Title: Tizian
Author: H. Knackfuss
Release date: June 7, 2019 [eBook #59697]
Language: German
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Liebhaber-Ausgaben
Künstler-Monographien
In Verbindung mit Andern herausgegeben
von
H. Knackfuß
XXIX
Tizian
Bielefeld und Leipzig
Verlag von Velhagen & Klasing
1897
Von
H. Knackfuß.
Mit 123 Abbildungen von Gemälden und Zeichnungen
Bielefeld und Leipzig
Verlag von Velhagen & Klasing
1897
Von diesem Werke ist für Liebhaber und Freunde besonders luxuriös ausgestatteter Bücher außer der vorliegenden Ausgabe
eine numerierte Ausgabe
veranstaltet, von der nur 100 Exemplare auf Extra-Kunstdruckpapier hergestellt sind. Jedes Exemplar ist in der Presse sorgfältig numeriert (von 1–100) und in einen reichen Ganzlederband gebunden. Der Preis eines solchen Exemplars beträgt 20 M. Ein Nachdruck dieser Ausgabe, auf welche jede Buchhandlung Bestellungen annimmt, wird nicht veranstaltet.
Die Verlagshandlung.
Druck von Fischer & Wittig in Leipzig.
m südöstlichen Ausgang des Ampezzothals, unweit der Grenze zwischen Friaul und Tirol, liegt das Städtchen Pieve di Cadore. Die ganze Erhabenheit des Hochgebirges umgibt den Ort, über ihm ragen die seltsamen Riesenzacken der Dolomiten zum Himmel empor, unten windet sich im engen Thal die reißende Piave südwärts, an deren Ufern sich von altersher der kürzeste Verkehrsweg zwischen den Hochalpen und Venedig entlang zieht. Die Landschaft Cadore, deren Hauptort Pieve ist, hat im Wechsel der Zeiten bald zum Deutschen Reich, bald zum Patriarchat von Aquileja gehört, bis sie im Jahre 1420 der Republik Venedig einverleibt wurde.
In einer der Gassen von Pieve di Cadore steht das durch eine Inschrifttafel kenntlich gemachte Haus, in dem der große Meister der venezianischen Malerschule, der größte Farbenkünstler Italiens überhaupt, Tiziano Vecellio, im Jahre 1477 geboren wurde.
Die Forschung hat die Abstammung des Malers weit hinauf verfolgen können. Im Jahre 1321 wählten die Cadoriner einen Herrn Guecello, Sohn des Tommaso von Pozzale, zu ihrem Oberhaupt. Solch ein gewählter Vertreter der Stadt und ihres Gebietes leitete an der Spitze des Rates das kleine Staatswesen fast gänzlich unabhängig von dem Burgvogt, der als Beamter des Lehenträgers des Patriarchen von Aquileja in dem neben der Stadt errichteten Kastell saß. Der Name jenes Guecello wiederholte sich unter seinen Nachkommen und gab schließlich dem ganzen Geschlecht die unterscheidende Benennung, die zum Familiennamen wurde. Das Geschlecht wurde als das der Guecellier bezeichnet, und jedes Mitglied desselben fügte schließlich diese Bezeichnung seinem Taufnamen bei. Nur hatte sich die Schreibweise in der Zeit, in welcher Familiennamen gebräuchlich wurden, verändert, das anlautende Gu, durch das im mittelalterlichen Latein, und so auch im Italienischen, häufig der Laut des deutschen W wiedergegeben wurde — z. B. Gualterus, Guilhelmus, guerra — war durch das der italienischen Zunge geläufigere V ersetzt worden. Die Nachkommen des Guecello schrieben sich Vecellio anstatt Guecellio; oder, in der Mehrzahlform, die im eigentlichsten Sinne als Familiennamen anzusehen ist, da sie nicht auf den einzelnen, sondern aus die Gesamtheit hinweist: Vecelli.
Den Taufnamen Tizian trugen viele Mitglieder der Familie Vecelli. Namenspatron ist ein außerhalb des venezianischen Gebietes kaum bekannter Kirchenheiliger, der Bischof Titianus von Oderzo, dessen Gedächtnis in der Gegend von Cadore in dem Namen der Ortschaft S. Tiziano — im Gaimathal am Fuß des Monte Civetta — fortlebt. Heute denkt bei dem Namen Tizian nicht leicht jemand an eine andere Persönlichkeit, als an den großen Maler aus dem Hause der Vecelli.
Die Vorfahren dieses Tizian waren von dem Ahnherrn Guecello an in vier aufeinander folgenden Geschlechtern Rechtsgelehrte und dienten ihrer Heimat in hervorragender Weise. Der fünfte in der Reihe, Gregorio Vecellio, war des Künstlers Vater.[S. 4] Von ihm wird berichtet, daß er „ebenso durch seine Weisheit im Rate von Cadore, wie durch seine Tapferkeit im Felde sich auszeichnete;“ gegen Ende des XV. Jahrhunderts wurde er zum Befehlshaber der Wehrmannschaft von Pieve ernannt, und als im Jahre 1508 die Landsknechte Kaiser Maximilians durch das Ampezzothal in das venezianische Gebiet eindrangen, hatte er rühmliche Gelegenheit, seine Kriegstüchtigkeit zu bewähren. Tizians Mutter Lucia gehörte ebenfalls dem Geschlecht der Vecelli an. Tizian wurde im Alter von neun Jahren zu seiner Ausbildung nach Venedig gebracht, zu einem dort wohnenden Oheim. Ob von vornherein die Absicht bestand, ihn der Kunst zuzuführen, erscheint fraglich. Über ein Geschichtchen, das überliefert wird, der kleine Tizian habe mit Blumensaft ein Marienbild an eine Wand des elterlichen Hauses gemalt und durch den Farbenreiz dieses Werkes alle Verwandten und Bekannten in Erstaunen gesetzt, mag man denken, was man will. Jedenfalls erhielt Tizian in Venedig schon früh Unterricht in der Malerei. Und daß Gregorio entgegen den Familienüberlieferungen in die Wahl eines solchen Berufes einwilligte, beweist, daß der Gesichtskreis dieser Patrizier eines Alpenstädtchens nicht eng war. Allerdings galt damals in Italien die Malerei schon längst nicht mehr, wie es in Deutschland noch der Fall war, als ein Handwerk.
Die Nachrichten über Tizians Lehrjahre sind sehr dürftig. Es heißt, er habe seinen ersten Unterricht bei einem Mosaikarbeiter Namens Sebastian Zuccato bekommen und sei von diesem dem Giovan Bellini zur weiteren Ausbildung übergeben worden; später habe er sich den Giorgione zum Vorbild genommen.
Der Altmeister Giovan Bellini, der Lehrer vieler vortrefflichen Künstler, war der eigentliche Begründer der besonderen venezianischen Malerei mit ihrer gesunden Kraft und Schönheit und ihrer herzerfreuenden Farbenpracht. Auch Giorgio Barbarelli, der unter der Benennung, die ihm seine Freunde gaben, Giorgione (der lange Georg) der Nachwelt bekannt geworden ist, war sein Schüler. Giorgione war Tizians Altersgenosse. Er war ein ausgezeichneter Künstler und ein Maler von allererstem Range. Er fühlte in Farben. Sein im Louvre befindliches Gemälde zum Beispiel, das mit dem Titel „Konzert im Freien“ bezeichnet zu werden pflegt, ist eins der vollkommensten malerischen Kunstwerke, die es gibt. Deutschland besitzt ein treffliches Werk von ihm in dem vor kurzem für das Berliner Museum erworbenen Bildniskopf eines jungen Mannes. Giorgione starb 1511 im Alter von vierunddreißig Jahren als ein berühmter Mann. Es hat nichts Befremdliches, wenn der junge Tizian von einem Gleichalterigen, der solch eine hervorragende Begabung besaß, zu lernen sich bemühte. Tizian scheint kein Wunderkind gewesen zu sein, sondern vielmehr sein außerordentliches Können durch arbeitsamen Lerneifer sich erworben zu haben. Auch von dem um zwei oder drei Jahre jüngeren Mitschüler Jacopo Palma, gewöhnlich Palma Vecchio („der Alte“) zum Unterschied von einem gleichnamigen späteren Maler genannt, einem Meister in der Schilderung blühender Frauenschönheit, hat Tizian vieles gelernt. Man braucht darum die Selbständigkeit seiner Kunst nicht geringer zu veranschlagen. Daß unter jungen Leuten, die in gleichen Verhältnissen gleichen Zielen zustreben, einer von dem anderen annimmt, ist nur natürlich. Auch erklärt der Umstand, daß in der Schule Bellinis mehr als irgendwo anders zu jener Zeit nach dem Leben gemalt wurde und daß daher die nämlichen Modelle verschiedenen Malern dienten, manche Ähnlichkeiten. Jedenfalls hat Tizian, der auch den Palma überlebte, später diesen sowohl wie den Giorgione übertroffen.
Über Tizians Jugendarbeiten ist aus den Quellen wenig zu erfahren. Es heißt, eines seiner allerersten Werke sei ein Freskobild über der Thür des Palastes Morosini gewesen, das den Hercules darstellte. Auch Bildnisse seiner Eltern, Früchte eines Besuchs in der Heimat, die um die Mitte des XVII. Jahrhunderts noch vorhanden waren, jetzt aber verschollen sind, werden wohl zu seinen ersten Leistungen gehört haben. Im Jahre 1499 soll er den gefürchteten Freischarenführer Cesare Borgia gemalt haben, als dieser als Abgesandter des Papstes mehrere Tage in Venedig verweilte.
Das erste erhaltene Gemälde Tizians, das eine einigermaßen sichere Zeitbestimmung zuläßt, befindet sich im Museum zu Antwerpen. Es stellt den venezianischen Prälaten Jacopo Pesaro vor, der mit der Kriegsfahne Papst Alexanders VI. in der Hand vor dem Throne des Apostels Petrus kniet und diesem von dem Papste selbst empfohlen wird (Abb. 1). Die Zeitereignisse, auf die dieses Gemälde anspielt, lassen auf seine Entstehung schließen: frühestens im Jahre 1501, in dem Jacopo Pesaro zum Befehlshaber einer gegen die Türken ausgerüsteten päpstlichen Flotte ernannt wurde; und schwerlich nach dem Jahre 1503, in dem Alexander VI. starb.
Es versteht sich von selbst, daß der junge Maler, dem von einem Manne wie Pesaro ein derartiger Auftrag anvertraut wurde, vorher schon bedeutende Proben seines Könnens geliefert haben mußte. Eine Anzahl von Gemälden ist vorhanden, die zwar der äußeren Anhaltspunkte zur Bestimmung der Zeit ihres Entstehens entbehren, die sich aber durch die Art ihrer Auffassung und Ausführung als Jugendwerke Tizians zu erkennen geben.
Vielleicht darf man hier ein Gemälde voranstellen, das sich in der fürstlich-Liechtensteinschen Galerie zu Wien befindet. Es ist ein Andachtsbild von jener in der Bellinischule besonders beliebten Art, die verschiedene Heilige in der Verehrung des von der Jungfrau Maria gehaltenen Jesuskindes vereinigt zeigt. Vor einem roten Vorhang sitzt Maria, dem Beschauer zugewendet, und das Kind dreht sich nach der heiligen Katharina um, die, von Johannes dem Täufer geleitet, mit einem lieblichen Ausdruck mädchenhafter Schüchternheit herantritt. Katharina ist gekennzeichnet durch die Märtyrerpalme in der einen Hand und ihr Marterwerkzeug, das Rad, auf das sie die andere Hand legt. Sie und der dunkellockige Johannes heben sich in sprechenden[S. 7] Umrissen von der blauen Luft ab, im Gegensatz zu der Gruppe von Mutter und Kind, die im wesentlichen als Helligkeitsmasse aus dem tiefen Ton des Vorhangs hervorkommt (Abb. 2). Das liebenswürdige Gemälde besitzt Tizians Farbenreiz, und es entspricht auch in der Linienkomposition seiner Art und Weise. Aber es zeigt auffallende Mängel in der Zeichnung. Darum wird sein Tizianscher Ursprung bezweifelt, und man möchte es als das Werk eines seiner Schüler ansehen, der es unter starkem Einfluß des Meisters geschaffen habe. Aber dagegen läßt sich einwenden, daß die Farbe[S. 8] doch das Feinste in der Malerei ist, daß ein Lehrer eher die Zeichnung eines Schülers zu berichtigen, als ihm sein Farbengefühl mitzuteilen vermag. So mögen wir das Bild wohl als Probe von Tizians Kunst aus einer Zeit betrachten, wo er zwar die Formengebung noch nicht voll in der Gewalt hatte, aber schon imstande war, seinem dichterischen Farbenempfinden Ausdruck zu geben.
Die Nationalgalerie zu London besitzt ein Gemälde, bei dem ein Zweifel darüber, ob es ein Werk Tizians aus seiner Jugendzeit sei, wohl kaum bestehen kann. Es stellt die Krippe zu Bethlehem dar (Abb. 3). Maria und Joseph, dieser sitzend, jene[S. 9] knieend, halten das sehr zarte Kind zwischen sich auf der aus Korbgeflecht gebildeten Krippe. Maria schmiegt ihre Wange an den Scheitel des Kindes; der im Ausdruck sehr innige Kopf setzt mit einem weißen Schleier ganz hell von der dunklen Wand eines Felsens ab. Josephs dunkler Kopf steht auf der lichten Luft. Der Blick des Pflegevaters ist auf den ersten Ankömmling der Hirten gerichtet — es ist eine prächtige Figur eines italienischen Hirtenbuben —, der niederknieend seine Blicke treuherzig und gläubig in die Augen des Kindes senkt. Im Hintergrund sieht man den Verkündigungsengel bei den Schafhirten im Felde. Der Ochs und der Esel, die nach alter Überlieferung bei dieser Darstellung nicht fehlen dürfen, werden an der Felswand im Rücken Marias sichtbar. — Auch in diesem sehr schönen Bild machen sich auffallende Unvollkommenheiten der Zeichnung bemerklich; besonders störend in der Figur Josephs, wo der Kopf nicht recht auf den Schultern sitzt.
Ein unbestritten echtes, gleichfalls noch ziemlich frühes Jugendwerk Tizians ist ein Marienbild in der kaiserlichen Gemäldegalerie zu Wien, das im Volksmunde die sonderbare Bezeichnung „Zigeunermadonna“ führt (Abb. 4). Hier ist die Formengebung schon eine durchaus sichere; namentlich in der Gestalt des Kindes fällt der Fortschritt in der Zeichnung gegenüber dem erstgenannten Wiener Bilde sofort in die Augen. Ein allerliebstes gesundes Knäblein ist dieses Jesuskind, das, an die Mutter angelehnt, auf einer Steinbrüstung steht und spielend mit dem einen Händchen die Falten von Marias Mantel, mit dem anderen die Finger der haltenden Mutterhand anfaßt. Diese Maria ist durchaus keine gesuchte Idealschönheit, sondern nur eine[S. 11] hübsche Venezianerin; aber es liegt etwas Weihevolles über ihrem stillen, bescheidenen Antlitz und über ihrer von Schleier und Mantel umhüllten Gestalt, das mit der Stimmung der Linien und Töne des ganzen Gemäldes zusammenklingt und dasselbe zu einem echten Andachtsbild macht. Den Hintergrund bildet zum Teil ein grünseidener Vorhang, zum Teil ein Blick ins Freie; da sieht man in eine Hügellandschaft, in der sich ein volles Gefühl für die Poesie der unter blauem Himmel sich ausdehnenden Weite ausspricht.
In der nämlichen Galerie zeigt ein anderes Marienbild, die sogenannte „Kirschenmadonna“ (Abb. 5), uns den Künstler wieder auf einer reiferen Stufe der Entwickelung, im Vollbesitz reichen malerischen Könnens, das den feinsten Farbenempfindungen Ausdruck zu geben vermag. Maria,[S. 12] holdselig und vornehm, mit einem Gesicht von lieblicher Fülle der Formen, heftet einen echt mütterlichen Blick auf das Kind, das mit freudiger Eile ihr einige von den Kirschen anbietet, die vor ihm hingelegt worden sind und auf die der kleine Johannes mit einem kindlichen Verlangen hinblickt, das ebenso natürlich wiedergegeben ist, wie die Mitteilensfreude des kleinen Jesus. Zu beiden Seiten des roten, goldgemusterten Stoffes, der für die mit einem faltenreichen hellroten Gewande und blauem Kopftuch bekleidete Jungfrau den Hintergrund bildet, werden Joseph und Zacharias sichtbar, dunkle Köpfe, die sich kräftig von der blauen Luft abheben — der erstere leider durch charakterlose moderne Übermalung verunstaltet.
Ähnliche Stimmung, aber reichere Wirkung zeigt das herrliche Bild der Dresdener Gemäldegalerie, auf dem das Jesuskind, auf dem Knie der Mutter stehend und von Johannes dem Täufer, der hier als erwachsener Mann erscheint, unterstützt, sich drei herantretenden Heiligen zuwendet (Abb. 6). Die Lichtgestalt des Kindes wird hier einerseits durch einen dunkelgrünen Vorhang, vor dem die Figur des Johannes in braunen Tönen sich unterordnend steht, andererseits durch das rote Kleid Marias hervorgehoben. Auf dem Schoß Marias liegt der blaue Mantel, und ihr Kopf steht ganz hell in hell, indem er sich mit einem weißen Schleier von der weißbewölkten Luft absetzt. Auf derselben Luft steht dann ganz dunkel der Kopf eines im tiefsten Schatten des Bauwerks, das weiterhin den Hintergrund bildet, befindlichen Heiligen, der sich in ehrfürchtiger Verneigung vorbeugt und den der wallende Bart und das Schwert als den Apostel Paulus kenntlich machen. Der Schatten überzieht auch das ganze sichtbare Stück des Bauwerks und, nach vorn an Tiefe abnehmend, die Gestalt des heiligen Hieronymus, der als Büßer dargestellt ist, wie er in heißem Gebet zu einem Kruzifix aufblickt, mit herabgestreiftem Kardinalsgewande und entblößter Schulter. Die ganze Dunkelheitsmasse, die auf diese Weise gebildet ist, wird wieder geteilt durch die helle Gestalt einer weiter vorn stehenden weiblichen Heiligen. Von der Seite einfallendes[S. 13] Licht und der Lichtwiederschein von der Hauptgruppe überziehen das weiße Seidenkleid und die feine Haut und das blonde, künstlich geordnete und mit einem blaßvioletten Bande geschmückte Haar dieses Mädchens mit einem weichen Schimmer. Es ist Maria Magdalena, die das Salbengefäß, durch das sie gekennzeichnet wird, dem Christuskinde darbietet. Ihre rechte Hand, die das Gefäß hält, wird durch den von der Schulter herabgeglittenen Mantel, dessen anderes Ende sie mit der Linken gefaßt hat, zugedeckt; dieses Stück Mantel, das sich an die Dunkelheit des Paulusgewandes anschließt, bildet einen dunklen Trennungsstreifen zwischen den beiden weiblichen Figuren. Wunderbar im Ausdruck ist die Gegenüberstellung der beiden Frauen: die ganz von Scham erfüllte reuige Sünderin vor dem Angesicht der Allerreinsten; wunderbarer noch der milde Ernst des Verzeihens in dem Blick des Kindes.
Ein Gemälde von der nämlichen Gattung, das im einzelnen wieder ganz anders angeordnet ist, befindet sich im Louvre. Es ist gleich den vorbesprochenen Bildern in Halbfiguren komponiert. Links sitzt Maria vor einer dunklen Wand. Sie blickt innig und sinnend in die Augen des auf ihrem Schoße liegenden Kindes, das sie wieder ansieht und nach der mit dem Schleier verdeckten Mutterbrust greift. Eine weiße Windel hebt die Helligkeit des zartfarbigen kleinen Körpers. Vor der Jungfrau und dem Kinde stehen drei Heilige in Andacht versammelt, drei lebensvolle Charakterfiguren. Der vorderste ist der Kirchenvater Ambrosius, ein langbärtiger Greis, vornehm und mit hartem Ernst in den Zügen; er hebt die Augen nicht von seinem Gebetbuch auf. Zwischen ihm und Maria sieht man den weiter zurückstehenden heiligen Stephanus mit der Märtyrerpalme, der die Augen mit schwärmerischer Jünglingsandacht aufschlägt. Der dritte ist der dunkelhäutige Mauritius, ein derber, schlichter Kriegsmann in blankem Harnisch, mit bescheiden gesenktem Blick. Über der reichfarbigen Gruppe der drei Heiligen spannt sich eine bewölkte Luft aus, die ein schlichter Hügelstreifen säumt (Abb. 7).
Tizian verschmähte es nicht, sich zu wiederholen, wenn eine seiner Schöpfungen[S. 14] Anklang fand. Dieses Pariser Bild stimmt fast genau überein mit einem in der kaiserlichen Gemäldegalerie zu Wien befindlichen, auf dem die drei Heiligen Stephanus, Hieronymus und Georg sind.
An den Schluß der Reihe von Muttergottesbildern in Halbfiguren, die uns von Tizians Jugendentwickelung innerhalb eines Zeitraums, dessen Grenzpunkte sich nicht bestimmen lassen, die beste Anschauung gewährt, kann man ein liebliches Gemälde in der Uffiziengalerie stellen, ein Meisterwerk kostbarster liebevoller Ausführung. Das Jesuskind, gleich seiner Mutter eine Erscheinung von süßer Holdseligkeit, ruht halb liegend, halb sitzend auf den Armen Marias und auf dem Mantel, den sie von Arm zu Arm herüberzieht; es hält die Händchen voll Rosen und wendet das Köpfchen einer weiteren Rosenspende zu, die der kleine Johannes diensteifrig mit hochgestrecktem Arm ihm darreicht. Seitwärts steht der heilige Einsiedler Antonius, ein wunderschöner Greis, mit beiden Händen auf den ihn kennzeichnenden T-förmigen Stab gestützt, und versenkt sich mit stiller Innigkeit in die Betrachtung des kindgewordenen Gottessohnes. Den Hintergrund bildet zum größten Teil ein Vorhang von bräunlicher Farbe; nur ganz seitwärts, an den Köpfen der beiden Kinder, wird ein Stückchen duftiger Landschaft unter einer lichten Wolkenwand sichtbar (Abb. 8). In dem Bewußtsein, etwas Wohlgelungenes geschaffen zu haben, hat Tizian dieses Bild mit seinem Namen bezeichnet.
Soviel Poesie auch in solchen Halbfigurengruppen Tizians lebt: das volle Maß seiner malerischen Dichtkunst offenbart sich erst da, wo der Künstler die Darstellung ganz ins Freie verlegt und aus Figuren und Landschaft ein stimmungsvolles Ganzes zusammenwirkt. Solch eine Tiziansche Landschaft ist nicht, wie etwa bei Raffaels Madonnen im Grünen, nur eine reizvollere Art des Hintergrundes, sondern in ihr steckt ebensoviel künstlerisches Empfinden, wie in den Figuren, sie ist etwas Beseeltes, in dessen Wesen der Maler sich mit Schönheitswonne vertieft, und das er zum vollendetsten Zusammenklange mit der Formen- und Farbenstimmung der Figuren gebracht hat. Die Nationalgalerie zu London besitzt ein Marienbild von dieser Art, von dem man nach der großen Ähnlichkeit des Kopfes der Jungfrau mit der ebengenannten Florentiner Madonna wohl annehmen muß, daß es um dieselbe Zeit wie dieses entstanden sei. Maria sitzt auf einer Bodenerhöhung; neben ihr, in ehrerbietigem Abstand, der kleine Johannes, der auch hier wieder Blumen darreicht. Ohne die Augen von der zärtlichen Betrachtung des auf ihrem Schoße liegenden Kindes zu erheben, nimmt die Jungfrau die Blumenspende aus der Hand des Johannes. Vor ihr kniet die heilige Katharina und herzt mit mädchenhafter Freude das Jesuskind. Das gelbe Kleid Katharinas und das Rot und Blau der Gewandung Marias bilden einen vollkräftigen Zusammenklang der drei Grundfarben. Und dahinter spannt sich ein landschaftlicher Farbenzauber aus. Dichtbelaubte Bäume stehen auf dem grünen Hang des Hügels, auf dem die Gruppe ruht; eine dunkelbewaldete zweite Höhe senkt sich zu einer Ebene hinab, in der Hirten ihre Herden weiden lassen; der Spiegel eines Sees erglänzt in bläulicher Ferne, und weiterhin schweift der Blick über sanfte Hügelwellen bis zu dem ragenden Hochgebirge; auf den Gipfeln lagern die Wolkenmassen. Das Licht der Abendsonne dringt durch die Risse eines Dunstschleiers und färbt den Rand eines dichten Wolkengebildes mit rötlicher Glut. Oben in diesem Wolkenrand erscheint ein Engel, um die Hirten auf der Flur, die ein Wiederschein des goldigen Lichtes erhellt, zur Verehrung des göttlichen Kindes herbeizurufen (Abb. 9).
Andachtsbilder waren damals, wie man zu sagen pflegt, das tägliche Brot der Werkstatt, und Tizian hat früh bewiesen, mit welcher Innigkeit des Empfindens er solche zu gestalten wußte. Sein berühmtestes Jugendwerk aber, vielleicht von all seinen Schöpfungen die am meisten beim Publikum beliebte und am weitesten durch Nachbildungen verbreitete, ist kein religiöses Bild. Es ist das in der Villa Borghese zu Rom befindliche Meisterwerk von Farbenpoesie, das den zweifellos ganz unzutreffenden Namen „die heilige und die weltliche Liebe“ führt (Abb. 10). Eine im XVII. Jahrhundert verfaßte Beschreibung nennt das auch damals hochbewunderte Bild mit der gleichgültigen Bezeichnung: „Zwei Mädchen am Brunnen.“ Es ist eine Allegorie, deren Gedanken sicherlich nicht von Tizian aus[S. 15]geklügelt, sondern von dem Besteller ihm gegeben worden ist. Glücklicherweise ist die Enträtselung des dunklen Sinnes keine Vorbedingung für den klaren Schönheitsgenuß, den das Werk gewährt. Eine idyllische Landschaft dehnt sich hinab zum Meer, dessen lichtblaue Linie den Gesichtskreis schließt; das Linienspiel der Hügel wird durch das Spiel der von den weißen Wolken geworfenen Schatten poetisch belebt. Nach vorn steigt das Gelände, ein paar Bäumchen durchschneiden mit kräftiger Dunkelheit die Luft, und ganz vorn steht im Grünen eine Brunneneinfassung von weißem Marmor, in der Gestalt eines antiken Sarkophags gebildet und mit Reliefdarstellungen geschmückt. Auf dem Rande des Wasserbeckens sitzt ein blondes junges Mädchen, nackt bis auf ein um den Schoß geschlungenes weißes Schleiertuch; das abgestreifte rotseidene Gewand haftet nur noch an dem linken Oberarm und seine herabwallenden Falten begleiten reizvoll den anmutigen Linienfluß der enthüllten Gestalt; aber die holdseligste Unschuld ist das Kleid des Mädchens. Als ein fast überflüssiges äußeres Sinnbild der Reinheit und Aufnahmefähigkeit dieser Seele hat der Maler eine offene Schale von spiegelndem Silber neben die Figur auf den Brunnenrand gestellt. Die liebliche Jungfrau hält mit der Linken ein Gefäß empor, aus dem Opferdampf aufsteigt, und blickt über ihre rechte Schulter[S. 16] mit großen, fragenden Augen auf den klaren Wasserspiegel im Brunnen. Von hinten aber ist ein Liebesgott an den Brunnen getreten und beugt sich wie ein spielendes Kind über den Marmorrand; er taucht sein Händchen in die Fläche, und ein leichtes Plätschern wird die ruhige Klarheit zerstören. Den Gegensatz zu dem jungen Mädchen, das etwas Unbekanntem in kaum erwachender Ahnung entgegensieht, bildet ein an der anderen Seite des Brunnens sitzendes blühendes junges Weib. Diese Gestalt ist in einen Anzug von weißer Seide mit rotem Unterzeug gekleidet, der mit weiten Falten ihre Formen umhüllt; selbst die Hände sind mit Handschuhen bedeckt. Sie sieht den Beschauer groß und ruhig an, ohne Frage und ohne Spannung; sie ist ganz Ruhe und Befriedigung. Auf ihrem hellblonden Haar liegt ein schmaler Blätterkranz, die linke Hand ruht auf einem geschlossenen Gefäß, die Rechte hält gleichgültig ein paar abgerissene Rosen. Das Reliefbild an der Vorderseite des Marmorbeckens zeigt verschiedene Gruppen von Kindern, deren Thun und Treiben sicherlich eine mit dem Sinne des Ganzen zusammenhängende Bedeutung hat. Zwischen den Kindergruppen ist über dem Ausflußrohr des Brunnens ein Wappen angebracht, zweifellos dasjenige des Bestellers; aber selbst dieses Wappen spottet aller Bemühungen der Forschung, aus ihm auf die Person des Auftraggebers und demnach vielleicht auch auf die Bedeutung des Gemäldes Schlüsse zu ziehn. Hier erkennt man recht, wie untergeordnet für die Wirkung eines Kunstwerkes dessen gegenständlicher Inhalt ist. Kein Mensch weiß den Sinn dieser Darstellung in völlig befriedigender Weise zu erklären; aber von ihrem künstlerischen Gehalt wird ein jeder bezaubert, der überhaupt des Kunstgenusses fähig ist.
Als ein kleines nicht religiöses Werk sei hier das köstliche Bildchen in der kaiserlichen Gemäldegalerie zu Wien erwähnt, auf dem ein nacktes Knäblein dargestellt ist, das im Grünen auf einer niedrigen Steinbank sitzt und sich mit einem Tambourin belustigt (Abb. 11). Wenn das Kind als Amor bezeichnet wird, so liegt dazu kein Grund vor; weder die Flügel noch sonst eine Kennzeichnung des Liebesgottes sind vorhanden. Eher darf man wohl an ein Porträt eines hübschen Kindes denken. Es wird bezweifelt, ob das Bildchen wirklich von Tizian gemalt sei, da die Malweise etwas zu hart für ihn erscheint. Aber ein überzeugender Gegenbeweis gegen seine Urheberschaft ist damit durchaus nicht gegeben. Vielmehr sind der muntere Liebreiz des Kindes und die entzückende Art und Weise,[S. 17] wie das Figürchen mit der Landschaft zusammenkomponiert ist, ganz und gar Tizianisch.
Was in Venedig selbst unter dem Titel von Jugendarbeiten Tizians gezeigt wird, verdient nicht viel Beachtung.
Die erste Nachricht über Tizians Thätigkeit, welche eine sichere Zeitbestimmung bietet, ist zugleich die erste Kunde von seiner Beschäftigung an einem öffentlichen Werk. Aber nicht als selbständiger Empfänger eines Auftrags, sondern als Gehilfe des Giorgione erscheint hier der Künstler, der bereits in sein dreißigstes Lebensjahr eingetreten war. Es handelte sich um Freskomalereien an den Außenwänden eines Staatsgebäudes. Das als Wohn- und Warenhaus für die deutschen Kaufleute in Venedig von der Regierung eingerichtete und unterhaltene Gebäude war im Jahre 1505 abgebrannt; und es wurde nun alsbald die Erbauung eines neuen Hauses für diesen Zweck ins Werk gesetzt. Schon im Sommer 1507 war der neue „Fondaco de’ Tedeschi“ am Canal grande, ganz in der Nähe der Rialtobrücke, im Bau vollendet, und sicherlich wurde nun gleich mit der umfangreichen malerischen Ausschmückung desselben begonnen. Giorgione erhielt den Auftrag und er übertrug einen Teil der Arbeit an Tizian.
Während Tizian mannigfaltige Phantasien auf die Wände des Fondaco de’ Tedeschi zauberte, mögen seine Gedanken manchmal mit banger Sorge in die Heimatberge hinübergeschweift sein. Denn im Anfang des Jahres 1508 drangen Kaiser Maximilians Truppen in Cadore ein. Pieve mußte, da ein Versuch, der deutschen Artillerie Widerstand zu leisten, aussichtslos erschien, eine kaiserliche Besatzung aufnehmen. Aber mutige Männer, unter ihnen Tizians Großoheim Andrea Vecelli und dessen Sohn, der auch Tizian hieß, hielten, unwegsame Bergpfade benutzend, die Verbindung mit den venezianischen Truppen aufrecht und ermöglichten einen Überfall, der den Rückzug der Deutschen und daraus einen Waffenstillstandsabschluß zwischen dem Kaiser und der Republik zur Folge hatte. Ein Bruder Tizians, Francesco, der ebenfalls die Malerei als Beruf erwählt hatte und sich in Venedig ausbildete, hielt es unter diesen Verhältnissen nicht aus bei der friedlichen Kunst. Er trat als Reiter bei den Scharen des Condottiere Maco von Ferrara ein und erwarb sich bald den Ruf eines tapferen Kriegers. Noch spät erzählte man von[S. 18] seinem Zweikampf mit einem deutschen Hauptmann im Jahre 1509. Erst nach längerer Zeit kehrte er auf Tizians Zureden zur Kunst zurück.
Im Spätherbst 1508 waren Giorgione und Tizian mit den Freskomalereien am Fondaco, die sich über zwei Fronten und den Innenhof erstreckten, fertig. Sie hatten das massige Gebäude mit einem bunten Spiel von Figuren und Zierwerk umkleidet. Ein innerer Zusammenhang der dargestellten Gegenstände läßt sich aus den Beschreibungen nicht erkennen. Heute sind von dieser einst höchlich bewunderten Dekorationsmalerei kaum noch einige ganz schwache Spuren wahrnehmbar; in der Seeluft können Fresken sich nicht halten. Der zeitgenössische Künstlerbiograph Vasari hat sich über diese Malereien sehr mißfällig ausgesprochen; sie waren ihm, wie man in der Ausdrucksweise unserer Zeit sagen würde, nicht „stilvoll“ genug entworfen. In den Augen anderer aber bildete gerade das Freie, Lebendige, Malerische und scheinbar Willkürliche dieses Farbenschmuckes dessen besonderen Reiz.
Vasari wußte hier nicht zu unterscheiden, was von Giorgione und was von Tizian herrührte. Merkwürdig ist es ja auch nicht, wenn Tizian sich der Art und Weise seines bewunderten Kunstgenossen enger anschloß bei einer in Gemeinschaft mit diesem gemachten Arbeit. — Vasari war auch bei einem Altarbild, das er in der Kirche S. Rocco sah, über die Urheberschaft im Zweifel, und er nennt dasselbe in zwei verschiedenen Kapiteln seines Buches das eine Mal als Werk des Tizian, das andere Mal als Werk des Giorgione. Dieses Bild, das sich heute noch an seinem Platz befindet, aber in einem durch unzweckmäßige Behandlung verursachten schlechten Erhaltungszustand, zeigt Christus auf dem Wege nach Golgatha; es ist eine ausdrucksvolle und ergreifende Darstellung und wohl sicher eine Schöpfung Tizians.
In die Zeit der Arbeiten am Fondaco de’ Tedeschi wird die Entstehung eines merkwürdigen Bildnisses verlegt, das sich in der Gemäldesammlung des Vatikans befindet. Es stellt einen Dogen von Venedig dar, in lebensgroßer Halbfigur, bekleidet mit der eigentümlichen Mütze und dem altertümlich geschnittenen Brokatmantel des Oberhauptes der Republik. Der charaktervolle Kopf ist scharf im Profil gesehen, die Hände kommen unter dem Mantel heraus; die Linke hält ein Battisttuch, die Rechte — die leider durch Übermalung ganz entstellt ist — ist wie zu einer Begrüßungsansprache vorgestreckt. Man kann sich nichts Überzeugenderes von Lebenswahrheit denken, als dieses durch die großartigste Einfachheit ausgezeichnete Bildnis, in dem gewissermaßen die ganze Besonderheit der Würde des Mannes, dem die stolze Republik die Leitung ihrer Macht anvertraut hat, zum Ausdruck kommt. Und doch hat Tizian dieses Porträt nicht nach dem Leben gemalt. Den regierenden Dogen zu porträtieren war ein Vorrecht, das dem alten Giovan Bellini, solange er lebte, niemals entzogen wurde. Tizian hat hier auf der Grundlage irgend eines alten Porträts, vermutlich im Auftrage der betreffenden Familie, die Erscheinung eines längst Verstorbenen, des Dogen Niccolo Marcello, der von 1473 bis 1474 die Herrschaft innegehabt hatte, mit wunderbarer Meisterschaft glaubwürdig ins Leben gerufen (Abb. 12).
Tizians Thätigkeit bei der Ausschmückung des Fondaco mußte ihn naturgemäß in häufige Berührung mit deutschen Kaufherren bringen. Wie wäre es damals einem Deutschen in Venedig möglich gewesen, irgend ein Werk der Malerei entstehen zu sehen, ohne in Gedanken einen Vergleich zu ziehen mit den Schöpfungen des großen Landsmannes Albrecht Dürer, der ja ganz vor kurzem erst die Lagunenstadt verlassen und dem der Altmeister Bellini die unverhohlenste Bewunderung gezollt hatte? Daß Tizian und Dürer sich persönlich kennen gelernt hatten, kann bei dem Aufsehen, das die Arbeiten des deutschen Malers in Venedig erregten, wohl keinem Zweifel unterliegen, wenn auch in Dürers erhaltenen venezianischen Briefen Tizians Name nicht genannt wird. Dem Wetteifer mit Dürers Kunst schreibt eine Erzählung, die zwar erst im XVII. Jahrhundert aufgezeichnet wurde, aber sich auf glaubhafte mündliche Überlieferung stützte, die Entstehung einer der vollendetsten Schöpfungen Tizians zu. Bei einem Besuche von vornehmen Deutschen in Tizians Werkstatt, so heißt es, zeigten diese sich nicht so entzückt von dessen Werken, wie man erwartet hatte, und auf Befragen gestanden sie den Freunden des Künstlers,[S. 20] daß sie weder diesen, noch irgend einen anderen italienischen Maler jenes höchsten Maßes von Durchbildung für fähig hielten, das ihren Landsmann Dürer auszeichnete. Darauf soll Tizian gesagt haben, „wenn er die äußerste Durchbildung für das wahre und letzte Ziel der Vollendung hielte, dann würde auch er in Übereinstimmung mit der Ansicht jener zu Dürers Übermaß gekommen sein; aber weil sein eigenes, durch langes Studium und fortgesetzte Arbeitserfahrung hinreichend gekräftigtes Urteil ihn, gemäß der von der schönen Natur und den besten Kunstwerken ausgeübten Einwirkungen, zu der Erkenntnis gebracht hätte, daß er bei seiner Art zu malen als der der Wahrheit mehr entsprechenden bleiben müsse: so halte er es nicht für angezeigt, den breiteren und sicheren Weg zu verlassen, um den ungewissen und von Mißerfolgen bedrohten einzuschlagen; dennoch wolle er bei der ersten seinem Geschmacke zusagenden Gelegenheit, die sich bieten würde, zeigen, daß er auch imstande sei, etwas mit vollem Kunstfleiß in Gestalt und Zubehör durchzubilden und auch einmal etwas ganz fein zu machen, ohne im Übermaß durchzugehen.“ Das Ergebnis dieses Entschlusses soll das jetzt in der Dresdener Galerie befindliche Gemälde gewesen sein, das unter der Benennung „der Zinsgroschen“ bekannt ist.
