The Project Gutenberg eBook of Vierzig Jahre aus dem Leben eines Toten. Band 3

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Title: Vierzig Jahre aus dem Leben eines Toten. Band 3

Author: Johann Konrad Friederich

Editor: Ulrich Rauscher

Release date: November 23, 2019 [eBook #60769]

Language: German

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Proofreading Team at http://www.pgdp.net

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK VIERZIG JAHRE AUS DEM LEBEN EINES TOTEN. BAND 3 ***

Vierzig Jahre
aus dem
Leben eines Toten

Dritter Band

Sechste Auflage

Vierzig Jahre
aus dem
Leben eines Toten

Hinterlassene Papiere
eines französisch-preußischen Offiziers

In drei Bänden

Dritter Band

Egon Fleischel & Co.
Berlin
1916

Inhalt
des dritten Bandes.

  Seite
I.
Ankunft der jungen Kaiserin. – Zivil- und religiöse Vermählungsfeierlichkeiten Napoleons und Marie Luisens. – Großes Volksfest. – Demoiselle Mars. – Pauline. – Die Mitglieder der Familie Bonaparte. – Feste dem kaiserlichen Ehepaar zu Ehren. – Unglückliches Fest von dem österreichischen Gesandten gegeben. – Lannes Leichenfeier. – Die Errichtung der Siegessäule auf dem Platz Vendome. – Exzesse der holländischen Garden zu Paris. – Gerüchte über Marie Luisens Schwangerschaft. – Ich werde zu Murats Garde zu Pferd versetzt. – Abreise nach Neapel 1-45
II.
Reise von Paris nach Neapel. – Turin. – Ankunft zu Neapel. – Murats Garden und Hofstaat. – Fehlgeschlagene Expedition gegen Sizilien. – Grausame Maßregeln zur endlichen Vertilgung der Briganten in Kalabrien. – Entstehung der Carbonari. – Murat. – Die Königin Karoline. – Der Karneval zu Neapel. – Ein italienisches Liebhabertheater. – Die Festini in San Carlo. – Die Marchesa im Schilderhaus. – Fastenzeit und Osterfeier. – Ein Pistolenduell. – Don Juan zum erstenmal in Neapel aufgeführt. – Ein Schiff mit englischen Nachtgeschirren von der Douane weggenommen. – Ein Abenteuer in den Gärten zu Caserta. – Ein Souper suspendu. – Ein silbernes Ei. – Ein dreifacher Mord. – Weihnachtsfeier. – Verbrennung der englischen Waren. – Ich falle in die allerhöchste Ungnade und werde nach Tarent beordert 46-87
III.
Marsch von Neapel nach Tarent. – Eine Zusammenkunft zu Caserta. – Die caudinischen Engpässe. – Avelino. – Dentekane. – Tarent. – Einschiffung nach Korfu. – Seegefecht auf der Höhe von Tunis. – Ankunft zu Korfu. – Beschreibung der Jonischen Inseln. – Der heilige Spiridion und seine Feste. – Das Theater und Liebhabertheater. – Seltsame Zusammensetzung der Garnison. – Pallea Castrizza. – Ein Exorzismus. – Erdbeben. – Türkische Tabaksbeutel. – Ein giftiger Schlangenbiß. – Capo d’Istria. – Die Entführung einer Braut. – Ein Seeturnier. – Paxo. – Parga. – Prevesa. – Thiaki. – Santa Maura. – Der leukadische Felsen. – Fano 87-138
IV.
Eine Mission nach Albanien. – Janina. – Ali Pascha, seine furchtbaren Grausamkeiten. – Ein lebendig Begrabener. – Govino. – Die Entführung einer jungen Griechin. – Rocca Timono. – Diversi. – Ein Soldat erschießt einen Fregattenkapitän. – Ein Rattenmahl. – Die Prima Ballerina Giuseppina Panzieri. – Großer Theaterskandal. – Ludwig der Springer. – Die Feuerprobe. – Ein Duell. – Ein Schiffbruch. – Ein großer Brand. – Die Räuber in Korfu. – Parga geht an die Engländer über. – Schlimme Neuigkeiten. – Murats Abfall. – Napoleons Abdankung. – Rückkehr der Bourbons. – Ankunft der englischen und französischen Flotten. – Übergabe Korfus an die Engländer. – Unanständiges Benehmen englischer Offiziere. – Einschiffung der französischen Garnison 138-188
V.
Überfahrt von Korfu nach Marseille. – Das Schiffsleben. – Die Meerenge von Messina. – Die Fata Morgana. – Haifische. – Napoleon auf der Insel Elba. – Das Pestlazarett und die Quarantäne zu Marseille. – Stimmung der Einwohner. – Abmarsch nach Avignon. – Meuterei in Aix. – Die Familie Giraud. – Die rasenden Weiber in Avignon attackieren uns. – Ankunft Ludwig Philipps zu Avignon. – Lyon. – Einzug des Grafen Artois (Karl X.). – Fontainebleau. – Paris. – Preußische Vergeltung. – Die zurückgekehrten Emigranten. – Ich lasse mich auf halben Sold setzen. – Abreise über Reims nach Straßburg. – Der Herzog von Berry. – Abreise nach Frankfurt. – Ankunft daselbst 189-210
VI.
Feier des 18. Oktobers zu Frankfurt am Main. – Verfassungswehen dieser Stadt. – Franzosenhaß daselbst. – Diversi. – Ein Fest auf dem Sandhof. – Napoleons Rückkehr von der Insel Elba. – Ich entschließe mich in preußische Dienste zu treten. – Abreise nach Berlin 210-223
VII.
Reise von Frankfurt nach Berlin. – Leipzig. – Die Messe. – Ein Paar Harfenmädchen. – Eine Partie nach Giebichenstein. – Wittenberg. – Berlin. – Prinzessin Wilhelm. – Die Theater. – Iffland und Devrient. – Potsdam. – Graf Lusi und Friedrich der Große. – Sanssouci. – Ein bübischer Studentenstreich. – Urania. – Meine Anstellung. – Die Familie Pogwisch. – Anekdoten vom Kronprinz. – Ich soupiere mit sechs Damen. – Eine Künstlerhaushaltung. – Das Institut Bernhard. – Die Tabagien. – Eindruck der Schlacht bei Waterloo. – Das Opernhaus. – Abreise nach Kolberg 223-242
VIII.
Reise von Berlin nach Kolberg. – Eine Amazone. – Ankunft in Kolberg. – Die neuen Dienstverhältnisse. – Kolberg und seine Umgebungen. – Einfachheit und Wohlhabenheit der Einwohner. – Die Marienkirche. – Gesellschaftliche Verhältnisse. – Nettelbeck. – Die letzte Belagerung. – Feier des Geburtstags des Königs. – Madame G... und ihre Cousine. – Das Versteckenspiel im Bullenwinkel. – Eine Reise nach Köslin. – Eine Lustfahrt auf einen pommerschen Edelhof. – Die Kolberger Freuden. – Ich gehe auf Urlaub nach Berlin. – Ein polnischer Reiseschatz. – Die verräterischen Austernschalen. – Fürst Blücher. – Die Berliner Weihnachtsfreuden. – Die Redouten und Porzellanfuhren. – Die schöne Luise. – Spandau. – Eine glänzende Schlittenfahrt. – Rückreise nach Kolberg 243-276
IX.
Frau v. Schätzel. – Madame Schröder, der Kolberger Krösus. – Ihre Feste und Landpartien. – Eine Schlittenfahrt mit Folgen. – Ein Duell. – Eine gefährliche Fensterpassage. – Ich belausche wider Willen eine Kaffeegesellschaft. – Ein Kaffeebad. – Ich führe einen Transport zu dem Okkupationsheer nach Frankreich. – Stettin. – Ein Konzert rettet aus Not und Tod. – Ich werde vom Dienst suspendiert. – Rombergs Schauspieler-Gesellschaft zu Kolberg. – Sechsmonatlicher Festungsarrest in Weichselmünde. – Neufahrwasser. – Danzig und seine Vergnügungen. – Abreise nach Marienburg 277-303
X.
Marienburg. – Elbing. – Königsberg. – Posen. – Rückkehr nach Kolberg. – Eine furchtbare Mordgeschichte. – Eine Vexierreise. – Diverse Kampagnen unter Amors Fahnen. – Der Esel von Osten. – Noch ein Damensouper. – Arge Skandalosa. – Eine pommersche Hochzeit. – Abermaliger Festungsarrest. – Meine Entlassung 303-324
XI.
Ein Polterabend. – Ich gebe ein paar Gastrollen. – Reise von Köslin nach Berlin. – Eine Reise nach Paris ohne Paris zu sehen. – Schicksale meiner Cousinen. – Abreise nach Magdeburg. – Carnot. – Er fordert mich auf, ein Geschichtswerk herauszugeben. – Aventuren. – Ich gerate in große Feuersgefahr. – Abreise nach Bremen. – Angenehme Reisegesellschaft. – Braunschweig. – Vetter K... und Cousine Henriette. – Ein Hausfreund. – Gesinchen. – Die Giftmischerin Gottfried. – Signora Catalani in Bremen. – Abreise nach Frankfurt. – Hannover. – Hildesheim. – Goslar. – Eine Partie auf den Blocksberg. – Kassel. – Wilhelmshöhe. – Zopfwut des Kurfürsten. – Ankunft zu Frankfurt 324-354
XII.
Frankfurter Zustände. – Schwierigkeiten bei einer Verheiratung. – Ich soll mich um eine Anstellung in Frankfurt bewerben, gebe es aber schnell wieder auf. – Senatorenstreiche. – Ich beabsichtige eine Zeitschrift herauszugeben. – Die Gräfin Sürvilier und ihre Töchter. – Napoleons beabsichtigte Befreiung. – Hausen. – Frau von Busch. – Homburg. – Ich schwinge etwas derb die Geißel der Satire in meiner Zeitschrift; diverse Histörchen und Widerwärtigkeiten. – Signora Catalani in Frankfurt. – Napoleons Tod. – Fürst Y...s trauriges Ende. – Müller-Broli. – Der Jude Dobrusky. – Ein Besuch von sieben Schauspielern. – Die Sängerin Canzi. – Verbot meiner Zeitschrift. – Eine lustig-romantische Rheinreise. – Die Schlangenmädchen. – Therese Peche. – Ich bilde sie für das Theater 355-405
XIII.
Die Schlangenmädchen zuerst bei der Mainzer, dann bei der Kölner Bühne engagiert. – Der Bruder von ungefähr. – Aufenthalt in Aachen. – Ich spiele den Don Juan in der Wirklichkeit statt auf der Bühne. – Ringelhards Gesellschaft. – Aufenthalt in Köln. – Polizeidirektor Struensee. – Trennung von Peches. – Der Schauspieler Wolthers wird im Duell erschossen. – Agnes F...ch. – Noch ein Rousseau. – Ich werde demagogischer Umtriebe verdächtig gemacht. – Ich gehe nach Mainz. – Aufenthalt daselbst. – Ich redigiere eine Mannheimer Zeitschrift. – Die schwarze Kommission. – Ich werde aus Mainz verbannt und gehe nach Mannheim. – Eine Reise nach Stuttgart. – Die schöne Unbekannte auf der Insel. – Eine Saison in Baden-Baden. – Ich nehme meinen Aufenthalt in Stuttgart. – Buchhändler Frankh. – Das Theater. – Eine sehr geheime Intrige. – Die Stadtpost und ihr Redakteur. – Ich gebe mein erstes historisches Werk heraus. – Ich werde Spießbürger in Frankfurt am Main 405-436

I.
Ankunft der jungen Kaiserin. – Zivil- und religiöse Vermählungsfeierlichkeiten Napoleons und Marie Luisens. – Großes Volksfest. – Demoiselle Mars. – Pauline. – Die Mitglieder der Familie Bonaparte. – Feste dem kaiserlichen Ehepaar zu Ehren. – Unglückliches Fest von dem österreichischen Gesandten gegeben. – Lannes Leichenfeier. – Die Errichtung der Siegessäule auf dem Platz Vendome. – Exzesse der holländischen Garden zu Paris. – Gerüchte über Marie Luisens Schwangerschaft. – Ich werde zu Murats Garde zu Pferd versetzt. – Abreise nach Neapel.

Die immer näher heranrückende Zeit der Vermählung Napoleons mit Marie Louise, zu der man alle möglichen Vorbereitungen machte, ließ schnell die Geschichte unseres Totenmahles sowie alle anderen Dinge ins Meer der Vergessenheit sinken; die erwartete neue Kaiserin nahm wenigstens auf einige Zeit alle Aufmerksamkeit der guten Pariser in Anspruch. Man hörte an allen öffentlichen Orten sowie in den Familien nur noch von dieser reden und erzählte sich die seltsamsten Dinge und Märchen, ihre Person, ihre Erziehung, ihre Talente, ihren Geist und so weiter betreffend, und es gibt fast keine Abgeschmacktheit, die man nicht zugunsten der jungen Erzherzogin erfunden und in Umlauf gebracht hätte. Bald sollte sie keine drei zählen, bald für sechse essen können, sich nur in Milch baden, nur Mehlspeise und Gebackenes zu sich nehmen; auch wollte man durchaus nicht gestatten, daß Kaiser Franz ihr wirklicher Vater sei, und war so freigebig, ihr wenigstens ein halbes Hundert verschiedener Väter anzudichten: der eine machte einen Baron Braun, der andere gar einen Daun dazu! Auch über ihre Gestalt, ihren Wuchs, ihre Züge, ihren Anzug, ihre Toilette, ihre Haltung setzte man die lächerlichsten Dinge in Umlauf, erfand Hunderte von Anekdoten, die sich an Unwahrscheinlichkeit und Absurditäten überboten, und stellte Vergleiche zwischen ihr und Josephinen an, die natürlich immer zum Vorteil der letzteren ausfielen. Endlich kamen die bei alldem von den Parisern herbeigewünschten Tage, an welchen die neue Kaiserin durch ihr Erscheinen die Neugierde des ungeduldigen Volkes befriedigen sollte. Napoleon war ihr in Murats Begleitung, der sich auch schon eingefunden hatte, bis Compiègne entgegengegangen. Nach dem bekannt gemachten Programm sollte die erste Zusammenkunft in dem mittelsten der drei Zelte, die zu diesem Zweck auf dem Weg nach Compiègne aufgeschlagen waren, stattfinden. Das Programm schrieb vor, daß beide Majestäten zu gleicher Zeit von zwei entgegengesetzten Seiten in das mittlere Zelt treten, Marie Louise aber vor ihrem Gatten niederknien, der sie jedoch sogleich aufheben und umarmen würde, worauf sich beide niedersetzen sollten. Aber Napoleons Ungeduld machte alle von ihm selbst vorgeschriebenen Zeremonien und Etikette überflüssig, indem er ganz inkognito in seinem grauen Überrock das Schloß von Compiègne durch eine kleine Pforte verließ, sich in eine unansehnliche Kalesche warf und in dem Augenblick zu Courcelles ankam, als die Kuriere der jungen Kaiserin die Pferde bestellten. Hier stellte er sich, da es heftig regnete, unter die Halle einer Kirche, und als die Wagen der Ersehnten ankamen und man die Pferde wechselte, lief er an den Schlag der Kutsche, in der Marie Louise saß, öffnete denselben, stieg schnell ein, fiel seiner jungen, höchst erstaunten Gattin um den Hals und fuhr mit ihr zusammen nach Compiègne zurück, wo er, wie man allgemein versicherte, die Nacht als Ehemann mit ihr zubrachte. Am anderen Tag ließ er um Mittag das Frühstück vor dem Bett der sehr müden Kaiserin servieren. Als dies zu Paris bekannt wurde, fand man es sehr genial. Viele Personen waren dem hohen Paar entgegengefahren, auch ich war bis an die Grenze des Departements der Seine geritten, wo dasselbe von dem Präfekten und den Autoritäten des Departements empfangen und bekomplimentiert wurde. Den Fürsten Y. hatte das Podagra wieder an das Bett gefesselt.

Den ersten April fand die Zivilvermählung des kaiserlichen Paars zu St. Cloud statt, der über zwanzig Könige, Königinnen und fürstliche Personen beiwohnten. Ich hatte mich ebenfalls dahin begeben, aber mit tausend anderen der feierlichen Handlung nicht beiwohnen können. Der ganze Hof, alle Minister, Gesandte, Kardinäle, Großoffiziere, Senatoren und so weiter hatten sich in größter Gala in den Galerien von St. Cloud versammelt, wo die Armsessel für beide kaiserliche Majestäten auf einer Erhöhung unter einem prachtvollen Thronhimmel angebracht waren. Das Gefolge des kaiserlichen Paares bestand aus Königen und Königinnen, Prinzen und Prinzessinnen, Großwürdenträgern der Kronen Frankreichs und Italiens, Palastdamen und so weiter. Man hat berechnet, daß die Hofdamen beider Kronen, unter denen auch eine Visconti, eine Montecuculi, eine Mocenigo, eine Pallavicini und andere waren, mehr als für zwanzig Millionen Schmuck an sich hatten. Der Fürst Erzkanzler des Reichs sprach die Vermählung nach den von dem Code Napoléon vorgeschriebenen Gesetzen aus. Nachdem die Zeremonie vorüber war und sich das ganze Kortege entfernt hatte, gelang es mir, in die Galerie zu kommen, wo die Vermählung stattgefunden hatte und ich noch die getroffenen Vorrichtungen sehen konnte. Am Abend war der Park von St. Cloud auf das prächtigste erleuchtet, was besonders bei den Kaskaden, die in Brillantstrahlen herabfielen, eine unbeschreibliche Wirkung machte. Vor allem war es die große Kaskade, die sich feenhaft ausnahm; man wähnte sich in einem der Zaubergärten der orientalischen Märchen der Tausendundeine Nacht. Der illuminierte Park, in dem mancherlei Spiele stattfanden, war so mit Menschen überfüllt, daß es schien, als sei ganz Paris nach St. Cloud gewandert.

Den folgenden Tag, am zweiten April, hielt das kaiserliche Ehepaar seinen feierlichen Einzug in die Hauptstadt, zur religiösen Trauung. Mit Tagesanbruch wimmelte der dick mit Sand bestreute Weg, auf dem sich der Zug bewegen sollte, mit Menschen jeden Alters und Standes, auf beiden Seiten waren Spaliere von Truppen aufgestellt. Das Wetter war sehr trübe, es hatte einen großen Teil der Nacht und besonders gegen Morgen viel geregnet, man fürchtete sogar, daß die Feier wegen des schlechten Weges verschoben werden müsse; als aber gegen Mittag die Sonnenstrahlen begannen, sich Bahn durch die Wolken zu brechen, da fingen die Kanonen zu donnern an, die die Abfahrt des kaiserlichen Ehepaars und seines Gefolges verkündeten. Die Behörden der Stadt Paris verfügten sich eilig unter den großen Triumphbogen, den die Stadt zu Ehren der Neuvermählten im Stern der Elysäischen Felder hatte errichten lassen. Dieser Triumphbogen, der später in Marmor aufgeführt werden sollte, war in aller Eile zusammengezimmert und mit grober, bunt bemalter Leinwand wie eine Theaterdekoration ausgeschlagen worden. Seine vier Fassaden waren mit acht ebenso vergänglichen Trophäen geschmückt, sein Durchgang war ungefähr fünfzig Fuß und das Ganze einhundertvierzig Fuß breit. Die Symbole der Kraft und der Klugheit waren an demselben angebracht; auf dem Kranz oben las man die Worte: ‚A Napoléon et à Marie Louise, la ville de Paris.‘ Außerdem waren unter der Wölbung und sonst noch verschiedene Basreliefs, Allegorien und Medaillen angebracht. So las man zum Beispiel unter Napoleons Porträt: ‚Le bonheur du monde est dans ses mains‘; man muß gestehen, daß es sich in keinen schlechteren Händen befinden konnte. Unter einem frische Zweige treibenden Lorbeer stand: ‚Il a fait notre gloire, il la rendra eternelle‘, unter einem britischen Leoparden: ‚Il riait de notre discorde il pleure de notre union‘ und so weiter. Auf den vier Fassaden waren die Gesetzgebung, die National-Industrie, die Verschönerungen von Paris, die Ankunft der Marie Louise und so weiter und viele ekelerregende Schmeicheleien gepinselt. Dieser ebenso fragile Triumphbogen hatte gleiches Schicksal mit dem zu jener Zeit dekretierten Riesenelefanten, von dem auch nur das Modell verfertigt wurde. Ersterer wurde bald in Stücke zerschlagen und verbrannt, der andere, ein kolossaler Springbrunnen – der Elefant hatte wenigstens zehnmal die Größe eines natürlichen –, welcher auf dem Bastillenplatz errichtet werden sollte, ward der behagliche Aufenthalt von Millionen – Ratten. Der fortwährende Kanonendonner verkündigte die Annäherung des Kaiserlich Königlichen Hochzeitszuges, der sich nur sehr langsam durch die unermeßlichen Menschenmassen, die den ganzen Weg von St. Cloud bis Paris besetzt hatten und aus fünfzig und mehr Lieues in der Runde herbeigeströmt waren, fortbewegte. Das Volk von Paris hatte sich von den Tuilerien über den Concordienplatz nach den Elysäischen Feldern in Bewegung gesetzt. Alle Fenster bis unter die Dächer der Häuser, an denen der Zug vorüber kommen sollte, waren mit eleganten Damen besetzt, und auf den Dächern und Bäumen wimmelte es von alten und jungen Knaben; wo es nur möglich war, hatte man Gerüste zum Schauen angebracht, wo man horrende Preise für die Plätze bezahlte. Für die von dem Präfekten von Paris eingeladenen Personen waren amphitheatralische Sitze zu beiden Seiten des hölzernen Triumphbogens errichtet. Hier hatte auch ich durch Clarkes Verwendung einen Platz erhalten. Fürst Y. war in der Galerie des Louvre. Gegen Mittag war der ungeheure Raum von den Tuilerien bis vor die Porte Maillot auf beiden Seiten hinter den Spalieren der Truppen bis zum Erdrücken angefüllt, und trotzdem sich die Bevölkerung der Hauptstadt für diesen Tag wenigstens um die Hälfte vermehrt hatte, hörte man doch nichts von einem Unfall. Die polizeilichen Anstalten waren vortrefflich. In dem Garten der Tuilerien waren die napoleonischen Garden aufgestellt und auf den anderen Plätzen Linieninfanterie. In einer gewissen Entfernung standen immer wieder Kavallerie- und Infanterie-Piketts, bereit, sich augenblicklich an jeden Ort zu begeben, wo eine Störung entstehen würde. Gegen ein Uhr wurde das Gedränge, der Lärm und endlich das Vivatgeschrei immer lauter, die Kanonen donnerten fort und fort, Tausende von Trommeln wirbelten, die an verschiedenen Orten aufgestellten Orchester, wohl ein paar Dutzend, spielten, und das ‚Vive l’Empereur‘ artete in rasendes Geschrei und Toben aus. Jetzt erblickte man von dem Triumphbogen den sich gravitätisch nähernden Zug, den die neuerrichteten Lanciers der Garde eröffneten, deren glänzende Uniform, Bewaffnung und schöne Haltung zuerst aller Augen auf sich zogen. Ihnen folgten die Gardedragoner und Chasseurs, an deren Spitze Musikchöre ritten; dann kamen die Wappenherolde zu Pferd, diesen folgten die Hofwagen, einige dreißig an der Zahl, alle reich vergoldet, von gleicher Form und jeder mit sechs Pferden bespannt. In den ersten saßen die Großoffiziere des kaiserlichen Hauses und die Großwürdenträger des Reichs, hinter ihnen kamen die Könige, Königinnen, Prinzen und Prinzessinnen vom kaiserlich napoleonischen Geblüt, dann Marie Louisens Oheim, der Großherzog von Würzburg, sodann der Wagen der Kaiserin, mit acht Pferden bespannt, endlich der ebenfalls mit acht Pferden bespannte Krönungswagen Napoleons, in welchem die Neuvermählten, Marie Louise zur Linken ihres Gatten, saßen. Dieser Wagen war mit schönen Malereien und anderen kostbaren und künstlichen Verzierungen überladen. Auf beiden Wagen standen hinten und vorn reich gekleidete Pagen, um sie herum ritten die Marschälle des Reichs, die Chefs der Garden, die Oberstallmeister und so weiter im Prachtkostüm, die Pferde mit Gold behangen. Ihnen folgten die Wagen, in denen das kaiserliche Gefolge saß, den Zug schlossen endlich die Gardegrenadiere zu Pferde und die Gendarmerie d’Elite. Überall boten junge, weißgekleidete Mädchen der Kaiserin Körbe mit Blumen dar. Als der Krönungswagen in die Nähe des Triumphbogens kam, war es heller Sonnenschein, und während er durch denselben zog, spielte die treffliche Musik des Konservatoriums Kantaten, Fanfaren und andere analoge Musikstücke und Lieder. Als aber die allgemeinen Kanonensalven aus hundert Feuerschlünden, das Geläute aller Glocken der ungeheuren Stadt, das in wildes Toben ausgeartete Geschrei des Volks die Ankunft des kaiserlichen Paares unter dem Triumphbogen verkündete, wo angehalten wurde, da ward es plötzlich stille, und der Seine-Präfekt an der Spitze der Munizipalität von Paris beglückwünschte Napoleon und seine Gattin im Namen der Hauptstadt. Seine Rede war ein Galimathias der übertriebensten, ja lächerlichsten Schmeicheleien, und am Ende derselben richtete er auch einige Worte an Marie Louise, die sehr geistreich antwortete: „daß sie die Stadt Paris liebe, weil sie wisse, daß diese auch den Kaiser liebe!“ Als dieser Akt der brillanten Komödie vorüber war, setzte sich der Zug unter dem erneuten Vivatgebrüll, Kanonaden, Geläute, Trommeln, Trompeten und so weiter wieder in Bewegung. Am Eingang des Tuileriengartens war wieder ein kleiner Triumphbogen errichtet, dessen Material nicht dauerhafter als das des großen war. Auf diesem sah man die Namenszüge Napoleons und Franzens und die Wappen von Frankreich und Österreich schimmern sowie die allegorischen Figuren des Friedens und Überflusses, beides war aber nicht vorhanden. Auf einem dritten Triumphbogen vor dem Eingang des Palastes der Tuilerien war eine Tribüne in Form eines Zeltes angebracht, an dessen beiden Seiten wieder zwei Orchester placiert waren. Bald nach seinem Eintritt in den Palast zeigte sich das hohe Paar abermals dem guten Pariser Volk auf einem Balkon, nahm nochmals dessen Jubelgeschrei in Empfang und zog sich dann in die inneren Gemächer zurück, um sich mit dem schweren Kaisermantel behängen zu lassen, worauf es sich mit dem ganzen Zug in der Ordnung, in der man gekommen war, in die Kapelle des Louvre begab, die zu dieser religiösen Feierlichkeit besonders hergerichtet worden war. Der Weg ging durch die lange Galerie, welche die Tuilerien mit dem Louvre verbindet und in der die besten Meisterstücke der größten Maler, die je gelebt, aufgestellt waren. Ein kostbarer Teppich, über eine halbe Million an Wert, deckte den Fußboden des über eine halbe Viertelstunde langen Ganges. Zu beiden Seiten bildeten über viertausend elegante und reichgeschmückte, zum Teil sehr schöne Damen in prächtigen Toiletten das Spalier, hinter ihnen standen ebensoviele Herren en grand costume, unter denen ich mir auch vermittelst einer Eintrittskarte ein Plätzchen verschafft, aber nur mit großer Mühe von dem Triumphbogen aus hierher hatte gelangen können. Das Kleid der Kaiserin war mit Diamanten übersät, und ihr Diadem, aus den größten Diamanten bestehend, blendete alle Augen. Die Damen vom höchsten Rang trugen die Schleppe ihres Mantels, und die Schleppen der Mäntel dieser wurden wieder von hochgestellten Beamten getragen. Es war eine wahre Schleppenträgerei, über die einige graziöse Pariserinnen, hinter denen ich Posto gefaßt hatte, sich mokierten. Während dieses Zuges spielte die Musik von Paer, dem Direktor der kaiserlichen Kapelle, eigens dazu komponierte Melodien, auch wurden während des langen Harrens Erfrischungen präsentiert. Der Anblick dieser, mit so schön geputzten Damen und Gemälden geschmückten unabsehbaren Galerie war unbeschreiblich und außerordentlich prächtig. Drei Uhr war es schon, als sich die Pforten an der Seite der Tuilerien auftaten und die Wappenherolde den nahenden Hochzeitszug eröffneten. Alle Zuschauer standen auf und unbeweglich auf ihren Plätzen, bis er vorüber war; er bewegte sich langsam und feierlich unter dem Spielen der Musik und dem Vivatgeschrei in die prächtig dekorierte Kapelle. Der Hochaltar derselben war gerade der Galerie gegenüber errichtet, über demselben hing ein Thronhimmel, und auf demselben standen viele große Leuchter von Vermeuil, in der Mitte ein großes goldenes Kruzifix. Ein Basrelief von vergoldetem Silber stellte die Anbetung der Hirten vor; es war von dem berühmten Sarazin unter Ludwig XIV. verfertigt worden und an der Vorderseite des Altars angebracht. Ein Teppich von karmoisinrotem Thronsammet bedeckte den Fußboden, zwei Reihen Sitze von gleichem Stoff umgaben den Raum, in dessen Mitte die beiden Armstühle und Betaltäre standen, die für das kaiserliche Ehepaar bestimmt und mit goldenen Bienen auf Purpur übersät waren. In der Kapelle selbst waren zwei Reihen Tribünen ringsherum errichtet, mit scharlachrotem Atlas und himmelblauen Wolken drapiert und mit goldenen Fransen und Galons versehen. Die Wände waren mit herrlichen Gobelin-Tapeten behangen, und wo es sich nur tun ließ, waren die Namenszüge Napoleons und Marie Louisens, mit Kränzen umgeben, angebracht. Dem Altar gegenüber war das Orchester der Kirchenmusik. Die Könige, Prinzen und Prinzessinnen nahmen auf den Sitzen um denselben Platz, die Großoffiziere, Minister, Gesandten, Palastdamen und so weiter an den Tribünen. Der Kardinal Fesch, Napoleons Oheim, verrichtete in seiner Eigenschaft als Großalmosenier die Trauung, wobei noch andere Kardinäle und Bischöfe hilfreiche Hand leisteten; er las eine Messe, und dann wurde das Tedeum von der Hofkapelle gesungen. Die ganze Zeremonie währte ungefähr eine gute halbe Stunde. Nach ihrer Beendigung trat der Zug wieder in derselben Ordnung den Rückweg an, und die jetzt auch kirchlich Vermählten zeigten sich nochmals dem Volk, worauf alle Garden und sämtliche Truppen unter fortwährendem Vivatrufen unter ihren Augen vorüberdefilierten. Hierauf wurde ein Bankett in den Tuilerien gehalten, wo Kaiser und Kaiserin mitten unter Königen und Königinnen, kaiserlichen und königlichen Prinzen und Prinzessinnen saßen und um sie herum die Prinzen, Großwürdenträger, Reichsmarschälle, Palastdamen und so weiter standen. Nach beendigtem Bankett zeigten sich die Kaiserlich Königlichen Majestäten noch einmal der noch immer vor dem Schloß stehenden unzählbaren Volksmenge von dem Balkon des Marschallsaals. Nun begann ein Monsterkonzert, in dem lauter auf die Feier des Tages anspielende Musikstücke vorgetragen wurden, unter denen der Chor aus Glucks Iphigenia ‚Que d’attraits, que de majesté!‘ besonders hervorgehoben und beklatscht wurde. Alle Theater der Hauptstadt und in ganz Frankreich waren zwei Tage gratis dem Publikum geöffnet, und in jedem gab man auf diese Feier bezügliche Vorstellungen. Nach dem Konzert gab ein losgelassener Feuerdrache das Signal zum Beginnen der Feuerwerke, und in einem Nu schien das ganze unermeßliche Paris in Flammen zu stehen. Dies war wirklich ein grandioses Schauspiel, wie ich noch kein ähnliches gesehen. Wohl an fünfzigtausend Raketen stiegen jetzt zugleich in verschiedenen Stadtteilen empor, und ‚taghell war die Nacht gelichtet‘; dies war aber nur das Vorspiel des feurigen Schauspiels, das die wunderbarsten Gegenstände, Zauberpaläste, Tempel und so weiter in der Luft erscheinen ließ; fast ebenso schnell waren jetzt alle Paläste, Gebäude und Häuser der ungeheuren Stadt illuminiert und prangten mitunter mit recht sinnigen Transparenten. Die Feuermassen auf den höchsten Türmen, Kuppeln, Kirchendächern und Glockentürmen schienen in der Luft zu schweben, die Illumination in dem großen Tuileriengarten, auf dem Concordienplatz, in den Elysäischen Feldern, wo jeder Baum feurige Früchte trug, am Corps legislativ, dem Palast der legion d’honneur, dem Invaliden-Hotel, dem Senatspalast, dem Pantheon, der Bank von Frankreich, der Hotels der Minister und Gesandten, der Türme von Notre-Dame, der Samariterin auf dem Pont Neuf und so weiter boten einen Glanz und eine so flammende Mannigfaltigkeit, daß sie augenblendend und sinnverwirrend war. Eine besonders gute Wirkung hatten die sich in der Seine spiegelnden Feuer. Man hat berechnet, daß mehr denn tausend Millionen Lampen an diesem Abend in Paris brannten, und Millionen Franken gingen in Dampf und Rauch auf. Sehr brillant war die Concordienbrücke erleuchtet. Am Museum der histoire naturelle sah man illuminierte kolossale Elefanten, Löwen, Rhinozerosse, Kamele und so weiter. Eine großartigere Komödie, wie diese fast vierundzwanzig Stunden währende, habe ich nie gesehen, – und was war nur fünf Jahre später aus all diesen Herrlichkeiten und Majestäten geworden?! –

Für das Volk waren überall, namentlich in den Elysäischen Feldern, Spiele, Belustigungen und Unterhaltungen gratis angestellt. Da gab es unzählige mats de cocague, mit allen möglichen zu erkletternden Kostbarkeiten beladen, Seiltänzer und Springer, ein paar hundert Schaubuden, zu denen der Eingang gratis war. Franconi mußte mit all seinen Roßkünstlern seine Tours de force produzieren, wobei er über fünfhundert Menschen, über hundert Pferde, Hirsche und so weiter verwendete. Tanzböden waren alle paar hundert Schritte aufgeschlagen, ebenso Karussells, Schaukeln, Saltimbanci, kleine Theater, Marionettenbuden, Polichinells und Harlequins, Taschenspieler und Optiker, illuminierte Luftballons, Lotterien, wozu man die Lose unentgeltlich erhielt und alle Arten Lebensmittel, vom bescheidenen Stück Ochsenfleisch bis zum gebratenen Kapaunen und Pasteten, gewann; dies alles erhielt das gute Volk gratis, das Gouvernement und die Stadt zahlten alles, und bis zum anbrechenden Tag währte der allgemeine Taumel.

So endete ohne besondere Unfälle die Feier des zweiten April. Außerdem waren alle rückständigen Steuern erlassen worden, die Polizei hatte alle wegen Vergehungen Inhaftierte frei gelassen und ihre Kerker geöffnet, alle Arreste beim Militär der ganzen Armee waren aufgehoben worden, und sechstausend Mädchen wurden mit ebensoviel Soldaten verheiratet und auf kaiserliche Unkosten ausgesteuert.

Den dritten April empfing das kaiserliche Ehepaar die Glückwünsche und Huldigungen des Senats, des gesetzgebenden Körpers, des Staatsrats, der Gesandten und so weiter, worauf es sich dann, von den vielen Strapazen und Solennitäten etwas ermüdet und abgespannt, auszuruhen geruhte, um zu den noch bevorstehenden großen Festivitäten, die ihm zu Ehren die Stadt Paris, die Garden, Gesandtschaften und so weiter veranstalten wollten, neue Kräfte zu sammeln. In der Academie impériale hatte man eine große Prachtoper, der Triumph Trajans betitelt, bei dieser Gelegenheit in Szene gesetzt und häufig wiederholt; an der Musik war aber nicht viel. Gegen Ende April trat Napoleon mit seiner jungen Frau eine Reise in die Norddepartements an. Während seiner Abwesenheit wurden mit großem Eifer die Vorbereitungen zu den großen Festen betrieben, die ihm bei seiner Zurückkunft gegeben werden sollten und wozu man die Anstalten auf dem Marsfeld, in dem Stadthaus, in den Elysäischen Feldern und so weiter machte.

Einstweilen lebte ich so recht sorgenlos und in dolce giubilo in Paris in den Tag hinein, frequentierte die Theater und ihre liebenswürdigsten Prinzessinnen, hie und da die Spielsäle, den Tisch des Fürsten Y., wenn es mir gerade gelegen war, und machte mit dem Beginnen der schönen Jahreszeit häufig Exkursionen in die Umgegend von Paris, besuchte das Boulogner Wäldchen, Vincennes, St. Denis, Auteuil, St. Germain, St. Cloud, Sèvres und andere Orte meistens in lustiger Gesellschaft. Einigemal machte ich auch einsame Landpartien mit Angelika, aber die unterhaltendsten waren die mit der Mars vom französischen Theater nach Montmorency, Versailles, Fontainebleau, Chantilly und Compiègne. Montmorency hatte besonders viel Anziehendes für uns beide, und wir besuchten es öfters.

In diesem anmutigen Tal verlebte ich mit der höchst liebenswürdigen Mars manchen seligen Tag. Die Mars war zwar um zehn Jahre älter als ich, aber ihrem Ansehen nach schien sie fast noch jünger zu sein. Unter allen Schauspielerinnen, die ich gekannt, habe ich keine gefunden, die in einem so hohen Grad geistige mit körperlicher Liebenswürdigkeit verbunden hätte, und auch ohne ihr eminentes, nicht wieder erreichtes dramatisches Talent war sie ein Weib von der größten Auszeichnung, sowohl hinsichtlich des Verstandes als der Anmut ihres ganzen Wesens; der Wohllaut ihres Organs, das Graziöse jeder ihrer Bewegungen, ihre Sprache und die Art, wie sie sich auszudrücken wußte, dies alles vereint hätte auch den indolentesten Phlegmatikus noch in Feuer versetzen können, auch war sie die allgemein Angebetete. Wer sie nur einmal im Lustspiel gesehen, weiß, wie unvergleichlich, wie unerreichbar ihre Leistungen als Künstlerin waren, welchen Ausdruck ihr Mienenspiel hatte, wie sie durch ihre graziöse Koketterie und Schalkhaftigkeit alles hinzureißen, alles zu bezaubern wußte.

Von Rom erhielt ich unterdessen häufig Briefe von Miollis, dessen Geduld zu ermüden begann, da seine Sache nicht vorangehen wollte und ich bis jetzt noch wenig in derselben hatte tun können, indem die Festivitäten und andere wichtige Dinge alle hochgestellten Personen, bei denen ich operieren sollte, zu sehr in Anspruch nahmen. Ich schrieb ihm, daß die Verzögerung nicht meine Schuld sei, ich würde, sobald der rechte Zeitpunkt gekommen, alle Tätigkeit anwenden und keine Bemühungen scheuen. Erst gegen die Mitte des Monats Mai gelang es mir, in dem Hotel der Prinzessin Pauline Borghese Eingang zu erhalten und dieser schönen Schwester Napoleons vorgestellt und empfohlen zu werden. Sie war gerade im Begriff, ihren Aufenthalt zu Paris mit dem im nahen Neuilly zu vertauschen, wohin sie mich beschied und verbindlichst einlud, sie dort zu besuchen. Dies meldete ich Miollis nach Rom, hinzusetzend, daß ich hierauf große Hoffnungen für seine Angelegenheit baue. In Neuilly ließ ich nicht lange auf mich warten, sondern fand mich bald in diesem anmutigen, eine kleine Stunde von Paris entfernten Ort ein. Hier besaß Prinzessin Pauline ein sehr schönes Landhaus mit äußerst geschmackvoll angelegten Gärten. Ich ließ mich gegen Mittag anmelden, wurde sogleich vorgelassen und fand die schöne Frau in einem eleganten Morgenanzug in der reizendsten Attitüde; nur eine einzige ihrer Damen, Madame Farigliano, war in ihrer Gesellschaft. Nachdem sie mich mit großer Naivität über manche Dinge, mich selbst betreffend, befragt hatte, brachte ich ihr Miollis Anliegen etwas verblümt bei, sowie daß er ganz besonders auf ihren mächtigen Schutz zähle und sich demselben gehorsamst empfehle. Die Fürstin platzte jedoch gleich ohne Schminke heraus und sprach: „Aber mein Gott, Miollis muß doch wissen, wie wenig Einfluß ich in diesen Dingen auf meinen eigensinnigen Bruder, den Kaiser, habe.“ Dabei fixierte sie mich stark und fuhr nach einer Pause fort: „Doch ich will überlegen, wie sich die Sache etwa machen ließe und durch welchen Kanal wir operieren können.“ – Ich wollte mich nun wieder empfehlen, aber sie geruhte noch verschiedene Fragen an mich zu tun, meistens Rom und Italien betreffend, und endigte mit der, ob ich ihre Gärten schon gesehen hätte; da ich dies mit Nein beantwortete, forderte sie mich dazu auf, und ich machte dankbar von dieser Erlaubnis Gebrauch. Als ich im Begriff war, den Garten zu verlassen, begegnete ich der Prinzessin mit ihrer vorigen Gesellschafterin in einer Allee desselben, wo sie mich nochmals anredete und mir befahl, sie einige Gänge zu begleiten; sie fragte mich nun nach meinem Vaterland, nach meinem Alter und so weiter, und nachdem ich genügende Antwort gegeben, sagte sie: „Mais vous êtes encore bien jeune.“ Hierauf wandte sie sich zu ihrer Begleiterin und flüsterte dieser zu: „Mais pour un Allemand il a très bonne tournure, qu’en ditez-vous?“ – „Altesse c’est ce que je trouve aussi,“ erwiderte diese. Hierauf fuhr sie, sich wieder an mich wendend, fort und sagte: „Wenn Ihnen mein Garten gefällt, so steht es Ihnen frei, denselben so oft zu besuchen, als es ihnen Vergnügen macht. Wie lange werden Sie in Paris bleiben?“ – „Hoheit, vermutlich so lange, bis ich irgendein Resultat zugunsten des Generals Miollis erlangt habe.“ – „Mein Gott, ich wollte Ihnen sehr gerne behilflich sein, aber seitdem der Kaiser diese Österreicherin geheiratet hat, ist gar nichts mehr mit ihm anzufangen.“ Sie setzte sich nun wieder in Bewegung und gebot mir, ihr zu folgen. Durch ihre naive Leutseligkeit ermuntert, ließ ich es sie nun auch merken, daß mein höchster Wunsch wäre, zu der Garde versetzt zu werden. – „Ah la Garde,“ sagte sie lachend, „diese eblouiert euch Herren alle. Nun, ich werde sehen, was sich später tun läßt, wenn mein Bruder von der Reise zurück und der Taumel der Honigmonate vorüber sein wird. Haben Sie meinen Bruder schon einmal gesprochen?“ – „Vor ungefähr einem Jahr zu Schönbrunn, als ich ihm die Depeschen von Rom überbrachte.“ – „Nun, und was sagte er zu Ihnen?“ – „Er entließ mich mit einem: ‚nous verrons‘.“ Die Prinzessin lachte und wiederholte: „Nous verrons; doch sagen Sie mir, wie gefällt Ihnen die neue Kaiserin?“ – „Hoheit, ich erlaube mir kein Urteil über eine so erhabene Person.“ – „Oh, bei mir brauchen Sie sich nicht genieren, sagen Sie ohne Fasson, was Sie von ihr halten.“ – „Ich sah Ihre Majestät nur erst einigemal im Vorübergehen am Vermählungstag.“ – „Aber was spricht man von ihr zu Paris, was sagen die Leute von ihr? Nicht wahr, sie hat gar nicht gefallen?“ – Ich brachte nur ein ‚mais‘, von einer zweideutigen Bewegung begleitet, hervor. – „Ja, wen könnte auch dieses frostige, ausdruckslose Marmorgesicht ansprechen? Niemand kann meinen Bruder begreifen; auch nicht ein Mensch, der diese Österreicherin liebenswürdig fände.“ – Pauline sprach wahr, die Persönlichkeit Marie Louisens vermochte das vorgefaßte Vorurteil gegen sie nicht zu verwischen. Weder ihr Äußeres noch ihr Benehmen war im mindesten geeignet, ihr die Herzen zu gewinnen. Sie war damals ungefähr neunzehn Jahre alt, schien aber einige zwanzig zu haben, hatte blondes Haar und mattblaue Augen, die ihr ein fades Aussehen verliehen, ihr Gesicht hatte zwar jugendliche Frische, aber war ohne allen Ausdruck. In ihrem Benehmen bewies sie gegen jedermann eine hochmütige Zurückhaltung, was vielleicht mehr von einer Art Schüchternheit und Furcht als übelangebrachtem Stolz herrühren mochte, vielleicht hielt sie dies auch für ein unentbehrliches Requisit der Majestät; im übrigen hatte sie keinen anderen Willen als den Napoleons. Bei jedem Vergleich mit Josephine mußte sie unendlich verlieren, statt der Anmut, Lieblichkeit und Milde, wodurch jene bezauberte, entzauberte diese durch ihre frostige, zurückstoßende Kälte, war höchst einsilbig, geschmacklos selbst in ihrer Toilette und würde sich ohne den besseren Geschmack ihrer Kammerfrauen oft wunderlich gekleidet haben. Ihre deutschen Umgebungen hatte sie sämtlich, als sie den französischen Boden betrat, entlassen müssen und schien gegen ihre französischen einen unüberwindlichen Widerwillen zu hegen, indem sie nie einen freundlichen Blick, ein ermunterndes Lächeln, ein wohlwollendes Wort an diese richtete. Ebenso war sie gegen die Hof- und Palastdamen, die sie bald unausstehlich fanden, sowie Napoleons Schwestern und Anverwandte, welche glaubten, die junge Kaiserin verachte sie wegen ihrer niederen Herkunft, als Parvenües; sie machten sich deshalb hinter ihrem Rücken über sie lustig, verschrien sie als unbeholfen, ja stupid, und das Benehmen und die nichtssagende Physiognomie Marie Louisens unterstützte diese Aussagen nur zu sehr. So sprach denn auch Pauline ohne allen Rückhalt mit mir von ihrer kaiserlichen Schwägerin und verbarg nicht im mindesten ihre Abneigung gegen dieselbe, obgleich sie mich zum erstenmal sah und sprach. – „Doch von was anderem,“ fiel sie endlich plötzlich ein, „werden Sie heute in Neuilly zubringen?“ – „Nein, Hoheit, ich gehe nach Paris zurück, denn ich wüßte nicht, wie ich meine Zeit herumbringen sollte.“ – „Gut, kommen Sie morgen um diese Stunde wieder, vielleicht kann ich Sie durch Madame Farigliano,“ sie warf einen Blick auf diese, „schon etwas Näheres wissen lassen. Finden Sie sich wieder an dieser Stelle ein, hören Sie?“ – Wir standen gerade vor einem ziemlich hohen gewölbten Felsen, ich versprach, dem Befehl genau Folge zu leisten, und empfahl mich mit drei ehrerbietigen Verbeugungen. Ich wußte, in welchem Ruf Pauline stand, und war nicht Neuling genug, um nicht bemerkt zu haben, daß ihre Blicke mehrmals mit Lüsternheit auf mir geruht hatten. ‚Wohlan,‘ dachte ich bei mir selbst, ‚mußt du auf diesem Weg zum Ziel gelangen, so ist es noch nicht der schlimmste.‘ Ich fuhr nach Paris zurück und dachte über die gehabte Unterredung, und was die Folgen wohl sein könnten, nach, indem ich mir allerlei prächtige Luftschlösser baute und ausmalte. Es ist hier wohl am rechten Ort, mit einigen Worten die damals lebenden Mitglieder der bonapartischen Familie zu schildern, die ich größtenteils persönlich gekannt oder doch öfters gesehen hatte und mit ihren Umgebungen oft verkehrte; manches davon habe ich durch Pauline und einige andere Glieder der Familie erfahren.

Zur Zeit, als die Familie Bonaparte, aus Korsika vertrieben, sich zu Marseille aufhielt, lebte sie in äußerst dürftigen Umständen und fast nur von den Unterstützungen, welche ihr mitleidige oder teilnehmende Menschen, oft auch nicht ohne Interesse zukommen ließen, denn die Mädchen waren sehr hübsch, ja wohl Schönheiten, namentlich Karoline und Pauline. Beide hatten damals viele Anbeter, von denen es jedoch keiner ernstlich meinte, auch waren es meistens arme Offiziere, die selbst nicht viel übrig hatten. Die Mädchen gingen selbst auf den Markt, die nötigen Einkäufe möglichst billig zu machen, und wurden häufig zu den Reunionen des Platzkommandanten Lingard eingeladen, bei denen sie in sehr einfachen weißen Kleidern, ohne allen Schmuck erschienen, aber dennoch von den Tänzern am meisten gesucht und vorgezogen waren. Der Platzkommandant und mehrere Stabsoffiziere und Kapitäne machten zu jener Zeit bisweilen kleine Kollekten unter sich zugunsten der Frau Lätitia und ihrer Kinder, doch nicht ohne alles Interesse, und von Pauline wurde behauptet, daß sie ein Oberst förmlich unterhalte, was sie aber nicht gestand, sondern sagte, daß sie nur eine gewöhnliche Intrige mit ihm gehabt. Nachdem es Joseph Bonaparte gelungen war, die Tochter des reichen Kaufmanns Clary zu heiraten, hatten seine Mutter und Schwestern eine Stütze an ihm, und er unterstützte sogar von Zeit zu Zeit mit kleinen Geldsummen seinen Bruder Napoleon, der sich damals ebenfalls ganz mittellos zu Paris befand, wo ihm gute Freunde und Bekannte, unter denen auch Talma, öfters ein Mittagessen bezahlten, er seine silberne Uhr in der größten Not hatte verkaufen müssen, und ein Paar Handschuhe für einen sehr überflüssigen Luxusartikel erklärte. Als Madame Bonaparte den Wunsch äußerte, noch einen ihrer Söhne an eine Clary zu verheiraten, antwortete deren Vater: „Oh, ich habe genug an einem Bonaparte in meiner Familie.“ Von Joseph habe ich schon geredet, es war ein Mensch von sehr mittelmäßigen Fähigkeiten, der wenig Verstand und desto mehr Geistes- und andere Schwächen besaß, einen Engel zur Frau hatte, den er nicht verdiente und nicht nach Verdienst zu schätzen wußte; es ist unbegreiflich, wie ihn sein Bruder mit so großen Bürden, wie die Kronen von Neapel und Spanien waren, belasten mochte, und später, als Generalleutnant des Kaiserreichs, das Schicksal von Paris, seiner Gemahlin und seines Sohnes gewissermaßen in dessen Hände legen konnte; auch verdarb sein Kleinmut, seine Unentschlossenheit alles. – Der zweite Bruder war der Kaiser Napoleon, über diesen hier viel zu sagen, wäre überflüssig. Als Feldherr ausgezeichnet, doch noch lange kein Cäsar oder Friedrich, als Politiker ein erbärmlicher Stümper, als Mensch ein herz- und gemütloser Egoist, hatte auch er seine gewaltigen Schwächen, die zum Teil nichts weniger als einen großen, sondern oft einen sehr kleinlichen Geist bewiesen, der von Leidenschaft und Rachsucht verleitet, besonders wenn sich seine kleine Eitelkeit gekränkt fühlte, in die unsinnigste und abgeschmackteste Tyrannei verfiel; arme aber ihm an Geist überlegene Frauen, wie eine Staël, Chevreuse, Smith-Spencer, Recamier und so weiter auf das empörendste verfolgte, des niederträchtigen Benehmens gegen die treffliche Königin Luise von Preußen gar nicht zu gedenken; einen Enghien, einen Palm, die Offiziere des Schillschen Korps und hundert andere so niederträchtig als feige ermorden, die armen Soldaten und Unteroffiziere dieses Korps, die nur den Befehlen ihrer Vorgesetzten folgten, auf die Galeeren unter Mörder, Räuber und Diebsgesindel schmieden ließ, alle Zungen und Pressen zu fesseln vermeinte, seine Umgebungen oft auf das abscheulichste und gemeinste mißhandelte, wenn ihn ein englischer Zeitungsartikel oder sonst ein Querstrich in üble Laune versetzt oder gar in Konvulsionen gebracht, in Ägypten und Rußland Reißaus nahm und die ihm anvertrauten Heere im Stich ließ, sobald es schief ging, um nur seine werte Person in Sicherheit zu bringen und so weiter. Dies nannte er Staatsklugheit und waren seine Heldentaten! Selbst in der sinnlichen Liebe wußte er nur den Despoten zu spielen, aber nie die Gunst des ersehnten Gegenstandes durch liebenswürdiges oder gefälliges Betragen oder auch nur durch Geschenke zu erringen. Ein Befehl an seinen Kammerdiener oder seine privilegierten Kuppler mußte den gewünschten Gegenstand seiner Sinnenlust herbeischaffen, und zwar mit Gewalt, wo es von nöten und der kaiserliche Name allein nicht ausreichte, die Schöne zu vermögen, sich dem Tagesgötzen preiszugeben; dergleichen Gelüste wandelten Seine Majestät oft an. – Der dritte Bruder, Lucian, war ohne Widerrede der tüchtigste und fähigste Kopf der ganzen Familie, dabei ein Mann von starkem und festem Charakter, der es vorzog, lieber unabhängig von den Launen seines kaiserlichen Bruders zu leben, als sich, durch ihn gekrönt, von ihm als Schuhputzer behandeln zu lassen. So hatte er, dessen Ungnade trotzend, die Witwe eines Wechselmaklers geheiratet, nachdem er schon als Minister des Innern dessen Zorn auf sich geladen, es verweigernd, zu unsinnigen Maßregeln seinen Namen herzugeben, und es ist an dem, daß er seinem Bruder, als ihn dieser, um ihn wieder zu gewinnen, fragen ließ, welche Krone er zu besitzen wünsche, geantwortet: nun, so möge er ihn doch zum König von England machen! – Dieser Hohn war zu beißend, einen Napoleon nicht tief zu verwunden, auch schiffte sich Lucian, um ferner jede Berührung mit seinem Bruder zu vermeiden, noch in diesem Jahr (1810) nach den Vereinigten Staaten ein, wurde aber von den Engländern gefangen und bis 1814 festgehalten. Was wäre den 18. Brümaire ohne Lucian aus Napoleon geworden, der, als er die Dolche im Rat der Fünfhundert blinken sah, bleich, wankend und zitternd, einer Ohnmacht nahe war, als ihn seine Grenadiere aus dem Saal zerrten! Hier hatte, das Leben seines Bruders zu retten, Lucian allerdings schlecht gegen das Vaterland gehandelt. – Elisa, die älteste der Schwestern Napoleons, war nicht die schönste, doch die geistreichste der Damen Bonaparte, aber unglücklicherweise wollte auch sie die Gelehrte spielen, suchte deshalb besonders die Unterhaltung ausgezeichneter Schriftsteller, gab sich aber, wie dies bei den meisten gelehrten Frauen der Fall ist, manche arge Blöße. Sie hatte den Prinzen Bacciochi geheiratet, den Napoleon zum Fürsten von Piombino und Lucca dekretierte, der aber eigentlich eine Null in seinem Staat war, denn Elise handhabte nicht nur den Pantoffel, sondern auch das Szepter, und war die eigentliche Regentin. 1809 ernannte sie Napoleon zur Großherzogin von Toskana. Auf sie folgte Ludwig, damals noch König von Holland, unstreitig der beste und redlichste dieser Korsen, ein gutmütiger Mensch, der den Willen hatte, das von seinem Bruder ihm zugeteilte Land glücklich zu machen, und da dies nicht die Meinung und der Wille seines Bruders war, dessen Eigensinn und Tyrannei er nur Sanftmut entgegenzusetzen hatte, so legte er nach mehreren sehr heftigen Szenen, die er wegen der Kontinentalsperre, bei deren strengen Beobachtung Holland zugrunde gehen mußte, gehabt, noch im Juli dieses Jahres die Krone nieder. Auch mit seiner ehrgeizigen und herrschsüchtigen Gattin, Napoleons Stieftochter und zeitweiligen Geliebten, die ihm derselbe ganz gegen seinen Willen, und, wie es den Anschein hatte, als sie sich in anderen Umständen befand, aufgehängt hatte, lebte er sehr unglücklich. Ihm folgte die schöne Pauline oder Paulette, wie sie ihr Bruder, der Kaiser, und noch andere nannten. Als fünfzehnjähriges Mädchen und noch später soll sie die vollendetste Schönheit gewesen sein, die man sich denken kann. Aber auch jetzt war sie, wenngleich beinahe dreißig Jahre alt, noch immer eine Schönheit zu nennen. Mit ihren Zügen hatte Canova die Statue der Venus des Praxiteles nachgeahmt. Schon mit dem zwölften Jahre hatte sie Liebhaber gehabt, und die böse Welt behauptete, wie es scheint, nicht ganz mit Unrecht, daß Napoleon selbst einer derselben gewesen sei. Nach dem Tode ihres ersten Mannes, des Generals Leclerc, hatte sie den Fürsten Camillo Borghese geheiratet, eine Art Hampelmann, von dem sie sehr bald getrennt lebte; ihr Bruder hatte ihr das Fürstentum Guastalla gegeben, sie aber wohnte meistens zu Neuilly, wo sie eine Art Hof hielt. Von ihren galanten Abenteuern wußte man sich viel zu erzählen; während der kurzen Zeit, als sie Witwe und in Trauer war, ließ sie Napoleon wohl bewachen, fürchtend, daß sie tolle Streiche machen möchte, aber wieder verheiratet, ließ sie rücksichtslos ihren Leidenschaften die Zügel schießen. Bekannt sind die Abenteuer, die sie unter dem Namen Amélie mit einem jungen Manne hatte, dem sie häufig Rendezvous in dem Hause einer Lingère in der Straße du Bac Nr. 188 gab, wohin sie ihn beschied. Dieser war eines Tages über alle Maßen erstaunt, als er seine Amélie mit Brillanten bedeckt in einer kaiserlichen Hofloge erblickt und erfährt, daß es die Fürstin Borghese, Napoleons Schwester sei. Auch die Prinzessin, die schon einige Zeit die Liaison mit ihm abgebrochen, hatte ihn bemerkt. Am andern Morgen wurde er in das Ministerium des Innern beschieden, wo ihm eine sehr einträgliche Stelle, fünfzig Lieues von Paris entfernt, erteilt wurde, mit dem strengen Befehl, sich in den nächsten achtundvierzig Stunden auf seinen Posten zu begeben. Jedermann kennt ihre Amouretten mit den Schauspielern Lafont, Forbin und dem Obersten Canouville, dessen Pferd samt seinem Reiter Napoleon bei einer Musterung viel zu wild und ungezähmt gefunden und Herr und Roß deshalb hundert Meilen weit von Paris entfernt hatte, damit beide besser dressiert würden. Aber bei weitem blieb eine große Zahl der Abenteuer Paulinens und ihrer Schwestern dem kaiserlichen Bruder unbekannt, da ihm niemand gerne die Augen deshalb öffnen mochte, und selbst der Generalspion und Polizeimeister Fouché wagte es nicht, seinen Herrn, oft sein Instrument, dadurch in üble Laune zu versetzen, und so trieben es die Damen ungestört fort, bis der Sturz des kaiserlichen Thrones auch sie mitriß und das Alter diese Vergnügungen ohnehin verbot. Nur einigemal, wenn es so toll wurde, daß er selbst etwas merkte oder ihm durch eine seiner passageren Mätressen etwas gesteckt wurde, machte er seiner Mutter, der Madame Mère, Vorwürfe und meinte, seine Schwestern sollten ehrbar mit den Offizieren seiner Garde tanzen, die, wenn auch nicht gerade schöne, doch sehr brave Männer seien, mit denen ihr Ruf nicht so gefährdet würde, als mit solchen Muscadins. Die jüngste Schwester, die Königin Karoline von Neapel, war nicht weniger schön und hatte weit mehr Verstand als Pauline, die in dieser Hinsicht von der Vorsehung etwas stiefmütterlich behandelt worden war, nur hatte sie einen kurzen Hals, so daß ihr Kopf zu sehr zwischen den Schultern saß. Wir werden bei meinem letzten Aufenthalt in Neapel sie samt ihrem Gatten, dem König Murat noch näher kennen lernen. Der jüngste der Brüder, Jérôme (Hieronymus), war auch der unbedeutendste unter allen, eigentlich eine physische, geistige und moralische Jämmerlichkeit. Seine ganz unansehnliche Gestalt hatte den Kopf noch weit mehr als Karoline zwischen den hohen Schultern stecken, und sein Gesicht hatte sogar etwas widerlich Unangenehmes. Dennoch hatte er als König von Westfalen unzählige Amouretten zu Kassel, wo ihm der Königstitel gefällige Damen in großer Zahl verschaffte; seine Ärzte waren nur damit beschäftigt, die vergeudeten Kräfte, an denen Hieronymus eben keinen Überfluß hatte, möglichst zu ersetzen und ließen ihn täglich unter andern die stärksten Weinbäder nehmen; der so gebrauchte Wein wurde nachher in Flaschen gefüllt, und das Hofgesinde verkaufte ihn unter der Hand an Wirte und andere Einwohner in Kassel!! Dabei hatte dieser affenartige Sardanapal sehr unnatürliche, oft neronische Gelüste, selbst bei den Frauen, die ihn zum Ekel widerlich machen mußten. Sein ganzes Aussehen hatte so wenig Königliches, daß er eher einem erzliederlichen Schneidergesellen ähnlich sah. Eine Jammergestalt in optima forma, die aber dem armen Land, das so glücklich war, sie auf eine kurze Zeit zu besitzen, unzählige Tränen und das Mark seiner ausgesogenen Bürger kostete. Dieser Prinz von der traurigen Gestalt hatte dennoch in Amerika das Glück gehabt, die Tochter eines reichen Bankiers von Baltimore, eine Miß Patterson, ein hübsches Mädchen zur Frau zu bekommen, die, als sie ihm hochschwanger nach Europa gefolgt war, auf dem ganzen festen Land auf Befehl ihres Schwagers Napoleon keinen Hafen fand, in dem man ihr zu landen vergönnte. In Frankreich, Holland, Belgien, Italien, Spanien und Portugal war sie zurückgewiesen worden; die arme, verlassene, treffliche Frau mußte nun allein über England wieder nach Amerika zurückkehren, denn dem früher in seiner hilflosen Lage oft von Schauspielern gefütterten Napoleon war die Familie Patterson jetzt nicht mehr gut genug, um sich verwandt mit ihr zu wissen. Schon hatte er die Marotte, aus allen seinen Brüdern Könige stempeln zu wollen, die er teuer genug büßen mußte, denn als Könige waren sie ihm alle zum größten Verderb. Madame Mère, Frau Lätitia, war als kaiserliche Mutter eine sehr fromme Dame geworden und bewährte so das bekannte Sprichwort: Aus jungen ... werden alte Betschwestern. Ich habe Personen gekannt, die sehr vertraut mit ihren früheren Verhältnissen in Korsika gewesen und mich versicherten, daß, etwa Joseph ausgenommen, sie von keinem anderen ihrer Kinder mit Gewißheit den Vater zu nennen wüßte. Übrigens war sie eine sehr mitleidige Seele, die den Armen und anderen viel Gutes erwies, als sie die Mittel dazu erhielt; doch war sie auch sehr kapriziös, und ihr Eigensinn artete bisweilen in Starrsinn aus; sie soll sehr schön gewesen sein. Von den übrigen Mitgliedern der Familie Bonaparte will ich nur Napoleons Stiefsohn, den Prinzen Eugen, Vizekönig von Italien, erwähnen, einen in jeder Hinsicht vortrefflichen und edlen Charakter, dessen größter Fehler der war, seinem Stiefvater zu sehr nachgegeben zu haben und zu gehorsam gewesen zu sein. Er hatte sich 1806 mit der schönsten deutschen Prinzessin, mit der ältesten Tochter des Königs Maximilian von Bayern, Auguste Amalia, vermählt. Seine Schwester Hortensia war so ziemlich das Gegenteil des Bruders und Herrschsucht die Triebfeder fast all ihrer Handlungen, der sie kein Opfer zu bringen scheute. Ich hätte diese Skizzen der napoleonischen Charaktere weit mehr und mit den besten Grundfarben ausmalen, sowie die noch vieler anderer Personen des napoleonischen Hofes und Reiches, wie der listigen Füchse und Ränkeschmiede Talleyrand und Fouché, des Oheims des Kaisers, des geistlichen Komödianten Fesch, vieler Marschälle, Minister und so weiter mitteilen können. Dies gehört aber nicht hierher und würde ein ausgedehntes Buch für sich füllen, auch sind viele derselben längst, wenn auch oft mit falschen Zügen und Farben, geschildert.

Als ich den andern Morgen nach der Unterredung, die ich mit Paulinen gehabt, erwachte, kam mir die ganze Sache fast traumartig vor, indessen machte ich mich zur festgesetzten Stunde wieder auf den Weg nach Neuilly, begab mich an die mir angegebene Stelle des Gartens und erwartete unter einem Säulengang vor dem gewölbten Felsen die Dinge, die da kommen würden. Ich wartete nicht lange, als eine Dame, eine andere als die, welche ich den Tag vorher in Paulinens Gesellschaft gesehen, erschien, mich freundlich willkommen hieß und mich durch eine Seitentür in das Innere des Felsens führte, in dem sich mehrere Gemächer und Galerien, unter anderen auch ein sehr schönes Bad in einem prächtigen Salon, befanden. Das Abenteuer kam mir sehr romantisch, beinahe märchenhaft vor, und ich dachte eben über den Ausgang, den es wohl haben könnte, nach, als eine in den feinsten Battist gehüllte Frauengestalt durch eine Seitentür in den Badesaal, in dem man mich warten geheißen, trat, auf mich zuging und mich lächelnd fragte, wie es mir hier gefalle. Ich erkannte sogleich Napoleons schöne Schwester, deren üppige und vollkommen plastische Formen sich bei jeder Bewegung durch die Falten ihres Gewandes ausdrückten. Sie reichte mir die Hand zum Kusse dar, hieß mich hier willkommen und auf einem schwellenden Ruhebett neben sich niederlassen. Hier war ich sicher nicht der Verführer, sondern der Verführte, denn Pauline ließ alle ihre durch das Chiaroscuro noch erhöhten Reize spielen, mein Blut in Wallung und meine Sinne in Aufregung zu bringen, was ihr denn auch vollkommen gelang, und bald waren die samtnen Polster Zeugen, wie wir unsere gegenseitige Glut in namenlosen Ergießungen löschten, wobei sie sich als eine sehr erfahrene Lehrerin zeigte, denn sie wußte mehr als ich. Nachdem wir das Feuer hinlänglich gekühlt, zog Pauline die Glocke und befahl ihren eintretenden Frauen, ein Bad zu bereiten, zu dem sie mich ebenfalls einlud. In Bademäntel von den feinsten Linnen gehüllt, blieben wir beinahe eine Stunde in dem kristallhellen bläulichen Wasser, worauf sie ein köstlich erquickendes und restaurierendes Mahl in einem Seitengemach servieren ließ, bei dem wir bis zur Abenddämmerung noch miteinander zubrachten. Beim Abschied mußte ich das baldige Wiederkommen versprechen und verlebte nun manchen Nachmittag auf ähnliche Weise in Neuilly. Indessen hatte ich eben nicht Ursache, sehr stolz auf diese Eroberung zu sein, denn viele andere hatte sie schon vor mir beglückt, und noch manchem anderen schenkte sie nach mir ihre höchste Gunst, auch war mir die Dame fast zu routiniert, und es dauerte nicht lange, so empfand ich trotz all ihrer Schönheit Widerwillen statt Genuß in ihrem Umgang, da auch an eine nur einigermaßen geistreiche Unterhaltung mit Paulinen nicht zu denken war, und wenn einmal der Sinnentaumel vorüber, die tödlichste Langeweile und Gähnen dessen Stelle vertrat, dabei artete sie oft ins Gemeine aus. Wie anders war es mit einer Mars, deren Persönlichkeit immer neue Reize zu entfalten wußte, selbst Madame Bonnier war trotz ihrer Klostererziehung weit unterhaltender. Hierzu kam noch, daß ich zu jener Zeit die Bekanntschaft zweier anderer sehr liebenswürdiger junger Damen, die eine die Frau eines Generals, die andere die eines Rittmeisters, deren Männer sich beide bei der Armee in Spanien befanden, machte, und die ich bei einer Vorstellung der Iphigenia in Tauris aux Français, wo Talma den Orestes in der höchsten Vollendung gegeben, kennen lernte, da ich mich in derselben Loge mit ihnen befand. Auf die Iphigenia waren die Plaideurs gefolgt und gaben mir die beste Gelegenheit bei den Damen zu plaidieren, deren Ehrenkavalier ich jetzt auf eine Zeitlang wurde. Sie waren sehr muntere und liebenswürdige Geschöpfe; die Generalin zählte dreiundzwanzig, die andere erst neunzehn Jahre, beide kaum zwei Jahre verheiratet und Schwestern. – Noch hatte ich Versailles erst im Flug gesehen, an einem Nachmittag hatte ich mit Paulinen in dem großen Park daselbst zugebracht, von einem Gebüsch in das andere wandernd.

Nun besuchte ich Versailles mehrmals in Gesellschaft meiner neuen Bekanntschaft, der beiden Offiziersdamen, namentlich auch die beiden Trianons, wovon das kleine nebst seinen Gärten Zeugen der stillen Freuden Maria Antoinettens in ihren glücklicheren Zeiten war. Sie hatte es zu einem bezaubernden Aufenthalt umgeschaffen. Ludwig XVI. hatte es ihr beim Antritt seiner Regierung geschenkt. Auch wir genossen der stillen und heimlichen Freuden im Park von Versailles gar mancherlei und besuchten das Labyrinth, das Venusboskett und andere abgelegene Orte vorzüglich gerne. Die jüngere Emilie hatte ich Alcine und die ältere, Marguerite, Armide getauft. Eine ganze Woche brachte ich einmal mit den beiden Damen in Versailles zu, während welcher wir jeden Tag vom Morgen bis in die späte Nacht in den unermeßlichen Räumen dieser Gärten umherirrten, deren Besitzer wir uns dünkten und für diese Zeit auch waren, denn niemand machte sie uns streitig, und alles stand uns offen. Wir spielten und tändelten bald an dem Bassin des Neptuns, bald in dem romantischen Boskett der Kaskaden, bald im Sternensalon, an den drei Fontänen oder Apollosbädern. Die acht Tage vergingen wie acht Stunden, wir hatten anfangs nur vierundzwanzig Stunden bleiben wollen. Wir kehrten endlich etwas gesättigt nach Paris zurück, wo uns jedoch neue Freuden und Vergnügungen erwarteten. Hier fand ich mehrere Billette von Madame Farigliano vor, die mich nach Neuilly zitierten, wo ich mich mit gehabter Unpäßlichkeit wegen meines Ausbleibens entschuldigte, was auch mein etwas angegriffenes Aussehen bestätigte, und wo ich deshalb bemitleidet ward. Das, was noch einiges Interesse für mich bei Paulinens Umgang hatte, war, daß ich über verschiedene Dinge, ihre Familie betreffend, um die ich sie öfters fragte, Auskunft von ihr erhielt. Sie sagte mir unter anderm einmal, als ich sie gefragt, wie es komme, daß der Kaiser noch nicht Rom gesehen, da diese merkwürdigste aller Städte doch ein ganz besonderes Interesse für ihn haben müsse: „Oh, mein Bruder meidet Rom, weil ihm einmal prophezeit wurde, daß er in dieser Stadt seinen Tod finden werde; und da eine ähnliche Weissagung, die man Alexander dem Großen hinsichtlich Babylons machte, eintraf, so will er einem solchen Schicksal entgehen. – Sie sehen, große Männer haben auch ihre Schwächen; wer weiß, wo er noch stirbt, wenn er sich gleich unsterblich glaubt,“ fuhr sie lächelnd fort. „Und es auch ist,“ fiel ich ihr ins Wort. – „Aber dem Tod entgeht er dennoch nicht,“ versetzte sie, „und ist ihm bestimmt, in Rom zu sterben, so wird es geschehen, er mag sich stellen wie er will.“ – Wir kamen nach und nach auf andere, aber immer Napoleon betreffende Dinge zu sprechen, und Pauline meinte, ihr großer Bruder habe nicht nur sehr große Schwachheiten, sondern beginge auch ganz unverzeihliche Torheiten, die ihn noch ins Verderben stürzen würden und von denen eine der größten seine Mariage mit der Österreicherin sei. „Hundertmal besser,“ fuhr sie fort, „wäre es gewesen, er hätte die Hortensia geheiratet, statt sie an seinen Bruder Louis zu verkuppeln, sein Verhältnis mit ihr war ja doch kein Geheimnis mehr, sowie daß sie von ihm in der Hoffnung war, als er diese Heirat stiftete. Daß Duroc diese Partie ausgeschlagen, ist nicht an dem, es war nie Napoleons Plan, diesem ihre Hand zu geben. Wäre Hortensias erstes Kind, für dessen Vater der Kaiser allgemein gehalten wurde, für welches er eine große Zärtlichkeit bewies und das er aus der Taufe gehoben, am Leben geblieben, so würde er es gewiß adoptiert und wahrscheinlich zu seinem Nachfolger ernannt haben; wir hätten dann keine zweite Vermählung erlebt. Was die Liebe zu den Frauen anbelangt, so ist mein Bruder so wunderlich und veränderlich wie nur einer, und wo er nur immer war, in Paris und Madrid, Wien und Berlin, Mailand und Venedig und so weiter, allenthalben mußten ihm seine Vertrauten behilflich zur Befriedigung seiner augenblicklichen Kaprizen sein, und was er auch von ehelicher Treue, häuslichem Glück, Moralität schwatzen mag, wir wissen, was wir davon zu halten haben, es ist ihm nur um den äußern Schein, er hat sich einmal in den Kopf gesetzt, der Welt diese Schwachheiten verbergen zu wollen, und doch spricht man in allen Salons davon, und Josephine kennt sie wohl, hat ihm aber nichts vorzuwerfen, beide haben sich einander gehörig gehörnt; dabei handelt mein Bruder immer nur nach der augenblicklichen Eingebung seiner Laune, bald ist er freigebig bis zur Verschwendung, bald wieder filzig geizig, freundlich oder mürrisch, anscheinend teilnehmend oder kalt abstoßend.“ – Noch einige Zeit fuhr Pauline mit der Schilderung Napoleons fort, ging dann auch auf mehrere ihrer Geschwister über und pflichtete dem Kaiser bei, ‚daß Joseph ein Weib unter seinen Brüdern und Karoline ein Mann unter seinen Schwestern sei‘; „denn,“ fuhr sie lachend fort, „mein Bruder Joseph wäre eine gute sanfte Hausfrau und meine Schwester Karoline ein tüchtiger Dragoner geworden. Lucian ist aber ein eigensinniger Starrkopf, Ludwig zu gut für die Welt, Jérôme ein Manequin, Elise aber ist zur Fürstin geboren und Bacciochi eine Null; daß man mich die Etourdie nennt, weiß ich recht gut, aber es ist nicht meine Schuld. Was wollen Sie, mein Temperament ist einmal so, und dann hat uns die Mutter alle verzogen.“ Als einmal die Rede auf die unglückliche Maria Antoinette kam, erzählte sie mir, daß das plötzliche Grauwerden der Königin, von dem man so viel gesprochen, eine Fabel sei, indem sie schon längst graue Haare gehabt, die täglich mit schwarzfärbender Pomade eingerieben worden seien, die sie sich aber, einmal in der Conciergerie, nicht mehr verschaffen konnte, worauf natürlich sogleich die Haare ihre natürliche graue Farbe angenommen; dies Geheimnis habe eine ihrer Kammerfrauen ausgeplaudert. – Ich wurde endlich in Gnaden und mit dem Wunsch einer guten Besserung und baldigen Wiederherstellung entlassen.

Als sich Napoleon nach seiner Reise zum erstenmal wieder in der großen Oper mit seiner Gemahlin sehen ließ, wurde das neue prächtige Ballett ‚Perseus und Andromeda‘ gegeben. Das Schmettern der Trompeten, das Toben der Pauken und Fanfaren, das Geschrei: „Vive l’Empereur!“ und „Vive l’Impératrice!“, letzteres aber sparsamer, wollte gar kein Ende nehmen. Im Théàtre français hatte aber bald darauf das kaiserliche Ehepaar an zwei Stunden auf sich warten lassen und das Publikum deshalb seine Unzufriedenheit ziemlich laut zu erkennen gegeben. Den andern Tag enthielt das „Journal de l’Empire“ einen Verweis für die Schauspieler, weil sie nicht zur gehörigen Zeit angefangen hatten; hätten sie es aber getan, würde ihnen ein ganz anderes Donnerwetter über den Kopf gekommen sein. Um diese Zeit fuhr Napoleon mit Marie Louise zum erstenmal nach Versailles, wo er ihr das Schloß, den Park, die beiden Trianons zeigte und äußerte, er wolle dies alles in seiner früheren Pracht und Herrlichkeit wiederherstellen lassen und noch neue Anlagen hinzufügen. – Es blieb bei der Äußerung.

Der Kriegsminister gab den Neuvermählten ein großes Fest in seinem Hotel in der Straße Lille, wobei auch ein Gelegenheitsstück und ein Ball gegeben wurde. Eines der merkwürdigsten Feste war jedoch das, welches die Garden ihrem Herrn und Gebieter gaben, zu dem jeder Gardist sechs, ein Korporal zwölf, jeder Sergeant vierundzwanzig, jeder Sergeant-Major sechzig, ein Leutnant sechshundert, ein Kapitän fünfzehnhundert und die Stabsoffiziere drei- bis sechstausend Franken beitrugen. Der Marschall Bessières war, als Kommandant der Gardekavallerie, Anordner, das ungeheure Marsfeld der Hauptschauplatz desselben und zu diesem Behuf besonders hergerichtet worden. Was für Schauspiele wurden nicht seit dem Beginn der Revolution schon auf diesem einzigen Platz aufgeführt, und wer waren die Hauptakteurs? – Auch dieses Fest begann an einem Sonntag, den 24. Juni. Wenigstens drei Vierteile der Bevölkerung von Paris wohnten demselben bei. Monate hatte man an den Zurichtungen gearbeitet. Um Mittag wurde die ganze übrige Garnison der Stadt Paris, nahe an dreißigtausend Mann, von den Garden unter Zelten bewirtet, und jetzt erschien das Marsfeld ein endloses fröhliches Lager. Um drei Uhr verschwand das Lager, und nun begannen Spiele und Tänze aller Art. In den Alleen, welche den Platz umgaben, waren Zelte mit Büfetts, die alle möglichen Erfrischungen enthielten, Marionettenbuden und so weiter aufgeschlagen. Nach sieben Uhr, nachdem bereits der Kaiser mit seiner Gemahlin eingetroffen war und nebst ihrem höchsten und hohen Gefolge in einem zu diesem Zweck errichteten Pavillon Platz genommen hatten, begannen die Wettrennen der Pferde und Wagen, welche dreimal die innere Bahn des Marsfeldes in Gegenwart von nahe an vierhunderttausend Zuschauern zurücklegten. Mehrere Wagen vollendeten in weniger als sieben Minuten ihren Kreislauf, die Pferde in noch kürzerer Frist, und die Sieger erhielten schöne Preise. – Als es Nacht wurde, zündete Marie Louise den Dragon (ein zur Entzündung des Feuerwerks bestimmter Drachen) vermittelst einer Feuerlanze an, und augenblicklich stand ein ungeheurer Wald, den das Feuerwerk in einem weiten Halbkreis vorstellte, in Flammen, in der Tat ein wunderartiger Anblick. Zwei schöne Seiltänzerinnen, als Genien gekleidet, bestiegen nun ein auf hohen Masten gespanntes Seil und schienen so zwischen Feuer, Rauch und Wolken in den Lüften zu schweben, während Tausende von Raketen und Leuchtkugeln sie umgaben, was eine höchst magische Wirkung hervorbrachte. An einem Feuerpalast las man die Worte: „A Napoléon et Marie Louise.“ Eine große Girandole, von der Artillerie der Garde, die überhaupt das ganze Feuerwerk besorgt hatte, ausgeführt, beendigte das feurige Zauberspiel, und nun begann der Ball. Zwei unermeßliche Säle hatte die Garde zu diesem Zweck in den zwei Höfen der Militärschule aufbauen lassen; der auf der linken Seite war zum Tanz und der auf der rechten zum Bankett bestimmt, beide auf das zierlichste ausgeschmückt. In dem Tanzsaal war ein Thron für die kaiserlichen Majestäten errichtet, die königlichen mußten sich mit Fauteuils begnügen. Ringsherum waren amphitheatralische Sitze für nicht weniger als viertausend Damen auf sieben Stufen angebracht, hoch hinter diesen war wieder eine Galerie für Herren. Sechsunddreißig reich drapierte, mit Festons von Lorbeeren und Myrten umwundene faisceaux, die in schimmernden Stahlhelmen mit weißen Federn endigten und jede ein Wappenschild hatte, trugen des Saales Decke. Die Draperien waren von weißem Mousselin mit goldenen Bienen; an der Decke sah man die zwölf Himmelszeichen und andere allegorische Figuren. Sechs große Gemälde stellten Napoleons Vermählung, dessen Triumph, die Triumphe Trajans, Augusts, Cäsars und Alexanders Einzug in Babylon vor. Die vier letzten kontrastierten seltsam mit den beiden ersten und gaben zu manchen noch seltsameren Bemerkungen Anlaß. Schon der Kostüme wegen chokierte diese Zusammenstellung; sie waren sämtlich vom Dekorationsmaler der Großen Oper gemalt. Zweihundert kristallne Kronleuchter, an Blumengirlanden hängend, an einem jeden über fünfzig Kerzen brennend, dienten zur Beleuchtung dieses Lokals, und die zehntausend Lichter spiegelten sich millionenmal in zahllosen Spiegeln wieder.

Unter den Festen, die Napoleon selbst in St. Cloud oder den Tuilerien gab, bei denen prächtige Quadrillen aufgeführt wurden und seine Schwestern eine Hauptrolle spielten, war besonders eines durch das Kostüm berühmt, welches Pauline, Italien repräsentierend, trug und wobei sie einen leichten goldenen Helm mit schneeweißen Straußfedern, mit Agraffen von Diamanten, an deren Kiele die kostbarsten Perlen gereiht waren, auf dem Haupt hatte, dabei deckte ein kleiner Panzer von Goldschuppen mit einem brillantenen Gürtelschloß ihren Busen, eine weiße, goldgestreifte Tunika von indischem Mousseline fiel über die Knie herab, purpurne goldgestickte Halbstiefelchen deckten die Füße, und die Arme waren bloß. Man wußte nicht, sollte man eine Minerva, eine Venus oder eine Johanna d’Arc aus ihr machen, auf jeden Fall war es aber eine ideal schöne Erscheinung, besonders für die, welche sie nicht genauer kannten.

Die Reihe dieser Feste beschloß das höchst tragische, welches der österreichische Gesandte, Fürst Schwarzenberg, den 1. Juli der Tochter seines Souveräns und deren Gatten gab. Auch zu diesem hatte ich mir durch hohe Protektion eine Einladung verschafft, und Fürst Y., den das Zipperlein von den meisten Feierlichkeiten zurückgehalten hatte, wollte durchaus dieser letzten beiwohnen. Den ganzen Tag fesselten ihn jedoch unausstehliche Schmerzen an sein Ruhebett, und es wollten weder Einreibungen noch sonstige Mittel helfen, die fortwährend angewandt wurden, um ihn wenigstens für diesen Abend noch gangfähig zu machen. Einigemal versuchte er aufzustehen und zu gehen, aber die Schmerzen ließen es nicht zu, erst abends nach acht Uhr gab er alle Hoffnung auf, das Fest durch seine Gegenwart verherrlichen zu können; es tat’s halt nicht, und mit Wimmern und Fluchen kroch er, nachdem er den letzten Versuch gewagt, wieder zu seinem Lager. Ich war bis zum letzten Augenblick vor dem Beginn des Festes noch bei ihm, versprach ihm einen getreuen Bericht von demselben abzustatten und suchte ihn zu trösten. – „Sie haben gut reden,“ sagte er, „Sie lassen kein Vergnügen ungenossen vorübergehen, während ich hier Jammer und Trübsal blasen muß und es vor Schmerzen kaum auszuhalten vermag.“ – „Aber was ist dabei zu machen, Durchlaucht? Sie können, sobald Sie wieder besser sind, alles nachholen und selbst die schönsten Feste geben, zu deren Verherrlichung ich nach Kräften beitragen will.“ – Ich war froh, als ich endlich zur Türe hinaus war und fuhr in die Straße Montblanc (Chausée d’Antin), in welcher Fürst Schwarzenberg das alte Hotel Montesson bewohnte, ein geräumiges Gebäude mit einem großen Garten und Hof. Da sich aber in demselben kein Saal befand, der die zahlreichen Gäste alle hätte aufnehmen können, hatte der Fürst einen großen Ballsaal nebst einer Galerie von Holz eigens zu diesem Fest erbauen lassen; der Saal war sehr reich mit Stoffen, Blumen und andern Verzierungen dekoriert und drapiert. Alle in Paris anwesenden königlichen und fürstlichen Personen, sowie die übrigen Gäste, weit über tausend, unter denen namentlich viele Österreicher in zwar sehr reichen, aber ziemlich geschmacklosen Kostümen, waren bereits versammelt, als die Gardegrenadiere, die für diesen Abend hier eine starke Wache lieferten, unter das Gewehr traten, aux champs schlugen und dadurch die Ankunft des kaiserlichen Paares verkündeten, das von Schwarzenberg und Metternich am Eingang empfangen wurde. Man führte sie in den schön erleuchteten Garten, wo Gesänge und österreichische Nationaltänze unter Begleitung rauschender Musik von den Künstlern der Großen Oper aufgeführt wurden. Auch sah man wieder eine Nachahmung des Schlosses Laxenburg, und das Feuerwerk spielte auch hier eine Hauptrolle, zündete aber, gleichsam als wollte es ein Vorspiel zu dem furchtbaren Drama, das bald darauf folgen sollte, geben, schon ein Gerüst an, das bald anfing, in Flammen aufzulodern, die jedoch mit Hilfe der Pompiers schnell wieder gelöscht wurden. Nun begaben sich sämtliche Gäste in den Ballsaal zurück, über dessen Eingang eine Aufschrift in deutscher Sprache angebracht war, über deren Inhalt sich die Franzosen die Köpfe zerbrachen und ihre Glossen machten, selbst Napoleon schien das Deutsche nicht zu behagen, und er zuckte bei dem Anblick der ihm unverständlichen Worte die Achseln.

Der Ball wurde mit Kontertänzen, welche der Vizekönig von Italien, König Hieronymus, Fürst Esterhazy, die Königin von Neapel, die Fürstin Pauline von Schwarzenberg und so weiter aufführten, eröffnet, worauf eine Ekossaise folgte, während welcher das kaiserliche Paar in dem Saal herumspazierte. Ich stand so ziemlich in der Mitte der Kolonne, mit einer Hofdame der Königin von Neapel tanzend, als plötzlich eine Flamme an einer Draperie aufloderte, und kaum sah man sich darnach um, so brannte auch schon ein Teil der Decke, noch wurden einige Pas gemacht, als die Musikanten bereits die Flucht ergriffen, und ehe man es sich versah, brannte es hier, da und dort, vor und hinter einem, links und rechts und in allen Ecken, überall schlugen die Flammen hoch empor, und es entstand eine Verwirrung, ein Tumult, ein Geschrei, ein Drängen und Drücken, das unbeschreiblich war. Viele Offiziere umgaben schnell Napoleon und zogen ihre Degen, indem sie fürchteten, daß dies das Signal zum Ausbruch einer großen Verschwörung sei, wie es das Ansehen hatte. Was man auch sagen mag, so habe ich die Überzeugung, daß dieses Feuer geflissentlich angezündet wurde, denn nur zu deutlich nahm ich wahr, daß die Flammen an drei bis vier Orten zugleich emporschlugen, und zwar an ganz entgegengesetzten Winkeln, und es war sehr leicht, die Draperien an einer oder der anderen Stelle unbemerkt anzuzünden, während jedermann seine Augen auf die zuerst auflodernde Flamme gerichtet hatte. Eine Verschwörung war es nicht, aber ich habe die moralische Überzeugung und wollte darauf schwören, daß der Vorfall dem Haß gegen Marie Louise und gegen diese Heirat seinen Ursprung zu verdanken hatte. Diese Meinung, welche viele mit mir teilten, ließ man natürlich nicht aufkommen, sondern von seiten der Regierung wurde alles aufgewandt, einen solchen Verdacht zu unterdrücken, sowie überhaupt die Meinung, daß das Feuer absichtlich angezündet worden, was bei den Fesseln, in denen damals die Presse und die freie Rede lag, leicht war; weshalb auch keine andere Untersuchung als die gegen die armen Spritzenleute veranstaltet werden durfte, die denn doch getan, was nur immer in menschlichen Kräften stand. Marie Louise hatte ihren Sitz schon wieder eingenommen, als der Brand ausbrach, Napoleon war schnell zu ihr geeilt und führte sie durch die Gartentür fort. Kaum hatte er den Saal verlassen, so stieg die Unordnung auf das höchste, alle und jede Rücksichten verschwanden, jedermann war nur noch auf seine Rettung bedacht, und Könige und Königinnen mußten Rippenstöße hinnehmen, wurden zurückgedrängt oder auf die Seite geschoben, und ehe noch die Hälfte der Anwesenden den Saal verlassen hatte, stand dieser schon in hellen Flammen, die Kronleuchter stürzten einer nach dem andern herab, denen schnell Dielen und Balken folgten. Zwar wurden große Wassermassen auf den Brand gegossen, diese lösten sich aber augenblicklich in Dampf und Dunst auf, und es war an keine Rettung des Baues mehr zu denken. Auch ich hatte mich rücksichtslos hinaus und in den Garten gedrängt, von wo aus sich das gräßliche Feuerwerk furchtbar schön ausnahm, hier aber waren Verwirrung und Tumult womöglich noch größer als im Saal selbst, aus dem brennende Damen flüchteten oder herausgeschleift und dann mit kotigem Wasser begossen wurden. Alles lief und rannte durcheinander, seine Angehörigen suchend, sie nicht findend, und von niemand eine tröstliche Antwort erhaltend. Dabei drängten sich die Hilfe leistenden Diener und Pompiers, alles, was ihnen in den Weg kam, weder Krone noch Sterne achtend, rücksichtslos auf die Seite stoßend, durch die wehklagenden Massen, und die Damen rannten mit ihren Flittern, Flor- und Blondenkleidern, viele mit Brandflecken oder halbverbrannter Kleidung umher, ihre Männer oder Väter suchend. Das Flammen- und Rauchmeer wütete fort, und in kaum einer kleinen halben Stunde war die ganze, prächtig zusammengezimmerte und ausgeschmückte Herrlichkeit ein Raub des Feuers, das trotz aller Hilfe der Spritzen schon das Hotel des Gesandten selbst ergriffen hatte. Napoleon war unterdessen, nachdem er seine junge Gattin in Sicherheit gebracht, auf den Schauplatz des Unglücks zurückgekehrt, und nur der äußersten Anstrengung der Spritzenleute und der jetzt auf zwei Bataillone verstärkten Garden gelang es, das Hotel vor der gänzlichen Zerstörung zu retten. Der Kaiser leitete nun selbst die Löschanstalten, befahl die Entfernung aller müßigen Zuschauer und ging mit dem vor Todesangst schwitzenden Polizeipräfekten, dem Grafen Dubois, eben nicht zum glimpflichsten um. Der durch den Mordkriegsrat, den er präsidierte und der den Herzog von Enghien erschießen ließ, bekannte General Hülin mißhandelte in Gegenwart Napoleons, wahrscheinlich um dessen Zorn von sich abzuleiten, den armen Spritzenmeister, der ein Gott hätte sein müssen, wenn er die Flammen nach des grimmigen Kaisers Willen hätte bezwingen können, tätlich auf das empörendste und nichtswürdigste, so daß mir, der nur in geringer Entfernung davon stand, das Blut in den Adern kochte. Noch im Kerker mußte der Unglückliche der Ableiter der kaiserlichen Zornausbrüche sein. Das Schrecklichste aber waren die verbrannten, zum Teil tödlich verwundeten Personen, die hier verunglückt waren. Die Fürstin Pauline von Schwarzenberg hatte, wahrscheinlich ihre Tochter suchend, in den Flammen den Feuertod gefunden und wurde lange vergeblich von ihrem trostlosen Gatten und den Dienern gesucht, die Königin von Neapel hätte um ein Haar ein gleiches Schicksal gehabt, der Großherzog von Würzburg war ihr Retter; die schöne Vizekönigin von Italien, Prinzessin Auguste von Bayern, rettete sich auch glücklich mit ihrem Gemahl durch eine kleine Tür, als schon die halbe Decke des brennenden Saales eingestürzt war. Die Fürstin von der Laien und die Generalin Toussaint starben kurze Zeit nach dem Unglück unter den fürchterlichsten Schmerzen an ihren Brandwunden. Ein gleiches Schicksal hatte die Gemahlin eines russischen Konsuls, und der russische Gesandte selbst, Fürst Kurakin, dankte seine Rettung nur dem damals schon durch seine außerordentlichen Kuren berühmten Doktor Koreff, der ihn auch völlig wiederherstellte, denn er war so beschädigt, daß man lange an seinem Aufkommen zweifelte. In allem waren mehr denn sechzig Personen, besonders Damen, mehr oder minder schwer verwundet und verbrannt. Dieses gräßliche Trauerspiel endigte würdig mit einer entsetzlichen Naturerscheinung, nämlich mit einem so furchtbaren Gewitter, wie ich mich nicht entsinne, ein ähnliches erlebt zu haben; Blitz auf Blitz und Schlag auf Schlag folgten so allgewaltig, daß der unaufhörlich rollende Donner die Welt zu erschüttern schien. Endlich entlud sich dasselbe in einem Wolkenbruch ähnlichen Platzregen, der nach und nach den Rest der Feuerglut löschte, als bereits der Tag anbrach. Napoleon war, sobald dem Feuer Einhalt getan und die weitere Gefahr beseitigt war, zu seiner besorgten Gattin nach St. Cloud zurückgekehrt, wo er äußerst niedergeschlagen angekommen und ausgerufen haben soll: „Quel terrible fête!“ Die Garden hatten unterdessen auf der Brandstätte ihr Biwak aufgeschlagen und verzehrten mit gutem Appetit die köstlichen Speisen und Schüsseln, die den Gästen zugedacht gewesen und die sie ohne dies Unglück nimmer gekostet haben würden. Den anderen Morgen fand man unter den Brandtrümmern eine Menge Schmuck, Degen, Armbänder, Halsgeschmeide, Diademe, Brillantschnallen, Knöpfe und so weiter, aber der gräßlichste Fund war die ganz verbrannte, halbverkohlte Leiche der Fürstin Schwarzenberg, die der Doktor Gall in des Platzkommandanten Gegenwart auffand und die man nur an einem Halsband erkannte, das die Namen ihrer Kinder trug.

Welches Aufsehen diese schreckliche Begebenheit in Paris machte, ist unbeschreiblich. Da haben wir’s, hieß es, dies sind die ersten Folgen der Verbindung mit Österreich, es wird noch besser kommen. Und jedermann glaubte an eine tiefangelegte Verschwörung, welche dieses Fest hätte benutzen wollen, um die ganze bonapartistische Familie auf einen Schlag zu vernichten; dies war nicht der Fall, wohl aber war das Feuer böswillig angezündet worden, sei es nun von Anhängern der Bourbonen, von der republikanischen Partei oder auch nur aus Haß gegen Österreich. In Paris und ganz Frankreich zweifelte niemand daran als die Regierung, in deren politischen Kram es taugte, eine solche Meinung durchaus nicht aufkommen zu lassen. Ich war bis zum hellen Tag auf der Brandstätte geblieben, hatte löschen helfen und ermüdet teil an dem Biwak der Garden genommen. Welch ein Fest! Der Aberglaube sah es wenigstens als eine sehr schlimme Vorbedeutung an, und das große Unglück, das bei den Vermählungsfeierlichkeiten Ludwigs XIV. und Maria Antoinettes stattgefunden, kam jedermann ins Gedächtnis. Die feierlichen Begräbnisse der Verunglückten, beinahe ein paar Dutzend, diejenigen inbegriffen, die noch später unter unsäglichen Schmerzen an ihren Brandwunden starben, erfüllten die Gemüter aufs neue mit Trauer. Napoleon selbst war durch diese Begebenheit sehr angegriffen und gab sich düsteren Ahnungen hin. Als ich den anderen Tag zu dem Fürsten Y. kam, empfing er mich mit den Worten: „Nun, und Sie sind unversehrt davongekommen? – Unkraut vergeht nicht!“

„Eure Durchlaucht können von Glück sagen und sich bei dem Podagra bedanken, denn Sie wären wahrhaftig bei lebendigem Leibe verbrannt.“

„Hu! mich schaudert, wenn ich daran denke.“

„Was Sie gestern noch als Tücke des Schicksals verfluchten, zeigt sich heute als wohlwollendes Geschick des Himmels. So ist’s in diesem sublunarischen Leben: was wir oft für das größte Unheil halten, ist nicht selten der Anker unseres Heils.“

Ich mußte dem Fürsten alle Details der schauerlichen Begebenheit ausmalen; gewiß ist es, daß er, der kaum mit Hilfe einer Krücke in der Stube herumhinken konnte, unfehlbar verbrannt wäre, wenn er dem Fest beigewohnt hätte. Fürst Kurakin hatte seine Rettung hauptsächlich seinem goldenen Rock mit Diamantknöpfen zu danken, der ihn wie ein Harnisch gegen Flammen und Kohlen schützte, und es wurde so dem Doktor Koreff mit noch anderer Hilfe möglich, ihn aus der Masse zu schleifen, nachdem er schon gestürzt und mit Füßen getreten worden war.

Dies war das Ende der Vermählungsfeste, man hatte genug daran. Außer dem Fest, das die Stadt Paris dem Kaiser gegeben, hatte sie ihm auch noch sehr kostbare Hochzeitsgeschenke gemacht, nämlich ein Tafelservice von Vermeuil von ungeheurem Wert, das später Ludwig XVIII. als dem Kronschatz zugehörig erklärte. Marie Louise erhielt eine Toilettegarnitur von erstaunenswerter kunstreicher Arbeit.

Kurze Zeit nach der unglücklichen Begebenheit verbreitete sich plötzlich das Gerücht zu Paris von der Abdankung des Königs Ludwig von Holland, das eben nicht geeignet war, die etwas getrübte Stimmung der Franzosen zu erheitern, denn dieser Bruder Napoleons war auch in Frankreich geachtet und geliebt. Nach und nach gewann aber der Pariser Leichtsinn wieder die Oberhand, man vergaß die traurigen Begebenheiten und unterhielt sich mit Anekdoten und Erzählungen von der neuen Kaiserin, zum Teil Erfindungen müßiger Salonköpfe, die von Mund zu Mund die Runde durch ganz Frankreich machten. Sie war übrigens fast nur das Echo ihres Gatten, den sie, so sehr es sich tun ließ, in allen Stücken nachahmte. So fragte sie, dessen Beispiel befolgend, die Personen, die ihr vorgestellt wurden, jedesmal: „Sind Sie verheiratet? Haben Sie Kinder?“ Diese Fragen hatte sie sich so angewöhnt, daß sie den nämlichen Personen, so oft diese Audienz bei ihr hatten, dieselben wiederholte. Ein Gesandter äußerte deshalb einmal: „Die Kaiserin sollte doch endlich wissen, daß ich nicht verheiratet bin und keine Kinder habe, denn sie hat mich heute zum zehntenmal darnach gefragt.“ Marie Louise hatte eine sehr frische, fast hochrote Gesichtsfarbe und die Fähigkeit, ihre Ohren nach Gefallen bewegen zu können; beides gab zu mancherlei Spöttereien Anlaß, wozu auch die Unerfahrenheit und Unbekanntschaft der jungen Kaiserin mit den französischen Sitten manchen Stoff liefern mußte. Von ihren französischen Umgebungen wurde Marie Louise nicht geliebt, sie war ihnen zu wenig mitteilend, zu kalt, frostig und zeremoniell, unterhielt sich nie vertraulich mit ihren Damen, weshalb man sie für steif, unbeholfen und selbst stupid verschrie. Ihre Hauptbeschäftigungen waren: etwas Klavierspielen, weibliche Tapisseriearbeiten, Reiten, wenn es das Wetter gestattete, fast immer im Galopp. Dabei sagte man ihr nach, daß sie sechs Mahlzeiten des Tages zu sich nehme, namentlich sehr viel Creme esse, überhaupt einen Appetit für drei französische Grenadiere habe und nicht imstande sei, eine nur einigermaßen geistreiche oder wissenschaftliche Unterhaltung zu führen oder ihr nur zu folgen, sondern statt zu antworten mit dem Kopf nicke und höchstens von den unbedeutendsten Vorgängen im Palast spreche. Hierbei mag nun viel übertrieben gewesen sein, auch war ihr das Französische nicht so ganz geläufig. So viel ist aber gewiß, daß das Äußere der jungen Kaiserin sowie ihr Benehmen besonders für Franzosen viel Abschreckendes hatte. Ich habe sie nur gesehen, aber fast nie sprechen gehört, freilich kam ich nie auch nur in die entfernteste Berührung mit ihr.

Unterdessen hatte ich noch einige neue Intrigen mit mehreren anmutigen Pariserinnen angeknüpft, wie man sie bei einiger Gewandtheit und savoir faire zu Dutzenden daselbst mit verheirateten Frauen haben kann, nicht so mit Mädchen aus den höheren Ständen, die hier selbst strenger als in Italien gehütet werden und gehütet werden müssen. Dafür revanchieren sie sich auf das reichlichste einmal unter der Haube und lassen ihren Leidenschaften und Kapricen freien Lauf. Einer dieser Damen konnte ich nur durch den Kamin meine Aufwartung machen, da sie ihr Mann, so oft er sie allein lassen mußte, einschloß; ein Grund mehr, alles daran zu setzen, ihn zu hintergehen. Glücklicherweise war der Kamin sehr geräumig und eine Öffnung in einem oberen Stock in demselben angebracht, durch die ich mich hinabließ; da es im Sommer war, so wurde ich auch nicht vom Rauch inkommodiert, doch gab ich diese Kaminbesuche bald wieder auf. – Noch immer bombardierte mich Miollis mit Briefen und wollte endlich durchaus wissen, woran er sei; auf seine Veranlassung und Briefe hatte ich noch eine ziemlich lange Unterredung mit dem Herzog von Feltre, den ich endlich fragte, ob er nicht glaube, daß durch die Prinzessin Borghese, mit der ich bekannt sei, der Kaiser für das Gesuch des Gouverneurs von Rom zu stimmen sei. Clarke erwiderte mir lächelnd: „Ich und alle Minister haben strenge Befehle, kein Gesuch seiner schönen Schwester zu berücksichtigen; und was Ihren persönlichen Wunsch, zu den Garden versetzt zu werden, anbelangt, so würden Sie, wenn ich es durchsetzte, dennoch einen sehr schwierigen Stand haben. Sie müßten sich mindestens durch das ganze Korps der Leutnants des Regiments, dem sie zugeteilt würden, schlagen und würden, so gut sie auch den Degen führen mögen, endlich doch Ihren Mann finden und noch andere Unannehmlichkeiten treffen; ich rate Ihnen deshalb als Freund, von diesem Gesuch abzustehen.“ Bei der ersten Gelegenheit teilte ich Paulinen mit, was mir der Minister hinsichtlich ihrer gesagt hatte. Lachend erwiderte sie: „Aber das wußte ich schon längst; müssen es denn gerade die Garden des Kaisers sein?“ fuhr sie fort. „Suchen Sie doch lieber zu denen meines Schwagers Murat zu kommen, die sind ja weit schöner und prächtiger, und die Offiziere meistens Franzosen; wenn Sie dies wollen, das kostet mich nur ein paar Worte an Murat, und die Sache ist im reinen.“ – Anfänglich wollte mir zwar dieser Tausch nicht sehr zusagen, bald betrachtete ich aber die Sache in einem anderen Licht. Schön war die Garde des Königs von Neapel, und der Aufenthalt daselbst in mancher Hinsicht dem zu Paris vorzuziehen. Ich bequemte mich, die französischen Dienste zu verlassen, und bat die Prinzessin, die nötigen Demarchen zu machen, wozu sie sich sogleich bereitwillig fand. Sie selbst war indessen wegen einer kleinen Unart, die sie sich gegen Marie Louise erlaubt hatte, bei ihrem kaiserlichen Bruder in Ungnade gefallen, so daß sie noch weit weniger für mich bei ihm hätte wirken können. Sie hatte nämlich eines Tages der Kaiserin hinter ihrem Rücken allerlei Grimassen gemacht und unter anderm zwei Finger ihrer rechten Hand, den Zeigefinger und den kleinen, hörnerartig in die Höhe gestreckt, um so anzudeuten, daß sie Hörner tragen werde. Marie Louise hatte dies in einem großen Spiegel sowie auch ihr Gatte bemerkt, der nun voll Zorn seiner Schwester das Erscheinen in den kaiserlichen Gemächern untersagte.

In der Erwartung meiner baldigen Versetzung besuchte ich die noch nicht gesehenen Umgebungen von Paris, Bondy, St. Denis, wo ich die Überreste der in der Revolution verwüsteten königlichen Gräber in der Abtei daselbst heimsuchte und so weiter.

Eines Abends bemerkte ich in der Oper in einer benachbarten Loge ein recht freundliches Frauengesicht, das mir sehr bekannt vorkam, ich wußte aber nicht gleich, wo ich es schon gesehen hatte. Ich lorgnettierte die Dame, wurde endlich auch von ihr bemerkt, und sie nickte mir lächelnd zu. Ich begab mich nun während eines Zwischenakts in jene Loge und fand – Madame Viriot, dieselbe, die ihr Gemahl vor ungefähr fünf Jahren in Nancy entführt hatte. Schnell war die alte Bekanntschaft erneuert; ihr Gatte war wieder in den Militärstand getreten, stand jetzt als Kapitän bei der Armee in Spanien, und sie lebte bei einer reichen Tante zu Paris und hatte ein niedliches vierjähriges Mädchen. Ich begleitete sie noch denselben Abend nach Haus, wurde auf den anderen Tag zum Besuch eingeladen, wobei sie mich der Tante als einen alten Freund ihres Mannes vorstellte. Ich suchte mich bei der alten Dame durch Artigkeiten zu insinuieren und war bald im Haus gern gesehen und Hahn im Korb, solange ich noch zu Paris verweilte.

Ende Juli hatte Napoleon für gut befunden, den Parisern zur Abwechslung auf seine Vermählungsfeierlichkeiten ein höchst pomphaftes und prunkendes Trauerfest zu geben, nämlich die Leichenfeier des bei Eßlingen gebliebenen Marschalls Lannes, dessen irdische Reste im Pantheon beigesetzt wurden. Das Gepränge dieser Zeremonie war außerordentlich. Mehrere Tage wehte eine schwarze, weiß eingefaßte Fahne von der Kuppel des Pantheons, in dem Tempel selbst war ein Katafalk in Form einer hohen Pyramide errichtet, an deren vier Ecken die Bildsäulen der Mäßigkeit, der Klugheit, der Gerechtigkeit und der Stärke angebracht waren, ihre Spitze krönte eine Urne mit einer eisernen Krone. Medaillen, die ausgezeichnetsten Taten des Marschalls darstellend, wurden von Genien gehalten, unter der Pyramide stand der Sarkophag, bereit, die Leiche des Verblichenen aufzunehmen. Auf den Stufen ringsherum brannten unzählige Kerzen auf silbernen Kandelabern. An den beiden Seiten des Altars sah man die Bildsäulen des heiligen Ludwig und des heiligen Napoleon, die ganze Kirche war mit schwarzen Teppichen belegt und behängt, auf der schwarz drapierten Kanzel saß ein kolossaler Adler, für den Erzkanzler hatte man einen Sitz von Ebenholz, mit silbernen Sternen und Fransen verziert, errichtet. Alle Sitze der Kardinäle, Bischöfe, der Behörden und so weiter waren auf ähnliche Weise geschmückt; auch alle Fenster waren schwarz behangen, mit weißem Saum. Von dem endlosen Zug aller Zivil- und Militärbehörden gefolgt, wurde die Leiche des Marschalls vom Hotel der Invaliden in das Pantheon mit großer Feierlichkeit und mit imponierender Trauermusik gebracht; auf dem Sarg lag der Marschallsstab, das Wappen und Lorbeerkronen. Achtzehn silberne Grabeslampen hingen an gleichen Ketten an dem Feinde abgenommenen Lanzen herab; überall waren Trophäen von eroberten Waffen und Fahnen angebracht. Die Waffen des Toten nebst Siegespalmen hielten zwei über dem Altar schwebende Renomeen in der Hand. Über ihnen las man die Worte: Napoléon à la memoire du Duc de Montebello, mort glorieusement aux champs d’Essling, le 22. Mai 1809.

Das Konservatorium führte eine großartige Trauermusik auf, die von Zeit zu Zeit durch die Töne der schwarz verhüllten Orgel unterbrochen wurde; hierzu hatte man die herrlichsten Kompositionen Mozarts gewählt. Der Trauerwagen, auf dem die Leiche gebracht wurde, war mit vier Faszes, aus Fahnen bestehend, welche das von Lannes befehligte Armeekorps erobert hatte, geschmückt. Der ganze Zug bestand aus vier Abteilungen, einer geistlichen, einer militärischen, einem Trauerzug und einem Ehrenzug. Bei dem militärischen waren die Truppen aller Waffengattungen, Kanonen und Pulverkarren, die Tambours, Trompeter und Musikchöre der ganzen Garnison, die Lüfte mit lugubern Klagetönen erfüllend. Der ganze Generalstab mit den Fürsten von Neufchatel und Wagram, denen die Generalität, alle Stabsoffiziere und andere Offiziere folgten, waren an der Spitze des militärischen Zuges. Bei dem religiösen Zug, der sich vor dem militärischen bewegte, befand sich die ganze hohe und niedere Geistlichkeit von Notre-Dame und aller Kirchsprengel von Paris, mit unzähligen Kirchenfahnen, Kreuzen und so weiter, auch viele Greise und Kinder aus mildtätigen Anstalten und Pflegehäusern. Vier Marschälle, unter denen Moncey und Davoust, hielten die Zipfel des Bahrtuchs, auf beiden Seiten des Wagens trugen Lannes Adjutanten Standarten. Der Ehrenzug bestand aus des Marschalls leerem Wagen, zu dessen beiden Seiten wieder zwei seiner Adjutanten ritten; diesem folgten vier Trauerwagen für die Familie des Verblichenen, diesen die Wagen der Prinzen, Großwürdenträger, Marschälle, Generalobersten, Minister und höchsten Behörden. Sämtliche Züge schloß eine starke Abteilung der Gardekavallerie mit Trauermusik zu Pferde. So lange die Zeremonie währte, läuteten alle Glocken von Paris, und in kleinen Zwischenräumen fielen jedesmal dreizehn Kanonenschüsse. Als der Sarg in die Gruft gesenkt wurde, gab sämtliches Militär Gewehrsalven, und die Legionäre übergaben ihre Ehrenkreuze dem Großalmosenier, der sie durch den Erzpriester mit hinabsenken ließ. Davoust hielt eine kurze Rede, in welcher er die tiefe Trauer des Heeres über diesen Verlust aussprach, und nachdem der Erzkanzler eine zum Andenken an diese Totenfeier geschlagene Medaille dem Sarge folgen ließ, war sie beendigt, und die Truppen zogen mit lustig klingendem Spiel wieder ab. In ganz Frankreich, Italien und wo französische Truppen standen, wiederholte sich diese Totenfeier, durch welche Napoleon der Welt beweisen wollte, wie sehr er seine Helfershelfer zu ehren wisse, hauptsächlich um dadurch auf das Militär zu wirken.

Wenige Tage später gab die am Napoleonsfest, den 15. August 1810, erfolgte Vollendung der Siegessäule auf dem Platz Vendome, die man zum Ruhm der französischen Armee im Jahre 1806 begonnen hatte und die eine Nachahmung der Trajanssäule zu Rom ist, den Parisern abermals Stoff zur Unterhaltung und zu Festivitäten. Die zweihundertundzwanzig Fuß hohe Säule wurde aus eintausendzweihundert, den Österreichern und Russen 1805 abgenommenen Kanonen errichtet und stellte nach Art der römischen die hauptsächlichsten Taten der Franzosen aus dem Feldzug von 1805 dar; sie steht auf der Stelle, wo die während der Revolution zertrümmerte Bildsäule Ludwig XIV. stand. An zwei Millionen Pfund Erz sind zu dieser Säule verwendet worden. Auf einer in ihrem Innern angebrachten Schneckentreppe gelangt man zu ihrer Spitze, auf die Napoleons zehn Fuß hohe Statue gestellt wurde.

Am 25. August, denselben Tag an dem man früher das Fest des heiligen Ludwigs feierte, fand jetzt das der Marie Louise statt und wurde zum erstenmal mit außerordentlicher Pracht und großer Ostentation begangen. Einige Tage darauf hielt Napoleon im Bois de Boulogne Musterung über die holländischen Garden, die er nach Paris beordert hatte, und die hierauf in dem Gehölz so gut bewirtet und namentlich mit Wein so reichlich versehen wurden, als sie nur Lust zu trinken hatten, was für die Pariser abermals ein neues Schauspiel war, das aber wieder ein sehr schmutziges Ende nahm. Die holländischen Plexums betranken sich en canaille, fingen dann zuerst Stänkereien und Streit unter sich selbst und dann mit den Zuschauern an, und als ein Gewitter und starker Regen die letzteren schnell verscheuchte, hielten die Soldaten alle Frauen und Mädchen an, während sie die sie begleitenden Männer mißhandelten und zum Zeitvertreib die Bäume des Gehölzes umhieben, wodurch sich einige hundert kleine Gefechte, die zum Teil blutig ausfielen, entspannen. Einige der Zuschauer hatten sich nach St. Cloud geflüchtet und daselbst die fatale Mär hinterbracht. Napoleon geriet in Zorn über die Brutalität der Holländer und gab Order, sogleich viele und starke Patrouillen abzusenden, welche die Betrunkenen zur Räson bringen sollten, deren Anführern er selbst Verhaltungsbefehle gab, um die Ruhe wieder herzustellen. Ich hatte mich ebenfalls zu Pferd in das Boulogner Wäldchen begeben, die holländischen Garden tafeln zu sehen, und es gelang mir, einige Mädchen aus den Klauen dieser Trunkenbolde zu befreien. Diese Burschen waren nur Bier und Schnaps gewöhnt, der Wein war ihnen eine gar zu verführerische Neuigkeit. Als die Patrouillen ankamen, war es schon fast Nacht, und sie würden vielleicht wenig ausgerichtet haben, wenn sich nicht plötzlich das Gerücht unter den Soldaten verbreitet hätte, Napoleon selbst sei soeben angekommen, was die Burschen etwas nüchterner und gelassener machte, dieser hatte jedoch St. Cloud nicht verlassen. Die unmittelbaren Folgen dieses Gerüchts waren aber, daß sich die Holländer Hals über Kopf aus dem Staub machten und eiligst in ihre Kaserne zu kommen suchten, indessen wurden einige fünfzig verhaftet, und mehrere, die man en flagrant délit ertappt hatte, wurden streng bestraft.

Um diese Zeit oder bald darauf verbreitete sich auch das Gerücht von der Schwangerschaft Marie Louisens, und da schon beinahe sechs Monate verflossen waren, ehe man etwas davon hörte, so glaubte man allgemein den Hauptzweck von Napoleons Ehescheidung und Wiedervermählung verfehlt und war um so mehr über diese Trennung und Ehe ungehalten. Ein Teil des Publikums hielt Napoleon für impotent, während der andere seiner Gattin Unfruchtbarkeit zur Last legte; ja viele Personen wollten durchaus nicht an diese Schwangerschaft glauben oder hielten sie für fingiert und supponierten, daß der Kaiser damit umginge, ein fremdes Kind unterzuschieben und zu seinem Thronerben zu machen; selbst nach der Geburt des Königs von Rom gab es noch viele Personen, die denselben für untergeschoben halten wollten und diese Meinung unter dem Volk zu verbreiten suchten. Die Ursache, warum Marie Louise nicht früher guter Hoffnung geworden, soll der zu häufige Gebrauch von Bädern gewesen sein, die ihr nun untersagt wurden.

Es war Anfangs September, als ich meine Entlassung aus den französischen Diensten und mein Patent als Kapitän bei der neapolitanischen Garde zu Pferd, Cavalli leggieri, erhielt. Ich hatte besonders darum gebeten, bei der Reiterei angestellt zu werden, mich deshalb während der letzten Zeit meines Aufenthaltes zu Paris noch mehr mit den Manövern dieser Waffengattung vertraut gemacht, und allen Kavallerie-Übungen zu Pferde beigewohnt. Da jetzt mein Schicksal entschieden war, so eilte ich nun, Paris zu verlassen, wo es zwar alle Tage etwas Neues, aber auch manche eben nicht angenehme Neuigkeiten gab. Ich machte meine Abschiedsvisiten, empfahl mich besonders dem noch immer leidenden Fürsten Y., durch den ich doch manche vergnügte Stunde gehabt, und ging meiner neuen Bestimmung entgegen, den Weg über Orleans einschlagend, das ich noch nicht gesehen und doch gerne besuchen wollte. An Miollis hatte ich schon geschrieben, ihm die Äußerung hinsichtlich der Prinzessin Pauline gemeldet, und daß durch diesen Kanal nichts zu machen sei. Von Madame Bonnier nahm ich ebenfalls Abschied und Briefe an ihre Verwandten zu Pesaro mit, die ich persönlich zu übergeben versprach, sowie zu versuchen, daß sie die Dame bis zur Zurückkunft ihres Mannes in ihrem Schoß aufnehmen möchten, da sie sich so isoliert in dem gefährlichen Paris befinde. Dem Fürsten Y. tat meine Abreise wirklich leid, auch er fand sich verlassen in der großen Stadt und hatte sich an meinen Umgang gewöhnt.

II.
Reise von Paris nach Neapel. – Turin. – Ankunft zu Neapel. – Murats Garden und Hofstaat. – Fehlgeschlagene Expedition gegen Sizilien. – Grausame Maßregeln zur endlichen Vertilgung der Briganten in Kalabrien. – Entstehung der Carbonari. – Murat. – Die Königin Karoline. – Der Karneval zu Neapel. – Ein italienisches Liebhabertheater. – Die Festini in San Carlo. – Die Marchesa im Schilderhaus. – Fastenzeit und Osterfeier. – Ein Pistolenduell. – Don Juan zum erstenmal in Neapel aufgeführt. – Ein Schiff mit englischen Nachtgeschirren von der Douane weggenommen. – Ein Abenteuer in den Gärten zu Caserta. – Ein Souper suspendu. – Ein silbernes Ei. – Ein dreifacher Mord. – Weihnachtsfeier. – Verbrennung der englischen Waren. – Ich falle in die allerhöchste Ungnade und werde nach Tarent beordert.

Ein wenig sonderbar war es mir doch zumute, als ich Frankreichs Hauptstadt, in der ich so manches Abenteuer bestanden, so manches Vergnügen genossen, verließ und im Rücken hatte.

Erst in Turin beschloß ich Rasttag zu halten, um meinen etwas zusammengerüttelten und steif gewordenen Knochen einige Ruhe zu gönnen. Ich fuhr durch die schnurgeraden Straßen in ein Albergho, wo ich mich sogleich niederlegte und erst erwachte, als Mittag längst vorüber war. Ich machte meine Toilette und schickte mich an, die Sehenswürdigkeiten der schönen Stadt zu besuchen. Die Neustadt ist vielleicht die schönste Stadt Europas. Von allen Städten, die ich kenne, kann sich nur ein Teil von Berlin und Nancy mit ihr messen. Zur Nachtzeit werden Schleusen losgelassen, welche die Straßen reinigen, die dann wie abgewaschen sind. Die Festungswerke sind bedeutend; die Zitadelle, ein regelmäßiges Fünfeck, ist eine der stärksten Festen, die es gibt; auch schöne Promenaden sind in der Nähe der Stadt. Übergroße Müdigkeit und Bedürfnis nach Ruhe machte, daß ich Turins Herrlichkeiten nur sehr oberflächlich sah und die meiste Zeit in meinem Zimmer auf einem Ruhebett zubrachte. Den dritten Tag nach meiner Ankunft setzte ich meine Reise fort. In Pesaro suchte ich die Eltern der Madame Bonnier auf, denen ich die Briefe, welche mir ihre Tochter an sie mitgegeben, überlieferte. Sie wollten anfänglich wenig von ihr wissen und sagten, die Sünde ihrer Tochter, das Kloster verlassen und geheiratet zu haben, sei ein ewiger Schimpf für die ganze Familie, eine unvertilgbare Schande, denn so etwas sei noch nicht erhört worden, so lange es Christen gebe. Ich suchte die Leute deshalb zu beruhigen und eines Bessern zu belehren, aber meine Bemühungen halfen wenig, obgleich ich ihnen sagte, daß ich, als Helfershelfer bei der Geschichte, gerne die ganze Sünde auf mich nehmen wolle. Indessen brachte ich es endlich doch dahin, daß mir der Vater versprach, wenn sich eine passende Gelegenheit fände, er in Gottesnamen sein ungeratenes Kind kommen lassen wolle. Dies war freilich wenig Zuverlässiges, und ich erwiderte, daß es gewiß besser sei, wenn jemand von der Familie nach Paris reise, die Dame abzuholen, worauf mir aber ganz trocken geantwortet wurde, daß dies die Umstände nicht gestatteten. Ich empfahl mich nun ziemlich frostig, schrieb sogleich an Angelika das Resultat meiner Bemühungen und gab ihr den Rat, nicht weiter zu ihren Anverwandten zu verlangen, da dies herzlose Menschen seien, die ihr das Leben zur Hölle machen würden. Sie befolgte diesen Rat, wurde bald darauf Witwe, ihr Gatte, den sie nicht wieder gesehen, blieb in der Schlacht bei Salamanka; 1814 fand ich sie in Lyon als die Geliebte des Generals Albert, der früher als Augereaus Adjutant eine Anverwandte der Familie d’Orville, eine Mademoiselle Fuchs, in Offenbach geheiratet hatte.

In Rom angekommen, stattete ich dem General Miollis mündlich Bericht über alle in seinen Interessen getanen Schritte ab und setzte ihm die Unmöglichkeit auseinander, durch die mir eröffneten Kanäle und Instruktionen die gewünschte Absicht zu erreichen. Andere Demarchen, die er zu demselben Zweck durch einen Bataillonschef in Paris machen ließ, hatten noch schlimmeren Erfolg, denn vom Generalstatthalter in Rom wurde er nun erster Leutnant des Gouverneur général de Rome. Ich fuhr, ohne mich weiter in Rom umzusehen, nach Neapel ab, wo ich gegen Ende September glücklich ankam.

Mein erstes war, mich bei dem Baron Cäsar Dery, Generalleutnant und Kommandant der Garde-Kavallerie, zu melden und dann bei dem Baron Livron, Oberst des Regiments. Bei beiden wurde ich wohl aufgenommen, worauf ich bei alten Bekannten meine Privatvisiten machte. Helene befand sich mit ihrem Mann jetzt auf der Insel Capri, wo ich sie einigemal besuchte, auch kam sie fast jede Woche nach Neapel zu einer Freundin, wo wir dann intime Zusammenkünfte hatten. Bei dem Regiment waren die meisten Offiziere Franzosen, namentlich in den höheren Graden, nur wenige Neapolitaner waren in demselben sowie bei der Garde überhaupt angestellt. Diese, die Casa militare del Re genannt, bestand damals aus dem Stab, einem Generalkommandanten der Infanterie, einem der Reiterei, einem Gardegrenadierregiment, einem Regiment Veliten zu Fuß, einem Bataillon Voltigeurs, der Ehrengarde (Guardia d’onore), den Veliten zu Pferde, den Cavalli leggieri, bei denen ich stand; der Gensdarmeria scelta, der reitenden Garde-Artillerie, dem Train d’Artillerie, dem Genie und der Garde-Marine; auch waren noch Garde-Veteranen und Hellebarden vorhanden. Der Dienst dieser Truppen war im ganzen angenehm und nicht sehr beschwerlich, die Garden selbst standen im guten Ansehen, da sie meistens aus Fremden, hauptsächlich Franzosen zusammengesetzt waren, auch sehr reiche und kostspielige Uniformen, drei verschiedene Kostüme hatten. Die Equipierung kostete viel Geld, und denjenigen Offizieren, die nicht hinlängliche Mittel hatten, half Murats Großmut; er machte ihnen reiche Geschenke an Pferden und Geld. Auch der Hofstaat des Königs von Neapel war jetzt überaus prächtig und glänzend eingerichtet, er bestand aus einem Großmarschall des Palastes mit vier Palastpräfekten, unter denen der Herzog von Circella war, einem Gouverneur der königlichen Paläste, Palastadjutanten, Marescalli degli alloggi; Großkammerherr war der Fürst Colonna mit einem halben Hundert Kammerherren, meistens Principi, Herzoge, Marquis, Grafen und Barone; ein Großstallmeister mit zwanzig Unterstallmeistern, gleichfalls Principi und so weiter. Ein Pagengouverneur mit einem Untergouverneur, ein Dutzend Professoren, unter denen sogar ein Lehrer der deutschen Sprache, ein gewisser Moser, war, einige dreißig Pagen, ein Großjägermeister mit einem halben Dutzend Oberjägermeistern, ein Großzeremonienmeister nebst Zugehör, ein Kardinal-Großalmosenier, ein Bischof von Nola, Oberalmosenier, dreißig Almoseniere und Kapläne, aber noch bei weitem nicht genug, um all die vielen und großen Sünden des Hofes zu absolvieren. Die Königin Karoline hatte außerdem ihren eigenen Almosenier, den Erzbischof von Tarent; ihr Ehrenkavalier war Fürst d’Angri, eine besondere Ehrendame eine Dame d’Atour und ein Viertelhundert Palastdamen, unter denen die berühmtesten Namen Italiens, wie die Doria, Colonna, Imperiali, Spinelli, Carignani und so weiter figurierten, die wunderschöne Herzogin von Atri (Giuglietta Colonna) und die nicht minder schöne Marchesa Cavalcanti, auch eine Catharina von Medicis waren. Die königlichen Kinder hatten ihre Gouverneure, Gouvernanten und so weiter, und in diesem Verhältnis war das zahlreiche Unterpersonal des Hofes organisiert. Zu den größten Hoffesten und Bällen wurde außerdem der zahlreiche neapolitanische Adel, die angesehensten Bürger der ganzen Stadt, alle Garde- und andere anwesende Offiziere gezogen. Außerdem hatte Murat einige dreißig Adjutanten und Ordonnanzoffiziere, unter den letzteren viele Italiener. Das Hofleben war in hohem Grad rauschend, üppig, pompös, und die Toiletten der Damen zeigten eine orientalische Pracht und Verschwendung, wobei die Königin den Ton angab und in mehr als einer Hinsicht das Muster war, nach dem sich ihre Damen und die vornehmen Frauen der Residenz richteten.

Meine Equipierung kostete mich nahe an zehntausend Franken, drei Pferde inbegriffen. Glücklicherweise hatte ich einen ziemlich vollen Beutel mit von Paris gebracht, und wenn es fehlte, half Vetter Moritz aus; übrigens war das Gehalt ansehnlich.

Murat selbst war, als ich in Neapel ankam, noch mit einem Teil der Garde in Kalabrien; er hatte geraume Zeit vor mir Paris verlassen, projektierte eine Landung in Sizilien und hatte deshalb bedeutende Streitkräfte in der Sohle des italienischen Stiefels und der Gegend von Reggio versammelt. Drei französische Divisionen, eine neapolitanische, ein großer Teil der Garden, in allem einige zwanzigtausend Mann, waren bestimmt, das Wagstück zu unternehmen. Lamarque und Partonnaux, welche unter dem König kommandierten, waren mit ihren Divisionen zur Einschiffung bereit, nachdem vorher einige teils glückliche, teils unglückliche Gefechte zur See mit den Engländern stattgefunden hatten. Am Phar von Kalabrien lagen eine große Anzahl Transportschiffe und mehrere Kanonierschaluppen vor Anker. Das Heer kampierte an der Küste der Meerenge von Messina, die Garden und die Reservedivision im Zentrum, Partonnaux befehligte rechts und Lamarque links von Szilla. Eine bedeutende englische Seemacht von fünf Linienschiffen, sechs Fregatten, mehreren Briggs und Kanonierschaluppen hatte sich zwischen dem Phar und Messina aufgestellt, verursachte der neapolitanischen Marine großen Schaden und hatte schon manches Konvoie derselben weggenommen oder versprengt, auch in Amalthea viel Unheil angerichtet. Endlich, nachdem es, den Engländern zum Trotz, gelungen war, eine hinlängliche Anzahl Schiffe in der Nähe des Lagers zu vereinigen und die Äquinoktialstürme den Feind genötigt hatten, sich in die Häfen von Sizilien zurückzuziehen, bestimmte Murat die Nacht vom 17. auf den 18. September zur Landung in Sizilien. Drei Regimenter leichter Infanterie, ein Regiment neapolitanischer Jäger nebst einem Bataillon Korsen wurden gegen Mitternacht eingeschifft und landeten gegen zwei Uhr Morgens zu San Stefano in Sizilien. General Cavaignac, der diese Division befehligte, glaubte, daß ihm der Rest der Armee unmittelbar folgen würde, griff sogleich alle ihm im Wege stehenden Posten an, von denen viele aus Engländern bestanden, die mehrere Regimenter in Sizilien hatten, und marschierte dann mit seiner Kolonne bis Duchessa vor; allein während er sich mit dem Feind herumschlug, war eine gänzliche Windstille eingetreten, wodurch sowie durch die Strömungen im Kanal die übrigen Truppen am Abfahren verhindert wurden. Murat selbst hatte sich eingeschifft und blieb bis zum Tag in seiner Schaluppe. Vergeblich auf günstigen Wind hoffend, ließ er endlich den schon übergesetzten Truppen das Zeichen geben, wieder zurückzukehren. Als der englische General Stuart, der diese Landung für einen fingierten Angriff hielt, überzeugt war, daß die anderen Truppen unmöglich nachkommen konnten, ging er auf San Stefano los, um die ausgeschiffte Division abzuschneiden. Diese Truppen wurden nun handgemein, und Cavaignac mußte sich vor der großen Übermacht Hals über Kopf an das Ufer des Meeres zurückziehen, wo man sich in der größten Unordnung unter dem feindlichen Feuer einschiffte. Zum Unglück war ein großer Teil der Transportschiffe schon wieder an die Küsten von Kalabrien zurückgekehrt, und ein Teil der Division, von Oberst Ambrosia befehligt, mußte die Waffen strecken und sich gefangen geben. Mit einem Verlust von wenigstens eintausendfünfhundert Mann und vielen Verwundeten kamen die Übrigen wieder auf dem festen Land an. Dieser schlimme Ausgang des ersten Landungsversuchs auf Sizilien entmutigte Murat und die Truppen. Kurz darauf machte ein Tagesbefehl dem Heer bekannt, daß Napoleons Verlangen bereits ein Genüge geschehen, indem dessen Absicht nur gewesen sei, die Streitkräfte der Engländer auf diesen Punkt zu ziehen, um die nötigen Verstärkungen unangefochten nach der Insel Korfu schicken zu können, und daß vorerst die Expedition nach Sizilien verschoben werde. Wenige Tage darauf wurde das Lager abgebrochen, die Schiffe und die Garden kehrten nach Neapel zurück, wo auch Murat etwas verstimmt und ungehalten ankam. Über die Ursache der so schnellen Aufgabe dieses Unternehmens wurden mancherlei Vermutungen ausgesprochen, viele wollten sie einem geheimen Befehl Napoleons zuschreiben, der nicht gerne sehe, daß sein Schwager allzumächtig würde und den er schon mit mißtrauischen und neidischen Augen betrachte. Soviel ist sicher, daß seit jener Zeit ein Mißverständnis zwischen den beiden Schwägern bestand, das immer mehr Wurzel faßte.

Um dem noch immer in Kalabrien wenigstens teilweise bestehenden Brigantenunfug zu steuern und ihn endlich auszurotten, nahm die Regierung Murats ein System an, welches hauptsächlich darin bestand, daß man die Einwohner Kalabriens selbst für die in dem Gebiet ihrer Kantone von den Briganten begangenen Untaten verantwortlich machte. Die regulären Truppen wurden jetzt nur noch dazu verwendet, die Einwohner zu zwingen, die Insurgenten selbst zu bekämpfen, zu fangen und auszuliefern, widrigenfalls man sie als deren Helfershelfer ansehen und bestrafen würde. Diese Maßregeln in Ausführung zu bringen, wurden zehn- bis zwölftausend Mann in alle Teile Kalabriens verlegt. Das Dekret, welches deshalb erschien, war sehr streng und grausam, und ließ auch Spielraum zu ungestrafter Befriedigung der Privatrache. Es wurden Listen mit Namen von Familien, als des Einverständnisses mit den Briganten verdächtig, angefertigt, und ein jeder, der ein solches Individuum tötete oder gefangen ablieferte, erhielt eine Belohnung von zwanzig bis fünfundzwanzig Dukati, war es aber ein Brigantenchef, so empfing er fünfhundert Dukati. Wer den Insurgenten oder ihren Helfershelfern irgend etwas, sei es an Nahrung, Kleidung, Munition, Geld und so weiter zukommen oder sie entwischen ließ, wurde augenblicklich erschossen. Der General Manches, ein sehr harter und heftiger Mann, wurde mit der Vollziehung dieses Dekrets beauftragt und vollzog es ohne alle Schonung. Die Folgen waren, daß viele Tausende der Einwohner, sich nicht mehr sicher wähnend oder Privatfeinde habend, nach Sizilien entflohen. Aber diese harte Maßregel hatte so ziemlich den erwünschten Erfolg; das Brigantenwesen hörte bald fast gänzlich auf, und man konnte endlich ziemlich sicher in ganz Kalabrien umherreisen. Freilich waren zahlreiche Familien das Opfer für ein einziges ihrer Mitglieder geworden, das sich etwas hatte zuschulden kommen lassen; denn Eltern, Geschwister und andere Anverwandte mußten das Vergehen des einen büßen. Aber das Land war doch endlich nach fünf Jahren ziemlich beruhigt; so lange hatte der grausame Brigantenkrieg gewährt, eine sich ewig erneuernde Hyder, die unaufhörlich von Sizilien aus alimentiert wurde.

Eines der gefährlichsten Brigantenhäupter war zuletzt der sogenannte Brigantenfürst Baron Bittiglioni gewesen, der mit großer Verwegenheit in Salerno sein Wesen trieb, ohne daß jemand geahnt hatte, daß er einer der Haupturheber der Brigantenstreiche war. Endlich kam man diesem schlauen Fuchs, der alle Gestalten annahm, doch auf die Spur. Er wurde nebst mehreren seiner Offiziere aufgehoben und samt seinem ganzen Anhang zum Tode verurteilt. Viele Individuen aus den ersten Familien zu Neapel waren mit in diese Geschichte verwickelt, und ihre Häupter traf dasselbe Urteil. Murat verwandelte jedoch die Todesstrafe in lebenslängliches Gefängnis oder Kettenschleifen, zehnmal schrecklicher als der Tod. Mit der Rückkehr des alten Königshauses (1815) wurden aber die noch Lebenden wieder frei und sogar belohnt.

Ungefähr zu dieser Zeit war es, daß sich in Kalabrien die berüchtigte Sekte der Karbonari bildete, hauptsächlich durch die erwähnten strengen Maßregeln sowie durch die abscheulichen Grausamkeiten des General Manches hervorgerufen, welche die Einwohner zwangen, sich so geheim als möglich zu verbinden, um dieser Tyrannei das Gleichgewicht zu halten und ihr wo möglich die Spitze zu bieten. Bald hatte sich dieser geheime Bund im ganzen südlichen Italien verbreitet und wurde sogar von dem Polizeiminister Maghella, einem gebornen Genueser, der früher an der Spitze der Polizei der ligurischen Republik gestanden, unter der Hand wenn nicht gerade begünstigt, doch geduldet, wenigstens wollte er durchaus das Bestehen des Bundes ignorieren oder die Sache mindestens als eine unbedeutende Kinderei dargestellt wissen. Irrig ist es aber, daß er der Stifter des Karbonarismus gewesen, wie mehrfach behauptet wurde; ein sizilianischer Edelmann aus Palermo namens Caravante war, wenn vielleicht auch nicht der erste Gründer, doch zuverlässig der Stifter und Verbreiter der Sekte in Kalabrien. Noch immer gab es viele zersprengte Reste der früheren Brigantenbanden, die sich in die unzugänglichsten Wald- und Bergschluchten, von denen sie allein eine genaue Kenntnis besaßen, geflüchtet hatten. Diese wurden nun förmliche Raubmörder und die Plage der Gegenden, in deren Nähe sie sich aufhielten. Die schon bestehenden Karbonari, deren Zweck jetzt war, das Land von der fremden Herrschaft zu befreien und ihm eine möglichst demokratische Verfassung zu geben, wurden vonseiten der Engländer in Sizilien und der dortigen Regierung möglichst unterstützt und ihnen an die Hand gegeben, sich der noch in den Wildnissen vorhandenen Briganten zu ihren Zwecken zu bedienen. Den Namen Karbonari (Kohlenbrenner) erhielten sie, weil sich die ersten Männer dieser Sekte als solche verkleidet in Wäldern verbargen und ihrer Sicherheit wegen und dem Anschein nach dieses Gewerbe trieben; deshalb hatten sie auch ihre Embleme, Benennungen und geheimen Erkennungszeichen von dem Gewerbe der Kohlenbrennerei entnommen, nannten ihre Versammlungsorte Baracca vendita und so weiter, teilten sich nach Art der Freimaurer in verschiedene Grade, anfangs nur in zwei, später in vier ein, und machten den heiligen Theo zu ihrem Schutzpatron. Dies war das erste Entstehen des Karbonarismus, von dem man soviel gefabelt und soviel Albernheiten erzählt hat, und dessen Ursprung man bald in den Hochgebirgen Schottlands vor Jahrhunderten finden, bald von deutschen Köhlern, vielleicht gar von denen, welche den sächsischen Prinzenraub verhinderten, und ähnlichen Dingen ableiten wollte.

Eine Verordnung, welche Murat zu jener Zeit erließ, um sich durch dieselbe unabhängiger von Napoleon und selbstständiger zu machen, besagte, daß in Zukunft alle Ausländer, die in neapolitanische Dienste treten oder in diesen bleiben wollten, das neapolitanische Bürgerrecht erwerben müßten. Als dies der Kaiser der Franzosen erfuhr, wurde er wütend, und dekretierte sogleich, daß allen Franzosen, als Murats Landsleuten, dieses Bürgerrecht von selbst zustände und sie es nicht erst zu erwerben hätten, um Zivil- und militärische Anstellungen im Königreich Neapel bekleiden zu können.

Da ich während meines nun beinahe zweijährigen ununterbrochenen Aufenthaltes in Neapel Murat und seinen Hof sehr genau kennen zu lernen Gelegenheit hatte, so will ich hier in Kürze das Wichtigste und Interessanteste, den König, seine Gattin und die Hofhaltung betreffend, mitteilen.

Murat wurde im Jahr 1767 zu La Bastide Frontonnière bei Cahors geboren, einem Dorf im ehemaligen Perigord und dem jetzigen Departement du Lot, wo sein Vater Gastwirt war und in einigen Geschäftsverbindungen mit der Familie Talleyrand stand. Kaum konnte der Knabe laufen, so saß er auch schon auf den wildesten Bauernpferden ohne Sattel und setzte bald mit diesen über Stock und Stein, Gräben und Hecken. Sein Vater hatte ihn erst zum geistlichen Stand bestimmt und durch Talleyrands Fürsprache eine Stelle im Kolleg zu Cahors für ihn erlangt. Hier machte er aber schon sehr tolle Streiche, und als er von dort nach Toulouse kam, um daselbst den Priesterrock zu erhalten, verliebte er sich, kaum neunzehn Jahre alt, in ein hübsches Mädchen, schlug sich, obgleich er schon ein Abbé-Mäntelchen hatte, um und für seine Schöne, entführte und versteckte sie und sagte hierauf dem geistlichen Stand Valet. Hierauf half er seinem Vater eine kurze Zeit in der Wirtschaft, wo er dessen und die Pferde fremder Fuhrleute in die Schwemme ritt, viel spielte, und zwar so unglücklich, daß er bald genötigt war, La Bastide zu verlassen. Er nahm nun als gemeiner Reiter Dienst in dem zwölften Chasseurregiment. Der Ex-Abbé war einer der schmucksten Kavalleristen im Regiment und wußte sein Roß so trefflich zu tummeln, daß er bald zum Maréchal de Logis (Sergeant) avancierte. Wegen einer Insubordination gegen einen im ganzen Korps verhaßten Offizier, einen Gamaschen- und Zopfheld der alten Zeit, wurde er aber kassiert und mußte das Korps verlassen, brachte wieder eine Zeitlang bei seinen Eltern zu, deren Gäste bedienend, eilte aber, nachdem die Revolution ausgebrochen war, nach Paris, wo er Dienste in der konstitutionellen Garde des Königs nahm, die Partei der Revolutionären mit allem Feuer ergriff und jeden Tag Händel und Raufereien deshalb hatte. Kurz vor der Auflösung dieses Korps wurde er als Unterleutnant zu dem dreizehnten Chasseurregiment versetzt und zeichnete sich bei demselben fortwährend höchst exaltiert für die neue Freiheit aus, so daß man ihm den Namen Marat beilegte, den er einige Zeit führte. Während der Schreckenszeit avancierte er bis zum Rittmeister, und 1794 wurde er Oberstleutnant. Gleich Bonaparte nach dem 9. Thermidor abgesetzt, wurde er mit diesem bekannt, und mit ihm wieder angestellt, unterstützte er ihn den 13. Vendemiaire in der Verteidigung des Konvents. Als Bonaparte Obergeneral der Armee in Italien wurde, nahm er Murat als seinen Adjutanten mit. Durch ihn überschickte er dem Direktorium einige zwanzig den Österreichern abgenommene Fahnen, und da er sich in verschiedenen Gefechten durch seine persönliche Tapferkeit sehr ausgezeichnet hatte, so ward er nun zum Brigadegeneral ernannt und auch bei diplomatischen Verhandlungen, wie am Hof zu Turin wegen des Friedens, zu Genua, wo er es bei dem Dogen durchsetzte, daß dieser den österreichischen Gesandten auswies und so weiter, verwendet. Noch tat er sich durch verschiedene glänzende Waffentaten an der Spitze der Reiterei hervor, war mit Bonaparte auf dem Rastatter Kongreß, wollte durchaus den dort von den österreichischen Husaren auf höhere Anstiftung an dem französischen Gesandten schändlich begangenen Meuchelmord auf das blutigste gerächt wissen, und ging dann nach dem Kirchenstaat ab, dort ausgebrochene Empörungen zu dämpfen. Bald darauf begleitete er Bonaparte nach Ägypten, wo er sich abermals sehr auszeichnete, namentlich bei der Verfolgung der Mamelucken. Bei dem Sturm von Sankt Jean d’Acre verlor er seinen prächtigen Federbusch, den ihm ein Türke abgeschossen hatte und den er lange nicht verschmerzen konnte; besonders da ihn die Türken, in deren Hände er gefallen war, als eine Siegestrophäe betrachteten. Er rächte sich aber glänzend, indem er Laffel entsetzte, die Schlacht am Tabor mitgewann und bei den Pyramiden und in der Nähe von Gizeh über zwölftausend Türken mit seiner Reiterei niedermetzelte von denen einige Tausend in das Meer gesprengt wurden und in dessen Fluten ertranken, wobei aber Murat mehrere Wunden erhielt. Mit Bonaparte nach Frankreich zurückgekehrt, rettete er diesen am 18. Brumaire, indem er mit einer Grenadierkompagnie in den Rat der Fünfhundert drang und diesen auseinander jagte. Zur Belohnung all dieser Dienste gab ihm 1808 Napoleon seine jüngste Schwester, die schöne Karoline, zur Frau, und machte ihn zum Kommandanten der Konsulargarden. Nach der Schlacht von Marengo, wo er die Reiterei befehligte und viel zum Gewinn derselben beitrug, wurde er Gouverneur der zisalpinischen Republik und dann 1804 Gouverneur von Paris, wo er sein möglichstes zur Thronbesteigung seines Schwagers als Kaiser der Franzosen beitrug. Nun wurde er Marschall, kaiserlicher Prinz und Großadmiral von Frankreich. Im Krieg mit Österreich 1805 befehligte er abermals die sämtliche Reiterei, schlug zwölftausend österreichische Grenadiere und nahm sie bei Werdingen gefangen; den Erzherzog Ferdinand verfolgend, drang er nach Böhmen vor, ließ abermals zwölftausend Österreicher die Waffen strecken, und hatte allein zwischen Ulm und Nürnberg ein Dutzend österreichischer Generäle, ein halbes Hundert Kanonen, anderthalbtausend Wagen und an zwanzigtausend Mann gefangen. Er war es, der zuerst in Wien einrückte und dann sehr tätig bei der Schlacht von Austerlitz war. Nun wurde er (1806) Großherzog von Berg, zeichnete sich abermals im Krieg gegen Preußen (1807) aus und wurde (1808) zum General en chef über das in Spanien einrückende Heer ernannt, wo wir ihn bereits kennen lernten. Um ihn für die spanische Krone, die Murat zu erhalten gehofft, zu trösten, machte ihn Napoleon zum König von Neapel und dadurch bald zu seinem erst geheimen, dann offenen Feind. Murat hatte sich in den Kopf gesetzt, daß Napoleon dem zur Expedition gegen Sizilien bestimmten Anführer der französischen Truppen geheimen Befehl gegeben habe, diese zu hintertreiben, und daß deshalb die andern Truppen dem Oberst Cavaignac nicht gefolgt seien, weshalb er die Entfernung der französischen Regimenter aus seinem Reich auf das bestimmteste von dem französischen Kriegsminister begehrte, was ihm aber ebenso bestimmt abgeschlagen wurde. Er sah jetzt in den in französischen Diensten stehenden Generälen und Truppen nur noch Aufpasser, Spione und Vormünder, bestimmt, seine Handlungen zu überwachen und eine Art Obervormundschaft auszuüben; sein Mißtrauen verleitete ihn deshalb oft zu einem kleinlichen Benehmen, das ihm in der öffentlichen Meinung außerordentlich schadete. In diesem Unmut war es, daß er das Gesetz erließ, daß jeder in seinem Reich Angestellte sich naturalisieren lassen müsse, und worauf sein Schwager mit dem erwähnten Dekret geantwortet und noch hinzugesetzt hatte, daß – in Betracht, daß das Königreich Neapel einen Teil des großen Reichs ausmache, der Fürst, der daselbst regiere, aus den Reihen der französischen Armee hervorgegangen und durch französisches Blut auf diesen Thron erhoben worden sei, – Napoleon dekretiere, daß alle französischen Bürger von Rechts wegen auch Bürger von Neapel seien. Der Schlag war geschehen und der Grund zur Feindschaft und zum Haß zwischen den beiden Schwägern gelegt. Murat legte jetzt sein französisches Ehrenkreuz und das große Band desselben ab, und zwischen ihm und seiner Gemahlin, welche leidenschaftlich die Partei ihres Bruders ergriff, gab es häufig sehr heftige und ärgerliche Auftritte; auch wurde sogar das Fest zu Ehren des neugeborenen Königs von Rom bis auf weitere Order in Neapel vertagt. Die Kluft wurde immer größer. Murat wußte, daß ihn sein Schwager in seinem Zorn, wegen der oft phantastischen Pracht seines Kostüms, einen Theaterkönig genannt hatte, sowie daß man ihm wegen seiner Reiterkünste den Namen des Franconi[1] der Armee beigelegt; selbst zu Neapel hörte man ihn öfters Torniero, der Name eines berühmten Stallmeisters, nennen. Als sich der Hof mit dem Beginnen des Sommers (1811) nach Caserta begab, zog sich Murat maulend nach Capo di monte zurück, um sich dem Anblick der ihm jetzt verhaßten Franzosen, die er nicht hatte wegbringen können, zu entziehen. Täglich ließ er sich Polizeiberichte über das Treiben der Fremden einreichen, die er sehr sorgfältig prüfte und wodurch sich sein Mißmut noch steigerte. In der Tat war er freilich nur ein Vasall oder Präfekt des großen Reichs. Von der Königin glaubte er, daß sie geheime Instruktionen von ihrem Bruder habe, nach denen sie handle.

Murats Kleidung war allerdings phantastisch genug, ja bisweilen karikaturenartig. Bald war er als Araber, bald à la Henri IV. gekleidet. Bald trug er ein reiches polnisches Kostüm, bald war sein Anzug aus allen möglichen Ländertrachten, aus den verschiedensten Zeiten zusammengesetzt und so weiter, aber nie durften diamantene Agraffen und die prächtigsten und kostbarsten Federn fehlen, nie hat man ähnliches auf irgendeinem Theater gesehen. Sein Säbel oder Schwert hing in goldenen, mit Brillanten besetzten Ceinturen herab, sein großes stolzes Streitroß hatte meistens einen türkischen Sattel und eine reichgestickte, mit Edelsteinen bedeckte Schabracke von der kostbarsten Arbeit, ebensolches Zaumzeug, Gebiß und Steigbügel von Gold. Seine Federn und Federbüsche kosteten oft über fünfzigtausend Franken in einem Jahr. Da er eine schöne Gestalt hatte, vortrefflich ritt und seine persönliche, an Tollkühnheit grenzende große Tapferkeit allgemein bekannt war, so verglichen ihn seine Schmeichler oft mit dem Achilles, ja nicht selten mit dem Kriegsgott Ares selbst, und seine Gegenwart brachte vor dem Feind immer eine ungewöhnliche Wirkung hervor, so auch bei vielen Damen, die ihn wie einen Halbgott verehrten; doch gab es auch andere, selbst an seinem Hof, die ihn als eine großartige Karikatur betrachteten. Wenn, wie es zur Herbst- und Winterszeit fast täglich der Fall war, in den Nachmittagsstunden die Königin mit ihrem Hofstaat aus den Schloßtoren zur Promenade ausfuhr und diesem Wagen dann Murat zu Pferde mit einer zahlreichen Suite und einer Abteilung der Garde zu Pferde folgte, so war es, als wenn das wilde Heer den Palast verließ, denn wie ein Sturmwind jagte der ganze Zug aus den Pforten über den Schloßplatz, sauste meistens durch Toledo oder nach der Villa Reale zu, und selten, daß nicht ein oder ein paar Reiter stürzten, über welche dann die anderen hinaussetzten. Um die Stunde, in welcher diese höllischen Abfahrten stattfanden, war jedesmal eine große Menge Volk auf dem Platz vor dem Palast versammelt, das grausig-prächtige Schauspiel anzustaunen. Ein einziges Mal war auch mir ein Pferd, jedoch nur auf die Knie gestürzt, erhob sich aber sogleich wieder, und ich raste dem wilden Zug nach.

Die Königin Karoline, damals achtundzwanzig Jahre alt, war noch sehr hübsch, obgleich sie schon vier Kinder gehabt, außerordentlich ehrgeizig, dabei sehr lebenslustig, spann aber ebenso gerne politische wie verliebte Intrigen, hatte viel Verstand, aber wenig Kenntnisse, große Charakterstärke und Energie, aber ihre Unwissenheit in wissenschaftlicher Hinsicht war ebenso groß. Ihr Wuchs war nichts weniger als majestätisch; sie hatte etwas hohe Schultern, zu kurze Beine bei zu langem Leibe, auch war sie eben nicht sehr graziös und spöttelte gerne, wodurch sie sich besonders unter den Hofdamen manche geheime Feindin machte. Bei den ersten Szenen zwischen ihr und ihrem Gatten ging es eben nicht sehr königlich zu, beide warfen sich dann gegenseitig ihre gehabten Abenteuer vor, Murat schimpfte auf seinen Schwager Napoleon, und Karoline nahm ihren Bruder in Schutz und verteidigte ihn mit großer Heftigkeit, die nicht selten ins Gemeine ausartete. Dieses Benehmen hatte auf den ganzen Hof, dem es wohl bekannt war, einen verderblichen Einfluß, die meisten Herren nahmen Partei für die Königin und die Damen für ihren Gatten, und es gab Anlaß zu tausend Unannehmlichkeiten und Intrigen. Murat sagte, daß er nicht unter dem Pantoffel stehen wolle, und Karoline schrie, daß sie, eine Schwester Napoleons, sich nicht mißhandeln und unterdrücken lassen werde. Da viele hohe Staats- und Hofchargen von Franzosen bekleidet wurden, welche die Königin an sich zu ziehen gewußt, so hatte dies zur Folge, daß Murat sie zu entfernen und durch ihm ganz ergebene Individuen zu ersetzen suchte, was aber seine Frau, mit ihrem allmächtigen Bruder drohend, schlechterdings nicht zugeben wollte; dagegen waren manche der Hof- und Palastdamen der Königin ein Dorn im Auge, namentlich die schöne Herzogin von Atri und einige andere, die sie entfernt wissen wollte, was wieder Murat nicht zugab. Dies machte, daß das Hofleben einen fortwährenden sehr bissigen Krieg darstellte und oft ein wahres Höllenleben wurde. Napoleon charakterisierte seinen Schwager in einem Brief, den er an Karoline schrieb, ziemlich treffend, indem er sagte: „Dein Mann ist auf dem Schlachtfeld der Tapferste, aber wenn er den Feind nicht vor Augen hat, schwächer als ein Weib oder ein Mönch, er hat durchaus keinen moralischen Mut.“

Kurz nachdem Murat von der verunglückten Expedition gegen Sizilien aus Kalabrien zurückgekommen war, bedankte ich mich in einer erhaltenen Audienz bei ihm für die mir gewordene Anstellung; es fand sich dabei Gelegenheit, ihm in Erinnerung zu bringen, daß ich ihn schon zu Madrid und bei der Einnahme von Capri gesprochen habe, und er entließ mich mit den Worten: „Eh bien j’espère que vous ferez votre chemin chez nous.“ Da mir jetzt der Dienst in der Residenz ziemlich viel Muße ließ, so widmete ich mich wieder mehr der Musik und den schönen Wissenschaften, las und studierte den Machiavelli und so weiter.

Es existierte auch wieder ein französisches Liebhabertheater, bei dem mehrere Herren vom Hofe und einige Offiziere und Offiziersdamen, auch eine der Palastdamen, eine junge Französin, Madame d’Arlincourt, mitwirkende Teilnehmer waren und das besonders von der Königin protegiert und besucht wurde. Einigemal übernahm ich Liebhaberrollen bei demselben und hatte das Glück, auch dem anwesenden Murat zu gefallen. Da aber die Führung, Zusammensetzung und Austeilung der Rollen mir nicht zusagte, zog ich mich wieder zurück und war bloß noch Zuschauer; indessen war ich dadurch in einige nähere Berührung mit den Hofleuten und Madame d’Arlincourt gekommen, was bald mich weiter führen sollte.

Der Karneval von 1811 war äußerst belebt und glänzend, das Volk überließ sich dem Taumel dieses Vergnügens in vollem Maß. Toledo wurde von Masken, maskierten Carri (Wagen) und Reitern nicht leer, ebenso die anderen Plätze und Hauptstraßen. Es ist Tatsache, daß zu Neapel der Karneval im ganzen weit lebendiger, tumultuöser und lärmender ist wie der zu Rom, wenigstens so, wie ich beide sah.

Murat versäumte nichts, der Vergnügungssucht der Neapolitaner zu frönen. Sämtliche Theater empfingen während seiner Regierung Unterstützungen, und San Carlo wurde ganz besonders gehegt und gepflegt, die besten Sänger und Sängerinnen Italiens für die Stagione mit ungeheurem Gehalt engagiert und Unsummen Geldes auf Kostüme, Dekorationen, Maschinerie und so weiter verwendet; lange hatten die hiesigen Bühnen keine solche Glanzepoche gehabt wie jetzt. – Bei Besuch des französischen Liebhabertheaters hatte ich Gelegenheit gehabt, den Herrn von Longchamps, der Kammerherr des Königs und Oberintendant sämtlicher Theater und Schauspieler war, kennen zu lernen und mich auf einen guten Fuß mit ihm zu stellen, so daß ich allen Proben beiwohnen und auch während der Vorstellungen die Bühnen besuchen durfte; auch machte ich den Vorschlag, einige Ballette in Szene zu setzen, den er mit Dank annahm. Woran mir aber am meisten gelegen, war endlich, Mozarts Meisterwerk, den Don Juan, auf die italienische Bühne zu bringen. In Florenz hatte man auf meine Veranlassung sich dazu entschlossen, aber nach sechswöchigen Proben die Sache als unausführbar wieder aufgegeben. Die dortigen Musiker und Sänger hatten übereinstimmend geäußert, diese Musik sei nicht zum Aufführen geschaffen! – Als ich dies gehört, schrieb ich dem dortigen Impressario, dem ich die Sache empfohlen hatte: „Ihr seid Esel, in Deutschland wird der Don Juan schon seit beinahe zwanzig Jahren auf allen bedeutenden Bühnen gegeben.“ Die Herren wollten aber alle nach ihrer löblichen Gewohnheit auch diese Musik ad libitum singen und vortragen, italienische Schnörkeleien hineinflechten, das Orchester sollte ihnen, wie sie es gewohnt, nachgeben, was bei einer solchen Instrumentation, die mit der größten Präzision ausgeführt werden muß, unmöglich ist, und so erklärte man die Sache für untunlich und gab sie auf; dies war mit Ursache, daß ich in Neapel anfänglich mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, um den Don Juan auf die Bühne zubringen, was endlich nur ein königliches Machtgebot vermochte, wie wir bald sehen werden. Longchamps teilte mir eines Tages mit, daß die Königin gerne ein italienisches Liebhabertheater sich organisieren sähe, da sie eine besondere Vorliebe für diese, eigentlich ihre Muttersprache hege, und ihn beauftragt habe, womöglich ein solches zustande zu bringen. Da ich jetzt das Italienische schon ganz geläufig und vollkommen gut sprach, so erbot ich mich sogleich, tätigen Anteil an demselben zu nehmen, was dem Kammerherrn und Intendanten willkommen war, da er noch niemand wußte, mit dem er das Fach der ersten Liebhaberrollen besetzen solle. Er übersandte mir ein paar Tage darauf die Titelrolle in Goldonis Lustspiel ‚l’Avventurie‘, mit welchem das neue Theater, das die Königin auf ihre Kosten sehr elegant im Palast hatte einrichten lassen, eröffnet werden sollte. Die Sache fiel ganz zur Zufriedenheit der hohen Beschützerin aus, die sich lobend über unsere Leistungen aussprach und auf deren Wunsch jetzt mehrere von ihren Damen tätigen Anteil an diesen Vorstellungen nahmen, unter anderen auch die schöne Herzogin von Atri und die Marchesa Cavalcanti. Wir studierten nun noch mehrere Lustspiele von Goldoni und auch einige Dramen ein, wodurch ich mit den mitwirkenden Hofdamen in vielseitige nähere Berührung kam, und namentlich mit der Herzogin von Atri, welche die erste Liebhaberin machte. Eines Tages sprach Longchamps mit mir von unserem Repertoir und ließ dabei vernehmen, daß die Königin den Wunsch geäußert habe, einige neue und pikante Sachen, die noch nicht allgemein bekannt seien, aufführen zu sehen. Ich erbot mich, einige Stücke aus dem Deutschen zu übersetzen, die sehr interessant und in Italien noch gänzlich unbekannt seien; mein Antrag wurde mit Dank angenommen, und ich machte mich sogleich an Schillers Fiesco, eines meiner Lieblingsstücke; da ich indessen fürchtete, die Feinheiten und Subtilitäten der italienischen Sprache nicht hinlänglich zu kennen, so suchte ich mir einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin, um das Stück noch zu feilen, und fand sie in der schönen Marchesa Cavalcanti, die aber auch die Rolle der Eleonore sogleich für sich in Anspruch nahm und die der Imperiali der Herzogin von Atri zuteilte, während eine Doria, deren nicht weniger als drei unter den Palast- oder Hofdamen waren, die Berta machte, die der Cameriere Rosa und Arabella wurden zwei Offiziersdamen zugeteilt; daß ich mir die Titelrolle vorbehielt, war sehr natürlich, sowie daß ich sie auch recht natürlich spielte, den beiden schönen Damen recht con amore meine Liebe versichernd. Nichts war unterhaltender, als die Proben dieser Vorstellungen, deren wir unzählige veranstalteten, bis das Stück endlich vollkommen und zu meiner Zufriedenheit einstudiert war, und während deren ich alle Muße und Gelegenheit hatte, mich mit meinen Damen zu verständigen, wobei ich es so zu machen wußte, daß eine jede von der anderen glaubte, diese spiele in Wirklichkeit die Rolle der Imperiali. Endlich waren wir nach einem Monat des Probierens so weit, daß das Stück in Szene gesetzt werden konnte. Dies war ein wahrer Festtag für mich, und noch nie hatte ich die Bretter mit einem so freudigen Gefühl betreten; die Vorstellung, der der ganze Hof, die Minister, alle Offiziere und höheren Beamten beiwohnten, fiel über alle Erwartung gut aus und war auch hinsichtlich des Arrangements und der Kostüme auf das prächtigste ausgestattet. Der Beifall war fortwährend fast stürmisch, aber vor allem wurde die Szene des vierten Aktes donnernd applaudiert, und der Augenblick, wo Fiesco, nachdem ihm die Imperiali mit den Worten: „Fiesco t’adoro“ gestanden, wie sehr sie ihn liebe, die Draperien wegziehend, seine Gemahlin vorführend sagt: „Mi spiace, signora! Ecco mia moglie una donna celeste!“ erschütterte das ganze hohe Publikum so gewaltig, daß es seinem Gefühl mit einem anhaltenden und donnernden bravissimo Luft machte, was freilich mehr auf Rechnung des unsterblichen Schiller als der Darsteller zu setzen war. Auch der Mohr Hassan, dessen Rolle ein neapolitanischer Offizier machte, erntete großen Beifall. Murat war so entzückt von dem Stück, daß er es dreimal wiederholen ließ und mich selbst aufforderte, noch mehrere dergleichen zu übersetzen. Ich machte mich nun an den Don Carlos, aber in Prosa, wodurch er natürlich verlieren mußte; dennoch gefiel er ungemein. Freilich war die schöne Cavalcanti eine unvergleichliche Elisabeth sowie die Herzogin von Atri eine nichts zu wünschen übrig lassende Eboli; den Posa hatte ich mir vorbehalten. Da auch dieses Stück gefiel, so munterte mich Murat noch mehr zu ähnlichen Unternehmungen auf, machte mir einen kostbaren Brillantring zum Geschenk und teilte mich provisorisch seinen Ordonnanzoffizieren zu, wodurch ich alles anderen Dienstes jetzt enthoben war und mich ganz der Kunst widmen konnte. Ich übersetzte nun noch Zschokkes Abällino, Kotzebues Don Ranudo de Colibrados, die Indianer in England, Pagenstreiche, den Wirrwarr, die Kreuzfahrer, die mit Hilfe der Feile meiner Mitarbeiterin alle gefielen und wiederholt werden mußten, und Murat äußerte einmal: „Nimmermehr hätte ich geglaubt, daß die Deutschen so reich an solchen dramatischen Produkten seien, die es mit den besten Werken Racines, Corneilles und Molières aufnehmen können.“ Don Ranudo de Colibrados gefiel ihm ganz besonders, er konnte sich nicht satt daran sehen. Aber damit nicht zufrieden, setzten wir bald auch Opern in Szene und debütierten auf meine Veranlassung mit Figaros Hochzeit von Mozart, in welcher ich den Figaro sang und eine ganz allerliebste Susanna in einer Doria hatte. Bei den Opern waren jedoch weit größere Schwierigkeiten zu überwinden, und sie kamen daher nur selten zur Aufführung, dagegen hatte ich mehrere große Ballette geschrieben und die Musik dazu, meistens deutschen Opernmelodien entnommen, arrangiert. Murat hatte sich geäußert, daß, sobald sich eine passendere Stelle für den Oberintendanten Longchamps finden würde, er im Sinne habe, mir die Direktion der Theater zu übergeben. Auch für die königlichen Kinder, zwei Prinzen und zwei Prinzessinnen, ließ ich nun nach meinen Angaben ein kleines Puppentheater anfertigen, das mit einer bewundernswürdigen, auf Kupferrädern und Stahlfedern laufenden Maschinerie versehen war, die ein vorzüglicher Mechaniker verfertigt hatte und wodurch ganze Heere kleiner Soldaten und Reiterei sehr natürlich in Bewegung gesetzt wurden, alle möglichen Evolutionen und Schwenkungen machten, auch ein Seesturm mit Schiffbrüchen vortrefflich dargestellt werden konnte. Die Dekorationen waren alle von dem berühmten Gioja gemalt. Dieses Theater, das ein paar tausend Dukati kostete, machte den königlichen Kindern unendlich viel Spaß, und 1815 und 1816 ließ man es sogar für Geld in Paris sehen.

Über alle Beschreibung prächtig waren die großen Maskenbälle, welche Murat damals in dem schönen Theater San Carlo gab und zu welchen er an viertausend Einladungskarten austeilen ließ. Bei diesen Ballfesten durfte man nur in Charaktermasken oder mindestens bunten Dominos – schwarze waren gleich Zivilkleidern ganz verpönt – erscheinen. Man denke sich das schönste und herrlichste Theater der Welt, in dem jeder Palcho einen kleinen, höchst elegant möblierten Salon, mit Trumeaus, Diwans, Armleuchtern, kleinen Lüstern und kostbaren Draperien versehen, bildet, in dem mehr als viertausend Kerzen sind, alle an Armleuchtern vor Spiegeln an den festonnierten Pilastern oder Karyatiden, welche die Logen trennen, brennend, und diese Lichter durch den tausendfachen Widerschein der Spiegel millionenmal vermehrt, dazu die reichen, geschmackvollen Vergoldungen und Verzierungen des Saales, die ungeheure Bühne in einen transparenten Feengarten, Tempel oder Saal verwandelt, in sämtlichen Logen die reichsten, prächtigsten und elegantesten Masken, die Damen mit Diamanten und Rubinen, Smaragden und anderen Edelsteinen übersät, so daß das Blitzen und Flimmern der Agraffen und des Kopfputzes die Augen blendete; Murat selbst mit seiner imponierendem phantastisch gekleideten Figur, sowie die Königin mit ihrem zahlreichen Hofgefolge im höchsten Putz und Schmuck, dann das Wogen eines Federn- und Blumenwaldes der sich drängenden und tanzenden Masken unten im Saal, alles von einer unaufhörlich rauschenden, wohl an zweihundert Instrumente starken Musik begleitet, und man wird es natürlich finden, daß die meisten Personen, die zum erstenmal dieses Schauspiel sahen, kaum in einer halben Stunde von ihrer Betäubung und Verblendung wieder zu sich kommen konnten, denn man war verblendet und betäubt zu gleicher Zeit. Was war dagegen ein Pariser Ball in der Großen Oper und das Haus selbst! – Gleich nach Mitternacht wurde in allen Logen ein schwelgerisches Souper, alles auf königliche Kosten, serviert, und in den illuminierten Lauben auf der Bühne wurden fortwährend alle möglichen Erfrischungen und jedem gereicht, was er begehrte. Bei einem dieser wirklich magischen Feste hatte ich einen Zug und eine Quadrille, Masettos Hochzeit aus dem Don Juan darstellend, arrangiert und dabei, so wie wir eintraten, das Champagnerlied von den rauschenden Orchestern spielen lassen, was eine nicht zu beschreibende Wirkung auf alle Anwesenden hatte und mit daran schuld war, daß ich bald darauf die Aufführung von Mozarts Meisterwerk durchsetzte. Ich hatte ein allerliebstes Zerlinchen, die Marchesa Cavalcanti am Arm; Donna Octavia, Donna Elvira, Donna Anna, Don Gußmann und selbst der Geist fehlten nicht; Leporello trug mein fast mannsdickes Register unter dem Arm, und mehr als dreißig reich gekleidete Lakaien umgaben uns mit beinahe drei Schuh hohen Champagnergläsern, in deren jedes der Inhalt einer Flasche ging, andere trugen die zierlichen lackierten Flaschenkörbe, und unaufhörlich wurde der Champagner, Rosé und Ai, den Ballgästen in diesen Gläsern kredenzt, bis sich der Zug in eine Quadrille auflöste. Auf diesem Ball hatte ich noch ein ganz eigenes Abenteuer zu bestehen. Ich hatte mein hübsches Zerlinchen, die Marchesa Cavalcanti, deren Gatte einer der königlichen Stallmeister war, beredet, das Fest auf eine halbe Stunde mit mir zu verlassen, um in einem nahen Kaffeehaus in einem Kabinett ein Glas Eis tête-à-tête mit mir zu nehmen. Wir entfernten uns, nachdem wir ein paar Dominos übergeworfen, heimlich zu Fuß, glaubten uns aber, nachdem wir San Carlo verlassen hatten, verfolgt, und zwar von einer Maske, die wir für den Marchese hielten. Ihr zu entgehen, bog ich schnell um eine Ecke, wo eine einzelne Schildwache stand, der ich mich als einen Offizier von der Garde zu erkennen gab und sie bat, zu gestatten, daß ich die bei mir habende Maske nur auf zwei Minuten in dem Schilderhaus verbergen dürfe, und ohne des Soldaten Antwort abzuwarten, ließ ich die Dame ins Schilderhaus treten und folgte ihr. Kaum waren wir darin, als die uns verfolgende Maske vorüberrannte. Nachdem wir sie entfernt genug glaubten, wollte ich das Schilderhaus wieder verlassen, aber in demselben Augenblick kam eine Offiziersronde, die, nachdem sie die Schildwache angerufen, erkannt und dann herangekommen war, auf einmal sagte: „Kerl, da regt sich ja was im Schilderhaus!“ – Die Marchesa hatte niesen müssen. – Der Soldat versetzte ganz verlegen: „Ich glaube, Sie irren sich.“ – „Das wollen wir doch sehen,“ erwiderte der Offizier und trat an das Schilderhaus, aus dem ich aber sogleich heraustrat, den Offizier beiseite nahm, mich ihm zu erkennen gab, ihm, natürlich ohne einen Namen zu nennen, mitteilte, was vorgegangen, worauf er sich lachend entfernte. Wir fanden jedoch für gut, auf den Ball zurückzukehren und uns daselbst recht bemerkbar zu machen, so daß der zurückgekehrte Marchese, denn er war es allerdings gewesen, seine Frau ganz erstaunt anblickte und ein: „Das geht nicht mit rechten Dingen zu!“ ausstieß. – „Ei was denn, mio caro marito?“ fragte ihn die Marchesa. – „Nun, ich werde schon noch dahinter kommen,“ erwiderte der Herr Gemahl, und dabei blieb es denn, er kam nicht dahinter, indem wir, gewarnt, spätere Zusammenkünfte weit vorsichtiger veranstalteten. Auch die Hoffeste, zu denen ich jetzt immer eingeladen wurde, waren überaus prächtig. Eines Tages, als ich zum erstenmal zur Tafel gezogen wurde und in einem offenen Wagen in großer Uniform, weißen Kaschmir-Beinkleidern und gelben Stiefeln längs den Kais nach dem Palast fuhr und das Meer sehr aufgeregt und stürmisch war, schlug der Schaum einer Welle in den Wagen und machte mich von oben bis unten naß. Jetzt war guter Rat teuer, ich hatte die Zeit sehr präzis abgemessen, konnte aber doch unmöglich in diesem Zustand im Schloß erscheinen, ließ also auf der Stelle umwenden, fuhr nach Giesù nuovo, wo mehrere Offiziere von meinem Regiment wohnten, lieh von einem und dem anderen, was ich bedurfte, kleidete mich Hals über Kopf um, jagte in voller Karriere nach dem Palast, wo ich noch zu rechter Zeit ankam, und konnte nun triumphierend mit einem Hofmarschall Kalb wenn auch nicht „und bin noch der erste in der Antichambre“, doch „und kam gerade noch zur Suppe“ ausrufen. Ich erzählte meine Aventüre einigen Hofdamen, die mich bedauerten, und Murat, der sie auch erfuhr, lachte dazu.

Um gerecht zu sein, muß ich jedoch eingestehen, daß Murat trotz seiner Vergnügungs- und Prunksucht vieles Gute und selbst Treffliches während seiner kurzen Regierung in Neapel veranlaßte. Er ließ der Universität eine neue und weit bessere Organisation geben, führte das Dezimalsystem in Maß und Gewicht ein, unterstützte den Ackerbau und namentlich den Tabaksbau, hob die Industrie, gründete mehrere Wohltätigkeitsanstalten und brachte in das sonst so träge neapolitanische Volk mehr Leben. Das Heer brachte er bis auf fünfzigtausend Mann unter den Waffen, die gut eingeübt wurden, und obgleich er ein großer Freund der Damen war, so konnte sich doch keine rühmen, eine ausschließliche Herrschaft auf ihn auszuüben oder auch nur politischen Einfluß auf die Staatsangelegenheiten zu haben, obgleich er ihnen sonst nicht leicht etwas abschlug und jede Privatbitte gewährte, wenn es in seiner Macht stand. Indessen fielen doch öfters ziemlich eklatante Skandalosa bei Hof vor, und auch Karoline hatte fortwährend Intrigen, namentlich waren ihr die Stallmeister und Kammerherren nicht gleichgültig. Ihr Hofleben zu Caserta war eben nicht das musterhafteste und hatte großen Einfluß auf das ohnehin schon sehr sittenlose neapolitanische bürgerliche Leben. Die geheimen und galanten Hofgeschichten zu Caserta würden allein dicke Bände füllen. Murat hatte sehr viel für die Verschönerung dieses herrlichen Schlosses getan. Auch die Königin liebte sehr den Putz und die Moden, von denen sie die neuesten immer per Kurier aus Paris kommen ließ; ihre Damen mußten immer in der elegantesten Toilette erscheinen, und wenn diese den oft gleich einem Orlando furioso in seinen wunderlichen Kostümen zu Pferde dahinrasenden König un bel uomo nannten oder gar im Enthusiasmus ausriefen: „Oh quant’ é bello il nostro Re!“, so flüsterten viele Herren: „Oh quant’ é bellina la nostra Carolina!“ Der Hofintrigen waren unzählige, auch nicht eine der jüngeren Damen, von der ersten Palastdame bis zur Cameriera, die nicht ihren Liebhaber gehabt hätte. Einigemal hatte ich auch während der Karnevalszeit frühere Bekanntschaften, namentlich Isaura und die hübsche Apothekerin auf Festinis getroffen, doch erneuerte ich sie nicht, und es blieb bei nichtssagenden Höflichkeiten und leeren Artigkeiten. Die dem Karneval folgende Fastenzeit war nicht ohne Unterhaltung; bei Hofe gab es Konzerte und musikalische Soireen, in welchen Dilettanten sich hören ließen, und ich brachte es bald dahin, daß einzelne Morceaus aus dem Don Juan, der Zauberflöte, dem Titus und dem Opferfest vorgetragen wurden, die sämtlich gut einstudiert waren und daher großen Beifall erhielten. Da meine Stimme einen großen Umfang hatte, so konnte ich auch ziemlich hohe Tenorpartien, ohne daß sie transponiert zu werden brauchten, singen, unter anderen die Aria des Tamino: ‚Dies Bildnis ist bezaubernd schön‘ und so weiter. Während der Fastenzeit machte ich täglich Besuche in den Kirchen Neapels, um die Schönen zu bewundern, die nun durch Knien, Beten und Fasten ihre Karnevalssünden abzubüßen und Vergebung derselben zu erhalten hofften, um – aufs neue zu sündigen. Nach den Fasten begab sich der Hof nach Caserta, aber Murat, der mit seiner Gattin und seinem Schwager fortwährend schmollte, ging, wie ich schon erwähnte, nach Capo di Monte. Zu Caserta merkte man jedoch wenig von den Mißhelligkeiten des königlichen Ehepaars. In dem herrlichen Garten dieses Schlosses hatte ich nun öfters geheime Zusammenkünfte mit der schönen Marchesa Cavalcanti. Eines Morgens früh traf ich sie daselbst in einer Allee in einem ziemlich lauten Wortwechsel mit einer anderen Hofdame, ihrer Vertrauten, begriffen und hörte sie noch die Worte sagen: „Nein, diese Unverschämtheit ist zu groß, so etwas würde sich kein Franzose erlaubt haben.“ Als sie mich erblickte, eilte sie auf mich zu und empfing mich mit den Worten: „Stellen Sie sich vor, welche Impertinenz mir soeben der Duca de Laviani (ebenfalls ein Stallmeister des Königs und Eskadronschef) gemacht. Unter dem Vorwand, mir eine wichtige, die Königin betreffende Sache mitteilen zu müssen, hatte er mich hierher beschieden, und während ich nun ganz Ohr bin, um zu hören, was es sei, das Ihro Majestät betrifft, nimmt er mich plötzlich beim Kopf und will mich mit Gewalt küssen, der unausstehliche häßliche alte Pavian. Ich springe zurück, verteidige mich, so gut ich es vermag, und schreie um Hilfe; glücklicherweise kommen ein paar Kammerfrauen herbeigesprungen, die sich in der Nähe befanden, und der Signor Duca läuft brummend und fluchend davon. – Ist das wohl ein Betragen für einen Offizier und Edelmann? – Was sagen Sie dazu?“

„Daß es die empfindlichste Strafe und Genugtuung fordert, und wenn Sie es mir gestatten, so übernehme ich die Ausführung für beides.“

„Ja, Sie sind ein Franzose oder Tedesco, gleichviel, sagen Sie ihm tüchtig die Meinung, Sie sind ein galant’ uomo, ein uomo d’onore.“ – „Mit der Meinung allein, Illustrissima, ist es nicht genug, ich werde noch ein anderes Wort mit ihm sprechen.“ – Während ich, mit der Marchesa redend, die Allee hinab gehe, wird diese plötzlich ganz bleich, zittert und ruft aus: „Eccolo!“ Ich erblickte nun ebenfalls den Laviani am Ende des Baumganges, eiligst um eine Ecke biegend, setzte ihm auf der Stelle nach, donnerte ihm ein „Halt!“ zu und brachte ihn so zum Stehen. Ich ersuchte ihn nun, mir zur Marchesa zu folgen, und da er sich nicht gleich gutwillig dazu verstehen wollte, so zwang ich ihn dazu, indem ich ihm sagte: „wohlan, so werden Sie mir sogleich an einen anderen Ort folgen.“ Bei der Dame angekommen, hielt ich ihm in deren Gegenwart sein Benehmen gegen sie in ziemlich derben Worten vor und ersuchte ihn, dieselbe in meiner Gegenwart um Verzeihung zu bitten; da er Ausflüchte suchte, so erklärte ich ihm in dürren Worten, er habe nur die Wahl, die Signora um Vergebung zu bitten, oder mir Satisfaktion zu geben, da ich mich einmal der Sache angenommen und er sich zu hüten habe, daß sie vor den König komme, der, wie er wohl wisse, am allerwenigsten Poltronerie verzeihe. Dies wirkte, Laviani wurde sehr geschmeidig und bat die Dame mit den Worten um Verzeihung, die ich ihm vorsagte, worauf er sich, noch etwas in den Bart brummend, entfernte. Als er weg war, sagte die Marchesa zu mir: „Seien Sie jetzt auf Ihrer Hut, Laviani ist ein ebenso rachsüchtiger und heimtückischer als feiger Mensch.“ Wir spazierten noch einige Zeit in den Gärten von Caserta herum, und ich empfahl mich endlich mit einem: „A rivederci!“ Einige Tage darauf erfuhr ich durch den Kapitän d’Arlincourt, der ebenfalls Ordonnanzoffizier und Stallmeister war, daß Laviani den Vorfall zu Caserta ganz zu seinen Gunsten herumgedreht erzähle und unter die Offiziere und Hofbeamten zu bringen suche. Ich schrieb ihm nun sogleich ein Billett, in welchem ich ihn mit einigen derben Epitheten beehrte, und ließ es, bevor ich es absandte, von einigen Offizieren lesen. d’Arlincourt, der ihm die Herausforderung hinterbrachte, sagte ihm zugleich, daß er sich am nächsten Morgen in dem Wald hinter Capo di Monte mit einem Sekundanten einzufinden habe; er selbst war der meinige. Um fünf Uhr des Morgens befanden wir uns schon an dem unfern vom Jägerhaus liegenden Weiher, dem für das Duell bestimmten Ort, etwa zwanzig Minuten später traf mein Gegner mit dem Kapitän Duca della Regina Capece, auch Ordonnanzoffizier, ein. Wir begaben uns tiefer in den Wald, und es wurden fünfzehn Schritte abgemessen, da Pistolen zur Waffe beliebt worden waren, weil Laviani geäußert hatte, daß ich ihm mit der Klinge zu überlegen sei. Da ich den ersten Schuß hatte, so drückte ich ab und streifte, wie es meine Absicht gewesen, meinem Gegner die linke Schulter, denn ich wollte ihn weder töten noch hors du combat setzen. Er zielte nun ziemlich lange, aber, wie ich bemerkte, zitternd, auch war er, als ich meine Pistole angeschlagen, leichenblaß geworden, endlich drückte er ab, und die Kugel flog über mich hinaus. Ich ergriff nun eine zweite Pistole, zielte absichtlich etwas länger ihm gerade auf die Brust, weidete mich so einen Augenblick an seiner Todesangst und schoß dann in die Luft. Laviani stotterte nun, er wolle mir seinen Schuß schenken, ich aber rief ihm zu: „Dergleichen Geschenke akzeptiere ich nicht, Sie werden schießen.“ Jetzt legten sich jedoch die Sekundanten ins Mittel, behauptend, es sei der Ehre genug geschehen, ich habe volle Satisfaktion und so weiter; ich begnügte mich endlich damit, jedoch mußte Laviani noch vorher das: ‚Ich schenke Ihnen den Schuß,‘ zurücknehmen und eingestehen, daß er die Unwahrheit gesagt. So war die Sache für jetzt beigelegt. Eine Einladung zu einem Frühstück von Laviani schlug ich aus und eilte nach Caserta, wo ich diesen Morgen aber nicht fand, was ich suchte, dagegen der schönen Herzogin von Atri mit der Marchesa di Misiraca in dem Garten begegnete, diese Damen um die Erlaubnis bat, sie auf der Promenade begleiten zu dürfen, was mir freundlichst zugestanden wurde. Die Unterhaltung wurde bald recht animiert, die Herzogin machte mir Komplimente über mein Schauspielertalent, indem sie mir sagte, daß sie mich immer mit großem Vergnügen auf der Bühne sehe. Eine gute Stunde hatte ich mich angenehm mit den Damen unterhalten, als diese fanden, daß es Zeit sei, sich zu entfernen, sich empfahlen und im Schloß, bis wohin ich sie begleitet hatte, verschwanden, mir aber beim Abschied erlaubten, diese Promenaden von Zeit zu Zeit mit ihnen wiederholen zu dürfen, was ich schon den nächsten Morgen, aber vergeblich, versuchte und niemand in den Alleen begegnete. Einige Tage darauf war ich jedoch glücklicher und traf die Damen wieder. Diesmal war die Unterhaltung schon vertraulicher; wir kamen auch auf den Don Juan zu sprechen, der, wie ich hoffte, jetzt bald in der großen Oper in Szene gesetzt werden sollte, wobei mir die Herzogin, auf jene Quadrille anspielend sagte: „Ah siete un briccone, Signor Capitano; Neapel ist nicht so groß, daß man nicht erführe, was gewisse Leute treiben, besonders bei Hofe ...“ Dabei drohte sie mit dem Finger. Ich stellte mich jedoch, als verstünde ich nicht, was sie damit meine, küßte ihr die Hand und wandelte noch eine geraume Zeit an ihrer Seite, als wir die Marchesa Cavalcanti mit ihrer Vertrauten in einer Allee auf uns zukommen sahen. „Ah, jetzt kommt die Rechte,“ meinte die Herzogin, „werden Sie nur nicht rot.“ – „Illustrissima, ich wüßte nicht ...“ – „Schon gut.“ Wir gingen auf die Damen zu, und als wir in ihrer Nähe waren, sagte die Atri zur Marchesa: „Hier führe ich Ihnen einen Kavalier zu, der Sie schon lange sucht.“ – „Das bezweifle ich,“ versetzte diese etwas ironisch, „er war in zu guter Gesellschaft.“ – Die Unterhaltung wurde nun allgemein, bis sich sämtliche Damen wieder in den Palast entfernten, worauf ich nicht sehr befriedigt nach Neapel zurückritt.

Damals erlangte ich endlich durch Murat, daß Don Juan in Szene gesetzt werden sollte, obgleich selbst Longchamps, der anfing, mich mit neidischen Blicken zu betrachten, heimlich dagegen wirkte. Als die Proben begannen, denen allen ich beiwohnte, suchte man gleich bei der ersten dem Unternehmen allerlei Schwierigkeiten in den Weg zu legen, denen ich jedoch zu begegnen wußte, die man aber mit jeder Probe zu vermehren suchte. Es kam endlich so weit, daß auch hier mehrere der ersten Sänger die Sache für unausführbar erklärten, sich auf das berufend, was zu Florenz vorgegangen war. Ich sah wohl ein, daß hier andere Intrigen im Spiel waren, was mir auch von der niedlichen Sängerin, welche die Partie der Zerline übernommen hatte, an der dieser viel gelegen war und mit der ich auf einem vertrauten Fuß stand, bestätigt wurde. Ich teilte dies dem König freimütig und ohne allen Rückhalt mit, da man mit Murat ganz ungeniert und wie es einem um das Herz war, reden konnte. Dieser gab mir nun plein pouvoir in dieser Sache, was er auch den Intendanten wissen ließ, sowie daß er darauf bestehe, Mozarts Don Juan vollständig und wie er geschrieben hören zu wollen. Als nun die nächste Probe begann, sagte ich zu dem Sängerpersonale, daß es der unwiderrufliche Wille Seiner Majestät sei, daß der Don Juan, so wie ihn der Meister komponiert, in Szene gesetzt werde, und daß diejenigen Künstler, welche sich nicht fähig hielten, die ihnen zugeteilten Partien so wie sie seien, zu singen, sofort als unfähig, bei der königlichen Oper mitzuwirken, entlassen würden. Dies wirkte, man zeigte sich nun sehr geschmeidig und gab sich alle Mühe, auch erlaubte ich nicht die geringste Abänderung, Schnörkelei oder unpassende Verzierung, und das Werk des unsterblichen Meisters wurde jetzt in so hoher Vollkommenheit aufgeführt, daß es allgemeinen Beifall erhielt und über hundertmal hintereinander mit immer steigendem Wohlgefallen aufgeführt wurde.

Damals trug sich ein komisch-politischer Vorfall zu: die Douaniers an der Küste von Kalabrien hatten eine von Sizilien kommende Barke mit Nachtgeschirren, lauter englische Ware, gekapert, als man nach Mitternacht landete, um seine verbotene und doppelt gefährliche Ware einzuschmuggeln. Es waren dies nämlich keine gewöhnlichen, sondern bemalte Nachtgeschirre, in deren Grund Napoleons Porträt mit weitaufgesperrtem Mund sich befand, gleichsam zum Empfang dessen, was in dasselbe gegossen wurde. Dergleichen Geschirre bedienten sich schon länger in England die eingefleischten Feinde des französischen Kaisers und hatten sie auch nach Spanien und Sizilien versendet und zum Teil daselbst verschenkt. Als die Sache vor Murat kam, befahl er, die Geschirre sämtlich zu zerschlagen und die Trümmer ins Meer zu werfen, die Schiffer aber, die sie gebracht, sollten vor ein Kriegsgericht gestellt und erschossen werden; glücklicherweise waren sie entwischt. Bald aber kam die Polizei der Tatsache auf die Spur, daß schon mehrere solcher Geschirre im Reiche eingeschmuggelt worden seien und es selbst in Neapel Personen gäbe, die sich solcher bedienten. Das Polizeiministerium wollte nun die Sache näher untersuchen und Haussuchungen bei Verdächtigen anstellen, Murat war aber so klug, dies zu untersagen und die Sache niederzuschlagen, obgleich behauptet wurde, daß auch dergleichen Geschirre mit seinem Bild vorhanden seien; eines mit dem Napoleons habe ich selbst als eine Kuriosität bei Moritz gesehen, auch versicherte man, daß sich die alte Königin von Neapel sowie der ganze Hof in Sizilien ihrer bediene. Als aber die Sache auf dem Festland ruchbar wurde, fanden die Besitzer derselben für geraten, dieses gefährliche Eigentum zu zertrümmern. Hätte Murat die Sache nicht niedergeschlagen, so hätte es einen großen Skandal gegeben, der hundertmal mehr geschadet als genützt haben würde.

Ich brachte den Sommer so ziemlich in einem dolce far niente, was in dieser Jahreszeit in Neapel am zuträglichsten ist, und einen großen Teil meiner Zeit abwechselnd in Caserta und Capo di Monte zu. Im ersteren Ort hatte ich nun öfters Gelegenheit, die hübsche Herzogin von Atri zu sehen und zu sprechen und kam endlich so weit mit ihr, daß ich auch nächtliche Promenaden in den reizenden Gärten Casertas mit ihr machte, wobei sie jedoch immer ihre vertraute Freundin, die Marchesa Misuraca, begleitete, die oft den Lauerposten übernahm. Eines Abends, es war beinahe Mitternacht, als wir eben recht vertraulich in einer Laube saßen und die Marchesa Schildwache stand, damit wir vor Überraschung sicher seien, stürzte sie plötzlich mit den Worten: „Ecco la regina!“ herein. Ich war mit einem Satz aus und hinter der Laube herum und eilte der entgegengesetzten Seite zu, von der ich die Königin kommen wähnte, aber kaum hatte ich einige dreißig Schritte gemacht, so befand ich mich derselben, die von einigen Damen und Kavalieren begleitet war, en face. Ich konnte ihr nicht mehr unbemerkt entwischen, und sie stellte mich mit den Worten: „Ei, was machen Sie denn noch so spät zu Caserta?“ zur Rede. – „Majestät, die herrlichen Nächte haben mich in diesem entzückenden Aufenthaltsort zurückgehalten.“ – „Und vielleicht noch etwas anderes,“ versetzte die Königin. – „Oh, nicht doch, Majestät,“ sagte ich nun sehr laut, damit es meine beiden Damen hören sollten, um der Königin entgehen zu können; „nur das Paradiesische dieses Ortes, dessen Zaubergärten ich auch einmal des Nachts durchwandern wollte, haben mich hierhergezogen.“ – „Lassen Sie das künftig bleiben,“ sagte die Königin etwas scharf betonend, „hören Sie?“ – „Wie Ihre Majestät befehlen,“ erwiderte ich mit einer tiefen Verbeugung und entfernte mich nach erhaltener Erlaubnis. Ich wollte nun meine Damen noch aufsuchen, konnte sie aber nicht mehr finden und machte mich nach Neapel auf, überlegend, was diese Begebenheit wohl für Folgen haben könne. Karoline sah es nicht gern, daß man sich zur Nachtzeit in den Gärten von Caserta umhertrieb, denn diese waren auch der Tummelplatz ihrer verliebten Intrigen und galanten Abenteuer, deren sie nicht wenig hatte, wie hinlänglich bekannt war. Den anderen Morgen schrieb ich sogleich ein Billett an die Marchesa Misuraca, um dieser meine kurze Unterredung mit der Königin mitzuteilen, damit sich die Herzogin Atri und sie darnach richten konnten. Eben war ich im Begriff, das Billett meinem Reitknecht, einem pfiffigen Burschen, zu übergeben, als sich ein Kammermädchen der Misuraca bei mir einfand und mir mündlich im Namen ihrer Herrschaft zu wissen tat, ich möchte mich diesen Abend nach Sonnenuntergang in der Villa Reale einfinden, wo man mich zu sprechen wünsche. Hier traf ich, nachdem ich einigemal auf und ab gegangen war, zwei verschleierte Damen an, die mir ein Zeichen gaben; es war die Marchesa mit einer Cameriera. Erstere teilte mir mit, daß die Königin wisse, daß ich in jener Nacht mit Damen im Garten zu Caserta ein Rendezvous gehabt und sie andere Damen beauftragt habe, sich alle Mühe zu geben, um zu erforschen, wer jene gewesen seien; dies habe aber nichts zu sagen, und ich würde dennoch ihre Freundin am sichersten und unbemerktesten in Caserta sprechen können, nur müsse dies nicht mehr in dem Garten selbst, sondern in dem angrenzenden dichten Ulmen- und Eichenwald geschehen, und auf diese Weise setzten wir auch unsere Zusammenkünfte den ganzen Sommer ungestört fort. In Caserta fanden ebenfalls öfters französische und italienische theatralische Dilettantenvorstellungen statt, bei denen ich tätig mitwirkte, während ich jetzt faktisch eigentlich der Intendant der königlichen Schauspiele, namentlich von San Carlo war und Longchamps wenig mehr als den Namen hatte. Ich wohnte fortwährend allen Proben bei und regalierte nicht selten das ganze probierende Personal mit heißem Polentakuchen, Rosolio und so weiter, wogegen die Cantatrice und Ballerine sich äußerst artig und gefällig gegen mich zeigten, und ich war nun so ganz in meinem Element, namentlich wiegte mich die Musik dieser in dem chiaroscuro gehaltenen Morgenproben in süße Träumereien ein und brachte, wie jede schöne Morgenmusik, ein seltsames, wohltuendes Gefühl in mir hervor, mich in eine nicht zu beschreibende, fast übernatürliche Stimmung versetzend. Auch verlebte ich manche Nacht in der lustigen Gesellschaft dieser oft ausgelassenen aber liebenswürdigen Theaterprinzessinnen. Murat selbst war ein so großer Theaterfreund, daß er sich öfters morgens von den besten Schauspielern und Schauspielerinnen des französischen Theaters zu Neapel aus den vorzüglichsten Trauerspielen vordeklamieren ließ, und so laut, daß die Personen, mit denen die Vorzimmer angefüllt waren, glaubten, man habe sich im Kabinett bei den Köpfen, oder es sei sonst ein Unglück vorgefallen. Eine wegen ihres ausgezeichneten Talents und ihrer großen Galanterie berühmte Aktrice, die eines Morgens eine Audienz bei Murat hatte, glaubte, als sie, bevor sie eingeführt wurde, ein solches Getöse im Kabinett vernahm, man habe den König ermordet, bis sie ein diensttuender Kammerherr eines Besseren belehrte. Einer dieser Vorsäle war gewöhnlich mit den diensttuenden und anderen Offizieren angefüllt, welche sämtlich in sehr reichen, mit Gold- und Silberstickereien bedeckten Uniformen prangten, so daß alle Fremde, welche in diesen Salon kamen, davon geblendet waren und namentlich die Damen sie nicht genug bewundern konnten. Alle, die irgendein Gesuch bei dem König hatten, verließen ihn, nachdem sie ihn gesprochen, mit sehr heiterem Gesicht, denn der in der Schlacht furchtbar wilde Krieger war der gutmütigste Mensch im Privatleben, aber nicht zum Regieren geschaffen.

Damals wurde auch unter den Offizieren und überhaupt den höheren Ständen zu Neapel ganz außerordentlich hoch und viel gespielt, namentlich war das Haus des Prinzen Pignatelli eines der berüchtigtsten Spielhäuser, und ich hatte einen Abend über tausend Dukati bei demselben gewonnen, von denen ich aber bald sagen konnte: wie gewonnen, so zerronnen. In manchen dieser Häuser ging es auch eben nicht zum ehrlichsten her, und die neapolitanischen Adeligen rupften die Offiziere und Angestellten nicht übel, sich allerlei Spielkunstgriffe und Kniffe erlaubend. Eines Abends, es war nicht lange vor meinem plötzlichen Abmarsch von Neapel, pointierte ich stark im Pharo. Ein gewisser Martin, ein Franzose, hielt die Bank. Ich verlor ansehnliche Summen, aber der König, der hinter mir stand, encouragierte mich fortwährend, zu dublieren, und als ich schon über dreitausend Franken verloren und kein Geld mehr bei mir hatte, sagte er mir: „Nur zu, ich repondiere für alles.“ Ich verspielte nun noch sechstausend Franken auf Parole. Murat versprach mir, sie an Martin zu bezahlen, was er diesem auch zurief und dem ich einstweilen einen Schein darüber zustellte. Murat vergaß es, und ich fiel bald darauf in Ungnade, wurde nach Korfu geschickt, und die Schuld blieb hängen. Anfang des Winters dieses Jahres veranstaltete Murat ein seltsames Fest, zu dem die Gäste Einladungskarten für ein Festino und Souper suspendu im Saal von San Carlo erhielten. Jedermann zerbrach sich den Kopf, was dies wohl für ein Souper sein möge, und die meisten meinten, daß man dabei wohl hungrig nach Hause gehen würde. Dem war aber nicht so. Als um Mitternacht der Tanz suspendiert wurde, lud man sämtliche Damen ein, sich auf die den Olymp vorstellende Bühne zu begeben, auf welcher eine große Tafel in Hufeisenform gedeckt war, auf der sich aber auch nicht eine Idee von einer Speise vorfand. Man sah verwundert einander an, die Damen fragten die hinter ihnen stehenden Herren, was denn dies zu bedeuten habe, als sich plötzlich der Himmel, nämlich der Theaterhimmel, dicht und stark bewölkte, dann aber verteilten sich die Wolken wieder, und zwischen Himmel und Erde schwebten unzählige silberne Schüsseln, aus denen der Geruch der köstlichsten Speisen dampfte. Die Schüsseln wurden nun bis beinahe vor die Nasen und Mäuler der harrenden Gäste herabgelassen, als aber einige darnach greifen wollten, da entschlüpften sie ihnen schnell, sich wieder in die Höhe erhebend, dann ließen sie sich wieder herab, um abermals den hungrigen Mäulern durch das Hinauffahren zu entgehen. Dies Manöver wurde so lange wiederholt, bis es schien, als wollten die Gäste endlich die Geduld verlieren. Jetzt wurden alle Speisen und mit ihnen die köstlichsten Weine, Liköre und andere Getränke herab und auf die Tafel niedergelassen, wo sie unwandelbar stehen blieben und mit dem heitersten Humor von der Welt verzehrt wurden, worauf man wieder bis gegen Morgen tanzte. Das Stückchen war eigentlich meine Erfindung, ich ließ aber gerne Seiner Majestät die Ehre.

Ende Oktober kehrte der Hof nach Neapel zurück und installierte sich wieder im Palazzo Reale. Ich setzte mein Verhältnis mit der Marchesa Cavalcanti und der Herzogin von Atri fort. Meine Zusammenkünfte mit der Herzogin waren jetzt sehr romantisch, denn sie fanden meistens um Mitternacht auf der in einen Garten verwandelten Terrasse eines Hauses statt, zu der ich nur durch ein anderes, drei Häuser davon entferntes Gebäude, von dem ich über die dazwischen liegenden Terrassen, alle von gleicher Höhe, nicht gefahrlos kommen konnte, wo wir uns dann in einer zwischen duftenden Blumenbeeten stehenden Laube trafen. Dieses Verhältnis mußte aus mehreren Gründen äußerst geheim gehalten werden, besonders aber, weil ich seit kurzem einen sehr mächtigen Nebenbuhler hatte und der kein anderer als Seine Majestät selbst war, aber, wie mir die Herzogin feierlichst versicherte und beschwor, von ihr nicht erhört würde; ich zweifelte, denn ich wußte längst, was es mit diesen feierlichen Versicherungen und Schwüren der Damen auf sich hat. Sie aber meinte: „Wir müssen unser Einverständnis um so geheimer halten, weil der König sonst leicht auf den Gedanken kommen könnte, ich schöpfe die ganze Kraft meines Widerstandes in den Armen eines anderen Geliebten.“ Eines Abends stellte sie mir ein ziemlich schweres Päckchen, in ein Papier gewickelt, zu, mit der Bitte, es zu öffnen. Ich tat es und fand ein sehr zierlich gearbeitetes silbernes Ei von der Größe eines Enteneis an einer venetianischen Kette befestigt, das sich durch einen leichten Druck in der Mitte öffnete, wo sich dann ein goldener Dotter zeigte; auch dieser öffnete sich, und man erblickte nun ein Herz von Rubinen, das durch eine blitzende Flamme von Diamanten entzündet und von einem Smaragdband umgürtet war. Das Kleinod war von bewundernswürdiger Arbeit, das Innere des Eis hatte weiße, mit Perlen und Edelsteinen besetzte Emaille, Blumenbukette bildend, ebenso das Innere des Dotters, nur waren sie noch weit kostbarer. Mariana, der Taufname der Atri, sagte mir, sie habe das prächtige Geschenk diesen Morgen auf ihrer Toilette gefunden, ohne den Geber zu kennen, der aber wohl kein anderer als der König selbst sein könne. Ich entdeckte jetzt, daß sich auch das Rubinenherz noch öffnete, was die Herzogin bisher nicht gewußt, und fand ein mit Rosen verschlungenes brillantenes und gekröntes M in demselben. – „Was soll ich nun damit anfangen?“ fragte sie mich. „An ein Zurückgeben ist wohl nicht zu denken, da ich nicht einmal weiß, wer es überbracht und niemand von meinen Leuten etwas davon wissen will; meinem Manne mag ich auch nichts davon sagen, dies wäre ganz unnütz.“ – Ich riet ihr, mit etwas mißtrauischen Blicken, es zu behalten, bis sie Gewißheit über den Geber habe. Dies Geschenk war jedoch Ursache, daß es einiges Schmollen zwischen uns setzte.

Eine sehr tragische Begebenheit, die um Weihnachten vorfiel, machte damals großes Aufsehen und setzte ganz Neapel und besonders die Geistlichkeit in Alarm. Ein Neapolitaner, der seine Gattin und deren Beichtvater en flagrant délit ertappte, hatte beide ermordet. Das in große Unruhe versetzte Heer der Pfaffen wollte, daß der Mann eine exemplarische Strafe, wenigstens den Feuertod erhalten oder gevierteilt werden sollte; das gewöhnliche Hängen, Erschießen oder Guillotinieren war ihnen viel zu gelinde, denn einem solchen Bösewicht, der es wagte, seine verruchte Hand an die geheiligte Person eines Beichtvaters zu legen, der, wenn er auch ein sehr menschliches Verbrechen beging, doch immer eine gottgeweihte und geheiligte Person sei, müsse die ärgste Strafe, die zu erdenken, werden. Aber siehe da, nachdem die Sache gehörig untersucht war, begnadigte Murat den Mörder dahin, daß er ihn mehrere Monate in einen Kerker der Festung Gaëta setzen, dann aber wieder frei ließ. Bald nachher fand man ihn ermordet in seiner Wohnung zu Neapel, ohne daß es möglich war, den Mörder ausfindig zu machen. Bei der Untersuchung hatte sich herausgestellt, daß der Pfaffe schon vor der Verheiratung der Gattin des nun auch Getöteten einen vertrauten Umgang mit derselben gehabt und der Stifter dieser Ehe, die ein so furchtbares Ende genommen und allen dreien so übel bekam, gewesen war.

Die Proben meines Balletts, bei denen ich das Personal immer mit köstlichen Erfrischungen bewirtete und ein ordentliches Büfett errichtet hatte, nahmen ungestört ihren Fortgang, und dasselbe sollte im Monat Januar (1812) zugleich mit einer neuen großen Oper zur Aufführung kommen. Die Weihnachten gingen auch dieses Jahr recht vergnügt für mich vorüber, die Buden der Toledostraße waren auf das eleganteste herausgeputzt und mit künstlichen und natürlichen Kostbarkeiten, die letzteren in den ausgesuchtesten Obstsorten, Gemüsen, Früchten, gemästetem Federvieh, Raritäten aus dem Reich der Vierfüßler, der Fische und der Vögel bestehend, überladen. Riesenhummern und Ortolanen, Mandaringas und Ananas, Eiertrauben und frische Korinthen ragten einladend zwischen Blumen, Lorbeeren und Myrten hervor; aber weit anständiger wurde die Weihnachtsfeier und besonders die Mitternachtsmesse hier als in Rom begangen, wo die Römer meist einen bacchantischen Tumult in den Kirchen machen und alle möglichen Profanationen begehen. Auch die Neujahrsgratulationen wurden mit der gehörigen Feierlichkeit ausgeführt und dargebracht und waren besonders bei Hof außerordentlich glänzend. Nur bei meinem Vetter Moritz war es diesmal anders; er hatte durch eine unglückliche Baumwollspekulation, und zwar durch die Schuld der französischen Regierung, welche in Livorno Beschlag auf seine Schiffe, als verdächtig, mit England kommerziert zu haben, gelegt hatte, bedeutend verloren. Der Verdacht erwies sich zwar als völlig unbegründet, aber bis dies ausgemittelt war, worüber mehrere Monate vergingen, war die Baumwolle um vierzig Prozent gefallen. Moritz verlor über eine halbe Million und hatte nicht die mindeste Vergütung zu hoffen. Dergleichen unverzeihliche Gewaltstreiche machte sich damals die französische Regierung oder vielmehr der an der Spitze derselben als unumschränkter Tyrann stehende Napoleon schuldig. Einer der tollsten und unsinnigsten der Art war ohne Zweifel die Verbrennung aller englischen Waren auf dem Kontinent, eine Maßregel ebenso lächerlich als fruchtlos, die alle Gemüter, selbst die der ergebensten Satelliten des Kaisers, erboste; auch wurde sie an vielen Orten, namentlich in Neapel, mehr zum Schein als in der Wirklichkeit vollzogen, da man die größten Vorräte verbarg und die Behörden selbst gerne durch die Finger sahen; doch hatte, was hier wirklich verbrannt wurde, immer noch einen Wert von mehr als zehn Millionen und in ganz Europa weit über mehrere hundert Millionen. Überall knirschte trotz Polizei und Spionen das Volk mit den Zähnen, murrte und fluchte, als die Flammen die kostbaren Waren verzehrten und diese in Rauch aufgingen. Wie viel Armen und Unglücklichen hätte man damit nicht aus größter Not helfen können, wenn man denn durchaus einmal einen solchen unnützen und albernen Gewaltstreich begehen wollte; die Sache hätte dann wenigstens noch eine Art Entschuldigung, wenn auch absurd genug, gefunden; aber so war das gelindeste Urteil, das man aus dem Mund des Volkes hörte, welches sich die Sache gar nicht zu erklären wußte: „Der Napoleon muß ein Narr geworden sein!“ – Doch die furchtbare Nemesis war bereits im Anzug.

Das erste Festino in San Carlo, welches der Hof dieses Jahr gab, besuchte ich wieder in einem prächtigen Don Juankostüm, einer meiner Kameraden machte den Leporello. Den Anzug hatte ich von dem Theaterschneider dazu machen lassen. Der Mantel von purpurfarbigem Thronsammet, war überaus reich und künstlich mit Gold und Perlen gestickt, hatte Bouillonfransen und war mit weißem Atlas, mit goldenen Bienen besät, gefüttert. Auf dem Hut waren fünf tadellose prächtige weiße Schwungfedern, durch eine brillantene Agraffe zusammengehalten, und die Kiele derselben mit Zahlperlen bis an die Spitze besetzt; der übrige Anzug harmonierte vollkommen mit dieser Pracht. Auf den Schuhen blitzten brillantene Rosetten, und die Halskette war von kostbaren Edelsteinen. Alle diese Kleinodien hatte ich bei verschiedenen Damen geliehen. Den Saal mit meinem Leporello durchstreichend, fragte mich dieser bei jeder schönen weiblichen Maske: „Signor Don Giovanni, soll diese auf das Register?“ Und wenn ich bejahend zunickte, schrieb er sie sogleich in das mitgeführte Buch ein. Dieser Scherz zog mir aber schon auf dem Ball einige Verdrießlichkeiten zu, sollte aber noch ernstere Folgen haben, auch schien Murat die Sache sowie meinen ganzen zu brillanten Anzug eben nicht sehr zu goutieren, und er war, als ich ihn einigemal anredete, ganz gegen seine Gewohnheit kalt und kurz angebunden; auch merkte ich, daß meine Feinde zu meinem Nachteil sehr tätig waren. Indessen lief auf dem Ball noch alles ganz gut ab, und ich verließ ihn, zufrieden mit der Rolle, die ich gespielt hatte, gegen Morgen. Als ich aber, nachdem ich ein paar Stunden geruht, erwachte, empfing ich ein Billett von einem Bataillonschef der Garde-Grenadiere namens Colard, der sich beleidigt fand, daß ich auch seine hübsche junge Frau auf mein Don Juan-Register hatte setzen lassen, mich deshalb zur Rede stellte und Auskunft verlangte. Ich begab mich auf der Stelle selbst zu ihm, erteilte ihm mein Ehrenwort, daß die ganze Sache durchaus nichts als ein erlaubter Maskenscherz gewesen sei, erklärte mich aber zu gleicher Zeit bereit, ihm jede Satisfaktion, die er nur wünschen könne, zu geben. Der Mann war aber mit meiner Erklärung zufrieden, lud mich ein, mit ihm zu dejeunieren, was ich annahm, seine liebenswürdige Frau erschien bei dem Frühstück, wo wir über den ganzen Vorfall scherzten, und wer weiß, ob Madame Colard nicht wirklich auf mein Register gekommen wäre, wenn mich nicht ein schon im Anzug befindliches Ungewitter im Sturm aus Neapel entfernt und weit über das Meer geschleudert hätte.

Damals begann man schon von einem neuen bevorstehenden Krieg, an dem das neapolitanische Heer und sein Herrscher tätigen Anteil nehmen sollte, zu murmeln, und da man wohl wußte, daß sich das Ungewitter im Nordosten zusammenziehe, so freute ich mich schon darauf, endlich einmal Deutschland wiederzusehen und mich in meiner Heimat und bei meinen Verwandten in meiner militärischen Glorie präsentieren zu können. Ich beeilte nun, soviel es an mir lag, die Aufführung des neuen Balletts, die Donaunymphe, da mir viel daran lag, dasselbe noch in Szene gesetzt zu sehen, bevor wir ausmarschierten. Schon war der Tag bestimmt und die Generalprobe mit vollem Orchester, Kostümen, Dekorationen und Maschinerie angesagt, der Murat selbst beiwohnen wollte. Sie lief glücklich und zur Zufriedenheit aller Anwesenden ab. Zwei Tage darauf sollte die Vorstellung sein; aber den Morgen nach dieser Probe erhielt ich in aller Frühe eine Order von dem Kriegsminister, mich bereit zu halten, binnen vierundzwanzig Stunden mit einem Detachement neapolitanischer und französischer Truppen nach Tarent abzumarschieren, wo mich weitere Verhaltungsbefehle erwarteten. Beim Durchlesen dieses Befehls war ich wie vom Himmel gefallen, hielt das Ganze anfänglich für einen Irrtum, eilte in das Kriegsministerium, wo ich durch einen der Bureauchefs erfuhr, daß kein Irrtum möglich, der Befehl vom König selbst gekommen sei, und zwar mit dem ausdrücklichen Beisatz, ihn augenblicklich zu vollziehen. Nun war ich wie vom Donner gerührt und wußte mir die Sache nicht zu erklären; noch vor wenigen Tagen hatte ich aus guter Hand erfahren, daß der König die Absicht habe, mich nächstens zum Stabsoffizier zu befördern und unter die Zahl seiner Adjutanten aufzunehmen, und nun diese plötzliche allerhöchste Ungnade! Ich eilte in den Palast, konnte aber nicht vor Murat kommen, sondern nur soviel von dem diensttuenden Kammerherrn herausbringen, daß wenn der Kriegsminister eine solche Order bekomme, es auch seine Richtigkeit damit und sein Bewenden dabei haben müsse, und dies teilte er mir mit sehr trockenen Worten mit, nachdem er wieder aus dem königlichen Kabinett gekommen war. Ich sprach noch die Cavalcanti, die aber von allem nichts wußte, und einige andere Bekannte, die mich mit ein paar bedauernden Worten und Achselzucken entließen, und empfand so, was es heißt, in eine königliche Ungnade zu fallen. Ich sah nun wohl ein, daß mir hier nichts anderes übrig bleibe, als Order zu parieren, ließ packen und machte mich zum Abmarsch bereit. Noch aber wollte ich die Herzogin von Atri sprechen und begab mich deshalb zu ihrer intimen Freundin, diese zu bitten, eine letzte Zusammenkunft zu veranstalten. Die Marchesa Misuraca fuhr sogleich zur Atri, kam jedoch sehr schnell wieder zurück und entdeckte mir, daß diese seit vierundzwanzig Stunden äußerst streng von ihrem Gatten bewacht würde, so daß sie keinen Schritt ohne denselben zu tun vermöge, und daß dies durch den Einfluß einer allerhöchsten Person geschehe; der König sei jedenfalls dabei im Spiel. Durch ein späteres Schreiben von dieser Dame erfuhr ich, daß ich mir Murats Ungnade sowohl durch meine Bekanntschaft mit der Herzogin von Atri, wie durch meine zu große Vertraulichkeit mit der ersten Tänzerin, auf welche Seine Majestät ebenfalls ein Auge geworfen hatte, zugezogen. Ich meldete mich nun bei dem Bataillonschef, der die nach Tarent bestimmten Truppen befehligte und mir eine Kompagnie zur Führung übergab. Nach einer fast schlaflosen Nacht marschierte ich in aller Frühe mit diesen Truppen aus Neapel in einer höchst düsteren und melancholischen Stimmung ab, so traurig hatte ich bis jetzt noch keine Garnison verlassen. Noch vierundzwanzig Stunden vorher sah ich mich auf dem Gipfel des Glücks, hoffte bald ein Oberstpatent in meinem Portefeuille zu haben, sah mich als Murats Adjutant, ein Generalspatent konnte dann auch nicht lange mehr ausbleiben, dem der Marschallsstab bald folgen mußte, mit dem jetzt immer ein Herzogstitel, vielleicht auch ein Herzogtum verbunden war, wenn mir das Glück in einem Feldzug günstig sein würde, vielleicht gar einmal das Großherzogtum Frankfurt, und während ich so à la Milchmädchen träumte und Pläne machte, brach auch mein Topf, und eine einzige Order vernichtete alle. – Aber wie bald sollte es nicht hundert anderen und selbst Murat und Napoleon ebenso ergehen. – Erst in Tarent sollte ich völlige Gewißheit über mein Schicksal erhalten, und bis dahin plagte mich obendrein eine peinliche Unruhe, das Schlimmste von allem. – Indessen wer weiß, wozu es gut war; wäre es nicht so gekommen, so hätte ich mit nach Rußland gemußt, vielleicht in dessen Eisfeldern mein noch junges Leben ausgehaucht, und dann wäre die Welt nie mit diesen Memoiren beschenkt worden. Wollte Gott, es wäre so geworden, höre ich manchen gestrengen Moralisten und gelehrten Zopfkritiker ausrufen. – Der Himmel hat es aber einmal nicht so gewollt, meine gestrengen Herren von der Halleschen, Jenaer und anderer Literaturbasen. – Bald darauf brachen Murat, seine Garden und seine Armee nach Deutschland auf, um sich dem großen, sich daselbst versammelnden Heer anzuschließen, das Rußland – nicht eroberte.

III.
Marsch von Neapel nach Tarent. – Eine Zusammenkunft zu Caserta. – Die caudinischen Engpässe. – Avelino. – Dentekane. – Tarent. – Einschiffung nach Korfu. – Seegefecht auf der Höhe von Tunis. – Ankunft zu Korfu. – Beschreibung der Jonischen Inseln. – Der heilige Spiridion und seine Feste. – Das Theater und Liebhabertheater. – Seltsame Zusammensetzung der Garnison. – Pallea Castrizza. – Ein Exorzismus. – Erdbeben. – Türkische Tabaksbeutel. – Ein giftiger Schlangenbiß. – Capo d’Istria. – Die Entführung einer Braut. – Ein Seeturnier. – Paxo. – Parga. – Prevesa. – Thiaki. – Santa Maura. – Der leukadische Felsen. – Fano.

Kaum hatte ich noch soviel Zeit übrig gehabt, vor meinem Abmarsch meinen besten Freunden und Bekannten in Neapel ein Lebewohl im Vorübergehen zu sagen. Über fünf Vierteljahre hatte ich in dem schönen Parthenope ein äußerst angenehmes Leben in dolce giubilo und la fare l’amore zugebracht und sah die Stadt, in der es mir so wohl ergangen war, der ich jetzt den Rücken wenden mußte und noch manchen Blick schenkte, vielleicht für immer aus den Augen schwinden. Was mich mit am meisten schmerzte, war, daß ich mein Ballett, mit dem ich mir so viel Mühe gegeben, nicht einmal aufführen sehen sollte. Dies wollte mir anfänglich gar nicht aus dem Sinn. Bei ziemlich trübem Wetter, das mit meiner Stimmung harmonierte, marschierten wir ab. Unsere erste Etappe sollte Nola sein. Als wir auf dem halben Wege dahin Halt machten, kam ein zweirädriges Kabriolett in großer Hast gefahren und hielt, als es die Truppen erreicht hatte, still. Ein Mensch in Zivilkleidern sprang heraus, erkundigte sich nach mir und übergab mir ein Billett, das ich schnell erbrach und in welchem ich im Namen der Duchessa d’Atri dringend aufgefordert wurde, mich, sobald ich diese Zeilen gelesen, doch sogleich nach Caserta zu begeben, wo mich erstere noch einmal zu sprechen wünschte; sie habe jetzt nach meiner Abreise ihre Freiheit wieder erhalten. Dem Überbringer möge ich Antwort mitgeben. Ich ging zum Bataillonschef, um von diesem die Erlaubnis zu erhalten, mich auf sechs bis acht Stunden entfernen zu dürfen, indem ich jedenfalls mit der Nacht in Nola eintreffen wolle. Dieser wagte es jedoch nicht, die Verantwortlichkeit auf sich zu nehmen, und verstand sich nur dazu, meine Abwesenheit ignorieren zu wollen, so lange dieselbe unbemerkt bleiben und keinen Eklat machen würde. Ich schrieb nun mit Bleifeder auf ein Blättchen, daß ich in einigen Stunden zu Caserta an dem mir angegebenen Ort eintreffen würde. Das Detachement marschierte weiter, ich blieb mit einem Bedienten zurück, ritt in gestrecktem Trabe über Marigliano und Acerra nach Caserta und legte den sechs Stunden langen Weg in weniger denn zwei zurück. Die schweißtriefenden Pferde ließ ich einstellen und eilte in den Garten, wo ich niemand fand. Bereits wartete ich an dem von Neapel kommenden Weg beinahe eine Stunde, als ich endlich ein Mietsfuhrwerk von daher antraben sah. Ich stellte mich hinter ein Gemäuer, um den Wagen ungesehen vorüberfahren zu lassen, und erblickte in demselben zwei hübsche und sehr nett gekleidete Landmädchen, die ich aber bald für die Duchessa und ihre Freundin erkannte. Ich eilte ihnen nach und half den schmucken Contadinen aus dem Wagen, als er an der Lokanda hielt, wo ich mir schon ein Zimmer hatte geben lassen. Jetzt schloß ich die heftig weinende und mir um den Hals fallende Atri in die Arme, die mir schluchzend sagte, wie sehr ihr diese ganz unerwartete Trennung zu Herzen gehe, daß sie untröstlich und überzeugt sei, daß der Schlag vom König selbst käme, ihn aber unsere gemeinschaftlichen Feinde herbeigeführt hätten. Ich suchte nun alle möglichen Trostgründe hervor, wie daß Tarent nicht aus der Welt liege, ich später gewiß wieder nach Neapel zurückkommen würde und Ähnliches. Aber dies alles fruchtete wenig, sie behauptete, daß wir uns jetzt zum letztenmal sähen, und hatte recht. Die beiden Damen waren, um ganz unbemerkt nach Caserta zu kommen, aus einem Kasino in der Nähe von Neapel abgefahren, in welchem sie sich als Landmädchen verkleidet und wohin sie den Mietswagen hatten kommen lassen. Wir brachten noch ein paar selige Stunden hier zu und versicherten uns beim Abschied mit tränenden Augen ewige Liebe, Nimmervergessen und was dergleichen Larifari mehr sind; meine teure Geliebte gab mir beim Abschied eine in Gold gefaßte Locke nebst einem Ring, wogegen ich ihr ein Büschelchen von meinen Haaren abschneiden mußte. Nach einem reichlichen Tränenbad von seiten der Damen stiegen diese in ihren Wagen, um nach Neapel zurückzukehren, während ich im Galopp auf dem entgegengesetzten Weg davonjagte, aber, über Maddaloni und Arienza reitend, mich verirrte und statt nach Nola in die Valla Caudina, jene berühmten Engpässe geriet, in welchen vor mehr als ein paar tausend Jahren (430 nach Erbauung der Stadt Rom) das römische Heer samt seinen Konsuln von den Samnitern so gänzlich eingeschlossen wurde, daß es schimpflicherweise die Waffen strecken mußte.

Ich ritt, in diesen Engpässen irrend, hin und her und fand sie durchaus nicht so unübersteigbar, daß sich ein Heer, besonders nach Benevento zu, wo sich das Tal sehr erweitert, nicht hätte einen Ausgang bahnen können; auch sind die Berge auf beiden Seiten an vielen Orten nicht so steil, daß sie nicht zu erklettern wären, indessen ist es wohl möglich, daß auf einem so vulkanischen Boden, wie dieser Teil von Italien, sich seit langer Zeit das Terrain verändert hat, namentlich durch die häufigen Erdbeben. Während ich mich vergeblich nach einem nach Nola führenden Weg umsah, brach die Nacht herein; nach langem Umherirren kam ich endlich in ein elendes Dorf in der Nähe von Benevento, wo ich mich entschloß, einen Teil der Nacht zuzubringen, da sowohl die Pferde wie ich zum Umfallen ermüdet waren. Zwei Stunden nach Mitternacht stand ich jedoch auf und machte mich, ohne viel geruht zu haben, wieder auf den Weg, denn ich fürchtete, daß, weil ich mich nicht in Nola eingefunden, der Bataillonschef meine Abwesenheit melden möchte, was mir bei der Stimmung Murats hinsichtlich meiner höchst nachteilig werden und die schlimmsten Folgen haben konnte. Da ich wußte, daß, da das zweite Nachtquartier in Avelino bestimmt und sicher war, das Detachement bereits von Nola abmarschiert sein müsse, so beschloß ich, gerade nach Avelino zu reiten und meine lange Abwesenheit mit meiner Verirrung zu entschuldigen. In Benevento nahm ich einen berittenen Führer mit, den ich gut bezahlte, und traf noch vor unseren Quartiermachern in Avelino ein, wo ich das Bataillon mit Sehnsucht erwartete. Es kam erst den Nachmittag an; ich meldete mich sogleich bei seinem Kommandanten, dem ich die Fatalität meiner Verirrung mitteilte. – „Es ist die höchste Zeit, daß Sie sich einfanden,“ versetzte er, „denn sonst hätte ich Sie melden müssen.“ – „Also noch nicht gemeldet!“ rief ich aus, und ein schwerer Stein fiel mir vom Herzen. Ich erzählte nun dem braven Mann, wie es mir ergangen, und bemerkte ihm lächelnd, daß, wenn ich gewußt, daß ich in die forche caudine geraten, ich mich gar nicht entfernt haben würde, indessen sei es mir als Soldat doch lieb, diese geschichtlich so merkwürdige Position kennen gelernt zu haben. Der gute Mann wußte aber gar nicht, was ich damit sagen wollte, denn die Geschichte war ihm so fremd als das Innere der Erde; er ließ sich den Unfall der Römer von mir erzählen, hörte mir mit großem Vergnügen zu und hielt mich von jetzt an für einen grundgelehrten Mann und tüchtigen Militär, so daß er mich bei allen Kleinigkeiten auf dem ganzen Marsch um Rat fragte und ich auf dem besten Fuß mit ihm stand. Den nächsten Tag marschierten wir nach Dentecane und zwar bei einer für diese Gegend grimmigen Kälte, – ein ganz abscheuliches Nest, das seinem Namen (Hundezahn) alle Ehre macht. Die Quartiere der Offiziere waren abschreckend, selbst für bares Geld nichts zu haben, und die Soldaten lagen wieder in den Kirchen. Den vierten Tag kamen wir nach Ariano bei fortwährend steigender Kälte und starkem Schneegestöber. Diese Stadt liegt sehr hoch, hat an zehntausend Einwohner und über zwanzig Klöster. Wir kamen halb erfroren und halb verhungert daselbst an, hatten einen Rasttag, um uns zu restaurieren, aber die Quartiere waren nicht viel besser als in Dentecane. Da ich meistens ritt, hatte ich mir beinahe die Füße erfroren und konnte nur mit aller Mühe einige Paare wollene Halbstrümpfe auftreiben, mich vor der Kälte zu schützen; solches Wetter hatte ich im südlichen Italien noch nicht erlebt, ich trug in der Regel gar keine Strümpfe in den Stiefeln. Ariano liegt auf einem dreifachen sehr hohen Hügel, der die ganze Umgegend beherrscht; man übersieht von hier aus nicht nur die großen Ebenen der Puglia, sondern man erblickt auch das Tyrrhenische und Adriatische Meer sowie eine lange Kette der Apenninen. In einem der Klöster einquartiert, machte ich die Bekanntschaft einiger nicht ganz unwissender Mönche, die aus ihrem ziemlich leichtfertigen Klosterleben kein Hehl gegen mich machten. Nach zwei Tagen brachen wir bei fortwährend sehr ungünstigem Wetter über Bovino, Ordona, Cerignola, kleinen und schmutzigen Orten, nach Barletta auf, einer nicht unbedeutenden Stadt von mehr als fünfzehntausend Einwohnern, die am Adriatischen Meer im Golf von Manfredonia liegt. Sie hat einen guten und befestigten Hafen, eine schöne Lage und ist nicht schlecht von den Ruinen des alten Cannä erbaut, das durch den Sieg Hannibals über die Römer so berühmt ward. Hier hatten wir wieder einen Rasttag. In Bovino angekommen, waren wir auf das Gebiet des alten Apulia getreten, welches jetzt die Provinzen Bari, Otranto und die Capitanata in sich begreift. Das Land ist im ganzen eben und sandig, aber dabei doch sehr fruchtbar, seine Weine sind vorzüglich und sehr beliebt, ebenso das Öl, das Schlachtvieh und die Angurien (eine Art köstlicher roter Wassermelonen). Auf dem Platz zu Barletta steht die Bildsäule des Kaisers Heraclius, den man für den mutmaßlichen Gründer dieser Stadt hält. Das Schloß derselben galt ehedem für eines der drei bedeutendsten in ganz Italien. Das alte Cannä, von dem nur noch wenig Überbleibsel vorhanden, lag mehrere Miglien seitwärts gen Westen, zwei nebeneinander liegende Hügel bezeichnen seine Stätte. Barletta ist durch ein besonderes historisches Ereignis merkwürdig geworden. Als nämlich im Jahre 1503 der tapfere spanische General Gonzalvo von Cordua hier sein Hauptquartier hatte, fand während eines kurzen Waffenstillstandes ein berühmt gewordenes seltsames Gefecht zwischen dreizehn Franzosen und dreizehn Italienern, die sich gegenseitig herausgefordert und von ihren Feldherren die Erlaubnis dazu erhalten hatten, bei dem nahegelegenen Flecken Quarato statt. Der Sieg soll nach einigen Geschichtschreibern den Italienern, nach anderen den Franzosen geblieben sein. Dieses Ereignis hat Stoff zu mehreren Gedichten gegeben, von denen eines von Vida, einem Zeitgenossen Gonzalvos, in lateinischen Versen verfaßt ist; auch in einem italienischen historischen Roman hat man diese Begebenheit eingewebt. Ich war über die vielen hier an der Küste des Adriatischen Meeres liegenden, ziemlich gut gebauten Städte, die meistens wohlhabend sind und Handel mit Landesprodukten treiben, erstaunt. Die Bewohner dieser Gegend sind ein heiteres, lebenslustiges Volk, ganz verschieden von den wilddüsteren Kalabresen. Von hier marschierten wir über Trani (das alte von Trajan restaurierte Trajanopolis), Biscaglia, das auf einem wegen seines vortrefflichen Weins berühmten Felsen liegt, Molfetta, durch seine Fabriken und seinen Schiffsbau bekannt, Giovenazzo mit einem festen Schloß, lauter bedeutenden, an dem Meeresufer liegenden Städten, nach Bari, wo wir abermals einen Tag rasteten, das die Hauptstadt der Provinz gleichen Namens ist und über zwanzigtausend Einwohner zählt. Sein guter Hafen, seine Fabriken, sein bedeutender Handel machen die eine treffliche Lage habende Stadt sehr wohlhabend. Hier wurden auch ehedem die Könige von Neapel gekrönt, und im Jahre 1098 hielt Urban II. ein Konzilium in der Kirche des heiligen Nicolas, wodurch er bezweckte, die griechische mit der lateinischen Kirche zu vereinigen, aber seinen Zweck verfehlte, wie männiglich bekannt. Es war gerade Karneval, als wir hier waren, und eine Menge Masken zogen zu Fuß und in Wagen durch die Straßen der Stadt. Von hier aus verließen wir wieder die Küste und marschierten nun durch eine fast ganz wüste Gegend und abscheuliche Nester und Wege nach Tarent. Es war Tauwetter eingetreten, der Boden beinahe grundlos, so daß man bei jedem Schritt stecken blieb und die Leute die Schuhe oft wieder mit den Händen aus der Erde graben mußten. Die erste Nacht brachten wir in einzeln stehenden Gebäuden und Höfen zu. Die Märsche wurden jetzt immer beschwerlicher, der Boden seichter, und die Entfernungen schienen endlos. Um sieben Uhr des Morgens hatten wir jenes Gehöft verlassen, und erst abends nach sechs Uhr, bei schon dunkler Nacht, kam kaum ein Dritteil der Mannschaft in Gioja, einem ärmlichen Städtchen, an. Der Rest des Bataillons hatte sich in Marode und Nachzügler aufgelöst und kam einzeln bis nach Mitternacht, viele schuhlos, angehinkt; selbst in Kalabrien entsinne ich mich keines so abscheulichen Marsches, die Pferde sanken oft bis über die Knie ein, und ich hatte fast den ganzen Weg zu Fuß gemacht. Schon war Mitternacht vorüber, und noch immer fehlte die Arrieregarde nebst dem Bagagewagen, auf dem sich auch mehrere Offiziersfrauen befanden, deren Männer jetzt in großer Angst waren, nicht wissend, was aus ihren treuen Lebensgefährtinnen geworden. Höchst besorgt rafften sie einige Leute zusammen, sie aufzusuchen. Sie fanden endlich den Wagen am Saum eines Gehölzes bis an die Achsen im Kot steckend, die Damen aber einige hundert Schritte davon entfernt, tiefer im Wald um ein lustig brennendes Feuer, welches die Fuhrknechte angezündet hatten, sehr trübselig und zähneklappernd sitzen. Von der ganzen Arrieregarde war nur noch der Offizier, ein Sergeant und ein Tambour vorhanden, die abwechselnd bei dem Wagen und dem Feuer wachten, die übrige Mannschaft hatte sich zerstreut oder verirrt und kam erst den anderen Tag vereinzelt in Gioja an. Die Damen wurden nun auf Pferde gesetzt und kamen so gegen Morgen in das Quartier. Vier oder fünf Tage mußten wir in dem erbärmlichen Gioja bleiben, das mir deshalb merkwürdig war, weil die Erstgeborenen des Hauses Atri den Titel Grafen von Giojo führten. Die Götter mögen wissen, wer einen solchen Namen (Gioja, Freude) diesem elenden Ort gegeben, der indessen doch nicht ganz ohne Freuden für mich war, da ich ein Quartier bei einer sehr hübschen jungen schwarzäugigen Bürgersfrau hatte, deren Mann eine gute Haut war, sich gerne zu Kommissionen gebrauchen und verschicken ließ, wo ich dann seine Abwesenheit gut zu benutzen verstand. Während unseres Aufenthaltes daselbst kamen sämtliche Offiziere in einer Art Kaffeehaus jeden Morgen zusammen, wo dann bei einem Eierkaffee – Milch gab es keine – Konseil gehalten wurde, ob wohl an das Weitermarschieren zu denken sei. Ich widerriet es soviel als möglich, meiner liebenswürdigen Wirtin zu Gefallen, endlich mußte aber doch der Sache ein Ende gemacht werden, und den fünften Tag unseres Sejours daselbst bestimmte das Konseil und der Kommandant, daß wir den kommenden Morgen nach Tarent aufbrechen würden, wo wir nach zweimal vierundzwanzig Stunden ziemlich wohlbehalten eintrafen und zu unserem nicht geringen Erstaunen ein französisches Geschwader in der Reede vor Anker liegen sahen, das schon etwa vor acht Tagen von Toulon gekommen war. Hier fand sich auch ein Befehl zu unserer Einschiffung vor, sowie daß unsere Bestimmung, und namentlich auch die meinige, die Insel Korfu und ich dem zweiten daselbst in Garnison stehenden Régiment étranger zugeteilt sei. Einen Brief von meiner geliebten Atri, in einem anderen der Marchesa eingeschlossen, fand ich poste restante vor, wie wir es verabredet hatten. Derselbe enthielt nebst zärtlichen Beteuerungen ewiger Liebe die ausführliche Geschichte der Intrige, die mich so plötzlich und unerwartet aus Neapel gebracht und die niemand anders gesponnen hatte, als mein Busenfreund Laviani im Verein mit Longchamps und dem Sekretär Montfort. Er war nämlich meinem Verhältnis mit der Atri auf die Spur gekommen, und da er wußte, daß auch Murat ein Auge auf die Dame hatte, so bestach er eine Kammerfrau der Herzogin, die ihm Briefe und Billetts von mir auslieferte, welche dem König in die Hände gespielt worden waren, dem auch Longchamps steckte, daß sich meine ganze Theaterliebhaberei in der ebenfalls von Seiner Majestät gerne gesehenen prima ballerina seria konzentriere. Daher die plötzliche allerhöchste Ungnade, die mich aus allen meinen Himmeln in die bodenlosen Gründe Apuliens gestürzt hatte. Jetzt war mir alles klar. „O Leviathan Laviani, hätte ich dich doch noch einmal vor der Klinge!“ rief ich vergeblich zu Tarent aus. Und die Aufführung der Donaunymphe, deren in Szenesetzen über hunderttausend Franken gekostet hatte, unterblieb definitiv. Die Geschichte gab indessen der neapolitanischen schönen Welt hinlänglichen Stoff zu sehr unterhaltenden Klatschereien.

Da der Wind nicht günstig war, so konnten wir auch nicht sogleich abfahren, sondern verweilten noch ungefähr acht Tage im Golf von Tarent.

Endlich war uns der Wind günstig, und den achten Tag nach unserer Ankunft verließen wir mit angeschwollenen Segeln den Golf von Tarent. Ich war mit der Kompagnie, die ich befehligte, auf dem ‚Boreas‘, einem Linienschiff von achtzig Kanonen, mitsamt meinen drei Pferden, in deren Besitz ich noch war, denn ich hatte keine Zeit und Gelegenheit mehr gehabt, mich auch nur eines derselben zu entledigen, eingeschifft. Das Einschiffen dieser Tiere war komisch genug; nachdem man ihnen Gurte um den Bauch gebunden, wurden sie von einer Barke in die Höhe gewunden, so daß sie bald mit allen Vieren zwischen Himmel und Wasser schwebten, wobei es ihnen sonderbar zumute gewesen sein mag und sie mit allen Vieren festen Fuß zu fassen suchten, daß es recht jämmerlich-ergötzlich anzusehen war. Als die Anker gelichtet waren, fuhren wir mit frischem Maestro in aller Frühe davon, aber gegen Abend erhob sich ein gewaltiger Sturm, der die Nacht durch wütete und die ganze Flotte, aus vier Linienschiffen und mehreren Fregatten bestehend, trennte und zerstreute, so daß wir mit dem anbrechenden Tag nur noch eine unserer Fregatten in weiter Ferne sahen. Da der Sturm noch immer währte, so waren längst alle Segel eingezogen und das Schiff dem Spiel der hochgetürmten Wellen und den tobenden Winden preisgegeben. Zweimal vierundzwanzig Stunden hielt dieses Wetter an, und wir befanden uns, als es nachließ, im Angesicht der afrikanischen Küste auf der Höhe von Tunis. Gegen Mittag zeigten die Wachen auf den Masten an, daß sie am Horizont gegen Norden mehrere Schiffe wahrnähmen. Bald sahen wir diese auch vom Verdeck. Man hielt sie für feindlich und hatte in kurzer Zeit die Gewißheit, daß es drei englische Fregatten waren, die mit vollen Segeln auf uns zufuhren. Der Kapitän des ‚Boreas‘ war ein sehr tapferer und erfahrener Seemann, von großer Entschlossenheit. Er ließ das Schiff sogleich in den besten Angriffs- und Verteidigungszustand setzen, alle Kanonen wurden angezogen, sämtliche Mannschaft an ihren Posten aufgestellt, und die Landtruppen, welche, soweit sie befähigt waren, den Dienst mit der Marine zusammen zu versehen, wurden, was nicht seekrank (ein Dritteil der Kompagnie), gleich als schlagfertig aufgestellt. Ich stand an der Spitze derselben auf dem Verdeck. Die englischen Schiffe kamen jetzt heran, fuhren pfeilschnell an uns vorüber, eine volle Ladung gebend, die wir sogleich erwiderten. Mehrere Kugeln hatten das Schiff von verschiedenen Seiten durchbohrt und die herumfliegenden Splitter des Holzes viele Soldaten und Matrosen verwundet. Als die dritte englische Fregatte vorüberfuhr, hatte eine Kettenkugel einen Artillerie-Sergeanten nebst drei Mann, kaum vier Schritte von mir entfernt, niedergerissen und mit fortgeschleudert. Ich gestehe, daß mir bei diesem Gefecht, wo wir nur eine durchaus passive Rolle spielten, eben nicht sonderlich zumute war. Die Unbekanntschaft mit der Größe der Gefahr, die Löcher, die das Schiff erhielt, das wir glaubten entweder untergehen oder in die Luft springen zu sehen, das Getöse, Gepfeife, Gebrüll durch die Sprachrohre, der Lärm der Matrosen war uns alles ganz neu. Die Engländer wiederholten noch einigemal ihre Manöver, ohne daß wir ihnen einen bedeutenden Schaden hätten zufügen können, denn die abfeuernden Fregatten waren jedesmal wieder weiter, bevor wir unsere Ladung gaben, die dann in Dampf und Rauch ging, hinter denen wir die Schiffe noch vermuteten, auch wendeten sie sich wohl viermal, bevor wir uns einmal wenden konnten, und feuerten dann wieder von der anderen Seite ab. Ihre Manöver waren den unseren in allen Dingen weit überlegen. Schon hatte das Gefecht beinahe eine Stunde gedauert, ohne daß noch etwas Entscheidendes geschehen wäre, jedoch hatte es allen Anschein, daß wir unterliegen würden, als mehrere größere Schiffe mit vollen Segeln auf uns zukamen und Signale machten, in denen wir die Linienschiffe der zu uns gehörenden Flotte erkannten, welche der Sturm verschlagen hatte. Nun fanden die Engländer für gut, das Weite zu suchen, und fuhren in aller Eile davon, uns noch ein paar tüchtige Ladungen zurücklassend. Die Ankunft dieses Sukkurses war ein großes Glück für uns, denn wir würden sicher am Ende den kürzeren gezogen haben; an ein Ergeben wäre nicht zu denken gewesen, unser Kapitän hatte geschworen, das Schiff eher in die Luft zu sprengen, und er war der Mann, der imstande war, sein Wort zu halten. Schon jahrelang hatte er sich die Nägel an der linken Hand, an der er immer einen Handschuh trug, nicht abgeschnitten, da er ein Gelübde getan, dies nicht eher zu tun, als bis er ein englisches Schiff genommen oder in den Grund gebohrt haben würde. Wahrscheinlich ist er mit seinen langen Nägeln zu Grabe gegangen. Aber dies mag ein Beweis von dem Haß sein, welcher zu jener Zeit zwischen den beiden Nationen bestand. So befreit, segelten wir nun mit den bei uns angekommenen Schiffen, es waren zwei Linienschiffe und eine Fregatte, weiter, verließen die afrikanische Küste, kamen an der südlichen Spitze von Sizilien vorüber und suchten baldmöglichst unsere Bestimmung zu erreichen, was den zehnten Tag nach unserer Abfahrt von Tarent der Fall war, wo wir gegen Mittag die Festen und Türme der Stadt Korfu zu Gesicht bekamen, in deren Reede wir noch den nämlichen Abend die Anker warfen und den folgenden ausgeschifft wurden.

Was mir gleich beim Landen auffiel, war, daß ich außer dem Militär nur sehr wenige europäische und fast nur griechische, albanesische, türkische und andere orientalische Trachten zu Gesicht bekam. Besonders frappierten mich die albanesischen Soldaten, von denen ein ganzes Regiment, meistens Überläufer von der Miliz des furchtbaren Ali Pascha in Janina, in französischem Sold stand, mit ihrem Nationalkostüm, ihren kostbaren Waffen und ihren ungeheuren großen silbernen oder goldenen Schnallen in Tellerform, mit silbernen Ketten belastet, welche bei jedem Tritt klirrten und rasselten.

Die neuangekommenen Truppen wurden sogleich in die Fortezza Vecchia kaserniert; die Offiziere erhielten Quartiere in der Stadt, die aber nur aus einem fast ganz kahlen Zimmer bestanden, in welchem ein paar Blöcke mit einigen Dielen, eine dünne Matratze, zwei Bettücher von Baumwolle, eine Decke von gleichem Stoff, das Bett und zwei Holzstühle mit einem kleinen Tisch das ganze Ameublement bildeten. Dies alles wurde durch das Quartieramt geliefert. Auch die Stabsoffiziere waren nicht viel besser logiert, nur daß sie ein paar Zimmer und Stühle mehr hatten. Die Soldaten schliefen auf den kahlen hölzernen Pritschen und hatten nicht einmal Strohsäcke, noch weniger Decken. Nur im Lazarett erhielten sie eine dünne Matratze. Diese Art zu kasernieren hatte wenigstens das Gute, daß die Leute von dem Ungeziefer, namentlich den Flöhen weniger zu leiden hatten.

Ich war zu dem zweiten régiment étranger versetzt worden, von dem zwei Bataillone in Garnison in Korfu lagen, und bei dem ich viele alte Bekannte traf, denn es war zum Teil aus dem ehemaligen Regiment Y. gebildet, das, wie das Regiment Latour d’Auvergne und andere Regimenter der Art, in mehrere régiments étrangers, die numeriert wurden, verschmolzen worden war. Ich wurde dem zweiten Bataillon zugeteilt, das erste stand noch in Italien, welches der Bataillonschef von Brüge, derselbe, mit dem ich schon in Genua in sehr freundschaftlichen Verhältnissen gestanden hatte und dessen Tochter Josephine jetzt zu einem blühend schönen vierzehnjährigen Mädchen herangereift war, kommandierte. Außer dieser Familie fand ich noch Madame Gasqui, die unter der Zeit Witwe und die Geliebte des Gouverneurs der Jonischen Inseln, des Generals Donzelot, geworden war, und mehrere andere bekannte Offiziere und Damen vor.

Die Jonischen Inseln waren durch den Frieden von Tilsit (1807) an Frankreich gekommen, dem sie aber die Engländer alle bis auf das feste, mit Gewalt fast uneinnehmbare Korfu und das kleine Paxo wieder abgenommen hatten. Reizend sind die Umgebungen von Hyères; einladend liegt das milde Nizza, herrlich das prächtige Genua da, nicht minder anziehend Kataloniens Hauptstadt Barcelona und paradiesisch sind allerdings die Umgebungen von Neapel und die Insel Capri. Aber unvergleichlich und wahrhaft himmlisch ist das Klima der Jonischen Inseln, unter denen sich besonders Zante, „il Paradiso del Levante“, durch seine Lage und die innere Beschaffenheit seines Landes auszeichnet.

Nichts läßt sich mit dem Zauber der jonischen Sommernächte vergleichen, und hier währt der Sommer fast volle neun Monate. Unter Oliven und Lorbeeren liegen die Einwohner, den Blick zu den hier dreimal glänzenden Sternen gewandt, in behaglicher wollüstiger Ruhe die ganze Nacht und bringen sie mit Singen, Erzählen und Betrachtungen hin, die Nähe des allmächtigen, des unbegreiflichen, des schöpferischen Weltgeistes ahnend. In keinem anderen Lande Europas, weder in Italien noch in Spanien, noch im südlichen Frankreich sind die Sommernächte so reizend und erwecken so hohe Empfindungen und Gefühle als auf den Jonischen Inseln, unter dem jonischen Himmel. Nirgends wirkt die Natur so beseligend als in den Tälern von Korfu oder auf den Olivenhügeln von Zante. Ewig unvergeßlich sind mir die paar Jahre, die ich hier zubrachte, und sie gewähren mir die süßesten Rückerinnerungen.

Die Insel Korfu, welche zur Zeit der französischen Okkupation (1807-1814) etwas über sechzigtausend Einwohner, die zehn- bis zwölftausend Mann starke Garnison nicht inbegriffen, zählen mochte, hat einen Umfang von beinahe dreißig deutschen Meilen.

Auf der ganzen Insel ist jetzt nur noch eine Stadt, die Hauptstadt Korfu, die außerordentlich gut befestigt und von zwei durch Gewalt uneinnehmbaren Zitadellen oder Forts beschützt wird. Die Straßen der Stadt sind größtenteils sehr eng, krumm, hügelig und uneben. Nur zwei derselben sind ziemlich breit; da man aber nie einem Fuhrwerk hier begegnet, so hat dies nichts zu sagen. Kein Haus hat mehr als zwei Stockwerke; keines hat einen Hof oder gar einen Garten, fast alle haben aber Vorhallen und Arkaden, unter denen die Kaufleute ihre Buden haben und ihre Waren feilhalten. Die Stadt zählt zwölf- bis fünfzehntausend Einwohner, die übrigen Bewohner der Insel leben teils in hundertdreißig Flecken und Dörfern, teils in einzelnen Häusern und Hütten, die auf der ganzen Insel zerstreut liegen.

Die Venezianer hatten die ganze Insel in sieben Kantone eingeteilt, und diese Einteilung wurde unter der französischen Herrschaft auch beibehalten. Eigentlichen Ackerbau kennt man so wenig wie Gemüsegärten. Der Weinstock wächst längs anderen Baumstämmen wild hinan oder auf den zu diesem Zweck amphitheatralisch angelegten Terassen der Berge. Die Natur tut hier fast alles, der Mensch wenig mehr, als das, was sie ihm bringt, zu sammeln und zusammenzuraffen. Die Oliven werden nicht einmal von den Bäumen gepflückt, sondern man wartet, bis sie abfallen, recht sie dann zusammen und läßt sie durch ein Pferd oder ein Maultier zwischen zwei großen Mahlsteinen zermalmen. Mühlen kennt man so wenig als Keltern. Nur einige alte Windmühlen, die aber längst nicht mehr im Gange waren, entsinne ich mich vor dem Flecken Castrades an dem Ufer der See gesehen zu haben. Der Korfiote schläft in der Regel von der zehnten Stunde des Morgens bis zur fünften oder sechsten des Abends, vom Monat März bis Ende Oktober, und ruht dann des Nachts meistens unter freiem Himmel von den Strapazen, das heißt vom Schlafen des Tages und dem Essen aus. Letzteres ist freilich sehr mäßig, und ich glaube nicht, daß sich ein Österreicher von mittelmäßigem Appetit mit dem begnügen würde, was zehn Griechen verzehren. Vor dem Schlafengehen, das heißt um neun Uhr morgens, ist ein Stückchen Brot, etwas Knoblauch oder Zwiebel oder ein Stückchen weißer Ziegenkäse das Mahl, mit dem er zu Bette oder vielmehr zu Boden geht, denn Bettstellen sind auf dem Land ganz unbekannte Dinge, und der Korfiote schläft mit seiner Familie auf einer groben wollenen Decke auf dem ungedielten Boden seiner Hütte, der aus der kühlen Erde, wie sie die Natur geschaffen hat, besteht. Beim Wiedererwachen wird das Mittagmahl eingenommen, dessen Zubereitung in der Regel keiner Brennmaterialien bedarf. Etwas Kräuter mit Seesalz, Öl und Zitronensaft angemacht, ein Stückchen Brot, ein gesalzenes Fischchen, nicht viel größer wie eine genuesische Sardelle, und ein Schluck Mischwein reichen hin, jedes Glied der Familie zu sättigen. Hierzu kommt noch, daß der Grieche fast ein Dritteil des Jahres Fasten hat, welche er auf das genaueste und strengste beobachtet und während deren er sich nicht nur aller Fleischspeisen, Eier und dergleichen enthalten muß, sondern sich auch keiner Art von Fett bedienen darf, folglich auch des Öles nicht; ja nicht einmal Milch oder Käse darf er genießen. Es bleibt ihm nun nichts übrig, seinen Hunger zu stillen, als Kräuter, Gemüse, die er roh oder abgesotten mit Salz und Zitronensaft verspeist, und Brot oder Zwieback. Dabei sind die Leute kerngesund, kräftig, wissen nicht viel von Krankheiten und ebensowenig von Nahrungssorgen. Anders ist es freilich in der Stadt, deren Einwohner wenigstens zu einem Fünftel aus Italienern, meistens Venezianern, bestehen, die Abkömmlinge venezianischer Familien sind, welche Spekulation oder auch Verbannung nach Korfu führte. Unter ihnen sind manche berühmte und bekannte Namen venezianischer Nobili, wie die Grafen Monzenigo, Dandolo, Contarini und so weiter.

Die reichen Einwohner der Stadt Korfu werden nach der Quantität Öl geschätzt, die sie alljährlich machen; und wie man zu Paris sagt, er hat so und so viel tausend Franken Revenuen, sagt man zu Korfu, er hat so und so viel hundert Krüge Öl zu verzehren. Ebenso bekommt eine Braut eine gewisse Zahl Olivenbäume zur Aussteuer mit. Diese Bäume sind hier von einer ungewöhnlichen Größe und Schönheit, so wie man sie in keinem anderen Lande Europas, weder in Spanien noch in Italien sieht, und machen den Reichtum der Insel aus. Das Öl, besonders das von Paxo, ist vortrefflich, kristallhell und hat oft die Farbe des reinsten Quellwassers. Dieses Öl ist so wohlschmeckend und man gewöhnt sich so sehr daran, daß, als ich wieder nach Deutschland zurückkam, ich auch die beste Butter unangenehm schmeckend fand und mich erst wieder daran gewöhnen mußte. Die Besitzer der Olivenwälder sind große Herren und verzehrten früher einen Teil ihrer Einkünfte in Venedig, wo sie meistens den Winter zubrachten. Während der französischen Herrschaft schmolzen ihre Revenuen jedoch fast auf nichts zusammen, da man das Öl nicht ausführen konnte, indem Korfu beständig von den englischen Schiffen blockiert wurde, so daß alle Schiffahrt und Versendungen aufhörten, und nur mit großer Mühe und Gefahr die Kanonierschaluppen der Regierung in finsteren Nächten es wagten, nach Otranto zu segeln, um die Verbindung mit dem festen Land einigermaßen zu unterhalten, und dennoch fielen auch diese nicht selten in die Hände der Engländer. So kam es denn, daß der Wert des Öles, für das man keinen Absatz mehr finden konnte – das meiste ging früher nach Venedig und Triest – fast auf Null herabsank, und der Adel und die Wohlhabenden in Korfu, deren Reichtum fast ausschließlich in diesem Produkt bestand, sich in der größten Not und Geldverlegenheit befanden, so daß viele von ihnen ihre Olivenbäume umhauen, Kohlen daraus brennen ließen und diese verkauften, um leben zu können; ein ungeheurer Nachteil und Verlust, da, wie bekannt, der Olivenbaum einer langen Reihe von Jahren bedarf, bevor er so weit ist, daß er Früchte bringt.

Alles Getreide der Insel, worunter der Calambochio und Mais das meiste liefert, reicht bei aller Mäßigkeit der Korfioten kaum für den Bedarf von vier bis fünf Monaten für die Bewohner der Insel hin, welche seit Jahrhunderten gewohnt sind, das mangelnde gegen Öl einzutauschen. Da dieses aber ebenfalls während der französischen Herrschaft nicht möglich war, so war bisweilen das Brot so teuer, daß die Bewohner der Stadt das Kommißbrot des Soldaten mit fünf bis sechs Piaster bezahlten und verhältnismäßig teurer den Schiffszwieback, wenn kein Brot zu haben war.

Der Wein, den man auf der Insel Korfu zieht, ist sehr stark, meistens schwarz und dick, und ungesund unvermischt zu trinken. Die weißen Weine sind süß, feurig und dem Zypernwein sehr ähnlich; doch gibt es auch herbe und rauhe. Würden die Weinberge sorgfältiger bebaut und wäre die Behandlung des Weines anders, so müßte hier ein ganz vorzügliches Getränk gezogen werden. Es lag aber in der Politik der venezianischen Regierung, daß die Insel Korfu kein Weinland werden sollte, weil sie einen ungeheueren Gewinn am Öl machte, das fast alles durch ihre Hände ging und von dem sie wenigstens zwanzig bis dreißig Prozent zog. Deshalb hatte sie auch das Anpflanzen korinthischer Weinstöcke auf Korfu bei schwerer Strafe untersagt und nötigte so die Korfioten, sich auf den Ölbaum zu beschränken.

In der ganzen Stadt Korfu ist auch kein einziges Gebäude, das als besonders merkwürdig erwähnt zu werden verdient, und selbst der Gouvernementspalast ist sehr mittelmäßig. An geräumigen Kasernen und Magazinen ist zwar kein Mangel, aber sie sind weder bequem noch mit Sorgfalt eingerichtet. Das Theater ist ein altes seltsames Gebäude, das früher eine ganz andere Bestimmung hatte. Unter den vierzig griechischen Kirchen und Kapellen ist keine einzige in architektonischer Hinsicht von Bedeutung und nur zwei haben Türme, von denen der eine, der des Sankt Spiridion, ein Glockenturm ist. Die Glocken aller anderen Kirchen sind an einigen Seitenportalen angebracht oder hängen auch frei auf dem Dach. Die Kirche des heiligen Spiridion ist ziemlich groß und geräumig und wegen ihres hochverehrten Heiligen nicht nur in Korfu, sondern in ganz Griechenland und wo man sich zur griechisch-christlichen Religion bekennt, berühmt. Die Verehrung für diesen Heiligen ist so groß, daß Gott, Christus, der heilige Geist und die Jungfrau ihm weit nachstehen müssen, und während der Grieche gleichgültig zuhören würde, wenn man jene lästerte, würde er sich mit Wut auf denjenigen stürzen, der sich auch nur die leiseste unziemliche Bemerkung gegen diesen Heiligen erlaubte.

Die venezianischen Adeligen, welche in Korfu wohnen, haben mehrere Kasinos, in der Art, wie man sie in Venedig kennt, eingerichtet. Sie waren es auch, welche die meisten Logen in dem Theater innehatten, in welchem italienische Opern, Schauspiele und Ballette gegeben und während der Franzosenzeit gar nicht übel und sogar mit Pracht aufgeführt wurden. Das Orchester, wenigstens die blasenden Instrumente, bestand jedoch fast ausschließlich aus französischer Militärmusik.

Bald nach meiner Ankunft zu Korfu wurde das Bataillon, bei dem ich stand, und welches in der Zitadelle der alten Festung kaserniert gewesen, nach Sankt Theodor, einem ehemaligen griechischen Mönchskloster beordert, das auf der Stelle steht, wo sich früher die Gärten des Alcinous befunden haben sollen, und wo nach Homer Odysseus die holde Prinzessin Nausikaa und eine so freundliche Aufnahme fand. Dieses Kloster lag eine kleine halbe Stunde von der Stadt entfernt, in einem Olivenwald hinter dem großen Flecken Castrades. Meinen Tisch hatte ich auf Einladung der Madame Brüge wieder bei dieser Familie genommen und es auch übernommen, bei deren hübschen Tochter den Unterricht im Klavier und Gesang fortzusetzen, den ich vor vier Jahren in Genua mit ihr anfing. Indessen war sie weit vorangeschritten, da sie seitdem in Italien bei guten Lehrern ihr musikalisches Talent ausgebildet hatte; aber in Korfu war an solchen gänzlicher Mangel, und mein Erscheinen daher der Familie Brüge sehr willkommen. Die Stimme meiner jungen Schülerin war stark und wohlklingend geworden, es war ein hoher lieblicher Silbersopran, und so machten mir diese Unterrichtsstunden großes Vergnügen. Auch mit dem Tisch hatte ich große Ursache zufrieden zu sein, da in Korfu auch nicht eine einzige gute Speiseanstalt war und die unverheirateten Offiziere Menage zusammenmachten, wozu ein Soldat als Koch diente. Man kann denken, wie da gekocht wurde. Doch machten einige dieser Menagen eine Ausnahme, indem sie zufällig auf ein Küchengenie gestoßen waren.

Außer dem Stadttheater, das nicht sehr groß ist, etwa sechs- bis siebenhundert Zuschauer fassen konnte, und in dem Gebäude der ehemaligen Börse, die längst unnütz geworden, eingerichtet war, fand ich auch ein französisches Liebhabertheater vor, dessen (weibliche) Seele Madame Gasqui war, und die Vorstellungen fanden – horribile dictu – auf der Hauptwache statt, das heißt in einem kleinen Saal dieses Gebäudes, in dem früher Waffen aufbewahrt wurden. Ich war bald ein tätiges Mitglied dieser Bühne, wodurch mir der Vorteil erwuchs, daß ich die Bekanntschaft des Gouverneurs und anderer Autoritäten auf der Insel, wie die des Generals Cardenneau, des Chefs des Generalstabs Baudouy, des Kommissär-Imperial Lesseps und so weiter machte, und es nun an Einladungen zu Diners und kleinen musikalischen Soireen nicht fehlte.

In dem großen Theater, dessen Impresario ein gewisser Delungo, Ballettmeister und Grotesktänzer war, wurden Opera seria, Opera buffa und große Ballette aufgeführt. Das Personal desselben war nicht wie in Italien auf eine Stagione, sondern immer auf ein ganzes Jahr engagiert, weil das öftere Wechseln hier mit zu großen Schwierigkeiten verknüpft gewesen wäre. Die Prima donna seria war eine Signora Mariana Recupido, die liebenswürdige Gattin eines schon an der Schwindsucht laborierenden Tenors. Prima Ballerina seria war Signora Giuseppina Panzieri, ein allerliebstes blondgelocktes Mädchen, eine wahre Graziengestalt. Nicht minder artig war die seconda Ballerina, Chiaretta Gaspari, die ein recht naseweises Roxelanennäschen hatte. Als ich in Korfu ankam, waren Guglielmis ‚Amanti in scompiglio‘, Meyers ‚Ginevra di scozia‘ und das Ballett ‚Didone abbadonniata‘ auf dem Repertoire. Oper und Ballett waren gut besetzt, besonders war der Kastrat, ein gewisser Matuccio, der den Ariodante sang, vortrefflich, sowie die Recupido als Ginevra. Deren Gatte mußte aber bald darauf die Bühne verlassen und wurde durch den Tenor Spiegoli, der eine sehr frische und schöne Stimme hatte und den Polinesso ausgezeichnet gut gab, ersetzt. – Auch das Ballett war nicht übel; den ersten Tänzer machte eine Dame, die sehr schön gebaut war. Die Panzieri war vortrefflich und der Grotesktänzer machte furchtbare Salti mortale.

Das Leben der Garnison in Korfu war übrigens ein rechtes Schlaraffenleben. Sie war mit Inbegriff der Albaneser wohl über zwölftausend Mann stark und aus allen möglichen Nationen zusammengesetzt. Sie bestand aus dem sechsten französischen Linien- und dem vierzehnten leichten Infanterieregiment, jedes über dreitausend Mann stark, zwei Bataillonen von dem zweiten Fremdenregiment, einem Bataillon königlich italienischer und ein anderes neapolitanischer Truppen, den Ruderas des Regiments Chasseurs de l’orient, das mit der französischen Armee aus Ägypten zurückgekommen war, einem Bataillon Septinsulaner, so genannt, weil sie unter den Venezianern einen Teil der Garnison der sieben Jonischen Inseln ausmachten und aus Dalmatinern, Slavoniern, Venezianern und einigen Griechen zusammengesetzt, einer Eskadron Chasseurs à cheval, an hundert Mann stark, die aber kaum sechzig Pferde hatten, dem Regiment oder vielmehr der Horde undisziplinierter Albaneser, die nie in Reih und Glied zu bringen waren, und endlich einer sehr zahlreichen französischen und neapolitanischen Artillerie nebst mehreren Pionierkompagnien, dem Ingenieurkorps, Sappeurs und Mineurs. Die ganze Marine bestand aus zwei in dem Hafen stationierenden Fregatten, einigen Briggs und etlichen zwanzig Kanonierschaluppen. Dieses gewiß seltsame Quodlibet, bei dem sogar Afrikaner und Asiaten waren, bildete die Garnison von Korfu. – Sämtliche Infanterie war zugleich für den Artillerie-Festungsdienst eingeübt worden, um sie im Fall einer Belagerung die Geschütze bedienen zu lassen, da die vorhandene wirkliche Artillerie kaum für den sechsten Teil derselben ausgereicht haben würde. Der Dienst im allgemeinen wurde aber, wenigstens von den Offizieren, ziemlich nachlässig versehen, und zwar so, daß sich dieselben erlaubten, zur Nachtzeit die Wachen zu verlassen und erst gegen Morgen wieder sich auf denselben einfanden. Viele derselben, sowie auch Unteroffiziere und Soldaten, waren hier förmliche Handelsleute, Krämer, Handwerker und so weiter geworden, trieben alle möglichen Geschäfte und erschienen fast nur bei den Revuen unter den Waffen und in Uniform. Viele Offiziere machten allerlei kleine Handelsspekulationen, namentlich die der Septinsulaner, welche sich besonders auf den Schmuggel legten. Andere hatten Bäckereien angelegt, noch andere sich mit dem Wasserhandel eingelassen, ließen die Wasserfäßchen durch Soldaten hereinbringen und billiger als die Griechen und Albaneser verkaufen und so weiter. Die Garnison hatte in der Regel anderthalb bis zwei Jahre Sold zu gut, und man sah ihr deshalb von oben herab manches durch die Finger. Ein anderes Übel, das einriß, war, daß von den Generälen bis zum Tambour herab sich viele Militärs Mätressen beilegten, meistens arme Griechinnen, die sie mit Bewilligung ihrer Eltern zu sich nahmen, sie unterhielten, und die oft sehr schön waren. Die Griechen der niederen Klassen verhandelten nicht selten ihre oft kaum zwölfjährigen Töchter für wenige türkische Piaster, – das türkische Geld war das, was nebst dem venezianischen am meisten kursierte – an Offiziere oder Soldaten und beschworen dabei, daß sie ihnen eine Jungfrauschaft überlieferten. War nun einer seiner Geliebten überdrüssig oder konnte er sie nicht länger unterhalten, so verhandelte er sie an einen anderen. Öfters unterhielten auch zwei bis drei Kameraden ein solches Mädchen. Andere tauschten ihre Mätressen gegenseitig aus, worauf der eine oder der andere noch einige Pokale Wein zum besten geben mußte. Dies alles mußten sich die armen Geschöpfe wohl gefallen lassen, waren manchmal auch mit dem Tausch ganz zufrieden. Diese Mädchen sprachen außer dem Korfiotischen neugriechisch, gewöhnlich etwas gebrochen venezianisch, lernten aber bald einige französische Worte plappern. Sie hatten in der Regel einen natürlichen scharfen Verstand, waren aber in allen Dingen, die praktische Liebe ausgenommen, im höchsten Grade unwissend. Keine konnte schreiben oder lesen, selbst nicht die, welche wohlhabenden Familien angehörten. Ebensowenig konnten sie nähen oder stricken oder auch nur eine Suppe kochen. Den ganzen Tag lagen sie auf den Strohsäcken oder Matratzen, wenn sie deren hatten. Ihr Unterhalt kostete freilich wenig, da sie fast nichts aßen als Kräuter mit Öl und Zitronensaft und etwas Brot und Mischwein, und eine kleine Kammer bewohnten, für welche der jährliche Mietzins wenige Piaster betrug. Die Offiziere und Sergeantmajors, die eigene Zimmer hatten, nahmen sie meistens zu sich. Trotzdem der Sold so lange rückständig war und ausblieb, lebten die Soldaten doch nicht schlecht, ja manche viel besser als ihre Offiziere, da sie mit allerlei Arbeiten, die hier sehr gut bezahlt werden, viel Geld verdienten. Außerdem stand die ganze Garnison fortwährend auf dem Feldetat und erhielt folglich täglich außer dem Brot ihre Portionen Fleisch, Wein, trockene Zugemüse, Salz, Holz, Essig und so weiter, das freilich oft schlecht genug von den Fournisseurs geliefert wurde. Oft fehlte es auch gänzlich an frischem Fleisch und man teilte dann gesalzenes oder Speck aus den Magazinen aus. Die Soldaten wurden von den Korfioten nicht selten auf das gewissenloseste geprellt, wenn sie etwas verzehrten oder kauften. Man kann sich kaum einen Begriff von der Verschlagenheit, List und Schlauheit der Griechen im Betrügen machen, worin sie Meister sind. Man mag sich stellen, wie man will und noch so sehr in Obacht nehmen, immer wird man von ihnen übervorteilt. Wollte man in Korfu nicht oder wenigstens nicht so sehr hintergangen werden, so ging man zu den Juden, um etwas einzukaufen. Die Sittenverderbnis war unter den Einwohnern Korfus, namentlich den Griechen, in einem furchtbaren Grade eingerissen. Sodomiterei war nicht nur etwas ganz alltägliches, sondern auch ein gewöhnlicher Gegenstand der Unterhaltung unter ihnen. Sie suchten diese schmutzigen ekelhaften Gelüste auf alle Weise zu befriedigen, junge Soldaten zu verführen, und wurden öfters en flagrant délit in Kasematten und so weiter ertappt. Ja Kinder im zartesten Alter suchten sie zu ihren unnatürlichen Lüsten zu bekommen und fanden dabei gar nichts außerordentliches. Während meines Aufenthaltes zu Korfu fiel es vor, daß ein Grieche seine abscheuliche Wollust an einem Jungen unter drei Jahren zu befriedigen suchte, und als ihn der Kommissär-Imperial, die höchste Justizbehörde der Insel, deshalb auf die Galeere schickte, erregte dies eine allgemeine Teilnahme der Einwohner für ihn. „Poveretto; ma che gran cosa ha fatto?“ sagten sie mitleidig, und der Mensch wurde allgemein bedauert. Auch ihre Frauen waren vielen feil, und selbst nicht ganz arme Männer erlaubten für einige Piaster, daß man ihren Ehehälften einen Besuch abstatten durfte.

Die griechischen Kirchen und der griechische Gottesdienst haben ein eigenes, nicht sowohl feierliches als mehr mysteriöses Wesen, wozu auch das Verlegen des Hochaltars hinter den meistens vergoldeten Türen, die Gitterlogen der Frauen, die in den Kirchen gestreuten aromatischen Blätter und Blumen, das ewige Räuchern und Beräuchern eines jeden sich in denselben befindenden Individuums, er sei Grieche, Katholik, Protestant, Türke, Jude oder Heide, die oft so sonderbaren Gemälde auf Goldgrund, das ewige düstere Halbdunkel und Kerzenlicht, das näselnde Singen der Chormänner, die seltsamen Trachten der Priester und Laien das ihrige beitragen mögen. Es war mir anfänglich, als ich diese Tempel besuchte, immer, als wäre ich in dem Oratorium eines orientalischen Zauberers.

Die in Korfu lebenden venetianischen Familien hatten so ziemlich die Sitten und Gebräuche des Mutterstaates beibehalten und brachten die Tage und Nächte meistens in ihren Kasinos und Kaffeehäusern zu, wo sie wie auf dem Markusplatz zu Venedig kannegießerten und politisierten. Auch gestatteten sie ausnahmsweise Fremden Zutritt in ihren Häusern. Ich hatte bald die Bekanntschaft eines Grafen Mocenigo, eines äußerst interessanten, höchst wissenschaftlich gebildeten Mannes gemacht, dessen Familie aus Venedig stammte und der mich bat, sein Haus wie das meinige zu betrachten, mir auch seine auserwählte Bibliothek zur Verfügung stellte und mir über alles, was ich von der Insel Korfu zu wissen wünschte, die beste Auskunft gab. Der Mann hatte einen großen Teil Europas, die asiatische Türkei und auch einen Teil von Deutschland bereist, nämlich Österreich. Er führte mich in ein venezianisches Kasino ein, wogegen ich ihm Zutritt in dem französischen Liebhabertheater verschaffte, das ihm viel Unterhaltung gewährte.

Das behagliche Leben in Korfu war mir zwar nicht unangenehm, aber ich fand es viel zu ruhig und zwecklos, als daß es mich hätte befriedigen können. Auch mußte ich gar manches, und namentlich Journale, Zeitungen und die Neuigkeiten der Literatur überhaupt entbehren, da die Kommunikation mit dem Festland äußerst schwierig war und immer seltener Schiffe aus Italien ankamen; aus Frankreich aber fast gar keine. Ich entsinne mich nur einer einzigen Fregatte aus Toulon, die die ersten Kartoffeln, eine auf der Insel noch gänzlich unbekannte Pflanze, für die Garnison, aber nicht zum verspeisen, sondern zum Anbauen brachte, da jedes Regiment und jede Kompagnie brach liegende Ländereien in der Nähe der Stadt angewiesen bekommen hatte, um sie zu ihrem Nutzen mit Gemüse zu bepflanzen. Alles, was Kleidungsstücke, Stiefel, Schuhe, Hüte und so weiter betraf, war ungeheuer teuer. Ein Paar Suwarowstiefel bezahlte man mit sechzig bis siebzig Piastern, für einen Hut ebensoviel. Andere Luxusgegenstände waren kaum zu erschwingen. Dies rührte daher, daß die Engländer Korfu fast beständig und namentlich in den letzten Jahren (1812 bis 1814) in immerwährendem Blockadezustand hielten und die Insel umschwärmten. Mehrere englische Linienschiffe, Fregatten, Briggs, Schaluppen und so weiter kreuzten fortwährend zwischen Korfu und Italien und paßten mit der äußersten Wachsamkeit allen von dort abgehenden Schiffen und namentlich den französischen und italienischen Kanonierschaluppen auf, die den Dienst zwischen Otranto und Korfu regelmäßig versahen und Depeschen, Briefe, Gelder, Angestellte, Montierungsstücke für die Besatzung an Bord hatten und überbringen sollten. Die Kommandanten dieser Schaluppen hatten scharfen Befehl, sobald sie sich in Gefahr befänden, in Gefangenschaft zu geraten, den Briefsack an dessen beiden Enden Kanonenkugeln befestigt waren, sogleich in das Meer zu versenken; ebenso das Geldkistchen, in welchem sich in der Regel eine halbe Million Franken in Gold und mehr, zur Bezahlung des Soldes der Garnison und der Festungsarbeiten befand. Auf diese Art fanden, während Korfu von den Franzosen besetzt war, wohl fünfzehn bis zwanzig Millionen ihr Grab im Grunde des Meeres. Die immerwährende Blockade hatte außerdem noch das Unangenehme, daß man nur selten Nachrichten von dem Festland und den Seinigen erhalten konnte, und daß das einzige Produkt, welches die Insel ausführt, nämlich Öl, endlich ganz wertlos wurde, während alle anderen Waren viermal teurer als gewöhnlich waren. Dies verursachte, daß auch die reichsten Familien in große Not gerieten und weniger Bemittelte sich gar nicht zu helfen wußten. Die Überfahrt von Otranto hatte große Schwierigkeiten und man mußte die äußerste Vorsicht anwenden, sollten die Schaluppen nicht in englische Gefangenschaft geraten. Zur Abfahrt wurde eine finstere mondlose Nacht gewählt, in welcher der Maestro, ein stark wehender Nordwind, aus vollen Backen blies. Mit diesem Wind fuhr man, sobald es völlig Nacht geworden, mit vollen Segeln von Otranto ab und kam dann den anderen Morgen, wenn alles glücklich abgelaufen war, in Korfu an. Bei der Ankunft eines solchen Seekuriers gab es allemal große Freude und Jubel in der Garnison und ein paar fröhliche Tage, denn er brachte Geld, Neuigkeiten und Nachrichten aus der lieben Heimat und auch Avancements mit. Öfters währte es auch wohl drei Monate und länger, bis ein solches Schiff durchwischen konnte. In der letzten Zeit blieben sie fast ganz aus.

Unterdessen hatte ich die Bekanntschaft der Signora Mariana Recupido, Primadonna der Opera Seria, gemacht, einer sehr geistreichen, munteren und reizenden jungen Frau aus einer guten florentinischen Familie. Ihr Vater war ein Conte Luciano, aber in Dürftigkeit geraten, daher die Tochter von ihrem nicht alltäglichen Talent und ihrer schönen Stimme den besten Nutzen zu ziehen suchte und, einmal beim Theater, einen der besten Tenore Italiens in Bologna geheiratet hatte. Bald stand ich in einem sehr vertrauten Verhältnis mit dieser Primadonna, ging ihre Partien mit ihr durch und führte sie auch bei der Familie Brüge ein, wo ich das Vergnügen hatte, sie Duette mit meiner liebenswürdigen Schülerin Josephine singen zu lassen und wir dann Terzette miteinander einstudierten. Während ich mit Mariana Recupido, die ihrem Zunamen alle Ehre machte, im Vollgenuß der Liebe schwelgte, vergnügte ich mich noch bei den Präliminarien mit der giovin principante Josephine.

Herr von Brüge brachte, seitdem er in Korfu war, die heißeste Jahreszeit in der Regel auf dem Lande, und zwar an einem von der Stadt ziemlich entfernten Punkte zu. Für diesen Sommer hatte er Pallea Castrizza, ein altes griechisches Kloster, wie es deren noch viele auf der Insel gab, gewählt. Dieser Ort hatte eine wunderschöne, äußerst romantische Lage auf einer kleinen Erdzunge an der Westseite der Insel, war befestigt, und eine hohe Zypressenallee führte zu der Höhe, auf welcher das Kloster lag, zu dem man nur über eine Zugbrücke gelangen konnte. Am Fuß des Berges befand sich ein kleiner, zum Landen sehr bequemer Hafen, Sankt Nicola genannt. Um diesen zu schützen und Landungsversuche der Engländer zu verhindern, hatte man eine Batterie auf dem Berg im Garten des Klosters angelegt und eine Abteilung Infanterie von etwa achtzig Mann hierher beordert. Herr von Brüge wünschte, daß ich den Sommer daselbst mit seiner Familie zubringen möchte, und veranstaltete deshalb, daß mir das Kommando dieses Postens auf die Dauer seines Aufenthaltes übergeben und durch meine Kompagnie besetzt wurde. Mir war dies ganz willkommen, denn ich befand mich nicht wohler als in Gesellschaft meiner jungen Schülerin und vermißte die in der heißen Jahreszeit ohnehin nicht sehr angenehme Stadt gerne. Pallea Castrizza liegt ungefähr vier starke Stunden entfernt von derselben. Der Weg dahin führt durch sehr malerische, bald felsige, bald waldige und immer sehr gebirgige Gegenden und ist, wie die ganze Insel, sehr uneben. Für Frau von Brüge, Josephine und das Kammermädchen wurden Maultiere herbeigeschafft. Herr von Brüge, ich und noch ein Offizier ritten den Damen zu beiden Seiten. Vier Soldaten trugen mit vier anderen abwechselnd das Pianoforte meiner Schülerin, andere Maultiere deren Effekten und Matratzen. So bildeten wir mit den Truppen einen abenteuerlichen, halb militärischen, halb patriarchalischen Zug, und die Landleute, durch deren Orte wir kamen, oder die uns begegneten, konnten sich keine Vorstellung von dem machen, was das für ein vierbeiniges Ding sei, das die vier Soldaten trugen. Auf dem halben Weg, bei dem Flecken Liapades, machten wir einen Halt, und da die Hitze schon sehr groß war, so wurde erst gegen Abend wieder aufgebrochen und mit der Dämmerung rückten wir in das burgähnliche Kloster ein, dessen bisherige Besatzung in der Nacht abmarschierte. Das große Gebäude war nur noch von zwei griechischen Mönchen bewohnt, von denen der eine, ein oberster Papa, eine Art Abt, und der andere sein dienender Bruder war. Die Kirche, die mitten im Klosterhof frei stand, war nach griechischem Gebrauch reich ausgeschmückt und gut erhalten. Wir teilten uns in die Zimmer ein, die keine Glasfenster, sondern nur hölzerne Fensterläden und äußerst schlecht schließende Türen hatten und nur mit einigen hölzernen Bänken und ein paar Tischen möbliert waren. Herr von Brüge nahm deren ein halbes Dutzend in Beschlag, die in einer Reihe lagen, und mir wurden zwei daran anstoßende zuteil.

Außer den Linientruppen und den Artilleristen befand sich auch noch ein Detachement von ungefähr hundert Albanesen mit zwei Offizieren dieser Truppen in Pallea Castrizza. Diese hatten sämtlich ihr Quartier in einer großen offenen Halle aufgeschlagen, welche am Abhang eines steilen Felsens am Meer lag und auf beiden Seiten durch Palmen beschattet wurde. Alle diese Truppen standen direkt unter meinem Kommando. Nachdem wir uns gehörig installiert hatten, nahmen wir ein Abendessen, dessen Hauptbestandteile frische Seefische und Langusten (eine Art große Seekrebse) ausmachten. Den Wein dazu mußte der alte Klosterpapa liefern. Da in der Bucht von Pallea Castrizza eine bedeutende Fischerei war, so ließ sich Frau von Brüge jeden Morgen die frisch gefangenen Fische präsentieren und wählte die delikatesten derselben aus, die dann zum zweiten Frühstück zubereitet wurden. Nie habe ich köstlichere Fische gegessen wie hier. Auch hatte Frau von Brüge einen trefflichen Koch mitgenommen. Der Fischfang war so ergiebig, daß jeden Tag für viele hunderte Piaster nach Korfu getragen und daselbst verkauft wurden. Die Hummern und Langusten hatten ein sehr wohlschmeckendes und zartes Fleisch, so auch das Muschelwerk. Frisches Fleisch, aber nur Ziegenfleisch, Wein, Hülsenfrüchte, Salz, Essig, Brot und so weiter für das Detachement lieferte ein Bauer aus dem nahe gelegenen Dorf Spagus auf Kosten der Lieferanten in Korfu. Wir erhielten aber Ochsen- oder Kuhfleisch, weißes Brot und andere Viktualien aus der Stadt. Wein, Öl und andere Ingredienzien für die Offiziere mußte das Kloster in hinreichender Quantität und guter Qualität geben, weshalb auch dessen Papa, sowie weil ihm die Besatzung auch in manch anderer Hinsicht ein Dorn im Auge sein mochte, dieselbe sehr ungern sah und nicht aufhörte, jeden Kommandanten derselben zu versichern, daß es die maledetti Inglesi niemals wagen würden, hier an dem vom heiligen Nikolaus beschützten Kloster eine Landung zu versuchen. Da mir der alte Pfaffe, fast so oft er mich erblickte, dieselbe Litanei wiederholte, so sagte ich ihm ernstlich, er möge sich deshalb nur an Seine Exzellenz den Gouverneur General Donzelet wenden, der seiner Versicherung gewiß Glauben schenken würde. Der gute Papa war außerdem ein gewaltiger alter Sünder, der trotz seiner siebzig Jahre jede Woche mehrere Weiber aus den umliegenden Dörfern empfing, die sich von ihm exorzisieren ließen, wobei er dann, wie die zusehenden Soldaten bemerkt haben wollten, allerlei Manöver und Handgriffe machte, um den Teufel aus dem Leib derselben zu treiben. Ein griechisches, nicht mehr sehr junges Weib kam regelmäßig alle vierzehn Tage mit einem Korb voll ausgesuchter Viktualien, um sich den Teufel, von dem sie besessen war, austreiben zu lassen. Der Papa, der weder schreiben noch lesen konnte, machte nun seine Faxen mit einem griechischen Kruzifix und murmelte allerlei griechische Gebete und Formeln. Das Weib geriet nach und nach in die furchtbarsten Konvulsionen, brüllte unverständliche Worte, heulte, warf sich auf die Erde nieder, und nun sagte der Pfaffe in gebrochenem Venezianisch: „Sehet, gute Christen, welche Mühe es mich kostet, diesen Teufel zu bekämpfen, und wie er sich sträubt und zur Wehr setzt; auch gelingt es mir nie, ihn ganz aus dem Körper der armen Frau zu treiben. Bis in die große Zehe bringe ich ihn wohl, aber auch nicht weiter, und so wie sich, sobald die Frau weg ist, die Kraft meines Gebetes und des Kruzifixes nach und nach wieder verliert, so steigt auch der Böse allmählich in die Höhe, bis er ihr endlich wieder im Kopfe sitzt.“ – Das Weib fiel zuletzt höchst ermattet in einen bewußtlosen Zustand, in dem sie über eine halbe Stunde blieb. Mehrmals habe ich mit der Familie Brüge diesem Schauspiel beigewohnt, und je mehr der Pfaffe den Körper der Frau mit dem Kruzifix bestrich, desto wütender gebärdete sich dieselbe. „Sehet, sehet,“ rief der Papa dann aus, „was der Teufel für Sprünge in ihrem Leibe macht.“ Öfters exorzisierte er aber auch tête-à-tête insgeheim; was dann der Teufel für Sprünge gemacht, mögen die Götter wissen.

Unser Tagewerk in Pallea Castrizza war so ziemlich jeden Tag dasselbe. Morgens früh vor fünf Uhr stand ich auf. Um sechs Uhr machte ich eine Promenade mit den Damen den Berg hinab, längs dem Meeresufer oder auf eine der ringsumliegenden Höhen, öfters zu den Ruinen eines alten Schlosses, Castello San Angelo genannt, das auf einem hohen Felsenberg unserem Kloster gegenüber lag, und wo ein Telegraph, der mit der Stadt korrespondierte angebracht war, um alle von dieser Seite sich nähernden feindlichen Schiffe sogleich signalisieren zu können. Besuchten wir nahe liegende Dörfer, so waren wir bald von deren Bewohnern umringt, die uns als Wilde oder Wundertiere anstaunten, mit denen wir uns nicht verständigen konnten, da niemand von uns das Neugriechische sprach, von dem ich kaum ein paar Worte aufgefangen hatte. Gegen neun Uhr kamen wir in der Regel zurück, denn es fing dann schon an, glühend heiß zu werden, und setzten uns zu einem delikat zubereiteten Frühstück, bei dem frische Fracazanifeigen, Wassermelonen und andere Südfrüchte nie fehlten. Nach dem Frühstück erteilte ich Josephinen ein paar Stunden Unterricht in der Musik, aber jetzt nicht ohne Unterbrechungen, wenn sich die Gelegenheit darbot, denn ich gab ihr nun auch Unterricht in der Liebe, und zwar in der praktischen, während sich Papa und Mama bald nach dem Frühstück zur Siesta niederlegten und die große Hitze in ihrem Schlafgemach verschliefen. Wir begaben uns dann erst gegen Mittag jedes in sein Zimmer zur Ruhe. Während wir Akkorde auf dem Piano anschlagen, harmonierten wir oft Mund auf Mund, mit minutenlangen Glutküssen, endlich verstummte Klavier und Gesang ganz und wir lagen einander wonnetrunken in den Armen, während die Eltern einer süßen Ruhe pflegten. Das Mädchen, eine Sylphidengestalt, war wegen der großen Hitze äußerst leicht in ein Gewand von Cambridge oder Musselin gekleidet, unter dem sie höchstens, und das nicht immer, noch ein linnenes Unterröckchen über dem Hemd trug, so daß sich ihre schönen Formen sehr deutlich zeichneten und das Kleid einen antiken Faltenwurf annahm. Indessen wagten wir viel, denn wie leicht hätte uns Papa oder Mama in einem so Gott und die Welt vergessenden Zustand überraschen können. Später schlichen wir uns öfters in die vergitterten Frauenstühle der Klosterkirche und frönten in diesem heiligen Dunkel der cytherischen Göttin. Gegen Abend, wenn alles wieder aufgestanden war und Toilette gemacht hatte, fanden wir uns wieder zusammen, musizierten bis zum Mittagessen, das um sechs Uhr eingenommen wurde, worauf wieder Promenaden folgten, nach denen man bis lange nach Mitternacht im Klosterhof weilte, dem Gesang der Albaneser zuhörend, die recht schöne Melodien und mehrstimmige Lieder in ihrer Sprache sangen und mit Zithern und Lauten begleiteten. Bisweilen las ich den Damen etwas vor.

Öfters ritt ich nach Korfu, um daselbst allerlei Kleinigkeiten für die Damen zu besorgen und einzukaufen. Da Josephine auch recht artig zeichnete, so kamen wir auf den Gedanken, ein kleines Puppentheater zu malen, um mehr Abwechslung in unsere Unterhaltung zu bringen. Als ich, um Farben zu diesem Zwecke zu kaufen, nach Korfu geritten war und mich in die Calle verte zu einem Farbenverkäufer begeben wollte, hörte ich plötzlich ein starkes Getöse, ein Geräusch, dem gleich, wenn ein Paar Pferde mit einem Wagen auf dem Straßenpflaster durchgegangen sind. Da es aber in Korfu, den Artillerietrain ausgenommen, der nur bei Revuen tätig war, gar kein Fuhrwerk gab, so war dies wohl nicht annehmbar. Zugleich sah ich alle Leute mit angstvollen Gesichtern vorüberspringen, trat deshalb in eine offen stehende Kantine, um zu fragen, was dies bedeute, wo ich aber Pokale und Gläser auf den Tischen wankend und klirrend fand. Die Leute schrien: „Terramuoto, terramuoto!“, stürzten, mich über den Haufen stoßend, nach der Türe, um nach der nächsten Kirche zu rennen. Ich aber, der jetzt begriff, was es war, lief eiligst nach der nahen Esplanade. Aber bevor ich dieselbe noch erreichte, hatte das Geprassel und die Erschütterung schon aufgehört, denn das Ganze währte nur wenige Sekunden. Noch lange nachher waren aber Straßen und Kirchen, und namentlich die des heiligen Spiridion, voll Menschen, die, auf dem Boden liegend, inbrünstig zu dem Schutzheiligen beteten. Bei dieser Gelegenheit bekam ich auch viele der vornehmen griechischen Frauen und Mädchen zu sehen, die entschleiert in die Kirchen rannten, und unter denen sich manche echt antik-griechische Schönheit befand. An das Farbenkaufen war für diesen Tag nicht mehr zu denken, da alle Buden schnell geschlossen wurden und es den ganzen Tag blieben. Die Garnison hatte schnell ausrücken müssen und biwakierte zweimal vierundzwanzig Stunden auf der Esplanada, da sich solche Erdstöße auf den Jonischen Inseln nicht selten in den nächsten vierundzwanzig Stunden drei- bis viermal wiederholen. Das Erdbeben war sehr stark und bedeutend gewesen. Mehrere Häuser waren eingestürzt und ihre Bewohner, die sich nicht schnell genug hatten retten können, waren erschlagen worden. Auch mehrere noch von der letzten türkischen Belagerung in Ruinen stehende Gebäude waren nun völlig zusammengefallen. Viele Personen hatten sich auf die Schiffe in der Reede geflüchtet, auf denen man die nämliche erschütternde Bewegung wie auf dem Lande verspürte. Noch denselben Nachmittag jagte ich nach Pallea Castrizza, wo ich alles in größter Bestürzung und die Besatzung vor dem Kloster kampierend fand; so auch Herrn von Brüge und seine Damen. Nur die beiden Mönche und einige Griechen lagen noch betend in der Kirche auf den Knien. Ich mußte nun Bericht über das, was in der Stadt vorgefallen war, erstatten, und nicht ohne Angst, was da kommen könne, begab man sich gegen Morgen zur Ruhe. Nach ein paar Tagen war alles wieder im gehörigen Gleis. Ich ritt abermals nach Korfu, die Farben zu holen, die ich diesmal glücklich mitbrachte, und wir begannen nun Dekorationen zu malen. Den anderen Morgen sagte mir Josephine bei der Musikstunde, sie habe in Papas Stube ein Papier voll langer Dinger von ganz feiner Blasenhaut gefunden, und als sie sie ihrem Vater gezeigt und gefragt, was denn dies sei, so habe er ihr sehr unwillig geantwortet: „Einfältiges Ding, das sind türkische Tabaksbeutel; du mußt deine Nase aber auch in alles stecken.“ „Ich glaube es aber nicht,“ fuhr sie fort, „und möchte wohl wissen, was dies eigentlich für Dinger sind.“ – Auch ich konnte mir nicht gleich denken, was es wohl sein könne, und sagte zu dem Mädchen, sie möge mir nur eines davon zeigen. – „Ja, wenn ich sie wieder erwischen kann, denn Papa hat sie schnell und aufgebracht wieder weggetan.“ – Einige Tage darauf brachte sie mir ein solches Ding, indem sie sagte: „Aber die hat Vater gut versteckt; sie waren in seinem Portefeuille verschlossen. Ich fand sie in einem Bataillonsrapport eingewickelt und habe ihm eins genommen.“ – Ich erkannte nun sogleich, was es für Beutel waren, hatte mir dies schon halb und halb eingebildet, und da ich von Josephinen selbst wußte, daß Papa mit dem Kammermädchen auf einem intimen Fuß stehen müsse, da sie gesehen, wie er es heimlich geküßt, so konnte ich mir denken, wozu Herr von Brüge diese türkischen Beutel gebrauchte, da er einen Skandal fürchtete und vermeiden wollte, und ich fand bald Gelegenheit, seiner Tochter die Nützlichkeit derselben darzutun.

Als wir uns eines Morgens nach der Musikstunde der großen Hitze wegen in ein altes halbzerfallenes Kellergewölbe flüchteten, in das ich vorantrat, da wand sich, kaum eingetreten, eine dicke eiskalte Schlange, die sich von der Türwölbung herabließ, um meinen nackten Hals, und Josephine tat einen lauten Schrei. Ich aber packte das eisige Tier mit beiden Händen um den Leib, wobei es mich in die Hand biß. Ich riß es mit aller Gewalt herab und trat ihm mit beiden Füßen auf den Kopf, so daß ich denselben zerquetschte. Weder ich noch Josephine, noch die Leute, denen ich das Reptil zeigte, wußten, zu welcher Schlangengattung es gehörte. Aber einer der hinzukommenden Albanesen wollte es für eine der giftigsten Nattern erkennen, setzte jedoch sogleich hinzu, daß ich nichts zu fürchten habe, da er ein untrügliches Mittel besitze, den Biß unschädlich zu machen und die Wunde zu heilen. Er preßte das Blut heraus, sog es mit seinen Lippen ein, brannte dann mit einem Schwefelfaden die blutige Stelle, legte hierauf etwas von der geschabten frischen Wurzel eines Krautes darauf und verordnete mir, recht viel Zitronenwasser und ja keinen Wein zu trinken, was ich befolgte. Frau von Brüge hatte ohnehin jeden Tag eine große Bowle Limonade in dem Speisezimmer stehen, aus der wir ad libitum tranken, und die, so oft sie leer war, wieder gefüllt wurde. Zitronen und Limonen kosteten ja nichts, ebenso die bitteren Pomeranzen, welche die Soldaten hier zu Schuh- und Stiefelwichse benutzten, und das damit frottierte Leder bekam völlig den Glanz des blanken Stahls. Das angewandte Mittel war probat, denn der Biß hatte nicht die geringsten unangenehmen Folgen für mich. Ob aber die Schlange wirklich so giftig war, als der albanesische Äskulap vorgab, muß ich dahingestellt sein lassen.

Was noch einige Abwechslung in unser sonst ziemlich einförmiges Leben zu Pallea Castrizza brachte, wo wir jetzt viele Zeit mit der Dekorationsmalerei für das Puppentheater hinbrachten – ich zeichnete die Hintergründe und Kulissen und Josephine malte sie aus – waren die Feste in den umliegenden Dörfern, zu denen wir von den Capi di cinquante und dieci immer feierlich eingeladen wurden, bei denen wir uns einstellten und wo es recht fröhlich zuging. Dies ist fast der einzige Tag, wo der Grieche etwas Warmes und gebratenes Fleisch zu sich nimmt. Jeder schneidet sich von einem am Spieß gebratenen ganzen Hammel oder Schwein nach Belieben ab. Das Schweinefleisch und namentlich der Schinken von den mit ausgepreßten Oliven gemästeten Schweinen hat einen ganz vorzüglichen Wohlgeschmack und ein transparentes hornartiges Ansehen. Wir vergüteten die Einladung und das Genossene reichlich, indem wir gar manchen Para, wohl auch Piaster an den klebrigen Mauern hängen ließen. Am abergläubischsten zeigten sich hierbei die Albanesen, die oft einen ganzen Monat ihres Soldes an diesen Mauern hängen ließen. Eines dieser wilden Bergkinder, das schon hundertdreizehn Jahre alt, dennoch bei jeder Musterung wohl bewaffnet erschien und gleich den anderen im Trabe defilierte und seine Pistolen und Gewehre abfeuerte, hatte über fünfzig Piaster angeklebt oder fallen lassen. Hundertjährige Albanesen sind keine große Seltenheit, woran wohl die große Abhärtung, ein Schafsmantel ist ihr Bett, ihr Obdach, ihre Bekleidung und Regenschirm, sowie die außerordentlich mäßige Lebensweise schuld sein mag.

Da während unseres Aufenthaltes zu Pallea Castrazzi das Sankt Spiridionsfest in Korfu gefeiert wurde, so redete mir Herr von Brüge zu, da ich dasselbe noch nicht gesehen hatte, mich während dieser Zeit in die Stadt zu begeben, um demselben beizuwohnen, was mir ganz recht war, da ich bei diesem den Aberglauben und die Pracht der Korfioten und ihrer Frauen in ihrem ganzen Glanze erblicken sollte. Ich nahm Urlaub auf sechs Tage, während welchen ich die feierliche Narrheit mit aller Bequemlichkeit zu beobachten Gelegenheit fand, und schloß mich sogar eine ganze Stunde lang der Prozession an, worauf ich aber genug hatte, mich weg und in das nahe venezianische Kasino schlich, in welchem ich eingeführt war, und wo ich die Bekanntschaft eines jungen Capo d’Istria, eines Neffen des in russischem Staatsdienste stehenden Ministers dieses Namens machte, der ebensowenig als ich an die Heiligkeit der Mumie glaubte und sich manche beißende und geistreiche Ironie über die Prozession und das Gefolge erlaubte. Er bot mir eine Tasse Schokolade an und lud mich ein, ihn öfters zu besuchen. Ich begab mich nun mit ihm in die reich und prächtig ausgeschmückte Sankt Spiridionskirche, wo wir die Rückkehr des Heiligen abwarteten, während griechischer Gottesdienst gehalten wurde und die Musik der verschiedenen Regimenter abwechselnd spielte. Dem Eingang zur Vorhalle der Kirche, in welcher die Musik des vierzehnten Regiments spielte, gegenüber, hörte und sah ein allerliebstes Madonnenköpfchen mit großem Vergnügen dem militärischen Spektakel zu. Capo d’Istria, den ich darum fragte, sagte mir: „Ach, dies ist die schöne Signora Enrichetta Viletta, die Braut des Advokaten Prosalenti, sie hat dreißigtausend Talari Aussteuer. Sie hatte viele Freier, unter anderen auch den jungen reichen Dandolo, aber ihr erzliederlicher Bruder, der alles verspielt, hat sie dem widerlichen Prosalenti verhandelt.“ – Hinter einem Fenster des Vestibüls der Kirche hatte ich Gelegenheit, die Reize des jungen Mädchens unbemerkt mit aller Muße bewundern und sie selbst beobachten zu können. Capo d’Istrias Mitteilungen hatten mir die schöne Braut doppelt interessant gemacht, und wie ich aus seinen Reden entnehmen konnte, schien sie ihm auch nicht gleichgültig zu sein. Er war ein junger interessanter Mann, mit einnehmenden Gesichtszügen, Mitglied der Società filodramatica, welche italienische Lustspiele und Dramen aus Liebhaberei aufführte, bei der er den jugendlichen Liebhaber nicht ohne Talent spielte, und von der auch ich den kommenden Winter ein tätiges Mitglied wurde und wo ich die in Neapel übersetzten deutschen Stücke, namentlich ‚Fiesko‘, ‚Menschenhaß und Reue‘, ‚Die Indianer in England‘ und so weiter zur Aufführung brachte. Die Recupido machte aus Gefälligkeit die erste Liebhaberin und gab die Elisabeth im ‚Don Carlos‘ und die Gurli ganz vortrefflich. „Ein Meisterstreich wäre es,“ sagte ich zu Capo d’Istria, „wenn man dem Prosalenti die schmucke und reiche Braut wegfischen könnte.“ – „Ach ja,“ erwiderte er seufzend, „aber es ist unmöglich.“ – „Unmöglich?“ versetzte ich, „solange die Hochzeit noch nicht vollzogen, ist immer noch die Möglichkeit vorhanden. Ich gebe nichts auf als die Toten. Sie sehen das Mädchen gerne?“ – „Freilich.“ – „Und Sie wissen, daß sie den Prosalenti nicht leiden mag?“ – „Allerdings.“ – „Nun, dann müßte es mit dem Teufel zugehen, wenn wir sie ihm nicht aus den Klauen reißen sollten. Wann soll die Hochzeit sein?“ – „In sechs Wochen.“ – „Noch überflüssige Zeit, die Sache rückgängig zu machen und das Opfer dem Rachen der Bestie zu entziehen.“ – Wir verließen nun Arm in Arm die Sankt Spiridionskirche, grüßten im Vorübergehen die holde Enrichetta ehrerbietig und erhielten einen freundlichen Dank, gingen aber nur um die Kirche herum und auf der entgegengesetzten Seite wieder in dieselbe, uns abermals hinter das bewußte Fenster der Vorhalle placierend. Zeigten uns aber von Zeit zu Zeit wieder an der Türe der Schönen gegenüber, so daß diese bald unsere Gegenwart bemerkte und lächelte; und nun wurden Blicke gewechselt. Ich sagte jetzt meinem neuen Freunde, er möge ein Briefchen schreiben, in welchem er Enrichetten seiner Liebe versichern und ihr erklären solle, daß er sie heiraten wolle. Es kostete mich aber große Mühe, ihn dazu zu bewegen. Auch fürchtete er die Rache des Bruders und Bräutigams, wenn diese unglücklicherweise dahinterkämen. – „Pah, wenn man einem Mädchen nachstellt, muß man nichts in der Welt fürchten,“ sprach ich und fuhr fort: „wenn Sie mir die Leitung der Intrige überlassen wollen, so stehe ich für alles. Schreiben Sie nur das Billett und dann sorgen Sie für eine alte Hexe, die für ein paar Zechinen selbst an den Teufel verkuppeln würde.“ – Capo d’Istria, durch mich ermutigt, verstand sich endlich zum Schreiben und an solchen alten Weibern vom Mestiero war auch in Korfu kein Mangel. Ehe vierundzwanzig Stunden vergingen, war das Geschriebene in den Händen der Braut. Die Überbringerin, eine alte Griechin, die auch das Venezianische gut sprach, brachte wenigstens eine mündliche Antwort und erzählte etwas umständlich, welche Mühe sie gehabt, die Signora allein zu sprechen, sie zur Annahme des Briefchens zu bewegen, daß es ihr aber endlich sogar gelungen sei, sie zu überreden, den Antrag des jungen Herrn anzunehmen, wenn er ihn ausführen könne, denn sie gestehe, daß ihr der bestimmte Bräutigam unausstehlich sei. – „Was nun anfangen?“ meinte Capo d’Istria. – „Hier bleibt nichts übrig als eine Entführung,“ erwiderte ich schnell. – Vor dieser aber scheute er wieder und willigte erst ein, als ich ihm erklärte, ich wolle auch die Ausführung und die Gefahr derselben übernehmen; die Hauptsache sei vorerst, sich der Einwilligung des Mädchens zu versichern. Die alte griechische Hexe, die bereits zwei Zechinen zum Geschenk für ihre Bemühungen erhalten hatte, war auch bereit, ihr möglichstes zu tun, die Signora Enrichetta dazu zu vermögen.

Das Sankt Spiridionsfest war vorüber und ich sollte nun nach meinem einsamen Pallea Castrizza zurückkehren. Aber ein anderes, weit wichtigeres Fest war vor der Türe, das Napoleons (der 15. August) und sollte recht prächtig gefeiert werden. Namentlich durch ein Seeturnier, welches die Offiziere der Marine in der Reede von Korfu zu geben beabsichtigten. Sodann war Souper und Ball bei dem Gouverneur nebst Feuerwerk und was dazu gehört. Ich erbat mir noch einen vierzehntägigen Urlaub, mehr wegen der beabsichtigten Entführung als um dem Napoleonsfest beizuwohnen, ritt aber noch vorher nach Pallea Castrizza, wo ich mit Sehnsucht erwartet wurde. Da ich aber auch an dem Seeturnier gleich mehreren Offizieren von den Landtruppen tätigen Anteil nehmen wollte, so teilte ich dies Herrn von Brüge mit dem Bemerken mit, daß ich schon den nächsten Tag wieder in die Stadt müsse, um mich zu der bevorstehenden Feierlichkeit gehörig einzuüben, wozu aber die Damen und besonders Josephine nicht das freundlichste Gesicht machten. Von der projektierten Entführung ließ ich kein Wörtchen fallen; beides wurde indessen auf das emsigste betrieben. Ich war zwar ein guter Schwimmer; dies war aber nicht hinreichend, um Ehre bei dem Turnier einlegen zu können. Die stechenden, ganz in buntes Papier gekleideten Ritter mußten auf einem kleinen, sehr schmalen runden Brett, das an dem Hinterteile einer Barke, wenigstens einige dreißig Fuß hoch angebracht war und durch zwei schmale Balken gehalten wurde, Posto fassen, während das Schiffchen durch vierundzwanzig Ruderer pfeilschnell getrieben wurde, mit einer langen hölzernen Lanze auf den Schild des anfahrenden Gegners einen kräftigen Stoß tun und so suchen, ihn hinab in das Meer zu stürzen. Wir probierten nun mehrere Tage dieses Manöver, aber auf gewöhnlichen Barken, wo man nicht viel höher, als das Hinterteil des Schiffes war, stand, dabei waren wir ganz nackend, hatten vier Schuh hohe Schilder und zehn Schuh lange Lanzen. Bei diesen Proben lief alles ziemlich gut ab. Ich fiel nur selten einmal in das Wasser und stieß meine Gegner mehrmals hinab. Aber dies war nur eine Finte von den Marineoffizieren. Diese Seeratten hatten sich verschworen, die Landratten – so titulierten sich gegenseitig die Marine- und Landtruppen –, die es wagten, mit ihnen in die Schranken treten zu wollen, tüchtig heimzuschicken.

Während der Zwischenzeit ritt ich indessen oft am Abend nach Pallea Castrizza und kehrte am Morgen nach Korfu zurück, wo ich mich dann mit Capo d’Istria in die Vorhalle der Sankt Spiridionskirche begab und wir uns an der Tür derselben blicken ließen, sobald wir sicher waren, daß der Sposo in spe nicht anwesend war. Wir korrespondierten nun vermittelst der Finger- und Zeichensprache mit der mit uns einverstandenen holden Enrichetta, und die Entführung, zu der sie endlich, durch Briefe und Zureden der Alten bestürmt, eingewilligt, wurde auf den 15. August, den Napoleonstag selbst festgesetzt; und zwar sollte sie auf dem Ball, den der Gouverneur an diesem Tage jedesmal gab, vollführt werden, da man daselbst die Abwesenheit der Signora nicht sogleich bemerken würde. Um jedoch sicher zu sein, daß sie dem Ball beiwohnte, begab ich mich zum Chef de l’état major Bauduy, um zu erfahren, ob die Vilettas mit den anderen venezianischen Familien, die man gewöhnlich zu diesem Feste heranzog, eingeladen seien, und wenn dies nicht der Fall wäre, dies zu veranlassen. Zu meiner Freude fand ich sie auf der Liste der Geladenen stehen, und daß sie kommen würden, war die Sache der Signora.

Der 15. August war endlich herangekommen und alles sowohl zu dem Turnier wie zur Entführung gehörig vorbereitet. Herr von Brüge kam nebst den Seinigen gleichfalls am frühen Morgen in die Stadt, der Parade und der Feier beizuwohnen. Nachdem alles militärische Gepränge, mit Kanonendonner und so weiter begleitet, vorüber war, schickte man sich zu dem Seeturnier an, das um vier Uhr nachmittags beginnen sollte. Der Senat von Korfu hatte auf Kosten der Stadt mehrere Preise für die Sieger ausgesetzt, von denen der erste eine Brillantnadel von ungefähr viertausend Franken an Wert war. In der Reede zwischen Korfu und Vido bildeten eine bedeutende Zahl Schiffe jeder Gattung und verschiedener Größe, alle beflaggt und bewimpelt, einen großen Halbkreis, der sich an seinen beiden Enden an das Ufer anschloß, auf dem ein bretternes Amphitheater errichtet war, auf welchem die Zuschauer Platz nahmen. Für die Generalität, Stabsoffiziere, Damen der Garnison und vornehme Korfiotinnen war eine eigene, mit Teppichen behangene Loge eingerichtet. Zwei Fregatten schlossen die Mitte des Halbkreises. Auf diesen hatten die Kampfrichter sowie die Musikchöre, die Admiralität und nichttätigen Seeoffiziere Platz genommen. Auf den anderen Schiffen waren ebenfalls viele Zuschauer placiert. Die vierundzwanzig Kampfbarken waren je zwölf auf beiden Seiten in Schlachtordnung aufgestellt. Aber es waren ganz andere, als auf denen wir die Proben gehalten hatten, und die runden Brettchen, auf welchen kaum ein Mann Platz zum Stehen hatte, waren so hoch, daß sie bei der geringsten Bewegung schwankten und man auch ohne einen Stoß schon Mühe hatte, sich auf denselben zu erhalten, wenn man nicht wie die Marine an ein solches Schwanken durch das Klettern auf den Segelstangen und Mastbäumen gewöhnt war. Die Barken rechts waren rot und weiß, und die links blau und weiß angestrichen. Auf einer jeden befanden sich ein Paar Tambours. Die turnierenden Ritter waren meistens in spanischem Kostüm und hatten goldene oder silberne Helme mit hohen Federbüschen auf dem Kopf. Alles war aber, sowie die ganze Kleidung und sogar die Stiefeln von Papier; aber so gut und täuschend nachgemacht, daß man schon in einer Entfernung von wenigen Schritten dies nicht bemerken konnte. Es war nötig, daß die Kleider aus diesem fragilen Stoff bestanden, damit sich derselbe sogleich auflöste, wenn man ins Meer fiel, und dessen entledigt, ungehindert schwimmen konnte. Als ich auf meinem Brettchen Posto gefaßt hatte und sich die Barke in Bewegung setzte, da war es ein ganz anderes als bei den Proben, wo wir kaum drei Schuh über dem Wasser gestanden, und ich hatte die größte Mühe, nicht von dem in der Luft schwebenden Brettchen, das nicht viel mehr Raum als eine große runde Schüssel hatte, hinabzustürzen. Jetzt donnerte die Kanone los, die das Signal zum Abfahren gab, alle Tambours und die Musik fielen mit dem von mir komponierten Sturmschritt ein, alle Ruder auf einen Schlag in das Wasser, und die vierundzwanzig Barken fuhren pfeilschnell gegeneinander. Nur mit der größten Mühe gelang es mir noch, meine Lanze gehörig einzulegen. Aber bald schwindelte mir, es wurde mir ganz schwarz vor meinen Augen, Hören und Sehen verging mir, und kaum von meinem Gegner berührt, stürzte ich fast bewußtlos in die See hinab, wo mich ein zu diesem Zweck bereitstehender Nachen auffischte und in das Garderobeschiff, wo wir uns angekleidet hatten, brachte. Glücklicherweise war ich nicht der einzige, dem es so ergangen war. Alle Landoffiziere, acht an der Zahl, hatten das gleiche Schicksal gehabt, und keiner verspürte Lust, sich nochmals anzukleiden, wie es die herabgestoßenen Seeoffiziere machten, um das Spiel von vorne zu beginnen, sondern wir versteckten uns hinter den übrigen Zuschauern, nachdem wir unsere gewöhnliche Kleidung wieder angelegt, und sahen dem noch über zwei Stunden dauernden Kampf nun recht behaglich zu, bis endlich ein auf dem Admiralitätsbureau angestellter Beamter, der zuerst zwölf Gegner hinabstürzte, den ersten Preis errungen hatte. Die beiden anderen Preise erhielten zwei Marineoffiziere, welche nach ihm die meisten Ritter in das Meer warfen. Als dies Turnier beendigt und die Preise unter Vivatgeschrei und dem Schmettern der Trompeten und Pauken verteilt waren, begannen die Matrosen noch ein Wettspiel, welches darin bestand, auf einem langen Mastbaum, der horizontal von dem Hinterteil eines Schiffes etwa zwanzig Fuß lang in das Meer ging und mit Seife sehr glatt gemacht war, mit bloßen Füßen und nackt dessen äußerste Spitze zu erreichen und den daran hängenden Hut wegzunehmen, worauf eine Belohnung von fünfhundert Franken gesetzt war. Vier solcher Maste und Hüte waren ausgesteckt, aber viele hundert Matrosen purzelten ins Meer, bevor es einem gelang, den Hut zu erhaschen. Bis in die sinkende Nacht amüsierte die Soldaten, Seemänner und den Janhagel von Korfu dieser letzte Teil des Schauspiels, bei dessen Beginn sich die meisten anderen Zuschauer und Damen entfernten.

Ich war ebenfalls vor dessen Beendigung weggegangen und hatte mich in meine Wohnung begeben, um mich zum Ball und zu der Entführung bereit zu machen. Da mit der Retraite alle Wasser- und Landtore geschlossen wurden, so war ich mit Capo d’Istria übereingekommen, die Entführte bis Tagesanbruch in meinem Quartier, wo man sie sicher nicht suchen würde, zu beherbergen, und wo sie griechische Mannskleidung anlegen und dann mit dem Öffnen der Tore auf einem Maultier die Stadt verlassen sollte, um sich, von Capo d’Istria und mir begleitet, nach dem Dorfe Spagus zu begeben, wo ich ein Häuschen für sie in Bereitschaft hatte setzen lassen. Wir hatten Mitternacht zur Stunde der Entführung bestimmt, damit unsere Abwesenheit nicht zu früh bemerkt werden konnte. Auf dem Ball tanzte ich mehrere Kontertänze mit ihr, und die Montfarinen tanzte sie abwechselnd mit ihren beiden Bräutigams. Als der entscheidende Moment nahte, wurde ihr doch nicht ganz wohl bei der Sache, und ich hatte alle Mühe, ihr während des Tanzes Mut einzusprechen. Gleich nach dem letzten Kontertanze, nach dem Prosalenti eine Montfarine mit einer französischen Offiziersdame tanzte und also seine Braut nicht in den Augen haben konnte, mußte der Schritt getan werden. Halb gutwillig, halb mit Gewalt zog ich Enrichetta durch einige Seitenzimmer an eine Hintertreppe des Gouvernementspalastes. Capo d’Istria folgte uns auf dem Fuße nach, und so liefen wir in meine, sich nahe bei der Porta Reale befindliche Wohnung, in der die Signora Viletta beinahe ohnmächtig auf einen Stuhl niederfiel und wir alle Mühe hatten, sie zu beruhigen. Capo d’Istria mußte jedoch schleunigst wieder auf den Ball zurückkehren, damit er selbst gesehen wurde und so kein Verdacht auf ihn fallen konnte, sobald man das Mädchen vermißte, bei der ich nun allein blieb und mein möglichstes tat, sie zu trösten und zu beruhigen, wobei ich es an den hierzu notwendigen Liebkosungen nicht fehlen ließ, die sich aber nur auf ein mitleidiges In-Arm-nehmen, ein An-mich-drücken und einige Küsse auf die Stirn und die von Tränen benetzten Wangen beschränkten, was die holde Enrichetta in ihrer Angst ruhig geschehen ließ. Die griechischen Mannskleider lagen bereit. Sie mußte sich bequemen, sie anzulegen, wobei ich ihr bestens behilflich war und dabei mußte ich natürlich in allerlei Berührungen mit ihr kommen, die mir das ohnehin schon heiße Blut noch vollends in Wallung brachten. Minutenlang fühlte ich ihr Herz an meiner Brust klopfen, und wer weiß, was weiter geschehen wäre, wenn man nicht gerade gewaltig an der Haustüre geklopft hätte. Es war Capo d’Istria, der, nachdem ich selbst geöffnet hatte, fast atemlos hereinstürzte und uns ankündigte, daß das Verschwinden der Braut bereits wahrgenommen worden sei und man allenthalben nach ihr suche. Er selbst habe noch mit Prosalenti gesprochen, um allen Verdacht von sich zu wenden. „Wenn wir nur jetzt schon glücklich zur Stadt hinaus wären,“ meinte er und war dabei in einer solchen Aufregung, daß er, das Mädchen küssend, kaum bemerkte, daß es sich bereits in einen holden griechischen Knaben verwandelt hatte. Mein Bursche, den ich auf die Lauer gestellt hatte, um mir Rapport zu machen, sobald das Stadttor geöffnet würde, kam endlich gesprungen, dies zu melden. Wir verließen nun alle drei meine Wohnung, kamen unangehalten durch die Porta Reale, eilten nach Castrades, wo wir ein Maultier gesattelt fanden, auf dem sich Capo d’Istria samt seiner schönen Beute davon und auf den Weg nach Spagus machte. Ich blieb noch bis gegen Abend in der Stadt und hörte, daß diese Entführung, deren Urheber man noch nicht kannte, und bei der man den einen oder anderen Offizier von der Garnison im Verdacht hatte, da es so häufig vorkam, daß diese Mädchen und Frauen entführten, ein gewaltiges Aufsehen machte, da die Entführte eine reiche Braut war. – In Pallea Castrizza angekommen, erzählte ich die Sache der Familie Brüge, die nicht zum Ball geblieben war, als eine große Neuigkeit, ohne zu erwähnen, welchen Anteil ich an derselben gehabt. Längere Zeit wußte niemand, was aus der Entführten geworden war, mit der sich Capo d’Istria ein paar Tage nach der Entführung in aller Stille hatte trauen lassen, und seine junge Gattin, die fortfuhr, heimlich in Spagus zu wohnen, jeden Abend heimsuchte. Nach mehreren Wochen wurde das Geheimnis jedoch entdeckt und man wußte allgemein, daß Capo d’Istria der Entführer gewesen. Dieser fand nun für gut, sich auf das feste Land nach Albanien zu flüchten, um vorerst den Dolchen der Viletta und Prosalenti zu entgehen. Als man herausgebracht, daß ich bei der Geschichte sein Helfershelfer gewesen, erhielt ich von Seiner Exzellenz dem Gouverneur General Donzelot einen Wischer. Bevor Capo d’Istria die Insel verließ, gab er seine junge Frau auf meinen Rat der Frau von Brüge zur Obhut, welche sich auf meine Verwendung dazu bequemte, die Hütung der hübschen Signora zu übernehmen. Josephine hatte nun eine angenehme Gesellschafterin und ich eine Unterhaltung mehr, denn es gelang mir bald, es da fortzusetzen, wo ich am Abend der Entführung unterbrochen worden war. Aber Josephine merkte Unrat und brachte es bei ihrer Mutter dahin, daß die junge Frau wieder aus dem Haus und zu einer nahen Anverwandten ihres Mannes gebracht wurde, wo ich indessen öfters Gelegenheit fand, sie zu besuchen.

Längst hatte ich gewünscht, von den übrigen Jonischen Inseln doch wenigstens das Vaterland des Odysseus, die Insel Thiaki, kennen zu lernen. Aber dieses schien unausführbar, da unsere Erzfeinde, die Engländer, schon längst im Besitz derselben, sowie aller anderen Inseln, Korfu und das kleine Paxo ausgenommen, waren. Der Graf Mocenigo meinte aber, daß das Projekt dennoch ausführbar sei, wenn ich die Insel inkognito und als Grieche oder Albanese verkleidet besuche. Ich teilte Herrn von Brüge mein Vorhaben mit, der meinte, es sei ein sehr gewagtes Unternehmen, indem ich leicht den Engländern in die Hände fallen könnte. Ich ließ mich dadurch jedoch nicht abhalten, erbat mir einen vierzehntägigen Urlaub vom Gouverneur, angeblich, um Paxo und Parga zu besuchen, da mir nach Thiaki natürlich keiner bewilligt werden konnte. Doch wußte der General Donzelot um mein Vorhaben, das er aber ignorierte, und meinte, die Folgen, die es haben könnte, hätte ich mir selbst zuzuschreiben. Ich fuhr nun, als ein ziemlich armer Grieche gekleidet, auf einer Barke nach Paxo, das nur wenige Miglien südlich von Korfu liegt, und brachte daselbst eine Nacht und einen halben Tag zu. Diese kleine Insel ist sehr bergig, lieferte aber das beste Öl aller Inseln und viel sogenanntes Johannisbrot. Sie zählt etwa sechstausend Einwohner, die sich erst kürzlich, von englischen Agenten verführt, gegen das französische Gouvernement empört und eine kleine englische Besatzung aufgenommen hatten. Wir eroberten aber die kaum sechs Stunden im Umfang habende Insel mit drei Kompagnien wieder, das englische Detachement, etwa achtzig Mann, gefangen nehmend. Zwölf Paxioten, welche die Rädelsführer bei der Sache gewesen, wurden vor ein Kriegsgericht gestellt und auf der Esplanada von Korfu erschossen, nachdem sie die Nacht vorher noch in einer der Kirchen auf diesem Platz zugebracht hatten. Die Paxioten behaupten, der Apostel Paulus habe sich längere Zeit auf ihrer Insel aufgehalten, deren er in einem seiner Briefe erwähnt. Eine kleine halbe Stunde unter Paxo liegt Antipaxo, ein Inselchen, das keine Stunde im Umfang hat und nur von einigen Schweine- und Ziegenhirten samt deren Herden bewohnt oder vielmehr besucht wird.

Von Paxo fuhr ich nach Parga, das an der albanesischen Küste, auf einem hohen Felsen, Paxo gegenüber liegt, eine Garnison von einigen hundert Mann und einige Artillerie hatte und etwa fünftausend Einwohner zählte. Der Kommandant, dem ich mein Vorhaben mitteilte, riet mir, einen zuverlässigen landeskundigen Albanesen von der Garnison mitzunehmen, der außer dem Neugriechischen auch etwas Venezianisch sprach und den er mir mitgeben wolle. Mit Dank nahm ich dieses Anerbieten an und fuhr den folgenden Tag auf einer Fischerbarke längs der Küste bis nach Prevesa, einer Stadt mit einem Fort, die etwa sechstausend Einwohner zählt. Von da schifften wir nach Vonitza über, einer auf einem steilen Felsen liegenden Festung, von der wir unsere Reise zu Fuß, immer längs der Küste hin, fortsetzten, durch verschiedene türkische Flecken kommend, wo mir mein Albanese treffliche Dienste leistete. Denn ich wüßte nicht, wie es mir ohne ihn ergangen wäre. Endlich kamen wir an einen, Thiaki gegenüber liegenden Ort, von dem wir in einer Barke nach dem ehemaligen Reich des Odysseus, das kaum fünfzehn Stunden im Umfang hat, übersetzten. Jetzt mochten etwa neun- bis zehntausend Menschen auf der mit vielen Oliven-, Zypressen-, Orangen- und Granatbäumen besetzten Insel wohnen, deren vorzüglichstes Produkt Korinthen sind, die hier von außerordentlicher Güte reifen und von denen jährlich über hundert Zentner ausgeführt werden. Ich durchstrich die Insel mit meinem Begleiter, dem ich täglich zwei türkische Piaster gab, nach allen Richtungen, bei jedem Tritt denkend: hier mögen wohl auch Odysseus und Telemach gewandelt und gehandelt haben. Nachts brachten wir gewöhnlich im freien Feld, manchmal auch in einem griechischen Kloster zu. Der größte Ort auf der Insel heißt Vathi. Er liegt an einem Meerbusen und hat nicht übel gebaute zweistöckige Häuser, die ziemlich gut unterhalten sind. Die Frauen und Mädchen hier haben ein blühendes Aussehen, sind meist gut gewachsen und werden auch nicht so eingesperrt gehalten wie auf den übrigen Inseln. Um den Ort herum liegen Weinberge, Olivenbaumstücke und auf den Anhöhen mehrere achtflügelige Windmühlen. Vathi hat auch einen Hafen. Mitten in demselben steht ein Kloster nebst einer Kirche auf einer kleinen Insel, San Salvator genannt. Auf der rechten Seite von Vathi, der kleinen Insel gegenüber, liegen Ruinen eines alten Gebäudes, das man den Palazzo nennt und von dem noch Mauern und Gewölbe übrig sind. Auch fand man mehrere große viereckige Marmorsteine in dessen Nähe, zum Teil mit altgriechischen Inschriften. Diese Überbleibsel werden für die Trümmer von Odysseus Palast ausgegeben, sowie andere, nicht weit davon liegende Ruinen man für die Reste der ehemaligen Hauptstadt von Ithaka hält. Beides ist indessen sehr ungewiß. Homer sagt, diese Stadt liege auf einem Berg, Oneion genannt; Cicero spricht von ihr als von einem hochliegenden Vogelnest, und Plinius sagt ebenfalls, daß sie auf einem sehr steilen Felsen liege. Die Hauptstadt, die aber später, als Odysseus hier herrschte, erbaut wurde, führte den gleichen Namen wie die Insel.

Nachdem ich des Helden Odysseus Heimat gehörig untersucht, ohne daß es mir gelungen wäre, mich mit meinem Homer in der Hand gehörig orientieren zu können oder auch nur Wahrscheinlichkeiten ausfindig machen zu können, schickte ich mich den dritten Tag nach meiner Ankunft nicht sehr befriedigt – die Insel ist sehr bergig und im allgemeinen ziemlich kahl, hat aber viele zerstreut liegende Klöster und Kirchen – an, sie wieder zu verlassen. In einiger Entfernung von Vathi füllten wir unsere mitgebrachten Gurden mit frischem Trinkwasser, das aus dem Felsen entspringt, welchen die Gelehrten der Jonischen Inseln für den von Homer erwähnten Felsen Korax, die Quelle selbst aber für die Quelle Arthusa halten, und beides nicht ohne große Wahrscheinlichkeit.

Wir fuhren in einer gemieteten Barke ab, und da ich meinem Begleiter den Wunsch geäußert hatte, womöglich auch noch Santa Maura, das alte Leukadien, zu besuchen, so redete mir dieser zu, das Wagestück zu unternehmen. Dies war es allerdings wegen der englischen Besatzung. Nach einigen Stunden landeten wir etwas oberhalb dem Kap Ducato auf Santa Maura, von wo wir uns in das Innere der Insel begaben, die etwa fünfundzwanzig Stunden im Umfang haben mag. Sie war mit ziemlich viel Gehölz bedeckt und leidlich angebaut; besonders mit Baumwolle-, Oliven-, Korinthen-, Mandel- und Feigenbäumen. Eine Nacht brachten wir in einem sehr elenden Dorf zu, wo unser ganzes Mahl aus einem halben Dutzend wilder Artischocken mit Zitronensaft bestand. Den folgenden Morgen begaben wir uns in die Hauptstadt, welche die Maurioten Amaxchi, auch Amakuki nennen, und die in einem tiefen, mehrere Stunden langen Sandfeld liegt. Als ich hier so vielen englischen Uniformen begegnete, ward mir doch etwas unheimlich. Ich wagte mich nicht in die Festung Santa Maura, die nicht unbedeutend ist. Aber weder Stadt noch Festung enthalten irgendeine Merkwürdigkeit. Woran mir mehr gelegen, war, den berühmten Felsen aufzusuchen, von dem sich die verliebten altgriechischen Narren und die Sappho herabstürzten. Aber mein Albanese wußte so wenig davon, wie alle Maurioten, die er darnach fragte. Ich wandte mich nun selbst an einen halb italienisch gekleideten Einwohner, der venezianisch sprach und von dem ich erfuhr, daß der von mir gesuchte Ort das Kap Ducato wäre, in dessen Nähe wir gelandet hatten. Wir hatten vier starke Stunden zurückzulegen, bis wir wieder dahinkamen. Dies versetzte meinen Begleiter, der gar nicht begreifen konnte, was ich an dem einsamen Felsen suchte, in ziemlich üble Laune. Ein paar Extrapiaster gaben ihm aber schnell seinen guten Humor wieder. Ich bestieg das hohe und steile Vorgebirge und den Gipfel des Felsens, von dem herab die von Phaon verlassene närrisch gewordene Dichterin in die Meeresfluten gesprungen war. Daß dies wirklich der so bekannte leukadische Felsen ist, auf dem der Tempel Apollos gestanden, dessen noch Virgil erwähnt, scheinen viele altgriechische Kritzeleien, die in demselben eingegraben sind, zu bestätigen. Beinahe wäre mir ein gleiches Los, wenn auch nicht aus verliebter Raserei, wie jenen unglücklichen Narren, sondern aus Tücke des Schicksals zuteil geworden. Mein Begleiter und ich sahen plötzlich aus noch ziemlicher Ferne vier wohlbewaffnete Männer, von einem englischen Offizier angeführt, mehr laufend als gehend gegen unseren Felsen zueilen, von denen wir nicht ohne Grund vermuteten, daß sie nicht in der besten Absicht kämen. Und so war es in der Tat. Ihnen zu entrinnen, daran war nicht mehr zu denken. Wir hätten denn den halsbrechenden leukadischen Sprung machen müssen, wozu wir beide aber keine große Lust verspürten. Uns lebendig fangen zu lassen, schien mir ebensowenig ratsam, denn wir riskierten, als ein Paar Spione ohne weiteres gehängt zu werden.

Nach einer kurzen Besinnung sah ich ein, daß uns nichts anderes übrig bleibe, als, da wir gut bewaffnet waren – jeder hatte zwei Pistolen und einen langen Dolch bei sich, der Albanese außerdem noch seine Flinte – uns unserer Haut bestens zu wehren. Ich teilte diese Ansicht meinem Begleiter mit, ihm versichernd, daß ein Strick sein unvermeidliches Los sein würde, wenn man ihn lebendig finge, und machte ihm begreiflich, daß, wenn wir auch nur zwei gegen fünf seien, wir doch den ungeheuren Vorteil der Position für uns hätten und folglich auch den des Ausgangs des Kampfes. Dies begriff mein Reisegefährte sehr wohl, versetzte aber unwillig: „Das Unheil habt ihr mit eurem verfluchten Narrenfelsen über uns gebracht. Daß wir uns so sehr darnach erkundigten, hat die Engländer aufmerksam auf uns gemacht, die uns jetzt verfolgen, und zuletzt müssen wir doch noch unterliegen, denn ewig können wir hier nicht bleiben.“ Diese Logik war für einen halbwilden Albanesen so übel nicht. „Ja, wenn noch Schätze hier zu holen gewesen wären,“ fuhr er fort, „dann ließe es sich noch begreifen; aber so ein kahler Stein.“ – „All dies Räsonnieren hilft jetzt zu nichts, die feindliche Patrouille ist keine fünfzig Schritte mehr entfernt und schickt sich an, heranzuklimmen,“ fiel ich ihm ins Wort und rief dem sich bereits am Fuß des Felsens befindlichen Feind ein donnerndes ‚Halt!‘ zu, während mein Albanese sein Gewehr anlegte. Ehe er aber losdrückte, rief ich dem Leutnant auf englisch zu, daß, wenn er es auf uns abgesehen habe, er uns wenigstens nicht lebendig fangen würde und sein und seiner Leute Leben auf dem Spiele stehe, denn wir seien trefflich bewaffnete Schützen ... – „Und ein Paar Spione,“ antwortete der Offizier, uns noch ein „Ergebt euch!“ zurufend. – „Das sind wir nicht,“ erwiderte ich, „sondern Ehrenmänner.“ – Wir parlamentierten weiter, und ich gestand ihm zwar, daß ich ein Franzose sei, sagte jedoch nicht, daß ich in Militärdiensten stehe, sondern daß ich einzig und allein gekommen sei, um dem berühmten leukadischen Felsen einen Besuch abzustatten, was ihm als einem gebildeten Englishman gewiß sehr natürlich erscheinen müsse, da er ohne Zweifel von der Geschichte desselben und namentlich der der Sappho unterrichtet wäre. Ich suchte ihn noch bei der Ehre anzugreifen, mich auf die allgemein bekannte englische Loyalität berufend, und gab ihm zu gleicher Zeit mein Ehrenwort, daß ich nicht gekommen sei, das verächtliche Handwerk eines Spions zu treiben. Nach noch einigem Hin- und Herreden gelang es mir denn auch, ihn in seiner Muttersprache, was gewiß nicht wenig dazu beitrug, von seinem ungerechten Verdacht und meiner Unschuld zu überzeugen. Er gab mir nun seinerseits das Ehrenwort, daß, wenn ich herabsteigen wolle, weder mir noch meinem Begleiter das mindeste Leid geschehen solle, und wenn wir beweisen würden, daß wir keine Spione seien, man uns ungehindert ziehen lassen werde. Ich traute dem Engländer, der gegen seine Leute äußerte, daß er uns für keine Spione halte, und stieg den Felsen hinab. Er lud mich jetzt ein, ihm zum Kommandanten zu folgen, was ich jedoch ablehnte, ihn beiseite nahm und ihm die Wahrheit und die Ursache, die mich nach Santa Maura geführt, offen gestand. Er war nun seinerseits zuvorkommend artig und teilnehmend, und als ich äußerte, ich wünschte möglichst bald wieder das feste Land zu erreichen, hatte er die Gefälligkeit, uns bis an das Lukadien gegenüber liegende Ufer zu geleiten, wo wir eine Fischerbarke in Beschlag nahmen, in der wir übersetzten, nachdem ich mich bei meinem edlen Führer bedankt und wir gegenseitig unsere Adressen ausgetauscht und Abschied genommen hatten, worauf er sich eiligst entfernte. Kaum waren wir aber zwanzig Schritte vom Ufer abgestoßen, als sich mehrere bewaffnete Insulaner an demselben zeigten und den zwei uns rudernden Schiffern in griechischer Sprache befahlen, umzukehren. Wir fanden aber für gut, denselben zu befehlen, nicht zu gehorchen, sondern schnell das Weite zu gewinnen. Als dies die auf dem Land stehenden Griechen sahen, feuerten einige auf uns, während die anderen längs dem Ufer hinabliefen, ein Fahrzeug zu suchen, das sie aber glücklicherweise nicht fanden. Bald waren wir aus dem Bereich der Schußweite und kamen nach anderthalb Stunden, nicht ohne große Anstrengung, an der jenseitigen Küste an. Wir fuhren nun weiter nach Prevesa. Von da legten wir den Weg bis Butrinto zu Land zurück, wo ich dann ein Schiffchen mietete, das uns glücklich wieder nach Korfu brachte. Ich entließ meinen getreuen Begleiter, indem ich ihm noch ein kleines Geschenk machte, meldete meine Ankunft und begab mich dann wieder nach Pallea Castrizza, wo ich Herrn von Brüge und seinen Damen die gehabten Abenteuern mit allen Details erzählen mußte. Ich fand auch Neuigkeiten von Haus vor, nämlich einen Trauerbrief, der mir das Ableben meines Großvaters väterlicherseits meldete, und eine Anweisung von fünfzig Louisdors, welche mir das Haus Heinzelmann in Venedig auf einen Juden in Korfu namens Mesulam auf Veranlassung meines Vaters übermachte. Die Kanonierschaluppe, die während meiner Abwesenheit glücklich von Otranto angekommen war, hatte unserem Regiment auch einen Colonel en second zugeführt, und zwar den Bruder des bekannten Schriftstellers und Verfassers des ‚Goldenen Kalbes‘, Benzel-Sternau, der jetzt Finanzminister in Diensten des Großherzogs von Frankfurt war, und dessen Bruder bisher in russischen Diensten gestanden hatte, welcher nun das Kommando der beiden in Korfu stehenden Bataillone des zweiten Fremdenregiments, das bisher Herr von Brüge gehabt, übernehmen sollte. Aber der neue Oberst war ein äußerst gutmütiger und ziemlich indolenter Mensch, der sich hier auf einem ihm ganz fremden Terrain befand, und Herrn von Brüge, ohne dessen Rat er nichts tat, nach wie vor ganz gewähren ließ. So lange wir noch in Pallea Castrizza waren, kam er jede Woche einige Male, uns zu besuchen und sich Rat zu holen, da er den französischen Dienst ganz und gar nicht kannte. Überhaupt hatten wir in der letzten Zeit fast täglich Gäste aus der Stadt, die sich unsere köstlichen Seefische, Langusten, den guten Wein des Klosters und so weiter trefflich schmecken ließen. Nach der Tafel wurde musiziert. Josephine sang italienische Duette mit mir, unter denen besonders das ‚Per pietà deh non lasciarmi‘ aus der ‚Ginevra di scozia‘ Furore machte. Es wurde auch manchmal getanzt, wenn mehrere Damen unter den Gästen waren, und so ging der Rest der heißen Jahreszeit munter und vergnügt zu Ende. Bevor wir das gastfreundliche Kloster verließen, machten wir noch einen Ausflug oder besser eine Ausfahrt nach der kleinen Insel Fano, die am nördlichen Kap von Korfu liegt und, wie die Sage will, dieselbe Insel ist, welche die Göttin Kalypso bewohnte, deren Grotte man den Fremden noch zeigt, die aber weder göttliche noch selbst irdische Pracht aufweist, sondern eine gewöhnliche geräumige und feuchte Höhle mit mehreren Abteilungen ist. Diese Insel hat ungefähr fünfhundert Einwohner, Fanioten genannt, die halbwild sind. Auch wir hatten eine Besatzung von ungefähr hundert Mann auf Fano. Hier, wie zu Korfu, zu Praxo und Santa Maura, war noch allenthalben das in Stein gehauene venezianische Wappen, der geflügelte Löwe des Sankt Markus angebracht, sein aufgeschlagenes Buch in der Tatze, grimmig, aber ohnmächtig umherblickend. Ende September verließen wir endlich unseren pittoresken Sommeraufenthalt, um uns wieder unter den Schutz der Mauern der Stadt Korfu zu begeben, wo mir bald darauf eine interessante Mission nach Janina zuteil ward.

IV.
Eine Mission nach Albanien. – Janina. – Ali Pascha, seine furchtbaren Grausamkeiten. – Ein lebendig Begrabener. – Govino. – Die Entführung einer jungen Griechin. – Rocca Timono. – Diversi. – Ein Soldat erschießt einen Fregattenkapitän. – Ein Rattenmahl. – Die Prima Ballerina Giuseppina Panzieri. – Großer Theaterskandal. – Ludwig der Springer. – Die Feuerprobe. – Ein Duell. – Ein Schiffbruch. – Ein großer Brand. – Die Räuber in Korfu. – Parga geht an die Engländer über. – Schlimme Neuigkeiten. – Murats Abfall. – Napoleons Abdankung. – Rückkehr der Bourbons. – Ankunft der englischen und französischen Flotten. – Übergabe Korfus an die Engländer. – Unanständiges Benehmen englischer Offiziere. – Einschiffung der französischen Garnison.

Da die Kommunikation mit Italien jetzt immer schwieriger und auch die Fahrt nach Otranto durch die englischen Lanzen fast ganz unterbrochen wurde, so sandte man öfters kleine Detachements nach Albanien ab, wohin wir ohnehin häufig auf die Jagd gingen, um Transporte von Lebensmitteln, in Reis, Mais, Ochsen, Ziegen und so weiter bestehend, die für die Garnison von Korfu gegen gute Bezahlung ziemlich schlecht von Ali Pascha von Janina geliefert wurden, zu eskortieren. Mir wurde nach meiner Rückkehr von Pallea Castrizza zuerst ein solches Kommando zuteil. – Als ich bei Butrinto mit meinen Leuten ans Land stieg, empfing mich ein Abgeordneter Alis, der uns bis vor Janina begleitete. In allen Orten, durch welche das Kommando passierte, wurde es von der staunenden Menge, die zum erstenmal europäische Soldaten sah, angegafft, und Greise, Weiber und Kinder drängten sich um meine Leute, befühlten und betasteten sie; und alles, was sie an sich hatten, bis auf die bleiernen Knöpfe, die sie für silberne hielten, war ein Gegenstand ihrer Bewunderung. Als wir vor Janina angekommen waren, mußte ich Halt machen, und der Albaneser, der uns bis hierher begleitet hatte, begab sich in die Stadt, um unsere Ankunft zu melden. Kaum war es daselbst ruchbar geworden, daß französische Soldaten von Korfu angekommen seien, als eine unzählige Menge Volks beiderlei Geschlechts, Griechen, Türken und Albaneser herbeiströmten, die Wundertiere zu sehen. Beim Besehen blieb es aber nicht, sondern sie mischten sich unter die Soldaten, betasteten deren Säbel, Gewehre, Patrontaschenschilder und so weiter, alles was blinkte und das sie für edles Metall hielten, da es bei ihnen Gebrauch ist, alle ihre Waffen, aus denen oft ihr ganzes Vermögen besteht, mit Silber oder Gold beschlagen und verzieren zu lassen. Manche öffneten sogar die Patrontaschen und befühlten die Kartuschen und Tornister auf eine Weise, daß ich zu tun hatte, meine Leute, die sich dies nicht gefallen lassen wollten, ruhig zu erhalten. Am neugierigsten und dreistesten waren die Frauen und Kinder. Glücklicherweise kam der Albaneser, einer von Alis Garden, mit einem Offizier des Paschas zurück, der mit einem: „Oxo, oxo, Morée!“ das vor seinem Tyrannen zitternde Volk in einem Nu auseinander jagte. Er kündigte mir an, daß wir kein Quartier in der Stadt erhalten würden, sondern bis nach Ablieferung der Lebensmittel vor derselben unter Zelten, die man in Zeit von einer Stunde für uns aufschlagen würde, lagern müßten; es sei indessen den Leuten erlaubt, einzeln und ohne Bajonette in die Stadt zu gehen, übrigens würde man für unsere Bedürfnisse in jeder Hinsicht reichlich Sorge tragen und der Pascha uns in ein paar Stunden selbst mit seinem Besuch beehren. Dies alles wurde vermittelst eines Dolmetschers in italienischer Sprache verhandelt. Bald darauf kündigte ein unordentlich im Galopp dahersprengender, sehr reich gekleideter Trupp albanesischer und türkischer Reiter Alis Ankunft an, dem er mit einer sehr zahlreichen und glänzenden Suite bald folgte. Ich ließ die Mannschaft ins Gewehr treten, präsentieren und die Tambours aux champs schlagen; sogleich ließ Ali durch den Dolmetscher fragen, was dies zu bedeuten habe, und als er vernommen, daß dies die höchste militärische Ehrenbezeigung sei, gab er sein Wohlgefallen durch beifälliges Lächeln zu erkennen. Ich ließ hierauf, nachdem ich seine Zustimmung erhalten, noch einige Handgriffe und Wendungen vornehmen, mehrmals abfeuern, Peloton-, Glieder- und Rottenfeuer machen, was sowohl vom Pascha als seiner Umgebung mit Beifallsbezeigungen aufgenommen wurde. Was ihn am meisten ansprach, ließ er mich durch den Dolmetscher ersuchen, zu wiederholen, erkundigte sich bis zu den kleinsten Details nach der Garnison von Korfu, und nachdem er mich seiner Zufriedenheit und seines Wohlwollens hatte versichern lassen sowie daß noch vor Abend für alle unsere Bedürfnisse gesorgt werden würde, verließ er uns nach einer Anwesenheit von beinahe zwei Stunden. In der Tat war er kaum weg, als Lebensmittel aller Art, Wein nebst mehreren türkischen Zelten, auch einige Diwans und Polster herbeigebracht wurden, denen vier Sänften, von Sklaven getragen und albanesischen Wachen umgeben, folgten; vier türkische Frauen oder Sklavinnen befanden sich in denselben, die ihre besonderen Zelte erhielten und die der besorgte Pascha zu meiner Privatunterhaltung bestimmt hatte, indem die Türken die Weiber wie ein jedes andere zu befriedigende notwendige Bedürfnis betrachten. Ich machte ihnen, nachdem ihre Zelte aufgeschlagen waren, was zuerst geschah, einen Besuch, um meine Neugierde zu befriedigen und fand vier ziemlich robuste, wohlgenährte, korpulente Schönheiten, die gerade nicht mehr in der ersten Blütezeit standen, hochrot geschminkt, schwarz bemalt waren, angestrichene Nägel und ziemlich grobe Züge hatten; genug, es waren weder zirkassische noch griechische Schönheiten. Ich verließ sie bald wieder und gestattete den Unteroffizieren und Soldaten, sie zu besuchen, denn sie zurückzuschicken würde der Pascha für eine große Beleidigung angesehen haben. Als ich aber erfuhr, daß mir Ali ein Geschenk mit diesen Schönheiten machen wolle, die ich mit nach Korfu nehmen solle, ließ ich ihn am Tage unseres Abmarsches wissen, daß ich sehr bedaure, dies nicht annehmen zu dürfen, indem es mir die französischen Gesetze verböten und ich bei meiner Rückkehr großen Unannehmlichkeiten ausgesetzt sein würde, wenn ich vier Weiber mitbrächte. Diese Räson nahm er auch an. Den anderen Morgen schickte er wieder Geflügel, eine große Quantität türkischen Tabak nebst türkischen Pfeifen von roter Erde und vergoldet für das ganze Kommando; den Nachmittag kam er abermals selbst und ließ sich wieder einige Manöver vormachen. Diese Besuche wiederholte er noch einigemal und beschenkte die Leute reichlich mit Tabak. Des Morgens durchstrich ich die ungepflasterten Straßen Janinas und besah deren bunte Häuser, Moscheen und so weiter; auch hatte ich zweimal Audienz beim Pascha in dessen Palast, wo er mich mit einem Kistchen von Sandelholz, welches zwei Dutzend Fläschchen köstlichen Rosenöls enthielt, einem Päckchen von den im Serail verfertigten Pastillen und mehreren ausgezeichnet schönen türkischen Pfeifen, deren Rohre mit Kaschmir überzogen waren, und zwei kaschmirnen Schals von Wert beschenkte. Meine von Zeit zu Zeit später abgeschickten Nachfolger waren nicht so glücklich, die Sache war nichts Neues mehr, und als erst das Mißgeschick des französischen Heeres in Rußland bekannt wurde, da zog der Pascha von Janina ganz andere Saiten auf, und bald nachher traten zwischen ihm und dem Gouverneur von Korfu Mißhelligkeiten ein. – Einige Notizen über Janina und seinen merkwürdigen und grausamen Tyrannen dürften hier wohl an ihrem Platz sein. – Der Anblick der Hauptstadt Albaniens ist ganz orientalisch und über alle Beschreibung schön. In den See zieht sich eine Halbinsel mit schroffen Felsen, auf der das alte Serail des Paschas oder sogenannte Fort und ebenfalls eine von Zypressen umgebene Moschee liegen. Eine hohe Mauer trennt sie von der Landseite. Von dieser Halbinsel kann man die ganze Stadt gut übersehen; ihr gegenüber liegt eine kleine Insel, auf der sich noch ein dem Pascha zugehöriger Palast befand. Janina hat einen sehr großen Umfang, viel offene Plätze und Moscheen. Die Basars sind mitten in der Stadt und nehmen zwölf Straßen ein; ein jeder ist für ein besonderes Gewerbe bestimmt, der eine für Juweliere, der andere für Waffenschmiede und so weiter. Hier hängen die Gebäude auch ziemlich zusammen, die Häuser der Reichen sind sehr geräumig und haben alle Galerien. Der Judenkirchhof befindet sich mitten in der Stadt, die damals an vierzigtausend Einwohner zählen mochte und außer sechzehn Moscheen auch acht griechische Kirchen hatte; sogar sah ich einige Buchläden, in denen neugriechische Bücher verkauft wurden. In den Straßen begegnete man bewaffneten Arnauten, Mohren, Tartaren, Türken und Griechen, alle zu des Paschas Scharen gehörend, dessen Palast, der große Serail genannt, um ihn von dem seiner Söhne Muktar und Veli zu unterscheiden, im südlichen Teil der Stadt auf einer Anhöhe, die dieselbe beherrscht und eine Zitadelle aus hohen Steinmassen bildet, liegt. Der obere Bau ist jedoch von Holz und ganz türkisch mit vorspringenden Dächern, langen Fensterscheiben und bemalten Außenwänden. Er ist von finsteren Straßen umgeben, die sehr enge Zugänge bilden. Durch ein hölzernes Tor kommt man auf einen breiten unregelmäßigen Platz, der von zwei Seiten durch den Serail eingeschlossen ist. Dieser Platz wimmelte von den Soldaten von Alis Leibwache, die sehr reich gekleidet war. Von da kommt man in die Galerie, die mit einer Menge Volk, als Türken, Albaneser, Mohren, Griechen, schwarzen Verschnittenen, Juden und so weiter angefüllt ist, dann gelangte man in einen langen, reich verzierten Saal, in dem ein großer seidener Vorhang herabhing, welcher, wenn Ali Audienz gab, in die Höhe gezogen wurde, wo alsdann ein prächtiges, mit vielen Säulen prangendes großes Gemach sichtbar ward, von dessen Fenstern man die Aussicht auf den Landsee und das Pindus-Gebirge hatte. Der Fußboden war kostbar ausgelegt und mit reichen Vergoldungen geschmückt, an den Säulen hingen Dolche und alle möglichen Waffen von großem Wert, dem Pascha gehörend, ringsum waren karmoisinrote Diwans, vor denen die kostbarsten Teppiche lagen. Ali selbst saß mit übers Kreuz geschlagenen Füßen unter einem karmoisin mit Gold gestickten prächtigen Thronhimmel. Er war von ziemlich hohem Wuchs, hatte ein dickes rundes Gesicht, eine offene Stirn, schlaue Züge und einen wilden, grimmigen Blick. Er trug ein blaues, rotes oder gelbes, reich mit kostbaren Pelzen besetztes Oberkleid und bisweilen statt des Turbans eine Sammetmütze. Seine Stimme war sehr rauh und hohl und sein brüllartiges Lachen hatte etwas Fürchterliches und Erschreckendes an sich. Ali war 1750 zu Tepeleni in Albanien geboren, wo sein Vater, Veli, Pascha war. Bei dessen Tod mochte er ungefähr sechzehn bis siebzehn Jahre zählen. Als einige Zeit darauf ein Albaneser namens Ghalil eine Empörung veranlaßte, mußte Ali mit vierzig Paras (ein halber Gulden) in der Tasche von Tepeleni entfliehen, und seine Mutter und Schwester gerieten in Gefangenschaft der Einwohner von Gardihi, die ihn selbst in die Luft hatten sprengen wollen; vierzig Tage blieben sie in dieser Gefangenschaft. Später hat sich Ali Pascha durch ein schreckliches Gemetzel und abscheuliche Grausamkeiten an dieser Stadt und deren Bewohnern gerächt. In seinem zwanzigsten Jahre trat er in die Dienste des Coul Pascha zu Berrat, wo er aber bald in den Verdacht kam, eine Verschwörung angezettelt zu haben und dieserhalb entfliehen mußte; doch erlangte er eine schnelle Aussöhnung mit Coul, heiratete eine von dessen Töchtern, die ihm zwei Söhne, den Muktar und Veli, gebar. Jetzt machte er einen Versuch, sich Janinas zu bemächtigen, der ihm vollkommen gelang; er verjagte den dortigen Pascha, und nun erkannte ihn die Pforte als Pascha von Janina und dessen Bezirk an. Hiermit war aber sein Ehrgeiz noch lange nicht befriedigt, sondern er bemächtigte sich nach und nach teils mit Gewalt, teils mit List fast aller Distrikte Albaniens, verstärkte sein Korps von kriegerischen Schypetaren (Albaneser oder Arnauten, die von den alten Mazedoniern abzustammen vorgeben) immer mehr, drang mit denselben durch die engen Pässe des Pindus nach Thessalien, das er sich unterwarf, und ließ sich von der Pforte zum Deveny Pascha von Rumelien ernennen. 1798 leistete er derselben gute Dienste gegen den furchtbaren Paßwan Oglu und wurde dafür zum Pascha von drei Roßschweifen ernannt. Während dieser Zeit war sein Schwiegervater Coul Pascha gestorben und Ibrahim dessen Nachfolger geworden. Ali konnte sich aber mit diesem nicht vertragen und hatte fortwährend Fehden mit demselben, denen endlich durch die Verheiratung seiner Söhne mit Ibrahims Töchtern ein Ziel gesetzt wurde. Dennoch überfiel er ihn 1811 wieder, nahm ihn gefangen, ließ ihm den Kopf abschlagen und vereinigte dessen Paschalik mit dem seinigen. Ibrahims Töchter aber, die beiden Frauen seiner Söhne, die er jetzt fürchtete, ließ der Unhold nebst noch sechs anderen Frauen aus dem Harem in Säcke nähen und in dem See bei Janina ersäufen. Gleich darauf kam die Reihe an Mahomed, Pascha von Delvino, welcher Ibrahims Verbündeter gewesen. Er nahm auch dessen Paschalik und die adriatischen Küsten in Besitz und machte der Pforte außerordentliche Geschenke, damit diese sein Tun und Treiben billigte. Mahomeds Söhne flohen nach Korfu, wo sie Schutz suchten und ihn bei dem General Donzelot fanden. Schon weit früher, 1798, hatte Ali Prevesa, Vonitza, Arkanien und Paramithia mit seinen Ebenen weggenommen. Nach fünfzehnjährigem Kampf hatte er die Sullioten, sehr tapfere Krieger, die zwischen Bergen und Felsen hausen, unterjocht, beinahe vertilgt, sich dann eines großen Teils von Mazedonien bemächtigt und war bis an die Grenzen von Attika vorgerückt. Sein Gebiet bestand nun in dem ganzen Epirus, dem südlichen Teil von Illyrien, einem großen Teil Mazedoniens, fast dem ganzen alten Thessalonien, Ätolien, Phocis und einem Teil Böotiens. Er besoldete ein Korps von mehr als dreißigtausend Albanesern oder Arnauten, das, wenn es nötig war, er mit leichter Mühe verdoppeln konnte, und dies waren die besten Truppen des osmanischen Reiches und so treffliche Schützen, daß sie selten einen Vogel im Flug fehlten, dabei die mäßigsten Männer, die keine andere Leidenschaft als das Spiel und Rauchen kannten und keine andere Liebhaberei als schöne Waffen, ihren Stolz, hatten. Alis Finanzen waren in dem blühendsten Zustand, sein Schatz an Silber, Gold, Juwelen, Perlen, Schals, Rosenöl, Kaschmir und kostbaren Vasen, seltenen Uhren und Kunstwerken war unermeßlich, jede Fehde bereicherte ihn um Millionen. Die Zahl der ihm untergebenen Seelen betrug über drei Millionen und seine jährlichen Einkünfte über zwanzig Millionen Piaster. Seine Soldaten, die gut und pünktlich bezahlt wurden, waren ihm sehr zugetan, ebenso seine griechischen Untertanen, die ihn trotz seiner abscheulichen Grausamkeiten dennoch schätzten, denn in der ganzen Türkei war keine bessere Verwaltung, und es wurde keine strengere Gerechtigkeit ausgeübt, als in den Provinzen, die unter seiner Herrschaft standen; mit einem Paß von ihm oder von einem seiner Garden begleitet, konnte man sicher und ohne alle Gefahr durch sein ganzes Land und die wildesten Gebirgsgegenden reisen, so sehr hatte er seinen Namen zu fürchten und respektieren zu machen gewußt. Er war der gerechteste Mann, sobald sein eigenes Interesse nicht mit im Spiel, und der verabscheuungswürdigste Wüterich, wenn dieses der Fall war. Er durchreiste häufig seine Provinzen, untersuchte und richtete alles selbst und schlug dem Schuldigen gewöhnlich mit eigener hoher Hand den Kopf ab; er war Richter, Vollstrecker und Henker in einer Person und schlichtete Prozesse, mit denen man in Deutschland ein halbes Jahrhundert hingebracht hätte, in einer halben Stunde. – Die Hauptzüge des Charakters dieses außerordentlichen Menschen waren schlaue List und unerhörte Grausamkeit, mit einem starken Aberglauben verbunden. Die größte Furcht und Ehrfurcht flößten ihm Derwische ein, hierzu gesellte sich noch eine unersättliche Habgierde, die eine Treulosigkeit und Wortbrüchigkeit erzeugte, von der man in der Geschichte wenige Beispiele findet. Eine wahrhaft schauderhafte Rachsucht machte diesen wilden Charakter noch gräßlicher. Nie vergaß er die geringste Beleidigung oder den kleinsten Ungehorsam gegen seinen Willen, wobei ihm sein außerordentliches Gedächtnis sehr zustatten kam. Hier einige Beispiele, die ihn am besten charakterisieren werden. Ein Albaneser hatte einen Vetter von ihm in zufälligem Streit getötet; nachdem er dessen Weib und Kinder vor seinen Augen durch seine Tiger, deren er immer mehrere sowie Löwen und andere Raubtiere in Käfigen unterhielt, hatte zerfleischen und auffressen lassen, ließ er ihn selbst langsam an einem Feuer braten. Der Bruder dieses Unglücklichen hatte sich noch beizeiten geflüchtet. Einige dreißig Jahre später erfuhr Ali Pascha, daß sich derselbe auf der nahegelegenen Insel Santa Maura aufhalte. Er schickte alsobald Abgeordnete mit sehr reichen Geschenken an ihn, die zu gleicher Zeit den Auftrag hatten, ihm die heiligsten Versicherungen zu geben, daß Ali längst alles vergessen und vergeben habe und er seine ehemalige Strenge sogar bereue; er ließ ihm dabei die glänzendsten Versprechungen und lockendsten Anerbietungen machen, wenn er nach Albanien zurückkehren wolle. Der Unglückliche war schwach und leichtgläubig genug, sich betören zu lassen, und reiste mit den Abgesandten zurück. Kaum war er in Janina angekommen, als ihn der Wüterich in Stücke hauen und seine Glieder in alle Straßen werfen ließ.

Um sich einen Begriff von seinem außerordentlichen Gedächtnis machen zu können, stelle man sich vor, daß er alle seine Offiziere, Soldaten und Angestellte bei ihrem Namen kannte. Seine Truppen waren nicht wie in anderen Staaten gleichmäßig besoldet, sondern jeder Soldat bekam monatlich etwas Gewisses, wie es Ali seinen Verdiensten angemessen bestimmt hatte, so daß fast keiner mit dem anderen gleichgestellt war, und er wußte genau im Kopf, was jeder monatlich empfing.

In Janina gab es sehr reiche griechische Kaufleute, die, ohne je die Handlung gelernt zu haben, nach Italien, Triest, Rußland und Kleinasien handelten, oft weder lesen noch schreiben konnten und dennoch die einträglichsten Spekulationen machten. Sobald nun der Pascha durch seine Spione, deren er unzählige hatte, in Erfahrung gebracht, wieviel dieser oder jener bei einer solchen Spekulation gewonnen, wovon er sich vorher auf das genaueste unterrichtet und die zuverlässigste Gewißheit verschafft hatte, schickte er einen von seinen Leuten an den Kaufmann mit der Bitte ab, er möge dem Pascha doch eine Summe von hundert bis tausend Zechinen oder mehr leihen, je nachdem der Gewinst ausgefallen war, von dem er in der Regel die Hälfte in Anspruch nahm, denn er fand es billig, gerade zu teilen. Wollte sich nun der Kaufmann mit Unvermögen und dergleichen entschuldigen, so fiel ihm der Abgesandte sogleich in die Rede und erklärte ganz lakonisch: „Mein Befehl lautet: das Geld oder den Kopf.“ Da blieb wohl keine Wahl übrig, auch wäre es keinem zu raten gewesen, den hohen Schuldner an das Geliehene zu mahnen.

Der französische Brigadegeneral Detry bekam einst vom Gouverneur eine besondere Mission nach Janina und wurde vom alten Ali sehr freundlich aufgenommen, der ihm in einem Anfall von besonderer Laune sogar seinen Harem aufschließen und seine zahlreichen Weiber vorführen ließ, ebenso seine hübschen Knaben, die ihm dazu dienen mußten, seine ekelhaften unnatürlichen Lüste zu befriedigen, wenn ihn diese anwandelten. Als der General den Harem wieder verlassen hatte, fragte ihn der Pascha, welche von den Frauen ihm am besten gefallen habe. Dieser bezeichnete ihm diejenige, die am meisten Eindruck auf ihn gemacht hatte. Ali bat seinen Gast, eine Mahlzeit mit ihm einzunehmen, und ehe sich nach deren Beendigung Detry entfernte, fragte ihn der Pascha, ob er seine Geliebte noch einmal zu sehen wünsche. Der General bejahte es lächelnd, Ali gab ein Zeichen, ein Vorhang rauschte in die Höhe, und ein schwarzer Verschnittener hielt das noch blutende Haupt der Unglücklichen an den Haaren! Der Wüterich lachte grimmig, Detry, über eine solche Untat erbittert, entfernte sich schnell. Dies war zur Zeit geschehen, als es schon mit der napoleonischen Herrschaft auf die Neige ging, wovon er weit besser wie wir in Korfu unterrichtet war; früher würde er so etwas nicht gewagt haben. Auch der französische Konsul in Janina, Pouqueville, ging eben nicht sehr gelinde mit dem Unmenschen um, drohte ihm mit des Kaisers Zorn, wenn er etwas bei ihm durchsetzen wollte, und betrat dessen Palast oft mit ganz beschmutzten und kotigen Stiefeln, die er an Teppichen in den Gemächern abputzte, welche viele tausend Piaster gekostet hatten, indem er zu ihm sagte: „Warum laßt Ihr Eure Straßen nicht pflastern und reinigen?“ Der alte Ali, der damals große Furcht vor den Franzosen hatte, verbiß seinen Ingrimm unter hohlem Lachen. In Verlegenheit setzte es ihn, wenn der englische oder der französische Konsul zugleich bei ihm eintraten, da er beide gleich fürchtete, auch suchte er dies möglichst zu verhindern, damit keiner sich eines Vorzugs rühmen könne.

Öfters ließ sich Ali bei den angesehensten Einwohnern Janinas zu Tische ansagen, wo er dann seine ersten Beamten, Diener und ein ganzes Gefolge von Garden und Sklaven mitbrachte. Er speiste ganz allein an einem Tisch, den Wirt des Hauses lud er gewöhnlich ein, sich in seiner Nähe niederzulassen, und es wurde dabei türkische Musik gemacht. Beim Abschied sah er es gerne, wenn man ihn und sein Gefolge beschenkte, was aus guten Gründen nie unterlassen wurde; es geschah auch wohl, daß seine Diener dem gastfreien Wirt einige nicht zu verkennende Winke gaben, welche Geschenke ihrem Herrn und ihnen selbst die willkommensten sein würden. Alis Schlauheit war im ganzen Land zum Sprichwort geworden, und ohne die Diplomatie auch nur dem Namen nach zu kennen, überlistete er nicht selten die gewandtesten Diplomaten. Bekannt ist, welch ein wohlverdientes Ende es noch im hohen Alter mit ihm nahm.

Gleich nach meiner Zurückkunft von Janina trug sich ein Vorfall in Korfu zu, der gewaltiges Aufsehen machte. Ein Kapitän, Quartier-maître-trésorier vom sechsten Linienregiment, ein Elsässer und guter Bekannter von mir, war von einer schweren Nervenkrankheit heimgesucht und verfiel in eine so hartnäckige Asphyxie, daß ihn jedermann für tot hielt und die Ärzte ihn dafür erklärten. Alle Anstalten zu seinem Begräbnis (wegen der großen Hitze wurden die Leichen hier schon in den nächsten vierundzwanzig, oft zwölf Stunden nach dem Tod beerdigt) und zu den ihm zukommenden militärischen Ehrenbezeugungen waren getroffen. Obgleich Protestant, wonach niemand fragte, wurde er doch in die zu Korfu befindliche einzige katholische Kirche gebracht. Der Sarg, welcher der Kirche gehörte,[2] wurde in der Mitte derselben aufgestellt, mit allerlei Symbolen und sich auf den Tod beziehenden allegorischen Bildern, unter denen auch das Skelett der von der Natter gebissenen Kleopatra, behangen. Musik und Tambours zogen mit klingendem Spiel in die Kirche, vor deren Tür die gebräuchlichen Salven gegeben wurden, worauf zuletzt noch Mann vor Mann einzeln sein Gewehr in der Kirche abfeuerte. All dieser Lärm vermochte nicht, den Scheintoten aus seinem Starrkrampf zu erwecken, der aber – man denke sich den entsetzlichen Zustand – sein völliges Bewußtsein hatte und jedes leise gesprochene Wort auf das deutlichste vernahm. Doch ich will seine eigenen Worte hier anführen, mit denen er mir das schreckliche Ereignis, das ihn betroffen, mitteilte.[3] „Von dem Augenblick, als ich in den Starrkrampf verfallen war, war es mir schlechterdings unmöglich, trotz starkem Willen und aller Anstrengung, die ich deshalb machte, auch nur die geringste Bewegung an irgendeinem Teil meines Körpers hervorzubringen; es war, als wären alle meine Gliedmaßen in eiserne Bande und Fesseln geschlagen und gänzlich gelähmt; dabei vernahm ich das leiseste Wort, das in meiner Gegenwart gesprochen wurde, auf das deutlichste, konnte meine Zunge nicht rühren und hatte doch das heftigste und glühendste Verlangen, die Leute, die mich alle tot glaubten, zu enttäuschen; nun stelle man sich meinen entsetzlichen Zustand vor, als ich alle Anstalten zu meiner nahen Beerdigung wahrnehmen mußte, wie man mich wusch, dann in das Leichengewand kleidete, mich in den Sarg legte, in die Kirche trug, und nachdem alle Zeremonien und das Abfeuern der Soldaten beendigt war, in die schauerliche Gruft hinabsenkte. Alle meine Sünden fielen mir in diesem Augenblick ein und der Hölle fürchterliches Bild drängte sich mir mit Gewalt vor die Augen. Ich kam, nachdem man mich hinabgelassen, auf einen Haufen halb und ganz verwester Kadaver zu liegen und blieb noch etwa fünf bis sechs Stunden in dem starren Zustand. Dann aber erhielt ich allmählich meine Bewegungskraft wieder, wozu wohl auch der pestilenzartige Geruch, der mich umgab, das Seinige beitragen mochte. Ich richtete mich nun auf und tappte in der dichtesten Finsternis auf Haufen von Leichen und Knochen herum, kam endlich an eiskalte, von Feuchtigkeit triefende Mauern, an denen ich vergeblich einen Ausweg suchte, der mich aus diesem schrecklichsten aller Kerker befreien sollte. Um die Decke des Gewölbes zu erreichen, wozu aber meine Arme nicht auslangten, bemühte ich mich, die zum Teil halbverfaulten Körper zusammenzuschleppen und aufzutürmen, um so einen Hügel zu bilden, auf dem ich oben ankommen und mich so vielleicht hörbar machen könnte. Die Verzweiflung gab mir Kraft, und es gelang. Ich gab mir nun die unsäglichste Mühe und strengte mich über die Maßen an, einen Gewölbstein zu lüften, der in die Kirche führte, aber alle meine Bemühungen waren vergeblich, da selbst mehrere Männer mit eisernen Hebeln dazu erforderlich waren. Ganz entkräftet sank ich wieder nieder, dumpfe Verzweiflung und namenlose Trostlosigkeit bemächtigte sich meiner. Noch einmal raffte ich mich zusammen, ergriff einen der dicksten Totenknochen, mit dem ich nun, so stark ich es vermochte, wider das Gewölbe schlug, aber mehrere Stunden vergingen, ohne daß ich irgendein Resultat wahrnahm. Schon wollte ich mich hoffnungslos der Verzweiflung preisgeben, als ich plötzlich ein dumpfes Gemurmel von mehreren Männerstimmen über mir vernahm, Tritte hörte, bemerkte, daß man bemüht war, einen Stein zu heben, und endlich den Schimmer des Tageslichts gewahrte, woran die Öffnung bald völlig frei wurde. Nie hatten meine Ohren eine lieblicher klingende Harmonie vernommen, als das hierdurch verursachte Getöse, und als der erste Strahl des Lichtes in den Schreckensort drang, da war es mir, als würde ich neu geboren und träte in das Paradies ein. Als der Stein ganz gelüftet war, schwang ich mich mit Hilfe eines Strickes, den man mir reichte, in die Kirche hinauf und stand mitten unter einem Haufen Menschen, die nicht wenig über meine Erscheinung erstaunt waren.“ – Die Kirchendiener hatten, als sie des Morgens die Vorbereitungen zur Frühmesse machten, den unterirdischen Lärm vernommen, aber zuerst samt dem Geistlichen, der die Messe lesen sollte, die Flucht ergriffen, in der Meinung, die Toten seien zum jüngsten Gericht auferstanden oder der Teufel selbst habe seinen Sitz im Gewölbe aufgeschlagen. Man hatte die Sache gleich dem Platzkommandanten gemeldet, der Befehl zur Eröffnung des Gewölbes erteilte und zu diesem Behuf einen Adjutanten nebst einigen Sappeurs abschickte. Der Gerettete wurde wieder völlig hergestellt und wohnte später selbst noch mancher Leichenfeierlichkeit bei.

Ende Oktober wurde ich mit meiner Kompagnie nach Govino oder Gouin detachiert oder vielmehr nach einer diesem Ort gegenüber errichteten Batterie, ebenfalls angelegt, um hier eine mögliche Landung der Engländer zu verhindern. Diese Gegend war im Sommer so ungesund, daß die daselbst liegenden Truppen wenigstens alle vier Tage abgelöst werden mußten, und dennoch erkrankten viele Leute. Ehe man aber diese Erfahrung gemacht, hat man sie teuer bezahlen müssen, denn von einer ganzen Kompagnie, die des Hauptmanns Gasqui, die man zuerst im Sommer einen ganzen Monat hatte daselbst liegen lassen, waren samt dem Kapitän, wodurch Madame Gasqui, die nicht mitgegangen, sondern in der Stadt geblieben, Witwe geworden war, alle bis auf siebzehn Mann und den Oberleutnant, hundertneunzehn Mann im ganzen gestorben. Auch die am Leben gebliebenen waren noch jahrelang kränklich. Der Kapitän Roy, den ich ablöste, hatte, wie so viele Offiziere, eine hübsche junge Griechin als Mätresse bei sich, sollte sich aber in kurzem mit der Tochter eines reichen Griechen verheiraten, nachdem ihm eine hübsche junge Französin, die Tochter des Kommandanten der Gendarmerie zu Korfu, Mademoiselle Fournier, der er den Hof gemacht und um die er geworben, einen Korb gegeben, weil er seine Mätresse nicht abgeschafft hatte. Die Griechin war nicht so empfindlich oder ignorierte die Sache und erhielt eine Aussteuer von vierundzwanzigtausend Talari, was jene nicht hatte. Als er mir den Posten übergab, bat er mich, doch auch zugleich seine Geliebte, Tonina, mit übernehmen zu wollen, da er in ein paar Tagen Hochzeit machen müsse und sie folglich nicht länger bei sich behalten könne. Ich tat ihm den Gefallen unter der Bedingung, das Mädchen nicht länger als vier Wochen zu behalten, was man einging. Tonina war hübsch, nicht ohne Geist und hatte viel Scharfsinn. Schon über ein Jahr hatte sie mit Roy gelebt, der sie dreizehnjährig von ihren Eltern weggenommen hatte. Als sie zuerst vernommen, daß sich Roy verheiraten und sie verlassen werde, war sie so wütend geworden, daß sie nach ihm biß und kratzte, sich auf die Erde warf, „Xaphnico ogni sorte, Diavolo smesso su, gamotti bisti su!“, abscheuliche neugriechische Flüche, ausstieß und sich dabei konvulsivisch auf dem Boden wälzte. Ich machte sie aber gleich damit bekannt, daß sie nur eine provisorische Stelle bei mir habe. Sie fügte sich zwar darein, machte aber doch Umstände, als die vier Wochen um waren, und ich bedurfte alles Ernstes, sie mir wieder vom Halse zu schaffen. „Du heiratest ja nicht,“ meinte sie. Glücklicherweise fand sich nach sechs Wochen ein Bataillonschef, der sie übernahm.

Eines Tages besuchte mich der Chef d’état major der Garnison von Korfu, Oberst Bauduy, auf meinem Landhaus in Begleitung einer hübschen jungen Dame; beide kamen nebst einem Bedienten geritten. Die junge Dame war eine Pariserin, Bauduys Geliebte, und sehr geistreich. Sie war die Gattin eines Pariser Bankiers, die er entführt hatte und die nun mit ihm lebte. Ich begleitete gegen Abend beide in die Stadt zurück und wurde eingeladen, sie manchmal zu besuchen. Der Oberst bewohnte ein zwischen Ruinen aus der letzten Türkenbelagerung ziemlich einsam liegendes Haus hinter dem Gouvernementspalast in der alten Festung. Ich machte bald von dieser Einladung Gebrauch, und zwar mehr, als dem Herrn Oberst lieb war. Nicht sehr weit davon hatte ein Offizier von unserem Regiment, der Kapitän Stahl, sein Quartier. Diesen besuchte ich jetzt öfters und nahm so die Zeit wahr, wenn Bauduy ausging, um der hübschen Madame Guidon – so nannte sie sich – einen Besuch abzustatten. Sie sang recht artige Romanzen, und wir sangen und spielten öfter zusammen und mit der besten Harmonie, die aber dem Chef d’état major eben nicht sehr lieblich zu klingen schien. Stahl hatte sich in eine junge, kaum vierzehnjährige Griechin aus einer wohlhabenden Familie verliebt, Gegenliebe gefunden und mir sein Geheimnis vertraut; der Hinterteil des Hauses, in dem seine Geliebte wohnte, ging in ein enges, schmales Gäßchen, wo er dieselbe nur durch ein ziemlich hohes Fensterchen sehen und sprechen konnte, aber keine andere Gelegenheit hatte, in nähere Berührung mit ihr zu kommen. Das Mädchen sprach das Venetianische geläufig, Stahl aber nur ein paar Worte schlecht italienisch, beide hatten sich bisher mehr durch Zeichen verständlich gemacht und schienen vor Liebe fast zu vergehen. – „Da bleibt nichts anderes übrig als eine Entführung,“ sagte ich zu Stahl, da er nicht aufhörte, mir seine Sehnsucht zu klagen. Dazu war er auch bald entschlossen, und es kostete uns keine große Mühe, die junge Griechin zur Einwilligung zu bringen. Wir kamen überein, sie in der nächsten Nacht, wo sie versuchen wollte, das Haus ihrer Eltern nach elf Uhr zu verlassen, zu entführen, und gingen verabredetermaßen zur bestimmten Stunde in das kleine Gäßchen, wo wir zuerst noch ein Pourparler mit dem Mädchen hatten, das uns mitteilte, daß es unmöglich zur Haustüre hinauskommen könne, die verschlossen und verriegelt und von der der Schlüssel abgezogen sei. – „Nun, dann müssen Sie die Promenade durch das Fenster machen,“ rief ich ihr zu. – „Unmöglich, es ist zu hoch.“ – „Ich will schon Mittel finden, daß es gefahrlos geschehen kann.“ Ich hieß Stahl dableiben, während ich mich nach einer Leiter umtun wolle, und eilte in die nächste Kaserne, eine solche zu suchen, aber vergeblich, es war nirgends eine aufzutreiben. Ich requirierte daher vier Grenadiere von unserem Bataillon und lieh mir eine große baumwollene Decke bei einem Sergeant-Major. Mit diesen kam ich zu Stahl zurück, dem ich sagte, daß, da ich keine Leiter gefunden, sich seine Geliebte schon zu einem kleinen Sprung bequemen müsse; es sei ja kaum zwanzig Schuh hoch, und sie könne sich unmöglich einen Schaden tun, da sie auf die von vier starken Männern gehaltene Decke falle. – „Ma ho troppo paura,“ lispelte die junge Griechin. – „Ma che paura, santa mattiamo, sakapaupoli,“ erwiderte ich halb italienisch, halb griechisch, „saltate pure, sarete ben ricevuta.“ Nach noch einigem Zureden entschloß sie sich zum Sprung und lag im Nu auf der Decke, von der ich sie mit meinen Armen aufhob und denen Stahls überlieferte, der mit seiner holden Beute nach dem Fort vieux zu in seine Wohnung eilte, während ich die Grenadiere, die das Mädchen aufgefangen hatten, belohnt heimschickte. Den anderen Tag kam gegen Mittag Herr von Brüge in aller Eile nach Govino geritten und verkündigte mir, daß ich höchstwahrscheinlich noch denselben Tag abgelöst werden würde, weil ich tätige Hilfe bei der Entführung der jungen Caloyera geleistet habe; der Gouverneur sei bereits von der ganzen Geschichte unterrichtet, höchst aufgebracht, der Vater des jungen Mädchens sei bei ihm gewesen, habe Stahl, zu dem er mit Dolchen bewaffnet gelaufen, zu ermorden gedroht, und man habe den Mann nur durch das Versprechen, die Schuldigen zu bestrafen und daß der Kapitän seine Tochter heiraten solle, beruhigen können. Brüge befragte mich nun nach den näheren Umständen dieses Vorganges, und ich teilte ihm dieselben mit. Stahl hatte selbst angegeben, daß ich der Helfershelfer bei der Geschichte gewesen. Herr von Brüge verließ mich mit den Worten: „Nun, ich will wünschen, daß es gut für Sie abläuft.“ Aber den anderen Morgen erhielt ich Order, mit einem Detachement von siebzig Mann nebst dreißig Albanesern nach Rocca Timono aufzubrechen, einem wüsten Felsen an der Westseite der Insel, in der Gegend von Pallea Castrizza, an dessen Fuß der Hafen Affiona lag, eine kleine Bucht, die ebenfalls bequem zu einer Landung war. Denselben Tag erschien auch noch ein Tagesbefehl des Gouverneurs, in welchem er diese Begebenheit streng rügte. Stahl erhielt scharfen Arrest, und der Oberst Benzel-Sternau drückte noch in einem besonderen Annex der Order aus, daß es sehr bedauerlich sei, daß Offiziere von unserem Regiment die Veranlassung zu einem solchen Befehl gegeben hätten, und daß, wenn sich dergleichen wiederhole, er es an den Kriegsminister berichten müsse. – Höchst mißmutig brach ich nach Rocca Timono auf, vielleicht dem ödesten Ort der ganzen Insel. Auf einem hohen Felsen, zu dem man nur zu Fuß mit Lebensgefahr an dem steilen Rand eines tiefen Abgrundes, Mann vor Mann kletternd, gelangen konnte, war eine kleine Reiserhütte, mit Laub bedeckt, von den Soldaten erbaut, die zwei Abteilungen, eine für den Offizier, die andere für die Soldaten, hatte und in die Wind und Regen von oben und allen Seiten drang; da es gerade in der Regenzeit war, so schwamm man beständig im Wasser und hatte weder bei Tag noch bei Nacht einen trockenen Fleck am ganzen Leibe; dabei hatte ich die strengste Order erhalten, mich unter keinem Vorwand, welcher er auch immer sei, von diesem Posten zu entfernen. Dies Kommando hatte ich der Protektion meines Gönners, des Chef d’état major Bauduy, zu verdanken gehabt, wie ich später erfuhr, der mich gern aus seinem Bereich und Gehege vertrieb. Stahl, der zwar im Fort vieux blieb, mußte die Caloyera heiraten, mit der er einige tausend Talari Aussteuer bekam. Einen ganzen Monat mußte ich auf dem rattenkahlen Felsennest, wo man kein Grashälmchen sieht, zubringen und buchstäblich im Wasser liegen. Aus Langeweile ließ ich die Soldaten gymnastische Übungen machen, Purzelbäume und Rad schlagen und um Paras spielen und balgen. Dies war mir der verdrießlichste Monat meines ganzen Lebens. Endlich, nachdem ich wohl ein Dutzend Briefe an Benzel-Sternau und Herrn von Brüge geschrieben, wurde ich erlöst und nahm mir nun fest vor, mich nicht mehr mit den Entführungen anderer zu befassen. Ich kam gerade noch zur Trauung Stahls, die, obgleich er Protestant war, doch in einer griechischen Kirche stattfand. Stahls junge Frau hatte unterdessen Bekanntschaft mit der Geliebten Bauduys gemacht, und nachdem ich erfahren, welchen Anteil dieser an meiner Versetzung genommen, beschloß ich, mich mit Hilfe von Stahls Gattin desto mehr an ihm zu rächen. Dies war um so leichter, da Amelie – dies war ihr Taufname – jetzt sehr oft zu Stahls kam, wo ich dann oft mit den beiden Damen allein war und die eine die Aufpasserin machte, während ich mit der anderen tändelte. Eines Tages aber hatte ich es gewagt, als Bauduy, der anfing, die Besuche seiner Geliebten bei Madame Stahl sehr ungern zu sehen, gerade zum Gouverneur gegangen war, Amelie in seiner Wohnung zu besuchen, in die ich in der Abenddämmerung durch ein Hinterfenster stieg, um von keinem Bedienten bemerkt zu werden. Aber kaum hatten wir uns herzlich bewillkommt, als der Oberst, der etwas vergessen hatte, zurückkehrte, so daß ich gerade noch Zeit hatte, mich in einen Schrank, den Degen in der Hand, eiligst zu verbergen, sowie Amelie, das Zimmer zu verlassen, welches sie abschloß. Als ich aber unten rumoren hörte und fürchtete, man möchte hinter mein Versteck kommen, verließ ich dasselbe eiligst und sprang aus einem Fenster wenigstens fünfzehn Fuß hoch in einen kleinen, noch von einer Mauer umgebenen Raum hinab, aus dem ich hinauskletterte und mich in den Ruinen alter Häuser verbarg. Aber Freund Stahl begann nun auch eifersüchtig zu werden und meine häufigen Besuche ungern zu sehen; um ihm keinen weiteren Anlaß zum Mißvergnügen zu geben, setzte ich sie vorerst aus und machte unterdessen der Madame Roy den Hof, deren Mann die erhaltene Aussteuer zum großen Mißvergnügen der Familie seiner Frau verkohlt hatte, und da ihm dieses Verkohlen nicht den fünften Teil der erwarteten Fonds einbrachte, so war auch er mißvergnügt, mit der Familie gespannt und ließ sehr unklugerweise seinen Unmut seine junge Gattin empfinden, die ich nun zu trösten unternahm. Madame Stahl sollte mir doch später werden, wenn auch erst auf französischem Boden. – Doch ich muß die Sache deutlicher erzählen, wenn man mich verstehen soll. Die Aussteuer, welche die Töchter der wohlhabenden Familien in Korfu erhalten und von der es heißt, sie sei zehn-, zwanzig-, dreißig-, fünfzig- und mehr tausend Talari, besteht nur in sehr wenig barem Geld, einigen sehr hoch angerechneten Pretiosen und dem Rest in Land mit soundso viel Olivenbäumen, die in gewöhnlichen Zeiten eine bestimmte Rente abgeben. Jetzt aber, wo der Preis des Öls bis auf den fünften Teil seines früheren Wertes herabgesunken war, hatten natürlich auch diese Baumstücke einen weit geringeren Wert. Roy, der aber gerne bares Geld gehabt hätte und solches brauchte, ließ alle ihm gehörigen Olivenbäume, unter denen Tausende viele hundert Jahre alte Stämme waren, umhauen und zu Kohlen brennen, die er nach dem Gewicht auf dem Markt verkaufen ließ und so kaum zwei- bis dreitausend Talari daraus löste, die bald ausgegeben waren. Daher der Unwille seiner Schwiegereltern, der auf die Tochter überging, die sich nun fast mehr im Haus ihrer Mutter, wo ich sie täglich sah, aufhielt, als in der Wohnung ihres Gatten, und der mein Trost ganz willkommen war. Hier lernte ich auch eine andere, noch sehr junge Griechin, Marietta Vonda, ihre Jugendfreundin, kennen, die alle hellenischen Schönheiten in sich vereinigte. Mit dieser knüpfte ich bald ein Verhältnis an, und da ihre Eltern ganz ohne Vermögen waren, so willigten sie unter gewissen Bedingungen ein, daß ich das Mädchen auf eine bestimmte Zeit, drei Monate, zu mir nahm, während welchen ich, alles andere vergessend, recht vergnügt mit ihr lebte und sie dann einem Rittmeister der Chasseurs à cheval abtrat, der sie ganz behielt und später auch mit sich nach Frankreich nahm und sogar heiratete. Nach ihr zerstreute ich mich auf kurze Zeit mit zwei recht artigen Israelitinnen, die in der Nähe meines Quartiers wohnten und sich Nina und Berna nannten, und dann wieder mit einer jungen Griechin, Anetta genannt. So brachte ich immer einige Abwechslung in das sonst ziemlich einförmige Leben zu Korfu. Manche meiner Kameraden machten es nicht viel besser, nur waren sie etwas beständiger. Noch immer hatte ich den Tisch bei Herrn von Brüge und gab dabei Josephinen Unterricht, jetzt auch im Deutschen und der Geschichte; einmal wurde ich jedoch in einer ziemlich zweideutigen Situation mit ihr von der Frau Mama ertappt, von der wir nun einen fast stundenlangen Sermon anhören mußten. – „Ach, die Mama hat es auch nicht besser gemacht, wie der Papa sagt,“ sprach Josephine, als wir endlich wieder einen Augenblick allein waren. Um die Frau Mutter wieder zu besänftigen, schickte ich ihr einen prächtigen, mit Oliven gemästeten Indianer in die Küche nebst einigen Pfunden Mandelkonfekt, von dem sie eine große Liebhaberin war; es war gerade um Weihnachten, welche die Griechen besonders mit diesen Leckerbissen feiern. – Gleich nach Neujahr 1813 fiel eine tragische Begebenheit vor, die ungemeines Aufsehen in der Garnison erregte. Der Kapitän einer der im Hafen zu Korfu stationierten Fregatten hatte einen auf derselben eingeschifften Marinesoldaten wegen eines unbedeutenden Vergehens mit Stricken, eine bei den französischen Matrosen damals gebräuchliche Strafe, hauen lassen. Dieser hatte sich aber verzweifelt gewehrt und geschimpft, indem er sagte, eine solche entehrende Züchtigung gehöre keinem französischen Soldaten, und der sie verordne, sei ein infamer Büttel und so weiter, er mußte sich aber zuletzt natürlich der Gewalt ergeben und die Strafe erdulden. – Einige Tage darauf, als er wieder eine Wache auf dem Schiff bezog, tauschte er mit einem Kameraden, dem der Posten vor des Kapitäns Kajüte geworden, um daselbst Schildwache zu stehen, und als der Offizier am Abend aus dem Theater kam und sich in sein Gemach begeben wollte, schoß ihn der Soldat mit den Worten: „Canaille, voila pour toi!“ nieder, hierauf ausrufend: „Me voila content, qu’on me fasse fusiller à mon tour.“ – Dies fand auch kurze Zeit darauf, nachdem er durch kriegsgerichtliches Erkenntnis zum Tode verurteilt worden war, statt, und er wurde auf einem eigens dazu errichteten Floß mitten in der Reede, im Angesicht der ganzen Marine und der Landtruppen erschossen. Ein seltsamer Zufall hat mich bei dieser Gelegenheit eine Delikatesse kennen lernen, von der ich mir niemals etwas hätte träumen lassen. Um die Exekution besser mit ansehen zu können, war ich mit einigen Kameraden nach der Insel Vido hinübergefahren; kaum war der Soldat erschossen, als sich ein so gewaltiger Sturm erhob, daß es schlechterdings unmöglich war, wieder nach Korfu zurückzufahren, und zu gleicher Zeit ließ sich auch ein Erdstoß verspüren, der jedoch nicht sehr bedeutend war. Desto heftiger aber stürmten die entfesselten Winde, und der Sturm wütete so arg, daß für diesen Tag an die Überfahrt nicht mehr zu denken war; auch die Barken, welche alle zwei Tage die Lebensmittel für die etwa achthundert Mann starke Besatzung nach Vido brachten und um Mittag kommen sollten – die Exekution hatte um zehn Uhr morgens stattgefunden –, blieben aus. Mit Sehnsucht warteten alle, daß sich der Sturm legen würde, denn der geringe Vorrat einiger Marketender an Brot und sonstigen Viktualien war schnell aufgezehrt und bald kein Stückchen mehr für Geld zu haben. Die Nacht kam heran, der Sturm tobte fort, und die Wellen türmten sich mehr und mehr. Lachend soupierten wir noch bei einigen Hühnern, die der auf der Insel Vido befehligende Bataillonschef, bei dem wir uns zu Gast baten und der auch das noch aufzutreibende Kommißbrot aufgekauft hatte, zum besten gab. Aber auch die ganze Nacht, die wir in Erdhütten zubrachten, denn andere Wohnungen gab es in Vido noch nicht, währte der Sturm und wurde womöglich den kommenden Morgen noch toller, so daß man an keine Kommunikation mit der Stadt denken konnte. Jetzt ging es an ein Schlachten aller vorhandenen Katzen und Hunde, die man mit schwerem Geld bezahlte, und da auch diese bei weitem nicht ausreichten, die hungrigen leeren Mägen zu füllen, so machte man sich auf die Rattenjagd, deren es unzählige, und namentlich sehr fette Wasserratten hier gab. Bald hatten die Soldaten mehrere hundert derselben gefangen und boten sie zu drei bis fünf Franken per Stück feil. Öl fand sich auch noch etwas vor, und die getöteten Tiere wurden nun an Ladestöcken gebraten oder zu einem Ragout zugerichtet, und ich gestehe, daß ich einen solchen Rattenbraten ganz vortrefflich fand und mit dem größten Appetit verspeiste, sei es faute de mieux und weil ich großen Hunger hatte, oder weil die Ratte ein wirklich sehr delikates Fleisch hatte. Hätten wir nur Brot dazu gehabt! Der Sturm und die Rattenjagd dauerten noch bis gegen Abend, wo sich beides legte und die heißersehnten Lebensmittel ankamen. Von jetzt an wurde ein kleines Magazin, auf acht Tage berechnet, von Vivres in Vido angelegt, damit man nicht wieder ähnlichem Fasten ausgesetzt war, wir aber wurden bei unserer Rückkehr in Korfu noch brav ausgelacht und geneckt, indem man uns versicherte, daß, da wir uns ohne Urlaub entfernt und auch niemand gewußt, was aus uns geworden, man im Begriff gewesen, uns als Deserteure par contumace durch ein Kriegsgericht verurteilen zu lassen.

Um diese Zeit fing man zu Korfu an, ganz insgeheim von dem unglücklichen russischen Feldzug und der schrecklichen Retirade der großen Armee zu munkeln; auch wurden wir durch die Engländer immer enger blockiert. Die Lebensmittel wurden seltener und stiegen sehr im Preis. Doch waren wir noch weit entfernt, das Mißgeschick Napoleons und seines Heeres in seinem ganzen Umfang zu kennen und dessen ungeheuren Verlust zu ahnen. Man wußte nicht, wie die Sachen eigentlich standen, und erfuhr nur, was eine in Korfu gedruckte Zeitung, welche einmal wöchentlich erschien und den Titel ‚Moniteur jonien‘ führte, für gut fand, uns wissen zu lassen; zudem war sie immer um einige Monate zurück und druckte meistens nur das, was der Commissair-Imperial aus den Pariser Zeitungen, die ebenfalls zwei bis drei Monate nach ihrem Erscheinen erst nach Korfu kamen, rot anstrich. – Im Frühjahr 1813, das heißt im Januar, halfen schon die im vorigen Jahre zuerst gepflanzten Kartoffeln, welche die Griechen als nach Erde schmeckend noch verschmähten, etwas aus; man bezahlte aber das Pfund noch mit einem Piaster oder mehr, wofür man sie den Soldaten abkaufte. Da die Lebensmittel immer seltener und teurer wurden, namentlich frisches Fleisch fast gar nicht mehr aufzutreiben war, so erließ der Gouverneur eine Order, durch welche er den Offizieren und Soldaten streng verbot, sich ferner noch mit der Unterhaltung von Frauen und Mädchen zu befassen, denn dies hatte zuletzt so überhand genommen, daß fast jeder Soldat ein solches Liebchen hatte. Die Griechinnen liefen ihren Männern und Vätern, die sie beständig unter strengem Gewahrsam einsperrten, gar zu gerne davon, um mit den Franzosen, die sie überall mit herumführten, spazieren zu gehen, Schauspiele, Tanz und Weinschenken zu besuchen. Man brauchte fast nur zu winken, so hatte man schon eine solche, oft sehr schöne, aber immer sehr unwissende und lästige Plage am Hals. Diese Order und der eingetretene Mangel verhinderten zwar weitere Entführungen, aber es war schon gar zu viel altes Übel vorhanden.

Die Frechheit der Engländer ging jetzt so weit, daß sich ihre Linienschiffe und Fregatten bis auf Schußweite den Festungswerken näherten. Eines Tages kamen zwei dieser Schiffe bis fast unter die Batterien des Meerschlosses, so daß sie von den auf sie geworfenen Riesenbomben beinahe in den Grund geschossen worden wären. Sie suchten schnell das Weite. Ein anderes Mal wagte sich eine englische Brigg sogar bis in den Hafen von Govino und zündete daselbst mehrere kleine Schiffe an; unsere Kanonierschaluppen suchten ihr zwar den Rückweg abzuschneiden, aber ehe diese noch segelfertig waren und die Anker gelichtet hatten, war die Brigg schon wieder in der weiten See. Die französische Marine hatte wenigstens eine Stunde mit Pfeifen und Vorbereitungen zugebracht, so daß wir alle, die wir dem Skandal von den Wällen zusahen, höchst entrüstet über dieses lendenlahme Verfahren waren, fluchten und schimpften. Es war wirklich unverantwortlich; mehr denn zwanzig Kanonierschaluppen lagen in dem Hafen von Mandrachio, und keine brachte es dahin, flott zu werden, während die Brigg ihr Unwesen im Hafen von Govino trieb, was wir von Korfu genau beobachten konnten. Die Marineoffiziere mußten sich deshalb herben Spott von den Landoffizieren gefallen lassen, es gab Reibereien und in deren Folge Duelle. Das Duellieren hatte überhaupt zuletzt unter der Garnison von Korfu und zwar unter den Unteroffizieren und Soldaten so sehr überhand genommen, daß fast keine Woche verging, wo es nicht einen Toten, der im Zweikampf gefallen war, gab, so daß endlich der Gouverneur eine sehr strenge Order an die Korpschefs erließ, um diesem Unfug Einhalt zu tun, und die Regimenter deshalb öfters konsigniert wurden.

Trotz der immer steigenden Teuerung, die bei den ärmeren Einwohnern bald Mangel verursachte, und der schlimmen Nachrichten vom Festland, mit denen man sich herumtrug, wurde dennoch der Karneval 1813 noch sehr fröhlich nach venetianischer Weise begangen. Die große Esplanade war von drei Uhr nachmittags an mit Masken jeder Art angefüllt, die sich bis in die Nacht hinein mehrten, doch außer dem stummen Auf- und Abgehen und einigen Neckereien wenig Unfug trieben, sondern meistens, besonders die Griechen, die daran teilnahmen, sehr ernst waren. – Oft exerzierte ein oder das andere Regiment zu gleicher Zeit auf diesem Platz und kam durch seine Schwenkungen mitten unter die Maskenhaufen, die es dann jubelnd auseinander jagte. Den Abend war das Theater sehr besucht und nach demselben zweimal in der Woche Cavalchini oder maskierte Festini.

Damals machte die Prima-Ballerina Giuseppina Panzieri allgemein Furore; sie war eine gebotene Mailänderin, noch nicht lange von Venedig gekommen, wo sie der Impressario Delungo selbst geholt, und eine von jenen Schönheiten, die da sagen können: ‚Veni, vidi, vici.‘ Sie hatte, was in Italien selten ist, blonde Haare und blaue Augen, aber keine von jenen schmelzenden, schmachtenden, wie man sie so häufig im Norden antrifft, sondern feurig-blaue, ein niedliches Gesichtchen mit schelmischen Zügen und einen Wuchs, wie man ihn nur von einer Tänzerin verlangen kann; genug, geschaffen, um auch ein felsenhartes Herz noch zu rühren. Unter den mancherlei Köpfen, die durch ihre Kreiswendungen und Trillersprünge verwirrt wurden, war auch der eines fünfzigjährigen, sehr reichen Lieferanten namens Mastracha und der des Kommissär-Imperial Lesseps, mit dem ich gut bekannt, öfters bei ihm zu Tische war und häufig auf die Jagd an die albanesische Küste mit ihm ging; letzterer mochte einige vierzig Winter zählen. Beide Nebenbuhler pochten auf ihre außerordentlichen Verdienste, die bei dem ersten in dem Besitz von vielleicht anderthalb Millionen Piaster bestehen mochten und bei dem anderen darin, daß er die erste Zivilautorität und letzte entscheidende Instanz in allen bürgerlichen Angelegenheiten zu Korfu war und Napoleon gewissermaßen repräsentierte. Daß es dem gewichtigen Mann unter solchen Umständen auch nicht an Geld mangelte, kann man sich denken. Beide boten alles auf, um die Gunst der schönen Tänzerin zu erlangen. Mastracha scheute keine Kosten; er sandte der Angebeteten an ihrem Namenstag einen prächtigen Blumenstrauß à la Murat, dessen Stengel aus einer Rolle von hundert Zechinen fabriziert war und zwischen dessen natürlichen Blumen siebzehn diamantene Sternblümchen hervorblitzten. Demungeachtet trug der Kommissär-Imperial den Sieg davon, sei es nun, daß seine hohe Würde oder sein noch kräftigeres Alter Peppina verführten. Nach wenigen Wochen bezog sie eine Wohnung, die ihr Geliebter dicht neben seinem Palazzo gemietet und auf das prächtigste für sie und ihre Mutter eingerichtet hatte. Um aber die Sache bequemer zu haben, hatte er eine Tür durch die Mauer brechen lassen, welche beide Häuser trennte. Ich hatte das schöne Mädchen früher einigemal bei dem Impressario gesehen, aber damals nicht so sehr auf sie geachtet, als ihre Reize es wohl verdient hätten, und es ging mir erst ein Licht auf, als ich sie zum erstenmal auf der Bühne tanzend bewunderte. Aber jetzt war es zu spät, und sie war bereits in Lesseps’ Händen. Was ich früher mit leichter Mühe erhalten hätte, sollte mir jetzt nur durch die raffinierteste List und Anstrengung zuteil werden.

Bisher hatten die Offiziere die täglich von neun Uhr morgens bis zwei Uhr nachmittags dauernden Theaterproben nach Belieben besucht, ohne daß jemand etwas Arges dabei gefunden hätte. Man frühstückte à la fourchette oder mit Gebackenem und dem hier sehr wohlfeilen Cyperwein, sang und sprang oft mit, und diese Proben waren keine kleine Unterhaltung für uns auf der an sonstigen Zerstreuungen ziemlich armen Insel; ja wir hatten weit mehr Genuß dabei, als an den Vorstellungen selbst. Bald hatte ich mich Peppina bemerkbar gemacht, und ihr Benehmen verriet mir, daß ihr meine Aufmerksamkeit gerade nicht mißfiel. Ihr aber meine heiße Liebe zu gestehen, zu ihren Füßen um die Erhörung meiner Wünsche zu flehen, dazu fehlte es durchaus an Gelegenheit, denn Lesseps ließ sie durch seinen vertrauten Kammerdiener auf jedem Schritt mit Argusaugen bewachen; dennoch war es mir gelungen, Peppina zwei Billettchen unbemerkt bei den Proben zuzustellen, und ich erhielt sogar eine Antwort, die sie in die Latte einer Kulisse, von niemand als mir bemerkt, steckte. Aus derselben ersah ich mit Vergnügen, daß sie recht gerne in die von mir verlangte Zusammenkunft willige, wenn ich nur Mittel ausfindig machen könne, eine solche zu bewerkstelligen. Indessen mußte der Intimus des Kommissärs doch Lunte riechen, oder vielleicht war ihm auch sein Bewachungsamt bei den Proben zu beschwerlich, da er wirklich hundert Augen hätte haben müssen, um alles, was bei diesem Gewirre vorging, zu sehen. Genug, er berichtete eines Morgens seinem Herrn, daß er für nichts mehr stehen könne, denn es seien immer ein paar Dutzend Offiziere und noch andere Herren zugegen, die ein Charivari und ein Durcheinander veranlaßten, daß, wenn er auch fünfzig Augen und Ohren hätte, diese dennoch nicht ausreichen würden, um zu bemerken, was sich dabei zutrage. Diese Worte waren dem ebenso eifersüchtigen als verliebten kaiserlichen Kommissarius ebenso viele Nadel- und Dolchstiche. – „Oh, dem Unfug will ich bald ein Ende machen!“ rief er aus. „Man hole mir sogleich den Impressario.“ – Dieser erschien nach wenigen Minuten mit hochgekrümmtem Rücken, hundert Bücklingen, schneidend und untertänigst fragend, was die Illustrissima Eccellenza zu befehlen habe. – „Ich bin äußerst unzufrieden mit Ihnen, mein Herr Impressario. Was ist das für eine Unordnung, die bei Ihren Proben herrscht? Ich höre den Lärm nicht selten sogar in meinem Kabinett“ (seine Wohnung war in der Nähe des Theaters). „Man sollte glauben, der Teufel selbst habe seine Residenz da aufgeschlagen und das wilde Heer hause im Theater. Wenn dies nicht anders wird, so sehe ich mich gezwungen, Sie von der Direktion zu suspendieren und sie jemand zu übergeben, der es besser versteht, Ordnung und Zucht unter dem leichtfertigen Volk zu erhalten.“ – „Eccellenza halten zu Gnaden,“ stotterte der außer aller Fassung gebrachte und wie Espenlaub zitternde Impressario in angustie. „Nicht meine Leute, Illustrissimo, Gott bewahre, das sind lauter Lämmer, die Herren Offiziere machen diesen Skandal.“

„Was Offiziere,“ donnerte der sich recht ergrimmt und unwissend stellende Kommissarius. „Offiziere! Wie kommen diese in die Proben? Wo in aller Welt hat man so etwas gehört? Wie können Sie solchen Mißbrauch zugeben? Wir sind nicht in Venedig, Mailand oder Neapel, sondern in Korfu, und hier bin ich Herr und befehle Ihnen, von heute an das Theater während der Proben zu schließen und niemand, wer es auch sei, der nicht zum Theater gehört, weder bei den Proben noch während der Vorstellung auf die Bühne zu lassen. Ich werde Ihnen eine Polizeiwache geben, und Sie werden die Tür nur für die Mitwirkenden öffnen lassen.“

Es war bald Zeit zur Probe, die versprochene Polizeiwache stellte sich ein, und alles, was sich der Gewohnheit gemäß einfand und nicht im Sold Apolls oder unter dem direkten Schutz der neun Musen stand, wurde auf das unbarmherzigste abgewiesen. Welche Bestürzung diese Trauernachricht unter dem weiblichen Kunstpersonal hervorbrachte, ist unbeschreibbar. Selbst das männliche Personal äußerte, wenn auch mit mehr Mäßigung, seine Unzufriedenheit. Denn ach! – die herrlichen wohlschmeckenden Frühstücke, an denen jedermann teilnehmen durfte, fielen nun weg. Doch was half alles Lärmen und Lamentieren, die Sache war einmal nicht zu ändern, und – Probe mußte gehalten werden. Auch Peppinen ließ man den allgemeinen Unmut fühlen, obgleich das arme Kind im Innern über die abscheuliche Verordnung so gut wie die anderen entrüstet war. Man wußte wohl, daß, wenn auch unschuldig, niemand als sie die Ursache dieser verdrießlichen Neuerung war. Die Proben waren heute zwei Stunden früher als gewöhnlich beendigt, und als die verstimmten Leutchen den ihnen jetzt sehr öde und freudenlos scheinenden Tempel der Kunst verlassen wollten, fanden sie in dessen Vorhallen an hundert harrende Abgewiesene. Auch ich befand mich unter diesen Unglücklichen und war keiner von den minder Traurigen. Als sich endlich die Türen erschlossen und unsere Lieben herausströmten, mischte sich sogleich alles untereinander. Das war ein Durcheinanderschreien, Rufen, Fragen, bis man sich verständigt und alles Wissenswerte mitgeteilt hatte, als handle es sich um der Welt Untergang. Nur Peppina, die Arme, durfte keinen Teil an den allgemeinen Ergießungen nehmen und ging, von ihren Trabanten begleitet, stumm wie ein Fisch durch die rebellischen Reihen; im Vorübergehen warf sie mir einen verstohlenen Blick zu und seufzte kaum vernehmbar. Als aber endlich die Ideen gegenseitig ausgetauscht und alle gehörig unterrichtet waren, da hallten Drohungen und Verwünschungen der aufgebrachten Abgewiesenen gräßlich in den Hallen wider. Die Abgewiesenen gaben den Priesterinnen der Kunst Hand und Wort darauf, daß noch denselben Abend eine Vorstellung im Theater stattfinden solle, dergleichen in Korfu noch nie gesehen worden, wobei das Bühnenpersonal Zuschauer, die Zuschauer selbst aber Schauspieler sein würden.

Um halb acht Uhr war das Parterre diesen Abend gegen die Gewohnheit schon zum Erdrücken voll, auch die Logen füllten sich früher, als es sonst der Fall war. Die Ouvertüre begann, alles war mäuschenstill. Die Oper ‚Ginevra di Scozia‘ und das Ballett ‚Astrea‘ waren an der Tagesordnung. Als aber die Introduktion begann, ertönte von allen Seiten ein so fürchterliches und durchdringendes Pfeifen, Zischen und Stampfen, mit dem Rufe: „A bas, à bas, à bas!“ begleitet, daß einem Hören und Sehen verging; die Damen hielten sich die Ohren zu, viele waren einer Ohnmacht nahe, und einige verfielen wirklich in diesen Zustand, andere lachten, und von Musik und Gesang hörte man keinen Laut. Der Lärm ging immer crescendo, bis endlich der Vorhang fiel und mit seinem Fallen die vorige Stille wieder eintrat. Nach einer Viertelstunde rollte die leinene Scheidewand abermals in die Höhe, man versuchte wieder anzufangen, aber derselbe Tumult stellte sich wieder ein, und zwar mit verdoppelter Kraft, und hörte nicht auf, bis die Gardine zum zweitenmal fiel. – Aller guten Dinge sind aber drei. Man zog sie also zum drittenmal auf, und diesmal trat der Impressario vor und wollte das Publikum anreden, konnte aber ebensowenig zu Worte, als das Personal zum Gesang kommen. Zum drittenmal senkte sich der Vorhang, um zum viertenmal aufgezogen zu werden, und nun zeigte sich ein wohlkonditionierter Polizeibeamter, der mit einem hellgellenden Hohngelächter empfangen und so lange ausgelacht wurde, bis er sich, etwas konfus gemacht, wieder zurückgezogen hatte. Jetzt ließ man die Gardine zum letztenmal für heute abend herab. Das Publikum unterhielt sich noch eine Zeitlang sehr laut und lebendig, denn der größte Teil war noch nicht von der Ursache des extraordinären Tumults unterrichtet, bis nach einer Stunde sich fast alle Zuschauer verlaufen hatten und das leere Haus geschlossen wurde. Lesseps war wütend und schwur hoch und teuer, der Sache morgen ein Ende zu machen. Er hatte so gut wie die anderen Zuschauer bemerkt, daß es fast nur Militär war, welches den höllischen Lärm gemacht, und namentlich Marineoffiziere und Maitres Cannotiers, die ihre langen, gellenden silbernen Schiffsdienstpfeifen mitgebracht hatten, womit sie die Matrosen bei den Manövern avertieren. Noch denselben Abend begab sich Lesseps zum Gouverneur Donzelot, diesen aufzufordern, dem abscheulichen Unfug zu steuern und durch eine Ordre du jour dem Militär das Pfeifen, Zischen und Lärmen im Theater zu untersagen, wozu dieser sich aber nicht verstehen wollte, sondern meinte, ein solcher Tagesbefehl würde lächerlich sein, da er ja keine Dienstsachen betreffe, indessen wolle er die gehörigen Maßregeln ergreifen, fernere Unruhen im Theater möglichst zu verhüten, und zur nächsten Vorstellung vier Stabsoffiziere kommandieren, die, mit dem Ringkragen dekoriert, die Aufsicht und Inspektion im Parterre haben sollten. Damit mußte sich der Herr Kommissar begnügen und empfahl sich, nachdem er noch vom Gouverneur erlangt hatte, daß die Chefs de Corps ihren Untergebenen wenigstens mündlich Ordnung und Ruhe im Theater anbefehlen sollten. Von da begab sich der Mann zum Konteradmiral, um auch diesen für seine Sache zu gewinnen und den Seemännern, Seelöwen, Seebären und Seehunden und sonstigen Seeungeheuern, wie er sie in seinem Zorne nannte, die Rachen zu stopfen. Zuletzt ließ er noch den Polizeidirektor und Delungo zu sich rufen, um auch von der Zivilseite jedem Unfug zu begegnen. So hoffte der gute Mann aller ferneren Störung vorgebeugt zu haben und legte sich, von den vielen Strapazen ermüdet, etwas beruhigter zu Bette. Der zum Teil gefürchtete, zum Teil erwünschte Abend kam heran, jeder der beorderten Stabsoffiziere übernahm eines der vier Karrees, in das das Parterre abgeteilt worden, zur besonderen Aufsicht, außerdem hatte man jedem Viertel noch Polizeibeamte zugeteilt, um die bürgerlichen Lärmmacher im Zaum zu halten. Aber alles war umsonst, sobald der Vorhang in die Höhe rauschte, fing der infernalische Lärm des vorigen Abends wieder an und ward noch dreimal ärger, aber seltsamerweise sah man niemand weder mit dem Mund noch mit Instrumenten pfeifen, und doch waren die Pfiffe weit schneidender und gellender. – Was vermag der menschliche Erfindungsgeist nicht? – Ein Maitre Cannotier hatte in der Eile ein paar hundert Pfeifen mit kleinen Blasbälgen verfertigen lassen, die unter das Militär verteilt wurden und die ein Teil der Verschwörer unter dem Arm, ein anderer unter den Füßen angebracht hatte. Mit kaum bemerkbarer Bewegung brachten sie so die gellendsten Töne hervor; das Lächerlichste bei der Sache war, daß der Lärm immer im Rücken der kommandierten Aufpasser geschah, denn sobald einer den Kopf nach dem Ort, wo man gepfiffen, richtete, erschollen gleich wieder ein paar Dutzend Pfeifen von hinten her, so daß sich die Herren unaufhörlich wie Wetterhähne nach dem Wind drehten, ohne etwas entdecken zu können, woran ihnen wohl auch wenig gelegen sein mochte, denn sie lachten selbst mit. Es war, als trieb eine Legion Dämone ihr neckisches Spiel. Die Sache nahm dasselbe Ende wie bei der letzten Vorstellung und wurde die folgenden zwei bis drei Tage mit gleichem Kraftaufwand wiederholt. Man hatte sich geschmeichelt, die Lärmmacher würden das Ding endlich von selbst satt werden, aber vergeblich, sie trieben den Rumor so lange fort, bis eines Morgens plötzlich auf den nach italienischer Sitte quer über die Straßen an Stricken hängenden Theaterschildern mit deutlicher Schrift in französischer, italienischer und sogar neugriechischer Sprache mit großen Lettern zu lesen war: ‚Von heute an ist der Besuch bei den Proben wieder erlaubt.‘ – Diese durch die Gewalt der Pfeifen ertrotzte Erlaubnis wurde auch sogleich bestmöglichst benutzt. Zu Hunderten strömte man noch denselben Morgen auf die Bühne, wo durch ein köstliches Bankett, das sich bis beinahe gegen Abend verlängerte, der errungene Triumph jubelnd gefeiert wurde. Die Vorstellung selbst wurde jetzt nur noch von Zeit zu Zeit durch stürmischen Applaus unterbrochen, und so kam alles wieder ins vorige Geleise. Aber der eifersüchtige und nun auch gedemütigte, racheschnaubende Kommissär-Imperial hatte seine mittelbare Aufsicht unter diesen bedenklichen Umständen nicht nur verdoppelt, sondern vervierfacht. Er gesellte nämlich seinem Kammertier noch drei andere dienstbare Geister zu, die unter dessen Befehlen standen, hinter und zwischen den Kulissen um die gefeierte Prima-Ballerina herumschlichen und auf alle ihre Blicke, Mienen und Bewegungen spähten. Dennoch wußte ich durch eine von mir bestochene Figurantin mich mit ihr in Rapport zu setzen; längst waren wir einverstanden und hofften mit Sehnsucht endlich auf einen günstigen Augenblick, uns ohne Zeugen sprechen zu können. Der Zufall zeigte mir endlich den Weg, auf dem meine heißen Wünsche – denn je größer die Schwierigkeiten, desto größer die Lüsternheit und die Begierde, sie durchzusetzen – in Erfüllung gehen sollten. Eines Morgens sagte mir Delungo im Vorübergehen, er sei wegen eines Sujets für ein Ballett verlegen, das er zum Beschluß des Karnevals in Szene setzen wolle. Diese Worte des Impressarios fuhren mir wie ein Wetterstrahl durch den Kopf, entzündeten mein Gehirn, daß es augenblicklich Licht in demselben ward, und ich erwiderte: „Wenn Ihnen weiter nichts mangelt, dann seien Sie unbesorgt, ich habe ein vortreffliches Sujet, das Sie in wenigen Tagen ausgearbeitet erhalten sollen. Sie wissen, daß ich schon mehrere Ballette mit Erfolg auf die Bühne gebracht, und es wird dies auch in Korfu der Fall sein.“ – Delungo nahm das Anerbieten mit Dank an, und Peppina ließ ich noch denselben Tag durch die dienstfertige Chortänzerin wissen, daß ich das Mittel zu einer Zusammenkunft gefunden zu haben glaube. Zu Hause angekommen, überlegte ich, welches Sujet wohl am besten zu meiner Absicht passe. Die Donaunymphe war für das Theater in Korfu zu kostspielig, ebenso das Sternenmädchen, ich dachte an das Opferfest, die Zauberflöte, den Abällino, die Kreuzfahrer und andere Stücke aus der romantischen Theaterwelt, keines wollte mir genügen. Ein eigenes Sujet zu erfinden war teils die Zeit zu kurz, teils hatte ich auch meine Gedanken nicht genug beisammen. Endlich verfiel ich auf Hagemanns Schauspiel ‚Ludwig der Springer‘ und erkannte es, wenngleich sich dasselbe nicht sonderlich zu einem Ballett zu eignen schien, dennoch für das beste, mein Vorhaben auszuführen. Um es dem Geschmack des Publikums anzupassen, ließ ich es an glänzenden und effektvollen Festen, Gruppierungen und Aufzügen nicht fehlen. Ich ließ die Handlung mit einem prächtigen Turnier und Ballfest beginnen, wobei Adelheide von Stade dem Grafen von Thüringen ein heimliches Rendezvous in einer abgelegenen Laube des Burggartens gibt. Die Sache wird dem Pfalzgrafen Friedrich verraten, er überrascht beide in der Laube, läßt sie, wie in Hagemanns Schauspiel, durch seine Leute gefangen nehmen, mit Ketten belasten, Ludwig nach Giebichenstein ins Gefängnis und Adelheide in sein Burgverließ bringen. Ersterer entspringt wie bekannt aus dem Felsennest in die Saale, und über die Pfalzgräfin wird ein Gottesgericht gehalten, wobei sie ihre Unschuld durch das Festhalten eines glühenden Eisens beweisen soll und – beweist! – Diese Szene war es, durch die ich endlich glücklich zu werden hoffte. Adelheid mußte als arme Sünderin auf einer unterirdischen Treppe und durch eine Falltür in das Zimmer gelangen, in dem das schreckliche Gericht gehalten wurde. Ich hatte die Handlung so eingerichtet, daß die Pfalzgräfin Zeit hatte, sich ein halbes Stündchen, ehe sie vor ihren Richtern erschien, in ihr unterirdisches Gemach oder vielmehr in die finsteren Gänge unter der Bühne zu begeben, währenddem der Herr Landgraf sein Testament diktierte, seinen Luftsprung machte, durch die Saale ans Ufer schwamm und nach gehöriger Verwandlung das Gericht zusammen kam, wo dann endlich auf des Pfalzgrafen Befehl der Kerkermeister die Falltür aufschloß und die reizende Verbrecherin, mit silbernen Ketten geschlossen, heraufschleppte. Nachdem das Unschuldig einstimmig von den Richtern ausgesprochen, steigt Adelheide auf Befehl ihres Gatten wieder in den Kerker, die Nachricht von Ludwigs Befreiung trifft durch einen Herold ein, der zugleich auch die Herausforderung an den Pfalzgrafen ergehen läßt, ein Zweikampf findet statt, Ludwig tötet seinen Gegner, befreit seine Geliebte, und Evolutionen der Knappen, Gruppierungen und Tänze beschlossen das Ganze. Mein Plan erhielt zwar Peppinens Beifall, doch schien ihr unsere Zusammenkunft, die während des Laufs der Handlung in dem unterirdischen Labyrinth der Bühne vor der Szene des Gottesgerichts stattfinden sollte, etwas gewagt, ich beruhigte sie aber deshalb, indem ich sie wissen ließ, daß ich die Theatergewölbe gehörig untersuchen und mich eine gute halbe Stunde früher durch eine geheime Tür an den bewußten Ort begeben würde, zu der ich mir den Schlüssel verschafft. Sie dürfe jedoch nur ganz allein herunterkommen und dann die Tür hinter sich sogleich verriegeln; um allen Verdacht zu beseitigen, würde ich mich während der Vorstellung nur selten auf der Bühne, desto mehr aber im Parterre sehen lassen, so daß niemand meine Abwesenheit bemerken werde. Das Manuskript war in drei Tagen fertig, die Proben sollten beginnen, als eines Morgens Delungo ganz bestürzt mit den Worten: „Da haben wir die Bescherung, die Zensur läßt ihr Ballett nicht passieren,“ in das Zimmer trat. Auch ich fragte ganz erschrocken: „Warum?“ – „Es sei gegen die gute Sitte, daß eine Ehegattin und ihr Geliebter über den Gatten so den Sieg davontrügen.“ – „Ist es weiter nichts,“ versetzte ich, „dem können wir schon abhelfen.“ Ich setzte mich nieder, strich das hinter Adelaide stehende Wort Sposa aus, ersetzte es durch Nipote und machte sie so wieder zur Markgräfin von Stade, den Pfalzgrafen aber zu ihrem Oheim, Vormund und Tyrannen. Nun erhielt das Ballett die Approbation der Zensurbehörde, und die Proben begannen.

Alles ging in gehöriger Ruhe und Ordnung vor sich, jede Probe wurde mit einem fröhlichen Bankett geschlossen, der heißersehnte Tag, an dem wir glücklich werden sollten, denn während der Proben durfte Peppina nicht durch die unterirdischen Gemächer, sondern nur aus den Kulissen kommen, rückte heran. Nur in der Generalprobe, die den Abend zuvor mit allen Dekorationen, Kostümen und so weiter stattfand, kam sie von unten herauf; da ich mich aber auf der Bühne befand und fast niemand im Parterre war, so durfte ich es dennoch nicht wagen, mich schon diesen Abend an den bestimmten Ort zu begeben, da meine Abwesenheit sogleich bemerkt worden und dann alles verscherzt gewesen wäre. Es waren ja auch nur noch vierundzwanzig Stunden bis zur Aufführung, und diese mußte man sich noch gedulden, so groß auch die Ungeduld sein mochte.

Endlich kam der ersehnte Abend. Schon um sieben Uhr war das Haus zum Ersticken voll, und mehrere hundert Personen mußten abgewiesen werden. Der erste Akt einer neuen Opera seria, ‚Arminio‘, eröffnete die Vorstellung. Nach neun Uhr begann das Ballett, um halb zehn schlich ich mich an den bestimmten Ort, und um zehn Uhr lag die schöne Markgräfin in meinen Armen! Alles war nach Wunsch gegangen, die Spione Lesseps’ befanden sich fast alle unter den Zuschauern, und keinem fiel es ein, daß während der Vorstellung des Balletts wohl eine Zusammenkunft stattfinden könne. Noch versicherten wir uns ewige Liebe, hatten Theater, Ballett und die Welt vergessen, als drei starke Hammerschläge ertönten, das Zeichen zur Eröffnung des Gottesgerichts, und wir so aus unserem Taumel erwachten. Bald darauf wurde die Falltür geöffnet, ich geleitete die Geliebte bis an die Stufen der Treppe, entfernte mich schnell durch die geheime Tür und sah durch eine Gitterloge die eben meinen Armen entschlüpfte Adelheid recht heldenmütig die Feuerprobe der Unschuld bestehen und wie sie, nachdem man das wirklich glühende Eisen gelöscht, das hölzerne rot angestrichene mit beiden Händen ergriff und unversehrt festhielt. Ich freute mich innig über das vollkommene Gelingen meines Planes. Kein anderes Stück hätte mir gleiche Dienste geleistet; bei einer gewöhnlichen Versenkung wären Leute nötig gewesen, so aber hatte nur der Kerkermeister die Falltür auf der Bühne zu öffnen, und unten befand sich niemand außer uns beiden.

Das Ballett war beendigt und hatte außerordentlichen Beifall gefunden. Nachdem der Vorhang gefallen, wurde der Autor mit großem Hallo verlangt, der sich aber in der Gitterloge verbarg, bis endlich einige Kameraden zu mir kamen und mich aufforderten, dem Publikum zu willfahren, um dem immer ärger werdenden Spektakel ein Ende zu machen. Ich mußte endlich nachgeben und wurde mit einem Donner von Applaus empfangen, Kränze flogen mir um den Kopf. Doppelt glücklich zog ich mich nach einer dreifachen Verbeugung zurück und hatte nun das Vergnügen, daß auch meine reizende Geliebte gerufen und mit einem Hagel von Blumen, Bändern, Sträußen, Gedichten und so weiter empfangen wurde. Nach beendigter Vorstellung schlich ich mich solo nach Haus, aber kein Schlaf kam diese Nacht in meine Augen. – Das Ballett wurde den nächsten Abend und noch einige dreißig darauf mit gleichem Glück gegeben, nur nahm Peppina zur größeren Fürsorge eine Figurantin, unsere Vertraute, mit in die unterirdischen Gänge hinab, um jeden Verdacht zu vermeiden. Zwei unangenehme Episoden, die aber außer einem kleinen Schrecken wenig zu bedeuten hatten, störten auf Augenblicke unser Glück. Einmal warf der Fronknecht das mit glühenden Kohlen gefüllte Becken um, welches dazu diente, das Eisen glühend zu machen, und einige feurige Kohlen fielen durch die Kulissenrinnen in die Unterwelt hinab und beinahe auf unsere Häupter, was Peppina für eine sehr schlimme Vorbedeutung hielt, die leider auch, wie wir bald sehen werden, auf eine schreckliche Weise in Erfüllung ging. Ein andermal war die hölzerne Treppe, auf welcher Adelheide in die Oberwelt steigen sollte, so knapp an das Podium angelehnt, daß, als sich kaum Peppinens Köpfchen den Zuschauern zeigte, die Treppe abglitt und samt ihrer holden Bürde hinabstürzte. Doch – ‚der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht.‘ So ging es leider auch hier. Ein Kapitän vom zweiten italienischen Linienregiment namens Vilgano war wie noch mancher andere in diese anmutige Priesterin Terpsichorens sterblich verliebt, ohne sich jedoch der mindesten Begünstigung, ja nur eines Blickes erfreuen zu können. Dieser hatte schon seit einiger Zeit bemerkt, daß ich vor der Feuerprobe jedesmal unsichtbar wurde, war mir endlich nachgeschlichen und hatte entdeckt, daß ich durch eine kleine, unter die Bühne führende Tür verschwand. Aber auch ich hatte wahrgenommen, daß man mir gefolgt war, und Vilgano erkannt, doch achtete ich nicht darauf und hielt die Sache für einen bloßen Zufall; den folgenden Abend aber, als ich unter die Bühne kam, schien es mir, als hörte ich zuweilen in einiger Entfernung leise atmen, doch glaubte ich mich zu täuschen. Bald darauf kam Peppina mit ihrer Begleiterin, und ich empfing sie wie gewöhnlich mit einem Kuß, aber kaum war dies geschehen, als auf einmal ein heller Lichtstrahl durch die uns umgebende Finsternis – nur ein mattes Lämpchen brannte jeden Abend in einer Ecke des Ganges – drang und uns beleuchtete. Ich sah mich nach der Ursache dieser unerwarteten Erscheinung um und erblickte zwei Männer, von denen der eine eine Blendlaterne in der Hand hielt. Mit bloßem Degen stürzte ich auf ihn zu und schlug ihm die Laterne aus der Hand, worauf alles wieder in das vorige Dunkel gehüllt war; die beiden Männer erhoben aber ein großes Geschrei, Peppina verlor den Kopf, und mit dem Ausruf: „Assassini, birbanti!“ eilte sie mit dem anderen Mädchen der Türe zu, die sie aufriegelte, und dann die Korridors entlang, wo die Ankleidezimmer waren. Als ich in die Loge trat, verwandelte sich die Szene in das Gerichtszimmer, und nachdem die Ritter, Richter und Fronen mit ihren Vorbereitungen fertig waren, öffnete der Kerkermeister die Falltür, um Adelheide zu zitieren, die aber – nicht erschien. Das Publikum begann unruhig zu werden, bis, nachdem man die Verschwundene allenthalben gesucht, Delungo vortrat und das lärmende Auditorium durch die Notlüge beruhigte, der Prima-Ballerina sei eine plötzliche Unpäßlichkeit zugestoßen. Hierauf fiel der Vorhang, und der zweite Akt der Oper begann. Jetzt eilte ich auf die Bühne, wo mir Delungo mit ganz verstörter Miene entgegenkam und zurief: „Um Gotteswillen, was haben Sie gemacht? Es ist alles entdeckt, alles verraten; man hat Sie mit Peppinen gesehen, soeben war der Kommissär-Imperial hier und wütete schrecklich; alle meine Beteuerungen und Versicherungen, daß ich unschuldig sei und von nichts wisse, fanden kein Gehör, er drohte mir mit augenblicklichem Fortjagen und verließ das Theater im heftigsten Zorn.“ Ich suchte den Unglücklichen bestens zu trösten und eilte nach der Wohnung Peppinas, fand sie aber verschlossen und sah nirgends Licht, dagegen hörte ich Lärm und erblickte viele wandelnde Lichter im Palazzo des Kommissärs, der bald darauf in Begleitung mehrerer Bedienten aus dem Haus trat und zu einem zurückbleibenden sagte: „Sucht noch einmal alles durch, ich muß sie finden, und wenn sie sich in den Mittelpunkt der Erde versteckt hätte!“ – Also ist ihr Aufenthalt noch nicht entdeckt, dachte ich, etwas beruhigter, denn ich hatte gefürchtet, daß ihr eifersüchtiger Kommissär sie in der ersten Hitze mindestens arg mißhandeln würde. Aber alles Suchen war vergeblich, obgleich ich die ganze Nacht umherirrte, Kundschafter aussandte und nachforschte, ich konnte keine Spur von ihr entdecken. Nur in meinem Quartier wurde mir berichtet, daß nach elf Uhr zwei Damen ängstlich nach mir gefragt, und als sie gehört, daß ich nicht zu Hause sei, sich gleich wieder entfernt hätten. Als es Tag wurde, eilte ich, ohne nur eine Sekunde geruht zu haben, zu Delungo, den aber Lesseps schon wieder hatte kommen lassen, wartete jedoch seine Zurückkunft ab. Nach einer Viertelstunde trat Peppinas Mutter herein und rief aus, als sie mich erblickte: „Ah, Dio sia benedetto, che finalmente vi trovo!“ – „Und wo ist Ihre Tochter?“ – „In der Locanda di Venezia habe ich sie versteckt,“ antwortete sie mir. – Die Mutter wußte um unser Geheimnis. – „Ach, wie unglücklich haben Sie uns gemacht!“ fuhr sie fort. „Nun ist alles aus, wir sind unglückliche Leute, wie wird es uns noch ergehen!“ – „Dafür lassen Sie mich sorgen, Signora, ich werde alles wieder gut machen. Sagen Sie mir nur, wo Peppina gestern abend so schnell hinkam.“ – „Meine Tochter kam bewußtlos zu mir in ihr Ankleidekämmerchen, riß mich mit sich fort, und nachdem wir eine Zeitlang zwecklos in den Straßen umhergeirrt, suchten wir Sie in Ihrer Wohnung, aber Sie daselbst nicht findend, führte mich mein trostloses armes Kind in die Locanda di Venezia, denn nach Hause zu gehen, wo wir der ganzen Wut Lesseps’ ausgesetzt waren, hielten wir nicht für ratsam.“ – Jetzt trat Delungo in das Zimmer, dessen Gesicht beim Anblick von Peppinens Mutter plötzlich erfreut strahlte. Seine erste Frage war: „Wo ist Ihre Tochter?“ Und als er von allem unterrichtet war, rief auch er ein: „Oh dio sia benedetto!“ aus und erzählte uns, daß sich alles viel besser gestalte, als er je zu hoffen gewagt. Lesseps sei zwar über das Durchgehen seiner Geliebten noch sehr aufgebracht, aber zugleich untröstlich und habe schon geäußert, er wolle gerne verzeihen, wenn er nur wisse, was aus ihr geworden sei. Bald waren wir einig über das, was geschehen müsse. Die Mutter sollte ihre Tochter noch an diesem Morgen in ihre Wohnung zurückbringen, nachdem der Wirt der Locanda dem Kommissär-Imperial angezeigt hätte, daß sich beide seit gestern abend bei ihm befänden. Peppina sollte ihrem Argus erzählen, daß zwei Männer sie unter der Bühne überfallen hätten, glücklicherweise sei ich durch den Lärm herbeigelockt, dazu gekommen und habe sie mit dem Degen in der Hand befreit, sie aber sei, aus Furcht, ermordet zu werden, mit ihrer Mutter davongelaufen, und da sie sich nicht nach Hause getraut, indem sie geglaubt, man passe ihr dort auf, so habe sie sich in das Gasthaus geflüchtet, woselbst sie die Nacht zugebracht. Dies war ein ben trovato, das manches Wahrscheinliche für sich hatte, und Lesseps begnügte sich damit. Er war überglücklich, seine teure Geliebte wiedergefunden zu haben, der Friede wurde geschlossen, und alles kam wieder in den gewohnten Gang.

Bald nach den erwähnten Vorfällen war Peppinas Serata, zu der man ein neues kleines Ballett einstudiert, das am Schluß desselben und dann nicht wieder gegeben wurde. Der Erfolg war so glänzend als möglich, die Einnahme weit über tausend Zechinen, das silberne Becken war voll Goldstücke und andere Geschenke von kostbaren Bijouterien. Bei ihrem Erscheinen auf der Bühne wurde sie mit Blumen und Gedichten überschüttet. Auch ich hatte ein kleines italienisches Gedicht auf sie verfertigt und mehrere hundert Abdrücke davon auf Atlas machen lassen, die ich, mit Velinpapier kuvertiert, durch die Ventilatoren in das Parterre und die Logen werfen ließ.

Den Morgen nach dieser Vorstellung erhielt Lesseps einen Besuch vom Gouverneur, der ihm ein von Paris vom Ministerium erhaltenes Schreiben mitteilte, das sehr ungünstige Äußerungen, ja sogar Drohungen gegen Lesseps wegen der üblen Geschäftsführung seines hohen Postens enthielt. Einige dienstfertige Freunde hatten nämlich nach Paris berichtet, daß vermittelst eines kleinen Geschenkes von zwanzig bis dreißig Napoleon, welches man der schönen Tänzerin durch deren Mutter übergeben lasse, man nicht nur sehr vieles bei der Zivilverwaltung von Korfu durchsetze, sondern auch schon gesprochene Urteile der Gerichte wieder umstoßen könne. – An dieser Sache war allerdings etwas Wahres, obgleich die Berichte sehr übertrieben gewesen sein mögen. Peppina selbst war unschuldig, ihre Mutter aber die Urheberin solcher Intrigen. Der Gouverneur wurde in jenen Briefen gefragt, was an der Sache sei, und im Falle es sich so verhalte, müsse der Kommissär augenblicklich abberufen werden. Die beiden Herren standen aber auf einem sehr freundschaftlichen Fuß miteinander und hielten Rat, was zu machen sei. Donzelot war der Meinung, das beste Mittel, die Beschuldigung zu entkräften, sei, die Tänzerin unverzüglich nach Italien zurückzuschicken, wodurch jeder Grund zu einer weiteren Klage gehoben würde. Hiervon wollte aber der verliebte Kommissär nichts hören, bis ihm der Gouverneur kategorisch erklärte: „Eh bien, ça sera vous qu’on renverra,“ und er endlich nach großem Kampf in Peppinens Abreise willigte. – Dem armen Mädchen kam die Eröffnung dieses Beschlusses, den ihr der Kommissär mit aller möglichen Schonung mitteilte, wie ein Donnerschlag; aber es war nun einmal nicht zu ändern, man mußte sich allerseits in den Willen des eisernen Schicksals fügen. Der Tag der Abreise war mit dem ersten günstigen Wind festgesetzt, sie schiffte sich mit ihren Verwandten und ungefähr fünfzigtausend Franken in Gold und Juwelen, die sie während der kurzen Zeit ihres Aufenthaltes zu Korfu erworben hatte, auf einem für sie eigens eingerichteten kleinen Schiff ein. Nur noch einmal sprach ich sie, und zwar, als sie schon eingeschifft war, bevor sie abfuhr. Ich hatte zu dem Ende die Bekanntschaft des Schiffskapitäns gemacht, diesen durch einige Artigkeiten gewonnen, und brachte so noch ein paar selige Stunden mit ihr an Bord in ihrer Kabine zu, verließ sie endlich mit den Worten: „Ci rivedremo in Italia!“ und sprang in das kleine Boot, das mich wieder ans Land brachte. – „Ci rivedremo in Italia!“ hatte auch sie wiederholt, und so schieden wir mit einem langen Abschiedskuß.

Nach Peppinas Abreise war Lesseps untröstlich, er schloß sich in sein Zimmer ein, wollte niemand Gehör geben und überließ sich einer schwarzen Melancholie. Dieser Zustand wurde mit jedem Tag ärger, so daß man anfing, für seinen Verstand zu fürchten. – „Ich muß sie wieder haben, oder ich sterbe,“ rief er ein Mal über das andere aus. Unterdessen war von Otranto Nachricht gekommen, daß das Schiff mit seinen Passagieren daselbst glücklich angekommen sei und eine neunzehntägige Quarantäne halten müsse. Der Gouverneur bot alles auf, seinen Freund zu trösten, als er aber sah, daß alle seine Bemühungen fruchtlos waren, sagte er endlich: „Wohlan, lassen Sie das Mädchen zurückkommen; Delungo mag sie abermals engagieren, aber machen Sie das Verhältnis nicht zu auffallend, und lassen Sie es nicht den mindesten Einfluß auf Ihre Dienstgeschäfte haben, meiden Sie alles Zusammentreffen mit der Mutter.“ – „Sie sind mein Retter, mein Engel!“ rief der entzückte Lesseps aus, seinem Freund um den Hals fallend. – „Alles, was Sie wollen, gehe ich unbedingt ein, wenn ich nur das Mädchen wieder habe.“ – Noch denselben Abend wurde eine Kanonierschaluppe abgefertigt, Peppina zur Rückfahrt zu beordern. Auch diese gelangte glücklich an ihre Bestimmung, und die Rückkehr sollte mit dem ersten Maestro stattfinden. Peppina schiffte sich mit den Ihrigen und ihren Schätzen ein, und als die zur Abfahrt günstigen Umstände, mondlose Nacht und starker Nordwind, eingetreten und sich das Gestirn des Tages in die Fluten des Mittelländischen Meeres gesenkt hatte, ging dieselbe mit vollen Segeln vor sich. Der Wind war sehr stark und die Nacht so finster, daß man keinen Schritt weit sehen konnte. Um ein Uhr nach Mitternacht ertönte auf einmal der Ruf: „Wir sind verloren!“ und die Schaluppe befand sich unter den Batterien eines englischen Linienschiffes, von dem man schon die hohlen Töne der Sprachrohre vernahm, mit denen sie die Schiffe anrufen. Der Steuermann wollte durch eine schnelle Wendung der Gefahr des Gefangenwerdens entgehen, aber der so heftig wehende Wind, der mit aller Kraft in die Segel blies, schlug die Kanonierschaluppe um, und die ganze Mannschaft samt allen Passagieren, unter denen auch ein Familienvater von sieben Kindern und seine Gattin waren, ertranken. Den anderen Tag erhielt der Gouverneur die Nachricht dieses Unfalls durch einen englischen Parlamentär. Lesseps, der sich als die alleinige Ursache dieses traurigen Unfalls betrachtete, wollte verzweifeln, sperrte sich abermals acht Tage lang in sein Zimmer ein und – ließ sich am neunten durch eine niedliche Grotesktänzerin trösten. Auch mir ging der schauderhafte Vorfall zu Herzen, lange konnte ich mich nicht mit dem Gedanken vertraut machen, daß die schönen und zarten Glieder der liebenswürdigen Peppina, die ich samt dem Publikum so oft mit dem größten Entzücken auf der Bühne bewundert hatte, die Beute der Hai- und anderer Raubfische geworden seien.

Herr von Brüge wäre mit dem Beginn des Sommers (1813) gerne wieder nach dem durch fortwährende Seewinde fast immer kühl erhaltenen, herrlich gelegenen Pallea Castrizza gezogen, aber die immer bedenklicher werdenden Umstände ließen es nicht zu, und er bezog ein kleines Landhäuschen, das sich in dem kaum eine Stunde von Korfu liegenden Dorf Viro befand, wohin ich nun einigemal in der Woche ritt, um meinen Musikunterricht bei der immer schöner und blühender werdenden Josephine fortzusetzen.

Auch diesen Sommer wurde, trotz der schlimmen aber überzuckerten Nachrichten, die von dem Kontinent und der großen Armee einliefen, aber nie die Vorfälle der Wahrheit gemäß enthielten, der 15. August nochmals mit großem Pomp gefeiert.

Den Abend war wieder ein großer Ball bei dem Gouverneur, und gegen Mitternacht wurde das Feuerwerk abgebrannt, zu dem diesmal eine griechische Dame den Drachen anzündete und losließ, wobei sie sich aber ein Loch in das Kleid brannte. Einige tausend Raketen flogen in die Luft, und alles ging glücklich ab; aber ein paar Stunden darauf, als wir noch recht vergnügt tanzten, ertönte auf einmal der Ruf: „Au feu, al fuoco, au feu!“ Wir sprangen an die Fenster und sahen längs der Esplanade ungeheure Rauchwolken und Feuersäulen gen Himmel lodern, der uns selbst bald ganz glutrot erschien. Es war jetzt, als trennte eine ungeheure hohe, an fünfhundert Schritte lange Feuerwand die alte Festung von der Stadt. Im ersten Augenblick wußte sich niemand zu erklären, was dies für ein Feuer sein könne, alles lief in Bestürzung durcheinander und die Offiziere den Palast hinab. Jetzt fand man, daß es das seit fünf bis sechs Jahren längs der Esplanade am Kanal, der sie von der Festung trennte, aufgetürmte Reserveholz der Garnison sei, wohl über tausend Klafter, welches in Brand geraten war. Durch das lange Lagern in der großen Hitze war es so ausgedörrt, daß es wie Stroh flackerte. Ob vielleicht brennende Raketenstöcke oder Bosheit dasselbe angezündet hatten, war schwer auszumitteln, doch das letzte am wahrscheinlichsten, da die Flammen in dieser großen Ausdehnung fast zu gleicher Zeit, wie auf Schwarzenbergs Ball, emporloderten. Fest und Ball waren nun natürlich schnell beendigt. Wir rannten in seidenen Strümpfen und Eskarpins zu dem Feuer, aber die Hitze war so stark, daß man sich demselben auf eine große Strecke nicht nähern konnte, und an ein Löschen mit Wasser war ohnehin nicht zu denken, da Spritzen und Feuereimer in Korfu, wo es nie brannte, ganz unbekannte Dinge und für Millionen nicht zu haben waren. Es blieb jetzt nichts anderes übrig, als so nahe wie möglich Erde und Sand aufzuwerfen, damit einen Wall gegen das Feuer zu bilden und dessen Glut allmählich zu ersticken. Gefahr für die Stadt und Festung war keine vorhanden, da das Feuer von beiden zu sehr entfernt, von der ersten durch die breite Esplanade, von der andern durch einen Kanal und hohe Wälle getrennt war; der Schaden war aber unermeßlich, weil das Holz hier ein sehr teurer Artikel ist und nach dem Gewicht zum Kochen verkauft wurde. Indessen war es gleich, indem es zehn Monate später doch in die Hände der Engländer, unserer Erzfeinde, gefallen wäre.

Immer trüber wurde jetzt der politische Horizont, das Geld immer seltener, die frischen Lebensmittel desgleichen, man schränkte sich von allen Seiten auf das äußerste ein, selbst das Theater wurde nur wenig besucht, und das Liebhabertheater ging ganz ein. Noch einige Zeit vorher hatte ich die Aufführung eines deutschen Stückes, und zwar die Räuber von Schiller, veranstaltet, wozu mich die anmutige Gattin des bei unserem Regiment stehenden Hauptmanns von Gemmingen veranlaßte, welche die einzige Frauenrolle im Stück, die Amalie, gerne spielen wollte. Das Komische dabei war, daß kein Exemplar dieses Stückes vorhanden, sondern daß ich es, so gut es sich tun ließ, aus dem Kopf niederschrieb, was mir nicht so schwer ward, da ich die Rolle des Karl Moor mit ihren Stichwörtern noch völlig auswendig wußte.

Die Nachrichten, die uns jetzt von dem Krieg in Deutschland zukamen, waren oft so widersprechend, daß man nicht wußte, was man davon denken und glauben sollte; die Wahrheit aber wurde uns absichtlich verhehlt, auch waren sie immer schon sehr alt. Zeitungen kamen gar keine mehr, und nur über Janina und Albanien erfuhr man zuweilen etwas Neues, was die von daher kommenden Griechen, nur sehr geheim und vorsichtig, mitzuteilen wagten. Immer enger wurden wir von den Engländern eingeschlossen, deren Lanzen (lange schmale Boote mit einer Kanone und vierundzwanzig Ruderern, welche zu den Linienschiffen gehören und bei Windstille den Feind angreifen) auch selbst im Kanal von Albanien auf alle Barken Jagd machten. Das frische Brot wurde so selten und teuer, daß mich Moncenigo, Capodistria und Mesulam ersuchten, ihnen doch manchmal einen Laib Offiziersbrot für drei Piaster zukommen zu lassen. Was ich an Brot ersparen konnte, gab ich ihnen umsonst; aber bald bekamen auch wir fast nur noch Zwieback aus den Magazinen, sowie abwechselnd gesalzenen Speck oder Käse. Eines Tages, es war schon gegen das Ende des Jahres 1813, als wir aber noch nichts von der Schlacht bei Leipzig wußten, kam plötzlich die Nachricht nach Korfu, daß Ali Pascha an der Spitze von dreißigtausend Mann vor Parga stehe, dasselbe zur Übergabe auffordernd und mit gänzlicher Vertilgung drohend, wenn diese nicht in kürzester Frist stattfände; die Parganioten aber seien fest entschlossen, sich eher unter den Trümmern der Stadt zu begraben, als sich an diesen Wüterich zu ergeben. Sie ließen den Gouverneur bitten, ihnen zu erlauben, ihre Weiber, Kinder und Greise nach Korfu schicken zu dürfen, um sich dann desto besser verteidigen zu können. Dies wurde ihnen nicht nur gestattet, sondern der Gouverneur ließ in der ganzen Stadt Wohnungen in Privathäusern für die Flüchtlinge in Bereitschaft setzen, die er selbst in Begleitung des Chef de l’état major besichtigte und möglichst bequem einzurichten befahl. Ein paar Tage darauf kamen über zweitausend dieser Unglücklichen auf vielen kleinen Schiffen im Hafen von Korfu an und wurden sogleich untergebracht. Unter ihnen waren auch die Frauen vieler Türken, die so wenig wie ihre Männer in Alis Hände fallen wollten; aber während die Parganioten ihr Teuerstes in Korfu wußten, und einsehend, daß sich Parga in die Länge nicht gegen die Übermacht des Pascha würde halten können, unterhandelten sie heimlich mit den Engländern, die ihnen Anträge gemacht und versichert hatten, daß es ohnehin mit der französischen Herrschaft in Korfu wie allenthalben zu Ende ginge und sie dieses nicht länger zu schützen imstande seien. Sie waren bald über die Bedingungen mit diesen einig geworden, und in einer Nacht ließen sie durch Verrat und Gewalt die Engländer in die Stadt und den Hafen, deren Kommandant samt drei- bis vierhundert Mann französischer Garnison, die aber fast nur aus Italienern bestand, nun englische Kriegsgefangene wurden. Als Ali den anderen Morgen die englische Flagge auf den Wällen der Festung wehen sah, zog er, seinen Ingrimm verbeißend oder an den Seinigen auslassend, wutentbrannt und unverrichteter Sache ab, denn mit den Engländern wagte er nicht anzubinden, während er die Franzosen nach dem russischen Feldzug und besonders nach der Schlacht bei Leipzig zu fürchten aufgehört hatte. Es kamen nun englische Parlamentäre nach Korfu, um wegen der Zurückgabe der sich hier befindenden Individuen aus Parga zu unterhandeln, die ihnen vermittelst einer bedeutenden Zahl Ochsen, Ziegen, Schafe und anderer Lebensmittel bewilligt wurde. So erhielten wir wieder auf eine Zeitlang frisches Fleisch. – Man hatte auch den Versuch gemacht, das in französischen Diensten stehende Regiment Albaneser nach Italien einzuschiffen, um es dann als Plänkler bei der französischen Armee zu verwenden; diese aber erklärten, sie hätten sich nur für den Dienst auf der Insel verpflichtet, und als man Anstalten machte, sie zum Einschiffen zu zwingen, nahmen sie eine so drohende Stellung an, daß man eiligst alle Wachen verdoppeln mußte, ihre offenbare Empörung fürchtend, und für gut fand, sie in Korfu zu lassen; man hätte sie zwar leicht überwältigen und am Ende mit Kartätschen niederschießen können, was man eben nicht tun mochte. Der Winter ging sehr still und trübselig herum, und erst geraume Zeit nach dem Neujahr 1814 erfuhren wir das Nähere über die Leipziger Schlacht; auch der Karneval ging still genug vorüber, obgleich ein neuer Impressario namens Concetta keine üble Schauspielergesellschaft aus Italien mitgebracht hatte, bei der sich eine allerliebste prima amorosa befand, mit der ich mir die jetzt so traurige Zeit bestmöglichst zu verkürzen suchte. Um diese Zeit kam uns auch die unglaublich scheinende Nachricht von Murats Abfall zu, und die zu Korfu befindlichen neapolitanischen Truppen wurden nun entwaffnet und kriegsgefangen erklärt. Jetzt erfuhren wir fast gar nichts mehr vom festen Land, da auch Otranto feindlich geworden war.

Eines Morgens, es war am Pfingstfest, wurden wir zu San Theodor plötzlich durch ein anhaltendes Knallen gleich dem, wenn Bomben platzen, geweckt und erblickten zugleich auf dem Fort Neuf einen starken Pulverdampf. Das Knallen wollte gar kein Ende nehmen, ich eilte nach Castrades, wo mir die Einwohner Korfus in Scharen entgegen kamen, namentlich die Juden mit ihren Weibern und Kindern. Alle waren verstört, mit todesbleichen Gesichtern, zitternd und händeringend, und sagten aus, man erwarte mit jedem Augenblick, daß die ganze Fortezza nuova und mit ihr die ganze Stadt in die Luft springe, denn das Pulvermagazin sei angegangen. Dies konnte natürlich nicht sein, weil sonst das Fort samt dem in seiner Nähe liegenden Judenquartier längst in die Luft gesprengt wäre, aber ich konnte mir nicht wohl erklären, was es eigentlich sei. Das Knallen und der Rauch ließen endlich nach, und ich erfuhr, noch ehe ich die Stadt erreicht hatte, durch einen Artillerieoffizier, daß ein Kanonier, der im Laboratorium, das dicht am Pulvermagazin war, nebst anderen gearbeitet, bei dem Füllen von Bomben so unvorsichtig gewesen sei, mit einem Stein an eine derselben zu klopfen, wodurch die eben gefüllte Bombe Feuer gefangen und zerplatzt sei und sich dadurch nach und nach über fünfhundert daliegende und bereits gefüllte Bomben entzündet hätten, ohne weiteren Schaden zu verursachen, als einige Arbeiter, die sich geflüchtet, zu verletzen. Glücklicherweise war das Laboratorium durch eine sehr dicke Mauer von dem Pulvermagazin geschieden, denn wäre dieses gesprungen, so wäre sicher die halbe Stadt mit in die Luft gegangen, da es bis oben mit Pulverfässern gefüllt war. Die geängstigten Einwohner und Juden kehrten erst gegen Abend, als alles längst vorüber war, in ihre Quartiere zurück.

Allmählich fing man in Korfu an, obgleich man alle Augenblicke große Siegesnachrichten, die Vertilgung der Alliierten und so weiter verkündend, verbreitete, sich mit allerlei sonderbaren Gerüchten ganz geheim herumzutragen; man munkelte sogar von einer Einnahme von Paris und dergleichen, aber niemand von der Garnison wollte solchen Nachrichten Glauben schenken, als eines Mittags ein Schiff mit zwei weißen Flaggen – die eine als das Zeichen eines Parlamentärs, die andere konnte man sich nicht erklären – einlief und mehrere englische und französische hohe Offiziere landeten und sich zum Gouverneur begaben. Noch denselben Tag klärte ein Tagesbefehl zum ebenso großen Erstaunen als zur Bestürzung der Garnison die Sache auf. Er verkündigte nicht nur Napoleons Abdankung, die Einnahme von Paris durch die Alliierten, sondern auch zu gleicher Zeit die Wiedereinsetzung der Bourbonen auf den französischen Thron und befahl für den folgenden Tag die Annahme der weißen Kokarde und die Abnahme der dreifarbigen, ferner die nahe bevorstehende Übergabe Korfus an die Engländer und so weiter. Wir waren fast alle wie aus den Wolken gefallen, denn so etwas hätte sich niemand auch nur im Traum einfallen lassen; noch zwei Tage vorher hatte man einen großen Sieg Napoleons über die Heere der verbündeten Mächte, die alle in völliger Auflösung begriffen seien, bekannt gemacht, und nun eine solche Gewißheit! Man fragte sich, ob es auch wahr, ob es möglich sei, ob man nicht träume? – Die Sache kam mir um so ungelegener, als ich erst vor ein paar Wochen von dem Gouverneur zum Bataillonschef bei dem Kriegsminister vorgeschlagen worden war; die erwartete Ernennung ging nun in die Brüche sowie alle Träume von künftigen Generalepauletten, Marschallsstab und so weiter.

Zwei Tage nach der Ankunft dieses Parlamentärs legte sich die englische Flotte, aus einigen dreißig Segeln bestehend, unter denen mehrere Linienschiffe, Fregatten, Korvetten, Briggs und so weiter, in der Reede von Korfu vor Anker. Einige Tage später kam auch die französische Flotte, fünf Linienschiffe stark, unter denen zwei Dreidecker, mehrere Fregatten, Korvetten und so weiter, von Toulon an, endlich erschienen mehrere italienische und neapolitanische Kriegsschiffe, von Genua, Neapel und Venedig kommend, um die diesen Ländern angehörigen Truppen abzuholen. Die französische Flotte hatte links von der englischen und die Italiener rechts von derselben Anker geworfen. Alle diese Schiffe waren in zwei Linien der Stadt gegenüber aufgestellt und gewährten einen sehr imposanten Anblick. Jeden Morgen, nachdem die Reveilleschüsse gefallen waren, spielte die Musik der Linienschiffe der Reihe nach, und den ganzen Tag wimmelten Hafen und Reede von unzähligen kleinen Booten, die von einem Bord zum anderen fuhren.

Weit über zehn Millionen hatten die neuen Festungswerke und die Wiederherstellung der alten die französische Regierung gekostet, und fast eine ebenso große Summe hatte sie zu anderen nützlichen Zwecken für die Stadt und Insel verwendet, von der sie während ihres siebenjährigen Besitzes auch keine Obole zog, nur in den letzten Monaten, als die Not am dringendsten geworden, verordnete der Gouverneur eine gezwungene Anleihe von ein paarmal hunderttausend Piastern. Mit der Übergabe der Stadt und Festungswerke beeilte man sich nicht sehr, sie fand nur allmählich statt. Von der Aufsteckung der weißen Kokarden, welche der königlich französische Kommissär von Toulon in hinlänglicher Quantität mitgebracht hatte, wollten die französischen Truppen zuerst gar nichts wissen und traten sie mit Füßen, auch ging es nicht ohne Reibereien zwischen den französischen und englischen Offizieren ab, wozu das sehr arrogante Benehmen der letzteren meistens Veranlassung gab, und die manchmal blutig endigten. Zwei französische und drei englische Offiziere fanden den Tod im Zweikampfe. Das Betragen dieser Rotröcke war in der Tat oft von der Art, daß es die Franzosen nicht wohl ungerügt lassen konnten. Wir waren, da man uns über fünfzehn Monate Sold schuldete, natürlich sehr geldarm, während Albions Söhne goldgefüllte Taschen hatten und uns dies bei jeder Gelegenheit durch Prahlsucht und lächerliche Verschwendung fühlen lassen wollten, indem sie geringe Gegenstände, wenn Franzosen in der Nähe waren, weit über ihren Wert bezahlten, das Gekaufte dann verschenkten oder auch wegwarfen. Eines Tages trat ein englischer Marineoffizier in das Militärkaffeehaus auf der Esplanade, ließ sich ein Glas Rosolio reichen und gab dem Aufwärter einen Markustaler, um zu bezahlen. Als ihm derselbe den ihm zukommenden Rest, meistens in venetianischen Gazettis und türkischen Paras bestehend, brachte, nahm er das Geld und warf es zu Boden, indem er sagte: „Mit solchem Quark darf ein englischer Offizier seine Taschen nicht beschmutzen.“ Einige Gazettis fielen unglücklicherweise auf die Füße eines französischen Kapitäns von den Chasseurs de l’Orient, der den ägyptischen Feldzug unter Bonaparte mitgemacht hatte. Dieser sprang sogleich auf und gab dem Engländer eine derbe Ohrfeige, der nun rasch seinen Dolch zog, um den Franzosen niederzustechen, welcher aber zurückweichend ebenso schnell seinen Degen gezogen. Die übrigen anwesenden Offiziere sprangen hinzu, verhinderten, daß es zu weiteren Tätlichkeiten kam. Es folgte eine unmittelbare Herausforderung, und das Duell fand noch in der nämlichen Stunde in dem Olivenwäldchen hinter Castrades statt. Der Engländer kam schlecht weg, der Franzose brachte ihm eine gefährliche Wunde in den Unterleib bei. Auch geschah es mehrmals, daß berauschte und sich unanständig aufführende Engländer an öffentlichen Orten zur Tür hinausgeworfen wurden.

Endlich mußte man jedoch, nachdem man lange genug gezögert hatte, in den sauren Apfel beißen, und ein Posten nach dem anderen wurde von den Engländern besetzt. Zuerst die Außenwerke, dann die Stadttore, das neue Fort und zuletzt die alte Festung samt der Zitadelle. Noch eine bittere Unannehmlichkeit entstand für die Franzosen, welche die besten Kanonen und Mörser von Erz bei Nachtzeit heimlich eingeschifft hatten; da dies nun gegen den Vertrag und den Engländern verraten worden war, so mußten die bei Nacht eingeschifften Geschütze bei Tage wieder ausgeschifft werden, wobei sich die französischen Artilleristen absichtlich so ungeschickt benahmen, daß mehrere Stücke in die Tiefe des Meeres fielen. Der Gouverneur Donzelot und der Kommissär-Imperial Lesseps, der sich jetzt Commissaire général nannte, erließen rührende Abschiedsproklamationen an die Einwohner, von denen die des letzteren durch ihren Lakonismus merkwürdig war. Sie bestand aus drei Zeilen und lautete:

Habitants de Corfou! Je vous quitte comblé des marques de votre estime et de votre attachement (Sic!) c’est la plus douce récompense de mes travaux. Soyez heureux. Corfou, 20. Juin 1814. Le Commissaire général, L. – Der englische Generalleutnant James Campbell, der nun Besitz von Korfu im Namen des Prinz-Regenten von England, als Protektors der Jonischen Inseln, nahm, erließ ebenfalls eine Proklamation, in der er den Korfioten gewaltig viel Gutes versprach, das nie erfüllt wurde.

Als nun endlich alles in Ordnung, der letzte Posten abgelöst und der letzte Mann der französischen Garnison eingeschifft war, sank die französische Fahne von der höchsten Spitze der alten Feste, wurde sogleich durch die sich rasch erhebende englische ersetzt und letztere mit allen Kanonen der englischen Flotte salutiert. Endlich lichtete die französische Flotte die Anker und steuerte der albanesischen Küste zu. Nicht ohne Wehmut sahen wir die sich unseren Augen immer mehr entziehende Insel schwinden, auf der wir manche Freuden genossen hatten und die uns manche angenehme Erinnerungen ließ. Auch die Korfioten sahen uns nicht gleichgültig ziehen, sie hatten jedoch gewünscht, unter russische Protektion zu kommen.

V.
Überfahrt von Korfu nach Marseille. – Das Schiffsleben. – Die Meerenge von Messina. – Die Fata Morgana. – Haifische. – Napoleon auf der Insel Elba. – Das Pestlazarett und die Quarantäne zu Marseille. – Stimmung der Einwohner. – Abmarsch nach Avignon. – Meuterei in Aix. – Die Familie Giraud. – Die rasenden Weiber in Avignon attackieren uns. – Ankunft Ludwig Philipps zu Avignon. – Lyon. – Einzug des Grafen Artois (Karl X.). – Fontainebleau. – Paris. – Preußische Vergeltung. – Die zurückgekehrten Emigranten. – Ich lasse mich auf halben Sold setzen. – Abreise über Reims nach Straßburg. – Der Herzog von Berry. – Abreise nach Frankfurt. – Ankunft daselbst.

Die Schiffe der französischen Flotte waren, um mehr Raum zu gewinnen, alle desarmiert, das heißt, man hatte die Geschütze, bis auf wenige Alarmkanonen, in Toulon zurückgelassen. Das Einschiffen war keine Kleinigkeit, denn es befanden sich sehr viele Beamtenfrauen und Kinder unter den Abfahrenden, die manche Habseligkeiten, die sie nicht hatten veräußern können oder notwendig bedurften, mitnahmen. Der Zudrang von nicht verheirateten, unterhaltenen Frauen und Mädchen war außerordentlich; viele derselben wurden unbarmherzig zurückgewiesen und schrien dann, sich die Brust zerschlagend, jämmerlich am Ufer. Das Regiment der Albaneser war zurückgeblieben und in englischen Sold getreten. Ihr rückständiges Gehalt hatte man ihnen in Lebensmitteln aus den Magazinen bezahlt, wir aber hatten für unser Guthaben Anweisungen auf die französische Regierung erhalten, die manche Offiziere noch in Korfu mit einigem Verlust versilberten. Die von den Truppen urbar gemachten Ländereien hatte man um einen Spottpreis an die Einwohner verkauft, die anfingen, sich allmählich an den Erdgeschmack der Kartoffeln, den, wie sie sagten, dieselben hätten, zu gewöhnen. Obgleich auch viele Transportschiffe mit von Toulon gekommen waren, so fehlte es dennoch sehr an Raum; alle Kranken aus dem Lazarett hatten wir ebenfalls eingeschifft, so daß kein lebendiger französischer Soldat zurückblieb. Noch zwei Tage hatten wir in der Reede von Korfu, schon eingeschifft, verweilt, bevor wir abfuhren, während welchen ich einige Besuche auf englischen Linienschiffen machte und die außerordentliche Reinlichkeit und Bequemlichkeit derselben zu bewundern Gelegenheit fand. Man hätte von den Fußböden der Verdecke essen können, so spiegelglatt und sauber waren sie gehalten, während auf den französischen Schmutz und Unreinlichkeit zu Hause war. Ich war zuerst auf dem ‚Romulus‘, einem Zweidecker von vierundsiebzig Kanonen, eingeschifft, den ich aber wieder verlassen mußte, um mich an Bord der ‚Danube‘, ebenfalls mit vierundsiebzig Kanonen, zu begeben, auf der auch Herr von Brüge mit seiner Familie, der Payeur général, der die niedliche seconda Ballerina Chiaretta Gaspari, mit der er mehrere Kinder gezeugt, bei sich hatte, der Kapitän Stahl mit seiner jungen Frau und andere embarkiert waren. Trotzdem die Schiffe desarmiert, waren wir doch furchtbar zusammengedrängt, denn es befanden sich auf einem Zweidecker wenigstens achtzehnhundert Menschen. An Hängematten für die Soldaten war nicht zu denken, sie mußten auf dem platten Boden liegen. Wir waren an hundert Menschen, von denen ein Dritteil Frauen und Kinder, die hier untereinander hausten und zum Teil in Hängematten, zum Teil auf einer Art ganz niedriger Bettstellen, mit grober Leinwand überzogen, schliefen. Die Verheirateten hatten eine solche dreifache Schlafstätte für sich inne, um die sie ein Tuch spannten und so wenigstens nicht gesehen werden konnten. Nun denke man sich die Ausdünstungen so vieler Menschen bei der Nacht, wo alle Sabords oder Stückpforten und Schiffsläden fast hermetisch geschlossen werden; das Geschrei der Kinder und Frauen, deren Bedürfnisse, wozu sich auch schnell die Seekrankheit und mit ihr unaufhörliches Erbrechen gesellte, dies alles von dem immerwährenden Knarren des Balkens des großen Steuerruders begleitet, der sich auch in diesem engen Raum bewegte, und man wird mir eingestehen, daß dies einen Vorschmack von der Hölle geben konnte; auch hielt ich es die erste Nacht kaum eine halbe Stunde in diesem Behälter aus und begab mich auf das Verdeck, wo ich mich in ein Boot legte und diese und alle folgenden Nächte, die wir eingeschifft waren, unter freiem Himmel – es war der Juni- und Julihimmel des Mittelländischen Meeres – zubrachte. Waren die Lagerstätten schlecht, so war der Tisch dagegen vortrefflich, für jeden eingeschifften Offizier bewilligte die Regierung fünfundsechzig Franken Tafelgelder, und wir wurden dafür sehr gut genährt. Es gab fast alle Tage frisches Fleisch, Braten, oft Geflügel, man schlachtete die eingeschifften Ochsen, Hammel und so weiter an Bord, buk jeden Tag Weißbrot, nur das frische Wasser ging uns ab; das noch einmal an der Küste von Albanien eingenommene wurde jeden Tag schlechter, zuletzt gar nicht mehr trinkbar, schwarz, übelriechend und voll Gewürm; man filtrierte es zwar durch Löschpapier, aber dies nahm ihm doch den schlechten Geschmack nicht; dabei hatte man immer großen Durst, da auch viel gesalzene Speisen genossen wurden, der Wein aber, der à discretion gegeben wurde, den Durst nicht löschte. Fünf- bis sechsmal setzte man an, schüttelte sich, besonders die Damen, und mußte doch endlich den bitteren Kelch mit zugedrückten Augen leeren. Wir speisten wohl an hundert Personen an der im Assembleesaal servierten Tafel, die in Form eines Hufeisens aufgestellt wurde; die Sitze und Tische waren auf dem Boden amarriert, das heißt mit Tauen befestigt. Komisch war es anzusehen, wenn, das Schiff auf einer Seite liegend, man bei Tische saß, die einen hoch über den anderen, die tief unten saßen, schwebten, und durch eine Wendung des Schiffes kamen dann die, welche oben saßen, plötzlich zu den Füßen der anderen, die sich erhoben; es war das Bild des gewöhnlichen Weltlaufes: der ist heute oben, der morgen unten liegt; anfänglich machte uns dies viel Spaß. – Den 24. Juni hatten wir die Anker gelichtet, und die ersten Tage gingen bei der sehr langsamen Fahrt noch ziemlich fröhlich vorüber; gegen Abend spielte die Musik auf dem Hinterteil des Verdecks, man tanzte mit den sich an Bord befindenden jungen Damen, der Capitaine du vaisseau war so galant, Erfrischungen in Orgeade, Limonade und so weiter reichen zu lassen, dabei ging es recht munter zu, und ich walzte mit Josephinen, Madame Stahl und anderen. Diese Unterhaltungen nahmen jedoch bald ein Ende, da die meisten Tänzer und Tänzerinnen schnell auf der Nase lagen, obgleich wir meistens große Windstille hatten und nur lavierend sehr langsam vorwärts kamen. Den 26. Juni hatten wir noch einmal vor den Küsten Albaniens Anker geworfen, den 30. erblickten wir die wilden pittoresken Küsten Kalabriens, die mit alten Türmen, welche sie gegen die Überfälle der Barbaresken schützen sollten, in Zwischenräumen von je tausend Schritten versehen sind. Um nur ein wenig vorwärts zu kommen, mußte man die Landwinde benutzen, welche in der heißen Jahreszeit in der Regel hier morgens und abends an den Küsten wehen. Den 2. Juli sahen wir erst den Rauch des dampfenden Ätna und erblickten bald darauf die reizenden Küsten Siziliens, in der Gegend des Kap Grosso; wir segelten nun durch die Meerenge von Messina, dessen Umgebungen sehr schön sind. Amphitheatralisch liegen prächtige Villen, Klöster, Kirchen, Gärten, Ortschaften zwischen Pomeranzen- und Zitronenhainen, Weinbergen und Gebüschen an dem Ufer. Vor Messina machte die ganze Flotte Halt, und wir warfen so nahe bei der Stadt Anker, daß wir deutlich die am Meer spazieren gehenden Menschen, unter denen besonders viele Pfaffen und Mönche waren, erkennen und uns sogar mit ihnen unterhalten konnten. Fast einen ganzen Tag brachten wir vor Messina zu, wo wir Piloten nahmen, die uns sicher durch die Meerenge und zwischen der Charybdis und Scylla durchbringen sollten. Jedes Schiff erhielt seinen eigenen in einer Barke von vier bis sechs Ruderern, in der sich auch noch ein Sanitätsbeamter befand, um zu beobachten, daß niemand in Berührung mit der Schiffsmannschaft käme.

Den folgenden Tag waren wir noch im Angesicht von Sizilien auf der einen und Reggios auf der anderen Seite und hatten das seltsame Schauspiel einer Fata Morgana vor Augen, eine eigene, zauberartige Erscheinung, die sich nicht nur im Wasser, sondern auch wie in der Luft schwebend zeigt und die sonderbarsten, wunderlichsten und mannigfaltigsten Gebilde hervorbringt. Wir erblickten unabsehbar Kolonnaden, Bogenhallen, Alleen, seltsame Bäume und Gesträuche, Herden weiden und so weiter. Dies alles in der Luft schwebend, während unter dem Wasser nicht minder seltsame Gegenstände zu sehen waren. Als sich aber der Landwind mehr und mehr erhob, verloren sich diese Nebelgebilde. Wir segelten jetzt längs den mir bekannten Küsten Kalabriens hinauf, noch lange den rauchenden Ätna im Auge. In der nächsten Nacht erreichten wir die Liparischen Inseln. Stromboli warf fortwährend Feuer aus. Den 7. Juli erblickten wir den Vesuv, Capri, Ischia und Neapel. Den 8. war fast gänzlich Windstille, den 9. waren wir Gaëta und den 10. Terracina gegenüber. – Diese Seereise wurde täglich langweiliger und wegen der großen Hitze unausstehlich. Alles, was nicht zur Marine gehörte, war sehr abgespannt und durch die Seekrankheit ermattet, namentlich die Frauen, und die Qual des Durstes unausstehlich. Ich las oder schrieb fast den ganzen Tag. Bisweilen unterbrachen die Matrosen das ewige Einerlei durch einen Schiffstanz. Der Fang eines Haifisches brachte auch einiges Leben an Bord und die Mannschaft ließ sich das Seeungeheuer, das alle Toten, die man über Bord wirft, verzehrt, trefflich schmecken. Wir hatten schon vier bis fünf Leichen gehabt, weshalb eine ganze Herde dieser Fische jedem Schiff folgte. Fiel jemand lebendig in das Wasser, wie dies auf einem Schiff der Fall war, so war er verloren. Ein solches Ungeheuer schnappte ihn sogleich auf und begrub ihn in seinem Bauch. Eines Tages fiel einem von unseren Soldaten ein großer Schiffsnagel von einem Mastkorb auf den Kopf und tötete ihn auf der Stelle. Auch er fand eine Stunde nachher ausgekleidet sein Grab in den Wellen oder in dem Rachen eines Haies.

Den 12. Juli befanden wir uns auf den Höhen von Civita-Vecchia und Rom, den 13. kamen wir an den Inseln Giglia, Monteargento, Rossa und Gianuta vorüber und begegneten einem französischen Linienschiff, ‚La ville de Marseille‘, das den Herzog von Orleans, Louis Philipp, nach Palermo bringen sollte, der daselbst seine Gemahlin abholte. Durch dieses Schiff erhielten wir auch zuerst die Nachricht von dem zu Paris definitiv abgeschlossenen Frieden. Den 14. kamen wir an den Küsten von Toskana und der Insel Elba vorüber, von welcher bereits der abgedankte Kaiser Besitz genommen hatte. Wir segelten an Porto Ferrajo vorbei, und hätte Napoleon geahnt, welch günstige Stimmung für ihn auf der vorüberfahrenden Flotte herrschte, so hätte er vielleicht damals schon mit derselben nach Frankreich zurückkehren können. Denn als wir nach Porto Ferrajo mit trefflichen Fernrohren hinübersahen, erblickten wir ihn auf den Mauern. Jetzt wurden auf den Schiffen Offiziere, Soldaten und Matrosen, alles unruhig, und plötzlich ertönte der Ruf: „Vive l’Empereur!“ Man konnte nicht verhindern, daß die ganze Mannschaft auf das Verdeck strömte, Hüte und Tücher schwenkte, wie ausgelassen tobte und schrie und verlangte, daß die Musik spielen solle. Der Kapitän und die Kommandanten befanden sich in keiner geringen Verlegenheit und dankten dem Himmel, als wir endlich über die Insel Elba hinaus waren. Hätte Napoleon nur einige Winke gegeben, so würde sich ganz gewiß die ganze Mannschaft empört und zu seinen Gunsten revoltiert haben. Wir segelten nun bald am Kap Bianco der Insel Korsika vorüber und hatten nach und nach die meisten Schiffe der Flotte aus dem Gesicht verloren. Am Golf von Genua vorüber kamen wir den 17. Juli in der Reede von Toulon an, wo wir einen garde de santé an Bord nahmen, da von diesem Augenblick an unsere Quarantäne begann. Ein stürmischer Nordwind, der sich plötzlich erhoben, hatte uns gezwungen, in dieser Reede einzulaufen, die wir den 20. wieder verließen, um den 22. zu Marseille, unserer vorläufigen Bestimmung auszuschiffen und vorerst die Quarantäne in dem Pestlazarett zu beziehen, das für sich eine Stadt mit verschiedenen Quartieren bildet.

Diese Anstalt ist sehr groß und bewunderungswürdig. Man findet in derselben Wohnungen für hohe Herrschaften und Privatleute, Kasernen, Gasthäuser, in denen man alles, freilich sehr teuer, haben kann, Krankenhäuser und so weiter. Das ganze Lazarett ist in sieben Abteilungen oder Quartiere eingeteilt, die sämtlich durch hohe Mauern voneinander getrennt sind, deren Tore bei Nacht wie in Festungen geschlossen werden. Drei dieser Abteilungen sind allein für Waren bestimmt und haben geräumige Hallen zu diesem Zweck. Für wirkliche Pestkranke sind ganz besondere Räume vorhanden. Die Polizei im Lazarett wird mit großer Strenge gehandhabt, um jede Annäherung eines Quarantänärs mit dem aus einer anderen Abteilung zu verhindern; und wer etwas in dem Wirtshaus der Quarantäne kaufen will, wird von einem garde de santé, der mit einem zehn Schuh langen Stab oder Spieß bewaffnet ist, begleitet, so daß, wenn man einem anderen Quarantänär mit seinen Wächtern begegnet, man vermittelst dieser Stäbe immer zwanzig Schuh weit auseinandergehalten wird. Alles Geld, das man bezahlt, wirft man in eine mit Weinessig gefüllte Schüssel, welche vor dem Gitter steht, das das ebenfalls abgeschlossene Wirtshaus, eine kleine Feste, umgibt. Alle diese Einrichtungen bestehen erst seit dem Jahre 1720, wo durch Unvorsichtigkeit und Nachlässigkeit ein Schiff, das aus der Levante kam und auf dem unterwegs schon ein halbes Dutzend Menschen an der Pest gestorben waren, und das man dennoch nur eine Quarantäne von acht Tagen halten ließ, diese schreckliche Geißel nach Marseille und dem ganzen südlichen Frankreich brachte. Die große Stadt war in Zeit von sechs Wochen wie ausgestorben. Über achtzigtausend Menschen hatte die Pest hinweggerafft. Fast alle Häuser standen leer, und in den Straßen begegnete man keiner Seele mehr. Im ganzen Lande aber wurden viele Hunderttausende das Opfer dieser Plage. Ein gräßlich-schönes Gemälde im Hotel de Ville von Marseille stellt furchtbare Schauerszenen aus jener Unglückszeit dar.

Wir hatten je zwei Offiziere ein Zimmer oder vielmehr Kämmerchen, nur die Verheirateten hatten ein besonderes. Mein nächster Nachbar war der Kapitän Stahl, der seine junge Frau mit einer fast wütenden Eifersucht hütete, weshalb es schon auf dem Schiff manche Neckereien und Unannehmlichkeiten abgesetzt hatte, so daß er oft gar nicht zu Tische mit ihr kam. Die Frau aber, die, gleich allen Griechinnen, ein feuriges heftiges Temperament hatte, verdroß dies so sehr, daß sie mehr als einmal zu mir äußerte: „Gerade weil er es so macht, muß er Hörner tragen, die ich ihm bei der ersten Gelegenheit aufsetzen werde.“ Diese fand sich dann auch, trotz allem Bewachen, bald genug, und zwei Tage, nachdem wir die Quarantäne verlassen hatten, wußte die verschmitzte Frau schon ihr löbliches Vorhaben auszuführen, wozu ich ihr denn auch bestens an die Hand ging. Während sie Stahl mit Madame Roy in der Kirche glaubte, wohin er beide Frauen begleitet und sich dann nach dem Hafen in Dienstangelegenheiten begab, brachte sie eine süße Stunde in meinen Armen im Hotel der Ambassadeurs zu, wo ich mich einquartiert hatte.

Alle Griechen und griechischen Frauen, die mit von Korfu gekommen waren, konnten sich nicht genug über die Größe, Pracht und schönen Gebäude von Marseille wundern und riefen einmal über das andere aus: „O che palazzi!“ – Marseille ist aber auch eine der schönsten Städte Frankreichs und ihr Hafen der prächtigste und sicherste im mittelländischen Meer. Seine Kais sind fast durchaus mit prachtvollen Häusern geziert. Linienschiffe können jedoch nicht in denselben einlaufen, weil er nicht tief genug ist. Wir hatten bei der Insel If Anker geworfen, von wo wir in Booten an das Lazarett gefahren wurden. Ihre Kathedrale ist die älteste Kirche Galliens und auf den Ruinen eines Dianentempels erbaut, von dem noch schöne Granitsäulen in der Kirche selbst angebracht sind. Das Arsenal, das große Theater, die Börse, den Gouvernementspalast, den Cours, eine der schönsten Straßen, die ich gesehen, die Straße Beauveau, den Platz Canabière als Paradeplatz der schönen Welt, darf man nicht versäumen, aufzusuchen. Es machte mir großes Vergnügen, den mitgekommenen Damen von Korfu alle Merkwürdigkeiten Marseilles zu zeigen und mich an ihrem Staunen zu ergötzen. Namentlich waren es Madame Conge und Coste, deren beständiger Begleiter ich war. Auch das Leben und Treiben in Frankreich, die Freiheit, welche alle französischen Frauen genießen, die Sitten und Gebräuche, dies alles war eine neue Welt für sie. – Da ich das daselbst etablierte deutsche Haus Ellenberger und Imer kannte, an das ich schon früher, als wir in Toulon lagen, empfohlen war, und durch welches ich mir noch in der Quarantäne allerlei Lebensmittel und Weine hatte schicken lassen, die sie mir in bester Qualität und ganz vorzüglich besorgt hatten, so ließ ich mir von demselben ein paar hundert Franken gegen Anweisung auf Frankfurt geben und hatte so einige Mittel in Händen. Auch wurden uns, ehe wir die Quarantäne verließen, zwei Monate rückständiger Sold ausbezahlt, den die Kaufleute von Marseille vorgeschossen, um den von Korfu ankommenden Truppen Mut zu machen und sie für die Bourbonen günstig zu stimmen. Denn Marseille sowie die ganze Provence und Languedoc waren auf das äußerste gegen Napoleon erbost, da hier aller Handel und die Gewerbe während seiner Herrschaft stockten und fast auf Null herabgesunken waren. Ihre Anhänglichkeit zur zurückgekehrten Dynastie sprach sich enthusiastisch aus. Das Volk zu Marseille hatte sogar kurz vor unserer Ankunft ein Artilleriebataillon unter dem Gewehr auf dem Paradeplatz umstellt und dasselbe gezwungen, seine Adler von den Tschakos herabzunehmen. Einige Offiziere waren mißhandelt worden. Einem Obersten, der noch kaiserliche Abzeichen an sich hatte und diese auf das Geheiß des Pöbels nicht sogleich abnehmen wollte, rissen sie die Epauletten von den Schultern.

Wir blieben nur kurze Zeit in Marseille. Schon in der dritten Woche nach unserer Ankunft daselbst erhielt unser Regiment Order, nach Avignon abzumarschieren. In Aix aber brach eine förmliche Meuterei unter unseren Leuten aus, die erklärten, nicht weiter marschieren zu wollen, bis man ihnen den sämtlichen, noch rückständigen Sold ausgezahlt habe. Die Sache drohte in eine förmliche Empörung auszuarten. Die Soldaten wollten sich an ihre Offiziere und Chefs halten, stießen unzweideutige Drohungen gegen dieselben aus, von ihnen den rückständigen Sold fordernd. Um sie im Zaum zu halten, ließ man die Nationalgarde von Aix unter die Waffen treten und in starken Abteilungen durch alle Straßen patrouillieren. Dies und die Auszahlung von noch einem Monat Sold, den die Stadt Aix vorschoß, beschwichtigte die Murrenden. Den vierten Tag marschierten wir nach Avignon ab, wo sich aber schon ein Befehl des Kriegsministers vorfand, welcher das Regiment nach Avesnes im Departement du Nord beorderte, wo die Leute ihr ganzes Guthaben, und diejenigen, die nicht länger in Frankreich dienen wollten, ihren Abschied und eine Marschroute bis an die Grenze erhalten sollten. Die meisten Leute nahmen dies an und wurden, nachdem sie ihren Abschied erhalten und ihre Waffen abgeliefert hatten, in Transporten von fünfzig bis hundert Mann bis zur deutschen Grenze geführt. Die dabei bleibenden Offiziere wurden auf halben Sold gesetzt. Man zählte damals an dreißigtausend Offiziere, die auf halben Sold gesetzt wurden, worunter alle die, welche aus russischer, preußischer, spanischer, englischer und so weiter Gefangenschaft zurückgekehrt waren. Ich hatte wegen eines Fiebers, das mich überfiel, in Avignon zurückbleiben müssen. Die lange Seereise, auf der ich nie die eigentliche Seekrankheit gehabt, dagegen aber immer eine Unbehaglichkeit und Übelkeit verspürte, und sehr an hartnäckigen Obstruktionen litt, hatte mir wohl diese Krankheit zugezogen. Ich wollte nun meine Genesung, die auch bald erfolgte, in Avignon abwarten und mietete mir eine angenehme Wohnung auf dem großen Platz mitten in der Stadt bei einem ziemlich wohlhabenden Bürger namens Giraud, der sich in Ruhestand gesetzt und ein liebenswürdiges sechzehnjähriges Töchterchen, das einzige Kind, hatte. Von hier aus schrieb ich an meine Eltern und erhielt neue Empfehlungen an das Haus Aymard, das einen Sohn als Volontär in Frankfurt hatte und sich daher meiner annahm. In kurzer Zeit war ich, wie gesagt, wieder von meiner Krankheit genesen, brachte aber noch ein paar Wochen in Avignon zu, wo mich die hübsche Tochter meines Hauswirtes, Marguerite Giraud, fesselte. Die Einwohner von Avignon waren ebenso erbitterte Feinde Napoleons wie die zu Marseille und in den anderen Städten der Provence. Sie nannten den abgesetzten Kaiser nur ‚le vieux Nicola‘, hatten ihn im Bilde verbrannt und einen Napoleon vorstellenden Strohmann lange in dem Straßenkot herumgeschleift. Hier würde ihm sowie in Orgon und anderen Orten übel mitgespielt worden sein, hätte man ihn bei seiner Durchreise erwischt. Auch hatte er sich schnell Hals über Kopf weiter gemacht, als er die entstandene Gärung wahrnahm. Die Weiber der niederen Klassen tanzten noch täglich die Farandole beim Schall einer Baskotrommel, sich an Taschentüchern aneinanderhaltend, wie besessen in allen Straßen und auf öffentlichen Plätzen, sangen dabei Spottlieder auf den ‚père Nicola‘, wie sie ihn nannten, und waren berauscht. Eines Abends ritt ich mit dem Chirurgien-Major Colombe vom sechsten Linienregiment, das mit uns in Korfu gewesen und jetzt in Avignon garnisonierte, zum Rhonetor hinaus spazieren, in dessen Nähe am Kai ein Bataillon dieses Regiments exerzierte. Kaum waren wir vor dem Tor, als ein Troß solcher toller tanzender Weiber uns umringte und im dortigen Patois zurief, wir sollten ‚Vive Louis XVIII., vive les Bourbons‘ schreien. Ich erklärte ernst und kurz, daß ich auf kein Kommando schreie, aber Colombe wollte Bravaden zeigen und schrie aus vollem Halse: „Vive Napoléon!“ Nun fielen ihm die wilden Weiber gleich in die Zügel, rissen ihn vom Pferd herab, während ich mich frei machte und den Degen zog, mein Pferd sich bäumen ließ und mich so in Verteidigungsstand setzte. Sicher würde es Colombe ergangen sein wie dem armen Sänger Orpheus, diese modernen Bacchantinnen würden auch ihn in Stücke gerissen haben, wenn nicht glücklicherweise das ganz in der Nähe exerzierende Bataillon sogleich eine Patrouille abgesandt hätte, den unglücklichen Chirurgien-Major zu befreien. Das Spazierenreiten war ihm nun vergangen, und er begab sich heim, sein Roß demütig am Zügel führend. Schlimmere Folgen hätte beinahe meine Bekanntschaft mit Marguerite Giraud gehabt; ich hatte jetzt auch den Tisch bei den guten Leuten, und eine alte Tante, die so ziemlich das Hausregiment führte, hatte es auf eine Heirat zwischen mir und der sechzehnjährigen Marguerite abgesehen. Eines Morgens nahm ich mir vor, die guten Leute mit einem deutschen oder vielmehr Frankfurter Frühstück zu regalieren, das man in Frankfurt in der Regel nur in der Fastnacht genießt und das aus in Rahm und Milch zerlassener Butter und ganz heißem Weiß- oder Milchbrot besteht, warme Wecken genannt, und so heiß als möglich genossen wird; allein es gehört ein sehr guter Magen dazu, um es ohne Beschwerden verdauen zu können. Dem alten Herrn Giraud mundeten diese warmen Wecken außerordentlich, er aß deren beinahe ein halbes Dutzend hintereinander, aber gleich darauf wurde es ihm so übel, daß er glaubte, er müsse den Geist aufgeben. Dem Geistlichen des Hauses, der auch von der Partie gewesen und tüchtig mitgegessen hatte, wurde ebenfalls übel, dann kam die Reihe an die alte Tante, und selbst Marguerite befand sich nicht ganz wohl darnach. Die Tante fing nun auf einmal an, wie besessen zu schreien: „Ach, wir sind vergiftet, wir sind alle vergiftet!“ Ich vermochte sie nicht zu beruhigen, obgleich ich ihr vorstellte, daß ich am meisten von dieser Speise genossen hätte; sie schickte nach einem Arzt, der auch schnell ankam und die noch übrige Butter, Milch und Brote untersuchte, während sich die Patienten bald auf dem Wege der Besserung befanden. Als ich ihm die Sache auseinandersetzte, meinte er lächelnd: „Ja, zu deutscher Kost gehört auch ein deutscher Magen.“ – Einige Gläser Likör brachten die verdorbenen Mägen wieder so ziemlich in Ordnung, doch hatten Herr Giraud und die Tante ein paar Tage zu tun, bis sie völlig wieder hergestellt waren, aber niemand spürte mehr Lust, sich noch ferner à l’allemande von mir regalieren zu lassen, und man gestand, daß man nicht ganz von dem Verdacht einer absichtlichen Vergiftung frei gewesen sei. Als ich bei Aymards die Geschichte erzählte, wollte man sich halbtot lachen, doch hatte niemand Lust, die Speise zu versuchen, wie ich es auch ihnen vorgeschlagen hatte. Aber ein ganz anderes Donnerwetter zog sich über meinem Haupt zusammen, als ich eines Tages bei Tische zufällig erwähnte, daß ich ein Protestant und zwar ein Lutheraner sei. Man lachte anfänglich dazu und meinte, ich scherze, denn auch diese Leute stellten sich unter einem Lutheraner noch eine Art Ungeheuer vor, bis ich ihnen ganz ernstlich versicherte, daß ich die Wahrheit gesagt und sie auch durch Erkundigungen herausgebracht hatten, daß ich wahr gesprochen. – Marguerite, mit der ich auf einem sehr vertrauten Fuß gestanden hatte, doch so, daß kein Unglück daraus entstehen konnte, wie ich es mit allen Mädchen hielt, kam eines Morgens auf mein Zimmer und bat mich, in Tränen gebadet, fußfällig, ich möge doch katholisch werden, weil ich sonst dem Teufel mit Haut und Haar verfallen sei und sie mit, da sie das Unglück gehabt, einen Lutheraner zu lieben. Ich konnte das arme Kind nicht zu einer vernünftigen Ansicht bringen, und trostlos verließ sie das Zimmer; sie hatte mir gestanden, daß ihr der Beichtvater gesagt, daß ihr ihre Bekanntschaft mit mir die ewige Verdammnis zuziehen könne, wenn sie mich nicht bekehre. Das ganze Haus war in größten Alarm geraten, und die Frauen weinten unaufhörlich. Ich ging zu den Leuten und suchte sie zu beruhigen, aber ich glaube, der Teufel selbst hätte ihnen jetzt keine größere Furcht einflößen können als mein Anblick; alle bekreuzigten sich und gaben mir zu verstehen, indem sie die Gesichter abwendeten, ich möge doch das Zimmer verlassen. Es kam mir vor, als sei ich unter Wahnsinnige geraten, und da ich sah, daß nicht daran zu denken war, auch nur ein vernünftiges Wort mit diesen Menschen zu reden, nahm ich mir vor, auf die wenigen Tage noch ein anderes Logis zu mieten und sah mich sogleich darnach um; als ich aber nach Hause kam, trat mir ein Dienstmädchen mit einem offenen Papier entgegen, das sie mir übergab und auf welchem geschrieben stand, daß die Familie, aus guten Christen bestehend, auch keine Stunde länger mit einem in alle Ewigkeit verdammten Ketzer unter einem Dach zubringen könne und sich daher so lange auf das Land begeben habe, bis ich ausgezogen sei; die Miete möge ich nur an das Dienstmädchen entrichten, welches Befehl habe, den Betrag dem Beichtvater einzuhändigen, der ihn zum Frommen der Kirche verwenden werde, um die Sünde, mich so lange im Hause geduldet zu haben, einigermaßen wieder zu sühnen. – Ich bezog nun auf die wenigen Tage, die ich noch in Avignon verweilte, ein Zimmer in einem Gasthof und habe nie wieder jemand von Girauds gesehen. Hier mußte ich gleich den ersten Tag, als ich an der Table d’hôte speiste, einen heftigen Streit zwischen einem Offizier und einem Bürger von Tarascon mit anhören. Letzterer schimpfte so wütend über Napoleon, nannte ihn ein Mal über das andere einen hergelaufenen Vagabunden, einen Spitzbuben, Schurken, infamen Betrüger, dem sein eigener Oheim, als er noch Leutnant und krank gewesen, täglich eine Armensuppe geschickt, und der später einen Wagen von einem seiner Bekannten entliehen, den er sowie gar manche andere Dinge zurückzugeben vergessen habe, wie er beweisen könne, und so weiter, so daß es allerdings kaum zum Anhören war. Aber der Offizier, der seinen ehemaligen Souverän verteidigen wollte, wurde überschrien und stand endlich vom Tisch auf, das Zimmer unwillig verlassend. Ich war in Zivilkleidern, hatte mich in die ganze Sache nicht gemischt und mußte noch eine geraume Zeit das Schimpfen und die schlechten Streiche, die sie dem Exkaiser vorwarfen, den sie einen Menschenschinder und ein nichtswürdiges Subjekt nannten, mit anhören. Am anderen Tage ließ ich mir auf dem Zimmer servieren, um solchen Dingen nicht mehr ausgesetzt zu sein. Damals war es im ganzen südlichen Frankreich höchst gefährlich, sich günstig über Napoleon zu äußern; was den Provençalen aber mit einen so großen Haß eingeflößt, war besonders die Konskription; allerdings wurden ihre Kinder sowie die aller Franzosen zu Hunderttausenden zur Schlachtbank geführt, um der Herrschsucht eines einzigen Menschen, der noch obendrein ein Korse war, zu frönen.

Kurz vor meiner Abreise war noch der Herzog von Orleans, Ludwig Philipp, von Sizilien zurückkommend, mit seiner Gattin in Avignon, wohin beide eine Jacht gebracht, an das Ufer gestiegen, wo ich der erste Offizier war, der ihn bei seiner Ankunft begrüßte. Er wurde sehr freundlich von den Einwohnern empfangen, und ich hatte die Ehre, ihn bis an das Hotel zu begleiten. Damals fiel es wohl niemand ein, daß er dereinst Herrscher von Frankreich werden würde. Er hielt sich in Avignon nicht lange auf, sondern fuhr nach ein paar Stunden schon weiter.

Auch ich machte jetzt Anstalt zu meiner baldigen Abreise, und da ich keine Lust hatte, zu dem ohnehin bis fast auf die Offiziere und einige Unteroffiziere zusammengeschmolzenen Regiment zu gehen, so ließ ich mir eine Marschroute nach Paris geben, um daselbst bei dem Kriegsminister zu versuchen, eine für mich passende Anstellung zu erhalten. Ich reiste mit noch einigen Offizieren, – auch einem Spanier namens Andeja, der seine Mätresse von Korfu mitgebracht, – nachdem ich meine Pferde in Avignon verkauft hatte, in einer Patache (eine Art Landkutsche) nach Lyon ab, wo ich ungefähr acht bis zehn Tage verweilte und wo gerade der Graf Artois (später Karl X.) einzog, weshalb große Feierlichkeiten in der Stadt veranstaltet wurden, denen ich beiwohnte. Viele Knaben, à la Henri IV. kostümiert, und weißgekleidete Mädchen mit Blumenkränzen und Girlanden, Nationalgarden zu Pferd und eine große Menge Volk ging Monsieur entgegen und begleitete ihn bei seinem Einzug in die Stadt mit Vivatgeschrei, das jedoch nicht sehr allgemein war. Es wurden Anreden gehalten, in denen vom Glück, die Bourbons endlich wieder auf dem französischen Thron zu sehen, gesprochen wurde. Der Graf Artois war sehr gnädig und herablassend und teilte eine Unzahl silberner Lilien mit einem weißen Bändchen, besonders an das Militär aus, von denen mir auch eine zuteil ward; später wurden sie für die Offiziere in Lilienkreuze umgewandelt. Monsieur sah indessen aus wie eine Vogelscheuche mit einem Perückenstock und machte auf das Militär, das ihn mit ziemlicher Geringschätzung behandelte, keinen guten Eindruck; selbst die bourbonisch gesinnten Bürger wußten nicht viel zu seinem Lob zu sagen. Die Stadt gab ihm zu Ehren einen großen Ball, auf dem Artois, wie ein abgelebter Schneider aussehend, von seinem Fauteuil dem Tanz mit zusah; auch ein großes Feuerwerk wurde abgebrannt, doch hatte die ganze Festlichkeit etwas Düsteres und war ohne Leben.

Einige Tage nach dem Ball reiste ich mit noch ein paar Offizieren, von denen der eine, ein Bataillonschef, zu der Garnison von Korfu gehört hatte, mit Extrapost nach Paris ab. Wir fuhren, ohne uns irgendwo aufzuhalten, Tag und Nacht bis Fontainebleau, wo wir einen halben Tag verweilten, um das dortige Schloß und die Gärten zu besehen. Ersteres ist ein weitläufiges, irreguläres Gebäude, dessen Architektur die Arbeit verschiedener Jahrhunderte nachweist. Es liegt in einem Tal und formiert fünf Corps de Logis, die durch Höfe und Galerien getrennt sind. Es war uns doppelt merkwürdig, weil hier erst vor wenigen Monaten Napoleons Abdankung stattgefunden hatte.

Wir sahen die Gemächer, die Marie Louise bewohnt hatte, sowie die, welche Pius VII. während seines gezwungenen Aufenthalts zum Kerker gedient, endlich das Gemach, in dem Napoleon seine Abdankung unterzeichnet hatte. Nach einem ziemlich splendiden Diner setzten wir unsere Reise fort und kamen gegen Morgen in Paris an, wo wir in einem Hôtel garni abstiegen und uns ermüdet niederlegten. Gegen Mittag erwachte ich, eilte zum Frühstück in das Palais Royal, ins Café des mille colonnes, wo ich sehr heftige politische Debatten über Napoleon, die Alliierten, die zurückgekehrten Bourbons, Ludwig XVIII. und so weiter anhörte, und man stritt, als wollte man sich eben bei den Köpfen nehmen; dann war von den Russen, den Kosaken, den Preußen, Engländern und Österreichern die Rede, man lobte den Kaiser Alexander als einen gar großmütigen Monarchen und äußerte: es gibt nur einen braven Russen, und der ist der Kaiser, alle anderen taugen nichts; auf Wellington und die Engländer schimpfte man und war gewaltig erbost; sie hatten allerdings etwas wild in der Umgegend von Paris gehaust. Nicht minder aufgebracht war man auf den braven Blücher und seine Preußen, die indessen nicht den hundertsten Teil dessen getan, was sich die Franzosen in Preußen hatten zuschulden kommen lassen; sie übten nur ein geringes Vergeltungsrecht und dies oft sehr großmütig, wie folgende Anekdote beweist. Ein Oberst der preußischen Garden war bei einer vornehmen reichen Dame im Faubourg Sankt Honoré einquartiert. Nachdem er sein Billett abgegeben, fand er die ihm eingeräumten, obgleich sehr schön und gut möblierten Zimmer viel zu schlecht, befahl, daß man ihm bessere Gemächer einräumen solle, und zwar in einem höchst arroganten und barschen Tone. Man gehorchte und gab ihm die besten im Hause, aber auch die waren ihm nicht gut genug, er warf sich mit Stiefeln und Sporen auf die kostbaren Sofas, und als man ihm das Frühstück und Mittagessen brachte, fand er alles abscheulich, kaum für Schweine gut genug, und warf mehrere Schüsseln den auftragenden Dienern vor die Füße. Seine Bedienten machten es nicht viel besser und hausten im Hotel, daß es zum Erbarmen war. Die arme Dame wußte sich gar nicht zu raten und zu helfen, faßte sich endlich ein Herz und begab sich selbst zu dem Obersten, um diesen zu bitten, er möge ihr doch nur sagen, was er wünsche und verlange, es solle ja alles geschehen, was in ihren Kräften stehe, um ihn soviel als möglich zufrieden zu stellen. Der Oberst hörte die Dame ganz ruhig an, bat sie auf das höflichste, doch Platz nehmen zu wollen, und sagte dann im besten Französisch auf das artigste: „Madame, ich habe Ihnen nur eine kleine Probe davon geben wollen, wie es Ihr Herr Sohn während drei Wochen, die er bei meinen Eltern in Berlin einquartiert war, gemacht hat, doch seien Sie ruhig, von jetzt an werden Sie sich nicht im mindesten mehr über mich oder meine Leute zu beklagen haben, und ich bitte, mir die zuerst zugedachten Zimmer wieder einräumen zu lassen, sie genügen mir vollkommen.“ – Von den Österreichern war wenig oder keine Sprache, sie hatten sich im ganzen sehr passiv verhalten. Es waren noch manche deutsche, russische und englische Offiziere in Paris zurück, die aber alle in Zivilkleidung einhergingen; dennoch fielen noch öfters Duelle vor. Die Russen zogen, wenigstens im Zweikampf mit der Klinge, meistens den kürzeren und wurden niedergestochen, während die Preußen manchen französischen Offizier ins Gras beißen ließen; die Engländer schossen sich fast nur auf Pistolen. Es verging fast kein Tag ohne solche Händel. Ich fand diesmal den Aufenthalt zu Paris himmelweit verschieden von dem im Jahre 1810, auch hatte sich in diesen vier Jahren sehr viel verändert. Das Ziel zu erreichen, um dessentwillen ich eigentlich hierher gereist, war unmöglich, man wußte noch gar nicht recht, wer eigentlich Koch oder Kellner war. Der Kriegsminister war nicht zu sprechen und sein Ministerium und dessen Vorzimmer den ganzen Tag von dem Troß der mit den Bourbonen zurückgekehrten Adeligen belagert, die alle ihre Anhänglichkeit an den König und dessen Familie und ihre wurmstichigen gegerbten Eselsfelle statt anderer Verdienste in Anschlag brachten und Anstellungen und Ehrenstellen verlangten. Wahr ist es, daß diese Herren nichts vergessen und nichts gelernt, es schien, als hätten sie von 1789 bis 1814 geschlafen, sie waren mit denselben Vorurteilen und Anmaßungen nach dem Frankreich von 1814 zurückgekehrt und reihten dieses Jahr ohne weiteres an die achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts an; auch waren sie die lächerliche Zielscheibe des beißenden Spottes und Witzes und trugen die meiste Schuld an der fatalen Stimmung des Volkes gegen die zurückgekehrten Bourbonen und Ludwig XVIII. – Von meinen früheren Bekannten suchte ich nur wenige auf und fand auch diese sehr verändert. Die einzige interessante neue Bekanntschaft, die ich machte, war Angelika Catalani, deren Donnerstimme damals in ihrer höchsten Kraft und Fülle war und mit der ich öfter Duette sang; ich sollte sie später in Deutschland wieder treffen, wo ich Gelegenheit fand, ihr manchen Dienst zu erweisen. – Auch der schönen Madame Recamier, die so lange Paris hatte meiden müssen, weil es den kleinlichen Launen des korsischen Weltgebieters so gefiel, begegnete ich in einigen Salons und bewunderte zwar ihre allerdings außerordentliche Schönheit, aber ohne daß sie einen besonderen Eindruck auf mich gemacht hätte, ob sie gleich durch ihre Einfachheit und Liebenswürdigkeit jedermann bezauberte; wahr ist es, daß ich in gar keine nähere Berührung mit ihr kam und kaum einige Worte gewechselt habe.

Da ich nach einem kurzen Aufenthalt von wenigen Wochen wohl einsah, daß unter den dermaligen Umständen, wo auch fast niemand an den Bestand des Bestehenden glauben wollte, nichts für mich in Paris zu machen war und ich keine Lust hatte, wieder zu dem régiment étranger, dessen Reste noch in Avesnes lagen, zurückzukehren, ließ ich mich auf halben Sold setzen und wählte vorerst Straßburg zu meinem provisorischen Aufenthalt, um von da nach beinahe neun Jahren meine Eltern wieder einmal besuchen und sehen zu können. Ich ging über Meaux, Chateau-Thierry und Epernay nach Reims, wo ich einen Tag verweilte, um die alte Krönungsstadt und ihre berühmte Kathedrale, eines der schönsten gotischen Denkmäler, zu sehen. Von hier reiste ich über Chalons sur Marne, Barleduc, Toul und Nancy nach Straßburg, wo ich ein Quartierbillett auf drei Tage bei einem Kaufmann Hecht im Kupferhof erhielt und sehr gut aufgenommen wurde, auch gestattete man mir, noch länger in diesem Quartier zu verbleiben, so daß ich bis zu meiner Abreise nach Frankfurt in demselben wohnte. Madame Hecht war eine hübsche junge Frau, auch musikalisch, und ihr zuliebe verschob ich meine Abreise um einige Wochen. In ihrer Gesellschaft besuchte ich Straßburgs Sehenswürdigkeiten, an ihrer Hand bestieg ich den Riesenturm des Münsters und besah mit ihr das schöne Monument des Marschalls von Sachsen in der protestantischen Sankt Thomaskirche. Auch die Ruprechtsau und andere Promenaden sowie das Theater, wo damals deutsche und französische Komödie gespielt wurde, besuchten wir miteinander. In Straßburg traf ich einige alte Bekannte. Talma gab gerade Gastrollen samt seinem Schüler David, der jedoch dem Meister keine große Ehre machte; sodann traf ich einen alten Schulkameraden, der zu gleicher Zeit mit mir in Breitensteins Pension zu Homburg gewesen und sich dem Kaufmannsstand gewidmet hatte. Durch diesen lernte ich den nicht verdienstlosen Schauspieler Vogel und dessen Gattin, eine hübsche und gute Sängerin, kennen, mit denen ich manchen vergnügten Abend zubrachte. Während meiner Anwesenheit fand sich auch der Herzog von Berry, auf seiner Rundreise durch Frankreich, daselbst ein, wußte sich aber wenig beliebt zu machen, und man fand seine affektierten martialischen Manieren etwas lächerlich und karikaturartig, zudem waren die Straßburger sowie das ganze Elsaß wütende Napoleonisten und haßten die Bourbonen, also gerade das Gegenteil von den Bewohnern des südlichen Frankreichs. Zu seinem Unglück war der Herzog von Berry noch obendrein die unschuldige Ursache des Todes des sehr beliebten Präfekten von Straßburg. Dieser war ihm nämlich eine große Strecke entgegengefahren, wurde mit seinem Wagen umgeworfen, wobei das Gefäß seines Degens ihm tief in die linke Seite eindrang und ihn so schwer verletzte, daß er schon vierundzwanzig Stunden darauf seinen Geist aufgab. Diesen unglücklichen Zufall schob man dem unbeliebten Herzog in die Schuhe, den man um so mehr verwünschte. Nichtsdestoweniger fanden die vorbereiteten Empfangsfeierlichkeiten statt, aber kaum daß man hier und da bei seinem Einzug zu Pferde ein halblautes schüchternes ‚Vive le roi!‘ hörte; doch war der Ball, der ihm zu Ehren gegeben wurde, sowie das Feuerwerk recht brillant. Was mich aber von all den Feierlichkeiten am meisten ansprach, war die imposante Illumination des Münsters, bis in die höchste Spitze seines Riesenturmes, der sich in den Sternen zu verlieren schien, ein majestätisches Nachtgemälde.

Endlich fand ich doch, daß es Zeit sei, das Vaterhaus einmal wieder zu sehen und erbat mir von dem Kommandanten, General Baron Deburaux, Urlaub zu einer Reise nach Frankfurt, der mir auch ohne Umstände bewilligt wurde. Ich nahm Abschied von der Familie Hecht und Vogel, versprach ersterer, spätestens binnen drei Monaten wieder zurückzukommen und fuhr den 12. Oktober 1814 über die Rheinbrücke nach Kehl und von da über Rastatt nach Karlsruhe und von da mit der Diligence nach Frankfurt. In dem Wagen befand sich ein allerliebstes junges Mädchen, die Tochter eines badischen Beamten aus Rastatt, das zu seinen Verwandten zum Besuch nach Frankfurt reiste und neben mir saß. Nachdem die Dämmerung eingetreten war, wurden wir bald so vertraut, daß wir die ganze Nacht Arm in Arm miteinander zubrachten. In Heidelberg kamen wir gegen Mitternacht an und ließen uns, während man umspannte und auspackte, ein Zimmer und etwas zu essen geben, worauf wir im Taumel des Vergnügens beinahe das Abfahren des Postwagens verpaßt hätten, wenn uns nicht der Hausknecht mit rauher Stimme und Klopfen daran erinnert hätte. Wir setzten nun die Reise in der Art, wie wir sie begonnen, weiter fort und trieben das süße Spiel, während die anderen Passagiere, unter denen noch zwei Damen, schliefen, con amore fort. Längs der Bergstraße sahen wir auf allen Höhen große Feuer emporlodern, und als ich fragte, was dies zu bedeuten habe, ward mir die Antwort, es sei zum Andenken an den 18. Oktober von den Alliierten bei Leipzig errungenen großen Sieg über Napoleon (18. Oktober 1813). Als es zu grauen begann, schliefen wir etwas ermüdet ein und wachten erst bei dem Anhalten in Darmstadt wieder auf. Nachdem wir endlich Neu-Isenburg passiert hatten, durch den Frankfurter Wald kamen und ich die Sachsenhäuser Warte und nun jeden Augenblick neue, mir wohlbekannte Gegenstände und Orte erblickte, welche in meiner frühen Kindheit oft das Ziel unserer Spaziergänge und der Tummelplatz unserer Spiele und Freuden gewesen, da wurde es mir doch ganz wunderlich ums Herz, das allmählich stärker zu pochen begann. Ich sah nun Frankfurt mit dem mir so wohlbekannten Taunusgebirge im Hintergrunde, das sich von der Sachsenhäuser Warte ganz besonders malerisch ausnimmt, sich vor mir ausbreiten, staunte den ehrwürdigen alten bemoosten Pfarrturm an, der mich etwas mürrisch zu bewillkommnen schien, fuhr durch das Affentor, über die Mainbrücke, am goldenen Gickel vorbei, in den Rahmhof, sprang aus dem Wagen, alles im Stich lassend, meiner hübschen Reisegefährtin kaum ein ‚Lebewohl, auf Wiedersehen‘ zurufend, rannte nach dem väterlichen Haus und lag in den Armen meiner mich erwartenden Eltern und Geschwister, nach neun langen Jahren, in denen ich so viel erlebt und mitgemacht und sich so manches verändert hatte. Staunend ward ich von meinen Lieben und sogar dem Gesinde, gleich einem halben Wundertier, umringt.

VI.
Feier des 18. Oktobers zu Frankfurt am Main. – Verfassungswehen dieser Stadt. – Franzosenhaß daselbst. – Diversi. – Ein Fest auf dem Sandhof. – Napoleons Rückkehr von der Insel Elba. – Ich entschließe mich in preußische Dienste zu treten. – Abreise nach Berlin.

Es war der erste Jahrestag der Schlacht von Leipzig, als ich in den Nachmittagsstunden in meiner Vaterstadt eintraf, wo es fast schien, als wäre die ganze Stadt von der Tarantel gestochen; auf den Straßen, Plätzen und aus vielen Häusern wurde fortwährend geschossen, sogar Frauen und Mädchen drückten Pistolen ab, man schimpfte und verwünschte auf gut frankfurterisch die Franzosen, und die guten Frankfurter waren sämtlich gewaltige Franzosenfresser geworden, sobald jene weg waren. Auf dem Römerberg und dem Roßmarkt waren Altäre errichtet, an welchen die liebe Schuljugend, von ihren Monarchen angeführt, Dank- und Lobgesänge für die glückliche Befreiung von der Regierung des Fürsten Primas plärrte. Den Abend war die Stadt erleuchtet, und allenthalben waren Transparente angebracht, die zum Teil wunderliche Dinge darstellten und sehr komische Sprüche enthielten. – So hatte unter anderen ein reicher Bäcker namens Binding einen ungeheuren Kuchen auf seinem Transparent dargestellt, den die Franzosen auf der einen Seite attackierten, während er und seine Gesellen dieselben mit Schaufeln auffingen und in den Backofen schoben. Unter diesem Transparent las man die Worte:

Ich bin ein lustiger Bäcker;

Für die französischen Lecker

Aber back ich keine Kuchen mehr,

Sie müssen all’ in meinen Backofen her.

Und doch hatte der Mann sein Geld hauptsächlich durch die Franzosen gewonnen. Auch die Bürgermiliz paradierte diesen Tag unterm Gewehr neu uniformiert, aber mit dem Marschieren wollte es noch nicht recht gehen, und von der Reiterei, einigen dreißig Mann, die meistens auf erbärmlichen Lehnkleppern ritten – mit dem Reiten sah es noch schlimmer als mit dem Marschieren aus –, fiel mehr als einer sogar von seiner Rosinante herab oder stürzte mit derselben. Dieses Militär hatte ein wahrhaft grimmig gutmütiges Ansehen, indessen las man in Frankfurter Blättern oder Korrespondenzartikeln doch viel von dem martialischen Aussehen und der militärischen Haltung und dito Geist dieser Miliz. Die Frankfurter hatten aber auch ein Bataillon Freiwillige errichtet, um den Feldzug von 1814 in Frankreich mitzumachen; sie bekamen zwar den Feind nicht zu sehen, dies war jedoch nicht ihre Schuld. Ein starker und anhaltender Regen, der sich am Abend des 18. Oktober zeitig einstellte, machte der Illumination ein schnelles Ende; Lichter und Transparente erloschen, nachdem sie kaum angezündet waren.

Als in der verwandtschaftlichen Sippschaft meine Ankunft bekannt wurde, warteten die meisten Vettern und Muhmen nicht ab, bis ich ihnen meine gehorsamste Aufwartung machte, sondern sie fanden sich beizeiten selbst ein, um das zurückgekommene Wundertier, das als noch unbärtiges Kind ausgezogen und nun als bärtiger, sonnverbrannter Mann nach so manchen überstandenen Gefahren wiedergekehrt war, in Augenschein zu nehmen, zu bewillkommnen und anzustaunen. Nicht Teilnahme, sondern Neugierde war die Triebfeder dieser überartigen Zuvorkommenheit, und des lästigen Fragens und Geschwätzes war kein Ende, sowie ich mit Einladungen zu Mittag- und Abendessen wahrhaft überschüttet wurde. Viele der älteren Bekannten waren in die ewige Heimat gegangen, unter ihnen auch meine Großeltern väterlicherseits, der alte Oberst Schulter, Goethes Oheim, und meine Tante Feierlein, die ehemalige Scholz, samt ihrem zweiten Mann, dem Doktor Feierlein. Dieser hatte sich seinen Tod bei einer Audienz, die er als guter Redner an der Spitze einer Deputation von Frankfurter Bürgern bei Kaiser Franz II. hatte, um denselben für die Wiederherstellung der freireichsstädtischen Freiheit Frankfurts zu gewinnen, geholt. Die Herren mußten nämlich in einem eiskalten Vorzimmer des Thurn- und Taxisschen Palais, in welchem der Kaiser wohnte, in dünnem Frack, kurzen Beinkleidern, seidenen Strümpfen und Schuhen ein paar Stunden antichambrieren, bevor man die Gnade hatte, sie vorzulassen, wodurch sich mein Oheim Feierlein eine so starke Erkältung zuzog, daß er kurze Zeit darauf starb und so das Opfer seines Patriotismus und Rednertalents wurde.

Die Einwohner Frankfurts hatten sich trotz der mehr als siebenjährigen Regierung des Fürsten Primas wenig oder nicht verändert, desto mehr aber die Stadt selbst, deren Festungswerke, Wälle, Bastionen und Mauern während der Zeit demoliert, die Gräben ausgefüllt und in sehr anmutige und geschmackvolle Promenaden verwandelt worden waren.

Vierzehn Tage nach meiner Ankunft war ich endlich gottlob von allen Basen und Neugierigen der Reihe nach abgefüttert. Das Unangenehmste bei diesen, der Familienverhältnisse wegen nicht gut abzuschlagenden Einladungen war, daß ich die ewigen Schimpfereien auf die Franzosen und den menschenfreundlichen Fürsten Primas wiederkäuen hören mußte; auch war man einfältig genug, fast alles, was unter dessen Regierung Löbliches und Nützliches geschehen und verordnet worden, wieder abzuschaffen und statt dessen die alten Albernheiten, Spießbürgerlichkeiten und Erbärmlichkeiten wieder aus der reichsstädtischen Rumpelkammer hervorzuholen, um sie soviel als möglich dem neuen freistädtischen Kram anzupassen. Die ganze Stadt lag in den Verfassungswehen, unter deren Geburtsschmerzen sie sich krümmte und gebärdete, daß es zum Erbarmen war; es dauerte jahrelang, bis dieses Monstrum, diese Mißgeburt einer republikanischen Konstitution, endlich durch eine Art Kaiserschnitt zu Tage gefördert wurde. Gleich beim Beginn der großherzoglichen Regierung waren alle Privilegien einzelner Personen und Familien daselbst aufgehoben worden, sowie daß die sogenannten Patrizier oder adeligen Familien kein ausschließliches Recht zu Ämtern noch zu Diensten und Würden mehr haben sollten, wogegen man mehrere unter ihnen mit dem Kammerherrnschlüssel, Hoffähigkeit und ähnlichen Dingen tröstete. Diese wollten aber nun, da sie Schlüssel und Fähigkeiten eingebüßt, wieder in ihre alten Rechte oder vielmehr Vorrechte eingesetzt sein und auf eine gewisse Zahl Stellen im Rat oder Senat Anspruch machen, wozu sie jedoch eher ihre größere wissenschaftliche Bildung, Kenntnisse und Fähigkeiten, als ein angemaßtes Vorrecht berechtigt hätte; namentlich war es das Haus Limpurg, das sich gewaltig und oft burlesk genug um dieses Vorrecht stritt, und es regnete Broschüren in diesen Angelegenheiten, die es hinsichtlich des Stils, der Anmaßung, der Unbeholfenheit, Plumpheit und lächerlichen Impertinenz noch mit den Behörden, Urteilen und Verfügungen der Frankfurter Gerichte aufnehmen konnten, bei denen man eine stupide Grobheit durchaus für unzertrennlich von der amtlichen Würde hält.

Man suchte damals auch in Frankfurt seinen Patriotismus und Franzosenhaß durch altdeutsche Tracht der Welt kund zu tun, dies hielt aber nicht lange an, auch wurde diese Tracht nie allgemein, da sie zu kostspielig und also nur für Reiche war, die damit in Gesellschaften und auf Bällen prangten, namentlich die Damen mit altdeutschen Häubchen, Ketten und dergleichen. Der Franzosenhaß ging so weit, daß man jetzt jedes französische Wort oder das man dafür hielt – denn auch lateinische und italienische Ausdrücke wurden oft dafür genommen –, aus der Unterhaltung verbannt wissen wollte und dennoch deren in aller Unschuld unzählige einmischte, sie für echt deutsch haltend. Mit französischen reisenden Kaufmannsdienern wollte man sich nicht in geschäftliche Unterredungen mehr einlassen, wenn sie nicht deutsch sprechen konnten, doch besann man sich eines Besseren, sobald man sich merkantilische Vorteile davon versprach. Einen armen französischen Tanzmeister namens Lepitre, der schon lange Jahre den Beinen und Füßen der Frankfurter Schönen Gelenkigkeit beigebracht hatte, wollte man schlechterdings aus der Stadt geschafft wissen; glücklicherweise nahmen ihn einige angesehene Familien, worunter die Bethmannsche und ihr großer Anhang, die nicht von der allgemeinen Raserei befallen waren und bei denen er Tanzunterricht gab, in Schutz, aber viele Franzosen und Französinnen, unter denen auch Gouvernanten und Bonnen, die man hatte kommen lassen, wurden fortgeschickt. Glücklicherweise verflog der Frankfurter patriotische Rausch bald wieder, die Wehen der zu schaffenden Verfassung beschäftigten allmählich die Gemüter immer mehr, und als bald darauf Napoleon von der Insel Elba landete, ging es wie 1792 nach der Ermordung der französischen Soldaten, niemand wollte mehr so berauscht gewesen sein. Ich hatte mich indessen wenig an diesen Unsinn gekehrt, doch wurde ich im Innern erbittert, als ich nach und nach die Unbilden erfuhr, welche sich die Franzosen in Deutschland und namentlich in Preußen, aller Rechtlichkeit und Menschenwürde Hohn sprechend, erlaubt hatten; auch hatte Napoleon schon durch seine Abdankung in Fontainebleau unendlich in meinen Augen verloren. Er hätte sich gleich Friedrich dem Großen bis auf den letzten Mann seiner Haut wehren müssen, denn er hatte noch weit mehr Hilfsmittel als jener zu seinen Diensten, aber freilich nicht dessen Genie. Was mich am meisten empörte, war die feige Ermordung des Buchhändlers Palm und das niederträchtige Erschießen der Offiziere von dem Korps des braven Schill, sowie daß er dessen Soldaten, die doch nur wie jeder Soldat ihrem Vorgesetzten gehorchen mußten, unter das Raub- und Mordgesindel auf die Galeeren von Toulon schickte.

In der Regel ging ich in Frankfurt in Zivilkleidern aus und steckte mich nur dann und wann bei besonderen Gelegenheiten in meine französische Uniform, was selbst die Meinigen sehr ungern sahen, weil sie fürchteten, es könne mir böse Händel zuziehen. Da ich aber die königlich französische weiße Kokarde trug, also in Diensten des von den Verbündeten selbst eingesetzten Königs stand, so glaubte ich keinen Unannehmlichkeiten ausgesetzt zu sein, auch widerfuhr mir, obgleich ich öfters preußischen Offizieren und Soldaten begegnete, wie zu erwarten war, nicht das mindeste. Eines Tages aber, als ich in Uniform an dem Haus vorüberging, in welchem ein österreichischer Major namens Schröer als Etappenkommandant sein Bureau hatte, kam mir ein österreichischer Korporal nachgesprungen und sagte mir, der Herr Major verlange mich zu sprechen. Ich hieß ihn einen Augenblick warten, zog meine Schreibtafel heraus und schrieb mit Bleifeder die Adresse meiner Wohnung auf ein Stückchen Papier, das ich dem Korporal zustellte und ihm sagte, er möge dies nur seinem Herrn Major bringen und ihm sagen, daß ich in der Regel jeden Morgen bis zehn Uhr zu Haus zu treffen sei. Da der Korporal, das Blättchen in der Hand haltend, noch immer zauderte, so wiederholte ich ihm nochmals, daß er dies nur seinem Major zuzustellen habe und nun gehen könne. Somit glaubte ich die Sache abgemacht, den anderen Tag erhielt ich aber ein Schreiben von dem österreichischen Vizegouverneur, dem General Grafen von Hardegg, der sich noch in Frankfurt aufhielt und in einem uns befreundeten Haus einquartiert war, mit der Aufforderung, mich zu ihm zu verfügen. Ich war unschlüssig, was ich tun sollte, indessen begab ich mich auf Zureden meiner Familie zu dem Herrn Vizegouverneur, dessen erste Frage nach den gebräuchlichen Bewillkommnungen war, ob ich den Dienst nicht kenne?

„Den französischen vollkommen, um den österreichischen habe ich mich niemals bekümmert, Herr General.“

„Warum haben Sie sich nicht bei dem Major Schröer gemeldet?“

„Ich wußte nicht einmal, daß noch ein österreichisches Kommando hier sei, und würde es dann noch für überflüssig gehalten haben, ich bin ein geborener Frankfurter.“

„Sie haben sehr gegen den Dienst gefehlt, bei uns würde so etwas streng bestraft werden.“

„Unglücklicherweise oder glücklicherweise habe ich nicht die Ehre, in österreichischen Diensten zu stehen.“

„Sie haben sich über Ihren Urlaub auszuweisen.“

„Nichts leichter als dies.“

Ich überreichte dem General meinen Urlaubsschein, den mir der Kommandant von Straßburg, Divisionsgeneral Desbureaux, in französischer Sprache ausgestellt hatte.

Hardegg tat, als lese er denselben, indem er ihn brummend mit den Augen durchlief und ihn mir dann mit einem: „Das ist ganz gut!“ zurückstellte. Ich hatte Mühe, dem guten General nicht ins Gesicht zu lachen, da ich wußte, daß er ebensowenig Französisch als Chinesisch verstand und nur österreichisches Deutsch sprach. Er erlaubte sich indessen noch einige Äußerungen über das französische Militärwesen und sagte unter anderem, er begreife gar nicht, wie man noch einige Anhänglichkeit an einen solchen Sauschwanz und Spitzbuben, wie der Napoleon sei, haben könne, worauf ich erwiderte: „Was das französische Militärwesen anbetrifft, so glaube ich allerdings, daß es niemand besser aus Erfahrung zu schätzen wissen wird, als die Österreicher. Was aber den Napoleon anbelangt, so ist es mir unbegreiflich, wie Ihr Kaiser einem solchen Spitzbuben seine Tochter zur Frau geben konnte.“

„Jo, ’s hat halt ämol so sein müsse,“ versetzte der General, dem ich mich nun lächelnd empfahl, nachdem ich ihn noch gefragt, ob er hinsichtlich meiner Person genügend befriedigt sei und er sein: „’s is halt so gut!“ erwidert hatte.

Einige Tage darauf traf ich im Roten Haus auf einem Kasinoball mit dem Herrn General, der in roten Hosen steckte, und dem Major Schröer zusammen; auch befanden sich mehrere preußische Offiziere daselbst. Ich war in meiner französischen Uniform, obgleich mir meine ebenfalls wütend deutsche Schwester versichert hatte, ich würde in derselben kein einziges Mädchen finden, das mit mir tanze, und Händel bekommen. Glücklicherweise ging keine dieser Prophezeihungen in Erfüllung. Der Major Schröer schien mich zu meiden, General Hardegg sprach sogar ein paar freundliche Worte mit mir, die preußischen Offiziere benahmen sich wie Ehrenmänner, und ich unterhielt mich lange mit ihnen, auch Tänzerinnen fand ich mehr, als ich hätte befriedigen können, und unter ihnen manche Bekannte aus meiner Kindheit, wie Karoline Th... und so weiter. Man wollte durchaus die französischen graziösen Kontertänze von diesen Bällen verbannt wissen, dennoch gelang es mir mit Hilfe einiger hübschen Frauen, trotz dem Widerstreben wütender Deutschtümler, sie zustande zu bringen. Besonders war es die schöne Frau des Bankiers von Bethmann, eine Holländerin, die mit ihrem Anhang und ihren Damen die französischen Tänze in Schutz nahm, und obgleich in einer sogenannten altdeutschen Tracht, deren Stoff weißer Sammet mit Goldstickerei war, fast nur französische Quadrillen tanzte, was ihr um so leichter wurde, als sie viele Anbeter hatte. Kurz darauf gab Herr von Bethmann ein großes Fest auf einem seiner Güter in Frankfurts Nähe, das der Sandhof genannt wurde und früher eine öffentliche Wirtschaft war. Die Fête war äußerst glänzend und mit einem ungeheuren Aufwand, sowohl bei der Dekorierung der Gemächer als an Speisen und Getränken, veranstaltet. Mehr als tausend Personen waren eingeladen worden, und zwar aus allen Ständen, so auch sämtliche Handwerksleute, die für das Bethmannsche Haus arbeiteten, mit ihren Frauen, was dem Fest freilich einen eigenen Anstrich verlieh. Frau von Bethmann und ihre beiden Hofdamen, Fräulein von Idstein und Frau von St. George, empfingen alle Gäste in einem im Garten des Sandhofs aufgeschlagenen Zelt; sie waren alle drei in große, schwarzsamtne Mäntel gehüllt – die Jahreszeit war schon ziemlich vorgerückt – und sahen so den drei Masken im Don Juan ähnlich. Herr von Bethmann, der kurz vorher einen kleinen Strauß mit dem wieder bestehenden Frankfurter Senat gehabt, hatte über das Haupttor des Eingangs am Sandhof ein Transparent mit den Worten: ‚Tue recht und scheue niemand!‘ setzen lassen, was zu allerlei Bemerkungen Anlaß gab. Nicht weniger als vier Büfetts waren in verschiedenen Gemächern errichtet, wo man sich Eis und alle möglichen Getränke und die köstlichsten Weine sowie Süßigkeiten nach Belieben fortwährend konnte reichen lassen, was sich manche der Geladenen so sehr zunutze machten, daß ihre Köpfe schwer wurden und sie das Gleichgewicht verloren. Um Mitternacht setzte man sich zu Tisch, nachdem vorher noch ein Feuerwerk abgebrannt worden war. Auch hier fand ich wieder alte Jugendfreundinnen, teils verheiratet, teils noch ledig, und mit einigen, wie Lilli O..., knüpfte ich die frühere Bekanntschaft wieder an und verlor mich ein halbes Stündchen mit ihr in dem Garten et l’un contemplait la terre, l’autre le firmement und so weiter. Das Fest dauerte bis zum hellen Tag, wo ich mit den letzten Gästen in einem Nachen auf dem Main nach Frankfurt zurückfuhr.

Damals kamen zahlreiche Transporte von Franzosen, die aus der russischen oder preußischen Gefangenschaft heimkehrten, durch Frankfurt. Eines Tages hatte einer derselben auf ein Bild des Kaisers Franz, das an einem Bilderladen auf der Zeil ausgehängt war, gespieen und dabei einige Schimpfworte ausgestoßen; dies hatte ein österreichischer Korporal gesehen, der den Frevler gleich zu dem Major Schröer brachte, diesem das Vergehen rapportierte, worauf derselbe dem Franzosen fünfzig gutgemessene Stockprügel aufzuzählen befahl. Der arme Teufel machte gewaltige Anstrengungen und Faxen, um sich der Prügelsuppe zu entziehen, aber der Korporal, ein Ungar, sagte zu ihm: „Lek di nur hin, Kamerad, helf all nix, ein klan Viertelstund, und alles is vorbei,“ und der Franzose bekam die fünfzig auf echt österreichisch aufgezählt.

