingeborne bedient sich dazu eines 2-3 Fuß langen Stockes, den er an beiden Enden zugespitzt hat; dann stößt er das eine Ende in die Erde, faßt die Nuß mit beiden Händen und schlägt damit gegen die Spitze des Stockes, sodaß dieser tief in die äußere Hülle eindringt. Alsdann bricht er, mit der linken Hand den Stock festhaltend, mit der anderen die Schale auf indem er die Nuß kräftig zur Seite biegt; wenige Schläge genügen, und die Nuß ist von der zähen Hülle befreit. Um nun auch die harte innere Schale zu öffnen, schlägt man mit einem Stein oder Messer oder einer anderen Nuß dagegen, dann springt an der getroffenen Stelle die spröde Schale leicht auf, Kern und Milch wird frei.
Soll die fasrige Hülle zu Matten oder Tauwerk verwendet [19] werden, so wird solche für längere Zeit in einen Frischwassertümpel gelegt; die Fasern lösen sich dann auf und lassen sich, gereinigt, leicht auseinander ziehen. Gewöhnlich spinnen die Eingeborenen daraus den Cajar, einen zweidrilligen Faden, aber auch starkes, zähes Tauwerk, jener dient ihnen namentlich dazu, ihre Hütten zu befestigen, die mit Cajar gebunden, selbst vom wirbelnden Orkan nicht leicht niedergefegt werden können. Zuletzt sei noch die harte Kernschale erwähnt, diese, an und für sich nicht weiter verwendbar, wird zur Feuerung benutzt. Sie entwickelt, da sie leicht brennbar ist, eine ganz beträchtliche Hitze.
Lehrreich ist es, zu beobachten, wie gewandt der Samoaner selbst die höchsten Palmen zu erklimmen vermag und die hochhängenden Früchte dieses Baumes zu erlangen versteht. Ein Hinaufklettern ist es freilich eigentlich nicht, eher ein Vorwärtsschieben des Körpers mit Händen und Füßen. Dabei weiß der Eingeborne sich auf eine einfache Weise zu helfen. Der Stamm der Palme, obgleich ziemlich glatt, hat doch eine beträchtliche Zahl leicht vorstehender Ringe, die ehemaligen Blätteransätze, diese geben dem Kletternden dann einen gewünschten Halt, wenn er sich mit dem erwähnten Cajar die Knöchel der Füße so verbindet, daß vielleicht sechs Zoll Abstand bleibt. Wird die Fußsohle gegen den Stamm gedrückt, so findet dieses kurze Tau an den vorspringenden Ringen Halt; mit den Händen immer höher greifend, schiebt sich der Körper bis zur schwankenden Höhe hinauf.
Der hohe Werth der Kokospalme, den auch der Europäer sehr zu schätzen weiß, läßt sich aus dem Gesagten entnehmen; kein größerer Schade kann daher dem Eingebornen zugefügt werden, als wenn man seine Palmen vernichtet, was leider die Samoaner unter sich bei ihren häufigen Parteikämpfen nicht unterlassen. Der siegende Theil schlägt, wenn er Zeit findet, die Anpflanzungen der Besiegten nieder und fügt dadurch dem Unterliegenden einen unersetzlichen Verlust zu.
Auffallend schnell hat der Samoaner sich dem Christenthume zugeneigt, da er sehr empfänglich für das Neue und mit schnellem Auffassungsvermögen ausgestattet ist. Das evangelische und katholische Bekenntniß zählt zahlreiche Anhänger, man kann sagen, dem Namen nach sind die meisten Bewohner der Samoagruppe Christen.
Um so leichter hat der Eingeborne die göttliche Lehre angenommen, als er in ein Labyrinth von Göttern und Götzen gerathen war, aus dem ihm selbst seine reiche Phantasie durch Umstürzen alter und Aufstellung neuer Götter schwer einen Ausweg schuf. Im Allgemeinen war die Anschauung der Allbeseelung der Naturwelt und der Menschen in ihm lebendig.
Etwas eigenartig liegen die politischen Verhältnisse auf Samoa. Das tapfere Volk, in Stämme und Parteien getheilt, schwingt trotz [20] seiner monarchischen Staatsverfassung immer aufs Neue die Fackel des Bruderkrieges, schnell ist es zum Kampf bereit, schnell auch wieder zur Versöhnung, die es durch großartige Feste feiert. Den Frieden aber, der eigentlich nur ein Waffenstillstand ist, können geringfügige Vorfälle leicht wieder stören.
Die Kriege sind, als noch Lanzen, Keulen und Schlachtbeile mehr im Gebrauch waren, wohl nie sehr blutig gewesen, da Mann gegen Mann gefochten wurde und schon bei einem geringen Verluste die schwächere Partei das Feld räumte, die erbeuteten Köpfe der gefallenen Krieger nahm der Sieger als Trophäe mit und legte sie seinem Oberhäuptling oder dem Könige zu Füßen.
Von dieser scheußlichen Gewohnheit, den Todten und Verwundeten die Köpfe abzuschneiden, lassen die Samoaner auch heute noch nicht, zum mindesten wird, wenn keine Zeit vorhanden ist, die Schändung vorzunehmen, schnell ein Ohr abgeschnitten, dann hat nämlich der Kopf für einen anderen keinen Werth mehr. Missionare und strenge Gesetze sind machtlos dagegen; von der Gewohnheit ihrer Vorfahren, solche Trophäen heimzubringen, wollen sie durchaus nicht lassen.
Besser wurde die Lage auf Samoa auch nicht nach der Ansiedelung der Europäer, und haben die Deutschen als die ersten auch großen Einfluß gewonnen, so hat doch die Nebenbuhlerschaft der Engländer und Amerikaner das Parteiwesen nur verschlimmert. Die Einfuhr von Waffen, namentlich des Winchester Gewehrs, haben den begabten Samoaner, der Landbesitz und große Mengen Kopra für die Erlangung solcher Waffe hergab, zu einem nicht zu verachtenden Gegner gemacht.
Ja der Haß der Fremden gegen die Deutschen, welche den werthvollsten Theil der Insel Upolu in ihren Besitz gebracht hatten, ging so weit, daß sie trotz ihrer geringen Anzahl offen Partei gegen unsere Landsleute nahmen und die Samoaner gegen ihre einstigen Freunde aufstachelten, wodurch deutsches Eigenthum schwere Schädigung erlitt.
Es ist genugsam bekannt, wie thatkräftig die Regierungen eingreifen mußten, um die blutigen Fehden einzuschränken, die blinder Haß und Neid entfacht hatte. Da der deutsche Reichstag im Jahre 1878 den Plan des eisernen Kanzlers, die Samoa-Inseln an Deutschland zu bringen, zunichte machte, als diese noch herrenlos und durch politische Wirren geschwächt waren, hat uns später viel Blut und Leben gekostet; damals war es eine geringe Summe, um welche es sich handelte, hätte man sie bewilligt, die Perle des Großen Ozeans wäre deutsch gewesen!
Unsere aufblühenden Kolonien, die kaum ein Jahrzehnt in deutschem Besitz sind, haben gezeigt, daß der Deutsche auch in seinem eigenen außereuropäischen Besitzthum der rechte Mann der That sein kann, also nicht bloß versteht, anderen Nationen die leicht [21] erworbenen Länder zu bebauen und zur Größe und zum Wohlstand zu verhelfen. Wahrlich genug deutsche Kraft und Einsicht ist anderen Völkern zu gut gekommen, so daß es fürwahr an der Zeit war, dem erstarkten deutschen Volksbewußtsein weitere Kreise zu ziehen, wie es der Begründer des neuen Reiches als ernste Nothwendigkeit erkannte; hemmen läßt sich der gewaltige Trieb einer aufflammenden Volkskraft wohl, aber niederhalten, in andere Bahnen lenken, niemals! Wie später die deutschen Pioniere in Afrika alles daransetzten, für ihr deutsches Vaterland das zu schützen, was das Schwert erkämpft hatte, so würde damals ein gut bebautes, reiches Land schnell unter den Fittichen des deutschen Aars den Frieden und das Volk die Ruhe nach langem Hader und blutigen Kämpfen gefunden haben.
Dagegen wurde den drei betheiligten Mächten Deutschland, England, Amerika die Oberhoheit zugesprochen, dem kleinen Volke aber die Selbständigkeit gelassen. Ohne Zweifel ging das Bestreben dahin, auf diese Weise dem Volke den Frieden zu geben aber die Eifersucht der Fremden vereitelte die gute Absicht. Vor allem gönnten die Engländer und Amerikaner, so geringen Antheil sie auch an Samoa hatten, den Deutschen nicht die Früchte ihrer Mühen, und was im hohen Rathe der Mächte eine Möglichkeit schien, Land und Volk den Frieden zu geben, vereitelte auf Samoa selbst die Eifersucht der Ansiedler. Willkommen war jeder Anlaß, dem vorherrschenden deutschen Einflusse den Boden zu entziehen und dessen Ansehen zu schädigen.
Fürsten und Volk der Samoaner lauschten den Einflüsterungen übelgesinnter Eingewanderter, welche den Zwiespalt der Parteien schlau benutzten und die Fackel des Aufruhrs und der Widersetzlichkeit entflammten. Daß die Deutschen endlich dieses Treibens müde wurden und 1885 auf Mulinuu, dem Gebiete des übel berathenen und feindlich gesinnten Königs Maliatoa, die deutsche Reichsflagge hißten, war ein Akt zwingender Nothwendigkeit. Standen auch 2000 Krieger um Apia bereit, die Flagge niederzureißen und die erklärte Schutzherrschaft aufzuheben, so wurden diese doch durch die Geschütze der deutschen Kriegsschiffe und die beträchtliche Zahl der bewaffneten Deutschen von einem Angriffe zurückgehalten.
Wie jubelten wir alle der stolzen Flagge zu! Ein großer Festtag war es, als, geschützt durch Wall und Graben, durch die Waffen der deutschen Matrosen das Reichspanier sich hoch am schlanken Maste entfaltete. Jener 6. Januar 1885 schien endlich das Sehnen der Deutschen auf Samoa erfüllt zu haben.
Es kam wirklich nach Hissung der Flagge ein kurzer Zeitabschnitt, wo Ruhe und Friede auf der Insel Upolu einzukehren schien; das thatkräftige Einschreiten der deutschen Beamten, der einheitliche Wille, der den Verhältnissen voll gewachsen war, sowie [22] die entfaltete Macht, die den Eingebornen Achtung einflößte, schien bessere Verhältnisse herbeizuführen. Aber anders war es im Völkerrathe beschlossen. Kurz war die Freude aller Deutschen, kurz der Traum von Ruhe und Frieden. Muthlosigkeit, bittere Enttäuschung erfüllte alle, aussichtslos war der weitere Kampf, die Freudigkeit am Ringen um den Preis so hohen Gutes war dahin, als die deutsche Flagge niederging.
Der Versuch, den deutschen Einfluß, der einst die ganze Inselwelt der Südsee beherrschte, zu brechen, war gelungen, wohl niemals wieder werden wir uns denselben in der ganzen Größe und dem ganzen Umfange wie einst erringen können. Die feste Hand, der starke Wille, dem Fürst und Volk Samoas allein sich unterordnen, fehlt hinfort und fehlt bis heute. Welche Kämpfe gefolgt sind — keinem System, als dem der unbeschränkten Macht wird der Samoaner sich beugen — hat die Folgezeit gezeigt.
Um der Todten, um des deutschen Blutes willen, das den Boden Samoas getränkt, möge noch einmal die Zeit kommen, in welcher kräftig und dauernd der deutsche Aar sein Kleinod festhält und es niemals wieder fahren läßt.
Das im vorigen Kapitel Gesagte ist das Ergebniß solcher Beobachtungen, die zu machen ein Aufenthalt am Lande, oder im Hafen von Apia mir ermöglichte. Viele weitere Einzelheiten, deren Kenntniß der Verkehr mit den Samoanern und langansässigen Europäern mit sich bringt, verdienten zwar noch der Erwähnung, indes, da ich in großen Zügen nur meine Erlebnisse in der Südsee schildern will, muß Unwesentlicheres zurücktreten; darum sehe ich auch von der Beschreibung einzelner Fahrten und Reisen durch dieses weite Gebiet ab.
Alle mit mir zugleich auf demselben Segelschiffe angekommenen Passagiere, die, wie ich, sich auf 3 Jahre der Plantagen-Gesellschaft verpflichtet hatten, wurden bald nach unser Ankunft ans Land beordert und nahmen die ihnen zugewiesene Beschäftigung auf. Meine Bestimmung dagegen lautete, sogleich an Bord des Schooners „Hapai“ zu gehen und dort vorläufig den Dienst des ersten Steuermanns zu versehen.
Zwei Tage später schon lichteten wir Anker und segelten nach Matautu, dem Haupthafen der Insel Savai, von dort sollten wir schnell das daselbst lagernde Kopra, wie solches auf den verschiedensten Inseln von den Händlern der Gesellschaft aufgekauft wird, abholen.
[23] Auf Savai, das nur durch die Straße von Apolima von Upolu getrennt ist, erhebt sich die dunkle Bergmasse, gleich der auf Upolu, hoch und mächtig; ja, aus der Ferne gesehen, scheint ein gewaltiger Höhenrücken die ganze Insel auszumachen. 4000 Fuß hoch, die höchsten Krater auf Upolu, den Tofua, Maugalaila, Taitoelau und Sigaele um 1000 Fuß überragend, erhebt sich diese Kraterregion gleich einer Scheidewand, die zwar von reichem Pflanzenwuchse bedeckt, aber wenig bevölkert ist; nur einzelne Pfade führen durch Urwälder und tropische Wildniß über die von Lava starrenden wildzerklüfteten Berge. Jungfräulicher Boden, der zu den schönsten Hoffnungen berechtigt und für Kaffee, Vanille, Baumwolle geeignet ist, liegt brach und unbenutzt, denn es herrscht vollständiger Mangel an gut geschützten Häfen.
Weniger als auf Upolu bildet das die Insel umgebende Korallenriff gesicherte Einfahrten, auch die größte vor Matautu wird durch schwer anrollende See gefährdet. Wohl vertraut mit der nicht so leicht aufzufindenden Durchfahrt im Riffe, führte mit günstigem Winde der Führer der „Hapai“ sein Schiff längs der schwer aufrollenden Grundsee am langgestreckten Riffe hin; die wild schäumende Brandung brach sich donnernd auf diesem, und die mächtigen Wogen schienen das Schiff dem Verderben zutragen zu wollen. Ich selber hielt es für sehr gewagt, so nahe dem gefährlichen Riffe zu laufen, jedoch als wir die Einfahrt nach Matautu gewonnen hatten, ließen wir bald die wilde Brandung hinter uns.
Weit von Land ankernd, ist es Regel hier, da der Ankerplatz nur ein tiefer liegendes Riff ist, auf welchem sich einrollende See brechen kann, weit vom Lande zu ankern und muß man in der unbeständigen Jahreszeit immer bereit zum Auslaufen sein, sobald westlicher oder nordwestlicher Wind aufspringt, denn gefährlich würde jedem Schiffe die direkt einlaufende See werden.
In Hast und Eile ging denn auch das Einschiffen der Ladung vor sich, da Wind und Wetter wenig Beständigkeit versprach; wohl 70 Savaileute brachten mit großen Brandungsbooten die oft von der am Strande laufenden See durchnäßte Ladung an Bord. Längsseit des Schiffes schöpften die Boote oft noch Wasser, so unruhig war selbst im Hafen noch die See; wildes Halloh erhoben die Kerle, die höchstens mit einem Grasschurze bekleidet waren, wenn sie der Länge nach niederstürzten und es auch deshalb vorzogen, auf das vor seinen Ankern schwer rollende Schiff zu springen. So kostete es mich viel Mühe, die braunen, zügellosen Kerle, deren Sprache ich noch nicht verstand, zur Arbeit anzuhalten.
Obgleich die Bewohner Savai's gleicher Abstammung wie die Upolu-Leute sind, so herrscht doch zwischen der Bevölkerung beider Inseln fast immer Hader und Streit. Die Savai-Leute, vielleicht kühner im Angriffe, bemannen oft genug ihre großen Kriegskanoes [24] und versuchen einen Ueberfall auf Upolu, um sich gelegentlich für die Schimpfworte, „Schweine von Savai“, bitter zu rächen.
Schnell nach Apia zurückgekehrt, erhielt das Schiff Weisung, schon am 24. November wieder in See zu gehen und zwar nach der einsamen Insel Niue, von wo ebenfalls Kopra und ein größerer Segelkutter, der in der schlechten Jahreszeit für den dortigen Händler nicht recht verwendbar und an der steilen Küste gefährdet war, abgeholt werden sollte. Aufkreuzend gegen wieder vorherrschenden Südost-Wind erreichten wir die Insel erst nach zehn Tagen. Als wir in deren Nähe kamen, waren die ersten Häuser, die wir sahen, das Missionshaus und die Kirche, die zurückliegenden Hütten der Eingebornen ließen sich, weil sie durch Busch und Palmen verdeckt waren, nicht unterscheiden. In einer kleinen Einbuchtung, wo ein Spalt in der steilen Uferwand allenfalls das Landen gestattete, 100 Fuß von Land dicht vor der Brandung — ein Schwingen des Schiffes vor seinen Ankern war nicht möglich — ankerten wir am steilen Korallenriff.
Von der auffallenden Erscheinung, daß durch vulkanische Kräfte ganze Inseln gehoben werden, giebt die Insel Niue einen Beweis, mir war sie um so bemerkenswerther, als es die erste war, an welcher ich die unterseeische Korallenformation erkennen konnte. Wohl 30 Fuß hoch zeigen die Uferwände der Insel die gewaltige Arbeit der Korallenpolypen, die von neuem, seit der vielleicht viele Jahrhunderte schon zurückliegenden Hebung dieser Insel, am steilabfallenden Meeresgrunde weitergebaut und an vielen Stellen wieder ein zusammenhängendes Riff aufgeführt haben. Später, als ich selbst mit eigenen Augen die ungeheure vulkanische Kraft, die zeitweise auf diesem ausgedehnten Kratergebiet in Erscheinung tritt, gesehen, war es mir klar, daß die schlummernde Naturkraft nicht bloß die Erdrinde und das Meer zu erschüttern vermag, sondern spielend Inseln hebt.
Die wenigen Tage, die wir vor Niue zu Anker lagen, war eine Zeit ängstlichen Hastens, weil wir so schnell als möglich mit der aus Kopra, Fungos, einer Pilzart, und der aus Arrowroot-Wurzeln bestehenden Ladung fertig werden mußten, denn mit Gefahr für Boot und Ladung war eine jedesmalige Landung verbunden, da fast in der Brandung jedes Boot beladen werden mußte. Für das Schiff war Gefahr insofern vorhanden, als dieses durch auflandigen Wind trotz der Anker leicht aufs Riff getrieben werden konnte, wir also immer bereit sein mußten, bei einem Wechsel des Windes, wenn nöthig, schnell die Anker zu schlippen und die offene See zu gewinnen. Drohende Anzeichen für schlechtes Wetter gingen aber glücklicher Weise vorüber; übrigens war dieses die letzte glücklich vollbrachte Reise des Schiffes überhaupt, wenige Monate später schon lag es zerschellt auf einem Riffe der Neu-Hebriden.
[25] Die Bewohner dieser Insel Niue, ein kräftiger, stattlich gebauter Menschenschlag, der zwar der Samoa- und Tonga-Rasse an Gestalt und hohem Wuchs nicht gleichkommt, jedoch mehr Temperament als diese zeigt, auch Schlaffheit und Unlust zur Arbeit bemerkt man weniger an ihnen. Als tüchtige Seefahrer, welchem Gewerbe sie mit Vorliebe zugethan sind, werden sie in Apia, wo mit der Zeit eine Ansiedelung derselben stattgefunden, gerne als Matrosen angenommen, wenigstens dem Samoaner bei weitem vorgezogen.
Savages-Eiland, Insel der Wilden, ist die Insel Niue, ihre Heimath, benannt worden, und soweit meine persönlichen Erfahrungen reichen, verdienen sie beinahe diesen Namen, als ich bei einem Streite mit ihnen beinahe das Leben hätte lassen müssen und nur ein Zufall mich aus den Händen dieser leicht erregbaren Menschen befreite.
Da sie von hellerer Farbe als die Samoaner, stammen sie vermuthlich von einer weit östlich liegenden Inselbevölkerung ab. Die ersten Ansiedler, wahrscheinlich vor langer Zeit von ihrem Heimathlande verschlagen, fanden das rettende Eiland und bevölkerten es allmählich. Der Trieb, die unbekannte Welt kennen zu lernen, die im Schoße des mächtigen Ozeans für die fernen Inselbewohner verborgen lag, läßt sie noch heute oftmals das Wagniß unternehmen, sich mit ihren leichten Kanoes auf die unendliche See hinauszuwagen. Die Gewalt des Windes und der Strömungen unterschätzten sie und haben sie einmal Land aus Sicht verloren, sind sie den Elementen hülflos preisgegeben, so zahlten sie ihre Kühnheit mit einem qualvollen Sterben, wenn nicht ein gütiges Geschick nach schrecklichen Leiden sie Land finden läßt.
Die Rettung von 16 solcher vertriebenen Menschenkinder, die ich in den Karolinen-Inseln auffand und Hülfe brachte, werde ich später eingehender erzählen.
Mit Vorliebe tragen die Niue-Leute reichen Goldschmuck und zwar als Ohrgehänge; massive Goldstücke hämmern sie aus und befestigen solche geschickt an den Ohrlappen; das verdiente Goldgeld wird häufig dazu verwandt.
Der ganze Südseehandel beschränkt sich in der Hauptsache auf Tabak, Seife und Zeug, namentlich für Volksstämme, die erst wenig mit dem weißen Manne in Berührung gekommen sind. So boten auch hier für ein Geringes die Eingebornen Speere, Muscheln und Nüsse feil, vor allem war Tabak der begehrteste Artikel. Im Gegensatze zu den Booten der Samoaner, die solche sich von ganz beträchtlicher Ausdehnung erbauen, sind die Kanoes dieser Niue-Leute nur klein und behende, aber nett mit Muscheln und anderem Zierrath ausgeschmückt, der vornehmlich rings um die Bordwand befestigt ist; auch sind diese Fahrzeuge vorne und hinten überdeckt, [26] um das Einschlagen der See, wenn sie, zum Fischen ausziehend, die Brandung passiren müssen, zu verhindern.
Sehr fischreich sind namentlich die Gestade aller Inseln, und wie ich gelegentlich anführen werde, wissen ihre Bewohner sich mit besonderem Geschick der wohlschmeckenden, fliegenden Fische zu bemächtigen. Auf freier See aber herrscht sehr zahlreich der gefürchtete und gefährliche Hai, ein Zeichen, daß derselbe auch im tiefen Wasser reichlich Nahrung findet, und solche sich nicht nur in Buchten oder in der Nähe des Landes zu suchen braucht.
Auf der Rückreise, die durch Windstillen verzögert ward, fanden wir immer den Hai als treuen Begleiter, und war die See ruhig, die Fahrt des Schiffes gering, so kamen langsam die Haie durch die klare Fluth heran, das Schiff nach Beute umkreisend. Wenn wir einen dieser gefährlichen Gesellen fangen wollten, so wurde die Lockspeise, ein Stück Fleisch, an starker Leine ins Meer geführt, und war der Hai hungrig, besann er sich nicht lange, sondern faßte, sich auf den Rücken legend, gierig zu. War Fleisch und Haken verschluckt, so gab es keine Möglichkeit mehr für ihn, sich zu befreien; von Schmerz gepeinigt, peitschte der Hai mit dem kraftvollen Schwanze die Fluthen und es hatte dann seine Schwierigkeit, das gefangene 8-10 Fuß lange Thier an Deck zu bringen und nicht eher gelang es, bis es erschöpft war und auch der Schwanz fest in einer Schlinge lag. An Deck geschafft, peitschte der Hai die Planken, daß diese erzitterten, und rathsam war es nicht, sich in seine gefährliche Nähe zu wagen. Erst ein Axthieb, der die Schwanzflosse vom Rumpfe trennte, führte die Verblutung herbei und allmählich entfloh das zähe Leben des Thieres.
Auch mit der Schlinge, auf deren Handhabung ich zurückkommen werde, habe ich viele Haifische gefangen, namentlich wenn ich Samoaner als Besatzung an Bord hatte, für die der Hai eine Leckerspeise ist, nahm ich mir dazu die Zeit und fing zuweilen 2-4 Stück hintereinander. Auffällig war mir dabei, daß die Leute immer erst die Leber eines getödteten Haies untersuchten; war diese nach ihrer Ansicht zu groß oder zeigte sie sonst besondere Eigenheiten, so wurde das Thier nicht gegessen, sondern über Bord geworfen. Aber nicht bloß bei den Samoanern, auch bei den benachbarten Insulanern fand ich solche auffällige Untersuchung der Leber des Haifisches. Mitunter wurden eingehende Betrachtungen über die Lage und Länge derselben vorgenommen; entstanden Zweifel und Meinungsverschiedenheiten darüber, so war meist immer der endgültige Beschluß, daß das Thier verworfen wurde.
Fast bin ich jetzt geneigt, da ich nicht dahinter kommen konnte, was solche Untersuchung zu bedeuten habe, anzunehmen, daß ein weitverbreiteter Aberglaube damit in Verbindung gebracht, oder daß der Leber des Haies eine medizinische Eigenschaft zugesprochen wird. Vielleicht auch erkennen die Eingebornen an bestimmten [27] Zeichen, ob das Thier gesund oder krank gewesen ist. In den Fällen, wo ich mir Klarheit darüber zu verschaffen suchte, erreichte ich solche nicht, möglicherweise aus dem Grunde, weil ich nicht der verschiedenen Sprachen mächtig genug war, um die Auseinandersetzung zu verstehen.
Die treuen Begleiter der Haie, die Lotsenfische, schön gezeichnete Thierchen von der Größe eines Makrels, schwimmen gewöhnlich, 2-4 an der Zahl, über dem Hai, sie suchen, wie angenommen wird, für diesen Nahrung auf und kehren stets in dessen sichern Schutz zurück. Ein jeder Hai soll solche Führer haben; indes so häufig ich auch solche gesehen habe, ebenso oft fand ich, namentlich wenn mehrere Haie beisammen, diese ohne ihre Begleiter. So viel ist gewiß, der Hai, mag er noch so hungrig sein, wird sich doch nicht an seinen Wegweisern vergreifen; zum schnellen Schwimmen selbst zu träge, überläßt er vermuthlich es den flinken Fischen, für ihn Nahrung zu suchen. Wohl bekannt ist es den Seeleuten, daß der Pilotenfisch sehr schmackhaft ist, indes nur einmal war es mir möglich, einen solchen mit Mühe zu erlangen, obwohl dieselben längere Zeit noch beim Schiffe verbleiben, nachdem der Hai, den sie begleiteten, weggefangen worden. An Köder beißen die Piloten nicht, höchstens gelingt es ihrer mit dem Elker, d. h. Wurfeisen, habhaft zu werden.
Im Anfang des Jahres 1885 mit der Führung eines der kleineren der Plantagen-Gesellschaft zugehörenden Schiffes betraut, wurde ich beordert, eine Reise durch die gesammte Tonga-Gruppe, den sogenannten Freundschafts-Inseln, zu unternehmen. Im Augenblick der Abreise wäre mir aus Mangel an Raum im kleinen Hafen (Apia) bald die Riffspitze Kap Horn, worunter vier Jahre später das deutsche Kriegsschiff „Eber“ mit seiner braven Besatzung versank, verhängnißvoll geworden. Durch die Strömung wurde das Schiff aus seiner Richtung gedrängt, von der einlaufenden See, gegen welche die Kraft der das Schiff bugsirenden Mannschaft zu schwach war, nach dem Kap hingeworfen und nur ein schnell Hülfe leistendes Boot verhinderte die Katastrophe. Da wir schon zu nahe dem Riff waren, so hätte ein Aufstoß genügt, Ruder und Hintersteven des Schiffes, schwerbeladen wie es war, auf den Korallensteinen zu zertrümmern und aus der gurgelnden Tiefe des hier weit unterhöhlten Riffes hätte es für Schiff und Mannschaft keine Rettung gegeben — aber zufällige Hülfe kam zur rechten Zeit.
Nachdem wir die offene See gewonnen hatten, verlor ich mit umlaufenden Winden, wie sie in dieser Jahreszeit häufig sind, ostwärts steuernd, bald die in dichten Wolkenschleier gehüllte Insel Upolu aus Sicht. Bestrebt, westlich von der Tonga-Gruppe zu laufen und so Tonga-tabu zu erreichen, da der vorherrschend westliche Wind eine schnelle Reise in Aussicht stellte, hatte ich am dritten Tage bereits die Vulkan-Insel Amargura gesichtet, eine [28] namentlich an der Süd- und Südostseite steile Insel mit dem 375 Meter hohen Krater, an dessen Abhängen leichte Rauchwolken hervorquollen, ein Zeichen, daß er nicht ganz erloschen ist. Da sprang mit schweren Gewittern und harten Windböen der Wind südlicher und zwang mich, der zehn Seemeilen südöstlich liegenden 30-40 Meter hohen Insel Toku auszuweichen. Als der Wind immer härter wehte und schließlich bis zum Sturm wuchs, hatte ich noch Zeit, Schutz unter der hohen Insel Vavau zu suchen, ehe das Schiff von der wildlaufenden See zum Beidrehen gezwungen wurde.
Unter dichtgerefften Segeln wurde eine schlimme Nacht verbracht, mit dem neuen Morgen aber brach sich die Gewalt des Sturmes und eine starke Nordwestbrise trieb das Schiff durch die wilde See nach Süden, östlich der Hapai-Gruppe, an den langgestreckten Korallen-Inseln Haano, Foua, Lefuka und Ouia entlang. Die vielen gefährlichen Riffe dieser Gruppe meidend, kam am 7. Tage früh die hohe Vulkan-Insel Eoua in Sicht. Nachdem wir darauf die gleichartige kleine Insel Enaigee erreicht hatten, kreuzte ich die tiefe östliche Einfahrt, welche zwischen der großen Insel Tonga-tabu und den vorgelagerten Korallenpatschen und Inseln hindurchführt, auf und gelangte sicher zum Hafen von Nukualofa.
Im Schmucke immergrüner Palmen liegt die flache, wenige Erhebungen aufweisende Insel langgestreckt vor den Augen des Beobachters. Kultur und fortschreitende Gesittung haben auch hier festen Fuß gefaßt, hoch über die Wipfel der Palmen ragt die Kirche empor; großartig ist der Königspalast; freundlich aber und heimisch erscheinen die vom Strande zurückliegenden europäischen Gebäude und bekunden, daß auch hier eine Stätte regen Handels und Verkehrs geschaffen wurde.
Vor allem ist es die deutsche Factorei, geleitet vom deutschen Konsul Herrn v. Treskow, die sofort ins Auge fällt; auf Pfeilern errichtet, wie alle Tropengebäude hier, war derzeit dieses Haus mit seinem freundlichen Wirth das besuchteste.
Sämmtliche Tonga-Inseln, mit Ausnahme der meist hohen Vulkan-Inseln, sind Korallengebilde, einige sind von großer Ausdehnung, wie die Tonga-tabu und die schon erwähnten Haano und Foua. Diese haben eine fruchtbare Erdschicht und ein reiches Pflanzenleben hat sich darauf entwickelt; neben der stolzen Palme sind Brotfruchtbäume, Papiermaulbeerbäume, die den Bewohnern ihre Bekleidung, Tapa genannt, liefern, Zuckerrohr, Bananen, selbst Baumwollen- und Feigenbäume zu erwähnen.
Die Eingebornen, derselben Rasse wie die Samoaner zugehörig, zeigen mehr Verständniß für Landbau und Fischfang, als diese, freilich können diese Inseln auch nicht mit Samoa einen Vergleich bestehen.
[29] Kein Naturvolk hat so schnell und leicht das Christenthum angenommen wie diese Tonga-Insulaner, rasch gewannen die Missionare großen Einfluß, Schulen und Bildungsanstalten förderten das Werk. Das Volk, bildungsfähig und begabt, hatte bald eigene Lehrer aufzuweisen; oft habe ich eingeborne Missionare von Insel zu Insel gebracht. Da die Kirchen und Schulen immer gut besucht, so ist ein Fortschritt in der Bildung dieses Volkes leicht erklärlich. Was aber leider ernste Besorgniß erwecken kann, ist der Umstand, daß verschiedene Religionssekten mit gleichem Eifer bestrebt sind, unter der nicht zahlreichen Bevölkerung ihren Glauben zu verbreiten. Es ist zu befürchten, daß auf diese Weise Spaltungen im Volke entstehen, die üble Folgen haben können.
Der ehemalige englische Missionar Baker, langjähriger Premierminister des Königs Georg I., entging zwar dem Angriffe einer fanatischen Horde in Nukualofa, seine erwachsene Tochter aber, die die tödtliche Waffe traf, ward ein Krüppel. Soweit ich unterrichtet, war dieser Anschlag eine Ausgeburt wilden Hasses, gerichtet gegen den Vertreter einer großen Kirchengemeinde, den gefürchteten und gehaßten Staatsmann.
Die ganze weitverzweigte Tonga-Gruppe bildet ein einheitliches Reich, das damals von dem alten Könige Georg regirt wurde. Neben unserm ehrwürdigen deutschen Kaiser Wilhelm der älteste Monarch, steht dem Herrscher eine gesetzgebende Versammlung von angesehenen Häuptlingen zur Seite, die auch als Statthalter die verschiedenen zum Reiche gehörenden Inselgruppen verwalten. Sitz der Regierung und Residenz des Königs ist Nukualofa.
Ein Freundschaftsvertrag ist mit dem deutschen Reiche am 1. November 1876 vom Könige Georg abgeschlossen. Trotz des englischen Einflusses hätte wohl erwartet werden können, daß die so erworbenen Vorrechte gewahrt bleiben würden, aber wie in Samoa, so ging auch hier der einst mächtige deutsche Einfluß allmählich verloren, englische Politik wand den Deutschen einen fast sicheren Besitz aus den Händen.
Stolz prangt im Königspalaste zu Nukualofa das Reiterstandbild unseres großen Kaisers in natürlicher Größe, und nicht unbekannt sind diesem Volke dessen Thaten geblieben; auf dieses Bild sah mit Bewunderung jeder Insulaner und pries den großen, mächtigen Herrscher der Deutschen.
Tags zuvor, ehe ich in Tonga-tabu eingelaufen, war der Sohn des Königs Georg, der Thronfolger, gestorben und große, allgemeine Landestrauer herrschte überall. Alle Vornehmen des Volkes, soviel ihrer nur die königlichen Schiffe zu fassen vermochten, waren nach der Insel Ouia, dem Begräbnißplatze der Königsfamilie, abgesegelt. Der deutsche Konsul, dem kein eigenes Schiff zur Verfügung stand, unmöglich aber als Europäer auf den überfüllten kleinen Segelfahrzeugen der Eingebornen die lange Reise [30] unternehmen konnte, beeilte sich sehr, als sich nun doch noch Gelegenheit fand, mit meinem Schiffe die Reise zu machen, das Schiff abzufertigen und nach eintägigem Aufenthalt verließ ich, mit der Familie des Konsuls an Bord, nordwärts steuernd, Tonga-tabu.
Günstiger, frischer Wind konnte es allein möglich machen, am Begräbnißtage Ouia noch zu erreichen. Aber obwohl ich den Weg zu kürzen suchte und durch mir unbekannte Korallenbänke lief, so kam doch erst am Abend des zweiten Tages Ouia in Sicht. Da ich inmitten von Korallenriffen nirgends sicheren Ankerplatz fand, die Insel selbst aber zu weit entfernt war, als daß ich solche gegen Ostwind aufkreuzend, in der Nacht erreichen konnte, so wurde ich gezwungen, die freie See wieder aufzusuchen. In dunkler Nacht die gewaltigen Krater-Inseln Kao (5000 Fuß) und Tasoa (etwa 2500 Fuß), nur durch eine schmale Straße von einander getrennt, als weit sichtbare Punkte im Auge haltend, suchte ich das Schiff in der Nähe der Außenriffe zu halten, um mit Tagesanbruch aufs Neue nach Ouia aufzukreuzen oder wenigstens die südliche Einfahrt durch die Hapai-Gruppe zu gewinnen.
Während sonst die Tropennächte in der guten Jahreszeit einen herrlichen Anblick bieten, wenn das Sternenheer magisches Licht über die weiten bewegten Fluthen streut, drohten in dieser Nacht gewitterschwere, unheilkündende Wolken und bald nach Mitternacht umfing uns rabenschwarze Dunkelheit. Dann brach das Unwetter über uns mit plötzlicher Gewalt herein, als wollte der furchtbare Wind das kleine Schiff niederpressen. Die heftigsten Stöße fegten von den hohen Vulkan-Inseln herab. Im Schiffe wurde alles, was nicht niet- und nagelfest war, durcheinander geworfen und das Fahrzeug schwer auf die Seite gedrückt; die schnell aufgewühlte See that das Ihre dazu, die Lage, namentlich für die Familie des Konsuls, recht ungemüthlich zu machen.
In Lee waren die gefährlichen Riffe, von denen freizukommen die erste Sorge sein mußte, deshalb bot ich allmählich dem Winde wieder so viel Leinewand, als das Schiff zu tragen vermochte. Sobald ich frei von der Insel Kao war, hielt ich nördlicheren Kurs und obgleich die See schwerer wurde, so konnte ich doch mit volleren Segeln durch die Wogen pressen und größeren Abstand von den auch mehr ostwärts abfallenden Riffen gewinnen. Der neue Morgen fand uns westlich von der niedrigen Insel Otolonga, die, nördlich umsegelt, zur Nordeinfahrt der Hapai-Gruppe führte.
Als ich nahe genug dieser Insel gekommen war, der einzuschlagende Kurs bedingte dies, wurde eine ehemalige Niederlassung der Walfischfänger sichtbar, die vor Zeiten in diesen Gewässern ertragreiche Beute gefunden, aber auch bald genug die Schaar der gewaltigen Meerbewohner so gelichtet hatten, daß ein Kreuzen auf Beute zwecklos war. Die Station wurde deshalb aufgegeben, ihre Trümmer am öden Korallenstrand sind jetzt werthlos und verkommen.
[31] Der Kurs nach Lefuka führte uns zwischen Inseln und Korallenpatschen hindurch. Erst am Nachmittage dieses Tages konnten wir die der Insel Lefuka vorgelagerten Riffe passiren und vor der deutschen Station zu Anker gehen.
Solch ungünstiger Wind und zum Theil schlechtes Wetter hatten natürlich den Zweck der Reise vereitelt, noch nach Ouia zu laufen und an dem dort stattfindenden großartigen Todtenfeste theilzunehmen, war zwecklos. So entschied sich der deutsche Konsul, hier die Ankunft des Königs Georg abzuwarten und mit diesem dann die Rückreise nach Nukualofa anzutreten.
Die Insel Lefuka, im Verhältniß zu ihrer Länge nur schmal, zeigt an der Ostseite, gegen welche der freie Ozean seine gewaltigen Wogen donnernd wirft, ein Riff übereinandergethürmter Korallenblöcke und Steine; man sieht hier so recht, wie die Gewalt der Wasser einen Schutzwall aufgeworfen, der das flachere Land selbst gegen die furchtbarste See zu schützen vermag. Immer weiter aber baut die Koralle in die offene See hinaus, immer breiter wird das Trümmerfeld, bis dieses auch durch Zersetzung zu anbauungsfähigem Lande umgestaltet wird.
Die Erzeugnisse, die Tonga-tabu aufweist, sind hier auch vertreten, namentlich ist der Ertrag an Kokosnüssen groß auf dieser Insel. Was ich aber hier zuerst gesehen, war die Zubereitung des Tapa, jenes Stoffes, welches den Eingebornen zur Bekleidung dient, der schön gefärbt und gezeichnet ist. Selbst große Stücke, umfangreichen Decken ähnlich, werden aus dem Papiermaulbeerbaum angefertigt, dessen Bast dazu verwendet wird. Und zwar werden lappenförmige Streifen im feuchten Zustand aufeinander angelegt und dann tüchtig geklopft, hierdurch wird der Stoff geschmeidig und fest; ist dieser in gewünschter Größe fertiggestellt, wird der Stoff im Schatten getrocknet und nachher mit brauner oder schwarzer Naturfarbe reichlich bemalt.
Fernhin hört man die Tapa klopfenden Weiber, die mit wuchtigen Schlägen den Bast bearbeiten; erklärlich ist dieses Geräusch, da sie meistens auf dem Boden eines umgekehrten Kanoes diese Arbeit vornehmen, wodurch die dumpf dröhnenden, lauten Schläge hervorgebracht werden.
Wie bei fast allen Naturvölkern, bei denen der Aberglaube weiteste Verbreitung gefunden, so ist auch namentlich bei den Südsee-Insulanern das Zauberwort „Tabu“ in allgemeine Anwendung gekommen. Dieses Wort, eine Macht, ersetzt, möchte man sagen, die in zivilisirten Ländern nothwendige Sicherheitspolizei. Wenn eine als „tabut“, d. h. unverletzliche Person, z. B. ein König oder ein Häuptling, irgend etwas als tabut erklärt, so wird kein Rassenangehöriger es wagen, Person oder Sache anzurühren, oder eine Oertlichkeit, Haus oder Hütte, zu betreten.
Im Allgemeinen aber findet das Tabu Anwendung, wenn [32] irgend ein Gegenstand vor Berührung, Wegnahme u. s. w. geschützt werden soll, dann wird unter bestimmten Zeremonien dieser mit einer Schnur, in der Knoten mit oder ohne Zaubereien eingeknüpft sind, umgrenzt oder umwunden. Die Ueberzeugung, daß jedem, der es wagen würde, dieses Schutzmittel zu entfernen, alle Uebel unfehlbar zustoßen, welche der Knotenschürzer hineingeknüpft, hält jede unbefugte Verletzung fern. Mehrfach, und hauptsächlich auf dieser Insel Lefuko, wurden mir Gegenstände, Baum oder Hütte gezeigt, die so durch das „Tabu“ geschützt waren.
Geschickte Fischer sind die Eingebornen. Sie brachten, ehe der Europäer ihnen seine Angelhaken zugeführt, folgende Methode in Anwendung: Aus einer dicken Perlmutterschale verfertigten sie sich durch festes Verbinden einzelner zurechtgeschliffener Stücke starke Fanghaken, die, mit einem Bastbüschelchen versehen, an langer Leine hinter Kanoes geschleppt wurden. Die wie Silber im klaren Wasser schwimmende Perlmutter lockt größere Fische an, die gierig, vermeinend eine Beute zu haschen, den Haken verschlucken und so gefangen sind. Heute noch sind diese Haken im Gebrauch, nur mit dem Unterschied, daß im Büschel verborgen sich jetzt ein scharfer, eiserner Angelhaken befindet, der dem Fische ein Losreißen nicht mehr gestattet.
In Mengen halten sich Fische unter den Riffen auf, wo sie Nahrung suchen und finden, namentlich befinden sich unter diesen zahlreiche fliegende. Um nun diese flinken Meerbewohner, welche die Natur so ausgestattet hat, daß sie durch die Größe ihrer Seitenflossen im Stande sind, eine beträchtliche Strecke über dem Wasser zu fliegen und dadurch ihren Vorfolgern zu entgehen, auf leichtere Art und Weise, als mit großen Netzen zu fangen, wendet der Eingeborne folgende Fangart an: Nachdem die leichten, flinken Kanoes bemannt sind, ziehen die Eingebornen in dunkler Abendstunde oft in beträchtlicher Zahl ins tiefe Wasser zum Riffe hinaus. Bald flammen, hell leuchtend, die aus den Blattrippen des Kokosbaumes verfertigten Fackeln auf; die Kanoes, bald hier- bald dorthin eilend, schwirren, von kräftiger Hand durchs Wasser getrieben, als sollte das Schauspiel eines Fackelreigens dort aufgeführt werden, im Kreise oder durcheinander umher. Die Fische, bekanntlich durch Feuerschein leicht angelockt, werden durch die grell leuchtenden Fackeln verwirrt, springen oder fliegen nach diesen, und sehr gewandt, mit nur kleinem Handnetze versehen, weiß der Fischer sich die Beute zu sichern.
Meistens, wenn die Fackeln niedergebrannt sind, kehren die Kanoes zurück, und war der Fang lohnend, bringt jedes reiche Beute heim. Für wenig Tabak oder Geld bekam ich mitunter so viele von diesen wohlschmeckenden Fischen, daß es zuweilen der Schiffsbesatzung nicht gelang, alle aufzuzehren.
Der Ankerplatz vor der Insel Lefuka (die Rhede von Pangal) [33] ist durch die ringsum liegenden Riffe gut geschützt, aber schwer zugänglich für größere Segelschiffe; das meistens gegen konträren Wind nothwendige Einkreuzen in den schmalen, gewundenen Riffeinfahrten ist zudem nicht ungefährlich und erfordert die ganze Thatkraft einer Schiffsbesatzung. Die Tonga-Gruppe ist häufiger den verheerenden Orkanen und zeitweiligen Erschütterungen durch plötzlich in Thätigkeit tretende Vulkane ausgesetzt, erstere treten namentlich im Süden der Gruppe, um Tonga-tabu, fast alljährlich einmal auf; zieht, was freilich selten geschieht, das Zentrum solches furchtbaren Wirbelsturmes direkt über die Inseln, so ist die ganze Kultur auf Jahre hinaus vernichtet. Nicht Haus, nicht Hütte, weder Baum noch Strauch verschont der furchtbare Wirbelsturm; den Weg, den er mit rasender Schnelle genommen, bezeichnen unzählige Trümmer.
Nach Norden zu werden solche atmosphärischen Erscheinungen seltener. Hat die Samoa-Gruppe ein Orkan heimgesucht, so herrscht bei den Eingebornen die Annahme vor, daß erst nach Verlauf von sieben Jahren ein neuer zu erwarten ist. Solche Voraussetzungen aber sind durchaus nicht zutreffend; die Orkane treten viel häufiger auf, und je nachdem sie in näherer oder weiterer Entfernung vorüberziehen, äußert sich ihre Gewalt mehr oder weniger.
Da mein Aufenthalt in Lefuka nur von kurzer Dauer war, setzte ich, nachdem Güter u. s. w. gelandet und neue Passagiere für Vavau und Niuatobutabu an Bord gekommen waren, die Reise fort nach Neiafu, dem Haupthandelsplatz in der Vavau-Gruppe, diese besteht aus vielen und zum Theil hohen Inseln, die von Riffen umgeben und hierdurch untereinander verbunden sind, auch zeigt sich hier auffällig die einstige Thätigkeit der Vulkane. Steile hochaufstrebende Massen sind die meisten dieser eng aneinander gelagerten Inseln; nur die Hauptinsel Vavau, nach allen Seiten steil abfallend, ist eine Hochfläche, auf welcher auf verwitterter Lava eine unglaublich reiche Pflanzenwelt Fuß gefaßt und sich entwickelt hat. Dies ist das fruchtbarste Land, abgesehen vielleicht von der Insel Niua-fu, im ganzen Königreiche Tonga. Apfelsinenbäume, schwer beladen mit goldgelben Früchten, ausgedehnte Palmenwälder u. s. w., überhaupt alle herrlichen Tropengewächse der Südsee sind hier reich vertreten. Dazu giebt die im Sonnenglanze ausgebreitet liegende Bai, umgeben von hohen Inseln, dem ganzen Panorama so recht den Anblick einer echten Tropenlandschaft.
Die Einfahrt befindet sich an der westlichen Seite zwischen den Inseln Hounga und Vavau. Die schmale aber tiefe Wasserstraße windet sich zwischen den hohen Inseln hin, und dicht unter den steil anstrebenden, mit Busch und Baum bedeckten Massen, kann man ungefährdet mit einem Schiffe segeln. Inmitten der Einfahrt nur liegt ein mächtiger Felsblock, der hunderte Fuß hoch ist und steil aus großer Tiefe aufragt, auch bemerkt man an diesem, [34] welche zerstörende Einwirkung die Meereswogen selbst am harten Gestein ausüben können. Sie haben den Felsen tief unterwaschen und große Spalten ausgehöhlt. In diesen Höhlen und Riffen braust und zischt selbst die leicht wogende See. Das Geräusch wächst aber zum Donnern an, wenn sie ihre ganze Wucht gegen den starren Felsen anbranden läßt, der dann durch den gewaltigen Anprall wohl in seinen Grundfesten erschüttert werden mag.
Ganz schmal, wenigstens für ein aufkreuzendes Schiff recht beengt, wird die Straße, sobald die weite Bai vor dem Dorfe Neiafu sichtbar geworden ist, die wie ein herrlicher, von allen Seiten geschützter Hafen, geräumig daliegt. Indes nur wenig Raum hat die Koralle übrig gelassen, die geschäftig fast die ganze Bai aufgefüllt hat und wo tiefes Wasser vorhanden, ist der Ankergrund schlecht, so daß größere Schiffe es vorziehen, wollen sie nicht auf 200 Fuß Wassertiefe vor Anker gehen, inmitten der Fahrstraße vor der Station Tuanuku zu ankern.
