Title: Verstand schafft Leiden: Schauspiel in vier Akten
Author: Aleksandr Sergeyevich Griboyedov
Translator: Georg Julius Schultz
Release date: June 17, 2019 [eBook #59773]
Language: German
Credits: Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
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[Горе отъ ума.]
Schauspiel in vier Akten
und
in Versen nach dem Russischen des Gribojädoff metrisch übertragen
von
Dr. Bertram.
Den Bühnen gegenüber als Manuscript zu betrachten.
Leipzig,
In Commission bei F. A. Brockhaus.
1853.
Fámussoff, Chef einer Kronsbehörde. | |||
Sophie, dessen Tochter. | |||
Tschátzki, ihr Jugendfreund. | |||
Moltschálin, Fámussoff’s Sekretair und in dessen Hause wohnend. | |||
Lisette, Sophiens Kammermädchen und Vertraute. | |||
Oberst Scalosúb. | |||
Platón Góritscheff. | |||
Natalie, dessen junge Frau. | |||
Repetíloff. | |||
Sagorétzki. | |||
Mad. Chlestow, Fámussoff’s Schwägerin. | |||
Die Gräfin Chrumin. | |||
Deren Enkelin, eine unverheirathete Dame. | |||
Fürst Tugoúchoffski. | |||
Die Fürstin, dessen Gemahlin. | |||
Die | erste | } | Fürstin Tochter. |
zweite | |||
dritte | |||
vierte | |||
fünfte | |||
sechste | |||
Herr N. | |||
Herr D. | |||
Gäste beiderlei Geschlechts, Diener, Lakeien &c. |
Das Stück spielt in Moscau, im Hause Fámussoff’s, etwa zehn Jahre nach dem französischen Kriege.
Eine Spieluhr; ein Flöten- und Clavierspieler hinter der Scene. Ein Leuchter mit einem brennenden Wachslicht. Eine Mappe (für Moltschálin).
Ein Ofen mit hoher Spalte und einer kleinen Abstufung (auf welche Fámussoff hinaufsteigen will). Ein Buch (Kalender) für den Diener. Ein Glas Wasser. Ein schwarzes Tuch für Moltschálins Arm.
Ein Theaterbillet für Sagorétzki. Eine Karte für Moltschálin.
Pelze, Überschuhe, allerlei Tücher und Kappen. Brennende Lichter. Laternen.
Saal mit einer Mittel- und einer Seitenthür, die zu Sophiens Zimmer führt. Neben der Mittelthür steht eine hohe Wanduhr. Man hört anfänglich die Töne einer Flöte und eines Klaviers. Es ist früher Morgen.
Lisette
(ist mitten im Zimmer auf einem Stuhl eingeschlafen. Sie erwacht, steht auf und sieht sich erstaunt um).
Es tagt? Wie schnell ist doch die Nacht vergangen!
Ich wollt zu Bett gehn gestern Abend — Nein!
Es hieß — Die Augen auf und schlafe ja nicht ein!
„Der Freund kommt her,“ erhalt dich munter,
Und fielst du auch vom Stuhl herunter!
Nun schlief ich eben ein, da fängt es an zu tagen; —
Ich muß es ihnen gleich nur sagen,
Die merken es sonst nie!
(Sie klopft an die Seitenthür.)
Nun meine Gnädigsten?! — Fräulein Sophie!
Ihr Abend dauert bis zum hellen, lichten Tage;
Ums Himmelswill’n, so hören Sie doch was ich sage!
Mein Fräulein! Herr Moltschálin! Sind Sie taub?
(Sie geht von der Thür weg.)
Die haben jede Furcht vergessen!
Nun wartet nur, ich glaube fast
Der Alte kommt noch her als ungebetner Gast.
Das ist ein Dienst bei Fräulein — bei verliebten!![1]
(Sie geht wieder zur Thür.)
So trennen Sie sich doch! — Es ist ja Morgens früh!
Wie?
Sophie (hinter der Scene).
Wie viel Uhr ist’s?
Lisette.
Das ganze Haus erwacht.
Sophie (wie oben).
Wie viel Uhr ist’s?
Lisette.
Sechs, sieben, acht!
Sophie (wie oben).
Das ist nicht wahr!
Lisette.
O Amor, du verwünschter Wicht!
Es ist doch klar,
Sie hören mich und können
Noch immer sich nicht trennen!
Und warum öffnen sie die Laden nicht?
(Sie wendet sich zur Uhr.)
Ich stell den Zeiger vor; ich weiß, es giebt Verdruß,
Allein ich muß!
Ich lasse alle Glocken spielen,
Denn wer nicht hören will — muß fühlen!
(Sie steigt auf einen Stuhl und stellt die Wanduhr, die zu spielen anfängt.)
Lisette und Famussoff (im Schlafrock, tritt durch die Mittelthür ein, Lisette erschrickt und springt vom Stuhl herunter).
Lisette.
O je, der Herr!
Famussoff.
Der Herr, nun ja!
Du Naseweis — was machst Du da?
(Er hält das Glockenspiel an.)
Ich konnte den Spektakel nicht begreifen;
Das war ein Klingeln und ein Pfeifen!
Sophie — die konnt’s so früh nicht sein;
Bald klang’s wie ein Klavier und bald wie eine Flöte.
Das fiel mir wirklich gar nicht ein,
Daß Du es seist, Du kleine Kröte.
Lisette.
Ich weiß nicht recht, wie es geschehn —
Ich kam daran ganz aus Versehn.
Famussoff.
Ganz aus Versehn? — Vor euch nehm’ man sich nur in Acht.
Du that’st es sicher mit Bedacht.
(Er schäkert mit ihr.)
Du kleiner netter Schelm!
Lisette.
Ein Schelm sind Sie! Ich will das nicht!
Steht Ihnen das wohl zu Gesicht?
Famussoff.
O Tugendheldin, sei kein Kind!
Du hast im Kopf doch nichts als Wind.
Windbeutel selbst! Sie denken nicht daran,
Daß Sie ein alter Mann.
Famussoff.
Nun, ja,
Beinah’!
Lisette.
Und dann
Kommt wer, was fängt man an?
Famussoff.
Wer denn? Sophie schläft.
Lisette.
Erst eben schlief sie ein.
Famussoff.
Erst eben? Und die Nacht?
Lisette.
Das Fräulein las, und hat gewacht.
Famussoff.
Nun sieh’ mal was das für Manieren!
Lisette.
Französisch las sie laut bei festgeschlossnen Thüren.
Famussoff.
Sag ihr, sie soll sich nicht die Augen ruiniren.
Vom Lesen, muß ich frei gestehn,
Kann ich nicht großen Nutzen sehn:
Ihr raubt den Schlummer die französische Lectüre
Und mich — mich schläfert’s fürchterlich,
Sobald ich nur ein russisch Buch berühre.
Wenn sie erwacht, sag’ ich’s Fräulein Sophie,
Doch jetzo, bitt’ ich, gehen Sie!
Famussoff.
Warum?
Lisette.
Sie wecken sie.
Famussoff.
Wodurch sollt’ ich sie wecken?
Selbst läutet sie wahrhaftig zum Erschrecken
Mit ihrer Uhr, und trommelt aus der Ruh’
Die ganze Nachbarschaft mit ihrer Symphonie!
Lisette (sehr laut).
Ach hören Sie doch auf, ich bitte Sie!
Famussoff (hält ihr den Mund zu).
Still doch, so schrei nicht, bist Du ganz von Sinnen?
Lisette.
Ich fürcht’, wenn Sie noch länger bleiben, daß —
Famussoff.
Und was?
Lisette.
Ach Herr, Sie wissen’s doch, Sie sind kein Kind —
Wie leicht erweckt die jungen Mädchen sind,
Kaum geht die Thür, kaum flüstert man ein Wort,
Gleich ist der süße Morgenschlummer fort.
Und Alles hören sie.
Famussoff.
Ach, Alles dummes Zeug!
Lisette!
Lisette.
Gleich, mein Fräulein, gleich.
Famussoff.
St! (schleicht auf den Zehen fort.)
Lisette (allein).
Ach Gott, von unsern Herrn
Halt’ man am besten sich recht fern!
In jedem Augenblick ist man gewiß gewärtig,
Daß gleich ein neues Unglück fertig;
O wenn man doch von diesen beiden
Den größten Leiden
Verschont nur bliebe:
Von Herrenzorn und Herrenliebe!
Lisette. Sophie (tritt mit einem Licht aus ihrem Zimmer) Moltschálin (folgt ihr).
Sophie.
Lisette, welch ein Lärm! was fällt Dir ein?
Lisette.
Die Trennung scheint recht schwer zu sein,
Verschlossen bis zum Tag, und doch nicht zur Genüge!
Sophie.
Wahrhaftig, es ist Tag!
(Sie löscht das Licht aus) Der Tag
Erschien — und auch der Kummer! — — — ach!
Wie doch die Nächte schnell vergehn!
Nur zu, Sie mögen sich beklagen,
Allein, das muß ich Ihnen sagen,
Für einen Dritten ists nicht auszustehn!
Der alte Herr war da
Und ich war einer Ohnmacht nah,
Ich wandt’ mich hin und her
Und log ihm vor die Kreuz und Quer.
(Zu Moltschalin) Und Sie, was bleiben Sie denn noch?
So machen Sie Ihren Bückling doch
Nur schnelle!
Das Herz steht nicht an rechter Stelle!
So sehn Sie nach der Uhr! Sie glauben, daß ich spaße!
Die ganze Welt ist längst schon auf der Straße!
Im Haus ist Alles schon erwacht,
Man fegt, in Ordnung wird das Haus gebracht,
Und Sie, Sie stehn noch da wie angebunden!
Sophie.
Ach Glückliche — — die zählen nicht die Stunden!
Lisette.
Nur immer zu! Ei sicherlich
Ist’s angenehm, die Zeit sich zu versüßen;
Allein wer anders wohl als ich
Wird noch zuletzt für Alles büßen?
Sophie (zu Moltschálin).
So gehen Sie, wir müssen scheiden
Und einen ganzen Tag voll Langerweile leiden.
So lassen Sie die Hände doch nur fahren!
(sie trennt sie) Nun endlich, — laß uns Gott bewahren!
(Moltschálin geht ab; wie er bei der Mittelthür ist, öffnet sie sich und Famussoff tritt angekleidet herein, er bleibt stehn und sieht Moltschálin verwundert an.)
Die Vorigen. Famussoff.
Famussoff.
Was tausend ist denn das? Sind Sie es wirklich?
Moltschálin (sehr verlegen).
Ja!
Famussoff.
Zu dieser Stunde hier?
(erblickt Sophie) Und auch Sophie? Ei guten Morgen
Sophie, Du bist auch da?
Was hast Du hier zu sorgen?
Wie hat Euch Gott zu dieser Stunde
So wunderlich zusammen hier gebracht?
Sophie.
Er kam herein in diesem Augenblick —
Moltschálin.
Von einer Promenade erst zurück
Trat eben ich ins Haus.
Famussoff.
Freund, hören Sie, es könnt nicht schaden,
Sie suchten sich zu Morgenpromenaden
Ein andres Gäßchen aus! —
Ei, Fräulein Tochter, ei, kaum aus dem Bett gesprungen
Zusammen gleich mit einem Herrn,
Mit einem jungen!
Sag, schickt sich das für Mädchen wohl von fern?
Des Nachts liest Du Romane und Gedichte,
Und das sind nun die saubern Früchte!
Das Alles nur kommt von der Schmiedebrücke
Und von den ewigen Franzosen her.
Da holen wir uns Moden, Musen, Dichter
Und ähnliches Gelichter,
Und drum ist Herz und Beutel leer!
Wann wird der Himmel uns erretten
Von ihren Hüten, Hauben, Ketten —
Von ihren Salben und Pomaden
Und den Bisquit und Bücherladen!!
Sophie.
Verzeihen Sie —! Ich bin schon ganz benommen,
Und kann vor Ueberraschung nicht zu Athem kommen.
Sie traten ja so rasch und plötzlich ein —
Wie sollt’ ich nicht erschrocken sein?
Famussoff.
Ich danke ganz gehorsamst! — Ei wie fein!
Ich lief, ich hab’ erschreckt, ich kam so plötzlich!
Nicht wahr, das war von mir entsetzlich?
Ich, Fräulein Tochter, hab’ den ganzen Tag zu thun,
Da ist kein Rasten und kein Ruh’n;
Der Kopf ist mir vom Dienste wie benommen,
Es ist ein ew’ges Gehn und Kommen,
Und ich — auf dem schon Alles liegt,
Konnt ich erwarten, daß man mich betrügt?
Wie so mein Vater?
Famussoff.
Nicht geweint!
Gieb Acht, was ich Dir sage; freilich meint
Man immer, daß ich ohne Ursach schelte,
Doch, hör’ mich an, wenn ich Dir noch was gelte;
Man that von deiner Wiege an
Für Dich, was man nur irgend kann. —
Die Mutter starb; ich hatt’ die glückliche Idee
Und nahm in der Madame Rosier
Dir eine zweite Mutter dann
Für eine starke Gage an.
Die goldene Alte — folgte deinen Tritten —
Klug war sie, sanft, von tadellosen Sitten; —
— Wenn Eins nur nicht gewesen wär’!
Eins habe ich ihr sehr verdacht:
Durch nur fünfhundert Rubel jährlich mehr
Ward sie uns abspenstig gemacht! —
Doch lassen wir Madam’ — an der da lag es nicht.
Was brauchst Du anderer Exempel?
Mein Haus gleicht einem Tugendtempel,
Des Vaters Beispiel lehrt Dir Pflicht!
Da — schau mich einmal an!
Ich sage nicht, ich sei ein junger Mann
An Jahren, —
Doch bin ich frisch bei meinen grauen Haaren,
Dazu bin ich doch Wittwer, bin doch frei,
Herr meiner Handlungen dabei!
Und dennoch leb’ ich so, daß jeder, der mich kennt,
Mein Leben exemplarisch nennt.
Lisette.
Doch dürft’ ich fragen, Herr, wie’s — —
Famussoff.
Schweig’!
Ein schreckliches Jahrhundert! — —
Allein — was ist man so verwundert,
Daß Alles altklug jetzt und weise vor den Jahren,
Und unsere Töchter ganz voran,
So daß man sie vor Thorheit und Gefahren
Mit Müh’ und Noth kaum schützen kann.
Wir Einfaltspinsel!
Wir haben selbst das Unglück uns gebracht,
Ja! — Die Manie zum fränkischen Gewinsel,
Die fremden Sprachen haben das gemacht.
Landstreicher nimmt man heutzutag ins Haus —
Die Herrchen sollen Alles lehren
Dem Töchterchen — Tanz und Gesang,
Mit Seufzern und mit Seelendrang
Und Ziererei — —
Gott steh uns bei!
Man möchte schwören,
Daß wir sie auferziehen traun!
Zu nichts als zu Seiltänzer-Fraun.
(Er wendet sich zu Moltschálin.)
Und nun zu Ihnen, junger Fant: —
So also wird die Güte anerkannt?
Ein schöner Dank!
Bedenken Sie doch Ihren Lebenslauf!
Wer hob Sie aus dem Plebs herauf?
Wer schaffte Ihnen den Assessorrang?
Wer machte Sie zum Secretair?
Wer führte Sie nach Moskau über?
Ich war’s — und ohne mich, mein Lieber,
Versauert wären Sie in Ihrem Twer!
Sophie.
Wozu, mein Vater, zählen Sie das her?
Wozu der Streit —
Um eine Kleinigkeit?
Moltschálin wohnt im Hause hier —
Er tritt herein und irrt sich in der Thür.
Famussoff.
Er irrt’ sich, oder wollte er sich irren?
Wie aber kam’st denn Du zu gleicher Zeit herein?
Das kann nicht bloßer Zufall sein.
Sophie.
Sie sollen das sogleich erfahren:
Als Sie hier erst mit Lisa waren
Hat Ihr Gespräch mich aus dem Schlaf erweckt,
Und darum rannt’ ich her, ganz ungemein erschreckt.
Famussoff.
Am Ende kommt’s heraus, daß mir die Schuld gehört,
Ich habe sie, wie’s scheint, zur Unzeit hier gestört!
Sophie.
Die größte Kleinigkeit, ein Wort — geflüstert kaum —
Kann aus unruh’gem Schlaf mich wecken;
Wenn ich erzählte meinen Traum,
Verständen Sie auch meinen Schrecken.
Famussoff.
Ein neu Histörchen?
Sophie.
Was ich sah’
Im Traum, soll ich’s erzählen?
Famussoff.
Nun, ja, ja! (er setzt sich.)
Sophie.
Ja — sehen Sie — ich stand von Blumen rings umblüht
Auf einer Flur — und war bemüht
Ein Kraut zu suchen; — müht’ mich sehr —
Doch welch ein Kraut es war, das weiß ich jetzt nicht mehr;
Da, — plötzlich — tritt ein junger Mann
Zu mir heran!
Ganz offenbar gehörte er zu Denen,
An die wir uns beim ersten Blick gewöhnen,
Und so — als wären wir von Ewigkeit bekannt.
Wir wurden ganz vertraut, — er war gewandt,
Einschmeichelnd, und er zeigte viel Verstand,
Doch war er schüchtern — — wie — Sie wissen alle sind
Die arm geboren.
Famussoff.
Halt mein Kind,
Um’s Himmelswill’n geh weiter nicht,
Für Dich passt doch kein armer Wicht!
Doch schnell war Himmel, so wie Flur verschwunden;
Wir haben plötzlich uns
In einem dunklen Raum gefunden,
Und denken Sie, wie wunderbar!
Der Boden öffnet sich — und Sie mit struppigem Haar,
Blaß wie der Tod — Sie steigen draus empor.
Nun riß sich donnernd auf ein Thor,
Und Ungeheuer, weder Mensch noch Thier,
Ergriffen ihn, der neben mir.
Sie quälten ihn, der all mein Lebensglück —
Ich will zu ihm — sie halten mich zurück —
Geschrei und Röcheln, wie ein Höllenchor
Trifft mit Gewalt mein banges Ohr —
Er ruft mir aus der Weite — fern,
Ich will zu ihm so gern, so gern — —
Da wach’ ich auf! man spricht — es waren Sie!
Wie — denke ich — der Vater hier so früh?
Ich eile her und find’ Sie alle beide. —
Famussoff (nach einer kurzen Pause).
Ja freilich, dieser Traum war schlecht;
Da ist so allerlei, betrachtet man ihn recht,
Ein bischen Lüge, ohne Zweifel
Und Liebe, Blumen, Schreck und Teufel!
(Zu Moltschalin) Doch Sie Mosje?
Moltschálin.
Ich hörte Ihre Stimme, — —
Famussoff.
Nun das ist gut! — —
Was doch so eine Stimme thut!
Sie haben Alle sie gehört
Und sind vor Tagesanbruch aufgestört,
Sie suchten also mich? Was kann Sie zu mir führen?
Moltschálin.
Ich komme mit Papieren. —
Famussoff (springt auf).
Dacht’ ich’s doch,
Das fehlte mir gerade noch!
Mein Gott, Sie sind ja wie versessen
Mit Einemmal auf Schreiberein?
(Zu Sophie.)
Nun, Töchterchen, wir wollen das vergessen!
Zwar können Träume seltsam sein,
Doch in der Wirklichkeit hört man von Dingen,
Die oft viel seltsamer noch klingen,
Als das, was uns im Traum erscheint.
Statt eines Kräutleins fand’st Du einen Freund,
Doch schlage Dir das dumme Zeug
Nur aus dem Sinne gleich.
Das Wunderliche hat nur selten Sinn,
Drum geh’ hinein und leg’ Dich wieder hin.
(Zu Moltschálin.)
Wir wollen gehn
Um die Papiere durchzusehn.
Moltschálin.
Ich bracht’ sie eben dazu her,
Denn sie bedürfen dessen sehr:
Sie widersprechen sich und sind nicht in der Form.
Herr Sekretair — das nehmen Sie zur Norm:
Eins fürcht’ ich wie die Pest —
Wenn man sich Schriften häufen läßt.
Doch würdet Ihr nur Euren Willen haben,
Man säße in Papier begraben.
Drum merken Sie sich dieses Wort:
Was unterzeichnet ist, muß fort!
Ob’s richtig, ob es falsch auch sei,
Mir einerlei! —
(Gehen ab, an der Thür läßt Famussoff den Moltschálin vorangehen).
Sophie. Lisette.
Lisette.
Da haben Sie’s! Das sind die Früchte!
Nun, eine saubere Geschichte!
Doch Scherz bei Seit’, das war’ nicht gut,
Ich bin ganz hin und mir ist schlecht zu Muth.
Ein Fehler ist ja doch nicht „alle Welt“ —
Doch schlimm ist’s, wenn die Leute davon reden.
Sophie.
Mir einerlei, frei steht das einem jeden,
Und schwatzen mag er, wie es ihm gefällt.
Allein, der Vater wird uns was zu schaffen machen;
Er ist so heftig und so rauh in solchen Sachen,
Und so war’s immer,
Allein von jetzt an wird’s gewiß noch täglich schlimmer.
Ich seh’s ja; es ist Gott zu klagen!
Ich urtheil’ nicht nach Hörensagen;
Drum — denken wir an alle Fälle:
Sperrt er Sie ein und bleib’ ich nur zur Stelle,
So steht die Sache immer noch ganz gut,
Doch, Gott bewahr’, wollt’ er in seiner Wuth
Mich und Moltschálin aus dem Hause jagen
Dann wären Sie doch wirklich zu beklagen!
Sophie.
Sieh’, ist das Schicksal nicht voll Eigensinn!
Was Schlimmres geht uns oft so hin,
Und schlimm geht’s wo wir gar nichts ahnen!
Sanft floß die Zeit in dem Genuß der Kunst,
Wir standen — schien’s — beim Schicksal recht in Gunst,
Nicht Bangen noch Besorgniß fühlten wir,
Und sieh’ — das Unglück saß schon vor der Thür!
Lisette.
Das kommt davon! — Sie haben leider nie
Auf mich gehört und nun — nun sehen Sie! —
Was braucht es besserer Propheten?
Sie müssen dies Gefühl in Ihrem Herzen tödten.
Ich sage Ihnen: hier auf Erden
Wird draus in Ewigkeit nichts werden!
Ihr Vater ist gerade so gesinnt
Wie’s Alle hier in Moskau sind:
Zum Schwiegersohne hätt’ er einen gern
Mit hohem Rang und Ordensstern;
Doch trotz der Sterne und der Ränge
Ist mancher dennoch in der Enge,
Drum sucht er Ihnen auch noch einen reichen Mann,
Der Aufwand macht und Bälle geben kann;
Zum Beispiel: Scalosub gehört zu dieser Zahl —
Ein Sack mit Gold gefüllt und nächstens General.
Sophie.
Das wäre schön! Ein solcher fehlt mir g’rade!
Er kennt ja nichts als Reih’n und Fronten und Parade.
So ein Kamaschenheld!
Aus seinem Mund, so lang er auf der Welt
Kam nie ein kluges Wort;
Geh’ mir mit Deinem Oberst fort!
Ins Wasser springen — ihn zum Ehgemahl,
Das wär’ mir beides gleich fatal.
Lisette.
Nun ja, er schwatzt und hat das Pulver nicht erfunden,
Doch sagen Sie mir unumwunden:
Wer hier wohl von Civil und Militair
Beredter, witziger und feiner wär
Als Tschatzki — nun — ich wollte Sie nicht necken —
Das ist nun längst vorbei, Gott weiß, wo er mag stecken —
Doch die Erinnerung — —
Sophie.
Oh, ich erinnere mich:
Die Leute zu verspotten wußt’ er meisterlich!
Er amüsirte mich — er wußte Spaß zu machen;
Mit jedem kann man ja zusammen lachen.
Lisette.
Nur lachen? Ach, als er hier Abschied nahm,
Schwamm er in Thränen ganz, als er von Ihnen kam.
Ich sprach ihm zu: Was weinen Sie denn so?
Sie reisen doch und sind nicht froh!
„Ich weine, Lischen, nicht umsonst“ sprach er,
„Die Trennung fällt mir, ach, so schwer!
„Kehr ich zurück, was steht mir dann bevor,
„Wer weiß zu sagen wohl, was ich alsdann verlor!“
Der arme Herr, ihm ahnt’, daß in drei Jahren — — —
Sophie.
Du könntest besser Deine Zunge wahren!
Ich geb’ es zu, daß ich vielleicht
Ihn allzuschnell vergessen;
Leicht handelt’ ich — indessen
Sag mir frei,
Wem brach ich je die Treu’?
Mit Tschatzki — freilich — bin ich auferzogen,
Wir waren uns als Kinder recht gewogen,
Beisammen stets, zu allen Stunden,
Und durch Gewohnheit schon verbunden.
Doch später endete der Frieden,
Es kam mir vor, als hätt’ er uns gemieden.
Es schien ihm hier nicht zu behagen,
Und selten kam er noch ins Haus —
Dann kam er plötzlich wieder — führte Klagen
Und sah verliebt und melancholisch aus.
Er war von Witz und Schwermuth die Vereinung,
Und scharf war für die Schwächen Anderer sein Blick;
Doch hatt’ er in der Freundschaft sehr viel Glück
Und drum von sich die höchste Meinung.
Und wie veränderlich war nicht sein Sinn!
Die Lust zu reisen riß ihn plötzlich hin.
Ach, wer uns wirklich liebt, der sucht nicht weiter Geist
Und bleibt so lang nicht fort!
Lisette.
Wo ist er hingereist?
In welchem Land, an welchem Ort?
Man sagte er curirt sich auf den Wässern;
Krank ist er nicht —
Er mögte wohl die Laune sich verbessern.
Sophie.
Gewiß, dort ist er froh, wo Lächerliche sind!
Der, den ich liebe, ist nicht so gesinnt;
Der opfert sich für Andere mit Freuden,
Stets artig ist er, stets bescheiden.
Respectvoll ist er, niemals kühn —
Verwegen sah ich niemals ihn.
Er nimmt die Hand mir, drückt sie dann und wann
An’s volle Herz;
Dann seufzt er, recht aus tiefster Seele —
Allein kein freier Scherz
Kommt über seine Lippen. — Ich erzähle
Die Wahrheit Dir; wir sitzen Hand in Hand
Und blicken uns ins Auge unverwandt.
(Lisette lacht) Du lachst! warum? Sag’, welch ein Grund
Ist hier, aus vollem Halse so zu lachen?
Lisette.
Ach Gott, das Lachen ist gesund;
Ich lachte über andre Sachen:
An Ihre Tante hab’ ich grad gedacht,
Und über sie hab’ ich gelacht:
Der Schmerz der Guten war so tief,
Als der Franzose von ihr lief;
Das Täubchen wollte vor Verzweiflung sterben,
Ihr Haar zu färben
Vergaß sogar die arme Frau
Und in drei Tagen — war sie grau!
(Sie lacht.)
Sophie (verdrießlich).
Solch dummes Zeug wird man von mir auch sagen!
Lisette.
Verzeihen Sie, das wird wohl Niemand wagen,
Ich hatte mir nur vorgenommen
Nach so viel ärgerlichen Dingen
Zum Lachen etwas Sie zu bringen.