Dieses Bild ist in der That etwas in jeder Hinsicht Vollkommenes. Gegenstand der Darstellung ist die Zurückweisung der an den Heiland gerichteten Pharisäerfrage, ob es erlaubt sei, dem Kaiser Zins zu zahlen. Das Gemälde enthält nur das zum Aussprechen des Gedankens unbedingt Notwendige: von Christus sieht man etwas weniger als die halbe Figur, von dem Pharisäer, der ihm die Münze zeigt, nicht viel mehr als das Gesicht und die Hand mit dem Geldstück (Abb. 13). Tizian hat sein Wort gehalten. Er hat hier alles mit der äußersten Vollendung der Einzelheiten durchgeführt. Aber er hat alle Einzelheiten der natürlichen malerischen Gesamterscheinung unterzuordnen gewußt. So wirkt das Haar, von dem das Christusantlitz eingerahmt ist, als eine ruhige dunkle Masse; aber in der Nähe erkennt man die einzelnen lose heraustretenden Härchen. So sind die Kleinigkeiten[S. 21] von Formen und Farben, welche die Haut beleben, alle vorhanden, ohne daß dadurch die große, einfache Wirkung des Fleischtons beeinträchtigt würde. Aber nicht nur als eine Leistung des größten malerischen Könnens ist das Bild das Wunderwerk, als das es zu allen Zeiten angesehen worden ist. Auch in tieferem Sinne hat Tizian gezeigt, daß er den Vergleich mit dem deutschen Meister herausfordern dürfe. Er hat sich mit ganzer Seele in den Inhalt der Darstellung versenkt und hat diesen ganzen Inhalt in klarster, schönster Kennzeichnung zum Ausdruck gebracht. Die heimtückische Verschmitztheit des Fragestellers, sein schleichendes Herandrängen, und die göttliche Ruhe, die hoheitsvolle Überlegenheit des Heilands, die bestimmte und doch so vornehm leichte Bewegung, mit der seine Hand die Gegenfrage: „Wessen ist das Bild?“ begleitet, — das alles spricht so klar und deutlich, wie es nur jemals höchster Kunst möglich gewesen ist. Und mit welcher erhabenen Einfachheit hat der Künstler das alles zum Ausdruck gebracht! Dabei die wunderbare Durchführung des Gegensatzes der Charaktere in jeder Form der beiden Köpfe und der beiden Hände! — Es ist wohl begreiflich, daß ein Gesandter Karls V. beim Anblick dieses Bildes laut sein Erstaunen darüber aussprach, daß es einen Maler gebe, der so mit Dürer zu wetteifern imstande sei. Der Gesandte dachte selbstredend nicht an Dürers Formenäußerlichkeiten, sondern an das Wesen von dessen Kunst. Und ein Wehen von Dürers tiefem Geist hat Tizian verspürt, als er dieses Werk schuf. Daß er bei allem anderen seine Farbenkunst nicht vergaß, daß er die verschiedenartigen Fleischtöne und Haarfarben, das Rot des Rockes und das Blau des Mantels in der reinsten Harmonie zusammenklingen ließ, versteht sich von selbst.
Vasari sah den „Zinsgroschen“ im Arbeitszimmer des Herzogs von Ferrara. Ob der Herzog Alfonso d’Este, für den später Tizian eine ganze Anzahl von Bildern malte, der Besteller des Gemäldes war, oder ob er dasselbe als ein fertiges, von dem Künstler aus eigenem Antrieb gemaltes Werk erwarb, darüber fehlen die[S. 22] Nachrichten. Nach Dresden ist das Bild im Jahre 1746 als ein Bestandteil der von König August III. dem Herzog Francesco d’Este abgekauften modenesischen Sammlung gekommen.
Den Christuskopf, den Tizian hier geschaffen, hat er ein anderes Mal in der Seitenansicht wiederzugeben versucht, in einem Gemälde, das lediglich das Brustbild des Erlösers auf einem landschaftlichen Hintergrunde zeigt. Das Gemälde, das dem „Zinsgroschen“ keineswegs an Vollendung gleichkommt, befindet sich in der Sammlung des Pittipalastes zu Florenz.
Das tiefe religiöse Gefühl, das aus Tizians Christusbildern spricht, offenbart sich mit besonderer Kraft in einem Werk, das unter den Arbeiten des großen Malers eine vereinzelte Stellung einnimmt. Es ist eine Folge von Holzschnitten, die sich zu einem zusammenhängenden Ganzen aneinander reihen. Nach dem Vorbild von Mantegnas berühmtem Triumphzug Cäsars ist hier der „Triumphzug des Glaubens“ dargestellt. Der Triumphator ist Christus, die Evangelisten ziehen seinen Wagen. Voraus schreiten die Stammeltern des Menschengeschlechts, die Väter des alten Bundes, die Propheten und die Sibyllen. Hinter dem Wagen des Erlösers folgt das Heer der christlichen Heiligen (Abb. 14–18). — Nach Vasaris Angabe brachte Tizian diese Holzschnittfolge im Jahre 1508 an die Öffentlichkeit.
Die nämliche Darstellung soll Tizian an die Wände des Zimmers gemalt haben, das er in Padua bewohnte, als er dort längere Zeit verweilte. Im Jahre 1511 nämlich hatte er in dieser Stadt eine Anzahl von Freskogemälden auszuführen.
Es handelte sich um die Ausschmückung der „Scuola del Carmine,“ des jetzt als Taufkapelle dienenden Raumes neben der Karmeliterkirche, welcher der Versammlungsort der zu dieser Kirche gehörigen Bruderschaft war, und der „Scuola del Santo“, des Bruderschaftssaales der St. Antoniuskirche. Tizian bediente sich bei diesen Arbeiten, die nur mäßig bezahlt wurden, der Beihilfe eines von ihm gedungenen, wahrscheinlich in Padua einheimischen Malers. Von den Freskobildern in der Scuola del[S. 23] Carmine, deren Inhalt die Lebensgeschichte der Jungfrau Maria ist, rührt nur eines von Tizian selbst her. Es hat die Begegnung von Joachim und Anna an der Pforte des Tempels zu Jerusalem — nach der alten Legende von den Eltern Marias — zum Gegenstand. Die beiden alten Leute, die sich nach langer Trennung wiedersehen, schauen einander mit freudiger Bewegung ins Gesicht. Ihre Gestalten und diejenigen von ein paar Zuschauerinnen heben sich farbig von den hellen Tönen der Marmorarchitektur des Tempels ab. Seitwärts von der Hauptgruppe kniet einer der Hirten, bei denen Joachim die Zeit seiner Abwesenheit verbracht hatte. Hinter dieser Figur dehnt sich eine Hügellandschaft unter heller Luft aus; man sieht die weite Straße, auf der Joachim hergewandert ist. — Daß das Bild mit einer gewissen Eilfertigkeit hingestrichen ist und daß die Ausarbeitung mancher Einzelheiten dem Gehilfen überlassen war, läßt sich nicht verkennen. Dennoch ist es ein schönes Bild, dessen mit wenigen Tönen hergestellte malerische Wirkung durch die schlechte Erhaltung zwar beeinträchtigt, aber doch nicht zerstört worden ist. Die Hand von Tizians Gehilfen allein erkennt man in dem daneben befindlichen Bilde. Campagnola, so hieß der Gehilfe — hat hier sozusagen von derselben Palette gemalt wie sein Meister. Aber seine Arbeit erscheint nur als eine Zusammenstellung von Einzelheiten, die teilweise ganz schön sein mögen; das Tiziansche Bild dagegen ist eine aus dem Ganzen gestaltete Schöpfung, ein Stimmungsgedicht.
Noch bewunderungswürdiger sind die drei Fresken in der Scuola del Santo, die Tizian in der Zeit vom 24. September bis 2. Dezember 1511 ausführte. Eingedrungene Feuchtigkeit und wiederholte Nachbesserungen haben auch diesen Gemälden übel mitgespielt; aber dennoch kommt die Arbeit des großen Malers in ihnen noch mächtig zur Geltung. Unwillkürlich drängt sich einem hier in Padua, wo von Giotto und dessen trefflichen Nachfolgern so herrliche Freskomalereien zu sehen sind, der Vergleich mit diesen alten Meistern auf. Dasjenige, was bei Tizian als etwas Neues und von jenen völlig Verschiedenes zunächst und am meisten in die Augen fällt, ist die durchaus andersartige Farbenhaltung, welche aus[S. 24] dem Gefühl für das Landschaftliche hervorgeht. Bei jenen kamen landschaftliche Gegenstände, wie Bäume oder Felsen, nur als Andeutungen einer Örtlichkeit zur Darstellung; die Luft war ihnen ein dunkelblauer Hintergrund, vortrefflich geeignet zur Hervorhebung der weißen Baulichkeiten, die sie mit Vorliebe als nächsten Hintergrund der Figuren anbrachten. Für Tizian aber, den im Anblick der See groß gewordenen Sohn des Hochgebirges, hatte die Luft eine ganz andere Bedeutung als für die Kinder festländischer Marmorstädte; sie war ihm eine lichterfüllte, lichtspendende Weite, und unter ihr vertiefte sich die Landschaft ins Ferne hinein in zusammenhängender Mannigfaltigkeit der Formen und Töne. Tizian ließ sich auch als Freskomaler ganz von malerischer Empfindungsweise leiten; die Körperhaftigkeit der Wirkung, durch welche die Giottoschüler ihre Zeitgenossen verblüfft hatten, und die nach ihnen durch Mantegna aufs feinste durchgebildet worden war, war für ihn etwas an und für sich Nebensächliches; sie war ihm nur das selbstverständliche Ergebnis der natürlichen Lichtwirkung. — Die Fresken in der Scuola del Santo hatten Wunderthaten des heiligen Antonius von Padua zu schildern, des berühmtesten Angehörigen der Stadt, der dort schlechtweg „der Heilige“ (il Santo) hieß und heißt. „Der heilige Antonius läßt ein unmündiges Kind zum Beweis der Unschuld seiner verleumdeten Mutter reden“ ist der Gegenstand des ersten Gemäldes. In der Mitte des Bildes steht der Heilige in seiner graubraunen Kutte, ruhig, sanft und überzeugungsvoll; neben ihm kniet ein Ordensbruder und hält in tiefer Erregung das kleine Kind empor, das mit dem lebendigsten Ausdruck des Sprechens Kopf und Händchen gegen seinen Vater, den Ankläger der Mutter, vorstreckt. Dieser, ein vornehmer Herr in reicher Kleidung, starrt mit einer unwillkürlichen Bewegung des Zurückweichens das Kind an; in seinem Gesicht vollzieht sich der Übergang vom Zweifel zur Beschämung. Seine Gattin, ebenfalls sehr vornehm gekleidet, vernimmt in würdevollem Tugendbewußtsein die wunderbare Offenbarung der Ungerechtigkeit des gegen sie ausgesprochenen Verdachtes. Rechts und links stehen bunte[S. 25] Zuschauer, die von dem Wunder jeder in seiner Weise ergriffen werden. Den Hintergrund bildet einerseits die dunkle Wand eines Gebäudes, vor der ein antikes Marmorstandbild steht, andererseits eine grüne Landschaft mit reizvoll gezeichneten Bäumchen vor heller Luft (Abb. 19). — Unterhalb dieses prächtig wirkenden Bildes hat Tizian ein Stückchen Wand neben der Thüre, das von der Holztäfelung, die bis zur Fußlinie der Gemälde die Wände des Saales bekleidet, unbedeckt geblieben ist, in allerliebster Weise ausgefüllt durch ein paar nackte Engelkinder, die an den Seiten einer kleinen weißen Steinfigur des Heiligen stehen. — Das zweite Gemälde Tizians: „Der Heilige heilt einen Jüngling, der sich den Fuß, mit dem er nach seiner Mutter getreten, abgeschnitten hat,“ schildert einen Vorgang auf dem Lande. Das Bild hat eine ländliche Stimmung. Man sieht unter einem von Wolkenstreifen durchzogenen Abendhimmel weithin über eine reizende Landschaft, die das Meer in Bogenlinien säumt; auf einer leichten Bodenerhöhung liegt ein Städtchen, vor dessen Thoren Schafe weiden, unweit des Ortes, wo das Ereignis eine dichte Menschengruppe zusammengeführt hat. Wie prächtig sind die Bauersfrauen geschildert! die Mutter, die, von einer anderen Frau unterstützt, den wie leblos am Boden liegenden schwerverwundeten Sohn hält und mit wilder[S. 26] Angst und mit Hoffnung zugleich die Blicke auf den Heiligen heftet; und ein starkknochiges junges Weib, das den Umstehenden lebhaft und wortreich erzählt, wie das alles so gekommen ist. Und wie vornehm im Gegensatz zu diesen Persönlichkeiten der Heilige! Er tritt dicht an Mutter und Sohn heran, und indem er sich vorwärts neigt, zieht er seine Kutte leicht herauf, um deren Saum nicht in der großen Blutlache am Boden zu besudeln; er streckt die Rechte vertrauengebietend aus, und unter dem Segensspruch seines Gebetes schließt sich die Wunde in dem Bein des Burschen. Als Begleiter des Heiligen sieht man außer einem jungen Mönch einen fürstlichen Herrn, der einen Bewaffneten und einen Schildträger bei sich hat (Abb. 20). — Das dritte Bild ist kleiner als die beiden anderen; es ist am stärksten beschädigt, bringt aber doch seine großartige Farbenstimmung noch mächtig zur Geltung. „Der Heilige ruft eine von ihrem Manne aus Eifersucht ermordete Frau ins Leben zurück.“ Mit diesem gegebenen Gegenstande hat der Maler sich in der Weise abgefunden, daß er, anstatt in allzu beschränktem Raum eine Komposition aufzubauen, die inhaltlich eine große Ähnlichkeit mit derjenigen des vorigen Bildes gehabt haben würde, die Missethat darstellt, deren Folgen der Heilige nachher wieder gut zu machen hat. Der Ort der Handlung ist eine öde Landschaft, ein wüster Platz hinter einem steilen Lehmhügel, wie zu einem Verbrechen geschaffen. Der Eifersüchtige, ein vornehmer Herr, in weißem, mit roten Sammetstreifen ausgeputztem Rock, schwarzhaarig, die schwarzen Augen von rasender Leidenschaft glühend, hat die Frau an ihren blonden Haaren zu Boden gerissen. Verzweifelt sträubt sie sich und windet sich, daß die Falten ihres gelbseidenen Rockes sich weithin am Boden ausbreiten und die dunkelfarbigen Strümpfe sichtbar werden. Schon blutet sie aus einer Wunde an der[S. 27] nur vom Hemde bedeckten Brust, und der Mörder holt mit fürchterlicher Wildheit zu einem zweiten Dolchstoß aus. Am Himmel jagen die Wolken, der Wind peitscht die Zweige der kümmerlichen Bäumchen, die auf dem Hügel stehen. Nur im Hintergrunde, in einem kleinen Durchblick neben dem Hügel, wird der aufgeregten Stimmung des Bildes gegenüber die Beruhigung angedeutet. Da wird auf das Eingreifen des Heiligen hingewiesen in einer Nebendarstellung, die, nach der bei Tizian zwar seltenen, jener Zeit im allgemeinen aber noch geläufigen Art bildlicher Erzählung, das zeitlich Abliegende in räumlicher Entfernung zur Anschauung bringt: der Heilige wandert mit zwei Begleitern durch die Ebene, in der das Landhaus des Ehepaares liegt, und ihm wirft sich der nach geschehenem Verbrechen von Reue gejagte Missethäter hilfeflehend zu Füßen (Abb. 21).
Von einer Freskomalerei, die Tizian an der Straßenseite des Palastes Cornaro in Padua, ebenfalls mit Beihilfe des Campagnola, ausführte, hat sich nichts erhalten.
Von Padua begab sich Tizian nach Vicenza und malte hier in der Gerichtslaube am Rathaus ein Freskobild: „Das Urteil Salomons.“ Dieses Gemälde hat nur wenige Jahrzehnte bestanden; es ist einem um die Mitte des Jahrhunderts ausgeführten Umbau zum Opfer gefallen.
Wahrscheinlich bald nach seiner Rückkehr nach Venedig, die im Frühjahr 1512 erfolgt sein wird, wurde Tizian mit der Anfertigung eines Gemäldes für die Kirche Santo Spirito in Isola beauftragt, in dem der Schutzheilige der Markusrepublik verherrlicht werden sollte. Man vermutet, daß die in diesem Jahre zustande gekommene Beendigung der Feindseligkeiten mit Kaiser Maximilian, die im Herbst 1511 auch Tizians Heimat wieder in Mitleidenschaft gezogen hatten, die Bestellung dieses Bildes mitveranlaßte. Auch dem Dank für das Erlöschen der Pest, die ein Jahr vorher in Venedig gewütet hatte, sollte in dem[S. 29] Gemälde Ausdruck gegeben werden. Darum wurden dem heiligen Markus der heilige Kriegsmann Sebastian und der Schutzpatron der Pestkranken, der heilige Rochus, zugesellt. Weiterhin kamen, unbekannt aus welchem Grunde, die Heiligen Kosmas und Damian auf das Bild. — Tizian löste auch die Aufgabe, ein Altargemälde aufzubauen, vom malerischen Gesichtspunkte aus, mit Verschmähung der strengen architektonischen Gebundenheit, die bis dahin für Altarwerke als künstlerisches Gesetz galt. Im Malerischen liegt die Großartigkeit der Wirkung dieses prächtigen Gemäldes, das sich jetzt nicht mehr an seinem ursprünglichen Aufstellungsorte, sondern in der Vorsakristei von S. Maria della Salute befindet. Der heilige Markus thront wie ein Herrscher über den anderen Heiligen. In einer etwas gewaltsam majestätischen Haltung sitzt er auf einem engen Postament, die Linke herabhängend, die Rechte mit ausgestrecktem Arm auf sein auf das Knie aufgestelltes Evangelienbuch gelegt. Seine rote Tunika und sein blauer Mantel stehen kräftig beleuchtet vor der blauen, weißwolkigen Luft; auf seinen Kopf, die linke Schulter und den linken Arm aber fällt tiefer Schatten. Zur Linken des Evangelisten erhebt sich ein ebenfalls im Schatten liegender Mauerpfeiler. Vor diesem stehen der heilige Rochus und weiter vorn, wieder im hellsten Licht,[S. 30] der heilige Sebastian; der letztere eine prächtige Jünglingsgestalt mit dunkler Lockenfülle um das schöne Haupt, als Märtyrer gefesselt und entkleidet, mit weißem Schurz, dessen Ende als starke Lichtmasse bis auf den Boden herabwallt. Der Boden ist Marmortäfelwerk. Rechts von Markus stehen vor den Stufen des Thronpostamentes Kosmas und Damian im Gespräch miteinander, in große Gewänder gehüllte Prachtgestalten, deren Köpfe sich dunkel von der Luft abheben (Abb. 22).
Als im März 1513 Leo X. den päpstlichen Thron bestieg, erhielt Tizian alsbald von Rom aus eine Aufforderung, in die Dienste des Papstes zu treten. Aber er zog es vor, seine Kraft Venedig zu widmen. Er richtete am 31. März ein Gesuch an den Rat der Zehn, worin er, unter Hinweisung auf den ruhmverheißenden Vorschlag des Papstes, um Beschäftigung im venezianischen Staatsdienst bat. Insbesondere sprach er den Wunsch aus, in der Halle des Großen Rats im Dogenpalast, an deren Ausschmückung mit Gemälden schon seit geraumer Zeit gearbeitet wurde, ein Schlachtengemälde ausführen zu dürfen, an das sich bisher wegen der Schwierigkeit der Aufgabe noch niemand gewagt hatte. Er habe die Malerei nicht sowohl aus Gewinnsucht,[S. 34] als aus dem Verlangen, einigen Ruhm zu erwerben, erlernt, erklärte Tizian; so sei er auch bereit, sich mit jedem Lohn, den man für seiner Arbeit entsprechend halten würde, zu begnügen. Doch bat er zugleich, um der Sicherstellung eines besseren Einkommens willen, um Gewährung derselben Vergünstigungen, die Giovan Bellini genoß. Das war die Stellung von zwei Gehilfen und Lieferung der Farben und sonstigen Erfordernisse auf Staatskosten und außerdem die Verleihung eines Amtes, das um seiner Einträglichkeit willen vielbegehrt war: des Amtes eines Maklers am Fondaco de’ Tedeschi. Die Deutschen in Venedig und die anderen Ausländer, denen mit ihnen das Recht, im Fondaco zu wohnen und Waren niederzulegen, eingeräumt war, durften weder kaufen noch verkaufen ohne die Vermittelung eines staatlichen Maklers (sansere = sensale). Die Zahl dieser Beamten betrug dreißig; und ausnahmsweise wurde es begünstigten Personen gestattet, die Einkünfte dieses Amtes zu beziehen, ohne die Obliegenheiten desselben auszuüben. Tizian bewarb sich in seinem Gesuch um die Verleihung der nächsten frei werdenden Stelle eines Sansere auf Lebenszeit.
Der Rat genehmigte, offenbar von der Befürchtung, einen solchen Künstler durch die Übersiedelung nach Rom der Heimat entzogen zu sehen, getrieben, Tizians Gesuch in allen Punkten und räumte ihm eine Werkstatt in einem dem Staate gehörigen Hause ein.
Tizian war hierdurch von Staats wegen als ebenbürtig mit dem alten Bellini anerkannt worden, der seit Jahren damit betraut war, die Ausführung derjenigen Bilder in der Ratshalle, die er nicht selbst malte,[S. 35] wenigstens zu beaufsichtigen. Bellini aber war trotz seiner 87 Jahre nicht gewillt, sich einen Künstler als gleichberechtigt zur Seite stellen zu lassen. Es begann ein geheimer Kampf zwischen dem alten und dem jungen Meister, der sich in den Ratsbeschlüssen wiederspiegelt. Schon im Frühjahr 1514, als Tizian nach der Vollendung der Vorarbeiten eben mit der Ausführung des großen Gemäldes begonnen hatte, wurde ihm die Anwartschaft auf die nächste Maklerstelle und die Besoldung der Gehilfen entzogen; im Herbst desselben Jahres aber kam es wieder zu einer Verständigung. Im[S. 36] folgenden Jahre wurden die Kosten, welche die Ausschmückung der Ratshalle verursachte, geprüft und dabei festgestellt, daß das ganze bisher befolgte Verfahren ein verschwenderisches gewesen sei; daraufhin wurde ein neues Verfahren, wonach mit dem besten Maler über den Preis eines jeden einzelnen Gemäldes besonders verhandelt werden sollte, beschlossen. Tizian machte hiernach neue Vorschläge, und diese wurden gebilligt. Am 30. November 1516 starb Giovan Bellini, und Tizian rückte nun in die hierdurch frei gewordene Maklerstelle mit Übergehung aller vor ihm angemeldeten Anwärter ein.
Aber über diesen Hinziehungen hatte Tizian die Lust an der unterbrochenen Arbeit verloren. Endlich ans Ziel gelangt, gab er seinerseits zunächst nichts weiter als das Versprechen, die Arbeit in der Ratshalle wieder aufzunehmen.
Mehr Vergnügen mochte er jetzt an der Ausführung von Gemälden finden, die der Herzog von Ferrara, Alfons von Este, bei ihm bestellte. Ein Aufenthalt Tizians am Hofe dieses großen fürstlichen Kunstfreundes wird zum erstenmal für das Jahr 1516 bezeugt; damals verweilte er im Februar und März mit zwei Gehilfen dort. — Außerdem fesselte ihn der Auftrag, für die Franziskanerkirche (S. Maria dei Frari) ein Altargemälde von ungewöhnlicher Größe zu schaffen.
Was Tizian in den zunächst vorhergehenden Jahren während seiner Enthaltung von der Arbeit im Ratssaale gemalt hatte, darüber fehlen die Nachrichten. Mit ziemlicher Sicherheit kann man zwei[S. 37] ausgezeichnete Meisterwerke jener Zeit zuteilen. Beide befinden sich in London; das eine, die Erscheinung des auferstandenen Heilandes vor Maria Magdalena, in der Nationalgalerie, das andere, ein Gegenstand freier Erdichtung, bekannt unter dem Namen „die drei Lebensalter,“ in der Sammlung des Lord Ellesmere.
Das Bild der Erscheinung des Auferstandenen ist ein Wunderwerk poetischer Stimmung, ein von weihevoller Erhebung getragenes religiöses Gedicht. Eine Land[S. 38]schaft, deren Formenanordnung derjenigen des einen Antoniusbildes in Padua sehr ähnlich ist, liegt in weicher Dämmerung. Das Morgenlicht überzieht in mächtig aufsteigender Flut den Himmel, daß die dunkelblaue Meereslinie sich kräftig von der hellen Luft scheidet und die Umrisse eines jungen Eichbaumes, der im Mittelgrund steht, sich in scharfer Dunkelheit von dem schimmernden Gewölk abheben. Ganz vorn tritt die Gestalt des Auferstandenen in milder Beleuchtung aus dem dämmerigen Grunde hervor. Die Gärtnerhacke in seiner Hand weist darauf hin, daß Magdalena ihn beim ersten Anblick für den Gärtner gehalten hat. Beim Erkennen dessen, den sie im Grabe gesucht hat, sind ihr die Kniee zusammengebrochen. Auf den Knieen ist sie näher gekommen, bis an den Saum seines Gewandes heran. Die Hand, auf die sie sich stützt, spreizt sich über dem Salbengefäß, das für den Toten bestimmt war, der ihren Augen hier als Lebender erscheint. Und ihren Augen nicht trauend, hat sie zaghaft die Rechte erhoben, um sich durch das Gefühl zu überzeugen, ob sie etwas Wirkliches sieht. Christus aber weicht, indem er sein Gewand vorzieht, ihrer Berührung aus; und zugleich neigt er sich ihr erbarmungsvoll entgegen. Magdalena hat seine Stimme vernommen und ist überzeugt; heilige Wonne verklärt ihr Gesicht, während ihre Augen den Blick unendlicher Milde aufsaugen, den der Freund der reuigen Sünder auf sie herabsenkt (Abb. 23).
Jenes andere Gemälde, „die drei Lebensalter,“ versetzt uns in ein welliges Hügelland von anmutiger Einfachheit der Linien. Im Mittelgrunde schlafen zwei nackte Kinder unter einem Baum, dessen Zweige noch keine Blätter tragen. Über die beiden hinweg schreitet der Liebesgott, eilig, zu einem anderen Menschenpaar zu gelangen, das für ihn reif ist. Dieses Paar sitzt ganz im Vordergrunde, im blumigen Grase am üppig grünenden Waldessaum: ein Jüngling und ein Mädchen, er fast nackt, sie in ländlicher Kleidung, blicken einander in süßester Harmlosigkeit der Unschuld in die Augen; beide denken noch an nichts anderes als an das Spiel auf Hirtenflöten, das sie unter seiner Unterweisung einübt. Und weiter in der Tiefe des Bildes sitzt bei einem Baumstamm, der den Wipfel verloren hat, ein Greis; müde stützt er sich auf die Hände, als ob es ihm schwer würde, sich auf dem schrägen Hang des Hügels noch zu halten; er ist allein, nur etwas bleiches Totengebein erinnert ihn an das, was er einst besaß. In der Ferne sieht man menschliche Wohnungen, und in ihrer Nähe steht ein Hirt bei seiner Herde, gleichsam als der Betrachtende, der über das Menschendasein nachdenkt. Und in weiter Ausdehnung grünen die Hügel, bis sie das endlose Meer erreichen. Eine wunderbar schlichte, weiche und zugleich klare Stimmung liegt über diesem gemalten Gedicht, einem anspruchslosen, aber zu Herzen gehenden Lied (Abb. 25).
Zu machtvoll feierlicher Erhabenheit entfaltet sich dagegen Tizians Kunst in dem großen Altarbild für die Frarikirche. Dies ist das Werk, durch das Tizian sich auf einmal zum gefeiertsten Maler Venedigs machte. Der Gegenstand des Bildes ist die[S. 40] Aufnahme der allerseligsten Jungfrau in den Himmel (Santa Maria Assunta). Jetzt befindet sich dasselbe in der Sammlung der Akademie von Venedig. An dem Platze, für den es gemalt war, über dem Hochaltar jener Kirche, wurde es im Jahre 1518 am 19. März, dem Vorabend eines Feiertages des Franziskanerordens, in einem reichen Marmorrahmen aufgestellt. Das war im zweiten Jahre nach der Erteilung des Auftrags an Tizian; der Künstler hatte nicht an der Zeit gespart, um die großartige Aufgabe, die ihm gestellt war, würdig zu lösen. Während Tizian bisher meistens in kleinerem als lebensgroßen Maßstab gemalt hatte, gehen hier die Figuren, wie es der weite Raum der Kirche verlangte, erheblich über die Lebensgröße hinaus. In dem unteren Teil des Bildes sieht man die am Grabe Marias zusammengekommenen Apostel, die in höchster Erregung über das von ihnen wahrgenommene Wunder, unter den verschiedenartigsten Äußerungen des empfangenen Eindrucks emporblicken; die großartigsten Gestalten sind der greise Petrus, der ganz überwältigt mit gefalteten Händen auf die Steineinfassung des Grabes niedergesunken ist, und der von heiliger Glut begeisterte jugendliche Johannes. Das Grab ist auf einem Berge befindlich gedacht, und der Horizont ist ganz tief genommen; die erhobenen Köpfe und Arme der Apostel heben sich von einer Luft ab, die das dunkle Blau des hohen Himmels zeigt. Die Gestorbene aber, die auf einer mit jubelnden Englein angefüllten Wolke den Zurückbleibenden entschwebt, wird über die Höhe des Erdenhimmels hinausgehoben; ihre ganze Gestalt ist schon von der blendenden Helligkeit eines goldenen Lichthimmels[S. 41] umgeben. Von unendlicher Wonne durchbebt, breitet die Verklärte die Arme aus, und ihre glückseligen Augen schauen das Angesicht Gottes, das sich ihr aus der Lichtflut entgegenneigt. Scharen von Cherubim, silberfarbige Lichtgebilde, schließen sich an die Englein auf der Wolke an, und bilden um die Erscheinung Gottes eine Wölbung, die im Lichtglanz der Unendlichkeit verschwimmt (Abb. 26). Etwas ganz Wunderbares an diesem Gemälde ist der Eindruck räumlicher Weite, der fast ohne Anwendung wirklicher Perspektive erreicht ist. Zu den Kunstgriffen, die Tizian anwendete, um hierzu zu gelangen, gehört die ungleiche Ausführungsweise der verschiedenen Teile des Bildes. Während er in der Hauptgruppe oben alle Klarheit sammelte, hat er die unteren Figuren, die im trüberen Erdenlicht stehen, ganz breit und mit einer gewissen Unschärfe behandelt. Er folgte darin der Beobachtung des Naturgesetzes, daß, wenn man die ganze Aufmerksamkeit der Augen einem entfernteren Gegenstand zuwendet, alles was näher liegt als dieser Gegenstand, verhältnismäßig undeutlich erscheint. Er bewirkte hierdurch den Anschein eines Abstandes, der sich sonst nur durch starke Größenunterschiede zwischen den oberen und den unteren Figuren hätte ausdrücken lassen. Thatsächlich sind die Apostel im Maßstab nur um ein ganz Geringes größer, als die Figur Marias. Der Pater Guardian der Franziskaner soll freilich, als er das Bild in der Werkstatt des Meisters besichtigte, die unteren Figuren noch zu groß gefunden haben; und man erzählte sich, daß Tizian wegen des ausgesprochenen Tadels sich geweigert habe, das Bild abzuliefern, und nur durch eine förmliche Entschuldigung des Paters wieder umgestimmt worden sei. Als das Gemälde dann an seinem Platze aufgestellt war, mußte jeder Zweifel an der Richtigkeit der Erwägungen des Künstlers verstummen, und die Brüder hüteten sich wohl, auf das Anerbieten des Gesandten Kaiser Karls V. einzugehen, der ihnen das Bild sofort abkaufen wollte. Tizian hatte sein Werk eben mit sorgfältigster Beachtung der Raum- und Beleuchtungsverhältnisse, unter denen es in der Kirche zur Geltung kommen sollte, gemalt. Leider ist durch die jetzige Aufstellung des Gemäldes in der Akademie die vom Meister gewollte Wirkung wieder ge[S. 42]stört. Bei viel zu geringem Abstand von dem zu niedrig stehenden Bilde bleibt der Blick des Beschauers zunächst an den Figuren der Apostel hängen, anstatt gleich über dieselben hinweg nach oben gezogen zu werden; und das gleichmäßige harte Licht des nahen Fensters läßt jene breite Behandlung dieser Gestalten, die weiseste künstlerische Berechnung war, wie Oberflächlichkeit erscheinen. Und ebendieselbe scharfe Beleuchtung, welche unten die Dunkelheit auflöst, beeinträchtigt oben den Reiz der Lichtmasse, indem sie die verhältnismäßig kräftigen Schattenangaben zu stark hervorhebt, die der Maler gebrauchte, um in der dämmerigen Kirche dem Gewoge der Englein in der Wolke die beabsichtigte Lebendigkeit der Wirkung zu sichern. Mit diesen Erwägungen muß der Beschauer sich erst abfinden, wenn er die ganze künstlerische Größe dieser erhabenen Schöpfung empfinden will.
Mit welcher Sorgfalt Tizian die Raum-[S. 44] und Beleuchtungsverhältnisse, für die seine Bilder bestimmt waren, in Betracht zog, davon ist auch in dem zwischen ihm, dem Herzog von Ferrara und dessen Geschäftsträger in Venedig, Jacopo Tebaldo, geführten Briefwechsel ein Zeugnis erhalten. Da erbittet sich Tizian, bevor er ein bestelltes Bild anfängt, ganz genaue Angaben, an welche Stelle einer bestimmten Wand im herzoglichen Arbeitszimmer dasselbe kommen soll.
Dieser Briefwechsel enthält auch sonst manches Bemerkenswerte. Wir erfahren daraus, daß der Maler von dem Herzog ganz ausgearbeitete Anweisungen über die zu malenden Gegenstände bekam, die unter Umständen sogar von Zeichnungen begleitet waren.
Etwas in den Briefen des Herzogs immer Wiederkehrendes ist seine Klage, daß Tizian ihn so lange warten lasse. Und Tizian gibt seinem Drängen gegenüber neue Versprechungen zu den noch uneingelösten alten. Das erklärt sich zum Teil daraus, daß Tizian zeitweilig mit größeren Arbeiten beschäftigt war, um derentwillen er die Bilder für den Herzog beiseite legte. Gleich auf die Vollendung des großen Himmelfahrtsbildes, die in die Zeit jenes Briefwechsels fällt, scheint die Ausführung einer Altartafel mit der lebensgroßen Darstellung von Mariä Verkündigung für den Dom zu Treviso gefolgt zu sein. Dieses Bild wurde aller Wahrscheinlichkeit nach im Jahre 1519 auf seinen Platz gebracht, auf dem es sich noch befindet.
Eine alte Nachricht spricht auch von einem Freskogemälde, das Tizian an einer Wand jenes Domes ausgeführt habe.
Beiläufig sei hier erwähnt, daß Tizian in Treviso als Sachverständiger angerufen wurde, um einen Streit zwischen Pordenone — der später in Venedig als sein Nebenbuhler auftrat — und dem Besteller eines von diesem gemalten Freskobildes zu entscheiden. Tizian gab seine Erklärung dahin ab, daß das Bild gut genug sei für den niedrigen Preis.
Ein Hauptgrund der Verzögerungen, die den Herzog von Ferrara zur Ungeduld reizten, war neben der Bevorzugung der Kirchenarbeiten die Art und Weise, wie Tizian bei der Ausführung seiner Gemälde zu Werke ging. Es war — nach der Mitteilung[S. 45] eines seiner Schüler — ganz gegen seine Gewohnheit, ein Bild „alla prima“ zu malen; ein Improvisator, pflegte er zu sagen, könne keine tadellosen Verse machen. Nachdem er ein Bild angelegt hatte, stellte er es gegen die Wand, um es längere Zeit gar nicht zu sehen. Wenn er es dann, manchmal erst nach Monaten, wieder hervorholte, so unterzog er es einer scharfen Kritik, er sah es an, „wie wenn er einem Todfeind gegenüberstände.“ Und fand er dann etwas, was ihm mißfiel, so nahm er die Figur „wie ein wohlmeinender Chirurg“ in Behandlung. Wenn er nun nach fleißiger Arbeit zufrieden war, so stellte er das Bild wieder beiseite und arbeitete an etwas anderem, bis das erstere trocken war. Und so verfuhr er zu mehrerenmalen mit dem Bilde, bis er durch die wiederholten Übermalungen das höchste Maß der Vollendung erreichte.
Es versteht sich von selbst, daß Alfonso d’Este, nachdem er mit Tizian in Verkehr getreten war, auch sein Bildnis von ihm malen ließ. Das Porträt wurde so schön, daß Karl V. später den Wunsch, dasselbe zu besitzen, aussprach. Der Herzog mußte dem Wunsch des Kaisers willfahren, und so ist das Bild nach Spanien gekommen; es befindet sich jetzt im Pradomuseum zu Madrid. Alfonso zeigt sich uns da als ein schöner Mann von feurigem Temperament, bräunlich von Hautfarbe, mit dunkelbraunem Haar und Bart. Er trägt eine veilchenblaue, mit Gold verzierte Kleidung. Seine Linke ruht auf dem Degengriff und die Rechte streichelt ein seidenhaariges, weiß und braun geflecktes Hündchen, das auf einem neben dem Herrn stehenden Tisch Platz genommen hat (Abb. 24). — Daß Tizian auch die Herzogin, die schöne und bei der Nachwelt vielleicht mehr als bei den Zeitgenossen verschrieene Lucrezia Borgia, gemalt hat, davon dürfte man überzeugt sein auch ohne die ausdrückliche Nachricht, daß ein solches Porträt vorhanden gewesen sei. Aber dieses Bild ist verschollen.
Seit 1517 weilte Ariosto, der kurz vorher seinen „Rasenden Roland“ vollendet hatte, am Hofe des Herzogs Alfonso. Daß der Dichter und der Maler sich einer von dem anderen angezogen fühlten, ist leicht[S. 46] begreiflich; die Überlieferung hat dieses Freundschaftsverhältnis mit lebhaften Farben ausgeschmückt. Tizian hat den Ariosto vermutlich mehrmals gemalt. Ein schönes Bildnis in der Nationalgalerie zu London wird aller Wahrscheinlichkeit nach mit Recht mit dem Namen Ariost bezeichnet. Es zeigt in sitzender Stellung einen schmächtigen Mann — Ariost war kränklich — in gewählter Kleidung, mit feinem, gedankenvollem Gesicht, das von lang herabwallendem Haar umgeben ist, vor einem Hintergrund von Lorbeerzweigen (Abb. 28).
Lucrezia Borgia starb im Sommer 1519. Ein Mädchen von bürgerlicher Herkunft, Laura Dianti, wurde ihre Nachfolgerin. Vasari erwähnt ein staunenswürdiges Bildnis Lauras, das Tizian vor deren Erhebung zur Gemahlin des Herzogs gemalt habe. Ein im Louvre befindliches Gemälde, das eine junge Dame beim Ankleiden zeigt, führt jetzt die Bezeichnung „Laura Dianti.“ Man erkennt nämlich in dem Kopfe eines diensteifrigen Verehrers, der hinter der Schönen erscheint, eine Ähnlichkeit mit dem Herzog Alfonso. Früher trug das Bild den Namen „Tizian und seine Geliebte.“ Mit dem Meister selbst hat jener im Dunkel des Hintergrundes verschwimmende Kopf allerdings gar keine Ähnlichkeit; aber auch die Ähnlichkeit mit dem bekannten Bilde des Herzogs ist nur eine sehr unbestimmte. Dagegen wird man durch Form und Haltung des weiblichen Kopfes lebhaft an das allbekannte liebliche Mädchenbild in den Uffizien erinnert, das mit dem Namen der Blumengöttin bezeichnet wird.
Diese „Flora“ gehört zu denjenigen Werken Tizians, die eine gewisse Ähnlichkeit mit den von Palma Vecchio geschaffenen Gestalten zeigen. Und man glaubt, in ihr das Bildnis von Violante, einer der schönen[S. 47] Töchter Palmas, zu erkennen, von der die Sage erzählt, daß Tizian sie geliebt habe. Eine jugendliche Erscheinung von vollen runden Formen, nur leicht verhüllt durch ein feines, dünnfaltiges weißes Gewand, tritt sie in halber Figur aus einem lichtgrauen Hintergrund hervor. Prachtvolles Haar von jener rötlichschimmernden Goldfarbe, die die Venezianerinnen jener Zeit durch künstliche Mittel hervorzubringen wußten und die wir bei fast allen weiblichen Figuren Tizians finden, umrahmt die feinen Linien vom Gesicht und Hals; am Scheitel sorgfältig geordnet, wallt es mit seinen weichen losen Enden auf Schultern und Brust herab. Die linke Hand hält ein umgeworfenes Obergewand von blaßviolettem Damast, und die leicht vorgestreckte Rechte bietet weiße Rosen und Veilchen dar. Der Kopf wendet und neigt sich nach der rechten Schulter hin; ein Ausdruck ruhiger, wohlwollender Freundlichkeit begleitet den Blick der sanften, unschuldigen Augen, die an einer seitwärts außerhalb des Bildes befindlichen Person zu haften scheinen (Abb. 29).
Die sogenannte Laura Dianti ist gegenüber der „Flora“ eine gereiftere Schönheit. Die Formen ihres Gesichts haben nicht mehr jene zarte schwellende Rundlichkeit, und die Körperformen sind stärker; der Ausdruck hat nicht jenes Süße, Unbewußte, aber eine darum nicht weniger reine anmutige Mädchenhaftigkeit. In Bezug auf den künstlerischen Gedanken ist das sehr schöne Bild grundverschieden von der „Flora:“ während diese ganz wie mit Licht gemalt erscheint, entfaltet hier eine prächtige Helldunkelwirkung ihre Reize. Die junge Dame steht im Licht eines kleinen Fensters. Das Licht fällt ihr gerade ins Gesicht und spiegelt sich in den schwarzen Augen; es trifft den Rücken der erhobenen rechten Hand und zaubert Goldfunken hervor auf dem zusammengenommenen Teil des Haares, den diese Hand zu ordnen sich anschickt; und indem es vom Kinn und von der hervorgezogenen Haarmasse aus scharf ansetzende und zart verlaufende Schatten auf Hals und Schulter wirft, gleitet es weich über die Rundung der Büste und über das feine Hemd, das die Brust bedeckt. Der rechte Unterarm bekommt nur noch halbes Licht, und der weite Bauschärmel des Hemdes hängt in den Schatten herab. Weiterhin wird die Helligkeit durch die[S. 48] dunkle Farbe der Kleidungsstücke scharf abgeschnitten: an ein grünes Mieder schließt sich ein gefältelter Rock, dem eine schwarze Schürze vorgesteckt ist; das Ende der Schürze ist über den linken Arm genommen. Die linke Hand befindet sich fast ganz im Schatten; sie hält auf dem Toilettentisch, von dem man nur einen schmalen Streifen sieht, das Töpfchen mit der Haarsalbe. Oben vermitteln die durchsichtigen Schatten des Fleisches und das Goldhaar mit zauberhaftem Reiz zwischen dem blühenden Licht und dem Dunkel des Hintergrundes, in dem ein unbestimmter brauner Dämmerton und das tiefe Rot der Kleidung des Mannes prachtvoll zusammenklingen. Der gefällige Kavalier hält im Rücken seiner Schönen einen großen Rundspiegel aufrecht, in dem sich jenseits ihres Kopfes das kleine Fenster spiegelt. Mit der anderen Hand, deren feine, wohlgepflegte Finger vom Licht getroffen werden, hält er ihr einen kleinen viereckigen Spiegel vor. In diesen Spiegel blickt die Dame mit aufmerksamer Prüfung des aus dem anderen Glase zurückgeworfenen Bildes der Rückseite ihres erst zur Hälfte geordneten Haares (Abb. 31).
Man kann nicht behaupten, daß die sogenannte Laura Dianti in überzeugender Weise den Eindruck eines Bildnisses mache. Wenn sie eins ist, so hat Tizian dabei ebenso wie bei der Flora — die ja ihrer ganzen Auffassung nach nicht als Porträt gelten will — die Züge der Dame, die ihm saß, seinem allgemeinen Schönheitsideal angepaßt. Ähnliche Köpfe begegnen uns sehr häufig unter Tizians weiblichen Idealfiguren. Fast in derselben Ansicht und Beleuchtung wie jene beiden, aber die dunklen Augen dem Beschauer zuwendend, erscheint ein solches Gesicht in einem allegorischen Gemälde der Münchener Pinakothek, das leider durch ungeschicktes Reinigen seine feineren Reize verloren hat. Da hält das schöne junge Weib mit der Rechten eine eben erloschene Kerze und einen Spiegel, in dem man hinter einem Tisch, den ein Geldsack, Haufen losen Goldes und Silbers und ein Rosenkranz bedecken, eine häßliche Alte am Spinnrocken sitzen sieht. Ein ernster, fast harter Blick aus den schönen Augen begleitet die aus dem Spiegel sprechende Mahnung, daß keine Macht, nicht Reichtum und — hier hat offenbar ein Horazischer Vers den Maler geleitet — auch nicht Frömmigkeit das Kommen des Alters aufzuhalten vermag (Abb. 30).
Die Unzufriedenheit des Herzogs Alfonso über Tizians vermeintlichen Mangel an Eifer seinen Bestellungen gegenüber erreichte ihren höchsten Grad im September 1519. Er beauftragte Tebaldi, den Maler von seinem ernsten Unwillen und der Absicht, diesen Unwillen empfindlich fühlbar zu machen, in Kenntnis zu setzen und die Anwendung von Zwangsmaßregeln anzudrohen. Tizian ließ sich durch diesen Zornesausbruch nicht beunruhigen, sondern antwortete einfach, wenn das Bild, um das es sich eben handelte, so weit wäre, würde er es nach Ferrara bringen, wo es an seinem Bestimmungsplatze die letzte Vollendung bekommen sollte. Gegen Ende Oktober erfreute er den Herzog durch die Überreichung eines herrlichen Meisterwerkes. Es war die Darstellung eines Bacchusfestes, bestimmt, im Verein mit einem Gegenstück, das der Venus gewidmet war, die Hauptwand in des Herzogs Arbeitszimmer zu schmücken. — Sowohl das „Bacchanal“ wie das „Venusopfer“ sind nachmals in den Besitz König Philipps IV. von Spanien gelangt und befinden sich jetzt im Pradomuseum.
Der Vorwurf zu dem „Venusopfer“ ist dem griechischen Schriftsteller Flavius Philostratus entnommen, der in der ersten Hälfte des III. Jahrhunderts n. Chr. unter dem Titel „Bilder“ die erläuternde Beschreibung einer neapolitanischen Gemäldesammlung veröffentlichte. Da wird unter der Überschrift „Liebesgötter“ in reizvoller Weise geschildert, wie auf dem Rasengrund eines Gartens und in den Zweigen der Apfelbäume die Liebesgötter sich tummeln, eine Schar, „deren Zahl so groß ist, wie die Vielheit der Wünsche des Menschengeschlechtes.“ Ihr Kinderspiel deutet die Mannigfaltigkeit des Wesens der Liebe an. Am Bach, der die Wurzeln der Bäume benetzt, steht das Bild der Venus, der Herrin der Nymphen, die sie zu Müttern der Liebesgötter macht. Das Bild ist mit den Opfergaben der Nymphen behängt, einem silbernen Spiegel und anderen Gegenständen, die durch die Inschrift als Weihgeschenk bezeichnet sind. — Tizian hat sich sehr genau an diese Schilderung gehalten. Nur hat er die opfernden Nymphen mit in die Darstellung gezogen: am[S. 50] Fuße des Marmorstandbildes der Venus zeigen sich zwei jugendliche weibliche Gestalten, von denen die eine, eilig, die Gunst der Liebesgöttin zu erlangen, einen Spiegel auf das Postament hinaufreicht, während die andere still lächelnd auf ein Inschrifttäfelchen mit dem Worte „munus“ (Weihegeschenk) zeigt, um damit zu sagen, daß sie schon geopfert hat. Aber die Darbringung des Opfers, nach der das Bild benannt zu werden pflegt, ist räumlich und gegenständlich nur Nebensache. Das Wesentliche ist das niedliche geflügelte Kindervolk, das in wirklich unzählbarer Schar den Garten füllt. Was Philostratus von dem Treiben der Liebesgötter erzählt, hat Tizian Gruppe für Gruppe getreulich verbildlicht; aber wie zwanglos wirbelt das durcheinander! Auch den Schlußsatz hat er nicht vergessen, daß die Kleinen der Göttin Äpfel darbringen, um sie zu bitten, sie möge den Garten immer so lieblich erhalten. Etwas Lieblicheres, als wie Tizian diesen Garten gemalt hat, kann man sich nicht denken. Es ist ein unbeschreiblicher, sonniger Kinderzauber. Wie entzückend heiter ist das Ganze gestimmt! Die Luft ist licht und die Bäume prangen in saftig weichem Grün. Nur wenig Dunkelheiten sind vorhanden, und nur wenige starke Farben: die Kleider der beiden Nymphen zeigen Blau und Karminrot, in das rosig-goldige Gewoge der Kleinen tragen viele blaue Flügelchen wie in flatterndem Spiel die Gegensatzfarbe hinein (Abb. 32).
Hier, wo Mädchen die Göttin anflehen, sie mit einem Liebesgott zu beschenken, und die Flügelknaben noch ihre Waffen nur im Spiel gegeneinander gebrauchen, hier mutet der Gesamteindruck des Bildes uns an wie ein wonniger südlicher Frühlingstag. In dem Gegenstück aber, dem „Bacchanal“, lebt die tiefer glühende Stimmung des Hochsommers. Süßes, heißes Genießen wird hier geschildert. Bacchantinnen schwärmen[S. 52] mit ihren Genossen in Wein, Gesang und Tanz. Die Luft ist tief dunkelblau; blendend weiß leuchtet das Gewölk an diesem Gluthimmel und in noch tieferem Blau liegt unter ihm das Meer. Das Grün der Bäume ist dunkel und bräunlich. Ein scharfer Sonnenblick fällt auf den mit weichem Rasen bedeckten Hügel, wo die Schar ihr Wesen treibt, und überzieht einzelne Gestalten mit leuchtender Helligkeit, während die Mehrzahl der dunkelbraunen Männer, die den goldigweißen Mädchen Gesellschaft leisten, vom tiefen Schatten der Bäume umhüllt ist. Ein paar bunte Farben von Gewändern klingen kräftig hinein: Rot und Blau stehen einmal ganz hell, einmal dunkel nebeneinander. Im Vordergrund fesselt die wunderschöne Gestalt eines jungen Mädchens den Blick, das, auf den Rasen und das abgestreifte weiße Gewand gebettet, in Schlaf gesunken ist; dieser Körper ist wie aus Licht geschaffen und dennoch Fleisch und Blut und Haut. Die Figur eines kleinen Knaben, der sich sehr zwanglos benimmt, bildet den Übergang von dieser großen Haupthelligkeit zu einer zweiten Lichtgestalt, einer Mänade, die mit wehendem Gewande sich im Reigen schwingt. Von ihren Mittänzern balanciert einer voller Übermut eine gefüllte Krystallkanne, während ein anderer in dem Augenblick, wo im Wechsel des Reigens seine Hände frei werden, mutwillig aus dem Kreise heraus zu den Trinkenden hinspringt. In der Mitte des Vordergrundes[S. 53] lagern zwei Mädchen, die heiter miteinander plaudern, und zu den Füßen der einen von ihnen ruht ein Jüngling, der behaglich dem Tanze zuschaut. Über Köpfe, Schultern und Arme der beiden Mädchen spielen volles Licht und durchsichtiger Schatten, daß sie im Einschluß des Weißzeugs und des vollen Rot und Blau ihrer Kleider wie prächtige Blumen aus dem dunklen Grunde hervortreten. Der Kopf der einen, die mit ausgestrecktem Arm ihre Trinkschale zum Füllen zurückreicht, ist einer der fesselndsten Punkte im Bilde; es ist wieder jener Lieblingskopf Tizians, diesmal durch sonnigen Frohsinn bezaubernd; auch hier spricht die Überlieferung von einem Bildnis der Geliebten des Künstlers, und in der That scheint das große Veilchen an ihrer Brust eine Anspielung auf dem Namen Violante zu enthalten. Hinter der Gruppe sind zwei Schenken beschäftigt, die Trinkgeschirre zu füllen. Zwei andere Männer lehnen am Stamm eines Baumes; sie scheinen das Trinklied zu singen, dessen Kehrreim in Text und Noten auf einem vor jener Schönen am Boden liegenden Zettel zu lesen ist:
„Chi boit et ne reboit ne çais qua boir soit“
(Wer trinkt und nicht wiedertrinkt, weiß nicht, wozu der Becher blinkt).
Ganz links sieht man einen bärtigen Mann, der eine mächtige Amphora auf der Schulter herbeiträgt, und einen jüngeren, der ein großes Gefäß zu langem Zuge hebt. Seitwärts von der geschlossenen Baumgruppe, deren undurchdringliches Blätterdickicht den Zechenden Schatten spendet, durchschneidet ein schlankes Bäumchen die Fläche der Luft, und in seinen Zweigen wiegt sich oben vor dem dunkelsten Himmelsblau eine Pfauhenne, ungescheucht von dem Lärm des Gelages. Ganz in der Ferne sieht man am Horizont ein Segel, und man mag darum, wenn man will, in der Schläferin des Vordergrundes die[S. 54] von Theseus verlassene Ariadne erkennen, der die Gabe des Bacchus Vergessen ihres Jammers gebracht hat. Aber der Gott selbst ist nicht zu sehen; auf seine Nähe deutet nur die Gestalt des alten Silen, der in einiger Entfernung unter dem Gesträuch eines Hügels bei seinem Weinkrug eingeschlafen ist. Fast hat es auch den Anschein, als ob dem Bacchus hier eine mächtigere Gottheit den Rang streitig mache. Denn wie eifrig ihm auch gehuldigt wird, so sind doch unverkennbar die schönen Frauen die Herren der Situation. Das ganze augenberauschende Bild ist Luft, Wärme, Sonnenschein (Abb. 33).
Beide Gemälde gehören zu Tizians glücklichsten Schöpfungen. Nebeneinander betrachtet, sind diese so schön zusammenpassenden Gegenstücke in ihrer Stimmungsverschiedenheit ein wunderbares Zeugnis von der Feinheit der malerischen Empfindung Tizians.
Aus dem Anfang des Jahres 1520 erfahren wir, daß Tizian dem Herzog in seinen Bemühungen, die Fayencefabrikation in Ferrara einzuführen, thatkräftig unterstützte; daß er Zeichnungen zu Gefäßen entwarf, mit Tebaldi die Werkstätten in Murano besuchte, wo die nach seinem Entwurf geformten Gegenstände gebrannt wurden, und einen kundigen Mann nach Ferrara schickte, um dort eigene Majolikawerkstätten einzurichten.
Beiläufig erfahren wir aus den Berichten über diese Angelegenheit die bemerkenswerte Thatsache, daß Tizians Bilder im Schlosse zu Ferrara vergoldete Rahmen bekamen. Später waren Philipp IV. und Velazquez der Ansicht, daß schwarze Rahmen ihre Farbenpracht am besten kleideten.
Auf neue Bilder, die Tizian ihm versprochen hatte, wartete Herzog Alfons im Jahre 1520 wieder vergeblich. Tizian vollendete in diesem Jahre auf Bestellung eines in Ragusa ansässigen Venezianers ein Altargemälde für die St. Franciscuskirche in Ancona, mit einer Darstellung der zwischen Engeln in den Wolken thronenden Mutter Gottes und des unten knieenden Stifters, dem der heilige Franciscus und der heilige Blasius zur Seite stehen. Jetzt befindet sich das Bild in der St. Dominicuskirche zu Ancona.
Außerdem arbeitete Tizian damals an einem dreiteiligen Altarwerk, das der päpstliche Legat in Brescia für eine dortige Kirche bestellt hatte. Der Herzog machte, voller Verdruß darüber, daß Tizian die Aufträge von geistlicher Seite immer den seinigen vorzog, den Versuch, eine im Herbst 1520 fertig gewordene Tafel dieses Altarwerkes, einen heiligen Sebastian, für sich in Besitz zu nehmen und Tizian eine Wiederholung derselben für den Besteller malen zu lassen; aber er schrak im letzten Augenblick vor einer solchen Kränkung des päpstlichen Würdenträgers zurück. — Auch im Jahre 1521 erübrigte Tizian, der außer jenen noch mehrere andere Kirchenbilder zu malen übernommen hatte, keine Zeit für den Herzog. Selbst die Lockung des letzteren, er wolle ihn mit nach Rom nehmen, wenn er sich dorthin begebe, um dem Nachfolger Leos X. zu huldigen, blieb ohne Erfolg.
Im Jahre 1522 wurde das Altarbild für Brescia fertig. Das treffliche Werk befindet sich noch dort in der Kirche S. Nazaro e Celso, für die es gemalt worden ist. Es hat die altertümliche Anordnung eines Flügelaltars. Auf der Mitteltafel ist die Auferstehung Christi dargestellt. Die beiden seitlichen Tafeln sind quer geteilt. In ihren oberen, kleineren Abschnitten ist die Verkündigung durch die Halbfiguren der Jungfrau Maria und des Erzengels Gabriel verbildlicht; der Auferstehung als dem Abschluß des Erdenlebens des Erlösers ist so der Beginn seines menschlichen Daseins zur Seite gestellt. In den unteren, höheren Feldern der Seitenflügel stehen einerseits die heiligen Nazarus und Celsus neben dem Stifter, dem Legaten Averoldo, der knieend den Auferstandenen anbetet; andererseits der heilige Rochus mit einem Engel und, weiter im Vordergrund, der an einen Baum gebundene heilige Sebastian. Dieser Sebastian ist eben jene Figur, die den Herzog von Ferrara in Versuchung führte; die Venezianer glaubten noch nie einen so schön gemalten Körper gesehen zu haben, und Tizian selbst erklärte diese Gestalt für das Beste, was er gemacht habe.
Im Sommer dieses Jahres schickte der Rat der Zehn eine ernstliche Ermahnung an Tizian, er solle seine Arbeit im Dogenpalast vorwärts bringen; widrigenfalls würde er durch Entsetzung von seinem Makleramt und durch Einziehung der ihm bereits gewährten[S. 55] Vorschüsse gestraft werden. Tizian malte nun in der That eine Zeitlang in der Halle des Großen Rates. Es ist zweifelhaft, ob das Gemälde, für dessen Vollendung ihm in jenem Ratsbeschluß ein Termin gesetzt wurde, das Schlachtenbild war, mit dem er vor neun Jahren einen Anfang gemacht hatte, oder ein anderes, von Bellini unfertig gelassenes, das Tizian als dessen Nachfolger zu vollenden hatte; der Gegenstand dieses letzteren war die sagenhafte Demütigung Kaiser Friedrich des Rotbarts vor Papst Alexander III. in der Markuskirche.
Im Januar 1523 schickte Tizian endlich wieder ein Bild an den Herzog von[S. 57] Ferrara. Er selbst reiste, bevor er sich dorthin begab, nach Mantua. Denn dorthin hatte ihn der regierende Herr, Friedrich von Gonzaga, ein Neffe des Herzogs von Ferrara, eingeladen. Dieser neue Gönner behandelte den Maler, im Gegensatz zu dem bisweilen etwas barschen Ton seines Oheims, mit der ausgesuchtesten Liebenswürdigkeit. Er entließ Tizian mit der Bestellung eines Bildnisses und mit einem Schreiben an den Herzog, in dem er diesen bat, ihm den Meister möglichst bald wieder zurückzuschicken.
Das Gemälde, dem Tizian damals in Ferrara an seinem Bestimmungsplatze die letzte Vollendung gab, war eine mythologische Darstellung, die sich den anderen, dem „Venusopfer“ und dem „Bacchusfest“, mit denen sie auch im Format übereinstimmt, anschloß. Das Bild befindet sich jetzt, nach mancherlei Wanderungen, in der Nationalgalerie zu London. Gleich jenen beiden ist es ein wunderbares Meisterwerk voll glühender Farbenpoesie. In genauem Anschluß an ein Gedicht Catulls ist geschildert, wie Bacchus, mit seinem Gefolge einherziehend, am Strand von Naxos Ariadne findet und von Liebe zu ihr ergriffen wird (Abb. 34). Der Bacchuszug kommt unter den prächtigen Bäumen eines Haines hervor in das Sonnenlicht des Gestades. Über der See und der weithin sich erstreckenden formenreichen Küste flimmert die tiefblaue Luft mit streifig gelagerten und zu hohen Ballen aufgetürmten, von glühender Sonne durchleuchteten Wolken. Ariadne ist beim Nahen der lärmenden Schar entsetzt aufgesprungen. Ihre ungeordneten Gewänder eilig zusammenraffend, will sie fliehen, hinab zum Meere; aber schon scheinen die Augen des Gottes sie zu bannen und ihre Flucht in halbes Entgegenkommen zu verwandeln. Das Leopardengespann vor dem Wagen des Bacchus hat, auch ohne Zügel dem Willen des Gebieters gehorchend, Halt gemacht und steht regungs[S. 58]los. Der jugendschöne, epheubekränzte Gott springt wie im Fluge vom Wagensitz aus über Brüstung und Rad, daß sein Gewand nachflatternd emporwallt und die weichen Formen des jugendlichen Körpers fast unverhüllt im Sonnenschein leuchten läßt. Heißes, süßes Verlangen erfüllt seine Blicke, und seine Armbewegung fordert die Fliehende auf, ihm in den einladenden Schatten des Haines zu folgen. Über Ariadne leuchtet am Tageshimmel die Sternenkrone, die Brautgabe des Gottes. In dem Schwarm von Satyrn und Mänaden, der den Bacchus begleitet, hat der Künstler die Schilderung des Dichters in prächtige malerische Erscheinung übersetzt, die in all ihrem Phantastischen sozusagen den Eindruck glaubhafter Lebenswahrheit macht. Der erste im Zuge ist ein übermütiges Faunenkind: unbekümmert um das Bellen eines kleinen Hundes, der es zurückhalten will, schreitet es lustig mit seinen Bocksbeinchen vorwärts, den entzückenden Schelmenkopf, mit Augen wie schwarze Käfer, zurückgeworfen, singend und den Kopf eines Kalbes, Überrest der Mahlzeit, an einer Leine nachschleppend. Hinter ihm kommt eine junge Mänade in hochgeschürzten Gewändern; ihr abgemessener Schritt folgt dem Takt der Cymbeln, die sie schlägt; ihr Kopf und der erhobene rechte Arm sind in durchsichtigen Schatten gehüllt, von der Höhe der nur halb verdeckten Brust an ist die anmutige Gestalt von Licht übergossen. Seitwärts von ihr, weiter vorn und ganz im Schatten, taumelt ein bärtiger Satyr, der seinen erhitzten braunen Körper mit kühlenden Schlangen umwunden hat. Hinter diesem hüpft in ergötzlichen Bockssprüngen ein Faun, auf den Thyrsusstab sich stützend und ein Bein des verzehrten Kalbes in der Luft schwingend; seine begehrlich leuchtenden Blicke sind auf eine reizende Tamburinschlägerin gerichtet, die ihn mit neckischem Mutwillen ansieht, während sie vor seinem Nahen zur Seite flieht, — eine durch das dunkle Baumgrün hervorgehobene Lichtgestalt. Der trunkene Silen kommt auf einem Esel sitzend langsam nach; der feiste Fleischklumpen seines Körpers und die dunkle Gestalt eines Mannes, der[S. 59] einen riesigen Weinkrug schleppt, haben das reizvolle Spiel der Lichtdurchblicke zwischen den Baumzweigen als Hintergrund. — Wohl niemals ist ein Maler einem derartigen Gegenstand aus der klassischen Mythe besser gerecht geworden, als Tizian in diesem sprühenden Bilde von Genußfreude und Übermut, dessen Ungebundenheit durch die Anmut beherrscht wird.
Über das Bildnis, welches Federigo Gonzaga bei Tizian bestellt hatte, erfahren wir nichts Näheres. Im August 1523 bescheinigte der Markgraf den Empfang eines Gemäldes, das ihm sehr gefallen habe. Inzwischen war der Meister durch die Erledigung verschiedener heimischen Aufträge in Anspruch genommen.
Gewissermaßen eine dienstliche Obliegenheit war es für ihn durch sein Einrücken in die Stellung Giovan Bellinis geworden, das Bildnis des regierenden Dogen zu malen, das in der Halle des Großen Rats den Bildern von dessen Vorgängern angereiht wurde. Zum erstenmal trat diese Aufgabe an ihn heran, als Antonio Grimani im Juli 1521 zum Oberhaupt der Republik erwählt wurde. Der bei seinem Amtsantritt im siebenundachtzigsten Lebensjahr stehende Herr hatte Tizian schon vor Jahrzehnten gesessen; es heißt, daß er sich im Jahre 1498 und im Jahre 1510 von ihm habe malen lassen. Und jetzt, als regierender Fürst, gewährte er dem Meister mehrmals diese Gunst. Das pflichtmäßige Bildnis Grimanis für den Großen Ratsaal scheint Tizian aber erst im Frühjahr 1523 gemalt zu haben, kurz vor dem Tode des alten Herrn. Denn als ihm das Honorar für dieses Porträt ausgezahlt wurde, war Grimanis Nachfolger, Andrea Gritti (gewählt am 20. Mai 1523), schon im Amte. Auch dieser Doge, der Tizian seine besondere Gunst zuwendete, saß ihm außer zu dem amtlichen zu vielen anderen Porträts (Abb. 35).
Auch im Jahre 1523 erregte die Enthüllung eines großen Altargemäldes Aufsehen in Venedig, besonders in Malerkreisen. Tizian hatte sich nach Vasaris Versicherung[S. 60] bemüht, in diesem Werke etwas Hervorragendes zu bieten. Das Bild war für dasselbe Kloster bestellt, wie die „Assunta“; aber nicht für die Hauptkirche, sondern für die im Innern des Klosters liegende kleine St. Nikolauskirche. Daher die Benennung, mit der es bezeichnet zu werden pflegt: Madonna von S. Niccolò de’ Frari. Es kam in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts nach Rom und befindet sich jetzt in der Vatikanischen Pinakothek; leider in verstümmeltem Zustande, da man ihm unbegreiflicherweise den halbkreisförmigen oberen Abschluß abgeschnitten hat, um es viereckig zu machen. Gegenstand des Gemäldes ist die Verehrung der Mutter Gottes durch den heiligen Nikolaus und mehrere andere Heilige (Abb. 37). Maria thront in den Wolken, die[S. 61] mit einem mächtig vorgeschobenen Ballen das Bild quer durchschneiden. Von oben senken sich Strahlen auf sie herab, deren Quell — vermutlich die Erscheinung Gottvaters und des heiligen Geistes — infolge der Verstümmelung des Bildes nicht mehr zu sehen ist. Marias Blicke gehören nur dem göttlichen Kinde auf ihrem Schoße, das sie dem Anblick der Beter enthüllt. Das Kind aber dreht mit lebhafter Bewegung den Kopf, um nach den Anbetenden zu schauen. Diese, die unten auf der Erde stehenden Figuren, sind größer im Maßstab, als die in einer gewissen Entfernung gedachte himmlische Erscheinung. Zwei liebliche Engelknaben, die zu den Seiten des Wolkenthrones weiter nach vorn getreten sind, geben dem Auge des Beschauers die perspektivische Vermittelung. Die Gruppe der Heiligen unten zeigt keinerlei künstlichen Aufbau; denn die Figuren stehen alle aufrecht, dicht bei einander. Aber sie wird durch eine zweifache malerische Wirkung kunstvoll gegliedert: einer starken geschlossenen Helligkeit auf der einen Seite[S. 62] hält auf der anderen eine anschwellende und ausklingende Farbenpracht das Gegengewicht. Die lebhafte Helligkeit bildet der Körper des gebundenen, pfeildurchbohrten heiligen Sebastian, eine fast weiblich zarte Jünglingsgestalt. Durch die farbige Wirkung wird der heilige Nikolaus als Hauptfigur hervorgehoben; die mächtige Gestalt des weißbärtigen Mannes, der mit kräftiger Kopfbewegung aufwärts blickt, ist mit einem prachtvollen Meßgewand aus Brokatstoff mit bunter Reliefstickerei bekleidet. Das Gold des Brokatmusters und der reichen Einfassungen der mit köstlicher Feinheit ausgeführten Stickerei, das Dunkelblau des seidenen Grundstoffes des Gewandes und dessen rotes Futter klingen feierlich ineinander und wirken voll zusammen mit einem kräftigen Grün und einem lichten Violett in den Gewändern der heiligen Katharina, die hinter Nikolaus steht. In Katharinas Gesicht, einem feinen Gesicht mit gesenkten Lidern, und auf dem Überwurf auf ihren Schultern stehen Helligkeiten von gleichem Wert mit den Lichtern des Goldbrokats; auf dem unteren Teil ihrer Gestalt verliert sich die Farbenfülle in weichen Schattentönen. Auf der anderen Seite des heiligen Nikolaus steht, halb von ihm verdeckt, der heilige Petrus, der seinen schönen Greisenkopf in Andacht senkt. In dessen hellgelbem Mantel und violettem Rock geht die Farbigkeit in eine lebhaftere Helldunkelwirkung über. Zwischen den beiden Wirkungshöhen, der farbigen und der hellen, steht schlicht und ruhig das Grau der Kutten von zwei Mönchen, Mitgliedern des Ordens, zu dem die Frari gehörten; der eine ist der heilige Franciscus, der andere, den die Lilie kennzeichnet, der heilige Antonius von Padua. Den Hintergrund der unteren Gruppe bildet das Innere eines halbverfallenen Rundbaues. In der Mauer sieht man eine Inschrifttafel[S. 63] mit den Worten: „Titianus faciebat“. Durch das Imperfektum an der Stelle des gebräuchlichen „fecit“ teilt der Maler, nach berühmten Mustern des griechischen Altertums, dem klassisch geschulten Beschauer mit, daß das Werk nicht in schnellem Wurf geschaffen worden ist, sondern in langer, ausdauernder Arbeit allmählich entstand.
Einen Beweis der Befriedigung, die Tizian selbst über dieses Werk empfand, darf man in der Thatsache erblicken, daß er das Bild zum Zweck der Vervielfältigung auf Holz zeichnete (Abb. 38).
Das Jahr 1524 hindurch wartete der Herzog Alfonso wieder vergeblich auf versprochene Werke von Tizians Hand bis zum Dezember, wo der Meister sich endlich zu einem kurzen Aufenthalt in Ferrara entschloß. Was für Gemälde es waren, die er damals dort fertig machte, darüber fehlt jede Kunde. Im Anfang des Jahres hatten Fieberanfälle ihn verhindert, den Wünschen des Herzogs nachzukommen, und dann wurde er durch Aufträge des Dogen, deren Erfüllung er wohl allen anderen vorangehen lassen mußte, an Venedig gefesselt. Andrea Gritti beschloß im Mai 1524 die Neuausstattung einer im Dogenpalast gelegenen Kapelle und beauftragte Tizian mit der Freskoausschmückung dieses Raumes. Leider ist von diesen Fresken keine Spur übriggeblieben. Dagegen hat sich ein einzelnes Freskogemälde erhalten, das Gritti um dieselbe Zeit durch Tizian in dem Treppenraum zwischen den Wohngemächern des Dogen und dem Senatssaal ausführen ließ. Der Gegenstand dieses Bildes ist der heilige Christophorus. Weil das Wasser, durch welches der Riese das Christuskind trägt, die Lagune von Venedig ist, hat man vermutet, daß hier eine politische Anspielung versteckt sei. Aber wahrscheinlicher ist es doch, daß der bejahrte Doge bei dieser Bestellung von nichts anderem geleitet wurde, als von dem Volksglauben, der den heiligen Christophorus als Beschützer gegen plötzlichen[S. 64] Tod verehrt. Was dem Gemälde, trotz nicht zu leugnender Mängel in der Zeichnung des Riesen, eine bedeutende Wirkung gibt, ist das Landschaftliche. Jenseits des Wassers sieht man Venedig in schwimmenden Umrissen; darüber baut sich die Luft in vielen Wolkenlagen empor. Durch den tiefen Horizont und die Höhe der Luft wird in sehr wirksamer Weise der Eindruck riesenhafter Größe der Figur gesteigert. Aber auch in sich hat die große Gestalt, die mit einem entästeten Baum als Stütze durch die bewegte Lagune watet, etwas sehr Mächtiges. Trefflich ist das schwere Tragen zum Ausdruck gebracht, das Ankämpfen gegen eine nicht mehr zu bewältigende Last. Der Riese wendet seinen Kopf, um eine Erklärung für die unbegreifliche Last zu suchen, da er doch nur ein leichtes Knäblein auf seinen starken Nacken genommen hat; und der Blick begegnet dem allerliebsten Kindergesicht, dessen Ausdruck durch das nach oben weisende Händchen erläutert wird.
Im Louvremuseum befindet sich ein Prachtbild, das alle anderen dortigen Meisterwerke Tizians in Schatten stellt: „die Grablegung Christi“ (Abb. 39). Das Bild stammt aus dem herzoglichen Schlosse zu Mantua und es gehört vermutlich mit[S. 66] zu den ersten Arbeiten, die Tizian für Friedrich Gonzaga ausführte. Raffaels berühmte Darstellung desselben Gegenstandes erscheint als ein kaltes Formenspiel im Vergleich mit diesem Gemälde, das den tiefsten Empfindungen farbenglühenden Ausdruck gibt. In hellem goldigen Sonnenschein wird der Tote aus dem schönen Licht des Tages hinweg in das kalte Dunkel des Grabes gebracht. Von der Landschaft sieht man nichts als die düstere Felsenwand, die den Grufteingang enthält und die sich mit einigen mageren Bäumchen traurig von der leuchtenden Luft abhebt. Zwei Männer tragen den auf ein Leintuch gelegten heiligen Leichnam. Einen Augenblick hemmen sie die Schritte, da einer von ihnen einen Stein am Wege benutzt, um sein Knie aufzusetzen und das Leintuch an den Füßen besser zurechtzulegen. Der Jünger Johannes, der die rechte Hand des Heilandes in der seinigen haltend nebenhergeht, wendet sich in diesem Augenblick schmerzdurchbebt nach Maria um, die gebeugt und mit wankenden Knieen, von Magdalena gestützt, nachkommt. Die Komposition ist in ihrer Einfachheit ergreifend, aber das, wodurch sie am stärksten auf das Gemüt des Beschauers wirkt, ist die Farbe im Verein mit der bewegten Helldunkelwirkung des Bildes. Der vordere Träger, der rückwärts gehend das Haupt Christi durch Anlehnen an seinen rechten Arm aufrecht hält und mit seitwärts gebeugtem Oberkörper Kopf und Brust des Toten vor den Sonnenstrahlen schützt, ist in blaßrote orientalische Seide gekleidet; der Stoff schillert in den Tiefen der Falten glühendrot, ein stumpfes Grün im Futter des Rockes und die helle kalte Farbe des grünlichen, blau gewürfelten Halstuchs wirken den roten Tönen entgegen. Der andere Träger hat einen Rock von warmer dunkelgrüner Farbe. Und an dieses Dunkelgrün schließt sich einerseits das tiefe Rot des Johannesgewandes, und von der anderen Seite stoßen das Blau von Marias Mantel und die hellen und dunklen Goldtöne von Magdalenas Kleid und Haar dagegen. Nirgendwo stehen Farben bei einander, die durch gegenseitige Ergänzung einen abgeschlossenen Zusammenklang bilden. Aber im Ton des Ganzen verschmilzt alles zu einer wunderbaren Harmonie.
Als eine kleine Nebenarbeit, die um diese Zeit entstanden sein könnte, mag man das farbentiefe Marienbild mit Stifterbildnis betrachten, das die Münchener Pinakothek besitzt (Abb. 40). Die Mutter Gottes sitzt im Freien vor einer dunklen Wand, neben der man an dem laubumkleideten Stamm eines Baumes vorbei in eine vom fernen Hochgebirge begrenzte freundliche Hügellandschaft sieht. Ein schwarzgekleideter bärtiger Herr — eine uns unbekannte Persönlichkeit, die das Bild als Weihegabe für eine Kirche gestiftet hat, — kniet zu Füßen Marias und fleht sie um Fürbitte bei ihrem göttlichen Sohn an. Die Jungfrau hat nur einen ernsten Blick für den Beter; aber sie hebt das Kind empor und überreicht es dem an ihrer Seite sich niederbeugenden Johannes dem Täufer, den wir als den besonderen Schutzheiligen, vielleicht den Namenspatron, des Stifters anzusehen haben; und der Blick, den das Jesuskind dem Täufer zuwendet, scheint zu sagen, daß es um seinetwillen dem Bittflehenden gnädig sein wolle.
Im Jahre 1525 erübrigte Tizian wohl nicht viel Zeit für kleinere Bilder. Denn er setzte jetzt seine ganze Kraft an die Vollendung eines großen Altargemäldes, das ihm schon lange bestellt worden war und für das die aufgespannte Leinwand seit dem Herbste 1519 in seinem Atelier stand. Auftraggeber war jener Jacopo Pesaro, Titularbischof von Paphos, der sich von Tizian in dessen früher Jugend in einem Votivbilde hatte malen lassen. Auch das jetzige Gemälde war ein Votivbild; es sollte dem Danke des Stifters für den Schutz des Himmels, den er in jenem Türkenkriege erfahren, Ausdruck geben und ihn im Verein mit anderen Angehörigen seines Hauses in dauerndem Gebete vor den himmlischen Beschützern zeigen. Aber während man sonst[S. 68] derartige Bilder in bescheidenen Maßen zu halten pflegte, ließ Pesaro dem Gemälde eine gewaltige Größe geben. Vielleicht geschah dies auf Zureden Tizians; denn das Bild war für die nämliche Kirche bestimmt, in deren weitem Raume das Riesenbild der „Assunta“ seine mächtige Wirkung ausübte. — Von Entwürfen und Vorarbeiten, die Tizian der Ausführung seiner Gemälde vorausgehen ließ, erfahren wir im allgemeinen nicht viel; es scheint, daß er gewöhnlich ohne große Vorbereitungen ans Werk ging, und daß er den etwa gemachten Skizzen und Studien zu wenig Wert beilegte, um sie aufzubewahren.
Aber zu dem Pesarobild sind mehrere Vorarbeiten vorhanden; eine Rötelzeichnung der Hauptgruppe befindet sich in der Albertina (Abb. 41) und eine gemalte Naturstudie zu dem Christuskind in den Uffizien. — Auf die Zeit der Vollendung des Gemäldes kann man aus dem Umstande schließen, daß in den von der Familie Pesaro aufbewahrten Quittungen über die Bezahlung des Bildes am 27. Mai 1526 der Empfang der Restsumme bescheinigt wird. — Das Gemälde ist an seinem Aufstellungsorte, über einem Seitenschiffaltar der Franziskanerkirche, geblieben. Es ist an Größe der „Assunta“ fast gleich und hat überlebensgroßen Maßstab. Den Umstand, daß das Altargemälde vor allem ein Votivbild war und daß für solche eine Profilkomposition, die den Anbetenden dem Heiligen gegenüberstellte, die natürlichste und auch schon lange eingebürgerte Anordnung war, hat der Künstler benutzt, um ganz mit der bei Altargemälden gebräuchlichen Symmetrie zu brechen und mit voller Freiheit rein malerische Grundsätze an die Stelle der architektonischen zu setzen. Die Hauptmasse der Figuren zieht sich in zusammenhängender Gruppierung schräg durch das Bild. Ganz seitwärts rechts sieht man ein Stück von der Eingangswand eines Kirchengebäudes in schräger Perspektive. Eine Säulenhalle von mächtigen Abmessungen ist dem Gebäude vorgelegt; zwei der Riesensäulen sind sichtbar, und ihre granitenen Schäfte wechseln in breiten Streifen mit der sonnigen Luft. Oben durchschneidet eine vom Himmel herabgesenkte kleine Wolke die senkrechten Formen; auf der Wolke halten zwei Englein das Kreuz des Erlösers. Die Sonne beleuchtet und durchleuchtet das Wölkchen und wirft dessen Schatten auf die Säulenschäfte. Mit seinem hellsten Licht verweilt der Sonnenschein auf der Gruppe der Jungfrau mit dem Jesuskind. Marias weißer Schleier, der, an ihrer rechten Seite herabhängend und an der anderen Seite von dem Jesuskind emporgehoben, einen Rahmen um beide Figuren bildet, gibt der[S. 70] Lichtwirkung die höchste Steigerung. Maria sitzt auf dem Podest der Säulenhalle; ein Teppich hängt von ihrem Sitz aus über den hohen Marmorabsatz herab. Mit Rücksicht auf die Kirche, in die das Bild gestiftet wurde, erscheint die Jungfrau als „heilige Maria der Frari:“ neben ihr stehen, auf einem tieferen Absatz, die Ordensheiligen Franciscus und Antonius; das Jesuskind wendet sich freundlich scherzend dem ersteren zu, der seine Hände ausbreitet, um deren Wundmale zu zeigen. Der eigentliche Vermittler aber zwischen der Mutter Gottes und dem betenden Jacopo Pesaro ist der Apostelfürst Petrus; der Beschirmer des Papsttums steht auf der obersten Stufe des Podestes und blickt, die Augen von seinem Buche erhebend, auf Pesaro, den päpstlichen Legaten, dem der Befehl über eine päpstliche Flotte anvertraut war, herab. Auf Pesaros besonderes Verdienst um den heiligen Stuhl weisen die an seiner Seite sich zeigenden Figuren hin: ein geharnischter Krieger, der das lorbeergeschmückte Banner mit dem Wappen Alexanders VI. emporhält, führt ein paar gefesselte Türken herbei. Jacopo Pesaro kniet, innig betend, ganz unten in der linken Ecke des Bildes. Sein weites schwarzes Seidengewand steht in malerischer Gegenwirkung zu der Farbenpracht, deren Höhen in dem Rot und Blau der Gewänder Marias, dem gelben Mantel des Petrus und dem golddurchwirkten roten Fahnentuch liegen. Dem Jacopo gegenüber knieen die nicht unmittelbar bei dem Vorgang beteiligten übrigen Mitglieder des Hauses Pesaro, der vorderste von ihnen in einen prächtigen Brokatmantel gekleidet. Sie alle sehen in andächtigem Gebet vor sich hin; nur der jüngste, ein hübscher Knabe, vermag die Sammlung nicht zu wahren, sondern blickt unbefangen zum Beschauer heraus (Abb. 42).
Während Tizian dieses hohe Meisterwerk der Vollendung entgegenbrachte, wurde ihm von seiner Gattin der erste Sohn geschenkt. Über den Zeitpunkt, wann Tizian die Ehe mit Frau Cecilia schloß, und über deren Herkunft haben sich keinerlei Nachrichten erhalten. Mutmaßlich fand die Vermählung im Jahre 1523 oder 1524 statt.
Aus dem Jahre 1527 erfahren wir, daß Tizian dem Markgrafen von Mantua zwei Porträts als Geschenk übersandte, Bilder von Personen, die dem Markgrafen, wie er selbst in seinem Dankschreiben an Tizian sagte, stets sehr lieb waren. Von den beiden Abgebildeten war der eine, Girolamo Adorno, vor vier Jahren als kaiserlicher Gesandter in Venedig gestorben. Der andere war vor kurzem nach Venedig gekommen, um dort seinen Wohnsitz zu nehmen. Es war der Dichter Pietro Aretino, jene merkwürdige Persönlichkeit, um deren Gunst sich die Mächtigsten bewarben, aus Furcht vor den gefährlichen Boshaftigkeiten, von denen seine gewandte Feder überfloß, sobald er aufhörte zu schmeicheln. Wie abscheulich auch der Charakter sein mag, der aus seinen Schriften spricht, im persönlichen Verkehr muß Aretino doch etwas Bestechendes gehabt haben. Jedenfalls gelang es ihm bald, sich Tizian zum Freunde zu machen.
In der Münchener Pinakothek befindet sich ein Bildnis eines schwarzgekleideten Herrn im Alter von einigen dreißig Jahren, aus dessen Zügen sich mancherlei schlechte Eigenschaften herauslesen lassen. Eben aus diesem Grunde galt das Bild früher für Aretinos Porträt. Der Vergleich mit anderen, beglaubigten Bildnissen des Dichters hat indessen die Irrigkeit dieser Benennung erwiesen. Aber wer auch die dargestellte Persönlichkeit sein mag, jedenfalls ist dieses Porträt, das wohl der in Rede stehenden Zeit angehören kann, ein vortreffliches Beispiel von Tizians Bildniskunst, die mit sprechender Kennzeichnung die größte Vornehmheit der Auffassung zu vereinigen wußte (Abb. 43).
In den Jahren 1528 und 1529 hielt sich Tizian wiederholt längere Zeit in Ferrara auf. Wir erfahren, daß er mit einem Gefolge von fünf Personen im Schlosse abstieg, und daß der Herzog sehr gnädig und von Bewunderung für die erhaltenen Gemälde erfüllt war. Über die Gemälde selbst aber erfahren wir nichts. — Auch dem Markgrafen von Mantua machte Tizian von Zeit zu Zeit seine Aufwartung.
Das Bruderschaftshaus von S. Rocco in Venedig besitzt ein durch Vermächtnis seines ersten Besitzers dorthin gekommenes Gemälde Tizians, eine lebensgroße Darstellung von Mariä Verkündigung. Aus der Malweise des sehr schönen Bildes mag man schließen, daß es wohl um diese Zeit[S. 71] entstanden sei. — In dem Alpendorf Zoppé, 20 Kilometer von Pieve di Cadore entfernt am Fuße des Monte Pelmo gelegen, verbirgt sich ein kleines Altarbild von des Meisters Hand: Maria mit dem Jesuskind auf dem Schoß und ihren Eltern Joachim und Anna und dem heiligen Hieronymus zur Seite. Die Dorfkapelle wurde erbaut auf Grund der Nachlaßbestimmung eines Cadoriner Patriziers vom Jahre 1528; und Tizian wird wohl bald nachher das Bild gemalt haben, in dem er den Bewohnern[S. 72] seiner Heimatberge eine Probe seiner Kunst zeigte.
Seine beste Kraft widmete der Meister auch in diesen Jahren wieder einem sehr großen Altargemälde. Die Bruderschaft des heiligen Petrus Martyr hatte das Bild für den Altar ihres Heiligen in der Kirche S. Giovanni e Paolo bestellt. Es wird berichtet, daß die Auftraggeber sich nicht gleich an Tizian wendeten, sondern einen Wettbewerb ausschrieben, und daß Tizian über zwei Mitbewerber, seinen Freund Palma und den jüngeren ruhmbegierigen Pordenone, den Sieg davontrug. Verschiedene Entwürfe und einige Einzelstudien sind als Zeugnisse von Tizians Vorbereitungen für diese Arbeit erhalten (Abb. 44, 45, 46). Der Gegenstand des Bildes war der Tod jenes Heiligen, eines Dominikaners, der um seines Glaubenseifers willen ermordet wurde und daher den Beinamen „der Märtyrer“ erhielt. Im April 1530 befand sich das Gemälde auf seinem Platze. Von Mit- und Nachwelt wurde es als eines der allerhöchsten Meisterwerke Tizians bewundert. Als einmal eine sehr bedeutende Summe für das Bild angeboten wurde, trat die venezianische Regierung derartigen Versuchungen durch einen Erlaß entgegen, der die Entfernung des Gemäldes von seinem Platze bei Todesstrafe verbot. Aber es verfiel einem beklagenswerteren Schicksal. Im Jahre 1867 wurde es vom Altar herabgenommen, weil in dessen Nähe Herstellungsarbeiten am Gebäude ausgeführt wurden, und in eine Seitenkapelle gebracht; in dieser Kapelle brach in der Nacht vom 15. auf den 16. August auf unerklärte Weise Feuer aus, und das Bild verbrannte. — Die vorhandenen Kopien und Kupferstiche können nur eine unvollkommene Vorstellung von dem Meisterwerk geben. Mit allen herkömmlichen Regeln für Altarbilder hat Tizian hier ganz und gar gebrochen. Die Komposition ist ganz frei bewegt; sie veranschaulicht den Vorgang in natürlicher, glaubhafter Schilderung. Der Schauplatz ist ein Wald, durch dessen Wipfel der Sturm fährt. Der gedungene Meuchelmörder hat sein Opfer zu Boden geworfen und holt mit dem Schwerte zum Todesstoß aus. Der Begleiter des Überfallenen rennt, von Entsetzen gejagt, vorwärts, gleichsam zum Bilde heraus. In der Ferne reitet der Urheber des Mordes davon. Daß das Opfer dieser That ein Heiliger ist, das verrät nur ein liebliches Engelpaar, das von Himmelsstrahlen begleitet durch die Baumkronen herabschwebt, um ihm die Siegespalme zu überbringen, und an diesen Himmelsboten haftet der letzte Blick des Märtyrers.
Auch die Nachbildungen lassen erkennen, daß das Außerordentliche der Wirkung des Gemäldes in der großartigen Landschaftsstimmung gelegen hat, die in hochpoetischer Weise die Erzählung der Begebenheit mit der Schilderung eines Aufruhrs in der Natur, dessen stürmische Bewegung vom Sonnenlicht siegreich durchbrochen wird, begleitete. Und der Künstler, der diese Schilderung gab, war vertraut mit der Sprache der Bäume und Wolken. Wie gern sich Tizian dem erfrischenden Verkehr mit der freien Natur hingab, beweisen die Landschaftszeichnungen, die in der nicht großen Zahl der von ihm hinterlassenen Handzeichnungen fast die Mehrzahl bilden (Abb. 48). Manchmal genügte ihm die bloße Zeichnung nicht, um die Eindrücke, die er auf seinen Wanderungen, sei es auf dem nahen venezianischen Festland, sei es in den oft besuchten Heimatbergen, empfing, wiederzugeben. Er sah was vor ihm noch niemand gesehen hatte, in der Landschaft einen sich selbst genügenden Bildstoff und malte reine Landschaftsbilder. Mochte er auch bisweilen durch Hinzufügung einer religiösen oder mythologischen Staffage dem Bild einen Titel und die Daseinsberechtigung in den Augen des Publikums geben, so verschmähte er dies doch in anderen Fällen und setzte nur solche Figuren hinein, die, wie Hirten oder Wanderer, etwas wirklich zu der Gegend Gehörendes waren. Darum gilt Tizian als der Vater der Landschaftsmalerei, und der Berechtigung dieses Titels kann die Thatsache, daß um dieselbe Zeit in der Kunst des Nordens gleichartige Erscheinungen zu Tage traten, keinen Abbruch thun.
Die meisten seiner Landschaftsbilder sind nur aus Kupferstichnachbildungen bekannt. Aber ein wunderbares Gemälde ist erhalten geblieben. Es befindet sich in der Sammlung der Königin von England im Buckinghampalast. Ein Regenschauer an einem Hochsommertag gießt Wasserströme auf das Vorland der Alpen herab und sendet schnellziehende Wolken vor sich her, unter denen auf dem welligen Gelände mit seinen[S. 73] Türmen, Bäumen und Gebüschen die Schatten und Lichter sich drängen und jagen (Abb. 47). Ein solches bewegtes Leben in der unbeseelten Natur bildlich wiederzugeben, daran hatte vor Tizian damals weder in Italien noch in den Niederlanden jemand anders auch nur entfernt gedacht.
Als Karl V. in Bologna verweilte, um mit Papst Clemens VII. über die Geschicke Italiens zu verhandeln und von ihm die Kaiserkrone zu empfangen, im Winter von[S. 74] 1529 auf 1530, wurde Tizian dorthin eingeladen und dem Kaiser vorgestellt. — Nach Vasaris Angabe soll der Meister damals ein sehr schönes Bild des Kaisers im Harnisch gemalt haben.
Im Anfange des Jahres 1530 hatte Tizian drei Bilder für den Markgrafen von Mantua in Arbeit: ein Porträt des Markgrafen in Rüstung, eine Madonna mit der heiligen Katharina und ein Bild mit badenden Frauen. Also alles was die Renaissancezeit von der Kunst des Malers verlangte: Bildnis, Religiöses und schönes Fleisch.
Eines von diesen drei Gemälden hat sich erhalten. Wenigstens wird mit gutem Grunde angenommen, daß die im Louvre befindliche „Madonna mit dem Kaninchen“ jenes Madonnenbild sei, das Tizian vor dem Frühjahr 1530 nach Mantua ablieferte. Es ist ein liebenswürdiges Idyll, bei dem das Heilige — das äußerlich durch den dreiteiligen Strahlenschein um das Köpfchen des Jesuskindes angedeutet wird — nur in der Herzlichkeit der Empfindung und in der reinen Anmut liegt. In einer von Bergen begrenzten Hügellandschaft, unweit eines zwischen Bäumen halbversteckten ländlichen Hauses, vor dem ein Hirt sich in behaglicher Ruhe bei seinen Schafen niedergelassen hat, sind die Jungfrau Maria und die heilige Katharina — die wie üblich in vornehmer Kleidung erscheint — um das Jesuskind beschäftigt. Maria sitzt im blumigen Grase, das Arbeitskörbchen vor sich; Katharina hat ihr das Kind abgenommen. Da bietet sich eine Gelegenheit, dem Kleinen ein echtes Kindervergnügen zu bereiten. Ein weißes Kaninchen ist herbeigesprungen, die Mutter hält es fest, und Katharina bückt sich mit dem Kinde, damit es das Tierchen in der Nähe sehe. Wie nun das Kind voller Freude nach dem lebendigen Spielzeug greifen möchte und doch das ausgestreckte Ärmchen scheu zurückhält, während es mit der anderen Hand, um des sicheren Rückzugsortes gewiß zu bleiben, das Gesicht der Freundin anfaßt: das ist etwas ganz Entzückendes; wie hat der Maler die Kinderseele zu belauschen verstanden! Ein mildes, gedämpftes Sonnenlicht gießt einen goldenen Ton über die liebliche Gruppe (Abb. 49).
Das nämliche Museum besitzt ein zweites Bild dieser Gattung, das dem ebengenannten gleich ist an Liebenswürdigkeit der Empfindung und das durch die weitere Ausdehnung der Landschaft noch einen besonderen Reiz besitzt. Die heilige Familie im Genuß des[S. 75] Familienglücks ist hier dargestellt. Auf einer Anhöhe, von der man über Wiesen, Baumgruppen und einen Wasserspiegel hinaus auf die Mauern und die Vorhäuser einer Ortschaft sieht, sitzt Maria mit dem Kinde auf der Rasenbank, und Joseph, neben ihr behaglich hingelagert, scherzt mit dem Kinde. Aber die Aufmerksamkeit des kleinen Jesus wendet sich dem kleinen Johannes zu, der ein Lämmchen herbeibringt; er möchte ihm entgegen springen, beide Füßchen gehen in die Luft, und die lächelnde Mutter muß fest zufassen, um ihn zu halten. Daß das Lamm, das Opfertier, hier noch eine andere Bedeutung hat, als die eines Spielzeuges für das Kind, das sagen nur dem Beschauer die Englein, die in einer um die Baumstämme schwebenden Wolke ein Abbild des Marterholzes tragen; in der Flur von Bethlehem herrscht noch Paradiesesfrieden. Daß jene Ortschaft Bethlehem ist, das erkennen wir an den beiden Tieren, den Mitbewohnern des Stalles, die am Fuß der Anhöhe auf die Weide geführt werden (Abb. 50).
In jener Zeit einer ehrlichen Freude an der Kunst war in den hohen Kreisen Italiens das Schenken von wertvollen Kunstwerken ein beliebtes Mittel, um die Gunst von Mächtigen zu gewinnen. Tizians Gemälde mußten oft zu solchen Zwecken dienen. Eine erzählenswerte kleine Geschichte fällt in den Sommer des Jahres 1530. Während des Hoflagers Karls V. in Bologna hatte im Hause des Grafen Pepoli, wo der Kaiser verkehrte, ein Kammerfräulein der Gräfin die lebhafteste Aufmerksamkeit des kaiserlichen Staatssekretärs Covos erregt. Als Federigo Gonzaga, den der Kaiser eben durch die Verleihung des Herzogstitels ausgezeichnet hatte, hiervon erfuhr, sah er einen gewiesenen Weg, um sich den kaiserlichen Vertrauten in freundlicher Gesinnung zu erhalten. Er beauftragte den Bildhauer Giambologna und den Maler Tizian mit der Anfertigung von Porträts jenes jungen Mädchens, um dieselben Covos als Geschenke zu schicken. Tizian traf im Juli mit einem schmeichelhaften Empfehlungsschreiben des Herzogs von Mantua an die Gräfin Pepoli in Bologna ein. Aber das gesuchte Fräulein fand er nicht; es war erkrankt und um der Luftveränderung willen aufs Land geschickt worden. Das brachte indessen Tizian nicht aus der Fassung. Er schrieb an den Herzog, die Schönheit junger Damen präge sich ihm so ein, daß er sich anheischig mache, nach[S. 76] dem Eindruck, den jene früher auf ihn gemacht habe, ihr Bild so zu malen, als ob sie ihm mehreremal gesessen hätte.
In dem nämlichen Briefe erwähnte Tizian beiläufig, daß er sich nicht ganz wohl fühle und von der Hitze in Bologna leide. Als er Mitte Juli in Venedig wiedereintraf, war er krank. Aber zu Hause erwartete ihn noch Schlimmeres. Seine Frau erkrankte auch und starb. Am 6. August wurde sie begraben. Sie ließ ihrem Gatten drei Kinder zurück, von denen das älteste fünf Jahre zählte. Tizian war ganz untröstlich, und eine Zeitlang versagte ihm die Arbeitskraft. — Doch konnte er gegen Ende September das versprochene Porträt des Bologneser Fräuleins an den venezianischen Geschäftsträger des Herzogs von Mantua abliefern, der dasselbe alsbald an seinen Herren abschickte. Zur Leitung seines Hauswesens ließ Tizian jetzt seine Schwester Orsa aus Cadore kommen. Im nächsten Jahre vertauschte er seine bisherige Wohnung am Canal grande mit einem gesünderen Hause an dem damals noch gartenreichen Nordostrande der Stadt.
Im Jahre 1531 bekam der Herzog von Mantua einen heiligen Hieronymus und eine heilige Magdalena von Tizian. Beide Gegenstände hat der Meister oft behandelt; der büßende Kirchenvater gab Gelegenheit, durch eine wilde Landschaft zu wirken, und die reuige Magdalena, „schön und thränenreich,“ in deren Verbildlichung sich das Erbauliche mit dem Reizenden vereinigte, war eine Darstellung nach dem Herzen der damaligen Kunstfreunde, da sie ihren Geschmack nach zwei Seiten hin befriedigte. Zwei prächtige[S. 77] Bilder, der Hieronymus im Louvre (Abb. 51) und die Magdalena im Pittipalast (Abb. 52), seien hier erwähnt, da ihre Entstehung wohl in die in Rede stehende Zeit fallen kann. — Das Magdalenenbild, welches Federigo Gonzaga bestellte, war wieder als Geschenk für einen einflußreichen Herrn bestimmt: für den Oberbefehlshaber der kaiserlichen Truppen in der Lombardei, Don Alfonso Davalos, Marchese del Vasto. — Zu den Gegengaben, die Tizian für seine Gemälde von dem Markgrafen von Mantua empfing, gehörte als eine außerordentliche Gunstbezeugung die Erwirkung einer geistlichen Pfründe für seinen ältesten Sohn Pomponio.
Im Herbst 1531 wurde ferner ein Gemälde für den Dogenpalast fertig. Jeder Doge war durch das Herkommen verpflichtet, außer seinem Bildnis für die Halle des Großen Rats ein Bild für den Saal des Kollegiums der Pregadi malen zu lassen, in dem er unter dem Geleit eines Heiligen vor dem Thron der Mutter Gottes betend dargestellt war. So malte Tizian den Dogen Gritti, mit dem Evangelisten Markus zur Seite, vor den Füßen Marias, die mit dem Jesuskinde zwischen einem Gefolge von Heiligen, die von Gritti nach besonderen Beziehungen zu ihren Namen ausgewählt worden waren, erscheint. Das Bild wurde als eine der besten Schöpfungen Tizians bewundert. Es ist bei dem Brande im Dogenpalast im Jahre 1577, der auch die Gemälde im Saal des Großen Rats vernichtete, zu Grunde gegangen.
Im Spätherbste 1531 ließ der General Davalos den Meister bitten, zu ihm nach Correggio, wo er sein Hauptquartier hatte,[S. 78] zu kommen. Vermutlich gab er ihm damals den Auftrag, sein Bildnis zu malen. Dieses Bildnis glaubt man in einem Prachtgemälde der Louvresammlung wiederzuerkennen, das einen vornehmen Kriegsmann im Mittelpunkt einer allegorischen Darstellung zeigt. Die Tröstung der Gattin des scheidenden Feldherren — Davalos war seit kurzem mit Maria von Arragonien vermählt — ist der Gegenstand des Bildes. Die in idealer Gewandung, gleichsam als die Liebesgöttin selbst, dargestellte junge Frau, der ihr Gatte, schon im Eisenharnisch zum Kriegszug gerüstet, beim Abschied noch einmal die Hand auf die Brust legt, ist in die Betrachtung einer Glaskugel, des Sinnbildes der Zerbrechlichkeit des Erdenglückes, versunken; da treten Amor, Viktoria und Hymen — Liebe, Sieg und Eheglück — vor sie hin, um ihr zu sagen, daß sie sie nicht verlassen wollen (Abb. 53). Das Gemälde ist in Komposition und Ausführung ein wundervolles Meisterwerk. Die Dame auf der einen Seite und Viktoria und Amor auf der anderen Seite bilden zwei Massen duftiger Lichttöne, die oben in den beiden schönen Frauenköpfen gipfeln, und unten sich in den Händen einander nähern und durch die vollen Farben in den Gewändern der Dame — Grün und Rot — miteinander verbunden werden. Zwischen den beiden weichen Helligkeiten, und durch diese hervorgehoben, steht in kraftvoller Wirkung die Gestalt des Mannes mit dem blitzenden, spiegelnden Eisenharnisch und dem von schwarzbraunem Haar und Bart umrahmten Kopf. Der Hintergrund für den Herrn und die Dame besteht in einer schlichten[S. 79] dunklen Wand, die sich hinter jenem so weit auflichtet, daß er zum größten Teil mit dunklem Umriß davon absetzt. Hinter dem Kopf der Viktoria bilden der beschattete Kopf des Hymen, dessen emporgehobener Korb voll Blumen und Früchte und die wolkige Luft einen reichen farbigen Hintergrund. Die Figuren überbieten eine die andere an Vollkommenheit der Durchbildung. Die Dame ist so überaus liebenswürdig und vornehm; aus ihrem Antlitz spricht ein Herz voll Liebe, der Blick ist ernst und sinnend, gedankenschwer; ihre Gestalt ist voll, die Haut ganz zart, die Hände weich, biegsam und fein. Der Mann ist ebenso ernst, etwas Weiches und Schwermütiges liegt in der Bewegung des gewendeten und seitwärts geneigten Kopfes; aber während die Frau mit gesenkten Lidern, den Blick ein wenig von der Glaskugel erhebend, die Viktoria ansieht, deren Worte sie nur halb vernimmt, hält er die Augen beim Betrachten der Glaskugel männlich offen gegen das unbekannte Geschick. Sein kräftig geschnittener Kopf ist der Kopf[S. 80] eines Edelmannes in jeder Linie, bis in die Haarspitzen hinein; und dem entspricht die wunderbar feine und doch ganz männliche, vornehme Hand. Im Schulterstück seines Harnisches spiegelt sich der Kopf der Siegesgöttin. Diese ist ein blondes junges Mädchen, durch den Lorbeerkranz im Haar als das was sie vorstellt gekennzeichnet; sie neigt sich vor der Dame, in deren Augen sie einen leuchtenden Blick hingebender Verehrung sendet, und öffnet die Lippen zu herzlichen Worten, während sie die rechte Hand mit den schönen Fingern in lebendigem Ausdruck der Beteuerung über ihre Brust legt. Der kleine Amor, der auf der Schulter ein dickes Bündel fest zusammengeschnürter Pfeile herbeibringt, mit einem Ausdruck eines Kindes, das seiner Mutter eine rechte Freude zu machen denkt, ist eine der köstlichsten unter Tizians köstlichen Kinderfiguren. Von Hymen sieht man nicht viel mehr als das stark verkürzte Gesicht mit vollen Lippen und im Schatten glänzenden Augen, die auf seine freudig dargereichten Gaben gerichtet sind.
Das Neue einer solchen Bildnisgruppe in allegorischer Einkleidung fand Beifall. Davon legen zwei in der kaiserlichen Gemäldegalerie zu Wien befindliche Bilder Zeugnis ab. Beide sind Abwandelungen der „Allegorie des Davolos“; aber beiden sieht man es an, daß die Wünsche der Besteller, die sich hier mit ihren hübschen Geliebten porträtieren ließen, Tizian nicht zu solchen tiefempfundenen vornehmen Schöpfungen anzuregen vermochten, wie jenes Bild eine war. Man empfängt den Eindruck, als ob der seichtere Inhalt der allegorisch auszudrückenden Gedanken eine minder vollendete künstlerische Ausführung von selbst mit sich gebracht hätte.
Wie ein unmittelbarer Nachklang der „Allegorie des Davolos“, nicht dem Inhalt, aber der Form nach, erscheint ein mythologisch-allegorisches Bild in der Münchener Pinakothek: Venus weiht ein junges Mädchen in ihre Geheimnisse ein. Das Bild mag in der Ausführung, der des Meisters einzigartiger Farbenschmelz fehlt, die Hand eines Schülers verraten; seine Erfindung aber ist echt Tizianisch. Die Liebesgöttin und das Mädchen sind einander fast genau so gegenübergestellt, wie die Gattin des Davalos und die Viktoria. Das Mädchen ist eine angehende Bacchantin; es ist mit bacchischem Geleit herbeigekommen. Ein häßlicher, grinsender Satyr mit einer gefüllten Fruchtschale nimmt genau den Platz im Bilde ein, den dort Hymen inne hat, und an der Stelle des Ritters steht erwartungsvoll ein hübscher junger Faun.[S. 81] Venus thut, was ihres Amtes ist, indem sie sich anschickt, vor der Unkundigen, die mit halbgeöffneten Lippen und mit verlangenden, glänzenden Augen zu ihr aufschaut, eine verschleierte Herme, das geheimnisvolle Bild des Mannes, zu enthüllen; aber sie thut es mit dem Ausdruck tiefen Mitleides für das junge Geschöpf. Über die Schulter der Liebesgöttin blinzelt Amor, hier ein boshafter Schlingel, nach seinem willigen Opfer hin (Abb. 54).
Von vielen Arbeiten Tizians, namentlich auch aus der Zeit von 1530 bis 1532, ist nichts als eine schriftliche Nachricht, sei es in ganz allgemeiner Erwähnung, sei es in bestimmter Bezeichnung der Werke, auf uns gekommen. Andererseits fehlt für eine vielleicht noch größere Anzahl vorhandener Gemälde jegliche Kunde über ihre Entstehung. Das ist namentlich bei den Bildnissen von Privatpersonen der Fall. Als Porträtmaler ist Tizian von keinem übertroffen worden. In dem an schönen Bildnissen fruchtbarsten Jahrhundert, dem XVII., hat Rubens ihn sich zum Muster genommen und van Dyck ihm als einem unerreichbaren Vorbild nachgestrebt; selbst der große Velazquez hat sein Auge an Tizians vornehmen Bildnisgestalten geschult. — Zu den herrlichsten Bildnissen des Meisters gehört die Halbfigur eines jungen Mannes, schwarzgekleidet, vor ganz dunklem Hintergrund, im Louvre, genannt „Der Mann mit dem Handschuh“ (Abb. 55). Ein ebenso hervorragendes Porträt besitzt das Pradomuseum in dem Bild eines gleichfalls ganz schwarz gekleideten Ritters des Malteserordens (Abb. 56).
Als eine der wenigen Holzschnittzeichnungen Tizians sei das Profilbildnis des Ariosto besonders erwähnt, das die im Jahre 1532 veranstaltete Endausgabe des „Orlando furioso“ schmückt.
Im Winter von 1532 auf 1533 saß der Kaiser Karl V. Tizian zum Porträt. Der Kaiser war im Herbst über die Alpen gekommen, zum Zwecke einer nochmaligen Begegnung mit dem Papst in Bologna. Am 6. November war er in Mantua eingetroffen, und schon am nächsten Tage schrieb der Herzog Federigo an Tizian, er möge sobald als möglich kommen. Aber nicht in Mantua, sondern erst in Bologna malte Tizian das Kaiserbildnis. Es wird mit gutem Grund vermutet, daß die Nachricht Vasaris über ein schon zwei Jahre früher gemaltes Porträt Karls V. auf einem Irrtum beruhe, daß Tizian vielmehr bei dem jetzigen Aufenthalt des Kaisers in Bologna zwei große Bildnisse desselben, davon eines in Rüstung, anfertigte. Zweifellos ist das prachtvolle Porträt Karls V. in ganzer Figur, das sich im Pradomuseum befindet, ein Ergebnis der jetzigen Sitzungen. In diesem, leider etwas nachgedunkelten Bilde trägt der Kaiser einen weißen, mit Gold verzierten Anzug mit einem lederfarbigen goldgestickten Wams darüber, ein schwarzes[S. 82] Mäntelchen und schwarze Mütze mit weißer Feder; seine Rechte ruht am Griff des Dolches und die Linke faßt das Halsband eines großen Windhundes, dessen eigentümliche helle Farbe der Maler in den feinsten Zusammenklang mit dem Weiß, dem Gold und der Lederfarbe des Anzugs gebracht hat; die ganze Erscheinung hebt sich von einem dunkelgrünen Vorhang prächtig ab (Abb. 57).
Tizian blieb, wahrscheinlich mit der Ausführung des Beiwerks in den Kaiserbildnissen beschäftigt, bis in den März hinein in Bologna. Der Herzog Federigo hatte ihn mit der Anfertigung einer Wiederholung eines der Bildnisse beauftragt, die er später in Venedig ausführte.
Es versteht sich von selbst, daß Tizian nicht in ununterbrochenem Fluß der Arbeit den Kaiser porträtieren konnte. In den Zwischenzeiten seines mehrmonatlichen Aufenthalts in Bologna nahmen Herren aus dem kaiserlichen Gefolge seine Thätigkeit in Anspruch. So der mehr soldatisch als geistlich beanlagte Kardinal Ippolito de’ Medici, der von einem Heerzuge durch Ungarn nach Bologna gekommen war und sich einmal in voller Rüstung, ein anderes Mal in ungarischer Kriegertracht von Tizian malen ließ. Das letztere Porträt befindet sich im Pittipalast zu Florenz (Abb. 58).
Der Kaiser, der sich von Bologna über Genua nach Spanien begab, spendete dem Künstler kaiserlichen Dank. Gleich nach seiner Landung in Barcelona im Mai 1533 fertigte er eine Urkunde aus, durch die er Tizian zum „Grafen des Lateranischen Palastes und Mitglied des kaiserlichen Hofes und Staatsrates unter den Titel eines Pfalzgrafen mit allen aus dieser Würde entspringenden Vorrechten“ ernannte; er machte Tizian zum Ritter vom goldenen Sporn mit allen sonst durch Ritterschlag verliehenen Rechten, und erhob dessen Kinder zum Range von Edelleuten des Reiches mit allen Ehren der Familien mit sechzehn Ahnen. — Vasari versichert, Karl V. habe, nachdem er Tizian kennen gelernt, keinem anderen Maler mehr gesessen. Der Wortlaut der Urkunde rechtfertigt diese Äußerung, indem darin der Kaiser das Verhältnis Tizians zu ihm mit dem des Apelles zu Alexander dem Großen vergleicht, also auf ein Alleinrecht, den Herrscher zu porträtieren, hinweist.
Auch mit der Bezahlung scheint Karl V. damals nicht gekargt zu haben. Denn Tizian kaufte sich nach seiner Rückkehr von Bologna einen Landsitz im Gebiet von Treviso.
Zu den ersten Arbeiten, die Tizian jetzt in Venedig ausführte, dürfte das Hochaltargemälde für die Kirche S. Giovanni Elemosinario gehört haben. Die nach einem Brande neugebaute Kirche war eben fertig geworden; der Altar wurde am 2. Oktober 1533 geweiht. Nach Vasaris Angabe bewarb sich Tizian im Wettstreit mit Pordenone um die Bestellung des Altarbildes. Der gegebene Gegenstand war der Namensheilige der Kirche, Johannes, Patriarch von Alexandria, dem seine Wohlthätigkeit den Beinamen des Almosenspenders gebracht hatte. Tizian malte ein Bild von großartiger Einfachheit in der Anordnung und in den vollen Farbentönen. Der Heilige, eine mächtige, würdevolle Greisengestalt in den roten und weißen Gewändern eines Kirchenfürsten, wendet sich auf seinem Sitz, zu dem Marmorstufen emporführen, ein wenig seitwärts, um mit vornehmer und doch von herzlicher Freundlichkeit erfüllter Bewegung eine Gabe in die Hand eines mit dürftigen Lumpen bekleideten Bettlers, der auf den Stufen kauert, gleiten zu lassen; auf der anderen Seite des Bischofs, der um der Almosenspende willen sein Kirchengebet unterbrochen hat, kniet ein Engel als Chorknabe mit dem Vortragekreuz. Fast die ganze Gestalt des Heiligen hebt sich von der Luft ab, deren Blau von sonnigem Gewölk durchzogen ist. Oben wird die Luft durch einen grünen Vorhang begrenzt. Ursprünglich bildete das Stück Vorhang eine größere Masse, als jetzt zu sehen ist. Denn das Bild, das sich noch auf seinem Platze befindet, ist bei einer Umänderung des Rahmens durch Abschneiden des oberen Bogenabschlusses verstümmelt worden (Abb. 59).
Im Frühjahr 1534 beauftragte Isabella von Este, die Mutter des Herzogs von Mantua und Schwester des Herzogs von Ferrara, Tizian mit der Anfertigung ihres Bildnisses. Aber sie wünschte nicht so gemalt zu werden, wie sie jetzt aussah, sondern schickte dem Meister ein altes Porträt aus ihrer Jugendzeit als Vorlage. Danach malte Tizian das jetzt in der kaiserlichen Gemäldegalerie zu Wien befindliche schöne Bild der Fürstin (Abb. 61).
Verloren sind leider die von Tizian gemalten Bildnisse des im Januar 1534 vermählten Herzogspaares von Mailand, des alten, kränkelnden Francesco Sforza und der kaum zwölfjährigen Nichte des Kaisers, Christine von Dänemark. Es würde interessant sein, Tizians Bildnis der kindlichen Neuvermählten mit dem wenige Jahre später von Holbein gemalten Bild der jungen Witwe zu vergleichen.
Am 31. Oktober 1534 verlor Tizian durch den plötzlichen Tod des Herzogs Alfons von Ferrara seinen ältesten fürstlichen Gönner. Er war damals noch mit Arbeiten für Alfonso beschäftigt, unter anderem mit einer Wiederholung von dessen an den Kaiser[S. 84] abgegebenem Porträt. Daß Tizian imstande war, noch nach Jahren Wiederholungen von Bildnissen anzufertigen, erklärt sich daraus, daß er bei bedeutenden Personen die ersten Aufnahmen nach dem Leben nicht gleich auf die Ausführungsleinwand, sondern besonders zu malen pflegte, um sie für sich zu behalten. Das Porträt Alfonsos ließ dessen Nachfolger Ercole vollenden.
Das meiste von Tizians Arbeitskraft scheint in diesem und in den folgenden Jahren Friedrich Gonzaga, der in seinen Briefen dem Künstler jetzt die Anrede „Vortrefflicher und teurer Freund“ gab, für sich in Anspruch genommen zu haben. Von den Gemälden, die Tizian für ihn und für diese oder jene andere hohe Persönlichkeit damals ausführte, werden mehrere besonders genannt; aber von all diesen läßt sich heute keins mehr nachweisen.
Einen Vorschlag Karls V., ihn auf seinem Kriegszug gegen Tunis zu begleiten, hatte Tizian abgelehnt. Aber als der Kaiser aus Afrika zurückgekehrt war und bei Asti Heerschau über die zum Kriege gegen Frankreich zusammengezogenen Truppen abhielt, begab sich Tizian mit dem Herzog von Mantua nach Asti, um dem Kaiser seine Aufwartung zu machen, und er wurde durch neue Huldbeweise geehrt.
Die Schwester des Herzogs Federigo, Eleonora Gonzaga, war an Francesco Maria della Rovere, Herzog von Urbino verheiratet. Dadurch kam Tizian auch zu diesem Fürsten in Beziehungen. Francesco Maria starb im Herbst 1538 an Vergiftung. Die Gemälde, welche Tizian für ihn ausführte, scheinen innerhalb einer nur kurzen Reihe der vorhergehenden Jahre entstanden zu sein.
Der Herzog von Urbino war am französischen Hofe erzogen worden; er blieb Franzosenfreund, wenn er auch den Dienst des Kaisers vorzog. Er ließ sich durch Tizian das Bildnis des Königs Franz I. malen. Vasari sah dieses vermutlich nach einer Schaumünze gemalte Porträt im Schlosse zu Urbino. Ein anderes Exemplar desselben wurde an den König selbst geschickt; es befindet sich jetzt im Louvremuseum. Wenn man es nicht wüßte, würde man beim Anblick eines so sprechenden Bildnisses nicht denken, daß der Maler das lebende Urbild niemals gesehen hat (Abb. 60).