Nachdem ich ungefähr sechs Wochen in Frankfurt verweilt hatte, machte ich einen Besuch in Homburg bei meinem guten alten Oheim Oberpfarrer, bei dem ich vierzehn Tage recht angenehm zubrachte und dem es ein großes Vergnügen gewährte, wenn ich ihm von meinen Feldzügen und Abenteuern, wobei ich freilich die galanten sub silentio überging, erzählte. Hier suchte ich die mir teuern Tummelplätze meiner Kindheit und alte Bekannte wieder auf und wurde von allen freundlich aufgenommen. Mein alter Lehrer Breitenstein war mit einem halben Dutzend Kinder gesegnet und hatte eben ein dickes Buch gegen Frankreich und das französische Volk geschrieben, dessen Titel mir entfallen ist, aus dem er mir aber zu meinem Leidwesen ganze Kapitel vorlas, die ich mit der größten Langeweile anhörte. Deutschland war damals mit einer Sündflut solcher Broschüren und Bücher überschwemmt, die alle einen glühenden Franzosenhaß, aber auch viel baren Unsinn atmeten. Das des Oberhofpredigers Breitenstein war nicht ohne Geist, aber viel zu ausgedehnt und voluminös.

Mein guter Oheim meinte, es sei denn doch besser, daß ich Offizier geworden sei, als Komödiant; ich erwiderte ihm: „Lieber Herr Onkel, am Ende sind wir doch alle nur Schauspieler unseres Herrgottes, ob in schwarzer, bunter oder farbiger Jacke.“ Und er lächelte mir Beifall zu, ohne etwas zu entgegnen.

Auch bei Hof stellte er mich dem Landgrafen und der Frau Landgräfin vor, von denen ich sehr freundlich aufgenommen und während meines Aufenthalts in Homburg häufig zur Tafel geladen wurde. Eine meiner ehemaligen Geliebten, Eleonore von Brandenstein, war jetzt Hofdame der Landgräfin, aber schon ziemlich verblüht, ebenso Frau von B., die viele Kinder gehabt; was tun neun Jahre nicht!

Unterdessen kam die Weihnachtszeit, das liebe Fest aus meiner Kindheit, heran. Ich freute mich, dasselbe wieder einmal im Schoße meiner Familie feiern zu können und brachte es mit seinen Bescherungen recht vergnügt zu. Die Meinigen drangen unterdessen in mich, meinen Abschied aus französischen Diensten zu nehmen und in die einer deutschen Macht zu treten, wozu man schon Mittel finden würde, mir den Weg zu bahnen; ich verspürte keine große Lust, einen solchen Schritt zu tun, bat aber, bevor mein Urlaub um war, um dreimonatliche Verlängerung desselben, die ich auch ohne Umstände erlangte.

Der Winter ging mir in Frankfurt, Homburg und Offenbach auf eine ziemlich angenehme Weise herum, ich besuchte fleißig die Bälle, machte manchmal eine Jagdpartie mit und führte sozusagen ein wahres Schlaraffenleben, während der Kongreß in Wien brütete und die Nachrichten von daher keinerlei Erwartungen entsprachen, zu langweilen begannen und Frankfurt noch immer in seinen Verfassungswehen lag.

Eines Vormittags, als ich eben ein Pferd bestiegen hatte, um nach Homburg zu reiten, fand ich die Straßen Frankfurts äußerst bewegt und mit ungewöhnlich viel Menschen angefüllt, die alle einen rennenden Schritt führten; besonders nahm ich dies über die Zeil reitend wahr. Hier begegnete ich einem Bekannten, den ich fragte, was dieser Tumult bedeute? – „Wie, Sie wissen nicht,“ erwiderte derselbe, „Napoleon ist wieder in Frankreich gelandet!“ – „Ist’s möglich?“ – „Ganz gewiß, die offizielle Nachricht davon ist vor einer Stunde per Estafette eingetroffen.“ – „Sind Sie dessen gewiß?“ – „Kein Zweifel mehr, ich habe es aus der ersten Hand.“ – Ich machte schnell rechtsum kehrt, und statt nach Homburg, ritt ich wieder heim und brachte den Meinigen, die noch beim Frühstück saßen, brühheiß die große Neuigkeit, worüber sie nicht wenig staunten und die sie zu glauben Mühe hatten; bald stellte sich jedoch die Wahrheit derselben über allen Zweifel heraus, und die noch denselben Tag ankommenden Pariser Journale meldeten die Landung des ‚tollen Abenteurers Bonaparte‘, der zur Stunde indessen wohl schon in einem Gefängnis der Provence sitzen werde. Den anderen Tag las man jedoch in denselben Blättern, daß der General Bonaparte, zu dem einige Haufen gewissenloses Militär und Gesindel übergegangen seien, gegen Lyon marschiere, wo er nicht ermangeln könne, das Ziel seines abenteuerlichen Unternehmens zu finden. Die nächsten Zeitungen berichteten die Ankunft des Exkaisers zu Lyon und daß er gegen Grenoble ziehe, und wenige Tage später hieß es in obigen Journalen: ‚Seine Majestät der Kaiser Napoleon sind unter dem Jubel des beglückten Volkes in Frankreichs Hauptstadt eingerückt.‘ – Ich war unter diesen Umständen, da mein Urlaub ohnehin bald zu Ende war, entschlossen, nach Straßburg zurückzukehren. In Frankfurt herrschte jetzt große Bestürzung; man glaubte die Franzosen schon wieder vor den Toren, und die ängstlichen Gemüter machten es wie vor einigen zwanzig Jahren, keiner wollte über Napoleon geschimpft, keiner einen Freudenschuß getan haben. Ich traf Anstalten, um baldigst nach Frankreich abzureisen, obgleich meine Verwandten alles mögliche taten, mich davon abzuhalten. Als ich reisefertig war, mietete ich mir einen Wagen nach Karlsruhe, nahm Abschied von den Meinigen und fuhr gegen acht Uhr morgens von Haus ab. Als ich aber zu Sachsenhausen an das Affentor kam, welches ich passieren mußte, hieß man den Kutscher stillhalten, und ein österreichischer Unteroffizier trat an den Schlag und fragte mich nach meinem von dem Etappenkommandanten unterzeichneten Passierschein, und da ich ihm sagte, daß ich ein solches Ding nicht kenne, so erklärte er mir, daß ich nicht passieren könne; in diesem Augenblick trat auch der Platzadjutant aus der Wachtstube und kündigte mir an, daß ich Stadtarrest habe und, wenn ich nicht mein Ehrenwort gebe, die Stadt nicht ohne Erlaubnis der Militärbehörden verlassen zu wollen, dieser sich sofort in strengen Arrest verwandeln könne. Hierüber aufgebracht, sagte ich, dies seien Gewaltstreiche, die man sich gegen mich erlaube, gegen die ich protestiere und so weiter. Dies half aber alles nichts, und man machte Miene, mich zu verhaften; ich ließ den Kutscher umwenden und wollte es versuchen, zu einem anderen Tor hinauszukommen, aber eine Ordonnanz setzte sich auf den Bock, und ich mußte auf die Kommandantur fahren. Hier stellte ich den Major Schröer wegen dieses Verfahrens zur Rede, dieser zuckte aber die Achseln, sprechend, daß er auf höheren Befehl handle. „Sie sind in französischen Diensten,“ setzte er hinzu, „und ich habe Befehl vom General Hardegg, kein französisches Militär unter den jetzigen Umständen mehr nach Frankreich zurückgehen zu lassen; eine Kolonne französischer Gefangener, die gestern hier ankam und heute weiter sollte, muß gleichfalls zurückbleiben.“ – „Aber mein Gott, ich bin ja kein Kriegsgefangener, sondern auf Urlaub.“ – „Das macht halt nix, Sie sind’s ämal in französischen Diensten und müssen’s da bleiben; wenn Sie mir aber Ihr Ehrenwort geben wollen, die Stadt nicht zu verlassen, so können’s frei in derselben umhergehen, wohin Sie wollen.“ – Ich wollte ihm eben etwas derb antworten, als sich die Tür des Bureaus öffnete und General Hardegg hereintrat, der mir das nämliche wiederholte; ich mußte mich fügen, wollte ich nicht Arrest auf der Hauptwache erhalten. Als ich nun wieder zu Hause ankam, empfingen mich meine Geschwister lachend, und es wurde mir bald klar, was mein jüngster Bruder, der mir beim Weggehen lächelnd zugerufen hatte: „Ich nehme keinen Abschied, wir sehen uns doch bald wieder,“ damit hatte sagen wollen. Meine Familie war nicht ohne Mitschuld an dem, was mir soeben begegnet war. Zwei Tage darauf kam mein Oheim von Homburg und drang in mich, ich solle suchen, in preußische Dienste zu kommen, er nehme es auf sich, mir eine Anstellung in denselben zu verschaffen; das Hirngespinst des Erbadels oder wenigstens dessen Vorrechte seien aus den Reihen des preußischen Heeres verschwunden, ich würde von der Landgräfin und ihm die besten Empfehlungen an die Prinzessin Wilhelm erhalten, eine glänzende Karriere in Preußen könne mir nicht fehlen. Dies seien die Truppen, die sich im letzten Feldzug am tapfersten geschlagen, in der öffentlichen Meinung am höchsten stünden und allgemein geehrt würden. Ich erwiderte, daß ich vorerst unmöglich darauf eingehen könne und wenigstens einige Tage Bedenkzeit haben müsse. Er lud mich jetzt ein, mit ihm nach Homburg zurückzufahren und wieder ein paar Tage bei ihm zuzubringen, während denen ich mich hinlänglich besinnen könne. Als ich ihm bemerkte, daß ich die Stadt nicht verlassen könne ohne die Erlaubnis der Militärbehörde, zog er eine solche nebst einem gedruckten Passierschein für mich aus der Tasche. Ich nahm nun die Einladung an und fuhr mit dem guten Onkel nach Homburg, wo ich diesmal von der landgräflichen Familie mit der ausgezeichnetsten Freundlichkeit aufgenommen wurde und wo ich den Herrn von Balthazar, den Sohn dessen, der früher als Emigrant mit seiner Familie in Homburg gelebt, ebenfalls jetzt zum Besuch an dem gastfreundlichen Hof antraf und der eines Tages an der Tafel erzählte, daß er es gewesen, der 1810 aux français die Orange auf die Bühne geworfen, in welcher ein Louisdor in Papier eingewickelt war, auf dem die Worte: Gardez le Louis et jettez l’ecorce (le corse) gestanden.

Als ich wieder eines Tages an der Tafel speiste und man beim Dessert echten Tokaier-Ausbruch, den der Erbprinz von Homburg seinen Eltern von Wien geschickt, der einzige, den ich wohl je echt getrunken, servierte, sagte die Prinzessin Auguste zu mir: „Nicht wahr, Herr Hauptmann, Sie werden dem Korsen nicht wieder dienen?“ – Diese Frage setzte mich in keine geringe Verlegenheit und war mit so unendlicher Liebenswürdigkeit ausgesprochen, daß es mir nicht möglich war, sie anders als mit einem: „Nein, Durchlaucht!“ beantworten zu können. Jetzt war es ausgesprochen, mein Oheim triumphierte, wir fuhren zusammen nach Frankfurt zurück, wo der gute Mann meine Eltern mit den Worten anredete: „Einen Franzosen habe ich mitgenommen, und einen Preußen bringe ich zurück.“ Nun war der Jubel in der ganzen Familie groß, es regnete Gratulationen, man gab mir abermals Fêten, und bald darauf befand ich mich, mit den besten Empfehlungsschreiben von dem Landgrafen, der Prinzessin Auguste und meinem Oheim an die Prinzessin Wilhelm und guten Wechseln versehen, auf dem Weg nach Berlin.

So war denn die erste Hauptabteilung des Lust- und Trauerspiels meines Lebens beendigt; die zweite, wenn auch weniger tatenreich, doch toll und unterhaltend genug, sollte beginnen.

VII.
Reise von Frankfurt nach Berlin. – Leipzig. – Die Messe. – Ein Paar Harfenmädchen. – Eine Partie nach Giebichenstein. – Wittenberg. – Berlin. – Prinzessin Wilhelm. – Die Theater. – Iffland und Devrient. – Potsdam. – Graf Lusi und Friedrich der Große. – Sanssouci. – Ein bübischer Studentenstreich. – Urania. – Meine Anstellung. – Die Familie Pogwisch. – Anekdoten vom Kronprinz. – Ich soupiere mit sechs Damen. – Eine Künstlerhaushaltung. – Das Institut Bernhard. – Die Tabagien. – Eindruck der Schlacht bei Waterloo. – Das Opernhaus. – Abreise nach Kolberg.

Ich trat im April 1815 die Reise nach Leipzig per Extrapost mit einem Kaufmann aus Elberfeld namens Rittershausen, einem Bekannten unseres Hauses, an. Wir aßen in Fulda bei einer sehr niedlichen Wirtin, die sich Frau Knips nannte, zu Abend und versprachen ihr das baldige Wiederkommen, worauf ich einen Abschiedskuß à compte von ihr erhielt. – In Eisenach zeigte man uns die von dem Springen eines Pulverwagens der retirierenden Franzosen sehr beschädigten Häuser. Über fünfzig Personen hatten bei dieser Gelegenheit das Leben eingebüßt; die zerrissene Brust eines schönen jungen Mädchens, das durch diese Explosion zerschmettert worden, war an einem Fenster hängen geblieben.

In Leipzig kamen wir gerade zur Messezeit an. Da dies das Ziel meines bisherigen Reisegefährten war, so trennte ich mich jetzt von diesem und legte den Rest der Reise mit einem jungen Mann aus Darmstadt zurück, der in Berlin seine medizinischen Studien vollends beendigen wollte und mit unserer Familie befreundet war. Wir beschlossen jedoch, uns ein paar Tage in Leipzig zu verweilen. Das Messegewühl daselbst war außerordentlich, und weder Frankfurt noch Beaucaire oder Sinigaglia können in Vergleich damit kommen. Es war ein Gewirre, eine Geschäftigkeit, ein Wühlen und eine Masse von Menschen aus allen Gegenden Europas, die nicht zu beschreiben. Namentlich bemerkte ich auch viel Griechen, Türken und Armenier, sogar Asiaten hier. Die Frankfurter Messe ist in der Tat nur ein Jahrmarkt dagegen, besonders ist der Handel und Umtausch en gros von der größten Bedeutung. Daß das Schlachtfeld vom 18. Oktober, auf dem Deutschlands Befreiung von fremdem Joch erkämpft wurde, mich mehr als alles andere anzog, war natürlich, auch irrte ich einen ganzen Tag mit einem Führer auf demselben umher, konnte aber keine genügende Auskunft auf meine Fragen von diesem erhalten. Die durch einen armen Mineur-Korporal, nach den napoleonischen Bulletins so sehr zur Unzeit, gesprengte Brücke über die Pleiße betrachtete ich längere Zeit, bedenkend, an welche Zufälle sich oft das Ungeheuerste, das Schicksal der Reiche und Nationen knüpft. Mit Wehmut erfüllte mich aber die Stelle, wo Poniatowsky seinen Tod in der Elster fand.

Wir besahen alle Messeraritäten und besuchten einige öffentliche Gärten, in denen es recht lustig zuging; in einem derselben waren ein paar blutjunge, recht hübsche böhmische Harfenmädchen, von denen die jüngere sang und eine silberhelle Glockenstimme hatte, auch trug sie mit viel Feuer und Ausdruck vor. Ich lud sie ein, den Abend in den Gasthof, wo ich logierte, zu kommen, wo sie reichlich beschenkt wurden, da ich für sie sammelte und selbst einige Achtgroschenstücke auf den Teller warf. Ich hatte mir vorgenommen, einen Abstecher nach Halle oder vielmehr nach dem mir historisch und theatralisch so merkwürdigen Giebichenstein zu machen, und lud die beiden Mädchen ein, mit von der Partie zu sein, um auf der alten Bergfeste den Klang ihrer Harfen und ihre Stimme ertönen zu lassen.

Die Aussicht von dem hohen Giebichenstein ist wunderschön. Auf den Ruinen der Feste sitzend, nahm ich ein kleines Mahl mit meinen hübschen Harfenistinnen ein, wobei wir ein paar Flaschen von Leipzig mitgenommenen Champagner leerten, unter dem freien Himmel sangen und überaus fröhlich waren. Bis zur Dämmerung brachten wir hier zu und kamen erst gegen Mitternacht wieder in Leipzig an, wo ich die Mädchen, denen ich eine Stube in meinem Gasthof geben ließ, bei mir behielt und wir noch ein leckeres Souper unter Schäkereien einnahmen und dann bis zum Grauen des Morgens jubelten und uns vergnügten. Ich entließ jetzt die Mädchen, die mir mitteilten, daß sie die Absicht hätten, nach der Messe nach Berlin zu gehen, um dort ihr Glück zu versuchen und wo sie hofften, mich wiederzufinden. Ich reiste den sechsten Tag nach meiner Ankunft in Leipzig mit einer Retourgelegenheit dahin ab. Der Weg ging meistens durch Sand, so daß man fast immer Schritt fahren mußte, was mich zwar ungeduldig machte, aber mir dennoch keine Langeweile verursachte, da ich alle möglichen Bilder der Vergangenheit und einer wahrscheinlichen Zukunft an meiner Einbildungskraft vorübergehen ließ.

Auf der preußischen Grenze wurde Koffer und Paß sorgfältig geprüft, jedoch alles mit großer Artigkeit und Delikatesse von seiten der königlich preußischen Zollbeamten und ohne die mindeste Schikane, obgleich ich noch als französischer Offizier auf meinem Paß angeführt war. In Wittenberg, das die Preußen vor kaum achtzehn Monaten im Sturm von den Franzosen erobert hatten, wobei der französische Kommandant, General Lapoipe, mit dem Degen in der Hand im Schloß gefangen worden war, besuchte ich die Schloßkirche, in welcher Luther und Melanchthon und Friedrich der Weise begraben liegen. Von hier aus hielt ich mich nirgends mehr als ein paar Stunden in Potsdam auf und traf den zweiten Tag nach meiner Abfahrt von Leipzig in Berlin ein, wo wir durch das schöne Brandenburger Tor fuhren, auf welchem jetzt die berühmte Quadriga wieder thronte, die Napoleon nach Paris hatte schleppen lassen, die aber die Preußen bei ihrem ersten Gegenbesuch daselbst wieder heim schickten und auf den ihr gebührenden Standpunkt stellten. So viel schöne Städte und Gebäude ich auch schon gesehen hatte, so war ich dennoch bei dem Anblick des Brandenburger Tores, der Ansicht der Linden und des schönen Platzes zwischen diesen und dem Tor überrascht. Ich fuhr nach dem mir empfohlenen Gasthof, der ‚Stadt Rom‘, der auf der linken Seite der Linden liegt.

Von Leipzig bis hierher hatte ich sehr unangenehmes, rauhwindiges Wetter gehabt, das mir einen starken Schnupfen und Katarrh verursachte; dennoch ließ ich mich schon am anderen Morgen bei Ihrer königlichen Hoheit der Prinzessin Wilhelm von Preußen, gebotene Prinzessin Marianna von Hessen-Homburg, anmelden und wurde noch den nämlichen Tag auf das Schloß beschieden, wo ich mich en grande tenue in französischer Uniform einfand, der hohen Dame meine Empfehlungsschreiben, von ihren Verwandten ausgestellt, überreichte und sehr gnädig aufgenommen wurde. Ich habe wenig Frauen gesehen, die ein würdevolleres, edleres, ja majestätischeres Ansehen gehabt hätten, als diese Prinzessin, dabei hatte sie dennoch etwas überaus Wohlwollendes und Freundliches in ihren edlen Zügen und eine große aber erhabene Einfachheit in ihrem Benehmen; welch ein Unterschied zwischen dieser Dame sowie überhaupt den meisten deutschen Fürstinnen und den neugebackenen Prinzessinnen der Familie Bonaparte, die auch nicht die mindeste Achtung einzuflößen imstande waren, während man bei dem Anblick der Prinzessin Wilhelm von Ehrfurcht und Hochachtung durchdrungen war, so daß trotz ihrer großen Schönheit kein unlauterer Gedanke aufkommen mochte. Sie erkundigte sich bis auf die kleinsten Details nach allem, was ihre Familie in Homburg betraf, sowie nach meinem guten Oheim daselbst, auch hatte sie die Gnade, mir mitzuteilen, daß sie bereits in meiner Angelegenheit auf Veranlassung meines Oheims an den mit dem König bei dem Kongreß zu Wien befindlichen Kriegsminister von Boyen geschrieben und befriedigende Antwort hinsichtlich meiner Anstellung erhalten habe, die wohl nicht lange ausbleiben werde. Sie hoffe, daß ich eine glänzende Karriere in der preußischen Armee machen werde, ich müsse aber jetzt auch echt deutsche und preußische Gesinnungen zeigen. Sie erinnerte sich der jugendlichen Spiele im Schloßgarten zu Homburg, sowie daß ich als Knabe manchen tollen Streich verübt, erzählte mir, daß sie fortwährend in vertrautem Briefwechsel mit meiner Cousine Henriette in Bremen stehe und daß diese sie öfters in Berlin besuche und dann bei ihr im Schloß wohne. Sie entließ mich endlich mit der Versicherung, daß sie für mich tun werde, was ihr möglich sei. Über diesen Empfang vergnügt, empfahl ich mich, mußte aber, da sich mein Katarrh sehr verschlimmerte, mehrere Tage das Zimmer hüten, während welchen ich Muße hatte, das Treiben und Wogen unter den Linden gehörig zu beobachten, meine Bemerkungen anzustellen und mich einstweilen theoretisch, das heißt durch Bücher, mit Berlin bekannt zu machen. Lange hielt ich aber diesen Zimmerarrest nicht aus, sondern folgte den nächsten Sonntag Nachmittag der zahllosen Menge der schönen und nicht schönen Welt, die an meinem Fenster vorüber dem Brandenburger Tor zuströmte und sich in dem Tiergarten und unter den Zelten verlor. Die Berlinerinnen, bei denen Schönheit und zierlicher Wuchs keine Seltenheit, sind meistens sehr elegant und mit Geschmack gekleidet, und wenn sie auch gerade nicht die zierliche Grazie der Pariserinnen besitzen, so sind sie doch durch ihre weit größeren körperlichen Reize um so anmutiger, und ich fand seltene Schönheiten unter ihnen.

Als ich mich auf der Polizei meldete und der Inspektor in meinem Paß das Wort ‚französischer Kapitän‘ las, machte er große Augen, examinierte mich umständlich über meine Verhältnisse, wo mein letzter Aufenthalt gewesen und so weiter, namentlich kam es ihm unglaublich vor, daß ich zuletzt in Korfu gestanden und nun preußische Dienste suche. Er verließ mich, um, wie es mir schien, höhere Instruktionen einzuholen; nach einer guten halben Stunde kam er zurück und erteilte mir eine Aufenthaltskarte auf vierzehn Tage mit der Weisung, dieselbe, wenn sie abgelaufen, erneuern zu lassen. Indessen merkte ich doch soviel, daß man mich unter geheime polizeiliche Aufsicht stellte und deshalb Verordnungen gab. Mit einem Wort hätte ich allerdings das polizeiliche Mißtrauen beseitigen können, allein ich konnte und durfte meine hohe Beschützerin unmöglich auf der Polizei namhaft machen.

Acht Tage nach meiner Ankunft kam auch mein Bedienter, den ich in Frankfurt zurückgelassen, mit zwei Reitpferden an, welche ich noch vor meiner Abreise daselbst gekauft, weil mir in Homburg insinuiert worden war, daß ich in Berlin mit einigem Glanz auftreten müsse, wenn ich einigermaßen reüssieren wolle. Ich machte nun Besuche und gab die mitgebrachten Empfehlungsschreiben ab, unter denen solche an Hufeland und von Uhden, welche mir aber außer Einladungen zu Diners und Tees wenig nützten. Eines Vormittags, als ich mit dem Wirt des Hotels eine Konversation anknüpfte, erzählte mir derselbe lächelnd, daß sich anfänglich die Polizei außerordentlich um mein Tun und Treiben bemüht habe, aber es jetzt gewiß unterlassen werde, da er den Herren mitgeteilt, daß ich schon einigemal in das Schloß zur Prinzessin Wilhelm, königliche Hoheit, zitiert worden. Ich sagte ihm nun den Grund, warum wohllöbliche Polizei so sehr um mich besorgt sei, nämlich daß man mich wahrscheinlich für einen französischen oder vielmehr napoleonischen Spion gehalten habe. Übrigens aber wurde ich so wenig wie jeder andere Fremde in Berlin im mindesten von der Polizei mit Lächerlichkeiten und Erbärmlichkeiten molestiert, wie dies im Österreichischen und besonders in Wien der Fall ist, wo jeder Fremde eine Art peinliches Verhör durchzumachen hat, um seine Privatverhältnisse bis in die kleinsten und kleinlichsten Details befragt wird, sich darüber auszuweisen hat, ob er auch hinlängliche Mittel besitzt, die Kosten der wenigen Tage seines Aufenthaltes in der Kaiserstadt zu bestreiten, und was dergleichen Absurditäten mehr sind.

In Erwartung meiner Anstellung besichtigte ich Berlins Merkwürdigkeiten, vor allem Schauspiel und Oper, die damals vortrefflich besetzt waren; zwar war Iffland schon tot, aber durch Devrient, den viele Personen jenem noch vorzogen, vollkommen ersetzt. Bei Iffland war alles hohe Kunst, vollendetes Studium, auch spielte er jede Rolle einmal wie das andere, alle seine Bewegungen, seine Schritte und Mienen waren fast mit mathematischer Genauigkeit abgemessen; in dieser Szene dieser Rolle trat er sicher um keine Linie mehr vor- oder rückwärts, als das erstemal, da er sie spielte. Jede Gebärde war vor dem Spiegel eingeprägt, während Devrient, ganz Genie, so spielte, wie es ihm das Gefühl des Moments eingab, daher er auch durch sein Feuer weit mehr das Publikum hinriß, als es Iffland vermocht hatte. Ferner waren Mattausch, Blume, Beschort, Fischer, Wurm, die Damen Milderhauptmann, Schulze, Devrient und vor allem die liebenswürdige Demoiselle Düring, spätere Stich, in der vollen Blüte ihrer Kunst und ihrer Jugend. – Ich machte nun einen Ausflug nach Potsdam, das mir wegen seiner Erinnerungen an Friedrich den Großen so sehr interessant war; außerdem hatte ich das Empfehlungsschreiben an den ehemaligen Gesandten Friedrichs, den Grafen Lusi, abzugeben, welches mir der Graf Mocenigo in Korfu mitgegeben hatte und von dem jemals Gebrauch zu machen ich nicht geglaubt hatte. Lusi nahm mich mit außerordentlicher Freundlichkeit auf, ließ sogleich meine Effekten und Pferde in seine Behausung bringen und bestand darauf, daß ich während meines Aufenthaltes in Potsdam, der wenigstens vierzehn Tage dauern, bei ihm wohnen und mit seinem Tisch vorlieb nehmen müsse. Ein sonderbarer Zufall wollte, daß, während ich bei ihm in Potsdam wohnte, sein Sohn, der damals als Premierleutnant bei der königlich preußischen Garde stand, als diese durch Frankfurt kam, bei meinen Eltern einquartiert war. – Der alte Lusi war ein Grieche von Geburt und konnte sich nicht genug nach seinem Vaterland, das er in langer Zeit nicht mehr gesehen, bei mir erkundigen. Leider war ich außerstande, ihm die gewünschte Auskunft geben zu können, da ich, die Insel Korfu und die Küsten Albaniens ausgenommen, von Griechenland keine anderen Gegenden kannte; dennoch sprach der alte Graf gerne und viel von seinem Vaterland, und ich konnte ihm nicht genug von Korfu erzählen. Die Weise, auf welche Graf Lusi des großen Friedrichs Bekanntschaft machte und in dessen Dienste kam, ist seltsam genug und ein Beweis sowohl von Lusis Scharfsinn als wie sehr der große Monarch es verstand, die Leute zu wählen, die für seine Dienste und Absichten am passendsten waren, eine schwere Aufgabe, die nur ausgezeichnete Männer zu lösen verstehen. Hier, was mir der alte Lusi selbst davon mitteilte. Friedrich der Einzige hatte in einer Berliner Zeitung, ich entsinne mich nicht mehr, welche Verfügung einrücken lassen, zu gleicher Zeit aber noch einige andere diplomatische und politische Maßregeln ergriffen; hieraus kombinierte und erriet der Graf äußerst scharfsinnig des Königs geheime Zwecke und Absichten und machte sie in der Zeitung von Venedig bekannt. Friedrich, dem dieser Artikel von seinem Gesandten zugeschickt wurde, gab diesem Befehl, alles anzuwenden, um dessen Verfasser herauszubekommen, was demselben auch à force d’or gelang. Er war erstaunt, daß ein ihm ganz unbekannter Graf derselbe gewesen, denn er hatte geglaubt, der Artikel sei durch Verrat von Personen aus seinem Kabinett in die Hände des Zeitungsredakteurs gekommen. Friedrich wandte sich jetzt mittelbar an den Grafen selbst und vermochte diesen zu einer Reise nach Berlin. Als er Lusi persönlich kennen gelernt, fragte er ihn eines Tages, durch welche Mittel er seine Absichten erraten. – Lusi erwiderte ihm: „Eure Majestät haben dies und jenes in Ihren Zeitungen abdrucken und dabei diese und jene Demarchen machen lassen, wodurch es mir möglich wurde, was Sie damit beabsichtigten, zu erraten.“ – Friedrich war über Lusis Scharfsinn verwundert, bat ihn, in seine Dienste zu treten, was der Graf annahm, und er machte eine glänzende Karriere.

Obgleich schon sehr bejahrt und auch kränkelnd, war Lusi doch so gütig, selbst den Cicerone zu machen und mir Potsdams Merkwürdigkeiten zu zeigen und zu erklären. Er führte mich in den Schlössern umher, und bei jeder Stelle, an welcher Friedrich der Große geweilt, irgend etwas verrichtet, mit ihm einige gewichtige Worte gesprochen, erinnerte er sich dessen und erzählte mir mit großer Selbstzufriedenheit, wie ihn der große Mann häufig um seine Meinung befragt. Auch in Sanssouci und dessen weitläufigen Gärten führte mich mein vornehmer Cicerone umher, und hier wiederholte er wohl hundertmal mit selbstgefälliger aber verzeihlicher Eitelkeit: „Auch auf dieser Stelle hatte ich eine Unterredung mit Friedrich.“

In Potsdam machte ich die Bekanntschaft mancher jungen schönen Offiziersdamen, deren Männer mit dem Heer ausmarschiert waren und die eben nicht zu den unerbittlichsten gehörten und sich nach kurzer Belagerung bald ergaben. Es war besonders eine sehr liebenswürdige Majorin von H..., die mich vor allen anzog. Indessen war es Zeit, an meine Rückkehr nach Berlin zu denken, um daselbst meine Anstellungsangelegenheit zu betreiben, aber die hübsche Majorin war an manchem Parforceritt schuld, den ich von Zeit zu Zeit noch von Berlin nach Potsdam machte, wo ich außerdem noch eine uralte Bekanntschaft erneuert hatte. Hier wohnte nämlich die Gattin des Plankammerinspektors Holzwarth, derselbe, der die Tochter des Advokaten Dietz zu Frankfurt, eine Freundin meiner Mutter, während der Anwesenheit der preußischen Garden daselbst entführt hatte, die deshalb so ganz mit ihrem Vater zerfallen war, jetzt wenigstens acht Kinder hatte und sich eben nicht in den glänzendsten Umständen befand. Diese Familie besuchte ich einigemale und fand in der ältesten Tochter Amalie ein allerliebstes siebzehnjähriges Kind. Meinem gastfreien freundlichen Wirt, bei dem ich über drei Wochen zugebracht, sagte ich nun ein dankbares Lebewohl. Er wollte durchaus, daß ich bis zur Entscheidung meiner Angelegenheit bei ihm ausharren solle, indem er mir vorstellte, daß ich ja jeden Tag nach Berlin fahren könne und mir sogar seine Equipage zu diesem Zweck zur Verfügung stellte; ich lehnte das gütige Anerbieten ab, denn noch wenig hatte ich Preußens schöne und lebenslustige Hauptstadt kennen gelernt; von Potsdam aus hatte ich mich nur zweimal dahin begeben, um der Prinzessin Wilhelm meine Aufwartung zu machen, und trotz aller Annehmlichkeiten Potsdams zogen mich doch die Linden, die Theater, der Tiergarten und Berlins andere Schönheiten dahin zurück. Ich versprach dem Grafen Lusi, ihn öfters zu besuchen, und hielt wenigstens anfänglich Wort.

Noch immer war keine Antwort und kein Resultat auf meine Gesuche erfolgt und ich trotz der hohen Protektion in Ungewißheit, ob und wann ich angestellt werden würde. Prinzessin Wilhelm schrieb dies dem Drang der überhäuften Geschäfte und den kriegerischen Umständen zu. Der Aufenthalt in der ‚Stadt Rom‘ unter den Linden fing an, mir kostspielig zu werden, und mein Geldbeutel wurde täglich dünner, weshalb ich den teuren Gasthof mit einem billigeren, nämlich dem ‚Goldenen Engel‘ in der Heiligengeist-Straße vertauschte, wo ich jedoch auch nicht viel besser wegkam; was mich am meisten kostete, war der Unterhalt meiner Pferde, weswegen ich auch schon nach zehn Tagen dies Hotel wieder verließ und eine Privatwohnung von zwei Zimmern in der Mittelstraße, gleich hinter den Linden bezog, was ich gleich anfangs hätte tun sollen, da ich dann wenigstens tausend Taler gespart haben würde. Den Tag oder vielmehr die Nacht, bevor ich den heiligen Geist quittierte, verübten ein paar Studenten, welche bis beinahe Mitternacht sich mit Trinken vergnügt hatten, noch einen tollen, eigentlich bübischen Streich. Sie zündeten nämlich die Fenstervorhänge ihres Zimmers an und schrien dann durch alle Gänge: „Feuer! Feuer!“, so daß alle Fremde, unter denen viele Frauenzimmer, in dem tiefsten oder vielmehr gar keinem Negligé, sondern in den Hemden aus ihren Zimmern in die Gänge stürzten, wo sie von den Brüdern Studiosen mit schallendem Gelächter empfangen wurden, die sich noch ihrer Heldentat rühmten und sagten, sie hätten ihre Vorhänge nur deshalb angezündet, um die Gäste des Heiligen Geistes in ihren Blößen bewundern zu können. Daß die sauberen Burschen noch in derselben Nacht eingesteckt wurden, bedarf wohl kaum der Erwähnung, doch kamen sie noch mit ziemlich geringer Kerkerstrafe davon.

Ich lebte indessen, trotz der Ungewißheit meines Schicksals, wegen der Zukunft ganz unbesorgt und so ziemlich in den Tag hinein. Da ich fortwährend die trefflichen Theatervorstellungen fleißig besuchte, so erwachte allmählich meine frühere Leidenschaft zur Bühnenkunst wieder, und ich dachte schon: ‚Wenn alle Stricke reißen, so machst du Gebrauch von deinem Schauspielertalent, wozu hier die allerbeste Gelegenheit ist, da die ersten dramatischen Künstler Deutschlands in Berlin vereint sind.‘ Schon fing ich heimlich zu wünschen an, daß aus meiner militärischen Anstellung in preußischen Diensten nichts werden möge, um so einen Grund zu haben, auf die Bühne zu gehen. Ich besuchte nun das Theater jeden Abend, wenn mich nicht eine besondere Veranlassung davon abhielt. Durch Uhdens Vermittlung erhielt ich jetzt auch Eintrittskarten in das Liebhabertheater, ‚Urania‘ genannt, wo in der Tat oft ganz vorzügliche Vorstellungen stattfanden und sich mitunter ungewöhnliche Talente zeigten und ausbildeten; noch war ein anderes Liebhabertheater, die ‚Concordia‘, vorhanden, das jedoch bei weitem weniger gut als das erste war. Ich wurde mit mehreren Mitgliedern der ‚Urania‘ bekannt und erbot mich, einige Rollen daselbst zu spielen. Der Antrag wurde mit Vergnügen angenommen, und ich gab nacheinander den Ferdinand in Kabale und Liebe, den Fritz Hurlebusch in Wirrwarr, Karl Ruf in der Schachmaschine und so weiter, und aus meinen Geliebten auf der Bühne wurden nicht selten auch meine Geliebten in der Wirklichkeit, wenigstens auf kurze Zeit; ich spielte dann mit einem Feuer, das alle Zuschauer hinriß. Aber vor allem war es eine Künstlerin der königlichen Schauspiele, Fräulein D., deren wahrhaft göttliches Spiel, verbunden mit ihren himmlischen körperlichen Reizen, mich entzückte, deren feurigster Anbeter ich wurde und die den Wunsch, keine militärische Anstellung zu erhalten, noch mehr in mir rege machte, um mich dann mit aller Liebe der Kunst und ihrer schönen Priesterin widmen zu können, nicht bedenkend, welchen Aufruhr dies in meiner Familie machen könne, und daß sich wahrscheinlich auch Prinzessin Wilhelm, der ich so sehr empfohlen war, wenigstens einer Anstellung bei der königlichen Bühne zu Berlin widersetzt haben würde. – Endlich aber kam der König nebst dem Kriegsminister von Boyen von Wien zurück, und ich erhielt sogleich die Weisung von der Prinzessin, mich unverzüglich bei letzterem zu melden. Dieser schickte mich zu dem General Grafen von Tauentzien, auf dessen Bureau ich erfuhr, daß man mich schon seit länger als vier Wochen gesucht und meine Wohnung nicht habe ausfindig machen können, da schon längst die Anstellungssorder von dem Kriegsministerium für mich gekommen sei, die man mir übergab und durch welche ich zum Premierleutnant in der Armee ernannt wurde, ohne daß jedoch noch das Regiment bestimmt war, dem ich zugeteilt werden sollte. Dieses Zurücksetzen um einen Grad war mir sehr empfindlich, ich protestierte auch dagegen, aber der General Tauentzien verwies mich an den Kriegsminister, und dieser vertröstete mich auf baldiges Avancement. Ich war deshalb sehr mißmutig, und gerne würde ich die Uniform für immer an den Nagel gehängt haben, auch äußerte ich mich unverhohlen darüber bei der Prinzessin Wilhelm, die mich wie Herr von Boyen mit baldigem Avancement tröstete. Jetzt erhielt ich auch eine Anweisung an das Billettamt, um einstweilen einquartiert zu werden, und ein Quartier bei einem Bankier in der Breitenstraße, der, wenn ich nicht irre, Lahr hieß, das ich jedoch, da es mir nicht sehr zusagte, nach wenigen Tagen mit einem anderen vertauschte. Ich bekam ein Billett, das mich zu einem Herrn von Pogwisch in der Jerusalemerstraße führte, der Hauptmann außer Diensten und jetzt bei der Seehandlung angestellt war; sein Bruder war Flügeladjutant des Königs gewesen, aber, wenn ich nicht irre, bei Leipzig geblieben. Herr von Pogwisch hatte eine zwar nicht schöne, aber sehr gute und liebenswürdige Frau, und ich fand eine ausgezeichnet gute Aufnahme in dieser Familie. Obgleich man der Einquartierung durchaus nichts als die Wohnung zu geben schuldig war, so bat mich Herr von Pogwisch doch, mit seinem Tisch vorlieb nehmen zu wollen. Ich nahm dies mit großem Dank unter der Bedingung an, daß, wenn ich nicht zur bestimmten Stunde da sei, man auch keinen Augenblick auf mich warten möge, denn ich wollte ebensowenig genieren als geniert sein. Herr von Pogwisch, dessen Frau sehr vermögend war, hatte seine Mutter bei sich, eine zwar alte, aber liebenswürdige und sehr geistreiche Dame, deren Unterhaltung nicht nur sehr angenehm, sondern auch pikant war. Ein geborenes Fräulein von Pfündöl und ehemalige Hofdame, war sie noch jetzt mit den Verhältnissen des Hofs und der eleganten Berliner Welt genau bekannt und vertraut und hatte einen unerschöpflichen Schatz von interessanten, zum Teil sehr komischen Hofanekdoten, die sie gerne zum besten gab. Sie lebte in der größten Einigkeit mit ihrer Schwiegertochter, und diese drei Personen – Pogwischs hatten keine Kinder – bildeten eine gemütliche Dreieinigkeit. Durch diese Familie erhielt ich nun Zutritt in vielen anderen angesehenen Familien und wurde wegen meines musikalischen Talents überall wohl aufgenommen, was Veranlassung zu manchen galanten Abenteuern gab. Die Unterhaltung in den Berliner Salons der eleganten Welt ist im allgemeinen sehr geistreich und witzig, die Berliner haben in der Regel einen sehr aufgeweckten Verstand, viel Humor, sind zur Satire aufgelegt, sarkastisch und kaustisch, dagegen lebt man mäßig, ohne sich zu überfüllen, aber auch ohne sich gerade etwas abgehen zu lassen, während in manchen Städten Süddeutschlands das Essen und Trinken die Hauptsache ist, man daselbst nur für dieses sowie überhaupt nur für die sinnlichen Vergnügungen zu leben scheint, wodurch dann allerdings der Geist, wenn auch einer vorhanden, niedergedrückt und verdummt wird. Damals kursierten in Berlin einige artige Anekdoten, den noch sehr jungen Kronprinzen betreffend; eine derselben berührte den Staatskanzler, Fürsten Hardenberg, dem man vorwarf, die Juden in ganz besonderen Schutz zu nehmen. – Als Hardenbergs Geburtstag war, sandte der König den Kronprinzen zu demselben, ihm in seinem Namen Glück zu wünschen und zu sagen, er möge sich irgendeine Gnade ausbitten. Der Kronprinz fuhr zu dem Fürst-Kanzler und richtete den ihm von seinem Vater gewordenen Auftrag aus, worauf Hardenberg erwiderte: „Mein Gott, Ihro Majestät haben mich schon so mit Gnaden überhäuft, daß ich in der Tat nichts mehr zu erbitten wüßte.“ – „Doch, mein Fürst, es fehlt Ihnen noch eines.“ – „Das ich nicht wüßte, Hoheit.“ – „Ja, ja, ganz gewiß.“ – „Und was meinen Eure Hoheit?“ – „Bitten Sie meinen Vater, daß er Sie zum König der Juden machen solle, da Sie doch eine so große Vorliebe für dieses Volk haben.“ – Hardenberg fand sich beleidigt und bat sich zurückziehen zu dürfen. Er teilte den Vorfall dem König mit, und der Kronprinz erhielt vierundzwanzig Stunden Arrest. Eine andere Anekdote betraf den Staatsrat von Kleewitz, den der Kronprinz ebenfalls nicht leiden mochte, weil er die Juden, wie man sagte, aus besonderen Gründen begünstigte. – Eines Abends sagte er zu demselben in einer Assemblee: „Herr Staatsrat, ich will Ihnen eine zweisilbige Charade zu erraten geben: das Erste frißt das Vieh, das Zweite besaßen Sie nie, und das Ganze sind Sie“ (Kleewitz). Es ist jedoch möglich, daß auch diese Anekdote auf den wenig beliebten Staatsrat ein müßiger Kopf erfand und dem Kronprinzen in den Mund legte.

Aus Italien hatte ich mehrere Hefte der ausgezeichnetsten und lieblichsten Melodien, Kanzonette, Kavatinen und Ensemblestücke mitgebracht, die ich in den Salons vortrug. Die Duette gaben Gelegenheit, sie mit verschiedenen liebenswürdigen Damen in den Morgenstunden tête-à-tête einzustudieren, wobei ich dann nicht unterließ, mich möglichst in deren Gunst festzusetzen. In dem Haus des Herrn von Pogwisch wohnte im zweiten Stock ein Beamter namens Pfeifer mit seiner Familie, der eine sehr hübsche Tochter, Minchen genannt, hatte, die ganz artig Klavier spielte und eine sonore, glockenreine Sopranstimme besaß; diese Nachtigall war eine schlanke neunzehnjährige Blondine, welche die beliebtesten Opernarien mit viel Geschmack und Ausdruck vortrug. Sehr bald hatte ich Zutritt bei der mit Pogwischs sehr befreundeten Familie und musizierte und – küßte nach Herzenslust. Noch ein anderes sehr niedliches Minchen (Ott) und eine hübsche Luise hatte ich unter den Zelten und bei Hofjägers kennen gelernt und fuhr nun bald die eine, bald die andere in einer Guige nach Charlottenburg, Potsdam und so weiter spazieren. Noch war ich im Besitz der Wohnung in der Mittelstraße, die, auf mehrere Monate gemietet, mir jetzt trefflich als Absteigequartier zustatten kam und wohin ich manche meiner Schönen zu einer geheimen Zusammenkunft zu persuadieren wußte. Hier war ich so ganz ungestört und veranstaltete manches Souper fin, namentlich mit Demoiselle D... Man konnte in dieser Hinsicht in Berlin ebenso ungestört und unbeobachtet wie in Paris leben, da sich die Leute nicht um das Treiben der anderen bekümmerten. Eines Abends aber lud ich in meinem Übermut ein halbes Dutzend meiner Freundinnen, von denen jedoch keine die andere kannte, zu einem Abendessen in diese Wohnung ein. Unter ihnen waren die beiden Minchen, eine Bertha, eine Karoline, eine Luise und Demoiselle D..., mit deren Genehmigung ich das Fest veranstaltete und die die Königin desselben sein sollte. – Sie fand sich zuerst ein und empfing die nacheinander erscheinenden und sehr erstaunten Schönen auf das artigste und zuvorkommendste, so daß sie deren Verlegenheit bald zu beseitigen wußte. Alle waren so klug, vorerst die beste Miene zu dem bösen Spiel zu machen, keine hatte ja der anderen etwas vorzuwerfen, und ein splendides, schwelgerisches Souper mit Champagner und einem Kaiserpunsch zum Dessert tat das seinige, so daß zuletzt alle überfröhlich wurden, über die Sache scherzten und meinten, so müsse es wohl in einem Serail zugehen, und des Tändelns und Küssens war kein Ende, wir sangen fröhliche Lieder und stimmten ‚Es kann ja nicht immer so bleiben‘ und ‚Wenn’s immer, wenn’s immer so wär‘ an. Ich brachte endlich eine jede im Wagen nach Hause und blieb zuletzt mit Demoiselle D..., welche den Geniestreich allerliebst fand, bis gegen Morgen allein.

In der Weinwirtschaft von Luther und Wegner, wo ich bisweilen ein Frühstück mit gutem Rheinwein einnahm, hatte ich auch die Bekanntschaft des Schauspielers Devrient gemacht, der, da diese Wirtschaft ganz in der Nähe des Theaters war, oft während der Proben und sogar in den Zwischenakten der Vorstellung einen Sprung hierher machte, um sich durch ein paar Gläser alten Rheinwein zur Fortsetzung seiner Rolle zu stärken und noch mehr zu begeistern, denn der Wein war ihm eine unentbehrliche Requisite. – Die Darstellung seines Franz Moor, seines Rudolfs in Körners Banditenbraut, seine Drillinge, sein Nachtwächter und so weiter werden mir ewig unvergeßlich sein. Ich besuchte ihn jetzt öfters in seiner Wohnung und fand an Madame Devrient eine äußerst liebenswürdige Frau, wenn auch keine so große Künstlerin wie Demoiselle D... Da Devrient den Bacchus zu seinem Abgott gemacht, so vernachlässigte er über diesem Dienst gerne den Hymens und folglich seine liebe Frau, die sich aber zu entschädigen wußte und mit der ich, wenn sie im Theater nichts zu tun hatte, manchen schönen Abend entzückt hinbrachte. Einige ihrer Darstellungen, wie die der Johanna d’Arc in Schillers Jungfrau, die ihr der Gemahl noch in den Flitterwochen einstudiert hatte, waren dennoch ausgezeichnete Leistungen. Eine seltsame Wirtschaft war in dieser Haushaltung eingeführt. Wenn die Gagen für Herrn und Madame Devrient gebracht wurden, so warf Madame Devrient das Geld, nachdem sie die Rollen aufgebrochen hatte, in ein auf einem Konsoltisch stehendes Körbchen, es untereinander rüttelnd, und aus diesem Korb nahm nun jedermann, der zu ihrem Haus gehörte, nach Belieben und Bedarf heraus. Herr Devrient steckte Händevoll davon ungezählt in seine Taschen, Madama zahlte alle ihre Phantasien davon, das Kammermädchen, die Köchin, der Bediente, alle holten ohne zu fragen, was sie bedurften, ad libitum. Die gewöhnliche Folge war, daß der Korb schon mehrere Tage leer, bevor neue Gagengelder einliefen. Wurden nun Rechnungen zum Bezahlen präsentiert, so hieß es: „Es ist kein Geld mehr im Korb, Sie müssen wiederkommen, wenn er voll ist.“ – Ein wahres Künstlerleben.

Eines Tages fuhr ich mit Frau von Pogwisch und noch einigen Damen, das Denkmal der Königin Luise zu besuchen, nach Charlottenburg, wo wir einige zwanzig außerordentlich aufgeputzte und aufgedonnerte Mädchen auf der Terrasse an einer Gartenmauer sitzen sahen. Ich fragte Madame Pogwisch, ob sie nicht wisse, wer diese Damen seien, sie schlug aber verlegen und errötend die Augen nieder, und die anderen Damen lachten, keine konnte oder wollte mir Auskunft geben. Dies reizte meine Neugierde um so mehr, und als ich kaum in Charlottenburg ausgestiegen war, fragte ich einen Mann, der mir zuerst in den Wurf kam, darnach. – „Ei, das sind ja die Fräuleins der Madame Bernhard,“ erwiderte er lachend. – „Der Madame Bernhard? Wer ist diese Madame Bernhard?“ – „Wie, Sie kennen deren berühmtes Hotel und Institut in der Friedrichstraße nicht?“ – „Nein.“ – „Das größte und schönste Bordell in ganz Berlin.“ – „Ach so.“ – „Nun, diese hat ein Landhaus hier in Charlottenburg; wo sie jeden Nachmittag mit einem Teil ihrer Nymphen zubringt.“ – Auch die verstorbene Königin hatte einst, an diesem Landhaus vorbeifahrend und die vielen geputzten Mädchen sehend, dieselbe Frage getan, auf welche ihr ein Hofherr geantwortet: „Ein Pensionat für vermögenslose Mädchen.“ – „Ach, die armen Kinder,“ versetzte die Königin, „ich werde ihnen ein Geschenk zukommen lassen; sie sind aber doch alle schon sehr herangewachsen.“ – „Sie erhalten hier ihre letzte Ausbildung,“ sagte der Hofmann. – Das beabsichtigte Geschenk wußte man jedoch der Königin auszureden.

Auch die merkwürdigsten Tabagien Berlins, in denen jeden Abend getanzt wird, besuchte ich, versteht sich inkognito, und lernte in ihnen das ziemlich wilde Leben des Berliner Volks kennen; besonders war eine, die mit fast orientalischer Pracht ausgeschmückt und unterhalten war, berühmt. Der Saal bildete eine große Rotunde, aus welcher ringsherum Türen in Nebenzimmer führten; oben waren Logen auf einer Galerie angebracht. Der Haupttüre gegenüber war das Orchester auf einer erhöhten Tribüne; Türen, Fenster, Logen und Tribünen waren mit rotem Sammet drapiert. Hier fanden sich, sobald die Dämmerung eingetreten, die Berliner Grisetten und Studenten in Masse ein, sowie auch andere leichtgeschürzte Nymphen, und manches hübsche Bürgermädchen besuchte heimlich diesen Ort der Freude, nachdem sie mit einer Freundin oder Gespielin bis zur eintretenden Nacht die Linden auf und ab spaziert war. Venus, Bacchus und Ceres hatten hier zugleich ihren Thron aufgeschlagen, boten ihre Freuden zu ziemlich hohen Preisen feil und rupften die Federn der fremden Gimpel und Landjunker, welche so gemütlich in die oft plumpen Fallen gingen, die man ihnen stellte. Diese Nymphen, wenigstens die vom Handwerk, waren fast alle im Futter des Eigentümers der Tabagie, und ihr Hauptzweck ging dahin, die Gäste zu möglichst großen Depensen zu verleiten, in einen exaltierten Zustand zu versetzen und trunken zu machen, wobei sich dann auch gute Freunde einfanden, die, höchst erfreut ob der neuen Bekanntschaft, kostenfrei an den Gelagen teilnahmen und Brüderschaft bis zum Umfallen tranken, indem sie den neuen Freund hochleben, dabei vom Orchester Tusch mit Pauken und Trompeten machen ließen und „Vivat, Herr Bruder Fritz!“ oder Paul und so weiter brüllten, was diesen ob der großen Ehre in Entzücken versetzte, und mit Vergnügen zahlte er den Taler Kurant, den das Orchester für einen jeden solchen Tusch erhielt und mit dem Veranlasser und dem Wirt brüderlich teilte. Man tuschierte, solange noch Taler in der Tasche der Gefeierten waren, bis sie endlich bewußtlos auf das Ruhebett eines Seitenkabinetts gebracht werden mußten, wo sie schwerlich der Knall einer Bombe wieder erweckt haben würde; daß die Dirnen dabei nach Kräften mitwirkten, versteht sich von selbst. Eines Abends machte ich mir mit noch einigen Bekannten den Spaß, ein paar Dutzend solcher Tabagien hintereinander zu besuchen, um die verschiedenen Physiognomien derselben sowie das Volksleben in allen seinen Abstufungen bis zur letzten und schmutzigsten kennen zu lernen. Für den Philosophen wie für den Psychologen ist so eine Wanderung immer von großem Interesse, sowie für den, der die menschliche Misere in ihrer ganzen Sublimität kennen lernen will.

Während wir so sorglos in Berlin in den Tag hineinlebten – es waren damals noch sehr viele Offiziere aus dem Westfälischen und den Rheinprovinzen hier, welche Preußen übernommen hatte und die ebenfalls ihre definitive Anstellung abwarteten –, ging der Waffentanz in den Niederlanden los, und die Nachricht von der Schlacht bei Ligny am 16. Juni 1815 brachte in Berlin eine peinliche Niedergeschlagenheit hervor, so daß die Kleinmütigsten schon wieder an die Rückkehr der Franzosen glaubten, die aber niemand außer den öffentlichen Dirnen wünschte, welche ihre besten und freigebigsten Kunden mit deren Abmarsch verloren hatten. Glücklicherweise dauerte dieser Zustand kaum vierundzwanzig Stunden; die Nachricht von dem glänzenden, den 18. Juni bei Waterloo erfochtenen Sieg erfüllte ganz Berlin mit unglaublichem Jubel. – Der Kurier, der die Nachricht von dem großen Sieg brachte, wurde mit vierundzwanzig blasenden Postillons eingeholt und durch alle Hauptstraßen Berlins unter Vivatgeschrei geführt. An demselben Tag war auch die hochverehrte Prinzessin Wilhelm mit einer Tochter niedergekommen, die zum Andenken an diesen Sieg unter vielen anderen auch den Namen ‚Viktoria‘ erhielt. Nun war Freude und Fröhlichkeit an allen Ecken und Enden, und die Liebe und Anhänglichkeit an das königliche Haus zeigte sich mitten im Taumel im schönsten Licht; besonders war es auch Blücher, den man hochleben ließ. In dem großen Opernhaus, das Friedrich der Große im Jahre 1740 hatte erbauen lassen und welches geräumiger als die damaligen Opernhäuser zu Paris und London war, wurde eine Vorstellung bei festlich erleuchtetem und geschmücktem Theater gegeben.

Mitten in diesem vergnügten Leben traf mich plötzlich die Order, mich sofort nach Kolberg zum siebzehnten Garnisonbataillon zu verfügen, bei dem ich vorerst angestellt sei, und zwar eine Kompagnie befehligend, ohne jedoch die Kompagnieführer-Zulage zu erhalten. Bei einem Garnisonbataillon angestellt zu sein, wollte mir wieder nicht in den Kopf, und ich verfügte mich deshalb zum Obersten Inspekteur von Witzleben, um Einsprache zu tun; dieser entgegnete mir jedoch, daß dies nur provisorisch sei und er nichts in der Sache ändern könne. Ich mußte also wohl Order parieren, dem freundlichen Berlin und meinen Wirten und Schönen Lebewohl sagen. Prinzessin Wilhelm konnte ich mich nicht persönlich empfehlen, sie war noch Wöchnerin und empfing niemand, ich schrieb ihr daher einen gehorsamsten Abschieds- und Danksagungsbrief. Noch ehe ich abreiste, war die Nachricht von Napoleons Einschiffung nach Sankt Helena angekommen. So war denn seine Rolle auf dieser Welt ausgespielt, Murat war schon früher in Pizzo erschossen und alle Brüder Napoleons von ihren Thronen herabgeworfen und fortgejagt worden. Das große Drama des ephemeren französischen Kaiserreichs war vorbei, und alle seine Akteure traten wie andere Schauspieler nach dem letzten Herabfallen des Vorhangs nach einer gewöhnlichen theatralischen Vorstellung wieder von der Bühne ab und in die Misere des bürgerlichen Alltagslebens zurück.

Ich erhielt einen freien Postpaß von Berlin nach Kolberg nebst zwei Monate rückständigen Gehalts und setzte mich, nachdem ich noch freundlichen Abschied von Demoiselle D..., meinen beiden hübschen Minchen und anderen genommen, in den federlosen Rumpelkasten, Postwagen genannt, der nach Stargard fuhr.

VIII.
Reise von Berlin nach Kolberg. – Eine Amazone. – Ankunft in Kolberg. – Die neuen Dienstverhältnisse. – Kolberg und seine Umgebungen. – Einfachheit und Wohlhabenheit der Einwohner. – Die Marienkirche. – Gesellschaftliche Verhältnisse. – Nettelbeck. – Die letzte Belagerung. – Feier des Geburtstags des Königs. – Madame G... und ihre Cousine. – Das Versteckenspiel im Bullenwinkel. – Eine Reise nach Köslin. – Eine Lustfahrt auf einen pommerschen Edelhof. – Die Kolberger Freuden. – Ich gehe auf Urlaub nach Berlin. – Ein polnischer Reiseschatz. – Die verräterischen Austernschalen. – Fürst Blücher. – Die Berliner Weihnachtsfreuden. – Die Redouten und Porzellanfuhren. – Die schöne Luise. – Spandau. – Eine glänzende Schlittenfahrt. – Rückreise nach Kolberg.

Wer sich noch der damaligen Beschaffenheit der preußischen und sächsischen Postwagen erinnert, wird mir eingestehen, daß es keine geringe Marter war, mehrere Tage und Nächte fast ununterbrochen in einem solchen Behälter transportiert zu werden. Diese schlecht gebauten, auf der Achse gehenden Wagen rüttelten den Körper auf eine schmähliche Weise zusammen und machten die Knochen so mürbe, daß man sie zu brechen fürchtete, besonders wenn es in den Dörfern über die Knüppeldämme ging, denn Chausseen gab es ebenfalls nur sehr wenige und die Wege waren abscheulich, zudem hatte ich einen Seitensitz. Indessen sollte mich eine liebenswürdige Reisegefährtin für all dies Ungemach entschädigen. In der einen Ecke des Wagens saß ein wunderschönes Mädchen, ein Mädchen, wie sie der Himmel nur selten erschafft. In ihrem ganzen Wesen war etwas Heroisch-Liebliches, auf ihren Feuerwangen, in ihren blitzenden Augen, in ihren Zügen lag etwas so Edles, etwas so Mark und Bein bis ins Innerste Durchbohrendes, daß man davon durch und durch erschüttert wurde; ihr Wuchs, ihr Anstand, ihre ganze Figur war das schönste Ideal einer Amazone oder Bellonas selbst. Bald knüpfte ich ein Gespräch mit dieser Huldgöttin an, von der ich jedoch anfangs nur sehr kurze und einsilbige Antworten erhielt. Die übrige Reisegesellschaft hatte wenig Interesse für mich und schien es auch, bis auf eine ältliche Frau, deren Züge eine tiefe Schwermut ausdrückten, nicht zu verdienen. In Werneuchen, der ersten, drei Meilen von Berlin entfernten Station, wo der Postwagen nach der damaligen löblichen Gewohnheit wie auf allen Stationen mehrere Stunden, wohl auch wie in Stargard, Naugarten und so weiter halbe Tage liegen blieb, um alle Pakete, Passagiere, Koffer und so weiter gehörig zu sortieren und einzuschreiben, gelang es mir, meiner schönen Unbekannten ein paar Worte mehr zu entlocken. Gesprächiger aber wurde sie erst in Freienwalde, dem bekannten, sechs Meilen von Berlin entfernten Badeort, wo wir, während der Postwagen rastete, die artigen Anlagen und den Gesundbrunnen des Orts besuchten, der in einem anmutigen, von einer waldigen Höhe umgebenen Tal liegt und besonders von gichtbrüchigen und am Gehör leidenden Kranken besucht wird. Hier erfuhr ich, daß sich die gleich der Kriegsgöttin einherschreitende Schöne Johanna mit Vornamen nenne; den Familiennamen verschwieg sie mir aber noch. Ihr ganzes Benehmen hatte etwas Seltsames und Rätselhaftes. Beim Abfahren von Freienwalde war ich nicht weiter wie vorher, doch führte ich jetzt eine fortwährende, zusammenhängende Unterhaltung mit ihr. In Königsberg in der Neumark, wo wir des Nachts ankamen, gingen wir zusammen auf den Straßen spazieren, bis der Wagen wieder weiterfuhr, da es ihr unangenehm war, in der Gaststube unter den anderen Passagieren mehrere Stunden zu verweilen. Als ich ihr den Ort meiner Bestimmung, Kolberg, nannte, schien sie dies zu frappieren, und es entfuhren ihr die Worte: „Da will ich auch hin, meine Verwandten zu besuchen.“ Ich drang nun mehr und mehr in sie und brachte bald von ihr heraus, daß sie die Tochter eines in Danzig angestellten Kriegsrats sei, der sich L... nenne. Das Mädchen war wissenschaftlich gebildet, in der Geschichte wohl bewandert, zeigte dabei einen so glühenden Franzosenhaß und namentlich gegen Napoleon, daß, so oft die Rede auf diesen kam, ihre Wangen glutrot wurden und ihre Augen Feuer sprühten. Vor allem waren es aber die neuesten politischen Zustände und französischen Kriege, von denen sie mit großer Teilnahme und mit einem bei einem Mädchen ganz ungewöhnlichen Enthusiasmus sprach, und als ich im Laufe des Gesprächs ihr von dem fanatischen Eifer der Kalabresen und Spanier erzählte, da war sie ganz Ohr und hörte mir mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zu; sie wurde nun immer zutraulicher, freundlicher und sagte endlich mit Wärme zu mir: „Aber gegen die Deutschen, gegen die Preußen haben Sie doch nie gefochten, nicht wahr?“ – Dies konnte ich mit dem besten Gewissen mit nein beantworten. – „Wohlan, dann gebe ich Ihnen gerne die Hand.“ – Sie reichte sie mir hin, ich ergriff sie schnell, drückte und küßte sie. In Stargard, wo der Wagen wieder vier Stunden hielt, ließen wir uns ein Zimmer geben und ein Mittagessen in demselben servieren. Hier fing des Mädchens Neugierde hinsichtlich meiner an, rege zu werden, und sie gab sich viel Mühe, meine früheren Verhältnisse zu erforschen. Ich teilte ihr manches, was ich für gut fand, mit, und sie schien ganz Auge und Ohr, endlich aber ließ auch ich den Wunsch blicken, näher über ihre Verhältnisse unterrichtet zu werden. Des Mädchens Wangen überzog nun eine leichte Röte, die jedoch immer stärker und zuletzt fast hochrot wurde, dabei funkelten ihre Augen wie Feuer, sie nahm endlich meine Hand, faßte sie krampfhaft und sprach: „Sie flößen mir volles Vertrauen ein, und ich will mich Ihnen ohne Rückhalt entdecken. Ich war die Verlobte eines der Offiziere von Schills Korps, die Napoleon so feigerweise erschießen ließ. Wir liebten uns beide auf das innigste und wollten bessere Zeiten abwarten, unsere Vermählung zu feiern. Der grausame unverdiente Tod meines Geliebten machte mich beinahe rasend und fast zur Menschenfeindin, wenigstens zur eingefleischtesten Franzosenfeindin. Als nun unser edler König den Aufruf zur Befreiung und Rettung des Vaterlandes an sein treues Volk erließ, da schwoll auch mir die Brust, und das Herz bebte mir vor Ungestüm und Rachedurst im Busen. Ich legte Mannskleider an, verließ, ohne ein Wort von meinem Vorhaben zu sagen, das elterliche Haus, trat bei dem Bülowschen Korps als Freiwilliger ein und habe als solcher die Feldzüge von 1813 und 1814 mitgemacht.“ – Als ich sie verwundert und etwas zweifelhaft anblickte, da streifte sie den rechten Ärmel ihres Kleides in die Höhe und zeigte mir eine erst kurz vernarbte breite Wunde, die sie von einem französischen Chasseur à cheval bei Brienne erhielt und durch die sie längere Zeit im Lazarett zurückgehalten wurde, bei welcher Gelegenheit man auch zuerst ihr Geschlecht entdeckte. Erst jetzt hatte sie an ihre bekümmerten Eltern geschrieben, was aus ihr geworden. Sie kam nun ganz genesen von Berlin, wo sie sich in der letzten Zeit aufgehalten, wollte ihren Oheim in Kolberg, der daselbst verheiratet war und eine Zivil-Anstellung bekleidete, besuchen, bevor sie in das Vaterhaus zurückkehrte, wovor sie einige Scheu hatte, und das Vergangene durch den Oheim erst zu vermitteln wünschte. Daß dies alles ganz der Wahrheit gemäß war, davon hatte ich später Gelegenheit, mich vollkommen zu überzeugen. Wir erzählten uns nun gegenseitig Begebenheiten aus unseren Feldzügen und wurden dadurch so vertraut, daß wir bald nur noch ein Herz und eine Seele waren.

Da von Naugarten eine Seitenpost nach Kolberg besonders abging, so mußten wir abermals einen halben Tag auf die Weiterbeförderung warten. Wir brachten diese Zeit recht vergnügt zu, und ich bewog Johanna, nachdem wir uns ein Zimmer hatten geben lassen, ihre Jägeruniform einmal anzulegen, die sie in einem Mantelsack bei sich führte. Sie willigte lächelnd in meinen Wunsch, und ich war ihr beim Anlegen derselben möglichst behilflich. Die Uniform kleidete sie allerliebst. Wir machten nun förmlich Kameradschaft miteinander, tranken Brüderschaft auf du und du und ruhten endlich Arm in Arm erschöpft und matt aus. Ich half zuletzt meinem liebenswürdigen Kameraden seine weiblichen Kleider wieder anlegen, da die Zeit der Abfahrt herannahte. Von hier bis Kolberg aber ging nicht einmal ein bedeckter Wagen mehr, sondern wie auf allen Seitenstationen nur ein offener Korbwagen, das heißt ein gewöhnlicher Bauernwagen, in den man ein Korbgeflechte gelegt und einige Strohsitze angebracht hatte. Dies waren die Postwagen zu den Orten, die nicht an der großen Heerstraße lagen. Meine Kriegsgefährtin und ich waren die einzigen Passagiere von hier bis Kolberg; wir ruhten recht traulich Arm in Arm und fuhren die ganze Nacht durch über Greifenberg und Treptow an der Rega. Es war zwar eine Julinacht, die wir durchfuhren, und ich hatte deshalb auch nur sehr leichte Sommerbeinkleider auf dem offenen Wagen angelegt, nicht bedenkend, daß ich nicht mehr am Mittelländischen, sondern in der Nähe des Baltischen Meeres war. Wir schliefen beide, Johanna an meiner Brust, ein, je näher wir aber der Küste kamen, desto fühlbarer wurde ein sehr rauher und unfreundlicher Wind, und gegen Morgen überfiel mich ein kalter Schauer und Frost, ich fühlte mich unwohl und war froh, als wir endlich über die Zugbrücken und durch die Tore der Festung Kolberg einfuhren. Ich eilte mit meinem Kameraden, der mehr an dieses Klima gewöhnt und nicht so erfroren war, in das erste beste Gasthaus, die ‚Stadt London‘ auf dem Markt, wo ich uns jedoch anstandshalber zwei Zimmer geben ließ. Es war erst vier Uhr des Morgens, als wir ankamen, und Johanna konnte ihren Oheim so früh nicht aufsuchen, auch kannte sie dessen Wohnung nicht. Ich hatte mir eine furchtbare Erkältung zugezogen und warf mich unter den heftigsten Leibschmerzen auf das Bett. Erst gegen Mittag, nachdem ich mich ein wenig erwärmt hatte, war ich imstande, das Bett zu verlassen; ich steckte mich rasch in die Uniform und eilte nach der Kommandantur, um mich zu melden. Oberst Streit aber empfing mich mit einem Wischer, weil ich mich nicht früher gemeldet und doch mit der Morgenpost angekommen sei. Es war gerade zur Parade; er beschied mich nach derselben wieder zu sich. Ich meldete mich nun auch bei meinem Bataillons-Kommandanten, dem Major von Hackwitz, der aber das Bataillon nur interimistisch kommandierte. Dieser empfing mich sehr artig, und auf der Parade umringten mich meine neuen Kameraden, unter denen viele Westfalen und einige ältere Offiziere waren. Als ich mich nach der Parade der erhaltenen Order gemäß wieder auf die Kommandantur begab und anklopfte, da empfing mich der barsch: „Eintreten!“ rufende Oberst mit den Worten: „Bettelleute klopfen an, aber nicht die Herren Offiziere.“ Dieser abermalige unfreundliche Empfang machte einen äußerst unangenehmen Eindruck auf mich, und ich konnte mich nicht enthalten, zu erwidern: „Aber, Herr Oberst, ich trete eben erst in preußische Dienste und kann unmöglich schon alle Details derselben kennen.“ – „Wohl, Sie müssen sich aber bemühen, sie so schnell wie möglich kennen zu lernen.“ – „Dies wird mein Bestreben sein.“ – Nun frug mich der Kommandant Verschiedenes, was auf meine früheren Dienstverhältnisse Bezug hatte, und war dann weniger mürrisch, so daß wir zuletzt ziemlich gut voneinander schieden. Ich übernahm jetzt das interimistische Kommando der ersten Kompagnie des Bataillons, deren Hauptmann, ein Herr von Pfündöl, in Bälde von Gumbinnen hierher versetzt, eintreffen sollte. Der Feldwebel brachte mir nebst dem Kompagnierapport ein Quartierbillett, vermittelst dessen ich zu einem Kaufmann namens Hackstock, unweit dem Markt in der Börsenstraße, einquartiert wurde. Johanna hatte sich indessen zu ihrem Oheim begeben, der an ihre Eltern nach Danzig geschrieben, und deren Antwort sie bei demselben abwarten wollte. Wir brachten einstweilen jeden Abend vergnügt und traulich miteinander zu. Ich trat meinen neuen Dienst an, bestrebte mich, die mir obliegenden Verrichtungen möglichst bald kennen zu lernen, was auch schnell der Fall war. Doch zog sich gleich in den ersten acht Tagen ein artiges Donnerwetter aus folgender Veranlassung über meinem Haupt zusammen. In französischen Diensten hatten wir fast nie die Degenquasten, die man im Deutschen ganz fälschlich Portepee nennt, angemacht, namentlich trug sie fast kein Offizier im Feld, und sie galten für eine sehr unwesentliche Verzierung. Ich hatte mir zwar in Berlin eine solche von Silber und schwarz, wie sie im preußischen Heer sein muß, angeschafft und an meinen Säbel gemacht, jetzt mußte ich jedoch einen preußischen Degen tragen, kaufte mir einen solchen, vergaß aber die Quaste an denselben anzulegen, und so kam ich ohne Portepee auf die Parade. Bald bemerkten dies mehrere ältere Offiziere, man zischelte sich einander zu, auf mich sehend, der Major und der Kommandant wurden endlich auch aufmerksam, und Oberst Streit fuhr mich nun mit einem schweren Donnerwetter an, so daß es ein allgemeines Aufsehen erregte und sich alle älteren Offiziere nicht genug verwundern konnten, wie ein Offizier ohne Portepee erscheinen könne, sich zum Teil auch etwas hämisch deshalb ausließen; dies alles machte mir zuletzt den Kopf so warm, daß ich ganz pikiert und laut, daß es jedermann verstehen konnte, sagte: „Der Offizier steckt doch wahrlich nicht in der Degenquaste; wenn der Mann nichts taugt, so läuft gewiß kein Feind vor dem Portepee davon, und ich habe mich lange genug ohne ein solches tüchtig geschlagen.“ Diese Worte machten einen furchtbaren Rumor, der damit endigte, daß mir der Kommandant sofort einen vierundzwanzigstündigen Arrest ankündigte und noch obendrein einen Verweis gab. Diese Vorfälle machten mir gleich anfänglich den Dienst sehr zuwider und setzten böses Blut, hierzu kam noch mein langes Unwohlsein infolge der Erkältung. Die sehr öde und traurige Lage Kolbergs an der Persante, unweit der Mündung dieses Flusses in die Ostsee, wo sich nur ein einziger, kaum leidlicher Spaziergang nach der sogenannten Maikuhle, einem kleinen Gehölz, befand, war nicht geeignet, diese Mißstimmung zu mindern. Ich hatte anfangs auch nicht einen einzigen Bekannten, und den neunten Tag nach unserer Ankunft verließ auch Johanna die Stadt wieder, um sich zu ihren Eltern, die sie mit großer Sehnsucht erwarteten, zu begeben. Ich fühlte mich jetzt recht einsam und verlassen, um so mehr, da die Festung vorerst auch nicht die mindeste Zerstreuung bot; die Offiziere standen sich alle noch sehr fremd gegenüber, der Garnisondienst war sehr streng und mußte recht pedantisch kleinlich versehen werden. Nachdem ich ungefähr vierzehn Tage hier verweilt, erhielt ich plötzlich eine Einladung zur Tafel bei dem Kommandanten, der nun zuvorkommend freundlich war, allerlei Scherze machte und eine sehr liebenswürdige feingebildete Dame zur Frau hatte, die früher Hoffräulein am Dessauer Hof war und die er als Witwer heiratete; von jetzt an wurde mir der Aufenthalt etwas erträglicher. Es kamen auch immer mehr Offiziere an, von denen mehrere verheiratet waren und eine liebenswürdige Familie mitbrachten, unter ihnen auch unser wirklicher Bataillonschef, der Oberstleutnant von Witke, ein verdienstvoller Militär, der drei sehr liebenswürdige, eben aufblühende Töchter hatte.

Die Stadt Kolberg selbst liegt einsam und öde in einem Winkel an der Ostsee, hat nur wenige und eben nicht sonderlich anmutige Gärten; keine Baumstücke, keine Gemüsefelder, keine bunten Blumenwiesen umgeben die ernste Festung. Ein Spaziergang um das Glacis derselben oder nach Kuhphals Wirtsgarten war die ganze Rekreation in der Nähe der Stadt, etwas weiter war die schon genannte Maikuhle, ein mit Bäumen bepflanzter und mit Blockhäusern und Schanzen versehener Sandhügel; eine gute Stunde von der Stadt befand sich ein Wald, der Busch genannt, in dem ein Jägerhaus lag, nach dem im Sommer bisweilen Partien zu dem Förster Ott gemacht wurden; der Weg dahin war aber kahl und zog sich zwischen lauter Kartoffelfeldern hin. Das Innere der Stadt war womöglich noch unfreundlicher, die Straßen hatten fast lauter uralte Giebelhäuser, andere sah man nur ausnahmsweise. In einem solchen Haus befand sich in der Regel nur eine lange schmale Stube mit einem sehr großen Fenster und einem Alkoven im Hintergrund, in welchem die Familie schlief. Diese Gebäude waren meist von Stein, aber schlecht und ohne alle Symmetrie gebaut, sehr hoch, mit einem ungeheuern Vorplatz und großen Türen; der einzigen Stube gegenüber und durch einen Gang getrennt befand sich in der Regel ein Laden, Magazin oder die Werkstätte; der übrige Raum bis zum Giebel bestand in vier bis fünf ungeheuren Böden für Frucht, Gerste, Malz und dergleichen, nebst ein paar Kammern. Diese Einrichtung schreibt sich noch aus den Zeiten her, wo in Kolberg die Niederlage des großen Kornhandels an dem Baltischen Meer war, der sich aber schon länger als ein Jahrhundert weg und meist nach Danzig gezogen hatte. Obgleich die meisten Einwohner, etwa achttausend, wohlhabende und mehrere enorm reiche Leute waren, so dachten doch nur wenige daran, sich bequemere Wohnhäuser zu bauen; sie waren einmal an diese größtenteils höhlenartigen Wohnungen von Eltern und Ureltern her gewöhnt, wußten es nicht besser und befanden sich ganz behaglich in denselben. Obgleich Mauern und Wände feucht, besonders in den Alkoven salpeterartig waren, sind ihre Bewohner dennoch gewöhnlich ein starker und gesunder Menschenschlag. Der wenige Luxus, der hier herrschte, und die geringe Gelegenheit, Geld auszugeben, während doch immer noch ansehnlich verdient wurde, machte, daß es sehr viel reiche Leute gab, die von Urgroßeltern und noch länger her schon die alten Taler in Kisten und Kasten aufgespeichert. Mädchen mit einer baren Aussteuer von fünfzig-, achtzig- und hunderttausend Talern waren gerade keine so große Seltenheit. Unter den Merkwürdigkeiten der in vieler Hinsicht sonderbaren Stadt steht die große Marienkirche oben an; es ist ein hohes, weitläufiges Gebäude, dessen ungeheurer, fast ganz leerer Raum ihm ein schauerliches Ansehen verleiht, um so mehr, da die Kirche in einem so schlechten Zustand war, daß überall Wind und Luft Zugang fanden und Eulen und andere Nachtvögel ihre Residenz in derselben aufgeschlagen hatten, ja die Sperlinge waren so unverschämt, während des Gottesdienstes die Nase des Predigers auf der Kanzel zu umschwirren. Die Kirche hat viele Seitengebäude und Anhängsel, ist uralt und von dem Ertrag der Pfennige erbaut worden, die zwei Mönche von den frommen Seelen in ganz Deutschland erbettelten. Sie war ursprünglich dem katholischen Glauben gewidmet. Eigentlich war es nur noch eine guterhaltene Ruine mit sehr dürftiger Ausschmückung; mehr als tausend Scheiben der großen Fenster waren zerbrochen; sie machte die Wirkung eines unermeßlichen Grabgewölbes auf mich. Wer sich so plötzlich aus einem Klima wie das von Korfu, wo ich noch einen Teil des vorjährigen Sommers zubrachte, hierher versetzt findet, dem scheint dies Land ein wahres Sibirien. Dabei ist die Stadt das wahrhafte und wirkliche Krähwinkel, jedoch nicht in Bezug auf ihre braven Bewohner, denn in dieser Beziehung sind es viel größere Städte, wie zum Beispiel Frankfurt, weit mehr, sondern weil sich die geflügelten wirklichen Krähen zu Hunderttausenden die Giebeldächer der alten Stadt seit undenklichen Zeiten zu ihren Sitzen ausersehen haben, deren Geschrei und graues Aussehen das Düstere noch vermehrt. Übrigens sind die Einwohner sehr biedere, wackere und brave Leute, noch von altem Schrot und Korn, und stehen ihren Mann auch vor dem grimmigsten Feind, wie sie es schon öfters zur Genüge bewiesen haben; sie sind dabei gesellig, zuvorkommend gegen Fremde und freundlich gegen die Garnison; sie selbst scheinen sich ihrer Verdienste unbewußt und erwähnten nur mit der äußersten Bescheidenheit der letzten heldenmütigen Verteidigung Kolbergs, zu der sie doch das meiste beigetragen. Der gesellschaftliche Verein der hiesigen gebildeten Welt führte den Namen ‚Harmonie‘, und zwar mit Recht, denn diese herrschte damals ungestört in demselben.

Der alte Nettelbeck war gewiß Kolbergs bester Bürger. Er war damals schon sechsundsiebzig Jahre alt, aber immer noch ein sehr rüstiger Mann, von dem lebhaftesten Geist. In seiner Jugend war er ein Seemann, hatte mehrere Reisen nach Ost- und Westindien gemacht, und in seinem hohen Alter bildete er noch junge Leute zu Matrosen und Steuermännern aus. Bei seinen großen Verdiensten war er der einfachste und anspruchsloseste Mann, dessen große Rechtschaffenheit und Redlichkeit zum Sprichwort geworden war, und Friedrich der Große, den er noch gekannt, stand in hohem Ansehen bei ihm; sein Mut war über alles Lob erhaben. Eines Tages hatte der Blitz in den hohen Turm der Marienkirche geschlagen und dessen Spitze schon gezündet, da eilte der alte Nettelbeck ganz allein mit einer Handspritze hinauf und löschte das Feuer. Als bald nach der Schlacht bei Eylau Napoleon ein beträchtliches Korps gegen Kolberg sandte, welches, nachdem es die Verschanzungen bei Naugard genommen, sich zur Belagerung der Festung anschickte, da stellte sich der edle Greis Nettelbeck an die Spitze der wackeren Bürgerschaft und war überall bei der Hand, wo die Gefahr am größten war. Die Franzosen hatten sich bereits der Schanze auf dem hohen Berg bemächtigt, aber die Kolberger befestigten nun die Mündung der Persante und die Maikuhle und brannten die Lauenburger Vorstadt ab. Schill, der sich in die Festung geworfen hatte, machte fast jeden Tag Ausfälle und vertrieb die Belagerer wieder aus den Schanzen. Nun wurde auch noch die Geldern-Vorstadt abgebrannt, und Schill schlug mit seiner Reiterei, die eine große Tapferkeit bewies, einen Teil der Belagerer in die Flucht. Aber der Kommandant Kolbergs, ein Oberst Loucadou, von französischer Abkunft, war eine Schlafhaube, sprach von Übergabe, bis ihm Nettelbeck mit einigen Bürgern auf die Stube rückte und ihm erklärte, daß sie den, der von Übergabe spräche, für einen Hochverräter ansehen und als solchen bestrafen würden. Loucadou wurde auch bald abberufen und durch den braven Gneisenau ersetzt, der sogleich dem Feind die Schanzen am Bullenwinkel wieder abnahm. Die Franzosen beschossen jetzt die Stadt heftig und fast ununterbrochen, aber Nettelbeck und seine Bürger, die mit der Besatzung in der Verteidigung der Stadt wetteiferten, waren überall bei der Hand, wo es eine Gefahr gab; sie hatten sich in mobile Kompagnien eingeteilt, bedienten einen Teil des Geschützes, und Gneisenau tat fast nichts, ohne den Rat oder die Meinung Nettelbecks zu hören, der sein bester Adjutant und überall war. Zündete eine Haubitzgranate irgendwo, so stand gewiß Nettelbeck mit seinem Schlauch an der gefährlichsten Stelle, die er nicht verließ, bis das Feuer wieder gelöscht war, und gab es außerhalb der Stadt ein Gefecht mit dem Feind, so saß er hoch zu Pferde, die Truppen anfeuernd, versorgte sie mit Munition und brachte dem Kommandanten unter einem Kugelregen die Berichte. Er besorgte die Überschwemmungen mit einer Umsicht, welche Scharfsinn und den richtigsten Überblick verriet. Durch seinen Mut und Patriotismus versetzte er die Bürger in Enthusiasmus, und all diese Dienste tat er, ohne die mindeste Vergütung oder Besoldung zu erhalten, obgleich er durchaus ohne Vermögen war und von seinem bürgerlichen Verdienst lebte. Viermal hatten die Bomben und Granaten ein gefährliches Feuer angefacht, und viermal hatte es Nettelbeck gelöscht. Diese tapfere Verteidigung Kolbergs ist ein Lichtpunkt in dem sonst so düster-unglücklichen preußisch-französischen Krieg von 1807. Hätte sich das mächtige Magdeburg und die anderen Festungen so gehalten, niemals wäre Preußen von den Franzosen unterjocht worden. Der König erkannte Kolbergs und Nettelbecks Verdienste wohl an, sprach das erste von aller Kriegskontribution, nahe an zweihunderttausend Taler, frei, und dem braven Nettelbeck wurde die Ehre zuteil, an die königliche Tafel gezogen zu werden, wo er den Ehrenplatz zwischen dem König und der Königin einnehmen mußte; seine Tochter, noch ein Kind, wurde auf königliche Kosten erzogen, erhielt eine bedeutende Aussteuer, und aus Kolbergs Besatzung wurde ein Regiment gebildet, das auf alle Zeiten den Namen Kolberg führen sollte.

Ich begann nun mich nach und nach heimischer zu finden, obgleich meine Dienstverhältnisse gerade nicht immer die angenehmsten waren, woran ich indessen zum Teil selbst große Schuld trug, da ich mich über manche Dinge, die mir ungewohnt waren oder ungereimt schienen, ganz unverhohlen und oft sehr schonungslos ausließ, was mir dann sowohl bei meinen Vorgesetzten als älteren Kameraden Unannehmlichkeiten und Verdrießlichkeiten verursachte, die oft nur durch die Klinge beigelegt werden konnten und mich in den Ruf eines händelsüchtigen Menschen brachten. Ich konnte zu wenig den französischen Felddienst und das französische Leben vergessen und mokierte mich gern über manches, was wohl nach Pedantismus roch, doch war damals schon der preußische Dienst fast von allen kleinlichen Erbärmlichkeiten gereinigt und in hohem Grad human, besonders auch gegen den gemeinen Mann. Das große Rechtlichkeitsgefühl und Wohlwollen des Königs war von den höchsten bis zu den untersten Klassen der militärischen Hierarchie gedrungen.

Die ersten Bekanntschaften unter den Einwohnern machte ich bei der Feier des Geburtstags des Königs, die mit großem Jubel begangen wurde. Nach der großen Parade war ein Diner und abends Ball in der Harmonie, den der Kommandant mit einer Polonäse eröffnete. Unter den anwesenden Damen bemerkte ich sogleich eine sehr zierlich und fein gebaute junge Frau, die sich mit außerordentlicher Anmut im Tanz bewegte. Auf meine Erkundigung erfuhr ich, daß es die Gattin eines Kaufmanns namens G... war, und engagierte sie zum ersten Walzer. Auf diesem Ball waren so ziemlich alle Schönheiten der Honoratioren Kolbergs beisammen und wunderschöne und liebliche Mädchen unter denselben, wie die Fräulein von Gundenreich, drei sehr reiche Erbinnen, ein Fräulein Justke, von Bajinsky, eine Frau Doktor M. und so weiter, eine wahre Flora von Schönheiten und Liebenswürdigkeiten, daß einem die Wahl hätte schwer werden können. Doch fand ich in Madame G... ein so anmutiges, aufgewecktes und zierliches Weibchen, daß ich, von soviel Liebenswürdigkeit hingerissen, mich von diesem Tag ihrem Dienste vorzüglich zu widmen beschloß. Ein tragikomischer Vorfall machte, daß dieses Fest auf eine kurze Zeit unterbrochen würde. Der Chef der Artillerie hatte nämlich mit dem Kommandanten von Kolberg, Oberst Streit, als die Herren schon ziemlich allegro bei einer Bowle Punsch saßen, um ein Dutzend Flaschen Ungarwein gewettet, daß letzterer auch nicht einen Kanonenschuß in der Festung tun lassen könne ohne sein Wissen und seine Genehmigung (die Order dazu mußte erst an den Artilleriechef gelangen und ihm gemeldet werden, da kein Artillerieoffizier ohne diese abfeuern lassen konnte). Oberst Streit aber gab dem Platzadjutanten insgeheim Befehl, ein paar Reserve-Kanonen aus dem Zeughaus, wozu die Schlüssel bei der Kommandantur waren, holen, sie so geräuschlos wie möglich in der Börsenstraße gegen die Harmonie zu auffahren und richten sowie durch Artilleristen aus dem Invaliden-Bataillon bedienen zu lassen und dann auf ein von ihm mit einem weißen Schnupftuch am Fenster gegebenes Zeichen abzufeuern. Als man dem Kommandanten berichtet hatte, daß alles nach seiner Order bereit wäre, sagte er zum Major von Gaeti, Chef der Artillerie: „Nun, Herr Major, lassen Sie uns die Gesundheit Seiner Majestät unseres hochverehrten Königs ausbringen und mit Kanonendonner akkompagnieren.“ Der Major erwiderte lächelnd: „Ich bin es zufrieden,“ und stieß mit dem Oberst an, der ausrief: „Hoch lebe unser edler König!“ Zugleich winkte er mit dem Schnupftuch am Fenster, und in demselben Augenblick, es war gegen Mitternacht, donnerten die Kanonen zum Schrecken und Erstaunen der ganzen Harmoniegesellschaft, aber auch alle Fensterscheiben fielen klirrend in den Saal, so daß die Damen schreiend die Flucht ergreifen wollten; man sah sich betroffen gegenseitig an und wußte nicht, was man von dem Vorfall denken sollte, zumal da sich die Kanonenschüsse erneuerten und deren einige zwanzig fielen; doch klärte sich die Sache bald auf, und das unterbrochene Fest nahm wieder seinen nicht ferner gestörten Fortgang. Der Herr Oberst hatte zwar den Ungarwein gewonnen, mußte aber ein paar hundert Taler für die zerbrochenen Scheiben zahlen, denn nicht allein alle Fenster der Harmonie waren zerschmettert, sondern auch links und rechts die der Häuser in der Börsenstraße, von dem Platz, wo die Kanonen standen, bis zum Harmoniegebäude, welches Face machte. Es war demnach eine sehr teuer gewonnene Wette. – Erst um drei Uhr endigte das Fest, auf dem ich mit Madame G... schon so weit gekommen war, daß sie mir mit vielsagendem Blick eine beste Nacht wünschte. Wenige Tage darauf sah ich sie nebst noch anderen Damen wieder in dem Harmoniegarten, wo die neue Bekanntschaft freundlichst fortgesetzt wurde. Kurz vorher war der Hauptmann von Pfündöl angekommen, dem ich nun die Kompagnie hatte übergeben müssen. Er befand sich auch bei der Gesellschaft im Garten, und als die Sprache auf Berlin kam, erzählte ich, daß ich daselbst bei meinem Wirt, einem Herrn von Pogwisch, eine so überaus freundliche Aufnahme gefunden und überhaupt die Berliner nur zu rühmen hätte. Pfündöl fragte mich hierauf mehr und sehr genau nach den näheren Umständen der Familie von Pogwisch, so daß es mir auffallen mußte. Ich konnte ihm indessen nur Gutes und Lobenswertes von jedem Mitglied derselben mitteilen. Endlich fiel er mir lächelnd mit den Worten in die Rede: „Herr Kamerad, das war Ihnen geraten; wissen Sie, daß die alte Frau von Pogwisch meine Schwester und deren Sohn folglich mein Neffe ist; die junge Frau habe ich aber noch nicht gesehen.“ Von diesem Augenblick an waren wir die besten Freunde und Kameraden.

Noch denselben Tag schritt ich in der Gunst der Madame G... so weit voran, daß sie mir das Haus einer ihrer Bekannten, einer gewissen Madame Sparschuh, empfahl und zu verstehen gab, daß ich sie in demselben oft antreffen könne; ich fand auch schnell Mittel, mich bei dieser schon etwas älteren Dame, deren Gatte die meiste Zeit abwesend war, zu introduzieren, und bald brachte ich ganze Nachmittage in Gesellschaft der Madame G... daselbst zu, während Madame Sparschuh so gütig war, sich mit Haushaltungsangelegenheiten zu beschäftigen und uns manches Stündchen ganz allein zu lassen, wohl auch dafür zu sorgen, daß wir nicht unangenehm überrascht werden konnten, was wir dann bestens zu benutzen verstanden.

Außer Madame G... machte ich bald noch die Bekanntschaft ihrer hübschen Cousine, der Frau Doktor M., bei einer Kaffeegesellschaft im Bullenwinkel. Die Kolberger Damen veranstalteten nämlich sehr häufig solche Kaffeeklatsche, im Winter in ihren Häusern, im Sommer aber auf einem nahegelegenen ländlichen Ort, wobei außer Kaffee und Kuchen noch reichlich süße Weine, Spickgans und andere Leckerbissen serviert wurden. Diejenigen Damen, welche intimere Bekanntschaft mit Offizieren hatten, ließen diese wissen, wenn eine solche Zusammenkunft auf dem Land, wozu man fast immer den Bullenwinkel wählte, stattfinden sollte, und sie stellten sich bei denselben wie auf einem zufälligen Spaziergang ein; man lud sie dann höflichst, eine Tasse Kaffee anzunehmen, und brachte so den Nachmittag recht vergnügt mit ländlichen Spielen: Schaut euch nicht um, der Fuchs geht herum; Gut Bier feil, und besonders Versteckens und so weiter zu. Der romantische Bullenwinkel bestand aus einigen Wirtschafts- und Ökonomiegebäuden, die an den Ufern eines mit Erlen, Eschen und Weiden besetzten Baches lagen. Die Gesellschaften waren immer einige zwanzig bis dreißig Personen und mehr stark, und die Blüte der Kolberger Frauen und Mädchen kam da zusammen, um Kaffee oder auch Buttermilch zu schlürfen und neue Bekanntschaften zu machen, während die Männer und Väter dieser Damen ganz ruhig auf ihren düsteren Schreibstuben bis zum Untergang der Sonne arbeiteten und in Kaffee, Zucker, Weinen und so weiter spekulierten. Mit einem anderen jungen Offizier, dem Leutnant Willmann, hatte ich nähere Freundschaft geschlossen, so daß wir uns unsere Abenteuer und Verbindungen gegenseitig mitteilten und einander behilflich waren. Seine Auserkorene war eine junge Witwe, die Kriegsrätin W., eine ziemlich türkische, das heißt korpulente Schönheit, denen ich nie einen Geschmack abgewinnen konnte; dagegen hatten Madame G... und ihre Cousine beide Sylphidengestalten, erstere war aber von einem so zarten Nervenbau, daß sie vor lauter Entzücken oder auch aus Ärger und Gemütsbewegung leicht in einen völlig bewußtlosen Zustand versank und bis zur Beängstigung in demselben verblieb. Bald merkte sie, daß ich mit der Frau Doktor M. auf einem freundschaftlicheren Fuß stand, als ihr lieb war, was zu Neckereien und unangenehmen Szenen Veranlassung gab. Als eines Nachmittags im Bullenwinkel wieder Verstecken gespielt wurde, hatte mir ihre Cousine leise zugeflüstert: „Ich verstecke mich in das hohe Federbett der Wirtin, dort findet mich gewiß niemand.“ – „Außer mir,“ erwiderte ich. – „Das dürfen Sie nicht, weil ich es Ihnen gesagt habe.“ – „Nun, wir werden sehen.“ – Als alle versteckt waren, schlich auch ich mich in die Schlafkammer der Wirtin, wo ich richtig die Frau Doktorin fand, die ihr allerliebstes Köpfchen aus den berghohen Federbetten der Wirtin streckte. – „Beste Frau Doktorin,“ ließ ich mich vernehmen, „ich kann Ihnen nicht helfen, aber ich weiß keinen anderen Platz zum Verstecken zu finden, als bei Ihnen im Bett.“ – „Ja unterstehen Sie sich!“ – „Und warum nicht?“ Ich unterstand mich und war mit einem Hui in den Federmassen, unter der Decke und mit der liebenswürdigen Frau vereint. – „Aber mein Gott, wenn man uns hier zusammen findet!“ – „Man wird uns nicht finden, ich habe es mit der Wirtin abgemacht, lassen Sie uns also den günstigen Augenblick benützen.“ – Sophie wollte protestieren, mich wieder hinaus haben, aber ich war nicht der Mann, der, einmal in einer Festung, diese so leicht wieder aufgab, da half kein Sträuben und Ach; aber plötzlich knarrte die Tür, und ich schlüpfte tief unter die schwere und breite Bettdecke, bis zum Ersticken zugedeckt. Es war Madame G..., die mich überall gesucht hatte und endlich auf den Einfall gekommen war, zu sehen, ob ich mich nicht in der Wirtin ihr und mir schon wohlbekanntem Schlafzimmer befände. Sie trat an das Bett, und ihre Cousine mit sehr erhitztem Aussehen in demselben liegen findend, sagte sie: „So, du hast dich hier verborgen, das ist so übel nicht, ich will mich mit dir zusammen verstecken.“ – „Bewahre der Himmel, das geht nicht, wo denkst du hin.“ – „Ich sehe nicht ein, warum ...“ – „Nein, das leide ich ein für allemal nicht, du gehst deiner Wege.“ – Aber Madame G... war nicht die Frau, die sich so leicht abschrecken ließ, und zog und zerrte schon an der Bettdecke, welche die Doktorin um so fester an sich hielt, wobei ich ihr unterbettischerweise so behilflich war, daß es der Madame G... nicht gelang, die Decke herabzureißen, und so entstand ein gewaltiges Hin- und Herzerren. Da beide Cousinen sehr laut wurden, so daß ich fürchtete, noch andere Personen möchten dazu kommen, entschloß ich mich, der Sache rasch ein Ende zu machen, warf die Decke von mir, sprang zum Bette heraus und stellte mich zwischen beide, fast gleich verblüffte Damen, suchte sie zu besänftigen, indem ich ihnen vorstellte, daß sie beide gleiches Interesse hätten, daß die Sache verschwiegen bliebe und der türkische Sultan ja ein paar hundert Frauen zumal habe, ich also wohl auch zwei Geliebte auf einmal besitzen dürfe, besonders da ich beide gleich heftig liebe, wie sie versichert sein könnten. Um dieser Versicherung mehr Nachdruck zu geben, küßte ich beide abwechselnd, wenn schon Madame G... sich gewaltig sträubte; die Doktorin aber, die sich besser in das Geschehene zu finden wußte, rief ihr zu: „So ziere dich doch nicht so, Minchen, es ist jetzt einmal nicht anders, und dann bleibt’s ja unter der Verwandtschaft.“ – Es wurde endlich, wenigstens scheinbar, der Frieden geschlossen und besiegelt, wir begaben uns alle drei wieder zur Gesellschaft, nahmen kühlende Buttermilch zu uns und spielten dann wieder: Schaut euch nicht um, der Fuchs geht herum, bis mit der Dämmerung ich beide Cousinen am Arm heim führte. Madame G... konnte aber diesen Vorfall nicht so leicht verschmerzen, sondern spielte die Eifersüchtige fort, ließ soviel wie möglich alle meine Schritte beobachten und durch eine ihrer Mägde sogar meinen Burschen bestechen, der mir jedoch alles wieder rapportierte und, von mir gehörig instruiert, nur sagte, was ich für gut fand, ihn sagen zu lassen. Indessen ließ sie dennoch ihre Cousine so genau bewachen, daß es dieser fast unmöglich wurde, einen Schritt zu tun, ohne daß es Madame G... erfahren hätte, die es so einzurichten verstand, daß wir uns fast nie allein sprechen konnten. Um dies bewerkstelligen zu können, kam ich mit der Frau Doktorin überein, daß sie eine kleine Reise zu einer nahen Anverwandten nach dem fünf Meilen von Kolberg entfernten Köslin machen und ich für einige Tage Urlaub dahin nehmen solle, das Vorhaben aber so geheim zu halten, daß Madame G... vor unserer Abreise nichts erfahre. Dies glückte, und um sie irre zu führen, hatten wir hinterlassen, daß Sophie nach Treptow und ich nach Köslin gegangen sei, fanden uns aber schon eine halbe Meile hinter Kolberg zusammen und setzten nun den Weg nach Köslin in einem offenen Wagen fort.

Nachdem ich mit Sophie den dreitägigen Aufenthalt in Köslin auf das beste benutzt hatte und bei ihren Verwandten sehr gut aufgenommen worden war, fuhr ich einen Tag früher ab, damit man in Kolberg, namentlich Madame G..., weniger argwöhnisch sein und uns nicht auf die Spur kommen möge. Aber die Dame hatte bereits Verdacht geschöpft, da ihre Cousine ihr kein Wörtchen von der Reise mitgeteilt. Bald kam sie auch durch ihre Spione hinter die Wahrheit, und es setzte Szenen in der Doktorin Wohnung, wobei die nervöse Madame G... furchtbare Krämpfe bekam und in gänzliche Bewußtlosigkeit fiel. Um der Doktorin den Streich wett zu machen, veranstaltete sie nun gleichfalls eine kleine Lustreise, wobei ich ihr schwören mußte, das Vorhaben ihrer Cousine nicht zu verraten, ein Schwur, den ich aber nicht hielt, und da ich wußte, daß Sophie weit vernünftiger als Minchen war, ihr die Sache mitteilte, worauf wir beide herzlich darüber lachten. – Diesmal sollte die Fahrt auf das Gut eines pommerschen Landedelmannes gehen, mit dem der Mann der Madame G... einige nicht sehr bedeutende merkantilische Geschäfte machte und der der Dame einst en passant hingeworfen hatte, sie möge ihn doch einmal auf seinem Gut besuchen. Madame G... arrangierte nun eine Partie dahin, wozu sie auch noch außer mir Herrn und Madame Sparschuh und ein Fräulein von Bajinsky einlud, um die Sache nicht zu auffallend zu machen. Wir fuhren eines Sonnabends nachmittags ab und langten erst gegen neun Uhr abends in dem Dorf des Edelmannes an. Je näher wir kamen, desto ängstlicher wurde Madame G..., die anfing, einzusehen, daß sie auf eine so oberflächliche Einladung hin wenigstens nicht noch vier fremde Personen hätte mitbringen sollen, und erst nahe bei dem Dorf entdeckte sie mir und den anderen ihre Bedenklichkeiten. Ich war sogleich dafür, daß wir anderen in der Schenke des Dorfes übernachten müßten, während Madame G... allein von der Einladung des Edelmannes Gebrauch machen solle, aber dies wollte sie ebensowenig, namentlich nicht, daß ich mit dem Fräulein von Bajinsky, einem niedlichen jungen Mädchen, der Tochter eines pensionierten Majors, ohne sie unter einem Dache schlafen sollte. Auch war der Krug in dem Dorf so beschaffen, daß wir alle in einer Kammer auf einer Streu hätten liegen müssen. Wir hielten indessen am Krug an, von wo sich Madame G... allein nach dem Schloß des Edelmannes begab und diesem, indem sie ihm ihren Besuch ankündigte, zu gleicher Zeit auf eine Weise mitteilte, daß sie in Gesellschaft von noch vier Personen gekommen, die im Krug geblieben, daß der gute Mann wohl nicht anders konnte, als ihr den Vorschlag zu machen, sie zu ihm zu bringen; sie kam nun triumphierend zurück, uns einladend, ihr zu folgen. Wir wurden indessen ziemlich frostig empfangen, besonders von der gnädigen Frau, die, Unwohlsein vorschützend, sich bald, nachdem sie uns gemustert, wieder entfernte, uns dann durch einen Bedienten unsere Zimmer anweisen – zum großen Verdruß der Madame G... eines für die Damen mit drei Betten und ein anderes für die Herren – und uns auch ein ziemlich frugales Abendessen auf denselben servieren ließ, nach welchem wir alle etwas verstimmt und kleinlaut uns zur Ruhe verfügten, da wir niemand von dem Haus mehr zu sehen bekamen. Den anderen Morgen wurde uns um acht Uhr der Kaffee gebracht, und der aufwartende Bediente teilte uns mit, daß sich seine Herrschaft bestens entschuldigen lasse und bedaure, uns nicht mehr sehen zu können, sie habe aber mit Tagesanbruch auf ein benachbartes Gut fahren müssen, dessen Eigentümer sie diesen Besuch schon vor vierzehn Tagen versprochen. – Dies war denn doch ein wenig zu arg, ich dankte für das Frühstück, befahl sogleich anzuspannen, die übrigen waren vollkommen meiner Meinung, und den Domestiken fünf Taler in Gold als Trinkgeld hinwerfend, verließen wir den gastfreien Edelhof und waren zu Mittag wieder in Kolberg zurück, samt und sonders von dieser Pläsierreise wenig erbaut und Madame G... ein wenig beschämt. – „Der soll mir aber nach Kolberg und zu uns kommen,“ sagte sie wohl hundertmal unterwegs, „ich will ihm wieder mit Ungarwein aufwarten, dem Flegel!“ Niemand war über dies Resultat erfreuter als Frau Doktor M., der ich alles nebst den kleinsten Nebenumständen mitteilte und die sich darüber kindisch freute und halbtot lachen wollte. Ich hatte indessen bei dieser Gelegenheit nähere Bekanntschaft mit dem liebenswürdigen Fräulein Bajinsky gemacht, die ich nun auch bald auf mein Register setzen zu können hoffte. Ich gefiel mir immer mehr in Kolberg und hatte eben einen Wechsel von vierhundert Talern von Haus erhalten, die mir der Bankier Mendelsohn in Berlin bei dem Haus Plüddemann in Kolberg, einem der reichsten Kaufleute, anwies, und da dies schnell in der Stadt herumkam, so galt ich für sehr reich, und alle Leute waren jetzt noch dreimal so artig wie früher gegen mich. Den hübschen Töchtern meines Bataillonschefs sowie der elfjährigen Tochter des Kommandanten gab ich Unterricht in der französischen Sprache und im Singen. So war ich sehr gern gesehen und erhielt mehr Einladungen, als mir lieb war; eine junge Majorin von G... bat mich ebenfalls, ihr doch einige Stunden auf der Gitarre geben zu wollen, was ich unmöglich ausschlagen konnte, da es nicht nur eine hübsche, sondern auch sehr geistreiche Frau war. Nach vielen Bemühungen brachte ich auch ein kleines Liebhabertheater zustande und wurde sogar in der Harmonie zum Maître des plaisirs et des cérémonies ernannt. Ich arrangierte nun Extrabälle, kleine Konzerte, gab alle Gesellschaftsspiele an und war in der Tat l’enfant chéri des dames, und auch hier mußte mir die zum Turm der Marienkirche führende Treppe bei den gefährlichsten und geheimsten Rendezvous zum verschwiegensten Gelegenheitsmacher dienen. Eine dieser Damen, die von ihrem Gatten, einer hohen Militärperson, sehr überwacht wurde und deren Gängen man nachspürte, machte den Abend, wenn wir ein Stelldichein in dem Turm verabredet hatten, drei bis vier Besuche in verschiedenen Häusern, bevor sie sich im Turm einfand, um im Notfall eine gute Ausrede zu haben und besser ein Alibi beweisen zu können. – Auch an Heiratsanträgen, die mir so unter der Hand angegeben wurden, fehlte es nicht; es waren meist hübsche und reiche Mädchen, mit denen mich gefällige Basen und Tauten, trotzdem meine galanten Aventüren so ziemlich bekannt waren und Aufsehen erregten, beglücken wollten. Schöne und reiche Mädchen waren die Fräulein von Gundenreich, von denen man mir die älteste durchaus freien wollte. Aber kaum sechsundzwanzig Jahre zählend, hatte ich noch wenig Sinn für Hymens Freuden in der Ehe, und ebensowenig Wert hatte der Mammon für mich.

So kam allmählich der Winter heran. Hauptmann von Pfündöl und ich erhielten sehr freundliche Einladungen von Pogwischs in Berlin, einen sechswöchentlichen Urlaub zu nehmen und sie zu besuchen. Trotz aller Freuden, die mir jetzt in Kolberg blühten, ließ ich mich doch bereden, die gutgemeinte Einladung anzunehmen, auch hatte ich so halb und halb die Absicht, die Versetzung an den Rhein auszuwirken. Ich erbat und erhielt Urlaub und machte mich vierzehn Tage vor Weihnachten mit Pfündöl auf den Weg nach Berlin. Bis Naugarten hatten wir Extrapost genommen und uns dann in den von Danzig kommenden Postwagen gesetzt, in dem wir eine liebenswürdige Polin, die Gattin eines polnischen Ulanen-Rittmeisters, der bei der Armee in Frankreich stand, trafen, die ebenfalls nach Berlin und von da weiter nach Frankreich zu ihrem Mann reiste und gut französisch sprach, das Pfündöl, der außerdem schon ein Sechziger war, so wenig verstand wie die anderen Passagiere. Ich fand die junge Frau, die aus Königsberg kam, allerliebst und konnte mich um so ungestörter mit ihr unterhalten, als niemand verstand, was wir sprachen. Es war schon neun Uhr abends, als wir in Berlin ankamen, was ich zum Vorwand nahm, um nicht sogleich zu Pogwischs zu gehen, sondern im ‚Goldnen Engel‘, wo ich schon früher logierte, mit der Frau Rittmeisterin abzusteigen, worauf auch Pfündöl einging, da er seine Verwandten nicht noch so spät inkommodieren wollte. Ich schlich mich nach elf Uhr auf Kathinkas nicht verschlossenes Zimmer, in dem noch Licht brannte, sie lag aber schon mit hochwallendem, zur Hälfte entblößtem Busen im Bette und schlief, oder wenigstens tat sie so. Ich weckte die Scheintote mit Küssen, die sich nun stellte, als erwache sie aus tiefem Schlaf. Es war aber schon zu spät, ihre Unschuld zu retten, aber immer noch früh genug, um im Hochgenuß mitfühlend zu schwelgen. Ihre bald weitgeöffneten schwarzen Feueraugen verrieten alle Glut hoher Lust, die Frau war so üppig und reizend gebaut, daß ich selbst in Spanien nie einen schöneren Frauenkörper kennen gelernt; erst gegen Morgen verließ ich das Zimmer der schönen Polin wieder, kleidete mich an und begab mich dann in das Pfündöls, um mit diesem zu frühstücken und hierauf zu Pogwischs zu fahren, wo wir mit großem Jubel empfangen und freudig aufgenommen wurden. Die Frau Rittmeisterin verweilte mir zu Gefallen noch acht Tage in Berlin, das sie noch nicht kannte und das sie kennen zu lehren, ich mich der Mühe unterzog. Wir führten sie bei Pogwischs ein, wo sie während ihres kurzen Aufenthaltes täglich in dem gastfreien Haus zu Tische geladen wurde. – Minchen Pfeifer, bei der wir den anderen Tag die Aufwartung machten, war unterdessen förmlich die Braut des bei dem Armeekorps in Frankreich stehenden Regimentschirurgus geworden; dies hinderte nicht, daß wir das frühere Verhältnis wieder anknüpften, obgleich sie, als sie von Pogwischs erfuhr, daß ich wiederkommen würde, diesen gesagt hatte: „Wenn Herr Fröhlich kommt, so suchen Sie doch ja zu verhindern, daß er mich unter den jetzigen Umständen besucht.“ Als sie mir bei der ersten Visite, die ich mit Pfündöl machte, zuflüsterte: „Nun, werde ich Sie recht oft bei uns sehen?“ erwiderte ich ihr: „Sie haben es sich ja verbeten.“ – „Ach, das war nicht so gemeint,“ versetzte sie, „aber man muß den Leuten ein wenig Sand in die Augen streuen, damit man nicht für so leichtsinnig gehalten wird; wir können indessen immer zusammen musizieren, wenn ich auch Braut bin, das tut nichts, aber versteht sich alles in Ehren.“ – „Ja, mein Fräulein, in Ehren kann man alles tun, und so wollen auch wir es machen.“ – Wir sangen nun wieder öfters miteinander und trugen die Duette, wenn wir allein waren, mit so großem Ausdruck und so handgreiflicher Aktion vor, daß auch der strengste Kritiker und Rezensent hätte bezeugen müssen, daß die vollkommenste Natur dabei herrschte. – Auch auf dem Schloß machte ich meine untertänigste Aufwartung bei der Prinzessin Wilhelm, die mich wieder sehr freundlich empfing und mich unter anderem fragte, wie es mir in den preußischen Diensten gefalle, worauf ich ein: „Vortrefflich, Hoheit!“ erwiderte. Während meines Aufenthaltes in Berlin wiederholte ich noch einige Male meine Aufwartung. – Nachdem acht Tage verflossen, setzte die schöne Polin ihre Reise nach Frankreich fort, und ich wurde dadurch freier in meinem Tun und Treiben. Der diesmalige Aufenthalt in Berlin war noch unterhaltender für mich als der frühere, denn wir machten viele neue Bekanntschaften, da wir Empfehlungsbriefe von in Kolberg garnisonierenden Offizieren an deren Verwandte mitgebracht hatten, wodurch wir viele Einladungen erhielten, die uns manche angenehme Stunde hinbringen halfen. Unter anderen lernte ich auch die liebenswürdige Gattin des Herrn von L..., eines Abgeordneten aus Stralsund, das eben erst preußisch geworden war und deshalb Deputierte nach Berlin gesandt hatte, kennen, sowie eine Justizrätin von M... und eine Oberstin von M... Jede dieser Damen war gleich anziehend für mich, und lange schwankte ich, welcher ich den Vorzug geben solle; die Munterkeit und das heitere Wesen der Justizrätin machte bald, daß ich mich vorzugsweise für diese entschied. Sie war eine Schwägerin der Frau von L..., und ich hatte nun freien Zutritt in all diesen Häusern, wo ich manche höchst vergnügte Stunde zubrachte. Dabei hatte ich auch einige der älteren Bekanntschaften wieder erneuert, namentlich die der reizenden Schauspielerin Demoiselle D..., die aber, wie sie mir selbst gestand, jetzt Besuche von einer hohen Person erhielt und mich deshalb nur verstohlen empfangen konnte. Mein Verhältnis mit der Justizrätin wurde indessen durch einen unangenehmen Zufall bald unterbrochen. Ich hatte eines Morgens einen Korb mit schönen Austern an dieselbe durch meinen Bedienten geschickt und ihr in einem Billettchen dazu geschrieben, daß ich mich um elf Uhr – die Zeit, wo ich wußte, daß ihr Mann in Amtsgeschäften sei – bei ihr einfinden würde, um die delikaten Schaltiere mit ihr zu frühstücken. Das in unser Geheimnis eingeweihte Stubenmädchen empfing den Korb, etwas später mich, und wir aßen die Austern fröhlich zusammen und ließen sie in süßem Ungarwein schwimmen. Alles ging nach Wunsch und lief ungestört ab. Vor ein Uhr entfernte ich mich, weil nach dieser Stunde der Herr Gemahl sich zum Mittagessen einzufinden pflegte. Nun hatte aber das unbesonnene Mädchen die Austernschalen auf einem Wasserstein in der Küche stehen lassen, und als Herr von M... gegen zwei Uhr kam und zufällig gegen seine Gewohnheit einen Blick in die Küche warf, um zu fragen, ob das Essen fertig sei, sah er die Austernschalen. – „Was ist denn das?“ fragte er das erschrockene Mädchen, das nach einigem Zögern stotterte: „Madame hatte plötzlich ein so großes Gelüst nach Austern, daß ich deren holen mußte.“ – „So, und wie mir scheint, eine ziemliche Quantität; da sind ja mehr als hundert Schalen.“ – Der Justizrat eilte nun in das Wohnzimmer und sagte zu seiner Frau: „Du hast heute morgen Austern gegessen?“, worauf sie erschrocken versetzte: „Ich glaube, es träumt dir, mein lieber Mann.“ – „Wie, die ganze Küche liegt voller Schalen, und das Mädchen sagte mir, du habest plötzlich eine so große Lust nach diesem Leckerbissen gehabt, daß sie deren habe holen müssen. Ich hätte nichts dagegen, wenn es ein Dutzend gewesen wäre, aber über ein Hundert, das kostet ja an zwei Friedrichsdor.“ – Die Frau sah jetzt wohl ein, daß sie die Sache auf Rechnung ihrer Genäschigkeit schieben müsse, und dankte Gott, auf diese Weise, doch mit einem wenn auch etwas derben Verweis davonzukommen, indem der Mann sagte: „Du bist ja doch nicht in der Hoffnung, soviel ich weiß, und wäre es, gleich ein Hundert zu verzehren, dergleichen Sprünge verbitte ich mir, sonst werde ich dir einen Riegel vorschieben, der dich verhindern soll, künftig so extravagante Ausgaben zu machen; ein Hundert Austern, solche Depense macht der König nicht!“ – So wäre die Sache abgemacht gewesen, wenn der Justizrat nicht zwei Tage darauf ein anonymes Billettchen erhalten hätte, in dem man ihm schrieb: „Sie sind sehr schwachköpfig, zu glauben, daß Ihre Frau die Austern – es waren ihrer anderthalb Hundert – allein verspeist habe. Sie hat sie bei einem tête-à-tête mit einem Offizier gegessen, und beide haben Ungarwein dazu getrunken.“ – Jetzt war der Teufel los, der Mann rannte heim, stellte seine Frau zur Rede, examinierte als geübter Jurist wie in einem peinlichen Verhör die Mägde, aber alle leugneten beharrlich, schrien über schändliche Verleumdung, und seine Frau sagte: „Mein Gott, siehst du denn gar nicht ein, lieber Mann, daß dich irgendein Spaßvogel zum besten hat und den Austernschmaus zum Vorwand nimmt, um dich zu hetzen, Zwietracht unter uns zu stiften und sich dann ins Fäustchen zu lachen? Besinne dich nur, mit wem du von der Sache gesprochen, und es muß dir klar werden, wer den Wisch geschrieben.“ Die Zofen stimmten so kräftig mit den Worten ihrer Herrin überein, daß es dem armen Mann ganz schwül wurde und er endlich den Gläubigen spielte; in der Tat hatte er mit einigen Freunden von der Nascherei seiner Frau gesprochen, aber dennoch traf er solche Anstalten, daß dergleichen Frühstücke oder Soupers wenigstens in seinem Hause künftig unmöglich wurden. Dagegen fand sich Gelegenheit, uns außerhalb desselben zu entschädigen. Wer den anonymen Brief geschrieben, konnten wir nicht herausbringen, aber wahrscheinlich hatte eines der Mädchen, das einen Liebhaber gehabt, geplaudert, und so war die Sache weiter gekommen und wurde dann in den Berliner Salons, mit allerlei Zusätzen ausgeschmückt, erzählt. Meine alte Liebhaberei, zu einer Garde zu kommen, erwachte auch hier wieder, als ich der Musterung der königlich preußischen Garden, die von Paris zurückgekommen waren, beiwohnte, und die nicht nur eine vortreffliche militärische Haltung, ein martialisches Aussehen hatten, sondern auch fast ausgesucht schöne und noch junge Leute und sehr elegant und geschmackvoll uniformiert waren, namentlich die Kavallerie, besonders die Ulanen und Husaren. Da ich nun in den Soireen und bei Diners mehrere Generäle, unter anderen auch den Geheimrat Schmalz kennen gelernt und außerdem an der Prinzessin Wilhelm eine einflußreiche Beschützerin hatte, so hoffte ich wohl mein Vorhaben durchsetzen zu können, aber vergeblich; man machte mir wenig Hoffnung. Es hieß, daß nicht nur alle Garderegimenter vollzählig seien, sondern auch überdies eine große Zahl aggregierte Offiziere hätten; das Haupthindernis mochte indessen wohl sein, daß ich nicht zu der Klasse derer gehörte, die man von Adel nennt, gewiß eines der albernsten und stupidesten Vorurteile, welche menschliche Dummheit je geschaffen! Ich hatte indessen Gelegenheit gehabt, bei einem großen Diner, das im Börsensaal gegeben wurde und wozu Pfündöl und ich von einem Oberst Scholten von der Artillerie, von dessen Sohn wir an ihn empfohlen worden waren, eingeladen worden, den so tapferen als hochehrwürdigen Feldmarschall Fürsten Blücher kennen zu lernen, ohne den schwerlich Deutschland von dem napoleonischen Sklavenjoch jemals befreit worden wäre, ohne den die Verbündeten noch weniger Paris erblickt haben würden und ohne den die Schlacht bei Waterloo, wo Wellington mit seinen Engländern schon vollkommen geschlagen war, – und mit ihr die deutsche Sache, – wieder verloren gewesen wäre. Nie hat mich ein Mann in so hohem Grade angesprochen wie Blücher. Ich hatte nur Gelegenheit, wenige Worte mit ihm zu wechseln, aber was er sagte, war voll Kraft und Wahrheit. Biederkeit leuchtete aus seinen Augen und ging aus jedem seiner Worte hervor; vor diesem greisen Helden fühlte ich mich von Ehrfurcht und Hochachtung durchdrungen, während ein Napoleon nur ein unheimliches und unangenehmes Gefühl in mir erregt hatte und ich keine Spur von Achtung empfand.

Die Weihnachten waren herangekommen. Mit ihnen wurde es auch in Berlin recht lebendig, der ganze Weihnachtsmarkt war mit grünen Pyramiden, Spiel- und anderen Waren und den schönen und eleganten Kindern Berlins, zum Teil in kostbare Pelze gehüllt, von morgens bis abends angefüllt, was mir Gelegenheit gab, diese lebendigen Christpuppen die Musterung passieren zu lassen, manchen von ihnen auch in den nahegelegenen Konditorladen Josty oder den entfernteren eleganten des Konditors Fuchs unter den Linden zu folgen, wo sich die schöne Welt versammelte, unter grünen Laubdächern flüssige und kompakte Süßigkeiten einnahm und der Harmonie einer hinter Gebüsch und Teppichen verborgenen Musik zuhörte. Fast alle Konditorläden, welche von den Berlinern und besonders den schönen Berlinerinnen fleißig besucht werden, haben um diese Zeit sogenannte Ausstellungen, das heißt, es werden ganze Szenen aus Opern oder Schauspielen, ganze Volksfeste, wie der Stralauer Fischzug und so weiter, aus Figuren und Dekorationen von Kraftmehl in einem solchen Laden ausgestellt, die manchmal so meisterhaft ausgeführt sind, daß sich selbst ein Canova ihrer nicht zu schämen hätte. So entsinne ich mich, unter anderen eine Szene aus Wallensteins Lager von Schiller, die ein vollendetes Meisterstück genannt werden konnte, in einem Konditorladen unter den Linden gesehen zu haben; nicht allein, daß die Gruppierungen und der Ausdruck in den Gesichtern und den Stellungen ganz vortrefflich waren, sondern alle Figuren und Gesichter sahen den Schauspielern, welche die verschiedenen Rollen gaben, so sprechend ähnlich, daß man sie auf den ersten Blick erkannte, namentlich war dies mit dem Komiker Wurm und mit Devrient, der den Kapuziner machte, der Fall.

Bei meinen freundlichen Wirten veranstaltete ich eine kleine Bescherung, zu der auch Minchen Pfeifer und noch einige andere Damen eingeladen wurden. Ich bestellte einen ungeheuren Baumkuchen, ein in Berlin sehr beliebtes Gebäck, bei Josty und besteckte ihn mit allerlei kleinen Gaben, deren Bestimmung durch Zettelchen angedeutet war und die meist aus kleinen Bijouterien bestanden. Der Hauswirtin aber verehrte ich noch besonders ein Teeservice von Porzellan, von dem sie eine große Freundin war und das ich in der königlichen Porzellanfabrik erstanden hatte. Auch das Neujahr ging recht vergnügt herum. Herr von Pogwisch arrangierte einen kleinen Ball, auf dem wir bis gegen Morgen tanzten. Die Karnevalszeit brachten wir ebenfalls recht fröhlich zu. Ich besuchte die prächtigen Redouten im Opernhaus, die freilich mit denen in San Carlo in Neapel unter Murat nicht verglichen werden konnten, aber trotzdem sehr glänzend waren und Freuden die Fülle gewährten, namentlich durch die Porzellanfuhren, die ich mit meinen Bekanntinnen machte und deren ich oft zwei bis drei in einer Nacht mit verschiedenen Damen veranstaltete. Für diejenigen, die Berlin nicht kennen, muß ich mit ein paar Worten erklären, was es mit diesen Fuhren für eine Bewandtnis hat. Während der Redouten halten beständig eine ziemliche Anzahl großer und bequemer Wagen vor dem Opernhaus, bereit, diejenigen aufzunehmen, die sich paarweise von dem Ball schleichen, um sich in einer solchen Karosse recht bequem längs der Linden auf- und niederfahren zu lassen. Diejenigen, die sonst keine Gelegenheiten oder nur sehr schwer zu Zusammenkünften haben können, finden sie hier am besten, denn wie leicht kann man sich nicht in einem solchen Gewühl unbemerkt auf ein halbes Stündchen entfernen und von lästigen Bewachern trennen.

Etwas, das mir großes Vergnügen machte, war, daß man während meiner diesmaligen Anwesenheit die ‚Zauberflöte‘, die seit vielen Jahren in Berlin nicht mehr gegeben worden war, neu einstudiert, neu dekoriert – die herrlichen Dekorationen waren von Schinkel – und neu kostümiert, wieder in Szene setzte. Bei einer Vorstellung dieser Oper, der ich in einer Loge des ersten Ranges beiwohnte, führte mich der Zufall in die Nähe von ein paar Damen, die in der Nebenloge saßen, von denen die eine, kaum siebzehn Jahre alt, das schönste blondgelockte Engelsköpfchen hatte, das ich in meinem Leben sah. Die andere redete sie immer mit Luise an. Sie war wirklich so auffallend schön, daß während der ganzen Darstellung die Operngläser nicht aufhörten, sie zu lorgnettieren und sie der Gegenstand einer allgemeinen Bewunderung war, denn man sah fast mehr nach ihr als auf die Bühne. Da die Damen ganz vorn saßen, ich aber in meiner Loge etwas zurück, so war es mir unmöglich, eine Unterredung mit ihnen anzuknüpfen. Mit Ungeduld erwartete ich das Ende der Oper, um womöglich ihre Wohnung ausfindig zu machen. Auch folgte ich ihnen nach Schluß an den Wagen, der aber so rasch davonfuhr, daß ich trotz allem Rennen denselben bald aus den Augen verlor; gerne wäre ich hinten aufgesprungen, wenn mich nicht der da befindliche Bediente abgehalten hätte. Ein paar Tage trug ich mich mit dem Bild dieser Luise herum; die Logenschließerin konnte mir keine Auskunft geben, und obgleich ich alle Hunde losließ, so blieb doch jede Erkundigung fruchtlos. Schon hatte ich es aufgegeben, das Mädchen je wiederzusehen, und sie mir also aus dem Sinn geschlagen, als ich eines Sonntags gerade bei Beendigung der deutschen Kirche auf dem Gendarmenmarkt über diesen Platz ritt und plötzlich unter der herausströmenden Menge die so lange gesuchte Schöne wiedererblickte, als sie aus der Tür trat. Diesmal sollst du mir nicht mehr entwischen, sagte ich zu mir selbst, indem ich mir vornahm, ihr in einiger Entfernung zu folgen und es dabei verwünschte, daß ich gerade zu Pferde sein mußte. Das Roß gehörte Herrn von Pogwisch und war ein sehr schönes aber etwas wildes Tier. Um mich meiner Schönen bemerkbar zu machen, setzte ich die Schenkel an, ließ es kurbettieren, sich hochbäumen; aber unglücklicherweise war etwas Glatteis auf dieser Stelle, die Eisen waren nicht geschärft, es glitt aus und stürzte mit mir, so daß ich unter das Tier zu liegen kam und lange brauchte, ehe ich mich hervorarbeiten konnte. Glücklicherweise war es auf die Seite gefallen, so daß ich mit einigen Quetschungen davonkam, denn hätte es sich überschlagen, so hätte ich sicher den Hals gebrochen. Ich war sogleich von einem Haufen Neugieriger umringt, von denen einige behilflich waren, mir aufzuhelfen. Meine Uniform, Beinkleider, die silberne Schärpe waren ganz beschmutzt und mein Federhut zerdrückt. Der Vorfall machte weit mehr Aufsehen, als mir lieb war, und ich hinkte, mein Pferd an der Hand führend und mich verschämt durch die Kirchenleute drängend, möglichst schnell in eine Seitengasse. Was mir bei der Geschichte das unangenehmste, war, daß ich die langgesuchte Schöne zum zweitenmal und wahrscheinlich für immer aus dem Gesicht verloren hatte, und sie mir, wie ich glaubte, nun auch für immer aus den Gedanken schlagen mußte.

Der Kommandant von Spandau war ein alter Kriegskamerad von Pfündöl, den er zu besuchen sich vornahm. Er lud mich ein, ihn zu ihm zu begleiten. Ich kannte das berüchtigte Spandau noch nicht und willigte daher mit Vergnügen in den Vorschlag; auch Pogwisch war mit von der Partie, und wir ritten eines Morgens früh nach Spandau ab. Als wir in das alte Nest kamen, hatte ich beinahe einen Schauder, und es war mir ganz unheimlich zumute; besonders machte die feste Zitadelle einen schlimmen Eindruck, und ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren: Wie, wenn du hier einmal als Staatsgefangener dein Leben beschließen müßtest? – Beim Kommandanten wurden wir aber so wohl aufgenommen und so gut bewirtet, daß ich schnell wieder andere Gedanken bekam. Als wir nach Tisch alle Spandauer Herrlichkeiten und Traurigkeiten besehen hatten und uns zur Heimkehr nach Berlin anschicken wollte, da fiel es Pogwisch ein, noch einen alten Major, einen Freund seines verstorbenen Vaters, aufzusuchen, wohin wir ihn begleiteten. Als wir bei dem braven Mann eintraten, saßen zwei Damen auf dem Sofa, die, uns bewillkommnend, sich sogleich erhoben. Aber kaum traute ich meinen Augen: in der einen derselben erkannte ich sogleich meine so lange gesuchte Luise! – Vor freudigem Erstaunen war ich fast starr und sprachlos. Das holde Mädchen, in einem sehr einfachen weißen Kleid, sah lieblicher aus wie ein Seraph und so frischblühend, als sei es die eben den Meereswogen entstiegene Aphrodite, die unmöglich reizender gewesen sein kann als dieses sozusagen in Lieblichkeit und Anmut schwimmende Kind, ein Engel scheinend, wie sie vor Gottes Thron schweben müssen. Der invalide Major hieß uns freundlich willkommen und stellte uns den Damen vor, wovon die älteste seine Schwester, die Oberstleutnant von D..., und die jüngere deren Tochter, seine Nichte war. Nie in meinem Leben habe ich das banale: „Es freut mich außerordentlich, Ihre werte Bekanntschaft zu machen,“ mit mehr Wahrheit als diesmal ausgesprochen, und noch glücklicher fühlte ich mich, als ich erfuhr, daß die Damen sich nur zur Geburtstagsgratulation ihres Bruders und Oheims hier eingefunden und diesen Abend ebenfalls nach Berlin zurückzufahren gesonnen seien, wo sie in der Kronenstraße wohnten; daß wir sie eskortieren würden, nahm ich nun als ausgemacht an. Wir verweilten noch anderthalb Stunden in ihrer Gesellschaft, während welchen ich Luisens Mutter um die Erlaubnis bat und sie erhielt, ihr in Berlin meine Aufwartung machen zu dürfen. Bei der Rückreise wich ich nicht vom Schlag der Kutsche und unterhielt mich auf das anziehendste mit dem ebenso geistreichen als schönen Mädchen, während Mama bald in Morpheus Armen ruhte. Tief in der Nacht oder vielmehr nach Mitternacht kamen wir bei der Wohnung der Damen an, die in geringer Entfernung von der unsrigen war, und erst jetzt bemerkte ich, daß ich längst meine beiden Reisegefährten verloren hatte. Was so nahe war, hatte ich so lange und so weit gesucht; so geht es aber in der Regel. Noch eine ganze Stunde mußte ich zu Hause auf die Rückkunft meiner beiden Begleiter warten, die ganz gemächlich angeritten kamen und mit dem viel rascher fahrenden Wagen nicht gleichen Schritt hatten halten wollen; als ich sie deshalb zur Rede stellte, erwiderten sie mir: „Uns spornt auch kein Gott Cupido!“ – Ich hatte jetzt fast für nichts mehr Sinn, als dem schönen Fräulein von D... emsig den Hof zu machen, wozu mir wieder die Musik den Weg bahnte und Gelegenheit gab, da Luise eine schöne Stimme hatte und gut sang. Die neue Bekanntschaft machte mich glut- und feuersprühend wie noch wenige, aber vergeblich, denn Mama ließ das schöne Töchterchen, das selbst noch ein gar schüchternes Täubchen war, auch keine Sekunde allein; ein verstohlenes Händedrücken machte sie schon am ganzen Leibe zittern. Sollte mich die innere Glut nicht verzehren, so mußte ich sie wohl von Zeit zu Zeit bei anderen Schönen löschen, was ich denn auch nicht unterließ. – Daß ich alles mögliche versuchte, auch Luise zu verführen, gestehe ich ein, ebenso, daß ich es trotz der unsäglichsten Mühe nicht dahin bringen konnte, dank der Mama und den Grundsätzen, die sie dem Mädchen eingeprägt, das durchaus nicht einmal ein Briefchen von mir annahm. Unter den vielen Manövern und Umtrieben, die ich veranstaltete, Luise zu Fall zu bringen, war auch eine glänzende Schlittenfahrt en Costume, die ich mit Hilfe Pogwischs veranstaltete. Der erste, für die Musik bestimmte Schlitten stellte ein altgriechisches Schiff vor, dessen Mast bunt bewimpelt war und an dessen Vorderseite eine goldene geflügelte Viktoria, die Siegesfahne in der Hand schwingend, schwebte. Vier prächtig geschmückte Rappen zogen dasselbe. Wir hatten über achtzig schöne Rennschlitten, fast alle vergoldete Tier- oder allegorische Figuren vorstellend, zusammengebracht, jeder hatte zwei Vorreiter, mehrere auch noch Nachreiter. Nun ging es, nachdem man sich rangiert hatte, mit rauschender Musik, Peitschengeknall und Schellengerassel die Linden auf und nieder, dann über den Schloßplatz durch die Königsstraße, die neue Friedrichsstraße, die Heiligegeist-Straße, wieder über den Schloßplatz, am Hausvogteiplatz vorbei, dann durch die Jerusalemerstraße, die Leipzigerstraße hinab, durch die Wilhelmsstraße und am Wilhelmsplatz vorbei, die Mohrenstraße wieder hinauf, durch die Markgrafenstraße über den Gendarmenmarkt, die Charlottenstraße entlang, dann durch die lange Friedrichstraße bis unter die Linden, diese hinab und über den Pariserplatz zum Brandenburger Tor hinaus nach Charlottenburg, wo ein splendides Mittagessen bestellt war und eingenommen wurde. Wir fuhren fast durch alle Straßen, in denen Teilnehmer an dieser Schlittenfahrt wohnten, und ich hatte es zu veranstalten gewußt, daß beinahe alle Berliner Damen, mit denen ich näher bekannt, von der Partie waren. Die Kostüme waren zum Teil sehr geschmackvoll, reich und prächtig, meistens der romantischen Theater- und Dichterwelt entnommen, so zum Beispiel die Hauptpersonen aus Ariosts Orlando, Wielands Oberon und Tassos befreitem Jerusalem. Luise, die zu fahren mir gelungen war, saß in einem einen goldenen Schwan vorstellenden Rennschlitten und war als Diana kostümiert. Nach Tisch, der bis zur sinkenden Nacht währte, wurde getanzt, und erst gegen zehn Uhr fuhren wir bei dem Schein von einigen hundert Fackeln wieder nach Berlin zurück und durch dessen Hauptstraßen jede Dame heim.