Die Vorigen. Ein Diener.
Diener.
Herr Tschatzki ist so eben angekommen.
(Ab.)
Die Vorigen. Tschatzki.
Tschatzki.
Kaum tagt’s — und ich bin da und lieg’ zu Ihren Füßen!
(Küßt ihr die Hand mit Feuer.)
Was giebt’s? Sie wollen mich nicht wieder küssen? —
Sie haben mich erwartet? Nicht?
Sind sie erfreut? — Ach nein! — Sehn Sie mir ins Gesicht!
Sie sind verwirrt! — Nichts mehr? — Welch ein Empfang?
Als ob die Trennung keine Woche lang!
Als ob wir gestern uns zu zweien
Auf’s schrecklichste gelangweilt hätten.
Kein Fünkchen Liebe, wie? Und ich — der hundert Meilen
Durchflog in Sturm und Wetter ohne Weilen —
Ich, voller Sehnsucht und mit Herzensbeben —
Ich stürme her auf Tod und Leben —
Wie oft warf nicht der Schlitten mit mir um —
Nicht schloß mein Auge sich in fünf und vierzig Stunden,
Und die Belohnung hat mein Heldenmuth gefunden!
Sophie.
Ach Tschatzki, wie mich’s freut, Sie wieder hier zu sehn!
Tschatzki.
Sie sind erfreut? Ei das ist schön!
Doch muß ich aufrichtig gestehn:
Die Freude pflegt wohl anders auszusehn!
Mir scheint es fast zuletzt,
Als ob mein Jagen
Und Pferd- und Leute-Plagen
Mich wohl nur ganz allein ergötzt!
Wenn Sie gelauscht doch an der Thür —
Bei Gott, vor fünf Minuten sprachen wir
Von Ihnen noch! Das Fräulein wird es sagen!
Nicht wahr? Hier sprachen wir, in diesem Zimmer?
Sophie (ironisch).
Und nicht nur jetzt, nein — immer!
Sie haben keinen Grund zu klagen,
Denn Niemand konnt’ vom Ausland kommen,
Den ich um Nachricht nicht befragt:
Ob er von Ihnen nichts vernommen?
Doch Niemand hat mir was gesagt.
Wer nur besuchte unser Haus,
Selbst Weltumsegler fragt’ ich aus,
Ob man Sie nicht gesehen hätte
In — irgend einer Postcarette!
Tschatzki.
Schon gut, es mag drum sein!
Beglückt wer glaubt, ihm geht es wohl auf Erden! —
Mein Gott! So ist es wahr, daß ich zurück!
Daß ich durchflog so weite Räume!
Daß ich Sie fand, doch nicht den alten Blick
Aus jener Zeit der Jugendträume?
Wo sind die Stunden hin, wo wir noch spielten
Und nichts als Lust im Busen fühlten!!
Hier pflegten wir uns zu verstecken,
Das war ein Lärmen, war ein Necken;
Wir sprangen über Stuhl und Bett —
Ihr Vater spielte dort Piquet
Mit Ihrer alten, guten Bonne,
Und in dem dunkeln Winkel — hier —
Da saßen oft als frohe Kinder wir,
Und schreckten auf beim Knarren jeder Thür;
O Kinderzeit, o Zeit der Wonne!
Sophie.
Ja — Kinderei’n!
Tschatzki.
Ja, Zeiten die da waren!
Sie wuchsen auf! — Mit siebzehn Jahren
Sind Sie jetzt unvergleichlich schön,
Und wissen es, das müssen Sie gestehn,
Und darum schau’n Sie sittsam Niemand an.
Sind Sie verliebt? Und wär’s mein Tod,
O, sagen Sie es schnell! Sie werden roth?!
Sophie.
Wer würde nicht verlegen werden
Bei solchen Fragen und Geberden?
Tschatzki.
So bitt’ ich Sie, mir doch zu sagen:
Wonach sollt’ ich in Moskau sonst wohl fragen?
Es herrscht doch stets das alte Einerlei;
Ein Ball ist heute, morgen zwei.
Der feiert Hochzeit, einem ist’s gelungen —
Ein andrer hat sich einen Korb errungen.
Die alte, ewige Geschichte,
Und in den Stammbüchern die nämlichen Gedichte! —
Das arme Moskau! Ja, das kommt vom Reisen her!
Wo ist das Wunderland, wo es denn besser wär?
Tschatzki.
Wo wir nicht sind! — Ach sagen Sie mir doch:
Was macht Ihr Vater? Ist er noch
Dem Clubb, dem Englischen nach hies’gem Brauch
Stets treu ergeben bis zum letzten Hauch?
Und dann Ihr Ohm, sieht man ihn stets auf Bällen schweben?
Wie? Oder hat er endlich ausgetanzt?
Und Jener, nun, mit dem Zigeunerteint?
Ein Türke oder Griech’ — Sie wissen, wen ich meine —
Er hatte wie ein Storch, so schrecklich lange Beine —
Er war allüberall zu sehen
Auf Bällen und auf Assemblee’n,
Und ganz besonders immer
In jedem Speisezimmer? —
Und dann die drei Lion’s vom Boulevard?
Die jungen Herrn seit funfzig Jahr!
Die Ueberreichen — an Verwandten;
Ich glaube sicherlich,
Daß an der Million nur wen’ge fehlten,
Da sie, durch ihrer Schwestern Hülfe, sich
Verwandt mit ganz Europa zählten. —
Nun dann — und unsere Theatersonne!
Der edle Mann, der keine höhere Wonne
Als Maskarad’ und Schauspiel hat!
Die Worte standen stets auf seiner Stirn geschrieben;
Wo ist der Treffliche geblieben?
Sein Haus war grün gemalt, wie ein Zigeunerlager,
Er war der größte Fettwanst in der Stadt,
Doch seine Künstler waren — mager!
Auf einem Ball bei ihm, da stand,
Erinnern Sie’s? verborgen hinter einer Wand
Ein Kerl dem er befohlen
Zu trillern und zu johlen
Wie eine Nachtigall;
Er sollt’ uns von dem Ball
Wohl in den Lenz versetzen;
Ein herrliches Ergötzen!
Die Nachtigall, die Sängerin der Haine,
Auf einem Ball beim Lampenscheine!
Und Ihr schwindsücht’ger Vetter da, der Bücherfeind,
Der einst in dem gelehrten Comité erscheint
Und mit Geschrei und Eidschwur wollte,
Daß niemand lesen oder schreiben lernen sollte.
Die Alle soll ich wiedersehn!!
Die Plage ist kaum auszustehn. —
Doch Fehl und Flecken
Kann man bei jedem wohl entdecken,
Und wer nach Hause kehret, dem
Ist auch
Der Rauch
Der Heimath süß und angenehm.
Sophie.
Ich säh’ Sie einmal gern mit meiner Tante
Um durchzuhecheln sämmtliche Bekannte.
Das Hoffräulein, noch aus Cathrina’s Zeit,
Die ganz Minerva’s Dienste sich geweiht!
Ich glaub’ sie war in ihrem ganzen Leben
Von kleinen Mädchen nur und Möpsen rings umgeben.
Doch à propos! Wie ist denn jetzt die Lehrmethode?
Ist es noch immer Mode
Ein Regiment von Lehrern aufzuweisen,
An Zahl vollauf, doch billigst in den Preisen?
Und nicht, als ob sie viel grad’ brauchten zu versteh’n:
Befohlen ist’s — bei hohen Strafen
Historiker und Geographen
In jedem hergelauf’nen Wicht zu sehn.
Erinnern Sie sich jenes Alten
Der unser Mentor war? Er pflegte so zu halten
Den Zeigefinger ausgereckt —
Fast einem Wegeweiser zu vergleichen,
und Rock und Käppchen der Gelahrtheit Zeichen!
Wie oft hat er als Kinder uns erschreckt!
Wie haben wir das oft vernommen,
Nur von dem Ausland könnt’ das Heil uns kommen.
Wie sind wir überzeugt, wir armen Thoren,
Daß ohne Deutsche wir ganz rettungslos verloren!
Und der Franzose Guillaumé
Ganz Luft und Wind,
Knüpft er noch nicht das Band der Eh’
Mit irgend einem schönen Kind?
Sophie.
Mit wem?
Nun jede Fürstin, zum Exempel
Die gute Fürstin Julia
Ging’ gern mit ihm in Hymens Tempel.
Sophie.
Tanzmeister ist er ja!
Tschatzki.
Und Ritter! Ja! — Von uns verlangt die Welt
Geburt, Erziehung, Rang und Geld —
Doch Guillaumé ........
Wie ist der Ton denn heut zu Tage?
Herrscht noch das Sprachgewirr, die alte Ohrenplage?
Wird noch — selbst auf der kleinsten Assemblee
Und von den Gästen
Bei Kirchweih-Festen
Französisch stets in Brocken aufgetischt?
Sophie (zerstreut).
Ein Sprachgewirr?
Tschatzki.
Zwei werden wenigstens gemischt.
Lisette.
Nun, nun, es wär’ doch schwer
Aus allen beiden Sprachen
Etwas zu machen,
Was Ihrer Sprache ähnlich wär’.
Tschatzki.
Ei, schwülstig spreche ich doch nie? —
Da haben wir’s — da sehen Sie,
Ich nutze die Minuten!
Durch Ihren Anblick ganz in Gluthen
Kam ich in’s tausendste hinein,
Und gleich läßt man mich schwatzhaft sein.
Doch weiß ich, daß es Zeiten gab
Wo ich verschlossen wie ein Grab,
Wo ich noch ärmer schien an Geist,
Als Ihres Vaters Secretair,
Moltschálin — oder wie er heißt —
Das stille Männchen da aus Twer,
Der stets so artig und geschniegelt!
Hat er sein Schweigen endlich jetzt entsiegelt?
Wo er ein Heft mit neuen Liedchen fand,
War er gleich höflich bei der Hand —
Bat um Erlaubniß sie sich abzuschreiben;
Doch steigen freilich jetzt auch solcherlei Naturen,
Denn heut zu Tage liebt man stumme Creaturen.
Sophie (bei Seite).
O, diese Schlange!
(laut und gereizt) Ach, ich wollt’ Sie fragen:
Ist’s Ihnen wohl passirt, im Ernste oder Scherz
Von Jemand — im Versehn — was Gutes wohl zu sagen?
Wenn auch nicht jetzt, vielleicht in Ihrer Jugend?
Tschatzki.
Was weiß man da von Lastern und von Tugend?
Wozu so weit zurück? Ist es ein schlechter Zug,
Daß ich durch Sturm und Steppen, Tag und Nacht,
Selbst mit Gefahr des Lebens,
Zu Ihnen her den weiten Weg gemacht?
Und Alles, ach, vergebens! —
Wie sind Sie stolz und kalt!
Ich schau’ Sie an seit einer halben Stunde —
Verloren in die liebliche Gestalt —
Und ach, nur stärker blutet meine Wunde!
(Kleine Pause.)
Erlauben Sie mir diese Frage:
Ist wirklich Alles beißend was ich sage?
Und können Sie den Vorwurf auf mich laden,
Als wollt’ ich jemand dadurch schaden?
Wahrhaftig, wenn mein Mund vielleicht auch so gesprochen,
So hat mein Herz doch nichts verbrochen,
Das Wunderliche pfleg’ ich zu belachen,
Doch werd’ ich ein Geschäft daraus mir niemals machen!
Gebieten Sie ins Feuer mir zu gehn
Für Sie, — mit Freuden soll’s geschehn.
Sophie.
Nun gut, — verbrennen Sie!
Doch wenn’s mißlänge? — wie?
Die Vorigen. Famussoff.
Famussoff (in der Thür).
Da haben wir’s, da steht der Zweite!
Sophie.
Ach Väterchen, der Traum von heute!
(Geht ab, Lisette folgt.)
Famussoff (bei Seite).
Verdammter Traum!
Famussoff. Tschatzki (sieht Sophien nach).
Famussoff.
Nun sag’, was hast Du denn getrieben?
Wie, in drei Jahren nicht ein Wort geschrieben,
Und plötzlich fällst Du wie vom Himmel nieder!
(Umarmt ihn.)
Nun, sei willkommen Freund, willkommen!
Du alter Junge, Du!
Jetzt haben wir Dich wieder!
Nun, Abentheuer konnten Dir nicht fehlen,
Da setze Dich, und nun mußt Du erzählen.
(Sie setzen sich.)
Tschatzki (nachdenklich).
Wie ist doch Ihre Tochter schön!
Famussoff.
Ihr junges Volk wißt auf nichts anderes zu sehn,
Als darauf, ob die Mädchen schön.
Da hat sie etwas obenhin gesagt,
Was Deiner Eigenliebe gleich behagt;
Doch Hoffnung hat schon oft betrogen!
Tschatzki.
Mich hat sie wahrlich nicht verzogen.
Famussoff.
Der Traum von heute — sagte sie —
Und Du, Du grübelst nach, ich wette,
Was denn Sophie
Geträumt wohl hätte?
Ich grüble nicht, es fiel mir niemals ein,
Den Sinn von Träumen auszulegen.
Famussoff.
Freund, traue nicht den Frauen!
Tschatzki.
Nur meinen Augen will ich trauen,
Und das muß offenherzig ich gestehn,
Das Fräulein ist ganz unvergleichlich schön!
Famussoff (bei Seite).
Er ist davon nicht abzubringen!
(laut) Doch sage mir vor allen Dingen:
Wo warst Du denn die ganze Zeit?
Drei Jahre fort, das will was heißen!
Tschatzki.
Unmöglich kann ich jetzt erzählen!
Die ganze Welt wollt’ ich durchreisen
Und kam nicht tausend Stunden weit.
(Steht schnell auf.)
Ich muß jetzt fort — durchaus —
Ich eilte her und war noch nicht zu Haus.
Nach einer Stunde komm’ ich wieder,
Dann setzen wir uns traulich nieder,
An Abentheuern soll es dann nicht fehlen —
Sie können sie dann aller Welt erzählen.
(Im Abgehen zu Sophiens Zimmer gewendet:)
Wie ist sie schön!
(Ab.)
Famussoff (allein).
Wer ist’s nun von den Zwei’n?
„Ach Väterchen, der Traum trifft ein,“
Und sagt’s mir laut! Ei, ei, ich muß gestehn
Ich habe mich versehn!
Ich habe einen Bock geschossen,
Und auf Moltschálin meine Galle erst ergossen,
Doch jetzt heißt’s: Aus dem Regen in die Traufe! —
Der ist ein Bettler, der als Seladon bekannt
Und als ein Muthwill und Verschwender
Bei Jung und Alt im ganzen Land! — — —
Was machen uns — Herr du Gerechter! —
Für Plagen doch erwachs’ne Töchter!
(Bleibt nachdenklich stehn. Der Vorhang fällt.)
Ende des ersten Akts.
[1] Bis dahin muß die Musik immer zu hören sein.
Ein Empfangzimmer mit mehreren Thüren, links ein Fenster.
Famussoff. Ein Diener.
(Die Mittelthür wird von einem vorangehenden Diener rasch geöffnet und Famussoff tritt, elegant gekleidet, herein; an der Thür bleibt er etwas stehen, um den Diener zu mustern.)
Famussoff.
Hör’! Peter, hör’! An Dir ist stets was neu!
Nun ist am Ellenbogen wieder was entzwei!
(Setzt sich) Nimm den Kalender. — Doch den liest er
Gerade wie ein alter Küster!
Lies mit Gefühl, Verstand, und dann und wann
Bei Punct und Komma halte an. —
Doch schreib erst lieber
Auf jenem leeren Blatte da,
Der nächsten Woche gegenüber:
„Am Dienstag zur Baronin Fladen
„Bin auf Forellen ich geladen!“ —
Wie ist die Welt doch wunderbar creirt!
Wenn man darüber erst philosophirt,
So schwindelt der Verstand. — O je, o je!
Da nimmt man sich in Acht, und dann kommt ein Dinér!
Drei volle Stunden muß man kauen,
Und in drei Tagen kann man’s kaum verdauen!
Bemerk’ am selben Tag — ach nein,
Am Donnerstag wird das Begräbniß sein!
O Menschenvolk — mit deinem leichten Sinn! —
Wir müssen Alle doch dahin! — — —
In jenen Kasten kommt doch jedermann,
In dem man weder stehn noch sitzen kann.
Doch will sich jemand Lob und Ruhm erwerben:
Hier nehm’ ein Beispiel er!
Der Sel’ge war ein achtungswerther Kammerherr —
Er hatte hinten ja den Schlüssel,
Schafft’ auch den Schlüssel seinem Sohn;
Selbst reich, ich weiß das ganz genau,
Vermählt’ er sich mit einer reichen Frau,
Und fand Parthie’n für alle seine Töchter.
Nun ist er todt! Als Frommer und Gerechter
Ist er aus dieser Welt geschieden,
Und — ruht in Frieden!
Und wird beweint von Kind und Kindeskind —
Die all das schöne Gut nun von ihm erben. —
Was doch in unserm Moskau hier
Für wicht’ge Männer sind
Und leben hier und — sterben! —
Am Donnerstag, schreib eins zum andern, Peter —
Doch könnt’s auch Freitag sein,
Wer weiß, vielleicht auch später,
Muß ich zur Doktorswittwe gehn
Gevatter stehn;
Zwar habe ich noch nichts vernommen,
Allein mir däucht es muß so kommen
Wenn meine Rechnung richtig —
Die Vorigen. Tschatzki.
Famussoff.
Ah! —
Alexander, Du bist da!
Nun — setze Dich.
Tschatzki.
Es scheint mir, Sie beschäft’gen sich —
Famussoff (zum Diener).
Geh, Peterchen.
(Der Diener geht ab.)
Ich merkt’ Geschäfte an,
Die, Gott behüt’s, man leicht vergessen kann.
(Pause.)
Tschatzki.
Hab’ ich die Stunde etwa schlecht gewählt?
Ich hoffe nicht, daß Ihrer Tochter etwas fehlt! —
Ja, Sie sind mißvergnügt! Nicht wahr?
Ich seh’ es am Gesicht, an Ihren Mienen,
Was fehlet Ihnen?
Famussoff.
Ach, bester Freund, was ist da sonderbar?
In meinem Alter — ei es ist zum lachen! —
Soll ich noch Capriolen machen?
Tschatzki.
Davon ist nicht die Rede, — sagen Sie
Mir nur — was macht Fräulein Sophie? —
Famussoff.
Daß Dich! — — Nun Gott verzeih!
Fünftausend mal
Dasselbe Lied zu meiner Qual
Und stets das alte Einerlei:
Bald von dem schönen Fräulein Tochter
Bald von dem kranken Fräulein Tochter
Und nichts im Kopf, als meine Fräulein Tochter!
Sag mir, — Du hast Dich lang herumgetrieben,
Und jetzt, so scheint mir’s — willst Du Dich verlieben,
Und angelst gar nach meiner Tochter Hand?
Tschatzki.
Wozu die Frage?
Famussoff.
Ei, mir scheint sie passlich!
Denn sieh’, ich bin ein Bischen doch mit ihr verwandt!
Man hat zum Vater mich — das ist doch fasslich,
Nicht grad’ ins Blaue so hinein ernannt.
Tschatzki.
Und wollt’ ich um die Tochter frein,
Was würd’ des Vaters Antwort sein?
Famussoff.
Ich sagte Dir zuerst: sei kein Phantast!
Verwalte besser, was Du hast;
Allein vor allen Dingen
Mußt Du’s im Dienste weiter bringen.
Tschatzki.
Dem Staate dient’ ich gern — allein
Ich möcht’
Nicht Knecht
Nicht Diener darum sein.
Na!
Da haben wir den lieben Hochmuth ja!
Du solltest lieber fragen
Wie unsre Väter es gemacht,
Und mancher da in alten Tagen
Es so erstaunlich weit gebracht.
Wie kann man sich zu dienen schämen?
Ein Beispiel solltest Du am sel’gen Oheim nehmen:
Ja sieh’ — das war ein Mann,
Den man zum Muster nehmen kann!
Er speiste nicht auf Silber — nein auf Gold!
Es wimmelte bei ihm von Dienern und Lakei’n,
Es mochten wohl an hundert sein!
Mit Orden ganz bedeckt kam er zu Hof gerollt.
Wenn man so sah — wie ihn im langen Zug
Zum Pallast die Carosse trug,
Man wurde in Bewunderung versetzt.
Er lebte stets bei Hof — und das war nicht wie jetzt —
Das war vor Zeiten noch, ja ja!
Das war ein Hof — wie nie die Welt ihn sah!
Und Männer gab’s zu jener Zeit
Von centnerschwerer Wichtigkeit.
Du hättest Dich, wer weiß, wie tief gebückt,
Sie hätten kaum mit dem Toupé genickt,
Und war’s ein Günstling, ein Bojar,
So ist’s gewiß, daß es noch ärger war;
Sie aßen, tranken — ganz von uns verschieden,
Nicht so, wie andre Sterbliche hienieden.
Der Ohm? Was sind jetzt Fürst und Graf dagegen!
Ein ernster Blick, ein stolzes Wesen
War stets auf seiner Stirn zu lesen.
Doch hätt’ ich den wohl sehen mögen
Der, wenn es Noth that sich zu schmiegen,
So wußte sein Genick zu biegen! —
An einem Gallatag, vor allen Leuten
Hatt’ er das Unglück auszugleiten,
Und so — daß er sich fast den Hals gebrochen.
Der Alte ächzt und krächzt —
Und wie er endlich aufgekrochen,
Hat Ihre Majestät zu lächeln ihm geruht;
Ein Allerhöchstes Lächeln!! — Und was thut
Der Schlaukopf nun! er macht’s noch bunter
Und fällt zum zweitenmal und ärger noch herunter.
Man lacht noch mehr, es schallt der Saal,
Und er steht auf und fällt zum drittenmal!
Nun, wie gefällt das Euch?
Wir nennen’s einen klugen Streich!
Krank fiel er hin, stand aber auf gesund.
Denn seit der Frist
Wen lud man öfter ein zum Whist? —
Und wer hat schmeichelhafteres gehört?
Wer wurde so wie er geehrt?
Der Onkel! Und das nennt ihr Kleinigkeit!
Wer wußte so wie er mit Rängen zu belohnen?
Der Onkel, ja!
Wer schaffte so wie er Pensionen?
Der Onkel! Ah? —
Und nu!
Ihr da, von heute, was sagt Ihr dazu?
Tschatzki.
Ja, in der That, Sie können seufzend sagen:
Die Menschheit sei verdummt in unsern neusten Tagen.
Wie kann man auch — nach solchen Streichen
Die neue mit der alten Zeit vergleichen!
Zwar frisch ist noch die Kunde:
Doch klingt sie glaublich nicht im Munde:
Daß der zu Würden kam,
Der nur die meisten Bücklinge geschnitten,
Der nicht des Kriegs ruhmvolle Narbe trug,
Nein, am Parquette sich die Stirn zerschlug!
Der jedem Niederen — und lag’ er auf den Knieen,
Begegnet’ unerträglich stolz,
Doch wo ein Mächtiger erschien,
In Artigkeiten fast zerschmolz! — —
Man kann mit Recht bezeichnen jene Zeit
Als die der Furcht und Niedrigkeit:
Die niedrigsten und die gemeinsten Triebe
Maskirten sich als Unterthanenliebe; —
Ich rechne Ihrem Onkel dies nicht zu,
Und lasse seine Asche gern in Ruh’ —
Doch sagen Sie, wer wohl in unsern Tagen —
Und möcht’ ihm Kriecherei auch noch so sehr behagen —
Wer würd’ es wagen
Auf’s Spiel zu setzen sein Genick
Für einen gnäd’gen Lächelblick?
Allein in jener Zeit
Erregt’ ein solcher Purzelbaum noch Neid,
Und mancher alte Herr hat still bei sich gedacht:
O hätt’ ich’s doch so klug gemacht!
Ja, Kriecherseelen giebt’s auch jetzt auf Erden
Doch fürchtet jeder lächerlich zu werden;
Und nicht umsonst wird jetzt, da sie nun wen’ger kühn,
Von oben solchen Herrn auch weniger verlieh’n.
Famussoff (bei Seite).
Du großer Gott, er muß ein Carbonari sein!
Tschatzki.
Von solchen Flecken ist die heut’ge Welt wohl rein.
Famussoff.
Gefährlich ist der Mensch!
Tschatzki.
Jetzt athmet man doch frei,
Und Niemand drängt zum Heer der Narren sich herbei.
Famussoff.
Was spricht er da — und redet wie gedruckt!
Tschatzki.
Beim Gönner dann die Decke anzugähnen!
Geduldig warten, höflichst schweigen.
Kratzfüsseln und den Rücken beugen,
Dann, fiel ein Schnupftuch zu den Füssen
Begierig los drauf schießen,
Nach Stühlen laufen, um am Gönnertisch zu speisen! —
Famussoff.
Das also holt’ er sich von seinen Reisen?
Die Freiheit predigt er! Nun eine saubre Führung! —
Wer auf den Gütern lebt, wer in das Ausland reist —
Famussoff.
Mein Gott, was ist doch Deine Zunge dreist,
Du sprichst ja gegen die Regierung!
Tschatzki.
Und wer sich gar erkühnt,
Daß er dem Chef nicht, nur der Sache dient!
Famussoff.
Wär’ ich Monarch, ich hielte solche Herrn
Von meiner Hauptstadt fern
Auf einen Büchsenschuß.
Tschatzki.
Ich lasse Sie zufrieden endlich.
Famussoff.
Nicht auszuhalten ist es — schändlich!
Tschatzki.
Ich schalt erbarmungslos auf Ihre Zeit,
Auf die Vergangenheit;
Doch hören Sie, wir wollen uns vergleichen;
Sie können einen Theil von all dem Tadel streichen
Und unsrer Zeit als Ueberschuß verleih’n,
Ich würde nicht darüber schrei’n.
Famussoff.
Ich habe nichts mit Ihnen mehr zu schaffen,
Irrlehren sind’s, und solche leid’ ich nicht.
(Er hält sich die Ohren zu.)
Tschatzki.
Ich streckt’ ja schon die Waffen,
Und niemand widerspricht.
Gut, gut, ich halt’ die Ohren zu!
Tschatzki.
Weshalb? Ich lass’ Sie ja in Ruh’.
Famussoff (heftig).
Durchschnüffeln da den ganzen Erdenball,
Maulaffen überall —
Dann geht’s nach Haus, nun sag’ mir einer offen,
Von solchen soll man was solides hoffen!
Tschatzki.
Ich hörte auf.
Famussoff.
Um Gotteswill’n lass’ Dich bedeuten!
Tschatzki.
Ich wünsch’ nicht weiter mehr zu streiten.
Famussoff.
Erbarme Dich, lass’ mich in Ruh’!
Die Vorigen. Ein Diener.
Diener.
Der Oberst Scalosúb.
Famussoff (ohne zu hören).
Nur zu, nur immer zu!
Du kommst noch unter’s Halsgericht!
Das ist gewiß, wie zwei mal zwei macht vier.
Tschatzki.
Es ist da jemand angekommen.