Das kostbarste von allen Gemälden, die in das Schloß zu Urbino gelangten, ist das jetzt in der Uffiziengalerie zu Florenz befindliche Bild einer unbekleidet auf ihrem Ruhebett liegenden jungen Frau; ein Gemälde, das unter Tizians besten Schöpfungen eine hervorragende Stellung einnimmt. Man nennt das Bild „Venus von Urbino“; aber es stellt keine Göttin vor. Tizian hatte früher einmal — in einem jetzt in der Sammlung des Lord Ellesmere zu London befindlichen Gemälde — nach der Beschreibung eines Bildes des Apelles die aus der Meeresflut in unverhüllter Schönheit auftauchende Göttin gemalt. Hier aber hat er nicht an die Verbildlichung eines überirdischen Wesens gedacht, es ist ihm auch nicht eingefallen, im Sinne der antiken Kunst eine Gestalt schaffen zu wollen, deren Schönheit über die in der Natur vorkommende Schönheit hinausginge. Er hat vielmehr eine schöne Wirklichkeit in dem verklärenden Zauberlicht seiner einzigartigen Poesie wiedergegeben. Das ganze Bild ist echteste Poesie; es ist in dem hinreißenden Wohllaut seiner Farbenklänge ein fast feierlich zu nennender Lobgesang auf die Schönheit des Weibes, dessen Stimmung auch nicht durch die leiseste Beimischung irgendwelchen lüsternen Nebengedankens getrübt wird. Die Schöne ruht. Ihr Ruheplatz ist durch eine dunkelgrüne Stoffwand von dem übrigen Raum des Gemaches geschieden, aber nicht ganz abgeschlossen. Auf dem mit frischem weißen Leinen überzogenen roten Polster und auf weißen Kissen, die ihr Schultern und Kopf erhöhen, behaglich ausgestreckt, badet sie ihre Glieder in der durch das große Fenster einströmenden weichen Luft; im Wachen träumend, regungslos bis auf ein leichtes Tändeln mit einer Handvoll Rosen, die ihre Rechte ergriffen hat, wartet sie, daß die Dienerinnen ihr die Kleider bringen. Wohl begegnet der Blick der süßen, unergründlichen Augen dem Beschauer; aber kein lockendes Lächeln, kein Hauch bewußter Sinnlichkeit stört die Reinheit und Ruhe der Züge; der Blick fesselt je länger je mehr. Prächtig ist der malerische Gegensatz zwischen der großen ruhigen Masse des weichen, zarten Fleisches, deren Helligkeitswirkung durch das Weißzeug gehoben wird, und dem Reichtum kleiner Formen im Hintergrund, wo der getäfelte Fußboden, die Wandtapeten, die Polsterbank[S. 86] unter dem Fenster, das durch eine Säule geteilte Fenster, in dem ein Blumentopf steht und durch das man auf den Wipfel eines Baumes sieht, und die Figuren der beiden Dienerinnen bis ins kleinste ausgeführt sind. Die beiden Zofen sind vortrefflich geschildert; die eine, ein noch unerwachsenes Mädchen, weiß gekleidet, hat von einem Teil der als Truhe dienenden Polsterbank den Deckel aufgeklappt und hebt, den Deckel mit dem Kopf hochhaltend, mit beiden Händen ein Gewand heraus; die andere, eine stämmige Person in rotem Kleid, die bereits einen Rock für ihre Herrin auf der Schulter liegen hat, steht dabei und kommandiert, während sie ihren rechten Hemdärmel aufstreift, um besser hantieren zu können (Abb. 62).
Der Gedanke läßt sich nicht abweisen, daß diese „Venus“ ein Porträt sei; darum braucht man das liebliche Geschöpf, dessen ganze Schönheit der Künstler schauen durfte, noch lange nicht zu einer Geliebten des Herzogs von Urbino oder sonst etwas derartigem herabzuwürdigen. Man glaubt die nämliche Persönlichkeit in dem herrlichen, ebenso anmutigen wie vornehmen Porträt im Pittipalast wiederzuerkennen, das die volkstümliche Bezeichnung „die Schöne des Tizian“ trägt (Abb. 63). Diese junge Dame mit dem goldigglänzenden braunen Haar, in reichem, blau und violettem Modekleid mit goldenem und weißem Ausputz — das ganze Bild wieder ein Wunderwerk der Farbenstimmung — besitzt allerdings dieselben fesselnden Reize von Jugend, Schönheit und Liebenswürdigkeit, wie die „Venus“. Aber die Ähnlichkeit der Gesichtszüge zwischen beiden ist doch keine völlig überzeugende.
Der Herzog von Urbino ließ sich selbst und seine Gemahlin im Jahre 1537 zu Venedig von Tizian malen. Beide Bildnisse befinden sich jetzt in der Uffiziengalerie (Abb. 64 und 65). Francesco Maria war nach Venedig gekommen, um den Oberbefehl in dem Türkenkrieg zu übernehmen, zu dem der Kaiser und der Papst sich mit der Markusrepublik verbündet hatten. So steht er in dem Bilde als Feldherr da, in vollem Harnisch, den Kommandostab auf die Hüfte aufsetzend; das blitzende Eisen der Rüstung hebt sich von einem mit dunkelrotem Sammet bekleideten Verschlag ab, darüber bildet eine entferntere braune Wand den Hintergrund für den Kopf; zu seiner Rechten sieht man den mit einem Greifen und einem Federbusch geschmückten Kriegshelm, zu seiner Linken sein Wappenzeichen, den Eichbaum (rovere). Die von Kraft und Feuer erfüllte Erscheinung des Mannes, das von einem dichten schwarzen Haarrahmen eingeschlossene Gesicht mit der gebräunten, fettlosen Haut, den harten, entschlossenen Zügen und den glühenden Augen geben ein Bild, das ganz im Einklang steht mit demjenigen, das die Geschichte von ihm gezeichnet hat: der Herzog Francesco Maria war ein heißblütiger Mann, dem Degen und Dolch schnell aus der Scheide flogen, ein stählerner Körper, der in Dauerritten Abenteuerliches leistete, Soldat mit Leib und Seele, so kurz entschlossen zu entscheidender That, wie umsichtig in der Führung der Truppen. Neben diesem Mann wirkt die Erscheinung der Herzogin Eleonora doppelt zart, und es befremdet nicht, wenn in ihrem feinen, vornehmen Gesicht etwas Dulderhaftes verborgen liegt. Auch dieses Bild ist ein Meisterwerk der Farbenkunst. Das nicht mehr jugendfrische, aber noch lichtfarbige Fleisch tritt im Schmucke der Juwelen, am Halse und den Handgelenken von durchsichtigem Weißzeug bedeckt, zu klarer Helligkeitswirkung hervor aus dem Rahmen, den das durch kleine gelbe Puffen belebte Schwarz des Kleides, das dunkelbraune Haar und ein graubräunlicher Hintergrund bilden; zu diesem Ganzen von vorherrschend warmen Tönen hat der Künstler die reizvollste Ergänzung gefunden in einem Fensterdurchblick auf den lichtbewölkten blauen Himmel und die von sommerlichem Duft überflimmerte grüne Ebene; die grüne Decke eines Tisches, auf der das braun und weiß gefleckte Schoßhündchen neben einer kleinen metallenen Standuhr liegt, wirkt als vermittelnder Übergang.
Für den Herzog von Mantua war Tizian im Jahre 1537 mit der Anfertigung von Bildern der zwölf ersten römischen Kaiser (Julius Cäsar mit eingerechnet) beschäftigt, die einem Zimmer des herzoglichen Schlosses als Wandschmuck dienen sollten. Als Vorlagen standen ihm antike Standbilder und Münzen zur Verfügung. Nachdem er im April 1537 eines dieser Bilder abgeliefert hatte, wurden zehn andere nach und nach im Laufe der folgenden Jahre fertig; das zwölfte malte mit Tizians Einwilligung Giulio Romano. Diese Cäsaren[S. 88]bilder, Werke von dekorativer Art, sind durch Kupferstiche von Ägidius Sadeler sehr bekannt geworden; in den Stichen machen sie einen befremdlich theatralischen Eindruck. Von den Originalen scheint keins erhalten geblieben zu sein.
Es war nicht Tizians Schuld, daß diese Arbeit sich so in die Länge zog. Ein Bild der Verkündigung Marias, das er im Jahre 1537 der Kaiserin übersandte, nahm ihm freilich nicht viel Zeit weg; denn es war ein schon vollendetes Werk, für eine Kirche in Murano bestellt, aber von den Bestellern wegen des zu hohen Preises nicht abgenommen, und jetzt der neuen Bestimmung dadurch angepaßt, daß zwei aus den Wolken herabsehenden Englein das Wahlzeichen Karls V., eine Säule mit dem Spruchband „plus ultra“ (weiter!), in die Hände gegeben wurde. — Auch das in demselben Jahr gemalte Bildnis des Admirals Giovanni Moro (Abb. 66) brachte keinen großen[S. 89] Aufenthalt. Dieses schöne Porträt befindet sich jetzt im Berliner Museum, und es ist ein besonderer Genuß, das Bild des wackeren Kriegshelden mit dem ebenda befindlichen Bild eines selbstgefälligen jungen Mannes, dessen Namen vergessen ist (Abb. 67), zu vergleichen und sich in die Bewunderung der unvergleichlichen Feinheit zu vertiefen, mit der Tizian, in jedem Bildnis neu, seine Auffassung dem Wesen der Persönlichkeit anpaßte. — Es wurden Stimmen laut in Venedig, die sagten, Tizian sei überhaupt nur als Porträtmaler groß. Um so mehr Grund hatte der Meister, sich seiner alten Verpflichtung gegen die venezianische Regierung, der Malerei im großen Ratssaal, nicht länger zu entziehen. Und der Rat der Zehn erneuerte seine Mahnungen mit sehr nachdrücklicher Strenge; er erließ im Juni 1537 den Befehl an Tizian, er solle, da das Schlachtengemälde, zu dessen Ausführung er sich im Jahre 1516 verbindlich gemacht, noch immer nicht ausgeführt sei, alle Gelder, die er seit jener Zeit aus seinem Makleramt ohne Gegenleistung bezogen habe, zurückzahlen. Jetzt ging Tizian ernstlich ans Werk und vollendete „mit unglaublicher Kunst und Ausdauer“ das große, vor mehr als zwanzig Jahren entworfene Schlachtenbild. Die Regierung gab der Erschöpfung ihrer Geduld aber auch sehr empfindlichen Ausdruck. Nicht nur mußte Tizian bis auf weiteres auf sein Maklergehalt verzichten; sondern er mußte es sich gefallen lassen,[S. 90] daß Pordenone als gleichberechtigt neben ihn gestellt und mit der Ausführung eines Gemäldes im großen Ratssaale beauftragt wurde. Pordenone aber war des Meisters eifriger Nebenbuhler; er kokettierte mit der Behauptung, seine Furcht vor Tizians Neid sei so groß, daß er nicht ohne Degen auszugehen wage. Doch mit der Vollendung des Schlachtenbildes ging das Ungemach vorüber. Pordenone starb im Jahre 1538, und vom folgenden Jahre an bekam Tizian seine Bezüge aus dem Makleramt wieder ausbezahlt.
Das hochgepriesene Schlachtengemälde ist bei dem Brande von 1577 mit den anderen damals in der großen Ratshalle befindlichen Bildern zu Grunde gegangen. Ein Kupferstich hat die Umrisse desselben aufbewahrt, und eine in der Uffiziengalerie befindliche Ölskizze — wahrscheinlich nicht ein vorbereitender Entwurf des Meisters, sondern eine nach dem Bilde von jemand anders gemachte Übungsarbeit — gibt auch von der Farbe und Wirkung des größten Teiles des Bildes eine Vorstellung (Abb. 68). Der Gegenstand des Gemäldes war die Schlacht von Cadore im Jahre 1508, der Sieg der Venezianer über die Kaiserlichen[S. 91] in Tizians Heimat. In dem mittelalterlichen Freskobild, an dessen Stelle das neue Gemälde kam, war der Sieg eines Kaisers über die päpstliche Stadt Spoleto verbildlicht gewesen. Es scheint, daß anfangs die Absicht bestand, diesen Gegenstand beizubehalten, und daß man sich erst später zu der Verherrlichung einer den Kaiserlichen beigebrachten Niederlage entschloß; daraus erklärt es sich, daß das Bild von Zeitgenossen auch mit dem Namen „die Schlacht bei Spoleto“ belegt wurde, obgleich die Cadoreschlacht, wie die erhaltenen Anschauungsmittel bekunden, ganz deutlich gekennzeichnet war. Sogar die Örtlichkeit, die wir da sehen, ist als ein Abbild der Gegend, in der die Schlacht stattfand, mit Bestimmtheit zu erkennen. Den Schauplatz des Kampfgetümmels, in dem das Gelingen eines überraschend ausgeführten Angriffs veranschau[S. 92]licht wird, bilden die felsigen Ufer eines Baches, eines Zuflusses des Boite; steile Höhen, zwischen denen der Felsen und die Burg von Cadore sichtbar werden, schließen den Blick. Die venezianische Reiterei, über der ein Banner mit drei Leoparden, das Banner der Cornaro, weht, hat den Übergang über den Bach erreicht, und in musterhafter Ordnung, Abstand haltend, nehmen die Geharnischten einzeln oder zu zweien im Galopp die schmale Brücke, um mit Ungestüm in den Knäuel des am anderen Ufer[S. 94] sich in Unordnung drängenden feindlichen Vortrupps einzusprengen. Schon strecken Speere und Schwerter der vordersten die verzweifelt sich wehrenden Gegner nieder. Was ihnen ausweichen will, Mann oder Roß, stürzt über die Felsen des Bachrandes. Noch flattert zwar die Reichsfahne mit dem Adler den Venezianern entgegen; aber für den Beschauer ist es zweifellos, daß aus der entstandenen Verwirrung sich kein erfolgreicher Widerstand mehr entwickeln kann. In geringer Entfernung rückt eine Abteilung venezianischen Fußvolkes unter weiß und rot gestreifter Fahne im Eilschritt vor, um den am Fuß des Monte Zucco sich zeigenden hellen Haufen der kaiserlichen Landsknechte von der Seite zu fassen. Das schnelle Daherbrausen der Kriegermassen hat unbeteiligte Personen ins Gedränge gebracht; ein junges Mädchen ist, um sich zu retten, in den Bach gesprungen und hält sich angstvoll an einem Felsblock des von den Venezianern besetzten Ufers fest. Ganz im Vordergrunde, rechts von der Mitte des Bildes (auf der Florentiner Skizze, der das Stück mit der anmarschierenden Reiterei fehlt, dicht am rechten Rande), hat der Maler den venezianischen Feldherrn hingestellt. In der Nähe eines verlassenen Geschützes steht Giorgio Cornaro — diesen glaubt man in ihm zu erkennen — und blickt mit stolzer Haltung, den Kommandostab mit ausgestrecktem Arm auf einen Felsblock aufstützend, in die Niederlage der Feinde; ein Page ist damit beschäftigt, ihm die Rüstung anzulegen, und sein noch ungesatteltes Streitroß, ein langmähniger Schimmel, wiehert, aufgeregt durch den Klang der Trompete, den vorbeimarschierenden Pferden ungeduldig zu. Unsere heutige realistische Anschauungsweise entsetzt sich vor der künstlerischen Freiheit, die den Befehlshaber an einer so unmöglichen Stelle zeigt und ihn dort in aller Ruhe seine Wappnung vornehmen läßt. Jener Zeit aber war eine derartige künstlerische Freiheit durchaus nicht anstößig; das damalige venezianische Publikum würde zweifellos ein Weglassen des Führers der Venezianer viel übler vermerkt haben, sein Anbringen an einer Stelle, wo er sich in Wirklichkeit während des geschilderten Augenblickes nicht befunden haben kann; und es verstand die Absicht des Künstlers, der gerade dadurch, daß er den Kommandierenden beim Anlegen der Rüstung zeigte, deutlich ausdrückte, daß man sich ihn als an einem anderen Orte befindlich zu denken und sein Hiersein nur sinnbildlich aufzufassen habe. Noch befremdlicher ist es für uns, daß die Deutschen im Vordergrunde in antiker Rüstung dargestellt sind. Dafür gibt es einen zweifachen Grund. Erstens wollte der Künstler die Gelegenheit benutzen, um seine Befähigung, auch in stark bewegten und verkürzten Figuren die menschliche Gestalt richtig wiederzugeben, ins Licht zu stellen; er schloß sich dabei der von Rom ausgegangenen und von den Schülern Raffaels aufs äußerste getriebenen Kunstmode an, die durch alle Kleidung hindurch die Körperformen zeigte, und die eben daraus entstanden war, daß die Künstler mit ihrem Wissen und Können prunken wollten. In Mantua hatte Tizian ja Giulio Romano kennen gelernt, der diese Richtung in weitestgehender Weise vertrat, und an den Marmorfiguren, die seinen Cäsarenbildern als Vorbilder dienten, hatte er die der Körperform angeschmiegte römische Rüstung gesehen. Aus dem nämlichen Grunde, um seine Kenntnis und Geschicklichkeit zu zeigen, hat er auch im Vordergrunde der Schlacht einen ganz entkleideten Gefallenen angebracht, eine Figur, die sich durch die Annahme rechtfertigen ließ, es habe im Hin und Her der Schlacht schon vorher hier ein Gefecht stattgefunden und die Plünderer hätten Zeit gehabt, die Toten ihrer Rüstung und Kleider zu berauben. Wenn aber der Künstler für jene einer fremden Kunstweise entliehene, innerlich in Künstlereitelkeit begründete Freiheit eine äußere Begründung dem venezianischen Publikum gegenüber gebrauchte, so war diese darin gegeben, daß sich so die beiden Parteien deutlich unterscheiden ließen. In der Wirklichkeit gab es ja damals keine wesentlichen Unterschiede der Tracht und Bewaffnung zwischen italienischen und deutschen Soldaten, und im Handgemenge machten Freund und Feind sich durch das Feldgeschrei kenntlich. Und doch war es wichtig, im Bilde die Fallenden als die Feinde zu kennzeichnen. Das wurde durch die fremdartige Einkleidung der Gegenpartei erreicht; und Tizian durfte auf volles Verständnis bei seinen Zeitgenossen rechnen, wenn er die Truppen des römischen Kaisers durch eine, wenn auch längst vergangener Zeit ange[S. 95]hörige, römische Kriegertracht kennzeichnete. — Mit den großen Gemälden des Ratssaales ist auch das Porträt des Dogen Pietro Lando, des Nachfolgers des Andrea Gritti, das Tizian bald nach dessen Erwählung im Anfang des Jahres 1539 malte, untergegangen. Auch was von anderen Bildern — es sind fast nur Porträts — aus den Jahren 1538 bis 1540 genannt wird, ist alles nicht mehr vorhanden[S. 96] oder nicht nachweisbar; die einzige, aber auch nicht ganz unzweifelhafte Ausnahme bildet ein Kardinalsporträt im Palast Barberini zu Rom, in dem man den von Tizian in dieser Zeit zweimal gemalten Kardinal Bembo zu erkennen glaubt.
Die moderne Forschung setzt die Entstehung des räumlich größten von den erhaltenen Gemälden Tizians, über das die alten Nachrichten merkwürdigerweise sehr wenig bringen, auf Grund der Anhaltspunkte, welche die Malweise bietet, in eine dem Jahre 1540 naheliegende Zeit. Es ist das jetzt in der Akademie zu Venedig befindliche Bild „Mariä Tempelgang“ (Abb. 69). Nach der Legende über die Kindheitsgeschichte der Jungfrau Maria ist dargestellt, wie Maria als Kind sich in den Tempel begibt, um sich dem Dienst des Höchsten zu weihen. Das Kind schreitet freudig und unbefangen, sein hellblaues Kleid ein wenig aufhebend, die Stufen der langen Freitreppe des Tempels hinan, dem Hohenpriester entgegen, der mit einigen Begleitern aus der Vorhalle herausgetreten ist, um erstaunt die Kleine in Empfang zu nehmen. Maria befindet sich ganz allein auf der Treppe; ein goldiger Lichtschein umgibt das liebliche Figürchen, das trotz seiner Kleinheit auf der riesigen Leinwand dem Beschauer sofort als der Mittelpunkt der ganzen Darstellung in die Augen fällt. Die Eltern Joachim und Anna sind am Fuß der Treppe zurückgeblieben, Joachim spricht mit Wichtigkeit zu den Umstehenden. Viele Menschen sind auf dem Platz vor dem Tempel stehen geblieben, um zuzusehen, wie es eben geschieht, wo etwas Ungewöhnliches bemerkt wird. Das ist eine prächtige venezianische Volksgruppe, Leute von mancherlei Art, von stolzen Senatoren an bis zu ganz armseligen Erscheinungen, ehrwürdige Greise, stattliche Männer, hübsche Frauen und gedankenlose Kinder. Alle Personen in dieser Menge, die so treffend den Eindruck macht, vom Zufall zusammengeführt zu sein, sind so ausgeprägt in ihrer Eigenart, daß man lauter Bildnisse zu sehen glaubt. Die Überlieferung weiß einige der vornehmen Herren mit Namen zu nennen; die Mitlebenden aber haben gewiß auch das alte Höckerweib erkannt, das neben der Treppe bei seinem Eierkorb sitzt. Den Tempelplatz säumen stattliche Gebäude, Marmor- und Backsteinbauten, an denen Balkon und Fenster sich mit Zuschauern füllen. Durch die breite Straße sieht man in eine vorn im Schatten liegende, in den fernen Höhen aber lichtschimmernde Landschaft unter bewölktem Himmel. — Niemals hat ein Maler eine so große Leinwand mit Figuren, die fast alle nichts zu thun haben, so reizvoll und in einer solchen Zusammengehörigkeit von Menschen und Gebäuden gefüllt, und dabei, unbeschadet des Anscheins vollkommener Natürlichkeit, der Komposition in Linien und Farben ein so feierliches Ebenmaß zu wahren gewußt. In dieser großräumigen venezianischen Architekturphantasie, die einer Darstellung religiösen Inhalts als lichter, festlicher Rahmen dient, sehen wir den Weg gewiesen, auf dem später Paul Veronese weiter schritt. Um die Komposition vollständig würdigen zu können, muß man wissen, daß die jetzige Gestalt des Bildes nicht mehr ganz die ursprüngliche ist und daß man nicht mehr sieht, welche besonderen Rücksichten der Meister zu nehmen hatte. Das acht Meter lange Gemälde nahm an seinem Bestimmungsort, in einem Saal des Bruderschaftshauses der Carità — das ist dasselbe Gebäude, welches jetzt die Akademie inne hat, — die Fläche einer ganzen Wand von der unteren Verkleidung bis zur Decke ein; zwei Thüren, eine größere rechts und eine kleinere links, schnitten in diese Fläche ein, so daß das Bild mit seinem unteren Rande diesen Einschneidungen ausweichen mußte. Als es in die Gemäldesammlung übertragen wurde, hat man die beiden Einschnitte durch eingesetzte Stücke ausgefüllt. Das Ungehörige dieser Ergänzungen macht sich besonders an der rechten Seite fühlbar; der flickende Maler hat selber das Störende der großen leeren Fläche, die durch das Durchführen der Treppenwand entstand, empfunden, aber sein Gedanke, diese Leere durch das Anbringen eines großen Kellerloches einigermaßen auszufüllen, war ein sehr unglücklicher.
Im Juni 1540 hatte Tizian den Tod seines feinsinnigen und aufmerksamen Gönners Federigo Gonzaga zu beklagen. In das Zuströmen von Bestellungen aber brachte dieser Verlust keine Unterbrechung.
Davalos, der jetzt als Generalleutnant der kaiserlichen Heere in Italien in Mailand stand, drängte auf Vollendung eines Bildes, mit dessen Ausführung er den[S. 98] Meister im vorigen Jahre beauftragt hatte, und das ihn als Feldherrn darstellen sollte, wie er eine Ansprache an seine Soldaten hält. Tizian konnte sich zeitweilig damit entschuldigen, daß seine Pflicht ihn bei dem Herzog Francesco, dem Nachfolger Federigos, in Mantua festhalte. Im Jahre 1541 wurde die „Allokution des Davalos“ fertig und fand in Mailand großen Beifall. Davalos belohnte den Künstler durch Zuweisung eines Jahrgehaltes. Später ist das Gemälde in den Besitz des Königs von Spanien gekommen und befindet sich jetzt im Pradomuseum. Bei zwei Bränden, im Escorial im Jahre 1671 und im Königsschlosse zu Madrid im Jahre 1734, hat es schwere Beschädigungen erlitten und ist infolge dessen gänzlich überarbeitet worden. In seinem jetzigen Zustande besitzt es nicht mehr viel von Tizianischem Reiz.
Vermutlich überbrachte Tizian persönlich das Bild dem General. Denn im Spätsommer 1541, als der Kaiser in Mailand verweilte, begab er sich dorthin. Karl [S. 99]V. gab auch bei dieser Gelegenheit wieder einen Gnadenbeweis durch Anweisung eines Jahrgehaltes, das aus der mailändischen Staatskasse — Mailand war durch den Tod des Herzogs Francesco Sforza im Jahre 1535 dem Kaiser zugefallen — gezahlt werden sollte.
Mit der Jahreszahl 1542 sind zwei Gemälde bezeichnet, die als Werke geringen Umfangs zwischen größeren Arbeiten, die den Meister damals beschäftigten, entstanden sind. Das eine ist ein Idealbildnis der Königin von Cypern, Katharina Cornaro. Es befindet sich in der Uffiziengalerie. Die im Jahre 1510 verstorbene „Tochter der Republik“ ist darin mit ihrer Namensheiligen, der alexandrinischen Jungfrau aus königlichem Geschlecht, verschmolzen. Sie trägt eine reiche Krone mit einem eigentümlichen Schleieraufbau darüber und fürstlichen Juwelenschmuck an dem rotseidenen Kleid und dem Überkleid von grünem Damast. Ein leichter Heiligenschein und das im Hintergrund angedeutete Marterwerkzeug des Rades geben die Kennzeichnung der heiligen Katharina (Abb. 70). — Wenn man es diesem Prunkstück wohl etwas ansieht, daß es nicht nach der Natur gemalt ist, so ist dafür das andere Bild eine um so frischere Wiedergabe des Lebens. Es ist ein entzückendes Kinderbildnis und stellt ein Töchterchen von Roberto Strozzi, einem zeitweilig in Venedig wohnenden Sohne des aus Florenz verbannten Filippo Strozzi, vor. Bis vor einigen Jahren hat es im Palazzo Strozzi gehangen; jetzt schmückt es das Museum zu Berlin. Das Bild ist in seiner Verbindung von Liebreiz, Lebenswahrheit und Farbenzauber eine künstlerische Kostbarkeit, die in dieser Art wohl nicht ihres gleichen hat. Die Kleine, ein allerliebstes Geschöpf von etwa vier Jahren, mit braunen Augen und krausen Löckchen von jenem warmen Blond, das sich in späteren Jahren in Kastanienbraun verwandelt, streichelt und füttert ihr Hündchen, das auf einem Marmortisch sitzt. Das gesättigte, geduldige und verständige Hündchen sieht den Beschauer ganz ernsthaft an; seine kleine Herrin aber hält nur einen Augenblick still, sie wendet den Kopf und wird gleich davonlaufen, um wiederzukommen, — es ist etwas wunderbares, wie der Künstler es verstanden hat, die muntere Lebhaftigkeit ihres Wesens zu veranschaulichen. Das Kind ist in weiße[S. 100] Seide gekleidet, trägt auch schon zierlichen Schmuck. Das seidenhaarige Hündchen ist weiß mit rotbraunen Flecken; der weiße Marmor seines Sitzes, der am Fuß mit einem Reliefbild spielender Amoretten geschmückt ist, hat eine bräunliche Altersfarbe angenommen. Auf der einen Seite des Bildes bildet eine schlichte graubraune Wand einen ruhigen Hintergrund für das helle Figürchen, auf der anderen Seite aber entfaltet sich ein entzückendes Farbenspiel: über die Marmorbank hängt eine nachlässig hingeworfene Decke von krapprotem Sammet mit entsprechendem Seidenfutter; darauf steht eine goldene Schale mit Früchten; über die Bank hinweg sieht man auf das dichte Laub eines weit ausgedehnten Parks und auf einen wolkenlosen Sommermittagshimmel, in dessen gleichmäßigem duftigen Blau ferne Hochgebirgsgipfel verschwimmen (Abb. 71).
Im Jahre 1542 porträtierte Tizian auch den elfjährigen Ranuccio Farnese, einen Enkel des Papstes Paul III. Der Beifall, den dieses — jetzt nicht mehr vorhandene — Bildnis bei den Erziehern des Prinzen fand, hatte wiederholte Einladungen an Tizian, sich nach Rom zu begeben, zur Folge. Insbesondere war es der sehr kunstsinnige junge Kardinal Alessandro Farnese, Ranuccios ältester Bruder, der sich bemühte, die Dienste Tizians für sich zu gewinnen.
Schon im folgenden Jahre brachten die politischen Ereignisse eine Gelegenheit, daß Tizian den Papst und dessen Angehörige malen konnte, ohne deswegen nach Rom zu gehen. Paul III. brach im Frühjahr 1543 nach dem Norden Italiens auf, um wie sein Vorgänger persönlich mit dem Kaiser zu verhandeln, und er schickte eine Aufforderung an Tizian, mit ihm zusammenzutreffen. Der Meister stellte sich in Ferrara beim Papste ein und begleitete denselben dann nach Busseto bei Cremona, wo die Zusammenkunft mit Karl V. stattfand. Zwischen ihren politischen Verhandlungen unterhielten die beiden Häupter der Christenheit sich über Tizians Kunst. Tizian kehrte mit dem Papst zurück und blieb bis in den Sommer in Bologna. In dieser Zeit malte er zwei Bildnisse Pauls III., eines von dessen Sohn Pier Luigi, Herzog von Castro, ein Doppelbildnis des Papstes und des Herzogs Pier Luigi, und ein Bildnis des Kardinals Alessandro Farnese. Von den Bildern des Papstes, die begreiflicherweise oft kopiert worden sind, besitzt die Sammlung der Ermitage zu Petersburg eins, das zweifellos eine nach dem Leben gemalte erste Aufnahme ist, die von dem Meister für sich selbst zurückbehaltene Grundlage zu einem ausgeführten Gemälde. Das Bild stammt nachweislich aus dem Nachlasse Tizians. Man sieht der Malerei die Schnelligkeit an, mit der es entstanden ist. Der merkwürdige Kopf des Papstes, mit langer, herabhängender Nase, buschigen[S. 101] Brauen und schweren Augenlidern, weißlichem Vollbart und dunkler Hautfarbe, ist mit der sprechendsten Lebendigkeit gekennzeichnet; er hat einen unangenehmen Ausdruck von Verschlagenheit, die Mundwinkel sind unter den dichten Büscheln des Schnurrbartes emporgezogen, ohne darum zu lächeln, der Blick der nach den Augenecken gedrehten und auf den Beschauer gerichteten dunklen Augen hat etwas Beunruhigendes (Abb. 72). — Das für den Papst selbst ausgeführte Exemplar des Bildnisses befindet sich im Museum zu Neapel; hier sehen wir, wie der Meister seine ganze Geschicklichkeit aufgeboten hat, um ein Wunderwerk vollendeter Durchbildung herzustellen. In dem nämlichen Museum findet man das Bildnis des Kardinals Alessandro Farnese, dessen Andenken die Kunstgeschichte besonders in Ehren zu halten hat, da auf seine Anregung hin Vasari seine Künstlerbiographien schrieb, die trotz mancher Irrtümer die wichtigste Quellenschrift über die Kunst der italienischen Renaissance sind. — Das Porträt des Herzogs von Castro wird im königlichen Schloß zu Neapel aufbewahrt. — Das Doppelbildnis ist verschollen.
Paul III. wollte seine Erkenntlichkeit durch Überweisung der Einkünfte, welche mit dem Titel eines päpstlichen Siegelbewahrers verbunden waren, bezeugen. Aber Tizian besaß die Hochherzigkeit, dieses Anerbieten abzulehnen, weil er durch die Annahme einen anderen Künstler geschädigt haben würde; denn um an ihn übertragen werden zu können, hätte der Amtstitel dem Maler Sebastian Luciani aus Venedig — der eben hiernach, weil die Bullensiegel in Blei gedruckt wurden, den Beinamen „del Piombo“ führte — entzogen werden müssen.
Bevor Tizian Venedig verließ, um sich zum Papst zu begeben, hatte er im Auftrage des Dogen Lando das übliche Votivbild für den Saal der Pregadi vollendet. Das Bild ist mit den übrigen seinesgleichen im Jahre 1577 verbrannt. — Vor Ablauf des Jahres 1543 vollendete der Meister ein ziemlich umfangreiches Gemälde, die Vorführung Christi durch Pilatus darstellend, für einen Privatmann, den Kaufmann Giovanni d’Anna, einen in Venedig naturalisierten Niederländer. Andere Bilder, die Tizian im[S. 102] Auftrage des nämlichen Mannes malte, sind verloren gegangen. Das große „Ecce Homo“ aber von 1543 ist erhalten und befindet sich jetzt in der kaiserlichen Gemäldegalerie zu Wien (Abb. 73). Es ist eine figurenreiche Komposition von großer Wirkung, aber mit manchen Unschönheiten im einzelnen, die auf die Mitwirkung von Schülerhänden schließen lassen. Ähnlich wie bei dem Bilde „Marias Tempelgang“ ist der Vorgang auf und an eine große Freitreppe verlegt. Die Treppe führt zu dem reichverzierten Marmorportal des römischen Amtsgebäudes, dessen Wand mit Rustikapilastern besetzt und mit marmornen Götterbildern geschmückt ist; ein säulenbesetzter Pfeiler deutet einen weiten Portikus vor dem Gebäude an. Zwischen dem Pfeiler und der Wand sieht man die von schwülem Gewölk bedeckte Luft. Die Gesichtslinie ist so tief genommen, daß nichts von Landschaft über dem Gedränge des Volkes zum Vorschein kommt. Pilatus ist aus dem Hause hervorgetreten, und neben ihm erscheint, von einem Soldaten geschoben, Christus unter dem Portal, gebeugt, gesenkten Hauptes, mit vornüber wallendem Haar. Der in römische Imperatorentracht gekleidete Landpfleger weist mit ausdrucksvoll sprechenden Händen auf den gepeinigten und verhöhnten Dulder hin und stellt ihn mit einem halben spöttischen Lächeln, einem unübertrefflichen Ausdruck mitleidiger Geringschätzung, dem Volke vor, das, mit den Armen in der Luft, brüllend die Straßen hinaufdrängt. Müßige Neugier hat auch ein paar junge Mädchen, von denen eines einen kleinen Jungen vor sich herschiebt, in das Gedränge getrieben; sie sehen gar nicht nach der Schmerzensgestalt hin, der der Lärm gilt, und höchstens in dem Blick der einen, die sich umwendet, um mit jemand zu sprechen, kann man etwas wie eine schwache Mitleidsregung lesen. Hinter ihnen sieht man immer mehr gehobene Hände vor der Luft und bekommt dadurch den Eindruck einer sehr großen lärmenden Menge, obgleich man auf der Treppe nur zwei Schreier sieht. Auch denkt man sich noch viele Leute durch die zwei Wächter verdeckt, die sich, dem Beschauer näher, auf der Treppe bewegen und von denen der eine dem anderen etwas zuraunt. Noch weiter vorn dreht sich ein Kriegsmann, der in beschaulicher Ruhe auf der Treppe saß, schwerfällig um, um nach dem Gegenstand der Volkserregung zu blicken; er benutzt dabei seinen Schild mit dem römischen Kaiseradler — den Tizian natürlicherweise so, wie er ihn kannte, doppelköpfig, gebildet hat — als Stütze. Neben ihm sitzt ein halbwüchsiger Gassenbengel, mit einem Hunde spielend, auf den Stufen und schreit aus reiner Lust am Schreien in das vor dem Bilde befindlich zu denkende Volk hinein, — eine Gestalt aus dem Leben. Der tobende Pöbel ist das Werkzeug, dessen sich die einflußreichen Widersacher des Heilandes bedienen; diese selbst sehen wir durch zwei am Fuße der Treppe miteinander sprechende Charakterfiguren von Pharisäern vertreten: einen galligen, schwarzbärtigen Fanatiker und einen salbungsvollen kahlköpfigen Fettwanst in rotem Gewande und kostbarem Pelzkragen. Hinter diesen beiden halten zwei Reiter: ein Türke auf einem weißmähnigen Fuchs und ein geharnischter vornehmer Herr auf einem Schecken. Der Türke sieht feindselig auf Christus hin: der Ritter scheint ihn auf die Erbärmlichkeit des wankelmütigen Volkes aufmerksam zu machen. Den beiden Reitern folgt ein ebenfalls berittener Bannerträger, der die mit einem eingestickten R (Roma) gezeichnete Fahne schwingt. In dem Türken erkannten die Zeitgenossen den Sultan Soliman, dessen Gegenwart unter den Widersachern Christi sehr zeitgemäß erschien. Die Versuchung, den Ritter, der eine Rüstung nach der Mode der Zeit trägt — wie denn überhaupt in der Kostümierung der Figuren Antikes und Modernes unbefangen durcheinander gemischt ist —, ebenfalls auf eine bestimmte Persönlichkeit zu deuten, lag nahe; aber die Deutungen, auf die man gekommen ist, haben keinen Sinn. Dem Besteller des Bildes, der zu Tizians näherem Freundeskreise gehörte, und manchem anderen Beschauer wird es ein besonderes Vergnügen gewesen sein, zu bemerken, daß zum Kopf des Pilatus der gottlose Spötter Aretin Modell gesessen hatte. — Tizian hat das Bild mit einer augenfälligeren Bezeichnung versehen, als er sonst zu thun pflegte: auf der Treppe liegt ein Zettel mit der Aufschrift: „Titianus Eques Ces. (kaiserlicher Ritter) 1543.“
Großen Verdruß bereitete dem Meister zu dieser Zeit ein Rechtsstreit mit der Geistlichkeit der Kirche S. Spirito in Isola, der[S. 103] im Dezember 1544 noch nicht geschlichtet war und ihn veranlaßte, sich mit der Bitte um Beistand an den Kardinal Alessandro Farnese zu wenden. Für diese Kirche, die neu ausgebaut worden war, hatte Tizian die Herstellung eines Altarblattes und mehrerer in die Deckenfelder einzusetzenden Bilder übernommen. Die Ausführung dieser Gemälde, die er wahrscheinlich im Jahre 1541 anfing, scheint seine Hauptarbeit im Jahre 1542 gewesen zu sein und kam wohl erst 1544 zum Abschluß. Und nun entstanden[S. 104] Schwierigkeiten wegen der Bezahlung, die zu eben jenem Rechtshandel führten. — Die Bilder, um die es sich handelte, befinden sich jetzt in der Kirche S. Maria della Salute. Das Altargemälde ist dort in einer Seitenkapelle angebracht worden. Es stellt die Sendung des heiligen Geistes dar. Leider hat es durch Nachdunkeln viel an seiner Wirkung eingebüßt. Die Uffiziengalerie zu Florenz besitzt eine Sepiazeichnung, die als ein Entwurf Tizians zu diesem Gemälde gilt, von dem sie in Einzelheiten abweicht. (Abb. 74). — Acht Rundbilder, in denen die vier Evangelisten und die vier großen Kirchenlehrer als lebenswahre Persönlichkeiten verbildlicht sind, schmücken die Decke des Chors. In der Sakristei sind die übrigen Deckenbilder angebracht: drei in kühnen Verkürzungen aufgebaute Gruppen, die den Brudermord Kains, das Opfer Abrahams und Davids Sieg über Goliath schildern.
Ein sehr schönes Altargemälde, dessen Entstehung in eben diese Zeit gesetzt wird, befindet sich im Dom zu Verona. Mariä Himmelfahrt ist darauf dargestellt, nicht in einer so machtvollen Komposition, wie diejenige des inhaltsgleichen größeren Gemäldes in Venedig ist, aber mit großer Innigkeit und hoher Farbenpoesie. Die Gruppe der am leeren Grabe versammelten Apostel steht prächtig und vollfarbig auf blauwolkiger Luft. Maria, eingehüllt in den dunkelblauen Mantel, schwebt von Wolken getragen, in halb sitzender, halb kniender Stellung, auf die Erde zurückblickend und betend, vor einem lichten Goldton, der von rosigen Cherubim umsäumt und von hellgrauem Gewölk eingeschlossen ist.
Karl V. hatte zu Busseto ein Bildnis seiner verstorbenen Gemahlin, Isabella von Portugal, an Tizian übergeben, um danach ein neues zu malen. Während der Dauer des vierten Krieges zwischen dem Kaiser und dem König von Frankreich konnte der Meister begreiflicherweise kein Gemälde an den Kaiser gelangen lassen. Aber gleich nach der Beendigung des Feldzuges durch den Frieden von Crespy, im Herbst 1544, schickte er zwei Bildnisse der Kaiserin an Karl V., mit einem Begleitschreiben, in dem er sich mit seinem Alter und der Weite des Weges entschuldigt, daß er sie nicht persönlich überbringe. Von diesen Bildern, die der Kaiser sehr hoch schätzte und die er nach seiner Abdankung mit sich nach S. Yuste nahm, ist eines vermutlich bei dem Brande des Königsschlosses zu Madrid untergegangen, das andere befindet sich im Pradomuseum. Bei seinem Anblick denkt man nicht, daß es[S. 105] nicht nach dem Leben gemalt ist, und nur eine gewisse Steifheit der Zeichnung erinnert daran, daß ihm ein Gemälde flandrischen Ursprungs zu Grunde gelegen hat. Tizians Farbenreiz hat die Erscheinung der Kaiserin neu beseelt. Donna Isabel, mit sehr ernstem Ausdruck in dem jugendlichen Gesicht, sitzt in einem juwelengeschmückten Anzug von prächtigen roten Stoffen vor einem Brokatvorhang, an einem Fenster, durch das man auf Wald und Berge sieht.
Im Jahre 1545 malte Tizian den Herzog Guidobaldo II. von Urbino und dessen Gemahlin. Das Fürstenpaar residierte zu Pesaro, und ihr Hof bildete einen Sammelpunkt bedeutender Männer der Politik und der Litteratur. In diesem gewählten Kreise spielte Tizian damals eine große Rolle. Er malte dort eine ganze Menge von Bildnissen, von denen leider nur die schriftliche Kunde erhalten ist. Vielleicht gehört zu den Bildern aus Pesaro das in der Gemäldegalerie zu Kassel befindliche prächtige Bildnis eines fürstlichen Herrn in ganzer Figur, von dem man nicht weiß, wer es ist. Man sollte an den Herzog Guidobald selbst denken, wenn nicht etwa beglaubigte Bildnisse dieses Fürsten vorhanden sind, die der Annahme widersprechen. Der in dem Kasseler Gemälde Abgebildete ist eine nicht große, aber stolze Erscheinung. Das lebhafte und selbstbewußte Gesicht ist von einem dichten braunen Vollbart umgeben. Seine Kopfbedeckung ist ein reichgestickter roter Herzogshut mit roter Straußenfeder. Der ganze Anzug ist rot mit Goldverzierungen; das Wams hat statt der Ärmel nur kurze, in Streifen geteilte Achselstücke nach dem Muster römischer Imperatorenrüstungen und läßt an den Armen das graue Eisengeflecht der unter dem Wams getragenen Panzerjacke frei. So steht der Fürst als Kriegsmann da, mit Schwert und Dolch umgürtet, den Speer in der feinen, aber fest zufassenden Hand. Der zu dem Kriegsanzuge gehörige Helm steht neben ihm auf einer Erderhöhung; er ist mit rotem Leder überzogen, das in seiner Farbe und seinen Goldverzierungen demjenigen des Wamses ganz gleich ist, und trägt über einem Helmschmuck in Drachengestalt einen roten, wiederum mit Gold verzierten Federbusch. Aber daß der hohe Herr[S. 106] nicht immer an Kriegsthaten denkt, läßt er den Beschauer auch wissen. Auf dem blumigen Rasenteppich hat sich der Liebesgott herangeschlichen; der blickt schalkhaft zu ihm auf und schiebt den Helm beiseite. Und neben dem Kampf und der Liebe erfreut ihn das edle Weidwerk. Ein weißer Jagdhund mit gelben Abzeichen streicht sich zuthunlich an ihm. Mit dem mag er gern das buschige grüne Gelände durchstreifen, das sich bis zu fernen Bergen hinzieht, deren duftige Töne in der leichtbewölkten Luft verschwimmen (Abb. 75). Die Ausführung dieses Gemäldes ist etwas ganz Kostbares; sie veranschaulicht vortrefflich die spielende Leichtigkeit, mit der der Meister sein Handwerkszeug nach fünfzigjähriger Praxis beherrschte, während er in seiner Jugendzeit sich eines geduldigen Durcharbeitens befleißigt hatte, das den Strich des Pinsels nirgendwo sichtbar werden ließ. Wenn man hier die Landschaft, die so wunderbar reizvoll wirkt, in der Nähe ansieht, so wird man an die Anekdote erinnert, daß ein kaiserlicher Gesandter einmal mit Staunen zusah, wie Tizian einen Pinsel von dem Umfange eines Besens handhabte. Die Figur und alles andere im Vordergrunde ist mit einer entsprechenden Leichtigkeit behandelt und dabei doch aufs wunderbarste durchgebildet, bis zu den Blümchen im Grase hin, und mit einer Kennzeichnung der Eigenart der natürlichen Oberfläche eines jeden Dinges, wie sie so vollkommen kaum jemand anders erreicht hat; das weiße Fell des Hundes zum Beispiel ist ein technisches Meisterstück, das die Geschicklichkeit der größten Tiermaler in Schatten stellt.
Denselben Reiz einer duftigen Landschaft in Grün und Blau, dieselbe Formvollendung in der Durchbildung eines Kinderkörpers, die nämliche Feinheit in der Farbigkeit des Ganzen und eine Verbildlichung des gleichen Gedankens, daß die Liebe den Starken besiegt, zeigte dem Beschauer der in London im Winter 1894 auf 95 veranstalteten Ausstellung venezianischer Kunstwerke ein dort in Privatbesitz befindliches Rundbild, ein schnell gemaltes, aber darum erst recht entzückend wirkendes Dekorationsstück: Amor, ein allerliebstes nacktes Kind, mit den Bogen und scharfen Pfeilen bewaffnet, schreitet über einen Löwen, der stöhnend unter dem Druck der leichten Füßchen zusammenbricht (Abb. 76). Daß dieses kostbare Bild während des damaligen Aufenthaltes Tizians in Pesaro entstanden ist, darf man mit Sicherheit annehmen; denn es ist wohl zweifellos ein und dasselbe mit einem Werk, über das eine Nachricht vorhanden ist. Das Porträt des zu jenem Kreise gehörenden Schriftstellers Sperone war mit einem Deckel versehen, den das Bild eines mit einem Löwen spielenden Kindes schmückte.
Auch Pietro Aretino wurde im Jahre 1545 von Tizian gemalt. Er hatte sich das Bild erbeten, um es dem Herzog von Florenz, Cosimo de’ Medici, zum Geschenk zu machen. Das treffliche Porträt, das uns von der Person des gefürchteten Federhelden ein ungeschminktes, wenn auch freundschaftlich aufgefaßtes Abbild gibt, wird in der Sammlung des Pittipalastes zu Florenz aufbewahrt (Abb. 77).
Im Herbst 1545 folgte Tizian den wiederholt vom päpstlichen Hofe ergangenen Einladungen und brach in Begleitung seines jüngeren Sohnes Orazio, den er sich zum Gehilfen erzog, nach Rom auf. Der Herzog Guidobaldo übernahm die Kosten der Reise und stellte sieben Reiter als Begleitungsmannschaft. In Rom wurde dem Meister eine Wohnung im Vatikanischen Palast angewiesen. Der Empfang, den er fand, begeisterte ihn, und der Anblick der Antiken versetzte ihn in Entzücken. Er bedauerte, wie er an Aretin schrieb, daß er nicht zwanzig Jahre früher nach Rom gekommen wäre; aber auch jetzt noch, als ein Achtundsechzigjähriger, hatte er die Überzeugung, daß der Aufenthalt in dieser großartigen Kunstwelt für sein Kunstvermögen von Nutzen sei. Allerdings war die römische Kunstweise des Tages von der venezianischen von Grund aus verschieden. In Michelangelo und Tizian begegneten sich die Häupter zweier Richtungen, die auf entgegengesetzten Wegen der höchsten Schönheit zustrebten. Hier strömte eine sonnig heitere Freude an dem Wirklichen ihre Herzenswärme in Farben aus, um das Natürliche künstlerisch zu verklären; dort rang die formengewaltige Schaffenskraft eines Titanengeistes mit der Natur, um sie zu übermeistern. So wenig wie die jüngere Künstlerschar hier wie dort den beiden Großen gleichkommen konnte, ebensowenig konnten die beiden Greise einer von dem anderen etwas lernen wollen. Vasari begleitete eines[S. 108] Tages Michelangelo in die Werkstatt Tizians im Vatikan, und er hat das Urteil für die Nachwelt aufgezeichnet, das der alte Florentiner auf dem Nachhausewege über den venezianischen Maler aussprach: „Dessen Farbe und Behandlungsweise gefalle ihm sehr; aber es sei schade, daß man in Venedig nicht zuerst ordentlich zeichnen lernte, und daß die dortigen Maler nicht gründlicher im Studium wären; ja, wenn dieser Mann über so viel künstlerisches Wissen und so viel Formsicherheit verfügte, wie er natürliche Begabung besitze, besonders im Nachbilden des Lebens, so würde niemand mehr und besseres erreichen; denn er habe eine schöne Auffassungsgabe und eine sehr reizvolle und lebendige Malweise.“ Ebenso wird auch umgekehrt dem Tizian Michelangelo einseitig vorgekommen sein.
Die erste Aufgabe, die ihm in Rom gestellt wurde, war ein Gruppenbildnis von Papst Paul III. mit dem Kardinal Alessandro Farnese und dessen jüngerem Bruder Ottavio, dem Schwiegersohn des Kaisers. Dieses Werk blieb — unbekannt, aus welchen Gründen — unvollendet. Das unfertige Gemälde befindet sich im Museum zu Neapel, als ein Bestandteil der im Jahre 1786 dem Königshaus von Neapel zugefallenen Farnesischen Erbschaft (Abb. 78).
Mehrere andere Porträts sowie einige religiöse Bilder, von denen berichtet wird, sind wieder spurlos verschwunden. Erhalten aber ist ein Meisterwerk mythologischen Inhalts, das Tizian für den Prinzen Ottavio Farnese malte. Es befindet sich ebenfalls im Museum zu Neapel und stellt Danae vor in dem Augenblick, wo Zeus, in einen goldenen Regen verwandelt, sich ihr naht. Auf weißen Kissen, vor einem Hintergrund, der sich aus dem rotseidenen Bettvorhang, einer beschatteten Wand mit einer Säule auf dunkelgrünem Sockel, und einer duftigen Landschaft unter wolkenlosem Himmel zusammensetzt, liegt ein junges Weib von vollen, üppigen Formen und bebt in der Ahnung unermeßlicher Wonne dem Gotte entgegen, der sich in verborgener Gestalt zu ihr herabsenkt; Amor, der seine Schuldigkeit gethan hat, schleicht mit einem scheuen Blick auf die Wolke, der der goldene Regen entströmen will, still beiseite (Abb. 79). Es gehörte die Freiheit der Anschauungen jenes Zeitalters dazu, einem Maler derartige Darstellungen aufzugeben. Tizian aber hat sich der gewagten Aufgabe mit einer Unbefangenheit und einer reinen Schönheitsfreude entledigt, als ob der Geist des alten Griechentums in ihm wieder lebendig geworden wäre.
Ottavio Farnese bestellte auch eine „Venus“ bei Tizian, und es unterliegt wohl kaum einem Zweifel, daß dieses Gemälde in einem durch König Philipp IV. von Spanien aus dem Nachlaß des Königs Karl I. von England erworbenen und jetzt im Pradomuseum befindlichen Venusbilde wiederzuerkennen ist. Von einer Verbildlichung der Liebesgöttin ist hier allerdings gar nicht die Rede. Es ist vielmehr das Porträt eines jungen Weibes, das sich einem vornehmen Herren zu eigen gegeben hat, und dieser Herr zeigt sich im Bilde, wie er die Geliebte mit Musik unterhält, während er ihre Reize bewundert. Nur ein Tizian war imstande, auch eine solche Aufgabe so zu erfassen, daß er daraus ein poetisch verklärtes, durch die Zaubermacht seiner einzigen Farbenkunst zu echtem Schönheitsadel erhobenes Werk schuf (Abb. 80). Das Venusbild des Ottavio Farnese — das beglaubigte Porträt Ottavios auf dem Gruppenbild zu Neapel unterstützt die Annahme, daß dieser der hier abgebildete Kavalier sei — ist ein wunderbares Gemälde von höchster Vollendung. Der helle Körper des goldblonden jungen Weibes — ein ziemlich derb gebauter Körper — ruht auf einer bräunlich-purpurnen Sammetdecke, die über weiße Kissen gebreitet ist. Ein rotpurpurner Seidenvorhang bauscht sich in schweren Falten über dem Kopfende des Lagers, und gleich hinter dem Lager sieht man auf die Wiesen und die geraden Baumreihen eines regelmäßig angelegten Parks; das Grün nimmt einen dämmerigen warmen Ton an in dem Abendlicht, das gelb unter einem grauen Wolkenschleier hervorscheint. Auf dem Fußende des Ruhebettes sitzt der Kavalier, in Schwarz und Dunkelgelb mit hellblauem Unterzeug gekleidet, mit dem Ritterdegen an der Seite. Seine Finger gleiten über die Tasten einer Orgel, und eben wendet er sich, das Spiel unterbrechend, nach seiner Schönen um; vielleicht stört ihn das dunkelgoldfarbige Hündchen, das zu seiner Herrin hinaufspringt. Diese legt die Hand auf den kleinen Störer, und ihr halbes[S. 110] Lächeln und der verlorene Blick scheinen zu sagen:
Das Bild, das hier die Einkleidung für eine Porträtgruppe gab, war auch geeignet, in allgemeiner Fassung an die Öffentlichkeit gebracht zu werden. Gleich daneben hängt im Pradomuseum ein ebenfalls sehr schönes, aber doch nicht ganz so fein durchgearbeitetes Gemälde, das jenem ganz ähnlich ist, nur daß das junge Weib durch die Hinzufügung eines Liebesgottes, der sich an ihre Schulter schmiegt, hier wirklich als Venus gekennzeichnet ist, und daß der Orgelspieler zu ihren Füßen den Eindruck eines recht unbedeutenden Jünglings macht.
Ein anderes Mal hat Tizian fast die nämliche Figur mit Weglassung des Musikers als Venus gemalt, die auf Amors Geflüster lauscht (Abb. 81). Dieses Bild, dessen Empfänger vermutlich der Herzog Guidobaldo war, ist aus der urbinatischen Sammlung in die Uffiziengalerie gekommen. Es reicht an poetischem Farbenreiz weder an das in derselben Galerie befindliche ältere Venusbild, noch an die beiden Madrider Bilder hinan; doch bleibt es den Nachahmungen späterer Maler, unter denen das Dresdener Venusbild mit dem Lautenspieler die bekannteste ist, immer noch weit überlegen, nicht allein durch die Farbe, sondern auch durch die liebenswürdige Natürlichkeit, die alles so ungesucht erscheinen läßt.
Tizian blieb bis zum Anfang des Sommers 1546 in Rom, wo er nach Vasaris Zeugnis auch für den Herzog von Urbino mehrere Bildnisse malte. Den Rückweg nach Venedig nahm er über Florenz; der Herzog Cosimo empfing ihn, saß ihm aber nicht zum Porträt.
Von den Werken, die er nach seiner Rückkehr in diesem Jahre noch malte, ist das Bildnis des Bandenführers Giovanni de’ Medici, des Vaters des Herzogs Cosimo, erhalten; es befindet sich jetzt in der Uffiziengalerie zu Florenz. Aretin, der feine politische Laufbahn als Sekretär des Condottiere begonnen hatte, ließ das Bild als Geschenk für den Herzog Cosimo malen; als Unterlage gab er dem Maler eine Totenmaske, die er hatte anfertigen lassen, als Giovanni de’ Medici den Folgen einer schweren Verwundung erlegen war.
Im Jahre 1547 vollendete Tizian ein vor fünf Jahren bestelltes Altarbild für die Hauptkirche des Alpenstädtchens Serravalle (an der Straße von Conigliano nach Capo di Ponte bei Belluno), das sich dort noch befindet. Darauf ist die Mutter Gottes in den Wolken thronend, von Engelkindern umringt, dargestellt und zu ihren Füßen die Apostel Petrus und Andreas; zwischen diesen beiden sieht man in der Entfernung ihre Berufung am See von Genezareth, und in dieser Nebendarstellung hat der Meister eine römische Erinnerung verwertet, indem er Raffaels berühmte Komposition desselben Gegenstandes frei benutzte.
Es erscheint unbegreiflich, daß Tizian zwischen der Erledigung aller an ihn herantretenden Aufträge noch Zeit fand, Bilder zu malen, mit denen er seine Wohnung und seine Werkstatt schmückte. Von Zeit zu Zeit erhalten wir Nachricht, daß ein Kunstliebhaber gelegentlich ein Gemälde von dem Meister erwarb, das er vorher nicht bestellt hatte. So wird über ein Bild, in dem das Mahl zu Emmaus dargestellt war, berichtet, daß ein venezianischer Patrizier es von Tizian kaufte, um es dann dem Staate zu schenken. Dieses Gemälde ist bis gegen Ende des vorigen Jahrhunderts im Dogenpalast aufbewahrt worden, und es wird in einem jetzt in der Sammlung eines englischen Lords befindlichen Bilde wiedererkannt. — Eine in Einzelheiten abweichende, im ganzen aber sehr ähnliche Darstellung desselben Gegenstandes befindet sich im Louvre. Wir blicken in den säulengetragenen Vorbau des Gasthauses, der eine weite Aussicht auf die im Abendlicht glühende Berglandschaft gewährt. An dem mit einem feinen Tafeltuch gedeckten Tische segnet Christus das Brot, der eine der Jünger fährt beim Erkennen des Heilandes erstaunt zurück, der andere faltet stumm die Hände zum Gebet. Der Wirt, der in seiner häuslichen Arbeitstracht erscheint, und ein wohlgekleideter Diener warten auf (Abb. 82).
Gegen Ende des Jahres 1547 gab es einen großen Andrang zu Tizians Haus; Scharen von Menschen kamen, um Bilder von ihm zu kaufen oder wenigstens irgend ein kleines Andenken seiner Kunst zu erwerben. Denn Tizian hatte vom Kaiser[S. 111] die Aufforderung erhalten, zu ihm nach Augsburg zu kommen, wo am 1. September der Reichstag eröffnet worden war. Die Venezianer fürchteten, ihren großen Meister zu verlieren, sei es daß der Kaiser ihn bei sich behielte, sei es daß er den Anstrengungen der für einen Mann seines Alters unter den damaligen Verkehrsverhältnissen doch sehr mühevollen Reise unterliegen würde.
Für möglichste Bequemlichkeit der Reise hatte der Kaiser selbst gesorgt, der alle Kosten derselben zahlte. So trat Tizian mitten im Winter, Anfang Januar 1548, den Ritt über die Alpen an und gelangte wohlbehalten nach Augsburg. In der fremdartigen Umgebung und in dem geräuschvollen Leben, das der Reichstag in den kaiserlichen Hofhalt brachte, arbeitete der siebzigjährige Meister alsbald mit demselben Fleiß, als ob er sich in seiner gewohnten Werkstatt befände. Im Mai mußte er schon an Aretin schreiben, er möge ihm durch den nächsten kaiserlichen Boten eine in Augsburg nicht zu beschaffende Ergänzung seines Farbenvorrats schicken.
Die erste Aufgabe, um deren willen der Kaiser den Maler hatte kommen lassen, war, daß er ihn in der Rüstung und auf dem Streitroß male, mit dem er im April des vorigen Jahres in die Schlacht bei Mühlberg geritten war. Dieses große Reiterbildnis Karls V., das sich jetzt im Pradomuseum befindet, ist eins der allerschönsten Gemälde, die es überhaupt gibt. Es hält die Nachbarschaft der Meisterwerke des Velazquez, die dort für den heutigen Beschauer die Werke aller anderen großen alten Meister niederdrückt, ganz unbeschadet aus und steht als etwas völlig Ebenbürtiges neben ihnen. Die Gemälde des Spaniers sind von malerischer Poesie erfüllt, weil die in ihnen so wahr wiedergegebene Natur, mit solchen Künstleraugen gesehen, selbst poetisch ist; Tizian erreichte den Schein von Naturwahrheit mit selbstgeschaffenen Farbenharmonien.
Die Größe der Auffassung in diesem Kaiserbilde ist einzig in ihrer Art. Wir werden in das Morgengraun des Schlachttages versetzt. Das Grün der Landschaft liegt in bräunlicher Dämmerung, in der Ferne zeigen sich blaue Hügel des Elbufers. Der von Wolkenstreifen durchzogene und von rauchartigem Dunst überflorte Himmel ist gerötet; diese Röte hat etwas Unheimliches, man denkt unwillkürlich, daß sie den Wiederschein von Blut bedeute. Und etwas Unheimliches, Drohendes liegt auch in der Erscheinung des Reiters, der, von den grellen Lichtern seiner goldverzierten Eisenrüstung umblitzt, auf seinem schwarzen, rotgeschirrten Schlachtroß in kurzem Galopp aus dem dunklen, von der Morgenröte durchglühten Gehölz heraussprengt und seinen Blick über die vor ihn liegende Ebene sendet. Der Kaiser ist in voller Rüstung, nur die gichtgequälten Beine stecken in Lederstiefeln; der von einem schmalen roten Tuch umwundene visierlose Helm trägt einen Busch von roten Straußenfedern; über dem Brustharnisch liegt die Kette des Goldenen Vließes und die rote Feldbinde. Rot sind auch die sammetne Satteldecke und die Panzerdecke, sowie der Federbusch des Rappens. Die verschiedenen Karmintöne der verschiedenen roten Stoffe sind durch goldene Einfassungen und goldene Besatzstreifen belebt. Das ist alles sehr prächtig und vornehm und doch auch düster gestimmt. Das marmorkalte Gesicht des Kaisers ist so bleich, daß es fast grünlich auf dem roten Himmel steht. Die Blicke sind vorwärts gerichtet, wie der Speer in der Faust. Die ganze Erscheinung des regungslos im Sattel sitzenden Reiters macht den Eindruck eines sicheren und unaufhaltsamen, jedem Widerstand gewachsenen Vorgehens. Das Bild ist gleichsam eine Verbildlichung des Wahlspruches Karls V.: „Plus ultra — weiter!“ (Abb. 83).[1]
Nicht als der erfolggekrönte Sieger, sondern als der verdüsterte, am Gelingen seiner großen Pläne zweifelnde und zur Schwermut sich neigende Mann, der sich nach Tisch in eine Fensterecke zurückzuziehen pflegte, um stumm den Gesprächen der anderen zuzuhören: so erscheint Karl V. in einem andern Gemälde, das Tizian ebenfalls im Jahre 1548 zu Augsburg ausführte, und das sich jetzt in der Münchener Pinakothek befindet. Ganz in Schwarz gekleidet, ohne irgend einen Schmuck außer dem Abzeichen des Goldenen Vließes, sitzt der Kaiser in einem mit karminrotem Sammet gepolsterten und mit Goldfransen verzierten Eichenholzstuhl. Hinter seinem Rücken ist ein goldbrokatener Vorhang ausgespannt, und den Fußboden bedeckt ein Teppich von Scharlachtuch. Das hellgraue Steinwerk der Architektur umrahmt einen weiten Blick in[S. 114] die sommerliche Landschaft, die sich unter grauem Wolkenhimmel ausdehnt. Wenn man auch mehrfache ausgedehnte Übermalungen von späterer Hand an dem Gemälde bemerkt, so bleibt dessen großartige Wirkung doch ungestört (Abb. 84).
Tizian malte außer dem Kaiser noch eine ganze Menge hoher Personen in Augsburg. Des Kaisers Bruder, der deutsche König Ferdinand, und seine Schwester Maria, Königinwitwe von Ungarn; die zwei Söhne und fünf Töchter des Königs Ferdinand, von denen eine mit dem Herzog Albrecht III. von Bayern vermählt war; die beiden Töchter der verstorbenen Schwester des Kaisers, Isabella von Dänemark, nämlich die verwitwete Herzogin Christine und die Gemahlin des Pfalzgrafen Friedrich II., Dorothea; dann die Witwe des Bayernherzogs Wilhelm I., Maria Jakobine von Baden; ferner Moritz von Sachsen, Philibert Emanuel von Savoyen und der Herzog Alba, sowie die überwundenen Gegner des Kaisers, Johann Friedrich von Sachsen und Philipp von Hessen: alle diese saßen ihm auf Verlangen des Kaisers, der ihre Bilder zu besitzen wünschte. Es ist ein Verlust nicht allein für die Kunst,[S. 115] sondern für die Weltgeschichte, daß diese Bildnisse, die zuerst nach den Niederlanden und später, nach der Abdankung Karls V., nach Spanien gebracht wurden, samt und sonders einer Feuersbrunst zum Opfer gefallen sind.
Der gefangene Kurfürst von Sachsen war in der Rüstung abgemalt, die er bei Mühlberg getragen hatte, und man sah im Gesicht die dort empfangene Wunde. Ein anderes Bildnis Johann Friedrichs, ohne Rüstung, das ebenfalls nach Spanien ging, ist nach Deutschland zurückgekommen und befindet sich jetzt in der kaiserlichen Gemäldegalerie zu Wien. Aus den zahlreichen Bildnissen, die Lukas Cranach nach diesem seinem geliebten Herrn gemalt hat, ist die schwerfällige fette Erscheinung Johann Friedrichs allgemein bekannt. Tizian hat die Unförmlichkeit der Gestalt, die durch den großen Pelzüberrock — der auch aus den Cranachschen Porträts nicht fehlt — und durch die weiten Ärmel des Rockes noch vergrößert wird, nicht im geringsten gemildert, die Hände hat er in ihrer formlosen Gedunsenheit wiedergegeben, und den auf einem unglaublich feisten Halse sitzenden Kopf mit seinen mächtigen Fettlagen hat er mit einer solchen Naturtreue gemalt, daß man den schweren Herrn schnaufen zu hören vermeint. Aber die Größe von Tizians Auffassungsweise hat in das Bild etwas hineingebracht, wozu dem biederen Cranach all seine rührende Liebe und Anhänglichkeit an den Kurfürsten nicht verhelfen konnte: man sieht in diesem Koloß einen Mann von hoher Gesinnung, einen vornehmen, wahrhaft fürstlichen Herrn (Abb. 85).
Erhalten ist ferner das Bildnis des[S. 116] Kanzlers Nicolas Granvella, des Vorsitzenden des Reichstags (Abb. 86). Es befindet sich im Museum zu Besançon, als Überbleibsel einer sehr reichen und auserlesenen Kunstsammlung, die Granvella in dem Palast, den er sich hier in seiner Heimat erbaut hatte, zusammenbrachte, und in der er eine stattliche Reihe von Meisterwerken Tizians vereinigte.
Tizian würde trotz seiner Arbeitskraft wohl nicht imstande gewesen sein, die Menge der in Augsburg, wo ihm doch auch zweifellos viele Festlichkeiten Abhaltung brachten, übernommenen Porträts — außer den angeführten werden noch andere genannt — zu bewältigen, wenn er nicht seinen Verwandten Cesare Vecelli als Gehilfen bei sich gehabt hätte, dem er die Ausarbeitung von Nebendingen überlassen konnte. Cesare war der Sohn eines Vetters von Tizians Vater; er hat seinen Namen besonders durch die Herausgabe der ersten „Kostümkunde“ („Degli abiti antichi e moderni,“ Venedig 1590) bekannt gemacht.
Der unermüdliche Meister erübrigte sogar noch die Zeit, für die Königinwitwe Maria von Ungarn vier Bilder mit den überlebensgroßen Gestalten von Höllenqual erduldenden Männern zu malen: Prometheus, Sisyphus, Ixion und Tantalus. — Als die Königin Maria ihrem kaiserlichen Bruder nach dessen Abdankung nach Spanien folgte, nahm sie auch diese Gemälde mit. Zwei derselben, die schon ein Jahrzehnt nach ihrer Entstehung in schlechten Zustand geraten waren, sind untergegangen. Ob in dem Prometheus und dem Sisyphus, die noch im Pradomuseum bewahrt werden, die Tizianschen Originale erhalten sind, wird bezweifelt. Aber wenn diese beiden Bilder Kopien von der Hand eines Spaniers sein sollten, so sind sie so vortrefflich gelungen, daß sie uns wie in ursprünglicher Kraft die mächtigen, großartig düsteren Darstellungen des gefesselten Titanen, der in wilder Qual sich unter dem zerfleischenden Adler windet, und des Sisyphus, der unter seiner Felsenlast dem unerreichbaren Berggipfel entgegenkeucht, vorführen.
Im Herbst 1548 trat Tizian die Heimreise an. Unterwegs malte er in Innsbruck die drei jüngsten Töchter des Königs Ferdinand, Kinder von einem, fünf und neun Jahren, in einem Gruppenbild. Das Gemälde befindet sich jetzt in der Sammlung des Lord Cowper. — Es ist bemerkenswert, das der geschäftskluge Künstler sich von dem Könige als Lohn für seine Leistungen Bauholz aus einem Tiroler Walde erbat, das er bei Bauten, die er vorhatte, verwenden wollte.
Vom Kaiser hatte Tizian eine Anweisung auf Verdoppelung des ihm aus der mailändischen Staatskasse zugewiesenen Jahrgehaltes bekommen. Aber die Auszahlung dieser Gelder konnte er nicht erwirken, obgleich er es nicht an Geschenken von Bildnissen fehlen ließ, um seine dahin gerichteten Bemühungen zu unterstützen.
Aber auch so brachte er eine ansehnliche Einnahme mit nach Hause. Er vergrößerte sein Heim, indem er zu dem Hause, worin er seit 1531 zur Miete wohnte, das ganze zugehörige Grundstück erwarb. Den am Strand der Lagune, der Insel Murano gegenüber, sich ausbreitenden Garten hatte er schon vorher zu einer reizvollen Anlage ausgestattet, in der er oftmals fröhliche Feste veranstaltete. Als ein Freund heiterer Geselligkeit versammelte er gern einen ausgewählten Kreis von geistig bedeutenden und von hochstehenden Männern in seinem Heimwesen. Die alleinige Dame des Hauses wurde durch den Tod von Tizians Schwester Orsa, im März 1549, seine Tochter Lavinia.
Lavinia war des Vaters Liebling, und mehrere Gemälde führen uns die taufrische, kindlich liebenswürdige Erscheinung der zu straffer Fülle herangeblühten Jungfrau vor Augen. Ein Bildnis Lavinias, dessen im Jahre 1549 als eines in Arbeit befindlichen Werkes Erwähnung geschieht, ist der Vermutung nach das jetzt im Berliner Museum befindliche Bild einer jungen Dame, die eine blumengeschmückte Fruchtschale in den erhobenen Händen trägt. In einem vornehmen Kleid von grünem Seidendamast, mit einem lose um die Schultern geworfenen feinen weißen Schleier, geschmückt mit einem kostbaren Diadem in den goldblonden sich kräuselnden Haaren, einem Perlenhalsband und einem Gürtel von kunstvoller Goldschmiedearbeit, so tritt des Künstlers Tochter aus dem Hause auf den Altan, an dessen Eingangspfeiler ein dunkelroter Vorhang zurückgeschlagen ist; ihr Körper biegt sich zurück, um dem Gewicht der gefüllten Metallschale, die ihre weichen Hände mit bieg[S. 118]samen Fingern halten, entgegenzuwirken. Auf der Schwelle bleibt sie noch einmal stehen und wendet den Kopf zurück, so daß wir zugleich die runde Linie ihres Nackens und das Gesicht mit seinen Kirschenlippen und den unschuldigen braunen Augen, deren Blick uns begegnet, bewundern können. So mag Lavinias Erscheinung oftmals das Auge des zärtlichen Vaters und schönheitsfrohen Malers entzückt haben, wenn sie in den Garten hinaustrat, um den Gästen aufzuwarten; nur hat der Künstler den Blick auf die Heimatberge, die man von dort aus in weiter Ferne über dem Meere schimmern sah, in die Nähe gerückt (Abb. 87). — Neben diesem Bild der „Jungfrau mit einer Fruchtschale“ wird ein gleichartiges als „Mädchen mit einer Schüssel Melonen“ erwähnt, von dem aber nur eine Kupferstichnachbildung erhalten ist.
Das anmutige Bewegungsmotiv war hier so glücklich gefunden, daß Tizian dasselbe in einem Bilde wiederholte, dem er durch eine Umänderung einen historischen Titel und damit den Charakter eines leichtverkäuflichen Werkes gab. Er verwandelte die Fruchtschale in eine Schüssel mit dem Haupte Johannes des Täufers und machte so aus Lavinia eine Salome. In solcher Gestalt sehen wir das liebliche Mädchen, das uns hier auch seine vollen Arme durch eine durchsichtige Hülle hindurch zeigt, in einem Gemälde von köstlichem Farbenreiz, das sich im Pradomuseum befindet. Freilich[S. 119] paßt das unschuldsvolle Gesicht wenig für die Tochter der Herodias. Dieser Empfindung gibt eine Sage Ausdruck, die sich an ein im Besitze des Lord Cowper befindliches Gemälde mit der nämlichen Figur knüpft: auch hier soll das junge Mädchen zuerst die Salome vorgestellt haben; nachträglich aber habe der Meister das abgeschlagene Haupt zugestrichen und das prächtige Schmuckkästchen, das man jetzt dort sieht, darüber gemalt; die abgespreizten Finger erinnern noch an den in die Hände Salomes gelegten Ausdruck des Widerwillens gegen die blutige Last.
Im Dezember 1549 machte Tizian an Ferrante Gonzaga, den Bruder des verstorbenen Herzogs Federigo, in einem auf die Erwirkung des Mailänder Jahrgehaltes bezüglichen und von einem Kaiserporträt begleiteten Briefe die Mitteilung, daß er seine Tochter verlobt habe. Der Erwählte war ein junger Mann aus dem Alpenstädtchen Serravalle, mit Namen Cornelio Sarcinelli. Als glückliche junge Braut mögen wir Lavinia Vecelli erkennen in dem so überaus liebenswürdigen, mit wahrer Zärtlichkeit in jedem Strich gemalten Bildnis in der Dresdener Galerie, in dem sie als eine ganz in Licht gehüllte Gestalt in weißem, fein mit Gold verziertem Seidenkleid vor uns steht, mit einem fähnchenförmigen Fächer — wie solche in Spanien heute noch gebraucht werden — in der Hand (Abb. 88).
Um dieselbe Zeit, wo er das Bildnis[S. 120] seiner Tochter malte, fand der Meister wohl auch die Muße, sich selbst zu porträtieren. Vasari erwähnt ein Selbstbildnis, das Tizian für seine Kinder malte, und setzt die Entstehung desselben in die Zeit um 1543. Das schönste der erhaltenen Selbstbildnisse Tizians, im Berliner Museum, scheint ihn indessen in etwas vorgerückterem Alter zu zeigen, sodaß es eher gegen 1559 entstanden sein dürfte. In diesem Bilde ist nur der Kopf — ein sehr schön geformter Kopf — ausgeführt; alles übrige, die Jacke von heller Seide, der Pelzüberrock, die goldenen Ritterketten und die Hände, von denen die eine auf dem Schenkel ruht, während die andere auf dem Tische trommelt, ist nur skizziert mit Anwendung weniger Farben — Tizian soll einmal gesagt haben, mit Schwarz, Weiß und Rot könne man, wenn man die drei Farben nur richtig anwende, alles malen —. Skizziertes aber und Ausgeführtes sind von gleichem Leben erfüllt, die ganze Erscheinung spricht von Thatkraft und rastloser Arbeit, aus den Augen leuchtet Feuer und Geist (Abb. 89). — Das Selbstbildnis in der Sammlung von Malerbildnissen in der Uffiziengalerie (s. d. Titelbild) zeigt den Kopf in genau derselben Ansicht und in ähnlicher Auffassung, ist aber stärker beschädigt und dabei weniger lebendig in der Wirkung, als das Berliner Bild.
Das Jahr 1549 ist noch bemerkenswert durch das Erscheinen eines Kupferstiches nach einer von Tizian eigens zu diesem Zwecke ausgeführten Zeichnung. Das seltene Blatt stellt den Untergang des Pharao im Roten Meer vor und ist von Domenico delle Greche, einem Schüler Tizians von griechischer Herkunft, gestochen (Abb. 90).
Hauptsächlich wird sich der Meister während der Jahre 1549 und 1559 wohl damit beschäftigt haben, diejenigen Bilder, die er in Augsburg nur angelegt hatte — denn daß er die ganze Menge seiner dortigen Arbeiten in der Zeit von kaum drei Vierteljahren gleich vollständig fertig gemacht hätte, ist nicht denkbar —, mit Ruhe zu vollenden. Im Herbst 1559 wurde Tizian zum zweitenmal nach Augsburg berufen, wo der Kaiser inzwischen wieder einen Reichstag eröffnet hatte. Am 11. November berichtete er an Aretin, daß der Kaiser ihn mit der gewohnten Höflichkeit empfangen und sich nach den mitgebrachten Bildern erkundigt habe. Karl V. gestattete ihm jederzeit Zutritt, und der freundschaftliche Verkehr des sonst so abgeschlossenen Herrschers mit dem Maler erregte weithin Aufsehen. Tizian traf jetzt einen deutschen Kunstgenossen hier an, der noch einige Jahre älter war als er und sich eine ebenso unermüdliche Arbeitskraft bewahrt hatte, in seiner künstlerischen Auffassungsweise aber so ziemlich das gerade Gegenteil von ihm war: Lukas Cranach. Unter den dreißig Bildern, die der Wittenberger Meister zur Unterhaltung seines gefangenen Herrn in Augsburg malte, befand sich auch das Konterfei Tizians.
An die Arbeitskraft Tizians scheinen während seines diesmaligen Aufenthalts in Augsburg keine so ungeheuren Anforderungen gestellt worden zu sein, wie das vorige Mal. Seine wichtigste Aufgabe war es, das Bild des Kaisersohnes Philipp zu malen, der aus Spanien über Genua und Mailand nach Deutschland gekommen war, um diesen Teil von seines Vaters Reich kennen zu lernen. Die Aufnahme, welche Tizian von dem dreiundzwanzigjährigen Prinzen machte, diente zunächst einem Paradebild als Unterlage, das sich jetzt im Pradomuseum befindet. Es ist ein stolz und vornehm wirkendes Gemälde. Philipp steht in weißem Anzug und halber Rüstung vor einer dunklen Wand auf einem dunkelroten Teppich; seine Linke ruht auf dem Degenkorb und die Rechte auf dem Helme, der auf einer mit karminrotem Sammet bedeckten Konsole steht. Die Ärmel und die Beinkleider sind mit Stickereien verziert, die Rüstung mit Ciselierungen und Vergoldungen reich geschmückt. Das an sich wenig anziehende, von rotem Haar und Bart umgebene bleiche Gesicht, in dem das blutfarbige Rot der hängenden Unterlippe als vereinzelter starker Farbenfleck steht, hat durch die Größe von Tizians Auffassung eine solche Vornehmheit bekommen, daß die natürliche Unschönheit hinter der Hoheit verschwindet. Es ist vollkommen zu begreifen, daß die Königin Maria von England, der das Gemälde zugeschickt wurde, als Philipp sich um sie bewarb, „ganz verliebt“ in das Bild sein konnte. Bezeichnend für den Wert, den die Besitzerin des Bildes, Maria von Ungarn, demselben beilegte, ist der Umstand, daß sie es der englischen[S. 121] Königin nicht schenkte, sondern nur bis zur erfolgten Vermählung lieh. Erwähnenswert ist noch, daß Maria von Ungarn in dem Schreiben, mit dem sie die Absendung des Gemäldes nach London begleitete, hervorhob, daß man es nicht aus zu großer Nähe betrachten solle. Die kühne und freie Malweise, zu der Tizian allmählich gekommen war, rechnete genau mit dem richtigen Abstand, den der Beschauer einnehmen muß, um ein Bild als Ganzes auf sich einwirken zu lassen.
Vielleicht wurden schon gleich in Augsburg Wiederholungen dieses Bildnisses mit Hülfe von Schülern angefertigt. Von anderen Werken, die Tizian damals dort malte, erfährt man nur wenig. Er verweilte auch nur während der Zeit der kurzen, zum Malen so ungünstigen Wintertage in Augsburg. Bei der Abreise nach Schluß des Reichstages, im Februar 1551, empfing er vom Kaiser den Auftrag zu einem sinnbildlichen Gemälde, in dessen Thema schon die Gemütsstimmung Karls V. Ausdruck fand, die ihn zu seiner Abdankung bewegte. Der Maler durfte ahnen, was kein anderer voraussehen konnte. — Tizian begleitete den Kaiser nach Innsbruck; dort soll er eine[S. 122] große Allegorie mit den Figuren der ganzen Familie des Herrschers gemalt haben; aber man weiß nichts weiteres über dieses Bild, und die ganze Nachricht beruht wahrscheinlich auf einer mißverstandenen Kunde von jenem Auftrag, den er mit sich nahm. Tizian sah den Kaiser nicht wieder.
Im Sommer 1551 war Tizian wieder daheim. Mehrere Jahre lang arbeitete er jetzt fast ausschließlich für den Kaiser, für den Prinzen Philipp und für Maria von Ungarn. Die einzigen anderweitigen Arbeiten aus der Zeit bis 1554, von denen man weiß, sind einige Bildnisse: das in den Uffizien befindliche Porträt des päpstlichen Nuntius in Venedig Lodocico Beccadelli, das die Datumbezeichnung „1552 im Monat Juli“ trägt; das bei dem Brande von 1577 untergegangene pflichtschuldige Porträt des im Sommer 1553 erwählten Dogen Marcantonio Trevisani; ferner die nur durch ihre Erwähnung in Briefen Aretins bekundeten Bildnisse des kaiserlichen Gesandten Vargas und des Thomas Granvella.
Im Jahre 1552 schickte Tizian drei Gemälde an den Prinzen Philipp nach Spanien: eine Landschaft, eine heilige Margarete und eine „Königin von Persien“; der Gegenstand des letzteren Bildes war, wie aus dem Begleitschreiben des Meisters hervorgeht, frei von ihm gewählt; vermutlich war bei den zwei anderen dasselbe der Fall. Erhalten ist von diesen Gemälden nur das Bild der heiligen Margarete. Es befindet sich im Pradomuseum. Die Heilige[S. 123] ist nach der von den Künstlern der Renaissancezeit öfters verbildlichten Legende als die Überwinderin eines Drachens dargestellt. Sie schreitet in lebhafter Bewegung über den in langen Windungen am Boden liegenden und auch im Tode noch Grauen einflößenden Leichnam des Ungeheuers hinweg, das durch den Anblick des Kreuzes in ihrer erhobenen Hand getötet worden ist; in ihrem grünen Gewande, das Hals und Arme und das vorgesetzte Bein unbedeckt läßt, hebt sie sich hell von der düsteren Felsenlandschaft ab (Abb. 92).
Im März des folgenden Jahres ließ Tizian ein Porträt Philipps folgen. Es ist dies vermutlich das jetzt im Museum zu[S. 124] Neapel befindliche schöne Bild, in dem der Prinz, wieder in ganzer Figur, in weißseidenem, goldgesticktem Anzug dargestellt ist, und von dem sich eine etwas veränderte, wohl teilweise eigenhändige Wiederholung im Pittipalast befindet (Abb. 93). — In seinem Begleitschreiben sagt Tizian, daß die liebenswürdige und gnädige Antwort Philipps auf seine vorige Sendung an ihm das Wunder gewirkt habe, daß er wieder jung geworden sei; und er erwähnt, daß er mit dem Fertigmachen der „Poesien“ beschäftigt sei. — Philipps dankende Erwiderung hierauf enthält die feinste Artigkeit, die dem Künstler gesagt werden konnte, indem die ganze Bewunderung des Bildnisses in die Worte zusammengefaßt wird: „es ist eben von Eurer Hand“.
Wenn man die „Poesie“, welche Tizian bald darauf nach Madrid abschickte, und die sich jetzt im Pradomuseum befindet, ansieht, so muß man in der That sagen, daß der Sechsundsiebzigjährige wieder jung geworden ist. Die Komposition dieses Gemäldes war freilich keine neue Schöpfung; es ist nur eine Umarbeitung der acht Jahre früher in Rom gemalten Danae. Aber wie das von neuem empfunden, und wie es gemalt ist, das ist allerdings eine Äußerung von Jünglingsfrische. Gegenständlich unterscheidet sich das Bild von jenem älteren dadurch, daß Amor weggelassen und dafür eine häßliche alte Dienerin, die eine starke Gegensatzwirkung hervorbringt, hinzugefügt ist. Es ist vielleicht weniger duftig, als jenes, aber dafür glühender; und die Malweise hat etwas, man möchte sagen Bebendes von einzigartigem Reiz. Der ganze Farbeneindruck wirkt wie ein bestrickender Zauber. Die zarte Haut des blonden Weibes ist heller als das feine Weißzeug des Bettes; vor den dunkelpurpurnen Vorhang schiebt sich die graue Wolke, die unter dem Zucken rötlicher Blitze den Goldregen entsendet; unter der Jupiterwolke sieht man auf blaues, weißgemischtes Gewölk, gegen das die braune Alte sich dunkel absetzt, die sich bemüht, in ihrer Schürze auch einige der Goldtropfen aufzufangen.
Es gibt zwei Wiederholungen dieses Gemäldes, mit Abweichungen, die sich hauptsächlich auf die Figur der Alten erstrecken. Die eine befindet sich in der Ermitage zu Petersburg, die andere (Abb. 94) in der kaiserlichen Gemäldegalerie zu Wien. Beide müssen, wenn sie auch den Reiz des Madrider Bildes nicht erreichen, als eigene Arbeiten Tizians angesehen werden. Der Gegenstand fand eben großen Beifall in jener Zeit.
Eine zweite „Poesie“, Venus und Adonis darstellend, ließ Tizian der Danae einige Monate später, im Herbst 1554, folgen, mit einem Begleitschreiben, in dem er dem[S. 125] Prinzen seine Glückwünsche zu der inzwischen (am 25. Juli) vollzogenen Vermählung mit der Königin von England darbrachte und mehrere andere Gemälde gleicher Art, daneben aber auch ein Bild religiösen Inhalts in Aussicht stellte. Das Gemälde kam zu Philipps großem Verdruß in beschädigtem Zustande in London an; es war durch eine mitten quer durchlaufende Falte entstellt. Die Spur dieser Knickung hat niemals ganz beseitigt werden können; man sieht sie heute noch an dem jetzt im Pradomuseum befindlichen Bilde. Auch hier war der Gegenstand, das Losreißen des seinem Todesgeschick entgegengehenden Jünglings aus den Armen der liebenden Göttin, nicht neu. Tizian hatte die Komposition schon vor Jahren geschaffen, und seine Schüler haben sie oft wiederholt. Aber wiederum malte der greise Meister in der Neugestaltung ein von jugendlicher Kraft der Empfindung erfülltes bezauberndes Bild. Venus, deren weiche Haut in einem leuchtenden Goldton schimmert, sitzt auf einer mit ihren abgelegten Gewändern bedeckten Erhöhung und umschlingt mit einem wunderbaren Ausdruck von Angst und Liebe im Gesicht den von ihrer Seite aufgesprungenen Adonis. „Mit zähen Armen angeschmiegt,“ wird die biegsame Gestalt von dem wegeilenden Jüngling mit herumgezogen, der es eilig hat, mit seinen beutelustig schnuppernden Doggen, denen ein gefleckter Spürhund zugesellt ist, in den nahen Bergwald zu kommen. Denn schon zu lange hat der Jäger in den Armen der Liebe verweilt; die Strahlen des Sonnengottes blitzen durch das sommerliche Gewölk des dunkelblauen Himmels, der schwül über der braungrünen Landschaft liegt; und Amor ist im Schatten einer dichten Baumgruppe eingeschlafen. Nur einen Augenblick hemmt Adonis, dessen bräunlichen Körper ein kurzer hellroter Chiton bedeckt, noch seinen Schritt; seine linke Faust greift in die um seinen Oberarm geschlungene Koppelleine der starken gelben Hatzhunde, die ungeduldig vorwärts drängen; mit der Rechten den gefiederten[S. 126] Wurfspeer fest umfassend, hat er für die Geliebte nichts mehr, als einen lächelnden, übermütigen, sorglosen Blick, den er in ihre Augen wirft (Abb. 95).
Gegen diese wundervollen Gemälde, die dem „Bacchusfest“ und dem „Venusopfer“ kaum nachstehen, fallen die in dem nämlichen Museum befindlichen Bilder, welche Tizian zu derselben Zeit für Karl V. gemalt hat, merkwürdig ab.
Am 31. Mai 1553 hatte der Kaiser von Brüssel aus an seinen Gesandten in Venedig folgenden Brief geschrieben:
„Hier hat man gesagt, Tizian wäre gestorben, und obgleich das später nicht bestätigt worden ist und daher wohl nicht so sein wird, so gebt Uns doch Nachricht über die Wahrheit, und ob er gewisse Bilder vollendet hat, die er zu machen übernahm, als er von Augsburg abreiste, oder wie weit er damit ist.“
Darauf lautete die Antwort des Gesandten Vargas vom 30. Juni:
„Tizian lebt und befindet sich wohl und ist nicht wenig erfreut, zu wissen, daß Eure Majestät sich um ihn Sorge machen; er hatte mir früher von dem Bilde der Dreieinigkeit gesprochen, ich habe ihn gemahnt, und so arbeitet er eifrig daran und sagt, daß er es im Laufe des September fertig bringen wird. Ich habe es gesehen, und es scheint mir, daß es ein seiner würdiges Werk sein wird, wie ein Bild es ist, das er schon fertig hat für die Durchlauchtigste Königin Maria, mit der Erscheinung im Garten vor Magdelena. Von dem anderen Gemälde sagt er, es sei ein Bild Unserer Lieben Frau, als Gegenstück zu dem Ecce Homo, das Eure Majestät besitzen, und er könne, da ihm das Größenmaß nicht, wie versprochen, geschickt worden sei, es nicht machen, bis er diese für die Ausführung nötige Angabe bekäme.“
Es verging mehr als ein Jahr, bis Tizian die beiden Gemälde fertig hatte; im September 1554 meldete er ihre Vollendung dem Kaiser, und einige Wochen später sandte sie Vargas nach Brüssel ab. Der Gesandte berichtete an Karl V., Tizian habe sich an dieser Arbeit lange aufgehalten; seine Entschuldigung sei der Wille und das Verlangen, den Kaiser zufrieden zu stellen, und die Güte der Bilder, von denen das größere sicherlich ein sehr schätzbares Werk sei.
Auch Tizian selbst erwähnt in seinem Schreiben die Mühe, die er sich an der „Dreieinigkeit“ gegeben, und daß er es sich nicht habe verdrießen lassen, die Arbeit von mehreren Tagen wiederholt wegzuputzen, um das Bild so gut werden zu lassen, daß es den Kaiser und ihn selbst befriedige.
Das sieht man nun freilich dem Bilde an, daß es nicht in frischem, fröhlichem Guß entstanden, sondern mühsam zusammengequält worden ist. Offenbar hat der Meister sich für den vorgeschriebenen Gegenstand[S. 127] nicht erwärmen können. Der Titel „die Dreieinigkeit“ sagt nicht genug, und die später gebräuchlich gewordene Benennung „die Glorie“ bezeichnet nur eine Äußerlichkeit des Gemäldes (Abb. 96). Oben sieht man die heilige Dreieinigkeit in einem Lichtglanz, den unermeßliche Scharen von Cherubim und Seraphim umringen; weiter unten steht auf der Wolke die Jungfrau Maria als Vermittlerin zwischen der Gottheit und den sündigen Menschen. Ihre Fürbitte wird in Anspruch genommen durch eine Gruppe von Personen, die, in Leichentücher gehüllt — gleichsam als Auferstandene am Tage des Gerichts —, auf tieferen Wolkenschichten knieen; das sind Kaiser Karl V., der die Krone niedergelegt hat, und die Kaiserin Isabella, die Königin Maria von Ungarn, der Prinz Philipp und dessen Schwester Maria. Dieser Gruppe reihen sich weiter unten einige Nebenfiguren an, unter denen der greise Tizian kenntlich ist, während ein anderer bärtiger Mann den Gesandten Vargas vorstellt, der den Meister um diese Anbringung seiner Person gebeten hatte. Von den Betern aus nach vorn und wieder zurück und hinauf bis zur Jungfrau Maria hin bilden die Patriarchen und Propheten einen weiten Ring von mächtigen, in lebhafter Bewegung hinaufschauenden Gestalten; in besonderer Hervorhebung erscheinen in der Mitte eine Sibylle, Noah mit der Friedenstaube und der Gesetzgeber Moses. Das Ganze ist ein Gewühl von Figuren, in derben, aus dem Kopfe gemalten Formen; die Gewänder von Gott Vater, Christus und Maria stehen in scharfem Blau auf der lichtgoldigen Glorie; ein ähnlicher blauer Fleck wiederholt sich in der Mitte des Bildes, in einem Luftdurchblick zwischen den Wolken;[S. 128] den wahren Tizianischen Farbenreiz hat nur die feine dunstige Landschaft ganz unten.
Das kleine Bild, das gleichzeitig mit diesem großen Gemälde an den Kaiser gelangte, stellt die schmerzenreiche Mutter Maria in etwas weniger als halber Figur dar. Sein schon früher vorhandenes — wahrscheinlich im Jahre 1547 gemaltes — Gegenstück zeigt den dornengekrönten Heiland im roten Mantel, mit gebundenen Händen (Abb. 97). Diese Schmerzensgestalt ist sehr ausdrucksvoll, und ungezählte spätere Maler haben, mit weniger Glück, dem Meister den Versuch nachgemacht, das ganze bedeutungsvolle „Ecce homo!“ in einer Halbfigur oder einem Brustbild auszusprechen. Aber zum erstenmal begegnen wir hier einem Gemälde Tizians, dem der bezaubernde Farbenreiz fehlt. Vielleicht trägt der ungewohnte Malgrund einen Teil der Schuld; denn die beiden Gegenstücke sind auf Schiefer gemalt. Die „Mater dolorosa“ wirkt ebenso wenig oder noch weniger als das „Ecce homo“ durch die Farbe. Aber sie erfüllt den Zweck, durch den Ausdruck seelischer Schmerzen zu rühren (Abb. 98). Der kaiserliche Empfänger schätzte jedenfalls die beiden Bilder sehr hoch. Er ließ sie zu einem Klappaltärchen vereinigen, und in dieser Verbindung gehörten sie zu einer kleinen Sammlung Tizianscher Gemälde, die Karl V. mit sich in die Stille von S. Yuste nahm. Dieselbe Bevorzugung wurde einem anderen, jetzt ebenfalls im Pradomuseum befindlichen Bilde der schmerzenreichen Mutter zu teil. Dieses Gemälde, ebenfalls eine Halbfigur (Abb. 99), ist in dem hübschen Gesicht und in den ineinandergeschlagenen Händen noch ausdrucksvoller als jenes. Seine Farbe ist kräftig, aber auch nicht wohlthuend; der über das rote Kleid und den weißen Schleier geschlagene gelbgefütterte Mantel ist furchtbar blau. Merkwürdig, daß der Meister, der sonst gerade mit der blauen Farbe wahre Wunder wirken konnte, durch eine das Auge verletzende Anwendung dieser Farbe das erste Anzeichen einer Abnahme seiner künstlerischen Kraft gibt. — Das Hauptstück der Sammlung von S. Yuste, die außer religiösen Bildern auch das Bildnis des Kaisers in der Rüstung, dasjenige der Kaiserin und ein Doppelporträt des Kaisers und der Kaiserin enthielt — war das Dreieinigkeitsbild. Dieses Gemälde hing dem Sterbebett gegenüber, und auf ihm ließ Karl V. am 21. September 1558, nachdem er eine Zeitlang das auf seinen Wunsch herbeigebrachte Ehebildnis betrachtet hatte, seine Blicke haften, bis er die weltmüden Augen schloß.
Von dem Gemälde für die Königin Maria, das Vargas im Jahre 1553 schon vollendet in des Meisters Werkstatt sah, ist nur ein Bruchstück in das Madrider Museum gerettet worden: der obere Teil von der Figur des Auferstandenen mit der Gärtnerhacke in der Hand; der Kopf steht warm und farbig auf einer sehr blauen, hellwolkigen Luft, über einer weißen Tunika liegt ein blaues Obergewand.
Tizians Gesundheit war angegriffen, während er an jenen Werken für den Kaiser arbeitete. Er klagte um diese Zeit einem Arzt, daß es Tage gebe, an denen er sich gezwungen fühle, müßig zu gehen, in jähem Wechsel mit Tagen, an denen er mit wahrer Leidenschaft male. Sein Gemütszustand litt darunter, daß es ihm trotz aller Bemühungen nicht gelang, die reichlichen Einkünfte, die der Kaiser ihm angewiesen hatte, auch wirklich zu bekommen. Am meisten aber drückte ihn der Kummer über seinen ältesten Sohn Pomponio, der dem geistlichen Kleid, das er trug, wenig Ehre und dem Vater wenig Freude machte. Während Tizian mit einer rührenden väterlichen Besorgtheit, die manchmal geradezu die Erscheinungsform der Habgier annahm, sich bemühte, dem Sohne Pfründen zu verschaffen, vergeudete dieser, was der Vater erwarb. Im Jahre 1554 erreichte der Verdruß über den mißratenen Sohn eine solche Höhe, daß Tizian bewirkte, daß die Pfründe des mantuanischen Stifts Medole dem Pomponio entzogen und einem Vetter desselben übertragen wurde. Als Tizian den nunmehrigen Inhaber, seinen Neffen, in Medole besuchte, wurde er krank und mußte längere Zeit in dessen Hause liegen. Zum Dank für die genossene Pflege schenkte er ein Altarbild in die Kirche von Medole, eine religiöse Allegorie, die sich noch dort befindet.
Wie körperliches und seelisches Leiden Furchen in das Gesicht des Meisters gruben, sein Aussehen gedrückt und seine Haltung gebeugt werden ließen, das zeigt uns sein Selbstbildnis in einem im Schloß zu Windsor befindlichen Doppelporträt, wo er[S. 129] einem jüngeren Manne in senatorischer Tracht, dessen Persönlichkeit nicht feststeht, über die Schulter blickt (Abb. 100).
Gegen Ende des Jahres 1554 und in den ersten Monaten des folgenden finden wir Tizian mit der Ausführung des Bildnisses und des Votivbildes des neuen Dogen Francesco Venier beschäftigt. Das waren die letzten amtlichen Dogenbilder, die Tizian malte; denn unter dem Nachfolger Veniers wurde er von dieser Verpflichtung entbunden.
Auf Veniers Veranlassung wurde Tizian beauftragt, auch zum Gedächtnis des im Jahre 1523 gestorbenen Dogen Antonio Grimani ein Votivbild zu malen, da es während dessen kurzer Regierungszeit nicht zur Ausführung eines solchen gekommen war. Tizian nahm dieses Gemälde alsbald in Arbeit. Aber es wurde nie an seinen[S. 130] Bestimmungsort gebracht, sondern blieb in der Werkstatt stehen. Diesem Umstande verdankt es, als das einzige seiner Art, die Erhaltung. Es wurde nach des Meisters Tod, von Schülerhand fertig gemacht, in dem „Saal der vier Thüren“ im Dogenpalast aufgestellt, wo es sich noch befindet. Wahrscheinlich hat die venezianische Regierung daran Anstoß genommen, daß Tizian hier den Dogen nicht, wie üblich, vor der Mutter Gottes, sondern vor einer allegorischen Gestalt, der Verbildlichung des christlichen Glaubens, im Gebete knieen läßt. Nach dieser Gestalt wird das Bild gewöhnlich „la Fede“ (der Glaube) genannt. Die Fides, durch Kreuz und Abendmahlskelch nach dem Herkommen gekennzeichnet, erscheint in einem Lichtschein, den ein von Cherubimköpfen angefüllter Wolkenring umgibt. Von der Bewegung des Herannahens in der Wolke wehen ihr Schleier, das offene Haar und der Gürtel rückwärts, die Falten des nach dem Muster der Antike gebildeten Gewandes wallen. Mit der Rechten hält sie, von einem kleinen Engel unterstützt, den Kelch hoch in die Höhe, mit der Linken hat sie das große Kreuz gefaßt, das zwei Engelkinder tragen helfen. Sie blickt hoheitsvoll und mit milder Freundlichkeit zu dem Dogen herab. Die irdischen Gestalten, der Doge und sein Gefolge, bilden vor einer Säulenarchitektur und einem schweren Vorhang eine Gruppe von prachtvoller Wirkung. Grimani kniet in Harnisch und Pupurmantel auf einem Kissen, mit vorgestreckten Händen, wie in antiker Weise betend; sein wunderbar ausdrucksvoller magerer Greisenkopf trägt ein weißes Käppchen auf dem kahlen Scheitel. Neben ihm kniet ein Page im Brokatgewand, der die reichgeschmückte Dogenmütze hält. Hinter ihm stehen zwei Krieger, die stumm und befangen auf die Erscheinung blicken, zu der der Fürst mit Hingebung und Vertrauen aufschaut. Auf der anderen Seite des Bildes, dem Dogen gegenüber, steht der heilige Markus, eine majestätische Gestalt; er wendet, von seinem Buche aufblickend, den schönen, kräftigen Kopf nach der Erscheinung um; der kennzeichnende Löwe liegt ihm zu Füßen. Zwischen ihm und dem Dogen sieht man über dem auf einen schmalen Streifen beschränkten Steinboden, der die sämtlichen unteren Figuren trägt, ein Stück Venedig mit dem Dogenpalast und dem Markusturm (Abb. 101).
Am 15. Januar 1556 verzichtete Karl V. zu Gunsten seines Sohnes auf die Krone von Spanien; zugleich übergab er demselben seine italienischen Besitzungen. Am 4. Mai schrieb der junge König Philipp II. an Tizian in dem gewohnten freundschaftlichen Ton, ihn mit „Amado nuestro“ (Unser Geliebter) anredend, um ihm für einen neulichen Brief zu danken und seiner Befriedigung darüber, daß er demnächst wieder mehrere Werke des Meisters erwarten dürfe, Ausdruck zu geben. Es hat etwas Rührendes, wie der König sich in diesem Schreiben bemüht, den Maler hinsichtlich der Beschädigung des Adonisbildes, über die er dem Gesandten Vargas recht heftige Vorwürfe gemacht hatte, zu beruhigen durch die Versicherung, der Schaden sei durch Unvorsichtigkeit beim Auspacken in Brüssel entstanden. Doch unterläßt er nicht, die Ermahnung hinzuzufügen, Tizian möge die neuen Bilder recht sorgfältig verpacken.
Wie aus dem Schreiben des Königs hervorgeht, hatte Tizian die Bilder, die er damals für ihn fertig hatte, nicht genannt. Die nächste erhaltene Nachricht über Absendung eines Gemäldes an Philipp II. gibt die Kunde, daß eine im November 1557 abgeschickte „Grablegung Christi“ durch die Schuld der Thurn und Taxisschen Post verloren ging.
Zu den, wie man doch annehmen muß, im Sommer 1556 beförderten Bildern gehört vielleicht die im Pradomuseum befindliche Darstellung des Sündenfalls, von der man nur weiß, daß sie aus der Sammlung Philipps II. stammt, über deren Anfertigungs- oder Ablieferungszeit aber kein Beleg vorhanden ist. In dem obenerwähnten Brief von 1554 spricht Tizian von einem Gemälde, das er schon vor zehn Jahren angefangen habe und jetzt zu vollenden beabsichtige. In solcher Weise könnte wohl das Bild des Sündenfalls entstanden sein. Denn in diesem mächtigen Werk, das leider die Spuren von schweren, wahrscheinlich bei dem Brande von 1734 erlittenen Beschädigungen trägt, vereinigt sich die ganz breite und weiche Malweise, die Tizian in seinem Greisenalter zu einem staunenswürdigen Maße ausbildete, mit einer Vollkommenheit der Erfindung und Gestaltung[S. 131] nach jeder Richtung hin, die den Gedanken nahe legt, daß es in einer früheren Zeit entworfen sein müsse. Die Gestalten von Adam und Eva stehen mit den warmen Tönen des verschiedenartigen, hier ganz lichten, dort bräunlichen Fleisches in wunderbar feiner Stimmung zu dem braungrünen Gesamtton des Landschaftlichen im Vordergrunde, der blauen Ferne und der wolkigen Luft; und ebenso vollendet ist der Zusammenklang der Linien der beiden großartigen Gestalten mit den Linien der Baumstämme und der belaubten Zweige. Dazu die Größe des Ausdrucks! Eva zittert, indem sie dem Verlangen nachgibt und aus der Hand des Versuchers, der aus dem Schlangenleibe mit Kopf und Armen eines Kindes, eines teuflischen Cupido, hervorkommt, die verbotene Frucht entgegennimmt; sie bedarf eines Haltes und lehnt sich so schwer auf einen Wurzelschößling des Baumes, daß das armdicke Stämmchen sich unter dem Drucke biegt. Adam ist sitzen geblieben, hat nicht ja und nicht nein gesagt; jetzt macht seine Hand eine Bewegung des Zurückhaltens gegen das Weib; aber diese Bewegung ist keine entschiedene mehr, und sein Blick hängt schon begehrlich an der glänzenden Frucht (Abb. 102).
Eine in dem nämlichen Briefe von 1554 angekündigte und vermutlich 1556 abgesandte Darstellung von Perseus und Andromeda, die von Vasari besonders gerühmt wird, und ein gleichzeitiges, für die Königin[S. 132] bestimmtes Andachtsbild sind verschwunden. — Über welch mächtige Schaffenskraft der Meister noch verfügte, bekunden mehrere für Venedig gemalte und noch dort befindliche Werke, die zweifellos auch der Erfindung nach der Zeit vom Ende des achten und vom Beginne des neunten Jahrzehnts seines Lebens angehören.
Eine vornehme Venezianerin, Elisabetta Quirini, beauftragte Tizian, für die Begräbniskapelle ihres im Anfange des Jahres 1556 gestorbenen Gatten Lorenzo Massolo in der Kirche der Crociferi ein großes Altargemälde mit der Darstellung von dessen Namensheiligem auszuführen, und der Meister schuf in Erfüllung dieses Auftrages ein Werk, das als der „Assunta“ und dem „Petrus Martyr“ ebenbürtig gepriesen wurde. Leider ist das Gemälde so stark nachgedunkelt, daß seine ursprüngliche Wirkung sich kaum noch würdigen läßt, zumal da es an seinem jetzigen Aufenthaltsort, in der Jesuitenkirche, nur sehr wenig Licht bekommt. In Figuren von überlebensgroßem Maßstab ist die Marter des jugendlichen Glaubenszeugen mit unbarmherziger Lebenswahrheit geschildert. Auf dem von stattlichen Gebäuden eingeengten Vorplatz eines Tempels ist der Eisenrost aufgestellt, auf dem die schöne Gestalt des Jünglings ausgestreckt ist. Es ist Nacht, und die Beleuchtung geht von dem flackernden Feuer unter dem Rost und von einer in der Höhe angebrachten Pechfackel aus; nur der heilige Laurentius selbst wird noch von einem anderen, überirdischen Licht beleuchtet, das durch Finsternis und Rauch hindurchdringt und zu dessen am Nachthimmel gleich einem Stern schimmernden Quell der Gemarterte Antlitz und Hand erhebt, während die wilden Schergen unter der Aufsicht eines von Soldaten begleiteten berittenen Befehlshabers sich anschicken, ihn umzuwenden und durch Anschüren des Feuers und durch Mißhandlungen seine Qual zu vergrößern. In dem Blick des Heiligen ist der Sieg über alle irdische Qual so vollständig ausgesprochen, daß der Künstler es für überflüssig halten konnte, die üblichen versöhnenden Engelserscheinungen anzubringen.
Vor der Vollendung dieses großen Gemäldes, das den Meister sicher mehrere Jahre hindurch beschäftigte, entstand ein kleineres Altarbild, das im Jahre 1557[S. 133] als etwas Neues in Venedig besprochen und bewundert wurde. Das ist das jetzt in der Akademie befindliche großartig erdachte Bild des Täufer Johannes, der als der Prediger in der Wüste aus der Felsenwildnis hervortritt und mit strengen, glühenden Augen zu den Beschauern redet (Abb. 103).
Als eine Schöpfung von ähnlichem Feuer und ähnlicher Größe der Auffassung sei hier das Bild eines anderen Predigers, des heiligen Dominicus, erwähnt, das sich in der Borghesischen Galerie zu Rom befindet und das zu derselben Zeit entstanden sein könnte (Abb. 104).
Außer den beiden Altarbildern besitzt Venedig noch ein ausgezeichnetes Dekorationsstück von Tizian aus derselben Zeit. In der von Sansovino, einem der liebsten Freunde des Meisters, erbauten Bibliothek von S. Marco wurde im Jahre 1556 mit der Ausschmückung des großen Saales durch Freskomalereien begonnen. Tizian hatte als Preisrichter dem jungen Veroneser Paolo Caliari als dem Sieger im Wettbewerb um diese Aufgabe eine goldene Kette überreicht. Während dieser hier arbeitete, konnte der alte Meister es sich nicht versagen, in dem vor jenem Saal gelegenen Eingangsraum, der im übrigen nur mit architektonischer Dekorationsmalerei geschmückt wurde, das Gerüst zu besteigen und in das achteckige Mittelfeld der Decke die in den Wolken thronende Gestalt der Weisheit zu malen. Als ob man sie draußen in der Höhe sähe, ist die mit wunderbarem Geschick in das Achteck hineinkomponierte Figur in starker Verkürzung von unten dargestellt. In ein weißes Untergewand und ein um die Beine geschlungenes gelbgrünes Obergewand gekleidet, das lorbeerbekränzte Haupt von einem gelben Schleier umwallt, lagert sie in erhabener Ruhe auf dem Wolkensitz, mit einer entfalteten großen Schriftrolle in der einen Hand, und mit der anderen eine Tafel berührend, die ein Flügelknabe ihr entgegenhält. Dieses Deckenbild ist ein in seiner Art klassisches Werk: so groß und schön im Gedanken und in den Formen, wie dekorativ wirkungsvoll als Raumfüllung (Abb. 105).
König Philipp II. schickte, nachdem er in Gent die Nachricht vom Tode seines Vaters empfangen hatte, alsbald den durch eine eigenhändige Nachschrift geschärften Befehl an seinen Statthalter in Mailand, daß alle von Karl V. dem Tizian bewilligten, noch rückständigen Jahrgelder ausgezahlt[S. 134] werden sollten. Nach Empfang dieses Befehls setzte der Statthalter, der Herzog von Sessa, Tizian davon in Kenntnis, mit der Aufforderung, das Geld in Mailand abzuholen. Tizian beauftragte wegen seines Alters, das ihm das Reisen nun doch beschwerlich machte, seinen Sohn Orazio mit der Empfangnahme der Gelder. Orazio brach im Frühjahr 1559, mit einer Ladung von Bildern ausgerüstet, nach Mailand auf. Er verweilte dort längere Zeit, da der Herzog ihn mit der Ausführung seines Porträts beauftragte. Seine friedliche Thätigkeit wurde durch ein schreckliches Ereignis abgebrochen. Am 14. Juni machte der Bildhauer Leone Aretino, bei dem er als Gastfreund wohnte, mit mehreren Leuten einen Mordanfall auf ihn, um ihn zu berauben. Orazio lag, von sieben Degen- und Dolchstichen getroffen, am Boden, als durch das Geschrei eines zufällig herbeikommenden Dieners, der auch noch drei Stiche erhielt,[S. 135] die Nachbarschaft herbeigerufen wurde, so daß die Mörder sich zurückziehen mußten. Der schwer, aber nicht tödlich Verwundete wurde in eine Herberge gebracht und durch den Chirurgen des Herzogs verbunden. — Man kann sich denken, in welche fürchterliche Aufregung der alte Vater durch diese Nachricht versetzt wurde. Er schrieb sofort an den König und bat um strenge Bestrafung des Raubmörders. Wenn Orazio das Leben verloren hätte, versichert er in dem Schreiben, so würde er, der Alte, darüber den Verstand und somit auch die Fähigkeit, dem Könige mit seiner Kunst zu dienen, verloren haben. — Aber Leone muß mächtige Freunde in Mailand gehabt haben; er wurde nach kurzer Zeit aus der Haft entlassen, das Verfahren gegen ihn wurde hingeschleppt, und erst nach Jahren wurde die Missethat durch eine Geldbuße gesühnt.
Mit dem Schreiben Tizians kreuzte sich ein Schreiben Philipps II., worin dieser dem Meister die Weisung gab, zwei als fertig angemeldete „Poesien“ über Genua abzusenden und ein neues Bild der Grablegung Christi als Ersatz für das verloren gegangene anzufertigen.
Den letzteren Auftrag führte Tizian in der kurzen Zeit von sechs Wochen aus. An den mythologischen Bildern hatte er seit Jahren mit Fleiß gearbeitet. Am 27. September 1559 wurden die drei Gemälde nach Madrid abgeschickt. Tizian hatte noch ein viertes, kleineres hinzugefügt, das Bild einer Dame in gelber Kleidung und morgenländischem Aufputz; in seinem Begleitschreiben bezeichnete er es als das Abbild derjenigen, die die unbedingte Herrin seiner Seele sei, so daß er dem Könige nichts Lieberes und Kostbareres senden könne. Über den Verbleib dieses letztgenannten Bildes, in dem man wohl[S. 136] mit Recht ein Phantasieporträt Lavinias vermutet, ist nichts bekannt. Die beiden „Poesien,“ in denen die Mythen von Diana und Aktäon und von Diana und Kalisto in figurenreichen Darstellungen geschildert werden, sind im Anfang des XVIII. Jahrhunderts von König Philipp V. an den Marquis von Gramont verschenkt worden und befinden sich jetzt in der Sammlung des Lord Ellesmere zu London. Das Museum zu Madrid bewahrt von ihnen sehr geschickt gemalte Kopien in verkleinertem Maßstab, die neben den älteren Werken verwandten Inhalts bekunden, daß der Reiz, den Tizian in derartige Darstellungen zu legen wußte, im Erlöschen war. — Ein fesselndes Werk ist die schnell gemalte Grablegung, die, nachdem sie zuerst in Aranjuez, dann im Escorial einen Altar geziert hatte, sich jetzt ebenfalls im Pradomuseum befindet. In der Komposition unterscheidet sich dieses Gemälde von dem um mehr als ein Menschenalter früher entstandenen inhaltsgleichen Pariser Bilde hauptsächlich dadurch, daß der heilige Leichnam nicht zu Grabe getragen, sondern in einen Marmorsarkophag hinabgesenkt wird. Von der Herzenswärme und dem Farbenzauber, die in dem früheren Bilde leben, ist keine Rede mehr. Aber das Machwerk ist staunenswürdig. In ein einigermaßen eintönig zusammenklingendes Ganze sind ein paar starke Farben — Krapprot in der Kleidung des Nikodemus, der in gebückter Stellung die Beine des Heilandes hält, und Blau im Mantel der Mutter Maria — keck hineingesetzt. Das ganze Gemälde offenbart sich als das Werk eines Künstlers, der ein ungeheures Maß von Wissen und Können spielend beherrscht und dem es dadurch gelungen ist, auch ohne viel Aufwendung von Herzensarbeit in glücklichem Wurf noch ein schönes Bild zu schaffen (Abb. 106).
Im Jahre 1560 ließ Tizian ein Bild der heiligen drei Könige an Philipp II. abgehen. Auch dieses Gemälde befindet sich im Pradomuseum. Es wirkt trotz des malerischen Prunkes in der Schilderung des Aufzuges der drei Weisen, die mit großem Gefolge zu der Hütte in Bethlehem gekommen sind, nicht besonders anziehend, und man muß ohne Frage eine starke Beteiligung von Schülerhänden annehmen.
Ein erwähnenswertes Zeugnis von der Unternehmungslust[S. 137] des greisen Künstlers ist es, daß er in einem Schreiben vom 22. April 1560 dem Könige den Vorschlag machte die Siege Karls V. in Gemälden zu verherrlichen. Hauptzweck dieses Schreibens war die Klage Tizians darüber, daß er eine in Genua für ihn angewiesene Summe ebensowenig ausgezahlt bekam, wie vordem das mailändische Gehalt. „Es scheint,“ sagt Tizian ganz offen, „daß Eure Majestät, die über die[S. 138] mächtigsten und stolzen Feinde mit Ihrer unüberwindlichen Macht zu siegen wissen, den Gehorsam Ihrer Beamten nicht besitzen.“
Der König scheint die Ordnung dieser Angelegenheit übersehen zu haben. Ein Jahr später kam Tizian noch einmal auf die Sache zurück und kündigte dabei ein Magdalenenbild an, das mit seinen thränenvollen Augen ihm als Fürsprecher dienen solle. Philipp II. befahl darauf die sofortige Auszahlung des Geldes. Auch jetzt versuchten die Genuesen noch, den Meister zu benachteiligen, indem sie die Summe anstatt in Gold, in Silber schickten, was einen Unterschied von 200 Dukaten machte. Aber Tizian meldete auch das ohne Zaudern dem König, und er bekam von diesem alsbald in einem freundschaftlichen Antwortschreiben die Mitteilung von dem erlassenen Befehl zur Regelung der Sache.
Das erwähnte Magdalenenbild wurde Anfang Dezember 1561 abgeschickt. Sein Verbleib ist nicht nachzuweisen. Man darf annehmen, daß es übereinstimmend gewesen ist mit der aus dem Nachlaß des Meisters stammenden ausdrucksvollen Halbfigur in der Ermitage zu Petersburg (Abb. 107). Von der Beliebtheit dieser Darstellung legt der Umstand Zeugnis ab, daß Tizian dieselbe häufiger und unveränderter als irgend ein anderes seiner Bilder mit Beihülfe von Schülern wiederholt hat.
In ganzer Größe zeigt sich uns der alte Tizian noch da, wo er unmittelbar nach der Natur gemalt hat, im Bildnis. Die Jahreszahl 1561 liest man in der verstümmelten Inschrift eines in der Dresdener Galerie befindlichen Porträts eines schwarzgekleideten Herrn mit der befremdlichen Beigabe eines Palmenzweigs in der Hand (Abb. 108).
Das vollendetste Meisterwerk der Bildniskunst seines hohen Alters ist wohl das um dieselbe Zeit gemalte Porträt seiner Tochter in der nämlichen Galerie. Lavinia, die im Sommer 1555 von Cornelio Sarcinelli heimgeführt worden war, erscheint hier als eine zu kräftiger Fülle ausgereifte Frau mit einem würdigen Ausdruck in dem stärker gewordenen Gesicht, der in seiner Art ebenso ansprechend ist wie der Unschuldsblick in ihrem Mädchenbilde. Auf das in Venedig von der Mode verlangte Bleichen des Haares hat sie in dem Bergstädchen, wo sie jetzt lebte, verzichtet: das Haar zeigt statt des goldigen Blond seine natürliche kastanienbraune Farbe. Sie trägt ein mit weißen Seidenpuffen und mit Goldlitzen verziertes Kleid von grünem Sammet und hält einen großen Fächer aus Straußenfedern in der Hand; im Haar, an Hals und Brust und am Gürtel glänzen Perlen und anderes Geschmeide, ein Teil ihres Juwelenbesitzes, über den ihr Gatte dem Vater eine besondere Quittung zu der Empfangsbescheinigung über die ansehnliche[S. 139] Mitgift ausgestellt hatte. Kleidung und Schmuck, Fleisch und Haar sind mit einem braunem Hintergrund zu vollendeter Farbenschönheit zusammengestimmt (Abb. 109). — Es mag gestattet sein, an dieser Stelle auch die drei anderen weiblichen Bildnisse zu erwähnen, welche die Dresdener Galerie als Werke Tizians besitzt: das Mädchen mit der Vase (Abb. 110), die Dame im roten Kleid (Abb. 111) und die Dame in Schwarz mit dem Trauerschleier (Abb. 112). Bei diesen drei Bildern, von denen das erstgenannte leider durch starke Übermalung seinen besten Reiz verloren hat, ist Tizians Urheberschaft nicht ganz unzweifelhaft. Aber selbst als Werke von Schülern oder Nachahmern würden sie von dem Geist des Meisters Zeugnis ablegen, der es in unerreichter Weise verstanden hat, jedem Porträt seine besondere Auffassung zu geben und aus jedem ein vollendetes Kunstwerk von besonderer malerischer Eigenart zu machen. — In demselben Sinne darf auch das prächtige Bildnis eines venezianischen Edelmannes in der Münchener Pinakothek (Abb. 114) angeführt werden.
Im Jahre 1562 malte Tizian, wie Vasari berichtet, ein Selbstporträt. Dieses dürfen wir wohl in dem im Pradomuseum befindlichen Bilde erkennen, das den Meister in der Seitenansicht mit ganz weiß gewordenem Barte zeigt (Abb. 113).
Im April 1562 hatte Tizian, nach längerer Arbeit als er gedacht hatte, zwei vor Jahr und Tag angekündigte neue Gemälde für König Philipp II. fertig. Das eine stellte das Gebet Christi am Ölberg dar, das andere den Raub der Europa. Ein kleines Bild, dessen Gegenstand nicht genannt wird, war kurz vorher nach Spanien abgegangen. Die „Europa auf dem Stier“ wird als ein hervorragendes Werk geschildert; sie ist, wie die Bilder von Aktäon und von Kalisto, im vorigen Jahrhundert nach Frankreich gekommen, und befindet sich jetzt in England in der Sammlung des Lord Darnley. Von „Christus am Ölberg“ sind zwei von einander verschiedene Bilder im königlichen Besitz in Spanien vorhanden. Das eine befindet sich noch im Escorial und ist, wie die meisten Gemälde, die bei der Einrichtung des Pradomuseums dort[S. 140] zurückgelassen wurden, in sehr verdorbenem Zustande. Das andere, im Pradomuseum, ist ein merkwürdiges Nachtstück: zwei Kriegsleute, von denen einer eine Laterne trägt, suchen den Heiland, der, von einem sanften Himmelslicht bestrahlt, in der Ferne auf dem Berge kniet und betet; die Christusfigur ist das einzige Farbige und Beleuchtete auf dem Bilde.
In dem Begleitschreiben zu jenen Gemälden berichtete Tizian dem König, daß er an einem Marienbild arbeite, und er gibt die Versicherung, daß er trotz seines Entschlusses für den Rest seiner hohen Jahre sich etwas Ruhe zu gönnen, fortfahren werde, dem Könige mit seiner Kunst zu dienen.
Zwischen diesem und dem nächsten erhaltenen Briefe des Meisters an Philipp II. liegen fünfzehn Monate. Daß die Zwischenzeit durch Werke ausgefüllt wurde, über die nur die Nachrichten fehlen, ist um so eher anzunehmen, als in dem Brief, worin der König schreibt, daß er die Bilder „Christus am Ölberg“ und „Europa“ erwarte, der Nennung dieser beiden die Worte „und die übrigen“ (y los demas) hinzugefügt sind, und als auch über die Vollendung und Versendung jenes Marienbildes keine Kunde erhalten ist. Ein Marienbild, das dieser Zeit anzugehören scheint und das angeblich aus Spanien gekommen ist, besitzt die Münchener Pinakothek: eine lebensgroße, lebendig bewegte Gruppe von Mutter und Kind mit Abendstimmung in der Landschaft (Abb. 115). — Vielleicht darf man hierhin die Entstehung und Übersendung eines Gemäldes setzen, über das weiter nichts Schriftliches vorliegt, als seine Nennung in einem von Tizian später aufgestellten Verzeichnis der Bilder, welche der König von ihm empfangen hatte: „Venus mit Amor, der ihr den Spiegel hält“. Zwar ist das nach Spanien geschickte Bild dieses Gegenstandes verschollen; aber die Sammlung der Ermitage zu Petersburg besitzt ein aus dem Nachlasse des Meisters stammendes anderes Exemplar desselben. Auch gibt es davon mehrere von Schülern ausgeführte Wiederholungen. Venus sitzt in einem pelzbesetzten Morgenrocke von tiefrotem Sammet, aus dem sie den linken Arm herausgezogen hat, so daß durch das Niedergleiten des Kleidungsstückes der Oberkörper entblößt worden ist, auf einem mit gestreiftem Polster bedeckten Ruhebett und betrachtet ihr Gesicht in dem Spiegel, den ein stämmiger kleiner Liebesgott mit Kraftaufwand vor ihr hochhält. Das helle Fleisch wird außer durch das Rot und Braun des Gewandes durch einen dunkelolivengrünen Vorhang und eine bräunliche Wand prächtig hervorgehoben. Das blonde Haar, goldene Armbänder, das gelbe Köcherband Amors — der Köcher selbst liegt abgebunden zu dessen Füßen — und die gestickte Borte des Gewandes spielen mit ihren verschiedenen Goldtönen reizvoll in das kühle Fleisch und das warme Purpurrot hinein. Ein vereinzelter blauer Fleck — das Tüchlein, das Amor in die Hand genommen hat, um den Ebenholzrahmen des Spiegels damit anzufassen — steht in feiner Zusammenstimmung zwischen dem gelben Köcherband und dem roten Gewande. Auf dem Petersburger Exemplare ist ein zweiter Liebesgott hinzugefügt, der hinter dem Spiegel stehend und von diesem beschattet, sich aufreckt, um der Venus einen Kranz ins Haar zu setzen (Abb. 116).
Im Juli 1563 teilte Tizian dem König Philipp II. mit, daß er beabsichtige, nach so vielen Fabeldarstellungen ihm ein großes religiöses Geschichtsbild zu übersenden; und zwar sollte dies ein vor sechs Jahren angefangenes Bild des letzten Abendmahles des Herrn in lebensgroßen Figuren sein. Nach dem Wortlaut des Briefes fehlte nicht mehr viel an der Vollendung des Gemäldes. Aber erst im Herbst 1564 wurde das umfangreiche Werk fertig. Garcia Hernandez, der spanische Geschäftsträger in Venedig, war überzeugt, daß Tizian die Ablieferung des Bildes absichtlich verzögere „nach seiner Schlauheit und Habsucht“, bis zum Eintreffen eines Befehls von seiten des Königs zur Berichtigung der wieder vorhandenen Rückstände. Tizian hatte wohl gelernt, mißtrauisch in dieser Beziehung zu sein. Philipp II. aber gab sich ehrlich Mühe, ihm zu allem was ihm zugesichert worden war, zu verhelfen; er erließ im Jahre 1564 dahingehende Befehle nicht nur an den Statthalter von Mailand, sondern auch an den Vizekönig von Neapel, der die Verwirklichung gewisser Einkünfte von dort, die Karl V. vor vielen Jahren dem Meister angewiesen hatte, ohne daß dieser jemals zu deren Genuß gekommen wäre, besorgen[S. 141] sollte. — Das Mittel des Bilderverschenkens an maßgebende Persönlichkeiten wendete der alte Tizian noch immer an. Hernandez flicht in seinen Bericht an den Minister Perez in Madrid, der jene Äußerung über Tizian enthält, die Bemerkung ein, wenn der Minister „einige Sächelchen von dessen Hand“ haben wolle, so sei die Gelegenheit günstig. Der Alte, der immer arbeiten könne, sagt er, würde, wenn er Geld sähe, mehr thun, als mit seinem Alter vereinbar sei. Das Bild des Abendmahls bezeichnet er als eine wunderbare Sache, die von Kunstverständigen und von allen die es sehen, zu den besten Werken des Meisters gezählt würde. — Jetzt ist dieses Gemälde, das im Refektorium des Escorial hängt, nur noch eine Ruine. Die Luft im Escorial scheint[S. 142] der Erhaltung von Gemälden nicht günstig zu sein; so ist das Bild im Lauf der Zeit so oft durch Übermalungen „aufgefrischt“ worden, daß kaum noch etwas Ursprüngliches von seiner Farbe zu sehen ist; außerdem aber ist ihm oben, um es der Wand anzupassen, der ganzen Länge nach ein breites Stück abgeschnitten worden, so daß auch die durch den Linienzusammenklang der Figuren mit der Architektur bedingte Wirkung der Komposition zerstört ist.
Einige Monate vor der Absendung des Abendmahlsbildes hatte Tizian dem König, wohl um ihm eine kleine Entschädigung für das lange Warten auf jenes Gemälde zu geben, ein Bildnis der römischen Königin Maria, der mit ihrem deutschen Vetter Maximilian, dem nachmaligen Kaiser, vermählten Schwester Philipps II., geschickt. Das Porträt ist, wie so vieles andere von Tizians Werken, nicht mehr vorhanden.
Gleich nach der Vollendung des „letzten Abendmahls“ sollte Tizian auf Wunsch des Königs den heiligen Laurentius in einem großem Altarbild für die auf den Namen dieses Heiligen geweihte Kirche des Escorial malen. Als einen Beweis von dem Eifer des Meisters für diese Arbeit meldete Hernandez dem Könige gleichzeitig mit der Anzeige von der Verpackung jenes großen Gemäldes, daß Tizian sofort den nämlichen Blendrahmen, auf dem jenes aufgespannt gewesen, für das Laurentiusbild benutzen werde. „Er ist kräftig und gut im Stande zu arbeiten“, fügt Hernandez hinzu, „und wenn es Eurer Majestät Wunsch ist, daß er einige andere eigenhändige Sachen mache, so wird es nötig sein, ihn zeitig davon zu benachrichtigen; denn nach der Aussage von Leuten, die ihn seit vielen Jahren kennen, geht er gegen die Neunzig, obgleich er sich das nicht merken läßt“. — Das Laurentiusbild, eine Wiederholung des Altargemäldes in der Kirche der Crociferi, wurde im Frühjahr 1566 als nahezu vollendet gemeldet. Aber seine Absendung nach Spanien erfolgte erst im Dezember 1567.
Inzwischen arbeitete der Meister, der gerade jetzt wieder eine außerordentliche Schaffenskraft besessen zu haben scheint, keineswegs ausschließlich für den König. Er hatte im Herbst 1564 die Anfertigung von drei großen Gemälden mythologisch-allegorischen Inhalts — das Gegenständliche wurde genau vorgeschrieben — zum Schmuck der Decke des Rathauses in Brescia übernommen. Er hatte um dieses Auftrags willen eine Reise nach Brescia nicht gescheut. Von seiner körperlichen Rüstigkeit gab er auch im folgenden Jahre durch einen Besuch in seiner Vaterstadt einen Beweis, wo er den Plan zur Ausschmückung der dortigen Kirche entwarf.
Bei der Ausführung der großen Deckenbilder für Brescia scheint er das meiste seinen Gehülfen, unter denen sein Sohn Orazio immer noch an[S. 143] erster Stelle stand, überlassen zu haben. Wenigstens ließ er sich einen Abzug an der Bezahlung, den die Brescianer wegen Mangels der Eigenhändigkeit machten, nach einigem Sträuben gefallen. Die Bilder sind schon im Jahre 1575 durch Feuer zu grunde gegangen. — Auch die Altargemälde, die Tizian in seinem hohen Alter noch aus seiner Werkstatt hervorgehen ließ, werden hinsichtlich der Ausführung wohl zum größten Teil auf Rechnung der Gehülfen kommen. Bei dem Bilde der Verkündigung Marias, das sich in der Kirche San Salvadore zu Venedig befindet, hat der Meister allerdings seine Urheberschaft durch ein energisches „Titianus fecit fecit“ beglaubigt.
In ganz ungeschwächter Meisterschaft tritt uns Tizian in einem Porträt von 1566 entgegen, das sich in der kaiserlichen Gemäldegalerie zu Wien befindet. Es ist das Bild des Altertumshändlers Jacopo Strada, das völlig ebenbürtig neben den ebendort befindlichen Meisterwerken der Bildniskunst aus Tizians früherer Zeit, den Porträts des Arztes Parma (Abb. 117) und des Geschichtschreibers Varchi steht. Der Handel mit Kunstaltertümern war ein schwunghaftes Geschäft in Venedig; Tizian selbst beschäftigte sich gelegentlich mit dergleichen Dingen, und sein Urteil darin galt als das des höchsten Sachverständigen. Strada hatte von Kaiser Ferdinand die Titel eines kaiserlichen Antiquarius und Hofrates verliehen bekommen. In dem ebenso lebendigen wie farbenprächtigen Bilde steht er in schwarzer und hellroter Kleidung, mit einem langhaarigen weißlichen Pelz über den Schultern, an einem grünbedeckten Tische, auf dem man neben goldenen und silbernen Denkmünzen und einem Brief mit Tizians Adresse einen kleinen Marmortorso und ein altertümliches Bronzefigürchen sieht. Er hebt mit beiden Händen eine Venusstatuette auf, um sie mit lebhafter Wendung einem außerhalb des Bildes gedachten Kunstkenner zu zeigen. Die ganze Erscheinung ist die eines gewandten Mannes, der viel auf sich hält. Er trägt den Degen und die Ritterkette, zu deren Anlegung ihn die kaiserlichen Titel berechtigen, und diese Titel selbst sind neben dem eines römischen Bürgers auf einer schmuckvollen Inschrifttafel angebracht (Abb. 118). Das Bild ist sichtlich schnell gemalt; in dem Pelz erkennt man deutlich die Spuren des Daumens, den Tizian nach der Aussage eines seiner Schüler in seinen späteren Jahren viel beim Malen gebrauchte.
Im Anfange des Jahres 1566 erwirkte Tizian von der venezianischen Regierung den gesetzlichen Schutz für die Vervielfältigungen von mehreren seiner Gemälde, die er durch den holländischen Kupferstecher Cornelis Cort und den italienischen Formschneider Niccolò Boldrini ausführen ließ.
Aus dem Sommer dieses Jahres liegt[S. 144] ein interessantes Dokument vor in der Steuererklärung Tizians, die er jetzt zum erstenmale abgeben mußte, nachdem er ein halbes Jahrhundert hindurch die Vergünstigung der Steuerfreiheit genossen hatte. Man erfährt daraus, daß er ganz ansehnliche Landbesitzungen in Conigliano, in der Umgegend von Serravalle und in seiner Heimat hatte.
Im Mai 1566 besuchte Vasari, der Italien durchreiste, um für eine neue Ausgabe seiner Künstlerlebensbeschreibungen Stoff zu sammeln, den Tizian in seiner Werkstatt. Er fand den Alten in fleißiger Arbeit an der Staffelei und unterhielt sich mit ihm, während er die vorhandenen Bilder besah. In seinem Buche schrieb er dann über ihn: „Tizian hat eine Gesundheit und ein Glück genossen wie noch nie einer seinesgleichen; und nie hat ihm der Himmel etwas anderes als Gunst und Segen beschert. In seinem Hause zu Venedig sind alle Fürsten, alle Gelehrten und alle Leute von weltmännischer Bildung gewesen, die zu seiner Zeit Venedig besucht oder bewohnt haben; denn er war, abgesehen von seiner hervorragenden Bedeutung als Künstler, ein sehr liebenswürdiger Mensch, von schöner Erscheinung und von sehr angenehmem Wesen und Benehmen. Er hat in Venedig einige Nebenbuhler gehabt, aber keine von großer Bedeutung; daher hat er sie alle mit Leichtigkeit aus dem Felde geschlagen durch die Vortrefflichkeit seiner Kunst und durch seine Begabung, sich zu unterhalten und sich bei den Vornehmen beliebt zu machen. Er hat recht viel verdient; denn seine Arbeiten sind ihm sehr gut bezahlt worden. Aber es wäre wohlgethan gewesen, wenn er in diesen seinen letzten Jahren nur noch zum Zeitvertreib gearbeitet hätte, um nicht durch minder gute Werke den Ruhm zu beeinträchtigen, den er sich in seinen besseren Jahren, und als die Natur ihn durch ihren Verfall noch nicht in Gefahr brachte, Unvollkommenes zu schaffen, erworben hat.“
So unangemessen dieser gute Rat auch war, von einem so unbedeutenden Maler wie Vasari einem so großen Künstler wie Tizian gegeben — das Buch erschien noch bei Lebzeiten des Alten —: sachlich können wir Vasari so ganz Unrecht nicht geben. Im Museum zu Madrid, dessen Meisterwerke durch mustergültige Vervielfältigungen zur Kenntnis weiterer Kreise zu bringen, ein hochanerkennenswertes Verdienst der Berliner Photographischen Gesellschaft ist, sind Gemälde Tizians aus fast einem halben Jahrhundert vereinigt. Die Summe des Eindrucks, den man hier von den Werken seines hohen Alters gegenüber denen seiner prächtigsten und heitersten Schaffenskraft empfängt, erweckt — eben weil der Vergleich sich so unmittelbar aufdrängt — ein Gefühl des Bedauerns. Eine bestimmte zeitliche Grenze läßt sich freilich nicht ziehen; während eines ausgedehnten Zeitraums stehen ja Meisterwerke allerersten Ranges unmittelbar neben solchen, in denen sich eine greisenhafte Abstumpfung des Gefühls ankündigt. — Was im Escorial von Werken Tizians verblieben ist, macht vollends einen unerfreulichen Eindruck. Das große Laurentiusbild über dem Altar der Alten Kirche, das sich von dem älteren Bilde in Venedig hauptsächlich durch die Hinzufügung zweier mit der Siegeskrone herabschwebenden Engel unterscheidet, macht keine Ausnahme. Aber unmittelbar nach diesem Gemälde schuf der neunzigjährige Künstler ein Meisterwerk, in dem Jugendlust und Jugendkraft noch einmal aufflammten.
Die Abschickung des Laurentiusbildes wurde durch die Krankheit und den Tod des königlichen Geschäftsträgers Garcia Hernandez um mehrere Monate verzögert. Diese Zeit benutzte Tizian, um eine „nackte Venus“ zu malen, die er der Sendung an den König beifügte; er sagt in dem Begleitschreiben ausdrücklich, daß er das Bild nach der Vollendung des Altargemäldes gemacht habe. In dem schon erwähnten späteren Verzeichnis seiner für Philipp II. gemalten Bilder nennt er dasselbe: „Die Nackte mit der Landschaft und dem Satyr.“ Daraus ergibt sich, daß es das unter dem Namen „die Venus von Pardo“ berühmte Gemälde in lebensgroßen Figuren ist, das sich jetzt im Louvre befindet. Diesen Namen führt es von seiner Aufbewahrung in dem königlichen Schloß el Pardo bei Madrid. Es entging dem Brande, der im Jahre 1604 die in diesem Schlosse vereinigten Tizianschen Bildnisse zerstörte, wurde dem im Jahre 1623 um die Infantin Maria werbenden englischen Thronfolger, dem nachmaligen König Karl I., zum Geschenk gemacht, fiel bei der Versteigerung des Nachlasses des enthaupteten Königs dem Kölner Kunstliebhaber[S. 145] Jabach zu und kam bald darauf durch Vermittelung des Kardinals Mazarin in den Besitz Ludwigs XIV. — Die Benennung „Venus“ ist nicht im eigentlichen Sinne zu nehmen; sie bezeichnet hier nur in allgemeiner Bedeutung eine nackte weibliche Idealfigur. Der Gegenstand des Gemäldes ist die weniger bekannte mythologische Erzählung von der thebanischen Königstochter Antiope, die, während sie erhitzt und ermüdet von der Jagd im Walde ruhte, von dem in der Gestalt eines Satyrs ihr nahenden Zeus überlistet wurde. Was den heutigen Beschauer an diesem Bilde zunächst befremdet, sind die Nebenfiguren, die den Ort, wo die schöne Jägerin entkleidet schlummert, als ebensowenig zu einer derartigen Ruhe wie zu einem heimlichen Liebesabenteuer geeignet erscheinen lassen. Aber was in den Nebenfiguren dargestellt ist, dient zur Erklärung der Lage, in der wir Antiope erblicken, und das räumliche Zusammenrücken der Vorgänge, die[S. 146] uns das Leben in einem mythologischen Wald schildern, haben wir als eine damals für durchaus statthaft geltende künstlerische Freiheit aufzufassen. Wer den Wald zu durchstreifen gewohnt ist, hat keine Scheu vor den dort heimischen Satyrn; das sehen wir daran, daß die Dienerin Antiopes sich in ein freundschaftliches Gespräch mit einem solchen Waldgeist, der sich zu ihr gesetzt hat, einläßt, und daß auch die Hunde des Jägers ganz zutraulich bei demselben stehen bleiben. Aber die Hunde dürfen nicht verweilen, der Hornruf erschallt, der Jäger schickt sich an, in eilendem Lauf zu seinen Gefährten dort in der Lichtung jenseits des Baches zu kommen. Da hat die Jagd eben ihren aufregendsten Augenblick erreicht: die vordersten aus der Meute haben einen starken Hirsch gestellt, sie sind den Schlägen des Geweihes ausgewichen und halten ihn fest; gleich wird das stolze Tier der heranstürmenden Überzahl erliegen. Die Nymphen des Waldes oder des Baches, der in einen Wasserfall aus dem Gebüsch hervorkommt, sehen im Gesträuch versteckt dem Schauspiel zu. Von solcher Jagd ermüdet, hat Antiope ihr Jagdgerät an einen Baum gehängt und aus dem Pantherfell, das ihr als Mantel diente, sich ein Lager bereitet; sie hat von den Erfrischungen, welche die Dienerin mitgebracht hat — man sieht einen Weinkrug und Früchte —, genossen und sich dann mit von den Schultern gestreiftem Gewande, unbefangen wie die kleiderlosen Nymphen, zur Ruhe gelegt. Wenn sie beim Erwachen den Satyr sieht, der leise herangeschlichen ist und das lose Gewand, mit dem sie sich halb zugedeckt hat, aufhebt, so wird sie bei dessen Anblick ebensowenig Furcht empfinden, wie die Dienerin vor dem wirklichen Satyr, der deren Aufmerksamkeit als ein gefälliger Gehilfe des Zeus von der Herrin ablenkt, und sie wird denken, daß die Neckereien des häßlichen Gesellen ihr so wenig gefährlich werden können, wie den Nymphen. Sie kann nicht ahnen, daß in dieser Gestalt sich der mächtige Gott verbirgt, dessen Leidenschaft Amor durch einen Pfeilschuß anstachelt. — Die so ausgesponnene Darstellung gab dem Maler Gelegenheit, neben dem Reiz des ruhenden weiblichen Körpers auch lebendige Bewegung zu schildern und sich in der Gestaltung einer ausgedehnten Landschaft zu ergehen; und auf all diesen Gebieten seines Könnens hat der hochbetagte Künstler hier noch einmal seine Meisterschaft gezeigt (Abb. 119).
Dieses staunenswürdige Gemälde ist nicht das einzige, durch das Tizian noch im höchsten Alter die Leistungsfähigkeit seiner Künstlerkraft bekundete. Um dieselbe Zeit mag er das kräftig gestimmte Bild des heiligen Hieronymus gemalt haben, das aus einer Kirche Venedigs in die Sammlung der Brera zu Mailand gekommen ist. Auch das kostbare Meisterwerk „Venus und Cupido“ in der Borghesischen Sammlung zu Rom gehört zu diesen späten Schöpfungen. In der Komposition erinnert dasselbe an die „Allegorie des Davalos“ und an die „Einweihung der Bacchantin“. Aber der Inhalt ist neu; die Ausrüstung des Liebesgottes wird geschildert. Der kleine Cupido lehnt sich auf die Kniee der Venus, und diese verbindet ihm die Augen; die Grazien bringen ihm den wohlgefüllten Köcher und den Bogen. Hinter Venus steht auf ihrem Sitz ein anderer Liebesgott, der sich an ihre Schulter lehnt und sich boshaft freut im Gedanken an das Unheil, welches das so ausgerüstete Brüderchen, blind seine Pfeile versendend, in der Welt anstiften wird; er scheint eben eine vorlaute Bemerkung gemacht zu haben, die ihm einen verwarnenden Blick der Mutter zuzieht (Abb. 120).
Ein Zeitraum von zwei Menschenaltern liegt zwischen diesem Bilde und der in der nämlichen Sammlung befindlichen Liebesallegorie der zwei Mädchen am Brunnen. Die auffallendsten Unterschiede zeigen sich in der Art, wie die Gewänder gemalt sind. Hier hat der Jüngling Tizian noch in der glatten, die Einzelformen sauber zeichnenden Behandlungsweise des XV. Jahrhunderts gemalt. Dort zeigt der Greis, der achtzig Jahre hindurch Auge und Hand geübt hat, jeden einzelnen Pinselstrich, und er läßt die Umrisse in den ineinander gesetzten Strichen verschwimmen; aber indem er dies thut, bringt er die Formen nur desto reizvoller zur Geltung für den das Bild aus dem richtigen Abstand betrachtenden Beschauer; so schreibt er dem XVII. Jahrhundert seine Malweise vor. Hier wie dort aber lebt das gleiche Farbengefühl; wenn in dem Alterswerk auch nicht mehr in so heller Pracht wie in der Jugendschöpfung, so doch noch freudig glühend.
Im zehnten Jahrzehnt seines Lebens malte Tizian ebenso unermüdlich wie zuvor. Wie unternehmungslustig er noch war, kann man daraus ersehen, daß er in dem Begleitschreiben zu dem Laurentiusbild (vom 2. Dezember 1567) dem König Philipp den Vorschlag machte, er wolle eine ganze Reihe von Bildern aus dem Leben des heiligen Laurentius — allerdings mit Hilfe seines Sohnes Orazio, den er als seinen Nachfolger überall einzuführen sich bemühte — für den Escorial malen. Bemerkenswert ist, daß Tizian auch jetzt nicht versäumt, sich nach den Beleuchtungsverhältnissen des Platzes für die zu malenden Bilder zu erkundigen.
Philipp II. ging auf diesen Vorschlag Tizians nicht ein.
Der Verkehr zwischen dem König und dem Maler kam überhaupt jetzt ins Stocken. Der Aufstand in den Niederlanden raubte Philipp wohl die Lust, sich viel um die schöne Kunst zu kümmern. Er schrieb auch nicht mehr selbst an Tizian. Dieser aber brachte sich von Zeit zu Zeit durch Übersendung eines Gemäldes in Erinnerung und verfehlte dabei niemals, den König, dem die selbstgemachten Schulden das Gewissen weniger gedrückt zu haben scheinen, als die von seinem Vater hinterlassenen Verbindlichkeiten, an Bezahlungsrückstände zu erinnern. Im Oktober 1568 schickte er ein Bild: „Christus mit dem Pharisäer, der ihm den Zinsgroschen zeigt.“ Ob eine mit Tizians Namen bezeichnete, aber sehr wenig ansprechende Darstellung dieses von dem Meister sechzig Jahre früher so glücklich behandelten Gegenstandes, die sich in der Nationalgalerie zu London befindet, dieses Bild ist, erscheint fraglich. In dem Begleitschreiben kündigte Tizian als seine nächste Arbeit für den König eine Komposition von viel mehr Mühe und Kunst, als er wohl seit vielen Jahren gemacht habe, an. Das ist möglicherweise die sonst nirgendwo erwähnte, aus dem Escorial in das Museum zu Madrid gekommene Allegorie „Spanien als Beschützerin der Religion,“ ein farbig wirkungsvolles Dekorationsstück von schwerverständlichem Inhalt. Aus einem Briefe, den Tizian im August 1571 an den König schrieb, erfahren wir, daß er demselben kurz zuvor ein Bild „Die Überwältigung der Lucretia durch Tarquinius“ durch den venezianischen Gesandten hatte überreichen lassen. Dieses scheint in einem in der Sammlung Wallace zu London befindlichen Gemälde erhalten zu sein.
Der große Sieg über die Türken in der Seeschlacht bei Lepanto brachte Philipp II. auf den Gedanken eines Gemäldes, das, als Gegenstück zu dem Bilde Karls V. auf dem Felde von Mühlberg, ihn mit Bezugnahme auf die Schlacht von Lepanto darstellen sollte. Wie das Bild zu fassen wäre, gab der König dem spanischen Maler Sanchez Coello genau an, den er unter seinen Augen eine kleine Skizze zeichnen ließ. Dann ließ er durch denselben Künstler sein Porträt in Lebensgröße malen und sandte Bildnis und Skizze als Vorlagen für Tizian nach Venedig. Tizian, dem es begreiflicherweise keine besondere Freude machte, eine vorgezeichnete Komposition auszuführen, gab die gewandte Antwort, der Verfertiger der Vorlagen sei ein so tüchtiger Künstler, daß der König nicht nötig habe, fernerhin noch Bilder im Auslande zu bestellen. Aber Philipp II. blieb dabei, daß Tizian das Bild malen solle. Gegen Ende des Jahres 1574 war der Meister mit diesem Werk beschäftigt. Daß er es nicht mit Herzensfreude gemalt hat, sieht man dem jetzt im Pradomuseum befindlichen Gemälde wohl an. Es ist stumpf in den Formen und wirkt als Bild fast ebenso schwerfällig, wie sein allegorischer Inhalt. König Philipp II. steht in halber Rüstung an einer Art von Altar, an dessen Fuß ein gefangener Türke kniet; türkische Waffen und Abzeichen liegen am Boden. In der Ferne sieht man das Meer mit der brennenden türkischen Flotte. Der König hält ein nacktes Knäblein, den wenige Wochen nach der Schlacht von Lepanto geborenen Thronfolger Don Fernando, in die Höhe, der Siegesgöttin entgegen, die mit Lorbeerkranz und Palmenzweig in den Händen vom Himmel herabfliegt. Die Göttin gibt die Siegespalme dem Kind in das Händchen mit der Verheißung, die auf einem um den Zweig geschlungenen Bande zu lesen ist: „Majora tibi (möge dir noch größeres beschert sein)!“ — Trotz allem schwebt auch über diesem Bilde, wenn auch noch so abgeschwächt, ein Rest des alten Farbenzaubers; von dem alten Lichtzauber ist freilich nichts mehr hineingekommen.
Im Sommer 1574 empfing Tizian den Besuch des jungen Königs von Frankreich Heinrich III., der auf seiner Reise von Krakau nach Paris sich kurze Zeit in Venedig aufhielt. Als der König nach dem Preise einiger Bilder fragte, machte Tizian ihm dieselben zum Geschenk.
In des Meisters Werkstatt stand immer von neuem ein Vorrat an fertigen Bildern. Wenn er in seinem höchsten Alter vielleicht nicht mehr so ununterbrochen arbeitete wie früher, so malte er dafür desto schneller. Er erübrigte zwischen der Ausführung der bestellten und der zu nutzbringenden Geschenken bestimmten Bilder auch noch die Zeit, dieses oder jenes lediglich zu seinem Vergnügen, mit der Absicht, es zu behalten, zu malen. So hat er einmal ein Bild der Lucretia, die sich selbst den Tod gibt, ausdrücklich mit der Inschrift versehen: „Sibi Titianus pinxit“ (von Tizian für sich selbst gemalt).
Eines Tages sah der hochbegabte Tintoretto, selbst damals kein junger Mann mehr — er war 1519 geboren —, ein bestimmungsloses und beiseite gestelltes Bild bei Tizian, das ihm als ein unvergleichliches Vorbild für die Art, wie man malen müsse, erschien; er erbat und bekam dasselbe von dem Meister zum Geschenk. Dieses Gemälde stellte die Dornenkrönung Christi dar, und es ist wohl zweifellos in dem jetzt in der Münchener Pinakothek befindlichen Bilde dieses Gegenstandes erhalten (Abb. 121). Die Malweise ist hier in der That etwas ganz Wunderbares. In der Nähe sieht man nur ein Durcheinander von schwarzen, weißen, roten und gelben Flecken, die mit breiten Pinseln hingehauen sind; und wenn man den richtigen Abstand nimmt, verschmilzt alles zu durchgebildeter körperhafter Erscheinung und zu tiefer, reicher Farbenwirkung. Und was für eine großartige Gestaltungskraft spricht noch aus dem Linienzug und der Massenverteilung der Komposition, aus der wilden Lebendigkeit der Schergen und aus dem erschütternden Dulderausdruck des gemarterten Christus! Und welches Stimmungsgefühl liegt noch in der düsteren, von den qualmenden Flammen eines Hängeleuchters ausgehenden Beleuchtung!
Aus dem an den spanischen Staatssekretär Antonio Perez gerichteten Brief Tizians vom 22. Dezember 1574, der die Mitteilung enthält, daß das von Philipp II. zum Andenken an die Schlacht bei Lepanto bestellte Bild in Arbeit sei, erfahren wir, daß Tizian zugleich noch mehrere andere für den König bestimmte Gemälde angefangen[S. 149] hatte, von denen aber nur eines, eine „Krippe“, d. h. die Geburt Christi, genannt wird; und daß auch Perez kürzlich Bilder von ihm bekommen hatte und noch weitere erwartete, deren Vollendung nur die ungünstige Jahreszeit verzögerte.
Nachzuweisen ist von diesen Sachen nichts. Auch über das Bild der Geburt Christi, zu dessen Anfertigung der Meister durch die von einem kürzlich aus Spanien zu ihm gekommenen Maler — vermutlich Sanchez Coello — gemachte Mitteilung bewogen wurde, daß diese Darstellung in der Sammlung des Königs noch nicht vorhanden sei, fehlen die weiteren Nachrichten. Eine Komposition dieses Gegenstandes aus Tizians Alterszeit zeigt ein Bildchen von kleinem Maßstab in der Sammlung des Pittipalastes zu Florenz.
Die letzten erhaltenen Briefe Tizians,[S. 150] vom Weihnachtstage 1575 und vom 27. Februar 1576, sind an König Philipp II. gerichtet und enthalten beide die Mitteilung, daß Tizian noch immer mit Gemälden für den König beschäftigt war.
Einige von den allerletzten Werken des Meisters befinden sich in der Sammlung der Ermitage zu Petersburg, in die der größte Teil der Bilder gekommen ist, welche bei Tizians Tode in dessen Werkstatt standen. Dazu gehört ein Bild des segnenden Erlösers mit der gläsernen Weltkugel in der Hand, das ein höchst bezeichnendes Beispiel seiner spätesten Malweise ist. Wenn auch die Hand des Künstlers nicht mehr fest und sein Farbengefühl getrübt war und wenn er sich bei den Nebendingen mit Andeutungen in breiten Pinselstrichen begnügte, so war er doch noch imstande, in Hand und Antlitz des Erlösers eine heilige Erhabenheit zum Ausdruck zu bringen (Abb. 122).
Als Tizian in sein neunundneunzigstes Jahr ging, dachte er ernstlich an den Tod und bestellte sich in der Franziskanerkirche, auf deren Altären zwei seiner größten und großartigsten Schöpfungen, die Himmelfahrt Marias und das Weihebild des Hauses Pesaro, prangten, die letzte Ruhestätte. Er einigte sich mit den Mönchen dahin, daß er das Grab bekommen sollte gegen Lieferung eines Gemäldes der „Pietà,“ der Klage um den vom Kreuze abgenommenen Leichnam des Herrn. Mit einer unbegreiflichen Schaffenskraft entwarf Tizian das Bild: die Mutter Maria sitzend in der Mitte, mit dem Leichnam Christi, dessen Kopf und Schultern sie hochhält, auf dem Schoße; Joseph von Arimathia daneben[S. 151] knieend und die herabhängende Hand des Toten haltend; Maria Magdalena in heftiger Bewegung herbeieilend; ein Englein am Boden und ein anderes, das eine Fackel trägt, in der Höhe; als Hintergrund eine Nische mit einer Darstellung des alten Sinnbildes der göttlichen Liebe, des Pelikans, zwischen Pfeilern und den Standbildern des Moses und einer Sibylle. — Als das Gemälde beinahe vollendet war, entzweite der Alte sich mit den Brüdern von S. Maria de’ Frari, und bestimmte, daß er nicht dort, sondern in der Familiengruft zu Pieve di Cadore begraben werden solle. Das Bild wurde beiseite gestellt; nach dem Tode des Meisters machte Palma der Jüngere dasselbe fertig und ließ es in eine andere Kirche bringen. Jetzt befindet es sich in der Akademie zu Venedig. Das Gemälde, das der neunundneunzigjährige Tizian zum Schmuck seines eigenen Grabes anfertigte, würde ein Anrecht darauf haben, mit Ehrfurcht betrachtet zu werden, auch wenn es gar keine künstlerischen Eigenschaften besäße. Aber es ist thatsächlich ein großgedachtes Werk und als solches bewunderungswürdig trotz der im Aufbau und in den einzelnen Figuren sich kundgebenden Abstumpfung des Formengefühls; wieviel der Meister noch an Farbenpoesie hineinzulegen vermocht hat, das läßt sich nach den vielen Übermalungen, denen es preisgegeben worden ist, nicht mehr beurteilen.
Im Jahre 1575 war wieder einmal die Pest aus dem Orient in Venedig eingeschleppt worden. Obgleich die venezianische Regierung alle Mittel, die nur möglich waren, anwendete, um das Umsichgreifen der Seuche zu verhindern, erreichte die fürchterliche Krankheit im nächsten Jahre eine noch nie dagewesene Höhe. Fünfzigtausend Menschen, mehr als ein Viertel der Einwohnerschaft von Venedig, wurden von ihr dahingerafft. Am 27. August 1576 fiel auch Tizian der Seuche zum Opfer. — Er hatte bis zuletzt gearbeitet. Ein Bild von Adam und Eva stand eben erst angefangen in der Werkstatt.
Die zur Bekämpfung der verheerenden Krankheit erlassenen Gesetze enthielten die Bestimmung, daß keiner, der an der Pest gestorben war, in einer Kirche begraben werden durfte. Aber bei dem großen Tizian wurde eine Ausnahme gemacht. Auf Befehl der Regierung wurde der Leichnam am 28. August, unter dem Geleit der Domherren von S. Marco, in die Frarikirche gebracht und unter fürstlichen Ehrenbezeugungen an der Stelle, an der er begraben zu werden gewünscht hatte, eingebettet.
Eine von der venezianischen Künstlerschaft geplante prunkvolle Leichenfeier nach dem Vorbilde derjenigen, welche die Florentiner dem Michelangelo veranstaltet hatten, mußte wegen der Pest unterbleiben.
Über der Gruft Tizians erhebt sich jetzt ein stattliches Grabmal, das Kaiser Ferdinand I. von Österreich im Jahre 1839 stiftete und das im Jahre 1852 vollendet wurde: ein mit vielen Figuren und mit Reliefnachbildungen von Gemälden des Meisters geschmückter Marmorbau.
Orazio Vecellio, den Tizian zu seinem Erben eingesetzt hatte, erlag wenige Wochen nach dem Vater der Pest. Während er im Lazarett lag, wurde aus dem leerstehenden Hause ein großer Teil der beweglichen Habe von Dieben fortgetragen. Der nunmehrige Erbe Pomponio beeilte sich, das Vermögen durchzubringen, das Tizian in achtzig Jahren fleißiger Arbeit erworben hatte.
[1] Das herrliche Gemälde bereitet der photographischen Aufnahme ungewöhnliche Schwierigkeiten. Die beste Wiedergabe desselben befindet sich in der vortrefflichen Veröffentlichung „Die Meisterwerke des Museo del Prado in Madrid“, welche die Photographische Gesellschaft in Berlin ihrer ebenso dankenswerten vorzüglichen Veröffentlichung der Meisterwerke der Ermitage zu Petersburg vor kurzem hat folgen lassen.