The Project Gutenberg eBook of Emma und Bertha oder die Zwillingsschwestern

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Title: Emma und Bertha oder die Zwillingsschwestern

Author: Caroline Reinhold

Release date: February 14, 2015 [eBook #48253]
Most recently updated: October 24, 2024

Language: German

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*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK EMMA UND BERTHA ODER DIE ZWILLINGSSCHWESTERN ***

Emma und Bertha
oder
die Zwillingsschwestern.


Eine unterhaltende Erzählung
für die Jugend.


Mit 4 illum. Kupfern.

Nürnberg,
bei Bauer und Raspe
1834.

Einleitung.

Frau v. Falkensee, die Gattin eines, durch viele im Krieg erhaltenen Wunden, dienstuntauglichen Majors, war schon Mutter eines Knabens; und nach 4 Jahren lagen 2 Zwillingstöchterchen in der Wiege, deren Aehnlichkeit selbst oft den mütterlichen Scharfblick täuschte, so daß Jene Emma für Bertha, und Bertha für Emma hielt, besonders wenn beide im süßen Schlummer lagen; denn, sobald sie die Augen aufschlugen, so zeichnete Emma der sanfte, Bertha der lebhafte Blick; Erstere eine gewiße Ruhe und Stille, diese ein unverkennbares Feuer in den Bewegungen des kleinen Körperchens aus. Auch die Stimme der Kinder war verschieden; Bertha schrie kräftig, wenn ihr Etwas mangelte; in Emma's Tönen lag dann eine klagende Wehmuth.

Diese Kennzeichen waren nun wohl der Mutter und den Hausgenossen durch immerwährendes Zusammenseyn mit den Kleinen an ihnen bemerkbar; Fremde aber mußten sie verwechseln, dies war nicht anders möglich. Selbst mit zunehmenden Jahren verminderte sich der Schwestern äussere Aehnlichkeit nicht, sondern sie blieben sich in Gesicht und Haar, in Wuchs und Größe vollkommen gleich und auch der Anzug wurde für Beide stets überein gewählt, wie man dies bei Zwillingsgeschwistern gewöhnlich zu thun pflegt. – Jedoch sehr verschieden war ihr inneres Wesen. Emma sanft, verständig, mild und fleißig, äusserte mitunter einen furchtsamen, empfindlichen und verschlossenen Charakter, Bertha war flatterhaft, leichtsinnig und vorwitzig, aufbrausend und ausgelassen, dabei offen und ehrlich und äusserst gutmüthig. Ob sie gleich Emma innig liebte, so hielt sie sich doch auch nicht ungerne zu ihrem muntern Brüderchen und zu dessen Gespielen, wenn er welche bei sich hatte. Es bedurfte dann nicht viel Bittens von seiner Seite, so half sie seine kleine Compagnie vollzählig machen, nahm eine Flinte auf die Schulter, oder den hölzernen Säbel in die Hand, und marschirte mit den Knaben in die Wette nach dem Takt der Trommel, auf welcher ein Tambour an der Spitze der kriegerischen Schaar wirbelte. Wenn Fränzchen alleine war, so ersezte Bertha ihm die Freude, ließ sich gutwillig als Pferdchen gebrauchen, oder stellte den Kutscher vor, wie es eben Jenem beliebte, es einzurichten. Bei Emma hingegen kostete es mehr, sie zu einem ähnlichen Spiel zu bewegen; und nur wenn Franz ihr mit wehmüthiger Stimme und Geberde versicherte, daß sie ihm durch einen Abschlag seines Gesuchs recht wehe thun und seine ganze Freude verderben würde, entschloß sie sich, gemeinschaftliche Sache mit ihm und Bertha zu machen. Die Geschwister, ihre Neigung kennend, theilten ihr dann immer eine stillere Rolle zu, und suchten ihr auf alle Weise ihre Gefälligkeit durch Nachgiebigkeit zu vergelten. Am liebsten spielte Emma alleine mit ihren Puppen und Küchengeschirr, und konnte sich damit Tage lang vergnügt beschäftigen. Bertha dagegen mochte nicht lange still sitzen, und hatte immer muthwillige Streiche im Kopf, die sie nicht selten ausführte, und Schwester Emma in fatale Verlegenheiten brachte, oder auch ein Lob einärndete, das dieser gebührte, indem beide gar häufig mit einander verwechselt wurden.

Wie nun dieser Irrthum bei kleinern und größern Begebenheiten Statt fand, bis zur Zeit, wo beide Schwestern erwachsen, durch die Entscheidung ihres fernern Schicksals getrennt wurden; wie Emma und Bertha ihren Charakter durchgängig äusserten, die gemachten Erfahrungen aber zu ihrer Vervollkommnung benützten, – dies sollen meine lieben jungen Leser und Leserinnen im vorliegenden Büchlein vernehmen; und daß für sie die Erzählungen eine Quelle angenehmer und nüzlicher Unterhaltung werden mögen, ist herzlicher Wunsch

der Verfasserin.

Die Zauberlaterne.

Franzens zehnter Geburtstag nahte, und er hatte die Erlaubniß erhalten, mehrere Freunde dazu bitten zu dürfen. Er versprach sich unendliches Vergnügen davon, und eine feierliche Einladung war auch schon von ihm an die Schwestern ergangen, der muntern Versammlung bei zu wohnen. Bertha hatte unbedingt zugesagt, und jubelte, mit Franzen darin wetteifernd, – bei der frohen Aussicht auf jenen Tag, der sich von Früh bis Abend durch seine angenehmen Ereignisse auszeichnen würde. Besonders wurden für die Abendstunden, in welchen der Gespielenkreis sich versammelte, viele schöne Pläne zum gemeinschaftlichen Zeitvertreib entworfen, und Bertha half dem Bruder emsig, unter seinen Spielkram Alles hervor zu suchen, was zu jenem Zweck tauglich war. Manches bedurfte einer Verbesserung und Wiederherstellung, und Franz der kleine Tausendkünstler unternahm selbst hie und da eine derselben mit Erfolg, wegen anderer schickte er die sanfte Emma als Fürsprecherin zur Mutter, und diese willfahrte der schmeichelnden Bitte, und setzte das verdorbene Spielzeug mit eigener Hand, oder durch fremde Hülfe in bessern Zustand. Zu seiner Freude fand er aber seine Zauberlaterne ganz unversehrt, und von dieser Unterhaltung versprach er sich besonders viel Spaß. Er besah mit den Schwestern die zwölf, auf Glas gemalten Vorstellungen, welche theils Begebenheiten aus der biblischen, theils aus der Weltgeschichte, theils auch aus dem Kinderleben enthielten, und sah sie schon im Geist auf dem weißen, an der Wand aufgespannten Tuch in vergrößerter Gestalt, und in heller Beleuchtung erscheinen. Es war an keinem ein kleiner Schade zu sehen, und Franz packte sie wieder vorsichtig in das, dazu bestimmte Kästchen wobei er äusserte: er wolle noch diesen Abend einen Versuch mit der Zauberlaterne machen, um sie dann recht geübt zum Vergnügen seiner Freunde benützen zu können. Zu dem Ende stellte er sie nicht wieder in den Spielschrank, sondern trug sie in das Kinderzimmer. Herr Werthlieb, der Lehrer hatte unsern Franz in der Nachmittagsstunde diesmal eine so große Aufgabe ertheilt, daß dieser den größten Theil des Abends auf dessen Stube bleiben und arbeiten mußte. Dies war Bertha noch unangenehmer als dem Knaben selbst, denn sie hatte sich schon sehr auf die Probe mit der Zauberlaterne gefreut; und als Franz immer nicht kommen wollte, schlich sie sich mit einem brennenden Wachsstock ins benannte Stübchen, nahm die Laterne aus dem Kasten, zündete das Lämpchen an, und hing eine weiße Schürze von der Magd an ein paar Schrauben, die sich in der Wand befanden. Ihre Hast und Unbedachtsamkeit, mit der sie Alles unternahm, brachte auch hier vielen Schaden; der Oelinhalt des Lämpchens wurde zur Hälfte in die Laterne geschüttet, und auch der Boden etwas damit befleckt, und als Bertha zwei der schönsten Vorstellungen – es war der verlorne Sohn, wie er reuig zum Vater zurückkehrt, und von diesem zärtlich begrüßt wird, und dann ein spielender Kinderkreis, wo Knaben und Mädchen sich auf schuldlose Weise vergnügen – als Jene nun die beiden Gläser ungeschickter Weise hinein schob, erhielt das erste einen tüchtigen Sprung, beim zweiten blieben Bertha die Stücke in den Händen. Erschrocken packte sie eilig alles zusammen, löschte die Lampe aus, und machte sich aus dem Staube. Als nun Franz vom Lehrer entlassen war, wollte er ohne Aufschub das erwähnte Vorhaben ausführen – aber welch eine Entdeckung mußte er machen! Er schlug einen gewaltigen Lärm auf, und verlangte von der eintretenden Magd zu wissen, wer im Zimmer gewesen, und das Unheil angestellt habe. Anna hatte Bertha nur noch ein wenig im Entfliehen erblickt, und war gerade nicht gut auf Emma zu sprechen, weil ihr diese einen verdienten Tadel sehr übel genommen hatte; ohne also sich zu bedenken, nannte sie Leztere, da sie auch in der Schnelligkeit die Schwestern nicht unterscheiden konnte. Mit den zerbrochenen Gläsern in der Hand, und mit nassen Augen rannte Franz ins Wohnzimmer, und stellte Emma sehr derb und heftig zur Rede, drohte auch, sie bei der Mutter zu verklagen. Bertha kam dazu, noch ehe Jene zu ihrer Vertheidigung etwas gesagt hatte, und rief, als sie lezte Aeusserung noch hörte: »Mit Nichten Herr Bruder! Nicht Emma, sondern ich habe mir Deine Ungnade zugezogen, mich mußt du verklagen. Komm nur gleich, komm!« Bei diesen Worten ergriff sie ihn am Arm und zog ihn mit fort zu der mütterlichen Richterin, die im Speisegewölb beschäftigt war. Hier gestand sie nun offen was sie begangen hatte, verschwieg auch den verdorbenen Stubenboden nicht, und erhielt den verdienten Verweiß, mit dem Zusatz: daß sie zur Strafe bei Franzens Geburtstagsfeier ausgeschlossen seyn sollte. Dieser Ausspruch kostete ihr viele Thränen, jedoch sie wagte nicht, dagegen Etwas einzuwenden. Emma aber von Bertha's Ehrlichkeit gerührt, ließ mit Bitten nicht nach, bis Mutter und Bruder dieser verzieh, und Frau von Falkensee, welche auch ihres Töchterchens Aufrichtigkeit im Stillen erfreute, nahm ihr strenges Verbot mit der Bedingung zurück: daß Bertha an Franzen's Festabend die Schranken mädchenhafter Schicklichkeit nicht übertreten dürfe; ausserdem sogleich auf ihr Zimmer verwiesen würde; sie versprach es, und Emma hielt ein wachsames Auge über das Schwesterlein, damit durch dasselbe keine Störung des allgemeinen Vergnügens erfolgte.

Der ungerechte Verdacht.

Nach einiger Zeit erging an Emma und Bertha eine Einladung zu Frau Rutland welche auch zwei Töchterchen in fast gleichem Alter besaß, und diesen einmal eine große Mädchengesellschaft einladen wollte. Sie entschloß sich selten dazu, denn bis zur Uebertreibung an Reinlichkeit und Ordnung gewöhnt, war ihr schon deshalb eine Versammlung fremder Kinder in ihrem Hause etwas Aengstliches, und die ihrigen standen unter so strenger Zucht, daß die Armen ihre Kindlichkeit beinahe dabei einbüßten. Sie mußten sich immer wie Erwachsene betragen, und dies verlangte denn auch Frau Rutland von fremden jungen Leuten. Als daher obige Aufforderung erschien, erschraken Emma und Bertha, statt daß sie sich freuten, und hätten jene gerne abgewiesen; allein der Major, welcher mit Frau Rutland hie und da zusammen kam, und auf ziemlich freundschaftlichem Fuße mit ihr stand, gab seine Einwilligung nicht dazu, sondern ermahnte vielmehr seine Töchterchen, sich ja recht bescheiden und anständig zu betragen. Es war das erstemal, daß Emma und Bertha zu Frau Rutland kamen, und sie mußten, wie schon gar oft, auch nun von dieser, und von einer Verwandten derselben, die bei ihr war, viele Aeusserung des Erstaunens über die ausserordentliche Aehnlichkeit, die bei ihnen Statt fand, anhören. Indessen ging es Anfangs recht gut. Die Bewirthung war trefflich, die Behandlung freundlich, und nach genoßenem Thee wurden am Tisch mehrere Kreisspiele vorgenommen. Emma fiel es nicht schwer, der älterlichen Ermahnung eingedenk, still und ruhig sich zu benehmen, aber Bertha hatte gerade wieder an jenem Abend eine recht ausgelassene Laune; sie mußte ihrem unwiderstehlichen innern Drang folgen, und wenigstens ihre Nachbarin immer ein wenig insgeheim necken; bald versteckte sie ihr dies und Jenes beim Spiel, bald versuchte sie, dieselbe wenn sie ernsthaft seyn wollte, zum Lachen zu bewegen, bald suchte sie des Käzchen, das im Zimmer war, habhaft zu werden, und brachte es dem, neben ihr sizenden Dorchen, welche es nicht leiden mochte, ein wenig nahe – kurz sie konnte nicht ruhen, obgleich ihr Emma einmal übers anderemal einen strafenden Blick zu warf. –

Eine, Frau Rutland recht zur Unzeit kommende Aufforderung, nöthigte diese, noch am nämlichen Abend mit ihrer Baase auszugehen, und nur die Magd blieb zur Aufsicht über die kleine Mädchen-Versammlung; doch weder diese konnte ihr Ansehen behaupten, noch auch die Töchter vom Hause dem allgemeinen Verlangen sich kräftig genug widersetzen, kurz – es wurden, gegen Frau Rutlands Verbot, nun wildere Spiele vorgenommen. Es kam: wie gefällt dir dein Nachbar, Kämerchen vermiethen, blinde Kuh u. d. gl. zum Vorschein; und der Abend verstrich vollends der lieben anwesenden Jugend recht angenehm.

Allein der folgende Tag verbitterte die genoßene Freude, wenigstens bei unsern Zwillingsschwesterchen. Es erschien nämlich Frau Rutland in dem Hause der Majorin, und wünschte diese zu sprechen; sie war aber mit Bertha ausgegangen, um den Töchterchen einen neuen Strohhut zu kaufen. Emma empfing Jene mit aller der Artigkeit, die Frau Rutland von einem 3jährigen Mädchen erwarten konnte; demohngeachtet wurde sie von derselben so heftig angelassen, daß die Arme gewaltig erschrack, und sich ganz verbleichte. Die leidenschaftliche Frau kehrte sich jedoch nicht daran, sondern versicherte der Zitternden: daß sie zum ersten und leztenmal in ihrem Hause gewesen sey, und daß sie nur gekommen wäre, um einen Ersatz für den Schaden, den ihr Emma gestern angerichtet habe, zu verlangen. Nach der Aussage der Magd hätte nämlich durch sie im wilden Spiel, der Spiegel im Zimmer einen Sprung erhalten, »und dann habe ich wohl gesehen,« – fuhr Frau Rutland mit gesteigerten Zorn fort – »wie du unartiges Mädchen beim Theetrinken mit deiner Nachbarin immer unnützes Zeug triebst, so daß Jene, einmal von dir gestossen, ihre Tasse, halb auf den schönen Teppich verschüttete, und diesen dadurch verdarb. Für beides muß ich nun entschädigt werden.« – Emma brach in Thränen aus, und wußte sich nicht zu helfen; reinigte sie sich von dem Verdacht, so mußte Bertha darunter leiden, doch schmerzte es sie bitter, ganz unschuldig von Frau Rutland mit so harten Vorwürfen belastet zu werden. Indem schellte die Klingel; Emma flog zur Thüre hinaus, sie hoffte auf der Mutter Rückkehr, und wirklich nicht vergebens. Frau v. Falkensee erschien, und Bertha wollte jubelnd der Schwester das neue Strohhütchen zeigen; blieb aber, gleich einer Bildsäule, vor ihr stehen; als sie Thränen über ihre Wange perlen sah. Emma konnte nicht verhehlen was sie schmerzte; da stürmte, noch während sie, von Schluchzen öfters gehemmt, erzählte, Bertha ins Zimmer, und rief, indem lachender Unwille ihre Wangen mit einer Purpurglut übergoß: »Hören sie, Emma saß nicht neben Dorchen Wider, sie haben ihr Unrecht gethan, ich war Dorchens Nachbarin, und erinnere mich wohl, daß diese ihre Tasse verschüttet hat, ich bin Schuld, wenn der Teppich dadurch verdorben wurde. Von dem Sprung im Spiegel weiß ich aber nichts, doch Emma ist behutsamer als ich; wenn die Magd sahe, daß eine von uns beiden an den Spiegel stieß, so war ich es in meiner Unbedachtsamkeit; sie haben Emma vollkommen Unrecht gethan, hören sie wohl!« Frau v. Falkensee vernahm Bertha's starke Stimme vor dem Zimmer, und eilte hinein die heftige Kleine zur Ruhe zu verweisen. Während sie jedoch mit Frau Rutland sich benehmen wollte, eilte Bertha an ihre Komode, nahm ihre Sparbüchse heraus, näherte sich damit Jener und sagte im sanfteren Ton – denn schon war ihre Hitze vorüber: »Liebe Frau Rutland, nehmen Sie hier Alles was ich vermag, es reicht doch wenigstens hin, ein neues Spiegelglas zu kaufen, und wegen dem Flecken auf dem Teppich, will ich Hrn. Werthlieb um sein Mittel, befleckte Sachen zu reinigen bitten; gewiß der Schade wird auch wieder zu verbessern seyn.« – Dann fiel sie Emma, die noch immer sehr bewegt in einer Ecke stand, mit nassem Blick um den Hals und bat schmeichelnd: »Vergieb Herzensschwesterchen, daß ich dir durch meine Unarten diese unverdiente Kränkung zuzog, ich will gewiß besonnener werden.« Frau Rutland wurde durch Alles was sie sah und hörte, ganz betreten; die Majorin aber gebot den Kindern, sich zu entfernen. Als diese gehorchten, äusserte sie nun ihre gerechte Empfindlichkeit über Frau Rutlands schonungsloses Betragen gegen Emma, ohne Bertha rechtfertigen zu wollen, und erbot sich zu den verlangten Schadenersatz. Jene aber, durch Bertha's Schwesterliebe, welche leider bei ihren Töchterchen nicht zu finden war, wunderbar ergriffen, wollte nun nichts mehr von einer Entschädigung wissen, sondern suchte jezt selbst die Verzeihung der Baronin zu erhalten, und entfernte sich bald möglichst. Bertha behielt nun zwar ihr kleines Vermögen, aber einer strengen Rüge der Mutter konnte sie nicht entgehen, welche sie im Gefühl ihres Unrechts demüthig hinnahm, und Besserung gelobte; wirklich nahm sie sich künftig in fremden Umgebungen weit mehr zusammen, um bei einer möglichen Verwechslung Emma wenigstens nimmer zu schaden.

Die Prüfung.

Herr Werthlieb, Falkensee's Hauslehrer erhielt eine Pfarre, und mußte seiner neuen Bestimmung folgen. Der Major fand vor der Hand keinen jungen Mann, welcher ihm Jenen ersezt hätte, so beschloß er, seine Kinder die öffentlichen Anstalten, die sich in seinem Wohnort befanden, besuchen zu lassen. Franz kam in eine lateinische Schule, und die Töchter erhielten in einem Mädchen-Institut Unterricht. Schon war ihnen daselbst ein Jahr verflossen, die Prüfung nahte, und Emma und Bertha sahen ihr mit gespannter Erwartung entgegen. Leider konnten die Aeltern nicht gegenwärtig seyn, denn der Major fühlte sich unwohl, und die Gattin fesselte seine Pflege an das Haus; aber im Geiste waren sie ihren Kindern immer nahe, und während Emma etwas ängstlich und schüchtern, Bertha aber mit einem gewißen Freimuth die Prüfung bestanden, besprachen sich Vater und Mutter über der Töchter geistige Vorzüge und Mängel. Ersterer sagte: »Emma bringt gewiß ein gutes Zeugniß mit nach Hause; denn sie ist wacker und fleißig. Aber Bertha wird uns, wie ich befürchte nicht auf solche Weise erfreuen; ihr Leichtsinn und ihre Flatterhaftigkeit sind zu groß.« Die Baronin erwiederte: »Deine Besorgniß ist nicht ungegründet, lieber Ernst; und es ist Schade um das Mädchen, denn ein gutes Gedächtnis, das ihr der Himmel verlieh, macht ihr das Lernen leicht;« Jener versezte: »das ist es eben, worauf sich der kleine Leichtfuß verläßt, und weshalb die Arbeit immer verschoben, und dann zulezt nur flüchtig vorgenommen wird.« »Vollkommen vertheidigen kann ich Bertha nicht;« fügte die Mutter bei; »aber zu ihrer Ehre muß ich dir versichern daß sie sich schon viel gebessert hat, und deswegen erwarte ich wirklich keinen allzuschlimmen Ausspruch der Lehrer und Lehrerinnen.« – Nach ein paar Stunden erschienen die Geprüften; beide etwas kleinlaut und verstimmt, und die Aeltern massen sie mit forschendem Blick.

»Nun, wie gings?« fragte endlich der Vater, da die Mädchen immer noch schweigend Hüte und Handschuhe, nebst der Büchermappe mit ihrem ganzen Inhalt auf die nahstehende Komode legten.

»Ich habe ein Diplom erhalten;« versezte Bertha ganz demüthig. »Nun – und darüber bist Du nicht mehr erfreut?« entgegnete Jener erstaunt. Das Mädchen erwiederte: »Ach ich verdiene es nicht, und Emma, die weit fleißiger war als ich, ist leer ausgegangen, dies schmerzt mich bitter.« – Emma verhielt sich ganz stille, aber man bemerkte es deutlich, daß sie über die erlittene Zurücksetzung sehr empfindlich schien; Bertha aber nahm erst auf ein wiederholtes Verlangen der Aeltern das Ehrenzeugnis aus der Mappe, und reichte es hocherröthend, und mit gesenktem Blick dem Vater hin. Es war eine zierlich vergoldete Karte, auf welcher die Worte standen: »dem ausgezeichneten Fleiß und sittlichen Betragen.« Der Major strich ihr die Wange und sagte: »das ist brav, das habe ich nicht von dir vermuthet!« Bertha erwiederte: »Gewiß ist es wieder ein, durch unsere Aehnlichkeit veranlaßter Irrthum; Emma bewieß sich immer tadellos; ich hingegen« – sie schwieg und ihr Blick wurde feucht; »da kein Name auf der Karte steht,« versezte der Major, »so wäre jener Fall möglich, indessen versicherte mir erst vorhin die Mutter: daß meine Bertha sich bessert; vielleicht daß dieses Zeugniß eine Aufmunterung deines Eifers seyn soll.« »Nein, nein!« fiel ihm das Mädchen in die Rede. »Das Diplom gehört nicht mir sondern Emma, und ich behalte es auch nicht.« »Und Du sagst gar nichts dazu?« fragte Frau v. Falkensee Emma, die immer noch verstimmt am Fenster stand, und mit ihrem Schürzenband spielte. »Was soll ich sagen« – versezte sie verdrüßlich – »Bertha war die Glückliche die das Diplom erhielt, so soll sie es auch von mir aus bleiben.« »Pfui Mädchen!« nahm der Vater das Wort, »das ist keine Sprache, welche einer guten Schwester geziemt; und nun erst verdient Bertha in meinen Augen wirklich jene Auszeichnung vor dir; inzwischen wird die liebe Mutter, da meine Unpäßlichkeit mich daran hindert, der Wahrheit auf den Grund zu kommen suchen, und die Aeltern werden dann Alles auszugleichen wissen.«

So war es auch, Frau v. Falkensee begab sich zu der Vorsteherin des Instituts, und erzählte ihr den ganzen Vorgang, verschwieg auch Bertha's redliches und schwesterliches Benehmen nicht, welches derselben die Liebe Jener im hohen Grade gewann; auch erfreute sie die Majorin durch die wiederholte Versicherung: daß sie jezt viel weniger Ursache finde, mit Bertha unzufrieden zu seyn, als ehemals, daß jedoch Emma das Diplom sich rühmlich erworben habe, und der Lehrer bei der Austheilung durch die täuschende Aehnlichkeit der Schwestern, irre geleitet worden wäre.

Bertha hatte jedoch diesen Ausspruch nicht abgewartet, sondern schon vorher das Ehrenzeugniß in Emma's Komodschublade gelegt, und als es diese fand, und nicht annehmen wollte, die Schwester mit Thränen gebeten, dasselbe zu behalten. Diese ungeheuchelte Gutmüthigkeit brach Emma's kleinen Trotz. Sie fiel Bertha um den Hals, und sagte schluchzend: »Mit all' meinen hochgeprießenen Tugenden bin ich bei weitem nicht so gut wie du, vergieb mir Schwesterchen ich will künftig gewiß meine Empfindlichkeit besser beherrschen.« –

Der Major wohnte, von den Kindern unbemerkt, im Nebenzimmer, dessen Thüre offen stand, ihrer Unterredung bei; und als nun die Mutter den obigen Bescheid mit nach Hause brachte, theilte ihr Jener seine gemachte Erfahrung mit, und beide kamen darinnen überein: Emma's Besitznahme des Diplom's zu Bestättigen, und Bertha zur Belohnung ihres Benehmens und zur Aufmunterung ihres begonnenen Lerneifers, mit einem neuen Schreibbuch, das einen, mit sinnvollen Bildern gezierten Umschlag hatte, und mit einer fein lackirten Federbüchse, zu beschenken.

Die schönste Puppe.

Die muntere Bertha war der Liebling der reichen Banquier Krause, und ihres einzigen Töchterchens Malwina, welche, eben so lebhaft wie Jene, die stillere Emma weniger liebte, als ihr lustiges Schwesterchen. Bertha wurde auch öfters zu ihr eingeladen, als Emma, und die beiden Freundinnen unterhielten sich köstlich mit einander, obgleich auch manches schlimme Stückchen von ihnen zum Vorschein kam, da sie sich gegenseitig zu muthwilligen Streichen aufforderten, und verleiteten. Frau Krause jedoch, gleich edel als verständig, hielt treue Aufsicht über die Kinder, wenn sie beisammen waren, und verhütete dadurch, daß ihre Munterkeit, nicht in Ausgelassenheit ausartete, und der Muthwille der Kleinen, der nie bösartig, oder unanständig sich äusserte, wurde von ihr nur sanft gerügt, nur leise im Zaum gehalten. Auch vermochte sie es nicht über sich, Emma durch gänzliche Zurücksetzung zu kränken; sie würdigte den Werth des sanften Kindes, gab ihr unverkennbare Beweise ihres Wohlwollens, und Malwina mußte sie immer dazwischen auf ihr Geheiß auch einladen. Aber Bertha's offene Gutmüthigkeit sprach sie doch besonders an, und diese war Tagelang in ihrem Hause; wo im Winter den Mädchen mitunter gestattet wurde, in dem großen Hofraum Schlitten zu fahren, was ein köstliches Vergnügen für sie war; und im Sommer durften sie Frau Krause auf allen Spaziergängen begleiten, und sich auf Wiesen und Fluren nach Herzenslust tummeln. Aber auch das Puppenspiel wurde von ihnen nicht vernachläßigt, nur trieben sie es auf andere Weise als Emma. Dieser gefiel es, die Puppen neben sich hinzusetzen, Speisen für sie zu kochen, und sie damit zu bewirthen, oder wohl gar auch dieselben als Schülerinnen, und sich als ihre Lehrerin zu betrachten, und Unterricht ihnen zu ertheilen. Die flüchtige Bertha aber, und ihre ihr nüzliche Freundin Malwina, fanden an diesem Allen wenig Freude; ihre Unterhaltung war: die Puppen recht oft an und aus zu kleiden, sie, in ihrer Vorstellung, da und dort hin mit zunehmen, und sie blieben also auch in den Winterabenden mit denselben nicht lange ruhig sitzen; indessen wußte sich Bertha nichts hübscheres als eine schön gepuzte Puppe. Als nun ihr 8ter Geburtstag herbei kam, so theilte Malwina, die Jene unbeschreiblich liebte, der Mutter den innigen Wunsch mit, Bertha zum Angebind eine ausgezeichnet schöne Puppe geben zu dürfen. Frau Krause war nicht dagegen, nur äusserte sie, daß Emma dann auch eine erhalten müsse; es wäre eben so gut ihr Geburtstag, und sie dürfte durch Vernachlässigung nicht gekränkt werden. Malwina war es zufrieden, aber sie bat sich aus, daß sie für ihre Bertha die schönste Puppe aussuchen dürfe.

Mit diesem Vorhaben machten sich Mutter und Tochter auf den Weg, jene einzukaufen, und erreichten vollkommen ihren Zweck. Sie fanden 2 Puppen, beinahe sich so ähnlich wie die lebenden Zwillingsschwestern, und nur dadurch unterschieden: daß die eine mit einem Uehrchen geschmückt war, die andere aber nicht, ferner trug jene einen Hut von Seide, diese von einem geringern Zeug, und um den Leib hatte erstere ein Samtband mit einer niedlichen Schnalle, die zweite nur einen mit dem Kleid ähnlichen Gürtel, der eine Schleife bildete. Der übrige Anzug der beiden Puppen war überein; die Kleider aus einem bunten Sommerzeug verfertigt, die Krägen aus feinem weißen Battist, mit schmalen Spizchen besezt, die Füßchen mit netten schwarzen Schuhen und gewebten Strümpfchen bekleidet; jede hielt ein zartgeflochtenes Arbeitskörbchen mit einem blauseidenem Sack versehen, in der Hand. Malwina war über diesen Kauf so sehr erfreut, als sollten die Puppen ihr Eigenthum werden; allein leider konnte das gute Mädchen nicht den Genuß haben, das Entzücken der Freundinnen beim Empfang des schönen Angebinds zu theilen; ja sie durfte auch nicht hoffen, diese bald zu sehen, und von ihnen zu hören, wie die gepuzten Abgesandten ihre neuen Gebieterinnen befriedigt hatten.

Den Abend vor dem ersehnten Geburtstag fühlte sich die arme Malwina unwohl, und schon am folgenden Morgen machte die Mutter die Entdeckung, daß ihr Töchterchen von den Masern befallen worden sey; die Krankheit schien gutartig zu werden, dem ohngeachtet trennte sie dieselbe von Emma und Bertha, da beide jene noch nicht gehabt hatten.

Malwinens Betrübniß darüber war groß, und besonders an dem wichtigen Tag, von dem sie sich so viele Freuden versprochen hatte. Die zärtliche Mutter bot Alles auf, durch andere Erheiterungsmittel Malwinen die Entbehrung weniger fühlbar zu machen, doch diese konnte sie nicht recht verschmerzen; besonders war es ihr eine große Sorge, daß die Magd, welche jezt den Freundinnen das Angebinde bringen mußte, doch ja die Schwestern nicht verwechseln, und der geliebten Bertha die schönste Puppe übergeben möchte. Sie ließ Christinen vor ihr Bett kommen und fragte sie wiederholt und dringend, ob sie Bertha von Emma unterscheiden würde, jene mußte ihr genau angeben, woran sie dieselbe erkenne und ihr feierlich versprechen, ihr und nicht Emma die Puppe mit der Uhr einzuhändigen. Christina aber hatte ein weites Gewissen, sie vergaß ihre Pflicht und ihr Versprechen, und folgte, als sie auf die Strasse kam, der Einladung einer Bekannten, die auf der, eben Stattfindenden Messe ein neues Kleid sich kaufen wollte, und ging mit dieser; eine zweite Bekannte, die ihr begegnete, beauftragte sie, statt ihrer die Puppen zu Falkensee's zu tragen, und mit ihrer Freundin Angelegenheit zu sehr beschäftigt, nannte sie der Ueberbringerin jenes Angebinds wohl die Namen Emma und Bertha, und bezeichnete auch die Puppe, welche leztere erhalten sollte; allein Alles geschah eilig und oberflächlich, und als die fremde Magd in das Haus des Majors kam, wußte sie keinen Bescheid mehr. Indessen lag ihr eine pünktliche Ausrichtung ihres Auftrags auch nicht sehr am Herzen, und als sie Emma auf dem Vorplatz fand, glaubte sie, dieser gehöre die schönste Puppe, übergab ihr, ohne weiter sich zu bedenken, dieselbe in Malwinens Name, und Bertha, welche nun auch herzu kam, die Andere. Diese lieben Gäste fanden bei den Mädchen die freundlichste, fröhlichste Aufnahme, und der Unterschied zwischen beiden wurde anfangs gar nicht beachtet, ja man fühlte sich nur in ihrem Besitz, und durch den Beweis des liebevollen Andenken der kranken Freundin jubelnd glüklich. Nach und nach begann eine genauere Musterung des Anzugs der Puppen, und nun fiel es so wohl Emma als Bertha auf, daß die Puppe der Erstern mehr Vorzüge hatte, und daß Jener dieselbe gehören solle. »Ich glaube immer, die schönste Puppe ist dir bestimmt Bertha;« sagte Emma. »Du bist ja Malwinens beste Freundin, also wird sie dir auch das schönste Geschenk zugedacht haben.« Bertha versezte: »Nicht doch Schwesterchen! ich hörte es wohl, daß die Magd ausdrücklich nach deinem Namen fragte, und dann, als sie diesen vernahm, Dir deine Puppe einhändigte. Laß mich's gestehen, ich dachte anfangs wie du: es sey wieder eine, durch unsere Aehnlichkeit entstandene Verwechslung, allein nun glaube ich es nicht mehr; denn Frau Krause ist dir liebe Emma auch recht aufrichtig zu gethan, und wird dafür halten, daß bei meinen besonnenen Schwesterchen die schönste Puppe besser aufgehoben sey, als bei der flüchtigen Bertha; daher behalte sie in Ruhe, und laß mich nur zuweilen mit spielen, ich will sie dir gewiß nicht verderben. Besonders muß das zierliche Uehrchen recht in Obacht genommen werden. Sieh nur Emma wie allerliebst dies ist! auch die Gürtelschnalle dürfte ich nicht nach meiner sonstigen Weise oft auf- und zuschnallen, der feine Stachel würde bald abbrechen. Ach könnte nur Malwina unsere Freude an den schönen Puppen mit genießen!« So schwazte Bertha noch eine Weile fort, ohne die geringste Misgunst über den Vorzug, den die Schwester erhielt zu zeigen.