Ich höre nichts! Vor’s Halsgericht!
Tschatzki.
Sie haben falsch vernommen:
Es ist ein Fremder vor der Thür.
Famussoff.
Vor’s Halsgericht, vor’s Halsgericht mit Dir!
Tschatzki.
So kehren Sie sich um, Sie kriegten einen Gast.
Famussoff (dreht sich um).
Was? Krieg? Rebellion?
Auf Sodoms Schicksal bin ich längst gefasst.
Diener.
Der Oberst Scalosúb hält vor der Thür,
Befehlen Sie ihn zu empfangen?
Famussoff.
Schaafskopf! Natürlich! sagt’ ich’s Dir
Nicht hundert mal schon? Schneller, lauf —
Bitt’ ihn ergebenst gleich herauf,
Sag’, daß ich hocherfreut, sag’ Wort für Wort,
Sag’, daß ich ihn erwarte, — pack Dich fort! —
(Diener ab.)
(Zu Tschatzki.)
Ich bitte Dich Mosje, folg’ einmal mir:
Es ist ein angeseh’ner Offizier
Hat, für sein Alter unerhört —
Schon einen Rang beneidenswerth,
Hat Orden ohne Zahl,
Ist heute oder morgen General,
Dazu ist er solid in seiner Denkungsart;
Ich bitt’ Dich, nimm Dich jetzt zusammen.
(Kopfschüttelnd.)
Ach, lieber Tschatzki, — nein!
Nicht alles ist mit Dir — so wie es sollte sein! — —
Er ist recht oft und gerne hier —
Du weißt empfangen wird ja jedermann von mir.
Die Leute hier vergrößern alles gleich;
Da spricht man in der ganzen Stadt,
Daß er ein Aug’ geworfen hat
Auf mein Sophiechen — dummes Zeug —!
Nun — möglich wär’s — Sophie ist frisch und roth,
Allein sie ist noch jung; — ich sehe keine Noth
So bald die Tochter aus dem Haus zu geben.
Er mag sie wohl — wenn mich nicht alles trügt,
Doch übrigens, wie es der Himmel fügt.
Ich bitt’ Dich, kommt er her,
So streite nicht die Kreuz und Quer.
Erwäge doch ein jedes Wort
Und wirf die albernen Ideen fort.
Indeß wo bleibt er denn? Was kann das sein?
Er ging gewiß zu mir, auf jene Seit’, hinein.
(Geht eiligst ab.)
Tschatzki (allein).
Was kommt ihm an! Warum wohl so in Feuer!
Und wie steht’s mit Sophie? Das ist bestimmt ein Freier.
Wann that sie je so fremd mit mir,
Und warum ist sie noch nicht hier?
Wer ist der Scalosub?
Dem Vater scheint er ja gewaltig theuer,
Doch ach, es könnte sein
Dem Vater nicht allein! ...
Ja, bleibt drei Jahre nur von Haus,
Dann ist’s mit Lieb’ und Treue aus.
Famussoff. Scalosúb. Tschatzki (im Hintergrunde).
Famussoff.
Herr Oberster hierher, zu uns, hierher!
Hier ist es wärmer, bitte sehr!
Friert Sie? — Die Wärme kann man gleich vermehren,
Ich öffne schnell die Ofenröhren.
Scalosúb (im Bass).
Was, selbst zu klettern, nein, das gebe ich nicht zu!
Auf Offiziersparol, das kann ich nicht erlauben.
Famussoff.
Sie wollen nicht, daß ich für Sie was thu’!
Mein theurer Freund, Sie können glauben
Für Sie, für einen Freund ist alles angenehm.
Nun — machen Sie’s sich recht bequem,
Den Hut hierher, fort mit dem Degen!
Wir wollen ihn bei Seite legen;
Hier ist ein Sopha, federweich.
Scalosúb.
Wo Sie befehlen — mir ist’s gleich.
(Sie setzen sich.)
Ach, bester Freund, hier ist es grad’ am Ort!
Von unseren Verwandten erst ein Wort,
Zwar nur entfernt, zur Erbschaft kommt es nicht —
Ihr guter Vetter gab mir unlängst drüber Licht —
In welchem Grade ist verwandt
Natalja Nikolajewna mit Ihnen?
Scalosúb.
Damit kann ich nicht dienen,
Das ist mir nicht bekannt,
Wir dienten nicht bei einem Regimente.
Famussoff.
Herr Oberst! Wenn ich Sie nicht kennte!
Nein, wer mit mir verwandt,
Den such ich auf und wär’s
Im Grund des Meers!
Da hab’ zum Beispiel jetzt
Die ganze Kanzelei mit Vettern ich besetzt
Ich nehme selten Leute, die mir fremd —
Sie wissen ja, die Haut ist näher, als das Hemd! —
Mein Secretair allein ist nicht mit mir verwandt,
Ich nahm ihn wegen seiner schönen Hand. —
Kommt nun die Zeit heran der Gratificationen,
Da giebt es Kreuzchen hier zu Land,
Und kleine Aemtchen — allerhand —
Wie sollte man Verwandte nicht belohnen!
Doch wollen wir zurück auf Ihren Vetter kommen
Der Ihrer Protection so viel im Dienst verdankt.
Ja, Anno dreizehn war’s, wir thaten uns hervor,
Zuerst im zweiten, dann im sechsten Corps.
Famussoff.
Beglückt der Vater, dem ein solcher Sohn geworden,
Mich dünkt, im Knopfloch trug er einen Orden?
Scalosúb.
Ja, für den dritten Mai, Sie haben recht gesehn,
Wir saßen fest in den Transcheen;
Da galt’s! —
Er kriegt’s im Knopfloch — ich am Hals!
Famussoff.
Ein lieber Mann,
Man sieht ihm gleich den Helden an —
Ein prächt’ger Mensch ist Ihr Herr Vetter!
Scalosúb.
Er hat sich leider jetzt
Gott weiß was in den Kopf gesetzt!
Er wäre eben avancirt,
Da hatt er grad’ den Dienst quittirt,
Und ließ im Stiche Rang und Orden.
Drauf ging er auf sein Landgut hin
Und ist ein Bücherwurm geworden.
Famussoff.
Ja, ja, das Lesen — o der jungen Thoren!
Was geht dadurch nicht später oft verloren!
Für Sie ist mir, was das betrifft, nicht bange;
Längst sind Sie Oberster und dienten doch nicht lange.
Ich hatt’ mit meinen Cameraden sehr viel Glück:
Vacanzen fanden sich fast jeden Augenblick,
Da wurden ältre aus dem Dienst geschlossen,
Und andre — plötzlich — todtgeschossen.
Famussoff.
Ja, ja, nur der besteht,
Den Gott erwählet und erhöht!
Scalosúb.
Doch mancher hat noch größres Pferde-Glück!
Wir gehn nicht weit zurück —
Da nehmen Sie doch nur einmal
Hier in der funfzehnten Division
Zum Beispiel den Brigadegeneral!
Famussoff.
Mein Gott, Sie müssen es doch selber sagen:
Sie können sich wahrhaftig nicht beklagen!
Scalosúb.
Ich thu’s auch nicht, allein dennoch — Sie wissen —
Ich habe nach dem Regiment
Zwei lange Jahre laufen müssen.
Famussoff.
Zwei Jahre laufen — Element!
Dafür in andern Dingen
Die Sie erreicht
Ist es Sie einzuholen wohl nicht leicht.
Scalosúb.
Ja, freilich wird im Corps man ältre finden.
Ich trat erst ein
Im Jahre achtzehnhundert neun.
Allein um rasch befördert sich zu sehn,
Kann man verschiedne Wege gehn,
Und hierin bin ich Philosoph,
Ein jeder Weg ist mir egal
Wenn er nur führt zum General.
Famussoff.
Sie haben so vollkommen Recht zu denken.
Gott mög’ Gesundheit Ihnen schenken,
Und dann den General,
Und haben Sie den Rang einmal —
Dann müssen Sie — was soll das Zaudern sein?
Nach einer Generalin frei’n.
Scalosúb.
Ich sag’ durchaus nicht nein!
Famussoff.
Und das ist doch so leicht, mein Bester!
Da hat der eine Schwester,
Der eine Tochter hier am Ort.
Die Bräute bringt man nicht aus Moskau fort,
Sie mehren sich mit jedem Jahr.
Ach lieber Freund, Sie müssen selbst gesteh’n
Wo kann man in der Welt ein zweites Moskau sehn!
Scalosúb.
Ja, ungeheure Plätze giebt’s zum Exerciren.
Famussoff.
Nicht doch! ich meine den Geschmack und treffliche Manieren,
Die Sitten, die von Alters her noch rühren.
Zum Beispiel nur — man ehrt den Sohn
Hier um des Vaters willen schon.
Ist auch nicht viel an ihm, es wird ihm doch nicht fehlen,
Besitzt er erblich nur so ein paar tausend Seelen —
Der Bräutigam ist fertig —
Und wär’ er noch so widerwärtig.
Ein andrer, sei er auch gescheut
Voll Klugheit und Belesenheit
Und vollgepfropft mit hohen Dingen,
Er wird in unsere Verwandtschaft doch nicht dringen;
Denn darin sind wir ohne Tadel
Wir halten noch allein auf alten ächten Adel.
Und das ist’s nicht allein! — was Gastfreiheit betrifft!
Wer hat vollkommner sie gefunden,
Und hätt’ er auch die ganze Welt umschifft —!
Die Thür ist auf — zu allen Stunden;
Geladen oder nicht, es strömt der Gäste Menge,
Den Wirth erfreut besonders das Gedränge,
Ausländer, die natürlich ganz voran —
Es sei ein Schelm, es sei ein Ehrenmann,
Das ist uns ziemlich gleich, in jedem Falle
Steht unser Mittagstisch gedeckt für Alle.
Ja — wie man uns betrachten möge,
Vom Hacken bis zum Nacken —
Wir Moskowiter haben ein absonderlich Gepräge.
Da, nehmen Sie zum Beispiel unsre Jugend
Die junge Welt, die Söhnchen, Enkelein;
O, die sind fein!
Zwar predigen wir streng Moral und Tugend,
Und doch kann oft mit funfzehn Jahren
Der Lehrer viel von ihnen schon erfahren.
Dann unsere alten Herren, welche Geister!
Im Disputiren sind sie Meister.
Wenn es so losgeht über Staat und Krone,
So sprechen sie wie lauter Salomone.
Ein jeder weiß, er ist aus altem Haus,
Was andre denken, was macht er sich draus!
Und die Regierung, wie mit der sie fahren!
Wenn’s jemand hörte, lass’ uns Gott bewahren! —
Nicht daß sie grad’ was neues wollten — nein
Behüte Gott; allein sie schrei’n
Und streiten über dies und das
Und wissen selber oft nicht — was.
So geht es fast bei jedem Schmaus,
Man lärmt und tobt und — fährt nach Haus.
Wahrhaftig, lauter Kanzler außer Diensten!
(Leiser.)
Und im Vertraun — noch unreif ist die Zeit —
Doch ohne diese Herrn kommt man gewiß nicht weit. —
Die Damen gar, das sind die höchsten Richter,
Doch richt’ sie einer nur, da machen sie Gesichter,
Und wenn beim Kartenspiel die Stimme sie erheben
Da giebt es oft Tumult,
Daß wirklich alle Fenster beben.
Mit Frauen schenk’ uns Gott Geduld,
Ich weiß es leider ganz genau
Ich selber hatt’ ja eine Frau!
Wir haben Frau’n, wahrhaftig desperat!
Sie sind in allem firm, schickt sie in den Senat,
Schickt vor die Fronte sie; zum Beispiel da
Irina Wlássjewna, Lukérja Alexiéwna,
Tatjana Júrjewna, Pulcheria Andréewna!
Dann unsere Töchter! Ist’s nicht wahr?
Die königliche Majestät im vor’gen Jahr
Als sie geruht zu uns zu kommen zum Besuch,
Konnt’ sich verwundern nicht genug.
Sie fand sie grad’ nicht klassisch schön,
Doch klassisch wohlerzogen.
Und wahrlich, unsere Töchter sind’s auch — ungelogen —
Wie sie verstehen sich zu kleiden,
In Mousselin und Sammt und Seiden!
Sie können selbst — es ist ein Ohrenschmaus
Französische Romanzen singen,
Und von den Noten zwingen
Die allerhöchsten sie heraus. —
Besonders hängen sie am Militair,
Das — kommt vom Patriotismus her.
Ja, ja, man suche nach in allen Reichen,
Man forsche nach von Land zu Land,
Nichts ist mit Moskau zu vergleichen.
Scalosúb.
Ja wohl, und seit dem großen Brand
Ist unser Moskau ganz charmant.
Famussoff.
O nichts davon! Da haben uns geklungen
Die Ohren schon genug! Ja, was für Neuerungen
Seitdem sieht doch ein jedes Haus,
Trottoirs und Straßen anders aus.
Tschatzki (in den Vordergrund tretend).
Die Häuser wurden neu, die Vorurtheile blieben! —
Sie brauchen sich nicht zu betrüben.
Was können Moden, Jahre, Brand und Krieg!
Den Vorurtheilen blieb der Sieg.
Famussoff (leise).
Mach’ Dir doch einen Knoten zum Gedächtniß.
Zu schweigen bat ich Dich so sehr,
Wird Dir denn das so schrecklich schwer?
(Zu Scalosúb.)
Herr Oberst — hier — wenn Sie erlauben —
Des seel’gen Tschatzki, meines Freundes, Sohn,
Er dient nicht — sollten Sie es glauben!
Ein Eigensinn!
Das heißt — er sieht im Dienste nicht Gewinn.
Doch wenn er wollte, könnt’ er vieles leisten.
Er schreibt vortrefflich, übersetzt —
Schad, schade das, — das muß man sagen!
Tschatzki.
Recht schade — daß Sie nicht wen anders so beklagen,
Denn selbst Ihr Lob hat mich verletzt. —
Famussoff.
So richt’ ich nicht allein, ich höre es von Allen.
Tschatzki.
Und wer sind diese Richter? Wie?
Sind es nicht etwa die,
Die ihrer Glatze wegen schon allein
Uns Jugendsinn und Freiheit nicht verzeih’n?
Sie schlagen in Journälen nach
Und möchten alles Alte gleich vergöttern.
Sie schöpfen Urtheil aus vergessnen Zeitungsblättern,
Aus jener Zeit, die von Otschákoff sprach
Und der Eroberung der Krimm. —
Woher der ew’ge Haß und Grimm?
Das neue lassen sie nicht gelten
Und singen stets das alte Lied,
Stets fertig sind sie nur zu schelten
Und sie bekritteln, was geschieht,
Und merken’s an sich selber nimmer
Das: um so älter um so schlimmer!
Wer nicht so denkt wie sie — den nennen sie Verräther!
Wo sind sie denn, des Landes Väter,
Von denen man als Muster spricht!
Ich seh’ sie nicht! —
Ist’s etwa der?
Ein Millionär
Durch Dieberei geworden?
Und der mit vollem Sack und seiner Brust voll Orden
Dem Schwerdt der Themis trat entgegen?
Natürlich sank der guten Göttin Degen
Herab, so viel Verdienst zu lieb,
Und sehen Sie — nun baut der Dieb
Sich einen prächtigen Pallast
Wo festlich er mit dem gestohlnen Gute prasst,
Die Gäste strömen hin zu Hauf;
Doch stände wohl ein Gast
Als Kläger seines Wirthes auf?
Wer würde wohl in Moskau sich erfrechen
So weit zu gehn
Von irgend jemand schlecht zu sprechen,
Der Bälle giebt und Assembleen? —
Ist wohl mein Richter der, vor dem ich einst den Rücken
In meiner Kindheit mußte bücken?
Gott weiß aus welchen räthselhaften Gründen! —
Der Nestor — alt und grau in Sünden,
Der seine Diener oft verwettet
Wenn er im Zorne und berauscht:
Und den, der Ehre ihm und Leben oft gerettet
Weil es ihm so gefällt, mit einem Windhund tauscht? —
Ist’s jener, der zu ganzleibeigenem Ballet
Die Kinder von den Aeltern reißt
Und sie nach Moskau kommen heißt?
Sie werden auch in großen Schaaren
Und fuderweis hierher gefahren
Wo er, der nur vom Zephyr träumt
Und Amoretten-Reigen
Stolz ist der Stadt sein Werk zu zeigen.
Doch leider steckt er sehr in Schulden,
Die Gläub’ger woll’n sich nicht gedulden
Und all die Seelen da, von ihm getauft
Zu Amoretten und Zephyren
Sie werden nun nach Rechtsgebühren
Stückweise unterm Hammerschlag verkauft! — — — —
Da haben Sie’s! Und das sind unsre Richter!
Das sind die Sterne und die Lichter!
Das sind die Alten und die Weisen
Die Sie mir stets als Muster preisen.
Und was geschieht? Versuch’s ein junger Mann,
Der nicht das Kriechen leiden kann —
Und lege sich mit ganzer Kraft
Allein nur auf die Wissenschaft:
Er will nicht Stellen, will nicht Rang,
Er fühlt nun einmal einen andern Drang —
Der Himmel goß vielleicht in seine Brust
Des künstlerischen Schaffens Lust,
Sogleich erhebt man ein Geschrei
Mordjo! Verrätherei!
Man fliehet ihn, wie einen tollen Hund
Und munkelt von geheimem Bund. —
Die Uniform — nur sie, ja! ja! — In frührer Zeit
Hat ihre Stickerei manch Eselsohr bedeckt.
Wie viel Verächtlichkeit
Wird unter ihrem Glanz versteckt!
Und wir, wir sollen nun dieselben Wege gehn?
Es ist nicht auszustehn!
Und eben die Manie kann man ja schau’n
Bei unsern Mädchen, unsern Frau’n!
Ich selbst war unlängst noch verliebt in die Livrei,
Doch jetzo lach’ ich über solche Narrethei.
Doch anders ging es damals her,
Wer war nicht ganz vernarrt in’s Militär?
Einst bei’m Besuch von Gardeoffizieren
Schien unsre Damenwelt die Sinne zu verlieren:
Sie schrien Hurrah! Kaum ist’s zu glauben,
Und warfen in die Luft die Hauben.
Famussoff (bei Seite).
Es wird ihm noch gelingen
In’s Unglück mich zu bringen! —
(Laut zu Scalosúb.)
Verzeihen Sie, Herr Oberst, ich muß fort,
Doch ich erwarte Sie im Kabinette dort.
(Geht ab.)
Scalosúb und Tschatzki.
Scalosúb.
Was mich besonders intressirt
Ist, wie Sie so geschickt berührt
Die Vorurtheile unsrer Stadt
Die man hier für die Garde hat.
Die Garde — das ist ihre Wonne!
Man schaut sie an wie eine Sonne.
Warum zieht man sie vor
Zum Beispiel unserm ersten Corps?
Worin blieb dieses vor der Garde je zurück?
Hat’s schlecht’re Taillen etwa und Geschick?
Was wollen diese Evastöchter,
Sitzt unsre Uniform denn schlechter?
Ich kann gleich ein’ge Offiziere nennen
Die selbst französch parliren können.
Scalosúb. Tschatzki. Sophie (stürzt zum Fenster). Lisette.
Sophie.
Ach Gott — er fiel — er ist verloren! ah!
(Sinkt hin auf einen Stuhl.)
Tschatzki.
Wer fiel?
Scalosúb.
Sag’, was geschah?
Tschatzki.
Vor Schreck liegt sie in Ohnmacht ja!
Scalosúb.
Wer denn! Woher! Was ist passirt?
Tschatzki.
Hat sie sich weh gethan?
Stieß sie wo an?
Was ist geschehn?
Scalosúb.
Ist was dem Alten arrivirt?
Lisette (immer bei Sophien beschäftigt).
Ach seinem Schicksal kann man nicht entgehn!
Moltschálin stieg zu Pferde
Es bäumte sich, er stürzt’ zur Erde
Und grade Kopfvoran.
Scalosúb.
Zu straff zog er die Zügel an,
Ja, so ein Sonntagsreiter vom Civil!
Ich will doch hören wie er fiel
Ob seitwärts oder ob nach vorne.
(Geht ab.)
Tschatzki. Lisette. Sophie (in Ohnmacht).
Tschatzki.
Wie soll man helfen, sage schneller!
Lisette.
Dort steht ein Glas auf einem Teller.
(Tschatzki läuft fort und holt Wasser — alles wird halbleise und schnell gesprochen.)
Schnell gießen Sie ’s ins Glas!
Tschatzki.
Das ist schon lang gescheh’n!
Lös ihr das Mieder! —
Die Schläfen reib’ mit Essig doch!
Besprenge sie mit Wasser noch!
So, so — sie athmet wieder
Nun fächle sie. — Sophie?
(Sophie seufzt.)
Lisette.
Da seufzte sie!
Tschatzki.
Sieh’ aus dem Fenster — da —
Da steht Moltschálin ja!
Und diese Kleinigkeit konnt’ sie erschrecken!
Lisette.
Es muß in Damen-Nerven stecken.
Das Fräulein kann es nicht ertragen,
Fällt Jemand über Kopf und Kragen.
Tschatzki.
Besprenge sie mit Wasser doch,
So recht — noch einmal — noch!
Ach!
Was ist geschehn, mir ist so schwach!
Wer ist um mich?
(Springt auf, heftig.)
Wo ist er, sprich?
Was ist’s mit ihm?
Tschatzki.
Ei, welch ein Ungestüm!
Ich wollt’ er hätte sich den Hals gebrochen,
Er schreckte Sie zu Tode fast.
Sophie.
Das war unmenschlich doch gesprochen,
Sie wollen es, daß man Sie haßt!
Tschatzki.
Ich sollte mich auch noch mit ihm befassen?
Sophie.
Ja! eilen, laufen, ihn erretten!
Tschatzki.
Und Sie in Ohnmacht liegen lassen?
Sophie.
Was sind Sie mir? Doch war es fremdes Unglück ja!
Und läg’ der eigne Vater da,
Sie rührt’ es nicht.
(Zu Lisette.)
Komm’ schnell, was stehst Du noch?
Lisette (führt Sophie zum Fenster).
Wohin, besinnen Sie sich doch!
Er lebt, es ist ihm nichts geschehn,
Sie können ihn hier aus dem Fenster sehn.
(Sophie eilt zum Fenster.)
Tschatzki (bei Seite).
Entsetzen, Ohnmacht, Zorn! — So kann man nur empfinden
Wenn den Geliebten man verliert!
Sophie (zu Lisette).
Siehst Du, wie sie den Arm ihm binden!
Er kommt, er wird herauf geführt!
Tschatzki.
Ich wollt’, ich hätt’ mit ihm den Hals gebrochen!
Lisette.
Per compagnie! Nun das ist brav gesprochen.
Sophie.
Ach, lassen Sie’s beim Wunsch!
Die Vorigen. Scalosúb. Moltschálin (den Arm in der Binde).
Scalosúb.
Da ist er! Er erstand!
Und unverletzt! — Nur seine Hand
Bekam was ab und etwas hier der Arm
Das ganze war „un faux allarm!“
Moltschálin.
Ich habe Sie erschreckt? Ach nein?
Mein Gott, Sie werden doch verzeih’n!
Scalosúb.
Ich glaubte nicht — auf Ehre!
Daß man durch solche Kleinigkeit
Codille gleich verlöre!
Sie stürzten her in großer Eile,
Und ich erschrak, so wahr ich ehrlich bin!
Sie fielen gar in Ohnmacht hin
Und alles für die Langeweile!
Für nichts und wieder nichts.
Sophie (ohne aufzublicken).
Ich seh’ es ein — und doch
Am ganzen Leibe zittr’ ich noch.
Tschatzki (bei Seite).
Und zu Moltschálin nicht ein Wort?
Sophie (wie oben).
Es fehlt mir nicht an Muth
Wirft auch der Wagen um, ich fahr’ gleich weiter fort —
Doch konnt’ ich nie mit kaltem Blut
Es sehn, wenn andre in Gefahr,
Und wenn es gleich ein Unbekannter war. —
Und wenn der Schaden auch geringe
Es ist unmöglich, daß ich mich bezwinge.
Tschatzki (bei Seite).
Will sie bei jenem sich vielleicht
Entschuldigen, daß sie Gefühl gezeigt
Für irgend einen in der Welt!
Scalosúb.
Erlauben Sie, da fällt
Mir ein Histörchen ein;
Die Fürstin Lassoff hier ist Reiterin,
Ob Wittwe zwar, von Profession,
Doch meistens reitet sie allein,
Den Cavalieren scheint sie nicht sehr zu gefallen.
Die Arme ist in diesen Tagen
Vom Pferd gefallen
Und hat sich arg zerschlagen;
Die Schuld lag an dem Tölpel von Jokei,
Er zählte Mücken wohl und sprang nicht schnell herbei!
Sie soll schon ohnedem sehr unbeholfen sein,
Nun, sagt man, soll ihr eine Rippe fehlen —
Und darum möcht’ sie wieder sich vermählen,
Und sucht jetzt eifrig einen Mann
Der sie als Rippe stützen kann.
(Er lacht.)
Sophie.
Mein Gott, Herr Tschatzki, das ist was für Sie!
Was meinen Sie zu der Parthie?
Sie sollten recht so menschenfreundlich sein,
Als Rippe sich der Wittwe weih’n —
Denn fremdes Unglück rührt Sie ja so ungemein!
Tschatzki.
Sie haben Recht! Ich hatte ja das Glück
Und rief zum Leben Sie zurück,
Als bleich und athemlos Sie hier in Ohnmacht lagen;
Allein für wen ich’s that, das weiß ich nicht zu sagen.
(Nimmt den Hut und geht ab.)
Die Vorigen ohne Tschatzki.
Sophie (zu Scalosúb).
Nun heute Abend — sehn wir Sie?
Wie früh?
Sophie.
Ich bitte nicht zu spät — wir haben unser Kränzchen,
Und zum Klavier macht man ein Tänzchen,
Sie wissen ja, der Trauerfall
Gestattet jetzo keinen Ball,
Sie werden Freunde nur vom Hause sehn.
Scalosúb.
Sehr wohl — doch muß ich jetzt zu Ihrem Vater gehn;
Ihr Diener!
Sophie.
Adieu!
(Verbeugung und Abschiednehmen. Scalosúb geht ab, schüttelt aber erst Moltschálin die Hand.)
Die Vorigen ohne Scalosúb.
Sophie.
Moltschálin, sprechen Sie, was haben Sie gemacht!
Ich weiß nicht, wie ich noch bei Sinnen,
Ach hätten Sie an mich gedacht,
Sie setzten nicht Ihr — mir so theures Leben
So muthwillig auf’s Spiel.
Doch sagen Sie — wie ist’s mit Ihrem Arm?
Hat sich der Schmerz gegeben?
Zum Doktor schicken Sie vor allen Dingen,
Soll man nicht Tropfen bringen?
Moltschálin.
Seitdem der Arm in dieser Binde
So schmerzt er nur noch ganz gelinde.
Es ist ja nichts, ich will gleich wetten!
Die Binde steht ihm nur so gut —
Doch wer kann Sie vor bösen Zungen retten,
Ich bitt’ Sie, sei’n Sie auf der Hut.