Ich war jetzt so enchantiert von Berlin, seinen Vergnügungen und der spröden Luise, die mir denn doch, wenn auch in Gegenwart der Mama das Schlittenrecht hatte gewähren müssen, daß ich mir vornahm, alles aufzubieten, den nächsten Winter ganz in Preußens Hauptstadt zubringen zu können; zu diesem Ende meldete ich mich bei dem Oberst von Witzleben mit der Bitte, mich doch für das nächste Jahr in der Kriegsschule verwenden zu wollen, wo ich Vorlesungen über Fortifikation und den Felddienst überhaupt sowie über Strategie zu halten beabsichtige. Da ich von mehreren Generälen und von der Prinzessin Wilhelm, der ich dieses Vorhaben, das sie vortrefflich fand, mitgeteilt, gute Empfehlungen hatte, so wurde mir auch eine solche Anstellung für den nächsten Winter zugesagt, wenn ich das hierzu erforderliche Examen bestünde, wofür mir nicht bange war, da ich den Felddienst und was dazu gehörte sehr praktisch kennen gelernt und außerdem noch acht Monate hatte, mich auch theoretisch mehr vorzubereiten. Aber die Vorsehung hatte mir eine andere Schule als die Kriegsschule zu Berlin reserviert, auch eine Art Prüfungsschule; doch ich will den Ereignissen nicht vorgreifen. Noch wohnte ich dem Ordensfest, das diesmal äußerst glänzend gefeiert wurde, sowie einem dieserhalb zu Ehren gegebenen großen Diner bei, an dem fast die ganze in Berlin anwesende Generalität und die meisten Stabsoffiziere teilnahmen. Bei dieser Gelegenheit sah ich den König, einen Monarchen, der vollkommen die seltene Liebe und Hochachtung, die man ihm zollte, verdiente, in der Domkirche über eine Stunde ganz in der Nähe und konnte bemerken, daß seine Andacht bei der religiösen Feier gewiß keine erheuchelte war, sondern ihm von Herzen ging.

Über zwei Monate waren wir nun schon in Berlin und hatten um vierzehn Tage Verlängerung unseres Urlaubs gebeten und erhalten. Meine Kasse, obgleich ich für den gewöhnlichen Unterhalt nicht zu sorgen hatte und trotzdem ich die des Bankiers Mendelsohn auf Rechnung meines Vaters einigemal angesprochen, war durch die vielen außerordentlichen Ausgaben, wozu auch noch die Geburtsfeste der beiden Frauen von Pogwisch gekommen waren, denen ich nicht umhin konnte, elegante Präsente zu machen, so ziemlich erschöpft, und es war daher hohe Zeit, wieder nach unserer Garnison Kolberg abzureisen, was wir auch nach gehörigem Abschied von dem schönen Berlin und seinen anmutigen Bewohnern und besonders Bewohnerinnen taten. Wir traten die Reise im Königsberger Postwagen an, gelangten Mitte Februar ohne alle Abenteuer wieder in die treffliche Festung und wurden freundlich und fröhlich empfangen.

IX.
Frau v. Schätzel. – Madame Schröder, der Kolberger Krösus. – Ihre Feste und Landpartien. – Eine Schlittenfahrt mit Folgen. – Ein Duell. – Eine gefährliche Fensterpassage. – Ich belausche wider Willen eine Kaffeegesellschaft. – Ein Kaffeebad. – Ich führe einen Transport zu dem Okkupationsheer nach Frankreich. – Stettin. – Ein Konzert rettet aus Not und Tod. – Ich werde vom Dienst suspendiert. – Rombergs Schauspieler-Gesellschaft zu Kolberg. – Sechsmonatlicher Festungsarrest in Weichselmünde. – Neufahrwasser. – Danzig und seine Vergnügungen. – Abreise nach Marienburg.

Auch in Kolberg waren bei unserer Ankunft die Winterfreuden, wenn auch im Vergleich mit Berlin in sehr verjüngtem Maßstab, in vollem Gang. Ich knüpfte die alten Bekanntschaften wieder an, machte dazu neue, unter denen die liebenswürdige Frau von Schätzel, eine geborene Schick, die früher in der Oper zu Berlin als treffliche Sängerin glänzte und den Landrat von Schätzel, der sich sterblich in sie verliebte, geheiratet hatte. Aber kaum ein Jahr dauerte das Glück dieser Ehe ungetrübt fort, als der Landrat plötzlich verhaftet und in strengen Arrest gebracht wurde. Er hatte sich einen Unterschleif von mehr als zehntausend Talern zu schulden kommen lassen, wurde kassiert und auf zehn Jahre auf die Festung Kolberg gesetzt. Seine Frau war ihm dahin gefolgt und gab in den ersten Häusern daselbst Unterricht im Klavier und Gesang, wodurch sie sich anständig ernährte. Ihrem Mann gestattete der Kommandant, in der Stadt wohnen zu dürfen, und mit Hilfe seiner Frau gelang es ihm, einen Journalzirkel zu errichten, der ihm ein paar hundert Taler jährlich einbrachte; somit war die Familie wenigstens in leidlichen Umständen. Da Frau von Schätzel eine sehr liebenswürdige, geistreiche und talentvolle Dame war, so wurde sie zu allen Gesellschaften und Partien de plaisir eingeladen. Ich hatte zuerst ihre Bekanntschaft bei einem Fest gemacht, das der Kolberger Krösus, eine Madame Schröder, gab und nicht weniger als drei Tage hintereinander währte. Den ersten Tag war großes Diner und Ball in ihrem neuerbauten Haus auf dem Markt in der Stadt, an den beiden folgenden wurden Landpartien auf die Rittergüter der Dame gemacht, die deren nicht weniger als ein halbes Dutzend der ergiebigsten in der Umgegend von Kolberg besaß, ein Einkommen von mehr als vierzigtausend Talern jährlich hatte und dabei eine Witwe von etwa achtunddreißig Jahren sein mochte. Wie sie oder vielmehr ihr seliger Mann, der bis zum Jahre 1807 nur ein ganz unbedeutender armer Krämer gewesen, der Tee, Kaffee, Zucker und so weiter lotweise verkaufte, zu diesem Reichtum kamen, verdient wohl angeführt zu werden. Als Napoleon die Kontinentalsperre gegen England in beinahe ganz Europa angeordnet hatte, ernannte er auch einen französischen Konsul in Kolberg, das, wie wir bereits wissen, keine Franzosen – Gefangene ausgenommen, unter denen sogar der Marschall Victor war, den man dahin gebracht – gesehen hatte. Das Haupt- oder alleinige Geschäft dieses Konsuls war hauptsächlich, streng darauf zu sehen, daß keine englischen Waren und von England kommende Kolonialwaren hier eingeschmuggelt würden. Der Kaffee kostete damals über einen Taler das Pfund, der Zucker ebensoviel in ganz Preußen und Deutschland; Schröder und noch ein anderes Haus namens Plüddemann verständigten sich mit dem Herrn Konsul und erhielten ungeheure Quantitäten Kolonialwaren von England, die als von Dänemark kommend eingeführt wurden. Der außerordentliche Gewinn, den dieses gewagte Unternehmen abwarf, wurde mit dem Konsul geteilt, und über vier Jahre, bis 1813 Preußen gegen Frankreich aufstand, währte dieser lukrative Schmuggelhandel, bei dem die Beteiligten so klug waren, ihre gewonnenen Reichtümer so geheim zu halten, daß niemand etwas davon ahnte. Erst als Schröder zu Anfang des Jahres 1814 starb und sein Testament eröffnet wurde, fand es sich, daß er bereits Besitzer von vier fetten pommerschen Rittergütern war, wenigstens ein halbes Dutzend Kauffahrteischiffe auf der See gehen hatte, die von den Engländern nichts zu riskieren gehabt, und an barem Geld und pommerschen Pfandbriefen fanden sich mehrere hunderttausend Taler vor. In seinem Testament hatte er unter anderem verordnet, daß seine Witwe – er hinterließ vier Kinder –, so lange sie lebe und sich nicht wieder verheirate, über den Nießbrauch des Vermögens verfügen, ihr aber im letzteren Fall nur ein Jahresgehalt von fünfzehnhundert Talern verbleiben solle; zu Testamentsvollstreckern und Vormündern der Kinder hatte er den Kaufmann Dresow und den Apotheker Julius ernannt, und Madame Julius ward nun die Gesellschaftsdame der Madame Schröder, wobei sie und ihr Mann sich trefflich standen, da die Dame ebenso schlau und listig als ihr Gatte stupid und Madame Schröder borniert war. Letztere, die sich nun plötzlich von einer armen Krämersfrau, denn sie selbst hatte den Reichtum ihres Mannes nicht geahnt, in eine reiche Guts- und Kapitalienbesitzerin verwandelt sah, wußte sich gar nicht in ihr großes Glück zu finden und beging eine Albernheit nach der anderen, zu der sie durch ihre gute Freundin verleitet wurde, da diese ihren Vorteil bei den dummen Streichen fand. Das alte kleine Häuschen, in welchem der selige Mann so viel Geld erworben, war natürlich jetzt keine passende Wohnung mehr für die Frau Rittergutsbesitzerin. Sie mußte einen Palast auf dem Markt haben; da sich aber kein solcher auf demselben befand, so mußten einige alte Häuser erstanden und niedergerissen werden, damit er gebaut werden konnte. Madame Julius wollte ihre beste Freundin zur nächsten Nachbarin haben. Ein neben der Apotheke stehendes Haus war zu verkaufen, hatte aber nur eine sehr schmale Fassade auf dem Markt, jedoch einen langen Hof, dessen Mauer in ein enges Seitengäßchen ging. Madame Julius beredete nun ihre Freundin, dieses zu einem sehr hohen Preis – sie erhielt von dem Eigentümer das Dritteil als Maklergeld – zu kaufen. Das Haus wurde niedergerissen und der Palast an dessen Stelle erbaut, der nur drei Fenster in der Front auf den Markt, aber eine lange Fassade in das Gäßchen erhielt, und da doch ein Stück vom Hof bleiben sollte, so waren die Gänge, welche zu den Zimmern führten, so schmal, daß kaum zwei schmächtige Personen nebeneinander gehen konnten, Madame Schröder und ihre Freundin am wenigsten, da beide sehr korpulent waren. Nicht einmal die vier Pferde, prächtige Mecklenburger, die Madame Schröder gekauft, konnten einen Stall in diesem Palast erhalten und mußten auswärts einlogiert werden. Die Ameublierung dieses Hauses war so barock wie dessen Bauart. Die Decken der Gemächer waren alle mit wunderlichen Figuren bemalt, an allen Ecken waren Amors angebracht, die ihre Pfeile abdrückten, und ein vergoldeter Cupido schwebte über dem Betthimmel der Dame und schoß seinen Pfeil gerade auf die Mitte des Bettes ab. In dem größten Salon war der ganze Olymp abkonterfeit, und zwar bei einem Göttermahl, bei dem pommersche Gänsebrüste, Hamburger Pökelfleisch, Kolberger Neunaugen, Lachs, Pasteten dampfend vor Jupiter und Frau Juno standen, und Apoll und Frau Diana tranken Gesundheiten aus Champagnergläsern; Minerva trank Schokolade, Mars Ale, und Venus hatte eine Tasse Kaffee vor sich. Dies alles hatte Madame Julius so angegeben. In den nicht sehr großen Zimmern waren so viel Mobilien, Sofas, Kommoden, Kanapees, Sessel und Quincaillerien aufgestellt, daß sie wie bei vielen Pariser Parvenües eher Warenmagazinen als Wohnzimmern glichen. Madame Schröder und ihre Freundin fuhren nicht mehr anders als in einer Staatskarosse mit den vier Mecklenburgern lang bespannt aus, und wenn sie sich nur zu einer Kaffeegesellschaft in das Nebenhaus begaben, so daß oft die Kutsche noch an der Haustür der Madame Schröder hielt und die beiden Vorderpferde schon mit ihren Köpfen fast an das Haus, wo man sich hinbegab, reichten. Zu dem Einweihungsfest dieses Hauses waren alle Honoratioren und das ganze Offizierkorps der Garnison geladen; von Mittag bis zur Nacht währte die Mahlzeit. Ich hatte schon gar mancherlei Essen in so verschiedenen Ländern beigewohnt, aber noch nie war mir eine solche An- und Aufhäufung von allen möglichen Speisen durcheinander vorgekommen. Unmittelbar nach dem Essen, von dem manche der Gäste mit beschwerten Köpfen und zum Zerplatzen gefüllten Mägen den Tisch verließen, folgte der Tanz. Während der Pausen sang ich einigemal Duette mit Frau von Schätzel aus verschiedenen Opern und tanzte dann mit der hübschen Sängerin mehr als ich sollte, wodurch ich Madame G..., die Frau Doktor M... und noch andere Damen in üble Laune versetzte. Die ganze Nacht durch wurde getanzt, gebechert und geschmaust, und mit Tagesanbruch wurden Anstalten gemacht, die Landpartie auf die Güter der Dame anzutreten. Jedermann begab sich ein paar Stunden nach Haus, um seine Landtoilette zu machen, und gegen zehn Uhr morgens fuhr die ganze Gesellschaft, über hundert Personen, in einigen zwanzig Wagen, größtenteils Korbwagen mit Bauernpferden bespannt, welche alle die freigebige Wirtin besorgt hatte, nach dem nächsten Rittergut derselben ab, wo man wieder mit Schmausen und Zechen begann, musizierte, tanzte und spielte und dann weiter nach einem anderen Gut fuhr. Am Tag sang und beschäftigte ich mich viel mit der äußerst liebenswürdigen Frau von Schätzel, und wenn die Nacht herankam, machten wir tête-à-tête romantische Promenaden in die Gärten und Felder au clair de lune, von denen wir immer etwas ermüdet heimkehrten. Drei Tage währte dies seltsame Nomadenleben, von dem alle, die es mitgemacht, fatiguiert und abgespannt nach Kolberg zurückkamen und froh waren, wieder in das Geleise des Alltagslebens einzutreten.

Auch mehrere Schlittenfahrten hatte ich kurz nach meiner Rückkehr von Berlin arrangiert, die, wenn auch nicht so glänzend wie die in der Hauptstadt, deshalb nicht minder amüsant waren, auch war immer ein Musikschlitten dabei. Nettelbeck war einigemal bei dieser Partie oder lieh mir seinen Schlitten samt Pferdegeschirr. Ich fuhr abwechselnd meine intimsten Bekanntinnen. Bei einer dieser Partien, bei der sich ein sehr schönes Mädchen aus Köslin, ein Fräulein Conrad, die Tochter eines dortigen Beamten, befand, suchte ich bei Tisch mich neben diese zu placieren; dasselbe tat auch ein Ingenieur-Leutnant namens Poselger, und es entspann sich zwischen diesem und mir ein kleiner Wortwechsel wegen der Placierung der Damen. Poselger, der vielleicht ernstliche Absichten auf das Mädchen hatte, verwechselte die von mir auf die Kuverte gelegten Zettel; ich hatte es bemerkt, stellte ihn deshalb zur Rede und bestand darauf, daß die Zettel wieder auf ihre alten Plätze gelegt würden, wogegen er sich weigerte und mir ein trotziges: „Es beliebt mir einmal so!“ entgegnete. Ich nahm aber die Zettel, verwechselte sie abermals und erwiderte: „Und mir beliebt es so, und dabei bleibt es, da ich Zeremonienmeister und Anordner des Festes bin.“ – „Schon gut, Herr Kamerad,“ versetzte jetzt mein Gegner, „das wird sich morgen früh finden, ich erwarte Sie in der Wolfsschanze.“ – „Sie sollen nicht vergeblich warten, und so ist die Sache für jetzt abgemacht, da hier nicht der Ort zu weiteren Erörterungen ist.“ – Ich saß nun neben dem Fräulein Conrad, mit der ich mich, meinem Nebenbuhler zum Trotz, der jetzt etwas schief uns gegenüber saß und wütende Blicke schoß, auf das angenehmste unterhielt und sogar von ihr erlangte, daß sie bei der Heimfahrt in meinem Schlitten neben der Frau Doktor M..., die ich gefahren, Platz nehmen würde. Ich ließ mich indessen durch nichts mehr in den Freuden der Tafel und des darauf folgenden Tanzes stören, sondern unterhielt mich vortrefflich, ja Fräulein Conrad war mir nun um so interessanter, und ich bat um die Erlaubnis, sie in Köslin besuchen zu dürfen. Bei Tisch brachte ich einen Toast auf das Wohl der Kolberger Damen aus, der von diesen eine Erwiderung zur Folge hatte; so endigte alles gut, und mein Schlittenrecht übte ich in vollem Maß. Kaum aber war ich in meiner Wohnung angekommen, so erschien auch schon ein Artillerieoffizier, Hauptmann Müller, der mich im Namen Poselgers aufforderte, mich um sechs Uhr den anderen Morgen mit einem Sekundanten in der Wolfsschanze einzufinden, was ich zusagte, meinen Freund Willmann aufsuchte und diesen bat, mein Sekundant zu sein, wozu er gleich bereit war. Wir stellten uns zur bestimmten Stunde nebst einem Chirurgen an dem bezeichneten Ort ein, und es fand jetzt ein kurzes Pourparler wegen der Art des Fechtens statt. Poselger wollte sich schlechterdings nur auf den Hieb einlassen, was ich nicht gewohnt war und deshalb auf dem Stich bestand oder daß jeder in seiner Weise fechten würde. Der auf den Stich Fechtende hat, besonders im Parieren, einen bedeutenden Vorteil; man machte Schwierigkeiten, und ich sagte: „So bleibt uns nichts übrig, als zu den Pistolen zu greifen.“ Endlich kamen wir überein, daß ich zwar à la pointe parieren, aber nur hauend attackieren dürfe. Nach einigen Gängen hatte ich dennoch meinem Gegner eines ausgewischt, freilich mehr stechend als hauend, weshalb mich dessen Sekundant zur Rede stellte, ich erwiderte aber: „Ich bin es einmal nicht anders gewohnt, deshalb greifen wir zu Pistolen, wenn Sie nicht zufrieden sind.“ – Man fand jedoch für gut, da Poselger eine tüchtige, aber nicht gefährliche Fleischwunde hatte, es dabei bewenden zu lassen und die Sache als abgemacht zu betrachten. Nachdem Poselger verbunden war, ritten wir alle fünf (wir waren sämtlich zu Pferde gekommen) in die Stadt zurück. – Denselben Abend, als ich kaum zu Hause angekommen war, es mochte zehn Uhr vorüber sein, klopfte es leise an meine Stubentür. Auf das laute „Herein!“ trat eine dichtverschleierte Frauengestalt ein und fiel mir mit den Worten: „Du häßliches Ungeheuer, was hast du gemacht!“ in die Arme. An der Stimme und Gestalt erkannte ich Madame G..., deren Mann in Geschäften nach Kopenhagen gereist war und die mir nun eine lange, vorwurfsreiche Predigt hielt, die mit einem Friedensschluß und vollkommener Versöhnung endigte. Erst nach Mitternacht brachte ich sie nach Haus. So lange die Abwesenheit ihres Mannes dauerte, wiederholte sie diese Besuche jeden Abend in Begleitung eines vertrauten und artigen Stubenmädchens. Aber ein anonymer Brief verriet dem wiederheimgekehrten Gatten das täglich bis tief in die Nacht hinein währende Ausbleiben seiner Frau. Der Mann examinierte, Madame leugnete und meinte, man wolle sich einen Scherz mit Herrn G... machen. Er mochte dies nun glauben oder nicht, auf jeden Fall hatte er Verdacht geschöpft, denn als er bald darauf eine zweite Geschäftsreise unternehmen mußte, traf er solche Vorkehrungen, daß es seiner Frau ganz unmöglich wurde, abends unbemerkt das Haus zu verlassen. Wir korrespondierten mit Hilfe einer alten Tante, welche die Zwischenträgerin machte und bei der wir uns auch von Zeit zu Zeit am Tage sahen. Da Madame G... nun nicht mehr zu mir kommen konnte, so wollte sie, daß ich ihr nächtliche Besuche abstatten solle, was indessen nicht so leicht war, da auf Befehl ihres Mannes jeden Abend die Haustür sowie die unteren Fensterläden von einem der Ladendiener mit Vorhängeschlössern und vorgelegten eisernen Stangen gut verwahrt wurden. Aber die Liebe macht erfinderisch, und Schwierigkeiten zu überwinden war von jeher eine Passion für mich. Vor dem Haus des Herrn G... standen, wie vor vielen Häusern Kolbergs, namentlich auf dem Markt, ein paar Lindenbäume, jedoch noch in einer ziemlichen Entfernung von den Fenstern. Ich kam nun auf den Einfall, mit Hilfe eines Brettes, das man des Nachts von einem oberen Fenster auf einen Baumast legen müsse, in das Haus einzusteigen. Die Sache ging auch ganz gut, indem das mit ins Vertrauen gezogene Stubenmädchen diese Art Zugbrücke nach zehn Uhr des Abends herabließ. Sie und ihre Herrin hielten das Brett an dem einen Ende fest, während ich, wenn alles ‚still und stumm war und nur noch die Verliebten und Gespenster umherwandelten‘, auf den Baum kletterte und dann die gefährliche Passage von ein paar Schritten über das Brett zum Fenster machte, wo ich mit offenen Armen empfangen wurde und in die Burg stieg. Dieses Manöver war wohl schon ein halbes dutzendmal geglückt, als sich eines Abends die Frauenzimmer so ungeschickt benahmen, daß das Brett, als ich eben den Fuß darauf setzte, mit großem Gepolter auf die Straße hinabfiel. Glücklicherweise hatte ich mich noch mit der rechten Hand an einem ziemlich dicken Ast festgehalten, und so kam auch ich mit einem kleinen Schrecken davon, die Frauenzimmer schrien aber beide laut auf und glaubten mich verloren. Dies und das Gepolter des fallenden Brettes hatte die nicht sehr entfernte Schildwache von der Hauptwache gehört und Lärm gemacht, so daß der wachthabende Offizier mit einem Unteroffizier die Ronde um das Rat- und Blockhaus machten, da sie aber alles still und ruhig fanden und nichts Verdächtiges entdeckten, sich wieder in die Wachtstuben begaben. Nachdem ich nun die hinter dem Fenster ängstlich harrenden Frauengemüter hinsichtlich meiner gehörig beruhigt hatte und wir nach längerem Überlegen kein Mittel fanden, wie ich den Übergang ins Haus jetzt bewerkstelligen könne, denn sie hatten kein zweites passendes Brett bei der Hand, und das unten liegende konnte ich zu ihrem großen Verdruß nicht auf den Baum bringen, da Hände und Füße vollauf zu tun hatten, allein hinaufzuklettern, so mußten wir uns damit begnügen, uns für diesen Abend gegenseitig eine angenehme Ruhe zu wünschen, und das Mädchen sollte mit Tagesanbruch die Diele möglichst unbemerkt ins Haus schaffen. Als ich aber den Baum hinabkletterte, führte das Unglück den Nachtwächter herbei, der mich bemerkte, da ich zur Hälfte herab war, mich für einen Dieb hielt, schon „Diebe!“ zu schreien begann und eben zu rasseln anfangen wollte, als ich mit einem Sprung auf dem Boden war, auf ihn zueilte, in der einen Hand ein Terzerol, das ich bei solchen Abenteuern immer bei mir zu tragen pflegte, in der anderen zwei Taler Kurant haltend, ihm den Mund stopfend und mich als Offizier zu erkennen gebend; aber es war zu spät, denn schon eilte eine Patrouille von der nahen Wache herbei, wo man das Geschrei gehört hatte. Ich ging ihr jedoch entgegen und sagte ihr, daß auch ich den Ruf des Nachtwächters gehört habe und auf denselben hergekommen sei, daß aber die Diebe, als sie mich erblickten, davongelaufen wären; dies bestätigte auch der bestochene Nachtwächter, und so lief alles glücklich ab. – Dies hinderte indessen nicht, daß, Gott weiß wie, die Kunde von diesem nächtlichen Ereignis, mit allen möglichen Zutaten ausgeschmückt, bald in allen Mäulern Kolbergs war, und ich fand für gut, diese gefährlichen Besuche einige Zeit auszusetzen.

Wenige Tage darauf hatte ich wieder ein, wenn auch nicht so gefährliches, doch bei weitem unbequemeres Abenteuer zu bestehen. Ich hatte jetzt eine Wohnung bei einem Schornsteinfeger namens Neugebauer gemietet, der zwei artige Töchter besaß, die nichts weniger als schwarz waren. Das Haus war neben dem des Dr. M..., dessen Frau ich auf seine eigene Einladung fast täglich besuchte und dessen Hausfreund ich war. Madame G..., die immer noch nicht wegen ihrer Cousine beruhigt war, besuchte dieselbe häufig und oft zu den unpassendsten Stunden, um zu entdecken, ob ich mich nicht bei ihr befinde. Eines Nachmittags war ich kaum ein paar Minuten bei der Doktorin, welche später eine Kaffeegesellschaft bei sich erwartete, als Madame G... wenigstens um anderthalb Stunden zu früh erschien. Da wir sie hatten kommen hören, so sprang ich rasch in das Nebenzimmer. Kaum war ich daselbst, als sie in das vordere Zimmer trat und sagte: „Du wirst dich wundern, daß ich so früh komme, aber ich wollte dir nur sagen, daß ich nicht lange bleiben kann, weil ich mit meinem Mann nach Treptow fahren muß. Indessen will ich doch sehen, wie du alles arrangiert hast.“ – Da ich dies hörte und fürchtete, sie möchte auch in das Seitenzimmer kommen, in dem das Kaffeegeschirr schon aufgestellt war, so kroch ich schnell unter das daselbst befindliche Sofa. Madame G... machte nun wirklich Anstalt, auch in dieses Zimmer zu kommen, wogegen sich die Doktorin wehrte. Sie schob aber dieselbe mit den Worten: „Mein Gott, so sei doch kein Kind,“ beiseite, trat ins Zimmer, sich allenthalben umsehend, und sagte: „Nun, das ist ja scharmant.“ Die Doktorin M..., die etwas verlegen war, schien erstaunt, mich nirgends zu sehen, konnte sich indessen wohl denken, wo ich sein müsse, da das Zimmer keinen weiteren Ausgang hatte. Madame G... warf sich nun auf das Sofa, das sie, trotzdem daß sie ihre Cousine persuadieren wollte, wieder in das andere Zimmer zurückzukehren, nicht eher verließ, als bis die ersten Damen, unter denen Frau von Schätzel und die Kriegsrätin Wißling waren, erschienen. Dann empfahl sie sich. Nun war an kein Fortkommen für mich mehr zu denken und ich war verurteilt, wenigstens noch drei gute Stunden bewegungslos in der fatalen Lage zu bleiben, in die ich mich selbst versetzt hatte, das Geschnatter all dieser Kaffeegänse, unter denen manche überbejahrte war, zu vernehmen, und ein halbes Dutzend ihrer Füße, derjenigen, die den Ehrenplatz auf dem Sofa einnahmen, beständig vor mir zu sehen. Es waren die Fußgestelle der Damen Schröder, Julius und Wißling, die ich in diesen untersofaischen Räumen zu beobachten Gelegenheit hatte, die alle ziemlich groß waren und mich mit einer fast ägyptischen Finsternis umgaben. Mehr als einmal kam mir die fast nicht zu überwindende Lust an, eine oder die andere dieser Schönen in die Beine zu zwicken, und nur mit großer Selbstüberwindung vermochte ich sie zu bekämpfen. Die Unterhaltung, die mir in meinem engen Versteck die Gespräche der einige dreißig Frauen starken Versammlung, die sich von keinen Männerohren belauscht glaubten, gewährten, verkürzten mir indessen meine unbequeme Lage sehr, denn es kamen Dinge zur Sprache, Dinge, über die ich fast noch hätte erröten können, und alle nicht Anwesenden wurden unter die Hechel dieser Weiberzungen genommen. Auch das sämtliche Offizierkorps und meine Wenigkeit mußte die Musterung passieren, und uns wurden oft nicht die schönsten Epitheten. Oft war es nahe daran, daß ich vor Lachen hätte bersten mögen, und konnte dies nur verhindern, indem ich mir die Lippen fast blutig biß, während die Doktorin M... immer wie auf Nadeln saß, fast alles verkehrt anordnete und beantwortete. Indessen nahm sie doch meine Partei, wenn die große Mehrzahl der älteren Frauen auf das unbarmherzigste über mich herfielen, ebenso über Madame G... Wir waren dank dieser schon längst das Stadtgespräch. Die Häßlichen schimpften am meisten. Sogar die nicht anwesende Kommandantin mußte herhalten und ihre Haushaltung wurde eine schlampige und liederliche genannt. Was mit am drolligsten, war die Erzählung von einem Kaffeebad, das die Frau eines Tuchhändlers namens Darkow genommen, von der man wußte, daß die volle Kaffeekanne den ganzen Tag nicht aus ihrer Stube kam und daß sie wohl mehr denn dreißig Tassen dieses edlen Getränkes täglich zu sich nehme. Ihr Mann, dem diese Liebhaberei sehr mißfiel, besonders da sie außerdem sehr wenig und bei Tische fast gar nichts aß, wurde erzählt, sei nun auf den Einfall gekommen, um seiner Frau den unmenschlichen Kaffeegelust zu vertreiben, dieselbe ein Kaffeebad nehmen zu lassen, unter dem Vorwand, die hysterischen Zufälle, an denen sie von Zeit zu Zeit litt und die wahrscheinlich von diesem Kaffeetrinken herrührten, dadurch zu heilen. Ein Spaßvogel von seinen guten Freunden hatte ihm zu diesem Mittel geraten. Er hatte zu diesem Zweck zwölf Pfund Kaffee rösten, mahlen und in dem großen Waschkessel kochen, zwanzig Maß Milch dazutun und mit diesem Gebräu die Badewanne seiner Frau füllen lassen, die er dann mit der Versicherung, der berühmteste Berliner Arzt habe es angeraten und schon Wunderkuren damit verrichtet, zu dem Bade persuadierte. Die Dame, die schon den Geruch des Kaffeedampfes wohltuend fand, fand das Bad selbst köstlich und hätte sich zugleich dabei satt getrunken, wenn ein halbes Dutzend Zuckerhüte darin verschmolzen gewesen wären. Aber der Mann, der gegenwärtig war, sagte seiner Gattin, daß, wenn das Bad die gehörige Wirkung haben solle, so müsse sie wenigstens ein dutzendmal in demselben untertauchen. Er nahm sie dann beim Schopf und hielt ihr den Kopf mit Gewalt einige Sekunden unter dem Kaffee. Trotz dem Sträuben der Dame wiederholte er das Manöver einige Male schnell hintereinander, wobei ihr der Kaffee in die Nase, in die Ohren, den Mund und alle Öffnungen ihres Leibes drang, worüber die Frau in großen Zorn geriet und wie wütend in dem Kaffee umherplätscherte. Jetzt fand der Herr Gemahl für geraten, sich aus dem Staub zu machen, die Zofe als den Wetterableiter für die Wut der Madame zurücklassend, die auch die ganze Fülle ihres Unwillens an dem unglücklichen, aber dennoch fortwährend lachenden Geschöpfe ausließ. Diese Pferdekur soll in der Tat der Dame den Kaffee, wenigstens für eine Zeitlang, gänzlich verleidet haben. – Diese Erzählung machte mich unter meinem Sofa beinahe ersticken. – Nachdem auch diese Damen reichlich Kaffee, Kuchen und süße Weine geschluckt, bequemten sie sich zum Aufbruch, und ich wurde endlich aus meinem Versteck erlöst, nachdem sich auch die letzte unter mir endlos scheinenden Komplimenten empfohlen hatte. – Mit einem minutenlangen „Uff!“ kroch ich unter dem Sofa hervor, nachdem die Doktorin das Zimmer inwendig abgeschlossen. Sie war wegen der Gespräche, die ich mit angehört hatte, nicht wenig verlegen und überrot. Ich redete ihr die Sache lachend aus, indem ich zu ihr sagte: sie möge sich deshalb keinen Kummer machen, es sei nicht das erstemal, daß ich dergleichen und noch weit tollere Frauenunterhaltungen mit angehört. – Wir amüsierten uns nun noch eine Stunde auf das angenehmste; sie lachte mit mir über mein Verstecken und was ich gehört, und wir trennten uns zuletzt beide seelenvergnügt.

Am anderen Morgen wurde ich schon um sieben Uhr durch eine Ordonnanz zum Bataillonskommandeur Oberstleutnant von Witke gerufen, der mir ankündigte, daß ich mich sogleich marschfertig zu machen habe, um einen Transport Rekruten, der in einer Stunde abgehen müsse, zum preußischen Okkupationsheer nach Frankreich zu führen. Ich wußte zwar, daß dieser Transport abgehen solle, wußte aber auch, daß Premierleutnant R... zu dessen Führung kommandiert gewesen, was ich dem Kommandeur bemerkte, worauf er mir erwiderte: „Allerdings, aber der wurde mir ja soeben krank gemeldet. Indessen weiß ich schon, was ich von dieser Krankheit zu halten habe, doch ich will niemand unglücklich machen.“ – Herr von R... hatte die unglückliche Leidenschaft, sich von Zeit zu Zeit dem Trunke zu ergeben, und diesen Morgen in aller Frühe, wahrscheinlich, um sich zu dem bevorstehenden Marsch zu stärken, schon so tief ins Glas gesehen, daß er kaum auf den Beinen hatte stehen können, und also außerstande war, abzumarschieren, noch viel weniger, zu kommandieren. Ich mußte daher in aller Eile meine Vorbereitungen treffen, und ehe eine Stunde verging, stand ich marschfertig an der Spitze meines, über hundert Mann starken Detachements, zu dem noch eine Abteilung in Stettin stoßen sollte. In Stettin hatte ich drei Ruhetage, weil die Leute, die ich noch mitzunehmen hatte, erst den anderen Tag eintreffen sollten.

Nachdem ich mich in der Stadt umgesehen und die nötigen Gelder zur weiteren Verpflegung des Detachements in Empfang genommen hatte, kehrte ich in mein Quartier, den englischen Hof, zurück. Gegen Abend fanden sich daselbst allerlei Leute ein, unter denen auch ein verabschiedeter Rittmeister, eine wahre Samielsphysiognomie, die durch zwei tüchtige Schmarren noch mehr entstellt war. In seinem verzerrten Gesicht lag etwas hämisch-diabolisches, welches sich besonders, wenn er sprach, und noch mehr, wenn er lachte, ausdrückte. Seine Züge schienen alsdann aus Schadenfreude und Hohn zusammengesetzt zu sein. Nachdem die meisten Gäste ihr Abendbrot eingenommen hatten, näherte sich mir der Rittmeister, indem er mich mit einem: „Herr Kamerad!“ ansprach, erkundigte sich nach meiner Bestimmung, erzählte mir von seinen Feldzügen und endigte damit, mir mit einer affreusen, geheimnisvollen Miene zu vertrauen, daß jeden Abend in einem oberen Zimmer des Gasthofes ein honettes Pharospielchen gemacht werde, wobei sich verschiedene Kaufleute, Offiziere, Beamte und so weiter einfänden und etwas zu gewinnen sei. Er endigte damit, auch mich einzuladen, mein Glück zu probieren.

Noch jetzt ist es mir ein Rätsel, wie ich mich von dem vor mir stehenden, ganz unverkennbaren Mephistopheles, dessen betrügerische Tendenz aus seinen Blicken leuchtete, zu einem heimlichen Spiel konnte überreden lassen. Genug, es ging mir wie dem Vogel bei der Klapperschlange, und ich nahm die Einladung an. Er bezeichnete mir das Zimmer und ich folgte ihm bald. Ein Aufwärter leuchtete mir zwei Stiegen hinauf und führte mich in ein im hinteren Teil des Hauses gelegenes Gemach. Noch an der Schwelle desselben schien mich mein guter Engel warnen zu wollen, denn ich machte eine unwillkürliche Bewegung zum Umkehren und zog die Hand von der schon ergriffenen Türklinke wieder ab, als sich dieselbe von innen öffnete und mich die daselbst versammelte Gesellschaft wahrnahm, so daß ich mich des Rücktrittes schämte und in das verhängnisvolle etwas spärlich erleuchtete Zimmer trat.

Der Rittmeister in Satansgestalt, oder besser, der Satan in Rittmeistergestalt hielt Bank, und es wurde schon frisch darauf los pointiert. Ich fing mit Viergroschenstücken, dem niedrigsten Satz, zu pointieren an. Anfänglich wollte mir das Glück wohl. Ich gewann bedeutend, was mich immer mehr anfeuerte. Doch nur zu bald wandte mir die launige Göttin den Rücken. Ich fing zu verlieren an und in weniger als einer halben Stunde war der letzte mir gehörige Taler fort. Jetzt nahm ich, durch meinen Verlust und das Spiel in die Hitze getrieben, ein paar Taler von dem zur Bezahlung der Truppen bestimmten Gelde. Auch sie waren bald fort. Ich nahm vier, sechs, zwölf, zwanzig, und in wenigen Minuten war das Geld, von dem meine Leute zehn Tage leben sollten, verspielt. In dieser schrecklichen Lage nahm ich den Wirt beiseite und versetzte ihm meine Uhr, dann meine silberne Schärpe und die silbernen Fangschnüre für einige vierzig Taler, die, da ich das Spiel forcieren wollte, bald genug ebenfalls in des Satans Krallen waren, und stürzte, nachdem der letzte Taler verschwunden, in einem fast bewußtlosen Zustand aus dem Spielzimmer, warf mich verzweiflungsvoll auf einen Stuhl des meinigen. – Jetzt erst traten mir die schrecklichen Folgen meines unbegreiflichen Leichtsinns klar und deutlich mit den grellsten Farben vor die Augen. Hier war weder Ausweg noch Rettung. In einer mir weltfremden Stadt, wo ich auch nicht eine Seele kannte, war an keine Hilfe zu denken. Kassation, Entehrung, zehnjährige Festungsstrafe schwebten mir als unvermeidlich vor. Die gräßlichste Verzweiflung bemächtigte sich meiner. Nachdem ich meine Pistolen scharf geladen hatte, klingelte ich, ließ mir Briefpapier und eine Flasche Champagner kommen, schloß dann die Türe ab, setzte mich, die Mordgewehre zu meiner Rechten legend, nieder, um noch einige Briefe an meine Verwandten und mir teure Personen zu schreiben, mit dem festen Vorsatz, mir nach deren Beendigung eine Kugel durch den Mund in das Gehirn zu jagen. Die Batterien rieb ich mit wollenem Tuch, schärfte die Steine, um ja das Versagen zu verhindern, stürzte dann ein paar Gläser hinunter und machte mich zum Schreiben fertig. Zur Unterlage nahm ich ein deutsches Liederbuch, aus dem ich öfters in Kolberg gesungen hatte, das gerade mit Beckers Romanze, „Der Sänger“ betitelt, begann. Ich hatte sie schon so manchmal in fröhlichen Zirkeln in Berlin und Kolberg gesungen, und gerade der letzte Vers, der da heißt:

„Doch jetzt mach’ ich eine Pause,

Nehmt die Lehre mit nach Hause

Und beherzigt sie.

Sing und Sang ist eine Gabe,

Wer sie hat – o der vergrabe

Sie im Leben nie.“

fiel mir in die Augen. Wie ein Blitzstrahl fuhr es mir durch den Kopf und erleuchtete mich, so daß ich zu mir selbst sagte: „Wie, sollte dir denn dein Talent nicht aus dieser schrecklichen Lage helfen können? – Stargard, durch das du schon ein paarmal gekommen bist, ist nur drei Meilen von hier. Dort kennt dich keine lebende Seele. Man liebt die Musik, hat wenig Gelegenheit, etwas zu hören. Wie wäre es, wenn du da hinüberführest und unter einem fremden Namen ein Konzert gäbest? – Stargard ist eine nicht unbedeutende Stadt. Es gilt nur einen Versuch. Schlägt der fehl, je nun, so läuft dir das Totschießen auf keinen Fall davon.“ Dieser Gedanke faßte immer mehr Wurzel bei mir. Ich suchte, was ich an Musikalien bei mir hatte, hervor, fand auch ein italienisches Cahier darunter, rief meinem Burschen, ließ mir einen Wagen für den anderen Morgen um vier Uhr bestellen, vorgebend, daß ich einen Bekannten in der Umgebung besuchen wolle. Ich ließ meine Zivilkleider auspacken, versetzte einen Rubinring, den ich noch hatte, für zehn Taler bei dem Wirt, und fuhr um die bestimmte Stunde ganz allein nach Stargard ab, nachdem ich dem ältesten Unteroffizier des Detachements anempfohlen, es sich recht angelegen sein zu lassen, den Dienst während meiner kurzen Abwesenheit bestens zu versehen. Um sieben Uhr morgens kam ich in Stargard an. Um acht Uhr machte ich dem Herrn Bürgermeister meine Aufwartung, gab mich bei ihm für einen Sänger der italienischen Oper von Wien aus, der sich Matuccio nenne, von Berlin komme und über Königsberg nach Sankt Petersburg reise, um daselbst zu gastieren. – Ich fand an dem Bürgermeister nicht nur einen sehr artigen und zuvorkommenden Mann, sondern auch einen großen Musikliebhaber, dem mein Antrag, noch diesen Abend ein Konzert in Stargard zu geben, sehr willkommen war, und der mir versprach, alles dazu beitragen zu wollen, was in seinen Kräften stünde. Er übernahm es sogar selbst, sogleich ein Einladungszirkular herumgehen zu lassen, auf dem er sich mit seiner Familie zuerst mit fünf Billetten zu einem Taler Kurant unterzeichnet hatte. Er übernahm es auch, ein passables Orchester, meist aus Dilettanten bestehend, zusammenzubringen, schickte den Ratsdiener mit der Subskriptionsliste herum, der noch denselben Morgen über zweihundert Billette absetzte. Jetzt war ich gerettet. Kosten hatte ich außer der Beleuchtung fast gar keine, da mir der gefällige Bürgermeister einen ziemlich großen Saal gratis überließ. Auch führte er mich noch denselben Abend bei mehreren Dilettanten ein, unter denen die junge liebenswürdige Frau von F... und das sehr schöne Fräulein von Z...tz, mit dem schalkhaftesten Kupidogesichtchen von der Welt, sich befanden. Beide Damen hatten die Gefälligkeit, in meinem Konzert mitzusingen, jede trug eine Arie und ein Duett mit mir vor, und zum Schluß sangen wir noch ein Terzett. Die meisten Stücke wurden da capo verlangt. An der Kasse waren auch noch über hundert Taler eingegangen, denn man hatte ausgesprengt, der erste Sänger der italienischen Oper von Wien gebe auf seiner schleunigen Durchreise nach Sankt Petersburg dies Konzert aus Gefälligkeit für den Herrn Bürgermeister. Wer war froher als ich. Nach dem Souper, zu dem mich der Herr Bürgermeister eingeladen, und an dem mehrere Stargarder Familien teilnahmen, empfahl ich mich und fuhr noch in derselben Nacht mit meinem ersungenen Geld, das vollkommen ausreichte, mein Defizit zu decken, wieder nach Stettin ab. Auch meine Effekten konnte ich, wie ich dem Wirt versprochen hatte, wieder auslösen. Nur mein eigenes Geld war beim Teufel; doch daran war mir wenig gelegen. Ich kam anderthalb Stunden nach Mitternacht wieder in Stettin an, mit dem festen Vorsatz, mich nie mehr zum Spiel, wenigstens mit fremdem Geld, verlocken zu lassen. Ich zahlte nun vor dem Abmarsch den Leuten den Sold aus und machte mich mit ganz leeren Taschen auf den Weg. Erst in Magdeburg fand ich ein Haus, das mit dem unsrigen in Verbindung stand, und von dem ich mir fünfzig Taler geben ließ. Dieses Ereignis hatte indessen einen so schlimmen und tiefen Eindruck auf mich gemacht, daß mich ein höchst unangenehmes Gefühl auf diesem ganzen Marsch nicht verließ und ich gegen meine Gewohnheit weder für Natur-, Kunst-, noch andere Schönheiten Sinn mehr hatte. Ja, ich unterließ es sogar, während dieser Zeit mein Tagebuch zu führen, was ich sonst sehr regelmäßig jeden Abend tat. Ich war über Magdeburg, Kassel, Aachen und so weiter, ohne mich um etwas anderes als meinen Dienst zu bekümmern, nach Frankreich marschiert, wo ich meine Leute an die pommerschen Regimenter abgab, denen sie zugeteilt waren, und dann sogleich die Rückreise per Post nach Kolberg antrat, ohne nur meine Verwandten in Frankfurt zu besuchen, wie ich es mir bei dem Abmarsch vorgenommen hatte. Als ich wieder durch Stargard kam, hielt ich mich möglichst verborgen, so lange umgespannt wurde, da ich fürchtete, man möchte den italienischen Sänger wieder in mir erkennen. Auch in Kolberg währte diese Mißstimmung noch, erhielt mich fortwährend bei übler Laune und machte mich fast menschenscheu. Ich setzte den französischen und musikalischen Unterricht, den ich den Töchtern meines Kommandeurs und der Nichte meines Kommandanten erteilt hatte, nicht mehr fort, zog mich meist von der Gesellschaft zurück, fand mich oft ohne irgend einen erheblichen Grund beleidigt, nahm Scherze übel auf und bekam so alle Augenblicke mehr oder minder ernstlichere Händel. Ein Offizier namens Rosenthal, ein äußerst gutmütiger Mensch, nannte mich scherzweise „Franzos“, ein Beiname, den man mir längst in Kolberg ziemlich allgemein gegeben hatte, weil ich noch viel französische Manieren an mir hatte, wohl auch das, was an den Franzosen zu rühmen war, rühmte und mir deshalb viele heimliche Feinde machte. Ich warf ihm dagegen einige beleidigende Worte hin, die eine Herausforderung nach sich ziehen mußten und ein Duell auf die Klinge zur Folge hatten, das in der Maikuhle abgemacht wurde, und wo ich fast wider Willen, denn ich focht mit der größten Gleichgültigkeit, mir alle Blößen gebend, meinem Gegner eine unbedeutende Armwunde beibrachte. Hätte Rosenthal besser gefochten, so hätte er mir leicht einen tüchtigen Denkzettel anhängen oder gar das Lebenslicht ausblasen können. Wenige Tage nachher hatte ich ein anderes, durch meine üble Laune herbeigeführtes Renkontre, das weit schlimmere Folgen hatte. Ich besuchte den wachthabenden Offizier auf der Hauptwache, Leutnant Campmann, und tadelte gesprächsweise manche Anordnung im preußischen Dienste. Lange nahm der Offizier die Sache im Scherz auf. Als ich aber immer mokanter wurde, machte er mir in einem ernsten Ton die sehr richtige Bemerkung: „Wenn Ihnen die preußischen Dienste so mißfallen, warum bleiben Sie denn? Man wird Sie nicht mit Gewalt halten, wenn Sie gehen wollen.“ – Es gab nun ein Wort das andere, und ich nötigte zuletzt den wachthabenden Offizier, Degen gegen mich zu ziehen, indem ich auf ihn eindrang. Unglücklicher- oder glücklicherweise, denn wer weiß, wie es abgelaufen wäre, trat in diesem Augenblick der Wachtschreiber und ein Unteroffizier, der eine Meldung zu machen hatte, in die Stube, als wir schon mit den Klingen handgemein waren, und diesen folgte der Platzadjutant auf dem Fuße. Jetzt hörte zwar das Gefecht augenblicklich auf, aber die Sache war eklatant geworden und wurde dem Kommandanten gemeldet. Die Folge war eine Untersuchung, während welcher wir beide, und zwar bis zur Bestätigung des von einem Kriegsgericht zu fällenden Urteils, von unseren Funktionen suspendiert wurden. Da sich die Sache sehr in die Länge zog und ich während dieser Suspension keine Gesellschaft, in der sich der Kommandant und die Stabsoffiziere befanden, besuchen konnte, so hatte ich tödliche Langeweile, die mich immer mehr verstimmte und nur hier und da durch die intimere Bekanntschaft, welche ich mit mehreren Damen hatte, unterbrochen wurde. Glücklicherweise kam während dieser Zeit eine wandernde Schauspieler-Gesellschaft nach Kolberg, deren Direktor ein gewisser Romberg war und bei welcher sich ein paar hübsche Aktricen befanden, von denen eine, Madame Vetterlein, nicht ohne Talent und sonst auch recht liebenswürdig war. Ich beschäftigte mich nun viel mit diesem Theater, ordnete das Repertoire an, verschaffte den Schauspielern manche notwendigen Requisiten und lieh ihnen auch manches von meinen kleinen Uniformstücken, und namentlich einem derselben einmal meine Schärpe. Mehrere Offiziere hatten dies bemerkt. Den andern Tag kam es auf der Parade zur Sprache, daß eine preußische Offiziersschärpe auf dem Theater paradiert habe, worüber sich die älteren Offiziere sehr mißbilligend und als über etwas ‚Unerhörtes‘ aussprachen. Der Kommandant ließ durch den Bürgermeister dem Direktor verbieten, künftig wieder eine Schärpe oder ein sonstiges Abzeichen der königlich preußischen Armee auf seinem Theater zu verwenden. Man forschte auch nach, woher der Schauspieler die Schärpe hatte, und bald wußte man, daß ich sie ihm geliehen. Neues Donnerwetter. Der Bataillonskommandeur mußte mir einen Verweis geben und mir verbieten, irgendein Uniformstück den ‚Komödianten‘ zu leihen. Ich hatte mich gut entschuldigen, daß dies in der französischen Armee etwas ganz gewöhnliches sei, ja, daß ich sogar in Berlin, in des ‚Epemenides Erwachen‘ von Goethe, eine ganze preußische Schwadron in Uniform und Schärpen auf der Bühne gesehen. Dies half alles nichts. Ich mokierte mich wieder, so daß es zu den Ohren meiner Vorgesetzten kam, und meine ohnehin schon verdrießliche Lage wurde eben nicht verbessert.

Endlich kam das in meiner Sache mit dem Leutnant Campmann gefällte kriegsrechtliche Urteil bestätigt von Berlin, und lautete für mich auf sechsmonatlichen Festungsarrest, in Weichselmünde bei Danzig zu bestehen, und drei Monate für meinen Gegner in Kolberg. Ich mußte jetzt, von einem höheren Offizier begleitet, mit dem Postwagen nach Danzig abfahren, wohin wir über Köslin, Stolpe, Neustadt und so weiter reisten, wozu wir beinahe drei Tage gebrauchten.

Mit einbrechender Nacht kamen wir in dieser Stadt an und stiegen in dem eben nicht sehr reinlichen Hotel d’Oliva ab, meldeten uns den anderen Morgen beim Kommandanten, der uns artig empfing und eine Empfehlungsorder an den Kommandanten der Feste Weichselmünde gab, wohin wir uns sogleich verfügten. Dieses Fort liegt in einer geringen Entfernung von der Stadt an der Weichsel. Ich bekam ein ziemlich bequemes, aber sehr vielwinkeliges Zimmer angewiesen. Der Kommandant dieses Forts war der Oberstleutnant von Brockhusen, ein artiger Mann, der mich freundlich aufnahm, mir ankündigte, daß ich alle Freiheit habe, in Zivilkleidern hinzugehen, wohin ich immer wolle. Nur müsse ich mich zum Schlafen wieder einfinden. Ich könne aber nach Danzig, nach dem gegenüberliegenden Neufahrwasser, nach Oliva und so weiter gehen und mich nach Belieben amüsieren. Gesellschaft hatte ich große und zum Teil scharmante in Neufahrwasser. Das ganze Offizierskorps eines Landwehrkavallerie-Regiments hatte, samt seinem Kommandeur und Obersten von Himmel, die Offiziere auf achtzehn Monate und der Oberst für drei Jahre, hier Festungsarrest mit derselben Freiheit wie ich. Die Verheirateten hatten sogar ihre Frauen und Kinder bei sich, und alle führten ein ziemlich lustiges Leben. Die Ursache ihres Arrestes war folgende: Das Regiment hatte einmal, als es der Graf Henckel von Donnersmarck zum Manövrieren ausrücken ließ, nicht zu dessen Zufriedenheit exerziert und ein paar Böcke gemacht; der General, darüber erbost, hatte sich gegen das Offizierskorps, welches meistens aus gedienten und wackeren Leuten bestand, sehr beleidigend ausgedrückt und geschrien: „Meine Herren, Sie manövrieren wie die S...“ Die Offiziere hatten sich darauf verabredet, den folgenden Tag, wo das Regiment wieder zum Exerzieren ausrücken sollte, samt und sonders wegzubleiben und dasselbe durch einen Rittmeister dem General vorzuführen, der es ihm mit den Worten: „Ich habe die Ehre, Eurer Exzellenz das Regiment vorzuführen,“ übergab, dann seinen Säbel wieder einsteckte, davonritt, den ganz verblüfften General, der eben angeritten war, stehen lassend. Dem Grafen Henckel von Donnersmarck blieb nun nichts anderes übrig, als die Truppen, vom ältesten Wachtmeister geführt, wieder einrücken zu lassen, und den Vorfall dem Kriegsminister anzuzeigen, was eine umständliche Untersuchung veranlaßte, die das oben erwähnte Resultat hatte, aber auch dem General einen sechswöchentlichen Arrest zuzog. Das ganze, im Festungsarrest befindliche Offizierskorps hatte den Mittagstisch in dem Gasthaus ‚Zum englischen Hof‘ in dem auf dem jenseitigen Ufer der Weichsel liegenden Neufahrwasser, wo auch ich, von meinen Arrestkameraden eingeladen, mich engagierte und man sehr gut bedient war. Die Wirtin namens Wex hatte ein Paar junge Töchter, von denen die jüngere, Jettchen, recht hübsch war. Ein Piano stand im Gastzimmer, die Mädchen sangen leidlich, und so war die Unterhaltung in den Nachmittagsstunden oft recht animiert.

Sobald ich in meiner neuen Residenz, die ich statt der Kriegsschule in Berlin, wie ich das Projekt gehabt, diesen Winter besuchen mußte, installiert war, und mit meinen zum Teil sehr lustigen Arrestkameraden genauer bekannt wurde, verlor sich auch bald mein bisheriger Mißmut. Im englischen Haus gehörte ich bald zur Familie und machte beiden Schwestern zugleich den Hof, aber der älteren, Hannchen, mehr zum Schein, während ich es mit der jüngeren, Jettchen, ernstlicher meinte, und Mama äußerte, ich würde mit keiner übel fahren, welche ich auch wählen möchte. Ich aber vertröstete sie auf ein späteres Avancement, da eine Frau Leutnant doch eine gar traurige Rolle spiele. Es war noch ein anderer guter Gasthof in Neufahrwasser, ‚Zur Stadt Berlin‘, dessen Besitzer zwar keine Kinder, dafür aber zwei allerliebste Nichten hatte, wo ich ebenfalls bald wie zu Hause war, so daß ich in der Regel die Vormittage in dem englischen Hof und die Nachmittage in der Stadt Berlin plaudernd, scherzend, musizierend, küssend und so weiter zubrachte. Auch lernte ich bald noch einige andere Familien daselbst kennen, unter denen die sehr liebenswürdige eines Kriegsrats Schütz, der wieder artige Töchter hatte, und wo noch ein anderes fünfzehnjähriges, ausgezeichnet schönes Mädchen, die Tochter eines grimmigen Seebären, eines Schiffskapitäns, der meist abwesend auf Seereisen war, sich einfand. In diesem Haus wurde auch viel Musik gemacht und die Mädchen sangen recht schöne polnische Lieder, die ich leider nicht verstand. Selbst in dem Fort Weichselmünde fanden sich weibliche, durchaus nicht zu verachtende Reize. Außer der hübschen Tochter des Kommandanten war auch die junge Frau eines Rittmeisters, eine blonde Königsbergerin, die seelenvolle himmelblaue Augen hatte, bei Kuhns, so hieß der Wirt in der Stadt Berlin, wo wir öfters zu Nacht speisten, meine Tischnachbarin, der zu Gefallen ich manchen Abend im Fort zubrachte, wo kleine Kommerzspiele die Hauptunterhaltung ausmachten, bei denen sich die meisten Offiziersdamen einfanden.

Frau Wex, welche mit Kuhns rivalisierte, veranstaltete bald einen Ball paré, an dem alle Honoratioren des Ortes und mehrere Familien aus Danzig teilnahmen. Hier lernte ich unter anderen die Frau eines reichen Kaufmanns, der mehrere Schiffe in der See gehen hatte, kennen, und nach einigen Raschwalzern, die ich mit ihr getanzt, verständigten wir uns schnell in einer Polonäse, begegneten uns zufällig auf einem Korridor, und lagen uns ebenso zufällig in den Armen. Dieser sonderbare Zufall wiederholte sich drei- bis viermal, während der Herr Gemahl in einem Seitenzimmer mit aller Ruhe eine Partie Whist machte. Die Dame vertraute mir, daß sie jeden Abend bis zehn Uhr allein zu Hause zu treffen sei, indem ihr Mann nie verfehle, seine Spielpartie um diese Zeit in Danzig oder in Neufahrwasser zu machen. Dies merkte ich mir wohl und fand mich schon den folgenden Abend in dem mir bezeichneten Hause ein, in das ich in der Dämmerung, in meinen Mantel gehüllt, schlich, wo ich freudig mit offenen Armen empfangen wurde. Diese Besuche wiederholte ich öfters, besonders, wenn ich Herrn G...ch, so hieß der Mann, in der Stadt Berlin wußte, wo eine kleine Pharobank gehalten wurde, und ich ihm gegenüber pointierte, mich auf eine halbe Stunde entfernte, dann zurückkam und ganz ruhig weiterspielte. Bei meinem Arrest in Weichselmünde hing mir der Himmel voll weiblicher Baßgeigen. Aber der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht. G...ch mußte von meinen verstohlenen Besuchen durch irgendeinen gefälligen Freund Wind bekommen haben, und als ich mich eines Abends wieder in seine Wohnung begab, begegnete ich in deren Nähe ein paar wildaussehenden Seegesichtern, vulgo Matrosen genannt. Kaum hatte ich die Haustüre hinter mir zugemacht und wollte eben die Treppe hinaufspringen, als ein paar andere Exemplare dieser Bären aus einem Winkel hervorsprangen, während die, welchen ich begegnet war, in die Haustüre traten, und einer derselben mich mit rauher Stimme fragte: was ich hier suche? – „Dies geht euch Schubiaks nichts an,“ erwiderte ich, indem ich eine Terzerole unter dem Mantel hervornahm und den Hahn spannte. Das Knacken desselben machte die Burschen doch stutzend, und ich sagte mit starker Stimme: „Dem ersten, der eine verdächtige Bewegung macht, jage ich eine Kugel durch den Kopf.“ Die Kerls dadurch verblüfft, ließen mich nun ruhig wieder zum Haus hinausgehen. Ich begab mich nun in die Stadt Berlin, wo wie gewöhnlich gespielt wurde, setzte mich an den Spieltisch und pointierte ganz ruhig mit Viergroschenstücken, als sei nicht das mindeste vorgefallen. Etwa zwanzig Minuten später trat auch G...ch herein, dem ich einen sehr freundlichen guten Abend wünschte. Statt ihn aber zu erwidern, warf er einen grimmigen Seitenblick auf mich, was ich nicht zu bemerken für gut fand, sondern ganz gleichgültig zu ihm sagte: „Warum heute so spät, Herr G...ch, ich bin schon lange hier und spiele wieder einmal glücklich.“ – „Das Glück scheint Ihnen gewogen,“ gab er mir, seinen Zorn verbeißend, zur Antwort, „und das ist Ihr Glück.“ – Den anderen Morgen wurde ich durch ein Briefchen von Madame G...ch unterrichtet, daß sie eine arge Szene mit ihrem Mann gehabt, dem man unsere Zusammenkünfte verraten habe, und sie auf einige Zeit zu ihren Eltern nach Elbing verreise, wo ich sie, wenn ich es möglich machen könne, doch besuchen möge. Dieser Vorfall war mir sehr unangenehm, da es in Neufahrwasser bekannt wurde, daß ich die Ursache einer Trennung der G...schen Eheleute sei, die sich später jedoch wieder vereinigten. Ich suchte von jetzt an mich mehr in Danzig zu zerstreuen. Ich begab mich jetzt jeden Morgen mit dem Frühesten nach Danzig, von wo ich in der Regel erst gegen Mitternacht in meine, wenigstens dreißigwinkelige Arreststube, die eine gar seltsame Bauart hatte, zurückkehrte. Auch im Danziger Kasino, wo jede Woche Tanz und Musik stattfand, wurde ich eingeführt und machte neue Bekanntschaften daselbst, unter denen eine sehr üppig gebaute schöne polnische Gräfin von M...ka aus Posen war, deren schlanker Wuchs, ein fast verschlingendes Auge, rabenschwarzes Glanzhaar, eine äußerst feine und weiße Haut, eine entzückende Anmut mich wie fast alle Männer, die sie sahen, bezauberte. Auf den Maskenbällen, die nun gegeben wurden, und oft glänzend und reich an prächtigen Kostümen waren, gelang es mir, die schöne Gräfin genauer kennen zu lernen. Auf einem derselben hatte ich mich zuerst als Zigeuner, dann als Spanier verkleidet, und setzte der Dame in der Maske des ersteren, durch meine Prophezeiungen ihr die gute Wahrheit sagend, so gewaltig zu, daß ich ihre Neugierde in hohem Grade rege machte. Namentlich, indem ich ihr mitteilte: sie würde, ehe vierzehn Tage vergingen, einen Anbeter haben, dem sie nichts versagen könne. Als der Zigeuner verschwunden war, forderte der Spanier die als kassubisches Landmädchen verkleidete Gräfin zu einer Polonäse auf, und erzählte ihr während der Promenade, daß ihm ein Zigeuner prophezeit habe, er werde in Danzig noch sehr glücklich werden und die Gunst der schönsten Dame dieser Stadt erhalten. – „O, dann ist es gewiß nicht die meinige,“ meinte die Gräfin. – „Und wer sollte sich an Schönheit, Grazie und Liebenswürdigkeit mit Euer Gnaden in Danzig messen können?“ – „Sie sind ein gefährlicher Schmeichler.“ – „Es ist keine Schmeichelei, wenn man die Wahrheit spricht.“ – Die Gräfin erzählte nun auch ihrerseits, was ihr der Zigeuner gesagt. – „Sonderbar, dies hat was zu bedeuten,“ erwiderte ich, dem hübschen Landmädchen die Hand drückend. Die Polonäse löste sich endlich in einen Raschwalzer auf, wir flogen sinnenberauscht dahin und setzten uns endlich etwas ermüdet unter eine entlegene Fensterhalle. Die Gräfin M...ka nahm ihre Larve ab und sagte: „Die Hitze ist unausstehlich, länger halte ich’s nicht aus, machen Sie es ebenso.“ Ich befolgte den Befehl, worauf sie mich erkennend sagte: „Dacht’ ich’s doch, Sie sind der Offizier, mit dem ich schon öfters im Kasino tanzte.“ – Wir engagierten uns dann noch auf eine Tempête, eine Quadrille und ein paar Walzer, und ich erhielt von der Dame das Versprechen, daß ich bei der ersten Schlittenfahrt der sie fahrende Kavalier sein solle. Der bald darauf gefallene Schnee machte auch eine solche möglich, und ich hatte das Vergnügen, das Versprechen in Erfüllung gehen zu sehen, und übte das Schlittenrecht in seiner weitesten Ausdehnung. Kurze Zeit darauf hatte ich das noch weit größere Vergnügen, auch diese Dame in meinem Zimmer zu Danzig zu empfangen und zu bewirten, ohne daß meine niedliche Wirtin, die mich öfters mit Morgenbesuchen beehrte, etwas davon merkte, so wenig wie von anderen Damenbesuchen, die ich natürlich alle nur nach eingetretener Nacht empfing. Mein Zimmer war au rez de chaussée. So schwanden mir denn die sechs Monate Festungsarrest in Weichselmünde wie sechs Wochen hin. Bevor sie um waren, erbat ich mir unter dem Vorwand, meine etwas zerrüttete Gesundheit wieder herzustellen, denn sie war es wirklich, wenn auch nicht durch die Kerkerluft, doch durch Strapazen mancherlei Art, noch einen sechswöchentlichen Urlaub, der mir bewilligt wurde, und den ich zu einer kleinen Reise nach Marienburg und Posen zu verwenden beschloß. Die Gräfin M...ka ging mit dem Frühjahr ebenfalls dahin zurück und gab mir die Erlaubnis, ihr daselbst meine Aufwartung machen zu dürfen, jedoch in allen Ehren, denn dort herrsche der Herr Gemahl, der nicht mit in Danzig gewesen, wo die Dame bei einer Freundin zu Besuch war, etwas streng.

Als ich meine Freiheit und meinen Degen zurückerhalten und die Urfehde geschworen hatte, nahm ich Abschied von Weichselmünde, Neufahrwasser und Danzig und trat die Reise nach Marienburg an.

X.
Marienburg. – Elbing. – Königsberg. – Posen. – Rückkehr nach Kolberg. – Eine furchtbare Mordgeschichte. – Eine Vexierreise. – Diverse Kampagnen unter Amors Fahnen. – Der Esel von Osten. – Noch ein Damensouper. – Arge Skandalosa. – Eine pommersche Hochzeit. – Abermaliger Festungsarrest. – Meine Entlassung.

Was mich hauptsächlich zu einer Reise nach Marienburg bestimmte, war, das weltberühmte Schloß der alten Hochmeister des deutschen Ordens, von dessen Merkwürdigkeiten man mir so viel und erst wieder in Danzig erzählt hatte, daß ich den Wunsch, diese prächtigen Überreste der einst so mächtigen Ordensritter kennen zu lernen, nicht unterdrücken konnte. Ich verweilte nur drei Tage in Marienburg, wo ich, nachdem ich das Schloß von außen und innen sattsam gesehen, bald tödliche Langeweile verspürte.

Von Marienburg fuhr ich nach der nur wenige Meilen entfernten Stadt Elbing, die samt einer Burg im Jahre 1237 auch von den Ordensrittern erbaut wurde, und von hier nach Königsberg. Eine starke Erkältung zwang mich, ein paar Tage das Bett zu hüten. Mein erster Ausgang, als ich wieder hergestellt, war nach der ehemaligen Zitadelle, der alten Friedrichsburg, in der man mir den Moskowitersaal und die Bernsteinkammer zeigte. Hierauf begab ich mich in den vom Großmeister Lothar von Braunschweig vierzehnten Jahrhundert erbauten Dom. In dem Schauspielhaus, das gerade nicht vorzüglich ist, sah ich einige nicht sehr gut exekutierte Opern und Schauspiele aufführen. Mehr erfreuten mich die zum Teil sehr schön angelegten Promenaden, besonders die am Schloßteich, dem Königsgarten und dem von Hippel angelegten Philosophendamm. Von Königsberg eilte ich nach Posen und fuhr über Elbing, Marienwerder, Graudenz, Kulm, Bromberg, Gnesen und so weiter dahin ab, ohne mich an einem dieser Orte umzusehen.

Erst mit der einbrechenden Nacht kam ich in Posen an und schlief in einem herzlich schlechten und eben nicht sehr reinen Bett doch trefflich. So wie der Hunger der beste Koch ist, so ist Ermüdung der beste Schlafbereiter. Auch erwachte ich erst spät am Vormittag. Nachdem ich meine Toilette gehörig gemacht, schickte ich mich an, die Stadt zu besichtigen. Bei der Parade sah ich mehrere Offiziere, die ich schon in Berlin kennen gelernt hatte und die mich zur Offizierstafel einluden, was ich mit Dank annahm. Denselben Tag zog ich noch Erkundigungen nach der schönen Gräfin M...ka ein und erfuhr, daß kein Offizier Zutritt in dem Haus des Grafen habe. Indessen ließ ich mich doch, wie ich es mit der Dame in Danzig verabredet, bei ihr melden, wurde auch angenommen, jedoch von dem Herrn Gemahl ziemlich frostig empfangen, der mich auch nicht ersuchte, meinen sehr kurzen Besuch zu wiederholen, mir indessen eine kurze Gegenvisite machte. Noch den nämlichen Abend kam ein sehr niedliches Mädchen in polnischem Kostüm, das kein Deutsch, aber so ziemlich französisch sprach und mir ein Billettchen brachte, in dem man mich ersuchte, dem hübschen Kammerzöfchen zu folgen, das mir ein Haus zeigen würde, wohin ich mich den folgenden Abend zu begeben habe, um eine gewisse Dame sprechen zu können. Das Mädchen war so gesprächig und lud mich so zutraulich ein, mich ihrer Führung zu überlassen, daß ich nicht umhin konnte, ihr auf die Wangen zu klopfen, ihr etwas tief in die schwarzen Augen zu blicken und mit einem Kuß auf den runden Nacken und einen Taler in die Hand drückend, zu danken. – Oh, ihr galanten Damen, wenn ihr euch auch nur auf eine kurze Zeit der Treue eurer Anbeter versichern wollt, so nehmt um Himmelswillen kein hübsches Kammerkätzchen zu eurer Unterhändlerin und Liebesbotin. Der Teufel mag solchen verführerischen Dingern widerstehen, aber kein junger Mann von Fleisch und Blut. Alte Weiber, Hexen mit triefenden Augen, die man kaum mit der Feuerzange berühren möchte, dies sind die zuverlässigsten Diplomaten bei solchen Unterhandlungen. – Auch ich widerstand nicht, wohl aber tat das Mädchen so und lispelte: „Mais Madame la contesse! Mais Monsieur finissez donc, vous aimez ma maîtresse!“ – „Sans doute, mais cela ne m’empêche point d’aimer aussi la confidente.“ Die weiteren Antworten des allerliebsten Rosenmundes erstickte ich mit Küssen, und ließ mich nach einer halben Stunde von der Donetta nach dem erwähnten Haus führen, das in einer ziemlich engen Straße lag, klein und schmal war und nur zwei Fenster Front hatte. Ich trat mit meinem ange polonais ein, der mich der parterre wohnenden Frau vorstellte, welche früher in Diensten der Mutter der Gräfin gestanden hatte und aus alter Anhänglichkeit für die Tochter sich derselben möglichst gefällig zeigte. Von hier begab ich mich zu der Soiree eines verheirateten Majors, der mich bei der Parade eingeladen hatte, und wo ich mehrere hübsche polnische Damen traf, von denen aber die wenigsten deutsch, einige ziemlich französisch sprachen. Die Polinnen sind recht sinnlich liebenswürdig, meist sehr üppig gebaut, haben mit den Spanierinnen die größte Ähnlichkeit, nicht die mindeste mit den Französinnen. Hätte ich die polnische Sprache gekannt, so würde ich gewiß auch mehrere recht artige polnische Abenteuer erlebt haben. Es wurde viel Musik gemacht, einige der polnischen Damen hatten herrliche Stimmen, sangen aber nur polnische Lieder, die, wie man mir sagte, meist politischen Inhalts waren und sich auf Polens Schicksale bezogen.

Als den nächsten Tag das Gestirn des Tages untergegangen war, fand ich mich zur bestimmten Zeit in dem bewußten Haus ein, wo mich die Frau willkommen hieß, aber nur wenig schlechtes Deutsch sprach, so daß wir uns mehr durch Pantomimen verständlich machen mußten. Ich hatte beinahe schon eine gute Stunde gewartet, als endlich die Gräfin, im Kostüm eines polnischen Dienstmädchens und in Begleitung des ihrigen erschien. Beide sahen so reizend aus, daß mir fast die Wahl wehe tat. Aber hier war keine Wahl mehr möglich. An drei Stunden brachte ich in einem Hinterstübchen mit der verkleideten Gräfin zu, während die beiden anderen in der vorderen Wache hielten. Beim Weggehen sagte sie mir, sie würde mich es jedesmal durch ihr Mädchen wissen lassen, wenn sie abkommen könne. Dies ließ ich mir gern gefallen, und die hübsche Abgesandte war mir so lieb, daß in ihren Armen ermüdet, ich mehr als einmal die Einladung zum Stelldichein unter dem Vorwand, schon bei einem General oder Stabsoffizier zugesagt zu haben, ausschlug, wobei ich auf die Mithilfe des mich entschuldigenden Mädchens sicher zählen konnte. – So hatte ich ungefähr drei Wochen in Posen zugebracht. Es war Zeit, an die endliche Rückreise nach Kolberg zu denken, die ich nach gehörigem Abschiednehmen bei sehr schlechtem Wetter und auf abscheulichen Wegen antrat, und zwar in einem offenen Wagen, über Czarnikau, Schneidemühl und Neustettin, wo Weg und Wetter erst wieder etwas leidlicher zu werden begannen. In meinem Leben habe ich keine unangenehmere und langweiligere Reise gemacht. Übernachten in ekelhaften Wirtshäusern, elenden Krügen, schmutzige und so unreinliche Betten, daß ich das ganze Bettzeug hinauswarf und auf frischem Stroh, das ich mir bringen ließ, schlief, jämmerliche Kost, auch nicht ein interessanter Gegenstand auf dem ganzen Weg. Dies alles gehörte zu meinen Reiseannehmlichkeiten.

Als ich endlich zu Kolberg durch das Lauenburger Tor wieder einfuhr, da war mir ganz sonderbar zumute und so unheimlich, daß ich mich gerne wieder hundert Meilen weit weggewünscht hätte. Ich machte meine schuldigen militärischen Meldungen und hatte einige Flaschen Danziger Goldwasser und einen ziemlichen Vorrat Königsberger Marzipan mitgebracht, die ich an die Töchter meines Kommandeurs und andere verschenkte, um mir eine gute Aufnahme zu bereiten. Ich trat nun meine Dienste, sowohl bei der Garnison wie bei den mir befreundeten Damen wieder an, und allenthalben hieß es: „Fröhlich ist wieder da; wir werden bald wieder Neues hören.“ Ich ließ es indessen vorerst beim Alten, scherzte mit Madame G..., besuchte fleißig die Frau Doktor M..., sang mit Frau von Schätzel, brachte mit Hilfe der letzteren einige kleine theatralische Vorstellungen zustande, die im Haus der Madame Schröder und bei Kuhpfahls aufgeführt wurden, und so weiter.

Ein höchst greulich-tragischer Vorfall, der sich um dieselbe Zeit in meiner Vaterstadt Frankfurt am Main zutrug, machte auch in Kolberg großes Aufsehen, da das Individuum, welches denselben veranlaßt hatte, aus dieser letzteren Stadt gebürtig war, in der sein Vater, ein ehrenwerter alter Zimmermann namens Moog, noch lebte, und so unglücklicherweise die in Frankfurt von seinem Sohn begangene furchtbare Tat erfahren mußte. Der junge Moog, ein Tischler, hatte sich in Frankfurt mit einer Bürgerstochter verheiratet und war so Bürger und Meister daselbst geworden. Obgleich fleißig, arbeitsam und sehr mäßig lebend, konnte er daselbst doch nicht vorankommen, woran hauptsächlich schuld war, daß er unbarmherzigen Menschenschindern, vulgo Wucherern in die Hände gefallen war. Er wurde trübsinnig, sah das Elend seiner Familie, er hatte bereits fünf Kinder, von denen das älteste noch nicht sieben und das jüngste anderthalb Jahre alt war, unabwendbar, und wurde namentlich von einem gewissen Konrad R...s, dem er einige Gulden schuldete, bis aufs Blut gemartert. Er faßte nun einen verzweifelten Entschluß, und nachdem er eines Morgens früh, er sollte an diesem Tag gepfändet werden, das Dienstmädchen in einen von seiner Wohnung im Löwengäßchen weit abgelegenen Stadtteil unter dem Vorwand, daß bei einem Bäcker daselbst ganz vorzüglich gute Milchbrote zu haben seien, weggeschickt, schnitt er seiner Frau, seinen fünf Kindern und zuletzt sich selbst den Hals ab, so daß das rückkehrende Mädchen sieben in einem Blutbad liegende Leichen antraf und ohnmächtig niederfiel. Diese schreckliche Tat hatte die ganze Stadt in Alarm gebracht. Der unglückliche Moog, den besonders die Ambition, daß niemand von den Seinigen der Stadt zur Last fallen solle, zu der schrecklichen Tat vermocht hatte, wurde von der unsinnigen Frankfurter Kriminaljustiz noch verurteilt, nach dem er auf einem Schinderkarren zum Rabenstein geschleift worden, daselbst, obgleich schon tot, enthauptet zu werden, worauf man seinen Kopf auf eine Stange steckte und den Körper auf das Rad flocht. Dies geschah im Ihre 1817 zu Frankfurt!

Auf diese Veranlassung hin erließ der Frankfurter Senat ein Schreiben an den Magistrat zu Kolberg, worin er demselben Bericht über den gräßlichen Vorfall erstattete und dabei bemerkte: daß es ihm (dem Senat) zum Troste gereiche, daß der schreckliche Mörder kein geborener Frankfurter, sondern ein Kolberger sei. – Der Kolberger Magistrat, zehnmal vernünftiger, zuckte die Achseln über diese unpassende Bemerkung und meinte, eine Regierung, deren Behörden solche absurde Mitteilungen zu machen imstande seien, müsse eben nicht zu den vernünftigsten gehören, und er hatte vollkommen recht. – Mehrere Jahre nachher wiederholte sich ganz dasselbe furchtbare Schauspiel, das diesmal ein geborener Frankfurter namens Lichtwerk aufführte, ebenfalls durch Wucherer dazu veranlaßt, wozu denn auch die den Armen so ungünstige als den Reichen günstige Frankfurter Ziviljustiz das ihrige beitrug. Der Reiche, besonders wenn er recht vollbesetzte Mittagessen zur rechten Zeit zu geben versteht und sich gewisser Rabulisten versichert, vermag bei der Frankfurter Themis alles.

Als der arme alte Moog in Kolberg, den ich persönlich gekannt, die Untat seines Sohnes erfuhr, sagte er, wie von stillem Wahnsinn überwältigt: „Dies war ja nicht mein Sohn,“ und wiederholte diese Worte, so oft die Sprache von dieser Tat war. Er starb ein halbes Jahr darauf.

Ich führte nun mein früheres Leben in Kolberg wieder fort, ging noch einige Male auf Urlaub nach Berlin, wo ich mich immer sehr vergnügte, und mehrere kleine komische Vorgänge, die ich in Gesellschaften oder auch auf Promenaden beobachtet hatte, dem dortigen, damals sehr beliebten Volksblatt ‚Der Beobachter an der Spree‘ mitteilte, dessen Redaktion sie auch sehr willig und gerne aufnahm. Damals ahnte ich noch nicht, daß diese von meiner Feder dem Druck übergebenen Erstlinge den Anfang einer, einige Jahre später zu beginnenden literarischen Karriere sein würden. – Man fand sie, ohne daß man den Verfasser kannte, geißelnd und satirisch genug, namentlich gefielen sie der alten Frau von Pogwisch außerordentlich.

Ein Streich, den ein paar Studenten der reichen Madame Schröder gespielt hatten, gab der ganzen Stadt Kolberg viel zu lachen. Die Dame machte jetzt jedes Jahr eine Pläsierreise in Gesellschaft ihrer Freundin Julius. Schon einige Male waren sie bis nach Berlin gekommen, hatten sich aber noch nicht weiter gewagt, diesmal hatten sie sich jedoch Dresden zu sehen vorgenommen. Sie reisten ohne andere männliche Begleitung als einen pommerschen Kammerdiener, der nicht mehr Erfahrung und Weltkenntnis hatte als seine Herrinnen. In Dresden führte sie der Zufall an der Table d’hôte des Gasthofes, in dem sie logierten, in die Nachbarschaft von ein paar Studenten, lustigen Zeisigen, welche die große Naivität der reisenden Damen schnell lehrte, wes Geistes Kind dieselben waren. Sie redeten ihnen zu, da sie so nahe bei Prag seien, doch auch diese merkwürdige Böhmenstadt, von deren Raritäten sie ihnen Wunderdinge erzählten, zu besuchen und kennen zu lernen. Madame Schröder meinte, das sei allerdings der Mühe wert, aber auf der Reiseroute, die ihnen Herr Julius in Kolberg ausgefertigt, stünde nichts davon geschrieben, und sie wüßten also nicht, wie sie es anzufangen hätten, den Weg dahin zu finden. – „Oh, wenn es weiter nichts ist, meine Damen,“ sagte der eine Studiosus, „die will ich Ihnen schon angeben.“ – „Wollen Sie die Gefälligkeit haben?“ – „Mein Gott, warum denn nicht? Sie müssen Ihre Pferde nur genau von einer Station zur anderen so bestellen, wie ich es Ihnen hier aufzeichnen werde.“ – Er nahm nun ein Papier zur Hand und schrieb eine Reiseroute von etwa zehn bis zwölf Stationen auf, die bis wenige Meilen vor Prag führte, dann aber wieder auf einem anderen Weg bis auf eine Station vor Dresden zurück. Prag selbst schrieb er nicht auf, indem er zu den Damen sagte: „Das ist unnötig, auf dieser letzten Station bestellen Sie die Pferde nur nach Prag.“ – Die Damen bedankten sich recht höflich für die ihnen erwiesene Gefälligkeit und befolgten die erteilten Instruktionen auf das genaueste. Frau Julius, welche sich die klügste dünkte, bestellte die Pferde von Station zu Station, wie es auf dem Zettel stand. Als sie aber, auf der letzten angekommen, dieselben nach Prag requirierte, glaubte der Posthalter, die Dame habe sich versprochen, und sagte: „Sie werden meinen, nach Dresden.“ – „Oh, bewahre der Himmel, nach Prag, nach Prag.“ – „Ja, da kann ich Sie nur für die nächste Station bedienen, dann müssen Sie weiter bestellen, bis zur letzten vor Prag.“ – Die Damen wußten nicht, was das zu bedeuten habe, und glaubten, der Herr Posthalter sei nicht recht bei Sinnen. Endlich, nach vielem Hin- und Herreden, und nachdem die Damen ihre, vom Studenten erhaltene Reiseroute vorzeigten, klärte sich die Sache auf. Der Posthalter konnte das Lachen kaum verbergen und die Damen waren im höchsten Grade erbost, als sie inne wurden, welchen Streich man ihnen gespielt. Sie fanden nun für gut, die Reise nach Prag ganz aufzugeben, kehrten wieder nach Dresden, und zwar in denselben Gasthof zurück, wo sie sogleich dem Wirt die Geschichte erzählten und nach dem boshaften Studenten fragten, der aber nach der Versicherung des Wirtes mit seinen Kameraden gleich, nachdem die Damen weg waren, nach Leipzig abgereist sei, sich aber vorher noch des Geniestreichs, den er gemacht, rühmte, so daß der Wirt und andere Gäste vor der Rückkehr der Damen schon davon unterrichtet gewesen, die nun Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit in dem Gasthof waren, und verschönert kam die Geschichte in ganz Dresden herum. Sie selbst, sowie ihr Kammerdiener erzählten, nach Kolberg zurückgekommen, ebenfalls das gehabte Abenteuer, über den Studenten schimpfend, während die ganze Stadt lachte und man sich allenthalben zurief: „Nun, machen wir bald wieder eine Reise nach Prag?“

Herz und Zeit teilte ich jetzt zwischen literarischen Studien und der Unterhaltung mit einem halben Dutzend Damen. Unter den letzteren war auch eine neue Amourette mit einem hübschen Klosterfräulein, die sich von B... nannte. Doch war sie in keinem Kloster, sondern in einer Stiftung, die aus einem früheren Kloster, das, wie so viele nach der Reformation, einging, dotiert war und von der junge Mädchen aus guten, aber zurückgekommenen Familien einen Jahrgehalt erhielten, der wegfiel, so bald sie sich verheirateten. Diese wohnte bei einem Kaufmanne G...l, mit dem sie verwandt war, der mehrere Kinder hatte und die hübsche Klostercousine ebenfalls gerne sah, was indessen seine Frau, Vertraute des Fräuleins, wußte, und deshalb deren Bekanntschaft mit mir begünstigte, während mich der Mann ungern in seinem Haus vorfand. Ich sah indessen Fräulein von B... oft in einem dritten Haus, bei einer Frau Witt auf dem Markt, die so gefällig war, uns ganze Stunden in eine obere Kammer einzusperren und daselbst mit allerlei Erfrischungen zu versehen. Auch sie ließ ihren Herrn Gemahl gerne blinde Kuh spielen. Da indessen Herr G...l der Cousine immer mehr zusetzte, so entschloß sich dieselbe, aus diesen und noch anderen Ursachen sein Haus und sogar Kolberg zu verlassen und in dem nahen Belgard zu wohnen, wo ich sie dann öfters heimsuchte. Eine andere Dame, mit der ich ein Verhältnis angeknüpft hatte, konnte ich nur, da sie zu sehr bewacht war, mit Hilfe der gefälligen Frau Witt, auf der Dachrinne zwischen dem Giebel ihres Hauses und dem der Dame sprechen, indem wir jedes aus einem Gaubloch (Dachfenster) stiegen. So oft es ihr zu kommen möglich wurde, gab sie mir das Zeichen dazu durch ein Stückchen weißes Papier, welches sie an das Fenster klebte, und zwar zu einer bestimmten Nachmittagsstunde, die ich in einer nahen Weinwirtschaft, die man ‚Zur Mutter Blaurock‘, ein Spottname, den man der etwas korpulenten und gutmütigen Wirtin gegeben, abpaßte. Eines Abends, als wir nach eingebrochener Nacht uns wieder in der Rinne zwischen den zwei Giebeldächern recht angenehm unterhielten, hörten wir plötzlich Tritte auf dem Boden, die sich dem offen stehenden Gaubloch näherten. Wir flüchteten uns schnell durch das Dachfenster des Wittschen Hauses auf den Boden. Madame L... glaubte ihren Mann zu erkennen, eilte die Stiegen hinab, über die Straße in ihr Haus und in ein hinteres Gemach. Als der Herr Gemahl, denn er war es richtig gewesen, langsamen Schrittes vom Boden herabkam, fand er seine teure Ehehälfte ganz ruhig in demselben etwas räumen. Er schüttelte zwar bedenklich den Kopf, sagte aber nichts. Den andern Tag war jedoch das auf die Rinne führende Dachfenster mit einem Vorlegeschloß verwahrt, was aber nicht hinderte, daß wir andere Mittel und Wege fanden, uns zu sehen, und dies mit Hilfe kleiner Papierchen und gewisser Zeichen am Fenster. Ein paar alte Türkenjungfern halfen gerne aus; der Mann begleitete die Frau zu ihnen und holte sie auch später wieder ab, nicht ahnend, daß ich schon vorher im Haus verborgen war. Die Dame erhielt bald darauf einen Besuch von einer jungen Anverwandten, einem Fräulein von Campke aus Berlin, das sie nun zu ihrer Liebesbotin machte. Das Mädchen war sehr schön, hatte besonders einen ätherischen Wuchs und einen Sylphidengang, eine wahre Hebegestalt. War es ein Wunder, daß mich eine solche verführerische Abgesandte, deren Stimme noch obendrein den harmonischsten Klang hatte, zur Untreue und zum Verrat an der Schönen, die sie sandte, verleitete? Auch war es fast immer auf dem alten Marienkirchhof, zwischen Gräbern und Gespenstern, wo sie mir zu sagen hatte, ich möchte mich bei Türks einfinden, und ich sie dann persuadierte, sich vorher bei mir einzustellen. Leider blieb das hübsche Mädchen eine viel zu kurze Zeit in Kolberg, sie gab mir aber die Adresse ihrer Wohnung in Berlin, in der Hamburger Straße, wo sie sich bei ihrer Tante, der Frau von Osten aufhielt, die eine Verwandte eines Majors von Osten war, der in Berlin bekannt, weil ihn ein Feldprediger, den er gerne aufzog und zum besten hatte, einst auf eine arge Weise heimgeschickt, ohne daß er deshalb etwas hätte erwidern können, so sehr er sich auch getroffen fühlen mußte. Die Sache war folgende: Bei dem Dessert eines splendiden Mittagmahles, das ein Oberst seinen Offizieren gab, neckte sich der Major wieder mit dem Feldprediger, und zog ihn namentlich wegen der Wunder der Bibel arg auf. Der Pastor, in die Enge getrieben, wußte sich nicht anders zu helfen, als indem er zu seinem Gegner sprach: „Oh, die Wunder, die Sie da erwähnen, sind noch gar nichts gegen die bei der Sündflut, wo unser Herrgott dem Vieh jeder Art befahl, sich in die Arche zu verfügen, und dann unter anderem zu den verschiedenen Tieren sprach: ‚Du, Löwe von Süden, geh’ in den Kasten hinein; du, Kamel aus Westen, geh’ in den Kasten hinein; du, Bär von Norden, geh’ in den Kasten hinein, und du, Esel von Osten, geh’ in den Kasten hinein‘, und sämtliches Vieh gehorchte ohne Murren.“ – „Bravo, Herr Pastor,“ erschallte es von allen Seiten des Tisches. Der Major biß sich in die Lippen, war stumm und ließ den Feldprediger fortan ungehudelt.

Aus Mangel an anderen Feldzügen und aus Langeweile, die in Friedensgarnisonen das Militär immer plagt, denn man kann auch mit dem besten Willen nicht ewig hinter den Büchern hocken, und der Dienst will nicht viel sagen, machte ich fortwährend Pläne, neue Kampagnen unter Amors Banner zu eröffnen. So kam ich auf die Idee, die Szene, die ich schon einmal in Berlin gespielt, auch in Kolberg zu wiederholen, nämlich alle meine Teuren, jedoch nur die Verheirateten, bei einem Abendmahl zu vereinigen. Ich wohnte damals bei einem Brauer namens Paul, der ein Paar scharmante junge Töchter, Minchen und Karolinchen, besaß, mit denen ich mich schnell auf einen vertrauten Fuß gesetzt hatte. Meine Wohnung war Parterre und hatte einen eigenen Eingang im Torweg. Nachdem ich nun sieben Frauen zu diesem Abendessen, versteht sich, ohne daß eine etwas von der anderen wußte, eingeladen, bat ich die beiden Mädchen, mir doch ein Essen zu bereiten, indem ich einige Kameraden bewirten wollte. Es solle aber nur aus kalter Küche bestehen. Sie machten ihre Sache vortrefflich und bereiteten besonders einige sehr gute Gelees und Blancmangers. Pasteten hatte ich in der Stadt London machen lassen. Als die festgesetzte Stunde gekommen und der Tisch vollständig serviert war, daß keine Bedienung mehr nötig, kamen nacheinander: Madame G..., Frau Doktor M..., Frau von Sch...l, Frau von St..., Madame Z...ke und Madame W..., die ich alle auf das freundlichste empfing und, sowie eine zweite leise anklopfte, jedesmal erstere teils in meine Schlafkammer, teils in eine andere Nebenkammer eiligst verbarg, ihr tiefstes Schweigen empfehlend. Als endlich alle da waren, die siebente blieb aus, trat ich mit einem Licht in die Kammern und bat die ebenso überraschten als verschämten Schönen, mir zu erlauben, sie an den Tisch führen zu dürfen. Hier war die Szene eine ganz andere wie zu Berlin, da sich die sämtlichen Damen sehr genau kannten; auch blieben alle stumm und bewegungslos. Bei einigen verriet sich aber Zorn und Scham im Angesicht. Keine wollte meiner Einladung Folge leisten. Dies wäre eine Gruppe für einen Hogarth gewesen; in allen seinen Zeichnungen findet sich nichts ähnliches. Auch ich gaudierte mich nicht wenig an dem Anblick derselben. Die einen waren blutrot, die anderen leichenblaß, und keine getraute sich umzusehen. Ich nahm endlich das Wort und sagte: „Wohlan, meine Damen, das Souper erwartet Sie; es ist zwar ein kaltes, wird Ihnen aber doch schmecken. Verderben Sie sich den Appetit nicht, wir sind ja lauter Bekannte. Unter solchen Umständen bleibt nichts anderes übrig und es ist immer das Beste, gute Miene zu bösem Spiele zu machen. Seien wir einig, Sie haben ja alle gleiches Interesse, daß dies Spiel nicht verraten werde, also keine etwas von der anderen zu fürchten. Ein wenig Scham ist schnell vorüber.“ Noch immer gab keine einen Laut von sich. Ich nahm nun Frau von Sch...l und die Doktor M... am Arm, führte sie halb mit Gewalt an den Tisch, placierte sie und machte es dann mit den anderen ebenso. Ich servierte, aber keine wollte zugreifen. Endlich machte Madame G... zuerst den Mund auf und löste ihre geläufige Zunge, indem sie sprach:

„Meine Damen, der Streich ist zwar unerhört, nein, so etwas lebt nicht mehr und ist gewiß noch nicht vorgekommen, so lange die Welt steht. (Hier ließ ich ein leises: „Doch, doch,“ hören.) Fröhlich ist ein Ausbund von Verrat und Falschheit, aber was wollen wir armen verratenen Geschöpfe machen. Kommt die Geschichte an den Tag, so sind wir alle verloren. Es bleibt nichts anderes übrig, als reinen Mund zu halten oder unserem abscheulichen Wirt die Augen auszukratzen, ihn bis in den Tod zu hassen, oder noch besser, zu erwürgen.“ – Dies war eine schöne Aussicht für mich. Glücklicherweise machte keine der Damen Anstalt, einen so abscheulichen Rat zu befolgen, und ich, mich ermannend, versetzte: „Mein Tod, meine Damen, würde das Übel, wenn es eines ist, in dem Sie sich befinden, nur noch zehnmal ärger machen, denn Sie könnten in den Fall kommen, alle gehängt zu werden. Deswegen ist mein Rat, statt den der Madame G... zu befolgen, sich sofort an die auf Sie schon längst harrenden, gut zubereiteten Speisen zu machen, sich es wohl schmecken zu lassen.“ Dabei küßte ich eine nach der anderen, trotz ihrem Sträuben, und nötigte sie zum Essen. Sie fanden sich nach und nach in das Unvermeidliche, wurden gesprächiger, und nachdem erst einige Gläser Champagner geleert waren, fand sich das Übrige. Ich spielte lustige Tänze am Klavier, man wurde zuletzt heiter und fröhlich, und gegen zehn Uhr verließen sie sämtlich meine Wohnung, mir beim Umarmen eine angenehme Nacht wünschend. Der Spaß war nicht mit Gold zu bezahlen, wurde aber doch verraten, denn Pauls Töchter hatten uns belauscht und die Damen fortschleichen gesehen, ohne sie jedoch alle und genau erkannt zu haben, sondern mehr vermutet, wer sie waren. Als sie noch denselben Abend zu mir kamen, den Tisch wieder abzuräumen, lächelten sie malitiös, und die jüngere, Karolinchen, eine frische, kaum sechzehnjährige Blondine, sagte: „Ihre bewirteten Kameraden waren ja alle ohne Bart.“ – Ich küßte sie und erwiderte: „So wie du, mein Kind,“ und da ich wohl merkte, daß sie gelauscht haben mußten, nahm ich ihnen das feierliche Versprechen ab, gegen niemand etwas von diesem Souper zu erwähnen, und behielt sie zum Dessert bei mir. Sie hatten noch eine dritte Schwester, eine junge, an einen Salinenbeamten verheiratete Frau, die öfters ihre Eltern besuchte, mit der ich etwas später auch noch ein kleines Abenteuer hatte. Dieser erzählten sie im tiefsten Vertrauen, was bei mir vorgegangen war, und so machte die Historie mit vielen Varianten der Namen der Beteiligten dennoch bald die Runde in der Stadt, wurde aber glücklicherweise von den meisten Personen für ein Märchen oder doch wenigstens als sehr ausgeschmückt und übertrieben gehalten, besonders, da man sich hinsichtlich der Namen der beteiligten Personen durchaus nicht verständigen konnte. Auch wurde diese Geschichte schnell wieder durch eine andere verdrängt.

Mein Freund Willmann, der in der Liebe weit beständiger war als ich, hatte noch immer großes Wohlgefallen an seiner korpulenten Kriegsrätin. Eines Nachmittags wurde im Garten bei Kuhpfahls die Chronique scandaleuse der damaligen Zeit von Kolberg verhandelt, wo denn auch das Verhältnis Willmanns mit der Wißling zur Sprache kam, und ein Kaufmann namens Hackstock, bei dem Willmann wohnte, erzählte ganz ohne Hehl in dem Harmoniegarten, daß die Kriegsrätin gewisse Futterale von den feinsten Blasen für den Offizier per Dutzend nähe. Dies wurde dem Vater der Kriegsrätin, einem Beamten namens Juske, der noch andere hübsche unverheiratete Töchter hatte, hinterbracht, und der Mann war einfältig genug, die Sache anhängig zu machen und den Erzähler als Verleumder zu verklagen, der sich nun zu beweisen erbot, was er gesagt, indem er selbst ein ganzes Paket solcher Dinger, von der Wißling geschickt, einem Mädchen abgenommen hätte, und so weiter. Man kann sich denken, welch ein ungeheures Aufsehen diese Skandalosa in ganz Kolberg machte, so daß die Kriegsrätin für gut fand, die Stadt zu verlassen und sich nach Bromberg zurückzuziehen. Doch auch hierher drang diese Historie, und sie zog nochmals weiter gen Norden, und zwar bis Königsberg. Dies und noch ein anderer Vorfall, durch einen Grafen Schulenburg, einen verabschiedeten Gardeleutnant und Festungarrestanten, bei der Mutter Blaurock veranlaßt, machte mein Souper und alle anderen Dinge auf vierzehn Tage vergessen.

Ich hielt mich nun mehr an meine Hausdamen Pauls und deren verheiratete Schwester, zu denen außerdem noch eine ganze Menge artiger Bürgermädchen kamen, unter denen eine Louise Zielken, ein Louischen Platzer, ein Hannchen Sinel, eine Sophie Reisinger, eine Madame Igel und eine wunderschöne Schornsteinfegersfrau mit einer feinen schneeweißen Haut, ganz allerliebst waren, denen zuliebe ich allerlei Spiele, namentlich auch Versteckens und Waldpartien veranstaltete, und mich bald mit der einen, bald mit der anderen in der Malzdarre des Hauses oder einem undurchdringlichen Gebüsch des Hains verbarg.

Eine recht unterhaltende Partie war eine Hochzeitsfeier, die ein wohlhabender Pächter der Madame Schröder im Bullenwinkel zu Ehren seiner Tochter, die einen Krämer in Kolberg heiratete, veranstaltete, zu der er alle Honoratioren Kolbergs durch reitende, mit Bändern und Blumen geschmückte Boten, wie es dort zu Lande Sitte ist, eingeladen hatte. Diese Feier währte nicht weniger als drei volle Tage und Nächte, während welchen unaufhörlich gegessen, getrunken, getanzt, gespielt und geküßt wurde. Die ersten vierundzwanzig Stunden hatte ich das etwas wilde Hochzeitsfest ununterbrochen mitgemacht, den zweiten und dritten Tag aber fand ich mich immer erst gegen Abend ein, um ein nächtliches Abenteuer zu bestehen. Ein recht hübsches Landmädchen, das ich zu einer kurzen Mondscheinpromenade beredete, sagte mir ganz naiv: „Aber Sie wollen mich doch nicht verführen?“ – „Bewahre, nur liebhaben, mein schönes Kind.“ – Bei diesem Verführen fiel mir ein gar nicht lange vorher vorgefallenes Histörchen ein. Bei einer Paternitätsklage hatte der Richter der Klagenden gesagt: „Mein Kind, was Ihr da vorbringt, ist nicht hinlänglich, Ihr müßt mir gültigere Beweise bringen, daß Euch der Mensch verführt hat.“ – Einige Tage darauf erschien das Mädchen wieder vor dem Richter und sprach: „Jetzt habe ich die besten Beweise, Herr Richter!“ – „So laßt hören.“ – „Ja, er hat mich gestern Abend schon wieder verführt!“ – Am vierten Morgen kehrte ich, sowie alle Gäste, etwas stark ermüdet mit einem kleinen Fieber heim.

Mein Fieber nahm indessen zu, sowie ein arger Husten, der mir die Brust stark angriff. Das etwas wilde Leben, das ich führte, mochte freilich viel schuld sein, indessen trug das frühe Exerzieren am Strand der Ostsee, wo man sich oft bei kaltem nebligem Wetter bei dem beständigen Kommandieren heiser schrie und sehr erhitzte, wohl auch das Seinige dazu bei, wozu noch kam, daß ich öfters, noch lange nicht abgekühlt genug, durch ein Bad in den Fluten des Baltischen Meeres mich von der Erhitzung und Ermüdung zu befreien suchte. Verdruß und mancher Ärger, die ich mir allerdings meist selbst zuzog, setzten mir auch zu.

Eines Tages war Feuer in der Stadt ausgebrochen. Ich wurde an das Geldertor kommandiert, wo ein Leutnant Göricke die Wache hatte. Die Instruktion lautete, daß bei einem Brand niemand aus der Stadt gelassen werden dürfe, so lange er währte. Nun kam eine Menge Mädchen, welche in der Vorstadt Milch für ihre Herrschaften holen wollten. Es war noch früh am Morgen, und da sie der wachehabende Leutnant nicht hinausließ, so wuchs ihre Zahl bald auf ein halbes Hundert, mit denen sich dann die Soldaten neckten und schäkerten. Das Feuer währte an drei Stunden, bevor es gelöscht war. Die Mädchen, denen wohl auch dies Spiel gefiel, harrten, bis die Passage wieder frei sei, und ihre Damen, vergeblich auf die Milch wartend, mußten diesen Morgen ohne den gewohnten, nicht zu entbehrenden Kaffee bleiben oder ihn ohne Milch genießen, und wurden noch obendrein über das Ausbleiben ihrer dienstbaren Geister, wodurch der ganze Morgen verloren ging und das Mittagessen nicht zur rechten Zeit bestellt werden konnte, erbost. Auch dies kam wieder zu Ohren des Kommandanten, der mich bei der Parade deshalb zur Rede stellte und dabei sagte: „Der Befehl, niemand aus der Stadt zu lassen, erstreckt sich nicht bis auf die Milchmädchen, aber es unterhielt die Herren, diese Possen mit den Soldaten treiben zu sehen.“ – Ich erwiderte dem Kommandanten, daß ich nicht der wachehabende Offizier gewesen, sondern nur das Kommando der auf diesen Alarmplatz beorderten Truppen gehabt, folglich mich diese Konsigne gar nichts angegangen habe. – Hierauf versetzte er: „Das ist keine Entschuldigung, Sie waren der ältere Offizier im Grad und hätten also auf Ordnung sehen müssen.“ – Dabei hatte es sein Bewenden und er konnte mir wegen dieser Sache nicht wohl etwas anhaben. Dagegen gelang es ihm den Sonntag darauf, wenn auch mit noch weit geringerem Grund, mich so zu reizen, daß ich nach den Kriegsgesetzen allerdings sehr straffällig wurde.

Es war große Parade auf dem Markt. Nach gehöriger Inspektion schwenkten die Bataillone rechts ab, um zuerst im Paradeschritt vor dem Kommandanten zu defilieren. Der Offizier, der den dem meinigen folgenden Zug kommandierte, hatte die gehörige Distanz beim Schwenken nicht behalten, sondern war meinem Zug viel zu nahe gerückt. Daß sich dies so verhielt, konnte niemand besser als der außerhalb der Kolonnen stehende Kommandant bemerken. Dennoch wandte er sich laut schreiend mit den Worten: „Herr Leutnant Fröhlich, Sie halten ja gar keine Distanz, Ihr Zug marschiert wie Rekruten!“ an mich. Der ganze Markt und die Fenster waren voll Zuschauer, welche alle diese Apostrophe gehört haben mußten. Dies versetzte mich in einen solchen Zorn, daß ich nicht mehr Meister über mich selbst war und dem Kommandanten noch lauter erwiderte: „Herr Oberst, wenn Sie nicht sehen wollen, daß mein Hintermann und nicht ich die Distanz verloren hat, so lassen Sie auf der Stelle einschwenken, und Sie werden sich zur Genüge davon überzeugen.“ – Statt aller Antwort wurde die Kolonne durch ein donnerndes „Halt!“ zum Stehen gebracht, mir sogleich der Degen abgenommen, ich vom Platzmajor in Arrest geführt und dann meine abermalige Suspension vom Dienst bis nach abgemachter Untersuchung verordnet. Gleich den andern Tag kam ich bei meinem Kommandeur mit einem Gesuch um meinen Abschied ein, worauf mir aber erwidert wurde, daß erst nach beendigter Untersuchung mein Gesuch berücksichtigt werden könne. – Ich hatte schon längere Zeit im Sinn, meine Entlassung zu nehmen, da ich einsah, daß unter den bewandten Umständen eben kein großes Glück mehr für mich in preußischen Diensten zu hoffen sei, und ich auf kein baldiges Avancement rechnen könne. Mehrere Gesuche um eine Versetzung zu einem Regiment in den Rheinprovinzen waren mir abgeschlagen worden, und ich hatte durch einen Zufall in Erfahrung gebracht, daß ich in den Konduitenlisten, welche die Chefs alljährlich von den Offizieren einreichen, ziemlich schwarz angeschrieben stand. Wenn ich gerecht sein will, muß ich gestehen, daß ich durch mein oft sehr unpolitisches Benehmen dies mit veranlaßt hatte. Nach vierundzwanzig Stunden wurde ich vom Arrest wieder befreit, blieb jedoch suspendiert, und die Untersuchung begann. Während dieser Zeit, es dauerte über fünf Monate, bevor das bestätigte Urteil von Berlin zurückkam, lebte ich ziemlich eingezogen in meiner Wohnung, wo ich mich mit den liebenswürdigen Töchtern meines Wirtes und deren zahlreichen Freundinnen recht angenehm unterhielt, viel las und studierte und den Nachmittag ein paar Stunden in dem Harmoniegarten mit Lesen der Zeitungen und belletristischen Blätter zubrachte. Eines Tages befanden sich die Töchter meines Obersten, die des pensionierten Generals von Fiebig und noch andere, zum Teil noch ganz junge Mädchen in dem an das Lesezimmer stoßenden Gartensaal und machten nicht nur einen so gewaltigen Lärm, daß es unmöglich war, einen Gedanken zu fassen, sondern sie rannten wohl dreißigmal in einer Viertelstunde, Türen auf- und zuschlagend, durch das Lesezimmer, so daß sich auch einige Bürger in demselben laut beschwerten. Ich schloß endlich die Türe des Gartensalons ab, so daß die Mädchen nicht mehr herauskonnten, da er keinen anderen Ausgang hatte, und ließ sie eine geraume Zeit an der Türe pochen und rufen, bevor ich ihnen aufmachte, was ich endlich lachend tat, worauf mir das jüngste Fräulein von Witke, ein kaum elf Jahre altes, naseweises Ding, sagte: „Ich werde es dem Papa sagen, der soll Sie wieder in Arrest schicken.“ – Ich erwiderte ihr darauf: „Mein artiges Fräulein, bei mir zu Lande ist es Gebrauch, daß man die Gänschen jeden Abend einsperrt.“ – Aber nun fielen alle auf einmal über mich her und schnatterten so gewaltig, daß ich auch kein Wort verstand, sondern mich lachend entfernte. Durch Frau von Sch...l aber, die ich noch denselben Tag sprach, erfuhr ich, daß sich das ältere Fräulein von Witke gegen die anderen Mädchen geäußert habe: „Laßt es nur gut sein, der kommt schön an, der Vater hat ohnehin schon in die Konduitenliste gesetzt, daß er unanständige Liebesintrigen habe, sich ungebührlich gegen seine Vorgesetzten benehme und Schulden mache.“ – Ich mochte ungefähr ein paar hundert Taler Schulden haben, die jedoch meist auf laufende Rechnung waren, und die ich am Ende wohl noch bezahlen konnte und bezahlte. Dies und die Intrigen hätte man mindestens von einem Dritteil der Offiziere in die Konduitenliste setzen können. Aber die Hauptsache waren die Vorgesetzten. Mein Urteil kam endlich von Berlin und war abermals sechsmonatlicher Festungsarrest, den ich diesmal in Kolberg selbst absitzen sollte. Der Kommandant wies mir eine Stube auf dem Geldertor an, mit dem Verbot, mein Arrestzimmer nicht verlassen und noch weniger in die Stadt gehen zu dürfen. Ja, er trieb es so weit, daß die wachthabenden Offiziere Order erhielten, daß ich ohne seine Erlaubnis keine Besuche annehmen dürfe und alle an mich gerichteten Briefe durch die Hände der Kommandantur gehen sollten. Nur zwei Stunden vor- und zwei nachmittags war mir ein sehr kurzer Spaziergang auf dem Wall unter den Augen der Schildwache erlaubt. Was die Briefe anbelangte, so wußte ich es schon zu machen, daß ich sie auf anderem Wege erhielt. Ich ließ meinen Burschen eine Bürste mit einem verborgenen Schieber machen, in welche er jeden Morgen, wenn er kam, um meine Kleider zu reinigen und das Frühstück zu bringen, die an mich in meiner Wohnung eingegangenen Briefe und Billetts aus der Stadt hineinlegte, und so auch meine Antworten wieder mit fortnahm. Hatten Offiziere, mit denen ich auf einem vertrauteren Fuße stand, wie Willmann, Bocksfeld, Melzer, Sanft und so weiter, die Wache, so empfing ich auch abends Besuche, und sogar weibliche. Indessen wurde die Sache mit der Briefbürste doch verraten. Ein Unteroffizier, der den Burschen fragte und visitierte, ob er keine Papiere für mich bei sich habe, nahm zufällig die Bürste in die Hand, entdeckte den Schieber, schob ihn zurück und fand zwei Zettelchen von Pauls Töchtern und einen Brief von einer gewissen Frau Geib, welche die Unterhändlerin für eine andere Dame machte, die sie glücklicherweise nicht in dem Schreiben genannt hatte. Diese drei Personen ließ der Kommandant nun durch die bürgerlichen Behörden, den Oberbürgermeister und den Polizeidirektor, vernehmen und verwarnen, künftig sich in keine Korrespondenz mehr mit Festungsarrestanten einzulassen. Dies gab abermals einen heillosen Stadtskandal, die Mädchen konnten sich gar nicht mehr sehen lassen, und ich war außer mir. Übrigens wurde mir die Zeit eben nicht lang auf meinem Tor. Ich hatte Kameraden und Unterhaltung genug. Ein alter, sehr lustiger Rittmeister, drei andere Offiziere, ein Bürgermeister, der einen Landrat geprügelt, ein Forstmeister, der aus Versehen einen Wilddieb erschossen hatte, saßen alle auf demselben Tor in verschiedenen Arreststuben. Wir kamen morgens und abends zusammen und jeder wußte eine Schnurre oder unterhaltende Begebenheit aus seinem Leben zu erzählen, besonders der Leutnant von Stolzenbach, der außerdem die niedlichsten Papparbeiten, ganze Burgen, Festungen, Tempel, Kirchen und andere Gegenstände aus Pappe zu seiner und unserer Unterhaltung verfertigte. Die Offiziere saßen meistens wegen gehabter Duelle. Auch ich hatte mein Klavier heraufbringen lassen und vertrieb mir und den anderen manche Stunde mit Musik. – Was mich aber quälte, waren mein Husten und meine Brustbeschwerden, die immer bedenklicher zu werden begannen, so daß sich schon schleichendes Fieber, starke Nachtschweiße und sogar einiges Blutspeien einstellte. Der Stabsarzt Clebsch ließ mich nun eine Kur von isländischem Moosgelee, Roggensuppen und Honigtee während vier Monate ununterbrochen nehmen, durch welche ich so ziemlich wieder hergestellt wurde. Kurz vor Beendigung meines Festungsarrestes erhielt ich die Anzeige vom Tode meiner Großmutter mütterlicherseits, die mir ein besonderes Vermächtnis von zweitausend Talern zugedacht hatte, und zwar aus dem Grund: ‚weil ich kein Komödiant geworden sei.‘ Diese Worte standen im Testament. Dieses Geld kam mir gerade trefflich zustatten, denn ich konnte nun die paar hundert Taler Schulden, die ich hatte, gleich tilgen und behielt ein kleines Kapital in der Hand, wodurch ich vorerst gedeckt war und den kommenden Ereignissen mit Ruhe entgegensehen konnte. Meines Arrestes entlassen, bestand ich um so mehr auf meinem Abschied, der mir dann auch sechs Wochen später ward. Ich hielt mich jetzt nur noch wenige Tage in Kolberg auf, wo sich zufälligerweise ein Frankfurter Weinhändler namens G..., ein guter Bekannter meiner Familie, eingefunden hatte, um Geschäfte zu machen. Während dieser Zeit wohnte ich bei dem Speisewirt Sack, der auch Kastellan der Freimaurerloge, von der der Kommandant ein Mitglied war. Eines Abends schlich ich mich in die sogenannte Probekammer und malte daselbst einen gehörnten und langgeöhrten Kopf mit Kohle an die Wand und schrieb darunter: der Kommandant. – Als dieser es erfuhr und sich augenscheinlich davon überzeugt hatte, – ich machte keinen Hehl daraus, daß ich es getan, – ließ er mich deshalb wieder vernehmen. Ich gab aber auf alle an mich gerichteten Fragen keine andere Antwort, als: „Ich habe damit den Kommandanten von Kalkutta gemeint, findet sich der von Kolberg dadurch getroffen, desto schlimmer für ihn.“ – Dabei blieb es, und nachdem ich gehörig Abschied von allen Bekannten und auch von dem braven Nettelbeck genommen hatte, der bei allen Gelegenheiten immer so sehr bescheiden war, daß man hätte glauben sollen, er schäme sich, so viele Verdienste zu haben, fuhr ich, von Kolberg abreisend, wo ich über vier Jahre zugebracht, dem Freund G... zuliebe über Köslin, wo ich mich noch ein paar Wochen aufhielt, nach Berlin.

XI.
Ein Polterabend. – Ich gebe ein paar Gastrollen. – Reise von Köslin nach Berlin. – Eine Reise nach Paris ohne Paris zu sehen. – Schicksale meiner Cousinen. – Abreise nach Magdeburg. – Carnot. – Er fordert mich auf, ein Geschichtswerk herauszugeben. – Aventuren. – Ich gerate in große Feuersgefahr. – Abreise nach Bremen. – Angenehme Reisegesellschaft. – Braunschweig. – Vetter K... und Cousine Henriette. – Ein Hausfreund. – Gesinchen. – Die Giftmischerin Gottfried. – Signora Catalani in Bremen. – Abreise nach Frankfurt. – Hannover. – Hildesheim. – Goslar. – Eine Partie auf den Blocksberg. – Kassel. – Wilhelmshöhe. – Zopfwut des Kurfürsten. – Ankunft zu Frankfurt.

In Köslin wohnte ich mit Freund G... bei Homanns auf dem Markt, wo zufällig den anderen Tag die Hochzeit der Tochter aus dem Haus stattfinden und gefeiert werden sollte. Als ich mich den Abend nach meiner Ankunft, nach zehn Uhr, ziemlich ermüdet zu Bette gelegt hatte und eben eingeschlafen war, hörte ich plötzlich unter meinem Fenster einen gewaltigen Lärm, der durch das Zusammenschlagen von Töpfen, Flaschen, Krügen, Gläsern und anderem Geschirr entstand, und kein Ende nehmen wollte. Wohl an zwei Stunden hatte der Skandal gewährt und mich am Einschlafen verhindert. Ich konnte gar nicht begreifen, was dies zu bedeuten habe. Als ich das Fenster öffnete, um zu erforschen, was es sei, sah ich mehrere Mädchen nacheinander ankommen, die einen Topf, eine große Schüssel oder sonst ein leicht zerbrechliches Gefäß mit aller Kraft auf die Steine vor der Haustüre warfen. Nachdem ich ihnen zugerufen, sie sollten mit dem Unfug aufhören, erwiderten sie mir lachend: „Es ist Polterabend!“ Als ich mich, nebst anderen Reisenden, am Morgen wegen der unruhigen Nacht beschwerte, wurden wir sämtlich zur Hochzeit geladen, die uns eine Entschädigung gewähren sollte. Die Braut war so übel nicht, unter den Brautjungfern waren einige recht hübsch; man konnte sich schon mit der Entschädigung begnügen und so eine zweite Nacht schlaflos hinbringen. In Köslin traf ich wieder Romberg mit seiner Gesellschaft an, bei der noch Madame Vetterlein war, mit der ich die alte Bekanntschaft wieder erneuerte. Die Gesellschaft hatte gerade ihren ersten Liebhaber durch Durchgehen verloren. Madame Vetterlein meinte, ich könne ihr zu Gefallen wohl ein paar Liebhaberrollen übernehmen, und wenn ich mich nicht bei Romberg engagieren wolle, doch gastieren. Ich lachte über den Einfall der hübschen Aktrice, die sich noch hinter den Direktor steckte, den ich einige Male in meinen Gasthof zum Mittagessen eingeladen hatte, ließ mich der liebenswürdigen Frau zu Gefallen wirklich verleiten, ein paar Rollen, nämlich die des Karl Moor in Schillers Räubern und die des Ferdinand in Kabale und Liebe, zu geben, und fand bei dem Kösliner Publikum so große Gnade, daß alle Welt in Romberg drang, mich doch zu engagieren, was aber nicht in des guten Mannes Willen stand, da ich den Antrag ablehnte. Ich reiste nach vierzehntägigem Aufenthalt zu Köslin, wo man sich mit allen möglichen Märchen über meine werte Person herumtrug, mit einer jungen Französin, welche 1815 zu Paris einen preußischen Armeebeamten geheiratet hatte, und nun à tout prix dieses ‚pays du diable‘ verlassen wollte, um in ihr geliebtes Frankreich heimzukehren, nach Berlin ab. Sie hoffte, daß ich sie wenigstens bis an den Rhein begleiten würde, obgleich ich ihr gesagt, daß ich vorerst nach Bremen gehen müsse. Sie traute aber ihrer französischen Liebenswürdigkeit zu, mich noch anderen Sinnes zu machen. Daß sie sich zu viel zugetraut, wurde ihr schon den ersten Tag nach unserer Abreise aus Köslin klar, denn eine sehr niedliche Frau, die Gattin eines Regierungsrates zu Köslin, die zu ihren in Magdeburg wohnenden Eltern zum Besuch reiste, nahm meine Aufmerksamkeit weit mehr in Anspruch, als die unglückliche Französin, die, wenn auch nicht häßlich, doch etwas so Verzerrtes und Fratzenartiges an sich hatte, daß sie mir bald zuwider werden mußte. Frau Regierungsrätin von M..., die sogleich den Künstler in mir wieder erkannte, der als Major Walter ihren vollsten Beifall zu erhalten das Glück gehabt, wunderte sich sehr, im Postwagen mit mir zusammenzutreffen, und war äußerst neugierig, von mir selbst etwas Näheres über meine Verhältnisse zu erfahren, indem man in Köslin die allerextravagantesten Dinge über meine Person ausgesagt habe. Lachend teilte ich ihr davon mit, was ich für gut hielt. – „Aber wie mochten Sie sich nur unter solches Komödiantenpack mischen?“ rief zuletzt die schöne Frau aus. – „Dies ist nun einmal meine Passion, gnädige Frau, und ich stehe nicht dafür, daß, nachdem sich die Umstände gestalten, ich nicht heute oder morgen noch einmal ein wirklicher Komödiant werde, wenn ich bei einer guten stehenden Bühne eine passende Anstellung finde.“ – Die Dame schüttelte etwas unwillig das Köpfchen. Unterdessen wurde mir die Reise bis nach Berlin sehr kurzweilig, da ich mich mit den beiden Frauen, der Französin und der Magdeburgerin, recht angenehm unterhielt, obgleich erstere, die nur wenig Deutsch verstand und sprach, gar oft böser Laune wurde, wenn ich mit der anderen zu lange und ihr unverständlich sprach. In Berlin begaben sich die beiden Damen auf meinen Rat in den Gasthof ‚Zum Engel‘ in der Heiligengeist-Straße, wo sie noch ein paar Tage mit mir zusammen wohnten, hierauf die Frau Regierungsrätin zuerst nach Magdeburg abfuhr, wo ich sie in ein paar Wochen zu besuchen versprach, und ich dann die Französin nach Frankreich abzureisen veranlaßte, indem ich ihr sagte, daß mich meine Geschäfte wohl noch jahrelang in Berlin zurückhalten könnten. Ich machte nun meine Besuche bei Pogwischs, Pfeifers und anderen alten Bekannten, hütete mich aber, der Prinzessin Wilhelm unter den jetzigen Umständen meine Aufwartung zu machen, und ließ mir bei dem Bankier Mendelssohn fünfhundert Taler auf Rechnung meines großmütterlichen Legats geben, von dem ich erst fünfhundert Taler in Kolberg durch Freund G... empfangen hatte. Wen ich aber zuerst in Berlin aufsuchte, das war Frau von Osten in der Hamburger Straße, bei der ich das schöne Fräulein von Campke wußte, mit welcher ich das in Kolberg angeknüpfte Verhältnis fortspann. Ich blieb diesmal in meinem Gasthof wohnen, obgleich mich Pogwischs einluden, wieder bei ihnen zu logieren. Aber ich wollte ganz ungeniert sein, wußte ohnehin nicht, wie lange ich in Berlin bleiben würde, und widmete mich ganz dem Dienst des Fräulein von Campke, mit dem ich recht romantische Partien nach Potsdam, Charlottenburg und so weiter veranstaltete. Daneben lieferte ich dem ‚Beobachter an der Spree‘ wieder manche ziemlich pikante Beiträge von Geschichtchen, die mir zu Ohren kamen und von denen ich hier nur ‚Die Reise nach Paris‘ erwähne. Sie hatte folgenden Vorfall zum Grund: Ein preußischer Offizier wurde als Kurier in Staatsangelegenheiten nach Paris geschickt. Dieser hatte einen guten Freund, dessen sehnlichster Wunsch schon längst gewesen, einmal Frankreichs Hauptstadt zu sehen, wozu ihm aber die nötigen Geldmittel fehlten. Der Offizier machte ihm nun das Anerbieten, ihn frei mitzunehmen und auch wieder zurückzubringen, da ihm dies selbst keinen Pfennig Kosten verursache. Er brauche nur soviel Geld, als er während eines acht- bis vierzehntägigen Aufenthaltes in Paris zu seinem Vergnügen auszugeben gedenke. – Wer war froher als unser Freund, auf eine so wohlfeile Art nach Paris kommen zu können. Beide Freunde fuhren nun mit Extrapost rastlos Tag und Nacht, ohne sich irgendwo aufzuhalten, bis Paris, wo sie gegen acht Uhr abends ankamen, in einem Hotel abstiegen, worauf sich der Offizier ankleidete, um seine Depeschen in dem preußischen Gesandtschaftshotel abzugeben und seinem Reisegefährten, der außerordentlich ermüdet war, empfahl, einstweilen der Ruhe zu pflegen, um den folgenden Tag die Sehens- und Merkwürdigkeiten von Frankreichs Hauptstadt neugestärkt in Augenschein nehmen zu können. Der Freund befolgte den Rat, begab sich zur Ruhe und schlief auch gleich ein. Es mochte beinahe Mitternacht sein, als der andere zurückkam und den vortrefflich schnarchenden Schläfer nicht ohne große Mühe aus seinem großen Schlafe weckte und mit den Worten anredete: „Du, stehe rasch auf und kleide dich an, wir müssen auf der Stelle wieder fort.“ – Der andere rieb sich die Augen, ließ sich die Worte zwei- und dreimal wiederholen und sagte endlich gähnend: „Bist du toll? Ich glaube, du träumst.“ – „Nichts weniger als dies, ich habe hier schon meine Depeschen,“ – hier zeigte er ihm einen Pack Briefe – „und in einer Stunde muß ich schon wieder auf dem Weg nach Berlin sein. Dies ist mir von dem Gesandten auf das strengste anempfohlen worden. Also, spute dich, sonst mußt du hierbleiben. Wenn dir dies recht ist, so ist es etwas anderes.“ – „Wie kannst du so einfältig reden. Du weißt doch, daß ich nur fünfundzwanzig Taler mitgebracht, wie kann ich bleiben, und mit was zurückreisen?“ – „Darum rasch, kleide dich an, wir haben keine Minute zu versäumen, die Pferde sind bereits bestellt und werden bald angespannt sein.“ – Fluchend und wetternd erhob sich nun der andere mit noch ganz zerschlagenen Gliedern aus dem Bett und kleidete sich, fortwährend brummend und murrend, an: „Der Teufel soll die Reise nach Paris holen. Ich wollte lieber, ich hätte das Miserere gekriegt, als daß ich mit dir gereist wäre,“ und so weiter. Aber das half alles nichts. Schon hörte man das Trappeln der Pferde vor der Haustüre. Man trank noch ein paar Tassen schwarzen Kaffee, den der Offizier in der Eile hatte kommen lassen, mußte sich dann, in die Mäntel gehüllt, in den harrenden Wagen werfen, und bei ebenso finsterer Nacht, als man angekommen, fuhr man wieder aus Paris hinaus, und mit derselben Eile, wie man hergereist, nach Berlin zurück, wo der Freund wahrhaft gerädert ankam und über acht Tage im Bette zubringen mußte, bevor er sich von den ausgestandenen Strapazen wieder ganz erholt hatte. Daß der gute Freund für den Spott wegen dieser unglücklichen Reise nicht zu sorgen hatte, kann man sich denken. Auch konnte man ihn nie daran erinnern, ohne daß ihm der Zorn das Blut ins Gesicht jagte.

Dieses Histörchen machte ziemliches Aufsehen in Berlin, so daß für ein paar tausend Groschen mehr als gewöhnlich vom ‚Beobachter an der Spree‘ verkauft wurden und mich die Redaktion um mehr solcher Beiträge ersuchte.

Außer dem Fräulein von Campke hatte ich auch noch einer hübschen Tänzerin, an die mir Graf Schulenburg eine Empfehlung gegeben hatte, den Hof gemacht. Alte Bekannte, wie Minchen Pfeifer, die noch immer eine unglückliche Braut, Demoiselle D..., die seit einigen Jahren an einen der bedeutendsten Künstler des Berliner Theaters verheiratet war, und so weiter, suchte ich auch auf, und so schwanden mir die wenigen Wochen, die ich ziemlich planlos in Berlin verlebte, schnell dahin.

Schon längst hatte ich das Projekt im Sinn, Bremen und meine daselbst verheirateten Cousinen zu besuchen, unter denen eine meiner ersten Jugendfreundinnen, die liebe Henriette, war, an die mich von Frankfurt und Homburg so manche angenehme Erinnerung gemahnte und die an einen der angesehensten Kaufleute Bremens verheiratet war. Die vier Töchter meines Oheims Scholze hatten sich in Bremen, nachdem sie daselbst ein paar Jahre gelebt, da es schöne und reiche Mädchen waren, kurz nacheinander an angesehene Kaufleute verheiratet. Die zweite, Sophie, hatte den Senator H..., die dritte, Minna, den für sehr reich geltenden Kaufmann G..., und die vierte, Hannchen, einen in Hamburg etablierten Kaufmann namens P... gefreit. Henriette hatte aber eine sehr zarte Gesundheit und kränkelte fast immer. Sophie kam nach ihrem ersten Wochenbett zehn Jahre lang nicht mehr aus dem Bett und mußte in Betten jedes Jahr in die Bäder gefahren werden; als Mädchen war sie ein wahrer Dragoner gewesen. Minna, die wie die Mama allerlei Liebesabenteuer gehabt, war närrisch geworden und in einem Haus in Berlin zur Genesung, wo sich die Prinzessin Wilhelm ihrer auf das freundlichste annahm, sie in lichten Stunden zu sich auf das Schloß holen ließ, bis sie endlich einmal in ihrer Gegenwart die tollsten Streiche machte, daß das fernere Kommen unterbleiben mußte. Ihr Mann aber fallierte später und wurde ganz arm, so daß die Schwestern die Unglückliche unterhalten mußten. Hannchen war neun Monate nach ihrer Verheiratung im ersten Wochenbett gestorben. Mein Oheim Scholze war noch nicht lange, nachdem er noch die Hälfte seines Vermögens durch unvorsichtige Güterkäufe verloren hatte, ebenfalls gestorben. Dennoch sollten die Töchter noch sehr reich werden, da sie einen alten kinderlosen, noch lebenden Bruder ihres Vaters, den man in Bremen nur den reichen Scholze nannte, zu beerben hatten. Aber auch diese Erbschaft ging später durch allerlei Spekulationen der Männer meist wieder verloren. – Dies war das Ende der Früchte einer Ehe, die unter den glücklichsten Auspizien in Frankfurt vollzogen worden war, und wegen der man unsere ganze Familie so sehr beneidet hatte.