Nach mehreren Wochen, als Malwina glücklich hergestellt, und die Gefahr der Ansteckung vorüber war, wurde sogleich Bertha zu ihr eingeladen und Jene konnte es kaum erwarten von ihr zu hören: ob sie doch die schönste Puppe erhalten habe. Bertha's Erzählung überzeugte Malwina vom Gegentheil und tief betrübt darüber, bat sie die Freundin: Schwester Emma zu einem Tausch zu bewegen. Allein dazu verstand sich Bertha durchaus nicht. Sie sprach: »Emma verdient das Schönste; sie geht bedachtsamer damit um als ich, und hält ihre Puppe gewaltig in Ehren. Wie könnte ich ihr die Freude rauben! Auch ist sie die Gefälligkeit selbst, und schlägt mir nie die Bitte ab, wenn ich die Puppe ein wenig haben, und mich an dem Anblick des netten Uehrchens ergözen will. Daher soll sie auch ihr Eigenthum bleiben.« Frau Krause, welche diese Aeusserung mit angehört hatte, nahm sich im Stillen vor, noch ein kleines Uehrchen zu bekommen zu suchen, und als es ihr gelang, mußte Malwine insgeheim Bertha's Puppe damit schmücken, und ihre Mutter versezte, als die Kleine sie wieder sah, und ihr für jenes Geschenk dankte: »auf solche Weise wird uneigennützige Schwesterliebe belohnt, wenigstens von mir.« Dabei drückte sie dem guten Mädchen einen herzlichen Kuß auf die Lippen, und Bertha stand wieder eine Stufe höher in ihrem Herzen.

Das Gartenbeet.

Es war aber auch eine seltene Liebe und Treue, welche Bertha an Emma kettete, und um keinen Preis hätte sie das geringste Lob, welches sie, ihrer Aehnlichkeit, wegen, statt Jener erhielt, sich zugeeignet. Schon bei Veranlassung des Diplom's überzeugten sich meine lieben Leserinnen davon, doch kann auch folgende Erzählung zum Beweiß dienen:

An der Wohnung des Major's befand sich ein kleiner Garten, welcher der Familie manche Genüsse bot; besonders lag er der Baronin sehr am Herzen, und so viel sie Zeit erübrigen konnte, widmete sie dieselbe der Pflege ihres Gärtchens. Doch mußte auch zuweilen ein Gärtner Nachhülfe leisten, und einmal nahm das Unkraut so sehr überhand, daß jener mit Schmerzen von Frau v. Falkensee erwartet wurde, um gründlich dem Uebel zu steuern.

Emma welche der Mutter die Wünsche aus den Augen zu lesen verstand, sagte zu Bertha, als Meister Niklas erschien: »Höre Schwesterchen! ich glaube, Mutter würde sich sehr freuen, wenn wir heute nach geendigter Schule statt zu spielen, dem Gärtner Unkraut jäten hälfen. Meinst du nicht auch.«

Bertha fiel ihr mit ungestümer Zärtlichkeit um den Hals und rief: »Ja, ja! das wollen wir thun. Du bist eben meine gescheite Emma, die immer kluge Einfälle hat. Mütterchen wird sich gewiß darüber freuen, und der Gärtner unsere fleißigen Händchen spüren; ich will mich nicht dabei umsehen.« – Wirklich glaubte man Anfangs, Bertha würde die meisten Beete vom Unkraut reinigen, so eifrig war sie daran; allein es dauerte nicht lange. Bald wurden die Hände loß; sie überschaute knieend diese und jene vergraßte Stelle, und sagte klagend und gähnend: – »mein Himmel wie viel Unkraut! Es graußt Einem vor der entsezlichen Aufgabe.« Dann sah sie einen bunten Schmetterling fliegen, und nun mußte sie sich schnell erheben und jenen verfolgen; dabei kam sie in die Nähe der Schauckel, schwang sich auf das Brettchen, das an 2 Seile befestigt war, und schob sich mit ihm in Bewegung; auch wurde hie und da ein Beerchen von der Hümbeer-Hecke gepflückt, oder auf dem Rand der Fontaine künstlicher Weise herum spaziert, – kurz unsere Bertha war überall zu sehen, nur nicht beim Unkraut jäten. Emma hingegen half stille und beharlich dem ehrlichen Niklas, und förderte wirklich seine Arbeit um ein Großes.

Als er den folgenden Tag wieder kam, war Bertha im Zimmer bei der Mutter; der Gärtner hielt sie für Emma und sagte zur Majorin: »O gnädige Frau! gestern sollten sie zu Hause gewesen seyn, und das fleißige Töchterchen hier gesehen haben. Die half mir jäten, daß es eine Lust war, und sie hat mir für heute auch wieder ihren Beistand versprochen, nicht war Kind?« – Frau v. Falkensee streichelte Bertha's Wange und sagte: »Ei wie höre ich so Gutes von dir, das ist brav; aber meine Emma, – hat diese nicht auch geholfen?« Der Gärtner zuckte die Achsel und versezte: »könnte nicht rühmen, der Fleiß war nicht heftig.« Da konnte Bertha nicht länger schweigen; hoch erröthend fiel sie der Mutter um den Hals und flüsterte: »Niklas irrt, Emma war die Fleißige, und sie verdient das Lob; ich aber hatte die Arbeit bald satt, und versprach auch für heute nichts; indessen sollst du dennoch mit mir zufrieden seyn.« Sie flog in den Garten, wo sie Emma schon wieder beschäftigt fand, und arbeitete nun mit ihr in die Wette, so daß Meister Niklas am Abend nicht wußte, welcher von beiden Schwestern er den Preis, der in einem, von der Mutter geflochtenen Blumenkranz bestand, zu erkennen sollte. Doch Bertha entschied, daß er Emma gebühre, weil sie ihn schon Tags zuvor durch ihren Fleiß verdient habe.

Die kleine Heldin.

Emma erhielt wegen ihrer Furchtsamkeit manchen Verweiß, oder wurde vom Bruder Franz tüchtig geneckt, allein es war Alles vergeblich; die Kleine hätte sich nicht bewegen lassen, im Dunkeln ohne Licht aus dem Zimmer, geschweige weiter zu gehen. Auch konnte sie ein beißender Hund, eine Heerde Kühe, Schweine oder Gänse, welche ihr irgendwo entgegen kam, in Angst versezen. Bertha aber war gewaltig muthvoll, übernahm daher jeden Auftrag statt des Schwesterchens, wenn am Abend in der Küche, oder da und dort, Etwas geholt werden sollte; auch ging sie unerschrocken ihres Wegs, wenn Emma bei einer Begegnung, wie sie oben erwähnt wurde, zitterte und bebte. Die zwei folgenden Beispiele werden meine lieben Leserinnen die Eigenthümlichkeit der beiden Schwestern in dieser Hinsicht schildern.

Einst befanden sie sich bei einer Freundin der Majorin, welche Besuch von entfernten Verwandten erhalten, und Frau v. Falkensee mit ihren Töchtern eingeladen hatte. Erstere war schon anderwärts versagt, Emma und Bertha aber folgten dem Ruf, und brachten einen vergnügten Abend bei Jener zu; denn unter den Freunden befand sich auch ein wundernettes Mädchen, im Alter der beiden Schwestern, mit welcher sie sich besonders gut unterhielten; auch waren ausserdem, noch mehrere Gespielen versamelt. Nachdem schon viel Gutes genossen, und schon Mancherlei gespielt worden war, kam die Reihe an das beliebte – Sträußchen binden. Bekanntlich muß dasjenige Glied der Gesellschaft, das den Strauß erhält, bis die Blumen dazu gewählt sind, sich aus dem Zimmer entfernen, um dann unbefangen bestimmen zu können, was sie mit jenen Blumen, welche jede eine Person vorstellt, beginnen will. Mußte nun Emma auf den Vorplaz wandern, so bat sie immer ein Licht mit hinaus nehmen zu dürfen, hielt sich dennoch in der Nähe des Zimmers, und ihr Herzchen pochte gewaltig; ja sehnsüchtig harrte sie auf den Ruf: »herein!« und folgte ihm eilig und froh. Ausser Emma ging jedes von der Gesellschaft im Dunkeln hinaus, und besonders Bertha spazirte dann immer ohne Furcht den großen Vorplaz auf und ab, und war oft von der Zimmerthüre so weit entfernt, daß jener Ruf ein paarmal wiederholt werden mußte, bis sie ihn hörte. Als sie sich wieder einmal aussen befand, vernahm sie von der Seite her eine leise, wehklagende Stimme; entschlossen ging das 8jährige Mädchen dem Schalle nach, mußte über einen langen Gang im finstern tappen, und kam endlich an eine Thüre, die nur zugelehnt war, aber aus deren Spalte der Ton und ein Lichtstrahl hervor ging, Bertha riß Jene auf, da lag eine Weibsperson auf dem Boden, mit blutender Hand, halb ohnmächtig; der Leuchter mit dem Lichte neben ihr, und ein Hühnchen flatterte ängstlich hin und her. Es war die Köchin vom Hause, welche in diesem Kämmerchen das Huhn töten sollte und wollte; ungeschickt aber mit dem Messer in die Hand fuhr, und bewußtlos niederstürzte. Bertha hob das Licht auf, flog ins Wohnzimmer, verkündete was geschehen war, und bat flehentlich um schleunige Hülfe für die arme Magd. Sie wurde auch dieser sogleich zu Theil und Bertha wegen ihres furchtlosen Betragens sehr gelobt; indem ja, wäre sie nicht beherzt dem klagenden Tone gefolgt, Rosine noch länger in dem hülflosen Zustand geblieben seyn, und sich noch mehr verblutet haben würde. Nun aber war sie schon wieder erholt, als die Gesellschaft aus einander ging, und sie ließ es sich nicht nehmen, Emma und Bertha mit der Laterne nach Hause zu begleiten. Dabei konnte sie nicht aufhören, ihrer kleinen Wohlthäterin zu danken, verwechselte indessen immerwährend beide Schwestern. Bertha ließ dies nicht nur geschehen, sondern bat auch heimlich aber dringend die Schwester: den Ruhm auf sich ruhen zu lassen, indem die Aeltern die größte Freude darüber fühlen würden, wenn sie glauben dürften, daß Emma von ihrer Furcht geheilt sey. Ja als Rosina Frau v. Falkensee die ganze Begebenheit erzählte, Emma lobpreisend erhob, und die Mutter erstaunt aber erfreut zuhörte, da zupfte Bertha das Schwesterchen immer insgeheim am Arm, um zu verhindern, daß diese widerspräche. Allein jezt kam auch Franz nach Hause und hörte ungläubig Rosinens wiederholte Schilderung des stattgefundenen Ereignißes zu. Dann sagte er lachend zur Mutter, während er forschend beide Schwesterchen betrachtete: »Siehst du denn nicht lieb Mütterlein, wie Bertha Emma immer zuwinkt, daß sie das Lob, das ihr nicht gehört, für sich behalten soll? sprich Häschen« – fuhr er zu lezterer gewendet fort – »sprich ehrlich, verdienst Du es?« »Nein, nein!« rief Emma. »Aber Ihr laßt mich ja nicht zu Worte kommen. Ich mag keinen erborgten Ruhm, und diesen könnte ich mir auch um keinen Preis erwerben. Hu! mich schauderts, wenn ich bedenke, was Bertha sah, hörte und that.« »Und doch Emma,« versezte Frau v. Falkensee – »und doch mußt du deine Furcht bemeistern, es koste was es wolle. Sie ist deine Quälerin, und würde Dich überdies hindern, in einem ähnlichen Fall die Pflicht der Menschenliebe auszuüben, und dir ein so lohnendes Bewußtseyn zu verschaffen, wie gewiß Bertha jezt besizt.« – Diese, besorgt, daß das Schwesterchen durch der Mutter ernste Ermahnung gekränkt seyn könnte, sezte, dasselbe liebkosend im schmeichelnden beschwichtigenden Tone hinzu! »Ja ja liebe Emma, nach und nach wird's schon gehen, nicht wahr? halte dich nur« – raunte sie ihr ins Ohr – »halte Dich nur an mich, wenn wir im Finstern sind, ich lasse Dir kein Leid widerfahren.« Die Mutter jedoch fügte bei: »Halte Dich lieber an den guten, allgegenwärtigen Gott, welcher fromme Kinder auch im Dunkeln beschüzt, und versprich mir: an Deiner Besserung zu arbeiten.« Mit gesenktem Blick reichte Emma der Mutter die Hand; Bertha aber schlug halb böse, halb lachend den leichtfertigen Bruder, der mit allerlei losen Reden »vom Hasenherz, und von dem mächtigen schwesterlichen Schutz,« die Mädchen neckte, auf das spottende Mäulchen; welchem Schlag bald ein herzlicher Kuß von ihr zur Vergütung folgte.

Bald darauf erhielten beide Schwestern die älterliche Erlaubniß ein Stündchen ums Thor gehen zu dürfen. Es war ein schöner Herbst-Nachmittag, der blaue Himmel hatte kein Wölkchen, die Luft wehte mild, ja die Strahlen der Sonne brannten noch heiß dem Wandelnden auf den Rüken, und aus den schönen Gärten, die vor der Stadt lagen, trug ein sanfter Wind die köstlichen Gerüche der Reseda, der bunten Wicke, und der Herbsthyazinthe den Vorübergehenden zu. Auch Emma und Bertha labten sich daran, und fühlten sich dadurch noch mehr angezogen, hier durch ein schwarzes Gitterthor, dort durch die Spalte einer Dielenwand, oder über eine, schon etwas entlaubte Hecke in jene Gärten zu schauen. Zulezt kamen sie an ein offenes Thor, und das 2jährige Kind des Gärtners lief aus und ein, sezte sich endlich mitten im Fahrweg, faßte in ein Nöpfchen den lockern Sand ein, den es wieder ausgoß, und lange auf diese Weise spielte. Emma und Bertha jedoch traten in den Garten, baten die Gärtnerin, die ihnen entgegen kam, um die Genehmigung ein wenig in jenem herum spazieren zu dürfen, erfreuten sich nun, als es ihnen gestattet wurde, über die schönen Parthien und Anlagen die sie antrafen, und mit lüsternem Blick stunden sie lange vor einem Basquet manigfach blühender Gyranien, welches ein Heckchen von Monatrosen umgab, von denen eine Menge Knospen entfaltet waren, und einen recht schönen Anblick gewährten. »O wer sich hier ein Sträußchen pflücken dürfte!« sagte Emma sehnsüchtig, denn sie war eine sehr große Blumenfreundin. Bertha aber zog sie nach einer Weile hinweg, und meinte: »je länger man das hübsche Beetchen betrachtet, je mehr wünscht man sich, mit seinen Blüthen bereichern zu dürfen: Auch ist gewiß die Stunde schon verflossen, die uns zum Spaziergang zugestanden war, wir wollen also nach Hause wandeln, komm Emma und folge auch einmal deiner Bertha, die sonst immer dein gehorsames Schwesterchen ist.« »Könnte die ausserordentliche Folgsamkeit eben nicht besonders rühmen;« wandte jene ein; »doch du hast diesmal Recht; wir haben uns gewiß schon verspätet.« Eilig schritten die Mädchen den Gang hinauf dem Gartenthore zu, das noch immer offen stand, denn es saß das kleine Bärbchen fortwährend auf der Straße, und spielte nun mit 2 Gefäßen, indem sie aus einem in das andere den Sand laufen ließ. Doch als gerade die Schwestern aus dem Garten traten, hörten sie den schnellen Hufschlag eines Pferdes, und sahen am Ende der Strasse einen Schimmel ohne Reiter im vollen Lauf daher sprengen. Emma nahm ängstlich rufend Reisaus, und lief wieder in den Garten hinein; Bertha hingegen zog das Kind schnell in die Höhe, und ein wenig auf die Seite, dann lief sie mit ihrem aufgespannten Sonnenschirmchen gegen das Pferd, um dieses zum umwenden zu bewegen. Wirklich erreichte sie ihre Absicht, und den Leuten welche dem ausgerissenen Thier nach eilten, wurde es nun leichter, dasselbe aufzufangen. Auf Emma's Schreien, war unterdessen die Gärtnerin herzugesprungen, und zitterte am ganzen Leibe, als sie von Jener im Vorüberrennen vernahm, in welcher Gefahr sich ihr Kind befinde. Doch als sie es zwar weinend, aber gerettet fand, und Bertha, dasselbe mit freundlichen Worten beschwichtigend, bei ihm erblickte, da brach sie in Dank und Freudenäusserungen aus, und rühmte des wackern Fräulchens Muth und Entschlossenheit. Diese aber suchte nun Emma auf, welche sich ganz am Ende des Gartens, hinter ein Gewächshaus verkrochen hatte, und sagte lächelnd: »Nun wahrhaftig Du hast ein sicheres Pläzchen gewählt; hieher wäre freilich der Schimmel nicht gallopirt, aber hätte ichs auch so gemacht, so würde vielleicht jezt das arme Bärbchen von jenem zertretten worden seyn.« Emma konnte sich ihr albernes Betragen nicht abläugnen, und schämte sich dessen wohl, doch sie vermochte es nicht über sich, sich anzuklagen, und schweigend kehrten beide Schwestern zur Stadt zurück.

Bertha hatte Emma viel zu lieb, um sich auf ihre Kosten mit ihrer That zu rühmen; sie verschwieg sie, und verschmerzte auch den Verweiß, den beide über ihr langes Ausbleiben von der Mutter erhielten, ob sie gleich in der erlebten Begebenheit einen großen Entschuldigungsgrund hätte anführen können.

Am folgenden Tag erschien die erwähnte Gärtnerin, und händigte Emma, diese für Bertha haltend, die gerade auf dem Vorplaz war, ein Körbchen köstlicher Pflaumen und einen großen Strauß Monatrosen und Gyranien ein; welches Geschenk sie mit den Worten begleitete: »Der Lebensretterin meines Bärbchens gehört dieß Alles. O könnte ich nur noch mehr geben; aber vergessen werde ich es in meinem Leben nicht, was Sie gethan haben. Ich vernahm gestern wohl in einiger Entfernung Ihr Gespräch mit dem Schwesterchen und Ihren Wunsch von diesen Blumen welche pflücken zu können, allein ich konnte in dem Augenblick nicht von meiner Arbeit weg, und gleich darauf folgte ja die Begebenheit, die mich fast zum Tod erschreckte.« »Welche Begebenheit denn? und was soll dies Alles bedeuten?« fragte Frau v. Falkensee, die dazu gekommen war. Nun mußte Emma beichten, und es geschah mit glührothen Wangen und niedergeschlagenen Blicken. Die Mutter schüttelte misfällig den Kopf, und nahm vor der Hand das ganze Geschenk in Beschlag, freundlich der Geberin dankend. Als nun Bertha, die mit Franz, einen Auftrag des Vaters auszurichten weggegangen war, nach Haus kam; übergab ihr die Mutter obiges Geschenk, und sagte: »Du hast es verdient Bertha, es ist Dein;« und verbot Emma daran Theil nehmen zu lassen, um sie für das Verschweigen des Ereignisses zu strafen. Doch Jene ließ mit Thränen und Bitten nicht nach, bis Frau v. Falkensee den strengen Urtheilsspruch zurück nahm, worauf dann Bertha fröhlich und redlich Alles mit der Schwester theilte.

Die Kirmes zu Moosdorf.

Werthlieb war Geistlicher auf dem Lande geworden, und das Dorf in dem er lebte, lag in einer wunderlieblichen Gegend; besonders gab es in derselben viele Weinberge, welche dieses Jahr eine sehr reiche Lese versprachen. Die Kirmes, oder Kirchweih jenes Orts fiel auch im Herbst, und man versprach sich daher in Moosdorf zu dieser Zeit eine ganze Kette von Lustbarkeiten.

Werthlieb war mit dem Falkensee'schen Hause im herzlichsten Verhältniß geblieben, denn er vergaß es nie, welche würdige und freundliche Behandlung er daselbst genoß, und der Major und seine Gattin erinnerten sich immer dankbar, an die Verdienste, die sich Ersterer um ihre Kinder, namentlich um Franz erworben hatte; denn daß derselbe in eine, für sein Alter hohe Classe aufgenommen wurde, und hier einen der ersten Pläze behauptete, und das er und seine Schwesterchen Sinn für manches Gute in sich trugen, das schrieben mit Recht die Aeltern dem Beispiel, und den Lehren des wackern Werthliebs zu. Man nahm also fortwährend aufrichtig Theil an dem gegenseitigen Geschick, wechselte zuweilen Briefe, und selbst die Kinderchen legten von Zeit zu Zeit einige schriftliche Zeilen, an ihren geliebten ehemaligen Lehrer, dem Schreiben der Aeltern bei. An seinem lezten Geburtstag aber hatte Jener von Bertha und Emma einen seidnen Geldbeutel, und von Franz eine hübsche Zeichnung und einen schön geschriebenen Glückwunsch erhalten. Der Pastor, hoch erfreut darüber, wollte seinen Lieblingen thätig die Dankbarkeit, die er fühlte, beweisen, und lud Emma und Bertha zur nächsten Kirmesfeier, Franz jedoch in seinen, spätereintretenden Schulfeiertagen zur Weinlese ein. Welch einen Jubel veranlaßte dies bei den Geschwistern; sie träumten wachend und schlafend von dem bevorstehenden Vergnügen, denn sie waren noch nicht weiter, als in die nächste Umgegend der Stadt gekommen. Die Reise nach Moosdorf also, die ohngefähr 4 Stunden betrug, erschien ihnen ungeheuer groß und wichtig; und Emma versprach der Mutter ein getreues Tagebuch zu halten. Werthlieb hatte verheißen, seine kleinen Freundinnen selbst zu holen, und beide waren sehr geschäftig, all ihre Habseligkeiten bereit zu halten, um dann gleich abreisen zu können.

Den Abschied aus dem älterlichem Haus, so wie den Aufenthalt in Moosdorf, und der Kinder dort gemachten Erfahrungen soll uns die, jezt 10jährige Emma in ihrem Tagebuch selbst erzählen.

Emma's Tagebuch.

Den 10ten September Morgens 9 Uhr.

Gestern war ich von der Reise, und von Allem was ich erlebt hatte, so ermüdet, und so schläfrig, daß ich mein, der Mutter gegebenes Versprechen, alle Abend in mein Tagebuch zu schreiben, unmöglich erfüllen konnte. Es soll jezt geschehen, während Schwesterchen Bertha noch tüchtig schnarcht. Aber sie hat sich auch gestern mit Schullehrers Suschen recht abgetummelt. Ich hätte das nicht gekannt; ach trotz aller Liebe, die wir hier erfahren, quält mich das Heimweh! – Schon wieder muß ich weinen, und das Herz ist mir recht schwer. – O Ihr guten Aeltern! – Wenn Ihr nur da wäret! oder doch wenigstens mein munteres Fränzchen; mit seinen Schnacken würde er mich erheitern.

So leichtfertig er oft ist, so ging ihm gestern der Abschied von uns doch recht nahe; ich merkte es wohl, ob er es gleich verbergen wollte; und der guten Mutter Auge schwamm ebenfalls in Thränen als ich weinend an ihrem Halse hing. Der Vater aber war standhaft, und meinte: eine so kurze Entfernung und Trennung wäre nicht der Thränen werth, und wir gingen ja frohen Tagen entgegen. Er hat freilich Recht der liebe Vater, allein es ist die erste Trennung von ihm und lieb Mütterlein; und noch nie legte ich mich zu Bette, ohne Jene vorher noch oftmals geherzt und geküßt zu haben. Da dies gestern Abend nicht geschehen konnte, so weinte ich mich, ehe ich einschlief, recht satt. Auch jezt will es mir nicht zu Sinne, daß ich meinen lieben Aeltern, Bruder Franz, und unserer ehrlichen Anna keinen guten Morgen wünschen kann. – Wenn nur Bertha die Langschläferin aufwachte! die Frau Pastorin wird bald zum Frühstück klingeln; dann geht mirs wieder besser, denn so wohl gestern auf der Reise vergaß ich mich durch all das Neue, was ich sah, als auch hier; so lange wir unter unserer lieben Hauswirthin waren. Beide, so wie Rosalie, die Schwester der Frau Pfarrerin sind gar freundlich und gut; und das nette kleine Dingelchen in der Wiege macht mir auch recht viel Spaß. Ich werde mir es heute öfters ausbitten, Luischen auf den Schoos nehmen zu dürfen. Eine solche lebendige Puppe wäre mir lieber, als alle die welche ich besitze. Aber wie schön die Aussicht von unserm Schlafstübchen hinaus ins Freie ist! Ach die köstlichen reich beladenen Weinberge! – ich muß wirklich ein Bischen näher ans Fenster treten, und mich an ihren Anblick ergözen. Herr Pfarrer hat uns auch für heute einen weiten Spaziergang versprochen. Wie freue – Nun da schellts! Geschwind muß ich die faule Bertha weken. –

Den 12ten Abends 10 Uhr.

Ei ei! Wieder ist der gestrige Abende verflossen, und ich habe nicht die erlebten Tagsbegebenheiten aufgezeichnet. Ungesäumt will ich es jezt thun; sonst würde mein gutes Mütterchen mit Recht schmälen, wenn sie von ihrer Emma ein unvollständiges Tagebuch erhielte und ich kann viel, recht viel erzählen.

Zuerst von dem wunderschönen Spaziergang, den wir vorgestern mit unserm theuern Pastor machten. Er führte uns durchs hübsche, reinliche Dörfchen, am Wirthshaus vorüber, wo eben der hohe Maienbaum unter einem großen Zulauf der Dorfsjugend aufgerichtet, und als er stund, von jener umtanzt wurde. Sie scheuten sich dabei nicht vor der Gegenwart ihres Pastors; hatten es aber auch nicht nöthig, den er war gar liebreich, und ermunterte sie selbst zur schuldlosen Fröhlichkeit; Schwester Bertha und ich mußten uns gleichfalls auf sein Geheiß ein wenig im Kreise Drehen. Dann ging es weiter; immer an Weinbergen fort, bis wir bei dem anlangten, welcher das Eigenthum des Herrn Pfarrers ist. Er und Rosalie – Frau Werthlieb blieb bei ihrem Luischen zu Hause – führten uns nun an die besten Weinstöcke, und wir durften nach Herzenslust Trauben abschneiden und sie verzehren, auch einige in unserm Körbchen mitnehmen, um unter Wegs uns damit zu laben. Dann verließen wir den Weinberg, und schlenderten über einen frischen Wiesgrund, den ein klarer Bach, von Erlen umpflanzt, munter durchströmte, welcher wie Silber glänzte, wenn die Sonne darauf schien. Nach einer Weile erreichten wir eine Mühle; deren Besitzer sehr wohlhabend sind, und eine große Freude äusserten, über die Ehre, die ihnen durch den Besuch des Herrn Pastors und der Jungfer Schwester zu Theil würde. Die Müllerin wollte uns Kaffe machen, und Gebackenes vorsezen; unser lieber Begleiter verbat es sich aber, und nun kam eine Schale herrliches Obst, gutes schwarzes Hausbrod, und frische Butter auf den Tisch. Wir thaten uns gütlich damit, und dann wurde uns die Einrichtung des Mühlwerks gezeigt. Ich habe nun wohl Alles genau betrachtet, und recht aufmerksam der Erklärung zugehört, aber, du lieber Himmel zum niederschreiben würde ich eine lange Zeit brauchen, das kann ich nicht. Mütterchen soll es mündlich von mir hören, was ich mir gemerkt habe.

Mit der sinkenden Sonne kamen wir von unserm Spaziergang nach Hause, und den Abend über spielten Pfarrers mit uns, nämlich: »Weil und warum; Hast Du deine Lektion gut gelernt, und Salz schneiden« da gab es vielen Spaß. Bertha war beim zweiten Spiel immer gleich mit ihrem – Ja oder Nein – bei der Hand, und mußte viele Pfänder geben. Ich nahm mich wohl recht in Acht, doch kam ich auch nicht ungerupft durch. Dabei, so wie überhaupt seit wir hier sind, verwechselt uns Schwestern die gute Pfarrerin immerwährend, bald heiße ich bei ihr Bertha, bald Emma, und Rosalie wird auch zuweilen irre, noch mehr die Magd im Hause, und die andern Leute die aus und ein gehen; ich streite mich nicht darüber ab, denn Schwesterchen Bertha beträgt sich recht gut, warum sollte ich nicht für sie gelten wollen? – Doch wieder zu meiner Erzählung zurück. Gestern war der erste berühmte Kirmestag; den ich jezt beschreiben will; allein wo fange ich an? Ich möchte gleich Alles zu Papier bringen; aber nein, hübsch in der Ordnung Emma! sonst wird Mütterchen böse, wenn sie ein Quodlibet lesen muß. Also früh in die Kirche – o weh! ich mußte schon einigemal recht gähnen, der Schlaf kommt mit Macht, ich kann ihm nicht widerstehen.

Den 13ten Morgens 8 Uhr. – Gescheuder ists, ich nehme die Morgenstunde bei meinem Tagebuch zu Hülfe; am Abend ist wenig Kluges mit mir anzufangen; daher will ich lieber jezt meine Erzählung fortsetzen: Am Sonntag also ging es in die Kirche; sie war mit vielen jungen Birken, mit Kränzen und Blumengewinden geschmückt, und der Herr Pfarrer predigte recht schön davon, wie man sich im Gotteshaus betragen soll. Ich habe mir manches gemerkt, und will z. B. gewiß nimmer in der Kirche meine Augen so viel herum spazieren lassen, wie es zuweilen geschah. Am Schluß der Predigt bat Herr Werthlieb so rührend für einen kranken und armen Mann im Dorfe, daß mir die Thränen über die Wangen liefen, und ich gleich wußte, was ich thun wollte. Nach der Predigt wandelten wir Schwestern mit Amtmanns Lotte und Schullehrers Suschen auf den, mit feinen Kieß und rothen Sand bestreuten großen Tanzplan, der auch mit Birken umpflanzt war, um welche sich Blumengewinde schlangen. Die Eßglocke rief uns endlich nach Hause, wo es ein herrliches Mittagsmahl gab; Gänsebraten, Schinken, Bratwürste, Obst und köstliche Weintrauben, auch Wein, zu Ehren der Kirchweih. Nachmittag kam Besuch aus der Gegend; meist Geistliche mit ihren Familien; wir lernten sehr artige Kinder kennen, Knaben und Mädchen, und ich dachte oft an Bruder Franz, der gewiß auch recht vergnügt gewesen wäre; doch er kann jene in der Weinlese besuchen. Nach dem Kaffe trinken begaben wir uns Alle auf den Tanzplan, wo schon 2 Geiger und ein Schalmeibläser lustig mussicirten. Nun wurde frisch getanzt, und Herr Werthlieb hatte seine größte Freude an unserm Vergnügen; auch die Dorfsjugend tanzte mit, betrug sich aber so gesittet, daß man sich ihrer nicht zu schämen brauchte. Nach einem Stündchen gebot unser lieber Herr Pfarrer, daß wir nicht mehr tanzen, sondern in einem nahstehenden Gartenhäuschen uns langsam abkühlen sollten. Dann besahen wir die aufgeschlagenen Buden, wo hübsche Sachen zu finden waren, und Bertha kaufte sich von dem Geld, das die guten Aeltern einer Jeden von uns mitgaben, nette Herzen von Perlenmutter in die Ohrringe, und allerliebstes kleines Geschirr von feinem Porzellan. Gerne hätte ich mir auch eines gekauft, und Bertha bat, zürnte, und bot Alles auf, um mich dazu zu bewegen; allein es half nichts, ich blieb standhaft. Warum? – ach, soll ich es denn erzählen. Ei wohl! ließt doch dieses Tagebuch niemand als mein Mütterchen, und dieser darf und will ich nichts verschweigen. In der Dämmerung schlich ich mich nämlich in das, von Herrn Pastor bezeichnetes Häuschen zu dem armen Mann, und brachte ihm mein Geld. Ach Gott! welch Elend traf ich hier! Ein noch nicht betagter Mann lag abgezehrt, gleich einem Todtengerippe auf einem elenden Bette, die Frau und 2 Kinderchen von ohngefähr 4 und 7 Jahren saßen betrübt in einer Ecke, jene spann Wolle, der Knabe nagte an einer harten Rinde Brod, und das Mädchen verbarg ihr Köpfchen in den Rock der Mutter, und schluchzte leise, wahrscheinlich aus Hunger. Denn die Gaben, welche die Gemeinde, nach der Aufforderung ihres Seelsorgers, gebracht hatte, und die in Geld bestanden, wurden zur Belohnung des Arztes aufgespart, nach dem in die nächste Stadt geschickt worden war. Ich hatte mir vorgenommen, all mein Geld her zugeben; nun drückte ich aber nur 3 viergroschen Stück der Frau in die Hand, und lief unter dem Versprechen, bald wieder zu kommen hinweg. Mein Vorsatz war, Küchen- und Spielzeug für die armen Kinder zu kaufen, und ihnen zu bringen, doch o weh, die Krämer hatten schon eingepackt, es war nichts mehr zu bekommen, betrübt schlich ich nach Hause; da begegnete mir die alte Liese, welche im Pfarrhaus mancherlei Dienste thut; dieser klagte ich mein Leid und erhielt von ihr den Trost: daß die Buden am folgenden Tag wieder aufgeschlagen würden, wo ich dann mein gutes Werk, wie sie sagte, vollenden könnte. So war es auch, und die Freude, welche Paul und Gretchen über meine kleinen Geschenke hatten, machte mich glücklicher, als alle Herrlichkeiten, die ich mir selbst gekauft hätte. Der Mutter rannen die Thränen über die eingefallenen Wangen, als sie ihre Kinderchen so vergnügt sah, und selbst der kranke Mann lächelte auf seinem Schmerzenslager; und reichte mir die knöcherne Hand. Ach ich war so innig froh, so selig, daß ich es nicht beschreiben kann; und daß ich die Freude so still in mir hatte, daß Niemand davon wußte, als ich, das war mir doppelt lieb; – aber oft versezte ich mich mit meinen Gedanken in die ärmliche Hütte, und dann fand mich Bertha und die Andern zerstreut und einsilbig, und erstere zankte mich darüber recht ordentlich aus, wenn mir das gesellschaftliche Gewühl lästig wurde, und ich mich ein wenig absonderte; denn gestern ging es im Haus und im Dorfe noch recht lustig zu, es wurde geschmaußt und getanzt; und wieder andere Freunde der Pfarrleute erschienen schon zu Mittag, weshalb abermals viel mehr Gerichte auf den Tisch kamen als gewöhnlich. Es gelang mir, von meinem Teller Eines und das Andere unbemerkt wegzunehmen, und dies trug ich meinen Armen Abends wieder zu.

