The Project Gutenberg eBook of Bouvard und Pécuchet: Roman aus dem Nachlass This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Bouvard und Pécuchet: Roman aus dem Nachlass Author: Gustave Flaubert Translator: E. W. Fischer Release date: September 1, 2020 [eBook #63096] Most recently updated: October 18, 2024 Language: German Credits: Produced by Jana Srna, Reiner Ruf, and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK BOUVARD UND PÉCUCHET: ROMAN AUS DEM NACHLASS *** #################################################################### Anmerkungen zur Transkription Der vorliegende Text wurde anhand der 1922 erschienenen Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr gebräuchliche Schreibweisen sowie Schreibvarianten bleiben gegenüber dem Original unverändert, sofern der Sinn des Texts dadurch nicht beeinträchtigt wird. Der Übersichtlichkeit halber wurde vom Bearbeiter ein Inhaltsverzeichnis erstellt. Akzente wurden in französischen Orts- und Personennamen oftmals weggelassen; allerdings wurde diese Regel nicht konsequent eingehalten. Da sich die französische Akzentsetzung zur Zeit der Herausgabe des Buches von der heutigen unterscheiden kann, wurde hierfür dennoch keine Harmonisierung vorgenommen. Besondere Schriftschnitte wurden mit Hilfe der folgenden Sonderzeichen gekennzeichnet: kursiv: _Unterstriche_ gesperrt: ~Tilden~ #################################################################### GUSTAVE FLAUBERT BOUVARD UND PÉCUCHET ROMAN AUS DEM NACHLASS EINZIGE AUTORISIERTE DEUTSCHE ÜBERTRAGUNG VON E. W. FISCHER GUSTAV KIEPENHEUER VERLAG POTSDAM 1922 Copyright 1922 by Gustav Kiepenheuer Verlag A. G. Potsdam 1922 Druck der Buchdruckerei E. Haberland in Leipzig Inhalt Seite Kapitel I 3 „ II 22 „ III 58 „ IV 99 „ V 131 „ VI 152 „ VII 181 „ VIII 192 „ IX 238 „ X 277 Vortrag 313 Nachwort des Übersetzers 318 I Eine Hitze von dreiunddreißig Grad machte den Boulevard Bourdon vollständig menschenleer. Unterhalb desselben dehnte sich in gerader Linie das tintenschwarze Wasser des Kanals Saint-Martin, der durch die beiden Schleusen abgeschlossen war. Mitten darauf lag ein mit Holz beladenes Boot, und am Ufer sah man zwei Reihen Tonnen. Jenseits des Kanals erschien zwischen den Häusern, die von Lagerschuppen unterbrochen werden, der weite, klare Himmel in lasurblauen Flächen, und von den zurückgeworfenen Sonnenstrahlen blendeten die weißen Fassaden der Schieferdächer, die Kais aus Granit. Ein verworrenes Geräusch lag fern in der warmen Luft; und alles schien erstarrt in der sonntäglichen Untätigkeit und der Traurigkeit der Sommertage. Zwei Männer erschienen. Der eine kam vom Bastille-Platz, der andere aus dem Botanischen Garten. Der größere, in einem Leinenanzug, ging, den Hut im Nacken, die Weste geöffnet und die Halsbinde in der Hand. Der kleinere, dessen Körper in einem kastanienbraunen Rock steckte, trug den Kopf gesenkt unter einer Mütze mit spitzem Schirm. Als sie bis zur Mitte des Boulevards gekommen waren, setzten sie sich im selben Augenblick auf dieselbe Bank. Um sich die Stirn zu trocknen, nahmen sie ihre Kopfbedeckung ab, die jeder neben sich legte; und der kleine Mann bemerkte, daß in dem Hute seines Nachbarn „Bouvard“ geschrieben stand, während dieser leicht in der Mütze des Unbekannten im Rock das Wort „Pécuchet“ unterschied. „Sieh da,“ sagte er, „wir haben denselben Gedanken gehabt, nämlich unsere Namen in unsere Schädelbedeckungen zu schreiben.“ „Lieber Gott, ja, man könnte mir die meinige im Bureau nehmen!“ „Ganz mein Fall, ich bin Beamter.“ Darauf betrachteten sie einander. Das liebenswürdige Äußere Bouvards nahm sogleich Pécuchet gefangen. Seine bläulichen Augen, die stets halb zugekniffen waren, lächelten in einem Gesicht von gesunder Farbe. Eine Hose mit großem Latz, die unten auf seinen Kastorschuhen Falten warf, umschloß fest seinen Leib und bewirkte, daß sich das Hemd am Gurt bauschte; und seine blonden Haare, die sich von selbst in leichte Locken legten, gaben ihm etwas Kindliches. Von der Spitze seiner Lippen kam eine Art von ununterbrochenem Pfeifen. Das ernste Äußere Pécuchets fesselte Bouvards Aufmerksamkeit. Man hätte glauben können, er trüge eine Perücke, so schmiegsam und schwarz waren die Strähnen, die seinen Schädel bedeckten. Sein Gesicht erschien ganz scharfkantig durch die weit herabgehende Nase. Seine Beine, die in Lastinghosen steckten, standen in einem Mißverhältnis zur Länge des Oberkörpers. Er hatte eine laute, tiefe Stimme. Folgender Ausruf entschlüpfte ihm: „Wie wohl würde man sich auf dem Lande fühlen!“ Aber das Weichbild war nach Bouvards Ansicht unausstehlich durch den Lärm der Kneipen. Pécuchet dachte ebenso. Trotzdem fühlte er sich allmählich der Hauptstadt überdrüssig; Bouvard desgleichen. Und ihre Augen wanderten über die zum Bauen aufgeschichteten Steinhaufen, über das widerliche Wasser, auf dem ein Strohbündel schwamm, über den Schornstein einer Fabrik, der sich am Horizont erhob; die Ausdünstungen der Abwässer lagen in der Luft. Sie wandten sich nach der anderen Seite. Da hatten sie die Mauern der Getreidespeicher vor sich. Ganz gewiß -- und Pécuchet schien davon überrascht -- es war auf der Straße noch heißer als im Hause! Bouvard suchte ihn zu veranlassen, seinen Rock abzulegen. Er für seinen Teil kehre sich nicht daran, was man darüber sagen würde! Plötzlich torkelte ein Betrunkener den Bürgersteig entlang; und von den Arbeitern ausgehend, schnitten sie ein politisches Gespräch an. Ihre Anschauungen waren die gleichen, wenn auch Bouvard vielleicht etwas liberaler war. Gerassel erscholl auf dem Pflaster in einer wirbelnden Staubwolke. Es waren drei Mietwagen, die in der Richtung auf Bercy davonfuhren. Eine eben getraute junge Frau mit dem Hochzeitsbukett, Bürger in weißer Krawatte, Damen, die bis unter die Achsel in ihre Röcke vergraben waren, zwei bis drei kleine Mädchen und ein Schüler saßen darin. Der Anblick dieser Hochzeitsgesellschaft brachte Bouvards und Pécuchets Unterhaltung auf die Frauen, die sie für frivol, zänkisch und eigensinnig erklärten. Trotzdem seien sie oft besser als die Männer; manchmal seien sie auch schlechter. Kurz, es sei gescheiter, ohne sie zu leben; daher war Pécuchet auch Junggeselle geblieben. „Was mich betrifft, so bin ich Witwer“, sagte Bouvard, „und kinderlos!“ „Das ist am Ende ein Glück für Sie! Doch die Einsamkeit ist auf die Dauer traurig.“ Dann erschien am Rande des Kais ein Freudenmädchen mit einem Soldaten. Sie war blaß, dunkelhaarig und pockennarbig und stützte sich auf den Arm des Militärs, während sie schleppenden Schrittes die Hüften wiegte. Als sie vorüber war, erlaubte sich Bouvard eine obszöne Bemerkung. Pécuchet wurde sehr rot und wies, ohne Zweifel, um einer Antwort auszuweichen, mit dem Blick auf einen Priester, der näher kam. Der Geistliche schritt langsam die Avenue mit den dürren kleinen Ulmen herab, die die Linie des Bürgersteiges anzeigen, und sobald Bouvard den Dreispitz aus den Augen verloren hatte, erklärte er sich für erleichtert, denn er verabscheute die Jesuiten. Ohne sie von ihren Sünden freisprechen zu wollen, zeigte Pécuchet eine gewisse Achtung vor der Religion. Unterdessen sank die Dämmerung, und gegenüber wurden die Jalousien aufgezogen. Die Vorübergehenden mehrten sich. Es schlug sieben. Ihre Worte strömten, ohne zu versiegen. Allgemeine Bemerkungen wechselten mit Anekdoten, philosophische Sentenzen mit persönlichen Betrachtungen. Sie ließen kein gutes Haar an der Verwaltung der Brücken- und Wegebauten, an der Tabakregie, dem Handel, dem Theater, an unserer Marine und dem ganzen menschlichen Geschlecht, wie Leute, die große Kränkungen erlitten haben. Jeder glaubte, während er den andern hörte, etwas von sich selbst wiederzufinden, das in Vergessenheit geraten war. Und obgleich sie die Zeit naiver Begeisterungen hinter sich hatten, empfanden sie doch eine ihnen neue Lust, eine Art überströmenden Glücksgefühls, den Reiz zärtlicher Gefühle in ihrem Anfangsstadium. Zwanzigmal waren sie aufgestanden, hatten sich wieder hingesetzt und waren den Boulevard von der oberen Schleuse bis zur unteren Schleuse hinabgeschritten; jedesmal wollten sie sich trennen und fanden, durch einen Zauber festgehalten, nicht die Kraft dazu. Dennoch nahmen sie Abschied, und ihre Hände lagen ineinander, als Bouvard plötzlich sagte: „Meiner Treu! Wenn wir zusammen äßen!“ „Ich dachte daran,“ erwiderte Pécuchet, „aber ich wagte nicht, Ihnen den Vorschlag zu machen!“ Und er ließ sich in ein dem Rathaus gegenüberliegendes kleines Restaurant führen, wo man gut untergebracht sein würde. Bouvard bestellte die Speisen. Pécuchet hatte Furcht vor Gewürzen, da sie ihm den Körper in Brand setzen könnten. Das gab Anlaß zu einer medizinischen Erörterung. Dann priesen sie den Nutzen der Wissenschaft: wie viel wissenswerte Dinge, was für Forschungen ... wenn man Zeit dazu hätte! Ach! Der Broterwerb nahm sie ganz in Anspruch; und sie erhoben die Arme vor Staunen und hätten sich beinahe über den Tisch umarmt, als sie entdeckten, daß sie alle beide Schreiber waren, Bouvard in einem Handelshause, Pécuchet im Marineministerium; was ihn jedoch nicht hinderte, jeden Abend einige Augenblicke dem Studium zu widmen. Er hatte in Thiers’ Werke Fehler angemerkt und sprach mit der höchsten Achtung von einem gewissen Dumouchel, der Professor war. Bouvard war ihm in anderer Hinsicht überlegen. Seine aus Haaren geflochtene Uhrkette und die Art, wie er die Remoulade rührte, zeigten den alten erfahrenen Genießer, und er aß, den Zipfel der Serviette unter der Achsel, während er Witze zum besten gab, die Pécuchet zum Lachen brachten. Es war ein besonderes Lachen in einem einzigen sehr tiefen Ton, der immer derselbe blieb und in langen Zwischenräumen hervorgestoßen wurde. Dasjenige Bouvards war gleichmäßig klangvoll, entblößte seine Zähne, setzte seine Schultern in Bewegung, und die Gäste vor der Tür drehten sich danach um. Als das Mahl beendigt war, gingen sie in ein anderes Lokal, um den Kaffee einzunehmen. Pécuchet seufzte, während er die Gasflammen anschaute, über das Überhandnehmen des Luxus; dann schob er mit verächtlicher Handbewegung die Zeitungen fort. Bouvard war in diesem Punkte nachsichtiger. Er liebte im allgemeinen alle Schriftsteller und hatte in seiner Jugend Lust gehabt, Schauspieler zu werden. Er wollte mit einem Billardstock und zwei Elfenbeinkugeln equilibristische Kunststücke ausführen, wie Barberou, einer seiner Freunde, sie machte. Stets fielen die Kugeln zu Boden und verschwanden zwischen den Beinen der Gäste, auf dem Fußboden rollend, im Hintergrunde. Der Kellner, der sich jedesmal erhob, um sie auf allen Vieren kriechend unter den Bänken zu suchen, beklagte sich schließlich. Pécuchet geriet mit ihm in Streit; der Wirt kam dazu, doch Pécuchet wollte seine Entschuldigung nicht anhören und bei der Bezahlung mäkelte er sogar an dem vorgesetzten Kaffee herum. Er schlug schließlich vor, den Abend friedlich in seiner Wohnung zu beschließen, die ganz nahe in der Rue Saint-Martin lag. Kaum war er eingetreten, so legte er eine Art Wams aus indischem Kattun an und machte den Wirt seiner Wohnung. Ein Schreibtisch aus Tannenholz, der gerade in der Mitte stand, störte durch seine Ecken, und ringsherum lagen auf Brettern, den drei Stühlen, dem alten Lehnsessel und in den Ecken bunt durcheinander mehrere Bände der Enzyklopädie Roret, das Handbuch des Magnetiseurs, ein Fénelon, andere Schmöker neben Haufen von Schreibpapier, zwei Kokosnüssen, verschiedenen Denkmünzen, einer türkischen Mütze und Muscheln, die Dumouchel aus le Havre mitgebracht hatte. Eine Lage von Staub bedeckte samtartig die Wände, die einst gelb gestrichen gewesen waren. Die Stiefelbürste lag auf dem Rande des Bettes, dessen Laken herabhingen. An der Decke sah man einen großen schwarzen Fleck, der durch den Lampenruß entstanden war. Bouvard bat, ohne Zweifel wegen des Geruches, das Fenster öffnen zu dürfen. „Die Papiere würden davonfliegen!“ rief Pécuchet, der außerdem noch die Zugluft fürchtete. Indessen rang er in diesem kleinen Zimmer nach Luft, das seit dem Morgen durch die Schiefer des Daches geheizt war. Bouvard sagte zu ihm: „An Ihrer Stelle würde ich meine Unterjacke ausziehen!“ „Was?“ Und Pécuchet senkte den Kopf, von Schrecken erfaßt bei dem Gedanken, ohne seine schützende Unterkleidung zu sein. „Begleiten Sie mich,“ begann Bouvard von neuem, „die Luft draußen wird Sie erfrischen.“ Schließlich zog Pécuchet seine Stiefel wieder an, während er brummte: „Sie behexen mich, mein Ehrenwort darauf!“ Und trotz der Entfernung begleitete er ihn bis zu seiner Wohnung an der Ecke der Rue de Béthune, gegenüber der Brücke de la Tournelle. Bouvards Zimmer, das gut gebohnt und mit Vorhängen von Perkal und Mahagonimöbeln ausgestattet war, erfreute sich eines Balkons, der auf den Fluß hinabsah. Seine beiden Hauptzierden waren ein Likörservice mitten auf der Kommode und am Spiegel entlang Daguerreotypien seiner Freunde; ein Ölgemälde hing im Alkoven. „Mein Onkel!“ sagte Bouvard. Und ein Leuchter, den er hielt, erhellte einen Herrn. Ein roter Backenbart verbreiterte sein Gesicht, das ein sich kräuselnder Haarschopf krönte. Er steckte in einer hohen Halsbinde mit dem dreifachen Hemdkragen, der Samtweste und dem schwarzen Rock. Auf der Hemdkrause waren Diamanten angebracht. Seine Augen wurden durch die Backen zusammengedrängt, und seine Züge zeigten ein leicht spöttisches Lächeln. Pécuchet konnte nicht umhin zu sagen: „Man könnte ihn für Ihren Vater halten!“ „Es ist mein Pate,“ erwiderte Bouvard nachlässig, indem er hinzufügte, er heiße mit seinen Taufnamen François Denys Bartholomée. Diejenigen Pécuchets waren Juste Romain Cyrille -- und sie hatten dasselbe Alter: siebenundvierzig Jahre. Dieser Zufall machte ihnen Freude, obgleich er sie überraschte, denn jeder hatte den andern für bedeutend älter gehalten. Dann bewunderten sie die Vorsehung, deren Wege oft merkwürdig seien. „Denn schließlich, wären wir vorhin nicht ausgegangen, um einen Spaziergang zu machen, so hätten wir sterben können, ohne einander kennenzulernen.“ Und nachdem jeder dem andern die Adresse seines Hauswirtes gegeben hatte, wünschten sie einander gute Nacht. „Gehen Sie nicht zu den Damen!“ rief Bouvard auf der Treppe. Pécuchet stieg die Stufen hinab, ohne auf den Scherz zu antworten. -- Am folgenden Tage rief im Hofe der Herren Gebrüder Descambos, Elsässische Stoffe, Rue Hautefeuille Nr. 92, eine Stimme: „Bouvard! Herr Bouvard!“ Der Gerufene steckte den Kopf zwischen den Scheiben durch und erkannte Pécuchet, der mit deutlicher Betonung sagte: „Ich bin nicht krank! Ich habe sie ausgezogen!“ „Was denn?“ „Sie!“ sagte Pécuchet, auf seine Brust weisend. All die Gespräche während des Tages, dazu die Temperatur des Zimmers und die Verdauungsarbeit hatten ihn gehindert einzuschlafen, so daß er die Unterjacke ausgezogen hatte, da er es nicht mehr darin aushielt. Am Morgen war ihm diese Tat, die glücklicherweise ohne Folgen geblieben war, ins Gedächtnis zurückgekommen, und er wollte Bouvard davon in Kenntnis setzen, der hierdurch in seiner Achtung zu wunderbarer Höhe gestiegen war. Pécuchet war der Sohn eines kleinen Kaufmanns und hatte seine Mutter nicht gekannt, die in jungen Jahren gestorben war. Man hatte ihn mit fünfzehn Jahren aus dem Internat genommen, um ihn zu einem Gerichtsdiener zu geben. Die Gendarmen erschienen unvermutet, und der Prinzipal wurde auf die Galeeren geschickt; eine grausige Geschichte, die ihn noch in Schrecken setzte. Dann hatte er sich in mehreren Berufen versucht: Apothekerlehrling, Studienmeister, Rechnungsführer auf den Paketbooten der oberen Seine. Schließlich hatte ihn ein Ministerialbeamter, der durch seine Handschrift gewonnen war, als Expedienten in Dienst genommen; aber das Bewußtsein einer mangelhaften Ausbildung mit den daraus entstehenden geistigen Bedürfnissen verdarb seine Laune; er lebte vollständig allein, ohne Verwandte, ohne Verhältnis. Seine einzige Zerstreuung war, am Sonntag die öffentlichen Arbeiten zu besichtigen. Seine frühesten Erinnerungen versetzten Bouvard auf den Hof eines Pachtgutes an den Ufern der Loire. Ein Mann, der sein Onkel war, hatte ihn nach Paris gebracht, damit er den Handel erlerne. Als er großjährig war, zahlte man ihm einige tausend Franken aus. Da hatte er sich eine Frau genommen und einen Zuckerwarenladen eröffnet. Sechs Monate später verschwand seine Gattin, wobei sie die Kasse mit sich nahm. Die Freunde, das gute Leben und seine Faulheit hatten den Ruin bald vollständig gemacht. Doch er hatte die Eingebung, seine schöne Hand zu benutzen; und seit zwölf Jahren hielt er sich in derselben Stellung bei den Herren Gebrüder Descambos, Stoffe, Rue Hautefeuille Nr. 92. Was seinen Onkel anging, der ihm vor Zeiten besagtes Bild zur Erinnerung hatte zugehen lassen, so kannte er nicht einmal dessen Aufenthaltsort und erwartete nichts mehr von ihm. Fünfzehnhundert Franken Rente und sein Einkommen als Schreiber erlaubten ihm, jeden Abend einen Nicker in einer Kneipe zu machen. So hatte ihr Zusammentreffen die Bedeutung eines Abenteuers gehabt. Sie hatten sich sogleich mit geheimen Fibern aneinander festgehakt. Wie übrigens die Zuneigung erklären? Warum bezaubert bei dem einen diese Eigenheit, jene Unvollkommenheit, die bei dem andern gleichgültig oder hassenswert ist? Was man den zündenden Blitz zu nennen pflegt, gilt für alle Leidenschaften. Bevor die Woche zu Ende war, duzten sie sich. Oft suchten sie einander in ihren Kontoren auf. Sobald der eine erschien, schloß der andere sein Pult, und sie gingen zusammen auf die Straße hinab. Bouvard machte große Schritte, während Pécuchet, der die seinigen verdoppelte und dem der Rock auf die Fersen schlug, dahin zu rollen schien. Ebenso standen ihre besonderen Neigungen miteinander im Einklang. Bouvard rauchte Pfeife, liebte den Käse und trank regelmäßig seine kleine Tasse Kaffee. Pécuchet schnupfte, aß zum Nachtisch nur Eingemachtes und tauchte ein Stückchen Zucker in seinen Kaffee. Der eine war vertrauensselig, unbesonnen, großherzig; der andere verschwiegen, nachdenklich, sparsam. Um Pécuchet ein Vergnügen zu machen, wollte Bouvard ihn mit Barberou bekannt machen. Das war ein ehemaliger Handlungsreisender, gegenwärtig Börsenspekulant, ein gutherziger Junge, Patriot, Damenfreund, der die Sprechweise des Faubourg nachzuahmen suchte. Pécuchet fand ihn unangenehm, und er führte Bouvard zu Dumouchel. Dieser Autor (er hatte nämlich eine kleine Mnemotechnik veröffentlicht) gab Literaturstunden in einem Pensionat für junge Mädchen, hatte orthodoxe Anschauungen und ein sehr ernstes Benehmen. Er langweilte Bouvard. Keiner hatte dem andern seine Meinung vorenthalten. Jeder erkannte die Richtigkeit der des anderen an. Ihre Gewohnheiten änderten sich, sie gaben ihren bürgerlichen Mittagstisch auf und speisten schließlich alle Tage zusammen. Sie stellten Betrachtungen über die Theaterstücke an, von denen man sprach, über die Regierung, über die hohen Lebensmittelpreise, über die Betrügereien im Handel. Von Zeit zu Zeit erschien die Halsbandgeschichte oder der Prozeß Fualdès in ihren Unterhaltungen; und dann suchten sie nach den Ursachen der Revolution. Sie schlenderten an den Trödlerläden entlang. Sie besuchten das Conservatoire des Arts et Métiers, Saint-Denis, die Gobelinwebereien, den Invalidendom und alle öffentlichen Sammlungen. Wenn man ihnen ihren Paß abverlangte, so taten sie, als hätten sie ihn verloren, indem sie sich für zwei Fremde, zwei Engländer, ausgaben. In den Galerien des Museums schritten sie mit Verwunderung an den ausgestopften Vierfüßlern vorbei, mit Vergnügen an den Schmetterlingen, mit Gleichgültigkeit an den Metallen; die Fossilien regten sie zu Träumen an, die Schal- und Muscheltiere langweilten sie. Sie spähten aufmerksam durch die Scheiben in die Treibhäuser, und sie erschauerten bei dem Gedanken, daß diese Gewächse Gifte absonderten. An der Zeder bewunderten sie, daß man sie in einem Hut herbeigeschafft hatte. Im Louvre bemühten sie sich, für Raffael sich zu begeistern. Auf der großen Bibliothek hätten sie die genaue Zahl der Bände wissen mögen. Einmal gingen sie in die arabische Vorlesung am Collège de France, und der Dozent war erstaunt, die beiden Unbekannten zu sehen, die nachzuschreiben versuchten. Dank der Hilfe Barberous drangen sie hinter die Kulissen eines kleinen Theaters. Dumouchel verschaffte ihnen Eintrittskarten für eine Sitzung der Akademie. Sie unterrichteten sich über die Entdeckungen, lasen Anzeigen, und durch diese Wißbegier entwickelte sich ihre Intelligenz. Fern an einem Horizont, der täglich sich erweiterte, nahmen sie Dinge wahr, die zugleich undeutlich und merkwürdig waren. Wenn sie ein altes Möbel bewunderten, bedauerten sie, daß sie nicht zu der Zeit gelebt hatten, da man sich seiner bediente, obgleich sie nicht die geringste Kenntnis über jene Zeit hatten. Bei gewissen Namen dachten sie sich Länder, die um so schöner waren, je ungenauer ihre Vorstellung davon war. Die Werke, deren Titel für sie unverständlich waren, schienen ihnen ein Geheimnis zu umschließen. Und wenn sie keine Gedanken mehr hatten, so litten sie um so mehr. Wenn auf der Straße eine Post ihren Weg kreuzte, wandelte die Lust sie an, mit ihr abzureisen. Der Blumenkai erregte ihnen Sehnsucht nach dem Landleben. Eines Sonntags setzten sie sich gleich am Morgen in Marsch; sie nahmen ihren Weg über Meudon, Bellevue, Suresnes, Auteuil und trieben sich den ganzen Tag lang zwischen den Weinbergen umher, rissen am Rande der Felder Mohn aus, schliefen im Grase, tranken Milch, aßen unter den Akazien der Wirtshäuser und kamen sehr spät heim, bestaubt, erschöpft, entzückt. Sie wiederholten diese Spaziergänge oft. Am folgenden Tage waren sie so traurig, daß sie sie schließlich aufgaben. Die Eintönigkeit des Bureaus wurde ihnen verhaßt. Immer und ewig das Radiermesser und der Sandarak, dasselbe Tintenfaß, dieselben Federn und dieselben Gefährten! Da sie sie für dumm erachteten, sprachen sie immer weniger mit ihnen. Das trug ihnen Hänseleien ein. Sie kamen jeden Tag nach Beginn, und sie erhielten Verweise. Früher waren sie beinahe glücklich gewesen; aber ihre Tätigkeit demütigte sie, seitdem sie sich mehr achteten, und sie bestärkten sich in diesem Widerwillen, begeisterten sich gegenseitig, verdarben sich. Pécuchet nahm das ungestüme Wesen Bouvards an, auf Bouvard ging etwas von der Grämlichkeit Pécuchets über. „Ich möchte Kunstreiter auf den öffentlichen Plätzen werden!“ sagte der eine. „Wäre ebensogern Lumpensammler!“ sagte der andere. Welch eine scheußliche Lage! Und keine Möglichkeit, herauszukommen! Nicht einmal die Hoffnung! -- Eines Nachmittags (es war am 20. Januar 1839) empfing Bouvard im Kontor einen Brief, den der Briefträger gebracht hatte. Seine Arme hoben sich, sein Kopf sank allmählich zurück, und er stürzte ohnmächtig zu Boden. Die Angestellten eilten herbei, man löste seine Halsbinde. Man ließ einen Arzt holen. Er schlug die Augen wieder auf; und dann, auf die Fragen, die man an ihn richtete: „Ach!... nämlich... nämlich... etwas frische Luft wird mir helfen. Nein! lassen Sie mich! Erlauben Sie!“ Und trotz seiner Beleibtheit lief er in einem Atem zum Marineministerium, während er sich mit der Hand über die Stirn fuhr, verrückt zu werden glaubte und sich zu beruhigen versuchte. Er ließ Pécuchet rufen. Pécuchet erschien. „Mein Onkel ist tot! Ich erbe!“ „Nicht möglich!“ Bouvard zeigte folgende Zeilen: Bureau des Rechtsanwalts Tardivel, Notar. Savigny-en-Septaine, den 14. Januar 1839. Mein Herr! Ich ersuche Sie, sich in meinem Bureau einzufinden, um dort von dem Testamente Ihres natürlichen Vaters, des Herrn François Denys Bartholomée Bouvard, vormaligen Kaufmanns in der Stadt Nantes, verstorben in dieser Gemeinde den 10. gegenwärtigen Monats, Kenntnis zu nehmen. Dieses Testament enthält eine sehr wichtige Verfügung zu Ihren Gunsten. Empfangen Sie, mein Herr, die Versicherung meiner Hochachtung. Tardivel, Notar. Pécuchet mußte sich auf einen Stein im Hofe setzen. Dann gab er das Papier zurück, wobei er langsam sagte: „Wenn das nur... keine Possen sind!“ „Du glaubst, das seien Possen!“ erwiderte Bouvard mit erstickter Stimme, die dem Röcheln eines Sterbenden glich. Aber der Poststempel, der Name des Bureaus in Druckschrift, die Unterschrift des Notars, alles bewies die Echtheit der Nachricht; -- und sie schauten einander an, während ihre Mundwinkel zitterten und eine Träne aus ihren starren Augen floß. Es wurde ihnen zu enge. Sie gingen bis zum Triumphbogen, kehrten am Wasser entlang zurück, ließen Notre-Dame hinter sich. Bouvard war sehr rot. Er gab Pécuchet Püffe in den Rücken, und fünf Minuten lang redete er närrisches Zeug. Sie grinsten wider Willen. Diese Erbschaft mußte sich sicherlich belaufen auf... „Ach, das wäre zu schön! Sprechen wir nicht mehr davon.“ Sie sprachen wieder davon. Nichts hinderte sie, sogleich genaueren Aufschluß darüber zu verlangen. Bouvard schrieb dieserhalb an den Notar. Der Notar schickte eine Abschrift des Testamentes, welches so schloß: „Demzufolge vermache ich François Denys Bartholomée Bouvard, den ich als meinen unehelichen Sohn anerkenne, den Teil meiner Güter, der gesetzlich verfügbar bleibt.“ Der Biedermann hatte diesen Sohn in seiner Jugend gehabt, aber er hatte ihn sorgfältig beiseite gehalten und für seinen Neffen ausgegeben. Und der Neffe hatte ihn immer Onkel genannt, obgleich er wußte, worum es sich handelte. Gegen sein vierzigstes Jahr hatte Herr Bouvard sich verheiratet, dann war er Witwer geworden. Da seine beiden legitimen Söhne nicht nach seinen Wünschen geraten waren, hatten ihn Gewissensbisse gepackt über die Verlassenheit, in der er sein uneheliches Kind so viele Jahre gelassen hatte. Ohne den Einfluß seiner Köchin hätte er es sogar zu sich genommen. Dank dem geschickten Vorgehen der Familie verließ sie ihn, und in seiner Vereinsamung wollte er, dem Tode nahe, sein Unrecht wieder gutmachen, indem er der Frucht seiner ersten Liebe von seinem Vermögen alles vermachte, worüber er verfügen konnte. Es belief sich auf eine halbe Million, was für den Schreiber zweihundertfünzigtausend Franken ausmachte. Der ältere der Brüder, Herr Etienne, hatte sich dahin geäußert, er werde das Testament anerkennen. Bouvard verfiel in eine Art stumpfsinnigen Brütens. Er wiederholte mit leiser Stimme, während er mit dem friedlichen Lächeln der Trunkenen lächelte: „Fünfzehntausend Franken Rente!“ -- und Pécuchet, dessen Kopf doch klarer war, konnte nicht darüberkommen. Sie wurden durch einen Brief Tardivels unerwartet aufgerüttelt. Der zweite Sohn, Herr Alexander, erklärte die Absicht, alles gerichtlich regeln und sogar das Vermächtnis, wenn möglich, anfechten zu wollen, wobei er vor allem Versiegelung, Aufnahme, Ernennung eines Sachwalters und so weiter forderte! Bouvard bekam eine Affektion der Galle davon. Kaum war er wieder auf der Besserung, so fuhr er nach Savigny, von wo er, ohne etwas ausgerichtet zu haben und mit Kummer über die Reisekosten, zurückkehrte. Dann folgte eine Zeit der Schlaflosigkeit; er schwankte zwischen Zorn und Hoffnung, Aufregung und Niedergeschlagenheit. Endlich beruhigte sich Herr Alexander nach Verlauf von sechs Monaten, und Bouvard trat den Besitz der Erbschaft an. Sein erster Ausruf war gewesen: „Wir werden uns aufs Land zurückziehen!“ -- und dieses Wort, das seinen Freund in sein Glück einschloß, hatte Pécuchet ganz selbstverständlich gefunden. Denn der Bund dieser beiden Männer war vollständig und ging bis in die Tiefe. Aber da er sich nicht von Bouvard ernähren lassen wollte, würde er nicht vor seiner Pensionierung den Dienst verlassen. Zwei Jahre noch! Gleichviel! Er blieb unbeugsam, und es war beschlossene Sache. Um herauszufinden, wo man sich niederlassen könnte, gingen sie alle Provinzen durch. Der Norden war fruchtbar, aber zu kalt; der Süden bezauberte durch sein Klima, hatte aber sein Unangenehmes, wenn man die Stechmücken in Betracht zog; und das Zentrum bot, offen gesagt, nichts Interessantes. Die Bretagne würde ihnen ohne die Frömmelei ihrer Bewohner zugesagt haben. Was die östlichen Gegenden anlangte, so war wegen des germanischen Dialekts nicht daran zu denken. Doch es gab andere Landstriche. Wie war es zum Beispiel mit der Gegend von Forez, von Bugey, von Roumois? Die geographischen Karten gaben keine Auskunft darüber. Was tat es übrigens, ob ihr Haus an diesem oder jenem Orte stehen würde, die Hauptsache war, daß sie eins haben würden. Sie sahen sich schon in Hemdsärmeln am Rande eines Beetes, wie sie Rosenstöcke beschnitten, die Erde umgruben, rajolten, bearbeiteten, Tulpen aus ihren Töpfen in die Erde setzten. Sie würden beim Schlag der Lerche erwachen, um dem Pfluge zu folgen, mit einem Korbe zum Äpfelpflücken gehen, zuschauen, wie die Butter bereitet, das Korn gedroschen, die Schafe geschoren, die Bienen versorgt wurden, und sie würden sich am Brüllen der Kühe und dem Duft des Heus erfreuen. Keine Schreibarbeit mehr! Keine Vorgesetzten! Nicht einmal mehr Miete zu zahlen! Denn sie würden eine eigene Behausung besitzen! -- Und sie würden die Hühner ihres Hofes, die Gemüse ihres Gartens essen, -- und sie würden ihre Mahlzeit einnehmen, während sie die Holzschuhe anbehielten! -- „Wir werden ganz leben, wie es uns gefällt! Wir werden uns den Bart wachsen lassen!“ Sie kauften sich Garteninstrumente, dann einen Haufen Sachen, „die vielleicht dienlich sein könnten,“ wie einen Werkzeugkasten (ein solcher gehört immer in ein Haus), dann Wagen, eine Feldmesserkette, eine Badewanne, für den Fall, daß sie krank würden, ein Thermometer, und sogar ein Barometer, „System Gay-Lussac“, um physikalische Beobachtungen zu machen, wenn die Lust dazu sie anwandeln sollte. Es wäre auch nicht übel (denn man kann nicht immer draußen arbeiten), einige gute literarische Werke zu besitzen, -- und sie suchten darnach -- oft in großer Verlegenheit, ob das betreffende Buch wirklich „ein Buch für eine Bibliothek“ sei. Bouvard entschied die Frage. „Na, wir werden keine Bibliothek nötig haben!“ „Zudem habe ich die meinige,“ sagte Pécuchet. Im voraus richteten sie sich ein. Bouvard würde seine Möbel mitnehmen, Pécuchet seinen großen schwarzen Tisch; man würde die Vorhänge benutzen, und mit etwas Küchengeschirr wäre man genügend eingerichtet. Sie hatten sich geschworen, über all das zu schweigen, aber ihre Gesichter strahlten. Auch fanden ihre Kollegen sie sonderbar. Bouvard, der auf seinem Pulte liegend schrieb, die Ellbogen darüber hinaus, um seiner Bastardschrift mehr Schwung zu geben, ließ sein Pfeifen hören, während er schelmisch mit seinen dicken Augenlidern zwinkerte. Pécuchet, der auf einem hohen Strohsitz hockte, verwendete seine Sorge auf die Grundstriche seiner langen Schrift -- doch während er die Nasenflügel blähte, kniff er die Lippen zusammen, als wenn er Furcht gehabt hätte, sein Geheimnis zu verraten. Nach anderthalb Jahren des Herumsuchens hatten sie noch nichts gefunden. Sie reisten in der ganzen Umgebung von Paris umher, von Amiens bis nach Evreux und von Fontainebleau bis nach le Havre. Sie wollten eine Gegend, die durchaus ländlich war, ohne gerade eine pittoreske Lage zu verlangen; ein enger Horizont wiederum stimmte sie traurig. Sie flohen die Nachbarschaft der Wohnhäuser und fürchteten doch die Einsamkeit. Manchmal faßten sie einen Entschluß; dann kam die Furcht, ihn später zu bereuen, und sie änderten ihre Absicht, da ihnen der Ort ungesund oder zu sehr dem Meereswinde ausgesetzt, zu nah an einer Fabrik oder zu schwer zugänglich schien. Barberou erlöste sie. Er wußte um ihren Traum, und eines schönen Tages kam er mit der Nachricht, man habe ihm von einem Gute bei Chavignolles zwischen Caen und Falaise gesprochen. Es bestand aus einem Pachthof von achtunddreißig Hektar, mit einer Art Schloß und einem sehr ertragfähigen Garten. Sie verfügten sich in den Calvados und waren begeistert. Nur verlangte man für den Pachthof wie das Haus (das eine sollte nicht ohne das andere verkauft werden) hundertdreiundvierzigtausend Franken. Bouvard wollte nur hundertzwanzigtausend geben. Pécuchet bekämpfte seine Halsstarrigkeit, bat ihn, nachzugeben, erklärte schließlich, er würde den Rest dazuzahlen. Das war sein ganzes Vermögen, es rührte aus dem Erbteil seiner Mutter und aus seinen Ersparnissen her. Niemals war ein Wort davon über seine Lippen gekommen, denn er hielt dieses Kapital für eine große Gelegenheit zurück. Gegen Ende des Jahres 1840, sechs Monate vor seiner Pensionierung, war alles bezahlt. Bouvard war nicht mehr Schreiber. Zuerst hatte er seine Beschäftigung aus Mißtrauen gegen die Zukunft fortgesetzt, aber einmal der Erbschaft sicher, hatte er sie aufgegeben. Indessen ging er noch gern zu den Herren Descambos, und am Abend vor seiner Abreise lud er das ganze Kontor-Personal zu einem Punsch ein. Pécuchet dagegen zeigte sich seinen Kollegen gegenüber übellaunig und schlug am letzten Tage beim Fortgehen die Tür heftig zu. Er hatte das Einpacken zu überwachen, eine Menge Besorgungen und auch noch Einkäufe zu machen und mußte von Dumouchel Abschied nehmen. Der Professor schlug ihm einen Briefwechsel vor, durch den er ihn literarisch auf dem Laufenden halten würde; und nachdem er ihm nochmals zu seinem Glück gratuliert hatte, wünschte er ihm gute Gesundheit. Barberou zeigte mehr Gefühl, als Bouvard ihm Lebewohl sagte. Er sagte eigens deshalb eine Partie Domino ab, versprach, ihn dort unten zu besuchen, bestellte zwei Anisliköre und umarmte ihn. Als Bouvard nach Hause gekommen war, tat er auf seinem Balkon einen tiefen Atemzug in der frischen Luft und sagte im stillen: „Endlich!“ Die Lichter der Kais zitterten im Wasser, das Rollen der Omnibusse verhallte in der Ferne. Er rief sich die glücklichen Tage zurück, die er in dieser großen Stadt verbracht hatte, die Picknicks im Restaurant, die Abende im Theater, das Geschwätz der Portierfrau, alle seine Gewohnheiten; und er fühlte, wie eine Schwäche sein Herz überkam, eine Traurigkeit, die er nicht wagte, sich zu gestehen. Pécuchet wanderte bis zwei Uhr morgens in seinem Zimmer umher. Er würde es nicht wiedersehen, um so besser! Und um doch noch etwas von sich zurückzulassen, kritzelte er seinen Namen in den Gips des Kamins. Die großen Frachtstücke waren schon am Abend vorher abgegangen. Die Gartengeräte, die Bettstellen, die Matratzen, die Tische, die Stühle, ein Sparherd, die Badewanne und drei Fässer mit Burgunder sollten auf der Seine bis nach le Havre gehen und von dort bis Caen verfrachtet werden, von wo aus Bouvard, der sie erwarten sollte, sie nach Chavignolles befördern ließ. Das Bild seines Vaters hingegen, die Sessel, das Likörservice, die Bücher, die Stutzuhr, alle wertvollen Gegenstände wurden in einen Möbelwagen verladen, der den Weg über Nonancourt, Verneuil und Falaise nehmen sollte. Pécuchet wollte ihn begleiten. Er richtete sich auf der Bank neben dem Wagenführer ein, und, in seinen ältesten Rock gehüllt, mit einem Schal, Fausthandschuhen und dem Fußsack, den er im Geschäft benutzt hatte, versehen, verließ er Sonntag den 20. März bei Tagesanbruch die Hauptstadt. Die Bewegung und das Ungewohnte der Reise beschäftigten ihn während der ersten Stunden. Dann verlangsamten die Pferde ihren Schritt, was einen Wortwechsel mit dem Wagenführer und dem Fuhrmann zur Folge hatte. Sie suchten fürchterliche Herbergen auf, und obwohl sie die Verantwortung für alles trugen, übernachtete Pécuchet aus übertriebener Vorsicht doch in denselben Schlafstätten. Am folgenden Tage ging es mit der Morgenröte weiter; und immer dehnte sich die gleiche Straße bis zum Rande des Horizontes empor. Ein Steinhaufen folgte auf den andern, die Gräben waren voll Wasser, das Gelände breitete sich in großen Flächen von eintönigem und kaltem Grün aus, Wolken zogen am Himmel, von Zeit zu Zeit fiel Regen. Am dritten Tage erhoben sich plötzliche Windstöße. Die schlecht befestigte Wagendecke klatschte im Winde wie das Segel eines Schiffes. Pécuchet duckte seinen Kopf unter seiner Mütze, und jedesmal, wenn er seine Tabakdose öffnete, mußte er, um sich die Augen zu schützen, sich vollständig umwenden. An den holprigen Stellen hörte er hinter sich sein ganzes Gepäck schwanken und ließ es nicht an guten Ermahnungen fehlen. Da er sah, daß sie nutzlos waren, änderte er seine Taktik; er spielte den Liebenswürdigen, zeigte Gefälligkeiten, bei schwierigen Aufstiegen schob er mit den Leuten am Rade; er ging so weit, ihnen nach dem Essen den Kaffee zu bezahlen. Von da an kamen sie schneller von der Stelle, wodurch in der Gegend von Gauburge die Achse brach und der Wagen, auf die Seite geneigt, stehen blieb. Pécuchet untersuchte sogleich das Innere; die Porzellantassen lagen in Scherben. Er erhob die Arme, mit den Zähnen knirschend, und verwünschte diese beiden Dummköpfe; und der folgende Tag ging verloren, weil der Fuhrmann sich betrank; doch Pécuchet hatte nicht die Kraft zu klagen; der Kelch des Leidens war voll. Bouvard hatte Paris erst den zweitnächsten Tag verlassen, um noch einmal mit Barberou zusammen speisen zu können. Er kam erst in der letzten Minute auf den Posthof, wachte dann in Rouen vor der Kathedrale wieder auf; er hatte die falsche Post genommen. Am Abend waren alle Plätze nach Caen vorherbestellt; da er nicht wußte, was er anfangen sollte, ging er ins Theatre des Arts, und er lächelte seinen Nachbarn zu und erzählte ihnen dabei, daß er sich vom Geschäft zurückgezogen habe und seit kurzem im Besitz eines Gutes in der Umgebung sei. Als er am Freitag in Caen landete, waren seine Frachtstücke noch nicht da. Er empfing sie am Sonntag und sandte sie auf einem Karren weiter, nachdem er den Pächter benachrichtigt hatte, daß er in einigen Stunden nachkommen würde. In Falaise, am neunten Tage der Reise, nahm Pécuchet ein Aushilfspferd, und bis zum Sonnenuntergang kam man gut vorwärts. Nachdem er jenseits von Bretteville die Landstraße verlassen hatte, geriet er auf einen Richtweg und glaubte jeden Augenblick den Giebel von Chavignolles zu sehen. Indessen wurden die Wagenspuren undeutlicher; sie verschwanden ganz, und sie befanden sich mitten in bebauten Feldern. Die Nacht brach an. Was sollte werden? Endlich ließ Pécuchet den Wagen stehen, und durch den Schmutz watend, ging er auf die Suche. Wenn er sich den Gehöften näherte, bellten die Hunde. Er schrie aus Leibeskräften, um den Weg zu erfahren. Keine Antwort. Er hatte Furcht und lief davon. Plötzlich glänzten zwei Laternen auf. Er bemerkte ein Gefährt und stürzte darauf zu, um es einzuholen. Bouvard saß darin. Doch wo konnte der Möbelwagen sein? Eine Stunde lang riefen sie danach in der Dunkelheit. Endlich fand er sich wieder, und sie gelangten nach Chavignolles. Ein großes Feuer aus Reisig und Fichtenzapfen flammte im Saale. Zwei Gedecke waren aufgelegt. Die auf dem Karren angelangten Möbel füllten die Vorhalle. Nichts fehlte. Man setzte sich zu Tisch. Man hatte ihnen Zwiebelsuppe, ein Huhn, Speck und harte Eier gemacht. Die alte Frau, die das Essen zubereitete, kam von Zeit zu Zeit, um sich zu vergewissern, wie es ihnen schmecke. Sie antworteten: „O! sehr gut! sehr gut!“, und das grobe Brot, das sich schlecht schneiden ließ, die Sahne, die Nüsse, alles mundete ihnen herrlich. Der Steinfußboden zeigte Löcher, die Mauern waren feucht. Indessen ließen sie ihre Blicke befriedigt umherschweifen, während sie an dem kleinen Tische aßen, auf dem eine Kerze brannte. Ihre Gesichter waren von der frischen Luft gerötet. Sie streckten ihre Bäuche vor. Sie lehnten sich kräftig gegen die Lehnen ihrer Stühle, die davon krachten, und sie wiederholten: „Da wären wir also! Welch eine Wohltat! Es kommt mir vor wie ein Traum!“ Obgleich es Mitternacht war, kam Pécuchet auf den Gedanken, einen Gang durch den Garten zu machen. Bouvard hatte nichts dagegen. Sie nahmen das Licht, und während sie es mit einer alten Zeitung vor der Zugluft schützten, gingen sie an den Beeten entlang. Es machte ihnen Vergnügen, die Gemüse laut zu benennen: „Sieh da, Mohrrüben! Ah, Kohl!“ Dann besichtigten sie die Spaliere. Pécuchet suchte Knospen zu entdecken. Zuweilen rannte plötzlich eine Spinne an der Mauer davon, und die beiden Schatten ihrer Körper zeichneten sich in Vergrößerung darauf und wiederholten ihre Bewegungen. Die Spitzen der Gräser troffen von Tau. Die Nacht war vollständig schwarz, und alles lag regungslos in tiefem Schweigen, in tiefem Wohlsein. In der Ferne krähte ein Hahn. Ihre beiden Zimmer hatten eine kleine Verbindungstür, die von der Tapete verdeckt war. Soeben waren dadurch, daß man mit einer Kommode dagegen stieß, die Nägel herausgesprungen. Sie fanden sie offen stehend. Das war eine Überraschung. Schon entkleidet und im Bett, schwatzten sie noch einige Zeit; dann schliefen sie ein, Bouvard auf dem Rücken, mit offenem Munde und bloßem Kopf; Pécuchet auf der rechten Seite, die Knie an den Unterleib gezogen, in eine wollene Nachtmütze gehüllt; und alle beide schnarchten im Mondenlicht, das durch die Fenster fiel. II Welche Freude am folgenden Tage beim Erwachen! Die Pfeife, die Bouvard rauchte, und die Prise, die Pécuchet nahm, erklärte ein jeder für die beste seines Lebens. Dann setzten sie sich ins Fenster, um die Aussicht zu betrachten. Geradeaus hatte man die Felder vor sich, zur Rechten eine Scheune, daneben den Kirchturm; und zur Linken eine Wand von Pappeln. Zwei Hauptalleen, die ein Kreuz bildeten, zerlegten den Garten in vier Teile. Die Gemüse standen auf den Langbeeten, wo in Abständen Zwergzypressen und spindelförmig geschnittene Obstbäume aufragten. Auf der einen Seite endete ein Laubengang auf einen Schneckenberg; auf der andern stützte eine Mauer die Spaliere; und ein Gitter schloß hinten den Garten gegen die Felder ab. Jenseits der Mauer war ein Obstgarten, hinter dem Laubengang ein kleiner Hain; hinter dem Gitter ein schmaler Pfad. Das alles betrachteten sie, als ein Mann mit ergrautem Haar in einem schwarzen Überzieher auf dem Fußwege ging, wobei er mit seinem Stock an sämtlichen Stäben des Gitters entlang fuhr. Die alte Dienerin teilte ihnen mit, es sei Herr Vaucorbeil, ein berühmter Arzt des Ortes. Die übrigen Honoratioren seien: der Graf von Faverges, der früher Abgeordneter war und dessen Kuhställe berühmt wären; der Bürgermeister, Herr Foureau, der Holz, Gips und sonst noch alles mögliche verkaufte; der Notar, Herr Marescot; der Abbé Jeufroy und die verwitwete Frau Bordin, die von ihren Zinsen lebte. -- Was sie selbst anbetraf, so nannte man sie Frau Germaine, nach ihrem verstorbenen Gatten Germain; sie ging tageweise in Arbeit, würde aber bereit sein, ganz in den Dienst der Herren zu treten. Sie nahmen sie und machten sich auf den Weg nach ihrem Pachthof, der in einer Entfernung von einem Kilometer gelegen war. Als sie in den Gutshof traten, schalt der Pächter, Meister Gouy, einen Knecht aus, und die Pächtersfrau saß auf einem Schemel und hatte einen Puter fest zwischen den Beinen, den sie mit Mehlklößen stopfte. Der Mann hatte eine niedrige Stirn, eine feine Nase, einen versteckten Blick und kräftige Schultern. Die Frau war sehr blond, hatte Sommersprossen auf den Backen und hatte jenen Anstrich von Einfalt, den die ländlichen Gestalten auf den Kirchenfenstern zeigen. In der Küche hingen Hanfbündel an der Decke. Drei alte Flinten reihten sich auf dem hohen Kamin. Eine Anrichte, die mit geblümtem Steingut besetzt war, nahm die Mitte der Wand ein; und die Scheiben aus Butzenglas warfen über die Gerätschaften aus Blech und rotem Kupfer ein blasses Licht. Die beiden Pariser wünschten die Besichtigung vorzunehmen, denn sie hatten die Besitzung erst einmal flüchtig gesehen. Meister Gouy und seine Gattin geleiteten sie; und die Litanei von Klagen begann. Sämtliche Gebäude, von dem Wagenschuppen bis zur Branntweinbrennerei, hätten Ausbesserungen nötig. Es wäre erforderlich gewesen, ein Nebenhaus für die Käse zu bauen, an die Tore neue Eisenbeschläge zu setzen, die Erdwälle zu erhöhen, den Teich zu vertiefen und ein gut Teil Apfelbäume in die drei Höfe zu pflanzen. Dann besichtigte man die Äcker: Meister Gouy machte sie herunter. Sie erforderten zu viel Bedüngung, das Anfahren sei kostspielig; unmöglich, die Steine daraus fortzubringen; Unkraut verderbe die Wiesen; und diese Verunglimpfung seines Bodens dämpfte die Freude, die Bouvard empfand, darüberzuschreiten. Sie gingen durch den Hohlweg unter Buchen zurück. Von dieser Seite zeigte das Haus seinen Staatshof und die Front. Es war weiß gestrichen und hatte Ornamente in gelber Farbe. Der Schuppen und das Vorratshaus, das Backhaus und der Holzstall bildeten zwei hinten rechtwinklig anschließende niedrigere Flügel. An die Küche stieß ein kleiner Saal. Dann gelangte man zum Hausflur, einem zweiten größeren Saal und dem Salon. Die vier Zimmer des ersten Stockes hatten ihren Ausgang auf einen Korridor, der nach dem Hofe zu lag. Eins davon nahm Pécuchet für seine Sammlungen. Das letzte wurde für die Bibliothek bestimmt; und als sie die Schränke öffneten, fanden sie andere Schmöker, aber sie hatten jetzt keine Lust, die Titel zu lesen. Das eiligste war der Garten. Als Bouvard am Laubengange vorbeikam, entdeckte er unter den Zweigen eine weibliche Figur aus Gips. Mit zwei Fingern hob sie ihren Rock, während sie in hockender Stellung saß und ihr Kopf auf der Schulter lag, als fürchtete sie, überrascht zu werden. -- „Ah! Verzeihung! Genieren Sie sich nicht!“ und dieser Scherz belustigte sie so, daß sie ihn mehr als drei Wochen jeden Tag zwanzigmal wiederholten. Indessen wünschten die Bürger von Chavignolles ihre Bekanntschaft zu machen: man suchte sie durch das Gitter zu beobachten. Sie nagelten die Zwischenräume mit Brettern zu. Die Bevölkerung war erbost. Um sich vor der Sonne zu schützen, trug Bouvard ein turbanartig geknüpftes Taschentuch auf dem Kopfe, Pécuchet seine Mütze; und er hatte eine große Schürze umgebunden, die vorn eine Tasche hatte, in der seine Baumschere, sein Tuch und seine Schnupftabakdose baumelten. Mit bloßen Armen, einer an der Seite des andern, ackerten sie, gäteten sie, putzten sie Bäume aus, ließen sich’s sauer werden und aßen so schnell wie möglich; doch gingen sie, um den Kaffee zu nehmen, auf den Schneckenberg, damit sie die Aussicht genießen konnten. Wenn sie eine Schnecke sahen, näherten sie sich und zertraten sie, indem sie die Mundwinkel verzogen, wie wenn man eine Nuß knackt. Sie gingen nie ohne ihr Grabscheit aus, und sie zerhieben die Engerlinge in der Mitte mit solcher Kraft, daß der eiserne Teil des Gerätes drei Zoll tief in den Boden eindrang. Um die Raupen zu vertilgen, schlugen sie die Bäume wie wütend mit heftigen Stockschlägen. Bouvard pflanzte mitten auf den Rasen eine Pfingstrose, und Tomaten unter die Wölbung des Laubenganges. Sie sollten wie Leuchter herabhängen. Pécuchet ließ vor der Küche ein großes Loch graben und teilte es in drei Teile, in denen er Kompost herstellen wollte; der würde eine Menge Dinge sprießen lassen, deren verweste Reste neues Wachstum hervorbringen sollten, und das sollte wieder neue Dungmittel ergeben, alles das bis ins Unendliche; und er stand träumend am Rande der Grube und sah dabei in der Zukunft Berge von Früchten, eine Überfülle von Blumen, Lawinen von Gemüsen. Doch der Pferdedünger, der so ausgezeichnet für die Mistbeete ist, fehlte ihm. Die Ökonomen verkauften keinen, die Herbergswirte behielten ihn für sich. Nach langem Suchen entschloß er sich endlich trotz Bouvards Bitten und mit Aufopferung alles Schamgefühls, „selbst den Pferdemist aufkratzen zu wollen!“ Inmitten dieser Beschäftigung sprach ihn eines Tages Frau Bordin auf der Landstraße an. Nachdem sie ihn begrüßt hatte, erkundigte sie sich nach seinem Freunde. Die schwarzen, sehr glänzenden, obgleich kleinen Augen dieser Frau, ihre kräftigen Farben, ihr sicheres Auftreten (sie hatte sogar etwas Schnurrbart), schüchterten Pécuchet ein. Er antwortete kurz und drehte ihr den Rücken, -- eine Unhöflichkeit, die Bouvard tadelte. Dann brachen die schlechten Tage an, Kälte, starker Frost. Sie richteten sich in der Küche ein und verfertigten Flechtwerk; oder sie gingen durch die Zimmer, plauderten am Feuer, schauten zu, wie der Regen fiel. Von Mittfasten an spähten sie nach dem Frühling, und jeden Morgen wiederholten sie: „Alles kommt!“ Aber der Frühling kam zögernd, und sie trösteten sich in ihrer Ungeduld, indem sie sagten: „Alles wird kommen!“ Endlich sahen sie die Erbsen aufgehen. Die Spargel sprossen tüchtig. Die Reben waren vielversprechend. Da sie sich auf die Gartenbestellung verstanden, mußte es ihnen auch mit dem Ackerbau gelingen; -- und der Ehrgeiz erfaßte sie, ihren Pachthof zu bewirtschaften. Mit gesundem Menschenverstand und Studien würden sie sich zweifellos gut aus der Sache ziehen. Zuerst mußte man sehen, wie andere zu Werke gingen; und sie setzten einen Brief auf, worin sie Herrn von Faverges um die Ehre baten, seine Bewirtschaftung ansehen zu dürfen. Der Graf gewährte ihnen sogleich eine Zusammenkunft. Nach einer Stunde Weges kamen sie auf den Hang eines Hügels, von wo man das Tal der Orne überschaut. Der Fluß floß in Windungen in der Tiefe. Blöcke von rotem Sandstein lagen hier und dort, und größere Felsen bildeten in der Ferne eine Art Klippe, die aus dem mit reifem Korn bestandenen Gelände hervorragte. Auf dem gegenüberliegenden Hügel wucherte Grün in solcher Fülle, daß es die Häuser verbarg. Bäume, die sich als dunklere Linien inmitten des Grases abhoben, zerlegten es in ungleiche Vierecke. Plötzlich erblickte man das Gut in seiner Gesamtheit. Schindeldächer zeigten den Pachthof an. Rechts lag das Schloß mit seiner weißen Front; dahinter erschien ein Hain, und eine Rasenfläche senkte sich zum Fluß herab, in dem eine gerade Reihe von Platanen ihr Schattenbild spiegelten. Die beiden Freunde kamen durch ein Luzernefeld, wo man heute. Frauen mit Strohhüten, unter dem Kinn geknoteten Kattuntüchern oder Schutzschirmen aus Papier wendeten mit Rechen das Heu, das an der Erde lag; und am anderen Ende des Geländes, bei den Heuhaufen, warf man eilig die Bündel auf einen langen Wagen, der mit drei Pferden bespannt war. Der Herr Graf näherte sich ihnen, begleitet von seinem Verwalter. Er trug einen Anzug aus geköpertem Barchent, hatte eine gerade Haltung und Koteletten. Sein Äußeres vereinigte den Beamten mit dem Dandy. Seine Gesichtszüge blieben unbeweglich, auch wenn er sprach. Nachdem die ersten Höflichkeiten ausgetauscht waren, erklärte er sein System bezüglich der Heubereitung; man wende die Schwaden, ohne sie zu zerstören. Die Schober müßten konisch sein und die Bündel unmittelbar an Ort und Stelle gemacht, dann zu je zehn aufeinandergelegt werden. Was den englischen Harker anlange, so sei das Wiesengelände zu uneben für dieses Gerät. Ein kleines Mädchen, dessen bloße Füße in Holzpantinen steckten und dessen Leib durch die Löcher des Kleides sichtbar wurde, versorgte die Frauen mit Getränk, indem es Most aus einem Kruge schenkte, den es gegen seine Hüfte preßte. Der Graf fragte, wem dies Kind gehöre; man konnte es nicht sagen. Die Heuerinnen hatten es angenommen, damit es sie während der Ernte bediene. Er zuckte die Achseln und ließ, während er sich entfernte, einige Klagen über die Unsittlichkeit unserer Landleute laut werden. Bouvard rühmte die Luzerne. Sie sei in der Tat recht gut geraten trotz der Verheerungen durch die Flachsseide. Die zukünftigen Ackerbaukundigen rissen die Augen auf bei dem Worte Flachsseide. Angesichts seines großen Viehbestandes richtete der Graf sein Augenmerk auf die künstlichen Wiesen; das sei übrigens eine gute Vorbereitung für die weiteren Ernten, was nicht immer auch von den Futterwurzeln gälte. „Mir wenigstens scheint das unbestreitbar!“ Bouvard und Pécuchet wiederholten zugleich: „O! unbestreitbar!“ Sie standen am Rande eines sorgsam gelockerten Feldes: ein Pferd, das an der Hand geführt wurde, zog einen großen Kasten, der auf drei Rädern ruhte. Sechs Pflugmesser, die nach unten gingen, zogen nebeneinander gleichlaufende feine Furchen, in die das Korn durch bis zum Boden reichende Röhren fiel. „Hier,“ sagte der Graf, „lasse ich Steckrüben säen. Die Steckrübe ist die Basis meiner vierjährigen Kultur.“ Und er begann mit der Erklärung der Säemaschine. Doch ein Diener kam, ihn abzurufen. Man bedurfte seiner im Schloß. Sein Verwalter, ein Mann mit verschlagenem Gesicht und kriecherischen Manieren, ersetzte ihn. Er führte „die Herren“ zu einem andern Felde, wo vierzehn Schnitter mit bloßer Brust und gespreizten Beinen beim Roggenmähen waren. Die Sensen pfiffen in den Halmen, die sich nach rechts legten. Jeder beschrieb vor sich einen weiten Halbkreis, und alle rückten zugleich auf ein Zeichen vor. Die beiden Pariser staunten über die Arme der Leute und fühlten sich von beinahe religiöser Verehrung für den Reichtum des Bodens ergriffen. Darauf kamen sie an mehreren Feldern vorbei, deren Bestellung soeben beendet war. Die Dämmerung fiel, Krähen ließen sich in die Furchen nieder. Dann stießen sie auf die Herde. Die Schafe weideten zerstreut, und man hörte das beständige Abnagen des Grases. Der Hirt, der auf einem Baumstumpf saß, strickte an einem wollenen Strumpf und hatte seinen Hund neben sich. Der Verwalter half Bouvard und Pécuchet über einen Heckenstieg, und sie durchschritten zwei Obsthöfe, wo wiederkäuende Kühe unter Apfelbäumen lagen. Alle Gebäude des Gutshofes stießen aneinander und bildeten die drei Seiten des Hofes. Die Arbeitskraft wurde auf mechanischem Wege mit Hilfe einer Turbine erzeugt, wozu man einen Fluß benutzte, den man zu diesem Zwecke abgelenkt hatte. Lederriemen gingen von einem Dache ins andere, und inmitten des Düngers arbeitete eine eiserne Pumpe. In den Schafställen lenkte der Verwalter ihre Aufmerksamkeit auf kleine Öffnungen zu ebener Erde und in den Schweineställen auf sinnreiche Türen, die sich von selbst schlossen. Die Scheune war wie eine Kathedrale gewölbt in Bögen aus Ziegeln, die auf Steinmauern ruhten. Um den Herren ein Vergnügen zu machen, streute eine Magd einige Hände voll Hafer vor die Hühner. Der Baum der Kelterpresse schien ihnen riesenhaft, und sie stiegen ins Taubenhaus empor. Vor allem die Milchkammer setzte sie in Staunen. Die Hähne in den Ecken gaben genügend Wasser, die Fliesen zu überschwemmen, und beim Eintritt spürte man eine Kühle. Braune irdene Gefäße, auf Latten gereiht, waren bis zum Rande mit Milch gefüllt. Weniger tiefe Näpfe enthielten Sahne. Die Butterwecken reihten sich aneinander wie Stücke einer Messingsäule, und der Schaum floß über den Rand der Blecheimer, die man gerade auf den Boden gesetzt hatte. Doch die Zierde des Gutshofes war der Rinderstall. Holzlatten, die senkrecht der ganzen Länge nach eingelassen waren, teilten ihn in zwei Abteilungen: die erste war für das Vieh, die zweite für die Bedienung. Man konnte nur mit Mühe darin sehen, da alle Luken geschlossen waren. Die angeketteten Rinder fraßen, und ihre Leiber strömten eine Wärme aus, welche von der niedrigen Decke zurückschlug. Doch jemand machte Licht; ein dünner Wasserstrahl ergoß sich plötzlich in die Rinne, welche an den Raufen entlang lief. Brüllen ertönte; die Hörner klangen aneinander wie Stöcke. Alle Rinder streckten ihre Mäuler zwischen den Stäben durch und soffen langsam. Die großen Gespanne kamen in den Hof, und Füllen wieherten. Im Erdgeschoß wurden zwei, drei Laternen angezündet und verschwanden dann. Die Arbeitsleute gingen vorüber, mit ihren Holzschuhen über die Steine schlürfend, und die Glocke zum Abendessen ertönte. Die beiden Besucher machten sich auf den Heimweg. Alles, was sie gesehen hatten, entzückte sie; ihr Entschluß war gefaßt. Noch am selben Abend entnahmen sie ihrer Bibliothek die vier Bände des „Landhauses“; auch ließen sie sich Gasparins Abhandlungen zuschicken und nahmen ein Abonnement auf eine landwirtschaftliche Zeitung. Um bequemer auf die Märkte zu kommen, erwarben sie eine zweirädrige Halbkutsche, die Bouvard lenkte. In einem blauen Kittel, mit einem breitrandigen Hut, Gamaschen bis zum Knie und mit einem Roßhändlerstock in der Hand umschwärmten sie das Vieh, fragten die Arbeiter aus und verfehlten nicht, allen Landwirtschaftsfesten beizuwohnen. Bald wurden sie Meister Gouy mit ihren Ratschlägen lästig. Sie waren vor allem mit seiner Dreifelderwirtschaft unzufrieden. Doch der Pächter hielt an seiner Erfahrung fest. Er bat um den Nachlaß eines Vierteljahrzinses unter Hinweis auf den Hagelschlag. Von Naturalien lieferte er nichts ab. Bei noch so gerechten Forderungen begann seine Frau zu zetern. Schließlich erklärte Bouvard, den Vertrag nicht wieder erneuern zu wollen. Von dem Augenblicke an sparte Meister Gouy den Dünger, ließ das Unkraut wachsen, richtete den Boden zugrunde und zog mit einer wilden Miene ab, die Rachepläne verriet. Bouvard hatte gedacht, daß zwanzigtausend Franken, das heißt der vierfache Betrag des Pachtgeldes, für den Anfang genügen würden. Sein Pariser Notar sandte sie ihm. Ihre ganze Anlage umfaßte fünfzehn Hektar an Höfen und Wiesen, dreiundzwanzig an bestellbarem Lande und fünf an Brachfeld, die auf einem mit Steinen bedeckten kleinen Berge lagen, den man den Hügel nannte. Sie verschafften sich alle notwendigen Geräte, vier Pferde, zwölf Kühe, sechs Schweine, hundertsechzig Schafe und an Personal zwei Fuhrleute, zwei Frauen, einen Hirten; dazu einen großen Hund. Um sogleich Geld zu erhalten, verkauften sie die Futterernte: man bezahlte sie in ihrem Hause. Die Goldstücke, die auf die Haferkiste gezählt wurden, schienen ihnen glänzender, merkwürdig und besser als andere. Im Monat November kelterten sie Most. Bouvard trieb das Pferd an, und Pécuchet, der in den Trog gestiegen war, rührte mit einer Schaufel in den Träbern. Sie ächzten beim Anziehen der Schraube, schöpften den Zucker aus dem Bottich, beobachteten die Spundlöcher, trugen dicke Holzschuhe und vergnügten sich über die Maßen. Von dem Grundsatz ausgehend, daß man nicht genug Getreide haben könne, gaben sie etwa die Hälfte ihrer künstlichen Wiesen auf; und da sie keine Dungmittel hatten, bedienten sie sich der Kuchen, die sie in die Erde ließen, ohne sie zu zerkleinern, so daß der Ertrag jämmerlich war. Im folgenden Jahre legten sie das Saatkorn sehr dicht. Unwetter stellten sich ein. Die Ähren legten sich nieder. Nichtsdestoweniger warfen sie sich mit Eifer auf den Weizen, und sie unternahmen es, den Hügel von Steinen zu säubern. Ein kleiner Korbwagen schaffte die Steine fort. Das ganze Jahr über vom Morgen bis zum Abend, im Regen wie im Sonnenschein, sah man den ewigen Korbwagen mit demselben Mann und demselben Pferde den kleinen Hügel emporklimmen, wieder herabfahren und wieder emporsteigen. Manchmal ging Bouvard dahinter und machte auf halber Höhe halt, um sich die Stirn zu trocknen. Da sie zu niemand Zutrauen hatten, versorgten sie die Tiere selbst und gaben ihnen Abführmittel und Klistiere. Schwerwiegende Fälle von Unordnung kamen vor. Die Viehmagd wurde schwanger. Sie nahmen verheiratete Leute in ihren Dienst; es begann von Kindern, Vettern, Basen, Onkeln, Schwägerinnen zu wimmeln; eine ganze Horde lebte auf ihre Kosten, und sie beschlossen, abwechselnd auf dem Pachthofe zu schlafen. Doch des Abends waren sie traurig gestimmt. Die Unsauberkeit des Zimmers war ihnen widerwärtig, und Germaine, die die Mahlzeiten herbeibrachte, brummte bei jeder Reise. Man hielt die beiden auf alle Art zum Narren. Die Drescher stopften Getreide in ihre Trinkkrüge. Pécuchet faßte einen dabei und schrie, während er ihn bei den Schultern packte und hinausjagte: „Elender! Du bist die Schande des Dorfes, das dich zur Welt kommen sah.“ Seine Persönlichkeit flößte nicht den geringsten Respekt ein. -- Übrigens machte er sich Gewissensbisse, sooft er den Garten sah. Seine ganze Zeit würde eben ausgereicht haben, ihn in guter Ordnung zu halten. -- Bouvard wollte die Sorge um den Pachthof übernehmen. Sie berieten darüber, und diese Maßnahme war beschlossene Sache. Der wichtigste Punkt war, gute Mistbeete zu bekommen. Pécuchet ließ eins aus Ziegeln bauen. Er selber strich die Rahmen an, und da er die Sonnenstrahlen fürchtete, beschmierte er alle Schutzgläser mit Kreide. Bei den Steckreisern übte er die Vorsicht, die Spitzen mit den Blättern zu entfernen. Dann machte er sich emsig an das Absenken. Er versuchte verschiedene Arten der Veredelung, Pfropfen mit der Pfeife, kronenweises Pfropfen, Okulieren, krautiges Pfropfen, Veredelung auf englische Art. Mit welcher Sorgfalt paßte er die Bastenden aneinander! Wie fest er die Fäden anzog! Welch eine Menge Baumwachs er darüber legte! Zweimal täglich nahm er seine Gießkanne und schwenkte sie über den Pflanzen, als wenn er sie beweihräucherte. Wie sie unter der Wirkung des Wassers, das als feiner Regen herabfiel, grünten, glaubte er, seinen eigenen Durst zu löschen und in ihnen wieder zu erstehen. Dann ließ er sich hinreißen, nahm die Brause von der Gießkanne und goß in vollem Strom reichlich darüber. Am Ende des Laubenganges, in der Nähe der Gipsdame, erhob sich eine Art Hütte aus Stangenholz. Pécuchet verwahrte dort seine Geräte, und er verbrachte hier wundervolle Stunden mit dem Aussuchen der Sämereien, dem Schreiben von Etiketten, der Ordnung seiner kleinen Töpfe. Wenn er sich ausruhte, setzte er sich auf eine Kiste vor die Tür und träumte dann von Verschönerungen. Unten an der Freitreppe hatte er zwei Körbe mit Geranien angebracht; zwischen die Zypressen und die pyramidenförmig geschnittenen Obstbäume pflanzte er Sonnenblumen; -- und da die Beete mit Butterblumen und alle Wege mit frischem Sand bedeckt waren, so blendete der Garten durch eine Überfülle von gelben Farben. Doch das Mistbeet wimmelte von Larven; trotz der neuen Bedüngung mit trockenem Laub entstand hinter den gestrichenen Rahmen und unter den beschmierten Schutzgläsern nur eine verkrüppelte Vegetation. Die Stecklinge faßten nicht Wurzel; die Pfropfreiser fielen ab, die Satzreiser trieben nicht mehr, die Bäume hatten den Schimmel an der Wurzel; die Samenbeete waren ein Jammer. Der Wind schien eine Lust daran zu finden, die Bohnenstangen niederzuwerfen. Die übermäßige Bedüngung mit Jauche schadete den Erdbeerpflanzen, die mangelhafte Beschneidung den Tomaten. Er hatte denselben Mißerfolg mit Rosenkohl, Auberginen, Rüben und Brunnenkresse, die er in einem Kübel hatte ziehen wollen. Als das Tauwetter zu Ende war, waren alle Artischocken dahin. Der Kohl war sein Trost. Besonders ein Kohlkopf machte ihm Hoffnungen. Er entfaltete sich, schoß empor, wurde schließlich ein Wunder und war vollkommen ungenießbar. Gleichviel, Pécuchet war zufrieden, ein solches Ungeheuer zu besitzen. Dann machte er einen Versuch in dem, was ihm der Gipfel der Kunst zu sein schien: in der Melonenkultur. Er säte Körner verschiedener Sorten in Teller, die mit Humuserde gefüllt waren, und die er in sein Mistbeet einsetzte. Dann legte er ein zweites Mistbeet an; und als es seine Hitze verloren hatte, setzte er die schönsten jungen Pflanzen um, mit den Schutzgläsern darüber. Er beschnitt sie ganz nach den Vorschriften des „Guten Gärtners“, achtete auf die Blüten, ließ die Früchte ansetzen, wählte eine auf jedem Zweig, vernichtete die anderen, und sobald sie die Dicke einer Nuß hatten, schob er unter ihre Schale ein kleines Brett, um sie am Faulen durch Berührung mit dem Mist zu hindern. Er begoß sie, setzte sie der Luft aus, wischte mit seinem Taschentuch den Niederschlag von den Schutzgläsern ab, -- und wenn sich Wolken zeigten, trug er eilig Strohmatten herbei. Des Nachts ließen sie ihn nicht schlafen. Mehrere Male erhob er sich sogar wieder; und mit bloßen Füßen in den Schuhen und im Hemde zitternd durchschritt er den ganzen Garten, um seine Bettdecke über die Treibkästen zu breiten. Die Warzenmelonen reiften. Bei der ersten schnitt Bouvard eine Grimasse. Die zweite war nicht besser, die dritte ebenfalls nicht. Pécuchet hatte jedesmal eine neue Entschuldigung bis zur letzten, die er aus dem Fenster warf, wobei er erklärte, daß er das nicht verstehe. In der Tat, da er die verschiedenen Arten beieinander gezogen hatte, hatten sich die Zuckermelonen mit den Netzmelonen vermischt, die dicke portugiesische mit der großen mongolischen, -- und da die Nachbarschaft der Tomaten die Zuchtlosigkeit voll machte, waren schreckliche Kreuzungen entstanden, die den Geschmack von Kürbissen hatten. Dann warf sich Pécuchet auf die Blumenzucht. Er schrieb an Dumouchel wegen Samenpflanzen, kaufte einen Vorrat Heideerde und machte sich entschlossen ans Werk. Aber er pflanzte die Passionsblumen in den Schatten, die Stiefmütterchen in die Sonne, bedeckte die Hyazinthen mit Dünger, begoß die Lilien nach der Blüte, vernichtete die Rhododendren durch übermäßiges Abbinden der Zweige, trieb die Fuchsien mit Leim und dörrte einen Granatbaum, indem er ihn dem Feuer in der Küche aussetzte. Beim Herannahen der Kälte schützte er die Heckenrosen mit Schutzhüllen aus starkem Papier, das mit Talglicht zusammengekittet war; sie sahen aus wie Zuckerhüte, die an Stöcken in der Luft schwebten. Die Stangen der Dahlien waren ungeheuerlich, -- und man bemerkte zwischen diesen geraden Stöcken die gewundenen Zweige einer Sophora japonica, die in unverändertem Zustande verharrte, ohne auszugehen und ohne zu wachsen. Da indessen die seltensten Bäume in den Gärten der Hauptstadt gediehen, mußten sie auch in Chavignolles fortkommen; und Pécuchet verschaffte sich indischen Flieder, chinesische Rosen und den Eukalyptus, der damals gerade in Mode gekommen war. Alle seine Versuche schlugen fehl. Er war jedesmal sehr erstaunt darüber. Gleich ihm stieß Bouvard auf Hindernisse. Sie fragten einander um Rat, schlugen ein Buch auf, griffen zu einem anderen und wußten dann nicht, wofür sie sich bei der Verschiedenheit der Ansichten entscheiden sollten. So empfiehlt zum Beispiel Puvis den Mergel; das Handbuch Roret verwirft ihn. Was den Gips anlangt, so scheinen trotz Franklins Vorgang Riefel und Herr Rigaud nicht dafür begeistert. Das Brachliegen der Felder war Bouvard zufolge ein gotisches Vorurteil. Indessen verzeichnet Leclerc Fälle, wo es beinahe unerläßlich ist. Gasparin führt einen Einwohner von Lyon an, der während eines halben Jahrhunderts Getreide auf demselben Felde baute: das widerlegt die Theorie der Koppelwirtschaft. Tull preist die Bearbeitung auf Kosten der Bedüngung; und da kommt der Major Beetson und verwirft die Bedüngung zugleich mit der Bearbeitung! Um das Wetter im voraus bestimmen zu können, studierten sie die Wolken nach der Einteilung von Luke-Howard. Sie betrachteten jene, die sich wie eine Mähne lang hinbreiten, die, welche Inseln gleichen, die, welche man für Schneeberge halten könnte, wobei sie versuchten, die Nimbus- von den Cirrusformen, die Stratus- von den Cumulusbildungen zu unterscheiden; die Formen veränderten sich, ehe sie die Namen gefunden hatten. Das Barometer täuschte sie, durch das Thermometer erfuhren sie nichts; und sie nahmen ihre Zuflucht zu dem Mittel, das sich ein Priester in der Touraine unter Ludwig XV. ausgedacht hatte. Ein Blutegel in einer Glasglocke sollte bei Regenwetter emporsteigen, bei beständig gutem sich auf dem Grunde halten, sich regen, wenn Unwetter drohte. Aber fast immer widersprach der Luftdruck dem Blutegel. Sie setzten noch drei andere zu diesem ersten. Alle vier benahmen sich auf verschiedene Weise. Nach reiflicher Überlegung erkannte Bouvard, daß er sich getäuscht hatte. Sein Gut erforderte eine Bewirtschaftung im großen, eine starke Anspannung, und er setzte aufs Spiel, was ihm von verfügbaren Kapitalien blieb, dreißigtausend Franken. Von Pécuchet angeregt, geriet er in eine Begeisterung für Dünger. In die Kompostgrube wurden Strauchwerk, Blut, Gedärme, Federn, alles, was er entdecken konnte, geworfen. Er verwandte belgischen Blutdünger, Schweizer Aschendünger, Laugenwasser, saure Heringe, Seetang, Lumpen, ließ Guano kommen, versuchte, welchen herzustellen, -- und seine Prinzipien auf die Spitze treibend, duldete er nicht, daß der Urin verloren ging; er schaffte die Aborte ab. Man brachte Tierleichen in seinen Hof, mit denen er die Erde düngte. Ihr zerschnittenes Aas wurde auf die Felder geworfen. Bouvard lächelte inmitten dieser Verpestung. Eine Pumpe, die auf einem Karren befestigt war, spie Jauche auf die Erntefelder. Zu denen, die sich davon angewidert zeigten, sagte er: „Aber das ist Gold! Das ist Gold!“ Und er bedauerte, nicht noch mehr Dünger zu haben. Glücklich die Länder, in denen man natürliche Höhlen ganz voller Vogelmist findet! Der Raps war kläglich, der Hafer mittelmäßig, und das Korn verkaufte sich schlecht wegen seines Geruchs. Eine sonderbare Tatsache war, daß der Hügel, nachdem er von Steinen gereinigt war, weniger hervorbrachte als früher. Er hielt es für geraten, seine Geräte zu erneuern. Er kaufte eine Messeregge, System Guillaume, einen Grubberpflug, Marke Valcourt, eine englische Säemaschine und den räderlosen Pflug des Mathieu von Dombasle; doch der Pflüger machte ihn herunter. „Lerne damit umzugehen!“ „Gut! Zeigen Sie es mir!“ Er versuchte, ihn vorzuführen, kam nicht zurecht damit, und die Bauern lachten höhnisch. Nie vermochte er, sie an das Glockenzeichen zu gewöhnen. Unaufhörlich schrie er hinter ihnen her, rannte bald hier-, bald dorthin, schrieb seine Beobachtungen in ein Notizbuch, bestellte sie zu sich und dachte nicht mehr daran, -- und sein Kopf kochte von Unternehmergedanken. Er hatte vor, Mohn anzubauen im Hinblick auf die Opiumgewinnung, und besonders den Tragant, den er als „Familienkaffee“ verkaufen wollte. Um die Ochsen schneller zu mästen, ließ er ihnen alle vierzehn Tage zur Ader. Er ließ kein einziges von den Schweinen schlachten und stopfte sie mit gesalzenem Hafer. Bald wurde der Schweinestall zu eng. Sie versperrten den Hof, stießen die Einfriedigungen ein, bissen die Leute. Während der großen Hitze wurden fünfundzwanzig Hammel von der Drehkrankheit befallen und krepierten bald darauf. In derselben Woche verendeten drei Ochsen, eine Folge der Aderlässe Bouvards. Um die Engerlinge zu vernichten, kam er auf den Gedanken, die Hühner in einen rollenden Käfig zu sperren, den zwei Männer hinter dem Pflug herschoben; -- was nicht verfehlte, den Tieren die Pfoten zu zerbrechen. Er stellte Bier aus den Blättern des Gamander her und gab es den Schnittern an Stelle von Most. Erkrankungen der Eingeweide waren die Folge. Die Kinder weinten, die Frauen wimmerten, die Männer waren wütend. Sie drohten alle fortzugehen, und Bouvard gab nach. Um sie jedoch von der Unschädlichkeit seines Getränkes zu überzeugen, trank er in ihrer Gegenwart mehrere Flaschen herunter, fühlte sich unwohl, verbarg aber seine Schmerzen unter einer lustigen Miene. Er ließ sich das Gebräu sogar ins Haus bringen. Am Abend trank er mit Pécuchet davon, und beide gaben sich Mühe, es gut zu finden. Übrigens durfte es nicht ungenützt verloren gehen. Da Bouvards Kolik immer heftiger wurde, holte Germaine den Arzt. Der Arzt war ein ernster Mann mit gewölbter Stirn, der damit anfing, seinen Patienten Furcht einzujagen. Die Cholerine des Herrn müsse von dem Bier herrühren, von dem man im ganzen Orte sprach. Er wollte die Zusammensetzung wissen und tadelte sie in wissenschaftlichen Ausdrücken, wobei er die Achseln zuckte. Pécuchet, der das Rezept geliefert hatte, war tief gedemütigt. Trotz der verderblichen Kalkdüngung, der Ersparnis der zweiten Bearbeitung und der unzeitgemäßen Ausrodung hatte Bouvard im folgenden Jahre eine schöne Weizenernte vor sich. Er wollte sie durch Gärung nach dem System Clap-Mayer auf holländische Art trocknen lassen; -- das heißt, er ließ sie auf einmal schneiden und in große Haufen zusammenlegen, die man auseinanderreißen würde, sobald das Gas zu entweichen begänne; dann sollten sie der freien Luft ausgesetzt werden; -- darauf zog er sich ohne die geringste Besorgnis zurück. Als sie am Tage darauf beim Essen saßen, hörten sie unter dem Buchengang Trommelwirbel. Germaine ging, um zu sehen, was es gab; doch der Mann war schon weit. Fast gleichzeitig begann die Glocke der Kirche heftig zu läuten. Bouvard und Pécuchet wurden von Angst gepackt. Sie erhoben sich, und in ihrer Ungeduld, etwas zu erfahren, gingen sie ohne Kopfbedeckung in der Richtung auf Chavignolles. Eine alte Frau kam des Weges. Sie wußte von nichts. Sie hielten einen kleinen Knaben an; er antwortete: „Ich glaube, es brennt!“ Und der Trommler fuhr fort zu trommeln, die Glocke läutete stärker. Endlich erreichten sie die ersten Häuser des Dorfes. Der Krämer rief ihnen von weitem zu: „Das Feuer ist bei Ihnen!“ Pécuchet setzte sich in Turnerschritt; und er sagte zu Bouvard, der im gleichen Trab an seiner Seite lief: „Eins, zwei; eins, zwei!“ -- im Takte wie die Jäger von Vincennes. Die Straße, die sie zurücklegten, ging bergan; das aufsteigende Gelände verbarg ihnen den Horizont. Sie kamen oben an in die Nähe des Hügels, und mit einem Blick überschauten sie das ganze Unglück. Die sämtlichen Schober flammten hier und dort wie Vulkane auf der nackten Ebene im Abendfrieden. Um den größten standen etwa dreihundert Personen; und unter Anweisung des Bürgermeisters, des Herrn Foureau, in dreifarbiger Schärpe, zogen Burschen mit Stangen und Haken das Stroh vom Gipfel, um das übrige zu retten. Bouvard hätte in seinem Eifer beinahe Frau Bordin umgerannt, die dort stand. Dann bemerkte er einen von seinen Leuten und überhäufte ihn mit Schimpfreden, weil er ihn nicht benachrichtigt habe. Der Knecht war jedoch aus übermäßigem Eifer zuerst ins Haus gerannt, dann zur Kirche, schließlich zu seinem Herrn und war einen andern Weg zurückgekommen. Bouvard verlor den Kopf. Sein Gesinde umringte ihn, alle sprachen zugleich, und er untersagte, die Schober abzutragen; er bat inständig um Hilfe, forderte Wasser, verlangte die Feuerwehr. „Haben wir denn eine!“ rief der Bürgermeister. „Das ist Ihre Schuld!“ erwiderte Bouvard. Er wurde hitzig, brachte unziemliche Reden vor, und alle bewunderten Herrn Foureaus Geduld, der doch brutal war, wie seine dicken Lippen und sein Bulldoggenkiefer anzeigten. Die Hitze der Schober wurde so stark, daß man ihnen nicht mehr nahe kommen konnte. Knisternd drehte sich das Stroh unter den verzehrenden Flammen; die Getreidekörner peitschten das Gesicht wie Bleikugeln. Dann stürzte der Haufe zu einer großen Glutmasse zusammen; Funken stoben daraus hervor; und Schimmer wogten über diese rote Masse, die in den wechselnden Tönen rotgoldene Stellen zeigte und andere, die braun waren wie geronnenes Blut. Die Nacht war hereingebrochen, der Wind blies; Rauchwirbel hüllten die Menge ein. Von Zeit zu Zeit fuhr ein Funke über den dunklen Himmel. Bouvard betrachtete den Brand unter leisem Weinen. Seine Augen verschwanden hinter ihren geschwollenen Lidern, und sein ganzes Gesicht war wie von Schmerz geweitet. Frau Bordin rief ihm zu, während sie mit den Fransen ihres grünen Schals spielte: „Armer Herr Bouvard!“ Sie versuchte ihn zu trösten. Da man nichts daran ändern könne, müsse er sich ins Unabänderliche fügen. Pécuchet weinte nicht. Sehr blaß oder vielmehr erdfahl, mit offenem Munde und kaltem, klebrigem Schweiß im Haar, hielt er sich abseits, in seine Betrachtungen versunken. Doch der Pfarrer, der plötzlich aufgetaucht war, murmelte mit schmeichlerischer Stimme: „Ach, welch ein Unglück, fürwahr; das ist sehr betrüblich! Seien Sie sicher, daß ich Anteil nehme...“ Die anderen heuchelten keine Trauer. Sie plauderten lächelnd, die Hand zum Schutz gegen die Flammen erhoben. Ein Alter hob die brennenden Halme auf, um seine Pfeife anzuzünden. Kinder begannen zu tanzen. Ein Schelm rief sogar, das sei recht spaßig. „Ja, der ist gut, der Spaß!“ antwortete Pécuchet, der es gerade gehört hatte. Das Feuer nahm ab, die Haufen fielen zusammen, und eine Stunde darauf waren nur noch Aschenreste übrig, die auf dem Gelände runde schwarze Stellen bildeten. Da ging man nach Hause. Frau Bordin und der Abbé Jeufroy begleiteten die Herren Bouvard und Pécuchet bis zu ihrer Wohnung. Auf dem Wege machte die Witwe ihrem Nachbar in sehr liebenswürdiger Weise Vorwürfe über sein ungeselliges Wesen, und der Geistliche drückte seine volle Verwunderung aus, daß er bis jetzt noch nicht die Bekanntschaft eines so ausgezeichneten Mitgliedes seines Kirchspiels habe machen können. Alleingelassen suchten sie die Ursache des Brandes, und anstatt wie alle anderen zu erkennen, daß das feuchte Stroh sich von selbst entzündet hatte, vermuteten sie einen Racheakt. Es war ohne Zweifel das Werk Meister Gouys oder vielleicht des Maulwurffängers. Sechs Monate zuvor hatte Bouvard seine Dienste zurückgewiesen und sogar vor einem Zuhörerkreise die Ansicht vertreten, die Regierung müsse diesen Erwerbszweig untersagen, da er verderblich sei. Seit jener Zeit trieb sich der Mensch in der Umgegend umher. Er hatte seinen Bart wachsen lassen und schien ihnen furchtbar, besonders des Abends, wenn er sich am Rande der Höfe zeigte und seinen langen Stecken, der mit aufgehangenen Maulwürfen besetzt war, schüttelte. Der Schaden war beträchtlich, und um sich über ihre Lage zu vergewissern, arbeitete Pécuchet acht Tage lang über Bouvards Buchungen, die ihm ein „wahres Labyrinth“ zu sein schienen. Nachdem er das Tagebuch, die Korrespondenz und das Hauptbuch, das mit Bleistiftnotizen und Verweisungen bedeckt war, verglichen hatte, erkannte er die Wahrheit: keine Ware zu verkaufen, keine Gelder einzukassieren, und in der Kasse nichts. An Stelle des Kapitals figurierte ein Fehlbetrag von dreiunddreißigtausend Franken. Bouvard wollte es nicht glauben, und mehr als zwanzigmal fingen sie von neuem an zu rechnen. Sie kamen immer zu demselben Schlußergebnis. Noch zwei Jahre einer solchen Ackerwirtschaft, und ihr Vermögen ging darauf! Die einzige Abhilfe war, zu verkaufen. Auf jeden Fall mußte man einen Notar um Rat fragen. Der Gang war peinlich; Pécuchet unterzog sich ihm. Der Ansicht des Herrn Marescot zufolge war es besser, keine Zettel anzukleben. Er wollte ernsthaften Käufern gegenüber von dem Pachthof sprechen und deren Vorschläge abwarten. „Sehr gut,“ sagte Bouvard, „man hat Zeit vor sich.“ Er wollte einen Pächter nehmen, dann würde man sehen. „Wir werden nicht unglücklicher sein als früher; nur sind wir jetzt aufs Sparen angewiesen.“ Das durchkreuzte Pécuchets Absichten hinsichtlich der Gartenbebauung, und einige Tage darauf sagte er: „Wir sollten uns ausschließlich der Obstbaumkultur widmen, nicht zum Vergnügen, sondern aus Spekulation. Eine Birne, die drei Sous Unkosten macht, wird in der Hauptstadt oft für fünf bis sechs Franken verkauft. Mit Aprikosen erzielen Gärtner ein Einkommen von fünfundzwanzigtausend Livres. In Sankt Petersburg bezahlt man im Winter Trauben die Dolde mit einem Napoleon. Das ist ein guter Erwerb, das wirst du zugeben. Und was sind die Kosten? Sorgfalt, Dünger und das Schleifen des Gartenmessers!