The Project Gutenberg eBook of Eine feine Woche! This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Eine feine Woche! Author: Fritz Pistorius Release date: January 27, 2022 [eBook #67251] Most recently updated: October 18, 2024 Language: German Original publication: Germany: Trowitzsch & Sohn Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK EINE FEINE WOCHE! *** Anmerkungen zur Transkription Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter oder unterstrichener Text ist _so ausgezeichnet_. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so markiert~. Im Original fetter Text ist =so dargestellt=. Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches. [Illustration: Zu Seite 117.] Eine feine Woche! Von Fritz Pistorius Verfasser von »Mit Gott für König und Vaterland«. Dritte Auflage. Berlin. Trowitzsch & Sohn. Inhaltsverzeichnis. Seite =Montag=: Paradeferien 5 =Dienstag=: Nachmittag frei 25 =Mittwoch=: Die schönste Enttäuschung 41 =Donnerstag=: Ein recht bewegter Vormittag. 1. ~Sic me servavit Apollo~ 53 2. Strafe muß sein! 57 3. Zu langstilig und zu kurzstielig 62 =Freitag=: Die Klassenpartie. 1. Der alte Caesar und eine moderne Landpartie 71 2. Vorfreuden 76 3. Ein armer Junge 80 4. 2 ~m~ Schottisch 89 5. Edler Wettstreit 95 6. Würden und Ämter 102 7. Der Überfall am Pechsee 107 8. Auf hoher Warte 114 9. Brennesseln und Regenwürmer 116 10. Die dicke Hauskapelle und die Ameisen 129 11. »Dieser Stein vom Seinestrande« 140 12. Blattlaushumor 145 13. Vom Wannsee nach der Pfaueninsel 150 14. Aufregung von Anfang bis zu Ende 155 15. Beim Kaffeetrinken 161 16. Heimkehr 166 =Sonnabend=: Ferien 173 Montag: Paradeferien. »Na, nu schlägt’s dreizehn!« -- Der dicke Puntz hat seine Mappe eben auf die Tischplatte hinuntergekantet und steht jetzt da, als wären ihm alle Geigen aus dem Himmel gefallen. -- »Die Woche fängt gut an! Jetzt habe ich mein lateinisches Exerzitium vergessen! Nee, so ein Pech!« Der kleine Zittel sieht dem Dicken mit einem feinen Lächeln in das Vollmondsgesicht. »Du hast gedacht, wir haben heute Paradeferien!« »Mensch! Red’ keen’n Stuß! Natürlich! Aber ich habe es gestern noch schnell gemacht. Und nun habe ich es zu Hause liegen lassen! Nee, es ist zu dumm!« »Ich habe es zur Vorsicht schon am Sonnabend gemacht!« »Na, du bist auch ein Musterknabe! Aber nee! Nich in die ~la main~! Ich dachte, in der Zeitung gestern früh würde stehen, daß wir heute frei hätten. Und --« Zeidler ist auch trübseligen Blickes dazugetreten. »Ja, ich verstehe auch nicht. Das ist doch unser gutes Recht --« Der Dicke ist auf seinen Platz hinuntergesunken. »Ach, quatsch’ nich, Krause! Hier haben nur die Schulmeister das Recht. Und Bumsvallera hat das Recht, mich nachher im Lateinischen einzuschreiben. Wann haben wir Latein?« »In der dritten Stunde!« »In der ersten Französisch bei Fuchsen! ~Bon!~ Der Schuldiener muß nachher mein Heft holen! Er mag wollen oder nicht, und es kann kosten, was es will! Und dann --« Die elektrische Glocke schnarrt in dem Augenblicke ihr eintöniges Lied los; die Jungen fahren herum. »Ach Jott nee!« seufzt der Dicke noch einmal auf. »Jeden Tag was anderes! Aber immer wieder was! Ist ’n Elend!« Er hat recht. Hierin hat er mal recht. Und wie es ihm geht, so geht’s sehr vielen oder beinahe allen Jungen. Immer fehlt ihnen etwas; immer müssen sie hoffen, hier oder da durchzuschlüpfen; immer hoffen, an einer sicher drohenden Gefahr vorbeizukommen. Und heute nun nicht mal Paradeferien! »Vielleicht, weil wir in dieser Woche noch eine Landpartie machen!« denkt ein Dummer, während schon gebetet wird. »Vielleicht, weil doch am Sonnabend die Pfingstferien anfangen!« ein anderer. Und es ist dabei doch ebenso falsch. Kaum ist das Gebet gesprochen, so meldet sich Hagen ganz krampfhaft. »Herr Doktor, wenn nun bei der Landpartie am Freitag --« »Halt!« unterbricht ihn da der Ordinarius haarscharf. »~Ad~ Landpartie ist alles besprochen! Reichlich sogar! Am Freitag wird also die Partie gemacht! Punktum!« Und ohne noch ein Wort zu verlieren, nimmt der Doktor Fuchs jetzt seine Jungen ohne Erbarmen heran und läßt ihnen keine Zeit zum unnützen Grübeln. Das Geschlecht der Substantiva wird gehörig traktiert. Na, schließlich, das hilft beim Extemporale, und zu viel Trockenfütterung ist auch nicht dabei. Immerhin -- Die Jungen spitzen auf einmal die Ohren. »Na freilich! Die Sache ist ja auch sehr einfach. Wieder ins Lateinische zurück! ~Imago. -- Genitiv?~« Doktor Fuchs hebt jetzt selber etwas den Kopf. Unmerklich! Aber die Jungen sehen es doch. Ihre Blicke fliegen nach der Seite des Flures hin. Es war so, als wenn hinten, am Ende des langen Korridors, eine Tür geöffnet worden wäre, und als wenn ein etwas verworrener Lärm einen Augenblick daraus hätte hervorbringen wollen. Nur einen kleinen Augenblick! Aber es war ihnen doch so! Auf einmal wieder dieser Lärm! Leise ansetzend, schnell anwachsend! Und jetzt ein Türenschlagen, ein Stimmengewirr! Die Augen sind auf den Lehrer zurückgewendet. Groß, fragend, ungeduldig. »Ja oder nein?« scheint in ihnen zu liegen. Da muß Doktor Fuchs lächeln und sagt denn auch nur: »Na, also doch!« Der Dicke hat auch den Kopf hochgereckt. Das lateinische Exerzitium! Wenn jetzt der Doktor Fuchs den Einfall kriegt -- wie er es schon einmal getan hat! -- und sammelt die Hefte für Bumsvallera ein! Dann liegt er doch drin im Wurstkessel! -- Mit einem Ruck öffnet sich die Tür. Der Direktor erscheint auf der Schwelle. »Ach, Herr Oberlehrer!« enteilt seinen Lippen. »Wollen Sie die Schüler entlassen! Mit Gebet, bitte! Auf höheren Befehl fällt heute der Unterricht der Parade wegen aus!« Die Tür hat sich wieder geschlossen. Die Jungen haben ihre Mappen angerappt. Es geht eine Unruhe, ein Zittern durch die Klasse, als hinge an den wenigen Sekunden, die man vielleicht später als die andern Klassen hinauskäme, das Leben. Und heute auch noch beten! »Wer hat das Gebet?« Der Ordinarius denkt nicht an die lateinischen Hefte. Der Junge, der heute zum Beten daran ist, läßt ihm auch keine Zeit: »Anfang, Mitt’ und Ende, Herr Gott, zum Besten wende!« Es ist, als ob der Junge wüßte, was für ein Gebet heute gerade sich schicke für alle diejenigen, die in dem Augenblicke draußen auf dem Tempelhofer Feld stehen, um dort ihr Examen vor dem obersten Kriegsherrn abzulegen. Die Tür springt auf. Fort stieben die Jungen in fieberhafter Eile. Auf dem Flur wimmelt schon alles. Die eine der Unter-Sekunden zieht vorüber, aufgelöst, als wollte sie zum Sturm ansetzen. »Was machst du nun heute?« fragt der eine zu dem Freunde hinüber. »Ich? Gar nichts!« »Kommst du mit in die Belle-Alliance Straße?« »Och! Die Drängelei da!« »Na, du willst doch nicht etwa arbeiten?« Der andere lacht kurz auf. »Na, so verrückt müßte ich sein!« -- Der Dicke hört nichts mehr. Diese Sekundaner haben es noch eiliger als er selber. Schon packt ihn auch der Zeidler am Arm. »Dicker, kommst du mit nach dem Tempelhofer Feld?« »Selbstverständlich! Aber was machen wir da mit der Mappe?« »Laß sie bei mir oben! Doch gleich hier um die Ecke! Komm schnell!« -- -- -- Im Nu ist die ganze Schule auf der Straße. Nicht wenige aber schlagen ruhig den Weg nach dem Elternhause zu ein. »Kalt wie ’ne Hundeschnauze!« sagt der Dicke verächtlich und schwenkt schnell mit einigen anderen nach der Belle-Alliance Straße hinüber. Aber schon kommen sie zu spät zum Auszug der Truppen. »Ist denn der Kaiser schon vorbei?« »Nein!« -- »Ja!« -- »Der soll ja heute von Schöneberg drüben gekommen sein!« -- »Ach, er ist ja schon eine kleine Ewigkeit vorbei!« -- »Es wird ja bald wieder aus sein!« -- -- -- Nur langsam schieben sich die Jungen vorwärts; oben am Steuerhaus, am Rande des Tempelhofer Feldes, kommen sie geradeaus überhaupt nicht mehr weiter. Sie versuchen, nach links hin auszuschwenken. Das geht; aber der Staub quillt ihnen hier in dicken, schwärzlichen Wolken entgegen. »Was sie nur immer hier für einen schwarzen Jux auffahren!« schimpft der Zeidler etwas beklommen. »Ach was!« hastet der Dicke an ihm vorbei. »Man zu jetzt! Immer durch!« So geht es wirklich durch. Bis zur Kaserne des Kaiserin Augusta Regiments. Dann die gepflasterte Straße hinunter. Da kann man schon die Helmbüsche sehen, und einmal öffnet sich sogar der Durchblick auf eine lange Reihe Soldaten, die gerade die Beine herauswerfen, um vielleicht vor Seiner Majestät in Parade vorüberzuziehen. -- Schließlich ging’s aber doch nicht weiter; auch mit dem besten Willen und mit dem geschicktesten Drängeln nicht, linke Schulter vornweg. Wie eingekeilt stand die kleine Schar der Tertianer da. Aber sie waren dafür wenigstens gut angekommen: alles echte Berliner um sie herum, die selber mit einem gewissen Humor jedes Sehen-können oder auch jedes Nicht-sehen-können hinnahmen. »Au!« zuckte plötzlich der eine der Jungen zusammen. »Ach Jotte doch, ja!« drehte sich da ein Mann ein ganz klein wenig um, so weit das überhaupt möglich war. »Entschuldige, mein Jungeken! Hinter mir habe ick keene Oogen!« Sogleich aber ulkte diesen höflichen Berliner ein anderer an. »Nich wahr, Paule, du sagst ooch: ›Wat du nich willst, det man dir dhu, det füge lieber ’nen andern zu!‹« Der dicke Puntz hatte instinktiv auf seine Füße hinuntergesehen, ob sie nicht auch in Gefahr wären. Da aber legte sich auf einmal eine schwere Hand auf seine Schulter, und eine tiefe Baßstimme erklärte: »Na du, nich drängeln! Dir wird’s woll jar nich schwer, den dicken Willem[1] zu markieren?« [1] Wilhelm. Die Jungen mußten insgesamt kichern; es klang beinahe auch, als wenn sie dabei die kleine Anzapfung von ganzem Herzen dem dicken Schulkameraden gönnten. Der hatte sich jetzt auch ermannt. Mochte nun der Berliner Dialekt ansteckend bei ihm wirken, oder mochte er glauben, alle Angriffe dadurch besser parieren zu können, kurz, in unverfälschtem Berlinisch entschlüpfte dem Gehege seiner Zähne: »Wat denn? Ick heeße ja jar nich Willem!« »Na« -- der Mann, gegen den sich Puntz so wehrte, war ebenso schnell mit der Antwort fertig -- »denn entschuldijen Se man, Herr Hase[2], det Sie mir beinahe jetreten haben! Da kann ick ’n scheenen Spruch, der heeßt: [2] Der Mann muß wohl an die Berliner Redensart gedacht haben: »Mein Name is Hase; ick weeß von nischt!« ›Jeduld, Jeduld, wenn’s Herz auch bricht, mit de Beene strampeln jibt’s hier nicht!‹« Der Berliner Witz war wach geworden. Jeder hatte hier die Parade vergessen; alles reckte den Kopf hoch. Ein großer Dicker vor der kleinen Gruppe drehte sich langsam um und sagte milde und doch auch mit so urkomischer Stimme: »Na, na, wissen Se wat! Hunger un Durscht kann ick entbehren; aber meine Ruhe muß ick haben!« Jetzt brach ein allgemeines Lachen los und belohnte diese trockenen Worte. Von drüben her indessen fragte einer boshaft: »Na, Sie da, Männeken, Sie haben woll heite zum Reden injenommen?« Der große Dicke nahm die Sache gut auf und lachte wieder: »Na, du, det ick dir man nich uff’t Jedächtnis tippe! Nur Ruhe im Saal! Beschädijt mir doch nich so mit Redensarten!« Die Jungen drängten nach rechts hinaus. Da aber kamen sie schön an und mußten wieder etwas hören. »Wat wollt ihr denn hier, Jungens? Stecht doch die Nase in’t Buch!« Der dicke Puntz verteidigte sich wieder. »Det jibt’s nu nich! Wir haben ja jerade frei gekriegt, damit wir uns auch die Parade ansehen sollen!« Dem wirklichen Berliner imponiert es immer, wenn sich jemand die Butter nicht vom Brot nehmen läßt. So lächelte denn auch hier der Mann nur gutmütig und sagte begütigend: »Na, denn drängelt man weiter! Mut zeijet auch der lahme Muck!« Nicht bloß die Jungen freuten sich mächtig darüber. Auch andere. Der eine der da in drangvoll fürchterlicher Enge Stehenden meinte sogar treuherzig: »Nee, denken Se mal bloß, wat Se da sagen! Det ’s wirklich klassisch!« Da waren die Jungen heraus. Der Dicke wußte nicht recht: sollte er in der Korona dieser fidelen Urberliner bleiben oder vielleicht lieber seinen Freunden nachlaufen. Doch lieber den Freunden nach! Schon war er auch heraus aus dem Knäuel. »Wo wollt ihr denn hin?« rief er dem Zeidler nach. »Nach der Belle-Alliance Straße zurück!« antwortete der im Forteilen. »Da kommt nachher der Kaiser durch!« Das zog. Als die Jungen auf den alten Weg zurückschwenkten, kam ihnen eine kleine Reihe von Gemeindeschülern entgegen, Arm in Arm, stramm marschierend und dazu singend: »Hinaus in die Ferne, vor’n Sechser fetten Speck! Den eß ick do’ zu jerne, den nimmt mir keener weck. Un wer det dhut, den hau ick uff’n Hut, den hau ick uff de Ne--ese, det se blut!« Unsere Freunde freuten sich unbändig über diese ganze Geschichte; aber sie gingen doch der kleinen Reihe aus dem Wege. Kaum hatten die Sänger dieses Lied beendet, da stimmte einer auch schon an: »Turner ziehn mit Pantin’n[3] durch die jroße Stadt Ballin[4] --« [3] Holzschuhe. [4] Berlin. Der Junge wurde indes sofort niedergeschrien: »Det is ja man nur wat for Turner! Mal den Torjauer Marsch! Los!« »Fritze Weber hat’n Keber[5] an de Zunge an de Lunge an de Leber!« [5] Käfer. In der Ferne verschwanden die Jungen und mit ihnen die lustigen Töne. Vorn am Steuerhaus jedoch war inzwischen Bewegung in die starren Massen gekommen. »Die Parade ist aus!« hieß es, und schnell bog der Dicke mit Zeidler hinter den Menschenmassen hinweg nach rechts hin in die Belle-Alliance Straße wieder hinunter. Ein fliegender Händler hielt da den Jungen ein Bündel Fähnchen entgegen und pries dabei seine Ware laut an: »Hier hochfeine Fähnchen, meine Herrschaften! Allen Ansprichen jeniegend! Der Stock schwarz Ebendholz mit Silberkandierung! Allens hochfein und echt! Na, na, Sie da! Polken missen Se nich da dran! Echtet Ebendholz kann so wat nich jut verdragen!« Der Dicke wäre in der Eile bald an den Mann angerannt. Nur mit einer kühnen Schwenkung kam er um ihn herum, so daß er beinahe gegen den Briefkasten fuhr, der da am Gitter eines der Vorgärten angebracht war. »Na, na, Dickerchen! Spring man nich gleich in den Briefkasten rin!« Diese Mahnung mußte der dicke Puntz schnell noch mit auf den Weg nehmen. Es gab aber jetzt kein Halten mehr. Eben hörte man schon hinter der schwarzen Wand der Menschen, die in tiefen Reihen am Rande des Bürgersteiges standen, den Gleichschritt von Soldaten, und Zeidler, der einmal auf der Stelle hochgesprungen war, um genauer zu sehen, rief plötzlich: »Die Maikeber![6] Die Maikeber! Dicker! Schnell, schnell!« [6] Die Maikeber, Maikäfer = Garde-Füsilier-Regiment in Berlin. Das Regiment, in zwei Garde-Reserve-Bataillone zerlegt, stand früher in Potsdam und in Spandau; man sagt, daß es in Berlin seinen Spitznamen daher hat, daß die beiden Bataillone alljährlich gerade zur Maikäferzeit zur Parade nach der Hauptstadt kamen. -- Am Offizierkasino des Regiments in der Chausseestraße ist auf der Ecke gegen die Kesselstraße hin unter dem Dach ein großer Maikäfer plastisch dargestellt, als scherzhafte Konzession an den Berliner Volkswitz. Atemlos kamen die Jungen bis zur Bergmann-Straße hinunter. Da fanden sie einen kleinen Durchlaß durch die Menschenmauer und konnten beinahe bis zum Straßendamm vortreten. Ganz erschöpft umklammerte da der Dicke einen der Bäume am Rande des Bürgersteigs, um von der hin- und herdrängenden Umgebung nicht wieder von seiner mühsam eroberten Stelle fortgerissen zu werden. Noch waren die »Maikeber« nicht da. Ein anständig gekleideter Mann mit einigen Bekannten stand neben Zeidler, um das Truppenschauspiel gleichfalls zu sehen. Arbeiter drängten sich dazwischen. »Mir ist doch immer so!« meinte der eine der Herren. Er hatte die eine Hand ans Ohr gelegt und hob sein Gesicht nach der Richtung des Tempelhofer Feldes hin hoch. »Aber die Straße fällt hier so ab! Und die Bäume! Schlechte Akustik hier!« Ein Arbeiter sah dem Sprecher treuherzig in die Augen: »Ick hab’ ’n Schnuppen! Ick rieche nischt!« Ein allgemeines Gelächter brach in dem kleinen Kreise los. Der Dicke mußte sich fester an den Baum klammern. Auf einmal sagte ein anderer neben ihm: »Na, du, August, mit de Jewitterbacken! Willst woll uff’n Boom klettern? Dazu mußte barfte[7] Beene haben!« [7] barfüßig. Der Dicke wehrte sich ein wenig: »Nee, will jar nich!« »Aber sehn willstet doch! Weest de, wie de det machst? Da feifst de dir ’ne Tonleiter und kletterst dran ruff.« »Dhu et lieber nich, Junge!« mahnte ein anderer väterlich. »Da oben ieberfährt dir der Luftballon!« Natürlich hatte der Witzbold die Lacher auf seiner Seite; aber er mußte sich dafür gefallen lassen, daß andere ihm zuriefen: »Na, du! Wat du schlau bist! Det mißte bei dir selber ooch janz jut aussehn!« »Rum, brrr, rumbumbum!« Die »Maikeber« waren da. Der rasselnde Trommelwirbel verschlang alles. Die Augen hefteten sich wohlgefällig auf die schmucken Soldaten, die mit einem strahlenden Antlitz wie Sieger einherzogen. Rotte um Rotte, Kompanie nach Kompanie, Bataillon und Bataillon. »Ja, ja! Als ick noch Soldat war!« sagte hinter dem Dicken in tiefer Bewegung eine Stimme. Sie blieb vereinzelt. Kein Mensch hörte jetzt darauf; hier stand das Volk in Waffen, das sich an der Disziplin der Truppen wieder zu der alten, liebgewordenen Disziplin selber emporrichtete. Die Achtung vor des Königs Rock, dem Ehrenkleid, das alle schon getragen hatten oder noch tragen sollten, diese Achtung zwang allen ein ehrfürchtiges Schweigen auf. Eine heilige Scheu kam über alle die Tausende, die die schmucken und doch kraftstrotzenden Kriegerscharen an sich vorbeiziehen sahen, die Blüte des Vaterlandes. Auch in dem Herzen des Dicken stieg ein stolzes, frohlockendes Gefühl auf. Der Gleichschritt der Bataillone, das rollende Rasseln der Trommeln, sie stimmten ihn feierlich, und -- er wußte selber nicht, wie es kam -- das letzte Gedicht, das er in der Klasse gelernt und sogar ungern gelernt hatte, das summte ihm plötzlich mit einem ganz ehrfürchtigen Erschauern durch den Kopf: »Die Fahnen wehn! Auf ins Gewehr! Den Säbel in die Faust! Das deutsche Volk -- ein großes Heer, das, von den Alpen bis zum Meer, ein zürnend Wetter braust. Und klopft an unsre Pforten an des Fremdlings Übermut, so opfert jeder deutsche Mann mit Freuden Gut und Blut.« »Die Alexandrer[8]!« hieß es da auf einmal. »Die alten Helme!« [8] Das Kaiser Alexander Garde-Grenadier-Regiment Nr. 1. »Ja, aus der Zeit Friedrichs des Großen!« »I, wat de sagst, Junge! Allens wat wahr is: eenfach, elegant, jeschmacklos un ohne allen Prunk!« »Herr Jotte doch! Wat kommen denn da for welche?« Alles dreht sich den Kopf nach links hin aus. »Na, die mit de Entenbeene da!« »Das ist ja die Maschinengewehrabteilung[9]!« [9] Mit gelbbraunen Ledergamaschen. »Ach so! Und so’n junger Leitnant!« »Mit so’n kleenen Schnurrbart!« »Ja, wahrhaftig! Drei Haare in sieben Reihen!« »Un der is schon Leitnant! Der hat ooch mehr Jlick wie Fer--dinand!« Dazwischen ein paar Schritte hinter den Jungen auf einmal eine ganz empörte Stimme: »Na, wissen Se, Männeken! Drengeln Se man nich so! Ick sehe jeweenlich mehr uff hohen Lohn wie uff schlechte Behandlung!« »Das zweite Garderegiment!« »Ach Jotte doch, kiek do’ mal den reitenden Hauptmann da uff’t Pferd! Den is wohl schon bange vor’n Zivilhelm?« »Ja, die da vorne sint ville strammer!« »Das ist nun mal so!« warf der »bessere« Herr ein. »Der eine versteht’s und der andere nicht! Es ist eben wieder mal das Ei des Kolumbus.« »Ach, wat Sie sagen!« meinte da der Arbeiter neben ihm mit einem leichten Spott in der Stimme. »Legt denn der olle Mann immer noch?« Es war jetzt keine Zeit, darauf zu reagieren; denn plötzlich rief eine Stimme von hinten vom Gitter eines der kleinen Vorgärten her: »Da drüben kommen die Ulanen!« Der Dicke reckte den Kopf hoch, so hoch er nur konnte; aber das zweite Garderegiment marschierte gerade dazwischen. Es war also für ihn nicht zu sehen, was drüben auf dem Reitweg, jenseits der Straße, vorging. Er hörte nur, wie der lange Kerl neben ihm seine Glossen über die Reiter machte. »Die sehen aberst alle ziemlich ramponiert aus! Aber Jlick scheinen se do’ ßu haben! Da is eener sojar mit’n Einsatz rausjekommen!« Ein lautes Gelächter zeigte, daß andere den Witz verstanden hatten. Nur einer der Herren, die sich ganz dicht an der Bordschwelle befanden, fragte, aber auch schon halb lachend: »Wie meinen Sie denn das?« »Na, sehen Sie doch! Der zweite da! Mit seinem roten Einsatz hier ist er rausgekommen!« Der Arbeiter, der so auch das schönste Hochdeutsch sprach, tippte dabei mit seinem Finger auf die Brust. Jetzt verstanden das natürlich auch die Jungen, und sie stimmten in das fröhliche Gelächter mit ein, wenn sie auch nichts sehen konnten. Der Herr, der gefragt hatte, sah auf einmal den Arbeiter genauer an und meinte dabei: »Ich muß Sie doch schon mal irgendwo gesehen haben!« »Ja,« kam die trockene Antwort, »det kann schon sint! Da komme ick öfter hin und --« Ein dumpf und schnell anwachsendes Brausen von links her bannte aller Sinne von neuem. »Der Kaiser kommt! Der Kaiser!« Eine große Bewegung ging durch die Massen. Alles drängte nach vorwärts. »An der Spitze der Fahnenkompagnie!« »Wahrhaftig! Hut ab!« Es wäre nicht nötig gewesen, das zu sagen. Die Hüte flogen in die Luft. »Hurra! Hurra!« Das Herz schlug schneller. Der Kaiser und die Fahnen! Alles Uzen und alle Rederei unter dem Volke war da vergessen. Der Kaiser! Er schweißte alles und alle durch seine bloße Erscheinung zusammen. _Ein_ Volk, _ein_ Herz, _ein_ Vaterland! Die Jungen besonders jubelten dem Manne zu, der ihrer heute und immer gedacht hatte. »Hurra! Hurra!« Wäre es jetzt gegen den Feind gegangen, wahrhaftig: _Ein_ Volk, _ein_ Herz, _ein_ Vaterland! Hinausziehen würden alle gegen den Feind der heimischen Erde! Sie sollten es nur wieder einmal wagen zu kommen! Dann dem Kaiser nach! ~Morituri te salutant!~ -- Wie ein Wiesel, ohne noch ein Wort zu sagen, hatte in dem Augenblicke Zeidler die Schultern schmal gemacht und huschte eben hinaus und hindurch durch die jubelnde Menschenkette, die sich drängend hinter ihm staute. Der dicke Puntz nach. Die Belle-Alliance Straße weiter hinunter, dem Halleschen Tore zu. Auf dem Bürgersteig immer neben dem Kaiser und der Fahnenkompagnie hin. Da unten aber staute sich der ganze Menschenstrom zu undurchdringlicher Mauer. Der Dicke sah sich nach Zeidler um, neben dem er sich doch bis jetzt so treu gehalten hatte. Der aber war fort. Von dem Langbein war überhaupt nichts mehr zu sehen, und hinweg über die Gneisenau Straße konnte man auch nicht. Unwirsch stand der Junge endlich still. Er sah gerade noch die letzten Fahnenspitzen hinter dem lebendigen Wall all der Menschen da verschwinden. Er versuchte schließlich, wieder bis zur Bordschwelle vorzudringen. Erst wollte es ihm gar nicht gelingen, dann aber konnte er sogar auf die andere Seite der Straße gelangen, wo eben noch Kavallerie den Kasernen zuzog. Glück mußte der Mensch eben haben: die fremden Militärs in glänzenden Uniformen, Dragoner, noch einmal Ulanen, von denen aber -- der Dicke achtete jetzt scharf darauf -- kein einziger mehr »mit dem Einsatz rausgekommen war,« sogar die Artillerie, alles zog an seinem freude- und farbentrunkenen Auge vorüber, unter dem Staunen und dem Jubel der Zuschauer, bis sich endlich die bunte Flut verlor und die letzten Klänge der Musik in der Ferne verhallten. Da erst dachte der Dicke wieder an die Mitschüler, die mit ihm am frühen Vormittag die Penne verlassen hatten. Wie spät mochte es jetzt wohl --? Ach, da drüben war ja eine Uhr! Was? Schon ein halb eins? Das konnte doch wohl kaum möglich sein! Aber schadete alles nichts! Schön war es doch gewesen! Er fühlte jetzt auch den Hunger. Sein Frühstück? Ach, das hatte er noch in der Mappe! Bei Zeidler! Aber -- nein -- die konnte vorläufig da bleiben! Er war zu müde jetzt! Hundemüde sogar! Vom Stehen, vom Sehen, von der Fülle der Eindrücke. Nein, solch Paradetag! Ja, der Kaiser, der wußte, wie es einem Jungen zumute war! »Hurra! Ach so, ja!« -- -- -- Die Menschenmassen hatten sich gelöst; alles flutete dem Halleschen Tore zu. Sogar die Elektrischen durften schon wieder durch. Dicht standen die Leute da an der Haltestelle. Na, wo denn nun lang? Endlich kam der Dicke zu Hause an. »Junge,« fragte die Mama da, »Junge, wo hast du dich denn rumgewälzt? Und das Gesicht!« -- Sie schlug dabei die Hände vor Staunen über dem Kopf zusammen. »Ich? Rumgewälzt? Gar nicht, Mama! Wir waren bloß alle zur Parade! Aber, Mama! Es war wirklich großartig! Na, die Woche fing gut an! So könnte es meinetwegen weitergehen!« -- -- -- Dienstag: Nachmittag frei. »Ach!« seufzte der Dicke noch einmal am andern Morgen. »Gestern war’s doch großartig! Aber heute nun Schule! Ach, wenn es doch so heiß würde, daß wir --« Der Gedanke war zu bildschön; der Junge konnte ihn gar nicht ausdenken. Und dann noch eins: wie war’s doch gleich? Hatten sie denn nicht noch was Besonderes für Dienstag aufgehabt? Gestern hatte doch Fuchs gar nicht die Aufgaben vorgelesen! Und -- ach Gott ja, das lateinische Heft! Für den alten Bumsvallera! »Na, Junge, es ist schon spät!« -- Die Mama war immer etwas ängstlich und drängte jetzt zur Eile. -- »Nu mach schon, daß du fortkommst!« Jetzt stand der Dicke wirklich auf der Straße. Aber wie war das doch gleich mit Französisch? Es war doch was! Der große Hund vom Schlächter an der Ecke kam mit dem Schwanze wedelnd freudig auf ihn zu. Die beiden waren gut Freund miteinander, wie denn der Dicke überhaupt alle Hunde der nächsten Straßen kannte. »Na, Cäsar, wie geht’s dir?« Der Hund sprang jetzt laut bellend an dem Jungen empor. »Strolch! Cäsar! Sei nicht so glubsch! Sei froh, du! Du brauchst nicht zur Schule! Strolch! Biste verrückt? Du hast wohl heute schon in Tran getreten?« Auch der Dicke ist ja mit Spreewasser getauft. -- -- -- Da sitzt er nun in der Klasse und liegt wirklich im Französischen -- drin im Wurstkessel. »Warum nicht gelernt, Dicker?« fragt soeben der Doktor Fuchs. Der Junge hat ein wahrhaft jämmerliches Gesicht aufgesetzt und sieht seinen Ordinarius an, als hätte er -- der Dicke natürlich! -- einen moralischen Katzenjammer. Endlich ermannt er sich aber und bringt halb stotternd hervor: »Gestern morgen war doch Parade! Und am Nachmittag mußte ich für meine Mama zur Stadt!« »Ja aber! Dann am Nachmittag, gegen Abend meine ich!« »Ich kam erst sehr spät wieder nach Hause! Und dann bin ich --« »N -- a?« Die andern Jungen heben neugierig die Brauen und ziehen ganz merklich die Ohren straff. »Da bin ich -- eingeschlafen!« »Sehr denkbar!« -- Doktor Fuchs zuckt mit den Schultern. -- »Und was nachher?« »Da habe ich gar nicht mehr daran gedacht! Und dann war’s ja auch Abend! Ich hatte auch meine Mappe nicht! Die hat unser Mädchen dann erst von Zeidler geholt!« -- -- -- Die andern Jungen haben sehr verständnisinnig zugehört und ab und zu sogar genickt. Übrigens sind die Arbeiten auch durchgehends äußerst nachlässig gemacht, so daß Doktor Fuchs endlich kurzerhand das Buch auf die Nase legt und erklärt: »Na, meinetwegen! Die Parade! Aber nun, Jungs, möchte ich doch auch mal fragen: Wer von euch hat sich überhaupt die Parade oder den Aus- oder Einmarsch der Truppen angesehen? Hand hoch!« Er hat wohl gedacht, die Hände werden nur alle so hochschießen! Weit gefehlt! Er zählt und zählt, und er zählt nur einundzwanzig Mann. Einundzwanzig von sechsunddreißig! Also eine Kleinigkeit über die Hälfte der Jungen hat was von der Parade gesehen! »Na, Ernst?« -- Ernst Ehrenfried, das ist der Primus. -- »Warum bist _du_ denn nicht zur Parade gegangen?« »Ich -- hatte -- keine -- Zeit!« »Ach, Zeit!« »Ja, meine Tante war nicht da!« -- Es kommt das alles recht verlegen und ungeschickt heraus. -- »Ich mußte da zu Hause bleiben!« Der Ordinarius scheint mehr von Ehrenfrieds Verhältnissen zu wissen als alle die andern Jungen zusammen; er läßt den Primus jetzt ruhig laufen und wendet sich an den Sekundus, den Tauscher. Der druckst auch so herum. Schließlich aber bequemt er sich doch zu der Antwort: »Ich durfte nicht. Meine Eltern sagten, es wäre zu viel Gedränge!« Auch diese Erklärung scheint der Ordinarius ganz plausibel zu finden. Er wendet sich einfach wieder zu der ganzen Klasse: »Wer hat denselben Grund? Aber ehrlich!« Langsam und zögernd kommen die Jungen hoch und tun etwas verschämt dabei: es sind außer dem Sekundus noch acht. Hier und da wird wie zur Entschuldigung gesagt: »Nach der Belle-Alliance Straße zu war es ganz schwarz von Menschen!« »Na, wer bleibt denn nun noch übrig?« Fünf Mann erheben sich, langsam oder schnell, je nach dem Temperament der Jungen. Einer davon meldet sich krampfhaft, sieht aber dabei immer noch fragend nach den andern zurück: »Herr Doktor! Herr Doktor!« »Also?« »Ich habe mit Haeseler und Forster und Bonin eine Partie durch den Grunewald gemacht. Mein Papa hat gesagt, wir sollen uns recht gesund machen; da täten wir dem Kaiser einen größeren Gefallen, als wenn wir ihm auf dem Tempelhofer Feld Staub schlucken helfen.« Der Ordinarius darf sich nicht merken lassen, daß das hier etwas sonderbar und doch auch wieder drollig genug klingt. Der Vater, der dieses Kraftwort gesprochen, gehört selber dem Wehrstande an, und der Junge -- das weiß ja jeder in der Klasse -- der will auch einmal Offizier werden. Zur Parade aber ist er doch nicht gegangen. »Also setzen! -- Ja! Was? Wo? Da war ja noch einer! -- Karnagel!« Der Junge ist recht bedrückt wieder aufgestanden und sieht seinen Ordinarius scheu und von unten herauf an, wie ein geprügeltes Hündlein: »Ich habe auch nicht gedurft!« »Na, warum denn nicht, Otto?