Den 13ten Abends 9 Uhr. Die alte Plaudertasche die Lies' die mir gestern Abend wieder begegnete, als ich nach Clausens Hütte ging, hat gewiß dem Herrn Pfarrer Alles geschäftig hinter bracht, was sie von mir wußte, aber wieder mich mit Bertha verwechselte; denn heute bemerkte ich von ihm und seiner Frau, sowie von Rosalien eine ausgezeichnete Freundlichkeit gegen Jene. Auch sprach Herr Werthlieb ein paarmal mit großem Ruhm von der stillen Wohlthätigkeit, sah dabei lächelnd und bedeutend auf Bertha, und streichelte ihr die Wange. Sie aber schaute ihn mit großen Augen an, und wußte nicht, wie sie das nehmen sollte. Was soll ich nun thun, soll ich Schwesterchen die Sache erklären oder schweigen? – Diese Frage beschäftigte mich heute immer, und da ich nicht mit mir einig werden konnte, und überdies ein ununterbrochener Regen uns ins Zimmer bannte, war ich oft ganz verstimmt. Rosalie benahm sich aber recht gütig gegen uns, lehrte uns viele künstliche Sachen aus Karten ausschneiden und zusammenlegen, zeigte und erklärte uns köstliche Bilderbücher aus ihres Bruders Bibliothek, und erzählte uns auch einige schöne Geschichten, dazwischen tändelte und schäckerte ich mit dem kleinen dicken Luischen, und so verstrich der heutige Tag. Morgen aber – ja Morgen geht es wieder in die liebe Heimath und so vergnügt ich auch in Moosdorf war, so freue ich mich doch unbeschreiblich die guten Aeltern und Bruder Franz wieder zu sehen. Wenn ich nur wüßte, ob ich schweigen, oder Bertha aus dem Traum helfen soll; – nein, ich will ihr die gute Meinung, welche Pfarrers von ihr hegen, gönnen und – stille seyn. –

Die Entdeckung.

Wirklich hatte Emma den Sieg über sich gewonnen, den Ruhm, welchen Bertha, ohne es zu wissen und zu verdienen, sich bei Werthliebs erworben hatte, durch keine Erklärung ihr zu entziehen; doch ein Zufall stellte die Sache ins wahre Licht. Emma hatte am lezten Morgen noch einen kurzen Besuch in Clausens ärmlichen Häuschen abgestattet, und dessen Bewohnern versprochen: ihnen durch Franz, wenn dieser zur Weinlese nach Moosdorf kommen würde, einen Beweiß ihres Andenkens zu schicken; die dankbare Rührung der Leute, mit der sie von dem guten Mädchen Abschied nahmen, bewegte Emma selbst so sehr, daß sie sich der Thränen nicht enthalten konnte. Noch unter der Thüre trocknete sie sich die Augen, und wollte dann das Sacktuch in ihr Körbchen schieben, indem kam ein Hund aus einem Seitengäßchen bellend auf sie zugesprungen, und unsere furchtsame Emma lief wie ein gejagtes Reh dem Pfarrhause zu. In Schrecken hatte sie das Sacktuch fallen lassen, Liese, die nahe – bei Clausen wohnte, dasselbe gefunden, und der Frau Pastorin mit der dazu gehörigen Erläuterung gebracht. Emma's Name, der ins Sacktuch gezeichnet war, sagte Jener nun, daß nicht Bertha, sondern ihre Schwester die kleine Wohlthäterin der armen Leute war, und sie theilte ihrem Manne, so wie Rosalien die Entdeckung mit. Der Pastor vermochte es nicht, Emma sein Wohlgefallen, so wohl über ihre Mildthätigkeit, als auch über ihr anspruchloses edelmüthiges Verschweigen ihrer Handlungsweise vorzuenthalten; aber er nahm sie dabei alleine mit in sein Gärtchen, um ohne Zeugen ihr sein Lob zu ertheilen; denn er wollte weder ihre Bescheidenheit verletzen, noch Bertha wehe thun; Ja er bat Emma: das Schwesterchen nun ganz in Unbekanntschaft mit der Sache zu lassen, »denn« fügte er hinzu; »an deiner Stelle liebe Emma, hätte ich Bertha den Antheil an der schönen That gegönnt. Ihr macht es auch Freude, Armen Gutes zu thun, vereint hättet ihr die Wohlthat noch vergrößern können; und so verschloßen gegen eine Schwester zu seyn, ist nicht recht. Jezt kannst Du nur deinen, gegen Bertha begangenen Fehler dadurch mindern, daß Du die Begebenheit als ein Geheimniß so lange bewahrst, bis Du einmal in einer vertrauten Stunde der guten Schwester Verzeihung wegen deiner Verschlossenheit nach suchen, und ihr dann Alles aufrichtig erzählen kannst und wirst.« Diese Rüge, so sanft sie war, wollte Emma auf das erhaltene Lob gar nicht behagen; aber sie trug für Werthlieb zu viel kindliche Ehrfurcht und Liebe im Herzen, als daß sie ihm ihre Empfindlichkeit gezeigt hätte, auch mußte sie sich sagen, daß er Recht habe. Nach kurzem Nachdenken entschloß sie sich Moosdorf nicht zu verlassen, ohne den Vorwurf, den sie sich selbst zu machen hatte, von sich weggewälzt zu haben. Stillschweigend war sie mit dem Pastor noch ein paar Gänge im Garten auf und nieder geschritten, dann ergriff sie seine Hand, führte sie an ihre Lippen und sagte: »Ich will auf der Stelle mein Unrecht wieder gut machen, schicken Sie mir Bertha, ich werde ihr Alles gestehen.« Werthlieb versprach es mit einem herzlichen Kuß, und bald hatten sich die Schwestern unter sich verständigt, denn Bertha konnte nicht zürnen; aber sie untersuchte den Inhalt ihres Geldbeutelchens, fand noch 2 Groschen darin, kaufte Brod, und brachte es, von Emma hingeleitet den Armen. Mit innerer Zufriedenheit verließen nun beide Schwestern Moosdorf, und schieden mit Dankesthränen von der freundlichen Pfarrerin und von Rosalien. Der Pfarrherr aber hatte den Aeltern versprochen, die geliebten Töchterchen wieder selbst zurückzubringen, und so hielt er auch Wort. Groß war die Freude des Wiedersehens in der Familie Falkensee, und noch an demselben Abend übergab Emma, ehe sie sich schlafen legte, der theuern Mutter das versprochene Tagebuch.

pag. 63.

Die Entdeckung.

Die Schlittenfahrt.

So wie Bertha, (was meine lieben Leser und Leserinnen sich erinnern werden,) der Liebling bei der reichen Banquier Krause war, so stand Emma bei der Rath Sinthal, vor dem Schwesterchen hoch in der Gunst; denn Frau Krause liebte die muntere Jugend, Jene die sanfteren Kinder, und sie hoffte durch den Umgang mit Emma, ihrer, etwas wilden Thekla, mehr Ruhe und Stille anzugewöhnen. Emma durfte also nicht nur zu Sinthals unaufgefordert kommen wann sie wollte und wurde immer mit Liebe empfangen, sondern es erging auch noch manche besondere Einladung an sie. Mitunter wohl auch an Bertha, jedoch seltener, da Thekla gleichfalls dem andern Schwesterchen mit mehr Liebe zugethan war, ja nach ihrem Wunsch sollte Emma jeden Festtag in der Familie mit verleben, jedes ausgezeichnete Vergnügen mit genießen. Dies konnte jedoch nicht immer geschehen; denn Falkensee's lebten noch in gar manchen freundschaftlichen Verbindungen, an denen die Kinder Antheil nahmen; und dann durften sich, nach der Baronin Grundsäzen, ihre Töchterchen nicht gewöhnen, täglich ausser dem Hause zu seyn; deshalb blieb mancher Wunsch von Thekla in jener Hinsicht unbefriedigt. Aber auf der Erfüllung eines derselben bestund sie einstmals sehr fest. Es fiel nämlich Schlittenwetter ein, und Emma hatte früher hin geäussert: daß sie kein größeres Vergnügen kenne, als in einem Schlitten über die beschneiten Straßen und Fluren hinweg zu fliegen, und dabei das Geläute der kleinen Glöckchen und Schellen zu vernehmen. Nun wurde bei Sinthals eine Schlittenfahrt nach einem entfernten Dorf angeordnet, und Thekla bat flehentlich: Emma daran Antheil nehmen zu lassen. Wohl war der Schlitten schon besezt, denn ausser den Aeltern und dem Töchterchen fuhr noch ein Freund des Vaters mit; indessen hielt man davor, daß ein so kleines und zartes Persönchen wie Emma war, noch einzuschieben wäre, und es wurde bewilligt, sie einzuladen. Die Magd der Räthin war noch nicht lange im Hause, hatte jedoch, da sie sich die Winterabende hindurch mit ihrem Spinnrädchen im Wohnzimmer aufhalten mußte, die Namen der beiden Zwillingsschwesterchen schon öfters nennen hören, und verwechselte sie bei jener Einladung. Bertha hüpfte gerade über den Vorplaz als die Dienerin in ihrer Wohnung erschien, und diese glaubte, als sie die ähnliche Schwester erblickte, nun gar nicht zu irren, indem sie ihren, von der Herrschaft erhaltenen Auftrag an Bertha richtete. »Ach nein,« entgegnete leztere. »Emma ist darunter gemeint, und nicht ich.« »Heißen sie denn nicht Bertha?« fragte die Magd. »Ja das ist mein Name« antwortete das Mädchen, und jene bestättigte ihre Aussage mit der Versicherung: »mir wurde befohlen Fräulein Bertha einzuladen, und so kann ich es nicht anders sagen.« Auch gegen Frau v. Falkensee, die dazu kam, und kopfschüttelnd der Magd zuhörte, wiederholte diese ihre Aufforderung, und blieb hartnäckig auf dem Namen Bertha. Was war zu thun – so sehr Emma sich im Stillen darüber betrübte, und die Mutter und Bertha zweifelten – Leztere mußte doch zur bestimmten Zeit sich auf den Weg nach Sinthals Wohnung machen. Thekla hatte sehnsüchtig am Fenster auf Emma geharrt, und sah nun schon von Weitem Bertha herbei kommen. Erschrocken lief sie zur Mutter, und klagte ihr die Verwechslung. Sie theilte ihres Töchterchens Trauer über die erlittene Täuschung, verbot ihr aber strenge, sie Bertha entgelten zu lassen, ja diese sollte nach der Räthin Willen es nicht erfahren, daß sie nicht gemeint war. Sie wurde also recht freundlich empfangen, und da der Schlitten gleich vorfuhr, so hatte man gar nicht Zeit, sich viel zu besprechen. Es war ein köstlicher Wintertag. Die Sonne stand klar und heiter im reinen Himmelblau, und von ihren Strahlen beglänzt, funkelte der Schnee auf den Fluren und Feldern, gleich Diamanten, und die Bäume und Gesträuche waren mit Reif, wie mit feinem Sammt verbrämt. Der Schlitten flog pfeilschnell dahin, und das Geläute des Pferdgeschirrs tönte lieblich und hell. Die Kinder jubelten vor Lust, nur in Bertha stieg zuweilen der Wunsch auf: wenn nur Emma dies Vergnügen mit genießen könnte. Auch gesellte sich zuweilen der Zweifel dazu: und wie – wenn doch eine Verwechslung Statt gefunden hätte! – Zwar die Art, wie sie empfangen wurde, hatte in Bertha so ziemlich jene Vermuthung verscheucht; nur auf Thekla's Stirne glaubte sie einige Falten wahrgenommen zu haben; allein es war überhaupt ihre Sache nicht, lange einer ernsten Betrachtung nachzuhängen, und das Vergnügen der Fahrt zerstreute noch mehr ihre Bedenklichkeiten; nur die Liebe zu Emma rief sie zuweilen auf kurze Zeit wieder hervor. Dies geschah auch, als sie, in Hainfeld angelangt, in der wohl durchwärmten Wirthsstube, beim duftenden Kaffetrank saßen, und sich denselben, nebst dem, von Frau Sinthal, mitgenommenen mürben Kuchen trefflich hatten schmecken lassen; es schlenderten darauf beide Mädchen Arm in Arm im Zimmer auf und ab, und plauderten von diesem und Jenem. Da trat wieder Emma's Bild vor Bertha's Seele, und sie flüsterte der Freundin traulich zu: »Sage mir liebe Thekla recht ehrlich: bin ich nicht heute wieder mit meinem Schwesterchen verwechselt worden?« Jene wurde über und über roth, und wußte vor Verlegenheit nicht, was sie antworten sollte. »Ja, ja so ist es! Emma hat dies Vergnügen genießen sollen, und nun ist die Arme um dasselbe gekommen!« rief Bertha und brach – heftig, wie sie war – in lautes Schluchzen aus. Erschrocken eilte Frau Sinthal hinzu, und fragte was ihr fehle. Thekla erzählte, und Bertha wollte sich nicht trösten lassen, bis der Rath, der so eben ins Zimmer kam, und sich auch nach der Ursache von Berthas Betrübniß erkundigte, sie mit der Versicherung beruhigte: daß, wenn die Schlittenbahn noch einige Tage währte, er eine zweite Fahrt unternehmen, und Emma mitnehmen wolle. Dies Versprechen troknete die Thränen der zärtlichen Schwester, und bald kehrte ihre vorige Fröhlichkeit wieder zurück. Als die Sonne tiefer sank, als sie einen rosigen Schleier über die ganze Flur verbreitete, und bei den gegenüberstehenden Häusern und Hütten, die Fenster von dem Wiederschein der feurigen Himmelskugel in vollen Flammen zu stehen schienen, wurden von unserer Gesellschaft Anstalten zum Aufbruch getroffen, und die Mädchen freuten sich herzlich auf die Rückfahrt. Jedoch bald, bald wäre ihnen diese sehr verbittert worden.

Der Kutscher hatte nämlich, ohne Wissen des Raths, zur Erwärmung noch ein paar Gläser Brantwein, neben dem Bier, das er von Jenem erhielt, getrunken, so daß er etwas berauscht war, und die muthigen Rosse nicht recht zu bändigen vermochte. Der Schlitten schien kaum den Boden zu berühren, so rannten jene mit ihm davon, und schon sah man die Stadt ziemlich nahe vor sich liegen, als die Pferde vor einer an ihnen vorbeigehenden Frau, und vor ihnen, mit Wäsche hoch aufgethürmten Korb, den sie noch zur Stadt trug, scheu wurden, ausrissen, und durch die Gewalt, mit der dies geschah, den Schlitten umwarfen, und zerbrachen. Glüklicher Weise nahm Niemand Schaden bei dem Fall, und die Pferde wurden mit dem Theile des Schlittens, den sie mit fort nahmen, auch bald aufgefangen. Aber Bertha's erster Ausruf war, als man sich wieder erhoben hatte: »Gottlob daß Emma nicht dabei gewesen ist!«

Auch schickte sie, bei ihrer Nachhausekunft, die Erzählung des erlittenen Unfalls, der, von der Statt gefundenen Verwechslung voraus, und fügte des Raths Zusicherung einer zweiten Schlittenfahrt gleich hinzu, um dem Schwesterchen die heutige unangenehme Erfahrung verschmerzen zu machen. Noch nie war aber Bertha ein solches Wetterhähnchen als in diesen Tagen. Immer prüfte sie Wind und Wolken, ob sie doch kein Thauwetter mitbringen würden. Doch der Himmel erfüllte ihren schwesterlichen Wunsch, und Emma genoß dasselbe Vergnügen, das ihr zu Theil gewordene war, und noch ungetrübter, da auch die Nachhausfahrt glüklich vorüberging.

Die Maskerade.

»Ich möchte doch einmal einen Maskenball sehen!« äusserte die fröhliche Bertha gegen die Mutter; als diese verschiedene Anstalten traf, um einer Aufforderung von mehreren Freunden zu folgen, welche Herrn und Frau von Falkensee zu einer gesellschaftlichen Verkleidung für die nächste Redoute eingeladen hatten. –

»Nun in 5 oder 6 Jahren ist's immer noch Zeit genug für Dich, eine solche Lustbarkeit mit zu machen,« erwiederte die Baronin dem Töchterchen; aber in ihrem Herzen dachte sie anders. Franzen Geburtstag fiel in die Zeit des Carnewal's, und der wackere Sohn erfreute die Aeltern fortwährend durch Fleiß und Lerneifer, so wie durch ein gesittetes Betragen, darum sollte auch ihm, nach dem Wunsche der Mutter, auf seinen Geburtstag ein ausgezeichnetes Vergnügen bereitet werden. Franz tanzte sehr gerne; da führte Bertha's ausgesprochenes Verlangen, Jene auf den Gedanken: an dem erwähnten Tag einen maskirten Kinderball zu veranstalten. Sie erwog Alles hinlänglich, holte sich auch des Gatten Rath und Meinung, und schritt zulezt wirklich zur Ausführung des entworfenen Plans. Alle Kinder aus ihrem Verwandtschafts- und Bekanntschaftskreis wurden eingeladen, und gebeten, mit Masken und in Maskenkleidern zu erscheinen; Auch Emma und Bertha erhielten Leztere, doch keine Masken vor das Gesicht; denn die Majorin wollte sehen: ob der fremde, aber ganz ähnliche Anzug der Töchterchen mehr oder minder zu ihrer Verwechslung beitragen würde, besonders bei Bruder Franz, welcher von der ganzen Veranstaltung nur so viel erfuhr; daß mehrere seiner und der Schwestern Gespielen den Abend mit ihm feiern würden. Wie erstaunte er aber, als er von den Aeltern in das große, hellerleuchtete Zimmer geführt wurde, als bei seinem Eintritt die Musik ertönte, und lauter vermummte kleine Gestalten ihn begrüßten. Da näherte sich ihm ein schlankes Bauern-Bürschchen und reichte ihm mit einem Krazfuß ein Sträußchen dar; dort brachte ihm ein nettes Gärtner-Mädchen ein Körbchen mit ausgesucht schönen Aepfeln; dann kam ein kleiner Harlequin und ließ Franz, ihn neckend, seine leichte hölzerne Pritsche fühlen; ein Türke stolzirte langsam auf ihn zu, und bot ihm an, aus seiner langen Pfeife einige Züge zu thun; ein Pastetenjunge trug sein Backwerk zum Verkauf herum, das, in ein reines weißes Tuch geschlagen, sein Korb enthielt, und mit dem der Geburtstäger, so wie die ganze Gesellschaft damit beschenkt wurde. Ein Zigeunermädel prophezeite Franz aus seiner Hand viel Gutes, und auch viel drolliges; und 2 niedliche Mädchen, nebst 2 Knaben, die 4 Jahreszeiten vorstellend, überreichten Jenem folgende Verse:

Der Winter.
Verachte nicht den Wintersmann,
Bei ihm fing einst dein Leben an;
Auch deine Freunde ehren ihn,
Und lässt er schöne Blumen blühn
Am Fensterglas, dann gehts hinaus
Zur Schlittenbahn, in Saus und Braus!
Der Frühling.
Neues Leben regt sich auf der Flur
Und in Kinderherzen, denn – seht, die Natur
Streut auf unsre Wege Blum' und Blüthen.
Der Sommer.
Trockne die Stirne geduldig; es reift
Nur an der Sonne heis glühendem Strahl,
Was uns erquicket beim köstlichen Mahl;
Nichts ohne Müh' hier gedeihet.
Der Herbst.
Wenn die Jugend reiche Saat,
In das Feld gesenket hat,
Lohnt die Erndte jede Müh;
Darum denke oft an sie. –

Ausser diesen genannten Masken waren noch Schäfer und Schäferinnen, Pilger und Pilgerinnen, Ritter und Nonnen u. a. m. zu sehen. Manche Kinderchen konnten ihre Sprache, und andere Eigenthümlichkeiten nicht genug verstellen, diese wurden dann natürlich gleich erkannt. Bei Manchen aber rieth man lange hin und her, und immer falsch, so, daß sogar einige aus kindischer Ungeduld die Masken vom Gesicht nahmen, und sich selbst zu erkennen gaben. Daß viel dabei gelacht wurde, werden meine lieben Leser und Leserinnen leicht glauben. Endlich trat ein Kellnermädchen in baierischer Tracht vor Franzen hin, und presentirte ihm auf einem Teller schweigend ein Glas süße Mandelmilch. Das Mädchen trug einen dunkeln Rock, nebst kurzer weißer Schürze, weite lange Hemdermel, ein schwarz-samtnes Leibchen, mit rothem Brustlaz, welches eine silberne Kette schnürte; inwendig einen fein gefälteten Hemdkragen, und ein seidnes Halstüchlein darüber herumgeschlungen; Auf dem Kopf ein kleines silbernes Häubchen; Nach kurzem Anschaun rief Franz lachend: »Ei meine Bertha! seht doch! seht wie schmuck das Mädel aussieht! Nun gieb mir nur deine gute Erfrischung, und nimm dafür meinen schönsten Dank.« Schnell entfernte sich die Kleine, um sich nicht durch Lachen zu verrathen, denn es war – Emma. Ihr folgte die Schwester, Jenem eine Schale Zwieback hinreichend, von welchem er dankend nahm, sich über den schwesterlichen Anzug freute und nun Bertha für Emma hielt, bis beide vor ihm standen, und schäckernd eine jede fragte: »Wer bin ich? Sprich, wer bin ich?« – Die holden Kellnermädchen tanzten anfangs wenig, sondern spielten ihre Rolle recht natürlich, indem sie sich geschäftig der Bewirthung annahmen, wo aber beständig eine Verwechslung der Schwestern zu Schulden kam. Nach einer Weile entfernte sich Franz auf einen Wink der Mutter, und kam im Anzug eines Tyrolers, der Teppiche zum Verkauf über der Achsel trug, ins Zimmer zurück. Bald warf er jedoch die Decken ab, und fing an zu Tanzen. Sein Herz zog ihn vor Allem zu den lieben Schwesterchen; er holte sich Bertha, ob er gleich Emma der Ältern den Vorzug zugedacht hatte; sprach jene aber immer als diese an; und das lose Mädchen ließ ihn lange auf seinen Glauben, redete wenig und schlug den Blick zu Boden; denn noch immer waren die Schwestern an den Unterschied der Stimme und Augen am kennbarsten. Endlich hielt Bertha im Tanzen inne, rief Emma zu sich und sagte: »Franz will mit Dir Tanzen, und nur durch einen Irrthum ist die arme Bertha des Glükes theilhaftig geworden. Zur Strafe für seine Partheilichkeit wollte ich nun den Herrn Bruder ein Weilchen zum besten haben. Doch Bertha's Zorn ist gar schnell verraucht, und also auch dem Herrn Geburtstäger in Gnaden vergeben.« –

»Was, Du bist nicht Emma?« fragte dieser erstaunt. »Ja wirklich!« fuhr er fort; »und ich hätte nur in Deine muthwilligen Augen schauen dürfen, dann würde ich gleich gewußt haben, woran ich bin; doch laß uns nur noch ein wenig fort waltzen, es geht ja auch mit Dir wie auf einem Schnürchen, und Emma tanzt nachher mit mir, nicht wahr?«

Wie dem eigenen Bruder, widerfuhr es den fremden Knaben und Mädchen; immer waren sie zweifelhaft, wenn sie mit den Schwestern tanzten oder plauderten, welche Emma oder Bertha sey; bis Jene ihnen oft selbst zu Recht halfen. Indessen machten sich Beide durch ihr Betragen allgemein beliebt, also störten die vorfallenden Verwechslungen die gesellige Freude nicht, welche diesen Abend in einer besonders freundlichen Gestalt im Kreise der Kinder waltete. Ja beim Abschied versicherten Alle dem Major und seiner Gattin: daß sie nicht leicht so froh und glücklich gewesen wären als heute. Franz aber fiel am Schluß der Lustbarkeit den geliebten Aeltern um den Hals, dankte ihnen gerührt für ihre genuß- und liebevollen Veranstaltungen zur Feier seines Geburtstags und gelobte für das neue Jahr auch durch neues Streben ihrer Liebe werth zu bleiben. – Er hielt getreulich Wort.

pag. 73.

Die Maskerade.

Das Pathengeschenk.

Bertha hatte ausser einer Taufpathin in ihrem Wohnort, auch noch eine auswärts, welche die vertraute Freundin der Majorin in früherer Zeit war. Auch jezt noch wechselten sie zuweilen Briefe, und keiner wurde gegenseitig abgesendet und empfangen, in welchem nicht des lieben Pathchens Erwähnung geschah. Nach der Schilderung der zärtlichen Mutter hatte Frau v. Weißmann eine sehr gute Meinung von Bertha gefaßt, und ihr Bildniß, das sie einst von den Aeltern derselben erhalten hatte, war ihr ein recht werthes Besizthum. Gerne hätte auch sie öfters Jener einen Beweiß ihres liebenden Andenkens zugeschickt; allein die Entfernung betrug viele Meilen, wodurch der Transport einer Sendung sehr erschwert wurde. Doch es ergab sich, daß ein, in Weißmanns Hause bekannter Officier in Berthas Wohnort versezt wurde. Diese Gelegenheit durfte nicht unbenüzt vorbeistreichen, und Hauptmann Halten wurde recht schön gebeten, einen Auftrag zu übernehmen. Gerne verstand sich dieser dazu, denn er war überdieß ein großer Kinderfreund; und Frau v. Weißmann brachte bei seinem Abschiedsbesuch Berthas Bildniß herbei, und suchte ihn zu bewegen, dasselbe recht anzuschauen, damit ihr liebes Pathchen, das für sie bestimmte Geschenk gewiß erhielt, und nicht die, ihr sehr ähnliche Emma, obgleich für diese auch Etwas beigepackt worden war. Halten glaubte sich des Portraits Züge recht eingeprägt zu haben, und reiste mit der Zusicherung, Alles aufs Beste zu übergeben, ab. Als er an dem Ort seiner Bestimmung angelangt war, überfiel sogleich den, nicht mehr jungen Mann eine bedeutende Krankheit und er mußte längere Zeit, das Bett hüten; durch jemand Anderm aber wollte er nicht die ihm anvertraute Gabe Falkensee's beiden Töchterchen einhändigen lassen, behielt sie also bis zu seiner Wiederherstellung zurück; der Hauptmann war ein frommer Krieger, daher besuchte er, nach wieder erhaltener Gesundheit vor Allem das Gotteshaus, um daselbst dem Höchsten für seine Hülfe zu danken. Von einer Emporkirche herab bemerkte er in einem untern Kirchenstuhl zwei Mädchen, die er sogleich für die Zwillingsschwestern erkannte, und nun sah er aber erst ein, wie schwer eine bezeichnende Verschiedenheit bei ihnen zu finden sey; Er nahm sich vor, die Mädchen auf eine Probe zu stellen, und glaubte sicherlich die, welche darin am besten bestehen würde, müsse Frau v. Weißmanns Pathin seyn, so sehr hatte er für Letztere, durch die Schilderung jener ein günstiges Vorurtheil gefaßt. Aber es zerstreute ihn der Anblick der Mädchen selbst in der Predigt ein wenig, denn er beobachtete immer dazwischen ihr Benehmen, und da entging es ihm nicht, daß das eine still und voll Aufmerksamkeit schien, hingegen das Andere unruhig hin- und herrückte, bald da, bald dorthin schaute, das Sacktuch, das Gesangbuch fallen ließ, und von dem Schwesterchen erst darüber getadelt wurde. Beim Herausgehen aus der Kirche, wo Halten den Kindern auf dem Fuße folgte, sah und hörte er, wie ein armer Greis dieselben um ein Almosen ansprach. Das fromme stille Kind schlug das Gesangbuch auf, nahm eine darin befindliche kleine Münze heraus, und reichte sie mit freundlicher Miene dem Armen; ihre Gefährtin suchte auch in ihrem Gesangbuch nach, doch – o weh! als sie es in der Kirche fallen ließ, mußte das Geld dadurch verloren worden seyn, – sie fand es nicht, schien sich aber leicht darüber zu trösten. Dies Alles gab dem Hauptmann Aufschluß über den Charakter der beiden Schwestern, und sein Liebling, die verständige und milde, mußte nun auch nach seiner Meinung das vielgeliebte Pathchen seyn, dem er ein so schönes Geschenk zu übergeben hatte. – Noch an demselben Tag begab er sich in Falkensee's Wohnung, und begrüßte den Major als seinen Kriegskameraden, ohne der Weißmännischen Familie und seines Auftrags zu erwähnen; aber als die beiden Mädchen nach einer Weile Hand in Hand ins Zimmer traten, begrüßte er sie freundlich, und sagte: »Ich habe schon heute Morgens in der Kirche eure Bekanntschaft gemacht, meine Lieben!« Beide schauten ihn fragend und zweifelnd mit großen Augen an. Er aber fuhr fort: »Ja, ja, so ist es; und ich glaubte, meine andächtige Kleine von dem unruhigen Schwesterchen bei einem Wiedersehen genau unterscheiden zu können, allein eure wunderbare Aehnlichkeit macht es mir dennoch unmöglich; daher sagt mir ehrlich, welche von Euch betrug sich so ruhig und anständig im Hause Gottes, und welche von Euch erfreute den armen Greis mit einer Gabe?« Die Mädchen standen verlegen vor ihm; eine Purpurröthe übergoß ihre Wangen, und ihr Blick senkte sich zur Erde. Endlich hub Bertha an, und sagte halbe laut: »ich war die Unruhige, meine Schwester ist viel artiger als ich.« Halten über diese Offenheit gerührt, stand einige Augenblicke zweifelnd, welchen der Kinder er den Vorzug einräumen, welches er für das Pathchen seiner Freundin erklären sollte. Da fiel ihm erst die Schilderung jener bei, welche ihm Bertha als ein lebhaftes, Emma als ein ruhiges Geschöpfchen bezeichnete, und schon wollte er Ersterer die bestimmte Gabe einhändigen; aber nun kam ihm der Gedanke: die Kleinen noch strenger zu prüfen. Er zog zwei Packette aus der Tasche, übergab das Größere der sanften Emma, und das Kleinere der muntern Bertha, indem er sagte: »meine Freundin Weißmann, Euch wohl bekannt, sendet Euch durch mich viele herzliche Grüße, und diese Geschenke.« Begierig öffneten die Kinder die Päckchen, und Emma fand in dem ihrigen ein schönes seidenes Halstuch, ein goldnes Ringchen mit Haargeflecht, und in einer hölzernen Frucht, die man öffnen konnte, niedliche kleine Kämmchen, Täßchen, Tellerchen, Töpfchen, u. s. w. von blendend weisen Elfenbein. In Bertha's Packett war ein etwas geringeres Halstuch und ein Kästchen voll Dewisen. Als der Hauptmann den Namen, Weißmann, nannte rief Bertha hoch erfreut: »Ach von meiner Pathin, von meiner guten Pathin!« und die Mutter, die während des Gesprächs ihrer Kinder mit Halten, an einer andern Stelle des Zimmers ein Geschäft vorzunehmen hatte, kam auch herbei, und war, gleich den Kindern, begierig, welchen Beweiß ihres Andenkens die entfernte Freundin gesendet haben würde. Als nun die schönen Sachen ausgepackt waren, überzeugte sich Emma sogleich, daß sie das unrechte Packett erhalten habe, und äusserte bescheiden gegen den Hauptmann: »Sie haben sich geirrt, lieber Herr! dies Geschenk gehört Bertha.« »Nein, nein!« fiel ihr diese in die Rede. »Der Herr hält Dich für vorzüglicher, und meint also, Du verdienst das schönere Geschenk. Er hat auch Recht, und da Du es einmal erhielst, so gehört es Dein, ich trete es Dir feierlich ab.« Emma wollte nichts davon hören, und der edle Wettstreit dauerte noch eine Weile. Endlich entschied Halten dahin: daß Emma, das ihr zugefallene Tuch und Spielzeug behalten, Bertha aber das Ringchen annehmen solle, da die Haare von ihrer Pathin, und durchaus ihr bestimmt seyen. Aber tief bewegt, setzte er noch hinzu: »Eure Bekanntschaft liebe Kinder rechne ich zu den angenehmen Erfahrungen meines Lebens, denn eure Schwesterliebe, und edle Uneigennützigkeit hat mich wahrhaft gerührt. O bleibt dieser schönen Denk- und Handlungsweise stets getreu, und seyd gewiß, daß Gottes Segen sie begleitet.« Nach diesen Worten umarmte er die Mädchen herzlich, wandte sich dann an die Baronin und sagte: »Jetzt erst, nachdem ich mein Vorhaben ausgeführt, und den Werth und Charakter Ihrer Töchterchen selbst geprüft habe, kann ich meinen erhaltenen Auftrag ganz genügen, und von ihrer Freundin, deren Abgesandter ich bin, Ihnen viel, recht viel erzählen, so wie von deren würdigem Gatten, meinem lieben Major. Wo ist er denn hingekommen?« dieser war vor einer Weile aus dem Zimmer gerufen worden; kehrte aber eben wieder zurück; seine Gattin bereitete darauf den Theetisch, und daran wurde in traulicher Runde Plaz genommen. Dann begann eine, für den ganzen kleinen Kreis wichtige Unterhaltung, deren Hauptgegenstand die Weißmännische Familie war. Bertha blickte dabei nicht selten auf den, an ihrem Fingerchen schimmernden Ring, und sie und Emma vergnügte oft späterhin in Friede und Eintracht das niedliche, von der gütigen Pathin erhaltene Spielzeug.