Nach wenig Tagen schon verließ ich, da ich allen diesen Stationen in der Tonga-Gruppe neue europäische Waaren und Proviant zu bringen hatte, Ladung aber noch nicht einnehmen sollte — die Hauptstationen, als Vavau, Lefuka und Tonga-tabu verschiffen direkt Kopra, Baumwolle u. s. w. nach Europa — den Hafen von Neiafu, und segelte nordwärts nach Niuatobutabu (Keppels Eiland), das 180 Seemeilen entfernt ist.
Begünstigt von Wind und Wetter, bekam ich am zweiten Tage bereits die 2000 Fuß hohe Insel Boskaven in Sicht, welcher südwärts davon und durch eine Straße von etwa einer Seemeile Breite getrennt, die niedrige Korallen-Insel Niuatobutabu vorgelagert ist. Diese langgestreckte Insel umgiebt namentlich an der Nord- und Westseite ein mächtiges, 5-7 Kilometer breites Riff, auf derselben sind zwei Kraterkegel, etwa 200 Fuß hoch, die einzig nennenswerthen Erhöhungen.
Nur eine einzige, sehr gewundene und gefährliche Einfahrt, führte von Norden durch das Riff, und zwar nur eine Strecke weit bis zu einem tieferen Becken, in welchem aber ein kleineres Schiff geschützt und sicher liegt. Da der Verkehr mit dem Lande allein zur Zeit des Hochwassers möglich, der Ankerplatz vor dem Riffe nur in der guten Jahreszeit einigermaßen sicher ist, suchte ich auf Anrathen des Lotsen, eines Eingebornen, doch lieber den kleinen gesicherten Hafen auf, obwohl das Durchbringen des Schiffes, das mehrfach auf Korallenblöcke fest kam, keine leichte und gefahrlose Arbeit war.
Daß ich es gethan, war ein Glück, denn ein heftiger, plötzlich in einer der ersten Nächte aufspringenden Nordwestwind hätte das Schiff im Verein mit der hohen See sicher aufs Riff geworfen und zerschellt; ein Versuch, in tiefdunkler Nacht die offene [35] See zu gewinnen und gegen den starken, auflandigen Wind von den Riffen freizukreuzen, wäre schier unmöglich gewesen.
Nicht minder einsam wie diese Insel im weiten Ozean war das Leben, welches hier zwei Europäer (ein Deutscher und ein Engländer) führten, die nur mit der Außenwelt in Verbindung traten, wenn nach langer Zeit ein Schiff vor der Insel zu Anker ging. Freilich ist an Verkehr mit Menschen kein Mangel, nur kommt in Betracht, daß die Eingebornen für einen Europäer doch kein rechter Umgang sind; so freundlich gesinnt, friedfertig und zum Theil lernbegierig sie sich auch zeigen, so stehen sie dennoch auf einer zu tiefen Bildungsstufe. Zwar paßt sich ein einsam lebender Mensch schnell genug den Verhältnissen an, und in der Folge habe ich ja so viele gefunden, die, obgleich sie noch abgeschlossener von der Welt lebten, mit ihrem Loose ganz zufrieden waren. Hier aber kommt dem Europäer das zu statten, daß er hier ein bildungsfähiges, strebsames Volk um sich hat, dessen Häuptlinge und Lehrer nach Aufklärung trachten und stundenlang dem weißen Manne zuhören, wenn er ihnen von anderen Ländern und Völkern erzählt.
So oft ich auch nach dieser Insel beordert worden war, konnte ich jedesmal die Beobachtung machen, mit wie großem Interesse alle Neuigkeiten aufgenommen wurden; hatte ich eingeborne Passagiere mit an Bord, so wurden diese sogleich nach der Landung von den Häuptlingen begrüßt und ausgefragt. Sonst kamen die Häuptlinge entweder insgesammt zum Hause der erwähnten Europäer oder luden uns zu sich ein, damit wir ihnen Abends bei einer Schale Kava Auskunft über etwaige Vorgänge im Tongareiche gaben.
In langer, vielleicht gänzlicher Unthätigkeit verharren die kleinen, wohl für immer erloschenen Krater auf dieser Insel, sonst wären sie eine gefährliche Nachbarschaft, denn eine erhebliche Erschütterung würde genügen, die Insel in die Tiefe versinken zu lassen. Wo man auch immer auf der gut bewachsenen Insel geht, klingt jeder Fußtritt hohl und man gewinnt die Ueberzeugung, daß nur eine verhältnißmäßig dünne Schicht über wahrscheinlich ausgedehnte Höhlen gelagert liegt.
Nirgendwo sonst auf Korallen-Inseln, deren Fundamente naturgemäß stets fest aufgebaut sind, habe ich solche Wahrnehmung wieder gemacht; würden hier nicht die beiden Kraterhügel eine genügende Erklärung für solche Erscheinung abgeben, ließe sich schwerlich die Ursache dafür ergründen. Das Eine scheint sicher (wie ich in diesem selben Jahre als Augenzeuge an einer anderen Stelle feststellen konnte), es sind am Rande eines hier schon vorhandenen Korallenriffes plötzlich unterseeische Vulkane in Thätigkeit getreten, die mit sich das Riff emporgehoben haben und dann nach einiger Zeit erloschen sind.
Außerdem giebt eine vorhandene schmale, aber tiefe Frischwasserrinne, [36] die im festen Korallengrund eingebettet ist und tieferliegend als der Meeresspiegel, einen neuen Beweis, daß die Insel hohl ist. Das Süßwasser in dieser Rinne ist natürlich durch Korallen filtrirtes Seewasser, aber der Zufluß erfolgt unterirdisch aus dem Innern der Insel; derselbe soll zu Zeiten stärker, zu Zeiten schwächer sein. Uebrigens beschleicht den Wanderer, namentlich in stiller Nachtzeit, ein eigenthümliches Gefühl, wenn jeder Tritt so hohl und dumpf wiedertönt und ihm zum Bewußtsein bringt, daß er auf einem Boden wandelt, der über Höhlen oder gar über tiefe Wasserbecken gewölbt liegt.
Insbesondere weicht die Insel Niuatobutabu in nichts von anderen gut bewachsenen Koralleninseln ab, mit dem Unterschiede nur, daß auf dem verwitterten Lavagrunde eine überaus reiche Pflanzenwelt sich entwickelt hat. Salze und andere Chemikalien, die in der Lava enthalten sind, scheinen für die Entwicklung des Pflanzenlebens ungemein viel beizutragen, auch sonst, wo ich im weiten Inselmeer des Stillen Ozeans vulkanischen Grund betreten, fand ich dies ausnahmslos bestätigt.
Das Thierreich auf allen Inseln ist sehr schwach vertreten, Schweine, Hühner und Tauben sind fast die einzigen Arten, indes fand ich auf Niuatobutabu außerdem noch eine große Fledermausgattung, den fliegenden Fuchs. Da jeder von der Nützlichkeit und noch mehr von der Harmlosigkeit dieser Thiere überzeugt war, belästigt dieselben niemand, kein Eingeborner verscheucht sie. Vielleicht kommt auch noch der Umstand hinzu, daß diesen lautlos erscheinenden Thieren ein gewisser Aberglaube anhaftet, denn wer nicht mit ihrer Eigenart, unhörbar und schnell durch die Dunkelheit zu fliegen, vertraut ist, dem wird ein gewisses Unbehagen zuerst nicht erspart bleiben. Vornehmlich fand ich diese Füchse in Sträuchern, wo sie sich, Schatten findend, an dünnen Zweigen an den Hinterfüßen aufgehängt hatten. Den Kopf nach unten gebogen, umschließen sie mit der großen Flughaut den Körper und verblieben in dieser Stellung, bis die Dämmerung der nach ganz kurzer Dauer die Nacht folgt, hereinbricht, dann erst werden sie munter und suchen, die Luft gleich gespenstigen Schatten durchfliegend, sich ihre Nahrung. Werden sie am Tage gestört oder berührt man mit der Hand ihr sammetweiches Fell, schauen die schwarzen, erbsengroßen Augen den Störenfried wohl an, scheinen aber geblendet zu sein, denn obwohl unruhig geworden, wagt das Thier doch keinen Flug, verändert seine Stellung auch nicht und wollte man die Hinterfüße lösen, müßte Gewalt angewendet werden. Ein Weibchen, das seine beiden Jungen wohlgeborgen an der Brust hängen hat, die diesen Platz nie verlassen, auch während des Fluges nicht, wird, wenn es gestört worden, leichter erregt und beißt wohl mit den kleinen, nadelspitzen Zähnen um sich. So sind in Folge davon, weil diesen Thieren nie etwas zu Leide geschieht, dieselben zutraulich und oft [37] habe ich sie, selbst in der Nähe der Hütten der Eingebornen und vor den Wohnungen der Weißen in Menge vorgefunden.
Höchst lästig und oft zu einer großen Plage werden hier Schaaren von Fliegen. In des Wortes vollster Bedeutung kann man sagen, es wimmelt davon. Ist in Europa die Hausfliege dreist und störend, ist sie dort, wo die Natur ihr den Tisch gedeckt, unglaublich lästig, und das vor allem zu der Zeit, wenn die Früchte des Brotfruchtbaumes reif geworden sind. Diese Früchte, an und für sich sehr schmackhaft, werden, sobald sie überreif geworden sind, eine wahre Brutstätte für Fliegen. Sind sie ausgeflogen, so ist jeder Ort, selbst Gras und Busch, dicht von ihnen besetzt; schon ihr Schwirren und Surren ist höchst lästig.
Sind die Ameisen, vor denen nur mit Mühe Genießbares geschützt werden kann, schon unangenehm, so treiben es die Fliegen noch zehnfach ärger, in Wahrheit muß man diesen Plagegeistern jeden Bissen erst streitig machen, der gegessen werden soll, vornehmlich von solchen Speisen, die Zucker und andere leicht flüssige Stoffe enthalten, wie Reis, Brotfrucht, Ananas u. s. w.
Geradezu eine Fliegenwolke schwebt über solchen aufgetragenen Speisen, selbst fortwährendes Abwehren scheucht diese gierigen Insekten nicht fort; machte es nicht die Gewohnheit und schließlich die Gleichgültigkeit, müßte sich Ekel und Widerwillen einstellen, Nahrung zu genießen, weil diese vom Unrath der Fliegen durchaus nicht freizuhalten ist.
Die Insel Boskaven, ein mächtiger, unzugänglicher Bergkegel, ist aller Wahrscheinlichkeit nach, gleich den anderen Inseln, wie Lette, Kao u. a., ein erloschener Krater, der in der Neuzeit jedenfalls noch in Thätigkeit gewesen ist. Menschen wohnen darauf nicht, auch hat wohl noch keines Menschen Fuß den steilen Gipfel dieser Insel erklommen. An der Südostseite soll im Schutze eines kleinen Riffes an einer vorspingenden Felsenkante eine schwierige Landung möglich sein und Fischer von Niuatobutabu wagen es, zu Zeiten sich dort aufzuhalten, nachdem sie mit ihren leichten Kanoes den breiten Meeresarm, der beide Inseln trennt, durchquert haben.
Basaltmassen, aus denen sie aufgebaut ist, steigen gleich steilen Wänden aus dem Meere auf, unterspült zum Theil von den brandenden Wogen, darüber aber, wo der das Pflanzenleben vernichtende Staubregen des Salzwassers nicht mehr hinaufreicht, hat sich an den sehr schrägen Flächen des Kegels ein starker Pflanzenwuchs entwickelt, welcher die Form und Lagerung der Gesteinmassen verdeckt, ein Zeichen, daß Eruptionen seit langer Zeit nicht mehr stattgefunden haben.
Mein Schiff war, wie erwähnt, inmitten des Riffes, in dem beschränkten Wasserbecken, gut verankert worden und lag wohl geschützt gegen die am Außenriff brüllende See. Aber da nach [38] Verlauf von sieben Tagen der starke, nordwestliche Wind erst nachließ, der die ganze Osterwoche hindurch geweht hatte, durfte ich, obwohl längst segelfertig, es doch nicht wagen, in See zu gehen. Erst als günstiger Wind einsetzte, der stark genug war, das Schiff gegen die draußen anlaufende See durchzubringen, mußte ich Anstalten treffen und versuchen, die freie See zu gewinnen. Ohne Anstoßen am Korallenriff ging es in der engen Durchfahrt freilich nicht ab; eine unberechenbare Strömung, durch die einlaufenden Seen hervorgerufen, vereitelte alle Vorsicht. Dennoch gewann ich ohne Beschädigung das offene Meer, habe aber den Versuch nie wiederholt, sondern lieber vor dem Riffe mit zwei Ankern, diese klar zum Schlippen, Wind und See ausgeritten, um das Schiff nicht an den harten Kanten des Korallenriffes zu gefährden.
Von Niuatobutabu hatte ich weiter nach Niua-fu zu segeln, einer hohen Vulkan-Insel, die in etwa West-Nord-West-Richtung 120 Seemeilen von hier entfernt liegt. Es war mir schon in Apia mitgetheilt worden, daß das Auffinden des Ankerplatzes und der Station vor Niua-fu seine Schwierigkeit habe; auch soll man sofort absegeln, wenn nördlicher Wind und Seegang einsetze, da dort auf hartem Lavagrund die Anker nicht genügend Halt finden und ein Freikommen von der Küste sehr schwierig sei.
Vollauf fand ich denn auch diese Angaben bestätigt, als ich wenige Tage später unter der steilen, an Stellen mehrere hundert Fuß hohen Küste entlang segelte und hinter der etwas vorspringenden Nordost-Ecke nach der sehr hoch gelegenen Station nach einem Ankerplatz suchte. In der guten Jahreszeit, d. h. wenn der Süd-Ost-Passat weht, hat es keine besondere Gefahr, so nahe der Küste zu ankern; werden doch selbst große Segelschiffe hierher beordert, ihre Ladung Kopra aufzufüllen, allein in den Monaten Januar bis April machen häufig nördliche Winde ein Ankern und Landen hier unmöglich.
Diese Insel ist etwa 550 Fuß hoch und in ihrer ganzen Ausdehnung ein vollständiges Lavafeld; man sieht vom Meeresspiegel, wie sich Schicht über Schicht die fließende Masse gelagert hat und wie steile Abhänge gebildet wurden, indem die schon erkaltete Lava abgesprengt oder als noch zähe Masse übereinander geschoben wurde. Unregelmäßig, bald hier, bald dort, scheinen die Lavaströme sich aufgestaut oder über steile Abhänge ergossen zu haben, denn nach Gestalt und Form der Abhänge und Wände zu urtheilen, hat die glühende Masse sich nur langsam fortbewegt. Auch scheint die Ausdehnung und Dicke der fließenden Lava nur eine geringe gewesen, dafür aber desto häufiger vorgekommen zu sein. Der ganzen Natur nach müssen, da der Hauptkrater meiner Schätzung nach mit dem Meeresspiegel fast gleich liegt, die verschiedenen Ausflüsse und die Anhäufung der Lava von einer Anzahl parasitischer Seitenkrater herrühren, die von Zeit zu Zeit, da die [39] ganze Insel als ein Vulkan zu betrachten ist, hier oder dort die Lavakruste sprengten und flüßige Massen ausströmten. Es muß dies als feststehend angenommen werden, denn heute noch befürchten die Eingebornen, es könne sich überall der Boden plötzlich öffnen; ich selbst habe Stellen gefunden und zwar nahe der deutschen Station, wo die fließende Lava die starken Kokosbäume mehr als sechs Fuß hoch umschlossen und vernichtet hatte.
Wie hier in der Nähe der deutschen Station, so habe ich auch an der Westseite der Insel Stellen gesehen, wo ebenfalls die blühende Pflanzenwelt zerstört wurde. Auch wird diese Insel sehr häufig von starken Erschütterungen heimgesucht, so daß die Eingebornen in steter Sorge leben müssen (die Alten erzählen von schrecklichen Zeiten, die sie durchgemacht haben). Etwas Unheimlicheres giebt es kaum, als zu fühlen, wie der Erdboden, auf dem man geht, durch heftige Erschütterungen wankt, also auf einem thätigen Vulkan zu leben, der mit furchtbarer Gewalt die Erdkruste zu spalten, Verderben und Tod auszustreuen im Stande ist.
Der letzte große Ausbruch hatte um das Jahr 1870 stattgefunden, wohlbebaute Flächen und Dörfer auf dieser etwa eine deutsche Quadratmeile große Insel wurden zerstört; die Bevölkerung, auch hier Tonga-Insulaner, ersuchte, von Furcht erfüllt, selbst vorüberfahrende Schiffe, sie aufzunehmen. Es sind auf der Insel keine, höchstens ein paar elende Kanoes vorhanden, mit denen auf der fast immer erregten See kaum eine Fahrt unternommen werden kann. Bin ich recht unterrichtet, so gab es sogar ein Verbot, das der Bevölkerung geradezu untersagte, sich Kanoes zu halten, denn es war vorgekommen, daß bei einem Ausbruche viele Bewohner sich aufs offene Meer hinauswagten, um dem Verderben zu entfliehen und da sie mit ihren gebrechlichen Nußschalen kein Land auffinden konnten, ausnahmslos ein Opfer ihrer Angst und Tollkühnheit wurden. Den schwankenden, von heftigen Stößen erzitternden Boden ihrer Insel verließen sie, um einen langsamen, qualvollen Tod auf dem Meere zu finden.
Daß dennoch Niua-fu gut bevölkert ist (es sollen 1200 Tonganer hier leben), muß der überaus reichen Vegetation zugeschrieben werden; ist doch die Fruchtbarkeit der verwitterten Lava so ungeheuer, daß überall, wo nicht jüngere Eruptionen weite Strecken zerstört haben, die Pflanzenwelt im reichsten Maße sich entwickelt hat, besonders gedeiht die Kokospalme hier in vorzüglicher Güte. Die größten Kokosnüße, die ich je gesehen habe, wachsen hier, deshalb ist der Ertrag an Kopra auch so bedeutend. Thatsache ist indes, daß die Furcht vor einem Ausbruche, dessen Ausdehnung niemand wissen kann, die Insel zeitweilig entvölkert, doch kehren die Einwohner immer wieder zurück, sobald die unheimliche Naturkraft ausgetobt hat und wieder Ruhe eingetreten ist.
Meine Ordre lautete dahin, hier auf dieser Insel das Schiff [40] mit Kopra aufzufüllen und nach Samoa (Apia) zurückzukehren. Ich hatte demnach also den Versuch zu machen, trotz der ziemlich unruhigen See, eine Landung ins Werk zu setzen. Ein Eingeborner, der es gewagt hatte, mit einem kleinen Kanoe abzukommen, aber kenterte, erreichte schwimmend das Schiff und zeigte mir alsdann den sicheren Ankerplatz.
Der einzige Landungsplatz an dieser steilen, unzugänglichen Küste ist ein tiefer Spalt in den massiven Lava-Felsen, den rechts und im Hintergrunde hohe, senkrechte Wände umschließen, gegen welche die einlaufende See wild aufschäumt, während zur Linken eine zwar steile, aber niedrigere Wand mit einer Versenkung diesen einfaßt.
Da der Spalt nur so breit ist, daß ein Boot einfahren kann, so muß dieses stets an einem sicheren Tau, welches vor der Mündung verankert und hinten an der Lavawand um einen Felsblock befestigt wird, mit der See eingeführt werden. Zwei Mann haben nur darauf zu achten, daß sie das Boot stets recht auf der mit wilder Macht eindringenden Woge halten und ebenso, daß das mit großem Getöse zurückfluthende Wasser das Boot nicht herumreißt und zum Kentern bringt.
Ein vorspringender Lavablock an der linken Seite, längst von den ihn immerwährend umspülenden Fluthen geglättet und abgeschliffen, dient als Landungsplatz, auf den man aber ohne Hülfe nicht hinauf gelangen kann, außer wenn man den Sprung wagt, sobald eine einlaufende See das Boot so hoch gehoben hat, daß es mit dem Block in gleicher Höhe sich befindet. Wenn das Boot am starken Tau festgehalten wird, ist es natürlich, daß die See es mit Gewalt gegen den Block preßt und ein unablässiges Aufpassen der Leute ist nöthig, um ein Kentern zu verhindern. Halb am Felsen hängend, müßte sich sonst das Boot seitwärts umlegen, sobald die Woge, welche es gehoben, wieder niedersinkt.
Ein wildes Donnern und Brausen (man kann mitunter sein eigenes Wort nicht verstehen) erfüllte den Spalt und wie ein mächtiger Sprühregen fällt der hochaufspritzende Gischt mancher Woge von der Felswand zurück, an welcher sie ohnmächtig zerstäubt ist, um immer wieder das Spiel zu erneuern.
Will man zu dem etwa 350 Fuß überm Meeresspiegel liegenden Hause des deutschen Agenten gelangen, muß man auf Zickzackwegen die steile Höhe erklimmen; oben angelangt, kann der Blick frei über das endlose Meer schweifen, während zu Füßen die gewaltigen Formen erstarrter Lavamassen aufgehäuft liegen, bedeckt mit Aschenstaub oder sprießendem Gras. Große Erwartungen darf man an die Behausung eines so einsam lebenden Europäers nicht stellen. Ein solches Gebäude, nur aus Holz hergestellt, ist, dem Klima entsprechend, luftig und bequem, sonst aber baar aller Bequemlichkeit. Die einzigen Möbel sind ein paar Stühle und ein [41] Tisch, alles andere hat sich der mehr oder weniger geschickte Bewohner aus Kisten und Kasten zusammengezimmert.
Die gefüllten Koprasäcke von solcher Höhe herabzutragen wäre sehr mühevoll, man pflegt sich aber damit zu helfen, daß über Einsenkungen und Vorsprünge des Felsbodens hinweg eine Lattenbahn zur Tiefe geführt wird, auf der, wegen ihrer Steilheit, die Säcke leicht niedergleiten können.
Ein unverzügliches Angreifen der Arbeit nach Ankunft eines Schiffes ist unter den obwaltenden Umständen hier eine Nothwendigkeit, man weiß nicht, was die nächsten Stunden bringen; eine nur gering zunehmende See macht oft der Arbeit ein Ende. Schwierig und namentlich für die Besatzung des Bootes gefährlich ist das Einschiffen der Ladung. Sicher sind die Leute erst, wenn die Oeffnung des Spaltes erreicht ist, denn oft genug wird das Boot von den einlaufenden Seen überschwemmt, und ist oft halb mit Wasser angefüllt, ehe es zum Schiffe gelangt. Gewohnheit aber macht ein Unternehmen weniger gefahrvoll. Um so mehr war ich erstaunt, daß anfangs meine Boote glücklich aus dem zischenden, brausenden Schlund herauskamen, mancher Zentner Kopra war bereits verschifft, da brachte mir unerwartet ein Bote die Nachricht, Boot und Ladung seien verloren. Sofort von der Höhe herab eilend, sah ich, wie frei von den Klippen die Mannschaft mit dem gekenterten Boote umherschwamm und bemüht war, dasselbe so längsseit des Schiffes zu bringen, was den Leuten auch nach langer Zeit gelang; in den Felsenspalt selbst aber tauchten die Eingebornen auf und nieder, um die gesunkene Bootsladung wieder heraufzuholen, indes gelang ihnen dies nur halb, da die einlaufenden Seen die Säcke gegen die Felsenwände warfen und diese sich öffneten oder zerrissen wurden. Veranlassung zum Kentern gab eine schwere See; das Boot wurde gegen den Felsblock gedrängt und schlug, während das Tau durch die Gewalt des Wassers den Händen des Mannes entrissen wurde, quer und war im nächsten Moment mit der Mannschaft und Ladung von der zischenden Wassermasse im brodelnden Kessel überspült. Das Boot zu retten, ehe es an die Felsenwand geschleudert und zerschellt wurde, war das Einzige, was die Leute thun konnten.
Da die Bevölkerung der Insel Niua-fu aus lauter Christen besteht, so ist die Heilighaltung der Sonn- und Festtage auch hier eingeführt und die Arbeit ruht. So konnte ich ungehindert dem Wunsche, diese Insel näher kennen zu lernen und namentlich den im Innern tiefliegenden Krater zu besuchen, nachkommen. In früher Morgenstunde, die erfrischende Kühle benutzend, stiegen mit mir der deutsche Agent und einige Eingeborne bergaufwärts. Wir folgten den Windungen der breiten, festen Wege, auf denen nur das Eine unangenehm war, der pulverisirte, feine Aschenstaub, der überall dick lagert und bei jedem Schritte aufwirbelte. Auf der Höhe [42] fand ich die Kokosbäume nicht besonders schlank gewachsen, vielmehr hatten viele Stämme eine mehr oder weniger starke Neigung nach Westen, was auf den Einfluß des mitunter recht stark wehenden Südostpassates zurückzuführen ist, sonst war der Anblick der zahllosen Palmen, die Höhen und Abgründe bedeckten, großartig.
Der Weg führte uns bald am Rande eines senkrecht steilen Abgrundes hin, der hunderte Fuß tief, aber so mit Buschwerk bewachsen war, daß man nicht bis auf den Grund hinabsehen konnte. Nur eine Stelle gab es, wo man mühsam, an Gestein und Strauch sich haltend, hinabzusteigen vermochte, und als diese erreicht war, übernahmen die Eingebornen die Führung, denen wir, rückwärts rutschend, zu folgen hatten. In der Tiefe angelangt, zeigte sich ein großartiges Panorama, ringsum steile, unzugängliche Felswände. Inmitten dieses Randgebirges, wenn ich so die 4-500 Fuß steilen Wände bezeichnen darf, aber liegt ein weiter, tiefer See, aus dem sich drei Bergkegel erheben, die leicht rauchenden, zuweilen in Dampf gehüllten Krater.
Kann diese so ausgedehnte Senkung, in die wir hinabgestiegen waren, auch als der eigentliche Kraterkessel bezeichnet werden und jene drei Hügel als die thätigen Vulkane in demselben, so steht doch außer Frage, daß größere Ausbrüche seit langer Zeit nicht mehr stattgefunden haben, sondern höchstens starker Aschenregen ausgeworfen ist, der, wie wir gefunden, überall vertheilt lag. Bei einem stattfindenden heftigen Ausbruche würde die fließende Lava keinen Schaden thun können, diese würde vielmehr in den den weiten Krater umgebenden See fließen.
Betrachtet man diesen großen Kraterkessel mit seinen steilen Wänden, in welchem wir in aller Seelenruhe gemüthlich umherspazirten und uns am breiten, flachliegenden Ufer des Sees tummelten, so kann man nicht annähernd die gewaltige Kraft ermessen, die diese Wände aufgebaut hat, die hier einst gewaltet und alles verändern und zerstören wird, sobald sie sich hier im Centralpunkt äußern sollte.
Man muß wirklich die unheimliche Gewalt thätiger Krater gesehen, an solchen mit Schwefeldünsten und mächtigen Rauchwolken gefüllten Kesseln gestanden haben, um sich ein Bild davon machen zu können, mit welcher Furchtbarkeit auch hier Feuersäulen, Rauch und Gase emporgeschleudert worden sind. Was nun diesen salz- und schwefelhaltigen See anbelangt, dessen Wasser bitter und von keinem organischen Wesen belebt ist — so weit ich bei meiner flüchtigen Beobachtung das behaupten kann — so hat er einst bis an die steilen Lavawände herangereicht; ob aber allein Verdunstungen oder andere Umstände den Rücktritt der Wasser verursacht haben, mag dahin gestellt sein. Soviel ist erwiesen, daß die jetzt mit Strauch und Buschwerk bewachsenen Flächen unter Wasser gestanden [43] haben, denn feines Geröll, abgestürzte Lavablöcke geben den Beweis dafür.
Es liegt eine wunderbare Kraft im Walten der Natur! Man glaubt todte, starre Oede dort zu finden, wo giftige Gase fast ununterbrochen den Schlünden thätiger Krater entströmen; hier aber blüht und wächst durch der Sonne Gluth, durch periodisch stark fallenden Regen, erfrischt durch nächtlichen, schweren Tau, selbst auf dem salzhaltigen, freigelegten Seegrunde eine üppige Vegetation. Das ganze Panorama, den See zu Füßen, dessen Wasser im Sonnenlicht wie flüssiges Silber glänzen, durch die Palmen gekrönten Höhen, den steilen, dichtbewachsenen Wänden, wird durch diese tropische Ueppigkeit ungemein verschönt. Das sonst schauerliche Empfinden, welches den Menschen befällt, wenn er sich hineinwagt in die Werkstätten der furchtbarsten Naturkraft, deren Hauch Land und Wasser erzittern macht, schwindet hier beim Anblick thätigen, blühenden Lebens.
Die Heilkraft des Wassers, von der die Eingebornen erzählten, wollte ich auch nicht unversucht lassen; schnell folgten wir Europäer dem Beispiele unserer nackten Begleiter und tummelten uns in dem warmen Bade, bis eine wohlthuende Ermattung eintrat; daß den beiden Hunden, die wir mit uns hatten, das Bad ebenso gut bekam, will ich nicht behaupten; den Thieren, die mehrfach in das Wasser geschickt wurden, um ein weit weggeworfenes Holzstück zurückzubringen, schien wenigstens der bittere Geschmack desselben nicht besonders zu behagen.
Bei näherer Untersuchung habe ich gefunden, daß die Wassertiefe dieses Sees überall schnell zunahm und nach der Schräge des Bodens zu urtheilen bis zur Mitte eine ganz beträchtliche sein muß, auch die Eingebornen bestätigten dies, sie gaben an, es sei in nicht großer Entfernung vom Ufer in weiter Runde kein Grund mehr zu finden, demnach wären also die drei Kraterhügel nur die über Wasser ragenden Kuppen vielleicht gewaltiger Vulkane.
In tiefster Ruhe, im Sonnenglanz gebadet, liegt der weite See, in ihm schlummern Gigantenkräfte! Wann werden diese wieder erwachen, Menschen zittern und Felsen erbeben machen! Wir standen hier auf einem Vulkan, wir wußten das, aber nicht, daß unter uns, rings in der Runde, die unterirdischen Geister erwacht waren, die die Feuer schürten, um solche wenige Monate später schon mit verheerender Gewalt über diese Insel auszuspeien.
Nicht so friedfertigen Sinnes wie heute waren die Tonga-Insulaner, als sie zuerst mit den weißen Männern in nähere Berührung kamen. Die erste Entdeckung dieser Insel erfolgte im Jahre 1643, dann wurden sie erst wieder 1773, also über ein Jahrhundert später, von dem berühmten Entdecker Cook aufgefunden, in der Folge dann von mehreren kühnen Forschern besucht, [44] denen aber ihr langer Aufenthalt an einzelnen dieser Inseln, wie Tongatabu, Lefuka u. a. verhängnißvoll wurde.
Im Vertrauen auf die freundliche Gesinnung dieser Insulaner wurden die Europäer zu sorglos, dahingegen die Eingebornen aber, welche die Schwächen der weißen Männer bald genug erkannten, planten Tod und Verderben. Wohl entgingen viele Europäer dem geplanten Anschlag auf ihr Leben und waren noch stark genug, ihre Schiffe zu schützen und zu fliehen, manche aber haben ihre Achtlosigkeit mit Verlusten von Gut und Leben büßen müssen. Heute hat Gesittung den verrätherischen Sinn der Eingebornen geändert, sie kennen zur Genüge die Macht des weißen Mannes und diese Erkenntniß ist der beste Schutz.
Bei meiner Rückkehr nach Samoa waren die politischen Verhältnisse auf Upolu noch verwickelter als früher und für die deutschen Beamten eine stete, ernste Sorge, namentlich da die ansässigen Amerikaner und Engländer ihre Wühlerei unvermindert fortsetzten. Mir, als einem Uneingeweihten, fehlt die genaue Kenntniß, um ein anschauliches Bild der politischen Wirren, der feindlichen Kundgebungen wahrheitsgetreu wiedergeben zu können — viel Gutes wäre, nebenbei gesagt, nicht zu berichten gewesen — nur so viel sei erwähnt, hätte gehandelt werden dürfen, wie es uns Deutschen hier zu jener Zeit ums Herz war, mit der kleinen Zahl jener Abenteurer, die desto lauter schrieen, je mehr sie beachtet wurden, wäre bald genug aufgeräumt worden; es wäre ein Glück für Land und Volk, eine wahre Wohlthat für uns Deutsche gewesen!
Es lag mir viel daran, den Mann gelegentlich kennen zu lernen, in dessen schwachen Händen das Geschick Samoas lag, um dessen Gunst so viel Ausländer buhlten, dessen Macht ein Schein, dem nur sein Anhang — die stolzen, selbstbewußten Häuptlinge — die Königskrone sicherten. Der Zufall fügte es, daß ich auf einem Spaziergange nach Mulinuu einen langansässigen Deutschen traf, der mir behülflich sein wollte, den König sprechen zu dürfen. Während kein Samoaner wagen darf, ohne Erlaubniß den geheiligten Grund zu betreten, auf welchem sein König wohnt und auch dann nur unter Beobachtung gewisser Zeremonien, fanden wir dort ungehinderten Zutritt und, ohne nach unserm Begehr gefragt zu sein, näherten wir uns dem im Schatten seines Hauses sitzenden Könige Maliatoa.
Die Gastfreundschaft der Samoaner ist bekannt, und ihr [45] König ist nicht minder bestrebt, solche seinen Gästen gegenüber auszuüben. Seine braune Majestät hieß uns willkommen und führte uns in den großen Vorraum des mit vielem Kunstsinn aufgeführten Palastes und lud uns ein, auf den mit Matten bedeckten Holzkisten Platz zu nehmen. Darauf rief der König dienstbare Geister, wohlgenährte Samoanerinnen erschienen und ließen sich geschäftig im Hintergrunde des Zimmers nieder. Schnell waren Steine, Becken und Wasser herbeigeschafft, das Zerklopfen der Kavawurzel begann und nach kurzer Zeit schon wurde durch Händeklatschen das Zeichen gegeben, daß der Trank bereitet sei.
Mit vieler Grandezza sich auf ein Knie niederlassend, reichte eine junge Maid dem Könige zuerst die Kokosschale, wurde aber bedeutet, diese seinen Gästen erst zu reichen. Da nahm ich sie in die Hände und leerte sie mit einem Zuge, obgleich sie wohl einen halben Liter faßte; das Wort „fafataii“, d. h. danke, war ich kaum im Stande, vernehmbar auszusprechen, so hatte das etwas starke Getränk mir den Athem genommen. Während dessen setzte sich der König würdevoll nach samoaner Art mit untergeschlagenen Beinen, auf weichen, feinen Matten vor uns nieder und eröffnete erst die Unterhaltung, als auch er die Schale geleert und seinen Gästen Bescheid gethan hatte.
Mit ausgesuchter Höflichkeit lenkte Maliatoa, nachdem er erfahren, daß nur der Wunsch uns hergeführt hatte, ihn kennen zu lernen (was besonders auf mich Bezug hatte), das Gespräch auf unsern großen Kaiser, er stand auch auf und holte unter anderen Sachen ein wohlgelungenes Bildniß des Kaiser Wilhelms herbei und fragte uns, ob der mächtige, deutsche Kaiser mit diesem Bilde sprechende Aehnlichkeit habe, wie ihm versichert worden sei. Unsere Bestätigung befriedigte ihn, und für einen Augenblick im Anschauen des Bildes versunken, fragte er dann plötzlich, wann ich eingelaufen sei und von welcher Insel ich gekommen wäre. Als ich Niua-fu erwähnte, lobte er die dort wachsenden großen Kokosnüsse; er wäre immer bestrebt, sagte er, solche zu bekommen und benutze sie gewöhnlich zur Auspflanzung, wenn anders nicht seine Frauen dieselben wegnähmen und zu Wasserbehältern oder Kavaschalen benutzten. Schiffsführer, die Niua-fu anliefen, brächten ihm mitunter schöne, große Nüsse mit, es wäre aber selten der Fall, weil dort wohl nur wenige Schiffe zu Anker gingen.
Das Letzte war mehr eine Frage an mich, und die Höflichkeit gebot, diese so zu verstehen, als sei es ein ausgesprochener Wunsch, darum erbot ich mich sofort, diesen zu erfüllen, sobald mir Gelegenheit dazu gegeben wäre; ich wüßte zwar nicht, wohin ich beordert werden würde, aber solcher geringen Mühe wollte ich mich gerne unterziehen und gelegentlich Nüsse mitbringen. Dankend nahm Maliatoa das Anerbieten an. Dann wurde uns auf seinen [46] Wink die zweite Schale Kava von schöner Hand gereicht, worauf wir uns bald vom Könige verabschiedeten.
Während der kurzen Unterhaltung war es nicht uninteressant, zu beobachten, wie der König in nichts von den Gewohnheiten seiner Unterthanen abwich. Wie der Samoaner setzte er sich auf den mit Matten belegten Erdboden, stützte gewohnheitsgemäß den Oberkörper auf einen Arm oder gab bei nach vorne geneigter Haltung seinem Körper dadurch einen festen Stützpunkt, indem er die Ellbogen auf die fast flach am Boden liegenden Knie setzte. Bei solcher Haltung bleiben dann die Hände zur Vornahme beliebiger Verrichtungen frei. Wiewohl nach unseren Begriffen in der Haltung des Königs nicht allzuviel Majestätisches zu finden war, so gestehe ich doch offen, daß die ganze Erscheinung den Herrscher verrieth, dessen Blick Gehorsam zu heischen schien.
Einige Monate später, ich war über Niuatobutabu nach Niua-fu beordert worden, löste ich meine Zusage ein, und kaufte dort die größten Nüsse, welche ich mit Hülfe des deutschen Agenten auftreiben konnte, für den König Maliatoa auf. Nach Apia zurückgekehrt, traf ich leider den König nicht in seinem Palaste bei Mulinuu an, ich gab daher die Kokosnüsse an anwesende Häuptlinge ab, die solche sogleich den aufwartenden Weibern einhändigten, somit mag der König wohl Recht haben, daß ihm geschenkte Nüsse meistens zu anderen Zwecken, als zur Auspflanzung Verwendung finden.
Bei weiteren Reisen in der Südsee war ich insofern vom Glück begünstigt, als mir Gelegenheit gegeben wurde, auch die entlegensten Inseln der Samoa-Gruppe kennen zu lernen und dort Beobachtungen über Land und Bewohner zu machen. Auf solchen Fahrten zeigte freilich oft genug der gepriesene Stille Ozean ein recht unfreundliches Gesicht; widrige, stürmische Winde, gefährliche See, straften solche Bezeichnung Lügen. Ist man aber mit der wechselnden Eigenart der Witterung erst vertraut geworden, namentlich mit der unbeständigen, sogenannten schlechten Jahreszeit, so nimmt der Seemann alles ruhig mit in den Kauf und sucht dem Unfreundlichsten noch eine gemüthliche Seite abzugewinnen.
In freier See, wenn dem Schiffe keine Gefahren weiter drohten, als durch Wind und Wetter, war ich immer zufrieden, hier war des Menschen Können den Elementen gewachsen, wenn diese es nicht gar zu böse meinten, hingegen vor gefährlichen Riffen auf schlechtem Ankergrunde, wo das Schiff gefährdet lag, schlich sich recht oft die Sorge bei mir ein.
Kräftig hatte der Südost-Passat wieder eingesetzt, vor dessen Hauch das düstere Gewölk entfloh, das regenschwer oft genug über Land und Ozean gebreitet lag; ein dauernd heiterer Himmel lachte auf die blaue Fluth hernieder, deren schaumgekrönte Wellen sich im lustigen Spiele endlos jagten. Aufkreuzend gegen solchen steifen [47] Wind und einer in Folge dessen recht bewegten See, brauchte ich, nach der Manua-Gruppe bestimmt, acht Tage, um die 130 Seemeilen lange Strecke von Apia bis zur Insel Ofu und Olosinga aufzusegeln; in Wirklichkeit aber hatte das Schiff annähernd 800 Seemeilen im Zickzackkurse zurückgelegt, ehe das Ziel erreicht war.
Durchzieht die langgestreckte Insel Tutuila ein mächtiger Höhenrücken, der wegen seiner Form und Steilheit unübersteiglich ist, eine Basaltformation von solcher Zerrissenheit darstellend, daß thatsächlich zwischen der Nord- und Südküste keine Verbindung besteht, so bieten die beiden kleinen Inseln Ofu und Olosinga fast noch ein verzerrteres Bild vulkanischer Wildheit dar. Die Massen dieser Inseln, steil und hoch, gleich senkrechten Wänden aus der Tiefe des Meeres aufragend, zeigen nicht die stumpfe Kegelform vulkanischer Bildung, sondern die zackigen Bergspitzen sind hier und dort durchbrochen und getrennt, als wären diese durch Gigantenhände aufgethürmt worden, sie scheinen das Ergebniß übergewaltiger Eruptionen zu sein. Diese unzugänglichen Spitzen und Zacken, gesprengte Lavablöcke, ragen fast 3000 Fuß hoch über dem Meeresspiegel empor, in Wirklichkeit starre Zeugen einer längst entschwundenen Zeit, die auch hier einst die unterirdischen Gewalten schaffen und zerstören sah.
An der Südseite der Insel Olosinga öffnet sich eine von Korallenriffen eingeengte Bucht, die durch vielzackige sehr steile Basaltfelsen abgeschlossen wird, namentlich sind drei spitze zusammenstehende Kegel auffallend und geben ein gutes Merkzeichen. Die große Wassertiefe in dieser Bucht bedingte es, daß ich sehr weit hineinlaufen mußte und erst ganz in deren Nähe Ankergrund fand; fast blieb für das Schiff kein genügender Raum frei von diesen zu schwingen, so nahe der Brandung war ich zu ankern gezwungen. Zudem war die Verbindung zwischen Schiff und Land nur zur Zeit des Hochwassers herzustellen, da das Riff ganz trocken fällt und nur während weniger Stunden des Tages, ebenso wie der Nacht, konnte Ladung an Bord geschafft werden.
Eine schmale Fläche Landes liegt nur zwischen Strand und steiler Felswand, noch dazu bedeckt mit großen abgestürzten Lavablöcken, zwischen denen die Hütten der wenigen Bewohner dieser Insel zerstreut errichtet sind; aber wie drohend und kahl auch die gewaltigen Felsmassen von der Höhe herabschauen, ihnen zu Füßen auf fruchtbarster Erde, ja selbst aus jedem Felsspalt blüht und sprießt eine reiche Vegetation. Vornehmlich gedeihen hier der Kokosbaum und die Bananen vortrefflich, jener der genügsam ist, reckt am Felsengrat sowohl wie am Strande seine stolze Krone in die Lüfte und das in solcher Zahl, daß es sich verlohnt hatte hier eine kleine Handelsstation anzulegen.
Die Händler an solchen entlegenen Orten, meistens Mischlinge, tauschen für geringe Waare den Ueberschuß an Nüssen von den [48] Eingebornen ein und erzielen durch die Verarbeitung derselben zu Kopra für sich einen Gewinn, der ihnen sogar ermöglicht Ersparnisse zu machen, da ihre Bedürfnisse sehr gering sind. Zwei höchstens drei mal im Jahre versieht ein Schiff die Händler mit Tauschartikeln und holt die erhandelten Erzeugnisse ab, daher ist denn auch das Einlaufen eines Fahrzeuges immer ein Ereigniß von Bedeutung, sowohl für den Händler wie für die Eingebornen. In der Station Olosinga, die seit Kurzem durch einen von der Insel Tau hierher übergesiedelten Zwischenhändler errichtet war, schien hier ein weißer Mann kaum je gesehen worden zu sein, denn sowohl der älteste Greis wie der jüngste Sproß waren am Strande versammelt als ich landete und Neugierde mit auffallender Scheu gepaart, ließ sie die fremde Erscheinung anstarren; namentlich die Kinderschaar fürchtete sich und anfänglich genügte eine rasche Bewegung meinerseits schon die neugierige Menge auseinander zu treiben. Das kleine Haus des Händlers, mit dem ich den geschäftlichen Theil abzuwickeln hatte, war schon, noch ehe ich eintrat, voll von Menschen, so daß die Jüngeren herausgetrieben werden mußten, um Raum zu schaffen.
Angenehm ist solches Anstarren und Umdrängtwerden nicht, und mancher würde es höchst lästig finden; weiß man aber, daß barsche Worte wenig nützen, zumal den Erwachsenen gegenüber nicht, so erduldet man schon solche Unbequemlichkeit, bald kommt man auch zu der Ueberzeugung wie vortheilhaft es ist, da bald die Neugierde dieser Naturvölker gestillt ist, Vertrauen erweckt zu haben. Frauen und Kinder laufen nicht ängstlich davon, Männer gehen nicht mit scheelen Blicken an einem vorüber, das „talofa, ali,“ guten Tag, Herr, hat einen freundlicheren Klang; ich muß sagen, natürliche oder sogar erzwungene Ruhe, die ein Europäer zeigt, imponirt den Eingebornen am meisten.
In diesem Falle war es ein kurzer Sprung von auffälliger Scheu bis zur Vertraulichkeit. Der Händler wurde von allen Seiten mit Fragen bestürmt, seine Angaben schienen einigen Erwachsenen aber nicht zu genügen; diese wollten durchaus wissen, ob ich auf der Brust ebenso weiß sei wie im Gesicht und obwohl die Frage eigenthümlich genug klang, so war sie doch ernst gemeint, denn sie öffneten mein weißes Hemde und überzeugten sich selbst davon — das war ihnen genügend, befriedigt gingen sie fort. Nun war nach Verlauf einer halben Stunde die erst so große Neugierde aller gestillt; ein Anstarren, geschweige denn eine Belästigung kam nicht mehr vor, höchstens trat ein kleiner Bursche noch heran und wagte mich um ein Stückchen Tabak anzusprechen.
Zu den Pflichten eines Schiffsführers gehört es, stets für den Empfang einer Schiffsladung die Ladescheine zu zeichnen; so war es auch hier (gleichwie an anderen Orten war ich der einzige Europäer), es war meine Aufgabe, die zu empfangende Menge [49] Kopra abzuwiegen. Schon um den Aufenthalt hier unter den gefährlichen Riffen abzukürzen, wurde die Verschiffung der Ladung auch während der Nacht bei lodernden Feuern, die immer von Neuem mit trockenen Palmenrippen angefacht wurden, ausgeführt. Dabei nun leisteten uns einige Kinder Gesellschaft, die es vorzogen wach zu bleiben, um die Feuer zu unterhalten. Unter diesen war ein etwa siebenjähriges Mädchen von auffallender Schönheit, wie ich noch keins unter farbigen Völkern gesehen; es mag sein, daß die leicht gebräunte Hautfarbe dies Kindergesicht so anziehend und interessant machte, so viel wenigstens kann ich behaupten, dieses Naturkind konnte mit seinen weißen Schwestern wetteifern und sich den Hübschesten seines Geschlechts an die Seite stellen. Manches hübsche Mädchen habe ich zwar unter den Samoanerinnen gesehen, ein solches aber, wie dieses in dieser weltentlegenen Gegend aufgewachsen, nicht wieder. Unter anderem erhielt ich noch Kenntniß von einem unterseeischen Vulkan, der sich an der Ostseite der Insel Olosinga befindet. Ich zog darüber Erkundigungen ein, erfuhr aber nur Folgendes: Die älteren Bewohner haben vor einer Reihe von Jahren einen Ausbruch desselben beobachtet, dabei aber nur leichte Erschütterungen des Bodens, sonst nichts Auffallendes wahrgenommen, und seit jener Zeit sei an der bezeichneten Stelle im Ozean weiter kein Ausbruch erfolgt. Immerhin ist das Vorhandensein eines solchen Vulkans, auch wenn ihn die Fluthen des Meeres bedecken, eine gefährliche Nachbarschaft und ein Zeichen, daß die Naturkraft fortbesteht, die diese gewaltigen Basaltmassen aufgethürmt hat, wenn auch längst die Krater dieser Inseln erloschen sind.
Die größte der Inseln in der Manua-Gruppe ist Tau, ebenfalls vulkanischen Ursprungs, an Umfang aber viel bedeutender noch als Ofu und Olosinga zusammen genommen; in der Mitte dieser Insel erheben sich gegen 3000 Fuß hohe Krater, deren Umgebung indeß weniger wild und zerrissen erscheint, da sie von der Hügel- zur Bergform übergeht und ausgedehntes Vorland die ganze Erhebung umgiebt. Fraglos ist es, daß auf gehobenem Korallengrunde im Laufe der Zeiten die flachen Landstrecken gebildet wurden, die wiederum ein weites Riff umgiebt, das stetig an Ausdehnung durch den Fortbau der Korallenpolype gewinnt. Nimmt auch die Kratergegend den bei weitem größten Flächenraum dieser 16 Seemeilen im Umfang großen Inseln ein, so hat sich doch auf verwittertem Lavagrunde eine reiche Pflanzenwelt entfaltet und von See aus gesehen erscheint dieselbe sich bis zu den hohen Bergkuppen ausgedehnt zu haben; vor allem sind die Umgebungen der Dörfer Tau, Siufanga, Faleasao an der West- und Nordwestseite von ausgedehnten Kokospflanzungen umgeben. Bestimmt von Olosinga zunächst nach Tau zu segeln, mußte ich hier, nachdem mit Schwierigkeit Waaren gelandet, auch der Vertreter [50] der deutschen Handelsgesellschaft abgeholt war, nach Faleasao weiter fahren, wo in der guten Jahreszeit der sicherste Ankerplatz sein sollte. Hier befand sich auch der Hauptstapelplatz für Kopra. Als ich vor Faleasao ankam, schien mir dort der Ankerplatz nahe dem Riffe einigermaßen sicher und ein Landen nicht zu schwierig zu sein. Weht der Südostwind, so hat Faleasao wohl den Vorzug der gesichertste Ort für ein Schiff zu sein, da sich hier ausgedehnte Korallenflächen unter Wasser hinstrecken, wenn auch bei schnell zunehmender Tiefe; weht derselbe aber östlicher, wie ich es fand, so läuft die schwere See längs der kreisförmigen Insel auf und erzeugt selbst hier noch eine gefährliche Brandung.
Von einem Schiffe aus gesehen scheint freilich eine Brandung nie so schwer als sie in Wirklichkeit ist, befindet man sich aber mit einem Boote in derselben, erkennt man erst die gewaltige Kraft der mit großer Geschwindigkeit heranrollenden und sich überstürzenden Wogen.
Genöthigt zu warten bis Hochwasser eingetreten war, wodurch am Riffe die Brandung vermindert wurde, machten wir doch beim ersten Landungsversuch eine unliebsame Bekanntschaft mit derselben. Obgleich die Bootsbesatzung tüchtig und geübt war, überlief uns dennoch die See; in dem Augenblicke, wo es galt, mit aller Kraft zu rudern, um die hinter uns brechende Woge nicht über das Boot stürzen zu lassen, unterlief die Kraft der neben dem Boote aufrollenden Vorwelle den Riemen (Ruder) eines Mannes, den dieser nicht schnell genug zu heben vermocht hatte. Trotz der Anstrengung des Steuerers wirbelte im Augenblick das Boot herum, die Welle brach über das breitseits liegende Boot herein, überschlug dasselbe, und Menschen, Boot und dessen Inhalt bildeten ein Chaos, daß die brüllende Woge strandaufwärts trug. Weil ich selbst kein Schwimmer war, und keinen Grund unter den Füßen fand, so wurde für mich die Lage bald bedenklich, zumal da ich nichts zu sehen im Stande war, und nur donnerndes Brausen mir in den Ohren gellte. Ein Spielball des Wassers, mußte ich das Schlimmste befürchten, wenn die rücklaufende Welle mich mit sich riß; aber plötzlich fühlte ich einen Halt, ein Eingeborner der Bootsbesatzung hatte mich gefaßt, ehe es zu spät gewesen, ich fand auch gleich wieder Grund und tummelte fort, nur beschleunigte die nächste Welle mein Bestreben, den Strand zu gewinnen dermaßen, daß ich durch den heftigen Stoß ziemlich unsanft auf die spitzen Korallen geworfen wurde; aber abgesehen von einigen Verletzungen an den Händen kam ich noch glimpflich davon. Weitere Verwundung erhielt keiner, nur der Mann, dessen Ungeschick alles verschuldet hatte, hatte sich den Kopf verletzt. Zum Glück war auch das große von Tau mitgenommene Brandungsboot unbeschädigt geblieben, die Besatzung desselben, an solche Fahrten gewöhnt und aus guten Schwimmern [51] bestehend, wußte mit Geschick einen verderblichen Aufstoß des Bootes auf den harten Korallengrund zu vermeiden. Schnell war das Mißgeschick vergessen. Das Boot wurde ausgeschöpft und flott gemacht, dann mit dem Verschiffen der Ladung begonnen. Freilich manchmal glaubten wir Boot und Ladung nicht wieder zu sehen, wenn es in der Brandung verschwand oder in Gefahr war, von einer steilen Woge überworfen zu werden.
Soweit die Leute Grund unter den Füßen hatten, schoben sie das Boot stets hinaus, dann wurde gewartet, bis drei schwere Seen herangelaufen waren, sofort aber hinter der dritten schwang sich die Besatzung in das Boot und ruderte mit aller Kraft der vierten, gewöhnlich schwächsten Woge entgegen, die passirt sein mußte, ehe sie sich brach; gelang dies nicht, kam häufig das Boot fast sinkend längsseit des Schiffes und es entstand dadurch eine Verzögerung.
Dem Manne, der mich flüchtig gestützt, als ich kraftlos ein Spiel der Wogen gewesen, gab ich auf Anrathen des Händlers eine Hand voll Stangentaback, kaum aber hatte derselbe begriffen, daß solcher sein Eigenthum sein solle, als er wie besessen umhersprang, immer wieder sein „fafataii“, danke, brüllend, bis sich seine Genossen um ihn geschaart und er schnell die Hälfte seines Geschenkes los geworden war.
Das Rauchen ist unter den Eingebornen der Südsee stark verbreitet, daher ist eigens für sie zubereiteter, kräftiger Taback ein bedeutender Tauschgegenstand geworden. Selten nur findet man die Tabackpfeife in Gebrauch, dagegen kommt allgemein die Cigarette in Anwendung, die mit Vorliebe von beiden Geschlechtern geraucht wird. Sehr oft habe ich mich ebenfalls derselben bedient und gefunden, daß der Europäer in der Hütte des Eingebornen stets willkommen ist, der seinen Vorrath mit ihnen theilt, wenigstens aber so viel abgiebt, um das augenblickliche Bedürfniß zum Rauchen zu befriedigen. Einfach genug ist die Herstellung einer Cigarette, als Umhüllung dient ein Streifen vom getrockneten Bananenblatt; der Taback, aus zusammengepreßten Blättern bestehend und meistens feucht, wird nach Bedarf auseinander gewickelt, über ein entzündetes Streichholz oder eine kleine Flamme, auch über Kohlengluth etwas angeröstet, eigentlich nur dadurch betrocknet und dann in den bereitgehaltenen Streifen eingewickelt. Auf diese Weise ist eine Cigarette schnell genug angefertigt; diese geht dann von Hand zu Hand und hat Jeder durch einige Züge das augenblickliche Verlangen befriedigt, so wird der Rest der Cigarette von einem der Anwesenden hinter der Ohrmuschel so lange aufbewahrt, bis sich wieder das Bedürfniß zum Rauchen einstellt.
Es erwies sich übrigens als leichter, mit einem schwerbeladenen Boote gegen die starke Brandung zu rudern, als mit dem leeren vor derselben zu laufen, im letzteren Falle meistens [52] von dem Kamme einer Woge riffaufwärts getragen, wird das Boot von ihr schließlich überlaufen und die darauf folgende gefährdet es. Zweimal geschah es während der 60-70 Fahrten, welche das Boot zum Schiffe hin und zurück machen mußte, daß dieses in der Brandung überworfen wurde, jedoch ohne weiter Schaden zu nehmen. Ich habe manche Brandung an Korallenriffen mit weniger tüchtiger Mannschaft und schwächeren Booten passirt, bin aber niemals später genöthigt gewesen, wie hier, bei so hohem Seegange Ladung abzunehmen. Diese See, eigentlich nur längs und auf das Riff laufende Roller, war schon schwer genug; eine Möglichkeit hätte es aber nicht mehr gegeben, durch die Brandung zu kommen, wenn auch nur ein leichter Wind die Wogen verstärkt hätte; diese sind übrigens desto gefährlicher, je weiter vom Strande entfernt abflachender Grund der Wassermasse gestattet sich aufzurollen.
Des Ungeziefers, welches mit einer Kopraladung an Bord gebracht wird und sich dort schnell einnistet, habe ich früher Erwähnung gethan, namentlich der Ameisen und der Kakerlaken. Mich jener zu erwehren, wenigstens sie möglichst aus der Kajüte zu vertreiben, wurden Fugen und Ritzen im Holz mit Petroleum angefeuchtet oder gut verkittet; solche Mittel lohnten zwar nicht viel, aber eine Zeit lang wenigstens etwas; hingegen die Kakerlaken zu vertreiben, wollte nichts verfangen. Unglaublich vermehren sich die bis zu 1½ Zoll und darüber wachsenden Thiere; da sie an feuchten Stellen mit Vorliebe sich aufhalten, ist ihnen zwischen den Rippen des Schiffes nicht beizukommen. Selbst wenn ich zeitweilig eine Ausräucherung des ganzen Schiffes mit Kohlengas vornahm, um die nicht minder lästigen Ratten zu vertilgen, gelang es wohl, die schlimmen Nager zu tödten, die meistens in der Nähe der erloschenen Kohlenbecken, wo sie wegen des hierher strömenden Sauerstoffes am längsten zu leben vermochten, aufgefunden wurden; den Kakerlaken hingegen schadete solche Ausräucherung nichts.
Bei Tage nicht sichtbar, kommen die Kakerlaken Abends aus ihren Verstecken hervor, dann aber ist es in geschlossenen Räumen nicht auszuhalten, so groß ist die Menge der Thiere. Sehr lebhaft aber werden sie und die, welche fliegen können, schwirren umher, sobald sich eine Aenderung im Wetter bemerkbar macht; ich beobachtete, daß jedesmal Regen eintrat, wenn die Kakerlaken zu fliegen begannen.
Doch nicht nur sehr unangenehm und widerwärtig sind diese Thiere, sondern sie sind auch im Stande, empfindlichen Schaden anzurichten; man darf kein unreines Zeug oder Leibwäsche frei liegen lassen, soll solche nicht angefressen werden. Anfänglich, ehe ich dahinter kam, maß ich den Ratten die Schuld bei, wenn mir gute wollene Hemden verdorben wurden. Glücklicherweise gab mir der Zufall ein Mittel an die Hand, diese Kakerlaken nach Möglichkeit [53] zu vernichten. Eine entleerte Flasche Bier war unabsichtlich in eine leere Koje gesetzt worden und zwar so, daß es den durch den Biergeruch angelockten Thieren möglich geworden war, den Hals der Flasche zu erreichen und hinein zu kriechen. Einmal hinein gab es kein Zurück mehr, und ich fand, einem widerlichen Geruch nachspürend, diese Flasche ganz angefüllt mit todten Kakerlaken.
Später ließ ich denn auch frisch geleerte Bierflaschen aufstellen und konnte bald, da oft Hunderte in einer Nacht gefangen wurden, eine Abnahme bemerken. Auf längeren Reisen, wenn der geringe Vorrath an Bier ausgetrunken war, setzte ich entweder eine Schüssel mit Seifenwasser oder mit einem Zusatz von Syrup den Kakerlaken hin und richtete es so ein, daß sie bequem hineinkommen konnten; war es auf solche Weise auch nicht möglich, die Thiere auszurotten, weil sie sich zu stark vermehrten, so wurde doch ihre Zahl sehr vermindert.
In späterer Zeit hatte ich leider nie wieder Gelegenheit, die Manua-Gruppe anzusegeln und meine Beobachtungen zu vervollständigen, dagegen wurde ich mit den Tonga-Inseln, ihrer Beschaffenheit und Bevölkerung, vertrauter, da ich meistens längere Reisen durch diese ausgedehnte Gruppe zu machen hatte.
Der bereits geschehenen Erwähnung, daß in freier See sowohl, wie unter den zahlreichen Inseln, eine große Zahl Haifische zu finden ist, wollte ich noch näher darauf eingehen, in welcher Weise es mir gelang, eine beträchtliche Anzahl dieser gefährlichen Meerbewohner zu fangen, die zum Theil dann von meiner Schiffsbesatzung verzehrt wurde. Möglich ist der Fang des Haifisches nur bei ruhiger See und bei Windstille; er wird um so leichter, wenn der Hai hungrig ist und nach allem gierig schnappt, was über Bord geworfen wird. War also Windstille eingetreten, wiegte das Schiff sich steuerlos auf der blauen Fluth, so währte es gewöhnlich nicht lange und die Rückenflosse eines oder mehrerer Haie wurde sichtbar, die langsam näher kamen und entweder hinter dem Schiffe verblieben, wenn dessen Fahrt vielleicht noch gering war, oder sonst um dieses herumschwammen.
Kamen die Thiere nicht nahe genug heran, so wurde eine Lockspeise an dünner Leine befestigt, jedoch so, daß diese der Hai wohl befühlen, aber nicht erfassen konnte; die Leine wurde nämlich schnell eingeholt, sobald der Hai sich auf den Rücken legte und zuschnappen wollte. War der Hai erst gierig gemacht, so folgte er dem Köder schneller, besonders, wenn es ihm doch gelungen war, ein Stückchen Fleisch zu erfassen.
Auf diese Weise bis dicht unter das Heck des Schiffes gelockt, schwamm der Hai achtlos auf die Gefahr, welche ihm drohte, in die weit in das Wasser reichende Schlinge hinein, schnell diese fallen gelassen und zusammengeholt, war solch großer Fisch immer gefangen, weil ein Uebergleiten der Schlinge wegen der unbiegsamen [54] Schwanzflosse nicht mehr möglich war. Bot sich eine Gelegenheit in der Nähe der Insel Upolu einige Haie zu fangen, und war das Schiff nicht allzufern dem Hafen von Apia, gestattete ich der Besatzung meistens die Fische aufzubewahren, die dann außenbords in den Rüsten oder unter dem Bugspriet aufgehängt wurden, denn der Fischgeruch war nicht besonders angenehm. Verzögerte sich die Ankunft aber und hatte die heiße Sonne schon zersetzend eingewirkt, ließ ich die Haie losschneiden, was von den Samoanern immer bedauert wurde; hingegen, wenn wirklich ein todter Hai mitgebracht werden konnte, gab es einen Festschmaus bei den Anverwandten am Lande.
Anstoß an dem strengen, widerlichen Geruch des Fisches nahmen die Samoaner nicht, vielmehr durch eingetretene Zersetzung ward das Fleisch desselben mürbe, das sonst hart, zähe und trocken ist. Aus Noth habe ich auch einmal versucht, das zubereitete Fleisch eines jungen, frisch gefangenen Haies zu essen, aber es wollte selbst gebraten nicht munden, obgleich sicher ein gewisser Widerwille das meiste dazu beitragen mochte.
Das Gebiß eines großen Haifisches ist furchtbar, die vorderen festen Zähne im Unter- und Oberkiefer sind an der Wurzel breit und flach und scharf wie ein Messer, die Zähne fassen so ineinander, daß alles, was der Hai erfaßt, von diesen durchschnitten wird. Hinter den festen Vorderzähnen liegen noch sechs Reihen ebensolcher, jede kleiner als die andere und in den Rachenmuskeln beweglich. Faßt der Hai eine Beute, ist er nicht im Stande, solche wieder fahren zu lassen; die hinteren Zahnreihen richten sich auf und geben einmal Gefaßtes schwerlich wieder frei.
Einmal, in der nördlichen Einfahrt von Tongatabu (ich war zwischen den Riffen von Windstille befallen worden) hielten sich schon längere Zeit zwei mächtige Haie von seltener Größe beim Schiffe auf. Schließlich machte ich mich daran, da diese Thiere ohne Scheu längsseit kamen, einen mit der Schlinge zu fangen. Ohne daß Köder angewandt war, hatte sich bald eines der Unthiere in der Schlinge festgelaufen; am Schwanz gefangen, peitschte der Hai wüthend das Wasser und die Leute hatten zu thun, das starke Thier zu halten, das erst jeden weiteren Versuch sich zu befreien aufgab, als es ermattet an der Schiffsseite hochgezogen war.
Der zweite Hai, der anfänglich gleich verschwunden, kam bald wieder zum Vorschein und so nahe an seinen gefangenen Gefährten heran, daß auch er nach einigen Versuchen demselben Schicksal verfallen war. Die Leute sollten nun den zweiten nicht zu nahe dem schon hochgezogenen aufholen, aber in ihrer Hast zogen sie das heftig um sich schlagende Thier doch nahe an dem ersten Hai vorbei und dieser, ebenfalls unruhig gemacht, wohl auch von dem Schwanze des zweiten getroffen, schwang seinen Oberkörper [55] im Wasser hin und her, dabei den mächtigen Rachen auf- und zuschnappend.
Solange der Hai noch im Wasser war, sträubte er sich mit seiner ganzen Kraft und folgte nur widerwillig der angewendeten Gewalt, er entriß auch den Händen der Leute das Tau, ehe dasselbe befestigt werden konnte und schoß seitwärts in die Tiefe. Indeß da das Tau, womit der Hai gefangen worden war, zum Aufhissen eines der Vordersegel diente und an diesem befestigt war, so vermochte er nicht zu entkommen. Als er wieder herangeholt war, sollte gewartet werden, bis er sich müde gearbeitet hätte; aber übereifrig geworden, zogen die Leute weiter und als sie unachtsam wieder dem ersten Hai zu nahe gekommen waren, hielten sie plötzlich das lose Tau in Händen. Der hängende Hai hatte nämlich nach dem Schwanze des zweiten geschnappt, die halbe Flosse mitsammt dem starken Tau durchbissen und so seinem Gefährten die Freiheit gegeben. Ein kurzer, aber gewaltiger Schlag war es, den dieser Hai führte, als er gebissen sich zur Wehr setzte, doch bald schoß er frei mit einer Geschwindigkeit hinweg, wie man solche diesen sonst trägen Thieren nicht zutrauen sollte.
Um nun den gefangenen Hai, dessen Körper noch halb im Wasser niederhing, sicher an Deck zu bringen, mußte ihm eine zweite Schlinge oberhalb der Rückenflosse umgelegt werden; an dieser wurde das Thier dann hochgezogen, der Schwanzwirbel durchgeschlagen und erst, als es sich verblutet hatte, an Deck genommen. Das Thier maß etwas über 13 Fuß und hatte ein furchtbares Gebiß. Dieses sollte später ein Tonganer für mich präpariren und reinigen, nachdem der Kopf wochenlang in Salz-Seewasser gelegen und alles Fleisch sich abgelöst hatte; ich sah aber nie etwas davon wieder, es hieß, die Kiste mitsammt dem Kopfe des Haies, die am Riffe versenkt worden war, sei verschwunden.
Auf meiner zweiten Reise, von Apia nach Tongatabu, lief ich, von Vavau kommend, westlich von der ganzen Tongagruppe, und befand mich eines Tages im Mai 1885, als voraus die Basaltkegel Hunga-hapei und Hunga-tonga gut in Sicht gekommen waren, nicht allzufern von den in der Karte angeführten Culebrasriffen. Mein Kurs, der südwärts gerichtet war, mußte mich gerade darauf führen. Aber als ich die hohen Inseln Kao und Tofua in Deckung gebracht hatte — die Kreuzpeilung von der Insel Namuka und Hunga-tonga ergab, ich müsse zwischen den Riffen mich befinden — wollte von den Riffen nichts sichtbar werden. Vergeblich hielt ich selbst von den Masten aus Umschau, ich konnte weit in der Runde kein Riff, noch flacheres Wasser sehen und ebensowenig die noch schärferen Augen meiner Leute.
Fünf Monate später bekam ich auf ebensolcher Reise, die Hapai-Gruppe anlaufend, in Lefuka einen Lootsen als Passagier [56] an Bord, der sich erbot, mir den Weg durch die Riffe der Kotu- und Namuka-Gruppe zu zeigen. Ich nahm das Anerbieten an, schon weil der Weg kürzer war und ich auch wußte, dieser Mann kenne die Durchfahrten ganz genau. Es war am Nachmittage des 12. October 1885, die Insel Namuka in Sicht, hielt ich den Kurs nach der freien See zu, um nicht während der Nacht zwischen gefährlichen Riffen laviren zu müssen.
Westwärts mit freiem, leichtem Winde zog das Schiff, ich konnte hoffen, ehe die Nacht hereinbrach, die freie See zu gewinnen, bevor, wie ich fürchtete, westlicher Wind, der in der Ferne mächtige, drohende Wolkenmassen aufballte, mein Vorhaben, Namuka zu umsegeln, vereitelte. Keiner anderen Annahme konnte ich Raum geben, so ungewöhnlich in dieser Jahreszeit mir auch eine Aenderung in der Witterung erscheinen wollte, als der, es müsse ein schwerer Sturm heraufziehen. Das schönste Wetter war um uns, der Himmel blau und klar, ich konnte nicht verstehen, da auch das Barometer immer noch keine Aenderung zeigen wollte, was im Westen das Anstürmen der Wolkenmassen, die dunkel wie die heraufziehende Nacht waren, zu bedeuten habe.
Unverändert, den ganzen Horizont im Südwesten bedeckend, blieb diese Erscheinung. Wider Erwarten entwickelte sich nicht ein heraufziehender Sturm, auch nicht das Gewölk, welches ein solcher vor sich hertreibt. Ein Räthsel war es, dessen Lösung ich nicht fand.
Die Nacht brach herein, herrlich glänzte über uns der Sternenhimmel einer friedevollen Tropennacht. Nur von den Riffen, die die Insel umgeben, schallten vereinzelte Stimmen über das stille Gewässer, dort rüsteten sich die Bewohner zum Fischfange, und bald leuchteten die Kokosfackeln in den zahlreichen Kanoes auf, eine Beleuchtung, wie solche stimmungsvoller nicht der ganzen Umgebung angepaßt werden konnte.
Aber auch die tiefdunkle Nacht in der Ferne wurde erleuchtet, Feuergarben zuckten zum Himmel empor, momentan die dunkle Masse wie mit magischem Lichte erhellend. Unerklärlich, wußte ich doch, daß dorthin auf hunderte Seemeilen kein Land zu finden war; die kleinen Felseninseln Hunga-tonga und Hunga-hapai lagen südlicher. Es war nicht der Blitz, der durch die Wolken zuckte, aus der Tiefe des Meeres herauf glühte es, sekundenlang immer wieder mit graufahlem Schimmer, mit blitzendem Feuerschein, den Horizont durchleuchtend.
Nichts veränderte sich während dieser Nacht, das Phänomen blieb sich gleich, auch trotz der größer werdenden Entfernung, bemerkte ich keine wesentliche Veränderung; erst der neue Tag bleichte den Feuerschein, der, was ich schließlich als positiv habe annehmen müssen, nur von einem zum Ausbruch gelangten Vulkan herrühren konnte. In Nukualofa eingelaufen, erfuhr ich, daß am 11. Oktober ein zeitweise heftiges Erdbeben die Insel Tongatabu erschüttert [57] habe, und die Feuergarben, die ich gesehen hatte, waren auch hier beobachtet worden.
Natürlich war jedermann auf Tongatabu in Spannung versetzt, als nach meinen Angaben, die ich zu machen im Stande gewesen, kein Zweifel blieb, daß nördlich der Inseln Hunga-tonga und Hunga-hapai der Ausbruch eines unterseeischen Vulkans stattgefunden habe; das Erdbeben also hiermit in Verbindung zu bringen sei. Selbst begierig, den näheren Zusammenhang zu erfahren, kam ich mit Herrn von Treskow überein, das Schiff so schnell wie möglich abzufertigen, und ich nahm mir vor, so eingehend als möglich zu erforschen, welche Bewandtniß es mit dieser Erscheinung habe.
Am 14. Oktober früh, nach eintägigem Aufenthalt, segelte ich wieder ab, und meinen Kurs direkt auf jene Gegend setzend, fand ich am Nachmittage, sobald die Felseninsel Hunga-tonga querab lag, daß in nordwestlicher Richtung eine neue Insel entstanden war, genau auf derselben Stelle, wo ich vor 5 Monaten vergeblich das in der Karte angegebene Culebrasriff gesucht hatte. Der frisch wehende Südost-Passat trieb das Schiff schnell vor sich her und ehe der Abend hereinbrach, war ich keine halbe deutsche Meile von dieser Insel und dem in furchtbarer Thätigkeit befindlichen Vulkan entfernt. An der Ostseite dieser neuentstandenen Erhebung, die etwa 300 Fuß hoch und ¾ deutsche Meile im Umfang haben mochte, befand sich ziemlich in der Mitte dicht am Strande der Krater. Am Südende der Insel stieg eine etwa 40 Fuß hohe, weiße Dampfsäule ebenfalls unmittelbar am Strande auf, die wie ein mächtiger Springbrunnen ununterbrochen emporschoß, und soweit ich es unterscheiden konnte, war es heißes Wasser.
Hatte der Anblick dieser entfesselten Naturgewalt schon etwas Furchtbares, so wurde das grollende Rauschen, der gewaltigsten Brandung, dem dumpfen Rollen entfernter Donnerwogen vergleichbar, fast unheimlich. Meine Leute, Eingeborne der Samoa-Gruppe und der Insel Niue, erzitterten, und ich selbst konnte mich eines Schauders nicht erwehren. Die Sprache, möcht' ich sagen, ist zu arm, um das Empfinden bei solchem Anblicke wiedergeben zu können.
Jede Minute brachen fünf gewaltige Rauchmassen aus dem tiefen Schlunde herauf, abwechselnd ein schwererer, dann ein etwas leichterer Ausbruch, unter diesen war immer einer, der mit solcher Gewalt zum Himmel fuhr, daß erst in gewaltiger Höhe die geballte Rauchmasse sich vertheilte; kaum daß der starke Wind seinen Einfluß ausgeübt hatte, war schon die nächste aus dem rauschenden, zischenden Schlunde emporgefahren.
Mit diesem günstigen Südost-Winde, der mich, das wußte ich wohl, nicht im Stiche ließ, hätte ich es gewagt, so nahe als möglich heranzusegeln, obgleich die See, durch den starken Wind erregt, um mich schäumte und brüllte; es waren keine langgestreckten [58] Wellen mehr, sondern ein Chaos weißköpfiger, tummelnder Wogen. Aber wie wohl ich bis zum Strande nirgends Brandung sah, fürchtete ich schließlich doch, daß mit der Insel auch Untiefen, die dem tiefgehenden Schiffe verderblich werden können, gehoben sein möchten.
Ich stand hoch oben im Vordermast und schaute scharf voraus, bis plötzlich ein Blick unter mir auf die brausende See mich erschauern machte; einer gewaltigen Stromkabelung nämlich gleich war die See, durch welche mit schneller Fahrt das Schiff sich Bahn brach. Noch wartete ich, obgleich ich nicht mehr als eine Seemeile vom Krater entfernt war, da geschah ein furchtbarer Ausbruch, um den Krater, der noch immer die schwarzen Massen scheinbar direkt aus der See herausschleuderte, hoben sich die Wogen, was ich mit einem guten Glase deutlich unterscheiden konnte, als wallten sie auf von einer gewaltigen Kraft zurückgeschleudert, das Meer erzitterte, und ich fühlte das Beben des Schiffskörpers. Nun war es genug, die Unruhe meiner Leute war zu groß, ich mußte fürchten, ein plötzlicher Befehl würde ungeschickt ausgeführt werden — in so unheimlicher Nähe einer solchen Naturgewalt hätten auch wohl andere Herzen gezittert — und „hart an den Wind“ durch das Zischen der See, durch das Brausen der Eruption, rief ich das Kommando. Da ich schwerlich von den Leuten verstanden wurde, war eine Handbewegung bezeichnender, unter dem Druck seiner Segel fuhr das Schiff herum und stampfte, seine Fahrt vermindernd, auf und nieder in dieser wild durcheinander laufenden Wassermasse.
Als ich aber die Ueberzeugung gewonnen hatte, daß keine Gefahr vorhanden, die Erschütterung nur durch den heftigen Ausbruch verursacht worden war, vergrößerte ich den Abstand nicht, und hielt, überall frei Wasser auch vor mir sehend, wieder nach Norden ab, nur lief ich nicht näher heran. Bald wurde um das Schiff die See wieder ruhiger, lief wenigstens gleichmäßiger und als ich die Nordspitze bei gleichem Abstande umsegelte, hatte ich große Lust, hier im ruhigen Wasser, an der Westseite zu landen. Doch freiwillig wäre keiner meiner Leute in das Boot gegangen und, da ich als einziger Europäer — meinen Steuermann hatte ich in Apia für ein anderes Schiff abgeben müssen — mein Schiff nicht verlassen durfte, hätte der Anbruch des nächsten Tages abgewartet werden müssen, um eine genaue Ortsbestimmung vornehmen zu können, für diesen Tag war es zu spät.
Mit dem Lothe die Tiefe zu sondiren und vorsichtig heranzulaufen hätte uns solche Untersuchung, obgleich auf einer Seemeile Abstand noch kein Grund gefunden wurde, viel Zeit weggenommen; auch lag eine tiefe Dämmerung, verursacht durch die über die Insel getriebenen Rauchwolken, an der Westseite. Einer tiefschwarzen Nacht fuhr ich entgegen, es war, als läge in ihr das Verderben vor uns.
[59] Diesen Plan gab ich auf, wendete und fuhr, beim Winde haltend, so weit wieder ostwärts, daß der Krater in seiner unheimlichen Schönheit vor Augen blieb. Bald kam der Abend, bald entzog die dunkle Nacht, da ich nun den richtigen Kurs wieder aufgenommen hatte, die Insel unsern Augen; nur der Krater spie fort und fort seine dunklen Massen empor, aber nicht mehr wie am Tage, wo das unterseeische Feuer nur hellgrau den Fuß der emporgeschleuderten Massen färbte, sondern jetzt glühte es, als wenn ein undenkbar gewaltiger Schlot seine Feuergarben zum Himmel sendete.
Wie schnell das Schiff auch vor dem Winde seines Weges zog, so verminderte sich doch nicht diese gewaltige Erscheinung, und während dieser langen Nacht wandte ich kein Auge von diesem grausig schönem Schauspiele. Erst die im Osten aufsteigende Morgenröthe eines neuen Tages, die, wer sie einmal in ihrer Pracht auf dem endlosen Meere gesehen, nie vergißt, und immer wieder sehen möchte, bleichte den Schimmer der Feuersäule und in der hier friedevollen Natur zogen wir beflügelt unseres Weges dem fernen Ziele entgegen.
Andere Schiffe nach mir haben diese Insel in Sicht gelaufen, aber viel größeren Abstand gehalten, nach den Berichten ist, soweit ich solche verfolgen kann, die Landmasse noch weiter gehoben worden, und der Krater noch lange in Thätigkeit gewesen; auch wird berichtet, daß am Südende später drei Dampfsäulen gesehen worden sind. Sehr leid hat es mir nachher gethan, daß ich nicht den nächsten Tag abgewartet und nach einer Möglichkeit gesucht habe, an der Nordwestseite eine Landung zu versuchen, nicht dem ersten Drange, die deutsche Flagge dort aufstecken zu lassen, gefolgt bin.
Meinem Berichte über den Ausbruch dieses unterseeischen Vulkans und die Entstehung dieser neuen Insel, scheint das deutsche Konsulat in Apia keine Bedeutung beigemessen zu haben, bekannt geworden sind nur Berichte von englischer Seite und der des deutschen Kriegsschiffes „Albatros“, das wenige Monate nach mir, am 21. Januar 1886, die neu entstandene Insel sichtete. Direkt von Tongatabu nach der Insel Niua-fu bestimmt, fand ich dort die ganze Bevölkerung in großer Aufregung, denn heftige Erdbeben hatten zur selben Zeit auch diese Insel erschüttert; ein Ausbruch wurde erwartet. Der Hauptkrater, die drei Hügel im See, rauchten heftiger, dennoch wurde hier kein Ausbruch vorausgesetzt, vielmehr befürchtet, an irgend einer anderen Stelle würde ein solcher erfolgen.
Eine Beruhigung für alle war die Kunde, die ich hierher gebracht, daß im Süden ein gewaltiger Ausbruch stattgefunden habe, die Annahme, ein Ausgleich der Naturkräfte hätte sich dadurch ergeben, wirkte beruhigend auf die Gemüther, zumal da schon während der letzten Tage die Erschütterungen auf Niua-fu immer schwächer geworden waren.
[60] Aber mag auch der Ausbruch jenes unterseeischen Vulkans ein Ableiter gewesen sein, am Ende des Jahres 1885 mehrten sich doch wieder die Anzeichen einer drohenden Gefahr; die heftigen Erschütterungen mehrten sich, bis plötzlich am Südende von Niua-fu ein sehr starker Ausbruch erfolgte, und ob ich auch nie wieder diese Insel betreten habe, hörte ich doch in den fernen Marschallinseln, daß die Verheerung durch fließende Lava auf Niua-fu furchtbar gewesen sein soll.
Ein beschränktes Feld nur ist es, im Verhältniß zur ausgedehnten Inselwelt des großen Ozeans, dessen ich hier Erwähnung gethan, und doch im Gegensatz zu den einzelnen, erwähnten Inselgruppen, den niedrigen Koralleninseln, muß die beträchtliche Anzahl erloschener, und zum Theil noch thätiger Vulkane auffällig erscheinen. Sie alle aufzuzählen scheint mir unnöthig, zumal jede hohe Insel vulkanischen Ursprungs ist, fast ohne Ausnahme ließen sich auf allen erloschene Krater nachweisen.
Bedenkt man nun, daß schon dieses kleine Gebiet seit grauer Vorzeit ein ausgedehnter Kraterheerd gewesen ist, worauf der Einfluß der stets thätigen Naturkraft Veränderungen hervorgerufen haben mag, deren Größe und Bedeutung wir heute kaum zu ermessen im Stande sind, so tritt, wenn wir die ganze ausgedehnte Inselwelt in Bereich der Frage ziehen, welchem Ursprung entstammen diese Ländermassen, unwillkürlich beim Nachdenken die Möglichkeit heran, wir könnten es hier mit einem ehemaligen, versunkenen Festlande zu thun haben. Und ganz erklärlich muß dies erscheinen, sofern nur in Betracht gezogen wird, daß bedeutende Umwälzungen und Veränderungen auf unserer Erdoberfläche stattgefunden haben, ehe die heutige Lage und Gestaltung stetig geworden ist. Wir wissen, daß die Festlande aus der Tiefe der Ozeane gehoben wurden, die mächtigen Gebirge als vereinzelte Inseln oder Inselmassen über die Oberfläche der Wasser hervorragten an denen sich dieselben Vorgänge, während zehn Jahrtausenden vielleicht abspielten, wie an den Vulkaninseln des heutigen stillen Ozeans.
Fußen wir auf diese Theorie, dann sind die vereinzelten und zusammenhängenden Bergmassen im großen Ozean, die höchsten Punkte eines versunkenen, gewaltigen Festlandes deren vulkanischer Charakter im Laufe der Zeiten zur Erhöhung durch häufige, heftige Ausbrüche viel beigetragen hat. Die Koralleninseln, ebenfalls unter der Meeresfläche gesunkene Gebirgsrücken, auf denen es der Korallenpolype ermöglicht wurde sich anzubauen, haben die Thierchen trotz des langsamen, allmählichen Sinkens der Ländermassen immer höher und höher zur Meeresoberfläche gebaut, bis auch hier Stetigkeit eingetreten ist und ausgedehnte Inseln gebildet wurden.
Die Tiefenverhältnisse im großen Ozean ergeben ein Bild, wonach mächtige Gebirgszüge diesen durchziehen, ausgedehnte Thäler umschließend, und zum Theil sehr steil anstreben bis zu 18000 [61] Fuß und darüber; hohe Inseln im Ozean kämen demnach unsern höchsten Bergen gleich.
Die Annahme nun, daß die ganze große Inselwelt ehemals eine zusammenhängende Landmasse gewesen, führt dahin, daß diese auch von verschiedenen Völkerstämmen bewohnt worden ist; streng geschiedene Rassen, vielleicht getrennt durch natürliche Grenzen, haben hierauf weite Strecken bewohnt. Im Westen die schwarze, die Papuarasse, ganz Melanesien umfassend, östlich davon die kupferfarbene, die Polynesier, und im Norden von beiden, Mikronesien, Mischarten der Malaien. Kann angenommen werden, daß die heutige Bevölkerung Ueberreste der Urbewohner sind, die durch Versinken der Landmassen isolirt wurden, wäre die Erklärung dafür gefunden, wie allmählich selbst die niedrigen Koralleninseln bevölkert worden sind. Denn der Drang nach Ausdehnung, Aufsuchen neuer Wohnsitze, kann nach ostwärts nur im beschränkten Maaße stattgefunden haben, die Strom- und Windverhältnisse im Ozean mußten Versuche auf großen Wasserflächen vereiteln, hingegen nach Westen begünstigen, zumal da bessere Verkehrsmittel als die heutigen Kanoes schwerlich den einzelnen Stämmen zur Verfügung gestanden haben.
Der in früherer Zeit bei diesen Rassen und einzelnen Stämmen gebräuchliche Kannibalismus hat alle Spuren vertilgt, die über die Verbreitung derselben Aufschluß geben könnten, es bleibt also nur die Gewißheit übrig, daß die einzelnen Rassen ihr ursprünglich bewohntes Gebiet heute noch innehaben, was namentlich auf die Polynesier und Melanesier Bezug hat.
Sowie im Bereich der deutschen Handelsgesellschaft die ausgedehnte Tonga-Gruppe, früher auch die Vitji-Inseln, gezogen wurden, sind nördlich und westlich von Samoa in der Phoenix, Ellis, Gilbert-Gruppe, auf Una und Rotomah Handelsbeziehungen eröffnet worden und die Schiffe der Gesellschaft hielten auf diesem weiten Gebiet den Verkehr aufrecht. Verbindungen mit den Neu-Hebriden und Salomon-Inseln wurden ferner zu dem Zwecke unterhalten, um dort die Anwerbungen der so sehr benöthigten Plantagenarbeiter vorzunehmen, da der träge Samoaner sich zur dauernden Arbeit nicht bereit finden läßt. Ein Gemisch verschiedener Stämme, zu denen Rotumah- und Tapituwea-Leute (Gilbert-Inseln), sowie auch Marschall-Insulaner sich gesellen, findet man auf den deutschen Plantagen, und doch genügt oft die Arbeitskraft nicht, da nicht immer für heimbeförderte Arbeiter, nach Ablauf ihres dreijährigen Vertrages hinreichender Ersatz geschafft werden kann.
[62] Die Marschall-Inseln und, im Zusammenhang mit diesen, die weite Karolinen-Gruppe und die Gilbert-Inseln bildeten in den achtziger Jahren getrennte Niederlagen für sich, gleichwie ein solches auch in Matupi (Neu-Pommern) errichtet war, unter Leitung von Beamten der deutschen Gesellschaft. Den Handelsverkehr hielten auf diesen Stationen, ebenso wie in Apia, die daselbst stationirten Schiffe aufrecht. Ablösungen der Schiffe erfolgten je nach Maßgabe der Verhältnisse, oder sobald sie reparaturbedürftig geworden waren, dem nur in Apia, der Hauptstation, abgeholfen werden konnte.
Aus dem Grunde schon, um meine Kenntniß über die Inselwelt des stillen Ozeans zu bereichern, begrüßte ich freudig die Weisung, mit einem anderen Schiffe auf den Marschall-Inseln stationirt zu werden, und im Anfang Januar 1886 segelte ich von Apia nach Jaluit, um erst nach Verlauf von zwei Jahren nach Samoa zurückzukehren.
Ziemlich nordwärts durch die Phönix-Gruppe ging mein Kurs, dem zu Folge die Marschall-Inseln weit westlich bleiben mußten, wenn keine oder nur schwache Aequatorialströmung vorhanden gewesen wäre; auch war es nöthig, wegen des nördlich vom Aequator zu erwartenden Nordost-Passatwindes, möglichst östlich von der Gilbert-Gruppe zu bleiben, um, sobald dieser einsetzen würde, mit freiem Winde die Fahrt des Schiffes zu beschleunigen; denn wenn diese Inseln in Lee blieben, wäre es zwecklos gewesen, gegen den starken Strom und Wind nordwärts zu kreuzen.
Wider Erwarten fand ich schon nördlich der Phönix-Gruppe einen starken Strom, der in 24 Stunden das Schiff 70-80 Seemeilen nach Westen versetzte, dessen Gürtel so schnell als möglich passirt werden mußte, wollte ich nicht in absehbarer Zeit gezwungen werden, mir durch die Gilbert-Gruppe hindurch einen Weg zu suchen. Zum Glück aber trat keine Windstille ein, der östliche Wind blieb beständig, wenn auch leicht, bis ich aus dem stärksten Strom heraus mit immer nördlichem Kurs die Insel Milli sichtete; ich hatte also in Wirklichkeit durch die Stromversetzung einen nordwestlichen Kurs gesegelt. Gerade drei Wochen waren vergangen, als ich den Bestimmungsort Jaluit erreichte, und begünstigt von anhaltend schönem Wetter die 1800 Seemeilen lange Entfernung in dieser Zeit zurückgelegt hatte.
Zum allgemeinen bessern Verständniß und, ehe ich zu einzelnen bemerkenswerthen Reisen durch die Marschall-Gruppe übergehe, scheint es mir angebrachter, vorher schon eine kurz gefaßte Uebersicht von diesen Inseln und deren Bevölkerung zu geben, um so mehr als besondere Eigenthümlichkeiten in der Bildung und Entstehung dieser Inseln zu erwähnen sind. Eine Gruppe verschieden geformter Atolls, oft von beträchtlicher Ausdehnung, umfassen, vom 4-12° nördlicher Breite und 166-172° östlicher Länge, die Marschall-Inseln ein weites Gebiet. Ihrer Bauart nach, sind [63] es Randriffe der verschiedensten Bildung, die ein mehr oder weniger tiefes Korallenbett umschließen. Und wenn ich auf ihre Entstehung hinweisen soll, so haben wir die viel tausendjährige Arbeit der Korallenpolypen vor uns, die aus großer Tiefe Schicht auf Schicht bis zur Meeresfläche aufgebaut haben, und schwere See, Wind und Witterungseinfluß haben mit der Zeit zwar schmale, aber langgestreckte Inseln in beträchtlicher Zahl auf den Randriffen gebildet.
Die eigentliche Bezeichnung dieser Randriffe wäre Korallenwälle, da diese sehr steil bis zu einer großen Tiefe abfallen, und jeder Atoll erscheint wie ein langgestreckter, steiler Bergrücken, in einzelnen Fällen auch wie eine Bergkuppe, sofern man sich die thatsächliche Bildung des Meeresbodens vergegenwärtigt. Da nun die Koralle nicht tiefer als etwa 200 Fuß zu bauen beginnt, müssen in der That diese Erhebungen gleich Bergkuppen aus der Tiefe des Meeres aufragen, worauf als Grundlage die Polypen ihre Werke aufgebaut haben. Aber erwiesen ist es, daß die Korallenwälle viel hundert Fuß tief sich unter der Meeresfläche erstrecken, mithin kann der schichtweise Aufbau aus so bedeutender Tiefe nicht begonnen worden sein.
Es bleibt also nur die Annahme übrig, fast die Gewißheit, daß auch hier versunkene Höhen, besser gesagt Gebirgskuppen, das Fundament abgegeben haben, auf welchem die Koralle sich ansiedelte. Hätte nun nach erfolgtem Verschwinden der höchsten Bergspitzen ein Tiefersinken der Landmassen nicht stattgefunden, würden feste Riffflächen entstanden sein, auf denen sich im Laufe der Zeiten niedrige Inseln gebildet hätten, eine Bildung der heutigen Atolle würde naturgemäß dann nicht möglich gewesen sein. Einen anderen Anschein hingegen gewinnt es, sofern man der Vermuthung Folge giebt, daß, worauf ich schon hingewiesen, die ganze ausgedehnte Inselwelt des stillen Ozeans einst aus verschiedenen mächtigen Gebirgszügen, mit sehr zahlreichen thätigen Vulkanen bestanden hat, deren Kratersenkungen oft einen sehr bedeutenden Umfang gehabt haben müssen.
Wird dieses als erwiesen betrachtet, dann sind sämmtliche Atolls einst für lange Zeit noch über die Meeresfläche ragende Krater gewesen, Inseln, an deren Rändern die Koralle fortgebaut hat. Je tiefer die Kraterinseln langsam versanken und ein gänzliches Erlöschen der Vulkane die Folge war, ebenso schnell baute die Koralle fort und füllte schließlich die weiten Oeffnungen aus. Die Randriffe schon weit im Vorsprung konnten diese durch die bessere Ernährung der Polypen auch schneller anwachsen, aber der innere Aufbau und die allmähliche Auffüllung blieb zurück, was natürlich war, sobald das allmähliche Sinken der Landmassen aufgehört hatte, denn jetzt gestatteten die zusammenhängenden Randriffe den bauenden Polypen nicht mehr oder doch zum Theil nur, [64] durch die von der Strömung offen gehaltenen Durchfahrten, die Zufuhr frischen Meerwassers und mit diesem frische Nahrung.
Die eine Gewißheit aber liegt bestimmt vor, ehe die heutige Beschaffenheit der Atolle herbeigeführt worden ist, sind große Zeiträume hingegangen, die alle Spuren der Entstehung verwischt haben.
Geht man von der Annahme aus, daß auffallende Veränderungen nicht mehr stattfinden, vor allem ein weiteres Sinken seit vielen Jahrhunderten unterblieben ist, dann müssen, da kein Stillstand im Schaffen der Natur eintreten kann, der einst sämmtliche Atolls durch die theils an der Innenseite, theils an den Außenriffen weiter bauenden Korallen geschlossen werden, wie es bei zwei kleineren Atolls in der Marschall-Gruppe bereits geschehen ist. Es werden, wenn dadurch auch der innere Aufbau der Korallen zum Stillstand gekommen ist, mehr oder weniger tiefe Wasserbecken zurückbleiben, die naturgemäß versumpfen müssen, sobald der vordringende Pflanzenwuchs festen Fuß faßt. Es ist erwiesen, daß starke Strömungen, wie solche durch den gleichmäßigen Wechsel von Ebbe und Fluth hervorgerufen werden, der Koralle am Weiterbau hinderlich sind, wenigstens nur langsame Fortschritte gestatten, dagegen findet man bei solchen Atolls, wo nur noch durch enge Zufahrten ein Zugang möglich, daß die Koralle diese von innen zu verbauen sucht. Begünstigt durch die immerwährend frische Zufuhr an reichhaltigen Nährstoffen, führen die Polypen in der Nähe der Durchfahrten allmählich kleinere Bänke auf, und bauen so weiter, bis jede Oeffnung im Randriff schließlich verschlossen wird, was bei den südlich liegenden Atolls zunächst zu erwarten ist.
Die Marschall-Gruppe bildet zwei nahezu parallel laufende Ketten von Insel-Atolls in Nord-Nord-West- und Süd-Süd-Ost-Richtung, die östliche die Ratock-, die westliche die Ralik-Gruppe; die Bezeichnung beider Ketten ist der Sprache der Marschall-Insulaner entlehnt. Die Ralik-Kette zählt 15, die Ratock- 14 Korallengruppen, unter denen sich einige kleinere Inseln befinden, die keine Atolle sind.
Soweit die geschichtliche Kunde reicht, soll bereits im Jahre 1529 der spanische Kommandant Alvaro de Saavedra einige Atolls gesehen und besucht haben; nähere Nachrichten liegen aber erst seit 1788 vor und zwar von den englischen Befehlshabern Marschall und Gilbert, nach denen auch die beiden großen Inselgruppen benannt worden sind. Trotzdem nun in den folgenden Jahrzehnten der stille Ozean mehr und mehr von Kriegs- und Kauffahrteischiffen befahren und erforscht wurde, sind doch nur spärliche Nachrichten von jener fernen Inselwelt zu uns gekommen; bisweilen meldeten sie auch von dort verschollenen oder ermordeten Schiffsbesatzungen.
So befand sich im Jahre 1824 der amerikanische Walfischfänger „Globe“ in der Nähe der Insel Milli, wo der größte Theil [65] der Besatzung dieses Schiffes meuterte und landete. Es gelang zwar einigen von der zahlreichen Mannschaft, die gezwungen den Meuterern hatten folgen müssen, ihr Schiff wieder zu erreichen und die offene See zu gewinnen, auch waren diese, obschon es ihnen an Offizieren fehlte im Stande die Sandwich-Inseln zu erreichen; auf ihren Bericht hin wurde dann im folgenden Jahre der Schooner „Delphin“ ausgesandt, um wenn möglich die Meuterer zu ergreifen. Aber nur zwei ganz junge Leute, die keinen Antheil an der Meuterei gehabt, wurden noch lebend vorgefunden, alle übrigen waren von den Eingebornen erschlagen worden, weil diese die ihnen überlassenen Frauen roh behandelt hatten, sie verfielen der Rache der Eingebornen und ernteten so den Lohn ihrer Thaten.