Denn Tschatzki — ach, der kann’s schon machen,
Daß über Sie die Leute lachen;
Und wenn der Oberst erst sich in die Haare fährt
Um sein Toupé recht schön
Zurecht zu drehn,
Dann fängt er sicher an, die Ohnmacht zu erzählen
Und an Verschönerungen wird’s nicht fehlen.
Selbst dieser Mensch will witzig sein!
Ach Gott! Wer ist nicht witzig heut zu Tage!
Sophie.
Als ob nach diesen Zwei’n ich frage!
Wer mir gefällt, den mag ich
Und was ich will, das sag’ ich.
Moltschálin ach, wie hab’ ich mich bezwungen!
Als Sie in’s Zimmer traten,
Mich um Verzeihung baten,
Wie hab’ ich da im Innersten gerungen!
Vor jenen durft’ ich es nicht wagen
Sie anzusehn, Sie zu befragen.
Moltschálin.
Und doch — Sie müßten besser sich verstellen.
Sophie.
Wie sollt’ ich das, wenn alle Pulse schwellen!
Ich wollt’ hinaus zum Fenster springen,
Ich war halb todt und sollte mich bezwingen.
Es mag die Herrn da ärgern und verdriessen,
Was geht’s mich an, was mach’ ich mir aus diesen,
Aus irgend jemand, aus der ganzen Welt!
Mag sie doch reden, wie es ihr gefällt?
Moltschálin.
Möcht’ diese Offenheit uns nur nicht Schaden bringen!
Sophie.
Man wird Sie doch nicht zum Duelle zwingen?
Moltschálin.
Ach schlimmer wohl als Degen und Pistolen
Sind scharfe Zungen.
Lisette.
Bei Ihrem Vater sind die Beiden drin,
Wie wär’s, Sie gingen gleich dahin
Und stellten sich ganz unbefangen,
Wir glauben gern, was wir verlangen. —
Den Tschatzki müssen Sie vor allen Dingen
Zum Schwatzen bringen —
Indem Sie jene Jugendzeit berühren.
Ein bischen Liebelei, ein Wort, ein Blick
Damit kann man zum Glück
Bequem Verliebte an der Nase führen.
Moltschálin.
Ich wage Ihnen nicht zu rathen —
(Küßt Sophiens Hand.)
Sophie.
Wie?
Auch Sie?
Sie wollen’s also auch?
Ach, liebenswürdig sein, mit Augen ganz in Thränen?
Ich kann mich an Verstellung nicht gewöhnen,
Es fällt mir nichts so schwer.
Was schickte Gott doch diesen Tschatzki her!
(Geht ab.)
Die Vorigen ohne Sophie.
Moltschálin.
Du Engel, allerliebster Engel Du!
Lisette.
Mein Gott, ihr seid schon zwei, laßt mich doch nur in Ruh!
Moltschálin.
Welch ein Gesichtchen! Höre:
Ich bin verliebt in Dich, auf Ehre!
Lisette.
In mich — verliebt? — Sind Sie gescheut?
Ich denke doch — Sophie,
Das Fräulein lieben Sie.
Moltschálin.
Dienstpflicht und Schuldigkeit;
Allein zu Dir fühl’ ich die reinste Liebe —
Lisette.
Aus Langerweile? Ja —
Ich kenne diese heißen Triebe!
Ich bitte Sie — nur nicht zu nah —
Nein, nein, nur fort!
Moltschálin.
Hör’ nur — ein Wort!
Ich habe drei ganz allerliebste Sachen,
Sie könnten manche glücklich machen;
Hör’ nur Lisette:
Vor allem eine Toilette
Von einer Arbeit — wunderfein!
Ein kleiner Spiegel drauf, ein kleiner Spiegel drin.
Und alles ringsum ächt vergoldet.
Ein Kissen, ganz mit Perlen ausgenäht
Und allerlei perlmutternes Geräth,
Und Nadelbüchsen gar zu niedlich!
Und Scheeren, alles so apptitlich!
Zerriebne Perlen — Schminke auch dabei
Und dann auch sonst noch allerlei.
Verschiedene Pomaden
Für Lippensprung und andre Schaden.
Lisette.
Sie wissen es — ich bin nicht intressirt —
Doch sagen Sie, woher das rührt,
Daß Sie so blöd beim Fräulein sind,
Und bei der Zofe recht ein Sausewind?
Moltschálin.
Ich bin heut’ krank und komme nicht zum Essen,
Du schleiche zu mir unterdessen
Ich sag’ Dir alles heimlich dort.
(Geht ab.)
Lisette. Sophie.
Sophie.
Ich komm’ vom Vater, Beide waren fort;
Ich bin nicht wohl und will nicht speisen mit dem Alten,
Geh’ zu Moltschálin hin
Und bitte ihn
Daß er herauf kommt, mich zu unterhalten.
(Geht ab.)
Lisette allein.
Nun das ist eine tolle Wirthschaft hier!
Das ist ergötzlich.
Sie läuft nach ihm, und er nach mir,
Und ich — ich fürcht’ die Liebe ganz entsetzlich, — —
Doch, — — unser Diener beim Büffet,
Der Peter — ist doch gar zu nett!!
(Der Vorhang fällt.)
Ende des zweiten Akts.
Eleganter Saal.
Tschatzki, etwas später Sophie.
Tschatzki.
Erwarten will ich sie —; ich muß sie sehn.
Sie muß es mir gestehn
Wen sie denn liebt. Ist es der Sekretair,
Ist es der Oberst — oder wer?
Moltschálin? dieses gute Tröpfchen!
Ein so armseliges Geschöpfchen!
Wie kam er zu Verstand? — und Jener? lieber Gott!
Solch heis’res, halberwürgtes Baßfagott! —
Gewohnt als Sternbild stolz zu glänzen
Bei den Maneuvern und Masurkatänzen!
Geschick der Liebe, du —
Spielst mit uns blinde Kuh!
(Sophie tritt auf.)
Sie sind’s? Wie mich’s erfreut
Ich wünscht’ es grad!
Zu äußerst ungelegner Zeit!
Tschatzki.
Mich suchten Sie zwar nicht?!
Sophie.
O nein!
Tschatzki.
Und freilich mag es nicht ganz passend sein,
Doch — einerlei — ich muß Sie drum befragen:
Wen lieben Sie? — Ich bitt’ es mir zu sagen!
Sophie.
Ach Gott! die ganze Welt!
Tschatzki.
Doch wer am besten Ihnen drin gefällt
Das sagen Sie.
Sophie.
Gar viele, — die mit mir verwandt — —
Tschatzki.
Und Alle mehr als ich?
Sophie.
Ja — einige! — —
Tschatzki.
Entschieden also ist’s! Was ist dabei zu machen —
Mich bringt’s zum Rasen — Sie zum Lachen!
Sophie.
Versteh’n Sie Wahrheit zu ertragen? —
Ich möchte Ihnen nur zwei Worte sagen:
Warum ist Ihre Lust so groß
Giebt sich ein andrer etwas bloß?
Ist etwas lächerlich — Sie werden’s gleich gewahr,
Und selbst —
Tschatzki.
Ich selbst bin lächerlich? Nicht wahr?
Sophie.
Ja — dieser böse Blick — der scharfe Ton,
In jedem Worte bittrer Hohn, —
Und — Sie besitzen
Unzähl’ge Eigenheiten noch,
Und Strenge gegen sich — die könnte Ihnen nützen.
Tschatzki.
Ich eigen? Gut! So sagen Sie mir doch
Wer keine Eigenheiten zeigt?
Moltschálin wohl, der einem Dummkopf gleicht
So wie ein Ei dem andern? — Wie?
Sophie.
Die alten Beispiele! Ich kenne sie!
Klar ist’s, Sie sind gestimmt, auf Alle
Zu gießen Ihre schwarze Galle.
Ich — stör’ Sie ungern drin.
(Will fort.)
Tschatzki (hält sie auf).
Sie wollen fort?
O hören Sie nur noch ein einz’ges Wort!
(Bei Seite.)
Einmal will heucheln ich — und mich bezwingen.
(Laut.)
Den Streit — den lassen wir — vor allen Dingen —
Sie haben Recht! Es thut mir Leid,
Und gegen ihn, Moltschálin, ging ich wohl zu weit.
Es sind verflossen fast drei Jahr,
Er ist vielleicht ein andrer, als er war.
Auf Erden sieht man vieles sich verändern,
Verfassungen und Sitten und Verstand,
Das Clima selbst von ganzen Ländern!
Gar wicht’ge Leute, wohlbekannt,
Die wurden früher Dummköpfe genannt,
Schlecht als Soldaten und Poeten;
Noch andre — nun, ich fürcht’ mich sie zu nennen
Sie werden sie — wie alle Welt — ja kennen —
Von diesen hat man nun erfahren,
Daß in den letzten Jahren
Sie ganz gewaltig wurden klug.
Mag sein, Moltschálin ist — ein solches Kraftgenie,
Doch frag’ ich eins, versteht er Sie?
Und brennt in ihm ein solches Feuer,
Daß ihm auf Erden nichts so theuer
Und nichts so heilig ist, als Sie?
Sein Herz — wird es mit schnellern Schlägen
Bei Ihrem Anblick sich bewegen?
Sind Sie die Seele seines Strebens?
Sind Sie der Endzweck seines Lebens?
Und so fühl’ ich — doch kann ich’s nicht beschreiben.
Allein die stumpfe Wuth, die bittren Schmerzen
In meinem wundzerriss’nen Herzen,
Die wünsch’ ich meinem Todfeind nicht! — — —
Und er? — Er schweigt
Und neigt
Das Köpfchen auf die Seite,
Natürlich ist er zahm, denn solche Leute
Die kennen edle Hitze nicht!
Gott weiß, was für ein Schatz in ihm verborgen liegt!
Gott weiß, mit was für Eigenschaft,
Mit welcher hohen Geisteskraft
Sie ihn geschmückt! — Er dachte nicht daran.
Sie haben alles das aus ihm gemacht
Was Ihre Phantasie sich liebend ausgedacht;
Er ist an gar nichts schuld — Sie sind’s allein.
Nein, nein!
Ich gebe zu, was man auf Erden
Nur irgend kann.
Mag er doch klug sein, stündlich klüger werden;
Doch ist er Ihrer werth?
Das muß ich Sie nur fragen,
Um den Verlust mit kaltem Blut zu tragen. —
Hierüber geben Sie mir Licht,
Als einem Bruder, einem Freund,
Der’s immer ehrlich doch mit Ihnen hat gemeint.
Der einst mit Ihnen auferzogen
Und dem Sie doch als Kind gewogen;
Sobald ich überzeugt von Ihrem künft’gen Glück,
So zieh’ ich mich sogleich zurück.
Dann will ich mich bemüh’n
Dem Wahnsinn zu entflieh’n.
Dann eil’ ich in die Welt hinein
Um zu vergessen, um mich zu zerstreun
Und nie will ich mehr an die Liebe denken.
Da hab’ ich einen toll gemacht
Und ohne daß ich dran gedacht.
(Laut.)
Was soll ich’s läugnen?
Es konnte sich was Schreckliches ereignen —
Moltschálin konnt’ um seinen Arm erst kommen,
Und lebhaft hab’ ich Antheil dran genommen;
Doch Sie vergaßen etwas zu bedenken:
Kann man nicht jedem Antheil schenken
Und ohne Ansehn der Person?
Doch könnte schon
In dem — was Sie vermuthen — Wahrheit sein,
Und eifrig will ich seinem Schutz mich weih’n.
Sie nehmen ihrer Zunge wenig wahr,
Sie achten niemand — offenbar!
Und selbst der sanfteste — kann’s nicht vermeiden.
Er muß von Ihrem Zorne leiden
Und wird mit Spott von Ihnen überhäuft:
Wenn man ihn nennt — wenn ihn Ihr Blick nur streift —
So werden Sie gleich bitter
Und hageln ein Gewitter
Von Witz und Bosheit auf ihn los!
Ist wirklich der Genuß so groß?
Nur Scherz und immer Scherz! Welch ein Vergnügen!
Kann solches Ihrem Geiste wohl genügen?
Tschatzki.
Mein Gott — gehör’ ich wirklich zu den Schwachen,
Die nichts im Leben thun, als lachen?
Ich lache — ja —
Wenn ich recht lächerliche Leute sah,
Doch öfter noch sind sie mir ennuyant.
Sophie.
Vergeblich weisen Sie den Vorwurf von der Hand,
Und schieben andern zu, was Ihnen selbst gebührt;
Moltschálin hat Sie sicher niemals ennuyirt,
Denn wer, wie ich, ihn oft und näher sah —
Tschatzki (bitter).
Wie traten Sie ihm denn so nah?
Sophie.
Ich sucht’ ihn nicht, der Himmel hat’s gewollt
Und hier im Hause ist ihm jeder hold.
Bei meinem Vater dient er nun drei Jahr,
Oft schilt der ihn, denn es ist wahr —
Das Alter macht so eigen,
Doch stets entwaffnet er ihn durch sein Schweigen;
Verzeiht ihm alles — weil er seelengut; —
Er könnte doch, wie mancher andre thut
Auf Lustbarkeiten sich zerstreun
Doch nein!
Nie geht er aus.
Beim Alten bleibt er stets zu Haus
Und wenn wir andern lachen
Und scherzen, Possen machen,
Sitzt er beim Vater oft zu ganzen Tagen,
Es mag ihm — oder mag ihm nicht behagen,
Und spielt mit ihm. —
Er spielt, und wenn man schilt
So bleibt er ewig sanft und mild?
(Bei Seite.)
Nein, einen solchen Wicht
Den liebt sie nicht!
Sophie.
Zwar jenen Geist wird man in ihm nicht finden können,
Den einige Genie — doch andre Pest benennen,
Und den nach kurzem Glanz wir überdrüssig werden,
Der tadelt was geschieht — im Himmel und auf Erden,
Damit die Welt ihn nennt auf einen Augenblick;
Doch gründet solch ein Geist Familienglück?
Tschatzki.
Soll das Moral — soll das Satyre sein?
(Bei Seite.)
Sie liebt ihn nicht, nein, nein!
Sophie.
Man kann Bewunderung ihm nicht versagen:
Wie nachgiebig, wie fein ist sein Betragen!
Nie hat sich seine Stirn in Falten je gelegt,
Selbst ruhig, läßt er andre auch in Ruh’
Und schlägt nicht gleich die Kreuz und Quere zu.
Und grade das, daß er so viel erträgt,
Das macht es, daß ich ihm gewogen.
Tschatzki (bei Seite).
Sie scherzt — sie liebt ihn nicht — sie hat mich nur betrogen!
(Laut.)
Ich kenn’ Moltschálin; sparen Sie
Sein Bild zu malen sich die Müh’ — —
Doch Scalosúb — das ist ein Mann
Bei dessen Anblick schon man sich vergessen kann.
Für unser Heer
Steht wie ein Felsen er,
Und ist durch seines Basses Allgewalt
Durch seine Taille und Gestalt
Ein Held —
Sophie (schnell).
Nicht im Romane meines Lebens.
Tschatzki.
Sie zu errathen ist vergebens.
Die Vorigen. Lisette.
Lisette (leise zu Sophie).
Mein Fräulein, kommen Sie herein,
Moltschálin wird sogleich bei Ihnen sein.
Sophie (leise zu Tschatzki).
Verzeihen Sie, wenn ich von Ihnen eile.
Tschatzki.
Wohin denn?
Sophie.
Zum Friseur.
Tschatzki.
Ei, das hat gute Weile!
Sophie.
Die Lockeneisen würden kalt.
Tschatzki.
Ei, immerhin!
Die Gäste kommen bald.
Tschatzki.
Nun Gott verzeih’s! Sie lassen mich zurück
Mit einem Räthsel! — Doch auf einen Augenblick
Erlauben Sie, daß ich in Ihr Zimmer gehe,
Damit ich jene Räume wiedersehe —
Wo alles mir so lieb! — Erwärmen möcht’ ich mich,
Aufathmen möchte ich
Nur einmal wieder,
Der Zeit gedenkend, die dahin!
Ich bleib’ nur zwei Minuten drin.
Und dann — bedenken Sie — Mitglied bin ich vom Clubb —
Zum Dank will ich, zu aller Welt Erstaunen
Tagtäglich ausposaunen,
Daß klug Moltschálin ist, und geistreich Scalosúb.
(Sophie zuckt mit den Achseln, geht ab und schließt die Thür hinter sich. Lisette ist ihr gefolgt.)
Tschatzki, bald darauf Moltschálin.
Tschatzki.
Sophie! Ist wirklich dir bestimmt ein solcher Tropf? — — —
Und warum nicht? — Er hat nicht viel im Kopf,
Allein zur Vaterschaft
Wem fehlt es da an Geisteskraft!
Gefällig ist er — artig — und hat rothe Wangen.
(Moltschálin schleicht herein und nähert sich zuerst Sophiens Thür, als er aber Tschatzki bemerkt bleibt er stehn und macht sich was zu schaffen.)
Da ist er — auf den Zeh’n! Und stumm, — wie hat er’s angefangen
Sich in Sophiens Herz zu stehlen?
Wie war es möglich den zu wählen?
(Zu Moltschálin.)
Sieh’ da! Herr Sekretair! Wie geht’s denn Ihnen?
Wir konnten uns noch nicht zwei Worte sagen.
Es geht doch gut? — Ich brauch’ Sie kaum zu fragen.
Moltschálin (näher tretend).
Ganz nach dem Alten stets — zu dienen.
Tschatzki.
Das heißt?
Moltschálin.
Nun heut’ wie gestern — Tag für Tag.
Tschatzki.
Und immer pünktlich mit dem Schlag?
Am Tag die Feder, Abends die Parthie,
Gleich Fluth und Ebbe? — Wie?
Moltschálin.
Ich bin hier beim Archiv drei Jahr im Dienst
Und für etwaiges Verdienst,
Und meinen Eifer zu belohnen
Erhielt ich dreimal Gratificationen.
Tschatzki.
Sie lockt der Glanz der Ehrenstellen?
Moltschálin.
Nein!
Allein —
Da jeder Mensch so sein Talentchen hat —
Sie haben — —?
Moltschálin.
Zwei!
Ich bin bescheiden und bin accurat.
Tschatzki.
Nun, meiner Treu!
Das sind Talente wunderbar! — —
Doch — es ist wahr —
Sie wiegen all’ die unsern auf.
Moltschálin.
Sie hatten nicht viel Glück in Ihres Dienstes Lauf?
Tschatzki.
Nicht jeder dienet sich herauf.
Durch Menschen wird der Rang erreicht,
Und Menschen täuschen sich so leicht.
Moltschálin.
Wir wunderten uns sehr! Wie konnte das geschehn?
Tschatzki.
Ich kann hierin nichts wunderbares sehn!
Moltschálin.
Bedauert wurden Sie.
Tschatzki.
Sie konnten sparen diese Müh’.
Moltschálin.
Tatjána Júrjewna, die Excellenz
Erzählt’ bei ihrer Rückkehr aus der Residenz,
Sie wären gut von wicht’gen Männern aufgenommen,
Doch plötzlich sei dazwischen was gekommen.
Tschatzki.
Geschwätz von Frauenzimmern!
Was hat sich doch die Alte drum zu kümmern?
Moltschálin.
Tatjána Júrjewna, die Excellenz?
Tschatzki.
Ich kenn’ sie nicht!
Moltschálin.
Tatjána Júrjewna?! Die Excellenz?
Tschatzki.
Daß wir uns nicht gesehn, ist ewig lange her.
Doch hörte ich, daß abgeschmackt sie wär’.
Moltschálin.
Die Excellenz? Um’s Himmelswillen — nein —
Das muß wohl eine andre sein.
Die Excellenz ist ja befreundet und verwandt
Mit allen, die in Moskau dienen,
Ich rathe Ihnen
Ihr einmal die Visite doch zu machen.
Tschatzki.
Ich dächte gar! Es wär’ zum Lachen!
Moltschálin.
Wir finden Gönner oft
Wo wir es kaum gehofft.
Ich schätze, glauben Sie’s, die Damen nicht geringe,
Und mache gern den Hof — allein um andre Dinge.
Moltschálin.
Wie ist sie gut und wie gefällig,
Wie ist ihr Haus gesellig!
Den ganzen Winter giebt sie Bälle
Man kann nichts prachtvolleres sehn.
Tschatzki.
Ich werde über ihre Schwelle
Gewiß nicht gehn!
Moltschálin.
Im Sommer giebt sie Gartenfeste.
Tschatzki.
Ich bin nicht von der Zahl der Gäste.
Moltschálin.
Bedenken Sie, — es kann doch dazu führen
Hier froh zu leben und zu avanciren!
Tschatzki.
Mein Herr, bin ich im Dienst, so bin ich ganz dabei,
Und trenne streng davon jedwede Narrethei.
Zwar giebt’s gescheute Leute — hier zumal —
Die beides zu vereinigen verstehn,
Doch wie Sie sehn, —
Gehör’ ich nicht zu ihrer Zahl.
Moltschálin.
Verzeihen Sie — ich seh’ darin noch kein Verbrechen;
Sie werden, denk’ ich, einst gewiß noch anders sprechen.
Phomá Phomítsch, zum Beispiel, den Sie kennen —
Tschatzki.
Nun was?
Moltschálin.
Bei drei Ministern dient’ er schon
Und stets als Chef bei einer Section, —
Und jetzt — —
Ist er aus Petersburg hierher versetzt.
Tschatzki.
Nun das ist mir ein Mann von Kopf!
Ein Mensch, ganz ohne Geist — ein leerer Tropf!
Moltschálin.
Erlauben Sie, von aller Welt
Wird hier sein Styl als Muster aufgestellt.
Sie haben ganz gewiß noch nichts von ihm gelesen?
Tschatzki.
So närrisch bin ich nie gewesen;
Nie las ich dummes Zeug und Musterdummheit gar!
Moltschálin.
Was ich so las schien mir vorzüglich — zwar
Schriftsteller bin ich nicht —
Tschatzki.
Ja, das ist klar,
An allem merkt man es.
Moltschálin.
Nie würd’ ich mich erfrechen
Ein eignes Urtheil auszusprechen.
Warum denn so geheim?
Moltschálin.
Gott mög’ in meinen Jahren
Vor eigner Meinung mich bewahren!
Tschatzki.
Mein Gott, Sie sprechen ja, als wären Sie noch Kind!
Als ob nur Meinungen von andern heilig sind!
Moltschálin.
Abhängig muß man doch einmal von andern sein.
Tschatzki.
Und weßhalb muß man’s sein?
Moltschálin.
Ei nun — mein Rang ist klein.
Tschatzki (halb laut).
Mit solcher Denkungsart, mit solchem Geist ihn lieben,
Sie hat mich nur getäuscht und ihren Scherz getrieben!
Im Grunde öffnen sich mehrere Thüren auf einen zweiten Saal, alles ist erleuchtet, Diener treten auf. Moltschálin geht ab. Tschatzki bleibt im Vordergrunde.
Ein älterer Diener.
He Philipp, Thomas, rührt euch, frisch!
Hierher noch einen Kartentisch,
Bringt Lichte, Bürsten her und Kreide!
(Er klopft an Sophiens Thür.)
Mamsell Lisette, hören Sie, Sie können nur dem Fräulein sagen:
Natalie Dmítrewna ist hier
Mit ihrem Mann, und vor der Thür
Hält schon ein zweiter Wagen.
(Ab.)
Tschatzki. Natalie Dmítrewna. Goritscheff.
Natalie Dmítrewna.
Wie, seh’ ich recht — ja — es sind seine Züge!
Herr Tschatzki, wenn ich mich nicht trüge?
Tschatzki.
Sie seh’n mich zweifelnd an, vom Kopf bis zu den Füßen.
Es wär’ doch wunderbar,
Daß mich verändert so drei Jahr!
Natalie Dmítrewna.
Ich dacht’ mir alles andre ehr
Als Sie in Moskau zu begrüßen.
Nun woher?
Wann sind Sie angelangt?
Tschatzki.
So eben.
Natalie Dmítrewna.
Das ist schön!
Und auf wie lang?
Tschatzki.
Ich werde sehn!
Doch Sie? Ich kann nicht zu mir vor Erstaunen kommen.
Sie haben unbegreiflich zugenommen.
Was haben Sie nur angefangen?
Welch Gliederspiel und welche rothe Wangen!
Verjüngt, voll Geist, im Blicke welche Laune?
Was ist geschehen? Ich erstaune!
Natalie Dmítrewna.
Ich habe mich vermählt.
Tschatzki.
Das mußten längst Sie sagen!
Natalie Dmítrewna.
Mein Mann, ein einz’ger Mann — ich darf mich nicht beklagen —
Gleich ist er hier. — Nicht wahr — ich mache Sie bekannt?
Tschatzki.
Ich bitt’ Sie drum!
Natalie Dmítrewna.
Gewiß, Sie finden ihn charmant.
Ein Blick genügt.
Tschatzki.
Ich glaub’s! Es ist Ihr Mann.
Natalie Dmítrewna.
O deßhalb nicht allein,
Man kann nicht liebenswürd’ger sein.
Durch eignen Werth, durch Geist und durch Verstand
Ist mein Platon als ganz vorzüglich anerkannt.
Er ist jetzt Civilist, war früher Militair,
Er dient nicht mehr, und alle Welt bedauert dieses sehr.
Denn dient’ er weiter — sehen Sie —
Bei solcher Tapferkeit und dem Genie
So meinen alle — die ihn früher kannten —
Er hätt’s in Moskau hier gebracht
Ganz sicher bis zum Commandanten.
Die Vorigen. Platon Goritscheff.
Natalie Dmítrewna.
Da ist er, mein Platon Michailowitsch!
Tschatzki.
Was, der?
Mein alter Freund! Nun sieh’, welch Ungefähr!
Platon.
Ah! — — —
Willkommen Bruder, bist Du wieder da!
Tschatzki.
Platon mein Freund — es macht Dir Ehre,
Du führst Dich ja vorzüglich, wie ich höre!
Platon.
Ja — sieh — was alles noch aus einem werden kann.
In Moskau leb’ ich jetzt und bin ein Ehemann.
Tschatzki.
Und jene Zeit, wo Du im Felde standst
Und höchste Lust im Lärm des Lagers fandst —
Der Trommel und Trompete Ton —
Vergessen also alles schon?
Ich glaub’ Du liegst jetzt auf der faulen Bank,
Und trankst in vollen Zügen Lethe?
O nein, ich übe jetzt auf meiner Flöte
Ein großes Duo in A-moll.
Tschatzki.
Nun, das ist toll,
Das übtest Du bereits in deiner Jugend!
Indeß bei einem Ehemann
Ist’s gut — wenn man doch rühmen kann
Beständigkeit als seine erste Tugend.
Platon.
Freund — denke an mein Wort:
Wird Dir einst eine Frau zu Theile,
Du pfeifst gewiß vor Langerweile
Ein und dasselbe immerfort.
Tschatzki.
Wie Langeweile — ei, das ist nicht gut!
Zahlst Du ihr wirklich schon Tribut?
Natalie Dmítrewna.
Mein Mann war früher an Beschäftigung gewöhnt,
Das fällt jetzt weg. — Revue’n und die Parade,
Und dann die Reitbahn fehlt ihm Morgens nachgerade.
Tschatzki.
Was hält Dich ab, mein Freund? Zum Regiment mit Dir,
Such eine Eskadron — Du bist wohl Stabsoff’zier?
Natalie Dmítrewna.
Ach nein, zu kränklich ist mein armer Mann!
Tschatzki.
Ist’s möglich, wie, Du kränklich und seit wann?
Er leidet an rheumatischen Beschwerden
Und auch am Kopf.
Tschatzki.
Hier wird’s nicht besser werden.
Beweg’ Dich, reite mehr, zieh’ in den Süden hin.
Die Landluft ist allein schon ein Gewinn.
Natalie Dmítrewna.
Mein Mann liebt Moskau gar zu sehr!
Er muß genießen doch sein Leben —
Was soll er in die Wildniß sich begeben!
Tschatzki.
Du liebst die Stadt? Wer hätte das gedacht!
Entsinne Dich, wie oft hast Du sie nicht verlacht.
Platon.
Ach Freund, die alten Zeiten sind nicht mehr.
Natalie Dmítrewna.
Mein Männchen, komm recht fort!
Hier ist’s so frisch — hör’ doch ein Wort —
Dein Rock ist aufgeknöpft und auch die Weste —
Platon.
Ich bin nicht was ich war!
Natalie Dmítrewna.
Komm, knöpf’ sie feste!
Hör’ doch, mein Engelchen —
Platon (ruhig).
Ja, ja!
Komm von der Thüre doch hierher,
Hier zieht der Wind.
Platon.
Ja Bruder, ich bin nicht der alte mehr.
Natalie Dmítrewna.
So höre doch ein Wort,
Um’s Himmelswillen komm von der Thüre fort!
Platon.
Ach liebes Kind!
Tschatzki.
Nun das geht weit!
Verwandelt in so kurzer Zeit?
Bei’m Regiment im vor’gen Jahr
Warst Du ja noch der wackerste Husar!
Bei Tagesanbruch schon zu Pferde
Verspottetest Du jegliche Beschwerde. —
Wie oft — mit ungestümer Lust
Sah man auf wildem Hengst, mit offner Brust
Dem Herbst-Sturm Dich entgegenreiten!
Platon.
Ach Camerad’, das waren schöne Zeiten!
Die Vorigen. Fürst Tugoúchoffski nebst Gemahlin und sechs Töchtern.
Natalie Dmítrewna (aufkreischend).
Fürst Peter Illjitsch, ah’ die liebe Fürstin!
Und ah mon Dieu — Sisi, Mimi, die Lieben!
(Geräuschvolle Begrüßung, auch Tschatzki verbeugt sich. Die Damen setzen sich links in einen Halbkreis und betrachten einander von oben bis unten.)
Wie allerliebst ist die Façon von Ihrem Kleide!
Zweite Fürstin.
Mit Garnitur besetzt —
Erste Fürstin.
Und welche schöne Seide!
Natalie Dmítrewna.
Mein Atlastürluru — das sollten Sie erst seh’n!
Dritte Fürstin.
Es hat mir eine Schärpe der Cousin gebracht,
Nein, — die ist wunderschön!
Vierte Fürstin.
Ach ja, — und von barège, eine Pracht!
Fünfte Fürstin.
Ganz köstlich ist sie.
Sechste Fürstin.
Herrlich, ja!
Die alte Fürstin (zu Natalie).
Wer ist der junge Mann im Winkel da,
Er grüßte uns, als wir in’s Zimmer traten?
Ich hab’ schon hin und her gerathen.
Natalie Dmítrewna.
Ein Angereister — Tschatzki.
Die alte Fürstin.
Ah!
Hat er den Dienst verlassen?
Natalie Dmítrewna.
Ja,
Vom Ausland kehrt er eben erst zurück.
Ist ledig er?
Natalie Dmítrewna.
Ja, noch garçon.
Die alte Fürstin (zum Mann).
Erlaucht, Erlaucht, — auf einen Augenblick!
Geschwinder.
Der Fürst (nähert sich mit seinem Hörrohr).
O! — hm? —
Die alte Fürstin.
Den jungen Herrn dort
Natalie Dmítrewna’s Bekannten — den da —
Lad’ ein zu unserm Ball, am Dienstag — mach’ nur fort!
Der Fürst.
I—hm!
(Er schleicht um Tschatzki herum und hustet.)
Die alte Fürstin.
So geht es, wenn man Kinder hat!
Ein Ball ist einmal ihr Vergnügen;
Man quält sich müd’, man quält sich matt,
Und weiß oft Tänzer nicht zu kriegen! —
Er ist doch Kammerjunker?
Natalie Dmítrewna.
Nein.
Die alte Fürstin.
Doch reich?
Natalie Dmítrewna.
O, nein!
Die alte Fürstin (so laut als möglich).
Erlaucht, Erlaucht, zurück, zurück sogleich!
Die Vorigen. Die Gräfin Chrumin und ihre Großtochter.
Die junge Gräfin.
Ah! grand-maman! Wer kommt denn auch so früh!
Wir sind die ersten hier!
(Beide entfernen sich in einen andern Saal.)
Die alte Fürstin (zu Natalie).
Nun hören Sie!
Sehr artig das! Die ersten hier!
Uns zählt sie nicht; ei welch ein Vornehmthun!
Ein boshaftes Geschöpf; und alte Jungfer nun
Schon eine Ewigkeit! Nun Gott verzeihe ihr!
Die junge Gräfin
(kommt zurück und nähert sich lorgnettirend Tschatzki).
Ah! Monsieur Tschatzki hier? Wer hätte das gedacht!
Und noch der alte stets?
Tschatzki.
Warum sollt’ ich mich ändern?
Die junge Gräfin.
Sie sind ja doch gereist in vielen fremden Ländern
Und haben keine Frau vom Ausland mitgebracht!
Tschatzki.
Vom Ausland?
Die junge Gräfin.
Ja! Bei diesen fremden Damen,
Da fragt man nicht nach Herkunft, Stand und Namen,
Und unsre jungen Herrn, wenn sie nach Hause kehren,
Die pflegen uns gewöhnlich zu bescheren
Mit Schwägerinnen und Cousinen
Aus Modemagazinen.
Die Unglücksel’gen — ja! — Von Damen,
Die sich Modistinnen zum Muster nahmen,
Da werden sie nun ausgeschmählt,
Daß sie, statt der Copien —
Originale sich gewählt!
Die Vorigen. Mehrere neue Gäste, darunter Sagorétzki. Die Herren scharren, grüßen und gehen weiter oder auf und ab. Sophie kommt aus ihrem Zimmer, Alle ihr entgegen.
Die junge Gräfin (zu ihr).
Eh bonsoir, vous voilà! Jamais trop diligente,
Vous nous donnez toujours le plaisir de l’attente.
Sagorétzki (zu Sophien).
Zu morgen — haben Sie
Schon ein Billet zur Komödie?
Sophie.
Ach nein!
Sagorétzki.
Hier ist eins — wenn Sie mir erlauben!
Allein Sie können es mir glauben
Vergeblich hätte Ihnen
Ein anderer versucht darin zu dienen;
Wie bin ich aber deshalb auch gelaufen!
Erst wollt’ ich’s an der Kasse kaufen —
Doch — auf mein Ehrenwort —
Es war schon alles fort.
Nun fuhr ich zum Direktor hin,
Da ich sein guter Freund ja bin —
Umsonst! — Was glauben Sie!
Am Abend schon vorher konnt’ niemand mehr was kriegen!
Zu dem — zu jenem ging es nun in Einem Lauf —
Ich hetzte Alle auf!
Um dieses endlich mußt’ ich einen Freund betrügen,
Ich nahm es gradzu mit Gewalt.
Es ist ein Stubenhocker, schwach und alt,
Was konnt’s ihm nützen
Er mag zu Hause ruhig sitzen.
Sophie.
Ich danke Ihnen für’s Billet recht sehr,
Für Ihre Mühe aber noch viel mehr.
(Es kommen neue Gäste. Sagorétzki geht zu den Herren rechts.)
Sagorétzki (zu Platon).
Ah, guten Abend!
Platon.
Scher’ Dich fort!
Geh pack’ Dich dort
Zu deinen Damen,
Um deine Lügen auszukramen!
Wenn ich Dich schildre wie Du bist,
So kann von Dir ich manche Wahrheit sagen,
Die schlimmer wohl als jede Lüge ist. —
(Zu Tschatzki.)
Hier präsentir’ ich Dir den Herrn
Antón Antónitsch Sagorétzki. —
Ich wüßte gern,
Wie man, doch ohne grob zu sein,
Dergleichen Leute fein
Und dennoch wahr bezeichnen könnte!
Er ist ein Weltmann und gewandt —
Als Schelm von allen anerkannt —!
Nimm Dich in Acht vor ihm, denn was Du sagst
Das hört er mit besondern Ohren;
Und wenn Du gar zu spielen mit ihm wagst,
So bist Du ganz und gar verloren.
Sagorétzki.
Origineller Murrkopf Du!
Nun — schimpf’ nur zu,
Kein Tröpfchen Galle ist in Deinen Scherzen.
Tschatzki.
Drum nehmen Sie sich’s nicht zu Herzen!
Auch außer Ehrlichsein giebt es der Freuden viel,
Hier schimpft man, dort erreichet man das Ziel.
Platon.
Ach Bester, nein
Man schimpft bei uns
Und — ladet dennoch ein.
(Sagorétzki verliert sich im Hintergrunde.)
Die Vorigen. Madame Chlestow.
Madame Chlestow (zu Sophien).
Na! Leicht ist’s nicht mit fünf und sechzig Jahren
So weit zu Deinem Ball zu fahren.
Ich brauchte eine ganze Stunde von Pokrow.
(Setzt sich links in den Vorgrund neben Sophie.)
Ich kann nicht mehr! — Ach Nichtchen, welche Plage —
Und dunkel ist’s wie einst am jüngsten Tage.
Aus Langerweile nahm ich mit
Mein Mohrenmädchen und den Spitz — ich bitt’
Befiehl, man soll sie heut’ beim Abendessen
Zu füttern nicht vergessen. —
Gott grüß’ Sie, Fürstin! — Ja, Sophie, ich sage Dir
Die Mohrin ist ein Wunderthier.
Ein Krauskopf — krumm das Schulterblatt und Tatze —
Voll Zorn und Bosheit — ganz Manieren einer Katze.
Und ach wie schwarz und ach wie häßlich —
Was hat doch alles Gott der Herr erschaffen!
Ich sag’ Dir gräßlich!
Frappant der Satanas! — Willst Du sie sehn?
Sophie.
Es kann ein andermal geschehn.
Madame Chlestow.
Und stell’ Dir vor, wie wilde Thiere
So führt man sie herum, um sie zu zeigen.
Man hat mir das erzählt, da ist so eine Stadt
In der Türkei, der Name klingt so eigen —
Und rath’ wer mir sie zum Präsent gemacht? — —
Der Sagorétzki hat sie mir gebracht.
(Sagorétzki horcht auf und kommt näher.)
Er lügt ein bischen, spielt auch falsch und ist ein Dieb —
(Sagorétzki geht eilig fort.)
Allein er thut doch einem viel zu lieb.
Ich hatte mir schon ausgebeten
Er sollt’ nicht über meine Schwelle treten,
Da bringt vom Jahrmarkt er die Mohrin mir —
Er sagte zwar, daß er gekauft sie hätte,
Ich glaub’ es aber nicht, — ich wette
Er hat gewonnen sie
Im Kartenspiele irgendwie!
Gott schenk’ Gesundheit ihm dafür.
Tschatzki (zu Platon lachend).
Von solchem Lob pflegt man nicht zu gesunden!
Selbst Sagorétzki hielt’s nicht aus und ist verschwunden.
Madame Chlestow.
Wer ist der lust’ge Mann, der dort so laut gelacht?
Weß Stand’s?
Sophie.
Der Tschatzki ist’s —
Madame Chlestow.
Das hab’ ich gleich gedacht!
Was kann der Narr denn da zu lachen finden?
Es ist gewiß die größte aller Sünden
Sich über alte Leute lustig machen
Und graue Haare auszulachen.
Ich weiß, mit ihm hast Du als Kind getanzt, —
Ich hab’ ihn oft curanzt
Ich zupft’ ihn an den Ohren tüchtig,
Allein noch viel zu wenig, das ist richtig!
Die Vorigen. Famussoff.
Famussoff (sehr laut).
Sieh’ da, Erlaucht — und Sie sind hier?
Und im Portraitsaal warten wir!
Ist denn der Oberst Scalosúb nicht hier,
Sergeí Sergéitsch? Wie? In aller Welt
Es ist ja doch ein Mann, der in die Augen fällt,
Der Oberst Scalosúb!
Madame Chlestow.
Gott helfe mir!
Er hat mich ganz betäubt und schreit ja Zeter,
Und lärmt ja ärger noch als ein Trompeter!
Die Vorigen. Scalosúb. Später Moltschálin.
Famussoff.
Ah, ah, ah, ah! Herr Oberster, zu spät! — Nach zehn!?
Wir warteten und warteten! — Nun das ist schön!
Erlauben Sie — hier meine Schwägerin —
Die Sie dem Rufe nach schon lange kennt.
Madame Chlestow.
Sie dienten — glaub’ ich — hier — beim Regiment —
Wie heißt es gleich? Da bei den Grenadiren?
Scalosúb.
Sie meinen Seiner Hoheit Regiment
Von Neuland — bei den Musketiren.
Madame Chlestow.
Ich hab’ es nicht zur Meisterschaft gebracht
Um all’ die Unterschiede zu begreifen.
Scalosúb.
Dazu sind formgemäße Streifen;
Die Litzen, Latzen und Lampassen
An den Monturen muß
Man ganz zuerst ins Auge fassen.
Famussoff.
Sergeí Sergéitsch, kommen Sie!
Wir wollen gleich ein Whistchen machen;
Ich sage Ihnen, die Parthie
Ist wirklich um sich todt zu lachen.
(Zum Fürsten.)
Erlaucht, ich bitte, folgen Sie!
Madame Chlestow (zu Sophie).
Nun, Gott sei Dank — fast wäre ich erstickt!
Dein Vater ist ja rein verrückt,
Und scheint bezaubert von dem Goliath zu sein.
So, mir nichts, Dir nichts, macht er uns bekannt,
Und fragt nicht ob’s mir lieb, ob es mir ennuyant.
Moltschálin (mit einer Karte).
Madame, ich bracht’ für Sie
Zusammen Ihre Whistparthie.
Phomá Phomítsch und Monsieur Kock und — ich.
Madame Chlestow.
Ach, tausend Dank, mein Lieber!
(Steht auf und nimmt Moltschálin’s Arm.)
Moltschalin.
Ihr Spitz ist doch ein einz’ger Spitz!
Er ist ja wie ein Fingerhütchen klein
Ich streichelt’ ihn, sein Fellchen ist so fein
Wie das von einem Biber. —
Madame Chlestow.
Ach, tausend Dank, mein Lieber.
(Sie gehen ab, mehrere Gäste folgen ihnen.)
Tschatzki. Sophie. — Im Hintergrunde einige Gäste.
Tschatzki.
Bravissimo! Die Wolke ist zerstoben!
Sophie.
Ich bitte —
Tschatzki.
Ei, was fürchten Sie?
Den Zorn der Alten hat er ja gewendet,
Ich wollte ihn gerad’ drum loben!
Sophie.
Mit einer Bosheit hätt’ es doch geendet.
Tschatzki.
Soll ich jetzt sagen, was ich dachte?
Die alten Weiber sind verdrießlich,
Und darum ist’s ersprießlich
Wenn man recht einen dienstbefliss’nen Mann
An ihre Seite stellen kann.
Moltschálin der erschien ja plötzlich
Dem Blitzableiter gleich. Es war ergötzlich!
Wer sänftigte wie er, so friedlich Zank und Streit?
Wer streichelt’, so wie er, den Mops zu rechter Zeit?
Wer präsentirt’ mit Scharfsinn und Geschick
Das Kärtchen in dem rechten Augenblick?
Nein, auf mein Wort,
In ihm lebt Sagorétzki einstmals fort. —
Sie haben
Mir alle seine Gaben
Erst hergezählt;
Doch glaub’ ich, daß noch vieles fehlt.
(Ab.)
Sophie allein, dann Herr N. N.
Sophie.
Ach dieser Mensch, wie er mich stets verstimmt,
Wie beißend ist er, wie ergrimmt,
Wie voller Neid
Und Bosheit und Hochmüthigkeit!
N. N.
So in Gedanken! Wie?
Sophie.
Ich dacht’ an Tschatzki.
N. N.
Wie finden Sie ihn denn nach seiner Reise?
Sophie.
Ich finde ihn verrückt!
N. N.
Verrückt, wahrhaftig? Ist es möglich?
Sophie (nach einer kleinen Pause).
Nun toll — das grade nicht!
N. N.
Doch merkt man etwas, wenn er spricht?
Sophie.
Mir scheint es so.
(Sieht nach der Thür wo Tschatzki abging.)
In seinen jungen Jahren
Wie konnt’ ihm solch’ ein Unglück widerfahren?
Sophie.
Ja, es ist schlimm! — (bei Seite) Er glaubt daran!
Ah Tschatzki —! And’re stets zu necken
Das lieben wir! — Nun mag er’s selber schmecken!
(Ab.)
Herr N. N. Herr D.
N. N.
Verrückt — so scheint es ihr!
Sehr möglich dünkt die Sache mir,
Wie wär’ sie sonst auch drauf gekommen!
(Zu D.)
Ah, hast Du schon vernommen?
Herr D.
Und was?
N. N.
Von Tschatzki.
Herr D.
Nein, kein Wort!
N. N.
Er ist verrückt.
Herr D.
So geh’ doch fort!
N. N.
Ich sag’ es nicht, ich hab’ es nur gehört.
Und bist nur froh, es weiter gleich zu tragen.
N. N.
Es wäre doch der Mühe werth
Auch noch bei andern nachzufragen.
(Ab.)
Herr D. allein, dann Sagorétzki.
Herr D.
Ja, glaubt den Schwätzern nur!
Da hören sie das dümmste Zeug
Und wiederholen es sogleich.
(Zu Sagorétzki.)
Hast Du von Tschatzki was gehört?
Sagorétzki.
Was denn?
Herr D.
Daß er gestört?
Sagorétzki.
Ich weiß, ich weiß, wie sollt’ ich das nicht wissen!
Wie oft schon hab’ ich’s hören müssen!
Es ging ja ganz besonders dabei her:
Dem pfiffigen Oheim ward’s nicht schwer
Im Narrenhause ihn zu betten;
Sie banden ihn und nun sitzt er in Ketten.
Herr D.
Erbarme Dich, er war ja eben hier,
Vor einem Augenblick sah ich ihn neben Dir.
Dann ist’s gewiß
Daß er sich los von seiner Kette riß.
Herr D.
Nun, liebster Freund — mit Dir
Ist weiter keine Zeitung nöthig;
Doch will ich gleich und ohne Säumniß
Die andern dort befragen.
Doch darfst Du es beileibe niemand sagen —
Noch ist es ein Geheimniß.
(Ab.)
Sagorétzki, dann Natalie Dmítrewna.
Sagorétzki.
Was kann das für ein Tschatzki sein?
Verbreitet ist der Name —
Mit einem Tschatzki war ich einst bekannt —
(Zu Natalie Dmítrewna.)
Sie wissen’s doch Madame?
Natalie Dmítrewna.
Was denn?
Sagorétzki.
Von Tschatzki, nun, er stand noch eben hier.
Natalie Dmítrewna.
Ich weiß — er sprach mit mir.
Sagorétzki.
So gratulir’ ich Ihnen — er ist toll!
Natalie Dmítrewna.
Was?
Ja; man sagt mir er verlor
So eben den Verstand.
Natalie Dmítrewna.
Nun stellen Sie sich vor!
Ich merkt’ es auch schon und was gilt die Wette,
Daß gleich das nämliche gesagt ich hätte.
Die Vorigen. Die alte Gräfin.
Natalie Dmítrewna.
Nein das ist wunderbar, das ist was neues!
Gestört?
Frau Gräfin haben Sie gehört
Von dem malheur, das hier gescheh’n —
Das ist doch einzig — das ist schön!
Die alte Gräfin.
Mein Schatz, es liegt mir in den Ohren heut’,
Du mußt mir’s etwas lauter sagen.
Natalie Dmítrewna.
Ich hab’ dazu durchaus nicht Zeit,
Ich muß die andern ja befragen.
Il vous dira toute l’histoire.
(Ab.)
Die alte Gräfin. Sagorétzki.
Die alte Gräfin.
Wie, — was, es ist hier doch nicht Feuer ausgebrochen?
Nein — Tschatzki hat den Sturm erregt.
Die alte Gräfin.
Was? Tschatzki hat man in den Thurm gelegt?
Sagorétzki.
In der Türkei ist er verwundet worden
Beim Aug’ und wurde davon toll.
Die alte Gräfin.
Freimaurerorden?
Was, oder ist er Türk’ geworden?
Sagorétzki.
Der bringt man es nicht bei!
(Ab.)
Die alte Gräfin.
Antón Antónowitsch! Auch er läuft fort!
Erschreckt und außer sich scheint alles dort
Zu sein —
Die alte Gräfin. Der Fürst.
Die alte Gräfin.
Erlaucht, Erlaucht! Ach Gott —! der alte Mann
Auf Bällen, wenn man kaum noch kriechen kann!
Na, haben Sie gehört?
Der Fürst.
A? hm? —
Die alte Gräfin.
Er hört auch gar nichts mehr!
Vielleicht hat er’s gesehn,
Was hier gescheh’n —
War nicht die Polizei im Haus?
Der Fürst.
E? hm? —
Die alte Gräfin.
Wer brachte Tschatzki hier hinaus?
Der Fürst.
I! hm? —
Die alte Gräfin.
Ja, Tschatzki wird Soldat —
Ist das ein Spaß? Er ist ein Renegat.
Er wurde ja Mahomedaner!
So ein verdammter Voltairianer!
Was? — ah? — Taub Alterchen? — Sie hören schwer?
So geben Sie Ihr Rohrchen her.
Ach nein!
Es ist doch arg so taub zu sein!
Die ganze Gesellschaft, später Famussoff, zuletzt Tschatzki.
Mad. Chlestow.
Verrückt? Nun bitt’ ich Sie!
Wie ist das so ganz plötzlich denn gekommen.
Sophie —
Hast Du es schon vernommen?
Platon.
Wer bracht’ nur das Gerede aus?
Natalie Dmítrewna.
Ach, liebes Männchen — Alle!
Nun freilich in dem Falle
Da muß ich hier
Wohl schweigen;
Doch zweifelhaft erscheint es mir.
Famussoff (kommt rasch hinzu).
Wie? Was? Von Tschatzki ist die Rede?
Und jemand zweifelt noch? Ich hab’s zuerst entdeckt,
Und wunderte mich längst, daß er nicht eingesteckt.
Probier’ es einer nur den Rücken
Vor irgend jemand tief zu bücken
Und sei der Mann auch noch so groß und mächtig —
Ja, wär’ es der Monarch —
Gleich nennt er’s niederträchtig.
Mad. Chlestow.
Ein Spötter ist er noch dabei:
Ich sagte erstlich was, da fing er an zu lachen.
Die junge Gräfin.
Mich wollt’ er zur Modistin machen!
Moltschálin.
Mir sagte er — ich rathe Ihnen
In Moskau beim Archive nicht zu dienen.
Natalie Dmítrewna.
Und meinem Mann rieth er in Moskau nicht zu leben,
Er sollte fort und sich auf’s Land begeben.
Sagorétzki.
Aus allem klar: — verrückt — verrückt!
Ich hab’ es gleich in seinem Aug’ erblickt.
Famussoff.
Er schlägt der Mutter nach. — Es ist bekannt
Achtmal verlor die Sel’ge den Verstand.
Mad. Chlestow.
Was fällt nicht alles vor auf Erden!
In seinem Alter toll zu werden!
Er trank gewiß
Nicht im Verhältniß seiner Jahre.
Die alte Fürstin.
Gewiß!
Die junge Gräfin.
Das muß es sein!
Mad. Chlestow.
Champagner goß er gläserweis hinein.
Natalie Dmítrewna.
Oh, nein, — ich kann’s betheuern
In Flaschen und dazu in ungeheuern!
Sagorétzki (eifrig).
Was Flaschen, nein, ich weiß es besser
Er trank, Gott straf’ mich, ganze Fässer.
Famussoff.
Ach geht mir doch — ein großes Unglück das,
Guckt eine Mannsperson auch etwas tief in’s Glas,
Nein, nein — der Unterricht — das ist die wahre Seuche,
Gelehrsamkeit die macht’s, daß jetzt in unserm Reiche
Der Wahnsinn um sich greift und solche Schändlichkeiten
Und arge Meinungen sich mehr und mehr verbreiten.
Und grad’ heraus — wie könnt’ es anders sein?
Verrückt wird man schon ganz allein
Von dieser ungeheuren Zahl
Von Schulen und Pensionen und — Geschichten,
Lyceen und Landkartenschulen allzumal
Wo sie sich wechselseitig unterrichten.
Die alte Fürstin.
Ach nein!
Mir ist ein Institut in Petersburg bekannt,
Das Pä—da—go—gische, so, glaub’ ich, wird’s genannt,
Die Professoren legen sich dort recht auf Ketzerei’n!
Ein junger Mann, verwandt mit unserm Haus,
Studirte dort und kam vor kurzem erst heraus.
Was glauben Sie? Er könnte auf der Stelle
In jeder Apotheke sein Geselle!
Er flieht die Damen — mich sogar — der Spötter —!
Die Ränge haßt er, denken Sie!
Und treibt Botanik und Chymie —
Fürst Theodor, mein Vetter!
Scalosúb.
Ich will Sie allgesammt erfreun
Mit einer Neuigkeit: Ganz allgemein
Sagt man, wie es im Werke sei,
Daß mit Gymnasien und Schulen und Lyceen
Ein großer Fortschritt soll geschehn:
Man wird dort lehren jetzt auf unsre Art: — eins — zwei!
Die Bücher aber hebt man auf
Für feierliche Fälle.
Nein, Feuer drunter auf der Stelle!
Will man vom Bösen sich befrein,
So muß es mit der Wurzel sein.
Sagorétzki (mit affectirter Bescheidenheit).
Bitt’ um Vergebung sehr,
Die Bücher muß man unterscheiden.
Wenn ich, zum Beispiel, Censor wär’,
Die Fabeln würde ich nicht leiden!
O Gott, die sind mein Tod! die ew’gen Witzelein
Auf Löw’ und Adler da — wie sie nach Raube dürsten —
Man sage, was man will, es sind doch immer Fürsten.
Mad. Chlestow.
Ach meine Herrn, mir scheint es wirklich einerlei,
Wenn man verrückt wird, — ob Gelehrsamkeit,
Ob Trinken Schuld dran sei!
Um Tschatzki thut’s mir leid,
Aus Christenpflicht muß man ihn schon bedauern
Er hatte Mutterwitz und — hat dreihundert Bauern.
Famussoff.
Vierhundert!
Mad. Chlestow.
Nein, mein Bester, drei!
Famussoff.
Vierhundert hat er.
Mad. Chlestow.
Drei!
Famussoff.
In dem Kalender steht’s —
Ach die Kalender lügen!
Famussoff.
Vierhundert auf ein Haar —
Das Schrei’n und Streiten ist nun Ihr Vergnügen.
Mad. Chlestow.
Es ist nicht wahr!
Dreihundert sind es — drei —
Als ob ich das nicht weiß, was andre Menschen haben.
Famussoff.
Begreifen Sie denn nicht!
Vierhundert sind’s.
Mad. Chlestow.
Nein, drei, drei, drei!
Die Vorigen. Tschatzki.
Natalie Dmítrewna.
Da kommt er selbst herbei!
Die junge Gräfin.
Scht!
Alle.
Scht!
(Ziehen sich zurück.)
Mad. Chlestow.
Nun, wenn er seinen Raptus kriegt,
So kommen wir noch alle vor’s Gericht.
Famussoff (bei Seite).
Ach! Gott sei mir jetzt gnädig!
(Laut.)
Mein liebster Freund —
Es scheint —
Du bist nicht recht bei Laune.
Nach einer Reise braucht man Ruh’.
Zeig’ deinen Puls — ich glaube Du
Bist nicht ganz wohl? Geh’ recht nach Haus.
Tschatzki.
Ich halt’s auch nicht mehr aus!
Ich hab’ so viel umarmen heut’ gemußt,
Mir schmerzt davon die Brust;
Die Füße sind erlahmt vom Scharren und vom Bücken,
Die Ohren thun mir weh vom Schreien und Entzücken.
Und ach der Kopf ist fast
Verrückt von all dem dummen Zeuge!
(Er nähert sich Sophien.)
Mein Geist erliegt des Kummers Last;
Ich bin in dieser Menge wie verloren.
Warum ging ich nach Moskau hin,
Wo ich nicht mehr ich selber bin!
Mad. Chlestow.
Ei, hört doch an!
Nun ist gar Moskau Schuld daran.
Famussoff (giebt Sophien Winke).
Geh’ nicht so nah’ Sophie! —
(Bei Seite.)
Sie hört nicht, was ich sage!
Sophie (zu Tschatzki).
Was hatten Sie denn nun für eine neue Plage?
Ach, eine Kleinigkeit!
Ein wind’ger Franzmann aus Bordeaux
Erzählt’ dort ein’gen Damen froh,
Wie er sich früher unser Land gedacht,
Und was er für Ideen sich gemacht,
Und wie er fest geglaubt, daß wir Barbaren wären.
Doch alle Angst sei nun vorbei,
Man sollte, sagt’ er, wirklich schwören,
Daß Moskau noch in Frankreich sei;
Denn Sitte, Sprache, so wie Moden
Versetzten ihn auf vaterländ’schen Boden.
Ihn freut’ es ohne Gleichen, —
Uns kann’s zur Freude nicht gereichen.
Kaum endete der kleine Mann,
Als alle Welt zu seufzen laut begann:
Ah, Frankreich, einzig Land, ach göttliches Paris,
Ja Frankreich ist das ird’sche Paradies!
So stöhnten zwei geschminkte Damen,
Die mir so vor wie Papageien kamen,
Zwei Fürstinnen, die ihre Lection
Herplapperten aus der Pension.
Wo sollt’ ich hin vor diesen Fürstinnen!
Ich stand unweit und äußerte bescheiden,
Doch laut genug, daß sie’s gehört,
Gott möge diesen Geist, von dem wir so bethört,
Der blinden, knechtischen Nachahmung Sitte,
Ausrotten bald aus unserer Mitte. —
Er mögte doch in irgend eine Brust,
Die selbstbewußt,
Ergießen Muth und Kraft,
Durch Beispiel und durch Wort
Zu zügeln unsere Leidenschaft,
Dies Schmachten nach der Fremde!
Und möcht’ man einen Finsterling mich schelten,
Altgläubig möcht’ ich ihnen gelten,
Mir schiene es — der Geist in unserm Norden
Sei von der Zeit an schlecht geworden
Seitdem wir unserer Sprache Herrlichkeit
Und unsre alten herrlichen Gebräuche
Vertauscht mit dieser neuen Seuche.
Die schöne Volkstracht wurde abgelegt,
Damit nun jeder wie ein Narr sich trägt;
Sind wir mit diesem Schwalbenschweif
Nicht gradezu für’s Tollhaus reif?
Ein lächerlicher Ausschnitt in der Mitten,
Und kaum kann man sich frei bewegen.
Und dann die Haare kurz verschnitten,
Vernunft und Klima gleich entgegen!
Wie lächerlich erscheint ein Graubart nicht,
Der sich rasirt das Greisenangesicht!
Kurzum — ich mußt’ gestehn, — ich fand
So Haar als Kleider kurz, wie den Verstand.
Und müßt’ es sein — und sind wir einmal schon geschaffen
Zu fremder Völker Affen,
O möchten wir denn doch von den Chinesen lernen
Die fremden Sitten zu entfernen!
Ach, machen wir uns je wohl frei
Von fremder Moden Tyrannei,
Daß unser Volk, das bravste in der Welt
Uns unsrer Sprache nach nicht mehr für Fremde hält!
„Allein wie kann man denn Europas Sitten,“
Brummt’ einer da aus ihrer Mitten,
„Mit Nationalgebräuchen
Und Volksgewohnheit wohl vergleichen!
Nun übersetzen Sie mir schnell
Madame oder Mademoiselle?
Sie werden doch nicht „„Herrin““ sagen?
Und haha! — Herrin —! ach wie häßlich!
Und haha! — Herrin! — ach wie gräßlich!“
So wurd’ auf meine Kosten nun gelacht;
Natürlich hat mich das doch aufgebracht,
Und eben — auf mein Wort —
Wollt’ ich die derbste Antwort geben,
Da liefen alle fort —!
Das ist begegnet mir,
Und so was sehen täglich wir,
In Moskau und in Petersburg
Und in dem ganzen Reich geht das so durch —
Kommt so ein Männlein aus Bordeaux
So drängt sich Alles um ihn froh,
Und alle Damen in der Runde,
Die hängen wie an seinem Munde. —
Die Fürstinnen vor allen
Die haben dran ein Wohlgefallen.
Doch wer in unsern Residenzen
Es nicht versteht durch allerlei
Gezierte Redensart und Narrethei
Zu glänzen —
Wer die verschriebenen Gesichter
Nicht leiden kann,
Und wer zum Unglück fünf bis sechs Gedanken,
Wodurch er aus der Menge ragt,
Frei auszusprechen wagt —
Der sehe zu!
(Er sieht sich um, die Tänze haben begonnen, die älteren Personen haben sich zu den Kartentischen gesetzt — er zieht sich zurück. — Zum Schluß eine französische Quadrille und Mazurka mit Grotesktouren aus der Zeit des französischen Krieges. — Der Vorhang fällt.)
Ende des dritten Akts.
Schwach erleuchtete Hausflur im Erdgeschoß. Im Hintergrunde eine Paradentreppe zu Famussoff’s Wohnung. Links im Vorgrunde Moltschálins Zimmerthür, — rechts vorn die Thüre zum Portier, weiter hin die Hausthür. Viele Bediente mit Mänteln und Pelzen auf dem Arm, sitzen oder schlafen auf Stühlen und Bänken, man hört noch Ballmusik.
Die alte und junge Gräfin (kommen die Treppe herab.)
Diener (ruft zur Hausthür hinaus).
Der Gräfin Chrumin Wagen!
Die junge Gräfin.
Das muß ich sagen,
Das war ein saub’rer Ball!
Wo Famussoff nur hergekriegt
Die Mißgeburten all’?
Ich wußt’ wahrhaftig nicht
Mit wem ich sprechen oder tanzen sollte,
So gern ich beides wollte.
Die alte Gräfin.
Ach, Liebchen, komm; ich bin recht mitgenommen,
Ich werde schwächer doch mit jedem Jahr;
Es wird gewiß noch einmal dazu kommen,
Daß ich vom Ball grad auf den Kirchhof fahr’!
(Man hat ihnen die Pelze umgelegt, sie gehen ab.)
Natalie Dmítrewna und Platon Goritscheff.
Diener (an der Hausthür).
Der Goritscheff’sche Wagen!
Natalie Dmítrewna.
Mein Engelsmann, ich will Dich etwas fragen:
Mein Herzchen, meine Seele,
Erzähle: —
(Küßt ihn auf die Stirn.)
Was fehlt’ Dir heute,
Wo alle Welt sich doch so freute?
Platon.
Ach, liebe Frau, ich kann mich nicht verstellen;
Ich — schlafe auf den Bällen.
Du weißt, ich kann sie für den Tod nicht leiden,
Doch ist’s nicht zu vermeiden,
Ich muß ja schon die Nächte dejouriren,
Für Dich ist ja ein Ball — Genuß, —
Allein wer auf Kommando tanzen muß,
Wie soll sich der nicht ennüyiren!
Natalie Dmítrewna.
Du stellst Dich an!
O, ich durchschau’ den Herrn;
Er möcht’ den alten Mann
Schon spielen für sein Leben gern.
(Geht ab, der Diener folgt.)
Platon (kaltblütig).
Besieht die Sache man bei Licht,
So ist ein Ball so übel nicht,
Ich kann mich nur nicht in den Zwang bequemen;
Wer hieß ein Weib mich nehmen!
Ja — manchem kann man’s an der Wiege sagen —
Diener (kommt zurück).
Die Gnäd’ge sitzen schon im Wagen,
Und haben zu „verzürnen“ sich geruht.
Platon (seufzend).
Schon gut, schon gut!
(Ab.)
Tschatzki.
(Zum Diener.) Geh’ — such’ den Wagen — mach’ geschwind! —
(Der Diener läuft hinaus.)
So wär’ der Tag dahin und alle Hirngespinste! —
Der Hoffnung leichte Nebeldünste
Die meine Brust mit Täuschung füllten —
Sie sind zerstreut — verweht nach allen Winden!
Und was denn hoffte ich zu finden?
Wo ist der Antheil nur? Das Mitempfinden?
Wo ist der freudige Empfang?
Sie schreien, sind entzückt, umarmen
Und alles nichts als leerer Klang!
So ging es mir auf meiner Reise,
Die Rosse flogen auf dem Eise,
Und müssig blickt’ ich aus dem Schlitten
Wie durch die Steppe hin wir glitten,
Die blau und endlos vor uns lag.
Man fährt und fährt — aus Stunden wird ein Tag,
Und endlich ist das Nachtquartier erreicht,
Doch ach — was sich dem Blick auch zeigt —
Es ist das alte Bild, die alte Noth,
Dieselbe Wüste leer und todt.
O, es ist ärgerlich und unausstehlich,
Je länger man darüber sinnt;
Ist es nicht schmählich
Wie wenig Hoffnung oft gewinnt! —
Der Diener.
Der Kutscher ist nicht aufzutreiben.
Tschatzki.
So geh’ und such’ ihn auf; soll ich die Nacht hier bleiben?
Tschatzki. Repetíloff (in Pelz gehüllt kommt eilig von außen, stolpert auf der Schwelle und fällt hin; die Diener helfen ihm. Er ist etwas angetrunken).
Repetíloff (springt hastig auf).
Pfuh! — Ungeschickt! — Was? — Güt’ger Gott!
Laß mich die Augen nur erst reiben; —
Mein Herzensfreund, mein lieber Schatz — mon cher!
Nun sieh’ die Menschen da mit ihrem Spott:
Da sagen sie, daß ich ein Schwätzer sei
Und dumm und abergläub’sch dabei,
Weil ich für alles Zeichen
Und Vorgefühle habe.
Allein — jetzt eben — bitt’ ich Dich — erklär’:
Als ob ich es gewußt — so eilt’ ich her —
Mein Fuß hackt an — und ich — ich falle hin
So lang und breit ich bin! —
Ja, lach’ Du nur; denk’ immerhin
Daß ich ein Narr und Lügner bin,
Ich weiß nicht, was es ist,
Und wie es kommt, daß Du mein Liebling bist.
Es ist ein Muß — ich bin dazu gezwungen
Und bin von Liebe und Respekt ganz wie durchdrungen.
Für Dich möcht’ ich
Die Frau — die Kinder aus dem Hause treiben,
Für Dich könnt’ meine Seele ich verschreiben.
Und sollte mich die ganze Welt verlassen —
Und sollt’ ich auf der Stelle hier erblassen —
Und sollt’ mich Gottes Donner gleich erschlagen —
Tschatzki.
Ei, höre auf, den Unsinn da zu sagen!
Repetíloff.
Du liebst mich nicht! Ach! Das ist ja natürlich!
Mit andern — bah! Da bin ich nicht genirt,
Jedoch mit Dir — Du hast mir unwillkührlich
Von jeher imponirt.
Ich bin ja ungebildet — ohne Kopf —
Ich bin ein Narr, ein lächerlicher Tropf! —
Ein eigenes Bekenntniß!
Repetíloff.
Dir mach’ ich gerne das Geständniß;
Ich fluch’ dem Tag, an welchem ich geboren;
Wenn ich bedenk’, wie ich die Zeit verloren!
— — Was ist es an der Zeit?
Tschatzki.
Lang’ Zeit zu Bett zu gehn.
Du wolltest auf den Ball? Da fahr’ nur gleich nach Haus,
Denn grade eben ist er aus.
Repetíloff.
Was Ball? Wo wir die Nacht bis in den Tag hinein
In Anstandsfesseln uns erfreu’n —
In’s Joch gespannt! Hast Du gelesen —
Es giebt ein Buch —
Tschatzki.
Du liest?
Wie soll ich dieses Räthsel lösen?
Bist Du denn Repetíloff? Wie?
Repetíloff.
Nenn’ gradezu mich ein Vandalenvieh;
Den Titel hab’ ich redlich mir erworben:
Wie bin ich durch und durch verdorben!
Ach — wie viel Zeit hab’ ich nicht auf Gelagen
Mit Essen und mit Trinken todtgeschlagen!
Ich habe meine Kinder nicht erzogen;
Ich habe meine Frau betrogen;
Ich hab’ gespielt und zwar so arg zuletzt,
Daß man mich unter Kuratel gesetzt —
Und nota bene — per Ukas! —
Ich liebte eine Tänzerin — was — nein —
Ich hielt’s zu gleicher Zeit mit drei’n.
Ich trank — —
Und schwärmt’ allnächtlich wochenlang.
Ich warf von mir Gewissen und Verstand,
Gesetze, Glauben, Vaterland —
Tschatzki.
Nun höre mal, das ist zu viel!
Lüg’ immerhin, doch halte Maaß und Ziel.
Du sprichst von Dingen —
Die könnten einen zur Verzweiflung bringen.
Repetíloff.
Drum, Bester, wünsch’ mir Glück,
Ich kam von diesem Rausch zurück.
Mit klugen Leuten geh’ ich jetzt nur um
Und treibe mich nicht mehr des Nachts herum.
Tschatzki.
Zum Beispiel — heute! — —
Repetíloff.
Was — eine Nacht — die zählt nicht — das ist klar!
Und dafür frag’ mich — wo ich war!
Tschatzki.
Das Räthsel ist nicht schwer zu lösen
Du bist gewiß im Klubb gewesen.
Repetíloff.
Im Englischen — um meine Beichte anzuheben.
Ich hatte mich zu einer Sitzung hinbegeben;
Es ging heut’ äußerst stürmisch her —
Ich gab mein Wort zu schweigen — und
Ich bitt’ Dich, schweig daher.
Es ist ein ganz geheimer Bund
Der sich versammelt an den Donnerstagen
Zu allerhand besondern Fragen.
Tschatzki.
Da hör’ ich wundersame Dinge.
Im Klubb?
Repetíloff.
Im Klubb.
Tschatzki.
Mein Bester, hör’!
Ich fürchte sehr
Kommt man Euch auf die Sprünge
So ist’s um Euch und Euren Klubb geschehn.
Repetíloff.
Du glaubst, daß es gefährlich ist?
Ei, wie Du immer ängstlich bist!
Wir schreien zwar, doch niemand kann’s verstehn.
Ich selber — fängt es an recht heiß erst herzugehn
Von Parlament und Jury — oder kommt
Lord Byron auf’s Tapet — ich sag’ Dir, wicht’ge Dinge!
Dann sitz’ ich allermeist und höre zu wie stumm,
Es ist für mich zu hoch — dann fühl’ ich, daß ich dumm.
Freund — Du bist nie bei uns gewesen —
Ich sag’ Dir, Männer auserlesen.
Hör’, Alexandre, sei ein prächt’ger Junge
Und fahre gleich mit mir dahin;
Jetzt sind sie grade recht im Schwunge
Und recht im Disputiren drin.
Ach was für Köpfe! Ungewöhnlich,
Und mir nicht im Geringsten ähnlich.
Ich sage Dir, mon cher, die Quintessenz
Der jungen Herrn in unserer Residenz.
Tschatzki.
Ei geh’ mit Gott! Das wäre schön!
Wozu? In tiefer Nacht? Ich will zu Bette gehn.
Repetíloff.
Ach was! Wer schläft jetzt? Nein, noch heute,
Entscheide Dich — denn wir — wir sind entschiedne Leute.
Ein Dutzend heißer Köpfe — ehrenwerth —
Wenn man uns schreien hört,
So ist man ganz verwundert,
Man glaubt gewiß es seien an die hundert.
Tschatzki.
Doch sag’ mir nur, wofür Ihr denn so schwärmt?
Repetíloff.
Es wird gelärmt, mein Freund — gelärmt.
Tschatzki.
Allein wozu? Das möcht’ ich fragen.
Repetíloff.
Es ist hier weder Zeit noch Ort Dir das zu sagen
Es ist so ein — Verein.
Behutsamkeit muß bei der Sache sein.
Siehst Du, die Frucht braucht Zeit zur Reife,
Es geht nicht auf einmal. —
Doch was für Köpfe — ah mon cher —
Ich zähle sie der Reihe her:
Da ist zuerst — der Fürst Gregor
Ein einz’ger Sonderling — man lacht sich fast zu Tode!
Er ist ein Angloman und kleidet sich als Britte,
Die Haare kurz, nach englisch steifer Sitte.
Und spricht auch durch die Zähne so —
Du kennst ihn nicht? Ich mach’ euch gleich bekannt.
Ich sage Dir, er ist charmant.
Dann haben wir noch einen Sänger
Workuloff, — Jewdokim —
Er singt sublim!
Du solltest hören seine Lieder
Besonders seinen Bollero
Ah, non lasciar mi no! no! no!
Dann sind auch noch zwei Brüder,
Zwei prächt’ge Jungen da,
Leon und Borinka.
Man weiß von ihnen sonst wohl nichts zu sagen.
Doch willst Du nach Genies mich fragen,
Dann nenne ich Dir unsern Hyppolit.
Du last doch was von ihm? Und wär’ es nur ein Lied,
Lies sag’ ich Dir — doch leider schreibt er nichts!
Er ist Genie — an Sitzfleisch nur gebricht’s.
Mit Ruthen müßt’ man solche Herrn zur Arbeit treiben
Und in die Ohren schreien: Schreiben, schreiben!
Doch fällt mir ein, daß für ein Zeitungsblatt
Er ein Fragment geschrieben hat,
„Ein Blick und Etwas“ ist es überschrieben.
Und wovon, glaubst Du, daß dies Etwas handelt?
Von Allem, denk’ Dir! Nichts ist unberührt geblieben.
Denn er weiß alles — wir bewahren
Ihn uns auch für den Fall der Noth.
Doch unser Cheff — nun da ist nicht zu streiten —
Im ganzen Reiche giebt’s nicht einen solchen zweiten
Ich brauche ihn Dir nicht zu nennen,
Du kannst ihn am Porträt erkennen.
Er ist ein Duellant von unerhörtem Muthe,
In böse Händel war er stets verstrickt.
Er wurde nach Kamtschatka einst verschickt,
Und kam zurück als Aleute.
Und freilich geht er nicht in reinen Schuh’n,
Denn lange Finger hat er — doch was ist zu thun —
Kein kluger Kopf kommt ehrlich durch das Leben.
Doch kann’s nichts Herrlicheres geben,
Als wenn er von der Ehre deklamirt.
Wie oft hat er uns nicht dadurch gerührt!
Dann scheinen finstere Dämonen
Auf seiner Stirne Brau’n zu thronen,
Die Augen füllen sich mit Blut,
Er scheint in einer heil’gen Wuth,
Er selber weint — und wir — wir schluchzen.
Sieh’, das sind Leute! Ich bin überzeugt,
Daß uns auf Erden niemand gleicht.
Ich freilich — muß es selber sagen —
Ich bin das fünfte Rad am Wagen,
Ich blieb zurück,
Weil ich entsetzlich faul im Denken.
Indeß, wenn ich mein bischen Hirn nur zwinge
Und hin mich setze — keine Stunde —
Da fährt mir unverhofft zum Munde
Ein Calembourg heraus.
Die andern putzen ihn dann aus,
Und thun zusammen sich zu sechsen,
Ein Vaudevill heraus zu hexen;
Sechs andre machen gleich im Nu
Die niedlichste Musik dazu,
Die andern klatschen, was das Zeug’s nur hält,
Und — lache wie Du willst — mein Vaudevill gefällt!
Der Himmel gab mir nicht viel Fähigkeiten,
Allein mein gutes Herz gefällt den Leuten,
Und darum halten sie die Lügen mir zu gut.
Ein Diener (ruft hinaus).
Den Wagen vor vom Oberst Scalosúb!
Repetíloff (kehrt sich um).
Wie? Wessen Wagen vor?
Die Vorigen. Scalosúb.
Repetíloff
(geht Scalosúb entgegen und erstickt ihn fast mit Umarmungen).
Wie — Seelenfreund — halt an — wohin?
Thu’ mir die Liebe —!
Tschatzki (bei Seite).
Wo soll ich nur vor diesen mich verbergen?
(Er schlüpft in’s Zimmer des Portiers.)
Man hat ja lange nichts von Dir gehört
Es hieß Du seist zurück zum Regiment gekehrt.
Kennt ihr euch schon?
(Sieht sich um.)
Fort ist der Eigensinn!
Gleichviel, Dich hab’ ich unverhofft getroffen,
Und Du mußt ohne weitres mit mir gehn.
Bei Fürst Gregor sind heute
Versammelt eine Menge Leute —
Ein Stücker Vierzig wirst Du sehn,
Potz Tausend, was für große Geister!
Die ganze Nacht wird disputirt
Und niemand merkt’s, daß er sich ennüyirt.
Zuerst sieh, daß Du in Champagner nicht ersäufst,
Und zweitens kriegst Du Dinge dort zu hören,
Die weder ich noch Du begreifst.
Scalosúb.
Ei, laß mich! Das gelehrte Zeug
Was man zu hören kriegt bei Euch,
Das lockt mich nicht. Wirb andre an
Und sag’ an Fürst Gregor, ich sei erbötig
Euch zuzuschicken einen Korporal,
Den hättet ihr sehr nöthig.
Er stellte in drei Glieder euch
Vor allen Dingen
Und mukstet ihr, er würde gleich
Mit einem Blicke euch zur Ruhe bringen.
Du hast nur stets den Dienst im Kopf, mon cher!
Sieh einmal her:
Ich blieb’ gewiß nicht ohne Rang und Stelle
Und wäre ein gemachter Mann,
Allein ich hatte Unglücksfälle
Wie man nicht ärger haben kann.
Ich diente im Civil auch damals schon
Als Baron Klock Minister werden wollte
Und ich — sein Schwiegersohn.
Ich ging ganz blindlings auf mein Ziel
Und ließ mich ein in solches Spiel
Mit ihm und seiner Frau. — Die haben mich geschoren!
Herr Gott, was habe ich für Summen dort verloren!
An der Fontanka wohnt der Mann
Ich baute nebenan
Mir einen Palast auf
Mit ungeheueren Colonnen
Was gingen da für Summen auf den Lauf!
Die Tochter aber hatt’ zuletzt ich doch gewonnen.
Allein — o weh — die Mitgift die war — Gott zu klagen!
Und dann — was wirst Du sagen:
Im Dienste wurd’ ich doch nicht avancirt,
Es war ein Deutscher, doch wozu hat’s mich geführt?
Er fürchtete den Vorwurf, siehst Du,
Daß er Verwandte protegirt’
Er fürchtet’ — hol’ ihn der und jener —
Mir half er nichts.
Dagegen seine Schreiber, seine frechen
Sekretaire, Dintenkleckser, Buben
Aus Schreiberstuben,
Die waren alle zu bestechen
Und sind nun avancirt
Und im Adreßkalender angeführt.
Der Henker hole Rang und Dienst und Orden!
Es ist doch nichts als Prellerei,
Lachmotjeff Selekstei
Hört’ ich vortrefflich sagen
Daß hier ein radikales Mittel nöthig sei,
Verdauen will sie nicht mehr unser Magen —
(Er hält plötzlich an, da er statt Scalosúb, der fortgefahren ist, Sagorétzki erblickt, der an Scalosúbs Stelle getreten ist.)
Repetíloff. Sagorétzki.
Sagorétzki.
Ich bitte fahren Sie nur fort —
O, ich versteh’ Sie auf mein Wort!
Ich bin ja ganz wie Sie ein großer Liberaler,
Allein mir ging es noch fataler,
Ich trug zu kühn die Wahrheit vor,
Sie glauben nicht, was ich dadurch verlor.
Repetíloff (ärgerlich).
Verschwunden! — Alle fort!
Und sagen nicht ein Wort.
Erst der — nun jener — kaum sieht man sich um;
Erst hatt’ ich Tschatzki hier gefunden,
Drauf Scalosúb und beide sind verschwunden!
Was meinen Sie von Tschatzki?
Repetíloff.
Nun, er ist nicht dumm!
Wir sprachen hier von Possen — allerhand,
Dann aber hat sich das Gespräch
Zum Vaudeville gewandt.
Ein wichtiges Gespräch! — Sehr wichtig
Ist doch das Vaudevill,
Doch alles übrige ist nichtig.
Und ich und er — ich hab’ — ich sag’ es offen
Den nämlichen Geschmack bei ihm getroffen.
Sagorétzki.
Bemerkten Sie denn nicht
Daß es bei ihm im Kopf nicht richtig?
Repetíloff.
Ei was!
Sagorétzki.
Ich sage nur, was jeder spricht.
Repetíloff.
Wie abgeschmackt!
Sagorétzki.
So fragen Sie doch!
Repetíloff.
Wind!
Sagorétzki.
Da kommt der Fürst mit Frau und Kind
Recht à propos.
Repetíloff.
Ach Possen!
Repetíloff. Sagorétzki. Fürst Tugoúchoffski nebst Gemahlin und sechs Töchtern; Mad. Chlestow von Moltschálin geführt.
Sagorétzki.
Ich bitte Sie, Erlaucht, mir doch zu sagen:
Ist Tschatzki toll geworden oder nicht?
Erste Fürstin.
Wer kann da zweifeln oder fragen?
Zweite Fürstin.
Wovon die ganze Welt schon spricht!
Dritte Fürstin.
Kränklinski’s, Schmuzowski’s,
Dibrinki’s, Klatschkowski’s —!
Vierte Fürstin.
Das ist was altes schon. Wem ist die Sache neu?
Fünfte Fürstin.
Wer zweifelt noch daran?
Repetíloff.
Ei,
Dieser Mann!
Sechste Fürstin.
Sie?
Alle zusammen (ihn umringend).
Wie?
Msjë Repetíloff. Nein?
Msjë Repetíloff, ach, wie kann das sein!
Was wollen Sie, man weiß es schon im ganzen Lande,
Was denken Sie? Es ist ja Sünd’ und Schande!
Repetíloff (hält sich beide Ohren zu).
Verzeih’n Sie mir, ich wußte nicht
Daß man davon so laut schon spricht.
So laut? — Nicht laut genug. — Ei, das ist sonderbar!
Sie müssen wissen
Mit ihm zu sprechen bringt Gefahr.
Man hätte längst ihn binden müssen,
Er ist ja wüthend wie ein Tieger,
Und doch — hört man ihn an —
So scheint sein kleiner Finger klüger
— Im Disputiren — das versteht er —
Als alle Welt — und selbst mein Mann, Fürst Peter.
Ich glaube — gradheraus — er ist ein Jakobiner
Ihr saubrer Freund! — Nun gute Nacht!
Repetíloff.
Ihr Diener!
Die alte Fürstin.
Ach, Herr Gemahl, Du mußt Dich schon bequemen
Sisi und Kätchen mitzunehmen,
Wir haben, sechs Mann hoch, erst gar zu eng gesessen.
Mad. Chlestow
(erscheint oben und ruft herab).
Eh, liebe Fürstin, eh!
Sie haben Ihre Kartenschuld vergessen.
Die alte Fürstin.
Notiren Sie’s, mein Schatz. Adieu!
Alle (gegenseitig).
Adieu, Adieu, Adieu! —
(Die fürstliche Familie und Sagorétzki ab.)
Repetíloff. Mad. Chlestow. Moltschálin.
Repetíloff.
Du großer Gott!
Ach, meine Gnädigste, was soll man dazu sagen?
Der arme Tschatzki! Ach! die Weisheit ist nur Spott!
Und wozu hilft es nun mit Lernen sich zu plagen!
Mad. Chlestow.
Gott hat es ihm geschickt! Es ist ein schlimmer Fall,
Allein vielleicht ist er noch zu kuriren;
Indeß, mit Ihnen, Freund, würd’ man die Zeit verlieren,
Ist das nun wohl erhört! Jetzt kommen Sie zum Ball!
(Zu Moltschálin.)
Nun, bester Freund, da ist dein Kämmerlein,
Geh’ nur hinein
Und Gott behüt’ Dich. (Moltschálin geht ab.)
(Zu Repetíloff.)
Nun, Alterchen, schön gute Nacht
Wie lange soll die Tollheit währen?
Ich dächt’, es wäre Zeit, mit Rasen aufzuhören.
(Ab.)
Repetíloff und dessen Diener.
Repetíloff.
Wo fahre ich nun hin?
Es fängt wahrhaftig an zu tagen.
Mach’ fort und hilf mir in den Wagen
Und fahr’ gleichviel wohin.
(Beide ab.)
Tschatzki
(kommt aus der Loge des Portiers).
Wie? Hab’ ich recht gehört —? Kann es wohl sein?
Ist’s nicht ein Scherz? O nein
Nur reine Bosheit! Wie?
Durch welches Wunder, welche Zauberei
Verbreitet sich ein solch Geschrei?
Für ein’ge schien es ein Triumph zu sein,
Und and’re schienen Mitleid mir zu weih’n.
O, könnt’ man in der Menschenbrust doch lesen
Wer hier am meisten Schuld gewesen,
Ob ihre Zunge, ob ihr Herz.
Wer hat erdacht den abgeschmackten Scherz?
Der Dumme glaubt’s und gleich muß er es weiter tragen,
Die alten Weiber sind gleich fertig Lärm zu schlagen,
Und allgemein wird’s dann als Wahrheit anerkannt.
Das also ist mein Vaterland!! —
Nein, nein — ich fühl’s — bald habe ich genug
Von diesem herrlichen Besuch! —
Ob wohl Sophie davon gehört?
Wahrscheinlich sagte man’s auch ihr.
Sie ist gesinnt — nicht g’rade feindlich mir,
Doch ihr ist’s ein’s, ob ich gestört
Ob es ein andrer ist; sie liebt ja keinen.
Allein, wie sollte ich damit die Ohnmacht einen?
Sind’s ihre Nerven, die sich dazu neigen,
Ist’s eine Schwäche, ihr nur eigen?
Ein Nichts erschreckt, ein Nichts beruhigt sie.
Ich glaubt’ es wäre Sympathie,
Lebhafte Leidenschaft wär’ hier im Spiel,
Ach, nicht die Spur davon! Vielleicht
Hätt’ sie gezeigt
Das nämliche Gefühl
Wenn einer Katze, einem Hund’ von ungefähr
Man auf den Schwanz getreten wär’!
(Unterdessen ist die letzte Lampe erloschen.)
Sophie
(erscheint oben auf der Treppe mit einem Licht und beugt sich über das Geländer).
Moltschálin? Wie!
(Sieht Tschatzki, zieht sich schnell zurück.)
Tschatzki.
O Himmel — das war sie! —
Sie selbst! — Es kocht mein Blut,
Die Sinne schwanken wie in Fiebergluth.
War es ihr Geist? Verlor ich den Verstand?
Was geht hier vor?
Nein, keine Täuschung konnt’ das sein;
Es war ein Stelldichein.
Wozu mich länger selbst noch täuschen,
Sie rief Moltschálin ja,
Und hier — hier ist sein Zimmer! — da!
Tschatzki’s Diener (kommt eilig von draußen).
Der Wa— — —
Tschatzki.
St! Fort mit Dir!
(Diener ab.)
Ich bleibe, muß es sein, selbst bis zum Morgen hier;
Soll ich den Kelch der Leiden trinken
So will ich’s lieber auf einmal,
Durch Zaudern, ach, entgeht man nicht der Qual.
Man kommt! —
(Verbirgt sich hinter einem Pfeiler.)
Tschatzki (verborgen). Lisette (mit einem Licht).
Lisette.
O Gott, ich möcht’ vor Angst vergehn!
Des Nachts im leeren Vorhaus hier zu stehn! —
Ich fürcht’ mich vor Gespenstern sehr
Und vor Lebend’gen noch viel mehr.
Gott mag dem Fräulein das verzeih’n
Da schickt sie mich gerad hinein.
Sie sagt, sie hätte Tschatzki hier gesehn:
Wie ein Gespenst sieht überall sie den.
(Sieht sich um.)
Das fehlte auch noch, hier zu bleiben,
Und sich im Vorhaus hier herum zu treiben!
Ich wette:
Der liegt mit seinen Liebessorgen
Schon längst zu Haus im Bette,
Und sinnt auf einen Plan zu morgen.
Doch muß ich ja zum Herzensfreunde geh’n,
(Sie setzt das Licht auf den Boden und pocht an Moltschálin’s Zimmerthüre.)
Moltschálin hören Sie? Ich bitt’ Sie aufzustehn;
Das Fräulein ruft. Ich soll Sie gleich zum Fräulein führen.
Doch schnell, wir dürfen nicht die Zeit verlieren.
Tschatzki (verborgen). Lisette. Moltschálin (gähnt und dehnt sich). Bald darauf erscheint Sophie oben unbemerkt.
Lisette.
Sind Sie von Eis heut’ oder Stein?
Moltschálin.
Ach, Lieschen mein,
Kamst Du aus eignem Antrieb? Sprich!
Lisette.
O nein, das Fräulein schickte mich.
Moltschálin.
Wer sollte glauben, daß in diesen Zügen,
In diesen Aederchen
Der Liebe sanft Erröthen nie gespielt! —
Kann Dir das Botenlaufen denn genügen,
Hast Du denn selber Liebe nie gefühlt?
Lisette.
Da Sie auf Freiersfüßen gehn
Kann ich Ihr Gähnen nicht verstehn.
Den lobte ich, der vor dem Hochzeitstag
Nicht essen und nicht schlafen mag.
Moltschálin.
Was Hochzeit? Und mit wem denn, sprich?
Lisette.
Nun mit dem Fräulein, dächte ich.
Ach geh! Die Hoffnung liegt noch weit;
Auch ohne Hochzeit bringt man hin die Zeit.
Lisette.
Ich weiß nicht recht, mein Herr, wie man so sprechen kann!
Wir wollen ja doch keinen andern Mann.
Moltschálin.
Mag sein! Ich hab’ seither nur immer Angst gehabt,
Daß uns der Alte nicht ertappt.
Der würde uns verfluchen und verjagen! —
Hör’, soll ich Dir die Wahrheit sagen?
In Deinem Fräulein hab’ ich niemals was erblickt
Was mich entzückt;
Ich wünsche ihr auf allen Wegen
Des Himmels reichsten Segen;
Doch sie hat Tschatzki gern gesehn,
Und nun! — Mir wird’s nicht besser gehn.
Ach Engel mein, ach könnte ich
Nur halb für sie empfinden, wie für Dich! —
Ich thue was ich kann,
Ich stell’ mich zärtlich an,
Allein — der Himmel weiß —
Sobald ich sie nur seh’, so werde ich zu Eis.
Sophie (bei Seite).
Wie niedrig! O, kaum kann ich mich bezähmen!
Tschatzki (bei Seite).
Der Schuft!
Lisette.
Sie sollten sich doch schämen!
Im Testament rieth mir mein Vater, daß ich Allen
Bemüht sein müßte zu gefallen:
Dem Wirth des Hauses, wo ich im Quartier,
Sodann dem Chef, der über mir;
Auch dessen Diener, der die Kleider putzt,
Dem Schweizer und dem Hausknecht dann —
Weil man sie oft benutzt,
Und suchen sollte ich
Des Knechtes Hund zum Freunde zu bekommen.
Lisette.
Ei, ei, da haben Sie viel Arbeit übernommen!
Moltschálin.
Und darum stelle ich verliebt mich an,
Nur aus Gefälligkeit,
Weil sie die Tochter ist von einem solchen Mann.
Lisette.
Durch den Sie gastfrei aufgenommen
Von dem Sie manchen Rang bekommen?
Doch bitt’ ich eilen Sie —!
Moltschálin.
Wohlan, so laß uns zu Sophie
Zu unsrer weinerlichen Coeur-madam
Mit ihrem Liebesgram.
Doch erst erlaub’ mir mit Entzücken
Dich an dies volle Herz zu drücken. —
(Er will sie umarmen; sie entzieht sich ihm.)
Warum ist sie nicht Du!
(Indem er hinauf gehen will, tritt ihm Sophie entgegen.)
Zurück, ich hab’ genug gehört!
O Ungeheuer Sie! So also mußt’ es enden!
Ich schäm’ mich vor mir selbst, ich schäm’ mich vor den Wänden.
Moltschálin.
Sie da?
Sophie Pawlowna!
Sophie.
Um Himmelswill’n, kein Wort —! Sie schweigen! —
Entschieden ist schon alles hier.
Moltschálin (wirft sich zu ihren Füßen).
Ach Gott, verzeih’n Sie mir,
Gedenken Sie, ach seh’n Sie auf mich her!
Sophie.
Ich denk an gar nichts mehr —
Und schwiegen Sie, so wär’ es besser.
O die Vergangenheit, sie ist ein scharfes Messer!
Moltschálin.
Erbarmen Sie sich doch!
Sophie.
Wozu dies Kriechen noch?
Wozu am Boden liegen!
Kein Wort! Ich weiß wie Sie betrügen.
Moltschálin.
Die einz’ge Gnade nur! —
Sophie.
Nein, nein, nein!
Ich scherzte, sprach ja nur verschlafen,
O Gott, wie können Sie so hart mich strafen!
Sophie.
Auf, sage ich — sonst wecke ich das Haus
Und dann ist’s mit uns beiden aus.
(Moltschálin steht schnell auf.)
Von heute an will ich von Ihnen nicht mehr wissen;
Und daß Sie es zu denken selbst nicht wagen,
Als ob mit Thränen und mit Klagen
Sie von mir würden je beehrt —
Das sind Sie wahrlich gar nicht werth.
Und daß Sie sich nicht untersteh’n
Ihr Auge länger hier zu zeigen.
Moltschálin.
Was Sie befehlen soll gescheh’n.
Sophie.
Ich würde nichts verschweigen,
Ich sagte Alles meinem Vater frei,
Mein Schicksal wär’ mir einerlei.
Sie können gehn! Nein, halt! — Es ist Ihr Glück
Daß Feigheit mehr Sie hielt zurück
Wenn ich in tiefster Nacht Sie sah,
Als selbst, wenn es am Tag geschah;
Sie sind so kühn nicht, wie gemein.
O ich bin froh, daß es jetzt Nacht und wir allein;
Daß Augenzeugen nicht zugegen!
Welch eine Meinung müßt’ man von mir hegen;
Wenn, wie heut’ Vormittag,
Als ich in Ohnmacht lag,
Hier Tschatzki wär’.
Tschatzki
(hinter dem Pfeiler rasch hervortretend).
Hier ist er, Heuchlerin!
Lisette und Sophie.
Ach! — Ach! —
(Lisette läßt das Licht vor Schrecken fallen. Moltschálin läuft in sein Zimmer und verschließt es.)
Tschatzki. Lisette. Sophie.
Tschatzki.
Jetzt schnell in Ohnmacht hin!
Denn mehr als heute früh, wär’s grade jetzt am Ort.
Das also war das große Räthselwort!
Und diesem bin ich aufgeopfert!
Ich weiß nicht, wie ich mich
Und meine Wuth bezähmte — ha —
Ich sah und schaut’ und glaubt’ nicht was ich sah!
Und dieses Herzblatt, das mir vorgezogen,
Für den Sie Ihren alten Freund betrogen,
Der Mensch, durch den Gefühl und Scham
Von Ihrer Wange kam,
Der läuft jetzt fort voll Angst und Schrecken
Sich hinter Schloß und Riegel zu verstecken.
Wer faßt des Schicksals launenhaftes Spiel!
Der Mann von Seele und Gefühl
Wird unter einer Last von Leiden fast erdrückt,
Und die Moltschálin’s — sind beglückt.
Sophie
(in Thränen zerfließend).
Nichts mehr, ich bin voll Schuld — ich sag’ es frei —
Doch konnt’ ich’s ahnen wohl, daß er so schändlich sei?
Lisette.
Man kommt! Ihr Vater ist’s, ach Gott, das ganze Haus!
Der Alte wird sich freu’n, nun ist auch alles aus!
Die Vorigen. Famussoff (kommt mit mehreren Dienern, die Fackeln, Lichte und Laternen tragen).
Famussoff.
Hierher! Mir nach! Geschwind, geschwind!
Mehr Licht! Laternen! Nun, wo sind
Denn die Gespenster? Wie? Was seh’ ich da?
Wie? meine Tochter? Ha!
Verworfne Dirne, ohne Scham!
Und wo? Und sag’ mit wem? Infam!
Ja! Topp auf Topp! Ganz auf ein Haar
Wie meine sel’ge Frau, wie ihre Mutter war.
Kehrt’ ich den Rücken nur, so wußt’ ich’s schon’
Gleich steckt’ sie irgendwo mit einer Mannsperson.
Du! fürchte Gott!
Wie hat Dich dieser Mensch denn so berückt?
Du selbst erklärtest ihn ja für verrückt;
Ja so!! — Ich war ja blind und dumm!
Erfunden war’s und alle wußten drum.
Er selbst war im Complott
Mit allen meinen Gästen.
Wodurch verdient’ ich, lieber Gott,
Daß man mich also hält zum Besten!
Tschatzki (zu Sophie).
Das Mährchen also haben Sie erdacht?
Famussoff.
Schatz, keine Finten hier gemacht!
Ich lass’ mich länger nicht betrügen
Und würdet ihr euch hier gleich in den Haaren liegen.
(Zum Portier.)
Du, Philipp, bist ein Klotz, wie ich nun deutlich seh’ —
Ein Rindvieh macht’ ich zum Portier.
Er hört und sieht nicht; — sag’ — wo hast Du denn gesteckt?
Wie hast Du denn nicht alles gleich entdeckt?
Warum verschlosst Du nicht die Thüre jetzt?
Und warum passest Du nicht auf bis ganz zuletzt?
(Zu den übrigen Dienern.)
Wo war’t ihr alle hingelaufen? —
Zur Arbeit — nach Sibirien mit euch!
Für einen Groschen wär’t ihr fertig gleich
Mich zu verrathen und mich zu verkaufen.
(Zu Lisette.)
Und das, Du Falkenaug’, sind deine Schelmenstücke!
Da haben wir die Schmiedebrücke
Und Putz und Modennarrethei.
Da hast Du es gelernt
Wie man den Seladon läßt ein
Und wieder ihn entfernt.
Wart’ nur, Dir leg’ ich Deine Suiten,
Auf’s Dorf mit Dir, da kannst Du Gänse hüten!
(Zu Sophie.)
Auch Du, Mamsell, Du bleibst nicht länger hier.
Zwei Tage Zeit noch geb’ ich Dir,
Dann wirst Du fort aus Moskau gehn
Und nicht mehr Menschen sehn.
Ich halte Dich schon fern
Von solchen abgefeimten Herrn.
Zur Muhme, nach Saratow — in die Wüste hin,
Das wird kuriren Deinen Sinn.
Da kannst Du seufzen in der Oede,
Von Liebelein ist dort nicht mehr die Rede;
Da kannst Du Dich am Rahmen dehnen
Und hinter der Postille gähnen.
(Zu Tschatzki.)
Erlauben Sie, mein Herr, daß ich Sie ernstlich bitte
Zu unterlassen alle weitern Schritte,
In jeder Art, nicht grad’, nicht krumm —
Sie werden schon für Ihre Streiche büßen,
Und hier im ganzen Publikum
Wird jede Thür vor Ihnen sich verschließen —
Denn ich versprech’s — ich werde Lärmen schlagen,
Ich werde jedermann in Moskau fragen
Wie solch Betragen ihm gefällt.
Erfahren soll es alle Welt,
Ich schrei’ es aus in alle Häuser,
Ich reich’ es ein in den Senat,
Ich klag’ es dem Ministerrath,
Ich gehe bis zum Kaiser!
Tschatzki.
Ich fass’ es nicht, ich muß gestehn,
Ich hör’ es zwar, doch kann ich’s nicht begreifen.
Betäubt davon was hier geschehn
Steh’ ich noch da und die Gedanken schweifen.
Ich Thor! Wo suchte ich den Preis für meine Leiden?
Ich eilte, flog, ich zitterte vor Freuden,
Dem Glück schon nah mich wähnend;
Nur Eines wünschend, Eins nur sehnend
Verschwendet’ ich der Liebe heißes Flehn,
Und Sie — Sie wählten — wen?! —
Und wollten Sie mich denn verschmäh’n —
Warum denn heucheln
Und mir mit Hoffnung schmeicheln?
Warum mir denn nicht deutlich sagen:
Hin sei der Traum aus jenen Jugendtagen,
Und nur noch Gegenstand für Ihren Spott!
Warum mir denn nicht sagen,
Daß lau geworden die Erinnerung sogar
An die Gefühle, die wir theilten,
Und die in mir nicht Trennung, nicht die Zeit,
Zerstreuung nicht und weite Reisen heilten;
Die jedem Athemzug verwebt —
Mit denen ich gelitten — mit denen ich gelebt!
Ach hätten Sie die Wahrheit nicht gescheut,
Daß meine schnelle Rückkehr, mein Betragen,
Mein Anblick, meine Worte Ihnen nicht behagen,
Ich hätte Sie sogleich von mir befreit.
Ich hätte nicht in meinem blinden Wähnen
Nach dem gestrebt, was er, Ihr Liebling da —
(Er lacht.)
Haha!
Sie werden sich versöhnen!
Wenn reiflich Sie’s bedenken,
Wozu sich selber kränken?
Und dann — Sie können windeln ihn und plagen
Und in Geschäften aus dem Hause jagen,
Solch Ehejüngelchen, solch einen Eheknecht —
Zum Pagen wie geschaffen
Für’s ganze weibliche Geschlecht,
Der Eheherren hohes Ideal
In Moskau — o — ein sauberer Gemahl.
Genug! Es ist mein Stolz Sie zu vergessen.
(Zu Famussoff.)
Sie, alter Herr, auf Rang stets so versessen,
O träumen Sie unwissend — glücklich fort!
Ich gebe Ihnen hier mein Ehrenwort:
Ich werbe nie um Ihrer Tochter Hand,
Weil sich ein andrer Ritter fand.
Ein Männlein sehr erfahren und geschickt,
Ein Speichellecker, der sich ewig bückt,
Und der auch ganz, so wie mir däucht,
Dem künft’gen Schwiegervater gleicht.
Die Schuppen ha, sind mir vom Aug’ gefallen,
Die Binde sank — die Täuschung hörte auf!
Jetzt thäte es mir wohl, zu gießen meine Galle
Und meinen Hohn
Auf Vater, Tochter, Schwiegersohn,
Mit einem Wort — auf Alle!
Zu welchen Menschen führte mich
Das Schicksal doch so wunderlich!
Verfolgung, Spott, des Hohnes Klänge
Erfuhr ich nur von dieser blinden Menge;
Verräther an der Treu und Liebe,
Und unersättlich in des Hasses Triebe.
Unbänd’ge Schwätzer, boshaft alte Weiber,
Dummkluge Weise,
Verschmitzte tück’sche Pinsel, matte Greise,
Die zum Kind
Herabgesunken unter Possen sind! —
Ihr habt posaunt in vollem Chor,
Daß ich Verstand und Sinn verlor!
Und Ihr habt Recht! — Wenn ein verständ’ger Mann
Nur einen Tag mit Euch durchleben kann
Und es gelingt Euch nicht den Kopf ihm zu verdreh’n
So kann er dreist durch’s Feuer gehn.
Aus Moskau fort!
Nein, Moskau ist nicht mehr das Ziel von meinen Reisen.
Ich suche nichts als einen stillen Ort
Um hin mein wundes Herz zu tragen.
Mein Wagen, schnell, wo ist mein Wagen!
(Schnell ab.)
Die Vorigen (ohne Tschatzki).
Famussoff.
Nun siehst Du! Ist’s nicht sonnenklar,
Daß niemand je verrückter war?
Sag’ selbst, im Ernst, — was sprach er gleich
Für tolles abgeschmacktes Zeug!
Von Speichelleckern fing er an
Von einem Schwiegervater dann;
Und das war sonderbar,
Was er auf Moskau böse war.
Doch Du — Du bringst mich um — ja Du!
Bin ich nicht so schon zu beklagen?
Ach großer Gott, was wird dazu
Nun unsre alte Fürstin sagen!!
(Gruppe. Der Vorhang fällt.)
Ende des vierten und letzten Akts.
Über jedem ächten Kunstwerke liegt der Hauch der Ursprünglichkeit gebreitet, den der Mechanismus des Copirens, der Nachbildung abstreift. — Aber wer eine Statue, ein Bild copirt, arbeitet wenigstens in dem nämlichen Stoff; — der Übersetzer dagegen soll den geistigen Stoff in einem ganz anderen Material, in einer anderen Sprache wiedergeben, und Übersetzungen gleichen daher, wie der sonst verständige, tolle Junker von la Mancha sagt, — verkehrten Tapeten. Am schwierigsten erscheint nun die Übersetzung eines dramatischen Stückes, wenn die Sprache je nach den Characteren eine ganz verschiedene ist, und wenn verschiedene Bildungsstufen und Zustände eigenthümlicher, ja lokaler Art dargestellt sind. Und dieses ist der Fall mit dem vorliegenden Drama Gribojädoff’s. Es ist nicht schwer die Sprache von Sophie oder Tschatzki wiederzugeben: sie sprechen die Sprache aller gebildeten Menschen; wer aber vermöchte in einer andern Sprache solche eigenthümliche Erscheinungen wiederzugeben, wie einen Famussoff, einen Scalosúb, einen Repetíloff. Jeder von ihnen führt eine verschiedene Sprache, welche die verschiedenen Bildungsstufen bezeichnet, auf der jeder sich befindet.
Noch einer andern Schwierigkeit muß ich erwähnen: Oft ruft der Gegensatz von Fremdwörtern mit der familiären Sprache eine unwiderstehliche Komik hervor, die also nicht sowohl im Sinne als in der Wortstellung liegt. Von solchen Stellen wimmeln die Reden Famussoff’s, und wie selten kann die treue Übersetzung zugleich mit einer ähnlichen Wortstellung verbunden werden!
Nach diesen Ansichten von Übersetzungen, nach diesem Bekenntniß des Unvermögens wird man mir hoffentlich nicht die Absicht unterschieben wollen, als ob ich diese Übersetzung unternommen hätte, um solchen, die nicht russisch verstehen, das Original zu ersetzen.
Mein Endzweck war ein ganz anderer. Ich schrieb diese Übersetzung nicht sowohl für Deutsche oder solche die deutsch und nicht russisch verstehen, sondern vor allen Dingen für — Russen. Man verstehe mich nicht unrecht. Jeder wird mir zugeben, daß es angenehm wäre eine Sprache zu erlernen ohne das Lexicon immerfort aufschlagen zu müssen. Wenn nun ein Russe z. B. deutsch lernen wollte, so würde er, glaube ich, dieses am bequemsten aus getreuen Übersetzungen derjenigen russischen Meisterwerke, die er bereits im Original auswendig kennt. Hierzu rechne ich Kryloff’s Fabeln, Puschkin’s Onägin und das vorliegende Drama. In meiner Übersetzung habe ich, dem Original Vers für Vers folgend, die Redeweisen durch ähnliche deutsche wiederzugeben versucht. Hierbei ist nicht zu vergessen, daß die Sprache des Stücks die gewöhnliche Umgangssprache ist, und ich hoffe, daß man mir nicht den Vorwurf machen wird, eine andere als die bürgerliche Conversationssprache in der Übersetzung gebraucht zu haben. Der Russe wird also aus ihr deutsch sprechen lernen und zwar mit den eigentlichsten Redeweisen an ihrem Ort.
Aber auch demjenigen, der russisch erlernen will kann ich keinen besseren Rath ertheilen, als Gore ot uma zu lesen, denn die Sprache ist, wie gesagt, die Umgangssprache und durch die gebundene Rede ist der Werth der Sylben, die Betonung, der Accent sogleich gegeben. Solchen würde denn meine Übersetzung eine willkommene Beihülfe werden zum Verständniß des Originals, da die dunkelsten Stellen nach sorgfältiger Kritik der verschiedenen Auslegungen übersetzt sind.
Die Idee, die diesem Stücke zu Grunde liegt, ist eine schon bekannte. Sie ist in einer Gellert’schen Fabel anmuthig und bündig gegeben.
„Du Narr willst klüger sein als wir?
„Man zwang den Pez davon zu laufen.“
Goethe hat den nämlichen Gedanken in den schönen Versen im Faust ausgedrückt:
„Die Wenigen, die ihr Gefühl, ihr Schaun
„Dem Pöbel offenbarten
„Hat man von je gekreuzigt und verbrannt!“
Wir sehen im Gore ot uma einen strebenden, mit glühender Vaterlandsliebe begabten, jungen Mann von seinen Reisen zurückkehren; auf diesen hat er mit Verdruß erkannt, daß die Gesellschaft seiner Zeit in Rußland eine Copie darstellt, und dieser Gedanke erfüllt ihn auf’s schmerzlichste. Mit diesem Unfrieden im Herzen kehrt er ins Vaterland zurück, und findet zum Unglück noch seine Jugendgeliebte kalt und abgewendet. Seine Mißstimmung steigert sich dadurch, sein Mund geht über wovon sein Herz voll ist, er macht sich aller Welt verhaßt, und durch ein Mißverständniß, das jeder befördert, sieht er sich für verrückt erklärt und steht einsam da.
Der Dichter schwingt die unbarmherzigste Geissel des Spottes über die verderbten sozialen Zustände in einer Hauptstadt; alle Charactere sind aus dem Leben gegriffen und von einer solchen inneren, menschlichen Wahrheit, daß wir immer glauben bekannten Erscheinungen und Personen zu begegnen, und dem Verfasser daher immer von Herzen Recht und Beifall geben.
Ich theile übrigens nicht die Ansicht Vieler, als ob Gribojädoff geglaubt habe Russen zu schildern; wenn er diese Ansicht hatte, so ist es ihm ergangen wie Wilhelm Meister, der nur Schauspieler kannte, sich über sie bitter beschwerte und in ihrer Beschreibung auf’s treffendste, ohne es zu wissen, — Menschen schilderte. Ich glaube in jedem Lande in Europa und besonders in den größeren Provinzialstädten wird man ähnliche Erscheinungen mit geringer Modification, durch Nationalität bedingt, wiederfinden, und eine freie und gehörig modificirte Übersetzung würde daher gewiß in jedem Lande Beifall finden. Über den Werth des Stücks hat die Zeit bereits entschieden, die strengste Kritik muß entwaffnet werden durch die Thatsache, daß jedermann, ehe das Stück gedruckt wurde — es bereits in der Abschrift besaß und fast auswendig wußte, so daß nach Polewoi’s Ausdruck die Buchdruckerkunst für Gribojädoff nicht erfunden zu sein brauchte.
Die in den Namen der Personen in dem Wortlaut involvirte Bezeichnung der Charactere wäre etwa folgende:
Famussoff dürfte von famose abzuleiten sein, in ironischem Sinne, wie man z. B. sagt — ein famoses Subject oder ein sauberes Subject. Famussoff ist ein selbstzufriedener, geld- und titelsüchtiger gemeiner Büreaucrat.
Tschatzki (von чадъ — Dunst?), der einzige würdige Character im ganzen Stück. Sein Schicksal ist in dem Titel des Stücks ausgesprochen. Wollte der Dichter durch seinen Namen bezeichnen, daß er ein Träumer war? Tschatzki macht sich freilich Luftschlösser, er schwärmt — aber er ist ein edler Schwärmer.
Moltschálin (von молчать — stille sein, schweigen) ist ein armseliger Character; ein Mensch von niederer Herkunft und Gesinnung. Er spielt die Flöte und schreibt eine gute Hand.
Scalosúb (Zähneblecker, Spottvogel), ein bornirter Kamaschenheld, der keine Ahnung von der wahren Bedeutung eines Kriegers hat. — Bezeichnend ist es, daß er als Formenmensch nur immer Zahlen im Munde hat.
Goritscheff (von горесть — Herzeleid), ehemals ein tüchtiger Mensch, ist er durch eine sinnliche und herrschsüchtige Frau ganz verweichlicht; er fühlt das und ist daher verdrüßlich und melancholisch.
Repetíloff (von répéter), ein leerer, verlebter Wüstling, der selbst ohne Bedeutung sich an bedeutendere Naturen anhängt und repetirt was andere sagen. Er ist das Bild eines Mannes, der schon im vorgerückten Alter noch nicht zur Besinnung gekommen ist und der jung zu bleiben glaubt, wenn er die Thorheiten und Ausschweifungen der Jugend in sein Alter hinübernimmt.
Sagorétzki (von загорѣть — durch Brennen schwarz werden?), ein berüchtigter (gebrandmarkter) Spieler, Lügner und Dieb, der aber durch allerlei Gefälligkeiten, die ihm nichts kosten, in der Gesellschaft sich zu erhalten weiß. Ein Beweis von dem Mangel einer öffentlichen Meinung, von der laxen Moral großer Städte.
Mad. Chlestow (von хлесть — Spießruthe), eine alte, brutale zänkische Dame.
Chrumin (von хромѣть — lahm werden), eine abgelebte Dame, die sich von dem schaalen Treiben der Bälle nicht losmachen kann.
Tugoúchoffski (von туго und ухо — Steifohr), ein stocktauber und armer Fürst.
Die Personen dieses Aktes sind: Fámussoff, Sophie, Tschatzki, Moltschálin, Lisa und ein Diener. Wir sehen in ein unheilvolles Innere. Die Frau vom Hause ist längst verstorben, und die Erziehung ihres einzigen hinterbliebenen Kindes hatte der vielbeschäftigte Vater, ein Mann von laxer Moral, Miethlingen überlassen. Sehen wir nun, daß Sophie mit einer lebhaften Sinnlichkeit, dem Erbtheil ihrer Eltern begabt und mit einer listigen und leichtfertigen Soubrette wie Lisa zur Vertrauten, in ihrem siebzehnten Jahre schon den zweiten Roman ihres Lebens spielt — bedenken wir, daß diese Natur auf dem üppigen Boden einer großen Stadt emporwuchs, so erscheint diese Frühreife ganz motivirt. Der Held ihres ersten Romanes war ihr Vetter und Spielgefährte Tschatzki, der Held auch des Stückes. Mit einer feurigen Einbildungs- und Urtheilskraft und mit einem rechtlichen Sinne begabt, waren ihm seine Dienstverhältnisse und dann besonders das ganze Wesen im Hause Fámussoff’s unerträglich geworden; drei Jahr vor Beginn des Stückes hatte er Moskau plötzlich verlassen. Wie aus der zweiten Scene im dritten Akt hervorgeht, hatte er sein Glück in Petersburg versucht, und auch die Gunst eines Ministers gewonnen, aber er verlor sie ebenso bald durch eine Lebhaftigkeit, die hochgebildeten, edlen Seelen nie gestattet zu schweigen wo die Klugheit es auch gebietet. So hatte er durch seine Reise nichts gewonnen, in seiner Abwesenheit aber das Herz Sophiens verloren; denn das Sprichwort: les absents ont tort bewahrheitet sich wieder hier vor uns. Theils aus Langerweile — denn aus einer unerklärlichen Bizarrerie hat Tschatzki in den drei Jahren nichts von sich hören lassen, — theils aus Herzensbedürfniß hat Sophie sich einen andern Helden gewählt, und dieser, der stärkste Gegensatz von Tschatzki, der geistlose, geschniegelte Allerweltsdiener Moltschálin, mit einem leidlichen Äußeren und einer hündischen Geduld ausgestattet — erheuchelt Gegenliebe, aus Furcht, die Tochter seines Chefs zu beleidigen. Es folgt daraus eine ganz schiefe Stellung; — das Verhältniß muß vor dem ehrgeizigen Vater streng verheimlicht werden, und Moltschálin, der die früheren Gefühle Sophiens für Tschatzki kennt, betrachtet sich nur als Spielzeug ihrer Laune, und denkt nicht an die Möglichkeit einer festen Verbindung. Ebenso unheimlich ist der Soubrette zu Muthe, weil Moltschálin arm ist und bei Entdeckung des Verhältnisses sie vorzüglich als die Vertraute gestraft werden würde. — Indeß muß sie, von ihrer jungen Herrin gezwungen, die heimlichen Zusammenkünfte bewachen, bei denen es übrigens durch Moltschálins Disposition nur auf viel Musik und frostige Liebeleien herausläuft. — Diese Beziehungen der Hauptpersonen zu einander glaubte ich zu einem besseren Verständniß der nun folgenden Scenen voranschicken zu müssen.
Mit einer Nachtwache Lisa’s und einer heimlichen musikalischen Soirée die bis zum dämmernden Morgen gedauert hat, beginnt das Stück. — Lisa erwacht erschreckt, klopft an die Thür des Zimmers und sucht die Liebenden zu trennen. Da nichts hilft, so will sie sie dadurch auseinanderjagen, daß sie die Spieluhr in Bewegung setzt; darüber kommt der Alte hinzu, der auf der andern Seite des Hauses wohnt, zu dem aber auch allerlei Töne hinübergeklungen sind; die Spieluhr erklärt ihm dieses so ziemlich, aber er traut doch dem listigen Kammermädchen nicht recht und gestattet sich bei der Gelegenheit allerlei Freiheiten. — Indem hört man Sophiens Stimme und das böse Gewissen treibt den Alten von der Scene; die jungen Leute treten nun auf und nehmen Abschied, aber der Alte erscheint in dem Augenblick wieder und ist nicht wenig erstaunt, sie schon so früh am Tage zusammenzufinden. Sein erster Gedanke ist, daß es ein Rendez-vous sei; es wäre ihm nichts verhaßter, als wenn seine Tochter einen blutarmen Menschen zu lieben sich in den Kopf gesetzt hätte, und in ärgerlicher Stimmung ergießt er in dieser Scene seine Galle über die jungen Damen in Moskau, sowie über das Unterrichtswesen und schiebt die Schuld alles Unheils schließlich auf die Franzosen und ihre moralischen und physischen Leckereien. — Er geht, nur halb beruhigt, mit Moltschálin fort, und in dem Zwiegespräch der beiden Mädchen erfahren wir nun, daß der Alte sich den reichen Oberst Scalosúb zum Schwiegersohne wünscht, daß dieser aber durchaus nicht Sophiens Beifall hat. Lisa horcht nun ihre Herrin in Bezug auf Tschatzki aus, aber es ergiebt sich, daß ihre frühere Neigung zu ihm einer vollkommenen Kälte Platz gemacht hat — indessen hegt sie noch große Achtung vor seinem gebildeten Geiste. In diesem Augenblick wird die Ankunft Tschatzki’s gemeldet. Sein Auftreten ist stürmisch und feurig, Sophie ist kalt und einsylbig; Tschatzki erscheint ihr wie ein Gespenst, wie ein lästiger Gläubiger, und sie ist nicht willens seine Forderungen anzuerkennen. Tschatzki ist hier sowohl, als das ganze Stück hindurch so verblendet wie ein wahrhaft Liebender. Es ist vergeblich, daß Sophie sich voll des lebhaftesten Gefühls für Moltschálin zeigt und gegen Tschatzki kalt, spitz, unbarmherzig, ja endlich im dritten Akt ganz aufrichtig ist. — Tschatzki hält es wohl für möglich, daß er ihr Herz verloren habe, daß sie es aber an Moltschálin habe schenken können, begreift er nicht, und sein ganzes Bestreben geht nun dahin, den Nebenbuhler zu finden, der an dem kalten Empfang Schuld sein muß. — Tschatzki’s Character, auf den wir durch Sophiens Schilderung schon vorbereitet wurden, zeichnet sich in dieser Scene aufs trefflichste; seine Bildung und ein tiefes Gefühl hebt ihn hoch über seine Zeitgenossen und seine Umgebung, aber er handelt unrecht es merken zu lassen, er lacht laut wo er lächerliche sieht und hieraus erfolgen tausend Unannehmlichkeiten und jene Leiden, die der Dichter die Leiden des Gebildeten nennt. Sophie, obgleich durch Tschatzki’s Erscheinung beunruhigt, nimmt doch einen gewissen Antheil an seinen witzigen Schilderungen lächerlicher Charactere von Moskau, wie er aber unglücklicherweise auch Moltschálins erwähnt und ihn unbarmherzig kritisirt, so verwandelt sich ihr Rest von Achtung in bittern Haß. Nun tritt Fámussoff herein, abermals erschreckend über den neuen mißliebigen Prätendenten; denn Tschatzki’s Grundsätze, sowie sein sehr mittelmäßiges Vermögen, lassen ihn als solchen durchaus nicht erwünscht erscheinen. Sophie durchschaut alles schnell und mit ächt-weiblicher List wälzt sie den Verdacht des Vaters von Moltschálin ab auf Tschatzki; — der Stoßseufzer Fámussoff’s, der nun in Zweifeln zwischen zwei unerwünschten Schwiegersöhnen über die Plage mit erwachsenen Töchtern klagt, schließt den Akt ganz vorzüglich ab.
Personen: Sämmtliche Personen des ersten Akts und der Oberst Scalosúb. — Es ist etwas später am Tage, aber noch Vormittags um die Zeit der Visiten. Fámussoff kommt in seinen Empfangssalon und beschäftigt sich in einem köstlichen Monologe Einladungen aller Art, die er erhalten hat, durch einen Diener in einen Kalender eintragen zu lassen. Der erste Fremde ist Tschatzki; in dem nun folgenden Gespräch zeichnet sich beider Character aufs deutlichste; die Kluft zwischen ihren Ansichten deckt sich auf; Tschatzki sagt die Wahrheit ganz freimüthig und als er gar die Ideale Fámussoff’s lächerlich und niedrig findet, so fängt letzterer an, ihn entschieden zu hassen. Der Oberst Scalosúb erscheint nun und wird von Fámussoff aufs schmeichelhafteste empfangen — theils um ihn zu gewinnen, theils um Tschatzki zu demüthigen. Der Oberst erscheint in seinen lakonischen Reden, die sich nur um das handwerksmäßige seines Standes drehen, als ein Glückspilz und gänzlich bornirter Kamaschenheld, der von der höheren Bedeutung des Militairstandes keine Ahnung hat. Nachdem Fámussoff ihm seinen Herzenswunsch, nämlich daß er um Sophiens Hand werben möchte, sehr deutlich zu verstehen gegeben hat, geht er zu einem allgemeinen Lobe Moskau’s über, welches aber durch Übertriebenheit und einen naiven Unverstand zur bittersten Persiflage wird. Tschatzki mischt sich zum Ärger des Alten zuletzt ins Gespräch, geräth in Feuer und schildert in einem lebhaften Gemälde eine Reihe von Schwächen oder gar Schändlichkeiten, die in der vornehmen Welt Moskau’s vorgekommen waren. — Der Alte ist in Verzweiflung, daß solche Reden in seinem Hause gehört würden und läuft davon; gleich darauf stürzt Sophie außer sich herein — sie hat aus dem Fenster gesehen, daß Moltschálin vom Pferde gestürzt ist und fällt darüber in Ohnmacht. Bei dieser Gelegenheit tritt ihre Liebe zu Moltschálin und ihr Haß gegen Tschatzki immer schärfer hervor; aber so gering denkt Tschatzki von Moltschálin, daß ihm ein Liebesverhältniß Sophiens mit diesem doch ganz unmöglich erscheint. Von Sophien gereizt und beleidigt geht er voller Sorge ab; Moltschálin findet Gelegenheit Lisetten seine Liebeserklärung zu machen und diese deckt in einem komischen Monologe die Liebesintriguen aller Personen des Stücks auf. — Tschatzki liebt Sophie, diese Moltschálin, dieser Lisette, diese aber gesteht ihr Ideal im Silberdiener Petrúscha gefunden zu haben. — (Eine ähnliche Idee liegt einem Lustspiel von Calderon: „das offene Geheimniß“, zum Grunde.) Wir erfahren in diesem Akt, daß am Abend noch ein kleiner Ball bei Fámussoff Statt finden soll.
Personen: Sämmtliche Personen des Stücks mit Ausnahme Repetíloff’s. — Tschatzki, dem die Heftigkeit seiner Liebe keine Ruhe läßt, erscheint noch vor der gewöhnlichen Versammlungszeit; er will endlich klar sehen und seinen wahren Nebenbuhler entdecken. — Ein leidenschaftliches Gespräch mit Sophien dient nur dazu ihren Haß und Tschatzki’s Schmerz zu vermehren — sie geht in ihr Zimmer, wo sie Moltschálin hinbestellt hat und läßt ihn in seinem alten Zweifel; — wie Moltschálin in Sophiens Zimmer will, bemerkt er plötzlich Tschatzki, erschrickt und bleibt wie eingewurzelt stehen. Tschatzki läßt sich in ein Gespräch ein, in dem Moltschálin sich in der ganzen Jämmerlichkeit eines bornirten Actenmenschen zeigt. Er ist das im Civil, was Scalosúb im Militair ist. Tschatzki wird im Betreff Sophiens ganz beruhigt. Die Gesellschaft versammelt sich indessen, und nacheinander treten allerlei moskau’sche oder besser gesagt großstädtische und menschliche Charactere auf. Die sinnliche Natalie, Góritscheff, der unter ihrem Pantoffel aus einem tapfern Soldaten ein weibischer Ehemann geworden ist; eine armselige, fürstliche Familie, — eine alte taube Gräfin, die kaum noch lebt, aber alle Bälle besucht, ihre Enkelin, eine ältliche Unvermählte, die mit vielem Stolz auf die andern herabsieht; — (bei der großen Unzahl russischer Fürsten und der sehr begränzten Zahl russischer Grafen wird auf letzteren Titel im Grunde fast ein höheres Gewicht gelegt.) — Sagorétzki, ein falscher Spieler, Lügner, Spion und Dieb — dennoch überall wegen seiner Dienstfertigkeit wohl aufgenommen, — endlich eine Tante vom Hause, eine unbarmherzige alte Klatschschwester, eine von den Plagen einer Stadt, die, nach verblühten Reizen, durch eine böse Zunge und unverschämte Intriguen sich einen Kreis von Verehrern und gefüllte Salons zu verschaffen wissen.
Tschatzki findet Gelegenheit sich mit all dieser Welt zu verfeinden ohne ein schlimmes Wort gesagt zu haben, nur weil er so spricht und urtheilt, wie ein gebildeter Mann. Durch ein Mißverständniß theils, theils durch Sophiens Rachsucht wird er zuletzt für verrückt erklärt. — Vortrefflich hat der Verfasser den Gang des Gerüchts geschildert; und wie von Mund zu Mund eine Sache in kurzer Zeit entstellt wird. Unser Autor findet in diesem Akt häufig Gelegenheit zu einer lebendigen Sittenschilderung. Die Grundsätze, die Sagorétzki, Fámussoff und Scalosúb an den Tag legen, sind der Kern der Opposition, die der ungebildete Theil einer Gesellschaft der Bildung und Civilisation stets entgegensetzen wird. So erzählt Scalosúb mit frohem Munde, daß aller Unterricht fortan im Exerciren bestehen soll, und daß Bücher nur für feierliche Gelegenheiten aufbewahrt würden: — Fámussoff will sie lieber alle verbrannt wissen. Sagorétzki findet Fabeln vorzüglich gefährlich; die alte Fürstin erzählt mit Schaudern, daß ihr Vetter, ein Fürst, in Petersburg Chemie studirt habe! — Dagegen spricht Tschatzki die Ansichten einer andern Fraction in Rußland aus, die gegen die Halbheit eifern, die eine Folge einer zu schnellen Annäherung an den europäischen Westen war. In der Annahme der Gebräuche des Abendlandes sieht er das größte Unglück für Rußland; er opponirt gegen die Form, seine Gegner gegen das innerste Wesen des Westens. Vorzüglich ergrimmt ist er gegen die leichtsinnigen Franzosen und die Einführung ihrer Sprache in alle geselligen Verhältnisse, sowie gegen pedantische und unwissende Deutsche. Die Schwächung des Nationalgefühls und eine demüthigende Abhängigkeit des Urtheils scheint ihm die Folge solcher Zustände. — Dieser Haß gegen das Ausland ist das, was die beiden Extreme dieser Gesellschaft, Fámussoff und Tschatzki, gemeinschaftlich haben; daß beide hierin übereinstimmen ist beherzigenswerth. Doch gehen sie nicht beide zu weit? Fámussoff sieht in den Fremden nicht den fleißigen Colonisten, nicht den geschickten Fabrikanten, nicht den gebildeten Gelehrten, er sieht in den nach Rußland strömenden Fremden nur die Hefe, Abentheurer, Landstreicher und Kuchenbäcker. Tschatzki nimmt vorzüglich daran Anstoß, daß jedes Französchen wie ein Orakel angehört wird und Tanzmeister Orden erhalten und ihr Auge zu Fürstinnen zu erheben wagen, sowie daß man in jedem Deutschen ein Lumen mundi erblickt. — Dieß mag einer jetzt verschollenen Zeit angehören; die Aristokratie in Rußland mag liberal genug denken, sie geht gern um mit Gebildeten, weß Standes diese auch sein mögen; aber in gewisse Gesellschaften und Familienkreise wird kein Adliger zweiten Rangs, ja kaum ein Würdenträger des Reichs gelangen, wenn er nicht von altem, nationalem Adel ist. (Es giebt also wohl Exclusivität, aber für gewisse Zeiten nur.) Mit Fremden nimmt man es endlich nirgends sehr genau — eine momentane, vorübergehende Artigkeit verpflichtet ja zu nichts; wird der einfachste russische Reisende in Paris nicht ebenso schnell zum Grafen und in Italien zum Principe gestempelt?
Wir können die Bemerkung nicht unterdrücken, daß unser Autor in den Fehler der meisten russischen Lustspieldichter verfallen ist: er trägt mit zu starken Farben auf. Manche Charactere sind dadurch ans Absurde gerückt. Die nämliche Erscheinung wiederholt sich wohl bei allen jungen Literaturen; Molière und Holberg wären solche Beispiele.
Der Akt wird mit allerlei Tänzen aus der Restaurationszeit beschlossen; eine ritterliche Mazurka von Scalosúb, wobei er zuletzt hinkniet und sich von seiner Tänzerin umschweben läßt, verfehlt nie eine allgemeine Hilarität hervorzurufen.
Personen: Sämmtliche Personen des dritten Akts und Repetíloff. Die Herren N. und D. brauchen nicht wieder zu erscheinen. Die Scene ist eine Vorhalle mit Säulen und einer im Hintergrunde sichtbaren oberen Treppe, die zur Thür des Balllokals im zweiten Stock führt; außer dieser Thür sind noch drei Thüren unten zu merken, die Aussenthür und neben ihr die des Portiers und gegenüber die Thür zu Moltschálins Zimmer. Es ist etwa drei Uhr Morgens; der Ball ist zu Ende und die Gesellschaft zieht sich nach und nach zurück. So begegnen wir allen nochmals und in kurzen Worten prägt sich der Character eines jeden aufs wahrste und ergötzlichste aus. Tschatzki kommt sehr unglücklich über diesen fatalen, ersten Tag die Treppe herab, noch ahnt er nichts davon, was die Gesellschaft über ihn erfunden hat. Er muß unten etwas auf seinen Wagen warten und indem öffnet sich die Aussenthür und der Wüstling Repetíloff fällt, so lang er ist, hinein. In einer starken Weinlaune überhäuft er Tschatzki mit Freundschaftsversicherungen und Zärtlichkeiten und beschwört ihn, mit ihm zu einer Compagnie von Bacchusbrüdern zu kommen, in deren meisterhafter Schilderung man eine zu jener Zeit berüchtigte Gesellschaft junger, unruhiger und unzufriedener Köpfe zu erkennen gemeint hat. — Tschatzki weiß nicht, wie er sich losmachen soll, da kommt Scalosúb herbei; mit einer ähnlichen Aufforderung und gleicher Zärtlichkeit geht Repetíloff auf diesen los und den Moment benutzt Tschatzki um in die Loge des Portiers zu schlüpfen. — Von hier hört er mit seinen eigenen Ohren, was die fortgehenden Gäste über den angeblichen Verlust seines Verstandes äußern. Als alle fort sind, tritt Tschatzki empört hervor — er kann es zuerst nicht fassen — aber bald denkt er sich den Zusammenhang, nur das ahnt er nicht, daß Sophie die Urheberin des Gerüchts war, und daß diese mit wenigen Worten die Lächerlichkeit desselben darthun konnte und es nicht that, ist auch das, was man ihr nicht wohl verzeihen kann.
Indem er der Quelle dieser Bosheit noch nachsinnt, erscheint Sophie oben auf der Treppe, glaubt in ihm Moltschálin zu erkennen und ruft ihn leise an, — wie sie sieht, daß sie sich getäuscht hat, verliert sie ihre gewöhnliche Geistesgegenwart und eilt schnell zurück. Diese Eile verräth sie, — denn jetzt erst entdeckt Tschatzki den wahren Zusammenhang der Sache; — er bleibt um keine Zweifel mehr zu haben, und versteckt sich hinter einer Säule. Bald erscheint Lisa um sich nach Tschatzki umzusehen und Moltschálin zum Fräulein zu beordern. Moltschálin kommt aus seiner Stube und macht Lisetten ein aufrichtiges Bekenntniß von seinem Verhältniß zu Sophien; oben horcht Sophie, die ihrer Soubrette leise gefolgt war, wahrscheinlich auch aus Unruhe über Tschatzki’s Erscheinung; Tschatzki hinter dem Pfeiler verborgen, hört ebenso wie Sophie alles mit an. Sophie wird empört über Moltschálin und behandelt ihn überhaupt so, daß man sieht, es war nicht Liebe was sie zu ihm fühlte, sie liebte sich nur selbst in ihm. — Sie gebietet ihm für immer das Haus zu verlassen. Nun tritt Tschatzki vor; Moltschálin entflieht; Tschatzki überhäuft Sophie mit den bittersten Vorwürfen. — Auf die lauten Reden erscheint der Alte und glaubt an ein Rendez-vous, und in seiner tragi-komischen Wuth droht er die Sache bis vor Senat und Kaiser zu bringen. Tschatzki entfernt sich mit tiefgekränktem Gefühl im Herzen und beissendem Spott auf den Lippen; er fühlt, daß seine Bildung ihn aus diesem Kreise verbannt, und gekränkt in seinen heiligsten Empfindungen einer glühenden Liebe zu Sophien und seiner Vaterstadt, entflieht er beiden.
Die Schwierigkeit einer Übersetzung des ganzen Stücks spiegelt sich schon in der Übersetzung der Worte des Titels ab. Verstand schafft Leiden ist wohl zu allgemein gesagt — und das meinte Gribojädoff eigentlich nicht. Man könnte übersetzen: Die Leiden der Bildung oder Bildung und Leiden, Verstand und Leiden; — meinem Ohr gefiel noch am besten: Verstand schafft Leiden. Kummer von Verstand,[2] wie Schneider in der Übersetzung in Prosa sagt, klang mir unerträglich.
[2] C. v. Knorring übersetzte: Leiden durch Bildung.
Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig.
Anmerkungen zur Transkription
Die Schreibweise des Originales, auch der Personennamen (mit und ohne Akzente), wurde weitgehend beibehalten. Lediglich offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigert.