The Project Gutenberg eBook of Aristipp in Hamburg und Altona: Ein Sitten-Gemälde neuester Zeit This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Aristipp in Hamburg und Altona: Ein Sitten-Gemälde neuester Zeit Author: Eugen von Hammerstein Release date: August 11, 2017 [eBook #55345] Most recently updated: October 23, 2024 Language: German Credits: Produced by the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This book was produced from scanned images of public domain material from the Google Books project.) *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK ARISTIPP IN HAMBURG UND ALTONA: EIN SITTEN-GEMÄLDE NEUESTER ZEIT *** #################################################################### Anmerkungen zur Transkription Der vorliegende Text wurde anhand der 1840 erschienenen Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Ungewöhnliche und altertümliche Schreibweisen sowie Zeichensetzung, welche nicht mehr dem heutigen Standard entspricht, wurden nicht korrigiert, insbesondere wenn diese im Text mehrmals verwendet wurden. Regionale Ausdrücke bleiben gegenüber dem Original unverändert; fremdsprachliche Zitate wurden nicht korrigiert, sofern das Verständnis des Texts dadurch nicht beeinträchtigt wird. Umlaute in Großbuchstaben (Ä, Ö, Ü) wurden im Original durch deren Umschreibungen (Ae, Oe, Ue) dargestellt; dies wurde im vorliegenden Text so beibehalten. Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Bearbeiter eingefügt. Die von der Normalschrift abweichenden Schriftschnitte wurden in der vorliegenden Fassung mit den nachfolgenden Sonderzeichen gekennzeichnet: kursiv: _Unterstriche_ gesperrt: +Pluszeichen+ Antiqua: ~Tilden~ Das Caret-Symbol (^) kennzeichnet einen hochgestellten Einzelbuchstaben. #################################################################### Aristipp in Hamburg und Altona. Ein Sitten-Gemälde neuester Zeit. Vom Freiherrn Eugen v. Hammerstein, Verfasser des „Eduard,“ der „Memoiren,“ „Frankreich und seine Revolution“ u. s. w. Motto: +Faust.+ „Wohin soll es nun gehn?“ +Mephist.+ „Wohin es dir gefällt.“ „Wir sehn die kleine, dann die große Welt, „Mit welcher Freude, welchem Nutzen, „Wirst du den Cursum durchschmarutzen.“ Goethe. Celle. Verlag von E. H. C. Schulze. 1840. 1. Erste lustige Fahrt. Aristipp und Hippias. Das Hôtel der Madame Grünbein in Ottensen. Altona. Die Königsstraße. Hammerich und Lesser. Fr. Clemens. Die kleine Catharinenstraße. Der Keller des Herrn Ahl. Gespräche zwischen Aristipp und Hippias über Journale, Zeitungen, Literatur und Literaten. Die Buchhandlung des Herrn Georg Blatt. Unterredung zwischen Hippias, Aristipp und Herrn Georg Blatt. Der Keller des Herrn Kerkhoven. Unterredung zwischen Aristipp und Herrn Moses Samson über die Israeliten. Der Baron und Gipsy. Altonaer Klatscherei. Der Baron, Aristipp und Hippias. Geschichte des Barons und des Herrn von Pichmeier. Die Erfrischungshalle. Die Schenkmamsellen. Fräulein Brettomani und Demoiselle Henriette. Gedichte des Barons, Hippias und Aristipps. Das Hôtel Petit und Herr Herrmann Bleicamb. Gespräche über Clemens Gercke. Das Holländische Caféehaus. ~Mynheer Ianssen.~ Mlle Jeanneton, Thereson und Linon. Der wunderbare Mann. Der Baron und der Holländische Doctor-Capitän. Die englischen Schiffscapitäne. Promenade. Lieschen. ~London-Tavern~ bei Heitmann. Geschichte des armen Lieschen und Hippias. Raisonnements. Eines Morgens befand ich mich in meinem Zimmer in Altona, als ich die Bothschaft erhielt, sogleich nach Ottensen zu Madame Grünbein zu kommen, weil mein Freund Hippias dort angelangt sei. Ich eilte hin und trat mit folgenden Worten, lachend, in seine Stube: „Aber sage mir, wie kommst du dazu in diesem Nonnenkloster abzusteigen?“ „Aus dem einfachen Grunde, weil mir dieses Gasthaus durch eine Holsteinsche Klosterdame empfohlen worden. Uebrigens bereue ich es nicht hier abgestiegen zu sein, denn es schläft sich hier vortrefflich; Alles ist ruhig, der Garten hinter dem Hause schön und die Wirthinnen unterrichtet, zuvorkommend und hübsch. Genug hiervon. Und nun, Freund Aristipp, ist es deine Sache die wenigen Tage, welche ich in Altona bleiben werde, mich auf eine angenehme Weise hinbringen zu lassen. Ich bin gekommen um mich hier zu amüsiren.“ „Dich in Altona zu amüsiren? Nun, bei Gott, der Gedanke ist nicht übel! Glaubst du denn, daß irgend ein Menschenkind von Stande sich je in Altona amüsirt hätte? Unter uns Hippias, du bist zu vornehm um dich amüsiren zu dürfen, du hast hier Verwandte und Bekannte die es dir nie vergeben würden, +wenn+ du dich hier amüsirtest. Dein Name wird schon in der Fremden-Liste stehen, und so kannst du gewiß sein, daß jeder deiner Schritte hier bemerkt, bekrittelt und beklatscht werden wird.“ „Gut. Wie beginnst du es denn aber um deine Zeit hier angenehm hinzubringen, da du in gleichen Verhältnissen mit mir stehst?“ „Ich setze mich über alle Nachreden hinweg; frequentire nicht die gute Gesellschaft; mache keine Visiten; lebe auf meine eigene Hand und suche meinen Trost in meiner Freiheit, bei meinen Büchern und meine Erholung in Bachus und in der Freude Armen. Ich bin ein Mann des Volkes. Ich besuche alle öffentliche Oerter, die Hütte des Armen. Ich spreche mit Jedermann; genieße das Leben und studiere bei meinen Orgien und Bachanalien den menschlichen Verstand; das menschliche Herz; Lebensweisheit. Jeder Mensch ist für mich ein Blatt aus dem ungeheuren Lehrbuche der Schöpfung; daher mir interessant, wichtig. Deßhalb mische ich mich unter das +Volk+ und beobachte die Handlungen, den Gemüthszustand, die Ansichten und die Stufe der Bildung des gemeinen Mannes. Es läßt sich nicht läugnen, daß ein kluger Minister viel Verstand und Kenntnisse besitzen muß; daß ein Justizrath, ein Regierungsrath, ein Advocat, ein Professor, ein Polizeiminister Kenntnisse, Einsichten und Verstand besitzen muß. Häufig trifft es sich aber, daß der gemeine Mann, oder das +Volk+ in seiner einfachen Art Gegenstände aufzufassen, eine schärfere Urtheilskraft beweist als alle jene Gelehrte und Studierte. Aus diesem Grunde bin ich ein Mann des +Volkes+ geworden. Nicht aber, weil ich ein Republikaner, oder ein junger Deutscher bin, wie man es glauben könnte. Das war ich nie und werde es nie! Die vornehme Sippschaft, obgleich ich zu ihr gehöre, hasse ich, weil sie nie und nimmer veraltete Vorurtheile ablegen wird, und nimmer dem Menschen oder dem gemeinen Manne oder dem Volke gleiche Rechte mit den privilegirten Ständen zugestehen wird.“ -- -- „Verzeihe es mir, Aristipp, wenn ich dich unterbreche. Deine Suade ist mir zu bekannt, als, daß ich nicht befürchten müßte, ließe ich dich zu reden fortfahren, wir würden den ganzen Tag hier in Ottensen versitzen. Das ist nicht meine Meinung. -- Du kennst mich überhaupt gut genug um davon überzeugt zu sein, daß deine Gesellschaft mir lieber ist, als jede andere. Dich zu sehen; mit dir zu sein bin ich hieher gekommen. Wo du mich hinführest, da gehe ich hin. Du weißt, daß wir Jugendbekannte, Verwandte, Universitätsfreunde, Militärs und Schriftsteller waren und sind; was dem Einen gefällt, gefällt folglich dem Andern. Und nun entwirf den Plan unseres Taglaufes.“ -- „Wenn du so willst, so ist er schon fertig. Ich werde dich überall hinführen wo guter Wein, gutes Essen zu haben ist, und dir manche hübsche Mädchen und Frauen zeigen. Wir werden Gelegenheit haben einige gleichgesinnte Bekannte zu treffen, und wollen uns bemühen jeder Sache oder jedem Gegenstande, die oder der uns auf unserer Fahrt aufstoßen sollte, die +wahre+ Seite abzugewinnen. Hier in Ottensen wüßte ich dir nichts zu zeigen. Klopstocks Grab wollen wir betrachten, wenn wir zurück kommen und ernster gestimmt sind. Rainvilles Garten kennst du. Das Gebäude, die Anlagen und die Aussicht sind dort wunderschön; aber da ist kein Leben, kein Treiben! Wir wollen den Menschen studieren. Gehen wir.“ Nach diesen Worten ergriffen Hippias und ich Hut und Stock; traten aus dem Grünbeinschen Hôtel; schritten quer über den großen Platz die Allee nach Altona hinunter und befanden uns bald in der Königsstraße der friedlichen Stadt zweiten Ranges des Königreiches Dänemark, oder, um mich besser auszudrücken, in der +ersten+ Stadt des +Herzogthums Holstein+. Ich erlaube mir dieses hervorzuheben, weil es ein anmaßender Gedanke des Dänen ist, Holstein als eine dänische Provinz zu betrachten, da Holstein mit Dänemark in +keiner andern Beziehung und Gemeinschaft steht+, als daß der Herzog von Holstein, König von Dänemark ist. Die Holsteiner als Dänen zu betrachten, würde ebenso falsch und lächerlich sein, als wenn man unter der Regierung Wilhelms des Vierten die Hannoveraner Engländer genannt, und Hannover als ein von England abhängiges Königreich hätte betrachten wollen. -- Hippias und ich gingen bei der Buchhandlung von Karl Aue, der Buchdruckerei und Verlagshandlung von Hammerich und Lesser, der Leihbibliothek von Lesser vorüber. „Hier wohnt Karl Aue und Hammerich und Lesser,“ bemerkte ich. „Schriftsteller, wie wir, empfinden immer ein gewisses Hochachtungs-Gefühl, wenn wir vor einer großen Buchhandlung vorbeigehen. Es müßte ganz angenehm sein dort verlegt zu werden, nicht wahr? Die Hammerichsche Verlagshandlung hat einen bedeutenden Ruf in Europa. Hammerich ist ein thätiger Mann und weiß die Verlags-Artickel richtig zu beurtheilen. Auch der Freihafen erscheint dort.“ „Eine Empfehlung für beide. Der Name des Verlegers thut oft soviel, als der Name des Schriftstellers. Ein Werk, das bei Hammerich und Lesser, oder bei Hoffmann und Campe verlegt worden, bedarf keiner weitern Empfehlung.“ „Du machst den Herrn ein großes Compliment; jedoch pflichte ich dir bei. Die Lessersche Leihbibliothek ist außerdem im ganzen Lande berühmt, und hat den Vorzug, daß man in ihr fast täglich Fr. Clemens antrifft, welcher dort die neuesten Werke liest.“ „Wer ist das?“ „Fr. Clemens! Clemens Gerke! da fragst du noch? Hast du denn nicht seinen „Spatziergang durch Hamburg;“ sein „Bei Nacht und Nebel;“ seinen „Jacob Stainer“ gelesen!? Du bist weit zurück. Ich rathe dir, auf alle Fälle, diese Bücher zu lesen. Du wirst in ihnen eine starke, männliche, wilde Phantasie finden, richtige Ansichten des Lebens und ein hochherziges Gemüth.“ „Ich werde deine Empfehlungen gewiß beachten, du scheinst sehr von diesem Manne eingenommen zu sein?“ „Du wirst es auch sein, wenn du seine Schriften gelesen, noch mehr aber, wenn du ihn selbst persönlich kennst und seine Ansichten und Grundsätze von ihm selber aussprechen hörst. Sie sind zeitgemäß, richtig und edel. Ueberhaupt, lieber Freund, obgleich ich ein ~aimable roué~ bin; so hat sich doch bei mir nie das Gefühl, die Empfänglichkeit für das Große, das Schöne, das Heilige, die Tugend und das +Achtbare+ verloren. Wie hoch muß ich daher einen Mann schätzen, der von dem Grundsatze ausgeht: +jeder Schriftsteller muß sich als Lehrer des Volkes betrachten, und wie sein Wort, das er an das Volk richtet, rein und edel sein muß; so muß auch sein bürgerlicher Lebenswandel rein und makellos sein+.“ „Dein Clemens hat Recht, Aristipp. Das köstlichste Getränk aus einem schmutzigen, unreinen Gefäße angeboten, widert an. Du erregst meine ganze Neugierde diesen Mann kennen zu lernen, weil es so selten ist, in dem genialen Schriftsteller auch den sittlichen, moralischen Menschen achten und lieben zu können! Wir werden den Clemens wohl in den geselligen Cirkeln antreffen können.“ „Clemens Gerke! Du hast gut sprechen! Er ist nicht hochgeboren; nicht reich; kein graduirter Doctor! Er ist nur ein simpler Musikant, der noch dazu in einem öffentlichen Locale in St. Pauli spielt! Wie könnten die +anerkannten Soliditäten+, aus denen die hiesige, höhere Gesellschaft besteht, einen Mann in ihren Kreisen sehen, dessen Amati zum Tanze der Mädchen und lustiger Matrosen spielt!!! Guter Freund! Auf die +Schaale+ kommt es hier an, nicht auf den +Kern+! Der Mann, seine Talente, gelten nicht, nur sein Titel; seine Firma oder sein Reichthum!“ „Was verstehst du unter dem Ausdrucke: +anerkannte Soliditäten+?“ „Das sind erstens alle Leute, welche Geld genug haben um „insgeheim“ ihre menschlichen Schwächen zu befriedigen; ihre Fehler und Lüste mit silbernem oder goldenen Mantel zu bedecken, und daher vor der Welt als moralische, sittliche Männer auftreten. Zweitens Alle jene Leute, welche den Schein beobachten; die durch fleißiges Kirchengehen, Armen- und Krankenhäuser Besuchen; dadurch, daß sie Gott, Christum, Tugend, Thätigkeit und Grundsätze stets im Munde führen, ihren Ruf als heilige und christliche Menschen begründet haben. Drittens die ganze Masse von ältlichen Frauenzimmern, heirathet oder nicht, die, weil sie nicht mehr sündigen können, weil Niemand sie zu verführen strebt, nichts anders thun, als ihre +wohlfeile+ Ehrbarkeit und Tugend hervorzustreichen und über ihre Mitmenschen herzufallen. Zu dieser Classe gehören noch ausgemergelte Junggesellen, und diejenigen Ehemänner, welche in ihrer Jugend die leichtsinnigsten und ausschweifendsten waren, und es den jungen Männern nicht verzeihen, daß sie Fehler begehen, welche sie selbst begingen. Ein ander Mal mehr hiervon.“ „Wir sind grade vor einer Colonial-Waaren-Handlung, wo es gute Cigarren giebt. Laß uns hineingehen.“ Wir traten in das Haus des Kaufmanns, wo ein reinlich gekleidetes, rothbackiges Ladenmädchen uns ein Dutzend Cigarren und für einen Doppelschilling Schnupftaback verabreichte. Während ich bezahlte betrachtete Hippias ein Päckchen Taback, welches auf dem Ladentische lag und zeigte es mir. Das Päckchen war in ein Papier gehüllt, auf welchem vier rauchende Männer abgebildet waren, die um einen Tisch herum saßen und folgende sinnreiche Bemerkungen machten, die über ihren Köpfen zu lesen waren: Der Eine sagte mit zufriedener Miene: „De Taback“ -- Der Andere: „is got von Schmack“ -- Der Dritte fragt neugierig: „wo köpt ji de?“ -- worauf der Vierte erwiederte: „bi Sauké.“ Wir kauften der Merkwürdigkeit wegen dieses Päckchen; verließen das Haus, nachdem wir einige Blicke auf die schöne Besitzerin desselben geworfen hatten, welche in einem Nebenzimmer, in dessen Thüre ein Glasfenster angebracht war, mit weiblicher Arbeit beschäftigt saß. „Eine wunderschöne Frau,“ bemerkte Hippias weggehend. „Was noch mehr zu bewundern ist“ antwortete ich, „ist, daß sie ebenso tugendhaft, als schön ist. Sie hat zwei Schwestern von denen man dasselbe sagen kann. Das schöne Geschlecht in Altona ist überhaupt solide.“ Als wir noch einige Minuten stehen blieben, fragte Hippias: „Wie heißt die Straße, welche hier von der Königsstraße abgeht?“ „Die kleine Catharinenstraße. Eine für mich merkwürdige Straße. Alle jene Häuser, die du an der rechten Seite erblickest, gehören einem Herrn Bettac, der eine englische Grammatik herausgegeben hat. Ferner wohnt in dieser Straße ein ebenso edler, als genialer, gescheuter als unterrichteter, eben so glücklich gewesener, als jetzt unglücklicher Mann; der Tausenden geholfen und dem Niemand mehr hilft; für den ich die ganze Welt um Hülfe anflehen mögte, weil er mir selbst in meinem Unglücke geholfen!“ „Und warum hilft man ihm denn nicht?“ „Weil er nicht zu den +anerkannten Soliditäten+ gehört.“ „Die Catharinenstraße ist mir auch noch dadurch angenehm, daß in dem vierten Hause von hier ein Lehrer der englischen und französischen Sprache wohnte, dessen Frau sehr liebenswürdig war. Ich hatte in diesem Hause Zutritt und habe da manchen genußreichen Abend in der Gesellschaft der feurigen Wally; der niedlichen Sophie und der koquetten Marie verbracht. Außerdem lernte ich in diesem Hause den Herrn von Hammerstein kennen, der damals durch die Herausgabe seiner Memoiren viel Aufsehen erregte und nachher Alles durch seine Liebeshändel und tollen Streiche wieder verdarb. Ich habe dir manches Interessante über ihn und jene Damen mitzutheilen, was zu seiner Zeit geschehen soll.“ „Du kennst also diesen Menschen genauer? Was denkst du über ihn?“ „Es ist nicht leicht, lieber Hippias, über einen Menschen ein +entschiedenes+ Urtheil zu fällen. Um Jemanden, dessen Leben, Thaten und Treiben richtig beurtheilen zu können, muß man die Vergangenheit, den gegenwärtigen Zustand desselben, seine Hoffnungen für die Zukunft genau kennen. Erziehung, Geburt, Temperament des Menschen sind außerdem wohl zu beachten. Ich denke von diesem Manne, wie von allen ungewöhnlichen Männern, das Beste und das Schlimmste. Der Herr von Hammerstein hat zwei große Fehler: Die Liebe zum Wein und zu dem schönen Geschlechte. Was ihm aber noch mehr schadet, das ist, daß er keine Mördergrube aus seinem Herzen macht, und nicht zu den anerkannten Soliditäten gehört.“ Wir gingen weiter. „Bemerkst du wohl jenes Haus, Hippias,“ sprach ich, „dessen Façade gänzlich mit Weinlaub umzogen ist?“ „Ja wohl.“ „Gut. In diesem wohnt ein braver Mann. Ein Mann, der fähig ist sein Leben tausendmal zur Rettung seines Mitmenschen in die Schanze zu schlagen; dessen Manieren und Sprache aber nicht die des ~bon ton~ sind. Ich mache dich auf diesen Mann aufmerksam, weil es mir immer wohlthut in unserm entarteten Zeitalter einem Kraftmenschen, einem Urmenschen zu begegnen, der, wie ein Granitblock unter den ihn umgebenen Sandhügeln, unerschütterlich feststeht.“ „Du bist ein vortrefflicher Cicerone, Aristipp. Du kennst beinahe die Bewohner eines jeden Hauses. Was mich aber am meisten freuet, ist, daß du die guten Seiten der Menschen hervorhebst. Eine seltene Tugend in unsern Zeiten.“ „Von mir wollen wir einandermal sprechen. Betrachte hier die Hutfabrik des Herrn Dubbers, dessen Filze ebenso dauernd, als er selbst betriebsam und wohlthätig ist. Es ist sonderbar, daß in einer Stadt, wie Altona, die die größten Privilegien hat, so wenig Fabriken anzutreffen sind! Die Regierung läßt es nicht an Aufmunterungen fehlen -- aber wohl fehlt der Unternehmungs-Geist den Bewohnern. Und nun, mein lieber Hippias, nahen wir einem Orte oder einem Hause, wo ich nicht vorübergehen kann. Ich bringe dich jetzt in einen +Keller+. Fürchte dich nicht vor diesem Souterrain. Man ist dort gut aufgehoben. Sieh nur hin! Vor dem Keller siehst du schon den hübschen, blondgelockten Küper stehen. Bemerke nur wie die Blicke der vorübereilenden Mädchen auf dem schmucken Burschen verweilen. Wahrlich! nicht Alle holen dort den Wein um des Weines wegen. -- Doch wir sind da!“ Noch einige Schritte und wir befanden uns in dem Keller des Herrn Ahl. Ein reinliches Zimmer empfing uns. Vier Tische standen in demselben. An drei Wänden des Zimmers liefen mit Leder beschlagene Bänke einher. An der vierten Wand stand ein Ofen. Kein Körnchen Staub war auf Tischen und Bänken zu bemerken; auf den Tischen keine Spur gestandener Gläser zu sehen. Alles war einfach, reinlich und nett. Auf dem ersten Tische, rechts, wenn man in das Zimmer tritt, lagen eine Menge Zeitungen, Journale geordnet in einer Reihe; der Titel eines jeden derselben war auf dem obern Blatte zu lesen. An diesen Tisch setzten wir uns. „Und nun zwei Gläser feiner Röthe! Eduard!“ „Zwei Durchschnitte oder einen Pohlschen?“ fragte der Küper. „Zwei Durchschnitte.“ Einige Minuten später und das Geforderte stand vor uns. In den schönen, blanken Gläsern strahlte uns der köstliche ~Bordeaux~ purpurroth entgegen. „Komm, Hippias! koste diesen vortrefflichen Wein. In ganz Hamburg und Altona giebt es keinen bessern! Welch ein Bouquet! Ist es doch grade, als ob Einem ein seidenes Tuch durch die Kehle gezogen würde! -- Nun, Eduard, wie geht es?“ „Immer beim Alten, Herr Aristipp. Aber Ihnen? Man hat sie ja in einer Ewigkeit nicht gesehen! Wir glaubten Sie wären krank.“ „Nein, Eduard, ich war auf dem Lande.“ „Sie ruhten sich wohl etwas von den Strapatzen der Stadt aus. Es haben sich mehre Leute nach Ihnen recht angelegentlich hier erkundigt.“ „So? Also die Leute beschäftigen sich noch mit mir? Das ist mir lieb. Was würde auch aus Altona werden, wenn es nichts zu schnacken hätte!“ „Sie sollen in Wandsbeck gewesen sein, beim Wettrennen und dort viel Geld verloren haben, wurde neulich Abend hier erzählt!“ „Vortrefflich! Ich habe nie einen Fuß nach Wandsbeck gesetzt, und kenne von dem ganzen Dinge nur den Wandsbecker Boten. Es ist mir übrigens sehr einerlei, was die Menschen von mir reden. Die Stimme des Publikums, die öffentliche Stimme, geht in unsern Tagen nicht mehr vom +Volke+ aus. Im allgemeinen ist es nur eine +gewisse Kaste+, die die öffentliche Meinung beherrscht. Neid, Verläumdung, Klatscherei, Bigotterie gehen immer Hand in Hand, und wer kein Betbruder, Mystiker oder Harmsianer ist, der kommt schlecht weg. Sie würden wohl thun, Eduard, uns noch zwei Durchschnitte zu geben.“ Der Küper ging; brachte die Gläser; stellte sie vor uns hin und zog sich alsdann bescheiden zurück. Hippias hatte unterdessen eine Zeitung genommen und durchblätterte sie. „Du findest hier alle mögliche Journale und Zeitschriften sprach ich nach einigen Augenblicken. Man könnte diesen Keller ein Lese-Cabinet nennen. Hier hast du die „Hamburger Neue Zeitung.“ Ein vortreffliches Blatt, das täglich älter wird, und doch immer neu bleibt. Wenn ich nicht irre, so werden die französischen und englischen Artikel von dem Doctor Fr. Wille redigirt. Ein gescheuter, kraftvoller, freisinniger Mann, eben so treffend, als richtig in seinem Urtheile. Ferner hast du hier den „Altonaer Mercur,“ der seinen ~morning-dress~ abgelegt hat, weil er nicht mehr haltbar war, und nun im ~evening-dress~ erscheint, nachdem er sich unter das mächtige Gestirn des freidenkenden Wienbarg begeben, und durch diese literarische Notbalität mehr populär und gelesen wird. Weiter findest du hier die „Hamburger Nachrichten.“ Brav und kurz geschrieben; ihrem gemeinnützigen Zwecke entsprechend. Das „Itzehoer Wochenblatt“ setzt dich von den innern holsteinschen Streitigkeiten und theologischen Fehden ~au fait~. An seiner Vignette erkennst du gleich den populären „Freischütz.“ Die Braunschweigsche National-Zeitung mit ihrem Motto: ~Nunquam retrorsum~, beweist dir, daß das Motto allein nichts hilft, wenn der Inhalt nicht mit demselben harmonieren darf. Schade, daß dem kräftigen Hermes so sehr die mächtigen Schwingen seines Geistes beschnitten werden! Jetzt findest du noch hier den aufmerksamen „Hamburger Beobachter;“ „den Freihafen,“ berühmt durch Beiträge von König und Varnhagen von Ense, und außerdem eine Menge von Modeblättern und Zeitungen für gebildete Stände. Nur zwei Zeitschriften vermisse ich hier ungerne: den Hamburger Unpartheiischen Correspondenten, und die kritischen und literarischen Blätter der Börsenhalle, in welchen Franz v. Florencourts treffliche Feder einem jeden deutschen Recensenten lehrt, wie man recensiren +sollte+.“ „Meiner Meinung nach, Aristipp, ist Wolfgang Menzel der erste deutsche Kritiker; wenn er auch zuweilen etwas zu persönlich wird. Es ist leider bei den jungen Literaten häufig der Fall, daß sie nicht das Werk, sondern die Person des Schriftstellers kritisiren; in diesen Fehler verfällt auch zuweilen dein Florencourt, wenn gleich ich sonst ganz deiner Meinung über ihn bin. Ich finde nichts Unpassenderes als dem ganzen lesenden Publiko die Schwächen, oder die Fehler eines Schriftstellers herzuzählen und ihn dadurch in den Augen desselben herunter zu setzen. Ich habe mich deßhalb heute sehr über dich gefreut, Aristipp, weil du, bis jetzt nur Gutes von allen Leuten, die du mir nanntest, geredet hast. Um so mehr hat es mich erfreut, weil ich weiß, daß du meistens von allen Menschen heruntergerissen und getadelt wirst. Wie bist du zu dieser Selbstüberwindung, zu dieser weisen Mäßigung gekommen?“ „Gerade, weil ich vielfach angegriffen und getadelt worden bin. Ich fand, daß der meiste Tadel, welcher mich traf, nur auf Hörensagen beruhte; ungerecht war. Ich sah ferner ein, daß es nichts Leichteres gäbe, als Fehler an seinen Mitmenschen zu entdecken; sie tausendfach zu vergrößern und zu entstellen; ich fand ferner, daß nichts kleinlicher sei, als sich zu rächen, und, daß es dem edlen Manne bei weitem eher zieme die +guten Seiten+ seiner Mitbrüder zu erforschen und an das Tageslicht zu fördern, als sich durch beißende Bemerkungen in den Ruf eines klugen Mannes zu setzen. Aus diesem Grunde spreche ich über Niemanden schlecht. Werde ich aber aufgefordert in einer Sache von Wichtigkeit mein Urtheil über Jemanden zu fällen, so thue ich es kurz; der reinen Wahrheit gemäß.“ „Du sprichst wie ein Buch, Aristipp. Bei einem so guten Glase Wein, wie dieses, hört sich gern ein gutes Wort. Du hast Recht. Wenn die Menschen ebensoviel thäten um sich das Leben angenehm zu machen, als sie thun um es sich zur Hölle zu schaffen und sich gegenseitig zu zerfleischen und zu erniedrigen, so würden sie zehntausendmal glücklicher sein. Woher aber kommt es, daß dieser Keller so wenig besucht ist? Wir sitzen hier schon eine geraume Zeit und bisjetzt kam noch Niemand.“ „Die Ursache deiner Befremdung will ich dir erklären. Sie liegt in der Persönlichkeit und in der Stellung des Besitzers unter seinen Mitbürgern. Herr Ahl ist ein äußerst rechtschaffener Mann, sehr klug aber eigen. Er besitzt Kenntnisse; ist Meister seiner Muttersprache und spricht das Französische in seltener Vollendung. Er hört sich daher gern in dieser Zunge reden. Außerdem hat er die gute Eigenschaft, daß er gerne mit gebildeten Männern umgeht, um sich selbst noch mehr auszubilden. Eine Eigenschaft, die man nicht oft bei Männern findet, die eine halbe Million im Vermögen haben. Ein anderer guter Zug dieses feinen Weinhändlers ist, daß er unglückliche Genies unterstützt, wenn sie es verdienen. Bei den Gesinnungen des Herrn Ahl ist es ihm nun durchaus nicht einerlei +wer+ seinen Keller frequentirt. Da er selbst durch sein Vermögen und seine moralischen Eigenschaften eine höchst achtbare Stellung unter seinen Mitbürgern einnimmt, so ist es natürlich, daß sein Keller nur von solchen Männern besucht wird, die ihm conveniren, und, daß unter den Stammgästen seines Kellers, die sich gewöhnlich nur des Abends einfinden, Verstand und +Kopf+ nie fehlen dürfen. Ich selbst bin während einer geraumen Zeit fast täglich hier gewesen; habe manche angenehme Stunde mit Herrn Ahl zugebracht; demselben meine literarischen Producte mitgetheilt, und viele treffende Bemerkungen von ihm entgegen genommen. Nie habe ich in diesem Keller einen Streit gehört; nie einen Betrunkenen gesehen! Man kann daher, mit Recht, denselben einem jeden Fremden empfehlen, denn man findet hier: guten Wein, eine gute Gesellschaft und einen höchst ehrenwerthen Wirth.“ „Es ist gewiß, daß der moralische Werth eines Mannes einen großen Einfluß auf seine Umgebung hat. Der gemeine, rohe, unsittliche Mann wird sich immer durch die Gegenwart eines Ehrenmannes belästigt finden, weil ein innerer Zwang ihm verbietet seine Gemeinplätze, seine Zweideutigkeiten vor einem solchen Manne laut werden zu lassen. Es ist daher sehr natürlich, daß ein gemeiner Mensch es nicht wagen wird einen Keller zu besuchen, wo ein Mann, wie du den Herrn Ahl mir schilderst, den Ton angiebt.“ „Wenn ich diesen Augenblick darüber nachdenke, lieber Hippias, wie wir hier in diesem Keller zusammen sitzen, und über jeden Gegenstand eine ernste Betrachtung uns gegenseitig mittheilen; so kann ich nicht umhin zu gestehen, daß es wohl wenige Menschen giebt, die unter unsern Keller-Gesprächen eine so tiefe Bedeutung versteckt glauben würden. Ich bin fest davon überzeugt, daß unser heutiger Cursus uns noch manche lehrreiche und unterhaltende Gegenstände vorüber führen wird, und da ich ein sehr gutes Gedächtniß habe, so werde ich mir Alles gehörig notiren, und dann weiter ausarbeiten. Die größte Schwierigkeit würde wohl für uns sein einen Verleger zu finden, da so unendlich viel in Deutschland geschrieben wird. Außerdem stehe ich mit sehr wenigen Literaten in Verbindung, die ich auffordern könnte die Verleger für mich zu bearbeiten oder mein Werk „im Voraus“ lobhudelnd anzupreisen.“ „So müssen wir wohl unser Glück selbst versuchen und dem richtigen Urtheile der Verleger vertrauen.“ „Das ist auch meine Ansicht. Ich finde, daß nichts natürlicher ist, als, daß junge angehende Schriftsteller eine große Achtung vor älteren, berühmten, literarischen Autoritäten haben müssen, aber sie müssen auch Zutrauen zu sich selbst haben. Glaube mir Hippias, wenn ich Etwas geschrieben habe; so sagt mein eigenes Gefühl es mir, ob es gut oder schlecht sei, und ich bedarf des Urtheils eines andern Literaten nicht. Bei den Buchhändlern helfen auch die Empfehlungen literarischer Notabilitäten wenig. Ich mögte auch von keinem Verleger verlegt werden, der durchaus kein eigenes Urtheil über mein Werk hätte. In frühern Zeiten war das etwas Anderes. Jetzt ist aber der Buchhändler selbst eine literarische Person und bedarf nicht eines fremden Urtheils. Wir haben hier gleich eine Buchhandlung in der Nähe, wo wir unser Glück probiren können.“ Nachdem unsere Gläser geleert waren, begaben wir uns auf die Wanderschaft. Einige Schritte von dem Keller des Herrn Ahl entfernt, sahen wir in die Mörkenstraße hinein, aus welcher uns das Aushängeschild der Königlich privilegirten Buchhandlung von Georg Blatt entgegenstrahlte. -- Wir begaben uns in diese Buchhandlung. Ein junger, wohlgewachsener, blondhaariger, sehr elegant gekleideter Mann, die Feder hinter dem Ohre, empfing uns unter vielen Bücklingen und erwiederte auf unsere Frage: „ist Herr Blatt zu Hause?“ mit lispelnder Stimme: „zu dienen, der bin ich selber. Was wäre Ihnen gefällig?“ Wir sahen uns jetzt gegenseitig verlegen an; errötheten, wie alle junge Schriftsteller, wenn sie vor dem Manne stehen, der ihnen die Unsterblichkeit zu sichern im Stande ist, und ihre, meistens leere Börsen wieder anfüllen kann. Endlich faßte ich Muth und sagte: „Wir sind gekommen, Herr Blatt, um Sie zu fragen, ob Sie nicht Lust hätten ein kleines Werk über Altona und Hamburg in Verlag zu nehmen?“ Die heitere Miene, mit welcher Herr Blatt uns empfangen, wich einer ernstern. Einige Falten zogen sich auf seiner Stirne zusammen. Er trat einige Schritte zurück und bewegte unwillkührlich seinen rechten Arm indem er seinen Oberkörper von einer Seite zur andern balancirte. Darauf sprach er: „Muß recht sehr bedauern, meine Herren, -- ich bin nur ein junger Anfänger -- habe mit meinen ersten Verlagsartikeln vielen Schaden gelitten -- darf mich nicht vom Gelde entblößen. -- Ich würde den Herren rathen nach Hoffmann und Campe zu gehen. Die würden wohl die Einzigen seien, welche auf etwas Belletristisches sich einlassen könnten.“ „Aber, Herr Blatt, das Werk würde gewiß in Altona und Hamburg vielen Abgang finden, denn es ist sehr frei, beißend geschrieben und wimmelt von Persönlichkeiten.“ Versetzte Hippias. „Um so weniger darf ich mich darauf einlassen. -- Ich bin ein Altonaer Bürger und darf es nicht mit meinen Mitbürgern, noch mit dem Polizeimeister verderben. Ja wäre es ein statisches Werk, ein Buch über Agricultur, Schaaf- und Viehzucht, dann allerdings, meine Herren. Aber so -- eine Satyre vielleicht? -- muß recht sehr bedauern.“ Herr Blatt lächelte. Hippias und ich lächelten auch. Wir lächelten alle drei und lächelten uns zur Thüre hinaus. Auf der Straße sahen wir uns noch einmal unwillig nach dem Schilde der privilegirten Buchhandlung von Georg Blatt um, dann gingen wir weiter. „Er hat seinen Vortheil nicht verstanden“ sprach ich. „Mein Name thut Alles.“ „Tröste dich mit Georges Sand, die drei Jahre umherlief ohne ihr Manuscript anbringen zu können.“ „Das ist was Anderes. Hier in Deutschland kommt es nur auf den Namen und den Rang eines Schriftstellers an. Ich bin überzeugt, daß der vorsichtige Blatt die Memoiren des Freiherrn v. Hammerstein nicht verlegt haben würde, wenn er nicht auf den Einfluß des Namens speculirt hätte.“ „Du magst Recht haben. Ein alter, ehrwürdiger, historischer Name ist immer ein gutes Panier; zu diesem kommen die Alliancen und Connaissancen eines Mannes von großer Familie.“ „Das ist es gerade, was mich ärgert, wenn gleich ich dieselben Ansprüche machen könnte! Doch was hilft es sich den Kopf über Dinge zu zerbrechen, die wir nicht ändern können. Ein andermal mehr Glück! -- Sieh her, Hippias, da ist ein Putzladen! Ich mag nichts lieber als diese eleganten Hütchen und Häubchen besehen, unter jedem denke ich mir ein niedliches Gesicht. Im zweiten Stocke dieses Hauses wohnt ein sehr geschickter Lithograph. Wenn du einst berühmt geworden, kannst du dich von ihm lithographiren lassen. Er ist ein braver Baier und trifft vortrefflich. Seine Frau --“ „Nun, und seine Frau?“ „Ist seine Frau. Die Frauen lasse ich gerne aus meinem Vortrage weg. Sie haben mir zu viel Gutes erwiesen, um sie partheilos behandeln zu können. Ich will es lieber mit der Polizei und dem ganzen Männervolke verderben, als mit einer einzigen Frau, und am wenigsten mit meiner eigenen, wenn ich einmal eine bekommen sollte!“ Unter diesem Gespräche gelangten wir bis zu dem Keller des Herrn Kerkhoven. „Hier müssen wir wieder einkehren,“ sprach ich. „Hier wohnt einer meiner besten Freunde und Bekannten.“ „Wahrscheinlich +noch ein braver Mann+! Ein Kraftmensch! ein Urmensch! nicht wahr? Wenn es so fortgeht, so giebt es in Altona nur lauter brave Männer und +du+ lebst, wenn nicht in der +guten+, jedoch in der +besten+ Gesellschaft!“ „Ganz gewiß, wenn man ohne +Vorurtheil+ mich beurtheilt.“ Wir stiegen in den Keller hinab, und gelangten, nachdem wir eine schmale Flur passirt hatten, in die Weinstube. Hier waren mehre Gäste versammelt. Wir wurden von ihnen mit einem Jubel-Geschrei empfangen. Ich kannte sämmtliche Herren. „Mein Freund Hippias, meine Herren,“ sprach ich denselben präsentirend; und fuhr mich gegen Hippias wendend fort: „Dieser Herr,“ ich zeigte auf einen ziemlich starken Mann, mit vollen, rothen Wangen, der in einem braunen Oberrocke gekleidet war; aus einer kurzen, thöneren Pfeife rauchte und einen „Bittern“ vor sich stehen hatte, „ist mein Freund Moses Samson. Ein Biedermann, zwar mosaischer Religion, aber mit einem Herzen des wahren Christen würdig. Mein Freund Moses Samson; mein Freund Hippias.“ „Dieser Herr,“ sprach ich weiter, und reichte einem Manne die Hand, welcher in einem schwarzen, weiten Frack; einer weißen Weste, einer Unaussprechlichen von hellgrüner Farbe gekleidet, in einer Ecke des Zimmers saß, die Hände auf ein Bambusrohr gestützt und gleichfalls „einen Bittern“ vor sich stehen hatte, „ist mein Freund Herrmann Bleicamb. Ein Mann der früher Alles ins Große trieb; sich jetzt in das Hôtel Petit zurückgezogen hat, wo Alles Petit ist, und jetzt ein großer Mann im Kleinen genannt werden kann; weil er nie seinen Kopf verliert, und mit dem zufrieden und heiter ist, was er hat. Herr Herrmann Bleicamb; Herr Hippias.“ „Dieser Herr,“ bemerkte ich darauf Hippias einen Mann vorstellend, dessen hohe Stirne von wenigen blonden Haaren umflattert war, dessen große blaue Augen unruhig in ihren Höhlen umherrollten, und welcher das Itzehoer Wochenblatt in der Hand hielt, „ist Herr Kannegießer. Ein Mann, dem das Wohl des Vaterlandes sehr am Herzen liegt; der sich viel um die Dithmarschen Unruhen bekümmert; gerne über die Unzweckmäßigkeit der Dänischen Zolllinie redet, und überhaupt sehr viel zu raisonniren sucht. Herr Kannegießer; Herr Hippias.“ „Dieser Herr,“ sprach ich auf einen kleinen untersetzten Mann zeigend, dessen Ausdruck ebenso unternehmend, als lebendig war; der mit einigen Goldmünzen spielend vor sich einen Durchschnitt rothen Weines stehen hatte, „ist mein Freund Keball. Herr Keball; Herr Hippias.“ „Und endlich dieser hier,“ fuhr ich fort, einem vierschrötigen Manne mit krausen, schwarzen Haaren, schwarzen Augenbrauen und gelblichem Gesichte, die Hand reichend, „ist mein Freund Timm. Ein Mann, der meine vollkommenste Achtung verdient; der mir und Anderen hundertmal aus der Noth geholfen, und der schweigen kann.“ Nachdem die üblichen Verbeugungen gemacht waren, nahmen wir Platz. „Und nun, Herr Aristipp,“ unterbrach Herr Moses Samson, mit einer freundlichen Miene die eingetretene Pause, „wo sind Sie so lange gewesen?“ „Auf dem Lande, mein Bester.“ „Waren Sie auch im Dithmarschen?“ fragte Herr Kannegießer. „Mir däucht, es sieht dort schlimm aus. Was glauben Sie sonst von den politischen Begebenheiten? Bekommen wir Krieg oder Frieden?“ „Krieg bekommen wir wohl nicht so leicht,“ bemerkte Herr Moses Samson, seine thönerne Pfeife am Tische ausklopfend. „Krieg kostet Geld, und die großen Herren haben kein Geld.“ „Das ist Recht,“ meinte Herr Kannegießer, „das ist ein großes Impediment. Ohnehin kann jetzt nicht leicht einer von den großen Mächten Krieg anfangen, wenn die anderen nicht consentiren. Die großen Herrn haben zu viel in ihren eigenen Ländern zu thun. Außerdem fürchtet der Engländer den Franzosen, und der Franzos ist selbst nicht sicher in seinem Lande. Rußland und Preußen fürchten die vereinte Macht Frankreichs und Englands, und Oesterreich liebt die Ruhe. Was sagen Sie aber zu Mehemet Ali? Das ist ein braver und kluger Kerl. Sie sollen sehen es geht doch wieder los! Der Ibrahim ist ein tapferer Soldat!“ „Ach was soll das viele Schwatzen!“ rief Herr Keball, einen Doppellouisd’or in die Höhe werfend und wieder fangend. „Was gehen uns Türken und Paschas an, wenn wir nur genug zu leben haben? Der Kannegießer da, will immer mehr wissen, als andere Leute, studirt immer die Zeitungen, und bleibt doch nicht mehr und minder, als ein armseliger Stellmacher. Schuster bleib bei deinem Leisten!“ Durch diese Unterbrechung ließ Herr Kannegießer sich aber nicht irre machen, sondern fuhr fort: „Haben Sie das Itzehoer Wochenblatt gelesen, Herr Aristipp? Im Dithmarschen geht es los. Sie reißen die Häuser der Polizeibedienten nieder, und prügeln die Controleure. Uebrigens ist es auch eine Ungerechtigkeit den Dithmarschen die Zollfreiheit zu nehmen: sie haben ihre Documente darüber, und mit ihrem Blute sie erobert. Glauben Sie, daß sie sich gutwillig geben werden, Herr Aristipp?“ „Ich denke ja. Sie haben weise und tüchtige Oberbeamte, die sie durch vernünftige Vorstellungen beruhigen werden. Nach meiner Meinung kann überhaupt in +einem+ Staate keine Landschaft, noch irgend eine Classe von Menschen ein Privilegium vor der andern voraus haben. Jeder Bürger eines Staates muß gleiche Rechte haben. Dieselben Gesetze, Verordnungen, dieselbe Verfassung muß in einem Staate Anwendung finden. Und wenn aus alten Zeiten her datirende Vorrechte oder Privilegia dem einen oder dem andern Herzogthume oder Fürstenthume, oder Landschaft, oder irgend einer Kaste von Menschen zugestanden waren, so +müssen+ sie dieselben aufgeben, nachdem sie mit minder bevorrechteten Ländertheilen unter einem Scepter vereint worden sind. Einheit und Gleichheit vor dem Gesetze müssen in einem Königreiche herrschen, und nur +eine allgemeine Verfassung+ kann für alle Ländertheile, aus welchem eine Monarchie besteht, +gültig+ sein.“ „Sehr gut, mein bester Herr,“ unterbrach mich Herr Samson, „warum schließt man uns von dieser Einheit und Gleichheit vor dem Gesetze aus? Warum erkennt man uns nicht das Bürgerrecht zu? Sind wir nicht eben so gut Kinder eines Staates, wie Sie? Bürger einer Stadt, wie Sie?“ „Das liegt wohl nicht so sehr an der Staats-Regierung, als in der Staats-Religion, mein guter Moses. Kein Beweis spricht deutlicher für die Göttlichkeit des +christlichen+ Glaubens und seines Stifters, als, daß das jüdische Volk, bis auf den heutigen Tag, unter alle Völker zerstreut ist.“ „Finden Sie das aber gerecht? Ist Ihr Gott nicht unser Gott? Haben Sie nicht Ihren Gott von uns? War Christus nicht ein Jude?“ „Sehr richtig; aber sie kreuzigten ihn. Ich finde übrigens, daß der Gott der Liebe und der Barmherzigkeit längst Ihrem Volke vergeben haben müßte, und glaube, daß er es hat. Ich nehme nur einen allliebenden Vater, einen vergebenden Gott an. Diese Ansicht theilen aber nicht die orthodoxen Consistorien oder Bischöfe, die mehr das Wort, als den Geist der christlichen Lehre anwenden. Die immer weiter fortschreitende Civilisation oder die wahre Aufklärung wird aber bald, wie ich es hoffe, den Unterschied der Religionen gänzlich verschwinden lassen, und in dem rechtschaffnen Israeliten nicht den Juden sondern nur den rechtlichen Bürger betrachten. Eine Frucht dieser Aufklärung sehen Sie schon an Sich selbst, lieber Samson. Wer, in diesem Keller, dächte jemals daran, daß Sie ein Jude wären, wenn Sie nicht selbst die Rede darauf brächten? Sie sehen: die Aufklärung bahnt sich überall einen Weg und kann sie nicht von Oben durchdringen, so steigt sie aus einem Keller hervor. Die Wege der Vorsehung sind sonderbar!“ „Schön, schön!“ meinte Herr Kannegießer. „Aber mit den Juden, das geht doch nicht. Die sind nur immer auf das Betrügen aus. Geben wir ihnen das Bürgerrecht, dann sind wir Christen ganz unterdurch.