1834 landete Kapitän Dowsett auf den Marschall-Inseln. Dieser unterhielt freundlichen Verkehr mit den Eingebornen und nichts befürchtend, landete er eines Tages, und ging allein in ein Dorf, nicht ahnend, daß inzwischen seine Mannschaft am Strande ermordet worden war. Die an Bord zurückgebliebenen, die den Vorgang mit ansahen, waren der Meinung, ihr Führer sei auch erschlagen worden. Sie lichteten sofort die Anker und entflohen. Als das Schiff nach Honolulu zurückgekehrt war, wurde sogleich die „Waverley“ ausgerüstet, um nach Kapitän Dowsett oder dessen Schicksal zu forschen. Es wurde aber nichts weiter gefunden, als einige dem verschollenen Kapitän gehörende Sachen, und sein, in die Rinde verschiedener Bäume eingeschnittener Name. Die Eingebornen, mit denen wohl schwer eine Verständigung erzielt werden konnte, erzählten, der Kapitän sei mit seinem Boote in See gegangen; jedoch der Führer des „Waverley“ glaubte ihnen nicht und ließ eine ganze Anzahl niederschießen. Darauf segelte das Schiff weiter nach Ponape, der größten Insel der Karolinengruppe, und lief auch die östlichste dieser Inseln, „Kusai“ an, hier aber ereilte alle das Schicksal, das Schiff wurde von den Eingebornen genommen und die ganze Besatzung getödtet. Späteren Nachrichten zu Folge hat Kapitän Dowsett noch im Jahre 1843 auf einer Insel in der Ralikkette, die er mit seinem Boote erreichte, gelebt, wahrscheinlich aber hat er von hier die Karolinen erreicht und ist auf einer dieser Inseln getödtet worden.
Ich könnte noch mehrere solcher Fälle anführen, wo an verschiedenen Inseln Schiffe genommen, oder der Versuch dazu gemacht wurde, selbst schiffbrüchige Seeleute wurden nicht verschont; noch im Jahre 1852 wurde vor der Insel Ebon ein Schiff erobert, dessen Besatzung der Rache der Eingebornen verfiel, weil Jahre vorher dort von Weißen ein großer Häuptling getödtet worden war.
Selbst auf Jaluit, der heutigen Hauptinsel, wurde, wie ich aus sicherster Quelle erfahren, wenige Jahre später ein amerikanisches Handelsschiff die „See-Nymphe“ genommen. Es ankerte in der [66] Lagune unter der Insel „Medjado“, und, hier mit den Bewohnern Tauschhandel treibend, ließ sich der Führer hinreißen, einen Häuptling thätlich zu beleidigen. Die Folge war, daß dieser mit seinen Verwandten und seinem Anhang einen Ueberfall plante, der, sobald die Mannschaft des Schiffes wieder landete, ins Werk gesetzt wurde. Es heißt, der damals noch junge Kabua, der jetzige König in der Ralik-Kette, habe selbst den nichtsahnenden Schiffsführer auf seinen Schultern über das Riff getragen, andere Eingeborne trugen auf gleiche Weise die Besatzung zum Lande. Weit genug vom Schiffe entfernt, wehrlos in die Gewalt der Eingebornen gegeben, wurden die Ahnungslosen auf ein gegebenes Zeichen hinterrücks niedergeschlagen. Das Schiff wurde darauf ausgeraubt und es entging keiner dem Tode.
Die Ursache dieser Metzeleien, der so viele Unschuldige zum Opfer gefallen sind, ist in der Roheit zu suchen, welche die Führer amerikanischer Walfischfänger, die in diesem Gebiete reiche Beute erjagten, an Eingebornen verübt haben. Sie litten es, daß oft mit Gewalt den Eingebornen die Weiber entrissen wurden, auch verhängten sie ungerechte Strafen. Mehr aber noch haben die zügellosen Mannschaften solcher Schiffe, deren brutales Auftreten die Führer nicht zu hindern vermochten, verschuldet, und bitteren Haß gegen den weißen Mann in die Herzen der Inselbewohner gesät.
Schlimmer noch, sie hinterließen scheußliche Krankheiten, die sich von Geschlecht zu Geschlecht vererbten, tausende hinwegrafften und ein gesundes Volk zur Verzweiflung brachten. Erst nachdem die Meerbewohner vernichtet, die Walfischjagden nicht mehr lohnend genug geworden waren, wurden die Marschall-Insulaner seltener belästigt. Als dann die Missionare kamen, (zuerst 1857 auf der Insel Ebon) predigten diese das Evangelium und fanden willige Hörer bei denen, die so oft ihre Hände in das Blut des weißen Mannes getaucht hatten; eifrig befolgten die Eingebornen die göttliche Lehre und vergaßen ihre Rachsucht.
Heute, unter deutschen Schutz gestellt, mögen diese Insulaner, die so manche gute Eigenschaft besitzen, aufathmen, und sich in Sicherheit, ihres Daseins freuen; aber leider ward mit der Zivilisation auch der Todeskeim ausgestreut, langsam, aber sicher geht diese Menschenrasse dem endlichen Verfall entgegen.
Sowie geographisch der Marschall-Archipel in zwei Gruppen getheilt wird, so kann dies auch in Bezug auf Bevölkerung und politische Verhältnisse geschehen, denn sowohl die Ralik- als auch die Ratak-Kette ist in dieser Beziehung jede für sich als ein getrenntes Ganzes zu betrachten. Schon die Sprache beider Gruppen ist verschieden, nicht in ihrem Bau, vielmehr im Dialekt, und gleiche Unterschiede zeigen sich in den politischen Verhältnissen der Bewohner. Während auf der Ratak-Kette fast jeder Atoll von einem, oder [67] mehreren Häuptlingen beherrscht wird, die oft in gegenseitiger Fehde leben und sich der Herrschaft zu bemächtigen trachten, selbst zur Eroberung anderer Gruppen (Atolls) lang vorbereitete Kriegszüge unternehmen, liegt die ganze Macht auf der Ralik-Kette in den Händen eines Königs, jenes schon erwähnten Kabua, besser gesagt, in den Händen seiner Familie.
Die Macht richtet sich hier nach Besitz und Anhang, und obgleich Kabua nicht der reichste der Häuptlinge, ist er doch als der älteste als König anerkannt worden, zumal da die Besitzungen seiner Stiefsöhne und deren Einfluß sein Ansehn erhöhte. Sein Stiefsohn Nelu (Lojab), dessen Bruder Lagajime, Litokua und neben diesen Launa sind die einflußreichsten Häuptlinge auf der Ralik-Kette; namentlich Nelu, seine Brüder und seinen Anhang habe ich häufig an Bord gehabt und mit diesen Reisen von Atoll zu Atoll gemacht.
Bei den meisten ungebildeten, sogenannten wilden Völkern findet man, daß das Weib nicht als gleichberechtigt angesehen wird, vielmehr die Sklavin des Mannes ist, auf deren Schulter alle Lasten und Mühen abgewälzt werden. Doch die Polynesier zeichnen sich darin aus, daß sie das Weib höher stellen, mehr noch ist dieses bei den Mikronesiern der Fall; vor allem bei den Marschall-Insulanern, bei welchen es volle Gleichberechtigung hat, d. h. keine Beschränkung im Handeln, in Haus und Hütte, und soweit des Weibes Einfluß reicht, der, da Rang und Würde nur vom weiblichen Geschlechte abgeleitet wird, häufig groß ist.
Die Bevölkerung ist zum großen Theil besitzlos, aller Landbesitz liegt in den Händen der Häuptlinge, deshalb ist es den Bewohnern nur gestattet, eine Frau zu haben, wo hingegen die Häuptlinge mehrere haben dürfen, doch bleibt die erste Frau, sofern sie Kinder hat, die rechtmäßige; sie ist bei den Vornehmen gewöhnlich die Tochter eines Besitzenden. Steht die Frau im Range höher als der Mann, so erhält dieser auch eine höhere Würde, nur über das Eigenthum der Frau hat er kein Verfügungsrecht, das verbleibt als mütterliches Erbtheil den Kindern. Die Tochter eines Häuptlings kann einen gewöhnlichen Mann heirathen, durch diese Verbindung wird derselbe ebenfalls in den Häuptlingsrang erhoben, auch auf die Kinder geht diese Würde über. Dem Häuptlinge steht es frei, sich die Frau eines seiner Untergebenen anzueignen, nie aber kann ein Besitzloser sich wiederum eine Häuptlingsfrau (also Wittwe) zum Weibe nehmen.
Etwas auffallend will es mir scheinen, daß nach meiner eigenen Wahrnehmung selbst im Innern Afrikas, bei den Völkern am Nyassa-See und oberen Schire, die ganz gleiche Einrichtung der weiblichen Erbfolge besteht, nur daß dort nicht direkt der Sohn als Nachfolger bestimmt wird, sondern der Neffe, und trotz des [68] dem Weibe zugestandenen Vorrechtes, dieses doch nur sehr gering geachtet und mehr als Sklavin betrachtet wird.
Die Ehe bei den Marschall-Insulanern ist nur ein lockeres Band, leicht geschlossen und leicht gelöst. Der Eingeborne nimmt sich das Mädchen zur Frau, die ihm gefällt, sofern die Eltern desselben damit einverstanden sind, gefällt sie ihm aber nicht mehr, so schickt er sie einfach fort und sucht sich eine andere. Zwar hat wie in anderen Gewohnheiten auch hierin der Einfluß der Missionare Wandel geschaffen, namentlich auf den südlicheren Atolls, wo das Christenthum große Verbreitung gefunden hat, doch hat auf Gesittung die neue Lehre wenig Einfluß gehabt; Keuschheit ist keine Tugend der Insulaner, schon sehr jung verkehren, ohne daran gehindert zu werden, die Geschlechter mit einander und üble Folgen bleiben nicht aus, ebenso ist selbst die nächste Verwandtschaft kein Hinderungsgrund für solchen Umgang.
Als Beweis recht lockerer Sitten gilt der Umstand, daß es keiner Frau verargt wird, wenn sie sich einen anderen Verkehr sucht, sobald der Mann auf längere Zeit abwesend ist oder sich auf Reisen befindet; indeß schwinden solche Gewohnheiten immer mehr und mehr, häufiger trifft man sie nur noch auf den nördlicheren Atolls an. Von Erziehung kann eigentlich keine Rede sein, den Kindern wird in jeder Hinsicht volle Freiheit gelassen, Arbeit lernen die Kinder nicht kennen, das einzige was ihnen vielleicht von Seiten der Eltern beigebracht wird, ist die Einübung der Tänze und Gesänge. Auffallend ist auch die große Sterblichkeit unter den Kindern, wohl eine Folge zu geringer Aufsicht und schon früh entwickelter Krankheitskeime; die stetige Abnahme der Bevölkerung ist darauf zurückzuführen.
Der Körperbau der Männer überschreitet selten das Mittelmaß; die Weiber sind durchweg von kleinerem Wuchse. Diese verlieren auch schnell ihre Reize, schon im Alter von zwanzig Jahren ist alle Schönheit vergangen, wenn überhaupt von solcher die Rede sein kann, obgleich im jugendlichen Alter vielen der Reiz der Anmuth eigen ist, aber im Alter werden sie recht häßlich.
Daß auf den nördlichen Atolls sich ein kräftiger Menschenschlag erhalten hat, liegt wohl daran, daß dieser mit einer etwas rauheren Natur zu kämpfen, auch weniger durch die von Weißen eingeführten Krankheiten zu leiden gehabt hat. Auch zeichnen sich hier die Könige und Häuptlinge meistens von ihren Untergebenen durch eine stattlichere Gestalt aus, weil sie bemüht sind, möglichst reines Blut in ihrem Kreise zu erhalten, wovon freilich der bereits erwähnte große Häuptling Nelu eine Ausnahme macht, denn fast klein und schwächlich gebaut, hat er durchaus nichts Achtunggebietendes an sich.
Um Sitten und Gewohnheiten dieser Insulaner zu erforschen, [69] muß man sich zu solchen Inseln und Atolls wenden, wo noch nicht der Einfluß der Zivilisation bemerkbar geworden ist, was besonders in Bezug auf Trachten der Fall. So tragen auch heute noch sowohl Männer als Frauen langes Haar, das stark und schwarz, von jenen am Hinterkopfe in einem Büschel oder Knoten zusammengebunden wird, die Frauen tragen es dagegen lose. Als besonderen Schmuck bei feierlichen Gelegenheiten, Tänzen und auch Kriegszügen, bedienen sich die Männer der Hühnerfedern; die tätowirten Gestalten mit aufrechtstehenden Federn in den Haaren, und oft unnatürlich erweiterten Ohrlappen geben sich dadurch ein wildes, Furcht erweckendes Aussehen.
Die Tätowirung ist allgemein und wurde früher mit Festlichkeiten verbunden, heute, wer die Kosten erschwingen kann, läßt solche ohne weiteres vornehmen, und entspricht eine solche dem Stande, welchem der Mann angehört. Dieses schmerzhafte Verfahren — ich habe oft, wenn hunderte Nadelstiche in die Haut getrieben wurden, die Nerven der Eingebornen bewundert — wird nach und nach auf dem ganzen Körper vorgenommen, sodaß die eigentlich helle Kupferfarbe der Haut unter den blauen Streifen verschwindet, sogar die Ohren, Augenlider, selbst die Finger werden tätowirt. Die Zeichnung ist immer streifenförmig, die Striche sind auf einem bestimmten Körpertheil stets gleichmäßig, entweder wagrecht oder senkrecht; auf Brust und Rücken laufen die Streifen meistens unter einem Winkel zusammen.
Wie bei den Samoanern, so benutzt man auch hier ein Instrument, das aus vielen Nadeln zusammengesetzt ist und die Breite der Streifen hat. Die Häuptlinge sind auch im Gesicht tätowirt und haben auf den Schultern undeutliche verschwommene Zeichnungen. Die Frauen sind weniger gezeichnet, in gleicher Weise höchstens an den Beinen, die Arme und die Brust werden seltener tätowirt.
Nicht zufrieden mit solcher langwierigen, schmerzhaften Operation, setzten diese Insulaner einen gewissen Stolz darin, unnatürlich erweiterte Ohrlappen auf künstlichem Wege herzustellen. Schon von früher Jugend an wird in beide Ohrlappen ein Loch geschnitten und dieses durch Einzwängen von einem Streifen des dehnbaren Pandanusblattes allmählich erweitert. Auf diese Weise wird das Loch im Ohrlappen bis vier Zentimeter und darüber lang, genügt dies nicht, wird der Fleischring dicht an der Backe abgeschnitten und mit einem Schnitt im Backenfleisch weiter unterhalb des Ohres verwachsen gelassen. Ist die Heilung erfolgt, so wird nun im Backenfleische selbst weiter geschnitten, bis ein Ring entstanden ist, durch den man bequem die Hand hindurchstecken könnte. Wird solches Loch nun mit einem aufgerollten Pandanusblatte ausgedehnt, so gewinnt es den Anschein, als hingen zwei [70] hohle Röhren an den Backen herunter, was freilich etwas besonderes vorstellen soll, aber gewiß nichts zur Schönheit, vor allem nicht beim weiblichen Geschlechte beiträgt, bei alten Frauen und auch Männern sogar recht widerlich aussieht.
Uebrigens habe ich solche Erweiterung der Ohrlappen nur bei ganz alten Leuten gefunden, ein Zeichen, daß die Operation seit vielen Jahren fortgesetzt wurde; gewöhnlich aber ist das Loch nur einige Zentimeter groß und dient als Aufbewahrungsort für Schmuckgegenstände, als Muscheln, Blätter und Blumen, namentlich einer lilienartigen Blüthe, auch für Tabak, Pfeifen u. a.
Die Willkürherrschaft der Häuptlinge, unter denen der reichste auch der mächtigste ist, hat dahin geführt, daß, wie schon erwähnt, die Bevölkerung nur in zwei Klassen, die Besitzenden und Besitzlosen, zerfällt und der großen Masse eigentlich nichts gehört, diese vielmehr vollständig von den Landbesitzern abhängig ist. Ein solcher giebt dem Besitzlosen ein Stück seines Landes, auf welchem jener seine Hütte erbauen, sowie die Erzeugnisse, als Pandanus, Brotfrucht und Taro verwerthen kann, nur die Kokospalmen gehören ihm nicht.
Für Land, Schutz und Obdach ist der Besitzlose verpflichtet, gemeinhin sechs Monate zu arbeiten und zwar während dieser Zeit die Kokosnüsse für den Besitzer einzuernten, den Ertrag der Palmen in der anderen Jahreshälfte kann er für sich selbst verwenden, aber, da die Kokosnuß so gut wie baar Geld im Tauschhandel ist, muß er häufig noch seinen Antheil abgeben und ihm verbleibt nur wenig.
Dennoch kennt der Eingeborne keine Nahrungssorgen, und will er nur verwenden, was die Natur so reichlich ihm zugedacht hat, so kann er mit geringer Müh' und Arbeit sich ein sorgenloses Dasein schaffen, Bequemlichkeit, oft Gleichgültigkeit jedoch verhindern ihn daran, er ißt, was er gerade hat und sobald er das Bedürfniß fühlt, sich zu sättigen, ihm genügen schon die Milch und der Kern einer Kokosnuß, oder die süße Pandanus.
Letztere Frucht, die ich überall auf den Marschall-Inseln gefunden habe, dient namentlich zur Zeit der Reife als ein Hauptnahrungsmittel. Sehr zuckerhaltig, wird der süße Saft aus der fasrigen, prismatisch geformten Frucht, aufgesogen und da dieser nahrhaft genug ist, genügt er schon zur Sättigung. Mehr aber noch eignet sich der darin enthaltene Zuckerstoff zur dauernden Erhaltung einer Art Speise Pyru genannt. Dieselbe wird aus der Arrowroot-Wurzel, Brotfrucht und Kokosnuß hergestellt; auf heißen Steinen gebacken, durch den reichlichen Zusatz von Pandanussaft äußerst dauerhaft gemacht, hat sie einen der Feige ähnlichen Geschmack. Die Masse wird in etwa Zolldicke auf Blättern zubereitet, fertiggestellt wird sie dann aufgerollt und sehr dicht in [71] trockenen Pandanusblättern eingepackt und mit dem schon beschriebenen Cajar kunstvoll verschnürt. So erhält man eine angenehme Dauerspeise, die jahrelang sich hält, selbst im Wasser nicht verdirbt.
Die so verfertigten Rollen, von gewöhnlich einem Meter Länge und fünfzehn Zentimeter Durchmesser, haben ein beträchtliches Gewicht, sie werden im Haushalte nur verbraucht, wenn Mangel an anderen Nahrungsmitteln eintritt; gewöhnlich aber dient diese Speise dazu, um auf weiten Seereisen oder an entlegenen Orten, wo nichts Genießbares erhältlich ist, die benöthigte Nahrung zu ersetzen.
Der Pandanusbaum, ein schlanker, fester Stamm, der zuweilen die Höhe einer mittelhohen Palme erreicht, trägt eine Blätterkrone, deren Zweige ähnlich den einzelnen Blattstreifen einer Kokospalme, tief herabhängen; die Frucht, ein bis 70 Pfund schwerer Kolben besteht aus vielen prismatisch geformten, nach innen spitz zulaufenden, faustgroßen Fruchtkernen, die, gut gereift, sich leicht loslösen lassen.
Für die Marschall-Insulaner, kann man sagen, ist dieser Baum fast werthvoller als die Kokospalme; mit den Blättern deckt er das Dach seiner Hütte, der Stamm giebt ihm die Stützen, die Frucht nahrhafte Speisen, und aus dem Blatte verfertigt er sich seine kunstvoll gearbeitete Kleidung, dazu geben Handstöcke und Knüttel die Luftwurzeln. Das Pandanusblatt läßt sich, wenn es getrocknet ist, nach Belieben in ganz feine Streifen zertheilen; um diesem aber die Sprödigkeit zu nehmen, wird das Blatt erst für längere Zeit in Frischwassertümpel gelegt, dann aufgerollt und feucht tüchtig geklopft. Dadurch gewinnt der Eingeborne einen dauerhaften Stoff zu seinem Mattengewebe und zu Hüten die dem echten Panama an Güte fast gleich kommen und lange halten. Ueberhaupt entwickeln die Frauen im Handflechten eine Geschicklichkeit, die kaum übertroffen werden möchte.
Sucht sich der Mann keine angemessene Beschäftigung — Trägheit ist ihm angeboren — so hilft er den Frauen beim Flechten der Matten, oder bereitet das Material dazu vor, auch übernimmt er wohl selbst solche Arbeit. Hierbei bedienen sie sich nicht allein der Hände, sondern auch die Füße müssen helfen, und zwar dienen die beweglichen Zehen dazu, die Gewebe fest und straff zu halten.
Die Tracht der Frauen ist einfach genug, ihre ganze Bekleidung besteht bei Erwachsenen aus zwei lang herunterhängenden Matten, von denen eine vorne, die andere hinten angebracht ist und zwar so, daß sie übereinander fassen und mittels eines Gürtels um die Hüften festgehalten werden. Dieser Gurt, ein weiß und schwarz gesprenkeltes dünnes Tau, häufig mehrere Meter lang, wird um den Leib gewickelt und der obere Theil der Matten um [72] dieses eingesteckt, so bleibt von diesem nichts sichtbar. Junge Mädchen tragen eine kürzere, ebenso befestigte Matte, aber nur nach vorne und je nach Alter und Größe ist eine solche breiter oder schmäler; der Oberkörper bleibt unbedeckt, Kinder sind ganz nackt. Aehnlich wie die Samoaner, tragen auch die Männer einen Bastrock, verfertigt aus den Fasern des Boa-Busches, indeß ist die Herstellung eines solchen kostspielig und seltener habe ich solche Bekleidung gefunden; gewöhnlich macht eine zwischen die Beine gelegte und um den Leib mit einer Schnur befestigten Matte den ganzen Anzug des Mannes aus. Von meiner Schiffsbesatzung, die meistens nur aus diesen Insulanern bestand, hatten die meisten selten mehr in ihrem Besitz als solch Bekleidungsstück und eine Schlafmatte; liebten es aber, sobald ihr Verdienst groß genug geworden, der gewöhnlich 52-60 Mark monatlich betrug, sich nach europäischer Art, mit Hose und Hemd zu bekleiden.
Was den Bau der Wohnungen der Marschall-Insulaner anbetrifft, so findet man sowohl recht ärmlich und einfach, als auch großartig und kunstvoll aufgeführte Bauten. Oft genügen ihnen als Aufenthaltsort sogar die denkbar einfachsten Hütten; ein schrägliegendes Dach, das vorne auf Stützen, hinten auf der Erde ruht, und mit Wänden aus Flechtwerk hergestellt ist. Dennoch ist die Bauart der Hütten und Häuser auf einigen Atolls verschieden, nicht in der Form vielmehr in der Größe und Festigkeit, größere Häuser sind mit bemerkenswerthem Geschick erbaut. Das Dach, das gewöhnlich aus einem Geflecht von Pandanus- oder Kokosblättern wasserdicht hergestellt wird, ist eine feine Arbeit. Man findet das Innere eines Hauses meistens reinlich und sauber, oft auch mit feinen Matten ausgeschmückt; der Boden ist mit kleinen Korallensteinen bedeckt und gewöhnlich mit großen, reinlichen Matten belegt. Auch die nähere Umgebung zeugt von einem Sinn für Reinlichkeit, der Erdboden ist ringsum geebnet und ebenfalls mit kleinen Steinen besät. Man kann sagen, je nach Zahl der Familienglieder begnügt sich der Eingeborne entweder mit einer unscheinbaren Hütte oder er baut sich ein stattliches Haus.
In größeren Bauten ist meistens auf den Sparren noch eine besondere Schlafstätte für das Ehepaar oder vornehmere Gäste errichtet, sonst schlafen alle durcheinander auf dem mit Matten bedecktem Fußboden. War ich gelegentlich gezwungen die Gastfreundschaft der Eingeborenen in Anspruch zu nehmen, dann wurde stets ein besonderes Lager für mich hergestellt.
Geschick und Kunstfertigkeit der Insulaner lassen sich erst recht beurtheilen, wenn man in ihre Kirchen eintritt; alles Schöne, was sie durch ihrer Hände Arbeit herzustellen im Stande sind, ist darin vereinigt und eine wahre Ausstellung weisen die langen Wände auf, die ganz mit feinen, in Form und Muster verschiedenen Matten [73] behängt sind. Es finden sich darunter Gewebe, die Zeugniß ablegen von großer Geschicklichkeit und außerordentlichem Fleiße.
Die Lebensweise der Eingebornen ist ein sorgloses Dahinträumen, das nur unterbrochen wird, wenn sie sich gelegentlich zur ernsten Arbeit aufraffen. Vor Tagesanbruch, wenn noch frische Kühle über Meer und Land gebreitet liegt, sorgt der Insulaner schon für den täglichen Unterhalt, d. h. er erklettert die hohe Palme und bricht genügend Nüsse ab oder schafft andere Lebensmittel herbei; er liebt nicht die heißen Sonnenstrahlen und sucht Kühlung und Schatten unter seiner Hütte oder unter breitästigen Bäumen. Auch mehrmaliges Baden am Tage in der See ist ihm zur Gewohnheit geworden, als tüchtiger Schwimmer und Taucher scheut er selbst nicht vor schwerer Brandung zurück. Sonst, wenn keine Nothwendigkeit zur Arbeit vorliegt, verträumt er den Tag, und essen, schlafen, rauchen, gelegentliche Handreichung, füllt die Tagesstunden aus. Lebendig und lebhaft wird er erst, sobald das Tagesgestirn zur Rüste geht, der Hauch vom endlosen Ozean ihm Kühlung zufächelt, auch sucht er erst zur späten Nachtstunde sein Lager auf; vor allem liebt er es in mondhellen Nächten im Kreise Vertrauter zu rauchen und zu plaudern, wobei es recht laut und lebhaft hergeht. Für den Europäer, der die Ruhe der Nacht nicht gestört wissen will und gerne schlafen möchte, was oft Mosquitos und drückende Schwüle verhindern, sind solche Ausführungen, Gesang und Tänze, nächtlicher Weile, manchmal recht unangenehm.
Die Gesänge sind eintönig und wenig melodienreich; im Chor gesungen, werden sie stets langsam und halblaut begonnen, allmählich aber lauter und schneller, begleitet mit Händeklatschen und dem taktmäßigen Wiegen des Oberkörpers, bis sie schließlich zu einem Tempo übergehen, das mehr Aehnlichkeit mit Schreien als mit Singen hat. Vor allem haben die Frauen große Fertigkeit darin, und jede Bewegung mit der Hand oder dem Körper wird stets sorgfältig ausgeführt, genau wie bei den Samoanern; freilich habe ich auf diesen Inseln die Frauen nie tanzen sehen, nur Männer zuweilen, mit Federbusch, Muscheln und sonstigem Zierrath geschmückt, führten vor meinen Augen Tänze auf, zu denen die Frauen im Chor sangen.
Anlaß zu Tänzen und Aufführungen giebt jedes geringe Vorkommniß, z. B. das Eintreffen eines Europäers, eines Schiffes u. a.; der Vorsänger erzählt darüber, was ihm gerade in den Sinn kommt, oft den tollsten Unsinn, und zwar in kurzen Sätzen, hinter denen der Chor irgend einen Kehrreim unermüdlich absingt, bis der Gegenstand erschöpft ist und der Schluß durch lautes Klatschen schon allseitige Zustimmung gefunden hat.
Auch von Häuptlingen aufgeführte Einzeltänze sind nicht selten, solche haben aber immer ein kriegerisches Gepräge; wilde [74] Geberden, Sprünge, Gliederverrenkungen, ein möglichst wildes Aussehen gehören dazu und können bei dem Zuschauer das Gefühl erwecken, als würde man es im Ernstfalle mit einem furchtbaren Gegner zu thun haben. Der Gesang ist mehr Geheul, ein Rühmen nie ausgeführter Thaten, zu dem ein Chor von Männern und auch Frauen ein entsprechendes Lied oder den passenden Kehrreim absingen.
Eine Eigenthümlichkeit dieser Insulaner ist ferner, daß sie ihre Todten nicht der Erde, sondern dem Meere übergeben, wobei sie eine Ausnahme mit den Häuptlingen machen. Ist ein gewöhnlicher Mann gestorben, wird er in Matten fest eingehüllt und bereits am zweiten Tage mit einem Kanoe in die See hinaus geführt, wo, fern dem Lande unter Beobachtung einiger Zeremonien der Todte den Wellen übergeben wird. Ans Land wird die Leiche wohl sehr selten wieder angeschwemmt, dafür sorgen schon die zahlreichen Haie, welche diese als willkommene Beute ansehen und schnell genug damit aufräumen.
So lange die Beerdigung am Lande oder in der See nicht erfolgt ist, werden Klagelieder um den Todten gesungen, auch Tänze aufgeführt, dann aber ist es Sitte, daß die Verwandten die Hinterbliebenen besuchen und beschenken.
Die Grabstätten der Häuptlinge werden gewöhnlich außerhalb eines Dorfes angelegt, wenn möglich in Korallensand gegraben; ist das Grab zugeschüttet, wird der Hügel abgeflacht und mit Steinen glatt bedeckt. Unter Palmen und Gebüsch liegen solche Stätten, oft nur noch erkennbar an den Steinhaufen, aus denen als einziges Zeichen verwitterte Kanoe-Paddeln hervorragen, die der Todte einst geführt oder angefertigt hat. Einem Todten wird alles mögliche mit in das Grab gelegt, Eßwaaren, Tabak, Pfeifen, u. a. m., damit derselbe auf der langen Reise, die er angetreten hat, nichts entbehrt. Auf frischen Gräbern habe ich fast immer Tabak und Nahrungsmittel vorgefunden, die dem Todten gespendet waren, sie dienen freilich nur dazu, die zahllosen Ratten, die gierig über solche Speisen herfallen zu sättigen.
Eine gewisse Scheu hat der Eingeborne auch davor, die Gräber der Verstorbenen zu öffnen; da er glaubt, der Geist des Todten könne ihm Uebels thun, so läßt er sich nicht dazu bewegen. So ist die deutsche Station auf der Insel Jabor (Jaluit) auf einem verfallenen Kirchhofe erbaut worden, die Zeit hat aber alle äußeren Spuren verwischt und nichts mehr deutet darauf hin, daß hier vor langen Jahren die Angesehensten und Vornehmsten der Bevölkerung begraben worden sind. Ich wußte es auch nicht eher, als bis ich, mit der Aufrichtung eines hohen Flaggenmastes betraut, mit meiner Mannschaft die nöthigen Vorbereitungen dazu treffen wollte. Die Leute weigerten sich aus den angeführten Gründen, [75] an der bezeichneten Stelle eine Grube zu graben, und, unnöthiger Weise einen Zwang befürchtend, entfernten sie sich, und kehrten erst zum Schiffe und ihrer Pflicht zurück, nachdem der Flaggenmast errichtet war. Sie ernstlich zu tadeln wäre thöricht gewesen, da sie sonst stets willig und gehorsam waren, und nur abergläubische Furcht sie hinweggetrieben hatte, worauf eben Rücksicht genommen werden mußte.
Als die Ausschachtung von Arbeitern der Station (Neu-Hebriden-Insulanern) vorgenommen ward, in der eine feste Mauerung aufgeführt werden sollte, um das Grundwasser vom Fuß des Mastes fernzuhalten, stießen diese auf ein Grab; vorsichtig ließ ich das gefundene Skelett freilegen und gedachte den Schädel zu erhalten, aber das vermoderte Knochengerüst fiel zusammen und da nichts davon verwendbar war, wurden die Ueberreste an einer anderen Stelle vergraben.
Wie im weiten Ozean, und namentlich unter den Riffen und Inseln viele Fischarten angetroffen werden, so sind auch die Lagunen sehr fischreich. Schillernd in den schönsten Farben findet man hier die merkwürdigsten Arten und Größen. Aber leider was das Auge erfreut, ist dem Magen nicht dienlich, der Genuß solcher schönen Meerbewohner bringt dem Menschen den Tod oder langes Seichthum.
Durch das klare Meerwasser bis auf den Grund schauend, sieht man auf wachsenden Korallenriffen ein wunderbares Gebilde, bunte Sträucher, kleine Bäume, schöne Blumen, ein bunter, blühender Garten dehnt sich in der Tiefe aus; Gewächse in einer Mannigfaltigkeit, wie sie auf der Erdoberfläche schwerlich könnten zusammengestellt werden. Und alles dies ist nur das Werk der unscheinbaren Korallenpolype, die die wunderbarsten Gebilde auf dem tiefen Grunde erbaut. Ein reges, ungeahntes und nie geschautes Leben herrscht weiter unten, vieltausend Thiere, nicht sichtbar für des Menschen Auge leben und weben in dieser verborgenen Welt. Stahlblaue Fischlein spielen umher, bald hier bald dort an einem Strauche oder einer Blume naschend; naht sich ein größerer Fisch oder erschreckt sie irgend etwas, fliehen sie im Nu in das Labyrinth der Pflanzenwelt, oder suchen Schutz und Deckung zwischen den Zweigen, unter den Aesten der vielgestaltigen Korallenformen, wohin kein Feind ihnen zu folgen vermag.
Das Wenige, was in dieser unterseeischen Welt sichtbar ist, die Schönheit derselben und ihre Bewohner, kann keine Feder schildern, selbst wenn man die Phantasie zu Hilfe nähme, würde man hinter der Wirklichkeit zurückbleiben. Stundenlang über den Bord meines Bootes geneigt, achtlos die Angel in der Hand, trieb ich oft über ein Korallenfeld, und ward gefesselt von der Schönheit dessen, was ich unter mir vorüberziehen sah. Geradezu Wunderwerke erbaut die Koralle, die nicht vergehen und die Zeit die rastlose Schaffenskraft [76] der Natur, selbst zu Inseln gestaltet, auf denen der vergängliche Mensch, der Schöpfung vollkommenstes Wesen, leben und auch leiden kann — die Werke von Menschenhand verfallen, die der winzigen Polype bleiben bestehen!
Nicht selten ist unter dem Schönen und Schönsten, was die Natur erschaffen, ein bitterer Kern, ein Tropfen Gift enthalten; so birgt auch die Koralle, unter einer schönen Hülle, ein tödtliches Gift, das den Meerbewohnern, den bunt schillernden Fischen nichts schadet, diese selbst aber giftig und gefährlich macht. So finden sich denn unter der großen Zahl von Fischen viele Arten, die nicht gegessen werden dürfen; stets muß ein gemachter Fang dem Gutachten eines erfahrenen Eingeborenen unterbreitet werden, will der Europäer nicht Gefahr laufen, Gesundheit und Leben zu gefährden.
Trotzdem machen die Eingebornen den Versuch, die Beschaffenheit eines ihnen unbekannten Fisches durch Essen zu erproben, bezahlen diesen aber, da sie keine Gegenmittel haben, oft mit dem Leben.
Tüchtige Fischer sind aber diese Insulaner doch, durch Erfahrung klug gemacht, stellen sie gewöhnlich nur solchen Fischen nach, die ungefährlich sind, unter anderen einem der Sardine ähnlichen Fische, der in größeren Schwärmen in den Lagunen angetroffen wird. Ist ein solcher Schwarm entdeckt und nahe genug dem Lande, treiben sie ihn mit Kanoes allmählich dem Strande zu; schnell werden dann Matten und Schnüre zwischen den einzelnen Fahrzeugen ausgespannt, der Kreis immer dichter gezogen, und die Fische, durch Geschrei, Schlagen mit den Paddeln gezwungen, in Massen auf ein Riff oder dem flachen Lande zu laufen, wo sie mit Matten, Körben und Händen leicht eingefangen werden können.
Beim Einzelfang auf großer Tiefe bedienen sie sich ihrer aus Perlmutter gefertigten Haken, die denen der Samoaner ähnlich sind; tauschen sich aber mit Vorliebe auch von den Weißen eiserne Angelhaken ein, die dem Zwecke besser entsprechen. Den fliegenden Fisch, der seltener in den Lagunen zu finden ist, fangen sie sich außerhalb der Riffe in ganz gleicher Weise wie ich es bei den Polynesiern gesehen und beschrieben habe.
Seit jeher waren die Marschall-Insulaner kühne entschlossene Seefahrer und verdienten den Namen „Schiffer“ eher, als die Samoaner. Sie sind nicht bloß in den Grenzen ihrer Inselwelt geblieben, sondern weit über diese hinaus, haben sie sich dem trügerischen Meer anvertraut und namentlich mit den Bewohnern der Karolinengruppe Verbindungen gesucht. Welch ein Zusammenhang zwischen diesen beiden Volksstämmen bestanden haben mag, die in Sprache, Gebräuchen und Sitten sehr vieles gemeinsam haben, ist schwer zu sagen.
Am glaubwürdigsten scheint es, daß durch Wind und Strömungen große Kanoes (Proas) von den Marschall-Inseln verschlagen [77] wurden, deren Insassen dann auch glücklich Land gefunden haben. So soll noch im Jahre 1855 eine kleine Flotte die östlichste der Karolinen-Inseln „Kusai“ erreicht haben und nach monatelangem Aufenthalt wieder nach den Marschall-Inseln zurückgekehrt sein; auch noch größere Entfernungen, wie berichtet, sollen sie zurückgelegt und glücklich ihr Heimathland wieder gefunden haben. Aber so einsichtig und wagemuthig in dieser Hinsicht der Eingeborne auch ist, so ist doch anzunehmen, daß nur glückliche Zufälle es gewesen sind, die ihn nach langer Irrfahrt haben Land finden lassen. Darnach zu urtheilen, daß sie oft viele Wochen gebraucht haben, um von einer Insel zur anderen zu gelangen, müssen ihre Kenntnisse in der Seefahrt doch recht bescheidene sein; was aber jedenfalls für viele verderblich geworden, ist die Gewohnheit, sobald sie nach längerem Suchen ihr Ziel nicht finden können, die Segel niederzuführen und sich ihrem Schicksale zu überlassen.
Besondere Beachtung nun verdienen die Fahrzeuge, mit denen der Inselbewohner sich auf den gefährlichen Ozean hinauswagt. Den Kanoebau muß man entschieden als ihre bedeutendste Leistung ansehen, Geschick, ja Kunstfertigkeit ist ihnen dabei nicht abzusprechen. Schon die Anforderungen, die sie an ihre größeren Fahrzeuge stellen, bedingen eine eigenartige Bauart; ihnen genügen nicht mehr ausgehöhlte Baumstämme, wie sich andere Völker solcher bedienen, hier gilt es vielmehr einen regelrechten Bau aufzuführen. Und zieht man in Betracht, daß früher (und heute noch vielfach) ihre einzigen Werkzeuge die Meermuschel und die Fischgräte waren, und das mit Geschick verwendete Feuer bei solcher Arbeit ihr bester Helfer ist, so kann man sich vergegenwärtigen, was es heißt, solche Fahrzeuge, die oft 50 und mehr Menschen zu fassen vermögen, herzustellen.
Ihre Geschicklichkeit und Ausdauer finden deshalb staunende Anerkennung bei den Fremden, ja ich möchte den Europäer sehen, der an die Stelle der Eingebornen gestellt, sich mittelst Feuer und Muscheln aus einem dicken Baumstamm eine Planke verfertigen könnte!
Die Kanoes, zu deren Bau das nicht sehr harte Holz des Brotfruchtbaumes verwendet wird, sind aus verschiedenen Theilen zusammengesetzt. Der Kiel wird aus einem Stücke gefertigt, dies ist so ausgehöhlt, daß er an und für sich schon ein kleines Kanoe bilden würde; auf diesem werden dann die scharfen Vorder- und Hintertheile aufgesetzt, und dazwischen wieder die oft aus mehreren Stücken bestehenden Seitenwände eingefügt; die Höhe eines mittelgroßen Kanoes beträgt etwa 4 Fuß.
Alle Theile werden stumpf auf- und aneinander gesetzt; aber um die dauernde Befestigung derselben, die Dauerhaftigkeit des Ganzen zu erreichen, dazu gehört eine wahre Engelsgeduld, denn um dieses zu erreichen müssen durch zolldicke Wände oft viele [78] hundert Löcher mittelst Fischgräten oder Knochen gebohrt werden, die nahe aneinander, in den einzelnen Theilen sich stets gegenüber liegen.
Naturgemäß können mit so unvollkommenen Instrumenten, Werkzeugen gearbeitete, stumpf aufeinander stoßende Hölzer nicht dicht halten, auch glatte Flächen sind damit nicht herzustellen; um aber dennoch eine gewisse Dichtigkeit zu erzielen, werden die Nähte mit zwischen gelegten trockenen Pandanusblättern ausgefüllt, dann werden durch die einander gegenüber liegenden Löcher Cajarfäden eingezogen und diese sehr fest angeholt. Die große Zahl solcher Laschungen ermöglicht es, jeden Theil des Kanoes dauernd und gut zu befestigen, und was Menschenkraft nicht fertig bringt, thut das Wasser, indem durchnäßt, sowohl die Pandanusblätter aufquellen, als auch die Cajarfäden sich zusammenziehen.
Finden sich sichtbare Undichtigkeiten, namentlich in den Löchern, so bereitet sich der Erbauer aus fein geriebenem Holz und dem klebrigen Safte der Pandanusfrucht eine Art Kitt, mit dem er gefundene lecke Stellen zustopft und verkittet. Da unbedingte Dichtigkeit natürlich nicht herzustellen ist, so lecken ohne Ausnahme alle Kanoes ziemlich stark, indeß mit einer aus demselben Holze hergestellten Mulde, einer Art Schöpfkelle, die der Eingeborne geschickt zu handhaben weiß, bewältigt ein Mann bequem ohne sonderliche Anstrengung das eingedrungene Wasser leicht; auch Kokosnußschalen, Blechbüchsen, selbst die hohlen Handflächen dienen ihm als geeignete Schöpfgefäße.
Alle Kanoes haben an einer Seite einen Ausleger, ein dem Kanoe parallel gelegtes und dem Bau desselben entsprechendes Stück Holz, mit diesem durch eine Anzahl biegsamer Zweige, die über beide Seitenwände des Kanoes hinreichen, verbunden ist. Weit genug abstehend, dient dieser als eine Art Schwebe, ein Kentern der scharf gebauten Fahrzeuge wird dadurch verhindert; namentlich beim Segeln giebt er ein Gegengewicht ab. Bei großen Kanoes liegt der Ausleger oft 6-8 Fuß von der Bordseite entfernt und besteht aus einem schweren Holzstücke, das, an sich möglichst stark, durch Träger und schräg liegende Gegenstützen, am Kanoe befestigt ist. Auf solchen Trägern, d. h. den einzelnen Verbindungen mit deren Ausleger, die unter sich ebenfalls gut verbunden sind, findet man oft noch eine kleine Hütte erbaut, worin für mehrere Mann Raum vorhanden ist, sie dient dem angesehensten der Besatzung gewöhnlich als Aufenthalt. Auch wenn befürchtet wird, der starke Wind könnte durch seinen Druck auf das Segel das Kanoe trotz des Auslegers zum Kentern bringen, setzen sich außerhalb der Bordwand mehrere Insassen auf das Flechtwerk des Trägers, so daß durch ihr Körpergewicht ein gewisser Gegendruck erzielt wird.
[79] Im ruhigen Wasser, oder in leicht bewegter See, sind diese Kanoes sehr schnelle Fahrzeuge. Ein europäisch gebautes Boot muß sehr gute Eigenschaften haben, wenn es eine Wettfahrt mit ihnen aufnehmen will, würde aber stets, sobald ein Ziel windwärts erreicht werden sollte, also ein Aufkreuzen gegen den Wind nöthig wäre, glänzend geschlagen werden; denn die scharf gebauten Kanoes mit ihren Mattensegeln liegen so dicht am Winde und werden dennoch so schnell durchs Wasser getrieben, wie es mit einem gewöhnlichen Boote nicht möglich ist. Ich habe in den großen Lagunen, Majuro, Arno, Malonlab u. a., wenn ich auf entfernteren Inseln in solchen Atolls kleinere Aufkäufe an Kopra oder Nüssen machen wollte, des öfteren diese Kanoes benutzt und muß bezeugen, flinkere Fahrzeuge habe ich bei keinem ungesitteten Volksstamme gefunden.
So praktisch der Ausleger aber auch ist, ja so nothwendig für größere Fahrzeuge, um das Segeln mit diesen zu ermöglichen, so wird er doch auf freier und bewegter See oft verhängnißvoll. Obgleich er nach Möglichkeit zwar festgefügt und durch Cajar mit dem Kanoe verbunden ist, so löst er sich doch und bricht jede Verbindung leicht und geht, wenn die Wellen unablässig diesen hin und her zerren, verloren. Da eine Ausbesserung kaum vorgenommen werden kann, so ist, sobald diese Stütze verloren gegangen, das Schicksal der Insassen eines Kanoes auch besiegelt. Und diese Gefahr liegt immer vor, sie wächst mit dem Winde und den Wellen.
Ich habe erwähnt, daß diese Proas sehr scharf gebaut sind, sie sind es aber nicht nur vorne und hinten, sondern auch längs des ganzen Kiels; was aber besonders von Verständniß und Nachdenken zeugt, ist die Form, welche solchen Kanoes gegeben wird. Beim Vorwärtstreiben durch Wind und Paddeln ist der Ausleger, der zwar ebenso scharf geformt ist, doch naturgemäß ein Hinderniß und würde ein Kanoe immer nach der Seite hin abweichen, an welcher sich dieser befindet. Diesem Uebelstande abzuhelfen, baut nun der Insulaner sein Kanoe so, daß die Seite, an welcher der Ausleger nicht angebracht werden soll, vom Kiel aufwärts bis zur Bordwand fast ganz flach verläuft, die andere dagegen ist erhaben ausgebaut. Natürlich ergiebt sich daraus, daß im Verhältniß zur Länge ein Kanoe nur sehr schmal sein kann, aber durch die flache Seite wird der Vortheil gewonnen, das tiefgehende Kanoe kann beim Segeln am Winde nicht oder nur sehr wenig abgedrängt werden.
Zudem bleibt der Ausleger stets an der Windseite, andernfalls würde durch den Druck des Segels das Kanoe sofort kentern; ein wenden, wenn eine andere Kursrichtung genommen werden soll, geschieht nicht, vielmehr wird das gehißte Segel nur von vorne nach hinten oder umgekehrt geschiftet. Der Mast, in der Mitte des Kanoes in einer Spur feststehend, wird vom Ausleger aus durch Cajartaue gehalten, ist aber beweglich, so daß er nach vorne oder [80] hinten geneigt werden kann, was stets beim Umschiften des immer in der Spitze festgesetzten Segels geschehen muß. Das Tau, mit dem das an langer Raa befestigte Segel gehißt ist, dient gewöhnlich nach hinten zu dem Maste als Stütze, seltener sind noch Hilfstaue angebracht.
Ein Reffen, d. h. verkleinern der Mattensegel, sowie diese gebildet sind, ist nicht wohl angängig; wird der Wind zu stark oder überrascht eine starke Böe ein Kanoe, kann man nichts weiter thun, als das Segel einfach niederzuführen, oder frei im Winde peitschen zu lassen. Im ersteren Falle kommt es oft vor, daß das vom Winde aufgebauschte Segel ins Wasser zu liegen kommt, und wüßten die Eingebornen nicht so geschickt mit den Fahrzeugen umzugehen, müßte häufig genug, wenn die nicht selten äußerst heftigen Windböen einfallen, ein Unglück eintreten. Für einen Europäer wäre das Kentern eine unangenehme Sache, der Eingeborne dagegen macht sich nicht viel daraus, er bringt schwimmend sein gekentertes Kanoe wieder in Ordnung.
Die Mattensegel, stets dreieckig, sind aus einem Geflecht von Pandanusblättern hergestellt, das aus etwa zehn Zentimeter breiten Streifen besteht, die sauber zusammengenäht, dicht und biegsam sind.
Von Religion kann bei diesen Inselbewohnern eigentlich keine Rede sein; sie haben nur eine unbestimmte Vorstellung von einem höheren Wesen, welches ihnen Gutes und Böses zufügen kann, sonst sind sie wie alle ungesitteten Völker dem Aberglauben verfallen. Da sie nur wenige Ueberlieferungen besitzen, so beschränkt sich ihr Gottesdienst lediglich auf einige Gebräuche. Gewöhnlich wenn ein Unternehmen geplant ist, z. B. eine Reise, ein Kriegszug, wahrsagen weise Männer aus loderndem Feuer und das gute oder böse Vorzeichen ist für die Ausführung oder Unterlassung maßgebend; auch wird zum Weissagen ein zusammengefaltetes Pandanusblatt angewandt, man fängt an dem einen Ende zu kniffen an und benutzt die so gewonnene Breite als Maßstab für die übrige Blattlänge, bleibt nichts übrig, so ist es ein gutes Zeichen, im anderen Falle ein schlechtes.
Erklärlich ist, da Götter und Gottheiten nicht vorhanden, die Insulaner nur eine sehr beschränkte Vorstellung von einem höheren Wesen hatten, daß sie, als die Missionare unter ihnen erschienen, willig der neuen Lehre lauschten, und sich zu ihr bekannten. Das Ansehen der Missionare war groß; diese verwandten dann ihren Einfluß dazu, der Unsittlichkeit, der Vielweiberei und anderen Lastern entgegen zu treten, sie haben aber nur dort Erfolg gehabt, wo sie selbst ansässig waren, d. h. auf den südlicheren Atolls, als Ebon, Jaluit und Milli.
Anscheinend ist das Begriffsvermögen des Eingebornen nicht groß, er erfaßt bei weitem nicht alles, was ihm gelehrt wird, auch [81] hat er nur eine unklare Vorstellung von allem, was außerhalb seines Gesichtskreises liegt, und nur das natürliche Empfinden von Recht und Unrecht ist bei ihm geschärft worden; er folgt zwar aus Furcht vor einer strafenden Gerechtigkeit nicht so willig mehr den natürlichen Trieben, erliegt aber trotzdem leicht einer Versuchung.
Ausgebildete einheimische Missionszöglinge sind heute die eigentlichen Lehrer, und es ist zu hoffen, daß unter dem Schutze der deutschen Verwaltung das Christenthum mehr und mehr an Ausbreitung gewinnt, das ist um so eher zu erwarten, wenn erst die Häuptlinge bekehrt sind und durch maßvolles Vorgehen, unparteiische Rechtspflege, das Vertrauen der Eingebornen ganz gewonnen ist.
Da die Marschall-Inseln heute deutsches Besitzthum, die Bewohner also in gewissem Sinne unsere Landsleute sind, so mag es vielleicht an der Stelle sein, hier in ihrer Sprache das Gebet des Herrn, das „Vater unser“, anzuführen.
Yememuij i lon, en kwojarjar etom. Ea itok am ailin. Yen komonmon ankil am i lol enwot dri lon.
Ranin, letok non kim kijim ranin: Im jolok annuij jerawiwi, enwot kimuij jolok an armij jerawiwi jen kim. Im jab tellok non mon, ak drebij kim jennana, Bwe am ailin, im kajur, im wijaak in driv.
Erwähnt habe ich bereits, daß eine Stammverwandtschaft zwischen den Bewohnern der Marschall-Inseln und der Karolinen-Gruppe besteht, ihre Sprache und Sitten in vielen übereinstimmen. Deshalb will ich das gleiche Gebet auch in der Sprache dieser Inselbewohner, mit denen ich oft genug zusammengekommen und die auch zu jener Zeit, leider nur vorübergehend, unter dem Schutze der deutschen Flagge gestanden haben, hier anführen. Es lautet:
Papa tumus su in kosav, E'los val payi. Pogasai lalos tuku. Orek ma nu fwalu, ou elos oru in kosav. Frite kit len si ini ma kut mono misini: et nunok munas nu seske ma koluk las, oanu kut nunok munas sin met orek ma kuluk nu ses. A tie kot kit kut in mel, a es kit la liki ma koluk, tu togusai lalos, a ku, a mwolanu, ma patpat.
Mit dem Versuche, in obiger Schilderung ein anschauliches Bild von den Marschall-Inseln zu geben, möchte ich noch gleichzeitig eine wichtige Frage, nämlich die Deportationsfrage, verbinden.
Unzweifelhaft wird auch in unserem Vaterlande einst entschieden werden müssen, ob Deutschland nicht auch, wie seit langem Rußland und Frankreich, die Deportation als ein Mittel ansehen muß, um sich der Elemente der Bevölkerung zu entledigen, die heute die Zucht- und Gefängnißhäuser anfüllen, wenigstens die unverbesserlichen Individuen und schweren Verbrecher auszustoßen und solche, so der menschlichen Gesellschaft, ihrer Gefährlichkeit halber, [82] zu entziehen. Zwar wird in Deutschland wohl nur die zwingende Nothwendigkeit dahin führen die Deportation rechtskräftig zu machen, zumal die Ansicht, mit dieser sei sowohl das geistige wie körperliche Verderben eines Individuums verbunden, noch eine allgemeine ist. Indeß man kann doch zu einer anderen Beurtheilung der Frage gelangen, wenn zugleich mit der zweifellos harten aber gerechten Strafe die Menschlichkeit durchaus gewahrt wird und ein Deportirter nicht als ein bereits dem Tode Verfallener anzusehen ist, eher noch die Möglichkeit vorliegt, ein solcher kann der menschlichen Gesellschaft wieder als ein nützliches Mitglied zugeführt werden.
Wohl zu berücksichtigen ist natürlich bei einer in Frage kommenden Deportation, daß eine der Hauptbedingungen, der nöthige Abschluß von jeder Gesellschaft ist und dabei doch, anders als in Zucht- und Gefängnißhäusern, den Verurtheilten ein bestimmtes Maß der Freiheit gegeben wird. Das Nächstliegende, um solche unerläßliche Vorbedingung zu erfüllen, wird immer das sein, daß man naturgemäß einsame, dem Verkehr entzogene Landstrecken, wie es größere oder kleinere Inselgruppen sind, dazu in Aussicht nimmt. Und nicht mit Unrecht, denn der schwer zu bändige Trieb nach persönlicher Freiheit wohnt jedem Wesen inne und wird daher bei verwegenen Naturen weit eher zum Durchbruch kommen.
Indeß, ist eine natürliche, unübersteigliche Grenze gezogen, stellt dem menschlichen Willen und Wollen sich ein Element, der Ozean, entgegen, ist die Folge, daß bei nicht gänzlich empfindungslosen Naturen schon der großartige Anblick des Weltmeers, die ruhige oft aber wildgrollende Sprache des Ozeans, eine wirksame Besserung im Naturell eines Verbannten erwarten läßt. Und fraglos werden demjenigen, dessen Gesichtskreis nicht enge Zellen beschränken, sondern dem sich die Wunder der Natur, der Ozean und das Firmament, in ihrer erhabensten Schönheit zeigen, sich Empfindungen aufdrängen, die schließlich die Erkenntniß herbeiführen, daß der Mensch dazu berufen ist, im Einzelnen, wie in der Gesammtheit einem höheren Zwecke zu dienen.
Wohl läßt sich erwarten, daß prinzipielle Fragen sich einer gesetzlichen Deportation entgegen stellen werden, indeß, mögen sich auch noch so große Einwendungen dagegen erheben lassen, eines ist sicher, dem in Freiheit gebornen, wenn auch verbrecherisch veranlagten Menschen, bringt nicht die Strafe, bringt nicht die enge Zellenhaft, sondern die goldene, wenn auch beschränkte Freiheit zur besseren Erkenntniß. Um nun zu begründen inwiefern die Deportationsfrage nicht so ohne weiteres als unausführbar abzuweisen ist, ziehe ich die Möglichkeit in Betracht, daß die einsamen sehr wenig bevölkerten und dem Weltverkehr entlegenen Marschall-Inseln als eine Heimstätte für schwerer Verbrechen wegen Verbannte angesehen [83] werden könnten und zwar aus triftigen Gründen 1. als das Klima auf diesen Inseln als ein gesundes anzusehen ist; 2. die Ernährung, selbst für eine große Zahl, mit Leichtigkeit durchzuführen ist; 3. die Bewachung auf so einsamen von jeder Verbindung abgeschlossenen Inseln keine strenge zu sein braucht; 4. Feste Häuser unnöthig sind und nur Baracken des milden Klimas wegen in Frage kommen können. Sollten aber dennoch feste Häuser nothwendig sein, sind solche leicht durch das im Ueberfluß vorhandene Korallenmaterial herzustellen; 5. geregelte Thätigkeit wird durch Anbau von Kokosplantagen, Anpflanzung tropischer Gewächse als Taro, Arrowroot etc. der Züchtung von Schweinen und Hühnern und schließlich Bereitung der Kopra, der Herstellung von Matten und Tauwerk aus den Fasern der Kokosnuß etc. für zahlreiche Verbannte vorhanden sein und mit der Zeit sich aus Anpflanzungen Erträge ergeben, die die zweifellos anfänglich erheblichen Kosten reichlich decken werden.
Was speziell die Ernährung anbetrifft, die für einen Europäer besondere Beachtung verdient, so würde solche durch Zufuhr geeigneter Nahrungsmittel in Verbindung mit den leicht zu züchtenden und zu erhaltenden Schweinen und Hühnern eine ausreichende sein, zudem bietet der Ozean selbst durch seinen überaus großen Fischreichthum eine beliebige Abwechslung dar, und für keinen Kenner jener Koralleninseln kann ein Zweifel bestehen, daß dort nicht ausreichende gesunde Nahrungsmittel vorhanden sind. Anders freilich würde die Frage betreffs des guten Trinkwassers zu lösen sein, da das gefundene Grundwasser (durch Korallen filtrirtes Seewasser) auf die Dauer doch schädlich sein könnte, auch angelegte Cisternen in regenarmer Zeit nicht ausreichen möchten. Jedoch die Anlage von Condensatoren, die Seewasser in Süßwasser verwandeln, das auf großen Passagierschiffen fast ausnahmslos verwendet wird, würde jeden Bedarf decken.
Der berechtigte Einwand, den auf tiefer Kulturstufe stehenden Eingebornen sollte man nicht, um nicht das Ansehen der Europäer zu schädigen, den Transport gefangen gehaltener Weißer vor Augen führen, wird bei der Anlage einer Verbrecherstation auf den gedachten Inseln hinfällig. Denn wie erwähnt ist die Bevölkerung eine geringe und manche Korallen-Inseln sind fast unbewohnt auf denen aber nicht minder die Anlage von ausgedehnten Kokosplantagen möglich ist. Zieht man das Facit, so kann der Gedanke, auf einsamen Inseln der Marschall- resp. Browns-Gruppe Deportirte unterzubringen, durchaus nichts abschreckendes haben, zumal alle Vorbedingungen gegeben sind und neben der großen Entlastung der Zellengefängnisse käme der Vortheil dazu, daß mit einer verhältnißmäßig billigen Arbeitskraft ein Kulturwerk gefördert würde, das die Eingebornen niemals zu vollbringen im Stande sein [84] werden; auf solche Weise der Werth der Marschall-Inseln für Deutschland ganz besonders gesteigert werden würde.
Wie erwähnt, weisen sämmtliche Atolls der Marschall-Gruppe dieselbe Eigenthümlichkeit auf, nur in Form und Größe sind sie verschieden; auffallend aber ist, daß fast bei allen die Leeseite der Atolle, d. h. also die, welche dem schweren Anprall der Ozeanwogen, die der oft sehr starke Nordost-Passat an diese Gestade treibt, nicht ausgesetzt sind, größere Landmassen aufweisen, hingegen an der Luv, d. h. Nordostseite, nur dort sich Anhäufungen von Sand und kleine oder größere Inseln sich finden, wo die Koralle ein weites mächtiges Riff erbaut hat. Ich habe nachgewiesen, daß Korallen-Inseln allein nur durch losgelöste Rifftheile entstanden sind, naturgemäß also die Wind- oder Wetterseite zuerst solche aufweisen müßte, daß dies nun auf diesen Atolls weniger der Fall, liegt daran, daß der starke Wind den von den Wellen gebildeten Korallensand hinwegfegt, über die Lagunen treibt und eine Anhäufung an der Leeseite begünstigt. Deshalb sind auch, mit wenigen Ausnahmen alle Stationen und Ansiedelungen der Weißen dort angelegt, zumal da dort bequeme Zugänge zu den Lagunen sich befinden, theils für die Schiffahrt günstiger Ankergrund vorhanden ist.
Da die Lagunen eine ganz beträchtliche Ausdehnung haben, zwischen 5 bis 70 Seemeilen lang sind, wird es erklärlich, daß in den Einfahrten sowohl bei Fluth, als auch Ebbe, eine starke und unter Umständen sehr starke Strömung vorhanden ist. Die Einfahrten im Jaluit-Atoll und auch in anderen sind gewöhnlich, weil sie nur schmal, für ein Segelschiff nicht zu passiren, so lange der Strom mit großer Kraft ein- oder ausläuft; erst kurz vor oder nach eingetretenen Stillstand, d. h. wenn Fluth oder Ebbe wechselt, sucht man ein- oder auszulaufen; und am besten ist es, wenn Durchfahrten auch bei niedrigstem Wasserstand noch tief genug sind, mit steigendem Wasser dies zu unternehmen; man sieht dann die Riffe besser und läuft auch keine Gefahr, wenn das Schiff an oder auf einem Riffe festkommen sollte, sitzen zu bleiben.
Im Jaluit-Atoll wird meistens die zwischen den Inseln Jabor und Enübor befindliche Südost-Passage, als Einfahrt, und die von hier nach Südwesten, zwischen Ai und Medjerrurik, liegende Passage, als Ausfahrt benutzt, seltener die Nordost-Passagen. Gegen widrige Winde diese engen Fahrstraßen zu benutzen ist für ein größeres Schiff schier unmöglich, ich habe es mit einlaufendem Strome öfter versucht, nie aber gewagt ein großes Segelschiff auf diese [85] Weise, wenn ich in Jaluit anwesend, und zeitweilig als Lootse thätig war, ein- oder auszubringen.
Sehr häßlich ist es, wenn zwischen zwei Inselspitzen der vorher starke Wind plötzlich abflaut, oder sogar für den Augenblick entgegengesetzt weht; hat dann das Schiff keine genügende Fahrt oder ist sogar Gegenstrom vorhanden, ist die Lage für einen Führer oder Lootsen geradezu peinlich. Für den Schiffsführer der aus der Südwest-Ausfahrt von Jaluit segeln will, bedarf es einer genauen Kenntniß der Oertlichkeit, vor allem namentlich am Nachmittage, wo er die Sonne recht voraus hat, die das Wasser wie eine Silberfluth erscheinen läßt.
Als ich einst beordert war eine Bark hier hinaus zu lootsen, wurde der Wind zwischen den Inseln Ai und Medjerrurik still, die Untersegel schlugen back, während die Oberbramsegel noch den vollen Wind hatten und das Schiff trieb dem nahen Riffe zu. Nichts war dagegen zu machen, da aber jede Zögerung die Gefahr vergrößerte, so gab ich kurz entschlossen die nöthigen Befehle. Die Raaen flogen an den Wind, die klar gehaltenen Boote rauschten ins Wasser und wurden schnell voraus gebracht, nachdem das Schiff mit Tauen an ihnen befestigt war, ruderten kräftige Seemannsfäuste aus Leibeskräften, um das steuerlose Schiff wieder in Fahrt zu bringen. Bald half der stoßweise umspringende Wind, bald hemmte er, doch ging es langsam vorwärts, bis die Brise wieder mit voller Kraft einfiel und es ermöglichte, das Schiff zu regieren.
Als ich mit meinem Boote zurückkehrte, hoffte ich die zehn Seemeilen weite Entfernung bis Jabor aufkreuzen zu können, da brach aber in einer Böe der Mast, und die zwei Mann im Boote konnten gegen Strom und Wind nicht vorwärts kommen. Nirgends war wegen der Riffe Land zu erreichen, so mußten wir ohne Wasser und Lebensmittel wachend die Nacht verbringen. Am nächsten Vormittage mußte irgendwo Land aufgesucht werden, wir landeten auch an einer unbewohnten Stelle, wo wir, nachdem meine Leute aufgefundene Kokospalmen erklettert hatten, Durst und Hunger an jungen Nüssen stillen konnten. Darnach als hiervon genügend Vorrath eingesammelt war, ruderten wir in heißer Sonnengluth längs der Riffe weiter, erreichten aber die Station erst in der frühen Morgenstunde des dritten Tages.
Die erste Reise im Marschall-Archipel hatte ich nach Ebon, Namorik, Kili u. a. zu unternehmen und besuchte auf dieser zuerst die kleinsten, aber auch fruchtbarsten Atolle. Die einzige Einfahrt in der Ebon-Lagune liegt an der Südwestseite zwischen den Inseln Juridi und Meidj, diese ist zwar tief, aber sehr schmal und ausgedehnte Riffpatschen nach innen machen diese sehr schwer zugänglich, dazu läuft ein wirbelnder Strom ein und aus, der einem Schiffe [86] gefährlich werden kann, wenn dieser in voller Stärke einsetzt, ehe frei Wasser gewonnen ist.
Der Wind ist zum Durchsegeln dieser Einfahrt selten günstig, ein Ankern außerhalb am Riffe nicht immer rathsam, und so begegnete es mir beim Einkreuzen, daß der über das Riff auslaufende Strom das Schiff innerhalb der langen Einfahrt an das Riff trieb, und dieses auf der schräg abfallenden Korallenwand sitzen blieb. Das Wasser fiel und, kam ich nicht frei, mußte das Schiff schließlich sich auf die Seite legen, umfallen und volllaufen. Deshalb wurde schnell ein Anker ausgebracht, der auf hundert Fuß Wassertiefe erst den Grund erreichte, und nun versucht, das Schiff abzuwinden; allein die starke Leine riß sehr bald von scharfen Korallen durchschnitten entzwei, und der Anker, an dem die Bojenleine zu kurz gewesen, war verloren. In Ermangelung eines schweren geeigneten Ankers, wurde nun als letzter Versuch schnell einer der Buganker zum gegenüber liegenden Riffe gebracht und gut hinter Korallensteine versenkt, dann versuchten wir aufs neue, das sich langsam neigende Schiff mit aller Gewalt abzubringen, und es gelang.
Wäre diese Anordnung erfolglos geblieben oder nochmals die Leine gerissen, so hätte ich nur noch versuchen können, schnell Gaffeln oder Segelbäume abzutakeln von den Masten, und senkrecht an der gefährdeten Seite im Wasser aufzustellen; wären diese an der Bordwand festgebunden worden, so wäre vielleicht durch solche Stützen, wenn das Wasser nicht zu tief fiel, ein Unglück vermieden worden sein.
Ich war fast jedesmal gezwungen, in der Ebon-Lagune einzulaufen, selbst später mit dem größten Schiffe der Gesellschaft und bin immer ohne besondere Schaden weggekommen. Nur einmal in dunkler Abendstunde in der Ost-Durchfahrt, der kleineren, aufkreuzend, lief ich noch, von den Riffen frei, auf Anrathen eines guten Lootsen, den der König von Ebon, der Häuptling Nelu, mir gestellt hatte, der mit seinem ganzen Gefolge sich an Bord befand, weiter nach der Insel Eninaitok, zwischen vielen Riffpatschen und Untiefen hindurch. Als die Insel in Sicht kam, war wegen der Dunkelheit der Abstand vom Lande schwer zu schätzen, und hätte ich mich nur auf die Kenntniß des Lootsen verlassen, und nicht lothen lassen, würde dieser mir das Schiff mit voller Fahrt aufs Riff gesetzt haben. Plötzlich nur drei Meter Wassertiefe findend, jagte ich gerade noch zur rechten Zeit das Schiff in den Wind und brachte es zum Stillstand; darauf segelte ich vom Lande ab und ging auf größerer Tiefe zu Anker, mich wenig daran kehrend, daß nun die Häuptlinge etwas länger im Boote sitzen mußten und die Ausschiffung länger dauerte. Um die schon tagelang an Bord befindlichen Eingebornen noch ans Land zu bringen, hätte ich, vertrauend [87] der besseren Kenntniß derselben, bald mein Schiff arg gefährdet gesehen.
Manchem anderen Schiffe ist es beim Einkreuzen in dieser Lagune nicht sonderlich gut ergangen, Beschädigungen am Schiffsboden, leichter oder schwererer Art, waren nicht selten, und wer nicht durchaus hinein segeln mußte, vielleicht nicht unter der Insel Juridi ankern durfte, kreuzte lieber tagelang vor der Einfahrt hin und her; was ich mitunter auch that, wenn in der schlechten Jahreszeit die See am Riffe zu schwer oder nur wenig Ladung zu landen oder abzunehmen war.
Die Lagune selbst bietet, sobald man die schlechte Durchfahrt durchsegelt hat, einem Schiffe überall sichern Ankergrund; ein geschützter Hafen ist das weite Becken, in welchem heftiger Wind nur selten das ruhige klare Gewässer erregen kann.
Ein flüchtiger Ueberblick auf dieses weite Becken läßt vermuthen, daß nur noch wenig Riffe mehr, außer den der Ausfahrt vorgelagerten, vorhanden sind, und doch befindet sich eine große Zahl kleiner und größerer Riffpatschen in demselben; die Thätigkeit der bauenden Koralle, welche im Laufe der Zeit diese Lagune verschließen wird, ist in vollem Gange. Recht in die Augen fallend erweist sich diese Thatsache, langsam zwar, aber immer weiter bauen die Polypen, und nach menschlicher Voraussicht wird sich hier von allen offenen Atolls zuerst der Vorgang abspielen, daß diese Lagune für jeden Schiffsverkehr durch die unzerstörbare Arbeit der winzigen Thierchen geschlossen wird. Fahrten durch die ganze Lagune von Insel zu Insel bestätigten mir diese Annahme, da ich unter Land sowohl wie auch im großen freien Wasserbecken weit ausgedehnte Riffe vorfand.
Die meisten der langgestreckten Inseln dieses Atolls sind flach und ohne besondere Erhebungen, der Unterbau, Korallensteine, die aber schon so hoch mit einer Humusschicht bedeckt sind, daß solche wenig sichtbar werden, auch hat die reiche Vegetation, das Eindringen der Pflanzen im Gestein, das ihre zur Verwitterung desselben beigetragen. Ueberhaupt habe ich kaum auf einem anderen Atoll so dichtes Gebüsch, hohe Bäume und wuchernde Pflanzen angetroffen, wie auf Ebon; anzunehmen ist, daß dazu der reichlich fallende Regen, der die Verwesung in der Pflanzenwelt befördert, viel beigetragen hat.
Vor allem erwähnenswerth ist hier neben den sehr zahlreichen Kokospalmen der mächtige Brotfruchtbaum, dessen schmackhafte Frucht eine Hauptnahrung der Eingebornen ist. Der Baum wird über 60 Fuß hoch und trägt auf hohem Stamme, der oft mehrere Fuß im Durchmesser hat, eine gewaltige Krone, er könnte in seinem Bau mit unserer Eiche verglichen werden. Seine Früchte, am Ende der Zweige hängend, haben eine länglich runde Form und [88] werden ein bis zwei Pfund schwer. Sie werden gewöhnlich zwischen heißen Steinen oder am Feuer geröstet und bieten selbst dem weißen Manne einen Ersatz für Brot und Kartoffeln, vor allem auf Inseln, wo die Jamswurzel oder Taro nicht erhältlich sind.
Hier auf Ebon, wo ich öfter an den Mahlzeiten der Eingebornen theilnehmen mußte, lernte ich eine neue Art der Zubereitung dieser Brotfrucht kennen, wodurch dieselbe ganz besonders schmackhaft gemacht wurde. Das Herz der Frucht wird mit einem Stückchen Holz oder mit den Fingern entfernt, in die entstandene Höhlung dann weiße Kokosnußmilch gefüllt, und so in Blätter eingewickelt, zwischen heißen Steinen gebacken. Das goldgelbe Fleisch, dessen Nährgehalt durch die Milch noch erhöht ist, wird so ein noch vorzüglicheres Nahrungsmittel. Auf anderen Inseln wo man diese Art der Zubereitung nicht kannte, fanden alle vereinzelt lebenden weißen Händler stets ganz besonderes Wohlgefallen an der auf diese Weise zubereiteten Brotfrucht.
Aeußerst fischreich ist auch die Ebon-Lagune, namentlich in der starken Strömung der Einfahrt hält sich ein wohlschmeckender, giftfreier Fisch auf, ähnlich unserem Blei. Um solche Fische nun zu erhalten, die weder nach der Weise der Eingebornen, noch mit Angeln zu fangen sind, benutzen hier die Händler von San Franzisko eingeführte Dynamitpatronen, die angezündet und zur rechten Zeit ins Wasser geworfen, durch Zerspringen alle am Orte befindlichen Fische betäuben. Diese kommen dann für wenige Minuten an die Oberfläche und werden, ehe sie wieder sinken, in die Kanoes oder Boote schnell eingesammelt; ist das Wasser nicht zu tief, werden die Fische durch Taucher vom Grunde heraufgeholt.
Die Verwendung solcher Patronen bedingt aber große Vorsicht; ein Verpassen des rechten Augenblickes, eine fehlerhafte Zusammenstellung des Sprengstoffes, bringt immer große Gefahr für den, der nicht ganz genau mit der Anwendung Bescheid weiß. Mehrfach habe ich Leute getroffen, denen durch das explodirende Dynamit, wenn eine solche Patrone nicht gut geladen war, mehrere Finger weggerissen waren, einige aber auch, die ihre Unkenntniß oder Ungeschick mit dem Verluste der rechten Hand bezahlt haben.
Als ich einst unter der Insel Juridi vor Ebon zu Anker lag, erbat sich mein Steuermann Kitimatu, ein Japaner, die Erlaubniß, mit dem Boote fischen zu dürfen. Da mir unbekannt war, daß derselbe sich von einem Händler Dynamitpatronen gekauft hatte — übrigens eine verbotene Waare, die nur im Geheimen zur Einführung gelangt — wurde ich erst durch den dumpfen Knall darauf aufmerksam gemacht. Bald sah ich, wie die Besatzung des Bootes in das Wasser sprang und eine beträchtliche Menge großer Fische in dasselbe hineinwarf. Der Japaner, ein vorzüglicher Taucher, holte vom Grunde immer mehr herauf, so [89] daß nach der Zahl der angesammelten Fische zu urtheilen, mehrere hundert derselben betäubt oder getödtet sein mußten.
Dulden durfte ich nicht, daß fernerhin solche Art von Fischerei betrieben wurde, vor allem nicht die Mitführung des gefährlichen Dynamits an Bord, und obwohl mir, wie auch der Mannschaft, die große Menge schöner Fische nicht unwillkommen war, so mußte für die Folge doch die Verwendung solcher Patronen unterbleiben. Ziemlich erstaunt war daher der Japaner und die Freude seines Erfolges gedämpft, als ich vor seinen Augen die mir ausgehändigten übrigen Patronen über Bord warf; es wollte ihm nicht recht einleuchten, wie ein so nützlicher Gegenstand anderen gefährlich werden könne.
Ehe ich meine Angaben über den Ebon-Atoll schließe, will ich noch eines Vorganges erwähnen, der mir später an den Außenriffen leicht den Verlust des Schiffes „Futuna“ eingetragen hätte. Leichter, südwestlicher Wind wehte, als ich einst in der schlechten Jahreszeit, im Anfang Oktober, vor Ebon anlangte und wegen einiger Bootsladungen Güter nicht erst einlaufen wollte, sondern die Boote an Land sandte und durch den Steuermann das Geschäftliche erledigen ließ. Darauf segelte ich, da ich von hier nach den Karolineninseln beordert war, beim Winde liegend längs der Riffe nordwestwärts; zwar nahe dem Riffe, jedoch frei genug, um gegebenen Falls ein Segelmanöver ausführen zu können. Querab der Insel Toka aber, als ich schon hoffen konnte das Riff nach kurzer Entfernung mehr nach rechts abfallen zu sehen, wurde das Schiff von einer unerwarteten Strömung dem Riffe, auf welchem eine mittelmäßige Brandung lief, zugedrängt und erkennend, ich würde nicht frei davon kommen, gab ich Befehl zum wenden.
Nie hatte der Schooner, selbst in gefährlichen Engen, eine Wendung versagt, jetzt aber ging er nicht durch den Wind. Ein zweiter Versuch, mit ganzer seemännischer Geschicklichkeit ausgeführt, schlug wieder fehl; einen dritten wagen, da ich schon der Brandung sehr nahe gekommen war und der sicher fehl gehen mußte, da das Schiff nicht mehr Raum genug hatte um gute Fahrt zu gewinnen, hieß es geradezu aufs Riff setzen. Verloren schien das Schiff auf jeden Fall, da ich wegen des kurzen Abstandes vom Riffe keine Möglichkeit mehr sah, dieses vor den Wind herumzubringen, welches ja das einzige Manöver ist, wenn Strömung und schwerer Seegang ein Wenden verhindern. Doch um alles zu thun, mußte ich auch dies wagen; wie ich auf das Riff kam, angetrieben, oder mit vollen Segeln vor dem Winde, war jetzt gleichgültig; einmal in der Brandung mußte das Schiff doch nach kurzer Zeit am steilen Riff zerschlagen und in die Tiefe sinken; die einzige Aussicht war, daß sich die Mannschaft noch unter Umständen retten könnte.
Es ist ein Haupterforderniß für den Seemann auch in der gefahrvollsten Lage nicht den Kopf zu verlieren, sondern entschlossen [90] zu handeln, so gab auch ich ohne Besinnen ehe noch das Schiff durch den Druck seiner Segel wieder an den Wind gekommen war, den Befehl, das Ruder hart Backbord zu legen, die Raasegel vierkant zu führen, alle Schooten der Schratsegel los zu werfen, und siehe wie ein Schwan mit ausgespannten Fittichen lief das Schiff mit schneller Fahrt seinem Verderben entgegen. Noch aber war seine Stunde nicht gekommen; das wackere Schiff, mit dem ich noch manche Noth und Sturm durchkämpfen sollte, ehe es in diesem Ozean an einer anderen Insel „Kili“ in die Tiefe sank, gehorchte über Erwarten gut dem Steuer. Die 150 Fuß, die das Schiff vom Riffe entfernt gewesen, hatte es noch nicht durchlaufen, als es durch den Druck der sehr schnell hantirten Segel wieder an den Wind gebracht war. Zwar lief die hohle See schon unter dem Kiel und hob das Schiff zum vernichtenden Stoße, — keine zehn Fuß hinter dem Heck donnerten die Schaumkronen der Brandung — und doch, mit freiem Winde die Fahrt beschleunigend, entkam ich dem sicher erwarteten Verderben.
Auf einer Fahrt von Jaluit nach Ebon und zurück, traf ich in der Ebon-Lagune den Häuptling Launa mit einigen seiner Proas an, mit denen er, zur Abreise nach Jaluit gerüstet, nur auf gutes Wetter wartete. Da die Gelegenheit günstig war, mit dem deutschen Schiffe nun die Ueberfahrt zu machen, trat Launa mit mir in Unterhandlung wegen des Fahrgeldes, dessen Höhe ihm zwar gut genug bekannt, das er aber herabgesetzt wissen wollte. Als ich darauf nicht eingehen konnte, erklärte er mir, dann solle auch keiner seiner Leute mit mir fahren, er segele mit seinen Kanoes billiger. Thatsächlich ging er am Abend desselben Tages in See und erreichte glücklich Jaluit.
Die Kunst, mit Geschick und Verständniß, solche nicht ungefährliche Fahrten in leicht zerbrechlichen Kanoes zu unternehmen, ist heute nur noch wenig Inselbewohnern eigen, obwohl sie früher im Bereich dieses Archipels nichts Ungewöhnliches waren. In der Nalik-Kette bedienen sich die Häuptlinge aber mehr der europäischen Segelschiffe, auch besitzt der König Kabua, eigentlich Nelu, ein solches, mit dem sie von Insel zu Insel fahren und es auch selber, ohne Hilfe eines Weißen führen.
Dieses Verständniß der Navigirung nur war einst ein streng gehütetes Geheimniß erfahrener Häuptlinge. Der es den Weißen verrieth, büßte es mit dem Tode. Obgleich die Inselbewohner sich auf ihren Fahrten nach dem Stand der Sonne und des Nachts nach den Sternen richten, worüber sie zu ihrem Zwecke genügend Bescheid wissen, haben sie sich doch eine Seekarte angefertigt, die unzweifelhaft beweißt, daß sie über die Lage der einzelnen Gruppen sowohl, wie über Wind und Strömungen gut unterrichtet waren.
Diese Karte besteht nur aus geraden oder gebogenen dünnen untereinander verbundenen Stäben, auf denen an bestimmten Stellen [91] die einzelnen Inseln durch kleine Muscheln oder Steine angezeigt werden, die gebogenen Stäbe geben den Strom oder auch den Seegang an, was gleichbedeutend mit der Windrichtung sein würde. Alle Atolle sind auf diese Weise bezeichnet, und die Abstände derselben von einander verhältnißmäßig ziemlich genau angegeben. Hieraus ersieht man, daß in früheren Zeiten ein reger Verkehr im Bereiche dieses Archipels stattgefunden hat, die Eingebornen von Insel zu Insel segelten und so ihre Kenntnisse erweiterten; die vor sehr langer Zeit einfach genug gewesen sind, z. Z. als die heutigen Atolle noch nicht vorhanden waren, oder doch deren Ränder noch hohe zusammenhängende Landmassen bildeten, die im Laufe der Zeiten erst gesunken. Keine oder nur sagenhafte Ueberlieferungen haben diese Eingebornen, von denen die eine Beachtung verdient, daß nach der vor langer, langer Zeit an Stelle der jetzigen Atolle hohe Inseln gestanden haben, aber welche Veränderungen hier stattgefunden, was ihre Vorfahren geschaut, darüber schweigt ihr Mund!
Der Namorik-Atoll, in Nordwest-Richtung etwa 70 Seemeilen von Ebon entfernt, ist einer der wenigen, die durch die Korallen schon geschlossen sind. Nur zwei langgestreckte Inseln, von einander durch Riffe getrennt, die früher den Zugang zur Lagune gestatteten, bilden die ganze Landmasse, sind aber ebenso fruchtbar und ertragreich, wie die Inseln des Ebon-Atolls.
Steile Korallenwände, an denen kein Ankergrund gefunden werden kann, heben sich aus großer Tiefe empor. Und wenig angenehm ist es für einen Schiffsführer, sich stets unter Segel hier halten zu müssen; oft habe ich daselbst tagelang an der Westseite unter Land kreuzen müssen, ehe mit Booten, die häufig am steilen Strande gefährdet sind, die Ladung abgenommen war. Wohl ist heute noch das Wasser in der Lagune klar und rein, da von außen über die Riffe hinweg der Ozean seine Wogen hineinspült und damit der noch langsam bauenden Koralle frische Nahrung zuführt; wird dies aber einst durch Anhäufungen von Gestein und Sand unmöglich, so muß durch die heiße Sonne eine Verdunstung und damit eine Versumpfung eintreten.
Diesen Prozeß hat bereits die von Namorik in Ost-Richtung etwa 65 Seemeilen entfernt liegende Insel „Kili“ durchgemacht. Eine Seemeile lang, ist die kleine Lagune schon vollständig umschlossen und ein großer Sumpf, in welchem die Pflanzenwelt Fuß gefaßt hat und überreich wuchert. Anfänglich war das Eiland unbewohnt, weil Kokospalmen und Pandanus nur spärlich vorhanden waren und einzig wilde Hühner und Schweine dort ungestört hausten; jetzt hat man mit der Lichtung des wilden Busches begonnen, und die Anpflanzung einer ausgedehnten Kokosplantage verspricht einen lohnenden Ertrag.
Die Insel ist ebenso steil und unzugänglich wie Namorik, nur [92] am Südende erstreckt sich ein langes Riff in die See hinein, auf welchem stets schwere Brandung steht und beim Kreuzen unter Land einem Schiffe gefährlich werden kann. Auf diesem ging auch der, einst von mir geführte Schooner „Futuna“ gänzlich in einer dunklen Nacht verloren.
Solche Schiffsverluste sind gewöhnlich auf unbekannte Strömungen zurückzuführen, die vorherrschend sind oder zeitweise auch von den Winden hervorgerufen werden. Muß man sich des Nachts unter Land halten, um nicht zu weit abzutreiben und dadurch Zeit zu verlieren, so ist es immer nöthig, sich über die Stromverhältnisse erst Gewißheit zu verschaffen.
In dieser Hinsicht ist die auf 0° 25' Süd-Breite und 167° 10' Ost-Länge liegende Insel „Pleasant-Eiland“ besonders bemerkenswerth, da dort der starke Aequatorialstrom, sobald der Wind nachläßt, jedes Schiff hinwegführt und Tage auch Wochen hingehen, ehe die Insel wieder erreicht werden kann. Fast jedem Schiffe, das dorthin Reisen unternommen hat, ist diese Strömung verhängnißvoll geworden, auch mir, unter den sechs Malen, daß ich dort habe anlaufen müssen, in zwei Fällen.
Anfang April 1886 nach Pleasant-Eiland beordert, erreichte ich die Insel mit günstigem Winde schnell. Da auch hier nirgends Ankergrund gefunden wird, ist es Gebrauch, sich Tag und Nacht ganz dicht unter Land zu halten, vor allem nicht nord- oder südwärts über die Insel hinauszusegeln, sonst führt der starke Strom das Schiff mit sich fort und kann nur bei frischem Winde und ein guter Segler den verlorenen Abstand wieder gewinnen.
Die Insel ist sehr fruchtbar, daher auch die Kopraausfuhr recht bedeutend; aber eigenthümliche Verhältnisse unter der Bevölkerung schädigen den Handel sehr, da zwischen den Bewohnern der elf Bezirke fast fortwährend gekämpft wird, und das Niederschlagen der Palmen durch den Sieger, das Aufblühen dieses gesegneten Ländchens verhindert. Die Eingebornen waren anfänglich den Fremden feindlich gesinnt und haben lange der Niederlassung europäischer Händler widerstanden; erst als ihnen die Wirkung der Feuerwaffen, die namentlich von Amerikanern eingeführt wurden, bekannt war, gelang es einzelnen Fremden, dort Fuß zu fassen.
Im Innern dieser etwa 15 Seemeilen im Umfange haltenden Insel erheben sich zwei kegelförmige Krater, einige hundert Fuß hoch, die längst erloschen sind und auf deren verwitterten Lavafeldern sich eine überaus reiche Pflanzenwelt entfaltet hat. Selbst ein Kratersee ist vorhanden, in dem die Eingebornen Fische züchten; auch Höhlen sollen vorhanden sein, die wahrscheinlich durch vulkanische Erhebungen entstanden sind.
An jenem Tage, als ich die Nordspitze zum ersten Male umsegelte und dicht unter dem etwa 200 Meter breiten Riffe mich aufhielt, hörte man am Nordende der Insel fortwährendes Gewehrfeuer. [93] Die Eingebornen waren wieder in einen Kampf verwickelt. Zum Glück wußte ich wie harmlos im Grunde genommen solche Kämpfe sind, daß es in der Hauptsache dabei nur auf zweckloses Knallen, wildes Geschrei und lautes Geschimpfe ankommt. Selten fällt ein Gegner, auch genügen einige Verwundungen, um die Kampflust zu befriedigen, und bald beenden feierliche Verträge, die nie gehalten werden, die Raufereien. Das Schlimmste dabei ist, daß die anfänglich zügellose Wuth dieser wilden Menschen den Europäer gefährdet, daher ist dessen Haus gewöhnlich eine kleine Festung, geeignet, im Nothfall sich dahinter zu vertheidigen; sie fürchten aber auch die Treffsicherheit des weißen Mannes und wagen es daher selten, Wunden oder Tod sich durch einen Angriff zu holen.
Ist ein Kampf eröffnet, so nimmt der ganze Stamm daran theil; auch wenn der Europäer selbst nicht gefährdet ist, kann er zu solcher Zeit keine Arbeiter erhalten, um Ladung in Empfang zu nehmen oder zu verschiffen.
So war es auch an diesem Tage. Der Superkargo, Herr Tuchtfeldt, ein Beamter der Gesellschaft, den ich abgesetzt hatte, theilte mir mit, daß nichts zu machen sei; ich hatte also zu warten, und unablässig mit vollen Segeln auf- und abkreuzend d. h. ich ließ das Schiff eine gewisse Strecke treiben und segelte dann wieder dem Lande zu. Als nun die dunkle Nacht hereinbrach, deren Schatten die Insel den Blicken entzog und es schwer wurde, den sichern Abstand vom Lande zu schätzen auch vor Mitternacht noch die Kraft des Windes nachließ, erkannte ich bald, daß die Fahrt des Schiffes geringer sei als der entgegenlaufende Strom.
Mehr und mehr verschwanden die dunklen Umrisse der Insel, und als der Morgen tagte, sah ich nichts mehr von dieser, nur vom hohen Maste aus entdeckte ich, weit im Osten noch einen dunklen Punkt. Fünfzehn Seemeilen hatte der Strom das Schiff schon nach Westen getrieben, und Tage, dachte ich, würden hingehen, ehe ich diese Entfernung mit frischem Winde wieder aufgekreuzt hätte. Ich konnte über Backbord Bug am meisten Ost gewinnen, deshalb segelte ich 24 Stunden in Südost-Richtung fort.
Hatte ich aber geglaubt, südlich weniger Strom zu finden, so war dies eine bittere Täuschung, denn ich ermittelte am nächsten Mittag, daß das Schiff einen Grad in Südsüdwest-Richtung versetzt worden war, mithin ein Strom von vier Seemeilen in der Stunde nach Westen lief. Eine solche Stärke des Stromes von dessen Vorhandensein ich ja Kenntniß hatte, kam mir unerwartet, doch brachte sie mich nicht in Verlegenheit, besonders da nichts zu ändern war.
Unter den Schiffsführern, die bereits abgetrieben waren, war wie ich später erfuhr die Ansicht verbreitet, daß man in solchem Falle nicht gegen den Strom kreuzen dürfte, sondern sofort über [94] den Aequator hinauszukommen suchen müsse, weil man erst auf 4 bis 5 Grad nördlicher Breite mit dem Gegenstrome erfolgreich nach Osten aufsegeln könne. Daß ich dies nicht wußte, hat mir großen Nachtheil gebracht, denn als ich nun überzeugt, daß ich auf südlichem Kurse nichts gewinnen würde und wieder nordwärts auf Nordnordwest Kurs beim Winde lag, wurde dieser immer schwächer, so daß ich nur wenig Nord gewann. Am dritten Tage erst hatte ich wieder den Breitengrad der Insel Pleasant-Eiland erreicht, befand mich aber bereits 70 Seemeilen weit von dieser entfernt; was ich befürchtet und in dieser Gegend nicht selten ist, traf ein, der Wind wurde ganz still und auf dem spiegelglatten Meere, das kaum eine langgezogene Dünung bewegte, trieben wir unter der brennenden Sonnengluth immer weiter westwärts, mit einer Geschwindigkeit von durchschnittlich 72 Seemeilen in 24 Stunden.
Jeden Lufthauch, der hin und wieder aufsprang nutzte ich aus, um bloß aus dieser häßlichen Lage herauszukommen, denn am zehnten Tage (die Linie war wieder passirt) war das Schiff bereits 750 Seemeilen von der Insel abgetrieben worden. Am 14. Tage auf etwa ein Grad nördlicher Breite angelangt, fand ich keinen oder nur noch sehr geringen Strom, aber kein Wind wollte aufkommen; was aber das Schlimmste war, der Wasservorrath ging zu Ende; das Tagesmaß war längst schon so weit herabgesetzt worden, daß jeder Mann nur einen Tassenkopf voll per Tag empfing, und nach einigen Tagen war kein Tropfen mehr an Bord.
Der Grund, daß dieser Mangel eintreten konnte, war folgender: es hatte in Jaluit längere Zeit nicht geregnet, die Wasserbehälter, die das von den Dächern abfließende Wasser auffangen, waren fast leer, so ging ich mit wenig Wasser in See, fest darauf rechnend, in der Nähe des Aequators Regen anzutreffen. Die Wassernoth an Bord wurde schließlich sehr groß, hatte ich doch außer der Mannschaft noch 6 Eingeborne von Pleasant-Eiland mit mir, die während der Ladezeit als Arbeiter helfen sollten und vom Händler, damit er dieser Leute sicher wäre, sofort mit dem ersten Boote abgeschickt worden waren.
Um die Qual des Durstes zu stillen, durchsuchten die Leute alle Räumlichkeiten des Schiffes, wo eine Kokosnuß verborgen sein konnte, und in der höchsten Noth war ein Tropfen halb verdorbener Kokosmilch ein Labsal für uns alle. Die nächste Insel „Greenwich-Eiland“ sollte etwa 120 Seemeilen östlich von uns liegen, aber auch wenn ich Wind gehabt, hätte ich Tage gebraucht, diese niedrige Koralleninsel zu erreichen. So von Tag zu Tag hoffend, daß endlich eine Aenderung eintreten oder doch Regen kommen werde, suchte ich mit den schwachen Lüften, die das Schiff kaum eine Seemeile in der Stunde durchs Wasser trieben, nur nördlich zu kommen. War ich erst hoch genug und ständiger Wind wieder [95] vorherrschend, konnte ich die nächste Insel in der Karolinen-Gruppe aufsuchen, fand ich voraussichtlich dort auch kein Wasser, so würden doch Kokosnüsse zu erhalten gewesen sein.
Regenschwere Wolken hingen am Horizonte schon tagelang, und wie sehnsuchtsvoll nach dem Himmelsnaß ausgeschaut wurde, daß jene Wolken heraufkommen und sich öffnen möchten, kann nur der ermessen, der qualvollen Durst gelitten hat und bereits die Verzweiflung in den Augen der Gefährten blitzen sah, die lechzend nach Wasser riefen.
Doch Gottes Hilfe ist am nächsten, wenn die Noth am größten. Drei Wochen waren hingegangen, da setzte ein frischer Ostwind ein, neue Hoffnung beseelte uns, in 36 Stunden konnte ich die Mortlok-Inseln erreichen, und alle Noth hatte ein Ende. Aber noch gnädiger war der Himmel, nach dem Winde kam bald der Regen und so reichlich, daß alle Behälter gefüllt werden konnten; die furchtbare Qual des Durstes war vorüber. An der Grenze der äquatorialen Gegenströmung, mit der ich jetzt auf etwa 4 Grad nördlicher Breite schneller ostwärts zu kommen suchte, fand ich verhältnißmäßig schlechtes und kühles Wetter vor, schwere Regenböen nöthigten mich häufig nur gereffte Segel zu führen.
Ueber fünf Wochen waren hingegangen, ehe ich wieder Pleasant-Eiland sichtete und diesmal mich drei Tage dort halten konnte. Ein besserer Segler, ein amerikanischer Schooner, war bald nach mir eingetroffen, derselbe trieb auch in den ersten Nächten ab, kehrte aber in drei Wochen wieder zurück und, da dies das einzige Schiff blieb, welches in diesem Zeitraum die Insel angelaufen, hatte der Vertreter der Firma dasselbe nicht zur Rückreise nach Jaluit benutzt, sondern auf meine Rückkehr gewartet. Somit fand ich denselben wohlbehalten dort wieder vor, wiewohl sich schon bei den Weißen die Ueberzeugung Bahn gebrochen, es müsse meinem Schiffe etwas zugestoßen sein; auch nach Jaluit zurückgekehrt, fand ich dort die Nachricht verbreitet, ich sei verloren gegangen.
Weitere Reisen nach der Ratak-Kette, zunächst nach dem Milli-Atoll, machten mich auch dort mit den staatlichen Verhältnissen bekannt. Bald sah ich, daß die Bewohner weniger Nutzen von der vordringenden Civilisation gehabt hatten, als die der Ralik-Kette. Während erstere die monarchische Regierungsform zur Einigung geführt und Auflehnungen einzelner Häuptlinge verhindert hat, hat auf der Ratak-Kette die Herrschsucht der Häuptlinge viele Unzuträglichkeiten geschaffen, vor allen wenn zwei oder mehrere sich in den Landbesitz eines Atolls zu theilen hatten.
Vielfach fand ich auch um Dörfer und an den Grenzen einzelner Besitzungen, gerade oder in Kreisform aus Korallensteinen aufgeführte Mauern. Diese bilden die Grenzscheide, wo gelegentlich Belagerer, die immer die stärkeren sind, und Belagerte zusammentreffen. [96] Es ist kein Kriegführen, nur ein Zerstören, als das Gebiet des Unterliegenden außerhalb der Mauer vernichtet wird. Selten, wiewohl die Eingebornen bereits europäische Waffen in Menge besitzen, selbst die Häuptlinge die besten Hinterlader haben, fällt aus Zufall ein Gegner von einer verirrten Kugel getroffen. Fertigkeit im Zielen haben sie noch nicht erlangt, was ein Glück ist, denn hätten sie diese, so würden sie, mit ihrem scharfen Gesicht sehr gefährliche Gegner sein.
Eigenthümlich ist, daß der Belagerer fast nie die Mauer zu nehmen wagt und ein Handgemenge möglichst vermeidet, eher versucht der Belagerte nächtliche Ausfälle, freilich ohne dabei etwas zu gewinnen. Der Streit endet gewöhnlich durch Uebergabe oder Aushungern, auch durch freiwilliges Abziehen des Stärkeren, der bei der Zerstörung der Palmen und Pandanusbäume sein Müthchen gekühlt hat; nicht selten aber auch durch so unvernünftige Handlungen eine Hungersnoth heraufbeschwört.