« Im nächsten Augenblick tut es dem Doktor Fuchs schon wieder leid, daß er den kleinen Karnagel nicht einfach übersehen hat; er erinnert sich, daß der Vater des Jungen oft seltsamen Erziehungsprinzipien huldigt. Aber es ist zu spät; denn ein anderer Junge ist schon aufgesprungen und platzt los: »Herr Doktor! Karnagel darf jetzt nicht raus, weil er das letzte lateinische Extemporale mangelhaft geschrieben hat!« »Herr Doktor! Herr Doktor!« will jetzt auch noch ein anderer seine Weisheit an den Mann bringen. -- Grausame Kreatur doch, solch Tertianer! Es wird ihm niemals beikommen, daß er mit dem, was er sagen will, einem andern wehe, sogar sehr wehe tun kann! -- »Herr Doktor! Karnagel kriegt jetzt auch keinen Belag auf die Stulle! -- Doch! Ich weiß es!« Der Lehrer ist taktvoller als die Jungen: er hört diese Worte gar nicht und sucht den kleinen Kerl, dem jetzt die Tränen in die Augen schießen, zu beruhigen. »Na, laß nur, Otto,« sagt er, »solche Parade, die kannst du noch öfter sehen! Paß mal auf, die mußt du später sogar selber mitmachen! Na, und unsere Partie am nächsten Freitag! Da seid ihr ja alle dabei! Die ist auch was wert!« Da meldet sich der kleine Köckeritz ganz krampfhaft. Doktor Fuchs aber hat offenbar keine Lust mehr, noch etwas über diese Sache zu hören. »Genug!« entscheidet er kurz. »Nein, nein, was anderes!« »Na, schnell!« »Können die mittlern Fenster nicht auch aufgemacht werden?« Die Jungen richten sich alle bei dieser Frage verständnisinnig hoch und tun, als wenn ihnen die Sachen auf der Haut klebten, und als müßten sie nun diese Sachen vom Körper abheben und abschieben. Mehrere beteuern sogar ehrlich: »Ja, es ist wirklich furchtbar heiß! Noch heißer als gestern!« »Die obern Fensterflügel sind offen!« entscheidet Doktor Fuchs. »Die mittlern Fenster aufzumachen, hat der Herr Direktor verboten! Neulich ist dabei ein Junge in der Sexta vom Fensterbrett gefallen und hat sich den Arm gebrochen! Los!« Und jetzt schlaucht und schleift Doktor Fuchs die Klasse, als ob er die verlorene Zeit und sogar den gestrigen Paradetag nachholen müßte. Immer schwüler aber wird es in der Klasse. Noch dazu bei der mangelhaften Ventilation! Dem Lehrer selbst stehen die hellen Schweißtropfen auf der Stirn. Der dicke Puntz ist an solchen Tagen immer mit am schlimmsten dran. Dabei gehen dann natürlich auch seine Gedanken noch leichter spazieren als sonst schon. Er stellt sich zum Beispiel jetzt vor, wie schön es sein müßte, wenn er baden gehen könnte und nicht -- »Dicker!« Da hat er sich wieder ertappen lassen und muß nun herhalten und kriegt jede zweite Frage, daß er schließlich ganz schachmatt ist, als es zu seiner Erlösung endlich läutet. Das war doch wahrhaftig gestern ein schönrer Tag! Na, aber vielleicht -- Ein anderer kommt ihm zuvor: »Ob’s heute nachmittag denn gar nicht mal frei gibt?« »Eben wollte ich dasselbe fragen! Das wird ja heute eine Bombenhitze!« »Och!« -- Ein ganzer Hümpel steht schon vor dem Thermometer, das in die Wand eingelassen ist und die Temperatur in der Klasse selbst anzeigt. -- »Och! Schon 30 Grad!« »Réaumur?« »Celsius! Ist ja aber janz gleich! 30 Grad! Nein! Das geht nicht mehr!« »Wieviel sind denn das Réaumur?« fragt der Dicke zweifelnd und wie für sich. »Ach, 24! Och! Wir wollen mal schnell auf den Hof hinunter!« -- Da hat der Schuldiener während der ersten Stunde fleißig gesprengt. Eine wohltuende Kühle weht den Jungen entgegen, als sie aus der untern Tür auf den Hof hinaustreten. Das ist ihnen aber gar nicht recht. »Blödsinniger Kerl!« schimpfen sie. »Der weiß gerade, was gut ist!« -- Eben springt Fritze Köhn aus dem Haufen der Jungen zurück, die sich vor dem Thermometer auf dem Hof aufgepflanzt hatten. -- »19! Wenn bloß det olle Krokodil den Hof nich jesprengt hätte!« -- Fritze Köhn ist der Urberliner in der Klasse. Er berlinert immer; nur dann nicht, wenn er vor dem Lehrer steht. -- »Na, dann sind aber um zehn Uhr sicher 20 Grad, und dann _müssen_ wir frei kriegen!« »Na, von müssen ist nun keine Rede!« »Doch! Ich weiß es ganz genau!« »Ja, aber der Direx richtet sich doch nach seinem Thermometer da hinten. Guck doch, da kommt nie die Sonne hin!« -- Wenig tröstlich das alles für die Jungen! Sie müssen wieder hinein in den »Schwitzkasten«. »Was haben wir denn jetzt?« »Erdkunde! Die Voralpen!« »Ach, Voralpen oder Nachalpen! Ich verschlafe die Alpen!« -- So ungefähr wurde es auch. Nur mit dem Unterschiede, daß nicht nur der eine vor sich hindöste, sondern alle miteinander, wie sie da gebacken waren. Und wieder kommt aus der Klasse heraus die Frage: »Können nicht die mittlern Fenster auch aufgemacht werden?« »Nein!« antwortet der Herr, der vor der Karte steht. »Ist verboten! Aber die Tür können wir aufmachen!« -- Er gibt dem Jungen, welcher der Tür zunächst sitzt, das Zeichen, sie zu öffnen. Kaum aber öffnet sich diese Tür, da tönt ganz klar die Stimme des alten Bumsvallera aus der Nebenklasse her, die offenbar schon früher auf die feine Idee der Öffentlichkeit des Unterrichts gekommen ist: »Na, na! Hier nicht einschlafen, du!« Das Gaudium der Jungen hüben und drüben bricht los. »Also! Tür wieder zu!« befiehlt der geographische Herr ruhig. »Dann schwitzen wir eben ein bißchen!« Ein bißchen! Nein, Ströme Schweißes fließen und verpesten geradezu die Luft. Auch die Sonne kommt jetzt so langsam herum und sieht neugierig in die Klasse hinein. Sonderbar auch! Der Dicke hat so seine Betrachtung darüber: sie bescheint zuerst den Westen von Deutschland und kriecht dann langsam nach Osten hinüber. Und da sagt man immer, die Sonne geht im Osten auf und -- »Puntz! Donnerwetter, Junge, du schläfst ja!« fährt ihm der Professor auf den Pelz. Der Dicke reißt die Augen auf. »Nein -- nein -- ich dachte -- ich dachte --« »Na, siehst du, das kommt davon, wenn mal solch Esel, wie du, denkt! Nun passe mal gefälligst auf!« -- Ach, allen andern müßte das auch gesagt werden. Es ist zu schwül in der Klasse. Bleischwer liegt es auf allen, und nur _ein_ Gedanke läßt hier und da ein Gesicht aufleuchten: es _muß_ ja heute frei geben! Und -- Gott sei Dank! -- heute ist Dienstag! Dann fällt ja gerade der eklige Nachmittag aus! -- -- -- Auf _den_ Gedanken haben sich -- während der zweiten Pause unten auf dem Hofe -- alle Jungen zusammengefunden. Aber scheinbar auch eben nur die Jungen; denn der inspizierende Herr hüllt sich in Schweigen, wenn einer der Jungen ihn fragt. Und der Direx? Der ist überhaupt nicht zu sehen! Aber, was ist denn da los? -- Da vorne! -- Eben bildet sich da eine Korona. Um den Schnorzel nämlich, den sonderbaren Jungen aus der Quinta, der, wie alle die andern behaupten, »ein bißchen mit dem Dämelsack geschlagen ist«. Der Junge steht mitten drin in dem Haufen; alles redet auf ihn ein. »Was ist denn los?« fragen die Neuhinzutretenden, die Tertianer. »Ach,« erklärt einer der Quintaner lachend, »wir haben Schnorzeln zum Direktor geschickt, ob’s nachmittag frei gibt.« »Na, und?« »Ja, guck doch! Er kann sich noch gar nicht recht erholen!« Da hat sich der Schnorzel aber doch endlich erholt. Als ihm jetzt wieder einer aufs Fell schreit: »Na, was hat denn nun der Direktor gesagt?« da sieht er den Fragenden groß und glotzend an. Dann bückt er sich plötzlich vor und beschreibt mit seinem rechten Zeigefinger immer einen Kreis um den andern vor seiner Stirn und schreit dabei klagend: »’nen Vogel hat er mir gemacht! Ja! ’nen Vogel!« Alle brechen in ein helles Gelächter aus; die Tertianer aber wenden sich ab, und der dicke Puntz meint -- immer noch lachend --: »Dem hätte ich ooch ’n Vogel gemacht! Aber noch ’n ganz andern!« Das ist ja die Meinung der andern im Grunde genommen auch; aber wenn der Direx den Schnorzel so angeschnauzt hat, dann will er doch sicher nicht frei geben! Gerade der Gedanke ist den Jungen allen furchtbar unbehaglich. »Es muß einer einfach mal ohnmächtig werden!« schlägt der kleine Köckeritz vor. »Ja,« pflichtet ihm ein anderer bei. »Dann werden die schon vernünftig werden!« Wer wohl »die« sein mögen? Kein Mensch verzieht das Gesicht dabei! Aber es hilft eben alles nichts: man muß wieder hinauf in die Klasse. Es ist nur gut dabei, daß es immer noch Jungen gibt, die den Humor nicht ganz verloren haben. Neben dem Brunnen steht ein Quartaner und ladet mit schallender Stimme ein: »Immer hierher! Immer ran, meine Herrschaften! Zur Durschtstillation!« Und oben neben der Klassentür hat sich der Fritze Köhn, der »Urballina« aufgepflanzt und katzbuckelt da allen freundlich entgegen: »Immer rin, immer rin ins Schwitzkabiné! Macht vil Spaß un dhut nich weh!« Die Jungen folgen freilich dieser freundlichen Einladung. Aber sofort sind sie auch um die Tür herumgeschwenkt und zum Klassenthermometer hingetreten. »Was?« ruft einer da hastig. »Nur noch 29 Grad? Na, das geht doch nicht mit rechten Dingen zu! Wer hat denn hier gemogelt?« Der Fritze Köhn hat das gehört und ist auch um die Ecke herumgesprungen: »Wat, na Donnerwetter, da denk ick ja, der Affe soll mir frisieren! Det jibt’s nu nich! Jeh mal weck! Ick will mal dran pusten!« Gesagt, getan! 30 Grad, 31, 32, 33, 34. »So! Det jeniejt vorläufig!« Es genügte aber doch nicht; denn die dritte Stunde beginnt. Und eine Gluthitze dabei! Das Atmen wird Lehrer und Jungen schwer, und die Arbeit schleicht müde und trübselig dahin. Am Ende der Stunde steht es mehr als je bei jedem einzelnen fest: »Nachmittag müssen wir doch frei kriegen!« Die Pause ist kurz. »Hast du schon zu Nachmittag Geschichte gelernt?« fragt der Bonin den Dicken. »Ih wo! Nich in de ~la main~! Wollen doch erst mal abwarten!« »Na, Köckeritz will ja ohnmächtig werden!« »Der? Das Quecksilber! Wenn der wirklich mal ohnmächtig wird, dann ist er es immer noch nicht ganz und noch lange nicht!« -- -- -- * * * * * In der vierten Stunde hat man wieder bei Doktor Fuchs, dem Ordinarius. »Na, wenigstens nicht so langweilig! Aber der Kerl, der triezt uns dafür wieder so!« »Ach ja! Und bei der Hitze!« -- Auch dasmal half es alles nichts. Mit dem Triezen, das war schon in Ordnung; aber weniger heiß war es natürlich trotz alledem nicht. Ab und zu freilich gab es heute eine Kunstpause. Da sagte dann Doktor Fuchs: »So, Jungs, nun könnt ihr euch mal ein bißchen verschnaufen! Anlehnen! Wollt ihr euch die Jacke ausziehen?« Einige setzten lächelnd an; es tat’s aber schließlich doch keiner. Gerade in solcher Pause aber meldete sich der Bonin: »Herr Doktor! Ich muß nachher zum Prediger!« »Schön! Freut mich!« Der Junge lächelt darauf etwas verlegen und meint zögernd: »Ja, ich weiß aber nicht! Wir gehen doch früher weg! Wir wissen nicht, ob wir nachmittag dann wieder hermüssen!« Jetzt scheint der Ordinarius zu verstehen. »Ach so!« sagt er ganz gewichtig. »Na, selbstverständlich! Das möchtest du nun wissen! Na, dann komm mal vor! Dann werde ich’s dir ins Ohr sagen!« Ei, wie der Junge da vorsprang und sein Ohr hinhielt! Und Doktor Fuchs, der selber ja nur so groß ist, wie Bonin, der beugt sich ganz geheimnisvoll zu ihm vor, als wenn er ihm das wirklich auch nur ganz leise zuflüstern wollte. Die andern Jungen aber, die spannen die Ohren und recken den Kopf hoch und möchten doch auch etwas aufschnappen. Ja, aufgepaßt! Jetzt öffnet Dr. Fuchs den Mund, und -- während die ganze Klasse den Atem anhält -- brüllt er dem Bonin entgegen: »Wenn ich dir das sage, dann wissen das zweie!« Der Junge ist ganz erschrocken zurückgeprallt und will sich eben wieder aufrichten, während im selben Augenblicke die Klasse in lauten Jubel ausbricht. Da aber öffnet sich auch plötzlich die Tür. Der Schuldiener erscheint auf der Schwelle. Er und der Direktor, sie klopfen beide nicht an, wenn sie in die Klasse kommen. Die Jungen sind also darauf geeicht, in solchem Falle auch den Direktor erscheinen zu sehen. Sie warten gewöhnlich auch erst einen kleinen Moment ab und richten sich mit dem Gesicht und mit dem ganzen Menschen darnach. Heute aber sind sie ungewöhnlich schnell dahintergekommen, wer sich da durch die Tür in die Klasse geschoben hat. Der Jubel über den übertölpelten Bonin geht sofort in den andern über, in den Jubel nämlich über den Zettel, den der Schuldiener in der Hand hält und eben, süßsauer lächelnd, dem Ordinarius präsentiert. Der nickt nur und verkündet dann: »Also, Jungs, um 1 Uhr wird heute der Unterricht geschlossen! Ihr habt ja schon um 12 Uhr Schluß! Nachmittag ist natürlich frei!« Den Schuldiener sieht man heute gnädig an. »Na kann det olle Krokodil sprengen, so ville et will.« So hat Fritze Köhn leise gesagt, und so denken mit ihm alle die, die das gehört haben. Nicht lange dauert es auch, da läutet es. Ein kurzes Gebet, und draußen sind die Jungen, frisch und munter, als lockte das schönste Frühlingswetter und nicht die Dunst- und Gluthitze der Berliner Asphaltstraßen. -- Als die Jungen die Treppe hinunterstürmen wollen, steht der Schuldiener breitspurig im Wege wie ein zürnender Gott. Er wenigstens scheint den Jungen den Schulausfall doch nicht zu gönnen. Der Fritze Köhn kann es sich deshalb auch nicht verkneifen, im Vorbeigehen einen alten Berliner Gassenhauer zu trällern; er als »Urballina« ist ja ganz besonders groß in so etwas: »Mitten auf der Elbe schwimmt ein Krokodil, wackelt mit dem Schwanze, weiß nicht, was es will. Bitte, jehn Se rechts un bitte, jehn Se links! Denn so’n Krokodil is een jefährlich Dings!« Die Kameraden lohnen dem Fritze Köhn dieses Lied und diesen Mut mit lautem Jubel. Aber wie erschrocken darüber trollt man sich dann schleunigst hinaus. In aller Munde aber liegt ein Wort: »Au wei! Das ist ’ne feine Woche! Und am Freitag die Partie! Was wird nun vielleicht noch morgen sein?« Da ist’s vorbei mit der Freude. »Aecks! Morgen Klassenarbeit in Geometrie! Junge! Junge! Junge! _Die_ Arbeit verhaue ich ganz sicher!« »Ach ja! Die ganze feine Woche wird dadurch ruiniert!« »Wahrhaftig! Wenn doch bis morgen die Schule abbrennte!« »Und der Kerl mit!« -- -- -- Immer offen und ehrlich! Aber die beiden Tage war die Woche nun schon fein gewesen! -- -- -- Mittwoch: Die schönste Enttäuschung. Da war nun der schon lange gefürchtete Mittwoch. Und endlich auch die dritte Stunde. »O Gott, o Gott, o Gott!« Jeder, der den dicken Puntz so jammern hörte, jammerte innerlich mit; er wußte auch ganz genau, was das bedeuten sollte. »Mir ist ganz blümerant zumute!« Fritze Köhn haspelte in seiner Brusttasche herum und zog schließlich mehrere kleine Figuren aus steifer Pappe daraus hervor. »So« sagte er dabei, »seht mal her! Ick jloobe, ick hab’s verstan’n!« Emsig versuchte er dabei, die Sachen zu einer größern Figur zusammenzuschieben. So und so viele Blicke senkten sich auf die sonderbaren Figuren hinunter; einer der Jungen streckte sogar kühn seine Hand darnach aus, um zuzugreifen und selber die Lösung zu versuchen. »Halt!« schob Fritze Köhn seinen Arm wie zum Schutze über all die Weisheit weg. »Das Berühren der Fijüren mit de Foten is verboten!« »Ach!« kam darauf verächtlich von der andern Seite. »Die Geschichte geht ja überhaupt auch gar nicht!« -- Die Unke hatte recht, und Fritze Köhn wurde noch obendrein tüchtig ausgelacht. Und doch klang das Lachen so gar nicht wie das frische, fröhliche Tertianerlachen sonst! »Ich habe einen mächtigen Bammel!« brachte einer der Jungen wieder hervor. Und wieder hatte er allen aus der Seele gesprochen. Hier steckte einer noch ängstlich die Nase ins Buch; dort mühten sich zweie um eine Figur, die aber leider das Schicksal der Köhnschen hatte: sie wollte nicht stimmen. Überall ein ander Bild, und überall doch gleichmäßig Angst und Sorge vor dieser Arbeit. Dazwischen wieder die Anklage: »Der hätte ja die Sachen viel mehr mit uns üben müssen! Wer hat’s denn überhaupt verstanden? Keiner! Oder der Ehrenfried vielleicht!« »Pfui Deibel! Die ganze schöne Woche wird uns dadurch verdorben und verekelt!« Rrrrrrrrrrrr! Die elektrische Glocke setzte ein. Wie eine Peitschenschnur flog der schnurrende Laut über die Klasse hin und drückte den Kopf der Jungen auf die Tischplatte hinunter. Jetzt mußte die Sache steigen! Na, das konnte ja gut werden! »Un no’ een janzet Ende drieber!« meinte Fritze Köhn und tat dabei, als müßte er gerade jetzt einen Regenwurm verschlucken. -- -- -- Die Großen befehlen in der höchsten Not und im Augenblicke der Gefahr ihre Seele dem Schutze des Allerhöchsten. Ein Junge denkt nicht daran, so was zu tun. Er torkelt mit seinem ganzen Menschen in die Gefahr hinein. Auch hier war es schließlich so. Die Jungen hatten sich Feder und Bleistift und Zirkelkasten und Heft parat gelegt. Im nächsten Augenblick konnte ja doch -- Hier und da klappte schon eine Tür auf dem langen Korridor zu. Der lange Sausig aber vorn an der Ecke hatte sich hoch aufgerichtet; er blickte unverwandt nach der Tür, als wenn er etwas ganz Besonderes darin erwartete. Plötzlich stand er sogar schnell und leise auf und machte ein paar große Schritte nach der Türöffnung zu. Storchenschritte! Vorsichtig lugte er dann nach dem anderen Ende des langen Flures herum. Die andern Jungen waren ihm mit ihren Blicken gefolgt: alles hielt den Atem an. Der Frechdachs! Wenn jetzt der Professor Zirbel käme! Dem Sausig konnte es dann traurig gehen; denn gerade Zirbel, der verstand keinen Spaß! »Buah!« machte hier und da ein Junge, wenn er mit seinen Gedanken so weit gekommen war, und instinktiv und schaudernd fiel der entsetzte Blick wieder auf das geometrische Heft hinunter. Aber -- der Sausig stand immer noch da auf der Lauer! Zirbel kam doch sonst so pünktlich und beinahe mit dem Glockenzeichen! Sollte da doch etwas passiert sein? Vielleicht daß Zirbel -- Da fuhr Sausig wie ein Blitz in die Klasse zurück. »Raff! Raff!« »Wer?« -- Die Jungen wußten nicht recht, was sie daraus machen sollten. -- »Wer?« »Raff! Raff!« »Bei dem haben wir ja gar nicht!« -- Schnelle Schritte kommen draußen näher. Und immer näher. Und plötzlich erscheint wirklich der Professor Raff in der Tür. Die Jungen machen ein ganz erschrockenes, im nächsten Augenblicke aber schon freudig-verblüfftes Gesicht. Sie springen auf. Der Professor Raff tritt gar nicht erst in die Klasse hinein. »Jungs,« sagt er gleich auf der Schwelle, »Herr Professor Zirbel ist erkrankt und fehlt heute. Nehmt eure Diarien und kommt schnell in die Unter-Sekunda ~O~! -- Na, macht schnell, Jungs!« Der Herr tritt damit bis in die Mitte des Flures hin zurück. -- Der Bann, der bis zum letzten Augenblicke auf der Klasse gelegen, er ist gebrochen. Also kein Extemporale! Der Gefahr entronnen! Ein Alpdruck ist von jedem Herzen genommen. Wild schwirren die Ausrufe der Freude durcheinander. »Ach ’ott! Ach ’ott! Jroßartig!« »Hoffentlich kommt der vor den Ferien überhaupt nicht mehr!« »Na, morgen haben wir doch wieder! Wenn er nun da schreiben läßt!« »Ach, Unsinn! Jungs, morgen keiner Geometrie mitbringen!« »Mein Diarium! Donnerwetter! Schnell doch! Ach, da liegt’s ja!« Der Herr Professor Raff ist wieder in die Tür getreten und klopft mit dem Schlüssel ungeduldig an eine der eisernen Heizröhren. »Na, Jungs, mal ein bißchen dalli!« Ja doch, die Jungen wollen ihm ja schnell folgen! Der schönste Lockruf hätte ihnen wirklich nicht flinkere Beine machen können! Im Nu ist auch die Klasse jetzt leer, und fröhlich lärmend ziehen die Tertianer der Unter-Sekunda zu. Die Jungen darin sind zusammengerückt und betrachten mit einem kleinen Unbehagen im Gesicht die Ankömmlinge aus der Tertia. Sie haben französische Lektüre. In der Sekunda, wie überall ja sonst auch, blamiert man sich nicht gern und noch dazu vor einer Klasse, die tiefer steht als man selber. -- »So! Nein, du dahin!« entscheidet Professor Raff schnell noch, als die beiden Busenfreunde, der Sausig und der dicke Puntz, absolut auf einer Bank zusammensitzen wollen. »Alles in Ordnung? So, Jungs! Nun macht einmal in euer Diarium einen kleinen Aufsatz über die Parade oder über irgend etwas, was ihr am Paradetag erlebt habt. Aber ich bitte mir aus: jeder für sich!« Die Tertianer machen das. Sie würden jetzt, da sie nicht Geometrie schreiben, alles machen, was man von ihnen verlangt. Aber immer schielt man doch etwas nach dem Betriebe der Sekunda hin. Es ist ja doch auch zu schön, so selber geborgen und fern von jeder Gefahr zuzuhören, wie eben da der große Lange gelappt wird. Mit »Sie« werden die angeredet und lassen sich so behandeln! Na, ungefähr so, wie sie selber unten in der Tertia bei Professor Zirbel! Und heute schreiben sie nun bei dem nicht Extemporale! Großartig wirklich! Ein feiner Tag! -- -- -- * * * * * Kaum hatte nachher um elf Uhr der Doktor Fuchs, der Ordinarius, das Klassenzimmer betreten, da schossen die Hände der Jungen hoch. »Herr Doktor! Bei wem haben wir nachher Vertretung? Für Herrn Professor Zirbel! Die Algebrastunde!« »Ja, das ist eben die Sache, Jungs! Ihr seid wirklich die geborenen Schlemmer und Schulbarone! Diese Eckstunde nämlich von zwölf bis eins fällt aus! Ihr geht also um zwölf Uhr nach Hause.« »Och!« -- »Oh, das ist fein!« Ein sinnverwirrender Jubel! Und Doktor Fuchs steht so ruhig da! Er blickt so zufrieden und lächelnd in die Klasse hinein! Der hat nie vergessen, daß er auch mal jung war und sich da gleichfalls über eine ausgefallene Stunde gefreut hat! »So, Jungs!« sagt er aber dann doch endlich. »Habt ihr euch nun bald genug gefreut? Dafür aber kaufen wir unsere Stunde jetzt ordentlich aus!« Das indessen tat den Jungen nicht viel. Kein Extemporale in Geometrie und die Algebrastunde nachher auch noch frei! Was konnte es denn überhaupt noch Besseres in der Welt geben! Endlich ertönt wieder das Glockenzeichen. Als aber jetzt die Jungen eben ihre Mappen anrappen wollen, um stolz nach Hause zu ziehen, während die andern Klassen mit dem Buch vor der Nase und der Sorge vor der nächsten Stunde im Gesicht auf dem Hof herumschleichen würden, da erschallt auf einmal die Stimme des Ordinarius: »Ja, was denn, meine Herrn? Was ist denn los? Ih, nun erst mal Ruhe im Saal!« »Nach Hause gehen!« -- Die Gesichter werden länger. Was soll denn nun noch kommen? »Ja« -- Doktor Fuchs hat es wirklich heute raus, die Klasse zu quälen -- »ja, Jungs, da muß ich euch erst noch einen großen Schmerz antun!« -- Er wendet damit seine Augen zum Stundenplan an der Tür hin. -- »Ihr habt doch morgen von acht bis neun Uhr wieder Geometrie!« Jeder der Jungen weiß das natürlich. Nun schon seit Ostern. Aber keiner antwortet darauf. Der Ordinarius quält sie dafür weiter. »Ja, da muß ich euch, Jungs, nun einen großen Schmerz antun!« Die ganze Klasse ist unruhig geworden und hängt doch auch wieder wie erstarrt an den Lippen ihres Ordinarius. »Der Herr Professor Zirbel wird nun morgen --. Ist dir was, Köckeritz?« Der Kleine hatte ganz vernehmlich gestöhnt. »Der wird vielleicht ohnmächtig!« flüsterte Fritze Köhn seinem Nebenmann zu. Aber nein! Köckeritz wie jeder andre der Jungen dachte nur, daß nun der Professor Zirbel morgen sicher wiederkommen würde. Und dann _doch_ das Extemporale! Noch vor Pfingsten! Die ganzen Pfingstferien sollte man sich dann womöglich mit der Angst um den Ausfall dieser dämlichen Arbeit herumschleppen! Der kleine Köckeritz mit seinem Gestöhne, der hatte alle andern angesteckt. Wie mit dem Gähnen. Und der Doktor Fuchs schließlich mußte jetzt unbändig über all die Angstmeier da in seiner Klasse lachen. »Ja, Jungs!« wurde er endlich wieder ernst. »Gerade _den_ Schmerz muß ich euch noch antun! Herr Professor Zirbel wird nämlich morgen auch noch fehlen, und --« Wie da der Jubel losbrach! Schon mehr ein Freudengeschrei! Ein wahres Freudengeheul! Daß der Doktor Fuchs erschrocken auffuhr: »Ja, Jungen, wenn ihr so ganz und gar verrückt seid, dann darf ich euch nicht sagen, was ich euch noch sagen wollte!« Im Nu ist es wieder totenstill in der Klasse. »Da also der Herr Professor Zirbel morgen auch noch fehlen wird, und da ihr doch die erste Stunde bei ihm hättet, so kommt ihr erst um neun Uhr!« Erneuter Jubelausbruch. »Na, wartet mal!« -- Die Stimme des Ordinarius zwingt alle wieder zur Ruhe. -- »Das dicke Ende kommt eben nach! Da ihr ferner so zwei Stunden frei habt -- heute die letzte, morgen die erste! -- so übersetzt ihr mir zu morgen extra zum Französischen: Plötz, Übungsbuch, das deutsche Stück Nr. 11 ins Diarium! Die Schlacht bei Poitiers!« Die Jungen nehmen die Sache gleichgültig hin. »Wird gemacht!« denkt jeder. Und stolz ziehen sie jetzt zur Klasse hinaus; an den andern vorüber, die da, in der großen Pause um zwölf Uhr, auf dem Hofe herumlaufen und mit neidischen Blicken den davoneilenden Tertianern nachsehen. »Ach, das ist aber wirklich eine feine Woche!« beteuert der dicke Puntz einmal um das andre. »Die kann so bleiben!« »Jott Strambach!« -- der »Ballina«, der Fritze Köhn, versichert das frohlockend. -- »Als Raff sagte, wir sollten nach der Sekunda kommen, da habe ick mir ja eens jelacht! Mein janzer Bauch war eene eenzijste Falte!« Die andern müssen darob auch lachen, als ob sie gleich mal probieren wollten, wie es tut, wenn der Bauch eine einzige Falte ist. Alle aber sind darin einig, daß das eine wirklich feine, sogar eine piekfeine Woche ist. -- -- -- Donnerstag: Ein recht bewegter Vormittag. ~Sic me servavit Apollo.~ Um neun Uhr erst zur Schule! Aber dafür dann auch gleich Latein! Beim alten Bumsvallera! Unheimlich war ja das Lateinische immer! Aber heute gerade konnte es keinem recht geheuer sein; denn alle Akkusativregeln waren zu repetieren. »Weiß der Teufel auch, wie das zugeht!« sagte der kleine Köckeritz schaudernd. »Aber beim alten Bumsvallera kann man noch so gut gelernt haben; wenn’s das Unglück und der alte Querkopf wollen, so fallen wir doch hinein!« Der dicke Puntz schüttelte sich. »Und heute nun solche Regeln! Ganz geschaffen, einen anständigen Menschen damit bis über die Ohren hineinzulegen! -- Ich habe so’n Animum als wenn!« »Aber ich erst!« -- Sausig klapperte ordentlich mit den Zähnen. »Sein Gutes hat Bumsvallera aber doch auch!« meinte der Dicke nachdenklich und nach einem Augenblick des Schweigens. »Erstens lernen wir was bei ihm, und zweitens hört er mit dem Glockenschlag auf! Ich habe zwar das Glück noch nie gehabt, gerade so mal aus der Klemme zu kommen; aber ich bin immer froh, wenn es anfängt zu schlagen!« -- -- -- Mochte nun der alte Professor glauben, daß auch alle andern die Regeln so herbeten könnten, wie die, welche er zufällig zuerst aufgerufen hatte; oder wollte er wirklich noch recht viel Übungssätze dazu Übersetzen lassen: kurz, er ließ bald das Übungsbuch aufschlagen. Gemütlich war so was nun zwar erst recht nicht; aber man fiel dabei doch nicht mit Tadel oder Stunde hinein. Heute aber sollte die Sache doch aus einem andern Loch pfeifen. Der Rippach, der Junge der dumme, übersetzte geradezu gottsjämmerlich schlecht; so schlecht, daß es wahrhaftig kein Wunder war, daß der alte Bumsvallera schließlich sein Buch hinlegte und den dummen Kerl anherrschte: »Siehst du! Siehst du! Du kannst die Regeln nicht! Nun sag’ sie auf!« Der Junge fand sich nicht hinein. »Na also! Du hast nicht gelernt! Sei ruhig! Nicht, wie du sollst! Du kriegst einen Tadel!« -- Dem Dicken und manchem andern noch wurde es schwül dabei. Hie und da schlug dieser Tadel wie ein Blitz in die Klasse ein; ein halbes Dutzend der Jungen stand schon mit dem Namen im Klassenbuch. Jeden Augenblick konnte der Dicke auch drankommen. Und konnte er dann diese verzwickten Regeln nicht anwenden, und konnte er sie dann nicht auch am Schnürchen und durcheinander herbeten, dann --! Er saß wie auf Kohlen! Kam er dran, dann fiel er unbarmherzig hinein, genau wie die andern. Und nachher kam dann der Doktor Fuchs in die Klasse, mit dem man doch morgen eine Landpartie machen wollte! Die Sache war -- »Na, nun mal -- der -- Puntz!« Der Dicke pfiff von seinem Platze auf wie noch nie in seinem ganzen Schulleben. Jetzt sollte er übersetzen. Aber so sehr er sich auch zusammenriß, hier und da stockte er doch, und nun gebrauchte er sogar den Akkusativ, und die Tücke des Schicksals wollte noch, daß gerade hier der -- Dativ stehen mußte. »Ach!« fuhr der Alte da zusammen. »Na, ich glaube gar!« -- Bumsvallera gebärdete sich ganz wild dabei. -- »Kannst du denn überhaupt --« Klirrr--r--r! Der Alte hatte mit seinem Klemmer wütend vor sich hingehauen. Dabei war ihm das Buch mit seiner scharfen, harten Kante in die Quere gekommen, und -- das ganze Pincenez war zum Teufel. Und doch tat der Alte auf einmal, als wäre gar nichts geschehen, oder als ärgere er sich nicht im geringsten darüber. Jeder aber sah ihm den Ärger an. Die Jungen wagten ja nun nicht, auch nur einen Mucks zu sagen; aber innerlich schrieen und jubilierten sie vor Schadenfreude. »Der alte Bumsvallera, der hat uns jenug jeschunden, dem gönne ick det!« -- So dachte Fritze Köhn; so dachte mit ihm auch manch andrer. -- Währenddessen stand der Dicke da als das Opfer, auf das sich -- nach seiner eigenen Meinung -- die ganze Erregung des Lehrers entladen mußte. Nichts von Erregung! »Na also, Puntz! Kannst du denn die Regel? Ja? Na gut! Sag’ sie mal auf!« Der arme Junge hatte den Kopf gehoben; seine Nasenflügel vibrierten. Er wußte die Regel ganz bestimmt; und doch --. »Na, los nur! Wenn du sie nicht kannst, dann --.« Rrrrrrrrr--. Die elektrische Glocke war die Erlöserin. »Na« -- der Alte richtete sich im selben Augenblicke hoch -- »na, Puntz, heute kannst du auch sagen: ~Sic me servavit Apollo!~« -- Der Junge atmete tief auf. Er fühlte, wie ihm der Schweiß auf die Stirn getreten war. Die andern, die schon drangewesen und dabei reingefallen waren, die taten ihm ja leid; aber die würden jetzt sicher lachen, wenn er so kurz vor Toresschluß auch noch hineingeflogen wäre. Also Wurst wider Wurst! Er wollte sich freuen, daß _er_ wenigstens so mit einem blauen Auge davongekommen war. -- -- -- Der alte Bumsvallera hatte seinen Vermerk über das durchgenommene Pensum ins Klassenbuch geschrieben. Als er am Dicken vorbeiging, drohte er ihm mit dem Zeigefinger: »Du, du, lernen!