Der kranke Zahn.

»Ach Mutter!« jammerte an einem Morgen Emma. »Diese Nacht ließen mich meine bösen Zähne wieder gar nicht schlafen, sage mir doch ein Mittel, das mich von dem argen Schmerz befreit.« »Warte mein Kind;« tröstete sie die Baronin; »heute ist Rasiertag, wenn Herr Ziegler zum Vater kommt, wollen wir ihn um Rath fragen.« Kaum konnte ihn Emma erwarten, und hoffte zuversichtlich Hülfe von ihm. Allein sie hatte sich einigermassen getäuscht; denn jener war ein großer Liebhaber vom Zahn ausnehmen, vor dieser gewaltsamen Operation schauderte aber die zarte Emma zurück, und ließ sich durchaus nicht bewegen, sich derselben zu unterwerfen. »Haben sie den gar kein anderes Mittelchen?« fragte Frau v. Falkensee; und Ziegler erwiederte: »Zu Hause steht wohl eine Tinktur, die zuweilen den Schmerz hie und da gestillt hat, aber immer nur auf kurze Zeit, das Beste ist, wie ich schon sagte, man macht mit dem Friedensstörer kurzen Prozeß, und giebt ihm den Laufzettel.« »Nein, dazu versteh ich mich nicht,« entgegnete Emma und der Chirurg ging seiner Wege. Doch im Lauf des Tages wurde es immer ärger mit dem armen Mädchen. Der Schmerz preßte ihr bittere Thränen aus dem Auge, und sie vermochte weder zu arbeiten, noch zu spielen, sondern lag größtentheils auf dem Sopha und klagte laut. Bertha, die zärtliche Schwester, fühlte das tiefste Mitleid mit der Leidenden, und sagte unter andern: »Ich habe auch einen dienstuntauglichen Unterthan in meinem Mund, und herzlich gerne wollte ich mir ihm auf der Stelle herausziehen lassen, ob er sich gleich nicht rebellisch beträgt, wenn es meiner Emma etwas nützte.« Die Mutter kam herzu, hörte diese Aeusserung, und sagte: »Dies Opfer verlange ich nicht, aber Du könntest zu Ziegler gehen, und ihn um seine Tinktur bitten; ich weiß nicht warum der wunderliche Mann dieselbe nicht schickt, da ich ihn doch beim Weggehen darum bat.« Ungesäumt eilte Bertha fort, blieb aber ziemlich lange aus. Endlich erschien sie, und trat unter herzlichen Lachen ins Zimmer. »Rathet einmal rathet, was mich so lange aufhielt!« rief sie, »es lebe Herr Ziegler der geschickte Zahnarzt!« darauf brach sie wieder in Lachen aus, und konnte kaum zur Erzählung kommen, so sehr belustigte sie die Erinnerung an das bestandene Abentheuer. Doch der Mutter Gebot: ernsthaft zu seyn, und ein Blick auf die leidende Schwester, mäßigte ihre muthwillige Laune, und sie wickelte nun aus ihrem Sacktuch das kranke Zähnchen, dessen sie vorhin erwähnte. »Wie?« fragte die erstaunte Mutter. »Du hast dir ohne alle Ursache den Schmerz zugezogen, und den Zahn herausnehmen lassen?« »Freilich,« erwiederte das muthvolle Mädchen. »Zwar geschah es von meiner Seite nicht freiwillig, aber ich bereue es nicht, hat der faule Schelm doch zu nichts mehr getaugt; hier ist vor Allem die Tinktur, und nun will ich erzählen, wie es mir erging.« Sie fuhr fort, indem sie sich zu Emma wandte, während die Mutter bei derselben das mitgebrachte Mittel anzuwenden suchte. – »Unsere schon oft angestaunte Aehnlichkeit mein liebes Zwillingsschwesterchen hat mich um meinen armen Zahn gebracht. Es war wohl nichts an ihm gelegen, allein es ist doch eine eigene Sache, so mir nichts, dir nichts, eine solche Strafe vollziehen zu lassen. Indeßen als mich Herr Ziegler erblickte, rief er mir gleich zu: »Aha mein liebes Kind, ich errathe, was Sie zu mir führt; der Bösewicht in ihrem Mäulchen läßt ihnen keine Ruhe: Nun, nun, setzen Sie sich nur, sie sollen gleich von ihm befreit werden.« »Hollah« dachte ich. Der grimmige Helfer hält mich für mein Schwesterchen. Nun es sey! Er wird mir den Kopf nicht mit dem Zahn abreißen, und ich kann dann meiner lieben Emma beschreiben, wie es thut, kann ihr zu oder abrathen meinem Beispiel zu folgen. Unter diesen Betrachtungen hatte Herr Ziegler seine Instrumente herbeigeholt und ein kleines Sesselchen auf welches ich mich geduldig setzte, und ruhig erwartete, was über mich ergehen würde. Seine Magd sollte mir den Kopf halten, dies verbot ich mir aber, auch war es nur ein Ruck, ein Augenblick, und die ganze Geschichte hatte ein Ende; dann kam ein bischen Blut, und als dies auch vorüber war, erklärte ich dem guten Freund seinen Irrthum. Er lachte laut auf, prieß meinen Muth, und meinte, Du liebe Emma solltest ihm nun auch das ungeheuere Vergnügen machen, und dich von deinem schlimmen Zähnchen auf solche Weise befreien.« Emma schüttelte das Köpfchen, obgleich Bertha ihr versicherte: daß der Schmerz der Operation schnell vorübergehend sey, der ihrige sie aber noch lang quälen würde. So war es auch, sie litt' noch mehrere Tage und Nächte, und zuletzt mußte sie sich doch noch den Händen des allzeit fertigen Zahnausnehmer anvertrauen, welcher das muthige Schwesterchen ihr lobpreisend zum Muster aufstellte; und auch die Mutter konnte Bertha ihren Beifall nicht versagen, da sie durch die entschloßene Aufopferung des kranken Zahn's die übrigen gesunden vor Ansteckung schützte, und Zahnschmerz auch in Zukunft zu den Uebeln gehörte, die sie fast gar nicht aus Erfahrung kennen lernte.

Versuchung und Reue.

Frau von Wellenfells, eine Schwester des Majors, hatte ihren Gatten vor 2 Jahren verloren, und ihr schon länger kränkelnder Körper erlag fast unter dem Schmerz jener Trennung. Als sie sich nach und nach wieder etwas erholt hatte, riethen ihr die Aerzte Wohnung- und Luftveränderung, und sie beschloß eine Reise zu ihrem Bruder zu machen, und einige Zeit bei ihm zu bleiben. Man nahm sie gerne auf, denn sie besaß viele Vorzüge, und besonders gewann sie bald die Gunst der Kinder, da sie die Gabe hatte, sie auf allerlei artige Weise zu unterhalten. Sie spielte trefflich den Flügel, wußte viel aus ihrem Leben, so wie auch andere nette Geschichtchen zu erzählen, und in ihrer reichhaltigen Bibliothek befanden sich manche werthvolle Jugendschriften. Wenn sie recht guter Laune war, so lehrte sie Franzen verschiedene kleine Taschenspielerkünste, mit und ohne Karten; und dann war sie auch nicht abgeneigt, mit den Mädchen in ihren Feierstunden zu kochen, und aus frischen und getroknetem Obst, und andern Süssigkeiten, herrliche Gerichte zu verfertigen. Doch, wie gesagt, dies geschah nur, wenn sie sich ganz wohl fühlte, und dann recht heiter war. Oft aber störte ihre Zufriedenheit wirkliches Unwohlseyn; nicht selten auch eingebildetes. Ja dies war eine ihrer Schwächen, daß ihr körperliches Befinden sie viel beschäftigte, und sie immerwährend an sich kurirte. Sie fragte dabei selten einen Arzt, sondern ihre Hausapothecke, die sie mit sich führte, enthielt für alle Arten Uebel ein Mittelchen, dessen sie sich noch obwaltenden Umständen bediente. Es gab darinnen niederschlagende Pulver, Magen- und Nervenstärkende Tropfen, heilsame getrocknete Kräuter, Latwergen, kräftige Wasser, zusammengesezter Essig, und ausser dergleichen Dingen noch viel Gutes zur Erfrischung und Labung in krankhaften Zuständen. – Als sie in Falkensee's Wohnung anlangte, und ihr Zimmerchen ihr angewiesen war, so ließen sich's Emma und Bertha nicht nehmen, sie dahin zu begleiten, und waren sehr geschäftig beim Auspacken und Einrichten ihr zu helfen. Dabei kam den nun auch das kleine Schränkchen mit der erwähnten Apotheke zum Vorschein, und Tante Hildegard wieß ihr den Plaz in einem Wandbehälter an, der unversperrt, und nur mit einem Griff zum Auf- und Zumachen versehen war. Auch ihre Bücher stellte sie in einem zweiten ähnlichen Schrank, der sich in einer andern Seite der Wand befand. Diese getroffene Maßregel war Bertha höchst angenehm; den Neugierde war ein Hauptfehler des Mädchens, und diese regte sich mächtig beim Anblick der Besitzthümer Hildegardens in ihr; ja sie flüsterte der Kleinen zu: »in diesen unverschlossenen Schränken kannst Du ungehindert öfters alle die Gegenstände und Bücher, die sich darin befinden, genau untersuchen und durchblättern, und Dich damit recht angenehm unterhalten.« Eine bessere Stimme in ihrem Innern widersprach Jener, und ermahnte Bertha: »der Aeltern oft erhaltenen Befehl, ihre Neugierde zu besiegen, Folge zu leisten.« Allein die Lockung war zu groß, denn zufällig waren ihr bei der Einrichtung manche, schon dem Aeußern nach, köstliche Bücher in die Hand gekommen, die sie gar zu gerne näher und länger betrachtet hätte, sie war jedoch gegen die Tante noch zu schüchtern, dieselbe darum zu bitten; auch stack ihr gewaltig das niedliche Schränkchen im Kopf, dessen Inhalt sie zu kennen wünschte. Als daher einmal Hildegard mit der Mutter ausgegangen war, um einige Besuche abzustatten, schlich sich Bertha in ihr Zimmer, kam an den Bücherschrank, nahm eines der Bücher nach dem andern heraus, und in welchem Bilder waren, mit dem unterhielt sie sich eine geraume Zeit. Sie hatte sie noch nicht alle durchgesehen, als sie Tantens Stimme hörte. Eilig stellte sie das Buch, das sie gerade in Händen hielt, an seinen Ort, schlug den Schrank zu, und begab sich an das Fenster, vor welchem schöne Blumen in Töpfen standen, womit man Hildegarden bei ihrer Ankunft beschenkt und überrascht hatte. Bertha ergriff ein Glas Wasser, das in der Nähe stand, begoß damit ein paar der Blumen, und Jene traf sie bei diesem Geschäft. »Das ist schön,« sagte die Tante, »daß Du für meine Blumen Sorge trägst;« und Bertha verbarg das Gesichtchen in einen buschigten Gyranienstock, denn das erhaltene unverdiente Lob jagte ihr das Blut ins Gesicht. »Ich will noch mehr Wasser holen,« sagte sie, und eilte fort, ihre Verlegenheit nicht bemerkbar werden zu lassen. Sie hatte jedoch den Griff des Bücherschrank's vorhin nicht hinreichend herum gedreht, und als sie zur Zimmerthüre hinausstürmte, flog vom Zug der Luft die Schrankthüre auf, und Hildegard sagte, indem sie dieselbe wieder zu machte: und dann daran rüttelte, »Ei, ei! mein Nichtchen hat sicherlich in meinen Büchern gekrammt, den heute früh, als ich mein Gebetbuch hinein stellte, verschloß ich den Schrank ganz fest, wie auch jetzt wieder, wo er nicht so leicht auffahren kan.« Sie frug bei Käthe – ihrer Kammerjungfer – nach. Diese aber konnte keinen Aufschluß geben, da sie eine Wäsche für ihre Gebieterin zu besorgen hatte, und deshalb mehrere Stunden im Hofraum beschäftigt war. Nach einigen Tagen, als Tante mit ihrem Lieblings-Nichtchen, Emma, abermals ausgegangen war, begab sich Bertha, vom unwiderstehlichen innern Drang getrieben, wieder in Hildegards Zimmer, um das kleine Schränkchen, wegen dem ihre Neugierde sie nicht ruhen ließ, in der Nähe zu beschauen. Sie fand, die schon früher angegebenen Gegenstände darin, las die Aufschrift jedes Glases, jedes Schächtelchens, stellte und legte Alles ordentlich wieder an seine Stelle, und als sie ihre Neugierde vollkommen befriedigt hatte, wollte sie sich aufs Neue mit dem Bücherschrank unterhalten; aber sie vernahm Tritte, und verließ also eilig das Zimmer. Wirklich war es Käthe, welche die Treppe herauf kam; doch da die Kinder auf demselben Stockwerk auch ihre Spielzeugkämerchen hatten, so konnte Bertha eben so gut von diesem herkommen, und Jene dachte nichts arges dabei. Am Abend dieses Tages, als die Schwestern im Bette lagen – (sie hatten ihr eigenes Schlafstübchen) – und nach Gewohnheit noch eine Weile plauderten, seufzte mitunter Bertha tief auf, und Emma fragte sie besorgt, was ihr fehle? »Ach Gott!« erwiederte sie: »mich quält die Reue! Ich war den guten Aeltern heute, und auch vor ein paar Tagen recht ungehorsam. Oft schon verwiesen sie mir ernstlich meine Neugierde, und geboten mir, sie zu beherrschen, und dennoch folgte ich der Lockung derselben, statt ihren Ermahnungen.« Nun erzählte sie Emma Alles was meine Leser schon wissen, und schloß mit einer lebhaften Schilderung der Hausapothecke. Sie sagte: »O Schwesterchen in dieser sind gute Sachen! Nach der Aufschrift der Gläser und Schachteln giebt es Himmbeersaft, Hagenbuttensulze, Brustzelten, Magenmorsellen, süße Latwergen, von verschiedener Art und noch eine Menge herrlicher Erquickungen, für Kranke, die ich darnach gar nicht mehr weiß.« »Ei da wässert auch Gesunden der Mund!« versetzte Emma, die ein gewaltiges Leckermäulchen war. Ja ihre Neigung zur Naschhaftigkeit hatte ihr schon manchen Verdruß zugezogen, ohne daß sie dadurch von Jener ganz befreit worden wäre. Bertha's Erzählung machten den erwähnten Hang wieder ungemein in ihr rege, und er raubte ihr sogar noch eine Weile den Schlaf. Immer sah sie im Geiste die gefüllten Gläser, Tiegelchen und Schachteln vor sich, und das Gelüsten nach ihrem Inhalt überwog das Vermögen, der Stimme der Vernunft und Pflicht, die sich in ihrem Innern erhob, Gehör zu geben. Auch am andern Morgen war bei Emma's Erwachen die Hausapotheke ihr erster Gedanke, und als sie die Tante im Laufe des Tag's zu einem Spaziergang aufforderte, schützte sie eine Arbeit, die sie für den Lehrer zu verfertigen habe, vor, und bat: daß Hildegard lieber Bertha mitnehmen möchte. Erstere prieß ihren Fleiß, ihre Schwesterliebe, und that was sie wünschte. Auch die Mutter schloß sich an Jene an, und so hatte Emma freien Spielraum, den sie, trotz ihres mahnenden und strafenden Gewissens zu benützen sich vornahm. Allein noch, als sie schon vor dem Wandbehälter stand, der das Ziel ihrer Wünsche verschloß, war sie im Zwiespalt mit sich selbst, ob sie der Versuchung folgen, oder ihr muthig widerstehen sollte.

»Ach nur sehen will ich die köstlichen Sachen, und mich an ihrem Anblick weiden;« sagte die Stimme der Verführung in ihr. »Nein, es ist Sünde!« sprach das Gewissen. »Allein das Anschauen ist eine Freude, die Du dir doch erlauben kannst;« wandte Erstere ein, und so öffnete denn Emma den Behälter, und auch das kleine Schränkchen. Nun war es aber um jede Kraft zum Widerstand geschehen. Zu lockend blikten ihr alle die Süssigkeiten entgegen, sie mußte sie kosten. Ja sie nahm von jeder einen Mundvoll, doch so geschickt, daß man es nicht bemerken konnte; brachte dann alles wieder an seine Stelle, und schlich sich davon. Diesmal aber hatte Käthe des Mädchens Thun und Treiben bemerkt, wußte indessen nicht, ob es Emma oder Bertha war, welche sie ohnehin immer verwechselte.

Bald nachher offenbarten sich die Folgen von Emma's Vergehen; denn sie hatte von allen Sulzen, Latwergen und Zelten genoßen, schnell alles verschluckt, und die vielen Leckereien erregten ihr heftige Ueblichkeiten und Magenbeschwerden. Ueberdieß kam Mittag ihr Leibgericht, eine Stockfischpastete auf den Tisch, und ob sie gleich schon nicht ganz wohl sich fühlte, so konnte sie sich's doch nicht versagen, ihre Gelüste darnach zu stillen, und ziemlich viel davon zu eßen. Ihr nachheriges vergrößertes Uebelbefinden wurde nun auf Rechnung jener Speise geschrieben, und Niemand forschte weiter darnach. Aber als am Abend Käthe, die Kammerzofe, ihrer Herrschaft beim Auskleiden behülflich war; sagte sie: »Ich weiß wohl, wo Fräulein Emma's Unwohlseyn hauptsächlich herrührt, die arme Stockfischpastete ist nicht allein Schuld.« Hildegard erwiederte strenge: »Nun so sage was du weißt.« Käthe erzählte ihre gemachten Beobachtungen, und Tante schüttelte unwillig den Kopf. »Nein, nein,« entgegnete sie, »du verwechselst die Schwestern. Emma, meine gute Emma ist einer solchen Handlung nicht fähig; eher die leichtfertige Bertha, die noch überdies recht neugierig ist, denn neulich gerieth sie sicherlich über meinen Bücherschrank.« Die Dienerin versezte: »Auch mir begegnete gestern eine der Schwestern auf der Treppe, doch welche es war, kann ich unmöglich angeben, sie sehen sich zu ähnlich.« Am andern Tag theilte Hildegard der Majorin Kätchens Erzählung mit, und Bertha wurde vor das mütterliche Gericht berufen. Auch die Tante war bei dem Verhör gegenwärtig, und das ehrliche Töchterchen gestand augenblicklich den zweimal begangenen Fehler, wofür sie den verdienten Verweiß erhielt, und ruhig denselben hinnahm. Aber als Hildegard in sie drang, auch zu bekennen, daß sie genascht habe, da braußte die, dem Mädchen eigene Heftigkeit auf, und nur der Mutter drohende Stimme, brachte sie wieder ins Geleise. Die Tante äusserte: »sie wolle es dahin gestellt seyn lassen;« schien jedoch ihren Argwohn nicht ganz aufgegeben zu haben, was Bertha innig schmerzte. Zwar hatte Jene am Morgen, als sie ihre Hausapotheke untersuchte, keine Spur von irgend einem unberufenen Besuch derselben entdeckt, und da Käthe ihr schon einigemal Beweise eines verläumderischen Charakters gegeben hatte, so wußte sie nicht, was sie von der Sache denken sollte, und ließ sie scheinbar beruhen. Ihre geliebte Emma sprach sie in ihrem Herzen ganz frei von Schuld, da ja Bertha eingestanden hatte, zweimal in ihrem Zimmer gewesen zu seyn; gegen diese aber war sie, seit dem Vorfall auffallend kälter, denn sie zweifelte immer noch daran, ob sie Wahrheit gesprochen habe, und die Lüge haßte sie mit Recht, als das schändlichste Vergehen. Beide Schwestern bemerkten ihre veränderte Stimmung und Bertha sprach sich gegen Emma recht tief betrübt darüber aus. Sie kannte des Schwesterchens Fehler, und hielt dafür, daß es gemaußt habe, allein sie konnte es nicht über sich gewinnen, dasselbe darum zu befragen. Emma jedoch kämpfte mit ihrem Innern zwei Tage lang, und fühlte sich immer nicht fähig den bessern Entschluß, der in ihr entstand, auszuführen. Länger aber vermochte sie es nicht, die unverdienten zärtlichen Liebkosungen der Tante anzunehmen, und zu ertragen, daß Bertha's Augen bei der sichtlichen Unfreundlichkeit Hildegardens in Thränen schwammen – sie fiel, als dies einmal wieder der Fall, und sie mit der Schwester alleine war, dieser weinend um den Hals, und entdeckte ihr, was sie gethan hatte. Von ihr aus flog sie an das mütterliche Herz, und bekannte auch da ihre Schuld, so wie sie dieselbe der Tante nicht verschwieg. Natürlich ließ man der kleinen Näscherin den wohlverdienten Unwillen fühlen; aber ihr aufrichtiges Bekenntniß und Bertha's dringende Fürbitten erwarben ihr auch wieder Verzeihung. Sie gelobte Besserung, und hielt was sie versprach. Entschlossen besiegte sie künftig jede Versuchung zu naschen, wich aber dabei auch der gefährlichen Schaulust aus, und gewann dadurch in einem noch höheren Grad die Liebe der Ihrigen. Die Tante aber bat Bertha förmlich den, im Stillen gegen sie gehegten Argwohn ab, und suchte ihr denselben durch verdoppelte Erweisungen ihres Wohlwollens zu vergüten. –

Belohnte Gastfreundschaft.

Kaum war, nach einem 6monatlichen Aufenthalt der Tante Hildegard, das Gaststübchen leer geworden, so wurde es auf der gutmüthigen Bertha Veranlaßung wieder besezt. Sie besuchte an einem Nachmittag ihre Freundin Malwina, und nachdem sie einige Stunden vergnügt bei ihr zugebracht hatte, wollte sie wieder nach Hause kehren. Es war Dämmerung, der Regen plätscherte aus den Wolken hernieder, und dabei stürmte es so gewaltig, daß Bertha kaum den kleinen Regenschirm, der sie schützen sollte, erhalten konnte. Zulezt riß ihr ihn wirklich ein Windstoß aus der Hand, und jagte ihn an den Rand einer Brücke, über die gerade das Mädchen mühsam schritt. Erschrocken sah sie dem Fliehenden nach, und gewahrte, daß ein Wanderer auf ihn zulief, ihn glücklich erhaschte, und Bertha für die Eigenthümerin erkennend, denselben zustellte. Sie dankte ihm freundlich, er aber erbot sich, da seine Kräfte eher zureichten, den Schirm über sie zu halten, und sie nach Hause zu begleiten. Die Kleine nahm es dankbar an, und versicherte dem jungen Mann ihre Theilnahme, da von seinem Reisehemd und seinem Ränzchen das Wasser immerwährend herunter troff. »Wäre ich nur gesund;« versezte der Wandersmann; »dann würde mich der Regen wenig kümmern, aber ich wollte lieber zu Bette liegen, als in der Nässe herum waten.« Bertha schaute ihn mitleidig an, und sagte: »Armer Mann! wie bedaure ich Sie! Geht denn die Reise noch weit?« Jener erwiederte: »Ei freilich noch mehrere Meilen habe ich zurückzulegen, bis ich in meine Heimath komme.« Bertha's Neugierde und Theilnahme stellte noch viele Fragen an ihren Begleiter, und so erfuhr sie denn: daß er der einzige Sohn reicher Aeltern sey und auf der hohen Schule seines Wohnorts die Theologie studiere, daß er in den Feiertagen entfernte Verwandte besucht habe; auf der Rückreise krank geworden sey und seine ganze Baarschaft, bis auf einen kleinen Rest dadurch aufgezehrt hatte. Noch nicht völlig erholt, wollte er doch weiter wandern, allein im lezten Dorf sey er wieder liegen geblieben, was die lezten Gulden vollends gekostet habe. Nun wisse er nicht einmal, wo er diese Nacht ohne Geld als Fremder eine Unterkunft finden würde. »Ach wüßte meine gute Mutter, in welcher Verlegenheit sich ihr Heinrich befindet, wie würde sie sich grämen und ängstigen!« fügte er am Schluße seiner Mittheilungen tief seufzend hinzu. Auch Bertha seufzte mit, und in ihrer Seele entstand ein Entschluß, den sie nicht als unausführbar verwerfen konnte und wollte. Sie kannte ja die Menschenfreundlichkeit ihrer Aeltern, und hoffte, keine Fehlbitte zu thun, wenn sie dem Reisenden ein Obdach in ihrem Hause für diese Nacht von Jenen zu verschaffen suchte. In ihrer Wohnung angelangt, bat sie den Wanderer auf dem Vorplaz ein wenig zu verziehen, flog ins Wohnzimmer, wo auch gerade der Vater zugegen war, und erzählte mit eiligen Worten des Fremden gefälliges Benehmen gegen sie, und seine Noth. Augenblicklich wurde ihm die Thüre geöffnet, und es verging keine Stunde, so war er in der Familie einheimisch, und wie ein Glied derselben von Allen betrachtet. Besonders schloß sich Franz herzlich an ihn an, und auch der Major und seine Gattin fanden Gefallen, an dem gebildeten, sittlich guten Jüngling. Aber ach, der Arme war noch nichts weniger, als gesund, und schon die erste Nacht brachte er in einem fieberhaften Zustande, zu. Am andern Morgen wurde der Arzt gerufen, und er erklärte den Kranken für bedenklich. Man kann sich die Sorge der Falkensee'schen Familie denken, und Bertha weinte manches Thränchen; denn die Mutter ihres Gastes, welche dieser mit so begeisterte kindlicher Liebe geschildert hatte, lag dem guten Mädchen immer im Sinn, und sie dachte sich lebhaft ihren Gram, wenn sie den geliebten Sohn in der Ferne verlieren sollte. Zu seiner Rettung und Pflege wurde nun Alles aufgeboten, und die Kinder wetteiferten mit den Aeltern darinnen. Namentlich ließ es sich Franz nicht nehmen, seinen neuen Freund treu zu bedienen; Bertha aber übernahm emsig alle Geschäfte, die ihr angemessen waren, und nur aus schwesterlicher Gefälligkeit überließ sie zuweilen Emma eines oder das andere. Heinrich genaß, und sobald es ihm von dem Arzt erlaubt wurde, berichtete er in einem Brief seine Aeltern von seinen gemachten frohen und traurigen Erfahrungen, wobei natürlich die Aufnahme und Behandlung welche ihm im Falkensee'schen Hause zu Theil geworden war, hoch von ihm gerühmt, und mit den lebhaftesten Farben geschildert ward. Bald erschien von Volkmar – so hieß Heinrichs Vater – ein Antwortschreiben voll Aeusserungen des innigsten Dankes gegen die Wohlthäter seines Sohnes, und auch das, von dem Jüngling erbetene Geld zur Rückreise und zur Bestreitung noch anderer Ausgaben, hatte Jener beigelegt. Es war gerade Messe, als es anlangte, und nun wußte Heinrich nichts angelegentlicheres zu thun, als mit Franz und seinen beiden Schwestern den Markt zu besuchen; denn es glühte in ihm das Verlangen: den kleinen Freunden thätige Beweise seiner Dankbarkeit zu geben. Auch für Frau v. Falkensee kaufte er einen geschmackvollen Seidenzeug zu einem Kleid, für den Baron einen schönen Pfeifenkopf, für seine Lieblingsschwester Bertha (wie er sie öfters gegen Franz nannte) goldne Ohrenringe, welche aus kleinen bunten Juwelen ein niedliches Blümchen bildeten; Emma sollte einen Wollenhacken von Silber erhalten, und Franz eine reich eingerichtete Brieftasche.

Jugendliche Ungeduld ließ Heinrich die Nachhausekunft nicht erwarten; nein schon auf dem Markt theilte er die Geschenke an die Geschwister aus. Aber im Gewühl der Menschen Menge verwechselte er, was ihm auch auf dem Krankenbette öfters wiederfahren war, die, sich so ähnlichen Zwillingsschwestern; und Emma erhielt, was er für Bertha bestimmt hatte, diese, was Jene erhalten sollte. Erst als zu Hause den Aeltern Alles jubelnd von den Kindern gezeigt wurde, bemerkte Heinrich den Irrthum, und zwar mit wahrem Schmerz; denn obgleich er Emma's Vorzüge einsah, und sie deshalb ebenfalls brüderlich liebte, so war er doch Bertha einen größern Beweiß seiner dankbaren Anerkennung schuldig. Ihrer Vermittlung hatte er ja die gastfreie Aufnahme im Hause der Aeltern zuzuschreiben, sie befreite ihn damals aus einer großen Noth und Verlegenheit und erzeigte ihm später viele, freundliche Dienste. Er klagte Franz was geschehen war, und bat ihn: die Schwestern auf irgend eine Weise zu einem Tausch zu bewegen; doch noch ehe dieser seinen Auftrag ausrichten konnte, trat Emma, die schon Ohrenringe besaß, Bertha die neuerhaltenen ab, und nahm dagegen den Wollenhacken; denn ihr richtiges Gefühl sagte ihr, daß nicht sie, sondern Jene das werthvollere Geschenk von dem lieben Gast verdient habe. Wie freute sich dieser als er nach einigen Tagen Bertha im Besitz des ihr bestimmten Eigenthum's erblickte. Doch die erhaltenen schönen Sachen waren nicht die alleinige angenehme Folge der, von der Falkensee'schen Familie bewiesene Gastfreundschaft. In Heinrichs Wohnort lebte ein böser Schuldner des Majors, von dem er, trotz alles Mahnen's die geliehene Summe nicht bekommen konnte. Der Vater des wackern Jünglings war ein geschickter Rechtsgelehrter, und sobald der Sohn im älterlichen Hause die Freuden des Wiedersehens genoßen hatte, war es eine seiner ersten Bemühungen, die Angelegenheit des Barons dem Vater zur baldigen und erfolgsreichen Besorgung anzuempfehlen. Volkmars getroffenen Maßregeln gelang es, die genügte Zahlung zu bewerkstelligen, und nun konnte er es nicht versagen, die, schon für verloren geachtete Summe Falkensee selbst einzuhändigen, und die edlen Menschen kennen zu lernen, welche seinem Sohn so viel Gutes erzeigten. Der Vater des, von Allen geliebten Heinrichs wurde aufs freundlichste empfangen, und auch gegen ihn jede Pflicht der Gastfreundschaft treu und freudig geübt. An einem Abend, als der Major und Volkmar bei einer Pfeife Taback beisammen saßen, und traulich von diesem und jenem schwazten, kam das Gespräch auf ihre Jugendjahre, und nun ergab sichs: daß sie beide als Knaben eine Schule besuchten. Man rief sich allerlei lustige und verwegene Streiche ins Gedächtnis zurück, welche damals zu Schulden kamen, und unter andern erwähnte der Major einer Lebensgefahr, in welche ihn und andere, Knaben-Uebermuth gebracht hatte. Es zog nämlich einmal im Winter, wo es kaum ein paar Nächte gefroren hatte, eine Schaar wilder Jungen auf einen nahen Teich, der nur mit dünnem Eis überzogen war, und wollten darauf Schlittschuh laufen. Falkensee war der erste, der es versuchte, und – siehe da – des Wassersspiegels Decke krachte, jener plumpste hinein, und würde ertrunken seyn, wäre nicht ein entschlossener Knabe herbei gesprungen, und hätte jenen gerettet. »Was!« – rief Volkmar, das waren Sie? Ach so habe ich meinem Sohn einen Wohlthäter am Leben erhalten. Wunderbarlich sind die Führungen Gottes! – Wohl erinnere ich mich der Begebenheit fuhr er fort, aber die Furcht vor der Strafe bestimmte mich, damals bei der Sache mich ganz stille zu verhalten, und so blieb mir der Name des Schülers, der überdies mit mir nicht die nämliche Claße besuchte, unbekannt. Auch Falkensee staunte, und er und alle die Seinigen, (als sie die Begebenheit hörten,) waren tief gerührt. Jener aber sezte noch hinzu, der Schrecken, den das kalte Wasserbad bei mir verursachte, benahm mir in den ersten Stunden das deutliche Bewußtseyn, und nachher waren – wie es bei Kindern gewöhnlich der Fall ist, die nähern Umstände des Ereignisses gar bald vergessen. Späterhin aber dachte ich öfters an meinen Lebensretter, und wünschte ihn zu kennen. Meine Mitschüler konnten mir jedoch keinen Aufschluß geben, und so war es mir für diesen Augenblick aufbehalten, mich dem Edlen zu nähern, jezt erst den Dank gegen ihn auszusprechen, den ihm schon früher mein Herz weihte. »Stille, stille!« fiel ihm Volkmar ins Wort. »Dem Vater ist Alles abgetragen worden, was der Mitschüler etwa einst verdient hatte.« Und nun zählte er wiederholt alles Gute auf, was sein Sohn in dieser Familie genossen hätte. Daß Bertha dabei zu erwähnen nicht vergessen wurde, läßt sich denken; doch Volkmar verwechselte sie sehr oft, und auch gegenwärtig mit Emma, die aber bescheiden dann immer zurück wich, und der Schwester das erhaltene Lob abtrat.

Nach einigen Wochen reißte Volkmar wieder ab; in der spätern Zeit werden wir indeßen ihm und seinem Sohne, nur unter andern Verhältnissen, in dieser Geschichte wieder begegnen. Bis dahin nehmen auch wir freundlich Abschied von ihnen.

Die plauderhafte Dienerin.

So oft der Postbote einen Brief brachte, wurde der Kinder Erwartung gespannt. »Er ist gewiß von Heinrich;« meinte Franz. »Oder von meiner lieben Pathin;« äusserte Bertha, und Emma freute sich immer auf Nachrichten von Moosdorf, von dorther eine Zuschrift erwartend. Wirklich wurde diesmal ihre Hoffnung erfüllt. Es traf ein Schreiben von Herrn Werthlieb ein, in welchem er zwar von seinem und der Seinigen Befinden Erfreuliches zu berichten hatte, aber zugleich meldete er auch den erfolgten Todesfall des Schullehrers im Ort, des wackern Feßlers, der noch recht gut in Franzens und der Schwestern Andenken lebte, und welchem sie jetzt wehmüthig im Geiste ein – »Schlafe wohl redlicher Mann!« nachriefen. Feßler besaß kein Vermögen, aber viele Kinder, daher mußte Suschen die älteste Tochter sich entschließen, Dienste zu suchen. Sie war ein Mädchen von 14 Jahren, und wir kennen sie schon aus Emma's Tagebuch, wo sie derselben als eine etwas wilde Gespielin Bertha's erwähnt: doch längere Kränklichkeit des Vaters, und endlich sein Tod hatten jede Spur von Ausgelassenheit in ihr vertilgt, und es war ihr mit dem Verlangen: in der Fremde eine gute Unterkunft zu suchen, und diese durch ein wackeres Betragen zu verdienen, wahrer Ernst. Dies wußte Werthlieb, und hegte im Stillen den Wunsch: Suschen möchte in dem, von ihm so hochgeachtetem Falkensee'schen Hause ein Plätzchen erhalten. Er unterließ daher nicht in seinem erwähnten Schreiben die Lage von Feßlers Hinterbliebenen nach ihrer wahren Beschaffenheit Mitleid erregend darzustellen; und auch Suschens Vorhaben mit bedeutungsvollen Worten anzuführen. Zum Glücke jener war gerade die Majorin entschloßen, ihrem Stubemnädchen den Dienst aufzukündigen, da sie Ursache hatte mit ihr sehr unzufrieden zu seyn und, Bertha, der alten Freundschaft eingedenk, rief, sobald Werthliebs Brief vorgelesen war. »O lieb Mütterlein, nimm Suschen in Dienst statt Christinen!« Auch Emma stimmte bei, und so kam es denn wirklich dazu, daß des Pastors geheimer, menschenfreundlicher Wunsch erfüllt wurde.

Schon war Suschen mehrere Wochen im Dienst, und man fand gegenseitig keine Veranlaßung, den gethanenen Schritt zu bereuen. Das Mädchen that ihre Schuldigkeit, vollzog pünktlich alle erhaltenen Befehle und Aufträge, und hatte dafür das beste Leben. Ja ihre gütige Herrschaft nahm auf ihre vermögenslose Lage Rücksicht, und beschenkte sie noch ausser dem bedungenen Lohn, mit allerlei, theils neuen, theils abgetragenen Kleidungsstücken. Für Speise, Trank und ihre andern Bedürfnisse war ohnehin gesorgt, und da sie ihre Pflicht erfüllte, so erhielt sie auch kein schlimmes Wort. Besonders aber besaß sie Bertha's Liebe und sie hing ebenfalls vor Allem an Jener. Zwar verwechselte sie oft das Schwesternpaar, und bereute es dann wohl nicht, wenn sie Emma statt Bertha mit besonderer Eile und Pünktlichkeit bedient oder einen Auftrag von ihr auf solche Weise vollzogen hatte, denn Erstere stand auch gut bei ihr angeschrieben; aber Bertha erhielt dennoch den Vorzug in ihrem Herzen. Sie hatte es bald weg, daß ihr Liebling den Hang zur Neugierde hegte, der wirklich in Berthas Innern immer noch nicht ausgerottet war; und um ihr Freude zu machen, gab sich Suschen alle Mühe, ihr viel Neues mittheilen zu können. Sie trug ihr Alles zu, was in und ausser dem Haus geschah, und Jener, wie allen unbefangenen Kindern, vielleicht unbekannt geblieben wäre. Dadurch erhielt Bertha's, ohnehin noch nicht ganz besiegte Neigung aufs Neue Nahrung und Stärke, und Suschen gewöhnte sich auf diese Art eine tadelnswürdige Waschhaftigkeit an, welche sie bald um ihre gute Stelle gebracht hätte.

Für den angehenden Winter war Emma ein neuer Mantel verheißen, der aus einem, von der Mutter ihr abgetretenen verfertigt, und daher dieser ganz auseinander getrennt werden sollte. Es häuften sich aber gerade für Frau v. Falkensee andere nothwendigen Arbeiten, und Thekla, Emma's Freundin wurde in dieser Zeit krank, wodurch letztere sehr oft zu Jener geholt ward, und derselben sich ganze Tage lang widmen mußte. Daher konnte weder sie, noch die Mutter obiges Geschäft vornehmen, obgleich die kältere Jahreszeit Emma den Besitz des neuen Mantels sehr wünschenswerth machte, und der Schneider nach dem vertrennten verlangte. Da erbot sich Bertha die Sache zu fördern, und so wenig sie ausserdem eine Freundin vom langen Sitzen war, so betrieb sie diesmal die erwähnte Arbeit so eifrig, daß sie in ein paar Tagen vollkommen damit zu Stande kam. Die dankbare Schwester wünschte nun ihr dafür auch eine Freude machen zu können, und beredete sich deshalb mit der Mutter. Es wurde beschloßen: daß Bertha in den nächsten Tagen in ihrem Schrank ein neues Filzhütchen finden sollte, ganz so, wie Emma eines von Tante Hildegard erhalten hatte, und Jene sichs sehnlich wünschte. Emma war gesonnen, aus ihrer Sparbüchse einen, nicht unbedeutenden Beitrag zu geben, und freute sich unbeschreiblich auf die frohe Ueberraschung, welche dem Schwesterchen bestimmt war. Suschen hatte während der Verhandlung ein Geschäft im Nebenzimmer, dessen Thüre offen stand, zu besorgen, hörte also Alles, und gedachte ihrer lieben Bertha durch eine frühere Verkündigung obigen Plans, eine frühere Freude zu bereiten, strebte also immer sie allein zu treffen. – Einmal sah sie Bertha – ihrer Meinung nach – im Schlafstübchen derselben, vor einer Schublade ihrer Commode knieend, und eifrig etwas suchend. Es war ausserdem Niemand im Zimmer und Jene in ihr Bemühen gewaltig vertieft. Ueberdies kam Suschen hinter ihrem Rücken her, und begann nun halb leise und wichtig: »O Fräulein Bertha! Ich weiß ein Geheimnis! – Es drückt mir fast das Herz ab. Nein, ich kann es nicht verschweigen, und muß es ihnen mittheilen.« –

Emma (denn sie war die Kniende) kannte Suschens Geschwäzigkeit, und wollte nun sehen, wie weit sie dieselbe treiben würde. Sie hob den Kopf nicht in die Höhe, sondern suchte scheinbar immer fort, ob sie gleich das, was sie wollte, schon längst gefunden hatte; Jene aber offenbarte die ganze Heimlichkeit, und maß sich noch ein großes Verdienst bei, sie weggeschnappt und Bertha hinterbracht zu haben. Als sie geendigt hatte, sprang Emma auf, trat unwillig vor sie hin und sagte: »Du plauderhaftes Mädchen Du! Sieh mich an, bin ich Bertha? und wenn ich es wäre, so hättest Du ihr und mir die ganze Freude verdorben. Wage es nicht, ein Wort von jenem Geschenk gegen sie zu erwähnen, sonst verrathe ich Deine Plauderei bei der Mutter.« Erschrocken erkannte Suschen ihren Irrthum, und bat flehentlichst um Verzeihung und um das Verschweigen ihrer Schuld. Emma war auch, aus Mitleid mit des Mädchens Angst dazu geneigt; allein ehe sich's Beide versehen, stand Frau v. Falkensee vor ihnen, welche streng den Vorfall zu wissen verlangte. Suschen wurde nun mit dem Verlust des Dienstes bedroht, wenn sie sich je wieder eine ähnliche Waschhaftigkeit zu Schulden kommen ließe. Dies half; denn zu viel war ihr an ihrer Stelle gelegen, und sie gab sich alle Mühe, sich den angenommenen Fehler wieder abzugewöhnen. Als aber Bertha wirklich mit dem schönen Hütchen beschenkt, und ihr nachher erzählt wurde, wie leicht die Ueberraschung hätte vereitelt werden können, da verbot sie Suschen selbst die geschäftige Mittheilung von Neuigkeiten; denn ihr war der Gedanke unerträglich, daß durch ihren und durch Suschens Fehler die geliebte Schwester bald des Genußes beraubt worden wäre, welchen ihr die Veranstaltung, Bertha eine unerwartete Freude zu bereiten; gewährt hatte.

Die Krankheit der Mutter und ihre Folgen.

Nicht nur von Fremden, nicht nur von Suschen wurden die Zwillingsschwesterchen öfters verwechselt; sogar den Aeltern widerfuhr es zuweilen, die Eine für die Andere zu halten. Besonders geschah dies in einem traurigen Zeitpunkt; als nämlich Frau v. Falkensee von einer gefährlichen Krankheit heimgesucht wurde. Der Jammer der ihrigen und aller Hausgenoßen war unbeschreiblich. – Emma und Bertha wichen nicht von dem Lager der geliebten Kranken, und leisteten, als 11jährige Mädchen, ungemein viel. Da geschah es denn oft, daß die Mutter in ihrer Schwäche, und in dem, durch die zugezogenen Fenstervorhänge verdunkelten Zimmer Emma als Bertha ansprach; und auch wieder umgekehrt. Selbst als sie sich auf dem Weg der Besserung befand, und sich kräftiger fühlte, mußte sie ihre Töchterchen noch ins Auge fassen, wollte sie dieselben von einander unterscheiden, denn ihrer persönlichen Aehnlichkeit gleich, war der Eifer, mit dem sie die theure Mutter bedienten, die Aufmerksamkeit mit welcher sie auf ihr leisestes Verlangen lauschten, und die Umsicht, mit der sie ihr alle Schmerzen und Unbequemlichkeiten zu erleichtern suchten. Beide erwarben sich aber auch gleiche Aeußerungen der mütterlichen segnenden, und dankvollen Zufriedenheit. Der Vater und Franz, die sich ebenfalls oft und viel im Krankenzimmer aufhielten, wurden selbst nicht selten an den beiden Mädchen irre; denn die oft unbedachtsame, lustige Bertha, war still und besonnen, ihrer Schwester ähnlich, und diese ließ, durch den tiefen Schmerz erweicht, alle Empfindungen aus ihrem, oft so verschloßenem Gemüth strömen; und waren Beide, immer friedlich und freundlich gegen einander, so schienen sie jezt nur eine Seele zu seyn. – Der Arzt beobachtete oft ihr Thun und Treiben mit schweigendem Staunen und Wohlgefallen, und wußte eben so wenig die Mädchen zu unterscheiden, als einer vor den Andern irgend einen Vorzug zu geben. – Nur in der Aufnahme der begleitenden Nachricht: daß die geliebte Mutter nun ausser Gefahr sey; zeigte sich die Eigenthümlichkeit der Schwestern. Emma zerfloß in Thränen froher Rührung, und hob das schwimmende Auge dankend zum Himmel empor. Bertha tanzte jubelnd im Kreise umher, klatschte in die Hände und war ganz Fröhlichkeit. Wohl geschah dies Alles ausserhalb dem Krankenzimmer, aber die besonnene Emma lief geschwind nach der Thüre, und untersuchte besorgt, ob sie verschlossen sey, damit des Schwesterchens laute Freude die noch sehr schwache Mutter nicht unangenehm berühre. Dieser Vorfall entschied bei Doktor Wollmann über den Werth der beiden Mädchen. Ohne Bertha weniger zu lieben als bisher, fühlte er sich nun doch noch mehr zu der sanften und verständigen Emma hingezogen, und sie ersah er sich jetzt zur Vollzieherin eines Auftrag's, den er schon lange einem der Mädchen ertheilen wollte, jedoch immer nicht mit sich einig werden konnte: ob Emma oder Bertha.

Wollman hatte zugleich mit Frau v. Falkensee eine eben so gefährliche Kranke in die Kur bekommen, für die er ungemein viel Theilnahme hegte. Sie lebte erst seit kurzem in W*, war Wittwe, und besaß ein einziges Töchterchen, welches mit den Zwillingsschwesterchen in gleichem Alter war. Die Mutter litt jedoch nicht nur körperlich, sondern verschämte Armuth drückte den Geist, beugte das Herz, und erschwerte die Genesung des Körpers. Dies entging dem Arzte nicht, welcher reich und menschenfreundlich, schon häufig armen Kranken nicht nur seine einsichtsvollen Verordnungen unentgeldlich ertheilte, sondern überdies noch manche Unterstüzung ihnen zufließen ließ. Bei Frau Tellheim wurde ihm aber dies unmöglich gemacht. Sie erlaubte sich nicht nur keine Klage, sondern wich auch jeder seiner Fragen nach ihren nähern Verhältnissen sorgsam aus. Und doch war es unläugbar, daß der Mangel in der kleinen Wohnung hause, welchen vor der Krankheit Frau Tellheim's fleißige und geschickte Hand, durch feine künstliche Arbeiten abzuwehren suchte. Nun beschloß Wollmann durch Emma der kleinen Lidy ein bedeutendes Geldgeschenk für ihre Mutter einhändigen zu lassen, und unterrichtete das Mädchen von der Rolle, die sie übernehmen sollte. Herr v. Falkensee vermehrte die Gabe des Arztes aus dankbarer Freude über die Rettung seiner theuern Gattin durch einen, nicht kleinen Beitrag, und auch die Kinder ließen es sich nicht nehmen, jedes aus seiner Sparbüchse etwas dazu zugeben. Damit eilte nun Emma in das ihr bezeichnete Haus, und es ergab sich, daß Wollmann seinen Plan gut ausgedacht hatte. Emma's sanfte Weise fand Zugang, sowohl bei der Mutter, als auch bei der Tochter, und die Gabe wurde mit tiefer Rührung angenommen, jene hatte nach Wollmanns Auftrag ausgesagt: ein durchreisender Fremde habe ihr das Päkchen eingehändigt, und sie gebeten, Frau Tellheim es zuzustellen, und so unwahrscheinlich dies klang, so ehrte diese doch Emma's Verschwiegenheit und drang nicht weiter in sie, ihr weitere Aufschlüße zu geben. Lidy aber fand an der neuen Bekannten ein unbeschreibliches Wohlgefallen und da sich diese bei dem ersten Besuch nicht lange aufhalten konnte, so bat sie dieselbe süß schmeichelnd: ja bald wieder zu kommen, und ihr und der kranken Mutter Trost und Erheiterung zu bringen. Emma wurde lange abgehalten, ihren Vorsatz auszuführen. Unterdessen begegnete einmal Lidy Bertha auf der Straße, hielt sie für Emma und umarmte sie mit zärtlichem Ungestüm. Jene benahm ihr den Wahn, und das Mädchen staunte über die wunderseltsame Aehnlichkeit beider Schwester; aber eben dadurch auch Bertha gleich zugethan, bat sie diese, mit Emma zu ihr zu kommen, und Ersterer zu versichern, daß sie ihr eine recht wichtige Neuigkeit mitzutheilen hätte. Ungesäumt folgten beide dem erhaltenen Ruf, und wie erstaunt war Emma, als sie Alles sichtlich verändert fand. Die Armuth und der daraus entspringende Gram schienen ganz verschwunden, und eine glükliche Wohlhabenheit an deren Stelle getreten zu seyn. Freudig theilnehmend erkundigte sich Emma nach der Ursache und erfuhr nun: daß Tellheim einst in einer Lotterie sein Glück versucht, und nun nach seinem Tode die Nummer das große Loos den Seinigen gebracht habe. Aus inniger Dankbarkeit für ihre zarte Weise wohlzuthun, und unter den zärtlichsten Versicherungen ihrer Liebe schlang Lidy um Emma's Hals ein feines goldnes Kettchen, das schon längst für sie bereit lag, und Bertha, die nicht leer ausgehen sollte, wurde mit einem hübschen Nähkästchen beschenkt, in welchem Fingerhut, Nadelbüchschen und all dergleichen Dinge von Silber sich befanden.

Das liebliche Kleeblatt verlebte nun noch manche genußreiche Stunde mit einander, und sie geizten um so mehr darnach, als Frau Tellheim nach einiger Zeit den Entschluß faßte, wieder in ihre Heimath zurückzukehren, aus welcher sie nur Schaam über die eingetretene Armuth vertrieben hatte.

Das Genesungsfest.

Mehrere Monate gehörten dazu, bis Frau v. Falkensee sich völlig erholte. Unterdessen war die glückliche Veränderung mit Tellheims vorgegangen, und durch die Töchter veranlaßt, traten die Mütter ebenfalls in ein freundschaftliches Verhältnis zu einander. Frau Tellheim war es auch werth, die Freundin einer so vorzüglichen Frau, wie die Baronin war, zu werden, diese und jene schmerzte es nur, daß der Genuß des persönlichen Umgangs bald für sie verloren ging, weil die Verhältnisse der Ersteren, wie schon gesagt wurde, dieselbe wieder in ihre Vaterstadt riefen.

Doch ehe dies geschah, bald nach der Genesung beider Frauen feierten sie noch ein schönes Fest, welches sie Wollmanns thätiger Theilnahme hauptsächlich zu verdanken hatten. Er war nicht nur Arzt und Menschenfreund, wie wir ihn schon kennen lernten, sondern er besaß für alles Gute und Schöne ein reges Gefühl, und dieser Sinn sprach sich bei allen seinen, mehr oder minder wichtigen Handlungen aus. In einer glücklichen Ehe lebend, gehörte er und seine würdige Gattin zu Falkensee's Hausfreunden, und Frau Tellheim durfte jetzt im Glück, wie ehedem im Unglück auf die Fortdauer seiner freundschaftlichen Gesinnungen rechnen. Seine Freude über ihre ihm gelungene Herstellung, so wie über die der Majorin war innig und aufrichtig, und sie drängte ihn, auch öffentlich dieselbe an den Tag zu legen. Bei einem seiner lezten ärztlichen Besuche, welche er bei Frau v. Falkensee abstattete, nahm er seinen kleinen Liebling – Emma – bei Seite, und theilte ihr seinen Plan mit: durch ihre und der Geschwister Mitwirkung ein Genesungsfest zu bewerkstelligen, dessen Feier, in einem, von den Kindern gegebenen, und von ihm verfertigten kleinen Schauspiel bestehen solle. Hoch erfreut vernahm die Kleine diesen Plan, und versprach mit Hand und Mund des freundlichen Wollmanns Forderungen zu befriedigen. Herr v. Falkensee wurde natürlich auch mit in den Rath gezogen, und ertheilte der Idee seines Freundes vollen Beifall. Wollmann bot seine Wohnung zur Ausführung ihres Unternehmens an, und er und seine Gattin sorgten unermüdet thätig für alle Erfordernisse dazu. An dem dazu bestimmten Abend versammelte sich bei dem Arzte die ganze Gesellschaft. Er hatte ausser Tellheims und Falkensee's noch einige Freunde mit ihren Familien eingeladen, unter denen sich auch Sinthals und Krause befanden, da er bei seinem Plan auf die Anwesenheit Thekla's und Malwinens, so wie auf die, einiger Söhne seiner Bekannten rechnete. Doch wurden diese mit ihren Rollen, welche unbedeutend waren, erst bei ihrem Erscheinen bekannt gemacht. – Als Alles gehörig vorbereitet war, und die jungen Leute sich schon länger entfernt hatten, führte der Hauswirth die Väter und Mütter in einen geräumigen Saal, welcher sehr zweckmäßig in ein Schauspielhaus umgewandelt worden war. Man nahm Plaz, und darauf rauschte der Vorhang in die Höhe; und Emma stand da in wunderlieblicher, mädchenhafter Schüchternheit, einfach, aber geschmackvoll gekleidet, und nachdem sie sich die gehörige Faßung errungen hatte, sprach sie mit vielem Ausdruck und ohne Anstoß folgende Strophen:

Ihr lieben Herrn und Damen!
Vernehmt, was Euch hieher berief: –
Der Schreckenszeit entronnen
Wo Angst und Gram das Herz ergriff
Empfinden wir nun Wonne
Daß die Gefahr entschwunden ist.
Und was aus tiefer Seele
In Freudenströmen überfließt,
Das bitten wir zu theilen
Mit uns, die wir alleine nicht
Im Stande sind zu tragen
Des Glückes Sonne strahlend Licht.
Drum hört geneigt, und tadelt strenge nicht
Was ungekünstelt Kindesliebe spricht.

Mit einer anständigen Verbeugung endigte sie, und der Vorhang sank. »War dies Emma oder Bertha?« So ging ein Flüstern durch die Versammlung der Zuschauer und selbst Herr und Frau v. Falkensee waren ihrer Sache nicht gewiß. »Dem sey, wie ihm wolle,« ließ sich wieder eine leise Stimme vernehmen – »Emma oder Bertha – gleich viel! Die Kleine lößte unbestreitbar ihre Aufgabe recht gut.« »Ja, ja!« bestättigten mehrere; und Jedermann harrte mit gespannter Erwartung des weitern Erfolgs. Da wurde abermals der Vorhang aufgezogen und es erschien Franz, welcher mit einem tiefen Bückling dem Publikum verkündigte daß –

die Mädchengesandtschaft

Ein Schauspiel in 3 Aufzügen gegeben würde.

(Bis zum Anfang des Stücks, und in den Zwischenräumen unterhielt – ebenfalls auf Wollmanns Veranstaltung – eine hübsche Musik die Versammlung, doch immer waren die Blicke nach dem Vorhang gerichtet, mit dem geheimen Wunsch, daß er sich öffne, und die kleinen Schauspieler sich zeigen möchten.) Endlich erscholl die Klingel und der erste Aufzug begann:

Franz erscheint im Feströckchen, und besieht sich mit Wohlgefallen im Spiegel, mustert jedes Stück seiner Kleidung, bürstet sie sorgfältig und reibt das braune Lockenhaar. Dabei hält er folgendes Selbstgespräch:

»Gewiß, es ist nicht zu läugnen – Franz ist ein bildschöner Junge, und der Anzug paßt und steht ihm allerliebst! Aber es verlohnt sich auch der Mühe sich zu putzen. Ein Abgesandter zu seyn – das ist keine kleine Ehre! und wem gilt die Aufwartung? – Einem weltberühmten Manne! Wie muß es ihm schmeicheln, daß selbst die Jugend seine Verdienste anerkennt! Gut ist es übrigens, daß meine Mitschüler mich gewählt haben, ich werde ihnen als Redner keine Schande zuziehen – Allons Franz! wiederhole deine Aufgabe.« –

Er übt sich vor dem Spiegel in Reverenzen, räuspert sich einige male und beginnt: »Angestaunter, preiswürdiger, hochverehrter Meister aller Meister in der Tonkunst!« –

(Bertha war schon länger, Franz unbemerkt, ins Zimmer geschlichen, und hatte ihn belauscht; jetzt konnte sie das Lachen nicht mehr zurückhalten, und Franz erschrack, daß seiner Hand der Hut entfiel, und er ein lautes:

»Ach!« hervorsties.)

Bertha: »Aber sag mir nur einmal Brüderchen, was in aller Welt soll dies bedeuten? Was hast Du denn vor, und wie eitel geberdet sich das Herrchen?«

Franz, zürnend: »Verlaß mich du unnüzes Ding! Gerade jezt kommst du mir in die Quere, und erschreckst mich, daß ich zittere.«

Bertha, schmeichelnd: »Sey nicht böse Franz! ich that dies nicht mit Absicht, aber schon eine ernstere Person als ich hätte deine Grimassen und steifen Krazfüsse nicht ohne Lachen mit ansehen können, und nun erst die lachlustige Bertha! – nein, um keinen Preis wäre es mir möglich gewesen. Doch erkläre mir nur, warum Du Dich so stattlich aufgepuzt hast und Dich aufbläst wie ein Truthähnchen. Wer ist denn der Glückliche dem Du deinen Besuch abstatten, und so hochtrabend ansprechen willst?«

Franz: »Ei was verstehst Du davon, was sich schickt, und was sich nicht schickt. Wenn ich als Abgesandter einem berühmten Virtuos aufwarte, dann kann ich nicht im Alltagsjäckchen hinlaufen, und ohne Wahl im Ausdruck mich gegen ihn aussprechen. Dazu muß man vorbereitet seyn, und den Anstand beobachten.«

Bertha: »Freilich, wann Du erwachsen wärst, ließ sich dies hören, aber ein Knabe, und ein Abgesandter, wie reimt sich wohl das? und wer sendet dich denn?«

Franz: »Meine ganze ansehnliche Schule, die gestern mit mir dem Conzert beiwohnte, das der große Violinspieler Marko im Gasthaus zur goldnen Rose gab. Wir Alle waren entzückt über das Spiel des unvergleichlichen Meister, und beschlossen nun, daß eine Gesandschaft von uns zu jenem sich heute begeben, und ihm unser Wohlgefallen versichern solle. Mich – (er wirft sich in die Brust) erkohr einstimmige Wahl zum Redner, und eben wollte ich meine Aufgabe wiederholen, als Du mich störtest.«

Bertha: (rückt Franz vertraulich näher; legte die Hand auf seinen Arm und raunt ihm halb laut ins Ohr:)
»Du gehst auf Stelzen Fränzchen! Gieb Acht daß Du nicht purzelst. Höre, ich bin nur ein einfältiges Mädchen, aber das sehe ich wohl ein: daß ihr Knaben eingebildete Herrchen, und euer Einfall eine Thorheit ist. Der Künstler bedarf Eures Lobs nicht, und kann Euch unfreundlich abweisen. Ich bitte dich Brüderchen, nimm nicht Theil an der Sache, Du erndest keine Ehre davon.«

Franz: »O über die wohlweise Fräulein Schwester! ich muß dich bitten, deine Rathschläge für dich zu behalten. – Aha! da kommen sie ja, mich abzuholen.«

(Er eilt zum Zimmer hinaus, und in der geöffneten Thüre werden mehrere gepuzte Knaben sichtbar, die jenen in ihrer Mitte fortführen.)

2ter Auftritt.

(Bertha wirft sich auf einen Sessel, legt die gefaltenen Hände in den Schoos, und blickt lange noch dem entschwundenen Bruder nach. Endlich spricht sie:)

»Da geht er hin, um sich lächerlich zu machen, der kleine Thor! Nun, wem nicht zu rathen ist, dem ist nicht zu helfen. Indessen würde er mich dennoch herzlich dauern, wenn er von seinem Beginnen Aerger und Verdruß haben sollte. Er ist ja mein Bruder, und alles was ihn betrift, Freude und Leid fühlt Schwesterchen Bertha lebhaft mit ihm. Doch – (springt von ihrem Sitz auf) doch warum gräme ich mich um ungewisse Dinge? Herr Marko kann ja auch artiger seyn als ich denke. Nein ich will mich in meiner fröhlichen Laune nicht stören lassen. Ist doch mein Mütterchen wieder gesund und heiter, daher soll und kann mich nichts verstimmen.«

(Sie reibt sich vergnügt die Hände, und hüpft singend gegen die Thüre.)

3ter Auftritt.

(Lidy tritt herein und sagt:)

»Die Stimme der lustigen Bertha hört man im Hause weit und breit ertönen – sprich was macht Dich denn so überfroh?«

Bertha: »Und Du kannst noch fragen, Du Lidy die Du eine gleiche Erfahrung gemacht hast! die Genesung der theuern Mutter ist es, die mich durch und durch entzückt, daß ich wie ein fröhliches Vögelein eine Sangesweise um die andere anstimme.«

Lidy: »Ja, ja, du hast Recht liebe Bertha. Wir Alle haben Ursache mit frohem Muthe Gott zu danken; denn wie ich höre wollen unsere lieben Mütter nächsten Sonntag den ersten Ausgang in die Kirche unternehmen; da kam mir der Gedanke: wir sollten, ehe dies geschieht, ihre Wiederherstellung durch ein kindliches Fest vereint feiern. Wie meinst Du Bertha?«

Bertha: (Fällt ihr mit stürmischer Freude um den Hals, und ruft:) »o laß Dich herzen und küssen für diesen goldnen Einfall. Ja, ja! das wollen wir. Hast Du auch schon mit Emma gesprochen, und was sagt diese dazu?«

Lidy: »Ich suchte sie, aber fand sie nicht. Komm Bertha wir wollen beide nach ihr gehen, und unsern Plan und Wunsch ihr mittheilen.«

(Sie gehen ab, und der Vorhang fällt.)

2ter Aufzug.

1ster Auftritt.

(Franz sizt an einem Tisch; den Kopf auf beide Hände gestüzt und seufzt einigemale laut auf. Dann spricht er in abgebrochenen Sätzen in sich hinein:)

»Der undankbare Mensch! – der stolze Künstler! – Hätte ich mich doch nicht überreden lassen, mit zu gehen! – Bertha hatte Recht! – O wie schäme ich mich vor ihr!« –

2ter Auftritt.

Emma und Franz.

(Emma nähert sich besorgt dem Bruder, zieht ihm die eine Hand vom Gesichte weg, und sieht ihm theilnehmend ins thränende Auge. Dann sagt sie:)

»Mein Gott! Brüderchen was fehlt Dir denn, warum bist Du so verstimmt?«

Franz ärgerlich: »laß mich Emma, Du kannst mir doch nicht helfen.«

Emma: »Nein, nein, Du darfst mich nicht so schnöde abweisen. Eine gute Schwester hat immer das Recht nach dem Kummer des Brüderleins zu fragen, und dieser ist verpflichtet, hübsch ordentlich darauf zu antworten. Also sprich Fränzchen, was quält und betrübt Dich?«

(Franz durch Emma's sanftes Zureden erweicht, bricht in Thränen aus, und erwiedert:)

»Die Schande schmerzt mich, die Schande abgewiesen worden zu sehn, wo ich es nicht erwartete.«

Emma: »Ei so erzähle doch nur, ich weiß ja nicht, woran ich bin.«

Franz: »Bertha hat Dir also nicht mitgetheilt, daß ich mit noch einigen Freunden abgesendet wurde, Herrn Marko für sein gestriges herrliches Conzert in unser aller Namen Dank und Lob zu bringen, und ich war erwählt die Anrede an ihn zu halten; allein denke Dir nur: als wir hinkamen, und er durch seinen Diener unser Vorhaben vernahm, ließ er uns wissen: wir möchten gleich wieder umkehren, Knaben-Lob nähme er für Tadel. Nun urtheile Schwesterchen ob ich nicht über diese Erfahrung mich halb zu Tode grämen soll.«

Emma: »Ei das lasse wohl bleiben Du Närrchen, und – im Vertrauen gesagt, wärst du weniger eingebildet gewesen, so hätte dir dies nicht begegnen können: Doch es ist vorbei und so schlage Dir es aus dem Sinne, hörst Du?«

Franz: »Ach wie kann ich dies? es ist schwer zu verschmerzen.«

Emma: »Nicht doch Franz! ich will Dir gleich etwas mittheilen, über das Du als guter Sohn Dich aufrichtig freuen, und Marko, deine Rede und Kameraden ja alles Unangenehme leicht vergessen wirst.«

Franz: »Du machst mich neugierig, sprich, was ists.«

Emma: »Schwester Bertha, Lidy und ich, wir haben beschloßen, unserer lieben Mutter Genesung zu feiern. Wie? das sollst Du gleich hernach erfahren, denn ich werde jenen sagen: daß sie Dich, als unsern guten Bruder auch Antheil nehmen lassen müssen. Komm nur, komm!« –

(Beide gehen ab; der Vorhang fällt.)

3ter Aufzug.

(Im Hintergrund sieht man einen Kreis weißgekleideter Mädchen, unter ihnen Emma, Bertha, und Lidy. Sie sind eifrig beschäftigt Blumengewinde zu flechten. Franz ist ihnen dazu behülflich, indem er aus mehreren Körbchen taugliche Blumen heraus sucht, und sie jenen hinreicht. Weiter vorne, in der Mitte der Bühne, steht ein kleiner, mit Blumen bekränzter Altar.)

(Emma und Bertha erscheinen nun, eine fertige große Guirlande tragend, in dem Vordergrund und Erstere spricht:)

»Wo Freundschaft und Liebe sich vereinigt, muß jeder schöne Plan gelingen. Und so hat auch dieses Gewinde seine Entstehung erhalten. Unsere Freundinnen haben wacker geholfen, aber alle sind ja auch der guten Mutter Dank für ihre Freundlichkeit und Aeusserungen der Freude über ihre Genesung schuldig; und wir? – O könnte jedes Blättchen sprechen, dennoch würden die Gefühle nicht erschöpfend geschildert werden können, die für die Theure unser Inneres beleben.« (Mit diesen Worten kommen Emma, Bertha und Franz von der Bühne herab, nähern sich der Mutter, umschlingen sie mit der Guirlande, und rufen mit einer, von frohen Rührungsthränen erstickten Stimme:)

Heil der Genesenen!

(Eine lange heiße Umarmung folgt darauf, in welcher nur einzelne zärtliche Worte den mütterlichen und kindlichen Lippen entschlüpfen. Dann kehren die Geschwister auf die Bühne zurück und nun folgt Lidy begleitet von Emma und den andern Mädchen, und umschlingt mit Hülfe ersterer ihre Mutter, mit dem zweiten Blumengewinde, und ihr Ausruf:

»Heil der Geretteten!«

veranlaßt eine heftige Bewegung in der Seele jener, welche sich beim innigen Kusse der Tochter, in strömenden Thränen ausspricht. Dann zieht sich Lidy mit ihren Begleitern auf die Bühne zurück, alle Kinder bilden auf derselben einen Halbzirkel, und Franz, welcher vortritt, spricht folgende Verse:

»Vorhin, als Abgesandten einer kleinen Schaar,
Ward eine herbe Täuschung mir zu Theil;
Da nahm mich tröstend auf das Schwesternpaar,
Und bald war die erhaltene Wunde heil.
Denn nun auch beigesellt mit voller Ehre,
Der weiblichen Gesandtschaft kleinem Kreis,
Hab ich zu fürchten nichts, was feindlich störe,
Die reine Lust – der Liebe schönen Preis.
Wer aber sandte uns, um zu erscheinen
Im feierlichen Zuge bei den Theuern?
Wer hieß uns fröhlich uns vereinen,
Um das Genesungsfest beglückt zu feiern?
Die Dankbarkeit ist es, die Kindesliebe!
Und heilig war uns allen ihr Gebot:
Nach überstandner Angst und Noth,
Euch vielgeliebte Mütter zu begrüßen.
Ach wie ganz anders war mir da zu Muth!
Ich stund vor meines Lebens höchstem Gut
Und statt, wie dort gar schnöde abgewiesen
Erwarteten uns hier der Freuden viel;
Denn die melodischen, die süßen Töne,
Die aus der Seele treuer Mutter fließen,
Sie übertreffen jedes Künstlers Spiel.
Und an dem liebereichen Herzen ruhend,
Das stets mit Wärme für uns schlägt,
Und sanfte Rührung jezt bewegt,
Gewährte uns ein süßer Kuß
Den schönsten, lohnendsten Genuß.
Habt Dank! für diesen Augenblick,
Der uns beseligte mit stiller Wonne.
Habt Dank! daß eure Liebe unser Glück
Erhöht und mehrt, so oft die Morgensonne
Uns winkt mir ihrem Strahlenlicht.
Und nun o Schwestern – Freundinnen! – noch eine Pflicht
Bleibt zu erfüllen uns: Ja kniet mit mir
Dort an dem heiligen Altare nieder!
Das Opfer unsers Dankes bringen wir
Dem guten Gott, daß er die Theuern wieder
Aufs Neu uns schenkte. Unser frommes Lallen
Vernimmt der Ewige mit Wohlgefallen.«

(Die Kinder umgeben knieend den Altar, und der Vorhang fällt.)

Die Badreise.

Zur gänzlichen Herstellung wurde der Baronin vom Arzte eine Badereise verordnet, und noch im Spätsommer des Jahrs von derselben mit Gatten und Kindern angetreten. Groß war die Freude und Erwartung der Mädchen, als sie die frohe Kunde erhielten: daß sie die Mutter begleiten dürften, und schon die Zurüstungen, welche die ziemlich weite Reise erforderte, gewährte ihnen einen süßen Vorgenuß. Lange Zeit unterhielten sich die Schwestern, wenn sie des Nachts in ihr Schlafstübchen kamen, bis der Schlummer ihr Auge schloß, von Nichts, als von dem Vergnügen, das ihnen in kurzem bevorstund, und malten sich dasselbe mit lebhaften, und wunderlieblichen Farben, welche ihnen theils ihre Einbildungskraft, theils Schilderungen des Orts, der das Ziel ihrer Reise war, und die sie von Erwachsenen hörten, verlieh; ja nicht selten wurden diese Gespräche in ihre Träume mit verwebt, welche sie sich dann bei ihrem Erwachen ungesäumt mittheilten. Nur daß der liebe Bruder Franz ihrer, zu hoffenden Genüsse sich nicht auch zu getrösten hatte, dies war ein trauriger Gedanke für sie; allein die Versäumniß in der Schule wäre für ihn zu nachtheilig durch die lange Abwesenheit geworden, als daß die Aeltern seinen stillen Wunsch hätten erfüllen, und ihn mitnehmen können. Er wurde bei einem Freund seines Vaters so lange in die Kost gegeben, und da Jener mehrere Söhne hatte, mit denen er sich gut verstand, so versprach er sich von diesem Aufenthalt auch manche Freude, und verschmerzte leichter die unvermeidliche Entbehrung.

Die Seinigen reißten ab, und Bertha und Emma waren ganz Auge und Ohr, damit ihnen in der neuen Welt, die sich vor ihnen öffnete Nichts entgehen konnte, was ihre Wißbegierde befriedigte. Ja sie hatten schon zu Hause den lieben Vater um die Erlaubniß gebeten, ihn unter Wegs recht viel fragen zu dürfen. Dies wurde ihnen zugestanden, und jener blieb ihnen keine Antwort schuldig. Emma nahm dann öfters ihr Schreibtäfelchen heraus, und bemerkte sich das Wichtigste. Bertha aber meinte: in ihrem Köpfchen hätte dies Alles Plaz, sie brauche nicht, sich die Mühe zu geben und es aufzuschreiben. Bereichert schon mit allerlei erlangten Einsichten und Kenntnissen, langten sie nach 3 Tagen an dem Ort ihrer Bestimmung an, und auch hier brachte ihnen Anfangs fast jede Stunde eine neue Erfahrung; wozu hauptsächlich die Menge der Anwesenden, und noch hinzukommenden Kurgäste das ihrige beitrug; hier sahen sie fast alle Nationen Europa's, lernten fremde Sitten und Gebräuche kennen, begegneten bald da einem unermeßlichen Reichthum, bald dort körperlichem Elende, hier einem Kranken der voll Hoffnung seine Wiederherstellung erwartete, dort einem bekümmerten Zweifler, der kleinmüthig an seiner Rettung verzagte. Die Wirthstafel bot ihnen täglich Veränderungen dar, sowohl in den oft wechselnden Mitgästen, als auch durch die Unterhaltungen, welche daselbst Statt fanden; denn immer erschienen Leute, welche durch Sing und Sang, durch den Vortrag von Romanzen und Liedern, durch Taschenspieler Künste, oder durch den Verkauf allerlei hübscher Sachen das Geld aus der Börse der Kurgäste in ihren Beutel lockten. Oft vergaßen die Mädchen darüber Eßen und Trinken, um alles Neue zu schauen und zu vernehmen, und spendeten willig auch ihr kleines Scherflein, wenn der Teller herum ging, auf dem die Gaben eingesammelt wurden. Traf ein neuer Badegast ein, so verkündigte dies am ersten Abend der musikalische Willkomm, der Jenem von den dortigen Musikern, die sehr vorzüglich waren, zu Theil wurde, und auch dies war eine angenehme Unterhaltung für Emma und Bertha, da sie die Musik sehr liebten; täglich begleiteten sie die Mutter an den Gesundbrunnen, wo das rege Gewühl der Menschen ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Auch auf allen nahen und weitern Spaziergängen oder Fahrten nahmen die liebenden Aeltern ihre Töchterchen mit, und die Reize der Natur in jener wunderschönen Gegend gewährte ihnen viel Genuß. Ueberdieß fehlte es ihnen eben so wenig an geselligen Freuden; denn es befanden sich noch mehrere junge Leute an dem Badeort, welche ihre Aeltern oder Verwandte dahin begleitet hatten, und unsere Schwestern fanden manches Mädchen ihres Alters, zu der sie sich hingezogen fühlten, und angenehme Stunden mit ihnen verlebten. Aber sie selbst erregten große Theilnahme unter den anwesenden Kurgästen, und Einwohnern des Orts. Ihre wunderbare Aehnlichkeit, wurde sehr oft angestaunt, ihre Liebe zu einander, ihr angenehmes Aeussere, so wie ihr sittsames und anständiges Benehmen erwarb ihnen allgemeines Wohlgefallen, und lange waren sie das Tagsgespräch, ohne daß die anspruchslosen Kinder es wußten oder vermutheten; denn treulich sorgten Vater und Mutter dafür, daß das schmeichelnde Lob, welches man ihnen zollte, nicht, oder doch selten zu ihren Ohren drang. Ohne es im geringsten zu veranlaßen, erhielt daher auch Bertha durch einstimmige Wahl einstmals einen sehr ehrenvollen Auftrag, und keines der anwesenden Mädchen beneidete sie darum, indem sie durch ihre Gutmüthigkeit die Liebe aller im hohen Grad erlangt hatte.

Gegen das Ende ihres Badeaufenthalts erschall plözlich die Kunde: daß der allgemein geliebte Landesvater für einige Zeit auch ein Badegast werden wollte. Aufrichtig war die Freude, die darüber laut wurde, und in froher Erwartung schlug jenem jedes Herz entgegen. Mit großer Sorgfalt wurden alle erforderlichen Vorkehrungen zu einer würdigen und bequemen Aufnahme und Beherbergung des hohen Gastes getroffen, und dem Monarchen die schönste Wohnung eingeräumt. Unter den Badbesuchenden war auch ein verdienter General, der für König und Vaterland oft sein Leben aufs Spiel gesezt, und dadurch viele Wunden, die ihm jezt den Gebrauch des Bades nöthig machten, erhalten hatte. Dieser gerieth in fast jugendliche Begeisterung bei der Nachricht: daß sein geliebter Herrscher mit ihm zugleich die Heilquelle trinken und benüzen wolle, und Tag und Nacht beschäftigte ihn der Gedanke, wie Jener recht feierlich empfangen werden könnte. Er besprach sich mit Falkensee darüber, und beide entwarfen einen schönen Plan, welcher dann der übrigen Badegesellschaft vorgelegt und von dieser mit ungetheiltem Beifall aufgenommen wurde.

Der König liebte es, zuweilen, und besonders auf dem Lande sich zwanglos zu unterhalten, und zu freuen, so sollte denn auch die Festlichkeit den Anstrich einer ländlichen erhalten. Am ersten Abend, nach der Ankunft des Monarchen, warfen sich Herren und Damen, Knaben und Mädchen in geschmackvolle Bauerntracht nach dortiger Landessitte; jedoch die Kleidung war sehr anständig, ja bei Manchen, die es daraufwenden konnten, kostbar zu nennen. Alle begaben sich auf einen runden freien Plaz, welcher mit Buchen und Birken umpflanzt, mit Blumengewinden verziert, und mit einer zahllosen Menge Lampen vielfarbig beleuchtet war. In der Mitte des Plazes erhob sich ein kleiner Tempel, aus Baumstämmchen errichtet, deren obere Zweige künstlich verschlungen, das grüne Dach wölbten. Im Hintergrund erblickte man transparent erhellt, eine Lorberkrone in einem Sternenkranz, und die Worte:

Dem Beglücker seines Volkes!
geweiht
von treu ihm ergebenen Landeskindern!

Im Tempel war ein Theil der weiblichen Jugend versammelt; diese aber nicht als Bäuerinen gekleidet, sondern in weißen Gewändern, blau ausgeschmückt. An ihrer Spitze die erwählte Bertha, welche dem König auf einem blauseidenen Kissen einige werthvolle Verse, von denen der General der Verfasser war, zu überreichen, und jene zu deklamiren, beauftragt wurde. Den Plaz füllten die verkleideten Landleute, so wie sich auch wirkliche darunter mischten, und fast kein Bewohner des Orts und der Umgegend fehlte. In einiger Entfernung verbarg ein Gebüsch die Musiker, welche beim Erscheinen des Gefeierten das Lied: – »Heil unserm König Heil!« anstimmten, das alle Anwesenden mit einem unnennbar gerührten und frohen Ausdruck absangen. Die Witterung und alle Umstände begünstigten das Unternehmen, und der König war tief bewegt bei diesen Aeusserungen und Beweisen der Liebe und Verehrung seiner Unterthanen. – Freundlich dankend wandte er sich allenthalben hin, und fast jedes der Theilnehmer an diesem Feste konnte sich rühmen: daß sein geliebter Landesherr einige inhaltreiche Worte ihm gespendet habe, welche dem Gedächtnis tief eingeprägt wurden. Besonders ruhte aber der Blick des Königs wohlgefällig auf der holden Jugend, die sich still und bescheiden auf ihrem angewiesenen Plaz verhielt. Er raunte einem seiner Kammerherrn etwas ins Ohr, worauf sich dieser mit einer Verbeugung entfernte, bald aber zurückkehrte, und dem Monarchen eine kleine Chatoulle einhändigte. Aus dieser beschenkte letzterer nun jedes der Kinder mit einem neugeprägten blanken Thaler, der des Regenten wohlgetroffenes Bildniß trug. Dann nahm er aus dem Kästchen eine Perlenschnur, und schlang sie eigenhändig um Emmas dunkle reiche Haarflechten. Diese verbeugte sich mit Anmuth, küßte des Königs Hand und sagte: »Nicht ich verdiene solche Huld, sondern meine Zwillingsschwester Bertha war es, welche das Glück genoß, Euer Majestät die Verse des guten General Romberg zu überreichen.« Erstaunt blickte der Monarch umher; Emma aber winkte, und Bertha trat zu ihr. »Fürwahr eine täuschende Aehnlichkeit!« rief der König, und fügte bei: »Allein was ich einmal gegeben habe, kann ich doch nicht wieder nehmen; die Schwestern mögen sich gütlich vergleichen.« Mit diesen Worten steckte er an Bertha's Finger ein Diamant-Ringlein, küßte beide Mädchen auf die Stirne, und verließ den Tempel, um auf dem freien Plaz, unter den Anwesenden den Dichter jener Strophen aufzusuchen, und ihm besonders dafür zu danken.

Die festlichen Stunden verstrichen schnell, aber höchst genußreich, und jedes kehrte mit süßen Erinnerungen an dieselben, und mit erhöhter Verehrung für den huldvollen Monarchen in seine Wohnung zurück. Bertha's und Emma's schwesterlichen Einverständniß brachte aber des Königs Geschenk keinen Nachtheil. Die Perlen hatten wohl mehr Werth, als das Ringlein, und Emma wollte jene der Erstern durchaus aufdringen; doch diese ließ sich nicht dazu bewegen, und so blieb es dabei.

Beide verehrten indessen in den erhaltenen Kostbarkeiten ein stets theures Andenken, an den geliebten Landesvater, und an ihre genuß- und folgereiche Badereise.

pag. 150.

Die Badereise.

Die Verwundung.

Bertha, obgleich schon 12 Jahre alt, besaß doch noch einen tüchtigen Theil Muthwillen, der sich aber nie heimtükisch sondern entweder im offenen kleinen Krieg mit Geschwistern und Freunden, oder sonst in schuldlosen lustigen Einfällen und Streichen äusserte. Man konnte ihr auch deshalb nicht zürnen nur das tadelte die Mutter, tadelte Emma und Franz an ihr, daß sie in den Kindergesellschaften, an denen des Bruders wegen, auch Knaben oft theilnahmen, sich immer lieber zu diesen als zu den Mädchen hielt. Ja wenn sie auch nicht mehr wie ehedem mit ihnen herum lärmte, so mußte sie doch, wenn sich jene von dem weiblichen Theil der Gesellschaft absonderten, ihnen nach schleichen, und neugierig schauen, was sie vor haben, mußte ihnen ungebeten mit ihrem guten Rath vorspannen, und ihre weisen Bemerkungen, oft mit gutmüthigen Spott untermischt, mittheilen, nicht selten aber auch mit einem langen Näschen abziehen, das sie sich jedoch gar nicht verdrießen, und sich für einandermal nicht dadurch abschrecken ließ. Im gemeinschaftlichen Spiel suchte sie aber immer ihr Müthchen an den Knaben zu kühlen; strebte angelegentlich sie in Pfänderstrafe oder andere Verlegenheit zu bringen, und lachte herzlich, wenn es ihr gelang. Vor allem reizte sie Richard, ein aufgeblasener junger Mensch, der sich auch öfters unter den Gespielen befand, ihr Witztalent zu üben, und sie verfolgte ihn unaufhörlich mit ihren Neckereien. Sein Wissen war ein erbärmliches Stückwerk, und weit mehr Schein als Wahrheit, da Bertha dies wußte, so trieb sie ihn bei Spielen, die zugleich Verstandesübungen waren, oft so in die Enge, daß er sich nicht zu helfen, und seinen Zorn über Bertha's Tücke (wie er es nannte) nicht zu verbergen wußte. War er dann recht aufgebracht, so bat sie ihn mit tiefen Knieen recht weh- und demüthig um Verzeihung, oder sie brachte ihm, da er Süßigkeiten sehr liebte, zur Versöhnung ein Händchen voll Pfeffernüß'chen, Rosinen oder dergleichen, und beschwichtigte damit seinen Zorn. Wurde sie späterhin von den ihrigen über ihren Muthwillen getadelt, so suchte sie, ihrem Verfahren immer eine gute Seite abzugewinnen; und erwiederte einmal unter andern lachend: »o ihr wißt gar nicht, welch ein gutes Werk ich thue, sonst würdet ihr mich nicht davon abhalten wollen. Ich bringe ja nur das supperkluge Bürschchen zur heilsamen Einsicht seiner Mangelhaftigkeit, und heil ihn von den schädlichsten aller Fehler, vom Eigendünkel.« »Und bist selbst nicht frei davon, wenn du dir einbildest, daß dir dies gelingen würde;« wandte die Mutter ein. »O nicht doch Mütterchen,« versezte Bertha, und verschloß Frau v. Falkensee den Mund mit Küssen. »O doch, deine Bertha hat eine winzig kleine Meinung von sich; und ist nur so ein lustiges Dingelchen, das sich oft vor Muthwillen nicht zu lassen weiß.«

Einst war wieder eine Zusammenkunft junger Leute bei Rath Sinthal veranstaltet, und auch Richard befand sich unter ihnen; er ging unausstehlich hochtrabend einher, und reizte dadurch Andere, theils zum heimlichen Lachen theils zu verborgenen Verdruß. Alles, was sie thaten und sprachen beurtheilte er verächtlich, alle Spiele gab er an, oder meisterte doch die, welche nicht von ihm vorgeschlagen wurden, und man sah es ihm recht deutlich an, daß er sich nur alleine klug dünkte. Da zuckte Aerger und Muthwille wieder durch Bertha's ganzes Wesen, und schnell war ein loser Streich ausgedacht, der Richard gespielt werden sollte. Sie wisperte mit Thekla ein wenig, und entfernte sich darauf mit ihr. Nach einiger Zeit erschien Erstere wieder, trug auf einem großen Tassenbrett Rath Sinthals Klapphut, und auf demselben lag ein mit goldnem Schnitt versehenes feines Papier; es enthielt die von Bertha zierlich und mit großen Buchstaben geschriebene Ernennung Richards zum Magister der Weltweisheit mit dem Beisaz: daß er sich durch seine ausserordentliche Klugheit schon längst den Doktorhut verdient habe. – Mit einer tiefen Verbeugung überreichte sie Richarden dies ehrenvolle Diplom, welcher das Papier neugierig entfaltete, doch als er es gelesen hatte, es erzürnt zu Boden warf, und in gewaltigen Zornäusserungen aufbraußte. Die andern Kinder aber brachen in ein lautes Lachen und Beifall rufen aus, und Bertha wurde für ihren drolligen Einfall manches Lob zu Theil. Niemand ahnete, daß es ihr so theuer zu stehen kommen würde. Richard jedoch nahm sich vor, bei der nächsten Gelegenheit dem Mädchen seine Rache fühlen zu lassen, und der böse Knabe führte sein frevelhaftes Vorhaben wirklich noch am nämlichen Abend aus, allein nicht so, wie er wollte. Es wurde nämlich noch eine Weile »Ring versteckens,« gespielt. Die Gesellschaft sezt sich bei diesem Spiel in einen Kreis, und giebt sich von Hand zu Hand ein Ringlein, doch so daß der Knabe, oder das Mädchen, welches in der Mitte steht, nicht bemerken kann, bei wem es zu finden wäre, und entweder nur durch Beobachtung der Mienen, oder durch sonst eine Vermuthung geleitet, zu dem oder jenem tritt, und die Hand ihm öffnet, um den versteckten Ring zu finden. Ist dies geschehen, so begiebt sich derjenige bei dem sich jener vorfand, in dem Kreis, wird aber falsch gerathen, so ist die Strafe ein Pfand, und das weiter Suchen. Richard, der rachsüchtige Knabe – hielt während des Spiels, ausser den Ring, wenn er zu ihm kam, noch ein kleines, aber scharfes Messerchen in der Hand, und als einmal Emma, welche er für Bertha hielt, im Kreise sich befand, und auch zu ihm trat, um die Hand ihm zu öffnen, versezte er ihr mit der, in die Höhe gekehrten, Schärfe des Messerchens eine tiefe Wunde. Mit einem lautem Schrei fuhr das Mädchen zurück, und der starke Blutverlust, so wie der erlittene Schrecken zog ihr eine Ohnmacht zu. Man kann sich das Wehklagen und das Entsezen der kleinen Versammlung denken, da überdieß, ausser den Dienstboten kein erwachsenes im Hause war. – Richard machte sich in der allgemeinen Bestürzung aus dem Staube, und die herbeigerufenen Mägde leisteten Emma die nöthige Hülfe. Im Weglaufen hatte aber jener einem Gespielen zugerufen: »Nun hat Bertha für ihren unzeitigen Wiz den verdienten Lohn.« Aus dieser Aeusserung ergab es sich also, daß wieder eine Verwechslung der Schwestern Statt fand, und die unschuldige Emma für Bertha's Muthwillen leiden mußte. Als sich diese davon überzeugte, wollte sie sich nicht trösten lassen, obgleich die edelmüthige Schwester sie durch die Versicherung zu beruhigen gedachte: daß sie die wahre Ursache ihrer Verwundung verschweigen, und einer Unvorsichtigkeit von ihrer Seite die Schuld beimessen wollte; denn es war zu erwarten, daß Bertha über ihr Benehmen, welches Emma das Unheil zuzog, einen strengen Verweiß erhalten würde, und die kleine Versammlung, welche die Zwillingsschwestern fast gleich liebte, bestärkte jene in ihrem Entschluß und nahm auch Franzen, der am ungehaltensten auf Bertha war, das Versprechen der Verschwiegenheit ab. Doch die Mägde plauderten die Sache aus; und nun fand ein strenges Examen statt, im welchem Bertha und Emma, Alles aufrichtig gestanden. Richard wurde darauf aus den Kindergesellschaften ausgeschloßen und Bertha eingeschärft: das Necken künftig zu unterlassen. Doch sie hatte es sich schon selbst recht ernstlich vorgenommen, und hielt redlich ihren Vorsaz; denn Emma's Wunde verschlimmerte sich in den ersten Tagen so sehr; daß die liebende Schwester unendlich viel Angst und Jammer ausstund. Jeder Blick auf die verwundete Hand der Leidenden prägte jenen Entschluß tiefer in ihre Seele, und recht oft stellte sie die Frage wehmüthig an Emma: ob sie ihr verzeihen, und sie ferner lieben könne? doch diese wußte von keinem Groll, und bald trat auch eine glückliche Heilung ein. Bertha aber widerstand in Zukunft jedem Drang zu Necken, ohne an ihrer muntern Laune zu verlieren, welche ihr so viele Liebenswürdigkeit verlieh.

Die Wette.

Herr v. Falkensee sparte nichts, seinen Kindern eine vorzügliche Ausbildung geben zu lassen. In Allem wozu sie Lust und Anlage hatten, ließ er sie unterrichten, und jedes von ihnen war auch von der Natur mit einem hervortretenden Talent begabt worden. Franz verfertigte artige Verse in deutscher und lateinischer Sprache – eine Gabe, welche vom Vater, der ein sehr guter Dichter war – ihm angeerbt schien. Bertha machte im Spiel auf dem Flügel gute Fortschritte, und Emma gab Hoffnung eine geschickte Zeichnerin zu werden.

Einstmals, als der Geburtstag der Mutter wiederkehrte beschenkte Emma Erstere mit einem, von ihr recht schön gezeichneten Blumenstraus, und erreichte auch ganz ihre Absicht damit, Jene zu erfreuen. Jedem, der an diesem Tage zu ihr kam, zeigte sie denselben, und die kleine Künstlerin erhielt das verdiente Lob. – Am Abend aber hatte der Major zur Feier des Festes eine große Gesellschaft eingeladen, und in dieser Versammlung mußte auch Bertha ihr Talent zeigen. Der zärtliche Gatte hatte zu Ehren der lieben Geburtstägerin einen schönen Rundgesang gedichtet, welcher von der Gesellschaft an der frohen Tafel abgesungen, und den Bertha, nach des Vaters Wunsch und Willen, mit ihrem Spiel auf dem Flügel begleiten mußte, was ihr auch zur allgemeinen Zufriedenheit gelang. – Unter den anwesenden Gästen befanden sich zwei junge Künstler. Sie waren Brüder, und Söhne eines Freundes des Barons, welcher ihnen, um des Vaters Willen, nicht nur den Zutritt in sein Haus gestattete, sondern ihnen auch schon manche große Gefälligkeit erzeigt hatte. Albrecht, so hieß der Aeltere, widmete sich ausschließend dem Zeichnen und Malen; Walther aber arbeitete geschickt im Wachs, und spielte überdies die Guitarre sehr gut. Beide unterhielten sich diesen Abend viel mit den Zwillingsschwestern, und freuten sich ihrer schönen Talente. Emma's Zeichnung erhielt ihren vollen Beifall, so wie Berthas Flügelspiel, allein immer wurde es jenen schwer, die Mädchen zu unterscheiden, zumal da Emma ebenfalls Clavier spielte, wenn auch nicht so vorzüglich wie Bertha. Als nun die Brüder aus dem frohen Zirkel nach Haus kehrten, unterhielten sie sich noch lange über Falkensee's Töchterchen und prießen die Aeltern wegen ihres Besitzes glücklich. Aber nun entstand unter ihnen ein kleiner Streit. Walther behauptete: Bertha sey nicht nur die gute Clavierspielerin, sondern überdies die Verfertigerin des gelungenen Blumenstraußes. Albrecht jedoch hatte sie richtiger erkannt, und widersprach also mit Feuer dem Bruder. »Ich muß meiner Sache gewiß seyn,« äusserte Walther, »denn ich habe mir vorgenommen, dem Baron für seine uns oft bewiesene Freundschaft, das Anerbieten zu machen, und Bertha, die eine entschiedene Anlage zur Musik hat, unentgeldlich Guitarre zu lehren, daher darf ich sie nicht für Emma, und Emma nicht für sie halten. Daß aber sie die Blumen gezeichnet hat, weiß ich gewiß, und somit besizt sie nach meiner Ueberzeugung die beiden Talente.« »Nicht doch,« wandte Albrecht ein; »warum willst Du denn Emma Alles rauben? Sie ist die Zeichnerin, ich irre mich nicht.« Jener blieb indessen hartnäckig auf seiner Meinung, und brachte Albrecht so weit, daß derselbe eine Wette in Vorschlag brachte. »Es sey,« rief der lustige Walther, und schlug in die dargebotene Hand des Bruders. »Ich wette, daß Bertha auch die Bleifeder künstlich führt, und täusche ich mich wirklich, so will ich unsern ehrlichen Hauswirth um seinen Sonntagsanzug bitten, in diesen bei Falkensee's erscheinen, und Emma wegen des ihr zugefügten Unrechts um Verzeihung bitten.« (Die Jünglinge wohnten bei einem alten ehrsamen Krämer, der eine noch ganz altmodische Tracht beibehielt.) Der ernstere Albrecht verstand sich nicht zu jener tollen Verkleidung, sondern machte sich anheischig, im Fall er Unrecht hätte, Walthern mit einer Sammlung Musikalien, welche eben neu in allen Kunst- und Buchläden erschienen waren, zu beschenken.

Ein Dankbesuch, den, nach seiner Sitte, die beiden Brüder in dem Falkensee'schen Hause für die lezt genoßene Ehre abzustatten gedachten, sollte die Sache entscheiden. Sorgsam bemerkten sie hier die unterscheidenden Kennzeichen der Zwillingsschwestern, und es ergab sich nun, daß Albrecht die Wette gewonnen hatte. Gleich am folgenden Tag erschien Walther wieder in der Wohnung des Majors, und zwar mit einer Stutzperücke auf dem Kopf, an die ein kleiner Haarbeutel befestigt war, in kurzen schwarzen Beinkleidern, grauen Strümpfen und breiten Schuhen mit kleinen silbernen Schnallen; er trug ferner eine grüne Weste mit langen Schoßen, und einen braunzeuchenen Rock, ebenfalls ganz nach alten Schnitt, in der Hand aber hielt er ein hohes spanisches Rohr mit elfenbeinernem Knopf. Auf der Straße hatte er seinen Mantel umgeworfen, doch bei Falkensee's angelangt, legte er diesen ab, und frug nach Fräulein Emma. Die anwesende Magd wollte ihn zu ihrem Herrn führen, allein er bestund darauf, das Fräulein sprechen zu müssen; da öffnete sich die Wohnzimmerthüre, weil die Baronin auf dem Vorplatz laut sprechen hörte, und Walther trat ohne viele Umstände ein. Niemand erkannte ihn, und alle waren im Stillen über die Dreistigkeit des fremden Mannes unwillig. Er schien sich aber nicht daran zu kehren, suchte Emma mit seinen Blicken, fragte ausdrücklich, um sich nicht wieder zu irren; ob sie es doch wäre? und als sie es bejahte, äusserte er: der Künstler Walther habe ihn geschickt, um Emma die, bei ihm zu Schulden gekommene Verwechslung zu bekennen, so wie sein Vergehen, daß er ihr den Ruhm als geschickte Zeichnerin habe rauben wollen, wofür er um Verzeihung bitten lasse. Das Mädchen staunte, eben so die anwesenden Geschwister und Mutter. Da trat Walther ein wenig auf die Seite, wischte sich mit einem Tuch die gemalten Falten aus dem Gesichte, und nahm die Perücke ab, wodurch das dunkle Lockenhaar wieder sichtbar wurde. Als er sich der Familie näherte, rief Alles aus einem Munde. »Ach Walther, Walther ist es! wie drollig! Nein wer hätte dies gedacht!« Franz und die Schwestern brachen in lautes Lachen aus, und musterten jedes Stück an des verkleideten Anzug; selbst die Aeltern – der Vater kam zufällig dazu – konnten den jungen Freund nicht ohne Lachen ansehen. Doch als der größte Spaß vorüber war, trug jener dem Major das Anerbieten vor: den Töchtern desselben unentgeldlich Unterricht im Guitarrespielen ertheilen zu dürfen; denn zur Vergütung des, an Emma begangenen Unrechts, wollte er einen Theil seiner sehr beschränkten Zeit auch dieser opfern, und sie als Schülerin annehmen. Beide Mädchen brachten es im kurzen, recht weit bei ihm; jedoch wie Bertha von Emma immer im Zeichnen übertroffen wurde, so diese von ersterer stets in der Tonkunst, und ihr Phantasien Spiel so wie das, nach vorgezeichneten Noten, entzückte jeden, der es hörte; besondere ihren Lehrer, welcher es nie bereute, dem Drang seines dankbaren Herzens gefolgt zu haben. Er sah dadurch einen Theil seiner Schuld abgetragen, die er sich gegen dem Baron bewußt war, und dies beglückte den wackern Jüngling sehr. – Falkensee hatte nämlich den Brüdern früherhin, durch seine Bekanntschaft mit obrigkeitlichen Personen den freien Zutritt in die Kunstschule des Orts verschaft, und sie, da der Vater kein Vermögen besaß, von Zeit zu Zeit mit Geld unterstüzt, bis sie so weit kamen, sich selbst ihren Unterhalt zu erwerben. Walther mißbrauchte überdies anfangs die Freiheit, die er ausser dem älterlichen Hause genoß, und gerieth durch böse Gesellen auf Abwege. Vorzüglich ergab er sich dem Spiel, und stürzte sich einst in eine verzweifelnde Verlegenheit. Der wackere Bruder wußte keinen Ausweg, als sich dem Major zu entdecken. Dies geschah; letzterer lößte Walthers Spielschuld aus; berief aber den verblendeten Jüngling zu sich, und machte demselben so rührende Vorstellungen, daß er von Reue ganz zerknirscht, seinen Wohlthäter mit Mund und Hand gelobte: keine Karte mehr anzurühren. Er hielt Wort und seine Zufriedenheit und Ruhe war hinfort keiner Störung mehr unterworfen. Dem Baron aber verehrte er wie seinen zweiten Vater, und immer sehnte er sich, ihm sprechende Beweise seiner Dankbarkeit geben zu können, wozu sich nun in der Ausbildung des musikalischen Talents seiner Töchter eine günstige Gelegenheit gezeigt hatte, welche Walther freudig benüzte, und der Erfolg veranlaßte dem erfreuten Vater oft zur Behauptung:

»Wohlthun trägt Zinsen.«

pag. 163.

Die Wette.

Der wichtige Fund.

Der lezte Winter war hart und streng, und die Armuth hatte viel zu leiden. Wenn nun Franz und seine Schwestern mit ihren gewöhnlichen Gespielen zusammen kamen, dort ein Knabe in die rothen Hände hauchte und durch Reiben ihre Erstarrung zu mildern suchte, hier ein Mädchen zum Ofen eilte, und seine wohlthätige Wärme prieß; wenn wohlschmeckender Thee die Frierenden labte, oder gebratene Aepfel ihnen gespendet wurden, dann meinten sie; der Winter sey doch so übel nicht, und habe auch seine eigenen Freuden. Einstmals aber, als dies wieder zur Sprache kam, wandte Franz ein: »Ihr habt wohl Recht liebe Freunde, so lange ihr bei unserm Schicksal verweilt, wenn ihr aber die armen Leute und Kinder bedenkt, welche jede Erleichterung, die uns dargeboten wird, sich versagen müssen, und deren Noth durch die anhaltende und strenge Kälte furchtbar steigt und sich vermehrt, dann werdet Ihr mit mir doch die beßere Jahrszeit herbei wünschen.« »Ja, wohl, ja wohl!« riefen die Kinder. »Wer nur das Elend aller Hülfsbedürftigen mildern könnte!« fügte ein mitleidiges Mädchen hinzu. »Allen Armen können wir freilich nicht helfen;« begann ein guter und verständiger Knabe in der kleinen Versammlung. »Aber etwas für Jene zu thun, steht doch in unserer Macht. Hört meinen Vorschlag lieben Freunde, der so eben durch Franzens Aeußerung in mir seine Entstehung erhielt. Wir alle, genießen wie ich glaube, durch die Veranstaltung unserer lieben Aeltern viel Gutes zu Hause, wahrscheinlich auch ihr, wie ich und meine Schwestern, immer zum Frühstück und zum Vieruhrbrod weißes, oft gar mürbes Brod. Beim Mittageßen öfters Wein, oder auch Bier, und an Namens- und Geburtstägen manche überflüßige Leckerei und Süssigkeit, ists nicht so meine Lieben?« – Die Knaben und Mädchen antworteten durch einander: »Du hast Recht Adolph! dies alles was du anführtest, wird mir zu Theil.« – »Nun wohl,« versezte dieser. »Meine Meinung nach, wäre es kein großes Opfer, wenn wir die Wintermonate hindurch, uns statt mit weißem, mit schwarzem Brod, statt mit Wein und Bier mit Wasser begnügten, auf alle Süssigkeiten verzichteten, und uns für das, was wir entbehren wollen, von unsern lieben Aeltern mit Geld entschädigen ließen, welches wir in eine Büchse sammelten, wöchentlich es gemeinschaftlich berechneten, und unter Arme vertheilten.« »Ja ja, das wollen wir thun; o das ist ein herrlicher Plan, ein köstlicher Einfall!« So äusserten sich alle Glieder der kleinen Gesellschaft, und stimmten auch darinn Adolphen bei, daß keine menschliche Seele, ausser den Aeltern um die Sache wissen dürfe. Gerührt vernahmen die Väter und Mütter den Entschluß der Kinder, und billigten nicht nur denselben, sondern sie nahmen es auch bei der Entschädigung nicht so genau, sondern schlugen z. B. ein Gläschen Wein oder Bier viel höher an, als es werth war, so daß die vereinten Gaben, welche die Kinder wöchentlich zusammen trugen, ziemlich bedeutend wurden, und sie damit mancher augenblicklichen Noth erfolgreich abhelfen konnten. Als kleine Engel erschienen sie in den ärmlichen Wohnungen, und wurden öfters fast angebetet. Aber eben durch die Dankbarkeit der durch sie Gespeisten, Erwärmten, Geretteten kam ihr schönes Unternehmen doch an Tag. Auch plauderte ein kleines Plappermäulchen unter ihnen, und schwazte einmal irgendwo die getroffene Verabredung aus; wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Sage davon in der Stadt, und kam auch zu den Ohren des städtischen Senats. Dieser hielt eine eigene Sitzung über die Sache, und es wurde darinnen beschloßen: die edle Jugend für ihre stille Wohlthätigkeit zweckmäßig zu belohnen.

Aber dieser Beschluß blieb ein Geheimniß, bis der Frühling seine Reize über die Erde ausgebreitet hatte, bis die Wiesen mit sammtartigem grünen Teppich, die Bäume mit Blüthenschnee, und die Gartenbeete mit duftenden Blumen bedeckt waren. Die Armen sahen nun einer sorgenfreiern Zeit, die Reichen wieder neuen Vergnügungen im Schoose der Natur entgegen. Ein würdiger Geistlicher aber verkündigte einmal vom Predigerstuhl herab: daß am nächsten Sonntag auf einem, dazu bestimmten großen Wiesenplan ein Jugendfest gefeiert werden sollte, zu Ehren der wohlthätigen Kinder, welche mit Aufopferung mancher Genüsse im verfloßenen Winter viel Gutes übten, oft die Thränen des Kummers trockneten, oft dem Hunger und Frost in den Hütten der Armuth durch ihre mildthätigen Gaben wehrten, und dies Alles anspruchlos, und im Stillen vollbrachten. »Nun mögen sie sich,« so schloß oder Pfarrherr, »nun mögen sie sich auch schuldlos freuen, und ihre Lust wird das innere lohnende Bewußtseyn erhöhen. An sie ergeht vor Allem die Einladung zu jenem Fest, doch darf demselben jeder gutartige Knabe, jedes gesittete Mädchen, welche die allgemeine Freude nicht stören werden, daran Antheil nehmen, so wie selbst arme Kinder, die mit Gottes und edler Menschenhülfe den harten Winter überstanden haben, welche reinlich und anständig dabei erscheinen, und die nicht durch ein rohes Benehmen sich der Gefahr aussezen, abgewiesen zu werden. Auch durch schuldlose Lust wird Gott gepriesen, und so wollen wir den Freundlichen auf solche Weise ebenfalls loben und danken!« – Die Glieder des schönen Bundes, welche in der Kirche waren, und diese Aufforderung mit anhörten, schlugen erröthend den Blick zu Boden, und getrauten sich, als sie das Gotteshaus verließen, kaum aufzusehen. Aber süße Gefühle regten sich in ihrer Seele, so wie in der ihrer Gespielen, welche die geistlichen Worte nicht selbst vernahmen, sondern durch treue Mittheilung erfuhren. Man versäumte nicht am bestimmten Tag auf der großen Wiese zu erscheinen; wohin ausser den enger verbundenen Freunden, noch eine Menge Knaben und Mädchen strömten, so wie die meisten Aeltern und Verwandten. Nach der erhaltenen Erlaubniß fanden sich auch arme Kinderchen ein, und fühlten in den Stunden allgemeiner Lust einmal nicht den schmerzlichen Unterschied zwischen ihnen und der reichen Jugend. Auch für sie war der Glückshafen errichtet, und sie konnten sich eines für sie unschäzbaren Gewinns, in einem Halstüchlein, in einer Rechentafel, in ein paar Hemderknöpfchen u. s. w. erfreuen. Auch sie durften sich in dem anwesenden Caroussel schauckeln, oder nach der hübschen Musik im fröhlichen Tanze drehen.

Ihre Eßlust wurde mit Obst und mürben Brod, mit leichtem Backwerk, oder auch mit einer Bratwurst ebenfalls gestillt, – kurz es war ein Festtag für sie, und seine Genüße sollten in ihnen, nach dem Willen des Senat's; die Dankbarkeit gegen ihre jungen Wohlthäter vermehren, da um dieser Willen und zum Gedächtnis ihres guten Werks das Fest veranstaltet wurde. Jene Kinder selbst, so wie überhaupt die Jugend der höhern Classe belustigten sich auch auf mancherlei Art, im freundlichsten Einverständniß, und auf bescheidene artige Weise. Ja die Stunden enteilten im Fluge dahin, und mit Wehmuth sah man die Sonne sinken, welche den Tag über im reinen Himmelsblau gestrahlt und eine milde Wärme verbreitet hatte, die durch sanfte kühle Lüftchen nicht zur brennenden Hize werden konnte. Die blasse Sichel des Mondes, und der flimmernde Abendstern erinnerte endlich die Theilnehmer an dem fröhlichen Feste in die Stadt und in ihre Wohnungen zurückzukehren, wo man sich lange Zeit an der Erinnerung labte, welche jene schöne Stunden oft in die Seele zurück rief.

Nur Bertha konnte sich nicht ungetrübt dem Andenken an dieselben überlassen, denn sie hatte an dem frohen Abend ein theures Gut, ihr Haarringlein von der geliebten Pathin verloren. Sie trug es selten, denn noch war es ihr ein Bischen zu weit; doch damals konnte sie dem Verlangen, es anzustecken nicht widerstehen, und wie bereute sie es nun, dies gethan zu haben! So bald sie es auf der Wiese vermißte, suchte sie ängstlich darnach, und wer sich in ihrer Nähe befand, bemühte sich es zu finden, allein vergeblich. Besonders waren die anwesenden armen Kinder sehr geschäftig, Bertha wieder in den Besitz des verlorenen lieben Eigenthums zu sezen, und betrübten sich sehr, daß es ihnen nicht gelang. Bertha aber konnte es lange, lange nicht verschmerzen.

Nach einiger Zeit begab sich Emma zu einem, in der Nachbarschaft wohnenden Schuhmacher, der im lezten harten Winter ganz verarmt, jezt mit seinem Weibe und 6 Kindern nur von Wohlthaten guter Menschen lebte. Jene brachte ihm, wie schon öfter, eine kleine Gabe der Aeltern, und hatte noch überdies ein Körbchen Kirschen mitgenommen, um sie unter die Kinder auszutheilen, denn diese erhielten gewöhnlich auch etwas von ihr, und waren daher, besonders das 8jährige Lieschen recht zutraulich gegen sie. Diesmal aber entwischte bei Emma's Eintritt Leztere in die Kammer, erschien auch auf dem Ruf der Mutter nicht, um ihren Antheil Kirschen zu empfangen, und als Erstere sich wieder entfernte, bemerkte sie wie Liese durch die Spalte der Thüre, welche auf den Vorplaz führte, lauschte, bis Emma das Häuschen verließ. Dieser entging es nicht, und des Mädchens ganzes Betragen fiel ihr gewaltig auf; ja, je mehr sie darüber nachdachte, desto unerklärbarer war es ihr, denn sie hatte Lieschen immer nur Liebes und Gutes erwiesen, und konnte daher nicht begreifen, woher ihre plözliche Schüchternheit und Furcht rühre. Indessen kam es ihr doch wieder aus dem Sinne, bis Meister Simon durch eine erhaltene reiche Unterstüzung in den Stand gesezt wurde, von Neuem sein Handwerk zu treiben. Eine gelungene Sammlung für ihn, welche Herr v. Falkensee veranstaltete und durch den eigenen großen Beitrag begründete, brachte Jenen wieder empor, und von nun an durfte er auch unter andern, die Falkensee'sche Familie durchgehends bedienen. Liese aber vermied auch jezt ängstlich mit Emma oder Bertha in nähere Berührung zu kommen, und floh vor ihnen wo sie nur konnte. Dies ärgerte besonders Emma, und sie beschloß der Sache auf den Grund zu kommen; deswegen trug sie einmal schadhafte Schuhe selbst zu Meister Simon, und zwar zu einer Zeit, wo sie wußte, daß jener eine kleine Reise wegen Leder-Einkauf unternommen hatte, und die Frau auf den Markt, der ältere Bruder Lieschens in die Schule gegangen, und diese mit den jüngern Geschwistern alleine zu Hause war. Nun mußte sie ihr zur Rede stehen, und wohl mit sanfter Freundlichkeit, aber mit forschendem Blick drang sie in das Mädchen, ihr die Ursache von ihrem seltsamen Benehmen zu gestehen.

Roth wie Blut im Gesichte, schlug Liese die Augen zu Boden, und unter den gesenkten Wimpern träufelten große Thränen hervor. Endlich brach sie in lautes Weinen aus, rang die Hände und geberdete sich trostlos. Noch dringender verlangte Emma Aufklärung über Alles; und zulezt gestand das Mädchen, daß sie an dem bewußten Kinderfest ein Ringlein gefunden habe, welches Emma gehöre. »Ich habe wohl,« fuhr sie unter Schluchzen fort, »damals gesehen und vernommen, wie Sie liebes Fräulein ängstlich dasselbe gesucht, und um seinen Verlust gejammert haben, und doch war ich so gottlos, dasselbe zu behalten. Allein es ist wundernett, und das Vergismeinnicht von blauen Steinchen, welches das Schildchen vorstellt, gefiel mir so gar wohl, daß ich mich nicht von ihm trennen konnte, und es wie einen Schaz in meinem Nähpultchen aufhob. Aber ganz vergnügt konnte ich doch niemals seyn, wenn ich mich auch an seinem Anblick ergözen wollte; besonders ist, wenn ich Sie sehe, und Sie so gütig gegen mich waren, mein Gewissen aufgewacht, und hat mich mit Vorwürfen gepeinigt. Nein, ich mag das Ringlein nicht behalten, sondern will es gleich holen, und Ihnen geben, dann werde ich hoffentlich wieder ruhig werden.« Mit diesen Worten lief sie fort, und brachte das vorenthaltene Gut. Dabei flehte sie aber mit heißen Thränen: Emma möchte keiner menschlichen Seele von ihrem Vergehen sagen, und steckte jener das Ringlein an den Finger; doch war es Bertha schon weit, so paßte es an Emma's noch zarteres Fingerchen gar nicht, und Lieschen verwunderte sich darüber. Jene war eben im Begriff ihr zu sagen, daß nicht sie, sondern Bertha die Eigenthümerin sey, da kam die Mutter nach Hause, und so eilte Emma fort, um dem Mädchen die sonst gewiße, und harte Strafe zu ersparen: Wie groß war Bertha's Freude, als sie wieder im Besitz ihres lieben Ringleins war, doch als Schwesterchen erzählte, wie es dazu gekommen sey, da beklagten Beide das gewissenlose Kind, das schon so frühzeitig anfange, sich fremdes Eigenthum unrechtmäßig anzueignen. Auf einmal wurde Bertha still, und schien über etwas nachzudenken. Nach einer Weile sagte sie: »Wie wäre es Emma, wenn wir uns um des Mädchens Charakter verdient machten? Mir fällt ein Plan ein, den ich dir mittheilen muß.« Und nun schlug sie jener vor: mit der Mutter Bewilligung Lieschen im Nähen und Stricken zu unterrichten, und ihr dabei recht gute Lehren und Ermahnungen zu geben, damit sie die Rechtschaffenheit schäzen lerne, und sich nicht, wenn sie älter würde, ins Verderben stürze. Von Herzen stimmte Emma in diesen Plan ein, der auch bald ausgeführt, und Lieschen durch Lehre und Beispiel ihrer Wohlthäterinnen ganz für die Tugend gewonnen wurde. Um keinen Preis hätte sie je mehr eine Unredlichkeit begangen; und als sie älter wurde, und in Dienste trat, erwarb ihre gewißenhafte Treue ihr die Achtung aller Guten und Edlen, und es fehlte ihr nie an einer Unterkunft, welche ihren bescheidenen Wünschen genügte, ja oft dieselben übertraf. So oft sie aber an Bertha's Finger das verhängnisvolle Ringlein erblickte, so entschlüpfte ihr immer der Ausruf: »Welch ein wichtiger Fund war dieser!«

Die Blumenfreundin.

Meine lieben Leser und Leserinnen werden sich doch wohl noch der freundlichen Gärtnerin und ihres Bärbchens erinnern, welches lezteres Bertha's Muth dem verlezenden Huf des flüchtigen Schimmels entzog. Erstere wenigstes konnte die erwähnte Begebenheit und die Retterin ihres Töchterchens auch lange nicht vergessen, und wurde nach einigen Jahren wieder lebhaft daran erinnert, als Emma bei ihr erschien, und ein paar Blumenstöcke kaufen wollte.

Es war nämlich Schwester Bertha von einer bedeutenden Krankheit überfallen worden, und Emma hatte viel Angst und Jammer um sie ausgestanden, auch treue Pflege ihr gewidmet, und alles aufgeboten, sie, als die Gefahr vorüber war, zu erheitern und zu zerstreuen. Wir wissen, daß Emma eine große Blumenfreundin war, und so nahm sie es von sich ab, daß der Kranken ein Blumengeschenk die größte Freude bereiten würde. Sie begab sich in den, früher einmal erwähnten Garten, und suchte 2 gewürzhafte Nelkenstöcke von brauner und rother Farbe, und ein blühendes, niedliches Orangenstöckchen, heraus, welche sie aushandeln wollte. Der Preis überstieg den damaligen Zustand ihrer Kassa, und sie beschloß, nur die Nelken zu nehmen. Während dem betrachtete sie Frau Anna lange und schweigend, und endlich rief sie freudig aus: »Ach mein Gott! Sie sind ja die Retterin meines Mädchens! O daß ich Sie nur einmal wieder sehe! Wie groß sind Sie unterdessen geworden, bald hätte ich Sie nicht mehr erkannt! Komm Bärbchen!« rief sie den Garten hinunter. »Komm und küsse diesem guten Jungferchen die Hand; Sie hat dir einstens das Leben gerettet, wie ich dir schon oft erzählte.« – Das Kind that, wie die Mutter gebot, und Emma – nicht um mit Bertha's Verdienst zu prahlen, aber in der Hoffnung: daß sie durch den Wahn der Frau, von ihr aus Dankbarkeit das Orangenstöckchen um billigeren Preis erhalten würde, ließ sie in demselben ohne die Sache aufzuklären. Sie hatte sich nicht geirrt; nicht nur die Nelkenstöcke, auch das Orangenbäumchen, und noch zwei ausländische schöne Blumen erhielt Emma, und die dankbare Gärtnerin nahm gar keine Bezahlung dafür an. Sie packte ohne Aufschub die Blumenschäze ihrer Magd auf, welche Emma nach Haus begleiten mußte. Falsche Scham gestattete dieser nicht, den kleinen Betrug den Ihrigen zu gestehen, aber sie konnte es nun kaum erwarten, bis die Kranke aus dem Schlummer, in dem sie eben lag, erwachen, und die mitgebrachten Herrlichkeiten von ihr empfangen würde. Zu ihrem Leidwesen äusserte Jene ihre Freude nicht in dem Grad, wie sie es erwartet, und Emma hatte nun nichts angelegentlicheres zu thun, als die fremden Gewächse, und das Orangenstöckchen in ihre Pflege zu nehmen. Unbeschreiblich ergözte sie sich daran, doch der Genuß war nicht von langer Dauer. Troz aller Sorgfalt, die sie auf ihre Kleinode wandte, welkten sie – o Himmel! – dennoch dahin; so wie auch die Nelken. Diese waren von Bertha, als sie wieder hergestellt war, nach ihrer, immer noch zuweilen bei ihr obwaltenden Unachtsamkeit öfters zu gießen vergessen worden, und so war ihr kurzer Lebenslauf wohl kein großes Wunder; aber warum Emma's Pflegkinder dahin starben, – das konnte sie sich nicht erklären. Sie war recht betrübt darüber, und überdies flüsterte oft eine Stimme in ihrem Gemüthe: »Du hast es verdient, daß deine Freude so vergänglich ist, du bist unwahr gewesen; dies ist die Strafe dafür,« und diese innere Unruhe konnte sie auch nicht lange ertragen. Nein, so wie sie während des Aufenthalts der Tante Hildegard einstens den schönen Sieg über sich gewann, ihr Unrecht zu gestehen, so entstand wieder in ihr plözlich der Entschluß: durch ein aufrichtiges Geständnis die Schuld von sich zu wälzen, die sie drückte. –

An einem schönen Herbsttag beredete sie die jezt vollkommen genesene Schwester zu einem Spaziergang, und führte sie in jenen Garten. Erstaunt sah nun die Gärtnerin die Zwillingsschwestern vor sich, blickte eine nach der andern an, und konnte die Retterin ihres Bärbchens nicht erkennen. Da sagte Emma, auf Bertha deutend: »diese ists liebe Frau; sie darf mir's glauben. Neulich aber verführte mich ein böser Geist, meiner Schwester den verdienten Ruhm zu entziehen, und sie, gute Mutter, in den Wahn zu lassen: ich sey es gewesen, welche das verdienstliche Werk vollbracht, und ihr Töchterchen ihr erhalten habe; aber so ist es nicht; ich war damals die Furchtsame, Bertha die Muthvolle, und nur die Hoffnung, für mein Schwesterchen recht schöne Blumen zu erhalten, konnte mich veranlaßen, mich neulich für Bertha auszugeben. Aber es war Unrecht, und der Unwahrheit folgt die Strafe auf dem Fuße nach. Auch ich ward gestraft: Bertha äusserte nicht die Freude, welche ich vermuthete. Ach es hat dir geahnt, daß es keine reine Gabe war! und dann – denke sie nur liebe Frau,« sprach sie, wieder zur Gärtnerin gewendet. »Denke sie nur, alle die schönen Blumen sind dahin gestorben. O die herrlichen, köstlichen Blumen. Ich möchte mich halb zu tod grämen. Aber es ist mir schon Recht geschehen, warum war ich so pflichtvergeßen. Vergieb mir Schwesterchen; und sieh meine Reue!« sagte sie unter strömenden Thränen, und weinte lang an Bertha's Halse, welche sie zärtlich zu trösten suchte, und von keiner Schuld wissen wollte. Dann reichte Jene der Gärtnerin die Hand, und bat auch diese um Verzeihung. Frau Anna trocknete sich mit der weißen Schürze die Augen und erwiederte: »Ach gehen Sie doch; Sie machen einen ja ganz weichmüthig, es war ja nicht böse von Ihnen gemeint.« Emma wandte sich nun, um fortzugehen, da erblickte sie hinter dem Gatterthor eine männliche Gestalt, und stieß erschrocken einen lauten Schrei aus. Es war aber keine furchterregende Erscheinung; sondern der alte wackere Hauptmann Halten, der Alles mit angehört und angesehen hatte. Er trat nun in den Garten, umfaßte beide Mädchen mit Liebe und sagte: »Abermals habe ich durch einen Zufall tiefe Blicke in Euer Inneres geworfen, und nichts als Erfreuliches entdeckt. Deine Reue Emma, dein offenes Bekenntniß und deine Schwesterliebe wiegen den begangenen Fehler auf, und von meiner Bertha hörte ich auch wieder Gutes. Kommt liebe Kinder! Ich führe Euch durch den Garten, und Ihr müßt ein Andenken an diese Begebenheit mit nach Hause nehmen.« – Er suchte unter einer Menge Blumen eine Nachtviole und ein Granatbäumchen heraus. Ersteres erhielt Bertha mit dem Zusaze: daß sie immer wie bisher geräuschlos Gutes thun möge, gleich der Nachtviole; welche im Dunkeln ihre süßesten Gerüche verbreitet. Emma aber beschenkte er mit der Granatenblüthe, und sagte: »Sie trägt die unvergängliche Farbe der Wahrheit, und erinnere dich immer daran, daß diese Tugend ewig besteht, während Trug und Täuschung untergeht.« –

Die Mädchen dankten dem väterlichen Freund innig für seine Geschenke, und versprachen ihren Sinn wohl zu erfassen, und treu in demselben zu handeln. Bei dieser Gelegenheit erfuhr aber Halten Emma's Blumenliebhaberei, und von Zeit zu Zeit erfreute er sie nun immer mit ein paar Blumenstöcken, und die freundliche Gärtnerin mußte die Verwelkten und Alten oft mit frischen und neuen verwechseln. Bertha jedoch, welche die Blumen nicht so liebte, entschädigte er durch schöne Musikalien, und verpflichtete auf solche Weise beide Schwestern zur herzlichsten Dankbarkeit. Ja sie waren tief betrübt, als ein Regimentsbefehl ihren Freund wieder von hinnen, und in eine andere Garnison rief.

Der Flüchtling.

»O verbergen Sie mich, verbergen Sie mich!« bat dringend ein hübscher, aber ärmlich gekleideter Knabe, welcher durch die, so eben offenstehende Hausthüre in das Gärtchen drang, das sich an Falkensee's Wohnung befand, und in welchem sich gerade Emma aufhielt; sie las ausdrucksvoll mit melodischer Stimme Schillers Lied von der Glocke, und übte dadurch wiederholt ein Talent, daß sie und Bertha ebenfalls besaßen. So oft sie eine solche Uebung vornehmen wollten, begaben sie sich in ihr Gärtchen, um hier ungestört und laut irgend ein Meisterstück der Dichtkunst zu lesen. Auch gegenwärtig hatte ein solches Vorhaben Emma hieher geführt, als der erwähnte Knabe weinend und zitternd ins Gärtchen stürzte, und Jene bebend um Schuz anflehte. Ohne sich lange zu bedenken, zog ihn Emma mit sich fort, die Stufen des offenen Kellers mit hinunter und ließ über ihnen die Fallthüre zusinken. Indem kam Bertha in den Garten, sah auf einer Rasenbank das Buch liegen, und fing nun auch laut darinnen zu lesen an. Kaum hörte und sah dies der reiche geizige Böttchermeister Ulrich, der als Falkensee's naher Nachbar in das Gärtchen schauen konnte, so erschien er in demselben, und fragte, Bertha für Emma haltend, dieselbe ziemlich barsch, wohin der böse Junge versteckt worden sey, welcher von seinem Pfirsichbaum Früchte gemaust hat? »Ich sahe sie,« äusserte er, »vorhin schon hier an dem Bassin sitzen und lesen; Sie müssen sicherlich den kleinen Dieb aufgefangen und verborgen haben.« Das Mädchen den Zusammenhang ahnend, aber im Grunde Nichts wissend, konnte ganz unbefangen antworten, daß sie keinen Knaben gehört noch gesehen habe. Ulrich betrachtete sie lange forschend, allein die ehrliche Miene, mit welcher Bertha obige Versicherung ertheilte, benahm ihm jeden Zweifel, und er ging ruhig fort. Nun suchte sie aber nach der Schwester und ihrem Schüzling im Gärtchen umher, und rief mit halblauter Stimme Emma's Namen. So näherte sie sich auch unter andern der Kellerthüre, und vernahm auf ihr Rufen ein leises Pochen unterhalb derselben; allein mit aller Anstrengung vermochte sie die Thüre nicht aufzuheben. Da war nun guter Rath theuer, denn einen Domesticken wollte sie nicht rufen; zum Glücke kam zufällig Franz herbei, welchem die Schwester in Eile und heimlich alle ihre Vermuthungen mittheilte. Der kräftigere Knabe brachte die Kellerthüre in die Höhe, und aus der Tiefe stieg Emma herauf, sich ängstlich umschauend: ob Antons Verfolger nicht mehr in der Nähe wäre. Wohl war dies nicht der Fall, doch zu größerer Sicherheit winkte Franz, daß der Knabe noch im Keller bleiben solle, lief fort, und kehrte aber bald mit seinem Mantel zurück, in welchen er Anton hüllte, und ihn, auf solche Weise unkenntlich durch den Garten in die Wohnung führte. Hier mußte nun vor Franzens Aeltern der Flüchtling beichten, wer er sey, und durch was er sich Ulrichs Zorn zugezogen habe. Er erzählte: daß sein Vater ein armer Maurersgeselle, und Miethsmann des reichen Böttchers, die Mutter schon längst gestorben wäre. Durch einen unglücklichen Sturz vom Gerüste hatte sich der Maurer sehr beschädigt, und eine bedeutende Krankheit kam dazu. Hier brach Anton in lautes Weinen aus, und schilderte seinen Kummer über das Leiden des Vaters so herzergreifend, daß in die Augen Aller, die ihm zu hörten, Thränen traten. Nach einer Weile fuhr er fort: »Wie es nun bei Kranken geht – sie haben mancherlei Gelüste, und so wünschte sich mein armer Vater, wenn er von seinem elenden Lager ans Fenster wankte, und den reichbeladenen Pfirsichbaum im Hofe unsers Hausherrns betrachtete, sehnlich eine, ach nur eine Frucht desselben. Ich nahm es über mich, den Hartherzigen darum zu bitten, aber er schlug mir rund und kalt mein Gesuch ab; und doch wiederholte der Kranke immer von Neuem sein Verlangen mit solchen Klagen, die mir durch die Seele schnitten. Da wollte ich vorhin, in der Meinung, Meister Ulrich sey nicht zu Hause, einen Versuch machen und einen einzigen Pfirsich abpflücken. Aber hilf Himmel, mein karger Hausherr stand an dem Fenster, das in das Gärtchen und in einen Theil seines Hofraum's führte, und sah mein Beginnen. Nun sprang er die Treppe herunter, und mir nach. Ich wußte mir nicht anders zu helfen, als in ihren Garten zu flüchten, und die Hülfe des Fräuleins anzusprechen. Gott lohne ihnen den Schuz den Sie mir angedeihen ließen, und glauben sie, dass mich nur das Verlangen, meinen kranken Vater das ihm grausam versagte Labsal zu verschaffen, nöthigen konnte, diesen Pfirsich hier zu nehmen. Ach wenn ich ihn nur behalten, und jenem bringen dürfte! doch wie Sie wollen;« sezte er mit einem tiefen Seufzer hinzu, und reichte Herrn v. Falkensee die Frucht hin. Die Kinder sahen erwartungsvoll auf des Vaters Miene, um darin zu lesen, was er thun würde. Dieser gab dem Knaben den Pfirsisch zurück und sagte: »Nun es sey; ich will deinen Versicherungen Glauben beimessen, und hoffen, daß du nie mehr ohne Fug und Macht etwas entwenden wirst, sey es auch nur eine Frucht wie diese; denn wisse, selbst die Liebe zu deinem Vater kann eine solche Handlung nicht entschuldigen. Wärst du zu mir gekommen, siehe, meine Bäume biegen sich unter dem Obstsegen dieses Jahrs; und ich hätte dir deine Bitte um eine Erquickung für deinen Kranken gewiß erfüllt. Nun versprich mir nur,« sagte er noch zu dem still weinenden Knaben; »versprich mir, nie mehr etwas zu stehlen, und dann will ich für dich und deinen Vater sorgen.« Anton legte das feierliche Gelübde in des Barons Hand, und ging mit seinem Pfirsich getröstet fort. Franz mußte ihn schüzend begleiten, und im Namen des Vaters Ulrichen für jene Frucht ein Stück Geld bringen. Dem kranken Lorenz aber sandte der Baron den menschenfreundlichen Arzt Wollmann, der ihn bald wieder herstellte, zumal da Emma und Bertha von der Mutter die Erlaubniß erhielten, jenem täglich eine kräftige Suppe kochen und bringen zu dürfen. Nicht lange, so konnte er wieder sein Handwerk treiben, und jezt mit mehr frohem Muth als sonst; denn sein Sohn Anton, den er herzlich liebte war durch des Majors Veranstaltung versorgt. – Zuerst durfte er auf Falkensee's Kosten eine Schule besuchen, und dann gab ihn jener in die Werkstatt eines Tischlers, wo er sich zu einem brauchbaren und geschickten Manne bildete. Bertha sagte nachher oft zu Emma: »In diesem Falle hat unsere täuschende Aehnlichkeit etwas Gutes bewirkt; sie führte Meister Ulrich irre, und wäre dies nicht geschehen, so hätte der Grausame den armen Anton mishandelt, statt daß dieser gerettet in unser Haus kam, wir ihn von einer guten Seite kennen lernten, und unser liebe Vater seinem Schicksal eine günstige Wendung gab. Ja, wohl mir, daß ich meinem Schwesterchen ähnlich bin!« sezte dann fröhlich die lustige Bertha hinzu, und fiel Emma mit stürmischer Zärtlichkeit um den Hals.

Der Gevatterbrief.

Wenn es im Falkensee'schen Hause Holz zu spalten gab, so wurde ein armer, aber ehrlicher Taglöhner vom Lande berufen, und ihm jener Verdienst zugewiesen. Ehemals unter des Major's Regiment, gemeiner Soldat, stand er bei diesem noch in großer Gunst, denn er hatte sich immer brav gehalten, und seine Wunden, die ihn zum Invaliden machten, zeigten von seiner Tapferkeit. Er war aber auch seinem ehemaligen Vorgesezten mit Liebe zu gethan, und freute sich herzlich, wenn er in sein Haus berufen wurde. Die Kinder hatten den lustigen Paul recht gern, und unterhielten sich oft lange mit ihm, besonders Bertha, die ohnehin ihr Plappermäulchen öfter in Bewegung sezte als Emma. Sie ließ es sich nicht nehmen, Paul das Frühstück, und sein Mittageßen zu bringen, und erbat sich oft für ihm von der Mutter eine aussergewöhnliche Erfrischung in einem Glas Bier, oder wenn es kalt war, eine Erwärmung in einem Glas Brantewein. Dabei ließ sie sich dann von ihm erzählen wie er als Soldat in manche Noth gerieth, sich durch List und tolle Streiche, aber auch durch Muth daraus half, welche Leute und Kinder er kennen lernte, wenn er hie und da einquartirt wurde, wie seine Hauswirthe ihn immer so ungerne verloren, weil er in Küche und Garten, im Stall und Scheuern gute Dienste leistete, mit den Kindern spielte, ihre zerbrochenen kleinen Besitzthümer wieder herstellte und sich kurz jedem gefällig machte. »Am liebsten,« gestund er lachend, »am liebsten war es mir, wenn ich einen Auftrag im Keller zu besorgen hatte, oder bei einem Wirthe einquartirt wurde, da ließ es sich Paul schmecken, daß es eine Lust war.« Dieser Versicherung mußte man Glauben beimessen, denn noch jezt war Paul's größter Fehler, die Liebe zum Trunk. – In einem solchen Zustand, wo er nicht ganz seiner Geisteskräfte Herr war, schrieb er einmal, als seine Frau mit einem Mädchen in die Wochen kam, einen Gevatterbrief an Emma, den er eigentlich Bertha zugedacht hatte. Allein die Freude, daß er nach 4 Jungen, ein nettes Mädchen erhielt, ließ ihn das gehörige Maß vergessen, und er sezte in der Schenke dem Gerstensaft wieder tüchtig zu. Als er darauf nach Haus kam, und, da er zu schüchtern war, sein liebes Fräulein persönlich zu Gevatter zu bitten, obigen Brief schrieb, so verwechselte er in der Adreße die Namen der Schwestern, und sezte Emma, statt Bertha. Jene war höchlich darüber verwundert, und konnte es nicht begreifen wie ihr die Taufpathen-Ehre zu gefallen sey, weil sie eigentlich keine absonderliche Gönnerin ihres neuen Herrn Gevatters war, und Bertha trauerte ganz, daß sie von ihm vernachläßiget zu werden schien; da sagte Jene als sie dies bemerkte: »weißt du was Schwesterchen, Paul wird es schon recht seyn, 2 Pathen statt einer für sein Kindchen zu bekommen, wir wollen alle beide bei der Taufhandlung gegenwärtig seyn, und die Kleine soll den Namen Marie, den wir ja gemeinschaftlich tragen, erhalten.« Bertha hüpfte über diesen Vorschlag vor Freuden in die Höhe, und auch die Aeltern genehmigten ihn vollkommen.

Am Tag der Taufe fuhren nun die Schwestern, von der Mutter und Franz begleitet, auf das Dorf, in dem Paul wohnte. Die Landleute versammelten sich neugierig vor der kleinen Hütte, als die Staatskarosse daher fuhr, und bei jener hielt. Beim Aussteigen, wo Bertha ihrer lieben Emma folgte, riefen mehrere der versammelten Zuschauer: – »Ei, was ist denn das, die Gevatter kommt ja doppelt! oder ist die eine ihr Geist?« – Paul aber und sein Weib waren ganz erstaunt, die beiden Fräuleins bei sich zu sehen in der Absicht, ihr Kind aus der Taufe zu heben, und weder Mann noch Frau befanden sich im Stande, die Schwestern zu unterscheiden. Während der Weihe-Handlung hielten Emma und Bertha das Kind nach einander auf dem Arm, und freuten sich im Stillen, gemeinschaftlichen Antheil an dem kleinen Mädchen zu zu haben; späterhin aber, als Paul einmal ausser dem Stübchen ein Geschäft zu besorgen hatte, schlich ihm Bertha nach und sagte halb schmollend: »Ich sollte eigentlich recht böse auf dich seyn, alter Paul, daß Du mich nicht zur Gevatter gewollt hast, sondern Schwester Emma. Habe ich Dir denn etwas zu leide gethan, und war ich nicht immer recht freundlich gegen Dich? Warum hast du mir denn jene Freude nicht gegönnt?« »Poz Bliz! ich weiß nicht wie mir geschieht!« antwortete der Taglöhner, faßte bescheiden Bertha bei der Schulter, wandte sie gegen das Licht, das durch die offene Thüre auf den kleinen Vorplaz herein fiel, und sah ihr forschend ins Antliz. »Sagen Sie mir nur« – fuhr er fort, »sind Sie denn Fräulein Emma oder Bertha? doch ja ja, ich erkenne Sie jezt doch. Sie sind meine liebe lustige Fräulein Bertha, und Sie habe ich auch gemeint.« »Aber du hast ja den Brief an Emma überschrieben« – wandte jene ein. »Hab ich das wirklich?« frug Paul. »O ich alter Schöps! da war es einmal wieder nicht ganz richtig hier im Kopfe, als ich das schrieb. Ja ja ich erinnere mich, die Buchstaben tanzten damals gar wunderlich vor meinen Augen; aber die Freude, Papa von einem lieben Mädel zu werden, nachdem mir 4 wilde Jungen oft tüchtig warm machen, führte mich zum Trunk, wo ich nicht zur rechten Zeit aufhörte. Doch nun ists gut. Sie erwiesen ja auch meinem Kinde den Liebesdienst und machten meinen begangenen Fehler freundlich selbst gut. Nun habe ich zwei herzige Gevattern statt einer, denn Fräulein Emma ist ebenfalls die Liebe selbst.« Diese trat eben aus der Stube, und erkundigte sich, was Paul mit Bertha so laut verhandle, die Verwechslung kam an Tag, doch des Mannes treuherzige Versicherung: wie dankbar er dem Schwesternpaar für ihre vereinte Pathenschaft sey, verscheuchte bei jener jeden Argwohn, daß er seinen Irrthum bereue. Auch in Zukunft fand er nur Ursache, sich über die Art und Weise, wie sich die Sache gestaltete, zu freuen, denn Emma und Bertha wetteiferten, ihrem Pathchen Liebe und Fürsorge zu beweisen, und auch sie erlebten viel Freude an dem Kinde, das die Aeltern in Gottesfurcht, zum Fleiße und allen Guten erzogen. Die Schwestern aber theilten ihrem lieben Mariechen, als sie größer wurde, auch manches von ihrer Geschicklichkeit in weiblichen Arbeiten mit, und sie vergalt ihre Liebe mit treuer Anhänglichkeit.

Die Erbschaft.

Emma war die erklärte Günstlingin einer alten reichen Bürgersfrau, welche in ihrer Nachbarschaft wohnte. Sie hatte sich ihre Zuneigung durch einen Dienst erworben, den sie ihr nicht vergaß. Es fiel nämlich einmal im Winter Glatteis ein, und als Emma von dem Besuch bei einer Freundin vorsichtig nach Haus trippelte sah sie Frau Günther an den Häusern fortschleichen, an der Mauer sich ängstlich festhaltend, und dennoch ausglitschen. Die eigene Gefahr vergeßend, sprang Emma eilig hin, half der Matrone mit vieler Mühe empor, und bot sich freundlich an, sie in ihre Wohnung zu führen. Es wurde dankbar angenommen, und Schritt vor Schritt suchte man jene glücklich zu erreichen. Hier mußte die Greisin von dem erlittenen Schrecken sich ein wenig erholen, und konnte nicht, wie sie wünschte, auf der Stelle ihrer lieben Führerin die Dankbarkeit, die sie für sie fühlte, mit der That beweisen; aber sie bat dieselbe, recht bald auf länger zu ihr zu kommen. Frau Günther wohnte in einem Stübchen zu ebener Erde, und nach ein paar Tagen vermochte sie das Bett wieder zu verlassen, und an dem Fenster ihren gewöhnlichen Plaz in dem grüngepolsterten Armsessel einzunehmen. Sie gedachte eben, eine Einladung für Nachmittag an Emma ergehen zu lassen, da sie sich immer mit Dank ihres geleisteten Beistandes erinnerte, als Bertha vorüber ging, welche sie für Jene hielt, sie zu sich rief, und selbst jene Aufforderung an sie richtete. Die Schwestern waren gewohnt, von ihren kleinen und größern guten Handlungen, die sie alleine vollbrachten, nichts zu rühmen, und so wußte Bertha auch nichts von dem Dienst, welchen Emma der Frau Nachbarin erwiesen, konnte daher gar nicht begreifen, warum es dieser einfiel, sie einzuladen; denn sie wohnte schon länger in ihrer Nähe, und hatte noch nie etwas von sich hören lassen. Bei ihrer Nachhausekunft erzählte sie also verwundert, was sie erfahren, und bemerkte, wie Emma still und heimlich für sich lächelte. Sie drang in sie, ihr zu sagen, was sie beschäftige, und nun theilte ihr jene obige Begebenheit mit. Darauf bat Bertha die Schwester herzlich, statt ihrer Frau Günther zu besuchen, da sie ja gemeint sey, und auch die Mutter fand es billig. Suschen, das Stubenmädchen hörte es, und sagte: »O Fräulein! wie gut wird es Ihnen da ergehen! Frau Günther bewirthet ihre Gäste vortrefflich, sie werden nicht genug eßen und trinken können.« Dies bewog Bertha noch mehr, Emma, welche wir als eine Liebhaberin vom Backwerk u. d. gl. kennen zuzureden, die Ehre, die ihr rechtmäßig zustehe, zu genießen. »Nun wohl,« sagte diese. »Diesmal will ich hingehen; kommt aber von der lieben Frau Günther wieder eine Einladung, so mußt Du sie benüzen. Bei unserer großen Aehnlichkeit wird die gute Alte gar nicht wissen und erkennen; ob Du oder ich es sey.«

Emma begab sich also hin, und wurde aufs freundlichste empfangen. Es war ihr recht wohl und heimlich in den neuen Umgebungen; und dies konnte auch seyn, denn in dem heitern, grauangestrichenen Stübchen herrschte die größte Ordnung und Reinlichkeit. Der Boden war blendend weis, wie ein hölzerner Teller, Tische, Sessel und Schränke glänzend gebahnt, in den grünen Ofentafeln konnte man sich spiegeln, die klaren hellen Fenster zierten reine Vorhänge von roth- und weisgestreiftem Zeug; auf der Komode, die ein grünes Wachstuch bedeckte, stand ein kleines Schränkchen mit Glasthüren, hinter dem allerlei hübsche Geräthschaften von Glas und Porzelan, auch ein paar Salzfäßer, Messer, Gabeln und Löffel von Silber, ja sogar ein vergoldeter Pokal prangte. Die silberne Zuckerdose und einige Kaffelöffel befanden sich schon auf dem Kaffetisch, der mit einer Decke von feinem geblümten Zitz versehen war. Auf ihm standen auf einem lackirten Brett, drei Tassen vom blau und weißen Dresdner Porzelan, und auf einer gelben Schale ein ziemlich großer köstlicher Gogelhopfen, durch dessen saftige Rinde die kleinen braunen Rosinen, die in Menge darinen waren, hervor schauten, feine Damastene Servietten lagen auf den Pläzen, welche die Hauswirthin und ihr lieber Gast einzunehmen hatten, und neben an stunden Porzelanteller, das Kaffebrod darauf zu legen, und blank geputzte Messer mit braunen Heften, dasselbe zu zerschneiden, fehlten auch nicht dabei. Kaum war Emma eingetreten, so brachte die Magd, die hellkupferne Kaffe- und Milchkanne, und Frau Günther nöthigte ihren Besuch, Plaz zu nehmen, und bediente ihn reichlich. Dabei schwazte sie recht treuherzig von diesem und jenem, und die Zeit verstrich so schnell und angenehm für beide, daß die Hausfrau Emma beim Abschied bat, doch ja recht bald ihren Besuch zu wiederholen, diese es auch versprach, aber im Stillen eigentlich für Bertha es zu sagte.

Wirklich erschien nicht lange nachher wieder eine Einladung von der freundlichen Nachbarin, und auf Emma's Zureden machte Bertha davon Gebrauch. Wie es vorauszusehen war, so geschah es; die Matrone bemerkte nicht die Statt gefundene Verwechslung der Schwestern und war eben so liebevoll gegen Bertha, als gegen Emma. Ja sie lobte vorzugsweise an Ersterer diesmal ihre lautere Aussprache, (welche auch ein Unterscheidungszeichen der Mädchen war, indem Emma's sanfterer Charakter im etwas leiserem Sprechen sich kund gab,) Frau Günther aber litt', wie gewöhnlich alte Personen, am Gehör, und also machte sie obige Bemerkung mit vielem Wohlgefallen. Zur Unterhaltung ihres lieben Gastes öffnete sie auch diesmal ihr Glasschränkchen, nahm ein Kästchen heraus, das aus Ebenholz fein gearbeitet und mit Elfenbein eingelegt war, und worin sich die Kostbarkeiten der Greisin befanden; nämlich silberne und goldne Ketten, Perlen, Ohrringe und Halsgehänge von ächten Korallen, von Perlen und Granaten, Ringe, in denen Inschriften schwarz eingeschmelzt waren u. a. m. Die purpurrothen schönen Granaten gefielten dem Mädchen besonders wohl, und sie äusserte es auch gegen die Eigenthümerin; da sagte diese gütig: »nun warte nur mein Kind, wenn ich sterbe, vermache ich sie dir in meinem Testamente.« »O stille doch gute Frau Günther,« erwiederte Bertha. »Von Ihrem Tode mag ich nichts hören, sie sollen noch lange, recht lange leben!« Bei dieser Aeusserung schlang sie ihren Arm um den Nacken der Greisin, und küßte herzlich ihre faltige Wange. Diese drükte sie aber mit vieler Liebe an ihr Herz und versicherte sie wiederholt: daß ihr jenes Andenken nun ganz gewiß von ihr bestimmt sey. – Und sie hielt Wort. Nach einigen Monaten, zu bald für Emma und Bertha, nahm sie ein sanfter Tod hinweg. Jene hatten sie abwechselnd fleißig besucht, und wohl späterhin sich ihr als Zwillingsschwestern vorgestellt, aber durch das Alter waren die Geisteskräfte der guten Frau doch etwas geschwächt, und ihr geschah häufiger, was schon jüngern und kräftigern Personen oft widerfuhr, daß sie die Mädchen verwechselte; da ihr der Name Emma von der ersten Begegnung mit derselben an geläufiger war als Bertha, so galt diese bei ihr größtentheils für Erstere. – Nach ihrem Dahinscheiden ergab sichs, daß sie auch Emma den Granatenschmuck testamentlich bestimmt hatte, und er wurde dieser eingehändigt. Allein nun entstand wieder ein liebender Streit zwischen den Schwestern. Bertha behauptete: Emma verdiene die Erbschaft, da sie der Verstorbenen den wesentlichsten Beistand einst geleistet hatte; Jene aber wandte ein: daß Frau Günther, als sie Bertha die Kostbarkeiten zeigte, ausdrücklich derselben die Granaten versprochen habe. Da es indessen eine große Anzahl waren, so schlug die Mutter eine redliche Theilung vor, und freudig verstanden sich die Schwestern dazu. In diesem Besitzthum ehrten beide dankbar das Andenken an ihre verewigte Freundin, und oft war sie und ihr freundliches Benehmen gegen die Schwestern, ein Gegenstand ihrer Gespräche.

Der Schluß.

Wir haben unsere Zwillingsschwestern bis in ihr 13tes Jahr begleitet, und dabei oft Gelegenheit gehabt, sie ihrer Aehnlichkeit und Verschiedenheit nach, genau kennen zu lernen. Ich hoffe, sie sind meinen lieben Lesern und Leserinnen lieb geworden, und sie würden mir vielleicht gerne länger zuhören, wenn ich ihnen noch eine oder die andere Erfahrung ihres Jugendlebens mittheilen wollte, allein der Raum des Büchleins gestattet mir nicht bei jenem Zeitpunkt zu verweilen, indem ich glaube, es wird meinen jungen Freunden nicht unangenehm seyn auch zu erfahren, wie sich das Schicksal der erwachsenen Emma und Bertha gestaltete; deshalb überschreite ich einige Jahre schweigend oder doch schneller, und stelle Euch die Schwestern als Jungfrauen vor, welche ihr 20tes Jahr erreicht hatten. In dieser Zeit mußten sie manche herbe Erfahrung machen. Ihre Taufpathinnen, so wie mehrere ihrer nähern Freunde und Bekannte wurden ihnen durch den Tod, oder andere Verhältnisse, welche sie in die Ferne riefen, geraubt. Auch Dokter Woldemann war unter den leztern. Ja er konnte gar nicht mehr an seinen besten Freunden Falkensee's seine Geschicklichkeit erproben, indem er einen Ruf in eine sehr entfernte Gegend erhielt, und demselben folgte, noch ehe den Major eine tödliche Krankheit auf das Lager warf, die ihm auch das Leben wirklich kostete. Seine Gattin, welche unbeschreiblich zärtlich ihn liebte, ertrug seinen Verlust nicht lange, sondern folgte ihm bald in die Gruft; und nun standen die Schwestern alleine, und sehr verlassen, denn Franz hatte bei einem reichen Engländer die Stelle als Hofmeister von dessen einzigen Sohn erhalten, und machte mit diesem große Reisen. Das Vermögen aber, das Falkensee hinterließ, war unbedeutend, denn der treffliche Mann hatte seinem wohltätigen Sinne zu viel geopfert, und oft Undank und großen Verlust erfahren müssen, denn nicht alle, die er großmüthig mit Geldsummen unterstüzte, suchten wie Walther auf eine oder die andere Weise ihre Schuld zu tilgen, und also ergab sichs nach seinem Tode, daß die Töchter das Haus und andere Habseligkeiten zu verkaufen, und irgendwo eine Unterkunft für sich zu suchen, genöthigt wurden. – Für ihre Wohnung erhielten sie lange keinen paßenden Käufer, und so lange sie dieselben besäßen, benüzten sie fleißig ihren Lieblingsaufenthalt, ihr Gärtchen, wo sie sich einzeln und vereint wehmütigen Erinnerungen hingaben, auch zuweilen mit ihrer Guitarre oder einem schönen Buche die Sorgen für ihre Zukunft verscheuchten. An den Garten stieß das Nebengebäude eines stark besuchten Gasthofs, und die Fenster einiger Gastzimmer führten in denselben. Eine durchreisende Gräfin fand im Hauptgebäude keine Unterkunft mehr, mußte sich mit jenen Gemächern begnügen, und bemerkte Emma in ihrer Laube, welche zuerst, nach ihrer frühern Gewohnheit mehrere Stellen aus einer schönen Gedichtsammlung laut und ausdrucksvoll für sich las, dann die neben ihr liegende Guitarre ergriff und ein frommes erhebendes Lied spielte und sang. – Gräfin Sternfeld suchte schon längst eine Gesellschafterin für sich, da ihre Kinder alle erwachsen und vermählt waren, und sie öfters sich recht einsam fühlte, ob sie gleich jene von Zeit zu Zeit besuchte, und eben auch jezt von einer Reise, welche sie zu einem ihrer entfernt lebenden Söhne gemacht hatte, zurück kehrte. Emma's Talent, gut zu lesen, so wie ihr hübsches Spiel und sanfter Gesang, ließen sie wünschen, die holde Jungfrau zu sich nehmen zu können. Sie ließ den Gastwirth rufen, und fragte ihn nach Namen und Verhältnis derselben. »Es ist Berta von Falkensee,« erwiederte der dienstbefließene redselige Mann. »Das Mädchen ist ein verarmtes Fräulein, überdies eine Waise, deren Aeltern, Gott hab sie selig! wackere Leute waren. Der Major hatte nur einen Fehler, daß er nämlich zu gut war, und sich von jedem Taugenichts hinters Licht führen ließ, dafür müssen nun die Töchter büßen, und in beschränkter Lage leben; indessen hat der Vater auch viel Gutes ausgeübt, und ich denke immer, dies soll den Kindern vergolten werden.«

Dies war genug um die Gräfin in ihrem Entschluß zu befestigen. Sie beorderte den Wirth die Guitarrspielerin, die noch immer ohne zu wissen, daß sie beobachtet wurde, im Gärtchen weilte, rufen zu lassen; und er sandte also nach Bertha Falkensee, welche bei der Gräfin erschien, wo gegenseitig ein vortheilhafter Vertrag sehr bald abgeschlossen wurde. Auch die Abreise fand in den nächsten Tagen Statt, und der Abschied zwischen den zärtlichen Schwestern war ungemein schmerzlich für Jede.

Noch betrübter aber wurde Bertha, als sie, angelangt auf dem Landsitz der Gräfin die vielen Vortheile ihrer neuen Lage, und den trefflichen Charakter jener edlen Frau erst recht kennen lernte, nach einigen Tagen sich aber überzeugen mußte, daß abermals, auch bei diesem wichtigen Schritt, der ihr Schicksal entschied eine Verwechslung der Schwestern Statt fand. Die Gräfin ersuchte nämlich ihre Gesellschafterin, als sie einmal mit ihr in einem Rosenbasquett des großen Parks saß, das Lied zu singen, und auf der Guitarre zu spielen, welches ihr das Wohlgefallen derselben zugezogen habe. Es hatte sich ihr so eingeprägt, daß sie die Endstrophen, mit denen jeder Vers sich schloß, recht in Gedächtnis behalten hatte. Sie lauteten:

»Bewahre dir in Freud und Schmerz
Des Glaubens Kraft o Menschenherz!«

Dies war jedoch ein Lied, welches nicht Bertha, sondern Emma immer sang, und Erstere gar nie gespielt hatte. Da entdeckte sich nun, daß der Gastwirth Emma für Berta gehalten, und dieser das Glück mit Gräfin Sternfeld in so schöne Verhältniße zu treten, aus Irrthum verschafft hatte, was die liebende Schwester ungemein beunruhigte. Sie verheelte es weder jener noch Emma selbst, erhielt aber von Beiden den Trost, daß es eine höhere Fügung sey, welcher sie sich ruhig unterwerfen müßten. Bald aber wurde Bertha ganz zufrieden gestellt, indem sie aus der Heimath die Kunde erhielt, daß ein würdiger Mann um die Hand der Schwester geworben habe. Sie kannte ihn wohl; es war ein Bekannter des Banquier Krause, bei dem sie ihn öfter traf, und welcher Gefallen an ihr zu finden schien. Nun hatte er eine kaufmännische Reise zurückgelegt, begründete in W* eine eigene Handlung und begann von Neuem Emma, die er mit Bertha verwechselte, auszuzeichnen. Bald wurde ihm sein Wahn benommen, aber nicht die achtungsvolle Liebe, die ihm Emma nun auch eingeflößt hatte, und er fand nie Ursache zu bereuen, sie, statt Bertha, zur Lebensgefährtin gewählt zu haben. Diese aber traf bei einem Besuch, den sie mit der Gräfin einer verheiratheten Tochter derselben abstattete mit dem Geistlichen des, dem jungen Paare zugehörigem Rittergut's, zusammen, und erkannte in ihm den alten Freund, Heinrich Volkmar. Dieser war noch unverehlicht, und hatte, da der Vater nicht mehr lebte, seine Mutter zu sich genommen, welche dem kleinen Haushalt sorgsam vorstand. Bald erhielt sie in Bertha eine liebende Tochter und Heinrich eine treue Gattin; und so bewährte die Verwechslung der Zwillingsschwestern, in ihrem spätern Leben, keinen nachtheiligen, sondern einen beglückenden Einfluß auf ihr Geschick. Beide aber blieben auch entfernt, im Geiste sich immer noch, und durch die innigste Liebe und Theilnahme verbunden.

Hinweise zur Transkription

Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt. In dieser Transkription wird gesperrt gesetzte Schrift "gesperrt" wiedergegeben, und Textanteile in kursiver Schrift sind "hervorgehoben".

Die Illustrationen wurden jeweils an das Ende des Kapitels verschoben.

Fehlende oder überzählige Anführungszeichen wurden still korrigiert.

Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, einschließlich uneinheitlicher Schreibweisen wie beispielsweise "Aeltern" – "Ältern", "Dokter" – "Doktor", "drückte" – "drükte", "erschrack" – "erschrak", "getrocknetem" – "getroknetem", "glücklich" – "glüklich", "Hausapothecke" – "Hausapotheke", "jetzt" – "jezt", "kan" – "kann", "priesen" – "prießen", "verschafft" – "verschaft", "weis" – "weiß", "zuletzt" – "zulezt",

mit folgenden Ausnahmen,

Seite 6:
"," nach "Schwester" entfernt
(und Schwester Emma in fatale Verlegenheiten brachte)

Seite 7:
"rohen" geändert in "frohen"
(bei der frohen Aussicht auf jenen Tag)

Seite 9:
"Oelinnhalt" geändert in "Oelinhalt"
(der Oelinhalt des Lämpchens)

Seite 12:
"freute" geändert in "freuten"
(erschraken Emma und Bertha, statt daß sie sich freuten)

Seite 12:
"ihn" geändert in "ihr"
(auf ziemlich freundschaftlichem Fuße mit ihr stand)

Seite 13:
";" geändert in ","
(die bei ihnen Statt fand, anhören)

Seite 15:
"hofte" geändert in "hoffte"
(Emma flog zur Thüre hinaus, sie hoffte auf der Mutter Rückkehr)

Seite 20:
"nahstehenden" geändert in "nahstehende"
(mit ihrem ganzen Inhalt auf die nahstehende Komode legten)

Seite 21:
"auszezeichneten" geändert in "ausgezeichneten", "Fleis" in "Fleiß"
(»dem ausgezeichneten Fleiß und sittlichen Betragen.«)

Seite 21:
"Irthum" geändert in "Irrthum"
(durch unsere Aehnlichkeit veranlaßter Irrthum)

Seite 21:
";" eingefügt
(sie schwieg und ihr Blick wurde feucht;)

Seite 23:
"." eingefügt
(meine Empfindlichkeit besser beherrschen.)

Seite 24:
"zukränken" geändert in "zu kränken"
(Emma durch gänzliche Zurücksetzung zu kränken)

Seite 29:
"," nach "Auftrags" entfernt
(pünktliche Ausrichtung ihres Auftrags auch nicht sehr am Herzen)

Seite 43:
"den" geändert in "denn"
(denn es saß das kleine Bärbchen fortwährend auf der Straße)

Seite 43:
"den" eingefügt
(und lief wieder in den Garten hinein)

Seite 44:
"Muter" geändert in "Mutter"
(über ihr langes Ausbleiben von der Mutter erhielten)

Seite 51:
"znr" geändert in "zur"
(und ermunterte sie selbst zur schuldlosen Fröhlichkeit)

Seite 52:
"Pfarres" geändert in "Pfarrers"
(des Herrn Pfarrers ist. Er und Rosalie)

Seite 53:
"den" geändert in "denn"
(denn Schwesterchen Bertha beträgt sich recht gut)

Seite 54:
"kan" geändert in "kann"
(ich kann ihm nicht widerstehen)

Seite 61:
"Schreken" geändert in "Schrecken"
(In Schrecken hatte sie das Sacktuch fallen lassen)

Seite 62:
"gegönt" geändert in "gegönnt"
(hätte ich Bertha den Antheil an der schönen That gegönnt)

Seite 62/63:
"," eingefügt
(auf und nieder geschritten, dann ergriff sie seine Hand)

Seite 63:
Bildunterschrift "Entdekung" geändert in "Entdeckung"
(Die Entdeckung.)

Seite 68:
"treflich" geändert in "trefflich", "schmeken" geändert in "schmecken"
(mürben Kuchen trefflich hatten schmecken lassen)

Seite 69:
"Farth" geändert in "Fahrt"
(er eine zweite Fahrt unternehmen, und Emma mitnehmen wolle)

Seite 70:
"vorans" geändert in "voraus"
(der Statt gefundenen Verwechslung voraus, und fügte)

Seite 72:
"im" geändert in "in"
(mit Masken und in Maskenkleidern zu erscheinen)

Seite 73:
"-" eingefügt
(näherte sich ihm ein schlankes Bauern-Bürschchen)

Seite 79:
"Hauptmaan" geändert in "Hauptmann"
(und Hauptmann Halten wurde recht schön gebeten)

Seite 86:
"den" geändert in "denn"
(denn jener war ein großer Liebhaber vom Zahn ausnehmen)

Seite 93:
"können" geändert in "kennen"
(dessen Inhalt sie zu kennen wünschte)

Seite 94:
"Zimmer-Thüre" geändert in "Zimmerthüre"
(und als sie zur Zimmerthüre hinausstürmte)

Seite 95:
"nnd" geändert in "und"
(und Jene dachte nichts arges dabei)

Seite 98:
"den" geändert in "denn"
(und so öffnete denn Emma den Behälter)

Seite 99:
"," eingefügt hinter "Kammerzofe"
(als am Abend Käthe, die Kammerzofe, ihrer Herrschaft)

Seite 104:
"," verschoben von "seufzte," nach "mit,"
(Auch Bertha seufzte mit, und in ihrer Seele)

Seite 106:
"seinem" geändert in "seinen"
(von seinen gemachten frohen und traurigen Erfahrungen)

Seite 107:
"war" geändert in "was"
(Emma erhielt, was er für Bertha bestimmt hatte)

Seite 108:
"angehme" geändert in "angenehme"
(waren nicht die alleinige angenehme Folge)

Seite 115:
"gewähnte" geändert in "gewöhnte"
(und Suschen gewöhnte sich auf diese Art eine)

Seite 116:
"," geändert in "."
(sichs sehnlich wünschte. Emma war gesonnen)

Seite 117:
"hinter bracht" geändert in "hinterbracht"
(und Bertha hinterbracht zu haben)

Seite 120:
"." eingefügt
(zeigte sich die Eigenthümlichkeit der Schwestern.)

Seite 132/133:
"daß" geändert in "das"
(nur ein einfältiges Mädchen, aber das sehe ich wohl ein)

Seite 137:
":" geändert in "."
(abgewiesen worden zu sehn, wo ich es nicht erwartete.«)

Seite 139:
"fer-fertige" geändert in "fertige"
(erscheinen nun, eine fertige große Guirlande tragend)

Seite 139:
"," eingefügt
(Mit diesen Worten kommen Emma, Bertha und Franz)

Seite 141:
"zn" geändert in "zu"
(Euch vielgeliebte Mütter zu begrüßen)

Seite 142:
"Gros" geändert in "Groß"
(Groß war die Freude und Erwartung)

Seite 144:
"Kurkäste" geändert in "Kurgäste"
(und noch hinzukommenden Kurgäste)

Seite 146:
"," eingefügt hinter "zollte"
(welches man ihnen zollte, nicht, oder doch selten)

Seite 151:
"folgereiche-Badereise" geändert in "folgereiche Badereise"
(und an ihre genuß- und folgereiche Badereise)

Seite 152:
"," eingefügt
(Vor allem reizte sie Richard, ein aufgeblasener junger Mensch)

Seite 162:
"folgengen" geändert in "folgenden"
(Gleich am folgenden Tag erschien Walther)

Seite 164:
"konnte" geändert in "konnten"
(konnten den jungen Freund nicht ohne Lachen ansehen)

Seite 164:
"den" geändert in "denn"
(denn zur Vergütung des, an Emma begangenen Unrechts)

Seite 165:
"," entfernt hinter "gefolgt"
(dem Drang seines dankbaren Herzens gefolgt zu haben)

Seite 173:
"Einnerung" geändert in "Erinnerung"
(wo man sich lange Zeit an der Erinnerung labte)

Seite 176:
"zu-behalten" geändert in "zu behalten"
(war ich so gottlos, dasselbe zu behalten)

Seite 182:
"," entfernt hinter "ihr"
(welche das verdienstliche Werk vollbracht, und ihr Töchterchen)

Seite 190:
"Urilchen" geändert in "Ulrichen", "." eingefügt
(Ulrichen für jene Frucht ein Stück Geld bringen.)

Seite 191:
"den" geändert in "denn"
(denn sein Sohn Anton, den er herzlich liebte)

Seite 193:
"denn" geändert in "den"
(einen Gevatterbrief an Emma, den er eigentlich)

Seite 194:
"zn" geändert in "zu"
(ihr Kind aus der Taufe zu heben)

Seite 195:
"," eingefügt, "»" eingefügt, "den" geändert in "denn"
(fuhr er fort, »sind Sie denn Fräulein Emma)

Seite 201:
"Zwilligsschwestern" geändert in "Zwillingsschwestern"
(Wir haben unsere Zwillingsschwestern bis in ihr)

Seite 201:
";" geändert in ","
(oder andere Verhältnisse, welche sie in die Ferne riefen)

Seite 202:
"dennn" geändert in "denn"
(großen Verlust erfahren müssen, dennn nicht alle)

Seite 202:
"nnd" geändert in "und"
(das Haus und andere Habseligkeiten zu verkaufen)