Helden sind die Männer alle nicht, sinn- und zweckloses Schießen ist ihnen die Hauptsache, mehr noch das gegenseitige Beschimpfen und die Aufführung kriegerischer Tänze. Nicht genug aber, daß verschiedene Häuptlinge sich auf einem Atoll bekriegen, sie rüsten sich auch mit ihren Proas Kriegszüge nach anderen Atolls zu unternehmen. Noch im Jahre 1885 zogen von Majuro 16 Kanoes mit 300 Mann unter Lailik aus um einen Häuptling auf Aurh zu bekriegen. Diese große Zahl Menschen ist aber niemals dort angekommen, obwohl der Abstand beider Atolle nicht besonders groß ist, sondern nur etwa 70 Seemeilen beträgt, es müssen Wind und Strömungen sie vertrieben haben, wenigstens wurde nie wieder etwas über das Schicksal dieser Schaar bekannt. Ich fand einmal sechs Monate nach jenem Aufbruche zwischen den nördlichen Atolls einen Theil eines großen Kriegskanoes treiben, theilte dieses den Händlern später auf Majuro mit und die Eingebornen entnahmen aus dieser Mittheilung, daß sie nun völlig ihre Angehörigen als verloren zu betrachten hätten.
Unter den Häuptlingen der Ratak-Kette war der angesehenste der verstorbene Kaibuke, dessen Neffe Leaugnat über Milli herrschte, andere, der junge Kaibuke, neben dem Häuptling Jiberik herrschte auf Majuro, auf Maloebab, Murijil; außer diesen war noch eine ganze Anzahl kleinerer Despoten vorhanden, die durch persönliche Zänkereien die Entwicklung der Inseln hinderten und auf einem Atoll oft solche Zustände schufen, daß jahrelang ein Verkehr einzelner Stämme untereinander unmöglich ward.
Zwar ist nach der Besitzergreifung der Marschall-Atolle durch Deutschland entschieden Wandel geschaffen worden, das Erscheinen der großen Kriegsschiffe, oft innerhalb der ausgedehnten mit Untiefen besäeten Lagunen, hat gewaltigen Eindruck gemacht. Jetzt, wo eine neue Obrigkeit vorhanden, haben die Privatkriege zu [97] unterbleiben, jetzt gilt nicht mehr das Recht des Stärkeren, sondern die Streitigkeiten müssen vor das deutsche Gericht gebracht werden. Mancher Häuptling, der die Einmischung der Weißen in seine Angelegenheiten, d. h. in die eines muthwillig herbeigeführten Streites, unbequem fand und widersetzlich wurde, hat zum eigenen Nachtheil empfinden müssen, daß Verletzung der Pflichten und Gewaltthätigkeiten schwer geahndet werden.
Von Apia aus hatte ich einen langjährigen Diener des Herrn Konsuls Weber an Bord, ein Marschall-Insulaner, mit Namen Angenang, der in seine Heimat zurückbefördert werden sollte und so lange an Bord die Pflichten eines Kochs zu versehen hatte, bis sich Gelegenheit gefunden, ihn auf Milli abzusetzen. Es hatte diesem im Dienste der deutschen Gesellschaft so gut gefallen, daß er mit dem Plane umging, seine ganze Verwandtschaft zu beeinflußen, ebenfalls auf drei Jahre sich nach Samoa zu verpflichten. Als sich nun die Gelegenheit bot, den Milli-Atoll anzulaufen, erhielt ich Weisung die Anwerbung der freiwillig sich Meldenden an Bord vorzunehmen. Mehrere Tage in der Milli-Lagune hin und her segelnd, (es waren allerlei Förmlichkeiten mit einzelnen Häuptlingen zu erledigen) landete ich schließlich im Nordosten unter der Insel Ennanlik. Nicht lange währte es, bis sich einige Familien, Männer und Frauen, im ganzen 26 Personen, bereit fanden, auf einige Jahre nach einem fernen, unbekannten Lande auszuwandern, das freilich im Gegensatz zur öden, wenig fruchtbaren Korallen-Insel ein Paradies war.
Den Abschied zu verkürzen, der endlos zwischen den Scheidenden und den Zurückbleibenden zu werden drohte — viel Herzlichkeit, wie ich solche den Eingebornen kaum zugetraut, zeigten sie gegen Verwandte und Eltern — beschleunigte ich die Abreise und befand mich am ersten Abend bereits weit von Milli entfernt, als sich ein Vorfall ereignete, der Schiff und Mannschaft, sowie Fahrgästen einen schrecklichen Tod hätte bereiten können.
Da wenig Ladung Kopra im Raum war, hatte ich, um die kaum bekleideten Menschen Nachts nicht unnütz an Deck frieren zu lassen, auf alten Segeln eine Lagerstatt bereiten lassen. Aber anstatt die Ruhe zu suchen, unterhielten sie sich nach alter Gewohnheit, dabei war ihnen die Dunkelheit im Schiffsraume wohl nicht genehm, sie suchten also aus ihrem wenigen Gepäck eine einfache Petroleumlampe, von deren Vorhandensein ich nichts wußte, hervor und zündeten sie an. Lampe und Brennmaterial war recht schlechte Waare, von Händlern auf Milli eingetauscht, von deren Gefährlichkeit diese Naturkinder natürlich keine Ahnung hatten, und so kam es, daß die auf den Kopra gesetzte Lampe umfiel und explodirte.
Schon waren nach 8 Uhr Abends längst die Wachen abgelöst. Die Wache an Deck hatte ihre Posten, Ausguck und Ruder bezogen, und unter dem sternenklaren Himmel einer friedevollen [98] Nacht herrschte völlige Ruhe auf dem einsam durch den Ozean ziehenden Schiffe. Da plötzlich ein gellender Aufschrei, ein helles Aufblitzen einer Feuerwelle — wie ich vom Hinterdeck aufgesprungen bin und im Augenblick die Größe der Gefahr erkannt habe, wußte ich nachher selber nicht. Die Männer, welche vor den Frauen die befestigte Leiter emporkletterten, stieß ich mit Gewalt zurück und sprang, der von allen Seiten herbeistürzenden Mannschaft befehlend, mir zu folgen, mitten unter die vor Schrecken gelähmten Menschen.
Zum Glück war nur die Hauptluke geöffnet geblieben, kein Luftzug regte die Flammen an, der von hinten wehende Wind trieb den schnell entwickelten beißenden Qualm zum leeren Vorraum; da glücklicher Weise die Lampe auf unbedeckten Kopra, von den Sachen und der Schlafstätte der Leute, weit entfernt aufgestellt gewesen war, so brannte auch erst das umhergespritzte Petroleum allein und von diesem mit entzündet der oelhaltige Kopra. Als einziger Europäer an Bord, (ich hatte nur einen Insulaner als Bootsmann, Lajibid, da es eigentliche Steuerleute nicht gab, vielmehr oft genug solchen Posten irgendwo entlaufene Matrosen, die das Schicksal bis hierher verschlagen, ausfüllen mußten) galt es zuerst die im Hinterraum zusammengedrängten Frauen herauszubringen, was ich schnell dem Lajibid übertrug, während ich mit den inzwischen ebenfalls herabgesprungenen Leuten die Schlafmatten ergriff, und solche ausgebreitet in das Feuer schleuderte, um es etwas zu dämpfen. So erreichte ich es, daß die nackten Leute, welche sich sonst der entwickelten Gluth nicht nähern konnten, muthig vordrangen und so schnell Matte auf Matte deckten, daß diese selbst nicht anbrennen konnten, auf die Weise wurde das Feuer erstickt.
Ueber dem Feuerheerde wurden dann alte Segel ganz ausgebreitet und nun, da hilfreiche Hände genug vorhanden waren, (den Milli-Leuten ließ ich nicht lange Zeit sich zu besinnen) wurden Ströme Wasser mit Eimern oder mit dem was gerade zur Hand war ausgegossen. Nachdem dann dem furchtbaren Rauche durch Oeffnen aller Luken Abzug geschafft war, wurde schnell mit Schaufeln, freiliegende Kopra haufenweise über Segel und Matten aufgeschüttet; als auch diese wieder durchnäßt war, war nach mehrstündiger Arbeit jede Gefahr beseitigt.
Welch ein Schicksal aber wäre uns beschieden gewesen, wenn wir des furchtbaren Elementes nicht Herr geworden wären! Nicht die Hälfte der Leute hätte ich retten können, das einzige Boot würde mit 20 Menschen schon bei bewegtem Seegange überladen gewesen sein und ehe es möglich geworden wäre Land zu erreichen, — Jaluit lag noch annähernd 120 Meilen vor uns, zurück gegen Wind und See zu rudern war ausgeschlossen — wären wir sicher eine Beute der Haie geworden wie alle anderen.
Selbst für den mit allen Gefahren der See vertrauten Seemann — Gefahren von denen der Landbewohner sich nichts träumen [99] läßt — sind solche Augenblicke schrecklich, vor allem für einen Führer, der weiß, daß Menschenkraft im Kampfe gegen drei Elemente erliegen muß. Er selber harrt auf seinem Posten aus und stirbt, wenn er das Schicksal der ihm anvertrauten Wesen nicht mehr wenden kann, aber er weiß auch, daß die, die sich vielleicht auf Trümmern gerettet, einem grausamen Geschick verfallen sind.
Solche Gedanken geben einem Menschen übernatürliche Kräfte und Fähigkeiten — die Gefahr liegt vor ihm, Tod oder Leben hängt von seiner Entschlossenheit und seinem Können ab — und mit dem Muthe der Verzweiflung stürzt er sich ihr entgegen, um die Planke zu schützen, auf der er steht, die ihn und die Gefährten über die blau schimmernde Tiefe, über den Ozean trägt.
Nach Jaluit zurückgekehrt, fand ich dort mein früher geführtes Schiff, das von Apia hierher beordert worden war, als Ablösung vor und hoffte schon die Milli-Leute nach Samoa bringen zu können; indeß ich hatte nur die Schiffe zu wechseln und befand mich bald wieder auf einer Monate langen Reise durch die Karolinen-Gruppe. Da die Mannschaft, Niue-Leute, für längere Zeit an Bord zu verbleiben verpflichtet war, so hatte ich nun wieder eine geübte Besatzung.
Ich muß mich darauf beschränken von dieser ausgedehnten Gruppe hoher Vulkan-Inseln und zahlreicher Korallen-Atolle ein begrenztes Bild zu entwerfen und kann nur aufrichtig bedauern, daß den zur Kolonialarbeit wenig tauglichen Spaniern diese reiche Inselwelt zurückgegeben war und über ein zukunftreiches Gebiet die entfaltete deutsche Flagge wieder eingezogen wurde. Die Atolle der Karolinen, zwar nicht an Umfang denen der Marschall-Inseln gleich, sind aber doch ebenso reich an Erzeugnissen wie diese, auch meist in größerer Ausdehnung bebaut, da die Bevölkerung zahlreicher ist.
Die hohen Basalt-Inseln wie Yap, Ruk, Ponapè, und Kufat, Stammvesten der Bevölkerung, sind dagegen in Wahrheit Edelsteine im weiten Ozean, die an Fruchtbarkeit in nichts den Samoa-Inseln nachstehen, vielmehr diese noch übertreffen. Die überreiche Natur wartet nur der fleißigen Hand, welche die aufgespeicherten Schätze heben soll. Soll man ein Urtheil über die gesammte Gruppe abgeben, so trifft noch immer der von früheren Entdeckern gethane Ausspruch zu „Das ganze Meer ist besät mit Edelsteinen, gerade wie der Spiegel des sternenbesäten Himmels über diesem.“ „The whole is studded with ocean gems, as if the mirror of the starry sky above it.“
Wenn ich hauptsächlich bei den östlichen Inseln verweile, so geschieht es darum, weil auch ich mit diesen besser bekannt geworden und hier zum Theil Augenzeuge von Vorgängen gewesen bin, die wenigen noch in der Erinnerung, vielen nie wahrheitsgemäß geschildert worden sind.
[100] Zunächst nach Ponapè bestimmt, sah ich diese weithin sichtbare große Insel bereits am sechsten Tage. Einen hochwillkommenen Anblick boten die hohen Felsenmassen dem einsam auf weitem Meere hinziehenden Schiffer; geschmückt mit ewigen Grün vom höchsten Bergesgipfel bis zum blauen Ozean, breitete sie sich gleich einem Paradiese aus vor den staunenden Augen, wie solches von der Hand der Natur nicht schöner geschaffen, wie es einem sorglos glücklichen Volke nicht besser geboten werden kann.
Wie ausgestorben, scheinbar unbewohnt, liegt im smaragdenen Kleide im Ozean gebettet die Insel da, nichts als das Laub zahlloser Bäume ist sichtbar, aus dem vom Strande aufwärts die hochragenden Palmen sich vereinzelt oder in Massen abheben. Wenn man dicht unter die weit abliegenden Riffe, die mit schmalen Inseln besät sind, vorübersegelt, erblickt man hinter diesen ein weites ruhiges Becken, das von den draußen stürmenden Wogen des Ozeans nicht im geringsten bewegt wird und, wie weit man auch an diesem Riffe und Inselkranze entlang segelt, sich immer gleich bleibt. Zwischen dem dichten Laube der Bäume wird keine Hütte sichtbar, doch Rauch steigt hier und dort auf; unter den steilen Felswänden zieht phantastisch ein Kanoe, um bald zu verschwinden.
Ein bloßer Punkt auf meiner Karte, war diese 60 Seemeilen im Umfang große Insel. Sie war nur nicht genau bekannt, auch wußte ich nicht wo ich die Einfahrt zur deutschen Station zu suchen hatte, darum lief ich unter der Ostküste nach Süden und suchte westwärts weiter nach einer Durchfahrt. Da das Wasser still war, wagte ich es als ich gegen Abend eine ganz schmale Durchfahrt zwischen zwei Riffinseln fand, für mein Schiff gerade breit und tief genug, einzulaufen. Zwar lagen anfänglich schlecht sichtbare Riffpatschen umher, die gefährlich werden konnten, doch näher dem Lande verschwanden auch diese, und bald lag wie im sichersten Hafen das Schiff ruhig vor seinem Anker.
War vorher nichts von Menschen sichtbar gewesen, so erschien jetzt bald hier und dort ein Kanoe, und nicht lange währte es, dann lag eine Anzahl derselben längsseit; Hühner, Eier, Yams, Ananas, Bananen, Fische und Kokosnüsse, sowie Perlmutterschalen u. s. w. wurden zum Kaufe angeboten, gegen wenig Tabak konnten von den nackten Eingebornen die wohlschmeckenden Erzeugnisse dieses reichen Landes eingetauscht werden. Lungur-Eiland, den Bestimmungsort, mir zu zeigen, ließen sich willig einige Leute gegen geringes Entgelt bereit finden, sie meinten eine freie Durchfahrt führe innerhalb der Riffe dahin.
Wohl segelte ich am anderen Morgen einige Stunden weiter nördlich im ganz stillen Wasser, doch unter der 1000 Fuß hohen senkrechten Felswand von Jocoits an der Nordseite, fand ich zwischen den hier zahlreichen großen und ausgedehnten Riffen nur schmale gewundene Engen, die mit konträrem Winde nicht gut zu [101] durchsegeln waren. Ich nahm deshalb das Kanoe der Eingebornen an Deck, und suchte durch eine Oeffnung im Hauptriffe wieder die freie See auf, um so nach der eigentlichen Jocoits-Einfahrt zu gelangen. In der That wurde bald Lungur-Eiland und die Station erreicht.
Durch dieses theilweise Umsegeln der ganzen Insel, ward mir die Gelegenheit gegeben, die mächtigen Felsenpyramiden sowohl, wie auch die überaus reiche Pflanzenwelt aus der Nähe zu beobachten; machte ich mich später auch mit dem Innern der Insel näher bekannt und sah die Großartigkeit der Natur in ihrer vollen Pracht und Wildheit, so schwächte dies doch nicht den zuerst gewonnenen Eindruck ab.
Die Insel muß in früherer Zeit eine öde Felsenmasse gewesen sein, bis die allmähliche Zersetzung der Lava und Basaltmassen auf der Oberfläche für das Pflanzenleben fruchtbaren Boden geliefert hat. Heute krönt die Höhen ein fast undurchdringlicher Urwald, reicher Humus hat sich abgelagert, die Verwesung der Pflanzen, die gestürzten Baumriesen erzeugten ihn, hohe Schichten der fruchtbarsten Erde deckten Thal und Höhen überall. Kurze reißende Ströme, aus tausend Quellen genährt, stürzen zu Thal, an ihren Mündungen weite Flächen abgeschwemmtes Land wieder ablagernd, das oft weithin bis zum Fuße der Felsen mit Seewasser überdeckt wird und doch dem Mangroven-Baum und vielen anderen ein Fortkommen gestattet, so daß, gleichwie in der Höhe, auch hier, mächtige Wälder sich ausgebreitet haben.
Silberklar und kühl ist das herrliche Wasser dieser Flüsse, oft bin ich, so weit ich nur mit einem Boote kommen konnte, diese hinaufgefahren, um die Großartigkeit der Urnatur zu betrachten; selbst im Innern des dunklen Erdtheils (Afrika) habe ich in den jungfräulichen Urwäldern kaum solche eigenartige Schönheit der Natur gefunden, wie sie sich hier auf so kleinem Raume dem Auge darbot. Gestürzte Baumriesen lagen, gestützt auf ihre mächtigen Zweige, von Ufer zu Ufer, Brücken, auf denen die zahllosen Insekten hin und her wanderten; auch See- und bunt gefiederte Singvögel liefen ohne Scheu auf solchen auf und ab. Tausende von Luftwurzeln, Lianen und Schmarotzerpflanzen strebten von den Bäumen herab zur Erde, um sich wieder in endloser unentwirrbarer Kette zu heben. Girrend lockt die Taube überall, nicht erkennbar wegen ihres dunklen Gefieders, im dichten Laub der Bäume, und nur das scharfe Auge des Eingebornen weiß sie zu finden und mit sicherem, unfehlbarem Schusse aus der luftigen Höhe herab zu holen.
Die Arten der Pflanzen und Bäume mit ihren Abarten, die Nahrung und Kleidung geben, sind sehr zahlreich; hauptsächlich aber sind es von den Bäumen Brotfrucht, Pandanus, Kokosnuß und Bananen, von den Erdpflanzen Yams, Taro, Ananas und [102] andere, die ohne jegliche Pflege überall wachsen bis weit hinaus auf dem Inselkranz, woran gleich einer schäumenden weißen Linie die Wogen des Ozeans sich unablässig brechen.
In geologischer Hinsicht weist Ponapè besondere Merkmale auf. Der Unterbau ist fester Basalt, darüber thürmen sich aus gleichem Gesteine 2-3000 Fuß hohe Bergkuppen und Höhenzüge auf und darauf wieder vielfach schichtweise gelagerte Lavamassen. Ebenso fand ich auch im südlichen Theil der Insel, nahe dem Kiti-Hafen, als ich zu den schwer zugänglichen Höhen aufstieg, zu Tage tretenden rothen Lehm in ziemlich starken Schichten abgelagert vor, sicher ein Erzeugniß vulkanischer Ausbrüche. Auffallend aber ist, daß das Berggefüge in seiner Masse sowohl, wie in einzelnen Theilen, ein Spielball furchtbarster Naturkräfte gewesen zu sein scheint, denn entkleidet des überaus reichen Pflanzenwuchses böte sich dem Auge des Beobachters ein Gemenge übereinander gethürmter Felsen und Gesteine dar. Nicht die alles zersetzende Zeit allein hat ihnen hier ihren Stempel aufgedrückt, vielmehr sind die zahllosen Sprengstücke, mit denen die ganze Insel besät ist, sicher nur Erzeugnisse der gewaltigsten Erschütterungen und Umwälzungen schon erstarrt gewesener Massen.
Der Hauptheerd der vulkanischen Thätigkeit muß an der Nord- und Nordostseite gelegen haben, da hier eine Reihe kleinerer und größerer Inseln, die getrennt von der gewaltigen Masse der Insel Ponapè liegen, sich als muthmaßliche Krater erwiesen haben. So die Inseln Mutok, Yokocts, 800-1000 Fuß hoch, Yarum, Momts, Takain und Lungur. Die genannten sind alle Basaltgebilde, oft steil und schwer zugänglich, und steigen bis zu 300 Fuß und darüber. Allerdings habe ich keine Krateröffnungen gefunden, wohl aber Lavageschiebe, wenn auch nur in geringerer Menge.
Eine von Fachleuten unternommene Durchforschung der Inselgruppe dürfte zur Bestätigung meiner Ansicht führen. Diese stützt sich auch namentlich darauf, daß Lungur ein stumpfer von allen Seiten steil abfallender Kegel ist (ich habe ihn öfter an steiler Wand erklettert) und oben im Gestein eine geschlossene kahle Vertiefung zu Tage tritt. Auch ist das weite fruchtbare Vorland mit mächtigen Felsblöcken bedeckt, die von der Hauptmasse eine gewaltige Kraft abgesprengt haben muß.
Auffallend ist die oft bedeutende Tiefe innerhalb des mächtigen Riffes, welches die ganze Insel in einem Umkreise von 60 Seemeilen umgiebt; einzig erklärlich dadurch, daß in früherer Zeit ein Sinken der Gebirgsmasse stattgefunden hat, ein neuer Anbau der Korallen aber durch das frische Wasser der Flüsse verhindert wurde und nur dort die Polypen den äußeren Riffwall schaffen konnten, wo ihnen der Ozean reichlich Nahrung bot, so daß schließlich um die ganze Insel Ponapè eine Lagune entstanden ist.
[103] Das Innere der Insel mit seinen Urwäldern ist zum Theil selbst für den Eingeborenen noch unzugänglich und unbekannt, nur wenige schmale Thäler, gebildet von steilen Felswänden, führen durch die einzelnen Gebirgspartien; auch längs der Flüsse, deren Wasserkraft sich im Gestein breite Wege gebahnt hat, ist ein Aufstieg zu den steilen Höhen möglich. Aber der Eingeborene trägt kein Verlangen, sich in der Wildniß umzuschauen, überall in gleich großartiger Weise tritt sie hervor. Am Strande wie auch am Fuße der unzugänglichen Höhen und verborgen im Gebüsch, an Felswänden, im Schatten gewaltiger Bäume hat er sich seine Dörfer erbaut.
Die Entdeckung der Karolinen-Inseln ist den Spaniern zuzuschreiben und zwar soll Quirosa bereits im Jahre 1595 Ponapè gesehen haben. Versuche der Spanier im 17. Jahrhundert, auf den westlichen Inseln Fuß zu fassen, scheiterten aber gänzlich an der Wildheit der Eingebornen, die stets die Priester und Kolonisten ermordeten. Die Folge war, daß das weite Gebiet bis zum 19. Jahrhundert fast ein unbekanntes Land geblieben ist. Jedenfalls war der Anspruch der Spanier auf diese reiche Inselgruppe unberechtigt, da sie sich nie darum bekümmert haben, auch kaum Kenntniß von dem dort verborgenen Reichthum hatten. Deutschen und Amerikanern blieb es überlassen diesen Völkern die Gesittung zu bringen und sie an den Anblick des weißen Mannes zu gewöhnen.
Ueberfälle und Wegnahme einzelner Schiffe haben auch hier wie anderswo in früherer Zeit stattgefunden. Die Eingeborenen, lüstern nach fremden Schätzen, bemächtigten sich meist durch Verrath der fremden Fahrzeuge, nachdem ihrer Uebermacht die Besatzungen erlegen waren. Nach Ueberlieferungen haben die Spanier mehrmals Ponapè besucht, sind aber, da sie den Eingebornen vertrauten, in deren Hände gefallen und niedergemacht. Unter anderen soll im Süden der Insel, wahrscheinlich im Kiti-Hafen, ein Schiff genommen sein, dessen Leute nicht anders getödtet werden konnten, als dadurch, daß man ihnen die Augen ausstach; sie hätten eine solche feste Haut gehabt, daß sie vor jeder Verletzung geschützt gewesen wären. Unzweifelhaft sind es in Panzern gehüllte Spanier gewesen, die hier der Uebermacht erlagen.
Auch im Metalanim-Hafen soll ein Schiff gestrandet sein und die ersten Hühner zu dieser Insel gebracht haben. Die Angabe scheint richtig zu sein, denn man fand später in den Händen der Eingebornen eine Messingkanone, ein silbernes Kruzifix, einen kupfernen Kessel, spanisches Geld u. a. m. Die eigentliche Entdeckung Ponapès erfolgte aber erst im Jahre 1828 durch die russische Korvette „Seniavina“ (Commandant Lutke) und die genauere Kenntniß verdanken wir amerikanischen Walfischfängern und den Missionaren.
[104] Die Bewohner Ponapès, deren Zahl 5000 nicht überschreiten mag, sind, soweit ich sie kennen gelernt, im Umgange ein friedliches Völkchen, gefällig und gastfreundlich; trotzdem zeigen sie dem Europäer gegenüber eine gewisse Zurückhaltung im Benehmen. Etwas Lauerndes liegt in ihrem Gesichtsausdrucke, sie verleugnen das malayische Blut nicht, das, zum Theil wenigstens, durch ihre Adern rollt. Es ist die gezähmte Wildheit, die in dem funkelnden Blick der schwarzen Augen liegt; wie dem Malayen gegenüber hat der Fremde das unbestimmte Gefühl, als hätte er es mit einer Katzennatur zu thun und die scharfen Krallen könnten unerwartet den Arglosen packen.
Der freie Mann duldet kein Unrecht, Blut allein ist die Sühne dafür; bin ich recht unterrichtet, so ist unter diesen Eingeborenen die Blutrache weit verbreitet, auch heute noch ersteht in manchen Familien immer wieder ein Rächer für die beleidigte Ehre oder für das einst vergossene Blut.
Unter sich, im Verkehr mit einander und im Familienleben sind die Eingeborenen gütig und liebevoll, ganz anders als im Verkehr mit dem Fremden, dem gegenüber sie nicht selten sich unfreundlich und abstoßend zeigen; sie haben nur zu wohl dessen Selbstsucht begriffen, daher treten sie auch kalt und zurückhaltend ihm entgegen. Wohl findet der Europäer überall in den Hütten Schutz und Obdach, Speise und Trank und konnte zu jener Zeit unbelästigt wandern, wohin er wollte, aber solche geübte Gastfreundschaft ist nicht selbstlos, der Gastgeber erwartet stets eine Entschädigung, die seiner Mühe entsprechend ausfallen muß, und zwar ein Gegengeschenk, das in seinen Augen werthvoll genug ist.
Von kräftigem Körperbau, stehen die Männer nach Gestalt dem Weißen nicht nach, ebenso ist Klugheit ihnen nicht abzusprechen; auch gewisser Wissensdurst macht sich bei ihnen bemerkbar, und solche, die Gelegenheit gefunden, andere Länder und Völker zu sehen, stehen bei ihnen in hoher Achtung. Dennoch scheint die eingedrungene Gesittung niederdrückend auf das jetzige Geschlecht eingewirkt zu haben, sei es auch nur, daß sie mehr und mehr grollend, sich in sich selbst zurückziehen. Die große Fruchtbarkeit, welche diese hohen vulkanischen Inseln aufweisen, ist durch reichlichen Regenfall bedingt. Ueber der Gebirgsmasse lagert sehr oft ein dichter Wolkenschleier, der vorübergehend heftige Regenschauer herabsendet. Im Jahresdurchschnitt sollen nur 97 schöne, klare Tage vorkommen, 155 bedeckt mit Regenschauer und 72 Tage ständiger Regen.
Selten sind elektrische Ansammlungen, Blitz und Donner, und nach dem Glauben der Eingeborenen besucht dann ihr Gott „Ani“ die Insel und kündet seine Nähe durch zuckende Blitze und rollenden Donner an.
[105] Ganz auffallend ist, wie wenig Ueberlieferung bei diesen Volksstämmen vorgefunden wird, nichts vernimmt man von großen Thaten, nichts von hervorragenden Häuptlingen; das Leben und Wirken früherer Geschlechter ist einfach ausgewischt, selbst im Gedächtnisse der Alten. Ob so geringe Theilnahme vorhanden, ob wirklich nichts Wichtiges in Sagen und Gesängen zu überliefern war, steht dahin, jedenfalls ist das, was an Ueberlieferungen vorhanden ist, so gering und unbestimmt, daß kein Schluß daraus auf das Vorleben dieser Stämme zu machen ist. Nur die Steine reden, wo der Menschen Mund schweigt — gewaltige Bauten, heute noch ausgedehnte Ruinen, stehen als Wahrzeichen einer längst entschwundenen Zeit und bezeugen die Thatkraft und Klugheit, welche den vergangenen Geschlechter innegewohnt hat. Woher sie stammen, darüber fehlt jede Spur; so staunend der Europäer die gewaltigen von Menschenhand errichteten Werke betrachtet, ebenso kopfschüttelnd und zweifelnd steht der heutige Eingeborene vor den Werken seiner Vorfahren. Die Antwort, die ich auf meine Frage erhielt, wer diese gewaltigen Mauern und Bauten aufgeführt habe, wie es möglich gewesen sei, Felsblöcke so übereinander zu thürmen und genau in passende Lage zu bringen, war; daß habe Niemand gethan; vor langer, langer Zeit habe ein schöner junger Mensch, ein Gott, in den Bergen gewohnt, der habe zu den Steinen gesagt, sie sollten sich aufeinander legen und so wären diese Mauern und Bauten entstanden.
Ich ging durch die Ruinen von Kusai, als ich diese Antwort erhielt; der Eingeborne, der sie mir gab, schien mir einer der aufgeweckteren zu sein, überzeugen aber ließ er sich von der Nichtigkeit seiner Angaben nicht und ich erhielt damit den Beweis, daß diese von den Vorfahren aufgeführten Werke heute von den Nachkommen als etwas Unnatürliches angesehen werden.
Aus gleicher Veranlassung müssen sowohl auf Ponapè wie auf Kusai vor Jahrhunderten diese Bauten errichtet worden sein und demselben Zweck gedient haben, da die Lage und Wahl des Ortes auf beiden Insel die gleiche ist. Diese am Metalanim-Hafen auf Ponapè und im Lela-Hafen auf Kusai liegenden Ruinen erzählen eine Geschichte, mit Felsentrümmern aufgeführt, mit Steinen geschrieben und sind eine Ueberlieferung aus der großen längst entschwundenen Zeit eines einsichtigen Volkes. Die Eingebornen, von einem einheitlichen Willen einst beherrscht und geleitet, haben wahrscheinlich diese sowohl zur Vertheidigung wie zum Wohnsitz geeigneten Bauten aufgeführt. Weniger auffällig wäre es, wenn aus kleinerem Gestein solche mächtigen Mauern, die große Quadrate umschließen, aufgeführt worden wären. Das ist aber nicht der Fall, Felsstücke von ungeheurem Gewichte sind aufeinander gethürmt; Zwischenräume mit kleineren ausgefüllt; 20 Fuß hoch und 12 Fuß breit liegen Gesteinmassen in dieser Höhe, die mit ungewöhnlichem [106] Aufwand von Kraft und Geschick hinaufgeschafft sein müssen.
Selbst wenn man annimmt, die mächtigen Blöcke seien auf schrägliegender Unterlage aufgerollt worden, so fehlt doch die Erklärung dafür, auf welche Art diese an Stelle geschafft wurden, zumal da auf der Insel Lela die Steine erst über eine weite Wasserfläche haben geschafft werden müssen. Möglich ist auch, daß die Eingeborenen die so großen und schweren Felsstücke auf Flöße gerollt und weiter geschafft haben, aber dann müssen solche auch eine ganz bedeutende Tragfähigkeit besessen haben. Jedenfalls muß der Gedanke, daß dies alles ohne unsere heutigen Hülfsmittel ausgeführt ist, jeden, der diese Bauten gesehen, in höchstes Erstaunen versetzen. Jedes Quadrat in den Ruinen ist durch Gänge mit einander verbunden, es führen lange Kanäle zum Wasser, und an der Südseite von Lela münden diese in eine Art von künstlichen Hafen, dessen Umrisse zwar noch erkennbar, doch zum größten Theil durch Anschwemmungen verwischt und mit Mangrovengebüsch bedeckt sind. Uebrigens, als der Aufbau dieser Steinmassen vor nicht festzustellenden Jahrhunderten begonnen, ist die heute verschwemmte weite Bucht des Lelahafens bis zum Fuße der Bergmassen auf der Insel Kusai frei gewesen, heute erstrecken sich dagegen in der Runde große ausgedehnte Mangrovensümpfe, durch die nur einige wenige Wasserstraßen führen, und sind höchstens mit einem Kanoe bis zum festen Lande befahrbar.
Ein Beweis dafür, welch ein gewaltiger Zeitraum hingegangen ist, seit diese Werke ausgeführt wurden, ist, daß das Innere der Ruinen sowohl, wie selbst die Steinwälle vollständig überwuchert sind. Hohe Bäume stehen auf den Mauern, tief sind deren Wurzel ins Gestein eingedrungen und haben selbst die mächtigen Blöcke durch ihr Wachsthum auseinander gesprengt. Wie lange diese Ruinen als einstige Residenz der Könige gedient haben, sei dahingestellt, sie wurden schließlich ein Mausoleum der großen Todten und sind heute noch die Grabstätte der „Tokesau“ (Häuptlinge).
Die Insel Kusai, die östlichste der Karolinen-Gruppe, unterscheidet sich von Ponapè nach Form und Größe, sowie dadurch, daß das diese Insel umgebende Riff bei weitem nicht die lagunenartige Bildung aufweist, sondern mit dem Lande mehr verbunden bleibt, und nur größere Ausdehnung an der Nordwest, Nord und Nordostseite hat. An der ersteren, durch einen Durchbruch im Riff, wird dort der Coquille-Hafen, an der letzteren durch die Insel Lela „Nin-molchon“ von den Eingebornen genannt, der Lelahafen gebildet, während im Süden durch Inselchen auf dem Riffe selbst, durch eine Einbuchtung der Felsenmassen, die hiervon umgeben sind, der kleine aber sichere Lottin-Hafen entstanden ist.
[107] In jeder Hinsicht stimmen sonst die beiden Inseln überein, was von der einen gesagt, gilt auch von der anderen; dieselbe Großartigkeit der wilden Natur, dieselbe Unzugänglichkeit zu dem Innern und zu den steilen Bergen, wie auch dieselbe furchtbare einstige vulkanische Thätigkeit.
Vorauszusetzen ist, daß auf dieser so fruchtbaren Insel eine ebenso zahlreiche Bevölkerung gelebt hat, wie auf Ponapè; selbst im ersten Drittel dieses Jahrhunderts war die Zahl der Bewohner noch mehr als doppelt so groß wie heute. Früher sollen sogar nach Angabe der ältesten Eingebornen viel tausende rings auf der Insel gelebt und gewohnt haben. Die einst zahlreich genug waren, stark bemannte Schiffe zu nehmen, und im heißen Kampfe die gut bewährten weißen Männer zu überwältigen, sind heute nur noch ein kleines Häuflein Menschen, 300 an Zahl.
Furchtbar hat eine schreckliche Seuche, eingeschleppt durch amerikanische Walfischfänger, unter dieser Bevölkerung besonders gehaust. In absehbarer Zeit wird auch der letzte Bewohner Kusais bei seinen Vätern versammelt sein, denn keine menschliche Hilfe kann dem Aussterben derselben mehr halt gebieten.
Schrecklich war es solche Kranke zu sehen, noch schrecklicher ihnen mit Rath und That beizustehen. Manchem verband ich die Wunden, andere lehrte ich wie solche rein zu halten und zu behandeln sind. Dafür waren sie auch sehr erkenntlich; lag ich im Hafen von Lela, wurde mir von Fischen, Schweinen und Schildkröten immer ein Antheil vom Könige Keru, der mit christlichem Namen Georg II. hieß, an Bord gesandt. Es ist nämlich Gebrauch, daß alle Speisen für den König sowohl, wie für die Angesehensten insgesammt, bereitet werden, diese werden dann vor das Haus des Königs gebracht und dieser bestimmt jedem seinen Theil.
Sehr unterwürfig sind die Unterthanen gegen ihren mit unbeschränkter Gewalt ausgerüsteten König, keiner wird unaufgefordert dessen hochgelegenes und kunstvoll aufgebautes Haus betreten, tief verneigt sich jeder Vorübergehende; hat einer aber ein persönliches Anliegen, kniet er auf der untersten Stufe der Treppe, die zum Hause hinaufführt nieder und bringt in solcher Stellung sein Anliegen vor. Des Königs Ausspruch ist Gesetz; so oft ich auch bei solcher Gelegenheit im Königshause anwesend war, fand ich dies bestätigt.
Durch beiderseitiges Entgegenkommen stand ich mit dem Könige und den Häuptlingen auf besonders gutem Fuße, was darauf zurückzuführen war, daß ich auch ihnen unentgeltlich Arznei gab, ihre Wunden verband und Schmerzen linderte. Sie lohnten mir dafür mit den Erzeugnissen des Landes, oft brachten sie mir so viel, daß meine Leute kaum alle Nahrungsmittel zu verzehren im Stande waren. Bei einer solchen Gelegenheit erhielt ich Kenntniß von einem merkwürdigen Aberglauben. Ich war im [108] Lelahafen eingelaufen, und da ich Wassermangel an Bord hatte, fuhr ich sofort mit einem Boote durch das Mangrovengebüsch den Fluß hinauf zum festen Lande um die mitgenommenen Fässer auffüllen zu lassen. Im Flußbett bemerkte ich auf klarem sandigen Grunde viele Aale, die aber zu gewandt waren, als daß sie mit den Händen zu greifen waren, nur ein mächtiges Thier von 4 Fuß Länge, dessen Schwanz wahrscheinlich von einem Hai abgebissen war, konnte sich nur mühsam fortbewegen. Diesen Aal im flachen Wasser zu ergreifen wäre zwecklos gewesen, deshalb befestigte ich, um ihn doch zu erhalten, ein starkes Messer an einer Stange, stieß dieses dem Aale durch den Kopf und nagelte ihn am Grunde fest. Bald waren die Kräfte des Thieres erschöpft, und es gelang die Beute zu sichern.
Zurückgekehrt zum Schiffe, fand ich dort eine ganze Zahl Eingeborner, auch Häuptlinge versammelt, die wieder Geschenke gebracht hatten; kaum aber hatten die Niue-Leute den großen Aal, den sie essen wollten, an Deck gebracht und aufgehängt, als die Eingebornen zum großen Theil auffällig verschwanden, ohne ihr Anliegen vorgebracht zu haben. Ich las in aller Mienen Abscheu und Furcht, und einen Häuptling befragend, warum sie sich vor solchem todten Thiere fürchteten, sagte er mir, daß in den Aalen, die von niemand gegessen werden, der böse Geist sich aufhalte, und wer solches Thier tödtet oder gar davon ißt, wird sicher gestraft.
Dieser Ausspruch war genügend, um die gewiß von thörichtem Aberglauben erfüllten Niue-Leute stutzig zu machen; sie ließen den Aal, dem sie die Haut schon abgezogen hängen, und wiewohl ich sie thöricht und unklug schalt, wollte doch keiner mehr etwas damit zu thun haben, viel weniger davon essen; es blieb nichts anderes übrig als den „bösen Geist“ über Bord zu werfen, worauf dann erst die in ihren Kanoes wartenden Eingebornen an Bord zurückkehrten.
Bemerkenswerth ist, daß Hundefleisch als besonderer Leckerbissen auf Ponapè gilt und werden Hunde dort gerne eingetauscht und gemästet. Ich hatte gelegentlich einmal einen elenden alten Hund, der mir von Eingebornen der Marschall-Inseln angeboten wurde, angenommen, um das Thier nicht elendiglich verkommen zu lassen; da es aber gar nichts werth, dazu bissig und häßlich war, so nahm ich in Ponapè das Angebot, es für zwei große Schweine abzugeben, an, zufrieden auf solche Weise den Hund loszuwerden, dem keiner nahen durfte und der mit Vorliebe seine Zähne in die nackten Beine der Leute einzugraben liebte.
Zeigen die Marschall-Insulaner im Flechten der Matten u. a. ganz besonderes Geschick, so übertreffen die Frauen und Mädchen auf Kusai in einer Hinsicht diese dennoch. Auf einem kleinen Webestuhle, der eigenartig gebaut ist, weben sie aus feinem Baumbast sehr kunstvolle Lendengurte, so fein und sauber — die Zeichnungen [109] und die Zusammenstellung der verschiedenen Farben sind sorgfältig ausgeführt — wie es die kunstfertige Hand einer europäischen Dame nicht fertigbringen würde. Als Schere, um die oft kaum zolllangen Fädchen abzuschneiden, bedienen sie sich der messerscharfen Kante einer kleinen Seemuschel.
Staunend habe ich oft in ihren Hütten dieser kunstvollen mühseligen Arbeit zugeschaut. Wie der Knabe von Jugend auf sich mit dem Speere übt, den schnellen Fisch im Wasser zu tödten, so sitzen die Mädchen im jugendlichen Alter schon flechtend und webend, um ihre einfache Kleidung so schön wie möglich zu schmücken, denn wie alle Evastöchter sind auch diese einfachen Naturkinder nicht gänzlich frei von Eitelkeit.
Daß früher schon die Bewohner Kusais unter sich nicht allein Tauschhandel getrieben, sondern eine Art Werthgegenstand als Geld benutzten, gleichwie afrikanische Völker die Kauri-Muschel, ist erwiesen, und zwar haben sie die werthvolle Perlmutterschale dazu benutzt, die auf tiefem Korallengrunde, namentlich in Ponapè häufig gefunden wird. Von einer großen, sauber bearbeiteten Schale hatte das Kernstück, nach Größe und Breite, einen entsprechenden Werth, ein solches, etwa zwei Zoll breit und 6 bis 7 Zoll lang, wurde einem Arbeiter als Tagelohn ausbezahlt, die kleineren Stücke galten weniger. Wann aber dieses Geld, von dem ich einige Stücke noch in Lottin-Hafen bekam, in Kurs gewesen, darüber konnte ich gewisses nicht erfahren.
Einst nach längerer Abwesenheit nach Jaluit zurückgekehrt, erfuhr ich, daß in der Zwischenzeit, ein mir auch bekannter Europäer am Strande ermordet worden sei. In dunkler Abendstunde aus einer der Wirthschaften, deren zwei vorhanden waren, heraustretend, sei er von Malayen die irgend ein Schiff zurückgelassen, überfallen und getödtet worden. Ein Racheakt sei es gewesen und eine Verwechslung habe in der Dunkelheit stattgefunden, und ihr sei dieser junge Mann zum Opfer gefallen.
Der Mörder und seine Mitschuldigen waren schnell gefaßt und dem eingelaufenen deutschen Kriegsschiffe „Bismarck“ ausgeliefert worden; der Thäter büßte seine Schuld mit dem Leben.
Am Abend jenes Tages, an welchem ich in Jaluit eingelaufen war, folgte ich der Aufforderung des Leiters unserer Gesellschaft, den Abend mit Billardspielen gemeinschaftlich hinzubringen. Um diese Absicht auszuführen begaben wir uns zu dem Hause des deutschen Wirthes, das gewöhnlich von den Europäern besucht wurde. Nicht weit davon lag die Wirthschaft eines Schwarzen, der mehr Zuspruch von den zu Zeiten im Hafen anwesenden Schiffsbesatzungen hatte; hier pflegte es öfter auch recht lebhaft zuzugehen. Es mochte etwa 9 Uhr abends geworden sein, als ein wilder Lärm von jenem Hause herüberschallte, unter anderen hörte ich die lärmenden Stimmen meiner Niue-Leute heraus. Daß [110] einige an Land gegangen waren wußte ich, ich hatte ihnen selber Urlaub gegeben, daß aber der Steuermann, ein von mir in Ponapè aufgenommener Matrose, der dort von einem Schiffe krank zurückgelassen worden war, ein Norweger, entgegen meiner Weisung die ganze Besatzung an Land gelassen und ihr noch dazu Geld zu Schnaps gegeben hatte, ahnte ich nicht.
Sogleich unterbrach ich das Spiel und eilte in der Meinung meine Leute seien mit anderen in Händel gerathen, zu dem anderen Wirthshause. Als ich schnell das Haus erreicht, fand ich in der Schenkstube eintretend allerlei Volk vor, darunter meine ganze Besatzung. Alle waren angetrunken und zwei Parteien befanden sich im heftigen Streite, der augenblicklich verstummte, als ich meinen Leuten befahl, sofort an Bord zu gehen. Aber nur einige waren vernünftig und folgten der Weisung, vier weigerten sich entschieden zu gehorchen; als sie auch einer zweiten Aufforderung nicht Folge leisteten, faßte ich schließlich, durch die Widersetzlichkeit aufgebracht, einen an, und schob ihn der Thüre zu. Kaum aber war meine Absicht den Umstehenden klar, als ich von hinten gefaßt und mit Faustschlägen zu Boden gestreckt wurde; im Fallen riß ich den Angefaßten mit mir, der auf mich fiel, dieser Umstand rettete mich, denn so kurz die Zeit auch war, bis der Mann aus meinen Händen befreit werden konnte, sie genügte um die Schaar, welche mit gezückten Messern und dem Rufe „tödtet den weißen Mann“ „kill the white man“, von der Mordthat zurückzuhalten.
Wider Erwarten war ich plötzlich frei und von dem Eigenthümer des Hauses, einem riesigen Neger, aufgerichtet sah ich, wie ein Weißer einen wuchtigen Stock auf die Köpfe der braunen Gesellen niedersausen ließ, die durch Fenster und Thüren entflohen. Der Retter in der Noth war ein amerikanischer Schiffsführer, von Honolulu, der gegen Abend noch in den Hafen eingelaufen, hier zufällig vorbeigekommen und mit angesehen hatte, wie ich niedergeschlagen wurde.
Meine Leute, soviel ich gesehen, waren es nicht gewesen, welche die Messer gezogen, die Uebelthäter aber wollten oder konnten sie nicht nennen, wenigstens konnten diese nicht ermittelt werden. Der deutsche Konsul mußte sich also damit begnügen die vier Mann, die Widersetzlichkeit gezeigt, dafür drei Tage lang in Eisen zu legen.
Nicht lange nach diesem Vorfall war mein Schiff wieder segelfertig, um eine Reise nach den Karolinen anzutreten; ich wurde von verschiedenen Seiten gewarnt, mit solcher Besatzung wieder in See zu gehen, denn dem rachsüchtigen Charakter der Niue-Leute sei nicht zu trauen. Indes ich verließ mich darauf, daß es keiner wagen würde, eine Meuterei an Bord auszuführen, da sie wohl wußten, daß sie vielleicht elendig auf See verhungern müßten, wenn sie ihren Führer überfallen und tödten würden. Wieder ging ich, ohne einen Europäer an Bord zu haben (der vorige [111] wurde nach jenem Vorfall an Land sofort abbezahlt) in See, machte dafür aber einen der Niue-Leute jetzt zum Bootsmann, und als am Horizonte das letzte Land verschwunden war, rief ich die Leute alle zusammen und machte ihnen den Standpunkt klar.
Ihr vier, Bela, Sepona, Fiticefu und Mißcoffi, erklärte ich, seid dafür bestraft worden, was ihr in der Trunkenheit an Land begangen habt, zehnfach härter aber fällt die Strafe aus, wenn ihr ein Gleiches an Bord versuchen solltet. Für mich ist die Sache abgethan und ich hoffe für euch ebenfalls, doch, da ich euch nicht unbedingt vertrauen kann, so bin ich auf alles gefaßt und vorbereitet; zeigt ihr Ungehorsam oder gar Widersetzlichkeit, dann fallen die Folgen auf euch, also thut wie früher eure Pflicht.
Und die Leute thaten sie. Ich hatte nicht zu klagen, es schien als wollten sie durch Willfährigkeit gut machen, was sie in einer schwachen Stunde, als sie nicht Herr ihrer Sinne mehr gewesen, begangen hatten.
Auf dieser Reise nun lief ich die Insel Kusai zuerst an, um dann über Ponapè nach dem Providenz-Atoll weiterzusegeln. Nach erfolgter Ankunft im Lela-Hafen kamen am anderen Morgen 16 Eingeborene der Gilbert-Gruppe mit einem großen Brandungsboote zu mir an Bord und baten, ich möchte sie nach Jaluit mitnehmen.
Sie wären, erzählten sie, vor wenigen Tagen auf Kusai gelandet, nachdem sie zehn Tage auf dem Ozean zugebracht, kraftlos und nahezu verhungert, hätten sie die größten Qualen erduldet, ehe sie an dieser Insel in dunkler Nacht angetrieben wären. Ihre Heimath, die Insel Apamama, hätten sie mit ihrem Boote verlassen, um nach der nördlicher gelegenen Insel Maiana zu segeln, der starke Aequatorialstrom aber hätte sie weggeführt.
Bis ihre letzten Kräfte erschöpft gewesen, so lange hätten sie verzweifelt gegen Strom und Wogen angekämpft, dann aber, als die wenigen im Boot befindlichen Kokosnüsse aufgezehrt waren, Hunger und Durst sich eingestellt, hätten sie ihr Segel gesetzt und wären immer vor dem Winde laufend, nach Westen gesegelt, wo, wie sie früher gehört, große Inseln liegen sollten. Einsam auf dem unendlichen Ozean in einem offenen Boote fahrend, den schrecklichsten Leiden preisgegeben, hätten sie keine andere Hoffnung gehegt, als die, vielleicht im fernen Westen Land zu finden. Aber nie hätten sie Land angetroffen. Da alle zum Tode erschöpft waren, so würden sie so, wenn sie nur wenige Meilen südlich von Kusai, vorbeigetrieben wären, in wenig Tagen schon dem Hunger und Durst erlegen sein.
Welche Qualen diese 10 Männer und 6 Frauen erduldet hatten konnte man daran sehen, daß die Hölzer im Boot mit den Zähnen angebissen waren; das Grüne, welches sich durch faulendes Wasser im Boot angesetzt hatte, war mit den Fingernägeln ausgekratzt worden, selbst ihre mangelhafte Bekleidung aus Grasschurzen [112] bestehend, hatten sie aufgegessen und damit den furchtbaren Hunger zu stillen versucht. Daß das Boot am Riffe in der Brandung nicht zerschlagen, die zum Tode erschöpften Menschen nicht am sicheren Gestade zu Grunde gingen, hatten sie einzig dem Zufall zu danken. Todesmatt waren sie von Bewohnern Kusais aufgefunden, gespeist und getränkt, nicht nach Art eines barbarischen Volkes als Feinde angesehen worden; sie wurden zum König nach Lela gebracht, der ihnen Speisen geben und eine Wohnstätte auf der Hauptinsel anweisen ließ, wo sie warten könnten, bis ein Schiff sie mitnehmen würde. Ihren Wunsch gleich mitgenommen zu werden mußte ich freilich auch abschlagen, da ich noch eine weite Fahrt vor mir hatte, allein ich versprach, sie auf meiner Rückreise von den Providenz-Inseln, abzuholen, und verwandte mich beim König Keru für sie, daß derselbe sie auf einige Wochen noch behalten möchte.
Von Ponapè segelte ich weiter nach Ujelang, der Hauptinsel im Providenz-Atoll, die etwa 240 Seemeilen nordost von der hohen Karolinen-Insel entfernt liegt, hier auf diesem einsamen Atoll fand ich nur etwa 40 Menschen vor, weißköpfige Greise unter ihnen, die erzählten, daß ihre Voreltern von den Marschall-Inseln mit Kanoes vertrieben seien, diese wären einst auf der einsamen Insel gelandet und hätten viele, viele Jahre verlassen gelebt, bis der weiße Mann gekommen sei und sich hier niedergelassen habe.
Einsam und trostlos genug fließt die Zeit und das Leben den wenigen Bewohnern auf dieser weltentlegenen Insel hin, vor allem für den Europäer, einem Deutschen, der höchstens alle acht Monate einmal, wenn ein Schiff einläuft, sich mit einem gebildeten Menschen unterhalten und freuen kann. Die Aufgabe die diesem Manne gestellt, ist nicht leicht, ein arbeitsames Leben muß ihn vor Schwermuth bewahren; die eigentliche Kultur soll er hier einführen und auf dem steinigen Korallenboden Kokosplantagen anlegen, deren Ertrag in späterer Zeit die aufgewendete Müh' und Arbeit lohnen soll.
Alle Bewohner dieser Insel leben nahe der deutschen Station und arbeiten für diese und von Fleiß und stetiger Arbeit zeugt es, daß 70000 Kokosnüsse und junge Bäume in weniger als zwei Jahren ausgepflanzt worden sind. Heute stehen auf einst ödem Korallengrunde Palmenhaine, deren Wipfel stolz im Winde rauschen, ein melodischer Gesang zu der donnernden Woge, die sich ewig in ohnmächtiger Wuth an diesen Gestaden bricht. Auch hier werden in ferner Zukunft einst, wenn die jetzt schon mit Korallenpatschen dicht besäte Lagune geschlossen worden ist, sich ausgedehnte Landflächen bilden, auf denen die Tropenwelt ihre ganze Pracht entfalten kann. Der Lebensunterhalt der wenigen Bewohner besteht aus der Kokosnuß, Taro, Fischen und Hühnern, letztere sind in großer Zahl vorhanden, ebenso Enten, die, da kein Eingeborner [113] auf allen diesen Koralleninseln die Eier als Nahrung betrachtet, sich stark vermehren können. Jedesmal erhielt ich in Ujelang hunderte in Seesalz aufbewahrte Eier, die mir stets willkommen waren.
An solchen einsamen Gestaden halten sich auch mit Vorliebe die mächtigen Riesenschildkröten auf, um zur Brutzeit am Strande ihre Eier im Korallensande einzuscharren, die allein die heißen Strahlen der Sonne auszubrüten vermag. In der Brutzeit kommt das Weibchen dreimal an's Land und setzt jedesmal etwa 140 Eier ab, hält sich aber stets in der Nähe auf, um die aufgekommenen Jungen, die instinktmäßig dem Wasser zustreben, zu schützen. Wie mir versichert wurde, lauert das Männchen der jungen Brut auf und frißt eine große Zahl der jungen Thierchen, denen außerdem auch von großen Seevögeln viele Gefahren drohen, in Wirklichkeit gelangen aus der großen Anzahl Eier nur verhältnißmäßig wenige zur Entwicklung.
Der Fang solcher Riesenschildkröten, der in mondhellen Nächten ausgeführt wird, ist nicht so ganz ungefährlich, gewandt und schnell muß man dabei verfahren, das Thier von der Seite am Panzer zu fassen suchen und es auf den Rücken werfen. Um nicht durch Bisse oder die scharfen Krallen verwundet zu werden, bedienen sich die Eingebornen gewöhnlich bei großen Thieren starker Stöcke, die sie unter den Brustpanzer schieben und so das Thier umzuwerfen versuchen, das auf ebenen Boden dann unfähig ist, sich wieder umzuwälzen und zu entkommen.
Bei Gelegenheit meiner zweiten Anwesenheit auf Ujelang wurde einer großen Schildkröte nächtlicherweile aufgelauert, deren Brutstätte bekannt geworden war, es gelang uns wirklich, das mächtige Thier abzufangen. Nachdem das Thier mit schweren Knütteln getödtet war, wurde ihm der Brustpanzer mit scharfen Messern abgelöst; neben dem fetten wohlschmeckenden Fleische fanden wir 140 reife Eier vor, die kugelrund und mit einer weichen, lederartigen Schale umgeben sind. Letztere werden als besondere Leckerbissen angesehen, doch fand ich, daß sie, gekocht oder gebraten, einen etwas strengen Geschmack haben; wenn auch sehr nahrhaft, so sind sie doch nicht frischen Hühner- oder Enteneiern gleichzustellen. Diese Schildkröte wog etwas über 500 Pfund, doch waren auf Ujelang schon größere und schwerere gefangen worden. Zieht man bei solchen Thieren ihr langsames Wachsthum in Betracht, so müssen solche Meerbewohner ein hohes Alter erreichen.
In keinem Atoll habe ich so viele ausgedehnte Riffpatschen gefunden wie gerade hier, deshalb hat das Hindurchwinden mit einem Schiffe seine Schwierigkeit, ehe man von der Hauptdurchfahrt aus die Insel Ujelang erreicht. Mir fehlte es stets an Zeit und Gelegenheit nachzuforschen, ob die Angaben der Bewohner, im Westen der 12 Seemeilen langen Lagune steigen zeitweilig heiße Dämpfe auf, wahr seien, was auf vulkanische Thätigkeit schließen [114] lassen würde. Daß solchen Angaben etwas Richtiges zu Grunde liegen müsse, daran zweifelte auch der deutsche Händler nicht, besonders deshalb, weil die Bewohner nur ungern den westlichen Theil der Lagune aufsuchten; hat dort jedoch wirklich eine unterseeische Kraft sich geäußert, so liegt ein stattgehabter Ausbruch doch jedenfalls eine Reihe von Jahren zurück.
Von Ujelang segelte ich geradewegs nach Kusai zurück, holte dort die 16 vertriebenen Gilbert-Insulaner ab und brachte sie mit ihrem Boote nach Jaluit, von wo sie später mit einem anderen Schiffe in ihre Heimath zurückbefördert wurden.
Es war gegen Ende des Jahres 1886, als ich von der Karolinengruppe zurückkommend Kusai auf dem Rückwege anzulaufen hatte, um dort vom Könige Georg eine alte Schuld einzufordern, die aus einem Quantum von 20000 Pfund Kopra bestand. Ich lag allein im Lela-Hafen und weilte gerade auf dem höchsten Punkte der Insel, Nin-moschon, als von Eingebornen der Ruf erscholl ein „Schiff in Sicht“. Wirklich kam von Norden mit schneller Fahrt ein in diesen Gewässern nicht oft gesehenes Fahrzeug, ein Dampfer, heran. Als dieser näher gekommen war, erkannte ich ein deutsches Kriegsschiff, das dem Anscheine nach im Lela-Hafen einlaufen wollte. Ehe ich aber vom Berge herab an Bord meines Schiffes gelangen konnte, hatte es vor der Einfahrt beigedreht und nur ein niedergeführter Kutter nahte sich mit raschen Ruderschlägen. Das Boot fuhr geradezu zum Hause des Königs, es landete ein Offizier mit mehreren der Bootsbesatzung und, noch erstaunt, was der plötzliche Besuch zu bedeuten habe, sah ich bald nach kurzer Verhandlung mit dem Könige und den Häuptlingen, wie mit kräftigen Axtschlägen das deutsche Protektoratsschild niedergeschlagen wurde.
Für uns Deutsche in dieser weltentlegenen Inselwelt, die stets der Ansicht waren, daß die einmal gehißte stolze deutsche Flagge nimmermehr würde niedergeholt, die reichen Karolinen-Inseln für alle Zukunft ein Theil des deutschen Reiches bleiben würden, war die unerwartete Rückgabe derselben an ein Volk, das sich nie um den beanspruchten Besitz und um sein zweifelhaftes Recht gekümmert hatte, ein harter Schlag. Wie auf Samoa, so mußten auch hier die Deutschen ihr kühnes Hoffen, auf deutschem Grund und Boden zu streben und zu ringen, so bald zu Grabe tragen. Ja, was ich später erfuhr, auf Ponapè haben die weißen Händler, als das Niederholen der Flagge angekündigt war, trauernd am Fuße des Flaggenmastes auf Lungur-Eiland gestanden und über sich die Flagge halbstocks wehen lassen, aus Leid darüber, daß die lange, friedevolle Zeit vorüber, daß ein Volk, dessen Ansprüche keiner begreifen konnte, fortan hier herrschen sollte.
Und es kam der gefürchtete Kampf, furchtbar und ernst, verhängnißvoll für die, welche ein freies unabhängiges Volk geknechtet, [115] das noch nie den Weißen hatte gehorchen gelernt, unheilvoll auch für die, die Jahrzehnte schon in Frieden hier gelebt hatten.
Der kommandirende Offizier kam später zu mir an Bord und ich vernahm die traurige Nachricht, daß von nun an die Karolinen-Inseln unter spanischer Oberhoheit gestellt seien. Nach kaum zwei Stunden zog der „Albatros“, der auf allen Inseln die deutsche Flagge niedergeholt hatte, seines Weges weiter, und das, was wir Deutsche mit Stolz unser genannt, es war dahin! —
Noch am selben Abend besuchte ich den König, um das Nähere wegen der Einschiffung der Ladung mit ihm zu verabreden, doch kam ich jetzt bei diesem schön an, er weigerte sich entschieden, die Schuld zu bezahlen, unter dem Vorwand, er stünde nicht mehr unter deutscher, sondern spanischer Protektion. Eine Verständigung über den streitigen Punkt war nicht möglich, der sonst immer freundlich und entgegenkommende König kehrte plötzlich ganz andere Seiten heraus, mir blieb nichts übrig, als die Forderung fallen zu lassen und unverrichteter Dinge abzusegeln. Aber daß der König und seine Häuptlinge ein volles Verständniß von dem Protektoratswechsel gehabt haben, bezweifele ich — doch wie so bald sollten sie den Unterschied kennen lernen.
Dahin war die Zeit friedevoller Ruhe, dahin die Zeit, wo wir Weiße sicher in den Hütten der Eingebornen aus- und eingehen konnten, der besten Gastfreundschaft, des Schutzes und der Führung gewiß. Was die neuen Herren ihnen angethan, das reizte sie zur hellen Empörung, weckte die schlummernde Rache, und nicht diese allein sollten dem Verderben geweiht werden, sondern auch alle Fremden, weiße oder braune.
Schnell, als wollten die Spanier sich ihres neuen Besitzes auf alle Fälle sichern, und was sie in Jahrhunderten versäumt hatten, jetzt plötzlich nachholen, entfalteten sie ihre Macht auf allen Mittelpunkten d. h. auf den Inseln Yap, Ruck, Ponapè und anderen. Wenig Rücksicht nahmen sie auf die Gefühle bisher ganz unabhängiger Stämme, sie führten jene bekannte Gewaltherrschaft ein, durch welche Spanien im Laufe der Zeiten sich um seine blühendsten Kolonien gebracht hat. Durch Militär- und Priesterherrschaft sollte die Kultur dem freien Volke aufgedrängt werden.
Da den Eingebornen keine Zeit gelassen ward sich allmählich an die neuen Verhältnisse zu gewöhnen, so fühlten sie den ihnen auferlegten Zwang doppelt hart. Die Strenge, die angewendet wurde, sie zum Gehorsam und zur Ergebenheit zu zwingen empörte sie; Wege und andere Bauten auszuführen, wie sie es für die langansässigen, amerikanischen Missionare freiwillig gethan, weigerten [116] sie sich, sie fügten sich auch nicht gutwillig der Forderung, umsonst schwere Tagesarbeit zu leisten. Grollend zogen sich die Eingebornen zurück, im Herzen Wuth und Rache schnaubend. Ganz sorglos müssen die Spanier gewesen sein, oder sie haben gar zu gering einen möglichen Widerstand geachtet, sonst hätten sie den Anzeichen eines kommenden Sturmes, der warnenden Stimme eines hier ansässigen spanischen Abkömmlings von der Insel Guam, Manuel de Tores, mehr Beachtung geschenkt.
So nahte das Verhängniß, durch Gewalt und Ungerechtigkeit heraufbeschworen. Die beleidigten Häuptlinge, der zumeist betroffenen Bezirke im Norden von Ponapè, nämlich Jokoits, Nut, Mants, Tohuak und andere, sammelten ihre Schaaren, und es wurde beschlossen die Spanier einfach aus dem Lande zu jagen. Festgesetzt als Tag der Rache wurde der vierte Juli 1887; also nach nur wenigen Monaten hatten die Spanier sich schon so verhaßt gemacht, daß die Eingebornen verzweifelt zu den Waffen griffen und sich ihre Freiheit um jeden Preis erkaufen wollten.
Gegenüber der Insel Lungur, der deutschen Station, nach Süden am festen Lande war das spanische Regierungsgebäude errichtet worden und war in gewisser Hinsicht durch die Kanonen der im Hafen liegenden spanischen Korvette „Maria de Melina“ gedeckt, obwohl 130 Soldaten, meistens Malayen von den Philippinen-Inseln, als persönliche Bedeckung dem Statthalter zur Verfügung standen.
Am 1. Juli 1887 (vorher war schon manche Versammlung der Eingebornen verboten und zersprengt worden) sandte der Statthalter zum gleichen Zwecke eine Abtheilung unter den Offizieren Don Ricardo Martinez und Don Alferes ab, um abermals eine große Versammlung aufzulösen, auch hatten die Führer wohl den Auftrag, den Häuptling des Bezirks mit sich zu bringen. Auf welcher Seite nun die Schuld gewesen, das bleibe dahingestellt; die Eingebornen sagen, wie mir später ein Theilnehmer erzählte, die Spanier hätten auf sie gefeuert, wenn dies der Fall gewesen, so war es das Signal für die zu hunderten versammelten Bewohner, den Kampf schon jetzt zu eröffnen.
Wer diese Schluchten und Berge gesehen, die oft mit undurchdringlichem Gebüsche bewachsen sind, worin jedes Felsstück jeder Baum einen Hinterhalt bietet, kann sich denken, daß ein Widerstand gegen diese einsichtigen, gut bewaffneten Bewohner vergeblich war.
In kurzer Zeit endete der Kampf mit der gänzlichen Vernichtung der Spanier, auch der den Eingebornen auf Ponapè und uns Weißen so wohl bekannte Dolmetscher Manuel de Tores fiel; ihm, einem langjährigen, mit allem wohl vertrauter Händler, war bittere Rache zugeschworen worden, weil er sich in die Dienste der Spanier gestellt; er wurde buchstäblich in Stücke gehauen.
[117] Nur zwei verwundete Malayen entkamen dem Blutbade und brachten die Schreckenskunde von der Niedermetzelung der Abtheilung zum Fort. Zur Stunde, als im Fort noch nichts über diese Vorgänge bekannt geworden, weilte der Vertreter der deutschen Plantagen-Gesellschaft Herr Ruß beim Gouverneur, der ihn zu sich gebeten, um über die gefährliche Lage, die keinem unbekannt geblieben, zu berathen; auch sollte Herr Ruß so viele Gewehre und Schießbedarf übersenden, als er irgend entbehren konnte. Da traf die schlimme Kunde ein. Herr Ruß übernahm es, dem Kommandanten des Kriegsschiffes die traurige Botschaft zu bringen, deren Tragweite keiner ermessen konnte, und der ersucht wurde die nothwendigen Maßregeln sofort zu treffen; Herr Ruß aber fuhr zu seiner Station und übersandte dem Gouverneur das Gewünschte.
Die Eingebornen, durch den ersten Erfolg kühn gemacht, und längst vorbereitet, den verderblichen Schlag zu führen, stürmten nun bald zu tausenden nach dem Fort, und umstellten es so, daß kein Entkommen mehr möglich war. Ihre Führer waren der Häuptling Lab in Nut und Nanamariki von Jokoits.
Der Kommandant der „Maria de Melina“ führte sofort, auf die ihm gewordene Nachricht, fast seine ganze Besatzung (nur 28 Mann blieben an Bord zurück), in sämmtlichen Boten dem Statthalter zu Hilfe, aber die flinken Eingebornen hatten das Fort schon umzingelt und warteten im sichern Hinterhalt nur, so lange bis alle Boote in Schußweite gekommen, um die Besatzung niederschießen zu können.
Kein Einziger der Offiziere und Soldaten kam mit dem Leben davon, die meisten lagen alle todt in ihren Booten und die, welche schwimmend sich zu retten suchten, traf die tödtliche Kugel im Wasser. Die Gemahlin des Kommandanten, die sich an Bord befand, wurde durch solchen Anblick tief erschüttert und vor Angst wahnsinnig. Der überraschende Erfolg mochte wohl die Aufständigen stutzig gemacht haben oder sie waren über die Zahl der Besatzung der „Melina“ ungenügend unterrichtet, denn sie führten ihren Plan, das Schiff zuerst zu nehmen, nicht aus. Wären sie gleich in der entstandenen Verwirrung mit ihrer Uebermacht vorgegangen, würde es ihnen ein leichtes gewesen sein das Schiff zu nehmen.
So aber langwierige Berathungen pflegend, ließen sie den Ueberlebenden an Bord Zeit, sich so zu verschanzen, daß ein Angriff auf das Schiff nur unter schweren Verlusten noch möglich war.
Das Boot, welches Herr Ruß von Lungur mit Waffen und Munition abgesandt, wurde auf dem Wege zum Fort angehalten und weggenommen, dadurch bekamen die Häuptlinge den Beweis in die Hände, daß der angesehenste aller Händler auf Ponapè die Spanier unterstützt hatte; deshalb beschlossen sie, auch die [118] Deutschen, welche auf ihrer Station bisher nicht gefährdet waren, nieder zu machen.
Noch aber war das Fort erst umschlossen, in welchem eine kleine Schaar sich vorbereitete, ihr Leben so theuer als möglich zu verkaufen. Hätten die Feinde es unternommen am Tage die leichte Feste zu nehmen, wären die Eingeschlossenen nicht ungerächt gefallen, so aber wählte der verschlagene Feind die Nacht zum Angriffe, und nahm den größten Theil der Befestigungen ein, nur wenige der Eingeschlossenen sahen den neuen Morgen wieder, doch auch diese kleine Zahl sank vom tödtlichen Blei getroffen, ehe aufs Neue Dunkelheit die Erde deckte.
Einen letzten verzweifelten Ausfall mit denen die die Schreckensnacht überstanden hatten, unternahm der Statthalter am 2. Juli. Priester und Klosterbrüder voran, verließen alle die unhaltbare Feste, um sich zum Strande durchzuschlagen, aber der hinter Stein und Baum gedeckte Feind mähte fast alle bis auf die durch ihre Kleidung kenntlichen Priester nieder. Nur der Statthalter mit wenigen erreichte den Strand, fand aber den Tod mit den letzten Getreuen, ehe er ein rettendes Boot erreichen konnte, und wurde, ebenso wie der Dolmetscher de Tores, in Stücke gehauen.
Später sah ich selbst die Klosterbrüder, die keine Waffe geführt und deshalb unbelästigt das Schiff erreicht hatten, an Bord der „Melina“, und ich muß sagen, auf ihren bleichen Gesichtern waren noch nicht alle Spuren jener schrecklichen Tage und Stunden verwischt.
Der Eingeborne scheut den offenen Kampf, seine liebsten Waffen sind Verschlagenheit und List. Das bewies auch die Botschaft, welche die Häuptlinge am 2. Juli nach Lungur sandten, die die Zusicherung enthielt, den Deutschen würde nichts geschehen. Wenn die Spanier alle todt wären, wollten sie kommen und die deutsche Flagge wieder aufhissen, es solle wieder so wie früher sein. Doch aus anderen Nachrichten, welche überbracht wurden, war mit Sicherheit zu schließen, daß alles nur ein Vorwand wäre, sogar, daß der Häuptling Lojap auf Lungur schon Befehl erhalten hätte, die Station zu nehmen, keinesfalls aber die Umschlossenen fliehen zu lassen.
Um das zu verstehen, muß man die Sinnesart der Eingebornen berücksichtigen, Verschwiegenheit, auf die bei einem planmäßigen Vorgehen gegen Feinde alles ankommt, kennen sie nicht, sie verrathen sich und ihre Absichten selbst. So soll es auch ein offenes Geheimniß gewesen sein, daß am 4. Juli ein Ueberfall auf die Melina geplant war, der den Aufstand einleiten sollte; sie wollten wie sonst mit Tauschgegenständen an Bord fahren, nur in größerer Zahl, und im gegebenen Augenblick die ahnungslose Besatzung überwältigen.
[119] Wären sie so vorgegangen, so hätten die Spanier unverzeihlich sorglos sein müssen, wenn sie nicht im Kampfe Sieger geblieben wären und die unbewaffneten Eingebornen von Bord geschlagen hätten. Dann hätte der Aufstand auch einen ganz anderen, für die Spanier sicher vortheilhafteren Ausgang genommen; ihr Verderben war jene erzwungene Auflösung der am 1. Juli stattgehabten Versammlung.
Wie vorbereitet der Aufstand war, ist daraus zu schließen, daß selbst die Bewohner der Inselgruppe Parkim, die 26 Seemeilen von Ponapè in WNW.-Richtung gelegen ist, sich daran betheiligen wollten und alle Vorbereitungen trafen, zum bestimmten Tage auf Ponapè einzutreffen.
Der deutsche Händler auf jenen Inseln Namens Schmidt, fuhr aber unauffällig, wie schon sehr oft, als wüßte er nichts von allem, in der Nacht zum 2. Juli ab und traf mit seinem Boote und seiner Familie auf Lungur ein, gerade als Herr Ruß die bedenkliche Botschaft der Häuptlinge empfangen hatte. Jetzt zu dreien auf der Station mit einer Anzahl nicht einheimischer Arbeiter beschlossen diese, wenn möglich, die Station zu halten. Doch am nächsten Tage wurde ihre Lage sehr ernst, nach vollbrachter Niedermetzelung der Spanier, sammelten sich die Aufständigen, um den Deutschen dasselbe Schicksal zu bereiten. Alle anderen Händler auf Ponapè in den verschiedenen Häfen als Mants, Kiti und anderen ansässig, waren gleich auf die Nachricht hin, die Spanier seien alle gefallen mit ihren Booten auf die weite See entflohen, mit Recht befürchtend, sie würden demselben Schicksal und der Rache der Eingebornen verfallen, die jetzt, bis auf die amerikanischen Missionare, jeden Fremden tödten wollten und sich bemühten, völligen Kehraus zu halten.
Daß der Häuptling Lojap allein nicht einen Angriff auf die deutsche Station unternommen hatte, lag daran, daß er wußte, wie gefährlich im offenen Kampf die Waffe in der Hand der Deutschen war und, daß sie die Drohung, auf jeden, der sich nähern würde, zu feuern, wahr machen würden. Hatte er doch häufig genug unsern Schießübungen beigewohnt, wenn wir auf bewegtem Wasser Flaschen oder andere Gegenstände zerschossen und selten nur das Ziel verfehlten.
Die Häuser der Station, nur aus Holz erbaut, waren freilich insofern ein ungenügender Schutz, als jede Kugel die schwachen Wände durchschlagen mußte und so war die erste gemeinsam durchwachte Nacht aufregend genug, da die Umschlossenen wohl bemerkten, wie die Feinde zu ihrer Orientirung umherschlichen, ohne jedoch zum Angriff überzugehen.
Jene erwähnte Eigenschaft der Eingeborenen, nichts geheim halten zu können, versetzte die Eingeschlossenen in die Lage, durch Kundschaft die Absichten ihrer Feinde kennen zu lernen und zwar [120] wurde die Frau des Händlers Schmidt, eine Eingeborene von Ponapè am nächsten Morgen ausgesandt, um sichere Nachrichten einzuholen. Dieselbe brachte denn auch die Gewißheit, daß in der kommenden Nacht der erwartete Angriff würde ausgeführt werden — die Eingeborenen sammelten sich am Ostende der Insel Lungur.
Dem gewissen Tode zu entgehen gab es jetzt nur noch eine Möglichkeit — es mußte versucht werden, mit den Booten die offene See zu erreichen, und wenn das gelungen war, dem Schicksale vertraut werden. Die drei Deutschen, zwar bereit zu kämpfen, hatten doch aber auch Weiber und Kinder zu schützen und sahen wohl ein, daß es ein Unding sei, die große Station gegen eine hundertfache Uebermacht zu halten. Darum wurden so geheim als möglich alle Vorbereitungen getroffen, um mit der hereinbrechenden Dunkelheit die Flucht zu wagen.
Da die deutsche Station ziemlich frei gelegen war, konnte ungesehen so leicht keiner herankommen, auch war es möglich, mit Schußwaffen alle Seiten zu bestreichen. So führten denn die Arbeiter ungehindert die Aufträge ihres Herrn aus und brachten so unauffällig als möglich Lebensmittel u. s. w. zum Werfthause und legten Bootsgeschirr, Segel und Ruder bereit.
Aber trotzdem wurde dies alles doch vom Feinde bemerkt und die Absicht erkannt. Da die Werft ganz links von der Station lag, so konnte nicht bemerkt werden, wie einige durchs Gebüsch und durchs Wasser längs derselben sich hinschlichen und sämmtliche Boote, drei an Zahl, losschnitten und treiben ließen. Die Bedrängten, die nun ihre letzte Hoffnung schwinden sahen, setzten, als der Vorgang gleich darauf bemerkt wurde, alles daran, die Boote wieder zu erhalten und einige Arbeiter, tüchtige Schwimmer, brachten denn auch nach vieler Mühe zwei derselben zurück.
Die Boote wurden nun auf dem Riffe gegenüber der Station im Bereich der Waffen festgelegt, aber da man nicht daran gedacht hatte, daß sie mit der ablaufenden Ebbe festkommen mußten, so kostete es viel Zeit und Mühe, als um 8 Uhr Abends alles bereit war, nur eins der Boote wieder abzubringen, und dieses, zum Ende der Werft gerudert, sollte dort bemannt werden. Mit größter Vorsicht wurden die Frauen und Kinder dorthin gebracht, die Männer trugen Geld, Bücher und Waffen hin und fast schien es, als würden sie unbelästigt entkommen. Herr Ruß aber, der als der letzte das Wohnhaus verschloß und zwei Behälter mit Trinkwasser dann zum Boote schleppen wollte, wurde von einem Kundschafter gestellt und angehalten, der schnell erkennend, was hier vorging, seine Genossen durch einen lauten Ruf herbeizulocken suchte.
Wie groß die Gefahr, sah Herr Ruß schnell ein, er setzte also die Behälter schnell nieder, und zwang mit gezogenem Revolver [121] den Verräther, der unbewaffnet war, dies Wasser selber in schnellster Gangart zum Boote zu tragen. In größter Eile wurde darauf ins Boot geworfen, was zur Hand war, vor allem Korallensteine aus der Werft gerissen, um das Boot zu beschweren, dann sprangen die Nahestehenden hinein und losgeschnitten trieb das Boot in die Nacht hinaus. Die meisten der Arbeiter, die zurückbleiben mußten, sprangen seitwärts auf das Riff und flohen strandaufwärts.
Keine Minute zu früh waren die Flüchtlinge entkommen, denn von allen Seiten stürmten die Feinde heran; schnell folgten flinke Kanoes den Fliehenden, die aber den Vorsprung ausnutzend und mit rasch entfaltetem Segel vor dem Winde laufend, durch die Riffenge die offene See gewannen, wo im bewegtem Wasser kein Kanoe ihnen mehr zu folgen vermochte.
Man könnte fragen, warum die Deutschen sich nicht auf die „Maria de Melina“ geflüchtet haben. Solcher Versuch aber wäre wohl fehlgeschlagen, denn die Spanier hätten höchst wahrscheinlich auf das in der Dunkelheit sich nähernde Boot Feuer gegeben. So würden sie den Feinden entronnen, von Freunden niedergeschossen worden sein. Auch war ihnen bekannt, daß in dieser Nacht der Versuch gemacht werden sollte, die so schwach vertheidigte Korvette zu nehmen. Daß dieses unterblieb, das hatte die schwache Besatzung der geglückten Flucht der Deutschen zu danken, denn da diese nun den Händen der Aufständigen entgangen waren, so wurde die Unschlüssigkeit unter den Häuptlingen wieder groß, die vermeiden wollten, daß über die Vorgänge auf Ponapè irgend welche Nachricht verbreitet würde. Sobald die Deutschen die freie See gewonnen und keine Verfolgung mehr zu befürchten war, wurde beschlossen nach der 75 Seemeilen von Ponapè in Südwest-Richtung liegenden Inselgruppe Ngatik zu segeln, dem nächsten Land außer Parkim. Sie wurden aber durch die Verhältnisse gezwungen diesen Plan aufzugeben, denn wie gut nämlich auch alles vorher bedacht und überlegt worden war, in der Hast war im letzten Augenblicke nicht darauf geachtet worden, was in das Boot hineingeworfen wurde und nun stellte sich, als auf bewegtem Meere eine Untersuchung vorgenommen wurde, zum allgemeinen Schrecken heraus, daß nur sehr wenig Mundvorrath im Boote war.
Es blieb also nichts übrig, als den Kurs nach Parkim zu nehmen, wo es vielleicht noch möglich war, aus dem Hause des Händlers Lebensmittel zu holen, sofern die Eingeborenen es noch nicht erbrochen und ausgeraubt hatten. Der frische Wind trieb das schnelle Boot durch die Wogen und schon nach Mitternacht fanden die Flüchtlinge sich in der Nähe der Station. Hier ließen Ruß und Schmidt ihr Boot mit seinen Insassen zurück und gingen mit einigen Leuten auf Kundschaft aus; [122] der dritte Deutsche und ein Eingeborener von Guam (Marianen-Archipel) San Jago, der mit den Deutschen alle Gefahren redlich theilte, blieben im Boote zurück und bewachten einen der Parkim-Leute, der zur Bootsbesatzung des Herrn Schmidt gehörte, und da ihm nicht zu trauen war, nicht freigelassen werden durfte.
Was Eßbares noch im unversehrten Hause vorgefunden wurde (wenig genug war es), wurde so schnell und geräuschlos als möglich fortgeschafft, ebenfalls noch frische Kopra und zahlreiche Kokosnüsse. Alles ging gut, in früher Morgenstunde konnte wieder abgesegelt werden, um jetzt den Kurs südwärts nach Ngatik zu richten. Der gefangen gehaltene Mann wurde vorher frei gelassen, schon um einen Esser weniger zu haben, es waren ihrer im Boote doch genug.
Es war ein gefährliches Unternehmen. Die in dieser Jahreszeit eintretenden Windstillen, die unbekannten Meeresströmungen, sowie öfters sturmartige Böen von langer Dauer machten es mehr als zweifelhaft, ob es den Seefahrern überhaupt gelingen würde, so niedriges Land, wie die kleinen Koralleninseln es sind, aufzufinden; doch im schlimmsten Falle konnte man das hohe Land von Ponapè immer wieder aufsuchen, das bei klarem Wetter doch beinahe 60 Seemeilen weit sichtbar blieb.
Mit dem seetüchtigen Boote war es auch nicht so sehr gefährlich große Strecken zu machen, dennoch mag ihnen allen nicht sonderlich zu Muthe gewesen sein, da keiner auf dem Ozean die Wege, die zu Land und friedlichen Menschen führten, kannte.
So kam der Tag mit seiner Gluth, einsam zogen sie auf weitem Meere dahin — es kam die Nacht und brachte einen Gewittersturm, der sie weit aus ihrem Kurs verschlug — und wieder kam trostlos ein Tag für sie; nun wußte keiner mehr wohin, auf bewegtem Ozean irrten sie umher, kein Land in weiter Runde — die Inselgruppe Ngatik fanden sie nicht und mußten nun, um bloß zu wissen, wo sie sich befanden, nach Osten gegen den Wind aufkreuzen. Tage sahen sie kommen und gehen, bis endlich Ponapè wieder in Sicht kam.
Der Insel nahe, erkannte Herr Ruß, daß sie sich an der Südseite von Ponapè befanden und wollte nun versuchen, in Kiti-Hafen einzulaufen, wo, wie er wußte, im Hause des dort ansässig gewesenen amerikanischen Händlers sich eine Seekarte befand, die, wenn noch vorhanden, ihnen wenigstens einen Anhalt bot, wo sie weiter Land finden könnten. Wohl erinnerte sich Herr Ruß, daß ich ihm den genauen Kurs nach Mokil, der nächsten östlich von Ponapè liegenden Insel, einst angegeben hatte, aber muthlos geworden, mit wenig Mundvorrath im Boote — Wasser hatten sie sich bei verschiedenen Regengüssen mit ihrem Segel aufgefangen — mochte keiner mehr zu einer neuen Irrfahrt rathen.
[123] Im Kiti-Hafen eingelaufen, bemerkten sie, daß die dortigen Bewohner, die längst das sich nahende Boot erkannt, die Absicht hatten, mit Kanoes ihnen den Weg zu verlegen, und nur mit genauer Noth entgingen sie zum zweiten Male ihren Verfolgern. Auf Ponapè durften sie also nirgends landen, sie segelten deshalb wieder nordwärts unter dem Außenriffe hin und suchten die Parkim-Inseln abermals auf.
Ueberrascht, am Strande vor der Station das Boot des Herrn Schmidt zu finden, erfuhren sie bald, daß die auf Ponapè zurückgebliebenen Arbeiter noch in derselben Nacht, als sie selbst geflohen waren, dem Beispiel ihres Herrn gefolgt und das zweite Boot mit steigender Fluth vom Riffe frei gemacht hatten, um ihr Heil auf dem Meere zu suchen; ein ungewisses Schicksal zogen die Leute dem gewissen Tode von der Hand der erbitterten Feinde vor.
Die Deutschen fanden die Hauptinsel gänzlich verlassen, die Eingebornen waren mit ihren Kanoes abgesegelt, nachdem sie die Station gänzlich ausgeraubt hatten, um sich am Aufstand auf Ponapè zu betheiligen. So konnten sie denn in Ruhe sich nach Lebensmitteln umsehen, sie fanden fast nur Kokosnüsse und Brotfrucht, doch gelang es ihnen auch noch einige Schweine zu schießen und Hühner einzufangen, die sie zubereitet mit sich nahmen.
So ausgerüstet, wollte Herr Ruß zum zweiten Male versuchen Ngatik aufzufinden. Auf Parkim durften sie nicht bleiben; die siegestrunkenen Eingebornen hätten sie nach ihrer Rückkehr sicher nicht geschont. Sie segelten also mit beiden Booten wieder ab und vertrauten sich abermals dem Ozean an. Aber als der zweite Tag anbrach, fanden sie wieder kein Land — schon muthlos, zum Theil verzweifelt, wollten sie jetzt das Boot westwärts laufen lassen, auf gut Glück einem unbestimmten Schicksal entgegen gehen.
Doch nur kurze Zeit hielten sie diesen Kurs, da entdeckte einer ihrer Leute, der auf den schwankenden Mast geklettert war, mit seinen scharfen Augen in weiter Ferne südwärts die Kronen hoher Palmenbäume über den im Sonnenlicht glitzernden Wogen, sein Ruf „Land, Land“ riß alle aus ihrer Versunkenheit empor — nach Stunden schon lag vor ihnen das ersehnte und so vergeblich gesuchte Ziel — hier wenigstens waren sie sicher vor ihren einst so guten Freunden, nun aber um so mehr erbitterten Feinden. —
Die geschilderten Vorgänge sind die wortgetreue Wiedergabe dessen, was mir die später Aufgefundenen erzählt haben und ich überzeugte mich selber davon, daß alle Angaben der Wahrheit entsprachen, [124] ja selbst, daß die Irrenden auf weitem Meer viel Härteres erduldet hatten, als sie zu berichten imstande waren.
Von jenen Ereignissen auf Ponapè, insonderheit davon, daß ein Aufstand dort befürchtet wurde, ahnte auf den Marschall-Inseln Niemand etwas. Ich lag mit meinem Schiffe „Futuna“ bereit, in wenig Tagen über Pleasant-Eiland nach Ponapè abzusegeln, ebenso der deutsche Dreimast-Schooner „Brigitta“, der, wie bestimmt, mit mir zusammen dort eintreffen sollte. Es war am 6. Juli um die Mittagsstunde, als, wie gewöhnlich, wenn ein Schiff in Sicht gekommen, das laute „Sail ho“ von den Eingebornen auf Jaluit gerufen wurde und von den hohen Schiffsmasten über die niedrige Insel hinweg auf den Ozean schauend, erkannte man bald, daß das Missionsschiff, der Dampfer „Morningstar“ auf die Südostdurchfahrt von Jaluit abhielt. Doch wie sonst lief das Schiff nicht in den Hafen ein, sondern drehte bei und sandte nur ein Boot hinein, das geradewegs zum deutschen Reichskommissar fuhr und diesem wichtige Nachrichten überbrachte.
Ohne Verweilen fuhr das Boot wieder ab; bald hatte sich die Kunde wie ein Lauffeuer verbreitet, auf Ponapè hätten die Eingebornen unter den Spaniern ein furchtbares Blutbad angerichtet, die deutschen und anderen Händler seien diesem zwar glücklich entronnen, irrten aber auf dem weiten Meere umher, dem sie sich in leichten Booten anvertraut hätten. Alle Schiffe, die in Ponapè einliefen, ließen die Bewohner nicht wieder fort, um zu verhindern, daß nach Westen den Spaniern Nachricht über den Aufstand gebracht würde.
Welche Gefahr für die deutschen Stationen auf Ponapè entstanden war, ließ sich gar nicht beurtheilen, vielleicht war der ganze Handel auf dieser reichen Insel zerstört, vielleicht durch Vernichtung der Bauten und Güter, der Gesellschaft ein ungeheurer Schaden zugefügt worden.
Leider war die mir gegebene Weisung, daß ich zuerst nach Pleasant-Eiland laufen sollte, nicht mehr zu ändern, so wurden denn schleunigst Waffen und Schießbedarf an Bord geschafft, damit wir, wenn nöthig, uns vertheidigen könnten. In aller Frühe des 7. Juli verließ ich den Hafen von Jaluit mit der Weisung, die Reise nach Möglichkeit zu beschleunigen und, wenn ich Ponapè erreicht hätte, vorerst nach den Entflohenen zu suchen; in dem Hafen dort aber nicht eher einzulaufen, als bis ich mich vergewissert, ob solches ohne große Gefährdung für Schiff und Mannschaft geschehen könne.
Nach Pleasant-Eiland, von welcher Insel ich eine beträchtliche Menge Kopra für die „Brigitta“ abzuholen und auf welcher ich auch viel Ladung, Güter und Holz, zu landen hatte, gelangte ich schon nach wenigen Tagen und kreuzte hier unablässig drei Tage und Nächte. Schon war am vierten Tage die Ladung zum größten [125] Theil an Bord gebracht, als der Wind plötzlich schwächer wurde, der Abstand von der Insel vergrößerte sich immer mehr und sah ich ein, daß ich gegen den Strom mich nicht mehr halten würde, deshalb Signale für den an Land befindlichen Geschäftsführer aufhißend, kam dieser schließlich ab; brachte jedoch den deutschen Händler ebenfalls mit, weil er mit diesem noch nicht alles Geschäftliche erledigt hatte.
In der Voraussetzung, der Wind würde wieder stärker werden, blieb der Händler auf Anrathen des Geschäftsleiters an Bord und ließ sein Boot zur Insel zurückfahren; aber die Hoffnung erwies sich als trügerisch, der Wind wurde ganz still und am nächsten Morgen war kein Land mehr in Sicht. Ob das Boot, da der Abstand zwischen Land und Schiff schon ganz beträchtlich gewesen war, die Insel wieder erreicht hat, darüber habe ich Gewisses nie erfahren können.
Wie verhängnißvoll der Strom für die Insassen eines Bootes werden kann, zeigt folgender Vorfall, der sich im Jahre 1889 zutrug und den auf Pleasant-Eiland ansässigen Europäern, die mir persönlich wohl bekannt waren, nebst ihren Leuten das Leben kostete.
Im Juli 1889 wurde im Bismarck-Archipel die Nachricht verbreitet, es seien auf der Insel Tatan drei Weiße und eine Anzahl Kanaken von den dortigen Eingebornen ermordet worden. Da S. M. Schiffe „Alexandrine“ und „Sophie“, im Bismarck-Archipel anwesend waren, unternahm die „Sophie“ es, nähere Erkundigungen einzuziehen und es bestätigte sich, daß zwar keine Europäer, aber sieben Eingeborne von Pleasant-Eiland, sowie zwei Frauen erschlagen waren, zwei Frauen aber noch lebten, von denen eine, ein junges Mädchen, Irivon mit Namen, ermittelt werden konnte und auf ihren Wunsch an Bord des Kriegsschiffes nach Matupi gebracht wurde.
Der dort ansässige Vertreter der Firma Hernsheim & Co., Herr Thiel, der mehrere Jahre auf den Marschall-Inseln (Jaluit) gelebt hatte und die Sprache dieser Insulaner verstand, erfuhr aus dem Munde des Mädchens Folgendes:
Sie selbst sei einst mit dem Schooner „Mangaribien“ (Kapt. Reiher) von Pleasant-Eiland nach Likieb gekommen und habe dort gearbeitet, später sei sie längere Zeit auf Jaluit thätig gewesen, dann aber, als sich Gelegenheit geboten, in ihre Heimath zurückkehren, habe sie sich mit noch drei anderen Weibern auf einem nach Pleasant-Eiland bestimmten Fahrzeuge eingeschifft. Als die Insel schon in Sicht war, sei dieses wahrscheinlich vom harten Strom gefaßt, und abgetrieben worden. Vorher aber sei noch ein Boot mit den Europäern von der Insel gekommen, die Waaren aufgekauft hätten; es waren dies die Händler Harris, van Been (ein Holländer) und Bair, begleitet von dem Häuptlinge Banegain und 6 Kanaken.
[126] Diese nun hätten sie und die anderen Weiber zu ihrer Freude mit in das Boot genommen, doch wegen des zu starken Stromes, den zu überwinden die Mannschaft zu schwach gewesen, hätten sie die Insel nicht erreicht sondern wären drei Monate auf dem Ozean umher getrieben; das Leben hätten sie von den aufgekauften Lebensmitteln, Hartbrod und Reis gefristet. Nach entsetzlichen Leiden wären dann zuerst Bair, dann van Been, zuletzt Harris gestorben, wohl aus Mangel an Wasser. Längere Zeit nach dem Tode der Weißen wären sie an eine Insel angetrieben, auf der sie sich für den im Boote befindlichen Taback Kokosnüsse hätten kaufen wollen.
Sie hätten auch Nüsse erhalten, darauf aber wären die Eingeborenen in das Boot gekommen und hätten mit Tomahawks die sieben männlichen Kanaken und zwei Weiber erschlagen. Sie selbst und ein Weib, Namens Bananie, waren ins Wasser gesprungen und weggeschwommen. Aus dem Wasser hätten die Eingeborenen Papilin und Mamalu sie gezogen und vor der Wuth der anderen dadurch gerettet, daß sie sie in ihre Hütten aufnahmen und zu ihren Frauen machten.
In ähnlicher Weise wie das erwähnte Schiff war auch ich wieder von dieser Insel abgetrieben und hatte keine Aussicht schnell dorthin zurückzukehren, um wenigstens den Händler wieder abzusetzen; versuchte ich es, konnten Wochen hingehen, ehe es mir gelang, die Insel zu erreichen, was mit meiner Weisung, schnell nach Ponapè zu segeln, nicht zu vereinbaren war. Deshalb besann ich mich nicht lange, als jede Aussicht auf frischen Wind geschwunden war, sondern ließ das Schiff nordwärts vom schwachen Windhauch langsam durch die spiegelglatte See treiben, um aus dem widrigen Strom herauszukommen; viel nöthiger schien es mir, den von Ponapè Entflohenen Hilfe zu bringen, als unersetzliche Zeit zu opfern, um Pleasant-Eiland wieder aufzusuchen.
48 Stunden waren hingegangen, als gegen Abend wie gewöhnlich die Pumpen untersucht wurden, weil das im Schiffe angesammelte Wasser ausgepumpt werden sollte. Da fand sich, daß über 3 Fuß Wasser im Schiffsraum war. Bald wurde es zur Gewißheit, daß wir uns auf einem leckenden Schiffe befanden, denn obgleich unablässig die Nacht hindurch gepumpt wurde, war erst gegen Morgen das Wasser bewältigt.
Unter anderen Verhältnissen wäre es, wenn nicht die dringende Sorge um die von Ponapè geflüchteten Deutschen mich gezwungen hätte, die Reise fortzusetzen, meine Pflicht gewesen, wieder nach Jaluit zu segeln, da ich nicht wissen konnte, ob ich in der Folge mit der Mannschaft würde das Schiff halten können. So wurde der Kurs nicht geändert — aber es war, als sollten wir nicht vorwärts kommen, denn selbst in den äquatorialen [127] Gegenstrom gelangt, fanden wir wenig Wind und trieben eigentlich mehr nach Westen, als daß wir segelten.
Die Ursache, daß das Schiff leck geworden, war der Seewurm gewesen, der an einer vom Kupfer entblößten Stelle nahe am Kiel zwei Planken durchfressen hatte. Dieser Wurm bohrt sich als unscheinbares Thierchen in das Holz hinein, wächst darin bis zur Fingerstärke, und wenn eine Planke ganz durchbohrt ist, genügt ein größeres Loch, das Schiff in ernstliche Gefahr zu bringen.
Als ich im Januar 1887 das von Apia gekommene Schiff übernahm, wurde mir nicht bekannt gegeben, daß dieses vorher auf einer Reise nach der Gilbert-Gruppe in der Lagune von Tapetuea auf ein Riff gerathen war und dort wahrscheinlich am Kupfer Beschädigungen erlitten hatte; wären diese gleich in Apia in Stand gesetzt, d. h. das beschädigte Kupfer ausgebessert worden, so hätte das sonst so gute Schiff der Seewurm nicht durchfressen können. Doch es war geschehen und vorläufig nichts weiter zu machen, als durch ständiges Pumpen das Schiff über Wasser zu halten.
Es ist übrigens eine besondere Vorsicht nöthig, wenn man die nicht mit Kupfer oder Zink beschlagenen Fahrzeuge, wie Boote, aussetzen will, denn sehr zahlreich bohren sich diese kleinen Würmer ein und sind im Stande, Bootsplanken von ½ bis 1 Zoll Stärke schon nach mehreren Wochen völlig zu zerstören. Darum dürfen selbst mit Kohlentheer bestrichene Boote nie lange im Wasser liegen bleiben, sondern müssen stets aufs Land geholt werden, sobald sie außer Gebrauch gesetzt sind.
Auch die Eingebornen im weiten Ozean auf jeder Insel befolgen diese Regel, ob ihre Kanoes klein oder groß sind, stets holen sie diese nach dem Gebrauche aufs trockene Land.
Meine Absicht war, zuerst die Insel Mokil anzulaufen, da ich vermuthen konnte, daß dorthin die von Ponapè entkommenen Händler geflohen wären, oder wenigstens von mehreren der Versuch gemacht sein würde diese Insel zu erreichen, da es für sie dort eher möglich war, ein vorübersegelndes oder dort anlaufendes Schiff anzutreffen. Aber trotzdem, daß tagelang die Insel in Sicht war, konnte ich wegen Windstille doch nicht herankommen, und als endlich wieder leichter Wind aufsprang, war ich zu weit entfernt, so daß es besser war, geradewegs nach Ponapè zu laufen.
Vor der Nordeinfahrt angekommen sah ich die „Brigitta“ im Hafen liegen, nicht weit entfernt vom spanischen Kriegsschiff, und als ich auch Boote zwischen beiden Schiffen verkehren sah, hielt ich jede Gefahr für ausgeschlossen und lief hinein.
Die „Brigitta“, später von Jaluit abgegangen, hatte zwar leichten aber ständig guten Wind auf ihrem viel nördlicheren Kurse gefunden, hatte auch Mokil angelaufen und einige dorthin geflüchtete amerikanische Händler gesprochen, dieselben waren aber vollständig unwissend über das Schicksal der Deutschen. Das Schiff umsegelte [128] darauf Ponapè, lief nach Parkim und Ngatik, fand aber auf letzterer Gruppe die Geflüchteten nicht mehr vor. Diese hatten dort, entblößt von allen Mitteln, kaum ihr Leben fristen können und, als der Zeitpunkt gekommen, wo Herr Ruß ein Schiff erwarten konnte, daß von Jaluit nach Ponapè unterwegs wäre, hatte er es mit den Gefährten gewagt, ihm nach Mokil entgegen zu segeln.
Dort angelangt hörte er, daß die „Brigitta“ vor kurzem ihn dort gesucht hätte und nochmals dieserhalb nach Ngatik gesegelt wäre. Da sich gerade günstige Gelegenheit bot schleunigst dem Schiffe zu folgen, nahm er einen Platz auf einem amerikanischen Schooner und ließ sich auf Ngatik, wo er sein zweites Boot zurückgelassen hatte, wieder absetzen. Aber auch hier kam er wieder zu spät an und mußte sich nun zum zweiten Male mit seinem Boote der trügerischen See anvertrauen. Doch als er abermals Mokil erreicht hatte, war die Brigitta, die ihn vergeblich gesucht, vor ihm zu dieser Insel zurückgekehrt, hatte sein großes Boot mitgenommen und war nach Ponapè weiter gegangen.
Diese langwierigen und im offenen Boote nicht ungefährlichen Reisen hatte denn auch die Umherirrenden stark mitgenommen; vor allem hatte die seit langen Wochen schlechte Ernährung ihr körperliches Befinden schädlich beeinflußt. Doch nichts anderes blieb übrig, als nochmals dem Schiffe zu folgen; endlich wurde es an der Nordseite von Ponapè umhertreibend aufgefunden.
Seit dem 2. Juli bis zu dem Tage, an welchem die deutschen Schiffe eingelaufen waren (ich traf etwa 36 Stunden nach der „Brigitta“ ein) war inzwischen ein spanischer Kriegsdampfer, der während des Aufstandes schon auf der Reise nach Ponapè gewesen, angekommen, hatte die fast verlassene „Maria de Melina“ neu besetzt und war dann mit der traurigen Nachricht von der Niedermetzlung der Garnison und der Schiffsbesatzung schnell nach Manilla zurückgedampft.
Unter dem Schutze des jetzt wieder starken Kriegsschiffes konnten wir auf Lungur landen; doch wie verändert war dort alles! Wo einst schöne Wege, wucherten Gras und Unkraut, was in schönster Ordnung gewesen, war verfallen. Zwar hatten die Eingebornen die Station nicht zerstört, sondern nur erbrochen und Waffen und Munition herausgeholt, auch sonst mitgehen heißen, was ihnen nützlich schien, doch war der Schaden und die Zerstörung groß genug.
Nachdem die „Maria de Melina“ Verstärkung erhalten, eröffnete der neue Kommandant Jose de Concha sehr bald die Beschießung, alle im Bereiche der Geschütze liegenden Inseln und Ortschaften wurden unter Feuer genommen; doch, da diese eine ausrangirte Segelkorvette mit alten Vorderladern war, die ihren Ankerplatz nicht verlassen konnte, blieb die Beschießung so gut wie erfolglos.
[129] Wie die Eingebornen erzählten und auch von anderer Seite verbürgt wurde, sind sie, sobald ein Geschoß eingeschlagen hingelaufen und haben, überzeugt von seiner Gefahrlosigkeit, den Zünder herausgerissen; der solches unternahm, dem gehörte dann auch das in dem Halbgeschosse enthaltene Pulver. Nur eine Kugel, die auf solche Weise erlangt wurde, platzte, als ein Verwegener die Lunte fassen wollte, und riß ihm beide Beine weg. So unglaublich dies auch klingen mag, so ist es doch wahrscheinlich, denn die jedenfalls längst nicht mehr zeitgemäßigen Geschütze und die ganz veralteten Geschosse waren zu einer erfolgreichen Beschießung nicht mehr geeignet.
Der Verkehr mit den spanischen Offizieren, während unserer Anwesenheit auf Lungur, war recht freundlich, sie zeigten sich uns in jeder Weise gefällig, auch hatten sie keinen anderen Verkehr und konnten mit Sicherheit nur auf der Insel Lungur landen, da jedes Betreten der Hauptinsel selbst ihnen mit Waffengewalt von den Eingebornen verwehrt wurde. In welcher Weise die Spanier, wenn die erwartete Verstärkung von Manilla eingetroffen sei, vorgehen würden, darüber äußerte sich der Kommandant Jose de Concha folgendermaßen:
Es sollten rund um Ponapè befestigte Stationen unter dem Schutze mehrerer dort stationirter Kriegsschiffe errichtet werden und würden dann tausend Mann genügen, bei allmählichem Vordringen die Aufständigen zu Paaren zu treiben. Namentlich sollten die Bezirke Jokoits, Nut, Aru, Mants und Tahunk gesäubert werden. Wären einmal die Eingebornen in das unwirthliche Innere der Insel getrieben, würden sie durch Hunger und Mangel an Schießbedarf genöthigt, bald genug zu Kreuze kriechen.
Doch die Erwartungen, die dieser Kommandant gehegt, haben sich nicht erfüllt, Spanien konnte vorläufig solche Macht nicht entfalten und als diese später zur Stelle war, mußte es sich mit der Bestrafung der Hauptbetheiligten begnügen, denn inzwischen waren auch die Bewohner von Ruk und Yab in den Aufstand eingetreten, und bald versuchten auf der ganzen Gruppe der Karolinen im Osten wie im Westen fast gleichzeitig die kriegerischen Stämme, sich von dem ihnen auferlegten Zwange zu befreien.
Es ist eine Eigenthümlichkeit der Spanier, daß sie so schnell zu strengen Maßregeln in neuerworbenen Ländern den Eingebornen gegenüber schreiten und immer geschritten sind und so wenig ihre Gebräuche und Sitten berücksichtigen. Und gerade auf den Karolinen war Gewalt am wenigsten angebracht, hier, wo diese Völker noch nie die Hand einer stärkeren Macht gefühlt, wo sie unabhängig, frei und zufrieden lebten.
Unausgesetzte Kämpfe werden die Spanier, so lange diese Inseln in ihren Händen verbleiben, führen müssen, bis der letzte Rest dieses begabten Volkes dem Verderben geweiht ist, bis die [130] weiten blühenden Fluren, auf denen hundertfacher Segen die geringe Arbeit lohnt, Brandstätten und Trümmer geworden sind; die Spanier werden endlich Sieger bleiben, aber um welchen Preis!
Die Kulturarbeit auf diesen Inseln wird ein ander Volk, wenn das jetzt dort lebende Geschlecht in seinem Heimathlande begraben und vergessen ist, zum späteren Segen vollbringen müssen. —
Sobald beide Schiffe segelfertig waren, verließen wir die deutsche Station auf Lungur: Herrn Ruß nahm ich mit nach Jaluit, er durfte nicht zurückbleiben, über kurz oder lang wäre er doch der Rache der Eingebornen verfallen. Die „Brigitta“ steuerte westwärts nach Yab, wo sie vollständig verloren ging, mit der „Futuna“ aber ging ich nordwärts nach dem Providenz-Atoll. Obgleich das Schiff noch immer stark leckte, die Pumpen zu bestimmten Stunden bei Tag und Nacht stets in Betrieb gehalten werden mußten, so hatten doch tüchtige Taucher dem Schlimmsten durch Uebernageln eines Stückes Kupfer am Schiffsboden abgeholfen, und da ich auch u. A. für den einsam auf jenem Atoll lebenden Deutschen Proviant an Bord hatte, wo seit 8 Monaten kein Schiff erschienen war, hielt ich es für nothwendig auch dort noch einzulaufen.
Von Ujelang segelte ich zurück nach Pingelap, einer zwischen Ponapè und Kusai liegenden Insel; dort holte ich mir von dieser eine neue Besatzung, Leute die ich mir erst auszubilden hatte, welche aber wegen geringerer Heuer eine Ersparniß ermöglichten, und kehrte von hier geradenwegs nach Jaluit zurück.
Die „Futuna“ war in den Marschall-Inseln nicht auszubessern, darum beschloß der Vertreter der Gesellschaft, Herr Brandt, dieselbe nach Apia zu senden; doch mußten vorerst noch sämmtliche Stationen mit Handelsgegenständen versehen werden, und auf dieser langen Rundreise durch die Marschall-Gruppe lernte ich verschiedene mir noch nicht bekannte Atolle kennen.
Was die Kulturfrage anbelangt, die das deutsche Reich auf diesen fernen Inseln besonders berücksichtigen muß, so kann ich erwähnen, daß die Ertragfähigkeit noch einer ganz bedeutenden Steigerung fähig ist, sofern der Sinn der einheimischen Bevölkerung für den Handel immer mehr geweckt und diese angeleitet wird, mehr zu erzielen als bisher, was darauf hinausläuft, die vielen brachliegenden Inseln mit Kokosbäumen zu bepflanzen. Dadurch würde nicht bloß ein greifbarer Vortheil erzielt, sondern auch der Gefahr vorgebeugt, daß die Wogen des Ozeans zeitweilige Zerstörungen auf diesen niedrigen Koralleninseln anrichten können. Findet doch jede hier wachsende Baumart, vornehmlich die Kokospalme, selbst auf steinigen Korallengrund, einen dankbaren Boden und gutes Fortkommen.
[131] Im Begriffe nach Samoa abzusegeln, mußte ich meinen Obersteuermann Kannegießer, der die Führung des Schooners „Ebon“ erhielt, welches Schiff dem König Kabua und Nelu gehörte, zurücklassen, und an seiner Stelle den Japanesen Kitimatu nehmen. Kannegießer, der auf den Marschall-Inseln seit jener Zeit verblieben ist, wurde 1894 auf der Insel Butaritari (Gilbert-Gruppe) von den Eingebornen dort, die im Verkehr viel unzugänglicher sind als die Marschall-Insulaner, ermordet. In den letzten Tagen des Jahres 1887 verließ ich Jaluit; gegen starken östlichen Wind aufkreuzend, hoffte ich östlich von der Gilbert- und Ellis-Gruppe nach Süden segeln zu können, fand aber noch nördlich vom Aequator wieder solchen starken Strom, daß ich gezwungen war, diesen Plan aufzugeben, und zwischen 8 bis 12 Grad nördlicher Breite fortan Ost zu gewinnen suchte.
Oft genug hatte ich die Erfahrung gemacht, daß, während im südlichen Theil der Marschall-Inseln gutes Wetter vorherrschend war, im nördlichen zur Zeit des Nordost-Passates starke Winde wehten, so daß an den Gestaden der nördlichsten Atolle sich eine schwere See brach; ob die Annahme, jene Atolle sinken noch langsam, erwiesen ist oder nicht, steht dahin, soviel aber ist sicher, daß die nördlichsten Atolle wegen der immer weiter vordringenden See von ihren Bewohnern haben verlassen werden müssen und die wenigen noch über dem Meere liegenden Inseln heute unbewohnt sind.
Auf 176 Grad westlicher Länge, nahe der Linie, die ich in wenig Stunden zu passiren erwarten konnte, sahen wir, als die Sonne in ihrer wunderbaren Schönheit über den endlosen Ozean aufgegangen war, plötzlich wenige Seemeilen voraus eine niedrige, unbewachsene und unbewohnte kleine Insel. Als wir näher gekommen waren und dieser auf der Westseite vorüberfuhren — ich hatte schon tags vorher weit nördlicher erwartet eine Insel zu sehen und war überrascht jetzt noch eine unerwartet in Sicht zu laufen — sah ich, daß nahe derselben eine große Menge Haifische umherschwamm, auf dem niedrigen Sande aber saßen abertausend Seevögel, die noch mit ihrer Morgentoilette beschäftigt sich erst in Schwärmen erhoben, als der ungewohnte Anblick des immer näher kommenden Schiffes sie aufscheuchte.
Nicht das geringste war auf diesem öden Sand weiter zu entdecken, nur hin und wieder leuchteten im Sonnenstrahl weiße Flecken auf, es waren die angehäuften Ausleerungen der Seevögel, die in Schaaren noch saßen oder mit krächzendem Geschrei in der Luft umherschwirrten. Die Gelegenheit wäre günstig gewesen, hier frische Eier in Mengen zu erhalten, doch sah ich nirgends an der Westseite flacheren Grund und erst ganz dicht heranzulaufen und danach zu suchen schien mir der Mühe nicht werth. So segelte ich weiter, zufrieden, daß die im direkten Kurs gelegene Insel erst am frühen Morgen in Sicht gekommen und nicht, als noch Dunkelheit [132] herrschte, von uns getroffen war, denn dann hätte sie uns und dem Schiffe verhängnißvoll werden können.
Uebrigens war ich auf alle Möglichkeiten vorbereitet, wenn das schon stark leckende Schiff nicht mehr zu halten gewesen wäre — die Mannschaft konnte nichts weiter thun, als nur die Segel bedienen und unablässig jede halbe Stunde pumpen, — dann hätte ich dieses mit den bereit gehaltenen Booten, in denen für Wochen Mundvorrath und Wasser bereit lag, verlassen.
Schon darum war ich soweit nach Osten aufgesegelt und suchte, als der Aequatorialstrom schwächer geworden, noch immer etwas Ost zu gewinnen, damit ich die Phönix-Gruppe durchschneiden oder in Lee von mir zu liegen hatte. Wäre auch keine große Gefahr damit verbunden gewesen, mit den guten Booten auf freiem Meer vor dem Winde zu segeln und Land zu suchen, so wäre solche Fahrt für zwei Frauen, Samoanerinnen, die ich als Fahrgäste an Bord hatte, doch recht unangenehm geworden.
Die Walfischfänger, die in früheren Jahrzehnten so zahlreich diesen Theil des Ozeans durchkreuzt und reiche Beute fanden, haben wenige der gewaltigen Meerbewohner verschont, und doch sah ich hin und wieder noch einige riesige Walfische in der dunkelblauen Fluth sich tummeln.
Mit langsamer Fahrt nach Süden segelnd, (die Phönix-Gruppe lag hinter uns) wurden wir eines Tages von einem, jungen Walfisch begleitet, dem es Vergnügen zu bereiten schien bald vor, bald mit dem Schiffe zu laufen, und gar leicht wäre es gewesen, dem Thiere in den dicken, plumpen Körper eine Harpune hineinzuwerfen, doch sah ich ein, daß, wenn wir auch wirklich mit sicherem Wurfe das Thier hätten tödten können, wir schwerlich einen Nutzen davon gehabt hätten, und Harpune und Leine wollte ich nicht darum opfern. Doch versessen darauf, den Walfisch zu erlangen, oder wenigstens den Versuch zu machen, bot der Steuermann Kitimatu mir immer wieder, wenn der Fisch dem Schiffe recht nahe gekommen, seine werthvolle Harpune an. Er wollte diese verlieren, sollte der Fisch entkommen, nur möchte ich ihm gestatten, eine der besten langen Leinen zu nehmen. Schließlich selbst neugierig gemacht, wie wohl der Fang verlaufen würde, ließ ich alle Vorbereitungen dazu treffen und um sicher zu gehen, damit der harpunirte Fisch die gute Leine nicht zerreißen könnte, beauftragte ich Kitimatu, diese, solange der Wal in die Tiefe schießen sollte, immer weiter auslaufen zu lassen. Ich selbst ging auf den Klüverbaum hinaus und unter diesem am Stammstocke Fuß fassend, durch eine Brustleine gut gehalten, daß beide Arme frei blieben, wartete ich auf den Augenblick, wann der Wal wurfgerecht wieder vor dem Schiffe laufen würde, um dann die bleibeschwerte Harpune dem Thiere in oder neben das Spritzloch mit voller Wucht zuzuwerfen.
[133] Nicht lange brauchte ich zu warten, der Wal kam heran und mit sicherem Wurfe geschleudert, fuhr ihm die tödtliche Harpune seitwärts unter dem Spritzloch tief in den Leib. Zu Tode getroffen, den Schwanz hoch über Wasser schnellend, schoß das Thier mit gewaltiger Kraft in die Tiefe. Die starke Leine fuhr rauchend hinterher; um den Spillkopf zum Wegführen belegt, war sie, da Kitimatu sie nicht fahren lassen wollte, mit furchtbarer Geschwindigkeit um dieses Holzstück herumgerissen worden, sodaß Rauch und Feuer heraussprangen und die Leine zum Theil verbrannt war. Kitimatu, dessen Hände ebenfalls verbrannt wurden in Folge der Reibung, konnte nicht mehr festhalten. Schon war ich selbst inzwischen an Deck gekommen und hatte das Messer gezogen, um diese zu kappen, als plötzlich die Leine aufhörte, weiter auszulaufen. Die Kraft des Thieres war gebrochen oder es kam herauf, um Luft zu schöpfen, die ihm aus der tödtlichen Wunde schnell entflohen sein mochte, — doch diese schnelle Fahrt in die Tiefe war sein Todeslauf gewesen. Weit entfernt an der Steuerbordseite — die ganze 450 Fuß lange Leine war fast ausgelaufen — kam der Wal hoch, Blut und Wasser spritzte er in die Luft, in Strömen floß sein Blut aus der klaffenden Wunde und färbte rings um ihn das Meerwasser roth.
Sich hin und her wälzend, peitschte er noch mit letzter Kraft einige Male das Wasser mit dem Schwanze, dann lag er still. Das Schiff, an den Wind gebracht, trieb mit backgebrassten Raaen; darauf ward der Wal herangeholt, und lag bald in Schlingen aufgefangen sicher längsseit. Nun war die Frage, wie wohl das schwere Thier an Deck gehißt werden könnte, nicht, weil wir nicht gewußt hätten, wie das anzufangen wäre, sondern es fragte sich, ob die stärksten Takel (Flaschenzüge) an Bord ausreichend sein würden.
Im Großtop wurde das stärkste Takel aufgebracht, dann wurde der todte Wal am Schwanze, mit Hilfe unserer Winde hochgeholt, doch der Körper erwies sich, als die Tragfähigkeit des Wassers aufgehoben, zu schwer. Ihn fahren lassen wollten wir nicht, deshalb wurde, um das Gewicht des Körpers zu erleichtern, der ganze Leib, soweit anzukommen war, aufgeschnitten, der Inhalt entfernt, und der Wal schließlich so hoch gewunden, daß sein Uebergewicht über Deck zu liegen kam. Jetzt wurde ein anderes Takel vom Vortop an der Harpune befestigt — am Kopfe war durchaus keine festsitzende Schlinge anzubringen, zumal da dieser nicht frei vom Wasser zu bringen war — an Bord sicher festgelegt, dann stürzte, indem wir plötzlich das Hintertakel fahren ließen, mit gewaltigem Krach der schwere Körper, 22 Fuß lang, über die Regeling (Bordwand) weggleitend, an Deck. Obgleich wir unvollkommene Mittel an Bord hatten, um den nicht besonders dicken Speck des Wals auszulassen, wurden dennoch gegen hundert [134] Liter Thran gewonnen, vom Fleische jedoch wurde soviel als die Leute irgend unterbringen konnten, in Salzlacke gelegt, dann in Streifen geschnitten und an der heißen Sonne getrocknet. Der Vorrath war so groß, daß die Mannschaft noch in Apia damit Tauschhandel trieb.
Da beim schönsten Wetter mit leichtem Ostwind die östlichste Insel der Unionsgruppe in Sicht gekommen war, konnte ich darauf rechnen, in einigen Tagen die hohen Berge von Upolu nach zwei Jahren wiederzusehen. Wir erübrigten uns trotz des häufigen Pumpens die Zeit, dem Schiffe ein schmuckes Aussehen zu geben und arbeiteten fleißig um die Takelage sauber in Stand zu setzen.
Schon war die Arbeit beendet, und ich freute mich darüber ohne zu ahnen, daß alles vergeblich gewesen, und obwohl ich wußte, wie leicht in dieser schlechten Jahreszeit südlich vom Aequator stürmische Westwinde plötzlich auftreten, dachte ich doch nicht daran, nur noch 200 Seemeilen von Samoa entfernt, von einem Sturm überrascht zu werden.
Am Morgen des 25. Januars 1888, der ebenso golden und friedlich angebrochen, wie seit Wochen schon ein jeder Tag, fand ich eine Aenderung am Aneroid-Barometer, der langsam fallend auf ungewöhnliche Vorgänge in der Atmosphäre hinzuweisen schien, obgleich kein Wölkchen am azurblauen Himmelsgewölbe sich zeigte. Zog weit vom Standorte des Schiffes ein Sturm oder gar ein Orkan vorüber? Das konnte ich noch nicht wissen, ist doch der Umkreis des letzteren oft gewaltig groß. Doch das Barometer sank mehr und mehr, der leichte Ostwind ward ganz still, und auf der spiegelglatten Fluth wiegte sich das Schiff. Der Mittag kam und noch dieselbe Ungewißheit blieb, nur im Nordwest und Norden kamen am Horizonte weiße Wölkchen auf, näherten sich mit großer Geschwindigkeit, als fegten sie, leichten Federn gleich, vor einem entfesselten Sturm dahin!
Die Gewißheit jedoch erhielt ich bald, mehr und immer drohender kam schweres Gewölk herauf, die Luft, bisher klar und rein, ging in ein fahles Graugelb über, kein Zweifel war mehr, daß ein Orkan heranziehe, der, wenn wir ihm nicht entfliehen konnten, seine Mitte sich nach Osten fortschiebe, uns mit seinen wirbelnden Armen erfassen und in die schweigende Tiefe des Ozeans unfehlbar ziehen würde.
Was geschehen konnte, geschah, obwohl ich überzeugt war, daß das schwer lecke Schiff kaum einen heftigen, anhaltenden Sturm überdauern würde.
Sehr erstaunt war die in solchen Dingen unerfahrene Mannschaft, als während der tiefsten Stille, — kein Windhauch regte sich, — der Befehl zum Dichtreffen sämmtlicher Segel gegeben wurde, und nach kurzer Zeit lag das Schiff unter Sturmsegeln, [135] selbst die Zeit fand ich noch, ein neues Vorstagsegel, das auf der Reise fertig geworden, anschlagen (anbinden) zu lassen.
Da kam von Norden her, (am wirbelnden Wasser, das mit tausend kleinen Wellen und weißen Köpfen wie tanzenden Kobolden aufwallte, war es schon von weitem erkennbar,) der erste heftige Windstoß. In immer kürzeren Pausen mit immer wachsender Gewalt, kam der Sturm daher und trieb trotz der wenigen Segel das Schiff vor sich her, durch die immer wilder und höher schäumende Fluth.
Ich befand mich in dem äußern Kreise des wirbelnden Sturmes, der von Stunde zu Stunde wuchs; wohin aber zog die Mitte? Ihr mußte ich mit aller Gewalt entfliehen, so lange es noch eine Möglichkeit dazu gab. Mit großer Besorgniß beobachtete ich das Barometer, das bis 5½ Uhr Nachmittags ständig fiel, dann stand es, der Sturm hatte seine höchste Gewalt erreicht.
Ich wußte nun, da der Wind von Zeit zu Zeit in der nördlichen Richtung, woher er wehte, wenig hin und her umsprang, daß der Orkan nach Süden zog, seine Mitte vielleicht sehr weit entfernt im Westen lag. Aber doch war seine Gewalt so furchtbar, daß er den Athem benahm, und die See so wild und furchtbar, wie ich sie selten gesehen. Das Schiff ächzte in allen Fugen, den Kopf niedergedrückt in die brandenden Wogen, raste es vor dem heulenden Sturm dahin. Die Leute, zitternd und unfähig ernstlich noch zu kämpfen, festgebunden an den Pumpen, damit die überbrechenden Seen sie nicht mit fortrissen, arbeiteten, doch vergeblich; denn die Pumpen warfen kein Wasser auf, obgleich durch die donnernden Wogen, durch den heulenden Wind, das unheimliche Geräusch davon zu vernehmen war, wie die Wassermassen im Raume hin und her spülten; wenn das Schiff ein Spielball der Wogen recht schwer rollte, wollte es mir scheinen, als könne es sich nur schwer wieder aufrichten, die große Wassermasse im Raume drückte es auf die Seite und wenn diese reißend anwuchs, konnte es geschehen, daß das sinkende Schiff sich auf die Seite legte, um sich nie mehr aufzurichten.
Mit andern Mitteln dem Verderben zu wehren war unmöglich, keine Luke konnte geöffnet werden, denn fußhoch spülten die Wellen über das Deck, die Wassergewalt war so groß, daß an beiden Seiten die Verschanzung zum Theil weggerissen war, und jede von hinten oder seitwärts aufstauende See fegte Wasserberge über das Schiff.
So konnte es nicht weiter gehen, ich sah den Untergang vor Augen, nicht die wilde See und den rasenden Sturm fürchtete ich, vielmehr das steigende Wasser im Schiffsraume, das in absehbarer Zeit uns in die Tiefe des brüllenden Ozeans ziehen mußte. Das Schiff an den Wind zu bringen, war das einzige, was noch geschehen konnte, aber ob es nicht schon zu spät, ob bei dem Versuche [136] nicht eine einzige wilde See, die mit voller Gewalt beim Anluven sich über das Schiff brechen mußte, genügte, dasselbe auf die Seite zu drücken und es mit allen an Bord verschwinden ließ! Das ließ sich nicht sagen. Das Untermarssegel stand noch immer wie ein Brett geschanzt, dahinter setzte sich der Sturm und so klein auch die Fläche Leinewand war, mit größerer Gewalt und Geschwindigkeit war das Schiff noch nie durch die Fluthen getrieben worden. Dies Segel mußte verschwinden wollte ich das gefährliche Manöver noch ausführen, solch Oberdruck, wenn erst der Wind von einer Seite einfiel, mußte verderblich werden. Der Gedanke, das Segel noch aufgeien und bergen zu können, wäre thöricht gewesen, keiner meiner Leute, mit denen, vom Japanesen abgesehen, gar nichts mehr anzufangen war, hätte auch nur den Versuch gemacht, den wie eine Gerte hin und her schwankenden Mast zu erklettern.
Ein matter Tagesschimmer lag noch über dem erregten Ozean, den furchtbaren Kampf der Elemente verdeckte noch nicht die dunkle Nacht — so durfte ich denn nicht mehr zögern, vielleicht beschleunigte ich das unabwendbare Schicksal, vielleicht auch, war das Manöver, wenn es gelang, unsere Rettung.
Mit Kitimatu besprach ich das Nothwendigste, er sollte mit einigen Leuten vorne im Schiff aufpassen, vorerst die Schoten des Marssegels fliegen lassen, damit dieses in Stücke peitschen könne, dann das dichtgereffte Vorstagsegel setzen, während ich hinten ein wenig das Großsegel anhissen lassen wollte, um durch dessen Druck das Schiff schnell an den Wind zu bringen. Ehe aber die Mannschaft verzweifelt und muthlos, wie es kaum anders von solchen braunen Menschen erwartet werden konnte auf ihren Posten stand, fegte plötzlich der Sturm mit seiner wildesten Gewalt daher, die See war nur ein Schaum, keine hohe Welle hob sich — es war, als hielt der Druck der Atmosphäre die schäumenden Wogen nieder — da, ein furchtbares Krachen, das den heulenden Sturm übertönte, das Marssegel, gespalten und mit wenigen Schlägen aus seinen Tauen geflogen, flog im Winde wie leichtes Papier dahin. Vor Top und Takel lief jetzt das Schiff. Hatte es aber vorher den von hinten heranstürmenden Wogen entrinnen können, so drohten diese nun, da die Geschwindigkeit vermindert worden, über das Heck herein zu brechen.
Kaum hatte ich diese Gefahr in den wenigen Augenblicken erkannt, so rollte auch schon eine furchtbare Woge heran, die grüne Kopfmasse glitzerte selbst schon im Abenddunkel — das Herz im Leibe machte die Erwartung, was die nächste Sekunde bringen mußte, stille stehen — den unvermeidlichen Tod, wenn diese Woge das Schiff überlief. Als wollte das Schiff sich in seine Länge überwerfen, so hoch auf dem Kamm der Woge hob sich das Hintertheil, dann brach die See. Instinktmäßig sprang jeder fußhoch in die Wanten, um von der brüllenden Gischt nicht fortgerissen zu werden, [137] das Deck war sogleich von der See überspielt, daß nur die Masten, das Karten- und Deckhaus hervorragten. Krachend waren beide Boote unter ihre Träger gepreßt, die Böden eingedrückt worden und vollgefüllt mit Wasser waren die starken Befestigungen wie Bindfaden zerrissen.
Eine zweite See, eine dritte kam heran, gleich drohend und verderbenbringend, dann war es still, als hätte die Wuth des Meeres ausgetobt — jetzt oder nie war der Augenblick gekommen, das Schiff an den Wind zu bringen. Indem ich Kitimatu das Zeichen gab, sein Segel zu hissen, und selbst den letzten Halt des Großsegels fahren ließ, dem Manne am Ruder den Befehl gab, das Steuer nach Backbord zu legen, wirbelte unter dem Drucke der Leinewand das Schiff herum, und die nächste See schon, wie ein Wasserberg herankommend, faßte es von vorne.
Doch war die Gewalt des Windes groß, als wir vor der See liefen, war diese, von vorne kommend, derart, daß man den Kopf wegwenden mußte, um geduckt hinter der Verschanzung, nur athmen zu können. Mit dem letzten harten Stoße hatte sich der Wind etwas nach Osten gedreht und da dort der Kopf des Schiffes den Wellen zugekehrt war, so brachen diese nicht so schwer über das stampfende Fahrzeug. Aber schlimmer kam es. Das Vorsegel nicht ganz aufgehißt, holte zu furchtbaren Schlägen aus; ehe ich selbst bei der jetzt herrschenden Dunkelheit nach vorne gekommen, war schon das Vorstag gebrochen; das neue Segel an seiner Schot nur noch gehalten, wehte, auf die heranrollenden Seen peitschend, in Lee. Dieses bargen wir; doch was schlimm war, der Vordermast hatte seinen besten Halt verloren, und, konnte der Schaden nicht ausgebessert werden, so brachen die stehenden schwächeren Befestigungen, brach auch durch das furchtbare Arbeiten des Schiffes der Mast und mußte, um das Schlimmste zu verhindern, gekappt werden.
Hatte der Japaner in den Stunden der höchsten Gefahr gezeigt, daß er nicht nur ein unerschrockener Seemann war, so zeigte er jetzt kühnen Muth und Verachtung jeder Gefahr, ohne diesen Helfer wäre mir nichts gelungen. Die Pingelap-Leute hielten sich nur fest und kein Zureden, kein Schelten half — der böse Geist, sagten sie, sei gekommen und würde sie alle holen. —
Da keine Mittel zur Hand waren, in solcher Dunkelheit die nothwendige Arbeit auszuführen, so wurde zunächst das große zerschlagene Boot an Deck geführt, die Taljen abgenommen und mit diesen und dem zerrissenen Stag eine vorläufige Verbindung zwischen Mast und Bugspriet hergestellt, die stark genug war, dem Maste den verlorenen Halt wieder zu geben.
Als dies gethan war, mußte Wind und Wellen anheimgegeben werden, was ihre Gewalt uns noch Schlimmes zufügen wollte. In all der Noth dieser Stunden, in dem verzweifelten [138] Kampfe mit den Elementen, hatte keiner mehr darauf geachtet, daß eigentlich um eine sinkende Planke gerungen wurde, bis der Augenblick gekommen, wo wir uns wieder darauf besinnen konnten und das im Schiffsraum so unheimlich spülende Wasser uns an die Gefährlichkeit unserer Lage mahnte.
Mit beiden Pumpen, die jetzt Wasser warfen, wurde unablässig fortgepumpt, standen wir auch bis zum Halse im Wasser, drohten die Seen uns wegzuspülen, wir mußten ausharren und die letzten Kräfte einsetzen. Es war ungefähr 10 Uhr Abends geworden, rabenschwarze Nacht umgab uns, bei der Arbeit war der Nebenmann nicht zu sehen, nur fühlen oder durch Anruf konnte man sich überzeugen, ob keiner fehlte, da öffneten sich die Schleusen des Himmels, eine Regenfluth stürzte herab, wie solche kein Wolkenbruch furchtbarer ausgießen kann.
Waren wir aber nicht im Stande gewesen, uns Lichter anzuzünden, so leuchteten plötzlich, gleich einer magischen Erscheinung, solche an den Enden jeder Raa auf, flüchtig erscheinend und schwindend. Es waren die Elmsfeuer, die durch Ausgleichung entgegengesetzter Elektrizitäten entstehen. So lange der furchtbare Regen anhielt, zeigten diese sich bald einzeln, auch zu mehreren, nur sekundenlang waren sie auf allen Raaen zugleich sichtbar.
Eine wunderbare Wirkung übte aber der strömende Regen; die See, so wild und furchtbar, beruhigte sich sehr schnell, das Zischen der weißen Schaumkronen verstummte allmählich und gegen Mitternacht, da auch in gleicher Weise der Sturm sich gelegt, hoben nur noch langlaufende Wellen das Schiff auf ihren Rücken, es war, als wenn der im wildesten Aufruhr tobende Ozean wieder ruhig zu athmen begann. Der goldene Morgen kam, so freundlich grüßte die Sonne vom wolkenlosen azurblauen Himmelszelt hernieder, als hätte sie nichts vom Verzweiflungskampfe der Menschen mit den entfesselten Naturkräften gesehen. Fast hätte man aus diesem Frieden, der wieder über den breiten Ozean gebreitet lag, schließen mögen, daß jener heiße Kampf um das Leben, nur ein böser, schrecklicher Traum gewesen sei, wenn nicht jeder Blick über das arg zugerichtete Schiff das Gegentheil bewiesen hätte.
36 Stunden unausgesetzter, schwerer Arbeit waren hingegangen, als endlich das Wasser im Schiff, das durch den verwaschenen Ballast nicht zu den Pumpen gelangen konnte und mit Eimern ausgeschöpft werden mußte, bewältigt war und auch so viel Segel wieder gesetzt waren, daß das Schiff langsam mit wieder leichtem Ostwinde durch die Fluthen zog. Am 30. Januar 1888 erreichte ich wohlbehalten den Hafen von Apia.
Unverändert in der äußeren Erscheinung fluthete auf Samoa das Leben, nichts verrieth, welche Kämpfe in einem Zeitraum von zwei Jahren hier gewüthet hatten, welch' Parteizwist die Bevölkerung zu blutigen Kriegen verleitet hatte. König Maliatoa war entthront [139] und verbannt, Tamasessi, König von Samoa, gegen den aber, als Schützling der Deutschen, die feindlich gesinnten Häuptlinge zu Felde zogen, deren großer Zahl dieser König auch erliegen mußte, für die deutsche Sache floß selbst das Blut der deutschen Marine-Matrosen, die im heldenhaften Kampfe der Uebermacht erliegen mußten!
Schlimmer aber als früher war der Konkurrenzneid entfacht, die Parole war „gegen die Deutschen“. Weigerte sich schon der Samoaner der betreffenden Behörde, damals der deutschen, die geringe Steuer zu zahlen, welche für den Kopf einen Dollar betrug, so war es um so bedauerlicher, wenn auch Weiße durch ihre Weigerung den Eingebornen zu noch größerem Widerstand aufreizten.
Eines Falles will ich nur Erwähnung thun: Im Frühjahr 1888 wurde von der damals deutschen Munizipalität einem in Apia ansässigen Franzosen, der jede Steuerzahlung verweigert, mehrere Kisten mit Getränken gepfändet und ihm in Folge dessen die Schankgerechtigkeit entzogen. Amerikaner und Engländer, die, wo es sich gegen Deutsche handelte, stets alles in Bewegung setzten, was nur irgend zu Schwierigkeiten führen konnte, hatten sich vorgenommen, am Tage der Versteigerung, die in den Räumen des deutschen Konsulats stattfinden sollte, einen Putsch zu veranstalten, der zu Thätlichkeiten führen sollte. Auch standen hinter ihnen eine Anzahl Halb-Samoaner, meistens Abkömmlinge von Engländern, eine Menschensorte, die alle Untugenden der Weißen und Eingebornen in sich vereinigt.
Diese löbliche Absicht war jedoch nicht geheim genug geblieben und so fanden sich am festgesetzten Tage der größte Theil der in Apia anwesenden Deutschen ebenfalls zur Versteigerung ein. Es war ein stilles Uebereinkommen unter allen, das bedrohte deutsche Ansehen zu schützen, auch, wenn nöthig, die Beamten vor Beleidigungen zu bewahren.
Doch die verhältnißmäßig große Zahl von Deutschen, die wir erschienen, sowie der strömende Tropenregen kühlten wunderbar schnell die Rauflust der Gegenpartei ab, die, weil in der Minderzahl, keine Bekanntschaft mehr mit den deutschen Fäusten zu machen wünschte und alles verlief zur vollsten Zufriedenheit. Daß bei einem Straßenkampfe vor dem deutschen Konsulat, der durch das Eingreifen der aufgehetzten Eingebornen große Ausdehnung annehmen konnte, die deutschen Kriegsschiffe im Hafen nicht unthätig bleiben würden, wußten wir, denn der angesammelte Groll war so groß, daß aus einer kleinen Reiberei sich schnell ein ernster Kampf entwickelt hätte.
Noch waren die Vorbereitungen, die „Futuna“ zur eingehensten Ausbesserung aufs Land zu holen, nicht beendet, als eines Tages Ende Februar die untrüglichen Anzeichen eines Orkans sich bemerkbar machten.
[140] Blutroth stand die Sonne am Himmel, ihre Strahlen durchdrangen nicht mehr das dichte Dunstgebilde, immer drohender wurde die Luft, die, schließlich eine gelbe Dunstmasse bildend, den ganzen Horizont umzog.
Wie furchtbar frühere Orkane gewüthet hatten, davon zeugten an den Riffen die zahlreichen zerschmetterten Schiffskörper, die selbst von der furchtbaren See bis zum festen Lande geschleudert worden waren. Gefahr beim Ausbruch eines Wirbelsturms war hauptsächlich für die im Hafen liegenden Schiffe, unter denen sich die deutschen Kriegsschiffe „Olga“, „Adler“ und „Eber“ befanden und für die Sicherung dieser Fahrzeuge unterblieb wohl nichts, was in der Möglichkeit menschlichen Könnens lag.
Mein Schiff zu sichern, mit dem ich unter dem Schutze des vorspringenden Korallenriffes „Kap Horn“ lag, brachte ich vier Anker aus mit so viel Kette, als es der beschränkte Raum gestattete. Vor mir lag mit ihrem Heck, dem genannten Riffe zugekehrt, die „Olga“ und dampfte, als die einlaufende See immer höher und wilder wurde, gegen diese an zu dem Zwecke, ihre aufs Aeußerste angespannten Ankerketten zu entlasten.
Berge gleich rollte die See in den Hafen und es war ein großartiger, wenn auch wenig erhebender Anblick, die Schiffe mit der immer mehr zunehmenden See kämpfen zu sehen.
Furchtbar arbeitete die „Olga“; im Wellenthal, wenn zwischen meinem Schiffe und diesem ein Wasserberg heranrollte, der sich mit donnernder Gewalt auf dem Riffe brach, sah ich mitunter nichts weiter von dem Kriegsschiffe als dessen obere Masten und Marsraaen, so hoch, so gewaltig war die See. Wirbelnd, ohne Widerstand zu finden, raste die Schraube jedesmal in freier Luft, wenn der Bug des Schiffes tief hinabsank, das Heck dagegen von anlaufender See hochgehoben wurde.
Die in den Hafen aus nordöstlicher Richtung einlaufenden Wassermassen mußten naturgemäß sich einen Abfluß suchen und fanden diesen, einen wirbelnden Strom verursachend, unter Land nach der See zu auslaufend. Dieser Strom, oft so breit wie das ganze Riff und namentlich im kleinen Hafen sich verbreitend, hatte zur Folge, daß die in diesem liegenden Schiffe dessen ganzer Gewalt ausgesetzt waren und ein Spiel der See und des Stromes wurden.
Aengstlich wartete jeder auf den Ausbruch des Orkans; die wilde See kam bei vollständiger Windstille heran, aber so schwer und hoch, daß, hätte hinter dieser die Gewalt des Windes sich gesetzt, das Unglück jetzt schon eingetreten wäre, das ein Jahr später so vielen Schiffen verderblich geworden ist und hunderten deutscher Seeleute ein frühes Grab bereitete. Wo an diesem Tage die „Olga“ mit Erfolg der wilden See widerstand, sank 1889 der [141] „Eber“ mit seiner ganzen braven Besatzung, von den Wogen hinabgerissen unter das hohle Riff, das selbst die Todten nicht zurückgab.
Ein Schiff nur widerstand der Gewalt der Seen nicht; im großen Hafen an jener Stelle, wo keine steinigen Riffe das Ufer umsäumen, wurde es hoch auf den Strand geworfen, es ist dies derselbe Ort, auf welchen 1889 die „Olga“, nachdem ihre Ankerketten zerrissen, von den Wogen geschleudert worden ist, der einzige Punkt, wo es möglich ist, ein gestrandetes Schiff wieder flott zu machen.
Die gefürchtete Nacht kam mit ihren Schrecken — doch der erwartete Orkan blieb aus, wo dieser geweht, welche Inseln er mit seiner verheerenden Gewalt heimgesucht, wer konnte das sagen! Samoa verschonte er dieses Mal, um dafür ein Jahr später desto furchtbarer zu wüthen, mit seinem mächtigen Arme die stolzen Schiffe und ihre braven Besatzungen in den Grund, in den Tod zu wirbeln. —
Meine Absicht, die deutsche Heimath nach langer Abwesenheit wieder aufzusuchen, konnte erst im Monat Mai zur Ausführung gelangen und, da in Apia Mangel an Schiffsführern war, mußte ich die Aufsicht über die Ausbesserung der „Futuna“ aufgeben und mehrmals noch kürzere Fahrten nach Tutuila und anderen Orten unternehmen. Unter anderem hatte ich im Monat März nach den Tonga-Inseln zu segeln; als ich am 27. März im Hafen von Vavau „Neiafu“ zu Anker lag, lief dort ein englisches Segelschiff, von den australischen Kolonien kommend, ein, dieses brachte die Trauerkunde von dem Ableben unseres Heldenkaisers „Wilhelm des Großen“, der am 9. März seine irdische Laufbahn vollendet hatte.
Ich konnte diese Kunde nicht sofort nach Samoa bringen, weil ich erst nach den Keppels-Inseln, Niuatobutabu, segeln mußte, deshalb setzte das englische Schiff seine Fahrt nach Samoa fort.
Auf Niuatobutabu angelangt, senkte sich dort, sobald der Tod des deutschen Kaisers bekannt geworden, die Flagge des Königs Georg von Tonga, als Zeichen der Trauer für den ruhmgekrönten, edlen Herrscher. War doch sein Name und seine Thaten selbst diesem weltentlegenen Inselvolke nicht unbekannt geblieben; unter ihnen lebende Deutsche hatten in mancher Mußestunde den staunenden Eingebornen von dem mächtigen Volke erzählt, über das der große Kaiser geherrscht, das er zu großen Thaten, zu ungeahnter Höhe geführt.
So lange ich auf Niuatobutabu weilte, drei Tage, wehten die Trauerflaggen sowohl an Land wie an Bord des außen am Riffe in bewegter See verankerten Schiffes.
Auch diese Inseln sah ich zum letzten Mal. Nachdem ich Abschied genommen, segelte ich am dritten Tage in später Nachmittagsstunde weiter, jedoch frei von den Riffen, begann das Schiff durch die querlaufende See heftig zu rollen — ich suchte westlich [142] von Boskaven zu passiren, um nicht gegen Wind und See zu kreuzen, da ich hoffen konnte, den freien Ozean zu gewinnen ehe die Nacht hereinbrach.
Nachdem an Deck vorher alles gut zur Reise versichert war, ließ der Obersteuermann Goede noch die Pumpen ansetzen, ehe die Mannschaft, Niueleute, theils auf ihren Posten, theils zur Ruhe ging. Da plötzlich — ich war in die Kajüte hinabgegangen die Papiere zu ordnen — erscholl der Schreckensruf „Mann über Bord“ und an Deck springend, sah ich eine Schiffslänge hinter dem Schiffe den Obersteuermann noch auftauchen.
Mit starrem Blicke, in dem die Todesangst geschrieben, schaute er dem enteilenden Schiffe nach — die nächste Woge bedeckte ihn und wir sahen nichts mehr. Eine Rettungsboje ergreifend und über Bord werfend, das Schiff in den Wind jagend, war das Werk weniger Sekunden — so furchtbar vom starken Winde auch die Segel gepeitscht wurden, das Schiff stand und ging durch den Wind — es mußte der Stelle zutreiben, wo der Steuermann zuletzt gesehen wurde.
Auf den Befehl „ein Ausguck in die Masten“ enterten vier eingeborene Passagiere auf, sie sahen die treibende Rettungsboje, aber nicht mehr den Steuermann. Das nächste war, das an Deck befestigte Boot über Bord zu setzen; ohne Rücksicht wurden die Befestigungen durchschnitten, das Boot nur vorne hoch gehißt, halb über die Verschanzung geschwungen, wurde dieses von der ganzen Besatzung an Deck hochgehoben und im gegebenen Augenblick mit aller Kraft in die unruhige See geworfen; mitunter bei schwerem Seegange die einzige Art ein Boot von der Schiffsseite freizuhalten, ehe es an dieser zerschlagen und unbrauchbar wird. Vier Mann sprangen mit kühnem Satze von der Regeling sogleich hinterher ins Boot, das, sobald die haltende lange Leine losgeworfen war, nach hinten trieb. Die Richtung, wohin die Leute, die in der hohen See nicht um sich sehen konnten — das Boot war bald vom Schiffe aus nur hin und wieder sichtbar, wenn es hoch auf dem Kamm einer Woge tanzte — zu rudern hatten, wurde von den Leuten in den Masten angegeben.
In drei Minuten war das Boot über Bord und bemannt, doch suchte dieses vergeblich in der hohen See hin und her, die Boje wurde gefunden aber der Steuermann war und blieb verschwunden. Wie furchtbar solch' ein Augenblick, weiß nur der, welcher einen Kameraden von seiner Seite in den jähen Tod gerissen sieht und doch nicht helfen, nicht retten kann!
Lange, bis zur schnell hereinbrechenden Dunkelheit, trieb ich mit dem Schiffe umher, dem Boote folgend, das vom Schiffe aus geleitet, immer größere Kreise zog, in der eitlen Hoffnung, es könnte doch noch etwas vom Steuermann gesehen werden, obgleich ich wußte, daß alles längst vorbei war; hatte der Verunglückte mir [143] doch selbst gesagt, er könne nicht schwimmen und wenn auch, in solcher See wäre die Kraft des besten Schwimmers bald erlahmt.
Erst als alles nutzlos war, als die Nacht hereinbrach und die Mannschaft im Boote äußerst ermüdet sein mußte, nahm ich dieses wieder auf und jetzt die nördliche Durchfahrt wegen dort liegender unbekannter Riffe nicht mehr als sicher ansehend, kreuzte ich die ganze Nacht zwischen Boskaven und den gefährlichen Riffen von Niuatobutabu, um den freien Ozean zu gewinnen.
Nach Aussage der Mannschaft wollte der Steuermann, nachdem das Pumpen beendet, nach dem Hinterdeck gehen, das Schiff schwer rollend, habe er jeden Halt auf dem freien Deck verloren und sei, mit voller Wucht gegen die Verschanzung fahrend, über diese hinweggestürzt, eine schnell geworfene Leine ergriff er nicht mehr. So fand er den Seemannstod, im weiten Ozean ein stilles, unbekanntes Grab, die donnernde Woge sang ihm hier sein letztes Schlummerlied. —