“ „Wer ist daran Schuld, als wir? Warum sperren wir ihnen die Wege sich als gute Bürger zu nähren? Warum schließen wir sie von allen bürgerlichen Gerechtsamen aus? Was bleibt den guten Juden anders, als durch Handel und Wandel, wie man es nennt, zu leben, zu gewinnen? Wenn die Juden betrügen, so sind wir allein Schuld daran.“ „Was sind das für Gespräche,“ rief Herr Herrmann Bleicamb aus, der bisjetzt mit Aufmerksamkeit der Unterredung gefolgt war und mit seinen kleinen listigen Augen bald Beifall, bald Unwillen den Redenden zugeblinzelt hatte; „habt Ihr die Weisheit mit Löffeln gefressen und wollt uns hier mit diesem einfältigen Geschwätze die Ohren vollbrummen? Ist das ein Keller-Gespräch? Es ist nichts Lächerlichers, als über Politik und Religion zu sprechen! Die eine bringt einen meistens ins Gefängniß und die andere ins Tollhaus. Du da, dicker, alter Säufer! Was geht dich die Religion an? Jud’ ist Jud’ und Christ ist Christ, und nun wieder vorby! Timm! Wein her! Juden und Christen sollen leben!“ Wir riefen Alle: „hoch!“ Während dieses Toastes ließen sich starke, männliche Tritte auf dem Gange vernehmen. „Das ist der Baron!“ rief der Küper. „Der kommt zur rechten Zeit;“ meinte Herr Keball. „Nun wirds gar toll werden;“ sagte Herr Kannegießer. „Wer ist der Baron?“ fragte Hippias. „Kennen sie den nicht?“ antwortete Herrmann Bleicamb „das ist ein +Genie+.“ Die Thür des Zimmers wurde schnell aufgerissen. Ein junger Mann, dem Anscheine nach in den dreißiger Jahren von hohem Wuchse; in einem schwarzen Oberrocke gekleidet; den Hut auf dem Kopfe; eine brennende Cigarre im Munde trat in das Zimmer. Ein brauner Backenbart, welcher ~à la jeune France~ rund um das Gesicht des Neuangekommenen lief, wurde durch einen weißen Hemdkragen, der auf ein schwarzes, seidenes Tuch, welches nachlässig um den Hals geschlungen war, niederfiel, noch mehr hervorgehoben. Ein brauner Schnurrbart bedeckte die etwas aufgeworfene Oberlippe desselben; eine feine Röthe seine Wangen; aus seinen kleinen blauen Augen strahlte ein feuriger, durchdringender Blick. Eine gelbe Terrier-Bulldog-Hündin folgte ihm auf dem Fuße, den glühenden Blick ihrer treuen braunen Augen unablässig auf ihren Herrn gerichtet. „Guten Morgen, meine Herrn!“ rief der Baron eintretend, „hier geht es wohl lustig her? ~down Gipsy!~ Timm, ein Glas Portwein! War Niemand hier, der nach mir fragte? Kein Brief für mich? Schnell den Wein her! Ich bin durstig! Nun Timm, war Niemand hier?“ „Hier ist ein Brief, Herr Baron,“ erwiederte der Befragte, „und dann war gestern das kleine Mädchen hier --“ „Welches kleine Mädchen? die im gelben Kleide mit dem grünen Schleier? Schön! schön! -- Ich habe keine Zeit mehr -- ich komme bald wieder -- entschuldigen Sie meine Herren -- Bleicamb, komm mit -- ich muss mit dir reden!“ Mit diesen Worten stürzte der Baron das Glas Portwein hinunter; ergriff Herrn Herrmann Bleicamb beim Arm, machte der Gesellschaft eine vornehme Verbeugung und eilte mit jenem fort. Die treue Bulldoghündin, wahrscheinlich einen längern Aufenthalt ihres Herrn vermuthend, hatte sich unter einen Tisch gelegt, und den plötzlichen Aufbruch nicht bemerkt. Kaum aber die Entfernung desselben bemerkend, sprang sie wie rasend auf, sprengte die Thür des Zimmers, und schoß wie eine Bombe ihm nach. „Da stürzt er hin! Fort ist er!“ rief Herr Moses Samson. „Fort sind sie der Herr und sein Hund“! rief Herr Kannegießer. „Der hat wieder was im Kieker!“ rief Herr Keball. „Irgend eine schöne Frau,“ sprach Herr Kannegießer, „dazu sind unsere Frauen und Töchter gut genug, daß ein vornehmer Herr mit ihnen carressirt und sie zuletzt verführt. Ich hasse den Adel!“ „Ist doch ein guter Kerl,“ meinte Herr Moses Samson, „das genießt das Leben, weil es noch jung ist. Haben wir es anders gemacht?“ „Ja, ja!“ erwiederte Herr Kannegießer, „aber wat to dull is, dat is to dull!“ „Nun, was ist es denn Großes, was er thut? Die Weibsleute sehen ihn gern. Er ist ein schmucker Bursche! Na, thut er denn da Unrecht, Timm?“ „Das meine ich auch so,“ entgegnete der Befragte, eine neue Cigarre anzündend, „der Baron ist ein guter Mann, er ist leutselig und freundlich gegen Jedermann. Das muß man ihm lassen.“ „Wenn alle die Vornehmen so dächten wie er, dann sähe es besser in der Welt aus;“ bemerkte Herr Samson, sein Auge zum Himmel schlagend. „Das hilft mir Alles nichts“ sagte Herr Kannegießer. „Ich traue keinem Adeligen. Sie haben immer ihren geheimen Zweck, wenn sie mit uns gemeinen Bürgern freundlich thun. Entweder wollen sie unser Geld, unsere Weiber, oder sich einen Anhang unter uns bilden. Ich kenne das. Dem Baron traue ich am wenigsten. Er ist klug und thut nichts ohne Absicht. Er glaubt uns durch seine Freundlichkeit einzunehmen und zu täuschen, aber mich täuscht er nicht. Ich erkenne in ihm den größten Aristokraten; er will sich unserer versichern, auf den Fall, daß es losginge. Glaubt mir aber gewiß, so gut er redet und schreibt, er hält es +nicht mit dem Volke! das thut kein Altadeliger+. Uebrigens treibt er es zu arg und macht Schulden.“ „Was geht das dich an“ versetzte Herr Keball. „Sollst du vielleicht für den Baron bezahlen? Laß doch einen jeden thun, was er will, und kehre vor deiner eigenen Thüre. Wenn du ihn nicht leiden kannst, warum bist du denn freundlich gegen ihn ins Gesicht, und sprichst schlecht von ihm, wenn er den Rücken wendet?“ „Ich wollte ihm schon die Meinung sagen, wenn -- wenn -- er den verdammten Bulldog nicht immer bei sich hätte -- außerdem ist er oder seine Familie mit dem Oberpräsidenten verwandt -- dat helpt doch to nix.“ „Das ist das Wenigste -- aber Sie fürchten den Mann,“ bemerkte Herr Moses Samson. „Sie haben es in den Worten und nicht in der That. Es schmeichelt Ihnen, wenn Sie mit dem Baron über die Straße gehen, und hinterher reißen Sie ihn herunter. Ein +populärer+ Mann ist deßhalb kein +gemeiner+ Mann. Nichts für ungut, aber Sie sind nicht werth, daß ein Mann, +wie der+, mit Ihnen redet. Adieu!“ Herr Moses Samson legte zwei Schillinge auf den Tisch und entfernte sich. Herr Kannegießer lief einige Male das Zimmer auf und nieder; rieb sich den Kopf und stürzte dann aus dem Zimmer. Herr Keball sah ihm lachend nach, besah einige seiner Goldmünzen, drehte sie in der Hand um, und murmelte in sich hinein: „Adel, Verstand und Politiker, was sind sie Alle gegen Dieses? Das sind Moses und die Propheten.“ Darauf ging auch er. Hippias, der Küper und ich blieben alleine. „Nun, wie findest Du diesen Keller, die Gesellschaft, und wie hat Dir diese Scene gefallen?“ fragte ich nach einer Pause. „Nun, passabel!“ „Ich finde sie gut, wenn ich bedenke, daß die Gesellschaft nur aus Handwerkern von Profession bestand. Was sagst du aber zu dem Juden? Ich sage Dir einen bessern Kerl giebt es in der Welt nicht.“ „Der Jude sprach ganz vernünftig. Es freute mich, daß er die Partei des Barons nahm. Er steht aber wohl mit ihm oder seiner Familie in Handelsverbindungen?“ „Durchaus nicht. +Du glaubst also, daß in unseren Zeiten nur dann ein Mensch den andern in Schutz nähme, wenn er von ihm Vortheil gezogen oder noch zieht? Leider hast Du im Allgemeinen Recht! Wir leben in einem rein speculativen Zeitalter. Der ist ein Narr zu nennen, der seinem Gefühle und nicht seinem Vortheile folgt!+ Es ist mir +leicht+ geworden +diese Wahrheit+ einzusehen, +schwerer+ sie zu befolgen. Von Jugend aus gewohnt, edlen Gefühlen, großmüthigen Aufwallungen Gehör zu schenken, ist es mir bisjetzt noch nicht möglich gewesen die kleinlichen Berechnungen des Egoismus, des pecuniairen Vortheils zu adoptiren. Man muß dieses aber thun, wenn man in der Welt durchkommen will. Wer auf Unkosten seiner selbst seinem Mitbruder aus der Noth hilft, wird ausgelacht. Unser Zeitalter ist ein rein speculatives, commercielles, financielles. Die großartigen Ansichten des ritterlichen Zeitalters sind gestürzt -- an die Stelle der Ritter und ihrer Knappen, sind die Erwerbsmänner mit ihren Fabrikherren und Arbeitern getreten. Da sie Alles durch sich selbst, ihrer Hände Arbeit und ihren Erwerb oder ihr Geld wurden, so ist es natürlich, daß nur der Mann jetzt geachtet wird, der arbeiten läßt, oder arbeiten kann, und daß das Geld die einzige Schwungfeder ist, die Alles in Bewegung setzt.“ „Eine traurige Wahrheit. Die Gefühlswelt ist zernichtet, und das practische, reelle Leben an ihre Stelle getreten!“ In diesem Augenblicke stürmte der Baron in das Zimmer. Sein Auge strahlte Freude, sein Gang war stolz, sein Wesen aufgeregt. Er ließ sich auf einen Sessel nieder. Gipsy legte sich zu seinen Füßen. Er streichelte das schöne Thier, dann wandte er sich um und erblickte mich. „Siehe da, Herr Aristipp!“ rief er aus. „Verzeihen Sie, daß ich Sie nicht gleich bemerkte und begrüßte. Ich war so mit mir selbst beschäftigt, daß ich Alles um mich her vergaß. -- Sie führen liebliche Bilder einer angenehmen Vergangenheit mir wieder vor die Seele. Das waren noch schöne Zeiten, als wir uns in der kleinen Catharinenstraße kennen lernten! Das waren noch schöne Abende! Kunst, Literatur, Gesang und schöne Frauen! Nie werde ich den guten St. Pierre und seine Frau vergessen! Auch meine Gipsy wird sie nie vergessen, denn sie war dort ebenso gut aufgehoben, als ich. Wie wurde sie von den weichen Händchen der schwarzäugigen Wally und der lieblichen Sophie gestreichelt. Wie glücklich lebten wir zusammen, bis die verdammte Klatscherei uns trennte! Das Beste, daß kein wahres Wort an der Geschichte war! Indessen verzeihe ich diesesmal der Verleumdung. Wir gaben in unserer Unschuld der Medisance zu vielen Stoff. Wally war zu schön -- und ich -- +ein Mann+! Wer kann überhaupt in unseren Tagen an ein rein geistiges Verhältniß zwischen einem jungen Mann und einer schönen Frau glauben? In der Welt kann überhaupt Nichts von langer Dauer sein. Es muß immer eine Veränderung geben, damit der alte Mechanismus nicht stille stehe. Vermuthlich ein Freund von Ihnen?“ „Herr Hippias, der heute erst angekommen ist, um sich in Altona und Hamburg etwas umzusehen, und der das Vergnügen hat, Sie dem Rufe nach zu kennen!“ „Das thut mir sehr leid. Mein Ruf ist verdammt schlecht, und mit Maria Stuart könnte ich sagen: ich bin besser, als mein Ruf. Man macht mich hier zu einer Art von Ungeheuer, da ich den Schein nicht beobachte, mich frei äußere und die Menschen es nicht begreifen können, daß ich wie Diogenes mit der Laterne umher renne um +Menschen+ zu finden. Man sollte mich lieber den Narren des 19ten Jahrhunderts nennen, weil man aus mir machen kann, was man will, sobald man mein Herz in Anspruch nimmt. Die erbärmlichen Menschen! Wenn sie Jemanden nicht begreifen können, so machen sie ihn herunter. Sie machen es ebenso mit ihrer Gottheit. Sie leihen dem höchsten Wesen alle möglichen menschlichen Schwächen, um es fassen zu können. Was zu hoch und erhaben ist, muß heruntergerissen werden, damit die flachen Schädel es begrinsen und verhunzen können!“ „Ich freue mich recht sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen, Herr Baron,“ sprach Hippias. „Ich habe mehre Ihrer Schriften mit Vergnügen gelesen!“ „Meine Schriften? Da haben Sie was Rechtes gelesen! Dummes Zeug! Weiter nichts. Ich wollte, ich hätte nie Etwas geschrieben; weil es mir unmöglich ist von meinen Schriften erbaut zu sein. Man muß zu viele Rücksichten auf die Leihbibliotheken nehmen, und der Ladendiener und Kammermädchen Geschmack! Wer überhaupt einmal, als Schriftsteller aufgetreten ist, der sitzt auf dem öffentlichen Verwunderungsstuhle und Hans und Peter und Grete und Liese spielen mit ihm moquiren. Wer heißt einem auch Perlen vor die Säue werfen, oder besser gesagt, wie kann man ein solcher Esel sein, sich einzubilden, daß sein eigenes jämmerliches Geschreibsel der ganzen Welt gefallen, von der ganzen Welt gelesen werden soll! Es ist rasend, wohin den Menschen die Eitelkeit, die Einbildung führen können! Noch lächerlicher ist es aber, wenn man wie ich, immer über sich selbst und von sich selbst schreibt; und es nicht lassen kann seine Ansichten über Gott, König, Menschheit und Vaterland zu äußern. Es ist noch ein Glück, daß ich kein Republikaner bin, sonst säße ich gewiß schon irgendwo fest, und gäbe die „Memoiren eines Sträflings“ heraus. Das Schlimmste bei der ganzen Schriftstellerei ist aber die Knickerei der Buchhändler und die leidige Censur! Was man schreiben wollte, darf man nicht schreiben; was man schreiben darf, will man nicht schreiben, weil nur Flaches, Fades, Unbedeutendes geschrieben werden darf -- auf diese Weise wird der Ideenflug gehemmt, und man bringt nichts als Unsinn hervor. Denn alles Halbe, ist Stückwerk und alles Stückwerk in der Literatur ist Unsinn! Man muß jedoch gestehen, daß die Dänische Censur noch sehr lieberal ist. Auch ist der König der lieberalste Mann im ganzen Lande, in der Welt. Lassen Sie uns seine Gesundheit trinken, meine Herren! Sie wissen, ich bin Legitimist.“ Wir stießen an. Der Baron ging einige Male das Zimmer auf und ab; dann wandte er sich mit einem freundlichen Lächeln an mich: „Wissen Sie wohl, Herr Aristipp, daß ich heute außerordentlich glücklich bin! Ich mögte die ganze Welt umarmen, weil ich einen guten, edlen Mann getroffen habe. Ich will Ihnen die Geschichte erzählen. Es thut meinem Herzen so wohl, so recht aus vollem Herzen eine edle Handlung eines Menschen erzählen zu können. Hören Sie. „Ich befand mich noch vor einigen Tagen in der schrecklichsten Verlegenheit. Ich hatte Schulden gemacht. Meine Gläubiger quälten mich bis aufs Blut. -- Sie kennen Altona und Hamburg. -- Ich hatte einen Wechsel geschrieben. Die Zeit nahte, wo er fällig war. Ich hatte keine Rettung. Ich suchte allerwärts Geld. Die, welche es nicht hatten, wollten es mir geben, aber konnten nicht. Die, welche es hatten, konnten es nicht, weil sie den edlen Grundsatz angenommen hatten, nie mehr Geld ohne Sicherheit auszuleihen. Um ihren Grundsätzen treu zu bleiben, konnten sie sich nicht überwinden, einem Unglücklichen Leben und Ehre zu retten! Was würde man zu einem Manne sagen, der +seinen Grundsätzen ungetreu geworden, um+ seinen leidenden Mitbruder zu retten! Mein Gott! dachte ich: du hast doch so Vielen in den Zeiten deines Glückes geholfen und dir hilft Niemand!!? Ich will es Ihnen gerne gestehen, lieber Aristipp, nachdem alle Versuche bei Menschen mir fehl geschlagen, wandte ich mich an Gott. Sie lächeln? Nicht wahr? Ich that es und Er half. Durch eine sonderbare Fügung muß ich in das Hôtel ~de France~ in Hamburg gerathen. Dort lerne ich einen Mann kennen, einen Herrn von Pichmeier. Wir trinken zusammen; wir spielen zusammen; wir reden zusammen. Offen, wie ich es immer bin, entdecke ich diesem vortrefflichen Manne meine Verlegenheit. Was thut er? Er bezahlt sogleich die Hälfte jener Summe, und heute, was noch mehr sagen will, da er +höchst+ unzufrieden mit mir ist, bezahlte er die andere Hälfte, aus +dem einfachen Grunde, einer achtungswerthen Mutter ihren Sohn zu erhalten+. Das that ein fremder Mann für mich! Weil er dem Zuge seines Herzens folgte; weil er dem Bedürfnisse eines edlen Herzens folgte, dem es eine Wonne ist, seinem Neben-Menschen wohl zu thun. Er stellte keine Betrachtungen darüber an, ob ich es verdiente, wie die Männer von Grundsätzen es thun, diese hochherzige christliche Sippschaft! Er dachte nur: der Mensch ist verloren, wenn ich ihm nicht helfe; seine Mutter wird dadurch unglücklich -- auch ich hatte eine Mutter, und er half. -- Daß diese Geschichte wahr ist, kann Timm Ihnen bestätigen. Denn die Summe schuldete ich theilweise dem Besitzer dieses Kellers, und hier hat er das Geld bezahlt. Ein solcher Zug der Herzensgüte verdient der Erwähnung in unserm egoistischen Zeitalter. Daher erzähle ich Ihnen dieses; darum bitte ich Sie, es weiter zu verbreiten und nun mit mir auf das Wohl dieses edlen Menschenfreundes zu trinken. Herr von Pichmeier soll leben!“ „Die Handlung des Herrn von Pichmeier ist brav,“ bemerkte Hippias, „und verdient die Anerkennung eines jeden Ehrenmannes, aber nicht minder verdient Ihre Aufrichtigkeit und Ihre Dankbarkeit Anerkennung, Herr Baron. Die größte Eigenschaft des Don Carlos ist die Anerkennung der Verdienste des Posa.“ „Was hilft ihm meine Dankbarkeit“, erwiederte der Baron, „beweisen kann ich sie ihm nie, und auch er nimmt sie nicht an. Daß ich dankbar bin, ist mir nicht anzurechnen. Die Dankbarkeit ist ein natürliches Gefühl; selbst der Wilde besitzt sie; den Trieb, den die Natur in uns legte, können wir uns nicht berechnen. Daß es jetzt so viele undankbare Menschen giebt, rührt nur daher, weil wir unsere natürlichen Gefühle immer mehr unterdrücken -- denn von Natur sind alle Menschen +gut+, folglich: dankbar. -- Gieb mir eine Cigarre, Timm. Auch du gehörst zu den Menschen, auf die man sich verlassen kann. -- Na was macht denn das hübsche Mädchen, mit dem Sie neulich im „Englischen Garten“ waren?“ „O, die ist gut zufrieden, Herr Baron,“ antwortete der Küper, die Cigarre reichend und einen Fidibus dabei. -- „Wenn Sie Zeit und Lust hätten, Herr Baron; so dächte ich Sie schenkten uns den heutigen Tag, und gingen mit uns.“ Bemerkte ich. „Gerne! Aber dann müssen wir aus Altona! Ich kann Altona nicht leiden, und Ihr Freund muß St. Pauli und Hamburg kennen lernen. Geh, Timm, schicke Jemanden hin, uns eine Droschke zu holen vom Rathhausmarkt. Den Kutscher mit dem weißen Schimmel. Boysen heißt er. Den nehme ich immer, weil das Pferd gut, die Droschke reinlich und der Kutscher verschwiegen ist! Wie manchen angenehmen Augenblick habe ich in der Droschke verbracht!“ -- „Ich denke, wir machen die Tour, Herr Baron, die wir schon einmal mit einander machten,“ bemerkte ich. „Zuerst die Erfrischungshalle, dann Hôtel Petit, Janßen, Kittel, Buck, Carl, den Trichter, die Elbhalle, Madame Heitmann,“ etc. „Einverstanden!“ rief der Baron. „Kommen Sie, meine Herren! der Wagen ist da! Adieu Timm! Behalten Sie Gipsy bei sich! Gipsy! du bleibst bei Timm!“ „Leben Sie gut und delicat, Herr Baron.“ -- „Nach der Erfrischungshalle!“ rief der Baron dem Kutscher zu. Wir stiegen ein. Die Droschke rollte schnell dahin. -- Wir hielten vor der Erfrischungshalle. Wir stiegen aus und gingen hinein. -- -- Als wir in das Zimmer der Erfrischungshalle traten, war außer einem Knaben, der beim Billard beschäftigt war, zufällig Niemand zugegen. Der Baron benutzte diesen Augenblick indem er sich mit folgenden Worten an Hippias wandte: „Sie befinden Sich diesen Augenblick, mein lieber Hippias, in einem der anständigsten Locale dieser Gegend. Die Eigenthümer dieser Wirthschaft, sind alte würdige Leute; der Führung der Geschäfte und des ganzen Hauswesens steht aber die Tochter vor. Ein höchst rechtschaffenes Mädchen, mit Sinn für Literatur und Kunst begabt, wie Sie es auch an dem schönen Gemälde bemerken können, das dort an der Wand hängt. Sie ist ein vortreffliches Mädchen, besitzt Geist, Gefühl und Verstand, und vielleicht ein bischen Schwärmerei, welches wir ihrer deutschen Natur zu Gute halten müssen. Sie wird in ihren Geschäften durch ein junges Mädchen unterstützt, die Henriette genannt wird, und, wie es scheint, gleichfalls anständig und tugendhaft ist. Diese behauptet hier den Posten einer Schenk-Mamsell.“ „Was ist denn das für ein Posten?“ fragte Hippias. „Eine Schenk-Mamsell, lieber Hippias,“ bemerkte ich, mich in die Unterhaltung mischend, „ist eine Art liebenswürdiger Geschöpfe, die das Amt einer Hebe in den Hallen irdischer Glückseligkeit verrichten. Mit Grazie Wein und Getränke schenkend, und durch Liebenswürdigkeit, Zuvorkommenheit und Unterhaltung einem die Stunden angenehm hinbringen lassen, welche man in den Tempeln des Bachus zubringt. Daß sie hier eine eigene Classe des weiblichen Geschlechts bilden, ist gewiß, wo diese aber anfängt und wo sie begrenzt wird, kann ich nicht mit Gewißheit bestimmen. Sie sind nach meiner Meinung dazu gehalten, alle Reize des weiblichen Geschlechts anmuthig und anständig zu entfalten, gegen Jedermann liebenswürdig und artig zu sein, zu kokettiren, zu lachen, zu scherzen und Guitarre zu spielen, Jedermann die Hoffnung ihres Besitzes vorzuspiegeln, sie aber nie zu erfüllen. Auf diese Weise gleichen sie den schönen Früchten, die reizend, rothbackigt und zum Genusse einladend, über Tantalus Haupte schwebten, und die entschwanden, wollte er sie greifen, sie genießen.“ „Na! das nenne ich eine poetische Definition einer Schenk-Mamsell,“ rief der Baron lachend, „ich will Ihnen eine einfachere geben. Eine Schenk-Mamsell ist ein Mädchen, welches engagirt wird, wie jedes Dienstmädchen, das sich aber fein anziehen muß, einige Bildung besitzen und den Gästen als angenehmes Spielwerk dienen soll. Kurz ein Lockvogel, der, sobald er seine schönen Federn ablegt, Kartoffeln schälen und Krammetsvögel pflücken muß. Daß diese Mädchen nun, so lange sie in einem anständigen Hause sich befinden, sich anständig betragen müssen, versteht sich von selbst. Ausnahmen giebt es überall. -- Sie gehören freilich nicht in die Classe der gänzlich Gesunkenen, aber sie sind nicht weit davon entfernt, denn dieses ewige Courmachen, dieses ewige Liebeln um sie her, dieser stete Müssiggang und der Genuß starker Weine, die sie den Gästen zu Gefallen mit trinken müssen, bringt sie natürlich dem Falle näher, als jedes andere Mädchen! Sie sind zu bedauern, zu beklagen! Ihr Leben ist ein glänzendes Elend, eine fortwährende Reizung, Betäubung. Wo soll das junge Mädchen ohne Existenz-Mittel enden, das sich an Champagner gewöhnt und in Sammt und Seide zu gehen? Doch, da kommt unsere angenehme Wirthin, in Begleitung der lieblichen Hebe, wie Aristipp sie titulirt.“ Zwei weibliche Gestalten traten jetzt in das Zimmer. Die Eine, schwarz gekleidet, von schlankem Wuchse, trug ihr glänzend schönes schwarzes Haar gescheitelt, unter schwarzen Augenbrauen glänzten zwei große blaue Mondscheinaugen, ihr Gesicht war interessant, ihre Haltung edel. Sie sah mehr einer Ausländerin als einer Deutschen ähnlich. Das war Fräulein Brettomani. Die Andere war ein anmuthig lächlendes Geschöpf, ganz blond, Teint von Lilien und Rosen, Wuchs schlank, Ausdruck freundlich. Das war Demoiselle Henriette, die Schenk-Mamsell. Wir standen natürlich alle drei auf, um diese angenehmen Erscheinungen zu begrüßen. Fräulein Brettomani ließ sich auf einen Sessel nieder; Mlle Henriette trat hinter den Schenktisch. „Guten Tag, mein Fräulein,“ rief der Baron, und sich dann an Mlle Henriette wendend fuhr er fort: „Sie kommen gerade zur rechten Zeit, mein schönes Kind. Herr Aristipp und ich sind gerade diesen Augenblick beschäftigt, unserm Freunde, Hippias, die Definition einer Schenk-Mamsell zu geben. Er behauptet, ein solches Wesen müsse eine Hebe sein; ich, sie sei nichts weiter, als ein schöner Lockvogel. Wer von uns Beiden hat Recht?“ „Keiner von Ihnen, meine Herren, sondern ich, wenn ich behaupte, daß Sie ein loser Vogel sind.“ „Warte Schelmin! das sollst du bereuen! Und nun kommen Sie einmal hinter Ihrem Tisch hervor; zeigen Sie Sich dem Herren Hippias, damit er gestehe, daß eine Schenk-Mamsell, wenigstens ein Engel sei.“ „Das ist zu arg, Herr Baron! Lassen Sie mich los!“ versetzte die sich sanft Sträubende, während der Aufwand der Kräfte, beim Widersetzen, die Farbe des schönsten Incarnats auf ihre Wangen trieb. „Verzeihen Sie, mein schönes Kind,“ sprach der Baron, die Schmollende loslassend, „Sie müssen mir heute schon was zu Gute halten. Prinz Doria ist heute lustig -- und folglich unbändig!“ „Wie immer!“ versetzte Hebe. „Was ist Ihnen denn heute Besonderes arrivirt?“ sprach Fräulein Brettomani, „Haben Sie Nachrichten von Ihrer Geliebten?“ „Sie thun Unrecht mich in einem solchen Augenblicke an meine Geliebte zu erinnern. Jetzt ist meine Lustigkeit vorüber. Ich werde melancholisch. Geschwind geben Sie uns drei Gläser Portwein! Aber Geld habe ich nicht bei mir!“ „Schadet nichts. Henriette!“ Henriette brachte die Gläser. „Jetzt, Herr Hippias, passen Sie auf! Sehen Sie, +nur+ eine Schenk-Mamsell kann mit einer solchen Grazie die Gläser präsentiren! Bemerken Sie diesen schwebenden Gang -- diese Liebe athmenden Bewegungen --“ „Denken Sie doch an Ihre Geliebte, Herr Baron!“ versetzte Mlle Henriette schalkhaft drohend. -- „Wenn +die+ das hörte!“ „In Gottes Namen! Wenn sie mich deshalb +weniger+ liebte, wäre +sie meiner nicht werth+!“ „Haben Sie wirklich einen wahren Begriff von einer reinen Liebe?“ fragte Fräulein Brettomani, den schwärmerischen Blick ernst auf den Baron richtend. „Wenn ich das nicht hätte,“ erwiederte der Befragte, „würde ich dann so viele Empfänglichkeit des Gefühls für das Schöne, das Liebenswürdige eines weiblichen Wesens besitzen können? Wenn man wirklich liebt, mein Fräulein, wenn man wahrhaft glücklich ist, dann liebt man die ganze Welt, wünscht, die ganze Welt zu beglücken.“ „Das nenne ich eine weitumfassende Liebe,“ entgegnete das Fräulein. „Wenn ich Ihre Braut wäre, würde ich mir eine solche Liebe höflichst verbitten.“ „Liebe und immer wieder Liebe,“ versetzte der Baron. „Was ist denn eigentlich Liebe?“ „+Liebe+,“ erwiederte Fräulein Brettomani ernst, „ist das höchste und das heiligste der Gefühle. Die zarteste Uebereinstimmung zweier schönen Seelen in allen Puncten zu einem Zwecke. Das Durch-sich, Durch-einander-Beglücktsein --“ „Nun, bei Gott! Sie nehmen die Liebe zu hochpoetisch. Ich glaubte, es wäre eine Art von Instinkt, eine Art Trieb, damit das menschliche Geschlecht nicht aussterbe!“ versetzte der Baron. „Was meinen Sie dazu, Herr Hippias?“ „Ich bin in diesen Sachen ziemlich unerfahren,“ erwiederte der Angeredete. „Im Ganzen glaube ich, daß es wohl eine Composition von den beiden Ansichten sei, die Sie und das Fräulein aussprachen. Was meinst Du, Aristipp?“ „Ich enthalte mich meines Urtheils. Da aber gerade von der Liebe die Rede ist, so fallen mir einige Verse ein, die wenigstens beweisen, daß bei der Liebe immer viel Gefahr und Täuschung obwalten. Soll ich sie Ihnen sagen?“ Alle baten. Ich begann: Mein Gedicht ist von -- ich habe den Namen vergessen -- und ist titulirt: Das Geständniß. 1. Uns Alle lehrt die Liebe Trug und Tücke, Wer ihr gehorcht, ergiebt dem Bösen sich. Der Sündenweg ist, ach! der Weg zum Glücke, Dir zu +gefallen hinterging ich dich+. 2. Die erste Gunst erkämpften jene Zähren, Die ich zu deinen Füßen einst vergoß; Und Thränen mocht’ ein Auge leicht gewähren, Das +roth von starken Wassern+ überfloß. 3. Du lehrtest mich der Liebe Taumel singen, Aus deinen Blicken stahl ich jeden Ton. Wohl mußten diese Verse mir gelingen, Ich brauchte sie zum +sechsten+ Male schon. 4. Louisens Briefe konnt’ ich kalt zerreißen, Ich brachte treu sie deiner Schönheit dar. Ein würdig Opfer! Würdig, groß zu heißen, Nur, daß kein Brief +an mich+ gerichtet war. 5. Beim letzten Tanz wie brannten meine Sinnen! Wie lebt’ ich nur vor deinem Angesicht! Das letzte Mittel Idan zu gewinnen, Der Neid allein, gab mir bei ihr Gewicht. 6. Verzweiflend wagt’ ich Hand an mich zu legen, Da fühltest du, Erhörung werde Pflicht. Ich bot die Stirn dem Terzerol entgegen, Es war gespannt -- +geladen war es nicht+. Ich bin zu Ende, meine Herren und Damen.“ „Das Gedicht ist sehr hübsch;“ sprach Fräulein Brettomani. „Es zeigt uns die Gefahren der Liebe und die Schlechtigkeit der Männer. Arme, arme Frauen!“ „Sie sind noch nicht so sehr zu beklagen,“ versetzte der Baron. Um Ihnen einen Beweis von der Treue eines Mannes und einer edlen Liebe von beiden Seiten zu geben, will ich mir die Erlaubniß nehmen, Ihnen „Des Schotten Abschied“ vor zu declamiren. Ich bemerke übrigens, daß mir der Verfasser unbekannt ist, daß ich nicht weiß, ob das Versmaß richtig sei, denn ich verstehe mich nicht auf Poesie. Bei mir kommt es nur darauf an, daß es sich reimt und klappt. Hören Sie: 1. Mac-Duncan stand, ein Götterbild, An nebelgrauer See; Da nahte Mary, sanft und mild, Wie eine Hochlands-Fee. 2. Der Schotte nahm sie in den Arm Und preßt’ sie an sein Herz; Das wechselnd nagt der Liebe Harm Und naher Trennungs-Schmerz. 3. Da ruft der Trommel-Wirbel-Schlag Und reißt ihn von ihr fort. Und immer tönt es, Schlag auf Schlag, Durch Wald und Thal und Ort. -- 4. Mac-Duncan stand in Reih’ und Glied; Der Morgen graute kaum. Es zuckte trüb sein Augenlied, Wie Nachts, bei schwerem Traum. 5. Da plötzlich wird’s bekannt gemacht: Die weißen Segel weh’n. Von allen Frauen sind’s nur acht, Die mit nach Frankreich gehn. 6. Und Mary naht, und Mary zieht Vertrauend dem Geschick. Ihr zartes Leben schnell entflieht, Sie lies’t: Du bleibst zurück. 7. Es knirscht der rechte Flügelmann Im übergroßen Schmerz. Noch einmal sieht er Mary an Und blickt dann himmelwärts. -- 8. Mac-Duncan zog von Ort zu Ort Und schlug der Schlachten viel -- Doch lacht’ er nie, und sprach kein Wort, Als: „Mary!“ da er fiel. -- Fräulein Brettomani hatte während der ganzen Zeit des Vortrages des Barons ernst dagesessen; ihr Gemüth schien tief bewegt, denn ihre großen blauen Augen füllten sich mit Thränen. Mlle Henriette bemühte sich, bewegt zu scheinen. Sie schlug die Augen nieder und faltete die Hände. „Sie machen meinem unbekannten Dichter ein großes Compliment, mein Fräulein“, sagte der Baron. „Eine einzige Thräne aus Ihrem Auge wiegt hundert schlechte Rezensionen auf.“ „Jetzt kommt meine Tour!“ rief Hippias. „Mein Gedicht heißt: „Der abgedankte Bräutigam.“ Es ist gleichfalls von einem unbekannten Verfasser und sieht nicht auf Rhythmus noch auf Versmaß; aber auch von Liebe ist darin die Rede. Er begann: 1. Ich war einmal ein Bräutigam Und ging gar stolz einher. Als bald darauf ein And’rer kam, Da war ich’s bald nicht mehr. 2. Doch weint’ ich nicht, und zürnte nicht, Und macht’ kein bös Gesicht -- Doch leise klagt’ ich’s im Gedicht, Was mir das Herze bricht. 3. Du armes Kind! du hast nicht Schuld, Du hast es nicht gewollt. Du fügtest dich, nur in Geduld, Du hast es ja! +gesollt+. 4. Doch sollen ist ein schweres Muß Und bricht manch’ Herz entzwei. -- Du zittertest beim ersten Kuß Und giebst jetzt deren +zwei+. -- 5. Gottlob! daß du die Kräfte hast! Geliebtes Kind, lebwohl! Die Treue reißt, so leicht, wie Bast, Die Herzen sind so hohl! 6. Jetzt geh’ ich fort, so wie ich kam, Doch hab’ ich deinen Schwur! Ich war einmal ein Bräutigam, +Die Braut mir Treue schwur+! -- „Nun, das ist eine poetische Unterhaltung geworden! rief der Baron, nachdem Hippias geredet hatte. Wir müssen Ihnen dankbar sein, Fräulein Brettomani, daß Ihre Gegenwart diese Gedichte ins Leben gerufen hat. -- Wenn wir nur die Verfasser kennten! fuhr er lachend fort. Ich glaube wir müssen wohl deren Gesundheit trinken. Wein! Henriette! Es leben die drei großen Unbekannten! Vivant, floreant, crescant! Die Erfrischungshalle soll jetzt die Dichtungshalle heißen! Wir wollen hier alle Tage zusammen kommen und dichten! Nicht wahr, meine Herren? Drei Männer und drei Literaten! Es sollte doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir nicht irgend eine Flugschrift, oder ein Zeitblatt hervorbringen könnten. Das Blatt soll „die Dichterhalle“ heißen!“ „Herr Baron!“ unterbrach ihn Mlle Henriette. „Da Sie heute so gut gelaunt sind, so schreiben Sie mir doch ein Gedicht für eine meiner Freundinnen ins Stammbuch, die nach Amerika geht.“ „Von Herzen gern, mein schönes Kind. Versteht Ihre Freundin Englisch?“ „Ja.“ „Gut. Dann geben Sie Papier, Tinte und Feder. Mir fällt gerade ein schöner englischer Stammbuch-Vers ein. Den sollen Sie haben.“ Der Baron setzte sich; schrieb und las uns dann das Gedicht vor. Es lautete so: „~Oh! had we never, never met Or could this heart you now forget. How blessed, how happy we had been, Had fate not frowned so dark between. Hadst thou been born a Scottish Maid, In neighbouring valleys we dwellt, Through the same fields in childhood played, In the same church together knelt.~“ Da haben Sie das Ding! Uebersetzen können Sie es sich lassen. Ich übersetze nie. In unseren Zeiten muß Jeder und Jede Englisch und Französisch verstehen. -- Doch was sehe ich? Der Ueterser Wochen-Wagen! -- Entschuldigen Sie. -- Ich muß fort -- Dieterich! Dieterich! hast du einen Brief für mich? Mit diesen Worten stürmte der Baron zur Thür hinaus. -- „Das ist ein sonderbarer Mensch!“ rief Hippias, dem Baron nachsehend. „Ein wahrer Ausbund!“ meinte Mlle Henriette. „Pfui Henriette,“ nahm Fräulein Brettomani das Wort, „wie magst du das sagen! Glauben Sie es nicht, Herr Hippias. Der Baron ist ein interessanter Mensch, der ein vortreffliches Herz besitzt. Es ist wahr, er nimmt nicht Rücksichten genug auf seinen Stand und auf die Menschen, mit denen er umgeht. Er ist zu offen und frei. Doch weiß ich selbst, daß, wenn er Jemand helfen kann, er es gewiß thut, und sich seinen eigenen Rock auszieht, um einen Frierenden zu wärmen.“ „Es ist brav von Ihnen, daß Sie einen Abwesenden vertheidigen,“ sagte ich. „Mir ist der Baron lieb, wie Allen, die ihn verstehen und näher kennen. Er hat aber den Schein gegen sich und gehört nicht zu den anerkannten Soliditäten. Ich bin gewiß, daß wenn er einst zur Ruhe kommt, er gewiß etwas Tüchtiges leisten wird. Es ist Schade, daß solche Köpfe feiern, weil man sie scheut, fürchtet und nicht -- +anstellt+.“ „Wir müssen uns Ihnen aber wohl empfehlen, mein Fräulein,“ sprach Hippias. „Mein Magen erinnert mich, daß es Zeit sei, Etwas zu genießen. Gehen wir Aristipp?“ „Schön. Wir gehen zum Hôtel-Petit. Adieu, mein Fräulein.“ Nach diesen Worten, nach einigen Verbeugungen, verließen wir die „Erfrischungshalle“ und begaben uns nach der Behausung des Herrn Herrmann Bleicamb, dem Hôtel-Petit im Klütjenstieg. Herr Bleicamb stand in der Hausthüre, umringt von drei bis vier rothbackigen Knaben, und empfing uns mit lächlender Miene und folgenden Worten: „Treten Sie näher meine Herren. Sie sind schon angemeldet. Die Beefstakes stehen schon auf dem Tische. Aber es ist Alles petit hier. -- Sie müssen vorlieb nehmen.“ -- Herr Bleicamb führte uns durch eine schmale Flur, in welchem sich die Küche und seine Frau befand, in ein kleines Zimmer, wo ein gedeckter Tisch und vier Couverts standen. Am Fenster saß ein wunderschönes, junges Mädchen mit weiblicher Arbeit beschäftigt. „Meine Tochter,“ sprach Herr Bleicamb, uns in das Zimmer führend. Das junge Mädchen verbeugte sich, erröthete und wurde noch schöner. „Platz genommen, meine Herren,“ sprach Herr Bleicamb. „Hier genirt man sich nicht. Hier sind Beefstakes, Brodt, Kartoffeln und ein Glas Kümmel. Nancy! du kannst hinaus gehen und deiner Mutter helfen.“ -- Das junge Mädchen gehorchte. Im Gehen zeigte sich ihr schöner Wuchs. Wir setzten uns, aßen und tranken. „Für wen ist denn das vierte Couvert?“ fragte ich Herrn Bleicamb. „Für den Baron. Wenn er nur kommt, der Windbeutel. Ist er einmal im Schuß, dann geht es immer zu. Er läuft wahrscheinlich wieder hinter eine Schürze her, oder ist sonst wo hängen geblieben. Aber greifen Sie zu. Ich gebe, was ich habe, mehr kann ich nicht geben. Ich bin hier klein logirt, darum nenne ich mein Haus das Hôtel-Petit. Uebrigens hat ein großer Geist hier gewohnt: Herr Clemens Gerke.“ „Alle Achtung vor dem Manne,“ erwiederte ich. „Hier in diesem kleinen Raume entfaltete sich also das Genie des großen Mannes?“ „Ja! Hier brütete er seine Eier aus. Jetzt wohnt er in dem großen, weißen Hause da gegenüber. Das hat er sich ergeigt und erschrieben.“ „Ich bin neugierig den Mann zu sehen,“ bemerkte Hippias. „Das können Sie leicht haben. Sie brauchen nur heute Abend in die Vier Löwen zu gehen. Dort sitzt er und spielt.“ „Wollen wir das thun, Aristipp?“ „Warum nicht? Die Gegenwart dieses Mannes macht das ganze Local berühmt. Und wir gehören hoffentlich nicht zu den anerkannten Soliditäten.“ „Dein ewiger Spruch.“ „Nun ja! Ich mag die Leute nicht, die einen Menschen +nicht anerkennen wollen, weil er nicht reich, nicht hochgeboren oder hochgestellt ist. Das Handwerk schändet keinen Mann!+ Im Gegentheil finde ich, daß jeder große Mann noch größer ist, je kleinlicher und unscheinbarer seine Verhältnisse sind. Und keinen Mann achte ich höher als +den, der Alles durch sich selbst wurde, der Alles aus sich selbst bildete+! In dieser Hinsicht stelle ich diesen +Clemens Gerke+ über alle jene Doctoren und studirten Schriftsteller. Er ist ein geistiger Bildhauer, der aus eigenem rohen Stoffe sich selbst zur schönsten Statue meißelte! Gott setzte ihn in diese Welt, arm, hülflos, niedriggestellt -- er schwang sich durch rastlose Thätigkeit bis auf jenen Standpunkt, den er diesen Augenblick in der literarischen Welt einnimmt. Des Nachts spielte er in jenem Locale, um sich, Weib und Kinder zu ernähren, und vom Morgen bis zum kommenden Abend arbeitete er seine Schriften aus. Noch mehr! er selbst setzte, druckte sie. Kann man mehr von einem Manne verlangen?“ „Nichts mehr! Nichts mehr!“ rief der Baron, der eben zur Thüre hereintrat, die letzten Worte gehört hatte; und sich schnell auf den leerstehenden Stuhl niederließ. „Von wem ist die Rede?“ „Von Clemens Gerke, deinem Freunde!“ versetzte Bleicamb. „Ach! so?“ sprach der Baron langsam. „Das ist ein verdammter Kerl! Aber ein +Kraftmensch+! Wollte Gott ich wäre, wie er!“ Die Stirn des Barons überflog ein dunkler Schatten. Man sah es auf seinem Gesichte, daß etwas unangenehm in seinem Innern berührt war. „Der Baron mag den Gerke nicht.“ Bemerkte Herr Bleicamb! „Ich ihn nicht mögen!“ fuhr der Baron auf. „Wer sagte das? Was weißt du altes Plappermaul davon! Es ist ein kreuzbraver Kerl, aber er mag den Adel nicht; er mag die Doctoren nicht; er ist ein Republicaner und hat sich einst nicht ganz unsanft über mich geäußert. Das ist längst vergessen! +Ueberdem hatte er Recht!+ Wenn kein Anderer schlechter über mich dächte und spräche, dann wäre ich zu beneiden.“ -- „Du hast wohl heute deinen Traurigen, Baron? Hat der Doctor Dir wieder was geplappert? Laß doch die Leute reden, Du kannst Ihnen ja doch nicht das Maul verbieten!“ -- „Es ist etwas Schönes um einen unbescholtenen Ruf, Aristipp!“ fuhr der Baron ernst fort. „Wie hoch steht dieser gemeine Mann, dieser simple Musikant über mir! Sein Name wird überall mit Achtung genannt und der meinige? -- O des Unglücks! Ein leichter Gedanke; ein Glas Schnaps zuviel und das Kostbarste der Güter ist verloren -- der gute Ruf! Gewiß, gewiß! Zwei Seelen wohnen in unserer Brust, wie Goethe sagt. Die eine, die uns dem Himmel näher bringt, die andere, die uns zur Erde niederreißt. Daß wir auch das Thierische in unserer Natur nie vertilgen können! ~Et si naturam.~ -- Es ist um wahnsinnig zu werden! Schenke mir ein, Bleicamb! Ich muß trinken! Ich glaube, ich könnte das Meer austrinken, wenn es voll Weines wäre, und würde doch nicht berauscht, sobald mich ein schwarzer Gedanke verfolgt! ~Sed post equitem sedet atra cura!~“ -- „Da, Baron, trinke! Und nun wieder vorby.“ -- „Sie sollten nicht mehr trinken, Herr Baron! Sie sind zu aufgeregt!“ bemerkte Hippias. Um die Lippen des Barons spielte ein höhnisches Lächeln, mit der Hand fuhr er über seine hohe Stirne; seine Augen sprühten Feuer. „Nicht trinken! guter Mensch? Fürchten Sie etwa, daß ich zuviel trinken könnte! O nein! o nein! ich werde nicht mehr betrunken. -- Aber wüthend bin ich! Wüthend, daß die erbärmlichsten Lästerzungen meinen Namen zerreißen, während ich selbst ganz unschuldig bin!“ „Was ist denn nun wieder los?“ fragte Herr Bleicamb. „Denke Dir. Neulich komme ich vom Lande. Mein Weg führt mich über das Schulterblatt. Vor einem Wirthshause ist eine Schlägerei. Zwei Männer fallen über einen her, und lassen ihn nachdem sie ihn zur Erde geworfen, blutig dort liegen. Ich gehe auf den Mann zu; hebe ihn auf; fasse ihn beim Arm und bringe ihn zu Tiedemann in das Wirthshaus, wo ich ihm ein Glas Bier geben lasse. Darauf gehe ich weiter. War das eine schlechte Handlung? Und nun, hören Sie, meine Herren, heute wird mir erzählt: +ich habe mich geprügelt+! Ist es nicht um rasend zu werden?“ -- „Weiter nix? Na, das geht wieder vorby! -- Kümmere Dich doch nicht um das, was die Leute reden! Das hilft doch zu nichts,“ meinte Herr Bleicamb. „Das weiß ich wohl! Ich bin weit davon entfernt, den Menschen das Reden über mich verbieten zu wollen; aber es ärgert mich, daß sie die Unwahrheit sprechen, noch mehr, daß es möglich ist, daß man so etwas von mir glauben kann. Stände ich rein, unbescholten in den Augen der Welt da -- Niemand würde einen solchen Gedanken von mir fassen. Das ist die Folge davon, wenn man sich zu dem Lumpengesindel herabläßt. Wer Pech anfaßt, besudelt sich! Man muß jede Berührung mit dem gemeinen Packe vermeiden! Seinen Mitbruder im Kothe liegen lassen; die Nase hoch tragen; keinen Menschen ansehen; Gott, Christus und seinen Titel beständig im Munde führen -- dann ist man ein Mann ~comme il faut~. -- Nun es soll mir nicht wieder passiren!“ „Und thust es Morgen wieder, Baron; ich kenne Dich zu gut. Und nun ist es wieder vorby.“ „Lassen Sie sich die Sache nicht anfechten,“ sprach ich. „Sie haben mehr gute Freunde als Sie glauben. Wenigstens bitte ich Sie, mich zu diesen zu zählen.“ „Mich auch!“ fiel Hippias ein. „Und mich auch,“ rief Herr Bleicamb. „Was willst Du mehr? Ist das nicht genug, so wahr ich Herrmann Bleicamb heiße!“ Des Barons Züge erheiterten sich. Ein spöttisches Lächeln, das sich aber bald zu einem anmuthigen verlor, umspielte seine Lippen. Darauf sprach er mit Pathos: „Mein ungeheuerster Wunsch ist befriedigt: Genua kennt mich in Euch. Retten Sie meine Ehre. -- Verzeihen Sie diese Periode Aristipp und Sie Hippias -- sie galt nicht Ihnen,“ fuhr der Baron mit einer eigenthümlichen Grazie fort. „Ich weiß Ihre Freundschaft zu schätzen, und wollte Sie nicht gerne durch einen übelangebrachten Scherz verlieren. Sie, Aristipp, kenne ich. Ich glaube, wir haben manche Aehnlichkeit mit einander, wenigstens trafen wir häufig an denselben Orten zusammen, und thaten es auch ja heute, wie ~ad oculos~ zu demonstriren. Der alte Satz: die Freundschaft zweier edlen Seelen beweist sich am besten durch die Anhänglichkeit, die sie zu einer dritten empfinden; bestätigt sich durch uns und Bleicamb von Neuem.“ „Mach es nicht zu arg, Baron!“ rief der Bezeichnete; „sonst, so wahr ich Herrmann Bleicamb heiße, ist es mit uns vorby.“ „Na, sei nicht böse, alter Kerl! Komm! stoße an! -- Wo ist aber deine Frau, und deine schöne Tochter, alter Cerberus? Laß sie doch einmal kommen.“ -- „Mutter, komm in!“ „Ich kann nicht kommen. Bin gewesen den ganzen Tag in der Küche,“ -- erwiederte eine weibliche Stimme. „Thut nichts, Mutter -- Du bist ja alt, -- komm nur.“ Madame Bleicamb, eine würdige Matrone, der man es wohl ansehen konnte, daß sie in ihrer Jugend schön gewesen sein mußte, trat mit ihrer schöneren Tochter in das Zimmer. Wir standen auf und begrüßten sie. „Ihre Beefstakes waren vortrefflich, Madame,“ sagte der Baron. -- „Freut mich, wenn sie geschmeckt haben der Herr Baron und die anderen Herren. Das Fleisch ist gut in Ohltona.“ „Sie sind mir wohl böse, daß ich Ihren Mann neulich so lange bei mir hatte? Auch heute muß ich Sie um Erlaubniß bitten, ihn mitnehmen zu dürfen.“ „Mein Mann ist sein eigener Herr und alt genug, um zu wissen, was sie thun müssen. Ich gehe zu Bette und sie hat der Hausschlüssel.“ „Du hast eine vortreffliche Frau, Bleicamb! Aber ich habe noch eine Bitte an Sie, Madame, wollen Sie es wohl erlauben, daß Ihre Tochter mir ein neues, seidenes Halstuch säumt?“ „Warum nicht, Herr Baron? Meiner Tochter wird sein ein groß Vergnugen zu nähen der Halstuch für Ihnen. Nicht Nancy?“ Das schöne Mädchen erröthete und lispelte ein leises: „Ja!“ „Hier ist das Tuch. Ich werde es um so lieber tragen, wenn es von so schönen Händen gesäumt sein wird.“ „Wir müssen jetzt wohl gehen,“ meinte Herr Bleicamb. „Es ist hier zu petit für uns Alle.“ Wir setzten uns in Bereitschaft zum Abmarsch. Wir nahmen unsere Direktion, den Weg hinter der Reeperbahn entlang, und befanden uns bald vor dem Cafée-Hause des Herrn Janßen. Das Haus des Herrn Janßen, liegt wie bemerkt, hinter der Reeperbahn; vor demselben ist ein weißes Stacket; das Haus selbst ist weiß angeworfen, hat eine braune Hausthüre, vor welcher gewöhnlich drei kleine Pinscher sitzen. An der einen Seite der Thüre ist in schwarzen Lettern zu lesen: „Janßen Cafée-Haus.“ Auf der andern: „Janßen Commissionair. Weinhandlung.“ Ich führe dieses nur an, damit jeder Fremde, von denen es ja in dem schönen Hamburg wimmelt, sogleich dieses Haus erkennen möge. Denn auf St. Pauli gewesen, ohne bei Janßen gewesen zu sein, ist ebenso gut, als in Rom gewesen, ohne den Pabst gesehen zu haben! Worin liegt nun aber dieser Anspruch des Janßenschen Cafée-Hauses? Liegt er in der Lage des Hauses? in der prachtvollen Bauart? in der eleganten innern Einrichtung desselben? Zeichnet sich dieses Cafée-Haus durch bessern Wein, bessern Cafée, bessern Punsch vor anderen aus? Diese Fragen muß ich mit einem einfachen Nein beantworten. Wodurch verdient denn aber das Janßensche Cafée-Haus das Lob, welches ich ihm spende? Ich will es meinen verehrten Lesern sagen: Das Ausgezeichnete dieses Cafée-Hauses liegt: Erstens in der Person des Herrn Janßen selbst. Zweitens, in den hübschen und tugendhaften Schenk-Mamsellen, die man dort findet. Drittens, in der außerordentlichen Holländischen Reinlichkeit, die dort herrscht. Viertens, weil, (man verzeihe mir diese Arroganz) ich mich dort häufig befinde, und man daher immer auf eine interessante Unterhaltung dort rechnen kann. Da man aber in unseren Zeiten nichts anvanciren darf, ohne die Gründe dazu zu motiviren, weil alles Leichte, Gracieuse, Angenehme jetzt mißfällt, und nur schwerfällige Beweise gelten; so werde ich meine Ansichten mit Gründen belegen: ~a~, ~ad~ _N^o_ 1. Herr Janßen. Wer von allen Wirthen, Gasthaltern, Caféehäuser-Besitzern könnte sich mit Herrn Janßen vergleichen? Wer in der ganzen Welt kennt Herrn Janßen nicht? London, Paris, Amsterdam, der Haag, Hamburg waren der Schauplatz seiner schwindlenden Größe, so wie seines Falles! Millionär unter dem Kaiserreiche, fuhr er mit Achten durch die Hauptstädte der Welt. Der Sturz des Besiegers der Welt, begrub in seinem Falle das Glück des Herrn Janßen! Doch er verlor den Muth nicht. Aus dem Schutte seines Vermögens entstand er, ein neuer Phönix, und London, Paris und Hamburg sahen mit bebendem Erstaunen diesen rastlosen, thätigen, klugen, feinen, schlauen, speculativen Geist, wie einen sengenden Kometen durch ihre Weichbilder ziehen. Doch kein Glück ist von Bestand. Das Napoleonische seiner Plane schien kleinlichen Gemüthern zu gewagt. Umsonst versuchte Janßen mit glänzender Beredsamkeit die Ausführung seiner materiellen, industriellen Pläne darzustellen, das Gelingen derselben zu versichern. Der Muth, die Courage fehlte. Das Ungeheure der Janßenschen Plane, des weit umfassenden, speculativen Geistes schreckte zurück. Noch mehr, man entzog ihm die ~Fonds~, und wie die Riesen-Eiche, wenn die Wurzel morsch wird, krachend niederstürzt -- so stürzte Herr Janßen von seines Glückes Thron. Er verlor Alles -- aber nicht den Muth, die Lebensphilosophie. Er fing tausenderlei an, nichts glückte. -- Nachdem Alles verloren, zog er sich nach St. Pauli zurück, etablirte ein Cafée-Haus, wurde Commissionär. Aber der Geist des alten Janßen ist derselbe; die Manieren des reichen Janßen, der mit Fürsten, Königen und Kaisern zu Tische saß, der die Herzen von hundert Prinzessinnen, Gräfinnen und Baroninnen eroberte, sind dieselben. Da ist noch die stolze, noble Haltung; die bourbonsche Adlernase verräth die hochstrebende Gesinnung ihres Eigenthümers, und wie in Ludwig’s des Vierzehnten Ausdruck, Haltung und Auftreten die völlige königliche Ueberzeugung des ~L’état, c’est moi~ lag -- so steht auf Janßens königlicher Stirne deutlich geschrieben: „~dans ma maison, je suis roi!~“ Janßen auf einem Thron, und er wäre der Ausdruck der personificirten königlichen Gewalt, des Autokraten. Janßen zu Pferde, auf einem Schimmel-Hengste, würde Frankreich ihn für den Herzog von Guise, England für den Herzog von Cambridge halten. Janßen in seiner Jugend muß schön gewesen sein. Noch jetzt in seinem Alter ist er schön; seine Gegenwart fordert und erzwingt Achtung. Den Mann mögte ich sehen, der sich an den zürnenden Janßen wagte! dann ist er der donnernde Zeus Kronion. Mag die Welt, mag Hamburg Janßen tadeln. Mag er Recht oder Unrecht gehandelt haben. Ich bin nicht zu seinem Richter eingesetzt, und schließe mein Capitel über Herrn Janßen mit den Worten: +Ein Mann, der unter allen Verhältnissen des Lebens sich gleich geblieben ist, der mit den berühmtensten Männern seiner Zeit gelebt hat, der die Sitten und Charactere seiner Mitmenschen so genau durchstudirt hat, der bleibt für den denkenden Mann, den Schriftsteller, immer ein lehrreiches und interessantes Studium des menschlichen Geistes, Herzens und seiner Zeit.+ ~b~, ~ad~ _N^o_ 2. Wenn ich die Schenk-Mamsellen im Janßenschen Hause „hübsch und tugendhaft,“ ~par excellence~, bezeichnet habe, so geschieht dieses aus folgenden Gründen: Es läßt sich leicht begreifen, daß Herr Janßen, dieser Kenner des menschlichen Herzens, keine häßliche Mädchen in seinem Hause halten werde. Daß diese Mädchen tugendhaft +sein müssen+, läßt sich leicht aus der Menschenkenntniß des Herrn Janßen deduciren. Er hält sie nicht für einen Geliebten, und um die thörichten Wünsche eines Mädchens zu erfüllen, das er gut ernährt und bezahlt. Nein! sie sollen freundlich, artig und zuvorkommend gegen Jedermann sein, und auf das Haus des Herrn Janßen muß nichts zu sagen sein. Er kennt die Welt gut genug, um zu wissen, wie sehr sein Haus verlieren würde, wenn er Liebes-Intriguen statuirte. Also schon aus der Janßenschen Politik geht es hervor, daß die Schenk-Mamsellen tugendhaft sein müssen. Ein zweiter Grund liegt in dem Character der Madame Janßen, einer wahrhaft edlen Frau, die mit himmlischer Geduld +ihr+ unverdientes Schicksal trägt, und die nie eine Gemeinheit statuiren würde. Herr Janßen hält ein wachsames Auge auf seine Schenk-Mamsellen. Jeder Fehler gegen den Anstand, gegen die feine Erziehung, wird von ihm gerügt. Denn, sagt er: in seinem Holländischen Dialekte: „ick will dat nich, und ~dans ma maison, je suis roi~.“ Auf diese Weise ist das Janßensche Cafée-Haus ein empfehlungswerthes Institut für junge Mädchen vom Lande, die den ~bon ton~, sich fein ausdrücken, graziös gehen, liebenswürdige Manieren lernen und doch dabei, unter Verführungen aller Art, ihre ländliche Unschuld conserviren wollen. ~c~, ~ad~ _N^o_ 3. Von einer Holländischen Familie, die in den glänzendsten Cirkeln gelebt hat, läßt sich wohl Sauberkeit und Reinlichkeit erwarten. So ist es auch hier. Die Fenster des Salons des Herrn Janßen (ich kann mich unmöglich +in diesem Hause+ des Ausdrucks: Schenkstube oder Weinstube, bedienen) glänzen wie Spiegel; auf dem pferdehaarenen Sopha, der an der Wand der Thüre gegenüber steht, ist kein Körnchen Staub zu sehen, ebenso wenig, als auf den Mahagonitischen, von denen einer vor dem Sopha, der andere unter einem Spiegel steht. Zu jeder Ecke des Sophas steht ein blankgeputzter, kupferner Spucknapf, gefüllt mit feinem reinen Sande; die Dielen des Fußbodens schimmern, wie gefallener Schnee und die Gläser, in welchen servirt wird, strahlen hell, wie Krystall. ~d~, ~ad~ _N^o_ 4. Diesen Punct selbst zu motiviren, würde mich erröthen lassen. Ich überlasse es daher Allen, die mich dort sahen und sehen werden, ob ich in meiner Behauptung Recht oder Unrecht habe. Nachdem ich meine Leser gänzlich von allen Eigenthümlichkeiten des Janßenschen Cafée-Hauses „~au fait~“ gesetzt habe, so kehre ich zu uns zurück. +Zu Uns+, d. h. zu mir, Hippias, dem Baron und Herrn Herrmann Bleicamb. Es war schon dunkel geworden, als wir uns nach dem Hause begaben; eine argentische Lampe erhellte den „Salon“ des Herrn Janßen, in welchen wir eintraten. Es waren mehre Gäste dort versammelt. Auf dem obenerwähnten pferdehaarenen Sopha saß ein hübscher, blonder, schöngewachsener und höchst elegant gekleideter Mann, die Guitarre im Arme -- den ich schon öfters dort gesehen, dessen Name mir aber entfallen ist. Neben ihm saß Mlle Linon, eine jener tugendhaften Schenk-Mamsellen. Ihr Gesicht war hübsch, die Augen blau, groß und schön, ihr Haar, das sie gescheitelt und glatt an die Stirne gedrückt trug, war braun, ihre Physiognomie war kindlich, heiter, unschuldig. Sie war in einem grünen Kleide gekleidet, in der Taille durch ein schwarzes Band befestigt; ihr ganzes Aeußere war reinlich und ordentlich. Ihr zur Seite saß ein anderer junger Mann, der aber mit seiner Nachbarin zur Rechten beschäftigt schien. Diese war Mlle Thereson, gleichfalls eine Schenk-Mamsell. Diese war ein eigenthümliches kleines Geschöpf. Sie war weder schön noch häßlich, weder gelb noch weiß; aber lebendig, aufgeweckt und hatte etwas an sich, das nicht zu definiren ist, aber ein unregelmäßiges Gesicht, eine unscheinbare Person interessant erscheinen läßt. Außerdem ein allerliebstes Mündchen und eine sanfte, wohlklingende Sprache, wie allen Hannoveranerinnen, denn sie war eine Solche. Alsdann kamen noch mehre Herren, die rauchten und tranken; ferner Mlle Jeannetton, die Nichte des Herrn Janßen, eine anspruchslose, zierlich gewachsene Holländerin, und endlich Herr Janßen selbst, der ernst mit denkender Miene am Tische saß, mit einer grünen Mütze auf dem Kopfe, unter deren Schirm seine Augen mit der Schnelligkeit eines Habichts die ganze Gesellschaft controlirten; der scheinbar Nichts hörte, an Nichts Theil nahm, dem aber kein Wörtchen, keine Geberde seiner Gesellschaft entging. Auf dem Tische standen Gläser mit Wein gefüllt, und eine angebrochene Champagner-Flasche. Bei unserer Ankunft erhob sich Herr Janßen und sagte mit lächlender Miene: „Bäter später, denn gar nicht.“ Es wurden uns Stühle gebracht. Hippias, Herr Bleicamb und ich setzten uns. Der Baron ging in das angrenzende Zimmer, in welchem Madame Janßen nebst ihrem Sohn, die Erstere mit weiblicher Arbeit beschäftigt, saß, und bewillkommte diese würdige Dame. Ich bestellte eine Flasche Champagner und auf diese Weise bürgerten wir uns in den Cirkel ein, der sich schon vorher gebildet -- indem wir durch unsere Gläser, welche auf den Tisch gestellt wurden, bewiesen, daß wir Sitz und Stimme an der ~Table-ronde~ hätten. Es trat natürlich, wie es immer bei der Ankunft neuer Gäste geschieht, erst eine kleine Pause ein, die aber auch selten lange dauert, da derselbe Zweck jeden in solche Häuser führt, nämlich: zu genießen und fröhlich zu sein. Auf die Bitte der unschuldigen Linon, ergriff der elegante junge Mann die Guitarre und sang im schönsten Tenor eine allerliebste Romanze. Musik, Champagner, Gesang und hübsche junge Mädchen stimmten uns Alle bald heiter und fröhlich. Man stieß an, scherzte, trank und lachte. Während des Gesanges war meine Aufmerksamkeit auf einen Mann gelenkt worden, der mit ziemlich lauter Stimme sich mit seinem Nachbarn, einem jungen Menschen, unterhielt. Der Blick dieses Mannes hatte einen schmelzenden, wunderbar schönen Ausdruck; seine hohe Stirne zeigte auf Verstand hin, und in seinem ganzen Wesen sprach sich ein unverkennbarer Zug des Wohlwollens, der liebevollen Gesinnungen seines Herzens aus. Dieser Schluß von dem Aeußern auf seine innere Gemühtsstimmung wurde durch folgende Worte, welche er an den jungen Mann richtete, bestätigt: „Man muß jedem Menschen helfen, Wilhelm, vorausgesetzt, daß er ehrlich sei. Man muß keinem Menschen sein Vertrauen entziehen, denn, Wilhelm, glaube es mir, alle Menschen sind gut. Ich kann und will Dir helfen, Wilhelm, denn ich glaube, Du hast mich lieb. Wenn Du mich nicht lieb hättest, es wäre abscheulich von Dir! O, ich mag nicht daran denken! Sieh, Wilhelm, die Hauptsache in diesem Leben ist die Befriedigung der materiellen Interessen des Menschen. Um den Menschen aber in den Stand, sie zu befriedigen, zu setzen, muß man ihm Arbeit geben, damit er durch seine Thätigkeit in den Stand gesetzt werde, sich eine sorgenfreie Existenz zu verschaffen. Dieses muß das Hauptaugenmerk der Regierung sein; sie muß durch Bauten, durch öffentliche Arbeiten, durch Anlegung von Häfen, von Kanälen, von Brücken, von Eisenbahnen ihre Unterthanen beschäftigen; denn jeder Mensch im Staate, der keine angewiesene Thätigkeit, keine Existenz-Mittel hat, ist ein gefährlicher Mensch. Nicht weil er schlecht von Natur ist, Wilhelm, nein, weil er leben, essen, trinken, sich kleiden muß. Aber die Regierung allein ist nicht im Stande, bei der jetzigen Ueberfüllung an Menschen, sie alle anzustellen, zu beschäftigen. Daher müssen wir, wir reichen Kauf- und Fabrikherren, ihr zu Hülfe kommen, es auf ein Paar Thaler nicht in Anschlag bringen, wenn wir zwei oder drei Menschen mehr beschäftigen, als wir gerade nöthig haben. Sind sie ehrlich und arbeitsam, so hilft Gott ihnen schon weiter, wenn sie einmal rechtschaffen ins Gleis gebracht sind. Aber ehrlich müssen sie sein. Sieh, Wilhelm, ich bin reich; ich habe Alles erworben, aber noch diesen Augenblick, und wenn ich jetzt sterben sollte, so kann ich sagen: ich habe mir Alles redlich, ehrlich erworben. An meinem Vermögen klebt nicht die Thräne eines von mir Betrogenen, eines Uebervortheilten; ich habe weder meine Mitbrüder, noch mein Vaterland ausgesogen. Ich gewann Alles durch meiner Hände Arbeit, durch meine Sparsamkeit, durch meine Einsichten, und wenn Du heute nach Hamburg gehst, bin ich Dir für 100000 Mark Banko gut, wenn ich auch keinen Pfennig in der Tasche habe. Ja! Wilhelm ich will Dir helfen. Aber nicht wahr Du bist ehrlich -- Du hast mich lieb?“ Mit diesen Worten schloß der edle Menschenfreund seine Rede, ergriff die Hand des jungen Mannes und drückte sie innig in die seine. Es lag etwas unbeschreiblich Ergreifendes in dem Ton der Stimme, mit welchem dieser Mann sprach. Während er sprach, stieg der Ausdruck seines Gesichtes beinah zu dem einer himmlischen Verklärung; nachdem er geendet, blieb er schweigend sitzen, ohne an dem, was um ihn vorging, Theil zu nehmen. Ich war neugierig, den Namen dieses Mannes zu erfahren und wandte mich deshalb an einen Bekannten. Ich erhielt die Antwort: „Es ist ein reicher Fabrikherr, entweder ist er verrückt, oder wenn er es nicht ist, wird er es. Er +trinkt+.“ Diese Antwort machte einen fürchterlichen Eindruck auf mich. „Also,“ fragte ich mich selber: „Dieses seelenvolle Auge, das Liebe, Güte und Wohlwollen strahlt, ist der Blick eines Halbwahnsinnigen? Dieses gütige, menschenfreundliche Lächeln, das seine Lippen umspielt ist das bewußtlose Lächeln eines Blödsinnigen? Diese bedeutungsvollen, herrlichen Worte, die ich hörte, sind leere Phrasen eines Geist- und Bewußtseinlosen? Unter dieser erhabenen Stirne, die das Gepräge des tiefen Denkers trägt, kreuzen sich in gräßlicher Verworrenheit die Reste der Lichtstrahlen einer frühern, gesunden Vernunft mit den leeren Schattenbildern einer geistlosen Phantasie? Und die ganze geistige Confirmation dieses Lavaters und Galls würdigen Kopfes stürzt in sich selbst zusammen durch das Uebermaß des Genusses geistiger Getränke!“ Ich war zu bewegt -- ich ging hinaus, vor die Thüre und weinte, weinte Thränen über den Fall dieses Mannes. Ich mogte einige Minuten nachdenkend gestanden haben, als der junge Mann, den der Unglückliche Wilhelm nannte, zu mir trat, und mich folgendermaßen anredete: „Sie haben gehört, was mein Freund mir sagte? Ich habe es wohl bemerkt. Er hat Sie in Erstaunen gesetzt? Ich glaube es wohl. Es ist mit dem Menschen nicht mehr auszuhalten. Gestern Abend hat er den fürchterlichsten Spectakel in seinem Hause gemacht; er hat Alles entzwei geschlagen. Gerufen, es gebe keinen Gott, und wenn es einen gebe, so möge er die Treppe herunter kommen und ihn holen. Ist das nicht lustig? Heute hat er schon wieder zuviel. Ich habe seiner Frau versprochen, ihn heute Abend früh zu Hause zu bringen, aber es ist hier zu gute Gesellschaft, ich will nicht gerne fort, und so laß ich ihn trinken; denn hat er ein Glas vor sich stehen, so geht er nicht vor Morgen früh zu Hause!“ Mein Unwille gegen den erbärmlichen Menschen war zu groß. Ich brach in folgende Worte aus: „Und Sie sind sein Freund? Wilhelm, nicht wahr, Du bist ehrlich? Du hast mich lieb! Ich will Dir helfen, Wilhelm! Herr! können Sie an diese Worte zurückdenken, ohne daß Sie vor Scham in die Erde sinken!“ Der junge Mann sah mich mit großen Augen an. Ich drehte ihm den Rücken. Er ging. Ich hörte ihn die Worte murmeln: „Der ist wohl auch verrückt!“ Ich dachte bei mir: „+Wer ist mehr zu bemitleiden, der, welcher den Kopf verloren, oder der, dem das Herz fehlt?+“ Ich trat wieder in den Salon. Es waren einige Veränderungen vorgegangen. Der Baron hatte den Platz Wilhelms neben dem wunderbaren Mann eingenommen, und unterhielt sich mit Herrn Janßen. Ich hörte folgende Unterredung: „Sie wissen also nichts von diesem Manne?“ „Nichts, und will auch nichts von ihm wissen. Er ist zu dumm und trinkt zuviel. Er ist ein schlechter Kerl! Wie sind Sie zu seiner Bekanntschaft gekommen?“ „Das will ich Ihnen erzählen. Es sind jetzt ungefähr zwei Jahre, daß ich nach Altona kam. Ich wohnte damals in der kleinen Catharinen-Straße bei Herrn Bockendahl, einem Manne, dessen Herz lauter, wie Gold ist, und dessen Frau ein Engel auf Erden genannt werden kann. Eines Morgens ging ich spazieren, und kehrte bei Carl ein, um ein Glas Bier zu trinken. Ich mogte da wohl eine Viertelstunde gesessen haben, als ein Mann in das Zimmer trat, den ich, an dem Orden, den er im Knopfloche trug, bald für einen Holländer erkannte. Sie wissen ich bin Legitimist, Sie kennen meine Vorliebe für die braven Holländer. Ich redete den Mann auf Französisch an, und erfuhr bald, daß er ein Holländer, ein Holländischer Hauptmann sei und eine Kugel in das linke Bein erhalten habe. Zwischen zwei Soldaten ist bald Bekanntschaft gemacht. Der Capitän war ein braver Legitimist, wie ich. Kein Wunder, daß wir uns convenirten. In kurzer Zeit wußten wir Beide, wer wir waren. Ich erfuhr durch ihn, daß er Familien-Verhältnisse wegen Holland verlassen, zu einer der bedeutendsten Familien seines Landes gehöre, mit derselben sich aber überworfen und nun sich in Hamburg niedergelassen habe. Außerdem gab er sich mir, als ~Doctor utriusque juris~ zu erkennen, und, daß er gesonnen sei, eine Zeitschrift herauszugeben, wenn er hier Mitwirkung fände. Sie können leicht denken, daß der Mann mir immer interessanter wurde, denn es war längst mein Wunsch bei der Redaction einer Zeitschrift als Mitarbeiter angestellt zu werden. Ich gab ihm dieses zu erkennen. Er schien es mit Freuden aufzunehmen, und bei einigen Gläsern Genever wurde unsere Zeitung schnell fertig, welcher er den Titel: „Zeitung von St. Pauli“ geben wollte. Ich muß Ihnen übrigens gestehen, daß in dem ganzen Wesen des Doctor-Capitäns ein großer Ernst lag; dazu kam die Holländische Gelassenheit, die Sicherheit, mit welcher er von dem Erfolg seiner Plane sprach -- daß ich von jeher ein unüberlegter Mensch war -- und Sie werden leicht glauben, daß ich wähnte, meinen Mann gefunden zu haben. Wir trennten uns sehr zufrieden Einer von dem Andern und gaben uns unsere Adressen und auf den kommenden Tag ein ~Rendez-vous~ auf demselben Platze. Wie vergnügt kehrte ich zu meinem Bockendahl zurück! Ich sah mich im Geiste als Redacteur der französischen, englischen und deutschen Artikel der Zeitung von St. Pauli! Auch Bockendahl wurde sogleich mit angestellt und Wienbarg, Wille, Florencourt, und Flor sollten gebeten werden, meine neue Zeitung durch literarische Mittheilungen ihrer beliebten und glänzenden Talente zu unterstützen, denn, wie natürlich, sollte die Zeitung ein literarisches Feuilleton haben! Die Tendenz der Zeitung, die Raisonnements derselben sollten zwar legitimistischer Art sein, außerdem aber eine vollkommene Toleranz der Meinungen in ihr herrschen, damit sie sich dem Zeitgeiste anschlösse und viele Leser finden würde. Am folgenden Tage begab ich mich nach Carl, wo ich meinen Holländer schon vorfand. Er schien aber sehr verstimmt zu sein und schon einige Genever genossen zu haben. Als ich erschien, heiterte sich sein Gesicht etwas auf. Ich ließ mich bei ihm nieder. Nachdem er einige Züge aus seiner Cigarre gezogen hatte, sagte er mir leise: „Es ist heute Morgen schon Jemand von der Polizei hier gewesen, der sich nach Ihnen erkundigte. Haben Sie etwas mit der Polizei zu thun? Es ist aber einerlei, ich kenne Fischer sehr gut; es hat nichts zu sagen.“ „Ich habe in meinem ganzen Leben nichts mit der Polizei zu thun gehabt,“ erwiederte ich. Der Holländische Doctor that wiederum einige Züge aus seiner Cigarre, dann nährte er seinen Mund meinem Ohre und flüsterte: „Sie sind hier neulich dem Wirthe Geld schuldig geblieben. -- Das müssen Sie nicht thun. Ich habe für Sie bezahlt.“ Ich sah den Mann verwundert an; weil aber Gutmüthigkeit und Dankbarkeit ein Hauptzug in meinem Character ist, so dankte ich ihm herzlich. „Ich helfe immer gern einem Ehrenmanne!“ war seine Antwort. „Wir werden bald Geld genug aus Holland bekommen.“ Er rauchte weiter und trank mit zitternder Hand ein Glas Genever. Wir blieben noch einige Zeit dort sitzen. Alsdann schlug er mir vor, etwas spaziren zu gehen, welches ich mit Freuden annahm. Kann man sich ein größeres Vergnügen denken, als an der Seite eines wohlwollenden Freundes an einem schönen Sommertage um die wundervollen Anlagen der Hamburger Wälle zu gehen! Die schöne Natur! Die reizenden Umgebungen! Die schwellenden Segel der Schiffe! die hohen Kirchthürme der Königin der Meere! Alles dieses machte einen angenehmen Eindruck auf mich. Wir gingen wohl mehre Stunden. Mein Doctor wurde immer stiller. Endlich sprach er: „Ich muß Ihnen was sagen. Ich bin in der größten Verlegenheit. Mein Hauswirth hat mich grob behandelt. Ich kann dort nicht wieder zurück. Ich habe kein Geld. -- Meine Revenüen sind ausgeblieben. Ich weiß nicht, wo ich hin soll.“ „Aber können Sie nicht von Ihrem Consul, von Ihren Landsleuten Unterstützung erhalten?“ „Nein, antwortete er -- das kann ich nicht. Alle Holländer, die hier sind, sind meine Feinde; und den Consul haben sie gegen mich eingenommen, weil sie wissen, daß ich alle ihre schlechten Streiche kenne, die sie in Holland machten, und fürchten, ich könnte sie dem Consul wieder erzählen. Ich war Greffier beim Tribunal in Holland.“ „Dann sind Sie wirklich in einer schlimmen Lage,“ antwortete ich. „Ich selbst habe kein Geld und kann kaum für mich leben. Sie hatten ja aber gestern noch so viele Hoffnungen mit der Zeitung von St. Pauli?“ -- „Ich hörte Ihren Namen, hielt Sie für reich und hoffte, durch Sie es zu bewerkstelligen.“ „Na! dann haben wir uns Beide in einander getäuscht!“ rief ich lachend. „Aber was soll aus mir werden?“ fragte der Doctor mit klagender Stimme. „Ich habe kein Geld, kein Obdach, kein Essen, keine Kleidung, keine Wäsche!“ -- Ich besann mich einen Augenblick. Dann sagte ich: „Herr Doctor! Ich kenne Sie nicht, aber Sie scheinen ein Mann von Ehre zu sein, obgleich es mich wundert, daß keiner Ihrer Landsleute sich Ihrer annimmt. Ich selbst habe fast Nichts, lebe nur von der Güte meiner Familie; aber wollen Sie das, was ich habe, mit mir theilen, so steht es Ihnen zu Diensten. Ich kenne das Herz des Herrn Bockendahl; er wird mir erlauben, Sie bei mir aufzunehmen. -- Ich weiß vorher, daß diese Handlung mir verdacht wird; aber ich kann keinen Menschen in einem solchen Elende lassen.“ -- -- „Ich merke was!“ rief mit einem Male der wunderbare Mann. „Sie sind mein Freund! Ich kann Ihnen helfen! Ich werde Ihnen helfen! vorausgesetzt, daß Sie ehrlich sind. Sie sind es!“ Der Baron blickte mit Verwunderung auf den wunderbaren Mann. Um die Lippen des Herrn Janßen spielte ein sonderbares Lächeln. „Eine Flasche Wein, Janßen!“ sagte der wunderbare Mann. „Zwei Gläser! für mich und diesen Herrn! Die materiellen Interessen jedes Menschen müssen befriedigt werden. Wenn man durstig ist, muß man trinken! Komm her, Wilhelm, Du mußt mittrinken. Wilhelm! Ich habe Dich so lieb! Nicht wahr, Du hast mich lieb? Ja! Denn Du bist ehrlich!“ -- -- -- Es entstand jetzt eine Veränderung in dem Salon Janßens. Drei englische Schiffscapitäne nebst ihrem Steuermann traten in das Zimmer, warfen sich auf die ersten, besten Stühle nieder, und bestellten ein Glas ~Gin and water~. Die Schenk-Mamsellen, ihrer Pflicht, gegen Jedermann zuvorkommend zu sein, eingedenk, begrüßten die edlen Briten mit einem Kugelregen ihrer Blicke. Eine anderweitige Unterhaltung war leider nicht möglich. Denn die hochherzigen Söhne Albions hatten es in der Verachtung „+alles Fremden+“ so weit getrieben, daß sie sich nie hatten entschließen können, eine fremde Sprache zu lernen. Die Augensprache und einige kräftige ~God damns~ oder ~God bless my soul!~ mußten das Ihrige thun. Die Augen wurden daher in Bewegung gesetzt, und da sie von dem eigenthümlichen Feuer einiger vorhergenossener Bouteillen Portwein glühten, so richteten sie ein höllisches Feuer auf die Reize der liebenswürdigen Schönen, vor welchem jedes andere Mädchen die Augenlieder gesenkt, und zurückgebebt haben würde. Dieses war aber keinesweges bei den tugendhaften Schenk-Mamsellen der Fall. Englische Schiffscapitäne sind gewöhnlich gut mit Geld versehen, trinken gut und kehren in der Regel immer wieder da ein, wo sie sich einmal gut gefallen haben. Drei vortreffliche Eigenschaften, die man stets berücksichtigen muß. Die drei jungen Schönen bereiteten sich daher zum Angriffe auf die Herzen der tapfern Seemänner vor. Die unschuldige Linon zog die Flagge jungfräulicher Empfindsamkeit auf, richtete den schönen Blick auf eine Rose, welche sie in der Hand hielt, und von Zeit zu Zeit auf den dicksten der drei Seelöwen, welcher mit starrem Auge dies liebliche Bild betrachtete, und endlich entzückt auf englisch ausrief: ~God damn!~ Sie sieht gerade aus wie eine Engländerin!“ Die muntere Thereson schritt direkt zum Angriff, den sie auf den jüngsten und lebendigsten der drei Engländer dirigirte, warf sich mit liebenswürdiger Nachlässigkeit auf den neben demselben stehenden Stuhl -- sah ihn lange schalkhaft mit ihren klugen Augen an und sprach dann auf das Glas zeigend: „Trink Sir! Meine Gesundheit, Sir!“ Mlle Jeannette aber ergriff die Guitarre und sang mit einer angenehmen Stimme die Liebe des ~vaillant Dunois~ zu der schönen ~Gabrièle~. Wir waren indessen lange genug dort gewesen; ich gab daher meinen Freunden ein Zeichen. Wir erhoben uns von unseren Sitzen, sagten Janßen gute Nacht und entfernten uns. Auf der Straße blieben wir einige Augenblicke stehen. „Wohin, jetzt?“ fragte ich. „Wohin Sie wollen,“ entgegnete der Baron. „Mir gleich!“ sprach Herrmann Bleicamb. „Führe uns,“ sagte Hippias. „Vergiß aber nicht, daß ich den Clemens Gerke sehen will.“ „Es ist nicht mehr ganz früh,“ sprach ich, die Uhr betrachtend. „Wir könnten freilich einige Häuser von hier bei Kittel einkehren. Wir würden dort eine sehr schöne Frau, ein gutes Glas Wein und Englische Zeitungen finden. Wir haben aber schon genug getrunken! Darum vorbei! -- Einige hundert Schritte weiter, und wir würden die Wahl zwischen Carl und dem Trichter haben. Es ist freilich Alles recht gut in diesen Häusern, wir haben aber schon Alles genossen, was wir da finden können. Der Trichter ist freilich eins der berühmtesten und besuchtesten Cafée-Häuser, weil er in der Mitte zwischen Altona und Hamburg liegt. Ich wenigstens kann nichts Anderes finden, wodurch er sich vor den übrigen Cafée-Häusern auszeichnete. Ich liebe nicht diese Menschenmassen; am wenigsten hier. Man glaubt in einer solchen Masse sich zu verlieren, unbemerkt zu sein; spricht frei und offen, und man wird bemerkt, jedes Wort gehört und weiter getragen. Wir könnten jetzt noch zu Risch in die Elb-Halle gehen, wo wir eine vortreffliche Musik, einen aufmerksamen Wirth, gute Kellner finden würden. Schon aus dem Grunde, weil der Wirth ein braver Schweizer ist, müßten wir hingehen. Wir würden dort aber zu lange bleiben, weil es dort zu angenehm ist. Ich schlage daher vor, weil Hippias darauf besteht, den berühmten Dichter zu sehen, sogleich nach den +Vier Löwen+ zu gehen.“ Der Vorschlag wurde gebilligt. Unser Droschkenkutscher, der sich kluger Weise in unserer Nähe gehalten hatte, rasselte auf einen Wink von mir herbei. -- Bald saßen wir im Wagen und nach einigen Minuten hielten wir vor den Vier Löwen, stiegen aus und traten in den hellerleuchteten Tanzsaal dieses Locales. Ich muß es der Einbildungskraft meiner Leser und Leserinnen überlassen, sich den Tumult, das Leben und Treiben in einem öffentlichen Hause zu denken. Wir blieben so kurz, als möglich dort, sahen Herrn Clemens Gerke, und schlugen unseren Pfad nach der Allee ein, welche zum Trichter führt. Wir wandelten sie mehre Male auf und nieder. Ein sehr elegant gekleidetes Frauenzimmer schien unsere Schritte zu verfolgen und wußte es so einzurichten, daß sie endlich Hippias mit dem Arme berührte. Er bat um Entschuldigung. Das junge Mädchen blieb stehen und redete ihn folgendermaßen an: „Sie sind wohl ein Fremder, mein Herr?“ „Ja wohl. Und woher sind Sie?“ „Ich bin allerwärts und nirgends zu Hause, und jetzt in den Vier Löwen. Waren Sie nie in Hamburg?“ „Ja wohl, mein Kind.“ „Hatten Sie nicht Verwandte in Uetersen?“ „Auch das. Doch warum?“ „Hatten Sie auch eine Tante, die dort wohnte?“ „Die hatte ich und habe sie noch.“ Das Mädchen schwieg einen Augenblick. Sie ließ die Arme an ihre Seiten niedersinken. Sie zitterte am ganzen Körper. Dann sprach sie mit bebender Stimme: „Erinnern Sie Sich der Wiese, welche hinter dem Hause Ihrer Tante lag?“ „Sehr gut.“ „Es waren dort zwei Hügel, auf welchen drei Eichen standen. Erinnern Sie Sich das?“ „Auch dessen erinnere ich mich.“ „Kommen Sie, Herr Hippias,“ sprach das Mädchen. „Kommen Sie. Ich habe Ihnen etwas zu sagen.“ Sie ergriff Hippias am Arm und schlug einen Seitengang ein. Wir blieben verwundert stehen. „Ich bin neugierig, wie das enden wird,“ sagte ich zu Bleicamb. „Nichts! eine gewöhnliche List, Fremde an sich zu locken.“ „Wir werden das Ende dieser Aventüre schon erfahren!“ rief der Baron. „Während dieser sentimentalen Promenade des Herrn Hippias, können wir hier auf und abpatrouilliren, und uns vom schönen Wetter unterhalten.“ Wir gingen darauf wohl eine halbe Stunde auf und nieder. Endlich erschienen Hippias und das junge Frauenzimmer wieder. „Ich überliefere Ihnen hier ihren Freund wieder,“ sprach sie, indem sie eine leichte Verbeugung machte. Dann ergriff sie Hippias Hand und sprach mit einem namenlosen Ausdrucke: „Gehst Du auch Morgen hier vorüber? Gewiß? nicht wahr? Das schlägst Du mir nicht ab? Ich stürbe, wenn Du es nicht thätest!“ -- „Sei überzeugt davon.“ Das Mädchen entfernte sich. „Du bist lange ausgeblieben,“ sprach ich. „Gute Geschäfte gemacht?“ Fragte Herrmann Bleicamb. „Fragt mich hier nicht,“ antwortete Hippias ernst. „Laßt uns weiter gehen. Ich bin ermattet und angegriffen,“ sprach er weiter. „So laßt uns zu der Heitmann gehen und dort Austern essen und Porter trinken. Auch können wir dort Mondenschein vom Balcon schlürfen,“ schlug der Baron vor. „Ich bin dabei! Wir wollen jetzt sentimental werden!“ rief Herrmann Bleicamb. Wir richteten unsere Schritte nach der ~London-Tavern~. Der Mond leuchtete unsern Schritten. Wir waren bald dort; schritten durch die Billiardsstube, dem großen Saale, dem Balcon zu. Dort angelangt, setzten wir uns nieder, und bestellten Austern und Porter. Das Geforderte erhielten wir schnell. Der sanfte Mondenschein, die dicht vor uns fließende sanft bewegte Elbe, die vor uns liegenden Inseln derselben, die in Nebel gehüllten Gestade des Hannoverschen, das Vorbeigleiten einer verspäteten Barke, das dumpfe Läuten aus den vor Anker liegenden Schiffen, der melancholische Ton des einförmigen Liedes eines wachthabenden Seemannes -- Alles dieses machte einen feierlichen Eindruck auf uns. Stiller und ernster, als wir Alle, war aber Hippias. „Es muß Dir etwas Außerordentliches mit dem Mädchen begegnet sein, Hippias, dürfen wir es wissen?“ fragte ich. „Warum nicht. Wenn gleich es nichts Außerordentliches, und gewiß schon einem Jeden von uns arrivirt ist, so kann ich nicht leugnen, daß dieser Vorfall einen tiefen Eindruck auf mich gemacht hat, und ich würde nicht werth sein, ein Mensch zu sein, wenn dieses nicht der Fall wäre.“ „Du machst mich begierig.“ „Erzählen Sie,“ sagte der Baron. „Wenn es etwas Interessantes ist, etwas Rührendes, so konnten wir keinen schönern Platz, um es zu vernehmen, wählen. Die Nacht, welche Alles in unsicheren Conturen zeigt, regt ohnehin das Gemüth, die Phantasie auf, streift das Grelle, ich mögte sagen, das Rohe des Tageslichtes ab, und läßt uns selbst das Gewöhnliche ungewöhnlich, geheimnißvoll erscheinen. Wenn nun auch das, was Sie uns mittheilen wollen, bei Lichte besehen, etwas Alltägliches ist, so befinden wir uns jetzt und hier gerade in einer Stimmung, um demselben die schöne Seite abzugewinnen. Mag man mich für einen Nachtschwärmer halten; ich halte es mit der Nacht, und gewiß verdanken wir nur ihr die schönsten Gebilde, welche menschliche Phantasie schuf, welche ein menschliches Herz durch die Hand und die Feder auf das Papier hauchte.“ „Und nun wieder vorby!“ rief Herrmann Bleicamb, eine fette Auster verschlingend. „Wenn Du mit deinen schönen Redensarten fortfährst, so bekommen wir nichts von der Geschichte zu hören. Nun, Herr Hippias, wie war denn das so eigentlich?“ „Sie wünschen die Geschichte zu hören, meine Herren, es sei! Ich werde mich kurz fassen: Es sind jetzt ungefähr funfzehn Jahre her, daß ich beschloß die Welt zu sehen, auf Reisen zu gehen. Ich hatte vor meiner Abreise noch einige Familien-Verhältnisse zu ordnen und begab mich daher zu einer alten Tante, die auf einem Gute unweit Hamburg wohnte. Die Zeit meines dortigen Aufenthaltes verlängerte sich durch einige Hindernisse, die erst beseitigt werden mußten. Die Einförmigkeit des Landlebens fing an mich zu ennuiren. Meine Tante war alt, ihre Zofen waren alt und häßlich, aber die Bauermädchen waren hübsch, jung, kernig und frisch. Einem Bauermädchen hatte ich noch nie die Cour gemacht. Das mußte ein capitales Mittel gegen die Langeweile sein! Die Sache war aber nicht so leicht gethan, als gedacht. Auf dem Lande herrscht mehr Religion, mehr Sittlichkeit, als in der Residenz. Der Einfluß des braven Geistlichen war zu groß, und überdies hatte jedes Bauermädchen seinen Schatz. Der Teufel aber, der einem Jeden so gerne die Hand bietet, wenn er eine Seele für sich gewinnen kann, half auch hier. Bei dem Verwalter meiner Tante, mit dem ich zuweilen eine Pfeife rauchte, diente ein junges Mädchen von ungefähr sechzehn Jahren. Sie war rein, unschuldig, wie ein Engel. Erlassen Sie es mir, meine Herren, Ihnen eine Schilderung jener niederträchtigen Verführungskünste, die ich anwandte, zu beschreiben. Das arme Lieschen, so hieß das Mädchen, erlag meinen Bemühungen. Die drei Eichen, die beiden Hügel auf der Wiese, welche hinter dem Garten meiner Tante lagen, waren die stummen Zeugen eines falschen Eides, einer verlorenen Unschuld. Sie blieben mehre Wochen die verschwiegenen Zeugen einer verbrecherischen Glückseligkeit. Dann fuhr ich mit Extrapost nach Paris. Lieschen mit Schande bedeckt, ein Kind unter dem Herzen, lief hinter dem Wagen her und langte fast ohne Besinnung in Hamburg an. Hier fand sie gütig-teuflische Hülfe. Das Mädchen, welches mich anredete, war eine öffentliche Person aus den Vier Löwen -- es war Lieschen!“ „Ich habe Ihnen, meine Herren, die Geschichte des armen Lieschen ganz ohne alle Ausschmückung erzählt. Ich weiß, daß ihr Loos das Loos von Tausenden ist. Ich kann es aber nicht leugnen, daß dieses Ereigniß mich tief ergriffen hat. Nehmen Sie einmal an, was habe ich mir nicht vorzuwerfen? Wenn wir die Sache ernst betrachten, so stehe ich da: als ein systematischer Verführer, als ein Meineidiger, als ein Mann, dessen Schuld es ist, daß ein Geschöpf, dem ich das Leben gab, nie das Licht der Welt erblickte, also, als der Mörder meines eigenen Kindes; als ein Mann, dessen Schuld es ist, daß das tugendhafteste, unschuldigste Mädchen zur verworfensten Creatur wurde, daß er eine Seele dem Himmel stahl und sie der Hölle überlieferte! Und ein solcher Mann darf es wagen sein Haupt zu diesem gestirnten Himmel zu erheben? Frei und stolz und geehrt unter seinen Mitmenschen umherzugehen, während die Welt mit Fingern auf das unglückliche Geschöpf weist, vor ihr ausspeit, das er allein in dies Elend gebracht hat! +Wahrlich! wenn es Strafen in dieser Welt giebt, so sollte die schwerste den Mann treffen, der der absichtliche Verführer weiblicher Unschuld und Tugend ist, denn die Folgen einer solchen Verführung sind nicht zu berechnen, weder für diese, noch für jene Welt!+“ -- -- -- -- „Ich weiß, daß die meisten unserer Weltmenschen mich auslachen werden, wenn ich einer so ganz gewöhnlichen Geschichte eine so tiefe Bedeutung gebe. Für mich aber hat sie sie, und mein einziger Trost besteht darin, daß ich mein Vergehen noch so tief empfinden kann, und es so viel, als mir möglich, wieder gut zu machen suchen werde.“ „Ich billige ganz Ihre Gefühle,“ sprach der Baron, „denn ich empfinde sie mit Ihnen. Ich würde Sie für keinen Mann von Ehre halten, wenn dieser sonderbare Vorfall Sie nicht tief ergriffen hätte. Das Augenscheinliche in dieser Sache mußte Sie frappiren. Gewiß sind wir Alle, die wir hier sitzen, nicht minder schuldig, als Sie, aber die Folgen unserer Vergehen stellten sich nicht auf eine so unerwartete Weise unsern Blicken dar, als Ihnen. Vielleicht bin ich ein weit größerer Verbrecher, als Sie, denn ich griff frevlend ein in das Heiligthum der Ehe und machte auf diese Weise zwei Menschen unglücklich. Weil mein Opfer aber zu der höheren Gesellschaft gehörte, so wurde es vermieden, der Welt durch einen Eclat einen Anstoß zu geben. Man trennte sich auf eine anständige Weise; man hatte genug zu leben, in ein Bad zu gehen, sich zu pflegen, wiederherzustellen, den Schein zu retten, und war daher nicht gezwungen, die Lebensweise zu ergreifen, die Ihr armes Lieschen zu ergreifen gezwungen war. „Wenn wir nun aber eine wirklich ernste Betrachtung über diesen heutigen Vorfall anstellen wollen, so können wir uns freuen, daß er uns Gelegenheit zu Reflexionen giebt, in uns zu gehen, den Vorsatz zu fassen, uns zu bessern, und, daß es in unseren Zeiten, Gottlob! so weit gekommen ist, daß man die Solidität eines Mannes jeder anderen glänzenden Eigenschaft vorzieht. Mit Freuden habe ich diese Bemerkung gemacht, obgleich ich nicht meinen Vortheil dabei finde; aber gewiß ist es: +in unseren jetzigen Zeiten wird nur der Mann geachtet, dessen öffentliches und Privat-Leben frei von Makel ist, und dessen Grundsätze auf der strengsten Sittlichkeit basirt sind+.“ „Du sprichst vortrefflich,“ unterbrach ich den Baron, „nur Schade, daß das, was Du von unseren Zeiten sagst, +nicht ist+, sondern nur +so scheint+. Gerade diese Leute, die jetzt den Ton angeben, und die ich die anerkannten Soliditäten nenne, sind gerade die größten Heuchler und Sünder. Ihre Solidität besteht nur +darin: sich den Schein einer Tugend zu geben, die sie nicht haben+.“ „Thut nichts! Schon dadurch ist viel gewonnen. Der, welcher jahrelang dem Scheine sich unterwirft, gewöhnt sich nach und nach daran, die Lebensweise wirklich anzunehmen, welche er zuerst nur des Scheines willen adoptirte. Es ist dann freilich nur Gewohnheits-Sache bei ihm geworden und er kann sich es nicht als Verdienst anrechnen; aber er giebt dem großen Haufen ein gutes Beispiel und wirkt dadurch zum allgemeinen Besten. Laß es nur eine zehn Jahre hindurch allgemeine Mode sein, +tugendhaft zu scheinen+ und wir werden in den nächsten zehn Jahren +tugendhaft sein+. Ebenso wie die jungen Männer jetziger Zeit den Studien obliegen müssen, um ein gutes Examen zu machen, und nur +dadurch+ ein Amt zu erhalten im Stande sind; ebenso werden sie es auch vermeiden, öffentliche Aergernisse zu geben, wenn sie wissen, daß ihnen durch sie die Häuser des ~bon ton~ verschlossen werden, und ihnen die Aussicht auf Beförderung genommen wird.“ „Ich höre Dir mit Vergnügen zu,“ sprach Bleicamb. „Du hast eine große Aehnlichkeit mit einem Wegweiser.“ „Wie das?“ „Nun, Ihr zeigt Beide den rechten Weg und geht ihn nicht.“ „Das ist noch der beste Witz, den Du heute Abend gemacht hast. Er kam wohl aus Deinem Magen? Denn dem Anscheine der Austerschaalen nach, die auf Deinem Teller liegen, muß er voller sein, als Dein Kopf.“ „Auch gut! Und nun wieder vorby!“ „Es wird aber wohl jetzt Zeit sein uns zur Ruhe zu begeben,“ sprach ich. „Wenn Du nichts dagegen hast, Baron, so finde Dich morgenfrüh um elf Uhr im Trichter ein. Wir wollen uns dort weiter expectoriren, und dann mit Hippias nach Hamburg gehen. Wollten Sie auch von der Partie sein, Herr Bleicamb, so würde es mir und meinem Freunde sehr angenehm sein.“ Mein Vorschlag wurde angenommen. Wir begaben uns nach Hause. 2. Zweite lustige Fahrt. Der Trichter. Der Lieutenant Strober und der Capitän Lani. Frühstück. Der Baron, Hippias, Herr Herrmann Bleicamb und Aristipp. Physiologische Definitionen. Gespräche über Gretchen, Lieschen, Faust. Die diabolische Natur und die Erbsünde. Rede des Barons gegen die Franzosen. Würdigung des deutschen Volkes. Promenade vor dem Trichter. Volk, Volksgedränge. Parallele zwischen dem Grafen Blücher-Altona und einem Tyrannen. Das Joachimsthal. Geschichte des Barons und des Herrn Hoyers. Hamburg und die Hamburger. Phantasie Aristipps über die Einführung von Stiefelwichsern in Hamburg. Nutzen derselben und Richard Savage. Das Hôtel ~de France~. Die Familie ~Guilleaume~ und Fräulein Adeline. Die ~Commis voyageurs~. Deutsche und Russische Ansichten über Liebe. Gespräche, Räthsel, Calembourgs. Der Jungfernstieg. Der Alster-Pavillon. Rückerinnerungen an Fr. Wille, Franz von Florencourt und Dr. Wienbarg. Vertheidigung der Emancipation der Israeliten, basirt auf Stellen aus der heiligen Schrift. Der Graf ~d’ Espagne~ und die falschen Zähne des Herrn Calais. Witz eines Ditmarschers. Legitimistische Aeusserungen des Barons. Entgegnung von Seiten Hippias. Keller des Herrn Langewisch. Ein Hamburger Wirth. Ende der Geschichte des Barons und des Holländischen Doctor-Capitäns. Betrachtungen. Ansichten, Gefühlswelt. Der Trichter liegt -- wie alle Menschen wissen, die in Hamburg waren, -- der Reeperbahn gegenüber, und zwar in der Mitte zwischen dem Wege von dem Altonaer nach dem Hamburger Thore. Den ungeheuren Zuspruch den er hat, verdankt er theils dieser Lage, theils seinem geräumigen Locale und der Güte aller jener Getränke, Speisen etc., welche man dort erhält. Es ist nichts Seltenes, an einem schönen Sommer-Abende Tausende von Menschen beiderlei Geschlechts, dort zu finden, die in dem geschmackvollen Garten, auf der Gallerie um das Gebäude herum, sitzen, die schöne Luft genießen, dem Spiele einer ausgezeichneten Musikbande zuhören und die Vorübergehenden, Reitenden und Fahrenden betrachten. Die gewöhnliche Gesellschaft, die man dort findet, besteht meistens aus den Schiffs-Capitänen aller Nationen, deren Schiffe in Hamburg und Altona vor Anker liegen und die durch ihren Besuch die Kameradschaft mit ihrem ehemaligen Collegen, dem Besitzer des Trichters, aufrecht erhalten. Gewöhnliche Gäste des Trichters sind außerdem einige Officiere des Hanseaten-Corps in Hamburg, unter welchen der Lieutenant Strober einer der interessantesten ist; der mit dem einnehmendsten Wesen die Gabe besitzt, hinter einem guten Glase Stroberschen Bieres, d. h. Grog von Cognac, eine angenehme Unterhaltung zu machen. Ihm zur Seite erscheint gewöhnlich der Capitän Lani, dessen Leben reich an Aventüren mancher Art war, und dem es bei der Geläufigkeit seiner Zunge ein Leichtes ist, „einen ergötzlichen Faden abzuspinnen.“ Da diese beiden erwähnten Herren durchaus keine Menschenfeinde sind, so rathe ich einem jeden Fremden, der den Trichter besucht, ihre Bekanntschaft zu suchen, und versichere ihm, daß er, sehr befriedigt durch die Unterhaltung beider, dieselben verlassen wird. Zwischen den übrigen Gästen sind diese Herren leicht zu erkennen. Der Lieutenant ist fast immer in Uniform, sein hoher Wuchs, seine schlanke Taille, seine römische Adlernase und der stechende Blick seiner Augen, von denen er gewöhnlich das eine halb schließt, lassen ihn nicht leicht mit einem Andern verwechslen. Der Capitän ist gewöhnlich in einem schwarzen Fracke gekleidet, trägt ein Paar dunkelgraue Unaussprechliche, einen Schnurbart; den übrigen Bart aber wegrasirt, und hat Etwas in seinem Gesichte das Gutmüthigkeit und Schlauheit ausdrückt. Ein besonders großer Theil seines Gesichtes bildet die Nase, welche man aber weder eine römische, noch griechische, sondern nur, die Nase des Capitän Lani nennen kann. Daß man im Trichter alle Zeit- und Literatur-Schriften findet, versteht sich von selbst. Auch ein vortreffliches Billard ist dort, auf welchem fleißig ~à la poule~ gespielt wird. Wer aber nicht gerade ein ausgezeichneter Meister, ein ~Monsieur Eugène~, sein sollte, der wird dort schwerlich eine ~Poule~ gewinnen. Im Trichter findet man zwar eine Schenke, aber keine Schenk-Mamsellen darin, wenn gleich das Geforderte durch Personen weiblichen Geschlechtes verabreicht wird. Diese machen aber keinen Anspruch auf jenen Titel, sondern sind schlichte, rechtliche Bürger-Mädchen, in Hauben und gewöhnlichem Anzuge eines ordentlichen Hamburger Dienstmädchens. In der Mitte des Locales steht ein kupferner Ofen, dessen Röhren durch das ganze Zimmer laufen. Das Ganze ist einfach, aber elegant meublirt. Man sieht, daß der Geist des ehemaligen Schiffscapitäns noch nicht verschwunden ist, denn überall herrscht Ordnung, Reinlichkeit und Sauberkeit. Nachdem ich meine Leser auf diese Weise eingetrichtert und dem Trichter die besten Empfehlungen gegeben habe, obgleich ich selbst nicht gerne dort sein mag, weil ich Menschen und das Menschen-Gewühl hasse, so ersuche ich sie, sich im Geiste im Trichter einzufinden. Hippias und ich traten um elf Uhr dort ein. Der Baron und Herr Bleicamb waren schon dort. Wir begrüßten uns mit den gewöhnlichen Fragen und Antworten: „Gut geschlafen?“ „Vortrefflich.“ „Angenehme Träume gehabt?“ „Keinen Katzenjammer?“ „Den habe ich nie.“ „Lieschen nicht im Traume erschienen?“ „Nein. Gottlob nicht!“ „Die Melancholie noch nicht vorby?“ etc. „Meine Herren,“ sprach der Baron, „das ganze Leben dreht sich eigentlich nur um Essen, Trinken und Weiber. Für die beiden ersten Punkte habe ich gesorgt. Im Nebenzimmer erwartet uns ein Frühstück, so gut es hier zu haben ist: ~Beefstakes aux pommes de terre~. Folgen Sie mir.“ Wir gingen hinein und setzten uns. „Es ist mir unbegreiflich, wie man so viel essen kann!“ rief Herr Bleicamb, ein ungeheures Stück ~Beefstake~ zu Munde führend. Wir lachten! „Du hast wohl einen Magen gemiethet, der für Dich verdauet,“ meinte der Baron. „Wie ich es in irgend einer Zeitschrift gelesen, so hat man es jetzt ja so weit gebracht, sich mit irgend einem Andern in einen magnetischen Rapport setzen zu können, dessen Magen dahin zu bringen, daß er für einen verdauet. Ich glaube, Dein Magen würde sich vortrefflich zu einem solchen Amte passen. Laß Dich in die Zeitung rücken, und ein Schild vor Deine Thüre nageln, mit der Inschrift: Hier sind magnetische Magen zu vermiethen ~à~ Stück zwei Mark ~per~ Tag.“ „Du, mach mich nicht böse! Ich esse für meine ganze Familie.“ „Verzeihe es mir! Du weißt, ich kränke Niemanden absichtlich.“ „Ich habe auch diese Erzählung gelesen,“ bemerkte Hippias, „in welcher von diesen magnetischen Magen die Rede ist. Der Einfall ist wenigstens neu, und da schon so viel geschrieben ist und immer geschrieben wird, so muß man zuletzt auf das Baroqueste kommen.“ „Ich bin hierin nicht Ihrer Meinung. Je mehr wir das Baroque suchen, je mehr entfernen wir uns von dem Wahren, dem Natürlichen,“ antwortete der Baron. „Wie viele Dinge oder Gegenstände in, an, um uns her sind uns unerklärlich, von denen wir uns keine Rechenschaft zu geben wissen; von denen wir nicht wissen, wie und auf welche Art sie bewirkt werden. Wir schreiben, wir philosophiren, wir disputiren über die entferntesten, unerklärlichsten Gegenstände und die gewöhnlichsten Gegenstände im Leben wissen wir uns nicht zu erklären, nicht richtig zu definiren. Wir lachen, wir seufzen, wir weinen, wir gähnen etc. Wenn ich Sie oder die gelehrtesten unserer jungen Literaten nun aber ersuchte, mir eine physiologische Erklärung oder Definition des Weinens, des Lachens etc. zu geben, würden Sie dazu im Stande sein? Definiren Sie mir z. B.: Seufzen! -- Sie schweigen -- Sie können es nicht. Ich selbst war vor einiger Zeit nicht im Stande dazu, weil ich mich auch nur „unerklärliche Geheimnisse“ zu erforschen bemühte. Zufälligerweise machte ich in einem kleinen Flecken die Bekanntschaft eines jungen interessanten Arztes, welcher mir eines Abends folgende Definitionen mittheilte: Erstens. +Was ist Küssen?+ Küssen ist ein Saugen, wobei aber die Mundöffnung plötzlich von dem Gegenstande, an den sie sich befestigt hatte, abgezogen und, durch ein gleichzeitiges und schnelles Eindringen der Luft von Außen her, der gewöhnliche Ton beim Küssen entsteht. Zweitens. +Was ist Saugen?+ Saugen ist ein Anhalten des Athems. Weder durch den Mund, noch durch die Nase tritt Luft in die Lungen. Die Mundhöhle wird gewissermaßen luftleer gemacht; durch eine eigenthümliche Bewegung der Zunge aber wird der luftleere Raum vergrößert und dann dringt, durch den Druck der Luft von Außen her, das Eingesaugte in die Lufthöhle. Drittens. +Was ist Seufzen?+ Seufzen besteht in einem langsamen, tiefen Einathmen, mit darauf folgenden langsamen, passiven Ausathmen mit zitterndem Tone verbunden. Viertens. +Was ist Weinen?+ Weinen besteht in tiefem Einathmen, worauf dann abgestoßenes an Heftigkeit immer abnehmendes Ausathmen entsteht. Fünftens. +Was ist Schneuzen?+ Hier findet, damit sich viele Luft ansammle, tiefe Inspiration statt, dann wird Mund und Nase geschlossen, die Luft mit voller Gewalt in die Nase getrieben, und dann die Nase plötzlich geöffnet. Sechstens. +Was ist Lachen?+ Lachen ist die Modification der Respiration, wobei auf ein tiefes Einathmen kurze, mit einem eigenen Tone verbundene Exspirationen erfolgen. Siebtens. +Was ist Schluchzen?+ Schluchzen entsteht durch eine convulsivische, zugleich mit schneller, abgebrochener Inspiration vergesellschaftete Contraction des Zwergfelles. Achtens. +Was ist Niesen?+ Niesen besteht in tiefem Einathmen, worauf dann eine heftige, abgesetzte, mit besonderem Geräusch verbundenen Exspiration erfolgt, die durch einen Reiz in der Nase erregt ist. Neuntens. +Was ist Gähnen?+ Gähnen besteht darin, daß die Inspirations-Muskeln sich unwillkührlich erweitern; zugleich erweitern sich auch die Lungen, nehmen viel Luft auf, und nachdem diese angefüllt sind, treten die Exspirations-Muskeln in besondere Thätigkeit. Bei der Exspiration und Inspiration öffnet sich der Mund. Dieses Oeffnen rührt von der angestrengten Thätigkeit der Streck-Muskeln der untern Kinnlade her. Zehntens. +Was ist Hauchen?+ Hauchen besteht in einem willkührlichen Ausathmen bei weiter Stimmritze und offenem Munde. Wird der Mund dabei meist geschlossen, so wird es +Blasen+. Tritt die Luft durch eine noch kleinere Oeffnung, so ist es +Pfeifen+; hierbei wird die Luft aber mehr zusammengepreßt, so, daß sie mit großer Kraft hervortritt. Ich theile Ihnen diese Definitionen nicht mit, meine Herren, um mit einer erborgten Gelehrsamkeit zu prahlen. Wie gesagt, ich habe dieselben von einem jungen Arzte, und wahrscheinlich sind sie jedem Mediciner bekannt, vielleicht auch schon gedruckt. Ich wollte nur damit beweisen, daß es so hunderttausend Gegenstände giebt, die uns so unendlich nahe liegen, von denen wir uns keine Erklärungen geben können, weil wir sie nicht mit Aufmerksamkeit betrachten, und, daß es durchaus nicht nothwendig ist zu baroquen Behauptungen, Sätzen oder Annahmen unsere Zuflucht zu nehmen, um +neu+ und +interessant+ zu sein.“ „Ich bin Deiner Meinung,“ sagte ich. „Wir haben durchaus nicht nöthig uns das Unerklärliche erklären zu wollen. Es ist genug, nur das Erklärliche oder Natürliche richtig auffassen und erklären zu können, um ein großer Geist, ein bedeutender Schriftsteller zu sein. Das Geheimnißvolle in der Natur durchdringen wollen, ist lächerlich. ~Sunt certique denique fines.~ Die Gegenstände im Leben aber deutlich aufzufassen, zu durchdringen, die der menschliche Geist zu fassen im Stande ist, und sich keiner Täuschung oder Illusion, hinzugeben, das muß das Streben des vernünftigen Mannes sein. Sind wir dahin gelangt, daß wir keiner Täuschung oder Illusion im gewöhnlichen Leben Raum geben, so stehen wir auf der rechten Höhe. Wir verlieren zwar viel dabei, denn so bald keine Täuschung mehr möglich ist, hört die Phantasie auf, und das Herz verliert, was der Geist oder die Vernunft gewinnt. Jeder körperliche Gegenstand, von diesem Gesichtspuncte aufgefaßt, erscheint nur als Skelett, von jeder lebendigen, freundlichen Bekleidung entblößt.“ „Das ist ein fürchterliches Anmuthen,“ versetzte Hippias. „Auf diese Weise würde der Mann, wie er nach Deiner Ansicht sein sollte, Mephistopheles selber sein müssen.“ „Findest Du denn diesen so gar fürchterlich? Glaube mir, es giebt zehntausendmal ärgere Mensch-Teufel, als diesen interessanten Goethischen Teufel! Denke Du nur an Deine Geschichte von gestern mit Lieschen zurück. Thut Mephistopheles etwas Schlechteres, als was Du gethan? Hattest Du nicht Freude am Bösen? Ja, hattest Du nicht mehr, als er, den Genuß? Ich will freilich nicht leugnen, daß Mephistopheles gewiß auch diesen mit Vergnügen sich zueignete -- aber das liegt für ihn im Bereich der Unmöglichkeit. Die Natur des Goethischen Teufels ist geschlechtslos.“ „Du scheinst die Teufels-Natur genau studirt zu haben. Das wußte ich noch nicht.“ „Ich habe diese Betrachtung aus dem Munde eines Hannoverschen Predigers, der mir die Geschlechtslosigkeit des Teufels durch die beiden Verse bewies: „Ja wohl, mein Freund! Ich hab’ euch oft beneidet Um’s Zwillingspaar, das unter Rosen weidet,“ oder mit anderen Worten, die beiden Verse mir durch die Geschlechtslosigkeit des Teufels erklärte. Der Goethische Mephistopheles ist überhaupt weiter nichts, als +der Mensch ohne Illusion+, der ohne Scheu, oder, wenn Ihr lieber wollt, ohne Schimpf und Schande, das „vor keuschen Ohren nennt, was keusche Herzen nicht entbehren können.“ „Und was ist denn Faust?“ „Faust? Das bist Du, der Baron, ich, kurz alle Menschen, denen noch der Doctor im Leibe steckt, die das wollen, was sie nicht können und +eine ungeheure Idee von ihrem erbärmlichen ~homo sum~ haben, die sich für ein wundervolles Ganze halten, wenn der kluge Mephistopheles sich damit begnügt zu sagen: „ich bin ein Theil von jener Kraft+“....“ „Und Gretchen?“ „Gretchen ist weiter nichts, als Dein Lieschen, nur, daß sie etwas empfindsamer und katholisch war, und sich ihrer Phantasie zu sehr überließ. Wenn Du es aber hochtrabender haben willst, so ist Gretchen das unterdrückte Angstgeschrei der gemordeten Unschuld, der Klagelaut der geopferten Weiblichkeit!“ „Das sind ja ganz neue Ansichten über den Faust!“ rief der Baron. „In den beiden letzten Puncten magst Du wohl Recht haben, Aristipp, was aber den Mephistopheles, anbetrifft so ist Dein Ausdruck: er sei der Mensch ohne Illusion, eine famose Paradoxe, die dir kein Mensch vergeben kann. Der Goethische Teufel, ist der wahre Teufel, der erst den Menschen zur Sünde verlockt, und dann, wie das böse Gewissen, sich an seine Schritte unablässig und verhöhnend heftet! Uns Menschen die Phantasie rauben, das Herz nehmen, ist ein abscheulicher Gedanke, und ich danke dafür, in einer Welt zu leben, die Du mit lauter Teufeln bevölkerst.“ „Wenn wir aber +die Erbsünde annehmen+, so sind wir in der That eine kleine Art von Teufeln, die von Grund aus schlecht sind, und +zwar noch schlechter+, als der Teufel selber, denn er war wenigstens +gut, ein Engel, ehe er fiel+.“ „Ich bin weit davon entfernt, die Erbsünde anzunehmen. Meiner Ansicht nach sind alle Menschen gut von Natur. +Es ist ja wirklich wider alle gesunde Vernunft, anzunehmen, Gott habe die Menschen schlecht in die Welt gesetzt, um sie nachher für die Schlechtigkeiten zu bestrafen, deren Keim er selbst in sie legte. Ebenso widersinnig ist es, anzunehmen, daß Gott nach einigen tausend Jahren sich erst besonnen habe, es sei jetzt wohl Zeit, die Menschen aus den Klauen des Bösen zu reißen, seinen Sohn sandte, und durch das Blut der Versöhnung und die heilige Taufe die Menschheit rettete und die Erbsünde vernichtete.+“ „Wenn Du auf diese Weise redest, so bist Du kein +lutherisch-evangelischer Christ+!“ „Ich mache einen Unterschied zwischen Gott und Kirche. Mein Gott ist der Gott aller Geschöpfe, aller Wesen. Ich habe nichts dagegen, daß man ihn auf verschiedene Weisen zu verehren suche, nur muß ich bitten, auch mir meine Weise zu erlauben. Glaube mir, Aristipp, dem höchsten Wesen ist es sehr einerlei, wie man es verehrt, wenn man es nur warm und ehrlich meint. Ein liebevolles, frommes, gutes Herz ist Gottes schönster Tempel, und nicht St. Peters Dom mit goldener Kuppel.“ „Ich habe nichts dagegen, Du frommer, liebevoller Mann! Das von der Erbsünde warf ich nur so hin, und mit meiner Welt von Teufeln war es auch nicht so bös gemeint. Wir Deutschen können ohnehin nie eine lebendige Conversation führen! Wir werden gleich so breit! Wird ein Wort hingeworfen, so schnappt es gleich der Andere auf und predigt darüber eine Stunde. Ich denke doch, Du wärest lange genug in Frankreich gewesen, um eine bessere Lebensart zu lernen.“ „Ich verstehe Deinen Vorwurf, aber ich bin +aus Frankreich als Deutscher+ wieder heimgekehrt: noch mehr, ich habe nie einen größern Stolz darin gesetzt, +ein Deutscher zu sein+, als nachdem ich die Franzosen habe kennen lernen. Wahrlich! wir haben es nicht nöthig, den Witz, die Lebendigkeit der Franzosen zu beneiden! Wir haben das Gemüth, die Tiefe des Gefühls für uns. Laß den Briten den ganzen Stolz seines Albions zur Schau tragen -- es ist nur der Stolz einer engherzigen Krämer-Seele! Wir Deutschen sind und denken edeler, als er. Der Deutsche ist +von Geburt+ zu allem Großen, Schönen, Erhabenen geneigt, und nur die uns angeborene Bescheidenheit bewirkt es, daß unsere großen und herrlichen Eigenschaften verborgen bleiben. Und diese Bescheidenheit ist wiederum eine +deutsche+ Tugend. Wir prahlen nicht! Wir sind keine Scharlatane, wie die Franzosen, und wenn wir auch manch Mal etwas breit und langweilig werden, so geschieht es nur, um sicherer zu gehen und Alles reiflich zu erwägen. Und welche Eigenschaft ist es denn, Aristipp, die wir höher, als alle andere schätzen? Es ist +die Vernunft+! Und welches Volk besäße sie in einem höhern Grade, als das Deutsche?“ „Und besonders +wir+,“ fiel ich lächelnd ein, „die wir heute Morgen hier im Trichter Beefstakes essen und Porter trinken, gestern den ganzen Tag in Saus und Braus gelebt, und heute noch den ganzen Tag zu unserm Vergnügen bestimmt haben!“ „Persönlichkeiten gehören nicht zur Sache. Vier liederliche Männer machen nicht das Volk aus, und ist es meine Schuld, daß ich in so schlechte Gesellschaft gerathen bin?“ „Bravo!“ fiel Bleicamb ein, „so mag ich Dich gern hören. Das Philosophiren paßt nicht für Dich. Man merkt es doch, daß es nicht aus voller Ueberzeugung ist. Was nicht vom Herzen kommt, geht nicht zum Herzen. Erzähle uns von Deinen Fahrten, von schönen Frauen, das läßt Dir ungleich besser, als wenn Du uns Vernunft predigst, oder von Deinen edlen deutschen Gesinnungen uns vorschwatzest. Keiner ist weniger seinem Charakter, seinen Sitten, seinem Handlen nach ein Deutscher, als Du.“ „Meinen Charakter kennst Du nicht. Meine Sitten, meine Handlungen sind nicht deutsch? Auch gut! Meine Gesinnungen aber und meine Ansichten sind deutsch. Mein Vaterland braucht sich meiner nicht zu schämen. Ich bin vor anderen Nationen nicht gekrochen, habe nicht dem Engländer, noch dem Franzosen geschmeichelt, sondern stets in ihren Landen stolz und kühn mein Vaterland vertheidigt, und ihnen gezeigt, wie unendlich viel höher wir Deutsche in tausend Beziehungen über ihnen stehen. Ich habe nie zu jenen elenden Ueberläufern gehört, die durch Herunterreißen und Heruntersetzen ihres eigenen Vaterlandes jenen ichsüchtigen Nationen Weihrauch streuten! Wenn wir Deutschen die Größe anderer Nationen aus Gerechtigkeitsliebe anerkennen, so dürfen wir auch mit Recht verlangen, daß +sie unseren Werth anerkennen+. Ich habe den lächerlichen Anmaßungen der Franzosen einen ruhigen Ernst entgegengesetzt; an diesem Bollwerk ihr Feuer und ihren Witz zersplittern lassen und sie dann in ihren eigenen Behauptungen und Worten gefangen und zu Boden geschlagen. Ich habe ruhig angehört, wie sie ihren Voltaire, Racine, Corneille etc. über Goethe, Schiller, Wieland setzten und sie nur zuletzt gefragt: +ob sie Deutsch verständen+, ob sie Wieland, Schiller, Goethe gelesen hätten? Sie kannten nur die Namen -- Sie waren besiegt. Ich habe dem Stolze des Engländer’s einen gleichen Stolz entgegengesetzt, und von ihm verlangt, daß er in +Deutschland Deutsch+ mit mir reden sollte. Unsere zu große Bescheidenheit und Gefälligkeit gegen Fremde ist die Ursache, warum sie uns verächtlich behandeln. Der Deutsche muß kühner, kecker, stolzer gegen sie auftreten. +Das Gefühl ihres Werthes muß unseren Deutschen Landsleuten klar, anschaulich gemacht werden. Wir Literaten müssen dahin streben, ihnen ihren wahren Werth zu zeigen. Nur dadurch können wir dem Deutschen das richtige Selbstgefühl einflößen, die Deutsche Nation heben; nicht aber dadurch, wenn wir, im Vergleiche zu anderen Nationen, unsere eigene Nation als eine erbärmliche, knechtische schildern, wie einige Schriftsteller es thun, die des Deutschen Namens unwerth sind!+ Ich ereifere mich, meine Herren! Aber dieses ist der Punct, wo ich verwundbar bin! In meinen Adern fließt das reinste deutsche Blut, und durch einen tausendjährigen Zeitraum ist meiner Familie die Liebe zum Deutschen Vaterlande, zu dem angestammten Deutschen Fürsten und +der Haß gegen die Franzosen eingeimpft+! In tausend Schlachten hat sie für diese Gesinnungen geblutet! Was meine Sitten anbetrifft, so magst Du sie immerhin leicht und französisch nennen, Bleicamb! Sie sind es! Ich hasse die Formen und bin leidenschaftlich! Was meine Handlungen aber anbetrifft, so glaube ich doch, daß sie fast alle den +Stempel deutscher Gutmüthigkeit+ und eines +deutschen Herzens+ tragen!“ -- Der Baron schwieg, ergriff ein Glas Porter und trank es langsam aus. Er schien in einer gewaltigen Bewegung zu sein. Seine Augen sprühten Feuer und schienen in allen Ecken des Zimmers einen Gegner zu suchen; seine Haltung war stolz, drohend und herausfordernd. Hätte er einer feindlichen Batterie gegenüber gestanden, er hätte nicht kampflustiger aussehen können. Nach und nach beruhigte er sich, und nur ein höhnisches Lächeln umspielte seine Lippen. Ein Lächeln, daß so leicht dem Menschen zur Gewohnheit wird, der sich häufig im Leben verkannt sieht, und das etwa sagen will: „ich verachte Euch! da Ihr mich falsch versteht, und da ich die innere Ueberzeugung habe, daß ich besser bin, als Ihr glaubt.“ „Und nun wieder vorby!“ rief Herr Bleicamb aus, „wozu Dich so erhitzen? Kann man denn kein Wort mehr sagen, ohne daß Du wüthend wirst? Wir sind hier, um uns zu amüsiren; keinesweges aber, um uns zu beleidigen und anzufeinden! Wer will gleich über ein Wort böse werden! Darin liegt gerade ein großer Fehler der Deutschen, daß sie gleich empfindlich werden! Wenn wir beisammen sind, wollen wir vergnügt sein und die Freiheit haben, das zu sagen, was uns gerade einfällt. Wenn man unter Freunden ist, so muß man immer den Grundsatz annehmen, daß Keiner den Andern beleidigen will, und ist die Absicht nicht vorhanden, so kann auch nie eine Beleidigung stattfinden. Und nun wieder vorby!“ „Recht so, Herr Bleicamb,“ sprach Hippias. „Männer wie wir müssen immer nur eine Unterhaltung führen, die kein Kopfbrechen verursacht und lehrreich ist, ohne zu langweilen. Die zu große Empfindlichkeit hindert im allgemeinen stets die Fortsetzung gegenseitiger Mittheilungen und ist die Folge verletzter Eigenliebe. Je weniger Eigenliebe wir besitzen, je edler, reiner und schöner stehen wir da, weil eine große Selbstüberwindung dazu gehört, um die Aufwallungen zu unterdrücken, welche durch die Verletzung der Eigenliebe in uns rege werden.“ „Wenn ich mich zu sehr über den Vorwurf, welchen Herr Bleicamb mir machte, ereifert habe,“ nahm der Baron das Wort, „und ich muß es gestehen, daß ich dieses gethan, so muß ich sehr um Entschuldigung bitten, lieber Hippias. +Es paßt sich für keinen gebildeten Mann, hitzig, zornig zu werden, weil, wie Sie richtig bemerkten, dann der Austausch der Gedanken aufhört. Der zornige und empfindliche Mann ist nicht mehr Herr seiner Gefühle; die Leidenschaftlichkeit seiner innern Aufwallung verhindert ihn, klar und deutlich zu denken, ruhig und besonnen zu urtheilen; er wird ich- und streitsüchtig, persönlich.+ -- Ich habe darin gefehlt. Wenn Sie mich aber genau kennten, so würden Sie mir gewiß vergeben. Ich habe in der Meinung der Welt, sei es durch mein Betragen, sei es durch die Verleumdung meiner Feinde, sehr verloren. Wenn man mir nun also auch das letzte Gute absprechen will, daß ich nach meiner festen, innern Ueberzeugung wirklich besitze, nämlich: Deutsche Gesinnungen, Menschenliebe und eine gewisse aufopfernde Gutmüthigkeit in meinen Handlungen gegen meine Mitbrüder, so muß mich dieses aufbringen. Besonders aber, wenn ein Mann dieses thut, der mich so lange kennt, als Bleicamb; der seit zwei Jahren sowohl der Zeuge meiner Verirrungen, als der Zeuge meiner guten Handlungen war. Es mußte daher sehr kränkend für mich sein, wenn derselbe in Ihrer Gegenwart, in der Gegenwart eines Fremden! von mir zu sagen wagt: Keiner ist weniger seinem Charakter, seinen Sitten, seinem Handlen nach ein Deutscher, als Du!“ „Na ja!“ unterbrach Herr Bleicamb. „Ich habe Unrecht gehabt, aber nichts Böses dabei gedacht! Du kennst mich ja von alten Zeiten, daß ich ein lustiger, alter Knabe bin, und Du nimmst es auch nicht immer mit Deinen Worten so genau. Komm her! Stoß an! Und damit wieder vorby.“ „Wir wollen mit anstoßen!“ bemerkte ich: „Eintracht und Friede! meine Herren!“ Unser Frühstück, oder vielmehr die Gespräche, welche wir bei unserm Frühstücke geführt, hatten ziemlich lange gedauert. Die Promenade vor dem Trichter und der Trichter selbst füllten sich mit Menschen. Hamburg und Altona schienen ihrer Bewohner sich entledigen zu wollen. Eine ungeheure, dichtgedrängte Masse von Menschen erfüllte den Raum zwischen dem Altonaer und Hamburger Thore. Die Reeperbahn, der Platz vor dem Gebäude, in welchem sich die Menagerie des Herrn van Aken befand, enthielt mehre Tausende von Menschen, die sich durch einander drängten. Das Karoussel, die Waffelbude, der Pulcinell-Kasten wurden von Tausenden umringt und belagert. Glänzende Equipagen, Reuter zu Pferde, Wochenwagen aus der Umgegend mit ihrem leinenen Ueberzug, die neuerrichteten Omnibus, Cabriolets aller Art, füllten den Fahrweg an und die Ohren der Lustwandelnden durch das donnernde Geräusch, welches sie verursachten. Von Zeit zu Zeit erschien eine Patrouille der schönen Hamburger Dragoner. Schaaren lustiger Matrosen, die Cigarre im Munde und singend, zogen beim Trichter vorüber. Die Musik aus den verschiedenen Gast- und öffentlichen Häusern schmetterte durch die Luft. Alles athmete Leben, Fröhlichkeit um uns her. Wir konnten aus dem Trichter dieses Alles beobachten, sehen und hören. -- Wir standen von unserm Frühstück auf, bezahlten, gingen fort, faßten uns Arm unter Arm und mischten uns unter die vergnügte, fröhliche Menge. Da gab es freilich Püffe genug! +Die Masse achtet keiner Persönlichkeit!+ Ordensbänder, feine Anzüge, Cachemir-Shawls, seidene Kleider, Glacé-Handschuhe, Schnurbärte verschaffen keinen Respect; sie gehen unter in dem ungeheuren Menschen-Gewühle! +Nur dem Mann weicht man aus, der Kraft genug besitzt, um sich einen Weg durch das Gedränge zu bahnen. Nur er kommt vorwärts!+ Der Zierbengel, im eleganten Fracke, mit der Lorgnette in der Hand, wird, wie eine zu leichte Waare stets auf den alten Platz zurückgeworfen, wenn er es wagt, in ein solches Gedränge sich zu mischen. In einem Volks-Gewühle kommt es nur darauf an, +stärker vorwärts zu schieben, als man geschoben wird+. Dazu gehört Kraft. +Es ist nichts Fürchterlicheres für einen Schwächling, einen Feigling, als ein Volks-Gewühl!+ Nur der körperlichen Kraft weicht die rohe Menschenmasse. Nur +dem+ Hintermanne macht der erschrockene Vordermann Platz, von dem er einen Puff erhält, den er in gleicher Stärke und Kraft nicht wieder zu ertheilen sich fähig glaubt und fühlt, indem er sich etwas zur Seite drängt, um nicht einen zweiten Stoß zu erhalten. Nur +allgemein anerkannte und geschätzte Persönlichkeiten+ machen hiervon eine Ausnahme. Kein Wesen ist bereitwilliger die Verdienste eines Mannes anzuerkennen, als der gemeine Mann, +das Volk+. Wir selbst erlebten hiervon ein Beispiel. Aus dem Altonaer Thore trat ein hoher Mann, mit einem schlichten, grünen Oberrocke bekleidet. Die ungeheure Menschen-Masse stand auf einen Augenblick stille. Ein Jeder machte ihm Platz, und von Munde zu Munde lief das Gemurmel: „+Graf Blücher von Altona!+“ Wahrlich! Der Elephanten-Orden des Königs von Dänemark gereicht dem Biedermanne weniger zur Ehre, als dieser Beweis der Achtung +des Volkes! Ein Mann, der die Liebe und Achtung seines Königs und seiner Mitbürger besitzt, ist immer ein großer Mann!+ Kein Hamburger und Altonaer Bürger hätte da einen Tyrannen Platz gemacht! Im Gegentheil, es hätte ihn gefreuet, ihn etwas quetschen zu können! +Nichts ist gefährlicher für einen ungerechten Regenten oder Tyrannen, als der Zusammenlauf von Menschen! Die Masse giebt dem Einzelnen Muth, und das Gefühl der Ueberlegenheit der körperlichen Kräfte eines Volkshaufen über die Kräfte eines Einzelnen wird in solchen Augenblicken Jedem klar und anschaulich. Die Stimme des Einzelnen wird zu der Stimme von Hunderttausenden, weil Jeder es wagt, das zu schreien, was sein Nebenmann schreit. Das Schlimmste bei der Sache ist, daß der gemeine Mann, oder das Volk gleich zu Thätlichkeiten disponirt ist; seinen Unwillen oder Zufriedenheit äussert. Die Stimmung des Volkes hält in solchen Augenblicken sogleich Gericht. Es giebt daher, wie erwähnt, nichts Gefährlicheres und Fürchterlicheres für einen Tyrannen, als die Stimmung eines Volkshaufen; nichts Erhebenderes aber auch als die anerkennende Ehrerbietung desselben für einen guten Regenten; nichts Belohnenderes für einen Privat-Mann, als der Beweis der allgemeinen Achtung des Volkes.+ Während diese Gedanken mich bewegten, waren wir, „schiebend und fortgeschoben,“ bis an das Joachimsthal gelangt. Das Joachimsthal ist eins der schönsten Gebäude St. Pauli, nicht weit vom Altonaer Thore gelegen. Die Façade desselben ruht auf Säulen, welche eine Art von Arkade bilden. Auch hier wird an Sonntagen getantzt, und ist einem Jeden gegen die mäßige Entrée von vier Schilling der Eintritt gestattet. Für diese Entrée erhält man sogar am Büffet Getränke zu gleichem Preise. Der Tanzsalon selbst ist einer der schönsten, die man sehen kann. Der Plafond desselben wird von Säulen getragen; das Orchester ist sehr gut besetzt und hinter dem Hause befindet sich ein schöner Garten. An den Tanzsalon stößt ein Billardzimmer. Eine Treppe hoch läuft eine Gallerie um das ganze Lokal, von welcher man einen Blick auf das bunte Gewühl der unten Tanzenden werfen kann. Im Winter werden dort Masken-Bälle gegeben. Madame Harten, die Besitzerin dieses schönen Etablissements, ist eine der schönsten Frauen; gebildet und geistreich, wenn gleich nicht mehr im jugendlichen Alter. Ihre Tochter eine allerliebste Brünette. Herr Harten und seine Söhne sind Weltmänner. Die Letztern vortreffliche Billardspieler. Hippias, Bleicamb, der Baron und ich, setzten uns auf einige Stühle unter der Arkade hin, zündeten unsere Cigarren an, und betrachteten die vor uns wogende Menschenmasse. „Ich kann dieses Local nie ohne eine angenehme Rückerinnerung betreten,“ begann ich nach einer Pause. „Dies ist das erste öffentliche Haus, in welches ich in Altona und Hamburg meinen Fuß setzte. Es geschah dieses in Begleitung von zwei Ehrenmänner, wie man sie selten trifft, der Eine ist der Weinhändler Hoyer in der großen Elbstraße, der Andere der Brannteweinbrenner Tiemer in der Königsstraße in Altona. Ich weiß von Euch Allen, daß es Euch nicht unangenehm sein wird, einen Zug von seltener Herzensgüte erzählen zu hören, und daher will ich mir, unaufgefordert, die Erlaubniß nehmen, Euch diesen Vorfall zu erzählen, oder, um mich nicht zu wiederholen, Euch diese Begebenheit vorzutragen: Es sind jetzt ungefähr acht Jahre verflossen, daß ich mich auf einer Tour durch die beiden Herzogthümer Schleswig und Holstein befand. Ich reisete zu Fuße und hatte einen Knaben von etwa vierzehn Jahren mit mir, der in einem kleinen Ranzen mein Zeug trug. Fritz war sein Name. Auf meiner Wanderung kam ich auch nach Rendsburg, dieser uneingenommenen aller Festungen. Ich trat dort in dem besten Gasthofe ab und blieb zwei Tage dort, theils um mich von meiner Fußwanderung auszuruhen, theils weil ich in Rendsburg eine alte Bekannte getroffen hatte. Am letzten Tage meines Aufenthaltes aß ich an der ~Table d’hôte~. Dieselbe war gut besetzt. Mehre Dänische Officiere hatten ihren Mittagstisch daselbst. Am obern Ende des Tisches, bei der sehr hübschen Wirthin, saß ein wohlbeleibter, gesund aussehender Mann, dessen Ausdruck Menschenfreundlichkeit und Wohlwollen verrieth. Mir gegenüber saß ein Mann, dessen Gesichtszüge mir nicht unbekannt schienen, und während der Dauer der Tafel fand es sich, daß wir zu derselben Zeit in Göttingen studirt hatten. Ihr könnt Euch denken, daß diese Entdeckung mehre Flaschen Wein auf den Tisch und mehre sogenannte Studenten-Streiche auf das Tapet, wie man es nennt, brachte. Ich gab mich in ungebundener Fröhlichkeit den angenehmen Erinnerungen der schönen Burschenzeit hin, und erzählte in lustiger Laune einige tolle Geniestreiche. Der dicke Mann, am obern Ende des Tisches schien sehr vielen Antheil an unseren Gesprächen zu nehmen. Er lächelte in sich und verwandte kein Auge von mir. Nach aufgehobener Tafel ging ich in mein Zimmer zurück. Einige von den Dänischen Officieren begleiteten mich, und wir begannen eine Partie Whist. Nachdem wir einige Zeit gespielt hatten, ging ich aus dem Zimmer um Etwas zu bestellen. Auf dem Gange, der von meiner Stube nach dem Wirthszimmer lief, begegne ich dem dicken Herrn. Der Gang war so schmal, der dicke Herr so stark, daß er ihn fast ganz ausfüllte. Wir rannten also beinahe gegeneinander und blieben ~nolens, volens~ vor einander stehen. „Ich höre, Sie reisen nach Altona,“ begann der dicke Herr. „Ich mache dieselbe Tour und habe noch einen Platz in meinem Wagen frei. Wenn Sie wollen, steht er zu Ihren Diensten. Ich bin der Weinhändler Hoyer aus Altona.“ Ein wildfremder Mensch, der mir einen Platz in seinem Wagen anbot, der mir nicht einmal vorgestellt war; ein Kaufmann, der es wagte, einem Reichsfreiherrn einen Vorschlag zu machen -- das war mir etwas Unerhörtes! Ich faßte mich aber doch und antwortete ihm sehr höflich: „Sie sind ungemein gütig; wenn Sie es erlauben, werde ich Ihren Vorschlag überlegen und Ihnen dann Bescheid sagen lassen.“ „Wie Sie wollen,“ antwortete Herr Hoyer. Wir trennten uns. Ich ging zu meinen Officieren zurück und erzählte ihnen diesen Vorfall, indem ich ihnen nicht undeutlich meine Verwunderung darüber zu erkennen gab, daß ein ganz fremder Mensch mir diesen Vorschlag gemacht habe. Sie riethen mir aber Alle ja diese Proposition anzunehmen, und stimmten sammt und sonders darin überein, daß dieser Hoyer einer der herrlichsten Männer sei, die es gebe. Ich ging zu Bette und ließ am andern Morgen dem Herrn Hoyer sagen: „daß, wenn er noch derselben Meinung wie gestern sei, ich so frei sein würde, sein gütiges Anerbieten zu benutzen.“ Herr Hoyer ließ mir kurz darauf erwiedern: „wenn er einmal etwas geäussert habe, so bliebe er dabei. Um elf Uhr führe er ab.“ Diese kurze Antwort frappirte mich etwas. Ich war damals noch sehr von einem unerträglichen Adelstolze befangen, den ich erst durch Reisen, Erfahrungen, Schicksale mancher Art verlor. Die Neugierde jedoch diesen groben dicken Mann, von dem ich so viel Gutes gehört hatte, kennen zu lernen, die Annehmlichkeiten, welche mir sein nettes Wägelchen versprach, auch meine ziemlich leere Börse überwogen den angeborenen Stolz. Um elf Uhr saßen Herr Hoyer und ich im Wagen; mein Fritz auf dem Bock desselben und so fuhren wir aus dem Thore der niebezwungenen Festung Rendsburg. Die schöne, frische Luft, das schnelle Vorbeirollen des Wagens an so manchen, verschiedenen Gegenständen, stimmte mich bald heiter, und da ich es für meine Pflicht hielt, dem Herrn Hoyer für seine Güte mich mitzunehmen, wenigstens so viel als mir möglich angenehm zu unterhalten, so begann ich eine lebhafte Unterredung mit ihm, zu welcher mir Rendsburg, unser Zusammentreffen etc. reichlichen Stoff boten. Herr Hoyer ging, wie es schien, mit Vergnügen in diese Unterhaltung ein und zeigte sich in dieser, als ein ebenso gebildeter, als gefühlvoller Mann. Wir wurden bald mit einander bekannt. Vertraulich, und offen, wie ich es von Jugend auf war, hatte ich, als wir am Abend in Heide, der Hauptstadt von Norder-Dithmarschen, eintrafen, dem Herrn Hoyer eine vollständige Mittheilung aller meiner persönlichen- und Familien-Verhältnisse gemacht. Ein frugales Abendessen und einige Flaschen Wein im Gasthofe zu Heide entfernten von mir jede Zurückhaltung; bald war für Hoyer keine Falte in meinem Herzen mehr vorhanden. Ich hatte außerdem ein Buch bei mir, welches ich selbst geschrieben hatte; ich las Hoyer aus demselben vor. Es hatte das Glück, ihm zu gefallen, und auf diese Weise blieben wir bis gegen zwölf Uhr Abends zusammen. Am folgenden Tage fuhren wir über Meldorf nach Itzehoe. In Meldorf wollte Hoyer den dortigen Landvogt besuchen, der, wie er mir sagte, ein sehr gescheuter Mann sein sollte, und sich alle ersinnliche Mühe gebe, aus +den braven, guten Dithmarschen ein christliches, höfliches, civilisirtes Volk zu bilden+. Der Landvogt war aber nicht zu Hause und so fuhren wir denn durch die Hauptstadt von Süder-Dithmarschen, ohne den großen Reformer derselben gesehen zu haben. Hoyer war an diesem Tage sehr heiter gestimmt, vergalt mein gestriges Vertrauen mit gleichem Vertrauen, und so kamen wir, als die besten Freunde, in Itzehoe an. Hier trennte sich eigentlich unser Weg, denn ich hatte die Absicht, eine Schwester von mir zu besuchen, die auf dem Lande, nicht weit von Itzehoe lebte. Hoyer aber, nachdem ich ihm dieses mitgetheilt hatte, bestand darauf, mich dorthinzubringen, um Zeuge des Wiedersehens zwischen mir und meiner Schwester zu sein. Ihr könnt denken, daß ich ihm dieses nicht abschlug. Wir fuhren also zu meiner Schwester und wurden von diesem vortrefflichen Frauenzimmer mit Freuden empfangen. Hoyer blieb einige Stunden bei uns, dann ließ er anspannen und fuhr nach Altona. Beim Abschiede mußte ich ihm versprechen, ihn in Altona zu besuchen. Ich that dieses nach einigen Tagen. Er empfing mich sehr freundlich in seinem schönen Hause in der großen Elbstraße und bat mich zum Abendessen, wozu er, wie er sagte, noch einen Freund eingeladen hätte, den es mich freuen würde kennen zu lernen. Zur bestimmten Zeit fand ich mich bei Hoyer ein und traf dort den Branntweinbrenner Tiemer. Dieses waren die beiden ersten Männer, welche ich in Altona kennen lernte. Wollte Gott! ich hätte nie andere Bekanntschaften gemacht! Nachdem wir ein vortreffliches Abendessen zu uns genommen und von dem besten Weine getrunken hatten, sagte Hoyer: „Sie müssen Altona kennen lernen. Gehen wir.“ Auf diese Weise kamen wir auch hier in das Joachimsthal. Es war Sonntag, Musik und Ball wie heute. Ich muß gestehen, daß die rauschende Musik, der Anblick so vieler Fröhlichen mich traurig machte. Ich hatte in der Zeit viele Unannehmlichkeiten gehabt, und war arm. Die Musik, die raschen Walzer, die rasenden Gallopps erinnerten mich an die vergnügten Abende, welche ich so oft in unserer Residenzstadt genossen hatte. Sie führten manches liebliche Bild meinem geistigen Auge vor. Ich lehnte mich an eine der vielen Säulen und blickte traurig in die allgemeine Fröhlichkeit hinein. Auf meinem Aeußern muß wohl der Zustand meiner innern Verstimmung sich abgespiegelt haben. Hoyer, der während dieser Zeit mit vergnügtem Gesichte den Tanzenden zugesehen hatte, näherte sich mir auf ein Mal. „Wollen Sie mir eine Bitte nicht abschlagen?“ fragte er. „Gewiß nicht.“ „Gut. Sie sind ein junger Mann. Sie können in so großen Städten, wie Hamburg und Altona, nicht ohne Geld sein. Ich bin unverheirathet und lege gewöhnlich etwas von meinen Ersparnissen zu guten Zwecken zurück. Hier -- nehmen Sie -- und nun kein Wort mehr davon.“ -- Er drückte mir eine Rolle Geld in die Hand und ließ mich betroffen stehen. Meine Geschichte ist aus, meine Herren! Bewundern Sie die Delicatesse, die Großmuth dieses Mannes mit mir. Aus meinen Mittheilungen war ihm der beklagenswerthe Zustand meiner Finanzen nicht entgangen. Er beschloß mir zu helfen, und wartete den rechten Augenblick ab. Wie zart: in so großen Städten können Sie nicht ohne Geld sein! Meine Geschichte ist ein Pendant zu der Deinigen mit dem Herrn von Pichmeier im ~Hôtel de France~. Beide sind uns ein Beweis, daß es noch edle Männer giebt; Beide müssen uns aber ein Sporn sein, ihre Güte zu verdienen, und ihnen durch unser Betragen zu beweisen, daß wir einer so seltenen Großmuth nicht unwerth waren und sind. Das Joachimsthal wird mir daher ewig unvergeßlich sein, und jedesmal, wenn ich es betrete, denke ich mit Rührung und den Gefühle des innigsten Dankes an Hoyer zurück.“ „Du hast sehr Recht gethan, Aristipp,“ sprach der Baron, „uns die Mittheilung zu machen. Die edlen Thaten der Menschen muß man nie vergessen, im Gegentheil sie immer wieder uns und Anderen in die Erinnerung bringen; ebenso wie es Pflicht ist, das Böse, was die Menschen uns zugefügt haben, zu verzeihen und gänzlich aus dem Gedächtnisse zu verbannen. Du, Aristipp, hast jetzt hier die Pflicht welche die Dankbarkeit Dir auferlegte, erfüllt. Wie wäre es, wenn Ihr mir erlaubtet, Euch an den Ort zu führen, wo ich meinen rettenden Schutzgeist fand? Wir wollen ohnehin nach Hamburg. Essen wir im ~Hôtel de France~?“ Wir stimmten bei. Eine Droschke wurde genommen. „~Hôtel de France!~“ riefen wir dem Kutscher zu. Ich muß hier wohl einen kleinen Absatz machen und erst etwas über Hamburg im Allgemeinen sagen, bevor ich den Leser ersuche, mir und meinen Freunden bei den Besuchen, welche wir einzelnen Localitäten dieser altergrauen Handelsstadt abstatten werden, zu folgen. Der bloße Gedanke an Hamburg hat für mich immer etwas Belebendes, Erquickendes, Erfreuliches. Von allen Städten, die ich in Frankreich, Italien, Spanien, Deutschland und Afrika gesehen habe, ist mir Hamburg immer die liebste gewesen, und wohl kann ich es dem reichen Weinhändler Manke in der Theaterstraße nicht verdenken, wenn +er nur in Hamburg sich wohl+ befindet. Es ist ja auch in der That Alles in Hamburg zu finden, was der Geist, das Herz, das Auge, der Magen des unersättlichsten Menschen sich nur zu wünschen vermag. Literatur und Kunst werden gehegt, befördert, belohnt und bezahlt. Die Hamburgerinnen sind hübsch, gebildet, und sittsam. Die schönsten Anlagen in der Stadt und um dieselbe vergnügen das Auge, und der Magen findet in Hamburg Alles, was das größte Rafinement eines Wohlschmeckers verlangen kann. Der Hamburger Bürger ist artig, zuvorkommend gegen Fremde -- ich muß ihm dieses Lob ertheilen, wenn gleich manche Schriftsteller das Gegentheil behaupten -- hat ein ehrenvestes Aeussere und einen gewissen Stolz in seinem Auftreten, den ich billige, weil in diesem Stolze die Liebe zu seiner schönen Vaterstadt, das Bewußtseins ihrer Größe, ihrer Blüthe und ihrer Kraft liegt. Außerdem kann man es einem freien Republikaner gerne verzeihen, wenn er etwas härter auftritt, als ein leichtfüßiger Höfling. Der Hamburger ist sinnig, ordnungsliebend und wohlthätig. Er wirft nichts weg, aber er ist nicht geizig, noch filzig. Er ist ehrlich, offen und derb. Er betrachtet bei jedem Gegenstande, sei es Mensch oder Sache, den Nutzen den er von ihm ziehen kann. „So viel ist das mir werth! So viel ist der Mann mir werth!“ ist sein Wahlspruch. Er macht aber den Ueberschlag des Werthes eines Menschen, einer Sache nicht mit kleinlicher Berechnung. Er bezahlt die volle Kraft, die nützt, mit vollem Geldgewicht. Er hat vollkommen Recht, denn nur so viel der Mann nützt, nur so viel ist er werth! Der Hamburger Bürger im Allgemeinen ist religiös und sittlich. Er giebt nicht leicht ein öffentliches Beispiel allgemeiner Sittenverderbniß. Der Speculationsgeist führt den Hamburger selten zu weit. Er zieht das Solide, das Gewisse einer unsichern Speculation vor. +Politischen Schwindeleien ist er gänzlich fremd. Er haßt aber die Ungerechtigkeiten in den Welt- und Völker-Händeln. Darum haßt selbst der gemeine Hamburger Bürger den eigenmächtig handelnden Despoten, ebenso wie er den König von Dänemark ehrt, weil er ein gerechter Monarch ist.+ Die Zuneigung zu diesem Fürsten hat freilich durch die Einrichtung der Zolllinie etwas abgenommen. Denn der Hamburger bleibt immer erst Hamburger. Er kann dem unmöglich gut sein, der seinen Handel beeinträchtigt. Ist dieser Punct erst beseitigt, dann wird der Hamburger gerecht und erkennt mit Freuden die guten Seiten fremder Fürsten und Nationen. Der Hamburger Bürger ist seiner Geburt und der Verfassung seiner Vaterstadt nach ein Republikaner. Er bekümmert sich aber nicht weiter darum, und nirgends hört man weniger von Freiheit und Gleichheit reden, als in Hamburg. Eine Hauptzierde der berühmten Stadt ist die vorzügliche Ordnung, welche dort herrscht, und die vortreffliche Polizei. Wenn Tausende und aber Tausende von Menschen auf einem Platze versammelt sind, hört man nicht den geringsten Tumult, nicht die allerkleinsten Excesse werden begangen, kein Unglück geschieht. In dieser Hinsicht kann Hamburg allen großen Städten zum Muster dienen. Der Hamburger liebt, achtet seine Obrigkeit und ist ihr gehorsam. Die Hamburger Bürgergarde ist sehr schön uniformirt und für eine Bürgergarde, noch dazu eine Deutsche, gut einexercirt. Das Linien-Militär ist gleichfalls vortrefflich uniformirt, und ausgezeichnet gut einexercirt. Zwei Sachen finde ich nur in Hamburg auszusetzen: daß die Thorsperre noch immer besteht und, daß es keine Stiefelputzer (~décrotteurs~) in einer so großen Stadt giebt. Die Thorsperre ist für den Fremden sowohl, als den Bewohner der Vorstädte und dem Hamburger selbst ein unerträglicher Zwang, der ihm in jeder Beziehung, selbst in der Geschäfts-Beziehung, störend sein muß, da es ihm nicht immer einerlei sein kann, 4, 8, 12 Schillinge auszugeben, wenn er durch Geschäfte verhindert wurde, vor der Thorsperre heimzukehren. Die Thorsperren sind in allen großen Städten Deutschlands jetzt aufgehoben, weil man das Lästige dieses Zwanges eingesehen hat, und es steht zu hoffen, daß eine Stadt wie Hamburg, die sonst gewiß in der Civilisation und Kultur mit jeder Stadt Deutschlands gleichen Schritt hält, sogar sie überflügelt hat, auch in diesen barbarischen Absperrungen nicht allein zurück bleiben werde. Mag das Geld, welches durch die Thorsperre eingeht, zur Verschönerung Hamburgs angewandt werden, wie ich höre, es wäre besser, Hamburg weniger zu schmücken und seinen Bürgern, seinen Vorstädten eine freiere Communication zu gestatten! Was den zweiten Punct anbetrifft, so wäre es allerdings wünschenswerth, sogenannte ~décrotteurs~ in Hamburg anzutreffen, da der Schmutz, welcher in den Gassen einer so volkreichen Handelsstadt nicht zu vermeiden ist, häufig angenehm erscheinen lassen würde, einen Stiefelwichser bei der Hand zu haben. Nicht allein, daß Jedermann, welcher etwas auf Eleganz und Reinlichkeit hält, gerne in blankgeputzten Stiefeln erscheint, sondern auch, daß eine gutbereitete Wichse das Schuhzeug conservirt, rechtfertigt diesen Wunsch. Für Fremde, Franzosen, Engländer und Russen würden die Stiefelputzer eine schätzbare Erscheinung sein. Es giebt keine, noch so kleine Stadt in Frankreich, wo man nicht ~décrotteurs~ fände! Die eleganten Französischen ~Commis voyageurs~ würden überglücklich sein, wenn sie solche in Hamburg träfen, und die edlen Briten würden viertelstundenlang auf einer Bank des Jungfernstieges sitzen, und sich die Stiefel blank putzen lassen. Die jungen Elegants aus Altona, welche zu Fuße in die Stadt kommen, würden erfreut sein, in glänzendem Schuhzeuge ihre Visiten machen zu können; und der Hamburger selbst würde nach und nach an eine Reinigungs-Anstalt sich mit Freuden gewöhnen, die es ihm möglich machte, den Schmutz seiner schönen Vaterstadt +nicht+ in die Häuser und Salons zu bringen. Eine solche Stiefelwichser-Einrichtung würde außerdem ein neuer Erwerbszweig für alte und gebrechliche Personen beiderlei Geschlechtes sein, denen der Gebrauch ihrer Hände blieb. Es käme nur darauf an eine Association zu bilden, welche ihnen das nothwendige Material zu diesem Geschäfte verabreichte, bestehend: in einem Kasten, in welchem eine Schmutzbürste, eine Glanzbürste, ein stumpfes Messer und ein Schächtelchen Stiefelwichse enthalten sein müßten. Ueber diese Stiefelputzer müßte natürlich ein Aufseher bestellt sein, damit sie den Gewinn des Ertrages ihrer Arbeit täglich ablieferten, bis sie so viel gewonnen, daß der Apparat, den die Association ihnen gegeben, bezahlt sei. Dieses würde nicht lange dauern, wenn man den Preis des jedesmaligen Reinigens und Putzens eines Paar Stiefel oder Schuhe auf 1½ Schilling setzte. Dann könnten sie auf ihre eigene Hand fortfahren zu putzen; Hamburg hätte eine Annehmlichkeit mehr, und viele arme Leute einen ehrlichen Erwerbszweig gewonnen. Ich muß meine eleganten Leserinnen um Entschuldigung bitten, ihre Phantasie solange mit einem widrigen Gegenstande beschäftigt zu haben; ich habe aber die Entbehrung der Stiefelputzer in Hamburg nie schmerzlicher empfunden, als wenn ich gezwungen war, in schmutzigen Stiefeln und besprütztem Unterzeuge in einem eleganten Boudoir oder Salon zu erscheinen, und es bei der bekannten Sittsamkeit des weiblichen Geschlechtes, welche sich durch das zu-Bodensenken der schönen Augen beim Erblicken eines Mannes am deutlichsten beurkundet, nicht verhindern konnte, daß der zweite Blick auf diese schmutzige Partie meines Anzuges fiel. Aus diesem Grunde darf ich hoffen, daß sie sich meiner Vorschläge zur Errichtung einer Stiefelputzer-Gesellschaft nicht widersetzen, sondern sogar dieselben unterstützen werden. Ferner darf ich mit Gewißheit auf die Billigung aller Haus-Mädchen rechnen, sei es in Privat- Gast- oder Cafée-Häusern, denen Dreiviertel ihrer Arbeit beim Auskehren durch einen Stiefelputzer abgenommen würde. Habe ich +die Damen+ erst auf meiner Seite, dann bin ich gewiß, daß mein Vorschlag angenommen werde! Ich empfinde jetzt schon den Vorgenuß jenes erhabenen Gefühls wenn ich, (nachdem dieses Büchlein anonym gedruckt sein wird, die Stiefelputzer-Gesellschaft schon thätig ist) nach Hamburg kommen werde und +mir+, dem unsterblichen Einführer dieser nützlichen und wohlthätigen Reinigungs-Anstalt, incognito, die Stiefel werde putzen lassen! „Seit wann“ frage ich dann „werden in Hamburg die Stiefel geputzt?“ „Dat wet ick nich,“ antwortet der Stiefelputzer, indem er die Glanzbürste aus dem Kasten nimmt, „Se seegt dat disse Mode uht den Uhtlande kohmen is. Dat is mi nun glieke veel, aberst ick verdeene mien Brod daby. Se seegt, dat is een Herr Artipp, de hät den Vörschlag mookt.“ „Sie fragen, seit wann man hier die Stiefel putzt, mein Herr?“ bemerkt ein reinliches Hamburger Kinder-Mädchen, das auf derselben Bank, auf welcher ich mich niedergelassen, saß. „Ich will es Ihnen sagen: Vor einiger Zeit erschien hier ein Buch von einem gewissen Herrn Aristipp, ich glaube, verlegt von der Buchhandlung von +Hoffmann und Campe, die ja alle Neuerungen begünstigen, und das ganze junge Deutschland verlegt haben+! In diesem Buche befand sich eine Abhandlung über das Stiefelputzen. Der Herr Aristipp soll ein hübscher, junger Mann sein. Unsere Madams lasen das Buch; nach ihnen die Kammermädchen, und die erzählten den Hausmädchen, daß auch von ihnen die Rede in diesem Buche sei. Die Hausmädchen wollten die Stelle sehen, in welcher von ihnen die Rede sei. Diese handelt nun gerade von Stiefelputzern und von deren Nutzen. Die Hausmädchen, geschmeichelt durch einige Worte des Herrn Aristipp, nahmen sich der Sache an. Die Kammermädchen, die es mit den Hausmädchen nicht verderben dürfen, ihrer Liebschaften wegen, unterstützten die Sache bei ihren Madams; die Madams, die es nicht mit den Kammermädchen verderben dürfen, brachten die Sache bei ihren Männern zur Sprache, und so wurde der Vorschlag des Herrn Aristipp angenommen. Wir haben jetzt Stiefelputzer in allen Gassen, und das Buch des Herrn Aristipp wird von allen Menschen gelesen; er selbst zum Himmel erhoben!“ „Was!“ rief ich aus, mein Incognito vergessend. „In ganz Hamburg werden jetzt die Stiefel geputzt, und ich in ganz Hamburg gelesen! Die Stiefelputzer und ich sind der ~Lion du jour~! Der Russische Thronfolger, der nicht kam, ist vergessen! Die Stiefelputzer in allen Gassen, und ich in dem Munde aller Madams, Kammermädchen und Hausmädchen der Stadt! +Folglich populär!+ Mademoiselle! Ihre Stimme ist für mich die Stimme des Volkes, dieser Stiefelwichser der Beweis Ihrer Worte. Ich selbst bin dieser Aristipp! Ich selbst empfinde diesen Augenblick die Wahrheit jenes Satzes: ~Pauca, sed selecta!~ Ein einziger Satz, +der Hunderttausende beglückt, oder Hunderttausenden nützt, ist besser, als hundert Bände, die nur Hunderttausende amüsiren+!“ Glückliche Phantasie eines Schriftstellers! Die sich schon das vorhanden denkt, was kaum zu Papier gebracht, zu welchem noch kein Verleger gefunden! Richard Savage! Du bist gedacht, geschrieben, nur aufgeführt, +durch den Freischütz empfohlen+, während meine Abhandlung über Stiefelwichser noch verschlossen in meinem Pulte ruht, und vielleicht nie das Licht der Welt erblicken wird! Du lockst den Leuten das Geld aus den Taschen, anstatt, daß mein Werk Arme bereichern würde! Es ist nur ein Unterschied zwischen uns: Du gefällst, und ich nütze! -- -- -- -- -- Wir kehren jetzt zum ~Hôtel de France~ zurück. Das ~Hôtel de France~ liegt auf den großen Bleichen und gehört der Madame ~Guilleaume~, welche, nach dem Tode ihres Gemahls, mit Hülfe ihres zweiten Sohnes die Gastwirthschaft fortgesetzt hat. Mit den großen Gasthäusern am Jungfernstiege kann freilich das ~Hôtel de France~ an äußern Glanz nicht wetteifern, wohl aber dürfte es wegen einer gewissen Gemüthlichkeit, welche in ihm herrscht, den großen, weltberühmten Hôtels vorzuziehen sein. Ist man in jenen Gasthäusern prachtvoll logirt, schnell bedient, so ist man im ~Hôtel de France~, wie zu Hause und wird +mit Freuden+ bedient; findet man in jenen einen eleganten, unterthänig zuvorkommenden Wirth, so thut einem hier die ruhige, würdevolle Weise wohl, mit der Madame ~Guilleaume~ ihre Gäste empfängt, für ihre Bedürfnisse mit mütterlicher Fürsorge wacht, und gleichsam einen jeden Fremden wie ein Mitglied ihrer Familie behandelt. Ihr Sohn seinerseits ist unermüdlich, um seine Gäste zufrieden zu stellen, den ganzen Tag in Bewegung und läßt es in Aufmerksamkeiten aller Art gewiß nicht fehlen. Die beiden Töchter der Madame ~Guilleaume~ verleihen durch ihr anständiges, freundliches Wesen, durch ihre Bildung und eine gute Conversation dem ~Hôtel de France~ einen eigenthümlichen Reiz. Ein großer Vorzug dieser Familie besteht für Fremde darin, daß sie vortrefflich Französisch spricht und auch im Englischen nicht unbewandert ist. Das dienende und aufwartende Personal dieses Hôtels ist ausgezeichnet; zuvorkommend und gefällig, ohne Interesse, thut ein Jeder seine Pflicht. Die Küche ist Französisch und der alte Koch des Hauses bedarf wohl keiner andern Empfehlung, als, daß er vierzig Jahre zur Zufriedenheit seiner Herrschaft und ihrer Gäste seinem Amte vorgestanden hat. Die Zimmer des Hôtels sind geräumig, gut meublirt, die Betten vortrefflich. Der Salon, in welchem gespeist wird, ist groß, hell und mit zwei außerordentlich schönen Spiegeln verziert. Madame ~Guilleaume~ nimmt während des Diners ihren Platz am obern Ende des Tisches, um das Ganze übersehen zu können und jeder Unaufmerksamkeit der Kellner durch einen Wink nachzuhelfen. Ihre Familie nimmt an ihrer Seite Platz und dann folgen ~les habitués~ des Hauses, dann die Fremden, nach der Anciennität, der Dauer ihres Aufenthaltes. Eine große Zierde dieses Hôtels ist ein sehr hübscher Garten mit einem Pavillon hinter dem Hause. Die Weine, welche man erhält, besonders der Tischwein und der Rheinwein, sind vortrefflich. Letzteren bezieht Madame ~Guilleaume~ von Herrn Mappes. Das ~Hôtel de France~ wird meistens von Russen und Franzosen besucht; von der letzten Nation logiren dort fast alle ~Commis voyageurs~, oder ~négocians~, wie sie sich im Auslande gerne nennen hören. Wer die Französischen ~Commis voyageurs~ kennt, der wird wissen, daß ein einziger von ihnen hinreichend ist, um eine ganze Gesellschaft durch seinen Frohsinn, seine Masse von Anecdoten, seine Fertigkeit in Kunststücken aller Art, zu unterhalten. Der ~Commis voyageur~ hat sämmtliche Departements Frankreichs bereis’t, sich überall das Merkwürdigste notirt, und repräsentirt auf diese Art ganz Frankreich. Er ist im eigentlichsten Sinne ~Français avant tout~. Er kennt Alles, überall ist ihm etwas Auffallendes arrivirt und ist dieses nicht der Fall, so ersinnt er etwas und erzählt es so oft, bis er es selbst glaubt. Die meisten ~Commis voyageurs~ sind Republikaner, ~la jeune France~ und ~la Révolution du Juillet~ sind ihre Steckenpferde, und ihre Schuld ist es nicht, daß ~Louis Philippe~ noch auf dem Thron sitzt. Diese eigenthümliche Menschenclasse ist übrigens durchaus nicht uninteressant, meistens sehr gebildet, witzig und von guten Manieren. Da im ~Hôtel de France~ fast immer Einige von ihnen bei Tafel gegenwärtig sind, so wird man sich dort nie langweilen, wenn man ihnen einige Bravaden und Französischen Eigendünkel nachsehn will. Im Allgemeinen läßt sich über das „Gasthaus von Frankreich“ das Urtheil fällen: daß, wenn man auch nicht Alles dort findet, was man wünschen könnte, man wenigstens mit dem, was man dort findet, vollkommen zufrieden sein kann. Die ~Table d’hôte~ hatte schon begonnen, als wir im Hôtel ankamen. Wir wurden sogleich in den Eßsalon geführt, wo wir eine zahlreiche Gesellschaft vorfanden, die nach der oben beschriebenen Weise um den Tisch herum saß; wir erhielten natürlich die untersten Plätze, weil wir die Letzten waren. Wir setzten uns einander gegenüber; der Baron und ich an der einen, Herr Bleicamb und Hippias an der andern Seite der Tafel. Wir wurden sogleich bedient. Da die meisten Gäste Ausländer waren, so wurde die Unterhaltung meistens auf Französisch geführt. Zuweilen wurden die harmonischen Laute dieser schönen Sprache durch einige Russische Gurgeltöne unterbrochen; oder, wenn eine Pause eingetreten war, vernahm man das zischende Gelispel der Söhne Albions. Wir waren die Einzigen, welche sich in Deutscher Sprache unterhielten. Sämmtliche Gäste waren nach der neusten Mode gekleidet, ihre Haare wohl pomadisirt und von ~Monsieur Eugène~ frisirt. Besonders elegant war ein junger, hübscher Russe, der an der Tafel den Ton anzugeben schien, und im Bewußtsein seines Reichthums sich behaglich auf seinem Stuhle hin und her wiegte. Sein Platz dicht bei der Familie ~Guilleaume~ schien auf eine lange Anwesenheit zu deuten. Er schien fast sämmtliche Gäste zu kennen und nahm sich die Freiheit, manche von ihnen scherzhafter Weise aufzuziehen. Er sprach vortrefflich Französisch. Seinen Manieren nach hätte man ihn auch für einen Franzosen halten müssen, wenn nicht die Form seines Kopfes, der Schnitt seiner Augen den Russen verrathen hätte. Er trank Champagner und bewirthete mit diesem seine Bekannte. Ihm gegenüber saß ein junges Mädchen in einem schwarzen Kleide, mit großen dunkeln Augen, braunen Haaren, deren Blick zerstreut umherschweifte, und die wenig oder gar keinen Antheil an dem, was um sie vorging, zu nehmen schien. Der junge Russe gab sich alle Mühe sie zu unterhalten. „Warum so traurig, mein Fräulein,“ sprach er auf Deutsch in einem komisch schnarrenden Tone, „Sie sind verliebt bis über die Ohren. Was soll das? Er wird schon kommen, der Mensch! Trinken Sie ein Glas Champagner, ich bitte. Man muß nie traurig sein, es hilft nichts und macht häßlich. Trinken Sie, ich bitte.“ „Na, so trinken Sie doch, Adelinchen,“ sprach Madame ~Guilleaume~, die neben dem traurigen Kinde mit den schönen Augen saß, „Sie essen auch gar nicht! Wer wird wohl so melancholisch sein!“ „Du lebst wirklich von der Luft, Adeline,“ sprach die Tochter der Madame ~Guilleaume~, „Du wirst ganz mager hier bei uns. Das dürfen wir nicht zugeben.“ „Was wir lieben, Fräulein!“ rief der junge Russe, sein Glas emporhebend. „Was wir lieben!“ wiederholte Mlle ~Guilleaume~. Das schöne, blasse Mädchen nahm das Glas und benetzte kaum die Lippen mit dem flüchtigen Getränke. „Was ist das!“ rief der Russe. „Das ist kein Trinken! Bei uns, in Rußland, trinken die Damen aus, wenn sie die Gesundheit ihres Geliebten trinken! Trinken Sie aus, ich bitte.“ „Ich danke,“ antwortete die schöne Adeline. „Ich trinke selten, fast nie. Uebrigens bin ich Ihnen für die Güte, mich aufheitern zu wollen, sehr verbunden, Herr von Jadis; aber Sie wissen, es hilft nichts.“ „Der Teufel hole die verliebten Leute!“ rief der Angeredete. „Sie verderben alle gute Gesellschaft! bei Ihnen ist Hopfen und Malz verloren!“ Dem jungen Mädchen entlockten diese kräftigen, komisch hervorgestoßenen Ausdrücke ein vorübergehendes Lächeln, wobei sie zwei Reihen der schönsten Zähne zeigte. Sie hatte etwas unbeschreiblich Anziehendes. Sie erinnerte an Mignon. Man hätte sie fragen können: „Was hat man Dir, Du armes Kind, gethan?“ Der Baron schien ganz in ihrem Anschauen verloren. „Bei Gott,“ sagte er mir leise, „eine solche Aehnlichkeit sah ich nie! Wie dieser plumpe Russe mit seinen rohen Scherzen das Zartgefühl des holden Kindes beleidigen muß! Das Mädchen ist krank, sehr krank. Ihre Krankheit ist die des gebrochenen Herzens. Ich kenne das. Triviale Scherze sind kein heilender Balsam für solche Kranke. Da hilft nur Mitgefühl! Ich muß erfahren, wer sie ist, Aristipp. Ihr Anblick erweckt in mir eine traurige, sehr traurige Erinnerung.“ Das Gespräch wurde dadurch unterbrochen, daß der Kellner vier Gläser Champagner vor uns hinsetzte und im Begriff war, sie vollzuschenken. „Wer hat den Champagner bestellt?“ fragte der Baron. „Der Herr von Jadis, der junge Russe, hat mir befohlen, den Herren einzuschenken.“ „Ich lasse mir von keinem Unbekannten einschenken!“ erwiederte der Baron stolz. „Es ist ein Freund des Herrn von Pichmeier,“ erwiederte der Kellner. „Des Herrn von Pichmeier! Schnell schenken Sie ein. Wo ist Herr von Pichmeier?“ „Auf dem Lande.“ „Trinken Sie, meine Herren!“ rief der Russe über den Tisch herüber. „Der Champagner ist gut! Er ist von Herrn Mappes! Herr Mappes soll leben!“ Wir tranken. „Sie kennen Pichmeier?“ fragte der Russe den Baron. „Gewiß. Er ist einer der edelsten und liebenswürdigsten Menschen, die es giebt. Ich bin ihm viele Verpflichtungen schuldig. Er ist ein vortrefflicher Mann.“ „Das ist er gewiß,“ bemerkte Madame ~Guilleaume~. „Höchst gebildet und angenehm!“ sagte Mlle ~Guilleaume~. „Er hat Gefühl und Herz!“ flüsterte das traurige Mädchen, indem sie das schöne Auge zum Himmel erhob. „Wenn Herr von Pichmeier nicht hier ist, fehlt dem Ganzen der Geist, und die Seele, nicht wahr, Fräulein?“ sprach ein junger Mann mit glänzend schwarzen Haaren, schönen blauen Augen und etwas orientalischer Gesichtsbildung, welcher neben Fräulein Adelinen saß. „Das ist wahr!“ ergänzte ein großer blonder Mann, dessen Nachbar. „Der Herr von Pichmeier ist ein edler Mensch!“ Mehre der Tischgesellschaft pflichteten dieser Meinung über den Herrn von Pichmeier bei. „Wie glücklich dieser Mann ist!“ rief der Baron aus. „Unter so vielen Menschen nur +eine+ Stimme des Lobes über ihn und noch dazu hinter seinem Rücken! Es liegt etwas Bezauberndes in der allgemeinen Achtung, dem allgemeinen Beifall der Menschen! Was hilft alles Berühmtsein, aller Verstand, wenn man nicht geachtet und geliebt von seinen Mitmenschen ist! Gewiß, beneide ich den Herrn von Pichmeier nicht, aber ich gäbe zwanzig Jahre meines Lebens darum, wenn man von mir spräche, wie man hier von ihm spricht!“ „Das allgemeine gute Urtheil über einen Menschen hat allerdings etwas sehr Anziehendes,“ sprach Hippias. „Es ist bei weitem leichter Bewunderung, als die allgemeine Achtung und Liebe zu erwerben. Daher möchte ich auch lieber +gut+, als +groß+ sein. Beides zusammen vereinigen, ist sehr schwierig.“ „Ihr seid wieder auf gutem Wege!“ rief Herr Herrmann Bleicamb. „Ich habe gehofft, in der Gesellschaft von lustigen, jungen Leuten meinen Tag hinzubringen, und befinde mich unter lauter Philosophen. Die Welt beurtheilt Euch ganz falsch, meine jungen Herren. Ich bemerke, daß Ihr die Weisheit auf dem Grunde eines leeren Champagner-Glases sucht und findet. Es freut mich und ich werde es gelegentlich zu rühmen wissen. Wir müssen aber Höflichkeit um Höflichkeit tauschen und jetzt dem Russen einschenken lassen, wenn wir uns nicht lumpen lassen wollen!“ „Du bist heute außerordentlich höflich!“ sprach der Baron. „Eine Flasche Champagner!“ rief ich dem Kellner zu. Das Diner nahte sich jetzt seinem Ende. Madame ~Guilleaume~, ihre Töchter und die interessante Unbekannte erhoben sich von ihren Sitzen und verließen den Speisesaal. Einige von den Herren folgten ihnen, die anderen rückten näher zusammen und der Champagner begann zu kreisen. Der junge Russe besonders schien sich über die Entfernung der Damen zu freuen. „Gut! gut! daß sie fort sind“ rief er aus. Was wollen die Damen an der ~Table d’hôte~? Sie geniren nur. Er trank ein Glas Champagner und sang: „Drei Ochsen, vier Küh! Sind sieben Stück Vieh! Die Ochsen sind gröber, Und stoßen die Küh! Tra-La Tra-La Tra-La.“ „Wer war das junge Mädchen, welches mit der Madame ~Guilleaume~ den Saal verließ?“ fragte der Baron nach einer kleinen Pause den Russen. „Ein sehr dummes Mädchen! sehr verliebt, wie alle Deutsche Mädchen. Sie hat keinen Sinn, als für den Geliebten, und weint Tag und Nacht, daß er nicht bei ihr ist. Schon seit sieben Jahren liebt sie ihn! Das ist wirklich zu toll, und heirathen kann sie ihn nicht, denn weder er noch sie haben was zu essen. Und ohne Geld zu sein, das ist der Teufel! Anstatt vernünftig zu sein, und sich zu amüsiren, sitzt sie immer in Träumereien versunken, und wenn einen Posttag über ein Brief von ihm ausbleibt, so ist sie betrübt bis in den Tod. Hä! Hä! Hä! Das ist zu dumm! Da sind die Französinnen anders und die Russinnen! Die Deutschen sind sentimental und langweilig. Es ist nichts anzufangen mit ihnen. Immer verliebt und immer geweint! Ich bitte! Das ist lächerlich!“ „Der Herr von Jadis hat Ihnen eine Erklärung nach seiner Weise über dieses junge Mädchen gegeben,“ nahm der junge Mann, welcher Fräulein Adelinens Nachbar gewesen war, das Wort, „da Sie aber mit einigem Interesse sich nach ihr erkundigen, so will ich Ihnen eine andere geben. Fräulein Adeline von Lilienthal ist eine sehr gute Bekannte der ehrenwerthen Familie ~Guilleaume~ und zum Besuche bei ihr hier anwesend. Es ist wahr, daß sie eine glückliche oder eine unglückliche Liebe hat, wie man es in der Welt nennt, und daß sie dem Gegenstande ihrer Neigung sieben volle Jahre treu blieb. Sie scheint in der That keinen andern Gedanken, als ihn zu haben, welches ihr, nach meiner Meinung, zur höchsten Ehre gereicht. Ich glaube, daß es das höchste Glück für einen Mann sein muß, mit dieser hingebenden, Alles vergessenden, dauernden Liebe geliebt zu werden, mit welcher dieses interessante Wesen ihrem Geliebten anhängt, und wenn unsere Deutschen Frauen und Mädchen einen reellen Vorzug vor den Französinnen, Russinnen etc. besitzen, so besteht er gerade in diesem tiefen Gefühle, in dieser schönen, reinen Hingebung, in diesem gänzlichen Verlorensein in dem Gedanken an den Auserwählten ihres Herzens. Diese metaphysische oder platonische Liebe, welche das ganze Wesen eines so holden und liebenswürdigen Geschöpfes erfüllt, ist meiner Ansicht nach der höchste Schmuck eines weiblichen Wesens. Wir Männer sind kaum im Stande, die Gefühlswelt zu fassen, welche das Herz eines wahrhaft liebenden Weibes bewegt; ich selbst hatte nur eine schwache Idee von der Möglichkeit des Vorhandenseins solcher Gefühle. Die nähere Bekanntschaft und die Beobachtung dieses jungen Mädchens hat mir erst einen klaren Begriff derselben gegeben. Sie lebt nur für, in und durch den Gegenstand ihrer Liebe. Alles andere ist ihr gleichgültig. Sie würde sich, ihr Leben, ihren Ruf, ihre zeitliche und ewige Wohlfahrt dem Geliebten opfern! Ihr weiches, reines, reiches Herz kennt kein anderes Gefühl als das der aufopfernden, hingebenden Liebe! Von einer solchen Liebe hat ein Russe, ein Franzose keinen Begriff.“ „Wollen Sie eine Partie ~Ecartè~ um einen Drittel mit mir spielen, das ist besser, als dieses Liebes-Geschwätz!“ rief der Russe. „Ich spiele nicht,“ antwortete Jener etwas zurückhaltend. „Ah! ha! Sie sind böse auf mich? Warum nicht gar! Man muß sich nie über ein Mädchen erzürnen. Das ist lächerlich! Wollen Sie?“ fragte er auf Russisch, seinen Nachbar. Jener nahm die Partie an. Sie spielten drei Partien. Der Herr von Jadis gewann zwei. Mit einem triumphirenden Lächeln erhob er sich vom Tische. „Rudolf!“ rief er, „eine Droschke! Ich habe mein Theater gewonnen! Adieu! meine Herren!“ Mit diesen Worten hüpfte er zur Thüre hinaus. „Sie haben mir durch Ihre gefühlvolle Auseinandersetzung der Verhältnisse des Fräuleins eine wahre Freude gemacht,“ sagte der Baron sich an Herrn Kriegmann wendend. „Lassen Sie uns ein Glas Champagner auf die Gesundheit Deutscher Frauen, Deutscher Liebe und Deutscher Treue trinken!“ „Sehr gerne. Dann können wir diese drei Gesundheiten in einer trinken: Fräulein Adeline!“ „Wir trinken mit,“ riefen Bleicamb, Hippias und ich. Die Französischen ~Commis voyageurs~, welche das Deutsche Gespräch wohl schon lange belästigt haben mogte, fingen jetzt ihr Wesen an, und Charaden, Calembourgs, Kunststücke aller Art wechselten mit einander ab. „Ich habe keine Lust diese Französischen Windbeuteleien mit anzuhören,“ sprach Hippias. „Der Uebermuth des Russen hat mich schon genug gelangweilt.“ „Wollen Sie mir folgen, meine Herren,“ sprach Herr Kriegmann, „so gehen wir in den Garten, und trinken dort mit den Damen Cafée.“ Wir standen auf, und befanden uns bald in der Gegenwart der Madame ~Guilleaume~, ihrer Tochter und der Fräulein Adeline, welche auf einer Bank im Garten saßen, vor welcher ein Tisch und das nöthige Cafée-Service stand. Die Gesellschaft angenehmer, gebildeter, anständiger Damen macht immer einen vortheilhaften Eindruck auf das Gemüth eines Mannes, der noch nicht gänzlich gesunken. Sie zeigt ihm die schöne Seite des Lebens, und erweckt Erinnerungen in ihm, welche die Nachklänge vergangener schöner Zeiten sind. Sie führt ihm die Tage vor dem geistigen Auge vorüber, die er unter dem Schutze einer liebenden Mutter, der Sorgfalt seiner älteren und unter den Spielen seiner jüngeren Schwestern und ihrer Freundinnen verlebte, und die Sehnsucht nach dem ~sweet, sweet home~ bemeistert sich seiner Seele. So wie die Gegenwart würdiger Frauenzimmer dem Manne eine schöne, nie vergessende Vergangenheit auffrischt; so erfüllen sie auch sein Herz und seine Phantasie mit Bildern einer lieblichen Zukunft, mit der Sehnsucht nach der Geliebten und einer baldigen Vereinigung mit ihr, oder mit dem Wunsche, in dem gegenwärtigen weiblichen Wesen die zu erkiesende Gefährtin des Lebens zu finden, wenn Herz und Hand noch frei geblieben. Diese verschiedene Erinnerungen, Aussichten, Hoffnungen geben den Gedanken eines unverheiratheten Mannes eine eigene Richtung; sie versetzen ihn in eine für alles Gute und Schöne empfängliche Stimmung, flößen ihm den Wunsch zu gefallen ein, und mildern daher die Rohheit seiner Sitten und lehren ihn, wie Goethe sagt: „was sich schickt, was sich ziemt.“ Wenigstens sollte dieses immer der Fall sein, und ein gebildeter Mann in der Gegenwart edler Frauen nie die Schranken übertreten, welche der Anstand, die Achtung gegen das weibliche Geschlecht, das Zartgefühl vorschreiben. Bei uns Deutschen ist dieses auch, gottlob! selten der Fall. Mag der Engländer und der Franzose mehr kleinliche Aufmerksamkeiten, Zuvorkommenheiten gegen das weibliche Geschlecht mit Ostentation an den Tag legen; er fällt auch häufiger durch. Der Franzose wird schlüpfrig und der Engländer grob. Dem Deutschen verleiht der Eindruck, welchen ein wahrhaft hohes Frauenbild auf ihn macht, eine gewisse Befangenheit in ihrer Gegenwart, in seinen körperlichen Wesen, weil seine Seele zu mächtig ergriffen wird. Sein Gefühl, seine Phantasie reißen ihn fort, er versinkt in Gedanken und beobachtet daher nicht eine Menge kleiner Zuvorkommenheiten, welche die Männer anderer Nationen den Frauen widmen. Aber er wird nie unanständig werden, kein zweideutiges Wort wird seinen Lippen entschlüpfen und die meisten Frauen würden ihm gerne den Mangel an Courtoisie verzeihen, wenn sie den Thron der Anbetung und Bewunderung sehen könnten, welchen er in seinem Herzen ihnen erbaut. Nur der Deutsche ist einer wahren Liebe fähig! Die Leidenschaftlichkeit des Franzosen verfliegt wie der Schaum des Champagners. Der Engländer ist großer Passionen, tiefer Eindrücke fähig, aber um lieben zu können, wie ein Deutscher, ist er zu egoistisch, zu commerziel, zu sehr Staatsbürger. Für einen Deutschen nur kann die Geliebte ein einziger, ewiger Gedanke sein, weil er Alles über sie vergessen kann und die ganze Dauer seines Lebens +nur für sie zu leben+ im Stande ist. Der Deutsche ist der einzige Mann, der sein Weib dauernd vergöttern kann, weil er fähig ist die Zartheit und Reinheit des Brautstandes in den Ehestand zu übertragen. Ich darf hoffen, durch die Erwähnung dieser Ansicht den Deutschen Mädchen und Frauen die Deutschen Männer noch werther gemacht zu haben, und Ausländerinnen den Wunsch empfinden zu lassen, sich auf „gut Deutsch vergöttern zu lassen.“ Sollten einige meiner ausländischen Leserinnen diesen Wunsch hegen, so ersuche ich sie nur einige +Vergötterer+ bei mir zu bestellen; vorausgesetzt, daß die liebenswürdigen Schönen ein reines Vermögen von 50000 Pfund Sterlinge, 200000 Silber-Rubeln oder 300000 Franken besitzen, und +versprechen+ sämmtliche Kinder in der allein seligmachenden lutherisch, evangelischen Religions-Sekte erziehen zu lassen, weil ihnen sonst nicht die Concession zu einer ehelichen Verbindung mit einem Andersgläubigen ertheilt wird. Es ist diese Forderung nur als eine kleine Repressalie gegen die Forderungen anderer, christlicher Sekten anzusehen, welche aus den Grundsätzen hervorgeht, die wir jetzt in allen Religions und anderen Händeln befolgen: Erstens: Nehmt Eure Vernunft gefangen in dem Gehorsame Christi, und zweitens: Giebt Dir Einer eine Ohrfeige auf den einen Backen, so halte ihm den andern hin. Dieser letzte Satz wird jetzt bei uns so interpretirt: ist Einer ein Esel gegen Dich, so sei ein doppelter gegen ihn. Meine Adresse ist: Monsieur Aristipp, ~Maison de commission~. ~Depôt~ metapysischer, treuer Ehemänner, +St. Pauli+. Ungefähr in derselben Zeit, daß meine Leser diese absichtslose Abschweifung durchlesen haben, war die Gesellschaft im Garten des ~Hôtel de France~ einander vorgestellt worden, hatte sich unter dem Schatten hoher Linden auf Bänke und Stühle in verschiedenen Positionen niedergelassen, Cafée getrunken, und war durch einige Besuche aus der Stadt um ein Bedeutendes vermehrt worden. Die betrübte Stimmung Fräulein Adelinens war gewichen. Sie hatte einen Brief ihres Geliebten erhalten, der dessen nahe Ankunft verkündete. Ihr schönes braunes Auge strahlte von einer innern Glückseligkeit, und mit einem kindlichen Frohsinn mischte sie sich in das Gespräch der Anwesenden. Welch ein himmlischer Ausdruck beglückter Liebe, rosiger Hoffnung, jungfräulicher Unschuld und Tugend lag in ihrem lieblichen, blassen Gesichte! Der Baron seinerseits schien ganz in dem Anschauen dieses huldvollen Geschöpfes verloren, und beobachtete sie mit einer unablässigen Aufmerksamkeit. Er war stille, in sich zurückgezogen und ein hoher Ernst lagerte auf seiner Stirne. Eine tiefe, gewaltige Bewegung schien ihn zu beherrschen. Er war mehre Male im Begriffe mit dem interessanten Wesen eine Unterhaltung zu beginnen, aber dem gewandten Weltmann, dem Literaten und Schriftsteller, dem Soldaten fehlte dieses Mal der Muth. Er schwieg, indem er sprechen wollte, und lehnte sich nachdenkend an einen Sessell, ohne jedoch einen Blick von dem Fräulein zu wenden. Sie schien aber weder ihn noch irgend einen andern aus der Gesellschaft zu bemerken. Herr Herrmann Bleicamb, welcher dem Champagner tüchtig zugesprochen, und durch ihn in eine heitere Laune versetzt war, Hippias desgleichen, dem das fröhliche Wesen des alten Knaben gefiel, gaben der allgemeinen Unterhaltung eine andere Wendung, indem Herr Herrmann Bleicamb begann, der Gesellschaft ein Räthsel aufzugeben, welches lautete, wie folgt: „Eine junge Dame sprach eines Abends mit einem jungen Manne vor dem Gitter eines Klosters. Wie können Sie zu dieser Tageszeit mit einem jungen Menschen reden? fragte sie eine Kloster-Schwester. -- Warum sollte ich dieses nicht? antwortete die Dame, denn seine Mutter ist meiner Mutter einzigstes Kind.“ In welchem Verhältnisse steht nun der junge Mann zu dieser Dame? „Er war ihr Sohn, sie seine Mutter,“ bemerkte Hippias. „Getroffen!“ rief Bleicamb und fuhr dann fort: „Können Sie mir wohl sagen, welche Aehnlichkeit zwischen einem Courmacher und einer Uhr ist?“ Man bedachte sich; dann sprach Herr Kriegmann: „Beide zieht man auf und läßt sie laufen.“ „Richtig.“ „In der Mitte des Meeres steht ein Baum,“ nahm Hippias das Wort, „und auf diesem Baume sind ebensoviele Jungfrauen, als Tropfen im Meere. Wie fangen diese Jungfrauen es an, um trocken an das Land zu kommen?“ „Jede nimmt einen Tropfen mit,“ errieth der scharfsinnige Bleicamb. „Es kam einmal ein Fremder nach Frankfurt und logirte im Gasthause „Zum Schwan.“ Er langweilte sich und bat den Kellner, ihm ein Räthsel aufzugeben. Der Kellner gehorchte. Es ist weder mein Bruder, noch meine Schwester und doch ist es meines Vaters Kind, sprach er. Was ist das? Der Fremde errieth es nicht. Nun, das bin ich selbst! rief der Kellner zum Schwan. Der Fremde ging in eine Gesellschaft und gab dort dasselbe Räthsel auf. Natürlich, das sind Sie selbst! antwortete der Andere. Nein, sprach dieser, das ist der Kellner zum weißen Schwan.“ Herr Kriegmann erzählte diesen Witz. Man lachte. „Ich will Ihnen einen Pendant hierzu erzählen,“ sprach Bleicamb. „Ein Oesterreicher war in einer Gesellschaft, wo man +kluge Räthsel+ aufgab. Ein Bekannter fragte ihn: es ist schwarz, weiß, bunt und läuft auf allen Vieren. Wenn es bellt macht es: Wau! Wau! -- Was ist das? Ein Hund, antwortete der Oesterreicher. Nein, entgegnete der Andere, eine +Hündinn+! Der Oesterreicher war bald darauf wieder in einer Gesellschaft, wo man +kluge Räthsel+ aufgab. Einer fragte ihn: es ist halb von Eisen, halb von Porzellan, und wenn man im Winter die Stube damit heizt, so macht es warm. Was ist das? Sie glauben wohl, versetzte der bedächtige Oesterreicher, ich würde antworten: ein Ofen! Nein! es ist eine Oefinn!“ „Als der König, Georg der Vierte, nach Hannover kam,“ begann ein anderes Mitglied der Gesellschaft, wurde die ganze Stadt illuiminirt. Vor einem Hause brannte in Transparent folgende Inschrift: „Lange lebe die-See Krone, „Unter der ich glücklich wohne.“ Der witzige Erfinder dieser genialen Inschrift hatte mit: „die-See Krone,“ auf die Vereinigung Englands und Hannover hindeuten wollen. „Ich kenne eine sehr treffende Antwort des Königs von Dänemark,“ bemerkte ein Anderer. „Der König befand sich mit dem Herzoge von Wellington in einem Zimmer auf der Hofburg zu Wien. Sie gingen in lebendigem Gespräche begriffen auf und nieder. Die Unterredung wandte sich auf den Sclavenhandel. Wellington rühmte die außerordentliche Mühe, welche sich England gegeben, um den Sclavenhandel abzuschaffen, und die gute Behandlung, welcher die Schwarzen von Seiten seiner Nation sich zu erfreuen hätten. „Schön!“ rief der König aus: „Wie aber behandelt Ihr die Weißen?“ --“ Während dieser Wortspiele und Calembourgs hatte sich eine Unterredung zwischen dem Baron und Fräulein Adeline angesponnen. „Waren Sie lange nicht in Hannover?“ fragte sie. „Nein, mein Fräulein, ich war lange Zeit nicht dort.“ „Dann werden Sie es sehr verschönert finden, wenn Sie jetzt einmal hinkommen würden. Es liegt viel mehr Militär in der Stadt, und ist Alles schöner und prächtiger durch die Gegenwart des Königs geworden!“ „Mag Hannover so brillant sein, als es sein kann,“ versetzte der Baron düster; „angenehmer habe ich nie eine Stadt gefunden, als es zu meiner Zeit war. Gewiß findet man selten +so gute und liebenswürdige Fürsten, als den Herzog von Cambridge und die Herzogin+!“ „Ihr Andenken lebt in dem Herzen aller Hannoveraner fort!“ „Das schönste Denkmal, das Fürsten sich setzen können! ~Aere perennius!~“ „Was ich gerne an den Hannoveranern leiden mag,“ nahm Herr Kriegmann das Wort, „ist, daß sie wirklich eine unbegrenzte Liebe zu ihrem Vaterlande und unter sich haben. Uns war es heute nicht möglich Ihnen ein Wort abzugewinnen, mein Fräulein, und mit dem Landsmann geht das Gespräch munter fort.“ „Meinen Sie das? Nun so schlimm ist es wohl nicht -- aber, in der That, ich freue mich immer, wenn ich von Hannover sprechen kann. Geht es Ihnen nicht ebenso?“ „Gewiß,“ antwortete der Baron. „Wenngleich ich lange Zeit nicht in Hannover war, so interessirt mich doch jedes Wort, das ich über Hannover höre. Wir Hannoveraner sind einmal ein eigener Schlag Menschen und kleben an der Scholle, am Alten. Es läßt sich nicht leugnen, daß man in Hannover ein angenehmes Leben führt. Man scherzt, man lacht, man tanzt, macht den hübschen Damen die Cour und lebt fröhlich und wohlgemuth. Pedanterie kennt man nicht, und die langweiligen Geschwätze über Religion, gemischte Ehen, Kirchenstreitigkeiten, wie hier und im Holsteinschen, kennt man dort nicht. Ferner ist ein Hauptzug unseres Vaterlandes, daß fast alle Hannoveranerinnen hübsch, viele schön sind. Dieses Compliment macht ihnen sogar Lady Montague und meine liebenswürdige Nachbarin bestätigt durch sich selbst die Wahrheit unseres Ausspruchs.“ Fräulein Adeline nahm diese Schmeichelei lächlend hin. „Ich muß Ihnen wohl im Namen meiner Landsmänninnen meinen Dank sagen,“ sprach sie, „übrigens muß ich Sie ersuchen, wenn sie noch einige Schmeicheleien in Petto haben sollten, mir diese leise in das Ohr zu flüstern, denn in Hamburg ist das nicht Mode. Ich würde sie auch von Niemand anhören, als von einem Hannoveraner.“ „Sie sind partheiisch, mein Fräulein!“ bemerkte Herr Kriegmann. „Durchaus nicht. Wenn mir ein Hannoveraner etwas Schönes sagt, so nehme ich es an, weil ich weiß, daß es nichts auf sich hat, und zum guten Tone gehört. Einem Hamburger schenke ich gerne seine Artigkeiten, erstens, weil sie ihm nicht geläufig sind, und zweitens, weil man mich für eitel halten würde, wenn ich sie annähme.“ „Ja, mit zu großer Artigkeit belästigen uns unsere Herren nicht,“ sprach Fräulein ~Guilleaume~. „Das will ich gerade nicht sagen,“ meinte Madame ~Guilleaume~. „Unsere Herren haben auch mehr zu denken, als den Mädchen was Schönes zu sagen. Die Geschäfte, die Geschäfte gehen Allem vor.“ „Sehr wahr!“ rief Fräulein Adeline. „Man kann seine Zeit besser anwenden, als uns durch Schmeicheleien den Kopf zu verdrehen!“ Die Unterhaltung wurde durch den Kellner gehemmt, der meldete, daß der Wagen da sei, in welchem die Damen zum Theater fahren wollten. Die Damen erhoben sich von ihren Sitzen und entfernten sich. Mehre der Herren begleiteten sie. Der Baron sah Fräulein Adelinen lange nach, dann sprach er: „Das Mädchen hat eine wunderbare Aehnlichkeit! Es ist eine traurige Erinnerung für mich! Wohl dem, den solche Erinnerungen nicht quälen!“ „Willst Du uns nicht den Grund sagen, weshalb Dich der Anblick dieses holden Geschöpfes so in Bewegung gesetzt hat?“ fragte ich. „Morgen,“ antwortete er. „Die Geschichte ist lang und traurig. Den heutigen Abend soll sie uns nicht verderben. Laßt uns nach dem Jungfernstieg gehen!“ Wir nahmen den Vorschlag an und befanden uns bald auf der weltberühmten Promenade. Wir mischten uns unter die Lustwandelnden und schlenderten Arm in Arm, die Cigarre im Munde, den Jungfernstieg auf und nieder. Welch ein Gedränge! Welch eine Masse der verschiedensten Menschen wandelt hier auf und ab! Der reiche Kaufherr, der zierliche Elegant, der behende Ladendiener, der stolze Engländer, der lustige Franzose, der ernste Türke, der berühmte Literat, der glücklich und unglücklich Liebende, der reiche Russe, der schöne Pole, der blonde Däne, der regierende Herr und der zerlumpte Bettler -- sie Alle ergehen sich hier und keiner kümmert sich um den Andern! Die stolze Hamburgerin, die fremden Prinzessinnen, die schmachtenden Engländerinnen, die geputzten Dienerinnen der Freude, gehen hier neben einander auf und nieder. Wahrlich! +Was die Promenade des ausgezeichnetsten Badeorts in der besuchtesten ~saison~ ist, das ist der Jungfernstieg in Hamburg für jede ~saison~, jeden Tag!+ Reisewagen, Cabriolets, Omnibus, Droschken, Couriere, Reuter und Reuterinnen hoch zu Roß fliegen vor den Blicken der Lustwandelnden vorüber! Die schönsten Harmonien ertönen aus den umliegenden Cafée-Häusern, und der Glanz und die Pracht der gegenüberliegenden Putz- und Mode-Handlungen, fesselt die Blicke der Spatziergänger. Doch schöner, wie alles dieses ist, das liebliche Bassin der Alster, auf dessen sanften Wogen ein festlich geschmückter Nachen dahingleitet, und Hunderte von blendweißen Schwänen in stolzer Majestät die krystallenen Fluthen durchschneiden! in dessen lieblich spielenden Wellen der Mond sein glanzumflossenes Bild erblickt, oder die Sonne ihre glänzenden Strahlen in die kühlenden Ringellocken der Alster taucht! dessen blaulicher Grund wohl manche Klage unglücklicher Liebe verschlang, oder dessen Oberfläche, in lauer Sommernacht, glücklich Liebende, in leichten Segelkähnen, fern von dem Geräusche der Menschen, an das verschwiegene, jenseitige Ufer trug! Schön bist du stets, Ocean, du Ungeheuer! Doch +lieblicher+ bleibt doch immer das durch Kunst gebändigte Element in dem schönen Bassin der Alster! Meine Leser, besonders die Hamburger, werden mir leicht diese kurze Lobeserhebung des Jungfernstieges und des Alster Bassins vergeben. Wahr ist es! In den größten Städten der Welt ist nicht ein so lieblicher Spaziergang zu finden! Um die Annehmlichkeit desselben recht zu empfinden, setzten wir uns vor dem Alster-Pavillon nieder, ließen uns einige Glas Arack-Punsch geben und betrachteten die Vorübergehenden. Jemehr es Abend wurde, jemehr nahm die Menschenmasse zu, und als nun gar das Theater vorbei war, da war fast kein leerer Punct Erde auf dem Jungfernstieg zu finden! „Es ist sonderbar,“ nahm nach einigen Augenblicken der Baron das Wort, „daß es Tage giebt, an welchen man jeder Sache nur die traurige Seite abgewinnen kann. Wo selbst die lieblichste Erscheinung das Gemüth mit wehmüthiger Trauer erfüllt. So ging es mir heute bei Tische, beim Erblicken des Fräuleins, so geht es mir jetzt, indem ich hier mit Euch verweile, allen Grund habe fröhlich zu sein, und doch traurig bin. Wie viele angenehme Bilder regt der Anblick dieser schönen Promenade, dieser Pavillon nicht in mir auf. Warum muß ich nun gerade an das denken, was mir jede Freude in der Rückerinnerung vergangener, an diesem Orte verlebter Stunden, Augenblicke verdirbt!? Hier war es, wo ich zum ersten Male meinen Namen gedruckt in den Blättern der Börsenhalle las! Mit welcher inneren Bewegung, mit welcher Aengstlichkeit, welcher Erwartung verschlang ich die Ankündigung meines Werkes durch Franz von Florencourt! Mit welchem steigenden Entzücken durchflog ich sie bis zum befriedigenden Ende! Die Sucht nach Ruhm, die Eitelkeit zu glänzen, als Literat genannt zu sein, war befriedigt. Wohl kein siegestrunkener Feldherr, nach gewonnener Schlacht, konnte ein stolzeres Gefühl empfinden, als ich nach Beendigung des Lesens dieses Artikels! Der schöne Traum ist vorüber, meine Memoiren sind gelesen, sie und ich vergessen! -- Hier an diesem Orte war es, wo ich die ersten Stunden mit Wille, Florencourt und Wienbarg im angenehmen Austausche unserer Ideen, im geistigen Ringen unserer Kräfte, im glänzenden Wechsel-Gefechte unserer Kenntnisse, unseres Verstandes, unserer Lebens-Ansichten, unserer politischen und religiösen Meinungen, nicht +erlebte+, sondern wirklich erst das Leben verstehen lernte! Hier war es, wo Wienbarg, aufgeregt durch eingetretene Verhältnisse, in glänzender Beredsamkeit die Kraft und Gediegenheit seiner geistigen Facultäten in fließenden Worten entwickelte, den kleinlichen Egoismus bei Seite warf, sich dem Menschen als großherziger Mensch zeigte, und mit wohlwollenden Gesinnungen den Novizen der Literatur, wenn gleich verschiedener Ansicht, freundlich begrüßte! Hier war es, wo Franz von Florencourt, die Gemüthlichkeit seines Herzens, und in ruhigen, klaren, überlegten Worten seine Vernunftsbelege ~pro et contra~ entwickelte; rein und edel in seinen Gedanken, klar und verständlich in seiner Rede, glühend als Patriot und Republikaner, doch Freund der Ordnung und Mäßigung. +Hier war es+, wo Wille angenehm in Umgang und Wesen, ~suaviter in modo et fortiter in re~, mit glänzender Beredsamkeit und stachelndem Witze, die Schärfe seiner Urtheilskraft, das blitzschnelle Durchdringen und Auffassen des Gegenstandes in bewunderungswürdiger Gewandtheit, Geläufigkeit der Zunge und wohlklingender Sprache zeigte; freundlich dem Fremden die hülfreiche Hand bot und sich so gescheut, als herzlich und gutmüthig erwies. -- Wohl könnt Ihr es Euch denken, wie wohl ich in der Gesellschaft solcher Männer mich befand, denn die Empfänglichkeit und Anerkennung großer und guter Eigenschaften Anderer war von jeher +ein guter+ Zug meines Charakters. Wie schön! wie herrlich dachte ich mir das Leben mit diesen Männern. Wie groß, wie belehrend, wie ruhmvoll gestaltete sich meine Zukunft durch ihren Umgang, ihre Freundschaft, ihre Unterstützung, ihre Schule! Eingeführt durch Wille, Wienbarg und Florencourt in die literarische Welt öffnete sich mir ein schönes, weites Feld literarischer Thätigkeit, ein glänzender, ruhmvoller, nützlicher Erwerbszweig! -- Doch: „Wildzürnend schleudert selbst der Gott der Freude Die Fackel in das brennende Gebäude“ -- -- -- Ich stehe jetzt einsam und verlassen in dieser Welt. Kein Freund der mich liebte! und doch bedarf kein Herz mehr des freundschaftlichen Umgangs, als das meine! Nur ein Wesen giebt es, das mich liebt, meine Louise! Nur wenige gute Menschen giebt es, denen ich theuer bin, meine Mutter, meine Schwestern! und auch der Gedanke an sie ist mir ein trauriger und vorwurfsvoller Gedanke! „Es ist fürchterlich,“ fuhr der Baron in erstarrender Kälte fort, „allein in dieser Welt zu stehen! In seiner eigenen Brust die ganze Qual eines durch sich selbst zernichteten Lebens zu empfinden, das so schön, so rosig, so lächelnd vor einem lag! In dem Anblick der Geliebten, der Seinigen einen ewig nagenden Kummer zu erblicken; vor dem freundlichen Entgegenkommen, dem liebevollen Lächeln derselben zurückzubeben, und in dem warmen Handdruck der Liebe die kalte, eisigkalte Hand des bösen Gewissens zu empfinden! An einen Fremden sich mit der wahnsinnigen Kraft einer nach Mittheilung und Erguß dürstenden, lechzenden Seele zu klammern und selbst in dem Entgegenkommen, in den freundschaftlichen Versicherungen eines elenden Mannes eine Wonne zu finden, nur, weil es ein +Mensch+ ist! Tod und Teufel, Aristipp! Was hilft es uns in einer Welt zu leben, die nur nach dem Scheine richtet, unter Christen zu leben, die nie an die Besserung eines verirrten Mitbruders glauben.“ „Du bist wohl nicht klug heute!“ bemerkte Bleicamb. „Trink Thee Bruder und lies den Josephus!“ „Du hast Recht! Ich bin nicht klug, ich bin wahnsinnig, aber gerade in meinem Wahnsinn habe ich die einzigen ~lucida intervalla~ meines Lebens. Für mich ist die ganze Welt ein Tollhaus und ich der einzige Tolle darin!“ „Wissen Sie wohl“ sagte Hippias, „daß man sich nie so weit gehen lassen darf, wie Sie es thun. Das ist unmännlich. Lassen Sie die Welt richten, wie sie will; so lange Sie nicht die Achtung vor sich selbst verloren haben, so lange brauchen Sie nicht zu verzweiflen! Fassen Sie Muth, arbeiten Sie, schreiben Sie und benutzen Sie die herrlichen Talente, welche Ihnen die Natur gab.“ „Vortrefflicher Rath! Wer aber giebt mir Arbeit? Wer kauft mir meine Schriften ab? Wer verschafft mir eine Anstellung? Ich kann nicht kriechen, ich kann nicht schmeicheln, und dann habe ich immer meinen Titel, meinen Ruf gegen mich, und, wenn ich es sagen darf, auch meinen Verstand, meine Kenntnisse. Wer nähme wohl gerne einen gefährlichen Diener. Man kennt den Grund der zwölf Arbeiten des Herkules. Leider giebt es jetzt keine lernäische Schlangen mehr zu besiegen! Meine Grundsätze, meine religiösen und politischen Ansichten stehen in offenbaren Widerspruch mit dem Geiste, welcher hier zu Lande herrscht. So bin ich auch für die +Emancipation+ der Juden.“ „Ich auch!“ unterstützte ich den Baron um ihn von seinen Selbstbetrachtungen weiter abzubringen. „Ich sehe es nicht ein, warum man den Juden nicht das volle Staatsbürgerrecht ertheilen soll. Ein in Holstein geborner Jude, ist ebenso gut ein Holsteiner, als ich. Er bezahlt dieselben Abgaben, was noch mehr ist 13 Mark Schutzgeld mehr, als jeder Christ, steht unter derselben polizeilichen Aufsicht, in Criminal-Fällen unter derselben Gerichtsbarkeit; aber er darf nur in Altona, Friederichsstadt, Rendsburg und Elmshorn Grund und Boden besitzen; er darf auf der Landes-Universität studieren und darf Arzeneikunst und Advocatur, +unter Beschränkungen+ treiben! Aber ihm das volle Staatsbürgerrecht zu ertheilen, das ist gegen das s. g. +christliche Staatsinteresse+! -- „Wenn wir den Juden das Staatsbürgerrecht ertheilen wollten,“ sagte neulich ein hoher Beamter zu mir, „so würden wir gerade so handeln, wie ein Feldherr, der +seine Feinde+ in die Reihen seiner Soldaten aufnehmen würde. In ganz Europa herrscht jetzt ein christlicher Staaten-Verband und eine christliche Gesellschaft; wir würden also gegen unser Gewissen und unsere Pflicht handeln, wenn wir einem Juden auch nur das allerkleinste bürgerliche Amt, die allerkleinste Wirksamkeit anvertrauten und gestatteten, denn er würde feindlich in die bestehende Ordnung der christlichen Gesellschaft eingreifen. Weil also die Juden die Feinde der großen christlichen Gesellschaft sind; so dürfen wir sie uns nicht gleich stellen. Wenn wir nun diese große, christliche Gesellschaft näher betrachten, so werden wir finden, daß sie gar nicht existirt, wenigstens nicht im Sinne der Lehre Jesu. Wir haben jetzt Katholiken, Lutheraner, Zwinglianer, Calvinisten, Mennoniten, Griechen, Herrnhuter, Socianer, Wiedertäufer, oder, wie alle jene Sekten heißen mögen. Jede Seite erkennt in der anderen ihren +Feind+ und +haßt+ sie, jede hält sich für die +echtchristliche, rechtgläubige+. Die römisch, katholischen, apostolischen Christen gehen sogar in unsern südlichen Ländern soweit, alle Nichtkatholiken als Juden anzusehen. Sie sind aber alle unchristliche Sekten, weil sie sich unter einander hassen und vor Parteiwuth schäumen. Die Basis der christlichen Lehre ist Liebe, Eintracht! „Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst,“ der Grundpfeiler des christlichen Glaubens. Alle diese verschiedenen Sekten beweisen die Wahrheit ihrer Lehrsätze aus demselben Buche, aus denselben Sätzen, aus welchem und durch welche die anderen den Irrthum beweisen. Die Juden thun dasselbe. Sie haben sogar den Vorzug, daß sie uns diese Lehren aufbewahrt und mitgetheilt haben, daß der Stifter unserer Religion und seine Apostel +Juden+ waren. Schon aus Dankbarkeit für diese Ueberlieferungen sollte man sie uns gleich stellen. Haben die Juden in einem unglücklichen Mißverstande den Erlöser und seine Apostel verfolgt und gekreuzigt, so bedenke man, wie viele Lutheraner und Reformirte das Opfer des Katholicismus geworden sind! Will man also aus diesem Grunde, aus vor 1840 Jahren begangenen Feindseligkeiten den Haß der Juden gegen die Christen herleiten, so blicke man auf die Gräuelscenen einer Bartholomäus Nacht zurück, und folgere daraus, daß in einem lutherischen Staate, oder wo die lutherische Religion die überwiegende oder Staatsreligion ist, auch keinem Katholiken das allerkleinste Amt anvertraut werden dürfe, weil der Katholik ein erklärter Feind des Lutheraners ist, und umgekehrt. Das christlich-lutherische Staatsinteresse ist ebenso sehr gefährdet durch die Ertheilung des Staatsbürgerrechtes an die Katholiken als an die Juden; und kann es einem Katholiken ertheilt werden, so mit demselben Rechte können es die Juden verlangen. Von einer allgemeinen, christlichen Gesellschaft und Verbrüderung kann überhaupt gar nicht die Rede sein, weil jede der verschiedenen Sekten der Todfeind der anderen ist, und den andersglaubenden Christen, ebenso gut, als einen +Nichtchristen+ betrachtet; folglich ihn ebenso gut, als einen Feind ihres Glaubens anzusehen hat, als den Juden; oder +diesem+ dieselben Rechte ertheilen kann, als +jenem+. Ein Hauptargument gegen die armen Juden bleibt aber immer „von dem christlichen theologischen Standpunkte“ aus betrachtet: „der Finger Gottes, weil sie nach der Weissagung des Messias aufgehört haben ein eigenes Volk zu sein, und jetzt noch zerstreut unter den Völkern leben:“ weil ihr Volk einst „den Heiligen des Herrn“ verworfen hat! Deßhalb sollen sie also nach 1840 Jahren noch büßen! Deßhalb das unschuldige Kind, das Vergehen seiner vor 1000 Jahren vermoderten Voreltern noch tragen! Deßhalb sollen sie noch heute zu Tage verdammt sein! Ein Volk verdammt sein, für das Christus, der sterbende Christus am Kreuze, +seine letzte Bitte+ an den Gott der Gnade und Barmherzigkeit mit den Worten richtete: „+Vater! vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun!+“ Wenn Christus ihnen vergeben hat, so hat es Gott ja auch, denn Vater und +Sohn sind ja Eins+! und ist dieses geschehen, so können auch die, welche sich Christen nennen, auch ihnen vergeben, da sie ja sonst so außerordentlichen Werth auf das +Wort+ legen! +Dieses Wort, dieser todte Buchstabe ist es ja gerade, der alle jene Zwistigkeiten, Gräuelscenen seit undenklichen Zeiten hervorgerufen hat! der den Bruder zum Mörder des Bruders gemacht hat, und ganz Europa mit Blut überschwemmte!+ Warum denn, wenn wirklich eine wohlwollende, christliche Handlung begangen werden kann -- +warum dann alleine soll das Wort, der todte Buchstabe, nicht in Anwendung gebracht werden+!!!!! Darin liegt das Unglück der Welt, daß wir nicht den +Geist+ der christlichen Lehre aus der Bibel schöpfen, sondern, daß wir durch hunderttausend verschiedene Interpretationen und Auslegungen +des Wortes+ unsere eigenen, menschlichen Gedanken ihm unterschieben; so wie es die erbärmliche Parteisucht und der intolerante Kasten-Geist es uns zweckmäßig erscheinen läßt.“ „Du sprichst meine eigenen Ansichten aus,“ unterbrach mich der Baron. „Die christliche Lehre und die christliche Kirche sind zwei ganz verschiedene Größen. In der einen herrscht Toleranz, Vergebung seinen Feinden, Liebe, Eintracht und Demuth, oder der wahre Geist Christi; in der andern Intoleranz, Verfolgung seiner Mitmenschen, unerbittliche Strenge, Stolz, Haß und Egoismus, oder der Geist der Hierarchie der Priester, sei es welcher Sekte es sei. Wenn wir also eine allgemeine +christliche+ Gesellschaft oder Gemeinde in Europa annehmen; so irren wir sehr, weil sie es +nur dem Namen+, nicht aber +ihren Handlungen nach+ ist. Und ebenso, wie die orthodoxen Katholiken in Frankreich die reformirte Kirche nie anders benennen, als ~l’église prètendue reformée~, oder die „+vorgeblich verbesserte christliche Kirche+;“ so können wir die allgemeine christliche Gemeinde auch wohl nicht anders benennen, als die allgemeine +„vorgeblich“ verbesserte christliche+ Gemeinde oder Kirche in Europa. Wir glauben außerdem Alle an einen Gott, und vor dem höchsten Wesen existirt hoffentlich kein Unterschied zwischen Juden und Christen, denn dieses würde sich nicht mit der Gerechtigkeit des höchsten Wesens reimen. Wenn die Juden also vor Gott gleiche Rechte mit den Christen haben, so sehe ich nicht ein, warum wir ihnen diese nicht mit uns auf der Erde statuiren wollen. Das Staatsinteresse kann bei dieser Frage gar nicht in Betracht kommen, weil es dem Staate einerlei sein kann, zu welchem Glauben seine Bürger gehören, wenn sie fleißig, arbeitsam, ordentlich und ruhig leben; und +in dieser Hinsicht übertreffen die Juden die Christen+. Geschieht die Verweigerung des Staatsbürgerrechtes also nur aus dem Grunde, weil man den +Einfluß des mosaischen Glaubens auf die Gemüther der christlichen Bürger befürchtet; so ist es wahrlich! sehr zu bedauern, daß die christliche Kirche nach 1840 Jahren noch solchen Befürchtungen sich überlassen kann+! Ist es die Pflicht der christlichen Gemeinde für die Verbreitung des christlichen Glaubens eifrig zu sorgen, so wird sie weit eher dazu gelangen wenn sie sich liebevoll und tolerant gegen die Andersgläubigen benimmt, ihnen gleiche Rechte einräumt, als wenn sie durch den Druck die siegende Gewalt der mächtigern Religions-Partei dieselben empfinden läßt. Eifern wir doch gegen den Druck und die Beschränkungen, welchen die christlichen Gemeinden und ihre Mitglieder in den mohamedanischen Ländern unterworfen sind! Können wir mit Recht den Muselmännern diesen Vorwurf machen, wenn wir die Juden in einer gleichen, wenn auch nicht so barbarischen Unterdrückung erhalten? Wir sehen stets den Splitter in anderer Leute Augen und vergessen darüber den Balken in unsern eignen. +Ich bin daher für die Emancipation der Juden+, und wenn ich weder ein Staatsmann, noch ein berühmter Mann bin; so sagt es mir doch das +menschliche Gefühl in meiner Brust, daß es Zeit sei, ein ungerechtes Vorurtheil gegen eine unschuldige Nation abzulegen+. Nicht die Ertheilung des Staatsbürgerrechtes an die Juden wird den s. g. vorgeblich christlichen Gemeinden den Todesstoß versetzen, wohl aber +die Intoleranz derselben+. Von Tage zu Tage tritt die Spannung der verschiedenen christlichen Confessionen greller hervor; gegenseitige Repressalien erhöhen dieselben, die Streitigkeiten über die gemischten Ehen säen Feindschaft und Groll unter die Familien; die Vorfälle in den Niederlanden, in England und in Preussen, das Auflehnen der Erzbischöfe gegen die Königliche Gewalt; die fanatischen Rundschreiben beider Parteien beweisen deutlich von welcher liebevollen Eintracht die Mitglieder der allgemeinen, christlichen Kirche gegen einander erfüllt sind. Es steht Alles auf dem Spiele, wenn die verschiedenen Religions-Parteien es nicht endlich einsehen wollen, daß nur Toleranz und Duldung, Nachsicht und Verzeihen die Basis der Lehre Jesu sind! Bald wird auch bei uns politische Ansicht mit religiöser Meinung sich mischen und der Kampf auf Leben und Tod, Religions- und Glaubens-Krieg, die Anhänger, die s. g. Anhänger Christi wieder zerfleischen, dessen letzte Worte waren: „vergebt Euren Feinden!“ Das sind die jammervollen Folgen welche, aus der Intoleranz der Priester entsprungen sind, und wieder entspringen werden!“ „Nun, bei Gott!“ rief Herr Herrmann Bleicamb aus. „Ich dachte, wir wären hier um eine fröhliche Unterhaltung zu führen, und nun wird gar über Emancipation der Juden, Krieg und Gott weiß was geredet! Ihr seid ja noch ärger, wie der Dr. Steinheim, und seid doch beide getaufte Christen. So wahr ich Herrmann Bleicamb heiße, wenn Ihr nicht bald dem Dinge ein Ende macht, so laß ich Euch peroriren und gehe mit Hippias anderswo hin. Was soll das? Trinkt Euren Punsch in Ruhe, und macht nicht solch ein Geschrei, daß alle Vorübergehenden stille stehen und Euch anglotzen. Paßt sich eine solche Unterredung an einem solchen Orte? Und nun wieder vorby!“ -- „Wir haben etwas viel und laut gesprochen, das ist wahr,“ sagte ich. „Thut nichts!“ meinte der Baron. „Meine Ansichten mögen alle Menschen kennen lernen! Auf die baldige Emancipation der Juden!“ rief er, ein Glas ergreifend. „Wer die Wahrheit kennt, und von der Wahrheit seiner Ueberzeugung durchdrungen ist, der ist ein elender Kerl, wenn er sie nicht offen, laut und deutlich ausspricht! Noch einmal: auf die Emancipation der Juden!“ Wir stießen an. „So mögen alle die zerschmettert werden, die dawider sind!“ fuhr er fort, sein leeres Glas auf den Boden schmetternd. „Sie predigen Toleranz, Liebe, Friede und Eintracht und hegen einen solchen Wunsch?“ rief mit einem Male eine fremde Stimme. Wir sahen uns um. Es war Niemand mehr zu sehen. Der Baron fuhr zusammen, dann sagte er ernst: „Es ist lächerlich in der That, Aristipp, andere Leute ihrer Fehler wegen herunterzureißen, und einige Augenblicke darauf in denselben Fehler zu fallen! Der Mensch ist der Raub des Augenblickes, die Stimmung in welcher er sich gerade befindet, dictirt ihm seine Worte. Nur der ist ein Mann zu nennen, der sich nicht von seinen Gefühlen bemeistern läßt, und der in einer steten, gleichbleibenden, ruhigen, überlegten Geistes Verfassung sich befindet. Man muß erst ganz im Reinen mit sich selbst sein, fest und unerschütterlich, gleich in seinen Handlungen und Worten, ehe man es sich erlauben darf über Andere zu urtheilen. Lassen Sie uns aufbrechen.“ Wir gingen einige Male den alten und den neuen Jungfernstieg auf und nieder, besahen die Alsterhalle, die dort anwesenden Schönen und kehrten, da es schon ziemlich spät geworden, in den Keller des Herrn Langewisch am Neuenwall ein, um die Elasticität des Magens des Herrn Bleicamb zu bewundern. Der Baron ergriff die Neue Hamburger Zeitung, Hippias den Hamburger Beobachter und Bleicamb den Freischütz. Da ich schon früher viel in diesem Keller gewesen war, und den Wirth sehr gut kannte, so entspann sich folgendes Gespräch unter uns: „Nun, wie geht es, Herr Langewisch?“ „Muß gut sein, Herr Aristipp.“ „Sie sehen nicht vergnügt aus?“ „Die Zeiten sind zu schwer. Man muß die ungeheure Miethe bezahlen, hat die täglichen baaren Auslagen und verliert zu viel, weil man borgt. Denken Sie sich nur, da ist der große, dicke Herr Mannhart, den Sie hier öfteres gesehen haben, der ist mir mit 60 Mark durchgegangen, und der Norton, der in Brasilien und, Gott weiß, wo er gewesen, mit 120. Außerdem habe ich noch viele kleine Verluste gehabt. Dabei soll man ein ehrlicher Mann bleiben, die ungeheuren Abgaben bezahlen, das ist nicht möglich, Herr Aristipp!“ „Es thut mir leid für Sie, Langewisch, denn Sie sind ein rechtschaffener, guter Mann, und ein aufmerksamer Wirth; aber Sie sind zu gutmüthig und haben den Fehler der meisten Hamburger: Sie lassen sich imponiren und zwar durch ein grobes, anmaßendes Wesen, einen feinen, reichen Anzug, eine goldene Uhr und Kette. Wer auf diese Weise angethan ist, vielleicht ein oder zweimal bei Ihnen gewesen und bezahlt hat, +dem+ geben Sie Credit, weil er Alles schlecht findet, was Sie ihm vorsetzen, mehre Schüsseln durchprobirt, und dann zuletzt gebietrisch sagt: schreiben Sie es an, Langewisch! Wer Sie auf solche Weise behandelt, das muß ein reicher Mann sein, außerdem logirt er in der alten Stadt London, wie er sagt, bezahlt täglich einen Louisd’or für sein Logis -- das ist ein Mann, eine Kunde, die warm gehalten werden muß! Der reiche Mann kommt täglich wieder, benutzt den gewonnenen Credit, und eines schönen Tages ist der reiche Mann zum Teufel und mein Langewisch um sein Geld! Kommt aber ein schlichter, stiller, ruhiger Mann zu Ihnen, schlecht gekleidet, der sich mit einiger Aengstlichkeit bewegt, und Ihnen mit stotternder Stimme sagt: Herr Langewisch -- ich habe kein Geld bei mir -- wollen Sie wohl so gut sein, mir etwas Credit geben -- ich werde es Ihnen in vierzehn Tagen bis drei Wochen wiedererstatten -- dem Manne schlagen Sie es ab, denn er imponirt Ihnen nicht, trägt keine goldene Kette und keine goldene Uhr! und dieser Mann gerade würde Sie bezahlt haben! Die Aengstlichkeit, mit der er auftritt, ist der Abscheu gegen das Schuldenmachen; der Grund der stotternden, schüchternen Bitte liegt darin, daß er bisher nicht gewohnt war, um Credit anzusprechen, und wenn er um eine längere Frist bittet; so geschieht es nur, weil er ganz gewiß sein will auf den Point, wie man es nennt, sie wieder zu bezahlen. Ich habe diese Betrachtungen häufig in Hamburg und der Umgegend angestellt und sie fast immer richtig befunden.“ „Glauben Sie mir, Herr Aristipp, es ist keine Kleinigkeit, hier Wirth zu sein. Ohne Credit zu geben, kann man nicht bestehen, reiche Kunden darf man nicht ungestüm mahnen, die ärmeren können oft nicht, wenn sie auch wollten, bezahlen. Die bösen Schuldner, wenn es nicht eine große Summe ist, verklagen, einsperren lassen, ist Thorheit, denn man muß sie ernähren. Dabei soll Alles herbeigeschafft werden, der baare Schilling ausgegeben, Weib und Kind ernährt werden! Ich versichere Sie, es wird einem oft schwül zu Sinne dabei!“ „Ich will es gerne glauben. Es ist nicht leicht möglich, jedem Fremden an der Nase anzusehen, was es für ein Vogel ist. Bei der Masse von Fremden, die in Hamburg und der Umgegend sich aufhalten, ist es natürlich, Gauner und Spitzbuben unter ihnen zu finden. Der täglich steigende Luxus vermehrt die Kosten eines jeden Etablissements. Was Peter hat, will Paul auch haben. Bald muß ein neuer, großer Wandspiegel die Stelle des kleinern vertreten, die Tische müssen mit Marmorplatten belegt, und ein Billard muß angeschafft werden. Hat man sich früher mit dem Hamburger Correspondenten, dem Beobachter, dem Erzähler begnügt; so müssen jetzt die Hamburger Neue Zeitung, die Hamburger Nachrichten, der beliebte Freischütz, der Altonaer Merkur, die Zeitung und die Blätter der Börsenhalle, das Kieler Correspondenz-Blatt, das vortreffliche Itzehoer Wochenblatt, die Lesefrüchte und der Freihafen, ja wo möglich noch eine Englische Zeitung gehalten werden! Das kostet Alles Geld und muß baar bezahlt sein. Ich will es Ihnen gerne glauben, daß es nicht leicht ist, als Wirth in Hamburg zu bestehen. Sie sind indessen noch jung, kräftig, haben ein wackeres Weibchen und so wird die Geschichte wohl gehen.“ „Wir wollen es hoffen. Ich thue mein Möglichstes um meine Gäste zufrieden zu stellen.“ „Das ist wahr! Ich werde Sie empfehlen, wo ich nur kann, denn Sie verdienen es.“ „Hier ist etwas für Euch,“ unterbrach Hippias die Unterhaltung. Hört! der Major von Newport erhielt neulich einen Brief folgenden Inhaltes: „Feuer! Blut! Heiliger Kampf! Es lebe das neue vollkommene Reich der Liebe, des Gesetzes und der Freiheit durch Jesum Christum! Ewige Rache allen, +die der Schrift nicht gehorchen+! Mahershabahashberg Urtheilsvollstrecker. ~Hora diaboli~, Verdammniß! ~Hora dei~, ewiges Heil!“ „Das ist denn doch des Unsinns zuviel,“ rief der Baron. „Man sieht es deutlich, wie weit wir zurück gehen! Das neunzehnte Jahrhundert --“ „Ich bitte Dich, um Gotteswillen,“ schrie Bleicamb: „thut mir nur den Gefallen und fangt nicht wieder an zu raisonniren, zu philosophiren, zu politisiren, zu religiosiren und zu reformiren! Laßt uns einige von den schönen Hummern essen, Rheinwein trinken und einige Döhnchen dabei erzählen.“ „Wenn Du nur morgen keine Leibschmerzen bekommst?“ „Das ist meine Sache und geht Euch nichts an. Herrmann Bleicamb hat noch Platz genug in seinem Magen, um mehr zu essen und zu trinken, als viere von Euch vertragen können. Gelt! ich habe mich für mein Alter gut conservirt -- habe acht gesunde Kinder am Leben und viere todt und doch nehme ich es mit Euch auf. -- Versteht Ihr mich? -- Das kommt aber +von die+ gesunde Lebensart. Seht ich habe noch alle meine 32 gesunden Zähne!“ Herr Bleicamb riß seinen Mund mit den beiden Zeigefingern auf und zeigte uns ein Gebiß, das einem Haifisch Ehre gemacht und den Herrn Calais zur Verzweiflung gebracht haben würde. „Man muß Ihnen Gerechtigkeit wiederfahren lassen, Ihre Zähne sind schön,“ bemerkte Hippias. „Es ist ein Glück für uns, daß Sie kein Kannibale sind. Wunderbar ist es aber in der That, daß die neue Generation in Deutschland so schlechte Zähne hat.“ „Ich kenne mehre Familien in Altona,“ bemerkte ich, „die für falsche Zähne bestimmt über 1000 Mark jährlich an den Dentisten bezahlen.“ „Woher die falschen Zähne noch immer kommen mögen?“ fragte Hippias. „Sie kommen jetzt meistens aus Spanien. Die großen Verkäufer falscher Zähne haben ordentliche Niederlagen. Sie senden ihre Beauftragten nach den Kriegsschauplätzen, wo diese wie die Raubvögel den Heeren nachziehen und den Gefallenen die Zähne ausreißen. So können wir vielleicht nächstens das Gebiß des Grafen ~d’Espagne~ durch die geschickte Hand des Herrn Calais in dem Munde eines liebenswürdigen Dandys erblicken.“ „Mit Don Carlos ist es vorbei!“ rief der Baron. „Der weiße Wolf von Navarra ist verjagt! Die gute Sache durch Verrätherei erlegen! Sollen wir nicht eine Subscription zum Besten der flüchtigen Carlisten in Frankreich eröffnen? Warum sollen wir nicht dasselbe thun, wie die republikanische Partei? Wie wurde nicht für die flüchtigen Polen gesammelt? Wie viel ist nicht für die sieben Professoren zusammengebracht? Wie unterstützen die Republikaner und Freimaurer sich nicht unter einander! Warum sollen wir Legitimisten dieses nicht auch thun? Wollen wir eine Subscription eröffnen?“ „Es würde nichts helfen!“ meinte Hippias. „+Niemand würde subscribiren.+ Die carlistische Partei ist in Europa verloren. Der Legitimisten sind zu wenige; sie haben keinen Muth, keine Entschlossenheit, der Zeitgeist ist gegen sie. Die Sache des Volkes und der Freiheit hat das Spiel gewonnen!“ „+So lange die rechtmäßigen Gesinnungen für König und angestammte Rechte noch in der Brust eines Mannes leben, der an seine Sache Gut und Blut, Leben und Sterben setzt, so lange ist die gute Sache nicht verloren!+“ rief der Baron. „Wenn ich gleich gegen Priesterherrschaft, Tyrannen und Unterdrückung bin; so +bin ich doch für die salische Erbfolge, und den legitimen König+. Ein Altadeliger von echtem Schrot und Korne muß immer wie ein Cherub mit dem Flammenschwerdte vor dem Throne des angestammten Königs stehen! Dem +Adel traut doch der Bürger nie ganz+, wenn er auch von Freiheit und Gleichheit schwadronirt. +Der Adelige, der sich zum Verfechter des Volkes, der Freiheit und Gleichheit aufwirft, hat nur den gerechten Lohn darin zu finden, daß er von seiner Partei verachtet, von der andern mißtrauisch und argwöhnisch behandelt wird.+ Selbst Mirabeau, dieser Koloß aller verschiedenen, glänzenden Eigenschaften, +hat nie das Vertrauen des Volkes ganz besessen+! Es ist nichts schöner und angenehmer, als sich in Träumereien den Gedanken an Freiheit und Gleichheit hinzugeben, Spartanische, Römische und Platonische Republiken hervorzuzaubern -- ich selbst habe solche Augenblicke gehabt und habe sie noch -- wenn man aber die Welt und die Menschen mit Ueberlegung betrachtet, so kommt man zu dem vernünftigen Schlusse: +In Europa ist keine große Republik möglich. Die Europäer sind nicht zu Republikanern geschaffen; Freiheit und Gleichheit ist nicht möglich in einem Staate, wo Luxus und Bedürfnisse aller Art den Menschen stets vom Menschen abhängig machen; solange wir Menschen Bedürfnisse haben, die unsere Kräfte übersteigen, solange können wir nicht frei sein. Die monarchische Regierungsform ist für Europa die zweckmäßigste, die legitime Succession nach dem salischen Erbfolgerechte die natürlichste, denn sie verhütet Unordnungen. Gebt jetzt den legitimen Herrschern noch berathende Stände oder Kammern, und Ihr habt, was sich für Europa paßt!+“ „Sie widersprechen sich zuweilen, habe ich bemerkt, sowohl seitdem ich in Ihrer Gesellschaft bin, als auch aus dem, was ich früher von Ihnen gelesen,“ sagte Hippias. „Sehr wahr! Wer wäre der Mann, der +sich immer consequent bliebe+! Bei einem leidenschaftlichen, heftigen Charakter ist es schwer seine Worte immer auf die Wagschale zu legen. Hiezu kommt meine wirklich eigenthümliche Stellung in der Welt. Ich habe kein Vermögen, keine Anstellung, keine Aussichten irgend etwas zu erringen; ich sollte daher nichts mehr wünschen, als Rebellion, Aufruhr, Unordnung, um im Trüben zu fischen. Da sind aber meine ererbten Grundsätze dawider, und es giebt keinen größern Conservativen, Tory, wenn Sie wollen, als mich. Mit meiner eigenen Partei harmonire ich auch nicht, denn +ich hasse Vorurtheile und liebe das Volk; ich gönne Jedem sein Recht+, suche und habe keine Protectionen und will nur das werden, was ich durch mich selbst werden kann. Ich besitze außerdem viele Phantasie. Ein schöner, großer Gedanke begeistert mich und +wie viele schöne Gedanken entspringen nicht aus dem Begriffe von Freiheit! Gleichheit! Völkerglück!+ In solchen Augenblicken schwärme ich und bin ein Republikaner! Es würde mir unmöglich sein, gegen meinen +angestammten König das Schwerdt zu ziehen; für ihn zu sterben, würde für mich das glorreichste Ende sein+! Wenn ich unter ~Louis Philippe~ diente, so hatte das seine Ursachen. Ich konnte mich aber +nie an den Anblick der dreifarbigen Fahne gewöhnen+. Ich wäre lieber zu den Arabern übergegangen, aber mein Schwur hielt mich zurück, den, einmal gethan, ein Deutscher Ritter nie brechen darf! Nach Spanien konnte ich nur unter den Auspicien meines Oheims gelangen; die Auszeichnung mit welcher Mina mich behandelte, schmeichelte meinem Stolze, aber weder er, noch die Franzosen, mit denen ich umging, konnten mich für die Sache der Königin einnehmen; ich blieb, was ich immer bleiben werde, ein guter Royalist. In Frankreich ging es mir nachher ebenso, nur, daß ich dort laut und öffentlich mich für meine Partei erklärte, und im Geheimen ihr nützte. Doch ich komme von der Sache ab. Mag ich mir auch widersprechen, so viel ich will, der Grundton meiner Gesinnungen schimmert immer durch. Begeisterung, +momentane Begeisterung ist keine Ueberzeugung, keine Ansicht+. Ich bin Legitimist -- Patriot, -- +ein echter Deutscher und der größte Franzosenfeind+! -- Doch ich bemerke, daß wir den Wunsch unseres Freundes nicht beachtet haben. Herr Langewisch! Hummer und Rheinwein!“ Herr Langewisch ließ nicht lange auf sich warten. Die delicaten Bewohner des Meeres erschienen im röthlichen Todesgewande auf einer mit Petersilienkraut bekränzten Schüssel und der köstliche goldene Saft der vaterländischen Reben perlte in krystallenen Gläsern. „Ich habe lange nicht das Vergnügen gehabt, Sie hier zu sehen, Herr Baron,“ nahm Herr Langewisch das Wort. „Ich glaube, das letzte Mal waren Sie hier mit dem Holländischen Doctor. Nicht wahr?“ „Ganz recht.“ „Sind Sie damals noch glücklich zu Hause gekommen?“ „O! vortrefflich! Es gab eine ausgezeichnete Klatschgeschichte.“ „Theilen Sie uns doch dieselbe mit,“ bemerkte Hippias. „Ich bin neugierig, etwas mehr von diesem Holländischen Doctor zu erfahren,“ sagte ich. „Wie wir bei Janßen waren, wurdest Du in der Erzählung unterbrochen. Spinn uns hier den Faden weiter ab. Du warst so weit gekommen, daß Du dem Doctor die Offerte machtest, in Deine Wohnung einzuziehen.“ „Richtig. Ich folgte der Eingebung meines menschenfreundlichen Herzens, das keinen Unglücklichen in der Noth läßt, wenn nur irgend eine Möglichkeit zu helfen vorhanden ist. Bockendahl, der jeder menschlichen Empfindung Gehör schenkt, gab es auch mir, und so wurde der Holländische Doctor förmlich bei mir einquartirt. Mein kleines, erbärmliches Stübchen, in welchem ich kaum Platz hatte, wurde von zweien bewohnt. Das Bettzeug wurde des Abends auf den Boden ausgebreitet, das Mittagsessen zwischen mir und dem Doctor getheilt, der Holländer von mir mit dem Nothwendigsten versehen, welches soweit ging, daß ich selbst meine Wäsche mit ihm theilte, er meine Strümpfe und Stiefel trug, da sein hartherziger Wirth von seinen Kleidungsstücken nichts herausgeben wollte. Diese burschikose Wirthschaft dauerte einige Monate ununterbrochen fort. Die unglückliche Lage des Doktors wurde zwar insofern erleichtert, daß ihm von seiner Familie 6 Mark wöchentlich ausgesetzt wurden, die Herr Bockendahl für ihn bei dem Consul erhob; eine andere Holländische Familie, die des Herrn van Andeln, sandte ihm einige Wäsche -- aber die Revenüen, die erwarteten Revenüen blieben aus. Ihr werdet es sehr natürlich finden, daß zwei Leute, die, um mich eines seemännischen Ausdrucks zu bedienen, „Schiffs- und Schüssel-Maate“ waren, bald mit einander vertraut werden mußten. Ich war damals in einer sehr unglücklichen Lage in pecuniärer Hinsicht, andere Umstände traten noch hinzu, um meine Seele mit schwarzen Gedanken zu erfüllen; ich hatte das Mitgefühl eines Menschen nöthig. Der Holländische Doctor schien mir dieses Vertrauen zu verdienen, die Verbindlichkeiten, die er gegen mich hatte, schienen mir jeden Verrath an der Freundschaft unmöglich zu machen, sein ruhiges, ernstes Wesen sprach mich an, und binnen Kurzem war der Holländische Doctor-Capitän im Besitze aller meiner Geheimnisse, auch aller meiner Liebes-Intriguen, die ich in der damaligen Zeit mit einigen schönen Damen in Altona unterhielt, und die nachher das Ziel aller Klatschereien in Altona wurden. Ich hatte in dieser Zeit dieselbe Gelegenheit die Schicksale des Doktors zu erfahren, aber ich war zu sehr in meine eigenen Verhältnissen verwickelt, um mich um dieselben zu bekümmern. Wenn ich nun ein unparteiisches Urtheil über diesen Mann fällen soll, so muß ich sagen, daß er ein gutes Herz hatte, sehr unterrichtet war und mit einer wahrhaft rührenden Liebe an seinen Kindern hing. Hierdurch wurde er mir lieb, werth, und ich kann es frei behaupten, daß mein Betragen von dem ersten Augenblicke, da ich ihn bei mir aufnahm, bis zu dem letzten Augenblicke gleich freundschaftlich gegen ihn war. Wenn der Holländer sich meine Freundschaft, selbst meine Achtung (denn er arbeitete fortwährend), erworben hatte, so war dieses durchaus nicht der Fall, mit den übrigen Bewohnern unseres Häuschens, noch mit den Altonaern. Der Doctor hatte zwei große Fehler gegen sich, die in Altona nie vergeben werden: +er liebte den Genever und war arm+. Zu diesen Fehlern kam das Unglück, daß er sie nicht verbergen konnte, denn wenn er zuviel getrunken hatte, so verlor er den Gebrauch seiner Beine, blieb regungslos sitzen, oder fiel um, wenn er aufstand; dadurch, daß er arm war, konnte er nicht anders als in „abgerissener Kleidung“ erscheinen, und machte daher auf alle kleinlich denkende Leute einen unvortheilhaften Eindruck. +Wer schlecht angezogen ist, wird verachtet.+ Außerdem hatte der Doctor das Unglück, nicht angenehm in seinen Manieren zu sein; er verstand es nicht, liebenswürdig zu sein, und fiel daher auch in Ungnade bei meinem Wirthe und meiner Wirthin. Bockendahl war und ist noch gewiß ein vortrefflicher Mann, der das beste Herz von der Welt besitzt; er ist aber so empfindlich, wie eine ~Mimosa pudica~, und sein Zartgefühl verstand der Doctor nicht zu schonen. Der unglückliche, verlassene Doctor, zog sich auf eine mir unerklärliche Weise den Haß und die Wuth aller meiner Bekannten, die die Seinigen wurden, zu; nie habe ich es in meinem Leben erfahren, daß ein Mensch auf eine so unbarmherzige Weise heruntergerissen, zerrissen und allgemein verfolgt worden ist, als dieser Mann! Es konnte auch Keiner ihn leiden! Selbst der edelsten und liebenswürdigsten Frau auf der Welt, der Madame Bockendahl, wurde er unerträglich! Die liebenswürdigen Schönen, zu deren Füßen ich damals lag, selbst vereinten ihren Abscheu gegen den unglücklichen Mann mit dem Widerwillen der übrigen Welt, und baten mich inständigst den häßlichen Menschen aus dem Hause zu werfen. Seine Landsleute und der Wirth, bei welchem er gewohnt hatte, übertrafen alle Andere durch den Haß und die Verachtung, welche sie gegen ihn öffentlich äußerten. So hatte dieser unglückliche Mann nur ein Wesen in der Welt, welches ihn nicht zurückstieß, und dieses +war ich+! Ich kannte damals, ebenso gut wie jetzt, die allgemeine Stimme über meinen Holländer; ich wußte, daß ich selbst in der allgemeinen Achtung durch den Umgang mit ihm bedeutend verlor, denn ich besaß damals eine Freundin, ein kluges, hochherziges Weib, das ich nie vergessen werde, die mir im Vertrauen die Augen öffnete über die Folgen meines Umgangs mit dem Doctor; ich kannte selbst die Schattenseiten meines Schützlings; meine Vernunft rieth es mir ihn +aufzugeben+, aber ich that es nicht, weil ich nicht die öffentliche Stimme über die Stimme des menschlichen Gefühls in meiner Brust setzte, weil ich einen Menschen nicht in dem jammervollsten Elende, vielleicht dem Versuche eines Selbstmordes aussetzen wollte, weil ich die innere Ueberzeugung hatte, daß er wohl schlechter, als manche Andere, die Meisten vielleicht +erschien, es aber nicht war+! Außer diesen Gründen bewog mich noch eine eigenthümliche Art Selbstbetrachtung, die ich einem jeden Menschen anempfehle, der menschlich handeln will, dazu, den Doctor nicht aufzugeben, sondern fortzufahren, ihn nach meinen besten Kräften zu unterstützen, was ich redlich gethan habe, bis er +mich -- verließ+! Diese Selbstbetrachtung war folgender Art: Der unglückliche Holländische Doctor hat sich den allgemeinen Abscheu dadurch zugezogen, daß er trinkt, daß er einige unbedeutende Schulden gemacht, und den äußern Anstand nicht beobachtet hat! -- Hast du besser gehandelt als er? fragte ich mich selbst. Trinkst du nicht ebenso viel, als er? Hast du nicht ungleich bedeutendere Schulden, als er? Hast du dich nicht tausendmal über die Grenzen des Anstandes hinweggesetzt? Ist es dein Verdienst, daß du mehr vertragen kannst, als er, und nicht den Gebrauch deiner Beine verlierst, daß deine Gläubiger nachsichtiger gegen dich sind, weil sie von deiner Familie es hoffen, daß sie sie bezahlen werde, und, daß es dir verziehen wird die Grenzen des Anstandes zu überschreiten, weil du feiner, liebenswürdiger und daher doppelt gefährlicher bist, als er? Und ich soll einen Menschen verstoßen, um +meinen+ Ruf zu schonen, dessen Fehler ich nicht nur besitze, ja! sie sogar in einem weit größern Maaßstabe besitze! Schämen müßtest du dich vor dir selbst, wenn du das thätest! wenn du, um in den Augen der Welt +besser+ zu erscheinen einen Unglücklichen verließest, der kein anderes Unrecht begangen hat, als nicht deine physischen Kräfte, deinen Rang und Namen, deine Manieren und deinen Weltton zu besitzen? Meine Herren, ich war Philosoph genug, um dieser +Selbsterkenntniß+, nicht der öffentlichen Stimme, nicht der Bitte meiner Freundin, zu folgen. Ich blieb des Holländischen Doctors treuer Freund, bis die Verhältnisse mich von ihm trennten. Ich verlor durch ihn, durch seine Geschwätzigkeit, einen großen Theil meines guten Rufes, ich verlor viel, sehr viel durch ihn, aber +mein Herz feierte einen Triumph über die kalten Regeln der Lebensklugheit, was ich in den Augen der Welt einbüßte, gewann ich durch den Gedanken als Mensch menschlich gehandelt, in der Ueberzeugung einen bedeutenden Schritt in der Kenntniß meiner selbst gethan zu haben+. Ob ich bei dieser Gelegenheit richtig gehandelt habe, meine Herren, das ist ein Punct, der, wie der alte Meister in Göttingen sagte, noch sehr „strittig“ ist. Auf der einen Seite der moralischen Wagschale liegt nur das menschliche Gefühl, das reine primitive menschliche Gefühl: das gute Herz; auf der andern Seite liegen die Achtung gegen die allgemeine Stimme, die Pflichten gegen sich selbst, sein Fortkommen, seinen guten Ruf, die Pflichten gegen die Seinigen, gegen einen unbescholtenen, ehrwürdigen Namen, den ich mit Anderen theile. Ich habe es gethan, bereue es nicht und werde immer nur dem ersten Gefühle meines Herzens folgen, weil ich dieses für den richtigsten Leiter im Leben anerkenne und von dem Grundsatze ausgehe, daß das Herz eines jeden Menschen von Natur gut ist. Das schönste Gefühl, das der Mensch zu empfinden fähig ist, besteht in der Begeisterung, mit welcher das Gefühl für eine edle Handlung ihn entflammt, in der Fortdauer der Begeisterung nach der Vollbringung einer guten That. Wie schön ist nicht der Ausspruch des Posa in dieser Anwendung: „Sagen Sie Ihm, daß er für die Träume seiner Jugend Soll Achtung tragen, wenn er Mann sein wird, Nicht öffnen soll dem tödtenden Insekte Gerühmter besserer Vernunft das Herz Der zarten Götterblume -- daß er nicht Soll irre werden, wenn des Staubes Weisheit Begeisterung, die Himmelstochter, lästert.“ „Ich bin Deiner Meinung,“ sagte ich. „Auch bei mir läuft das Herz mit dem Kopfe davon.“ „Ich stimme mit ein, jedoch unter gewissen Beschränkungen,“ sagte Hippias. „Und ich bin durchaus nicht Eurer Meinung! Der, welcher seinem Herzen folgt, ist ein Dummkopf und kommt an den Bettelstab, so wahr ich Herrmann Bleicamb heiße! Das liegt aber klar am Tage. Das beweiset Deine Geschichte mit diesem Holländischen Doctor. Der Kerl hat Dir so vielen Schaden gethan, Deine Liebschaften ausgeplaudert, und alle Menschen gegen Dich aufgehetzt.“ „Das glaube ich nicht. Uebrigens habe ich nie auf seine Dankbarkeit gerechnet. Hätte ich darauf Anspruch gemacht, so hätte mein Betragen gegen ihn allen Werth in meinen Augen für mich verloren.“ „Was ist denn aus diesem Doctor geworden?“ fragte Hippias. „Ich weiß es nicht genau. Einige sagen er befinde sich hier im Krankenhause; Andere im Armenhause. Ich hege aber die Hoffnung, daß es ihm +gut+ geht, denn sonst würde er mir gewiß geschrieben haben oder zu mir gekommen sein. Er weiß, daß mein Haus und mein Beutel, wenn etwas darinnen ist, ihm immer offen stehen.“ „Das ist wahr! Altona kennt Deine Gutmüthigkeit aber die Menschen lachen Dich aus. Du stürzest Dich für Andere in Schulden! Das ist mehr, wie dumm!“ „Was geht das die Altonaer und Dich an, wenn ich sie bezahle? Ich bin nur meiner Familie in dieser Hinsicht Rechenschaft schuldig; verzeiht diese mir, so frage ich nach keines andern Menschen Billigung. Wenn meine Familie sonst keinen Grund auf mich stolz zu sein hat, so weiß sie doch, daß ich edler Gefühle fähig bin, und das ist ihr genug. -- Es ist aber schon sehr spät. Wenn wir noch nach Altona wollen, so kostet es jeden von uns eine Mark Thorsperre. Laßt uns daher in Hamburg bleiben. Ich bin im Könige von Preußen bekannt, dort können wir bequem und gut logiren.“ „Wir haben nichts dagegen!“ Wir tranken unsern Rheinwein aus und eilten mit schnellen Schritten, da es regnete, dem Könige von Preußen zu; die Thüren thaten sich auf, Zimmer und Betten wurden bereitet; wir gingen zu Bette. 3. Dritte lustige Fahrt. Der Gasthof zum König von Preußen. Unterredung zwischen dem Baron und Aristipp. Glockenspiel des Petri-Thurms. Empfindungen. Die Sternschnuppe. Der belebende Hauch Gottes. Religiöse Ansichten. Gipsy. Der Keller des Herrn Unbescheiden. Der Doctor Riem aus dem Hannoverschen. Fanny, ~la Créole~, und der Baron, eine Provençalische Geschichte. Plötzliche Abrufung des Herrn Herrmann Bleicamb aus der Gesellschaft. Gespräche über Ehe und Frauen. Der Hamburger Polizei-Diener und der Brief des armen Lieschen. Hippias Abschied von seinen Freunden. Allgemeiner Aufbruch. Aristipp allein am Monumente Klopstocks. Nachgedanken. Entschluß. Das Gasthaus: „der König von Preußen,“ ist dem Herrn Richter gehörig und liegt, wie bereits gesagt, auf dem Neuenwall. Man muß diesem Gasthause das Lob ertheilen, daß Alles, was man dort erhält vortrefflich ist. Der Wirth ist ein Mann, der seine Sache versteht; an Wirthschaftlichkeit übertrifft gewiß keine ~Hôtesse~ Madame Richter, und in ihrer Tochter, der Madame Heller, findet jeder Reisende eine gebildete Dame. Die Kellner sind aufmerksam und zuvorkommend, sowie der Lohnbediente Baas, das ~Non plus ultra~ aller Lohnbedienten ist. Meine Leser wissen aus dem Vorhergehenden, daß Hippias, der Baron, Herr Herrmann Bleicamb und ich die Nacht im Könige von Preußen zubrachten. Wir schliefen ganz vortrefflich. Das wunderschöne Glockenspiel des Petrithurms erweckte mich. Mit steigendem Entzücken hörte ich diesen bis in die höchste Höhe steigenden Accorden zu. Zufälligerweise wandte ich meine Blicke nach der Seite, wo das Bett stand, in welchem der Baron ruhte. Er saß halb aufrecht in demselben, und schien, wie ich, die Macht dieser reinen, ergreifenden Harmonie zu empfinden. Sein Auge begegnete dem meinen. „Es ist mir unmöglich, Aristipp,“ begann er nach einigen Augenblicken, „dieses Glockenspiel zu hören, ohne von einer süßen, wehmüthigen Empfindung ergriffen zu werden! Wie rein, wie klar hallen diese Töne durch die heitere Luft des Morgens bis in die tiefste Tiefe der Seele hinein! Es ist mir, als ob es die ~vox humana~ wäre, die den Menschen ermahnte, vom frühen Morgen an, menschlich zu empfinden, menschlich den Tag über zu handeln. Wenn sie aber in immer steigenden zitternden Tönen nach und nach unter dem Dome des Himmels sich klagend verliert, so kommt sie mir vor, wie die klagende Stimme der betrübten Mutter, die dem geliebten Sohne Vorwürfe über die in unedler Schwelgerei hingebrachten Stunden des vorigen Abends, der vergangenen Nacht mit Schonung, Ernst und Liebe zu machen pflegt. Ich kann mir kein traurigeres Bild denken, als das der +weinenden Mutter+, kein schöneres, als das +der Mutter des Heilandes mit dem Kinde von Raphael+, kein schöneres Gedicht, +als die Wallfahrt nach Kevlar von Heine+. Es ist nicht zu leugnen, Aristipp, daß ein gewisses Gefühl für das Geheimnißvolle, das Religiöse, bei der geringsten Anregung von Außen in uns erwacht. O, daß wir dieses Gefühl nicht länger zu fesseln verstehen, und es in dem rauschenden, nichtigen Tumulte des Tages verlieren oder betäuben müssen! Es ist mir unbegreiflich, wie ein denkender Mensch das Dasein eines Gottes, den Glauben an Unsterblichkeit der Seele leugnen und aufgeben kann; da in unserm Innern, bei der leisesten Berührung, ein Gefühl rege wird, welches uns über die Nichtigkeit dieses Lebens erhebt, und mit einer mysteriösen Ahnung von dem Dasein eines höhern Wesens, mit einer unbegreiflichen Sehnsucht und Wehmuth nach dem Edlern und Bessern, was wir freilich noch nicht kennen, erfüllt. Die Wehmuth, die Betrübniß, welche wir in solchen Augenblicken empfinden, entsteht aus den Vorwürfen, welche wir uns machen müssen, oder welche unser Gewissen uns macht: daß wir, trotz dem, daß unsere unsterbliche Seele dem Reinen und Schönen entgegenstrebt, wir sie stets durch die Gewalt der irdischen und thierischen Triebe in uns zur Erde niederreißen, und auf diese Weise ihre göttlichen Schwungfedern hemmen. Hast Du es wohl bemerkt, wie der Sonnen-Adler, dessen Fittige beschnitten, stets sie prüft, um zu den lichten Regionen empor zu schweben? wie er mit den strahlenden Augen die Zonen des Himmels mißt, und stets nach Oben das Haupt wendet? So ist es mit unserer Seele auch, sie will stets dem Höchsten sich nahen, und nur der Körper, in welchem sie nach unerklärlicher Vorschrift eingeengt ist, hält sie zurück die Fesseln zu brechen. Du magst es nun glauben, Aristipp, oder nicht, es giebt keinen Menschen auf der Welt, durch dessen wildbewegten Lauf des Lebens sich deutlicher der rothe Faden der Religiösität, des Glaubens, der Ueberzeugung an das Dasein eines Gottes, der Unvergänglichkeit der Seele windet, als gerade mich selbst.“ „Ich habe nie daran gezweifelt, Baron. Aus diesem Grunde geschah es auch, daß ich, wo ich es konnte, Deine Partei nahm.“ „Ich habe auch mehrere Gründe zu glauben, als andere Menschen,“ fuhr der Baron fort. „Ich habe Zeichen und geheimnißvolle Einwirkungen erhalten und empfunden, die diesen Glauben in mir wunderbar bestätigt haben. Da Hippias und Bleicamb noch schlafen, so werde ich Dir Einiges darüber mittheilen. Ich verlange nicht, daß Du es glauben sollst, aber Du wirst gestehen, daß diese Zufälligkeiten merkwürdiger Art waren. Ich befand mich auf dem Gute meines Oheims in der Provence. Ich hatte die Absicht nach Spanien zu gehen, um in die Dienste der Königin zu treten, da ich nicht zu Don Carlos gelangen konnte, ohne meinen Onkel zu compromittiren. Der Tag der Abreise war da. Um ein Uhr in der Nacht verließ ich das Landhaus meines Oheims, um mich nach La-Ciotat, der Poststation, zu begeben. Der Abschied von meinen treuen Wirthen war mir schmerzlich. Ich wandelte in dem geheimnißvollen Dunkel der Nacht den Weg meiner Bestimmung zu. Ueber mir thronte der provençalische Himmel, zu meiner Linken brausete das mittelländische Meer, und rechts von mir lagen in Olivenfeldern die weißlichen Bastiden der Provence in Sternen-Beleuchtung. Mein Herz war schwer von Ahnungen. Aus dem ruhigen Landleben ging ich einem stürmischen, kriegerischen Leben entgegen. Wer sagte mir, daß ich jemals die Meinen, mein Vaterland, meine Geliebte wieder erblicken würde! Von solchen Gedanken ergriffen wandte ich meinen Blick zu den leuchtenden Sternen, mein Gemüth, meine Seele zu Gott. Wenn es möglich wäre, so sprach ich zu dem höchsten Wesen, daß ich dereinst meine Mutter, meine Geliebte, meine Schwestern, mein +Deutsches+ Vaterland wiedersehen könnte! Dann, o großer Gott! gieb mir ein Zeichen! Ich hatte kaum diese Worte gesprochen, als eine Sternschnuppe den Himmel durchschnitt und vor mir niederfiel. Ich will durchaus nicht behaupten, Aristipp, daß diese zufällige Sternschnuppe eine bejahende Antwort des höchsten Wesens auf meine Frage, meine Bitte gewesen sei -- aber es war doch sonderbar! +Warum sollen wir aber nicht eine Theilnahme des allliebenden Vaters, selbst in unseren kleinlichen Angelegenheiten annehmen? Verlieren können wir durch diesen Glauben nichts, wohl aber Trost und Stärkung gewinnen!+ Zu den geheimnißvollen Einwirkungen, welche in mir den Glauben und die Ueberzeugung an Gott und ewiges Leben befestigt haben, gehört folgender Vorfall, der mir in Algier, im Hospitale Bab-azoun begegnete. Ich hatte drei Monate an einer der fürchterlichsten Krankheiten gelitten. Mein Magen war gänzlich verdorben, und nicht im Stande, auch nur flüssige Lebens-Mittel, Wasser ausgenommen, bei sich zu behalten. Ich war kein Mensch mehr! Ein elendes Gerippe, in welchem nur der Funke des Lebens glimmte. Ich hatte einen ~congé de reform~ bekommen, und erwartete mit Sehnsucht den Augenblick nach Frankreich eingeschifft zu werden, so krank, so matt ich war. Zwei Tage vor der bestimmten Abreise lag ich, elender noch als sonst, auf meinem Lager. Ein brennender Durst quälte mich. Der Infirmier hatte vergessen mein blechernes Trinkgeschirr mit Wasser zu füllen. Es war Nacht. Die Lampe, welche den Saal erhellte, in welchem ich mit noch mehren Unglücklichen lag, war ausgegangen. Im Hofe des viereckigen Gebäudes plätscherte die Fontaine, welche fast in allen Höfen maurischer Gebäude sich befindet. Ich konnte mich vor Durst nicht lassen. Ich raffe meine letzten Kräfte zusammen, stehe auf und wanke dem Springbrunnen zu. Alles war ruhig, wie im Grabe. Ich schreite langsam dem Brunnen zu und in dem Zwielichte des Afrikanischen Himmels sehe ich eine weißliche Gestalt dabei stehen. Der Anblick war mir grausenhaft, doch schritt ich herzhaft auf den Brunnen und die Gestalt zu. „Sie kommen nicht von hier fort,“ redete mich die Gestalt an. „Warum nicht?“ antwortete ich, „morgen Abend geht das Dampfboot ab, es sind nur zwei Tage mehr bis dahin.“ „Sie kommen nicht +dahin+,“ antwortete die Gestalt, „man wird Sie +dorthin+ bringen,“ sie wies mit der Hand auf die Todtenkammer, „die Schakals werden Sie fressen.“ „Ich glaube Sie sind toll,“ versetzte ich: „wer sind Sie?“ „Das geht Sie nichts an,“ erwiederte die Gestalt, „ich sage es Ihnen nocheinmal, dort in das Amphitheater wird man Sie bringen, Sie sehen Frankreich nicht wieder.“ Darauf entfernte sie sich. Ich blieb sprachlos beim Brunnen stehen. Ich war krank, sehr krank, meine einzige Hoffnung das Verlassen Afrika’s, außerdem war der kommende Tag ein Freitag, ein Tag, den ich immer gefürchtet habe. Der Gedanke an die Möglichkeit, so nahe der Rettung zu unterliegen, bemeisterte sich meiner. Mein ohnedies zerrüttetes Nervensystem vermogte kaum die Massen widerwärtiger, ängstigender Gefühle zu ertragen. Maschinenartig füllte ich meinen Becher, und wankte unter immer stärker werdendem Herzklopfen meinem Lager zu. Ich sank darauf nieder. Meine Phantasie gewann von Augenblick zu Augenblick mehr Spielraum. Die Bilder, die geliebten Züge meiner Mutter, meiner Geliebten, meiner Schwestern schwebten auf und ab vor meinem Geiste. Ich richtete ein brünstiges Gebet zu Gott, und flehte ihn an, mich der Geliebten wegen zu erhalten. Plötzlich war es mir, als ob ein belebender, erfrischender Hauch auf mich sich niedersenkte. Ich empfand Beruhigung, ein tröstendes Gefühl, ich schlief ein und war gerettet! +Warum, Aristipp, soll ich nun nicht annehmen, daß ich wirklich die Gegenwart des Höchsten in diesem lebenbringenden Hauche empfunden? Warum nicht, daß er durch eine innige, einfache, kindliche Bitte sich hat rühren lassen, und durch diesen Hauch mich den Meinigen oder meiner künftigen Bestimmung erhielte?+“ „Es würde wohl schwer sein, lieber Freund,“ entgegnete ich, „hierüber etwas Bestimmtes zu sagen. Ich sehe es wenigstens nicht ein, warum man eine nähere Gemeinschaft mit dem höchsten Wesen in gefahrvollen, wichtigen Augenblicken ableugnen sollte. Wenn wir annehmen, daß Gott allmächtig ist, so können wir Alles glauben und für möglich halten. Wir verlieren uns aber hier in das Reich der Wunder. +Ein sicheres Resultat können wir nie ziehen.+ Es würde aber sehr thöricht sein, uns +nicht+ mit ganzer Seele +dem+ Glauben hinzugeben, der unserer Seele Trost und Linderung schafft, in uns die Ueberzeugung an das Dasein eines allmächtigen, zwar unbegreiflichen, aber liebenden Wesens und an die Fortdauer unserer Existenz nach diesem Leben bestärkt und befestigt. Welche Bewandnisse hatte es aber mit der weißlichen Gestalt an dem Springquell im Hospital Bab-azoun?“ „Das habe ich nachher erst erfahren. Es war einer der Infirmiers, dem ich zu lange lebte. Ich hatte nämlich einige hundert Franken unter meinem Kopfkissen, derer er sich bemächtigt haben würde, wenn ich den Geist in der Nacht aufgegeben hätte. Er wollte dieses dadurch bezwecken, daß er mich durch einen tödtlichen Schreck um das Leben bringen wollte. Seinen Namen habe ich vergessen; +ich behalte überhaupt nur die Namen der Männer, die mir Gutes thaten+.“ „Vortreffliche Moral! Jemehr und je näher ich Dich kennen lerne, jemehr Dein weiches, kindliches Gemüth sich mir öffnet, jemehr sehe ich ein, +daß Dein innerer Kern sich rein und gesund erhalten hat, wenngleich die Außenseite Deines Wesens und Deines Lebens nicht vom Tadel frei ist+. Doch wer ist tadellos? +Nur der darf es sich erlauben einen Andern zu richten, der selbst makellos dasteht; und auch dieser nur mit christlicher Liebe und Nachsicht.+“ „Das ist es gerade, Aristipp, was mich so häufig, im Leben kränkt. Die Menschen beurtheilen mich falsch und zwar aus dem Grunde, weil ich den Schein nicht beobachte. Glaube nicht, daß ich die öffentliche Stimme verachte. +Ich will nicht besser scheinen, als ich bin, das ist mein Unglück.+ Ich nehme mich der Menschen an, die die Welt verstößt. Ich folge meinem Gefühle und erkenne die großen Fehler, die ich an mir habe. +Ich tadle sie selbst, anstatt, wie die Meisten es thun, sie zu bedecken, sie zu beschönigen.+ +Das+ nennt man aber im gewöhnlichen Leben „+sich in den Augen der Welt heruntersetzen+,“ +wenn+ man +seine Fehler+ eingesteht, und die Partei derjenigen nimmt, die +die Welt verdammt+.“ „Richtig! so denken +die anerkannten Soliditäten+.“ Ein furchtbarer Stoß gegen die Thüre sprengte in diesem Augenblicke dieselbe. Mit funkelnden Augen und fletschendem Maule stürzte die Bulldoghündin in das Zimmer und auf ihren Herrn los, den sie durch Liebkosungen erdrücken zu wollen schien. Ein abgerissener Strick hing an ihrem eisernen Halsbande. „Bomben und Granaten!“ rief Herr Herrmann Bleicamb in seinem Bette in die Höhe fahrend. „Was giebts?“ schrie Hippias, die Augenlieder aufreißend. „Nichts, meine Herren,“ versetzte der Baron lachend. „Meine Gipsy, welche wir bei Timm gelassen, hat es nicht länger ohne ihren Herrn aushalten können, und sich, ~sans façon~, einen Weg durch die Thüre gebahnt! Komm, Gipsy! Mein altes treues Thier! Es war schändlich von mir, dich solange vergessen zu haben!“ „Die verdammte Bestie!“ murmelte Herr Bleicamb. „Es ist doch um toll zu werden! Wecken die Manichäer einen nicht durch ihr Klopfen an die Stubenthür auf, so muß man durch dieses Beest gestört werden, wenn man einmal gut zu Nacht gegessen und lange schlafen will.“ „Es ist wohl Zeit aufzustehen, sich anzukleiden, meine Herren, und dann sich wieder auf die Wanderung zu begeben,“ bemerkte ich. „So ist es!“ stimmte der Baron bei. „Faullenzen taugt nicht!“ rief Herr Bleicamb, sich die Augen reibend und mit der Hand durch die Haare fahrend. „Ich bin auch dabei. Wo soll es hingehen?“ Wir waren in einigen Augenblicken gewaschen und angekleidet. „Ich schlage vor, in der Alsterhalle Cafée zu trinken,“ sagte der Baron. Wir willigten ein, empfahlen uns dem Wirth zum Könige von Preußen, berichtigten unsere Schuld für das Nachtlager, und eilten der Alsterhalle zu. Es war noch früh am Morgen, und keine andere Gäste zugegen. Wir ließen uns nieder, bestellten vier Portionen Cafée; wurden servirt und genossen den bräunlichen Trank der Levante. „Ihr habt heute einen Beweis der Anhänglichkeit meiner Gipsy zu ihrem Herrn gehabt. Sie zerriß alle Banden, sie suchte ihn auf,“ bemerkte der Baron. „Ihr würdet dieses Thier lieben, wie ich es thue, wenn ihr wüßtet, wie werth und warum es mir werth ist.“ „Du kannst ja die „+Memoiren+ eines +Hundes+“ schreiben,“ versetzte Herrmann Bleicamb. „Wer weiß ob Du nicht eher einen Verleger und mehr Anklang fändest, als wenn Du über „Frankreich und seine Revolution in Beziehung auf Deutschland“ schreibst?“ „Du magst immerhin Recht haben,“ versetzte der Baron lächelnd. „Politische und religiöse Schriften finden wenig Beifall. Man muß immer die Leihbibliotheken berücksichtigen.“ „Haben Sie den Hund schon lange?“ fragte Hippias die löwenartige Hündin streichelnd, welche eben einen ihrer ungeheuren Tatzen auf den Tisch legte, um anzuzeigen, daß auch sie in der Welt wäre. „Ich habe dieselbe von einem Engländer geschenkt bekommen, als ich von Alais, einer Stadt dritten Ranges im südlichen Frankreiche, zu Fuße durch ganz Frankreich nach Hamburg wanderte.“ „Sie machten also den ganzen Weg zu Fuße?“ „Aufzuwarten. Von Alais bis in den König von Preußen, wo wir diese Nacht logirten.“ „Du würdest uns ein Vergnügen machen,“ sagte ich, „wenn Du uns etwas von dieser Reise mittheiltest. Hippias und ich haben die Absicht unsere Avantüren in Hamburg und Altona herauszugeben, und in einer solchen Schrift würde eine kurze Relation Deiner Reise nicht unanwendbar sein.“ „Ich werde mit Freuden dazu bereit sein. Wenn Gipsy reden könnte, so würde sie vielleicht besser, als ich, die verschiedenen Vorfälle mittheilen können, weil sie eine +Engländerin+ ist, und sich gewiß alles Sehenswerthe und Merkwürdige notirt hätte, was ihr auf der ~grand tour~ begegnete. Leider! ist sie aber, trotz ihrer vortrefflichen Eigenschaften, nur ein Hund, und so muß ich wohl dieses Geschäft für sie übernehmen. Hört also: „Ich hatte mich längere Zeit in Pau am Fuße der ~Basses-Pyrénées~ aufgehalten, um wie man es glaubte, in die Dienste der Königin von Spanien zu treten. Dieses war aber durchaus nicht meine Absicht. Ich brütete im Stillen über einen ganz andern Plan. Ich wollte selbst ein Freicorps errichten, und wie die alten Soldaten der Fortuna auf meine eigene Hand umherkriegen. Dieses konnte ich in den Diensten der Königin nicht, wohl aber in den Diensten des Don Carlos. Beide Parteien schienen mir damals gleich erbärmlich; ich hatte nur meinen eigenen Vortheil, meinen Ehrgeiz vor Augen. Ich hatte aus diesem Grunde so viele Anhänger, als möglich, unter den Soldaten der ~nouvelle création de la légion étrangère française~ für meine Sache zu gewinnen gesucht. Ich hatte Geld, gab ihnen zu trinken, zuweilen auch Geld, und bildete mir binnen Kurzem einen bedeutenden Anhang unter ihnen. Ich wurde trefflich von einem Fourier, Namens Rundsdorff, unterstützt, der ein geborner Preuße war. Es gelang uns, viele der Soldaten zu gewinnen, zu bereden. Es verging keine Nacht, wo nicht mehre mit Sack und Pack desertirten und die Französische Observationslinie passirten. Was meine eigene Person betraf, so wollte ich mich nicht eher selbst nach Spanien begeben, als bis ich von der Hand des Don Carlos selbst ein Patent als Compagnie-Chef über die von mir zu errichtende Truppe erhalten hätte. Um dieses zu erhalten, mußte ich mit einem Agenten Don Carlos in Unterhandlung treten. Es war sehr gefährlich für mich, weil alle meine Schritte bewacht wurden. Endlich fand sich einer. Ich beredete mich mit dem Fourier und dieser bestellte denselben Abends acht Uhr ~au chéval noir~ um mit demselben Abrede zu treffen. Glücklicher Weise mußte ich an diesem Abend zu einer Hochzeit gebeten sein, die ein Deutscher Bierbrauer Namens Heit, ein vortrefflicher, reicher Mann gab, dem ich die größten Verbindlichkeiten habe. Ich kam zu spät nach dem ~chéval noir~. -- Der Agent des Don Carlos war von den Gensdarmen ~Louis Philippes~ aufgehoben worden, mit ihm mehre Soldaten und Unterofficiere der Legion, welche um mein Geheimniß wußten. Ich hielt es jetzt für vernünftiger, mich von Pau zu entfernen! Ich reisete nach Toulouse, wo ich einen vielvermögenden und liebenswürdigen Bekannten, den Herrn ~Toussaint~, ~directeur de la société de dictionnaires~ hatte. Bei diesem Manne lebte ich eine zeitlang, versah den Posten eines ~sousdirecteur~ und hatte dadurch Gelegenheit, mich den Männern meiner Partei, z. B. dem Herrn ~Dugabé~, ~avocat et député~, zu nähern. Die Rachsucht eines Polen brachte mich um die Freundschaft meines ~Toussaint~. Ich ging von Toulouse nach dem ~saut du Tarn~, einer Eisenfabrik, welche dem Marschall Soult theilweise gehört, und hielt mich einige Zeit bei dem Herrn James Jackson, einem Engländer, auf, welcher bei dieser Fabrik angestellt war. Es war ein vortrefflicher Mann. Ich theilte ihm meine Avantüren und meine Besorgnisse mit. Er billigte die Letztern und gab mir den Rath nach Alais, zu einem seiner Bekannten zu gehen, dessen Name James Wall war. Dieses that ich. James Wall behielt mich mehre Wochen bei sich. Ich lebte wie die gemeinen Eisen-Arbeiter, nur mit dem Unterschiede, daß ich nicht wie sie arbeitete. Doch auch hier war meines Bleibens nicht. Von einigen meiner Bekannten erhielt ich die Nachricht, selbst von James Jackson, daß die Regierung auf mich aufmerksam geworden und die Polizei ~Louis Philippes~ mir nachspüre, um mich festzunehmen. Er beschwor mich, sobald als möglich das Land zu verlassen. Hier war kein Zaudern möglich. Wie aber mir einen Paß verschaffen, da die Polizei aufmerksam auf mich war? Es gehörte Muth dazu, um Frankreich, angefüllt mit Gensdarmen, ohne Paß zu durchstreifen. Ich that es. Am Tage vor meiner Abreise schenkte mir James Wall diese Hündin, mit den Worten: „sie ist so gut, wie zwei Pistolen.“ Allein, ohne irgend eine Waffe, ohne Paß verließ ich Alais, nur von meiner Gipsy begleitet. Sie folgte mir stets auf den Fersen, und wenn meine Füße durch das angestrengte Marschiren wund geworden waren, leckte das treue Thier mir die wunden Stellen. So kamen wir beide matt und elend nach einem Marsche von 50 Tagen hier in Hamburg an. Gipsy selbst hatte sich auf der harten Chaussee so die Nägel an den Pfoten abgelaufen, daß sie zuweilen mitten auf dem Wege sitzen blieb, weil sie nicht weiter konnte; hier in Hamburg machte ich dem treuen Thiere, das, trotz der gräßlichsten Schmerzen, halb hüpfend, halb hinkend mir gefolgt war, +Nägel von Wachs+. Sie war es, welche durch ihr zorniges, löwenartiges Aeußere, durch ihre funkelnden Augen Alle zurück hielt, welche während unserer Reise vielleicht die Absicht hatten sich meiner Börse zu bemächtigen oder mich anzugreifen. Es wagte keiner die Hand an mich zu legen, denn er war gewiß, von meiner Gipsy sogleich an die Gurgel gepackt zu werden. Ich will es Ihnen gerne gestehen: vielleicht ohne dieses edle Thier hätte ich nicht den Muth gehabt diese weite und gefährliche Reise anzutreten. Es war eine Reise auf Leben und Tod, denn ich hätte mich um keinen Preis festnehmen lassen. Da ich Gipsy bei mir hatte, konnte ich es mit dreien aufnehmen. Auf diese Weise verdanke ich es meinem Hunde, daß ich den Rhein überschritt und hier unter Euch bin.“ „Du hast uns nur eine kurze Skizze Deiner Reise erzählt. Es scheint mir, als wenn Du dieselbe recht gut weiter ausarbeiten und sie dann mit der Fortsetzung Deiner Memoiren dem Publiko mittheilen könntest. Deine Memoiren haben überhaupt den Fehler, daß man nicht weiß, was aus dem Helden des Dramas wird.“ „+Ein sehr natürlicher Grund, weil bis jetzt noch nichts aus ihm wurde!+“ „Etwas, welches mir beinahe unglaublich bei Ihrer Erzählung erscheint, ist, daß Sie ohne Paß ganz Frankreich durchreisen konnten. Wie fingen Sie dieses an?“ „Ich schlug die Art und Weise ein, die gewöhnlich politische Flüchtlinge oder Verbrecher nicht einschlagen. Anstatt bei Nacht und Nebel, verstohlen und schüchtern zu reisen und aufzutreten, ging ich nur bei Tage, redete sogar die Gensdarmen an und entfernte dadurch allen Verdacht von mir. Außerdem bediente ich mich einer Kriegslist. An dem ersten, großen Ort, den ich passirte, ging ich in ein Cafée-Haus und fand dort einen Gensdarmen. Ich ließ mich in eine Unterredung mit ihm ein, proponirte ihm eine Partie Billard um ~deux petits verres~; verlor, spielte ~quitte à deux~, verlor wieder, und so ging es fort, bis mein Gensdarme den Kopf durch die Menge der ~petits verres~, welche er gewonnen und getrunken, verloren hatte. Jetzt redete ich ihn ~en ancien militaire~, ~en mon brave~ an, bat ihn um einige Empfehlungen an seine Kameraden von der nächsten ~gensdarmerie départementale~, empfing sie und ging, sobald ich dort angekommen, in das Gebäude der Gensdarmerie, wo ich nach dem und dem fragte, den er mir genannt und dem er mich empfohlen hatte. So trieb ich es weiter, und auf diese Weise entwischte ich.“ „Das ist nicht übel, so wahr ich Herrmann Bleicamb heiße!“ rief der Genannte aus. „Was mir das Angenehmste bei dieser Parforcetour war,“ bemerkte der Baron, „besteht darin, daß ich weiß, was ich zu leisten vermag. Ich glaube, ohne meine Kräfte zu überschätzen, daß, wenn es einmal darauf ankommen sollte, ich im Stande sein würde, +meiner+ Partei zu nützen.“ „Man weiß eigentlich nicht recht, zu welcher Partei man Sie rechnen soll.“ „Ich bin ein „adeliges Phaenomen,“ wie Clemens Gerke mich nennt. +Ich halte es mit dem Regenten, weil ich finde, daß wir nicht reif, nicht rein, nicht sittlich genug für eine Republik sind; ich liebe und vertheidige die Rechte des Volkes, weil ich den Menschen schätze, und ihn nicht zu einer Maschine, zu einem Sclaven herabgewürdigt wissen will. Vor allem aber bin ich ein Freund der Ordnung. Nur der Staat kann gedeihen, nur der König kann glücklich sein, auf welche folgende Verse passen:+ „Wo geschützt in jeder Sphäre Arbeit, Kunst und Wissenschaft, Frei, im Segen der Altäre, Ihm sein Reich zum Eden schafft.“ Diese Verse sind von dem berühmten Reinhard, französischen Gesandten am Bundestage. Er dichtete sie zu der Krönung Carl X. Er ist todt, lebt aber in dem Gedächtnisse aller Bieder-Männer und in der Leichenrede fort, welche der famose Talleyrand ihm hielt, in welcher dieser sagt: +daß die Basis der Diplomatie Redlichkeit sei+.“ „Sein ganzer diplomatischer Lebenslauf, sein zweideutiger Charakter widerlegen diesen Ausspruch.“ „Es war eine Phrase!“ bemerkte ich. „Wahrscheinlich!“ unterbrach mich Hippias. „Es läßt sich aber nicht leugnen, daß Talleyrand der klügste Mann seiner Zeit war. Selbst Napoleon wurde von ihm überlistet. Der weiseste von allen +jetzt+ lebenden Staatsmännern ist ohne Frage der Fürst Metternich.“ „Wie kannst Du das zu äußern wagen?“ fuhr ich fort, als Hippias schwieg. „+Ein Buch, das zu Gunsten des Fürsten Staatskanzlers, von dem der Deutsche Bund regiert wird, eine Erwähnung enthält, wird von keinem Republikaner, keinem Anhänger des jungen Deutschlands gelesen werden!+ Ich bemerke nur dieses, weil ich, wie Du weißt, unsere Tour und unsere Unterhaltungen niederschreiben werde.“ „Das kann mir einerlei sein. Jeder Mann, er gehöre zu welcher Partei er wolle; er sei Aristokrat, Republikaner, Carlist oder Christinos, Anhänger des Absolutismus oder der Constitution, ist in meinen Augen achtungswerth, wenn er consequent in seinen Handlungen bleibt, +wenn er sein ganzes Leben einer Ansicht widmet, und seine Grundsätze durchzuführen versteht ohne zu niedrigen Mitteln seine Zuflucht zu nehmen+.“ „Ihre Ansicht ist die meine,“ versetzte der Baron. „Die meisten +politischen Ansichten werden durch Geburt, Erziehung, durch die Umgebung gebildet; meistentheils durch den persönlichen Vortheil bedingt+. Ein edler Republikaner ist in meinen Augen ebenso achtungswerth, als ein guter, edler Royalist. Mir ist nur der +Egoist verächtlich und der Intolerante+. Es ist lächerlich die guten Seiten eines Mannes nicht anerkennen zu wollen, +weil seine politischen Farben von den unsrigen abweichen+. Ich liebe Berryer, nicht minder Odilon-Barrot.“ „Und nun genug Politik, meine Herren!“ rief Herrmann Bleicamb. „Wie Hippias mir sagte, ist es heute der letzte Tag, den wir zusammenbleiben. Darum lustig! Wir wollen uns amüsiren! Der alte Cafée taugt nichts! Wenn man den Abend vorher viel gegessen und getrunken hat muß man was Warmes genießen. Laßt uns zu Unbescheiden auf dem breiten Giebel gehen. Da giebt es was um den Magen zu kuranzen! Austern, frische Häringe, Caviar und alle Sorten Fleisch. Seid Ihr es zufrieden?“ „Warum nicht!“ antworteten wir Alle und erhoben uns. Wir gingen über den Jungfernstieg. Es war schon sehr lebendig dort. Unter der Menschenmenge begegnete uns die liebliche Gestalt Fräulein Adelinens. Wir grüßten sie. Die Physiognomie des Barons wurde finster. Wir befanden uns einige Augenblicke darauf im Keller des Herrn Unbescheiden. Wir setzten uns nieder. Jeder forderte, was ihm angenehm war. Außer uns, jedoch an einem Tische für sich, saß ein großer langer Mann, dessen Ausdruck geistreich, wenngleich maliciös war. Sein Auge war durchbohrend. Seine Nase etwas größer, als die gewöhnlichen. In seinem Gesichte zeigten sich deutlich die Spuren eines leidenschaftlichen Lebenslaufes. Er war elegant gekleidet und schien ein Fremder zu sein. Er las im Telegraphen und hatte eine Bouteille Madeira vor sich stehen. Als wir in das Zimmer traten, musterte er uns mit einem prüfenden Blicke, wandte ihn aber schnell von uns und nahm eine vornehme und unzufriedene Miene an. Man konnte nicht anders, als ihn für einen Aristokraten halten, oder für einen, der aristokratische Manieren liebt. Weil er sich nicht um uns bekümmerte, nahmen auch wir keine Notiz von ihm, nur Gipsy alleine heftete ihre funkelnden Augen auf ihn, gleichsam, als wollte sie in seinen Bewegungen, in seinen Gesichtszügen lesen, ob auch etwas Gefahrbringendes für ihren Herrn in der Gegenwart dieses Fremden liegen könne. Nach einigen Minuten sprang sie auf, ging auf den Fremden zu und leckte ihm die Hand, welche jener nachlässig auf das Knie gestützt hielt. Dann kehrte sie zu ihrem Herrn zurück. Wir ließen uns die Delicatessen des Herrn Unbescheiden vortrefflich schmecken, mit Ausnahme des Barons, der zerstreut schien. „Du hast es mir versprochen,“ begann ich, „mir dasjenige mitzutheilen, was Dich beim Erblicken Fräulein Adelinens so heftig erschütterte, und wie ich bemerke, auch heute wieder ergriffen hat.“ „Es sei darum, wenngleich die Erinnerung an diese Begebenheit eine sehr traurige für mich ist: An der Küste des mittelländischen Meeres liegt im südlichen Frankreiche, im ~Departement du Var~, eine alte Ruinenstadt, Namens Taurentum, wie man sagt von den Römern erbaut. Nur einzelne Mauern, nur einzelne Höhlen oder ~souterrains~ bezeichnen den Platz, wo sie stand, und die Wogen des Mittelmeers, welche diese Ruinen bespühlen, sind wohl die einzigen verschwiegenen Zeugen ihrer vormaligen Größe. Wenn der alterthumforschende Fremde diese Ruinen verlassen, so begiebt er sich nach dem naheliegenden Kirchhofe St. Cyr, um von dort auf die Landstraße zu gelangen, welche nach Toulon oder nach La-Ciotat, einem kleinen Seehafen führt; schlägt er aber den Weg ein, welcher von St. Cyr gerade ausläuft, so nimmt er seine Richtung durch die Besitzungen des Grafen von Planicourt, und erreicht, nach dem Verlaufe von zehn Minuten, das Landhaus, die Villa, oder die Bastide dieses wohlhabenden Provençalen. Vor diesem Hause steht eine Gruppe wilder Cypressen, es ist Alles ruhig und stille rings umher; das Haus scheint von Niemandem bewohnt zu sein. Hier ist der Wohnsitz des Herrn Grigoir, ~Cousin~ und ~homme d’affaires~ des Grafen von Planicourt. Ich muß Euch mit dem Charakter dieses Mannes und mit seiner Familie bekannt machen, bevor ich die Erzählung beginne. Monsieur Grigoir war ein Mann von 69 Jahren, groß und schlank gebaut. Er hatte früher in der Königlichen Marine gedient, war ein eingefleischter Carlist, und hatte sich ungefähr 40 Jahre, vor dem Zeitpuncte, den ich erwähnen werde, in die Dienste des Grafen von Planicourt begeben, um sich eine ruhige Retraite zu sichern. Sei es Ueberdruß am Leben, sei es durch Widerwärtigkeiten im Leben bewirkt, kurz Herr Grigoir war ein Menschenfeind geworden, und, das größte Unglück, was einem Menschen begegnen kann, er hatte das Vertrauen zu seinen Mitmenschen verloren. Nur drei Gegenstände hatten noch Interesse für ihn: die Familie des Grafen Planicourt, die ältere Linie der Bourbons, und die strengste Beobachtung des katholischen Ritus. Die beiden Priester des naheliegenden Kirchdorfes St. Cyr waren die einzigen Fremden, welche sein Haus betraten; die Messe von St. Cyr, der einzige Ort den er besuchte, und wo er während der Zeit des Gottesdienstes beständig auf den Knieen lag. In der Woche that er nichts anders, als auf einem Stuhle vor dem Kamine seines Salons sitzen und zuweilen ein altes Französisches Werk, das die Thaten der Französischen Marine schilderte, zu durchblättern. Obgleich hoch in Jahren, war er noch kräftig und gesund, selbst seine Zähne hatte er sich erhalten, seine Gesichtsfarbe war röthlich, gesund; sein Anzug bestand aus einer groben, gelblichen Jacke von schlechtem Tuche; Pantalons und Weste waren von derselben Farbe, von demselben Stoffe. Nur zweimal im Jahre wechselte er sein Zeug; Anfang Winters und Anfang Sommers, wo dann ein blauer Ueberrock die Stelle der gelben Jacke einnahm. Er trug stets eine weiße Halsbinde, Schuhe und weiße Strümpfe. Auf dem Kopfe hatte er beständig einen weißen sogenannten Pflanzerhut, mit ungeheuer breitem Rande, den er auch im Zimmer niemals abnahm; unter diesem trug er auch eine seidene Mütze, die unter dem Hute hervorsah, und auf der röthlichen Nase ein Paar silberne Brillen. Der Ausdruck seines Gesichtes war nicht zu dechiffriren; sein Blick, soviel man durch die Brille bemerken konnte, war unstät und falsch. Um seinen Mund bemerkte man häufig ein freundliches Lächeln. Seine Haltung war ruhig. Dieses war der Mann, welcher das Glück hatte, der Ehegemahl der Madame Josephine Grigoir zu sein, einer kleinen, verwachsenen, aber klugen und lebhaften Frau, die wie er schon hoch bei Jahren war, und sich durch drei Eigenschaften auszeichnete: sie war bigott, geizig und von einer so unglaublichen Heftigkeit, daß sie häufig Nervenanfällen ausgesetzt war, deren Entstehen sie den Vapeurs zuschrieb. Sie theilte mit ihrem Manne den Haß und das Mißtrauen gegen alle Menschen. Aus der Umarmung dieses merkwürdigen Ehepaares war ein ebenso merkwürdiges Geschöpf hervorgegangen: Mademoiselle Fanny Grigoir. Es ist mir unmöglich eine deutliche Beschreibung oder Charakteristick dieses, in seiner Art, so einzigen Frauenzimmers zu entwerfen. Sie hatte braune, glühende Augen, schwarze Augenbrauen, einen ziemlich großen Mund, aber zwei Reihen der schönsten Zähne. Ihr Busen war voll, üppig und von blendender Weiße; sie war klein, aber stark. Ihr Gang, ihr Wesen war ungraciös. Jeder einzelne Zug ihres Gesichtes war schön, das Ganze häßlich, und doch konnte sie Augenblicke haben, in welchen ein gewisser Heiligenschein ihr einen eigenthümlichen Reiz verlieh. In solchen Augenblicken war Mademoiselle Fanny schön. Sie hatte von ihrer Mutter den heftigen Charakter geerbt. War sie verletzt, so war sie eine Furie; betete sie sitzend das Pater-Noster, so war sie eine Madonna. Die geistigen Fähigkeiten der Mademoiselle Grigoir wage ich nicht zu beurtheilen. Sie hatte Verstand, Scharfsinn, aber zu gewissen Zeiten erschien sie wie blödsinnig. Ihre Manieren waren die eines Kindes; als solches wurde das 30jährige Mädchen von ihren Eltern behandelt. Ihre Sprache war unvollkommen. Sie redete von sich stets in der dritten Person. Aus diesem Grunde nannte man sie in der Umgegend ~la Créole~. Sie war, wie ihre Eltern, bigott, das heißt, sie beobachtete den Ritus der katholischen Religion, ohne die Religion zu verstehen. Mutter und Tochter communicirten jeden Sonntag; jeden Sonnabend beichteten sie ihrem ~pére spirituel~. Fanny Grigoir war Mitglied der ~Congrégation du sacré coeur de Jésus et de Marie~. Jeder Procession wohnte sie bei im weißen Kleide, mit weißem, fliegendem Schleier. War irgend ein Wesen würdig, dem Bilde der Hochgebenedeieten zu folgen, so war es Mademoiselle Grigoir, ~la Créole~, denn sie war unschuldig wie ein Engel; sie hatte keinen Begriff eines sündigen Gedankens. Mademoiselle Fanny kannte nicht den Unterschied beider Geschlechter.“ Der Fremde, welcher, wie es schien, der Erzählung zugehört hatte, stieß ein leises, heiseres Gelächter aus; blickte den Baron scharf an, und fuhr fort im Telegraphen zu lesen. „Diese drei Personen waren es,“ setzte der Baron seine Erzählung fort, „welche das Landhaus des Grafen Planicourt bewohnten. Außer ihnen befand sich in dem weitläuftigen Gebäude nur Mlle Clairon, das Hausmädchen, und ein großer, gelber Kater, der Liebling des Herrn Grigoir. Ihr wißt, daß ich den Krieg in Afrika mitmachte. Ihr wißt, wie elend ich dort wurde. Der Graf von Planicourt war ein Verwandter von mir. Um meine Gesundheit herzustellen, bot er mir sein Landhaus in der Provence zu meinem Aufenthalte in jenem Clima an, welches meinem Zustande angemessen sein sollte. Herr Grigoir hatte Befehl erhalten, mich bei sich aufzunehmen. Ich wurde dorthin gebracht. Die sorgfältige Pflege, welche ich in jenem Hause, durch Herrn und Madame Grigoir erhielt und meine Jugend überwanden für diesesmal die fürchterliche Krankheit, an welcher ich litt. Im Verlauf von einem Jahre, war ich rüstiger, stärker, sah ich wohler aus, als ich je ausgesehen hatte. Es wird Euch sehr natürlich erscheinen, wenn ich Euch sage, daß ich nach meiner vollständigen Wiederherstellung mein Möglichstes that, um den braven Leuten, welchen ich durch ihre Sorgfalt mein Leben verdankte, durch allerhand Aufmerksamkeiten, meine Dankbarkeit zu beweisen. Ich spielte mit den Alten des Abends Domino und begleitete sie am Sonntage in die Messe, woselbst ich ihretwegen, wenn das Glöcklein erschallte, mit ihnen zugleich, auf meine Kniee niedersank. Ich warf mir dieses nicht als ein Verbrechen vor. Man kann überhaupt ebensogut knieend, als stehend, oder sitzend beten. Da Monsieur Grigoir ein weitläuftiger Verwandter des Grafen war, so nannte ich ihn ~mon Cousin~; seine Frau und seine Tochter ~ma Cousine~ und wurde von ihnen Allen wiederum ~mon Cousin~ genannt. Ich übersah die Eigenheiten der alten, würdigen Leute, schickte mich in ihre Launen, und bemühte mich das zu thun, was ich ihnen nur, wie man es sagt, an den Augen absehen konnte. Auf diese Weise bildete sich ein wirklich freundschaftliches Verhältniß unter uns. Es war sehr natürlich, daß meine Artigkeiten sich bis zu Mlle Fanny erstreckten, welche bei meiner Ankunft so scheu war, daß man sie nicht bewegen konnte in das Zimmer zu kommen wo ich war. Nach und nach gewöhnte sie sich aber an meinen Anblick, und versuchte es erst den lutherischen Ketzer von der Seite anzublicken; später schlug sie ihr wirklich schönes Auge zu mir auf, wagte es mit mir zu reden und endlich schien sie mit einer gewissen Herzlichkeit an ~mon Cousin~ zu hängen. Dieses sonderbare Wesen hatte für mich einen eigenthümlichen Reiz. Ich hatte nicht die geringste Idee ihr Liebe einflößen zu wollen, aber es machte mir Vergnügen zu betrachten, wie nach und nach ihre geistigen Fähigkeiten durch den Umgang mit mir sich entwickelten. Ich hatte außerdem noch einen andern Zweck vor Augen. Ich wollte nämlich versuchen, ob es mir gelingen könnte, die furchtbare Heftigkeit, welche sie sich sogar gegen ihre Eltern erlaubte, durch den Einfluß, welchen ich auf sie erhalten, zu mildern. Ich sprach häufig mit ihr über Religion und suchte es ihr verständlich zu machen, daß die erste Pflicht einer Christin Demuth und Gehorsam gegen ihre Eltern sei, worauf sie zuletzt antwortete: „Wenn ~mon Cousin~ das meint, so glaubt Fanny das auch und Fanny wird es thun.“ Sie wurde wirklich folgsamer und gehorsamer. Sie lauschte jedem meiner Worte, und war stets bereit auch den kleinsten meiner Wünsche zu erfüllen. Den Erfolg meiner guten Absicht bemerkend, suchte ich sie zu belohnen. Ich wurde immer freundlicher gegen sie, ich begleitete sie, wenn sie zur Messe oder zur Vesper ging, oder brachte, wenn ich alleine ausgegangen war, ihr eine Blume, einige Bonbons oder sonst eine unbedeutende Kleinigkeit mit. Fanny veränderte sich ganz. Ihr Gesicht bekam Ausdruck, sie wurde sorgfältiger in ihrem Anzuge. Fanny fing an zu empfinden, daß sie eine Jungfrau sei. Sie erhielt einen undeutlichen Begriff ihrer weiblichen Bestimmung. Ich war der erste Mensch gewesen, der sie nicht als Kind behandelt hatte. Die Liebe bemeisterte sich, ihrer selbst unbewußt, ihres Herzens. Die Unglückliche! Was von meiner Seite nur Theilnahme, Freundschaft war, senkte in ihr Herz die Flamme der furchtbarsten Leidenschaft. Fanny liebte! Fanny Grigoir ~la Créole~ liebte mit der rasendsten Gewalt eines unentweihten Herzens, mit der ganzen Gluth einer Provençale! Fanny wurde sanft, denn ~mon Cousin~ wünschte es. Fanny wurde arbeitsam, denn ~mon Cousin~ liebte das. Fanny bat ihre Eltern um Vergebung, wenn sie sie beleidigt hatte, denn sie wußte es, daß sie dadurch ~mon Cousin~ gefiel; Fanny wurde ordentlich, reinlich, denn sie liebte ~mon Cousin~. Fanny lernte einige Wörter, wie Vater, Mutter, Schwester, Vetter, Geliebte, Geliebter, Braut und Bräutigam auf Deutsch sagen, denn ~mon Cousin~ war ja ein Deutscher. Wie viel leichter wurden der armen Creolin die harten Laute der Deutschen Sprache hervorzubringen, als Französisch zu sprechen! Sie hatte ja die Töne dieser Sprache aus dem Munde von ~mon Cousin~ gehört! ~Mon Cousin~ war der Erste gewesen, der herzlich mit Fanny gesprochen hatte, dessen Worte zu Fannys Herzen gedrungen waren. Wie schön, wie herrlich klangen diese Töne dem Ohre der liebenden Fanny! Wie schön, wie weich war nicht die Sprache ihres Geliebten, wenn er in einer fremden Sprache sich ausdrückte, wie himmlisch mußte nicht die Sprache sein, die die eigenthümliche, angeborne Von ~mon Cousin~ war! O, nur Eins ängstigte Fanny! ~Mon Cousin~ war ein Ketzer, verdammt, seine Seele auf ewig verloren, wie der ~curé de village~ ihr es sagte. Was hätte Fanny nicht darum gegeben, wenn ~mon Cousin~ kein Ketzer gewesen wäre! Aber ~mon Cousin~ war so gut, er war so freundlich gegen Fanny, er kniete in der Kirche und ging mit Fanny zur Vesper. Fanny vergaß, daß ~mon Cousin~ ein Ketzer sei, Fanny vergaß Alles; sie hatte nur eine Empfindung mehr, und diese war ~mon Cousin~........... Fanny hatte im Vorzimmer gesessen, als ~mon Cousin~ mit ihrer Mutter über Fanny sprach. Fanny hatte gehört, daß ~mon Cousin~ gesagt hatte: „Freuen Sie sich nicht, Madame, daß unsere Fanny jetzt soviel liebenswürdiger wird? Fanny ist ein hübsches Mädchen, sie hat herrliche Augen, wundervolle Zähne und eine prachtvolle Brust. Ich bin ihr herzlich gut.“ Fanny hatte dieses gehört. Fanny sah sich zum ersten Male im Spiegel. Sie betrachtete sich. Sie entblößte ihren Busen, weil ~mon Cousin~ ihn prachtvoll genannt hatte. Sie trat in das Zimmer mit verschämtem Blicke. Fanny hatte empfunden, daß sie Reize besäße. Das Tuch, welches ihren Hals bedeckte war verschoben. Sie blickte~ mon Cousin~ unverwandt an, und lachte, mehr als gewöhnlich, um ihre Zähne zu zeigen, denn ~mon Cousin~ hatte sie herrlich und schön gefunden. Fannys Busen hob sich schneller als sonst, denn sie wußte, ~mon Cousin~ würde ihn beachten. ~Mon Cousin~ erhob sich um Schlafen zu gehen. Er drückte Fanny die Hand. Wie durchzuckte dieser Druck das ganze Sein der armen Creolin! Als ~mon Cousin~ fortgegangen war, machte ihre Mutter der armen Fanny Vorwürfe, daß ihr Tuch sich verschoben habe, und daß Fanny durch die zur Schautragung ihrer Reize vielleicht ~mon Cousin~ gegeben habe, sündigen, fleischlichen Gedanken nachzuhängen. Fanny weinte. Sie beichtete ihr Vergehen dem Priester, erhielt eine scharfe Ermahnung zur Sittlichkeit und zur Ertödtung der thierischen Begierden in ihr, und die strenge Weisung: durch Bloßstellung ihrer körperlichen Reize nicht die Begierden der Männer zu erregen, und sinnliche Lüste zum Genusse ihres Körpers zu erwecken. Fanny ahnete jetzt zum ersten Male, daß es Begierden gäbe, daß ein ihr unbekannter Genuß existire, den sie selbst zu gewähren fähig sei. Sie machte sich bittere Vorwürfe, daß sie ~mon Cousin~ Anlaß zu sündigen Gedanken gegeben, und verhüllte ihre Brust mit doppelten Tüchern, aber sie freute sich innerlich, daß ~mon Cousin~ sie schön gefunden hatte. Fanny sagte am andern Morgen: „~Mon Cousin~, ich muß Sie um Vergebung bitten.“ „Warum, Fanny?“ „Fanny ist schuld daran, daß ~mon Cousin~ gesündigt hat, und, daß irdische Begierden in ihm durch Fanny erregt worden sind.“ „Wie das, ~ma Cousine~?“ „Fanny hat ~mon Cousin~ ihren entblößten Busen gezeigt. Fanny freute sich, daß er ~mon Cousin~ gefiele. ~Monsieur le Curé~ hat es Fanny verwiesen. -- Fanny wird am Sonntage nicht die Absolution erhalten, denn Fanny hat gesündigt und Fanny freut sich, daß sie sündigte, weil sie ~mon Cousin~ gefallen hat.“ „Heilige Einfalt und Unschuld! Fanny muß sich trösten, denn Fanny wußte nicht, daß sie Unrecht that.“ „Fanny wußte es nicht, aber jetzt weiß Fanny es, und Fanny wird es wieder thun, wenn sie weiß, daß ~mon Cousin~ einen Gefallen daran findet.“ Fanny entfernte sich. Sie ging in den Garten, pflückte eine Orangen-Blüthe und zerblätterte sie. -- „Eine Gänseblume! Liebt er mich? Liebt er mich nicht?“ Murmelte der Fremde in sich hinein, indem er einen forschenden Blick auf den Baron warf, und in einer ungewöhnlichen, scharfen, aber nicht unangenehmen Tonart folgende Worte an diesen richtete: „Um Vergebung, mein Herr! Ihre Geschichte fängt an, mich zu interessiren. Eine Unschuld von dreißig Jahren, Liebe, Leidenschaften, katholische Priester, das ist so mein Steckenpferd!“ Er schenkte sich ein Glas Madeira ein, schlug den Telegraphen zu und zündete eine Cigarre an. Der Baron machte ihm eine leichte Verbeugung und fuhr dann fort: „Ihr werdet aus diesem Allen den Gemüthszustand der armen Fanny erkannt haben. In ihrem Herzen war der Kampf der Liebe mit den Vorschriften ihres Glaubens. Die erstere siegte. Fanny wurde jetzt von Tage zu Tage ernster; sie saß stundenlang, ohne den schönen Blick von mir zu wenden. In ihrem Auge drückte sich ein Gefühl aus, was sie empfand, ohne es zu kennen. Fanny war mit ~mon Cousin~ nach St. Cyr gegangen. Die Krautkrämerin, bei welcher Fanny ihren Hut zu lassen pflegte, hatte mit Fanny über ~mon Cousin~ gesprochen. Sie hatte ihr gesagt, daß ~mon Cousin~ vor einigen Tagen bei ihr gewesen und für Mademoiselle Grigoir einige Bonbons gefordert, daß er mit ihr über sie gesprochen und gesagt habe: „Mademoiselle Grigoir ist ein gutes Mädchen, sie ist so unschuldig, daß man sie lieben muß.“ „~Mon Cousin~ liebt mich?“ dachte Demoiselle Grigoir. Sie war entzückt. „Wenn ~mon Cousin~ mich liebt,“ antwortete sie der Krautkrämerin, „so glauben Sie nur, auch Fanny liebt ~mon Cousin~.“ „Die Blödsinnige!“ rief die Krautkrämerin in Gedanken. „Warum sollte er Sie auch nicht lieben, Mademoiselle,“ fuhr sie laut fort, „wenn man Sie mit anderen jungen Mädchen vergleicht, so sind Sie noch immer hübsch zu nennen.“ „Das hat ~mon Cousin~ auch meiner Mutter gesagt,“ versetzte die Creolin. „So? Ei, ei! So weit ist es schon? Was sagt aber der Herr Pfarrer dazu? Ihr ~Cousin~ ist ein Ketzer.“ „~Mon Cousin~,“ erwiederte Fanny, „ist ~mon Cousin~, das sei Ihnen genug, Madame.“ Mademoiselle Fanny Grigoir entfernte sich im heftigsten Zorne von der Krautkrämerin. Am selbigen Abend wußte ganz St. Cyr, daß Mlle Fanny Grigoir, oder die Creolin, in den Deutschen Baron verliebt sei, daß er sie wieder liebe. An demselben Abend sagte Mlle Fanny ihrer Vertrauten, der Mlle Clairon: „Clairon! ~mon Cousin~ liebt mich!“ „Sie sind ein Kind,“ versetzte jene. „Was wissen Sie von Liebe?“ „Ich bin ein Kind!“ dachte Fanny bei sich, „aber ich liebe ~mon Cousin~!“ Die Creolin hatte dieses Mal die erste schlaflose Nacht. Sie fühlte sich beengt. Sie empfand die Sehnsucht nach einem Gegenstande. Sie wünschte, ~mon Cousin~ bei sich zu haben. Das Zimmer von ~mon Cousin~ war dicht bei Fanny ihrem an. Fanny horchte auf. Sie vernahm die Schritte von ~mon Cousin~, sie hörte ihn singen. Fanny vergaß ihr Gebet. „So nah ist ~mon Cousin~ bei mir?“ fragte Fanny sich leise. „Warum ist er nicht ganz bei mir? Wäre es eine Sünde, wenn er bei mir wäre? Aber ~mon Cousin~ ist ein Mann? Schlafen Vater und Mutter nicht in einem Zimmer? Ist Fanny ihr Vater nicht auch ein Mann? Ist ein Mann denn etwas so Fürchterliches? Es kann nicht sein, denn ~mon Cousin~ ist ein Mann!“ Gegen Morgen schlief Mlle Fanny Grigoir ein. Ihr träumte von ~mon Cousin~, sie hielt ihn im Traume umfangen. Am nächsten Sonnabend blieb Madame Grigoir länger, als gewöhnlich in der Beichte. Endlich kam sie erschöpft und erhitzt zu Hause. Der ~Curé de village~ hatte ihr das Gewissen geschärft, sie auf den gefährlichen Umgang ihrer Tochter mit ~mon Cousin~ aufmerksam gemacht, und ihr zu verstehen gegeben, daß sie Alles aufbieten müsse, um den Ketzer zu entfernen und die sündige Neigung ihrer Tochter zu ihm zu vernichten. Er hatte ihr Vorwürfe gemacht, daß sie die Pflichten einer echt katholischen Mutter nicht befolge. Madame Grigoir war außer sich. Bei der Krautkrämerin erhielt sie einen Nerven-Anfall, weil diese ihr sagte, Mademoiselle Fanny habe ihr gesagt, daß sie den Deutschen Ketzer liebe. Dieser Abend verging sehr unangenehm. Am andern Morgen war Madame Grigoir mit ihrer Tochter und dem Mädchen in der Kirche. Herr Grigoir und ich waren alleine zu Hause. „Guten Morgen, ~mon Cousin~,“ sagte ich, in das Zimmer tretend. Herr Grigoir erhob sich von seinem Sitze, und sagte in einem traurigen Tone: „Es ist etwas sehr Unangenehmes vorgefallen, ~mon Cousin~.“ „Was? Ist Ihre Frau Gemahlin nicht wohl?“ „Das nicht! Aber wir müssen uns trennen, ~mon Cousin~. Die infame Welt --“ „Nun, was ist es?“ „Die Leute sagen, Sie liebten meine Tochter, sie liebte Sie. Der Ruf meiner unglücklichen Tochter ist zernichtet. Sie kennen nicht dieses Otterngezücht. Ist ein Wort gesprochen, so wird es schneller weiter getragen, als die Feder vom Winde. ~Mon Cousin~, wir müssen uns trennen! Wer steht mir dafür, daß man nicht auch sagen würde, Sie machten meiner Frau die Cour!“ „Ihrer Frau? Wie wäre das möglich?“ „Alles ist möglich in dieser Welt,“ versetzte Herr Grigoir. „Unglücklicher Vater, der ich bin!“ Nach dieser Unterredung wurde ausgemacht, daß ich mich nach einem andern Orte begeben solle. Ich willigte gerne ein. Der häusliche Friede war gestört. Wo Mißtrauen herrscht, da ist kein Glück mehr zu finden. Herr Grigoir verließ uns denselben Abend, um in Toulon Alles zu meiner Abreise vorzubereiten. Ich blieb mit Madame Grigoir, ihrer Tochter und Clairon allein zu Hause. Wir aßen zu Abend. Fanny war ihrer selbst nicht mächtig. Mit dem Ausdrucke der glühendsten Leidenschaft hing sie an meinen Blicken. Sie verschlang jedes meiner Worte. Sie war furchtbar aufgeregt. Mit zitternder Stimme sagte sie mir gute Nacht. Madame Grigoir, Clairon und ich begaben uns in verschiedenen Zimmern zur Ruhe. Es war eine mondhelle Nacht; die schwarzen Cypressen vor dem Hause erschienen in gespenstischer Beleuchtung wirklich unheimlich. Ich war eben im Begriffe einzuschlafen, als die Thüre aufging und eine Gestalt in das Zimmer trat. „Wer ist da?“ rief ich erschreckt. Die Gestalt nahte sich meinem Lager. Ich erkannte die unglückliche Fanny! Mit fliegenden Haaren, und in ein leichtes Nachtgewand gehüllt schritt sie vorwärts. Sie sank auf mein Bett nieder und umschlang mich in wüthender Umarmung. „Großer Gott! Fanny!“ rief ich aus. „Was thun Sie? Um Gotteswillen eilen Sie fort.“ „~Mon Cousin, -- je vous aime!~“ War das Einzige, was die Unglückliche sprechen konnte. Sie blieb einige Augenblicke an meinem Herzen liegen. „Fanny, ~ma Cousine~,“ sagte ich, „der Schritt, den Sie thaten ist unverzeihlich. Gehen Sie! Möge der Gott der Liebe Ihnen verzeihen, was Liebe Sie wagen ließ.“ „~Dieu!~“ schrie sie auf einmal. „Meine Seele ist verloren! O, heilige Mutter Gottes, Du verläß’st mich!“ Fanny verließ mich weinend. Sie verließ mich, wie sie gekommen war, rein, unbefleckt, aber ihre moralische Unschuld war verloren. Fanny hatte gegen den heiligen Geist gesündigt. -- Die Folgen dieses nächtlichen Besuches konnte ich voraussehen. Fanny mußte denselben beichten. Ich wußte vorher, daß man mir die Schuld aufbürden würde, daß man nicht an die Unschuld Fannys mehr glauben würde. Wie ich es vorausgesehen, traf es ein. Ich reisete nach Barcelona. Verließ Fanny in Thränen gebadet und betend. In Barcelona erhielt ich einen Brief meines Verwandten, des Grafen von Planicourt, in welchem er mir die bittersten Vorwürfe machte, die Familie des braven Herrn Grigoir entehrt zu haben. Er kündigte mir seine Freundschaft auf. Umsonst schrieb ich Briefe über Briefe. Ich erhielt keine Antwort. +Der Schein war gegen mich. Während ich die größte Selbstüberwindung bewiesen, deren ein junger, kraftvoller Mann fähig ist, wurde ich des schwärzesten Verbrechens angeklagt!+ -- Was aus der unglücklichen Fanny geworden, weiß ich nicht. Wahrscheinlich ist sie in ein Kloster gesperrt worden, um +ein Vergehen zu büßen, das sie nie beging+! „Ihre Geschichte hat mir eine wahre Freude gemacht,“ nahm der Fremde das Wort. „Sie haben sie gut eingekleidet. Ich bin ein Freund von solchen Geschichten. Ich liebe das. So geht es im Leben, man wird immer verkannt. Freilich! hier war es etwas zu entschuldigen, denn der Schein ist in der That gegen Sie, und nur einem Arzte würde es möglich sein, ihre Unschuld zu beweisen. Eine fatale Geschichte! Erlauben Sie mir, ein Glas Wein mit Ihnen zu trinken. Ich bin der Doctor Riem aus dem Königreiche Hannover und habe eine besondere Vorliebe für gebildete junge Leute mit angenehmen Manieren. Ich liebe das Aristokratische in denselben. Ich nehme zehntausendmal lieber meinen Hut vor einem vornehmen Mann ab, als daß ich für einen reichen Geldfilz mein Haupt entblöße.“ „Sie sind sehr gütig,“ erwiederte der Baron. „Mit Freuden werde ich die Ehre haben, Ihnen Bescheid zu thun. Haben Sie die Güte, sich etwas bei uns niederzulassen. Diese Herren, sind meine Freunde. Herr Aristipp, ein angehender Literat, Herr Hippias desgleichen, und Herr Herrmann Bleicamb, ein Freund lustiger Gesellschaften. Mein Name --“ „Ist mir schon bekannt. Ich logire auch im Könige von Preußen; hörte Sie gestern Abend kommen, und fragte den Lohnbedienten, wer die Herren wären. Ich bin ein Freund aller Literaten, aller Genies, nur bedauere ich, daß sie +so wenig+ bei uns gelten. Im Allgemeinen fehlt immer der ~nervus rerum gerendarum~, das Geld, bei den Herren. Sie verzeihen meine Offenheit, aber ich sage immer gerne die Wahrheit, und die Lüge nur, wenn ich muß. ~Mundus vult decipi.~ Sie sind mir schon länger bekannt, wenigstens aus der Literatur. Ich habe Ihre Memoiren gelesen, sie sind auch wahrhaft interessant. Ist nicht auch etwas Poesie darin! Die Scene im Postwagen mit der Madame ~Mère~ der kleinen übelgewordenen Brut klingt etwas romantisch, denn von einer Bank auf die andere unbewußt zu gelangen, setzt einen fürchterlichen Stoß in einem todtenähnlichen Schlaf voraus. Und man mögte doch wohl annehmen, daß, was immer geschah, wachend vollbracht wurde; von solchen Stößen wacht man auf!“ Der Doctor lachte heiser in sich. Man konnte es ihm anmerken, daß er wußte, daß das, was er sagte, gefallen würde. Er irrte sich auch dieses Mal nicht. „Aber nun sagen Sie mir einmal, meine Herren, was ist Ihre Absicht?“ fuhr der Doctor fort. „Schriftstellerei ist recht gut, aber eine sichere Anstellung ist noch besser. Nehmen Sie mir diese Frage nicht übel. ~Ventre Saint Gris! je ferais tou pour un homme d’esprit, pour un gentilhommae comme il faut!~“ „Die Theilnahme eines gescheuten Mannes ist immer sehr schmeichelhaft für uns,“ bemerkte ich. „Ich glaube aber nicht, daß Sie etwas Anders für uns thun könnten, als, wenn sie uns einen Verleger verschafften.“ „So. Sie wollen also zusammen etwas herausgeben? Schön! Schön! Worüber handelt denn dieses neue Werk?“ „Es sind Lebens-Ansichten.“ „Auch über Politik darin?“ „Freilich! Welcher Mann wäre heutigen Tages im Stande, ein Buch zu schreiben, ohne das politische Capitel zu berühren?“ „Das ist wohl wahr, aber nehmen Sie sich in Acht. Die Censur ist zu strenge. Romane, Romane, mein Herr, das ist viel besser! Kein Verleger übernimmt gerne die Verantwortlichkeit der Herausgabe eines politischen Werkes. Haben Sie wohl die Predigten von Sackmann gelesen? Kennen Sie wohl Näheres über ihn? Ich wüßte einen Buchhändler, der es gerne sehen würde, wenn man ihm einige Beiträge zu der fünften Auflage dieses Werkes liefern würde.“ „Leider nicht. Wir wollen überhaupt gern etwas Eigenes produciren. Meine Freunde und ich sind jetzt drei Tage in Hamburg; wir haben Vieles gesehen und beobachtet, über manche Gegenstände geredet, und diese Tour, welche wir machten, bin ich Willens zu beschreiben und herauszugeben.“ „Der Teufel! Da muß man sich ja vorsehen! Sie könnten am Ende mich auch noch mit in Ihrem Werke anführen. Ihr seid gefährliche Leute, Ihr Literaten.“ „Das könnte wohl der Fall sein.“ „Welchen Titel wollen Sie denn Ihrem Buche geben? denn darauf kommt es viel an.“ „Aristipp in Altona und Hamburg im Jahre 1839.“ „Steht denn die Zahl 1839 in einer engen Verbindung mit dem Inhalte des gedachten Werkes?“ „Nein! außer, daß wir im Jahre 1839 hier waren. Hamburg oder etwas über Hamburg thut immer schon viel.“ Der Doctor lächelte wieder heiser. Die Unterredung wurde dadurch unterbrochen, daß ein kleiner Knabe in das Zimmer trat, nach Herrn Herrmann Bleicamb fragte, und demselben ein Billet mit dem Bemerken, „von seiner Frau“ überreichte. „Ich muß fort, so wahr ich Herrmann Bleicamb heiße!“ rief dieser, nachdem er das Billet gelesen. „Meine Frau ist wüthend, daß ich drei Tage ausgeblieben bin, und ist aus Aerger darüber zu früh niedergekommen. Na! da ist auch noch ein Glück dabei! Ich hätte doch nichts mehr für die Krabbe zu fressen gehabt! Empfehle mich meine Herren!“ Herr Herrmann Bleicamb rannte zur Thüre hinaus. „Ein Rabenvater!“ bemerkte der Doctor. „Jedoch hat er nicht ganz Unrecht. Ein todtes Kind ist besser, als ein lebendes, das man nicht ernähren kann. Ich warne einen Jeden sich zu verheirathen. Hat der Priester einmal den Segen gesprochen, so tritt der Unsegen ein. Die Frau hat Rechte und weiß sie geltend zu machen.“ „Ich bin der entgegengesetzten Meinung,“ nahm der Baron das Wort. „Ich glaube, daß nur dann der Mensch zur Ruhe kommt, wenn er eine liebenswürdige, und verständige Gefährtin des Lebens gefunden.“ „Das glauben Sie jetzt -- Sie werden später anders sprechen. Ich bin froh, daß ich mir ein Paar vom Halse geschafft habe, die mir noch jetzt Geld genug kosten. So leicht lasse ich mich nicht wieder fangen! Wozu soll es auch? Ist denn die Ehe etwas anderes, als die privilegirte Erlaubniß, mit einer Frau sich den irdischen Genüssen hingeben zu dürfen? Wozu soll der Priester dazu seinen Segen hergeben? Ich lobe mir ein Serail! Die Monotonie der Ehe langweilt. Ueberdieß trifft man unter 10000 Frauen, gewiß 1000 Untreue an, während man unter 100000 Maitressen oder Geliebten kaum 1000 Untreue antreffen wird.“ „Kann sein. Ich aber bin der Meinung, daß, wenn die Frau untreu wird, dieses lediglich die Schuld des Mannes ist, und ebenso umgekehrt. Ein zartes, inniges, glückliches Verhältniß kann ich mir nur unter ~zwei christlichen~ Eheleuten denken. Ich verabscheue den Gedanken an Vielweiberei. Es würde mir nicht möglich sein, meine Liebe unter mehrere Frauen zu theilen; wenn ich es könnte, würde ich mich selbst verachten.“ „Sie nehmen die Sache sehr ernst,“ meinte der Doctor. „Alles, was Ordnung, die Gesetze und das Heilige, wie das Religiöse anbetrifft, nehme ich immer ernst.“ „~Chacun a son gout!~ Verbrennen Sie sich nur erst einmal die Finger, und sie werden wohl einige andere Ansichten über die Ehe bekommen. Der Engel, den Sie in der Geliebten anbeten, wird zu einer rasenden, schnaubenden Megäre. Ihre Freiheit ist verloren. Das Auge der Eifersucht bewacht Sie schärfer, als alle Bediente der heimlichen Polizei. Sie werden unschuldig verdammt. Keine Entschuldigungen werden angenommen, Vernunftgründe und Beweise gelten nichts. Das Weib in seiner Eifersucht verliert den Verstand und tritt mit geschwungenem Stahl vor das Bette ihres Mannes, wenn der geringste Schein einer erträumten Schuld auf ihm haftet.“ „Sie müssen traurige Erfahrungen gemacht haben. In der Ehe ist es aber auch Pflicht selbst den Schein zu meiden, und können wir es den Frauen verdenken, wenn sie, nur dem Einzigen angehörend, nur für ihn lebend, athmend, betend, auch von ihm verlangen, daß er ihr nur angehöre, nur sie liebe, nur ihr treu sei?“ „Mit diesen Ansichten kommen Sie nicht durch. Ich gratulire zum Pantoffel im Voraus.“ „Meinetwegen!“ versetzte der Baron lachend. „Ich fürchte ihn nicht. Ich habe bisjetzt nur das Glück gehabt lauter edle und vortreffliche Frauenzimmer gekannt zu haben, und die ich mir erwähle, wird hiervon keine Ausnahme machen.“ „Du bist mir noch eine Antwort schuldig,“ sprach ich. „Wie steht Fräulein Adeline in Verbindung mit Deiner Avantüre in der Provence?“ „Wie ich sie so stille, so traurig sitzen sahe, dachte ich an die Unglückliche, die auch durch Liebe unglücklich geworden. Außerdem erinnerten mich ihr schönes, braunes Auge, ihre schwarzen Augenbrauen an Fanny. Mögte der, den Adeline liebt, sie beglücken, wie sie es zu verdienen scheint!“ -- „Ist Herr Hippias, welcher vor drei Tagen bei Madame Grünbein in Ottensen angekommen, hier?“ fragte die ziemlich rauhe Stimme eines Hamburger Polizeibeamten. „Der bin ich. Was soll es?“ „Hier ist ein Brief an Sie. In der Vorstadt St. Pauli hat sich diese Nacht ein Freuden-Mädchen erhängt. Die Polizei fand diesen Brief unter Ihrer Adresse bei ihr. Die Direction ersucht den Herrn Hippias ihr Auskunft über diesen Vorfall zu geben.“ Der Polizeibeamte ging. Hippias erbleichte. Er ergriff den Brief, erbrach das Siegel, und las mit zitternder Stimme: „Du hast mir Ehre, Unschuld, Alles geraubt! Durch Dich kam ich in dieses verfluchte Haus! Jahrelang habe ich die Stimme des Gewissens betäubt! Jahrelang habe ich die Neigung zu Dir bekämpft! Ich war ein öffentliches Mädchen geworden, aber kein gemeines. Ich empfand nichts bei den Umarmungen der Männer, denen ich mich hingeben mußte. Dich! Dich! nur liebte ich. Ich hatte nur einen Wunsch, Dich wiederzusehen; durch Dich aus der Höhle des Grauens befreit zu werden! Ich sah Dich wieder -- schöner, als je. Alle Erinnerungen meiner glücklichen Zeit, der paradiesischen Zeit, die ich mit Dir verlebte, stiegen wieder in mir auf. Ich war Deiner nicht mehr werth, das wußte ich wohl. Ich hatte Dich angefleht nur einmal am andern Tage vor meinem Hause vorüberzugehen! Ich traute Deinen Worten, daß Du kommen würdest, mich zu erlösen! Zwei Tage sind vorüber, ich sah Dich nicht! Ich stürzte nach Deinem Gasthause. Man sagte mir, Du seist in drei Nächten nicht zu Hause gewesen. Man glaubte, Du seist abgereiset. Ich bat um die Erlaubniß, das Zimmer zu sehen, welches Du bewohnt hättest. Man warf mich zur Thüre hinaus. Hippias! Einzig, ewig Geliebter meines Herzens! Scheußlicher, grausamer Mann! Ich sterbe! Ich ende ein Leben, das Du mir zur Hölle schufst! Von andern Menschen verachtet zu werden, das konnte ich ertragen! Von Dir so herzlos behandelt zu werden, bricht mir das Herz! O, die einzige kleine Bitte, nur einmal an meinem Hause vorüberzugehen, die hättest Du wohl mir erfüllen können! Wenn Du diesen Brief erhältst, ist es zu spät. Ich bin todt. Möge Gott Dir verzeihen! Mir wird er und die Welt vergeben! Was ist an dem Ende eines öffentlichen Mädchens gelegen!“ +Lieschen.+ „Bei Gott, das ist romantisch!“ rief der Doctor. „Das Mädchen hat die Räuber gelesen und ist von der Großmannssucht ergriffen worden! Das Ding da ist interessant! Das müssen Sie bearbeiten, Herr Aristipp. Das ist etwas für die Leihbibliotheken! Die Erhängte auf St. Pauli! Köstlicher Titel!“ Hippias blieb in stummer Verzweiflung sitzen. Eine Thräne rollte über seine männlichen Wangen. Endlich sprach er: „Es ist abscheulich von mir, daß ich den Wunsch des armen Lieschen nicht erfüllt habe. Ich vergaß sie, trotz meiner Vorsätze, durch die Zerstreuungen, denen wir uns hingaben. +Man sieht daraus, daß es nicht darauf ankommt, den Vorsatz zu fassen, eine alte Schuld wieder gutzumachen; sondern, daß man ihn auch ausführen muß. Man sieht daraus, daß selbst ein guter Mensch, allein durch seinen Leichtsinn Schuld an dem grenzenlosen Elende Anderer werden kann!+ Die Freude, mit Euch den heutigen Tag zubringen zu können, ist mir, wie Ihr es denken könnt, durch dieses traurige Ereigniß verdorben! Ich werde sogleich auf die Polizei gehen und den Vorfall anzeigen, und alsdann abreisen. Bleibt hier, meine Freunde! Ich habe es nöthig, mich etwas zu erholen, mich zu sammeln, alleine zu sein. Adieu! Wir sehen uns wieder!“ Hippias drückte einem Jeden von uns schweigend die Hand. Dann ging er. „Jede Handlung in diesem Leben, sei es eine gute, sei es eine schlechte, trägt ihre Folgen in sich,“ bemerkte der Baron. „Sie würden es unserm Freunde nicht verargen, Herr Doctor, wenn er diesen Fall sich zu Herzen nimmt und Sie den Zusammenhang in dieser traurigen Begebenheit kennten.“ „Da sei Gott für! Ich achte die Gefühle eines jeden Menschen. Ich selbst könnte über den Tod eines Kanarien-Vogels weinen, wenn er mir lieb wäre. Dem sei nun, wie ihm sei! Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, und hoffe, Ihnen nützlich werden zu können. Was haben Sie für Plane für die Zukunft?“ „Gar keine.“ „Dann reisen Sie mit mir in das Hannoversche, wenn Sie sonst nichts an Hamburg fesselt.“ „Durchaus nichts. Was soll ich aber dort?“ „Leben, arbeiten, schreiben und nützen.“ „Glauben Sie, daß ich +dort+ es vermögte?“ „Gewiß! Schlagen Sie ein! Mein Wagen ist gepackt. Wir werden sogleich reisen.“ „Eine Stimme aus meinem Vaterlande ruft mich, Aristipp! Wer wäre der Mann, der dieser Euphonie widerstehen könnte!“ „Folge diesem unwillkührlichen und richtigen Gefühle. Holstein ist nur Deine Stiefmutter. +Die ersten Ansprüche an unsere Kräfte, an unsere Thätigkeit, auf unsern Kopf und Arm hat stets das Vaterland!+“ „Brav gesprochen!“ rief der Doctor. „Verlieren Sie diese Ansicht nie aus Ihren Gedanken, junger Mann. Schreiben Sie nach diesen Grundsätzen, wenn anders Sie nicht in einer bürgerlichen Stellung oder in Staatsdiensten Ihrem Vaterlande nützlicher sein können oder wollen. +Hüten Sie sich aber wohl mit diesem Gefühle für das Vaterland vor der lächerlichen Sucht, die innere Ordnung in demselben, die Staatsmaschine durch Neuerungen oder Reformen, wie man es nennt, verbessern zu wollen. Die Staatsmaschine mag in Bewegung gesetzt werden oder in den Händen von wem es wolle sein -- darauf kommt es nicht so sehr an, als darauf, daß jeder einzelne Staatsbürger nur einen Zweck vor Augen habe, nämlich: das Bestreben durch Sittlichkeit, Mäßigkeit und Ordnung in seinem eignen Lebenswandel, durch Gehorsam gegen die Gesetze sich selbst zu einem würdigen Mitgliede der ungeheuren Kette auszubilden, welche von dem Ersten des Landes bis zu dem Letzten Alle zu einem thätigen, patriotischen Ganzen verknüpfen sollte. Die erste Pflicht des Patrioten ist ein gewissenhafter, moralischer Lebenswandel, eine richtige Erkenntniß seiner Position, seiner Pflichten gegen die Menschheit und das Vaterland, und hauptsächlich das stätige Bestreben, als edler Mann zu handeln, und nie ohne Ueberlegung zu Werke zu gehen.+ Und nun, leben Sie wohl! Sie hatten früher in mir wohl nur den Mephistopheles erkannt. Die Erbärmlichkeit der meisten Menschen verleiht uns nach langjähriger Erfahrung eine gewisse Bitterkeit, eine spöttelnde Ironie, ein unnatürliches Wohlgefallen, den Menschen schlecht und erbärmlich handeln und schildern zu sehen und zu hören. Die innere Ansicht jedoch, die innere Stimme erwacht, sobald die geringste Anregung von außen sie weckt. Das größte Glück, welches einem Menschen werden kann, ist der +Umgang mit braven, edlen, rechtschaffnen Männern+. Merken Sie sich das.“ Ich begleitete den Baron und den Doctor bis an den Wagen. Sie stiegen ein. Der Wagen rollte fort. Gipsy flog bellend voran! -- -- Ich war allein; ich ging nach Ottensen zurück. Ich nahte mich dem Monumente, welches die Nachwelt dem unsterblichen Dichter der Messiade setzte. Unwillkührlich fielen mir die Worte ein, welche ich an Hippias gerichtet, als wir vor drei Tagen unsere lustige Fahrt durch Altona, St. Pauli und Hamburg begannen: „Klopstocks Grab wollen wir besuchen, wenn wir zurück kommen und ernster gestimmt sind.“ Ich war ernster gestimmt. Drei Tage waren seit jenem Augenblicke verflossen. Ich hatte in diesen drei Tagen viel gesehen, viel angehört und beobachtet. Ich hatte einsehen lernen, daß das Leben mit allen seinen bunten Zerstreuungen keinen reinen Genuß, keine vollkommene Befriedigung, gewähre; daß der Schein im Leben alles bedinge, und, daß der Leichtsinn, einer der größten Fehler der Menschen, zum wirklichen Verbrechen werden könne. Ich hatte eingesehen, daß der unmäßige Genuß starker Getränke zum Wahnsinn führe; daß die Befriedigungen seiner Leidenschaften den Menschen zum Mörder machen könne; daß Menschen, ausgestattet mit dem brillantesten Verstande und den glänzendsten Eigenschaften, unsäglich elend und unglücklich sich fühlten, wenn sie von der Bahn der Sittlichkeit und Tugend abgewichen waren. Ich hatte einsehen gelernt, daß nur Solidität und Grundsätze den Menschen achtbar machen, und, daß es Pflicht sei, selbst den Schein eines lasterhaften oder zügellosen Lebens zu meiden, weil es nicht möglich ist, in das Innere des Menschen zu blicken, und der Mensch nur nach seinem äußern Leben und Treiben beurtheilt werden kann. Ich hatte einsehen gelernt, daß nur die Religion allein der leidenden, blutenden Seele den wahren Trost zu spenden vermöge, daß die Verspötter der heiligsten Gefühle selbst in meinen Augen, in meiner Achtung verlören und, daß nur moralische Reinheit und Kraft dem Manne den reellen Werth zu verleihen im Stande wären. +Eine unrichtige Ansicht des Lebens gegen eine richtigere vertauschen, sobald man die feste Ueberzeugung gewonnen, daß sie die richtige sei, ist der Beweis einer richtigen Urtheilskraft; eine falsche Ansicht gegen überführende Beweise und Vernunftbelege aus Starrsinn beibehalten wollen, ist das Zeichen einer kindischen Einfalt.+ -- +Ich entsagte meinen frühern falschen Lebensansichten und entwarf mir einen neuen bessern Plan meines geistigen Wirkens und Strebens. Ich warf das Narrengewand eines brillanten~ aimable roué~ ab und beschloß ein solider, thätiger Mann und ein nützlicher und ruhiger Bürger des Staates zu werden.+ *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK ARISTIPP IN HAMBURG UND ALTONA: EIN SITTEN-GEMÄLDE NEUESTER ZEIT *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. 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