“ Er regte Bouvards Einbildungskraft so an, daß sie sogleich aus ihren Büchern eine Liste der zu kaufenden Setzlinge zusammenstellten, und nachdem sie die Namen ausgewählt hatten, die ihnen am merkwürdigsten vorkamen, wandten sie sich an einen Baumschulgärtner zu Falaise; er lieferte ihnen schleunigst dreihundert Stämme, die er nicht anbringen konnte. Sie ließen einen Schlosser für die Spalierstangen kommen, einen Eisenhändler zum Spannen des Drahtes der Spaliere, einen Zimmermann für die Stützen. Die Formen der Bäume waren im voraus gezeichnet. Auf die Mauer genagelte Lattenstücke bildeten Kandelaber. Zwei Pfähle an jedem Ende der Langbeete dienten als Stützen zur wagerechten Führung der Drähte; und im Obstgarten deuteten Reifen die Form von Vasen, dünne Stäbe in kegelförmiger Anordnung die von Pyramiden an, so daß die Besucher Teile einer unbekannten Maschinerie oder Gerüste von Feuerwerkskörpern zu sehen glaubten. Nachdem die Pflanzlöcher ausgeworfen waren, beschnitten sie die Spitzen der Wurzeln, sowohl der guten wie der schlechten, und setzten sie in Kompost ein. Sechs Monate darauf waren die jungen Bäume eingegangen. Neue Bestellungen beim Gärtner und neue Pflanzungen in noch tiefere Löcher folgten. Doch da der Regen den Boden aufweichte, sanken die Augen von selbst in die Erde, und die Bäume wurzelten ab. Als der Frühling gekommen war, gab Pécuchet sich an das Beschneiden der Birnbäume. Er ließ die Nebenstämme stehen, verschonte die unfruchtbaren Zweige, und da er sich darauf versteifte, die Duchesse-Birnen, die einarmige Kordons bilden sollten, rechtwinklig umzubiegen, so brach oder riß er sie unweigerlich ab. Bei den Pfirsichen konnte er sich nicht in den Leitzweigen, den früheren oder späteren Trieben zurechtfinden. Leere und volle Stellen fanden sich immer da ein, wo er sie nicht brauchen konnte; und es war unmöglich, an dem Spalier ein vollkommenes Rechteck mit sechs Zweigen zur Rechten und sechs Zweigen zur Linken zu bekommen, von den beiden Leitzweigen abgesehen, so daß das Ganze eine schöne Fischgräte gebildet hätte. Bouvard versuchte die Aprikosen zu ziehen; sie zeigten sich widerspenstig. Er schnitt ihre Stämme bis zur Erde weg; keiner schlug wieder aus. Die Kirschbäume, denen er Einschnitte gemacht hatte, brachten Harz hervor. Zuerst beschnitten sie sehr weit, wodurch die Augen am Grunde eingingen, dann zu kurz, was Wasserreiser zur Folge hatte; und häufig waren sie in Verlegenheit, da sie die Holztriebe nicht von den Blütenknospen unterscheiden konnten. Sie hatten sich über die Blüte gefreut; aber nachdem sie ihren Irrtum erkannt hatten, rissen sie dreiviertel davon ab, um das übrige zu kräftigen. Beständig redeten sie von Saft und Kambium, von Einspalieren, Beschneiden und Wegnehmen der Augen. In ihrem Eßzimmer hing in einem Rahmen die Liste ihrer Setzlinge, deren Nummer sich im Garten auf einem kleinen Holze am Fuße des Baumes wiederholte. Sie erhoben sich mit der Morgenröte und arbeiteten bis in die Nacht, den Basthalter am Gürtel. Während der kühlen Frühlingsmorgen behielt Bouvard seine Trikotjacke unter seiner Bluse, Pécuchet seinen alten Rock unter seinem langen Leinwandkittel, und die Leute, die am Gitter vorübergingen, hörten sie durch den Nebel husten. Zuweilen zog Pécuchet sein Handbuch aus der Tasche, und er studierte stehend einen Absatz; die Schaufel neben sich in der Haltung des Gärtners, der den Titel des Buches zierte. Diese Ähnlichkeit war ihm sogar sehr schmeichelhaft. Der Verfasser stieg dadurch in seiner Achtung. Bouvard hockte beständig oben auf einer Leiter vor den Pyramiden. Eines Tages wurde er von Schwindel erfaßt, und da er nicht wagte, herunterzuklettern, schrie er, Pécuchet möge ihm zu Hilfe kommen. Endlich zeigten sich die Birnen, und im Obstgarten gab es Pflaumen. Da wandten sie gegen die Vögel alle Künste an, die man empfiehlt. Doch die Spiegelglasscheiben flimmerten so, daß sie davon geblendet waren, das Klappern der Windmühle weckte sie in der Nacht, und die Sperlinge setzten sich auf den Strohmann. Sie verfertigten einen zweiten und sogar einen dritten, deren Kostüme sie anders gestalteten, doch ohne Erfolg. Doch konnten sie auf ein paar Früchte hoffen. Pécuchet hatte gerade seine Aufzeichnungen darüber an Bouvard gegeben, als plötzlich der Donner grollte und der Regen fiel -- ein schwerer, heftiger Regen. Der Wind schüttelte in Zwischenräumen die ganze Fläche der Spaliere. Die Stützen legten sich eine nach der anderen zu Boden -- und an den unglücklichen Pyramiden, die im Winde schwankten, stießen die Birnen aneinander. Pécuchet hatte sich, als er vom Sturzregen überrascht wurde, in die Hütte geflüchtet. Bouvard hielt sich in der Küche auf. Sie sahen, wie vor ihnen Holzsplitter, Zweige, Schieferstücke im Winde umherwirbelten, -- und die Seemannsfrauen, die zehn Meilen von dort an der Küste auf das Meer auslugten, schauten nicht sehnsüchtiger und waren nicht beklommener im Herzen. Dann stürzten plötzlich die Träger und Stangen der Gegenspaliere auf die Beete. Welches Bild, als sie ihren Rundgang machten! Die Kirschen und Pflaumen bedeckten das Gras zwischen den Hagelkörnern, die schmolzen. Die Passecolmar waren vernichtet, ebenso wie die Bési-des-vétérans und die Triomphes-de-Jordoigne. Kaum, daß von den Äpfeln einige Bons-papas blieben, -- und zwölf Tétons-de-Vénus, die ganze Pfirsichernte, rollten in den Wasserlachen neben dem entwurzelten Buchsbaum. Nach dem Mahle, bei dem sie sehr wenig aßen, sagte Pécuchet sanft: „Wir täten gut, auf dem Pachthof nachzusehen, ob nicht etwas vorgefallen ist?“ „Pah! um noch neue Gründe zur Verstimmung zu entdecken!“ „Vielleicht! Denn wir sind keineswegs vom Schicksal begünstigt.“ Und sie jammerten über die Vorsehung und über die Natur. Bouvard, die Ellbogen auf den Tisch gestützt, gab sein leises Pfeifen von sich, und da alle Schmerzen in Verbindung stehen, kamen ihm seine alten Landwirtschaftspläne ins Gedächtnis zurück, besonders die Mehlbereitung und eine neue Käseart. Pécuchet atmete lärmend, und während er sich Tabakprisen in die Nasenlöcher stopfte, dachte er, wenn das Schicksal es gewollt hätte, wäre er jetzt Mitglied eines Vereins für Ackerbau, er würde auf den Ausstellungen glänzen und in den Zeitungen genannt sein. Bouvard ließ kummervolle Blicke umherschweifen. „Meiner Treu! ich habe Lust, mich des ganzen Krams zu entledigen, damit wir uns anderswo ansiedeln können!“ „Wie du willst,“ sagte Pécuchet. Und einen Augenblick später: „Die Verfasser empfehlen, jeden direkten Zufluß zu unterbinden. Der Saft wird dadurch in seinem Laufe gehemmt, und der Baum leidet notwendigerweise darunter. Um sich wohl zu befinden, müßte er keine Früchte tragen. Indessen bringen die, welche man niemals beschneidet und nie düngt, Früchte, allerdings weniger große, aber desto schmackhaftere. Man gebe mir den Grund davon an! -- und es verlangt nicht nur jede Art ihre besondere Behandlung, sondern sogar jede einzelne Pflanze, gemäß dem Klima, der Temperatur, ein Wirrwarr von Dingen! Wo ist da die Regel? Und welche Hoffnung haben wir auf irgendeinen Erfolg oder Nutzen?“ Bouvard antwortete ihm: „Du wirst bei Gasparin sehen, daß der Nutzen nicht den zehnten Teil des Anlagekapitals übersteigen kann. Also täte man besser, dieses Kapital in eine Bank zu legen. Nach fünfzehn Jahren würde man durch Anhäufung der Zinsen die doppelte Summe besitzen, ohne sich die Gesundheit zu verderben.“ Pécuchet senkte den Kopf. „Sollte die Baumzucht wohl Schwindel sein?“ „Wie die Wissenschaft vom Ackerbau!“ erwiderte Bouvard. Dann klagten sie sich an, zu ehrgeizig gewesen zu sein, und sie beschlossen, fortan mit ihrer Mühe und ihrem Gelde sparsamer zu wirtschaften. Im Obstgarten würde ein Ausputzen der Bäume von Zeit zu Zeit genügen. Die Gegenspaliere wurden verworfen, und sie wollten die eingegangenen und umgebrochenen Bäume nicht ersetzen; doch würden sich sehr häßliche Zwischenräume ergeben, wofern man nicht alle noch stehenden wegnehmen wollte. Wie dabei verfahren? Pécuchet entwarf mehrere Zeichnungen, wobei er sich seines Reißzeuges bediente. Bouvard gab ihm Ratschläge. Sie kamen zu keinem befriedigenden Resultat. Glücklicherweise fanden sie in ihrer Bibliothek das Werk von Boitard, „Der Gartenarchitekt“ betitelt. Der Verfasser teilt sie in eine unendliche Anzahl von Arten ein. Zunächst gibt es da die melancholisch-romantische Art, die sich durch Immortellen zu erkennen gibt, durch Ruinen, Grabmäler und „ein Votiv-Bild mit einer Jungfrau, das die Stelle anzeigt, wo ein vornehmer Herr unter dem Stahl eines Mörders gefallen ist“. Das schreckliche Genre stellt man mit Hilfe von überhangenden Felsen, zerschmetterten Bäumen, in Brand gesetzten Hütten her; das exotische Genre, indem man peruanische Fackeldisteln pflanzt, „um einem Pflanzer oder Reisenden Erinnerungen wachzurufen“. Das ernste Genre muß gleich Ermenonville einen Tempel der Philosophie aufweisen. Die Obelisken und Triumphbögen charakterisieren das majestätische Genre. Moos und Grotten das geheimnisvolle; ein See das träumerische Genre. Es gibt sogar ein phantastisches Genre, dessen schönstes Beispiel vor kurzem in einem Garten in Württemberg zu sehen war, -- denn man sah dort nacheinander einen Eber, einen Eremiten, mehrere Grabmäler und eine Barke, die von selbst vom Ufer abstieß, um den Besucher in einen Raum zu bringen, wo Wasserkünste ihn überschütteten, wenn man sich auf das Sofa setzte. Vor diesem Horizont von Wundern waren Bouvard und Pécuchet wie geblendet. Das phantastische Genre schien ihnen Fürsten vorbehalten zu sein. Der Tempel der Philosophie würde zu viel Platz einnehmen. Das Votiv-Bild mit der Madonna würde des Sinnes entbehren angesichts der fehlenden Mörder, und die amerikanischen Pflanzen -- um so schlimmer für die Pflanzer und die Reisenden -- würden zu viel Geld kosten. Aber die Felsen lagen im Bereich der Möglichkeit, ebenso die zerschmetterten Bäume, die Immortellen und das Moos, -- und in immer zunehmender Begeisterung stellten sie nach vielem Hin- und Hersuchen mit Hilfe eines einzigen Dieners und für eine ganz geringe Summe einen Wohnsitz her, wie er im ganzen Orte nicht seinesgleichen hatte. Der hier und da durchbrochene Laubengang öffnete sich auf eine Anpflanzung, die nach Art eines Labyrinthes von gewundenen Alleen durchzogen war. In der Spaliermauer hatten sie eine Bogenwölbung herstellen wollen, durch die man die Fernsicht wahrnehmen sollte. Da der obere Teil sich nicht in der Schwebe halten konnte, war ein ungeheurer Mauerbruch entstanden, dessen Trümmer auf der Erde umherlagen. Sie hatten die Spargel geopfert, um ein etruskisches Grabmal an deren Stelle bauen zu können, das heißt einen Würfel aus schwarzem Gips, der sechs Fuß Höhe hatte und aussah wie eine Hundehütte. Vier Koniferen standen an den Ecken dieses Grabmals, das von einer Urne überragt und mit einer Inschrift geschmückt werden sollte. In einem andern Teile des Gemüsegartens überspannte eine Art Rialto einen Teich, dessen Ufer mit Miesmuscheln ausgelegt waren. Die Erde schluckte das Wasser; gleichviel! Es würde sich eine Tonschicht bilden, die es aufhalten würde. Der Schuppen war mit Hilfe von farbigem Glas in eine ländliche Hütte umgewandelt. Auf dem Gipfel des Schneckenberges trugen sechs vierkantig behauene Bäume einen Hut aus Eisenblech mit umgebogener Krämpe, und das Ganze stellte eine chinesische Pagode vor. Sie hatten an den Ufern der Orne Granitstücke ausgewählt, sie zerschlagen, numeriert und selbst auf einem Karren herbeigeschleppt. Dann hatten sie die einzelnen Stücke mit Zement verbunden, während sie sie aufeinander häuften; und mitten auf dem Rasen erhob sich ein Fels, ähnlich einer riesigen Kartoffel. Es fehlte noch etwas, um den harmonischen Eindruck zu vervollständigen. Sie schlugen die größte Linde des Laubenganges um -- sie war übrigens zu Dreivierteln eingegangen -- und legten sie ihrer ganzen Länge nach durch den Garten, so daß man glauben konnte, sie sei durch einen Sturzbach angeschwemmt oder vom Blitz zu Boden gestreckt. Als sie damit fertig waren, rief Bouvard, der auf der Freitreppe stand, von weitem: „Von hier sieht man besser!“ „Sieht man besser!“ wiederholten die Lüfte. Pécuchet antwortete: „Ich komme!“ „Komme!“ „Sieh da, ein Echo!“ „Echo!“ Bis dahin hatte die Linde es verhindert, sich bemerkbar zu machen, und es wurde durch die Pagode begünstigt, die der Scheune gegenüberstand; ihr Giebel überragte den Laubengang. Um das Echo zu erproben, belustigten sie sich damit, Scherzworte zu rufen; Bouvard brüllte anstößige Zoten. Er war mehrere Male unter dem Vorwande, Geld zu erheben, in Falaise gewesen, und er kehrte immer mit kleinen Paketen zurück, die er in seine Kommode einschloß. Pécuchet reiste eines Tages nach Bretteville und kam sehr spät heim mit einem Handkorb, den er unter seinem Bette verbarg. Am folgenden Tage hatte Bouvard beim Erwachen eine Überraschung. Die beiden vorderen Taxusbäume, die am gestrigen Abend noch kugelförmig gewesen waren, hatten die Gestalt von Pfauen, und ein Horn mit zwei Porzellanknöpfen bildete den Schnabel und die Augen. Pécuchet hatte sich bei Tagesanbruch erhoben, und zitternd, er möchte entdeckt werden, hatte er die beiden Bäume nach Angabe der von Dumouchel übersandten Werke beschnitten. Seit sechs Monaten suchten die anderen Bäume hinter diesen beiden mehr oder weniger glücklich Pyramiden, Würfel, Zylinder, Hirsche oder Sessel nachzuahmen. Aber nichts kam den Pfauen gleich. Bouvard sprach in hohen Lobreden seine Anerkennung darüber aus. Unter dem Vorwande, sein Scheit vergessen zu haben, zog er seinen Gefährten in das Labyrinth, denn er hatte Pécuchets Abwesenheit benutzt, um auch seinerseits etwas Außerordentliches zu leisten. Die Tür nach den Feldern war mit einer Gipslage überzogen, auf der sich in schöner Ordnung fünfhundert Pfeifenköpfe aneinanderreihten. Sie stellten Emire, Neger, nackte Frauen, Pferdefüße und Totenköpfe vor. „Begreifst du meine Ungeduld?“ „Ganz gewiß!“ Und in der Erregung umarmten sie sich. Wie alle Künstler hatten sie das Bedürfnis nach Beifall, und Bouvard gedachte ein großes Diner zu geben. „Gib acht! Du wirst dich ins Empfangen stürzen. Das ist ein Abgrund.“ Indessen wurde die Veranstaltung beschlossen. Solange sie die Gegend bewohnten, hatten sie sich abseits gehalten. Alle nahmen, von dem Wunsche beseelt, sie kennen zu lernen, ihre Einladung an, ausgenommen der Graf von Faverges, den Geschäfte in die Hauptstadt riefen. Sie hielten sich dafür an Herrn Hurel, sein Faktotum. Beljambe, der Wirt, ehemaliger Küchenchef in Lisieux, sollte gewisse Schüsseln zubereiten. Er stellte einen Kellner. Germaine hatte die Viehmagd zu Hilfe genommen. Marianne, die Magd der Frau Bordin, sollte auch kommen. Mit dem vierten Glockenschlage wurde das Gittertor weit geöffnet, und die beiden Besitzer erwarteten voll Ungeduld ihre Gäste. Hurel blieb unter dem Buchengange stehen, um seinen Rock wieder anzuziehen. Dann näherte sich der Geistliche, der eine neue Soutane angelegt hatte, und einen Augenblick später kam Herr Foureau in einer Sammetweste. Der Doktor führte seine Frau am Arm, die mühsam vorwärtsschritt, während sie sich mit dem Sonnenschirm schützte. Eine Flut von roten Bändern wogte hinter ihnen, es war die Haube der Frau Bordin, die in einer schönen buntseidenen Robe steckte. Ihre goldene Uhrkette schlug gegen ihre Brust, und ihre Ringe blitzten an ihren beiden Händen, die von schwarzen Halbhandschuhen bedeckt waren. Endlich erschien der Notar, einen Panama auf dem Kopfe, ein Glas im Auge, denn der Beamte ertötete in ihm nicht den Mann von Welt. Der Salon war so glatt, daß man kaum darin stehen konnte. Die acht Utrechter Sessel standen mit ihren Lehnen an der Wand entlang; ein runder Tisch in der Mitte trug das Likörservice, und über dem Kamin erblickte man das Bild des alten Bouvard. Das im darauf fallenden Licht sichtbar werdende Nachdunkeln des Bildes gab dem Munde einen verzogenen Ausdruck und den Augen einen schielenden Blick, und etwas Schimmel auf den Wangen verstärkte den Eindruck von Koteletten. Die Gäste stellten eine Ähnlichkeit zwischen dem alten Bouvard und seinem Sohne fest, und Frau Bordin fügte hinzu, er müsse ein sehr schöner Mann gewesen sein, wobei sie Bouvard ansah. Nachdem man eine Stunde gewartet, kündigte Pécuchet an, man könne in den Saal hinübergehen. Die Vorhänge aus weißem Kattun mit roter Kante waren wie die des Salons vollständig vor die Fenster gezogen, und die Sonne, die den Stoff durchdrang, warf ein blondes Licht über die Wandtäfelung, die als einzigen Schmuck ein Barometer aufwies. Bouvard setzte die beiden Damen neben sich, Pécuchet den Bürgermeister zu seiner Linken, den Pfarrer zu seiner Rechten, und man machte sich an die Austern. Sie schmeckten moderig. Bouvard war untröstlich, erging sich in Entschuldigungen, und Pécuchet erhob sich, um in der Küche Beljambe eine Szene zu machen. Die ganze Zeit während der ersten Gänge, die aus einer Scholle, ferner einer Pastete und gedämpften Tauben bestanden, stand die Mostbereitung im Mittelpunkt der Unterhaltung. Dann kam man auf bekömmliche und unbekömmliche Gerichte. Selbstverständlich wurde der Arzt um Rat gefragt. Seine Beurteilung der Dinge war skeptisch wie die eines Mannes, der auf den Grund der Wissenschaft geblickt hat; er duldete indessen nicht den geringsten Widerspruch. Zu dem Lendenbraten wurde Burgunder gereicht. Er war trübe. Bouvard, der für dieses ärgerliche Vorkommnis das Spülen der Flasche verantwortlich machte, ließ drei andere ohne größeren Erfolg versuchen und schenkte dann Saint-Julien ein, der augenscheinlich zu jung war, und alle Gäste verstummten. Hurel lächelte ununterbrochen; die schweren Schritte des Kellners dröhnten auf den Fliesen. Frau Vaucorbeil, untersetzt und mit schlechtgelaunter Miene (sie befand sich übrigens gegen Ende ihrer Schwangerschaft), hatte vollständiges Schweigen gehütet. Bouvard, der nicht wußte, womit er sie unterhalten solle, erzählte ihr vom Theater in Caen. „Meine Frau geht niemals ins Schauspiel,“ sagte der Arzt. Herr Marescot besuchte, wenn er sich in Paris aufhielt, einzig die italienische Oper. „Ich,“ sagte Bouvard, „ich leistete mir zuweilen einen Parterreplatz im Vaudeville-Theater, um Schwänke zu hören.“ Foureau fragte Frau Bordin, ob sie Schwänke liebe. „Das kommt darauf an, von welcher Art sie sind,“ sagte sie. Der Bürgermeister neckte sie. Sie gab die Scherze zurück. Dann teilte sie ein Rezept für Gurken mit. Übrigens waren ihre Hausfrauentalente bekannt, und sie besaß ein kleines, wunderbar bewirtschaftetes Gut. Foureau befragte Bouvard: „Haben Sie die Absicht, Ihre Besitzung zu verkaufen?“ „Lieber Gott, bis zum Augenblick weiß ich wirklich nicht...“ „Wie! nicht einmal das Stück der Ecalles?“ fuhr der Notar fort, „das würde etwas Passendes für Sie sein, Frau Bordin.“ Die Witwe erwiderte, sich zierend: „Die Ansprüche des Herrn Bouvard möchten zu hoch sein.“ „Man könnte ihn vielleicht mürbe machen.“ „Ich werde es nicht versuchen!“ „Pah! wenn Sie ihm einen Kuß gäben?“ „Versuchen wir es nun gerade,“ sagte Bouvard. Und unter dem Beifall der Gesellschaft küßte er sie auf beide Wangen. Fast zu gleicher Zeit entkorkte man den Sekt. Das Knallen der Pfropfen erhöhte die frohe Stimmung. Pécuchet gab ein Zeichen, die Vorhänge öffneten sich, und der Garten wurde sichtbar. In der Dämmerung war der Eindruck schrecklich. Der Fels nahm wie ein Berg den Rasen ein, das Grabmal bildete zwischen dem Spinat einen Würfel, die venezianische Brücke über den Bohnen einen Zirkumflex, -- und darüber hinaus die Hütte einen schwarzen Fleck, denn sie hatten das Strohdach angezündet, um sie poetischer zu machen. Die Taxusbäume in Form von Hirschen oder Sesseln folgten einander bis zu dem niedergeschmetterten Baum, der sich querhindurch von dem Laubengange bis zur Laube erstreckte, wo Tomaten wie Stalaktiten herabhingen. Hier und da entfaltete eine Sonnenblume ihre gelbe Scheibe. Die rotgestrichene chinesische Pagode auf dem Hügel glich einem Leuchtturm. Die von der Sonne getroffenen Pfauenschnäbel sprühten Lichter, und hinter dem Gitter, von dem man die Latten fortgenommen, schloß das ganz flache Gelände den Horizont. Das Staunen der Gäste war für Bouvard und Pécuchet ein Hochgenuß. Frau Bordin besonders bewunderte die Pfauen; doch das Grabmal fand kein Verständnis, ebensowenig die angezündete Hütte und die in Ruinen gelegte Mauer. Dann betrat einer nach dem andern die Brücke. Um den Teich zu füllen, hatten Bouvard und Pécuchet den ganzen Morgen hindurch Wasser angefahren. Es war zwischen den schlecht verbundenen Steinen des Grundes durchgesickert, und Schlamm bedeckte sie. Während des Rundganges erlaubte man sich, zu kritisieren. „An Ihrer Stelle würde ich das so gemacht haben. -- Die Erbsen sind zurück. -- Offen gesagt, dieser Winkel ist nicht sauber. -- Mit einer solchen Beschneidung werden sie niemals Früchte bekommen.“ Bouvard war genötigt zu antworten, daß ihm die Früchte gleichgültig seien. Als man den Laubengang entlang ging, sagte er mit pfiffiger Miene: „Ah! da ist jemand, den wir stören; bitte tausendmal um Entschuldigung!“ Der Scherz blieb unerwidert. Jeder kannte die Dame aus Gips. Nach mehreren Umwegen im Labyrinth gelangte man schließlich vor die Tür mit den Pfeifen. Betroffene Blicke wurden gewechselt. Bouvard beobachtete die Gesichter seiner Gäste, -- und voller Ungeduld, ihre Ansicht zu erfahren, fragte er: „Was sagen Sie dazu?“ Frau Bordin platzte aus. Alle andern taten desgleichen, der Herr Pfarrer gab eine Art Glucksen von sich, Hurel hüstelte, der Arzt weinte, seine Frau litt an einem nervösen Krampf, -- und Foureau, ein Mann ohne Rücksichten, brach einen Emir ab, den er als Andenken in die Tasche steckte. Als man aus dem Laubengang herauskam, schrie Bouvard, um seine Gäste durch das Echo in Verwunderung zu setzen, aus Leibeskräften: „Diener! meine Damen!“ Kein Laut! Das Echo war verschwunden. Das lag an den Ausbesserungen, die man an der Scheune vorgenommen hatte: der Giebel und die Bedachung waren abgerissen. Der Kaffee wurde auf dem Schneckenberg gereicht, -- und die Herren waren im Begriff, eine Partie Kugeln zu beginnen, als sie gegenüber, hinter dem Gitter, einen Mann sahen, der sie anblickte. Er war mager und sonnverbrannt, trug eine zerfetzte rote Hose, eine blaue Joppe, kein Hemd; sein schwarzer Bart war kurz geschnitten; und mit heiserer Stimme stieß er einzeln die Worte hervor: „Geben Sie mir ein Glas Wein!“ Der Bürgermeister und der Abbé Jeufroy erkannten ihn sogleich wieder. Es war ein ehemaliger Schreiner aus Chavignolles. „Nun, Gorju, macht, daß Ihr fortkommt!“ sagte Herr Foureau. „Man bettelt nicht!“ „Ich betteln!“ schrie der Mann erbost. „Ich habe sieben Jahre in Afrika gekämpft. Ich komme aus dem Spital. Keine Arbeit! Soll ich morden? Verflucht nochmal!“ Sein Zorn legte sich von selbst, und die beiden Fäuste in die Hüften gestemmt, betrachtete er die Bürger mit melancholischer und spöttischer Miene. Die Anstrengungen der Biwaks, Absinth und Fieber, ein ganzes Dasein von Elend und Völlerei offenbarte sich in seinen trüben Augen. Seine bleichen Lippen zitterten, wobei sein Zahnfleisch sich entblößte. Der weite purpurgefärbte Himmel umfing ihn mit einem blutigen Schimmer, und seine Halsstarrigkeit, dort bleiben zu wollen, verbreitete ein Gefühl von Entsetzen. Um ein Ende zu machen, holte Bouvard den Rest einer Flasche herbei. Der Vagabund trank ihn gierig herunter und verschwand dann gestikulierend in den Haferfeldern. Darauf tadelte man Bouvard. Durch solche Nachgiebigkeit begünstige man die Unordnung. Doch Bouvard, der durch den Mißerfolg seines Gartens gereizt war, begann das Volk zu verteidigen, -- alle sprachen zu gleicher Zeit. Foureau hob die Regierung in den Himmel, für Hurel gab es nur Grundbesitz in der Welt. Der Abbé Jeufroy beklagte sich, daß man die Religion nicht schütze. Pécuchet schimpfte über die Steuern. Frau Bordin rief in Zwischenräumen: „In erster Linie verabscheue ich die Republik,“ und der Arzt erklärte sich für den Fortschritt. „Denn schließlich, meine Herren, haben wir Reformen nötig.“ -- „Möglich!“ antwortete Foureau, „aber alle diese Ideen schaden den öffentlichen Angelegenheiten!“ „Ich pfeife auf die öffentlichen Angelegenheiten!“ schrie Pécuchet. Vaucorbeil fuhr fort: „Dürfen wir wenigstens die Kapazitäten heranziehen?“ Bouvard ging nicht so weit. „Das ist Ihre Meinung?“ erwiderte der Doktor, „dann weiß man, wer Sie sind! Guten Abend! Ich wünsche Ihnen eine Sündflut, damit Sie auf Ihrem Teich Kahn fahren können.“ „Ich gehe auch,“ sagte einen Augenblick später Herr Foureau. Und auf seine Tasche weisend, in der sich der Emir befand: „Wenn ich einen neuen nötig habe, komme ich wieder!“ Bevor der Pfarrer ging, vertraute er Pécuchet schüchtern an, daß er dieses heidnische Grabmal inmitten der Gemüse nicht schicklich finde. Hurel grüßte bei seinem Aufbruch die Anwesenden sehr tief. Herr Marescot war gleich nach dem Nachtisch verschwunden. Frau Bordin begann die Einzelheiten ihrer Gurkenbereitung von neuem, versprach ein zweites Rezept für Pflaumen in Branntwein und ging noch dreimal in der großen Allee auf und ab; als sie jedoch an der Linde vorbeikam, hakte sich der Saum ihres Gewandes fest, und sie hörten sie murmeln: „Lieber Gott! Was für eine Dummheit ist das mit diesem Baum!“ Bis Mitternacht ließen die beiden Gastgeber unter der Laube ihren Verdruß aus. Gewiß waren zwei, drei Kleinigkeiten hier und da in dem Diner zu tadeln; indessen hatten sich ja die Gäste wie Vielfraße vollgepfropft, ein Beweis, daß es so schlecht nicht war. Was jedoch den Garten anlangte, so rührte soviel Herabsetzung von der schwärzesten Eifersucht her; und sich erhitzend, riefen sie: „Ach! Das Wasser fehlt in dem Teich! Geduld! Man wird sogar einen Schwan und Fische darin sehen!“ „Die Pagode haben sie kaum beachtet!“ „Zu behaupten, die Ruinen seien nicht reinlich, ist die Ansicht eines Dummkopfes!“ „Und das Grabmal eine Unschicklichkeit! Warum eine Unschicklichkeit? Hat man nicht das Recht, auf seiner Besitzung so etwas zu erbauen? Ich werde mich sogar darin beisetzen lassen!“ „Still davon!“ sagte Pécuchet. Dann gingen sie die Gäste der Reihe nach durch. „Der Arzt sieht wie ein rechter Poseur aus.“ „Hast du Marescots Grinsen vor dem Porträt bemerkt?“ „Was für ein ungehobelter Klotz dieser Herr Bürgermeister ist! Wenn man in einem Hause speist, zum Teufel, so schont man die Sehenswürdigkeiten.“ „Und Frau Bordin?“ sagte Bouvard. „Na, das ist eine Intrigantin! Laß mich in Ruhe mit der!“ Von der Gesellschaft angewidert, beschlossen sie, mit niemandem mehr zu verkehren und ausschließlich für sich allein zu Hause zu leben. Und sie brachten ganze Tage im Keller damit zu, den Weinstein von den Flaschen zu entfernen, lackierten alle Möbel neu, bohnten die Zimmer; jeden Abend erörterten sie, wenn sie das Holz brennen sahen, die besten Heizsysteme. Aus Sparsamkeit versuchten sie, Schinken zu räuchern und die Wäsche zu waschen; Germaine, die sie belästigten, zuckte die Achseln. Um die Einmachezeit geriet sie in Wut, und sie richteten sich im Backhaus ein. Es hatte ehemals als Waschhaus gedient und besaß unter dem gespaltenen Holz einen großen eingemauerten Kessel, der sich ausgezeichnet für ihre Pläne eignete, denn der Ehrgeiz hatte sie gepackt, Konserven herzustellen. Vierzehn Einmachegläser wurden mit Tomaten und Erbsen gefüllt; sie dichteten den Verschluß mit ungelöschtem Kalk und Käse, setzten auf die Ränder Leinwandstreifen und stellten die Gläser in kochendes Wasser. Es verdampfte; sie gossen kaltes nach; der Temperaturunterschied ließ die Gläser platzen. Nur drei wurden gerettet. Dann verschafften sie sich alte Sardinenbüchsen, taten Kalbskoteletten hinein und brachten sie in ein Sandbad. Sie kamen rund wie Ballons wieder heraus; die Abkühlung sollte sie flach machen. Um den Versuch fortzusetzen, verschlossen sie in andere Büchsen Eier, Endivien, Hummer, ein pikantes Fischgericht, eine Suppe! -- und sie waren über sich selbst entzückt, wie Herr Appert, „die Jahreszeiten festgelegt zu haben“. Solche Entdeckungen gingen nach Pécuchet über die Taten der Eroberer hinaus. Sie vervollkommneten die Mixed-pickles-Bereitung der Frau Bordin, indem sie den Essig mit Pfeffer würzten; und ihre Branntweinpflaumen waren bedeutend vorzuziehen! Durch Mazerieren erhielten sie Himbeer- und Absinth-Ratafia. In einer Bagnolser Tonne wollten sie aus Honig und Engelwurz Malagawein herstellen; und sie unternahmen ebenso die Bereitung des Champagners! Die Chablisflaschen, die vom Weinmost rissig geworden waren, platzten von selbst. Da zweifelten sie nicht mehr am Gelingen. Ihre Kenntnisse erweiterten sich, und sie argwöhnten infolgedessen überall Fälschungen von Nahrungsmitteln. Dem Bäcker gegenüber nörgelten sie über die Farbe des Brotes. Sie machten sich den Krämer zum Feinde, indem sie behaupteten, er fälsche seine Schokolade. Sie begaben sich nach Falaise, um Brustbeerenpaste zu verlangen -- und vor den Augen des Apothekers unterwarfen sie seine Paste der Probe durch das Wasser. Sie nahm das Aussehen einer Speckschwarte an, was Gelatinegehalt anzeigte. Nach diesem Triumph wuchs ihr Stolz. Sie erstanden die Gerätschaften eines verkrachten Branntweinbrenners, und bald kamen in das Haus Siebe, kleine Tonnen, Trichter, Schaumlöffel, Seihebeutel und Wagen, ohne eine Mulde mit Kugel und eine Retorte mit einem Helmkühler, welche einen Schmelzofen nebst Rauchfang erforderte, zu zählen. Sie lernten, wie Zucker geläutert wird, und welche verschiedene Arten man durch Einkochen erzielen kann, den groß- und den kleingeperlten, den Schaumzucker, den aufgegangenen, den schleimigen und den Karamellzucker. Doch es verlangte sie, die Retorte zu gebrauchen; und sie machten sich an die Likörbereitung, wobei sie mit dem Anisschnaps anfingen. Die Flüssigkeit führte fast immer die festen Bestandteile mit, oder diese setzten sich auf dem Grunde fest; dann wieder hatten sie sich in betreff des Mengungsverhältnisses geirrt. Um sie glänzten die großen kupfernen Abdampfschalen, die Kolben streckten ihre spitzen Schnäbel aus, die Pfannen hingen an den Wänden. Oft sortierte der eine Kräuter auf dem Tisch, während der andere die Kanonenkugel in der aufgehängten Mulde bewegte; sie rührten mit den Löffeln um, sie kosteten die Mischungen. Bouvard, dem immer der Schweiß herunterlief, trug nur Hemd und Hose, welch letztere er mit seinen kurzen Hosenträgern bis zur Magenhöhlung emporgezogen hatte; aber verwirrt wie ein Vogel, vergaß er die Scheidewand des Kolbens, oder er feuerte zu stark. Pécuchet, unbeweglich in seiner langen Bluse, eine Art Kinderkittel mit Ärmeln, murmelte Berechnungen; und sie hielten sich für sehr ernsthafte Menschen, die sich mit nützlichen Dingen beschäftigten. Schließlich träumten sie von einem feinen Likör, der alle anderen übertrumpfen sollte. Sie wollten Koriander zusetzen wie beim Kümmel, Kirsch wie beim Maraschino, Ysop wie beim Chartreuse, Bisam wie beim Vespetro, Magenwurz wie beim Krambambuli; und durch Sandelholz sollte er eine rote Farbe erhalten. Doch unter welchem Namen sollten sie ihn in den Handel bringen? Denn man brauchte einen leicht zu behaltenden, aber doch absonderlich klingenden Namen. Nachdem sie lange gesucht hatten, entschlossen sie sich, ihn „Bouvarine“ zu nennen. Gegen Ende des Herbstes zeigten sich Flecke in den drei Konservengläsern. Die Tomaten und die Erbsen waren verdorben. Sollte das vom Verschluß herrühren? Da quälte sie das Problem des Verschließens. Um neue Methoden zu erproben, fehlte es ihnen an Geld. Ihr Pachthof machte ihnen Kummer. Mehrere Male hatten sich Pächter zur Übernahme angeboten, Bouvard hatte nichts davon wissen wollen. Aber sein erster Knecht bewirtschaftete den Hof nach seinen Anweisungen mit einem gefährlichen Sparsystem der Art, daß die Ernten geringer wurden, alles dem Untergange entgegenging, und sie sprachen von ihren Verlegenheiten, als Meister Gouy in ihr Laboratorium trat, von seiner Frau begleitet, die sich furchtsam zurückhielt. Dank aller Bearbeitung, die man dem Boden hatte zuteil werden lassen, war das Land besser geworden, -- und er kam, um den Pachthof wieder zu übernehmen. Er machte ihn herunter. Trotz aller ihrer Mühen seien die Erträgnisse vom Zufall abhängig; mit einem Wort, wenn er wünschte, ihn wieder zu übernehmen, so sei es aus Liebe zur Scholle und aus Sehnsucht nach so guten Herren. Man entließ ihn kühl. Er kam noch denselben Abend wieder. Pécuchet hatte Bouvard lange darüber vorgepredigt; sie wollten nachgeben. Gouy verlangte eine Herabsetzung des Pachtzinses, und da die Gegenpartei heftig protestierte, begann er mehr zu brüllen als zu sprechen, indem er den lieben Gott zum Zeugen anrief, seine Mühsale aufzählte, seine Verdienste rühmte. Als man ihn aufforderte, seinen Preis zu sagen, senkte er, anstatt zu antworten, den Kopf. Da begann seine Frau, die, einen großen Korb auf den Knien, an der Tür saß, dieselben Beteuerungen, indem sie mit scharfer Stimme wie ein verwundetes Huhn kreischte. Schließlich wurde der Vertrag zu der Bedingung von dreitausend Franken Jahreszins abgeschlossen; das war ein Drittel weniger als früher. Noch in derselben Sitzung machte Meister Gouy den Vorschlag, das Inventar zu kaufen, und die Wechselreden begannen von neuem. Die Schätzung der Gegenstände dauerte vierzehn Tage. Bouvard war von der Anstrengung halb tot. Er gab alles für eine so lächerliche Summe hin, daß Gouy zuerst die Augen aufriß, und „Abgemacht“ ausrufend, in seine Hand einschlug. Darauf luden die Besitzer dem Brauche gemäß zu einem kleinen Imbiß in ihrer Wohnung ein, und Pécuchet entkorkte, weniger aus Großmut, als in der Hoffnung, etwas Schmeichelhaftes zu hören, eine Flasche seines Malaga. Doch der Bauer sagte, die Nase rümpfend: „Das schmeckt wie Lakritzensaft.“ Und seine Frau verlangte, „um den Geschmack von der Zunge zu bekommen“, ein Glas Branntwein. Eine wichtigere Angelegenheit nahm sie in Anspruch! Alle Bestandteile des „Bouvarine“-Likörs waren endlich zusammen. Sie füllten damit den Kolben, fügten Alkohol hinzu, zündeten das Feuer an und warteten. Unterdessen nahm Pécuchet, dem der mißlungene Malaga keine Ruhe ließ, die Blechdosen aus dem Schrank, löste den Deckel der ersten, dann der zweiten, der dritten. Wütend warf er sie hin und rief Bouvard. Bouvard schloß den Hahn des Kühlrohrs und stürzte sich auf die Konserven. Die Enttäuschung war vollständig. Die Kalbfleischscheiben ähnelten gekochten Sohlen. Der Hummer hatte sich in eine schmutzige Flüssigkeit verwandelt. Das Fischgericht war nicht mehr zu erkennen. Pilze waren auf der Suppe gewachsen, -- und ein unerträglicher Geruch verpestete das Laboratorium. Plötzlich zersprang die Retorte mit dem Knalle einer Granate in tausend Scherben, die bis zur Decke flogen, die Töpfe zerschlugen, die Schaumlöffel platt drückten, die Gläser zerschmetterten; die Kohle zerstreute sich, der Ofen war entzwei, -- und am folgenden Tage fand Germaine im Hofe einen Spatel. Die Kraft des Dampfes hatte das Instrument zersprengt, und das um so eher, als der Kolben am Knauf geschlossen war. Pécuchet hatte sich sogleich hinter den Bottich geduckt, und Bouvard war auf einen Schemel gesunken. Zehn Minuten lang verharrten sie in dieser Stellung, nicht wagend, eine Bewegung zu machen, bleich vor Schrecken inmitten der Scherben. Als sie die Sprache wiedererlangt hatten, fragten sie sich, was der Grund zu so viel Unglück, besonders zu dem letzten, sei; und sie begriffen nichts davon, ausgenommen, daß sie beinahe umgekommen wären. Pécuchet schloß mit folgenden Worten: „Vielleicht ist der Grund der, daß wir nichts von der Chemie verstehen!“ III Um sich Kenntnisse in der Chemie anzueignen, verschafften sie sich die Abhandlung von Regnault und erfuhren zunächst, „daß die einfachen Körper vielleicht zusammengesetzt sind.“ Man teilt sie in Metalloide und Metalle -- ein Unterschied, der „nichts Absolutes“ hat, sagt der Verfasser. Ebenso gilt für die Säuren und die Basen, „daß ein Körper sich nach Art der Säuren oder der Basen, ganz den Umständen zufolge, verhalten kann“. Die Bemerkung schien ihnen seltsam. -- Die multiplen Proportionen setzten Pécuchet in Verwirrung. „Da ein Molekül von A, so nehme ich an, sich mit mehreren Teilen von B verbindet, so scheint mir, daß dieses Molekül sich in ebenso viele Teile teilen muß; doch wenn es sich teilt, hört es auf, Einheit, das ursprüngliche Molekül, zu sein. Kurz, das verstehe ich nicht.“ „Ich auch nicht!“ sagte Bouvard. Und sie nahmen ihre Zuflucht zu einem weniger schwierigen Werke, dem von Girardin, wo sie die Gewißheit erlangten, daß zehn Liter Luft hundert Gramm wiegen, daß die Bleistifte kein Blei enthalten, und daß der Diamant nur aus Kohlenstoff besteht. Was sie übermäßig in Verwunderung setzte, war, daß die Erde als Element nicht existiert. Sie machten sich an die Handhabung des Lötrohrs, befaßten sich mit Gold, Silber, Wäschelauge, dem Verzinnen von Bratpfannen. Dann stürzten sie sich ohne alle Bedenken in die organische Chemie. Wie wunderbar, bei den lebenden Wesen dieselben Stoffe wiederzufinden, aus denen die Minerale bestehen. Nichtsdestoweniger fühlten sie eine Art von Demütigung bei dem Gedanken, daß ihre Person Phosphor wie die Streichhölzer, Albumin wie das Weiße der Eier, Wasserstoffgas wie die Laternen enthielt. Nach den Farben und den Fettkörpern kam die Gärung an die Reihe. Sie brachte sie auf die Säuren, -- und das Gesetz des Mengenverhältnisses bereitete ihnen noch einmal Verlegenheit. Sie versuchten, mit der Atomtheorie Licht hinein zu bringen; das verwirrte sie vollends. Um das alles zu verstehen, hätte man nach Bouvards Ansicht Instrumente haben müssen. Die Ausgabe war beträchtlich, und sie hatten schon zu viele gehabt. Doch der Doktor Vaucorbeil konnte sie jedenfalls aufklären. Sie fanden sich zur Zeit seiner Sprechstunden ein. „Meine Herren! Ich bin ganz Ohr! Was fehlt Ihnen?“ Pécuchet erwiderte, sie seien nicht krank, und nachdem er den Zweck ihres Besuches auseinandergesetzt, sagte er: „Wir wünschen in erster Linie die höhere Atomlehre kennenzulernen.“ Der Arzt wurde sehr rot, dann tadelte er sie, daß sie die Chemie erlernen wollten. „Ich leugne nicht deren Bedeutung, seien Sie dessen versichert. Doch heutzutage bringt man sie mit allem und jedem in Verbindung. Auf die Medizin übt sie einen Einfluß aus, den man beklagen muß.“ Und das Gewicht seines Wortes wurde durch den Anblick der Dinge der Umgebung verstärkt. Bleipflaster und Binden lagen auf dem Kamin umher. Der Kasten mit den chirurgischen Instrumenten stand mitten auf dem Schreibtisch, in einer Ecke des Zimmers lagen Sonden in einer Schale und an der Wand hing die Darstellung einer Muskelfigur. Pécuchet machte dem Arzt ein Kompliment. „Das muß ein interessantes Studium sein, die Anatomie.“ Herr Vaucorbeil erging sich über den Reiz, den das Sezieren einst für ihn gehabt hatte; und Bouvard fragte, welche Beziehungen zwischen dem Innern der Frau und dem des Mannes beständen. Um ihre Neugierde zu befriedigen, entnahm der Arzt seinem Büchervorrat einen Band anatomischer Tafeln. „Nehmen Sie sie mit! Sie werden sie zu Hause mit mehr Muße betrachten!“ Das Skelett setzte sie durch den hervorstehenden Unterkiefer, die Höhlen der Augen und die erschreckende Länge seiner Hände in Verwunderung. -- Ein erklärendes Werk fehlte ihnen; sie begaben sich wieder zu Herrn Vaucorbeil, und dank dem Handbuch von Alexander Lauth lernten sie die Einteilung des Knochengerüstes kennen, wobei sie über das Rückgrat in Staunen gerieten, das, wie man sagt, sechzehnmal stärker ist, als wenn es der Schöpfer gerade gemacht hätte. -- Warum gerade sechzehnmal? Die Mittelhandmuskeln machten Bouvard untröstlich; und Pécuchet, der sich mit Eifer an den Schädel gemacht, verlor den Mut vor dem Keilbein, obschon es einem „türkischen oder türkesischen Sattel“ ähnelt. Was die Gelenke betraf, so wurden sie von zu viel Bändern verdeckt, -- und sie machten sich an die Muskeln. Aber die Ansatzstellen waren schwer aufzufinden, und als sie zu den Höhlungen an der Wirbelsäule gekommen waren, verzichteten sie vollständig darauf. Da sagte Pécuchet: „Wenn wir uns wieder an die Chemie machten, wäre es auch nur, um das Laboratorium zu benutzen.“ Bouvard erhob Einwendungen, und er glaubte sich zu erinnern, daß man für den Gebrauch in heißen Ländern künstliche Leichname herstelle. Barberou, dem er schrieb, gab ihm Auskunft darüber. Für zehn Franken im Monat konnte man einen dieser Kerle des Herrn Auzoux haben, und in der folgenden Woche setzte der Bote von Falaise eine längliche Kiste vor ihrem Gittertor nieder. Ganz erregt beförderten sie sie ins Waschhaus. Als die Nägel aus den Brettern gezogen waren, fiel das Stroh ab, Hüllen aus Seidenpapier glitten herab, die Gliederpuppe lag vor ihnen. Sie war ziegelrot, ohne Haar, ohne Haut, mit unzähligen blauen, roten und weißen Linien, die ihr ein buntes Aussehen gaben. Das ähnelte keineswegs einem Leichnam, sondern einer Art von sehr häßlichem, sehr sauberem Spielzeug, das nach Lack roch. Dann nahmen sie die Brust ab, und sie bemerkten die beiden Lungen, die zwei Schwämmen glichen; ferner das Herz, das wie ein großes Ei aussah, ein wenig zur Seite nach hinten; das Zwerchfell, die Nieren, die ganze Masse der Eingeweide. „An die Arbeit!“ sagte Pécuchet. Der Tag und der Abend gingen damit hin. Sie hatten Kittel angelegt, wie die Studenten der Medizin in den Seziersälen, und beim Scheine von drei Kerzen arbeiteten sie mit ihren Pappstücken, als ein Faustschlag die Tür erschütterte. „Machen Sie auf!“ Es war Herr Foureau in Begleitung des Feldhüters. Germaines Herren hatten sich darin gefallen, ihr den künstlichen Mann zu zeigen. Sie war sogleich zum Krämer gelaufen, ihm die Sache zu erzählen, und das ganze Dorf glaubte jetzt, daß sie in ihrem Hause einen wirklichen Toten bargen. Foureau, der dem allgemeinen Gerede Glauben schenkte, kam, um sich von der Tatsache zu überzeugen; Neugierige standen im Hof. Als er eintrat, lag die Gliederpuppe auf der Seite, und da die Gesichtsmuskeln abgenommen waren, quoll das Auge ungeheuerlich hervor, hatte etwas Furchtbares. „Was führt sie zu uns?“ sagte Pécuchet. Foureau stotterte: „Nichts, gar nichts.“ Und indem er einen der auf dem Tische liegenden Teile in die Hand nahm, fragte er: „Was ist das?“ „Der Trompetermuskel,“ erwiderte Bouvard. Foureau schwieg, aber er lächelte spöttisch, eifersüchtig darauf, daß sie eine Zerstreuung hatten, die über seinen Gesichtskreis hinausging. Die beiden Anatomen gaben sich den Anschein, ihre Untersuchungen fortzusetzen. Die Leute, die sich auf der Schwelle langweilten, waren in das Waschhaus eingedrungen, und da man sich etwas drängte, erzitterte der Tisch. „Ah! das ist zu stark!“ schrie Pécuchet. „Schaffen Sie uns das Publikum vom Halse!“ Der Feldhüter sorgte für den Abzug der Neugierigen. „So ist’s recht!“ sagte Bouvard, „wir bedürfen niemandes.“ Foureau verstand den Wink, und er fragte Bouvard, ob sie das Recht hätten, einen solchen Gegenstand in ihrem Hause zu haben, da sie keine Ärzte seien? Übrigens würde er dem Präfekten davon Mitteilung machen. -- Welch ein Land! Man konnte nicht dümmer, barbarischer und rückständiger sein. Der Vergleich, den sie zwischen sich und den anderen anstellten, tröstete sie; ihr Ehrgeiz dürstete danach, für die Wissenschaft zu leiden. Auch der Arzt besuchte sie. Er urteilte abfällig über die Gliederpuppe als etwas, das sich zu weit von der Natur entferne, doch benutzte er die Gelegenheit, zu dozieren. Bouvard und Pécuchet waren entzückt, und Herr Vaucorbeil lieh ihnen auf ihren Wunsch mehrere Bände seiner Bibliothek, wobei er indessen versicherte, sie würden sie nicht zu Ende lesen. Aus dem „Dictionnaire des Sciences médicales“ merkten sie sich die besonderen Fälle von Niederkünften, Langlebigkeit, außerordentlicher Fettleibigkeit und Verstopfung. Wie schade, daß sie nicht den berühmten Kanadier von Beaumont, die Vielfraße Tarare und Bijou, die wassersüchtige Frau aus dem Eure-Departement, den Piemontesen, der alle zwanzig Tage aufs Klosett ging, Simon von Mirepoix, der verknöchert starb, und jenen ehemaligen Bürgermeister von Angoulême, dessen Nase drei Pfund wog, gekannt hatten! Das Gehirn veranlaßte sie zu philosophischen Betrachtungen. Sie unterschieden sehr deutlich im Innern das Septum lucidum, das aus zwei Lamellen besteht, und die Zirbeldrüse, die einer roten Erbse ähnelt; doch es gab Protuberanzen und Kammern, Bögen, Pfeiler, Etagen, Nervenknoten und Adern aller Art, und das Pacchionische Foramen und das Pacinische Körperchen, kurz, eine unentwirrbare Ansammlung, genug, um sie ihr ganzes Leben zu beschäftigen. Zuweilen nahmen sie in einer Anwandlung von Begeisterung den Leichnam vollständig auseinander und waren dann in Verlegenheit, die Teile wieder an den rechten Platz zu setzen. Das war eine harte Arbeit, besonders nach dem Frühstück, und sie zögerten nicht einzuschlummern, Bouvard mit gesenktem Kinn und vorgestrecktem Bauch, Pécuchet den Kopf in den Händen, die beiden Ellbogen auf den Tisch gestützt. Häufig schaute in diesem Augenblicke Herr Vaucorbeil, der seine ersten Besuche gemacht hatte, durch die Tür. „Nun, Kollegen, wie steht’s mit der Anatomie?“ „Vorzüglich,“ erwiderten sie. Dann stellte er ihnen Fragen, aus Vergnügen, sie in Verwirrung zu setzen. Wenn sie das eine Organ leid waren, gingen sie zum nächsten über, und sie nahmen so der Reihe nach Herz, Magen, Ohr und Eingeweide vor und ließen sie wieder liegen, denn der Pappekerl langweilte sie, trotz ihres Bemühens, sich für ihn zu interessieren. Schließlich überraschte sie der Arzt, wie sie ihn wieder in die Kiste nagelten. „Bravo! Das habe ich erwartet!“ In ihrem Alter könne man solche Studien nicht mehr unternehmen, -- und das Lächeln, das diese Worte begleitete, verletzte sie tief. Welches Recht hatte er, sie für unfähig zu halten? Gehörte etwa die Wissenschaft diesem Herrn, als wenn er selbst ein bedeutender Kopf wäre? Sie nahmen also seine Herausforderung an und gingen bis nach Bayeux, um dort Bücher zu kaufen. Was ihnen fehlte, war die Physiologie, und ein Buchhändler verschaffte ihnen die Abhandlungen von Richerand und Adelon, die zu jener Zeit berühmt waren. Alle Gemeinplätze über Alter, Geschlecht und Temperament schienen ihnen von der höchsten Bedeutung; und sie waren glücklich, zu erfahren, daß es im Zahnstein drei Arten von Mikroben gibt, daß der Sitz des Geschmackes auf der Zunge ist und das Hungergefühl im Magen. Sie bedauerten, daß sie nicht, um besser die Funktionen kennenzulernen, die Fähigkeit hatten, wiederzukäuen, wie sie Montègre, Herr Gosse und der Mönch von Bérard besessen hatten, und sie kauten langsam, zerkleinerten gründlich und vermischten mit Speichel, während sie in ihren Gedanken den Speisebrei in den Eingeweiden begleiteten, ihn sogar bis in seine letzten Zustände verfolgten, voll von methodischen Skrupeln, von einer fast religiösen Aufmerksamkeit. Um künstlich die Verdauung hervorzubringen, stopften sie Fleisch in eine Phiole, in der sich der Magensaft einer Ente befand, und sie trugen sie vierzehn Tage lang unter ihrer Achselhöhle, ohne andern Erfolg als den, ihre Person zu infizieren. Man sah sie in der Sonnenhitze mit ihren nassen Kleidern die Landstraße entlang laufen. Das geschah, um festzustellen, ob der Durst sich legt bei Anwendung von Wasser auf der Haut. Sie kehrten keuchend und beide mit einem Schnupfen zurück. Gehör, Stimmbildung und Gesicht wurden hurtig erledigt; doch Bouvard verbreitete sich über die Frage der Zeugung. Pécuchets Zurückhaltung in diesen Dingen hatte ihn immer überrascht. Die Ahnungslosigkeit seines Freundes schien ihm so vollständig, daß er ihn drängte, sich zu erklären, und Pécuchet machte schließlich errötend ein Geständnis. Spaßvögel hatten ihn einst in ein übles Haus mitgeschleppt, von wo er fortgelaufen war, um sich für die Frau, die er später lieben würde, rein zu erhalten. Eine glückliche Gelegenheit hatte sich nie geboten, so daß er aus falscher Scham, Mangel an Geld, Furcht vor Krankheiten, Eigensinn, Gewohnheit, mit zweiundfünfzig Jahren trotz des Aufenthaltes in der Hauptstadt noch seine Jungfernschaft hatte. Bouvard konnte es nur mit Mühe glauben, dann lachte er ungeheuer, hielt jedoch an, als er Tränen in Pécuchets Augen bemerkte; denn an Passionen hatte es diesem nicht gefehlt, da er sich der Reihe nach in eine Seiltänzerin, die Schwägerin eines Architekten, eine Bufettdame und zuletzt in eine kleine Wäscherin verliebt hatte; und die Ehe sollte schon geschlossen werden, als er entdeckte, daß sie von einem andern schwanger war. Bouvard sagte zu ihm: „Es ist immer möglich, das Versäumte wieder gut zu machen. Nun, gräme dich nicht. Ich übernehme.... wenn du willst.“ Pécuchet erwiderte seufzend, man müsse den Gedanken daran aufgeben; und sie setzten ihre Physiologie fort. Ist es wahr, daß die Oberfläche unseres Körpers beständig einen feinen Dunst absondert? Das wird durch die Tatsache bewiesen, daß das Gewicht des Menschen mit jeder Minute abnimmt. Wenn jeden Tag ein Ersatz des Fehlenden und eine Entziehung des Überschüssigen stattfindet, muß die Gesundheit in vollkommenem Gleichgewicht erhalten bleiben. Sanctorius, der Erfinder dieses Gesetzes, verwandte ein halbes Jahrhundert darauf, täglich seine Nahrung wie alle seine Ausscheidungen zu wiegen, und er wog sich selbst und unterbrach sich dabei nur, um seine Berechnungen aufzuschreiben. Sie versuchten, Sanctorius nachzuahmen. Doch da ihre Wage nicht beide zugleich tragen konnte, so fing Pécuchet an. Er zog seine Kleider aus, um die Schweißabsonderung nicht zu hindern, und hielt sich vollständig nackt auf dem Wagebrett, wobei er trotz seiner Schamhaftigkeit seinen sehr langen, zylinderförmigen Rumpf nebst seinen kurzen Beinen, platten Füßen und brauner Haut sehen ließ. Auf einem Stuhle daneben sitzend las ihm sein Freund vor. Die Gelehrten behaupten, daß die animalische Wärme sich durch die Zusammenziehung der Muskeln entwickelt und daß es möglich ist, die Temperatur eines warmen Bades zu erhöhen, wenn man die Brust und die Körperteile am Becken bewegt. Bouvard holte ihre Badewanne, und als alles bereit war, tauchte er, mit einem Thermometer versehen, hinein. Die Trümmer der Branntweinbrennerei, die man in den hinteren Teil des Raumes gefegt hatte, bildeten undeutlich einen kleinen Berg im Schatten. Zuzeiten hörte man das Knabbern der Mäuse; ein alter Geruch von aromatischen Pflanzen durchdrang die Luft, -- und da sie sich dort sehr wohl fühlten, plauderten sie mit Heiterkeit. Indessen fühlte Bouvard eine leichte Kühle. „Bewege deine Glieder!“ sagte Pécuchet. Er bewegte sie, ohne etwas am Thermometer zu ändern. „Das ist ganz gewiß kalt.“ „Ich habe es auch nicht gerade warm!“ erwiderte Pécuchet, der selbst vor Frost zitterte. „Bewege doch die Beckengegend, bewege sie!“ Bouvard öffnete seine Schenkel, krümmte die Flanken, wiegte seinen Bauch, prustete wie ein Pottfisch, -- dann sah er auf das Thermometer, das immer sank. „Das geht über meinen Verstand! Ich bewege mich doch!“ „Nicht genug!“ Und er fing seine Übungen von neuem an. Sie hatten drei Stunden gedauert, als er noch einmal das Thermometer in die Hand nahm. „Wie, zwölf Grad! Ah! gute Nacht! Ich gehe heraus!“ Ein Hund kam herein, halb Dogge, halb Hühnerhund, mit braunem Fell, von Grind bedeckt; die Zunge hing ihm aus dem Maul. Was tun? Eine Schelle war nicht zur Hand! Und ihre Magd war taub. Sie klapperten vor Frost, doch wagten sie nicht, sich zu rühren, aus Furcht, gebissen zu werden. Pécuchet hielt es für angebracht, Drohungen auszustoßen, wobei er die Augen rollte. Da bellte der Hund; -- und er sprang um die Wage, auf der Pécuchet, an die Stricke geklammert und die Knie beugend, sich so hoch wie möglich zu heben suchte. „Das fängst du nicht richtig an!“ sagte Bouvard, und er begann den Hund anzulächeln und freundliche Worte zu ihm zu sprechen. Der Hund verstand sie ohne Zweifel. Er wollte Bouvard liebkosen, legte seine Pfoten fest auf dessen Schultern und ritzte sie mit seinen Krallen. „Da, sieh nur, jetzt hat er meine Hose fortgenommen!“ Er legte sich darauf und blieb ruhig. Endlich wagten sie unter den größten Vorsichtsmaßregeln, der eine von der Wage herabzusteigen, der andere das Bad zu verlassen; -- und als Pécuchet wieder angekleidet war, entschlüpfte ihm der Ausruf: „Du, mein guter Kerl, du wirst uns für unsere Versuche dienen.“ Für was für Versuche? Man konnte ihm Phosphor einspritzen, ihn dann in den Keller sperren, um zu sehen, ob er Feuer aus den Nasenlöchern speien würde. Doch wie die Einspritzung machen? Und zudem würde man ihnen keinen Phosphor verkaufen. Sie dachten daran, ihn unter eine pneumatische Glocke zu setzen, ihn Gase einatmen zu lassen, ihm als Getränk Gifte zu geben. Das alles würde vielleicht nicht lustig sein. Endlich wählten sie die Magnetisierung des Stahls durch die Berührung mit dem Rückenmark. Bouvard, der seine Erregung niederkämpfte, hielt Pécuchet einen Teller mit Nadeln hin, die dieser am Rückgrat entlang einsteckte. Sie zerbrachen, entglitten der Hand, fielen zur Erde; er nahm andere und pflanzte sie aufs Geratewohl eilig hinein. Der Hund zerriß seine Fesseln, sauste wie eine Kanonenkugel durch die Scheiben, rannte durch den Hof, den Hausflur und erschien in der Küche. Germaine fing an zu schreien, als sie ihn ganz blutüberströmt mit Bindfäden an den Pfoten erblickte. Ihre Herren, die hinter ihm herrannten, kamen im selben Augenblick herein. Er machte einen Satz und war verschwunden. Die alte Magd hielt ihnen eine Standrede. „Das ist wieder eine von Ihren Verrücktheiten, das ist sicher! -- Und meine Küche, die ist sauber! -- Das wird ihn vielleicht toll machen! Man sperrt Leute ins Gefängnis, die Ihnen noch nicht gleichkommen!“ Und sie eilten ins Laboratorium, um die Nadeln zu versuchen. Nicht eine einzige zog den kleinsten Feilspan an. Dann beunruhigte sie Germaines Vermutung. Der Hund konnte die Tollwut bekommen, unversehens zurückkehren, sich auf sie stürzen. Am folgenden Tage wandten sie sich nach allen Seiten, um Erkundigungen einzuziehen, -- und mehrere Jahre lang machten sie draußen einen Umweg, sobald ein Hund erschien, der jenem ähnelte. Die übrigen Versuche mißglückten. Entgegen der Angabe der Verfasser starben die Tauben, denen sie ihr Blut abzapften, in demselben Zeitraum, gleichviel, ob ihr Magen voll oder leer war. Kleine Katzen verendeten, unter Wasser gehalten, nach Verlauf von fünf Minuten; und eine Gans, die sie mit Türkischrot gestopft hatten, zeigte eine vollkommen weiße Knochenhaut. Die Ernährung beunruhigte sie. Wie kommt es, daß derselbe Saft Knochen, Blut, Lymphe und die Ausscheidungsstoffe hervorbringt? Doch man kann die Verwandlungen eines Nahrungsmittels nicht verfolgen. Ein Mensch, der nur ein einziges verbraucht, ist in chemischer Hinsicht demjenigen gleich, der mehrere in sich aufnimmt. Vauquelin, der den ganzen Kalk berechnet hatte, der im Haferfutter eines Huhnes enthalten ist, fand mehr davon in den Schalen seiner Eier. Also findet eine Neuschaffung der Substanzen statt. Auf welche Weise? Darüber weiß man nichts. Man weiß nicht einmal, wie groß die Kraft des Herzens ist. Borelli nimmt an, sie müsse groß genug sein, um ein Gewicht von hundertachtzigtausend Pfund zu heben, und Kiell schätzt sie auf ungefähr acht Unzen, woraus sie schlossen, daß die Physiologie (einem alten Wort zufolge) der Roman der Medizin ist. Da sie unfähig waren, sie zu verstehen, so glaubten sie nicht daran. Ein Monat ging in Untätigkeit hin. Dann dachten sie an ihren Garten. Der abgestorbene Baum, der mitten darin lag, war hinderlich; sie hieben ihn in Stücke. Die Arbeit ermüdete sie. Bouvard war sehr oft genötigt, sich seine Werkzeuge beim Schmied aufarbeiten zu lassen. Als er sich eines Tages dorthin begab, vertrat ihm ein Mann mit einem Leinwandsack auf dem Rücken den Weg. Er bot ihm Almanache, fromme Bücher, geweihte Münzen, schließlich das „Handbuch der Gesundheit“ von François Raspail an. Die kleine Schrift gefiel ihm so, daß er an Barberou schrieb, er möge ihm das große Werk schicken. Barberou sandte es und gab in seinem Briefe eine Apotheke für die Arzneimittel an. Die Klarheit der Lehre bestach sie. Alle krankhaften Zustände rühren von Würmern her. Sie verderben die Zähne, höhlen die Lungen, verursachen Schwellungen der Leber, verheeren die Eingeweide und verursachen Geräusche darin. Das beste Mittel gegen die Würmer ist der Kampher. Bouvard und Pécuchet nahmen ihn in Gebrauch. Sie schnupften ihn, knabberten ihn und verteilten Zigaretten, Fläschchen mit Beruhigungswasser und Aloepillen. Sie unternahmen sogar die Behandlung eines Buckligen. Es war ein Knabe, den sie an einem Jahrmarktstage zufällig gefunden hatten. Seine Mutter, ein Bettelweib, brachte ihn jeden Morgen zu ihnen. Sie rieben seinen Buckel mit kamphorisiertem Fett, legten zwanzig Minuten lang einen Senfumschlag darauf, bedeckten ihn dann mit Bleipflaster und gaben ihm, um sicher zu sein, daß er wiederkäme, zu frühstücken. Während Pécuchet sich eifrig mit den Eingeweidewürmern beschäftigte, bemerkte er auf Frau Bordins Wange einen sonderbaren Fleck. Der Doktor behandelte sie seit langer Zeit mit Aufgüssen von bitteren Kräutern; anfangs rund wie ein Frankenstück, hatte dieser Fleck sich vergrößert und bildete einen rosigen Kreis. Sie wollten sie davon befreien. Sie willigte ein, aber unter der Bedingung, daß Bouvard ihr die Einreibungen mache. Sie setzte sich ans Fenster, hakte den oberen Teil ihrer Taille auf und verharrte mit gebeugter Wange, während sie ihn mit einem Blick ansah, der ohne Pécuchets Gegenwart gefährlich gewesen wäre. Trotz der Furcht vor Quecksilber wandten sie in den erlaubten Dosen Kalomel an. Einen Monat später war Frau Bordin geheilt. Sie warb ihnen Anhänger, -- und der Steuereinnehmer, der Schreiber auf dem Bürgermeisteramt, sogar der Bürgermeister, alle Welt in Chavignolles lutschte Federkiele. Indessen wurde der Bucklige nicht gerade. Der Steuereinnehmer gab die Zigarette auf, sie verstärkte seine Atemnot. Foureau beklagte sich über die Aloepillen, die ihm Hämorrhoiden verursachten, Bouvard hatte Magenschmerzen und Pécuchet fürchterliche Migränen. Sie verloren das Vertrauen zu Raspail, doch hüteten sie sich, etwas davon zu sagen, aus Furcht, ihr Ansehen zu verringern. Und sie zeigten großen Eifer für die Schutzpockenimpfung, lernten an Kohlblättern zur Ader lassen und erstanden sogar einen Schnepper. Sie begleiteten den Arzt zu den Armen und schlugen dann in ihren Büchern nach. Die von den Verfassern vermerkten Symptome waren nicht die, welche sie soeben gesehen hatten. Die Krankheiten selber hatten lateinische, griechische, französische Namen, es war ein buntes Durcheinander aller Sprachen. Man zählt sie nach Tausenden, und die Linnésche Klassifikation mit ihren Gattungen und Arten ist recht bequem; doch wie die Gattungen aufstellen? Da verirrten sie sich in die Philosophie der Medizin. Sie sannen über die Urkraft Van Helmonts nach, über Vitalismus, Brownianismus, Organicismus; sie fragten den Doktor, woher der Skrofelkeim komme, wo sich die ansteckende Mikrobe festsetze, und sie wollten ein Mittel wissen, um in allen Krankheitsfällen Ursache und Wirkung unterscheiden zu können. „Ursache und Wirkung vermengen sich,“ sagte Vaucorbeil. Sein Mangel an Logik widerte sie an, und sie besuchten die Kranken ganz allein, indem sie sich unter dem Vorwande der Nächstenliebe in die Häuser einführten. Hinten in den Zimmern lagen auf schmutzigen Kissen Leute, deren Gesicht nach einer Seite hing; bei andern war es aufgedunsen und von scharlachfarbener Röte oder zitronengelb oder auch violett; dazu spitze Nasen, zitternder Mund, Röcheln, Schlucksen, Schweiß, Ausdünstungen wie von Leder und altem Käse. Sie lasen die Rezepte der Ärzte und waren ganz überrascht, daß die Beruhigungsmittel zuweilen Erregungsmittel, die Brechmittel Abführmittel seien, daß dieselbe Arznei für verschiedene Krankheiten gut sei und daß eine Krankheit unter entgegengesetzten Behandlungen schwinde. Nichtsdestoweniger gaben sie Ratschläge, hoben den Mut, hatten die Kühnheit, die Brust zu behorchen. Ihre Einbildungskraft war in Fluß. Sie schrieben an den König, man möge im Calvados eine Schule für Krankenpfleger errichten, die sie anlernen würden. Sie begaben sich zum Apotheker von Bayeux (der von Falaise war ihnen noch gram wegen seiner Brustbeerenpaste), und sie drangen in ihn, gleich den Alten pila purgatoria herzustellen, das heißt Kügelchen aus Arzneimitteln, die dadurch, daß man sie in der Hand drehte, vom Individuum absorbiert wurden. Gemäß dem Satze, daß man die Entzündungen vertreibt, wenn man das Fieber herabdrückt, hingen sie eine an Hirnhautentzündung leidende Frau mit ihrem Sessel an den Balken der Decke auf, und sie schaukelten sie aus Leibeskräften, als der Ehemann dazukam und sie zur Tür hinauswarf. Schließlich hatten sie zum großen Ärgernis des Herrn Pfarrers die neue Mode angenommen, Thermometer in die After einzuführen. Der Typhus nahm in der Umgegend überhand; Bouvard erklärte, er werde sich nicht damit befassen. Doch die Frau ihres Pächters Gouy kam jammernd zu ihnen. Ihr Mann sei seit vierzehn Tagen krank, und Vaucorbeil vernachlässige ihn. Pécuchet opferte sich. Linsenartige Flecke auf der Brust, Schmerzen in den Gelenken, aufgetriebener Leib, rote Zunge, das waren alle Anzeichen von Dothien-Enteritis. Er erinnerte sich des Raspailschen Wortes, daß man durch Aufgeben der Diät das Fieber unterdrückt, und er verordnete Bouillon, ein wenig Fleisch! Plötzlich erschien der Arzt. Sein Kranker war beim Essen, zwei Kissen hinter dem Rücken, zwischen der Pächterin und Pécuchet, die ihn nötigten. Vaucorbeil näherte sich dem Bett und warf den Teller zum Fenster hinaus, indem er rief: „Das ist ja der reine Mord!“ „Warum?“ „Sie durchlöchern den Darm, da der Typhus eine Affektion der Drüsenschleimhaut ist.“ „Nicht immer!“ Und es erhob sich ein Streit über das Wesen der Fieber. Pécuchet glaubte an deren selbständige Natur. Vaucorbeil ließ sie von den Organen abhängig sein: „Auch halte ich alles fern, was irgendwie reizen kann!“ „Doch die Diät schwächt das vitale Prinzip!“ „Was schwatzen Sie da von vitalem Prinzip? Wie verhält es sich damit? Wer hat es gesehen?“ Pécuchet verwickelte sich in seine Worte. „Übrigens“, sagte der Arzt, „will Gouy keine Nahrung.“ Der Kranke in seiner wollenen Mütze machte eine zustimmende Bewegung. „Gleichviel! Er braucht sie!“ „Keineswegs! Sein Puls zeigt achtundneunzig Schläge.“ „Was besagen die Pulsschläge?“ Und Pécuchet nannte seine Autoritäten. „Lassen wir die Systeme beiseite!“ sagte der Doktor. Pécuchet kreuzte die Arme. „Dann sind Sie also Empiriker?“ „Keineswegs! Aber wenn man beobachtet...“ „Und wenn man falsch beobachtet?“ Vaucorbeil nahm dieses Wort für eine Anspielung auf die Flechte der Frau Bordin, eine Angelegenheit, welche die Witwe herumgeplaudert hatte. Die Erinnerung daran ärgerte ihn. „In erster Linie muß man praktische Erfahrung haben.“ „Die, welche Umwälzungen in der Wissenschaft herbeigeführt haben, hatten keine! Van Helmont, Boerhaave, selbst Broussais.“ Ohne zu antworten, beugte sich Vaucorbeil über Gouy und sagte mit erhobener Stimme: „Wen von uns beiden wählen Sie zu Ihrem Arzt?“ Der Kranke bemerkte durch seine Schlaftrunkenheit hindurch zornentstellte Gesichter und fing an zu weinen. Seine Frau wußte ebenfalls nicht, was sie antworten sollte; denn der eine war geschickt, aber der andere besaß vielleicht ein Geheimnis. „Schön!“ sagte Vaucorbeil, „da Sie schwanken zwischen einem Manne, der ein Diplom besitzt...“ -- Pécuchet lächelte spöttisch. -- „Warum lachen Sie?“ „Weil ein Diplom nicht immer etwas beweist!“ Der Doktor war in seinem Broterwerb, in seinen Vorrechten, in seiner sozialen Stellung bedroht. Sein Zorn brach hervor: „Das werden wir sehen, wenn Sie wegen unerlaubter Ausübung der Medizin vor Gericht kommen werden!“ Dann wandte er sich an die Frau des Pächters: „Lassen Sie ihn durch den Herrn töten, ganz wie es Ihnen gefällt, und ich will mich eher hängen lassen, als daß ich meinen Fuß noch einmal in Ihr Haus setze!“ Er stürzte unter dem Buchengange davon, während er mit seinem Stocke gestikulierte. Als Pécuchet nach Hause kam, war Bouvard selbst in großer Aufregung. Soeben war Foureau bei ihm gewesen, der wegen seiner Hämorrhoiden in allen Zuständen war. Vergebens hatte er ihm vorgestellt, daß sie vor allen Krankheiten schützen. Foureau, der keine Vernunft annehmen wollte, hatte ihm mit einer Schadenersatzklage gedroht. Bouvard verlor den Kopf darüber. Pécuchet erzählte ihm seine eigene Angelegenheit, die er für ernster hielt, -- und er war ein wenig durch Bouvards Teilnahmlosigkeit vor den Kopf gestoßen. Am folgenden Tage hatte Gouy einen Schmerz im Unterleib. Das konnte von der Einführung von Nahrung herrühren. Vielleicht hatte sich Vaucorbeil doch nicht getäuscht? Ein Arzt muß sich letzten Endes darin auskennen! Und Gewissensbisse quälten Pécuchet. Er hatte Angst, sich an einem Menschenleben vergangen zu haben. Aus Vorsicht gaben sie dem Buckligen den Laufpaß. Aber wegen des Frühstücks, das ihm nun entging, fing seine Mutter einen großen Lärm an. Es sei nicht der Mühe wert gewesen, sie jeden Tag von Barneval nach Chavignolles gelockt zu haben! Foureau beruhigte sich, und Gouy kam wieder zu Kräften. Zurzeit war seine Wiederherstellung sicher: ein solcher Erfolg machte Pécuchet kühn. „Wenn wir uns mit Hilfe eines jener künstlichen Körper an die Entbindungen machten...“ „Ich habe die künstlichen Körper satt!“ „Es sind Halbkörper aus Leder, die man für die Hebammenschülerinnen erfunden hat. Ich glaube, ich würde den Fötus umdrehen können!“ Aber Bouvard war der Medizin müde. „Die Triebfedern des Lebens sind uns verborgen, die Krankheiten zu zahlreich, die Heilmittel von zweifelhafter Wirkung, -- und man findet in den Büchern keine vernünftige Definition der Gesundheit, der Krankheit, der Diathese, nicht einmal des Eiters!“ Indessen hatte die ganze Lektüre ihr Hirn verwirrt. Bouvard bildete sich gelegentlich einer Erkältung ein, daß eine Lungenentzündung bei ihm im Anzuge sei. Da Blutegel die Seitenstiche nicht gemildert hatten, nahm er seine Zuflucht zu einem Blasenpflaster, dessen Wirkung sich auf die Nieren schlug. Da glaubte er sich von Gallensteinen bedroht. Pécuchet bekam beim Auslichten des Laubenganges den Fluß in die Glieder und gab darnach seine Mahlzeit wieder von sich, was ihn sehr erschreckte; als er dann bemerkte, daß seine Hautfarbe ein wenig gelb war, argwöhnte er eine Krankheit der Leber und fragte sich: „Habe ich Schmerzen?“ Und kam dann schließlich dahin, welche zu haben. Während sie sich gegenseitig trübsinnig machten, betrachteten sie ihre Zunge, fühlten sich den Puls, griffen zu einem andern Mineralwasser, nahmen Abführmittel, -- und hatten Furcht vor Kälte, Hitze, Wind, Regen, Fliegen und besonders vor der Zugluft. Pécuchet bildete sich ein, der Gebrauch der Prise könnte schlimme Folgen haben. Übrigens bewirkte das Niesen zuweilen ein Aderplatzen, -- und er gab das Schnupfen auf. Gewohnheitsmäßig griff er mit den Fingern in die Tabakdose; dann erinnerte er sich plötzlich seines Leichtsinns. Da schwarzer Kaffee die Nerven aufregt, wollte Bouvard auf seine kleine Tasse verzichten; aber er schlief nach den Mahlzeiten ein und wurde beim Erwachen von Schrecken ergriffen, denn der verlängerte Schlaf ist eine drohende Ankündigung des Schlagflusses. Ihr Ideal war Cornaro, jener venezianische Edelmann, der kraft einer geregelten Lebensweise ein äußerst hohes Alter erreichte. Ohne ihn vollständig zum Vorbild zu nehmen, kann man dieselben Vorsichtsmaßregeln anwenden, und Pécuchet entnahm seiner Bibliothek ein Handbuch der Hygiene von Dr. Morin. Wie hatten sie es nur angestellt, bis dahin zu leben? Die Gerichte, die sie liebten, waren in dem Buche untersagt. Germaine wußte in ihrer Verlegenheit nicht, was sie ihnen vorsetzen sollte. Jedes Fleisch hat seine schlimmen Folgen. Rotwurst und kalter Aufschnitt, saurer Hering, Hummer und Wild sind „widerspenstig“. Je größer ein Fisch ist, desto mehr Gallerte besitzt er und desto unverdaulicher ist er. Die Gemüse verursachen saures Aufstoßen, die Makkaroni erzeugen Träume, die Käse sind, „im allgemeinen betrachtet, von schwieriger Verdauung“. Ein Glas Wasser am Morgen ist „gefährlich“. Jedem Getränk oder Nahrungsmittel folgte ein ähnlicher Hinweis oder eins der Worte: „schädlich!“ -- „man hüte sich vor dem Zuviel!“ -- „bekommt nicht jedermann!“ -- Warum schädlich? Wo ist das Zuviel? Wie wissen, ob diese Sache einem bekommt? Welch ein Problem war nicht das Frühstück! Sie verzichteten auf den Milchkaffee wegen seines schrecklichen Rufes und dann auf die Schokolade; -- denn sie ist „eine Anhäufung von unverdaulichen Stoffen“. Blieb also der Tee. Aber „nervöse Leute müssen sich ihn vollständig versagen“. Indessen verordnete im siebzehnten Jahrhundert Decker zwanzig Dekaliter täglich davon, um die Sümpfe der Bauchspeicheldrüse zu reinigen. Dieser Aufschluß erschütterte ihre Achtung vor Morin, und das um so mehr, als er alle Kopfbedeckungen, Hüte, Mützen und Kappen verwirft, eine Forderung, die Pécuchet empörte. Da erstanden sie die Abhandlung von Becquerel, woraus sie sahen, daß das Schwein an sich „ein gutes Nahrungsmittel“, der Tabak von vollständiger Unschädlichkeit und der Kaffee „Militärpersonen unerläßlich“ ist. Bis dahin hatten sie an die Ungesundheit feuchter Orte geglaubt. Weit gefehlt! Casper erklärt sie für weniger todbringend als andere. Man badet nicht im Meer, ohne seine Haut erfrischt zu haben. Bégin will, daß man sich in vollem Schweiß hineinwirft. Der unvermischte Wein nach der Suppe gilt für ausgezeichnet für den Magen. Levy wirft ihm vor, die Zähne zu verderben. Und endlich die Unterjacke, dieser Schirm, dieser Gesundheitsschutz, dieses teure Palladium Bouvards, das auch von Pécuchet unzertrennlich war, ohne Umschweife und ohne Furcht vor der allgemeinen Meinung widerraten es die Verfasser vollblütigen und sanguinischen Menschen. Was ist dann die Hygiene? „Wahrheit diesseits der Pyrenäen, Irrtum jenseits,“ versichert Herr Levy, und Becquerel fügte hinzu, sie sei keine Wissenschaft. Da bestellten sie für ihr Diner Austern, eine Ente, Schweinefleisch mit Kraut, Creme, einen Pont-l’Evêque und eine Flasche Burgunderwein. Das war eine Befreiung, fast eine Vergeltung -- und sie machten sich über Cornaro lustig! Mußte man dumm sein, um sich wie er zu tyrannisieren! Wie niedrig, stets nur an die Verlängerung des Daseins zu denken! Das Leben ist nur gut, insoweit man es genießt! „Noch ein Stück?“ „Ich bin nicht abgeneigt.“ „Ich auch nicht!“ „Auf deine Gesundheit!“ „Auf die deinige!“ „Und kümmern wir uns den Teufel um das übrige!“ Sie gerieten in Stimmung. Bouvard verkündete, er werde drei Tassen Kaffee trinken, obgleich er keine Militärperson sei. Pécuchet schnupfte, die Mütze auf den Ohren, einmal nach dem andern und nieste ohne Furcht; und da ihnen der Geschmack nach Champagner stand, befahlen sie Germaine, sogleich ins Wirtshaus zu gehen, um ihnen eine Flasche zu holen. Das Dorf sei zu weit. Sie weigerte sich. Pécuchet war entrüstet: „Ich fordere Sie auf, hören Sie! Ich fordere Sie auf, hinzulaufen!“ Sie gehorchte, jedoch brummend und entschlossen, bald ihre Herren zu verlassen, so unbegreiflich und wunderlich waren sie. Dann gingen sie wie früher, den Kaffee auf dem Aussichtspunkt einzunehmen. Die Ernte war soeben beendet -- und die Heuhaufen hoben sich auf den Feldern in schwarzen Massen vor der Dunkelheit der bläulichen und milden Nacht. Die Höfe lagen in Schweigen. Man hörte nicht einmal die Grillen. Das ganze Gefilde schlummerte. Sie verdauten, die Brise einatmend, die ihre Wangen kühlte. Der weite Himmel war mit Sternen besät; einige glänzten in Gruppen, andere kettenförmig hintereinander, oder sie standen auch einzeln in weiten Zwischenräumen. Eine Zone von leuchtendem Staub, die von Norden nach Süden ging, gabelte sich über ihren Köpfen. Zwischen diesen leuchtenden Stellen waren weite leere Räume, -- und das Firmament schien ein Meer von Azur mit Archipeln und Inselchen. „Welch eine Unmenge!“ rief Bouvard aus. „Wir sehen nicht alles!“ fuhr Pécuchet fort. „Hinter der Milchstraße gibt es Nebelflecke; jenseits der Nebelflecke wieder Sterne. Der nächste ist von uns dreihundert Milliarden von Myriametern entfernt.“ Er hatte oft durch das Teleskop auf dem Vendômeplatze geblickt und erinnerte sich der Zahlen. „Die Sonne ist eine Million mal größer als die Erde, Sirius hat die zwölffache Größe der Sonne, die Kometen haben eine Länge von vierunddreißig Millionen Meilen!“ „Das ist um verrückt zu werden!“ sagte Bouvard. Er beklagte seine Unwissenheit und bedauerte sogar, in seiner Jugend nicht auf der polytechnischen Schule gewesen zu sein. Da drehte Pécuchet ihn gegen den Großen Bären und zeigte ihm den Polarstern, dann Kassiopeia, deren Konstellation ein Y bildet, Wega aus dem Sternbild der Leier, hell funkelnd, und, ganz unten am Horizont, den roten Aldebaran. Bouvard verfolgte mit zurückgelegtem Kopf mühsam die Dreiecke, Vierecke und Fünfecke, die man sich denken muß, um sich am Himmel zurechtzufinden. Pécuchet fuhr fort: „Die Schnelligkeit des Lichtes beträgt achtzigtausend Meilen in der Sekunde. Ein Strahl der Milchstraße gebraucht sechshundert Jahre, um zu uns zu gelangen. So kann ein Stern zu der Zeit, wo man ihn beobachtet, verschwunden sein. Mehrere erscheinen nur zuzeiten, andere kehren nie wieder, -- und sie ändern ihre Stellung; das alles bewegt sich, das alles zieht vorüber.“ „Doch die Sonne ist unbeweglich!“ „So glaubte man ehemals. Aber heute verkünden die Gelehrten, daß sie dem Sternbild des Herkules entgegeneilt!“ Das störte Bouvard in seinen Ideen; -- und nach minutenlangem Nachdenken: „Die Wissenschaft gründet sich auf die an einer Ecke des Weltraumes gegebenen Verhältnisse. Vielleicht stimmt sie nicht mit dem ganzen Rest überein, von dem man nichts weiß, der viel größer ist und den man nicht erforschen kann.“ So plauderten sie, auf dem Schneckenberg stehend, beim Scheine der Sterne, und ihre Reden waren von langem Schweigen unterbrochen. Schließlich legten sie sich die Frage vor, ob es Menschen auf den Sternen gäbe. Warum nicht? Und da die Schöpfung überall im Einklang steht, so mußten die Bewohner des Sirius ungeheuer groß, die des Mars von mittlerem Wuchs, die der Venus sehr klein sein. Vorausgesetzt, daß es nicht überall dasselbe war. Es gibt dort oben Kaufleute, Gendarmen; man treibt dort Handel, schlägt sich und entthront Könige. Einige Sternschnuppen glitten plötzlich herab, am Himmel die Bahn einer ungeheuren Rakete beschreibend. „Sieh da,“ sagte Bouvard, „das sind Welten, die untergehen.“ Pécuchet fuhr fort: „Wenn die unsrige einen solchen Luftsprung machte, würden die Bewohner der Sterne nicht mehr ergriffen sein, als wir es jetzt sind. Derartige Gedanken treiben einem den Hochmut aus.“ „Welches ist der Zweck von alldem?“ „Vielleicht gibt es keinen Zweck.“ „Indessen...“ Und Pécuchet wiederholte zwei- oder dreimal „indessen“, ohne weitere Worte zu finden. „Gleichviel, ich möchte gerne wissen, wie das Weltall entstanden ist.“ „Das muß sich bei Buffon finden,“ antwortete Bouvard, dessen Augen zufielen. „Ich kann nicht mehr, ich lege mich ins Bett.“ Die „Epochen der Natur“ belehrten sie, daß ein Komet dadurch, daß er gegen die Sonne stieß, einen Teil von ihr abgelöst hatte, der die Erde wurde. Zuerst hatten sich die Pole abgekühlt. Der Erdball war ganz von Wassern eingenommen; sie hatten sich in die Höhlungen verlaufen; dann lösten sich die Erdteile voneinander, die Tiere und der Mensch erschienen. Die Größe der Schöpfung setzte sie in ein Staunen, das grenzenlos war wie das Weltall selbst. Ihr Gesichtskreis erweiterte sich. Sie waren stolz darauf, über so bedeutende Gegenstände nachzudenken. Die Steinarten fingen bald an, sie zu ermüden, und um sich zu zerstreuen, nahmen sie ihre Zuflucht zu den „Harmonien“ Bernardin de Saint-Pierres. Harmonien im Pflanzen- und Erdreich, im Reich der Lüfte, des Wassers, menschliche, brüderliche und sogar eheliche Harmonien, alles kam darin vor; es fehlten nicht die Anrufungen an die Venus, an die Söhne des Zephyrus und die Liebesgötter. Sie staunten darüber, daß die Fische Flossen, die Vögel Flügel, die Samenkörner eine Hülle hatten; ganz erfüllt wie sie von dieser Philosophie waren, die in der Natur tugendhafte Absichten erblickt und sie als eine Art von heiligem Vinzenz von Paula betrachtet, dessen einzige Beschäftigung ist, Wohltaten auszuteilen! Dann bestaunten sie die Naturwunder, die Windhosen, Vulkane, Urwälder, und sie kauften das Werk des Herrn Depping über „Die Sehenswürdigkeiten und Schönheiten der Natur in Frankreich“. Cantal besitzt ihrer drei, Hérault fünf, Burgund nicht mehr als zwei, während der Dauphiné für sich allein bis zu fünfzehn Sehenswürdigkeiten zählt. Doch bald werden sie verschwunden sein. Die Stalaktitengrotten schließen sich, die feuerspeienden Berge verlöschen, die natürlichen Gletscher erwärmen sich und die alten Bäume, in denen man die Messe las, fallen unter dem Handbeil der Vermesser oder sind am Absterben. Dann wandte sich ihre Wißbegierde den Tieren zu. Sie schlugen wieder ihren Buffon auf und gerieten über den seltsamen Geschmack gewisser Tiere in Entzücken. Doch alle Bücher wiegen nicht eine persönliche Beobachtung auf; sie traten in die Höfe und fragten die Landarbeiter, ob sie gesehen hätten, daß Stiere sich zu Stuten gesellten, daß Schweine Kühe suchten, und daß die männlichen Rebhühner untereinander Schändlichkeiten begingen. „Nie im Leben.