« Beinahe hätte der Dicke gesagt: »Herr Professor, ich habe auch gelernt!« Doch er dachte noch rechtzeitig daran, daß es nicht wohl angebracht war, dem alten Herrn mit einem Widerspruch zu kommen. So zog der Junge lieber vor, nichts zu sagen. Er begnügte sich nur, hinter dem Alten herzugrienen, und kaum war der zur Tür hinaus, so seufzte Puntz noch einmal auf: »Gott sei Dank! Das ging noch mal so ab!« »Und die letzte lateinsche Stunde!« gab auch Fritze Köhn seinen Senf dazu. »Verjiß det nicht!« »Ja,« fiel der Dicke wieder fröhlich ein, »das ist doch eine feine Woche! _Nun_ ist sie erst fein!« »Ja, da hast du recht! Und jetzt Turnen bei Paperlink!« -- -- -- Strafe muß sein! Ja, Turnen bei Paperlink! Wer konnte es den Jungen verdenken, daß sie zum Turnen liefen und stürzten? Ein Fach, das keins ist, weil’s nichts dafür aufgibt, und Paperlink aller Ränke voll! Und immer lustig und zu allen möglichen und unmöglichen Scherzen mit den Jungen aufgelegt! Ein Junger unter Jungen! Auch heute rannten die Tertianer schnell zum Turnen hinunter. Aber -- was hatte der kleine Turnwart, der Paperlink, nur heute? Während ihm sonst die Jungen die Hand geben durften und er diese »Patsche« auch wieder tüchtig schüttelte, heute lief er mit den Händen auf dem Rücken herum und tat, als sähe er die ihm treuherzig entgegengestreckten »Pfoten« nicht, als sähe er überhaupt durch die Jungen durch und durch. »Der muß sich mächtig geärgert haben!« erklärte der kleine Köckeritz. »Ja,« -- Fritze Köhn hatte ja immer ein schlechtes Gewissen -- »et’s bloß jut, det wir nich dran schuld sin! Oder sint wer?« -- -- -- Es sollte sich bald zeigen, wer daran schuld war. -- Kaum daß die elektrische Glocke im Schulgebäude oben losschnarrte, schritt auch schon der kleine Paperlink mit einer feierlichen und ihm doch sonst so ganz fremden Grandezza zur Turnglocke vor und läutete, daß es allen durch Mark und Bein ging. »Brrr!« fuhr Fritze Köhn auf. »Det jeht einen ja durch Mark un Fennje!«[10] [10] Pfennige. »Na nu?« -- Die Jungen sehen ganz erstaunt auf. Sie waren gewohnt, sonst immer noch etwas Kürturnen zu haben. -- »Schon?« -- »Was ist denn eigentlich heute mit dem los?« Paperlink stand auf seinem Kommandokasten, mit dem er -- wie er einmal selber verraten -- seiner Länge eine Elle hatte zusetzen wollen. Er blickte starr auf den Fleck hin, auf dem die Klasse eigentlich nun bald stehen sollte. Die Jungen wurden etwas ängstlich. Einer drängte den andern. »Dunnerwetter ja, was ist denn heute nur passiert? Man ’n bißken fix jetzt!« Die Klasse stand in Rotten ausgerichtet da und hielt die Blicke erwartungsvoll auf Paperlink geheftet, der immer noch starr vor sich hinsah. »Als ginge er hinter einem Leichenwagen her!« flüsterte der kleine Köckeritz, der Frechdachs. Endlich, endlich hob der Herr Turnwart den Kopf und bewegte die Lippen. »Ja, ich habe mit den Herren ein Wort deutsch zu reden.« (~NB.~ wenn Paperlink feierlich werden wollte, dann redete er hochdeutsch.) »Ich habe zu meinem größten Bedauern gehört, was ihr alles für Hanaken -- ich wollte sagen, was ihr alles für unpatriotische Jungen seid, die nicht wert sind, Deutsche zu heißen, weil sie sich zur Parade von Seiner Majestät frei geben lassen und doch nicht zur Parade gehen. Der Ordinarius hat mir erzählt, daß nur einundzwanzig Mann von der Unter-Tertia ~O~ zu diesem Fest gegangen sind und fünfzehn also nicht. Ich wenigstens finde, es wäre ganz gut, wenn ihr euch bei solcher Gelegenheit unsere feinen Soldaten mal ein bißchen genauer ansähet und euer deutsches Gefühl daran ein bißchen stramm aufrichten wolltet. Solch Gang am Montag durch die Belle-Alliance Straße hätte auf einen richtigen Jungen viel mehr wirken können als die gelehrtesten Reden über die Vaterlandsliebe. Das ist _meine_ Meinung. Und deshalb werde ich die Herren, die am Montag nicht an der Parade teilgenommen haben, bestrafen.« Der Redner schöpfte tief Atem, während die Jungen unten vor ihm zum Teil recht betroffen, zum Teil recht schadenfroh dreinsahen. »Vortreten,« hob Paperlink wieder an, »wer sich die Parade _nicht_ angesehen hat!« Die fünfzehn Mann traten vor, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern oder ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Auch von Schoener und Haeseler und Forster und Bonin, die nach dem Grunewald gegangen waren und so doch eigentlich den Paradetag auch redlich benutzt hatten. Sie wußten, bei Paperlink würde doch kein Widerspruch etwas helfen. »Herr Turnwart!« -- von Schoener ist damit einen Schritt weiter vorgetreten. -- »Karnagel kann eigentlich nicht dafür, daß er nicht gegangen ist. Sein Vater ist dran schuld!« »Ist gut! Seinen Vater habe ich nicht hier. Also muß _er_ ran!« von Schoener, der nette, mutige Junge, tritt wieder zurück. Ja, als Sohn eines Offiziers hat er Disziplin im Leibe. »Drei ... sechs ...... fünfzehn! Stimmt! Erstens also zwiebele ich euch, die ihr euch nicht über unser schönes Militär freuen konntet, jetzt ein Viertelstündchen, und die _andern_ sehen zu. Und zweitens dürfen die andern dann kürturnen, und _ihr_ seht zu. Die Paradejungen aber dürfen sich beim Zusehen malerisch um euch herumgruppieren, wie es ihnen am bequemsten ist, und ihr, die Reichskrüppel, ihr, mit eurem Manko im vaterländischen Gefühl, ihr müßt nachher beim Zusehen in Reih und Glied stehen! Und stramm dabei! Das soll eure Strafe sein! -- Die Parade austreten!« »Die Parade austreten?« -- Oh, die Jungen verstanden! Im Nu waren alle Barren, Matratzen und alles, was sonst einen Raum zum Liegen bot, »beflegelt«, während Paperlink von seinem Kommandokasten hinuntersprang und die »Reichskrüppel« zusammenrücken ließ. Und nun ging’s los. Nach links und nach rechts hin ließ er das kleine Häuflein marschieren und schwenken, die Turnhalle auf und die Turnhalle ab; er ließ sie an Ort treten und im Laufschritt dahinstürzen, auf die schadenfrohen Paradezuschauer zu und von ihnen weg, an ihnen vorbei und noch einmal vorbei und zum so und so vielten Male vorbei, daß die fünfzehn Mann schließlich rauchten und dampften. Und endlich, endlich kam dann das Kommando: »Halt!« »Ausrichten! -- Haeseler, man nich so schlapp dhun! -- Bonin, an deinen Schuhen is ooch bloß die Ventilation jut! -- Schoener, dhu man nich so! Willst woll Eindruck schinden? -- So! Nun habt ihr noch lange nicht so geschwitzt wie wir andern bei der Parade! Aber ich will Gnade vor Recht ergehen lassen. Ganze Abteilung -- kehrt! Vorwärts -- marsch! ... Ganze Abteilung -- halt! Ganze Abteilung -- kehrt! So! Hier bleibt ihr stehen und seht zu!« -- Zu den andern gewendet: »Zur Belohnung Kürturnen!« Na, war das nun bisher für die »Paradejungen« ein Vergnügen gewesen, jetzt ging’s erst recht an. Kürturnen eine ganze halbe Stunde lang! Wie es sonst nur in der allerletzten Stunde vor der großen Versetzung gewesen war! Und um so schöner, als andere dieses Vergnügen zu der gleichen Zeit nicht haben konnten! Die mußten nun so »duselig« zusehen! Und ausgenutzt wurde dieses Vergnügen! Am Ende der Stunde ertönte wieder das Glockenzeichen. »In Rotten antreten! Haltung!« Paperlink stand auf seinem Kommando- oder Vergrößerungskasten. »So!« -- Der kleine Herr machte wieder sein gewöhnliches, sein gemütliches Gesicht. -- »Jetzt sind die Sünder wieder so gute Menschen wie wir andern. Jetzt dürft ihr mir alle wieder zum Abschied vor den Pfingstferien die Hand geben!« Es taten’s alle. Zu allererst und am allereifrigsten die fünfzehn, die Paperlink soeben so frisch und allerliebst und gründlich dabei »gezwiebelt« hatte. -- -- -- Zu langstilig und zu kurzstielig. »Na, das läßt sich ja immer schöner an!« Das Gefühl so ungefähr hatte die ganze Klasse, als man endlich wieder oben saß und auf Doktor Fuchs wartete. Was konnte denn überhaupt nun heute noch passieren? Jetzt im Französischen ein Lesestück! Und nachher Geschichte! Da mußte man ja schon veritable Kunststücke machen, um hineinzufallen. Man durfte natürlich keinen unnützen Jokus treiben; aber man riß sich eben auch kein Bein aus. Und morgen dann die Klassenpartie! Und dann die Pfingstferien! Der dicke Puntz hätte bei diesem Gedanken beinahe Juchhe! geschrien. Wo blieb aber nur Fuchs heute? Da, ein Trappeln von vielen Schritten auf der Treppe! Eine der Quarten marschierte draußen andächtig auf. Schnell trat auch jetzt der Ordinarius in die Klasse und ließ seine Jungen so auseinanderrücken, daß sich neben jeden ein Quartaner setzen konnte. Die ganze Sache fing also schon recht langstilig an, und langstiliger noch ging’s in der Stunde her; denn offenbar wollte Doktor Fuchs die Quartaner nicht ganz brach liegen lassen und seinen eigenen Tertianern das Quartanerpensum dabei in Erinnerung bringen. Verlorene Liebesmüh! Der Tertianer hat bei solcher Gelegenheit oft ein dickes Fell: man ließ also auch in diesem Falle die ganze Geschichte ruhig an sich vorüberplätschern und schwamm nur mit, wenn man wirklich mal gezwungen wurde. Man war ja mit allem so weit weg vom Schuß! Schließlich hatte man auch mal wieder das Gefühl: ~summa summarum~ eine feine Stunde! »Ja,« beteuerte der kleine Köckeritz, der es verstand, sich zuweilen recht gewählt auszudrücken, »es war eine Stunde, die sich wunderbar in diese ganze, feine Woche hineinfügt! Auch die Geschichtsstunde werden wir mit Gottes Hilfe noch überstehen!« Fritze Köhn aber sah dabei dem Kleinen so seltsam auf den Mund. »Fertig mit de Quasselstrippe?« fragte er schließlich. »Ja!« »Ick mach’s kirzer: Jetzt no’ Jeschichte! Un denn: Adjee Sie!« Die andern Jungen mußten hell auslachen. Sie waren durchaus der Meinung von Fritze Köhn: so was konnte man eben gar nicht kurz genug sagen! -- -- -- Nun saß man schon mitten drin in der Geschichtsstunde! Griechenland war so weit weg und die Geschichte der alten Griechen noch viel weiter! Zudem war es auch wieder heiß geworden, wenn auch nicht so heiß, daß man auf Freigeben hätte hoffen können. Immerhin, mitten in der Stunde -- die Schuluhr draußen über der Turnhalle hatte gerade halb geschlagen -- mitten in der Stunde also meldete sich der Richter und sagte höflich: »Herr Doktor, können nicht die Fenster oben _alle_ aufgemacht werden?« Der Lehrer nickte: »Selbstverständlich! Hier sind ja wohl bestimmte Fensterwarte in dieser Klasse!« Die vier Größten sprangen auf. »Meins ist schon auf!« sagte Schützel gewichtig, während Schilter und Heinrichs vorliefen, um den Hebel an ihrem Fenster zu ergreifen und ihn langsam und vorsichtig zur Seite zu drücken. Die Fenster öffneten sich dann oben an der Decke, wie von einem geheimen Zauber bewegt. »Na, und du?« fragte der Lehrer den Mucius. »Ja, das da ist meins! Aber manchmal geht’s, und manchmal geht’s nicht! Herr Doktor Fuchs hat gesagt, am besten machen wir das vorläufig _nicht_ auf!« »Och! Hat er das wirklich so gemeint? Es ist nämlich bei euch hierdrin in der Tat etwas sehr schwül, Jungs! Geht’s wirklich nicht doch mal mit dem Fenster, Mucius?« »Herr Oberlehrer!« -- Der kleine Zittel ist immer einer der schnellsten auf dem Plan. -- »Das Fenster ist unter Plombenverschluß gelegt!« »Unter was?« fragt da der Lehrer aufhorchend und tritt zu dem besagten Fenster hinüber. Da war eine rote, feine Schnur um den Hebel und die zum obersten Fensterflügel hinauflaufende Eisenstange gelegt; die beiden Enden dieser Schnur waren in einer kleinen Bleiplombe vereinigt. Und ein Zettel war weiter darangebunden. Auf dem stand: »Vorsicht! Plombe! Oeffnen bei Strafe verboten! Mucius, Fensterwart. Im Auftrage der Klasse, G. m. b. H.« Der Lehrer mußte lachen. »Na,« meinte er schließlich, »dann müßte unten in meiner Quinta an jedem Fenster solche Warnung hängen! Es wird schon gehen!« Vorsichtig fing also der Herr an, an dem Hebel zu drücken. Doch, die kleine Schnur, so dünn sie auch sein mochte, leistete einen gewissen Widerstand. Die Jungen sahen gespannten Blickes auf die ganze Manipulation hin. Mucius sogar etwas empört. Schließlich, er mußte doch sein Fenster auch besser kennen als jeder andere! Und wenn der andere auch sogar vielleicht Professor war. Passierte was dran, dann war er selber doch Fuchsen dafür verantwortlich, und es war doch eben _sein_ Fenster! Aber _er_ würde -- Knipps! -- Da war die dünne Schnur gerissen. Rupps! fuhr das Fenster oben auf. Krach! sprang der Flügel aus den Angeln. Alles am Fenster dort vorn prallte zur Seite; denn schon sauste der schwere Holzrahmen mit der Scheibe zu Boden, und klirr! klirr! klirr! zerschmetterte sich die Scheibe unten an den Dielen in tausend Stücke. Ein Augenblick entsetzten Schweigens! Dann aber brach der Spektakel los. Ein Lachen! Ein Johlen! Ein Heulen! Dort vorn am Fenster bogen sich die nächsten mit schadenfrohem Gesicht zu der ganzen, zerbrochenen Herrlichkeit hinunter; hier sahen die ersten auf der Bank dem Lehrer in die erschrockenen Augen; hinten aber hatten sich ein paar direkt umarmt, und man hätte nur noch zweifelhaft sein können, ob sie lieber einen Schunkelwalzer oder einen Indianertanz aufführen wollten. Es kam zu keinem von beiden; denn im selben Augenblick erschien auch schon der Direktor auf der Bildfläche. »Na nu? Was ist denn hier los?« Der Geschichtslehrer kam um die Bänke herum und erklärte die ganze Sache. Und verlegen lächelnd fügte er hinzu: »Ich werde natürlich für den Schaden aufkommen, Herr Direktor!« »Ich weiß nun nicht mal, ob Sie das dürfen,« erwiderte indessen der Direktor ablehnend. »Die Fabrik, die diese Verschlüsse eingerichtet hat, ist der Stadt zu einer tadellosen Leistung verpflichtet, und doch ist beinahe in jeder Klasse etwas daran nicht in Ordnung. Sehen Sie, dieser Zapfen da oben! Ja, der! Der ist immer zu kurzstielig! Ich habe jetzt schon eine ganze Zeit lang eine wirkliche Angst gehabt, daß mit den Dingern was passieren könnte. Und als ich draußen gerade vorbeiging« -- der Herr Direktor lachte wieder -- »da dachte ich mir gleich, daß was mit diesen Fenstern los wäre. Es hörte sich ja ganz gefährlich an!« »Na, hier noch mehr!« freute sich auch der Geschichtslehrer. »Es ist nur gut, daß kein Unglück sonst dabei vorgekommen ist!« -- -- -- Ach, Unglück oder nicht! Das war den Jungen schließlich ganz schnuppe. Aber der entsetzliche Krach, die Verlegenheit des Lehrers, die Angst und die Aufregung des Direktors, alles das zusammen machte ihnen ja einen Heidenspaß. Die Zeit ~NB.~ verging doch dabei auch; die Zeit, die kostbare Zeit, mit der sonst so gespart und gegeizt wurde. Na, kurz und gut, höchst willkommen die ganze Geschichte! Die alten Griechen waren dabei weit, weit weggeraten. Was hätten die auch hier gewollt, die dummen Kerle, die mit dem besten Willen von der Welt überhaupt keine Scheibe hätten zerschmeißen können! Eine feine Stunde wieder mal, fein, wie die ganze Woche! Beinahe war es sogar jammerschade, daß es jetzt schon läutete und man so nicht mehr weiter das Bewußtsein haben konnte, daß die ganze letzte halbe Stunde zum Teufel gegangen war -- durch die Schuld des Lehrers. -- »Hast du übrigens gesehen, was für ein Gesicht er dabei machte?« »Ja, als wenn er die ganze Scheibe auf den Kopf gekriegt hätte!« »Ach, die hat er auf den Kopf gekriegt?« »Ih wo!« »Na, wer weiß?« »Na freilich!« »Quatsch nich, Krause!« Fritze Köhn hat dieses gewichtige Wort gesprochen. Und mit listig und lustig blinkenden Äuglein fährt er fort: »Ob die Zappen an den an’nern Fenstern nich auch en bißken kleener jemacht werden könnten! So ’n bißken kurzstieliger, meen’ ick!« Die Jungen stutzten wohl etwas, dann aber lachten sie doch nur Über den »verrückten« Einfall. »Ach nein! Aber eine feine Stunde war es doch wieder mal!« »Ganz ausgezeichnet fein!« bestätigte Köckeritz. »Wie die ganze Woche!« »Ja! Und morgen noch die Partie! Das wird das Allerfeinste!« -- -- -- Freitag: Die Klassenpartie. Der alte Caesar und eine moderne Landpartie. Ja, das Allerfeinste! Der eigentliche Lichtpunkt in der Mühsal des Klassen- und besonders des Tertianerlebens, das ist die Partie, die Klassenpartie! Und als ein wirklich großes Ereignis, das sie in der Tat ja ist, wirft sie natürlich auch ihren Schatten voraus! Wochenlang! So ist es auch dieses Mal hier in der Unter-Tertia gewesen, und vielerlei ist darüber zu berichten, bevor noch dieser Freitag der feinsten Woche überhaupt herangekommen war. -- Langsam hatte sich eines Nachmittags -- noch im Mai war das gewesen! -- die Unter-Tertia in dem großen Klassenzimmer zusammengefunden. Müde und mißmutig. Der ganze Nachmittagsunterricht kann den Jungen gestohlen bleiben. Zweimal am Tage hermüssen bei den weiten Schulwegen! Schauderhaft! Und noch dazu nun Latein! Und bei Bumsvallera! Da tritt eben der dicke Puntz herein. Er hat die grüne Mütze etwas verwegen ins Genick gerückt und zieht unter der Weste das ~Bellum Gallicum~ hervor. Er wirft das braun gebundene Büchlein vor sich auf den Tisch, daß es kracht. »Der Caesar! Da liegt der Kerl! Der Hund von unserm Schlächter heißt auch Caesar! Der ist mir lieber!« Am andern Ende der Bank lacht der kleine, lustige Köckeritz laut auf. Er ist kein schlechter Schüler, aber doch ein leichter Bruder, dem der Reichtum des Vaters nicht gerade förderlich ist; denn er strengt sich nicht halb so an, wie er es wohl könnte. Und der etwas ängstliche Papa hält ihm nun stets und ständig Hauslehrer, die aber mit dem kleinen Windbeutel auch nicht viel anfangen können. »U--ah!« -- Man denkt gar nicht, daß der kleine Kerl seine Arme so weit in die Welt hinausstrecken kann. -- »U--ah! Dicker, nicht wahr, du hast auch keine Lust!« »Nee, nich die geringste! Sage mal, kannst du fein übersetzen?« »Natürlich! Denkst du, ich soll noch mal reinfallen?« »Du, dann übersetze mal schnell!« -- Die grüne Mütze fliegt im selben Augenblick an den nächsten Haken und schwankt da ein ganzes Weilchen hin und her, ganz nachdenklich, ob sie sich bei solcher niederträchtigen Behandlung nicht lieber platt auf den Boden legen soll. Aber sie bleibt doch oben hängen; denn sie muß zu ihrem Schrecken sehen: gerade der, den sie immer so nett bedeckt und beschirmt hat, der hätte jetzt weder Lust noch Zeit, sie aufzuheben. Wirklich! Der Dicke sitzt schon neben dem kleinen Köckeritz. Sie versuchen emsig, mit den Belgiern Bibrax zu stürmen. Und auch andere scheint das noch außerordentlich zu interessieren; denn bald hat sich um Köckeritz ein kleines Häuflein gebildet, und die Jungen hocken da so dicht zusammen, daß sie von weitem aussehen, als wollten sie einen Trichter im lebenden Bilde darstellen. Während aber doch sonst alles in den Trichter hinunter und zu Tal läuft, so strömt hier scheinbar alles von unten nach oben. Unten im Loch nämlich sitzt der kleine Köckeritz. Und je weiter seine Worte zu dem weiten Trichterrand empordringen, desto andächtiger werden sie auch aufgenommen; denn da oben am Trichterrand sitzen in diesem Falle naturgemäß die meisten Ohren. Ab und zu wird der Trichterrand oben sogar noch höher, weil noch jemand anders wissen möchte, was nun eigentlich aus Bibrax werden soll. Alles drängt sich heutzutage zur Wissenschaft. Das tun auch gerade die Jungen da oben, die zuletzt dazugekommen sind. Und wenn auch unten im Trichter dafür eine Beule entsteht, die sogar, wider alle Naturgesetze, ein kräftiges Wort gegen die unverschämte Drängelei von oben zutage fördert, so hat doch jetzt keiner recht Zeit, auf so etwas achtzugeben: sie stehen alle in der Furcht des Herrn Professor Bumsvallera! Da stürzt auf einmal der tolle Hagen in die Klasse herein: »Jungs! Partie, Partie! Vor den großen Ferien noch! Eine Klassenpar--!« Ha! Wenn der alte Caesar das jetzt hätte sehen können! Bei seinen Lebzeiten war er ja auch oft genug in der Klemme gewesen; aber so schnell war er wirklich nie aus solcher Klemme herausgekommen wie in diesem Augenblicke, als alle diese Tertianer, die ihm eben noch ganz nahe auf den Leib gerückt waren, aus dem Trichter herauspurzelten. Plötzlich saß der kleine Köckeritz ganz allein da, und sein rundes Köpfchen ragte hoch über die zerflossene Trichterflut weg. Er hatte natürlich unten in dem Loch nichts von der sieghaften Ankündigung Hagens gehört; er glaubte vielmehr scheinbar, daß der Professor Bumsvallera ganz überraschend den Einwohnern von Bibrax zu Hilfe gekommen wäre. Da sah er nun Hagens freudig gerötetes Gesicht vor sich und war so erstaunt darüber und machte selber ein so dummes Gesicht dabei, daß Hagen ganz erschrocken tat und mitten in seinem letzten Wort, in der »Klassenpartie« nämlich, stecken blieb. Aber er hatte keine Zeit, noch länger erstaunt zu sein; denn um ihn fluteten jetzt die Kameraden alle herum und bestürmten ihn, wie just eben noch die Belgier die Stadt Bibrax. »Wieso?« -- »Wer hat das gesagt?« -- So ruft alles durcheinander. -- »Woher weißt du das?« -- »Erzähle mal!« -- »Mit Fuchs allein? Oder eine Schulpartie?« Indes, Hagen ist jetzt wieder Herr der Situation. Er hat seine Bücher schnell hingelegt und hebt jetzt eben ruhig seine Hände, wie um die aufgeregten Wellen zu beschwichtigen. Und dann sagt er ebenso gemessen wie gewichtig: »Erst -- mal -- Ruhe -- im -- Saal! Großmutter will tanzen!« »Unsinn! Sage mal schnell!« -- Wie konnte der dicke Puntz bloß so rapide den Professor Bumsvallera und den alten Caesar vergessen! -- »Also, Jungs!« -- Hagen bleibt in dem Schneckenton. -- »Der -- Direx -- hat -- in -- der -- Sekunda -- gesagt: in der nächsten Woche sollen alle Klassen einen Ausflug machen. Na, und Ausflug heißt doch auf gut deutsch Partie!« Dabei hat Hagen seine Daumen in die Ärmellöcher seiner Weste gehängt und sieht triumphierend im Kreise herum. Er schmunzelt dabei noch ganz urgemütlich und macht ein eckig-ehrpuseliges Gesicht, wie ein leibhaftiger Großpapa, so daß der dicke Puntz ungeduldig losplatzt: »Na, du warst doch nicht dabei, als der Direx das gesagt hat!« »Nee, aber der dicke Vietz hat mir’s gesagt. Der ist übrigens noch dicker als du!« »Vietz? Der hat sicher geflunkert!« »Du meinst, die Dicken flunkern alle!« »Ich werde dir gleich --« »Bumsvallera! Bums!« Da zerstieben die Tertianer wie einst die Belgier vor dem großen Caesar. Aber der hatte doch den rechten Zeitpunkt immer weit besser abgepaßt als der alte Professor jetzt; denn Bumsvallera, ja, der war entschieden zu früh gekommen. Der hätte wirklich noch warten sollen, bis man dem Hagen ein klein wenig wegen seiner Leichtgläubigkeit den Kopf gewaschen hatte. So behielt jeder der Jungen noch etwas auf der Zunge sitzen. Wie hätte da nun noch eine schöne Caesarübersetzung darauf Platz gehabt? Nein, nein! Das ging heute eben schauderhaft trotz der Trichterarbeit des kleinen Köckeritz. Und in seiner heiligen Erregung, in seinem Eifer, aus diesen heute so vernagelten Jungen doch die beste Übersetzung herauszuholen, bumste und ballerte Bumsvallera drauf los, daß die Jungen jetzt begriffen, warum schon frühere Generationen dem Professor Ketzel eben den Spitznamen Bumsvallera gegeben hatten. Aber je schlimmer es jetzt kam, desto mehr klammerten sich die Gedanken der Jungen an der Partie fest. So fest, daß am Ende der Stunde kein einziger mehr daran zweifelte, daß solche Partie gemacht werden müßte. Kaum hatte man also um 4 Uhr die Klassentür hinter sich, so wurde auch sofort auf dem Flur schon, auf der Treppe, auf dem Hofe verhandelt, wie man Doktor Fuchs, den Ordinarius, zu einer recht feinen, echten Klassenpartie kriegen könnte. Mit der Klasse allein natürlich! Nicht in der Herde mit der ganzen Schule. -- -- -- Vorfreuden. Was tun? Als man nach der Pause wieder in die Klasse hinauf muß, entscheidet der dicke Puntz: »Der Primus muß es Fuchsen sagen!« Hagen indessen hat mehr Menschenkenntnis: »Ehrenfried? Der Mummelgreis!« Da erbietet sich der kleine, flotte Köckeritz: »Ich werde Fuchsen einfach mal fragen.« Sausig aber weiß es noch besser; er schießt den Vogel damit ab. »Wir schreiben es an die Tafel!« Und der Klassenbarde, der Schmuck, ist gnädig genug und erbietet sich: »Ich werde die Verse dazu machen!« »Schmuck soll leben! Los, Schmuck!« »Jetzt nicht! Morgen!« »Unsinn!« -- Der Fritze Köhn greift immer feste zu. -- »Jetzt haben wir bei Fuchsen! Also los! Dir wer’n wer sonst ’n Schnörgel nach links drehn!« Da steht auch schon alles um Schmuck herum und schiebt ihn auf das Katheder. »Los doch, Schmuck, los doch!« Von hinten wird ~a tempo~ vorgeschlagen: »Sechs mal sechs ist sechsunddreißig, und die Klasse war so fleißig!« Sausig ist in dem Augenblick an die Tafel gesprungen und schreibt auch schon diese beiden Musterverse an. Und um seinen Dichterruhm nicht unrettbar zu verlieren, hat jetzt auch Schmuck nach der Kreide gegriffen: »Ruhig mal! Also gefällt euch das? Hier steht schon: »Sechs mal sechs ist sechsunddreißig, und die Klasse war so fleißig.« -- »So!« -- »Will auch noch sehr fleißig sein!« »Na,« wirft da der dicke Puntz ein, »wollen lieber nischt versprechen!« Aber schon hat Schmuck weitergeschrieben: »Denkt indes, es wäre fein, nicht zu schwitzen in dieser Pein.« »Ja, allens wat recht is!« gibt hier Fritze Köhn wieder sein gewichtiges Urteil ab. »Sondern zu wandern weit hinaus und möglichst spät zu kommen nach Haus.« Dem einen gefällt’s, dem andern nicht; aber es steht nun einmal da, und -- plötzlich tritt auch der Ordinarius in die Klasse. Da steht alles stramm und mäuschenstill. Als aber Doktor Fuchs die erhobene Hand schnell und mit einem kleinen Knall des Daumens und des Mittelfingers senkt, da setzen sich die Jungen, daß es nur so ruckt und zuckt. Und dann kommt der große Moment! Doktor Fuchs dreht sich herum, um auf das Katheder zu steigen, und -- er sieht die voll beschriebene Tafel, die doch sonst in ihrer unbefleckten Schwärze blitzsauber sein muß. Er liest jetzt die Verse halblaut und recht bedächtig. Als er aber bis zu Ende gekommen ist, da dreht er sich schaudernd um und sagt: »Brr! Da korrigiere ich ja lieber den größten Stoß Hefte!« O weh! Das sieht nun zwar wie ein frühzeitiges Ende aller Partiegelüste aus; aber die Klasse freut sich doch stürmisch über das »Brr!« und über den »größten Stoß Hefte«. Endlich kommt auch Doktor Fuchs wieder zu Worte. »Na, also Jungs, über die Sache läßt sich reden, aber erst müßt ihr mal bessere Verse machen!« Na, freilich! Jetzt weiß es auf einmal jeder. Das sind furchtbar schlechte Verse. Der dicke Puntz hatte ja auch gleich gewichtige Bedenken gehabt, und Fritze Köhn plädiert am Ende der Stunde dafür: »Schmuck muß zu morjen anständije Verse machen, oder wir hau’n uff’n Kopp, det er Plattbeene kricht!« Damit hat der Fritze Köhn auch die Meinung der andern durchaus zutreffend und richtig ausgesprochen. »Oder er wird verhauen!« So denkt und sagt jetzt jeder, und das glaubt schließlich auch Schmuck. Und weil er nicht verhauen werden will, so will er auch anständige Verse machen. -- -- -- Aus Abend und Morgen wird wieder ein Tag. Und alles stürmt am nächsten Morgen auf den Klassenbarden ein. Jeder will die Verse sehen. Aber Schmuck bleibt fest: »Ich schreibe sie nachher an; da könnt ihr sie dann alle lesen!« In der Pause vor Doktor Fuchs’ Stunde bleibt also der Pegasusreiter oben, mit Erlaubnis des inspizierenden Herrn draußen auf dem Flur. Und nachher prangen denn auch die erhofften Verse in Schmucks schönster Schrift an der Tafel. »Fein, Schmuck!« -- »Ach, _der_ Vers taugt nichts!« -- »Da muß noch hinein, wohin wir wollen!« Aus dem Durcheinander von Lob und Tadel aber erhebt sich Puntz und findet: »Das ist sehr fein! Ick hätte es nicht so gekonnt! Und ein anderer auch nicht!« Puntz nicht und ein anderer auch nicht! Das galt. -- Auch der Ordinarius kam dann und las wieder die Verse ebenso bedächtig wie gestern. »Fröhlich lacht uns entgegen die Sonne, Jugend tummelt sich draußen mit Wonne; sämtliche Schulen fliegen schon aus, nur unsere Klasse darf nicht hinaus! Lehrer gehen doch auch gern ins Freie, besonders im wunderschönen Maie! Und wenn’s nicht mehr kann sein im Mai, der Juni ist auch noch nicht vorbei! Die Pfingsten sind ja nun heran, die schönste Jahreszeit bricht an. Gewähren Sie uns doch die eine Bitte, beim Ausflug zu thronen in unserer Mitte! Die Unter-Tertia ~O~.« Als der Ordinarius geendet hat, da wartet er noch einen Augenblick, als müßte er sich erst von seinem Staunen über solche Leistung erholen. Dann sagt er aber: »Schön! Wer ist der Poeta?« »Schmuck! Schmuck! Schmuck!« »Das ist ganz nett! Aber deshalb darf er mir nun noch kein Trauerspiel schreiben!« Schmuck freut sich mehr, als je ein ~poeta laureatus~ sich gefreut hat. Und die Klasse freut sich mit ihm, besonders da nun Doktor Fuchs fortfährt: »So, Jungs! Morgen bringt jeder einen Zettel mit. Darauf steht neben eurem Namen der Ort wohin der Träger dieses Namens die Partie machen will.« Da ist nun die Begeisterung kolossal. Alle reiben sich die Hände vor Vergnügen; man lacht sich fröhlich an, und schon schwirrt es durcheinander: »Märkische Schweiz!« -- »Potsdam!« -- »Königswusterhausen!« -- »Zwei Tage, Herr Doktor! Ach ja, zwei Tage, Herr Doktor!« Der aber winkt ruhig ab. »Morgen Zettel! ~Notabene~: hoffentlich beteiligen sich alle an der Partie!« -- -- -- Ein armer Junge. Der Primus, der Ernst Ehrenfried, ist aufgestanden. »Ich weiß es noch nicht!« Die ganze Klasse lauscht mäuschenstill; im selben Augenblick aber lispelt auch der kleine Köckeritz seinem Nachbar, dem Hänsel, empört zu: »Der ist immer der Spielverderber!« Das ist zwar leise, doch immerhin noch so deutlich gesagt, daß es die ganze Klasse gehört haben muß. Auch Dr. Fuchs hat es sicherlich gehört; indes, er will es offenbar nicht gehört haben; denn er sagt nur in scheinbar zürnendem, dabei aber auch lustig schmollendem Tone zu Ehrenfried hin: »Was! Unser Primus will uns im Stich lassen! Ih, das wäre noch schöner! Da muß ich schon unsern Primus nachher mal extra bearbeiten!« Der Ernst Ehrenfried kriegt einen roten Kopf, und ganz verwirrt setzt er sich nieder. Zugleich aber hat auch ein Blick des Ordinarius den kleinen, impulsiven Köckeritz gestreift. Der versteht den Blick; denn er sagt nichts mehr, sondern richtet sich gerade auf und verläßt jetzt den Ordinarius mit keinem Auge. Dann macht sich Doktor Fuchs an sein Pensum, und vierzig Minuten lang hat kein Junge Zeit, an die Partie zu denken. Nach der Stunde aber tut Doktor Fuchs gar nicht, als ob er den Ehrenfried »extra bearbeiten« wolle. Er hat es offenbar vergessen; er geht auch schnurstracks auf den Hof, wo er allerdings in dieser Pause die Aufsicht zu führen hat. Dabei läuft ihm der kleine, lustige Köckeritz über den Weg, und Doktor Fuchs winkt ihn zu sich hinan. »Sage mal, Achim, was hast du denn immer mit Ehrenfried vor?« »Ach, gar nichts, Herr Doktor! Ich uze ihn nur immer ein bißchen!« »Warum?« »Er ist immer so still und so steif. Das kann ich nicht ausstehen!« »Wenn er dich aber nun mal verhaut! Er ist ja doch viel älter und viel größer als du!« »Ja, das wohl! Aber das tut er nicht. Wir sind sonst ja die besten Freunde!« Einen Augenblick geht Doktor Fuchs neben dem kleinen Köckeritz her, so daß der Zeit hat, so fröhlich und schelmisch mit den Augen nach links und nach rechts zu blinzeln, um seine Bekannten zu suchen. Endlich aber sagt Doktor Fuchs: »Nun, höre mal, Achim! Du bist ja sonst ein ganz vernünftiger Junge. Ja, Ehrenfried ist etwas steif und schwerfällig; aber das kommt doch von den Verhältnissen her, in denen er lebt. Du weißt doch, daß er keinen Vater und keine Mutter mehr hat?« »Das habe ich gehört; er selbst hat’s noch keinem von uns gesagt!« »So? Er ist aber doch nun schon über ein Jahr auf unserer Schule!« »Ja, er trat hier in die Quarta ein; aber er hat noch keinem was über sein Leben erzählt. Ich weiß nur, daß er draußen in Moabit wohnt, bei seinem Onkel. Der ist gewöhnlicher Fabrikarbeiter!« »Siehst du, Junge, Fabrikarbeiter! Gewöhnlicher Fabrikarbeiter, mein Junge! Das sagt noch gar nichts; aber er ist sicher ein sehr ehrlicher und fleißiger Mann, und das sagt viel! Und nun -- jetzt halt mal die Ohren steif! -- gefällt es mir gar nicht, daß du immer so an Ehrenfried herumhakst. Er schleppt das Bewußtsein mit sich herum, eine Waise zu sein und seinem Onkel zur Last zu liegen; vielleicht verstehst du das noch nicht recht, mein Junge; aber du mußt es mir glauben, daß das auf den armen Ernst Ehrenfried drückt. Na also, Achim, von jetzt ab läßt du mir unsern Primus etwas in Ruhe!« »Herr Doktor!« -- Dem kleinen Köckeritz ist jetzt das Weinen näher als das Lachen. -- »Wir sind ja sonst die besten Freunde. So hatte ich es ja auch gar nicht gemeint!« »Es ist gut! Lauf jetzt! Dahinten balgen sich zweie.« Mit großen Schritten geht Doktor Fuchs auch schon auf die beiden Kampfhähne los, die freilich bei seiner Annäherung schnell Frieden schließen und versuchen, sich in dem Kreis der Jungen, der sich im Handumdrehen um sie herum gebildet hat, zu verlieren. Aber Doktor Fuchs hat schon seine Pappenheimer erkannt; er winkt die beiden zu sich hinan. Dann nimmt er sie beim Kopf und reibt, ohne noch ein Wort zu sagen, die beiden Dickschädel aneinander. Das tut, auch ohne Worte, den beiden sehr gut und freut alle andern riesig. Und da sich kein Junge gern auslachen läßt, so merken sich das die beiden und noch mancher andere dazu, so daß in der Inspektion des Doktor Fuchs recht wenig Ungehöriges vorkommt; er kann also ruhig einmal bei seiner Inspektion mit einem Jungen sprechen, wie er es eben mit dem kleinen Köckeritz getan hat. Auf den aber waren schon längst die andern zugestürzt: »Was wollte denn Fuchs von dir?« Der kleine Köckeritz wehrt ab: »Halt doch mal das Maul jetzt! Das sieht doch Fuchs! Nachher!« Nachher aber meinte er nur zu den Neugierigen: »Ach, er hat gehört, daß ich zu Hänsel gesagt habe: ›Ehrenfried ist immer der Spielverderber!‹ Da hat er mir eine Standpauke gehalten, daß sich das nicht gehörte!« -- -- -- Der »Spielverderber« war so erledigt; für die Klasse wenigstens, doch nicht für Doktor Fuchs. Er dachte daran, dem Ehrenfried aus eigener Tasche das Geld zur Partie zu geben; aber er wußte, wie feinfühlig der Ernst Ehrenfried trotz seiner Armut war. Um ihn also nicht noch erst recht kopfscheu zu machen, ließ er den Jungen an diesem Nachmittag noch laufen. »So eilt die Sache nicht,« sagt er zu sich selber, »und über Nacht kommt Rat!« -- -- -- Und der kam. Am nächsten Vormittag hatte Doktor Fuchs nur bis 11 Uhr Unterricht, während doch seine Klasse erst um 1 Uhr herauskam. So suchte er denn um 11 Uhr schnell das Nationale seiner Jungen hervor und las daraus vor sich hin: »Ernst Ehrenfried. Geboren am 1. Mai 1890 in Schöneberg bei Berlin. Klassenalter I. Semester. Schulalter 1 Jahr. Wohnung des Vaters: Vater und Mutter verstorben. Stand des Vaters: war Gärtner. Wohnung des Schülers: Aha! ~NW~, Havelberger Straße 250. Aufsicht: Ehrenfried, Onkel, Arbeiter. Vormund: Silber, Schutzmann, Schöneberg, Torgauer Straße 105.« Da stand nun Doktor Fuchs. Zum Vormund gehen? Nach Schöneberg und nach der Torgauer Straße? »Die weiß ich ja gar nicht mal! Nein, ich möchte dabei doch auch gleich die Pflegeeltern meines Primus kennen lernen. Also aus nach Moabit! Das ist bekanntes Gebiet. Wie war es doch gleich? Havelberger Straße 250! Leicht zu merken! Genau ein Vierteltausend!« Schnell steckt Doktor Fuchs das Nationale wieder weg und wickelt sich noch ein Paketchen Hefte zusammen. Und nach einem guten halben Stündchen steht er draußen vor der Mietskaserne Havelberger Straße 250. Der stille Portier, wie der Berliner das Verzeichnis der Bewohner des Hauses nennt, sagt ihm: Ehrenfried, Arbeiter, rechter Seitenflügel, 3 Treppen links. -- -- -- Auf sein Klingeln oben macht ihm ein kleines Mädchen von etwa fünf Jahren auf. Das hat den Zeigefinger der linken Hand in den Mund gesteckt und sieht den vornehmen Besucher staunend an. »Mein Kind, ist vielleicht Papa oder Mama da?« Die Kleine läßt die Tür offen stehen, läuft in die Küche zurück und ruft leise: »Mutti! Mutti! Ein Mann ist da!« In dem Augenblick kommt auch schon die Mutter aus der Küche heraus. Sie war gerade beim Kartoffelschälen und hat die Schalen noch in der Schürze; die Schürze aber hat sie zusammengenommen und die Zipfel über den linken Arm geschlagen. Da sieht noch die Hand hervor, die jetzt das Messer hält, während die Frau die rechte Hand schnell an der Schürze abwischt. An dieser Schürze hängt noch ein kleines Mädchen von vielleicht drei Jahren, während ein noch kleinerer, pausbäckiger Junge eben aus der Küchentür hinter der Mutter her heraustorkelt. »Guten Tag, mein Herr!« Doktor Fuchs grüßt freundlich: »Guten Tag! Ich bin der Ordinarius des Ernst Ehrenfried. Sie sind wohl seine Tante?« Die Frau, an der jetzt die drei Kinder hängen, nickt: »Ja, ja!« so daß Doktor Fuchs fortfährt: »Da kann ich Sie vielleicht einmal auf einen Augenblick sprechen.« »Ja, bitte sehr, wollen Sie nähertreten?« Sie schiebt sanft die Kinder zur Seite und öffnet die Tür eines Zimmerchens, das neben der Küche liegt. »Wollen Sie einen Augenblick eintreten, Herr Lehrer?« So hat Doktor Fuchs Zeit, sich in dem Zimmerchen umzusehen. Es ist offenbar das Arbeits-, Wohn- und Schlafzimmer des Ernst Ehrenfried; denn da, auf dem kleinen, saubern Regal, stehen seine Schulbücher, und auf dem kleinen Tischchen liegt eine kleine Wachstuchdecke, auf der ein Tintenfläschchen steht mit sonstigem Schreibmaterial. Alles ist sauber zusammengelegt, und auch das ganze Zimmerchen macht einen höchst reinlichen, wenn auch sehr einfachen und ärmlichen Eindruck. Da tritt auch die junge Frau schon wieder herein. Sie hat sich statt der blauen Arbeitsschürze eine weiße, saubere Schürze vorgebunden; den pausbäckigen Kleinen hat sie auf dem Arm, während die beiden Mädchen sich wie kleine Wächterinnen neben ihr halten. »Sie entschuldigen wohl, Herr Lehrer, daß ich die Kinder mit hereinbringe. Man kann sie in der Küche keinen Augenblick allein lassen. Wenn Sie meinen Mann sprechen wollen, so kann ich ihn wecken. Er hat nämlich Nachtarbeit gehabt, und dann muß er immer am Vormittag etwas schlafen.« Jetzt weiß Doktor Fuchs, warum hier alle so gedämpft sprechen, und warum auch die Kinder zwar lebhaft in ihren Bewegungen, doch recht ruhig mit dem Munde sind. So spricht er also auch nur halblaut, als er sagt: »Nein, nein, lassen Sie ruhig Ihren Mann schlafen! Wir beide können das ebenso gut allein abmachen. Sehen Sie, Frau Ehrenfried, meine Klasse macht in der nächsten Woche einen Ausflug, und da will sich der Ernst ausschließen. Ich glaube aber den Grund dazu erraten zu haben, und nun möchte ich Sie bitten, ihm doch diese« -- Doktor Fuchs hat das Geld schon in der Hand -- »ihm doch diese Mark und fünfzig Pfennig dafür zu geben. Aber natürlich müssen Sie nicht verraten, daß ich sie Ihnen gebracht habe. Vielleicht sagen Sie ihm, es wäre das vom Vormund für unvorhergesehene Fälle.« Die Frau ist recht verlegen geworden. »Herr Lehrer,« antwortet sie, »ich weiß nicht, ob ich das tun kann. Mit dem Vormund, das glaubt der Ernst doch nicht! Der kann ja eigentlich auch nichts für unnütze Sachen hergeben. Sehen Sie, Ernsts Eltern sind ja beide tot. Der Tisch da ist noch von ihnen und das Bett; aber das bißchen, was noch da war, als mein Schwager starb, ist alles verkauft, und nun reicht das Geld gerade noch, daß der Ernst ein paar Jahre auf die Schule gehen kann. Er hat ja das Schulgeld frei; aber er braucht doch auch Sachen und sonst manches!« »Hm! Das täte mir aber leid! Ja, und ich weiß nicht, ob ich Sie bitten darf, ihm zu sagen, Sie selber wollen es ihm geben.« Da wehrt die Frau Ehrenfried ab: »Nein, das würde er gar nicht nehmen. Er weiß ganz genau, Herr Lehrer, daß ich so viel Geld nicht abstoßen kann, und da ist der Ernst sehr eigen drin. Er ist ja doch nur eine Waise, und wir haben ihn natürlich sofort und gern genommen; aber der Junge ist sehr verständig, Herr Lehrer, sehr verständig, und wenn er es auch nicht sagt, aber es tut ihm doch immer sehr leid, daß er uns zur Last fällt!« »Sie haben den Ernst ohne irgendwelches Entgelt in Ihre Familie aufgenommen?« Die Frau nickt: »Freilich, freilich! Der Vormund wollte ja das so ordnen, daß wir jede Woche was für den Ernst bekämen. Aber der Junge lernt doch nun mal so gut, und als sein Vater starb, da war es sein letzter Wunsch, daß der Junge mal etwas Schule genießen sollte. Sehen Sie, Herr Lehrer, mein Mann sagte: ›Mit Gottes Hilfe werden wir ja durchkommen, auch wenn einer mehr mit am Tisch sitzt!‹ Es ist ja auch bis jetzt gegangen!« »Nun, der Ernst ist ein ehrlicher, ernst veranlagter Junge. Der wird es Ihnen einmal danken!« »Oh, das tut er jetzt schon! Er tut alles, was er uns an den Augen absehen kann. Und die Kinder hängen an ihm wie an einem älteren Bruder. Mir hilft er auch, wo er kann. Er ist immer unverdrossen; ich kann ihn schicken wohin ich will. Nur,« -- die Frau lächelt dabei, als hätte das schon recht spaßige Szenen gegeben -- »er kann nicht ›danke!‹ sagen; das wird ihm doch nun einmal zu schwer!« »Na, besser kommen die ja im Leben fort, die so was sagen können. Aber ist denn der Ernst immer so still und ernst gewesen?« »Nein, nein, früher war er ein ganz aufgeräumtes Kind. Aber seit auch sein Vater gestorben ist, da kann er nicht mehr lachen. Er spielt ja mit den Kindern hier sehr nett; aber er kann nicht mehr lachen!« Doktor Fuchs hört es der Frau an, wie weh ihr das tut, daß der Ernst scheinbar so alle Lebensfreude verloren hat. »Nun,« setzt er also hier wieder ein, »deshalb möchte ich gern, daß er die Partie mitmacht. Es tut sicherlich gut, daß er auch einmal auf andere Gedanken kommt. Darf ich Ihnen denn nicht das Geld hierlassen? Dann braucht er doch nicht ›danke!‹ zu sagen.« Doktor Fuchs muß dabei lächeln. »Na, ich will es versuchen. Dann muß ich sagen: ein Herr, dem ich erzählt habe, daß er die Partie nicht mitmachen will, weil er nicht die Mittel dazu hat, der hat mir das Geld für ihn gegeben.« »Gut, gut, tun Sie das, liebe Frau!« -- Dabei steht Doktor Fuchs auf. -- »Ich habe Sie nun wohl auch schon etwas lange von Ihrer Arbeit abgehalten!« »Ich bitte sehr. Na, ich danke Ihnen, Herr Lehrer, für das Geld, da es der Ernst ja nicht selber tun kann.« -- Die Tür schließt sich leise hinter Doktor Fuchs. Der aber geht sinnend nach dem Restaurant, wo er -- als Junggeselle -- täglich ißt. Er kann alle die Gedanken und Bilder nicht loswerden, die soeben in sein Empfinden eingetreten sind. Das ist doch noch Barmherzigkeit und Liebe, welche der arme Fabrikarbeiter und seine Frau da draußen in der Hofwohnung der Havelberger Straße auch ohne viele Worte üben! »Mein Mann sagt, mit Gottes Hilfe werden wir ja noch durchkommen, auch wenn einer mehr mit am Tisch sitzt!« -- Aber noch viel mehr beschäftigt seine Gedanken der Ernst Ehrenfried, der das drückende Gefühl durch sein Leben schleppt, den armen Verwandten eine Last zu sein, und der nicht mehr lachen kann, nachdem auch sein Vater gestorben ist. -- -- -- 2 ~m~ Schottisch. Als die Tante um ¾2 Uhr dem Ernst die Tür öffnet, da ruft sie ihm auch schon entgegen: »Ernst, Ernst, denke mal, ich habe heute früh einem Herrn erzählt, daß du die Schulpartie nicht mitmachen willst. Da hat er mir eine Mark und fünfzig Pfennig für dich gegeben. -- Na, freust du dich nicht?« Der Ernst hat schon den Milchtopf in der Hand; denn er holt jeden Mittag für die Kinder etwas Milch aus dem Kuhstall nebenan herauf, und mit ernstem Gesicht sagt er: »Das kann ich doch nicht nehmen! Wer ist denn der Herr?« »Das kannst du ruhig nehmen, Ernst! Der Herr meinte auch, du brauchtest seinen Namen nicht zu wissen; er würde sich aber freuen, wenn du nun mitmachtest!« Der Ernst sagt kein Wort mehr. Er hat den Milchtopf genommen und geht still und ruhig zur Tür hinaus. Als er wieder in die Küche tritt, sagt er ebenso ruhig: »Tante, ich werde das Geld nehmen! Wo ist es denn?« »Hier, hier, Ernst; da wird sich aber der Herr freuen! Das machst du recht!« Ohne noch ein Wort zu äußern, nimmt der Ernst die beiden Geldstücke. Er wickelt sie sauber und sicher in ein Stückchen Zeitungspapier und schlägt dann das Paketchen zur Sicherheit auch noch in das Taschentuch ein. Die Tante wundert sich höchlichst über die Bereitwilligkeit des sonst so spröden Ernst; sie hütet sich indessen, etwas zu sagen. Ernst aber nimmt, wie sonst am Nachmittag, wenn er seine Schularbeiten gemacht hat, die drei Kinder und geht mit ihnen hinunter. Dieses Mal freilich nicht nach dem Spielplatz hinüber, sondern nach der Wilsnacker Straße. Da steht er lange vor dem großen Schaufenster eines Schnittwarengeschäftes, so daß die Kinder schon ungeduldig werden wollen. Er hat sogar den Mut, in den Laden einzutreten. Die Verkäuferin macht ein erstauntes Gesicht. »Kann ich Stoff kriegen zu einem Kleidchen für das Marthchen? Das ist die Kleine hier!« »Was soll es denn für Stoff sein?« »Ich weiß nicht, aber meine Tante -- solches hier! Bunt kariert!« »Da sind zwei Meter nötig. Das macht sechs Mark!« Der Ernst bekommt einen heillosen Schreck. »Meine -- meine --« stottert er, »meine Tante sagt, das kostet eine Mark fünfzig bis zwei Mark!« »Ach so!« sagt die Verkäuferin nachlässig. »Das ist Schottisch! Solches hier!« -- Nicht immer hat das Volk mit dem Volke Mitleid. Die Verkäuferin sieht jetzt die Kinder kaum noch. Sie wirft das Paketchen Zeug auf den Ladentisch. »Hier kostet das Meter 90 Pfennig. Soll ich zwei Meter abschneiden?« »Ja, ja,« antwortet der Ernst freudig. »2 ~m~ Schottisch!« -- Er hat außer der Mark fünfzig Pfennig noch vierzig Pfennig, die er einst dadurch gespart hat, daß er sich den Caesar alt kaufte. Die brauchte er dem Vormund nicht zurückzubringen. Davon opfert er nun freudig dreißig Pfennige. Dem Marthchen legt er dann das Röllchen in die Arme, und freudig gehen sie nach Hause. »Mutti, Mutti, das hat Ernst gekauft!« Statt sich aber zu freuen, erschrickt da die arme Frau. »Aber, Ernst,« ruft sie, »das Geld durftest du nicht so ausgeben! Das war für die Partie!« »Nein, nein, Tante, die Partie brauche ich nicht mitzumachen. Du hast doch neulich auch zu Onkel gesagt, daß Marthchen so notwendig ein Kleidchen braucht. Und könntest du nur einige Groschen abstoßen, dann würdest du schottischen Stoff kaufen und ein Kleidchen machen. Ich freue mich jetzt schon, daß Marthchen ein Kleid kriegt!« »Ach, Ernst; du hast es ja wieder sehr gut gemeint; aber das geht doch nicht! Nein, das geht wirklich nicht!« »Was soll ich denn auch bei der Partie, Tante? Die andern Jungen sind da immer so wild. Das Geld haben wir nun besser angewendet.« Aber wenn auch die Tante jetzt nichts mehr sagt -- denn sie muß in der Küche noch waschen -- sie wälzt doch immer den Gedanken im Kopfe herum: »Aber nun wird sich doch der Lehrer wundern, wenn der Ernst nicht mitmacht! Er denkt vielleicht, ich habe dem das Geld gar nicht gegeben! Herr Gott! Herr Jeses, Herr Jeses! Wie mache ich denn das nur? Wie mache ich denn das nur? Das Zeug wieder hintragen ins Geschäft? Die nehmen es sicher nicht wieder, wenn’s doch nun einmal vom Stück abgeschnitten ist!« -- Schließlich kommt sie darauf, das ihrem Manne zu sagen, wenn er am Abend nach Hause kommt. Der würde ja schon einen Ausweg finden. -- -- -- Den Ausweg aber, den die Mutter nicht finden konnte, den fand jetzt eben das kleine, fünfjährige Töchterchen, das Lenchen. Und das sogar ganz ungezwungen und ganz leicht; ganz ohne es zu wollen. Sie spielt nämlich gerade an Paulchen, dem kleinen Brüderchen herum. Sie legt ihm dabei ein Tüchelchen über die Schultern und sagt ganz traumverloren: »Nun sieht Paulchen aus wie der Herr Lehrer! Ja, wie der Herr Lehrer!« Der Herr Lehrer? Das Wort trifft das Ohr Ernsts, der am Tische sitzt und da etwas liest. Der Herr Lehrer? Er legt das Buch hin und fragt das Lenchen: »Was für ein Herr Lehrer denn?« Aber das Kind hat gar nicht auf die Frage geachtet; es hat sie im Spiel einfach überhört. »So! Und dann schenkst du Mutti auch Geld! Viel Geld! So! Und --« »Du, Lenchen,« -- Ernst ist jetzt ganz aufgeregt zu dem kleinen Plappermäulchen hingetreten -- »was für ein Lehrer denn? Lenchen! Hörst du denn nicht? Was für ein Lehrer denn?« Da sieht das Lenchen auf. »Der Mann, der Mutti das Geld gegeben hat. Du sollst doch mitmachen!« »Das war ein Lehrer?« »Der Herr Lehrer!« lallt das Kind, und es spielt weiter mit dem Tüchelchen am kleinen Bruder herum. »Wie sah denn der Herr Lehrer aus, Lenchen?« Ja, die Frage versteht das Lenchen wohl, aber sie weiß doch nicht, was sie darauf antworten soll: »Ganz anders als Vati! Und der hat Mutti das Geld für dich gegeben!« Da springt der Ernst mit hochrotem Kopf schnell die paar Schritte in die Küche hinaus: »Tante, Tante, Lenchen sagt, der Herr Lehrer hat dir das Geld für mich gegeben. War das vielleicht Herr Doktor Fuchs?« Die Tante richtet sich am Waschfaß auf: »Ach, Ernst, da du nun ja selber darauf kommst, ja, der war hier und hat mir das Geld für dich gegeben! Was machen wir denn nun?« Dem Ernst zittern die Beine. Er hat sich auf den Küchenstuhl setzen müssen, und auch das Lenchen kommt jetzt in die Küche herein und sieht ihm ängstlich ins Gesicht. »Nicht wahr, Mutti,« der Herr Lehrer hat dir das Geld gegeben!« »Ja doch! Nun geh nur! Ich müßte es dir von meinem Wirtschaftsgeld geben, Ernst. Aber ...« »Nein, Tante! Ich werde morgen Doktor Fuchs sagen, warum ich die Partie nicht mitmachen kann. Laß nur! Das ist gar nicht schlimm!« Dabei geht der Junge auch schon wieder aus der Küche hinaus. Aber nur äußerlich ist Ernst ruhig geworden. In seinem Innern zuckt und reißt es an ihm herum. Wie soll er das bloß anstellen? Und was wird Doktor Fuchs denken? Und was wird er sagen? Oh, der Ernst hätte bei diesem Gedanken laut aufstöhnen können. Er kam sich wie ein ganz gemeiner Verbrecher vor. Nun sollte er das auch noch alles selber gestehen! Ihm wurde es schon sowieso schwer, überhaupt zu jemand etwas zu sagen! Und nun gar unter vier Augen zu Doktor Fuchs! Ach, ganz elend wurde ihm dabei zu Mute. Aber es mußte ja wohl sein. Die arme Tante ängstigte sich nun auch. Auf keinen Fall aber konnte sie etwas von den paar Pfennigen abgeben, mit denen sie für Essen und Trinken der Familie sorgen sollte. Nein, nein, es mußte eben sein! Er mußte es Doktor Fuchs sagen! Gleich am andern Morgen auf dem Flur! Ganz allein! Ernst nahm das Buch recht zittrig wieder in die Hand. In der Nacht wurde er durch schreckliche Träume gequält, und er schlief recht schlecht. -- -- -- Edler Wettstreit. Als Doktor Fuchs am andern Morgen als Inspizient den Mittelflur des weiten Schulgebäudes langsam hinabschritt, sprang der kleine Köckeritz die Treppe herauf. Der sprang sie überhaupt immer herauf, trotzdem seine Beine nicht allzu lang waren und dabei auch so dünn, daß Doktor Fuchs auf dem Hof schon einmal scherzhaft zu ihm gesagt hatte: »Na, Achim, wenn mal die Sperlinge Stiftungsfest haben, mußt _du_ die Fahne tragen!« Der Achim springt also jetzt die Treppe herauf und direkt vor seinen Ordinarius hin: »Herr Doktor, wir machen doch die Partie und --« »Gut, gut! ~Ad~ Partie nachher in der Klasse!« Da der kleine Köckeritz Doktor Fuchs die Hand gegeben, so zieht der ihn dabei zugleich an sich vorüber und zeigt ihm so den Weg zu seiner Klasse, die noch ein paar Schritte weiter den Flur hinunter liegt. Aber der Achim Köckeritz tanzt im nächsten Augenblick schon wieder vor Doktor Fuchs einher: »Nein, nein, Herr Doktor, wir machen doch die Partie, aber ...« »Na freilich! Und nun drückt er sich!« »Nein, nein, Herr Doktor, das gehört ja zur Partie, aber es ist doch was ganz andres!« Da bleibt Doktor Fuchs stehen. »Du meinst, es gehört zur Partie und gehört doch auch nicht zur Partie!« »Ja! Nein, nein! Ja!« »Na nun, Achim! Was ist also los? Aber mach’ schnell!« »Ja, Herr Doktor! Ich habe das von Ehrenfried zu Hause erzählt. Der kann doch die Partie nicht mitmachen, weil er -- weil er --« »Na gut; ich weiß schon! Weil er kein Krösus ist!« »Ja! Und da läßt mein Papa Sie bitten, Herr Doktor, dem Ernst Ehrenfried die zwei Mark hier zu geben, damit er mitmachen kann!« Dabei will der Achim dem Doktor Fuchs das Geld hinreichen, das der Vater ihm in ein weißes Blättlein eingewickelt hat. »Achim,« sagt da Doktor Fuchs, »Junge, du bist ein Prachtkerl! Und deinem Herrn Vater sage, daß ich ihm als Ordinarius des armen Ernst Ehrenfried für dieses Anerbieten herzlich danke. Aber es wäre schon alles erledigt. Der Ernst Ehrenfried macht die Partie auch mit. Also, Achim, stecke das Geld wieder ein! Empfiehl mich deinem Herrn Vater, und vergiß nicht, ihm zu sagen, wie sehr ich mich über sein Anerbieten gefreut hätte.« »Jawohl!« erwiderte der Achim und zog ab. Er zog auch nicht gerade sehr betrübt ab; im Gegenteil, immer lustig und fidel. Er dachte sich sicherlich auch nicht allzuviel bei der Sache. An der Tür aber rannte er beinahe den Tauscher, den würdigen Sekundus der Klasse, über den Haufen. Der trug als Sekundus neben dem Primus auch die Last einiger Ämter. So war er besonders der Kassenwart; denn wenn auch der Ordinarius offiziell nichts von solcher Kasse wissen durfte, so wußte er doch inoffiziell sehr wohl, daß immer einige Pfennige da waren. Wovon sollte sich denn auch sonst die Klasse zu Neujahr einen neuen Wandkalender kaufen oder eine zerbrochene Scheibe bezahlen, die natürlich keiner oder noch öfter auch zu viele auf einmal zerschmissen hatten? Es kann eben so mancherlei in einer Tertia vorkommen und Geld kosten! Und der Kassenwart also, der stand jetzt an der Tür und hatte schon ein kleines Weilchen darauf gewartet, daß der kleine Köckeritz da vor Doktor Fuchs fertig werden sollte. Jetzt schoß er nun hinter Doktor Fuchs her, der eben aus der Tür der Schlußklasse wieder auf den Flur heraustrat und sonderbarerweise vor der Treppe Posto gefaßt hatte, als müßte er hier auch inspizieren. Da nickte er recht herzlich einem Jungen zu, der offenbar die Treppe heraufkam und jetzt gerade mit dem Kopf hochtauchte. Das war -- der Ernst Ehrenfried. »So’n Pech!« sagte Tauscher und drehte sich einmal um sich selber. Offenbar hatte der Ernst Ehrenfried dem Doktor Fuchs auch etwas zu sagen; denn er hatte die Mütze wieder abgenommen und trug sie in der Hand, und einen puterroten Kopf bekam er auch eben, wie immer, wenn er mit einem seiner Lehrer sprechen wollte. Aber Tauscher war doch flinker als der Ernst Ehrenfried, und schon stand er jetzt neben seinem Ordinarius und meldete sich krampfhaft: »Herr Doktor! Herr Doktor!« »Na, wo brennt’s denn, Junge?« Da druckst und würgt der Tauscher und dreht sich so sonderbar hin und her. »Herr Doktor!« »Na ja doch, schieß nur los!« Jetzt ist der Primus, der Ehrenfried, vorbei und weit genug weg! »Herr Doktor! Der Ernst Ehrenfried wollte doch die Partie nicht mitmachen. Können wir da nicht aus der Klassenkasse etwas Geld nehmen, daß er auch mitkann?« »Na, wieviel hast du denn drin?« »2 Mark 57 Pfennig, und dann haben wir noch fünf Hefte. Die werden doch mit 15 Pfennigen das Stück verkauft. Das sind noch 75 Pfennige!« »Ja, du allein darfst aber doch nicht über das Geld verfügen!« »Ich habe aber schon die meisten gefragt; es sind alle dafür, daß Ehrenfried auch mitkommt.« Tauscher ist früher in Sexta, Quinta und Quarta immer der Beste und der Primus der Klasse gewesen; seit aber der Ernst Ehrenfried da ist, hat er von diesem Ehrenposten zurücktreten müssen. Einer solchen Konkurrenz war Tauscher doch nicht gewachsen. Aber neidlos hatte er sich unter den klügern und fleißigern, freilich auch ältern Mitschüler gestellt, und jetzt möchte er den Ernst Ehrenfried auch bei der Partie haben. Alles das schießt Doktor Fuchs durch den Kopf; er schätzt es hoch, sogar sehr hoch ein, daß Tauscher so neidlos ist und jetzt so selbstlos handelt. So sagt er denn mit inniger Wärme zu dem Jungen: »Tauscher, das ist wirklich nett von dir, daß du so an Ehrenfried denkst. Ich freue mich, daß ihr beide so gute Freunde geworden seid. Komm her, mein Junge, gib mir die Hand! Das will ich dir nie vergessen!« Tauscher macht ein ganz seliges Gesicht. »Aber,« fährt Doktor Fuchs fort, »du kannst für dieses Mal der Klassenkasse das Geld erhalten; die Sache ist schon erledigt: der Ernst Ehrenfried kommt auch so mit!« Da legt sich das helle Staunen in die Augen des kleinen Kassenwarts; er dreht sich dann, ohne noch ein Wort zu sagen, um und geht der Klasse zu. -- Der Ernst Ehrenfried indessen hat eben um die Ecke des Türpfostens geguckt. Als er den Tauscher der Klasse näher kommen sieht, faßt er sich ein Herz und geht Doktor Fuchs entgegen, der ja den Flur jetzt auch langsam herunterschreitet. »Ach, das ist ja heute ein schneidiger Betrieb! Da kommt ja auch mein Primus an! Na, was gibt’s Neues, Ernst?« »Herr Doktor!« -- Der Ernst kann nicht weiter. Die Tränen treten ihm in die Augen; es zuckt so eigentümlich über sein Gesicht hin, als ob er weinen wollte. Aber Doktor Fuchs ist auch schon schnell bei der Hand: »Also, du willst die Partie mitmachen! Das freut mich, Ernst! Man muß sich mit seinen Kameraden auch einmal freuen können!« Nun laufen dem armen Jungen aber wirklich die hellen Tränen über die Backen. »Nein, Herr Doktor,« sagt er mit zitternder Stimme, »ich kann doch nicht mitkommen. Ich wußte nicht, daß -- daß -- dieses Geld -- das Geld --« Jetzt schluchzt der Ernst Ehrenfried so herzzerbrechend, daß ihn der Doktor Fuchs schnell in das Sprechzimmer zieht, das in der Flucht der Klassen in der Mitte des Flures liegt. »Na, also, Ernst, nun beruhige dich erst mal! Die ganze Sache ist doch nicht zum Weinen!« »Doch! Ich habe das Geld schon verbraucht. Ich wußte nicht, daß -- daß -- Sie es gebracht hatten!« »Du hast das Geld schon verbraucht?« -- Es klingt beinahe aus dem Tonfall heraus, als ob Doktor Fuchs etwas enttäuscht wäre. Das scheint der Ernst Ehrenfried auch zu fühlen. Er glaubt, jetzt muß er den Doktor Fuchs schleunigst aufklären, damit dieser nicht noch schlechter von ihm denkt. So trocknet er hastig seine Tränen: »Darf ich einmal alles schnell erzählen, Herr Doktor?« »Nun, Ernst, ich bin überzeugt, daß du die paar Pfennige zu einem guten Zweck ausgegeben hast!« »Herr Doktor, meine Verwandten sind sehr arm; das kleine Marthchen brauchte schon lange ein Kleid. Da habe ich für das Geld den Stoff zu diesem Kleide gekauft. Meine Tante wollte mir ja das Geld für Sie wiedergeben; aber das wollte ich nicht. Ich werde heute zu meinem Vormund gehen und Ihnen morgen das Geld bringen.« -- Der Ernst ist ganz erschöpft. Er hat diese Worte hervorgestoßen, atemlos, vor Aufregung zitternd. Aber Doktor Fuchs sieht jetzt in den Seelenadel seines Primus hinein, der auf ein Vergnügen verzichtet, um den armen Verwandten ihre Liebe zu vergelten. Er ist selber gerührt und muß einen kleinen Augenblick warten, um diese Rührung nicht aufkommen zu lassen. Dann aber legt er die Hand dem armen Jungen auf die Schulter und sagt: »Mein lieber Ernst! Du hast so gehandelt, wie man es nicht anders von dir erwarten kann. Gott erhalte dir diesen reinen und dankbaren Sinn! Dein Onkel und deine Tante sind einfache und schlichte, aber edeldenkende Menschen. Sie haben deine Dankbarkeit verdient!« Das hat nun der Ernst nicht erwartet. Er weiß nicht, was er sagen soll. Er fühlt nur, wie ihm eine Blutwelle über die andere über das Gesicht jagt. Und doch ist ihm jetzt so wohl, daß er dieses schwere, schwere Geständnis vom Herzen hat. Da setzt auch Doktor Fuchs den Hebel ein, und er trifft den richtigen Ton: »Nun, Ernst, mußt du mir aber auch eine Freude machen und doch mitkommen. Und da wir beide ja nun ganz offen miteinander stehen, so machen wir beide auch keine Umstände mehr miteinander.« Damit zieht Doktor Fuchs das Portemonnaie. »So, Ernst, du kriegst jetzt wieder 1 Mark 50 Pfennig, und kein Mensch, außer deiner vortrefflichen Tante selbstverständlich, braucht etwas davon zu erfahren! -- Na, aber Ernst, du willst mir doch nicht die Freude verderben! Nein, nein, ich möchte aber wirklich, daß du das nimmst! Nun geh, mein Junge, und tu, als wenn gar nichts gewesen wäre!« Da zögert der Ernst noch einen Augenblick; dann aber gibt er Doktor Fuchs die Hand und sagt ein leises »Danke schön, Herr Doktor!« -- -- -- Zwei glückliche Menschen traten aus dem kleinen Sprechzimmer auf den Flur hinaus: der eine ging schnell und leichten Schrittes der Unter-Tertia ~O~ zu, der andere aber wandte sich den Flur weiter hinauf zur Quarta hin, wo soeben jemand quiekte, als ob eine halbe Klasse an ihm herumwürgte und ihm an der Kehle säße. -- -- -- Würden und Ämter. Wie Doktor Fuchs nach dem Läuten in seine Klasse tritt, sind die partiewütigen Tertianer gewappnet. Er hat ja gesagt, sie sollen heute einen Zettel mitbringen mit dem Ziel der Partie. Und den Zettel, den haben nun alle da, viel vollzähliger und gewissenhafter als sonst irgend ein Exerzitium. Da nun Doktor Fuchs auch ganz genau weiß, was solche flotten Jungen freut, so setzt er eine sehr wichtige Miene auf und nimmt die bewußten Zettel in alphabetischer Reihenfolge ab. Die Jungen finden das durchaus richtig, während Doktor Fuchs seinerseits findet, daß eigentlich keiner unter vier Meilen von Berlin weg landen will. Potsdam, Werder, Bernau, das ist überhaupt das nächste. So fängt denn Doktor Fuchs an: »Na, Jungs, man kann nicht gerade sagen, daß ihr bescheiden gewesen seid. Es wundert mich nur, daß ihr alle noch in Europa bleiben wollt. Na also, da wird’s wohl nicht anders werden. Da werde ich also als Klassenpapa umso bescheidner sein müssen, und« -- dabei dreht sich Doktor Fuchs auf dem Katheder um -- »und da möchte ich nur auch schnell meinen Wunschzettel an die Tafel schreiben. -- Grunewald!« -- Ein lautes und sehr geringschätziges »Aaach!« und »Der Katzensprung!« vom dicken Puntz. Doktor Fuchs hat sich herumgedreht und macht dieses »Aaach,« »der Katzensprung!« in demselben Tone nach, so daß einige schon anfangen zu lachen. Die sind schon wieder halb und halb mit dem Grunewald ausgesöhnt. »Na, Dicker, wann hast du denn das letzte Mal den Grunewald gesehen?« »Am letzten Sonntag!« sagt der da so recht mißmutig und gedehnt und verächtlich. »Am letzten Sonntag! I Gott bewahre, Dicker, was denkst du denn? Seit dem letzten Sonntag, ach! seit dem letzten Sonntag, da ist der Grunewald ganz anders geworden! Ich sage dir bloß, ganz anders! Den kennst du gar nicht wieder! Das glaubt ihr wohl nicht, Jungs?« Da lachen schon wieder alle und beteuern laut und überzeugungstreu: »Nein!« »Dann werde ich es euch beweisen! Ihr werdet erstaunt sein! Also es geht in den Grunewald!« Der dicke Puntz sagt nichts mehr; aber nach der Stunde erklärt er: »Fuchs ist ein guter Kerl! Der bedenkt dabei eben die armen Deibel. Für die würde es bis Bernau doch zu teuer sein!« Das sieht schließlich auch jeder ein, und so hat man sich denn auch schon am nächsten Tage mit dem Grunewald ausgesöhnt. Nur will man noch fragen, wohin es im Grunewald selbst gehen soll. Aber Doktor Fuchs kommt am nächsten Tage -- nun ist’s inzwischen schon Freitag geworden -- selber wieder auf die Partie, als er von der Inspektion draußen auf dem Mittelflur in die Klasse kommt. »Also, Jungs, es geht nach dem Grunewald! Wer kennt denn den König Wilhelms Turm auf dem Karlsberg?« Alle, bis auf zwei Vorörtler aus dem Norden. »Wer Wannsee?« Ein paar weniger. »Wer Nikolskoi?« Nur vier; der fünfte weiß es nicht genau. Wenigstens ist es schon sehr lange her, daß er da war. »Wer Sakrow?« Einer. »Wer die Römerschanze?« Keiner. Da lacht Doktor Fuchs so lustig. »Na, ihr seid eine Gesellschaft! Und einige wollten da gleich nach Werder und wer weiß wohin. Na also!« »Ja, Herr Doktor, wollen wir denn nun nach der Römerschanze?« »Ja, Hagen, wollen mal sehen, ob ihr nicht schon vorher die Beine schleppt! Unsere Losung wenigstens soll sein: ›So weit wie möglich!‹« Damit sind nun alle zufrieden, so daß Doktor Fuchs fortfahren kann: »Ich brauche einen Vergnügungsausschuß.« »Ich, ich, Herr Doktor! Herr Doktor!« »Ruhig Blut, Jungs! Den wählt ihr euch selbst! Morgen wird mir der Ehrenfried vier Mann dafür vorschlagen. -- Zweitens: Ich brauche zwei Schrittmacher. Das ist der Windhund, der Hobein, und der dicke Puntz!« »Herr Doktor,« remonstriert aber der Dicke da, »ich werde lieber die Musik liefern.« »Kannst du das?« »Ja, mit der Mundharmonika!« »Gut! Also der wackere Puntz ist unsere dicke Hauskapelle! Wollte sagen, der dicke Puntz ist unsre wackre Hauskapelle!« Der kleine Gebhardt hat sich währenddessen schon gemeldet: »Darf ich meinen photographischen Apparat mitbringen?« »Selbstverständlich! Dich erhebe ich zum Schönheitsrat!« »Kann ich auch was sein? Herr Doktor?« »Wollen mal sehen! Ich brauche noch den Herrn Feldwebel oder die Kompagniemutter. Das muß der Doef werden!« Der hebt sich, als ob er Bergeslast auf dem Rücken trüge. Er scheint sich aber die Sache erst überlegen zu müssen. Endlich fragt er: »Was habe ich denn da zu tun?« »Oh, du hast das wichtigste Amt. Du mußt darauf sehen, daß uns keiner abhandenkommt. Wir müssen also immer volle Zahl haben!« Verträumt scheint Doef nachzudenken; aber er ist Praktikus und verhandelt ganz ruhig mit Doktor Fuchs: »Wenn nun einer doch fortläuft?« »Darf nicht vorkommen!« »Aber wenn er fortlaufen _will_?« Doktor Fuchs tut, als wenn er in die Hand spuckt, und er macht die Geste des Hauens. Doef sieht seine eigene, große Tatze an und sagt tonlos, aber sicher: »Ja!« »Dürfen wir spielen, Herr Doktor?« -- Die Frage hat den Leverenz schon halb zu Tode gequält. »Na, so ~en passant~! So viel uns Zeit bleibt.« »Ich werde einen Ball mitbringen.« »Meinetwegen! Aber kaum nötig!« »Können wir sackhüpfen?« »Halt mal, du! Dazu kriegen wir eben einen Vergnügungsausschuß!« »Essen wir zu Mittag?« »Ja, unten an der Pfaueninsel, beim alten Ehrecke. Preis etwa 75 Pfennig. Wer essen will, muß es mir morgen sagen. Ihr könnt euch aber auch selbst was mitbringen!« * * * * * Nach jeder Stunde, die Doktor Fuchs als Ordinarius in der Klasse hat, werden noch zwei oder drei Minuten der Pause auf dem Altar der bevorstehenden Partie geopfert. Am nächsten Montag steht der Primus auf und erklärt: »Herr Doktor, die meisten Stimmen für den Vergnügungsausschuß haben Greff, Hagen, Sausig und Woller!« »Also noch einmal langsam! Greff -- Hagen -- Sausig und Woller. Gut! Nehmen die Herrn die Wahl an?« Die vier lächeln vielsagend und zufrieden und nicken mit dem Kopfe. »Kennt ihr auch den Grunewald genau?« »Wir sind beinahe jeden Sonntag drin.« »Gut, dann bleibt ihr heute um 1 Uhr noch einen Augenblick hier. Ich werde in die Klasse kommen. Und nun wieder für alle! Wir machen die Partie noch nicht am nächsten Mittwoch, wie es ursprünglich geplant war, sondern erst in der nächsten Woche. Und zwar am Freitag, am letzten Tage also vor den Pfingstferien. Ein Abwaschen!« »A--a--ch? Am Freitag? Dann fällt doch am Nachmittag aus!« »Selbstverständlich! Nun weiter! Wer sich draußen gar nichts kaufen will, der muß sich Essen und Trinken mitbringen. Der würde nur das Fahrgeld bis zur Station Grunewald und zurück von Wannsee oder höchstens von Potsdam gebrauchen. Wer sich gar nichts zum Essen mitbringt, muß Geld dafür ausgeben. Über zwei Mark aber darf keiner bei sich haben.« »Herr Doktor! Wenn es nun aber regnet?« »Wir kriegen genau das Wetter, das der liebe Gott für den Freitag vor Pfingsten angesetzt hat. Dich aber, Hänsel, ernenne ich zur Partie-Unke.« Und während da natürlich alle den Hänsel vergnügt auslachen, erklärt Doktor Fuchs kurz: »Fertig jetzt! Nur noch eins will ich sagen: je fleißiger man vorher arbeitet, desto größer ist nachher das Vergnügen!« -- Der Überfall am Pechsee. Wie wenig man auch in der letzten Woche vor Pfingsten von der Partie hatte sprechen können, da ja an jedem Tage dieser »feinen Woche« etwas unregelmäßig war und vom Stundenplan abgeknapst wurde, vergessen hatte drum doch keiner die Partie. So war auch endlich der Freitag vor Pfingsten, der heiß ersehnte Freitag, angebrochen. Ein herrlicher Tag! Vom hellen Osten her strahlte die Sonne, als freue sie sich über all die fröhlichen Jungengesichter, die schon um sechs Uhr und noch früher oder gar noch viel früher nach ihr ausgeschaut und sie jubelnd begrüßt hatten. Die Mutter mußte noch einmal soviel Frühstück schneiden, als sonst und das Portemonnaie wurde zur Vorsicht wieder und immer wieder hervorgeholt und ein Blick auf den Mammon geworfen, der darin ruhte. Dann zog ein jeder zum Bahnhof. Die von der Friedrich Straße sammelten Station für Station ein paar neu auf, auf dem Lehrter Bahnhof, auf Bellevue, auf Tiergarten, auf Zoologischer Garten, sogar auf Savigny Platz und Charlottenburg. Auf Station Zoologischer Garten hatte man Doktor Fuchs mit polizeiwidrigem Hallo und Freudengeheul empfangen. Schon in Charlottenburg aber war die Kompagniemutter bei ihrer ruhigen Besonnenheit zu dem sicheren Ergebnis gekommen, daß zwölf Mann fehlten. »Wer sind denn die?« »Hagen -- Sausig -- Boenick -- Schulz -- Woller --« »Das ist ja gerade der Vergnügungsausschuß, Herr Doktor!« »Wahrhaftig! Na, was machen wir nun da, Doef?« »Wir warten, und sie kriegen gleich was!« »Na, wir wollen mal sehen!« -- Da läuft auch der Zug schon in Station Grunewald ein. Alles springt aus den Wagen; eiligst geht man hinunter, und ohne Aufenthalt schreitet auch Doktor Fuchs mit seinen lustig umherspringenden Schutzbefohlenen schnell weiter. Wo der Weg sanft rechts ab nach der Saubucht hinüberbiegen will, da ist auf einmal der Doef wieder neben Doktor Fuchs. »Ja,« sagt er bedächtig, »wollen wir denn nicht auf die zwölf warten, Herr Doktor?« »Ach,« bleibt der mit einem Ruck stehen, »Herr Feldwebel! Ja doch! Das hatte ich ja ganz vergessen! Also der Vergnügungsausschuß wollte mit ein paar andern was ganz für sich unternehmen. Aber in Saubucht spätestens sollen sie wieder bei uns sein. Wollen mal sehen, wer zuerst da ist, die oder wir.« »Au ja!« begeistern sich da einige andere. »Ein bißchen dalli jetzt! Wir müssen die ersten sein!« »Ja, aber Dicker, höre mal! Ich sehe schon, du bummelst gern. Das gibt’s nicht! Immer hier bei der Masse bleiben! Und dann noch eins, Jungs! Lest mal feste Kienäpfel auf! Wenn die andern oben in Saubucht nach uns ankommen sollten, dann dürft ihr sie ordentlich bombardieren!« -- Im übrigen aber bummelt nun alles gemütlich neben- und hintereinander hin. Friedlich und wohl auch einmal nicht friedlich; denn hier und da puffen sich auch zwei etwas freundschaftlich ab, und hin und wieder fliegt sogar ein Kienapfel jemand an den Kopf, der ihn nicht erwartet hat und darum nun etwas grob und »jiftig« wird, wie Fritze Köhn da sagt. Doktor Fuchs muß sogar manchmal ein begütigendes und doch streng klingendes »Na, na!« dazwischenwerfen. »Wohin jetzt, Herr Doktor? Rechts oder links?« Vorn ist die Spitze an der Ecke eines niedrigen, rechtwinklig an den Weg vorstoßenden Waldbestandes stehen geblieben. »Rechts ab und nach 150 Schritten links hinein!« Doktor Fuchs hat dabei spähend vorausgeblickt und lächelt auf einmal so vergnügt: »Alles in Ordnung!« »Was ist denn in Ordnung, Herr Doktor?« fragt da Posener, der immer neben Doktor Fuchs geht und ihn offenbar angenehm unterhalten will. »Er schmeißt sich ran!« sagt der dicke Puntz mit einem so verächtlichen Tonfall, daß auch alle das glauben, die es hören. »Ja, ja, ist alles in Ordnung!« wiederholt Doktor Fuchs kurz, geht aber nicht weiter auf Poseners Fragen ein. Man tritt nach einem Viertelstündchen wieder aus dem Wäldchen heraus. »Wo nun hin, Herr Doktor?« kommt es von vorn. »Schräg rechts immer der Nase nach! Der Weg ist ja breit genug!« »Hier ganz rechts geht’s nach Spandau!« wissen da einige. »Dort, den Berg hinunter, nach Schildhorn!« wissen andere. Nach zehn Minuten biegt eben die Spitze nach dem Pechsee ab, als ein lautes, stürmendes Hallo von vorn erschallt. Und Kienäpfel fliegen, -- und Hagen -- wo kommt der auf einmal her? -- hat den dicken Puntz über den Haufen gerannt und gibt ihm einen kräftigen Klaps auf den Südpol, bevor er zu weiteren Heldentaten schreitet. Sausig und Woller und Schulz und die andern, die noch fehlten, die sind auf einmal auch da und stürmen mit Hurra auf Doktor Fuchs und seine Schar ein. Kienäpfel surren durch die Luft; ein Hallo und Hurra donnert nach dem andern; die Jungen werden ganz wild. »Die haben uns überfallen!« schreit Posener und will davonlaufen. Aber Doktor Fuchs gibt ihm einen Stoß. »Du da drüben! Und du und du und du! Und wir andern hier drüben! Ausschwenken! Kienäpfel raus! Die Bande nehmen wir in die Mitte!« Neues Leben kommt in die Jungen, und eine regelrechte Kienäpfelschlacht hebt an. Herüber und hinüber fliegt es. Je mehr die Wurfgeschosse auf die Neige gehen, desto näher rückt man sich auf den Leib, bis man endlich handgemein wird. Und schon ringen die verschiedenen Paare und legen sich -- ~les uns les autres~ -- mehr oder weniger sanft auf die Erde. Da pfeift Doktor Fuchs »Das Ganze halt!« Aber er muß doch noch einige kräftige Wörtlein dazu reden, bis er die eifrigsten Kampfhähne wieder auseinanderhat. Der ganze Überfall hat nur eine Minute gedauert; aber das Spiel ist von den Jungen doch ziemlich ernst genommen worden. Überall steht man da und schöpft tief Atem und sieht sich wohl auch nicht wenig erbittert an. »Da hört sich denn doch Verschiedenes uff!« erklärt Fritze Köhn. »Jotte doch! War det ’n Klumpatsch!« »Warum habt ihr nicht aufgepaßt?« »Wir haben ja gar nichts gewußt!« kommt ein andrer noch dazwischen. »Es sollte ja auch ein Überfall sein!« »Wo ist meine Mütze?« sucht Richter herum. »Wer hat mich denn hier gekratzt?« »Hab’ dich doch nicht! Hier ist Heftpflaster!« »Das bißchen? Und noch so dreckig! Nee, danke für Backobst!« -- So geht es weiter, und alle stehen noch mit hochrotem Schopfe da, als der Dicke auf einmal vorwurfsvoll sagt: »Sehen Sie, Herr Doktor!« -- Er klopft sich dabei die Nadeln und den Sand ab. -- »Wenn ich hinten gegangen wäre, dann hätte ich zusehen können! Der eine ist wie ein Wilder auf mich zugesprungen!« Doktor Fuchs aber muß lachen. »Das war gerade ganz nett, Dicker! Was denkst du wohl, wie gut das einem wohlbeleibten Menschen tut!« Da muß der Dicke auch mitlachen. Er ist auch schon wieder ganz zufrieden und blickt eben belustigt auf den Leverenz hin, der wie ein Harlekin vor seinem Ordinarius hin- und hertanzt und einmal ums andere ruft: »Ich war die erste Stafette, Herr Doktor!« »Ja,« kommt Hagen dazu, »ich habe hier noch seine Meldung! Sehen Sie mal, Herr Doktor! ›Der Feind kommt auf Bahnhof Grunewald an um 8 Uhr 4 Minuten!‹« Schulz hält währenddessen seinen Kopf auch heran. »Ich habe Sie beobachtet, wie Sie in das Wäldchen kamen, Herr Doktor!« »Hier!« macht sich Hagen wichtig. »Die Meldung der zweiten Stafette: ›Der Feind tritt um 8 Uhr 32 Minuten in das Wäldchen ein!‹« Da staunen die Jungen, die mit Doktor Fuchs gekommen sind: »Das war aber alles fein abgepaßt!« Hagen geht auf wie ein Pfannkuchen. »Das kenne ich von meinem Vater! Hier ist die Meldung der dritten Stafette: ›Der Feind verläßt das Wäldchen um 8 Uhr 46 Minuten. Er schlägt den direkten Weg nach der Saubucht ein!‹« »Ach, schenke mir den Zettel, Hagen!« kommt der kleine Köckeritz dazwischen. »Du bist wohl ver--!« wehrt Hagen in aller Ruhe und freundschaftlichst ab. »Die hebe ich mir zum Andenken auf!« »Ach so?« höhnt jetzt der Kleine. »Die willst du dir wohl einrahmen lassen?« »Ruhe jetzt!« befiehlt auf einmal Doktor Fuchs. »Ich konstatiere, daß der Überfall des Feindes als wohl gelungen bezeichnet werden muß. Ich konstatiere aber auch, daß meine Truppe sich schnell in die Situation hineingefunden und den Überfall kräftig und mit ziemlichem Erfolge abgewehrt hat!« Ein fröhliches Lächeln allerseits. »Aber wir haben doch gewonnen!« meint Hagen. »Beide Teile haben ihre Sache gut gemacht!« erklärt Doktor Fuchs. »Wir scheiden mit einem Hurra von dieser glorreichen Stätte. Hipp, hipp, Hurra!« »Hurra!« fallen die Jungen lustig ein. Und alle sind jetzt zufrieden und wieder gut Freund. Aber während man hurtig durch die Senke am Pechsee und dann weiter hinaufschreitet, immer am Zaune der Saubucht entlang, lösen sich die Jungen in Grüppchen auf, und lebhaft und mit für und wider wird die soeben gelieferte Schlacht weiter besprochen. Die homerischen Heroen mit ihrem Geflunker und mit ihren Renommistereien sind nur Waisenknaben gewesen im Vergleiche zu diesen Jungen, die schon nach fünf Minuten die Wahrheit zur Dichtung und die Dichtung wieder zur Wahrheit gemacht haben. -- -- -- Endlich sitzt man oben auf den hölzernen Bänken vor dem lieben, kleinen Restaurant Saubucht und verträgt sich wieder bei etwas gräulicher, sterilisierter Milch und schäumendem Selterwasser. »Bier gibt’s hier nich!« brummt der Dicke. -- Auf hoher Warte. »Zum Karlsberg!« heißt es endlich. Einträchtiglich zieht Freund und Feind in die Senke hinunter. Den gegenüberliegenden Abhang hinauf. An einer Schonung vorbei und dann einen breiten Weg hinan. Als man da halbwegs hoch ist, ragt zur Rechten, etwas nach dem Rücken zu gewendet, der rote, wuchtige Schlot der Pumpstation am Teufelssee über die schwanken Gipfel und Wipfel hinweg, und nach vorn, durch den breiten Einschnitt gesehen, verdämmern drei Hügelzüge, einer hinter den andern gelegt und vom leicht aufsteigenden Dunst der tief unten liegenden Havel mit sanft bläulichem Hauche verbrämt. So tritt man endlich nach einem langen Viertelstündchen hinaus auf die Chaussee, die sich von rechts her heraufzieht und sich so jetzt quer vor den Weg der Jungenschar legt. Gewaltig ragt drüben aus reinlichem, rötlichem Mauerstein, wie ihn der felsarme Märker brennt, der König Wilhelms Turm auf. Majestätisch breit legt sich die geräumige Rampe um den Fuß des Turmes. Schon sind diese nimmermüden Tertianer des Doktor Fuchs weg über die große, steinerne Freitreppe. Sie stehen jetzt an dem schwarzgrauen Stein, der so sicher um die Plattform herumläuft, und bewundernd taucht der Blick hinab in die Tiefen des herrlichen Landschafts- und Seenbildes, das die gütige Natur hier mit Wunderhand in Urzeiten geschaffen. Hier steht man auf hoher Warte. Im Rücken rauscht und raunt so geheimnisvoll der Kiefernwald. Rechts und links steigt er hinab zum Saume des Wasserspiegels, der sich glitzernd und blitzend und vom Morgenwehen leicht gekräuselt hindehnt. Nach Norden hinauf verliert sich der Blick in die verschwimmende Ferne, wo Spandaus Mauern und hochragende Häuser wie eine verblassende Fata Morgana auf leicht wallendem Erdennebel thronen. Vorüber an den eckig-hochragenden Sandwällen, von deren einem einst Jazko sich auf seinem Wendenroß in die Havelflut stürzte, findet sich der Blick zurück und bleibt haften auf dem lieblichen Gatow, das sich verschämt tief unten dem jenseitigen Ufer der breitströmenden Havel anschmiegt und sich einhüllt in das lauschige, weiche Gewand schattender Laubbäume. Lichter wird dann drüben die Gegend und lockt den Blick die grünen Ackerlehnen hinauf, hinweg über die hochragenden Pappeln der städteverbindenden Straßen in die gesegneten Fluren des Ost-Havellandes hinein. Doch, was schwebt da von Süden heran und fesselt den Blick? Auf der sonnenbeglänzten Fläche der weitauslagernden Havel ziehen sie langsam herauf, und merklich kaum kommen sie näher: fünf, sechs, sieben der Schiffe mit weißlich schimmernden Segeln! Schwänen vergleichbar, aus einer weit größeren Welt, so stehen sie auf der lichten Fläche des spiegelnden Wassers. Daneben liegen verträumt und breit hingelagert die grünbewaldeten Höhen der Havelberge und umrahmen mit sattgrünem, dunklem Bande lieblich dieses Bild, das im Hintergrunde durch den sanft verdämmernden Nikolskoier Höhenrücken und durch die ganz in die Ferne gerückten Türme von Potsdam zu einem wunderbaren und wundervollen Stimmungsgemälde abgeschlossen und abgerundet wird. Hier auf dem König Wilhelms Turm, im Mittelpunkte des herrlichen Panoramas, steht nun Doktor Fuchs mit seinen Tertianern, versunken in diese Waldes-, Seen- und Flurenpracht. Als da Hagen von der andern Seite herumgesprungen kommt: »Was ist das, Herr Doktor? Und was ist das?« da fährt es Doktor Fuchs heraus: »Junge, laß es heißen, wie es will! Bewundere nur diese Natur! Kapsele dir das Bild im Auge ein, Hagen! So was Schönes siehst du so bald nicht wieder!« Damit will der Lehrer seine Schar zusammentrommeln. Aber -- wo sind denn die Jungen alle? Einige sind ja zum eigentlichen Turm zurückgetreten und schauen da auf das Standbild des Königs Wilhelm; aber die andern? Etwa -- gegen seinen Befehl -- doch auf dem Turm? Nein! In dem Augenblicke rast Hagen an ihm vorbei, die Freitreppe wieder hinunter. »Wasser!« ruft er dabei mit wilder Freude. Aha! Jetzt weiß es Doktor Fuchs: die Jungen sind bei dem kleinen Brunnen unten vor der breiten Rampe. Aber da ja keiner mehr erhitzt ist, so gönnt er jedem gern den kühlen Trunk. Einige wollen sogar schon wieder essen. Aber nein! Es soll doch lieber gleich weitergehen! -- Brennesseln und Regenwürmer. Den breiten Kiesweg ziehen sie alle hinab und auf der Chaussee weiter, die nun hinunterführt an die Havel, um dort unten am steilen Abfall der Havelberge hinzulaufen. An der scharfen Ecke vorn indessen geht’s mit Hurra den Berg links hinauf und oben noch einige Schritte weiter wieder an den Rand der kiefernbestandenen Höhe vor. Bergauf und bergab etwa noch ein Viertelstündchen dahin, bis man einen freien Durchblick durch die hochstrebenden Kiefernstämme auf den klaren Spiegel der Havel unten hat. Da setzt sich schließlich Doktor Fuchs nieder; um ihn herum lagert sich seine kleine Schar. »So, Jungs, hier machen wir halt! Hier könnt ihr meinetwegen weiterfrühstücken!« Die Lagerdisziplin aber liegt den Jungen noch nicht im Leibe; nur der dicke Puntz ist schon so müde, daß er sich ohne viele Umstände und mit steifen Beinen auf den Teil des Körpers fallen läßt, der nun einmal von der Natur zum Sitzen bestimmt ist. Der kleine Achim Köckeritz dagegen macht erst noch ein paar Luftsprünge und setzt sich dann sehr sorgfältig neben Doktor Fuchs nieder. Er schlägt die Beine zusammen wie ein Schneider und fängt an, sein Frühstück auszuwickeln. Ein paar Schritte weiter aber sind im Nu zwei zum Balgen gekommen, weil jeder von ihnen gerade dieses Plätzchen haben will. Doktor Fuchs muß sich sogar herumdrehen: »Donnerwetter, Jungs! Sieh mal, Schreier, das feine Plätzchen hier! Na, wird’s bald? -- So!« Wie sich aber Doktor Fuchs wieder nach vorn wendet, da hat eben, unehrerbietig genug, der tolle Hagen seinen Primus, den Ernst Ehrenfried, bei den Beinen gepackt und zieht ihn ohne viele Worte von seinem Platze weg. Den will er haben. Doktor Fuchs hat nicht einmal Zeit, etwas dazu zu sagen; denn hinter ihm quiekt es auf einmal fürchterlich los. Als er sich umdreht, sieht er, wie zwei Mann den Drewian gefaßt haben und ihn mit kolossalem Biereifer zwingen wollen, sich auf eine stattliche Brennessel zu setzen. Doktor Fuchs will aufspringen; da lassen die beiden los. Drewian macht gerade noch einen Luftsprung zur Seite und versucht dabei, sich am Stengel der Brennessel festzuhalten. Worauf er sich zum Gaudium aller andern noch ein halbes Dutzend mal um seine eigene Achse dreht; denn die Brennessel hat dieses Zufassen übel genommen. Selbstverständlich schimpft nun der Drewian, freilich nicht auf die Brennessel, sondern auf die beiden Missetäter, bis der eine von denen ganz trocken meint: »Der Drewian ist ja dumm, Herr Doktor! Hätte er nicht so geschrieen, dann hätten wir ihn ganz sanft auf die Sache drauf gesetzt; da hätte er gar nichts gefühlt!« »Meinst du?« »Ja! Ganz sicher!« »Drewian, lotse mal die Brennessel hier neben mich her! -- So! -- Na, also Dittmer, nun los! Setze dich drauf!« Dittmer macht ein ganz gutmütig-dummes Gesicht: »Ich muß erst mal fühlen, ob meine Hosen nicht kaput sind. Na, denn man tau!« Und unter der schallenden Heiterkeit der andern sitzt er auch schon auf der unschuldigen Brennessel, die auf diese Weise arg ins Gedränge kommt. So geht die Sache noch ein Weilchen weiter. Endlich aber sitzen doch alle, und das Frühstücken ist in vollem Gange. Was haben die fürsorglichen Mütter da nicht alles eingepackt! Und wie gut müssen die Stullen belegt sein, da das alles so mundet! Soeben packt Greff aus seinem kleinen Rucksack ein zweites Paar Stullen aus. Dabei tut er so vorsichtig, als hätte er die feinsten und zerbrechlichsten Glassachen zwischen seinen Stullen liegen. Und der Hagen sagt da sogleich: »Na du, dein Regenwurm zerbricht nicht; da kannst du schon fester zufassen!« Sofort stecken die nächsten den Kopf her: »Was hast du da, Greff? Zeige mal!« »Nicht doch! Ihr werdet doch wohl schon einen Regenwurm gesehen haben!« »Wozu nimmst du denn den mit?« »Nicht doch, du! -- Für unser Rotkehlchen!« »Pfui Deibel! Laß doch das Ding kriechen!« Und richtig, da windet sich der Regenwurm schon zwischen den mageren Grasstengeln des Waldbodens. Aber Greff hat ihn auch schon wieder an dem einen Ende gefaßt, so daß er ihm jetzt ganz lang aus der Hand heraushängt. »Äcks! Ich trete jeden Regenwurm tot!« sagt der lange Fendel. »Warum?« fragt da sofort Doktor Fuchs. »Na, sie sind doch schädlich!« »Schädlich? Wieso denn?« »Na, sie fressen doch die feinen Wurzeln der Pflanzen!« »Die Regenwürmer, Junge? Wenn sie nichts anderes haben, ja! Aber sonst sind für uns die Regenwürmer die nützlichsten Tiere mit auf Gottes Erdboden! Weißt du das noch nicht?« Die Jungen rücken näher: »Die Regenwürmer nützlich?« »Doch!« sagt der Ernst Ehrenfried ruhig. »Ich weiß, Herr Doktor, die fressen nicht die Wurzeln, die fressen die angefaulten Blätter. Die holen sie sich in der Nacht in ihre Röhren hinein. Das ist sehr drollig; die Blätter fassen sie immer so an, daß sie das spitzeste Ende zuerst ins Loch ziehen!« Da lachen nun alle so herzhaft los, und der dicke Puntz fragt etwas zweifelnd: »Die scheinen ja in der Nacht fein zu sehen!« »Nein, Dicker,« wendet sich da Doktor Fuchs zu dem Zweifler um, »nein, denke mal, Dicker, die können ja überhaupt nicht sehen, und doch wissen sie ganz genau, wo das spitze Ende ist. Da hat der Ernst Ehrenfried recht.« »Na, sieh doch, Dicker,« kommt da Hagen, der jetzt neben Puntz kniet, »ich mache doch auch die Augen zu und fühle, wo deine dicke Nase sitzt.« Er hat die Augen zugemacht und fährt jetzt mit den Händen dem Puntz tastend über Kopf und Gesicht. Der hält auch merkwürdigerweise so still! Aber eben als Hagen die Nase fassen will, da schnappt Puntz zu und beißt ihm in die unverschämten Finger. Dann sagt er ganz trocken: »Du bist eben kein Regenwurm und ich kein verfaultes Blatt. Aber, Herr Doktor,« -- der Dicke kann eben auch sehr wißbegierig sein -- »warum sollen denn die Regenwürmer mit die nützlichsten Tiere sein?« »Weil sie den Humusboden immer wieder von unten nach oben an die Erdoberfläche schaffen und so ständig für die Menschen den Boden verbessern. Kein Mensch kann sagen, wie oft die Regenwürmer unsern Acker- und Gartenboden im Laufe der Zeit schon aufgefressen und, fein gedüngt, wieder von sich gegeben haben!« Da sind nun die Jungen alle noch mehr zusammengerückt. Das klingt wahrhaftig auch so spaßig, daß sie Doktor Fuchs veritabel auslachen. Der aber denkt: »Lacht nur! Jetzt sind wir im Zuge!« Bald hat auch Puntz wieder das Wort: »Herr Doktor, das verstehe ich nicht. Fressen denn die Regenwürmer Erde?« »Na freilich, Dicker! Wie würden sie sich denn sonst ihre Gänge graben können! Oben an der lockeren Erdoberfläche, da drängen sie wohl mit ihrer Kopfspitze die Erdschollen und Krümelstückchen auseinander; aber unten müssen sie sich durch die Erde durchfressen. Und dann kommen sie hervor und verrichten hier oben« -- dabei beugt sich Doktor Fuchs zu Puntz hin und sagt nur halblaut -- »ihr Geschäftchen. Wer hat denn schon mal so was gesehen? Solche kleine, ringelförmig geordnete Kotballen, meine ich.« Oh, das waren doch mehrere, die das schon bemerkt hatten. »Ich! ich! Herr Doktor!« »Na, also Jungs! Einen guten Meter tief ist unser ganzer Ackerboden der Dünger der Regenwürmer. Der geht im Laufe der Jahrhunderte sogar immer wieder durch den Körper dieser nützlichen Tiere hindurch.« Da lächelt der Dicke so vor sich hin: »Nein, das glaube ich nicht, Herr Doktor! Die glauben’s auch alle nicht! Die sagen’s bloß nicht!« Und wirklich! Die andern wissen nicht recht, wie sie sich dazu stellen sollen. »Na, Jungs, dann rückt mal noch ein bißchen enger zusammen! Dann müssen wir nämlich erst ein kleines Rechenexempel anstellen. -- Also! Genaue Untersuchungen haben gezeigt, daß rund 10 Regenwürmer unter einer Fläche von 1 Quadratmeter leben. Was macht das nun auf 1 Quadratkilometer?« »1000 × 1000 × 10.« »Das sind also doch 10000000 Regenwürmer auf 1 Quadratkilometer. Wieviel Milliarden haben wir also da auf unserer Erde? -- Dann hat sich Darwin --. Übrigens, wißt ihr denn auch, Jungs, wer Darwin war?« »Ja,« sagt da der Ernst Ehrenfried, »das war ein englischer Gelehrter im vorigen Jahrhundert. Der hat gesagt, daß alles, was heute besteht, Tiere und Pflanzen, nicht immer so gewesen ist, sondern daß alles erst so geworden ist im Kampfe ums Dasein. Und alles ändert sich noch immer weiter.« Der kleine Köckeritz möchte auch seine Weisheit los werden: »Herr Doktor, das ist der mit der Vererbungstheorie. Der hat doch auch gesagt, daß der Mensch von den Affen abstammt.« Der dicke Puntz erweist sich auch hier als ein zielbewußter Zweifler. »Von den Affen?« nimmt er auf. »Na du vielleicht, Achim! Ich nicht!« »Na, früher mal! Dicker, du zum Beispiel bist doch dem Orang-Utan noch viel näher als ich!« Den Spaß aber will der Dicke nicht verstehen. Er greift ~sans façon~ nach dem giftigen, kleinen Köckeritz hinüber, gleich hinter Doktor Fuchs weg. Der hat nun zwar ziemlich belustigt diesem Zwiegespräch zugehört; jetzt aber faßt er mit festem Griff die Hand des Dicken. »Nicht, Dicker! Immer Spaß verstehen! Also Darwin hat sich auch hinter die Regenwürmer hergemacht. Und er hat lange und sehr sorgfältig den Kot der Regenwürmer eingesammelt. Auf diese Weise stellte er fest, wieviel Erde von den Würmern an die Oberfläche heraufgeschafft wird. Da fand er, daß alljährlich auf einen Quadratmeter 2½ Kilo kamen oder auf einen Quadratkilometer 2500000 Kilogramm oder 5000000 Pfund oder 50000 Zentner. Könnte man diese Massen auf die betreffenden Flächen ausstreuen, so würde das eine Erdschicht von 3 ~mm~ geben. Na, Dicker, bist du nun bekehrt?« »Na ja, ich glaube es ja; aber verstehen kann ich es immer noch nicht.« »Na, dann passe auf! Derselbe Darwin hat auf ein Feld -- damals war er noch jung -- Kreidestückchen streuen lassen. Das Feld aber ließ er dann unberührt und brach liegen und untersuchte die Sache nach einem Menschenalter wieder -- ich glaube, genauer waren es 29 Jahre. Da fand er die Kreideschicht 16 oder 17 ~cm~ unter der Oberfläche. Macht aufs Jahr als Wühlarbeit der Regenwürmer ½ ~cm~, auf 100 Jahre ½ ~m~, auf 200 Jahre 1 ~m~. ~Item~, wie oft mag wohl unser Erdboden schon durch den Magen der Millionen und Milliarden von Regenwürmern gegangen sein, die auf unsrer Erde leben!« Das interessiert die Jungen; sie hängen jetzt an Doktor Fuchs’ Munde; keiner spricht ein Wort, als erwarte eben jeder noch mehr. Nein doch! Einer der Jungen, der lange Giesel, der knurrt etwas vor sich hin, als wäre er mit der Sache nicht so ganz zufrieden und einverstanden. Der Ordinarius kennt ihn schon darin; aber er weiß, wenn er jetzt den Langen fragt, dann zuckt der in sich zusammen und sagt nichts. So ist er vorläufig ruhig. Und wirklich, nach einer halben Minute etwa, als alle andern schon ungeduldig werden wollen, da ist der Giesel fertig. »Herr Doktor,« sagt er, »das mit den Kreidestückchen kann Zufall sein. Ja!« »Wieso denn, Giesel?« blitzt es um ihn herum auf. »Ja, wenn Steine auf der Erde liegen und es regnet zum Beispiel, dann sinken doch die Steine ganz alleine in die Erde ein und immer tiefer! Mit der Kreide kann’s doch auch so gewesen sein!« Das macht die Jungen stutzig. »Aber ist nicht Kreide sehr leicht? Vielleicht sinkt die nicht ein!« Der den Einwurf macht, das ist der Giesel selber. Er reflektiert schon weiter: »Aber die müßten die Regenwürmer doch schließlich auch aufgefressen haben. Und dann müßte diese Kreide doch gerade wieder oben liegen!« Doktor Fuchs sitzt sinnend unter der Schar der Jungen. »Ja,« gibt er schließlich zu, »das läßt sich alles hören. So können wir also keinen Zweifler überzeugen. Aber man hat auch noch einen direkten Beweis dafür erbracht, daß die Regenwürmer dem Landmann nützen; denn man hat ein Feld einmal ganz wurmfrei gehalten, das nächste Jahr es mit Würmern durchsetzt. Und im letzteren Falle war der Ertrag des Feldes genau noch einmal so reichlich.« Der Ernst Ehrenfried ist von den Jungen entschieden der beste Kenner der Regenwürmer. Er meldet sich jetzt schüchtern, genau wie in der Klasse: »Herr Doktor, nicht wahr? Wenn man einen Regenwurm durchschneidet, so wird jede Hälfte wieder ein ganzer Wurm!« »Ganz richtig! Und man war dann etwas neugierig und hat einmal zwei Kopfstücke und zwei Schwanzstücke für sich allein auch zusammengenäht. Dann wuchsen die einzelnen Stücke nicht mehr größer, sie wuchsen aber zusammen. Indes, trotzdem war das zusammengenähte Doppelpaar doch nicht lebensfähig.« »Na,« sagt da einer, »das ist aber auch eine ganz verrückte Idee!« »Möglich!« meint Doktor Fuchs. »Es muß eben alles untersucht werden! Na, Jungs, wollen wir weiter?« »Ist nichts mehr von den Regenwürmern zu erzählen?« fragt der dicke Puntz. »Oh, noch ein ganzer Sack voll! Nur, uns würde es jetzt zu spät! Also ~en avant, messieurs~!« -- Da sprang nun alles auf; hier und da packte auch schnell noch einer etwas ein oder schnürte an seinem Paketchen herum. Doktor Fuchs wendet sich inzwischen an den großen Doef: »Na, Herr Feldwebel, haben wir noch alle?« Doef zählt noch einmal schnell und nickt dann: »Alle, Herr Doktor!« »Dittmer! Dittmer! Du hast deine Brennesseln vergessen. Hahaha! Wie sehen denn die aus?« »Ach, das sind nun gar keine Brennesseln mehr!« »Na,« meint Doktor Fuchs, »gebrannt haben sie dich freilich nicht!« »Nein, die brennen ja nur auf der bloßen Haut!« »Warum, Dicker? Warum, Jungs?« Da wissen mehrere Bescheid. Der kleine Hempel darf es sagen: »Ja, auf den Blättern stehen solche steifen Haare; aber das sind eigentlich Röhrchen, die mit einer flüssigen Giftsäure gefüllt sind. Wenn man nun die Pflanze anfaßt, dann splittern die kleinen Härchen ab, der Stumpf sticht sich dabei in unsere Haut, und aus dem Röhrchen fließt dann das Gift in die Wunde und zieht Blasen.« »Das war ganz vernünftig! Aber nun schnell, da stehen welche unter der Eiche! Die wollen wir uns einmal ansehen!« Na, jetzt sehen auch alle die Härchen; man probiert sogar und bricht die kleinen Haarstangen ab, indem man mit einem Grashalm oder sonst etwas über die Blätter streift. Da fährt Doktor Fuchs fort: »Ja, Jungs, warum haben aber die Nesseln diese Härchen?« Die Gesellschaft lacht so lustig darüber; das wissen nämlich alle. »Zum Schutze!« »Ja, Jungs, da lacht ihr! Bei der Brennessel versteht ihr das; aber könnt ihr mir noch eine Pflanze nennen, die Schutzvorrichtungen hat? -- Na, seht ihr? Und der Hagen könnte sie mit der Hand greifen, so nahe steht sie ihm!« »Ach, vielleicht die rote Pechnelke da?« »Na, freilich! Warum heißt sie denn überhaupt Pechnelke?« -- Doktor Fuchs hat sich zu der Pechnelke hinabgebeugt. -- »Nun, seht mal her, Jungs!« Als aber alle Köpfe zusammenschießen und eine tüchtige Drängelei entstehen will, da meint Doktor Fuchs gelassen: »Na, dann helpt det nich! Dann muß sich die Pechnelke opfern!« Er pflückt sie ab und hebt sie hoch: »Hier, Jungs, seht mal die Gelenke des Stieles an! Unter diesen Gelenken ist die Pflanze so klebrig, daß sie sich da gleichsam einen leimigen Ring umgelegt hat. Auf dem bleibt, wie auf Pech, das ganze Ungeziefer kleben, wenn es der schönen roten Blüte zu Leibe gehen will.« »Aber!« sagt da einer der Jungen zögernd. Er denkt vielleicht, er wird für seinen Einwurf ausgelacht. »Ist das nicht recht komisch? Die Pflanze kann sich doch nicht selber solchen Ring umlegen!« Doktor Fuchs hat solchen Einwurf nicht erwartet. Er gibt schnell zu, daß das eine sehr schwierige Frage ist. Zu ihrer Erklärung müsse man auf viel frühere Perioden zurückgehen. Immer nur diejenigen der Pflanzen hätten sich erhalten, die zufällig die besten Schutzvorrichtungen gehabt hätten, und die hätten sich auch fortgepflanzt, bis nun heute die Pechnelken alle so wären. »Wißt ihr, wie man das nennt, Jungs?« »Zuchtwahl!« -- Einige hatten das Wort bereits auf der Zunge. Da kommt aber auch schon ein anderer Junge dazwischengefahren. »Ja, Herr Doktor, warum stehen denn die Brennesseln immer unter den Eichen?« Mit einem Ruck bleibt der Gefragte stehen. »Ach, die Brennessel noch einmal? Ja, Jungs, warum stehen die immer unten den Eichen? Manchmal auch in Gräben und hinter Hecken?« Die Jungen schauen alle erwartungsvoll auf. Ja, warum stehen die hier immer unter den Eichen? Da ist der Primus auf dem Plan mit einer ganz vernünftigen Erklärung: »Die werden wohl Schatten und Feuchtigkeit brauchen.« »Ja, aber warum wächst denn sonst gar nichts unter den Eichen? Das sieht ja gerade so aus, als ob die Brennesseln allein von allen Waldpflanzen Feuchtigkeit haben wollten!« Nun muß Ernst Ehrenfried doch die Antwort schuldig bleiben; Doktor Fuchs wird also schon helfen müssen. Aber er meint: »Jungs, das könnt und das sollt ihr allein finden! Freilich, dazu müssen wir uns erst mal solche Nesselkolonie unter einer Eiche ansehen!« -- Man war inzwischen ganz auf der Höhe der Havelberge angelangt; da oben aber ist weit und breit keine Eiche zu sehen. Nein, wirklich nicht, so weit die Jungen auch um sich gucken. »Doch, Herr Doktor! Da unten! Da! Sehen Sie doch! Da! So schräg durch!« »Da müssen wir ja hinunter und wieder hinauf!« »Ach, Herr Doktor, das ist ja gerade fein!« »Na, denn los! Sanfter Galopp!« Unter schallendem Juchhe geht’s den kleinen Abhang hinunter. Atemlos kommt man im Grunde des Tales an. Richtig! Da steht eine prachtvolle, starke Eiche, die schon manchen Sturm über sich hat dahinbrausen lassen. In ihrem Schutz und Schatten wimmelt es von den stattlichsten Brennesseln. Aber sonst findet sich kaum ein Grashälmchen unter all dem Lumpengesindel der Nesseln. »Na, Jungs,« sagt da Doktor Fuchs, nachdem er sich etwas verschnauft hat. -- Ihm wird das Laufen offenbar schwerer als den Jungen. -- »Na, wer kann mir nun sagen, warum nur Brennesseln hier wachsen?« Jetzt haben das mehrere gefunden. »Die Nesseln brauchen Schatten. Aber im Schatten wachsen sie dann zu schnell hoch und nehmen den andern Pflanzen, die nicht so schnell wachsen und groß werden können, die Nahrung und das Licht weg!« »Bravo die Herrn! Sieht das ein jeder ein?« Ja, das haben alle eingesehen; sie setzen schon nach dieser halben Minute Pause da unten an, wieder den Berg hochzuklettern. Als indessen Doktor Fuchs und der dicke Puntz noch nicht zur Hälfte hinauf sind, da schallt von oben ein fröhliches Jauchzen und ein kräftig schmetterndes Hurra herab. Ach, was für Herz, was für Lunge haben doch diese schmächtigen Großstadtjungen noch! Und die sind doch oft so schlank und dünn wie Weidengerten! »Na, Dicker,« meint da Doktor Fuchs, »du bist wieder mit der letzte. Es wird dir mal schlecht beim Militär gehen!« »Ach, mir nimmt’s keiner übel, Herr Doktor! Die würden sich alle wundern, wenn ich der erste wäre! So ist’s ganz gut! Die ersten haben’s manchmal nicht zu best.« -- Die dicke Hauskapelle und die Ameisen. Der Dicke ist ein guter Prophet; denn da oben bricht soeben ein mordsmäßiger Lärm los. Alles drängt sich um Dittmer herum und scheint auf ihn loszugehen; jetzt schlagen sie sogar auf ihn ein, und dazwischen schallt es drohend: »Feste! Immer feste! Totschlagen!« Doktor Fuchs stürmt in aller Eile die Höhe hinauf. Schon von weitem schreit er: »Was ist denn los? Was ist denn los?« Rohloff kommt ihm entgegen: »Herr Doktor! Herr Doktor! Der Dittmer hat sich in einen Ameisenhaufen gesetzt!« Da ist Doktor Fuchs beruhigt. Er steht jetzt erst einen Augenblick still und schnappt nach Luft. »Na, _der_ Schaden läßt sich ja kurieren!« Nun ist er oben, wo sich der Dittmer immer noch wie wild gebärdet. »So, Dittmer,« befiehlt Doktor Fuchs, »nun zieh erst mal die Jacke aus! -- Und nun die Weste!« »Au! Das juckt, Herr Doktor!« »Ja, ja, glaube ich dir; aber es muß eben dann alles aus. Wir wollen dir die Biester schon absuchen!« »Aber, Herr Doktor!« »Na, dann lauf mit dem Insektenzeug den ganzen Tag umher! Das Hemde kannst du ja anbehalten. Ganz als Naturgriechen wollen wir dich ja nicht gleich sehen!« -- Gesagt, getan! Der Dittmer wird ordentlich abge--ameist, und gute und schlechte Witze muß er dabei noch über sich ergehen lassen. »Herr Doktor,« sagt da zum Beispiel der Fritze Köhn, »es gibt also auch springende Ameisen!« »So viel ich weiß, nicht!« »Na frag’ ich aber bloß eenen Menschen! Eben sprang so ein kleines, schwarzes Tierchen hier herunter.« »Unsinn!« ist der dicke Puntz schnell auf dem Plan. »Springende Ameisen heißen eben Flöhe! Der Dittmer wird wohl nebenbei auch solche Tiere haben!« Dittmer aber versteht jetzt gar keinen Spaß. »Rede keenen Stuß,« sagt er sehr gereizt, »sonst kriegst du ein paar! Hier kriecht noch eine. Fasse mal schnell zu!« »Halt! Hier auch noch eine!« Damit sengt der dicke Puntz dem Ameisenmenschen eins auf, daß der gleich in seinem Hemde einen kolossalen Luftsprung macht. Zum Trost und zum Spott aber beruhigt ihn der Dicke: »Du, die ist wirklich tot!« Schließlich ist der Dittmer ameisenrein und auch wieder in seinen Sachen. Aber es ist ihm doch noch den ganzen Tag, als ob es hier und da juckt, und er vermißt sich jetzt hoch und heilig, er würde jede Ameise tottreten, die er fände, und jeden Ameisenhaufen auseinanderstökern. »Na schön, Dittmer!« unterbricht Doktor Fuchs diese Beteuerungen. »Aber, bitte, nur heute noch nicht! Laß uns erst mal über den Buckel hinaufsein; auf dem schönen, breiten, ebenen Weg können wir dann alle mehr zusammengehen. Da werde ich euch etwas über die Ameisen erzählen.« So steigt man wieder lustig bergan, immer an einem großen Zaun entlang. Über den froh dahinziehenden Jungen rauschen die Wipfel der hochstämmigen Kiefern; leise ächzen die knorrigen Äste. Lichte Wölkchen schwimmen im blauen Äther, und alles spricht so zum frischen Sinn und zum fröhlichen Herzen, daß der Puntz auf einmal seine Mundharmonika hervorzieht, und dünn, aber doch auch scharf genug fällt es ins Ohr, das immer schöne, immer frische »Muß i denn, muß i denn zum Städtele hinaus, Städtele hinaus!« Ach, da zuckt es den Jungen in den Beinen. Einige fangen an zu singen, und oben ist man auch schon auf den Havelbergen. Lang dehnt sich ein schöner, breiter Weg zwischen den Bäumen, ein sogenannter Jagenweg, vor dem sich weitenden Blick dahin. Soeben erklärt Doktor Fuchs: »Da ganz hinter müssen wir! Dann schwenken wir rechts ab und kommen wieder zur Havel hinunter. Nun flott vorwärts! Die Hauskapelle voran!« »Was soll ich denn spielen, Herr Doktor?« »Na, Dicker, nicht gebieten werd’ ich dem Sänger! Du scheinst ja auch ein ganzes Repertoire zu haben!« »Herr Doktor! Herr Doktor! Der kann alles!« »Na also, Dicker! Die Wahl überlassen wir dir selber!« Die Hauskapelle zaudert jetzt keinen Augenblick mehr. »Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus, da bleibe, wer Lust hat, mit Sorgen zu Haus!« »Ach!« entscheidet aber der Drewian, als das zu Ende ist, und das ist sehr bezeichnend für diese Großstadtjungen. »Du mußt mal etwas spielen, was alle können!« Sofort ertönt weiter: »Anne Marie, mein Engel dich verehr’ ich, Anne Marie, mein Engel, dich begehr’ ich, Anne Marie, o gib mir einen Kuß! Küsse mich, küsse mich, das ist Genuß!« So geht es weiter, Ernstes und Heiteres durcheinander, ab und zu wohl auch mit einem Gassenhauer, der oft gerade mit der schönsten Melodie in unser Ohr hineinhüpft, bis allen den lustigen Brüdern von wanderfreudigen Tertianern das Herz im Leibe lacht und springt und der Doktor Fuchs ausruft: »Dicker! Junge! Du bist ja ein reiner Künstler! Du mußt einmal Musik studieren!« »Jawohl,« setzt Puntz seine melodienreiche Harmonika ab, »Musik studieren! Hinten bei den Stampfmaschinen in unserer Fabrik! Damit dürfte ich meinem Vater gerade kommen!« Die andern quälen und wollen noch mehr haben; der Dicke aber behauptet, er hätte keine Puste mehr im Leibe; jetzt wäre auch der Herr Doktor Fuchs wieder an der Reihe; der hätte noch was von den Ameisen erzählen wollen. »Richtig!« sagt da Doktor Fuchs auch. »Aber da muß ich erst den Dittmer fragen, ob er weiß, woher bei der Ameisengeschichte der brennende Schmerz gekommen ist, den er empfunden hat.« »Na, freilich,« sagt der knurrig, »die Bande hat mich gezwickt.« »Ja, und in die Wunde bringt die Ameise dann noch eine Säure, die nach ihr Ameisensäure genannt wird. Ähnlich wie bei der Brennessel. Diese Säure ist schon stark genug, daß sie auch sowieso auf der Haut einen brennenden Schmerz verursacht. Diesen Saft kann das kleine Vieh in der Wut oder in der Angst etwa einen halben Meter weit wegspritzen.« »Aber, Herr Doktor!« -- Nun hagelt’s geradezu Fragen. -- »Ist denn die Ameise wirklich das klügste Tier?« »Nun, zweckdienlich handelt ja wohl jedes Tier; aber sicher ist es, daß die Ameisen unter allen Insekten die größten geistigen Fähigkeiten zeigen.« Von den Ameisen weiß Übrigens jeder der Jungen etwas; jeder will auch etwas dazu sagen. Da indes bleibt Doktor Fuchs wieder stehen, und er setzt ein hochwichtiges Gesicht auf. »Jungs,« sagt er, »jetzt müssen wir auf diesem graden Wege noch ein ganzes Ende laufen. Rechts und links ist da wenig zu sehen. Da kann ja jeder, der etwas gut und genau über die Ameisen weiß, einen kleinen Vortrag halten. Ich werde einmal die Themata für unsere jetzund errichtete Rednerschule verteilen.« »Ich!« -- »Ich!« -- »Ich!« -- »Herr Doktor!« -- »Herr Doktor!« »Immer ruhig Blut! Wer übernimmt die Staatenbildung der Ameisen?« »Die Staatenbildung? Das ist schwer!« Schon meldet sich ganz ruhig Ernst Ehrenfried. »Gut! Der Primus muß immer voran! -- Wer redet aber dann über die Ameisenarbeiter im besonderen? -- -- Zum ersten! Zum zweiten! Zum --. Also Manning! -- Wer über die Wohnung der Ameisen? Möglichst natürlich aus eigener Anschauung! Also ganz einfach! -- Na?« Rohloff hält die Hand hoch. »Wer über die Nahrung der Ameisen? -- Körer? Gut! Na, das ist aber dann auch genug. Na, nun los, Ernst Ehrenfried!« Vom Mitschüler scheint ein Junge immer noch so was am liebsten zu hören. Alle drängen sich heran und lauschen andächtig. »Nicht so wild zulaufen, Ernst,« mahnt Doktor Fuchs. »Etwas langsam sprechen und laut genug! Na, nun schieß mal los!« -- »Ein Ameisenweibchen,« fängt Ernst Ehrenfried an, »legt in die Erde oder in einen Baumstumpf oder unter einen Stein etwa ein Dutzend Eier, die sich zu Larven entwickeln, bei der mangelhaften Nahrung aber, die ihnen die Mutter nur verschaffen kann, zu Arbeitern werden, das heißt: zu geschlechtslosen Tieren. Sie helfen der Mutter bei der Ernährung der nachkommenden Brut; denn die Mutterameise tut nun in ihrem ganzen Leben nichts weiter als Eier legen. Aus diesen Eiern schlüpfen schon nach einigen Tagen kleine, weiße Larven aus, die von den alten Arbeitern fleißig gefüttert werden. Nach -- ich weiß nun nicht mehr genau, Herr Doktor, nach wieviel Tagen diese Larven sich einspinnen --« »Nach vierzehn Tagen etwa.« »Nach vierzehn Tagen spinnen sich diese Larven ein; das sind dann die sogenannten Ameiseneier. Nach abermals vierzehn Tagen aber zerbeißen die Arbeiter die Puppen, und die junge Brut kriecht heraus; sie muß aber noch von den Ältern gefüttert werden. Alle diese neuen Ameisen sind Arbeitsameisen; denn Männchen und Weibchen entstehen erst aus den Eiern, die im Spätsommer gelegt werden. Die Männchen und Weibchen haben überhaupt weiter nichts zu tun, als für die Erhaltung der Art zu sorgen, sie allein sind geflügelt. Manchmal findet sich unter den Ameisen noch eine vierte Art: das sind auch geschlechtslose Tiere; aber sie haben einen viel größern Kopf als die gewöhnlichen Arbeiter und einen furchtbar starken Oberkiefer. Das sind die Soldaten, die auf Ordnung sehen und bei den Streifzügen die Führer bilden. Alle zusammen machen den Ameisenstaat aus.« »Das war sehr klar und sehr schön!« sagt da Doktor Fuchs. »Das verdient eine Nummer 1. Hat einer von der geehrten Festversammlung was dagegen?« »Nein! Nein! Nummer 1!« »Welcher der Herren hat jetzt das Wort?« »Ich,« sagt Manning. »Richtig! Über die Arbeiter! Nicht wahr?« »Ja!« -- Der Junge räuspert sich noch einmal. -- »Also, der Ehrenfried hat schon gesagt, daß die Arbeiter eben nur arbeiten. Sie haben den Arbeitstrieb, den wir Menschen wohl nie verstehen werden, weil wir ihn nicht haben.« -- Dem kleinen Manning sitzt eben manchmal der Schalk im Nacken. -- »Also, die Arbeitsameisen haben den Arbeitstrieb, und so arbeiten sie von morgens um 6 Uhr bis abends um 10 Uhr. Und zwar besteht ihre Arbeit darin, die Männchen und die Weibchen und die Larven zu füttern, den Baustoff für das Nest herbeizuschaffen und das Nest zu bauen, das oft einen Meter hoch ist. Manchmal legen sie auch Straßen an, die von dem Neste aus strahlenförmig weggehen, und die immer nur der Ameisenkolonie gehören, die sie angelegt hat. Wenn sich irgend eine andere Ameise oder sonst ein Tierchen -- auch der Mensch gehört zu diesen Tierchen -- auf diesen Wegen betreffen läßt, so wird es unbarmherzig erwürgt. Die zu großen Tierchen freilich nicht; der Mensch auch nicht. Dann müssen die Ameisen am Abend noch den Bau verrammeln und verschließen und am Morgen wieder aufschließen. Das ist doch alles!« »Hier sage ich auch wieder: Bravo!« ist Doktor Fuchs schnell bei der Hand. »Welche Nummer wollen wir ihm geben, Jungs?« »Nummer 1!« schreien da natürlich alle. »Na, freilich Nummer 1! Aber der Ernst Ehrenfried hat doch gesagt, daß solche Ameisenmutter ihr Nest unter der Erde oder in einem Baumstamm oder unter einem Stein anlegt, und Manning hat behauptet, daß dieses Nest oft einen Meter hoch wird. Stimmt denn das zusammen?« Manning fühlt sich sofort berufen, sich zu verteidigen: »Ja, die Kolonie wird doch immer größer, und was man so vom Ameisennest sieht, das sind immer so Nadeln und Holzsplitterchen und Pflanzenteile. Die sind so draufgeschleppt zum Schutze gegen den Regen und die Kälte.« »Ganz richtig! Das ist also auch in Ordnung. -- Na, wer ist jetzt dran?« »Ich!« meldet sich Rohloff. »Aber der Manning hat ja nun schon alles über die Wohnung der Ameisen erzählt.« »Herr Gott, ja! Da muß sich Rohloff beleidigt fühlen! Na warte nur, für dich findet sich schon wieder etwas anderes! Aber, Körer ist uns noch was schuldig. Nicht wahr? Was war es denn?« »Was die Ameisen fressen! Die Ameisen fressen alles, was ihnen vor den Schnabel kommt. Sie fressen eben alle andern Insekten. Besonders gerne fressen sie auch die Larven von andern Insekten. Außerdem noch Raupen, Käfer, Frösche und Mäuse. Sie knabbern auch das Fleisch von den Knochen ab. Wir haben einmal in unserm Garten einen Gänsekopf in einen Ameisenhaufen gepackt; den hatten sie nach vierzehn Tagen ganz kahl gefressen. Schließlich sind sie sogar bis in unsere Küche gekommen. Ach, das war eine Geschichte! Meine Mama hat manchmal darüber geweint. Wir konnten die Spinden noch so fest verschließen, sie kamen doch hinein.« Ein anderer fällt da schnell ein: »Meine Tante wohnte in Friedenau in einer Parterrewohnung. Da waren die Ameisen so arg, daß meine Tante ausziehen mußte.« »Ach,« ist Körer bei der Hand, »da hätte sie alles mit Tran und Teer beschmieren müssen. So haben wir sie weggekriegt.« »Ja,« sagt Doktor Fuchs, »damit kann man sie sich vom Leibe halten. Auch den Geruch von Petersilie mögen sie nicht. Aber etwas hat Körer doch noch vergessen, oder er hat sogar zu viel gesagt. Nämlich, sie fressen nicht alles, was ihnen vor den Schnabel kommt, sondern sie hegen und pflegen sogar eine Sorte von Tieren. Na, Jungs, das ist eine kolossal interessante Geschichte! Jeder hat doch schon einmal einen Holunderbaum gesehen. Na, und die Holunderblätter sind doch manchmal auf der Oberseite so klebrig. Dieses Klebrige nun, das mögen die Ameisen gern; das schmeckt ihnen offenbar honigsüß.« »Ja, ja, Herr Doktor,« drängt sich der kleine Achim Köckeritz neben Doktor Fuchs her, »ich weiß! Wir haben einen Holunderbaum im Garten. Ich habe erst gestern abend an solchem Blatt geleckt. Das schmeckt wirklich wie Honig!« »Ganz recht, Achim! Weißt du denn aber auch, was das ist?« »Sie sagen ja selbst, Herr Doktor, das ist Honig!« »Na, ich sagte wohl nur, daß es honigsüß ist; denn in Wirklichkeit ist es etwas ganz anderes. Die Blattläuse haben nämlich solch Blatt einfach als ihren Appartement betrachtet, und, was der Achim Köckeritz da abgeleckt hat, das war einfach die Ausleerung der Schild- oder Blattläuse.« Der Achim wird ganz bleich. Er würgt an etwas herum; aber er meistert sich noch einmal und sagt bloß entsetzt: »Äcks! Pfui Deibel!« Einige andere schreien gleich aus Sympathie mit. »Oh, das ist nicht so schlimm, Jungs!« wehrt Doktor Fuchs. »Ganz und gar ungefährlich! Na also, zu unserer Sache zurück! Um diese Blattlausausleerung immer zu haben, postieren sich einige von den Ameisen neben die Tierchen und schützen sie vor ihren Feinden. Damit aber der schöne, süße Kot der Blattläuse nicht vom Regen fortgewaschen wird, bauen die Ameisen ihren Freundinnen sogar ordentliche Ställe. Sie leimen nämlich ein loses Blatt oder sonst etwas über ihnen fest, und nun kann’s regnen, so viel es will, die Blattläuse sitzen eben dann im Trocknen. Man hat deshalb diese Blattläuse auch die Kühe der Ameisen genannt, weil sie diese -- man möchte geradezu sagen -- melken.« Da lachen die Jungen laut auf. »Ja, ja, wirklich melken! Die Ameisen klopfen und streicheln nämlich so lange mit ihren Fühlern an den Tierchen herum, bis die Blattläuse ihren Enddarm entleeren!« Aber nun das Lachen der Jungen erst! »So eine Schlauheit! -- Die Ameisen denken dann doch genau so wie die Menschen.« »Ja, das sollte man meinen! Einmal hatte jemand in seinem Garten um einen Baumstamm einen Teerring gezogen. Auf dem Baume saßen aber bei den Blattläusen noch Ameisen genug. Als die nun den Stamm hinuntergeklettert kamen, um in ihr Nest zu gelangen, da fanden sie den Teerring, über den sie natürlich nicht hinwegkonnten. Was machten sie da nun? Was meint ihr, Jungs?« »Vielleicht opferten sich die ersten und bildeten so eine Brücke, daß die andern drüberkonnten!« »Nein, opfern tun sie sich nur in Gefahr oder beim Angriff!« »Vielleicht haben sie Blätter oder sonst was auf den Teerring geschleppt!« »Ja, das haben sie getan. Aber dieses ›sonst was‹ waren eben die armen Blattläuse. Die Ameisen kriegten sie zu packen und klebten sie auf den Teerring, bis sie selber da gefahrlos hinüberkonnten. Also man sieht, schlau sind die Ameisen, aber dankbar gegen andere Lebewesen kann man sie nicht nennen; sogar nicht gegen die, die ihnen nützen.« -- -- -- »Dieser Stein vom Seinestrande.« Da schwenkte man eben rechts weg und hinunter; denn hier fallen die Havelberge zu einem Gesenke ab. Lange, lange bevor noch ein Germane mit Albrecht dem Bären wieder in diese Gegend kam, hatte der Regen, wenn er von jenen Höhen herunterströmte, hier ein flaches Sandland geschaffen und dadurch die Havel zurückgedrängt. Da schneidet die Chaussee gerade den letzten Zipfel der hier niedriger auslaufenden Havelberge durch und wendet sich dann von dem Wasser weg in den Wald hinein, um so später rechtwinklig auf die alte Berlin--Potsdamer Landstraße zu stoßen. Durch das Gesenke selbst läuft die Chaussee auf einem aufgeschütteten Damm, der von weißgetünchten, aufrechtstehenden Steinen eingefaßt ist. Zwischen diesen Steinen muß man jetzt ein kleines Stückchen hinwandern. »Warum stehen denn die Steine hier?« fragt da einer. »Frage do’ nich so dumm!« -- Fritze Köhn ist eben ein zappeliger und schnell denkender Berliner. -- »Damit keener runtersaust, wenn er ’n Schwips hat.«[11] [11] Bezecht ist. »Aber,« hat der Frager wieder zu sagen, »wenn nun im Winter Schnee liegt? Dann sieht man doch die weißen Steine nicht!« Ja, nun horchen mehr her. »Wenn nun im Winter Schnee liegt?« »Schafsneese!«[12] wirft Fritze Köhn wieder mit größter Gemütsruhe ein. »Dann werden die Steine schwarz anjepinselt!« [12] Schafsnase, gutmütig gemeintes Schimpfwort. Das bezweifelt aber der dicke Puntz. »Na, ich weiß nicht! Ich würde sie weiß lassen. Wenn wirklich jemand da hinunterschlittert, dann fällt er bei so viel Schnee doch weich genug.« »Ja,« meint der kleine Achim Köckeritz schnell, »besonders, wenn man eine Fettschicht auf den Rippen hat.« »Na, du Dürrländer,« repliziert der Dicke ganz gut, »das ist ja bei dir der bloße Neid! Wenn du man --« »Ding, Ding, Ding!« schallt da hell und warnend die Glocke eines Fahrrades von hinten, und sofort brüllt einer: »Hurra!« Denn die beiden Männer, die mit ihrem Fahrrad herankommen, sind Offiziere. Jetzt bricht es geradezu betäubend los: »Hurra! Hurra!« Und so sehr erregen und begeistern sich diese dummen Tertianer, daß die Hälfte sich in Trab setzt, gleichsam um den beiden Offizieren das Geleit zu geben. Aber die sind ja schon durch die kleine Schar durchgeflitzt. Als indessen das Hurra kein Ende nehmen will, da springt der letzte der beiden so stürmisch Gefeierten vom Fahrrade herunter. Er legt die Hand leicht an die Mütze. _Der_ Jubel nun erst! Das hätte sicher zwischen dem militärischen und dem unmilitärischen Deutschland hier gleich auf der Landstraße das schönste Verbrüderungsfest gegeben, und die ganze Menschheit hätte neue Bahnen einschlagen müssen, wenn nicht gerade hier und in diesem Augenblicke der Weg Jung-Deutschlands von der Chaussee weg hinuntergeführt hätte auf jene Sandfläche, welche die alte Havelbucht füllt. Hier steuern die Jungen dem hohen Kiefernhang zu, den die Grunewaldwanderer das »Große Fenster« nennen. Gerade mitten in ihren Weg indessen hat vor vielen Jahrhunderten die Natur eine Eiche gepflanzt. Die steht da, von der Winterkälte in Eis geschlagen, von der Sommerhitze gedörrt, vom Sturme gepeitscht und gekappt, vom Blitz zerschlissen und doch immer weiter grünend und gedeihend und wachsend, bis sie der stärkste Baum des ganzen, weit ausgedehnten Grunewaldes geworden ist. Vor diesem Riesenstamme stehen die Jungen staunend und bewundernd still; sie wandern herum und betrachten ihn mit stiller Ehrfurcht. Endlich treten sie auch näher hinzu. Vier Mann fassen sich an und wollen den Stamm umklaftern; aber der erste und der vierte können sich nicht die Hand reichen, so daß sich noch der dicke Puntz als Bindeglied zwischen die beiden freien Hände stellen muß. Das ist ein Baum! Der ist wert, daß man hinauswandert und bei seinem Anblicke begreifen lernt, daß der magere Boden der sandigen Mark viel mehr zähe Kraft erzeugt und großzieht, als man glauben sollte und als viele es jemals glauben möchten. -- Doch, ein Tertianer ist nicht dazu veranlagt, lange in schweigender Betrachtung zu verweilen, besonders wenn hundert Schritte davon durch das spärliche, lispelnde Schilf das Wasser leise plätschernd an den flachen Strand heranzieht, und wenn dort drüben die Höhen des »Großen Fensters« winken, die wie Schanzen aussehen und in der Brust der Jungen Gedanken erwecken an Klettern und Stürmen. So zieht denn jetzt die fröhliche Jungenschar hinter dem leichtfüßigen Schrittmacher, dem Esch, her. Je weiter der aber vorwärtskommt, desto länger wird die Linie seiner Gefolgsmannen; denn da liegen Muscheln und die allerkommunsten, aber für den unbefangenen Jungen doch seltsamsten Schneckengehäuse in reichlichster Fülle und verführerisch umhergestreut. Und die trockenen Rohrstengel müssen es sich gefallen lassen, geschwippt zu werden wie Weidengerten. Dabei brechen sie natürlich wie Glas weg und werden wieder fortgeworfen. Der und jener versucht auch einmal, wie weit man durch den schwammigen, wassergetränkten Ufersaum an die Havel selbst hinankommen kann. Dann steht er auf einmal auf den Zehen und dreht sich elegant um wie eine Tänzerin und versucht, mit eiligen Schritten und mit hängenden Ohren den festen Sandboden wiederzugewinnen. Unterwegs macht er vielleicht noch einen Extrasprung; denn er wollte gerade in einen Kuhfladen treten und wollte es doch eigentlich auch wieder nicht. Fritze Köhn, vom sichern Port aus, konstatiert das alles laut und mit tertianerhaft-erlaubter Schadenfreude; schließlich kommt er sogar zu der Behauptung: »Dunnerschock ja! Ick hätte nie jedacht, det de so fein walzen kannst!« Als er aber von dem also Verhöhnten dafür einen Klaps kriegen soll, da wendet er sich blitzschnell und -- rennt mit der Nase gegen einen aufgehobenen Arm. »Na, da schlag aber eener lang hin un steh wieder kurz uff!« muß er schon wieder schimpfen. »Wat machst de denn mit de Vorderflosse hoch?« »Na, ich will die Enten zählen!« -- Ein ganzes Heer von Kriekenten tummelt sich draußen auf dem Wasser. »Ach, Kohl! Du bist eben mal dümmer, als de aussiehst! Det kann keener! Zähle die Kühe da! Bis zehn kommst de noch! Det macht Effekt un kost nischt!« Dem Fritze Köhn aber kann keiner böse sein. So ziehen also auch schon im nächsten Augenblick wieder die Jungen friedlich ihrem Ordinarius nach, der gleich am Eingang des Cladower Sandwerders etwas nach rechts abbiegt. Hundert Schritte weiter nämlich ist -- ein Stück von Paris erstanden. Ein kunstsinniger Kämpfer hat im Jahre 1871 bei dem Brande der Tuilerien in Paris dieses Säulenpaar gerettet und zur Erinnerung in dieser weltverlorenen, aber wundersam schönen Ecke des kieferndurchdufteten Havellandes wieder erstehen lassen. Märkischer Efeu ist an dem Säulenpaar langsam herumgekrochen und hat sich daran hochgerankt und festgekrallt, als wollte er -- ein echter Brandenburger! -- damit ausdrücken, daß er zähe festhalte, was er einmal in Besitz genommen. Auf der Wasserseite jedoch läßt er eine in das Mauerwerk eingelassene Tafel frei. Auf der liest Doktor Fuchs: »Dieser Stein vom Seinestrande, hergepflanzt in deutsche Lande, ruft, o Wanderer, dir zu: Glück, wie wandelbar bist du!« Das finden die Jungen sehr nett. Einer aber fragt nun doch noch: »Ist das alles?« »Ach,« lacht der kleine Köckeritz laut auf, »du willst wohl noch eine Tasse Schokolade zu haben?« Keiner freut sich mehr darüber als der Fritze Köhn. »Die nimmt der!« erklärt er laut. »Vielleicht wird er denn so sachteken schläuer davon!« Blattlaushumor. Die paar Schritte über den kleinen Verbindungsdamm zwischen Werder und Festland geht’s jetzt zurück und dann rechts ab auf ödem Sandwege zwischen Brombeergebüsch dahin. Vor den Jungen leuchten und blitzen die kurzen Wellen des immer schönen Wannsees auf. Da fühlen sie keine Müdigkeit, sondern schleppen die Beine mutig durch den Brandenburger Schnee, den rieselnden Gelbsand, in den sie einsinken bis an die Knöchel. Immer zwischen Wald und Wasser hin, bis auf einmal scharf links die Pumpstation emportaucht und das bunte Gewimmel der Tische und Stühle in den neuen Lokalen, die am See entstanden sind. Da schlägt der dicke Puntz vor: »Herr Doktor, kehren wir da ein?« »Nein, Dicker, da würdest du dann doch Bier trinken wollen! Das aber macht beim Marsche nur müde und matt. Hat einer noch etwas für den Dicken zum Trinken?« Von allen Seiten wird ihm da angeboten: Wasser, kalter Kaffee, Tee. »Na, am liebsten,« vermutet Fritze Köhn, »wäre ihm Wasser mit ’nem Schuß was drin.« »Aber,« -- Doktor Fuchs sieht nach der Uhr -- »wenn ihr wollt, Jungs, dann können wir hier noch fünf bis zehn Minuten lagern. So viel Zeit können wir dransetzen.« »Nein, gleich weiter, Herr Doktor! Der Dicke ist bloß faul!« »Wir wollen abstimmen!« Der dicke Puntz aber hat die ganze Sache schon entschieden: er hat sich eben, ohne ein Wort zu sagen, hingesetzt. Und als die andern nur die Miene machen, auch einen Augenblick zu rasten, da legt er sich einfach ganz lang hin und dreht sich schließlich recht behaglich herum, so daß er jetzt bauchlings auf dem warmen, weichen Sandboden liegt. Seine dicken Hängebacken, die »Jewitterbacken« vom Paradetage, hat er in die aufgestützten Hände gelegt und blinzelt aus seinen kleinen Schweinsäuglein zufrieden auf den Wannsee hinaus. Sogleich hat sich eine kleine Schar, bestochen durch diese genußreiche Behaglichkeit, um ihn herumgelagert. Doktor Fuchs sieht sich dieses Bild vergnüglich an. »Wirklich zum Malen!« denkt er. Laut fügt er hinzu: »Wie ist denn das, Gebhardt, kannst du uns hier nicht photographieren?« Der Gebhardt ist immer ein kleiner, überängstlicher Peter. »Jetzt ist zu viel Sonne! Vielleicht am Nachmittag wieder!« »Ja, sonnig genug ist es jetzt!« -- Doktor Fuchs schaut umher. -- »Da unter dem Baum liegen wir im Schatten!« So zieht er mit der Hälfte der Jungen noch einige dreißig Schritte weiter; da lagern sie sich. »Na, Jungs, ist der Grunewald nicht wirklich schön?« »O ja, aber hier hinten kommt man ja auch sonst gar nicht her! Oder nur zum Baden!« »Dürfen wir hier baden, Herr Doktor?« »Warte mal!« sagt der ausweichend. »Wir werden noch manches Schöne heute sehen! Was denn? Das glaubst du wohl nicht, Rogall?« »Doch!« »Na, warum lachst du denn?« Statt aller Antwort lacht der Rogall wieder und erklärt dann: »Der Sausig hat hier solchen faulen Witz gemacht.« »Na, den müssen wir doch alle hören! Nu schieß mal los, Sausig!« Der läßt sich auch gar nicht nötigen. »Ach, ich habe den Rogall bloß gefragt, ob er den größten Automaten kennt!« »Na, den kennen wir auch nicht! Nicht wahr, Jungs?« »Nein, nein! Kennen wir nicht!« »Das ist das Polizei-Präsidium in Berlin. Wenn man oben eine Scheibe einwirft, kommt unten ein Schutzmann raus!« Schallender Beifall belohnt den Erzähler. Während aber alle noch lachen, meldet sich schon der Doef krampfhaft: »Herr Doktor, ich weiß auch was!« »Na, dann gib’s zum besten!« »Bei uns im Norden, da steht früh um achte ein kleiner Junge mit der Mappe auf dem Rücken an der Bordschwelle. Und der Junge heult! Da kommt eine Frau und fragt ihn: ›Junge, warum heulst du denn?‹ -- ›Ja,‹ sagt er da, ›meine Mutter hat gesagt, wenn ich über den Damm gehen will, soll ich erst die Wagen vorbeilassen. Und nun kommt gar keiner!‹« Der Doef hat kein Erzählertalent; aber die Sache, die sich der Berliner ja immer plastisch vorstellt, ist an sich spaßig genug. Und das Lachen sitzt heute so locker! Mitten drin in diesem Lachen gibt’s einen Ruck, so daß alle erschrocken aufspringen: der kleine Heerhaufen nebenan ist mit lautem Aufschrei auseinandergeflogen. Die einen, welche sich nicht früh genug aufgerafft haben, kriechen blitzschnell auf allen vieren fort, und dann erst richten sie sich auf und fangen an zu lachen. Aber auch so zu lachen! Und die andern, die schon stehen, fallen wieder lang hin und wälzen sich auch vor Lachen und können da gar kein Ende finden. In der Mitte dieses soeben noch so idyllischen Schäferbildes aber, das jetzt freilich einer Szene aus dem Tollhause gleicht, da liegt ruhig der dicke Puntz und blinzelt aus seinen kleinen Schweinsäugelein ganz erschrocken um sich. In seiner Verlegenheit -- denn er ist in großer Verlegenheit! Man sieht es ihm an! -- in seiner Verlegenheit glotzt er dann auf die weißblinkende Fläche des Wannsees hinaus, wo doch gar nichts zu sehen ist. Und trotzdem er -- nun schon eine geschlagene Minute lang -- noch kein Wort gesprochen, ist er dennoch der Urheber des ganzen Aufstandes. Da kommen die andern von drüben herübergesprungen: »Was ist denn los?« -- »Warum lachst du denn so, Köckeritz?« -- »Warum lacht ihr denn? Mensch antworte doch!« -- »Lache doch nicht so!« -- »Warum lachst du denn?« So geht es durcheinander; eine vernünftige Antwort jedoch ist aus keinem herauszubekommen, bis sich schließlich Doktor Fuchs an den Dicken wendet. Der tut ja zwar auch ganz sonderbar, aber immerhin scheint er noch der einzig ruhige und vernünftige Mensch in der ganzen Gesellschaft zu sein. »Na, Dicker, du bist doch bei klarem Verstande! Was habt ihr denn da alle miteinander?« Langsam und schwerfällig richtet sich der Dicke auf, und dabei sagt er bedächtig und mit beinahe weinerlichem Gesicht: »Ja, ich bitte um Entschuldigung, Herr Doktor! Aber die fingen auf einmal alle an, an mir herumzustreicheln und herumzuklopfen, und dann kitzelten sie mich alle und sagten immer, sie wären die Ameisen und ich eine Blattlaus. Und da -- habe ich -- da bin ich --« Der Dicke hat das Gesicht wie mit Blut übergossen. Er kann gar nicht mehr weitersprechen und stottert jetzt nur noch einmal ums andere: »Ich -- ich -- ich --« »Ja« -- jetzt hat sich der kleine Köckeritz so weit erholt -- »Herr Doktor, es ist ja gar nicht so schlimm!« Aber er muß doch wieder lachen und prustet plötzlich heraus: »Dem ist nur ein bißchen das Fell geplatzt!« Auch Sausig hat zur Partei der Lacher gehört; der findet jetzt das richtige Wort: »Herr Doktor, der Dicke hat die Blattlaus beinahe zu natürlich gespielt! Aber er war nicht dran schuld! Wir haben ihn zu sehr gekitzelt!« Nun verstehen alle, und nun geht das unbändigste Lachen noch einmal los. Auch Doktor Fuchs faßt die Sache von der guten und spaßigen Seite auf. »Ist recht, Dicker,« sagt er, »gib’s ihnen man ordentlich! Das ist durchaus menschlich! Komm! Da laß dir also keine grauen Haare drum wachsen!« Das war für den armen Dicken ein erlösendes Wort. Jetzt lachte er sogar selber wieder mit. _Ein_ Gutes hat der unfreiwillige Humor des Dicken noch außerdem gehabt: jetzt fühlt sich keiner mehr müde; das herzhafte Lachen, das allen das Zwerchfell wirklich einmal nach allen Seiten ausgeschüttelt und ausgeschüttert hatte, war gegen Müdigkeit ebenso gut gewesen wie ein Stündchen Schlaf und wirksamer als der stärkste Wille. -- -- -- Vom Wannsee nach der Pfaueninsel. So ziehen jetzt die Jungen noch einmal so munter weiter, an Belitzhof vorbei und nun ein Stückchen die Chaussee hin, vorüber an dem niedrig angelegten Mauerwerk der Pumpstation mit den kleinen Luftlöchern von Fensterchen, so daß die Anlage ganz unnahbar aussieht. Hier drängt sich der Achim Köckeritz an Doktor Fuchs hinan. »Herr Doktor, einmal war ein Pariser Geschäftsfreund meines Vaters bei uns. Da sind wir mit ihm hier nach Belitzhof und nach Wannsee und nach dem Schwedischen Pavillon gefahren. Als wir nun hier vorbeikamen, da sprang der Herr plötzlich im Wagen auf, und dabei schrie er wie besessen: ›Ah, Sie saggen, daß Berlin ist nicht Festung! ~Voilà des fortifications! Un fort! Un fort!~‹ Nachher wollte er auch gar nicht glauben, daß das nur die Wasserwerke sind.« »Ja« -- Doktor Fuchs bleibt einen Augenblick stehen, und auch die Jungen schauen jetzt neugierig auf den niedrigen, roten Ziegelbau hinüber, der mit Erde bedeckt ist, so daß er in der Tat von der Bahn aus kaum zu sehen sein wird -- »ja, das Ding sieht allerdings Kasematten nicht ganz unähnlich.« Schon dieses kriegerische Wort interessiert drei Dutzend wirklicher, frischer Jungen mehr, als dreißig Dutzend Mummelgreise glauben könnten. Während man also über das Sandfeld halb rechts wegschreitet und an den ersten Villen von Wannsee vorüberzieht, schwirren alle möglichen Erzählungen von Festungen und Forts und Kasematten um die kleine Schar herum, und wenig Sinn haben jetzt die Klugsnaks von Tertianern für die Schönheit dieser Villen und Gärten aus Tausend und eine Nacht. Nein, im Handumdrehen gleichsam hat man den Bahnhof Wannsee vor sich und folgt Doktor Fuchs, der jetzt rechts um die scharfe Ecke schwenkt und seine Klasse auf ein kleines Plateau hinausführt. Da steht auf hohem Sockel und in einer kreisförmigen Nische von üppigem Grün die Kolossalbüste des Eisernen Kanzlers, und über die vorn abschließende Hecke weg schweift der Blick auf des Wannsees lichthelle Fläche hinunter, die drüben in ihrer klaren Flut die Zinnen hochragender Villen spiegelt. Leise und träumerisch schaukeln weiße Boote vor ihren Ankern; ein kleiner Dampfer zieht eine silberne Furche von dem Landungssteg unten hinüber nach dem Paradies des Schwedischen Pavillons. Majestätisch strebt soeben ein stattlich großes Dampfboot wie ein mächtiger, weißer Schwan rechts hinaus, der offenen Havel zu, die drüben von den steil aufsteigenden Hügellehnen bei Cladow begrenzt wird. Von Süden her aber schimmert die weiße Fläche des »Kleinen Wannsees« herüber, und das staunende Auge kann es kaum fassen, dieses lieblichste aller lieblichen Havelbilder. Es ist ein wundersames Gemälde, hineingezaubert in die karge und herbe Schönheit des sonst so verrufenen Brandenburger Landes. -- »Wo essen wir denn Mittag, Herr Doktor?« -- Dem Dicken wird es so eigen im Magen, als man das schöngelegene Restaurant am Knie der Chaussee links liegen läßt und stramm weiterzieht. Da gibt’s noch manchen schönen Blick nach rechts hinaus auf den Wannsee; aber man hat schon so viel des Schönen gehabt, daß man vieles jetzt achtlos vor den Augen vorübergleiten läßt. Erst vor dem Flensburger Löwen, oben auf der geräumigen Schanze, macht man wieder Halt. Da stehen unsre Jungen und lassen sich erzählen, wie die Dänen das Original, das jetzt im Hofe des Lichterfelder Kadettenhauses steht, einst Deutschland zum Hohne in Schleswig aufgerichtet hatten; wie aber dann Schleswig wieder deutsch wurde und der dänische Leu dem preußischen Adler nach der Mark folgen mußte. Während das starre Eisenauge früher nach Süden -- nach Deutschland herüber -- schaute, jetzt ist es nach Spandau hinauf und viel weiter hinaus gerichtet, nach Norden hin, der alten Heimat zu. -- Im engen Kreise zieht man um die Wasserlöcher tief unten herum und an den Grotten des Aussichtsturmes hoch oben vorbei. Dann geht es flott weiter hinaus, hinten am Kirchlein vorüber und geraden Wegs durch mageren Kiefernbestand und über einen echt kurmärkisch-sandigen Waldweg weg zur großen und wunderbar gepflegten Chaussee. Die steigt allmählich erst sanft an, führt aber dann wieder hinab zur Havel. An lauschigen Buchten eilt man so vorüber, und bis auf Steinwurfsweite schiebt sich drüben endlich die von der Geschichte verklärte Pfaueninsel heran. Ja, die Pfaueninsel, die wollen die Jungen besuchen. Aber erst will man im Restaurant diesseits des Wassers, beim Vater Ehrecke, zu Mittag essen. Dieses Mittagessen ist ja zu zwei Uhr bestellt, und nur noch zehn Minuten fehlen an dieser Zeit; gerade genug, um sich von dem langen Marsch zu neuer Arbeit etwas auszuruhen und den Magen in die beste Stimmung zu versetzen. Man sucht sich ein Plätzchen in dem sauber gepflegten Garten aus. Das ist ja für einen Jungen immer schon eine wichtige Sache. Man legt dabei das Ränzel ab; man kramt darin herum und -- läßt auf einmal alles stehen und liegen und guckt und sieht und sucht und lockt, die Hühner nämlich. »Put! Put! Put!« Da kommen denn einige eiligst und langbeinig angewackelt, während die ruhigeren Hühnernaturen ein Bein in die Luft heben und langhalsig erst einmal zusehen, ob denn die übereifrigen Freundinnen wirklich etwas ergattern können. Aber die Jungen wollen gerade _alle_ Hühner haben; denn sie haben an diesen Hühnern etwas ganz Sonderbares entdeckt: alle nämlich tragen Ringe wie die Menschen; freilich nicht an einem Finger, sondern am Bein, einige am linken und einige am rechten. Das, ja das ist nun eben den Jungen ein Rätsel. Fritze Köhn meint, die mit dem Ring am linken Bein, die wären verlobt und die andern verheiratet. Da nun sein Urteil immer so etwas Salomonisches an sich hat, so glaubt das auch schon die gute Hälfte der Jungen, und dem Doktor Fuchs blitzt dabei der Schalk etwas aus den Augen; aber er sagt nichts. Der Vater Ehrecke indes geht auf den Scherz ein. »Ja, der Hahn da,« meint er bedächtig, »der ist auch noch verlobt! -- Aber das ist doch ein windiger Bruder!« »Wie kriegen sie denn die Ringe aber auf die Beine drauf?« Der Vater Ehrecke verzieht keine Miene. »Das haben schon verschiedne Herrschaften gefragt. Aber es ist sehr einfach. Jeden ersten im Monat lege ich einige Ringe da neben den Futternapf, und alle die Hühner, die sich verloben wollen, kriechen mit der linken Pfote durch den Ring durch.« Die Jungen lachen darüber unbändig; manche wissen nicht recht, sollen sie es glauben oder nicht. Der dicke Puntz aber forscht jetzt weiter: »Na, wenn sie sich aber nun verheiraten? Wie kriegen sie denn dann den Ring auf die rechte Pfote?« »Das ist noch einfacher! Da tauschen sie das rechte Bein gegen das linke aus!« Da muß aber auch Doktor Fuchs lachen. »Ehrecke,« ruft er, »Sie lügen uns aber heute ganz fürchterlich die Hucke voll!« »Na« -- jetzt bekennt der Vater Ehrecke Farbe -- »nein, Jungens, nun seht mal her!« -- Dabei holt er verschiedene Ringe aus der Tasche heraus. -- »Solch Ring kann auf- und zugeknipst werden! So! Hier seht ihr auch eine Jahreszahl drin. Das ist zum Beispiel einer für dieses Jahr. -- Seht ihr? -- Solchen kriegt also ein Huhn, das von diesem Jahr ist!« Nun ist ja alles klar, und weil es nun klar ist, interessiert es auch die Jungen nicht mehr, besonders da der Kellner jetzt auch etwas zu schnabulieren bringt. Da ist sogar einer sehr fix bei der Hand, der sich sonst Ruhe und Zeit gelassen hat. Das ist natürlich der dicke Puntz, und die Begründung, die er dafür gibt, sieht ihm ähnlich: »Je früher wir fertig sind, desto eher haben wir nachher wieder Appetit!« ~Exest colloquium.~ Es war doch wohl ein strammer Marsch von den Havelbergen her; dem Vater Ehrecke leuchtet die Freude aus dem gutmütigen Gesicht, als er sieht, mit welchem Appetit man hier arbeitet. Das gefällt ihm, und so erzählt er beim Essen dem Doktor Fuchs und den Jungen noch manche Schnurre. -- Endlich denkt man auch ans Berappen. Aller Mammon sammelt sich erst vor Doktor Fuchs, der dann die Summe an den Kellner abführt. -- -- -- Aufregung von Anfang bis zu Ende. Es ist die höchste Zeit; denn die Jungen sind schon ungeduldig geworden, und doch dürfen sie keinen Fuß aus dem Lokal hinaussetzen. Doktor Fuchs will der erste sein. Er weiß wohl warum; man will sich jetzt zur Pfaueninsel übersetzen lassen. Da heißt es, auf die Jungen scharf achtgeben. Einige sind immer dabei, die am Wasser so ungeschickt und taprig sind wie die jungen Puten. An der Tür also warten die Jungen, ungeduldig zwar, aber sie warten doch. Dann jedoch stürzen sie hinaus, daß Doktor Fuchs seine ganze Lungenkraft gebrauchen muß, um die ungeduldigsten Stürmer vom Wasser zurückzuhalten. Es hat ja zudem auch alles keine Eile; denn das Fährboot ist gerade drüben, und mit dem elenden Kahn da links, nein, da könnten kaum fünf Mann auf einmal hinüber. Als aber die Fähre jetzt langsam herüberkommt, da drängen die Jungen vor, und -- wie kam das? -- auf einmal gibt’s einen Plumps, und Doktor Fuchs sieht gerade noch, wie das Wasser über dem Achim Köckeritz zusammenschlägt. Im selben Augenblick springt ein anderer Junge nach. Doktor Fuchs weiß nicht, wer es ist; er selber reißt sich die Stiefel von den Beinen und den Rock vom Leibe. Jetzt steht er auch schon im Wasser und hat den Ernst Ehrenfried gepackt. Der wieder hält den Achim Köckeritz. Die andern Jungen sind starr vor Schrecken. Es ist aber auch alles so schnell gegangen; man weiß gar nicht wie. Ernst Ehrenfried sitzt auf den Steinen; neben ihm liegt der kleine Achim Köckeritz. Der kann ja gar nicht von dem Augenblick da im Wasser ertrunken sein! Vielleicht Herzschlag? -- Doktor Fuchs hat sich über Köckeritz gebeugt, selbst bleich wie der Tod. Das Gefühl, in letzter Linie doch verantwortlich zu sein für seine Jungen, das preßt ihm die Brust zusammen und rüttelt und schüttelt an ihm herum, während er den Kopf des Kleinen geradelegt und die schlaffen, kleinen Arme dann unaufhörlich auf- und niederbewegt. Die Todesangst auf den Gesichtern der andern Jungen ist entsetzlich; jede Muskel ist gelähmt. Schon aber schlägt der Achim die Augen auf. Nachdem er einen Moment erst starr in den Himmel hineingesehen, richtet er sich plötzlich auf und ruft empört aus: »Der Sausig, der hat mir einen Schubs gegeben!« »Ich? Ich habe ja überhaupt da drüben gestanden!« »Dann war’s ein andrer! Aber einen Schubs habe ich gekriegt!« »Schön!« kommt Doktor Fuchs dazwischen. »Ob Schubs oder nicht! Du hast im Wasser gelegen, und nun heißt’s hübsch folgen! Dicker und Sausig, nehmt mal den Achim unter den Arm und führt ihn hinüber zu Vater Ehrecke! Na, Ernst, geht’s allein? Du bist ein braver Junge! Der allerbravste von allen! -- So, und nun, meine Herrschaften, alle noch mal zurück! Kein Mensch soll es wagen, auch nur einen Fuß aus dem Lokal hinauszusetzen!« So geht’s wieder hinüber zu Vater Ehrecke; Doktor Fuchs dabei auf den Strümpfen und ohne Rock. Die Jungen haben sich der Sachen erbarmt und bringen sie mit. Vater Ehrecke sieht das; er ahnt gleich die ganze Geschichte; er weiß auch Rat. »Kinder in dem Alter haben wir ja nicht mehr,« sagt er dienstfertig, »aber wir stecken die beiden so lange ins Bett, bis ihre Sachen trocken sind. Na, und Sie, Herr Doktor, kriegen ein Paar Hosen von mir!« -- -- -- Die Hosen waren für Doktor Fuchs freilich recht reichlich, besonders in der Gegend, wo beim älteren Menschen sonst der Bauch zu sitzen pflegt. Als er damit wieder auf der Bildfläche erscheint, kichern die Jungen erst leise und lachen ihn schließlich sogar kräftig aus. Der dicke Puntz kommt sogar auf die Idee: »Herr Doktor, am Nachmittag sollte Gebhardt uns doch photographieren!« »Soll ja auch kommen!« lacht der Gefragte leise vor sich hin. »Oben im Portal der Kirche! Jetzt, Jungen, wollen wir mal zur Pfaueninsel hinüber. Da ihr aber gesehen habt, was alles vorkommen kann, so bitte ich mir jetzt die größte Ruhe und Ordnung aus!« Natürlich; jetzt geht alles glatt von statten. Man bummelt so über die Pfaueninsel weg, und alles Historische aus dem Leben des alten Kaisers erzählt da Doktor Fuchs. Manch schöner Punkt geht vor den Augen der Jungen vorüber; im großen und ganzen indessen scheint ihnen doch die Pfaueninsel zu ausgedehnt. Wer hätte denn auch gedacht, daß sich dieses scheinbar ganz kleine Fleckchen Erde so weit in die hier freilich gewaltig breite Havel hinziehen würde! Schließlich wird die ganze Sache sogar etwas langstilig, und nur die russische Rutschbahn der Kaisertochter belebt auf einen Augenblick wieder das Interesse. Als man am Landungssteg steht, packt Doktor Fuchs seine Jungen wieder dicht zusammen. »Also, Jungs,« predigt er eindringlich, »erstens bitte ich mir wieder Vorsicht aus. Zweitens aber ändre ich meinen Plan etwas. Ich wollte eigentlich mit euch oben auf Nikolskoi Kaffee trinken. Da wir aber dem Herrn Ehrecke durch Köckeritzens Kopfschuß so viel Schererei machen mußten, möchte ich dem Mann auch entgegenkommen. Wir werden also auch drüben unsern Kaffee trinken, aber wohlverstanden nicht gleich, sondern nachdem wir noch die kleine Tour nach Nikolskoi hinauf gemacht haben!« -- -- -- Nach zwei Minuten ist man drüben, und Doktor Fuchs springt schnell einmal ins Haus hinein, um nach den beiden Patienten zu sehen. Die sind unter der Obhut der wackern Hausfrau gut aufgehoben; sie sind dabei fröhlich und guter Dinge. Ihren Kaffee haben sie sich sogar schon schmecken lassen. So geht Doktor Fuchs schleunigst wieder hinunter, daß seine Jungen nicht unnütz warten müssen und etwa Allotria treiben. Als er eben um die Ecke biegt, ruft der Herr Ehrecke hinter ihm her: »Herr Doktor, Herr Doktor! Ich habe noch eine Hose; die ist ein bißchen enger.« »Nein, nein, lassen Sie nur jetzt! Meine Jungen haben sich so sehr über mein Kostüm gefreut, daß ich ihnen auch eine Photographie davon gönne!« So zieht man denn hinter dem Haus vorüber schräg links hinauf, den Erdbuckel hinan, durch gemischten Wald hin. Es ist ein wundersam lauschiger Weg. Plötzlich hebt sich die Peter-Pauls Kirche von Nikolskoi, wo die Gebeine Prinz Friedrich Karls ruhen, schlank empor. Das ist nun etwas ganz andres und dabei so Eigenartiges und Neues dazu. Einige der Jungen stürmen die Treppe hinauf und sehen sich oben zu ihrer Überraschung auf einem kleinen Steinplateau. Während sie aber zur halbkreisförmig gehaltenen Brustwehr vorspringen, sehen sie unten andre Kameraden um diese bastionsartige Brustwehr herumlaufen. Großes Hallo darob! Sogleich stürmen diese andern auf der entgegengesetzten Treppe herauf, während die oben Stehenden natürlich hinunterwollen. Doktor Fuchs ist jetzt auch oben und bedeutet dem Gebhardt ruhig, er möchte seinen Apparat zurechtmachen. Hier soll photographiert werden. Das zieht die Jungen wieder an wie der Magnet das Eisen. Immer mehr sammeln sie sich, und jeder glaubt sich berufen, ein Wort mitreden zu dürfen. Ganz dumm könnte es Doktor Fuchs und dem kleinen Gebhardt im Kopf davon werden; nur den Jungen nicht; denn wer den Lärm macht, der hört ihn gewöhnlich gar nicht. »Aber,« sagt der dicke Puntz auf einmal, »hat auch Drewians Nase auf der Platte Platz? Wo stecken wir denn die sonst hin?« Das ist etwas für den Fritze Köhn. »Unsinn!« erklärt er mit trocknem Humor. »Die is janz jut! Damit wird er nachher oben von Nikolskoi aus ’n bißken in der Havel angeln!« Jeder weiß, daß der lange Drewian der erste gewesen ist, als um die Nasen gelaufen wurde. Während er aber immer sonst ein ruhiger Junge ist, der wenig sagt, jetzt hat er im nächsten Augenblick schon die richtige Antwort gefunden: »Die halte ich neben deine Hängebacken, Dicker! Da sieht man sie nicht! Und dein Maul ist so groß, Köhn, daß du dir bald selber was ins Ohr sagen kannst!« Die andern lachen darob unbändig. »Der hat recht, Dicker! Dein kleiner Nasenproppen paßt nicht zu den Backen!« »Du, halt die Luft an!« Aber der Dicke hat kein Glück. »Das kannst du mit deinem Stups viel besser!« fliegt ihm von anderer Seite zu. »Und Fritze Köhn kann sich --« »So, Jungs!« kommt Doktor Fuchs in dieses Wortgefecht hinein, dem er Übrigens ganz belustigt gelauscht hat. »Nun verfügt euch mal in die Türnische da! Nein, nein! So nicht! Die Kleinen vorn!« »Wo kommen Sie denn hin, Herr Doktor? -- Ich will neben Sie!« -- »Du!« -- Die Rauferei soll wieder losgehen. -- »Du läufst schon die ganze Zeit neben ihm. Ich --« »Nun haltet mal endlich den Mund, Jungs!« fährt der Ordinarius kräftig dazwischen. Das wirkt, und endlich kann der Hofphotograph sagen: »Einen Augenblick! -- Danke! Herr Doktor, darf ich schnell noch _eine_ Aufnahme machen?« Das ist im Handumdrehen geschehen. Aber für die paar Augenblicke des Ruhigstehens entschädigen sich jetzt die Jungen. Hier führen einige wie wild einen Indianertanz auf; dort fangen zwei an, sich zu raufen, und wieder andre sind an die Steinrampe der Rotunde vorgesprungen und möchten einmal versuchen, die Bewohner jenseits der Havel, die doch hier eine gute halbe Stunde breit ist, zu errufen. Doktor Fuchs fährt entsetzt herum. »Donnerwetter, Jungs! Seid ihr verrückt? Hier stehen wir an einer Kirche!« -- -- -- So zieht man endlich in Ruhe die paar Schritte hinauf nach dem Blockhaus von Nikolskoi. Und dann auf dem kiefernbestandenen Sandbuckel noch zwanzig Minuten weiter bis Moorlake, wo man auf der Chaussee unten an der Havel Kehrt macht, um zu Vater Ehrecke zum Kaffeetrinken zurückzukehren. -- -- -- Beim Kaffeetrinken. Da sitzt man nun endlich wirklich wieder beim Vater Ehrecke. Man sitzt in der Tat; denn die Beine haben heute doch schon so manches leisten müssen. Plötzlich aber schreit einer: »Hurra!« und der dicke Puntz springt auf und ruft allen andern zu: »Die Klasse erhebt sich zum Zeichen der Hochachtung!« Das sind die Worte des Doktor Fuchs sonst in der Klasse gewesen, wenn jemand einmal etwas ganz Besondres geleistet hatte. Grade deshalb auch lachen jetzt alle wieder so herzlich; sogar der Ordinarius, der nämlich eben mit Achim Köckeritz und Ernst Ehrenfried aus der Haustür herausgetreten ist. Und alle möchten den beiden, die bis jetzt hatten im Bett liegen müssen, ein gutes Wort sagen. Fritze Köhn befühlt eben den Achim Köckeritz: »Biste denn schon trocken?« »Na,« erklärt der entrüstet, »siehst du ja!« Das aber ist dem »Urballina« gegenüber der falsche Ton gewesen. »Ja, seh ick ooch!« antwortet er schnell. »Brauchst nich jleich so zu schreien! Ick meente man bloß: hinter de Ohren!« -- Der kleine Köckeritz ist schon von andern mit Beschlag belegt worden. Gegen den Fritze Köhn, na, gegen _den_ zöge er doch den kürzern. -- -- -- »So, Jungs!« hört man jetzt den Doktor Fuchs. »Nun wieder setzen! Stoß du da nicht an!« -- Der Kellner geht mit einer großmächtigen Kanne herum und gießt den Kaffee ein. -- »Wo ist der Napfkuchen, Pelz?« Pelz’ Vater ist ein ehrsamer Bäckermeister; er hat einen Riesennapfkuchen gebacken und der Klasse »zu Händen des ~Dr.~ Herrn Fuchs« zur Partie mitgeschickt. Und jeder hat diesen Napfkuchen ein Stück Wegs tragen müssen; nur Pelz selber wollte nicht, bis ihm der Fritze Köhn auf die Jacke gefahren war: »Du, Pelz, den Nappkuchen mißtest de eijentlich alleene dragen, weil den dein Vater jestiftet hat! Na, ran also! Denkst de denn, weil de Pelz heeßt, ha’m mer dich nur mitjenommen, daß de zu Hause nich de Motten krist?[13]« [13] kriegst. Das hatte den Ausschlag gegeben. Pelz hatte sich auslachen lassen müssen; er hatte zwar noch was vor sich hingebrummt, aber den Napfkuchen, den hatte er doch dann seine zehn Minuten getragen. -- Jetzt wurde dieser Napfkuchen also geteilt. Mit argwöhnischem Auge wachten dabei die Jungen darüber, daß ja auch die Teile gleich werden möchten. Da freilich Doktor Fuchs selbst diese Teilung vornahm, so wagte ja kein Mensch, etwas zu sagen; aber jeder suchte sich doch immer schon im voraus ein Stückchen aus, um nachher schnell zufassen zu können. »Halt!« erklärte indessen Doktor Fuchs schließlich. »Sind alle gleich! Nicht aussuchen! Wie sie ablaufen!« -- So saß man denn und trank und aß. Aber dabei hatte man immer noch Zeit, Gedanken und Zunge etwas spazieren gehen zu lassen. »Du,« fing Fritze Köhn zuerst zu seinem Nachbar wieder an, »den Kaffee, den trink mit Verstand! Det ’s ’n ordentlich vierstrehniger!«[14] [14] sehr stark. »Hab keene Angst! Ick wer’ mich nich dran verjiften!« »Denk ick ooch nich! Aber er könnte dir zu Koppe steijen. Mancher wird furchtbar leicht brejenklietrig!«[15] -- [15] verrückt. Auch nebenan und gegenüber wird harmloser Blödsinn geschwatzt. »Schmeckt sehr schön, Pelz! Wenn dein Vater man halb soviel Kourage zum Schenken hätte, wie wir zum Essen, dann würde er dir jeden Tag ’n Nappkuchen mit zur Schule geben!« »Au ja! Zum Extemporaleschreiben! Wer die meisten Fehler macht, kriegt zum Trost das größte Stück!« Doktor Fuchs muß lachen. »Na, Jungs, dann lieber nicht! Sonst muß ich mich sicher totkorrigieren!« Ein Schlaukopf spinnt den Gedanken weiter: »Da wollen wir lieber gar kein Extemporale mehr schreiben, Herr Doktor!« »Das wäre das beste!« entscheidet der dicke Puntz. »Kuchen vertragen wir schließlich auch so!« Pelz nickt dazu und sagt dann orakelhaft: »Ja, wenn wir kein Extemporale mehr schreiben!« -- »Nu kannst du ihn trinken!« springt der Hagen am Ende der Tafel empört auf. »Herr Doktor! Der Köckeritz hat mir eine Fliege in den Kaffee ge--ge--geschmissen!« »Ich? Ich bin ganz unschuldig! Der Köhn --« »Schon wieder der Köhn!« denkt Doktor Fuchs. Fritze Köhn selber aber ist mit seinen Worten ebenso schnell: »Na, so wat lebt nich und zappelt noch!« »Ja, eben!« lachen einige andere dazwischen. »Sie zappelt noch!« »Köhn ist an allem schuld!« wehrt sich Köckeritz wieder. »Der hat die Fliege angesungen!« »Icke? Herr Doktor, ich habe nur ein bißchen gebrummt! Wahrhaftig!« »Na ja,« -- der kleine Köckeritz kann den Schalk im Nacken haben -- »da ist ihr eben schlimm davon geworden, und da ist sie Hagen in den Kaffee gefallen!« Jetzt haben die andern Jungen alle neugierig aufgesehen. »Was hat er denn gebrummt?« fragt man. »Sage doch mal!« Der Achim Köckeritz lacht wieder: »Was er gebrummt hat? Er hat die kleine Fischerin gesungen: ›Flieje du, du jroße! Fall nich in de Sooße! Fall nich in den Kaffeetopp, sonst krist du ’n Katzenkopp!‹« Die Jungen müssen alle lachen und reden jetzt dem Fritze Köhn zu wie einem kranken Schimmel: »Fritze, mach mal weiter!« Der aber sitzt da wie ein Gletscher. »Is nich! Ick bin do’ keen Quasselfritze!« -- Auch am andern Ende des Tisches hat sich ein freundnachbarlicher Disput entsponnen, dem Doktor Fuchs unauffällig, aber mit großer Aufmerksamkeit lauscht. »Mensch, schlinge doch nicht so! Es bekommt dir ja nicht!« »Bekommt mir immer! Du denkst wohl, weil dein Papa Doktor ist! Ich habe noch nie ’n Arzt gebraucht!« »Na, Gott sei Dank!, gibt’s andere, die einen brauchen!« »Mancher auch nicht! Bei uns hinten im Hause hat seine Frau gewohnt -- jetzt ist sie tot! -- die hat auch nie ’n Arzt gehabt. Die ist so gestorben!« -- -- -- Doktor Fuchs hat schon vorher erklärt: »Einen kleinen Schluck läßt jeder in seiner Tasse noch übrig!« Jetzt steht er auf und spricht: »Obgleich es der dicke Puntz schon vor mir getan hat, muß ich die Herren doch noch einmal bemühen. Wir erheben uns alle zum Zeichen der Dankbarkeit und trinken unsere Tassen bis auf die Neige leer auf das Wohl des Herrn Pelz, der uns den schönen Napfkuchen spendiert hat!« Jubelnd folgen die Jungen den Worten und dem Beispiel. Nur Hagen fragt noch nachher: »Muß man denn sowas nicht eigentlich mit Bier tun?« »Keene blasse Ahnung!« antwortet da aber der Fritze Köhn mit richtigem Gefühl. »Du hast do’ den Nappkuchen ooch in Kaffee injestippt und nich in Bier!« -- -- -- Lachend und plaudernd sitzt man noch ein Weilchen da, bis es etwa sechs Uhr geworden ist und man sich endlich zur Rückkehr nach dem Bahnhof Wannsee rüsten muß. Heimkehr. Alles verläuft jetzt planmäßig. Um sieben ein viertel Uhr ist man auf Bahnhof Wannsee; fünf Minuten später haben alle ihre Fahrkarte. Doktor Fuchs hat sich mit Doef an der Treppe aufgestellt, die zum Tunnel hinunterführt. »Hier bleiben wir erst noch einen Augenblick!« müssen sich die ersten sagen lassen, die mit dem Billet »anjepeest kommen«. So drückt sich Fritze Köhn aus. »So! Tretet nur da rechts hin!« Die Nachkommenden haben das nicht gehört, und so kommt immer wieder die ganz erstaunte Frage: »Gehen wir denn nicht auf den Bahnsteig?« »Noch nicht! Abwarten!« -- Drüben, an der andern Seite der breiten Treppe, die zum Durchgangstunnel hinunterführt, steht der wackere Doef. Jetzt eben will der letzte mit seiner Fahrkarte an ihm vorüberstürzen. »Nee! Noch nich!« »Warum denn nicht?« »Weiß ich nicht! Ich soll keinen hinunterlassen!« »Die Leute gehen aber alle hinunter! Sieh doch! Da kommt der Zug!« »Halt!« -- Doef hat den Jungen mit eisernem Griff gepackt. -- »Wir stehen doch alle noch da drüben!« »Au, Mensch, bist du verrückt?« »Ich nicht!« Und der Junge kriegt einen Stoß, daß er zurückfliegt und sich auf seinen tiefsten Körperteil setzt, zum unendlichen Gaudium aller derer, die das mit angesehen haben. »Ja, aber -- aber --« -- damit rappelt sich der dumme Peter wieder auf -- »warum fahren wir denn nicht mit dem Zug?« -- Er sieht die andern Jungen und tritt schnell zu ihnen hinüber. »Jetzt will ich’s dir sagen!« erklärt ihm Doktor Fuchs bedächtig. »Siehst du, der Zug da kommt von Potsdam und ist jedenfalls schon leidlich voll. Eigentlich aber müßte ich jeden von euch in einen Wagen besonders stecken; da das nicht geht, so wollen wir versuchen, alle zusammen in einen Wagen allein zu kommen. Solltet ihr aber doch mit andern Personen zusammenfahren müssen, Jungs, so bitte ich mir aus, daß ihr euch anständig haltet und nicht unnütz Radau macht. Kommt’s zum Streit und zur Beschwerde, so habt _ihr_ immer unrecht, und das Publikum kriegt Recht! Merkt euch das!« »Herr Doktor, jetzt fährt der Zug!« »Gut, dann los! Bis zum zweiten Bahnsteig!« -- Dort rückt der Zug bald vor, und Doktor Fuchs hat Zeit, seine Jungen unterzubringen. Aber diese Jungen, die eben noch sanft wie die Lämmer auf dem Bahnsteig standen, die sind auf einmal wie die Wilden, als sich die Wagentür vor ihnen öffnet. Und als sie erst drin sind, da hebt ein Konzert an! Draußen gehen einige andere Passagiere verwundert und schaudernd an dem Wagen vorüber. »Immer feste Radau machen!« fährt Hagen im vordersten Abteil wie ein Rasender herum. »Immer feste! Dann kommt keiner mehr rein!« Nur Doktor Fuchs segelt auf einmal von hinten her vor. »Donnerwetter, Jungs! Jetzt haltet mal gefälligst den Mund! Wenn keiner mehr einsteigt und wir sind in Fahrt, dann dürft ihr singen und schreien, so viel ihr wollt. Wo ist unser Feldwebel?« »Hier!« -- Aus der einen Ecke taucht Doef empor. »Also, Doef, nicht wahr, alles mit Maßen!« Der wackre Kerl scheint mit sich selber zu kämpfen. Schließlich aber sagt er doch: »Ja!« Und wenn Doef »ja« sagt, dann -- weiß Doktor Fuchs -- kann er sich auf ihn verlassen; denn schon muß er wieder fort, da eben hinten der Spektakel von neuem angeht. -- »Du, Doofkopp!«[16] nimmt Fritze Köhn jetzt schnell das Wort. »Haste’t jehört? Alles mit Maßen! Du sollst uns also ruhig ’n bißken Radau machen lassen!« [16] Doof = taub, dumm. Doef aber macht ein trauriges Gesicht und sagt endlich schweren Herzens: »Nee! So hat’s Fuchs nich jemeint!« Da haben die andern erkannt, worauf es ankommt. Und als jetzt einer vorschlägt: »Dann drängeln wir lieber den Doef raus!« da sind alle dabei und fassen zu. Ja wohl aber! Proste Mahlzeit! Sie haben die Kraft ihres Feldwebels ganz elend unterschätzt. Im nächsten Augenblick sind die neun Jungen, die doch eben noch vor ihrem Ordinarius friedlich zusammenstanden, ein unentwirrbarer Knäuel von Armen und Beinen, ein Knäuel, in dem es stöhnt und ächzt, brandet und wogt, stürmt und braust, bis auf einmal diese lebendige Kugel aufbricht und mit Bumsen und Dröhnen ein paar Tertianer an die Seitenwände und auf die Bänke fliegen. Doef aber hebt sich aus der Flut empor wie ein Herkules und immer noch felsenfest auf seinen Beinen. Da drängen auch schon die andern aus dem Nebenabteil heran. »Gott im Himmel! Hier ist wohl Mord und Totschlag? Was ist denn los?« Fritze Köhn steht tief aufatmend und mürrisch dem Fenster zunächst. »Wat hier los is? Meine Hosendräjer sint los! Weiter nischt!« Auch den Doktor Fuchs hat der Lärm angezogen. »Donnerwetter, Jungs, was macht ihr denn nun schon wieder?« Der dicke Puntz rappelt sich eben erst noch hoch. »Der -- der -- Doef, der macht ’n wilden Mann!« Der also Angeschuldigte hat sich jetzt auch so weit erholt. »Ja,« verteidigt er sich, »ich -- ich wollte es mit Maßen und die nicht!« Da muß Doktor Fuchs doch auch lachen. Dann aber entscheidet er kurz: »Wir wollen mal den Ring hier sprengen. Fritze Köhn und du, ihr geht ganz nach hinten! Puntz und Zeidler in den Abteil zu Ehrenfried! Du und du nebenan! Doef bleibt mit euch beiden hier!« Andere Gäste ziehen für die Ausgewiesenen ein; als sich aber jetzt der Zug in Bewegung setzt, geht der Krawall von neuem los. Doktor Fuchs indessen sagt vorläufig nichts dazu, bis sich nach wenigen Minuten die Fahrgeschwindigkeit wieder verlangsamt. Da erst schreitet er die ganze Länge des Wagens ab und bedeutet den Jungen: »Nikolassee jetzt! Also Ruhe im Saal!« »Jroßmutter will danzen!« flüstert Fritze Köhn dazu. Ja, schön! Man hält sich ruhig! Aber dafür fängt man an zu kichern und zu lachen. Weshalb? Warum? Worüber? Wenn die Jungen _das_ sagen könnten! Man legt sich zurück; man legt sich vor; man fällt auf den Nachbar nach links oder rechts; man quetscht sich schnell mal unter die kleine Reihe auf der andern Bank, trotzdem die gegenüberliegende ganz leer ist. Und dabei lacht man und lacht und lacht wieder, bis sich der Zug von neuem in Bewegung setzt und man zu denen ans Fenster stürzt, die da inzwischen Schmiere gestanden hatten, daß keiner mehr hereinkam. -- Am schlimmsten dran war jetzt Fritze Köhn, den Doktor Fuchs selber zu sich genommen hatte. Der Junge saß da wie versteinert; er sah zum Fenster hinaus und tat, als wenn er gar nicht hörte, daß der kleine Achim Köckeritz von seinem Hund zu Hause erzählte, wie der einmal ein ganzes Pfund Butter aufgefressen hatte. »Na, Fritze,« wendet sich da der Achim an seinen schweigsamen Nachbar, »du hast wohl gar nicht gehört, was ich erzählt habe?« »Doch,« wendet sich der Fritze Köhn zu ihm um und antwortet mit dem ernsthaftesten und bärbeißigsten Gesicht, »lange nich so jelacht! Weißt du aber auch, wie Lack dekliniert wird?« »Na freilich!« sagt der kleine Köckeritz schnell und doch etwas schwankend, da er dem Spaßvogel nicht recht traut. »Na, mache mal!« »Der Lack, des Lacks, dem Lack --« »Na, siehste woll! _Demlack!_[17] Det stimmt janz jenau!« [17] Demlack = Dummkopf. Da müssen die andern alle mächtig losprusten; auch Doktor Fuchs lacht den reingefallenen kleinen Köckeritz aus. Er sogar nicht zum wenigsten. -- -- -- Der dicke Puntz in seinem Abteil hatte sich schließlich in einer Ecke recht häuslich eingerichtet; ja, er tat sogar so, als wollte er ein Schläfchen riskieren. Er hätte auch gar nicht nötig gehabt, zu seinem Nachbar zu sagen: »Du, höre mal, du kannst mich auf Bahnhof Friedrich Straße wecken!« Die andern besorgten das gründlich genug und nicht erst auf Bahnhof Friedrich Straße, sondern auf jeder Station vorher. Und deren Reihe war lang. -- Als dann der Dicke zu Hause so ungefähr seinen Appetit gestillt und sich auf das Sofa hatte fallen lassen, um seine Erlebnisse bequemer zu erzählen, da schlief er doch immer schon halb dabei ein. »Es war sehr fein!« lallte er. »Dieses Quecksilber, den Köckeritz, den hat Fuchs aus dem Wasser geholt! -- Aber eigentlich war’s Ehrenfried!« »Was?« -- Vater und Mutter rücken dem Jungen näher. -- »Wen hat er aus dem Wasser geholt?« »Ja, die dachten vielleicht -- ich war -- eine Blattlaus! Aber -- ich --« »Wie? -- Was? -- Junge, du schläfst ja schon!« »Ja! Seine Hosen -- waren auf -- Vater Ehreckes -- Schmerbauch -- eingerichtet, und den haben -- sie dann in die Brennesseln -- gesetzt -- und --« »Wen? Was?« -- Alles um den Jungen herum lacht laut auf. -- »Den Schmerbauch?« Der Dicke antwortet nicht mehr: er ist in die Ecke des Sofas zurückgesunken und -- schläft. -- -- -- * * * * * Doktor Fuchs war mit bis zum Lehrter Bahnhof gefahren, um erst den Achim Köckeritz und dann den Ernst Ehrenfried persönlich abzuliefern. Dem letzteren öffnete seine mutige Tat draußen an der Fähre zur Pfaueninsel bald das Haus des Herrn Köckeritz. Glück auf, du wackerer Ernst Ehrenfried! Jetzt ist für dich die Bahn frei, dein Leben zu bauen und deinen Verwandten, die sich deiner in der höchsten Not so edel angenommen haben, einst mehr zu helfen, als nur mit »2 ~m~ Schottisch!« -- Einen aber gab es, der sagte aus vollstem Herzen: »Gott sei Dank!« als er endlich wieder in seinen vier Pfählen war und nach diesem anstrengenden Tage gleichfalls sein Haupt zur Ruhe legen konnte. -- -- -- Sonnabend: Ferien. Als der dicke Puntz am andern Morgen erwachte und instinktiv nach der Uhr griff, war es acht. »Donnerwetter ja!« -- Ein blasser Schrecken durchzuckte den Jungen; doch ebenso schnell war die Erlösung da: »Ach, es sind ja Ferien!« Mit welcher Wonne sich da der Dicke auf das Kissen zurückfallen ließ! Ja, diese Wonne mußte man fühlen! Er fühlte sie; _er_ durchkostete sie; er _erhöhte_ sie sich dadurch, daß er noch einmal an die Partie von gestern dachte und an die Pfingstferien, die nun kommen sollten oder doch schon da waren. Er überlegte schließlich, ob er jetzt im Bette liegen bleiben und etwas lesen oder lieber aufstehen sollte, um so die Ferien mit noch größerem Bewußtsein und mit noch größerem Behagen zu genießen. In _dem_ Augenblicke fiel gerade unter seinem Fenster ein erster Schlag und Bums! Und wieder Bums und Schlag! Und Bums um Schlag! Und Schlag um Bums! »So eine Gemeinheit! Mamaaaaa!« -- Schon war auch die Mama da. »Was ist denn los, Junge?« »Mama, die klopfen ja Teppiche! Heute zum Sonnabend?« »Ja, das ist so, mein Jungchen! In der Woche vor dem Fest darf an jedem Tage geklopft werden!« »Auch schon so früh?« »So früh? Es ist ja beinahe halb neun! Steh auf und mache etwas schnell dabei!« -- Der Dicke war eine gutmütige Haut: so bequemte er sich also wirklich dazu. Und ein halbes Stündchen später -- heute ließ er sich mehr Zeit als sonst! -- saß er am Frühstückstisch. »Na, wie war’s denn nun gestern? Gestern abend nämlich hast du nur Unsinn geredet!« »Ich? Unsinn? Wann denn?« Die Mutter setzte ein so fröhliches Lachen dieser Frage entgegen und wiederholte nur: »Na, wie war’s denn?« »Ach, einfach wunderbar, Mama! So nach und nach werde ich euch mal die ganze Partie erzählen! Wenn Papa auch dabei sein kann!« »Na, schön!« lächelte die Mutter gutmütig. »Aber dann werde ich mich wohl bis nach den Feiertagen gedulden müssen; denn morgen und übermorgen fahren wir alle zu Onkel Fritz nach Fürsten--. Na nu? Was ist denn los, Junge?« Der Dicke hat die Schrippe, die er sich eben streichen wollte, hingeworfen und verübt jetzt einen tollen Schunkelwalzer, so daß die Mutter erschrocken dazwischenfahren muß: »Junge, die unten! Die müssen ja denken, die Decke kommt runter!« »Ach, Mama, laß doch! Fritze Köhn würde sagen: ›Ick frei mir nur so!‹ Wann fahren wir denn weg, Mama?« »Na, morgen ganz früh! Papa läßt dir sagen, du sollst heute vormittag noch gleich deine Schularbeiten machen!« »Mama!« -- Das Gesicht des Jungen strahlt, als hätte er die Butter nicht auf seine Schrippe, sondern auf seine Pausbacken geschmiert. -- »Mama! Wir haben ja _gar_ nichts auf! Das war überhaupt die feinste Woche, die ich in meinem Leben erlebt habe! Wirklich die allerfeinste! Und nun noch die Ferien dazu!« »Ja, was aber nun?« »Ach, laß nur, Mama! Ich werde schon wissen, was sich heute noch machen läßt!« »Du kannst auch immerhin mal ein bißchen so arbeiten oder repetieren!« »Aber, Mama! Ich werde doch nicht die ganze, schöne Woche so verrungenieren! Ich weiß ja schon, Mama! Aber ich meinte nur, so würde Fritze Köhn sagen. Ach, es ist doch zu schön!« -- Der Dicke griff dabei nach der dritten Schrippe. -- »Aber halt! Mama, was meinst du? Bin ich gesund? Ist mir die Partie von gestern bekommen? Sage es mal ganz offen und ehrlich! Ich muß es wissen!« Was für Augen da die Mutter machte! »Ob du gesund bist? Na, ich hoffe doch! Junge, wie kommst du denn überhaupt auf eine solche Frage?« »Ja, wer heute nicht gesund ist, oder wem die Partie von gestern nicht bekommen ist, der soll gleich dem Doktor Fuchs eine Postkarte schreiben. Das brauche ich also nicht! Das ist jedenfalls nur für Ehrenfried und Köckeritz!« Jetzt aber mußte die Mutter wirklich aus vollem Halse lachen: »_Du_ brauchst nicht zu schreiben, Dicker! Oder du müßtest gerade schreiben, daß du einen fürchterlichen Appetit entwickelst!« »Na,« kaute der Dicke eben noch an seiner dritten Schrippe, »ich höre jetzt schon auf. Aber ich kann ja gleich noch frühstücken, ehe ich zu Zeidler gehe!« -- Das tat er denn auch. -- -- -- Ja, ja! Goethe war ja wohl ein großer Menschenkenner! Hätte er aber einen modernen Tertianer gekannt und zum Beispiel den dicken Puntz nach dieser »feinen Woche« gesehen, er hätte sich dann sicherlich selber verbessert und geschrieben: »Alles in der Welt läßt sich ertragen, _sogar_ eine Reihe von schönen Tagen!« Vom gleichen Verfasser erschien im gleichen Verlage: Mit Gott für König und Vaterland! Erlebnisse eines preußischen Jungen. ▣ Von =F. Pistorius=. ▣ Band I: =Das Unglücksjahr 1806.= 3. Aufl. Band II: =Preußens Erwachen 1807/09.= 2. Aufl. Band III: =Das Volk steht auf! 1813.= 2. Aufl. Prächtige Geschenkbände mit buntfarb. Titelbild und Karten ~à~ 4 M. ▪ Jeder Band ist ein abgeschlossenes Ganzes. ▪ _Urteile (über die Bände I--III)_: [Illustration] Das ist ein herrliches Buch für unsere deutsche Jugend. Es erzählt die Schicksale der Söhne des Prenzlauer Gutsbesitzers Pistorius, Fritz und Traugott, die mit jugendlichem Heldenmut in den Zeiten der tiefsten Erniedrigung Preußens ihrem König und Vaterlande dienen, der eine als tapferer Offizier, der jüngere als Kundschafter und Lazarettgehilfe. Es ist alles mit dramatischer Lebendigkeit und mit peinlicher historischer Treue erzählt. Unseren Jungens werden die Augen leuchten und die Herzen glühen, wenn sie diese von flammender Vaterlandsliebe zeugenden Berichte aus Deutschlands schmachvoller Zeit lesen, die mit dem Anbruch der großen Freiheitsbewegung eindrucksvoll schließen. Wir vermuten wohl richtig, daß der Verf. für diese lebendigen Schilderungen sein Familienarchiv hat benutzen können. =Christl. Bücherschatz.= Pistorius erzählt uns in seiner glühenden Schreibweise aus der schwersten Zeit unseres deutschen Vaterlandes. Doch nicht uns -- sondern seinen Jungen erzählt er! Aber wie er erzählt! Wir glauben uns bei der Lektüre in die Stube des Erzählers versetzt, glauben seine Stimme zu vernehmen. Und so wie Pistorius die Ereignisse des denkwürdigen Jahres erzählt hat, so hat er sie auch niedergeschrieben -- _flott_, _anschaulich_, _lebendig_, _packend_, alles in allem -- ein echter Pistorius! =Tägliche Rundschau, Berlin.= An überirdischen Idealgestalten berauscht sich wohl die Jugend, aber der Rausch verfliegt bald; dieser märkische Junge ist von so gutem, nüchternem Schrot und Korn, daß man nur wünschen möchte, unsere moderne Jugend nähme sich Traugott Pistorius zum Exempel. =Professor L. Freytag im »Pädagogischen Archiv«.= [Illustration] Pistorius wollte der deutschen Jugend es ermöglichen, die furchtbar schwere und dann herrlich ausklingende Zeit mitzuerleben. Das ist ihm auch in hervorragender Weise gelungen. Die Verknüpfung der Lebensschicksale seines Helden mit den Generalen Blücher, Bülow, York, mit der Lützowschen Freischar (Theodor Körner) zeigt die Geschicklichkeit des Schriftstellers. Die ganze Schwere des Druckes, der auf dem preußischen Volke gelagert hat, wird deutlich in den Wirkungen, die er ausübt. So ist es ein Buch, das nicht nur der Jugend Interesse abgewinnt, sondern auch den Mann ergreift. =Die Reformation.= Fritz Pistorius: _Von Jungen, die werden._ Neue Geschichten :: vom Doktor Fuchs. Zweite Auflage. :: Mit Buchschmuck. :: Gebunden 3 M. Fröhlicher, glücklicher Schulhumor leuchtet auch aus diesem neuen Pistorius-Buch. =Reclams Universum.= Wer nach der Lektüre der früheren Bücher gedacht haben sollte, daß das Thema nun erschöpft sei, wird mit Staunen sehen, daß Pistorius hier noch 25 neue Schulfälle sozusagen aus dem Ärmel schüttelt, und dazu so interessante, wie das Kapitel vom Pumpgenie, von der Ehrlichkeit, zu der ein flunkernder Schüler erzogen wird, vom neugebackenen Tertianer, von den Schülertypen des langsamen und dummen Kerls, des genialen und des liederlichen und des Wildlings. =Reichsbote.= Ein frisches frohes Buch, den Freunden der Jugend und dieser selbst zur Freude und Erquickung geschrieben. =Mainzer Journal.= _Eine feine Woche!_ Mit Titelbild und Einbandzeichnung. Dritte Auflage. Stattlich gebd. 3 M. Ich habe das Buch, oder vielmehr das Buch hat mich nicht losgelassen, bis ich es ganz gelesen hatte. Das ist so recht etwas für unsere Jungen! _Das_ Buch werden sie verschlingen. Die Probe, die ich mit einigen Schülern machte, bestätigte meine Ansicht: bald wurde ich von den andern bestürmt, es ihnen auch zu leihen. Das ist nur natürlich, denn die geschilderten kleinen Leiden und Freuden unserer Schuljugend sind so unmittelbar aus dem Leben gegriffen und so launig und fesselnd erzählt, daß jeder Schüler sich sagen muß: das hat einer geschrieben, der Verständnis für uns Pennäler besitzt. Ich bin übrigens überzeugt, daß das Buch in den Klassenbibliotheken zu den begehrtesten gehören wird. Gymnasial-Oberlehrer =~Dr.~ Hermann.= Auf der Wildbahn. Ferienabenteuer in deutschen Jagdgründen. Für Jung und Alt nach eigenen Erlebnissen erzählt von =A. Becker.= Mit 9 Vollbildern und 18 Textillustrationen von Professor Woldemar Friedrich. Mit einem Situationsplan. Neue billige Ausgabe, prächtig gebd. 5.50 M. Ausgabe mit getonten Bildern gebd. 7 M. Das ist _ein Knabenbuch, wie es kaum seinesgleichen gibt_. So frisch und froh und spannend, daß einem der Atem fast stillsteht vor Erwartung, und doch frei von nervenreizender Aufregung erzählt es. =Daheim.= [Illustration] »Bitte wieder so eines!« Mit diesen Worten, die eine schlichte Schülerkritik enthalten, gab der erste Entleiher das Buch zurück. =Professor Dr. Thomas=-Ohrdruf. In dem vorliegenden Buche sehen wir den _deutschen Wald_ mit allem, was in ihm lebt ... Verfasser erweist sich als ein Meister der Darstellung; köstlicher Humor wechselt ab mit sachkundiger, von jeder Schulmeisterei sich fernhaltender Belehrung. =Professor Dr. K. Kraepelin=-Hamburg im »Hamburg. Correspondent«. Mein eigenes Urteil genügte mir nach dem Lesen des Buches noch nicht. Darum wendete ich mich an zuständigere Richter: ich gab es meinen Jungen. Die haben sich darum gerissen! Damit hat »Rom« gesprochen. =Professor ~Dr.~ Fr. Seiler=-Wernigerode in der »Täglichen Rundschau«. Meine Jungen haben noch keine Erzählung mit solchem Eifer gelesen, auch nicht den Lederstrumpf, wie diese Jagdgeschichten aus der Heimat. =Hannoversches Sonntagsblatt.= ... Ich habe »Auf der Wildbahn« gelesen, von Anfang bis zu Ende, mit stiller Freude und wachsendem Frohgefühl. Das ist ja ein wunderbar schönes Buch. Drei Jungen, wackere, prächtige Jungen, oder richtiger Jünglinge sind es, die während der Ferien und oft auch an den Sonntagen Stadt- und Schulluft hinter sich lassen, um ein benachbartes, wald- und wasserreiches Landgut aufzusuchen. Wie sie nun da unter Führung eines wackeren Weidmannes, einer herrlichen Idealgestalt, eines Helfers in allen Nöten -- ach, und sie geraten in mancherlei Not -- die Natur kennen und lieben lernen, wie sie sie belauschen in ihrer geheimnisvollen stillen Tätigkeit, wie ihr wunderbares Leben ihnen offenbar wird, wie sie durch mancherlei kleine, frohe Abenteuer, viele heitere Jagderlebnisse, Wanderungen und Fahrten immer mehr mit dem Walde verwachsen, wie er im erwachenden Lenzesleben, in seiner Sommerpracht, im Herbstrauschen und im Winterzauber immer den gleichen Reiz auf sie ausübt, wie das alles nun so allmählich in ihr Herz wächst und sie an Körper und Geist gesund und stark und groß und frei macht -- das ist alles so einfach, so schön, so natürlich, mit so liebenswürdigem Humor erzählt, daß man sich gar nicht davon losreißen kann. =Hermann Brandstädter=, Verf. von »Wie Friedel eine Heimat fand«, »Erichs Ferien« usw. ... Ich möchte den Knaben oder jungen Mann kennen lernen, dem das Buch nicht gefällt ... Ganz aus dem Geiste eines geweckten Knaben geschrieben, zählt die Jugendschrift zu den besten, die mir seit Jahren zur Kritik vorgelegen haben ... =Franz Woenig=, Lit.-Kritiker des »Leipziger Tageblatt«. Homers Ilias. [Illustration] Neue metrische Übersetzung von Professor =Hans Georg Meyer=. Mit 24 Kopfleisten von _Hans Krause_. :: Hochelegant gebunden 5 M. 50 Pf. :: So erschließt Hans Georg Meyer, Professor am Grauen Kloster zu Berlin, als erster das vollgültige Bild der gewaltigen Dichtung -- dem erwachsenen Leser zur lichten Freude, dem jugendlichen zur Begeisterung, die für den Urtext das Verständnis bereitet, das unter der Schwierigkeit der schleppenden Lektüre bisher meist verloren ging. =Königsbg. Hartung’sche Zeitung.= _Als Übersetzer Homers_ wird für den deutschen Leser _künftig nur Meyer in Betracht kommen_. Mit Vergnügen und mit naiver Hingabe erfreut sich die Jugend des Zaubers der Sprache in dieser Übersetzung. =Preußische Jahrbücher.= Hier spricht ein Dichter zu uns, der sich vollständig in die Welt Homers einzuleben verstand und in eigenartig packender Sprache die Kämpfe um Troja vor Augen zaubert. =Das XX. Jahrhundert.= Alle Nebentöne, an denen die _Ilias noch reicher_ als die Odyssee ist, kommen zum Erklingen. =A. D. B. Zeitschrift.= In _leuchtender Schönheit_ ist die unsterbliche Weltdichtung in dieser Bearbeitung wiedererstanden. Die Verse sind von herrlichem Klang, und die straffere Zusammenfassung ist eine wahre Wohltat. Wie in neuem Gold geprägt erscheint die alte liebe Voßübersetzung in diesem metrischen Meisterwerk. =Detlev v. Liliencrons’s Literarischer Jahresbericht.= [Illustration] Druck von Trowitzsch & Sohn, Berlin ~SW~ 48. Weitere Anmerkungen zur Transkription Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Folgen von Gedankenstrichen und die Darstellung der Ellipsen wurden vereinheitlicht. *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK EINE FEINE WOCHE! *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for an eBook, except by following the terms of the trademark license, including paying royalties for use of the Project Gutenberg trademark. 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The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws. The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s website and official page at www.gutenberg.org/contact Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine-readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit www.gutenberg.org/donate. While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. Please check the Project Gutenberg web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: www.gutenberg.org/donate. Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For forty years, he produced and distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Most people start at our website which has the main PG search facility: www.gutenberg.org. This website includes information about Project Gutenberg™, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.