Von Berlin reiste ich über Potsdam, wo ich noch einmal dessen Herrlichkeiten besuchte und zwei Tage verweilte, und Brandenburg, nach Magdeburg, wo ich wieder in einem ‚Goldnen Engel‘ auf dem breiten Weg, dessen Eigentümer, Neuschäfer, früher Kellner in Frankfurt war, abstieg, mir aber, da ich einige Zeit in Magdeburg zu bleiben beabsichtigte, ein paar Tage darauf eine Privatwohnung mietete. Zuerst suchte ich meine liebenswürdige Reisegefährtin von Köslin nach Berlin, die Regierungsrätin von M... auf, bei deren Eltern ich sehr gut aufgenommen wurde, und die mich noch denselben Tag zu einer Promenade auf dem Fürstenwall, vom Fürsten von Anhalt-Dessau angelegt, einlud, was ich mit Vergnügen annahm. Hier zeigte man mir den alten Republikaner Carnot, der einer der Direktoren der französischen Republik gewesen und jetzt von den Bourbons als Königsmörder verbannt war. Er hatte im Konvent für den Tod Ludwigs XVI. gestimmt. Mit Genehmigung des Königs von Preußen lebte er in Magdeburg. Obgleich ich mir schon längst vorgenommen, keine Zelebritäten mehr aufzusuchen, da meine Besuche bei Goethe und Fiesco so schlimm ausgefallen waren, so glaubte ich hier doch als ehemaliger französischer Offizier eine Ausnahme machen zu müssen, und tat wohl daran, denn ich wurde sehr gut aufgenommen. Der alte Republikaner, ein zweiter Cato, der eigentlich die Pläne zu den glänzenden italienischen Feldzügen Napoleons entworfen hatte, war äußerst angenehm und sehr mitteilend im geselligen Umgang. Ich war öfters bei ihm zu Tisch und machte dann eine mehrstündige Promenade auf dem Fürstenwall mit ihm, wo er sich durch sein einfaches Kostüm, einen grauen Oberrock und einen sehr breitrandigen runden Hut, auszeichnete. Der Umgang und die Unterhaltung mit diesem berühmten Mann war in hohem Grad lehrreich für mich. Er erzählte mir vieles von den Begebenheiten der französischen Revolution, der Republik, des Kaiserreiches, wodurch ich über manche Dinge, die mir bisher dunkel und rätselhaft waren, vollkommenen Aufschluß erhielt. Obgleich strenger Republikaner, gestand er mir doch zu, daß die Welt zu sehr im Argen liege, daß es der Schurken, Betrüger, Selbstsüchtigen, Schwachen und Herrschsüchtigen viel zu viele gebe, als daß man hoffen könne, eine die Völker beglückende Republik dauerhaft zu gründen. Eines Tages kam auch die Rede auf die Werke und Schriften, welche über die französische Revolution schon erschienen seien, und daß er keine einzige Geschichte derselben kenne, welche vom Standpunkte der Unparteilichkeit, mit Wahrheit, vollkommener Sachkenntnis und ohne Leidenschaft geschrieben sei. Ein solches Werk fehle gänzlich, denn alle herausgekommenen atmeten mehr oder weniger gehässigen Parteigeist, seien voller Vorurteile und bewiesen oft die krasseste Ignoranz bei den wichtigsten Begebenheiten. Endlich sagte er mir: „Sie sollten es versuchen, ein solches, wahrhaft verdienstliches Werk zutage zu fördern. Ich halte Sie für fähig dazu und auch unparteiisch und vorurteilsfrei genug, wie ich aus Ihren Reden entnommen habe.“ – „Ja, mein General,“ versetzte ich lächelnd, „wo denken Sie hin, hierzu gehören ganz andere Fähigkeiten, Talente und Kenntnisse, als ich besitze.“ – „Das glaube ich nicht. Wenn Ihre Darstellungsgabe in deutscher Sprache, denn in dieser müßten Sie es schreiben, ebenso klar und faßlich ist, wie Sie sich in der französischen ausdrücken, dann haben Sie schon den Vorteil eines sehr anziehenden Vortrags. In der Geschichte sind Sie hinlänglich bewandert, Hilfsquellen will ich Ihnen die zuverlässigsten und besten geben. Ich werde Ihnen einige Notizen aufsetzen, sowie, welche französischen Schriften und Werke Sie hauptsächlich als Hilfsquellen benutzen können.“ – Ich schüttelte sehr unschlüssig und ungläubig den Kopf und lächelte. Carnot, der es bemerkte, versetzte: „Nur Mut und Selbstvertrauen. Die Sache ist nicht so schwer, wie Sie glauben, und man kann leider von vielen Geschichtschreibern das sagen, was Oxenstierna von den Staatsmännern gesagt: ‚Wenn die Welt wüßte, mit wie wenig Sachkenntnis sie schreiben.‘“ – Etwa acht Tage darauf händigte mir der General ein Cahier von zwanzig beschriebenen Blättern ein, welche Daten und Anmerkungen zu den hauptsächlichsten Begebenheiten der französischen Revolution und des Kaiserreiches enthielt. Zugleich übergab er mir auch eine Liste, auf welcher die Titel von einigen hundert historischen Werken und politischen Broschüren, die seit 1789 in Frankreich erschienen, verzeichnet waren, und die ich teilweise und mit Umsicht benützen müsse. Ich nahm alles dankbar an, aber an die Herausgabe eines solchen Riesenwerkes dachte ich im Ernste nicht; doch teilte ich in müßigen Stunden das Ganze oberflächlich in Abteilungen und Kapitel ein und entwarf so nach und nach einen Plan, dessen Ausführung mir sehr problematisch erschien.

Gleich nach meiner Ankunft zu Magdeburg hatte ich, wie gesagt, die Regierungsrätin von M... bei ihren Eltern aufgesucht und besuchte nun in ihrer Gesellschaft die zum Teil recht angenehmen Umgebungen Magdeburgs, den Vogelgesang, den Herrnkrug, das rote Horn und so weiter. Nirgends sah ich in Deutschland und Frankreich niedlichere Landmädchen als in der Gegend um Magdeburg. Nur die Strohhutflechterinnen im Arnotal übertreffen sie noch. Dabei das kokette Kostüm, die allerliebsten Häubchen, die ihnen so bezaubernd zu Gesichte stehen. Es war kein Wunder, wenn ich einer solchen Vilanella zu Gefallen mehr als einmal meine Frau Regierungsrätin im Stich ließ. Außerdem sind diese Mädchen äußerst graziös und selbst fein in ihrem Benehmen, die meisten sehr wohlhabend, ja mitunter reich. In einem solchen Bauernhaus findet man nicht selten einen großen Luxus, in manchen Stuben sogar ein Klavier. Die Wohnungen dieser Landleute sind durchgehends sehr reinlich, zierlich, mitunter elegant. Kommen sie an Markttagen in die Stadt, so haben sie oft Pferde vorgespannt, die einem Staatswagen keine Unehre machen würden.

Das nicht schlechte Theater stand damals unter der Direktion der Herren Fabricius und Hostovsky. Ich sah hier gerade den Sturm von Magdeburg durch Tilly, ein Schauspiel von F. L. Schmidt, aufführen, dessen mise en scène meisterhaft war und mit einem großen Aufwand von Dekorationen, Komparsen, Kostümen und so weiter gegeben wurde. Obgleich es keinen hohen dichterischen Wert hat, so ist es doch eine getreue historische Darstellung der furchtbaren Zerstörung Magdeburgs und hat ergreifende Szenen, namentlich am Schluß, wo die Stadt im Schutt liegt und nur noch der Dom und die in ihm Geretteten vorhanden sind.

Durch die Familie der Regierungsrätin wurde ich auch noch bald mit anderen Häusern bekannt, in denen ich unter anderen die hübsche und sehr lebenslustige Frau eines Postsekretärs kennen lernte, ein junges schalkhaftes Weibchen, das sich gern allerlei drollige Streiche erlaubte, auch eine ebenso joviale Schwester hatte, die an einen nahen Gutsbesitzer verheiratet war und fast jede Woche ein paarmal selbstkutschierend in die Stadt kam. Beide Schwestern waren besonders gut gewachsen, hatten viel Verstand und waren sehr beliebt in der ganzen Stadt. Die Gutsbesitzerin lud mich ein, sie mit ihrer Schwester zu besuchen, und ich machte mit der Frau Postsekretärin mehr als eine lustige Fahrt nach dem Gut des Schwagers.

Mein Aufenthalt in Magdeburg hatte nun schon über die Gebühr gedauert, aber die Zeit war mir schnell und angenehm verflogen. Die Stunden, die ich nicht bei Carnot zubrachte, vertändelte ich mit Damen und machte Landpartien. Auch lieferte ich dem hier erscheinenden ‚Beobachter an der Elbe‘ einige komische Anekdoten. Endlich mußte ich doch an die Abreise, denn mein Leben in Magdeburg hatte keinen Zweck, an ein weiteres Fortkommen und eine mir anständige Zukunft denken. Aber, wie ich beides bewerkstelligen wollte, war mir noch ziemlich dunkel. Ernstlich hatte ich noch nicht darüber nachgedacht; auch zog es mich nach Bremen. Indessen sollte ein sehr unglücklicher Zufall meinen Aufenthalt hier noch verlängern.

Ich hatte auf der breiten Straße ein paar möblierte Zimmer in dem zweiten Stock eines Hinterhauses gemietet. Die Fenster meines Schlafzimmers gingen in den Hof. Zwei Tage früher, als ich meine Abreise festgesetzt hatte, wurde ich gleich nach Mitternacht, ich war noch nicht lange eingeschlafen, durch das Geschrei: „Feuer, Feuer!“ geweckt und sah, die Augen öffnend, eine außerordentliche Helle vor meinen Fenstern im Hof. Zugleich hörte ich das ganz nahe Knistern einer großen Flamme. Mit einem Satz war ich aus dem Bett, zog ein Paar Beinkleider an, öffnete meine Stubentüre, durch welche sogleich ein gewaltiger Qualm drang, hinter dem die Flammen auf der Treppe schon hoch emporloderten. Zugleich vernahm ich das Angst- und Hilfegeschrei einer Frau, die mit ein paar kleinen Kindern neben mir auf demselben Gang wohnte. Ich eilte zu ihr hinüber und fand sie in Verzweiflung, ihre Kinder in den Armen. Auch sie hatte schon gesehen, daß es eine Unmöglichkeit war, sich auf den schon in vollem Brand befindenden Treppen zu retten. Das Feuer näherte sich mit jedem Augenblick mehr unseren Zimmern. Ich faßte jetzt schnell einen Entschluß, warf alles, was sich von Betten, Kissen und Strohsäcken in den Zimmern vorfand, durch das Fenster hinab, band schnell sechs Bettücher zusammen und hieß die Frau, sich zuerst hinablassen. Sie ließ aber noch, bevor sie ganz unten war, los, tat sich jedoch, auf die Betten fallend, keinen Schaden. Ich rief ihr nun zu, daß ich die Kinder wolle folgen lassen; sie möge nur unten das Bettzeug so ordnen, daß keines daneben fallen könne, worauf ich die beiden Kleinen, eines nach dem anderen hinabwarf, dann in mein Zimmer lief, das Kistchen mit meinen Tagebüchern und anderen Schriften, meinen Koffer, sowie, was ich von Kleidern, Wäsche und so weiter geschwind zusammenraffen konnte, hinabwarf, und dann selbst, an den Bettüchern hinabgleitend, mich folgen ließ. Schon war ich vor dem Fenster, da fiel mir ein, daß ich meine Brieftasche, in der noch für ungefähr hundertfünfzig Taler Tresorscheine waren, vergessen hatte. Noch einmal schwang ich mich zum Fenster hinein, und es gelang mir, auch diese zu retten. Doch war es die höchste Zeit, denn schon ergriffen die Flammen mein Schlafzimmer und wenig Augenblicke darnach stürzte der Boden desselben brennend und krachend ein. Ich aber kam mit einem Sprung vom ersten Stock wohlbehalten unten an, wo ich auch die Frau mit ihren Kindern unbeschädigt antraf. Das Bettzeug lag vier Schuh hoch aufgetürmt. Der Hof fing an, sich nun allmählich mit Menschen zu füllen; da aber das Vorderhaus keinen Torweg, sondern nur einen schmalen Durchgang hatte, so kostete es große Mühe, bis man die Spritzen in die gehörige Tätigkeit setzen konnte. Doch ward man noch vor Tag Meister des Feuers, aber das Hinterhaus und die Seitengebäude waren gänzlich niedergebrannt. Die arme Frau, die man mehr tot wie lebendig samt ihren Kindern in ein benachbartes Haus gebracht hatte, wurde sehr krank und lag mehrere Tage in einem beständigen Delirium, Feuer und Hilfe schreiend. Auch auf mich hatte diese unglückliche Begebenheit einen so gewaltigen Eindruck gemacht, daß ich mehrere Tage brauchte, bevor ich mich wieder ganz erholen konnte.

Endlich saß ich in dem nach Braunschweig fahrenden Postwagen, wo ich eine gut unterhaltende Gesellschaft traf, nämlich einen sächsischen Rittmeister mit seiner jungen Frau, die er zu ihren Eltern nach Celle brachte. Da ich der hübschen Dame gerade gegenüber saß, so verursachte das Rütteln des Wagens beständig ein unwillkürliches Berühren der beiderseitigen Knie, das bald in ein willkürliches, aber doch zufälliges Drücken von meiner Seite überging und mein vis-à-vis zu einem allerliebsten Lächeln brachte, dem bedeutungsvolle Occhiaten folgten. Unglücklicherweise konnte die Dame das Fahren nicht vertragen; es wurde ihr auf einmal übel und schwach, woran die große Hitze schuld sein mochte. Man mußte ihr das Busentuch lüften, sie aufschnüren und ihr kölnisches Wasser vorhalten und die Schläfen damit reiben, worauf es ihr bald besser wurde. Wir fuhren über Helmstädt, Königslutter und so weiter, die ganze Nacht durch und kamen morgens gegen acht Uhr in Braunschweig an, wo wir in demselben Gasthof abstiegen und verweilten, obgleich der Rittmeister von M... schon den anderen Morgen wieder weiter wollte. Aber hier hieß es: ‚Der Mann denkt und die Frau lenkt.‘ Die Frau Gemahlin war nicht dieser Meinung, klagte über Unwohlsein, und so mußte man bleiben. Da sich der Offizier bei der unpäßlichen Frau langweilte, so machte er Spaziergänge in der Stadt. Ich hatte zwar das Haus mit ihm zusammen verlassen, trennte mich aber nach wenig Minuten unter einem Vorwand von ihm und kehrte in den Gasthof zurück, wo ich mich sogleich bei der Dame auf das angelegentlichste nach ihrer teuren Gesundheit erkundigte und ihr Befinden ganz leidlich fand. Nach einigen Weigerungen pro forma wurde mir schnell ein Schäferstündchen, halb erzwungen, bewilligt, worauf wir übereinkamen, daß das Unwohlsein der Frau Rittmeisterin noch ein paar Tage dauern müsse. Ich entfernte mich endlich wieder, um die Stadt Braunschweig näher kennen zu lernen.

Den zweiten Tag fand Frau von M... für gut, sich etwas besser zu befinden, und zwar so, daß sie imstande war, mit ihrem Gemahl und mir ebenfalls die Schönheiten der Stadt zu besichtigen. Wir begaben uns indessen bei Zeit nach Haus, weil ich von einem argen Schnupfen befallen war. Frau von M..., die großen Anteil an meinem Unwohlsein nahm, lud mich zu einem köstlichen Tee ein, der mich nach ihrer Meinung über Nacht von meinem Katarrh befreien sollte. Wir blieben bis Mitternacht beisammen. Den anderen Morgen hielt ich es für passend, das Zimmer zu hüten. Aber während der Herr Rittmeister wieder eine Frühpromenade machte, stahl ich mich zur Dame, mit der ich eine recht goldene Morgenstunde zubrachte. Der zurückkehrende Herr Gemahl fand mich aber noch in meinem Bette liegend, als er die Güte hatte, sich nach meinem Befinden zu erkundigen, mir aber zugleich verkündete, daß er heute noch weiterreisen wolle, da sich seine Frau nun wieder in einem vollkommen reisefähigen Zustand befinde und die kleine Tour nach Celle bequem machen könne. Auch ich sehnte mich, weiter und nach Bremen zu kommen, und mußte geschehen lassen, was ich nicht verhindern konnte. Wir speisten noch miteinander zu Mittag, und mit Erlaubnis des Rittmeisters küßte ich seine Frau zum Abschied in seiner Gegenwart, half beiden in den Wagen und nahm mir vor, am anderen Morgen mit dem frühesten ihrem Beispiele zu folgen. Leider ließ ich mich aber an dem Abend wieder zu einer Spielpartie in dem Gasthof verführen und verlor abermals all mein Geld bis auf den letzten Groschen. Den anderen Morgen überlegte ich, was zu machen sei und erkundigte mich dann nach den ersten Bankierhäusern Braunschweigs bei meinem Wirt. Er nannte mir Herrn Johann Degener. Ich ging nun zu diesem, wies mich mit meinen Papieren aus, sagte ihm, welches Geschick mich in Braunschweig plötzlich ganz aufs Trockene gesetzt habe, und bat ihn, mir gegen eine Anweisung auf Frankfurt so viel Geld geben zu wollen, als ich noch zur Reise bis Bremen bedürfe. Nach einigem Bedenken fragte er mich, wieviel ich zu gebrauchen gedenke? – „Fünfundzwanzig bis dreißig Taler.“ – „Wohlan, ich will sie Ihnen geben, mit der Bedingung, daß Sie sie meinem, sich in einem Bremer Haus befindlichen Sohn daselbst gegen Ihren Schein wiedererstatten.“ – Mit Vergnügen ging ich diese Bedingung ein, dankte für das gütige Zutrauen, empfing dreißig Taler und reiste noch denselben Tag, mich nirgends mehr aufhaltend, über Hannover, Nienburg, Verden und so weiter nach Bremen, wo ich wohlbehalten und wohlgemut mit einbrechender Nacht ankam, aber nicht bei meinen Verwandten, sondern im Gasthof ‚Zum deutschen Haus‘ abstieg, auch mich diesen Abend nicht mehr meldete, sondern noch den letzten Akten von Grillparzers Sappho im Theater beiwohnte und mich in allen Logen umsah, ob ich vielleicht Cousine Henriette erkennen würde, aber vergeblich.

Den anderen Morgen konnte ich kaum die schickliche Stunde erwarten, um meinem Vetter K... die Aufwartung zu machen. Es war gegen elf Uhr, als ich mich dahin auf den Weg begab. Man war von meiner Anwesenheit präveniert. Herr K... empfing mich auf das freundlichste, sagte mir, ich möge sein Haus während meines Aufenthaltes wie das meinige ansehen, entschuldigte aber seine Frau, daß sie mich noch nicht empfangen könne, da sie noch im Negligé sei, und bat mich, den Nachmittag um zwei Uhr wiederzukommen, wo sie mich erwarte. Dies lähmte meine gehoffte Freude des Wiedersehens ein wenig. Ich empfahl mich, nachdem ich eine halbe Stunde mit K... verplaudert, um auch meinen anderen Herrn Cousins und dem noch lebenden reichen Bruder meines Oheims Scholze die Visite zu machen. Senator H..., ein schlichter Mann, nahm mich recht gutmütig auf, auch Kaufmann G..., sonst ziemlich hochmütig, bewies sich doch sehr freundlich gegen mich. Ihre Frauen bekam ich aus den schon erwähnten Ursachen nicht zu sehen; Hannchen war bereits längst tot. Beim reichen Scholze wurde ich mit Danziger Goldwasser regaliert, hörte dann nichts weiter von ihm, als bis ich Abschied nahm. Endlich war die ersehnte zweite Nachmittagsstunde herangekommen, in der ich Henriette wiedersehen sollte, deren Anblick mich in der Tat überraschte, denn statt der lieblichen Engelsgestalt mit dem überaus feinen Amorettengesichtchen sah ich eine ziemlich lange, sehr hagere Frau, deren Gesicht zwar noch immer schön war, aber sehr markierte Züge hatte, welche die erfahrene Ehefrau nur zu sehr verrieten. Was tun fünfzehn Jahre nicht! Sie war jetzt einige dreißig alt. In ihrer Haltung lag indessen etwas majestätisch Imponierendes und ihre Unterhaltung war nicht nur geistreich und pikant, sondern verriet auch eine nicht gewöhnliche wissenschaftliche Bildung. Ihre Musik hatte sie so ziemlich vernachlässigt, dagegen malte sie nicht schlecht in Öl, aber sie spielte und affektierte dabei etwas stark die sentimentale Mondscheinprinzessin, etwas, das mir in den Tod verhaßt war und mich meilenweit jagen konnte. Ihre Toilette war ausgesucht, nicht ohne Geschmack, aber mit großer Kunst fast zu jugendlich angelegt, und es war mir bald klar, warum sie mich nicht im Morgenanzug hatte empfangen mögen. Indessen war der Empfang bei diesem Wiedersehen ein sehr herzlicher, und sie bat mich, den Rest des Nachmittags mit ihr zubringen zu wollen, da wir uns nach so langer Trennung doch gewiß manches zu sagen hätten und manche Rückerinnerungen aus den glücklichsten Zeiten der Kindheit wieder ins Gedächtnis rufen könnten. Ihr Mann, sich wegen seiner Geschäfte entschuldigend, hatte sich sogleich, nachdem er mich eingeführt, wieder entfernt. Ich brachte einen äußerst angenehmen Nachmittag mit der immer noch sehr liebenswürdigen Frau zu, indem wir uns gegenseitig im Umriß mitteilten, was wir seit unserer Trennung erlebt und was uns widerfahren war. Daß von beiden Seiten die Aufrichtigkeit dieser Mitteilungen nicht vollkommen sein konnte, ist natürlich. Doch erfuhr ich durch andere, was meine Cousine, welche, die Reisen zur Prinzeß Wilhelm nach Berlin, nach Homburg und einige andere abgerechnet, ununterbrochen in Bremen gelebt hatte, für mancherlei Abenteuer gehabt. Ich blieb nicht nur den ganzen Nachmittag, sondern auch zum Abendessen bei K...s. Mit innigem Vergnügen hatten wir uns an die Kinderspiele, Partien und in Homburg genossenen Freuden erinnert, und erst spät in der Nacht trennten wir uns, nachdem ich das Versprechen, den anderen Tag zum Mittagessen zu kommen, hatte geben müssen. Vetter K... hatte die Güte, mich mit allem, was die alte Hansastadt Merkwürdiges enthielt, selbst bekannt zu machen, wozu er als Sohn eines Bürgermeisters und mit den Senatoren verwandt oder befreundet, allerdings sehr geeignet war. Auf den Nachmittag lud mich K... in seinen Garten vor dem Tor ein, in welchem seine Frau jetzt gerade einen hübschen Pavillon bauen ließ. Als ich daselbst ankam, öffnete mir, nachdem ich geklingelt, meine Cousine. In ihrer Begleitung befand sich ein Mann von etwa vierzig Jahren, den sie mir als den Kaufmann K...p und einen intimen Hausfreund ihres Gemahls vorstellte. Dieser maß mich mit großen Augen vom Kopf bis zu den Füßen und schien eben kein großes Behagen an meinem Kommen zu finden. Auch war die Unterhaltung recht reichsstädtisch-steif und folglich hochlangweilig. Henriette schien verlegen und ich befand mich unbehaglich. Glücklicherweise kam bald der Senator H... hinzu, was die Unterhaltung weniger gezwungen machte, und als er den Hausfreund K...p endlich in Geschäftsangelegenheiten mit sich fortnahm, bekam sie eine andere und traulichere Wendung. Henriette wies mir das nach ihren Angaben neuerbaute und noch nicht ganz vollendete Gartenhaus, welches von ihrem guten Geschmack zeigte, aber eine sehr kostbare Liebhaberei war, denn es war für ihre Verhältnisse fast zu prächtig. Wir verweilten eine gute Stunde in demselben, frühere, sehr glückliche Momente durch sehr handgreifliche Erinnerungen wieder ins Gedächtnis rufend, wobei ich aber nicht das selige Entzücken wie früher, sondern bald eine Art Überdruß empfand, den jedoch die hierauf folgende geistreichere Unterhaltung wieder verscheuchte. Der Hauptinhalt unseres Gespräches war die Prinzessin Wilhelm, von der sie mir mich sehr interessierende Dinge erzählte; ebenso vom Prinzen Gustav, dessen Namen sie nicht ohne einen unterdrückten Seufzer aussprach. Wir waren noch recht eifrig im Gespräch begriffen, als sich auf einmal eine rauhe Baßstimme mit den Worten: „Frau K..., sind Sie hier, wo, zum Henker, stecken Sie denn?“ vernehmen ließ. Es war die des Hausfreundes K...p, der zurückgekommen war, die Dame vom Hause aufsuchte, und als er sie tête-à-tête mit mir fand, ihr einen vielbedeutenden, Zorn verratenden Blick zuwarf. Ich tat, als bemerkte ich es nicht, und sagte etwas malitiös: „Mein Herr, wir haben uns einstweilen trefflich unterhalten,“ worauf er ein trockenes: „So,“ von sich gab, und jetzt die vorige Verlegenheit und das gezwungene steife Wesen wieder zurückgekehrt war. Wir gingen höchst einsilbig in den Gängen des Gartens spazieren, bis auch Henriettens Mann dazukam, der durch einige Neuigkeiten, die er mitbrachte, der Sache wieder eine andere Wendung gab, und uns bald darauf zu dem unserer harrenden Vespermahl einlud, wodurch wieder mehr Leben in Henriette und auch in den Hausfreund kam.

Noch den nämlichen Abend, als ich K...s verließ, begegnete ich auf dem Markt einem Kaufmann namens Kreibig, der die Reise von Hannover hierher im Postwagen mit mir gemacht, und mich einlud, ein Glas Punsch mit ihm in einer nahen Weinstube zu nehmen, in der sich ein allerliebstes blutjunges Mädchen, das Töchterchen vom Haus, Gesina geheißen, befände. Mit Vergnügen nahm ich das Anerbieten an und fand, daß der Mann nicht zuviel gesagt. Mit einer unendlich freundlichen Grazie kredenzte uns das hübsche Kind den verlangten Punsch, antwortete auf unsere Fragen mit der liebenswürdigsten Naivität, und wir verplauderten ein paar Stunden auf das angenehmste daselbst, so daß ich mir vornahm, der mir beim Weggehen gewordenen Einladung, recht bald wiederzukommen, Folge zu leisten. Den anderen Morgen um elf Uhr war ich schon wieder daselbst, um ein kleines Frühstück einzunehmen, und wurde von dem allerliebsten Gesinchen recht herzlich empfangen. Bald war ich mit dem schönen Kind so vertraulich, daß, obgleich ich ihr gesagt, daß ich ein naher Verwandter von K... sei, sie mir dennoch alles, was die Verhältnisse Henriettens betraf, mitteilte und meine Vermutung, daß Hausfreund K...p ihr erklärter Liebhaber sei, vollkommen bestätigte, was übrigens ein stadtkundiges Geheimnis war. In dem Haus Langenaus, wo ich nun täglich meine meisten müßigen Stunden zubrachte, ich arbeitete jeden Morgen an dem Plan des mir von Carnot angegebenen Werkes, ohne jedoch noch ernstlich an die mögliche Herausgabe desselben zu glauben, machte ich noch eine andere weibliche Bekanntschaft, die mir aber, ohne daß ich es mir zu erklären vermochte, ein unheimliches Gefühl und eine Art Scheu einflößte. Die obgleich junge und nicht häßliche Frau hatte doch für mich etwas sehr Unangenehmes, ja fast Abstoßendes in ihren Gesichtszügen, und war außerdem schon deshalb unausstehlich, weil sie sich immer zwischen Gesina und mich drängte, unser Verhältnis zu erforschen suchte und eine widerliche Freundlichkeit gegen uns beide affektierte. Gesina war ganz einverstanden mit mir hinsichtlich dieser sehr zudringlichen Person, die sie aber fürchtete, sich zur Feindin zu machen und deren viel zu häufige Besuche sie deshalb duldete. Wie sehr meine Abneigung gegen dieselbe, wenn auch nur instinktartig, gegründet war, bewies sich später auf eine schreckliche Weise, denn dieses weibliche Wesen war keine andere als die berüchtigte Giftmischerin Gottfried, welche, nachdem ihre schrecklichen Greueltaten, – sie hatte damals schon ihre Mutter, ihren Vater, ihre drei Kinder, ihren ersten Gatten, ihren Bruder und ihren Liebhaber Gottfried, den sie aber noch auf dem Sterbebette zur Trauung mit ihr beredete, nacheinander vergiftet, – endlich an den Tag gekommen, auf dem Schafott ihr abscheuliches Leben endete. Ich besuchte jetzt meine Verwandten weit seltener und suchte bei jeder sich darbietenden Gelegenheit den wütend eifersüchtigen Hausfreund K...p wild zu machen, was mir auch zum großen Verdruß Henriettens so wohl gelang, daß er einmal den Garten, in dem er mich wieder mit ihr getroffen, höchst aufgebracht verließ und schwur, er würde nie mehr wiederkommen, wenn ich nicht wegbliebe. Meine arme Cousine, welche das Verhältnis mit Herrn K...p, wie es schien, aus mehreren Gründen, wohl nicht aufgeben konnte und mochte, kam dadurch in eine große Verlegenheit und wußte sich nicht zu raten. Da ich ihre mißliche Lage sah, so war ich ganz offen mit ihr und bat sie, sich wegen mir keinen Unannehmlichkeiten mit ihrem Freund mehr auszusetzen, ich wollte durchaus kein Störenfried sein und habe ohnehin vor, dieser Tage nach Frankfurt abzureisen. Erst war die arme Frau verlegen, dann wußte sie mir Dank, daß ich so handelte, meinte aber, ich brauchte deshalb nicht abzureisen, und sie könnte es wohl veranstalten, daß wir uns von Zeit zu Zeit ohne Wissen des Herrn K...p sehen könnten, wofür ich aber dankte. – Trotz der Liebenswürdigkeit der hübschen Gesina hatte ich dennoch beschlossen, Bremen zu verlassen, als ein zufälliges Ereignis mich noch drei Wochen länger daselbst zurückhielt. Signora Catalani hatte ihre Ankunft den Bremern ankündigen lassen und sollte in wenigen Tagen dieselben mit ihrem bezaubernden Gesang beglücken. Man kann sich keine Vorstellung machen, welches Aufsehen diese Neuigkeit in der guten Stadt erregte. Ich glaube, wenn Napoleon von Sankt Helena entwischt und in Vegesack gelandet wäre, so hätte dies keine größere Sensation unter den Bremern hervorbringen können. In allen Häusern, im Museum, sogar in den Kirchen hörte man nur von der Catalani sprechen. Wem ich erzählte, daß ich die berühmte Sängerin nicht nur schon gehört, sondern persönlich kenne, der gaffte mich wie einen Wundermann mit offenen Augen an. Henriette und ihr Mann, sowie Gräwe und Senator H... baten mich, sie doch bei ihnen einzuführen. – Wo, wann, was wird sie singen? fragte man sich auf allen Straßen, und der Schauspieldirektor Ringelhard, dessen Haus in der Regel ziemlich leer stand, wurde mit Logenbestellungen bestürmt, bevor man nur wußte, ob sie auch im Theater singen würde. Als es endlich hieß, die in ganz Europa gefeierte Sängerin sei angekommen, war der Gasthof in dem sie abgestiegen, von einer unermeßlichen Menge Volkes belagert, und ganz Bremen auf den Straßen und wie von einer Tarantel gestochen. – „Sie ist da,“ hieß es, „sie ist da, die berühmteste Frau des Jahrhunderts, die alles erwärmende Sonne des musikalischen Horizonts, die Gefeierte Europas!“ Um zu ihr zu gelangen, mußte man sich mit Rippenstößen Bahn bis an die Türe des Gasthofes brechen, der vom frühen Morgen bis zur sinkenden Nacht von Tausenden umringt war. Die gefeierte Primadonna empfing mich wie einen alten Bekannten mit großer Herzlichkeit und sagte mir: „Ich bin sehr froh, Sie hier zu treffen, Sie werden sich bequemen, so lange, bis mein Mann kommt, mein Cavaliere servente zu sein, denn ich bin ganz verlassen und habe auch keine Empfehlungen für hier mitgebracht.“ – „Die bedürfen Sie nicht,“ versetzte ich, „übrigens wird es mir eine große Ehre sein, Signora, den dienenden Ritter einer Dame zu machen, welche sich die größten Monarchen zur Ehre rechnen, am Arm zu führen.“ Während des Aachener Kongresses hatten sie der Kaiser Alexander, der König von Preußen und der Kaiser von Österreich auf den Bällen umhergeführt, und von diesen hatte sie die kostbarsten Geschenke in Schmuck erhalten. Ihre Begleitung bestand aus ihrem Reisekapellmeister Burgmüller aus Düsseldorf und dessen Gattin, nebst dem dienenden Personal. Burgmüller, dessen Bauch einen nicht viel geringeren Umfang hatte als der des alten Königs von Württemberg, machte durch seine außerordentliche Eßlust fast ebensoviel Aufsehen wie die Signora, deren Konzerte er dirigierte, durch ihre Kehle. Sein Vorfrühstück in Bremen bestand oft in einem Kapaun, ein paar Hummern, einer Schüssel geräucherten Lachs, einer Gänsebrust, ein paar Dutzend Eiern und ein paar Flaschen Portwein! was er alles mit einer Gier verschlang, die mich in Erstaunen versetzte. Ich schlug nun der Catalani vor, sie bei meinen Verwandten einzuführen, was sie mit Freude annahm, worauf ich ein paar Zeilen an meine Cousine schrieb und ihr meldete, daß ihr den anderen Morgen um elf Uhr die Ehre des Besuches der Signora Catalani bevorstehe, die ich ihr präsentieren würde. Als wir zu diesem Zweck in einen Wagen steigen wollten, war es kaum möglich, durch das Gedränge zu kommen, und die polizeiliche Hilfe mußte uns Platz machen. Signora rief aus: „Sollte man nicht glauben, ich sei irgendein wildes Wundertier! Una bestia curiosissima!“ – Daß des Gesanges Königin einen Besuch bei K... gemacht hatte, erregte Staunen und Neid bei der steifen Bremer Handelswelt, besonders bei den Damen, die zum Singverein gehörten. Da meine Cousine ohnehin sehr wenig mit der Bremer Welt umging, sondern mehr in einem sehr kleinen Kreis für sich lebte, auch immer noch schön genug und reich war, so fehlte es ihr an Feinden und besonders Feindinnen nicht, welche alle möglichen Lügen auf ihre Kosten verbreiteten, wozu ihr Verhältnis mit K...p freilich Stoff genug gab. Den anderen Morgen machte sie schon ihren Gegenbesuch bei der Catalani, und zwar in einem von Kopf bis zu Fuß ziemlich phantastischen Rosa-Anzug, sogar Strümpfe, Schuhe und Handschuhe waren Rosa. Manchmal kleidete sie sich auch ebenso in Himmelblau. Dies paßte wenigstens nicht mehr ganz zu ihren Jahren, sie war in der Mitte der Dreißiger, und hatte, wie gesagt, schon sehr markierte Züge. Die Catalani konnte sich auch des Lächelns nicht erwehren, als sie diese Rosagestalt erblickte. Als sechzehnjähriges Mädchen würde ihr ein solcher Anzug auf einem Ball ganz vortrefflich gestanden haben. Sie lud die Catalani zu einem Frühstück ein, was diese auf mein Zureden annahm, und was wieder Veranlassung zu Neid und Mißgunst gab. Bei diesem Frühstück, wo die größten Leckerbissen, die aufzutreiben waren, und sogar Schiraswein serviert wurden, fand sich auch Burgmüller ein und tat sich gütlich. Doch mußte er schon durch ein solides Vorfrühstück einen guten Grund gelegt haben, sonst hätte er für sich allein alles, was aufgetragen, verzehrt.

Ich hatte es übernommen, die Arrangements der Konzerte, Madame Catalani wollte deren drei geben, zu besorgen, und mich zu dem Direktor Ringelhard verfügt, um das Theater zu diesem Zwecke zu mieten. Dieser aber stellte die Bedingung sine qua non, eine Tantieme von der Einnahme für die Überlassung des Schauspielhauses zu erhalten, zu welcher sich die berühmte Sängerin durchaus nicht verstehen wollte, sondern, als ich ihr sagte, daß in ganz Bremen kein anderes, für ihre Konzerte passendes Lokal zu finden sei, äußerst aufgebracht ausrief: „Wohlan, so bestelle man sogleich Postpferde, ich werde in Bremen nicht singen.“ – Nur mit der größten Mühe gelang es mir, die Signora zu besänftigen. Ich überlegte hin und her. Endlich sagte ich zu den Bremer Herren: „Wäre es denn nicht möglich, die Konzerte in einer der Kirchen zu geben?“ – Dieser Plan wurde, wenn auch nicht ohne tüchtige Kämpfe, besonders mit einigen geistlichen Herren und Behörden, durchgesetzt; so hatte ich auch nicht ohne Mühe die Signora beredet, sich dazu zu verstehen, in einer protestantischen Kirche zu singen. Man hatte die Erlaubnis erwirkt, ein Concert spirituel in der Domkirche geben zu dürfen, wobei die Armen reichlich bedacht werden sollten, da keine Saalmiete bezahlt werden durfte. Wegen der Kirche aber waren die Stimmen sehr geteilt und die Frömmler schimpften gewaltig über diese Entheiligung, wie sie es nannten. Man kehrte sich indessen nicht daran und der große Dom war trotz des Eintrittspreises von einem Dukaten dennoch zum Ersticken voll. Das Orchester und die Chöre des Singvereines trugen nur geistliche Tonstücke vor, während Madame Catalani ihre Variationen von Rhode und ein paar ernstere Arien mit Rezitativen sang. Der Erfolg war, wie allenthalben, unermeßlich und der Beifall rasend, Ringelhard aber in Verzweiflung, denn jetzt stand ihm sein Theater gänzlich leer; selbst die Abonnenten wollten es nicht mehr besuchen. Seinen Ruin vor Augen sehend, suchte er mich auf, erbot sich, der Signora Catalani das Theater um jeden Preis, ja umsonst zu überlassen, und bat mich, die Sache doch vermitteln zu wollen. Da mich der Impresario in angustie wirklich dauerte, so versprach ich ihm, mein Möglichstes zu tun, machte aber zur Bedingung, daß ich der großen Sängerin einen Empfang auf der Bühne ganz nach meinen Anordnungen bereiten dürfe, wozu er sich nicht nur sogleich verstand, sondern mir auch sein ganzes Theaterpersonal zur Verfügung stellte, und die Miete für das Haus ganz der Großmut der Dame überließ, worauf ich ihm erwiderte, daß ich dafür sorgen wolle, daß er sich in derselben nicht täusche. Er erhielt die Einnahme eines überfüllten Hauses bei gewöhnlichen Preisen. Ich ließ sie nun bei ihrem Erscheinen durch das als Genien gekleidete weibliche Chorpersonal auf der Bühne empfangen, und die junge Schauspielerin Demoiselle Hauff überreichte ihr auf einem Samtkissen ein italienisches Gedicht, das ich zu dieser Feier verfaßt hatte und welches: ‚Al alto merito della Signora Angelicà Catalani, l’unica‘ überschrieben war.

Von diesem Gedicht ließ ich mehrere tausend Exemplare durch die Ventilatoren auf das Publikum herabwerfen, sowie Blumenbukette und Kränze ohne Zahl auf die Bühne, während ein dreimaliger Tusch von Pauken und Trompeten und das donnernde Vivatgeschrei das Haus bis in seine Grundfesten erschütterte.

Nachdem sie eine Arie von Lafond gesungen, die mit dem ungestümsten Beifall applaudiert worden, fiel sie mir mit tränenden Augen hinter den Kulissen um den Hals, ohne sich vor dem umstehenden Theaterpersonal zu scheuen, das erstaunt aufschaute. Das Konzert hatte nun seinen ungestörten Fortgang; Angelika sang noch die schöne Polonäse Portogallos: La placida Campagna, eine Arie von Pucitta, und die Variationen von Pär über das Thema: La Biondina. Von Entzücken trunken und taumelnd, verließen die Bremer das Haus.

Die gefeierte Primadonna gab, um ihren Dank für so viel erwiesene Ehre zu bezeigen, auch noch ein geistliches Konzert zum Besten der Armen in der Ansgarikirche und machte außerdem der Demoiselle Hauff, welche ihr das Gedicht überreicht hatte, ein wertvolles Geschenk.

Während des Aufenthaltes der Catalani ging mir die Zeit in Bremen auf das angenehmste hin und zur Arbeit blieb mir wenig Muße übrig. Jeden Morgen fand ich mich um elf Uhr bei ihr ein und verließ sie in der Regel erst nach Mitternacht wieder. Den ganzen Tag über ging es bei ihr ab und zu wie in einem Bienenkorb. Nicht nur die Bremer Herren, sondern auch die angesehensten Damen ließen sich der berühmtesten aller Sängerinnen vorstellen. Am unterhaltendsten aber waren die Abende, wo man teils musizierte, teils Kommerzspiele machte, die aber so hoch gespielt wurden (Whist zu einem Dukaten der Point), daß sie wahre Hasardspiele genannt werden konnten, während welchen en attendant der dicke Burgmüller das aus kalter Küche bestehende Souper unter der Hand zur Hälfte zu sich nahm, und dann, wenn man sich zu Tisch setzte und fand, daß es nicht hinreichend sei, sagte: „Ja, mein Gott, ich habe doch kaum eine Brotrinde und ein Stückchen Wurst gekostet!“ – Kurz vor ihrer Abreise kam auch ihr Mann, der ehemalige Rittmeister Vallabregue, der Adjutant des Generals Moreau gewesen war, und jetzt einen großen Teil der Schätze seiner Frau durchs Spiel wieder unter die Leute, namentlich die Pariser, brachte, in Bremen an. Als sie abreiste, begleitete ich sie noch eine Station zu Pferde. Wir hatten uns beiderseitig das Versprechen gegeben, uns bald wieder in Frankfurt zu sehen. Ihre Einnahmen in Bremen hatten über sechstausend Taler betragen. Bevor ich die Stadt verließ, machte ich noch einen Abstecher in das nahe Hamburg, wo mich aber das durch und durch merkantilische Gewühl und Treiben nur ein paar Tage rasten ließ, und kehrte ohne viel mehr als den Jungfernsteig, das Alsterbassin, den Hafen, die Michaeliskirche mit ihrem hohen Turm, die Börse und das Theater gesehen zu haben, wieder nach Bremen zurück, ließ mir durch K... noch das nötige Reisegeld geben, und trat dann nach gebräuchlichem Abschied die Reise nach meiner Vaterstadt an.

Ich fuhr erst nach Hannover und von hier im Eilwagen weiter bis Hildesheim, und hatte diesmal ein allerliebstes Kammerzöfchen einer vierspännig reisenden Herrschaft zur Nachbarin, welche in dem Reisewagen des Herrn Barons und seiner Begleitung keinen Platz mehr fand und daher die Reise in dem Eilwagen mitmachen mußte. – „Sophiechen, hab’ acht auf dich,“ hatte ihr die Frau Baronin noch beim Einsteigen zugerufen, und so hatte ich den Namen des holden Kindes erfahren. Es war eine holsteinische freiherrliche Familie, welche eine Rheinreise zu machen beabsichtigte und daher auch nach Frankfurt fuhr. In Hildesheim trafen wir wieder zusammen und ich besuchte in Gesellschaft des Herrn Baron G..., seiner Frau und seiner neunzehnjährigen Tochter samt Sophiechen die uralte Domkirche daselbst, in der man die Fremden besonders auf die in derselben befindliche Irmensäule, aus einem siebzehn Fuß hohen grünen Stein bestehend, die Karl der Große 772 umgestürzt, aufmerksam macht. Die Familie wollte von hier nach Goslar, von da nach Göttingen und so weiter, und auch den Brocken vulgo Blocksberg besteigen. Die Attraktionskraft dieser Damen, oder vielmehr der zierlichen Zofe, war so groß, daß auch ich sogleich von meinem ursprünglichen Reiseplan abwich, um auch nach Goslar zu gehen. Ich nahm eine offene Postkalesche, in der ich Sophien einen Platz anbot, den anzunehmen ihr aber die Baronin untersagte, und das Mädchen lieber in ihrem Wagen sitzen ließ. In Goslar stieg ich in demselben Gasthof wie die Herrschaften, dem Schleßlerischen, ab. Wir waren die ganze Nacht durchgefahren und erst gegen Morgen angekommen. Um Mittag hatte ich Gelegenheit, das Kammermädchen zu sprechen, die mir mitteilte, daß sich ihre Damen sehr angelegentlich nach meinem Stand und Charakter erkundigt, und als sie ihnen gesagt, daß ich ein Offizier sei, sie diese Mitteilung wohlgefällig aufgenommen hätten. Das Mädchen war die Herzensvertraute des jungen Fräuleins, die sie mir als den Männern gar nicht abgeneigt schilderte. Für diese Nachrichten dankte ich Sophien mit ein paar Küssen. Sie entzog sich jedoch durch eilige Entfernung meinen weiteren Gunstbezeigungen, indem sie davonlaufend rief: „Ach, die Herrschaft hat mich gerufen.“

Die hochadelige Familie geruhte an der bürgerlichen Table d’hôte des Gasthofes zu speisen und mir mitzuteilen, daß sie nach derselben die Stadt zu besehen beabsichtige. Die Erlaubnis, sie begleiten zu dürfen, wurde mir freundlichst gewährt, und die Partie nach dem Harzgebirge und dem Blocksberg für den kommenden Tag festgesetzt.

Den Abend brachte ich mit der Familie traulich beim Tee zu; auch wollten wir die berühmte Gose, so wird das hier gebraute Bier genannt, kosten, aber niemand fand sie nach seinem Geschmack. Nachdem wir die Partie auf den Blocksberg für den anderen Morgen noch ausführlich besprochen, trennten wir uns, alle ermüdet, ziemlich früh. Ich begab mich aber dennoch nicht zur Ruhe, sondern paßte Sophien ab, als sie zum letztenmal das Zimmer ihrer Herrschaften verlassen, und empfing sie auf der Stiege. Nicht ohne Mühen und Sträuben beredete ich sie, noch ein Stündchen auf meinem Zimmer verplaudern zu wollen, und wir trennten uns erst in der Geisterstunde. Um vier Uhr des Morgens weckte mich aber der Hausknecht, wie ihm anbefohlen war, schon wieder, und ich schickte mich zur Besteigung des Blocksberges an. Gegen sechs Uhr waren wir alle reisefertig, ausgenommen die Frau Baronin, welche, Migräne vorgebend, bedauerte, nicht mit auf den Hexenberg zu können. Wir fuhren über Neustadt, stiegen aber sehr oft aus, da der Weg schlecht und oft gefährlich war, wobei ich dann der jungen Baronesse meinen Arm zur Stütze bot, was auch freundlich angenommen wurde. Die letzte Strecke legten wir, auf Rossen reitend, die der mitgenommene Führer besorgte, zurück. Das Fräulein, an dessen Rechter ich ritt, machte eine stattliche Figur zu Pferde, doch mußte ich ihr manchmal, wo die Stellen zu holprig waren, zu Hilfe kommen und sie in meinem Arm auffangen, wenn sie durch das Stolpern des Pferdes das Übergewicht zu verlieren schien. Der Baron ritt mit Sophien vor uns her, und ein Bedienter hintendrein. So erreichten wir endlich den berüchtigten Riesen des Harzgebirges, der alle anderen Bergspitzen desselben weit überragt. Der Boden ist sehr steril und öde, große Granitblöcke liegen ringsumher, und man glaubt sich wirklich mitten auf einem Hexenfeld, auf dem die Großsatanatische Majestät samt dem Hexen- und Teufelspack mit Steinblöcken gekriegt und geworfen. Das im Jahre 1800 hier aus Stein erbaute Brockenhaus bietet Schutz, Bequemlichkeit und stärkende Erfrischungen dem müden Wanderer. In der Mitte desselben ist ein kleiner Turm. Man kann nötigenfalls hier übernachten, und zwar in besseren Betten als in manchem Gasthaus kleiner Städte. Das Fräulein hatte auch große Lust, ein nächtliches Abenteuer auf dem nicht geheuern Berg zu bestehen. Ich hatte nichts dawider, aber der alte Baron legte sein Veto ein, und so wurde nichts daraus.

Wir nahmen vor dem gastfreundlichen Brockenhaus ein frugales, aber doch sehr wohlschmeckendes Mahl ein, wobei dem Baron der Wein so mundete, daß er nach der Beendigung desselben durchaus eine Siesta zu machen begehrte, wozu man ihm ein Stübchen mit einem Lager anwies, und mir die Aufgabe, das Fräulein unterdessen zu unterhalten, überließ, was ich denn auch nach besten Kräften zu tun versuchte, indem ich sie, von der Walpurgisnacht erzählend, zwischen dem wilden Gestein umherführte, und während ich ihr den Spuk recht fürchterlich ausmalte, sie, um ihr bei holprigen Stellen über die Steine zu helfen, fest in dem Arm hielt und die schlanke Gestalt innig an mich drückte, wobei sogar unsere Wangen in Berührung kamen, sich röteten, glühten, und unversehens sich unsere Lippen zu minutenlangen Küssen zusammenfanden. Wir verirrten uns nun immer weiter von dem Gasthaus. Ich lud Wallfriede, so hieß das Fräulein, ein, sich niederzusetzen, während ich fortfuhr, sie mit schauerlichen Hexengeschichten zu unterhalten, ruhte ihr Köpfchen an meiner klopfenden Brust, und bald fühlte meine Rechte das hochpochende Schlagen ihres Herzens unter ihrem wallenden elastischen Busen. Beinahe zwei Stunden hatten wir so vertändelt, als uns die sich immer mehr sinkende Sonne und auch Sophiens, nach dem Fräulein rufende Stimme zur Rückkehr und zum Aufbruch mahnte. – „Ist Papa wach?“ fragte sie die sich nun lächelnd zeigende Zofe. – „Noch nicht, aber man wird den gnädigen Herrn wohl wecken müssen, sonst wird es zur Heimkehr zu spät.“ – Wir eilten jetzt, nachdem Fräulein Wallfriede ihre Toilette mit Hilfe des malitiös lächelnden Mädchens ein wenig adjustiert hatte, in das Haus zurück, wo der Papa noch vortrefflich schlief. Die Tochter übernahm es, ihn aus dem erquickenden Schlummer zu wecken. Über Kopfschmerzen klagend, richtete er sich, die Augen reibend, auf, und schnell wurden die Anstalten zur Heimkehr gemacht. Als wir Ilsenburg erreichten, fing es schon an, sehr dunkel zu werden. Nachdem wir in Neustadt soupiert, fuhren wir die halbe Nacht durch. Papa schlummerte auch in dem Wagen bald ein. Das mir gegenüber sitzende Fräulein aber verhinderte ich am Einschlummern, indem ich auch eine Art Hexenspiel mit ihr trieb, bei dem sie sich recht wohl zu gefallen schien, während Sophie, die neben mir saß, ihr Köpfchen auf meine rechte Schulter legend, gleichfalls schlummerte oder doch wenigstens so tat. Wir witterten schon Morgenluft, als wir in Goslar ankamen, wo wir trotz der Einsprache der alten Baronesse noch einen Tag verweilten, weil der Baron behauptete, durchaus einen Tag von den Strapazen der Blocksbergsreise ausruhen zu müssen. Dies war uns allen recht, obgleich sich keine Gelegenheit mehr zeigte, mit dem Fräulein allein zu sein, wogegen mir aber wieder der nächtliche Besuch der Zofe ward.

Von Goslar fuhren wir bis Kassel, wo die Herrschaft mehrere Tage ausruhte und ich dasselbe tat, wie es die Umstände eben gestatteten, dem Fräulein und der Kammerjungfer abwechselnd Beweise von meiner Zuneigung gebend, wobei aber die letztere die Vertraute der ersten war, ohne daß Wallfriede ahnte, wie sehr mich auch diese begünstigte; sie glaubte, die kleinen Geschenke, die ich ihr machte, seien die Belohnung für die Gefälligkeiten, die sie ihrer jungen Herrin erzeigte. Die freiherrliche Familie fuhr den zweiten Tag nach Wilhelmshöhe, wohin ich sie zu Pferde begleitete, und dann in ihrer Gesellschaft den Park, die Löwenburg, die Danaidengruppe, das chinesische Dörfchen, die Teufelsbrücke und so weiter, im Grunde nur kostbare Spielereien, besah. Da der Baron und ich ein paar Dukaten springen ließen, so sprangen auch die Wasser. Wir gingen längs der Kaskade hinauf bis zum Oktogon und zur Riesenbildsäule des Herkules, in dessen Keule ich mit den beiden Mädchen stieg, die Alten blieben unten. Auch hier gab ich Wallfrieden die untrüglichsten Beweise meines Wohlwollens, während Sophie durch die Öffnung der Keule nach oben zu die mächtige Mannbarkeit des Kolosses bewunderte, und dann lachend auch ihr errötendes Fräulein darauf aufmerksam machte. Das schöne Schloß zu Wilhelmshöhe konnten wir nicht betreten, da Seine königliche Hoheit der Zopfheld Kurfürst Wilhelm III. gerade dasselbe bewohnte. Als wir um das prächtige Bowlingreen an demselben herumgingen, hatten wir das Glück, seine widerliche Mißgestalt hinter einem Fenster neben der famosen Gräfin Schlotheim stehen zu sehen, worauf uns unser Cicerone aufmerksam gemacht. Ein paar Tage zuvor hatte ein Engländer sich erlaubt, dem Kurfürsten zum Trotz mitten über diesen prächtigen Rasen zu reiten, und zwar im Galopp. Der freche Insulaner hatte geäußert, er wolle dem fürstlichen Seelenverkäufer, der seine Untertanen für schnödes Geld an seine Regierung verkauft und von diesem Blutgeld solche Gelüste befriedigt habe, einen kleinen Ärger verursachen. Jedermann erwartete eine exemplarische Strafe des kühnen Briten. Der alte Kurfürst war aber so klug, als man bei ihm anfragte, was da zu tun sei, es bei einer polizeilichen Strafe von einem Taler bewenden zu lassen. Er fürchtete die Engländer und wußte, wie sehr sie durch ihre Regierung allenthalben in Schutz genommen werden. Hätte sich aber ein Deutscher so etwas einfallen lassen, wie möchte es diesem wohl ergangen sein? – Der Brite bezahlte zwar die Strafe, ließ es aber dabei noch nicht bewenden, sondern spazierte erst mit einem fast schenkeldicken Zopf, der bis an die Kniekehle hinabreichte, und dann sogar mit vier, fünf, bis beinahe zur Erde herabhängenden Zöpfen vor dem Schloß auf und nieder. Seine Hoheit war aber so klug, auch hiervon keine weitere Notiz zu nehmen.

Die Zopfwut dieses Fürsten war eine krankhafte Manie. Gleich nach seiner Rückkunft aus England, wohin er sich vor den Franzosen geflüchtet, mußten alle seine Soldaten und Offiziere sich falsche Zöpfe anbinden, da ihre Haare längst abgeschnitten waren, gepuderte Locken tragen und so weiter. Einige banden die Zöpfe an ihre Haare, andere, welche dieselben nicht lang genug hatten, befestigten sie an die Hüte. Als einst der Kurfürst aus dem Schloß kam und die Wache schnell ins Gewehr treten mußte, sah er, daß ein Offizier derselben zwei Zöpfe hatte. – „Was, der Teufel, soll das heißen?“ kreischte Seine Hoheit. „Will man mich zum besten haben?“ – Der Offizier konnte sich nicht erklären, was der Kurfürst damit sagen wolle. – „Warum hat man zwei Zöpfe?“ donnerte die alte Hoheit. – Der Offizier griff mit der linken Hand an seinen Schopf und fühlte mit Entsetzen, daß da zwei Zöpfe herabhingen. Die Sache klärte sich dadurch auf, daß er den Hut eines Kameraden, der ihn gerade besuchte und der seinen Zopf an demselben angebracht, während er den seinigen an seinen Haaren befestigt hatte, in der Eile genommen. Nichtsdestoweniger erhielt er Arrest und es kam ein Befehl heraus, daß niemand die Zöpfe mehr an den Hüten befestigen dürfe, sondern alle an die Haare gebunden sein müßten, bis diese groß genug seien, um selbst ein für die Kriegskunst so hochwichtiges Ding formieren zu können. Diese Zopfwut des Kurfürsten wurde in ganz Europa bespöttelt. Das half aber nichts, sondern machte Seine Hoheit nur um so obstinater, und er setzte sogar eine Prämie auf eine den Haarwuchs schnell fördernde Salbe oder Pomade, um noch das Vergnügen zu haben, zu erleben, seine Soldaten keine falschen Zöpfe mehr, sondern echte tragen zu sehen. Dies Vergnügen sollte ihm indessen nicht mehr zuteil werden. Einige Offiziere jedoch, die das Glück hatten, daß ihre Haare schneller, als es gewöhnlich ist, wuchsen, und dem Fürsten daher mit echten Zöpfen aufwarten konnten, was sie wohlweislich anzubringen wußten, hatten sich dessen außerordentlicher Gnade, einer Zopfgratifikation und des Versprechens eines schnellen Avancements zu erfreuen.

Den dritten Tag fuhren wir nach Marburg ab, wo wir die Elisabethkirche besuchten, und dann die Reise über Gießen und Friedberg nach Frankfurt fortsetzten, wo wir spät in der Nacht ankamen und auf meine Veranlassung sämtlich im Englischen Hof abstiegen, da auch ich die Meinigen so spät nicht mehr beunruhigen mochte.

XII.
Frankfurter Zustände. – Schwierigkeiten bei einer Verheiratung. – Ich soll mich um eine Anstellung in Frankfurt bewerben, gebe es aber schnell wieder auf. – Senatorenstreiche. – Ich beabsichtige eine Zeitschrift herauszugeben. – Die Gräfin Sürvilier und ihre Töchter. – Napoleons beabsichtigte Befreiung. – Hausen. – Frau von Busch. – Homburg. – Ich schwinge etwas derb die Geißel der Satire in meiner Zeitschrift; diverse Histörchen und Widerwärtigkeiten. – Signora Catalani in Frankfurt. – Napoleons Tod. – Fürst Y...s trauriges Ende. – Müller-Broli. – Der Jude Dobrusky. – Ein Besuch von sieben Schauspielern. – Die Sängerin Canzi. – Verbot meiner Zeitschrift. – Eine lustig-romantische Rheinreise. – Die Schlangenmädchen. – Therese Peche. – Ich bilde sie für das Theater.

Den anderen Morgen eilte ich um acht Uhr in das elterliche Haus, wo ich schon seit mehreren Tagen erwartet und wieder recht freudig aufgenommen wurde. Eine nicht unbedeutende Erbschaft hatte die Vermögensverhältnisse meiner Eltern, die nicht mehr die glänzendsten gewesen, wieder gehoben, und man hieß mich herzlich willkommen. – Ich machte abermals meine Rundbesuche bei der werten Verwandtschaft, bei der ich zum Teil süße, zum Teil saure Gesichter zu sehen bekam, indem mehrere der guten Vettern und Basen sich große Sorgen um mein künftiges Fortkommen und was wohl noch aus mir werden solle, machten, während dies mein geringster Kummer, obgleich ich darüber noch mit mir selbst nicht im Reinen war. In den ersten Tagen nach meiner Ankunft machte ich noch den Führer der freiherrlichen Familie und zeigte ihr die Sehenswürdigkeiten meiner Vaterstadt, wobei ich auch nicht unterließ, mit Wallfrieden und Sophien den alten verschwiegenen Pfarrturm zu besteigen, um ihnen die herrliche Aussicht, die man von diesem genießt, und die Umgebung Frankfurts zu zeigen. Einige Tage nach ihrer Abreise unternahm auch ich eine Reise, und zwar nach Paris, denn es zogen mich die Erinnerungen meines ersten Dienstes wieder nach Frankreich, wo ich nach Umständen und wenn es anginge, eine Anstellung nehmen wollte. Hier fand ich aber alles ganz verändert und sehr verschieden von den früheren Verhältnissen. Die mit Ludwig XVIII. zurückgekehrten Emigranten saßen am Ruder und regierten so, daß jedem Unbefangenen einleuchten mußte, dies könne nicht von Dauer sein, und ich bekam gar keine Lust, nur den mindesten Versuch zu machen, um eine Anstellung zu erhalten. Ich blieb deshalb kaum acht Tage in Paris, während denen ich mich fast ausschließlich damit beschäftigte, mir die Werke, Broschüren und sonstigen Hilfsquellen anzuschaffen, die mir Carnot zu der Herausgabe meines historischen Werkes über die französische Revolution als notwendig empfohlen hatte. Es gelang mir, wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten und Mühe, die meisten aufzutreiben. Auch kaufte ich noch viele nicht bezeichnete Bücher, die mir bei dieser Gelegenheit in die Hände fielen, und die ich zu meinem Zweck dienlich glaubte. Ich kehrte nun mit einer großen Kiste Bücher beladen nach Frankfurt zurück und machte mich ernstlich ans Werk, obgleich die wenigen Personen von meinen Verwandten, denen ich das Vorhaben mitteilte, und unter ihnen auch mein Oheim Weller und Franz Fahrtrapp, ein Nachkomme des alten Franz, den wir am Anfang dieser Memoiren kennen gelernt, und der eine Kunst- und Buchhandlung, große Druckereien und so weiter hatte, sehr ernstlich von einem so schwierigen Unternehmen abrieten, wozu ich schwerlich einen Verleger finden würde, da schon Hunderte von Büchern über diesen Gegenstand auch in deutscher Sprache, zum Teil von sehr tiefgelehrten Leuten erschienen seien, und keines ein großes Glück gemacht habe. Der Hauptgrund ihres Abratens aber mochte wohl der sein, daß sie mir als einem, der nicht auf Universitäten gewesen, also nicht systematisch studiert habe, die Fähigkeit, ein Buch zu schreiben, nicht zutrauten. Gar viele Deutsche, und besonders grundlos tiefe Gelehrte und solche Buchhändler, von denen schon Voltaire sagt: „Sie glauben Verstand zu haben, weil sie den anderer Leute in ihren Buden verkaufen,“ sind in diesem Köhlerglauben befangen; bei ersteren ist es jedoch meistens nur schlecht versteckter Brotneid.

Ein erfreuliches Ereignis hielt mich indessen für den Augenblick ab, mich dieser historischen Arbeit, die anfing, mir Vergnügen zu machen, anhaltend zu widmen. – Meine Schwester wurde die Braut eines angesehenen Beamten eines Nachbarstaates, und mir ward jetzt der Auftrag, alle die bei solchen Umständen in Frankfurt stattfindenden Schwierigkeiten, die mit viel Laufereien, allerlei Eingaben und Schreibereien, zum Teil unangenehmen Gängen und Mahnungen verknüpft sind, wobei man mehrere Monate hingehalten wird und es hauptsächlich auf Prellereien und Gelderpressungen abgesehen ist, zu beseitigen. Ich konnte mit den Herren vom Amte gar nicht fertig werden, da immer wieder neue Anfragen gemacht, allerlei Papiere und Atteste herbeigeschafft werden sollten und auf dem jüngeren Bürgermeisteramt, dem die Heiratsangelegenheiten obliegen, dennoch nichts gefördert wurde. – „Ja, haben Sie sich denn schon mit dem Aktuar Bingel verständigt?“ fragte mich einer der hochweisen Senatoren. – „Wieso,“ erwiderte ich, „was habe ich denn mit diesem abzumachen?“ – „Mein Gott, das wissen Sie nicht? Das ist ja der rechte Arm auf dem Bürgermeisteramt, der eigentliche Bürgermeister, denn der wird nicht gewechselt. Werfen Sie diesem ein paar Dukaten in die Rippen, dann wird Ihre Sache weit schneller gehen. Wenn man gut fahren will, so muß man auch gut schmieren.“ Und dies war einer der Senatoren, ein Zweiundvierzigstel der Frankfurter Souveränität, der mir diesen freundschaftlichen Rat erteilte! – Auf ein paar Dukaten kam es hier natürlich nicht an, und ich warf ihm sechs Brabänter in die Rippen. Als ich aber hörte, daß die Sache dennoch über sechs Wochen dauern könne, und dies meinem zukünftigen Schwager mitteilte, der ohnehin von dem Frankfurter Bürgerrecht, das jene Herren so hoch anschlagen, als könne es schon allein glücklich machen, und das man mit der Verheiratung einer Frankfurter Bürgerstochter in Anspruch nehmen kann, gar nichts wissen wollte, so beschlossen wir, den hochweisen Herren ein Schnippchen zu schlagen. Der Bräutigam ließ sich von seinem Souverän die Erlaubnis zur Trauung geben, und sodann, in Offenbach vom Oberpfarrer Waldeck, demselben, bei dem ich konfirmiert worden war, trauen, und führte dann seine junge Frau vergnügt heim. – Unterdessen kamen noch fortwährend Schriften und Anordnungen vom Bürgermeisteramt, die da besagten, jetzt müsse noch dieses und jenes herbeigeschafft werden und so weiter, bis ich mir die Mühe gab, noch einmal selbst auf den Römer zu gehen und die Herren zu bitten, sie möchten sich doch keine vergebliche Mühe und Arbeit mehr machen, meine Schwester sei bereits schon seit länger als einer Woche verheiratet und mit ihrem Mann auf und davon. – Ich glaube, wenn ich den Leuten den Untergang der Stadt Frankfurt prophezeit hätte, so hätten sie keine längeren, verdutzteren und einfältigeren Gesichter machen können. Sie stierten mich mit großen Kalbsaugen und sperrweit geöffneten Mäulern an. Besonders aber schien der Herr Bürgermeister ganz verblüfft, und als er endlich etwas von seiner Perplexität zurückgekommen war, geruhte er zu stottern: „Wa–wa–was haben Sie gesagt?“

„Daß meine Schwester schon über acht Tage verheiratet ist, und mit ihrem Gatten die Stadt und deren Gebiet verlassen hat.“

„Wie–wie–wie ist das möglich?“

„Der Herr Pfarrer hat sie getraut.“

„Wer hat sich das unterstanden?“

„Der Herr Oberpfarrer in Offenbach, mit Ihrer gütigen Erlaubnis.“

„Das muß sogleich an die großherzogliche Regierung berichtet werden. Diese Trauung darf nicht gelten.“

„Geben sich der Herr Bürgermeister keine vergebliche Mühe. Die Trauung ist mit der eigenhändigen schriftlichen Einwilligung Seiner königlichen Hoheit geschehen, folglich vollkommen gültig.“

„Wir sind ebenso souverän als der Großherzog, und der darf nicht in unsere Rechte greifen.“

„Das machen Sie gefälligst mit ihm ab.“

„Auf jeden Fall verliert Ihr Schwager das Frankfurter Bürgerrecht.“

„Darauf hat er schon im voraus verzichtet.“

„Der Unglückliche, er weiß nicht, was er verliert!“

„Wohl möglich.“

Die Herren sahen sich gegenseitig wieder ebenso perplex an; denn wie man das Frankfurter Bürgerrecht so aufgeben konnte, ging über ihr Fassungsvermögen. „Nein, so etwas ist mir noch nicht vorgekommen, da steht einem der Verstand still,“ ließ sich einer und der andere vernehmen, und ich fand für gut, lächelnd mich gehorsamst zu empfehlen, damit der Verstand wieder in Gang kommen möge. Aber ...

Indessen drangen meine Eltern in mich, doch irgendeinen Entschluß zu fassen, und besonders meine Mutter wünschte, daß ich nach so vielen Jahren mich endlich in meiner Vaterstadt fixieren möchte, mir zugleich versichernd, es würde mir gewiß an einer für mich passenden Anstellung nicht fehlen, wenn ich mich nur im Geringsten darum bemühen wolle. Ein mit unserer Familie befreundeter Schöffe, der schon zweimal einjähriger wohlregierender Bürgermeister gewesen, habe ihr im Vertrauen mitgeteilt, daß man eine Polizeidirektorstelle zu kreieren beabsichtige, und dem zu ernennenden Direktor zu gleicher Zeit der Auftrag würde, in den Angelegenheiten der Stadt mit dem Bundestag zu verkehren, wozu sich keiner der dermaligen Senatoren wohl eigne; es müsse ein Mann sein, der mehrere Sprachen, besonders auch das Französische geläufig spreche, mancherlei Kenntnisse und namentlich viel Welterfahrung habe und so weiter, und damit geendigt, daß er glaube, eine solche Stelle sei ganz für mich gemacht, ich möge mich nur einstweilen bei den Senatsmitgliedern präsentieren und empfehlen. Ob mir gleich ein solches Amt, das mich wieder von hunderterlei Dingen und Leuten abhängig machen mußte, durchaus nicht konvenierte, so bequemte ich mich dennoch, meinen Eltern zuliebe, die es überaus wünschten und meinten, es würde ihnen ein wahrer Trost im Alter sein, mich durch eine solche Anstellung gesichert bei sich zu sehen, sogenannte Empfehlungsbesuche bei mehreren der hochweisen Herren und auch den beiden einjährig Wohlregierenden zu machen. Die Fragen, die man dabei an mich richtete, bezweckten durchaus nicht, zu erforschen, ob ich wohl auch die nötigen Fähigkeiten, Talente, Kenntnisse, die ein solches Amt erfordert, besäße. Von dem allem war gar keine Sprache, wie denn überhaupt bei der Besetzung irgendeiner Stelle die Kapazität zu derselben in Frankfurt niemals in Anschlag gebracht oder auch nur darnach gefragt wird, sondern Protektion und Konnexionen allein erwogen werden. Man erkundigte sich, ob ich auch schon diesem oder jenem meine Aufwartung gemacht habe, ob ich mich auch recht erkenntlich zeigen würde, wenn man mir die Stelle gebe. Einige Senatoren, an die ich besonders empfohlen war, gaben mir den guten Rat, mich bei dieser und jener Dame hauptsächlich beliebt zu machen, ja recht höflich gegen Senatorsfrauen und -Töchter und alle Anverwandte bis ins zehnte Glied zu sein, denn schon gar mancher habe eine gute Stelle erhalten, weil die Frau Schöffin so und so zu ihrem Mann gesagt: „Dem mußt du derzu helfe, dann es is doch gar ä höflicher Mensch, er grüßt mich allemal, wann er mich sieht, schon fünfzig Schritt weit, und nimmt den Hut tief herunner.“ Auch einige Köchinnen, welche großen Einfluß auf gewisse Senatoren hätten, da sie vortrefflich kochten, wurde mir geraten, mit kleinen Geschenken zu bedenken. Eine Freundin meiner Mutter brachte dieser sogar eine Liste, auf welcher an zweihundert Personen figurierten, fast alle Verwandte, Vetter, Basen, Schwäger, Schwiegermütter, Tanten und so weiter von Senatoren, denen ich ja nicht vergessen dürfe, sämtlich meine Aufwartung zu machen, denn man habe schon öfters das Beispiel gehabt, daß eine einzige Hintansetzung einer solchen wichtigen Person das Nichterhalten der Stelle des Aspiranten zur Folge gehabt, wie noch neulich mit dem Herrn S..., der es vergessen, der Großtante des Senators B... seine Aufwartung zu machen, und deshalb bei aller Tüchtigkeit das Amt, als ein Mensch, der nicht zu leben wisse, nicht erhalten habe. – Dies war mir denn doch ein wenig zu toll – „Nein, lieber Vater, und wenn man mir Millionen anböte, so würde ich eine solche Stelle nicht annehmen, nachdem ich die hiesigen Verhältnisse näher kennen gelernt und ziemlich durchschaut habe,“ sagte ich zu meinen Eltern, als wieder die Rede darauf kam, „auch würde ich sie keine drei Wochen behalten; denn wer in dem faulen und stinkenden Sumpfpfuhl der Frankfurter Behördenwelt leben kann, der muß eine Lunge und ein Gewissen haben, weiter und durchlöcherter als das Danaidenfaß. Ich werde aber dennoch in Frankfurt bleiben und mir eine unabhängige Existenz zu gründen suchen.“ – Darauf gingen nun meine Gedanken und meine Bemühungen vorerst aus, während ich unter der Hand täglich an meinem historischen Werk arbeitete und viel las. – Aber was beginnen? Darüber konnte ich eine Zeit lang nicht ins Reine kommen. – Eines Tages fielen mir unter meinen Papieren einige Nummern des ‚Beobachters an der Spree‘ in die Hand, die ich von Berlin mitgenommen, weil meine Aufsätze in denselben standen, und plötzlich sagte ich zu mir selbst: Wie wäre es, wenn ich hier ein ähnliches Volksblatt herausgebe. An Stoff dazu fehlt es wahrlich nicht. Ich habe durch das Projekt einer Anstellung den hiesigen Augiasstall zur Genüge kennen gelernt, und es wäre wohl noch ein Verdienst, zu versuchen, etwas zu seiner Reinigung beizutragen, obgleich man keinen Mohren weiß wäscht. Diese Idee bildete sich immer mehr in meinem Kopf aus, und ich hatte damals wirklich noch den einfältigen Glauben, wenn ich auf die gräßlichen Übelstände der Verwaltung und Regierung Frankfurts aufmerksam machte und den Leuten über gewisse Dinge die Augen öffnete, dies wohl etwas bessern könnte.

Aber ein Umstand machte mich zweifelhaft: Börne, der geistreichste, witzigste Kopf, der in ganz Deutschland lebte, gab damals ‚Die Zeitschwingen‘ heraus und schwang in denselben eine Geißel, die kein anderer so zu handhaben vermochte. Dieser, fürchtete ich, würde meinem Vorhaben im Wege stehen. Ich machte ihm deshalb einen Besuch, teilte ihm mein Projekt mit, zu dem er mich nicht nur ermunterte, sondern mir versprach, was zu dessen Förderung an ihm liege, würde er gerne tun, darauf könne ich mich verlassen. Auch teilte er mir manche Dinge mit, die er, als früher bei der Polizei angestellt, in Erfahrung gebracht, und die zu benutzen er mir freistellte. Daß ich unter den erbärmlichen Frankfurter Zensurverhältnissen[4] kein solches Blatt herausgeben konnte, war mir auch klar, ohne daß mich Börne darauf aufmerksam gemacht hätte, und ich kam deshalb bei der großherzoglich-hessischen Regierung um die Erlaubnis ein, eine Zeitschrift in Offenbach herausgeben zu dürfen, die mir auch bald gewährt wurde. Mehrere Umstände veranlaßten mich indessen, von der erhaltenen Bewilligung nicht sogleich Gebrauch zu machen und die Herausgabe der Zeitschrift vorerst noch zu verschieben.

Damals lebte nämlich die ehemalige Königin von Spanien, früher Königin von Neapel, wo ich sie schon kennen gelernt hatte, unter dem Namen einer Gräfin Survilier mit ihren beiden Töchtern zu Frankfurt in dem Gartenpavillon des roten Hauses, sehr eingezogen. Sie war, wie bekannt, die Gattin Joseph Bonapartes, der sich in Amerika aufhielt. Diese Dame war eine der trefflichsten weiblichen Charaktere, die ich jemals kennen gelernt. Die Tochter eines Marseiller Kaufmanns, hatte sie der Besitz von Thron und Krone nicht im mindesten hochmütig, ja noch bescheidener gemacht. Ein unendliches Wohlwollen gegen alle Menschen, die sie so gerne glücklich gewußt und gemacht, wenn es in ihrer Macht gelegen hätte, war ein Hauptzug im Charakter dieser würdigen Frau, ein Engel an Sanftmut, Güte, Tugend und Seelenreinheit, ihre Wohltaten hatten keine Grenzen. Obgleich keine ausgezeichnete Schönheit, war sie doch selbst im vorgerückten Alter noch höchst liebenswürdig. Sie beschäftigte sich in Frankfurt, sowie schon früher, fast einzig mit der Erziehung und Ausbildung ihrer beiden Töchter, von denen die älteste, Zenaïde, damals neunzehn, und die jüngere, Charlotte, etwa siebzehn Jahre alt sein mochte. Beide Mädchen waren durch ihren hohen Geist, ihre Talente, ihre treffliche Erziehung und ihre körperliche Bildung ausgezeichnet. Charlotte hatte besonders in der Malerei kein gewöhnliches Talent, und in der Musik waren beide ziemlich vorangeschritten. Piano, Harfe und Gesang dienten zu ihrer Erholung, während sie die meisten Stunden den höheren wissenschaftlichen Kenntnissen widmeten.

Ich ließ mich bei den Damen als ehemaligen französischen Offizier melden, wurde an- und freundlich aufgenommen und gebeten, meine Besuche recht oft zu wiederholen. Wie ungemein anziehend mir die Unterhaltung dieser Damen war, die sich meistens um Ereignisse und Begebenheiten Napoleons und seiner Angehörigen drehte, kann ich nicht sagen. Ich erhielt über manche Verhältnisse, namentlich über die Napoleons zu seinem Bruder Joseph und anderer, Aufschlüsse, die von hohem Wert für das Werk waren, das ich herauszugeben beabsichtigte. Indessen waren nicht immer die Politik und Staatsangelegenheiten das Thema der Konversation, sondern es wurde auch musiziert, vorgelesen und so weiter. Die einzige Person in Frankfurt, die außer mir noch Zutritt bei der Familie hatte, war die Tochter aus einem der ersten Bankierhäuser daselbst, Fräulein M..., deren Haus die Geldangelegenheiten der Gräfin Survilier besorgte. Dieses Mädchen hatte einen aufgeweckten, sehr munteren und heiteren Humor, liebte gern kleine Abenteuer und machte den Damen manche kleine Zerstreuung durch die Stadthistörchen, die sie ihnen auf die launigste Weise und mit oft sehr witzigen Bemerkungen erzählte. Es wurden von Zeit zu Zeit auch kleine Komödien aufgeführt, bei denen die Gräfinmutter und ein paar Kammerfrauen die einzigen Zuschauer abgaben, und ich der einzige männliche Akteur war. Dennoch aber machten sie uns allen vielen Spaß. Fräulein M..., die bisweilen eine kleine Rolle übernahm, machte die erste Liebhaberin so natürlich, obgleich mit einem etwas sehr germanischen Akzent, daß sie mich bezauberte, und sich bald auch außer der Bühne ein kleines Liebesverhältnis unter uns entspann, von dem die Familie Survilier aber nichts ahnte, da wir uns Rendezvous außer dem roten Haus und meist im alten verschwiegenen Pfarrturm gaben. Da wir fast nie Gelegenheit hatten, uns im roten Haus nur ein paar Worte allein zu sagen, und deutsch zu sprechen in Gegenwart der anderen Damen unschicklich gewesen wäre, so tauschten wir gegenseitig unbemerkt kleine Briefchen aus, in denen das weitere verabredet war. Eines Tages hatte Madame M..., die Mutter, das Töchterchen bei dem Lesen eines solchen überrascht und wollte es ihr, da sie sich weigerte, dasselbe herauszugeben, mit Gewalt entreißen. Aber das Mädchen lief ihr davon, die Mutter ihr nach und verfolgte sie alle Treppen hinauf bis auf den obersten Boden, wo erstere, da sie sich nicht mehr zu helfen wußte, das Billett zerriß und es verschluckte, ehe Mama noch bei ihr war, und beinahe daran erstickt wäre. Es gab nun ein arges Donnerwetter zwischen Mutter und Tochter, und Madame M... war einfältig genug, die Sache publik und also zum Stadtskandal zu machen, so daß vier Wochen lang in allen Teeklatschen die Begebenheit, reichlich verziert, Stoff zur Unterhaltung gab.

Zu jener Zeit kam auch der General Gourgaud von Sankt Helena zurück, wo er Napoleon, seinen Herrn, schon kränklich verlassen hatte, und hielt sich eine Zeitlang in Frankfurt auf, nachdem er in Hamburg vom dortigen Senat wegen einer Damenintrige, in deren Folge er sich eine Herausforderung hatte zu Schulden kommen lassen, ausgewiesen worden war. Auch in Frankfurt gestattete man ihm nicht, eine Privatwohnung zu beziehen, sondern er mußte in einem Gasthaus, dem Pariser Hof, während der Dauer seines Aufenthaltes wohnen bleiben. Diesen lernte ich zuerst bei der Gräfin Survilier kennen, die er oft besuchte, und wo er äußerst interessante Mitteilungen über das Leben des Exkaisers auf Sankt Helena machte. Da er hörte, daß ich an einem großen Werke der Geschichte unserer Zeit arbeite, zu dem mir der General Carnot die erste Anleitung gegeben, so erbot auch er sich, mir wichtige Notizen mitzuteilen, die ich aber wenig benutzte, da sie offenbar der Wahrheit nicht getreue Entstellungen enthielten und höchst parteiisch waren.

Übrigens kam jetzt ein sehr ernstes Thema bei den Abendunterhaltungen der Gräfin Survilier zur Sprache, dessen Gegenstand kein geringerer als ein Projekt zur Befreiung Napoleons aus der englischen Gefangenschaft zu Sankt Helena war, das aber die Krankheit und das bald darauf erfolgende Ableben des Gefangenen nicht zur Ausführung kommen ließ. Nachdem mancher abenteuerliche Vorschlag gemacht, mancher Luftpalast erbaut und wieder niedergerissen oder als unausführbar verworfen worden war, blieb man bei folgendem, gewiß sehr gut kombinierten Plan stehen: Ich sollte nach London reisen und dort den Chef eines Handelshauses, der als großer Verehrer Napoleons bekannt war, in das Geheimnis ziehen, um durch ihn und in seinem Namen ein Schiff nach Ostindien ausrüsten zu lassen, auf welchem ich mich als Privatspekulant und mit guten Empfehlungsschreiben an das dortige Gouvernement versehen, dahin begeben sollte. Nachdem ich mich daselbst einige Zeit aufgehalten, sollte ich den Verlust meines ganzen Vermögens angeben und möglichst veröffentlichen, und mich dann auf einem anderen, nach England zurückkehrenden Ostindienfahrer, der in Sankt Helena anhielt, einschiffen, bei dem dortigen Gouverneur Hudson Lowe melden und ihm vom Ostindischen Gouvernement mitgebrachte Empfehlungsschreiben vorzeigen, die ich durch die aus England mitgebrachten Empfehlungen leicht erhalten könnte, und in denen von meinem angeblichen Verlust die Rede sei. Alle diese großen Weitläufigkeiten waren nötig, um auch den leisesten Verdacht zu entfernen. Auch noch andere Empfehlungen an einen in Sankt Jamestown etablierten Mann sollte ich durch das Londoner Haus erhalten, dem ich jedoch nicht eher etwas von der beabsichtigten Unternehmung mitteilen dürfe, bevor ich mich von seiner Zuverlässigkeit vollkommen überzeugt habe. In Sankt Helena sollte ich krank werden und allerlei Mittel anwenden, damit mein Aussehen die angebliche Krankheit bestätigte, namentlich Brustbeschwerden und Husten fingieren, unter diesem Vorwande auf der Insel zurückbleiben, und nachdem ich allmählich etwas besser geworden, um die Erlaubnis einkommen, eine Taverne in Sankt Jamestown errichten zu dürfen, die mir vermittelst der von Ostindien mitgebrachten Schreiben und unter der Ägide eines Bürgers der Stadt wohl gewährt werden würde. Durch vorzüglich gute Qualität der Getränke und billige Preise, jedoch nicht auffallend, sollte ich mir namentlich unter dem Militär, bald eine große Kundschaft verschaffen, mit gehöriger Vorsicht viel Kredit geben, diejenigen Personen, von denen ich glaube, daß nichts mit ihnen anzufangen sei, hauptsächlich Soldaten, gehörig ans Bezahlen mahnen, ohne sie jedoch gerade zu brüskieren; bei denen aber, wo ich das Gegenteil merke, das Anschreiben von Zeit zu Zeit vergessen. Durch dieses Mittel sollte ich meine Leute kennen, die Brauchbaren unterscheiden lernen, und womöglich auch einige Offiziere zu gewinnen suchen, namentlich solche, die Mißvergnügen mit ihrer Lage bezeigten. Nachdem ich mich auf diese Art nach und nach dem Ziele näher gerückt, sollte ich bei den bereits Erprobten es weder an großen Versprechungen, Geschenken, noch Versicherungen auf reichliche Versorgung für die Lebenszeit fehlen lassen. Wenn ich mir auf diese Weise nun einen kleinen Anhang verschafft, so sollte ich suchen, jemand von Napoleons Umgebung mit dem Plan bekanntzumachen und am Tage der Ausführung durch die gewonnenen Offiziere alle Posten um Longwood von den ebenfalls gewonnenen Soldaten besetzen lassen, auch eine Fischerbarke an dem steilsten Ufer von Sankt Helena in der zur Ausführung des Planes bestimmten Nacht bereithalten, welche den Gefangenen, nachdem man ihn mit Stricken hinabgelassen, entführen und auf ein zu diesem Behuf so nahe als möglich kreuzendes amerikanisches Kauffahrteischiff bringen müßte. Sollte ich indessen dies für untunlich oder zu gewagt halten, so bliebe es meiner Einsicht überlassen, durch eine förmliche Revolte der Verschworenen diese Befreiung zu bewerkstelligen, wobei man viel auf die wegen der mancherlei Beschränkungen höchst unzufriedenen Einwohner von Sankt Helena, sowie auf einen großen Teil der Garnison und der Neger zählen zu können glaubte, da diese über mancherlei Vexationen und schlechte Behandlung, die ihnen zuteil geworden, seitdem man ihre Insel zu Napoleons Kerker gemacht, sehr aufgebracht waren. Auch dieses sollte in der Stille der Nacht vor sich gehen, damit die nicht bestochenen Signalposten verhindert würden, zu früh Lärm zu schlagen, und so die Kreuzer aufmerksam gemacht würden, bevor die Barke glücklich durchgekommen. In diesem Fall sollte auch versucht werden, sich der Person des Gouverneurs zu bemächtigen, aber womöglich alles Blutvergießen vermieden werden. Unterdessen sollte man auch dafür Sorge tragen, so viel wie möglich Leute, die man als große Verehrer Napoleons kenne, als Bediente, Handwerker, Köche und so weiter, in Sankt Helena unterzubringen, um sich ihrer im Fall des Aufstandes bedienen zu können, ohne sie vorher in irgendetwas einzuweihen. Amerikanische Kauffahrteischiffe sollten sich beständig in gehöriger Distanz von der Insel aufhalten, aber keines länger als ein paar Tage, um keinen Verdacht zu erregen und damit sie als nur vorübersegelnd betrachtet würden. Auch sollten sie nur in Zwischenräumen von acht bis vierzehn Tagen sichtbar werden, verschiedene Flaggen aushängen und nie so nahe herankommen, daß man sie anrufen oder ihnen nur signalisieren könne. Im übrigen sollte es mir überlassen bleiben, einmal auf der Insel, noch diejenigen Mittel anzuwenden und Vorkehrungen zu treffen, die ich für dienlich halten würde, den großen Zweck zu erreichen.

General Gourgaud hatte der Gräfin Survilier manche Details über die Bewachung Napoleons und das Innere der Insel von Sankt Helena mitgeteilt, welche die großen Schwierigkeiten eines solchen Unternehmens dartaten, die man jedoch nicht für unüberwindlich hielt. Es sollte nun vorerst die Sache mit dem Londoner Haus eingeleitet werden und wurde auch mit einem, als Napoleons außerordentlich großen Verehrer bekannten englischen Lord C... deshalb verhandelt. Dieser schenkte zwar dem entworfenen Plan seinen Beifall, aber das Fortschaffen Napoleons vermittelst einer Barke schien ihm zu gefährlich. Ich selbst hatte mehrere Konferenzen mit diesem Engländer zu Paris, wohin ich auf wenige Tage reiste, wobei er mir sagte, daß, wenn man auch die Befreiung des Exkaisers, es sei durch List und Bestechung oder durch offene Gewalt, errungen habe, dennoch die Kreuzer, selbst wenn die nächsten Signalposten gewonnen, zu wachsam und gefährlich seien, als daß man hoffen könne, unangefochten durchzukommen. Er riet mir übrigens von offener Gewalt ganz ab, nur durch List und Bestechung sei etwas zu hoffen. Jede Gewalttätigkeit würde sogleich auf den Schiffen bekannt, und ein Aufstand sogleich eine förmliche Belagerung der Insel herbeiführen. Am sichersten wäre es freilich, wenn man einen oder ein paar der die Kreuzer befehligenden Kommandanten gewinnen könne; doch daran sei nicht zu denken. Außerdem war seine Meinung, man dürfe hier durchaus nichts übereilen, es müsse alles auf das reiflichste überlegt und geprüft werden, er hoffe noch ein Mittel zu finden, das unfehlbar zum Ziele führe. Mit diesen Vertröstungen kam ich nach Frankfurt zurück, und man kam überein, die ferneren Berichte des Lords abzuwarten, bevor man in der Sache weitere Schritte tue.

Einstweilen arbeitete ich an meinem Werk fort, machte öfters Exkursionen in das Taunusgebirge und die mir zum Teil noch sehr unbekannte Umgegend Frankfurts und hatte allerlei kleine, mehr oder minder unterhaltende Abenteuer, mitunter auch mit einigen Gespielinnen aus meiner Kindheit, wie die an einen reichen Kaufmann verheiratete Karoline Th..., Lili O... und Tinchen L..., die sich alle noch gut konserviert hatten. Pikantere Bekanntschaften waren mir aber die einer jungen angehenden Schauspielerin, Betty U..., und eines allerliebsten und sehr geistreichen jungen Mädchens, Jeannette G..., beide sehr schön und letztere die Tochter einer Witwe, die eine Kaffeewirtschaft hatte.

Ein Vorfall anderer Art, bei dem ich beteiligt war, machte Lärm und Aufsehen in Frankfurt. Es war nämlich Feuer in der kleinen Eschenheimer Gasse ausgekommen, und da man in der engen Straße dem brennenden Haus nicht wohl mit den Spritzen beikommen konnte, so wollten die Führer derselben in den Hof des Thurn und Taxisschen Palais, dem Sitz des Bundestages, in den man von der großen Eschenheimer Gasse einfährt, um von da aus, wo man die Schläuche durch einige Fenster leiten konnte, dem Feuer Einhalt zu tun. Dagegen stellte sich aber ein Mensch, der, obgleich es noch ziemlich früh in den Vormittagsstunden war, sich doch schon ein artiges Räuschchen angetrunken hatte und zu den Spritzenleuten in echt österreichischem Dialekt sagte: „Un’ Se dürfens halt nit rein, wir hobens hier alle Bundestagsakten und Papier’, und dürfen kane Spritzen rein, dos könnt’ a saubere Geschicht’ werden.“ – Ich kam gerade zu dieser Diskussion und stellte dem Mann vor, daß, wenn das Feuer mehr um sich griffe, die Papiere des durchlauchtigen Bundestages weit mehr gefährdet würden, als durch die Spritzen. – „Un’ ’s geht halt ämol nit, un’ es kann halt nit sein,“ lallte der Trunkene und befahl dem Portier, das Tor zuzumachen. Als ich nochmals Vorstellungen dagegen machte, sagte er zu mir: „Und Sie, wem sein’s? Sie sinn jetzt hier im Arrest im Palais.“ – Ich lachte dem Menschen ins Gesicht, der aber nun in höchsten Zorn geriet und laut schrie: „Korporal von der Wacht, doß er’s weiß, der Mensch hier is im Arrest, und lassen’s en net raus!“ – Dieser erwiderte: „Ganz wohl, Herr Kassierer.“ – Ich erfuhr nun, daß der Trunkenbold der österreichische Kassier beim Bundestag sei und sich Horrak nenne. Ich begab mich jetzt zum österreichischen Präsidialgesandten, Buol-Schauenstein, selbst und teilte ihm den Vorfall mit. Dieser gab natürlich gleich Order zu meiner Freilassung, indem er sagte: „Es ist doch kein Auskommen mit dem Trunkenbold, er macht einen Eselsstreich nach dem anderen.“ Als ich durch den Hof kam, in welchem ich den Horrak noch traf, sagte ich im Vorübergehen: „Sie sollen zu Ihrem Herrn kommen, der sich Ihre Eselsstreiche verbittet.“ – „Wos sagen’s da, i mach’ halt kane Eselsstreich’, das will i mir verbeten haben.“ – Mit einem: „Schlafen Sie Ihren Rausch aus, Sie werden das Weitere von mir hören,“ ließ ich den Kerl stehen und entfernte mich nun ungehindert. Ich schrieb ihm aber noch denselben Tag ein paar Zeilen, durch welche ich Genugtuung von ihm wegen des verübten Gewaltstreichs und so unbefugten als lächerlich angebotenen Arrests begehrte. Horrak aber lief mit dem Brief auf das Frankfurter Polizeiamt, dem er mit der Ungnade des österreichischen Gesandten drohte, wenn es mich wegen dieser Herausforderung nicht vornehme. – „Schauen’s, meine Herren,“ sagte er, „was soll i mi dann mit dem Menschen schlagen? I bin ja gar nit ämol Soldat, und z’dem habe ans unser gnädigster Kaiser an- für allmol verboten, daß wir uns duellieren dürfen, das is ä Narretei.“ – Ich wurde nun auf das Polizeiamt, das, gleich allen Frankfurter Behörden, gewaltig Respekt und Furcht vor den Bundestagsgesandten hatte, und besonders, wenn der österreichische, russische oder preußische Gesandte nur gnädig hustete, schon ein Angstfieber bekam und nicht schnell genug ein Loch finden konnte, sich zu verkriechen, gefordert, wo mir der damals demselben vorstehende Senator Wüstefeld ankündigte: daß ich mich nicht unterstehen dürfe, in Frankfurt an irgend jemand eine Herausforderung ergehen zu lassen, und am allerwenigsten an Personen von dem durchlauchtigsten Gesandtschaftspersonal, sonst könne es mir schlimm ergehen, und es sei nicht schön von mir, daß ich die Frankfurter Behörden mit dem Bundestag, der ihnen ohnehin so viel zu schaffen mache, in solche Konflikte bringe, und so weiter. Meine ganze Antwort war: „Herr Senator, wir werden uns doch am Ende nicht noch von den Schuhputzern des Bundestages auf der Nase herumtanzen, oder von Trunkenbolden, wie dieser Horrak, insultieren lassen sollen?“ – „Das nicht, aber Duelle können hier nicht gestattet werden, das ist gegen unsere Gesetze, und Sie würden sich großen Unannehmlichkeiten aussetzen, wenn Sie wieder jemand herausforderten.“

Außer den Besuchen bei der Gräfin Survilier war es das Theater und in dessen Folge das von dem Personal desselben sehr besuchte Dörfchen Hausen, was mir die angenehmste Unterhaltung und meiste Zerstreuung in Frankfurt gewährte. In Hausen, im Garten Braumanns, fanden sich namentlich alle Freitage die Frankfurter Theaterprinzessinnen, einige Literaten, Familien von dem Gesandtschaftspersonal des Bundestags, Offiziere von der Militärkommission und andere joviale Leute ein, und diese Versammlung nannte man das Hauser Kasino. Das Theater war damals, wenigstens was das Schauspiel anbetrifft, gut besetzt, besonders hinsichtlich der Frauen. Unter allen war es Frau von Busch, welche das meiste Aufsehen erregte, und eine Unzahl erhörter und nicht erhörter Liebhaber hatte, unter denen sogar einige der reichsten, eben nicht mehr sehr jugendlichen Kaufleute waren, deren Frauen darob verzweifeln wollten. Frau von Busch war eine geborene Großmann und hatte, nachdem sie schon einmal verheiratet gewesen, ihren jetzigen Gatten, einen hannoverschen, nicht unbemittelten Edelmann, die Spröde spielend, vermocht, sie zu ehelichen. Als sie in kurzer Zeit dessen Vermögen verschwendet hatte, ward ihr der Mann bald zur Last, und sie überließ sich, wie früher, ihrem ausschweifenden Leben wieder, sammelte ein Heer von Liebhabern um sich, mit denen sie Orgien in der eigenen Wohnung feierte. Herr von Busch, ein Schwachkopf, statt den Herrn im Hause zu spielen oder sich wenigstens von ihr zu trennen, nahm sich die Sache so zu Herzen, daß er ganz tiefsinnig wurde, sich absonderte und meist in einem düsteren Zimmer, auf einem Lehnstuhl sitzend, Tag und Nacht vor sich hinstarrend, zubrachte. Seine Frau, wenn sie überlustig bei den Abendgelagen geworden, machte sich manchmal das Vergnügen, zu ihrer Gesellschaft zu sagen: „Nun wollen wir auch meinem einfältigen Mann einen Besuch abstatten,“ öffnete sodann die Türe des Gemaches, in welchem der Unglückliche brütete, und sprach: „da seht den Simpel, wie er da sitzt!“ – Ihr erklärter Liebhaber war damals ein Baron von A..., früher Offizier in holländischen Diensten und sehr reich. Dieser fuhr jeden Tag mit der heillosen Armida, zum großen Ärger der ehrbaren Frankfurter Frauen, in einer vierspännigen offenen Kalesche spazieren. Eines Morgens aber verbreitete sich plötzlich das Gerücht in der ganzen Stadt, Herr von Busch habe sich den Hals abgeschnitten. Doch war dies nicht der Fall, sondern der arme Mann hatte sich nur mit einem Rasiermesser die Adern an der Hand geöffnet, allerdings in der Absicht, sich um das Leben zu bringen. Sein Aufwärter hatte es aber gleich wahrgenommen, um Hilfe geschrien, und ein Chirurg kam noch zeitig genug, um ihn vom Verbluten zu retten. Die Sache machte außerordentliches Aufsehen in der Stadt, und als den folgenden Abend Frau von Busch im Theater, wenn ich nicht irre, als Lady Milford auftrat, wurde sie mit einem so furchtbaren Gezische, Pfeifen, Stampfen und Geschrei empfangen, daß sie durchaus nicht zu Wort kommen konnte. Sie ließ sich aber nicht schrecken, sondern stellte sich mit der schamlosesten Frechheit mit übereinander gekreuzten Armen vor das Parterre, ihre Blicke ringsumher werfend, als wollte sie sagen: „Nun, was wollt ihr von mir?“ – Als der Lärm nachließ, wollte sie wieder zu sprechen anfangen, aber der Sturm erhob sich von neuem und weit ärger als vorher, das Schreien artete in ein wahres Gebrüll aus, und man hörte deutlich die Worte: „Fort, hinaus mit der unverschämten H...“ Nachdem sie noch ein paarmal vergeblich zu sprechen versucht hatte, war man gezwungen, den Vorhang fallen zu lassen, und die Vorstellung war für diesen Abend beendigt. Den anderen Tag fuhr Frau von Busch vierspännig mit ihrem primo amoroso, dem Baron von A... in einem offenen Wagen und mit lächelnder Miene durch die Straßen der Stadt und um die Promenaden. Nun legte sich die Polizei darein und ließ es ihr verbieten, ferner eine ‚ehrsame Bürgerschaft durch solchen Skandal zu indignieren.‘ – Ein paar Tage darauf fuhr sie mit ihrem Baron zum Stadttor hinaus nach Mannheim, wo sie ihre Residenz aufschlug, ein Engagement erhielt und das Publikum durch ihre Kunst entzückte.

Damals machte ich in der Befreiungsangelegenheit Napoleons wieder eine Reise nach Paris, von der ich jedoch wenig befriedigt zurückkam, da ich die Personen, an welche ich von der Gräfin Survilier empfohlen war, eben nicht sehr empfänglich für unser Projekt fand. Dagegen hatte ich die Gelegenheit benutzt, um mit den bedeutendsten Pariser Zeitungen Verbindungen anzuknüpfen, denen ich Artikel in französischer Sprache über die damaligen Zustände Deutschlands lieferte, und welche mir so gut honoriert wurden, daß ich oft hundert Franken und mehr für die Seite erhielt. Da ich nun in Frankfurt fortwährend einen ziemlichen Aufwand machte, wenigstens keine Ausgaben scheute, und meine Eltern nicht mehr in den brillantesten Vermögensumständen waren, mein Vater hatte sich seit dem österreichischen Bankrott nie mehr recht erholen können, so sagte die Frankfurter Welt: ich erhalte das Geld zu meinen Ausgaben von verschiedenen Damen. Da mir daran gelegen war, daß niemand erfuhr, daß ich für die französischen Journale arbeite, ließ ich die Einfaltspinsel bei ihrem Glauben und galoppierte, sie auslachend, durch die Straßen.

Zu jener Zeit machte ich auch häufige Exkursionen nach meinem lieben Homburg und dessen Umgegend, die mich immer mit einer gewissen Wehmut an die Zeiten der daselbst so fröhlich verlebten Kinderjahre erinnerten. Mein guter Oheim Oberpfarrer war schon seit Jahren gestorben, Breitenstein und seine Familie aber waren wohlauf. Von meinen früheren Amouretten daselbst waren die meisten verheiratet, Eleonore von Brandenstein aber war immer noch Hofdame, und zwar nicht nur verblüht, sondern sehr brustleidend. Auch starb sie bald darauf im Bad Ems. Heimliche Sünden mochten dem Mädchen das frühe Grab bereitet haben. Ihre Mutter war ihr nur ein paar Jahre vorangegangen. Der alte brave Landgraf Friedrich war erst kürzlich gestorben und sein Sohn Friedrich Joseph ihm in der Regierung gefolgt. Dieser hatte sich noch als Erbprinz (1818) mit einer Tochter des Königs Georg III. von Großbritannien, der Prinzessin Elisabeth, vermählt. Diese Heirat hatte man in Homburg als ein großes Glück für das kleine, sehr arme Land gehalten, da die Prinzessin eine bedeutende Mitgift und ansehnliche Apanage hatte. Aber wie ich schon so oft erlebte, war auch hier, was man für ein Glück hielt, eher ein Unglück für das Land. Der neue Herr wollte nun à tout prix ein kleines London aus seiner kleinen Residenz machen. Damit die Hauptstraßen breiter scheinen sollten, mußten alle Wirte ihre Schilder, welche die Arme in die Gasse ausstreckten, einziehen und platt an den Häusern anmachen. Das alte Rathaus wurde abgerissen; es sollte später ein neues erbaut werden, was aber aus guten Gründen unterblieb. Allerlei kostspielige Anlagen wurden in den herrschaftlichen Gärten gemacht. Über einen Bach, der die nach dem großen Tannenwald führende Allee durchschnitt, und den man zur Not mit einem Bein überschreiten konnte, wurde eine Brücke aus Quaderstein erbaut, die über dreißigtausend Gulden kostete. Die Gärten und Lustwäldchen wurden gewaltig gelichtet, obgleich ihr Herr eben kein großer Freund vom Licht war. Bei jeder Gelegenheit wollte der neue Landgraf den großen, großmütigen und freigebigen Souverän spielen, allenthalben russische Trinkgelder spendend. Ward er zu irgendeiner Taufe gebeten, so durfte das Patengeschenk nicht unter fünfhundert Dukaten sein. Die Hofküche, aus der eine Unzahl Homburger Angestellter aller Art und andere gespeist wurden, kostete eine Unsumme Geld, und so ging es durch alle Branchen, wobei sich gewisse Leute ganz vortrefflich standen und bereicherten, hauptsächlich diejenigen, welche die Einkäufe für den Hof in Frankfurt zu machen hatten und sich mit den dortigen Juden zu verständigen wußten. So kam es, daß nicht nur die englischen Gelder nicht ausreichten, sondern, da diese Heirat Ursache war, daß der Landgraf großen Kredit erhielt, so stürzte er sich bald in ein Schuldenmeer, das in gar keinen Verhältnissen zu seinen Einkünften stand, und dem Land bald eine schwere Last werden mußte. Mehr als Gold aber regnete es mit Titeln auf die Homburger, von Geheimräten bis ich weiß nicht auf was alles für Räte und so weiter herab. Ein alter Kammerdiener seines Vaters namens Walther, der zugleich Barbier war und eine Barbierstube gehabt hatte, in welcher die Soldaten barbiert wurden, ward zum Medizinalrat gestempelt, und so weiter. – Meine Anhänglichkeit an Homburg machte, daß ich alles mögliche tat, um mehr Leben in die kleine Stadt zu bringen. Wurden kleine Konzerte veranstaltet, so brachte ich Dilettanten und Künstler mit, dieselben zu verherrlichen, und sang öfters selbst mit einigen Homburger jungen Damen, die hübsche Stimmen hatten. War ein Ball, so engagierte ich wenigstens ein Dutzend Tänzer, an denen in Homburg gänzlicher Mangel war, und nahm sie auf meine Kosten mit, ebenso ganze Kisten mit Orangen, Konfekt und Körbe mit Champagner, womit ich die guten Leute in Homburg reichlich regalierte. Außerdem war außer Breitenstein noch ein Haus da, welches mich anzog, und dieses war das des Homburger Generalissimus, Oberst F..., der das sechzig bis achtzig Mann starke Heer, jedoch jetzt lauter junge Leute, kommandierte, und ein Paar liebenswürdige Töchter hatte, von denen die eine Bertha und die andere Emma hieß. Eines Tages, bevor ich noch die Namen der beiden Fräuleins gekannt, sang ich in einem Konzert ein komisches Lied, in welchem eine Stelle vorkam, in der es heißt:

Verschmähet Bertha meine Liebe,

Schenk ich Emma gleich mein Herz usw.

Nun gab es ein Gezische und Geflüster in dem Saal, man sah auf die beiden Mädchen, die überrot wurden, und behauptete, ich habe es auf diese abgesehen, und so weiter.

Da sich das Projekt der Befreiung Napoleons sehr in die Länge zog, auch immer beunruhigendere Nachrichten hinsichtlich seines Gesundheitszustandes von Sankt Helena eintrafen, so entschloß ich mich nun, einstweilen das Wochenblatt, für welches ich schon längst die Konzession in der Tasche hatte, in Offenbach erscheinen zu lassen. Ich hatte mir vorgenommen, besonders die erbärmlichen und jämmerlichen Zustände Frankfurts in demselben tüchtig mitzunehmen und zu geißeln, und hatte zu dem Ende öfters Rücksprache mit dem genialen Börne gepflogen. Ich ließ eine Vignette mit einem Januskopf und ein paar Steckenpferde geißelnde Satyre in Holz stechen, um sie an die Spitze des Blattes zu setzen. Börne lieferte mir ein kleines einleitendes Gedicht dazu, und in der Probenummer, von der ich zwanzigtausend abziehen und in Frankfurt und der Umgegend verteilen ließ, waren schon einige artige Histörchen, die in der guten Stadt kein geringes Aufsehen machten. Ich hatte nicht überlegt, daß Frankfurt nicht Berlin ist, daß in meiner guten Vaterstadt, wo Klatschsucht und Kleinstädterei eine so große Rolle spielen, daß sich jedermann um das bekümmert, was der andere zu Mittag speist, und wo, wenn man am Bockenheimer Tor niest, man am Allerheiligentor Prosit sagt, daß ein solches Blatt die ganze Stadt, in welcher alte eingerostete Vorurteile die Herrschaft hatten, in Aufruhr bringen müsse, während die ohnehin witzigen und meist geistreichen Berliner, wie die Pariser, sich an solchen Dingen ergötzten, wenn sie auch noch so arg, sobald es nur mit Geist und Witz geschah, mitgenommen wurden. Freilich verloren sich in der Größe jener Städte persiflierende Anspielungen in der Volksmenge, während in Frankfurt, wenn etwas dergleichen in dem Blatt auch noch so verblümt enthalten war, doch jedermann gleich mit Fingern auf die Personen deutete, denen es galt, oder von denen man auch nur vermutete, daß es ihnen gelten könnte, denn auch für solche Dinge, welche die Stadt durchaus nicht anfochten, ruhte man nicht bis man den Gegenstand, den sie betrafen, in Frankfurt aufgefunden haben wollte. Auch machte die Wochenschrift gleich nachdem ein paar Nummern derselben erschienen waren, fast die halbe Stadt rebellisch, und die Geld- und Familienaristokratie, die ich arg mitgenommen, verschwor sich, nicht zu abonnieren. Dagegen erhielt das Blatt um so mehr Abonnenten unter dem Mittelstand in Frankfurt und in der ganzen Umgegend, und die sogenannten Vornehmen Frankfurts brachten heimlich die Nummern einzeln an sich, welche ich durch die Buchhandlung, die die Expedition übernommen hatte, à vierundzwanzig Kreuzer per Nummer verkaufen ließ, während das Abonnement nur wenige Gulden für das ganze Jahr betrug, und fand sich irgendein Klatschgeschichtchen in einer Nummer, was fast jedesmal der Fall war, so wurden oft für ein paar Hundert Gulden von dieser an einem Tag geholt, und das Blatt trug mir bald sechs- bis siebentausend Gulden jährlich reinen Gewinn ein. Doch ging es auch nicht ohne alle Unannehmlichkeiten ab, von denen mir die meisten die Theaterkritiken verursachten, da diese oft beißend waren, und besonders die hohe, aus Kaufleuten bestehende Oberdirektion in gewaltigen Harnisch brachten. Nun hatte mir ein Frankfurter Bürger und Zahnarzt namens R..., bei dem die erste Liebhaberin und sehr beliebte Schauspielerin Demoiselle L... zur Miete wohnte, mit der er sich überworfen hatte und vor dem Polizeigericht lag, einen Aufsatz mit der Überschrift: „Nicht mehr als sieben Hausschlüssel,“ zugesandt, der nicht ohne Witz die Geschichte einer keuschen Jungfrau erzählte, welche sieben Liebhaber gehabt und jedem derselben einen Hausschlüssel zu ihrer Wohnung und eine Nacht in der Woche zugestanden habe. Namen waren keine oder doch nur ganz fremde genannt, und ich selbst ahnte den Zusammenhang der Sache nicht. Aber kaum war die Nummer, welche diesen Aufsatz enthielt, erschienen, so wußte die ganze Stadt auch schon, daß es der Demoiselle L... gelte; der Einsender, der die ganze Geschichte, die nur Verleumdung war, um sich zu rächen, erfunden, hatte gehörig dafür gesorgt, es unter die Leute zu bringen, wer damit gemeint sei. Unglücklicherweise hatte sich Demoiselle L... so übel beraten lassen, daß sie die Sache auf sich bezog, und die Herren vom Theater veranstalteten eine Komödie in der Komödie. Es wurden nämlich einige achtzig Freibillete auf die Galerien ausgeteilt, unter der Bedingung, daß die Inhaber derselben den Abend, für den sie gültig waren, Demoiselle L... herausrufen sollten. Diese sollte alsdann unter Tränen dem Publikum mitteilen, daß, so sehr sie auch dasselbe zu achten und zu schätzen wisse und so äußerst lieb und teuer ihr der Aufenthalt in Frankfurt sei, sie doch unter solchen Umständen, da ihre Ehre so empfindlich in der Offenbacher Zeitung gekränkt sei, unmöglich länger bei dieser Bühne bleiben könne. Diese Worte sprach sie wirklich in einem weinerlichen Ton, schluchzend, und begleitete sie mit einem Strom von Tränen. Kaum hatte sie geendigt, als sich auf den Galerien ein furchtbarer Tumult erhob, die achtzig Freibillette taten, wie ihnen empfohlen worden, brüllten: „Hier bleiben, hinaus mit dem Rezensenten!“ und andere machten Chorus, ohne zu wissen, was dies zu bedeuten habe. Ich befand mich mit ein paar Bekannten mitten im Parterre, und da ich vorher schon durch einige Mitglieder vom Theater mündlich und durch Briefe unterrichtet worden war, so hatte ich mich auf den Fall eines etwaigen Angriffs gut vorgesehen. Um mich herum blieb indessen alles sehr ruhig, ich ließ die gedungenen Lärmmacher sich ausschreien, verließ dann das Parterre, dessen Reihen sich vor uns öffneten, mit meinen Freunden, und man ließ uns unangetastet, ja sogar ehrfurchtsvoll durch. Damit war indessen die Sache noch nicht abgemacht, sondern zwei Tage darauf wurde ich vor das hochlöbliche Polizeigericht gefordert, wo ich die untertänige Unterdirektion Ihleh und seinen Adjunktus M... vorfand, die mich im Namen der Oberdirektion als einen Ruhestörer des Theaters verklagt hatten und Genugtuung und sogar Entschädigung für den großen Nachteil, welchen die Rezensionen meines Blattes dem Theater schon gebracht hätten, begehrten. Herr Senator Wüstefeld, Vorstand der Polizei, teilte mir mit polizeilicher Wichtigkeit diese Klagen der Direktion mit und meinte, wenn ich dies Rezensieren nicht unterließe, so könne mich dies noch teuer zu stehen kommen, ja der hohe Senat der Stadt Frankfurt könne sich wohl veranlaßt finden, mein Blatt in der Stadt und deren Distrikt zu verbieten, und forderte mich auf, mich gegen die angebrachte Klage zu verteidigen. Ich erwiderte ihm mit wenig Worten, daß, da die Zeitschrift im Großherzogtum Hessen und mit Großherzoglicher Zensur erscheine, ich mich in Frankfurt auf solche Klagen gar nicht einlassen könne, die Herren müßten sich an die Großherzoglich-hessischen Behörden deshalb wenden. „Gut, dann wird man das Blatt verbieten,“ sagte der Polizeisenator. „Das kann ich nicht verhindern, aber dann könnte es der Großherzoglichen Regierung leicht einfallen, die in Frankfurt erscheinenden Blätter ebenfalls zu verbieten, und dann,“ fügte ich lächelnd hinzu: „ich kenne meine Frankfurter, verbieten Sie das Blatt, so mache ich bekannt, daß es im kurhessischen Städtchen Bockenheim zu haben, das, wie Sie, als in der Geographie gut bewundert, wissen, nur zehn Minuten von den Toren Frankfurts entfernt ist, und ich bin überzeugt, es wird noch zweimal soviel davon abgesetzt.“ Nun fing man an, mit mir zu unterhandeln, und die Theaterherren gaben den Wunsch zu erkennen, ich möchte doch wenigstens erklären, daß mit den sieben Hausschlüsseln die Demoiselle L... nicht gemeint sei, damit diese beruhigt, und die Frankfurter Bühne nicht eines so eminenten Talentes beraubt würde. Zu was die Erfüllung dieses mehr als einfältigen Begehrens führen würde, sah ich im Augenblick ein und versprach lächelnd, diesem, als bescheidene Bitte vorgetragenen Wunsch nachzukommen. In der nächsten Nummer des Blattes las man: „Mit dem größten Erstaunen haben wir vernommen, daß eine so tugendhafte Person und ausgezeichnete Künstlerin, wie Demoiselle L..., die Geschichte mit den sieben Hausschlüsseln auf sich bezogen hat. Wir erklären hiermit, daß es uns auch im Traum nicht einfallen konnte, Demoiselle L... damit zu meinen, übrigens wurde uns das Histörchen eingesendet.“ War vorher der Lärm nur unter dem Theaterpersonal groß, so machte jetzt die Geschichte in der Stadt und den benachbarten Orten, wo fast niemand wußte, was es mit den sieben Hausschlüsseln eigentlich für eine Bedeutung habe, ein ungeheures Aufsehen. Demoiselle L... hatte viele Feinde und besonders Neiderinnen, welche jetzt alle triumphierten, und zu spät sah die Ober- und Unterdirektion des Stadttheaters ein, welche Dummheit sie gemacht, diese Komödie aufführen zu lassen und mich noch obendrein zu einer solchen Erklärung aufzufordern.

Eine andere Sache, durch welche ich mir viele Feinde machte, unter denen auch die Mehrzahl meiner Anverwandten, die ich freilich nicht sehr schonend behandelte, war die Kasinofähigkeit. Nach den Gesetzen des Frankfurter Kasinos durften nämlich keine Kommis oder Buchhalter, keine Künstler, die Schauspieler oder Musiker waren, keine Juden und so weiter dasselbe betreten und noch weniger dessen Mitglieder werden. Kasinofähig waren nur Kaufleute ersten Ranges, Senatoren, höhere Angestellte in Frankfurt und dergleichen. Wollte man jemand als was Rechtes herausstreichen, so sagte man von ihm, statt es ist ein Ehrenmann: „er ist kasinofähig,“ und manche Personen, die sich anmeldeten, fielen durch, weil man sie für nicht reich oder vornehm genug hielt; dies war auch kürzlich einem Ehrenmann geschehen, den mehrere Kasinomitglieder vorgeschlagen hatten. Diese Gelegenheit hatte ich ergriffen, den kasinofähigen Herren ihre Albernheiten recht derb unter die Nase zu reiben, indem ich erzählte, wie jüngst ein Kaufmann seine Aufnahme durchgesetzt, weil er durch die Akten eines Prozesses dargetan, daß sein Großvater wirklich schon mit Schwefelhölzern gehandelt habe. – Als Iffland das letztemal in Frankfurt Gastrollen gab, war der Kasinoausschuß in großer Verlegenheit, was er zu tun habe, ob er dem großen Künstler eine Gastkarte schicken dürfe oder nicht, da die Kasinogesetze jedem Komödianten den Zutritt verweigerten. Endlich fiel einer der beratenden Herren auf folgenden Ausweg und schrie: „Wissen Sie was, meine teuren Kollegen, in Ifflands Person finden sich zwei verschiedene Naturen vereinigt, nämlich der Komödiant und dann der Generaldirektor der Königlichen Schauspiele zu Berlin; den ersten lassen wir weg, dem Generaldirektor aber schicken wir eine Gastkarte.“ „Bravo!“ rief man einstimmig, „das war ein kluger Gedanke, der uns aus aller Verlegenheit zieht.“ Man fertigte die Gastkarte aus und übersandte sie dem Herrn Generaldirektor, nachdem derselbe schon mehrere Tage in Frankfurt gewesen und schon einigemal aufgetreten war. Iffland, der die Frankfurter Kasinogesetze kannte und von der Sache unterrichtet war, schickte den Herren die Karte mit dem Bemerken zurück: „Er bedauere, keinen Gebrauch von derselben machen zu können, indem er keine Orte besuche, die seine Kameraden nicht betreten dürften, er sei auch Schauspieler; zwar habe er schon die Ehre gehabt, von fürstlichen Personen und selbst von seinem König zum Frühstück eingeladen worden zu sein, aber er gebe gern zu, daß ihn dies alles nicht berechtige, sich in Frankfurt für kasinofähig zu halten.“ Was machten die kasinofähigen Herren für Augen, als sie dies mit der zurückgeschickten Karte zu Gesicht bekamen, und welche, als sie die Geschichte in meiner Zeitschrift abgedruckt fanden! – Mit dem hohen Senat und der nicht minder hohen Polizei hatte ich es ohnehin schon längst verdorben, die Albernheiten, Gewalttätigkeiten und dummen Streiche derselben geißelnd. – Eines Tages war ich mit ein paar Damen nach Wiesbaden gefahren, und hörte, mit denselben hinter dem Kursaal auf- und abspazierend, wie ein daselbst sich zur Kur befindender Senator namens Lucius, den andere Kurgäste gefragt hatten, wer wir seien, denselben antwortete: „Wer werd’s sein, es sin anige von unsern Unertane, der än schreibt ä Zeitung.“ Natürlich gab dies wieder Stoff für mein Blatt und zum Lachen für meine Leser.

Es fehlte mir auch nicht an Mitteilungen der naiven Urteile, die über die verschiedenen Aufsätze in meiner Zeitschrift gefällt wurden. Da der Kastengeist oft herhalten mußte, so fragte einst ein junges Mädchen eine ihrer Bekannten, eine gewisse Jungfrau Jacobine B..., die sich in Bockenheim aufhielt und gern die Gelehrte spielte: „Mei, sag mer doch, Jacobinche, was is dann des ä Kastegeist?“ „Dumm Os,“ erwiderte die Gefragte, „was werd’s sei, ä Gespenst in ere Kist!“ Dieselbe Jacobine hatte einst im Theater einer Vorstellung von Schillers Kabale und Liebe beigewohnt, und bei der Stelle, wo Ferdinand, von der Milford sprechend, sagt: „Ich will hin zu ihr, will ihr einen Spiegel vorhalten,“ gefragt: „Ei, war se denn so garstig?“ Und als ihr jemand das Lied: „Hebe, sieh, in sanfter Feier,“ gebracht (sie miaute ein wenig, was sie singen nannte, und klimperte falsche Akkorde auf der Gitarre dazu), sagte sie: „Aber das Lied fängt doch dumm an, da steht: Hebe sie, aber nit, wen mer hebe soll.“

Unterdessen vermehrte sich die Zahl meiner Abnehmer so, daß mein Einkommen immer bedeutender wurde, denn die Zeitschrift wurde auch sehr viel in den umliegenden Städten wie Darmstadt, Mainz, Hanau, Wiesbaden, Heidelberg, Mannheim, Koblenz, Wetzlar und so weiter gelesen, wohin ich von Zeit zu Zeit kleine Reisen machte, um Stoff von dortigen Lokalitäten zu sammeln.

Meine Zeitschrift hatte damals eine solche Furcht in Frankfurt und auch bei der vornehmen Frauenwelt erregt, daß manche derselben, wenn sie mich auf den Promenaden von ferne kommen oder reiten sahen, schnell einen Seitenweg einschlugen oder sich hinter ein Gebüsch versteckten, und wenn man sie fragte, woher diese übertriebene Furcht? erwiderten sie: „Ja, wann mer ebbes Dummes schwätzt oder ebbes Albernes mächt, dann setzt der’s gleich in sein Blatt.“ – Da mir dies mehrmals wieder zu Ohren gekommen war, so ließ ich in einer Nummer abdrucken: „Diese Furcht sei durchaus unbegründet, denn, wenn ich all das dumme Zeug, das in Frankfurt geschwatzt oder gemacht wird, in meiner Zeitschrift abdrucken lassen wollte, so könnten mir alle Papiermühlen in ganz Deutschland nicht Papier genug liefern.“

Zu jener Zeit erhielt ich ein Schreiben von der Signora Catalani, worin diese mir meldete, daß sie zu der bevorstehenden Herbstmesse nach Frankfurt kommen und daselbst ein paar Konzerte geben wolle, ich möchte einstweilen Zimmer in einem Hotel für sie bestellen. Dies tat ich im Englischen Hof, und bald darauf kam die Signora mit ihren Kindern, aber ohne ihren Mann, auch ohne den dicken Burgmüller, nur ein alter adliger französischer Ehrenkavalier, Monsieur le Baron de Weber, begleitete sie. Da sie schon früher in Frankfurt gewesen und daselbst gesungen hatte, so gab ich ihr den Rat, jetzt die Eintrittskarten zu ihrem Konzert von einem Dukaten auf vier Gulden herabzusetzen, den sie auch befolgte, doch wollte sie deshalb auch nicht mehr als vier Gulden für jedes mitwirkende Glied des Frankfurter Orchesters bezahlen, die früher ebenfalls einen Dukaten erhalten hatten. Dies wollten sich aber die Herren durchaus nicht gefallen lassen, sie bestanden auf ihrem Dukaten, und der Kapellmeister der Frankfurter Oper, Guhr, riet ihnen, fest darauf zu beharren. Signora Catalani, die ihrerseits, wie wir wissen, ihr Köpfchen hatte, bestand auf den vier Gulden, und wollte lieber kein Konzert mehr in Frankfurt veranstalten als nachgeben. Ich dachte einen Augenblick über die Sache nach, und sagte dann zu der aufgebrachten Primadonna: „Beruhigen Sie sich, ich schaffe Ihnen ein treffliches Orchester.“ „Wie das?“ „Ich fahre nach Mainz und hole dort die für Ihr Konzert nötigen Virtuosen.“ „Glauben Sie, daß sie kommen werden?“ „Gewiß, nur muß man sich es etwas kosten lassen.“ „Gleichviel, es mag kosten, was es will, das Doppelte, das Dreifache, wenn wir nur den Frankfurter Musikern zeigen, daß wir auch ohne sie ein Konzert geben können, und ihrer nicht bedürfen.“ Ich ritt nun sogleich in vollem Trabe nach Mainz, nachdem ich der Catalani noch eingeschärft, durchaus niemand etwas von unserem Vorhaben merken zu lassen. In Mainz begab ich mich zu dem Kapellmeister des dortigen Theaters, engagierte ihn nebst fünfzehn Orchestermitgliedern für das bestimmte Konzert, und versprach, die Herren selbst am festgesetzten Tag früh genug abzuholen, um vorher noch die nötige Probe mit Madame Catalani halten zu können. Das Konzert war angekündigt, der Tag bestimmt, und die Frankfurter Orchesterherren glaubten ihre Dukaten schon in der Hand zu haben, denn ohne sie war nach ihrer Meinung das Konzert schlechterdings unmöglich; sie erwarteten jede Stunde die Einladung zur Probe, die – nicht kam. Als der Tag herangekommen, ritt ich in aller Frühe wieder nach Mainz, mietete daselbst vier Wagen und fuhr um zwei Uhr nachmittags mit meinen Virtuosen und ihrem Kapellmeister in den Englischen Hof ein, wo ihrer ein köstliches Mittagsmahl harrte, worauf probiert wurde. Zu dem Konzert hatte ich den Dickischen Saal im Roten Haus gemietet, und ehe es sechs Uhr war, die bestimmte Stunde zum Anfang, fuhr ich mit meinen Mainzern in den Hof des Roten Hauses und führte sie in ein Nebenzimmer des Saales, ohne daß sie jemand bemerkte. Den Kapellmeister Guhr hatte die Neugierde, um zu erfahren, wie sich dies Rätsel lösen werde, mit noch ein paar Virtuosen von seinem Orchester in den bereits überfüllten Saal getrieben, und statt die gehofften Dukaten zu erhalten, mußten auch sie den Eintrittspreis von vier Gulden bezahlen. Jetzt schlug es sechs Uhr, auftaten sich die Flügeltüren, welche in das Nebenzimmer führten, und aus demselben traten zwanzig Mann hoch der Mainzer Kapellmeister mit seinen Musici, ihre Instrumente in der Hand, und stellten sich an ihre Notenpulte. Wie rissen Guhr und seine Begleiter die Augen auf! „Den Streich hat uns wieder der verdammte Fröhlich gespielt,“ rief ersterer aus. „Ja, wäre es nur nicht gerade Messe, wir ließen die Herren sämtlich durch die hochlöbliche Polizei abführen,“ sagte ein anderer, „aber so ist Meßfreiheit, da darf jeder Landstreicher mit seiner Fiedel frei in unserer freien Stadt einziehen und den Leuten die Ohren voll geigen.“ Madame Catalani verweilte noch einige Tage in Frankfurt, und ich geleitete sie bei ihrer Abreise bis Mainz.

Unterdessen war das Projekt, Napoleons Befreiung zu bewirken, ziemlich vorgeschritten. Lord C... hatte zwei Mittel vorgeschlagen, den Exkaiser von St. Helena zu entführen. Das erste war vermittels eines Luftballons, an den man ein Schiffchen befestigen müsse, das zu gleicher Zeit im Wasser zu gebrauchen sei und eine Last von zwei Menschen tragen könne. Doch gab er diese Idee bald selbst wieder als unausführbar auf, da, wenn man auch die Unmöglichkeit, den Ballon zu leiten, nicht berücksichtigen wollte und das Steigen desselben auch nur bei Nacht tunlich war, wo man dann in der Höhe Laternen angezündet, so hätte der Ballon, vom Wind getrieben, ja leicht nach der entgegengesetzten Seite des zu seinem Empfang bereiten amerikanischen Schiffes steuern können, oder sich vielleicht gar wieder auf die Insel selbst niederlassen müssen. Das zweite Mittel bot keine dieser Schwierigkeiten. Es bestand darin, ein Boot konstruieren zu lassen, das mehrere Schuh tief unter dem Wasser gehe, und Raum für acht bis zehn Menschen habe. Dieses war auch schon in Amerika bei einem geschickten Mechanikus, der zugleich Kenntnisse von der Schiffsbaukunst besaß, bestellt und in Arbeit, das Modell dazu aber schon in London angekommen, und man hatte damit vollkommen genügende Versuche gemacht. Vermittels eines angebrachten Räderwerkes konnte man die Maschine nach Belieben tiefer oder höher unter die Oberfläche des Wassers bringen und durch Einhaken das fernere Sinken oder Steigen des Bootes verhindern, so daß es in der Tiefe, in der es sich befand, vermittels anderer ruderartiger Räder ohne große Anstrengung mit einer ziemlichen Schnelligkeit horizontal fortbewegt werden konnte. Die Sache war nun schon so weit gediehen, daß ich mich zur baldigen Abreise nach London anschicken konnte, wo ein Schiff mit solchen Waren beladen werden sollte, die England nach Ostindien exportiert, wie Eisen, Zinn, Woll- und Manufakturwaren und so weiter. Lord C... hatte selbst eine Reise nach den Vereinigten Staaten gemacht, um daselbst einstweilen die nötigen Vorkehrungen zu treffen und Schiffe von verschiedener Größe auf längere Zeit zu mieten, die dann später in einer gewissen Entfernung von Sankt Helena kreuzen, sich einander ablösen und eine beständige Kommunikation mit Amerika unterhalten sollten. Ehemalige französische Marineoffiziere, die sich in den Vereinigten Staaten oder in dem sogenannten Champ d’Asyle befanden, sollten sie befehligen. Schon war alles so weit bereit, daß meine Abreise nach England und von da nach Ostindien festgesetzt war, als einige Wochen früher die offizielle Nachricht von Napoleons erfolgtem Tode eintraf. Mit ihr waren alle unsere Projekte, Pläne und Vorkehrungen zu Wasser geworden, und schon sehr bedeutende Summen vergebens verschwendet.

Mit dem Frühling dieses Jahres hatte ich mein Hauptquartier in Offenbach aufgeschlagen, wo noch immer ein heiteres und geselliges Leben herrschte, wenn auch mehrere Häuser, wie Bernhards und d’Orvilles, sehr zurückgekommen waren. Diese hatten gerade damals noch an dem Weinlandschen Prozeß zu laborieren, der endlich durch einen Vergleich, bei welchem diese Tabaksfabrikanten für ihre jetzigen Verhältnisse schwere Opfer bringen mußten, beseitigt wurde. Auch die Maskenbälle waren bei weitem nicht mehr das, was sie früher, sondern sehr ins Gemeine ausgeartet, dagegen wurden mehrere geschlossene auf Subskription veranstaltet, die schön und glänzend waren. Auf einem derselben wechselte ich siebenmal das Kostüm, um meine guten Frankfurter desto besser intrigieren zu können. Aus einem Zuckerhut schlüpfte ich als Figaro, aus einem Eremiten verwandelte ich mich in Ritter Roland und so weiter. – Noch früher, als ich nach Offenbach gezogen war, hatte ich Seiner Durchlaucht dem Fürsten Y..., der sich damals in Birstein aufhielt, einen Besuch daselbst gemacht, aber Höchstdieselbe in den allerpitoyabelsten Umständen gefunden, krank und schachmatt an Leib und Seele, und die Krankheit von so böser Art, daß es unmöglich war, länger als ein paar Minuten in der verpesteten Stubenluft auszuhalten. Der Fürst war durch den Wiener Friedenskongreß mediatisiert worden; seine zahlreichen Gläubiger hatten sich jetzt alle gemeldet und hörten nicht auf, ihn zu bestürmen. Mit einem jämmerlichen Armensünder-Gesicht geruhten Seine Durchlaucht, mich von ihren schrecklich fatalen Umständen zu unterhalten, und endigten damit, daß ihm hoffentlich seine unbarmherzigen Gläubiger noch so viel lassen müßten, daß er wenigstens eine Suppe und ein Stückchen Rindfleisch essen könne. – „Auch noch etwas mehr,“ tröstete ich den armen Mann, der mir in der Tat Mitleid einflößte, war aber doch froh, als ich mich beurlaubend wieder entfernt hatte und frische Luft atmete. Wenig Monate darauf starb er, erst 55 Jahre alt.