“ Man fand diese Fragen für Herren ihres Alters sogar etwas schnurrig. Sie wollten anormale Kreuzungen versuchen. Die geringsten Schwierigkeiten macht die Kreuzung zwischen Ziegenbock und Schaf. Ihr Pächter besaß keinen Bock, eine Nachbarin stellte den ihrigen zur Verfügung, und nachdem die Zeit der Brunst gekommen war, schlossen sie die beiden Tiere in das Kelterhaus, während sie sich selbst hinter den Fässern verbargen, damit das Ereignis in Frieden vor sich gehen konnte. Jedes der Tiere fraß zuerst seinen kleinen Heuvorrat, dann käuten sie wieder; das Schaf legte sich nieder und blökte ohne Aufhören, während der Bock, aufrecht auf seinen schiefen Beinen, mit seinem langen Barte und seinen herabhängenden Ohren seine Augäpfel auf sie einstellte, die im Dunkeln leuchteten. Am dritten Abend endlich hielten sie es für angemessen, der Natur zu Hilfe zu kommen; aber der Bock wandte sich gegen Pécuchet und versetzte ihm einen Stoß mit den Hörnern gegen den Unterleib. Das Schaf, von Furcht erfaßt, begann im Kelterhaus wie in einer Reitbahn sich im Kreise zu drehen. Bouvard rannte hinter ihm her, warf sich darauf, um es festzuhalten, und fiel mit einigen Bündeln Wolle in den Händen auf die Erde. Sie erneuerten ihre Versuche mit Hühnern und einem Enterich, mit einer Dogge und einer Sau, in der Hoffnung, daß ungeheuerliche Wesen aus solchen Kreuzungen hervorgehen würden, denn sie begriffen nichts von der Frage der Art. Dieses Wort bezeichnet eine Gruppe von Wesen, deren Nachkommen sich fortpflanzen; jedoch vermögen Tiere, die als verschiedene Arten klassifiziert sind, sich fortzupflanzen, während andere, die zu derselben Art gehören, diese Fähigkeit verloren haben. Sie schmeichelten sich, Klarheit darüber zu erlangen, wenn sie die Entwicklung der Keime studierten, und Pécuchet schrieb an Dumouchel wegen eines Mikroskops. Abwechselnd legten sie auf die Glasplatte Haare, Tabak, Nägel, einen Fliegenfuß; aber sie hatten den unerläßlichen Tropfen Wasser vergessen; dann wieder lag es an der kleinen Lamelle, und sie stießen sich, verrückten das Instrument; als sie schließlich nichts als Nebel wahrnahmen, wurde dem Optiker die Schuld gegeben. Es kamen ihnen zuletzt Zweifel am Mikroskop. Die Entdeckungen, die man ihm zuschreibt, sind wohl nicht so positiver Art. Als Dumouchel ihnen die Rechnung übersandte, bat er sie, für ihn Ammonshörner und Seeigel zu sammeln; er sei ein Liebhaber solcher Merkwürdigkeiten, und diese kämen in ihrer Gegend häufig vor. Um ihr Interesse an der Geologie zu erregen, sandte er ihnen die „Briefe“ Bertrands mit den „Reden Cuviers“ über die Umwälzungen des Erdballs. Als sie beide Bücher gelesen hatten, bildeten sich folgende Dinge in ihrer Einbildungskraft: Zuerst eine ungeheure Wasserfläche, aus der die mit Flechten bedeckten Vorgebirge hervortauchten, und nicht ein Lebewesen, nicht ein Laut. Es war eine Welt des Schweigens, der Regungslosigkeit und Nacktheit; dann schaukelten sich lange Pflanzen in einem Nebel, der dem Dampf eines heißen Bades glich. Eine feuerrote Sonne überhitzte die feuchte Atmosphäre. Dann erfolgten Ausbrüche von Vulkanen, feurige Felsstücke stoben von den Bergen, und die Porphyr- und Basaltlava, die herabfloß, erstarrte. Drittes Bild: in Meeren von geringer Tiefe sind Koralleninseln über den Spiegel gewachsen; hier und da überragt sie eine Gruppe von Palmen. Da sind Muscheln, so groß wie Wagenräder, Schildkröten von drei Meter Umfang, Eidechsen von sechzig Fuß Länge; zwischen dem Schilf recken Amphibien ihren Straußenhals mit Krokodilsrachen; geflügelte Schlangen fliegen davon. Zuletzt erschienen auf den zusammenhängenden Landmassen die großen Säugetiere mit Gliedern, mißgestaltet wie schlecht behauene Holzstücke, mit einer Haut, dicker als Bronzeplatten, oder auch mit zottigem Fell, dicken Lippen, Mähnen und gekrümmten Hauern. Mammutherden weideten auf den Ebenen, die später das Atlantische Meer bedeckte; das Urwelttier, halb Pferd, halb Tapir, durchwühlte mit seiner Schweineschnauze die Ameisenhaufen von Montmartre, und der Cervus giganteus erzitterte unter den Kastanienbäumen beim Klange der Stimme des Höhlenbären, der den Hund von Beaugency, der dreimal so groß als ein Wolf war, in seiner Höhle bellen machte. Alle diese Epochen waren voneinander durch Erdumwälzungen getrennt, deren letzte unsere Sündflut ist. Es war wie ein Feenstück in mehreren Akten, dessen Apotheose der Mensch war. Sie waren starr, als sie hörten, daß es auf Steinen Abdrücke von Libellen, von Vogelfüßen gibt; und nachdem sie eines der Handbücher Rorets durchgeblättert hatten, suchten sie fossile Überreste. Als sie eines Nachmittags auf der Landstraße Kiesel umwendeten, kam der Herr Pfarrer vorbei und redete sie mit süßlicher Stimme an: „Die Herren befassen sich mit Geologie? Ausgezeichnet!“ Denn er schätzte die Wissenschaft. Sie bestärke das Gewicht der Schrift dadurch, daß sie die Sündflut beweise. Bouvard sprach von Koprolithen, was versteinerte Tierexkremente seien. Der Abbé Jeufroy schien von der Tatsache überrascht; wenn sie bestand, so war das schließlich nur ein Grund mehr, die Vorsehung zu bewundern. Pécuchet gestand, daß ihre Nachforschungen bisher nicht von Erfolg gewesen seien; und doch mußten in der Umgegend von Falaise wie in allen jurakalkhaltigen Erdlagen tierische Überreste in Menge vorhanden sein. „Ich habe sagen hören,“ erwiderte der Abbé Jeufroy, „daß man früher in Villers den Kinnbacken eines Elefanten gefunden hat.“ Übrigens würde ihnen einer seiner Freunde, Herr Larsoneur, Rechtsanwalt, Mitglied der Advokatur von Lisieux und Archäologe, Auskunft geben können! Er habe eine Geschichte von Port-en-Bessin geschrieben, in der die Entdeckung eines Krokodils verzeichnet war. Bouvard und Pécuchet wechselten einen Blick; die gleiche Hoffnung war ihnen gekommen; und trotz der Hitze blieben sie lange stehen und fragten den Geistlichen aus, der sich mit einem Schirm aus blauer Baumwolle schützte. Die untere Partie seines Gesichtes war etwas plump, dazu hatte er eine spitze Nase; er lächelte beständig oder neigte den Kopf, während er die Augen schloß. Von der Kirche her erscholl das Angelusläuten. „Recht guten Abend, meine Herren! Sie gestatten, nicht wahr?“ Durch ihn empfohlen, warteten sie drei Wochen hindurch auf die Antwort Larsoneurs. Endlich kam sie. Der Mann aus Villers, welcher den Mastodonzahn ausgegraben hatte, hieß Louis Bloche; nähere Einzelheiten fehlten. Was seine Geschichte anlange, so fülle sie einen der Bände der Akademie von Lisieux, und er verleihe sein Exemplar auf keinen Fall, aus Furcht, die Sammlung ihrer Vollständigkeit zu berauben. Was den Alligator anginge, so hätte man ihn im Monat November des Jahres 1825 unter den Klippen von les Hachettes zu Sainte-Honorine in der Nähe von Port-en-Bessin im Kreise Bayeux entdeckt. Es folgten die üblichen Höflichkeitsbezeugungen. Das Dunkel, das über dem Mastodon lag, reizte Pécuchet. Er hätte sich gerne sogleich nach Villers aufgemacht. Bouvard wandte dagegen ein, um sich eine vielleicht nutzlose und sicherlich kostspielige Reise zu ersparen, sei es zweckdienlich, Erkundigungen einzuziehen -- und sie schrieben dem Bürgermeister des Ortes einen Brief, in dem sie anfragten, was aus einem gewissen Louis Bloche geworden sei. Konnten, den Fall seines Todes angenommen, seine Nachkommen oder Seitenverwandten sie über seine kostbare Entdeckung unterrichten? Als er sie machte, an welcher Stelle der Gemeinde ruhte da dieses Zeugnis der Urzeiten? Hatte man Aussicht, ähnliche Funde zu machen? Was verlangte ein Mann mit Wagen für den Tag? Sie mochten sich noch so viel an den Beigeordneten, dann an den ersten Stadtrat wenden, sie erhielten keine Antwort aus Villers. Gewiß waren die Einwohner eifersüchtig in betreff ihrer Fossilien. Wofern sie sie nicht an die Engländer verkauften. Die Reise nach les Hachettes wurde beschlossen. Bouvard und Pécuchet nahmen die Post von Falaise nach Caen. Dann brachte sie eine Halbkutsche von Caen nach Bayeux; von Bayeux gingen sie zu Fuß nach Port-en-Bessin. Man hatte sie nicht getäuscht. Die Küste von les Hachettes zeigte eigentümliche Geschiebe, und mit Hilfe der Anweisungen des Wirtes erreichten sie den Strand. Da Ebbe war, so lag das ganze Geröll nebst einer Ebene von Tang bis zu den Fluten offen vor ihnen. Grasbewachsene Hügelbildungen schnitten die Klippen ab, die aus weicher brauner Erde bestanden und die, in ihren tieferen Lagen sich verhärtend, zu einem Mauerwerk von grauem Gestein wurden. Kleine Rinnsale kamen beständig von ihnen herab, während in der Ferne das Meer rollte. Zuweilen schien sein Wellenschlag auszusetzen; und man hörte nur noch das leise Geräusch der Quellen. Sie schwankten auf klebrigem Gras, oder sie mußten über Löcher springen. Bouvard setzte sich an das Ufer und betrachtete die Wogen, ohne Gedanken, gefesselt, wie leblos. Pécuchet führte ihn zu dem Küstenhang zurück, um ihm ein in den Felsen eingewachsenes Ammonshorn zu zeigen, das darin saß, wie ein Diamant in seinem Muttergestein. Ihre Nägel zersplitterten daran, man hätte Werkzeuge haben müssen; zudem kam die Nacht. Der Himmel war im Westen purpurfarbig und der ganze Strand in Dunkel gehüllt. Inmitten des schwarzen Seegrases dehnten sich Wasserpfützen. Das Meer stieg; es war Zeit zurückzukehren. Am folgenden Morgen machten sie sich, sobald es Tag war, mit einer Hacke und einem spitzen Eisen an ihr Fossil, dessen Hülle absprang. Es war ein „Ammonites nodosus“, der an den Enden schadhaft war, aber gut sechzehn Pfund wog; und Pécuchet rief in seiner Begeisterung aus: „Wir müssen ihn unbedingt Dumouchel schenken!“ Dann trafen sie auf Tiere vom Badeschwamm, Lochmuscheln, Butzkopf, aber auf kein Krokodil! In seiner Ermangelung hofften sie das Rückgrat eines Hippopotamus oder Ichthyosaurus, gleichviel welchen Knochen, aus der Zeit der Sündflut zu finden, als sie in Mannshöhe an der Klippe Umrisse wahrnahmen, die die Gestalt eines riesenhaften Fisches darstellten. Sie berieten, auf welche Weise sie ihn bekommen könnten. Bouvard sollte ihn oben frei machen, während Pécuchet von unten das Gestein lockern sollte, um ihn sanft ohne Beschädigung herabzulassen. Als sie Atem schöpften, sahen sie über sich auf dem Felde einen Zollbeamten im Mantel, der gebieterisch gestikulierte. „Ach was! Laß uns in Frieden, zum Teufel!“ Und sie setzten ihre Arbeit fort; Bouvard auf den Zehenspitzen mit der Hacke klopfend; Pécuchet in gebückter Stellung mit seinem Eisen höhlend. Doch der Zollbeamte erschien weiter unten, in einem Tale, indem er die Zeichen verstärkte: darum würden sie sich gerade kümmern! Ein ovaler Körper ragte aus der verringerten Erde hervor, neigte sich, war im Begriff herabzugleiten. Ein zweiter Mensch, dieser mit einem Säbel, zeigte sich plötzlich. „Ihre Pässe?“ Es war der auf der Runde begriffene Feldhüter, und im selben Augenblicke tauchte der Zollbeamte auf, der durch eine Schlucht herbeigeeilt war. „Nehmen Sie sie fest, Vater Morin! Oder die Klippe wird einstürzen!“ „Es handelt sich um einen wissenschaftlichen Zweck,“ antwortete Pécuchet. Da stürzte eine Masse herab und streifte sie alle vier so nahe, daß nicht viel fehlte, und sie wären tot gewesen. Als der Staub verflogen war, erkannten sie den Mast eines Schiffes, der unter dem Stiefel des Zollbeamten zerbröckelte. Bouvard sagte seufzend: „Wir haben keinen großen Schaden angerichtet!“ „Man darf nichts anrichten innerhalb der Grenzen des Geniebezirks!“ erwiderte der Feldhüter. „Zunächst, wer sind Sie, damit ich Sie zu Protokoll nehmen kann?“ Pécuchet widersetzte sich, über die Ungerechtigkeit Lärm machend. „Keine Ausflüchte! Folgen Sie mir!“ Sobald sie am Hafen angekommen waren, folgte ihnen eine Schar von Gassenjungen. Bouvard, rot wie eine Mohnblüte, zwang sich zu einer würdigen Haltung; Pécuchet, der sehr blaß war, sandte wütende Blicke; und diese beiden Fremden, die Steine in ihren Taschentüchern trugen, sahen nicht vertrauenerweckend aus. Man brachte sie einstweilen im Wirtshaus unter, dessen Besitzer, auf der Schwelle stehend, den Eintritt versperrte. Dann verlangte der Maurer seine Werkzeuge zurück. Sie bezahlten sie; wieder Auslagen! Und der Feldhüter kehrte nicht zurück! Warum? Schließlich befreite sie ein Herr, der das Kreuz der Ehrenlegion trug; und, nachdem sie ihre Namen, Vornamen und Wohnort angegeben hatten, zogen sie ab, mit dem Versprechen, in Zukunft vorsichtiger zu sein. Außer einem Paß fehlten ihnen noch gar manche Dinge, und bevor sie neue Forschungsreisen unternahmen, holten sie sich im „Führer des geologischen Reisenden“ von Boné Rat. In erster Linie muß man einen guten Soldatenranzen haben, sodann eine Meßkette, eine Feile, Zangen, eine Bussole und drei Hämmer, die man in den Gürtel steckt, der durch den Rock verdeckt wird und „einen auf diese Weise vor dem originellen Aussehen bewahrt, das man auf der Reise vermeiden muß“. Als Stock nahm Pécuchet ganz einfach einen sechs Fuß langen Touristenstock mit langer Eisenspitze. Bouvard gab einem Stockschirm oder vielarmigem Schirm den Vorzug; sein Griff läßt sich herausziehen, um die Seide darüberzuspannen, die in einem besonderen kleinen Beutel steckt. Sie vergaßen nicht, starke Schuhe mit Gamaschen mitzunehmen, jeder „zwei Paar Hosenträger, wegen des Durchschwitzens“, und obgleich man „sich nicht überall in der Mütze vorstellen kann“, scheuten sie die Kosten „eines jener zusammenlegbaren Hüte, die nach ihrem Erfinder, dem Hutmacher Gibus, benannt sind.“ Das gleiche Werk gibt Verhaltungsmaßregeln: „Die Sprache des Landes, das man besuchen will, soll man können,“ -- sie konnten sie. „Eine bescheidene Haltung bewahren,“ -- das pflegten sie zu tun. „Nicht zu viel Geld bei sich zu haben,“ nichts einfacher als das. Um sich schließlich alle möglichen Verlegenheiten zu ersparen, ist es gut, „sich für einen Ingenieur auszugeben.“ „Schön! Das werden wir tun!“ So vorbereitet begannen sie ihre Streifzüge, waren oft acht Tage lang abwesend, verbrachten ihr Leben in der frischen Luft. Bald bemerkten sie an den Ufern der Orne in einem Einschnitt Felswände, deren schräge Platten zwischen Pappeln und Heidekraut emporragten, oder sie waren verstimmt, weil sie den ganzen Weg entlang nur Tonlager antrafen. In einer Landschaft bewunderten sie weder die Aufeinanderfolge der Prospekte, noch die Tiefe des Hintergrundes, noch die wellenförmigen grünen Erhebungen, sondern das, was man nicht sah, was darunter war, die Erde; und alle Hügel waren für sie noch ein Beweis der Sündflut. Der Leidenschaft für die Sündflut folgte die für die erratischen Blöcke. Die dicken, einzeln auf dem Gelände liegenden Steine mußten von verschwundenen Gletschern herrühren, und sie suchten nach Moränen und Muschelerde. Mehrere Male nahm man sie wegen ihrer Ausstaffierung für Hausierer, und wenn sie geantwortet hatten, sie seien „Ingenieure“, packte sie die Angst: die widerrechtliche Aneignung eines solchen Titels konnte ihnen Unannehmlichkeiten zuziehen. Gegen Ende des Tages keuchten sie unter dem Gewicht ihrer Proben, aber beharrlich trugen sie sie nach Haus. Es gab ihrer auf den Stufen der Treppe, in den Zimmern, im Eßsaal, in der Küche, und Germaine jammerte über die Menge Staub. Es war keine kleine Arbeit, vor dem Aufkleben der Etiketten die Namen der Gesteine festzustellen. Die Mannigfaltigkeit der Farben und des Gemenges ließ sie Ton und Mergel, Granit und Gneis, Quarz und Kalkstein miteinander verwechseln. Und dann ärgerte sie die Benennung. Warum devonisch, kambrisch, jurassisch, als ob die so bezeichneten Erden nicht auch anderswo als in Devonshire, bei Cambridge und im Jura zu finden wären? Unmöglich, sich darin auszukennen; was hier System, ist dort Sohle, wieder anderswo eine bloße Schicht. Die Blätter der Lager vermischen sich, gehen ineinander über; doch Omalius d’Halloy erklärt, man müsse nicht an die geologischen Einteilungen glauben. Diese Erklärung erleichterte sie, und als sie in der Ebene von Caen Kalkstein mit Polypengehäusen, Tonschiefer in Balleroy, Kaolin zu Saint-Blaise, Rogenstein an allen Orten gesehen und Steinkohle zu Cartigny und Quecksilber zu la Chapelle-en-Juger bei Saint-Lô gesucht hatten, beschlossen sie einen weiteren Ausflug, eine Reise nach le Havre, um den Feuerstein und den Ton von Kimmeridge zu erforschen. Kaum hatten sie das Boot verlassen, so fragten sie nach dem Wege, der zu den Leuchttürmen führt; Erdrutsche versperrten ihn, es war gefährlich, sich dorthin zu wagen. Ein Wagenvermieter sprach sie an und schlug ihnen Fahrten in die Umgegend vor: nach Ingouville, Octeville, Fécamp, Lillebonne, „Rom, wenn es sein müßte“. Seine Preise waren unvernünftig; doch der Name Fécamp hatte ihre Aufmerksamkeit erregt; wenn man sich ein wenig zur Seite wandte, konnte man Etretat sehen, und sie nahmen den Omnibus nach Fécamp, um gleich so weit wie möglich zu gelangen. Im Wagen unterhielten sich Bouvard und Pécuchet mit drei Bauern, zwei braven Frauen, einem Seminaristen, und sie zögerten nicht, sich die Eigenschaft von Ingenieuren beizulegen. Vor dem Hafenbecken hielt man an. Sie erreichten die Klippe, und fünf Minuten später quetschten sie sich an ihr entlang, um eine große Wasserlache zu umgehen, die sich wie ein Golf mitten ins Ufer hineinschob. Dann sahen sie eine Bogenwölbung, welche die Öffnung zu einer tiefen Grotte bildete; sie war widerhallend, sehr hell, ähnelte mit ihren von oben bis unten gehenden Säulen und einem Teppich von Algen auf den Fliesen einer Kirche. Dieses Werk der Natur setzte sie in Erstaunen, und während sie im Weitergehen Muscheln auflasen, erhoben sie sich zu Betrachtungen über den Ursprung der Welt. Bouvard neigte zum Neptunismus; Pécuchet war dagegen Plutonist. Das Feuer im Erdinnern hatte die Kruste des Erdballs gesprengt, Erdteile emporgehoben, Höhlungen entstehen lassen. Es war wie ein inneres Meer mit seiner Flut und Ebbe, seinen Stürmen; ein dünnes Häutchen trennt uns davon. Man würde nicht ruhig schlafen, wenn man an alles dächte, was sich unter unsern Füßen befindet. Indessen nimmt das Feuer im Erdinnern ab, und die Sonne verliert ihre Kraft, so daß die Erde eines Tages vor Kälte zugrunde gehen muß. Sie wird unfruchtbar werden; alles Holz und alle Kohle werden sich in Kohlensäure verwandeln, und kein Wesen wird mehr bestehen können. „So weit sind wir noch nicht,“ sagte Bouvard. „Hoffen wir es,“ erwiderte Pécuchet. Gleichviel, dieses Weltende, so fern es lag, stimmte sie düster, und sie schritten schweigend nebeneinander auf dem Uferkies dahin. Die Klippe, lotrecht, blendend weiß und hier und da von Kieseln schwarz geädert, verlief gegen den Horizont in einer Ausdehnung von fünf Wegstunden wie die Linie einer Befestigungsmauer. Ein scharfer kalter Ostwind wehte. Der Himmel war grau, das Meer grünlich und wie geschwollen. Von der Spitze der Klippen flogen Vögel auf, kreisten, kehrten eilig wieder in ihre Löcher. Zuweilen löste sich ein Stein und schlug ein paarmal auf, bevor er zu ihnen herabkam. Pécuchet dachte mit lauter Stimme: „Wofern nicht die Erde durch eine Umwälzung zugrunde geht. Man weiß nichts über die Dauer unserer Periode. Das innere Feuer braucht nur hervorzubrechen.“ „Aber es nimmt doch ab.“ „Das hindert nicht, daß seine Ausbrüche die Insel Julia, den Monte-Nuovo und vieles andere noch erzeugt haben.“ Bouvard erinnerte sich, diese Einzelheiten bei Bertrand gelesen zu haben. „Derartige Umwälzungen kommen in Europa nicht vor.“ „Bitte sehr um Entschuldigung, Beweis das Erdbeben von Lissabon. Was unsere Gegenden anlangt, so sind die Kohlen- und Schwefelkies-Minen zahlreich und können sehr wohl bei der Zersetzung vulkanische Schlünde bilden. Vulkane brechen übrigens immer nahe am Meer aus.“ Bouvard ließ seinen Blick über die Fluten wandern und glaubte in der Ferne Rauch zu sehen, der zum Himmel stieg. „Da die Insel Julia verschwunden ist,“ fuhr Pécuchet fort, „so werden vielleicht Landstriche, die durch dieselbe Ursache entstanden sind, das gleiche Los teilen. Ein Inselchen des Archipels ist gerade so wichtig wie die Normandie oder auch wie Europa.“ Bouvard sah Europa von einem Abgrund verschlungen. „Nimm an,“ sagte Pécuchet, „daß ein Erdbeben unter dem Kanal stattfindet; die Wassermassen strömen ins Atlantische Meer; die Küsten von Frankreich und England, in ihren Grundfesten wankend, neigen sich, vereinigen sich, und, klitsch, klatsch, alles, was dazwischen liegt, ist zermalmt.“ Anstatt zu antworten, begann Bouvard so schnell zu gehen, daß er bald Pécuchet hundert Schritt hinter sich ließ. Als er allein war, ängstigte ihn der Gedanke einer Erdumwälzung. Er hatte seit dem Morgen nichts mehr genossen; seine Schläfen hämmerten. Plötzlich schien ihm der Boden zu zittern und die Klippe über ihm mit der Spitze zu schwanken. In demselben Augenblick rollte von oben ein Kiesregen herab. Pécuchet sah, wie er mit allen Kräften davonrannte, begriff seine Furcht, schrie ihm von weitem zu: „Halt! halt! Die Periode ist noch nicht abgelaufen.“ Und um ihn wiedereinzuholen, machte er, seinen Touristenstock in der Hand, ungeheure Sätze, während er brüllte: „Die Periode ist noch nicht abgelaufen! Die Periode ist noch nicht abgelaufen!“ Bouvard lief wie wahnsinnig weiter. Der vielarmige Schirm fiel hin, die Schöße seines Rockes flogen im Winde, der Tornister baumelte auf seinem Rücken. Er glich einer geflügelten Schildkröte, die zwischen den Felsen herumrannte; ein größerer Block entzog ihn Pécuchets Blicken. Pécuchet kam atemlos dort an, sah niemand, rannte zurück, um an einer niedrigen Stelle des Abhanges, an der Bouvard jedenfalls heraufgeklettert war, auf die Felder zu gelangen. Dieser steile, enge Anstieg war in großen Stufen in die Klippe geschnitten, hatte Raum für zwei Menschen und leuchtete wie polierter Alabaster. In einer Höhe von fünfzig Fuß wollte Pécuchet absteigen. Da die Flut herankam, begann er wieder emporzuklimmen. Als er bei der zweiten Biegung den leeren Raum unter sich sah, erstarrte er vor Angst. Je mehr er sich der dritten näherte, desto schwächer wurden seine Beine. Die Luftmassen umzitterten ihn, ein Krampf faßte ihn an der Herzgrube; er setzte sich mit geschlossenen Augen auf die Erde, nur noch das Klopfen seines Herzens wahrnehmend, das ihn erstickte; dann warf er seinen Touristenstock fort und unternahm auf Knien und Händen den Aufstieg. Doch die drei Hämmer, die in seinem Gürtel steckten, drückten sich in seinen Leib ein; die Steine, mit denen seine Taschen vollgestopft waren, schlugen gegen seine Seiten; der Schirm seiner Mütze blendete ihn; der Wind setzte mit neuer Kraft ein. Endlich erreichte er die Hochebene und fand dort Bouvard vor, der weiter hinten an einer weniger schwierigen Stelle emporgestiegen war. Ein Wägelchen nahm sie auf. An Etretat dachten sie nicht mehr. Als sie am folgenden Abend in le Havre das Boot erwarteten, sahen sie unten in einer Zeitung ein Feuilleton, das „Über den Unterricht in der Geologie“ betitelt war. Der Artikel, der voll von Tatsachen war, legte die Frage dar, so wie man sie zu jener Zeit auffaßte. Niemals hatte eine vollständige Umwälzung des Erdballs stattgefunden, aber die gleiche Art hat nicht immer die gleiche Dauer und erlischt an einem Orte eher als an einem andern. Erdschichten derselben Zeitalter enthalten verschiedenartige Fossilien, ebenso wie voneinander entfernte Ablagerungen gleichartige einschließen. Die Farren vergangener Zeiten sind mit den heutigen identisch. Viele Zoophyten der heutigen Zeit finden sich in älteren Schichten wieder. Kurz, die gegenwärtigen Modifikationen erklären die früheren Umwälzungen. Dieselben Ursachen sind beständig in Wirksamkeit, die Natur macht keine Sprünge, und die Perioden, so bestätigt Brongniart, sind schließlich nichts weiter als Abstraktionen. Bisher sahen sie Cuvier vom Glanze einer Aureole umflossen, hoch auf dem Gipfel einer unangreifbaren Wissenschaft. Sie war untergraben. Der Schöpfung lag ein anderes Prinzip zugrunde, und ihre Achtung für diesen großen Mann sank. Aus Biographien und Auszügen wurden sie mit den Lehren Lamarcks und Geoffroy Saint-Hilaires bekannt. Alles widersprach den gangbaren Anschauungen, der Autorität der Kirche. Bouvard verspürte gleichsam eine Erleichterung dadurch, als wenn er ein Joch abgeschüttelt hätte. „Jetzt möchte ich sehen, was der Bürger Jeufroy mir in betreff der Sündflut antworten würde!“ Und sie fanden ihn in seinem kleinen Garten, wo er die Mitglieder des Presbyteriums erwartete, welche sich sogleich wegen der Anschaffung eines Meßgewandes zu versammeln hatten: „Die Herren wünschen...?“ „Einen Aufschluß, wenn ich bitten darf.“ Und Bouvard begann: „Was bedeuten in der Genesis ‚der Abgrund, welcher zerbricht‘ und die ‚Katarakte des Himmels‘? Denn ein Abgrund zerbricht nicht, und ein Himmel hat keine Katarakte!“ Der Abbé schloß die Augen, dann antwortete er: man müsse immer zwischen dem Sinn und dem Buchstaben unterscheiden. Dinge, an denen man zuerst Anstoß nähme, bekämen ihre wohlberechtigte Bedeutung, wenn man sie vertiefe. „Ausgezeichnet! Aber wie den Regen erklären, der die höchsten Berge überflutete, die zwei Meilen hoch sind! Denken Sie, zwei Meilen! ein Wasserstand von zwei Meilen!“ Und der Bürgermeister, der dazukam, fügte hinzu: „Sapperlot, ein schönes Bad!“ „Geben Sie zu,“ sagte Bouvard, „daß Moses gewaltig übertreibt?“ Der Pfarrer hatte Bonald gelesen und erwiderte: „Seine Beweggründe sind mir unbekannt; ohne Zweifel geschah es zu dem Zweck, den Völkern, welche er leitete, einen heilsamen Schrecken einzuflößen!“ „Schließlich, woher kam die Wassermasse?“ „Was weiß ich! Die Luft hatte sich in Regen verwandelt, wie es alle Tage geschieht.“ Durch die Gartentür sah man den Steuervorsteher Herrn Girbal mit dem Hauptmann Heurteaux, Gutsbesitzer, hereinkommen, und der Wirt Beljambe führte Langlois, den Krämer, der wegen seines Katarrhs nur mühsam vorwärts kam. Ohne sich um sie zu kümmern, nahm Pécuchet das Wort: „Verzeihung, Herr Jeufroy. Das Gewicht der Atmosphäre -- das beweist uns die Wissenschaft -- ist gleich demjenigen einer Wassermasse, die um die Erdkugel eine Hülle von zehn Metern bilden würde. Folglich: wenn die ganze verdichtete Luft im flüssigen Zustande herabstürzte, so würde sie die schon vorhandene Wassermasse nur wenig vermehren.“ Die Kirchenvorsteher rissen die Augen auf, hörten zu. Der Geistliche wurde ungeduldig. „Wollen Sie leugnen, daß man auf den Bergen Muscheln gefunden hat? Wer hat sie dorthin gebracht, wenn nicht die Sündflut? Soviel ich weiß, pflegen sie nicht wie Mohrrübchen in der Erde zu wachsen!“ Und da dieses Witzwort die Versammlung zum Lachen brachte, fügte er, die Lippen spitzend, hinzu: „Wofern das nicht eine neue Entdeckung der Wissenschaft ist!“ Bouvard wollte mit der Erhebung der Berge, der Theorie Elie de Beaumonts, antworten. „Mir nicht bekannt!“ erwiderte der Abbé. Foureau beeilte sich zu sagen: „Er ist aus Caen, ich habe ihn einmal auf der Präfektur gesehen!“ „Aber wenn Ihre Sündflut,“ erwiderte Bouvard, „Muscheln angeschwemmt hätte, fände man sie zerbrochen an der Oberfläche, und nicht in Tiefen von manchmal dreihundert Meter.“ Der Priester berief sich auf die Wahrhaftigkeit der Schrift, auf die Überlieferung des Menschengeschlechtes und die im Eise von Sibirien aufgefundenen Tiere. Das beweise nicht, daß der Mensch gleichzeitig mit ihnen gelebt habe! Die Erde war nach Pécuchets Ansicht beträchtlich älter. „Das Delta des Mississippi ist mehrere zehntausend Jahre alt. Die gegenwärtige Epoche umfaßt ihrer wenigstens hunderttausend. Die Verzeichnisse Manethos...“ Der Graf von Faverges nahte. Alle verstummten bei seiner Annäherung. „Bitte, sprechen Sie weiter! Was sagten Sie?“ „Die Herren suchen Streit mit mir,“ antwortete der Abbé. „Weswegen?“ „Wegen der Heiligen Schrift, Herr Graf!“ Bouvard berief sich sogleich darauf, daß sie als Geologen das Recht hätten, religiöse Fragen zu erörtern. „Geben Sie acht,“ sagte der Graf, „Sie kennen, lieber Herr, das Wort: ‚Ein wenig Wissenschaft entfernt von ihr, viel führt zurück.‘“ Und in einem Tone, der zugleich von oben herab kam und väterlich war: „Glauben Sie mir! Sie werden zu ihr zurückkehren! Sie werden zu ihr zurückkehren!“ Vielleicht! Doch was sollte man von einem Buche denken, in dem behauptet wird, das Licht sei vor der Sonne geschaffen worden, als wenn die Sonne nicht die einzige Ursache des Lichtes wäre! „Sie vergessen die, welche man die boreale nennt,“ sagte der Geistliche. Ohne auf den Einwand zu antworten, stellte Bouvard heftig in Abrede, daß Licht auf der einen Seite habe sein können und Finsternis auf der anderen, daß es Morgen und Abend gegeben habe, als die Sterne nicht waren, und daß die Tiere plötzlich erschienen seien, statt durch langsame Entwicklung zu entstehen. Da die Wege bei den heftigen Bewegungen, die man machte, zu eng waren, ging man auf den Beeten. Langlois bekam einen Hustenanfall. Der Hauptmann schrie: „Sie predigen den Umsturz!“ Girbal: „Friede! Friede!“ Der Priester: „Welch ein Materialismus!“ Foureau: „Befassen wir uns lieber mit unserm Meßgewande!“ „Nein! Lassen Sie mich reden!“ Bouvard verstieg sich in der Hitze zu der Behauptung, der Mensch stamme vom Affen ab! Alle Kirchenvorsteher blickten einander ganz verdutzt an, wie um sich zu vergewissern, daß sie keine Affen seien. Bouvard fuhr fort: „Vergleicht man den Fötus einer Frau mit dem einer Hündin, eines Vogels, eines Frosches...“ „Genug!“ „Ich gehe noch weiter!“ rief Pécuchet. „Der Mensch stammt von den Fischen ab!“ Gelächter erhob sich. Doch ohne in Verwirrung zu geraten: „Der Telliamed! ein arabisches Buch!...“ „Zur Sitzung, meine Herren!“ Und man trat in die Sakristei. Die beiden Freunde hatten den Abbé Jeufroy nicht hineingelegt, wie sie es vorgehabt hatten. -- Pécuchet fand denn auch, daß er den „Stempel des Jesuitismus“ trage. Sein Nordlicht beunruhigte sie jedoch; sie schlugen es im Handbuch d’Orbignys auf. Es ist eine Hypothese zur Erklärung der Tatsache, daß die vegetabilischen Fossilien der Baffinbai den Pflanzen am Äquator gleichen. Man nimmt an Stelle der Sonne einen großen, jetzt verschwundenen Lichtherd an, dessen Spuren vielleicht die Nordlichter sind. Dann kam ihnen ein Zweifel wegen der Abstammung des Menschen, und in ihrer Verlegenheit dachten sie an Vaucorbeil. Seine Drohungen waren ohne Folgen geblieben. Wie früher ging er des Morgens an ihrem Gitter entlang, indem er mit seinem Stock alle Stäbe einen nach dem anderen streifte. Bouvard lauerte ihm auf, -- und nachdem er ihn angehalten hatte, sagte er, er wolle ihm einen merkwürdigen Punkt der Anthropologie unterbreiten. „Glauben Sie, daß das Menschengeschlecht von den Fischen abstammt?“ „Welcher Unsinn!“ „Eher von den Affen, nicht wahr?“ „In gerader Linie ist das unmöglich!“ Zu wem sollte man noch Vertrauen haben? Denn schließlich war der Doktor kein sehr zuverlässiger Kunde. Sie setzten ihre Studien fort, doch ohne Leidenschaft, da sie das Eozän und Miozän, den Mont-Jurillo, die Insel Julia, die sibirischen Mammute und die Fossilien, die ohne Ausnahme von allen Verfassern mit „Münzen“ verglichen werden, „die authentische Zeugnisse sind“, leid waren, so daß eines Tages Bouvard seinen Tornister zur Erde warf und dabei erklärte, daß er nicht weiter mitmachen würde. Die Geologie hatte zu viele Mängel! Kaum, daß wir einige Örtlichkeiten in Europa kennen. Über alles Übrige und die Tiefen der Weltmeere wird man immer in Unkenntnis bleiben. Als endlich Pécuchet das Wort Mineralreich ausgesprochen: „Ich glaube nicht daran, ans Mineralreich! da organische Stoffe bei der Bildung des Kiesels, der Kreide, des Goldes vielleicht teilgenommen haben! Ist der Diamant nicht Kohle gewesen? Ist die Steinkohle nicht eine Ansammlung von Vegetabilien? -- Wenn man sie auf ich weiß nicht wieviel Grad erhitzt, erhält man Holzmehl, derart, daß alles schwindet, zerfällt, sich verändert. Die Schöpfung ist im Wogen und Fliehen begriffen; es wäre besser, wir beschäftigten uns mit anderen Dingen.“ Er legte sich auf den Rücken und schlief ein, während Pécuchet mit gesenktem Kopf und ein Knie in den Händen sich seinen Betrachtungen hingab. Ein moosiger Streifen säumte den Hohlweg, der von Eschen beschattet wurde; ihre feinbelaubten Wipfel zitterten; Engelwurz, Minze, Lavendel strömten warmen, würzigen Duft aus; die Luft war drückend; und in einer Art stumpfsinnigen Brütens gedachte Pécuchet träumend der zahllosen Existenzen, die um ihn zerstreut waren; der Insekten, die summten, der unter dem Rasen verborgenen Quellen, des Saftes der Pflanzen, der Vögel in ihren Nestern, des Windes, der Wolken, der ganzen Natur, ohne deren Geheimnisse durchdringen zu wollen, -- hingerissen von ihrer Macht, verloren in ihre Größe. „Ich habe Durst!“ sagte Bouvard erwachend. „Ich auch! Ich würde gern irgend etwas trinken!“ „Das ist leicht,“ entgegnete ein vorübergehender Mann in Hemdsärmeln, mit einem Brett auf der Schulter. Und sie erkannten jenen Landstreicher, dem Bouvard einstmals ein Glas Wein gegeben hatte. Er schien um zehn Jahre jünger, trug sein Haar seitlich gekräuselt, den Schnurrbart gut gewichst und wiegte seinen Körper in pariserischer Weise. Nach etwa hundert Schritten öffnete er das Gatter eines Hofes, warf sein Brett gegen eine Mauer und führte sie in eine hohe Küche. „Mélie! bist du da, Mélie?“ Ein junges Mädchen erschien; auf sein Geheiß ging sie, „etwas zum Trinken zu zapfen“, und kehrte an den Tisch zurück, um die Herren zu bedienen. Die Scheitel ihres korngelben Haares kamen unter einem Häubchen von grauer Leinwand hervor. Ihr ganzes ärmliches Gewand floß faltenlos an ihrem Körper herab, und mit ihrer geraden Nase, ihren blauen Augen hatte sie etwas Zartes, Ländliches, Unschuldiges. „Sie ist niedlich, was!“ sagte der Tischler, während sie Gläser herbeibrachte. „Sollte man nicht schwören, sie sei ein als Bäuerin verkleidetes Fräulein! Und doch tüchtig bei der Arbeit! -- Armes kleines Herz, wirklich, wenn ich einmal reich werde, heirate ich dich!“ „Sie reden immer Dummheiten, Herr Gorju,“ antwortete sie mit sanfter Stimme in schleppendem Ton. Ein Stallknecht kam, um aus einer alten Kiste Hafer zu nehmen, und ließ den Deckel so heftig niederschlagen, daß ein Stück Holz absprang. Gorju ereiferte sich über die Ungeschicklichkeit aller „dieser Kerle vom Lande“, dann suchte er, vor dem Möbel kniend, die Stelle des Stückes. Pécuchet bemerkte, als er ihm helfen wollte, unter dem Staub Darstellungen von Personen. Es war eine Renaissancetruhe mit Taustäben am unteren Teile und Weinranken in den Ecken, und kleine Säulen teilten ihre Vorderseite in fünf Felder. In der Mitte sah man Venus Anadyomene auf einer Muschel stehen, weiter Herkules und Omphale, Simson und Delila, Circe mit ihren Schweinen, die Töchter Lots, die ihren Vater trunken machten; alles das war schadhaft, von Würmern zerfressen, und die rechte Füllung fehlte sogar. Gorju nahm eine Kerze, um Pécuchet die linke besser zeigen zu können, die Adam und Eva unter dem Baume des Paradieses in einer sehr unpassenden Stellung wiedergab. Bouvard bewunderte die Truhe gleicherweise. „Wenn Ihnen daran liegt, so würde man sie Ihnen billig abgeben.“ Sie zögerten mit Rücksicht auf die Ausbesserungen. Gorju konnte sie machen, da er von Beruf Kunsttischler war. „Gut! Kommen Sie!“ Und er zog Pécuchet in den Obsthof, wo Frau Castillon, die Herrin, Wäsche ausbreitete. Als Mélie sich die Hände gewaschen hatte, nahm sie ihre Spitzenklöppel vom Fensterbrett, setzte sich ins volle Licht und arbeitete. Das Türgesims rahmte sie ein. Die Klöppel ordneten sich unter ihren Händen mit dem Klappern von Kastagnetten. Man sah ihr Profil, das geneigt blieb. Bouvard fragte sie nach ihren Eltern, nach ihrer Heimat, dem Lohn, den man ihr zahlte. Sie war aus Ouistreham, hatte keine Angehörigen mehr, verdiente im Monat eine Pistole; -- kurz, sie gefiel ihm so, daß er sie in seine Dienste zu nehmen wünschte; sie sollte der alten Germaine helfen. Pécuchet kam mit der Pächterin zurück, und während sie ihren Handel fortsetzten, fragte Bouvard ganz leise Gorju, ob die kleine Magd einwilligen würde, bei ihm Dienste zu nehmen. „Versteht sich!“ „Ich muß aber erst meinen Freund befragen!“ sagte Bouvard. „Nun, ich werde es schon machen; doch sprechen Sie nicht davon! Wegen der Bürgersfrau.“ Der Handel war soeben um die Summe von fünfunddreißig Franken abgeschlossen. Wegen der Ausbesserungen würde man sich schon einigen. Kaum im Hof, gab Bouvard seine Absicht bezüglich Mélies kund. Pécuchet blieb stehen (um besser nachdenken zu können), öffnete seine Tabakdose, nahm eine Prise, und, nachdem er geschnupft hatte: „In der Tat, das ist ein Gedanke! mein Gott, ja! warum denn nicht! Übrigens hast du zu entscheiden!“ Zehn Minuten später erschien Gorju auf dem Walle eines Grabens und rief sie an: „Wann soll ich Ihnen das Möbel bringen?“ „Morgen!“ „Und sind Sie in der anderen Frage entschieden?“ „Einverstanden!“ antwortete Pécuchet. IV Sechs Wochen später waren sie Archäologen geworden; und ihr Haus glich einem Museum. Ein alter Holzbalken erhob sich im Vorsaal. Die geologischen Proben versperrten die Treppe; und eine ungeheure Kette zog sich am Boden des Hausflurs entlang. Sie hatten die Tür zwischen den beiden Zimmern, in denen sie nicht schliefen, ausgehängt und den äußeren Eingang zu dem zweiten zugenagelt, um aus den beiden Räumen ein einziges Gemach zu bilden. Wenn man die Schwelle überschritten hatte, stieß man gegen einen steinernen Trog (einen gallorömischen Sarkophag), dann wurde der Blick durch Metallgegenstände angezogen. An der gegenüberliegenden Wand sah man eine Wärmpfanne über zwei Feuerböcken und einer Kaminplatte, die einen mit einer Hirtin schäkernden Mönch darstellte. Auf kleinen Brettern erblickte man ringsumher Leuchter, Schlösser, Bolzen, Schrauben. Der Boden verschwand unter Scherben von roten Ziegeln. Die seltensten Sehenswürdigkeiten waren in der Mitte auf einem Tisch aufgestellt: das Gestell einer Haube, wie sie die Bäuerinnen der Landschaft Caux tragen, zwei Tonurnen, Denkmünzen, ein Fläschchen aus Opalglas. Ein gestickter Sessel trug auf seiner Rückenlehne ein Dreieck aus Gipüre. Ein Stück von einem Panzerhemd zierte die Wand zur Rechten; und darunter hielten lange Haken eine Hellebarde in horizontaler Lage, ein einzigartiges Stück. Das zweite Zimmer, in das man auf zwei Stufen hinabging, enthielt die alten, aus Paris mitgebrachten Bücher und die, welche sie bei ihrer Ankunft in einem Schranke entdeckt hatten. Die Schranktüren waren entfernt. Sie nannten das die Bibliothek. Der Stammbaum der Familie Croixmare nahm die ganze andere Seite der Tür ein. In den Ecken hingen über der Wandtäfelung als Pendants das Pastellbild einer Dame in Louis-XV-Tracht und das Porträt von Bouvards Vater. Das Gesims des Spiegels zierten ein Sombrero aus schwarzem Filz und ein ungeheurer Überschuh, der mit Blättern gefüllt war, den Resten eines Nestes. Zwei Kokosnüsse (sie gehörten Pécuchet seit seiner Kindheit) lagen auf dem Kamin zu beiden Seiten einer Fayencetonne, auf der ein Bauer ritt. Daneben lag in einem Strohkorb ein Geldstück, das eine Ente von sich gegeben hatte. Vor der Bibliothek machte sich eine Muschelkommode mit Plüschverzierungen breit. Ihr Deckel trug eine Katze, die eine Maus in ihrem Maule hielt, -- eine Versteinerung aus Saint-Allyre, -- einen Arbeitskasten, der ebenfalls aus Muscheln war, -- und auf diesem Kasten stand eine Kognakkaraffe, die eine Pfundbirne umschloß. Doch das Glanzstück, eine Statue Sankt Peters, stand in der Fensternische! Seine behandschuhte rechte Hand hielt den Schlüssel des Paradieses, der von apfelgrüner Farbe war. Sein Meßgewand, das mit Lilien durchwirkt war, war von himmelblauer Farbe, und seine leuchtend gelbe Tiara war spitz wie eine Pagode. Seine Wangen waren geschminkt, die Augen dick und rund, der Mund stand offen, die Nase war schief und aufgestülpt. Darüber hing ein aus einem alten Teppich hergestellter Himmel, auf dem man zwei Amoretten in einem Kranz von Rosen unterschied, und zu seinen Füßen erhob sich wie eine Säule ein Buttertopf, der folgende Worte in weißen Buchstaben auf schokoladefarbigem Grunde zeigte: „Angefertigt vor Seiner Königlichen Hoheit dem Herzog von Angoulême zu Noron d. 3. Oktober 1817.“ Pécuchet überschaute das alles von seinem Bette aus in einer Flucht, und manchmal ging er sogar in Bouvards Zimmer, um es mehr aus der Ferne zu sehen. Dem Panzerhemd gegenüber blieb ein Platz leer, er war für die Renaissancetruhe bestimmt. Sie war noch nicht fertig, Gorju arbeitete noch daran; er behobelte die Flächen im Backhaus, paßte sie ein, nahm sie wieder ab. Um elf Uhr frühstückte er, plauderte dann mit Mélie und erschien oft den ganzen Tag nicht wieder. Um Stücke in der Art dieses Möbels zu bekommen, hatten sich Bouvard und Pécuchet auf die Suche gemacht. Was sie mitbrachten, paßte nicht. Aber sie waren auf eine Menge merkwürdiger Sachen gestoßen. Der Geschmack am Krimskrams war ihnen gekommen, dann die Liebe zum Mittelalter. Zuerst besuchten sie die Kathedralen, -- und die hohen Schiffe, die sich in dem Weihwasser der Becken spiegelten, die Glasarbeiten, die wie Behänge aus Edelsteinen blendeten, die Grabmäler in der Tiefe der Kapellen, das dämmerige Licht der Krypten, alles bis zur Kühle der Mauern erfüllte sie mit einem Schauer der Lust, versetzte sie in religiöse Erregung. Bald waren sie imstande, die Epochen zu unterscheiden -- und voll Verachtung für die Erklärungen der Küster sagten sie: „Ah! eine romanische Apsis! Das ist aus dem zwölften Jahrhundert! Da haben wir wieder den Flammenstil!“ Sie bemühten sich, die steinernen Symbole an den Kapitälen zu deuten, wie die beiden Greifen zu Marigny, die einen blühenden Baum anpicken. Pécuchet wollte in den Sängern mit grotesken Kinnladen, welche die Kranzgesimse von Feugerolles abschließen, eine Satire erblicken, -- und die Überfülle des unanständigen Mannes auf einem der Fensterkreuze von Hérouville bewies nach Bouvards Ansicht, daß unsere Voreltern die zotigen Späße geliebt hätten. Schließlich wollten sie nicht mehr das geringste Zeichen von Geschmacksentartung dulden. Alles war Entartung -- und sie jammerten über Vandalismus, schimpften über die Tünche. Doch der Stil eines Denkmals trifft nicht immer mit dem Datum zusammen, das man dafür ansetzt. Der Rundbogen herrscht noch im dreizehnten Jahrhundert in der Provence vor. Der Spitzbogen ist vielleicht sehr alt! Und manche Autoren bestreiten, daß der romanische Stil vor dem gotischen bestanden habe. Dieser Mangel an Gewißheit ärgerte sie. Nach den Kirchen studierten sie die festen Burgen: diejenigen von Domfront und von Falaise. Unter dem Tor bewunderten sie die Nuten des Fallgatters, und wenn sie den Gipfel erstiegen hatten, erblickten sie zuerst das ganze Land, dann die Dächer der Stadt, die sich kreuzenden Straßen, die Karren auf dem Platze, die Frauen beim Waschen. Steil stürzte die Mauer bis zum Gestrüpp der Gräben herab, -- und sie erblichen bei dem Gedanken, daß hier Menschen, auf Leitern schwebend, emporgeklettert seien. Sie würden sich in die unterirdischen Gewölbe gewagt haben; doch bildete für Bouvard sein Bauch ein Hindernis, und Pécuchet hatte Angst vor Schlangen. Sie wollten die alten Sitze, Curcy, Bully, Fontenay, Lemarmion, Argouge, kennenlernen. Zuweilen erhob sich im Winkel der Gebäude hinter dem Misthaufen ein Turm aus der Zeit der Karolinger. Die Küche, die Steinbänke hatte, rief Gedanken an feudale Schmausereien wach. Andere zeigten ein durchaus wildes Äußeres mit ihren drei noch deutlich erkennbaren Umfriedigungen, den Schießscharten unter der Treppe, den langen, spitzgedeckten Türmchen. Dann gelangte man in ein Gemach, wo ein Fenster aus der Zeit der Valois, fein gemeißelt wie eine Elfenbeinschnitzerei, die Sonne hereinscheinen ließ, die den auf dem Parkett ausgebreiteten Raps wärmte. Abteien dienen als Scheunen. Die Inschriften der Grabsteine sind verwischt. Auf den Feldern ragt ein einzelner Giebel empor -- und ist von oben bis unten mit Efeu überwuchert. Eine Menge von Dingen erregte ihre Begierde, ein Zinntopf, ein Ring mit einem Straß, großgeblümter Kattun. Mangel an Geld hielt sie vom Einkauf ab. Durch eine Fügung des Himmels gruben sie in Balleroy bei einem Verzinner eine gotische Scheibe aus, und sie war groß genug, um in der Nähe des Sessels die rechte Fensterseite bis zur zweiten Scheibe zu bedecken. Der Kirchturm von Chavignolles zeigte sich im Hintergrunde, es war von prachtvoller Wirkung. Aus dem unteren Teile eines Schrankes verfertigte Gorju ein Betpult, um es unter die Scheibe zu stellen, denn er schmeichelte ihrer Leidenschaft. Sie war so stark, daß sie den Verlust der Baudenkmäler bedauerten, über die man rein gar nichts weiß, -- wie das Lusthaus der Bischöfe von Séez. „Bayeux,“ sagt Herr von Caumont, „soll ein Theater gehabt haben.“ Sie suchten seinen Platz vergeblich. Im Dorfe Montrecy liegt eine Wiese, berühmt durch die Münzenfunde, die man dort früher gemacht hat. Sie zählten auf eine schöne Ausbeute. Der Wächter verweigerte ihnen den Zutritt. Sie waren nicht glücklicher in betreff der Verbindung, welche zwischen einer Zisterne in Falaise und der Vorstadt von Caen bestand. Enten, die man dort eingelassen hatte, erschienen zu Vaucelles wieder, indem sie schnatterten: „Can, can, can,“ woraus der Name der Stadt entstanden ist. Kein Gang, kein Opfer war ihnen zu sauer. In der Herberge von Mesnil-Villement hatte Herr Galeron im Jahre 1816 ein Frühstück für die Summe von vier Sous bekommen. -- Sie genossen dasselbe Mahl und stellten mit Staunen fest, daß die Dinge sich seither geändert hatten! Wer ist der Begründer der Abtei von Sainte-Anne? Besteht eine Verwandtschaft zwischen Marin Onfroy, der im zwölften Jahrhundert eine neue Sorte Äpfel einführte, und Onfroy, dem Gouverneur von Hastings zur Zeit der Eroberung? Wie sich „Die arglistige Zauberin“ verschaffen, ein Lustspiel in Versen von einem gewissen Dutrezor, das in Bayeux entstand und gegenwärtig sehr selten ist? Unter Ludwig XIV. schrieb Hérambert Dupaty oder Dupastis Hérambert ein niemals erschienenes Werk voll von Anekdoten über Argentan: es handelte sich darum, diese Anekdoten wieder aufzufinden. Was ist aus den selbstgeschriebenen Memoiren der Frau Dubois de la Pierre geworden, die für die unveröffentlichte Geschichte des Ortes Laigle von Louis Dasprès, Vikar zu Saint-Martin, benutzt sind? Das alles sind Probleme, merkwürdige Punkte, die der Aufklärung bedürfen. Doch zuweilen führt ein schwacher Hinweis auf den richtigen Weg zu einer unschätzbaren Entdeckung. Also zogen sie ihre Kittel wieder an, um kein Aufsehen zu erregen, und sich den Anschein von Hausierern gebend, sprachen sie in den Häusern vor und verlangten, alte Papiere zu kaufen. Man verkaufte ihnen ganze Stöße. Es waren Schulhefte, Rechnungen, alte Zeitungen, nichts was man gebrauchen konnte. Schließlich wandten sich Bouvard und Pécuchet an Larsoneur. Er steckte tief im Keltizismus, antwortete kurz auf ihre Fragen, stellte neue. Ob sie in ihrer Gegend Spuren der Hundeverehrung bemerkt hätten, wie man sie in Montargis findet? Und außerdem fragte er nach besonderen Einzelheiten über die Johannisfeuer, die Hochzeiten, nach volkstümlichen Sprichwörtern und so weiter? Und er bat sie sogar, für ihn einige jener Steinbeile zu sammeln, die man damals „Celtae“ nannte und welche die Druiden bei „ihren verbrecherischen Sühnopfern“ gebrauchten. Durch Gorju verschafften sie sich etwa ein Dutzend derselben, sandten ihm das kleinste; die andern bereicherten ihr Museum. Sie gingen gern darin herum, fegten es selbst, hatten allen ihren Bekannten davon gesprochen. Eines Nachmittags fanden sich Frau Bordin und Herr Marescot ein, um es zu besichtigen. Bouvard empfing sie und begann mit der Vorführung der Gegenstände in der Vorhalle. Der Balken war nichts Geringeres als der ehemalige Galgen von Falaise, nach Angabe des Tischlers, der ihn verkauft hatte und der diese Kenntnis von seinem Großvater hatte. Die dicke Kette auf dem Flur stammte aus dem Verlies des Schloßturmes von Torteval. Nach der Ansicht des Notars glich sie den Ketten der Grenzsteine vor den Ehrenhöfen. Bouvard war überzeugt, daß sie ehemals dazu gedient hatte, Gefangene zu fesseln, und er öffnete die Tür des ersten Zimmers. „Was sollen alle diese Ziegel?“ rief Frau Bordin. „Um die Bäder zu erwärmen; doch ein wenig der Reihe nach, wenn ich bitten darf. Dies hier ist ein Grabmal, das in einer Herberge entdeckt wurde, wo es als Viehtrog diente.“ Dann nahm Bouvard die beiden Urnen in die Hand, die mit Erde -- es sei menschliche Asche -- gefüllt waren, und er brachte das Fläschchen an seine Augen, um zu zeigen, wie die Römer ihre Tränen darin auffingen. „Aber man sieht bei Ihnen nur traurige Dinge!“ In der Tat war das etwas ernst für eine Dame, und er entnahm einer Schachtel mehrere Kupfermünzen und einen Silberdenar. Frau Bordin fragte den Notar, wieviel das wohl heute wert sei. Das Panzerhemd, das er betrachtete, entglitt seinen Händen; einige Maschen lösten sich. Bouvard verbarg sein Mißvergnügen. Er hatte sogar die Gefälligkeit, die Hellebarde abzunehmen, und sich beugend, die Arme hebend, mit dem Fuße aufstampfend, gab er sich den Anschein, die Kniekehlen eines Pferdes zu durchmähen, wie mit dem Bajonette zu stoßen, einen Feind zu töten. Innerlich fand die Witwe, er sei ein kräftiger Schlingel. Sie war von der Muschelkommode begeistert. Die Katze von Saint-Allyre setzte sie sehr in Staunen, die Birne in der Karaffe etwas weniger; dann kam man zu dem Kamin. „Ah! da ist ein Hut, der ausbesserungsbedürftig wäre.“ Drei Löcher, Male von Kugeln, höhlten die Ränder. Er hatte dem Anführer einer Diebesbande, David de la Bazoque, unter dem Direktorium gehört, der durch Verrat gefangengenommen und sogleich getötet worden war. „Um so besser, da hat man gut getan,“ sagte Frau Bordin. Marescot lächelte vor den Gegenständen in herablassender Weise. Er hatte kein Verständnis für den Überschuh, der das Aushängeschild eines Schuhwarenhändlers gewesen war, noch begriff er, was dieses Fayence-Tönnchen sollte, das ein gewöhnlicher Mostbehälter war; und der Sankt Peter mit seiner Physiognomie eines Trunkenboldes sei, offen gesagt, ein kläglicher Anblick. Frau Bordin machte die Bemerkung: „Immerhin wird er Ihnen ziemlich viel gekostet haben?“ „O! nicht allzuviel, nicht allzuviel.“ Ein Dachdecker hatte ihn für fünfzehn Franken hergegeben. Dann tadelte sie als etwas Unpassendes die Entblößung der Dame mit der gepuderten Perücke. „Was ist schlimmes daran?“ fragte Bouvard, „wenn man etwas Schönes besitzt.“ Und leiser fügte er hinzu: „Wie Sie, dessen bin ich sicher.“ Der Notar wandte ihnen den Rücken, während er die Zweige der Familie Croixmare studierte. Sie gab keine Antwort, sondern fing an, mit ihrer langen Uhrkette zu spielen. Ihr Busen wölbte sich unter dem schwarzen Taffet ihrer Taille, und sie senkte, während sie die Augenbrauen leicht zusammenzog, das Kinn wie eine Taube, die sich bläht; dann fragte sie mit harmloser Miene: „Wie hieß die Dame?“ „Das weiß man nicht; sie ist eine der Mätressen des Regenten, Sie wissen, desselben, der so viele Possen trieb.“ „Ganz recht; die Memoiren aus der Zeit...“ Und der Notar beklagte, ohne seinen Satz zu beenden, das Beispiel dieses von seinen Leidenschaften beherrschten Fürsten. „Aber so sind Sie alle!“ Die beiden Männer protestierten, und ein Gespräch über die Frauen, über die Liebe knüpfte sich daran. Marescot versicherte, es gäbe viele glückliche Ehen; zuweilen habe man sogar, ohne es zu ahnen, ganz in seiner Nähe, was man zu seinem Glücke brauche. Die Anspielung war nicht mißzuverstehen. Die Wangen der Witwe bedeckten sich mit Purpur; doch sogleich sich fassend, sagte sie: „Wir sind aus dem Alter der Torheiten heraus, nicht wahr, Herr Bouvard?“ „Eh, eh! das möchte ich doch nicht behaupten.“ Und er bot ihr den Arm, um sie ins andere Zimmer zu führen. „Geben Sie acht auf die Stufen! Schön. Nun betrachten Sie die Scheibe.“ Man sah einen scharlachroten Mantel darauf und die beiden Flügel eines Engels. Alles übrige verschwand unter dem Blei, das die zahlreichen Sprünge des Glases zusammenhielt. Der Tag neigte sich, die Schatten wurden länger. Frau Bordin war ernst geworden. Bouvard entfernte sich und kam zurück, mit einer Wolldecke bekleidet, kniete dann vor dem Betpult nieder, die Arme nach außen, das Gesicht in den Händen, während die Sonne auf seinen kahlen Schädel glänzte; und er war sich der Wirkung bewußt, denn er sagte: „Sehe ich nicht aus wie ein mittelalterlicher Mönch?“ Dann hob er den Kopf in schräger Haltung mit verzückten Augen und gab seinem Gesichte einen mystischen Ausdruck. Man hörte vom Flur her die tiefe Stimme Pécuchets: „Erschrick nicht, ich bin es.“ Er trat ein, einen Helm auf dem Kopfe: eine eiserne Sturmhaube mit spitzen Ohrenklappen. Bouvard verließ das Betpult nicht. Die beiden andern verharrten stehend. Eine Minute verging in Verdutzung. Frau Bordin schien Pécuchet etwas kühl. Doch erkundigte er sich, ob sie alles gesehen habe. „Ich glaube, ja.“ Und auf die Wand weisend: „Verzeihen Sie, dort wird ein Gegenstand stehen, den man in diesem Augenblicke repariert.“ Die Witwe und Marescot gingen. Die beiden Freunde waren auf den Gedanken gekommen, einen Wettbewerb vorzutäuschen. Sie gingen jeder für sich auf die Streifzüge, der zweite machte höhere Angebote als der erste. Pécuchet hatte soeben den Helm erstanden. Bouvard beglückwünschte ihn und nahm seine Lobreden bezüglich der Decke entgegen. Mélie richtete sie mit Hilfe von Schnüren wie ein Ordensgewand her. Sie trugen sie abwechselnd, wenn sie Besuche empfingen. Es kamen zu ihnen Girbal, Foureau, der Hauptmann Heurteaux, dann untergeordnete Persönlichkeiten: Langlois, Beljambe, ihre Pächter, bis zu den Dienstboten der Nachbarn; und jedesmal begannen sie wieder ihre Erklärungen, zeigten die Stelle, wo die Truhe stehen sollte, gaben sich mit erkünstelter Bescheidenheit, baten um Nachsicht wegen des Platzmangels. Pécuchet trug an solchen Tagen eine Zuavenmütze, die er noch von Paris her hatte, denn er glaubte sie in engerer Beziehung zu der künstlerischen Umwelt. In einem bestimmten Augenblick setzte er den Helm auf und rückte ihn tief in den Nacken, um sein Gesicht freizumachen. Bouvard vergaß nicht, die Hellebarde vorzuführen. Schließlich verständigten sie sich durch einen Blick, ob der Besuch verdiene, daß man ihm „den mittelalterlichen Mönch“ zeige. Welche Erregung, als vor ihrem Gitter der Wagen des Herrn von Faverges hielt. Er habe ihnen nur ein Wort zu sagen. Es handele sich um folgendes: Hurel, sein Faktotum, hatte ihm mitgeteilt, daß sie überall Dokumente suchten und dabei alte Papiere auf dem Gut von la Aubrye erstanden hatten. Das stimme vollkommen. Ob sie dabei nicht Briefe des Barons von Gonneval, ehemaligen Adjutanten des Herzogs von Angoulême, gefunden hätten? Denn er hatte in la Aubrye Aufenthalt genommen. Man wünschte die Korrespondenz aus Familieninteresse zu besitzen. Sie befand sich nicht in ihrem Hause, doch beherbergten sie eine Sache, die ihn interessieren werde, wenn er geruhen wolle, ihnen in ihre Bibliothek zu folgen. Niemals hatten solche Lackstiefel im Hausflur geknarrt. Sie stießen gegen den Sarkophag. Beinahe hätte er mehrere Ziegel zertreten, kam glücklich um den Sessel, stieg zwei Stufen herab, -- und im zweiten Zimmer angekommen, zeigten sie ihm unter dem Baldachin vor dem Sankt Peter den Buttertopf, der in Noron hergestellt war. Bouvard und Pécuchet hatten geglaubt, das Datum sei in manchen Fällen von Wichtigkeit. Der Edelmann besichtigte aus Höflichkeit ihr Museum. Er wiederholte: „Reizend! Sehr hübsch!“ wobei er sich mit dem Knauf seines Spazierstöckchens leichte Schläge auf den Mund gab, und gewiß sei er ihnen dankbar, diese Überbleibsel des Mittelalters gerettet zu haben, einer Zeit religiösen Glaubens und ritterlicher Aufopferung. Er liebe den Fortschritt und würde sich gleich ihnen solch interessanten Studien gewidmet haben, doch die Politik, die Kreisstände, die Landwirtschaft, ein wahrer Strudel halte ihn davon ab. „Übrigens würde man nach Ihnen nur eine dürftige Nachlese halten können, denn bald werden Sie alle Merkwürdigkeiten des Bezirks in Ihrem Hause vereinigt haben.“ „Ohne uns überheben zu wollen, das denken wir,“ sagte Pécuchet. Indessen könne man in Chavignolles zum Beispiel noch solche entdecken; in der Gasse am Friedhof sei seit undenklichen Zeiten ein Weihwasserbecken an der Mauer im Grase vergraben. Sie waren über die Mitteilung erfreut, dann tauschten sie einen Blick aus, der bedeutete, „ist es der Mühe wert?“ -- doch schon öffnete der Graf die Tür. Mélie, die dahinter stand, rannte ungestüm davon. Da er seinen Weg durch den Hof nahm, bemerkte er Gorju, der mit übereinandergelegten Armen dabei war, seine Pfeife zu rauchen. „Sie beschäftigen diesen Burschen? Hm! wenn einmal ein Aufstand ausbricht, würde ich ihm nicht trauen.“ Und Herr von Faverges stieg in seinen Tilbury. Warum schien sich ihre Dienstmagd vor ihm zu fürchten? Sie fragten sie aus, und sie erzählte, sie habe auf seinem Gute gedient. Sie sei jenes kleine Mädchen, welches den Schnittern zu trinken gab, als sie vor zwei Jahren gekommen waren. Man hatte sie zur Aushilfe auf das Schloß genommen und fortgeschickt „wegen unwahrer Nachrede“. Doch Gorju, was konnte man ihm vorwerfen? Er war sehr geschickt und bezeugte ihnen unendlich viel Achtung. Am folgenden Morgen begaben sie sich mit Tagesanbruch zum Friedhofe. Bouvard untersuchte mit seinem Stock die bezeichnete Stelle. Er stieß auf einen harten Gegenstand. Sie rissen einige Nesseln aus und entdeckten eine Sandsteinschale, ein Taufbecken, in dem Pflanzen wuchsen. Indessen ist es eigentlich nicht Brauch, Taufbecken außerhalb der Kirche zu verscharren. Pécuchet machte eine Zeichnung davon, Bouvard die Beschreibung, und sie schickten das alles an Larsoneur. Seine Antwort kam sofort. „Sieg, meine teuren Kollegen! Das ist unbestreitbar ein Druiden-Gefäß.“ Doch sollten sie sich vorsehen. Das Beil sei zweifelhaft, -- und ebenso in seinem wie in ihrem Interesse gab er ihnen eine Reihe von Werken an, die man zu Rate ziehen solle. Larsoneur gestand in einem Postskriptum, er habe Lust, dieses Gefäß kennenzulernen, was sich bald einmal machen lassen würde, wenn er seine Reise in die Bretagne ausführe. Da vergruben sich Bouvard und Pécuchet in die keltische Archäologie. Dieser Wissenschaft zufolge beteten die alten Gallier, unsere Vorfahren, Kirk und Kron, Taranis, Esus, Netalemnia, den Himmel und die Erde, den Wind und die Wasser an, -- und über alles den großen Teutates, welcher der Saturn der Heiden ist. Denn als Saturn in Phönizien herrschte, erkor er sich eine Nymphe namens Anobret zur Gattin, von der er ein Kind mit Namen Jeüd hatte, -- und Anobret hat die Züge Saras, Jeüd wurde geopfert (oder doch beinahe) wie Isaak; -- also ist Saturn Abraham, woraus man schließen muß, daß die Religion der Gallier denselben Ursprung hat wie die der Juden. Ihr Gemeinwesen war sehr gut geordnet. Die erste Klasse von Leuten umfaßte das Volk, den Adel und den König, die zweite die Rechtsgelehrten, -- und in der dritten, der höchsten, gliederten sich nach Taillepied „die verschiedenen Arten von Philosophen“, nämlich Druiden oder Saroniden, die selbst wieder in Eubages, Bardes und Vates eingeteilt wurden. Die einen verkündeten die Zukunft, andere sangen, noch andere lehrten Botanik, Medizin, Geschichte und Literatur, kurz „alle Künste ihrer Zeit“. Pythagoras und Plato waren ihre Schüler. Sie brachten den Griechen die Metaphysik bei, den Persern die Hexenkunst, den Etruskern die Opferschau, -- und den Römern das Verzinnen des Kupfers und den Schinkenhandel. Doch von diesem Volke, das die Alte Welt beherrschte, sind nur noch Steine übriggeblieben, die entweder ganz alleinstehen oder in Gruppen zu dreien, oder in Galerien angeordnet sind oder Einfriedigungen bilden. Bouvard und Pécuchet studierten voller Eifer nacheinander den Stein von Post zu Ussy, den Doppelstein im Guest, den Stein von Darier bei Aigle und andere! Alle diese Blöcke, von denen ihnen der eine nicht mehr sagte als der andere, langweilten sie bald, und eines Tages, als sie den Menhir von Passais gesehen hatten, waren sie im Begriff, zurückzukehren, als ihr Führer sie in einen Buchenhain führte, der mit Granitmassen angefüllt war, die Sockeln oder ungeheuren Schildkröten glichen. Die bedeutendste ist wie ein Becken gehöhlt. Einer der Ränder ist höher, und vom Boden gehen zwei Einschnitte bis zur Erde hinab; das war für das Abfließen des Blutes, unmöglich, daran zu zweifeln. Der Zufall bringt so etwas nicht hervor. Baumwurzeln schlangen sich um diese rohen Sockel. Es fiel ein wenig Regen. In der Ferne stiegen Nebelstreifen gleich großen Gespenstern. Es kostete geringe Mühe, sich unter dem Laubwerk Priester in goldener Tiara und weißem Gewande zu denken, mit ihren Menschenopfern, deren Arme auf dem Rücken zusammengebunden waren, -- und am Rande des Beckens die den roten Strom beobachtende Priesterin, während die Menge ringsumher heulte zum Lärm der Cymbeln und der aus Auerochsenhorn gemachten Trompeten. Sogleich stand ihr Plan fest. Und in einer mondhellen Nacht nahmen sie ihren Weg zum Friedhof, wie Diebe im Schatten der Häuser gehend. Die Fensterläden waren geschlossen, und die Höfe lagen in Schweigen; nicht ein Hund bellte. Gorju begleitete sie; sie machten sich ans Werk. Man hörte nur die Steine klingen, die von dem den Grasboden höhlenden Scheit getroffen wurden. Die Nachbarschaft der Toten war ihnen unangenehm; die Uhr der Kirche gab ein fortwährendes Röcheln von sich, und die Rose in ihrem Giebelfelde sah aus wie ein Auge, das die Tempelschänder erspäht. Endlich brachten sie das Gefäß fort. Am folgenden Tage gingen sie wieder zum Friedhofe, um zu sehen, welche Spuren ihre Tätigkeit hinterlassen. Der Abbé, welcher vor der Tür frische Luft schöpfte, bat sie, ihm die Ehre eines Besuches zu erweisen; und nachdem er sie in seinen kleinen Saal geführt, blickte er sie in sonderbarer Weise an. Auf der Anrichte stand zwischen den Tellern eine Suppenschüssel, die mit gelben Sträußen bemalt war. Pécuchet rühmte sie, da er nicht wußte, was er sagen sollte. „Das ist ein altes Rouenner Stück,“ erwiderte der Pfarrer, „ein Erbstück. Die Kenner, besonders Herr Marescot, schätzen es.“ Er selber habe, Gott sei Dank, keine Vorliebe für Sehenswürdigkeiten; -- und da sie ihn nicht zu verstehen schienen, erklärte er, er habe selbst gesehen, wie sie das Taufbecken entwendeten. Die beiden Archäologen waren sehr verblüfft, stotterten. Der fragliche Gegenstand sei nicht mehr in Gebrauch. Gleichviel! sie müßten ihn herausgeben. Ohne Zweifel! Aber man möge ihnen wenigstens erlauben, einen Maler kommen zu lassen, um ihn abzuzeichnen. „Einverstanden, meine Herren.“ „Die Sache bleibt unter uns, nicht wahr?“ sagte Bouvard, „unter dem Siegel des Beichtgeheimnisses!“ Der Geistliche beruhigte sie lächelnd mit einer Bewegung. Nicht ihn hatten sie zu fürchten, sondern vielmehr Larsoneur. Wenn er durch Chavignolles kommen würde, würde er nach dem Gefäß lüstern werden, -- und seine Redereien darüber würden der Regierung zu Ohren kommen. Aus Vorsicht versteckten sie es im Backhaus, dann in der Laube, in der Hütte, in einem Schrank. Gorju war müde, es herumzuschleppen. Der Besitz eines solchen Stückes verknüpfte sie mit dem Keltizismus der Normandie. Sein Ursprung liegt in Ägypten. Séez im Ornekreise wird zuweilen Saïs, wie die Stadt des Delta, geschrieben. Die Gallier schworen beim Stier, was eine Verpflanzung des Apiskultes war. Der lateinische Name „Bellocastes“, welcher der der Bewohner von Bayeux war, kommt von Beli Casa, Wohnung, Heiligtum des Belus. Belus und Osiris sind die gleiche Gottheit. „Nichts steht dem im Wege,“ sagt Mangou de la Londe, „daß es bei Bayeux druidische Denkmäler gegeben habe.“ -- „Dieses Land“, fügt Herr Roussel hinzu, „ähnelt dem Lande, in welchem die Ägypter den Tempel des Jupiter Ammon bauten.“ Also gab es einen Tempel, und noch dazu einen, der Schätze beherbergte. Alle keltischen Bauwerke beherbergen solche. Im Jahre 1715 grub, so berichtet Dom Martin, ein Herr Héribel in der Umgegend von Bayeux mehrere mit Gebeinen gefüllte Tongefäße aus -- und schloß (der Überlieferung und entschwundenen Autoritäten folgend), daß dieser Ort, eine Totenstadt, der Berg Faunus sei, wo man das goldene Kalb verscharrt habe. Indessen wurde das goldene Kalb verbrannt und verschluckt, -- wofern es sich nicht um einen Irrtum der Bibel handelt. Zunächst, wo liegt der Faunusberg? Die Bücher geben es nicht an. Die Eingeborenen wissen nichts darüber. Man hätte zu Nachgrabungen schreiten müssen, -- und zu diesem Zwecke richteten sie eine Bittschrift an den Herrn Präfekten, auf die keine Antwort erfolgte. Vielleicht war der Berg Faunus verschwunden, und es war kein Hügel, sondern ein Tumulus. Was bedeuteten die Tumuli? Mehrere enthalten Skelette, die die Stellung des Fötus im Mutterleib zeigen. Das will besagen, daß das Grab für sie eine zweite Zeit der Trächtigkeit war, die sie zu einem neuen Leben vorbereitete. Also stellt der Tumulus das weibliche Organ dar, wie der aufrechte Stein das männliche Organ bedeutet. In der Tat hat, wo es Menhire gibt, ein unzüchtiger Kult bestanden. Beweis ist, was in Guérande, in Chichebouche, in Croisic, in Livarot vor sich ging. Ursprünglich hatten die Türme, die Pyramiden, die Kerzen, die Meilensteine der Wege und selbst die Bäume die Bedeutung des Phallus, -- und für Bouvard und Pécuchet wurde alles zum Phallus. Sie sammelten Ortscheite von Wagen, Sesselbeine, Kellerschlösser, Pistille. Wenn man sie besuchte, fragten sie: „An was erinnert Sie das wohl?“ und vertrauten dann das Geheimnis an, und wenn man protestierte, zuckten sie mitleidig die Achseln. Eines Abends, als sie über die Dogmen der Druiden nachsannen, fand sich der Abbé ein, in bescheidener Haltung. Sogleich zeigten sie ihm das Museum, wobei sie mit der Scheibe begannen; doch sie konnten es nicht erwarten, zu einer neuen Abteilung zu kommen, der des Phallus. Der Geistliche unterbrach sie, da er die Ausstellung für unpassend hielt. Er kam, um sein Taufbecken zurückzuverlangen. Bouvard und Pécuchet flehten noch um vierzehn Tage, die gerade genügen würden, einen Abguß davon zu nehmen. „Je eher, desto besser,“ sagte der Abbé. Dann plauderte er von nebensächlichen Dingen. Pécuchet, der sich einen Augenblick entfernt hatte, ließ ihm ein Goldstück in die Hand gleiten. Der Priester fuhr zurück. „O, für Ihre Armen!“ Und Herr Jeufroy nestelte das Goldstück errötend in seinen Priesterrock. Das Gefäß herausgeben, das Opfergefäß! Nie im Leben! Sie wollten sogar Hebräisch lernen, das die Muttersprache des Keltischen ist, sofern es nicht von ihm herstammt! -- und sie wollten die Bretagne bereisen, -- indem sie mit Rennes begannen, wo sie ein Zusammentreffen mit Larsoneur haben würden, um die in den Denkschriften der keltischen Akademie erwähnte Urne zu studieren, welche die Asche der Königin Artemisia enthalten zu haben scheint, -- als der Bürgermeister, mit dem Hut auf dem Kopf, ohne Umstände eintrat als der ungehobelte Mensch, der er war. „Das hilft alles nichts, ihr Herren. Sie müssen es herausrücken!“ „Was denn?“ „Spaßmacher! Ich weiß genau, daß Sie es verstecken!“ Man hatte sie verraten. Sie erwiderten, daß sie es mit der Erlaubnis des Herrn Pfarrers bei sich hielten. „Das werden wir sehen.“ Und Foureau ging. Eine Stunde später war er wieder da. „Der Pfarrer sagt nein! Erklären Sie sich.“ Sie blieben hartnäckig. Zunächst bedürfte man dieses Weihwasserbeckens nicht -- das kein Weihwasserbecken sei. Sie würden es durch eine Menge wissenschaftlicher Gründe beweisen. Dann schlugen sie vor, in ihrem Testamente anzuerkennen, daß es der Gemeinde gehöre. Sie erboten sich sogar, es zu kaufen. „Und übrigens ist es mein Eigentum!“ wiederholte Pécuchet. Die zwanzig Franken, die Herr Jeufroy genommen habe, seien ein Beweis des Vertrages -- und wenn man zum Friedensrichter gehen müsse, um so schlimmer, dann würde er einen Meineid leisten! Während dieser Streitigkeiten hatte er die Suppenschüssel mehrere Male wiedergesehen, und in seiner Seele war der Wunsch, das brennende Verlangen entstanden, diese Fayence zu besitzen. Wenn man sie ihm abtreten wolle, würde er das Gefäß zurückgeben. Im anderen Falle nicht. Aus Ermüdung oder Furcht vor ärgerlichem Aufsehen gab sie Herr Jeufroy hin. Sie wurde in ihrer Sammlung untergebracht, neben der Haube der Bäuerin aus Caux. Das Gefäß zierte die Vorhalle der Kirche, und sie trösteten sich über seinen Verlust mit dem Gedanken, daß die Bewohner von Chavignolles seinen Wert nicht kannten. Doch die Suppenschüssel gab ihnen den Geschmack an Fayencen: ein neuer Gegenstand für Studien und Streifzüge im Lande. Es war zu der Zeit, wo vornehme Leute die alten Rouenner Teller sammelten. Der Notar besaß einige und kam daher in den Ruf eines Künstlers, was ihm in seinem Beruf schaden konnte; doch suchte er das durch ernste Seiten wieder wettzumachen. Als er erfuhr, daß Bouvard und Pécuchet die Suppenschüssel erworben hatten, ging er zu ihnen, um ihnen einen Tausch vorzuschlagen. Pécuchet beschied ihn abschlägig. „Sprechen wir nicht weiter davon!“ und Marescot besichtigte ihre Keramiken. Die sämtlichen an den Wänden aufgehangenen Stücke waren blau auf einem schmutzig-weißen Grunde, und einige zeigten ein Füllhorn in grünen und rötlichen Tönen, Barbierbecken, Teller, Untertassen, Gegenstände, auf die man lange Jagd gemacht und die man auf der Brust in den Falten des Rockes heimgetragen hatte. Marescot rühmte sie, sprach von anderen Fayencen, spanisch-arabischen, holländischen, englischen, italienischen; und nachdem er sie durch seine Kenntnisse geblendet hatte: „Wenn ich Ihre Suppenschüssel noch mal ansähe?“ Er ließ sie durch Anschlagen mit dem Finger erklingen, betrachtete dann die beiden S, die auf den Deckel gemalt waren. „Das Zeichen von Rouen!“ sagte Pécuchet. „O! o! Genau genommen hatte Rouen kein Zeichen. Als man noch nichts von Moutiers wußte, waren alle französischen Fayencen aus Nevers. So geht es ebenso heutzutage mit Rouen! Übrigens macht man sie in Elbeuf bis zur Vollendung nach.“ „Nicht möglich!“ „Man macht ja doch auch Majoliken nach! Ihr Stück ist vollständig wertlos, -- und ich war im Begriff, eine schöne Dummheit zu begehen!“ Als der Notar fortgegangen war, sank Pécuchet gebrochen in einen Sessel. „Man hätte das Becken nicht herausgeben sollen,“ sagte Bouvard, „doch du begeisterst dich, du erhitzest dich immer gleich!“ „Ja, ich erhitze mich,“ und Pécuchet faßte die Suppenschüssel und schleuderte sie weit von sich gegen den Sarkophag. Bouvard, ruhiger, las die Stücke eines nach dem anderen auf; -- und nach einiger Zeit kam ihm dieser Gedanke: „Es ist leicht möglich, daß Marescot uns aus Eifersucht zum besten gehabt hat!“ „Wie?“ „Nichts gibt mir die Versicherung, daß die Suppenschüssel nicht echt sei! während die anderen Stücke, die er anscheinend bewunderte, vielleicht nachgemacht sind!“ Und der Rest des Tages verging in Zweifeln, in Bedauern. Das war kein Grund, die Reise in die Bretagne aufzugeben. Sie gedachten sogar, Gorju mitzunehmen, der ihnen bei ihren Ausgrabungen behilflich sein sollte. Seit einiger Zeit schlief er im Hause, um die Ausbesserung des Möbels schneller zu beendigen. Die Aussicht eines Ortswechsels paßte ihm nicht, und da sie von Menhiren und Tumuli, die sie sehen wollten, sprachen, sagte er zu ihnen: „Das kenne ich besser; im Süden von Algier trifft man bei den Quellen des Bou-Mursoug eine Menge davon.“ Er gab sogar die Beschreibung eines Grabes, das zufällig in seiner Gegenwart geöffnet worden sei, -- und das ein Skelett in der zusammengekauerten Haltung eines Affen, die beiden Arme um die Beine geschlungen, enthielt. Larsoneur, den sie hiervon in Kenntnis setzten, wollte nicht daran glauben. Bouvard vertiefte sich in den Gegenstand und widerlegte ihn. Wie kommt es, daß die Denkmäler der Gallier formlos sind, während diese selben Gallier zur Zeit des Julius Cäsar zivilisiert waren? Ohne Zweifel rühren sie von einem älteren Volke her. Eine solche Hypothese ermangelte nach Larsoneurs Ansicht des Patriotismus. Gleichviel! nichts beweise, daß diese Denkmäler Werke der Gallier seien. „Zeigen Sie uns einen Text!“ Der Akademiker wurde ärgerlich, antwortete nicht mehr; -- und sie waren recht froh darüber, so sehr langweilten die Druiden sie. Wenn sie nicht wußten, woran sie sich hinsichtlich der Töpferkunst und des Keltizismus halten sollten, so lag das an ihrer Unkenntnis der Geschichte, besonders der Geschichte von Frankreich. Das Werk von Anquetil befand sich in ihrer Bibliothek; doch die Reihe der tatenlosen Könige belustigte sie sehr wenig. Die Ruchlosigkeit der Hausmeier empörte sie keineswegs, -- und sie legten Anquetil fort, abgestoßen durch die Abgeschmacktheit seiner Betrachtungen. Da fragten sie bei Dumouchel an, „welches die beste Geschichte Frankreichs sei?“ Dumouchel nahm auf ihren Namen ein Abonnement in einer Leihbibliothek und sandte ihnen die Briefe Augustin Thierrys zusammen mit zwei Bänden des Herrn von Genoude. Das Königtum, die Religion, die Nationalversammlungen, das waren diesem Schriftsteller zufolge „die Grundlagen“ der französischen Nation, Grundlagen, die auf die Merovinger zurückgehen. Die Karolinger haben ihnen Abbruch getan. Die Kapetinger, im Einvernehmen mit dem Volke, bemühten sich, sie aufrechtzuerhalten. Unter Ludwig XIII. wurde die absolute Herrschaft aufgerichtet, um den Protestantismus zu besiegen, das letzte Aufraffen des Feudalismus -- und 89 ist nur eine Rückkehr zur Verfassung unserer Ahnen. Pécuchet bewunderte diese Gedanken. Sie erregten Bouvards Mitleid, der Augustin Thierry zuerst gelesen hatte: „Was schwatzest du mir da von deiner französischen Nation, da kein Frankreich, noch eine Nationalversammlung bestand! Und die Karolinger haben sich nichts widerrechtlich angeeignet! Und die Könige haben die Kommunen nicht befreit! Lies selbst!“ Pécuchet ergab sich vor der augenscheinlichen Wahrheit und übertraf Bouvard bald an wissenschaftlicher Strenge! Er würde sich ehrlos vorgekommen sein, wenn er „Charlemagne“ und nicht „Karl le Grand“, „Clovis“ anstatt „Clodowig“ gesagt hätte. Nichtsdestoweniger war er von Genoude begeistert, denn er fand es geistvoll, die beiden Enden der französischen Geschichte miteinander zu verknüpfen, so daß die Mitte Füllwerk ist, -- und um darüber ins klare zu kommen, griffen sie zu der Sammlung Buchez und Roux. Doch der Schwulst der Vorreden, diese Verquickung von Sozialismus und Katholizismus widerte sie an; die zu zahlreichen Einzelheiten hinderten sie an einem Gesamtüberblick. Sie nahmen ihre Zuflucht zu Herrn Thiers. Es war im Sommer des Jahres 1845; sie saßen in der Laube im Garten. Pécuchet, der eine kleine Bank unter den Füßen hatte, las laut mit seiner tiefen Stimme, ohne müde zu werden, und hielt nur ein, um mit den Fingern in seine Tabakdose zu greifen. Bouvard lauschte ihm, die Pfeife im Munde, die Beine auseinandergestreckt; oben an seiner Hose war ein Knopf geöffnet. Greise hatten ihnen von 93 erzählt, -- und beinahe persönliche Erinnerungen belebten die platten Beschreibungen des Verfassers. Zu jener Zeit waren die Landstraßen voll von Soldaten, welche die Marseillaise sangen. Auf den Türschwellen sitzend, nähten Frauen Zelte aus Leinwand. Manchmal nahte ein Schwarm von Leuten in roter Mütze, auf der Spitze einer Pike ein blasses Haupt neigend, dessen Haar herabging. Die hohe Tribüne des Konvents erschien über einer Staubwolke, in der wütende Gesichter Todesverwünschungen ausstießen. Kam man um die Mitte des Tages am Tuilerien-Bassin vorbei, so hörte man das Fallbeil der Guillotine, das wie die Stöße eines Rammklotzes dröhnte. Und die Brise bewegte die Weinblätter der Laube, die reife Gerste wogte in Zwischenräumen, eine Drossel pfiff. Während sie ihre Blicke um sich schweifen ließen, sogen sie diesen Frieden ein. Wie schade, daß man es gleich zu Anfang an gegenseitigem Verständnis hatte fehlen lassen. Denn hätten die Royalisten wie die Patrioten gedacht, hätte der Hof mehr Aufrichtigkeit gezeigt und die Gegner weniger Ungestüm, so wäre viel Unglück vermieden! Durch das viele Schwatzen darüber gerieten sie in Leidenschaft. Bouvard, Freigeist und Empfindungsmensch, war Anhänger der Konstitution, Girondist, Thermidorianer. Pécuchet, gallig und zur Herrschsucht neigend, gab sich als Sansculotte und selbst als Anhänger Robespierres zu erkennen. Er billigte die Verurteilung des Königs, die gewaltsamsten Beschlüsse, den Kult des höchsten Wesens. Bouvard zog den der Natur vor. Er würde mit Vergnügen das Bild einer dicken Frau gegrüßt haben, die aus ihren Brüsten ihren Anbetern kein Wasser, sondern edlen Burgunder spendete. Um ihre Argumente durch mehr Tatsachen stützen zu können, verschafften sie sich andere Werke: Montgaillard, Prudhomme, Gallois, Lacretelle und so weiter; und die Widersprüche dieser Bücher setzten sie durchaus nicht in Verlegenheit. Jeder entnahm ihnen, was er zur Verteidigung seiner Ansicht brauchte. So zweifelte Bouvard nicht, daß Danton hunderttausend Taler angenommen habe, damit er Anträge stelle, welche die Republik zugrunde richteten, -- und nach Pécuchet hätte Vergniaud sechstausend Franken im Monat verlangt. „Nie im Leben! Erkläre mir lieber, warum Robespierres Schwester eine Rente von Ludwig XVIII. erhielt?“ „Keineswegs! Das war Bonaparte, und da du die Dinge so nimmst, wer ist die Persönlichkeit, die mit Egalité kurze Zeit vor dessen Tode eine geheime Zusammenkunft hatte? Ich verlange, daß man in den Memoiren der Campan die unterdrückten Stellen abdruckt! Das Ende des Dauphins scheint mir verdächtig. Die Pulvermühle von Grenelle tötete, als sie in die Luft flog, zweitausend Personen! Grund unbekannt, sagt man, welche Dummheit!“ denn Pécuchet war nahe daran, ihn zu kennen, und schob alle Verbrechen auf die Umtriebe der Aristokraten, das Gold der Ausländer. Nach Bouvards Ansicht waren „Fahr zum Himmel, Sohn des heiligen Ludwig“, die Jungfrauen von Verdun und die Hosen aus Menschenhaut überhaupt nicht zu bezweifeln. Er nahm die Angaben Prudhommes hin, gerade eine Million Opfer. Doch die Loire, die von Saumur bis Nantes in einer Länge von achtzehn Meilen rot von Blut war, gab ihm zu denken. Pécuchet faßte ebenfalls Zweifel, und Mißtrauen gegen die Historiker stellte sich bei ihnen ein. Für die einen ist die Revolution ein satanisches Ereignis. Andere stellen sie als eine hehre Ausnahme hin. Die Unterlegenen auf beiden Seiten sind natürlich Märtyrer. Thierry zeigt gelegentlich der Barbaren, wie einfältig es sei, nachzuforschen, ob dieser oder jener Fürst gut oder schlecht war. Warum dieselbe Methode nicht bei der Prüfung neuerer Epochen anwenden? Doch die Geschichtsschreibung soll die Moral rächen. Man ist Tacitus dankbar, weil er Tiberius zerrissen hat. Ob schließlich die Königin Liebhaber gehabt, ob Dumouriez seit Valmy zum Verrat entschlossen war, ob es die Bergpartei oder die Gironde war, die im Prairial anfing, und im Thermidor die Jakobiner oder die gemäßigte Partei, was macht das für den Verlauf der Revolution aus, deren Ursprünge tief liegen und deren Folgen unberechenbar sind? Sie mußte sich also erfüllen, sein was sie war, aber man denke sich die Flucht des Königs ohne Hindernis, Robespierre entschlüpfend oder Bonaparte ermordet, -- Zufälle, die von einem weniger gewissenhaften Herbergsvater, von einer offenen Tür, einer eingeschlafenen Schildwache abhingen, -- und die Weltgeschichte hätte einen anderen Verlauf genommen. Sie hatten über die Menschen und Tatsachen jener Zeit keine einzige feststehende Ansicht mehr. Um sie objektiv zu beurteilen, hätte man alle Geschichten, alle Denkwürdigkeiten, alle Zeitungen und alle handschriftlichen Aufzeichnungen lesen müssen, denn wenn man das Geringste ausließ, konnte daraus ein Irrtum entstehen, welcher eine endlose Reihe anderer nach sich zog. Sie verzichteten darauf. Doch der Geschmack an der Geschichte war ihnen gekommen, das Bedürfnis nach Wahrheit um ihrer selbst willen. Vielleicht ist sie leichter in den alten Zeiten zu entdecken? Wenn die Verfasser weit von den Dingen entfernt sind, können sie leidenschaftslos von ihnen sprechen. Und sie machten sich an den guten Rollin. „Welch ein Wust von Albernheiten!“ rief Bouvard gleich beim ersten Kapitel. „Warte ein wenig,“ sagte Pécuchet, während er unten in ihrer Bücherei wühlte, wo die Bücher des früheren Besitzers, eines alten Rechtsgelehrten, eines verrückten Schöngeistes, zusammengedrängt standen; und nachdem er viele Romane und Theaterstücke nebst einem Montesquieu und einer Horazübersetzung weggerückt hatte, erreichte er, was er suchte: das Werk Beauforts über die römische Geschichte. Titus Livius schreibt die Gründung Roms dem Romulus zu. Sallust läßt diese Ehre den Trojanern des Äneas. Coriolan starb Fabius Pictor zufolge in der Verbannung, und wenn man Dionysius Glauben schenkt, durch die Listen des Attius Tullus. Seneka versichert, daß Horatius Cocles als Sieger zurückkehrte, und Dion, daß er am Beine verwundet war. Und La Mothe le Vayer äußert ähnliche Zweifel hinsichtlich der anderen Völker. Man ist sich nicht einig über das chaldäische Altertum, das Zeitalter Homers, die Existenz Zoroasters, die beiden assyrischen Reiche. Quintus Curtius hat Märchen erzählt. Plutarch straft Herodot Lügen. Wir würden von Cäsar eine andere Vorstellung haben, wenn Vercingetorix dessen Kommentare geschrieben hätte. Die alte Geschichte ist aus Mangel an Dokumenten dunkel. Die moderne dagegen ist überreich daran; -- und Bouvard und Pécuchet machten sich wieder an die französische Geschichte, begannen Sismondi. Die Aufeinanderfolge so vieler Männer machte ihnen Lust, sie genauer zu kennen, sich mit ihnen zu befassen. Sie wollten die Quellen studieren. Gregor von Tours, Monstrelet, Commines, alle die, deren Namen seltsam oder angenehm klangen. Doch sie warfen die Ereignisse durcheinander aus ungenügender Kenntnis der Daten. Glücklicherweise besaßen sie die Mnemotechnik Dumouchels, einen Pappband in Duodez, der das Motto trug: „Durch Unterhaltung belehren.“ Sie verband die drei Systeme Allevys, Pâris’ und Fenaigles miteinander. Allevy setzt für die Zahlen Figuren ein, wobei die Zahl 1 durch einen Turm, 2 durch einen Vogel, 3 durch ein Kamel ausgedrückt wird, und so weiter. Pâris beschäftigt die Einbildungskraft durch Wortspiele: ein mit Holzschrauben versehener Sessel ergibt: Clou, vis = Clovis; und da das Geräusch des Bratens „ric, ric“ macht, so rufen Weißlinge in einer Pfanne Chilperic ins Gedächtnis zurück. Fenaigle zerlegt die Welt in Häuser, die Kammern enthalten; jede Kammer hat vier Wände mit neun Flächen, und jede Fläche trägt ein Sinnbild. Also wird der erste König der ersten Dynastie in dem ersten Zimmer die erste Fläche einnehmen. Ein Leuchtturm auf einem Berge wird besagen, wie er hieß „Phar a mond“ System Pâris, -- und wenn man, wie Allevy rät, darunter einen Spiegel, der 4, einen Vogel, der 2, und einen Reifen, der 0 bedeutet, setzt, so erhält man 420, das Datum der Thronbesteigung dieses Fürsten. Der größeren Klarheit wegen nahmen sie als mnemotechnische Basis ihr eigenes Haus, ihren Wohnort, indem sie mit jedem seiner Teile eine besondere Tatsache verknüpften, -- und der Hof, der Garten, die Umgegend, das ganze Land hatte keine andere Bedeutung, als ihrem Gedächtnis nachzuhelfen. Die Abgrenzungen auf den Feldern umschrieben gewisse Epochen, die Apfelbäume wurden zu genealogischen Bäumen, die Sträucher zu Schlachten, die Welt wurde Symbol. Sie suchten auf den Wänden eine Unmenge Dinge, die nicht da waren, sahen sie schließlich, aber wußten nicht mehr die Daten, die sie vorstellten. Zudem sind die Jahreszahlen nicht immer richtig. Sie lernten aus einem Schulbuch, daß die Geburt Jesu um fünf Jahre früher angesetzt werden muß, als sie gewöhnlich angenommen wird, daß es bei den Griechen drei Arten der Olympiadenrechnung gab und bei den Lateinern acht Methoden, den Anfang des Jahres zu bestimmen. Lauter Anlässe zu Mißverständnissen, außer denen, die durch die Zodiaken, die Ären und die verschiedenen Kalender hervorgerufen werden. Und von der Gleichgültigkeit gegen die Daten kamen sie zur Verachtung der Tatsachen. Wichtig jedoch ist die Philosophie der Geschichte! Bouvard vermochte nicht die berühmte Rede Bossuets zu Ende zu lesen. „Der Adler von Meaux ist ein Schwindler! Er übersieht China, Indien und Amerika! Doch bemüht er sich, uns wissen zu lassen, daß Theodosius ‚die Freude der Welt war‘, daß Abraham ‚mit Königen wie mit Seinesgleichen umging‘, und daß die Philosophie der Griechen von den Hebräern herstammt. Seine Voreingenommenheit für die Hebräer fällt mir auf die Nerven.“ Pécuchet teilte diese Ansichten und wollte ihn veranlassen, Vico zu lesen. „Wie kann man sagen,“ wandte Bouvard ein, „Fabeln seien wahrer als die Wahrheiten der Geschichtsschreiber?“ Pécuchet versuchte, die Mythen zu erklären, wobei er sich in die Scienza Nuova vertiefte. „Willst du den Plan der Vorsehung leugnen?“ „Ich kenne ihn nicht,“ sagte Bouvard. Und sie beschlossen, sich an Dumouchel zu wenden. Der Professor gestand, daß er jetzt an der Geschichte irre geworden sei. „Sie ändert sich jeden Tag. Man bestreitet die Existenz der römischen Könige und die Reisen des Pythagoras. Man greift Belisar, Wilhelm Tell und sogar den Cid an, der dank den letzten Entdeckungen ein gewöhnlicher Straßenräuber geworden ist. Es wäre zu wünschen, daß man keine Entdeckungen mehr machte, und das Institut sollte sogar eine Art Kanon aufstellen, der vorschreibt, was man glauben soll!“ In einem Postskriptum gab er kritische Regeln aus der Abhandlung Daunous: „Als Beweis das Zeugnis der Massen anführen, schlechte Beweise; sie sind nicht da, wenn es gilt, Rede und Antwort zu stehen. Alles Unmögliche verwerfen. Man zeigte Pausanias den Stein, den Saturn verschlungen hatte. Die Architektur kann lügen; Beispiel: der Bogen des Forums, auf dem Titus der erste Besieger Jerusalems genannt wird, das vor ihm von Pompejus erobert wurde. Die Münzen täuschen zuweilen. Unter Karl IX. prägte man Geld mit dem Stempel Heinrichs II. Ziehen Sie die Gewandtheit der Fälscher, das Interesse der Verteidiger und Schmäher in Rechnung.“ Wenige Geschichtschreiber haben nach diesen Regeln gearbeitet, sondern alle in Hinsicht auf einen besonderen Fall, eine Religion, eine Nation, eine Partei, ein System, oder um die Könige zu tadeln, das Volk zu beraten, Beispiele von Sittlichkeit aufzustellen. Die anderen, welche darauf Anspruch machen, nur zu erzählen, stehen nicht höher; denn man kann nicht alles sagen, es ist eine Auswahl nötig. Doch bei der Wahl der Dokumente wird ein gewisser Geist obsiegen, -- und da er wechselt den Verhältnissen des Schriftstellers entsprechend, so wird die Geschichte zu keinem sicheren Ergebnis kommen. „Das ist traurig,“ dachten sie. Indessen könnte man einen Gegenstand wählen, die Quellen erschöpfend durcharbeiten, sie genau analysieren, dann das Ganze zu einer Erzählung verdichten, die gleichsam ein Abriß der Dinge wäre und die volle Wahrheit widerspiegelte. Ein solches Werk schien Pécuchet ausführbar. „Sollen wir nicht versuchen, eine Geschichte zu schreiben?“ „Nichts ist mir lieber! Doch welche?“ „In der Tat, welche?“ Bouvard hatte sich gesetzt, Pécuchet ging im Museum auf und ab, als sein Blick auf den Buttertopf fiel, und plötzlich stehen bleibend, sagte er: „Wenn wir das Leben des Herzogs von Angoulême schrieben?“ „Aber das war ein Einfaltspinsel,“ erwiderte Bouvard. „Das macht nichts! Die Nebenpersonen haben zuweilen einen ungeheuren Einfluß, und dieser hielt vielleicht das Steuer der Dinge in den Händen.“ Die Bücher würden ihnen die nötigen Aufschlüsse geben, und Herr von Faverges hatte deren ohne Zweifel selbst oder konnte solche durch Vermittlung ihm befreundeter alter Edelleute erhalten. Sie sannen über dieses Vorhaben nach, besprachen es und beschlossen schließlich, vierzehn Tage auf der Gemeindebibliothek von Caen zu verbringen, um dort Nachforschungen anzustellen. Der Bibliothekar stellte ihnen allgemeine Geschichtswerke und Broschüren zur Verfügung, nebst einer bunten Lithographie, welche Seine Hoheit den Herrn Herzog von Angoulême als Kniebild darstellte. Das blaue Tuch seiner Uniform verschwand unter den Epauletten, den Ordenssternen und dem großen roten Band der Ehrenlegion. Ein äußerst hoher Kragen umschloß seinen langen Hals. Sein birnenförmiger Kopf war von den Löckchen seines Haupthaars und seines dünnen Backenbartes umrahmt, und schwere Augenlider, eine sehr starke Nase und dicke Lippen gaben seinem Gesicht den Ausdruck unbedeutender Güte. Als sie ihre Aufzeichnungen gemacht hatten, entwarfen sie einen Plan: Geburt und Kindheit wenig merkwürdig. Einer seiner Erzieher ist der Abbé Guénée, der Feind Voltaires. In Turin läßt man ihn eine Kanone gießen, und er studiert die Feldzüge Karls VIII. Auch wird er trotz seiner Jugend zum Obersten eines Nobelgardenregimentes ernannt. 1797. Seine Vermählung. 1814. Die Engländer bemächtigen sich der Stadt Bordeaux. Er eilt in ihrem Rücken herbei und zeigt sich den Einwohnern in Person. Beschreibung der Person des hohen Herrn. 1815. Bonaparte überrascht ihn. Sogleich ruft er den König von Spanien herbei, und Toulon wäre ohne Massena den Engländern zum Opfer gefallen. Operationen im Süden. -- Er wird geschlagen, aber in Freiheit gesetzt gegen das Versprechen, die Kronjuwelen, die von dem Könige, seinem Onkel, in wilder Hast mitgeführt wurden, zurückzuerstatten. Nach den „hundert Tagen“ kehrt er mit seinen Eltern zurück und lebt ruhig. Mehrere Jahre verstreichen. Spanischer Krieg. -- Sobald er die Pyrenäen überschritten hat, folgt der Sieg überall dem Enkel Heinrichs IV. Er nimmt den Trocadero, erreicht die Säulen des Herkules, zerschmettert die Parteien, umarmt Ferdinand und kehrt zurück. Triumphbögen, Blumen, von jungen Mädchen überreicht, Diners auf den Präfekturen, Te Deum in den Kathedralen. Die Pariser sind auf der Höhe des Wonnerausches. Die Stadt gibt ihm ein Bankett. In den Theatern werden Lieder zu Ehren des Helden gesungen. Die Begeisterung nimmt ab. Denn im Jahre 1827 mißlingt zu Cherbourg ein Subskriptionsball. Da er Großadmiral von Frankreich ist, besichtigt er die Flotte, die nach Algier in See sticht. Juli 1830. Marmont setzt ihn vom Stande der Dinge in Kenntnis. Da gerät er in eine solche Wut, daß er sich die Hand am Degen des Generals verwundet. Der König überträgt ihm den Oberbefehl über die sämtlichen Streitkräfte. Er trifft im Bois de Boulogne die Abteilungen der Linie und findet ihnen gegenüber kein Wort. Von Saint-Cloud eilt er zur Brücke von Sèvres. Kälte der Truppen. Das erschüttert ihn nicht. Die königliche Familie verläßt Trianon. Er setzt sich an den Fuß einer Eiche, entfaltet eine Karte, überlegt, steigt wieder aufs Pferd, kommt an Saint-Cyr vorbei und ruft den Zöglingen Worte der Hoffnung zu. Zu Rambouillet verabschieden sich die Leibgarden. Er schifft sich ein und ist während der ganzen Überfahrt krank. Man muß dabei auf die wichtige Rolle hinweisen, welche die Brücken spielten. Zuerst setzte er sich nutzlos auf der Innbrücke der Gefahr aus, er nimmt die Saint-Esprit-Brücke und die Brücke von Lauriol; in Lyon sind ihm zwei Brücken verhängnisvoll, und sein Glück endet vor der Brücke von Sèvres. Bild seiner Tugenden. Unnötig, seinen Mut zu rühmen, mit dem er eine weitsichtige Staatsklugheit verband. Denn er bot jedem Soldaten sechzig Franken, wenn er den Kaiser verlassen wolle, und in Spanien versuchte er die Anhänger der Konstitution mit Geld zu bestechen. Seine Zurückhaltung war so groß, daß er seine Zustimmung gab zu der zwischen seinem Vater und der Königin von Etrurien geplanten Ehe, zur Bildung eines neuen Kabinetts nach den Erlassen, zur Abdankung zugunsten Chambords, zu allem, was man wollte. Doch fehlte es ihm nicht an Festigkeit. In Angers löste er die Infanterie der Nationalgarde auf, die aus Eifersucht auf die Kavallerie und vermittels eines Manövers sich zu seiner Bedeckung gemacht hatte, derart, daß sich Seine Hoheit im Gedränge der Fußsoldaten befanden und Höchstdieselben kaum weiter konnten. Doch er tadelte die Kavallerie, die Grund zur Unordnung gegeben, und verzieh der Infanterie, ein wahrhaft salomonisches Urteil. Seine Frömmigkeit zeigt sich in zahlreichen Andachtübungen und seine Milde darin, daß er die Begnadigung des Generals Debelle durchsetzte, welcher die Waffen gegen ihn erhoben hatte. Intime Einzelheiten, Züge des hohen Herrn: Auf dem Schloß Beauregard, wo er seine Kindheit verlebte, machte es ihm Vergnügen, mit seinem Bruder einen Teich zu graben, der noch zu sehen ist. Einmal besuchte er die Kaserne der Jäger, verlangte ein Glas Wein und trank es auf die Gesundheit des Königs. Während er spazieren ging, wiederholte er, um den Schritt zu markieren, für sich: „Eins, zwei, eins, zwei, eins, zwei!“ Einzelne Worte von ihm haben sich erhalten: Zu einer Abordnung von Einwohnern von Bordeaux: „Was mich darüber tröstet, daß ich nicht in Bordeaux bin, ist der Umstand, daß ich mich in Ihrer Mitte befinde.“ Zu den Protestanten von Nismes: „Ich bin ein guter Katholik, aber ich werde niemals vergessen, daß der erlauchteste meiner Ahnen Protestant war.“ Zu den Zöglingen von Saint-Cyr, als alles verloren ist: „Schön, meine Freunde! Die Nachrichten sind gut! Es steht gut! sehr gut!“ Nach der Abdankung Karls X.: „Da sie nichts von mir wissen wollen, mögen sie sehen, wie sie fertig werden!“ Und im Jahre 1814 bei jeder Gelegenheit in dem winzigsten Dorfe: „Kein Krieg mehr, keine Aushebungen, kein Staatsmonopol.“ Sein Stil war dem, was er sagte, ebenbürtig. Seine Erlasse überschreiten alles. Der erste des Grafen von Artois begann folgendermaßen: „Franzosen, der Bruder Eures Königs ist angelangt!“ Der des Fürsten: „Ich bin da. Ich bin der Sohn Eurer Könige! Ihr seid Franzosen!“ Tagesbefehl, datiert Bayonne: „Soldaten, ich bin angelangt!“ Ein anderes Mal, bei voller Auflösung: „Fahrt fort, mit der Tatkraft, die dem französischen Soldaten ziemt, den Kampf fortzuführen, den Ihr begonnen habt. Frankreich erwartet es von Euch!“ Zuletzt in Rambouillet: „Der König ist mit der in Paris errichteten Regierung in Verhandlungen über ein Einvernehmen getreten, und nach allem steht zu erwarten, daß diese Verhandlungen ihrem Abschluß nahe sind.“ „Nach allem steht zu erwarten“ ist wundervoll. „Ein Umstand verdrießt mich,“ sagte Bouvard, „nämlich, daß man nicht seine Herzensangelegenheiten erwähnt!“ Und sie notierten am Rande: „Den Liebeleien des Fürsten nachspüren!“ Als sie gehen wollten, kam dem Bibliothekar ein neuer Gedanke, und er zeigte ihnen ein zweites Porträt des Herzogs von Angoulême. Auf diesem war er als Kürassier-Oberst von der Seite dargestellt mit noch kleinerem Auge, offenem Munde und straffem, flatterndem Haar. Wie diese beiden Porträts miteinander vereinigen? Hatte er glattes oder krauses Haar, vorausgesetzt, daß er die Eitelkeit nicht so weit trieb, es sich brennen zu lassen? Eine Frage von Wichtigkeit, wie Pécuchet meinte, denn das Haar gibt das Temperament, das Temperament das Individuum. Bouvard dachte, daß man nichts über einen Mann weiß, solange man seine Leidenschaften nicht kennt, und um diese beiden Punkte aufzuhellen, gingen sie zum Schloß von Faverges. Der Graf war nicht anwesend, das verzögerte die Fertigstellung ihres Werkes. Sie kehrten ärgerlich nach Hause zurück. Die Tür des Hauses stand weit offen; in der Küche niemand. Sie stiegen die Treppe empor; und was erblickten sie in Bouvards Zimmer? Frau Bordin, die nach rechts und links schaute: „Verzeihen Sie,“ sagte sie, sich zu einem Lachen zwingend. „Seit einer Stunde suche ich Ihre Köchin, ich muß sie wegen meiner Konfitüren sprechen.“ Sie fanden sie tief eingeschlummert auf einem Stuhle im Holzstall. Man schüttelte sie wach. Sie schlug die Augen auf. „Was gibt es wieder? Immer plagen Sie mich mit Ihren Fragen!“ Es war klar, daß Frau Bordin in Abwesenheit der Herren die Köchin ausfragte. Germaine erwachte aus der Betäubung und erklärte, von einem Unwohlsein befallen zu sein. „Ich bleibe da, Sie zu pflegen,“ sagte die Witwe. Dann bemerkten sie im Hofe eine große Haube, deren Flügel im Winde wehten. Es war Frau Castillon, die Pächterin. Sie rief: „Gorju! Gorju!“ Und vom Boden antwortete hell die Stimme ihrer kleinen Dienstmagd: „Er ist nicht da!“ Sie kam nach Verlauf von fünf Minuten mit roten Backen und in Erregung herunter. Bouvard und Pécuchet warfen ihr ihre Langsamkeit vor. Sie knöpfte ihnen ohne Murren ihre Gamaschen ab. Dann gingen sie und besichtigten die Truhe. Ihre Stücke lagen zerstreut auf dem Boden des Backhauses umher; die Schnitzereien waren beschädigt, die Türflügel zerbrochen. Bei diesem Anblick, vor dieser neuen Enttäuschung schluckte Bouvard seine Tränen herunter, und Pécuchet wurde von einem Zittern befallen. Gorju, der fast im selben Augenblick dazu kam, erklärte den Fall: er hatte gerade die Truhe herausgestellt, um sie zu lackieren, als eine verirrte Kuh sie umgeworfen hatte. „Wessen Kuh?“ fragte Pécuchet. „Ich weiß es nicht.“ „Nun! Sie hatten die Tür offen gelassen wie jetzt eben! Das ist Ihre Schuld!“ Übrigens verzichteten sie nun darauf. Schon zu lange halte er sie zum Narren, und sie dankten für seine Person wie für seine Arbeit. Die Herren seien im Irrtum. Der Schaden sei nicht so groß. In weniger als drei Wochen würde alles fertiggestellt sein, und Gorju begleitete sie in die Küche, wo Germaine schleppenden Schrittes anlangte, um das Mahl zu bereiten. Sie bemerkten auf dem Tische eine Flasche Calvados, die zu drei Vierteln geleert war. „Gewiß von Ihnen!“ sagte Pécuchet zu Gorju. „Ich! trinke nie einen Tropfen.“ Bouvard wandte ein: „Sie waren der einzige Mann im Hause.“ „Na, und die Frauen?“ entgegnete der Arbeiter mit einem Seitenblick. Germaine fing ihn auf: „Sagen Sie lieber, ich sei es gewesen!“ „Gewiß, Sie sind es!“ „Und vielleicht habe ich auch den Schrank zerbrochen!“ Gorju machte eine Drehung. „Sehen Sie denn nicht, daß sie betrunken ist!“ Da begannen sie ein heftiges Gezänk, er bleich, höhnend, sie dunkelrot, die Büschel ihres grauen Haares unter ihrer Nachtmütze raufend. Frau Bordin verteidigte Germaine, Mélie Gorju. Die Alte hielt nicht mehr an sich. „Ob das keine Schande ist, daß sie die Tage zusammen im Gebüsch verbringen, von den Nächten gar nicht zu reden! Verdammter Pariser, Mädchenverführer! Kommt da zu unsern Herren, um ihnen Possen vorzuspielen!“ Bouvard riß die Augen auf. „Was für Possen!“ „Ich sage, daß man Ihnen auf der Nase herumtanzt!“ „Man tanzt mir nicht auf der Nase herum!“ rief Pécuchet, und entrüstet über ihre Unverschämtheit, wütend über den Verdruß, gab er ihr den Laufpaß: sie möge sich trollen. Bouvard stellte sich dieser Entscheidung nicht entgegen, und sie gingen davon, Germaine zurücklassend, die über ihr Unglück schluchzte, während Frau Bordin sie zu trösten suchte. Am Abend, als sie ruhig geworden waren, überdachten sie die Geschehnisse und fragten sich, wer den Calvados getrunken habe, auf welche Weise das Möbel zerbrochen sei, was Frau Castillon begehrte, als sie Gorju rief, -- und ob er Mélie entehrt habe. „Wir wissen nicht,“ sagte Bouvard, „was in unserem Hause vorgeht, und wir maßen uns an, herauszufinden, welcher Art das Haar und die Liebeleien des Herzogs von Angoulême waren.“ Pécuchet fügte hinzu: „Wieviel wichtiger und schwieriger diese Fragen doch sind!“ Daraus schlossen sie, daß die äußeren Tatsachen nicht alles bedeuten. Man muß sie durch die Psychologie vervollständigen. Ohne die Einbildungskraft ist die Geschichte lückenhaft. -- „Lassen wir uns ein paar historische Romane kommen!“ V Sie lasen zunächst Walter Scott. Es war, als tue sich eine neue Welt vor ihnen auf. Die Menschen der Vergangenheit, die für sie nur Schemen oder Namen gewesen waren, wurden nun lebende Wesen, Könige, Fürsten, Hexenmeister, Diener, Waldhüter, Mönche, Landstreicher, Kaufleute und Soldaten, die berieten, kämpften, reisten, Handel trieben, aßen und tranken, sangen und beteten, im Waffensaale der Schlösser, auf der schwarzen Bank der Herbergen, in den gewundenen Straßen der Städte, unter dem Schutzdache der Buden, im Kreuzgange der Klöster. Künstlerisch komponierte Landschaften bilden wie eine Theaterdekoration den Schauplatz der Szenen. Man verfolgt mit den Augen einen Reiter, der auf dem Strande galoppiert. Man atmet den frischen Wind inmitten der Ginstersträucher, der Mond erhellt Seen, auf denen ein Boot dahingleitet, die Sonne erglänzt auf Panzerhemden, der Regen fällt auf grüne Lauben. Ohne die Originale zu kennen, fanden sie diese Zeichnungen ähnlich, und die Illusion war vollkommen. So ging der Winter hin. Wenn sie gefrühstückt hatten, ließen sie sich in dem kleinen Saale zu beiden Seiten des Kamins nieder; und mit einem Buche in der Hand einander gegenübersitzend, lasen sie still. Wenn der Tag sich neigte, gingen sie auf der Landstraße spazieren, nahmen in Eile ihr Mahl und setzten ihre Lektüre nach Tische fort. Um sich gegen das Lampenlicht zu schützen, trug Bouvard eine blaue Brille; Pécuchet zog den Schirm seiner Mütze tief in die Stirn. Germaine war nicht fortgegangen, und Gorju kam von Zeit zu Zeit, um den Garten umzugraben, denn sie hatten aus Lässigkeit, aus Gleichgültigkeit gegen die materiellen Dinge nachgegeben. Nach Walter Scott ergötzte sie Alexandre Dumas wie eine Zauberlaterne. Seine Personen, hurtig wie Affen, stark wie Stiere, fröhlich wie Buchfinken, kommen und sprechen unvermittelt, springen von den Dächern auf das Pflaster, erhalten schreckliche Wunden, von denen sie geheilt werden, werden für tot gehalten und erscheinen wieder. Es gibt Falltüren im Fußboden, Gegengifte, Vermummungen, und alles geht durcheinander, rennt und entwirrt sich, ohne dem Leser eine Minute Zeit zum Nachdenken zu lassen. Die Liebe bewahrt den Anstand, der Fanatismus ist fröhlich, die Blutbäder erregen ein Lächeln. Nachdem sie durch diese beiden Meister anspruchsvoll geworden waren, konnten sie den Schwulst Belisars, die Einfalt des Numa Pompilius, Marchangys, des Vicomte d’Arlincourt nicht mehr ertragen. Die Farbe erschien ihnen bei Frédéric Soulié (ebenso wie bei dem Bibliophilen Jakob) ungenügend, und Herr Villemain erregte ihr Ärgernis dadurch, daß er auf S. 85 seines Lascaris eine Spanierin einführt, die eine Pfeife raucht, „eine lange arabische Pfeife“, mitten im fünfzehnten Jahrhundert. Pécuchet benutzte die allgemeine Biographie zum Nachschlagen und unternahm es, Dumas auf die wissenschaftliche Richtigkeit zu prüfen. In den „Beiden Dianen“ irrt sich der Verfasser bezüglich der Daten. Die Hochzeit des Dauphins François fand am 15. Oktober 1548 statt und nicht am 20. März 1549. Wie kann er wissen (vergl. den „Pagen des Herzogs von Savoyen“), daß Katharina von Medici nach dem Tode ihres Gatten den Krieg wieder beginnen wollte? Es ist wenig wahrscheinlich, daß man den Herzog von Anjou des Nachts in einer Kirche gekrönt hat, eine Episode, welche die „Dame von Montsoreau“ ziert. Die „Königin Margot“ im besonderen wimmelt von Irrtümern. Der Herzog von Nervers war nicht abwesend. Er stimmte vor Saint-Barthélemy im Rat ab, und Heinrich von Navarra folgte nicht der Prozession vier Tage später. Heinrich III. kam so schnell nicht aus Polen zurück. Zudem, wieviel Gewäsch. Das Wunder des Weißdorns, der Balkon Karls IX., die vergifteten Handschuhe der Jeanne d’Albert: Pécuchet hatte kein Vertrauen mehr zu Dumas. Er verlor sogar alle Achtung vor Walter Scott wegen der Schnitzer in „Quentin Durward“. Die Ermordung des Bischofs von Lüttich ist um vierzehn Tage früher gelegt. Die Frau Roberts von Lamarck war Johanna von Arschel und nicht Hameline von Croy. Weit entfernt, von einem Soldaten getötet zu werden, wurde er vielmehr von Maximilian umgebracht, und das Antlitz des Kühnen drückte, als man seinen Leichnam fand, keineswegs eine Drohung aus, da die Wölfe es halb zernagt hatten. Trotzdem setzte Bouvard die Lektüre Walter Scotts fort, langweilte sich jedoch schließlich bei der Wiederholung derselben Effekte. Gewöhnlich lebt die Heldin mit ihrem Vater auf dem Lande, und der Liebhaber, ein gestohlenes Kind, wird wieder in seine Rechte eingesetzt und triumphiert über seinen Nebenbuhler. Stets finden sich ein philosophischer Bettler, ein mürrischer Schloßherr, unschuldige junge Mädchen, spaßige Diener und endlose Dialoge, eine dumme Prüderie, ein vollständiger Mangel an Tiefe. Aus Haß gegen den Plunder griff Bouvard zu George Sand. Er begeisterte sich für die schönen Ehebrecherinnen und die edlen Liebhaber, hätte Jacques, Simon, Bénédict, Lélio sein und in Venedig wohnen mögen. Er seufzte, wußte nicht, was er hatte, fand sich selbst verändert. Pécuchet, der die historische Literatur bearbeitete, studierte die Theaterstücke. Er verschlang zwei Pharamonds, drei Chlodwige, vier Karl der Große, mehrere Philippe-Auguste, eine Menge Jungfrauen von Orleans und sehr viele Marquisen von Pompadour und Verschwörungen von Cellamare. Fast alle erschienen ihm noch dümmer als die Romane. Denn für das Theater gibt es eine konventionelle Geschichte, die nichts zu zerstören vermag. Ludwig XI. wird nicht verfehlen, vor den Figurinen seines Hutes niederzuknien; Heinrich IV. wird beständig jovial sein; Maria Stuart weinerlich, Richelieu grausam, kurz, alle Charaktere erscheinen aus einem Stück, aus Liebe zu einfachen Ideen und aus Achtung vor der Unwissenheit, so daß der Dramatiker, anstatt zu erheben, hinabzieht, anstatt zu belehren, verdummt. Da Bouvard ihm George Sand gerühmt hatte, machte sich Pécuchet an die Lektüre von „Consuelo“, „Horace“, „Mauprat“, wurde durch die Verteidigung der Unterdrückten, die soziale und republikanische Seite, die Tendenz mitgerissen. Nach Bouvards Ansicht verdarb sie die Fiktion, und er verlangte in der Leihbibliothek Liebesromane. Mit lauter Stimme lasen sie abwechselnd „La Nouvelle Héloise“, „Delphine“, „Adolphe“, „Ourika“. Doch das Gähnen dessen, der zuhörte, steckte seinen Genossen an, der das Buch bald zur Erde fallen ließ. Allen diesen Büchern machten sie den Vorwurf, daß sie nichts mehr über das Milieu, die Epoche, das Kostüm der Personen sagten; das Herz allein wurde behandelt; immer Gefühle! Als wenn die Welt aus nichts anderem bestände. Dann versuchten sie es mit humoristischen Romanen, wie die „Reise durch mein Zimmer“ von Xavier de Maistre, „Unter den Linden“ von Alphonse Karr. Bei dieser Art von Büchern wird die Erzählung unterbrochen, damit der Autor von seinem Hunde, von seinen Pantoffeln oder von seiner Geliebten sprechen kann. Zuerst entzückte sie ein solches Sichgehenlassen, dann schien es ihnen dumm, denn der Verfasser schädigt sein Werk, indem er sich mit seiner Person darin breit macht. Aus Hang zum Dramatischen vertieften sie sich in die Abenteuerromane; die Intrigue interessierte sie um so mehr, je verwickelter, außerordentlicher und unmöglicher sie war. Sie bemühten sich, die Lösung vorauszusehen, wurden darin sehr stark und verloren den Geschmack am spielerisch Leichten, der ernsthafter Geister unwürdig sei. Balzacs Werk setzte sie in Staunen, denn es war ein Babylon und nahm sich zugleich wie Staubkörner unter dem Mikroskop aus. Von den alltäglichsten Dingen entstand ein neues Bild. Sie hatten nicht vermutet, daß das moderne Leben so tief sei. „Welch ein Beobachter!“ rief Bouvard aus. „Ich finde, er ist ein Phantast,“ sagte schließlich Pécuchet. „Er glaubt an die okkulten Wissenschaften, an die Anarchie, den Adel, ist von den Schurken geblendet, rührt in Millionen herum, als wenn es Centimes wären, und seine Bürger sind keine Bürger, sondern Kolosse. Warum aufblasen, was platt ist, und soviel Dummheiten beschreiben! Er hat einen Roman über die Chemie geschrieben, einen anderen über das Bankwesen, einen dritten über Druckmaschinen. Gerade wie ein gewisser Ricard ‚Der Droschkenkutscher‘, ‚Der Wasserträger‘, ‚Der Kokosnußhändler‘ geschrieben hatte. Wir würden Romane über alle Berufe und alle Provinzen bekommen, dann über alle Städte und die Etagen eines jeden Hauses und jedes Individuum, was keine Literatur mehr wäre, sondern Statistik oder Ethnographie.“ Bouvard zufolge hatte das Verfahren nur geringe Bedeutung. Er wollte sich unterrichten, in der Kenntnis der Sitten weiterkommen. Er las Paul de Kock wieder, durchblätterte alte Nummern der Zeitschrift: „Der Eremit der Chaussée d’Antin.“ „Wie kann man seine Zeit mit solchen Torheiten vergeuden,“ sagte Pécuchet. „Aber in der Folgezeit wird das als Dokument sehr interessant sein.“ „Geh zum Teufel mit deinen Dokumenten! Ich verlange etwas, das mich begeistert, das mich dem Elend dieser Welt entrückt!“ Und Pécuchet, dessen Gedanken auf das Ideale gerichtet waren, lenkte Bouvards Aufmerksamkeit, ohne daß dieser es merkte, auf die Tragödie. Die Ferne, in der sie vor sich geht, die Interessen, die man darin behandelt, und der Rang der Personen gaben ihnen gleichsam ein Gefühl von Größe. Eines Tages nahm Bouvard „Atalie“ zur Hand und trug den Traum so ausgezeichnet vor, daß Pécuchet ihn seinerseits versuchen wollte. Gleich von den ersten Worten an verlor sich seine Stimme in einer Art Gemurmel. Sie war eintönig und trotz ihrer Stärke undeutlich. Bouvard, der voller Erfahrung darin war, riet ihm, um sie geschmeidig zu machen, sie vom tiefsten bis zum höchsten Tone und umgekehrt zu entfalten -- indem er zwei Tonleitern, eine steigende und eine fallende, übte -- und er selbst gab sich dieser Übung morgens in seinem Bette hin, nach der Vorschrift der Griechen auf dem Rücken liegend. Pécuchet übte während jener Zeit auf dieselbe Weise: ihre Tür war geschlossen, und sie blökten jeder für sich. Was ihnen an der Tragödie gefiel, war der Schwung, die Reden über Politik, die verderbten Grundsätze. Sie lernten die berühmtesten Dialoge aus Racine und Voltaire auswendig, und sie sagten sie im Hausflur her. Gerade wie im Théâtre Français ging Bouvard, die Hand auf Pécuchets Schulter gelegt, indem er von Zeit zu Zeit stehen blieb, und er breitete, die Augen rollend, die Arme aus, klagte das Schicksal an. Er hatte im „Philoktet“ von La Harpe wundervolle Schmerzensschreie, in „Gabrielle von Vergy“ ein reizendes Schluchzen, und wenn er Dionys, den Tyrannen von Syrakus, darstellte, hatte er eine Art, seinen Sohn anzusehen, wenn er ihn: „Ungeheuer, meiner würdig!“ anredete, die wirklich schrecklich war. Pécuchet geriet darüber aus seiner Rolle. Die Mittel fehlten ihm, nicht der gute Wille. Einmal kam ihm in der „Kleopatra“ von Marmontel der Gedanke, das Zischen der Natter wiederzugeben, so wie es der zu dem Zwecke von Vaucanson erfundene Automat hatte hervorbringen müssen. Es mißlang, und der verunglückte Versuch gab ihnen bis zum Abend zu lachen. Die Tragödie sank in ihrer Achtung. Bouvard war ihrer zuerst müde, und indem er mit Freimut darüber sprach, zeigte er, wie künstlich und hinkend sie sei, wie dumm ihre Mittel und wie lächerlich die Vertrauten. Sie machten sich an die Komödie, die Schule der feinen Nuancen. Man muß die Sätze zergliedern, die einzelnen Worte hervorheben, die Silben wägen. Pécuchet konnte nicht damit fertig werden und scheiterte vollständig in „Célimène“. Zudem fand er die Liebenden sehr kühl, die Klugschwätzer langweilig, die Diener unausstehlich, Clitander und Sganarelle ebenso falsch wie Ägisth und Agamemnon. Blieb die ernste Komödie oder bürgerliche Tragödie, in der man trostlose Familienväter, Diener, die ihre Herren retten, Reiche, die ihr Vermögen verschenken, unschuldige Näherinnen und elende Verführer sieht, ein Genre, das sich von Diderot bis zu Pixérécourt fortsetzt. Alle diese Tugend predigenden Stücke stießen sie durch ihre Trivialität ab. Das Drama von 1830 entzückte sie durch seine Bewegung, seine Farbe, seine Jugendfrische. Sie machten durchaus keinen Unterschied zwischen Victor Hugo, Dumas oder Bouchardy, und die Sprache durfte nicht mehr pomphaft oder fein, sondern mußte lyrisch, regellos sein. Als Bouvard eines Tages versuchte, Pécuchet das Spiel Frédéric Lemaîtres beizubringen, erschien plötzlich Frau Bordin in ihrem grünen Schal, einen Band Pigault-Lebrun in der Hand, den sie zurückbrachte, denn die Herren hatten die Gefälligkeit, ihr zuweilen Romane zu leihen. „Aber fahren Sie fort!“ denn sie stand dort seit einer Minute und hörte ihnen mit Vergnügen zu. Sie machten Ausflüchte. Sie wurde dringend. „Lieber Gott!“ sagte Bouvard, „nichts hindert uns!“ Pécuchet schützte aus falscher Scham vor, sie könnten nicht ohne Vorbereitung und ohne Kostüm spielen. „In der Tat! wir müßten uns verkleiden!“ Und Bouvard suchte nach irgendeinem Gegenstand, fand nur die Zipfelmütze und setzte sie auf. Da der Flur nicht breit genug war, gingen sie in den Salon hinab. Spinnen liefen an den Wänden entlang, und die den Boden versperrenden geologischen Proben hatten weißen Staub über den Samt der Sessel gelegt. Über den am wenigsten schmutzigen breitete man ein Wischtuch, damit Frau Bordin sich setzen konnte. Man mußte ihr etwas Ordentliches bieten. Bouvard war ein Verehrer des „Turms von Nesle“. Aber Pécuchet fürchtete sich vor den Rollen, die zu viel Spiel erfordern. „Sie wird Klassisches vorziehen! Wie war’s mit Phädra?“ „Ausgezeichnet!“ Bouvard erzählte die Fabel. -- „Es ist eine Königin, deren Gatte von einer anderen Frau einen Sohn hat. Sie ist toll verliebt in den jungen Mann, -- bist du bereit? Dann also los!“ „_Ja, Prinz, ich schmachte, ich bin entbrannt für Theseus. Ich liebe ihn._“ Und während er zu Pécuchet von der Seite sprach, bewunderte er dessen Haltung, Gesicht, „dies Haupt, das mich berückt,“ jammerte, ihn nicht auf den griechischen Schiffen gesehen zu haben, hätte sich mit ihm ins Labyrinth verlieren mögen. Die Quaste der roten Mütze neigte sich verliebt, -- und seine zitternde Stimme und sein gutes Gesicht beschworen den Grausamen, mit seiner Liebesraserei Mitleid zu haben. Pécuchet ächzte, um Erregung zu zeigen, während er sich umwandte. Frau Bordin, die regungslos zuhörte, riß die Augen auf wie vor Taschenspielern; Mélie horchte hinter der Tür. Gorju sah ihnen in Hemdsärmeln durch das Fenster zu. Bouvard begann die zweite Tirade. Sein Spiel drückte die Raserei der Sinne aus, Gewissensbisse, Verzweiflung; und er stürzte sich mit solcher Gewalt auf das hinzugedachte Schwert Pécuchets, daß er, zwischen den Steinen stolpernd, beinahe hinfiel. „Lassen Sie sich dadurch nicht stören! Dann kommt Theseus, und sie vergiftet sich!“ „Arme Frau!“ sagte Frau Bordin. Schließlich baten sie sie, ihr ein Stück anzugeben. Die Wahl machte ihr Verlegenheit. Sie hatte nur drei Stücke gesehen: „Robert der Teufel“ in der Hauptstadt, „Der junge Gatte“ in Rouen, und ein drittes in Falaise, das sehr lustig war, und das man „Die Karre des Essigkrämers“ nannte. Endlich schlug ihr Bouvard die große Szene aus dem dritten Akt des „Tartufe“ vor. Pécuchet hielt eine Erklärung für nötig: „Man muß wissen, daß Tartufe...“ Frau Bordin unterbrach ihn: „Das ist bekannt, was ein Tartufe ist!“ Bouvard hatte wegen einer bestimmten Stelle ein Kostüm gewünscht. „Ich sehe nur das Mönchsgewand,“ sagte Pécuchet. „Einerlei! nimm es!“ Er kam damit zurück, einen Molière in der Hand. Der Anfang war mittelmäßig. Doch als Tartufe wagt, Elmirens Knie zu streicheln, sagte Pécuchet im Ton eines Gendarmen: „_Was will da Ihre Hand?_“ Bouvard erwiderte sehr schnell mit süßer Stimme: „_Ich befühle Ihr Gewand, sein Stoff ist seidenweich._“ Seine Augen flammten, er bot den Mund dar, schnob, sah äußerst sinnlich aus, wandte sich schließlich Frau Bordin zu. Die Blicke dieses Mannes setzten sie in Verlegenheit, -- und als er einhielt, unterwürfig und zitternd, suchte sie fast nach einer Antwort. Pécuchet nahm seine Zuflucht zum Buch: „Die Erklärung ist höchst galant.“ „Ah, ja!“ rief sie, „das ist ein hübscher Verführer.“ „Nicht wahr?“ erwiderte stolz Bouvard. „Doch hier ist etwas anderes von modernerem Zuschnitt. Und nachdem er seinen Rock abgelegt hatte, kauerte er auf einem Bruchsteine nieder und rezitierte mit zurückgelehntem Kopf: _Laß deiner Augen Flammen versengen meine Wimpern, Sing mir ein Lied, wie zuweilen am Abend Du mir es sangst, mit Tränen im dunklen Aug’._ „Das ähnelt mir,“ dachte sie. _Laß uns glücklich sein und trinken, denn der Becher ist gefüllt. Denn die Stunde ist unser und der Rest ist Torheit!_ „Wie komisch Sie sind!“ Und sie lachte mit kurzem Lachen, das ihren Busen hob und ihre Zähne entblößte. _Ist’s nicht süß, Zu lieben und zu wissen, daß kniend man Euch liebt?_ Er kniete nieder. „Bringen Sie es doch zu Ende!“ _O, laß mich schlafen und träumen an Deiner Brust, Dona Sol, meine Schönheit, meine Liebe._ „Hier hört man die Glocken, ein Mann aus dem Gebirge stört sie.“ „Glücklicherweise! denn sonst....!“ Und Frau Bordin lächelte, anstatt ihren Satz zu beenden. Die Dämmerung fiel. Frau Bordin erhob sich. Es hatte eben geregnet, und der Weg durch den Buchengang war nicht bequem; es war besser, über die Felder nach Hause zu gehen. Bouvard begleitete sie in den Garten, um ihr die Tür zu öffnen. Zuerst gingen sie an den Pyramiden-Bäumchen entlang, ohne zu reden. Er war noch von seiner Rezitation erregt, -- und sie empfand auf dem Grunde der Seele etwas wie eine Überraschung, einen Zauber, der von der Literatur herrührte. Die Kunst erschüttert bei gewissen Anlässen die mittelmäßigen Geister, -- und durch die plumpsten Interpreten können Welten geoffenbart werden. Die Sonne war wieder hervorgekommen, ließ die Blätter erglänzen, warf hier und dort leuchtende Flecke durch das Dickicht. Drei Sperlinge hüpften zirpend auf dem Stumpf einer gefällten alten Linde. Ein blühender Dorn breitete seine rote Garbe aus, schwerer Flieder neigte sich herab. „Ach! das tut gut!“ sagte Bouvard, indem er die Luft in vollen Zügen einsog. „Sie strengen sich aber auch dabei an!“ „Ich will nicht sagen, daß ich Talent habe, aber was das Feuer betrifft, das besitze ich.“ „Man sieht...,“ fuhr sie fort, indem sie zwischen den Worten einhielt, „daß Sie... geliebt haben... früher!“ „Früher nur, glauben Sie!“ Sie blieb stehen. „Das kann ich nicht wissen!“ Was wollte sie damit sagen? Und Bouvard fühlte sein Herz klopfen. Eine Wasserlache inmitten des Sandes, die sie zu einem Umwege zwang, nötigte sie, unter den Laubengang zu gehen. Dann plauderten sie von der Vorstellung. „Wie heißt Ihr letztes Stück?“ „Es ist aus ‚Hernani‘, einem Drama.“ „Ach!“ dann langsam und wie zu sich selbst: „Es muß recht angenehm sein, wenn ein Herr einem derartige Sachen sagt, -- im Ernst.“ „Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung,“ antwortete Bouvard. „Sie?“ „Ja! Ich!“ „Welch ein Scherz!“ „Nicht im allergeringsten!“ Und nachdem er einen Blick umhergeworfen hatte, faßte er sie um die Taille und küßte sie kräftig auf den Nacken. Sie wurde sehr bleich, als wenn sie ohnmächtig werden wollte, -- und sie suchte mit einer Hand einen Halt an einem Baum; dann schlug sie die Augen auf und schüttelte den Kopf. „Das ist vorbei!“ Er sah sie verdutzt an. Als das Tor geöffnet war, trat sie auf die Schwelle der kleinen Pforte. Ein Wassergraben strömte auf der anderen Seite. Sie raffte ihren faltigen Rock in die Höhe und stand unentschlossen am Rande. „Soll ich Ihnen helfen?“ „Nicht nötig.“ „Warum?“ „Ach! Sie sind zu gefährlich!“ Und bei dem Sprunge, den sie machte, zeigte sich ihr weißer Strumpf. Bouvard machte sich Vorwürfe, die Gelegenheit nicht benutzt zu haben. Bah, sie würde sich wiederfinden, -- und dann sind die Frauen nicht alle gleich. Diesen muß man schnell zusetzen, mit jenen verdirbt man es, wenn man sich kühn zeigt. Im ganzen war er mit sich zufrieden -- und wenn er seine Hoffnung Pécuchet nicht anvertraute, so geschah es aus Furcht vor Bemerkungen, und keineswegs aus Zartgefühl. Von jenem Tage an rezitierten sie vor Mélie und Gorju, während sie zugleich bedauerten, kein Salontheater zu haben. Die kleine Magd belustigte sich dabei, ohne etwas zu verstehen, verdutzt über die Sprache, gefesselt durch das Summen der Verse. Gorju äußerte seinen Beifall bei den philosophischen Stellen der Tragödie und bei allem, was es für das Volk in den Melodramen gab! -- derart, daß sie, über seinen Geschmack entzückt, daran dachten, ihm Stunden zu geben, um ihn später Schauspieler werden zu lassen. Diese Aussicht blendete den Handwerker. Das Gerede von ihrer Betätigung hatte sich verbreitet. Vaucorbeil erzählte es ihnen in spöttelnder Weise. Allgemein verachtete man sie. Sie stiegen dadurch in ihrer Selbstachtung. Sie weihten sich der Kunst. Pécuchet trug einen Schnurrbart, und Bouvard wußte nichts Besseres bei seiner runden Physiognomie und seiner Kahlheit, als „einen Bérangerkopf“ abzugeben. Schließlich faßten sie den Plan, ein Stück zu schreiben. Das schwierige war, einen Stoff zu finden. Sie suchten während des Frühstücks darnach, und sie tranken Kaffee, die für das Hirn unentbehrliche Flüssigkeit, dann zwei bis drei Gläschen Schnaps. Sie legten sich auf ihrem Bette schlafen; darauf stiegen sie in den Obstgarten, schritten auf und ab, gingen schließlich aus, um draußen die Inspiration zu suchen, wanderten Seite an Seite und kehrten erschöpft heim. Oder sie schlossen sich ein. Bouvard säuberte den Tisch, legte Papier vor sich hin, tauchte die Feder ein, und seine Augen blieben an der Decke kleben, während Pécuchet sinnend, mit ausgestreckten Beinen und gesenktem Haupte, im Sessel saß. Zuweilen spürten sie ein Erschauern und etwas wie das Wehen eines Gedankens; im Augenblick, wo sie ihn fassen wollten, war er verschwunden. Doch gibt es Methoden, um Stoffe zu entdecken. Man wählt aufs Geratewohl einen Titel, und ein Ereignis ergibt sich daraus; man entwickelt ein Sprichwort; man verschmilzt mehrere Abenteuer zu einem einzigen. Keines dieser Mittel führte zum Ziele. Sie durchblätterten vergeblich die Anekdotensammlungen, mehrere Bände berühmter Kriminalfälle, eine Menge Geschichten. Und sie träumten davon, im Odeon aufgeführt zu werden, dachten ans Schauspiel, sehnten sich nach Paris. „Ich war zum Schauspieler geboren und nicht dazu, mich auf dem Lande zu vergraben!“ sagte Bouvard. „Ich desgleichen,“ antwortete Pécuchet. Es kam ihnen eine Erleuchtung; wenn es ihnen so schwer wurde, so lag das daran, daß sie die Regeln nicht kannten. Und sie studierten sie in der „Praxis des Theaters“ und einigen anderen weniger aus der Mode gekommenen Werken. Wichtige Fragen werden darin behandelt: ob die Komödie in Versen abgefaßt werden kann; -- ob die Tragödie nicht die Grenzen überschreitet, wenn sie ihren Stoff der modernen Geschichte entlehnt; -- ob die Helden tugendhaft sein sollen; -- welche Art von Schurken sie verträgt; -- bis zu welchem Grade das Schreckliche darin erlaubt ist; -- daß die Einzelheiten einen einzigen gemeinsamen Endzweck haben, daß das Interesse sich steigere, daß der Schluß dem Anfang entspreche, natürlich! _Erfindet Motive, die mich zu fesseln vermögen_, sagt Boileau. Wie Motive erfinden? _Bei allem, was ihr sagt, muß Leidenschaft sich regen, zu Herzen gehn, es rühren und erwärmen._ Wie das Herz erwärmen? Also genügen die Regeln nicht; es ist außerdem Genie nötig. Und auch das Genie genügt nicht. Corneille verstand der französischen Akademie zufolge nichts vom Theater. Geoffroy verunglimpfte Voltaire. Racine wurde von Subligny verhöhnt. La Harpe brüllte beim Namen Shakespeares. Da die alte Kritik sie anwiderte, wollten sie die moderne kennen lernen, und sie ließen sich die Theaterberichte der Zeitungen kommen. Welche Sicherheit! Welches Voreingenommensein! Welche Unredlichkeit! Meisterwerke werden verunglimpft, Plattheiten in den Himmel gehoben -- und die Eseleien jener, die für bedeutend gelten, und die Dummheiten dieser, die man als geistreich hinstellt! Doch vielleicht muß man sich auf das Publikum verlassen. Aber manchmal mißfielen ihnen Werke, die beklatscht worden waren, und an den ausgepfiffenen behagte ihnen manches. So ist die Meinung der Leute von Geschmack unzuverlässig und das Urteil der Menge unverständlich. Bouvard stellte Barberou vor das Dilemma. Pécuchet wiederum schrieb an Dumouchel. Der ehemalige Handlungsreisende war erstaunt über die Verstumpfung, die die Provinz bewirkt hätte, sein alter Bouvard zähle zum alten Eisen, kurz, „sei nicht wiederzuerkennen“. Das Theater sei eine Absatzware wie eine andere. Das gehöre zum Artikel Paris. -- Man geht ins Schauspiel, um sich zu zerstreuen. Dasjenige ist gut, welches belustigt. „Einfaltspinsel,“ rief Pécuchet, „was dich belustigt, ist nicht das, was mich belustigt, und die andern und du selber, ihr werdet seiner später müde werden. Wenn die Stücke durchaus geschrieben sind, um aufgeführt zu werden, wie kommt es, daß die besten immer nur gelesen werden?“ Und er wartete auf Dumouchels Antwort. Dem Professor zufolge bewies die erste Aufnahme eines Stückes nichts. Der „Misanthrop“ und „Athalie“ wären durchgefallen. „Zaïre“ werde nicht mehr verstanden. Wer spricht heute von Ducange und von Picard? Und er erinnerte sie an alle großen Erfolge der Zeit von „Fanchon la Vielleuse“ bis zu „Gaspardo le Pêcheur“, beklagte den Verfall unserer Bühne. Der Grund desselben ist die Mißachtung der Literatur oder vielmehr des Stils. Da fragten sie sich, worin eigentlich der Stil bestehe, und sie erfuhren das Geheimnis aller seiner Arten dank den von Dumouchel angegebenen Autoren. Wie man den majestätischen, den temperierten, den naiven erhält, die Wendungen, die edel, und die Worte, die gemein sind. „Hunde“ wird durch „gefräßig“ gehoben. „Speien“ gebraucht man nur in figürlichem Sinne. „Fieber“ wird für Leidenschaften verwandt. „Tapferkeit“ nimmt sich schön im Verse aus. „Wenn wir Verse machten?“ sagte Pécuchet. „Später! Halten wir uns zunächst an die Prosa.“ Es wird ausdrücklich empfohlen, einen Klassiker zum Muster zu nehmen, aber alle haben ihre Gefahren, und nicht nur ihr Stil ist fehlerhaft, sondern auch ihre Sprache. Eine solche Behauptung brachte Bouvard und Pécuchet aus der Fassung, und sie machten sich an das Studium der Grammatik. Haben wir in unserer Sprache den bestimmten und den unbestimmten Artikel wie im Latein? Die einen sagen ja, die anderen nein. Sie wagten nicht, sich zu entscheiden. Das Subjekt stimmt stets mit dem Verb überein, ausgenommen in den Fällen, wo das Subjekt nicht mit ihm übereinstimmt. Früher unterschied man nicht zwischen dem Verbaladjektiv und dem Partizip des Präsens; doch die Akademie stellt eine Unterscheidung auf, die wenig bequem zu erfassen ist. Sie waren glücklich, zu erfahren, daß „leur“ als Pronomen von Personen, aber auch von Sachen gebraucht wird, während „où“ und „en“ von Sachen und zuweilen von Personen gebraucht werden. Soll man sagen „Cette femme a l’air bon“ oder „l’air bonne“? -- „une bûche de bois sec“ oder „de bois sèche“, -- „ne pas laisser de“ oder „que de“, -- „une troupe de voleurs survint“ oder „survinrent“? Weitere Schwierigkeiten: „Autour“ und „à l’entour“, zwischen denen Racine und Boileau keinen Unterschied machten; -- „imposer“ oder „en imposer“, Synonyme bei Massillon und Voltaire; „croasser“ und „coasser“, die von Lafontaine verwechselt werden, der doch einen Raben von einem Frosch unterscheiden konnte. Die Grammatiker sind sich allerdings nicht einig. Diese sehen eine Schönheit, wo jene einen Fehler entdecken. Sie stellen Prinzipien auf, deren Folgen sie nicht gelten lassen wollen, und sie erkennen Folgen an, deren Prinzipien sie ablehnen, stützen sich auf die Überlieferung, verwerfen die Meister und haben sonderbare Feinheiten. Ménage gibt „nentilles“ und „castonade“ den Vorzug vor „lentilles“ und „cassonade“. Bouhours verlangt „jérarchie“ und nicht „hiérarchie“ und Herr Chapsal „les œils de la soupe“. Pécuchet besonders war über Jénin erstaunt. Wie? „des z’annetons“ sollte besser sein als „des hannetons“, „des z’aricots“ als „des haricots“, -- und unter Ludwig XIV. sprach man „Roume“ und Herr von „Lioune“ aus, anstatt „Rome“ und Herr von „Lionne“! Littré gab ihnen den Gnadenstoß durch die Versicherung, daß es niemals eine wirkliche Rechtschreibung gegeben habe, und daß es niemals eine geben werde. Sie schlossen daraus, daß die Syntax Phantasie und die Grammatik Täuschung sei. Übrigens verkündete zu jener Zeit eine neue Rhetorik, man solle schreiben wie man spricht, und alles werde sich gut ausnehmen, wofern man nur empfunden, beobachtet habe. Da sie empfunden und ihrer Ansicht nach auch beobachtet hatten, hielten sie sich der Schriftstellerei für fähig; ein Theaterstück wird durch die Enge des Rahmens schwierig, doch der Roman hat größere Freiheit. Sie suchten, um einen zu schreiben, nach Stoff in ihren Erinnerungen. Pécuchet erinnerte sich eines seiner Bureauchefs, eines ganz niederträchtigen Menschen, und der Ehrgeiz packte ihn, sich an ihm durch ein Buch zu rächen. Bouvard hatte in der Kneipe einen alten Schreiblehrer gekannt, einen Trunkenbold und heruntergekommenen Menschen. Nichts wäre spaßiger als diese Persönlichkeit. Nach Verlauf einer Woche gedachten sie, diese Vorwürfe in einen zu verschmelzen, -- und dabei blieben sie stehen, gingen zu den folgenden über: eine Frau, die das Unglück einer Familie verursacht, -- eine Frau, ihr Gatte und ihr Liebhaber, -- eine Frau, die infolge fehlerhafter Bildung tugendhaft ist, ein Ehrgeiziger, ein schlechter Priester. Sie versuchten mit diesen unbestimmten Konzeptionen Dinge zu verbinden, die ihr Gedächtnis ihnen lieferte, kürzten, fügten hinzu. Pécuchet war für Empfindung und Gedanken, Bouvard für das Bild und die Farbe, -- und sie fingen an, einander nicht mehr zu verstehen; jeder war erstaunt, den andern so beschränkt zu finden. Die Wissenschaft, welche man Ästhetik nennt, würde vielleicht ihre Meinungsverschiedenheiten beseitigen. Ein Freund Dumouchels, Professor der Philosophie, schickte ihnen ein Verzeichnis von Werken über die Materie. Sie arbeiteten jeder für sich und teilten einander ihre Betrachtungen mit. Zunächst, was ist das Schöne? Für Schelling ist es das Unendliche, das sich im Endlichen ausdrückt; für Reid eine okkulte Eigenschaft; für Jouffroy ein unteilbares Etwas; für De Maistre das, was der Tugend gefällt; für den Pater André das, was der Vernunft entspricht. Und es gibt mehrere Arten des Schönen: ein Schönes in den Wissenschaften, die Geometrie ist schön; ein Schönes in den Sitten, man kann nicht bestreiten, daß der Tod des Sokrates schön sei. Ein Schönes im Tierreich. Die Schönheit des Hundes besteht in seinem Geruch. Ein Schwein kann nicht schön sein in Anbetracht seiner unreinen Gewohnheiten; eine Schlange ebenfalls nicht, denn sie erweckt in uns Gedanken von Niedertracht. Blumen, Schmetterlinge, Vögel können schön sein. Schließlich ist die erste Bedingung des Schönen die Einheit in der Mannigfaltigkeit; das ist das Prinzip. „Indessen,“ sagt Bouvard, „sind zwei schielende Augen abwechslungsreicher als zwei gerade blickende und machen doch einen weniger guten Eindruck -- gewöhnlich wenigstens.“ Sie machten sich an die Frage des Erhabenen. Gewisse Dinge sind an und für sich erhaben, das Getöse eines Stromes, tiefe Finsternis, ein durch einen Sturm umgerissener Baum. Ein Charakter ist schön, wenn er triumphiert, und erhaben, wenn er kämpft. „Ich verstehe,“ sagte Bouvard, „das Schöne ist das Schöne und das Erhabene das Sehrschöne.“ -- Wie die beiden unterscheiden? „Vermittels des Takts,“ sagte Pécuchet. „Und der Takt, woher kommt der?“ „Vom Geschmack!“ „Worin besteht denn der Geschmack?“ Man definiert ihn als eine besondere Unterscheidungsfähigkeit, ein schnelles Urteilsvermögen, die Überlegenheit, gewisse Beziehungen zu durchschauen. „Schließlich ist der Geschmack der Geschmack, -- und alles das sagt nicht, wie man dazu kommt.“ Man soll das Wohlanständige beobachten, -- aber das Wohlanständige zeigt Unterschiede, -- und wie vollkommen auch ein Werk sei, es wird niemals einwandfrei sein. Es gibt indessen ein unvergängliches Schönes, über dessen Gesetze wir in Unkenntnis sind, denn seine Entstehung ist von Geheimnissen umhüllt. Da eine Idee nicht durch alle Formen ausgedrückt werden kann, so müssen wir Grenzen zwischen den Künsten anerkennen, und in jeder Kunst wieder mehrere Unterarten; doch entstehen Mischarten dort, wo man den Stil der einen in die andere übergehen läßt aus Furcht, vom Endzweck abzugeraten, nicht wahr zu sein. Die zu getreue Anwendung des Wahren schadet der Schönheit; und die Bevorzugung der Schönheit ist dem Wahren hinderlich; indessen, ohne Ideal keine Wahrheit; -- deshalb ist der Typus von dauerhafterer Realität als ein Porträt. Zudem geht die Kunst nur auf wahrscheinliche Ähnlichkeit aus, diese jedoch hängt vom Beobachter ab, ist etwas Relatives, Vergängliches. So verloren sie sich in Spitzfindigkeiten. Bouvard glaubte immer weniger an die Ästhetik. „Wenn sie kein Schwindel ist, so muß ihre Gesetzmäßigkeit sich an Beispielen erweisen lassen. Nun höre!“ Und er las eine Notiz, die er nach langem Suchen gefunden hatte. „Bouhours wirft Tacitus vor, er lasse die Schlichtheit vermissen, welche die Geschichte verlangt.“ „Herr Droz, ein Professor, tadelt Shakespeare, weil er Ernstes und Komisches durcheinander mischt. Nisard, ebenfalls Professor, findet, daß André Chénier als Poet unter dem Niveau des siebzehnten Jahrhunderts stehe. Blair, ein Engländer, beklagt bei Virgil das Bild der Harpyen. Marmontel seufzt über die Freiheiten, die Homer sich erlaubt. Lamotte läßt die Unsterblichkeit seiner Helden nicht gelten. Vida entrüstet sich über seine Vergleiche. Kurz, alle diese Verfertiger von Rhetoriken, Poetiken und Ästhetiken scheinen mir Einfaltspinsel zu sein!“ „Du übertreibst!“ sagte Pécuchet. Zweifel quälten ihn, -- denn wenn die mittelmäßigen Geister (wie Longin bemerkt), unfähig sind, Fehler zu machen, so sind die Fehler Sache der Meister, und man sollte sie bewundern? Das ist zu stark! Die Meister sind doch die Meister! Er hätte die Doktrinen mit den Werken, die Kritiker mit den Dichtern in Einklang setzen wollen, die Wesenheit des Schönen erfassen, -- und diese Fragen setzten ihm so zu, daß seine Galle davon in Fluß kam. Er bekam eine Gelbsucht. Sie war in ihrem höchsten Stadium angelangt, als Marianne, die Köchin der Frau Bordin, kam, um Bouvard um eine Unterredung zu bitten. Seit der dramatischen Sitzung hatte die Witwe sich nicht wieder blicken lassen. -- Sollte das ein Annäherungsversuch sein? Doch wozu Mariannens Vermittlung? Und die ganze Nacht hindurch kam seine Phantasie nicht zur Ruhe. Am folgenden Morgen ging er gegen zehn im Hausflur auf und ab und schaute von Zeit zu Zeit durchs Fenster; die Schelle ertönte. Es war der Notar. Er durchschritt den Hof, stieg die Treppe empor, setzte sich in den Sessel, und nachdem die ersten Höflichkeiten ausgetauscht, sagte er, daß er vorangegangen sei, müde, Frau Bordin zu erwarten. Sie wünsche Bouvard die Ecalles abzukaufen. Bouvard überlief es kalt, und er ging in Pécuchets Zimmer hinüber. Pécuchet wußte nicht, was er antworten sollte. Er war in Aufregung, -- da Herr Vaucorbeil jeden Augenblick kommen mußte. Endlich kam sie. Ihre Verspätung erklärte sich aus der Sorgfalt ihrer Toilette: ein Kaschmir, ein Hut, Glacéhandschuhe, der Anzug, der zu feierlichen Gelegenheiten gehört. Nach vielen Umschweifen fragte sie, ob tausend Taler nicht genug sein würden. „Ein Acker für tausend Taler? Unmöglich!“ Sie blinzelte mit den Augen: „Ach! für mich!“ Und alle drei verstummten. Herr von Faverges trat ein. Er trug wie ein Advokat eine Mappe aus Saffianleder, -- und indem er sie auf den Tisch legte: „Da sind Flugblätter! Sie beziehen sich auf die Reform, -- eine brennende Frage; doch hier ist etwas, das ohne Zweifel Ihnen gehört!“ Und er reichte Bouvard den zweiten Band der „Memoiren des Teufels“. Mélie habe ihn gerade eben in der Küche gelesen; und da man die Gewohnheiten dieser Leute überwachen müsse, habe er recht daran zu tun geglaubt, ihr das Buch fortzunehmen. Bouvard hatte ihn seiner Magd geliehen. Man plauderte über Romane. Frau Bordin liebte sie, wenn sie nicht traurig waren. „Die Schriftsteller,“ sagte Herr von Faverges, „stellen uns das Leben in schmeichlerischen Farben dar!“ „Das Darstellen ist notwendig!“ wandte Bouvard ein. „Dann also braucht man nur dem Beispiel zu folgen!“ „Es handelt sich nicht um ein Beispiel!“ „Jedenfalls werden Sie zugeben, daß sie in die Hände eines jungen Mädchens geraten können. Ich habe eine Tochter.“ „Eine reizende Tochter!“ sagte der Notar, wobei er das Gesicht machte, das er aufsetzte, wenn er Verlobten ihren Heiratskontrakt vorlas. „Nun wohl! ihretwegen, oder vielmehr wegen der Personen ihrer Umgebung, verbiete ich die Bücher in meinem Hause, denn das Volk, verehrter Herr...!“ „Was hat das Volk verbrochen?“ fragte Vaucorbeil, der plötzlich auf der Schwelle erschien. Pécuchet, der ihn an seiner Stimme erkannt hatte, trat zu den Anwesenden. „Ich behaupte, daß man eine gewisse Lektüre von ihm fernhalten muß.“ Vaucorbeil gab eine Erwiderung. -- „Sie sind also nicht für die Bildung?“ „Aber durchaus! Erlauben Sie!“ „Wenn man alle Tage die Regierung angreift!“ sagte Marescot. „Was ist schlimmes daran?“ Und der Edelmann und der Arzt begannen, auf Louis Philippe zu schimpfen, indem sie auf die Affäre Pritchard, die Septembergesetze gegen die Freiheit der Presse wiesen. „Und die des Theaters!“ fügte Pécuchet hinzu. Marescot hielt nicht mehr an sich. „Es erlaubt sich zu viel, Ihr Theater!“ „Darin gebe ich Ihnen recht!“ sagte der Graf, „Stücke, die den Selbstmord verherrlichen!“ „Der Selbstmord ist schön! Beweis Cato,“ wandte Pécuchet ein. Ohne auf das Argument zu antworten, brandmarkte Herr von Faverges jene Werke, in denen die heiligsten Dinge, Familie, Eigentum, Ehe, verhöhnt werden! „Nun, und Molière?“ sagte Bouvard. Marescot, als Mann von Geschmack, erwiderte, daß Molière nicht mehr gespielt werde und etwas überschätzt worden sei. „Schließlich,“ sagte der Graf, „war Viktor Hugo ohne Erbarmen, ja ohne Erbarmen für Marie Antoinette, indem er die Gestalt der Königin in der Person Marie Tudors durch den Schmutz zog!“ „Wie!“ rief Bouvard, „ich habe als Autor nicht das Recht...“ „Nein, mein Herr, Sie haben nicht das Recht, uns das Verbrechen zu zeigen, ohne ihm die Moral gegenüberzustellen, ohne uns eine Belehrung zu bieten.“ Vaucorbeil fand ebenfalls, die Kunst müsse einen Zweck haben: sie solle die Besserung der Massen im Auge haben! „Man besinge die Wissenschaft, unsere Entdeckungen, den Patriotismus,“ und er bewunderte Casimir Delavigne. Frau Bordin rühmte den „Marquis von Foudras“. Der Notar fuhr fort: „Doch vergessen Sie nicht die Sprache!“ „Wieso, die Sprache?“ „Man meint den Stil!“ schrie Pécuchet. „Finden Sie, daß seine Werke gut geschrieben seien?“ „Gewiß, sie sind sehr interessant!“ Er zuckte die Achseln, -- und sie errötete über die Impertinenz. Mehrere Male hatte Frau Bordin versucht, auf ihre Angelegenheit zurückzukommen. Es war zu spät, um den Handel abzuschließen. Sie verließ das Haus am Arme Marescots. Der Graf verteilte seine Pamphlete und empfahl, sie unter die Leute zu bringen. Vaucorbeil wollte aufbrechen, als Pécuchet ihn festhielt. „Sie vergessen mich, Doktor.“ Sein gelbes Gesicht mit dem Schnurrbart und den schwarzen Haaren, die unter einem schlecht umgebundenen Tuche herabhingen, sah jammervoll aus. „Purgieren Sie sich,“ sagte der Arzt. Und indem er ihm wie einem Kinde zwei leichte Schläge gab: „Zu viel Nerven, zu viel Künstler!“ Diese Vertraulichkeit machte Pécuchet Vergnügen. Sie beruhigte ihn, -- und sobald sie allein waren: „Du meinst, es sei nicht ernst?“ „Nein, wahrhaftig!“ Sie besprachen noch einmal, was sie soeben gehört hatten. Der Wert der Kunst besteht für jeden in der Seite, die seinen Interessen entspricht. Man liebt die Literatur nicht. Dann durchblätterten sie die Druckschriften des Grafen. Alle verlangten das allgemeine Stimmrecht. „Mir scheint,“ sagte Pécuchet, „wir werden bald Krawall bekommen.“ Denn er sah alles schwarz, vielleicht wegen seiner Gelbsucht. VI Am Morgen des 25. Februar 1848 hörte man in Chavignolles von einem von Falaise kommenden Unbekannten, Paris sei voller Barrikaden, und am folgenden Tage war die Verkündigung der Republik an der Bürgermeisterei angeschlagen. Dieses große Ereignis setzte die Bürger in Verblüffung. Doch als man erfuhr, daß der Kassationshof, das Appellationsgericht, die Oberrechnungskammer, das Handelsgericht, die Kammer der Notare, die Korporation der Rechtsanwälte, der Staatsrat, die Universität, die Generäle und Herr von la Rochejacquelein in eigener Person sich für die provisorische Regierung erklärten, atmete man erleichtert auf; und da man in Paris Freiheitsbäume pflanzte, entschied der Magistrat, man müsse solche auch in Chavignolles haben. Bouvard schenkte einen, denn der Triumph des Volkes hatte sein patriotisches Herz erfreut; was Pécuchet anlangte, so bestätigte der Sturz des Königtums zu sehr seine Voraussage, als daß er nicht befriedigt gewesen wäre. Gorju, der ihnen eifrig zur Hand ging, grub eine der Pappeln aus, welche die Wiese unterhalb des Hügels säumten, und brachte sie bis zur „Kuhgasse“ am Eingang des Fleckens an die bezeichnete Stelle. Noch ehe die Feierlichkeit begann, erwarteten alle drei den Zug. Trommelwirbel erklang, ein silbernes Kreuz wurde sichtbar; dann erschienen zwei Armleuchter, die von Kantoren getragen wurden, und der Herr Pfarrer mit Stola, Chorhemd, Chormantel und Barett. Vier Chorknaben begleiteten ihn, ein fünfter trug den Eimer mit dem Weihwasser, und der Küster folgte hinterdrein. Der Priester trat auf den aufgeworfenen Rand des Pflanzloches, in welchem die mit dreifarbigen Bändchen verzierte Pappel stand. Gegenüber sah man den Bürgermeister und seine beiden Beigeordneten, Beljambe und Marescot, ferner die Honoratioren, Herrn von Faverges, Vaucorbeil, Coulon, den Friedensrichter, einen guten Kerl mit schläfrigem Gesicht. Heurtaux hatte sich eine Polizistenmütze aufgesetzt, und Alexander Petit, der neue Lehrer, hatte seinen Gehrock angezogen, einen ärmlichen grünen Gehrock, den er als Sonntagsanzug zu tragen pflegte. Die Feuerwehrleute, die Girbal, den Säbel in der Hand, anführte, bildeten eine einzige Reihe; auf der anderen Seite glänzten die weißen Metallschilder von ein paar alten Tschakos aus Lafayettes Zeiten; es waren fünf oder sechs, nicht mehr, -- denn die Nationalgarde war in Chavignolles aus der Mode gekommen. Bauern mit ihren Frauen, Arbeiter der nahen Fabriken, Straßenjungen drängten sich dahinter; und Placquevent, der Feldhüter, der fünf Fuß acht Zoll groß war, hielt sie mit seinem Blick im Zaume, während er mit verschränkten Armen auf und ab ging. Die Ansprache des Geistlichen war wie die anderer Priester bei ähnlichen Gelegenheiten. Nachdem er gegen die Könige gedonnert hatte, verherrlichte er die Republik. Spricht man nicht von einer Gelehrten-Republik? Was gibt es Harmloseres als die eine, was Schöneres als die andere? Jesus Christus prägte unsere hehre Devise: Der Baum des Volkes, das war der Stamm des Kreuzes. Damit die Religion ihre Früchte trage, bedürfe sie der Nächstenliebe, und im Namen der Nächstenliebe beschwor der Geistliche seine Mitbrüder, keine Ausschreitungen zu begehen, friedlich nach Hause zurückzukehren. Dann besprengte er das Bäumchen, während er den Segen Gottes erflehte. „Möge es wachsen und uns an die Befreiung von aller Knechtschaft erinnern und an diese Brüderlichkeit, die wohltätiger ist als der Schatten seiner Zweige! Amen!“ Stimmen wiederholten „Amen!“ und nach einem Trommelwirbel nahm die Geistlichkeit, die ein Te Deum anstimmte, den Weg zur Kirche zurück. Ihre Teilnahme hatte einen außerordentlich guten Eindruck gemacht. Die einfachen Leute erblickten darin eine Verheißung von zukünftigem Glück, die Patrioten eine Ehrerweisung vor ihren Grundsätzen. Bouvard und Pécuchet fanden, man hätte ihnen für ihr Geschenk Dank sagen, wenigstens eine Anspielung darauf machen müssen; und sie öffneten ihr Herz dem Grafen und dem Doktor. Was taten derartige Kümmernisse! Vaucorbeil war über die Revolution entzückt, der Graf ebenfalls. Er verabscheute die Orleans. Man würde sie nicht wiedersehen; glückliche Reise! Von nun an alles für das Volk! Und mit seinem Faktotum Hurel, der ihm folgte, suchte er den Herrn Pfarrer einzuholen. Foureau ging gesenkten Hauptes zwischen dem Notar und dem Wirt; er war von der Feierlichkeit unangenehm berührt, denn er hatte Furcht vor einem Aufstand; und instinktmäßig wandte er sich nach dem Feldhüter um, der mit dem Hauptmann die Unfähigkeit Girbals und die schlechte Haltung der Leute desselben beklagte. Arbeiter kamen, die Marseillaise singend, über den Weg; Gorju, mitten unter ihnen, schwenkte seinen Stock; Petit folgte ihnen mit glänzendem Auge. „So etwas liebe ich nicht!“ sagte Marescot, „das schreit, das regt sich auf!“ „Na, guter Gott! Jugend muß ihr Vergnügen haben!“ erwiderte Coulon. Foureau seufzte: „Sonderbares Vergnügen! und zum Schluß dann die Guillotine!“ Er sah im Geiste Bilder von Schafotten, war auf Schreckliches gefaßt. Chavignolles zeigte die Rückwirkung der Pariser Erregung. Die Bürger nahmen Abonnements auf Zeitungen. Des Morgens drängte man sich auf der Post, und die Vorsteherin würde ohne den Hauptmann, der ihr zuweilen half, nicht fertig geworden sein. Dann blieb man plaudernd auf dem Platze stehen. Die erste heftige Erörterung drehte sich um Polen. Heurtaux und Bouvard verlangten, man solle es befreien. Herr von Faverges dachte anders: „Mit welchem Recht würden wir dorthin gehen? Das hieße Europa gegen uns entfesseln! Keine Torheiten!“ Und da alle ihm zustimmten, schwiegen die beiden Polenfreunde. Ein anderes Mal verteidigte Vaucorbeil die Rundschreiben Ledru-Rollins. Foureau hielt ihm sogleich die 45-Centimes-Steuer entgegen. „Doch die Regierung hatte die Sklaverei unterdrückt,“ sagte Pécuchet. „Was kümmert mich die Sklaverei.“ „Nun gut, und die Abschaffung der Todesstrafe für politische Verbrecher?“ „Zum Teufel!“ erwiderte Foureau, „man möchte alles abschaffen. Indessen, wer weiß? Die Mieter machen schon solche Ansprüche!“ „Um so besser!“ Die Eigentümer waren nach Pécuchets Ansicht begünstigt. „Wer ein Haus besitzt...“ Foureau und Marescot unterbrachen ihn, indem sie schrien, er sei Kommunist. „Ich! Kommunist!“ Und alle sprachen zu gleicher Zeit. Als Pécuchet vorschlug, einen Klub zu gründen, hatte Foureau die Unverschämtheit, zu antworten, so etwas werde es nie in Chavignolles geben. Dann verlangte Gorju Flinten für die Nationalgarde, denn die öffentliche Meinung hätte ihn zum Instrukteur bestimmt. Die einzigen vorhandenen Flinten waren die der Feuerwehrleute. Girbals Herz hing daran. Foureau machte keine Miene, ihm welche davon zu geben. Gorju blickte ihn an: „Man findet jedoch, daß ich damit umzugehen verstehe.“ Denn mit all seinen anderen Gewerben verband er noch das der Wilddieberei, und oft kauften der Herr Bürgermeister und der Wirt ihm einen Hasen oder ein Kaninchen ab. „Meiner Treu! nehmt sie!“ sagte Foureau. Noch denselben Abend begannen die Übungen. Sie wurden auf dem Rasen vor der Kirche abgehalten, Gorju, in kurzer blauer Joppe, eine Binde um den Leib, führte die Übungen wie ein Automat aus. Seine Stimme war roh, wenn er kommandierte. „Bauch herein!“ Und sogleich hielt Bouvard den Atem an, zog den Leib ein, streckte das Kreuz. „Sie sollen sich nicht wie ein Bogen krümmen, in Teufels Namen!“ Pécuchet verwechselte Glied und Reihe, halbe Wendung rechts, halbe Wendung links; doch der jämmerlichste war der Lehrer: schmächtig und von winziger Gestalt, mit einem Kranz von blondem Barthaar, schwankte er unter dem Gewicht seiner Flinte, mit deren Bajonett er seine Nachbarn belästigte. Man trug Hosen in allen Farben, schmutzige Wehrgehänge, alte Uniformstücke, die zu kurz waren und auf den Seiten das Hemd hervorsehen ließen; und jeder gab vor, „nicht in den Verhältnissen zu sein, sich anderes zu erlauben“. Es wurde eine Subskription eröffnet, um die Ärmsten einzukleiden. Foureau zeigte sich knickerig, während die Frauen sich hervortaten. Frau Bordin gab fünf Franken, trotz ihres Hasses auf die Republik. Herr von Faverges stattete zwölf Leute aus und fehlte nicht bei den Übungen. Dann ließ er sich bei dem Krämer nieder und bezahlte dem Erstbesten Schnäpse. Die Mächtigen umschmeichelten damals die niedere Klasse. Die Arbeiter gingen voran. Man riß sich um den Vorzug, zu ihnen zu gehören. Sie wurden die Vornehmen. Die aus dem Bezirk waren meist Weber; andere arbeiteten in den Kattunfabriken oder in einer unlängst errichteten Papierfabrik. Gorju fesselte sie durch sein freches Mundwerk, lehrte sie Beinstoßen, nahm die Busenfreunde mit zum Trunke zu Frau Castillon. Doch die Bauern waren stärker an Zahl, und an Markttagen ging Herr von Faverges auf dem Platze umher und unterrichtete sich über ihre Bedürfnisse, versuchte sie zu seinen Ansichten zu bekehren. Sie hörten ihn an, ohne zu antworten, wie der Vater Gouy, der bereit war, jede Regierung anzunehmen, vorausgesetzt, daß die Steuern herabgesetzt würden. Durch sein vieles Schwatzen machte sich Gorju einen Namen. Vielleicht würde man ihn zum Abgeordneten wählen. Herr von Faverges dachte in diesem Punkte wie er, während er zugleich vermied, sich bloßzustellen. Die Konservativen schwankten zwischen Foureau und Marescot. Da jedoch der Notar sein Bureau nicht im Stich lassen wollte, wurde Foureau ausersehen; ein Bauer, ein Idiot. Der Doktor war darüber entrüstet. In allen Wettbewerben um eine Anstellung durchgefallen, sehnte er sich nach Paris, und das Bewußtsein eines verfehlten Lebens gab ihm eine mürrische Miene. Eine höhere Laufbahn sollte sich ihm nun eröffnen; welch eine Vergeltung! Er faßte ein politisches Glaubensbekenntnis ab und ging zu den Herren Bouvard und Pécuchet, um es ihnen vorzulesen. Sie beglückwünschten ihn dazu; ihre Ansichten wären die gleichen. Indessen schrieben sie einen besseren Stil, kannten die Geschichte, hätten sich in der Kammer ebensogut wie er ausgenommen. Warum nicht? Doch wer von beiden sollte sich aufstellen? Und ein Kampf zarter Rücksichten begann. Pécuchet gab dem Freunde den Vorzug vor sich selber. „Nein, das kommt dir zu! Du siehst stattlicher aus!“ „Vielleicht,“ antwortete Bouvard, „aber du bist sicherer im Auftreten.“ Und ohne die schwierige Frage zu lösen, stellten sie Verhaltungsmaßregeln für sich auf. Dieser Abgeordnetentaumel hatte noch andere ergriffen. Der Hauptmann träumte unter seiner Polizistenmütze davon, während er seine kurze Pfeife rauchte, und der Lehrer desgleichen in der Schule, und der Pfarrer ebenso zwischen zwei Gebeten, so daß er sich zuweilen mit zum Himmel gerichteten Augen überraschte, im Begriff zu sagen: „Mache, o mein Gott, daß ich Abgeordneter werde!“ Der Doktor, dem man Mut gemacht hatte, begab sich zu Heurtaux und legte ihm dar, was für Aussichten er habe. Der Hauptmann sagte ihm seine Meinung, ohne Umstände zu machen. Vaucorbeil sei ohne Zweifel bekannt, doch bei seinen Kollegen und besonders bei den Apothekern wenig beliebt. Alle würden ihn verlästern; das Volk wolle keinen feinen Herrn; seine besten Patienten würden ihn verlassen; und nachdem der Arzt diese Gründe erwogen, bedauerte er seine Schwäche. Sobald er fort war, ging Heurtaux zu Placquevent. Unter alten Militärs erweist man sich gegenseitig Dienste. Aber der Feldhüter, der Foureau ganz ergeben war, schlug ihm rund seinen Beistand ab. Der Pfarrer bewies Herrn von Faverges, daß die Stunde noch nicht gekommen sei. Man mußte der Republik die Zeit geben, sich abzunutzen. Bouvard und Pécuchet stellten Gorju vor, daß er niemals stark genug sein würde, um die Koalition der Bauern und Bürger zu besiegen, erfüllten ihn mit Unsicherheit, nahmen ihm jedes Vertrauen. Petit hatte aus Stolz seinen Wunsch durchblicken lassen. Beljambe gab ihm zu verstehen, daß er seiner Absetzung sicher sein könne, wenn er, Beljambe, durchfiele. Schließlich befahl der Herr Erzbischof dem Pfarrer, sich ruhig zu verhalten. Es blieb also nur noch Foureau. Bouvard und Pécuchet bekämpften ihn, indem sie seine Ungefälligkeit in der Flintenangelegenheit, seinen Widerstand gegen den Klub, seine rückständigen Ideen, seinen Geiz anführten, -- und sie redeten sogar Gouy ein, Foureau wolle das „Ancien Régime“ wiederaufrichten. So unbestimmt das auch für den Bauern war, er verabscheute es mit einem Haß, der sich durch ein Jahrtausend in der Seele seiner Vorfahren angehäuft hatte, -- und er verhetzte gegen Foureau alle seine Verwandten und die seiner Frau, Schwäger, Vettern, Großneffen, eine ganze Horde. Gorju, Vaucorbeil und Petit setzten die Vernichtung des Herrn Bürgermeisters weiter fort; und nachdem das Terrain so geebnet war, konnten Bouvard und Pécuchet, ohne daß jemand es merkte, Erfolg haben. Sie losten darum, wer sich aufstellen solle. Das Los entschied nichts, -- und sie gingen zum Doktor, um ihn um Rat zu fragen. Er teilte ihnen eine Neuigkeit mit: Flacardoux, Redakteur des ‚Calvados‘, hatte seine Kandidatur bekannt gegeben. Die Enttäuschung der beiden Freunde war groß: jeder fühlte außer der eigenen die des andern mit. Doch die Politik brachte sie in Hitze. Am Wahltage überwachten sie die Urnen. Flacardoux wurde gewählt. Der Herr Graf hatte sich bei der Nationalgarde zu entschädigen versucht, aber die Majorsepauletten hatte er nicht bekommen. In Chavignolles gedachte man, Beljambe zu ernennen. Diese sonderbare und unvorhergesehene Gunst des Publikums brachte Heurtaux aus der Fassung. Er hatte seine Pflichten vernachlässigt und sich darauf beschränkt, die Übungen zuweilen zu besichtigen und Beobachtungen von sich zu geben. Gleichviel! Er fand es ungeheuerlich, daß man einem Wirt vor einem ehemaligen Hauptmann des Kaiserreichs den Vorzug gab, und er sagte nach der Überrumpelung der Kammer am 15. Mai: „Wenn die militärischen Grade in der Hauptstadt ebenso vergeben werden, dann wundere ich mich nicht über die Vorkommnisse!“ Die Reaktion begann. Man glaubte an die Ananaspürees Louis Blancs, an das goldene Bett Flocons, an die prunkvollen Gelage Ledru-Rollins, und da die Provinz der Ansicht ist, daß sie alles was in Paris vorgeht, kennt, so zweifelten die Bürger von Chavignolles nicht an diesen Erfindungen, so galten ihnen die unsinnigsten Gerüchte als ausgemacht. Herr von Faverges suchte eines Abends den Pfarrer auf, um ihm mitzuteilen, daß der Graf von Chambord in der Normandie angekommen sei. Foureau zufolge schickte sich Joinville an, mit Hilfe seiner Matrosen die Sozialisten zur Vernunft zu bringen. Heurtaux versicherte, daß Louis Bonaparte in Kürze Konsul sein würde. Die Fabriken standen still. Zahlreiche Banden von Armen irrten im Lande umher. An einem Sonntag (es war in den ersten Tagen des Juni), ritt plötzlich ein Gendarm in der Richtung nach Falaise davon. Die Arbeiter von Acqueville, Liffard, Pierre-Pont und Saint-Rémy zogen auf Chavignolles. Die Fensterläden wurden geschlossen, der Magistrat versammelte sich, und man beschloß, um Unglücksfällen vorzubeugen, keinen Widerstand zu leisten. Die Gendarmerie wurde sogar konsigniert mit der ausdrücklichen Weisung, sich nicht zu zeigen. Bald hörte man wie ein Gewittergrollen, dann ließ der Gesang der Girondisten die Scheiben erzittern; -- und Männer, die einander untergehakt hielten, quollen über die Straße nach Caen, bestaubt, in Schweiß und zerlumpt. Sie füllten den Platz. Ein großer Lärm entstand. Gorju und zwei Genossen betraten den Saal. Der eine war mager, hatte ein verschlagenes Gesicht und trug ein Trikotwams, dessen Schnüre herabhingen. Der andere, schwarz von Kohlenstaub, -- jedenfalls ein Maschinenwärter -- trug die Haare kurz geschnitten; seine Augenbrauen waren buschig, und er hatte Stoffschuhe an den Füßen. Gorju hatte seine Jacke wie ein Husar über die Schulter gehängt. Alle drei blieben stehen, und die Ratsherren, die um einen mit blauer Decke bedeckten Tisch saßen, schauten sie bleich vor Angst an. „Bürger!“ sagte Gorju, „wir brauchen Arbeit!“ Der Bürgermeister zitterte; die Stimme versagte ihm. Marescot antwortete statt seiner, daß der Rat sogleich darüber Erwägungen anstellen würde; -- und nachdem die Genossen hinausgegangen waren, besprach man mehrere Vorschläge. Der erste war, Kieselsteine anzufahren. Um die Kiesel nutzbar zu verwenden, schlug Girbal vor, einen Weg von Angleville nach Tournebu zu bauen. Der von Bayeux erwiese genau den gleichen Dienst. Man konnte den Dorfteich ausbaggern. Das sei keine genügende Arbeit! (Oder man konnte auch einen zweiten graben, doch an welcher Stelle?) Langlois war der Ansicht, man solle an den Mortins entlang einen Erdwall aufwerfen zum Schutz gegen Überschwemmungen; besser wäre es, so meinte Beljambe, das Heideland urbar zu machen. Unmöglich, zu einem Entschlusse zu kommen! -- Um die Menge zu beruhigen, ging Coulon in die Vorhalle hinunter und verkündete, man plane die Errichtung von Werkstätten für Notleidende. „Für Almosen danken wir!“ rief Gorju. „Nieder mit den Aristokraten! Wir wollen das Recht auf Arbeit.“ Das war das Schlagwort der Zeit; er benutzte es, um sich Ansehen zu geben; man spendete ihm Beifall. Als er sich umdrehte, streifte er Bouvard, den Pécuchet bis dahin mitgeschleppt hatte, -- und sie begannen ein Gespräch. Nichts dränge zur Eile; die Bürgermeisterei sei umstellt; der Rat würde ihnen nicht entschlüpfen. „Wo Geld finden?“ sagte Bouvard. „Bei den Reichen! Zudem wird die Regierung Arbeiten anordnen.“ „Und wenn kein Bedürfnis für Arbeiten vorhanden ist?“ „So wird man welche im voraus machen!“ „Aber die Löhne werden heruntergehen!“ erwiderte Pécuchet. „Wenn die Arbeit anfängt zu fehlen, so kommt das durch die Überproduktion! -- und Sie verlangen, man soll sie noch steigern!“ Gorju biß sich auf den Schnurrbart. „Indessen... wenn die Arbeit organisiert wird...“ „Dann wird die Regierung die Zügel in die Hände bekommen!“ Einige in ihrer Nähe murmelten: „Nein! nein! keine Herren!“ Gorju wurde ärgerlich. „Einerlei! man muß den Arbeitern ein Kapital stellen, -- oder besser noch den Kredit einrichten!“ „Auf welche Weise!“ „Ja! Das weiß ich nicht! aber man muß den Kredit einrichten!“ „Nun ist’s genug,“ sagte der Maschinenwärter, „sie wollen uns dumm machen, diese Schwindler!“ Und er erklomm die Freitreppe und erklärte, er werde die Tür einrennen. Placquevent empfing ihn dort, das rechte Knie gebeugt, die Fäuste geballt: „Komm nur näher!“ Der Maschinenwärter wich zurück. Das Hohngelächter der Menge drang bis in den Saal, alle erhoben sich, sie wären gerne davongelaufen. Die Hilfe von Falaise kam nicht! Man bedauerte die Abwesenheit des Herrn Grafen. Marescot drehte eine Feder zwischen den Fingern. Der Vater Coulon seufzte; Heurtaux ereiferte sich, man solle die Gendarmen anrücken lassen. „Geben Sie den Befehl!“ sagte Foureau. „Ich bin nicht befugt!“ Der Lärm wuchs indessen. Der Platz war mit Leuten bedeckt; -- und aller Blicke waren auf den ersten Stock der Bürgermeisterei gerichtet, als man am mittleren Fensterkreuz unter der Uhr Pécuchet erscheinen sah. Schlau war er die Hintertreppe emporgestiegen, -- und nach Lamartines Vorbilde, begann er, das Volk anzureden: „Mitbürger!“ Doch seine Mütze, seine Nase, sein Rock, seine ganze Person waren nicht dazu angetan, Eindruck zu machen. Der Mann im Trikot fragte ihn: „Sind Sie Arbeiter?“ „Nein.“ „Arbeitgeber also?“ „Ebensowenig.“ „Dann ziehen Sie sich zurück!“ „Warum?“ erwiderte Pécuchet stolz. Und sogleich verschwand er in der Fensternische, von dem Maschinenwärter gepackt. Gorju kam ihm zu Hilfe. -- „Laß ihn! Er ist ein guter Kerl!“ Sie faßten einander beim Kragen. Die Tür ging auf, und Marescot verkündete von der Schwelle aus die Entscheidung des Magistrats. Hurel war der Vater des Gedankens gewesen. Der Weg nach Tournebu sollte eine Abzweigung auf Angleville erhalten, die zum Schlosse Faverges führte. Das war ein Opfer, das die Gemeinde sich im Interesse der Arbeiter auferlegte. Sie zerstreuten sich. Als Bouvard und Pécuchet nach Hause kamen, schlugen Frauenstimmen an ihr Ohr. Die Mägde und Frau Bordin stießen Rufe aus, die Witwe schrie am lautesten, -- und bei ihrem Anblick: „Ach! Das ist gut! Seit drei Stunden warte ich auf Sie! Nicht eine einzige Tulpe mehr in meinem armen Garten! Auf dem ganzen Rasen Schweinereien! Nicht möglich, ihn fortzubringen!“ „Wen denn?“ „Den alten Gouy!“ Er sei mit einer Karre Dünger gekommen, -- und habe ihn, wie es gerade kam, mitten auf den Rasen geworfen. „Jetzt gräbt er ihn um. Beeilen Sie sich, damit er ein Ende macht!“ „Ich begleite Sie!“ sagte Bouvard. Draußen stand unten an den Stufen ein Pferd in der Gabeldeichsel eines Karrens und fraß an einem Oleanderbusch. Die Räder hatten, als sie die Beete streiften, den Buchsbaum zerdrückt, ein Rhododendron war abgebrochen, die Dahlien zerknickt -- und Stücke schwarzen Düngers häuften sich wie Maulwurfshügel auf dem Rasen. Gouy grub ihn eifrig um. Eines Tages hatte Frau Bordin beiläufig gesagt, sie wolle ihn umgraben lassen. Er hatte sich an die Arbeit gemacht und fuhr trotz ihres Verbotes fort. In dieser Weise faßte er das Recht auf Arbeit auf; Gorjus Reden hatten ihm den Kopf verdreht. Er entfernte sich erst auf Bouvards heftige Drohungen. Frau Bordin verweigerte ihm, um sich selbst schadlos zu halten, den Arbeitslohn und behielt den Dünger. Sie war eine gescheite Frau: die Gattin des Arztes und sogar die des Notars, obwohl von höherem Range, achteten sie. Die Armenbeschäftigungshäuser dauerten eine Woche. Es stellte sich keine Unruhe ein. Gorju hatte die Gegend verlassen. Inzwischen war die Nationalgarde immer auf den Beinen: Sonntags eine Parade, zuweilen militärische Umzüge -- und jede Nacht Ronden. Sie setzten das Dorf in Unruhe. Man zog zum Scherz an den Schellen der Häuser; man drang in die Kammern, wo Gatten auf demselben Pfühl schnarchten; dann machte man derbe Späße, -- und der Gatte erhob sich, um Schnäpse herbeizuholen. Darauf kehrte man zur Wache zurück, um eine Partie Domino zu spielen, trank dort Most, aß Käse, und der Posten, der sich an der Tür langweilte, gähnte jede Minute. Dank der Schwäche Beljambes herrschte Zuchtlosigkeit. Als die Junitage anbrachen, war sich alle Welt einig, daß man „der Pariser Regierung zu Hilfe eilen“ müsse, aber Foureau konnte sein Bürgermeisteramt, Marescot sein Notariat, der Doktor seine Kranken, Girbal seine Feuerwehrleute nicht im Stich lassen, und Herr von Faverges war in Cherbourg. Beljambe legte sich krank ins Bett. Der Hauptmann brummte: „Man hat von mir nichts wissen wollen, um so schlimmer.“ Und Bouvard war so weise, Pécuchet zurückzuhalten. Die Ronden wurden weiter im Lande ausgedehnt. Panische Schrecken stellten sich ein vor dem Schatten eines Heuhaufens oder den Formen der Bäume: einmal ergriffen sämtliche Nationalgardisten die Flucht. Im Mondenschein hatten sie in einem Apfelbaum einen Mann mit einer Flinte wahrgenommen, der auf sie angelegt hatte. Als ein anderes Mal die Patrouille in finsterer Nacht in der Buchenallee Halt gemacht hatte, hörte sie jemanden vor sich. „Wer da?“ Keine Antwort. Man ließ den Kerl seinen Weg fortsetzen, indem man ihm in einiger Entfernung folgte, denn er konnte eine Pistole oder einen Totschläger bei sich haben; doch als man im Dorfe im Bereich der Hilfe war, stürzten sich die zwölf Mann des Halbzuges alle zugleich auf ihn und schrien: „Ihre Papiere!“ Sie schimpften ihn aus, überhäuften ihn mit Schmähungen. Auf der Wache war niemand anwesend. Man schleppte ihn dorthin, -- und beim Scheine der Kerze, die auf dem Ofen brannte, erkannte man schließlich Gorju. Ein elender Lastingpaletot krachte um seine Schultern. Seine Zehen guckten durch die Löcher seiner Stiefel. Sein Gesicht blutete von Schrammen und Quetschungen. Er war erstaunlich mager geworden und rollte die Augen wie ein Wolf. Foureau, der schnell herbeigeeilt war, fragte ihn, wie er in die Buchenallee gekommen sei, zu welchem Zwecke er nach Chavignolles zurückgekommen sei, worauf er die letzten sechs Wochen seine Zeit verwandt habe. Das ginge sie nichts an. Er sei frei. Placquevent durchsuchte ihn nach Patronen. Man setzte ihn vorläufig fest. Bouvard legte sich ins Mittel. „Das ist zwecklos!“ sagte der Bürgermeister. „Man kennt Ihre Anschauungen.“ „Indessen...“ „O! Nehmen Sie sich in acht, ich rate es Ihnen! Nehmen Sie sich in acht.“ Bouvard machte keine weiteren Anstrengungen. Da wandte sich Gorju an Pécuchet: „Und Sie, Herr, Sie sagen nichts dazu?“ Pécuchet senkte den Kopf, als wenn er an seiner Unschuld gezweifelt hätte. Der arme Teufel lächelte bitter. „Ich habe Sie doch verteidigt!“ Bei Tagesanbruch führten ihn zwei Gendarmen nach Falaise ab. Er wurde nicht vor ein Kriegsgericht gestellt, sondern von dem Zuchtpolizeigerichtshof zu drei Monaten Gefängnis verurteilt wegen Vergehens, umstürzlerische Reden gehalten zu haben. Von Falaise aus schrieb er an seine ehemaligen Herren, ihm bald ein Zeugnis über gute Lebensführung zu senden, -- und da ihre Unterschrift durch den Bürgermeister oder den Beigeordneten beglaubigt werden mußte, zogen sie es vor, Marescot um diesen kleinen Dienst zu bitten. Man führte sie ins Eßzimmer, das alte Fayence-Teller schmückten; eine Boule-Uhr nahm das schmälste Stück der Täfelung ein. Auf dem Mahagonitische, der ohne Decke war, sah man zwei Servietten, einen Teekessel, Schalen. Frau Marescot ging durch das Zimmer in einem Morgenrock aus blauem Kaschmir. Sie war Pariserin und langweilte sich daher auf dem Lande. Dann kam der Notar, ein Samtbarett in der einen Hand, eine Zeitung in der andern; -- und sogleich drückte er mit liebenswürdiger Miene sein Siegel darunter, -- obwohl ihr Schutzbefohlener ein gefährlicher Mensch sei. „Wirklich,“ sagte Bouvard, „wegen einiger Worte!“ „Wenn das Wort Verbrechen nach sich zieht, lieber Herr, erlauben Sie!“ „Indessen,“ erwiderte Pécuchet, „wie soll man die Scheidung zwischen harmlosen und strafbaren Äußerungen machen? Was jetzt verboten ist, wird in der Folgezeit gepriesen werden.“ Und er tadelte die wüste Art, mit der man die Aufwiegler behandele. Marescot führte natürlich den Schutz der Gesellschaft, das öffentliche Wohl als höchstes Gesetz an. „Verzeihung!“ sagte Pécuchet, „das Recht des einzelnen ist gerade so achtungswert wie das der Gesamtheit, und Sie können ihm nur Gewalt entgegenstellen -- wenn er das Axiom gegen Sie wendet.“ Anstatt zu antworten, zog Marescot verächtlich die Augenbrauen in die Höhe. Sofern er nur weiter Akten schreiben und zwischen seinen Tellern in seiner kleinen, bequemen Häuslichkeit leben konnte, konnten ihn alle sich einstellenden Ungerechtigkeiten nicht erregen. Die Geschäfte riefen ihn. Er bat, sie möchten ihn entschuldigen. Seine Lehre vom öffentlichen Wohl hatte sie entrüstet. Die Konservativen redeten jetzt wie Robespierre. Weiterer Grund zur Verwunderung: Cavaignac verlor an Einfluß. Die Mobilgarde wurde verdächtig. Ledru-Rollin hatte sich um alles Ansehen gebracht, sogar nach Vaucorbeils Ansicht. Die Kämpfe um die Verfassung interessierten niemand, -- und am 10. Dezember stimmten alle Bürger von Chavignolles für Bonaparte. Die sechs Millionen Stimmen kühlten Pécuchet gegen das Volk ab, -- und Bouvard und er studierten die Frage des allgemeinen Stimmrechts. Da es allen gehört, kann es keine Einsicht haben. Ein Ehrgeiziger wird es immer leiten, die anderen werden wie eine Herde gehorchen, denn von den Wählern verlangt man nicht einmal, daß sie lesen können: das war nach Pécuchets Ansicht der Grund zu so viel Betrügereien bei der Präsidentenwahl. „Keineswegs,“ erwiderte Bouvard; „ich glaube vielmehr an die Dummheit des Volkes. Denke an alle die, welche Revalenta, die Pomade Dupuytren, das Toilettewasser und so weiter kaufen. Diese Einfaltspinsel bilden die Masse der Wähler, und wir müssen uns ihrem Willen fügen. Warum kann man mit Kaninchen nicht ein Einkommen von dreitausend Franken erzielen? Weil eine zu zahlreiche Anhäufung eine Ursache der Sterblichkeit ist. Ebenso entwickeln sich durch das bloße Vorhandensein der Menge die ihr anhaftenden Dummheitskeime, und unberechenbare Wirkungen sind die Folge.“ „Dein Skeptizismus erschreckt mich!“ sagte Pécuchet. Einige Zeit später, im Frühling, trafen sie Herrn von Faverges, der ihnen die Nachricht von der römischen Unternehmung brachte. Man würde die Italiener nicht angreifen, aber wir brauchten Garantien. Sonst sei unser Einfluß gebrochen. Nichts Gerechteres als diese Einmischung. Bouvard riß die Augen auf. „Hinsichtlich Polens behaupteten Sie das Gegenteil!“ „Das ist nicht dasselbe!“ Jetzt handele es sich um den Papst. Und wenn Herr von Faverges sagte: „Wir wollen, wir werden handeln, wir haben die feste Absicht,“ so vertrat er eine Partei. Bouvard und Pécuchet fühlten sich von der Minderheit ebenso abgestoßen wie von der Mehrheit. Im großen und ganzen wog die Plebs die Aristokratie auf. Das Interventionsrecht schien ihnen verdächtig. Sie suchten nach den Grundsätzen für dasselbe bei Calvo, Martens, Vatel; und Bouvard schloß: „Man interveniert, um einen Fürsten wieder auf den Thron zu setzen, um ein Volk zu befreien, oder aus Vorsicht im Hinblick auf eine Gefahr. In beiden Fällen ist es ein Attentat auf das Recht eines andern, ein Mißbrauch der rohen Kraft, eine heuchlerische Gewaltmaßregel!“ „Indessen sind die Völker wie die Menschen solidarisch!“ sagte Pécuchet. „Vielleicht!“ Und Bouvard verfiel in tiefes Sinnen. Bald begann die römische Expedition. Im Innern plünderte aus Haß gegen die Umsturzideen die Elite der Pariser Bürger zwei Druckereien. Die große Partei der Ordnung bildete sich. Sie hatte im Bezirk den Herrn Grafen, Foureau, Marescot, den Pfarrer zu Führern. Gegen vier Uhr wandelten sie jeden Tag von einem Ende des Platzes zum andern und plauderten über die Ereignisse. Das wichtigste war die Verteilung der Broschüren. Sie hatten eindrucksvolle Titel: „Gott will es. -- Der rote Genosse. -- Wie kommen wir aus dem Sumpf? -- Wohin steuern wir?“ -- Das Schönste darin waren die Dialoge im Stil der Dörfler, mit Flüchen und unrichtigem Französisch, zur Hebung des sittlichen Niveaus der Bauern. Nach einem neuen Gesetz lag die Verbreitung von Schriften in den Händen der Präfekten -- und man hatte Proudhon soeben in Saint-Pélagie eingesperrt: ein ungeheurer Sieg. Die Freiheitsbäume wurden allgemein gefällt. Chavignolles gehorchte der Weisung. Bouvard sah mit eigenen Augen die Stücke seiner Pappel auf einem Schubkarren. Sie dienten dazu, den Gendarmen einzuheizen, -- und man schenkte den Stumpf dem Herrn Pfarrer, der ihn doch geweiht hatte! Welch ein Hohn! Der Lehrer verbarg seine Anschauungen nicht. Bouvard und Pécuchet beglückwünschten ihn dazu, als sie eines Tages vor seiner Tür vorbeikamen. Am Tage darauf fand er sich bei ihnen ein. Am Ende der Woche machten sie ihm einen Gegenbesuch. Der Tag neigte sich, die Schlingel waren soeben fortgegangen, und der Schulmeister fegte in Hemdsärmeln den Hof. Seine Frau, welche ein Tuch um den Kopf geschlungen hatte, nährte ein Kind. Ein kleines Mädchen verbarg sich hinter ihrem Rock; ein häßlicher Balg spielte zu ihren Füßen auf der Erde; das Wasser ihrer Wäscherei, die sie in der Küche besorgte, floß durch das Haus. „Sie sehen,“ sagte der Lehrer, „wie die Regierung uns behandelt.“ Und sogleich griff er das niederträchtige Kapital an. „Man sollte es demokratisieren, den Stoff befreien.“ „Das ist gerade, was ich verlange!“ sagte Pécuchet. „Wenigstens hätte man das Recht auf Unterstützung anerkennen sollen.“ „Noch ein Recht!“ sagte Bouvard. „Gleichviel!“ Die provisorische Regierung sei schlapp gewesen, da sie die Brüderlichkeit nicht zum Gesetz erhoben habe. „Versuchen Sie doch, sie einzuführen!“ Da es dunkel wurde, herrschte Petit in rohem Tone seine Frau an, einen Leuchter in sein Arbeitszimmer heraufzutragen. Stecknadeln hielten an den Gipswänden die lithographischen Bildnisse der Redner der Linken fest. Ein Bücherregal voller Bücher überragte ein Pult aus Tannenholz. An Sitzgelegenheiten waren ein Stuhl, ein Schemel und eine alte Seifenkiste vorhanden; er stellte sich, als lache er darüber; doch das Elend höhlte seine Wangen, und seine schmalen Schläfen zeigten einen bockbeinigen Starrsinn, einen unbezähmbaren Stolz. Niemals würde er sich beugen. „Das ist übrigens, was mich aufrecht erhält!“ Es war ein Haufen Zeitungen auf einem Brett, und fieberhaft betete er sein politisches Glaubensbekenntnis herunter: Entwaffnung der Truppen, Abschaffung der Behörden, Gleichheit der Löhne, ein mittlerer Wohlstand, durch den man unter der Form der Republik das goldene Zeitalter bekäme, mit einem Diktator an der Spitze, einem tüchtigen Kerl, der einen geraden Weges zum Ziele führen würde! Dann langte er nach einer Flasche Anisette und drei Gläsern, um auf den Heros, auf das unsterbliche Opfer, auf den großen Maximilien ein Hoch auszubringen! Auf der Schwelle erschien das schwarze Gewand des Pfarrers. Nachdem er die Gesellschaft lebhaft begrüßt hatte, wandte er sich an den Lehrer und sagte mit beinahe leiser Stimme: „Wie steht es um unsere Sankt-Joseph-Angelegenheit?“ „Sie haben fast nichts gegeben,“ erwiderte der Schulmeister. „Das ist Ihre Schuld!“ „Ich habe getan, was ich konnte!“ „Ach! Wirklich?“ Bouvard und Pécuchet erhoben sich, da sie nicht stören wollten. Petit nötigte sie wieder auf ihre Sitze, und sich dann zum Pfarrer wendend: „Ist das alles?“ Der Abbé Jeufroy zögerte; dann sagte er mit einem Lächeln, das den Verweis milderte: „Man findet, daß Sie die Heilige Schrift ein wenig vernachlässigen.“ „O! die Heilige Schrift!“ wandte Bouvard ein. „Was werfen Sie ihr vor, mein Herr?“ „Ich? Nichts. Nur gibt es vielleicht nützlichere Dinge als die Erzählung von Jonas und die Könige von Israel!“ „Wie Sie meinen!“ erwiderte trocken der Priester. Und ohne sich um die Gäste zu kümmern, oder vielleicht gerade ihretwegen: „Die Katechismusstunde ist zu kurz!“ Petit zuckte die Achseln. „Geben Sie acht. Sie werden Ihre Pensionäre verlieren!“ Die zehn Franken, die er im Monat von diesen Schülern bekam, waren das Einträglichste an seiner Stelle. Aber der Priesterrock brachte ihn außer sich: „Meinetwegen! Rächen Sie sich!“ „Ein Mann von meinem Charakter rächt sich nicht,“ sagte der Priester, ohne in Erregung zu geraten. „Doch ich erinnere Sie daran, daß das Gesetz vom 15. März uns die Überwachung des Elementarunterrichts zuerteilt.“ „Ja, das weiß ich sehr wohl,“ schrie der Lehrer. „Sie steht sogar den Gendamerieobersten zu! Warum nicht dem Feldhüter! Das wäre die Höhe!“ Und er sank auf den Schemel, sich vor Wut in die Faust beißend, seinen Zorn meisternd, erstickt von dem Gefühle seiner Ohnmacht. Der Geistliche berührte leicht seine Schulter. „Ich wollte Sie nicht betrüben, mein Freund! Beruhigen Sie sich! Ein wenig Vernunft! Bald ist Ostern: ich hoffe, Sie werden ein gutes Beispiel geben und mit frommem Eifer kommunizieren.“ „Ach! das ist zu stark! ich! ich! mich in solche Dummheiten fügen!“ Bei dieser Gotteslästerung erblich der Geistliche. Seine Augen sprühten Blitze, sein Kinn zitterte. „Schweigen Sie, Unglücklicher! Schweigen Sie! -- Und seine Frau besorgt die Wäsche für die Kirche!“ „Je nun! Wieso? Was hat sie verbrochen?“ „Sie versäumt stets die Messe! Übrigens auch Ihr Fall!“ „Nun! Man entläßt einen Schulmeister wegen solcher Sachen nicht!“ „Man kann ihn versetzen!“ Der Priester schwieg. Er stand im Hintergrunde des Zimmers im Schatten. Petit, dessen Kopf auf die Brust herabhing, verfiel in tiefes Sinnen. Sie würden am äußersten Ende von Frankreich ankommen, nachdem ihr letzter Heller durch die Reise aufgezehrt war, und sie würden dort unter anderen Namen denselben Pfarrer, denselben Rektor, denselben Präfekten wiederfinden; alle bis herauf zum Minister waren sozusagen die Ringe einer Kette, die ihn erdrückte. Er hatte schon eine Verwarnung bekommen, andere würden folgen. Und dann? Und in einer Halluzination sah er sich die Landstraße entlang wandern, einen Sack auf dem Rücken, die, welche er liebte, an seiner Seite, die Hand bettelnd gegen eine Postkutsche ausgestreckt. In diesem Augenblick wurde seine Frau in der Küche von einem Hustenanfall gepackt; das Neugeborene begann zu wimmern, und der Balg weinte. „Arme Kinder!“ sagte der Priester mit sanfter Stimme. Da brach der Vater in Schluchzen aus: „Ja! ja! alles, was man verlangt!“ „Ich verlasse mich darauf,“ erwiderte der Pfarrer. Und nachdem er sich verbeugt: „Meine Herren, recht guten Abend!“ Der Schulmeister verharrte, das Gesicht in den Händen. Er stieß Bouvard zurück. „Nein! lassen Sie mich! Ich möchte verrecken! Ich bin ein Elender!“ Die beiden Freunde suchten ihre Behausung wieder auf, während sie sich zu ihrer Unabhängigkeit beglückwünschten. Die Macht der Geistlichkeit setzte sie in Schrecken. Man verwandte sie jetzt dazu, um die soziale Ordnung zu befestigen. Die Republik pfiff auf dem letzten Loch. Drei Millionen Wähler waren vom allgemeinen Stimmrecht ausgeschlossen. Die Kautionssumme der Zeitungen wurde erhöht, die Zensur wieder eingesetzt. Man hatte es auf die Feuilleton-Romane abgesehen. Die klassische Philosophie kam in einen gefährlichen Ruf. Die Bürger predigten das Dogma von den materiellen Interessen, und das Volk schien zufrieden. Die Landbevölkerung kehrte zu ihren alten Herren zurück. Herr von Faverges, der Besitzungen im Departement Eure hatte, wurde für die gesetzgebende Versammlung vorgeschlagen, und seine Wiederwahl in die Kreisstände des Calvados war im voraus sicher. Er hielt es für nötig, die Honoratioren des Landes zu einem Frühstück einzuladen. Das Vestibül, in welchem drei Diener sie erwarteten, um ihnen die Überzieher abzunehmen, das Billardzimmer und zwei in derselben Flucht liegende Salons, die Pflanzen in den chinesischen Vasen, die Bronzen auf den Kaminen, die goldenen Leisten am Getäfel, die schweren Vorhänge, die bequemen Sessel, dieser ganze Luxus berührte sie sogleich wie eine Höflichkeit, die man ihnen erwies; und als man in das Eßzimmer trat, da heiterten sich alle Gesichter auf beim Anblick der mit verschiedenen Braten besetzten Tafel, die auf silbernen Schüsseln lagen; dazu die Reihe Gläser hinter jedem Teller, die hier und dort stehenden Vorspeisen, und mitten auf der Tafel ein Salm. Sie waren ihrer siebzehn, darunter zwei begüterte Landwirte, der Unterpräfekt von Bayeux und ein unbekannter Herr aus Cherbourg. Herr von Faverges bat seine Gäste, die Gräfin, die durch eine Migräne verhindert sei, entschuldigen zu wollen; und nach Komplimenten über die Birnen und Trauben, welche vier Körbe auf den Ecken füllten, kam die Rede auf die große Neuigkeit: den Plan einer Landung in England durch Changarnier. Heurtaux wünschte sie als Soldat, der Pfarrer aus Haß gegen die Protestanten, Foureau im Interesse des Handels. „Sie geben mittelalterliche Anschauungen zu erkennen!“ sagte Pécuchet. „Das Mittelalter hatte sein Gutes,“ erwiderte Marescot. „Zum Beispiel unsere Kathedralen...“ „Indessen, die Mißbräuche, mein Herr!...“ „Gleichviel, die Revolution wäre nicht gekommen!“ „Ja, die Revolution, das war das Unglück!“ sagte der Geistliche seufzend. „Aber alle Welt hat dazu beigetragen! und -- verzeihen Sie, Herr Graf -- die Adligen selbst durch ihre Verbindung mit den Philosophen!“ „Was wollen Sie! Ludwig XVIII. hat den Raub der Güter legalisiert! Seit jener Zeit untergräbt uns das parlamentarische System die Grundlagen!...“ Ein Roastbeef wurde aufgetragen, und einige Minuten lang hörte man nur das Geräusch der Gabeln und Kinnladen zu den Schritten der Diener auf dem Parkett und der Wiederholung der beiden Worte: „Madeira! Sauternes!“ Die Unterhaltung wurde von dem Herrn aus Cherbourg wieder aufgenommen. Wie am Rande des Abgrundes einhalten? „Bei den Athenern,“ sagte Marescot, „bei den Athenern, denen wir in gewisser Hinsicht ähneln, hielt Solon die Demokraten nieder, indem er den Wahlzensus erhöhte.“ „Besser wäre es,“ sagte Hurel, „die Kammer abzuschaffen; alle Unordnung kommt von Paris.“ „Dezentralisieren wir!“ sagte der Notar. „In gehöriger Weise!“ fügte der Graf hinzu. Nach Foureaus Ansicht mußte die Gemeinde die unumschränkte Herrin sein, so daß sie sogar die Benutzung ihrer Wege den Reisenden verbieten konnte, wenn es ihr gut schien. Und während ein Gericht dem andern folgte, Huhn in Brühe, Krebse, Champignons, Gemüsesalat, gebratene Lerchen, wurden manche Fragen behandelt: das beste Steuersystem, die Vorteile der Bewirtschaftung im Großen, die Abschaffung der Todesstrafe, -- der Unterpräfekt vergaß nicht, das reizende Wort eines Mannes von Geist anzuführen: „Möchten die Herren Mörder damit anfangen!“ Bouvard war von dem Gegensatz überrascht, in welchem die Umgebung zu dem stand, was man sagte, -- denn man glaubt immer, daß die Worte der Umwelt entsprechen müssen, und daß die hohen Räume für große Gedanken geschaffen seien. Nichtsdestoweniger war er beim Nachtisch rot und sah die Kompottschüsseln in einem Nebel. Man hatte Bordeaux, Burgunder und Malaga getrunken... Herr von Faverges, der seine Leute kannte, ließ Champagner entkorken. Die Gäste tranken anstoßend auf den Erfolg der Wahl, und es war drei Uhr vorbei, als sie ins Rauchzimmer hinübergingen, um den Kaffee zu nehmen. Zwischen Nummern des „Univers“ lag eine Karikatur des „Charivari“ auf einem Pfeilertischchen; sie stellte einen Bürger dar, unter dessen Rockschößen ein Schwanz hervorsah, der in ein Auge auslief. Marescot gab die nötige Erklärung. Man lachte tüchtig. Sie stürzten Liköre hinunter, und die Asche der Zigarren fiel in die Polster der Möbel. Der Abbé, der Girbal überzeugen wollte, griff Voltaire an. Coulon schlummerte ein. Herr von Faverges erklärte seine Ergebenheit für Chambord. „Die Bienen zeugen für die Monarchie.“ „Aber die Ameisenhaufen für die Republik!“ Übrigens legte der Arzt keinen Wert mehr auf sie. „Sie haben recht!“ sagte der Unterpräfekt. „Die Form der Regierung ist ziemlich gleichgültig!“ „Die Freiheit vorausgesetzt!“ wandte Pécuchet ein. „Ein anständiger Mensch bedarf ihrer nicht,“ erwiderte Foureau. „Ich halte keine Reden! Ich bin kein Journalist! Und ich behaupte, daß Frankreich von einem eisernen Arme regiert sein will!“ Alle verlangten nach einem Retter. Beim Fortgehen hörten Bouvard und Pécuchet Herrn von Faverges zum Abbé Jeufroy sagen: „Man muß den Gehorsam wieder einführen. Die Autorität erstirbt, wenn man sie erörtert. Das göttliche Recht, das ist das einzig Wahre!“ „Ganz Ihrer Ansicht, Herr Graf!“ Hinter den Wäldern warf die Oktobersonne lange blasse Strahlen, ein feuchter Wind wehte; -- und während sie über abgefallene Blätter gingen, atmeten sie wie befreit. Alles, was sie nicht hatten aussprechen können, machte sich in Ausrufen Luft: „Welche Dummköpfe! Welche Niedrigkeit der Gesinnung! Wie ist nur solch eine Verbohrtheit denkbar! Zunächst, was versteht man unter göttlichem Recht?“ Der Freund Dumouchels, jener Professor, der sie über ästhetische Dinge unterrichtet hatte, beantwortete ihre Frage mit einem gelehrten Briefe. Die Theorie des göttlichen Rechts ist unter Karl II. von dem Engländer Filmer formuliert worden. Hier folgt sie: „Der Schöpfer verlieh dem ersten Menschen die Herrschaft über die Welt. Sie ging auf seine Nachkommen über, und die Macht des Königs kommt von Gott: ‚Er ist sein Ebenbild,‘ schreibt Bossuet. Die Machtbefugnis des Vaters gewöhnt an die Herrschaft eines einzigen. Man hat die Könige nach dem Beispiel der Väter eingesetzt. Locke widerlegte diese Doktrin. Die väterliche Machtbefugnis unterscheidet sich von der monarchischen, denn jeder Untertan hat dasselbe Recht in bezug auf seine Kinder, wie der Monarch es seinen eigenen gegenüber hat. Das Königtum existiert nur kraft der Wahl des Volkes, -- und diese Erwählung wurde sogar bei der Feierlichkeit der Salbung ins Gedächtnis zurückgerufen, wo zwei Bischöfe, indem sie den König zur Schau stellten, die Edlen und das Volk befragten, ob sie ihn als solchen anerkennen wollten. Also kommt die Gewalt vom Volke. ‚Es hat das Recht, alles zu tun, was es will,‘ sagt Helvetius, ‚seine Verfassung zu ändern,‘ sagt Vatel, ‚sich gegen Ungerechtigkeit zu empören,‘ behaupten Glafey, Hotman, Mably und so weiter, -- und der heilige Thomas von Aquino spricht ihm die Befugnis zu, sich von einem Tyrannen zu befreien. ‚Es braucht nicht einmal recht zu haben,‘ sagt Jurieu.“ Über diesen Grundsatz erstaunt, nahmen sie Rousseaus „Gesellschaftsvertrag“ zur Hand. Pécuchet las ihn bis zu Ende; dann schloß er die Augen, warf den Kopf zurück und analysierte: „Vorausgesetzt wird eine Vereinbarung, durch die der einzelne sich seiner Freiheit entäußerte. Zugleich verpflichtete sich das Volk, ihn gegen die Ungleichheiten der Natur zu schützen, und machte ihn zum Eigentümer der Dinge, die er besitzt. Wo aber ist der Beweis für den Vertrag? Nirgends! und die Gemeinschaft bietet keine Sicherheit. Die Bürger werden sich ausschließlich mit Politik beschäftigen. Aber da man Handwerker braucht, rät Rousseau zur Sklaverei. Die Wissenschaften haben das Menschengeschlecht zugrunde gerichtet. Das Theater wirkt verderblich, das Geld ist unheilvoll, und der Staat muß eine Religion einsetzen, wenn er nicht zugrunde gehen soll.“ Wie! sagten sie sich, das ist der Vorkämpfer der Demokratie? Alle Reformatoren haben ihn abgeschrieben, -- und sie verschafften sich die „Untersuchung über den Sozialismus“ von Morant. Das erste Kapitel erläutert die Saint-Simonistische Lehre. An der Spitze der „Vater“, der zugleich Papst und Kaiser ist. Abschaffung der Erbschaften, da alles bewegliche und unbewegliche Gut ein Gesellschaftskapital bildet, das durch eine hierarchisch gestufte Organisation nutzbar gemacht wird. Die Geschäftsleute verwalten das öffentliche Vermögen. Doch darum keine Furcht; man wird den zum Führer haben, „der am meisten liebt“. Etwas fehlt noch, die Frau. Vom Erscheinen der Frau hängt das Heil der Welt ab. „Das verstehe ich nicht.“ „Ich auch nicht!“ Und sie machten sich an die Lehre Fouriers. Alles Unglück kommt durch den Zwang. Man lasse die Attraktion sich ungehindert betätigen, und alles wird sich harmonisch ordnen. Unsere Seele umschließt zwölf Grundtriebe: fünf sensuelle, vier affektive und drei distributive. Die ersten beziehen sich auf das Individuum, die folgenden auf die Gruppen, die letzten auf die Gruppen der Gruppen oder Reihen, deren Gesamtheit die Phalanx bildet, eine Gesellschaft von achtzehnhundert Personen, die einen Palast bewohnen. Jeden Morgen bringen Wagen die Arbeiter aufs Land und holen sie am Abend zurück. Man trägt Fahnen, man feiert Feste, man ißt Kuchen. Jede Frau besitzt, wenn sie Wert darauf legt, drei Männer: den Ehegatten, den Liebhaber und den Erzeuger. Für die Ehelosen ist durch das Bajaderentum vorgesorgt. „Das ist nach meinem Geschmack!“ sagte Bouvard. Und er verlor sich in Träume von der harmonischen Welt. Durch die Verbesserung der klimatischen Verhältnisse wird die Erde schöner werden, durch die Kreuzung der Rassen das menschliche Leben länger. Man wird die Wolken lenken, wie man es schon jetzt mit dem Blitz tut, es wird des Nachts auf die Städte zu deren Reinigung regnen. Schiffe werden die unter der Einwirkung von Nordlichtern aufgetauten Polarmeere durchqueren. Denn alles vollzieht sich durch die Vereinigung eines männlichen mit einem weiblichen Fluidum, die von den Polen ausgehen; und die Nordlichter sind ein Anzeichen der Brunst des Planeten, ein Ausströmen der Zeugungskraft. „Das geht über meinen Horizont,“ sagte Pécuchet. Nach Saint-Simon und Fourier beschränkte sich das Problem auf die Lohnfrage. Louis Blanc will, daß man im Interesse der Arbeiter den Außenhandel abschafft; Lafarelle, daß man Maschinen einführt; ein anderer, daß man die Getränke von Steuern befreit, oder daß man die Zünfte wiederherstellt, oder daß man Suppen austeilt. Proudhon denkt an einen einheitlichen Tarif und verlangt für den Staat das Zuckermonopol. „Deine Sozialisten verlangen immer die Tyrannei,“ sagte Bouvard. „Nicht doch!“ „Ganz gewiß!“ „Du redest Unsinn!“ „Du empörst mich!“ Sie ließen sich die Werke kommen, die sie nur ihrem Hauptinhalte nach kannten. Bouvard merkte mehrere Stellen an und sagte, auf sie hinweisend: „Lies selbst! Sie stellen uns als Beispiel die Essener, die Herrnhuter, die Jesuiten von Paraguay, sogar die Gefängnisordnung hin. Bei den Ikariern wird das Frühstück in zwanzig Minuten eingenommen, die Frauen kommen im Krankenhaus nieder; was die Bücher anlangt, so besteht das Verbot, deren ohne Ermächtigung der Republik zu drucken.“ „Aber Cabet ist ein Idiot!“ „Hier etwas aus Saint-Simon: die Publizisten haben ihre Arbeiten einem Komitee von Handelsleuten zu unterbreiten. Und aus Pierre Leroux: das Gesetz wird die Bürger zwingen, einen Redner zu hören. Und aus Auguste Comte: die Priester werden die Jugend erziehen, alle Werke des Geistes leiten und die Staatsgewalt anhalten, das Zeugungsgeschäft zu regeln.“ Diese Lehren bekümmerten Pécuchet. Beim Diner am Abend erwiderte er: „Daß es bei den Utopisten manches Lächerliche gibt, das gebe ich zu; indessen verdienen sie unsere Liebe. Die Häßlichkeit der Welt schmerzte sie, und um sie schöner zu machen, haben sie alles erduldet. Erinnere dich der Enthauptung des Morus, der siebenmaligen Folterung Campanellas; wie Buonarotti eine Kette um den Hals trug, Saint-Simon im Elend litt, und vieler anderer. Sie hätten in Frieden leben können; aber nein! sie sind ihren Weg gegangen wie Helden, erhobenen Hauptes.“ „Glaubst du,“ erwiderte Bouvard, „daß die Welt infolge der Theorien eines solchen Herrn sich ändern wird?“ „Was tut das!“ sagte Pécuchet, „es ist an der Zeit, daß man nicht mehr im Egoismus verfault! Suchen wir das beste System!“ „Dann rechnest du darauf, es zu finden?“ „Gewiß!“ „Du?“ Und das Lachen, von dem Bouvard erfaßt wurde, erschütterte seine Schultern und seinen Bauch in gleichen Stößen. Roter als die Konfitüren, die Serviette unter der Achsel, lachte er immer wieder von neuem: „Ha! ha! ha!“ Es war aufreizend. Pécuchet verließ daß Zimmer und schlug die Tür zu. Germaine rief ihn, durch das ganze Haus suchend, -- und man fand ihn schließlich in seinem Zimmer in einem Lehnsessel, ohne Feuer und Licht, während er die Mütze tief in die Stirn hinabgezogen hatte. Er war nicht krank, sondern er gab sich seinen Betrachtungen hin. Nachdem die Mißstimmung zwischen beiden verflogen war, erkannten sie, daß eine Grundlage ihren Studien fehlte: die Nationalökonomie. Sie unterrichteten sich über Angebot und Nachfrage, Kapital und Zins, Einfuhr, Ausfuhrverbot. Eines Nachts wurde Pécuchet durch das Knarren eines Stiefels im Hausflur geweckt. Am Abend hatte er, wie gewöhnlich, alle Riegel vorgeschoben -- und er weckte Bouvard, der fest schlief. Sie harrten regungslos unter ihren Decken. Das Geräusch ließ sich nicht wieder hören. Die Mägde, darum befragt, wollten nichts gehört haben. Doch als sie in ihrem Garten umhergingen, bemerkten sie auf einem Beet in der Nähe des Gitters den Abdruck einer Stiefelsohle, -- und zwei Stäbe des Zaunes waren zerbrochen. Augenscheinlich war jemand hinübergestiegen. Der Feldhüter mußte benachrichtigt werden. Da er nicht auf dem Bürgermeisteramt war, begab sich Pécuchet zum Krämer. Wen sah er in der Hinterstube des Ladens an der Seite Placquevents mitten unter den Trinkern? Gorju! -- Gorju, in feiner Kleidung und die andern freihaltend. Sie legten der Begegnung keine weitere Bedeutung bei. Bald kamen sie zur Frage des Fortschritts. Bouvard bezweifelte ihn nicht auf wissenschaftlichem Gebiet. Doch in der Literatur zeigt er sich weniger klar; und wenn auch der Wohlstand zunimmt, so ist doch der Glanz des Lebens verschwunden. Um ihn von seiner Ansicht zu überzeugen, nahm Pécuchet ein Stück Papier: „Ich zeichne eine schräg verlaufende Wellenlinie. Wer ihren Weg nimmt, wird jedesmal bei der Senkung den Horizont nicht mehr sehen. Und doch hebt sie sich, und trotz ihrer Krümmungen wird er den Gipfel erreichen. Das ist das Bild des Fortschritts.“ Frau Bordin trat ein. Es war der 3. Dezember 1851. Sie brachte die Zeitung mit. Sie lasen schnell, in dasselbe Blatt sehend, den Aufruf an das Volk, die Auflösung der Kammer, die Gefangensetzung der Abgeordneten. Pécuchet wurde blaß. Bouvard sah die Witwe an. „Wie! Sie sagen nichts!“ „Kann ich’s ändern?“ Sie vergaßen, ihr einen Stuhl anzubieten. „Ich war gekommen in dem Glauben, Ihnen ein Vergnügen zu machen! O! Sie sind heute wenig liebenswürdig!“ Und sie ging, von ihrer Unhöflichkeit beleidigt. Die Überraschung hatte sie stumm gemacht. Dann gingen sie ins Dorf, ihrer Entrüstung Ausdruck zu geben. Marescot, der sie, mit seinen Verträgen beschäftigt, empfing, dachte anders. Das Geschwätz der Kammer höre auf, dem Himmel sei Dank. Man würde hinfort eine Politik der Tatsachen haben. Beljambe wußte nichts von den Ereignissen, sie waren ihm zudem gleichgültig. An der Markthalle hielten sie Vaucorbeil an. Der Arzt hatte sich von all dem frei gemacht. -- „Sie tun unrecht, sich damit zu quälen!“ Foureau kam an ihnen vorüber und sagte mit spöttischer Miene: „Hineingelegt, die Demokraten!“ -- Und der Hauptmann an Girbals Arm rief von weitem: „Es lebe der Kaiser!“ Aber Petit mußte sie verstehen, und nachdem Bouvard an die Scheibe geklopft, verließ der Schulmeister seine Klasse. Er fand es außerordentlich komisch, daß Thiers im Gefängnis saß. Das war eine Rache für das Volk. -- „Ha! ha! meine Herren Abgeordneten, die Reihe ist an Ihnen!“ Die Füsilladen auf den Boulevards fanden die Billigung der Einwohner von Chavignolles. Keine Gnade für die Besiegten, kein Mitleid für die Opfer! Sobald man sich empört, ist man ein Verbrecher. „Danken wir der Vorsehung!“ sagte der Pfarrer, „und nächst ihr Louis Bonaparte. Er umgibt sich mit den ausgezeichnetsten Männern. Der Graf von Faverges wird Senator werden.“ Am folgenden Tage erhielten sie den Besuch Placquevents. Die Herren hätten viel geredet. Er verpflichtete sie zu schweigen. „Willst du meine Ansicht wissen?“ sagte Pécuchet: „Da die Bürger blutdürstig, die Arbeiter eifersüchtig, die Priester Kriecher sind, -- und da dem Volk jeder Tyrann recht ist, vorausgesetzt, daß man ihm sein Maul im Troge läßt, so hat Napoleon recht getan! -- Mag er es knebeln, mit Füßen treten und vertilgen! -- Es wird nie eine genügende Strafe sein für seinen Haß gegen das Recht, seine Feigheit, seine Dummheit, seine Verblendung!“ Bouvard dachte: „Ach, der Fortschritt, welch ein Schwindel!“ Er fügte hinzu: „Und die Politik, eine schöne Schweinerei!“ „Sie ist keine Wissenschaft,“ erwiderte Pécuchet. „Die Kriegskunst steht höher, man sieht voraus, was eintrifft; wir sollten uns daran machen.“ „Nein, danke!“ erwiderte Bouvard. „Alles widert mich an. Laß uns lieber unsere Bude verkaufen und laß uns, zum Himmeldonnerwetter, zu den Wilden gehen!“ „Wie du willst!“ Im Hofe pumpte Mélie Wasser. Die hölzerne Pumpe hatte einen langen Schwengel. Um ihn hinabzudrücken, krümmte sie sich, -- und man sah alsdann ihre blauen Strümpfe bis hinauf zu den Waden. Dann hob sie mit einer schnellen Bewegung ihren rechten Arm, während sie den Kopf ein wenig drehte, -- und Pécuchet fühlte bei ihrem Anblick etwas ganz Ungewohntes, einen Reiz, ein unendliches Vergnügen. VII Traurige Tage begannen. Aus Furcht vor Enttäuschungen studierten sie nicht mehr; die Einwohner von Chavignolles hielten sich von ihnen fern; die Zeitungen, soweit sie erscheinen durften, brachten keine Neuigkeiten, -- und ihre Einsamkeit war tief, ihre Untätigkeit vollständig. Zuweilen öffneten sie ein Buch und schlossen es wieder; wozu? An anderen Tagen kam ihnen der Gedanke, den Garten zu säubern; nach Verlauf einer Viertelstunde wurden sie von Müdigkeit ergriffen; oder ihren Gutshof zu besuchen; dann kamen sie, den Tod in der Seele, heim; oder sich um ihren Haushalt zu kümmern, dann fing Germaine an zu lamentieren; sie verzichteten darauf. Bouvard wollte einen Katalog des Museums aufstellen und erklärte den Krimskrams für stumpfsinnig. Pécuchet lieh sich Langlois’ Enten-Flinte, um Lerchen zu schießen; die Waffe platzte beim ersten Schuß und hätte ihn beinahe getötet. Sie lebten also in jener ländlichen Langeweile, die so schwer lastet, wenn der weiße Himmel mit seiner Eintönigkeit ein hoffnungsarmes Herz umschmeichelt. Man horcht auf den Schritt eines Mannes in Holzschuhen, der an der Mauer entlang geht, oder auf die Regentropfen, die vom Dache auf die Erde fallen. Zuweilen streift ein abgefallenes Blatt die Scheibe, wirbelt umher und fliegt davon. Der Wind führt ein undeutliches Trauerläuten mit sich. Aus der Tiefe des Stalles brüllt eine Kuh. Sie gähnten einander an, sahen in den Kalender, schauten auf die Uhr, erwarteten die Mahlzeiten; und der Horizont blieb immer der gleiche; geradeaus Felder, rechts die Kirche, links eine Reihe Pappeln; beständig wiegten sich ihre Wipfel im Nebel. Es war ein melancholischer Anblick. Angewohnheiten, die früher jeder dem andern hingehen ließ, begannen, ihnen lästig zu werden. Pécuchets Vorliebe, sein Taschentuch auf das Tischtuch zu legen, war unausstehlich; Bouvard legte seine Pfeife nicht mehr aus der Hand und wiegte sich beim Sprechen hin und her. Hader entstand wegen der Gerichte oder der Qualität der Butter. Wenn sie zusammen waren, dachte jeder an etwas anderes. Ein Ereignis hatte Pécuchet aus der Fassung gebracht. Zwei Tage nach dem Aufstande in Chavignolles wollte er seinen politischen Verdruß spazieren führen und geriet auf einen Weg, den dichtbelaubte Ulmen deckten; da hörte er hinter sich eine Stimme rufen: „Halt!“ Es war Frau Castillon. Sie rannte auf der anderen Seite, ohne ihn zu bemerken. Ein Mann, der vor ihr ging, wandte sich um. Es war Gorju; -- und einen Klafter von Pécuchet entfernt, sprachen sie einander an, während die Baumreihe sie von ihm schied. „Ist das wahr?“ sagte sie, „du willst in den Kampf?“ Pécuchet glitt in den Graben, um das weitere Gespräch zu hören. „Na ja!“ erwiderte Gorju, „ich werde mich schlagen! Was geht dich das an?“ „Er fragt!“ rief sie, die Hände ringend. „Aber wenn du getötet wirst, mein Schatz! O bleibe!“ Und ihre blauen Augen flehten noch stärker als ihre Worte. „Laß mich in Ruhe! Ich muß fort!“ Sie zeigte ein zorniges Hohnlächeln. „Die andere hat es erlaubt, was?“ „Still davon!“ Er erhob die geballte Faust. „Nein, mein Freund! Nein! Ich schweige, ich sage nichts.“ Und dicke Tränen liefen ihr die Wangen hinab bis in die Rüschen ihrer Halskrause. Es war Mittag. Die Sonne strahlte über dem Gelände, das mit gelben Halmen bedeckt war. Ganz in der Ferne glitt langsam die Plane eines Wagens dahin. Eine schläfrige Stille lag in der Luft, -- kein Vogelschrei, kein Insektensummen. Gorju hatte sich ein Spazierstöckchen geschnitten und schabte die Rinde davon ab. Frau Castillon erhob ihren Kopf nicht. Die arme Frau dachte an die Vergeblichkeit ihrer Opfer, an die Schulden, die sie bezahlt, die Verpflichtungen, die sie für die Zukunft eingegangen, an ihren vernichteten Ruf. Anstatt zu klagen, erinnerte sie ihn an die ersten Zeiten ihrer Liebe, als sie ihn jede Nacht in der Scheune aufgesucht hatte, -- so daß einmal ihr Gatte, da er einen Dieb vermutete, mit der Pistole aus dem Fenster geschossen hatte. Die Kugel steckte noch in der Mauer. „Von dem Augenblicke an, da ich dich gekannt, bist du mir schön wie ein Prinz erschienen. Ich liebe deine Augen, deine Stimme, deinen Gang, deinen Geruch!“ Leiser fügte sie hinzu: „Ich bin toll vor Liebe zu dir!“ Er lächelte, in seinem Stolze geschmeichelt. Sie faßte mit beiden Händen seine Flanken und bog, wie in Anbetung, ihren Kopf zurück. „Mein teures Herz, mein süßer Schatz! meine Seele! mein Leben! Laß sehen, sprich, was willst du? -- Geld? Es wird sich auftreiben lassen. Ich war im Unrecht! ich ärgerte dich! verzeih! und bestell dir Kleider beim Schneider, trink Champagner, amüsiere dich, ich erlaube dir alles, -- alles.“ Sie murmelte mit höchster Überwindung: „Sogar sie!... wenn du nur zu mir zurückkehrst!“ Er neigte sich über ihren Mund, einen Arm um ihre Taille, um sie am Fallen zu hindern, und sie stammelte: „Teures Herz! Süßer Schatz! wie schön du bist! mein Gott, wie schön du bist!“ Regungslos und keuchend sah Pécuchet über den Grabenrand ihnen zu. „Keine Schwäche!“ sagte Gorju, „ich brauchte nur die Post zu versäumen! Es steht ein ordentlicher Putsch in Aussicht; ich bin dabei! -- Gib mir zehn Sous, damit ich dem Postschaffner einen Kaffee mit Schnaps bezahlen kann.“ Sie zog ein Fünffrankstück aus ihrer Börse. „Du wirst sie mir bald zurückerstatten. Hab ein wenig Geduld! Wie lange schon ist er gelähmt! denke doch! -- Und wenn du wolltest, könnten wir zur Kapelle von La Croix-Janval gehen -- und da, mein Schatz, wollte ich vor der heiligen Jungfrau schwören, dich zu heiraten, sobald er tot ist!“ „Je nun! er stirbt nie, dein Gatte!“ Gorju hatte die Hacken gewandt. Sie holte ihn ein; -- und sich an seine Schultern klammernd: „Laß mich mit dir gehen! Ich will deine Magd sein! Du hast jemanden nötig. Aber geh nicht fort! Verlaß mich nicht! Lieber den Tod! Töte mich!“ Sie schleppte sich auf den Knien, versuchend, seine Hände zu fassen, um sie zu küssen; ihre Haube fiel zu Boden, dann ihr Kamm, und ihre kurzen Haare lösten sich. Hinter den Ohren waren sie weiß, -- und als sie ihn, heftig schluchzend, von unten mit ihren roten Augenlidern und ihren geschwollenen Lippen ansah, packte ihn die Wut; er stieß sie zurück. „Fort mit dir, alte Hexe! Jetzt ist’s aus!“ Als sie sich erhoben hatte, riß sie das goldene Kreuz ab, das an ihrem Halse hing, und es ihm nachwerfend: „Da! Du Lump!“ Gorju ging davon, mit seinem Stock auf die Blätter der Bäume schlagend. Frau Castillon weinte nicht. Sie verharrte mit offenem Munde und erloschenen Augen, ohne eine Bewegung zu machen, in Verzweiflung versteinert; sie war kein Wesen mehr, sondern ein zertrümmerter Gegenstand. Was Pécuchet soeben belauscht hatte, war für ihn gleichsam wie die Entdeckung einer Welt, -- einer ganzen Welt! -- sie hatte einen blendenden Schimmer, eine üppige Blütenpracht, Ozeane, Stürme, Schätze, -- und Abgründe von unendlicher Tiefe; -- sie strömte Schrecken aus, was tat’s! Er träumte von Liebe, wünschte sich sehnlichst, sie so zu fühlen wie sie, sie einzuflößen wie er. Doch verabscheute er Gorju, -- und auf der Wache kostete es ihm Mühe, ihn nicht zu verraten. Der Liebhaber der Frau Castillon demütigte ihn durch seine schlanke Figur, seine gleichmäßigen Locken, seinen krausen Bart, seine erobernde Miene, während sein eigenes Haar wie eine feuchte Perücke an seinem Schädel klebte; er sah in seinem Rock aus wie eine lange Schlummerrolle, zwei Eckzähne fehlten ihm, und sein Gesichtsausdruck war unfreundlich. Er fand den Himmel ungerecht, kam sich vor wie ein Enterbter, und sein Freund liebte ihn nicht mehr. Bouvard verließ ihn jeden Abend. Nach dem Tode seiner Frau hätte nichts ihn gehindert, sich wieder zu verheiraten; -- wer sollte ihn jetzt verhätscheln, sein Haus besorgen? Er war zu alt, um an dergleichen zu denken. Doch Bouvard betrachtete sich im Spiegel. Seine Backen hatten ihre Farbe behalten, seine Haare lockten sich wie früher; nicht ein einziger Zahn war lose geworden, -- und bei dem Gedanken, daß er gefallen könne, kam ihm das Gefühl der Jugend zurück. Frau Bordin tauchte in seiner Erinnerung auf. Sie hatte sich ihm gegenüber entgegenkommend gezeigt, zuerst bei dem Brande der Schober, dann bei ihrem Diner, schließlich während der Deklamation im Museum, und letzthin war sie, ohne ihm etwas nachzutragen, drei Sonntage nacheinander gekommen. Er machte ihr also einen Besuch, fand sich öfter ein und nahm sich vor, sie zu verführen. Seit dem Tage, an welchem Pécuchet die kleine Magd beim Wasserpumpen beobachtet hatte, sprach er öfter mit ihr; -- und mochte sie nun den Flur fegen oder Wäsche ausbreiten oder in den Kochtöpfen rühren, er konnte sich an dem Glücke, sie anzusehen, nicht genug tun, -- selbst überrascht über seine Erregung, wie in der Jugend. Sie verursachte ihm Fieber und Sehnen, -- und die Erinnerung an Frau Castillon, die Gorju herzte, verfolgte ihn. Er fragte Bouvard, wie die Lüstlinge es anstellten, die Frauen zu verführen. „Man macht ihnen Geschenke, man hält sie im Restaurant frei.“ „Gut! Aber wie weiter?“ „Einige stellen sich, als ob sie ohnmächtig würden, damit man sie auf ein Sofa trägt, andere lassen ihr Taschentuch zur Erde fallen. Die brauchbarsten bestellen einen einfach zum Stelldichein.“ Und Bouvard erging sich in Beschreibungen, die Pécuchets Phantasie entzündeten wie obszöne Stiche. „Vor allem darf man nicht glauben, was sie sagen. Ich habe welche gekannt, die sich den Anschein von Heiligen gaben und dabei wahre Messalinen waren! Vor allem muß man kühn sein.“ Doch die Kühnheit läßt sich nicht befehlen. Pécuchet schob täglich seinen Entschluß hinaus; und zudem schüchterte ihn Germaines Gegenwart ein. In der Hoffnung, sie werde kündigen, verlangte er von ihr ein Übermaß von Arbeit, merkte sich jedesmal, wenn sie betrunken war, tadelte ganz laut ihre Unsauberkeit, ihre Faulheit und richtete es so ein, daß sie entlassen wurde. Nun war Pécuchet frei! Mit welcher Ungeduld erwartete er Bouvards Fortgehen! Wie schlug sein Herz, sobald die Tür sich geschlossen hatte! Mélie arbeitete an einem kleinen runden Tisch in der Nähe des Fensters beim Scheine einer Kerze; von Zeit zu Zeit biß sie ihren Faden mit den Zähnen ab, kniff dann die Augen ein, um ihn durch das Öhr der Nadel zu ziehen. Zuerst wollte er wissen, was für Männer ihr gefielen. Waren es zum Beispiel die von Bouvards Art? Keineswegs; sie gab den mageren den Vorzug. Er wagte die Frage, ob sie schon einen Schatz gehabt habe. „Niemals!“ Sich nähernd, betrachtete er ihre feine Nase, ihren schmalen Mund und die Umrisse ihres Gesichts. Er machte ihr Komplimente und ermunterte sie zu einem ehrbaren Wandel. Während er sich über sie beugte, bemerkte er in ihrem Mieder weiße Formen, von denen ein lauer Duft emporstieg, der ihm die Wange wärmte. Eines Abends berührte er die kurzen Löckchen ihres Nackens mit den Lippen, und er fühlte eine Erschütterung bis ins Mark der Knochen. Ein anderes Mal küßte er sie auf das Kinn, wobei er an sich halten mußte, nicht in ihr Fleisch zu beißen, so wonnig war es. Sie erwiderte seinen Kuß. Das Zimmer drehte sich. Er sah nicht mehr. Er schenkte ihr ein Paar Stiefel und traktierte sie oft mit einem Glase Anislikör... Um ihr Arbeit zu ersparen, erhob er sich frühzeitig, spaltete Holz, zündete Feuer an, trieb die Aufmerksamkeit so weit, Bouvards Schuhwerk zu reinigen. Mélie wurde nicht ohnmächtig, sie ließ auch nicht ihr Taschentuch fallen, und Pécuchet wußte nicht, wozu er sich entschließen sollte, während sein Begehren durch die Furcht, es zu befriedigen, stieg. Bouvard machte Frau Bordin beharrlich den Hof. Sie empfing ihn, ein wenig zu fest in ihr buntschillerndes Seidenkleid eingeschnürt, das wie das Zaumzeug eines Pferdes knirschte, während sie, um sich Haltung zu geben, mit der langen goldenen Kette spielte. Ihre Gespräche befaßten sich mit den Leuten in Chavignolles oder mit „ihrem verewigten Gatten“, der früher Gerichtsvollzieher in Livarot gewesen war. Dann fragte sie nach Bouvards Vergangenheit, neugierig, „die Streiche seiner Jugend“ kennenzulernen, erkundigte sich beiläufig nach seinem Vermögen, welche Interessen ihn mit Pécuchet verknüpften. Er bewunderte die Ordnung in ihrem Haushalt, und, wenn er bei ihr speiste, die Sauberkeit des Tafelgeschirres, die Vorzüglichkeit ihrer Küche. Eine Folge von Gerichten von großer Schmackhaftigkeit, die in gleichen Zwischenräumen von einem alten Pomard unterbrochen wurden, brachte sie bis zum Nachtisch, bei dem sie lange saßen und langsam den Kaffee schlürften; -- und Frau Bordin tauchte ihre fleischige Lippe, die leicht von einem dunklen Flaum beschattet war, in die Untertasse, während sie die Nasenflügel blähte. Eines Tages erschien sie ausgeschnitten. Ihre Schultern fesselten Bouvard. Da er auf einem niedrigen Stuhle vor ihr saß, begann er, mit beiden Händen an ihren Armen entlang zu fahren. Die Witwe wurde böse. Er machte keinen neuen Versuch, aber malte sich Rundungen von wunderbarer Fülle und Festigkeit aus. Eines Abends, als Mélies Küche ihn angewidert hatte, wurde ihm freudig ums Herz, als er in Frau Bordins Salon trat. Da hätte er leben mögen! Die Glocke der Lampe, die mit rosigem Papier umhüllt war, verbreitete ein ruhiges Licht. Sie saß am Feuer! und ihr Fuß sah unter dem Saum ihres Kleides hervor. Gleich nach den ersten Worten versiegte die Unterhaltung. Indessen schaute sie ihn mit halbgeschlossenen Lidern in schmachtender Weise hartnäckig an. Bouvard hielt es nicht länger aus! -- und auf das Parkett niederkniend, stammelte er: „Ich liebe Sie! Heiraten wir uns!“ Frau Bordin holte tief Atem, dann sagte sie mit unbefangener Miene, er scherze; sicher würde man sich über sie lustig machen, es sei nicht vernünftig. Diese Erklärung verwirrte ihn. Bouvard wandte ein, daß sie keines Menschen Einwilligung bedürften. „Was hält Sie ab? Die Aussteuer? Unser Leinen hat dieselbe Zeichnung, ein B! Wir werden unsere Initialen vereinigen!“ Der Schluß gefiel ihr. Doch eine wichtige Angelegenheit hinderte sie, sich vor Ende des Monats zu entscheiden. Und Bouvard seufzte. Sie erwies ihm die Aufmerksamkeit, ihn zurückzubegleiten, -- unter dem Schutze von Marianne, die eine Stocklaterne trug. Die beiden Freunde hatten ihre Leidenschaft voreinander verborgen. Pécuchet gedachte, seinen Liebeshandel mit der Magd immer geheim zu halten. Sollte Bouvard sich dem entgegensetzen, so wollte er mit ihr davongehen, wäre es selbst nach Algier, wo das Leben nicht teuer ist! Doch gab er sich selten solchen Vermutungen hin, er war ganz von seiner Liebe erfüllt und dachte nicht an die Folgen. Bouvard beabsichtigte, aus dem Museum das eheliche Schlafzimmer zu machen, wofern Pécuchet es ihm nicht abschlüge; sollte das der Fall sein, so wollte er die Besitzung seiner Gattin bewohnen. Es war an einem Nachmittage der folgenden Woche bei ihr in ihrem Garten; die Knospen begannen zu springen, und zwischen den Wolken standen weite blaue Zwischenräume. Sie bückte sich, um Veilchen zu pflücken, und sagte, sie ihm überreichend: „Grüßen Sie Frau Bouvard!“ „Wie! So ist es wahr?“ „Durchaus wahr.“ Er wollte sie in seine Arme pressen, sie wies ihn zurück. „Welch ein Mann!“ -- Dann wurde sie ernst und teilte ihm mit, daß sie ihn bald um eine Gunst bitten würde. „Sie ist bewilligt.“ Sie setzten die Unterzeichnung ihres Ehekontraktes auf den nächsten Donnerstag fest. Bis zum letzten Augenblicke sollte niemand etwas davon erfahren. „Einverstanden.“ Und er ging heim, die Augen in den Wolken, leichtfüßig wie ein Reh. Pécuchet hatte sich am Morgen desselben Tages geschworen, zu sterben, wenn er nicht die Gunst seiner Magd erlange, und er hatte sie in den Keller begleitet in der Hoffnung, die Dunkelheit würde ihm Mut machen. Mehrere Male hatte sie weggehen wollen; doch er hielt sie zurück unter dem Vorwande, die Flaschen zu zählen, Latten auszuwählen oder den Boden der Tonnen nachzusehen; das währte schon lange. Sie stand ihm gegenüber im Lichte des Kellerfensters, aufrecht, die Wimpern gesenkt, die Mundwinkel etwas in die Höhe gezogen. „Liebst du mich?“ sagte plötzlich Pécuchet. „Ja! Ich liebe Sie!“ „Nun gut, dann beweise es mir!“ Und sie mit dem linken Arm umfassend, begann er mit der anderen Hand ihr Korsett aufzunesteln. „Sie werden mir weh tun?“ „Nein! mein kleiner Engel! Hab keine Furcht!“ „Wenn Herr Bouvard...“ „Ich werde ihm nichts sagen! Sei unbesorgt!“ Ein Haufen Reisig lag hinter ihr. Sie ließ sich darauf fallen, die Brüste außerhalb des Hemdes, den Kopf zurückgelehnt; -- dann verbarg sie ihr Gesicht unter einem Arm, -- und ein anderer hätte gemerkt, daß es ihr nicht an Erfahrung fehlte. Bald kam Bouvard zum Essen. Das Mahl wurde schweigend eingenommen, da jeder fürchtete, sich zu verraten; Mélie bediente sie teilnahmlos, wie gewöhnlich; Pécuchet wandte den Blick ab, um dem ihrigen auszuweichen, während Bouvard die Wände betrachtete und an Verschönerungen dachte. Acht Tage später, am Donnerstag, kam er wütend nach Hause. „Das verdammte Luder!“ „Wer denn!“ „Frau Bordin.“ Und er erzählte, daß er die Torheit so weit getrieben habe, sie heiraten zu wollen; aber jetzt sei alles aus, seit einer Viertelstunde bei Marescot. Sie hatte verlangt, als Morgengabe die Ecalles zu erhalten, über die er nicht verfügen konnte, da er sie wie den Pachthof zum Teil mit dem Gelde eines anderen bezahlt hatte. „In der Tat!“ sagte Pécuchet. „Und ich! der ich dumm genug war, ihr zu versprechen, sie dürfe sich etwas von mir wünschen! Das war’s also, was sie wollte! Ich habe mich entschieden geweigert. Wenn sie mich liebte, hätte sie nachgegeben!“ Doch die Witwe hatte sich zu Beleidigungen hinreißen lassen, hatte sein Äußeres schlecht gemacht, über seinen dicken Bauch gespottet. „Meinen dicken Bauch, ich bitte dich!“ Indessen war Pécuchet mehrere Male hinausgegangen, mit gespreizten Beinen gehend. „Leidest du?“ sagte Bouvard. „O! ja! ich leide!“ Und nachdem Pécuchet die Tür geschlossen, gestand er nach langem Zögern, er habe soeben entdeckt, daß er geschlechtskrank sei. „Du?“ „Ja, ich!“ „Ach! mein armer Junge! wer hat dir das geschenkt?“ Er errötete noch mehr und sagte mit noch leiserer Stimme: „Das kann nur Mélie sein!“ Bouvard war starr über die Eröffnung. Das erste war, das junge Mädchen zu entlassen. Sie protestierte mit unschuldiger Miene. Pécuchets Fall war jedoch schwer; doch aus Scham über seine Schande wagte er nicht, den Arzt aufzusuchen. Bouvard kam auf den Gedanken, sich an Barberou zu wenden. Sie sandten ihm eine eingehende Beschreibung des Leidens, damit er sie einem Arzt zeige, der die Krankheit brieflich behandeln sollte. Barberou nahm sich der Sache eifrig an, in dem festen Glauben, es handele sich um Bouvard, und er nannte diesen einen alten geilen Bock, beglückwünschte ihn aber zugleich. „In meinem Alter,“ sagte Pécuchet, „ist das nicht traurig! Doch warum hat sie mir das angetan?“ „Du gefielst ihr.“ „Sie hätte mich warnen sollen.“ „Ist die Leidenschaft vernünftig?“ Und Bouvard beklagte sich über Frau Bordin. Oft hatte er sie überrascht, wenn sie vor den Ecalles stand, in Marescots Gesellschaft und im Gespräch mit Germaine, -- so viel Schliche um ein Stückchen Land! „Sie ist habsüchtig! Das erklärt alles!“ So grübelten sie über ihre getäuschten Hoffnungen, während sie im kleinen Saal am Feuer saßen. Pécuchet schluckte dabei seine Arzneien, Bouvard rauchte seine Pfeife, -- und sie ergingen sich in Betrachtungen über die Frauen. „Seltsames Bedürfnis; ist es ein Bedürfnis? Sie verleiten zum Verbrechen, zum Heldentum und zur Vertierung. Die Hölle unter einem Unterrock, das Paradies in einem Kuß, -- Turteltaubengirren, schlangenhafte Geschmeidigkeit, Katzenkrallen, -- Tücke des Meeres, Veränderlichkeit des Mondes,“ -- sie sagten alle Gemeinplätze, die man über die Frauen in die Welt gesetzt hat. Der Wunsch nach Frauen hatte ihre Freundschaft ins Stocken gebracht. Gewissensbisse faßten sie. -- Keine Frauen mehr, nicht wahr? Leben wir ohne sie! -- Und gerührt umarmten sie einander. Eine Gegenwirkung war nötig; -- und Bouvard erachtete, nachdem Pécuchet geheilt war, eine Kaltwasserbehandlung für sie von Vorteil. Germaine, die sogleich bei dem Fortgang der andern wiedergekommen war, schleppte jeden Morgen die Badewanne in den Hausflur. Die beiden Biedermänner, nackt wie die Wilden, übergossen sich mit tüchtigen Eimern Wassers, -- dann rannten sie, ihr Zimmer wieder zu erreichen. Man sah sie durch das Gitter; -- und es gab Leute, die darüber entrüstet waren. VIII Von ihrer Lebensweise befriedigt, wollten sie ihr körperliches Befinden durch Turnen verbessern. Und sie griffen zu dem Handbuch von Amoros und sahen die Illustrationen durch. Alle diese jungen Kerle, die kauerten, sich nach hinten bogen, die Knie beugten, die Arme streckten, die Faust ballten, Gewichte hoben, auf Balken ritten, an Leitern emporkletterten, an Trapezen sich schwangen, diese ganze Entfaltung von Kraft und Geschicklichkeit erregte ihren Neid. Zudem erfüllte sie die Pracht der Turnhalle, die im Vorwort beschrieben wird, mit Kummer. Denn nie würden sie sich einen Vorsaal für die Geräte, ein Hippodrom für die Wettläufe, ein Bassin zum Schwimmen, noch einen „Ruhmesberg“, einen künstlichen Hügel leisten können, der zweiunddreißig Meter Höhe hätte. Ein hölzernes Pferd zum Üben wäre wegen der Polsterarbeiten kostspielig gewesen; sie verzichteten darauf; die gefällte Linde im Garten diente ihnen als Schwebebaum; und als sie gewandt genug waren, ihn von einem Ende bis zum andern abzulaufen, pflanzten sie, um eine senkrechte Stange zu besitzen, einen der Pfosten der Spaliere in den Boden. Pécuchet erklomm sie bis zur Spitze. Bouvard glitt, fiel stets zurück und verzichtete schließlich darauf. Die „orthosomatischen Stäbe“ sagten ihm mehr zu, das heißt zwei Besenstiele, die durch zwei Stricke verbunden waren, von denen der erste unter den Achseln durchgeht, der zweite über den Handgelenken liegt; -- und ganze Stunden lang behielt er diesen Apparat an, das Kinn erhoben, die Brust herausgestreckt, die Arme am Leib entlang. Als Ersatz für Hanteln mußte ihnen der Stellmacher vier Stücke aus Eschenholz drechseln, die Zuckerhüten glichen, welche in einen Flaschenhals auslaufen. Man muß diese Keulen nach rechts und links, nach vorn und hinten schwingen; doch da sie zu schwer waren, entglitten sie ihren Fingern und hätten ihnen leicht die Beine zerschlagen können. Gleichviel, sie waren von ihren „persischen Mils“ begeistert, und sie rieben sie sogar jeden Abend mit Wachs und einem Stück Zeug, da sie fürchteten, sie möchten zerspringen. Darauf suchten sie Gräben auf. Hatten sie einen ihnen zusagenden gefunden, so stützten sie eine lange Stange hinein, stießen mit dem linken Fuß ab, erreichten den anderen Rand, und fingen wieder von neuem an. Da das Gelände flach war, sah man sie von weither, -- und die Dörfler fragten sich, was das für zwei sonderbare Gestalten seien, die am Horizont herumsprangen. Als der Herbst gekommen war, machten sie sich an die Zimmergymnastik; sie langweilte sie. Wie schade, daß sie nicht einen Schaukelstuhl oder Postsessel hatten, wie ihn unter Ludwig XIV. der Abbé von Saint-Pierre erdacht hatte. Wie war er konstruiert, wo konnte man sich darüber unterrichten? Dumouchel ließ sich nicht einmal zu einer Antwort herbei. Dann brachten sie im Backhaus eine Armschaukel an. Über zwei an der Decke festgeschraubte Rollen lief eine Schnur, die an jedem Ende einen Querbalken hatte. Sobald sie ihn ergriffen hatten, stieß der eine mit den Fußspitzen von der Erde ab, während der andere die Arme bis zum Boden senkte; der erste zog durch sein Gewicht den zweiten, der, dem Strick etwas nachgebend, seinerseits in die Höhe stieg; in weniger als fünf Minuten troffen ihre Glieder von Schweiß. Um die Vorschriften des Handbuchs zu befolgen, suchten sie sich beider Hände zu bedienen, ja sogar sich der rechten Hand zeitweise zu enthalten. Sie taten mehr: Amoros gibt die Lieder an, die man bei den Übungen singen soll, und Bouvard und Pécuchet wiederholten beim Marschieren den Gesang Nr. 9: _Ein König, ein gerechter König ist ein Gut auf Erden._ Wenn sie sich die Brustmuskeln schlugen: _Freunde, die Krone und der Ruhm usw._ Im Laufschritt: _Uns gehört das scheue Tier! Den hurt’gen Hirsch erjagen wir! Ja! Zum Sieg heran! Voran! Voran! Voran!_ Und heftiger keuchend als Hunde spornten sie einander durch den Klang ihrer Stimmen an. Eine Seite der Gymnastik begeisterte sie: ihre Anwendung als Rettungsmittel. Aber man hätte Kinder haben müssen, wollte man lernen, sie in Säcken zu tragen, -- und sie baten den Schulmeister, ihnen einige zu stellen. Petit wandte ein, daß die Eltern böse werden würden. Sie hielten sich an der Hilfeleistung für Verwundete schadlos. Der eine stellte sich ohnmächtig, und der andere fuhr ihn in einer Schiebkarre mit jeder nur möglichen Vorsicht. Was die militärischen Ersteigungen anlangt, so rühmt der Verfasser die Leiter Bois-Rosé, die ihren Namen von dem Hauptmann hat, der einst Fécamp überraschte, indem er an der Klippe emporkletterte. Der Abbildung im Buche entsprechend, besetzten sie ein Tau mit Stäben und befestigten es unter dem Schuppen. Sobald man rittlings auf dem ersten Querstab sitzt und den dritten erfaßt hat, schwingt man die Beine auswärts, damit der zweite Stab, der sich eben in Brusthöhe befand, gerade unter die Schenkel kommt. Man richtet sich auf, man faßt den vierten, und fährt so fort. Trotz der fabelhaftesten Verrenkungen war es ihnen unmöglich, auf die zweite Sprosse zu kommen. Vielleicht macht es weniger Mühe, wenn man sich mit den Händen an die Steine klammert, wie die Soldaten Bonapartes beim Angriff auf das Fort Chambray es taten? -- und um einen dazu fähig zu machen, hat Amoros in seiner Anstalt einen Turm. Die zerfallene Mauer konnte ihn ersetzen. Sie versuchten, sie zu erklimmen. Doch Bouvard, der seinen Fuß zu schnell aus einem Loche gezogen hatte, bekam Furcht und wurde schwindlig. Pécuchet hielt ihre Methode für falsch: sie hatten die Vorschriften für die Fingerglieder vernachlässigt, so daß sie sich zunächst wieder an die Anfangsgründe machen mußten. Seine Ermahnungen waren vergeblich; -- und in seinem Dünkel und seiner Anmaßung machte er sich ans Stelzenlaufen. Die Natur schien ihn hierzu bestimmt zu haben, denn er nahm sogleich das große Modell, das die Trittklötze vier Fuß über dem Boden hat, -- und sich im Gleichgewicht darauf haltend durchmaß er den Garten in großen Schritten, einem riesigen daherspazierenden Storch ähnlich. Bouvard sah ihn vom Fenster aus schwanken, dann wie einen Sack auf die Bohnen niederstürzen, deren Stangen zerbrachen und seinen Sturz abschwächten. Man hob ihn auf; er war mit Erde bedeckt, seine Nase blutete, er war leichenblaß, -- und er glaubte, sich einen Bruch zugezogen zu haben. Sicherlich, das Turnen paßte nicht für Leute ihres Alters; sie gaben es auf, wagten aus Furcht vor Unfällen sich nicht mehr zu bewegen, und sie saßen den lieben langen Tag über in ihrem Museum, auf anderen Zeitvertreib sinnend. Dieser Wechsel in ihren Gewohnheiten wirkte auf Bouvards Gesundheit ein. Er wurde schwerfällig, prustete nach den Mahlzeiten wie ein Pottfisch, wollte mager werden, aß weniger, und seine Kräfte nahmen ab. Auch Pécuchet hielt seine Gesundheit für „untergraben“, hatte Hautjucken und rote Stellen im Rachen. „Es will nicht mehr,“ sagte er, „es will nicht mehr.“ Bouvard kam auf den Gedanken, ins Wirtshaus zu gehen und einige Flaschen spanischen Wein auszusuchen, um seine Maschine wieder in Gang zu setzen. Als er wieder herauskam, brachten Marescots Notariatsgehilfe und drei Leute Beljambe einen großen Tisch aus Nußbaumholz; „ihr Herr“ ließe ihm bestens dafür danken. Der Tisch habe sich ausgezeichnet bewährt. Bouvard hörte auf diese Weise von der neuen Mode des Tischrückens. Er zog den Gehilfen damit auf. Indessen verwendeten in ganz Europa, in Amerika, in Australien und in Indien Millionen von Sterblichen ihre Zeit darauf, Tische zum Drehen zu bringen, -- und man entdeckte, wie man Zeisige zu Propheten machen könne, Konzerte ohne Instrumente geben, mit Hilfe von Schnecken korrespondieren. Die Presse bestärkte das Publikum in seiner Leichtgläubigkeit, indem sie ihm die Flausen in ernsthafter Form vorsetzte. Die Klopfgeister waren im Schlosse von Faverges gelandet, von dort aus hatten sie sich im Dorfe verbreitet, -- und besonders der Notar befragte sie. Da er sich über Bouvards Skeptizismus ärgerte, lud er die beiden Freunde auf einen Abend zum Tischrücken ein. War es eine Falle? Frau Bordin würde dort sein. Pécuchet ging allein hin. Es waren dort als Teilnehmer der Bürgermeister, der Steuereinnehmer, der Hauptmann, andere Bürger mit ihren Frauen, Frau Vaucorbeil, Frau Bordin in der Tat; außerdem eine frühere Hilfslehrerin der Frau Marescot, ein Fräulein Laverrière, eine etwas zweideutige Person, deren graues Haar in Spiralen nach der Mode von 1830 auf die Schultern herabfiel. In einem Sessel lehnte ein Vetter aus Paris, der einen blauen Frack trug und von impertinentem Äußeren war. Die beiden Bronzelampen, die Etagere mit den Kuriositäten, auf dem Klavier liegende Romanzen mit Titelvignetten und winzige Aquarelle in riesenhaften Rahmen bildeten stets das Erstaunen von Chavignolles. Doch an diesem Abend richteten sich alle Blicke auf den Mahagonitisch. Man wollte ihn sogleich versuchen, und er hatte die Wichtigkeit von Dingen, die ein Geheimnis umschließen. Zwölf der Eingeladenen nahmen rings um ihn Platz, die Hände ausgestreckt, wobei die kleinen Finger aneinander lagen. Man hörte nur das Ticken der Stutzuhr. Die Gesichter verrieten eine tiefe Aufmerksamkeit. Nach Verlauf von zehn Minuten klagten mehrere über Krimmeln in den Armen. Pécuchet fühlte sich unbehaglich. „Sie drücken!“ sagte der Hauptmann zu Foureau. „Durchaus nicht!“ „Doch!“ „Bitte sehr, mein Herr!“ Der Notar beruhigte sie. Durch übermäßige Anspannung des Gehörsinns glaubte man ein Knacken im Holze zu hören. -- Es war Täuschung. Nichts regte sich. Neulich, als die Familien Aubert und Lormeau von Lisieux gekommen waren und man eigens zu dem Zwecke Beljambes Tisch geliehen hatte, war alles so gut gegangen! Doch dieser da zeigte einen Eigensinn... Warum? Zweifellos störte ihn der Teppich, -- und man ging ins Eßzimmer. Das gewählte Möbel war ein großer runder Tisch, an dem sich Pécuchet, Girbal, Frau Marescot und ihr Vetter, Herr Alfred, niederließen. Der Tisch, der Rollen hatte, glitt nach rechts; die Teilnehmer folgten, ohne die Lage ihrer Finger zu ändern, seiner Bewegung, und er machte noch selbständig zwei Drehungen. Man war starr. Da sagte Herr Alfred langsam und deutlich mit lauter Stimme: „Geist, wie findest du meine Cousine?“ Der Tisch tat, langsam schwankend, neun Schläge. Nach einem Verzeichnis, in dem die Anzahl der Schläge in Buchstaben übersetzt war, bedeutete das: „Entzückend“. Bravorufe ertönten. Dann forderte Marescot, um Frau Bordin zu necken, den Geist auf, deren genaues Alter anzugeben. Der Fuß des Tisches gab fünf Schläge. „Wie? fünf Jahre!“ rief Girbal. „Die Zehner zählen nicht,“ erwiderte Foureau. Die Witwe lächelte, innerlich voll Ärger. Die Antworten auf die übrigen Fragen waren Fehlschläge, so kompliziert war das Alphabet. Besser arbeitete die Planchette, eine schnell funktionierende Vorrichtung, deren Fräulein Laverrière sich sogar bedient hatte, um in ein Buch die direkten Mitteilungen Ludwigs XII., Clémence Isaures, Franklins, Jean Jacques Rousseaus und anderer niederzuschreiben. Diese Apparate wurden in der Rue d’Aumale verkauft; Herr Alfred versprach einen, dann wandte er sich an die Hilfslehrerin: „Doch jetzt ein wenig Musik, nicht wahr? Eine Mazurka!“ Zwei Akkorde wurden angeschlagen und zitterten durch den Raum. Er faßte seine Cousine um die Taille, verschwand mit ihr, kam zurück. Man war durch den Luftzug des Gewandes erfrischt, das im Vorüberfliegen die Türen streifte. Sie legte den Kopf in den Nacken, er rundete seinen Arm. Man bewunderte ihre Grazie, seine elegante Haltung; und ohne auf die kleinen Kuchen zu warten, ging Pécuchet, ganz verblüfft über den Abend, heim. Er mochte noch soviel wiederholen: „Aber ich habe es gesehen! ich habe es gesehen!“ Bouvard bestritt die Tatsachen und willigte nichtsdestoweniger ein, selbst Versuche zu machen. Vierzehn Tage lang verbrachten sie ihre Nachmittage, einander gegenübersitzend, die Hände auf einem Tisch, dann auf einem Hut, auf einem Korbe, auf den Tellern. Alle diese Gegenstände blieben regungslos. Die Erscheinung des Tischrückens bleibt trotzdem unbestreitbar. Der große Haufe schreibt sie Geistern zu, Faraday der Übertragung der Nervenkraft, Chevreul unbewußter Anstrengung; oder vielleicht geht, wie Ségouin annimmt, von der Ansammlung von Menschen ein Antrieb, ein magnetischer Strom aus. Diese Hypothese versetzte Pécuchet in träumerisches Nachsinnen. Er nahm den „Führer des Magnetiseurs“ von Montacabère aus seiner Bibliothek, las ihn aufmerksam durch und weihte Bouvard in die Theorie ein. Alle Lebewesen unterliegen dem Einfluß der Gestirne und vermitteln ihn. Ihre Einwirkung ähnelt der magnetischen Kraft. Hat man diese Kraft in der Gewalt, so kann man Kranke heilen, das ist die Grundlehre. Die Wissenschaft hat seit Mesmer Fortschritte gemacht, -- doch ist es immer noch von Wichtigkeit, das magnetische Fluidum ausströmen zu lassen und Streichbewegungen vorzunehmen, die zunächst in Schlaf versetzen sollen. „Nun gut, schläfere mich ein!“ sagte Bouvard. „Unmöglich,“ erwiderte Pécuchet, „um der magnetischen Wirkung zu unterliegen und um sie zu übertragen, ist der Glaube daran unerläßlich.“ Dann, Bouvard betrachtend: „Ach! wie schade.“ „Wieso?“ „Ja, wenn du wolltest, würde es mit ein wenig Übung keinen besseren Magnetiseur geben als dich!“ Denn er besitze alles, was nötig sei: ein einnehmendes Wesen, einen kräftigen Körper und einen starken Willen. Diese Fähigkeit, die man soeben an ihm entdeckt hatte, schmeichelte Bouvard. Er vertiefte sich heimlich in Montacabère. Als dann Germaine Ohrensausen hatte, das sie schwerhörig machte, sagte er eines Abends in nachlässigem Tone: „Wenn man es mit Magnetismus versuchte?“ Sie hatte nichts dagegen. Er setzte sich vor sie hin, nahm ihre beiden Daumen in seine Hände und blickte sie starr an, als wenn er sein ganzes Leben nichts anderes getan hätte. Die gute Frau, einen Wärmer unter den Füßen, begann den Nacken zu beugen; ihre Augen fielen zu, und ganz sacht begann sie zu schnarchen. Nach Verlauf einer Stunde, während welcher sie sie betrachteten, sagte Pécuchet mit leiser Stimme: „Was fühlen Sie?“ Sie erwachte. Später würde sich ohne Zweifel das Hellsehen einstellen. Dieser Erfolg machte sie kühn; sie nahmen die Ausübung der Medizin mit sicherer Haltung wieder auf und behandelten Chamberlan, den Küster, der über Seitenschmerzen klagte; Migraine, einen Maurer, der an einem nervösen Magenübel litt; die Mutter Varin, deren krebsige Geschwulst unterhalb des Schlüsselbeins zu ihrer Ernährung Fleischpflaster verlangte; einen Gichtkranken, den Vater Lemoine, der sich bis vor die Kneipen zu schleppen pflegte; einen Schwindsüchtigen, einen einseitig Gelähmten und noch viele andere. Sie behandelten auch Schnupfen und Frostbeulen. Nach der Untersuchung der Krankheit verständigten sie sich durch den Blick, welche Art des Bestreichens anzuwenden sei, ob mit starkem oder schwachem Fluidum, aufwärts oder abwärts gehend, longitudinal, transversal, zwei-, drei- oder gar fünffingerig. Wenn der eine genug davon hatte, ersetzte ihn der andere. Dann, nach Hause zurückgekehrt, schrieben sie die Beobachtungen in das tägliche Behandlungsbuch. Ihre salbungsvollen Manieren bestachen die Leute. Doch gab man Bouvard den Vorzug, und sein Ruf drang bis nach Falaise, als er die Barbée geheilt hatte, die Tochter des alten Barbey, eines ehemaligen Kapitäns, der weit herumgekommen war. Sie fühlte eine Art bohrenden Schmerz am Hinterkopf, sprach mit rauher Stimme, nahm oft mehrere Tage keine Nahrung zu sich, verschlang dann Gips oder Kohlen. Ihre nervösen Anfälle, die mit Schluchzen einsetzten, lösten sich in einen Tränenerguß; und man hatte alle Mittel angewandt, von den Aufgüssen bis zu den Moxen, so daß sie, aller Kuren müde, Bouvards Anerbietungen annahm. Nachdem er die Magd fortgeschickt und die Riegel vorgeschoben hatte, begann er, der Barbée den Unterleib zu reiben und drückte dabei auf die Stelle, wo der Eierstock sitzt. Ein Wohlbehagen äußerte sich durch Seufzer und Gähnen. Er legte ihr einen Finger zwischen die Augenbrauen oberhalb der Nase; plötzlich wurde sie wie leblos. Wenn man ihre Arme emporhob, fielen sie zurück; ihr Kopf behielt die Stellungen, die man ihm gab, und während ihre halbgeschlossenen Augenlider in krampfartiger Bewegung zitterten, ließen sie die Augäpfel sehen, die langsam rollten; sie blieben verzerrt in den Winkeln stehen. Bouvard fragte sie, ob sie Schmerzen habe; sie antwortete: nein; was sie jetzt wahrnähme? Sie unterscheide das Innere ihres Körpers. „Was sehen Sie da?“ „Einen Wurm.“ „Was muß man tun, um ihn zu töten?“ Ihre Stirn furchte sich. „Ich suche...; ich kann nicht, ich kann nicht.“ Bei der zweiten Sitzung verordnete sie sich einen Aufguß von Nesseln; bei der dritten Katzenkraut. Die Anfälle wurden schwächer, verschwanden. Es war wirklich wie ein Wunder. Das Bestreichen der Nase hatte bei den anderen Kranken keinen Erfolg, und um den somnambulen Zustand herbeizuführen, gedachten sie eine mesmersche Wanne anzufertigen. Pécuchet hatte sogar schon Feilspäne gesammelt und etwa zwanzig Flaschen gereinigt, als ein Bedenken ihn anhielt. Unter den sich einstellenden Kranken würden Personen weiblichen Geschlechtes sein. „Und was sollen wir machen, wenn sie Anfälle von Liebesraserei bekommen?“ Das hätte Bouvard nicht abgehalten; doch wegen des Klatsches und etwaiger Erpressungsversuche war es besser, davon abzustehen. Sie begnügten sich mit einer Harmonika und nahmen sie mit in die Häuser; die Kinder freuten sich darüber. Eines Tages, als Migraine sich wieder schlechter befand, eilten sie zu ihm. Die kristallhellen Töne brachten ihn außer sich; doch Deleuze empfiehlt, über die Klagen nicht in Schrecken zu geraten; die Musik hielt an. „Genug! Genug!“ schrie er. „Ein wenig Geduld,“ wiederholte Bouvard. Pécuchet klopfte schneller auf die gläsernen Plättchen, und das Instrument erzitterte, und der arme Mann heulte, als der Arzt erschien, durch den Lärm herbeigelockt. „Wie, wieder Sie?“ rief er, wütend, sie immer bei seinen Kranken zu finden. Sie erklärten ihr magnetisches Mittel. Da wetterte er gegen den Magnetismus, diesen Wust von Spielerei, dessen Wirkungen auf Einbildung beruhten. Man kann indessen auch Tiere magnetisieren. Montacabère bestätigt es, und Herrn Fontaine ist es gelungen, eine Löwin zu magnetisieren. Sie hatten keine Löwin, aber der Zufall bot ihnen ein anderes Tier. Denn am folgenden Tage um sechs Uhr morgens kam ein Ackerknecht, um ihnen zu bestellen, daß man ihrer auf dem Pachthofe wegen einer in Lebensgefahr schwebenden Kuh bedürfe. Sie eilten hin. Die Apfelbäume standen in Blüte, und das Gras im Hof dampfte in der aufgehenden Sonne. Am Rande des Teiches brüllte, halb mit einem Tuche bedeckt, eine Kuh. Sie zitterte unter den Eimern Wassers, die man ihr über den Leib goß, und unförmig aufgetrieben, glich sie einem Nilpferd. Ohne Zweifel hatte sie „Gift“ gefressen, während sie im Klee weidete. Vater und Mutter Gouy waren untröstlich, denn der Tierarzt konnte nicht kommen, und ein Stellmacher, der Anschwellungen besprechen konnte, wollte sich nicht herbemühen; doch die Herren, die ja eine berühmte Bibliothek besäßen, wüßten jedenfalls ein Geheimmittel. Nachdem sie ihre Ärmel aufgestreift hatten, stellte sich der eine vor die Hörner, der andere an das Kreuz, und mit gewaltigen Willensanstrengungen und wahnsinnigen Gebärden spreizten sie die Finger, um über das Tier Ströme des Fluidums auszugießen, während der Pächter, seine Gattin, ihr Knabe und die Nachbarn ihnen fast entsetzt zuschauten. Knurren, das man im Bauche des Tieres hörte, verursachte Blähungen tief in den Eingeweiden. Die Kuh gab einen Wind von sich. Da sagte Pécuchet: „Das ist ein Tor, das sich der Hoffnung öffnet, vielleicht eine Entladung.“ Die Entladung ging vor sich, die Hoffnung spritzte in einem Haufen gelber Masse heraus, die mit der Gewalt einer Granate hervorplatzte. Die Herzen wurden leichter, die Kuh nahm an Umfang ab. Eine Stunde später hatte sie wieder ihr gewöhnliches Aussehen. Das war gewiß nicht die Wirkung der Einbildungskraft. Also enthält dieses Fluidum eine besondere Kraft. Sie läßt sich in Gegenstände einschließen, aus denen man sie hervorholen kann, ohne daß sie sich verringert. Ein solches Hilfsmittel erspart Wege. Sie nahmen es in Gebrauch, und sie sandten ihren Kunden magnetisierte Münzen, magnetisierte Taschentücher, magnetisiertes Wasser, magnetisiertes Brot. Als sie dann ihre Studien fortsetzten, gaben sie das Bestreichen zugunsten des Systems von Puységur auf, der den Magnetiseur durch einen alten Baum ersetzt, um dessen Stamm sich ein Strick schlingt. Ein Birnbaum in ihrem Obsthof schien ihnen wie dazu geschaffen. Sie reparierten ihn, indem sie ihn zu wiederholten Malen fest umfaßten. Eine Bank wurde darunter gesetzt. Ihre Stammgäste reihten sich darauf, und sie erzielten so wunderbare Resultate, daß sie Vaucorbeil, um ihn hineinzulegen, mit den Honoratioren des Landes zu einer Sitzung einluden. Nicht einer fehlte. Germaine empfing sie in dem kleinen Saal, indem sie bat, „entschuldigen zu wollen“, ihre Herren würden gleich kommen. Von Zeit zu Zeit hörte man es klingeln. Es waren die Kranken, die sie in einen anderen Raum führte. Die Eingeladenen stießen sich mit den Ellbogen an, um einander auf die staubigen Fenster, die Flecken auf dem Getäfel, auf den abblätternden Anstrich aufmerksam zu machen; und der Garten sah jämmerlich aus. Überall abgestorbenes Holz! Zwei Stöcke vor der Mauerbresche versperrten den Eingang zum Obstgarten. Pécuchet erschien! „Zu Ihren Diensten, meine Herren!“ Und man sah hinten unter dem Birnbaum Eduins mehrere Personen sitzen. Chamberlan, wie ein Priester ohne Bart und in einer kurzen Sutane aus Lasting mit einem Lederkäppchen auf dem Kopfe, überließ sich einem Zittern, das seine Seitenschmerzen verursachten; Migraine, der noch immer am Magen litt, verzerrte neben ihm sein Gesicht. Die Mutter Varin trug einen mehrmals umgeschlungenen Schal, um ihre Geschwulst zu verbergen. Der alte Lemoine, dessen bloße Füße in Schlappen steckten, hatte seine Beine über seine Krücken gelegt, und die Barbée, die ihren Sonntagstaat angelegt hatte, war außerordentlich blaß. Auf der anderen Seite des Baumes bemerkte man weitere Personen: eine Frau mit einem Albinokopf wischte die eiternden Drüsen an ihrem Halse ab. Das Gesicht eines kleinen Mädchens verschwand zur Hälfte unter blauen Brillengläsern. Ein Greis, dessen Rücken durch eine Verkrümmung verunstaltet wurde, stieß mit seinen unfreiwilligen Bewegungen Marcel, einen Idioten, der in einer zerlumpten Bluse und einer geflickten Hose steckte. Seine schlecht geflickte Hasenscharte ließ seine Schneidezähne sehen, und seine ungeheuerlich geschwollene Backe war dick in leinene Umschläge verpackt. Alle hielten einen Bindfaden in der Hand, der vom Baume herabhing, und die Vögel sangen; der Duft des warm gewordenen Rasens wogte in der Luft. Die Sonne drang zwischen den Zweigen durch. Man schritt über Moos. Indessen rissen die Medien, anstatt zu schlafen, die Augen weit auf. „Bis jetzt ist die Sache recht langweilig,“ sagte Foureau. „Fangen Sie an, ich entferne mich für einen Augenblick.“ Und er kam zurück, aus einem Abd-el-Kader rauchend, dem letzten Rest der Tür mit den Pfeifen. Pécuchet erinnerte sich eines ausgezeichneten Mittels der Magnetisierung. Er brachte die Nasen aller Kranken in seine Mundöffnung und sog ihren Atem ein, um die Elektrizität an sich zu ziehen, und zu gleicher Zeit umfaßte Bouvard den Baum, um den Strom zu verstärken. Der Maurer hörte auf zu schluchzen, der Küster zappelte weniger, der Mann mit der Verkrümmung regte sich nicht mehr. Man konnte sich ihnen jetzt nähern, alle Versuche mit ihnen anstellen. Der Arzt stach mit einer Lanzette Chamberlan unter das Ohr, der ein wenig zitterte. Das Empfindungsvermögen war bei den andern zweifellos vorhanden. Der Gichtleidende stieß einen Schrei aus. Die Barbée jedoch lächelte wie im Traume, und ein dünner Faden von Blut floß unter ihr Kinn. Foureau wollte sie selbst auf die Probe stellen und die Lanzette nehmen, und als der Arzt sie ihm verweigerte, kniff er die Kranke tüchtig. Der Hauptmann kitzelte ihr die Nase mit einer Feder, der Steuereinnehmer wollte ihr eine Nadel unter die Haut stecken. „Lassen Sie sie doch,“ sagte Vaucorbeil, „es ist schließlich nichts Merkwürdiges! eine Hysterische! der Teufel würde mit seinem Witz an der zu Schanden werden!“ „Jene da,“ sagte Pécuchet, indem er auf Victoire wies, „die skrofulöse Frau ist ein Arzt! Sie erkennt die Krankheiten und gibt Heilmittel an.“ Langlois brannte vor Verlangen, sie wegen seines Katarrhs zu befragen; er wagte es nicht; doch Coulon, der kühner war, stellte eine Frage wegen seines Rheumatismus. Pécuchet legte Coulons rechte Hand in die Linke Victoires, und mit immer geschlossenen Lidern, leicht geröteten Wangen und zitternden Lippen verordnete die Somnambule, nachdem sie erst irre geredet, „Valum becum“. Sie hatte bei einem Apotheker in Bayeux gedient. Vaucorbeil schloß daraus, daß sie sagen wolle: „Album graecum“, ein Wort, das sie vielleicht in der Apotheke flüchtig gelesen hatte. Dann wandte er sich dem alten Lemoine zu, der, Bouvard zufolge, Dinge durch undurchsichtige Körper wahrnahm. Er war ein ehemaliger Schulmeister, der sich dem Trunke ergeben hatte. Weißes Haar umflatterte sein Gesicht, und gegen einen Baum gelehnt, die Handflächen geöffnet, schlief er mitten in der Sonne mit majestätischer Miene. Der Arzt band ihm eine doppelte Binde über die Augen, und Bouvard sagte gebieterisch, ihm eine Zeitung hinhaltend: „Lesen Sie!“ Der Alte senkte die Stirn, bewegte die Gesichtsmuskeln, warf dann den Kopf zurück und buchstabierte schließlich: „Kon - sti - tu - tion - nel.“ Doch mit der nötigen Geschicklichkeit könne man jede Binde verschieben! Dieser Zweifel des Arztes empörte Pécuchet. Er wagte sogar die Behauptung, daß die Barbée beschreiben könne, was gegenwärtig in Vaucorbeils Hause vorgehe. „Gut,“ antwortete der Doktor. Und seine Uhr ziehend: „Womit beschäftigt sich meine Frau?“ Die Barbée zögerte lange; dann sagte sie mit verdrießlicher Miene: „Wie! was? Ach, jetzt verstehe ich! Sie näht Bänder an einen Strohhut.“ Vaucorbeil riß ein Blatt aus seinem Notizbuch und schrieb ein Billett, das der Gehilfe Marescots hinzutragen sich beeilte. Die Sitzung war zu Ende. Die Kranken entfernten sich. Bouvard und Pécuchet hatten, im ganzen genommen, nicht gut abgeschnitten. Lag das an der Temperatur oder am Geruch des Tabaks, oder am Schirm des Abbés Jeufroy, der einen Beschlag aus Messing hatte, einem Metall, das dem Ausströmen des Fluidums feindlich ist? Vaucorbeil zuckte die Achseln. Indessen könne er nicht den guten Glauben der Herren Deleuze, Bertrand, Morin, Jules Cloquet bezweifeln. Nun versichern diese Meister, daß Somnambulen Ereignisse vorausgesagt, grausige Operationen schmerzlos überstanden haben. Der Abbé berichtete noch erstaunlichere Geschichten. Ein Missionar habe Brahmanen eine Wölbung mit dem Kopf nach unten durchlaufen sehen, der Groß-Lama in Tibet schlitze sich die Gedärme auf, um Orakel zu erteilen! „Scherzen Sie?“ sagte der Arzt. „Keineswegs!“ „Gehen Sie doch! Welch ein Schwindel!“ Und während man von der eigentlichen Frage abkam, gab jeder Anekdoten zum besten. „Ich,“ sagte der Krämer, „ich hatte einen Hund, der immer krank war, wenn der Monat mit einem Freitag begann.“ „Wir waren vierzehn Kinder,“ hob der Friedensrichter an. „Ich bin am 14. geboren, meine Hochzeit fand am 14. statt, und mein Namensfest fällt auf den 14.! Erklären Sie mir das.“ Beljambe hatte häufig die Zahl der Reisenden geträumt, die er am folgenden Tage in seinem Gasthaus haben würde, und Petit erzählte die Geschichte vom Souper Cazottes. Da äußerte der Geistliche diesen Gedanken: „Soll man darin nicht ganz einfach etwas erblicken wie...“ „Die bösen Geister, nicht wahr?“ sagte Vaucorbeil. Anstatt zu antworten, nickte der Abbé zustimmend. Marescot sprach von der delphischen Pythia. „Ohne allen Zweifel Miasmen.“ „Ach! nun sind es gar Miasmen.“ „Ich nehme ein Fluidum an,“ erwiderte Bouvard. „Nervoso-sideral,“ fügte Pécuchet hinzu. „Aber beweisen Sie es! Zeigen Sie es! Ihr Fluidum! Übrigens sind die Fluida aus der Mode gekommen; hören Sie mich an.“ Vaucorbeil schritt weiter, um in den Schatten zu kommen. Die wackeren Spießbürger folgten ihm. „Wenn Sie zu einem Kinde sagen: ‚Ich bin ein Wolf, ich werde dich fressen,‘ so bildet es sich ein, Sie seien ein Wolf, und es bekommt Angst; es handelt sich also um einen Traum, der durch Worte anbefohlen ist. Ebenso nimmt der Somnambule alle beliebigen Phantastereien auf. Er erinnert sich und denkt nicht, gehorcht stets und hat nur Empfindungen, wenn er zu denken glaubt. Auf diese Weise sind Verbrechen suggeriert, und tugendsame Leute können sich in wilde Tiere verwandelt sehen und zu Menschenfressern werden.“ Man blickte Bouvard und Pécuchet an. Ihre Wissenschaft barg Gefahren für die Gesellschaft. Marescots Gehilfe erschien wieder im Garten, einen Brief von Frau Vaucorbeil schwenkend. Der Doktor erbrach ihn, wurde blaß und las schließlich die Worte: „Ich nähe Bänder an einen Strohhut.“ Die Verblüffung ließ kein Lachen aufkommen. „Ein Zufall, zum Teufel! Das beweist nichts.“ Und da die beiden Magnetiseure eine triumphierende Miene aufsetzten, wandte er sich unter der Tür um, um ihnen zu sagen: „Hören Sie damit auf! Es sind gefährliche Belustigungen!“ Der Pfarrer, der seinen Küster mitnahm, wusch ihm gehörig den Kopf: „Sind Sie verrückt! ohne meine Erlaubnis! Handlungen, die von der Kirche verboten sind!“ Alle waren seit einem Augenblick gegangen; Bouvard und Pécuchet plauderten mit dem Lehrer auf dem künstlichen Hügel, als Marcel mit gelöster Kinnbinde aus dem Obstgarten hervorbrach; er stammelte: „Geheilt! geheilt! Gute Herren!“ „Schön! genug! Laß uns in Ruhe!“ „Ach, gute Herren, ich liebe Sie! Ihr Diener!“ Petit, ein Mann des Fortschritts, hatte die Erklärung des Arztes banal, spießbürgerlich gefunden. Die Wissenschaft sei ein Monopol, das in den Händen der Reichen liege. Sie schließe das Volk aus: auf die alte Analyse des Mittelalters müsse nunmehr eine umfassende und mutig an die Dinge herangehende Synthese folgen! Die Wahrheit müsse gefühlsmäßig erkannt werden, und indem er sich als Spiritisten zu erkennen gab, führte er mehrere Werke an, die ohne Zweifel Lücken hätten, aber eine Morgenröte anzeigten. Sie ließen sie sich zusenden. Der Spiritismus stellt das Dogma einer vom Schicksal vorherbestimmten Veredelung des Menschengeschlechts auf. Die Erde wird eines Tages zum Himmel werden, und deshalb bezauberte diese Doktrin den Lehrer. Ohne rechtgläubig zu sein, geht sie auf Sankt Augustin und den heiligen Ludwig zurück. Allan Kardec veröffentlicht sogar Bruchstücke, die von ihnen diktiert und auf der Höhe der Anschauungen unserer Zeit sind. Sie ist nützlich, förderlich und entschleiert uns wie das Teleskop höhere Welten. Nach dem Tode und in der Ekstase werden die Geister dorthin versetzt. Aber zuweilen steigen sie auf unsern Erdball herab, wo sie die Möbel knacken lassen, an unsern Belustigungen teilnehmen, die Schönheiten der Natur und die Vergnügen der Kunst genießen. Indessen besitzen manche unter uns einen aromatischen Rüssel, das heißt hinten am Schädel eine lange Röhre, die von den Haaren bis zu den Planeten emporsteigt und uns erlaubt, mit den Geistern des Saturn zu sprechen; die übersinnlichen Dinge sind nicht weniger wirklich, und von der Erde zu den Sternen, von den Sternen zur Erde besteht ein Kommen und Gehen, ein Übertragen, ein beständiger Austausch. Da schwoll Pécuchets Herz von unendlichem Sehnen, und als die Nacht gekommen war, überraschte ihn Bouvard an seinem Fenster bei Betrachtung jener leuchtenden Räume, die von Geistern bewohnt werden. Swedenborg hat dort große Reisen gemacht. Denn in weniger als einem Jahre hat er Venus, Mars, Saturn und dreiundzwanzigmal Jupiter erforscht. Außerdem hat er in London Jesus Christus gesehen, er hat Sankt Paul gesehen, er hat Sankt Johannes gesehen, er hat Moses gesehen, und im Jahre 1736 hat er sogar das Jüngste Gericht gesehen. Auch gibt er uns Beschreibungen des Himmels. Man findet dort Blumen, Paläste, Märkte und Kirchen genau so wie bei uns. Die Engel, die früher Menschen waren, legen ihre Gedanken auf Blättern nieder, plaudern von den Dingen der Wirtschaft oder auch von geistigen Angelegenheiten, und die geistlichen Ämter gehören denjenigen, die sich in ihrem irdischen Leben mit der Heiligen Schrift befaßt haben. Die Hölle jedoch ist mit einem stinkenden Geruch erfüllt, mit schlechten Hütten, einem Haufen Unreinigkeiten, Schmutzlöchern, schlecht gekleideten Personen. Pécuchet zerwühlte sich den Verstand, um zu begreifen, was diese Offenbarungen Schönes enthielten. Sie erschienen Bouvard als der Wahnsinn eines Einfaltspinsels. Alles das geht über die Grenzen der Natur hinaus! Wer kennt sie indessen? Und sie gaben sich folgenden Betrachtungen hin: Schwindler vermögen die Menge zu täuschen; ein Mann, der starke Leidenschaften hat, wird damit andere hervorrufen; doch wie vermag der bloße Wille die leblose Materie zu beeinflussen? Ein Baier, sagt man, brachte Trauben zur Reife; Herr Gervais hat ein Heliotrop wieder belebt; ein stärkerer zu Toulouse vertreibt die Wolken. Soll man eine Zwischensubstanz zwischen der Welt und uns annehmen? Das Od, ein neuer ätherischer Stoff, eine Art Elektrizität, ist vielleicht nichts anderes. Seine Ausströmungen erklären den Schimmer, den die Magnetisierten zu sehen glauben: die Irrlichter der Friedhöfe, die Gespenstererscheinungen. Diese Bilder waren demnach keine Täuschung, und die außerordentlichen Gaben der Besessenen, die denen der Somnambulen ähnlich sind, hätten eine physische Ursache? Welches auch immer ihr Ursprung sei, es gibt eine Urwesenheit, ein verborgenes und allgemein wirkendes Agens. Könnten wir es fassen, so brauchte man weder Kraft noch Zeitdauer. Was Jahrhunderte erfordert, würde sich in einer Minute abwickeln; jedes Wunder wäre ausführbar, und das Weltall stände zu unserer Verfügung. Die Magie hat ihren Ursprung in dieser ewigen Begierde des menschlichen Geistes. Man hat zweifellos ihren Wert übertrieben, aber sie ist keine Lüge. Die Orientalen, welche sie besitzen, vollführen Wunder; alle Reisenden bestätigen es, und im Palais-Royal bringt Herr Dupotet die Magnetnadel mit seinem Finger aus ihrer Richtung. Wie Magier werden? Dieser Gedanke schien ihnen zuerst wahnsinnig, doch er kam wieder, quälte sie, und sie gaben ihm nach, während sie sich zugleich stellten, als ob sie darüber lachten. Eine vorbereitende Lebensweise war unerläßlich. Um besser in Ekstase zu geraten, machten sie die Nacht zum Tage, fasteten, und da sie aus Germaine ein empfindlicheres Medium machen wollten, teilten sie ihr ihre Nahrung genau zu. Sie entschädigte sich am Getränk und nahm so viel Branntwein zu sich, daß sie bald vollständig veralkoholisiert war. Wenn sie durch den Gang gingen, wurde Germaine wach. Sie verwechselte das Geräusch ihrer Schritte mit ihrem Ohrensausen und den eingebildeten Stimmen, die sie aus den Wänden hervorkommen hörte. Eines Tages, als sie morgens eine Butte in den Keller gebracht hatte, bekam sie Angst, als sie den Fisch ganz mit Feuer bedeckt sah, befand sich von da an schlechter und glaubte schließlich, sie sei verhext. In der Hoffnung, Visionen zu bekommen, drückten sie sich gegenseitig den Nacken, machten sich Säckchen aus Belladonna, nahmen die Zauberdose in Gebrauch: eine kleine Dose, aus der ein von Nägeln starrender Pilz hervorkommt, und die man vermittels eines um die Brust befestigten Bandes auf dem Herzen trägt. Alles schlug fehl; doch sie konnten mit dem Kreis Dupotets einen Versuch machen. Pécuchet schmierte mit Kohle eine schwarze Rundung auf den Boden, um die Lebensgeister hineinzuschließen, welchen die Luftgeister helfen sollten, und glücklich, Bouvard in seiner Gewalt zu haben, sagte er mit priesterlicher Miene zu ihm: „Ich wette, daß du nicht hinüberkommst!“ Bouvard betrachtete diese runde Stelle. Bald klopfte sein Herz, seine Augen trübten sich. „Ach! machen wir ein Ende!“ Und er sprang hinüber, um einem unbeschreiblichen Gefühl des Mißbehagens zu entgehen. Pécuchet, dessen Begeisterung im Wachsen war, wollte einen Toten erscheinen lassen. Unter dem Direktorium zeigte ein Mann, Rue de l’Echiquier, die Opfer der Schreckensherrschaft. Die Beispiele von Gespenstererscheinungen sind zahllos. Ob das ein Schein sei, was tut das! es kommt darauf an, ihn zu erzeugen. Je näher der Verstorbene uns steht, desto leichter erscheint er bei unserem Anruf; doch besaß Pécuchet kein Andenken von seiner Familie, weder einen Ring, noch ein Miniaturbild, nicht ein Haar, während Bouvard in der Lage war, seinen Vater zu beschwören; und da er Abneigung dagegen zeigte, fragte Pécuchet ihn: „Was fürchtest du?“ „Ich? O, gar nichts! Mach, was du willst!“ Sie erkauften sich Chamberlans Dienste, der ihnen insgeheim einen alten Totenkopf verschaffte. Ein Schneider schnitt ihnen zwei weite schwarze Priesterröcke mit einer Kapuze wie an Mönchsgewändern zu. Der Wagen von Falaise brachte ihnen eine lange Rolle in einer Umhüllung. Dann machten sie sich ans Werk, der eine begierig auf die Ausführung, der andere furchterfüllt, daran zu glauben. Das Museum hatte Behänge wie ein Katafalk. Drei Kerzen brannten am Rande des Tisches, der gegen die Wand unter das Porträt von Bouvards Vater geschoben war, über dem man den Totenkopf erblickte. Sie hatten sogar eine Kerze ins Innere des Schädels gesteckt, und Strahlen kamen aus den beiden Augenhöhlen hervor. In der Mitte dampfte auf einer Kohlenpfanne Weihrauch. Bouvard stand dahinter; und Pécuchet, der ihm den Rücken wandte, warf Hände voll Schwefel in die Asche. Bevor man einen Toten anruft, bedarf man der Einwilligung der Dämonen. Da nun dieser Tag ein Freitag war, -- welcher Tag Bechet gehört, -- so mußte man sich in erster Linie an Bechet wenden. Nachdem Bouvard nach rechts und links gegrüßt, das Kinn gesenkt und die Arme erhoben hatte, begann er: „Bei Ethaniel, Anazin, Ischyros...“ Er hatte das übrige vergessen. Pécuchet flüsterte ihm schnell die Worte zu, die er auf einem Stück Pappe aufgezeichnet hatte: „Ischyros, Athanatos, Adonaï, Sadaï, Eloy, Messiasos (die Litanei war lang), ich beschwöre dich, ich beobachte dich, ich befehle dir, o Bechet!“ Dann die Stimme dämpfend: „Wo bist du, Bechet? Bechet! Bechet! Bechet!“ Bouvard sank in einen Sessel, und er war recht froh, Bechet nicht zu sehen, denn eine innere Stimme warnte ihn vor diesem Beginnen als vor einem Frevel. Wo war die Seele seines Vaters? Konnte sie ihn hören? Wenn sie sich plötzlich einstellte? Die Vorhänge bewegten sich langsam in der Zugluft, die durch eine zersprungene Scheibe hereinkam, -- und die Kerzen warfen schwankende Schatten über den Totenkopf und das gemalte Antlitz. Eine erdige Farbe bräunte beide in gleicher Weise. Schimmel zerfraß die Wangen, die Augen waren glanzlos; doch in den Höhlungen des Schädels flackerte ein Licht. Es schien zuweilen auf das Bild des Vaters herabzugleiten, sich auf dessen Rockkragen niederzulassen, in seinem Backenbart zu sitzen; und die halb aus dem Rahmen gelöste Leinwand schwankte, zitterte. Allmählich glaubten sie von einem Atem gestreift zu werden und die Annäherung eines unkörperlichen Wesens zu spüren. Schweißtropfen feuchteten Pécuchets Stirn, und jetzt fingen auch Bouvards Zähne an zu klappern, ein Krampf faßte ihn an der Herzgrube; der Fußboden entwich wie eine Woge unter seinen Füßen; der Schwefel, der im Kamin brannte, schlug sich in großen Wirbeln nieder; zugleich flatterten Fledermäuse umher; ein Schrei erscholl; -- was war das? Jeder zeigte dem andern in seiner Kapuze ein so verzerrtes Gesicht, daß ihr Entsetzen sich dadurch steigerte, und während sie weder eine Bewegung zu machen noch auch zu sprechen wagten, hörten sie hinter der Tür Seufzen, wie von einer in Not befindlichen Seele. Endlich wagten sie sich hin. Es war ihre alte Magd, welche ihnen, durch eine Wandspalte guckend, auflauerte und den Teufel zu sehen geglaubt hatte; und im Flur kniend, schlug sie ein Kreuz nach dem andern. Alles Zureden war nutzlos; sie verließ noch denselben Abend das Haus, da sie bei solchen Leuten nicht im Dienst bleiben wolle. Germaine plauderte die Sache aus. Chamberlan verlor seine Stelle, und es entstand eine stumme Koalition gegen sie, die durch den Abbé Jeufroy, Frau Bordin und Foureau gebildet wurde. Ihre Lebensweise, die nicht die der anderen war, mißfiel. Sie wurden verdächtig und flößten sogar eine unbestimmte Angst ein. Was ihnen vollends in der Meinung der anderen den Rest gab, das war die Wahl ihres Dienstboten. In Ermangelung eines andern hatten sie Marcel ins Haus genommen. Seine Hasenscharte, seine Häßlichkeit und sein Kauderwelsch machten ihn abstoßend. Ein Findelkind, war er auf gut Glück in der freien Natur aufgewachsen und hatte von seinem langen Elend einen unersättlichen Hunger behalten. Krepierte Tiere, verdorbener Speck, ein überfahrener Hund, alles war ihm recht, wofern nur das Stück groß war, und er war sanft wie ein Lamm, doch vollständig stumpfsinnig. Die Dankbarkeit hatte ihn getrieben, sich den Herren Bouvard und Pécuchet als Diener anzubieten; und dann hoffte er auf außerordentlichen Gewinn, da er sie für Hexenkünstler hielt. Gleich während der ersten Tage vertraute er ihnen ein Geheimnis an. Unter der Heide von Poligny hatte ehemals ein Mann einen Goldbarren gefunden. Die Geschichte wird bei den Historikern von Falaise erzählt; sie kennen den Schluß nicht: zwölf Brüder hatten, bevor sie auf eine Reise gingen, zwölf gleiche Barren längs der Straße von Chavignolles bis Bretteville vergraben, -- und Marcel bestürmte seine Herren mit Bitten, die Nachforschungen wieder aufzunehmen. Diese Barren, so sagten sie sich, waren vielleicht zur Zeit der Auswanderung verscharrt. Hier mußte man die Wünschelrute anwenden. Ihre Kräfte sind zweifelhaft. Jedoch studierten sie die Frage, -- und sie erfuhren, daß ein gewisser Pierre Garnier sie mit wissenschaftlichen Gründen stützt: die Quellen und Metalle sollten winzige Körperchen ausströmen, die dem Holze wahlverwandt seien. Das ist keineswegs wahrscheinlich! Doch wer weiß? Machen wir einen Versuch! Sie schnitten sich eine Gabel aus Haselnuß, -- und eines Morgens machten sie sich auf die Suche nach dem Schatz. „Man wird ihn herausgeben müssen,“ sagte Bouvard. „O nein! das wäre noch schöner!“ Nach einem Marsche von drei Stunden hielt ein Bedenken sie an: „Die Straße von Chavignolles nach Bretteville! -- war das die alte oder die neue? Es mußte die alte sein!“ Sie rannten wieder zurück und durchliefen aufs Geratewohl die Umgegend, da die Spur der alten Straße nicht leicht zu erkennen war. Marcel lief nach rechts und links, wie ein Jagdhund auf der Suche. Alle fünf Minuten mußte Bouvard ihn zurückrufen; Pécuchet ging schrittweise vor, die Rute an den beiden Sprossen haltend, mit der Spitze nach oben. Oft war es ihm, als ziehe eine Kraft gleichsam wie eine Klammer ihn zu Boden, und Marcel machte eiligst einen Einschnitt in den nächsten Baum, um die Stelle später wiederzufinden. Indessen verlangsamte Pécuchet seinen Schritt. Sein Mund stand offen, seine Augen verdrehten sich. Bouvard rief ihn an, schüttelte ihn an den Schultern; er regte sich nicht und blieb regungslos, genau wie die Barbée. Dann erzählte er, daß er um das Herz eine Art von Reißen gefühlt habe, einen sonderbaren Zustand, der ohne Zweifel von der Rute herrühre; -- und er wollte sie nicht mehr anrühren. Am folgenden Tage kehrten sie zu den mit Zeichen versehenen Bäumen zurück. Marcel grub mit einem Scheit Löcher, in keinem Falle förderte das Nachgraben etwas zutage; -- und sie waren jedesmal äußerst kleinlaut. Pécuchet setzte sich an den Rand eines Grabens; und während er mit erhobenem Kopf träumte und sich dabei anstrengte, durch seinen aromatischen Rüssel die Stimme der Geister zu vernehmen, und sich sogar fragte, ob er einen besitze, heftete er seinen Blick auf den Schirm seiner Mütze; der ekstatische Zustand vom Abend vorher erfaßte ihn wieder. Er hielt lange an, wurde furchtbar. Über den Haferfeldern erschien in der Richtung eines Fußpfades ein Filzhut: es war Herr Vaucorbeil, der auf seiner Stute dahertrabte. Bouvard und Marcel riefen ihn an. Die Krise ging zu Ende, als der Arzt ankam. Um Pécuchet besser betrachten zu können, hob er dessen Mütze in die Höhe, -- er sah nun eine mit kupferroten Stellen bedeckte Stirn und sagte: „Aha! Fructus belli! Das ist syphilitischer Ausschlag, mein Lieber! Pflegen Sie sich! zum Teufel! Mit der Liebe ist nicht zu spaßen.“ Beschämt setzte Pécuchet seine Mütze wieder auf, eine Art flacher Kappe, die sich über einem halbmondförmigen Schirm bauschte, und zu der er das Modell in Amoros’ Illustrationen gefunden hatte. Die Worte des Doktors machten ihn starr. Er dachte darüber nach, die Augen in der Luft, -- und plötzlich erfaßte ihn der Zustand wieder. Vaucorbeil beobachtete ihn, dann stieß er Pécuchets Mütze mit dem geschnellten Finger an, daß sie herabfiel. Pécuchet erlangte seine volle Besinnung wieder. „Ich dachte es mir,“ sagte der Arzt, „der lackierte Schirm hypnotisiert Sie wie ein Spiegel, und diese Erscheinung ist bei Leuten nicht selten, die einen glänzenden Körper mit zu viel Aufmerksamkeit betrachten.“ Er gab an, wie man den Versuch mit Hühnern machen könne, bestieg seinen Klepper und verschwand langsam. Eine halbe Stunde weiter bemerkten sie einen pyramidenförmigen Gegenstand, der sich am Horizont im Hofe eines Pachtgutes erhob. Man hätte das für eine ungeheure Dolde schwarzer Trauben halten können, die hier und dort rote Punkte zeigten. Es war, normännischem Brauch folgend, ein langer Mast mit Querstäben, auf denen Puten saßen und sich in der Sonne blähten. „Laß uns hineingehen.“ Und Pécuchet sprach den Pächter an, der in ihren Wunsch willigte. Mit Kreide zeichneten sie eine Linie in die Kelter, fesselten einem Puter die Pfoten, legten ihn dann lang hin, den Schnabel in der Richtung des Strichs. Das Tier schloß die Augen und schien bald wie tot. Mit den anderen ging es ebenso. Bouvard langte sie behende Pécuchet hin, welcher sie nebeneinanderlegte, sobald sie starr waren. Die Leute von dem Pachthofe bekundeten Unruhe. Die Herrin schrie, ein kleines Mädchen weinte. Bouvard befreite das ganze Geflügel. Die Tiere belebten sich nach und nach, aber man konnte nicht wissen, was für Folgen das haben würde. Bei einer etwas abweisenden Entgegnung Pécuchets faßte der Pächter seine Mistgabel. „Schert Euch zum Teufel! Oder ich renne Euch das Ding in den Bauch.“ Sie machten sich davon. Einerlei! Das Problem war gelöst; der Ekstase liegt eine materielle Ursache zugrunde. Was ist denn die Materie? Was ist der Geist? Woher kommt die Wirkung des einen auf das andere; -- und wechselweise? Um sich darüber klar zu werden, suchten sie bei Voltaire, bei Bossuet, bei Fénelon, -- und nahmen sogar wieder ein Abonnement auf eine Leihbibliothek. Die alten Meister waren durch die Länge ihrer Werke oder durch die Schwierigkeit ihres Idioms für sie unzugänglich, aber Jouffroy und Damiron weihten sie in die moderne Philosophie ein, -- und sie verschafften sich Bücher über die Philosophie des verflossenen Jahrhunderts. Bouvard nahm seine Argumente aus Lamettrie, Locke, Helvetius; Pécuchet aus Herrn Cousin, Thomas Reid und Gérando. Der erstere hielt sich an die Erfahrung; das Gedankliche war alles für den letzteren. In dem einen steckte etwas von Aristoteles, der andere fühlte sich Plato verwandt, -- und sie diskutierten. „Die Seele ist unkörperlich!“ sagte der eine. „Keineswegs!“ sagte der andere. „Wahnsinn, Chloroform, ein Aderlaß werfen sie um, und da sie nicht immer denkt, so ist sie durchaus keine Substanz, die aus reinem Denken besteht.“ „Indessen“, wandte Pécuchet ein, „habe ich in mir selbst etwas, das meinem Körper überlegen ist und ihm zuweilen widerstreitet.“ „Ein Wesen im Wesen? Der homo duplex! geh doch! Verschiedene Tendenzen zeigen entgegengesetzte Motive an. Das ist alles.“ „Doch dieses Etwas, diese Seele bleibt identisch bei allen Veränderungen im Äußeren. Also ist sie einfach, unteilbar und folglich unkörperlich.“ „Wenn die Seele einfach wäre,“ erwiderte Bouvard, „so müßte das Neugeborene Erinnerung haben, denken wie der Erwachsene. Das Denken kommt dagegen mit der Entwicklung des Gehirns. Was die Unteilbarkeit anlangt, so lassen sich der Duft einer Rose oder der Hunger eines Wolfes ebensowenig in zwei Teile zerlegen wie das Wollen oder eine Behauptung.“ „Das schadet nichts!“ sagte Pécuchet, „die Seele ist frei von den Eigenschaften der Materie!“ „Glaubst du an die Schwerkraft?“ fuhr Bouvard fort. „Wenn nun die Materie fallen kann, so kann sie auch denken. Da unsere Seele einen Anfang genommen hat, muß sie auch ein Ende nehmen und, da sie von den Organen abhängt, mit ihnen verschwinden.“ „Ich dagegen behaupte, daß sie unsterblich ist! Gott kann nicht wollen...“ „Aber wenn Gott nicht existiert?“ „Wie?“ Und Pécuchet führte die drei cartesianischen Beweisgründe an: „Primo, Gott ist in der Idee einbegriffen, die wir von ihm haben; secundo, seine Existenz ist möglich; tertio, da ich begrenzt bin, wie könnte ich eine Idee vom Unbegrenzten haben? -- und da wir diese Idee haben, so kommt sie mir von Gott, also existiert Gott!“ Er ging zum Zeugnis aus dem Gewissen, zur Überlieferung der Völker, zur Notwendigkeit eines Schöpfers über. „Wenn ich eine Uhr sehe...“ „Ja! ja! kennen wir! doch wo ist der Vater des Uhrmachers?“ „Es muß doch eine Ursache vorhanden sein!“ Bouvard setzte Zweifel in die Kausalität. „Daraus, daß eine Erscheinung auf die andere folgt, schließt man, daß sie deren Folge ist. Beweise es!“ „Doch der Anblick des Weltalls läßt eine Absicht, einen Plan erkennen.“ „Wieso? Das Übel ist gerade so vollkommen organisiert wie das Gute. Der Wurm, der im Kopfe des Hammels entsteht und seinen Tod verursacht, hat, anatomisch genommen, denselben Wert wie der Hammel. Die Monstruositäten sind den normalen Bildungen überlegen. Der menschliche Körper könnte besser eingerichtet sein. Drei Viertel des Erdballs sind unfruchtbar. Der Mond, diese große Leuchte, zeigt sich nicht immer. Glaubst du, daß der Ozean für die Schiffe und das Holz der Bäume zur Heizung unserer Häuser bestimmt sei?“ Pécuchet antwortete: „Indessen ist der Magen zum Verdauen da, das Bein zum Gehen, das Auge zum Sehen, wenn es auch Verdauungsschwäche, Brüche und grauen Star gibt. Keine Anordnungen ohne Zweck! Die Wirkungen zeigen sich gleich oder später. Alles beruht auf Gesetzen. Also gibt es Endursachen.“ Bouvard dachte, Spinoza könne ihm vielleicht Argumente liefern, und er bat Dumouchel um die Übersetzung von Saisset. Dumouchel schickte ihm ein Exemplar, das seinem Freunde, dem Professor Varelot gehörte, der am zweiten Dezember verbannt war. Die Ethik mit ihren Axiomen, ihren Folgesätzen erschreckte sie. Sie lasen nur die Stellen, die mit Bleistift angestrichen waren, und sie begriffen dieses: Substanz ist das, was aus sich selbst, durch sich selbst, ohne Ursache, ohne Ursprung ist. Diese Substanz ist Gott. Er allein ist Ausdehnung, -- und die Ausdehnung hat keine Grenzen. Wodurch sollte sie begrenzt sein? Doch obwohl sie unbegrenzt ist, ist sie nicht das Absolut-Unendliche, denn sie enthält nur eine Art der Vollkommenheit, und das Absolute enthält sie alle. Oft hielten sie ein, um den Gedanken fester zu fassen. Pécuchet nahm eine Prise nach der andern, und Bouvard war rot vor Aufmerksamkeit. „Findest du das lustig?“ „Ja, gewiß! lies nur weiter!“ Gott entwickelt sich in einer Unzahl von Attributen, die jedes auf seine Weise die Unendlichkeit seines Wesens ausdrücken. Wir kennen ihrer nur zwei: die Ausdehnung und das Denken. Vom Denken und von der Ausdehnung sind die unzähligen Modi abgeleitet, die wieder andere enthalten. Der, welcher auf einmal alle Ausdehnung und alles Denken umfaßte, würde darin keine Zufälligkeit, nichts Grundloses, sondern eine geometrische Folge von Gliedern sehen, die untereinander durch notwendige Gesetze verbunden sind. „Ach, das wäre schön!“ sagte Pécuchet. Also gibt es Freiheit weder für den Menschen noch für Gott. „Da hörst du’s!“ rief Bouvard. Wenn Gott einen Willen, einen Zweck hätte, wenn er aus einem Grunde handelte, dann hätte er ein Bedürfnis, ermangelte er einer Vollkommenheit. Er wäre nicht Gott. So ist unsere Welt nur ein Punkt in der Gesamtheit der Dinge, -- und das unserm erkennenden Geiste verschlossene Weltall ist ein Teil einer unendlichen Zahl von Welten, die neben der unserigen unendlich viele verschiedengestaltete Welten bilden. Die Ausdehnung schließt unsere Welt in sich und wird ihrerseits von Gott umschlossen, welcher in seinem Denken alle möglichen Welten enthält, und sein eigenes Denken ist in seiner Substanz eingeschlossen. Es war ihnen, als würden sie nächtlicherweile bei eisiger Kälte in einem Ballon in endloser Fahrt gegen eine grundlose Tiefe fortgerissen, -- ohne etwas anderes als das Unfaßbare, Unbewegliche, Ewige um sich herum. Es war zu viel für sie. Sie gaben es auf. Und von dem Wunsche nach etwas weniger Schwierigem beseelt, kauften sie den Lehrgang der Philosophie von Guesnier, der für den Schulgebrauch bestimmt ist. Der Verfasser wirft die Frage auf, welches die beste Methode sei, die ontologische oder die psychologische. Die erste ist der Kindheit der menschlichen Gesellschaft angemessen, als der Mensch seine Aufmerksamkeit auf die äußere Welt richtete. Doch gegenwärtig, wo er sich auf sich selbst besinnt, „halten wir die zweite für wissenschaftlicher“, und Bouvard und Pécuchet entschieden sich für diese. Der Zweck der Psychologie ist, die Tatsachen zu studieren, die „im Busen des Ich“ vor sich gehen; man entdeckt sie durch Beobachtung. „Beobachten wir!“ Und vierzehn Tage lang suchten sie regelmäßig nach dem Frühstück in ihrem Bewußtsein auf gut Glück, in der Hoffnung, große Entdeckungen darin zu machen, und machten keine, was sie sehr in Staunen setzte. Ein Phänomen erfüllt das Ich, nämlich die Idee. Welcher Natur ist sie? Man hat vermutet, die Dinge spiegelten sich im Gehirn und das Gehirn schicke diese Bilder unserem Geiste, der uns die Kenntnis davon mitteilt. Doch wenn die Idee geistig ist, wie kann man die Materie vorstellen? Daher Zweifel, was die von außen kommenden Wahrnehmungen betrifft. Wenn sie materiell ist, so würden die geistigen Dinge nicht vorgestellt werden können. Daher Zweifel in Hinsicht auf unsere inneren Wahrnehmungen. „Übrigens gebe man acht! Diese Hypothese würde uns zum Atheismus führen.“ Denn da ein Bild ein begrenztes Ding ist, ist es ihm unmöglich, das Grenzenlose darzustellen. „Indessen“, wandte Bouvard ein, „wenn ich an einen Wald, an eine Person, an einen Hund denke, sehe ich diesen Wald, diese Person, diesen Hund. Also stellen die Ideen diese Dinge dar.“ Und sie machten sich an den Ursprung der Ideen. Nach Locke haben sie zwei Quellen, die sinnliche Wahrnehmung und die Reflexion, -- und Condillac führt alles auf die sinnliche Wahrnehmung zurück. Doch dann wird der Reflexion die Grundlage fehlen. Sie bedarf eines Subjektes, eines empfindenden Wesens; und sie ist unvermögend, uns die großen, fundamentalen Wahrheiten zu geben: Gott, gute und böse Werke, das Gerechte, das Schöne und so weiter, Vorstellungen, die man als angeboren bezeichnet, das heißt als solche, die den Tatsachen und der Erfahrung vorausgehen und allgemein sind. „Wenn sie allgemein wären, würden wir sie gleich bei unserer Geburt haben.“ „Man meint mit diesem Worte Veranlagungen, und Descartes ...“ „Dein Descartes quatscht! Denn er behauptet, der Fötus sei ihrer teilhaftig und an einer anderen Stelle gibt er zu, es sei nur implicite der Fall.“ Pécuchet war erstaunt. „Wo findet sich das?“ „Bei Gérando!“ Und Bouvard gab ihm einen leichten Schlag auf den Bauch. „Laß mich in Ruhe!“ sagte Pécuchet. Dann sich Condillac zuwendend: „Unsere Gedanken sind nicht Metamorphosen der sinnlichen Wahrnehmung. Sie verursacht sie, setzt sie in Bewegung. Um sie in Bewegung zu setzen, ist ein Antrieb nötig. Denn die Materie kann aus sich selbst die Bewegung nicht hervorbringen, -- und das habe ich in deinem Voltaire gefunden,“ fügte Pécuchet hinzu, indem er Bouvard eine tiefe Verbeugung machte. So kauten sie dieselben Argumente wieder, -- jeder voll Verachtung für die Ansicht des andern, und ohne ihn von der seinigen überzeugen zu können. Doch die Philosophie hob sie in ihrer eigenen Achtung. Mitleidig gedachten sie ihrer Beschäftigung mit Ackerbau und Politik. Gegenwärtig widerte das Museum sie an. Am liebsten hätten sie den alten Kram verkauft, -- und sie machten sich an das zweite Kapitel: von den Fakultäten der Seele. Man zählt ihrer drei, nicht mehr! Diejenige zu empfinden, die zu erkennen und die zu wollen. Bei dem Empfindungsvermögen unterscheiden wir die physische und die seelische Empfindung. Die physischen Eindrücke zerfallen naturgemäß in fünf Arten, da sie durch die Sinneswerkzeuge vermittelt werden. Die Vorgänge bei den seelischen Eindrücken dagegen haben nichts mit dem Körper zu tun. „Was gibt es Gemeinsames zwischen der Freude eines Archimedes, als er die Gesetze der Schwere fand, und der unreinen Lust eines Apicius, als er einen Eberkopf verzehrte!“ Die seelische Empfindung hat vier Gattungen, und ihre zweite Gattung, „moralische Wünsche“, zerfällt in fünf Arten, und die Erscheinungen der vierten Gattung, „Affektion“, zerfallen wieder in zwei neue Arten, unter ihnen die Eigenliebe, „ohne Zweifel ein berechtigter Hang, der jedoch, wenn ausgeartet, den Namen Egoismus annimmt“. In der Fähigkeit zu erkennen findet sich die rationelle Perzeption, bei der man zwei Hauptrichtungen und vier Grade unterscheiden kann. Die Abstraktion kann für phantastische Intelligenzen Klippen bilden. Das Gedächtnis stellt den Zusammenhang mit dem Vergangenen her wie das Voraussehen den mit dem Zukünftigen. Die Phantasie dagegen ist eine besondere Fähigkeit sui generis. So viel Umstände, Binsenwahrheiten zu beweisen, der pedantische Ton des Verfassers, die Eintönigkeit der Wendungen: „Wir sind bereit anzuerkennen, -- Fort mit dem Gedanken. -- Befragen wir unser Gewissen“, das ewig wiederkehrende Lob Dugald-Stewarts, kurz, der ganze Wortschwall ekelte sie so an, daß sie über das Willensvermögen hinweggingen und sich gleich an die Logik machten. Und sie belehrte sie über Analyse, Synthese, Induktion, Deduktion und die hauptsächlichen Gründe unserer Irrtümer. Fast alle rühren vom schlechten Gebrauch der Worte her. „Die Sonne geht unter, das Wetter wird trübe, der Winter naht“, fehlerhafte Ausdrucksweisen, die den Glauben an persönliche Wesen hervorrufen müssen, wo es sich nur um ganz einfache Ereignisse handelt. „Ich erinnere mich jenes Gegenstandes, jenes Axioms, jener Wahrheit“, -- Täuschung! Es sind die Ideen und nicht die Dinge, die im Ich bleiben, und ein genauer Sprachgebrauch verlangte: „Ich erinnere mich eines bestimmten Vorganges in meinem Geiste, durch welchen ich das Objekt wahrgenommen, aus welchem ich das Axiom abgeleitet habe, durch welches ich zur Annahme dieser Wahrheit gekommen bin.“ Da der Ausdruck, der einen Vorgang bezeichnet, diesen nie in allen seinen Modifikationen umfaßt, so versuchten sie, nur abstrakte Wörter zu verwenden, -- so daß sie, anstatt zu sagen: „Laß uns ausgehen, -- es ist Zeit zum Essen, -- ich habe Koliken“, folgende Phrasen zutage förderten: „Ein Spaziergang wäre heilsam. -- Die Stunde, Nahrung einzunehmen, ist da. -- Ich verspüre ein Bedürfnis nach Ausleerung.“ Als sie mit der Logik vertraut geworden waren, prüften sie die verschiedenen Kriterien, zuerst dasjenige des gesunden Menschenverstandes. Wenn der einzelne nichts wissen kann, warum sollten alle zusammen mehr wissen? Ein Irrtum, wäre er auch hundert Jahre alt, begründet deswegen, daß er alt ist, nicht eine Wahrheit! Die große Menge folgt immer dem alten Herkommen! Die Minderheit dagegen führt den Fortschritt herbei. Soll man dem Zeugnis der Sinne Glauben schenken? Sie täuschen zuweilen, und sie belehren immer nur über den Schein. Der Kern der Dinge entgeht ihnen. Die Vernunft bietet größere Sicherheit, da sie unwandelbar und unpersönlich ist, -- doch um in Erscheinung zu treten, muß sie Fleisch werden. Da wird die Vernunft meine Vernunft; eine Regel hat wenig Bedeutung, wenn sie falsch ist. Nichts beweist, daß jene da richtig ist. Man empfiehlt, sie durch die Sinne zu überwachen; doch die können die Finsternis verstärken. Aus einer undeutlichen Wahrnehmung wird ein mangelhaftes Gesetz gefolgert, das später die klare Anschauung von den Dingen stört. Bleibt noch die Moral. Damit wird Gott auf die Stufe der Nützlichkeit herabgedrückt, als ob unsere Bedürfnisse der Maßstab des Absoluten wären! Was die Evidenz betrifft, die von dem einen geleugnet, von dem anderen behauptet wird, so ist sie ihr eigenes Kriterium. Herr Cousin hat es bewiesen. „Ich sehe nur noch die Offenbarung,“ sagte Bouvard. „Doch um an sie zu glauben, muß man eine vorausgehende doppelte Erkenntnis annehmen: die des Körpers, welcher empfunden hat, und die des Geistes, welcher wahrgenommen hat; man muß Empfindung und Vernunft annehmen, menschliche und infolgedessen verdächtige Zeugnisse.“ Pécuchet sann nach, legte die Arme übereinander. „Aber wir geraten in den schrecklichen Abgrund des Skeptizismus.“ Bouvard meinte, er sei nur schwachen Hirnen schrecklich. „Danke für das Kompliment,“ erwiderte Pécuchet. „Indessen gibt es unbestreitbare Tatsachen. Man kann die Wahrheit bis zu einem gewissen Grade erlangen.“ „Bis zu welchem? Ergeben zwei und zwei immer vier? Ist der Inhalt in irgendeiner Hinsicht geringer als das Enthaltende? Was heißt ein annähernd Wahres, ein Bruchteil von Gott, der Teil einer unteilbaren Sache?“ „Ach! das sind nur Sophistereien!“ Und Pécuchet, verärgert, maulte drei Tage lang. Sie verbrachten sie damit, die Inhaltsverzeichnisse mehrerer Bände durchzugehen. Bouvard lächelte von Zeit zu Zeit, -- und, die Unterhaltung wieder anknüpfend: „Es ist eben schwierig, keine Zweifel zu hegen: So sind die Beweise für das Dasein Gottes bei Descartes, Kant und Leibniz nicht dieselben und vernichten sich gegenseitig. Die Entstehung der Welt durch die Atome oder durch einen Geist bleibt unfaßbar. Ich fühle mich zugleich als Materie und Denken, ohne doch zu wissen, was das eine und was das andere sei. Undurchdringlichkeit, Festigkeit, Schwere scheinen mir gerade so große Geheimnisse wie meine Seele, -- und um so mehr die Vereinigung von Seele und Körper. Um sie zu erklären, hat Leibniz seine prästabilierte Harmonie erdacht, Malebranche die göttliche Bestimmung des menschlichen Willens, Cudworth einen Mittler, und Bossuet sieht darin ein beständiges Wunder, was eine Dummheit ist: ein beständiges Wunder wäre kein Wunder mehr.“ „In der Tat!“ sagte Pécuchet. Und beide gestanden, daß sie der Philosophen überdrüssig wären. So viele Systeme verwirren. Die Metaphysik ist zwecklos. Man kann ohne sie leben. Zudem wuchs ihre Geldverlegenheit. Sie schuldeten Beljambe drei Fässer Wein, Langlois zwölf Kilogramm Zucker, ihrem Schneider hundertundzwanzig Franken, dem Schuster sechzig. Neue Ausgaben stellten sich ständig ein, und Meister Gouy zahlte nicht. Sie begaben sich zu Marescot, damit er ihnen Geld verschaffen sollte, sei es durch den Verkauf der Ecalles oder durch eine Hypothek auf ihren Pachthof oder durch Veräußerung ihres Hauses, das mit lebenslänglichen Renten bezahlt werden sollte und dessen Nutznießung sie behalten würden. -- Ein ungangbarer Weg, sagte Marescot, doch ein besseres Geschäft bereite sich vor und man würde sie benachrichtigen. Dann fiel ihnen ihr armer Garten ein. Bouvard übernahm das Ausputzen des Laubenganges, Pécuchet den Schnitt des Spaliers. -- Marcel mußte die Beete umgraben. Nach Verlauf einer Viertelstunde hielten sie an; der eine schloß sein Gartenmesser, der andere legte die Schere hin, und ganz sachte begannen sie auf- und abzugehen: Bouvard ohne Weste mit vorgestreckter Brust und bloßen Armen im Schatten der Linden; Pécuchet mit gesenktem Kopf, die Hände auf dem Rücken, den Schirm der Mütze aus Vorsicht in den Nacken gedreht, an der Mauer entlang; und sie gingen so in derselben Richtung, ohne auch nur Marcel zu sehen, der an der Hütte lehnend sich ausruhte und dabei eine Brotschnitte verzehrte. In dieser nachdenklichen Stimmung stellten sich Gedanken ein; sie redeten einander an, um sie nicht zu vergessen; und die Metaphysik kam wieder aufs Tapet. Sie stellte sich bei Gelegenheit des Regens und des Sonnenscheins, eines Kieselsteins in ihrem Schuh, einer Blume auf dem Rasen, bei allem und jedem wieder ein. Wenn sie eine Kerze brennen sahen, fragten sie sich, ob das Licht im Objekte oder in unserem Auge sei. Da die Sterne verschwunden sein können, wenn ihr Glanz zu uns gelangt, so bewundern wir vielleicht Dinge, welche nicht vorhanden sind. Als sie in einer Weste eine Raspailzigarette wiederfanden, zerbröckelten sie diese auf dem Wasser, und der Kampfer drehte sich. Es gibt also Bewegung in der Materie! Ein höherer Grad von Bewegung würde das Leben hervorrufen. Doch wenn die sich bewegende Materie genügte, um Wesen zu schaffen, so würden diese nicht so verschieden sein. Denn am Uranfang gab es weder Erde, noch Wasser, noch Menschen, noch Pflanzen. Was ist also diese ursprüngliche Materie, die man niemals gesehen hat, die nicht identisch ist mit den Dingen dieser Welt und sie alle hervorgebracht hat? Manchmal hatten sie ein Buch nötig. Dumouchel, der müde war, sie zu bedienen, antwortete ihnen nicht mehr, und sie verbissen sich in das Problem, besonders Pécuchet. Sein Wahrheitsbedürfnis wurde zum brennenden Durste. Unter dem Eindruck von Bouvards Reden ließ er vom Spiritualismus ab, nahm ihn bald wieder auf, um ihn dann wieder fallen zu lassen, und rief, den Kopf in den Händen: „O! Der Zweifel! der Zweifel! Lieber wäre mir das Nichts!“ Bouvard bemerkte die Unzulänglichkeit des Materialismus und versuchte daran festzuhalten, wobei er übrigens erklärte, daß er den Kopf darüber verlöre. Sie begannen Vernunftschlüsse auf einer festen Basis; sie brach zusammen; -- und plötzlich waren alle Gedanken fort, wie eine Fliege davonfliegt, sobald man sie fangen will. Während der Winterabende plauderten sie im Museum am Feuer, den Blick auf die Kohlen gerichtet. Der Wind, der im Flur pfiff, ließ die Scheiben erzittern, die schwarzen Massen der Bäume wiegten sich, und die Melancholie der Nacht verstärkte den Ernst ihrer Gedanken. Von Zeit zu Zeit ging Bouvard bis ans Ende des Gemaches; dann kam er zurück. Die Kerzen und die Metallgeschirre an der Wand warfen schräge Schatten auf den Boden; und der Sankt Peter, den man im Profil sah, breitete über die Decke den Schattenriß seiner Nase, der einem ungeheueren Jagdhorn glich. Nur mit Mühe konnte man zwischen den Gegenständen durchkommen, und oft stieß sich Bouvard, wenn er nicht acht gab, an der Statue. Mit ihren großen Augen, der herabhängenden Lippe und ihrer Trunkenboldsphysiognomie war sie auch Pécuchet im Wege. Seit langer Zeit wollten sie sich ihrer entledigen, doch aus Lässigkeit verschoben sie es von einem Tage zum andern. Eines Abends stieß Bouvard inmitten eines Streites über die Monade mit seiner großen Zehe gegen die Sankt Peters, -- und seinen Zorn gegen ihn entladend: „Der Kerl ist mir gräßlich, wir wollen ihn an die Luft setzen!“ Es war zu schwierig, ihn die Treppe hinunterzuschaffen. Sie öffneten das Fenster und neigten ihn sachte gegen den Rand. Pécuchet versuchte kniend, ihn an den Fußsohlen in die Höhe zu heben, während Bouvard gegen die Schultern drückte. Der steinerne Biedermann wankte nicht; sie mußten die Hellebarde als Hebel zu Hilfe nehmen, -- und endlich kamen sie so weit, ihn ganz niederzulegen. Dann stürzte er, nachdem er hin- und hergependelt hatte, ins Leere, die Tiara voran, -- ein dumpfes Geräusch erscholl, -- und am folgenden Morgen fanden sie ihn in zwölf Stücke zerbrochen in dem ehemaligen Kompostloch. Eine Stunde später trat der Notar herein mit einer guten Nachricht für sie. Jemand aus dem Orte würde für eine Hypothek auf ihren Pachthof tausend Taler vorschießen; und da sie sich freuten: „Verzeihen Sie! Man macht eine Bedingung dabei: daß Sie nämlich dem Geldgeber die Ecalles für fünfzehnhundert Franken verkaufen. Der Vorschuß wird noch heute bezahlt werden. Das Geld liegt bei mir im Bureau.“ Sie waren nicht abgeneigt, die beiden Vorschläge anzunehmen. Bouvard sagte schließlich: „Lieber Gott... meinetwegen!“ „Abgemacht!“ sagte Marescot. Und er teilte ihnen den Namen der Person mit. Es war Frau Bordin. „Das dachte ich mir!“ rief Pécuchet. Bouvard schwieg gedemütigt. Sie oder jemand anders, was lag daran! Die Hauptsache war, aus der Verlegenheit herauszukommen. Nachdem das Geld erhoben war (das für die Ecalles würde später folgen), bezahlten sie sämtliche Rechnungen und waren auf dem Heimwege, als sie um die Markthallen biegend vom Vater Gouy angehalten wurden. Er war auf dem Wege zu ihnen, um ihnen ein Unglück anzuzeigen. In der vergangenen Nacht hatte der Wind zwanzig Apfelbäume in den Höfen umgeworfen, die Branntweinbrennerei niedergelegt, das Dach der Scheune fortgerissen. Sie verbrachten den Rest des Nachmittags damit, den Schaden festzustellen, und der folgende Tag verging mit Verhandlungen mit dem Zimmermann, dem Maurer und dem Dachdecker. Die Ausbesserungen würden sich zum mindesten auf achtzehnhundert Franken belaufen. Abends fand sich dann Gouy ein. Marianne habe ihm eben selbst von dem Verkaufe der Ecalles erzählt. Ein Stück Land von prächtigem Ertrag, das ihm sehr bequem gelegen sei und fast keine Bearbeitung erfordere, das beste Stück des ganzen Gutes! -- und er verlangte einen Nachlaß. Die Herren beschieden ihn abschlägig. Man unterbreitete den Fall dem Friedensrichter, und er entschied zugunsten des Pächters. Wenn man den Acker auf zweitausend Franken schätzte, so brachte ihm der Verlust der Ecalles einen jährlichen Schaden von siebzig, und vor Gericht würde er sicher gewinnen. Ihr Besitz war geschmälert. Was tun? Und wie bald leben? Sie setzten sich beide voller Entmutigung zu Tisch. Marcel verstand nichts von der Küche; dieses Mal war sein Diner noch schlechter als sonst. Die Suppe glich Spülwasser, das Kaninchen schmeckte verdorben, die grünen Bohnen waren nicht gargekocht, die Teller schmutzig, und beim Nachtisch platzte Bouvard los, indem er drohte, er wolle ihm das Ganze an den Kopf werfen. „Seien wir Philosophen,“ sagte Pécuchet. „Etwas weniger Geld, die Intrigen einer Frau, das Ungeschick eines Dienstboten, was bedeutet das alles? Du steckst zu tief in der Materie!“ „Aber wenn sie mich doch quält,“ sagte Bouvard. „Ich, ich bestreite ihr Dasein!“ erwiderte Pécuchet. Er hatte letzthin eine Darstellung der Philosophie Berkeleys gelesen und fügte hinzu: „Ich leugne die Ausdehnung, die Zeit, den Raum, sogar die Substanz! Denn die wahre Substanz ist der Geist, der die Qualitäten perzipiert.“ „Ausgezeichnet,“ sagte Bouvard. „Doch wenn man die Welt unterdrückt, so werden die Beweise für das Dasein Gottes fehlen.“ Pécuchet widersprach lebhaft und ausführlich, obgleich er an einem Schnupfen litt, den das Jodkalium verursacht hatte, -- und ständiges Fieber steigerte seine Erregung. Bouvard, der sich seinetwegen beunruhigte, ließ den Arzt rufen. Vaucorbeil verschrieb Orangensirup mit Jod und für später Sublimatbäder. „Wozu?“ erwiderte Pécuchet. „Den einen oder andern Tag wird die Form vergehen. Die Essenz geht nicht unter!“ „Ohne Zweifel,“ sagte der Arzt, „ist die Materie unzerstörbar! Indessen...“ „Aber nein! Aber nein! Das Unzerstörbare ist das Wesen. Dieser Leib, der da vor mir steht, der Ihrige, Doktor, hindert mich, Ihre Persönlichkeit zu kennen, ist sozusagen nur eine Verkleidung, oder vielmehr eine Maske.“ Vaucorbeil glaubte, Pécuchet sei verrückt geworden. „Guten Abend! Pflegen Sie Ihre Maske!“ Pécuchet ließ nicht ab. Er verschaffte sich eine Einführung in die Hegelsche Philosophie, wollte sie Bouvard auseinandersetzen. „Alles, was vernünftig ist, ist wirklich. Das einzig Wirkliche ist die Idee. Die Gesetze des Geistes sind die Gesetze des Weltalls, die Vernunft des Menschen ist identisch mit derjenigen Gottes.“ Bouvard stellte sich, als ob er verstehe. „Also ist das Absolute zugleich das Subjekt und das Objekt, die Einheit, in der sich alle Unterschiede zusammenfinden. So werden die Gegensätze überwunden. Der Schatten macht das Licht möglich, das mit dem Warmen vermischte Kalte bringt die Temperatur hervor, der Organismus erhält sich nur durch die Zerstörung des Organismus, überall gibt es ein Prinzip, das trennt, ein Prinzip, das vereint.“ Sie waren auf dem künstlichen Hügel, und der Geistliche ging am Zaune vorbei, das Brevier in der Hand. Pécuchet bat ihn, einzutreten; er wollte in seiner Gegenwart den Vortrag über Hegel zu Ende führen, um einmal zu sehen, was der Abbé dazu sagen würde. Der Mann im Priesterrock setzte sich zu ihnen, und Pécuchet wandte sich dem Christentum zu. „Keine Religion hat so fest die Wahrheit begründet, daß die Natur nur ein Moment der Idee ist!“ „Ein Moment der Idee!“ murmelte der Priester verdutzt. „Ja doch! Indem Gott eine sichtbare Einkleidung annahm, hat er seine konsubstantielle Einheit mit ihr gezeigt.“ „Mit der Natur? O! O!“ „Durch sein Hinscheiden hat er die Wesenheit des Todes bezeugt; also war der Tod in ihm, bildete, bildet einen Teil von Gott.“ Der Geistliche runzelte die Stirn. „Keine Gotteslästerung! Nur zum Heile der Menschheit hat er die Leiden erduldet.“ „Irrtum! Man betrachtet den Tod im Individuum, wo er ohne Zweifel ein Übel ist. Doch in bezug auf die Dinge ist das anders. Sie dürfen nicht Geist und Materie trennen!“ „Indessen, mein Herr, vor der Schöpfung...“ „Es hat keine Schöpfung stattgefunden. Sie ist immer dagewesen. Sonst wäre das ein neues Wesen, das zu dem göttlichen Gedanken hinzukommt, was widersinnig wäre.“ Der Priester erhob sich, Amtsgeschäfte riefen ihn. „Ich schmeichle mir, ihn hineingelegt zu haben!“ sagte Pécuchet. „Noch ein paar Worte! Da die Existenz der Welt nur ein beständiger Durchgang des Lebens zum Tode und des Todes zum Leben ist, so ist, weit entfernt, daß alles sei, vielmehr nichts. Aber alles wird, begreifst du?“ „Ja! ich begreife, oder vielmehr nein!“ Der Idealismus brachte Bouvard schließlich zur Verzweiflung. „Ich will nichts mehr davon hören; das berühmte cogito macht mich rasend. Man nimmt die Ideen der Dinge für die Dinge selbst. Man setzt auseinander, wovon man sehr wenig versteht, mit Hilfe von Worten, die man überhaupt nicht versteht! Substanz, Ausdehnung, Kraft, Materie und Seele. Lauter Abstraktionen, Phantastereien. Was Gott betrifft, unmöglich zu wissen, wie er ist, ob er überhaupt ist! Ehemals war er der Urheber des Windes, des Blitzes, der Revolutionen. Gegenwärtig nimmt seine Macht ab. Übrigens sehe ich seinen Nutzen nicht ein.“ „Und wo bleibt bei alledem die Moral?“ „Ja, da ist nichts zu machen!“ „Ihr fehlt die tatsächliche Grundlage,“ sagte sich Pécuchet im stillen. Und er versank in Schweigen, denn er war in eine Sackgasse geraten, eine Folge der Prämissen, die er selbst aufgestellt hatte. Es war für ihn wie eine Überraschung, wie ein vernichtender Stoß. Bouvard glaubte nicht einmal mehr an die Materie. Die Gewißheit, daß nichts existiert (so jammervoll sie auch ist), ist darum nicht weniger eine Gewißheit. Wenige Menschen sind fähig, sie zu ertragen. Diese geistige Überlegenheit erfüllte sie mit Stolz, und sie hätten sie öffentlich bekunden mögen: eine Gelegenheit bot sich. Als sie eines Morgens Tabak holten, sahen sie eine Menschenansammlung vor Langlois’ Tür. Man umringte die Post von Falaise, und man sprach von Touache, einem Sträfling, der in der Gegend vagabundierte. Der Wagenführer hatte ihn bei Croix-Verte zwischen zwei Gendarmen getroffen, und die Einwohner von Chavignolles stießen einen Seufzer der Erleichterung aus. Girbal und der Hauptmann blieben auf dem Platze; dann kam der Friedensrichter, der neugierig war, etwas zu erfahren, und Herr Marescot in Samtbarett und schafledernen Pantoffeln. Langlois lud sie ein, seinen Laden mit ihrer Gegenwart zu beehren. Sie würden es dort gemütlicher haben, und trotz der Kunden und des Geräusches der Klingel fuhren die Herren fort, die Schandtaten des Touache zu besprechen. „Lieber Gott!“ sagte Bouvard, „er hatte schlechte Triebe, das erklärt alles!“ „Man bezwingt sie durch die Tugend,“ erwiderte der Notar. „Aber wenn man keine Tugend hat?“ Und Bouvard bestritt mit Bestimmtheit die Willensfreiheit. „Indessen“, sagte der Hauptmann, „kann ich tun, was ich will! Es steht mir zum Beispiel frei, mein Bein zu bewegen.“ „Nein, mein Herr, denn Sie haben einen Beweggrund, es zu bewegen!“ Der Hauptmann suchte eine Antwort, fand keine. Doch Girbal schoß diesen Pfeil ab: „Ein Republikaner, der gegen die Freiheit spricht, das ist komisch!“ „Das ist zum Lachen!“ sagte Langlois. Bouvard stellte ihm die Frage: „Weshalb geben Sie Ihr Vermögen nicht den Armen?“ Der Krämer überflog unruhigen Blicks seinen ganzen Laden. „Ei ja! bin nicht so dumm! Ich behalte es für mich!“ „Wenn Sie der heilige Vinzenz von Paul wären, würden Sie anders handeln, da Sie dann seinen Charakter hätten. Sie gehorchen dem Ihrigen. Also sind Sie nicht frei!“ „Das ist Wortklauberei,“ antwortete die Versammlung im Chore. Bouvard ließ sich nicht stören, und auf die Wage auf dem Ladentisch weisend: „Die bleibt regungslos, solange eine der Wagschalen leer ist. Ebenso der Wille; und das Schwanken der Wage zwischen zwei Gewichten, die gleich scheinen, gibt ein Bild der Arbeit unseres Geistes, wenn er über die Beweggründe mit sich zu Rate geht, bis zu dem Augenblicke, wo der stärkere den Sieg davonträgt, ihn bestimmt.“ „Alles das,“ sagte Girbal, „beweist nichts für Touache und hindert nicht, daß er ein recht lasterhafter Schurke ist.“ Pécuchet nahm das Wort: „Die Laster sind Eigenheiten der Natur, wie die Überschwemmungen, die Stürme.“ Der Notar hielt ihn an, und sich bei jedem Wort auf den Zehenspitzen in die Höhe hebend: „Ich finde Ihr System vollkommen unmoralisch. Es läßt allen Zügellosigkeiten freien Lauf, entschuldigt die Verbrechen, wäscht die Schuldigen rein.“ „Ganz recht,“ sagte Bouvard. „Der Unglückliche, welcher seinen Begierden folgt, ist ebenso in seinem Recht, wie der ehrbare Mann, der der Vernunft Gehör gibt.“ „Verteidigen Sie nicht die Ungeheuer!“ „Warum Ungeheuer? Wenn ein Blinder, ein Idiot, ein Mörder geboren wird, so scheint uns das gegen die Ordnung, als ob uns die Ordnung bekannt wäre, als wenn die Natur zu einem Endzweck handelte!“ „Dann leugnen Sie die Vorsehung?“ „Ja, ich leugne sie!“ „Sehen Sie vielmehr auf die Geschichte,“ rief Pécuchet. „Gedenken Sie der Königsmörder, der Hinmetzelungen der Völker, der Zwistigkeiten in den Familien, des Kummers der einzelnen.“ „Und zu gleicher Zeit,“ fügte Bouvard hinzu -- denn sie erhitzten sich aneinander -- „sorgt diese Vorsehung für die kleinen Vögel und läßt die Scheren der Krebse wieder wachsen. Ja, wenn Sie unter Vorsehung ein Gesetz verstehen, das alles ordnet, so will ich es gelten lassen, und auch nur unter Vorbehalt!“ „Indessen, mein Herr,“ sagte der Notar, „gibt es Prinzipien!“ „Was schwatzen Sie da! Eine Wissenschaft ist nach Condillac um so größer, als sie ihrer nicht bedarf! Sie resümieren nur die erworbenen Erkenntnisse und verweisen uns auf solche Erkenntnisse, die gerade bestreitbar sind.“ „Haben Sie wie wir“, fuhr Pécuchet fort, „die Geheimnisse der Metaphysik erforscht, durchwühlt?“ „Allerdings nicht, meine Herren, allerdings nicht!“ Und man ging auseinander. Doch Coulon zog sie beiseite und sagte ihnen in väterlichem Tone, daß er sicherlich nicht fromm sei und sogar die Jesuiten verabscheue. Indessen gehe er nicht so weit wie sie! O nein! sicherlich nicht; -- und an der Ecke auf dem Platze kamen sie an dem Hauptmann vorbei, der sich seine Pfeife wieder anzündete, wobei er brummte: „Ich tue doch, was ich will, in Teufels Namen!“ Bouvard und Pécuchet gaben auch bei andern Gelegenheiten ihre scheußlichen Paradoxe zum besten. Sie zogen die Redlichkeit der Menschen, die Keuschheit der Frauen, die Einsicht der Regierung, den gesunden Verstand des Volkes in Zweifel, kurz, sie untergruben die Grundlagen. Foureau geriet darüber in Erregung und bedrohte sie mit Gefängnis, wenn sie derartige Reden fortsetzten. Ihre augenscheinliche Überlegenheit verletzte. Da sie unmoralische Thesen verteidigten, mußten sie unmoralisch sein; Verleumdungen wurden erfunden. Da entwickelte sich eine bedauerliche Fähigkeit in ihrem Geiste, nämlich die, die Dummheit zu sehen und sie nicht zu ertragen. Unbedeutende Dinge betrübten sie: die Reklamen der Zeitungen, das Profil eines Spießbürgers, eine dumme Bemerkung, die sie zufällig gehört. Wenn sie daran dachten, was man in ihrem Dorfe redete, und sich vorstellten, daß es bis zum andern Ende der Welt nur neue Coulons, neue Marescots, neue Foureaus gäbe, fühlten sie gleichsam das ganze Gewicht der Erde auf sich lasten. Sie gingen nicht mehr aus, sahen niemand mehr bei sich. Eines Nachmittags hörten sie in ihrem Hofe ein Zwiegespräch zwischen Marcel und einem Herrn in breitkrämpigem Hut und schwarzer Schutzbrille. Es war der Akademiker Larsoneur. Es konnte ihm nicht entgehen, daß man einen Vorhang zurückzog, daß Türen geschlossen wurden. Sein Besuch bedeutete einen Aussöhnungsversuch, und er ging wütend davon, indem er den Diener beauftragte, er solle seinen Herren sagen, sie seien ungezogene Menschen. Bouvard und Pécuchet war es gleich. Die Welt verlor an Bedeutung für sie; sie sahen sie wie durch einen Nebel, der aus ihrem Gehirn kam und sich auf ihre Augen herabließ. Ist übrigens nicht alles eine Illusion, ein böser Traum? Vielleicht halten sich, im ganzen genommen, Glück und Unglück die Wage! -- Doch das Wohlergehen der Menschheit ist für den einzelnen kein Trost. „Was sind mir die andern!“ sagte Pécuchet. Seine Verzweiflung betrübte Bouvard. Er hatte ihn dahin gebracht, und der Verfall ihres Heims stachelte ihren Kummer mit täglichem Ärger neu an. Um sich wieder Mut zu machen, redeten sie einander mit Vernunftgründen zu, schrieben sich Arbeiten vor und verfielen bald wieder in größere Untätigkeit, in tiefere Entmutigung. Am Ende der Mahlzeiten blieben sie, die Ellbogen auf den Tisch gestützt, sitzen und seufzten mit betrübter Miene. Marcel riß die Augen auf, dann kehrte er in die Küche zurück, wo er sich einsam vollfraß. In der Mitte des Sommers erhielten sie die Anzeige von der Verheiratung Dumouchels mit der verwitweten Frau Olympe-Zulma Poulet. „Möge Gott ihn segnen!“ Und sie gedachten der Zeit, da sie glücklich waren. Warum gingen sie nicht mehr hinter den Schnittern her? Wo waren die Tage, an denen sie in die Höfe eintraten, überall nach Altertümern suchend? Nichts vermochte jetzt mehr die so angenehmen Stunden zurückzubringen, welche das Destillieren oder die Literatur ausgefüllt hatten. Ein Abgrund trennte sie davon. Etwas Unwiderrufliches war eingetreten. Sie wollten wie ehemals einen Spaziergang durch die Felder machen, gingen sehr weit, verirrten sich. Der Himmel war voller Schäfchen, die Glöckchen des Hafers schwankten im Winde, längs einer Wiese murmelte ein Bach, als plötzlich ein pestilenzialischer Geruch sie anhielt, und sie erblickten auf Kieseln zwischen Dornengestrüpp den Kadaver eines Hundes. Seine vier Glieder waren vertrocknet. Der weitgeöffnete Rachen zeigte unter bläulichen Lefzen elfenbeinweiße Fangzähne; die Stelle des Bauches nahm ein Haufen von erdiger Farbe ein, der zu zittern schien, so viel Ungeziefer krimmelte darauf. Es bewegte sich, vom Sonnenlichte getroffen, unter den summenden Fliegen in diesem unerträglichen Geruch, -- einem scharfen und gleichsam verzehrenden Geruch. Indessen faltete Bouvard die Stirn, und Tränen feuchteten seine Augen. Pécuchet sagte stoisch: „So werden wir eines Tages sein.“ Der Gedanke an den Tod hatte sie gepackt. Auf dem Heimwege sprachen sie davon. Letzten Endes ist er nicht vorhanden. Man entschwindet in den Tau, in die Brise, in die Sterne. Man wird etwas vom Saft der Bäume, vom Glanz der Edelsteine, vom Gefieder der Vögel. Man gibt an die Natur zurück, was sie uns geliehen hat, und das Nichts, das wir vor uns haben, hat nichts Schrecklicheres, als das Nichts, das hinter uns liegt. Sie versuchten, es sich unter der Form einer undurchdringlichen Nacht, eines grundlosen Loches, einer dauernden Ohnmacht vorzustellen; alles andere war diesem eintönigen, widersinnigen und hoffnungslosen Dasein vorzuziehen. Dann ließen sie ihre ungestillten Sehnsüchte an sich vorüberziehen. Bouvard hatte sich immer Pferde, Equipagen, edle Burgundergewächse und schöne, willfährige Frauen in glänzender Wohnung gewünscht. Pécuchets Ehrgeiz stand nach philosophischem Wissen. Nun kann das größte der Probleme, dasjenige, das alle andern umschließt, innerhalb einer Minute gelöst sein. Wann denn wird sie kommen? -- „Man kann geradesogut gleich ein Ende machen.“ „Wie du willst,“ sagte Bouvard. Und sie prüften die Frage des Selbstmordes. Was ist Schlimmes dabei, eine Last abzuwerfen, die einen erdrückt? und eine Handlung zu begehen, die niemand Schaden bringt? Wenn sie Gott beleidigte, würden wir dann die Macht dazu haben? Sie ist keineswegs Feigheit, was man auch sage, -- und die Vermessenheit, das, was die Menschen am höchsten schätzen, sogar zum eigenen Nachteil zu verhöhnen, ist schön. Sie beratschlagten über die Todesart. Vergiftungen sind mit Schmerzen verbunden. Es gehört viel Mut dazu, sich die Kehle abzuschneiden. Die Erstickungsversuche führen oft nicht zum Ziel. Schließlich trug Pécuchet zwei Taue von ihren gymnastischen Übungen auf den Boden. Nachdem er sie dann an denselben Querbalken des Daches geknüpft, ließ er einen Henkersknoten herabhängen und schob zwei Stühle darunter, damit man die Stricke erreichen konnte. Man entschloß sich zu dieser Todesart. Sie fragten sich, welch einen Eindruck das im Orte machen würde, wo dann ihre Bücher, ihr Geschreibsel, ihre Sammlungen bleiben würden. Der Gedanke an den Tod bewirkte bei ihnen eine Rührung, die ihrer eigenen Person galt. Jedoch gaben sie ihren Vorsatz nicht auf, und dadurch, daß sie davon sprachen, gewöhnten sie sich an den Gedanken. Am Abend des 24. Dezember, zwischen zehn und elf Uhr, gaben sie sich im Museum, jeder in verschiedener Kleidung, ihren Gedanken hin. Bouvard hatte über seine Trikotweste eine Bluse gezogen; und Pécuchet trug seit drei Monaten aus Sparsamkeit beständig das Mönchsgewand. Da sie heftigen Hunger hatten (denn Marcel, der mit Tagesanbruch fortgegangen war, war nicht zurückgekehrt), hielt es Bouvard aus Gesundheitsrücksichten für angebracht, ein Fläschchen Branntwein zu leeren, und Pécuchet, Tee zu nehmen. Als er den Teekessel emporhob, verspritzte er Wasser auf das Parkett. „Wie ungeschickt!“ rief Bouvard. Dann wollte er, da er den Aufguß zu schwach fand, ihn noch durch zwei Löffel verstärken. „Das wird ungenießbar werden,“ sagte Pécuchet. „Durchaus nicht!“ Und da jeder die Dose zu sich zog, fiel das Präsentierbrett zur Erde; eine der Tassen war zerbrochen, die letzte des schönen Porzellanservices. Bouvard erblich. -- „Nur zu! Zerstöre! Lege dir keinen Zwang auf!“ „In der Tat, ein großes Unglück!“ „Ja, ein Unglück! Ich hatte sie von meinem Vater!“ „Deinem unehelichen,“ fügte Pécuchet höhnisch hinzu. „Ah! Du willst mich beleidigen!“ „Nein, aber ich bin dir zur Last! ich sehe es wohl! gestehe es!“ Und Pécuchet wurde von Zorn oder vielmehr von Tobsucht erfaßt. Bouvard ebenfalls. Sie schrien beide zu gleicher Zeit, der eine wütend vor Hunger, der andere durch den Alkohol gereizt. Pécuchets Kehle brachte nur noch ein Röcheln hervor. „Solch ein Leben ist die Hölle; ich ziehe den Tod vor. Lebe wohl!“ Er nahm den Leuchter, wandte die Hacken, schlug die Tür zu. Bouvard hatte in der Finsternis Mühe, die Tür zu finden, lief hinter ihm her, kam auf den Speicher. Die Kerze brannte am Boden und Pécuchet stand aufrecht auf einem der Stühle, den Strick in der Hand. Bouvard wurde vom Nachahmungstrieb gepackt. „Warte auf mich!“ Und er stieg auf den andern Stuhl, doch plötzlich einhaltend: „Aber... wir haben unser Testament noch nicht gemacht.“ „Ei ja! das ist richtig!“ Schluchzen hob ihre Brust. Sie traten an die Luke, um zu verschnaufen. Die Luft war kalt, und zahllose Sterne glänzten am Himmel, der schwarz wie Tinte war. Die weiße Schneedecke, welche auf der Erde lag, verlor sich in den Nebeln des Horizontes. Sie bemerkten kleine Lichter am Erdboden; sie wurden größer, näherten sich und liefen alle auf die Kirche zu. Neugierde trieb sie dorthin. Es war die Mitternachtmesse der Weihnacht. Die Lichter rührten von den Laternen der Hirten her. Einige schüttelten in der Vorhalle ihre Mäntel ab. Das Serpent summte, der Weihrauch bildete Wolken. Gläser, die in der ganzen Länge des Schiffes aufgehängt waren, bildeten drei Girlanden buntfarbiger Lichter, und im Hintergrunde, zu beiden Seiten des Sakramenthäuschens, sandten Riesenkerzen rote Flammen empor. Über die Köpfe der Menge und die Kapuzen der Frauen hinweg, jenseits der Sänger, sah man den Priester in seinem goldenen Meßgewande; seiner hellen Stimme antworteten die kraftvollen Stimmen der Männer, welche die Emporen füllten, und die hölzerne Wölbung erzitterte auf ihren Steinbögen. Bilder, die den Kreuzesweg darstellten, schmückten die Mauern. Mitten im Chor vor dem Altar lag ein Lamm, die Pfoten unter dem Leibe, die Ohren aufgerichtet. Die warme Luft verursachte ihnen ein merkwürdiges Wohlbehagen, und ihre Gedanken, die eben noch stürmisch gewesen waren, wurden linde, wie Wogen, die sich glätten. Sie hörten das Evangelium und das Credo an, folgten den Bewegungen des Priesters. Die Alten indessen wie die Jungen, die Bettelweiber in ihren Lumpen, die Pächtersfrauen in hoher Haube, die kräftigen Burschen mit blonden Backenbärten, sie alle beteten, in die gleiche tiefe Freude versunken, und sie sahen auf dem Stroh eines Stalles den Leib des Gottesknaben wie eine Sonne leuchten. Dieser Glaube der andern rührte Bouvard trotz seiner Vernunft und Pécuchet trotz der Verstocktheit seines Herzens. Dann wurde es still; alle Rücken beugten sich, und beim Klange eines Glöckchens begann das kleine Lamm zu blöken. Der Priester zeigte die Hostie, er hielt sie mit ausgestreckten Armen empor, so hoch er konnte. Und Jubelgesang erscholl und rief die Welt zu den Füßen des Königs der Engel. Unwillkürlich fielen Bouvard und Pécuchet ein, und es war ihnen, als ob eine Morgenröte heraufzöge in ihrer Seele. IX Am folgenden Tage um drei Uhr fand Marcel sich wieder ein, mit grünem Gesicht, roten Augen, einer Beule an der Stirn, zerrissener Hose, nach Branntwein riechend und in unsauberem Zustande. Wie er alljährlich zu tun pflegte, hatte er sechs Meilen von dort in der Nähe von Iqueville bei einem Freunde das Weihnachtsmahl gehalten; -- er stotterte mehr als je, weinte, wollte sich schlagen und flehte um Gnade, als wenn er ein Verbrechen begangen hätte. Seine Herren verziehen ihm. Eine merkwürdige Ruhe der Seele stimmte sie zur Nachsicht. Der Schnee war plötzlich geschmolzen, und sie gingen in ihrem Garten umher, die warme Luft einatmend, voll Freude am Leben. War es nur ein Zufall, der sie vom Tode abgelenkt hatte? Bouvard war weich gestimmt. Pécuchet gedachte seiner ersten Kommunion; und während sie voller Dankbarkeit für die Macht, für die Urkraft waren, von der sie abhingen, kam ihnen der Gedanke, fromme Bücher zu lesen. Das Evangelium hob ihre Seele, blendete sie wie eine Sonne. Sie sahen Jesus, wie er auf dem Berge stand, erhobenen Armes, die Menge darunter, die ihm zuhörte, -- oder auch am Ufer des Sees unter den Aposteln, die Netze zogen, -- dann auf der Eselin inmitten des Hallelujarufens, während sein Haar mit schwanken Palmwedeln gefächelt wurde, -- schließlich oben am Kreuze gebeugten Hauptes, von dem ewig ein Tau auf die Welt herabträufelt. Was sie hinriß, was sie ergötzte, das war die Liebe zu den Niedrigen, das Eintreten für die Armen, die Erhöhung der Unterdrückten. Und in diesem Buche, in dem der Himmel sich entfaltet, gab es nichts Theologisches trotz all des Lehrhaften; kein Dogma, keine Forderung als nur die der Reinheit des Herzens. Über die Wunder erstaunte ihre Vernunft nicht, seit ihrer Kindheit waren sie ihnen vertraut. Die Tiefe des heiligen Johannes entzückte Pécuchet und machte ihn fähig, die „Nachfolge Jesu-Christi“ besser zu verstehen. In diesem Buche gibt es keine Vergleiche, keine Blumen, keine Vögel; sondern Klagen, ein Zurückziehen der Seele in sich selbst. Bouvard wurde traurig, während er in diesen Seiten blätterte, die bei nebeldüsterem Wetter tief in einem Kloster zwischen einem Glockenturm und einem Grabe geschrieben zu sein schienen. Unser irdisches Leben erscheint darin so jammervoll, daß man, seiner vergessend, sich Gott zuwenden muß; -- und die beiden Biedermänner empfanden nach all ihren Enttäuschungen das Bedürfnis, einfach zu sein, irgend etwas zu lieben, ihren Geist auszuruhen. Sie machten sich an das Buch Jesus Sirach, an Jesaias und Jeremias. Doch die Bibel mit ihren löwenstimmigen Propheten, den Donnerlauten in den Wolken, all dem Schluchzen der Hölle, und mit ihrem Gott, der Reiche zerstreut wie der Wind die Wolken, flößte ihnen Furcht ein. Sie lasen des Sonntags um die Stunde des Nachmittagsgottesdienstes, wenn die Glocke läutete. Eines Tages gingen sie zur Messe und besuchten sie dann häufiger. Es war eine Zerstreuung am Ende der Woche. Der Graf und die Gräfin von Faverges grüßten sie von weitem, was bemerkt wurde. Der Friedensrichter sagte zu ihnen, mit den Augen blinzelnd: „Ausgezeichnet! Ich kann Sie dazu nur beglückwünschen!“ Alle Bürgerfrauen sandten ihnen jetzt geweihtes Brot. Der Abbé Jeufroy machte ihnen einen Besuch; sie erwiderten ihn; man verkehrte miteinander, und der Priester vermied es, von Religion zu sprechen. Seine Zurückhaltung setzte sie in Erstaunen, so daß Pécuchet ihn mit gleichgültiger Miene fragte, wie man es machen müsse, um gläubig zu werden. „Befolgen Sie zunächst die Vorschriften der Kirche.“ Und sie machten sich daran, die Vorschriften der Kirche zu befolgen, der eine hoffnungerfüllt, der andere aus Trotz, denn Bouvard war überzeugt, daß er niemals gläubig werden würde. Einen Monat lang wohnte er regelmäßig dem Gottesdienste bei, wollte sich jedoch im Gegensatz zu Pécuchet nicht dem Fasten anbequemen. War es eine hygienische Maßregel? Man weiß, was die Hygiene wert ist. Eine Sache der Konvenienz? Nieder mit der Konvenienz! Ein Zeichen der Unterwerfung unter die Kirche? Auch darauf pfiff er! Kurz, er erklärte diese Maßregel für verrückt, pharisäisch und dem Geiste des Evangeliums widersprechend. Am Karfreitag der vorhergehenden Jahre hatten sie gegessen, was Germaine ihnen auftrug. Doch dieses Mal hatte Bouvard sich ein Beefsteak bestellt. Er setzte sich an den Tisch, zerschnitt das Fleisch; -- und Marcel betrachtete ihn entrüstet, während Pécuchet mit ernster Miene seinen Stockfisch abhäutete. Bouvard hielt eine Zeitlang die Gabel in der einen, das Messer in der andern Hand. Dann entschloß er sich, einen Bissen an die Lippen zu bringen. Plötzlich begannen seine Hände zu zittern, sein dickes Gesicht erblaßte, sein Kopf fiel nach hinten. „Ist dir schlecht?“ „Nein! Doch!“ -- und er machte ein Geständnis. Infolge seiner Erziehung (es war das stärker als er), konnte er an diesem Tage kein Fleisch essen, weil er fürchtete, davon zu sterben. Ohne seinen Sieg zu mißbrauchen, machte Pécuchet ihn sich zunutze, um auf seine Weise zu leben. Eines Tages kam er heim, auf dem Gesichte den Ausdruck einer wirklichen Freude, und, das Wort wagend, sagte er, daß er soeben gebeichtet habe. Da sprachen sie über die Bedeutung der Beichte. Bouvard ließ die Beichte der ersten Christen, die öffentlich war, gelten: heute wird sie einem zu leicht gemacht. Indessen leugnete er nicht, daß dieses Befragen unserer selbst ein Element des Fortschritts sei, daß es eine moralische Gärung hervorrufe. Pécuchet, der nach Vollendung strebte, suchte nach seinen Lastern; die Hochmutsanwandlungen waren seit langem verschwunden. Sein Sinn für Arbeit bewahrte ihn vor Faulheit; was die Gefräßigkeit betraf, so war niemand mäßiger. Zuweilen ließ er sich vom Zorne fortreißen. Er schwor bei sich, das abzulegen. Dann mußte man Tugenden erwerben; in erster Linie die Demut, -- das heißt, sich jedes Verdienstes für unfähig, der geringsten Belohnung für unwürdig halten, seinen Geist opfern und sich so erniedrigen, daß man wie der Schmutz der Straße mit Füßen getreten wird. Er war noch weit entfernt von dieser Verfassung. Er ermangelte einer anderen Tugend: der Keuschheit. -- Denn innerlich bedauerte er, daß Mélie nicht mehr da war, und das Pastellbild der Dame in Louis XV.-Tracht störte ihn durch das Dekolleté. Er schloß es in einen Schrank, und seine Schamhaftigkeit wurde so groß, daß er sogar fürchtete, seine eigene Blöße zu sehen, und er legte sich in seiner Unterhose schlafen. So viel Vorsichtsmaßregeln gegen die Wollust entwickelten sie. Besonders des Morgens hatte er heftige Kämpfe zu bestehen, wie deren der heilige Paulus, der heilige Benedikt und der heilige Hieronymus in sehr vorgeschrittenem Alter hatten; dann hatten sie sich sogleich an wütende Bußübungen gemacht. Der Schmerz ist eine Sühne, ein Heilmittel und ein Weg, eine Ehrerbietung vor Jesus Christus. Jede Liebe fordert Opfer, und welches wäre schwerer als das unseres Leibes. Um sich zu kasteien, verzichtete Pécuchet auf den Likör nach den Mahlzeiten, beschränkte sich auf vier Prisen täglich und setzte bei großer Kälte keine Mütze auf. Eines Tages stellte Bouvard, als er den Wein anband, eine Leiter gegen die Mauer der Terrasse am Hause, -- und zufällig fiel sein Blick in Pécuchets Zimmer. Sein Freund, bis zum Gürtel nackt, versetzte sich mit der Klopfpeitsche sanfte Schläge auf die Schultern, zog dann in steigender Erregung seine Hose aus, peitschte seine Hinterbacken und fiel atemlos auf einen Stuhl. Bouvard war verwirrt, wie bei der Entdeckung eines Geheimnisses, das verborgen bleiben muß. Seit einiger Zeit sahen ihm die Scheiben reinlicher aus, hatten die Servietten weniger Löcher, war das Essen besser; -- Veränderungen, die man dem Eingreifen der Reine, der Magd des Herrn Pfarrers, verdankte. Sie verband das Kirchliche mit den Küchenangelegenheiten, war kräftig wie ein Ackerknecht und opferfreudig, wenn auch unehrerbietig. Sie verschaffte sich Eingang in die Haushaltungen, gab Ratschläge, wurde dort zur Herrscherin. Pécuchet setzte volles Vertrauen in ihre Erfahrung. Einmal führte sie ihm einen feisten Menschen mit kleinen, geschlitzten Augen und einer Hakennase zu. Es war Herr Gouttman, Händler in Devotionalien -- und er packte ihrer einige, die in Schachteln verschlossen waren, unter dem Schuppen aus: Kreuze, Münzen und Rosenkränze von allen Größen, Leuchter für Kapellen, tragbare Altäre, Sträuße aus Flittergold und Darstellungen des Herzen Jesu auf blauer Pappe, heilige Josephs mit rotem Bart, Kalvarienberge aus Porzellan. Pécuchet hätte sie gern gehabt. Der Preis allein hielt ihn zurück. Gouttman verlangte kein Geld. Er zog Tauschgeschäfte vor, und nachdem sie ins Museum emporgestiegen, bot er für das alte Eisen und das ganze Blei einen Vorrat seiner Waren an. Sie schienen Bouvard scheußlich. Doch Pécuchets Blick, Reines dringende Bitten und der Wortschwall des Trödlers überzeugten ihn schließlich. Als Gouttman ihn so nachgiebig sah, wollte er noch die Hellebarde dazu haben; Bouvard, müde, ihre Handhabung zu zeigen, gab sie hin. Nachdem alles abgeschätzt worden war, schuldeten die Herren noch hundert Franken. Man einigte sich auf vier Dreimonatswechsel, -- und sie wünschten sich Glück zu dem vorteilhaften Geschäft. Ihre Erwerbungen wurden auf sämtliche Zimmer verteilt. Eine mit Heu gefüllte Krippe und eine Kirche aus Kork zierten das Museum. Auf Pécuchets Kamin stand ein Johannes der Täufer aus Wachs; auf dem Flur reihten sich die Bilder der bischöflichen Berühmtheiten, und unten im Treppenhause sah man unter einer Kettenlampe eine heilige Jungfrau in azurfarbenem Mantel mit einer Sternenkrone. Marcel reinigte diese Herrlichkeiten und dachte, es könne im Paradiese nichts Schöneres geben. Wie schade, daß der Sankt Peter zerbrochen war, wie schön würde er sich in der Vorhalle ausgenommen haben! Pécuchet blieb zuweilen vor der ehemaligen Kompostgrube stehen, in der man die Tiara, eine Sandale und den Zipfel eines Ohres erkennen konnte; gab Seufzer von sich und setzte dann die Gartenarbeit fort; denn jetzt verband er körperliche Arbeiten mit religiösen Übungen, grub, mit dem Mönchsgewand bekleidet, die Erde um, während er sich mit dem heiligen Bruno verglich. Diese Verkleidung mochte eine Lästerung sein; er legte sie ab. Doch er nahm, ohne Zweifel durch den häufigen Verkehr mit dem Pfarrer, geistliche Manieren an. Er hatte dasselbe Lächeln, dieselbe Stimme, und er steckte mit frostiger Miene seine beiden Hände bis zu den Handgelenken in die Ärmel. Es kam der Tag, wo das Krähen des Hahnes ihm unangenehm wurde, wo die Rosen ihn anekelten; er ging nicht mehr aus und hatte grimmige Blicke für die Natur. Bouvard ließ sich in die Marienandachten führen. Die Kinder, die Hymnen sangen, die Fliedersträuße, die Girlanden aus Grün ließen ihm wie das Gefühl einer unvergänglichen Jugend. Gott offenbarte sich seinem Herzen durch die Form der Nester, die Klarheit der Quellen, die Wohltat der Sonne, und die Frömmigkeit seines Freundes schien ihm überspannt, langweilig. „Warum seufzest du bei den Mahlzeiten?“ „Wir sollen mit Seufzen essen,“ antwortete Pécuchet, „denn auf diese Weise hat der Mensch seine Unschuld verloren,“ ein Satz, den er im „Handbuch des Seminaristen“, zwei Duodezbänden, die ihm Herr Jeufroy geliehen, gelesen hatte, und er trank Saletter Wasser, gab sich hinter verschlossenen Türen Stoßgebeten hin, hoffte in die Brüderschaft des heiligen Franziskus einzutreten. Um die Gabe der Standhaftigkeit zu erlangen, beschloß er, eine Wallfahrt zur heiligen Jungfrau zu machen. Die Wahl des Ortes bereitete ihm Verlegenheit. Sollte er zur Mutter Gottes von Fourvières, von Chartres, von Embrun, von Marseille oder von Auray gehen? Die zu la Délivrande, die näher war, tat dieselben Dienste. „Du wirst mich begleiten!“ „Da wäre ich ein rechter Einfaltspinsel!“ sagte Bouvard. Er konnte schließlich noch gläubig zurückkehren, wies das nicht zurück und gab aus Gefälligkeit nach. Die Wallfahrten müssen zu Fuß gemacht werden. Doch dreiundvierzig Kilometer würden hart sein; und da die Postkutschen der andächtigen Betrachtung nicht günstig sind, nahmen sie einen Einspänner, der sie nach einer Fahrt von zwölf Stunden vor dem Wirtshaus absetzte. Sie hatten ein Zimmer mit zwei Betten, zwei Kommoden, die zwei in kleinen, ovalen Waschbecken stehende Wasserkannen trugen, und der Wirt belehrte sie, daß dies das „Zimmer der Kapuziner“ unter der Schreckensherrschaft gewesen sei. Man hatte darin die Jungfrau von la Délivrande mit so viel Vorsicht verborgen, daß die guten Patres darin heimlich die Messe lasen. Das machte Pécuchet Vergnügen, und er las laut einen Bericht über die Kapelle, den er unten in der Küche gefunden hatte. Sie ist im Anfang des zweiten Jahrhunderts von dem heiligen Regnobert, dem ersten Bischof von Lisieux, oder von dem heiligen Ragnebert, der im siebenten Jahrhundert lebte, oder von Robert dem Prachtliebenden in der Mitte des elften gegründet worden. Die Dänen, die Normannen und besonders die Protestanten haben sie zu verschiedenen Zeiten gebrandschatzt und verwüstet. Gegen 1112 wurde die ursprüngliche Statue durch einen Hammel entdeckt, der mit dem Fuße aufstampfte und dadurch auf einem Anger den Ort angab, wo sie lag, und an dieser Stelle errichtete der Graf Balduin ein Heiligtum. Ihre Wunder sind ohne Zahl. Ein Kaufmann aus Bayeux, der in sarazenischer Gefangenschaft war, rief sie an: seine Ketten fallen und er entschlüpft. Ein Geizhals entdeckt in seinem Speicher eine Herde Ratten, ruft die Jungfrau zu Hilfe, und die Ratten entfernen sich. Ein alter Materialist in Versailles bereute seine Sünden auf dem Totenbette, nachdem er mit einer Medaille in Berührung gekommen war, die eine Nachbildung der Statue gestreift hatte. -- Sie gab dem Herrn Adeline die Sprache wieder, die er infolge von Gotteslästerungen verloren hatte; und unter ihrem Schutz hatten Herr und Frau von Becqueville die Kraft, im Ehestande keusch zu leben. Unter denjenigen, die sie von unheilbaren Krankheiten befreit hat, nennt man Fräulein von Palfresne, Anne Lirieux, Marie Duchemin, François Dufai und Frau von Jumillac, geborene von Osseville. Bedeutende Persönlichkeiten haben sie aufgesucht: Ludwig XI., Ludwig XIII., zwei Töchter Gastons von Orleans, der Kardinal Wiseman, Samirrhi, der Patriarch von Antiochien; der Bischof Véroles, der apostolische Vikar der Mandschurei; und der Erzbischof von Quélen kam, ihr für die Bekehrung des Fürsten von Talleyrand Dank zu sagen. „Sie könnte dich auch bekehren!“ sagte Pécuchet. Bouvard, der schon im Bette lag, gab eine Art Grunzen von sich und schlief vollends ein. Am nächsten Morgen um sechs Uhr gingen sie in die Kapelle. Man war beim Neubau einer zweiten; Leinwand und Bretterverschläge sperrten das Schiff ab, und das im Rokokostil gehaltene Bauwerk mißfiel Bouvard, besonders der Altar aus rotem Marmor mit seinen korinthischen Pilastern. Die Wunder wirkende Statue stand in einer Nische links im Chor, mit einem Flittergewande umhüllt; der Küster kam, er hatte für jeden von ihnen eine Kerze. Er steckte sie auf eine Art Egge, die über der Balustrade angebracht war, verlangte drei Franken, machte eine Verbeugung und verschwand. Dann betrachteten sie die Weihgeschenke. Inschriften auf Tafeln bezeugten die Dankbarkeit der Gläubigen. Man bewundert zwei kreuzweise übereinandergelegte Degen, die ein ehemaliger Schüler der Polytechnischen Hochschule geschenkt hat, Brautbuketts, Kriegsmedaillen, silberne Herzen und in einem Winkel am Boden einen Wald von Krücken. Aus der Sakristei trat ein Priester, der das Gefäß mit der heiligen Hostie trug. Nachdem er einige Minuten unten vor dem Altar verweilt hatte, stieg er die drei Stufen empor, sprach das Oremus, den Introitus und das Kyrie, das der Chorknabe kniend in einem Atem hersagte. Der Teilnehmer waren wenige, zwölf bis fünfzehn alte Weiber. Man hörte das Klappern ihrer Rosenkränze und das Geräusch eines Hammers, der gegen die Steine klopfte. Pécuchet, der sich über seinen Betstuhl neigte, antwortete auf die Amen. Während der Verwandlung flehte er zur Mutter Gottes, sie möge ihm beständigen und unwandelbaren Glauben geben. Bouvard, der in einem Stuhle neben ihm saß, nahm Pécuchets Gebetbuch und verweilte bei der Litanei der Jungfrau. „Du Allerreinste, Du Allerkeuscheste, Ehrwürdige, Liebenswerte, Mächtige, Gütige, elfenbeinerner Turm, goldenes Haus, Tor des Morgens.“ Die Worte der Anbetung, diese Überschwenglichkeiten erhoben ihn zu ihr, die durch so viel Ehrerbietung gefeiert wird. Er träumte sie, wie man sie auf den Kirchengemälden darstellt, auf einer Anhäufung von Wolken, Engel zu ihren Füßen, den Gottessohn an der Brust, -- Mutter der zärtlichen Liebe, die in aller Trübsal auf Erden angerufen wird, -- Ideal der in den Himmel versetzten Frau; denn aus ihrem Schoße hervorgegangen, steigert der Mensch seine Liebe zu ihr zur Schwärmerei und sehnt sich nur noch, an ihrem Herzen zu ruhen. Als die Messe zu Ende war, gingen sie an den Läden entlang, die sich auf dem Platze an die Kirchenmauer lehnen. Man sieht dort Bilder, Weihwasserkessel, goldgeränderte Urnen, Christusbilder aus Kokosnuß, elfenbeinerne Rosenkränze; und das Sonnenlicht, das auf das Glas der Einrahmungen fiel, blendete ihre Augen, ließ die ganze Roheit der Malerei, die Häßlichkeit der Zeichnungen hervortreten. Bouvard, der diese Dinge zu Hause scheußlich fand, zeigte hier Nachsicht für sie. Er kaufte eine kleine Jungfrau aus blauem Porzellan. Pécuchet begnügte sich mit einem Rosenkranz, den er zur Erinnerung mitnahm. Die Verkäufer schrien: „Herbei! Herbei! Für fünf Franken, für drei Franken, für sechzig Centimes, für zwei Sous, weist unsere Muttergottes nicht ab.“ Die beiden Pilger schlenderten umher, ohne etwas zu wählen. Unhöfliche Bemerkungen wurden laut. „Was wollen sie, diese Kerle!“ „Es sind vielleicht Türken!“ „Eher Protestanten!“ Eine große Frau zupfte Pécuchet am Rocke; ein Alter mit einer Brille legte ihm die Hand auf die Schulter; alle kreischten zugleich; dann verließen sie ihre Buden, stellten sich um sie herum, wurden zudringlicher mit ihren Bitten und heftiger mit ihren Beleidigungen. Bouvard hielt es nicht mehr aus. „Laßt uns in Ruhe, zum Teufel!“ Der Schwarm zerstreute sich. Doch eine dicke Frau folgte ihnen eine Zeitlang auf dem Platze und schrie, daß es sie gereuen würde. Als sie ins Wirtshaus zurückkamen, fanden sie im Café Gouttman. Sein Geschäft rief ihn in diese Gegenden, und er plauderte mit einem Menschen, der auf dem Tische vor ihnen liegende Geschäftspapiere durchsah. Dieser Mensch trug eine Ledermütze und eine sehr weite Hose; seine Gesichtsfarbe war rot und seine Gestalt schlank trotz seiner grauen Haare; er hatte etwas von einem pensionierten Offizier und einem Schauspieler zugleich. Von Zeit zu Zeit fluchte er; doch beruhigte er sich sogleich auf ein leiser gesprochenes Wort Gouttmans und nahm dann ein anderes Papier vor. Bouvard, der ihn beobachtete, näherte sich ihm nach Verlauf einer Viertelstunde. „Barberou, nicht wahr?“ „Bouvard!“ rief der Mann in der Mütze. Und sie umarmten sich. Barberou hatte in den letzten zwanzig Jahren alle möglichen Vermögenslagen durchgemacht. Herausgeber einer Zeitung, Versicherungsbeamter, Direktor eines Austernparks. „Ich werde Ihnen das erzählen,“ -- schließlich sei er zu seinem ersten Berufe zurückgekehrt und reise für ein Haus in Bordeaux, und Gouttman, der die Diözese „bearbeitete“, brachte für ihn Wein bei den Geistlichen unter, -- „doch erlauben Sie, in einer Minute gehöre ich Ihnen!“ Er hatte seine Rechnungsauszüge wieder vorgenommen und sprang plötzlich von der Bank auf: „Wie, zwei Tausend?“ „Ganz gewiß!“ „Nein, das ist zu stark!“ „Sie meinen?“ „Ich meine, daß ich selbst bei Hérambert gewesen bin,“ erwiderte Barberou wütend. „Die Rechnung lautet über vier Tausend; schwindeln Sie mir doch nichts vor!“ Der Trödler kam nicht aus der Fassung. „Na, sie entlastet Sie! Was wollen sie mehr?“ Barberou erhob sich; sein Gesicht war zuerst blaß, dann wurde es violett, und Bouvard und Pécuchet glaubten, er wolle Gouttman erdrosseln. Er setzte sich wieder, legte die Arme übereinander. „Sie sind ein ganz gemeiner Schurke, das ist sicher!“ „Keine Beleidigungen, Herr Barberou; da sind Zeugen; seien Sie vorsichtig!“ „Ich werde Sie verklagen!“ „Ach, Unsinn!“ Nachdem Gouttman dann seine Brieftasche zugeschnallt hatte, lüpfte er seinen Hut: „Auf Wiedersehen!“ Und er ging hinaus. Barberou erklärte den Tatbestand: für eine Forderung Gouttmans von tausend Franken, die sich infolge wucherischer Machenschaften verdoppelt hatte, habe er diesem für dreitausend Franken Wein geliefert. Damit sollten ihm nach Deckung seiner Schuld noch tausend Franken Überschuß verbleiben; statt dessen schuldete er dreitausend. Seine Chefs würden ihn entlassen, man würde ihn verklagen, „Lump! Räuber! dreckiger Jude! und der Kerl ißt in den Pfarrhäusern zu Mittag! Übrigens, alles was mit den Pfaffen in Berührung kommt...!“ Er schimpfte auf die Priester und schlug so heftig auf den Tisch, daß die Statuette beinahe umgefallen wäre. „Sachte!“ sagte Bouvard. „Sieh da, was ist das?“ Und nachdem er die kleine Jungfrau von ihrer Hülle befreit hatte: „Ein Kinkerlitzchen vom Wallfahrtsmarkt! Gehört das Ihnen?“ Anstatt zu antworten, lächelte Bouvard in zweideutiger Weise. „Es gehört mir!“ sagte Pécuchet. „Sie betrüben mich,“ erwiderte Barberou, „doch darüber sollen Sie das Nötige von mir erfahren, seien Sie unbesorgt!“ Und da man Philosoph sein soll und die Traurigkeit zu nichts nützt, lud er sie zum Frühstück ein. Die drei setzten sich zum Essen nieder. Barberou war liebenswürdig, gedachte der alten Zeit, faßte das bedienende Mädchen um die Taille, wollte Bouvards Bauch messen. Er wolle sie bald besuchen und ihnen ein spaßiges Buch mitbringen. Der Gedanke an seinen Besuch machte ihnen mittelmäßige Freude. Sie plauderten eine Stunde lang darüber im Wagen beim Trab der Pferde. Dann schloß Pécuchet die Augen. Auch Bouvard schwieg. Innerlich neigte er der Religion zu. Herr Marescot war am Abend vorher dagewesen, um ihnen eine wichtige Mitteilung zu machen. -- Weiter konnte Marcel nichts sagen. Der Notar konnte sie erst drei Tage später bei sich sehen; -- und sogleich legte er die Angelegenheit dar. Frau Bordin schlug Herrn Bouvard vor, ihm den Gutshof für eine Rente von siebentausend fünfhundert Franken abzukaufen. Seit ihrer Jugend betrachtete sie ihn mit gierigen Augen, kannte die angrenzenden Grundstücke, seine Nachteile und Vorzüge; und dieser Wunsch war wie ein Krebs, der sie verzehrte. Denn die gute Frau liebte als wahre Normännin das „Gut“ über alles, weniger wegen der Sicherheit der Kapitalsanlage als um des Glückes willen, den ihr gehörigen Boden unter den Füßen zu fühlen. In der Hoffnung auf diesen da hatte sie Feststellungen gemacht, eine tägliche Überwachung ausgeführt, lange Zeit gespart, und sie erwartete mit Ungeduld Bouvards Antwort. Er kam in Verlegenheit, denn er wollte nicht, daß Pécuchet eines Tages mittellos sei; doch man mußte die Gelegenheit ergreifen, -- die eine Wirkung der Wallfahrt war. -- Die Vorsehung zeigte sich ihnen zum zweiten Male günstig. Sie machten ein Angebot unter folgenden Bedingungen: die Rente, die nicht siebentausend fünfhundert, sondern sechstausend betragen sollte, müsse auf den Überlebenden übergehen. Marescot wies darauf hin, daß der eine von schwacher Gesundheit sei. Die Anlagen des andern machten ihn für Schlagfluß empfänglich, und Frau Bordin, von ihrer Leidenschaft hingerissen, unterzeichnete den Kontrakt. Bouvard wurde melancholisch davon. Jemand wünschte seinen Tod, und diese Überlegung gab ihm ernste Gedanken, Gedanken von Gott und Ewigkeit. Drei Tage darauf lud sie Herr Jeufroy zu einem Festmahl ein, das er jährlich einmal seinen Amtsbrüdern gab. Das Diner begann gegen zwei Uhr nachmittags, um gegen elf Uhr abends zu endigen. Man trank Birnenmost, man gab Wortspiele zum besten. Der Abbé Pruneau verfaßte während des Mahles ein Akrostichon. Herr Bougon zeigte Kartenkunststücke, und Cerpet, ein junger Vikar, sang eine kleine Romanze mit galantem Einschlag. Solch ein Kreis zerstreute Bouvard. Er war am folgenden Tage weniger düster. Der Pfarrer besuchte ihn häufig. Er stellte die Religion in anmutigen Farben dar. Was setzte man übrigens aufs Spiel? -- und bald willigte Bouvard ein, zum Tisch des Herrn zu kommen. Pécuchet wollte zugleich mit ihm am Abendmahl teilnehmen. Der große Tag nahte. Die Kirche war wegen der Firmelung voll von Menschen. Die Bürger und Bürgerinnen drängten sich in ihren Bänken, und das geringe Volk stand dahinter oder auf der Empore über der Tür. Was jetzt vor sich gehen sollte, war unbegreiflich, dachte Bouvard, doch die Vernunft reicht nicht aus, gewisse Dinge zu verstehen. Sehr große Männer haben dieses Wunder gläubig hingenommen. Geradesogut konnte er es tun, und in einer Art Betäubung betrachtete er den Altar, das Weihrauchfaß, die Leuchter, während der Kopf ihm etwas leer war, denn er hatte nichts gegessen, und er empfand eine sonderbare Schwäche. Pécuchet geriet beim Nachsinnen über die Passion Jesu-Christi in Liebesbegeisterung. Er hätte dem Herren seine Seele darbringen mögen, die der andern, -- und dazu die Verzückungen, die Visionen, die Erleuchtungen der Heiligen, alle Wesen, das ganze Weltall. Obgleich er mit Inbrunst betete, schienen ihm die verschiedenen Teile der Messe ein wenig lang. Endlich knieten die kleinen Knaben auf der ersten Stufe des Altars nieder, wobei ihre Anzüge einen schwarzen Streifen bildeten, den blondes oder braunes Haar in ungleicher Linie überragte. Die kleinen Mädchen ersetzten sie; Schleier wallten unter ihren Kränzen herab; von weitem hätte man sie für weiße Wolken halten können, die sich in der Tiefe des Chors aneinanderreihten. Dann kamen die großen Leute an die Reihe. Der erste auf der Evangelienseite des Altars war Pécuchet, doch, ohne Zweifel aus zu großer Erregung, schwankte sein Kopf nach rechts und nach links. Der Pfarrer hatte Mühe, ihm die Hostie in den Mund zu stecken, und während er sie empfing, verdrehte er die Augen. Bouvard dagegen öffnete den Mund so weit, daß seine Zunge wie eine Fahne über seine Unterlippe herabhing. Als er sich erhob, stieß er Frau Bordin. Ihre Blicke trafen sich. Sie lächelte; ohne zu wissen warum, errötete er. Nach Frau Bordin kommunizierten zusammen Fräulein von Faverges, die Gräfin, ihre Gesellschafterin und ein Herr, den man in Chavignolles nicht kannte. Die beiden letzten waren Placquevent und Petit, der Lehrer; -- da erschien plötzlich Gorju. Er trug seinen kleinen Backenbart nicht mehr; und er suchte seinen Platz auf, indem er die Arme in sehr erbaulicher Weise über der Brust gekreuzt hielt. Der Pfarrer sprach zu den kleinen Knaben, sie möchten späterhin Sorge tragen, es nicht wie Judas zu machen, der seinen Gott verriet, und sich immer das Kleid der Unschuld rein erhalten. Pécuchet gedachte des seinigen mit Reue; doch man rückte die Stühle; die Mütter beeilten sich, ihre Kinder zu umarmen. Die Mitglieder des Kirchspiels beglückwünschten sich gegenseitig beim Ausgang. Einige weinten. Während Frau von Faverges auf ihren Wagen wartete, wandte sie sich Bouvard und Pécuchet zu und stellte ihren zukünftigen Schwiegersohn vor: „Herr Baron von Mahurot, Ingenieur!“ Der Graf machte ihnen Vorwürfe, weil sie sich nicht sehen ließen. Er würde die kommende Woche wieder zurück sein. „Merken Sie es sich, ich bitte Sie!“ Die Kutsche war angekommen, die Schloßdamen fuhren ab, und die Menge zerstreute sich. In ihrem Hofe fanden sie mitten auf dem Rasen ein Paket. Der Briefträger hatte es, da das Haus verschlossen war, über die Mauer geworfen. Es war das Werk, das Barberou versprochen hatte: Kritik des Christentums, von Louis Hervieu, einem ehemaligen Schüler der Ecole normale. Pécuchet wies es von sich. Bouvard verzichtete darauf, es kennen zu lernen. Man hatte ihm wiederholt gesagt, das Sakrament würde ihn verwandeln: mehrere Tage hindurch wartete er auf ein neues Sprießen in seiner Seele. Doch er blieb immer derselbe, und schmerzliches Staunen ergriff ihn. Wie! Der Leib Gottes vermischt sich mit unserm Leib und bringt keine Wirkung darin hervor! Der Gedanke, der die Welten regiert, erleuchtet unsern Geist nicht! Die höchste Gewalt überläßt uns der Ohnmacht! Herr Jeufroy, der ihn beruhigte, empfahl ihm den Katechismus des Abbé Gaume. Dagegen hatte Pécuchets Frömmigkeit Fortschritte gemacht. Er hätte unter beiderlei Gestalt kommunizieren mögen, sang Psalmen, während er im Hausflur herumging, hielt die Einwohner von Chavignolles an, um mit ihnen Glaubensfragen zu erörtern und sie zu bekehren. Vaucorbeil lachte ihm ins Gesicht, Girbal zuckte die Achseln, und der Hauptmann nannte ihn Tartüff. Man fand jetzt, daß sie zu weit gingen. Eine ausgezeichnete Gewohnheit besteht darin, die Dinge als ebensoviele Symbole zu betrachten. Wenn der Donner grollt, so soll man sich das Jüngste Gericht vorstellen; vor einem wolkenlosen Himmel kann man an den Aufenthalt der Seligen denken; man sage sich während seiner Spaziergänge, daß jeder Schritt dem Tode entgegenführt. Pécuchet beobachtete diese Methode. Wenn er seine Kleider nahm, gedachte er der fleischlichen Hülle, mit der die zweite Person der Dreifaltigkeit sich umkleidet hat; das Ticken der Uhr vergegenwärtigte ihm die Schläge seines Herzens, ein Nadelstich die Nägel des Kreuzes; doch es war vergebens, daß er stundenlang auf den Knien lag, daß er noch häufiger fastete und seine Einbildungskraft anstrengte, die Loslösung vom Ich wollte nicht eintreten; unmöglich, zur vollkommenen Vergeistigung zu gelangen. Er nahm seine Zuflucht zu mystischen Schriftstellern: zur heiligen Therese, zu Johannes vom Kreuz, Ludwig von Granada, Simpoli und von neueren zu dem Bischof Chaillot. Anstatt der Erhabenheiten, die er erwartete, traf er nur Plattheiten, einen sehr nachlässigen Stil, nichtssagende Bilder und eine Unmenge Vergleiche, die dem Steinschneidergewerbe entnommen waren. Er erfuhr jedoch, daß es eine aktive und eine passive Reinigung gibt, ein inneres und ein äußeres Schauen, vier Arten von Gebeten, neun Vollkommenheiten in der Liebe, sechs Stufen der Demut, und daß das Verwunden der Seele sich kaum vom geistigen Diebstahl unterscheidet. Einige Punkte setzten ihn in Verlegenheit. „Wie kommt es, daß man Gott für die Wohltat des Daseins danken muß, wo doch das Fleisch verdammt ist? Wie die Mitte halten zwischen der Furcht, die zum Heile unerläßlich ist, und der Hoffnung, die es nicht weniger ist? Was ist das Kennzeichen der Gnade?“ und so weiter. Herrn Jeufroys Antworten waren einfach: „Quälen Sie sich nicht. Will man allem auf den Grund kommen, so gerät man auf eine schiefe Ebene.“ Die „Katechismuslehre nach der Firmelung“ von Gaume hatte Bouvard so angewidert, daß er zu dem Bande von Louis Hervieu griff. Es war eine kurze Zusammenfassung der modernen Exegese. Die Regierung hatte ihn verboten. Barberou hatte ihn gekauft, weil er Republikaner war. Er weckte Zweifel in Bouvards Geist, und zwar zuerst über die Erbsünde. „Wenn Gott den Menschen sündig geschaffen hat, dürfte er ihn nicht bestrafen, und das Böse ist älter als der Sündenfall, da es ja schon Vulkane, reißende Tiere gab. Kurz, dieses Dogma wirft meine Anschauungen von Gerechtigkeit über den Haufen!“ „Was wollen Sie?“ sagte der Pfarrer, „das ist eine von jenen Wahrheiten, über die alle Welt sich einig ist, ohne daß man dafür Beweise geben könnte. Und wir selbst rechnen den Kindern die Sünden ihrer Väter an. So rechtfertigen Sitten und Gesetze diesen Ratschluß der Vorsehung, den man in der Natur wiederfindet.“ Bouvard schüttelte den Kopf. Er hatte auch Zweifel an der Hölle. „Denn jede Züchtigung muß auf Besserung des Schuldigen abzielen, was bei einer ewigen Strafe unmöglich wird; und wie viele müssen sie erdulden! Denken Sie doch, alle die Alten, die Juden, die Muselmanen, die Götzendiener, die Häretiker und die ohne Taufe verschiedenen Kinder, diese von Gott erschaffenen Kinder, und zu welchem Zweck? um sie für eine Sünde zu bestrafen, die sie nicht begangen haben!“ „Das ist die Ansicht des heiligen Augustin,“ fügte der Geistliche hinzu, „und Sankt Fulgentius dehnt die Verdammung bis auf den Foetus aus. Die Kirche hat allerdings in dieser Hinsicht nichts entschieden. Eine Bemerkung jedoch: es ist nicht Gott, sondern der Sünder selbst, welcher sich verdammt, und da die Versündigung unendlich ist, denn Gott ist unendlich, so muß die Strafe unendlich sein! Ist das alles, mein Herr?“ „Erklären Sie mir die Dreieinigkeit,“ sagte Bouvard. „Mit Vergnügen. Bedienen wir uns eines Vergleiches: die drei Seiten des Dreiecks, oder besser noch unsere Seele, die umfaßt: Sein, Erkennen und Wollen; was man Vermögen beim Menschen nennt, ist Person bei Gott. Das ist das ganze Geheimnis.“ „Aber die drei Seiten des Dreiecks sind nicht jede ein Dreieck; diese drei Vermögen der Seele ergeben nicht drei Seelen, und Ihre Personen der Dreifaltigkeit sind drei Gottheiten.“ „Lästern Sie nicht!“ „Dann gibt es nur eine Person, einen Gott, eine Substanz, der drei Arten des Seins eigen sind!“ „Lassen Sie uns anbeten, ohne zu begreifen,“ sagte der Pfarrer. „Schön,“ sagte Bouvard. Er hatte Furcht, für gottlos zu gelten, im Schlosse mit bösen Augen angesehen zu werden. Sie gingen jetzt dreimal in der Woche gegen fünf im Winter dorthin, und die Tasse Tee erwärmte sie angenehm. Der Herr Graf erinnerte durch seine Manieren „an den Chic des ehemaligen Hofes“; die Gräfin, die friedfertig und fett war, zeigte auf allen Gebieten große Urteilsfähigkeit. Fräulein Yolande, ihre Tochter, war der vollkommene „Typus des jungen Mädchens“, der Engel der Keepsakes, und Frau von Noares, ihre Gesellschafterin, ähnelte Pécuchet, denn sie hatte dessen spitze Nase. Als sie zum erstenmal in den Salon traten, verteidigte Frau von Noares jemand. „Ich versichere Ihnen, er ist verwandelt; sein Geschenk beweist es.“ Dieser jemand war Gorju. Er hatte soeben den zukünftigen Ehegatten einen gotischen Betstuhl überreicht. Man brachte ihn herbei. Die Wappen der beiden Familien prangten darauf in farbigem Relief. Herr von Mahurot schien davon befriedigt, und Frau von Noares sagte zu ihm: „Werden Sie sich meines Schützlings erinnern?“ Dann brachte sie zwei Kinder herbei, einen Knaben von etwa zwölf Jahren und seine Schwester, die vielleicht zehn Jahre alt war. Durch die Löcher ihrer Lumpen sahen ihre von Kälte geröteten Glieder. Der Knabe trug alte Pantoffeln an den Füßen, das Mädchen hatte nur noch einen Holzschuh. Ihre Stirnen verschwanden unter ihrem Haar, und sie blickten mit brennenden Augen um sich wie junge, verängstigte Wölfe. Frau von Noares erzählte, sie habe die Kinder am Morgen auf der Landstraße getroffen. Placquevent wußte nichts Genaueres über sie. Man fragte sie nach ihrem Namen. „Viktor, Viktorine.“ Wo ihr Vater sei? „Im Gefängnis.“ Und was er vorher machte? „Nichts.“ Ihre Heimat? „Saint-Pierre.“ Aber welches Saint-Pierre? Statt jeder Antwort sagten die beiden Kleinen schnüffelnd: „Weiß nicht, weiß nicht.“ Frau von Noares legte dar, wie gefährlich es sein würde, sie sich selbst zu überlassen; sie rührte die Gräfin, nahm den Grafen bei der Ehre, wurde von der Komtesse unterstützt, zeigte hartnäckigen Eifer, hatte Erfolg. Die Frau des Feldhüters sollte die Kinder in Obhut nehmen. Später würde man Beschäftigung für sie finden, und da sie weder lesen noch schreiben konnten, so wollte Frau von Noares sie selbst unterrichten, um sie auf die Katechismusstunde vorzubereiten. Wenn Herr Jeufroy in das Schloß kam, holte man die beiden Bälge; er befragte sie, dann trug er vor, wobei er mit Rücksicht auf den Zuhörerkreis gewählt sprach. Als er einmal über die Patriarchen geredet hatte, verunglimpfte Bouvard sie gehörig, während er mit dem Pfarrer und Pécuchet fortging. Jakob habe sich durch Spitzbubenstreiche ausgezeichnet, David durch Mordtaten, Salomo durch seine Ausschweifungen. Der Abbé antwortete ihm, man müsse tiefer sehen. Abrahams Opfer sei ein Symbol der Passion; Jakob ein anderes für den Messias, wie Joseph, wie die eherne Schlange, wie Moses. „Glauben Sie,“ sagte Bouvard, „daß er den Pentateuch geschrieben hat?“ „Ja, ohne Zweifel!“ „Doch man erzählt seinen Tod darin; dieselbe Beobachtung gilt für Josua, und der Verfasser der Richter belehrt uns, daß zu der Zeit, deren Geschichte er schreibt, Israel noch keine Könige hatte. Das Werk wurde also unter den Königen geschrieben. Auch die Propheten setzen mich in Erstaunen!“ „Jetzt wird er wohl gar die Existenz der Propheten leugnen!“ „Keineswegs! Doch ihr überhitzter Geist sah Jehova unter verschiedenen Formen, als Feuer, als Busch, als Greis, als Taube, und sie waren der erhaltenen Offenbarung nicht gewiß, da sie immer ein Zeichen verlangen.“ „So! Und wo haben Sie diese schönen Sachen entdeckt?...“ „Bei Spinoza.“ Der Pfarrer fuhr auf. „Haben Sie ihn gelesen?“ „Gott behüte mich!“ „Indessen, mein Herr, die Wissenschaft...“ „Mein Herr, es gibt keine Wissenschaft ohne Christentum.“ Die Wissenschaft machte ihn sarkastisch. „Kann sie eine Ähre wachsen lassen, Ihre Wissenschaft? Was wissen wir?“ sagte er. Doch er wußte, daß die Welt für uns geschaffen ist; er wußte, daß die Erzengel über den Engeln stehen, er wußte, daß der menschliche Körper so wiederauferstehen wird, wie er gegen das dreißigste Jahr ist. Seine priesterliche Sicherheit fiel Bouvard auf die Nerven. Da er zu Louis Hervieu kein Vertrauen hatte, schrieb er an Varlot, und Pécuchet, der besser unterrichtet war, ersuchte Herrn Jeufroy, ihm gewisse Stellen der Heiligen Schrift zu erklären. Die sechs Tage der Genesis sollen sechs große Zeiträume bedeuten. Der Raub der kostbaren Gefäße, den die Juden bei den Ägyptern vollführten, soll als geistiger Reichtum verstanden werden, als Kunst, deren Geheimnis sie entwendet hatten. Jesaias entblößt sich nicht vollständig, denn „nudus“ bedeutet im Lateinischen nackt bis zu den Hüften; so rät Virgil, sich bei der Landarbeit zu entblößen, und dieser Schriftsteller würde keine das Schamgefühl verletzende Vorschrift gegeben haben! Es hat nichts Außergewöhnliches, daß Ezechiel ein Buch verschlingt; sagt man nicht, eine Broschüre, eine Zeitung verschlingen? Aber wenn man in allem eine bildliche Ausdrucksweise sieht, was wird dann aus den Tatsachen? Der Abbé behauptete indessen, es handele sich um wirklich geschehene Dinge. Diese Art der Auslegung schien Pécuchet unredlich. Er setzte seine Nachforschungen fort und kam mit einer Zusammenstellung von Widersprüchen in der Bibel. Der Exodus erzählt uns, daß vierzig Jahre lang in der Wüste geopfert wurde; nach Amos und Jeremias fanden keine Opfer statt. Die Bücher der Chronika und das Buch Esra stimmen nicht überein in betreff der Zählung des Volkes. Im Deuteronomium sieht Moses den Herrn von Angesicht zu Angesicht; dem Exodus zufolge konnte er ihn niemals sehen. Wo bleibt da die göttliche Eingebung? „Nur ein Grund mehr, an sie zu glauben,“ erwiderte lächelnd Herr Jeufroy. „Betrüger brauchen Leute, die ihr Treiben begünstigen; ehrlich Überzeugte kümmern sich nicht um die Meinung anderer. Halten wir uns in unsern Verlegenheiten an die Kirche. Sie ist stets unfehlbar.“ Von wem hängt die Unfehlbarkeit ab? Die Konzile zu Basel und Konstanz sprechen sie den Konzilen zu. Aber oft weichen die Konzile voneinander ab; ein Beweis dafür ist, wie es Athanasius und Arius erging: die zu Florenz und im Lateran weisen sie dem Papste zu. Doch Hadrian VI. erklärt, daß der Papst sich wie jeder andere irren könne. Das sind Rabulistereien! Sie ändern nichts an dem ununterbrochenen Fortbestehen der kirchlichen Lehre. Das Werk Hervieus hebt ihre Wandlungen hervor; die Taufe war ehemals den Erwachsenen vorbehalten. Die letzte Ölung wurde erst im neunten Jahrhundert ein Sakrament; die wirkliche Gegenwart wurde im achten beschlossen, das Fegefeuer im fünfzehnten anerkannt, die unbefleckte Empfängnis ist von gestern. Und Pécuchet wußte schließlich nicht mehr, was er von Jesus denken sollte. Drei der Evangelisten machen einen Menschen aus ihm. An einer Stelle bei Sankt Johannes scheint er sich Gott gleichzusetzen, an einer anderen ebendort sich als ihm untergeordnet zu betrachten. Der Abbé führte dagegen den Brief des Königs Abgar, die Akten des Pilatus und das Zeugnis der Sibyllen, „dessen Kern wahr ist“, ins Treffen. Er fand die Jungfrau bei den Galliern wieder, die Verkündigung eines Erlösers in China, die Dreifaltigkeit überall, das Kreuz auf der Mütze des Groß-Lama, in Ägypten in der Hand der Götter; -- und er wies sogar einen Stich vor, der einen Nilmesser darstellte; das war jedoch nach Pécuchets Ansicht ein Phallus. Herr Jeufroy fragte seinen Freund Pruneau heimlich um Rat, der ihm Beweise aus Büchern suchte. Ein Kampf der Gelahrtheit entspann sich; und von Eigenliebe gepeitscht, stürzte Pécuchet sich in die Transzendentalphilosophie, in die Mythologie. Er verglich die Jungfrau mit der Isis, das Heilige Abendmahl mit dem Haoma der Perser, Bacchus mit Moses, die Arche Noah mit dem Schiff des Xithuros; die Ähnlichkeiten bewiesen für ihn die Identität der Religionen. Doch es kann nicht mehrere Religionen geben, da es nur einen Gott gibt, -- und wenn er mit seinen Argumenten zu Ende war, rief der Mann im Priesterrock: „Das ist ein Mysterium!“ Was bedeutet dieses Wort? Mangel an Wissen; recht schön. Aber wenn es etwas bezeichnet, das auszusprechen schon einen Widerspruch in sich schließt, so ist es eine Dummheit, -- und Pécuchet ließ Herrn Jeufroy nicht mehr los. Er überraschte ihn in seinem Garten, erwartete ihn vor seinem Beichtstuhl, stöberte ihn in der Sakristei auf. Der Priester ersann Listen, ihm zu entgehen. Als er eines Tages von Sassetot zurückkam, wo er jemandem die letzte Ölung erteilt hatte, ging Pécuchet ihm entgegen, so daß die Unterhaltung unvermeidlich wurde. Es war an einem Abend gegen Ende August. Der scharlachfarbene Himmel wurde düster, und eine schwere Wetterwolke ballte sich daran, die unten einen glatten Rand hatte und oben in Spiralen auslief. Pécuchet sprach zuerst von gleichgültigen Dingen; dann sagte er, nachdem er das Wort Märtyrer hatte fallen lassen: „Wieviel gab es deren nach Ihrer Meinung?“ „Etwa zwanzig Millionen zum mindesten.“ „Ihre Zahl ist so groß nicht, sagt Origenes.“ „Origenes ist, wie Sie wissen, nicht glaubwürdig.“ Ein weiter ausholender Windstoß fuhr vorüber; das Gras der Gräben und die zum Horizonte verlaufenden zwei Reihen Ulmen neigten sich unter ihm. Pécuchet fuhr fort: „Man rechnet zu den Märtyrern viele gallische Bischöfe, die im Kampf gegen die Barbaren gefallen sind, was nicht mehr zur Sache gehört.“ „Wollen Sie die Kaiser verteidigen?“ Nach Pécuchets Ansicht hatte man sie verleumdet. „Die Geschichte von der thebanischen Legion ist eine Fabel. Ich bestreite ebenso die Existenz der Symphorosa und ihrer sieben Söhne, die der Felicitas und ihrer sieben Töchter und alles, was über die sieben Jungfrauen von Ankyra erzählt wird, die noch mit siebzig Jahren dazu verurteilt wurden, genotzüchtigt zu werden, und ebenso unglaubwürdig ist die Geschichte von den elftausend Jungfrauen der heiligen Ursula, deren eine Gefährtin Undecimilla hieß, wobei ein Name mit einer Zahl gleichgesetzt wird; mehr noch, was die zehn Märtyrer von Alexandria angeht.“ „Indessen!... Indessen finden sie sich bei Autoren, die glaubwürdig sind.“ Wassertropfen fielen. Der Pfarrer öffnete seinen Regenschirm; -- und als Pécuchet darunter war, wagte er zu behaupten, daß die Katholiken mehr Juden, Moslemiten, Protestanten und Freidenker zu Märtyrern gemacht hätten, als früher alle Römer. Der Geistliche widersprach heftig: „Aber von Nero bis zu Cäsar Galba zählt man zehn Verfolgungen!“ „Schön! Und die Blutbäder unter den Albigensern? und die Bartholomäusnacht? und die Widerrufung des Ediktes von Nantes?“ „Ohne Zweifel sind das bedauerliche Ausschreitungen, doch werden Sie diese Leute da nicht dem heiligen Stephanus, dem heiligen Laurentius, Cyprian, Polykarp, einer Unmenge von Missionaren an die Seite stellen wollen.“ „Verzeihung! Ich erinnere Sie an Hypathia, Hieronymus von Prag, Johannes Huß, Bruno, Vanini, Anne Dubourg!“ Der Regen wurde stärker, die Wasserstrahlen schossen so heftig herab, daß sie vom Boden zurücksprangen wie kleine weiße Raketen. Pécuchet und Herr Jeufroy gingen langsam, einer gegen den andern gedrückt, und der Pfarrer sagte: „Nach schrecklichen Martern warf man sie in siedende Kessel!“ „Die Inquisition wandte ebenfalls die Tortur an, und sie briet die Leute recht ordentlich!“ „Man stellte vornehme Frauen in den Lupanaren aus!“ „Glauben Sie, daß die Dragoner Ludwigs XIV. sich sittsam benahmen?“ „Und vergessen Sie nicht, daß die Christen nichts gegen den Staat unternommen hatten!“ „Die Hugenotten ebensowenig!“ Der Wind jagte, fegte den Regen durch die Luft. Er klatschte auf die Blätter, bildete am Rande des Weges ein Rinnsal, und der schmutzig graue Himmel schien in die kahlen Felder überzugehen, die abgeerntet dalagen. Nirgends ein Dach. Nur in der Ferne die Hütte eines Hirten. An Pécuchets dünnem Mantel war kein Faden mehr trocken. Das Wasser floß ihm den Rücken herab, drang in seine Stiefel, seine Ohren, seine Augen, trotz des Schirmes der Amoros-Mütze; der Pfarrer, der den unteren Teil seines Priesterrocks über den Arm geschlagen hatte, setzte dadurch seine Beine dem Regen aus; und die Ecken seines Dreispitzes spien das Wasser auf seine Schultern wie Traufrinnen einer Kirche. Man mußte haltmachen, und dem Unwetter den Rücken wendend, standen sie Gesicht gegen Gesicht, Leib gegen Leib, indem sie mit vier Händen den schwankenden Schirm hielten. Herr Jeufroy hatte seine Verteidigung der Katholiken nicht unterbrochen. „Haben sie Ihre Protestanten gekreuzigt, wie man es mit dem heiligen Simeon tat, oder einen Menschen von zwei Tigern zerreißen lassen, wie es mit dem heiligen Ignatius geschah?“ „Aber rechnen Sie es für nichts, daß so viele Frauen von ihren Ehegatten getrennt, so viele Kinder ihren Müttern entrissen wurden! Und das Wandern der Armen in die Verbannung über Schneefelder, an Abgründen vorbei! Man sperrte sie scharenweise in die Gefängnisse; kaum waren sie tot, so wurden sie durch den Schmutz geschleift.“ Der Abbé lächelte höhnisch: „Sie wollen mir nicht übelnehmen, wenn ich nichts davon glaube! Und unsere Märtyrer sind weniger zweifelhaft. Die heilige Blandina wurde nackt in einem Netz einer wütenden Kuh vorgeworfen. Die heilige Julia verendete unter Hieben, die man ihr gab. Dem heiligen Taracus, dem heiligen Probus und dem heiligen Andronikus hat man die Zähne mit einem Hammer ausgeschlagen, die Seiten mit eisernen Zinken zerfleischt, die Hände mit glühenden Nägeln durchbohrt, die Haut vom Schädel gerissen.“ „Sie übertreiben,“ sagte Pécuchet. „Das Ende der Märtyrer wurde in jenen Zeiten rednerisch ausgeschmückt.“ „Wieso rednerisch?“ „Aber ja doch, mein Herr, während ich dagegen Ihnen Geschichte erzähle. In Irland schlitzten die Katholiken schwangeren Frauen den Leib auf, um die Kinder herauszunehmen.“ „Niemals.“ „Und sie den Schweinen vorzuwerfen!“ „Gehen Sie!“ „In Belgien begruben sie sie bei lebendigem Leibe!“ „Welch ein Unsinn!“ „Man kennt ihre Namen!“ „Und trotzdem,“ wandte der Priester ein, während er seinen Schirm im Zorn schüttelte, „kann man sie nicht Märtyrer nennen. Außerhalb der Kirche keine Märtyrer.“ „Ein Wort noch. Wenn der Wert des Märtyrers von der Lehre abhängt, wie kann er dazu dienen, deren Vorzüglichkeit zu beweisen?“ Der Regen ließ nach; bis zum Dorfe sprachen sie nicht mehr. Doch auf der Schwelle des Pfarrhauses sagte der Abbé: „Sie tun mir leid! Wirklich, Sie tun mir leid!“ Pécuchet erzählte seinen Streit sogleich Bouvard. Das Gezänk hatte ihn in eine religionsfeindliche Stimmung versetzt, und eine Stunde darauf saßen sie vor einem Reisigfeuer und lasen den „Pfarrer Meslier“. Die plumpen Verneinungen des Buches mißfielen ihm; dann blätterte er, da er sich vorwarf, möglicherweise Helden verkannt zu haben, in der „Biographie“ die Geschichte der erlauchtesten Märtyrer durch. Welchen Lärm das Volk machte, wenn sie die Arena betraten! Und wenn die Löwen und Jaguare nicht wild genug waren, so reizte man die Tiere durch Bewegung und Zuruf, vorzugehen. Man sah die Christen blutüberströmt lächelnd dastehen, den Blick zum Himmel erhoben; die heilige Perpetua knotete ihr Haar wieder, um keine Betrübnis zu zeigen. Pécuchet wurde nachdenklich. Das Fenster stand offen, die Nacht war ruhig, zahlreiche Sterne glänzten. In ihrer Seele mußten Dinge vorgehen, die wir uns nicht vorstellen können, eine Freude, eine göttliche Verzückung! Und Pécuchet sagte unter der Gewalt des Nachsinnens darüber, daß er das begriffe, daß er wie sie gehandelt haben würde. „Du?“ „Ganz gewiß!“ „Ohne Scherz! Glaubst du, ja oder nein?“ „Ich weiß nicht.“ Er zündete eine Kerze an; dann fielen seine Blicke auf das Kruzifix im Alkoven: „Wieviel Betrübte haben bei jenem ihre Zuflucht gesucht!“ Und nach einer Pause: „Man hat seinen Charakter entstellt! Daran ist Rom schuld: die Politik des Vatikans!“ Aber Bouvard bewunderte die Kirche wegen ihrer Pracht er hätte als Kardinal im Mittelalter leben mögen. „Ich würde mich im Purpur gut ausgenommen haben, das mußt du zugeben!“ Die vor die Kohlen gelegte Mütze Pécuchets war noch nicht trocken. Während er sie glattstrich, fühlte er einen Gegenstand in ihrem Futter, und eine Münze des heiligen Joseph fiel zur Erde. Sie waren verwirrt, die Tatsache schien ihnen unerklärlich. Frau von Noares wollte von Pécuchet wissen, ob er nicht eine Veränderung wahrgenommen habe, ein Glück, und sie verriet sich durch ihre Fragen. Sie hatte ihm einst, während er Billard spielte, die Münze in die Mütze genäht. Allem Anschein nach liebte sie ihn; sie hätten sich heiraten können: sie war Witwe, und er ahnte nichts von dieser Liebe, die vielleicht das Glück seines Lebens gewesen wäre. Obwohl er sich religiöser gab als Bouvard, hatte sie ihn dem heiligen Joseph geweiht, dessen Beistand für Bekehrungen ausgezeichnet ist. Niemand kannte wie sie alle Rosenkränze und den Ablaß, der mit ihnen verbunden ist, die Wirkung der Reliquien, die Heilkräfte der wundertätigen Quellen. Ihre Uhr saß an einem Kettchen, das die Fesseln Sankt Peters berührt hatte. Unter ihren Berlocken leuchtete eine goldene Perle, die der nachgebildet war, welche in der Kirche zu Allouagne eine Träne unseres Herrn enthält; ein Ring an ihrem kleinen Finger umschloß Haare des Pfarrers von Ars, und da sie Heilkräuter für die Kranken sammelte, so glich ihr Zimmer einer Sakristei und einem Apothekerlaboratorium. Sie verbrachte ihre Zeit mit Briefschreiben, Besuchen bei Armen, Lösen von wilden Ehen, Austeilen von Herz-Jesu-Photographien. Ein Herr wollte ihr „Märtyrerpaste“ schicken, eine Mischung aus Osterwachs und menschlichem Staub, den man in den Katakomben gesammelt hatte und der in verzweifelten Fällen in Form von Pflaster oder Pillen angewandt wird. Sie versprach Pécuchet davon. Er schien entsetzt über einen solchen Materialismus. Am Abend brachte ihm ein Diener aus dem Schlosse einen Tragkorb voll kleiner Bücher, die von frommen Worten des großen Napoleon, Witzworten des Pfarrers in den Herbergen, von dem schrecklichen Ende gottloser Menschen handelten. Frau von Noares kannte das alles auswendig, dazu eine Unmenge von Wundern. Sie erzählte deren sinnlose, Wunder ohne Zweck, als wenn Gott sie getan hätte, um die Welt in Staunen zu setzen. Ihre eigene Großmutter hatte Pflaumen, die mit einem Tuch bedeckt waren, in einen Schrank geschlossen, und als man den Schrank ein Jahr später öffnete, sah man ihrer dreizehn auf dem Tuche, die ein Kreuz bildeten. „Erklären Sie mir das.“ Diese Wendung folgte stets ihren Geschichten, die sie mit dem Starrsinn eines Esels verfocht. Übrigens war sie eine gute Frau und von heiterem Gemüt. Einmal jedoch „fuhr sie aus der Haut“. Bouvard bestritt ihr gegenüber das Wunder von Pezilla: eine Kompottschale, in der man während der Revolution Hostien verborgen, hatte sich ganz von selbst vergoldet. „Vielleicht war auf dem Grund etwas gelbe Farbe, die von der Feuchtigkeit herrührte.“ „Aber nein! und nochmals nein! Die Vergoldung kam durch die Berührung mit dem Leibe Christi.“ Und zum Beweise führte sie die schriftliche Beglaubigung der Bischöfe an. „Das ist derselbe Fall, sagt man, wie mit einem Schilde, einem... einem Palladium in der Diözese zu Perpignan. Fragen Sie doch Herrn Jeufroy!“ Bouvard geriet außer sich, und nachdem er seinen Louis Hervieu wieder durchgelesen hatte, nahm er Pécuchet mit. Der Geistliche beendigte gerade sein Diner. Reine lud zum Sitzen ein und holte auf einen Wink zwei kleine Gläser, die sie mit Rosolio-Likör füllte. Darauf legte Bouvard dar, was ihn hergeführt hatte. Der Abbé gab keine offene Antwort. „Alles ist bei Gott möglich, und die Wunder sind ein Beweis für die Wahrheit der Religion.“ „Aber es gibt doch Gesetze.“ „Das ändert nichts daran. Er durchbricht sie, um zu unterweisen, zu bessern.“ „Wie können Sie wissen, ob er sie durchbricht?“ erwiderte Bouvard. „Solange die Natur ihren alten Weg geht, denkt man nicht daran; doch in einer außerordentlichen Erscheinung sehen wir die Hand Gottes.“ „Sie kann darin wirksam sein,“ sagte der Geistliche, „und wenn ein Ereignis durch Zeugen bekräftigt wird?“ „Die Zeugen fallen auf alles herein, gibt es doch falsche Wunder.“ Der Priester wurde rot. „Gewiß... zuweilen.“ „Wie sie von den echten unterscheiden? Und wenn die echten, die als Beweise gelten müssen, selbst der Beweise nötig haben, wozu deren tun?“ Reine mischte sich ein, und gleich ihrem Herrn einen Predigerton annehmend, sagte sie, man müsse sich unterwerfen. „Das Leben ist eine Durchgangszeit, aber der Tod ist ewig!“ „Kurz,“ fügte Bouvard hinzu, indem er den Rosolio hinuntergoß, „die früheren Wunder sind nicht besser bewiesen als die heutigen; die der Christen wie die der Heiden werden mit gleichen Gründen verteidigt.“ Der Pfarrer warf seine Gabel auf den Tisch. „Jene waren falsch, sag ich noch einmal! Es gibt keine Wunder außerhalb der Kirche!“ „Sieh da,“ sagte sich Pécuchet im stillen, „das ist dasselbe Argument wie bei den Märtyrern: die Lehre stützt sich auf die Tatsachen und die Tatsachen stützen sich auf die Lehre.“ Nachdem Herr Jeufroy ein Glas Wasser getrunken hatte, fuhr er fort: „Trotzdem Sie sie leugnen, glauben Sie daran. Die Welt, die durch zwölf Fischer bekehrt wird, das ist, so scheint mir, ein herrliches Wunder!“ „Keineswegs!“ Pécuchet erklärte das auf andere Weise. „Der Monotheismus kommt von den Hebräern, die Dreieinigkeit von den Indern, der Logos gehört Plato und die jungfräuliche Mutter Asien.“ Gleichviel! Herr Jeufroy hielt am Übernatürlichen fest, wollte nicht zugeben, daß das Christentum den geringsten menschlichen Daseinsgrund habe, obgleich er bei allen Völkern Vorboten oder Entstellungen desselben sah. Die spottsüchtige Gottlosigkeit des achtzehnten Jahrhunderts, die hätte er geduldet; doch die moderne Kritik mit ihrer Höflichkeit brachte ihn außer sich. „Mir ist ein lästernder Atheist lieber als ein spitzfindiger Skeptiker!“ Dann blickte er sie in herausfordernder Weise an, als wenn er sie verabschieden wolle. Pécuchet ging in melancholischer Stimmung nach Hause. Er hatte darauf gehofft, Glauben und Vernunft in Einklang zu bringen. Bouvard gab ihm diese Stelle aus Louis Hervieu zu lesen: „Um den trennenden Abgrund zu ermessen, stelle man ihre Axiome einander gegenüber: Die Vernunft sagt euch: Das Ganze umschließt den Teil; und der Glaube antwortet euch: Durch die Transsubstantiation hatte Jesus, während er mit seinen Jüngern das Abendmahl aß, seinen Körper in der Hand und sein Haupt im Munde.“ „Die Vernunft sagt euch: Man ist nicht verantwortlich für anderer Verbrechen; und der Glaube antwortet: Durch die Erbsünde.“ „Die Vernunft sagt euch: Drei ist drei; und der Glaube erklärt: Drei ist eins.“ Sie verkehrten nicht mehr mit dem Abbé. Es war zur Zeit des Italienischen Krieges. Die gutgesinnten Leute zitterten für den Papst. Man schimpfte auf Emanuel. Frau von Noares stand nicht an, seinen Tod zu wünschen. Bouvard und Pécuchet protestierten nur schüchtern. Wenn die Tür des Salons sich vor ihnen öffnete und sie sich im Vorüberschreiten in den hohen Spiegeln sahen und durch die Fenster die Alleen erblickten, wo die rote Weste eines Dieners sich von dem Grün abhob, empfanden sie ein Wohlgefühl; und der Luxus dieser Sphäre machte sie gegen das, was man dort sagte, nachsichtig. Der Graf lieh ihnen die sämtlichen Werke des Herrn De Maistre. Er trug die darin enthaltenen Grundsätze in vertraulichem Kreise vor: vor Hurel, dem Pfarrer, dem Friedensrichter, dem Notar und dem Baron, seinem zukünftigen Schwiegersohn, der von Zeit zu Zeit für vierundzwanzig Stunden im Schloß zu Besuch weilte. „Das Schrecklichste,“ sagte der Graf, „ist der Geist von 89! Zuerst bestreitet man das Dasein Gottes; dann kritisiert man die Regierung; dann kommt die Freiheit; die Freiheit für Beschimpfungen, für Auflehnung, für Sinnenlust oder besser gesagt, die Freiheit alles drunter und drüber gehen zu lassen, so daß schließlich die Religion und die Staatsgewalt die Freiheitsschwärmer, die Häretiker ächten müssen. Die Folge war allerdings, daß man über Verfolgung zeterte, als wenn die Henker die Verbrecher verfolgten. Ich sage kurz: Kein Staat ohne Gott! Denn das Gesetz kann nur geachtet werden, wenn es von oben kommt, und gegenwärtig handelt es sich nicht um die Italiener, sondern darum, ob die Revolution oder der Papst, Satan oder Jesus Christus den Sieg davonträgt.“ Herr Jeufroy gab seine Zustimmung durch kurze Zwischenrufe zu erkennen, Hurel durch ein Lächeln, der Friedensrichter durch Wiegen des Kopfes. Bouvard und Pécuchet blickten zur Decke; Frau von Noares, die Gräfin und Yolande machten Arbeiten für die Armen, und Herr von Mahurot sah, neben seiner Braut sitzend, die Zeitungen durch. Dann traten Pausen ein, in denen jeder in die Untersuchung eines Problems vertieft schien. Napoleon III. war kein Retter mehr, und er gab sogar ein bedauerliches Beispiel, indem er die Maurer Sonntags an den Tuilerien arbeiten ließ. „Das sollte nicht erlaubt sein,“ war die ständige Redensart des Herrn Grafen. Wirtschaftspolitik, schöne Künste, Literatur, Geschichte, wissenschaftliche Doktrinen, über alles entschied er in seiner Eigenschaft als Christ und Familienvater, und wollte Gott, daß die Regierung in dieser Hinsicht dieselbe Strenge zeigte, die er in seinem Hause walten ließ! Die Regierung allein hat zu entscheiden, inwieweit die Wissenschaft gefährlich ist; zu weit verbreitet, erregt sie beim Volke verhängnisvollen Ehrgeiz. Es war glücklicher, dieses arme Volk, als die vornehmen Herren und die Bischöfe den Absolutismus des Königs mäßigten. Jetzt beuteten die Industriellen es aus. Es wird in Sklaverei verfallen. Und alle beklagten den Verlust des alten Regimes: Hurel aus Unterwürfigkeit, Coulon aus Unwissenheit, Marescot als Künstler. Als Bouvard glücklich wieder zu Hause war, stärkte er sich an Lamettrie, Holbach usw.; und Pécuchet sagte einem Glauben Valet, der ein Mittel der Regierung geworden war. Herr von Mahurot hatte am Abendmahl teilgenommen, um dadurch einen vorteilhafteren Eindruck auf „die Damen“ zu machen, und wenn er zum Gottesdienste ging, so geschah es wegen der Dienstboten. Er war Mathematiker und Verehrer der Künste, spielte Walzer auf dem Klavier, bewunderte Töpffer und zeichnete sich durch eine Art vornehmer Skepsis aus. Was man über Mißbräuche der Feudalen, die Inquisition und die Jesuiten erzähle, seien Vorurteile, und er pries den Fortschritt, obschon er alles verachtete, was nicht Edelmann oder auf der Polytechnischen Hochschule gewesen war. Auch Herr Jeufroy mißfiel ihnen. Er glaubte an Zauberei, machte Scherze über die heidnischen Götter, versicherte, daß alle Sprachen vom Hebräischen abgeleitet wären; seine Rhetorik beschränkte sich auf hergebrachte Wendungen; unfehlbar kam der zu Tode gehetzte Hirsch, Honig und Wermut, Gold und Blei, Spezereien, Urnen und der Vergleich der Seele des Christen mit dem Soldaten, die angesichts der Sünde sagen muß: „Hier ist kein Zugang für dich!“ Um seinen Vorträgen zu entgehen, gingen sie so spät wie möglich ins Schloß. Eines Tages jedoch trafen sie ihn dort. Seit einer Stunde wartete er auf seine beiden Schüler. Plötzlich trat Frau von Noares ein. „Die Kleine ist verschwunden. Ich bringe Viktor. Ach! der Unselige!“ Sie hatte in seiner Tasche einen silbernen Fingerhut gefunden, der seit drei Tagen vermißt wurde; dann von Schluchzen erstickt: „Das ist nicht alles! Das ist nicht alles! Während ich ihn schalt, hat er mir sein Hinterteil gezeigt.“ Und ehe der Graf und die Gräfin zu Worte gekommen waren: „Übrigens bin ich schuld; verzeihen Sie mir!“ Sie hatte ihnen verborgen, daß die beiden Waisen die Kinder des Touache wären, der jetzt im Zuchthaus saß. Was tun? Wenn der Graf sie fortschickte, waren sie verloren, und die Tat der Nächstenliebe würde ihm als eine Laune ausgelegt werden. Herr Jeufroy war nicht überrascht. Da der Mensch von Natur verderbt ist, muß man ihn züchtigen, um ihn zu bessern. Bouvard war anderer Ansicht. Milde sei besser. Aber der Graf erging sich noch einmal über die eiserne Faust, die bei Kindern wie für Völker unerläßlich sei. Diese hier steckten voller Laster; das kleine Mädchen sei lügnerisch, der Schlingel roh. Diesen Diebstahl wollte man schließlich entschuldigen; die Unverschämtheit niemals; die Erziehung mußte die Schule der Achtung sein. Also sollte Sorel, der Waldhüter, dem jungen Manne sogleich eine tüchtige Tracht Prügel verabfolgen. Herr von Mahurot, der ihm etwas mitzuteilen hatte, übernahm den Auftrag. Im Vorzimmer griff er nach einer Flinte und rief Viktor, der mit gesenktem Kopf im Hofe stehen geblieben war. „Folge mir!“ sagte der Baron. Da der Weg zum Waldhüter wenig von der Richtung auf Chavignolles abführte, begleiteten Herr Jeufroy, Bouvard und Pécuchet den Baron. Hundert Schritte vom Schlosse bat er sie, nicht mehr zu sprechen, solange man am Gehölz entlang ginge. Das Gelände fiel bis zum Flußufer ab, wo sich große Felsblöcke erhoben. Der Fluß bildete goldene Flächen in der untergehenden Sonne. Auf der anderen Seite bedeckte sich das Grün der Hügel mit Dunkel. Ein scharfer Wind blies. Kaninchen kamen aus ihrem Bau und fraßen den Rasen ab. Ein Schuß krachte, ein zweiter, ein dritter, und die Kaninchen sprangen auf, überschlugen sich. Viktor stürzte sich darauf, um sie zu fassen, und keuchte, in Schweiß gebadet. „Du gehst schön mit deinen Sachen um!“ sagte der Baron. Seine zerfetzte Bluse war blutbefleckt. Der Anblick des Blutes widerstrebte Bouvard. Seiner Ansicht nach durfte man kein Blut vergießen. Herr Jeufroy erwiderte: „Die Umstände erfordern es zuweilen. Wenn der Schuldige nicht das seinige hergibt, so ist das eines andern nötig, eine Wahrheit, welche uns die Geschichte des Erlösers lehrt.“ Nach Bouvards Ansicht hatte sie zu nichts genützt, da fast alle Menschen trotz des Opfers unseres Herrn verdammt seien. „Aber er erneuert es täglich im Abendmahl.“ „Und das Wunder vollzieht sich durch Worte, auch wenn der Priester noch so unwürdig ist.“ „Darin liegt das Geheimnis, mein Herr.“ Indessen heftete Viktor die Augen auf die Flinte, versuchte sogar, sie zu berühren. „Davon bleiben mit den Pfoten!“ Und Herr von Mahurot schlug einen Pfad durchs Gehölz ein. Der Geistliche hatte Pécuchet auf der einen, Bouvard auf der andern Seite, und er sagte zu ihm: „Achtung, Sie wissen, Debetur pueris.“ Bouvard versicherte ihm, daß er sich vor dem Schöpfer demütige, aber er sei entrüstet, daß man einen Menschen aus ihm mache. „Man fürchtet seine Rache, man müht sich ihm zu Ehren ab, er hat alle Tugenden, einen Arm, ein Auge, eine Politik, eine Wohnung. Vater unser, der du bist im Himmel, was soll das heißen?“ Und Pécuchet fügte hinzu: „Die Welt hat sich erweitert, die Erde bildet nicht mehr den Mittelpunkt. Sie rollt unter einer unendlichen Anzahl ihresgleichen dahin. Viele übertreffen sie an Größe, und diese Herabsetzung unseres Erdballs ergibt eine erhabenere Vorstellung von Gott.“ Also mußte die Religion sich ändern. Das Paradies mit seinen Seligen, die immer in Betrachtung versunken sind, immer singen und von oben auf die Marter der Verdammung herabschauen, ist etwas Kindisches. Wenn man daran denkt, daß das Christentum einen Apfel zur Grundlage hat! Der Pfarrer wurde ärgerlich. „Bestreiten Sie lieber gleich die Offenbarung, das ist einfacher.“ „Wie kann Gott gesprochen haben?“ sagte Bouvard. „Beweisen Sie, daß er nicht gesprochen hat!“ sagte Jeufroy. „Noch einmal, wer bestätigt Ihnen das?“ „Die Kirche!“ „Ein schönes Zeugnis!“ Das Gespräch langweilte Herrn von Mahurot, und er sagte im Dahinschreiten: „Hören Sie doch auf den Pfarrer, er versteht das besser als Sie!“ Bouvard und Pécuchet verständigten sich durch Zeichen, daß sie einen anderen Weg einschlagen wollten, dann sagten sie am grünen Kreuz: „Recht guten Abend!“ „Diener!“ sagte der Baron. Alles das würde Herrn von Faverges wiedererzählt werden, und ein Bruch würde vielleicht die Folge sein. Um so schlimmer. Sie fühlten sich von diesen Aristokraten verachtet. Man lud sie nie zum Diner ein, und sie hatten Frau von Noares mit ihren ewigen Ermahnungen satt. Sie konnten jedoch den De Maistre nicht behalten, und etwa vierzehn Tage später machten sie wieder einen Besuch im Schloß im Glauben, sie würden nicht empfangen werden. Man nahm sie an. Die ganze Familie war im Boudoir versammelt. Hurel mit einbegriffen, und, was seltsam war, auch Foureau. Die Zucht hatte Viktor nicht gebessert. Er weigerte sich, seinen Katechismus zu lernen, und Viktorine gebrauchte schmutzige Worte. Kurz und gut, den Jungen würde man ins Korrektionshaus stecken, das kleine Mädchen in ein Kloster geben. Foureau hatte die nötigen Schritte übernommen, und er war im Begriff zu gehen, als die Gräfin ihn zurückrief. Man erwartete Herrn Jeufroy, um gemeinsam das Datum der Trauung festzusetzen, die viel früher auf dem Bürgermeisteramt als in der Kirche stattfinden sollte: man wollte zeigen, daß man der Ziviltrauung Hohn sprach. Foureau versuchte, sie zu verteidigen. Der Graf und Hurel griffen sie an. Was war die Behörde im Vergleich zum Priesteramt! -- und der Baron würde sich nicht für verheiratet gehalten haben, wenn er nur vor einer dreifarbigen Schärpe getraut worden wäre. „Bravo!“ sagte Jeufroy, der eintrat. „Da die Ehe von Jesus eingesetzt ist...“ Pécuchet unterbrach ihn: „In welchem Evangelium? In den apostolischen Zeiten dachte man so gering von ihr, daß Tertullian sie dem Ehebruch gleichsetzt.“ „Ach! das wäre noch schöner!“ „Aber ja! und sie ist kein Sakrament! Das Sakrament bedarf eines Symbols. Nennen Sie mir das Symbol der Ehe!“ Der Pfarrer antwortete vergebens, daß sie das Bündnis Gottes mit der Kirche darstelle. „Sie begreifen das Christentum nicht mehr! und das Gesetz...“ „Es zeigt seine Spur,“ sagte Herr von Faverges; „ohne das Christentum würde es die Polygamie zulassen!“ Eine Stimme erwiderte: „Was wäre schlimmes dabei?“ Es war Bouvard, der halb von einem Vorhang verborgen war. „Man kann mehrere Frauen haben wie die Patriarchen, die Mormonen, die Muselmanen, und trotzdem ein Ehrenmann sein!“ „Nie und nimmer!“ rief der Priester. „Das Wesen des Ehrenmannes besteht darin, daß er jedem gibt, was er ihm schuldet. Wir schulden Gott Verehrung. Nur der Christ verdient den Namen Ehrenmann.“ „Nicht mehr als andere,“ sagte Bouvard. Der Graf, der in dieser Entgegnung ein Attentat auf seinen Glauben sah, begann dessen Lob zu singen. Er habe die Sklaven befreit. Bouvard führte Stellen an, die das Gegenteil beweisen. „Sankt Paulus empfiehlt ihnen, ihren Herren wie Jesus zu gehorchen. -- Sankt Ambrosius nennt die Knechtschaft eine Gabe Gottes. Der Levitikus, der Exodus und die Konzilien haben sie sanktioniert. -- Bossuet stellt sie unter die Rechte der Menschen. -- Und der Bischof Bouvier billigt sie.“ Der Graf wandte ein, daß das Christentum nichtsdestoweniger die Zivilisation gefördert habe. „Und die Faulheit, indem es aus der Armut eine Tugend machte!“ „Aber die Moral des Evangeliums lassen Sie doch wohl gelten?“ „Nun, so gar moralisch ist diese Moral gerade nicht! Die Arbeiter der letzten Stunde werden ebenso bezahlt wie die der ersten. Man gibt dem, der hat, und nimmt dem, der nichts hat. Was die Lehre betrifft, einen Backenstreich zu empfangen, ohne ihn zu erwidern, und sich bestehlen zu lassen, so ermutigt sie die Frechen, die Feiglinge und die Schurken.“ Die Entrüstung wurde noch größer, als Pécuchet erklärt hatte, daß ihm der Buddhismus ebenso lieb sei! Der Priester fing an zu lachen: „Ha, ha, ha! Der Buddhismus!“ Frau von Noares rang die Hände: „Der Buddhismus!“ „Wie..., der Buddhismus!“ wiederholte der Graf. „Kennen Sie ihn?“ sagte Pécuchet zu Herrn Jeufroy, der sich in seinen Worten verfing. „Schön! Hören Sie! Besser als das Christentum und vor ihm hat er die Nichtigkeit der irdischen Dinge erkannt. Seine Regeln sind streng, seine Anhänger zahlreicher als die gesamte Christenheit, und was die Inkarnation betrifft, so gibt es bei Wischnu nicht eine, sondern neun! Also urteilen Sie selbst!“ „Lügen von Reisenden,“ sagte Frau von Noares. „Die von den Freimaurern verbreitet werden,“ fügte der Pfarrer hinzu. Und alle sprachen zugleich: „Weiter doch, fahren Sie fort! -- Sehr hübsch! -- Ich finde das köstlich. -- Nicht möglich!“ So daß Pécuchet aus der Haut fuhr und erklärte, er werde Buddhist werden! „Sie beleidigen christliche Frauen!“ sagte der Baron. Frau von Noares sank in einen Sessel. Die Gräfin und Yolande schwiegen. Der Graf rollte die Augen; Hurel wartete auf Weisungen. Der Abbé las in seinem Brevier, um seine Fassung nicht zu verlieren. Dieser Anblick beruhigte Herrn von Faverges, und die beiden Biedermänner betrachtend, sagte er: „Wer selbst kein makelloses Leben führt, der sollte, ehe er das Evangelium angreift, gut zu machen suchen, was...“ „Gut zu machen suchen?“ „Kein makelloses Leben?“ „Genug! meine Herren! Sie werden mich verstehen!“ Dann sich an Foureau wendend: „Sorel ist benachrichtigt! Gehen Sie zu ihm!“ Und Bouvard und Pécuchet verließen das Haus ohne zu grüßen. Am Ende der Allee ließen sie alle drei ihren Groll aus: „Man behandelt mich wie einen Dienstboten,“ brummte Foureau, -- und da die anderen ihm zustimmten, empfand er für sie trotz der Erinnerung an die Hämorrhoiden etwas wie Sympathie. Chausseearbeiter waren auf der Strecke beschäftigt. Der Mann, der sie beaufsichtigte, kam herbei; es war Gorju. Man begann ein Gespräch. Er überwachte das Aufschütten des Weges, dessen Anlage 1848 beschlossen war, und er verdankte die Stellung Herrn Ingenieur von Mahurot. „Derselbe, der Fräulein von Faverges heiraten wird! Sie kommen wohl von dorther?“ „Zum letzten Male!“ sagte Pécuchet schroff. Gorju machte ein Gesicht, als wenn er von nichts wüßte. „Ein Zerwürfnis! So, so!“ Und wenn sie seine Miene hätten sehen können, als sie ihm den Rücken wandten, so hätten sie gemerkt, daß er den Grund witterte. Etwas weiter blieben sie vor einem umgitterten Stück Land mit Hundezwingern darauf stehen; daneben lag ein kleines Haus aus roten Ziegeln. Viktorine stand auf der Schwelle. Hundegebell ertönte. Die Frau des Hüters erschien. Da sie wußte, weshalb der Bürgermeister gekommen war, rief sie Viktor herbei. Alles war im voraus fertiggemacht, und die Habseligkeiten der Kinder lagen in zwei Taschentüchern, die mit Nadeln zusammengesteckt waren. „Gute Reise!“ rief sie ihnen nach, überglücklich, dieses Ungeziefer loszuwerden. War es ihre Schuld, daß sie die Kinder eines Sträflings waren? Sie schienen doch ganz sanft zu sein und sich nicht einmal zu sorgen, wohin man sie bringen würde. Bouvard und Pécuchet betrachteten sie, wie sie vor ihnen dahinschritten. Viktorine summte undeutliche Worte vor sich hin, während sie ihr Tuch am Arme hielt wie eine Modistin, die eine Schachtel trägt. Zuweilen wandte sie sich um, und angesichts ihrer blonden Löckchen und ihrer reizenden Gestalt tat es Pécuchet leid, daß er nicht solch ein Kind hatte. Würde sie unter anderen Lebensbedingungen aufwachsen, so würde sie später entzückend werden. Welch ein Glück, sie heranwachsen zu sehen, jeden Tag ihr Vogelgezwitscher zu hören, sie so oft er wollte zu umarmen, -- und ein Gefühl der Rührung stieg in ihm empor, feuchtete seine Wimpern und machte sein Herz ein wenig schwer. Viktor hatte sein Gepäck wie ein Soldat über den Rücken gelegt. Er pfiff, warf Steine nach den Krähen in den Furchen, lief unter die Bäume, um sich Stöcke zu schneiden; Foureau rief ihn zurück; und Bouvard, der ihn festhielt, fühlte mit Wonne in seiner Hand diese gesunden und kräftigen Kinderfinger. Der arme kleine Teufel verlangte nur, sich frei entwickeln zu können wie eine Pflanze in frischer Luft! Und er sollte zwischen Mauern bei Schulstunden, Strafen und einer Menge von Dummheiten verkommen! Bouvard wurde von einem aufsässigen Mitleid erfaßt, einer Entrüstung gegen das Schicksal, einem jener Wutanfälle, in denen man die Obrigkeit vernichten möchte. „Lauf!“ sagte er, „vergnüge dich! Nütze die freie Zeit!“ Der Bengel rannte davon. Seine Schwester und er sollten im Wirtshaus übernachten, -- und bei Tagesanbruch sollte der Bote von Falaise Viktor mitnehmen, um ihn in der Strafanstalt zu Beaubourg abzuliefern; -- eine Nonne des Waisenhauses zu Grand-Camp sollte Viktorine in Empfang nehmen. Nachdem Foureau diese Einzelheiten erzählt hatte, vertiefte er sich in seine Gedanken. Doch Bouvard wollte wissen, wieviel der Unterhalt dieser beiden Bälge kosten konnte. „Pah!... Eine Angelegenheit von dreihundert Franken vielleicht! Der Graf hat mir fünfundzwanzig Franken für die ersten Auslagen überwiesen! Welch ein Knicker!“ Und Foureau, noch mit dem Groll über die Verachtung seiner Schärpe im Herzen, beschleunigte seine Schritte, ohne ein Wort zu sagen. Bouvard murmelte: „Sie tun mir leid. Ich möchte mich wohl mit ihnen befassen!“ -- „Ich auch,“ sagte Pécuchet. Beiden war derselbe Gedanke gekommen. Es gab wohl Hindernisse? „Nicht die geringsten,“ erwiderte Foureau. Übrigens hatte er als Bürgermeister das Recht, Findelkinder wem ihm gut schien anzuvertrauen. -- Und nach langem Zögern: „Schön, gut! Nehmen Sie sie mit! Das wird ihn ärgern.“ Bouvard und Pécuchet nahmen sie mit. Als sie nach Hause kamen, fanden sie Marcel, wie er unten im Treppenhause vor der Madonna kniete und mit Inbrunst betete. Den Kopf zurückgelehnt, die Augen halb geschlossen, den Mund mit der Hasenscharte weit aufgesperrt, so hatte er das Aussehen eines verzückten Fakirs. „Was für ein stumpfsinniger Kerl!“ sagte Bouvard. „Warum? Vielleicht erlebt er Dinge, um die du ihn beneiden würdest, wenn du sie sähest. Gibt es nicht zwei vollständig verschiedene Welten? Der Inhalt eines Vernunftschlusses hat weniger Gewicht als die Art und Weise, wie man schließt. Was tut der Glaube! Die Hauptsache ist, daß man glaubt.“ So wies Pécuchet Bouvards Bemerkung zurück. X Sie verschafften sich mehrere Werke über Erziehung, und der Weg, den sie einzuschlagen hatten, stand für sie fest. Man mußte jeden metaphysischen Gedanken fernhalten, die Experimentalmethode anwenden und dem Gang der Natur folgen. Da die beiden Zöglinge vergessen sollten, was sie gelernt hatten, so war Eile nicht vonnöten. Obwohl sie eine kräftige Konstitution hatten, wollte Pécuchet sie in spartanischer Weise abhärten, an das Ertragen von Hunger und Durst, an die Unbilden der Witterung gewöhnen, und sie sollten sogar durchlöchertes Schuhwerk tragen, um gegen Erkältungen gefeit zu sein. Dem widersetzte sich Bouvard. Die dunkle Kammer hinten am Flur wurde ihr Schlafzimmer. Die Ausstattung bestand in zwei Gurtbetten, zwei kleinen Lagerstätten, einem Kruge; das Guckfenster saß über ihren Köpfen, und Spinnen liefen an den Gipswänden entlang. Oft kam ihnen das Innere einer Hütte, in der man sich zankte, in die Erinnerung zurück. Ihr Vater war eines Nachts mit blutigen Händen zurückgekehrt. Einige Zeit darauf waren die Gendarmen gekommen. Dann hatten sie in einem Walde gewohnt. Männer, die Holzschuhe machten, küßten ihre Mutter. Sie war gestorben; ein Wägelchen hatte die Kinder fortgebracht. Man schlug sie viel; es ging ihnen erbärmlich. Dann sahen sie in der Erinnerung den Feldhüter wieder, Frau von Noares, Sorel; und ohne sich nach dem Grunde zu fragen, waren sie in diesem neuen Hause glücklich. Auch war ihr Erstaunen schmerzlich, als nach Verlauf von acht Monaten der Unterricht wieder begann. Bouvard befaßte sich mit der Kleinen, Pécuchet mit dem Jungen. Viktor konnte die Buchstaben unterscheiden, doch wollte es ihm nicht gelingen, Silben zu bilden. Er stotterte sie hervor, blieb plötzlich stecken und sah aus wie ein Idiot. Viktorine stellte Fragen. Woher kommt es, daß ch in „orchestre“ wie q und in „archéologique“ wie k gesprochen wird? Zuweilen muß man zwei Vokale verbinden, zu andern Malen sie abtrennen. Das alles hat keinen Sinn. Sie war entrüstet. Die Lehrer unterrichteten zur selben Stunde, jeder in seinem Zimmer, und da die Verbindungswand dünn war, bildeten diese vier Stimmen, eine dünne, eine tiefe und zwei hohe, eine scheußliche Katzenmusik. Um dem ein Ende zu machen und die beiden Bälge durch den Wetteifer anzustacheln, kamen sie auf den Gedanken, sie zusammen im Museum arbeiten zu lassen, und der Schreibunterricht begann. Die beiden Schüler schrieben jeder an einem Ende des Tisches eine Vorlage ab; aber ihre Körperhaltung war schlecht. Man mußte sie aufrichten, ihre Blätter fielen zur Erde, ihre Federn spalteten sich, das Tintenfaß fiel um. An gewissen Tagen ging es mit Viktorine die ersten drei Minuten gut, dann zeichnete sie Kritzeleien, und, von Entmutigung erfaßt, verharrte sie, den Blick zur Decke gerichtet. Viktor zögerte nicht einzuschlafen, wobei er sich mitten auf den Schreibtisch flegelte. Vielleicht litten sie? Eine zu starke Anspannung ist für junge Gehirne schädlich. „Machen wir eine Pause,“ sagte Bouvard. Nichts ist stumpfsinniger als auswendig lernen zu lassen; wenn man jedoch das Gedächtnis nicht übt, verliert es sich, und sie trichterten ihnen die ersten Fabeln Lafontaines ein. Die Kinder fanden Geschmack an der Ameise, die aufspeichert, an dem Wolf, der das Lamm frißt, an dem Löwen, der alle Teile für sich nimmt. Als sie kühner geworden waren, verwüsteten sie den Garten. Aber welch einen Zeitvertreib sollte man ihnen geben? Im „Emile“ rät Jean-Jacques dem Erzieher, den Zögling sein Spielzeug selbst machen zu lassen, indem er ihm etwas dabei hilft, ohne daß das Kind es merkt. Bouvard war nicht imstande, einen Reifen herzustellen; Pécuchet brachte es nicht fertig, einen Ball zu nähen. Sie gingen zu den belehrenden Spielen über, wie dem Ausschneiden. Pécuchet zeigte ihnen sein Mikroskop. Nachdem Bouvard eine Kerze angezündet hatte, bildete er mit dem Schatten seiner Finger auf der Wand den Umriß eines Hasen oder eines Schweins. Die Zuschauer hatten bald genug davon. Einige Verfasser preisen als Vergnügen ein ländliches Frühstück; einen Ausflug im Boot; war das, offen gesagt, tunlich? Und Fénelon empfiehlt von Zeit zu Zeit eine „harmlose Unterhaltung“. Unmöglich, auch nur eine einzige zu erfinden. Sie nahmen die Lehrstunden wieder auf, und die facettierten Kugeln, die Linienblätter, das zusammensetzbare Alphabet, das alles hatte keinen Erfolg, als sie auf eine List verfielen. Da Viktor zur Leckerei neigte, zeigte man ihm den Namen eines Gerichtes; bald las er fließend im „Französischen Koch“. Viktorine, die gefallsüchtig war, sollte ein Kleid bekommen, wenn sie darum an die Schneiderin schriebe. In weniger als drei Wochen vollbrachte sie dieses Wunder. Es hieß ihren Fehlern schmeicheln, was ein verderbliches, aber erfolgreiches Mittel war. Was sollte man ihnen jetzt, da sie lesen und schreiben konnten, beibringen? Neue Verlegenheit. Die Mädchen brauchen nicht gelehrt zu sein wie die Knaben. Gleichviel! Gewöhnlich erzieht man sie in wahrem Stumpfsinn, denn ihr ganzer geistiger Ballast beschränkt sich auf mystische Albernheiten. Ist es richtig, ihnen Sprachen beizubringen? „Spanisch und Italienisch“, so behauptet der Schwan von Cambray, „führen nur dazu, gefährliche Werke zu lesen.“ Dieser Einwand schien ihnen dumm. Indessen würde Viktorine mit diesen Sprachen nichts anzufangen wissen, während Englisch verbreiteter ist. Pécuchet studierte seine Regeln; er zeigte gravitätisch, wie ein th ausgesprochen wird. „Sieh, so, the, the, the!“ Doch bevor man an den Unterricht eines Kindes geht, muß man dessen Fähigkeiten kennen. Man erschließt sie durch die Phrenologie. Sie vertieften sich in diese Wissenschaft; wollten dann, was sie behauptet, an sich selbst nachweisen. Bouvard zeigte die Buckel des Wohlwollens, der Phantasie, der Ehrfurcht und der Liebesenergie, vulgo Erotismus. An Pécuchets Schläfenbein wurden philosophische Veranlagung und Enthusiasmus festgestellt, wozu sich der Geist der List gesellte. In der Tat, so waren ihre Charaktere. Noch mehr überraschte sie, daß sich bei dem einen wie bei dem andern der Hang zur Freundschaft erkennen ließ, und, entzückt über die Entdeckung, umarmten sie gerührt einander. Dann dehnten sie ihre Untersuchungen auf Marcel aus. Sein größter Fehler war ihnen recht wohl bekannt; es war sein außerordentlicher Appetit. Nichtsdestoweniger waren Bouvard und Pécuchet erschrocken, als sie oberhalb der Ohrmuschel in der Höhe des Auges den Nahrungstrieb feststellten. Mit den Jahren würde ihr Diener vielleicht wie die Frau in der Salpêtrière werden, die täglich acht Pfund Brot aß, einmal vierzehn Teller Suppe und ein anderes Mal sechzig Schalen Kaffee vertilgte. Das würde über ihre Kräfte gehen. Die Schädel ihrer Schüler hatten nichts Merkwürdiges; gewiß faßten sie die Sache nicht richtig an; ein sehr einfaches Mittel brachte ihnen größere Erfahrung. An den Markttagen schlichen sie sich unter die Bauern auf dem Platze, zwischen die Hafersäcke, die Käsekörbe, die Kälber, die Pferde, ohne des Gedränges zu achten; und wenn sie einen Jungen bei seinem Vater fanden, so erboten sie sich, ihm den Schädel zu einem wissenschaftlichen Zweck zu betasten. Die meisten gaben überhaupt keine Antwort; andere, die glaubten, es handle sich um eine Salbe gegen den Grind, schlugen ärgerlich ab; einige ließen sich aus Gleichgültigkeit unter die Vorhalle der Kirche führen, wo man ungestörter sein würde. Eines Morgens, als Bouvard und Pécuchet dort ihre Untersuchungen begannen, erschien plötzlich der Pfarrer, und als er sah, was sie machten, erhob er gegen die Phrenologie den Vorwurf, daß sie zum Materialismus und Fatalismus führe. Der Dieb, der Mörder, der Ehebrecher, sie brauchen ihre Verbrechen nur auf das Schuldkonto ihrer Buckel zu setzen. Bouvard wandte ein, daß das Organ für die Tat geneigt mache, ohne indessen dazu zu zwingen. Wenn ein Mensch den Keim eines Lasters in sich trage, sei damit noch nicht gesagt, daß er lasterhaft sein wird. „Übrigens bewundere ich die Orthodoxen; sie behaupten das Vorhandensein angeborener Ideen und wollen von den Trieben nichts wissen. Welch ein Widerspruch!“ Doch nach Herrn Jeufroys Ansicht leugnete die Phrenologie die göttliche Allmacht, und es sei ungehörig, sie im Schatten des heiligen Ortes, gar angesichts des Altars, auszuüben. „Nein, nicht hier! Ich bitte Sie, nicht hier!“ Sie ließen sich bei dem Friseur Ganot nieder. Um jedes Bedenken zu besiegen, verstanden sich Bouvard und Pécuchet dazu, auf eigene Kosten die Eltern rasieren oder frisieren zu lassen. Eines Nachmittags kam der Doktor, um sich das Haar schneiden zu lassen. Während er sich in den Sessel setzte, sah er im Spiegel, wie die beiden Phrenologen mit ihren Fingern auf den Kinderköpfen herumfuhren. „Sind Sie jetzt bei diesem Unsinn angelangt?“ fragte er. „Warum Unsinn?“ Vaucorbeil lächelte verächtlich, dann versicherte er, es gäbe im Gehirn keineswegs mehrere Organe. So verdaue der eine Mensch ein Nahrungsmittel, welches einem andern nicht bekommt. Solle man deshalb im Magen ebensoviele Mägen annehmen als es Geschmäcker gibt? Indessen lasse eine Arbeit von einer anderen ausruhen, eine geistige Anstrengung nähme nicht zugleich alle Fähigkeiten in Anspruch, jede habe einen besonderen Sitz. „Die Anatomen haben ihn nicht gefunden,“ sagte Vaucorbeil. „Weil sie nicht richtig seziert haben,“ erwiderte Pécuchet. „Wieso?“ „Na ja; sie zerlegen in Schnitte, ohne Rücksicht auf den Zusammenhang der Teile,“ sagte Pécuchet, eine Stelle aus einem Buche zitierend, deren er sich erinnerte. „Das ist dummes Geschwätz,“ rief der Arzt. „Der Schädel modelt sich nicht nach dem Gehirn, das Äußere nicht nach dem Innern. Gall irrt, und ich wette, daß Sie die Richtigkeit seiner Lehre nicht erweisen können, wenn Sie aufs Geratewohl drei Personen im Laden vornehmen.“ Die erste war eine Bäuerin mit blauen Glotzaugen. Pécuchet sagte, sie beobachtend: „Sie hat ein gutes Gedächtnis.“ Ihr Gatte bestätigte es und bot sich selbst zur Untersuchung an. „O! Ihr, mein Guter, Ihr seid schwer zu leiten.“ Die anderen sagten aus, daß es auf der Welt keinen größeren Starrkopf gäbe. Der dritte Versuch wurde mit einem Knaben angestellt, der von seiner Großmutter begleitet war. Pécuchet erklärte, er müsse die Musik lieben. „Das kann man wohl sagen,“ sagte die gute Frau; „zeig das gerade diesen Herren doch mal.“ Der Junge zog eine Maultrommel aus seiner Bluse und begann hineinzublasen. Man hörte ein Krachen; es war die Tür, die der davoneilende Doktor heftig zuschlug. Sie zweifelten nicht mehr an sich selbst, riefen ihre Zöglinge und begannen die Untersuchung ihrer Hirnschalen von neuem. Diejenige Viktorinens war im großen ganzen glatt, was ein Zeichen von Gleichgewicht war; aber ihr Bruder hatte einen beklagenswerten Schädel: eine starke Erhöhung im Winkel des Scheitelbeinansatzes ließ das Organ der Zerstörung, des Mordes erkennen, und weiter unten war eine Anschwellung, das Zeichen der Begehrlichkeit, des Diebstahls. Bouvard und Pécuchet waren acht Tage lang darob bekümmert. Aber man mußte genau auf den Sinn der Worte achten: was man Kampflust nennt, schließt die Verachtung des Todes ein. Wenn dadurch Mordtaten vollbracht werden, so kann auch manches Menschenleben dadurch gerettet werden. Der Erwerbssinn umfaßt die Schlauheit der Betrüger und den Eifer der Kaufleute. Die Unehrerbietigkeit läuft dem kritischen Geiste parallel, die List der Umsicht. Stets teilt sich ein Instinkt in zwei Richtungen: in eine schlechte und eine gute. Man kann die eine unterdrücken, indem man die andere pflegt, und vermittels dieser Methode kann ein kühnes Kind es bis zum General bringen, das sonst ein Raubmörder geworden wäre. Der Feigling wird nur noch Vorsicht zeigen, der Geizhals Sparsamkeit, der Verschwender Großmut. Ein glänzender Traum beschäftigte sie: wenn sie die Erziehung ihrer Zöglinge zu einem guten Ende geführt hätten, wollten sie später eine Anstalt gründen, deren Zweck es sein sollte, den Verstand zu bilden, schädliche Charakteranlagen zu bekämpfen, das Gemüt zu veredeln. Sie sprachen schon von Geldzeichnungen und dem Gebäude. Ihr Triumph bei Ganot hatte sie berühmt gemacht, und es kamen Leute, die wissen wollten, was für Chancen sie im Leben hätten. Es marschierten ihrer von allen Arten auf: Schädel von Kugel-, Birnen- und Zuckerhutform, viereckige, hohe, zusammengedrückte, abgeplattete, solche mit Rinderschnauzen, Vogelgesichtern, Schweinsaugen; doch eine solche Menge Menschen störte den Friseur bei seiner Arbeit. Die Ellbogen streiften den Glasschrank, der die Parfumerien enthielt; man brachte die Kämme in Unordnung, der Waschtisch zerbrach, und der Friseur setzte alle Wißbegierigen an die Luft, indem er Bouvard und Pécuchet bat, ihnen nachzufolgen, ein Ultimatum, in das sie sich ohne Murren fügten, denn sie waren die Schädelbeobachtung ein wenig leid geworden. Als sie am folgenden Morgen an dem Gärtchen des Hauptmanns vorbeikamen, bemerkten sie ihn im Gespräch mit Girbal, Coulon, dem Feldhüter und dessen jüngstem Sohn Zéphyrin, der als Chorknabe angezogen war. Sein Gewand war ganz neu; er spazierte darin umher, bevor es wieder in die Sakristei wanderte, und man bewunderte ihn darin. Neugierig zu erfahren, was sie von seinem Sohne dächten, bat Placquevent die Herren, den Schädel seines Jungen zu untersuchen. Die Stirnhaut sah aus, als ob sie gespannt wäre; eine dünne, an der Spitze recht knorpelige Nase senkte sich schräg auf schmale Lippen; das Kinn war spitz, der Blick unstät, die rechte Schulter zu hoch. „Nimm deine Mütze ab,“ sagte der Vater zu ihm. Bouvard fuhr mit seinen Händen in das strohgelbe Haar des Knaben; dann kam Pécuchet an die Reihe, und mit leiser Stimme teilten sie einander ihre Beobachtungen mit: „Lebenstrieb ausgeprägt. Ha, ha! Gefallsucht! Gewissenhaftigkeit nicht vorhanden! Liebestrieb gleich Null.“ „Nun?“ sagte der Feldhüter. Pécuchet öffnete seine Schnupftabakdose und nahm eine Prise. „Meiner Treu,“ erwiderte Bouvard, „das ist nicht weit her.“ Placquevent errötete vor gekränkter Eigenliebe. „Er wird trotzdem tun, was ich will.“ „O! o!“ „Aber ich bin sein Vater, zum Teufel! und ich habe wohl das Recht...“ „Bis zu einem gewissen Grade,“ erwiderte Pécuchet. Girbal unterbrach: „Die väterliche Autorität ist unbestreitbar.“ „Aber wenn der Vater ein Idiot ist?“ „Tut nichts“, sagte der Hauptmann, „deswegen ist seine Gewalt nicht weniger absolut.“ „Im Interesse der Kinder,“ fügte Coulon hinzu. Nach Bouvards und Pécuchets Auffassung waren die Kinder den Urhebern ihrer Tage nichts schuldig, dagegen waren die Eltern ihren Sprößlingen gegenüber zur Ernährung, Erziehung, zu entgegenkommender Behandlung, kurz zu allem verpflichtet. Die Bürger erhoben gegen diese unmoralische Anschauung Einspruch. Sie verletzte Placquevent wie eine Beleidigung. „Zudem sind die nett, die Sie auf der Landstraße auflesen; sie werden es weit bringen! Nehmen Sie sich in acht!“ „In acht wovor?“ fragte Pécuchet scharf. „O! ich habe keine Angst vor Ihnen!“ „Ich ebensowenig vor Ihnen!“ Coulon trat vermittelnd dazwischen, brachte den Feldhüter zur Mäßigung und veranlaßte ihn, fortzugehen. Ein paar Minuten sagte niemand ein Wort. Dann sprach man von den Dahlien des Hauptmanns, der seinen Besuch nicht fortließ, ohne sie eine nach der andern gezeigt zu haben. Bouvard und Pécuchet waren auf dem Heimwege, als sie hundert Schritte vor sich Placquevent erblickten; neben ihm hob Zéphyrin die Arme wie als Schild, um sich gegen Ohrfeigen zu schützen. Was sie soeben gehört hatten, verkörperte unter anderen Formen die Ideen des Herrn Grafen; aber das Beispiel ihrer Zöglinge sollte beweisen, wie sehr die Freiheit dem Zwange überlegen ist. Ein wenig Zucht war indessen notwendig. Pécuchet nagelte einen Stundenplan für die Vorträge in das Museum; man wollte ein Tagebuch führen, in dem abends alles, was die Kinder tagsüber getan hatten, aufgezeichnet werden sollte, um am nächsten Morgen wieder durchgelesen zu werden. Alles sollte nach Glockenzeichen vor sich gehen. Wie Dupont von Nemours wollten sie zuerst in väterlicher Weise ermahnen, dann in militärischer, und das Du wurde untersagt. Bouvard versuchte, Viktorine Rechenunterricht zu geben. Manchmal verrechneten sie sich und lachten beide darüber; dann küßte sie ihn auf den Hals an der Stelle, wo kein Bart war, und bat, fortgehen zu dürfen; er entließ sie. Pécuchet mochte, wenn die Zeit der Lehrstunden nahte, das Glockenzeichen geben, so oft er wollte, und militärische Befehle aus dem Fenster herausschreien, der Schlingel kam nicht. Seine Halbstrümpfe hingen ihm immer auf die Knöchel; er steckte seine Finger selbst bei Tisch in die Nase und hielt seine Gase nicht an sich. Broussais widerrät, in dieser Beziehung Verweise zu geben, „denn man muß dem Antrieb eines erhaltenden Instinktes gehorchen.“ Viktorine und ihr Bruder bedienten sich eines scheußlichen Kauderwelsch. Sie sagten: „mé itou“ statt „moi aussi“, „bère“ statt „boire“, „al“ statt „elle“, ein „devientiau“, „de l’iau“; doch da die Grammatik für Kinder unverständlich ist und sie diese kennen, sobald sie richtig zu sprechen vermögen, so überwachten die beiden Biedermänner die Gespräche der Kinder in einer Weise, daß es ihnen allen eine Last war. In der Geographie gingen ihre Ansichten auseinander. Bouvard meinte, es sei logischer, mit der Gemeinde anzufangen, Pécuchet, mit der Gesamtheit der Welt. Mit einer Gießkanne und Sand wollte er zeigen, was ein Fluß, eine Insel, ein Meerbusen sei, und er opferte sogar drei Beete für die drei Erdteile; aber das, worauf es ankam, fand in Viktors Kopf keinen Eingang. In einer Januarnacht führte Pécuchet ihn ins freie Feld. Während sie dahingingen, sang er das Lob der Astronomie; sie sei den Seeleuten auf ihren Reisen nützlich; Christoph Columbus hätte ohne sie seine Entdeckung nicht gemacht. Wir schulden Copernikus, Galilei und Newton Dank. Es fror stark, und am schwarzblauen Himmel glitzerten eine Unmenge von Sternen. Pécuchet hob die Augen empor. „Was, wo ist der große Bär?“ Als er ihn das letzte Mal gesehen hatte, stand er an einer andern Stelle; schließlich erkannte er ihn, dann zeigte er den Polarstern, der immer im Norden steht und nach dem man sich orientiert. Am folgenden Morgen stellte er in die Mitte des Salons einen Sessel und begann, um ihn herumzuwalzen. „Denke dir, dieser Sessel sei die Sonne und ich sei die Erde; sie bewegt sich in dieser Weise.“ Viktor betrachtete ihn voll Staunen. Dann nahm Pécuchet eine Apfelsine, steckte ein Stäbchen hinein, das die Pole andeuten sollte, und zog um sie mit Kohle einen Kreis, der den Äquator bedeuten sollte. Darauf führte er die Apfelsine um eine Kerze herum und wies darauf hin, daß nicht alle Punkte der Oberfläche gleichzeitig erhellt seien, wodurch die klimatischen Unterschiede hervorgerufen würden; und um den Wechsel der Jahreszeiten zu erklären, neigte er die Apfelsine; denn die Erde hält sich nicht gerade, was Ursache der Tag- und Nachtgleichen und Sonnenwenden ist. Viktor hatte nichts davon verstanden. Er glaubte, die Erde drehe sich um eine lange Nadel, und der Äquator sei ein Ring, der ihren Umfang fest umschließe. Mit Hilfe eines Atlas erklärte Pécuchet ihm Europa; doch war Viktor von so viel Linien und Farben wie geblendet und fand sich in den Namen nicht zurecht. Die Becken und Gebirge deckten sich nicht mit den Reichen, die politische Ordnung störte die physikalische. Das alles würde ihm vielleicht durch das Studium der Geschichte klar werden. Es wäre am praktischsten gewesen, mit dem Dorfe anzufangen, darauf den Stadtkreis, den Verwaltungsbezirk, die Provinz vorzunehmen. Doch Chavignolles besaß keine Annalen, man mußte sich wohl oder übel an die allgemeine Geschichte halten. Da sie so mit Stoff überladen ist, darf man nur das Schönste auswählen. Aus der griechischen Geschichte kommt in Betracht: „Wir werden im Schatten kämpfen.“ Der Neidische, der Aristides verbannte, und das Vertrauen Alexanders zu seinem Arzt. Aus der römischen: die Gänse des Kapitols, der Dreifuß Scävolas, das Faß des Regulus. Das Rosenbett von Guatimozin ist für Amerika von Bedeutung. Frankreich dagegen hat die Vase von Soissons, die Eiche des heiligen Ludwig, den Tod der Jungfrau von Orleans, das „Huhn im Topf“ des Bearners: man hat nur die Verlegenheit der Wahl, ganz abgesehen von „A moi, Auvergne!“ und dem Untergang des „Vengeur“. Viktor warf die Männer, die Jahrhunderte und die Länder durcheinander. Indessen mutete ihm Pécuchet keine feinsinnigen Betrachtungen zu, und die Unmenge der Tatsachen bildete ein wahres Labyrinth. Er wandte sich dem Namenregister der französischen Könige zu. Viktor vergaß sie, da er die Daten nicht wußte. Doch da die Mnemotechnik Dumouchels ihnen nichts genützt hatte, was sollte sie ihm helfen! Schlußfolgerung: die Geschichte läßt sich nur durch vieles Lesen erlernen. Er sollte also lesen. Das Zeichnen ist bei einer Menge von Gelegenheiten von Nutzen; nun hatte Pécuchet die Kühnheit, selbst nach der Natur Zeichenunterricht zu geben, wobei er sich sogleich an die Landschaft machte. Ein Buchhändler in Bayeux übersandte ihm Papier, Gummi, zwei Zeichenblöcke, Bleistifte und Fixativ für ihre Werke, die hinter Glas und Rahmen das Museum schmücken sollten. Sie erhoben sich bei Tagesanbruch und machten sich mit einem Stück Brot in der Tasche auf den Weg, und viel Zeit ging mit dem Suchen nach einem Motiv verloren. Pécuchet wollte zugleich wiedergeben, was sich unter seinen Füßen befand, den fernsten Horizont und die Wolken; aber die Ferne erdrückte immer den Vordergrund; der Fluß stürzte vom Himmel herab, der Hirt trat auf die Herde, ein schlafender Hund sah aus, als ob er davonliefe. Pécuchet selbst verzichtete auf das Zeichnen; er erinnerte sich, folgende Definition gelesen zu haben: „Die Zeichenkunst besteht aus drei Dingen: der Linie, der starken Schattierung, der feinen Schattierung, außerdem aus dem letzten vollendeten Strich. Doch diesen letzten vollendeten Strich vermag nur ein Meister hervorzubringen.“ Er verbesserte die Linie, leistete beim starken Schattieren Hilfe, überwachte die feine Schattierung und wartete auf die Gelegenheit, den letzten vollendeten Strich anzubringen. Sie kam niemals, so unverständlich war die Landschaft des Schülers. Seine Schwester, die ebenso faul war wie er, gähnte beim Einmaleins. Fräulein Reine gab ihr Schneiderstunde, und wenn sie Wäsche zeichnete, hob sie ihre Finger so niedlich, daß Bouvard dann später nicht das Herz hatte, sie mit seiner Rechenstunde zu quälen. An einem der nächsten Tage würden sie wieder damit anfangen. Ohne Zweifel sind Rechen- und Schneiderkunst im Hauswesen notwendig; doch sei es grausam, so meinte Pécuchet, die Mädchen nur im Hinblick auf ihren späteren Gatten zu erziehen. Alle sind nicht für Hymens Bande bestimmt; wenn man will, daß sie später ohne Männer fertig werden sollen, muß man ihnen mancherlei beibringen. Man kann Wissenschaft bei Gelegenheit der alltäglichen Dinge eintrichtern: zum Beispiel sagen, woraus der Wein besteht, und nachdem die Erklärung gegeben war, mußten Viktor und Viktorine sie wiederholen. Mit den Gewürzen, den Möbeln, der Beleuchtung hielt man es ebenso; aber das Licht war für die Kinder die Lampe, und sie hatte nichts mit dem Funken des Feuersteins, der Flamme einer Kerze, dem Schein des Mondes gemein. Eines Tages fragte Viktorine: „Woher kommt es, daß das Holz brennt?“ Ihre Lehrmeister tauschten verlegene Blicke aus, da die Theorie der Verbrennung über ihr Wissen hinausging. Ein anderes Mal sprach Bouvard von der Suppe bis zum Käse von den Bestandteilen der Ernährung und schüchterte die beiden Kleinen mit Faserstoff, Kasein, Fett und Glutin ein. Dann wollte Pécuchet ihnen erklären, wie sich das Blut erneuert, und er verhedderte sich, als er vom Kreislauf sprach. Das Dilemma ist recht unbequem; geht man von den Tatsachen aus, so erheischt die einfachste zu verwickelte Gründe, und stellt man zunächst die Prinzipien auf, so beginnt man mit dem Absoluten, dem Glauben. Wozu sich entschließen? Die beiden Unterrichtsmethoden, die rationalistische und die empirische, verbinden? Aber ein doppeltes Mittel, das demselben Zweck dienen soll, ist das Gegenteil von Methode! Na, um so schlimmer! Um die Kinder in die Naturgeschichte einzuführen, unternahmen sie einige wissenschaftliche Spaziergänge. „Da siehst du“, sagten sie, auf einen Esel, ein Pferd, einen Ochsen zeigend, „Tiere mit vier Füßen; man nennt sie Vierfüßler. Gewöhnlich haben die Vögel Federn, die Reptilien Schuppen, und die Schmetterlinge gehören der Klasse der Insekten an.“ Sie hatten ein Netz, um sie einzufangen, und während Pécuchet das Tierchen vorsichtig hielt, zeigte er ihnen die vier Flügel, die sechs Füße, die beiden Fühler und den harten Rüssel, durch den es den Nektar der Blumen schlürft. Er sammelte Heilkräuter an den Rändern der Gräben, nannte ihre Namen, und wenn er sie nicht wußte, so erfand er welche, um seine Autorität nicht zu schädigen. Übrigens sind die Namen in der Botanik das Unwichtigste. Er schrieb folgenden Lehrsatz an die Tafel: Jede Pflanze hat Blätter, einen Kelch und eine Blumenkrone, die einen Fruchtknoten oder eine Fruchthülle umschließt; darin ist der Same enthalten. Dann befahl er seinen Zöglingen, im Felde zu botanisieren und die erstbesten Blumen zu pflücken. Viktor brachte ihm Butterblumen, Viktorine Büschel der Erdbeerstaude; er suchte vergeblich nach einer Fruchthülle. Bouvard, der Pécuchets Kenntnissen mißtraute, stöberte die ganze Bibliothek durch und entdeckte im „Redouté des Dames“ die Zeichnung einer Iris, bei der die Fruchtknoten nicht in der Blumenkrone lagen, sondern unterhalb der Blütenblätter im Stengel. In ihrem Garten wuchsen Klebe und Waldmeister, der in Blüte stand; diese Rubiazeen hatten keinen Kelch; so war der an die Tafel geschriebene Lehrsatz falsch. „Das ist eine Ausnahme,“ sagte Pécuchet. Zufällig aber fanden sie im Grase eine Sherardia, und sie hatte einen Kelch. „O weh! wenn sogar die Ausnahmen nicht stimmen, was soll man glauben?“ Eines Tages hörten sie auf einem ihrer Spaziergänge Pfauen schreien, warfen einen Blick über die Mauer, und im ersten Augenblicke erkannten sie ihren Pachthof nicht wieder. Die Scheune hatte ein Schieferdach, es waren neue Gattertore da, eine Steinauflage deckte die Wege. Vater Gouy erschien: „Nicht möglich, Sie sind es?“ Was hatte sich in den drei Jahren nicht alles ereignet, unter anderm der Tod seiner Frau. Was ihn selbst beträfe, so trotze seine Gesundheit allen Stürmen. „Kommen Sie doch einen Augenblick herein.“ Es war Anfang April, und in den drei Obsthöfen reihten die blühenden Apfelbäume ihre weißen und rosigen Ballen in einer Flucht aneinander; der seidigblaue Himmel zeigte nicht eine Wolke; Tischtücher, Laken, Servietten hingen herab, senkrecht durch Holzklammern an aufgespannten Leinen festgehalten. Vater Gouy hob sie hoch, um darunter durchzukriechen, als sie plötzlich Frau Bordin erblickten, die barhäuptig und in einer Hausjacke war, und Marianne, die ihr ein schweres Wäschebündel nach dem andern reichte. „Ihre Dienerin, meine Herren! Tuen Sie, als ob Sie zu Hause wären! Ich muß mich setzen, ich bin wie zerschlagen.“ Der Pächter bot der ganzen Gesellschaft einen Trunk an. „Jetzt nicht,“ sagte sie, „ich bin zu warm.“ Pécuchet nahm an und verschwand mit Vater Gouy, Marianne und Viktor in der Richtung der Vorratskammer. Bouvard setzte sich neben Frau Bordin auf die Erde. Er empfing pünktlich seine Rente, konnte sich nicht beklagen und war ihr nicht mehr gram. Das Licht fiel voll auf ihr Profil; ihr dunkles glattgescheiteltes Haar war auf der einen Seite herabgefallen, und die kleinen Löckchen im Nacken klebten an ihrer bernsteinfarbenen Haut, die feucht von Schweiß war. Ihre beiden Brüste hoben sich bei jedem Atemzuge. Der Duft des Rasens vermischte sich mit dem angenehmen Geruch ihres gesunden Fleisches, und Bouvard fühlte ein Wiedererwachen seiner Sinne, das ihn mit Freude erfüllte. Da sagte er ihr Schmeichelhaftes über ihre Besitzung. Sie war entzückt und sprach von ihren Plänen. Um die Höfe zu vergrößern, wollte sie die Erdwälle niederlegen lassen. Gerade in dem Augenblicke erklomm Viktorine deren Böschung und pflückte Primeln, Hyazinthen und Veilchen, ohne Furcht vor einer alten Mähre, die am Fuße das Gras abfraß. „Sie ist niedlich, nicht wahr?“ sagte Bouvard. „Ja, das ist etwas Nettes, ein kleines Mädchen!“ Und die Witwe stieß einen Seufzer aus, der den langen Kummer eines ganzen Lebens in sich zu schließen schien. „Sie hätten Kinder haben können.“ Sie senkte den Kopf. „Es hat nur an Ihnen gelegen.“ „Wieso?“ Er warf ihr einen Blick zu, daß sie errötete, wie unter der Empfindung einer brutalen Zärtlichkeit; doch sie sagte sogleich, sich mit dem Taschentuche Luft zufächelnd: „Sie haben den Anschluß verpaßt, mein Lieber.“ „Ich verstehe nicht.“ Und ohne aufzustehen, näherte er sich ihr. Sie schaute ihn lange von Kopf bis zu Fuß an; dann sagte sie lächelnd, mit feuchten Augen: „Es war Ihre Schuld.“ Die Laken rings schlossen sie wie die Vorhänge eines Bettes ein. Er neigte sich, auf seinen Ellbogen gestützt, und streifte ihre Knie mit seinem Gesichte. „Warum? Wieso? Warum?“ Und da sie schwieg und er in einer Stimmung war, wo die Schwüre einem leicht werden, versuchte er, sich zu rechtfertigen, klagte sich der Torheit, der Vermessenheit an: „Verzeihung! Es soll wie früher sein! Wollen Sie?“ Und er hatte ihre Hand ergriffen, die sie in der seinigen ließ. Ein plötzlicher Windstoß hob die Laken, und sie sahen zwei Pfauen, ein Männchen und ein Weibchen. Das Weibchen hielt sich regungslos mit eingeknickten Beinen, das Hinterteil emporgestreckt. Das Männchen spazierte um es herum, schlug sein Rad, blähte sich, gluckste, sprang dann darauf, indem es sein Gefieder niederschlug; seine Federn bedeckten das Weibchen wie eine Laube, und die beiden Vögel erzitterten in demselben Liebesschauer. Bouvard fühlte ihn in der Handfläche Frau Bordins. Sie machte sich hastig frei. Vor ihnen stand mit offenem Munde und wie versteinert der kleine Viktor und schaute zu; etwas weiter lag Viktorine in der vollen Sonne auf dem Rücken und sog den Duft all der Blumen ein, die sie gepflückt hatte. Der alte Gaul, durch die Pfauen erschreckt, zerriß ausschlagend eine der Leinen, verwickelte sich mit den Beinen hinein und zog, während er in den drei Höfen herumgaloppierte, die Wäsche mit sich. Auf das wütende Geschrei Frau Bordins eilte Marianne herbei. Der Vater Gouy verfluchte sein Pferd: „Schuft von einem Gaul! Schindmähre! Spitzbube!“ -- versetzte ihm Fußtritte in den Leib und Schläge mit dem Peitschenstiel auf die Ohren. Bouvard war entrüstet, daß man ein Pferd schlug. Der Bauer antwortete: „Das darf ich: es gehört mir!“ Das sei kein Grund. Und Pécuchet, der dazukam, fügte hinzu, daß auch die Tiere ihre Rechte hätten, denn sie hätten eine Seele wie wir, vorausgesetzt, daß die unsrige überhaupt existiere. „Sie sind ein gottloser Mensch!“ rief Frau Bordin. Dreierlei versetzte sie in Ärger: die neu zu waschende Wäsche, die Beleidigung dessen, was sie glaubte, und die Furcht, soeben in einer verdächtigen Situation gesehen worden zu sein. „Ich hätte Sie für vorurteilsloser gehalten!“ sagte Bouvard. Sie erwiderte in verweisendem Tone: „Ich liebe die lockeren Vögel nicht!“ Und Gouy machte die Herren für die Beschädigung seines Pferdes verantwortlich, das aus den Nüstern blutete. Er brummte ganz leise: „Verdammte Unglückskerle! Ich wollte es anbinden, da kamen sie.“ Die beiden Biedermänner gingen achselzuckend davon. Viktor fragte sie, warum sie sich mit Gouy gezankt hätten. „Er mißbraucht seine Kraft, das ist unrecht.“ „Warum ist das unrecht?“ Sollten die Kinder keine Vorstellung von Gerechtigkeit haben? Vielleicht. Und noch denselben Abend begann Pécuchet, während er Bouvard zur Rechten, vor sich ein paar Aufzeichnungen und gegenüber die beiden Zöglinge hatte, einen Kursus der Moral. Diese Wissenschaft lehrt uns die Grundsätze, nach denen wir unser Handeln einzurichten haben. Es hat zwei Motive: das Vergnügen und das Interesse; und ein drittes gebieterischeres: die Pflicht. Die Pflichten zerfallen in zwei Klassen: erstens in solche gegen uns selbst, die darin bestehen, unsern Körper zu pflegen, uns vor allerlei Unbill zu schützen. Die Kinder begriffen das vollkommen. Zweitens in Pflichten gegen die andern, das heißt, man soll stets ohne Falsch, gütig und sogar brüderlich sein, denn das Menschengeschlecht bildet nur eine große Familie. Oft sagt uns etwas zu, das unsern Mitmenschen schadet; das Interesse ist vom Guten verschieden, denn der Begriff des Guten läßt sich auf keinen andern Begriff zurückführen. Die Kinder verstanden nicht. Er verschob die Strafen, die die Verletzung der Pflichten nach sich zieht, auf das nächste Mal. Bei alledem habe er, so meinte Bouvard, das Gute nicht definiert. „Wie willst du es definieren? Man fühlt es.“ Dann würden die moralischen Unterweisungen nur moralischen Leuten zukommen, und Pécuchets Vorlesung wurde nicht fortgesetzt. Sie ließen ihre Zöglinge die kleinen Geschichten lesen, die darauf abzielen, Liebe zur Tugend zu erwecken. Sie langweilten Viktor tödlich. Um seine Einbildungskraft anzuregen, hing Pécuchet an die Wände seines Zimmers Bilder, die das Leben des ordentlichen Menschen und das des liederlichen darstellten. Der erstere, Adolf, umarmte seine Mutter, lernte eifrig Deutsch, half einem Blinden und kam auf die polytechnische Hochschule. Der liederliche, Eugen, fing mit Ungehorsam gegen seinen Vater an, hatte Streit in einem Café, schlug seine Frau, stürzte vollständig betrunken hin, zerschlug einen Schrank und ein letztes Bild zeigte ihn im Zuchthaus, wo ein Herr der von einem Knaben begleitet war, auf ihn weisend sagte: „Hier siehst du, mein Sohn, die Gefahren eines schlechten Lebenswandels.“ Doch für die Kinder ist die Zukunft nicht vorhanden. Man speiste sie vergeblich bis zum Überdruß mit dem Grundsatz: „daß die Arbeit ehrenvoll sei und daß der Reichtum nicht immer glücklich mache.“ Sie hatten Arbeiter gekannt, die keineswegs geehrt wurden, und sie gedachten des Schlosses, wo das Leben angenehm schien. Die Qualen des Gewissens wurden ihnen mit solchen Übertreibungen ausgemalt, daß sie die Aufschneiderei witterten und bei allem übrigen Mißtrauen zeigten. Man versuchte, sie bei der Ehre zu fassen, durch den Gedanken an die öffentliche Meinung und das Gefühl für Auszeichnung, indem man ihnen die großen Menschen rühmte, besonders die, welche ihren Mitmenschen von Nutzen gewesen waren, wie Belzunce, Franklin, Jacquard! Viktor bezeugte nicht die geringste Neigung, es ihnen gleichzutun. Als er eines Tages eine Addition ohne Fehler ausgeführt hatte, nähte Bouvard ihm ein Band an seine Jacke, welches das Ehrenkreuz bedeuten sollte. Viktor brüstete sich damit; doch als er den Tod Heinrichs IV. vergessen hatte, setzte ihm Pécuchet eine Eselsmütze auf. Viktor begann mit solcher Heftigkeit und so lange wie ein Esel zu schreien, daß man ihm die papiernen Ohren abnehmen mußte. Seine Schwester war gleich ihm stolz auf Lob, aber gleichgültig gegen Tadel. Um ihr Gefühl zu wecken, gab man ihnen eine schwarze Katze, für die sie sorgen sollten; man händigte ihnen zwei, drei Sous ein, damit sie Almosen gaben. Sie fanden diese Forderung ungerecht; dieses Geld gehöre ihnen. Auf den Wunsch ihrer Erzieher nannten sie Bouvard „Onkelchen“ und Pécuchet „Alterchen“, doch sie duzten sie, und die Unterrichtsstunden vergingen gewöhnlich zur Hälfte mit Streitigkeiten. Viktorine mißbrauchte Marcel für ihre Launen, kletterte auf seinen Rücken, zog ihn an den Haaren. Um über seine Hasenscharte zu spotten, sprach sie wie er durch die Nase, und der arme Kerl wagte nicht, sich zu beklagen, so sehr liebte er das kleine Mädchen. Eines Abends ertönte seine heisere Stimme sehr laut. Bouvard und Pécuchet gingen in die Küche herunter. Die beiden Zöglinge beobachteten den Kamin, und Marcel schrie händeringend: „Hol sie heraus! Das ist zu arg! Das ist zu arg!“ Der Deckel des Topfes sprang ab, als wäre eine Granate geplatzt. Ein graues Etwas sauste bis zur Decke empor, drehte sich dann wie rasend um die eigene Achse und stieß dabei ein schreckliches Geheul aus. Man erkannte die Katze, die ganz eingefallen und haarlos war. Ihr Schwanz glich einem Seil, und die Augen standen ihr riesengroß aus dem Kopfe hervor. Sie waren milchfarbig, wie entleert, und sandten doch Blicke. Das entsetzliche Tier heulte immer noch, sprang in den Kamin, verschwand und fiel dann als leblose Masse in die Asche. Es war Viktor, der diese Scheußlichkeit begangen hatte, und die beiden Biedermänner zogen sich bleich vor Entsetzen und Schauder zurück. Auf die Vorwürfe, die man ihm machte, antwortete er wie der Feldhüter hinsichtlich seines Sohnes und wie der Pächter in betreff seines Pferdes: „Was denn! Sie gehört doch mir.“ Er sagte es ungeniert, wie selbstverständlich und mit der Ruhe eines befriedigten Triebes. Das kochende Wasser des Topfes war auf dem Boden umhergespritzt; Pfannen, Feuerzange und Leuchter lagen auf den Fliesen. Es dauerte einige Zeit, bis Marcel die Küche gesäubert hatte, und seine Herren und er verscharrten die arme Katze im Garten unter der Pagode. Dann sprachen Bouvard und Pécuchet eingehend miteinander über Viktor. Das väterliche Blut schlug durch. Was tun? Ihn Herrn von Faverges zurückgeben oder ihn anderen anvertrauen, wäre ein Eingeständnis ihrer Unfähigkeit gewesen. Vielleicht würde er sich bessern. Gleichviel! Die Hoffnung war zweifelhaft; die Liebe war verschwunden. Wie schön wäre es jedoch gewesen, an seiner Seite einen Jüngling zu haben, der nach unseren Gedanken fragt, dessen Fortschritte man beobachtet, der später zu einem Bruder wird; doch Viktor fehlte es an Klugheit und noch mehr an Herz! Und Pécuchet, der sein eines Knie mit beiden Händen umspannt hielt, seufzte. „Die Schwester taugt ebensowenig,“ sagte Bouvard. Er stellte sich ein etwa fünfzehnjähriges Mädchen von zartem Gemüt und fröhlichem Sinn vor, das das Haus mit der Anmut seiner Jugend erfüllte; und der Biedermann weinte, als sei er ihr Vater gewesen und sie soeben gestorben. Dann wollte er Viktor entschuldigen und führte Rousseaus Anschauung ins Feld: Das Kind ist für sein Tun nicht verantwortlich, kann nicht moralisch oder unmoralisch sein. Diese Kinder jedoch, so meinte Pécuchet, seien alt genug, um Unterscheidungsvermögen zu haben, und sie studierten, wie man sie bessern könne. Soll eine Strafe wirksam sein, sagt Bentham, so muß sie in Beziehung zu der Verfehlung stehen, deren natürliche Folge sie ist. Das Kind hat eine Scheibe zerbrochen; man soll keine wieder einsetzen; möge es unter der Kälte leiden; verlangt es, schon gesättigt, von einem Gericht, so gebe man ihm noch davon; eine Verdauungsstörung wird schnell Grund zur Reue geben. Ist es faul, so möge es ohne Arbeit bleiben; auf sich selbst angewiesen, wird die Langeweile es zur Arbeit zurückführen. Doch Viktor würde nicht unter der Kälte leiden, seine Konstitution konnte Außergewöhnliches ertragen, und das Nichtstun würde ihm willkommen sein. Sie wandten das entgegengesetzte Verfahren an, die heilsame Bestrafung; Strafarbeiten wurden ihm aufgegeben; er wurde noch fauler; man gab ihm kein Eingemachtes mehr; er wurde noch naschhafter. Vielleicht würde die Ironie Erfolg haben? Als er einmal mit schmutzigen Händen zum Frühstück gekommen war, verspottete ihn Bouvard, nannte ihn hübscher Kavalier, Stutzer, Dandy. Viktor hörte mit gesenktem Kopfe zu; dann wurde er plötzlich blaß und warf seinen Teller nach Bouvards Kopf; wütend, ihn verfehlt zu haben, stürzte er sich auf ihn. Drei Männer hätten Mühe gehabt, ihn zu halten. Er wälzte sich auf dem Boden und versuchte zu beißen. Pécuchet bespritzte ihn von weitem aus einer Wasserflasche; er beruhigte sich sogleich, war aber zwei Tage hindurch heiser. Das Mittel taugte nichts. Sie griffen zu einem andern; bei dem geringsten Anzeichen von Wut behandelten sie ihn als Kranken und brachten ihn zu Bett; Viktor befand sich wohl darin und sang. Eines Tages stibitzte er aus der Bibliothek eine alte Kokosnuß und war dabei, sie zu zerspalten, als Pécuchet dazukam: „Meine Kokosnuß!“ Sie war ein Andenken an Dumouchel. Pécuchet hatte sie von Paris nach Chavignolles mitgebracht und gestikulierte vor Entrüstung mit den Armen in der Luft. Viktor fing an zu lachen. „Alterchen“ hielt nicht mehr an sich, und vermittels einer kräftigen Maulschelle beförderte er den Bengel in den Hintergrund des Zimmers; dann suchte er, vor Erregung zitternd, Bouvard auf, um ihm sein Leid zu klagen. Bouvard machte ihm Vorwürfe. „Stellst du dich an mit deiner Kokosnuß! Die Schläge verdummen, der Schrecken entnervt. Du erniedrigst dich selbst!“ Pécuchet wandte ein, körperliche Züchtigungen seien zuweilen unerläßlich. Pestalozzi wandte sie an, und der berühmte Melanchthon gesteht, daß er ohne sie nichts gelernt haben würde. -- Doch haben grausame Bestrafungen zum Selbstmord getrieben, man liest von solchen Beispielen. Viktor hatte den Eingang zu seinem Zimmer verbarrikadiert. -- Bouvard verhandelte durch die Tür, und um sie aufzubekommen, versprach er ihm eine Pflaumentorte. Von nun an wurde es schlimmer mit dem Jungen. Blieb ein von dem Bischof Dupanloup empfohlenes Mittel: „der strenge Blick“. Sie versuchten, ihren Gesichtern einen schrecklichen Ausdruck zu geben, und hatten nicht den geringsten Erfolg damit. „Wir können es nur noch mit der Religion versuchen,“ sagte Bouvard. Pécuchet protestierte. Sie hätten die Religion aus ihrem Programm gestrichen. Doch die Vernunft befriedigt nicht alle Bedürfnisse. Das Herz und die Phantasie wollen mehr. Vielen Seelen ist das Übernatürliche unentbehrlich, und sie beschlossen, die Kinder in die Katechismusstunde zu schicken. Reine erbot sich, sie dorthin zu bringen. Sie kam wieder ins Haus und verstand, durch einnehmende Manieren sich beliebt zu machen. Viktorine wurde plötzlich anders; sie zeigte sich zurückhaltend, wurde süßlich, lag vor der Madonna auf den Knien, bewunderte das Opfer Abrahams und hatte ein verächtliches Hohnlächeln, wenn von Protestanten die Rede war. Sie erklärte, man habe ihr aufgegeben zu fasten. Bouvard und Pécuchet erkundigten sich: es war nicht wahr. Am Fronleichnamstage verschwanden Levkojen von einem Beete, die nachher den Altar schmückten; sie leugnete in frecher Weise, sie abgeschnitten zu haben. Ein anderes Mal entwendete sie Bouvard zwanzig Sous, die sie beim Abendgottesdienst in die Schale des Küsters legte. Sie schlossen daraus, daß Moral und Religion verschiedene Dinge seien; wenn die letztere keinen tieferen Grund hat, ist sie von untergeordneter Wichtigkeit. Eines Abends, während sie speisten, trat Herr Marescot ins Zimmer; im selben Augenblick entschlüpfte Viktor. Der Notar, der es ablehnte, sich zu setzen, erzählte, was ihn herführe: der junge Touache habe seinen Sohn beinahe zu Tode geprügelt. Da man um Viktors Herkunft wußte und er unangenehm war, nannten ihn die anderen Bengel Zuchthäusler, und soeben hatte er den jungen Herrn Marescot in unverschämter Weise verhauen. Der Körper des teuren Arnold zeigte die Spuren davon. „Seine Mutter ist in Verzweiflung, sein Anzug in Fetzen, seine Gesundheit geschädigt! Was soll daraus werden?“ Der Notar forderte eine scharfe Züchtigung, und unter anderm sollte Viktor nicht mehr die Katechismusstunde besuchen, um neue Zusammenstöße zu vermeiden! Obwohl Bouvard und Pécuchet durch den hochfahrenden Ton verletzt waren, versprachen sie alles, was er wünschte, gaben klein bei. War Viktor dem Antriebe des Ehr- oder dem des Rachegefühls gefolgt? Auf jeden Fall war er kein Feigling. Doch seine Roheit erschreckte sie; die Musik würde seine Sitten mildern; Pécuchet kam auf den Gedanken, ihn die Anfangsgründe des Gesanges zu lehren. Es machte Viktor große Mühe, die Noten fließend zu lesen und die Ausdrücke Adagio, Presto, Sforzando nicht miteinander zu verwechseln. Sein Lehrer mühte sich ab, ihm die Tonleiter zu erklären, den Dreiklang, die diatonische, die chromatische Leiter und die beiden Arten von Intervallen, die sogenannte große und kleine Terz. Viktor mußte sich ganz gerade hinsetzen, die Brust heraus- und die Schultern zurücknehmen und den Mund weit öffnen; und um ihn durch Beispiel zu unterrichten, gab Pécuchet selbst die Töne mit falscher Stimme an; Viktor brachte die seinige nur mit Mühe aus der Kehle, so preßte er sie zusammen; wenn der Takt mit einer Pause begann, sang er sogleich los, oder er kam zu spät. Nichtsdestoweniger machte sich Pécuchet an den zweistimmigen Gesang. Anstatt des Bogens nahm er ein Stöckchen und bewegte seinen Arm gebieterisch hin und her, als wenn er ein Orchester dirigiert hätte; aber von zwei Verrichtungen in Anspruch genommen, kam er aus dem Takt, sein Irrtum veranlaßte neue Fehler beim Schüler, und während sie die Augenbrauen runzelten und die Halsmuskeln anspannten, fuhren sie aufs Geratewohl fort, bis sie unten auf der Seite angelangt waren. Schließlich sagte Pécuchet zu Viktor: „Du wirst sobald noch nicht in den Gesangvereinen glänzen.“ Und er gab den Musikunterricht auf. Locke hat übrigens vielleicht recht: „Die Musik führt in so liederliche Gesellschaft, daß man besser tut, sich mit etwas anderm zu befassen.“ Ohne einen Schriftsteller aus Viktor machen zu wollen, hielten sie es für angebracht, wenn er verstände, einen ordentlichen Brief zuwege zu bringen. Eine Überlegung hielt sie zurück: man kann den Briefstil nicht erlernen, denn er gehört ausschließlich den Frauen. Sie gedachten sodann, ihm ausgewählte Stücke aus der Literatur ins Gedächtnis zu trichtern und, da sie in Verlegenheit waren, was sie wählen sollten, zogen sie das Werk der Frau Campan zu Rate. Sie empfiehlt die Eliacin-Szene, die Chöre aus Esther, Jean-Baptiste Rousseau ganz. Das alles ist etwas veraltet. Was die Romane anlangt, so untersagt sie deren Lektüre, da sie die Welt in zu günstigen Farben malen. Indessen gestattet sie „Clarissa Harlowe“ und den „Familienvater“ von Miß Opy. -- Wer ist diese Miß Opy? Sie konnten ihren Namen in der „Biographie Michaud“ nicht entdecken. Blieben die Märchen. „Sie werden sich Hoffnung auf Diamantenpaläste machen,“ sagte Pécuchet. Die Literatur entwickelt den Geist, aber sie erhitzt die Leidenschaften. Viktorine wurde wegen der ihrigen aus der Katechismusstunde gewiesen. Man hatte sie überrascht, wie sie den Sohn des Notars küßte, und Reine verstand keinen Spaß: ihr Gesicht unter ihrer Haube mit den großen Röhrenfalten war ernst. Wie konnte man nach einem solchen Skandal ein so verdorbenes junges Mädchen behalten? Bouvard und Pécuchet erklärten den Pfarrer für ein altes Roß. Seine Magd verteidigte ihn brummend: „Man kennt Sie! Man kennt Sie!“ Sie gaben’s ihr zurück, und sie ging, während sie die Augen schrecklich rollte. Viktorine hatte sich in der Tat in Arnold verliebt, so reizend fand sie ihn in seinem gestickten Kragen, seiner Samtweste, mit seinem angenehm duftenden Haar, und sie brachte ihm Sträuße mit bis zu dem Augenblick, wo sie durch Zéphyrin angezeigt wurde. Wie lächerlich war dieses Abenteuer; die beiden Kinder waren ja vollständig unschuldig! Sollte man sie über das Geheimnis der Zeugung belehren? „Ich sähe nichts Schlimmes darin,“ sagte Bouvard. Der Philosoph Basedow erklärte es seinen Zöglingen, wobei er jedoch nur auf die Schwangerschaft und die Geburt genauer einging. Pécuchet dachte anders. Viktor begann ihn zu beunruhigen. Pécuchet hatte ihn im Verdacht, eine böse Angewohnheit zu haben. Weshalb nicht? Es gibt ernste Männer, die sie ihr ganzes Leben hindurch behalten, und man behauptet, daß der Herzog von Angoulême sich ihr hingab. Er fragte seinen Zögling in einer Weise, daß er ihm die Augen öffnete, und bald darauf sah er seinen Argwohn bestätigt. Da nannte er ihn Verbrecher und wollte ihn zur Heilung Tissot lesen lassen. Dieses Meisterwerk wirkte nach Bouvards Ansicht eher verderblich als nutzbringend. Besser sei, ihm ein poetisches Gefühl einzuflößen. Aimé Martin berichtet, daß eine Mutter in einem ähnlichen Falle ihrem Sohne die „Neue Héloise“ zu lesen gab, und um der Liebe würdig zu werden, begab sich der junge Mensch schleunigst auf den Pfad der Tugend. Doch Viktor war nicht fähig, eine Sophie zu erträumen. „Wie wär’s, wenn wir ihn in ein Bordell führten?“ Pécuchet gab seinen Abscheu gegen die öffentlichen Dirnen zu erkennen. Bouvard hielt das für dumm und sprach sogar davon, dieserhalb eine Reise nach le Havre zu machen. „Was fällt dir ein? Man könnte uns hineingehen sehen!“ „Na, schön! Kaufe ihm ein Schutzmittel!“ „Aber der Bandagist dächte vielleicht, es sei für mich,“ sagte Pécuchet. Ein aufregendes Vergnügen wie die Jagd tat ihm not; sie würde die Ausgabe für eine Flinte, für einen Hund mit sich bringen; sie zogen vor, ihn zu ermüden, und unternahmen es, mit ihm in der Gegend umherzustreifen. Der Schlingel entschlüpfte ihnen, obwohl sie einander ablösten: sie waren wie erschlagen, und am Abend hatten sie nicht mehr die Kraft, die Zeitung zu halten. Während sie auf Viktor warteten, plauderten sie mit den Vorübergehenden, und aus Bedürfnis, ihren Lehrtrieb zu betätigen, versuchten sie, den Leuten hygienische Maßregeln beizubringen, beklagten den Verlust der Abwässer, die Vergeudung des Düngers, wetterten gegen den Aberglauben, das Anbringen eines Drosselskelettes in der Scheune, eines geweihten Buchsbaumes hinten im Stall, gegen den Sack mit Würmern auf den Füßen der Fieberkranken. Sie besuchten sogar die Ammen, und sie entrüsteten sich über die Art, wie sie die Säuglinge behandelten; einige ernährten sie mit Grieß, wodurch die Kinder aus Schwäche zugrunde gingen; andere stopften sie mit Fleisch, noch ehe sie sechs Monate alt waren, und die Kleinen starben an Verdauungsstörungen; manche reinigten sie mit ihrem eigenen Speichel, alle behandelten sie roh. Wenn sie über der Tür eine gekreuzigte Eule bemerkten, so traten sie in den Hof und sagten: „Das ist unrecht von Ihnen -- diese Tiere leben von Ratten, Feldmäusen; im Magen eines Käuzchens hat man eine Menge Raupenlarven gefunden.“ Die Dörfler kannten sie, denn sie hatten sie zuerst als Ärzte, dann nach alten Möbeln fahndend, schließlich beim Steinesuchen gesehen, und sie antworteten: „Gehen Sie, Sie Spaßmacher! Wollen Sie doch nicht klüger sein als wir.“ Ihre Überzeugung geriet ins Wanken; denn die Sperlinge reinigen die Gemüsegärten, aber zugleich fressen sie die Kirschen ab. Die Eulen verschlingen die Insekten und ebenso die Fledermäuse, die nützlich sind, -- und wenn die Maulwürfe die Schnecken fressen, wühlen sie andrerseits die Erde auf. Eines stand für sie fest, nämlich, daß man alles Wild ausrotten müsse, da es dem Ackerbau schade. Eines Abends gingen sie durch den Wald von Faverges; sie kamen vor das Haus, wo Sorel am Wege zwischen drei Männern gestikulierte. Der erste war ein gewisser Dauphin, ein Schuhflicker, klein, mager, mit tückischem Gesichtsausdruck. Der zweite, der alte Aubain, der Botendienste in den Dörfern tat, trug einen alten gelben Rock zu einer Hose aus blauem Zwillich. Der dritte, Eugen, Diener bei Herrn Marescot, zeichnete sich durch einen Bart aus, der wie die Bärte der Beamten geschnitten war. Sorel zeigte ihnen eine Schlinge aus Kupferdraht, die an einem Seidenfaden saß; letzterer wurde von einem Ziegel festgehalten; -- man nenne das eine Dohne, -- und er hatte den Schuhflicker beim Legen derselben gefunden. „Sie sind Zeugen, nicht wahr?“ Eugen nickte in zustimmender Weise, und der alte Aubain erwiderte: „Wenn Sie es sagen.“ Was Sorel in Wut setzte, war die Frechheit, daß man eine Schlinge so nahe bei seiner Wohnung gelegt habe; der Lump bilde sich ein, daß man nicht auf den Gedanken komme, an dieser Stelle so etwas zu vermuten. Dauphin nahm eine weinerliche Miene an: „Ich trat darauf, ich wollte sie sogar zerreißen.“ Man beschuldige ihn immer, man hasse ihn, er sei sehr unglücklich! Ohne zu antworten, hatte Sorel ein Notizbuch, eine Feder und Tinte aus der Tasche gezogen, um ein Protokoll aufzunehmen. „O! nicht doch!“ sagte Pécuchet. Bouvard fügte hinzu: „Lassen Sie ihn laufen, er ist ein ordentlicher Kerl!“ „Der, ein Wilddieb!“ „Und wenn das wirklich der Fall wäre?“ Und sie begannen, die Wilddieberei zu verteidigen: „Zunächst steht fest, daß die Kaninchen die jungen Sprossen abnagen, die Hasen das Getreide verderben, ausgenommen die Schnepfe vielleicht ...“ „Lassen Sie mich gefälligst in Ruhe.“ Und der Waldhüter schrieb mit zusammengebissenen Zähnen. „Welch ein Starrsinn!“ murmelte Bouvard. „Noch ein Wort, und ich hole die Gendarmen.“ „Sie sind ein ungeschliffener Mensch!“ sagte Pécuchet. „Und ich schere mich den Teufel um Sie,“ erwiderte Sorel. Bouvard, sich vergessend, nannte ihn Tölpel, Lakai, und Eugen sagte immerfort: „Ruhe! Ruhe! Achten wir das Gesetz!“ während der alte Aubain, drei Schritte davon auf einem Steinhaufen sitzend, stöhnte. Durch die Stimmen erregt, kamen alle Hunde der Meute aus ihren Hütten; man sah ihre funkelnden Augen, ihre schwarzen Schnauzen durch das Gitter, und bald hierhin, bald dorthin rennend, bellten sie schrecklich. „Ärgern Sie mich nicht länger,“ schrie ihr Herr, „oder ich lasse sie auf Ihre Hosen los!“ Die beiden Freunde entfernten sich, trotz alledem befriedigt, weil sie den Fortschritt, die Zivilisation unterstützt hatten. Sogleich am folgenden Tage erhielten sie eine Vorladung vor das Polizeigericht wegen Beleidigung des Waldhüters, der auf hundert Franken Buße angetragen habe, vorbehaltlich eines Antrages seitens des Staatsanwalts wegen der durch sie begangenen Übertretungen: „Kosten 6 Frank 75 Cents. Tiercelin, Gerichtsvollzieher.“ Was sollte dabei der Staatsanwalt? Der Kopf schwindelte ihnen; dann beruhigten sie sich und bereiteten ihre Verteidigung vor. Am vorgeschriebenen Tage begaben sich Bouvard und Pécuchet eine Stunde zu früh auf das Bürgermeisteramt. Niemand zeigte sich. -- Stühle und drei Sessel standen um einen ovalen Tisch, der mit einer Decke bedeckt war; in die Mauer war eine Nische zur Einsetzung eines Ofens gebrochen, und die Büste des Kaisers, die auf einem Sockel stand, schaute auf das Ganze herab. Sie durchstreiften das Haus bis zum Boden, wo eine Löschpumpe, mehrere Fahnen und in einem Winkel auf der Erde noch andere Gipsbüsten lagen: der große Napoleon ohne Diadem, Ludwig XVIII. mit Epauletten über dem Frack, Karl X., der an seiner herabhängenden Lippe zu erkennen war, Ludwig Philipp mit geschweiften Augenbrauen und einer spitz gekämmten Tolle; sein Nacken berührte die schräge Neigung des Daches; und alle Büsten waren von Fliegen und Staub beschmutzt. Dieser Anblick verstimmte Bouvard und Pécuchet. Ein Gefühl des Mitleids für die Regierungen ergriff sie, als sie in den großen Saal zurückkehrten. Hier fanden sie Sorel und den Feldhüter; der eine hatte sein Schildchen am Arm, der andere trug ein Käppi. Etwa ein Dutzend Personen plauderten miteinander; sie waren angezeigt, weil sie nicht genügend gefegt oder weil sie ihre Hunde hatten herumlaufen lassen, weil die Laterne am Wagen gefehlt oder weil sie während der Messe die Schankwirtschaft offen gehalten hatten. Endlich kam Coulon in einer Amtsrobe aus schwarzer Sarsche und einem runden Barett, das einen unteren Rand aus Samt hatte. Sein Schreiber setzte sich zu seiner Linken, der Bürgermeister in der Schärpe nahm rechts von ihm Platz, und bald darauf wurde die Angelegenheit Sorel gegen Bouvard und Pécuchet aufgerufen. Louis Martial Eugène Lenepveur, Kammerdiener in Chavignolles (Calvados), benutzte seine Eigenschaft als Zeuge, alles darzulegen, was er über eine Unmenge von Dingen wußte, die nichts mit dem Streit zu tun hatten. Nicolas Juste Aubain, Tagelöhner, fürchtete, Sorels Mißfallen zu erregen und andrerseits den Herren zu schaden; er hatte grobe Worte gehört, zweifelte jedoch daran; er berief sich auf seine Taubheit. Der Friedensrichter ließ ihn sich wieder setzen; dann wandte er sich an den Waldhüter: „Bleiben Sie bei Ihrer Aussage?“ „Ganz gewiß.“ Dann fragte Coulon die beiden Angeschuldigten, was sie zu sagen hätten. Bouvard bestritt, Sorel beleidigt zu haben; er habe vielmehr durch seine Parteinahme für den Wilderer das Interesse unserer Felder gewahrt; er erinnerte an die Mißbräuche der Feudalzeit, die vernichtenden Jagden der vornehmen Herren. „Einerlei! die Übertretung...“ „Ich muß Sie unterbrechen,“ rief Pécuchet. „Die Worte Übertretung, Verbrechen und Vergehen sind ohne Wert. Die strafbaren Vorgänge so klassifizieren, heißt, von einer willkürlichen Basis ausgehen. Ebensogut könnte man den Bürgern sagen: ‚Kümmert euch nicht um den Wert eurer Handlungen, er wird nur durch die Strafen der Regierung bestimmt.‘ Übrigens erscheint mir das Strafgesetzbuch als ein unsinniges, der Grundsätze bares Werk.“ „Das mag sein!“ erwiderte Coulon. Und er wollte sein Urteil sprechen; doch Foureau als Vertreter der Staatsanwaltschaft erhob sich. Man habe den Waldhüter bei Ausübung seiner Amtsbefugnisse beleidigt. Wenn man die Eigentumsrechte nicht mehr achte, so sei alles verloren. „Kurz, möge es dem Herrn Friedensrichter gefallen, das Höchstmaß der Strafe anzuwenden.“ Sie betrug zehn Franken als Buße an Sorel. „Bravo!“ rief Bouvard. Coulon war noch nicht zu Ende: „Verurteilt sie außerdem zu fünf Frank Geldstrafe als schuldig der von dem Staatsanwalt geltend gemachten Übertretung.“ Pécuchet wandte sich an die Zuhörer: „Die Geldstrafe ist eine Bagatelle für den Reichen, aber ein Unglück für den Armen. Mir macht sie nichts!“ Und er sah aus, als mache er sich über den Gerichtshof lustig. „Wirklich,“ sagte Coulon, „ich wundere mich, daß Leute von Verstand...“ „Sie überhebt das Gesetz der Mühe, welchen zu haben!“ erwiderte Pécuchet. „Der Friedensrichter verwaltet sein Amt auf unbegrenzte Lebenszeit, während der Richter des Oberappellationsgerichtes nur bis zum fünfundsiebenzigsten Jahre für amtsfähig gilt und derjenige der ersten Instanz nur bis zum siebenzigsten.“ Doch auf ein Zeichen Foureaus trat Placquevent vor. Sie protestierten. „Ja, wenn Sie im Wettbewerb ernannt würden!“ „Oder durch die Kreisstände.“ „Oder von einer Kommission von Sachverständigen auf Grund einer zuverlässigen Liste.“ Placquevent trieb sie vorwärts, -- und sie gingen hinaus unter den Hohnrufen der übrigen Angeschuldigten, die glaubten, sich durch diese Gemeinheit dem Richter angenehm zu machen. Um sich ihre Entrüstung vom Herzen zu reden, gingen sie am Abend zu Beljambe; sein Café war leer; die Honoratioren waren gewohnt, gegen zehn Uhr von dort fortzugehen. Man hatte die Lampe herabgeschraubt; die Wände und der Zahltisch lagen im Nebel, -- eine Frau kam. Es war Mélie. Sie zeigte keine Verwirrung -- und lächelnd schenkte sie ihnen zwei Seidel ein. Pécuchet, der sich unbehaglich fühlte, verließ die Wirtschaft schnell. Bouvard ging allein wieder hin, belustigte einige Bürger durch Spötteleien über den Bürgermeister und kam von dieser Zeit an häufiger in die Kneipe. Sechs Wochen später wurde Dauphin aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Wie schändlich! Man hielt jetzt dieselben Zeugen für verdächtig, welche gegen sie als belastend gegolten hatten. Und ihre Wut kannte keine Grenzen, als das Verkehrssteueramt sie benachrichtigte, daß sie die Strafe zu zahlen hätten. Bouvard griff das Verkehrssteueramt als eine für das Eigentum schädliche Einrichtung an. „Sie irren sich!“ sagte der Steuereinnehmer. „Ich dächte gar! Es muß ein Drittel der öffentlichen Lasten tragen!“ „Ich möchte ein weniger lästiges Steuerverfahren, ein besseres Katasterwesen, Veränderungen an der Einrichtung des Pfandbriefrechts; und außerdem sollte man die Bank von Frankreich abschaffen, die das Vorrecht des Wuchers hat.“ Girbal zeigte sich dem nicht gewachsen, sank in der Meinung der anderen und erschien nicht mehr. Bouvard indessen sagte dem Wirt zu; er zog Leute herbei und plauderte gemütlich mit der Magd, während er auf die Stammgäste wartete. Er äußerte sonderbare Gedanken über den Elementarunterricht. Wenn man die Schule verließ, sollte man seiner Ansicht nach imstande sein, Kranke zu pflegen, die wissenschaftlichen Entdeckungen zu verstehen, sich für die Künste zu interessieren. Die Forderungen seines Programms brachten ihn mit Petit in Streit; und er verletzte den Hauptmann durch die Behauptung, daß die Soldaten, anstatt ihre Zeit mit Übungen zu verlieren, besser täten, Gemüse zu bauen. Als die Frage des Freihandels aufs Tapet kam, brachte er Pécuchet mit; und den ganzen Winter hindurch gab es im Café drohende Blicke, verächtliche Haltungen, Beleidigungen und Schimpfen nebst Faustschlägen auf die Tische, daß die Seidel tanzten. Langlois und die übrigen Kaufleute verteidigten den nationalen Handel; Oudot, Spinnereibesitzer, und Mathieu, Goldwarenfabrikant, die einheimische Industrie; die Gutsbesitzer und die Pächter die einheimische Landwirtschaft, wobei jeder für sich Vorrechte zum Nachteil der Mehrheit verlangte. Bouvards und Pécuchets Reden beunruhigten. Da man ihnen vorwarf, nichts von der Praxis zu verstehen, es auf Gleichmacherei und Sittenlosigkeit abgesehen zu haben, entwickelten sie folgende drei Anschauungen: den Familiennamen durch eine Stammrollennummer zu ersetzen; die Franzosen in Rangklassen einzuteilen, und um seinen Rang zu behaupten, solle man sich von Zeit und Zeit einem Examen unterziehen; Wegfall der Bestrafungen wie der Auszeichnungen, aber für alle Dörfer eine besondere Chronik, die auf die Nachwelt übergehen sollte. Man wollte von ihrem System nichts wissen. Sie schrieben einen Artikel darüber für die Zeitung von Bayeux, setzten ein Schreiben an den Präfekten auf, richteten eine Eingabe an die Kammern, eine Denkschrift an den Kaiser. Die Zeitung druckte ihren Artikel nicht ab. Der Präfekt würdigte sie keiner Antwort. Die Kammern blieben stumm, und sie warteten lange auf einen Briefumschlag aus den Tuilerien. Womit beschäftigte sich denn der Kaiser? Ohne Zweifel mit Frauen. Foureau riet ihnen auf Veranlassung des Unterpräfekten zu größerer Zurückhaltung. Sie kehrten sich weder an den Unterpräfekten, noch an den Präfekten, noch an die Räte der Präfektur, ja nicht einmal an den Staatsrat. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit sei etwas Ungeheuerliches, denn durch Gunstbezeugungen und Drohungen übe die Verwaltung eine ungerechte Herrschaft über ihre Beamten aus. Kurz, sie wurden lästig, und die Honoratioren schärften Beljambe ein, diese beiden Menschen fernzuhalten. Da brannten Bouvard und Pécuchet vor Verlangen, sich durch ein Werk auszuzeichnen, das ihre Mitbürger blenden sollte, und sie fanden nichts anderes als Verschönerungsprojekte für Chavignolles. Drei Viertel der Häuser sollten abgerissen werden; man würde inmitten des Ortes einen monumentalen Platz anlegen, ein Spital in der Richtung auf Falaise, ein Schlachthaus am Wege nach Caen und in der „Kuhgasse“ eine bunt gehaltene romanische Kirche bauen. Pécuchet verfertigte mit chinesischer Tusche eine Zeichnung, wobei er nicht vergaß, den Wald gelb, die Bauten rot und die Wiesen grün auszumalen, denn die Bilder eines idealen Chavignolles verfolgten ihn bis in seine Träume; er wälzte sich schlaflos auf seiner Matratze. Eines Nachts wurde Bouvard davon wach. „Bist du krank?“ Pécuchet stammelte: „Haussmann läßt mich nicht schlafen.“ Um diese Zeit erhielt er einen Brief von Dumouchel, der nach den Preisen der Seebäder an der normännischen Küste fragte. „Er möge sich trollen mit seinen Bädern. Haben wir denn Zeit, Briefe zu schreiben?“ Und nachdem sie sich eine Meßkette, ein Winkelmaß, eine Wasserwage und eine Bussole verschafft hatten, begannen neue Studien. Sie drangen in die Grundstücke ein; oft waren die Bürger überrascht, dort diese beiden Männer zu sehen, die Absteckpfähle einpflanzten. Bouvard und Pécuchet sprachen mit ruhiger Miene über ihre Pläne und das, was sich daraus ergeben würde. Die Einwohner wurden unruhig, denn schließlich konnte vielleicht die Behörde ihre Anschauung teilen. Manchmal trieb man sie in grober Weise fort. Viktor erkletterte die Mauern und stieg in die Dachgiebel, um ein Signal anzubringen, bezeigte guten Willen und sogar einen gewissen Eifer. Sie waren auch mit Viktorine zufriedener. Wenn sie Wäsche bügelte, bewegte sie ihr Eisen auf dem Brett, während sie mit zarter Stimme sang; sie zeigte Interesse für die Wirtschaft, machte Bouvard eine Mütze, und ihre Nähte trugen ihr die Komplimente Romiches ein. Romiche war einer jener Schneider, die auf die Gutshöfe gehen, um die Kleider auszubessern. Man behielt ihn vierzehn Tage im Hause. Er war bucklig und hatte rotumränderte Augen, glich jedoch diese körperlichen Mängel durch eine närrische Laune wieder aus. Während die Herren abwesend waren, belustigte er Marcel und Viktorine durch spaßige Erzählungen, streckte seine Zunge bis zum Kinn heraus, ahmte den Kuckuck nach, führte sich als Bauchredner vor und legte sich am Abend, um die Kosten der Herberge zu sparen, im Waschhaus schlafen. Nun holte Bouvard eines Morgens, da er fror, zu sehr früher Stunde dort Hobelspähne, um sein Feuer anzuzünden. Ein Anblick ließ ihn erstarren. Hinter den Trümmern der Truhe schliefen Romiche und Viktorine auf einer Matratze. Er hatte seinen Arm um ihre Taille gelegt, und seine andere Hand, lang wie die eines Affen, hielt ihr Knie umfaßt; seine Lieder waren halb geschlossen, sein Gesicht noch von einem Krampf der Lust verzogen. Sie lächelte, auf dem Rücken liegend. Ihre offenstehende Nachtjacke zeigte ihren kindlichen Busen, der von den Liebkosungen des Buckligen rot gefleckt war; ihre blonden Haare hingen gelöst, und die Morgendämmerung warf über beide ein fahles Licht. Bouvard war es im ersten Augenblick gewesen, als empfange er einen Stoß mitten vor die Brust. Dann hinderte ihn die Scham, auch nur die leiseste Bewegung zu machen; schmerzliche Gedanken ergriffen ihn. „So jung noch, und doch schon eine Verlorene!“ Dann weckte er Pécuchet und teilte ihm kurz alles mit. „O, der Elende!“ „Wir können nichts daran ändern! Beruhige dich.“ Und lange Zeit hindurch seufzten sie, einander gegenüber sitzend: Bouvard ohne Rock und mit verschränkten Armen; Pécuchet am Rande seines Lagers, mit bloßen Füßen und in der Nachtmütze. Romiche sollte an jenem Tage abreisen, da er seine Arbeit beendet hatte. Sie bezahlten ihn in hochfahrender Weise, ohne ein Wort zu sagen. Doch die Vorsehung zürnte ihnen. Marcel führte sie kurze Zeit darauf in Viktors Zimmer und zeigte ihnen unten in dessen Kommode ein Zwanzig-Frank-Stück. Der Schlingel habe ihn beauftragt, es ihm einzuwechseln. Woher rührte es? Sicherlich aus einem Diebstahl, der während ihrer Vermessungen begangen war. Doch um es zurückzugeben, hätte man den Bestohlenen kennen müssen, und wenn man ihn aufforderte, sich zu melden, so würde es aussehen, als wären sie mitschuldig. Schließlich riefen sie Viktor und befahlen ihm, die Schublade zu öffnen; der Napoleon war verschwunden. Der Bengel tat, als ob er nicht verstehe. Soeben jedoch hatten sie es gesehen, dieses Geldstück, und Marcel war keiner Lüge fähig. Die Geschichte regte ihn so auf, daß er einen Brief an Bouvard seit dem Morgen in seiner Tasche vergessen hatte: „Sehr geehrter Herr! Da ich fürchte, daß Herr Pécuchet krank ist, wende ich mich an Ihre Liebenswürdigkeit...“ „Von wem ist denn die Unterschrift?“ „Olympe Dumouchel, geborene Charpeau.“ Sie und ihr Gatte fragten an, in welchem Badeorte, Courseulles, Langrune oder Lucques, sich die beste Gesellschaft, die am wenigsten laute, finde, und ferner wollten sie alle Beförderungswege, den Preis der Wäsche und so weiter wissen. Ihre Wut über diese Belästigung entlud sich gegen Dumouchel; dann tauchte die Ermüdung sie in eine noch tiefere Mutlosigkeit. Sie dachten an all die Last, die sie sich gemacht hatten; so viel Lehrstunden, so viel Sorgfalt und so viel Ängste. „Und wenn man denkt,“ sagten sie, „daß wir einst eine Hilfslehrerin aus ihr machen wollten! Und aus ihm letzthin einen Bauführer!“ „Ach, welche Enttäuschung!“ „Wenn sie lasterhaft ist, so ist nicht ihre Lektüre daran schuld.“ „Um ihn zu einem ehrbaren Menschen zu machen, hatte ich ihn mit dem Leben Cartouches bekannt gemacht.“ „Vielleicht hat ihnen die Familie, die Sorge einer Mutter gefehlt?“ „Ich ersetzte sie ihnen!“ wandte Bouvard ein. „Ach!“ fuhr Pécuchet fort. „Aber es gibt Naturen, die des moralischen Sinnes bar sind, -- und die Erziehung ist da ohne Einfluß.“ „Ach ja, es ist etwas Schönes um die Erziehung!“ Da die beiden Waisen kein Handwerk verstanden, würde man ihnen zwei Stellen als Dienstboten suchen; -- und dann in Gottes Namen! sie würden sich nicht mehr um sie kümmern. -- Und von nun an ließen „Onkelchen“ und „Alterchen“ sie in der Küche essen. Doch bald langweilten sie sich; ihr Geist bedurfte einer Arbeit, ihr Dasein eines Zwecks. Was beweist übrigens ein Mißerfolg? Was bei Kindern fehlgeschlagen war, konnte bei Männern mehr Erfolg haben. Und sie kamen auf den Gedanken, Vorlesungen für Erwachsene zu halten. Ihre Ideen konnten sie nur in einem Vortrag darlegen. Der große Saal des Wirtshauses eignete sich vorzüglich dazu. Beljambe als Beigeordneter hatte Angst, sich bloßzustellen, und gab zuerst eine abschlägige Antwort; dann wurde er andern Sinnes, da er dachte, er könne dabei verdienen, und benachrichtigte sie davon durch seine Magd. Bouvard küßte sie in übermäßiger Freude auf beide Backen. Der Bürgermeister war abwesend; der andere Beigeordnete, Herr Marescot, der ganz von seinem Bureau in Anspruch genommen war, würde sich wenig um den Vortrag kümmern; so konnte er stattfinden, und der Trommler kündigte ihn für den folgenden Sonntag um drei Uhr an. Erst am Abend vorher dachten sie an ihren Anzug. Pécuchet hatte, dem Himmel sei Dank, einen alten Frack mit Samtkragen, zwei weiße Halsbinden und schwarze Handschuhe aufbewahrt. Bouvard legte seinen blauen Rock an, eine Nankingweste, Kastorschuhe; und sie waren sehr erregt, als sie das Dorf durchschritten und im Wirtshaus zum Goldenen Kreuz ankamen.... * * * * * _Hier bricht das Manuskript Gustave Flauberts ab._ _Wir veröffentlichen im folgenden einen Auszug des Plans, der sich in seinen Papieren gefunden hat und der den Schluß des Werkes andeutet._ ~Vortrag~ Das Wirtshaus zum Goldenen Kreuz, -- zwei hölzerne Seitengalerien im ersten Stock mit vorspringendem Balkon -- Hauptgebäude im Hintergrunde -- Café zu ebener Erde, Speisesaal, Billard; Türen und Fenster stehen offen. Menge: Honoratioren, Leute aus dem Volke. Bouvard: „Es handelt sich zunächst darum, die Nützlichkeit unseres Projektes zu zeigen, unsere Studien geben uns das Recht, das Wort zu nehmen.“ Rede Pécuchets, pedantisch. Dummheiten der Regierung und der Verwaltung, -- zu viel Steuern, Ersparnisse nach zwei Richtungen anstreben; Unterdrückung des Budgets des Kultus und desjenigen der Armee. Man wirft ihm Gottlosigkeit vor. „Das Gegenteil ist richtig; aber wir bedürfen einer religiösen Erneuerung.“ Foureau kommt dazu und will die Versammlung auflösen. Bouvard erregt Heiterkeit auf Kosten des Bürgermeisters, indem er an dessen dumme Prämien für Eulen erinnert. -- Entgegnung. „Wenn man die Tiere töten soll, die den Pflanzen schaden, müßte man auch das Vieh töten, das Gras frißt.“ Foureau verläßt den Saal. Rede Bouvards, -- ungezwungen. Vorurteile: Zölibat der Priester, Bedeutungslosigkeit des Ehebruchs, -- Emanzipation der Frau: „Ihre Ohrringe sind das Zeichen ihrer ehemaligen Knechtschaft.“ Menschengestüt. Man hält Bouvard und Pécuchet den schlechten Wandel ihrer Zöglinge entgegen. -- Wozu auch die Kinder eines Sträflings annehmen? Theorie der Rehabilitierung. Sie würden sich mit Touache an denselben Tisch setzen. Foureau, der zurückgekehrt ist, liest, um sich an Bouvard zu rächen, eine Eingabe von ihm an den Gemeinderat vor, worin er die Errichtung eines Bordells in Chavignolles verlangt. -- (Gründe Robins.) Der Vortrag wird inmitten des größten Tumultes abgebrochen. Während Bouvard und Pécuchet nach Hause gehen, bemerken sie Foureaus Diener, der in gestrecktem Galopp auf der Straße nach Falaise davonreitet. Sie legen sich sehr ermüdet nieder, ohne die Komplotte zu ahnen, die gesponnen werden; -- die Motive darlegen, welche der Pfarrer, der Arzt, der Bürgermeister, Marescot, das Volk, alle Welt haben, ihnen feind zu sein. Am folgenden Morgen sprechen sie beim Frühstück über ihren Vortrag. Pécuchet sieht schwarz in die Zukunft der Menschheit. Der moderne Mensch ist minderwertig und zur Maschine geworden. Schließliche Anarchie des Menschengeschlechts (Büchner I und II). Unmöglichkeit des Friedens (id.). Barbarei infolge von übermäßigem Individualismus und dem Wahnsinn, in den die Wissenschaft verfallen ist. Drei Hypothesen: erstens: der pantheistische Radikalismus wird jedes Band mit der Vergangenheit zerreißen, und ein unmenschlicher Despotismus wird daraus hervorgehen; zweitens: wenn der theistische Absolutismus triumphiert, so unterliegt der Liberalismus, der seit der Reformation die Menschheit durchdrungen hat, und es erfolgt ein allgemeiner Umsturz; drittens: wenn die Zuckungen, in denen seit 89 die menschliche Gesellschaft sich windet, endlos und, ohne die eine oder die andere Lösung zu finden, anhalten, so wird dieses Schwanken uns durch seine eigene Kraft ins Verderben reißen. Es wird kein Ideal, keine Religion, keine Moral mehr geben. Amerika wird die Erde erobert haben. Zukunft der Literatur. Allgemeine Verlümmelung: überall wird es hergehen wie bei einem Arbeitersaufgelage. Ende der Welt, weil der Wärmevorrat aufhört. Bouvard sieht die Zukunft der Menschheit rosig. Der moderne Mensch ist auf dem Wege des Fortschritts. Europa wird durch Asien verjüngt werden. Da es ein historisches Gesetz ist, daß die Zivilisation vom Orient zum Okzident kommt -- Rolle Chinas --, so werden die beiden Menschheiten schließlich ineinander aufgehen. Künftige Erfindungen: Arten zu reisen, Ballon. -- Unterseeboote mit Scheiben, bei beständiger Ruhe, denn die Bewegtheit des Meeres ist nur auf der Oberfläche. -- Man wird Fische und Landschaften auf dem Grunde des Ozeans vorbeiziehen sehen. -- Gezähmte Tiere. -- Alle Kulturen. Zukunft der Literatur (Gegenteil der industriellen Literatur). Künftige Wissenschaften. -- Die magnetische Kraft regulieren. Paris wird ein Wintergarten werden. -- Spaliere mit Früchten auf dem Boulevard! Die Seine filtriert und warm, -- Unmenge von künstlichen Edelsteinen -- verschwenderisch angebrachte Vergoldungen -- Erleuchtung der Häuser, -- man wird das Licht aufspeichern, denn es gibt Körper, die diese Eigenschaft besitzen, wie der Zucker, das Fleisch gewisser Mollusken und der Bologneser Phosphor. Man wird angehalten werden, die Vorderseite der Häuser mit einer phosphoreszierenden Masse anzustreichen, und ihre Strahlung wird die Straße erleuchten. Verschwinden des Bösen infolge Verschwindens des Mangels. Die Philosophie wird zur Religion werden. Geistesgemeinschaft aller Völker. Öffentliche Feste. Man wird auf die Sterne gehen -- und wenn die Erde verbraucht sein wird, wird die Menschheit nach den Sternen auswandern. Kaum hat er geendet, da erscheinen die Gendarmen. -- Ankunft der Gendarmen. Bei ihrem Anblick Aufregung der Kinder, hervorgerufen durch ihre vagen Erinnerungen. Trostlosigkeit Marcels. Erregung Bouvards und Pécuchets. -- Will man Viktor verhaften? Die Gendarmen zeigen einen Verhaftungsbefehl vor. Der Grund ist der Vortrag. Man beschuldigt sie, die Religion, die öffentliche Ordnung angegriffen, zum Widerstand gegen die Staatsgewalt aufgereizt zu haben, usw. Plötzliche Ankunft von Herrn und Frau Dumouchel mit ihrem Gepäck; sie wollen ins Seebad. Dumouchel hat sich nicht verändert, die gnädige Frau trägt eine Brille und verfaßt Fabeln. -- Ihre Verdutzung. Der Bürgermeister, der weiß, daß die Gendarmen bei Bouvard und Pécuchet sind, kommt, durch ihre Gegenwart ermutigt. Gorju, der sieht, daß die Obrigkeit und die öffentliche Meinung gegen sie sind, will daraus Gewinn schlagen und begleitet Foureau. Da er Bouvard für den reicheren der beiden hält, wirft er ihm vor, Mélie früher verführt zu haben. „Ich, niemals!“ Und Pécuchet zittert. „Und ihr sogar eine Krankheit gelassen zu haben.“ Bouvard protestiert. „Wenn er ihr nicht wenigstens für das Kind, das sie erwartet, eine Rente zahlen will, denn sie ist schwanger.“ Dieser zweiten Beschuldigung liegt der vertrauliche Verkehr Bouvards im Café zugrunde. Das Publikum nimmt allmählich das Haus ein. Barberou, der durch eine geschäftliche Angelegenheit in die Gegend gerufen worden, hat soeben im Wirtshaus erfahren, was vor sich geht, und kommt dazu. Er hält Bouvard für schuldig, nimmt ihn beiseite und redet ihm zu, nachzugeben, eine Rente zu zahlen. Es kommen der Arzt, der Graf, Reine, Frau Bordin, Frau Marescot unter ihrem Sonnenschirm und andere Honoratioren. Die Bengel des Dorfes lärmen draußen vor dem Gitter, werfen Steine in den Garten. (Er ist jetzt gut gehalten, und die Bevölkerung ist darauf eifersüchtig.) Foureau will Bouvard und Pécuchet ins Gefängnis stecken. Barberou legt sich ins Mittel, und wie er verwenden sich Marescot, der Arzt und der Graf mit einem beleidigenden Mitleid für sie. Den Verhaftungsbefehl motivieren. Bei Empfang von Foureaus Brief hat der Unterpräfekt ihnen einen Verhaftungsbefehl gesandt, um ihnen Angst zu machen, dazu einen Brief an Marescot und an Faverges geschrieben, worin er sagt, man solle sie in Ruhe lassen, wenn sie Reue zeigten. Auch Vaucorbeil sucht sie zu verteidigen. „Man müßte sie vielmehr ins Irrenhaus stecken; sie sind verrückt. -- Ich werde deshalb an den Präfekten schreiben.“ Alle beruhigen sich. Bouvard wird Mélie eine Rente aussetzen. Man kann ihnen die Erziehung der Kinder nicht lassen. -- Sie zeigen sich widerspenstig, doch da sie die Waisen nicht gesetzmäßig adoptiert haben, nimmt der Bürgermeister sie ihnen. Die Kinder zeigen eine empörende Gefühllosigkeit. -- Bouvard und Pécuchet weinen darüber. Herr und Frau Dumouchel gehen. So ist ihnen alles unter den Händen zerbrochen. Sie haben kein Interesse mehr am Leben. Guter Gedanke, den jeder von ihnen heimlich genährt hat. Sie verheimlichen ihn einer vor dem anderen. -- Von Zeit zu Zeit lächeln sie, wenn er ihnen kommt, -- dann sprechen sie ihn schließlich gleichzeitig aus: Abschreiben wie einst. Anfertigung eines Schreibtisches mit doppeltem Pult. -- (Sie wenden sich deshalb an einen Tischler. Gorju, der von ihrer Erfindung gehört hat, erbietet sich, ihn anzufertigen. -- An die Truhe erinnern.) Einkauf von Eintragebüchern, Utensilien, Sandarak, Radiermessern, und so weiter. Sie machen sich ans Werk. Nachwort des Übersetzers Es war am 8. Mai 1880. Flaubert hatte die Tage gezählt bis zur Beendigung von „Bouvard und Pécuchet“, da nahm ihm der Tod die Feder aus der Hand. Aufgeschlagen lag das Manuskript dieses Werkes auf seinem Schreibtisch, als sein großes edles Herz den letzten Schlag tat. Es ist das literarische Testament Flauberts. Es ist die Rache, die er an seinem Jahrhundert nahm. All den Ingrimm, die Wut, die Galle, die er seiner Zeit gern ins Gesicht gespien, hatte er ein ganzes langes Leben hindurch hinabgewürgt. Es war ein heroischer Verzicht, -- der Kunst zuliebe. Denn er verachtete das Schaffen aus Affekt, fand es klein und erbärmlich, sein persönliches Leid in das Werk zu tragen. „Je prépare mon vomissement“, so nennt er es, als er an die Vorarbeiten zu diesem letzten Werke geht. Was es bis zum Platzen erfüllt und ihm einen so bitteren Geschmack gibt, ist das persönliche, das besondere Leid seiner Seele: die Dummheit zu sehen und sie nicht ertragen zu können. Wenn es das leidvollste, das bitterste und schwärzeste aller seiner Werke geworden ist, so ist es zugleich auch das klarste, hellste, geistigste, nüchternste, in dem eine dünne, harte, trockene Luft weht, die ganz erfüllt ist von glühendem Erkenntnisdrang. Mit unerhörter Elastizität spannt sich sein Geist durch die Jahrhunderte des menschlichen Gedankens. Denn hier wollte er -- ein geradezu wahnwitziges Unterfangen -- das gesamte Wissen seiner Zeit zu kritischer Revue aufmarschieren lassen. Jedes seiner Werke war für Flaubert wie eine lange Seereise, mit Stürmen, Bedrängnissen, Qualen, Todesnöten, aber auch mit tiefen Entzückungen und Erholungen in glühender Lichtfülle und mit blendenden Visionen wunderbarer Landstriche. Dieses hier war die einsamste, grausigste Fahrt in die Polargegend des Gedankens. Er wußte: niemand würde ihm folgen wollen in diese Nacht voll eisigen Nebels; doch den Rückkehrenden würden sie alle mit Kot bewerfen. Oft hatte er geäußert, daß dies Werk ihn töten würde, -- und er behält recht. Einmal muß er die übermenschliche Anstrengung unterbrechen, um sich an den „Drei Erzählungen“ zu erholen. Dann aber hält er aus bis zuletzt. In „Bouvard und Pécuchet“ legt Flaubert die Axt an die gesamte Geisteskultur seiner Zeit. So entsteht das radikalste Werk, das die moderne französische Literatur kennt. Ein Fragezeichen steht hinter allen Denkresultaten. Mit unheimlicher Lautlosigkeit stürzen Gedankenkatarakte in das Nichts. Von schwindelnder Höhe zeigt er uns, ganz in der Tiefe, mit fast unwahrscheinlicher Deutlichkeit das koboldartige Treiben der Spießer. Und während er ihre winzigen Gestalten so saftstrotzend auf die Beine stellt, fallen ihre Schatten riesengroß in die Unendlichkeit des Weltenraums. Er schuf in dieser eisigen Satire ein neues Genre: die Komik der Ideen. Systeme der Wissenschaft führen einen Faschingstanz auf, bis das Gebäude in Flammen steht und sie selbst mit in Rauch aufgehen. Doch in diesem aus Glut und Eis gemischten Werke wollte Flaubert nicht etwa den Geist treffen, sondern all das Unzulängliche, Halbe, Platte, Gemeine, Muffige und Stickige seiner anmaßlichen, dünkelhaften Äußerung, kurz das, was er unter der „Dummheit des Spießers“ verstand, die er haßte mit dem Haß des Gequälten und die ihn doch wieder anzog in ihrer Monumentalität und Ungeheuerlichkeit. Trotz der Grimasse ist kein Zweifel: hinter dem Werke steht ein unendlich großer, reicher, tiefer Mensch, der in seiner Größe das Werk noch weit überschattet. Wenige Tage vor seinem Tode schreibt Flaubert seiner Nichte mit Beziehung auf „Bouvard und Pécuchet“: „Ich hatte recht!... Meine Auskunft stammt von dem Professor der Botanik am Botanischen Garten, und ich hatte recht, weil das Schöne immer das Wahre ist, und weil man sich in einem gewissen Stadium der Intelligenz (sofern man Methode hat) überhaupt nicht irrt. Die Wirklichkeit beugt sich zwar niemals dem Ideale, aber sie bestätigt es.“ * GUSTAVE FLAUBERT _ÄGYPTEN_ ~Einzige autorisierte deutsche Ausgabe,~ besorgt von E. W. Fischer. Mit 16 Wiedergaben der photographischen Aufnahmen von Maxime du Camp, dem Reisegefährten Flauberts. ~Umschlagzeichnung von Emil Orlik In Leinenbroschur und Halbpergament~ ~Die Zeit~: „Alle anderen Ägyptenreisenden, ihre Bücher bezeugen es, blicken von der Kunst auf die Landschaft. Flaubert blickt von der Landschaft auf die Kunst. Darum ist Ägypten in diesen flüchtigen Notizen das Land, die Menschen, die Standbilder, der Mythos, das ganze Ägypten. -- Was das Geheimnis Flauberts ist, sein Auge, auch hier strahlt es, durchdringt es alles Sichtbare.“ (Oskar Manrus Fontana) _REISEBRIEFE_ ~Übersetzt von E. W. Fischer. 2. Tausend In Pappband und Ganzleinen~ ~Das Tagebuch~: „Die Briefe sind wundervoll: farbig, witzig, sachlich, warm, persönlich. Manche, zum Beispiel die Briefe aus Jerusalem, gehören in die Sammlung klassischer Briefe.“ (Stephan Großmann) _JUGENDBRIEFE_ ~Übersetzt von E. W. Fischer. In Vorbereitung~ _SÄMTLICHE TAGEBÜCHER_ ~3 Bände. Übersetzt von E. W. Fischer. 3. Tausend In Pappbänden und in Halbleder~ ~Berliner Börsen-Curier~: „Vielleicht sind diese 1600 Seiten das Herrlichste von Flaubert, -- wahrscheinlich aber das Herrlichste nur für den, der seine Werke gelesen hat. Denn die Werke erschließen den Sinn des Epos, das hier in unerhörtem Reichtum objektiver und subjektiver Gegenwart, mit restlosem Temperament des Geistes, der Seele, des Auges einen großen bewunderungs- und liebenswürdigen Menschen entfaltet.“ (Oskar Loerke) _BRIEFWECHSEL MIT GEORGE SAND_ ~Übersetzt von Else von Hollander Mit einem Essay von Heinrich Mann. 5. Tausend~ (22. Band der Liebhaber-Bibliothek) Vergriffen _DIE SAGE VON SANKT JULIAN DEM GASTFREIEN_ ~Übersetzt von Else von Hollander~ Mit 12 Lithographien von Max Kaus. 3. Tausend. In Halbleinen (Der Graphischen Bücher 1. Band) GUSTAV KIEPENHEUER VERLAG POTSDAM End of Project Gutenberg's Bouvard und Pécuchet, by Gustave Flaubert *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK BOUVARD UND PÉCUCHET: ROMAN AUS DEM NACHLASS *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for an eBook, except by following the terms of the trademark license, including paying royalties for use of the Project Gutenberg trademark. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the trademark license is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. Project Gutenberg eBooks may be modified and printed and given away—you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the trademark license, especially commercial redistribution. START: FULL LICENSE THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase “Project Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg™ License available with this file or online at www.gutenberg.org/license. Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™ electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™ electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project Gutenberg™ electronic work and you do not agree to be bound by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8. 1.B. “Project Gutenberg” is a registered trademark. It may only be used on or associated in any way with an electronic work by people who agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few things that you can do with most Project Gutenberg™ electronic works even without complying with the full terms of this agreement. See paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project Gutenberg™ electronic works if you follow the terms of this agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg™ electronic works. See paragraph 1.E below. 1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation (“the Foundation” or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project Gutenberg™ electronic works. Nearly all the individual works in the collection are in the public domain in the United States. If an individual work is unprotected by copyright law in the United States and you are located in the United States, we do not claim a right to prevent you from copying, distributing, performing, displaying or creating derivative works based on the work as long as all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope that you will support the Project Gutenberg™ mission of promoting free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg™ works in compliance with the terms of this agreement for keeping the Project Gutenberg™ name associated with the work. You can easily comply with the terms of this agreement by keeping this work in the same format with its attached full Project Gutenberg™ License when you share it without charge with others. 1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in a constant state of change. If you are outside the United States, check the laws of your country in addition to the terms of this agreement before downloading, copying, displaying, performing, distributing or creating derivative works based on this work or any other Project Gutenberg™ work. The Foundation makes no representations concerning the copyright status of any work in any country other than the United States. 1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg: 1.E.1. The following sentence, with active links to, or other immediate access to, the full Project Gutenberg™ License must appear prominently whenever any copy of a Project Gutenberg™ work (any work on which the phrase “Project Gutenberg” appears, or with which the phrase “Project Gutenberg” is associated) is accessed, displayed, performed, viewed, copied or distributed: This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. 1.E.2. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not contain a notice indicating that it is posted with permission of the copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in the United States without paying any fees or charges. If you are redistributing or providing access to a work with the phrase “Project Gutenberg” associated with or appearing on the work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg™ trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.3. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is posted with the permission of the copyright holder, your use and distribution must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms will be linked to the Project Gutenberg™ License for all works posted with the permission of the copyright holder found at the beginning of this work. 1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg™ License terms from this work, or any files containing a part of this work or any other work associated with Project Gutenberg™. 1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this electronic work, or any part of this electronic work, without prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with active links or immediate access to the full terms of the Project Gutenberg™ License. 1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any word processing or hypertext form. However, if you provide access to or distribute copies of a Project Gutenberg™ work in a format other than “Plain Vanilla ASCII” or other format used in the official version posted on the official Project Gutenberg™ website (www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon request, of the work in its original “Plain Vanilla ASCII” or other form. Any alternate format must include the full Project Gutenberg™ License as specified in paragraph 1.E.1. 1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, performing, copying or distributing any Project Gutenberg™ works unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing access to or distributing Project Gutenberg™ electronic works provided that: • You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from the use of Project Gutenberg™ works calculated using the method you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed to the owner of the Project Gutenberg™ trademark, but he has agreed to donate royalties under this paragraph to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid within 60 days following each date on which you prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty payments should be clearly marked as such and sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in Section 4, “Information about donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation.” • You provide a full refund of any money paid by a user who notifies you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he does not agree to the terms of the full Project Gutenberg™ License. You must require such a user to return or destroy all copies of the works possessed in a physical medium and discontinue all use of and all access to other copies of Project Gutenberg™ works. • You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the electronic work is discovered and reported to you within 90 days of receipt of the work. • You comply with all other terms of this agreement for free distribution of Project Gutenberg™ works. 1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg™ electronic work or group of works on different terms than are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing from the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the manager of the Project Gutenberg™ trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below. 1.F. 1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread works not protected by U.S. copyright law in creating the Project Gutenberg™ collection. Despite these efforts, Project Gutenberg™ electronic works, and the medium on which they may be stored, may contain “Defects,” such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by your equipment. 1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the “Right of Replacement or Refund” described in paragraph 1.F.3, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project Gutenberg™ trademark, and any other party distributing a Project Gutenberg™ electronic work under this agreement, disclaim all liability to you for damages, costs and expenses, including legal fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH DAMAGE. 1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a written explanation to the person you received the work from. If you received the work on a physical medium, you must return the medium with your written explanation. The person or entity that provided you with the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a refund. If you received the work electronically, the person or entity providing it to you may choose to give you a second opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy is also defective, you may demand a refund in writing without further opportunities to fix the problem. 1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth in paragraph 1.F.3, this work is provided to you ‘AS-IS’, WITH NO OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. 1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any provision of this agreement shall not void the remaining provisions. 1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone providing copies of Project Gutenberg™ electronic works in accordance with this agreement, and any volunteers associated with the production, promotion and distribution of Project Gutenberg™ electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees, that arise directly or indirectly from any of the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg™ work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any Project Gutenberg™ work, and (c) any Defect you cause. Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™ Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of electronic works in formats readable by the widest variety of computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws. The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s website and official page at www.gutenberg.org/contact Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine-readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit www.gutenberg.org/donate. While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. Please check the Project Gutenberg web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: www.gutenberg.org/donate. Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For forty years, he produced and distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Most people start at our website which has the main PG search facility: www.gutenberg.org. This website includes information about Project Gutenberg™, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.