In Offenbach wohnte damals ein Mensch, der sich Broli nannte und eine Art Cagliostro im Kleinen war. Er besaß wie jener die Gabe und das Talent, alle Einfaltspinsel, Schwach- und Dummköpfe, besonders weibliche, so von sich einzunehmen, daß sie einen von Gott gesandten Propheten in ihm sahen, ihn als einen solchen verehrten und ihm den letzten Groschen, das letzte Hemd vom Leibe gaben, wenn er es verlangte. Dieser Mensch, dessen eigentlicher Name Bernhard Müller war, hatte sich in äußerst dürftigen Umständen und in Gesellschaft zweier feilen Dirnen in Offenbach niedergelassen, wo alle drei die Rollen frommer Schwärmer spielten. Müller hatte sich früher in Aschaffenburg, Regensburg und eine Zeitlang in England herumgetrieben, durch seine Heuchelei fromme Pietisten und Pietistinnen gehörig zu prellen verstanden und sich den Namen Broli beigelegt. Plötzlich aber hatte er das gastfreie England wegen seiner an den Tag gekommenen Betrügereien verlassen müssen, sich dann nach Stuttgart und Würzburg geflüchtet, von wo er wegen daselbst verübter Gaunereien wieder flüchtig werden mußte, sich nach Offenbach begab und arm wie Hiob daselbst ankam. Bald aber gelang es ihm, die Bekanntschaft einiger sehr reichen Pietistenfamilien in Frankfurt, namentlich Häusers und Zickwolfs, zu machen, welche den überfrommen Mann so reichlich mit Geld bedachten, daß derselbe bald instand gesetzt wurde, ein wahrhaft sardanapalisches Leben in Offenbach zu führen. Wie es derselbe verstand, sich bei dummen Frömmlingen einzuführen und als Prophet geltend zu machen, mag folgendes Pröbchen beweisen. Als er der Madame Häuser in deren Wohnung vorgestellt wurde und die Frau zum erstenmal erblickte, kreuzte er die Arme über die Brust, verdrehte die Augen, gen Himmel blickend, und rief aus: „Großer Gott, was sehe ich, dies ist das leibhaftige Gesicht, das du mir so oft als reine Jungfrau, als himmlischen Engel bei meinen mitternächtlichen Gebeten hast erscheinen lassen.“ Jetzt warf sich der Mann Gottes vor der Dame auf die Knie und sagte: „Reiner Engel Gottes, ich bete dich an, du bist eine der Gebenedeiten des Herrn, Heil und Segen ist mit dir.“ Jede vernünftige Frau würde den Menschen für einen Tollen gehalten und zur Türe haben hinauswerfen lassen. Dies tat aber Madame Häuser nicht, deren schwache Seite Müller längst erforscht hatte, sondern sie hob den Mann liebreich auf, war entzückt von ihm, händigte ihm noch in derselben Stunde mehrere tausend Gulden zu frommen Zwecken ein, und vermochte alle ihre Verwandten und Bekannten, die Pietisten waren, sowie die Familie Zickwolf, dem groben Betrüger ungeheure Summen, immer zu frommen Zwecken, zu geben, die derselbe in Offenbach auf einem prächtigen Landgut, das er daselbst erstanden, in den schamlosesten Orgien verpraßte, bei denen seine eingeweihten Helfershelfer und liederliche Dirnen nackend allerlei Tänze und so weiter aufführten. Aber mit großer Ostentation spendete er viel Almosen an die Offenbacher Armen, um sich bei den Einwohnern beliebt zu machen und von den Behörden geduldet zu werden. Nichts vermochte, den Betrogenen die Augen zu öffnen, nichts half es, ihnen die klarsten Beweise der Betrügereien des Gauners zu liefern, sie waren und blieben so verblendet, daß sie alles nur für Verleumdung gegen den von Gott zur Rettung der Menschheit gesandten Mann hielten, und ihm, nachdem er es zu bunt gemacht und von der Darmstädter Regierung gezwungen wurde, auch Offenbach wieder zu verlassen, mit den Rudera ihres Vermögens nach Amerika folgten, wobei er ihnen verkündigt hatte, daß eines der mitreisenden Mädchen, das bereits in der Hoffnung war, unterwegs einen neuen Sohn Gottes gebären würde! – Daß alle und er selbst in Amerika ins größte Elend und Unglück kamen und Broli auf dem Mississippi sein Leben endete, ist bekannt.

Noch hielten sich mehrere Polacken in Offenbach auf, die mit dem sogenannten Polackenfürsten gekommen waren und nun ein sehr eingezogenes Leben daselbst führten. Das Mysteriöse dieser Fremdlinge hatte sich jetzt auch so ziemlich aufgeklärt und viel Ähnlichkeit mit Müllers Treiben gehabt. Der sogenannte Polackenfürst, der im Jahre 1788 schon nach Offenbach mit einem großen Gefolge prächtig gekleideter und bewaffneter Leute gekommen, er hatte sogar eine Leibwache von mehr als siebzig Mann, in kostbare Uniformen gekleidet, mitgebracht, von denen immer zwei an seiner Wohnung Schildwache standen, und den zwölf in Rot, Grün und Gold gekleidete Ulanen mit langen Piken begleiteten, wenn er in seiner reichen Karosse, mit vier schönen Schecken bespannt, ausfuhr, war nichts als ein polnischer Jude namens Dobrusky, der sich zuerst hatte taufen lassen, dann eine eigene Sekte stiftete, die da glaubte, daß Gott bald als Mensch verkörpert erscheinen würde, und ihn endlich selbst für den auf Erden verkörperten Gott hielt. Er hatte zuerst mit gleichem Prachtaufwand in Brünn und Wien gelebt, von wo er endlich ausgewiesen worden war, und sich nach Offenbach begab, wohin ihm seine Gläubigen aus Polen, Böhmen, Mähren, der Lausitz und so weiter fortwährend ungeheure Geldsummen übermachten. In schweren Fässern kam das Gold und Silber an. Alle seine Umgebungen verehrten den Betrüger wie einen Gott und hielten ihn für unsterblich. Auch er gab ungeheure Almosen an die Armen. Als er aber endlich doch starb, da war die Betrübnis groß unter seinen Zurückgebliebenen. Dennoch wurde ihm ein fast königliches Leichenbegängnis zuteil, und nahe an tausend Personen, alle prächtig geschmückt, folgten seiner Leiche, heulten und jammerten, daß es hätte Steine erbarmen mögen. Diese Betrübnis mag sehr aufrichtig gewesen sein, denn mit dem Aufhören seiner Unsterblichkeit hörten auch bald die Geldsendungen auf und die Not begann. – Offenbach war von jeher und bis auf die neueste Zeit ein von Schwärmern, Frömmlingen und ihren dummen Kreaturen gesuchter Aufenthalt. Das Warum ist mir nie recht klar geworden, da im allgemeinen die Einwohner ein ziemlich nüchterner und vernünftiger Menschenschlag sind. Das nahe geldreiche Frankfurt aber mag wohl der Hauptmagnet sein.

Da ich damals das Frankfurter Theater seltener besuchte und die Abende lieber im Freien, nach Bergen, Wilhelmsbad, Berkersheim, Seligenstadt und so weiter reitend, zubrachte, als mich in dem immer mit einer verpesteten Luft geschwängerten Haus drei Stunden aufzuhalten, so hatte ich mit dem das Orchester dirigierenden Kapellmeister abgemacht, daß er mir hauptsächlich die Opernkritiken für meine Zeitschrift liefern möge. Da diese nun mit außerordentlicher Sachkenntnis geschrieben waren und bis in die kleinsten Details der Exekution gingen, auch nicht ganz unparteiisch waren und man mich oft nicht im Theater sah, so hatte das Theaterpersonal bald Verdacht hinsichtlich des wahren Verfassers, und fand es abscheulich, daß ein Mitglied des Institutes dasselbe so kritisiere. Eines Morgens, nachdem sich wieder ein ausführlicher Artikel über die letzten Operndarstellungen in der Zeitschrift befunden hatte, vereinigte sich ein Teil der Sänger und Schauspieler während der Probe, um nach Beendigung derselben sogleich zu mir nach Offenbach zu fahren, um über den Namen des Verfassers dieser Kritiken von mir Gewißheit zu erlangen, und versicherten, ehe sie abfuhren, ihren Kameraden auf ihr Wort, sie würden nicht zurückkommen, ohne den Namen schwarz auf weiß mitzubringen. – Es war kurz vor Essenszeit, als es an meinem Zimmer im Isenburger Hof klopfte, und auf mein „Herein!“ trat der Schauspieler Henkel ein. Kaum hatte ich diesen gefragt, was mir das Vergnügen seines Besuches zuziehe, so trat auch der Sänger Dobler, nach diesem der Tenorist Kastner, und so weiter, in allem sieben Mann, in das Zimmer, deren Sprecher mir nun rund heraus erklärte: sie seien gekommen, um von mir den Namen des Verfassers der Opernrezensionen zu erfahren, und als ich ihnen darauf erwiderte, ich könne hierauf keine andere Antwort geben, als daß ich die ganze Verantwortlichkeit derselben auf mich nehme, sagte Herr Henkel: „Damit können wir uns nicht begnügen. Wir müssen durchaus wissen, wer sie schreibt, und werden nicht eher Offenbach verlassen, als bis wir dies schriftlich von Ihnen haben, denn wir gaben unseren Kameraden in Frankfurt das Wort, es schwarz auf weiß mitzubringen.“ „Das bedauere ich sehr, meine Herren, denn ich gebe Ihnen mein feierliches Ehrenwort, daß Sie ohne dieses Offenbach verlassen oder meinetwegen ewig hier bleiben werden.“ „Das wollten wir doch sehen,“ meinten die Herren, „da gibt es noch Mittel,“ und so weiter, und nahmen nun eine drohende Haltung und Miene an. Ich aber griff nach meinem neben mir hängenden Jagdgewehr und sagte mit starker Stimme: „Dies ist also auf einen meuchlerischen Überfall abgesehen, wo Notwehr zur Pflicht wird. Wer von Ihnen noch einen Schritt weiter tut, dem jage ich die Posten ins Gehirn!“ (Notabene, das Gewehr war nicht geladen), und meine beiden Hunde schlugen an. Die Herren sahen sich jetzt bestürzt an, in demselben Augenblick ging meine Stubentüre auf und mein Reitknecht und der Wirt, Herr Ziegler, traten ein und fragten, was es da gebe. „Nichts,“ erwiderte ich lachend, „die Herren sind Schauspieler und haben hier nur so eine Art Probe halten wollen.“ Alle standen nun ganz beschämt, wie ausgezischte Schauspieler, da. Ich aber sagte zu Herrn Ziegler: „Belegen Sie noch sieben Kuverte an der Tafel, die Herren sind sämtlich meine Gäste. Nicht wahr, meine Herren, Sie nehmen doch die Einladung an? Damit Sie sich nicht ganz umsonst nach Offenbach bemüht haben, erzeigen Sie mir die Ehre?“ Sie murmelten nun ein allerlei unverständliches Durcheinander, von zuviel Ehre, nicht annehmen können und so weiter, dem ich ein Ende machte, indem ich sagte: „Zu Tisch, meine Herren, man hat bereits serviert, nicht wahr, Herr Ziegler?“ „Freilich, die Suppe steht schon auf dem Tisch.“ „Wohlan, so lassen Sie uns gehen.“ Ich öffnete nun die Türe und bat sie, mich in den Speisesaal zu begleiten, wo wir noch einige Fremde fanden. Anfänglich war die Unterhaltung, so sehr ich sie auch zu animieren suchte, ziemlich einsilbig. Nachdem jedoch einige Flaschen geleert waren und auch noch Champagner geperlt hatte, wurden die Herren gesprächiger und endlich sehr munter. Nach Tisch bequemten sie sich bald zur Heimfahrt, baten mich aber dabei dringend und mit Armensündergesichtern, ich möchte doch ja nichts von diesem Vorfall in meiner Zeitschrift erwähnen, was ich ihnen auch versprach. Als sie nach Frankfurt zurückkamen und von allen Kameraden gefragt wurden: „Nun, habt Ihr’s, wer ist’s? Heraus damit!“ standen sie wieder wie ausgezischte Komödianten da, und mußten noch oft bei den Proben hören: „Nun, wann fahren wir wieder nach Offenbach, den Namen des Opernrezensenten zu holen?“

Ungefähr um dieselbe Zeit gastierte die Sängerin Canzi in Frankfurt, die bei einer silberreinen, glockenhellen Sopranstimme eine außerordentliche Kehlenfertigkeit hatte, und mit ihrem Ziehvater, einem pensionierten österreichischen Major und dessen Frau Kunstreisen machte, wo sie überall außerordentlich gefiel. Der Major, welcher frühzeitig das Talent des jungen Mädchens wahrgenommen, hatte ihr ein paar Jahre Gesangunterricht erteilen lassen und sich dann mit ihr auf Reisen gemacht, um zu ernten, was er gesät. Die Ernte fiel auch so reichlich aus, daß sich der gute Mann nach einem Jahrzehnt vollkommen mit dem Erworbenen in den Ruhestand setzen konnte, und dann sein Pflegekind, das bei dem Stuttgarter Hoftheater eine gute Anstellung erhielt, seinem weiteren Schicksal überließ. Damals war gerade ein großer Teil des Hessen-Darmstädtischen Städtchens Bentheim abgebrannt. Ich veranstaltete eine musikalische Abendunterhaltung zum Vorteil der armen Abgebrannten im Offenbacher Theater, welches der Wirt Schlosser, der es in Pacht hatte, gratis dazu hergab, und bat Demoiselle Canzi, dabei mitwirken zu wollen, was sie mir auch sogleich mit der größten Bereitwilligkeit zusagte. Sodann hatte ich mehrere Dilettanten vermocht, ein zweiaktiges Vaudeville, ‚Der moderne Don Juan‘ betitelt, das ich geschrieben, zu diesem Zweck einzustudieren. Das Ganze hatte den besten Erfolg und brachte eine sehr ergiebige Einnahme. Viele Frankfurter waren zu der Vorstellung gekommen, von denen mehrere in der Absicht, um sich zu rächen, dieselbe störend unterbrechen wollten. Als nun das Vaudeville begann, in dem ich die Titelrolle übernommen hatte, fingen sie im Parterre an, zu stampfen, zu treten und Lärm zu machen. Mehrere Offenbacher aber verstanden den Spaß übel und warfen die ungeschliffenen Herren zur Türe hinaus, worauf die Vorstellung ihren ungestörten Fortgang hatte und mit großem Beifall endigte. Ein fröhliches Bankett im Isenburger Hof machte den Beschluß.

Schon seit längerer Zeit war mir Metternichs kurzsichtige Politik und sein ganzes widersinniges System, das nimmermehr ein gutes Ende nehmen konnte, in hohem Grad zuwider. Weit entfernt, ein unsinniger Demagoge zu sein, mochte ich ebensowenig ein solches Stockregiment, wie das österreichische war, leiden, während man in Preußen längst in hohem Grad liberal und human war. – Die Bedingung, unter welcher mir die Konzession zu meiner Zeitschrift gegeben worden, war, daß ich mich durchaus aller Politik enthalten müsse. Ich durfte also nichts, was einen politischen Anstrich haben konnte, in derselben aufnehmen. Dagegen gab ich öfters lithographierte Beilagen, meistens Karikaturen, die wohl an das Politische streiften. So hatte ich das unselige Papierwesen und die Anleihen, die Börsenspiele und so weiter, schon scharf genug auf diese Weise bezeichnet. Jetzt aber fiel es mir ein, den staatsklugen Metternich samt seinen Helfershelfern mit unverkennbaren Attributen zu zeichnen und alle auf einem großen Krebs reiten zu lassen, der rückwärts gehend, sich an dem Rand eines tiefen Morastes befand. – Dies war denn doch zu toll. Es kamen Reklamationen von Wien, der Bundestag mischte sich darein, und eines Morgens ward ich plötzlich auf das Amt in Offenbach beschieden, wo mir eröffnet wurde, daß meine Zeitschrift auf höheren Befehl verboten sei. Noch hatte ich von Glück zu sagen und es einer besonderen Fürsprache zu verdanken, daß ich nicht wenigstens auf sechs Wochen die hessische Festung Rokenburg besuchen durfte. – Groß war der Jubel und die Freude, als dies Verbot in Frankfurt bekannt wurde. Meine zahlreichen Feinde wünschten sich gegenseitig Glück, man begrüßte sich auf den Straßen, sich die große Neuigkeit zurufend, und wenig fehlte, daß nicht ein hoher Senat ein Festessen diesem Ereignis zuliebe veranstaltet hätte. Aber die Freude sollte nicht von sehr langer Dauer sein, wie wir bald sehen werden. Ich machte gleich nach dem Verbot eine Rheinreise bis Köln mit einer sehr lustigen Gesellschaft von Offenbachern und mehreren Damen. Wir hatten zu diesem Zweck in Mainz eine eigene Jacht gemietet, einen Flügel und mehrere andere Instrumente, Feuerwerk und Fackeln, nebst allerlei Mundvorrat eingeschifft, so daß die Fahrt eine äußerst unterhaltende werden sollte. Ich hatte dafür gesorgt, daß sich unter den Damen meine intimsten Bekannten in Offenbach, wie die Hofrätin M..., Annchen F..., Delphine A..., sowie Fanny M... aus Frankfurt und so weiter befanden. Am Fahrtor zu Frankfurt bestiegen wir die Jacht und brachten die erste Nacht in den ‚Drei Reichskronen‘ in Mainz zu. Den anderen Morgen fuhren wir weiter, landeten aber allenthalben, wo es etwas zu sehen gab, eine Ruine zu besteigen, ein Ort oder ein Schloß zu besuchen war, bei welcher Gelegenheit immer romantische Spaziergänge gemacht wurden, und sich manches Pärchen, unter denen auch ich, über die Gebühr in den Felsen, Ruinen oder Gebüschen verirrte. So kamen wir den ersten Tag, wo wir im Garten zu Bibrich und auf Schloß Johannisberg lange verweilt hatten, nicht weiter als bis Bingen, den zweiten bis Sankt Goar, den dritten noch nach Boppart, den vierten nach Koblenz, wo wir drei Tage verweilten, einen Abstecher nach Ems machten, dann nach Neuwied, Andernach, Bonn und so weiter, und erst den zwölften Tag in Köln an. Wir waren meistens vom schönsten Wetter begünstigt, bestiegen die Bergruinen abends beim Mondenschein, ließen Sang und Hörnerklang bei Fackelschein in denselben erschallen, die Geister ihrer modernden Bewohner zu erfreuen, und Raketen steigen. Unterwegs, in Koblenz, Bonn und Köln, schrieb ich in den frühesten Morgenstunden mehrere pikante und satirische Artikel über Frankfurter Zustände, die ich: ‚Aus dem Nachlaß der verblichenen Offenbacher Zeitung‘ überschrieb, welche vollkommen geeignet waren, die übermäßige Freude der guten Frankfurter über das Verbot derselben zu mäßigen, da ich sie in den am Rhein erscheinenden Blättern abdrucken ließ und zu vielen Hunderten zur Verteilung nach Frankfurt schickte. Nachdem wir uns auch in Köln und seinen Kirchen, besonders dem Dom, gehörig umgesehen, auch den elftausend Jungfrauen in Sankt Ursula einen Besuch gemacht hatten, traten wir vergnügt die Rückreise über die Taunusbäder an und kamen nach einer Abwesenheit von ungefähr drei Wochen wieder glücklich nach Frankfurt und Offenbach. Hier war während derselben zu meiner Verwunderung ein neues Blatt entstanden, das den Titel ‚Offenbacher Unterhaltungsblätter‘ führte, welches mein Buchdrucker, ein gewisser Hauch, auf seine eigene Faust herauszugeben sich unterfangen und an alle Abonnenten meiner Zeitschrift gesandt hatte, diese zu vertreten. Dieser Hauch, der höchstens ein mittelmäßiger Setzer war und in seiner Jugend in Offenbach Gänse hütete, hatte den bekannten Doktor Pfeilschifter gebeten, ihm bei der Redaktion des Blattes zur Hand zugehen. Aber das ganze Unternehmen ging um so schneller den Krebsgang, meine Abonnenten wollten nichts davon wissen, und als ich mich mit dem Eigentümer einer Frankfurter politischen Zeitung verband und diesen vermochte, derselben eine belletristische Beilage beizugeben, da fiel das Hauchsche Unternehmen zusammen. Um diese Zeitung und ihr Beiblatt schnell zu heben, machte ich eine Reise auf vierzig bis fünfzig Stunden im Umkreis, bis Karlsruhe auf der einen und Köln auf der anderen Seite, und als ich meine Tour geendet und nach Frankfurt zurückkam, fand ich zu meiner großen Satisfaktion, daß sich die Zahl der Abonnenten dieser Zeitung während meiner Reise schon um zwölfhundert vermehrt hatte. Von allen Orten, wo ich hinkam, sandte ich sogleich möglichst pikante Artikel über die neuesten Vorfälle in denselben nach Frankfurt ein, die auf der Stelle abgedruckt werden mußten, und dann von der Nummer, in welcher sie standen, nach der Größe des Ortes, aus welchem sie datiert waren, viele hundert Exemplare per Post dahingeschickt wurden, die ich selbst allda verteilen ließ. Dieses Manöver war über alle Erwartung geglückt, und die Zeitung nahm fortwährend außerordentlich an Abonnenten zu, deren sie bald an fünftausend zählte, was mir sehr wohl zu statten kam, da ich verhältnismäßig dafür honoriert wurde, und als das Verbot meiner Zeitschrift erschien, meine Finanzen sich eben nicht im besten Zustand befanden, ich auch wenigstens ein paar tausend Gulden laufende Schulden hatte. Dies war bei der Lebensart, die ich geführt, und den Geschenken, die ich an viele Damen gemacht, kein Wunder, obgleich ich noch bedeutende Honorare durch meine Arbeiten in französischen Journalen nebenher erhielt. Ein guter Rechenmeister war ich nie gewesen, glücklicherweise wußte ich aber die Defizits durch gut berechnete Unternehmungen immer wieder zu decken. Ein ganz besonderes Ereignis machte, daß sich damals meine Ausgaben noch gewaltig mehrten.

Es war in der Frankfurter Herbstmesse, als ich die Buden auf dem Paradeplatz mit ihren Sehenswürdigkeiten besuchte, um Bericht über dieselben abstatten zu können. Unter diesen befand sich die Menagerie eines gewissen Tourniaire, Bruders des bekannten Kunstreiters dieses Namens, der auf seinem Anschlagezettel angekündigt hatte: Zwei ganz junge, sehr schöne Zirkassierinnen von siebzehn und achtzehn Jahren würden die Riesenschlangen seiner Menagerie dem Publikum vorzeigen. Die beiden jungen Mädchen, die auf beiden Seiten eines bärtigen, wildaussehenden Mannes standen, waren wirklich schön und in der ersten Jugendblüte. Besonders aber war die eine, welche die ältere schien, eine vollendete Schönheit, mit einem unvergleichlichen seelenvollen Ausdruck im Auge und Angesicht; dabei fiel ihr ein rabenschwarzes Seidenhaar auf die nackten Schultern bis zu den Knien herab. Ihr Körperbau war äußerst zart und zierlich. Die andere hingegen hatte, was die Franzosen la beauté du diable nennen, Jugendfrische, hochrote Wangen und ziemlich derbe Glieder, war dunkelblond und manipulierte die Schlangen ganz ungeniert, während die ältere, so lange diese Tiere gezeigt wurden, sichtbar zitterte und eine Art Fieberschauer hatte, bis sie abtrat. Da mich die Mädchen, besonders die ältere, sehr angesprochen und interessiert, so erkundigte ich mich, wo die Leute wohnten, und nachdem ich erfahren hatte, daß sie bei Günther im Pariser Hof logierten, traf ich sie nach mehreren vergeblichen Gängen endlich eines Abends sehr spät in dem allgemeinen Gastsaal, wo die Mutter mit ihren beiden Töchtern ganz europäisch ein sehr bescheidenes Abendbrot einnahm. Ich ließ mich mit den Leuten in ein Gespräch ein; sie schienen mir aber verlegen und ängstlich. Die Kinder sprachen ganz geläufig österreichisches Deutsch, die Mutter französisch mit dem normännischen Akzent. Während ich mich so mit ihnen unterhielt und sie schon anfingen, zutraulicher zu werden, trat plötzlich der Menageriebesitzer Tourniaire in den Saal, worüber sie gewaltig zu erschrecken schienen und zusammenfuhren. Er ging sogleich auf den Tisch zu, an dem wir saßen, und sagte zu der Frau: „Madame, il est temps d’aller se coucher.“ Sie machten auch sofort Anstalt, diesem Befehl zu gehorchen, und als sie aufbrachen, begleitete sie Tourniaire bis an die Türe, im Vorübergehen flüsterte mir jedoch das älteste Mädchen halbleise und mit einem fast flehenden Blick zu: „Mein Herr, werden wir Sie nicht wiedersehen?“ worauf ich, ihr eine gute Nacht wünschend, ein bejahendes Zeichen zunickte. Den anderen Tag ging ich gegen Mittag wieder in die Menagerie, wo ich indessen nur das jüngste Mädchen mit dem bärtigen Mann die Schlangen zeigen sah, und auf mein Befragen bei der Mutter, die wieder am Eingang saß, erfuhr, daß die ältere unwohl im Bette hätte bleiben müssen. Ich ließ mich mit der Frau tiefer in ein Gespräch ein, die mir jetzt mitteilte, daß sie die Witwe eines österreichischen Hauptmanns namens Peche, sie selbst aber aus der Gegend von Rouen sei, wo ihr Vater Gutsbesitzer gewesen, aber in der Revolution alles verloren hätte. Ihr Mann habe kurz vor seinem Tod seine Stelle verkauft, worauf sie mit den Kindern nach Prag gezogen und während den Sommermonaten einen Laden mit Modewaren in Karlsbad gehabt, wo sie aber keine Fortune gemacht. Wie sie mit ihren Kindern an Tourniaire gekommen, wolle sie mir ein anderes Mal erzählen, da dies zu umständlich sei. Nur so viel könne sie mir noch mitteilen, daß sie und die Kinder sich sehr unglücklich fühlten und in einer peinlichen Lage befänden. Ich bezeigte Teilnahme an ihrem Schicksal und versprach der Madame Peche, mich ihrer anzunehmen, worauf die Frau freundlich dankend einging und was sie zu trösten schien.

Noch einige Male besuchte ich die Menagerie, in welcher die hübschen Schlangenmädchen figurierten, bekam aber die ältere nicht mehr zu sehen, die, wie mir Madame Peche sagte, jetzt einen solchen Abscheu vor den Tieren habe, daß, als man ihr die ungeheure Boa das letztemal um den Hals hängen wollte, sie Konvulsionen bekommen hätte. „Morgen reisen wir nach Köln ab,“ sagte Madame Peche, „wollen Sie Therese“ (so hieß das schöne Mädchen) „noch einmal sehen, so besuchen Sie sie auf ihrem Zimmer.“ Ich ließ mir dies nicht zweimal sagen, eilte zu ihr und fand sie sehr niedergeschlagen und angegriffen. Ich unterhielt mich ziemlich lange mit ihr, und sie ergänzte die mir von der Mutter schon gemachten Mitteilungen, indem sie sagte, daß, nachdem das Karlsbader Geschäft verunglückte, sie und ihre Schwester ein paar Monate als Choristinnen bei der Bühne zu Prag gestanden, wo sie Tourniaire auf dem Theater gesehen, sich nach ihnen erkundigt, und als er erfahren, daß die Mutter eine Französin sei, derselben unter dem Vorwand der Landsmannschaft einen Besuch gemacht und, ihre dürftigen Umstände kennen lernend, ihr endlich den Vorschlag getan habe, daß sie samt den beiden Mädchen ihr reichliches Brot bei ihm finden sollten, wenn sie sich bequemen würden, mit ihm zu reisen. Sie habe dann nur die Kontrolle an der Kasse seiner Menagerie zu führen und die Billette abzunehmen; für die Mädchen werde er auch sorgen und ihnen eine passende Beschäftigung geben. Madame Peche hatte diesen Vorschlag sogleich mit Vergnügen angenommen und verkaufte, was sie noch an Mobilien hatte. Tourniaire gab ihr einiges Geld; sie folgte ihm wenige Tage nach seiner Abreise von Prag mit ihren Töchtern und wurde anfänglich sehr gut aufgenommen. Als aber der schon ziemlich bejahrte grauköpfige Führer der wilden Bestien allzu zärtliche Absichten auf Therese blicken ließ, die einen wahren Abscheu gegen ihn empfand, und von ihr verächtlich zurückgewiesen worden war, da zog er andere Saiten auf. Die Familie, die jetzt ganz in seinen Händen, ohne Schutz und Hilfe war, Madame Peche hatte zwar noch einen älteren Sohn von ungefähr achtundzwanzig Jahren, der jedoch ein völliger Taugenichts und gemeiner österreichischer Soldat war, mußte tun, was er wollte. Madame Peche wurde Billetteinnehmerin und ihre Töchter mußten als Pseudo-Zirkassierinnen die Schlangen zeigen. „O Gott, wenn uns nur jemand aus dieser schrecklichen Lage befreien wollte, auf den Knien würden wir es ihm danken,“ schloß Therese ihren traurigen Bericht.

„Leider hörte ich von Ihrer Mutter, daß Sie morgen schon abreisen werden,“ versetzte ich, „die Zeit ist zu kurz, um bis dahin noch etwas Entscheidendes unternehmen zu können, aber seien Sie ruhig, liebes Kind, ich werde Ihnen in wenig Tagen nach Köln folgen und Sie dann aus dieser Lage befreien.“ Mit halb zweifelhaften, halb erkenntlichen Blicken sah mich das schöne Mädchen an, der ich nochmals versicherte, daß es keine leeren Worte seien, was ich sage, sie bat, sich vertrauensvoll auf mich zu verlassen, und ihr versprach, daß sie mich in möglichst kurzer Zeit wiedersehen werde. Hierdurch getröstet, nahm sie mit Tränen in den Augen Abschied von mir und nach einem langen Kusse entfernte ich mich.

Da ich im Interesse der von mir redigierten Zeitschrift abermals eine Rundreise zu machen vorhatte, um Stoff für dieselbe zu sammeln und einige Korrespondenten zu gewinnen, da die erbärmliche Frankfurter Zensur alles strich, was auch nur die entfernteste Beziehung auf Frankfurter Behörden, Verwaltung und die städtischen Zustände überhaupt haben konnte, so mußte ich wohl das Blatt ganz mit auswärtigen Berichten zu füllen suchen. Sogar an den Rezensionen über die Frankfurter Bühne vergriff sich der erbärmliche Rotstift, und erst, nachdem ich dem Zensor gedroht, daß ich die von ihm gestrichenen Stellen in auswärtigen Blättern als von ihm gestrichen abdrucken lassen würde, unterließ es der Jammermann.

Die beabsichtigte Reise konnte ich nicht so schnell, als ich es gewünscht, unternehmen, da ich als Zeuge in eine polizeiliche Sache verwickelt war, die meine Gegenwart in Frankfurt erheischte. Bei dem Hepp-Hepp-Krawall gegen die Juden, der vor mehr als einem Jahr früher stattgefunden, waren ein paar dieser Kinder Israels, als sie, nach Offenbach flüchtend, nahe dem Frankfurter Wald vorüberkamen, durch einige Frankfurter Hauderersknechte derb abgeprügelt worden, und wären vielleicht auf dem Platz liegen geblieben, wäre ich nicht zufällig dazugekommen und hätte die Unglücklichen durch Bitten, Drohungen und Versprechungen aus den Händen der Barbaren befreit. Die Sache wurde erst jetzt verhandelt und untersucht. Sobald ich aber abgehört war, machte ich mich auf die Reise und ging zuerst nach Mannheim und Speier.

Als ich ein paar Tage darauf in Bonn ankam, erblickte ich sogleich an den Straßenecken die Anschlagezettel von Tourniairs Menagerie. Ich eilte auf der Stelle dahin und fand Therese allein an der Kasse sitzend. Als sie mich erblickte, sprang sie, freudig in die Hände schlagend, auf und rief aus: „Ach, so haben Sie doch Wort gehalten, das ist schön von Ihnen.“ Sie erzählte mir nun, daß ihre Mutter krank in Köln sei, wo sich auch ihre Schwester Toni und Tourniaire in diesem Augenblick befänden, indem sie alle drei mit dem Wagen umgeworfen worden seien, wobei ihre Mutter durch die auf sie fallende Geldkiste stark an dem Schienbein verletzt wurde, in Köln aber die kaum erbaute Menageriehütte zusammengebrochen wäre, weshalb Tourniaire, bis dort eine neue gezimmert, die Menagerie einstweilen nach Bonn geschickt. Er selbst sei den vorhergehenden Tag, ihr die Kasseneinnahme empfehlend, wieder nach Köln zurückgereist. Dabei klagte sie mir aufs neue bitter ihren Kummer. „Wohlan,“ sagte ich, „wir müssen der Sache schnell ein Ende machen. Lassen Sie die Kasse Kasse sein und kommen Sie mit mir, eine Promenade machen. Wo wohnen Sie?“ „Im Klotz.“ „Gut, so werde ich mich auch daselbst installieren. Warten Sie noch einen Augenblick, in einer Viertelstunde bin ich wieder bei Ihnen.“ Ich ging nun in den ‚Goldenen Klotz‘, wo ich zwei Zimmer in Beschlag nahm, und kehrte dann zu Theresen zurück, mit der ich eine Promenade in den Schloßgarten von Bonn machte, wo ich das Mädchen überredete, noch heute Tourniaire und seine Menagerie zu verlassen, ich habe bereits ein anderes Zimmer für sie im Klotz neben dem meinigen genommen. Sie war es zufrieden, und als wir gegen Abend heimkehrten, ließ ich ihre Sachen auf das für sie bestimmte Zimmer bringen. Wir soupierten recht vergnügt und brachten ebenso die halbe Nacht wachend miteinander zu. Den anderen Morgen machten wir in aller Frühe eine Partie nach den Ruinen des alten, eine gute Stunde von Bonn entfernten Godesberg. Als wir in unseren Gasthof zurückkamen, erfuhren wir, daß Tourniaire schon diesen Morgen von Köln gekommen sei, sogleich nach seiner Nichte, er gab sich überall für den Oheim der Mädchen aus, gefragt und in gewaltigen Zorn und große Wut geraten sei, als er gehört, daß sie schon in aller Frühe mit einem Fremden ausgefahren sei, und dann auch erfahren, daß sie den Abend vorher mit mir spazieren gegangen und die Nacht in einem anderen Zimmer als dem ihrigen zugebracht habe. In diesem Augenblick klopfte es an die Türe und auf mein: „Wer ist’s?“ erfolgte ein barsches und rauhes: „C’est moi.“ „Mais qui êtes-vous?“ „Tourniaire.“ „Ah Monsieur Tourniaire, un moment.“ Ich steckte meine Terzerolen auf jeden Fall zu mir, öffnete die Türe, die ich auch verriegelt hatte, durch welche Tourniaire rasch mit zweien seiner Bestienwärter eintrat. Auf meine Frage: „Que désirez-vous, Monsieur?“ erwiderte er: „Je veux ma nièce.“ „Ihre Nichte? Die kenne ich nicht. Wer ist diese?“ „Mademoiselle Peche.“ „Pardon, diese ist nicht Ihre Nichte.“ „Comment?“ „Ich bin von allem auf das genaueste unterrichtet und weiß, wie Sie den Peches mitgespielt haben. Mademoiselle Therese hat sich jetzt unter meinen Schutz begeben, und ich werde sie zu schützen wissen. Wenn Sie sonst nichts bei mir suchen, so können Sie wieder gehen.“ „Nicht ohne das Mädchen!“ „Doch, mein Herr.“ „Wo ist sie?“ „Darüber habe ich Ihnen keine Rechenschaft zu geben.“ Tourniaire sah sich nun allenthalben um und wollte endlich auf die Seitentüre zugehen. „Zurück!“ donnerte ich ihm entgegen, stellte mich vor die Türe und sagte: „Noch einen Schritt weiter, so knalle ich Ihnen eine Kugel vor den Kopf!“ Hier zeigte ich ihm ein Terzerol. Er prallte jetzt zurück samt seinen beiden Gehilfen, die sich übrigens sehr passiv verhalten hatten, rief aber im Abgehen: „Wohlan, ich werde die Polizei zu Hilfe nehmen.“ „Sehr wohl,“ schrie ich ihm nach, „Sie sind ihr ohnehin schon verfallen.“ Schimpfend und tobend ging er die Treppe hinab. Ich verriegelte wieder meine Türe, eilte zu Theresen, die ich halb ohnmächtig auf dem Bette liegend fand, und suchte sie möglichst zu beruhigen. Hierauf klingelte ich einem Aufwärter und fragte diesen, was mit Tourniaire geworden. Er berichtete mir, daß derselbe auf sein Zimmer gegangen sei und dort gewaltig mit seinen Leuten gewelscht und geflucht habe. Jetzt sei er wieder ruhiger und wolle das Weitere auf den kommenden Tag verschieben. Ich begehrte nun meine Rechnung, ließ Theresens und meine Effekten packen, und bat den Kellner, dem ich zwei Taler Trinkgeld versprach, mir sogleich eine Extrapost zu bestellen, diese aber, um Aufsehen und Skandal zu vermeiden, ein paar hundert Schritte vom Gasthof entfernt zu halten, und so auch die Effekten fortbringen zu lassen. Dies alles war um so leichter zu bewerkstelligen, da die Nacht bereits angebrochen war. Als ich Nachricht hatte, daß der Wagen vorgefahren, eilte ich, die zitternde Therese im Arm, die Treppe hinab, gab dem Kellner das versprochene Trinkgeld und mehr, und fuhr nach Köln ab, wo wir noch vor Mitternacht eintrafen und ich mit meiner schönen Beute bei Merzenich im ‚Wiener Hof‘, den ich schon von früher kannte, abstieg. Den anderen Morgen brachte ich Therese zu ihrer Mutter, die mit ihrer Tochter bei Lamberts auf dem Domplatz wohnte. Wir teilten der Mama, die sehr erfreut war, mich wiederzusehen, alles mit, was vorgefallen, bis auf einige Nebenumstände, die man besser verschweigt, und ich sagte ihr, daß sie sich nun völlig als von Tourniaire befreit ansehen könne und ich für ihre fernere Existenz Sorge tragen wolle. Es wurde mir großer Dank und die jüngere Schwester, Toni, sagte: „Nicht wahr, Mama, nun dürfen wir auch nicht mehr das Fleisch mit den wilden Tieren teilen, die oft die besten Stücke bekamen.“

Ich erkundigte mich nun nach einem tüchtigen Sachwalter. Als ein solcher wurde mir der Advokat B... empfohlen, den ich von allem gehörig in Kenntnis setzte, und der mir nicht nur versprach, sich dieser Angelegenheit mit aller Tätigkeit anzunehmen, sondern meinte, daß Tourniaire auch noch der Familie eine Entschädigung schuldig sei und nicht so ungerupft davonkommen dürfe. Er wolle die Klage gegen Tourniaire damit beginnen, sogleich Arrest auf die ganze Menagerie, Pferde und Wagen und so weiter desselben legen zu lassen, welches das beste Mittel sei, ihn zu einem wenigstens leidlichen Vergleich und zur Losgebung der Peches zu bringen. Tourniaire sperrte sich anfänglich zwar ganz gewaltig und meinte, er würde sich auf nichts einlassen, und sollte es ihm seine Löwen, Panther, Tiger, Bären, Affen und Pferde kosten. Ein paar Tage darauf spannte er jedoch gelindere Saiten auf, denn die Wache bei der Menagerie und den Pferden genierte ihn gewaltig. Es kam endlich zu einem Vergleich; er gab Mutter und Töchter frei, und bezahlte die geringe Summe von hundert Talern als Entschädigung. Als er dieses Geld an mich auszahlte, sagte er: „Die ganze Rache, die ich an Ihnen nehme, ist, daß ich Ihnen die Mutter Peche überlasse. Die wird hinlänglich dafür sorgen, daß Sie für das, was Sie an mir getan, bestraft werden.“ „Dies sei meine Sorge, Herr Tourniaire,“ erwiderte ich, strich das Geld ein und brachte es der Madame Peche, die die Summe sehr klein fand, sich aber damit beruhigte, daß ich ihr meine noch ziemlich gefüllte Kasse zur Disposition stellte. Nun hatte ich die ganze Familie auf dem Hals und mußte darauf denken, was mit ihr anzufangen sei. Therese besaß eine sehr angenehme und reine, aber etwas schwache Stimme, sang indessen mit Gefühl und hatte viel Ausdruck im Vortrag. Auch erkannte ich bald, daß das Mädchen eine nicht unbedeutende Anlage zur Schauspielkunst habe. Ihre Schwester Toni hingegen hatte fast für nichts anderes Sinn als für Essen und Trinken; sie schlug in diesem Stück ganz der Mutter nach. Damals hielt sich in Köln ein junger Breidenstein auf, ein Neffe meines ehemaligen Lehrers, den ich schon früher in Homburg kennen gelernt, welcher die Musik zu seinem Brotstudium gemacht und schon mehrere gediegene Kompositionen geliefert hatte. Diesen bat ich, öfters mit mir zu Peches zu gehen, wo er uns am Klavier akkompagnierte, und wir des Abends in dem sehr düster beleuchteten Saal Lamberts kleine Proben von einzelnen Opernszenen hielten, nach denen wir dann noch nach dem Klavier tanzten, auch die Polonäse aus Spohrs Faust mit Gesang und Aktion aufführten. Diese Abendunterhaltungen, zu denen noch ein paar Mädchen und Freunde Breidensteins kamen, hatten einen ganz besonderen Reiz, welchen das Chiaroscuro des düsteren Saales noch vermehrte, und auf Theresens Phantasie und ganzes Wesen eine eigene Wirkung hervorbrachte, so daß sie die Susanna, Zerline und Kunigunde mit einer mich entzückenden Vollendung und Hingabe spielte und sang. Daß das reizende Geschöpf ein eminentes Talent für die Bühne habe, davon war ich jetzt überzeugt, sowie Breidenstein und andere, welche sie bei diesen Abendunterhaltungen gesehen hatten. Ebenso waren wir darüber einig, daß ihre so liebliche Stimme wohl schwerlich je die nötige Kraft erlangen würde, um in der Oper großes Glück zu machen, daß sie hingegen im Schauspiel glänzen müsse. Breidenstein schlug mir vor, an Ringelhard, den er kenne, und der damals mit seiner Gesellschaft im Sommer in Aachen und im Winter in Köln spielte, schreiben zu wollen, was ich aber ablehnte, und vorzog, Peches mit nach Mainz zu nehmen, in der Hoffnung, die Mädchen bei der Frankfurter, Darmstädter oder Mainzer Bühne, also möglichst in meiner Nähe, placieren zu können. Auch stand ich, wegen der Geschichte mit der Catalani in Bremen, nicht zum besten mit Ringelhard. Da ich ohnedies Briefe über Briefe von Frankfurt erhielt, die meine schleunigste Zurückkunft wegen der Redaktion des belletristischen Blattes heischten, so traf ich sofort Anstalten zur Abreise und fuhr über Koblenz nach Mainz. Unterdessen hatte ich schon in Köln, noch mehr aber auf der Reise Ursache genug gehabt, an Tourniaires Worte zu denken. Madame Peche benahm sich selbst an den Table d’hôtes fast wie ein Dragoner, oder doch wie eine Marketenderin, und ließ die stärksten Weine, gleich einem Cramerschen Ritter, wie Wasser die Gurgel hinabgleiten. Dabei hatte sie einen so guten Appetit, daß sie ganze Schüsseln, besonders beim Dessert, auf ihren Teller leerte, und wenn ich mit Theresen, wie in Koblenz, Ems, Schwalbach und so weiter, romantische Spaziergänge machte, sie zog es vor, daheim zu bleiben, und entschädigte sie sich mit Toni einstweilen bei einer guten Flasche Bordeaux und allerlei Zuspeisen. Dabei blieb es indessen nicht; während unserer Abwesenheit ließ die Mama Schuhmacher, Modistinnen, Juden und so weiter durch die Kellner rufen, denen sie allerlei Gegenstände abkaufte. Hierauf ersuchte sie den Wirt, das Geld bis zu meiner Rückkunft auszulegen, und ich fand schon in Koblenz auf meiner Rechnung nahe an fünfzig Taler als bar ausgelegt.

XIII.
Die Schlangenmädchen zuerst bei der Mainzer, dann bei der Kölner Bühne engagiert. – Der Bruder von ungefähr. – Aufenthalt in Aachen. – Ich spiele den Don Juan in der Wirklichkeit statt auf der Bühne. – Ringelhards Gesellschaft. – Aufenthalt in Köln. – Polizeidirektor Struensee. – Trennung von Peches. – Der Schauspieler Wolthers wird im Duell erschossen. – Agnes F...ch. – Noch ein Rousseau. – Ich werde demagogischer Umtriebe verdächtig gemacht. – Ich gehe nach Mainz. – Aufenthalt daselbst. – Ich redigiere eine Mannheimer Zeitschrift. – Die schwarze Kommission. – Ich werde aus Mainz verbannt und gehe nach Mannheim. – Eine Reise nach Stuttgart. – Die schöne Unbekannte auf der Insel. – Eine Saison in Baden-Baden. – Ich nehme meinen Aufenthalt in Stuttgart. – Buchhändler Frankh. – Das Theater. – Eine sehr geheime Intrige. – Die Stadtpost und ihr Redakteur. – Ich gebe mein erstes historisches Werk heraus. – Ich werde Spießbürger in Frankfurt am Main.

Den Tag nach unserer Ankunft in Kassel fuhr ich allein nach Frankfurt und versuchte es, durch den Kapellmeister Guhr meinen Schützlingen bei dem dortigen Theater ein Engagement zu verschaffen. Dies war indessen unmöglich, da die hohe Oberdirektion samt der untertänigsten Unterdirektion viel zu feindselig gegen mich gesinnt waren. Einen ähnlichen Versuch machte ich in Darmstadt, wo sich Grüner zwar sehr willfährig zeigte, aber Bedingungen vorschlug, in die nicht wohl einzugehen war. Ich kehrte schon den dritten Tag nach Mainz zurück, wo mich Peches ängstlich erwarteten. Bald darauf waren beide Mädchen bei der hiesigen Bühne, welche Cramer und Diehl dirigierten, engagiert, sollten aber erst ihr Engagement antreten, sobald die Gesellschaft von Wiesbaden zurückkehrte, wo sie während der Sommermonate spielte. Ich drang auf sofortige Ausfertigung der Kontrakte, womit mich jedoch Diehl, ich weiß nicht aus welchem Grunde, hinhielt. Ungefähr sechs Wochen mochten wir schon in Mainz sein, als eines Morgens der Direktor Ringelhard mit dem Schauspieler Freund, der mit mir bekannt und damals in Mainz engagiert war, in mein Zimmer trat. Ringelhard begrüßte mich freundlich, und nachdem wir von einigen gleichgültigen Dingen gesprochen, brachte er das Gespräch auf die Peches, indem er sagte, er habe gehört, daß die ein paar schöne und talentvolle Mädchen seien, die er wohl einmal sehen möchte. „Wenn Ihnen damit ein Gefallen geschieht, so kann ich Ihnen dienen,“ erwiderte ich, holte beide und stellte sie ihm vor. Er fand sie allerliebst, ich sang ein Duett mit Theresen, und er empfahl sich, ganz entzückt von meiner Schülerin. Eine halbe Stunde darauf kam er allein wieder und sagte eintretend: „Verzeihen Sie, wenn ich Sie abermals störe, aber sagen Sie mir, ob es nicht möglich ist, daß ich die Mädchen für meine Bühne engagiere.“ „Es ist zu spät, denn sie sind schon bei dem hiesigen Theater engagiert.“ „Ist der Kontrakt unterzeichnet?“ „Das nicht; Herr Diehl zögerte mit der Ausfertigung bis jetzt, ich weiß nicht warum, aber mündlich ist alles abgemacht.“ „Oh, so lange noch kein Kontrakt unterschrieben ist, hat das nichts zu sagen. Was hat Diehl Gage versprochen?“ „Siebzig Gulden für Therese und dreißig für Toni monatlich.“ „Wohlan, ich gebe das Doppelte.“ „Das geht nicht, Herr Direktor, Therese wird mich nicht verlassen wollen, und ich habe auch keine Lust, mich von ihr zu trennen.“ „So kommen Sie mit, seien Sie Dramaturg meines Theaters.“ „Ich kann nicht, ich bin Redakteur einer Zeitschrift in Frankfurt.“ „Sie können eine andere in Köln redigieren; die ‚Colonia‘ sucht schon längst einen tüchtigen Mann; ich werde die Sache vermitteln. Wissen Sie was, schenken Sie mir das Vergnügen, heute Abend bei mir in den ‚Drei Reichskronen‘, wo ich logiere, zu soupieren, und bringen Sie Peches mit; da wollen wir die Sache weiter besprechen.“ Ich schlug die Einladung aus, bat aber Ringelhard, wenn es ihm Vergnügen mache, am Abend bei uns zu soupieren, obgleich ich ihm keine Hoffnung machen könne, daß sein Wunsch erfüllt werde. Als er weg war, erzählte ich Peches, was er mir mitgeteilt, und als die Mama von der doppelten Gage hörte, war sie entzückt und gleich für die Sache, indem sie sagte: „Warum haben die Mainzer Herren die Kontrakte nicht gemacht.“

Der Abend kam heran, Ringelhard mit ihm; wir soupierten, und als wir alle in der heitersten Laune waren und auch wohl ein Gläschen über den Durst getrunken hatten, nahm er plötzlich zwei Kontrakte aus der Tasche, mit den Worten: „Soweit ist alles fertig, ich muß Sie alle bei meiner Bühne haben, unterschreiben Sie!“ Madame Peche und die Mädchen sahen mich staunend und fragend an, Ringelhard versprach Himmel und Hölle, tauchte eine Feder in Tinte, reichte sie der Mama hin, indem er zu ihr sagte: „Frisch unterschrieben, es soll Sie nicht gereuen!“ Madame Peche unterschrieb und Ringelhard warf hundert Taler in Gold auf den Tisch, indem er sagte: „Hier ist das Reisegeld!“, das Madame Peche auch sogleich einsteckte. Am anderen Tag begab ich mich zu Cramer und Diehl, denen ich reinen Wein einschenkte, indem ich damit schloß: „Dies, meine Herren, haben Sie sich selbst zuzuschreiben.“ Beide wurden nun aufgebracht und meinten, die Mädchen seien dennoch bei ihnen engagiert, mündlich oder schriftlich, das sei gleichviel, und sie würden schon Mittel finden, sie an der Abreise zu hindern. „Wenn Sie glauben, dies imstande zu sein, woran ich aber sehr zweifle, so versuchen Sie es,“ sagte ich, mich entfernend. Wirklich wurde der Madame Peche, als ich den anderen Morgen in deren Namen auf die Polizei schickte, um ihren daselbst hinterlegten Paß zu verlangen, derselbe verweigert, und zwar auf Antrag der Theaterdirektion. Ich ging nun selbst auf die Polizei, wo ich, dem Polizeikommissar Mela die Sache gehörig auseinandersetzend, abermals den Paß verlangte. Da er mir denselben nicht geben wollte, so verließ ich ihn mit den Worten: „Wohlan, wenn wir den Paß, gehörig visiert, bis heute Abend nicht erhalten, so reise ich mit Peches morgen früh ohne Paß ab, und werde dann dafür Sorge tragen, daß diese Geschichte in öffentlichen Blättern zur Kenntnis des Publikums kommt.“ Damit empfahl ich mich, und um vier Uhr nachmittags war der wohlvisierte Paß in unseren Händen. Den anderen Morgen befanden wir uns in einer offenen Kalesche, mit vier Postpferden bespannt, auf dem Wege nach Aachen.

Auf der zweiten Station dahin kam plötzlich ein Mensch, der völlig das Ansehen eines zerlumpten Vagabunden, aufgerissene Stiefel, ein Bündelchen auf dem Rücken, eine schäbige Mütze und offene Ellenbogen hatte, an den Wagen gerannt und schrie: „Mama! Mama!“ Ich glaubte, der Kerl sei ein Narr, aber Madame Peche rief aus: „Ah mon Dieu, mon fils!“ und Toni: „Der Bruder!“ und Therese erschrocken: „Aber wie kommt der hierher?“ Ich war wie aus den Wolken gefallen, diesen Herrn Sohn und Bruder zu erblicken, der ebenfalls wie aus den Wolken herabgeschneit schien. Aber was war da zu machen? Wir mußten stillhalten und der achtundzwanzigjährige Knabe setzte sich neben den Postillon auf den Bock und erzählte, daß er schon über vier Wochen am ganzen Rhein die Kreuz und die Quere umherirre, seine teuren Verwandten aufzusuchen, aber bis jetzt, wo ihm der Zufall dieselben auf der Landstraße begegnen lasse, sei seine Mühe vergeblich gewesen. Wir fuhren nun mit dieser höchst unwillkommenen Zugabe, der ich von meiner Garderobe mehreres mitteilte, um sie wenigstens etwas reputierlicher aussehen zu machen, weiter, in Koblenz und Köln übernachtend, nach Aachen, wo wir wohlbehalten eintrafen und Ringelhard schon für Wohnungen für uns gesorgt hatte. Auch ihm schien die brüderliche Zugabe, die außerdem so hölzern war, daß sie kaum zu einem Statisten zu gebrauchen, höchst unerwünscht. Der Mensch war ein echter böhmischer Stocksoldat, steif wie ein ausgestopfter Strohmann, und dem Kalbfell entlaufen, die Mama aufzusuchen. Indessen war er nun einmal da, und wollte doch auch leben, das heißt essen und trinken.

In Aachen war es noch sehr lebhaft durch die zahlreichen Badegäste, und wir machten häufige Spaziergänge nach Burtscheid und anderen Umgebungen. Ringelhard hatte Theresen mit mir das Duettino: ‚Reich’ mir die Hand, mein Leben,‘ singen hören und ihr die Partie der Zerline zum Einstudieren geschickt. Da aber für den Augenblick kein Sänger bei seiner Gesellschaft war, der den Don Juan geben konnte, so fragte er mich, ob ich nicht aus Gefälligkeit für ihn und Therese diese Partie übernehmen wolle, und da mich auch Therese auf das inständigste bat, so willigte ich ein. Schon war der Tag der Aufführung bestimmt, und es sollte eine der letzten Vorstellungen auf der Aachener Bühne sein, da trat eines Morgens der Schauspieler Wolthers in mein Zimmer und sagte nach den gewöhnlichen Begrüßungen: „Wenn Sie es nicht übelnehmen, so will ich Ihnen einen guten Rat erteilen. Treten Sie in Aachen nicht auf die Bühne.“ „Und warum?“ „Weil Sie, wenn Sie auch wie ein Gott spielten, dennoch ausgezischt würden. Es hat sich eine furchtbare Kabale unter den hiesigen Einwohnern gegen Sie gebildet. Man weiß, daß Sie einen ominösen Artikel in eine Frankfurter Zeitung gegen die Aachener eingeschickt haben, und das will man Ihnen wettmachen.“ „Gut, wenn dem so ist, so werden die Aachener den Don Juan nicht auf der Bühne sehen und die Sache ist abgemacht.“ Ich ging nun zu Ringelhard, teilte ihm mit, was mir Wolthers gesagt, und er war jetzt auch meiner Meinung, um so mehr, da auch er schon etwas von diesen Intrigen vernommen hatte. Dagegen machte ich, solange wir noch in Aachen verweilten, einigen hübschen Aachener Damen recht emsig und nicht ohne glücklichen Erfolg den Hof, und bewies deren Männern, daß man besser daran getan hätte, mich den Don Juan auf der Bühne als außerhalb derselben spielen zu lassen. Bald darauf wurde das Theater zu Aachen geschlossen, und wir reisten samt und sonders nach Köln ab, eine recht lustige, wenn auch ein wenig zigeunerartige Fahrt, jedoch in sehr bequemen Kutschen. Ich hatte indessen einen besonderen Wagen für Peches und mich bestellt, und der Herr Bruder mußte wieder seinen Platz auf dem Bock einnehmen.

In Köln bezog ich wieder eine Wohnung mit Peches, bei einer Madame F...ch, der Witwe eines verstorbenen Beamten, die zwei recht artige Töchter, Agnes und Mimi geheißen, besaß. Ich hatte indessen mein eigenes Schlaf- und Arbeitszimmer, auf welchem ich Theresen fortwährend Unterricht erteilte und Rollen einstudierte. Zum erstenmal trat sie in Köln in der Rolle des Benjamin in Mehüls ‚Joseph in Egypten‘ auf, die ich ihr einstudiert hatte, und in der sie durch ihr kindlich-gemütvolles Spiel wie durch ihre liebliche Stimme außerordentlich gefiel. Doch mußte sie sich von der Oper bald ganz zurückziehen und allein nur dem Schauspiel widmen, da es ihr an hinlänglicher Kraft im Gesang gebrach, besonders, um in Ensemblestücken durchgreifen zu können. Ich hatte unterdessen wirklich die Redaktion einer Kölner Zeitschrift übernommen, welche den Titel ‚Der Verkündiger‘ führte. Da ich mich aber mit dem Eigentümer derselben nicht gehörig verständigen konnte, so trat ich bald darauf wieder von derselben ab, um eine andere, und zwar bedeutendere, die ‚Colonia‘, zu redigieren. Auch hier hatte ich manchen Strauß mit der Zensur zu bestehen, die unter dem Einfluß eines gewissen Struensee, der damals Polizeidirektor in Köln war, stand. Dieser Mensch war eine höchst auffallende polizeiliche Karikatur und von sehr beschränktem Verstand. Die Kölner, die sich fortwährend über ihn lustig machten, hatten ihm den Spottnamen ‚Spornsee‘ gegeben, weil er stets fingerlange Kürassiersporen trug, ohne je ein Pferd zu besteigen. Dadurch, daß ich auch hier der Zensur zu verstehen gab, wenn sie ihren Rotstift nicht in gehörigen Schranken halte, ich die gestrichenen Artikel in auswärtigen Blättern und namentlich auch in Parisern wiederbringen würde, ließ man mir vieles durchgehen. Aber Struensee hatte mir deshalb heimliche Rache geschworen und suchte, diese, wie wir bald sehen werden, auf eine sehr nichtswürdige Weise zu befriedigen.

Unterdessen war ich näher mit der Familie meiner Hauswirtin bekannt geworden und brachte manchen Nachmittag und Abend in ihrer Gesellschaft zu, was Peches nicht sehr angenehm war. Aber der Umgang mit diesen, namentlich der Mama und dem Bruder, wurde mir täglich mehr zuwider, so daß ich, ich hatte den Tisch bei ihnen genommen, fast immer auswärts speiste, um den unangenehmen Szenen, die meistens bei dem Essen stattfanden, zu entgehen. Die Anforderungen der Madame Peche an mich, besonders das Muttersöhnchen betreffend, nahmen kein Ende, und ich befand mich damals nicht in so glänzenden finanziellen Verhältnissen, diese nach dem Wunsch der alten Dame befriedigen zu können. Eines Tages kam Madame Peche mit ihrem Herrn Sohn, der stark nach Branntwein roch, auf mein Zimmer und verlangten wieder fünfzig Taler unter allerlei Vorwand von mir, die ich diesmal verweigerte und verweigern mußte, wollte ich mich nicht fast ganz entblößen. Jetzt wurden Mutter und Sohn impertinent und endlich so grob, daß ich gezwungen war, beide zur Tür hinauszuwerfen, wobei ich dem letzteren noch ein paar Fuchtelhiebe mit auf den Weg gab. Nun war der schon lange drohende Bruch eingetreten und eine Trennung unvermeidlich. Therese kam zwar auf mein Zimmer, weinte und bat, ich blieb jedoch standhaft und unerbittlich, obgleich es mir leid tat, mich von dem lieblichen und talentvollen Mädchen zu trennen, das schlechterdings bei mir bleiben wollte. Vielleicht würde ich dies auch eingegangen sein, wenn ich nicht gefürchtet hätte, dann dennoch immer die Mama und das Söhnchen auf dem Hals zu haben. Anderseits muß ich gestehen, daß ich auch die nötige Kraft zu dieser Trennung in einem sich eben entspinnenden Verhältnis mit der sehr feingebildeten Tochter des Hauses, der hübschen Agnes F...ch, fand. Genug, ich brachte es dahin, daß Madame F...ch die Wohnung aufkündigte. Einige Tage darauf zogen Peches aus, und statt ihrer die sehr achtbare Künstlerfamilie Lortzing in ihre Wohnung. Therese sah ich jetzt nur noch bei den Theaterproben, wo ich indessen nicht aufhörte, ihr mit Rat und Tat bei ihrer künstlerischen Ausbildung beizustehen.

Etwa sechs Wochen, nachdem ich mich von Peches getrennt hatte, wurde Therese die Veranlassung zu einer sehr tragischen Begebenheit. Der Schauspieler Kunst hatte eine Abendgesellschaft gegeben, zu welcher er das ganze Personal der Ringelhardschen Gesellschaft und mehrere andere Personen, auch vom Militär, eingeladen hatte. Nach der Beendigung derselben kam es zu einem Wortwechsel zwischen dem Schauspieler Wolthers und einem Portepeefähnrich des in Deutz liegenden Dragonerregiments. Beide machten Anspruch, Therese nach Hause begleiten zu dürfen, behauptend, zuerst den Antrag gemacht zu haben. Der dieserhalb stattfindende Wortwechsel hatte eine förmliche Herausforderung zur Folge, und den anderen Morgen fand ein Pistolenduell statt, in welchem der Fähnrich den Schauspieler Wolthers erschoß. Dieser, ein hübscher junger Mann, war in der Blüte seines Alters, kaum zählte er sechsundzwanzig Jahre, und gehörte einer sehr guten schlesischen adligen Familie an. Sein wirklicher Name war Julius von Dobrowolsky. Auch der Fähnrich war aus einer der besten Familien Aachens und mußte flüchtig werden. Er schiffte sich nach Amerika ein. Diese unangenehme Geschichte machte Theresen, obgleich sie nur die sehr unschuldige Ursache derselben war, doch viele Feinde in Köln und namentlich unter dem weiblichen Theaterpersonal, wo der Neid sich schon zu regen begann.

Mein Verhältnis mit der schönen Agnes wurde unterdessen immer inniger, aber auch bald getrübt. Die Mutter, gegen deren Reize, trotz manchen indirekten Anlockungen, ich völlig gleichgültig geblieben war, ahnte bald etwas von unserem Einverständnis und bewachte das Mädchen gleich einem Zauberdrachen, so daß es mir ganz unmöglich war, sie auch nur einen Augenblick allein in dem Haus zu sprechen. Wir korrespondierten durch die Vermittlung einer von mir bestochenen Magd und gaben uns nun Rendezvous in dem nahen Dom, bis ich ein Haus ausfindig gemacht hatte, das in einem sehr entlegenen Teil der Stadt, zwischen öden Mauern und Krautfeldern lag, wo wir uns ungestört sprechen konnten.

Madame F...ch, die indessen des ewigen Aufpassens müde war und einmal gesehen, wie ich ihre Tochter, ihr auf der Treppe begegnend, geküßt hatte, kündigte mir nicht nur den Tisch, sondern auch die Wohnung auf, und drohte mir, als ich erklärte, nicht ausziehen zu wollen, mit dem Polizeikommissar. Da mir nun daran gelegen war, das Haus nicht zu verlassen, so stellte ich mich, mit Agnes einverstanden, als suche ich eine andere Wohnung, ließ aber die meinige, damit sie Madame F...ch nicht vermieten möge, durch den Theaterdiener Blum[5] angeblich für einen Schauspieler, der in vier Wochen ankomme, mieten. Als der zum Ausziehen bestimmte Termin bis auf wenige Tage herangekommen war, kam Blum mit einer verdrießlichen Miene zu Madame F...ch und kündigte derselben an, daß der erwartete Schauspieler krank geworden sei und schwerlich vor sechs Wochen eintreffen würde. Die Dame war sehr ärgerlich deshalb, und ich ging jetzt zu ihr und sagte: da ich vernommen, daß der neue Mieter vorerst noch nicht kommen werde, so bäte ich sie, mich noch so lange zu behalten, da ich ohnehin noch kein passendes Quartier für mich habe ausfindig machen können. Da Madame F...ch immer mit ihren Finanzen brouilliert war und mit ihrer Pension nicht auskam, so verstand sie sich auch gerne dazu, und ich bezahlte sogleich sechs Wochen antizipando. Ja noch mehr, da ich ihr fast zu allen Vorstellungen Logenbillette schickte, die mich nichts kosteten, so war sie wieder recht artig und bot mir von selbst wieder ihren Tisch an, den ich auch sogleich akzeptierte.

Damals gab ein gewisser Rousseau eine Zeitschrift unter dem Titel ‚Colonia-Agrippina‘ heraus, und da er ein großer Verteidiger und Verehrer der Jesuitenpartei war, durch die er eine Karriere und sein Glück zu machen hoffte, so wurde er durch diese sehr unterstützt und in Schutz genommen. Da er auch Theaterkritiken über die Kölner Bühne schrieb und sich in denselben arge Blößen gab, so nahm ich ihn in meinen Antikritiken öfters stark mit. Seine Schützlinge machten sich dieserhalb an Struensee und muteten diesem zu, meine Antikritiken streichen zu lassen. Dieser aber gab ihnen in seiner Einfalt zur Antwort: „Das lasse ich wohl bleiben, dann wäre Fröhlich imstande, gegen mich selbst zu schreiben. Lieber soll er den Rousseau heruntermachen.“ Dieser ergriff endlich das Mittel, mir in Gesellschaft des Dichters Schier einen Besuch zu machen, um mich zu fragen, was er mir denn getan habe, daß ich ihn so vor dem Publikum hinstelle. „Mein Gott, ich habe gar nichts gegen Ihre Person; es sind nur allein Ihre mehr als lächerlichen Kritiken, die ich beleuchte. Sie können mir nicht eine Stelle aufweisen, in der ich persönlich geworden wäre.“ Er fuhr noch fort, sich in einem sehr weinerlichen Ton gegen mich auszulassen, worauf ich, um ihn loszuwerden, endlich zu ihm sagte: „Mein Gott, wenden Sie sich an die Zensur, die kann ja streichen, was ihr beliebt.“ „Das haben wir schon getan,“ platzte er heraus, indem er mir die oben angeführten Worte Struensees rapportierte. Kaum konnte ich es verhüten, nicht in ein lautes Lachen auszubrechen.

Struensee, der mich fürchtete und dem ich deshalb ein Dorn im Auge war, hatte mir Rache geschworen und suchte sie auf folgende Weise auszuüben. Damals war die Demagogenriecherei in Deutschland in vollem Gang. Er berichtete nun an das preußische Ministerium, daß ich mich in Köln befände und er mich stark im Verdacht habe, mit den Häuptern der Umwälzungspartei in geheimen Verbindungen zu stehen. In der Tat waren mir schon einige Male Anträge gemacht worden, mich an solche mysteriöse Gesellschaften anzuschließen, die ich aber jedesmal sehr bestimmt zurückgewiesen hatte, und zwar hauptsächlich aus dem Grunde, weil ich mich nicht zum Instrument mir unbekannter Personen hergeben und zur Maschine herabwürdigen lassen wollte.

Indessen wurde ich von dem sauberen Bericht, den der Polizeidirektor Struensee hinsichtlich meiner an das preußische Ministerium eingesandt hatte, bei Zeiten durch einen bei der Polizei zu Köln angestellten Beamten, der früher in französischen Militärdiensten gestanden, gehörig unterrichtet. Dieser brave Mann hatte mir auch versichert, daß er mich sogleich, wenn die Antwort von Berlin käme, von deren Inhalt, und zwar ehe ihn noch Struensee erfahre, da er die Depeschen zuerst durchgehe, in Kenntnis setzen wolle; ich könne also deshalb ganz ruhig sein. In der Tat berichtete er mir zehn bis zwölf Tage später, daß das Ministerium den Präsidenten beauftragt habe, sich einige schriftliche Beweise, die seinen Verdacht besser begründeten, zu verschaffen, und wenn er diese habe, meine Papiere in Beschlag zu nehmen, mich dann, wenn solche gegründete Veranlassung dazu gäben, verhaften und nach Umständen wohl eskortiert nach Berlin bringen zu lassen. Als ich dies erfahren, packte ich alle meine Schriften, obgleich unter ihnen auch keine Zeile war, die einen solchen Verdacht im mindesten hätte rechtfertigen können, zusammen, da ich nicht wußte, wie weit Struensee gehen würde, und ich nicht gerne haben mochte, daß eine hohe Polizei die Nase in meine Briefe und Papiere stecken sollte, wodurch sehr viel Personen, namentlich Damen, und unter ihnen auch manche schöne Kölnerin und Berlinerin, hätten kompromittiert werden können. Den ganzen großen Pack gab ich wohl verwahrt einstweilen Agnesen in sichere Verwahrung, die ihn ihrerseits wieder an eine Freundin gab, weil wir uns nicht sicher vor einer Haussuchung hielten und mein Verhältnis mit dem Mädchen dank der Mutter ziemlich bekannt geworden war.

Unterdessen hatte Ringelhard beschlossen, während der Fastenzeit mit seiner Gesellschaft nach Bonn zu gehen und, da mir die Redaktion der ‚Colonia‘ viel zu wenig abwarf, ich auch durch noch andere literarische Arbeiten in Köln (ich war Mitarbeiter des von Spitz herausgegebenen rheinischen Konversationslexikons) nicht hinreichenden Verdienst hatte, und mich die Struenseeschen Intrigen doch auch beunruhigten, so beschloß ich, Köln zu verlassen und vorerst nach Mainz zu gehen. Diesen Entschluß führte ich aus, bevor noch eine ministerielle Antwort auf einen zweiten Bericht Struensees von Berlin gekommen war.

Die Unternehmer des rheinischen Konversationslexikons, unter denen ein sehr vermögender Kaufmann war, baten mich vor meiner Abreise, das Werk so viel als möglich in deutschen Zeitungen günstig zu rezensieren und zu empfehlen, und versprachen mir für meine Mühe ein gutes Honorar. Ich verließ nun das alte Köln, in dem ich manche angenehme Erinnerung zurückließ, und fuhr ziemlich leichten Herzens nach Mainz, wo ich diesmal im ‚Pariser Hof‘ bei Arnold abstieg, der ein allerliebstes Töchterchen hatte. Bald darauf machte ich eine kleine Reise, um, wie ich es versprochen, in verschiedenen Zeitschriften für das rheinische Konversationslexikon günstige Artikel einrücken zu lassen, und hierdurch wurde ich in Mannheim mit dem Eigentümer der dortigen Zeitung, einem Herrn C..., der früher Kaufmann gewesen, aber als solcher verunglückt war, bekannt. Dieser bot mir die Redaktion eines belletristischen Blattes an, welches er, um seiner politischen Zeitung mehr Aufnahme zu verschaffen, herauszugeben willens war. Ich wurde bald einig mit ihm, blieb aber vorerst noch in Mainz wohnen, wo mich einige, erst kürzlich gemachte interessante Bekanntschaften von Damen fesselten, unter denen namentlich die Frau eines Hauptmanns, ein sehr lebhaftes, schönes, erst siebzehnjähriges Weibchen, das diesen Mann fast wider ihren Willen und nur auf Zureden ihrer Verwandten geheiratet hatte. Außerdem war mir Mainz von jeher ein gar lieber Aufenthalt gewesen, da seine freisinnigen und liebenswürdigen Bewohner ein heiteres, munteres und gastfreies Völkchen sind. An der Table d’hôte im ‚Pariser Hof‘, an der ich speiste, und wohin selten einige Fremde kamen, war eine tägliche Tischgesellschaft, die, so seltsam sie auch zusammengesetzt, doch äußerst unterhaltend war. Sie bestand aus dem Präsidenten der Untersuchungskommission der demagogischen Umtriebe (der sogenannten schwarzen Kommission), Herrn von Keisenberg, einem sehr wissenschaftlich gebildeten, humanen und unterrichteten Mann, der in seiner äußerst schwierigen Stellung viel Gutes wirkte, manches Böse verhütete, und durchaus unparteiisch war; einem preußischen Auditor, gleichfalls einem vorzüglichen Kopf und trefflichem Charakter; Eikmeier, einem Sohn des bekannten Generals dieses Namens, eigentlich des letzten Kurfürsten von Mainz, dem er auch frappant ähnlich sah, einem sehr jovialen Gesellschafter und hellen vorurteilsfreien Kopf; einem Hofrat Krieger, altem Hagestolz, sehr reich und ebenso filzig; einem gewissen Amtmann, mauvais sujet; zwei österreichischen Offizieren, Oberst B... und Oberstleutnant P..., von dem damals in Mainz garnisonierenden Regiment Langenau, einem Paar höchst bornierter Köpfe und großer Ignoranten, dabei aber so furchtbaren Fressern, daß jeder Gastwirt erschrak, an dessen Table d’hôte sie sich einfanden.

Ich redigierte den Mannheimer ‚Phönix‘ fortwährend von Mainz aus und ließ ihm so reichliches und gewürztes Futter zukommen, daß der seltene Vogel bald in Frankfurt, Mainz, Darmstadt, Köln und am ganzen Rhein heimisch wurde, und, da er sehr oft sehr satirisch war, nicht wenig Aufsehen machte; manchmal aber auch ganz falsch verstanden wurde und ihm dann großes Unrecht geschah. Folgendes war eines der komischsten Mißverständnisse, das viel zu lachen gab. In Mannheim hatte der Stadtdirektor die Wegnahme der Laternenpfähle befohlen, da künftig die Laternen an quer über die Straße laufende Eisenketten gehängt werden sollten. Nun hatte ein Mannheimer Einwohner der Redaktion einen Aufsatz eingesandt, der überschrieben war: ‚Die verabschiedeten Laternenpfosten.‘ Dieser Aufsatz, behaupteten viele österreichische Offiziere, sei eine malitöse, auf sie gemünzte Satire, und blieben dabei, was ihnen auch die Preußen und andere vernünftige Leute dagegen sagen mochten. Sie beruhigten sich nicht eher, als bis sie von Mannheim aus erfahren hatten, daß man daselbst wirklich die Laternenpfosten weggenommen und durch Ketten ersetzt habe!

An unserem Tisch unterhielt ich mich hauptsächlich viel mit dem Präsidenten von Keisenberg, dem es Vergnügen machte, mich über Italien, Frankreich, Spanien und die Jonischen Inseln auszufragen. Dagegen erfuhr ich manches von ihm, das zu meinem Kram paßte, und ich zu Artikeln in Pariser Journalen benutzte, für die ich noch immer ununterbrochen arbeitete. Herr von Keisenberg las diese und äußerte mehrmals bei Tische, er möchte wohl den Einsender derselben kennen, wobei er einen forschenden Seitenblick auf mich warf. Da sie indessen nichts weniger als revolutionär geschrieben waren, sondern nur eine leidenschaftslose Beurteilung der damaligen deutschen Zustände enthielten, sogar die Umtriebe der im Finstern schleichenden Hetzer und die Einfalt der guten Studenten, die sich zu deren Werkzeugen hergaben, öfters gegeißelt wurden, so las sie auch Herr von Keisenberg mit Befriedigung, und daß er mich für den Verfasser hielt, ging aus mancher seiner Äußerungen hervor. Dies kam mir sehr zustatten, denn nach einem Aufenthalt von mehreren Monaten in Mainz hatte Struensee in Köln herausgebracht, wo ich mich befand, und daher nichts Eiligeres zu tun, als einen Bericht hinsichtlich meiner, in welchem er mich abermals als der demagogischen Umtriebe verdächtig bezeichnete, an die Mainzer Untersuchungskommission, nebst den Verfügungen des preußischen Ministeriums einzuschicken. Herr von Keisenberg, der Struensee schon kannte, hatte dessen Albernheit hinsichtlich meiner gehörig zurechtgewiesen und dem Ministerium die völlig unbegründete Anklage Struensees dargetan.

Zu meinem großen Leidwesen mußte ich indessen Mainz plötzlich verlassen, woran folgender Vorfall Ursache war. Im Theater besuchte ich gewöhnlich eine Loge, die dicht neben der war, welche die österreichischen Stabsoffiziere gemietet hatten und mit ihren Frauen einnahmen. Ein Major W... hatte eine noch sehr junge Frau geheiratet, die Tochter eines österreichischen Artilleriehauptmanns, mit der ich bisweilen ein paar Worte in der Loge wechselte, aber auch nicht die mindeste Absicht auf die Dame hatte, da sie durchaus nichts besaß, was mich hätte anziehen können, und unsere Unterhaltung beschränkte sich auf ganz gleichgültige Dinge; sie war auch, dank der geistigen Beschränktheit der Madame W..., sehr einsilbig. Dennoch sah es der Major ungern, wenn ich mit seiner Frau sprach, was meistens in seiner Abwesenheit geschah, da er öfters durch den Dienst abgehalten, viel später als dieselbe kam. Eines Abends, als dies wieder der Fall war, trat er gerade in die Loge, als mich seine Frau um Erklärung einer Szene fragte, die sie nicht begriffen hatte. W...s Gesicht schwoll hochrot an, und zornglühend sagte er so laut, daß es das ganze Publikum hörte, zu seiner Ehehälfte: „Du setzt dich gleich hier herüber!“ (auf die andere Seite der Loge), worauf mehrere Stimmen von den Galerien ein „Bravo, Herr Major!“ erschallen ließen und das ganze Publikum lachte. Als ich nun im Zwischenakt die Loge verließ, begegnete mir W... auf dem Korridor und sagte: „Herr Fröhlich, wenn Sie noch einmal in Ihrer Loge ausspeien, so schicke ich Ihnen sechs Korporale auf das Zimmer!“ „Sie haben wohl ein Glas über den Durst getrunken?“ antwortete ich ihm, „schlafen Sie Ihren Rausch aus, morgen sollen Sie mehr von mir hören!“ Hierauf drehte ich dem Major den Rücken und ließ ihn ganz verblüfft stehen. Den anderen Morgen schickte ich ihm ein Schreiben, worin ich ihn um Erklärung der an mich gerichteten Worte bat; da ich aber keine Antwort erhielt, sandte ich ihm eine förmliche Herausforderung zu, und als auch diese ebenso erfolglos war, ließ ich in dem ‚Phönix‘ abdrucken, daß ich den gewaltigen Helden W... samt seinen sechs Korporalen in meiner Wohnung erwarte, und sie nach Verdienst zu empfangen bereit sei. Die Sache hatte bereits viel Aufsehen gemacht und war in der Stadt herum. Die preußischen Offiziere äußerten sich öffentlich, daß ein solches Benehmen eines Stabsoffiziers unter ihnen nie geduldet würde, und so weiter. Dagegen hatte sich ein österreichischer Artillerieleutnant namens Schneider geäußert: „W... solle nicht so viel Umstände machen und mich bei der nächsten besten österreichischen Wache, an der ich vorüberginge, festnehmen, in die Wachtstube schleppen und gehörig durchhauen lassen.“ Alles dies gab nun zu Reibereien unter der Garnison Veranlassung, und eines Morgens wurde ich auf das Polizeiamt zitiert, wo man mir sehr artig und mit sichtbarer und schonender Teilnahme eröffnete, daß ich auf Befehl des hohen Festungsgouvernements die Stadt und Festung Mainz binnen vierundzwanzig Stunden verlassen müsse. Ich wollte zwar dagegen Einwendungen machen, ging auch deshalb zu dem Herrn Regierungspräsidenten von Lichtenberg, der mich mit der äußersten Artigkeit aufnahm und mir sein Bedauern ausdrückte, in dieser Sache nichts für mich tun zu können, da das Festungsgouvernement das Recht habe, jeden Fremden aus der Stadt zu weisen, ohne irgendeine Rechenschaft deshalb geben zu müssen. Ebensowenig half es mir, daß ich mich an den Gouverneur, den preußischen General von Carlowitz, selbst wandte, der mir antwortete, er habe die Ausweisung mehr in meinem eigenen Interesse anordnen müssen, da bei meinem längeren Weilen dahier meine persönliche Sicherheit leicht gefährdet werden könne, denn die österreichischen Offiziere der Garnison seien zum Teil sehr rohe Subjekte, und so weiter. Genug, es blieb bei der Verbannung und ich mußte mich darein fügen, bat mir jedoch dreimal vierundzwanzig Stunden aus, um meine Sachen zu ordnen, die mir auch bewilligt wurden, und fuhr dann, von allen meinen Bekannten, die mir das Geleite gaben, in sechs Wagen begleitet, nach Mannheim, wo man mich schon längst erwartete.

Als ich mit meinen Freunden in Oppenheim ankam, wo man ein Mittagessen im ‚Wilden Mann‘ für uns bestellt hatte, fanden wir daselbst meinen jämmerlichen Gegner, den Major W..., der nebst seiner Frau, seinen Schwiegervater, der in eine andere Garnison versetzt worden war, bis hierher begleitet hatte. Als uns diese guten Leute ankommen und aussteigen sahen, ließen sie sich schnell ein Zimmer im oberen Stock des Hauses geben, und niemand von ihnen verließ mehr die Stube oder ließ sich nur am Fenster blicken, bis wir weg waren. Indessen hatte der Artikel im ‚Phönix‘ über meine Verbannung in Mainz großes Aufsehen erregt, und acht Tage nach meiner Ankunft wurde C... zum Stadtdirektor in Mannheim gerufen und diesem eröffnet, daß er Befehl erhalten habe, mich unter polizeiliche Aufsicht zu stellen, damit, im Fall es für nötig erachtet würde, man meiner sogleich habhaft werden könne. Den Grund dieses Befehls, der ihm von Karlsruhe zugekommen, wußte er nicht. C..., der von allem unterrichtet war, teilte ihm denselben mit, und der Stadtdirektor sagte zu ihm: „So raten Sie dem Herrn Fröhlich, in der Rheinschanze in einem Wirtshaus zu logieren; diese ist bayrisch, und dann geht mich die Sache nichts weiter an.“ Ich befolgte diesen Rat; da ich indessen daselbst kein ordentliches und reinliches Zimmer erhalten konnte, so mietete ich mir ein solches in dem nahen Frankenthal, von wo ich alle Morgen nach Mannheim ging und den Tag über daselbst zubrachte. Indessen sollte ich bald darauf über alle Erwartung glänzend, wenigstens an dem Urheber meiner Verbannung, gerächt werden, dessen Position nach all dem Vorgefallenen in Mainz durchaus nicht mehr haltbar war; selbst die Gassenjungen spotteten seiner. General Menzdorf trug nun in Wien auf seine Versetzung an und begründete diesen Antrag gehörig. W... wurde eines Morgens mit der Order, daß er in eine kleine polnische Stadt versetzt sei, sehr unangenehm überrascht und mußte bald nach mir Mainz verlassen, schwur aber, daß er sich wegen dieser himmelschreienden Ungerechtigkeit an den Kaiser selbst wenden würde. Indessen hatte er auf der Reise nach seiner neuen Garnison das Unglück, umgeworfen zu werden und sogar ein Bein zu brechen, und wenige Tage nach seiner Ankunft brach ein Feuer in dem von ihm bewohnten Häuschen aus, so daß er nur mit genauer Not dem Verbrennen entging und fast all sein bißchen Habe verlor. Es schien, als habe das Schicksal selbst es übernommen, mich recht eklatant zu rächen.

In Mannheim wurde indessen auf Verwendung des königlich preußischen Gesandten, Herrn von Otterstädt, der mit mehreren meiner Verwandten bekannt war, der Befehl der polizeilichen Aufsicht nach ein paar Wochen wieder aufgehoben und ich wohnte nun ungestört bei C... Hier setzte ich mein Leben fort, wie ich es in Mainz und allenthalben verlassen hatte. Bald hatte ich viele Bekannte und fast noch mehr gute Freundinnen unter den schönen Mannheimerinnen, denen zuliebe ich die Mainzerinnen bald vergaß. Die verwitwete Großherzogin Stephanie, Napoleons adoptierte und die wirkliche Tochter des Senators Beauharnais, einem Verwandten der Kaiserin Josephine, eine sehr schöne und liebenswürdige Frau, von der man behauptete, daß sie Napoleon noch etwas mehr als bloße Adoptivtochter gewesen sei, lebte in Mannheim sehr eingezogen in dem großen Schloß. Noch eine andere hübsche Frau, die man wegen ihrer geringen Geistesfähigkeiten nur die Schloßgans nannte, bewohnte dies Gebäude. Sie war die Gattin des Schloßverwalters und hatte fortwährend viele Liebesintrigen. Ihren Liebhabern, die sie in den Schloßgarten bestellt hatte, gab sie durch ein weißes Fähnchen, welches sie an ihrem Fenster heraushing, wenn der Mann nicht daheim war, das Zeichen, daß sie zu ihr kommen könnten. Auch Stephanie hatte ähnliche Intrigen zu Mannheim.

Nachdem das Frühjahr herangekommen war, machte ich häufige Ausflüge nach Heidelberg, wo ich ganze Tage in dem Schloßgarten und dessen Umgebungen zubrachte, auch den Wolfsbrunnen, den Königsstuhl, den Heiligenberg, Stift Neuburg, den Riesenstein und so weiter besuchte. Das burschikose Studentenwesen und der Pedantismus der Herren Gelehrten und Professoren machten den Aufenthalt in dieser Stadt den Fremden unangenehm, deren sich sonst weit mehr hier niederlassen würden. Öfters ging ich auch auf ein paar Tage nach Worms, wo ich bei Freund Eikmeier, der daselbst eine Besitzung hatte, wohnte, und von da nach Niedesheim spazierte, wo einst mein Oheim Scholze residierte. Von Worms machte ich ein paarmal einen Abstecher nach Mainz, wo ich mich heimlich in dem Quartier, das ich zuletzt bewohnte, bei der Witwe Kronebach an der Ecke der großen Bleiche aufhielt, was dennoch die Polizei ausspürte, aber so klug war, zu ignorieren.

Da ich einsah, daß mein Aufenthalt in Mannheim nicht von langer Dauer sein konnte, indem C... sich nicht in sehr glänzenden Verhältnissen befand, so wandte ich mein Augenmerk nach Stuttgart, um so mehr, da ich auch in Mannheim keinen Verleger für mein großes historisches Werk hatte finden können, wozu C... wohl den Willen, aber nicht die Mittel hatte, und an dessen Herausgabe ich jetzt ernstlich dachte. Ich machte deshalb im Juni eine Reise nach Stuttgart, und daselbst die Bekanntschaft des Herrn von Cotta und des erst kürzlich daselbst etablierten Buchhändlers Frankh. Ersterem trug ich mein Werk, das schon ziemlich weit gediehen war, an, und er war geneigt, auf dessen Verlag einzugehen, verschob jedoch einen definitiven Abschluß auf später, da er in demselben Augenblick mit zu vielen anderen Dingen beschäftigt war und auch mehrere Reisen vorhatte. Frankh war noch nicht in den Verhältnissen, auf ein solches Unternehmen eingehen zu können, ersuchte mich aber, die Memoiren der Miß Henriette Wilson für ihn zu übersetzen, was ich auch übernahm. In Stuttgart und besonders in dessen Umgebung hatte es mir sehr gefallen, namentlich auch in Ludwigsburg. Auf der kleinen Insel zu Monrepos begegneten mir an der Kapelle daselbst zwei Damen, von denen die jüngere, die kaum fünfzehn Jahre zählen mochte, einen hohen Anstand und unendliche Anmut verriet, einen herrlichen Wuchs hatte und einen Elfentritt zu haben schien, dabei das schönste lieblichste Gesichtchen, das man sich denken kann. Die ältere, eine Frau bei Jahren, die ich für die Mutter hielt, zeigte ebenfalls durch ihre Haltung und Manieren, daß sie einem Stande angehören müsse, der sich gewöhnlich durch die feinste Bildung, eine edle Unbefangenheit und ungezwungenes Wesen verrät. Ehrerbietig grüßend ging ich an den Damen vorüber, die mir artig dankten, und in die Einsiedelei. Als ich von derselben zurückkam, saßen beide auf einer Ruhebank am Weg. Gar zu gern hätte ich sie angesprochen, wagte es indessen nicht, da mich eine, mir nicht zu erklärende Scheu zurückhielt. Ich bemerkte jedoch, daß mir die Jüngere lange mit unverwandten Augen nachgesehen, und als ich im Gebüsch verschwand, hörte ich sie einige mir unverständliche Worte zu ihrer Begleiterin sprechen. In meinen Kahn gestiegen, der mich wieder an das Schlößchen Monrepos bringen sollte, fragte ich den Schiffer, ob er nicht wisse, wer die beiden Damen seien, die sich jetzt auf der Insel befänden. Er wußte es aber nicht zu sagen, da er sie nicht gesehen, auch keine übergefahren haben wollte.

Den Rest des ganzen Tages brachte ich fast ganz in dem Park zu Ludwigsburg zu, auf einer Ruhebank unter der Emmrichsburg sitzend und fortwährend über die zu Monrepos gehabte Erscheinung nachsinnend. Ich fuhr endlich den Abend nach Stuttgart zurück, wo ich dem Grafen Lusi, dem Sohne des Gesandten Lusi zu Potsdam, der damals königlich preußischer Geschäftsträger am württembergischen Hof war, und dem ich einen Besuch gemacht hatte, davon erzählte, der mir aber ebensowenig Auskunft geben konnte, wer die Damen wohl gewesen sein mochten. Zwei Tage darauf reiste ich über Pforzheim und Karlsruhe nach Mannheim zurück, immer noch das Bild der schönen Unbekannten von der Insel im Gedächtnis habend, und obgleich ich in Mannheim nicht weniger als einem halben Dutzend Schönen den Hof machte, so hinderte mich dies doch nicht, von Zeit zu Zeit voll Sehnsucht an die Unbekannte auf der Insel zu denken. Im Juli reiste ich nach Baden-Baden, um daselbst einen Teil der Sommersaison zuzubringen. Bevor ich dahin abging, hatte ich mit C... eine Martingale für das Roulettespiel berechnet, durch welche man einen Taler oder Napoleon, gleichviel nachdem man setzte, bei jedem Coup gewinnen mußte, solange man nicht gesprengt wurde. Das Verhältnis war eins, drei, sieben, fünfzehn, sechsunddreißig, achtzig und zweihundert, wobei vom dritten Coup an die Zeros jedesmal verhältnismäßig gedeckt werden mußten. Wir hielten beide die Sache für unfehlbar und glaubten, daß man nicht öfter gesprengt werden könne, als bis man das Doppelte gewonnen. Ich reiste mit ungefähr hundertfünfzig Napoleons ab, alles, was ich noch hatte zusammenscharren können, in der Hoffnung, mit wenigstens fünfzigtausend Gulden zurückzukommen. In Baden angelangt, stieg ich in der ‚Goldnen Sonne‘ ab und nahm mir kaum die Zeit, mich umzukleiden, um in den Spielsaal zu eilen und meine Operationen zu beginnen. Im Anfang ging die Sache auch vortrefflich. Ich begann mit kleinen Talern und zog für jeden Coup, oft nachdem vier bis sechs verloren waren, meinen kleinen Taler. Nun setzte ich Brabänter und endlich Dukaten. Bereits hatte ich deren schon über vierzig gewonnen, als ich das erstemal mit zweihundert gesprengt wurde. Ich begann nun mit dem wenigen Geld, das mir noch übrig blieb, wieder mit kleinen Talern zu spielen, ward aber bald wieder gesprengt und verlor endlich, Vierziger setzend, noch den Rest meines Geldes bis auf ein paar Gulden. So war ich denn auf einmal von allen meinen Himmeln herabgefallen, verließ die Spielsäle mit gewaltig hängenden Flügeln, um in den Anlagen frische Luft zu schöpfen. Auf einer etwas abgelegenen Bank wurde mir erst das Schreckliche meiner ganzen Lage recht klar. Nicht mehr so viel Geld in der Tasche, daß ich an eine Rückreise hätte denken können, auch dem Wirt schon eine Zeche schuldig, wo ich mir zwei Zimmer auf einen Monat gemietet hatte, war es mir doch nicht so ganz einerlei, und ich wußte nicht, wie ich mich noch aus dieser Klemme ziehen würde. An meine Eltern konnte ich, deren pekuniäre Lage kennend, unmöglich mehr Ansprüche machen. Ich schrieb an C..., von dem ich aber die trostlose Antwort erhielt, daß er sich selbst in der hochnotpeinlichsten Geldverlegenheit befinde. Einstweilen machte ich mich mit dem Grauen des Tages an die Übersetzungen für Frankh, so daß ich binnen acht Tagen eine sehr bedeutende Partie Manuskript nach Stuttgart abzuschicken imstande war, mit der ich zugleich bat, eine Anweisung von ein paar hundert Gulden von mir honorieren zu wollen, was Frankh auch tat, und so war ich wenigstens aus der dringendsten Verlegenheit. Aber während der acht bis zehn Tage, wo ich fast gar keinen Heller Geld mehr in der Tasche hatte, war es mir denn doch manchmal nicht ganz wohl. Nun ging ich wieder in die Spielsäle, aber jetzt nur mit äußerster Vorsicht spielend, und gewann wirklich ein paar hundert Taler, mit denen ich mich freudig wegbegab. Noch ein paarmal war mir das Glück so günstig, daß ich bald über tausend Gulden hatte, und nun nie mehr als ein paar Dukaten wagte. Herr von Cotta, der sich auch in Baden eingefunden, wo er ein eigenes Hotel besaß, trug mir auf, einige Artikel ins Morgenblatt über die hiesige Saison zu schreiben. Da ich in denselben den Spielpächter Chabert, der damals die dortige Spielhölle in Pacht hatte, und noch einige andere Dinge ein wenig stark mitnahm, so gab dies in der Badewelt zu Baden gewaltigen Rumor. Man glaubte, Robert, der als Korrespondent des Morgenblattes bekannt war, habe die Artikel geschrieben, und wollte diesem deshalb zu Leibe; nur mit genauer Not entging er einer Prügelei. Was die Saison sehr glänzend machte, war der Aufenthalt des Königs Maximilian von Bayern und seines Hofes. Es gab Feste über Feste, Partien in das herrliche Murgtal, Beleuchtung des alten Schlosses, Bälle, bei denen bayrische Prinzessinnen die Hauptrolle spielten, und so weiter. Dritthalb Monate hatte ich in Baden, die ersten vierzehn Tage abgerechnet, wo ich mich in Finanznöten befand, recht vergnügt zugebracht, und reiste von hier nach Frankfurt, wo ich einige Tage bei den Meinigen verweilte, über Mainz und Worms nach Mannheim zurück, wo ich C... mit seiner Familie in großer Traurigkeit fand und mir derselbe erklärte, daß seine Position in Mannheim nicht mehr lange haltbar sei. Unter solchen Umständen fand ich es für passend, da er ohnehin eine sehr starke Familie, sechs Kinder, hatte, eine andere Wohnung zu beziehen. Ich mietete nun bei der Schauspielerin Rüppel ein, einer Schwester der berühmten Lindner, wo ich auch den Tisch und eine recht unterhaltende Tischgesellschaft hatte, unter der ein Dragoneroffizier, Herr von Schweizer, und ein junger Artaria war. Einen Hauptgegenstand der Unterhaltung bildete das Theater und dessen Direktion, die damals ein Graf Luxemburg leitete, der eine Mätresse Napoleons geheiratet, die einen Sohn, Graf Leo genannt, der in Heidelberg studierte, von diesem hatte.

Indessen ließ es mich nicht mehr lange in Mannheim weilen. Hier hatte ich, wie gesagt, keine Hoffnung, endlich mein großes historisches Werk, an dem ich, so oft ich Muße hatte, arbeitete, an das Tageslicht treten zu sehen. Stuttgart, wohin mich die daselbst durch die Einsicht des sehr rechtlichen und vernünftigen Königs sehr freie Presse, und noch ein gewisses Etwas, das ich mir selbst nicht zu erklären vermochte, zog, war der Ort, den ich am passendsten für meinen Zweck hielt. C... hatte mir beim Abschied gesagt, daß er mir bald nachfolgen würde, indem für ihn in Mannheim nichts mehr zu tun sei.

Es ist unglaublich, mit welchen unbedeutenden Dingen man so eine deutsche Residenzstadt wenn nicht in Aufruhr, so doch in Bewegung setzen kann. Ich trug damals einen hier noch nicht gesehenen sogenannten Carbonarimantel, schwarz, mit rotem Samt ausgeschlagen, und goldenen Quasten, den ich mir kurz vorher in Paris hatte machen lassen. Dieses Kleidungsstück, unter dem ich gewöhnlich einen polnischen Rock trug, machte, daß sich die ganze Stadt von meiner werten Person unterhielt und die albernsten Märchen über dieselbe erfand. Bald sollte ich der natürliche Sohn, ich weiß nicht, welches großen Herrn, bald gar ein englischer Reiter, wahrscheinlich, weil ich viel ritt, und die Götter mögen wissen, was alles, sein. Ritt oder ging ich an einem Haus vorüber, husch, waren Gesichter an allen Fenstern, das fremdartige Wundertier zu begaffen, und dies dauerte eine geraume Zeit, bis man endlich dahinter kam, wer ich denn eigentlich sei, nämlich ein literarischer Vagabund, gebürtig aus Frankfurt am Main, den man in Mainz wegen demagogischer Umtriebe, so hieß es, ausgewiesen, und so weiter. Ich hatte mir schon viel von den guten Schwaben erzählen lassen, aber so arg es mir denn doch nicht gedacht. Die Stuttgarter Kleinstädterei übertraf fast noch die meiner Vaterstadt, und wahrhaftig, das will viel sagen.

Herrn von Cotta hatte ich wieder aufgesucht und ihm von dem Verlag meines historischen Werkes gesprochen. Er war noch immer ganz dafür, machte aber fortwährend Geschäftsreisen, bald nach Paris, London, Berlin, und schob die Sache hinaus. Die Metzlersche Buchhandlung lehnte den Verlag ab, nur Frankh zeigte sich sofort zur Unternehmung desselben bereit, schien mir aber nicht zuverlässig genug, nahm auch zu große Vorteile für sich in Anspruch. Ich hatte nach Beendigung der Übersetzung der Memoiren der Miß Wilson, die der Denkschriften Riccis für Frankh übernommen, die in französischer Sprache, mit sehr vielen langen Anmerkungen und Dokumenten in der italienischen, herausgekommen waren. Frankh, der jetzt schon, nachdem ihm einige Verlagsartikel geglückt waren, die Rolle eines Cotta spielen zu wollen anfing, der er bei seinen sehr beschränkten Geistesfähigkeiten so wenig gewachsen war, so daß ich ihn mit dem sich zum Ochsen aufblasen wollenden Frosch der Fabel verglich, und vornehm gelehrt tat, wünschte, daß ich die gedruckten Korrekturbogen der Übersetzung mit ihm durchgehen möchte. Er empfing mich mit einem bunten großbeblümten Schlafrock, aus einer langen türkischen Pfeife rauchend, und wir lasen zusammen, oft in Gegenwart eines anderen Schriftstellers, unter anderen auch Hauffs, den ich häufig bei ihm traf, da er ebenfalls die Korrekturen seiner Werke, die er bei ihm verlegte, mit ihm las. Frankh, um sich ein gelehrtes Ansehen zu geben, hatte sich angewöhnt, von Zeit zu Zeit mechanisch zu sagen: „Meinen Sie nicht, daß man dies doch anders hätte geben können?“ „Ich glaube nicht,“ war meine Antwort. Das Komischste dabei war, daß er fast kein Wort Französisch verstand, aber doch behauptete, obgleich ihm das Sprechen nicht geläufig sei, französische Werke mit derselben Leichtigkeit wie deutsche zu lesen. Da ich nun von dem Gegenteil längst überzeugt war, so sagte ich eines Tages zu Hauff, als Frankh einen Augenblick das Zimmer verlassen hatte: „Geben Sie acht, jetzt will ich einmal unsern Herrn Verleger tüchtig aufs Eis führen.“ Als Frankh nun wieder seine stereotype Phrase: „Meinen Sie nicht, daß man dies anders hätte geben können?“ anbrachte, reichte ich ihm das Original hin, auf eine ganz andere Stelle deutend, als die, von der gerade die Rede war, und sagte ihm: „Da sehen Sie selbst, wie wäre dies anders zu geben gewesen.“ Frankh murmelte ein paar unverständliche Worte in den Bart, gab mir das Buch zurück und sagte: „Nein, Sie haben recht, man kann es nicht wohl anders geben.“ Jetzt konnte sich Hauff, der wußte, daß die fragliche Stelle auf einer ganz anderen Seite stand, kaum mehr des Lachens enthalten, und ebenso erging es auch mir. Frankh fragte, was wir hätten, ohne jedoch den Streich noch zu ahnen, den ich ihm gespielt. Er erfuhr es aber bald darauf durch die dritte Hand, da Hauff den Vorfall seinen Bekannten mitgeteilt hatte. Wir waren nun brouilliert, und ich sandte ihm Riccis Werk, von dem ich erst den ersten Band übersetzt hatte, zurück. Ich gab jetzt einstweilen ein belletristisches Blatt in Stuttgart heraus, welches manche der dortigen Zustände, namentlich auch die Vorurteile des Erbadels etwas stark mitnahm, sowie die Vorstellungen der dortigen Bühne kritisierte, die damals, Oper wie Schauspiel, ganz vorzüglich besetzt war. Nicht sehr lange nach meiner Ankunft in Stuttgart glaubte ich eines Abends in einer Loge im ersten Rang zu meiner größten Verwunderung die junge schöne Dame zu erkennen, die ich auf der Insel zu Monrepos den vergangenen Sommer zuerst gesehen und die einen so großen Eindruck auf mich gemacht hatte. Um Gewißheit zu erlangen, daß es dieselbe sei, verfügte ich mich in eine Loge, die so nahe, als ich sie haben konnte, bei der war, in welcher sich meine Unbekannte befand. Auch sie hatte mich gleich bei meinem Eintritt in die Loge wieder erkannt, wie ich deutlich aus der zusammenschaudernden Bewegung wahrnehmen konnte, die sie machte, als sie mich erblickte. Ich begab mich aber bald darauf wieder ins Parterre, nachdem ich zu meinem Mißvergnügen den Rang erfahren, den die Dame einnahm, und der mich an keine Annäherung derselben denken ließ, denn ich war ja nicht mehr in Italien oder Frankreich, sondern in Deutschland, und zwar in Schwaben. Doch hatte sich das schöne Bild von neuem mir eingeprägt und wich nicht von meinen Augen, trotzdem ich mich mit mehreren anderen weiblichen Wesen recht sinnlich zu zerstreuen suchte. Den dritten Tag nach jenem Theaterabend kam eines Vormittags ein schon etwas ältliches wohlgekleidetes Frauenzimmer zu mir, welches, nachdem es fast verlegen allerlei Umschweife gemacht, damit herausrückte, daß sie mir geheimnisvoll mitteilte, sie komme im Auftrag einer Dame, die mir unendlich wohlwolle und mich zu sprechen wünsche. Sie rückte nun immer mehr mit der Sprache heraus, nannte mir endlich die Dame, nachdem ich ihr zuerst auf das feierlichste die tiefste Verschwiegenheit und Diskretion hatte versprechen müssen, und bestellte mich auf den nächsten Nachmittag gegen vier Uhr in den Park zu Ludwigsburg, wo ich sie wieder sprechen und das Weitere von ihr hören würde. Lange glaubte ich zu träumen. Nachdem sie wieder weg war, war ich nicht imstande, fortzuarbeiten und konnte die kommende Nacht fast kein Auge schließen, so sehr beschäftigte mich die Sache. Den andern Tag ritt ich gleich nach Tisch nach Ludwigsburg, begab mich, mein Pferd im ‚Waldhorn‘ lassend, in den Park, den nicht mehr sehr jugendlichen Postillon d’amour erwartend. Er fand sich noch vor der bestimmten Zeit an dem bezeichneten Platz ein und ich folgte nun meiner vorangehenden Führerin, die mich endlich an einen sehr entlegenen Ort des Parkes führte und mir eröffnete, daß ich mich noch diesen Abend nach Mitternacht wieder daselbst einzufinden hätte, wo sie mich dann an einen Ort führen wolle, wo ich Glücklichster der Sterblichen, wie sie meinte, die seligsten Stunden meines Lebens zubringen würde. Versprechend, daß ich nicht verfehlen würde, mich einzustellen, entfernte ich mich, dankend Abschied nehmend, und ritt nach Stuttgart zurück. Als zehn Uhr vorüber und in meinem Haus schon jedermann in den Federn war, schlich ich mich leise die kleine, zu meinem Zimmer führende Hintertreppe hinab in den Stall, sattelte mein Pferd selbst, führte es hinaus und trabte, ohne mich aufzuhalten, nach Ludwigsburg. Daselbst angekommen, band ich das Pferd an einen Baum und eilte an den Ort, wo ich die Führerin treffen sollte. Kaum hatte die Turmuhr Mitternacht verkündet, so erschien sie auch und führte mich an einen besonders abgeschlossenen Raum des Parkes, dessen Türe nur angelehnt war, zu einem kleinen Häuschen, in welchem eine weißgekleidete, in einen großen Schal gehüllte Nymphengestalt auf einer Bank saß. Es war die junge Dame der Insel, die, als ich eintrat, aufsprang und die, in meinen Armen liegend, mich glühend umfing. Zwei Uhr nach Mitternacht war vorüber, als ich mich wieder auf dem Heimweg nach Stuttgart befand, wo ich mein Pferd ebenso unbemerkt wieder in den Stall führte, absattelte und mich dann ebenso in meine Wohnung schlich. Niemand hatte diese Abwesenheit wahrgenommen. Nach Übereinkommen wiederholte ich den folgenden Abend denselben Besuch ganz auf dieselbe Weise und ebenso unbemerkt, und hatte so eine Reihe von seligen, glücklichen Nächten, mich immer mit einem: „Auf morgen mehr!“ verabschiedend. Doch auch dies sollte mit der Zeit ein Ende nehmen. Man hatte mir zwar eine Entführung nach Frankreich und England öfters und sehr dringend vorgeschlagen, aber das höchst Gefährliche des Unternehmens und den Weltskandal, welchen ein solches Ereignis notwendig hätte machen müssen, abgerechnet, so sah ich auch ein, daß eine Ehe unter solchen Verhältnissen später, wenn sich erst die Übersättigung eingestellt haben würde, nimmermehr eine glückliche hätte sein können. Ich wohnte später den glänzenden Hochzeitsfeierlichkeiten meiner Geliebten bei, der ich selbst zu der für sie sonst ganz passenden Vermählung recht sehr geraten hatte.

Das Ballett war damals in Stuttgart auf einem so hohen Glanzpunkt, daß es mit dem der großen Opern zu Paris hätte rivalisieren können. Die Familie Taglioni war dabei angestellt, und die junge Taglioni, gerade im Aufblühen begriffen, doch schon eine vollendete Künstlerin, schien auf der Bühne eine wahrhaft ätherische Gestalt. Der Abend eines Rajah, Joko, Aglaë, Zemire und Azor und so weiter waren Ballette, wie ich sie nicht schöner und glänzender auf einer anderen Bühne gesehen hatte. Taglioni Vater wußte sie sehr geschmackvoll in Szene zu setzen, und die eigens dazu vom Kapellmeister Lindpaintner komponierte treffliche Musik verlieh ihnen noch einen eigenen Reiz. Auch Opern dieses ausgezeichneten Komponisten, namentlich sein ‚Vampyr‘ und so weiter waren herrliche, sehr genußreiche Darstellungen. Frankh hatte damals ein Wochenblatt unter dem Titel ‚Die Stadtpost‘ unternommen, zu dessen Redakteur er einen verunglückten Studenten, den Sohn des Rektors Z..., engagiert hatte. Dieses Blatt enthielt fast nur die allergemeinsten Stadtklatschereien, war in dem Stil der Hökerweiber geschrieben und unterfing sich sogar, die Leistungen der Künstler der Stuttgarter Bühne in Afterkritiken beurteilen zu wollen, die natürlich nicht anders als höchst burlesk ausfallen konnten und von der krassesten Ignoranz zeigten. Ich hatte eines Tages auf einem Maskenball im Redoutensaal einen unbedeutenden Wortwechsel mit einem Schauspieler D... Nun kam der Redakteur der ‚Stadtpost‘ auf den unglücklichen Einfall, die Sache ganz entstellt in sein Blatt zu bringen und dazu noch einige andere, mich betreffende Klatschereien, die auf Wachtstuben oder in Kneipen erfunden worden, aufzunehmen. Ich nahm mir die Mühe nicht, diese Albernheiten zu widerlegen, sondern das Getriebe des Redakteurs in einigen Artikeln zu beleuchten, namentlich auch die seinsollenden Theaterkritiken dieses Blattes, und schloß mit den Worten: „Eines Morgens werden wir hören, daß der Redakteur der ‚Stadtpost‘ sein Bündel geschnürt habe und, den Wanderstab in der Hand, zum Tor hinausmarschiert ist.“ Ich hatte gut prophezeit; schon den nächsten Tag hatte Frankh dem unglücklichen Redakteur die Redaktion des Blattes abgenommen, und zwei Tage darauf war derselbe, mit dem Ränzchen auf dem Rücken, auf dem Wege nach Augsburg. – Ein komischer Vorfall gab den guten Stuttgartern abermals Stoff zu mehrwöchentlicher Unterhaltung. Ich hatte nämlich ein Reitpferd, das anfing, auf den Vorderfüßen etwas schwach zu werden, an einen Juden namens W... gegen Battist zu Hemden vertauscht und noch eine Summe daraufbezahlt. Als der Handel geschlossen war, nahm der Jude das Pferd aus dem Stall und setzte sich darauf, um heimzureiten. Auf dem Charlottenplatz angekommen, wo ich an einem gewissen Haus das Pferd fast immer einige Kapriolen hatte machen und traversieren lassen, war dasselbe dies so gewöhnt, daß es, ohne dazu angefeuert zu werden, allerlei Sprünge machte, und da der Jude nicht reiten konnte, so hielt er sich an den Zügeln und klemmte sich mit den Beinen fest, so daß das Tier nun noch weit größere Sätze machte, endlich seinen ungeschickten Reiter abwarf und in gestrecktem Galopp wieder in seinen alten Stall rannte. Der Jude kam hinterdrein gehinkt, behauptete, der Handel sei nicht gültig, das Tier könne niemand reiten, er müsse sich im Innern des Leibes einen Schaden getan haben, und ich müsse ihm wenigstens noch ein Schmerzensgeld von einigen Dukaten nachzahlen. Lachend erwiderte ich, daß ich ihm mit dem Pferd nicht auch die Kunst des Reitens verkauft habe, mich habe es noch nie abgeworfen. Er drohte, mich verklagen zu wollen, worauf ich ihm sagte, daß ich dies nicht hindern könne, und lächelnd hinzufügte, daß ich ihm noch zwei Dukaten zahlen würde, wenn er sie durch seine Tochter, eine ausgezeichnete orientalische Schönheit, abholen lassen wolle. „Ä Mann, ä Wort,“ rief der Jude vergnügt aus, „ich schicke se Ihne morge früh.“ Ich war es zufrieden, und W... holte abermals das Roß aus dem Stall, führte es aber diesmal hübsch am Zaum, statt sich daraufzusetzen, und hinkte mit ihm fort. Den anderen Morgen kam das schöne Rebekkchen wirklich auf mein Zimmer, um die zwei Dukaten in Empfang zu nehmen, aber – in Begleitung ihrer Mutter, die ich indessen unter dem Vorwand, mir doch Zeug zu Beinkleidern holen zu wollen, zu entfernen suchte, wozu sie in der Hoffnung eines nochmaligen kleinen Gewinstes sich auch gleich bereitwillig fand. Unterdessen mußte mir Rebekkchen für jeden Dukaten wenigstens ein Dutzend Küsse geben und noch obendrein einen Empfangschein schreiben, wogegen ich ihre Küsse ebenfalls schriftlich und mündlich quittierte, und der nach einer guten Viertelstunde zurückkehrenden Mama wirklich ein Paar Hosen, und zwar ohne zu handeln, abkaufte. Beide verließen mich, indem die Mutter sagte: „Es ist doch ein generöser Herr,“ und die Tochter: „Ja, er hat mer auch noch än Quittung geschrieben.“ Das einfältige Mädchen zeigte sie sogar ihren Bekannten und wurde natürlich ausgelacht. Auch diese Geschichte kam mit allen möglichen Zusätzen unter das nach Neuigkeiten begierige Publikum.

Mein Hauswirt, Herr Sch..., besuchte mich regelmäßig jeden Morgen und blieb oft ein bis zwei Stunden bei mir, mich mit allerlei Stadt- und politischen Neuigkeiten unterhaltend, was mir, besonders später, als ich von meinen nächtlichen Ritten sehr ermüdet war, lästig genug wurde. Eines Tages teilte ich ihm gesprächsweise mit, daß ich schon längst an einem historischen Werk arbeite, wozu ich bis jetzt noch keinen Verleger hätte finden können; Herr von Cotta sei zwar entschlossen, schiebe aber die Sache solange hinaus; Frankh wolle es auch herausgeben, aber mit diesem könne ich mich nicht vereinigen, er sei mir zu unzuverlässig, und Herr Ehrhardt, der Inhaber der Metzlerschen Buchhandlung, habe es ganz abgelehnt; ich wolle daher einen Versuch in München machen. „Aber können Sie es denn nicht selbst herausgeben?“ fragte mich jetzt Sch... „Nicht wohl, denn erstens bin ich kein Buchhändler, und dann, wenn ich mir auch wohl den Selbstverlag und die Expedition zutraute, so habe ich die Mittel nicht dazu.“ „Bedarf es denn so viel Geld?“ „Immer eine Summe von vier- bis fünftausend Gulden, um es in Gang zu bringen.“ „Nun, das wäre ja die Welt noch nicht und das Geld wohl noch aufzutreiben; und Sie glauben, daß damit etwas zu verdienen wäre?“ „Ich müßte mich sehr täuschen, wenn nicht wenigstens einige tausend Gulden dabei herauskämen.“ „Nun, wissen Sie was, wir wollen es zusammen anfangen, ich schieße das Geld vor.“ „Sie scherzen.“ „Nein, in allem Ernst.“ Sch... verließ mich nun und kam ein paar Minuten darauf mit einem Sack Geld wieder zurück, indem er sagte: „Hier sind einstweilen fünfhundert Gulden, fangen Sie an.“ Ich lachte und widerte: „Wohlan, wenn es Ihnen ernst ist, so sehen wir uns vor allem nach einem guten Drucker um.“ Ich schlug den alten Wolters vor, der meine Zeitschrift druckte, mit dem ich auch noch den nämlichen Tag die Bedingungen abmachte. Ich ließ nun sogleich den Druck des Werkes beginnen und beeilte ihn, damit so bald als möglich die erste Lieferung verschickt werden konnte, schrieb auch eine sehr einladende Anzeige dazu, die ich in einigen vierzig Zeitschriften abdrucken ließ. Nachdem zwei bis drei Lieferungen erschienen waren, zeigte sich schon der Erfolg, der über alle Erwartung war. Die Bestellungen kamen in solcher Menge, daß schon bei der vierten Lieferung eine zweite Auflage der drei ersten, die auch zweitausend stark war, gemacht werden mußte, und ich ließ nun viertausend drucken. Aber in weniger als sechs Monaten reichte auch diese nicht mehr hin. Es mußte eine dritte Auflage veranstaltet werden, und nun wurden sechstausend aufgelegt, die in wenig Monaten auf das Doppelte erhöht werden mußten, so daß das ganze Werk einen ganz ungewöhnlichen Ertrag versprach und auch wirklich abwarf. Als dasselbe einen so ungeheuren Erfolg hatte, gab sich Frankh alle mögliche, aber, wie man wohl denken kann, vergebliche Mühe, es an sich zu bringen. Später zog ich mich mit einer Aversionalsumme von vierzigtausend Gulden, das Unternehmen hatte weit über hunderttausend Gulden eingetragen, von dem Geschäft zurück.

Da ich eigentlich noch nirgends Bürger war, denn in Frankfurt ist man als Sohn eines Bürgers noch nicht Bürger, sondern wird es erst, nachdem man sich förmlich dazu gemeldet, unzählige, zum Teil sehr lächerliche, aber auch sehr kostspielige Formalitäten erfüllt hat, und doch eine Heimat als Bürger haben mußte, wie mir bei mehreren Vorfällen in Stuttgart und anderswo klar geworden, so kam ich nun in Frankfurt, wie es die dortigen Gesetze wollen, bei dem hohen Senat vermittels eines Sachwalters um das Bürgerrecht daselbst ein. Aber sollte man es wohl glauben, die Dummheit dieser Väter des Vaterlandes ging so weit, daß es mir rund abgeschlagen wurde. Man hatte in der Senatssitzung, in welcher die Sache vorkam, geäußert: „Ich sei ein zu gefährlicher Mensch!“ Als ich aber dennoch auf meiner Annahme beharrte, auch all die erbärmliche, lächerliche und kostspielige Umstandskrämerei, bei der es hauptsächlich auf Prellereien abgesehen ist, endlich geordnet und ich hierauf in Frankfurt erschienen war, begab ich mich an dem festgesetzten Tag, zur bestimmten Zeit, elf Uhr vormittags, zur Eidesleistung auf den Römer. Ich mußte über eine halbe Stunde auf die Ankunft des Bürgermeisters warten. Endlich ungeduldig, fragte ich nach demselben, worauf man mir erwiderte, daß der Herr Bürgermeister im Begriff sei, ein paar fremden Herren den Kaisersaal und andere Merkwürdigkeiten des Römers zu zeigen. Da riß mir der Faden der Geduld und ich sagte zu einer der Ordonnanzen: „Gehen Sie und sagen Sie dem Herrn Bürgermeister, daß ich schon über eine halbe Stunde auf ihn warte, um den Eid zu leisten, und wenn er nicht gleich komme, ich unbeeidigt wieder weggehe. Die Bürgermeister werden nicht dafür bezahlt, um den Lohnlakai zu machen, und die Bürger, die sie bezahlen, so ungebührlich warten zu lassen.“ Das letztere hatte zwar die Ordonnanz nicht ausrichten sollen, tat es aber dennoch ungeheißen. Wenige Minuten darauf trat der Bürgermeister, mit einem Gesicht so rot wie der Kamm eines Hahnes, in das Kanzleizimmer und redete mich zornentbrannt mit den Worten an: „Wissen Sie, daß ich Sie kann arretieren lassen?“ „Wenn Sie das Recht dazu zu haben glauben, so probieren Sie es, Herr Bürgermeister!“ „Den Eid!“ rief nun die bürgermeisterliche Herrlichkeit wutentbrannt, stotterte mir denselben vor, ich sprach ihn ruhig nach und empfahl mich dann. So war ich nun mit allem Fug und Recht ein Frankforter Borjer, also eine sehr respektable, und wie die Frankfurter glauben, auch höchst wichtige Person geworden. „Ja, wenn ich nur was davon hätt’!“ sagt, glaub’ ich, Staberl. Ich eilte jetzt nach Stuttgart zurück, wohin mich meine literarischen und andere Beschäftigungen riefen, und blieb bis zur Beendigung meines historischen Werkes (1830) daselbst.

Ende.

Nachwort.

Das Buch, das hier, um Weitschweifigkeiten und Wiederholungen verkürzt, seit ungefähr 65 Jahren zum ersten Male wieder erscheint, hat wie der Verfasser mehrere Uniformen getragen. Unter dem Titel „Vierzig Jahre aus dem Leben eines Toten“ erschien es Ende der vierziger Jahre bei Osiander in Tübingen, im Jahre 1853 gefolgt von einem sehr interessanten Schlußband „Noch fünfzehn Jahre aus dem Leben eines Toten“, der in einiger Zeit auch unsre Neuausgabe ergänzen soll. Unter dieser Marke war es ein Lieblingsbuch der jungen Frankfurter, wie mir seit dem Erscheinen des Werks von manchen berichtet wurde, die heute recht alte Frankfurter sind. Aber der Titel scheint dem Absatzbedürfnis des Herrn Friedrich – dieser sein wahrer Name wurde durch eine Stelle des Buches selbst bekannt, wo er ihn aus Flüchtigkeit einmal gebraucht – nicht genügt zu haben. Fedor von Zobeltitz hat in seiner Bibliothek das verschollene Buch wieder aufgestöbert, aber unter dem verlockenden Titel „Casanovas Nachfolger oder Abenteuer, Liebschaften und Erlebnisse eines galanten Offiziers“, der eine gute Spekulation in der Zeit war, wo Casanovas Memoiren zum ersten Mal in deutscher Übersetzung erschienen und verschlungen wurden. Zu allemhin erschien das Buch in Paris, im Verlag von Heideloff und Campe. Noch zweimal rasch hintereinander erschienen die „Vierzig Jahre“, einmal unter diesem ursprünglichen Titel, aber mit dem Pseudonym C. Strahlheim, das anderemal aufs neue in dem Pariser Verlag, aber als „Neuer Casanova“. Dann wird es still um Verfasser und Buch, sie verstauben in Familienbücherschränken, kaum die Bibliographen kennen den nun wirklich Toten.

Das Meiste, wenn auch es nur wenig ist, was über Friedrichs Lebensgang bekannt ist, steht in Andreas Gottfried Schmidts „Galerie deutscher pseudonymer Schriftsteller vorzüglich des letzten Jahrzehnts“ (Grimma 1840), also vor der Drucklegung unsres Werks erschienen, was dokumentarisch wichtig ist, da Schmidt den Gang der Handlung in den „Vierzig Jahren“ bestätigt. Dort wird gesagt, C. Strahlheim heiße C. Friederich, privatisierend in Rödelheim bei Frankfurt, geboren in Frankfurt 1790 von angesehenen Kaufmannseltern, wollte Schauspieler werden, durfte es aber nicht, trat in französischen Militärdienst, machte die Feldzüge in Italien und Spanien bis zur Abdankung Napoleons mit, wurde hierauf preußischer Offizier, nahm den Abschied und widmete sich literarischen Arbeiten; er begründete in Offenbach eine satirische Zeitschrift, die aber nach zwei Jahren einer beigegebenen politischen Karikatur halber verboten wurde, und lebte dann abwechselnd in Mainz, Köln, Aachen und Mannheim. 1825 war er in Stuttgart, um dort seine „Geschichte unserer Zeit“ herauszugeben; 1830 finden wir ihn wieder in Frankfurt. Schmidt führt zugleich eine Anzahl seiner Schriften an, meist kompilatorische Arbeiten, eine „Universal-Chronik der Zeit“, eine „Allgemeine Weltgeschichte“, die schon erwähnte „Geschichte unserer Zeit oder Übersicht der merkwürdigsten Ereignisse von 1789 bis 1830“, die in 120 Heften erschien und von Ernst Freymund (dem Bibliothekar A. Fr. Gfrörer in Stuttgart) fortgesetzt wurde; schließlich machte Friedrich den Versuch eines Konversations-Lexikons: „General-Lexikon oder vollständiges Wörterbuch alles menschlichen Wissens“ (Frankfurt 1836 bis 1839), von dem 85 Hefte (A–Bartrania) auf den Markt kamen.

U. R.

Namenregister.
Dritter Band.

Ali Pascha 140 f.
Artois, Graf 203
Atri, Herzogin von (Giuglietta Colonna) 49, 63 f., 73, 76 f., 80 f., 85
Bacciochi, Prinz 19, 27
Baudouy, General 105
Berry, Herzog von 208
Bessières, Marschall 28
Bethmann, von 217
Bittiglioni, Fürst 53
Blücher 268 f.
Bonaparte, Elisa 19, 27
Bonaparte, Jérôme 21 f., 27
Bonaparte, Joseph 17, 27
Bonaparte, Karoline 16, 21, 27, 49, 58, 60 f., 69, 76
Bonaparte, Lätitia 16, 22
Bonaparte, Lucian 18 f., 27
Bonaparte, Ludwig 19, 26, 37
Bonaparte, Pauline 12 f., 19, 23 f., 30, 39 f.
Borghese, Fürst Camillo 20
Börne 361 f., 375 f.
Canouville, Oberst 20
Canova 20
Canzi, Sängerin 391
Caravante 53
Cardenneau, General 105
Carnot 330 f.
Catalani, Angelika 206, 343 f., 382 f.
Cavaignac, General 50 f., 57
Cavalcanti, Marchesa 49, 63, 65, 67 f., 70 f., 80, 85
Circella, Herzog von 48
Clarke 39
Colonna, Fürst 48
Cotta 423, 426 f., 434
d’Angri, Fürst 49
Deburaux, Baron, General 208
Dery, Cäsar, Baron 48
Detry, General 147
Devrient 229, 238, 270
Dobrusky 388 f.
Donzelot, General 114, 130
Dubois, Polizeipräfekt 34
Eugen, Prinz, Vizekönig von Italien 22
Farigliano, Madame 13, 25
Fesch, Kardinal 9
Forbin, Schauspieler 20
Fouché, Polizeimeister 21
Franconi 10
Frankh 423, 425, 427 f., 431 f., 435
Gneisenau 253
Gourgaud, General 364 f.
Hardegg, Graf, General 215 f., 221
Hardenberg 236
Hauff 428 f.
Homburg, Friedrich Josef von 373 f.
Hulin, General 34
Iffland 229, 380
Josephine 2, 15
Keisenberg, von 416 f.
Kleewitz, von 236
Kurakin, Fürst 35, 37
Lafont, Schauspieler 20
Lamarque, General 50
Lannes, Marschall 41
Leclerc, General 20
Lesseps, Kommissär-Imperial 105
Lingard, Platzkommandant in Marseille 16
Longchamps 62 f., 65, 74, 94 f.
Ludwig XVIII. 204, 206
Lusi, Graf 279 f.
Maghella, Polizeiminister 53
Manches, General 52 f.
Marie Louise 1 f., 14 f., 28 f., 33, 37 f.
Mars, Schauspielerin 12, 24
Metternich 32, 392 f.
Miollis, General 12 f., 39, 45, 47
Murat 2, 48, 49 f., 54, 55 f., 61 f., 64 f., 69 f., 74, 75, 78 f., 87, 184, 242
Napoleon 1 f., 17 f., 26 f., 41 f., 54, 75, 194, 214, 220, 242, 364 f., 372 f., 375, 384
Nettelbeck 252, 323
Orleans, Louis Philipp von 193, 202
Partonnaux, General 50
Patterson, Miß 22
Recamier, Madame 206
Scholze, Henriette 227, 329 f., 338 f.
Schwarzenberg, Fürst 31
Schwarzenberg, Fürstin Pauline von 35, 36
Struensee, Polizeidirektor 410, 414 f.
Stuart, General 51
Survilier, Gräfin 362 f., 373
Taglioni 431
Talma 17, 207
Wilhelm III., Kurfürst 352 f.
Wilhelm von Preußen, Prinzessin 226 f., 228, 232, 234, 241, 265, 268, 275

Fußnoten.

[1] Ein damals berühmter Kunstreiter.

[2] In Korfu wurden alle Leichen von einiger Destinktion ohne Sarg in die unterirdischen Kirchengewölbe gesenkt, wo sie durcheinander verwesten, daher die Kirche einen allgemeinen Sarg hatte, in dem sie alle Toten abholen ließ und in welchem jeder während den Zeremonien in der Kirche ausgestellt wurde. Diese Leichen wurden nach beendigtem Gottesdienst und wenn die Kirche geschlossen war, aller Kleider beraubt und nackt in die Gruft geworfen. Nur bei Personen, die sich ein besonderes, wegen des geringen Raums der Kirche sehr teures Begräbnis erkauften, wurde eine Ausnahme gemacht. Die Soldaten wurden ohne Unterschied auf einem dazu bestimmten Platz vor der Stadt in die Erde verscharrt.

[3] Wir haben allen Grund zu glauben, daß der tote Verfasser dieser Denkwürdigkeiten selbst der Lebendigbegrabene war, wie aus einigen von ihm geschriebenen Briefen ziemlich klar hervorgeht, was er aber, wenigstens bei seinen Lebzeiten, nicht gerne Wort haben wollte.

[4] Man kann sich einen Begriff davon machen, wie die Zensur der freien Stadt Frankfurt gehandhabt wurde, wenn man erfährt, daß der Zensor vom Bürgermeisteramt die Instruktion hatte, alles zu streichen was er nicht verstünde. Dies kam daher, daß der gute Mann manche Artikel, die einen etwas verblümten Sinn gehabt, in aller Unschuld hatte stehen lassen, wodurch er dem hohen Senat mehr als einen Wischer vom Bundestag zuzog, wo er sich dann mit Unwissenheit über dessen Bedeutung entschuldigt hatte. – „So streichen Sie in Teufels Namen was Sie nicht verstehen,“ hatte ihm der jüngere Bürgermeister anbefohlen; da nun der gute Mann fast gar nichts verstand, so kann man denken, wie er strich. – Über Frankfurter Verhältnisse durfte ein für allemal in den Frankfurter Blättern gar nichts gedruckt werden, nicht einmal die gehorsamste Anfrage wegen irgend eines Übelstandes, denn – im Dunkeln ist am besten munkeln.

[5] Robert Blum! – Der Setzer.

Druck von F. E. Haag, Melle i. H.

Anmerkungen zur Transkription

Diese Ausgabe von 1916 wurde gegenüber der Erstausgabe von 1848/49 „um Weitschweifigkeiten und Wiederholungen verkürzt“, wie der Herausgeber im Nachwort konstatiert (Band 3). Die Kürzungen im Text wurden in der 1916’er Ausgabe folgerichtig in den Rubriken sowohl im Inhaltsverzeichnis am Anfang des Buches als auch am Beginn der jeweiligen Kapitel reflektiert. Wo dies versehentlich zu Diskrepanzen zwischen den beiden jeweiligen Rubriken geführt hatte, wurden in dieser eBook-Ausgabe nach eingehendem Vergleich mit der Erstausgabe die jeweils überzähligen Rubriken entfernt. Darüber hinaus wurde jedoch kein weitergehender Versuch unternommen, die generelle Übereinstimmung von Kürzungen im Text und im Inhaltsverzeichnis zu überprüfen.

Fußnoten wurden am Ende des Buches gesammelt.

Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigert. Weitere Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher):