Title: Die Cellularpathologie
Author: Rudolf Virchow
Release date: February 15, 2014 [eBook #44921]
Most recently updated: October 24, 2024
Language: German
Credits: Produced by Constanze Hofmann, Jens Nordmann and the Online
Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (BioLib
(www.biolib.de))
Vorlesungen
über
PATHOLOGIE
von
RUDOLF VIRCHOW.
Erster Band:
Die Cellular-Pathologie in ihrer Begründung auf physiologische
und pathologische Gewebelehre.
Vierte Auflage.
Berlin, 1871.
Verlag von August Hirschwald.
Unter den Linden No. 68.
in ihrer Begründung auf
physiologische und pathologische Gewebelehre,
dargestellt
von
RUDOLF VIRCHOW,
ord. öff. Professor der pathologischen Anatomie, der allgemeinen Pathologie und Therapie
an der Universität, Director des pathologischen Instituts und dirigirendem Arzte
an der Charité zu Berlin.
Vierte, neu bearbeitete und stark vermehrte Auflage.
Mit 157 Holzschnitten.
Berlin, 1871.
Verlag von August Hirschwald.
Unter den Linden No. 68.
Der Verfasser behält sich das Recht der Uebersetzung in fremde Sprachen, besonders in's Englische und Französische vor.
Die Vorlesungen, welche ich hiermit dem weiteren ärztlichen Publikum vorlege, wurden im Anfange dieses Jahres vor einem grösseren Kreise von Collegen, zumeist praktischen Aerzten Berlin's, in dem neuen pathologischen Institute der Universität gehalten. Sie verfolgten hauptsächlich den Zweck, im Anschlusse an eine möglichst ausgedehnte Reihe von mikroskopischen Demonstrationen eine zusammenhängende Erläuterung derjenigen Erfahrungen zu geben, auf welchen gegenwärtig nach meiner Auffassung die biologische Doctrin zu begründen und aus welchen auch die pathologische Theorie zu gestalten ist. Sie sollten insbesondere in einer mehr geordneten Weise, als dies bisher geschehen war, eine Anschauung von der cellularen Natur aller Lebensvorgänge, der physiologischen und pathologischen, der thierischen und pflanzlichen zu liefern versuchen, um gegenüber den einseitigen humoralen und neuristischen (solidaren) Neigungen, welche sich aus den Mythen des Alterthums bis in unsere Zeit fortgepflanzt haben, die Einheit des Lebens in allem Organischen wieder dem Bewusstsein näher zu bringen, und zugleich den ebenso einseitigen Deutungen einer grob mechanischen und chemischen Richtung die feinere Mechanik und Chemie der Zelle entgegen zu halten.
Bei den grossen Fortschritten des Einzelwissens ist es für die Mehrzahl der praktischen Aerzte immer schwieriger geworden,[vi] sich dasjenige Maass der eigenen Anschauung zu gewinnen, welches allein eine gewisse Sicherheit des Urtheils verbürgt. Täglich entschwindet die Möglichkeit nicht bloss einer Prüfung, sondern selbst eines Verständnisses der neueren Schriften denjenigen mehr, welche in den oft so mühseligen und erschöpfenden Wegen der Praxis ihre beste Kraft verbrauchen müssen. Denn selbst die Sprache der Medicin nimmt nach und nach ein anderes Aussehen an. Bekannte Vorgänge, welche das herrschende System seinem Gedankenkreise an einem bestimmten Orte eingereiht hatte, wechseln mit der Auflösung des Systems die Stellung und die Bezeichnung. Indem eine gewisse Thätigkeit von dem Nerven, dem Blute oder dem Gefässe auf das Gewebe verlegt, ein passiver Vorgang als ein activer, ein Exsudat als eine Wucherung erkannt wird, ist auch die Sprache genöthigt, andere Ausdrücke für diese Thätigkeiten, Vorgänge und Erzeugnisse zu wählen, und je vollkommener die Kenntniss des feineren Geschehens der Lebensvorgänge wird, um so mehr müssen sich auch die neueren Bezeichnungen an diese feineren Grundlagen der Erkenntniss anschliessen.
Nicht leicht kann Jemand mit mehr Schonung des Ueberlieferten die nothwendige Reform der Anschauungen durchzuführen versuchen, als ich es mir zur Aufgabe gestellt habe. Allein die eigene Erfahrung hat mich gelehrt, dass es hier eine gewisse Grenze gibt. Zu grosse Schonung ist ein wirklicher Fehler, denn sie begünstigt die Verwirrung: ein neuer, zweckmässig gewählter Ausdruck macht dem allgemeinen Verständnisse etwas sofort zugänglich, was ohne ihn jahrelange Bemühungen höchstens für Einzelne aufzuklären vermochten. Ich erinnere an die parenchymatöse Entzündung, an Thrombose und Embolie, an Leukämie und Ichorrhämie, an osteoides und Schleimgewebe, an käsige und amyloide Metamorphose, an die Substitution der Gewebe. Neue Namen sind nicht zu vermeiden, wo es sich um thatsächliche Bereicherungen des erfahrungsmässigen Wissens handelt.
Auf der anderen Seite hat man es mir schon öfters zum Vorwurfe gemacht, dass ich die moderne Anschauung auf veraltete Standpunkte zurückzuschrauben bemüht sei. Hier kann ich wohl mit gutem Gewissen sagen, dass ich eben so wenig die Tendenz[vii] habe, den Galen oder den Paracelsus zu rehabilitiren, als ich mich davor scheue, das, was in ihren Anschauungen und Erfahrungen wahr ist, offen anzuerkennen. In der That finde ich nicht bloss, dass im Alterthum und im Mittelalter die Sinne der Aerzte nicht überall durch überlieferte Vorurtheile gefesselt wurden, sondern noch mehr, dass der gesunde Menschenverstand im Volke an gewissen Wahrheiten festgehalten hat, trotzdem dass die gelehrte Kritik sie für überwunden erklärte. Was sollte mich abhalten, zu gestehen, dass die gelehrte Kritik nicht immer wahr, das System nicht immer Natur gewesen ist, dass die falsche Deutung nicht die Richtigkeit der Beobachtung beeinträchtigt? Warum sollte ich nicht gute Ausdrücke erhalten oder wiederherstellen, trotzdem dass man falsche Vorstellungen daran geknüpft hat? Meine Erfahrungen nöthigen mich, die Bezeichnung der Wallung (Fluxion) für besser zu halten, als die der Congestion; ich kann nicht umhin, die Entzündung als eine bestimmte Erscheinungsform pathologischer Vorgänge zuzulassen, obwohl ich sie als ontologischen Begriff auflöse; ich muss trotz des entschiedenen Widerspruchs vieler Forscher den Tuberkel als miliares Korn, das Epitheliom als heteroplastische, maligne Neubildung (Cancroid) festhalten.
Vielleicht ist es in heutiger Zeit ein Verdienst, das historische Recht anzuerkennen, denn es ist in der That erstaunlich, mit welchem Leichtsinn gerade diejenigen, welche jede Kleinigkeit, die sie gefunden haben, als eine Entdeckung preisen, über die Vorfahren aburtheilen. Ich halte auf mein Recht, und darum erkenne ich auch das Recht der Anderen an. Das ist mein Standpunkt im Leben, in der Politik, in der Wissenschaft. Wir sind es uns schuldig, unser Recht zu vertheidigen, denn es ist die einzige Bürgschaft unserer individuellen Entwickelung und unseres Einflusses auf das Allgemeine. Eine solche Vertheidigung ist keine That eitlen Ehrgeizes, kein Aufgeben des rein wissenschaftlichen Strebens. Denn wenn wir der Wissenschaft dienen wollen, so müssen wir sie auch ausbreiten, nicht bloss in unserem eigenen Wissen, sondern auch in der Schätzung der Anderen. Diese Schätzung aber beruht zum grossen Theile auf der Anerkennung,[viii] die unser Recht, auf dem Vertrauen, das unsere Forschung bei den Anderen findet, und das ist der Grund, warum ich auf mein Recht halte.
In einer so unmittelbar praktischen Wissenschaft, wie die Medicin, in einer Zeit so schnellen Wachsens der Erfahrungen, wie die unsrige, haben wir doppelt die Verpflichtung, unsere Kenntniss der Gesammtheit der Fachgenossen zugänglich zu machen. Wir wollen die Reform, und nicht die Revolution. Wir wollen das Alte conserviren und das Neue hinzufügen. Aber den Zeitgenossen trübt sich das Bild dieser Thätigkeit. Denn nur zu leicht gewinnt es den Anschein, als würde eben nur ein buntes Durcheinander von Altem und Neuem gewonnen, und die Nothwendigkeit, die falschen oder ausschliessenden Lehren der Neueren mehr als die der Alten zu bekämpfen, erzeugt den Eindruck einer mehr revolutionären, als reformatorischen Einwirkung. Es ist freilich bequemer, sich auf die Forschung und die Wiedergabe des Gefundenen zu beschränken und Anderen die „Verwerthung“ zu überlassen, aber die Erfahrung lehrt, dass dies überaus gefährlich ist und zuletzt nur denjenigen zum Vortheil ausschlägt, deren Gewissen am wenigsten zartfühlend ist. Uebernehmen wir daher jeder selbst die Vermittelung zwischen der Erfahrung und der Lehre.
Die Vorlesungen, welche ich hier mit der Absicht einer solchen Vermittelung veröffentliche, haben so ausdauernde Zuhörer gefunden, dass sie vielleicht auch nachsichtige Leser erwarten dürfen. Wie sehr sie der Nachsicht bedürfen, fühle ich selbst sehr lebhaft. Jede Art von freiem Vortrage kann nur dem wirklichen Zuhörer genügen. Zumal dann, wenn der Vortrag wesentlich darauf berechnet ist, als Erläuterung für Tafel-Zeichnungen und Demonstrationen zu dienen, muss er nothwendig dem Leser ungleichmässig und lückenhaft erscheinen. Die Absicht, eine gedrängte Uebersicht zu liefern, schliesst an sich eine speciellere, durch ausreichende Citate unterstützte Beweisführung mehr oder weniger aus und die Person des Vortragenden wird mehr in den Vordergrund treten, da er die Aufgabe hat, gerade seinen Standpunkt deutlich zu machen.
Möge man daher das Gegebene für nicht mehr nehmen, als es sein soll. Diejenigen, welche Musse genug gefunden haben, sich in der laufenden Kenntniss der neueren Arbeiten zu erhalten, werden wenig Neues darin finden. Die Anderen werden durch das Lesen nicht der Mühe überhoben sein, in den histologischen, physiologischen und pathologischen Specialwerken die hier nur ganz kurz behandelten Gegenstände genauer studiren zu müssen. Aber sie werden wenigstens eine Uebersicht der für die cellulare Theorie wichtigsten Entdeckungen gewinnen und mit Leichtigkeit das genauere Studium des Einzelnen an die hier im Zusammenhange gegebene Darstellung anknüpfen können. Vielleicht wird gerade diese Darstellung einen unmittelbaren Anreiz für ein solches genaueres Studium abgeben, und schon dann wird sie genug geleistet haben.
Meine Zeit reicht nicht aus, um mir die schriftliche Ausarbeitung
eines solchen Werkes möglich zu machen. Ich habe mich
deshalb genöthigt gesehen, die Vorlesungen, wie sie gehalten
wurden, stenographiren zu lassen und mit leichten Aenderungen
zu redigiren. Herr Cand. med. Langenhaun hat mit grosser
Sorgfalt die stenographische Arbeit besorgt. Soweit es sich bei
der Kürze der Zeit thun liess, und soweit der Text ohne dieselben
für Ungeübte nicht verständlich sein würde, habe ich nach
den Tafel-Zeichnungen und besonders nach den vorgelegten Präparaten
Holzschnitte anfertigen lassen. Vollständigkeit liess sich
in dieser Beziehung nicht erreichen, da schon so die Veröffentlichung
durch die Anfertigung der Holzschnitte um Monate verzögert
worden ist.
Misdroy, am 20. August 1858.
Der vorliegende Versuch, meine von den hergebrachten abweichenden Erfahrungen dem grösseren Kreise der Aerzte im Zusammenhange vorzuführen, hat einen unerwarteten Erfolg gehabt: er hat viele Freunde und lebhafte Gegner gefunden. Beides ist gewiss sehr erwünscht, denn die Freunde werden in diesem Buche keinen Abschluss, kein System, kein Dogma finden, und die Gegner werden genöthigt sein, endlich einmal die Phrasen aufzugeben und sich an die Sachen selbst zu machen. Beides kann nur zur Bewegung, zum Fortschritt der Wissenschaft beitragen.
Allein Beides hat doch auch seine niederschlagende Seite. Wenn man ein Decennium hindurch mit allem Eifer gearbeitet und die Ergebnisse seiner Forschungen dem Urtheile der Mitwelt vorgelegt hat, so stellt man sich nur zu leicht vor, dass mehr davon, dass vielleicht der grössere und wesentliche Theil allgemeiner bekannt sein könne. Dies war, wie die Erfahrung gelehrt hat, bei meinen Arbeiten nicht der Fall. Einer meiner Kritiker erklärt es aus der Breite meiner Beweisführungen. Mag es sein, allein dann hätte ich vielleicht erwarten dürfen, dass andere Kritiker die Beweise, welche sie hier nicht in ausreichender Weise fanden, in den Originalarbeiten aufgesucht hätten. Denn ausdrücklich hatte ich schon das erste Mal hervorgehoben, dass diejenigen, welche sich in der laufenden Kenntniss der neueren Arbeiten erhalten hätten, hier wenig Neues finden würden.
In der neuen Ausgabe habe ich mich darauf beschränkt, den
Ausdruck zu verbessern, Missverständliches schärfer zu fassen,
Wiederholungen zu unterdrücken. Gewiss bleibt auch so noch sehr
Vieles der Verbesserung bedürftig, aber es schien mir, dass dem
Ganzen der frischere Eindruck der mündlichen Rede und des freien
Gedankenganges möglichst erhalten bleiben müsse, wenn es noch
weiterhin als ein wirksames Ferment für die an sich so verschiedenartigen[xi]
Richtungen des medicinischen Lebens und Wirkens
dienen sollte. Denn das Buch wird seinen Zweck erfüllt haben,
wenn es Propaganda, nicht für die Cellular-Pathologie, sondern
nur überhaupt für unabhängiges Denken und Forschen in grossen
Kreisen machen hilft.
Berlin, am 7. Juni 1859.
Die neue Auflage, welche hiermit vor das Publikum tritt, hat wesentliche Umgestaltungen erfahren müssen. Der Verfasser hat sich genöthigt gesehen, die Form der Vorlesungen ganz aufzugeben, weil sie ihn hinderte, wesentliche Veränderungen, insbesondere Neuerungen in den Text zu bringen. Solche Aenderungen waren aber vielfach nothwendig. Denn die Wissenschaft, insbesondere die deutsche, ist in den drei Jahren seit dem Erscheinen der ersten Auflage rüstig vorwärts geschritten, und wenn sie auch an den Grundanschauungen und Hauptlehrsätzen, welche hier dargelegt wurden, nichts geändert hat, so gestattete sie doch an vielen Punkten ein ungleich tieferes Eingehen.
Aber die weitere Entfernung von dem Ausgangspunkte gestattet auch eine freiere Uebersicht. Vieles hatte, wie es bei freien Vorträgen nur zu leicht geschieht, nur losen Zusammenhang; Anderes war, wie es die Demonstration bestimmter Präparate mit sich brachte, geradezu zerrissen. Dies ist dem Verfasser insbesondere bei der Durchsicht der inzwischen erschienenen englischen und französischen Uebersetzungen entgegen getreten, und er hat sich daher bemüht, durch schärferen Ausdruck, durch Umstellung des alten und Hinzufügung neuen Stoffes das Verständniss zu sichern. Deswegen sind auch noch einige neue Holzschnitte beigegeben.
Freilich war es nicht möglich, überall das Einzelne der Beweisführung zu liefern. Früher hatte der Verfasser darauf hingewiesen, dass diese Beweisführung in seinen Specialarbeiten zu suchen sei, aber Wenige haben darauf gehört, im Gegentheil haben Manche Prioritäts-Anklagen gegen den Verfasser erhoben, gleich als ob er seine Lehrsätze in diesem Werke zum ersten Male aufgestellt hätte. Es ist daher nöthig geworden, an den betreffenden Stellen die Citate der früheren Arbeiten anzugeben. Wenn der Verfasser sich dabei darauf beschränkt hat, fast nur seine eigenen Arbeiten zu citiren, so glaubt er sich damit verantworten zu können, dass es ganz unmöglich gewesen sein würde, alle Belegstellen oder Werke zu citiren, auf welche sich seine Anschauungen stützen, dass aber diejenigen Leser, welche die citirten Stellen nachsehen wollen, an denselben in der Regel die einschlagenden Leistungen auch der anderen Untersucher gewissenhaft vorgetragen finden werden.
Bei dem Zusammenstellen dieser Citate ist der Verfasser
noch mehr, als er dies schon früher hervorhob, von der Thatsache
durchdrungen worden, dass der grosse Erfolg des vorliegenden
Werkes nur der leichten Form und nicht dem Inhalte zu danken
ist. Denn in der That findet sich alles Wesentliche schon in seinen
früheren Arbeiten ausgesprochen, ja es ist dort zum Theil weit
klarer und schärfer ausgedrückt. Aber nur Wenige haben davon
Kenntniss genommen, und Mancher nur zu dem Zweck, um es
als sein Eigenthum zu verwerthen. Das kurzgefasste Büchlein
aber ist in der kürzesten Frist in fünf Sprachen übersetzt worden;
es hat einer grossen Zahl von Lesern, wie ich aus dem Munde
Vieler weiss, eine dauernde Anregung gegeben, und so möge in
der Freude darüber der Schmerz vergessen sein, dass eine strengere
Form der Darstellung noch jetzt eine so geringe Theilnahme
findet. Hoffentlich wird dieser Mangel durch die jetzige Auflage
nicht befördert werden.
Dürkheim, am 26. September 1861.
Rud. Virchow.
Einleitung und Aufgabe. Bedeutung der anatomischen Entdeckungen in der Geschichte der Medicin. Geringer Einfluss der Zellentheorie auf die Pathologie.
Die Zelle als letztes wirkendes Element des lebenden Körpers. Genauere Bestimmung der Zelle. Die Pflanzenzelle: Membran, Inhalt (Protoplasma), Kern. Die thierische Zelle: die eingekapselte (Knorpel) und die einfache. Der Zellenkern (Nucleus). Das Kernkörperchen (Nucleolus). Die Theorie der Zellenbildung aus freiem Cytoblastem. Constanz des Kerns und Bedeutung desselben für die Erhaltung der lebenden Elemente. Der Zellkörper und das Protoplasma. Verschiedenartigkeit des Zelleninhalts und Bedeutung desselben für die Function der Theile. Die Zellen als vitale Einheiten (Elementarorganismen). Der Körper als sociale Einrichtung. Die Intercellularsubstanz und die Zellenterritorien.
Die Cellularpathologie im Gegensatze zur Humoral- und Solidarpathologie.
Falsche Elementartheile: Fasern, Kügelchen (Elementarkörnchen). Entstehung der Zellen. Umhüllungstheorie. Generatio aequivoca der Zellen. Das Gesetz von der continuirlichen Entwickelung (Omnis cellula e cellula). Pflanzen- und Knorpelwachsthum.
Wir befinden uns inmitten einer grossen Reform der Medicin. Zum ersten Male seit Jahrtausenden ist in unserer Zeit das gesammte Gebiet dieser so umfangreichen Wissenschaft der naturwissenschaftlichen Forschung unterworfen worden. Lehrsätze, welche zu den ältesten Ueberlieferungen der Menschheit gehören, werden der Feuerprobe nicht bloss der Erfahrung, sondern noch mehr des Versuches ausgesetzt. Für die Erfahrung werden Beweise, für den Versuch zuverlässige Methoden gefordert. Ueberall dringt die Forschung auf die feinsten, den menschlichen Sinnen zugänglichen Verhältnisse; die Erkenntniss geht in zahllose Einzelheiten aus einander, welche das Bewusstsein von der einheitlichen Natur des menschlichen Wesens stören und welche Vielen mehr geeignet zu sein scheinen, einen Schmuck des Wissens, als eine Handhabe des Handelns darzustellen. Am meisten wird der ausübende Arzt bedrängt. Er, dem die Praxis kaum die Musse des Lesens vergönnt, dem sowohl die ausreichenden literarischen Hülfsmittel, als[2] die Anschauung der neueren Erfahrungen nur zu oft abgehen, er findet sich verwirrt in einem Chaos, in welchem die Trümmer des Alten mit den Bausteinen des Neuen bunt durch einander geworfen zu sein scheinen.
Und doch ist das Chaos nur scheinbar. Es besteht nur für den, welcher die Thatsachen nicht beherrscht, auf welchen die neue Anschauung sich begründet. Für den Eingeweihten lässt sich wohl eine Ordnung herstellen, welche sowohl dem praktischen, als dem wissenschaftlichen Bedürfnisse genügt, eine Ordnung, welche freilich weit davon entfernt ist, ein in sich abgeschlossenes System zu bilden, welche aber von einem allgemeinen biologischen Principe aus die Einzelerfahrungen nach ihrem besonderen Werthe und nach ihren Beziehungen unter einander in einen wissenschaftlichen Zusammenhang zu setzen vermag. Diess ist das cellulare Princip, welches in seiner Anwendung auf den zusammengesetzten, lebenden Körper uns zu einer Cellular-Physiologie und zu einer Cellular-Pathologie führt, welches aber in jeder dieser beiden Richtungen zunächst auf einer Anatomie des feinsten Einzelnen, auf der Histologie beruht.
In der That ist die gegenwärtige Reform wesentlich ausgegangen von neuen anatomischen Erfahrungen. Freilich waren es zumeist Erfahrungen der pathologischen Anatomie, welche die alten Lehrgebäude erschütterten, und noch jetzt scheint es Vielen, als sei damit genug gethan und als habe die Histologie nur die Bedeutung einer Luxuswissenschaft. Jeder Blick in die Vergangenheit zeigt uns aber, wie unrichtig es ist, wenn man glauben kann, der Einfluss der Anatomie auf die Medicin sei nur ein äußerlicher, ihr Werth ein mehr relativer. Die Geschichte der Medicin lehrt uns ja, wenn wir nur einen einigermaassen grösseren Ueberblick nehmen, dass zu allen Zeiten die bleibenden Fortschritte bezeichnet worden sind durch anatomische Neuerungen, dass jede grössere Epoche zunächst eingeleitet wurde durch eine Reihe bedeutender Entdeckungen über den Bau und die Einrichtung des Körpers. So ist es in der alten Zeit gewesen, als die Erfahrungen der Alexandriner, zum ersten Male von der Anatomie des Menschen ausgehend, das galenische System vorbereiteten; so im Mittelalter, als Vesal die moderne Anatomie begründete und damit die Reform der Medicin begann; so endlich im Anfange unseres Jahrhunderts, als Bichat die Grundsätze der allgemeinen Anatomie entwickelte.
Wenn man den ausserordentlichen Einfluss erwägt, welchen seiner Zeit Bichat auf die Gestaltung der ärztlichen Anschauungen ausgeübt hat, so ist es in der That erstaunlich zu sehen, dass eine verhältnissmässig so lange Zeit vergangen ist, seitdem Schwann seine grossen Entdeckungen in der Histologie machte, ohne dass man die eigentliche Breite der neuen Thatsachen würdigte. Es hat dies allerdings zum Theil trotz dieser Entdeckungen daran gelegen, dass immer noch eine grosse Unsicherheit unserer Kenntnisse über die feinere Einrichtung vieler Gewebe fortbestanden hat, ja, wie wir leider zugestehen müssen, in manchen Theilen der Histologie selbst jetzt noch in solchem Maasse herrscht, dass Mancher kaum weiss, für welche Ansicht er sich entscheiden soll. Jeder Tag bringt neue Aufschlüsse, aber auch neue Zweifel über die Zuverlässigkeit eben erst veröffentlichter Entdeckungen. Ist denn überhaupt, fragt Mancher, in der Histologie etwas sicher? Giebt es einen Punkt, in dem Alle übereinstimmen? Vielleicht nicht. Aber gerade um deswegen habe ich in den Vorträgen im Anfange des Jahres 1858, welche vor einem grossen Kreise von Collegen, zunächst als Erläuterung unmittelbarer Demonstrationen, als Erklärung bestimmter, für die Ueberzeugung der Einzelnen durch eigene Anschauung und Prüfung eingerichteter Beweisstücke gehalten wurden und welche der gegenwärtigen Darstellung zu Grunde liegen, mich für verpflichtet erachtet, eine kurze und leicht fassliche Uebersicht desjenigen, was ich durch langjährige, gewissenhafte Untersuchung für wahr zu halten mich berechtigt glaubte, auch dem weiteren Kreise der Aerzte zugänglich zu machen. Manches Einzelne ist seitdem berichtigt, manches Andere neu entdeckt worden; die gegenwärtige Bearbeitung wird davon Zeugniss ablegen. Aber das Princip der Anschauung, welches ich für das gesammte Gebiet der Physiologie und Pathologie zu benutzen gelehrt habe und dessen erste schüchterne Ausführung in einer Arbeit des Jahres 1852[1] niedergelegt ist, darf gegenwärtig als gesichert angesehen werden, und für denjenigen, welcher daran festhält, wird es auch künftig nicht schwer werden, neue Ergebnisse des Forschens an der richtigen Stelle aufzunehmen, ohne dass er deshalb genöthigt wäre, die obersten Sätze aufzugeben,[4] welche hier über die allgemeinen Grundlagen der Lebensthätigkeiten aufgestellt werden.
Alle Versuche der früheren Zeit, ein solches einheitliches Princip zu finden, sind daran gescheitert, dass man zu keiner Klarheit darüber zu gelangen wusste, von welchen Theilen des lebenden Körpers eigentlich die Action ausgehe und was das Thätige sei. Dieses ist die Cardinalfrage aller Physiologie und Pathologie. Ich habe sie beantwortet durch den Hinweis auf die Zelle als auf die wahrhafte organische Einheit. Indem ich daher die Histologie, als die Lehre von der Zelle und den daraus hervorgehenden Geweben, in eine unauflösliche Verbindung mit der Physiologie und Pathologie setzte, forderte ich vor Allem die Anerkennung, dass die Zelle wirklich das letzte Form-Element aller lebendigen Erscheinung sowohl im Gesunden, als im Kranken sei, von welcher alle Thätigkeit des Lebens ausgehe. Manchem erscheint es vielleicht nicht gerechtfertigt, wenn in dieser Weise das Leben als etwas ganz Besonderes anerkannt wird, ja, es wird vielleicht Vielen wie eine Art biologischer Mystik vorkommen, wenn das Leben überhaupt aus dem grossen Ganzen der Naturvorgänge getrennt und nicht sofort ganz und gar in Chemie und Physik aufgelöst wird. In der Folge dieser Vorträge wird sich jedermann davon überzeugen, dass man kaum mehr mechanisch denken kann, als ich es zu thun pflege, wo es sich darum handelt, die Vorgänge innerhalb der letzten Formelemente zu deuten. Aber wie viel auch von dem Stoffverkehr, der innerhalb der Zelle geschieht, nur an einzelne Bestandtheile derselben geknüpft sein mag, immerhin ist die Zelle der Sitz der Thätigkeit, das Elementargebiet, von welchem die Art der Thätigkeit abhängt, und sie behält nur so lange ihre Bedeutung als lebendes Element, als sie wirklich ein unversehrtes Ganzes darstellt.
Nicht am seltensten ist gegen diese Auffassung der Einwand erhoben worden, man sei nicht einmal einig darüber, was eigentlich unter einer Zelle zu verstehen sei. Dieser Einwand ist insofern unerheblich, als der Streit nicht um die Existenz der Zellen, sondern nur um ihre Deutung geführt wird. Im Wesentlichen weiss jedermann, welche thatsächlich existirenden Körper gemeint sind; ob der Eine sie so, der Andere sie anders interpretirt, ist eine Frage zweiter Ordnung, deren Beantwortung den[5] Werth des Princips nicht berührt. Um so grössere Bedeutung hat sie für die Erörterung der Einzelvorgänge, und es ist gewiss zu bedauern, dass nicht schon lange eine Einigung erzielt ist. Die Schwierigkeiten, auf welche wir hier stossen, datiren unmittelbar von der ersten Begründung der Zellenlehre. Schwann, der auf den Schultern des Botanikers Schleiden stand, deutete seine Beobachtungen nach botanischen Mustern, und so kam es, dass alle Lehrsätze der Pflanzen-Physiologie mehr oder weniger entscheidend wurden für die Physiologie der thierischen Körper. Die Pflanzenzelle in dem Sinne, wie man sie zu jener Zeit ganz allgemein fasste und wie sie auch gegenwärtig häufig noch gefasst wird, ist aber ein Gebilde, dessen Identität mit dem, was wir thierische Zelle nennen, nicht ohne weiteres zugestanden werden kann.
Fig. 1. Pflanzenzellen aus dem Centrum des jungen Triebes eines Knollens von Solanum tuberosum. a. Die gewöhnliche Erscheinung des regelmässig polygonalen, dickwandigen Zellengewebes. b. Eine isolirte Zelle mit feinkörnigem Aussehen der Höhlung, in der ein Kern mit Kernkörperchen zu sehen ist. c. Dieselbe Zelle, nach Einwirkung von Wasser; der Inhalt (Protoplasma) hat sich von der Wand (Membran, Capsel) zurückgezogen. An seinem Umfange ist eine besondere feine Haut (Primordialschlauch) zum Vorschein gekommen. d. Dieselbe Zelle bei längerer Einwirkung von Wasser; die innere Zelle (Protoplasma mit Primordialschlauch und Kern) hat sich ganz zusammengezogen und ist nur durch feine, zum Theil ästige Fäden mit der Zellhaut (Capsel) in Verbindung geblieben.
Wenn man von gewöhnlichem Pflanzenzellgewebe spricht, so meint man in der Regel damit ein Gewebe, das in seiner einfachsten und regelmässigsten Form auf einem Durchschnitt aus lauter vier- oder sechseckigen, wenn es etwas loser ist, aus rundlichen oder polygonalen Körpern zusammengesetzt erscheint. An jedem dieser Körper (Fig. 1, a.) unterscheidet man eine ziemlich dicke und derbe Wand (Membran) und eine innere Höhlung. In der Höhlung können je nach Umständen, insbesondere je nach der Natur der einzelnen Zellen, sehr verschiedene Stoffe abgelagert sein, z. B. Fett, Stärke, Pigment, Eiweiss (Zelleninhalt). Aber auch ganz abgesehen von diesen örtlichen Verschiedenheiten des Inhaltes, ist die chemische Untersuchung im Stande, an jeder Pflanzenzelle mehrere verschiedene Stoffe nachzuweisen.
Die Substanz, welche die äussere Membran bildet, die sogenannte Cellulose, ist stickstofflos, und characterisirt sich durch die eigenthümliche, schön blaue Färbung, welche sie bei Einwirkung von Jod und Schwefelsäure annimmt. (Jod allein giebt keine Färbung, Schwefelsäure für sich verkohlt.) Dasjenige, was in der von der Cellulose-Haut umschlossenen Höhle liegt, wird nicht blau, es müsste denn zufällig Stärke (Amylon) vorhanden sein, welche schon durch Jod allein blau gefärbt wird. Ist die Pflanzenzelle recht einfach, so erscheint vielmehr nach der Einwirkung von Jod und Schwefelsäure eine bräunliche oder gelbliche Masse, die sich als besonderer Körper im Innern des Zellenraumes isolirt und an der sich häufig eine besondere faltige, häufig geschrumpfte Umhüllungs-Haut erkennen lässt (Fig. 1, c.). Hugo v. Mohl, der zuerst (1844–46) diese innere Einrichtung genauer beschrieben hat, nannte jene Masse das Protoplasma, die Umhüllungs-Haut den Primordialschlauch (Utriculus primordialis). Auch die gröbere chemische Analyse zeigt an den einfachsten Zellen neben der stickstofflosen äusseren Substanz eine stickstoffhaltige innere Masse, und es lag daher nahe, zu schliessen, dass das eigentliche Wesen einer Pflanzenzelle darin beruhe, dass innerhalb einer stickstofflosen Membran ein von ihr differenter stickstoffhaltiger Inhalt vorhanden sei.
Man wusste freilich schon seit längerer Zeit, dass noch andere Dinge sich im Innern der Zellen befinden. Insbesondere war es eine der am meisten folgenreichen Entdeckungen, als Rob. Brown den Kern (Nucleus) innerhalb der Pflanzenzelle entdeckte (Fig. 1, b u. c.). Unglücklicherweise legte man diesem Gebilde eine grössere Bedeutung für die Bildung, als für die Erhaltung der Zellen bei, weil in sehr vielen älteren Pflanzenzellen der Kern äusserst undeutlich wird, in vielen ganz verschwindet, während die Form der Zelle doch erhalten bleibt.
Objecte zu gewinnen, welche das vollkommene Bild der Pflanzenzelle darbieten, ist nicht schwierig. Man nehme z. B. einen Kartoffelknollen und untersuche ihn da, wo er anfängt, einen neuen Schoss zu treiben, wo also die Wahrscheinlichkeit besteht, dass man junge Zellen finden wird, vorausgesetzt, dass Knospung überhaupt in der Bildung neuer Zellen besteht. Im Innern des Knollens sind alle Zellen mit Amylonkörnern vollgestopft; an dem jungen Schoss dagegen wird in dem Maasse, als er wächst, das[7] Amylon aufgelöst und verbraucht, und die Zelle zeigt sich wieder in ihrer einfacheren Gestalt. Auf einem Querschnitte durch einen jungen Schössling nahe an seinem Austritte aus dem Knollen unterscheidet man etwa vier verschiedene Lagen: die Rindenschicht, dann eine Schicht grösserer Zellen, dann eine Schicht kleinerer Zellen, und zu innerst wieder eine Lage von grösseren. In dieser letzteren sieht man lauter regelmässige Gebilde; dicke Kapseln von sechseckiger Gestalt und im Innern derselben einen oder ein Paar Kerne (Fig. 1). Gegen die Rinde (Korkschicht) und ihre Matrix (Cambium) hin sind die Zellen viereckig und je weiter nach aussen, um so platter, aber auch in ihnen erkennt man bestimmt Kerne (Fig. 2, a.). Ueberall, wo die sogenannten Zellen zusammenstossen, ist zwischen ihnen eine Grenze zu erkennen; dann kommt die dicke Celluloseschicht, in welcher häufig feine Streifen (Ablagerungsschichten) zu bemerken sind, und im Innern der Höhle eine zusammengesetzte Masse, in welcher leicht ein Kern mit Kernkörperchen zu unterscheiden ist, und an der nach Anwendung von Reagentien auch der Primordialschlauch (Utriculus) als eine gefaltete, runzlige Haut zum Vorschein kommt. Es ist dies die vollendete, aber einfache Form der Pflanzenzelle. In den benachbarten Zellen liegen einzelne grössere, matt glänzende, geschichtete Körper: die Reste von Stärkemehl (Fig. 2, c.).
Fig. 2. Aus der Rindenschicht eines Knollens von Solanum tuberosum nach Behandlung mit Jod und Schwefelsäure. a. Platte Rindenzellen, umgeben von der Kapsel (Zellhaut, Membran). b. Grössere, viereckige Zellen derselben Art aus dem Cambium; die geschrumpfte und gerunzelte eigentliche Zelle mit dem Primordialschlauch innerhalb der Kapsel. c. Zelle mit Amylonkörnern, welche innerhalb des Primordialschlauches liegen.
Mit solchen Erfahrungen kam man an die thierischen Gewebe, deren Uebereinstimmung mit den pflanzlichen Schwann nachzuweisen suchte. Die eben besprochene Deutung der gewöhnlichen pflanzlichen Zellenformen, wobei man jedoch den von Vielen geleugneten Primordialschlauch ganz unberücksichtigt zu lassen pflegte, diente als Ausgangspunkt. Dies ist aber, wie die Erfahrung gezeigt hat, in gewissem Sinne irrig gewesen. Man kann die pflanzliche Zelle in ihrer Totalität nicht mit jeder thierischen zusammenstellen. Wir kennen an thierischen Zellen keine[8] solchen Unterschiede zwischen stickstoffhaltigen und stickstofflosen Schichten; in allen wesentlichen, die Zelle constituirenden Theilen kommen auch stickstoffhaltige Stoffe vor. Aber es giebt allerdings gewisse Formelemente im thierischen Leibe, welche an diese pflanzlichen Zellen unmittelbar erinnern; die am meisten charakteristischen unter ihnen sind die Zellen im Knorpel, der seiner ganzen Erscheinung nach von den übrigen Geweben des thierischen Leibes so sehr abweicht, und der schon durch seine Gefässlosigkeit eine ganz besondere Stellung einnimmt. Der Knorpel schliesst sich in jeder Beziehung am nächsten an die Gewebe der Pflanze an. An einer recht entwickelten Knorpelzelle erkennen wir eine verhältnissmässig dicke äussere Schicht, innerhalb welcher, wenn wir recht genau zusehen, wiederum eine zarte Haut, ein Inhalt und ein Kern zu finden sind. Hier haben wir also ein Gebilde, das der Pflanzenzelle durchaus entspricht.
Man hat daher auch lange Zeit hindurch, wenn man den Knorpel schilderte, das ganze eben beschriebene Gebilde (Fig. 3, a–d.) ein Knorpelkörperchen genannt. Indem man dasselbe aber den Zellen anderer thierischer Theile coordinirte, stiess man auf Schwierigkeiten, welche die Kenntniss des wahren Sachverhältnisses ungemein störten. Das Knorpelkörperchen ist nehmlich nicht als Ganzes eine Zelle, sondern die äussere Schicht, die von mir sogenannte Capsel[2], ist das Produkt einer späteren Entwickelung (Absonderung, Ausscheidung). Im jungen oder wenig entwickelten Knorpel ist sie sehr dünn, während auch die Zelle kleiner zu sein pflegt. Gehen wir noch weiter in der Entwickelung zurück, so treffen wir auch im Knorpel nichts als eine einfache Zelle, welche jene äussere Absonderungsschicht noch nicht besitzt, dasselbe Gebilde, welches auch sonst in thierischen Geweben vorkommt.
Fig. 3. Knorpelzellen, wie sie am Ossificationsrande wachsender Knorpel vorkommen, ganz den Pflanzenzellen analog (vgl. die Erklärung zu Fig. 1). a–c. entwickeltere, d. jüngere Form.
Die Vergleichung zwischen thierischen und pflanzlichen Zellen,[9] die wir allerdings machen müssen, ist demnach insofern zu beschränken, als in den meisten thierischen Geweben keine Formelemente gefunden werden, die als Aequivalente der Pflanzenzelle in der alten Bedeutung dieses Wortes betrachtet werden können. Insbesondere entspricht die Cellulose-Membran der Pflanzenzelle nicht der thierischen Zellhaut. Aber bei einer anderen Deutung der Pflanzenzelle trifft die Vergleichung allerdings zu, nur muss man sofort davon abgehen, dass die thierische Zellhaut als stickstoffhaltig eine typische Verschiedenheit von der pflanzlichen als stickstoffloser darbiete. Vielmehr treffen wir in beiden Fällen eine stickstoffhaltige Bildung von im Grossen übereinstimmender Zusammensetzung. Wenn auch die sogenannte Membran (Capsel) der Pflanzenzelle in der Capsel der Knorpelzellen ein Analogon findet, so entspricht doch vielmehr die gewöhnliche Membran der Thierzelle dem Primordialschlauch der (inneren) Pflanzenzelle, wie ich schon 1847 hervorgehoben habe[3]. Erst wenn man diesen Standpunkt festhält, wenn man von der Zelle Alles ablöst, was durch eine spätere Entwickelung äusserlich hinzugekommen ist, so gewinnt man das einfache, gleichartige, scheinbar monotone Gebilde, welches sich in allen lebendigen Organismen wiederholt. Aber gerade diese Constanz ist das beste Kriterium dafür, das wir in ihm das wirklich Elementare haben, dasjenige Gebilde, welches alles Lebendige charakterisirt, ohne dessen Präexistenz keine neuen lebendigen Formen entstehen und an welches Fortgang und Erhaltung des Lebens gebunden sind. Erst seitdem der Begriff der Zelle diese strenge Form bekommen hat, und ich bilde mir etwas darauf ein, trotz des Vorwurfes der Pedanterie stets daran festgehalten zu haben, erst seit dieser Zeit kann man sagen, dass eine einfache Form gewonnen ist, die wir überall wieder aufsuchen können, und die, wenn auch in Grösse, Gestalt und Ausstattung verschieden, doch in ihren wesentlichen Bestandtheilen immer gleichartig angelegt ist.
Es liegt auf der Hand, dass der Ausdruck „Zelle“, welcher von den Cellulose-Capseln der Pflanzenzellen hergenommen ist, ein beträchtliches Stück seiner wirklichen Bedeutung verloren hat, seitdem er auf die mit zarten Primordialschläuchen oder Membranen umkleideten Körper übertragen ist, welche die neue Wissenschaft[10] im Auge hat. Denn hier handelt es sich nicht sowohl um hohle Bläschen, bei denen die Membran gewissermassen die Hauptsache ist, sondern um, wenn auch weiche, so doch solide Körper, deren äussere Begrenzungsschicht eine grössere Dichtigkeit besitzt, als das Innere, ja bei denen es fraglich ist, ob überhaupt diese Begrenzungsschicht ein notwendiges Zubehör ist. Bevor wir jedoch diese Frage erörtern, wird es zweckmässig sein, die anderen Bestandtheile der Zelle zu betrachten.
Fig. 4. a. Leberzelle. b. Spindelzelle des Bindegewebes. c. Capillargefäss. d. Grössere Sternzelle aus einer Lymphdrüse. e. Ganglienzelle aus dem Kleinhirn. Die Kerne überall gleichartig.
Zuerst erwarten wir, dass innerhalb der Zelle ein Kern sei. Von diesem Kerne, der in der Regel eine ovale oder runde Gestalt hat, wissen wir, dass er, zumal in jungen Elementen, eine grössere Resistenz gegen chemische Einwirkungen besitzt, als die äussereren Theile der Zelle, und dass er trotz der grössten Variabilität in der äusseren Gestalt der Zelle seine Gestalt im Allgemeinen behauptet. Der Kern ist demnach derjenige Theil der Zelle, der mit grösster Constanz in allen Formen fast unverändert wiederkehrt. Freilich giebt es einzelne Fälle, sowohl in der vergleichenden, als auch in der pathologischen Anatomie, wo auch der Kern zackig oder eckig erscheint, aber dies sind ganz seltene Ausnahmen, gebunden an besondere Veränderungen, welche das Element eingegangen ist. Im Allgemeinen kann man sagen, dass, so lange es noch zu keinem Abschlusse des Zellenlebens gekommen ist, so lange die Zellen sich als lebenskräftige Elemente verhalten, die Kerne eine nahezu constante Form besitzen. Nur in den niedersten Pflanzen z. B. in den niedersten Pilzformen, ist es nicht möglich, einen Kern nachzuweisen.
Der Kern seinerseits enthält bei entwickelten Elementen wiederum mit grosser Beständigkeit ein anderes Gebilde in sich,[11] das sogenannte Kernkörperchen (Nucleolus). Man kann jedoch von demselben nicht sagen, dass es als ein notwendiges Desiderat der vitalen Form erscheine; in einer erheblichen Zahl von jungen Elementen ist es noch nicht gelungen, es zu sehen. Dagegen treffen wir es bei gut entwickelten, älteren Formen regelmässig, und es scheint daher eine höhere Ausbildung des Elementes anzuzeigen.
Nach der Aufstellung, welche ursprünglich von Schleiden gemacht und von Schwann acceptirt wurde, dachte man sich lange Zeit das Verhältniss der drei genannten Zellentheile (Membran, Kern und Kernkörperchen) so, dass der Nucleolus bei der Bildung der Gewebe als das Erste aufträte, indem er sich aus einer Bildungsflüssigkeit (Blastem, Cytoblastem) ausscheide, dass er schnell eine gewisse Grösse erreiche, und dass sich dann um ihn kleine Körnchen aus dem Blastem niederschlügen, um die sich wiederum eine Membran verdichte. Damit wäre ein Nucleus fertig, um den sich allmählich wiederum neue Masse ansammele und, zuerst an einer Seite des Nucleus, eine feine Membran erzeuge (die berühmte Uhrglasform der Zellenmembran. Fig. 5, d'). Diese Darstellung der Bildung von Zellen aus freiem Blastem, wonach der Kern der Zelle voraufgehen und als eigentlicher Zellenbildner (Cytoblast) auftreten sollte, ist es, welche man gewöhnlich unter dem Namen der Zellentheorie (genauer Theorie der freien Zellenbildung) zusammenzufassen pflegte, — eine Theorie, welche gegenwärtig vollständig verlassen ist, und für deren Richtigkeit keine Thatsache beigebracht werden kann.
Fig. 5. Freie Zellenbildung nach Schleiden, Grundzüge der wiss. Botanik. I. Fig. 1. „Inhalt des Embryosackes von Vicia faba bald nach der Befruchtung. In der hellen, aus Gummi und Zucker bestehenden Flüssigkeit schwimmen Körnchen von Proteinverbindungen (a.), unter denen sich einzelne grössere auffallend auszeichnen. Um diese letzteren sieht man dann die ersteren zu einer kleinen Scheibe zusammengeballt (b. c.) Um andere Scheiben erkennt man einen hellen, scharf begrenzten Saum, der sich allmählich weiter von der Scheibe (dem Cytoblasten) entfernt und endlich deutlich als junge Zelle (d. e.) erkannt wird.“
Wir werden späterhin eine Reihe von Thatsachen der physiologischen und pathologischen Entwickelungsgeschichte besprechen, welche es in hohem Grade wahrscheinlich machen, dass der Kern[12] allerdings eine außerordentlich wichtige Rolle innerhalb der Zelle spielt, eine Rolle, die, wie ich gleich hervorheben will, weniger auf die Function, die specifische Leistung der Elemente sich bezieht, als vielmehr auf die Erhaltung und Vermehrung der Elemente als lebendiger Theile. Die specifische (im engeren Sinne animalische) Function zeigt sich am deutlichsten am Muskel, am Nerven, an der Drüsenzelle, aber die besonderen Thätigkeiten der Contraction, der Sensation, der Secretion scheinen in keiner Weise unmittelbar mit den Kernen etwas zu thun zu haben. Dass dagegen inmitten aller Function das Element ein Element bleibt, dass es nicht vernichtet wird und zu Grunde geht unter der fortdauernden Thätigkeit, dies scheint wesentlich an die Existenz des Kerns gebunden zu sein. Alle diejenigen zelligen Bildungen, welche ihren Kern verlieren, sind hinfällig, sie gehen zu Grunde, sie verschwinden, sterben ab, lösen sich auf. Ein menschliches Blutkörperchen z. B. ist eine Zelle ohne Kern; es besitzt höchstens eine äussere Membran und einen rothen Inhalt, aber damit ist seine Zusammensetzung, soweit man sie erkennen kann, erschöpft, und was man vom Blutkörperchen-Kern beim Menschen erzählt hat, bezieht sich auf Täuschungen, welche allerdings sehr leicht und häufig hervorgebracht werden dadurch, dass kleine Unebenheiten an der Oberfläche entstehen (Fig. 61). Man würde daher nicht einmal behaupten können, dass Blutkörperchen Zellen seien, wenn man nicht wüsste, dass eine gewisse Zeit existirt, wo auch die menschlichen Blutkörperchen Kerne haben, nehmlich die Zeit innerhalb der ersten Monate des intrauterinen Lebens. Hier circuliren auch beim Menschen kernhaltige Blutkörperchen, wie man sie bei Fröschen, Vögeln, Fischen das ganze Leben hindurch sieht. Das ist bei Säugethieren auf eine gewisse Zeit der Entwickelung beschränkt; in der späteren Zeit besitzen die rothen Blutkörperchen nicht mehr die volle Zellennatur, vielmehr haben sie einen wichtigen Bestandtheil ihrer Zusammensetzung eingebüsst. Aber Alle sind auch darüber einig, dass gerade das Blut einer von jenen wechselnden Bestandtheilen des Körpers ist, deren Elemente keine Dauerhaftigkeit besitzen, vielmehr fort und fort zu Grunde gehen und ersetzt werden durch neue, die wiederum der Vernichtung bestimmt sind. Wie die obersten Epidermiszellen, in welchen wir auch keine Kerne finden, sobald sie sich abschilfern, haben die ersten Blutkörperchen schon ein Stadium[13] ihrer Entwickelung erreicht, wo sie nicht mehr jener Dauerhaftigkeit der inneren Zusammensetzung bedürfen, als deren Bürgen wir den Kern betrachten müssen.
Dagegen kennen wir, so vielfach auch gegenwärtig die Gewebe untersucht sind, keinen Theil, der wächst, der sich vermehrt, sei es physiologisch, sei es pathologisch, wo nicht kernhaltige Elemente als die Ausgangspunkte der inneren Veränderung nachweisbar wären, und wo nicht die ersten erkennbaren Veränderungen, welche auftreten, den Kern selbst betreffen, so dass wir aus seinem Verhalten oft bestimmen können, was möglicher Weise aus den Elementen geworden sein würde, wenn der Vorgang weiter fortgeschritten wäre.
Fig. 6. a. Pigmentzelle aus der Chorioides oculi. b. Glatte Muskelzelle aus dem Darm. c. Stück einer doppeltcontourirten Nervenfaser mit Axencylinder, Markscheide und wandständigem, nucleolirtem Kern in der äusseren Scheide.
Längere Zeit hindurch verlangte man für die Definition einer Zelle nicht viel mehr, als die Membran, mochte sie nun rund oder zackig oder sternförmig sein, und den Kern, welcher von vorn herein eine andere chemische Beschaffenheit besitzt, als die Membran. Es ist indess damit lange nicht alles Wesentliche erschöpft. Denn die Zelle ist ausser dem Kern gefüllt mit einer verhältnissmässig grösseren oder kleineren Menge von Inhaltsmasse, und ebenso in der Regel der Kern seinerseits, in der Art, dass der Inhalt des Kerns wieder verschieden zu sein pflegt von dem Inhalte der Zelle. Innerhalb mancher Zellen sehen wir Pigment, ohne dass der Kern davon etwas enthielte (Fig. 6, a.). Innerhalb einer Muskelzelle wird contractile Substanz abgelagert, die Trägerin der Contractions-Kraft; der Kern bleibt Kern (Fig. 6, b.). Eine Nervenfaser kann um den Axencylinder Mark ausscheiden, aber der Kern bleibt ausserhalb, der Axencylinder innerhalb des Markes unversehrt (Fig. 6, c.). In der Mehrzahl der thierischen Zellen nimmt der sogenannte Inhalt den verhältnissmässig grössten Raum ein; er ist wenigstens quantitativ unzweifelhaft der Hauptbestandtheil dessen, was ich den Zellkörper nenne. Allein schon Mohl schrieb dem[14] Inhalte der Pflanzenzellen auch qualitativ eine bedeutende Rolle zu, indem er darin eine besondere, eiweisshaltige Flüssigkeit von grossem functionellen Werthe, das von ihm sogenannte Protoplasma, annahm. In neuerer Zeit hat diese Auffassung auch bei den Untersuchern der thierischen Zellen immer mehr Anklang gefunden, so dass gegenwärtig von Vielen das Protoplasma oder was man früher allgemein den Zelleninhalt nannte, als der wichtigste und gewissermaassen essentielle Theil des ganzen Gebietes angesehen wird. Es stellt nach dieser Auffassung eine in allen Zellen, wenigstens allen noch lebenskräftigen, vorkommende Grundsubstanz dar, in welcher ausser dem Kern je nach besonderen Entwickelungsverhältnissen noch eine grössere Menge meist in körniger Form abgeschiedener Stoffe (Fett, Pigment, Glykogen u. s. w.) eingeschlossen sein können.
Sieht man davon ab, dass nicht wenige Zellen um sich herum allerlei äussere Stoffe (Intercellular- oder Extracellularsubstanz) anhäufen, beziehungsweise abscheiden, so wird man nicht bezweifeln können, dass die besonderen (specifischen) Eigenthümlichkeiten, welche einzelne Zellen oder Zellengruppen an bestimmten Orten und unter besonderen Bedingungen erreichen, zu einem grossen Theile gebunden sind an wechselnde Eigenschaften des Zelleninhalts (Intracellularsubstanz) und dass hauptsächlich von diesen die functionelle (physiologische) Verschiedenheit der Gewebe abhängig ist. Diess darf uns jedoch nicht abhalten, daran festzuhalten, dass innerhalb der verschiedensten Gewebe jene Bestandtheile, welche die Zelle gewissermaassen in ihrer abstracten Form darstellen, Kern und Zellkörper, mit grosser Regelmässigkeit wiederkehren, und dass durch ihre Zusammenfügung ein einfaches Element gewonnen wird, welches durch die grosse Reihe der lebendigen pflanzlichen und thierischen Gestaltungen, so äusserlich verschieden sie auch sein mögen, so sehr die innere Zusammensetzung dem Wechsel unterworfen sein mag, eine ganz besondere Formbildung als bestimmte Grundlage der Lebenserscheinungen erkennen lässt.
Fig. 7. Junge Eierstockseier vom Frosch. A. Eine ganz junge Eizelle. B. Eine grössere. C. Eine noch grössere mit beginnender Abscheidung brauner Körnchen an dem einen Pol (e.) und mit äusserer Einfaltung der Zellmembran durch Eindringen von Wasser. a. Membran des Graaf'schen Follikels. b. Zellmembran. c. Kernmembran. d. Kernkörperchen. S. Eierstock. Vergröss. 150.
Betrachtet man z. B. die jüngsten Eierstockseier des Frosches, bevor die Abscheidung der Dotterkörner begonnen hat, so wird man nicht daran zweifeln können, dass man es mit wirklichen Zellen zu thun hat, wenngleich sie durch allmähliches Wachsthum eine colossale Grösse zu erreichen vermögen.
Fig. 8. Zellen aus frischem katarrhalischem Sputum. A. Eiterkörperchen. a. ganz frisch. b. nach Behandlung mit Essigsäure: innerhalb der Membran ist der Inhalt aufgeklärt und man sieht drei kleine Kerne. B. Schleimkörperchen. a. einfaches. b. mit Pigmentkörnchen. Vergr. 300.
Im Gegensatze dazu nehme man ein gewöhnliches klinisches Object: Zellen von einem frischen katarrhalischen Sputum. Es sind hier im Verhältniss sehr kleine Elemente, die sich bei stärkerer Vergrösserung als vollkommen kugelige Gebilde darstellen, und an denen man erst nach Einwirkung von Wasser und anderen Reagentien deutlich eine Membran, Kerne und einen im frischen Zustande trüben Inhalt unterscheidet. Die meisten von den kleinen Elementen gehören nach der gebräuchlichen Terminologie in die Reihe der Eiterkörperchen; die grösseren, als Schleimkörperchen oder katarrhalische Zellen zu bezeichnen, enthalten zum Theil Fett oder grauschwarzes Pigment in Form von Körnern. Aber so klein sie sind, so besitzen sie doch die ganze typische Eigenthümlichkeit der grossen Zellen; alle wesentlichen Charaktere der grossen finden sich an ihnen wieder. Das ist aber meines Erachtens das Entscheidende, dass, wir mögen nun die[16] grossen oder die kleinen, die pathologischen oder die physiologischen Zellen zusammenhalten, dies Uebereinstimmende sich immer wiederfindet.
Es darf nicht überraschen, dass der Werth der einzelnen, die vollendete Zelle zusammensetzenden Theile vielfacher Deutung ausgesetzt ist und dass die Definition der Zelle immer neue Formulirungen erhält, trotzdem dass man immer dasselbe Gebilde oder wenigstens denselben Körper meint. Seitdem die sogenannte Membran der Pflanzenzelle als ein secundäres Abscheidungsproduct, als blosse Capsel erkannt ist, hat natürlich der frühere Zelleninhalt, das Protoplasma, eine grössere Bedeutung erlangt. Der Kern ist mehr in den Hintergrund getreten, nachdem man ihm nicht mehr die Präexistenz und die Rolle des Cytoblasten beilegt. Noch ungünstiger liegt die Frage, ob die Membran ein notwendiges Erforderniss der Zelle ist, und nicht bloss unter den Botanikern, sondern auch unter den Zoologen (Max Schultze) giebt es nicht wenige und ausgezeichnete Forscher, welche die Zelle als vollkommen constituirt betrachten, sobald ein Kern mit dem dazu gehörigen Protoplasma vorhanden ist. Erst auf einer gewissen Entwickelungshöhe würde sich dieses Protoplasma mit einer Membran bekleiden und zum Zelleninhalt werden, wie man es bei der Furchung des Eies und der Bildung der Primordialzellen so lange angenommen hat. Glücklicherweise hat diese schwierige Frage für die Pathologie keine principielle Bedeutung. Abgesehen davon, dass bei fast allen physiologischen und pathologischen Zellen von einiger Bedeutung Membranen isolirbar sind, wird doch auch vom Standpunkte derjenigen, welche die Membranlosigkeit vieler Zellen behaupten, weder die Existenz, noch der entscheidende Werth der Zellen in Frage gestellt. Ob eine Zelle im alten Sinne des Wortes ein Bläschen oder im neuen ein solides Körperchen ist, ist daher eine Detailfrage, welche das cellulare Princip nicht berührt.
Dieses Princip aber ist meiner Auffassung nach der einzigmögliche Ausgangspunkt aller biologischen Doctrin. Wenn eine wirkliche Uebereinstimmung der elementaren Formen durch die ganze Reihe alles Lebendigen hindurchgeht, wenn man vergeblich in dieser grossen Reihe nach irgend etwas Anderem sucht, was als organisches Element an die Stelle der Zelle gesetzt werden könnte, so muss man nothwendig auch jede höhere Ausbildung,[17] sei es einer Pflanze, sei es eines Thieres, betrachten als eine fortschreitende Summirung grösserer oder kleinerer Zahlen von Zellen. Wie ein Baum eine in einer bestimmten Weise zusammengeordnete Masse darstellt, in welcher als letzte Elemente an jedem einzelnen Theile, am Blatt wie an der Wurzel, am Stamm wie an der Blüthe, zellige Elemente erscheinen, so ist es auch mit den thierischen Gestalten. Jedes Thier erscheint als eine Summe vitaler Einheiten, von denen jede den vollen Charakter des Lebens an sich trägt. Der Charakter und die Einheit des Lebens kann nicht an einem bestimmten einzelnen Punkte einer höheren Organisation gefunden werden, z. B. im Gehirn des Menschen, sondern nur in der bestimmten, constant wiederkehrenden Einrichtung, welche jedes einzelne Element an sich trägt. Daraus geht hervor, dass die Zusammensetzung eines grösseren Körpers, des sogenannten Individuums, immer auf eine Art von gesellschaftlicher Einrichtung herauskommt, einen Organismus socialer Art darstellt, wo eine Masse von einzelnen Existenzen auf einander angewiesen ist, jedoch so, dass jedes Element (Zelle oder, wie Brücke sehr gut sagt, Elementar-Organismus) für sich eine besondere Thätigkeit hat, und dass jedes, wenn es auch die Anregung zu seiner Thätigkeit von anderen Theilen her empfängt, doch die eigentliche Leistung von sich selbst ausgehen lässt.
Ich habe es deshalb für nothwendig erachtet, den Gesammt-Organismus oder das Individuum nicht bloss in seine Organe und diese in ihre Gewebe, sondern auch noch die Gewebe zu zerlegen in Zellenterritorien. Ich habe gesagt Territorien, weil wir in der thierischen Organisation eine Eigenthümlichkeit finden, welche in der Pflanze fast gar nicht oder doch nur in sehr unvollkommener Weise zur Anschauung kommt, nehmlich die Entwickelung grosser Massen sogenannten intercellularen Stoffes. Während die Pflanzenzellen in der Regel mit ihren äusseren Absonderungsschichten, den vorher erwähnten Capseln, unmittelbar aneinander stossen, so jedoch, dass man immer noch die alten Grenzen unterscheiden kann, so finden wir bei den thierischen Geweben, dass diese Art der Anordnung die seltnere ist. In der oft sehr reichlichen Masse, welche zwischen den Zellen liegt (Zwischen- oder Grundsubstanz, Intercellularsubstanz), können wir selten von vornherein übersehen, inwieweit ein bestimmter Theil[18] davon der einen, ein anderer der anderen Zelle angehöre; sie erscheint als ein gleichmässiger Zwischenstoff.
Fig. 9. Epiphysenknorpel vom Oberarme eines Kindes, an der Ellenbeuge. Das Object war zuerst mit chromsaurem Kali und dann mit Essigsäure behandelt. In der homogenen Grundsubstanz (Intercellularsubstanz) sieht man bei a. Knorpelhöhlen mit noch dünner Wand (Capsel), in welchen die Knorpelzellen, mit Kern und Kernkörperchen versehen, sich deutlich abgrenzen. b. Capseln (Höhlen) mit zwei, durch Theilung der früher einfachen entstandenen Zellen. c. Theilung der Capseln nach Theilung der Zellen. d. Auseinanderrücken der getheilten Capseln durch Zwischenlagerung von Intercellularsubstanz. — Knorpelwachsthum.
Nach der Ansicht Schwann's war die Intercellularsubstanz Cytoblastem, für die Entwickelung neuer Zellen bestimmt. Dies halte ich nicht für richtig, vielmehr bin ich durch eine Reihe von Erfahrungen zu dem Schlusse gekommen, dass die Intercellularsubstanz, wie sie von den Zellen gebildet (abgeschieden) wird, so auch in einer bestimmten Abhängigkeit von ihnen bleibt, in der Art, dass man auch in ihr Grenzen ziehen kann, und das gewisse Bezirke von ihr der einen, gewisse der anderen Zelle angehören. Durch pathologische Vorgänge werden diese Grenzen scharf bezeichnet, und es lässt sich direct zeigen, wie jedesmal ein bestimmtes Gebiet von Zwischensubstanz beherrscht wird von dem zelligen Elemente, welches in seiner Mitte gelegen ist.
Es wird jetzt deutlich sein, wie ich mir die Zellen-Territorien denke: Es gibt einfache Gewebe, welche ganz aus Zellen bestehen, Zelle an Zelle gelagert (Fig. 10, A.). Hier kann über die Grenze der einzelnen Zelle keine Meinungsverschiedenheit bestehen, aber es ist nöthig, hervorzuheben, dass auch in diesem Falle jede einzelne Zelle ihre besonderen Wege gehen, ihre besonderen Veränderungen erfahren kann, ohne dass mit Nothwendigkeit das Geschick der zunächst liegenden Zellen daran geknüpft ist. In andern Geweben dagegen, wo wir Zwischenmassen haben (Fig. 10, B.), versorgt die Zelle ausser ihrem eigenen Inhalt noch eine gewisse[19] Menge von äusserer Substanz, die an ihren Veränderungen Theil nimmt, ja sogar häufig frühzeitiger afficirt wird, als das Innere der Zelle, welches durch seine Lagerung mehr gesichert ist, als die äussere Zwischenmasse. Endlich gibt es eine dritte Reihe von Geweben (Fig. 10, C.), deren Elemente unter einander in engeren Verbindungen stehen. Es kann z. B. eine Zelle mit anderen zusammenhängen und dadurch eine reihen- oder flächenförmige Anordnung entstehen, ähnlich der bei den Capillaren und anderen analogen Gebilden. In diesem Falle könnte man glauben, dass die ganze Reihe beherrscht werde von irgend Etwas, was wer weiss wie weit entfernt liegt, indessen bei genauerem Studium ergibt sich, dass selbst in diesen ketten- oder hautartigen Einrichtungen eine gewisse Unabhängigkeit der einzelnen Glieder besteht, und dass diese Unabhängigkeit sich äussert, indem unter gewissen äusseren oder inneren Einwirkungen das Element nur innerhalb seiner Grenzen gewisse Veränderungen erfährt, ohne dass die nächsten Elemente dabei betheiligt sind.[4]
Fig. 10. Schematische Darstellung der Zellenterritorien. A. Einfaches Zellengewebe (Epidermis). B. Gewebe mit Intercellularsubstanz (Knorpel), in welchem nach unten hin die Zellenterritorien abgegrenzt sind. C. Kernhaltiges, scheinbar homogenes Gewebe (Capillargefäss), in welchem die Territorien durch punktirte Linien angedeutet sind.
Das Angeführte wird zunächst genügen, um zu zeigen, in welcher Weise ich es für nothwendig erachte, die pathologischen Vorgänge zu localisiren, sie auf bekannte histologische Elemente zurückzuführen, warum es mir z. B. nicht genügt, von einer Thätigkeit der Gefässe oder von einer Thätigkeit der Nerven zu sprechen, sondern warum ich es für nothwendig erachte, neben Gefässen und Nerven die grosse Zahl von kleinen Theilen ins Auge zu fassen, welche thatsächlich die Hauptmasse der Körpersubstanz ausmachen. Es ist nicht genug, dass man, wie es seit langer Zeit geschieht, die Muskeln als thätige Elemente daraus ablöst; innerhalb des grossen Restes, der gewöhnlich als träge Masse betrachtet wird, findet sich noch eine ungeheure Zahl wirksamer Theile.
In der Entwickelung, welche die Medicin bis in die letzten Tage genommen hat, finden wir den Streit zwischen den humoralen und solidaren Schulen der alten Zeit immer noch erhalten. Die humoralen Schulen haben im Allgemeinen das meiste Glück gehabt, weil sie die bequemste Erklärung und in der That die plausibelste Deutung der Krankheitsvorgänge gebracht haben. Man kann sagen, dass fast alle glücklichen Praktiker und bedeutenden Kliniker mehr oder weniger humoralpathologische Tendenzen gehabt haben; ja diese sind so populär geworden, dass es jedem Arzte äusserst schwer wird, sich aus ihnen zu befreien. Die solidarpathologischen Ansichten sind mehr eine Liebhaberei speculativer Forscher gewesen; sie sind nicht sowohl aus dem unmittelbaren pathologischen Bedürfnisse, als vielmehr aus physiologischen und philosophischen, selbst aus religiösen Erwägungen hervorgegangen. Sie haben den Thatsachen Gewalt anthun müssen, sowohl in der Anatomie, als in der Physiologie, und haben daher niemals eine ausgedehnte Verbreitung gefunden. Meiner Auffassung nach ist der Standpunkt beider ein unvollständiger; ich sage nicht ein falscher, weil er eben nur falsch ist in seiner Exclusivität; er muss zurückgeführt werden auf gewisse Grenzen, und man muss sich erinnern, dass neben Gefässen und Blut, neben Nerven und Centralapparaten noch andere Dinge existiren, die nicht ein blosses Substrat der Einwirkung von Nerven und Blut sind, auf welchem diese ihr Wesen treiben.
Wenn man nun fordert, dass die medicinischen Anschauungen auch auf dieses Gebiet sich übertragen sollen, wenn man andererseits[21] verlangt, dass auch innerhalb der humoral- und neuropathologischen Vorstellungen man sich schliesslich erinnern soll, dass das Blut aus vielen einzelnen für sich bestehenden und wirkenden Theilen besteht, dass das Nervensystem aus vielen thätigen Sonder-Bestandtheilen zusammengesetzt ist, so ist dies eine Forderung, die freilich auf den ersten Blick manche Schwierigkeiten bietet. Aber wenn man sich erinnert, dass man Jahre lang nicht bloss in den Vorlesungen, sondern auch am Krankenbette von der Thätigkeit der Capillaren gesprochen hat, einer Thätigkeit, die Niemand gesehen hat, die eben nur auf bestimmte Doctrinen hin angenommen worden ist, so wird man es nicht unbillig finden, dass Dinge, die wirklich zu sehen sind, ja die, wenn man sich übt, selbst dem unbewaffneten Auge nicht selten zugängig sind, gleichfalls in den Kreis des ärztlichen Wissens und Denkens aufgenommen werden. Von Nerven hat man nicht nur gesprochen, wo sie nicht dargestellt waren; man hat sie einfach supponirt, selbst in Theilen, wo bei den sorgfältigsten Untersuchungen sich nichts von ihnen hat nachweisen lassen; man hat sie wirksam sein lassen an Punkten, wohin sie überhaupt gar nicht vordringen. So ist es denn gewiss keine unbillige Forderung, dass dem grösseren, wirklich existirenden Theile des Körpers, dem „dritten Stande“, auch eine gewisse Anerkennung werde, und wenn diese Anerkennung zugestanden wird, dass man sich nicht mehr mit der blossen Ansicht der Nerven als ganzer Theile, als eines zusammenhängenden einfachen Apparates, oder des Blutes als eines bloss flüssigen Stoffes begnüge, sondern dass man auch innerhalb des Blutes und des Nervenapparates die ungeheure Masse kleiner wirksamer Centren zulasse. Dann wird sich nicht nur ein neues, grosses Gebiet, das der zelligen Gewebselemente, in die ärztliche Betrachtung einfügen, sondern es wird möglich sein, auch Blut und Nerven von dem Standpunkte der Cellularphysiologie aus zu würdigen, und so den alten Streit der Humoral- und Solidarpathologie in einer einigen Cellularpathologie zu versöhnen.
Die wesentlichen Hindernisse, welche bis in die letzte Zeit in dieser Richtung bestanden, waren nicht so sehr pathologische. Ich bin überzeugt, man würde mit den pathologischen Verhältnissen ungleich leichter fertig geworden sein, wenn es nicht bis vor Kurzem unter die Unmöglichkeiten gehört hätte, die wirklichen Elementartheile des thierischen Leibes zu ermitteln und eine[22] einfache Uebersicht der physiologischen Gewebe zu liefern. Die alten Anschauungen, welche zum Theil noch aus dem vorigen Jahrhundert überkommen waren, haben gerade in demjenigen Gebiete, welches pathologisch am häufigsten in Betracht kommt, nämlich in dem des Bindegewebes, so sehr vorgewaltet, dass noch jetzt eine allgemeine Einigung nicht gewonnen ist, und dass jedermann genöthigt ist, sich durch die Anschauung der Objecte selbst ein Urtheil darüber zu bilden.
Noch in den Elementa physiologiae von Haller findet man an die Spitze des ganzen Werkes, wo von den Elementen des Körpers gehandelt wird, die Faser gestellt. Haller gebraucht dabei den sehr characteristischen Ausdruck, dass die Faser (fibra) für den Physiologen sei, was die Linie für den Geometer.
Diese Auffassung ist bald weiter ausgedehnt worden, und die Lehre, dass für fast alle Theile des Körpers die Faser als Grundlage diene, dass die Zusammensetzung der allermannichfachsten Gewebe in letzter Instanz auf die Faser zurückführe, ist namentlich bei dem Gewebe, welches, wie sich ergeben hat, pathologisch die grösste Wichtigkeit hat, bei dem sogenannten Zellgewebe am längsten festgehalten worden.
Im Laufe des letzten Jahrzehnts vom vorigen Jahrhundert begann indess schon eine gewisse Reaction gegen diese Faserlehre, und in der Schule der Naturphilosophen kam frühzeitig ein anderes Element zu Ehren, das aber in einer viel mehr speculativen Weise begründet wurde, nämlich das Kügelchen. Während die Einen immer noch an der Faser festhielten, so glaubten Andere, wie in der späteren Zeit noch Milne Edwards, so weit gehen zu dürfen, auch die Faser wieder aus linear aufgereihten Kügelchen zusammengesetzt zu denken. Diese Auffassung ist zum Theil hervorgegangen aus optischen Täuschungen bei der mikroskopischen Beobachtung. Die schlechte Methode, welche während des ganzen vorigen Jahrhunderts und eines Theiles des gegenwärtigen bestand, dass man mit mässigen Instrumenten im vollen Sonnenlicht beobachtete, brachte fast in alle mikroskopischen Objecte eine gewisse Dispersion des Lichtes, und der Beobachter bekam den Eindruck, als sähe er weiter nichts, als Kügelchen. Andererseits entsprach aber auch diese Anschauung den naturphilosophischen Vorstellungen von der ersten Entstehung alles Geformten.
Fig. 11. Schema der Globulartheorie. a. Faser aus linear aufgereihten Elementarkörnchen (Molekularkörnchen). b. Zelle mit Kern und sphärisch geordneten Körnchen.
Diese Kügelchen (Körnchen, Granula, Moleküle) haben sich sonderbarer Weise bis in die moderne Histologie hinein erhalten, und es gab bis vor Kurzem wenige histologische Werke, welche nicht mit den Elementarkörnchen anfingen. Hier und da sind noch vor nicht langer Zeit diese Ansichten von der Kugelnatur der Elementartheile so überwiegend gewesen, dass auf sie die Zusammensetzung, sowohl der ersten Gewebe im Embryo, als auch der späteren begründet wurde. Man dachte sich, dass eine Zelle in der Weise entstände, dass die Kügelchen sich sphärisch zur Membran ordneten, innerhalb deren sich andere Kügelchen als Inhalt erhielten. Noch von Baumgärtner und Arnold ist in diesem Sinne gegen die Zellentheorie gekämpft worden.
Fig. 12. Schema der Umhüllungs- (Klümpchen-) Theorie. a. Getrennte Elementarkörnchen. b. Körnchenhaufen (Klümpchen). c. Körnchenzelle mit Membran und Kern.
In einer gewissen Weise hat diese Auffassung in der Entwickelungsgeschichte eine Stütze gefunden; in der sogenannten Umhüllungstheorie, — einer Lehre, die eine Zeit lang stark in den Vordergrund getreten war (Henle). Danach dachte man sich, dass, während ursprünglich eine Menge von Elementarkügelchen zerstreut vorhanden wäre, diese sich unter bestimmten Verhältnissen zusammenlagerten, nicht in Form sphärischer Membranen, sondern zu einem compacten Haufen, einer Kugel (Klümpchen), und dass diese Kugel der Ausgangspunkt der weiteren Bildung werde, indem durch Differenzirung der Masse, durch Apposition oder Intussusception aussen eine Membran, innen ein Kern entstehe.
Fig. 13. Längsschnitt durch ein junges Februar-Blatt vom Aste einer Syringa. A. Die Rinden- und Cambium-Schicht: unter einer sehr platten Zellenlage sieht man grössere, viereckige, kernhaltige Zellen, aus denen durch fortgehende Quertheilung kleine Haare (a) hervorwachsen, die immer länger werden (b) und durch Längstheilung sich verdicken (c). B. Die Gefässschicht mit Spiralfasern. C. Einfache, viereckige, längliche Rinden-Zellen. — Pflanzenwachsthum.
Gegenwärtig kann man weder die Faser noch das Kügelchen oder das Elementarkörnchen als einen histologischen Ausgangspunkt betrachten. So lange als man sich die Entstehung von lebendigen Elementen aus vorher nicht geformten Theilen, also aus Bildungsflüssigkeiten oder Bildungsstoffen (plastischer Materie, Blastem, Cytoblastem) hervorgehend dachte, so[24] lange konnte irgend eine dieser Auffassungen allerdings Platz finden, aber gerade hier ist der Umschwung, welchen die allerletzten Jahre gebracht haben, am meisten durchgreifend gewesen. Die Bildungsstoffe finden sich wesentlich innerhalb der Zellen (Endoblastem). Auch in der Pathologie können wir gegenwärtig so weit gehen, als allgemeines Princip hinzustellen, dass überhaupt keine Entwickelung de novo beginnt, dass wir also auch in der Entwickelungsgeschichte der einzelnen Theile, gerade wie in der Entwickelung ganzer Organismen, die Generatio aequivoca zurückweisen[5]. So wenig wir noch annehmen, dass aus saburralem Schleim ein Spulwurm entsteht, dass aus den Resten einer thierischen oder pflanzlichen Zersetzung ein Infusorium oder ein Pilz oder eine Alge sich bilde, so wenig lassen wir in der physiologischen oder pathologischen Gewebelehre es zu, dass sich aus irgend einer unzelligen Substanz eine neue Zelle aufbauen könne. Wo eine Zelle entsteht, da muss eine Zelle vorausgegangen sein (Omnis cellula e cellula), ebenso wie das Thier nur aus dem Thiere, die Pflanze nur aus der Pflanze entstehen kann. Auf diese Weise ist, wenngleich es einzelne Punkte im Körper giebt, wo der strenge Nachweis noch nicht geliefert ist, doch das Princip gesichert, dass in der ganzen Reihen alles Lebendigen, dies mögen nun ganze Pflanzen oder ganze thierische Organismen oder integrirende Theile derselben sein, ein ewiges Gesetz der continuirlichen Entwickelung besteht. Die Erfahrung lehrt keine Discontinuität der Entwickelung in der Art, dass eine neue Generation von sich aus eine neue Reihe von Entwickelungen begründete. Alle entwickelten Gewebe können weder auf ein kleines noch auf ein grosses einfaches Element zurückgeführt werden, es sei denn auf die Zelle selbst. In welcher Weise diese continuirliche Zellenwucherung (Proliferation), denn so kann man den Vorgang bezeichnen, in der Regel vor sich geht, das lässt[25] sich an wachsenden Theilen sowohl von Pflanzen, als von Thieren sehr leicht sehen.
Fig. 14. Knorpelwucherung aus dem Rippenknorpel eines Erwachsenen. Grössere Gruppen von Knorpelzellen innerhalb einer gemeinschaftlichen Umgrenzung (fälschlich sogenannte Mutterzellen), durch successive Theilungen aus einzelnen Zellen hervorgegangen. Am Rande oben ist eine solche Gruppe durchschnitten, in der man eine Knorpelzelle mit mehrfacher Umlagerung von Kapselschichten (äusserer Absonderungsmasse) sieht. Vergröss. 300.
Betrachten wir z. B. einen Längsschnitt aus der jungen Knospe eines Flieder-Strauches, wie sie die warmen Tage des Februar entwickelt haben. In der Knospe ist schon eine Menge von jungen Blättern angelegt, jedes aus zahlreichen Zellen zusammengesetzt. In diesen jüngsten Theilen bestehen die äusseren Schichten aus ziemlich regelmässigen Zellenlagen, die mehr platt viereckig erscheinen, während in den inneren Lagen die Zellen mehr gestreckt sind, und in einzelnen Abschnitten die Spiralfasern auftreten. Kleine Auswüchse (Blatthaare) treten überall am Rande hervor, ganz ähnlich gewissen thierischen Excrescenzen, z. B. an den Zotten des Chorions, wo sie die Orte bezeichnen, an welchen junge Zotten hervorwachsen werden. An unserem Objecte (Fig. 13) sehen wir die kleinen kolbigen Zapfen, die sich in gewissen Abständen wiederholen, nach Innen mit den Zellenreihen des Cambiums zusammenhängend. An diesen zarten Bildungen kann man am besten die feineren Formen der Zelle unterscheiden und zugleich die eigenthümliche Art ihres Wachsthums entdecken. Das Wachsthum geht so vor sich, dass an einzelnen zelligen Elementen eine Theilung eintritt und sich eine quere Scheidewand bildet; die Hälften wachsen als selbständige Elemente fort und vergrössern sich nach und nach. Nicht selten treten auch Längstheilungen ein, wodurch das ganze Gebilde dicker wird (Fig. 13, c).[26] Jeder Zapfen, jedes Pflanzenhaar ist also ursprünglich eine einzige Zelle; indem sie sich quertheilt und immer wieder quertheilt (Fig. 13, a, b), schiebt sie ihre Glieder vorwärts und breitet sich dann bei Gelegenheit auch seitlich durch Längstheilung aus. In dieser Weise wachsen die Haare hervor, und dies ist im Allgemeinen der Modus des Wachsthums nicht nur in der Pflanze, sondern auch in den physiologischen und pathologischen Bildungen des thierischen Leibes.
Nimmt man ein Stück Rippenknorpel im Stadium des pathologischen Wachsthums, so erscheinen schon für das blosse Auge Veränderungen: man sieht kleine Buckel der Oberfläche des Knorpels. Dem entsprechend zeigt das Mikroskop Wucherungen der Knorpelzellen. Hier finden sich dieselben Formen wie bei den Pflanzenzellen: grössere Gruppen von zelligen Elementen, welche je aus einer früheren Zelle hervorgegangen sind, in mehrfachen Reihen angeordnet, mit dem einzigen Unterschiede von den wuchernden Pflanzenzellen, dass zwischen den einzelnen Gruppen Intercellularsubstanz vorhanden ist. An den Zellen unterscheidet man wieder die äussere Kapsel, die sogar an einzelnen Zellen mehrfach geschichtet ist, in zwei-, drei- und mehrfacher Lage, und darin erst kommt die eigentliche Zelle mit Körper, Kern und Kernkörperchen. Nirgends gibt es hier eine andere Art der Neubildung, als die fissipare; ein Element nach dem andern theilt sich: Generation geht aus Generation hervor.
Fußnoten:
[1] Ernährungseinheiten und Krankheitsheerde. Archiv für pathol. Anatomie, Phys. u. klin. Med. Bd. IV. S. 375.
[2] Archiv f. path. Anat. u. Physiol. 1853. Bd. V. S. 419, Note.
[3] Archiv 1847. Bd. I. S. 218.
[4] Lange, nachdem dieses geschrieben war, haben die Untersuchungen von Heidenhain für die Knorpel, von Auerbach und Eberth für die Capillaren auch die physiologische Realität der Zellenterritorien erwiesen.
[5] Der neueste Versuch von Pouchet, die Lehre von der Urzeugung wenigstens für Pilze und Infusorien wieder einzusetzen, darf wohl durch die vortrefflichen Experimente von Pasteur als zurückgeschlagen angesehen werden. Trotzdem wird das theoretische Bedürfniss, eine natürliche Schöpfungsgeschichte zu construiren, begreiflicherweise immer von Neuem zu der Annahme einer Urzeugung führen, wenn man sie auch allmählich auf die allerkleinsten Micrococci oder auf gestaltlose Protisten beschränkt. Das Bedürfniss erkenne ich an, aber die Thatsachen streiten dagegen, und am allerwenigsten gestatten sie für die Pathologie eine Ausnahme.
Anatomische Classification der Gewebe. Die drei allgemein-histologischen Kategorien. Die speciellen Gewebe. Die Organe und Systeme oder Apparate.
Die Epithelialgewebe. Platten-, Cylinder- und Uebergangsepithel. Epidermis und Rete Malpighii. Nagel und Nagelkrankheiten. Haare. Linse. Pigment. Drüsenzellen.
Die Gewebe der Bindesubstanz. Das Binde- oder Zellgewebe. Die Theorien von Schwann, Henle und Reichert. Meine Theorie. Die Bindegewebskörperchen. Die Fibrillen des Bindegewebes als Intercellularsubstanz. Secretion derselben. Der Knorpel (hyaliner, Faser- und Netzknorpel). Incapsulirte und freie Knorpelkörperchen (Knochenknorpel). Schleimgewebe. Pigmentirtes Bindegewebe. Fettgewebe. Anastomose der Elemente: saftführendes Röhren- oder Kanalsystem.
Die höheren Thiergewebe: Muskeln, Nerven, Gefässe, Blut, Lymphdrüsen. Vorkommen dieser Gewebe in Verbindung mit Interstitialgewebe. Muskeln. Quergestreifte. Faserzellen. Herzmuskulatur. Muskelkörperchen. Fibrillen. Disdiaklasten. Glatte Muskelfasern. Muskelatrophie. Die contractile Substanz (Syntonin) und die Contractilität überhaupt. Cutis anserina und Arrectores pilorum. Gefässe. Capillaren. Contractile Gefässe.
Die normalen Gewebe lassen sich ohne Zwang in drei Kategorien eintheilen: Entweder man hat Gewebe, welche einzig und allein aus Zellen bestehen, in welchen Zelle an Zelle liegt, also in dem modernen Sinne Zellengewebe. Oder es sind Gewebe, in welchen regelmässig eine Zelle von der andern getrennt ist durch eine gewisse Zwischenmasse (Intercellularsubstanz), in welchen also eine Art von Bindemittel existirt, das die einzelnen Elemente in sichtbarer Weise aneinander, aber auch auseinander hält. Hierher gehören die Gewebe, welche man heut zu Tage gewöhnlich unter dem Namen der Gewebe der Bindesubstanz zusammenfasst, und in welche als Hauptmasse dasjenige eintritt, was man früherhin allgemein Zellgewebe nannte. Endlich gibt es eine dritte Gruppe von Geweben, in welchen specifische Ausbildungen[28] der Zellen Statt gefunden haben, vermöge deren sie eine ganz eigenthümliche Einrichtung erlangt haben, zum Theil so eigenthümlich, wie sie einzig und allein der thierischen Oekonomie zukommt. Diese Gewebe höherer Ordnung sind es, welche eigentlich den Character des Thieres ausmachen, wenngleich einzelne unter ihnen Uebergänge zu Pflanzenformen darbieten. Hierher gehören die Nerven- und Muskelapparate, die Gefässe und das Blut. Damit ist die Reihe der Gewebe abgeschlossen.
Eine solche Gruppirung der histologischen Erfahrungen unterscheidet sich sehr wesentlich von derjenigen, welche nach dem Vorgange von Bichat so lange die allgemeine Anatomie beherrscht hat. Die Gewebe der älteren Schule stellten zu einem grossen Theile nicht so sehr dasjenige dar, was wir heute als die Gegenstände der allgemeinen Histologie betrachten, sondern vielmehr das, was wir als den Inhalt der speciellen Histologie bezeichnen müssen. Wenn man die Sehnen, die Knochen, die Fascien als besondere Gewebe nimmt, so giebt dies eine ausserordentliche Mannichfaltigkeit von Kategorien (Bichat hatte deren 21), aber es entsprechen ihnen nicht eben so viele einfache Gewebsformen.
In unserem Sinne lässt das ganze anatomische Gebiet sich zunächst zerlegen nach allgemein-histologischen Kategorien (eigentliche Gewebe). Die specielle Histologie beschäftigt sich sodann mit dem Falle, wo eine Zusammenfügung von zum Theil sehr verschiedenartigen Geweben zu einem einzigen Ganzen (Organ) Statt findet. Wir sprechen z. B. mit Recht von Knochengewebe, allein dieses Gewebe, die Tela ossea im allgemein-histologischen Sinne, bildet für sich keinen Knochen, denn kein Knochen besteht durch und durch, einzig und allein aus Tela ossea, sondern es gehören dazu mit einer gewissen Nothwendigkeit mindestens Periost und Gefässe. Ja, von dieser einfachen Vorstellung eines Knochens unterscheidet sich die jedes grösseren, z. B. eines Röhrenknochens: dies ist ein wirkliches Organ, in dem wir wenigstens vier verschiedene Gewebe unterscheiden. Wir haben da die eigentliche Tela ossea, die Knorpellage am Gelenk, die Bindegewebsschicht des Periosts, das eigenthümliche Mark. Jeder dieser einzelnen Theile kann wieder eine innere Verschiedenartigkeit der zusammensetzenden Bestandtheile darbieten; es gehen z. B. Gefässe[29] und Nerven mit in die Zusammensetzung des Markes, der Beinhaut u. s. f. ein. Alles dies zusammengenommen, giebt erst den vollen Organismus eines Knochens. Bevor man also zu den eigentlichen Systemen oder Apparaten, dem speciellen Vorwurfe der descriptiven Anatomie kommt, hat man eine ganze Stufenfolge zu durchlaufen. Man muss sich daher bei Diskussionen mit Anderen immer erst klar werden, was in Frage ist. Wenn man Knochen und Knochengewebe zusammenwirft, so gibt dies eine eben so grosse Verwirrung, als wenn man Nerven- und Gehirnmasse einfach identificiren wollte. Das Gehirn enthält viele Dinge, die nicht nervös sind, und seine physiologischen und pathologischen Zustände lassen sich nicht begreifen, wenn man sie auf eine Zusammenordnung rein nervöser Theile bezieht, wenn man nicht neben den Nerven auf die Häute, das Zwischengewebe, die Gefässe Rücksicht nimmt.
Betrachten wir nun die erste allgemein-histologische Gruppe etwas genauer, nämlich die einfachen Zellengewebe, so ist unzweifelhaft am leichtesten übersichtlich die Horn- oder Epithelialformation, wie wir sie in der Epidermis und dem Rete Malpighii an der äussern Oberfläche, im Cylinder- und Plattenepithelium auf den Schleim- und serösen Häuten antreffen. Der Name Epithelium stammt von Ruysch, der zuerst an der Brustwarze ϑηλή ein ablösbares Häutchen auffand, welches er weiterhin in ähnlicher Weise auch an Schleimhäuten nachwies. Heusinger hat das Verdienst, den Zusammenhang aller Horngebilde dargelegt zu haben, indem er die chemische und physikalische Uebereinstimmung derselben lehrte. Das allgemeine Schema ist hier, dass Zelle an Zelle stösst, so dass in dem günstigsten Falle, wie bei der Pflanze, vier- oder sechseckige Zellen unmittelbar sich an einander schliessen und zwischen ihnen nichts Anderes weiter, als höchstens eine geringe Kittsubstanz, gefunden wird. So ist es an manchen Orten mit dem Platten- oder Pflasterepithel (Fig. 17). Die besonderen Formen der Epithelialzellen sind offenbar grossentheils Druckwirkungen. Wenn alle Elemente eines Zellengewebes eine vollkommene Regelmässigkeit haben sollen, so setzt dies voraus, dass sich alle Elemente völlig gleichmässig entwickeln und gleichzeitig vergrössern. Geschieht ihre Entwickelung dagegen unter Verhältnissen, wo nach einer Seite hin ein geringerer Widerstand[30] besteht, so kann es sein, dass die Elemente, wie bei den Säulen- oder Cylinderepithelien, nur in einer Richtung auswachsen und sehr lang werden, während sie in den andern Richtungen sehr dünn bleiben. Aber auch ein solches Element wird, auf einem Querschnitt angesehen, sich als ein sechseckiges darstellen: wenn wir Cylinder-Epithel von der freien Fläche her betrachten, so sehen wir auch bei ihm ganz regelmässig polygonale Formen (Fig. 15, b).
Fig. 15. Säulen- oder Cylinderepithel der Gallenblase. a. Vier zusammenhängende Zellen, von der Seite gesehen, mit Kern und Kernkörperchen, der Inhalt leicht längs gestreift, am freien Rande (oben) ein dickerer, fein radiär gestreifter Saum. b. Aehnliche Zellen, halb von der freien Fläche (oben, aussen) gesehen, um die sechseckige Gestalt des Querschnittes und den dicken Randsaum zu zeigen. c. Durch Imbibition veränderte, etwas aufgequollene und am oberen Saum aufgefaserte Zellen.
Im Gegensatze dazu finden sich ausserordentlich unregelmässige Formen an solchen Orten, wo die Zellen in unregelmässiger Weise hervorwachsen, so besonders constant an der Oberfläche der Harnwege (Fig. 16), in der ganzen Ausdehnung der Schleimhaut von den Nierenkelchen bis zur Urethra. An allen diesen Stellen trifft man sehr gewöhnlich Anordnungen, wo einzelne Zellen an dem einen Ende rund sind, während sie an dem anderen in eine Spitze auslaufen, andere Zellen ziemlich grobe Spindeln darstellen, andere wieder an einer Seite platt abgerundet, an der anderen ausgebuchtet sind, oder wo eine Zelle sich so zwischen andere einschiebt, dass sie eine kolbige oder zackige Form annimmt. Immer entspricht hier die eine Zelle der[31] Form der Lücke zwischen den anderen, und es ist nicht die Eigenthümlichkeit der Zelle, welche die Form bedingt, sondern die Art ihrer Lagerung, das Nachbarverhältniss, die Abhängigkeit von der Anordnung der nächsten Theile. In der Richtung des geringeren Widerstandes bekommen die Zellen Spitzen, Zacken und Fortsätze der mannichfaltigsten Art. Diese Art von Epithel nannte man, da sie sich nicht recht unterbringen liess, mit Henle Uebergangs-Epithel, weil sie schliesslich gewöhnlich in deutliches Platten- oder Cylinderepithel übergeht. Zuweilen ist dies aber nicht der Fall und man könnte ebenso gut einen anderen Namen dafür einführen. Sie stellt das Vorbild zu der vielbesprochenen Polymorphie gewisser pathologischer Epithelialzellen, z. B. der Krebszellen dar.
An der Oberhaut (Epidermis) haben wir den günstigen Fall, dass eine Reihe von Zellenlagen über einander liegt, was an vielen Schleimhäuten nicht der Fall ist. Es lassen sich daher die jungen Lagen (das Rete Malpighii oder die Schleimschicht der früheren Autoren) von den älteren (der eigentlichen Epidermis) bequem trennen.
Fig. 16. Uebergangsepithel der Harnblase. a. Eine grössere, am Rande ausgebuchtete Zelle mit keulen- und spindelförmigen, feineren Zellen besetzt, b. dasselbe: die grössere Zelle mit zwei Kernen. c. Eine grössere, unregelmässig eckige Zelle mit vier Kernen. d. Eine ähnliche mit zwei Kernen und 9 von der Fläche aus gesehenen Gruben, den Randausbuchtungen entsprechend (vgl. Archiv f. path. Anat. u. Phys. Bd. III. Taf. I. Fig 8.)
Wenn man einen senkrechten Durchschnitt der Hautoberfläche betrachtet, so erblickt man zumeist nach aussen ein sehr dichtes, verschieden dickes Stratum, welches aus lauter platten Elementen besteht, die von der Seite her wie einfache Linien aussehen. Man könnte sie bei dieser Betrachtung für Fasern halten, welche übereinander geschichtet mit leichten Niveau-Verschiedenheiten die ganze Oberhaut zusammensetzen. Von der Fläche aus gesehen, erweisen sie sich jedoch als rundlich-ovale Plättchen, die bei Einwirkung von Alkalien sich zu dickeren, linsenförmigen Körpern aufblähen. Unterhalb dieser Lagen folgt in verschiedener Mächtigkeit das sogenannte Rete Malpighii, welches unmittelbar bis an die Papillen der Haut (Lederhaut, Cutis, Corium) reicht. Untersuchen wir nun die Grenze zwischen Epidermis und Rete, so ergibt sich fast bei allen Arten der Betrachtung, dass fast plötzlich an die innerste Lage der Epidermis sich Elemente anschliessen, die zunächst noch immer platt sind, aber doch schon einen grösseren Dickendurchmesser haben, innerhalb deren man sehr deutlich Kerne erkennt, welche in den Plättchen der Epidermis fehlen. Diese ziemlich grossen Elemente stellen den Uebergang dar von den ältesten Schichten des Rete Malpighii zu den jüngsten der Epidermis. Hier ist der Punkt, von wo aus sich die Epidermis[32] regenerirt, welche ihrerseits eine träge Masse darstellt die an der Oberfläche durch Reibung und Abblätterung allmählich entfernt wird. Und hier ist im Allgemeinen auch die Grenze, wo die pathologischen Processe einsetzen. Je weiter wir gegen die Tiefe hin untersuchen, um so kleiner werden die Elemente; die letzten stehen als kleine Cylinder auf der Oberfläche der Hautpapillen (Fig. 17, r, r).
Fig. 17. Senkrechter Schnitt durch die Oberfläche der Haut von der Zehe, mit Essigsäure behandelt. P. P. Spitzen durchschnittener Papillen, in denen man je eine Gefässschlinge und daneben kleine spindelförmige und an der Basis netzförmige Bindegewebselemente bemerkt: links eine Ausbiegung der Papille, entsprechend einem nicht mehr dargestellten, tiefer gelegenen Tastkörperchen. R. R. Das Rete Malpighii, zunächst an der Papille eine sehr dichte Lage kleiner cylinderförmiger Zellen (r, r), nach aussen immer grösser werdende polygonale Zellen. E. Epidermis, aus platten, dichteren Zellenlagen bestehend. S. S. Ein durchtretender Schweisskanal. — Vergröss. 300.
Im Grossen ist das Verhältniss der verschiedenen Schichten an der ganzen Hautoberfläche überall dasselbe, so mannichfaltig auch im Einzelnen die Besonderheiten sein mögen, welche sie in[33] Beziehung auf Dicke, Lagerung, Festigkeit und Zusammenfügung darbieten. Ein Durchschnitt z. B. des Nagels, der seiner äusseren Erscheinung nach gewiss weit von der gewöhnlichen Oberhaut abweicht, zeigt doch im Allgemeinen dasselbe Bild, wie diese; er unterscheidet sich nur in einem Punkte wesentlich, nehmlich dadurch, dass sich an ihm zwei verschiedene epidermoidale Gebilde übereinanderschieben. Dadurch entsteht eine Complication, die, wenn man sie nicht erkennt, zu der Annahme gewisser specifischer Verschiedenheiten des Nagels von anderen Theilen der Epidermis führen kann, während sie doch nur durch eine eigenthümliche Verschiebung gewisser Epidermislagen gegen andere bedingt ist. Die äusserst dichten und festen Plättchen, welche den frei zu Tage liegenden Theil, das sogenannte Nagelblatt, zusammensetzen, lassen sich auf verschiedene Weise wieder in Formen zurückführen, in denen sie das gewöhnliche Bild von Zellen darbieten; am deutlichsten durch Behandlung mit einem Alkali, wo ein jedes Plättchen zu einer grossen, rundlich-ovalen Blase anschwillt.
In den oberen Schichten der Oberhaut werden die Zellen überall platter, und in den äussersten findet man, wie gesagt, gar keine Kerne mehr. Trotzdem besteht kein ursprünglicher Unterschied zwischen der Epidermis und dem Rete Malpighii; das letztere ist vielmehr die Bildungsstätte (Matrix) der Epidermis oder die jüngste Epidermislage selbst, insofern von hieraus immer neue Theile sich ansetzen, sich abplatten und in die Höhe rücken, in dem Maasse, als aussen durch Waschen, Reiben u. s. w. Theile verloren gehen. Auch zwischen der untersten Schicht des Rete und der Oberfläche der Cutis gibt es keine weitere Zwischenlage mehr, keine amorphe Flüssigkeit, kein Blastem, das in sich Zellen bilden könnte; die Zellen sitzen direct auf der Bindegewebspapille der Cutis auf. Es ist hier nirgends ein Raum, wie man noch vor Kurzem dachte, in welchen aus den Papillen und den in ihnen enthaltenen Gefässen Flüssigkeit transsudirte, damit aus und in derselben neue Elemente durch freie Urzeugung entständen und hervorwüchsen. Eine blosse Schleimschicht, welche als Cytoblastem für die neuen Zellen diente, ist absolut nicht wahrnehmbar. Durch die ganze Reihe der Zellenlagen des Rete und der Epidermis besteht dasselbe Continuitätsverhältniss, wie man es an der Rinde eines Baumes kennt. Die Rindenschicht einer Kartoffel (Fig. 2) zeigt in gleicher Weise aussen korkhaltige epidermoidale[34] Elemente und darunter, wie im Rete Malpighii, eine Lage kernhaltiger Zellen, das Cambium, welches die Matrix des Nachwuchses für die Rinde darstellt.
Sehr ähnlich verhält es sich am Nagel. Betrachtet man den Durchschnitt eines Nagels, quer auf die Längsrichtung des Fingers, so sieht man dieselbe Anordnung, wie an der gewöhnlichen Haut, nur entspricht jede einzelne Ausbuchtung der unteren Fläche nicht einer zapfenförmigen Verlängerung der Cutis, einer Papille, sondern einer Leiste, welche über die ganze Länge des Nagelbettes hinläuft und welche mit den Leisten zu vergleichen ist, die an der Volarseite der Finger zu sehen sind. Auf diesen Leisten des Nagelbettes befinden sich sehr niedrige und verkommene Papillen, an deren Oberfläche das mehr cylindrisch gestaltete jüngste Lager des Rete Malpighii aufsitzt; daran schliessen sich immer grössere Elemente an, und endlich folgt eine hornig-blätterige Schicht, welche der Epidermis entspricht.
Es ist jedoch, um dies gleich vorweg zu nehmen, da wir auf den Nagel nicht wieder zu sprechen kommen werden, seine Zusammensetzung deshalb schwierig zu ermitteln gewesen, weil man sich ihn als einheitliches Gebilde gedacht hat. Daher hat sich der Streit hauptsächlich um die Frage gedreht, wo die Matrix des Nagels sei, ob er von der ganzen Fläche wachse, oder nur von dem kleinen Falz, in welchem er hinten steckt. Die eigentliche feste Masse, das compacte Nagelblatt, wächst allerdings nur von hinten her und schiebt sich über die Fläche des sogenannten Nagelbettes hinweg, aber das Nagelbett erzeugt seinerseits eine bestimmte Masse von Zellen, die als Aequivalente einer Epidermislage zu betrachten sind. Macht man einen Durchschnitt durch die Mitte eines Nagels, so kommt man zu äusserst auf das von hinten gewachsene Nagelblatt, dann auf die losere Substanz, welche von dem Nagelbett abgesondert ist, dann auf das Rete Malpighii, und endlich auf die Leisten, auf welchen der Nagel ruht[6]. Es combiniren sich also in der Nagelbildung zwei Epidermoidalstrata: ein äusseres oder oberes, dessen Matrix das Rete im Falz ist, und ein inneres oder unteres, dessen Matrix das Rete des Bettes ist.
So begreift man, dass das Nagelblatt bis zu einem gewissen Maasse locker liegt und sich leicht vorwärts bewegen kann, indem es sich auf einer beweglichen Unterlage vorschiebt. Aber es ist auch sofort zu verstehen, wie leicht man sich in der Deutung des Bildes, welches senkrechte Durchschnitte durch den Nagel gewähren, täuschen kann, und wie nahe es liegt, anzunehmen, auch das Nagelblatt beziehe seine Elemente wenigstens zum Theil aus der Matrix des Bettes. Es fügen sich jedoch die von letzterer gelieferten Elemente nur lose der unteren Fläche des Nagelblattes an. Diese Fläche besitzt daher, entsprechend den erwähnten Leisten, seichte Ausbuchtungen, so dass der wachsende Nagel, indem er über die Leisten fortgleitet, seitliche Bewegungen nur innerhalb beschränkter Grenzen machen kann. Man kann daher sagen: es bewegt sich das von hinten wachsende Nagelblatt über ein Polster von lockerer Epidermismasse nach vorn (Fig. 18, a) in Rinnen, welche zwischen den längslaufenden Leisten oder Falten des Nagelbettes gelegen sind. Das Nagelblatt selbst, frisch untersucht, besteht dagegen aus einer so dichten Masse, dass man einzelne Zellen daran kaum zu unterscheiden im Stande ist, ja, dass man ein Bild bekommt, wie an manchen Stellen im Knorpel. Aber durch Behandlung mit Kali, welches die Zellen aufquellen macht und von einander trennt, kann man sich überzeugen, dass er überall nur aus Epidermiszellen besteht.
Fig. 18. Schematische Darstellung des Längsdurchschnittes vom Nagel. a. Das normale Verhältniss: leicht gekrümmtes, horizontales Nagelblatt, in seinem Falze steckend und durch ein schwaches Polster von dem Nagelbette getrennt. b. Stärker gekrümmtes und etwas dickeres Nagelblatt mit stark verdicktem Polster und stärker gewölbtem Nagelbette, der Falz kürzer und weiter. c. Onychogryphosis: das kurze und dicke Nagelblatt steil aufgerichtet, der Falz kurz und weit, das Nagelbett auf der Fläche eingebogen, das Polster sehr dick und aus übereinander geschichteten Lagen von lockeren Zellen bestehend.
Kennt man diese Entwickelung, so lassen sich die Krankheiten des Nagels in leicht fasslicher Weise von einander scheiden. Es gibt nehmlich Krankheiten des[36] Nagelbettes, welche das Wachsthum des Nagelblattes nicht ändern, aber Dislocationen desselben bedingen. Wenn auf dem Nagelbette eine sehr reichliche Entwickelung von Polstermasse stattfindet, so kann das Nagelblatt in die Höhe gehoben werden (Fig. 18, b), ja es kommt, namentlich an den Zehen, nicht selten vor, dass es, statt horizontal, senkrecht in die Höhe wächst und der Raum unter ihm von dicken Anhäufungen des blätterigen Polsters erfüllt wird (Fig. 18, c). Selbst Eiterungen können auf dem Nagelbette stattfinden, ohne dass die Entwickelung des Nagelblattes dadurch gehindert wird. Die sonderbarsten Veränderungen zeigen sich bei den Pocken. Wenn eine Blatter auf dem Nagelbett sich bildet, so bekommt der Nagel nur eine gelbliche, etwas unebene Stelle; entwickelt sich dagegen die Pocke im Nagelfalze, so sieht man Wochen nachher das Bild der Pocke in einer kreisförmig vertieften, wie ausgeschnittenen Stelle des sich allmählich vorschiebenden Nagelblattes, als einen Beweis des Ausfalls von Elementen, gerade wie auf der Epidermis. Denn jede Krankheit, welche den Nagelfalz (die Matrix) trifft, ändert auch das Nagelblatt, und wenn der Falz zerstört wird, so kann ein wirkliches Blatt nicht mehr nachgebildet werden; das Bett bedeckt sich dann nur mit einer hornigen, unregelmässig geschichteten Masse, wie sie sich zuweilen auch auf grossen Narben anderer Hautstellen, namentlich nach partiellen Amputationen des Fusses, erzeugt. —
Wie am Nagel, so erfahren auch an anderen Orten unter besonderen Verhältnissen die epidermoidalen Elemente besondere Umwandlungen, wodurch sie ihrem ursprünglichen Habitus ausserordentlich unähnlich werden und allmählich Erscheinungsformen annehmen, die es jedem, welcher die Entwickelungsgeschichte nicht kennt, unmöglich machen, ihre ursprüngliche Epidermis-Natur auch nur zu ahnen. So ist es mit den Haaren. Die am meisten abweichende Entwickelung findet sich jedoch an der Krystallinse des Auges, welche ursprünglich eine reine Epidermis-Anhäufung ist. Sie entsteht bekanntlich dadurch, dass sich ein Theil der Haut von aussen sackförmig einstülpt. Anfangs bleibt durch eine leichte Membran die Verbindung mit den äusseren Theilen erhalten, durch die Membrana capsulo-pupillaris; später atrophirt diese und lässt die abgeschlossene Linse im Innern des[37] Auges liegen. Die sogenannten Linsenfasern sind also weiter nichts, wie schon Carl Vogt zeigte, als epidermoidale Elemente mit eigenthümlicher Entwickelung, und die Regeneration derselben z. B. nach Extraction der Cataract, ist nur so lange möglich, als noch Epithel an der Capsel vorhanden ist, welches den Neubau übernimmt und gleichsam ein dünnes Lager von Rete Malpighii darstellt. Dieses reproducirt in derselben Weise die Linse, wie das gewöhnliche Rete Malpighii der Haut die Epidermis; nur ist die Regeneration der Linse gewöhnlich unvollständig, da die sich vermehrenden Rete-Zellen hauptsächlich am Umfange der Linsenkapsel liegen. Die neu gebildete Linse ist daher in der Regel ein Ring, der in der Mitte nicht ausgefüllt ist.
Unter den sonstigen Modificationen epithelialer Gebilde werden wir noch gelegentlich die eigenthümlichen Pigmentzellen zu erwähnen haben, die an den verschiedensten Punkten aus der Umwandlung von Rete- oder Epithelial-Elementen hervorgehen, indem sich der Inhalt der Zellen entweder durch Imbibition färbt oder in sich durch (metabolische) Umsetzung des Inhalts Pigment erzeugt. So entstehen Pigmentzellen in dem Rete gefärbter Hautstellen oder gefärbter Racen, bei Naevi und Bronzekrankheit; so bilden sich die dunkle Zellenschicht der Chorioides oculi (Fig. 6), gewisse pigmentirte Zellen in den Alveolen der Lunge (Fig. 8). —
Fig. 19. A. Entwickelung der Schweissdrüsen durch Wucherung der Zellen des Rete Malpighii nach innen. e. Epidermis, r. Rete Malpighii, g g solider Zapfen, der ersten Drüsenanlage entsprechend. Nach Kölliker.
B. Stück eines Schweissdrüsenkanals im entwickelten Zustande, t t Tunica propria. e e Epithellagen.
Zu den Epithelien gehört noch eine andere, ganz besondere Art von Elementen, die bei dem Zustandekommen gewisser höherer Functionen des Thiers eine sehr bedeutende Rolle spielen, nehmlich die Drüsenzellen. Die eigentlich activen Elemente der gewöhnlichen, mit Ausführungsgängen versehenen Drüsen sind wesentlich epitheliale. Es ist eines der grössten Verdienste von Remak, gezeigt zu haben, dass in der normalen Entwickelung des Embryo von den bekannten drei Keimblättern das äussere und innere hauptsächlich epitheliale Gebilde hervorbringen, von denen unter Anderem durch allmähliche Wucherung die Drüsengestaltung ausgeht. Schon andere Forscher hatten ähnliche Beobachtungen gemacht, insbesondere Kölliker. Gegenwärtig kann man es als allgemeine Doctrin hinstellen, dass die Drüsenbildung überhaupt als ein directer Wucherungsprocess von Epithelial-Gebilden zu betrachten ist. Früher dachte man sich Cytoblastem-Haufen, in denen unabhängig Drüsenmasse entstände; allein mit Ausnahme der Lymphdrüsen, welche in ein ganz anderes Gebiet[38] gehören, entstehen sämmtliche Drüsen in der Weise, dass an einem gewissen Punkte in ähnlicher Art, wie ich von den Auswüchsen der Pflanzen angegeben habe (S. 25), epitheliale Zellen anfangen sich zu theilen, sich wieder und wieder theilen, bis allmählich ein kleiner Zapfen von zelligen Elementen entstanden ist (Fig. 19, A). Dieser wächst nach innen und bildet, indem er sich seitlich ausbreitet und im Innern aushöhlt, einen Drüsengang (Fig. 19, B), welcher demnach sofort ein Continuum mit äusseren Zellenlagen darstellt. So entstehen die Drüsen der Oberfläche (die Schweiss- und Talgdrüsen der Haut, die Milchdrüse), so entstehen aber auch die inneren Drüsen des Digestionstractus (Magendrüsen, Lieberkühnsche Darmdrüsen, Leber), der Eierstock u. s. w. Die einfachsten Formen, welche eine Drüse darbieten kann, kommen beim Menschen nicht vor. Es sind dies einzellige Drüsen, wie sie in neuerer Zeit bei niederen Thieren vielfach gefunden sind. Die menschlichen Drüsen sind stets Anhäufungen von vielen Elementen, die jedoch genetisch auf ziemlich einfache Anlagen zurückführen. Freilich gehen ausser den epithelialen Elementen in unsern zusammengesetzten Drüsen noch andere nothwendige Bestandtheile (Bindegewebe, Gefässe, Nerven) in die Zusammensetzung ein, und man[39] kann nicht sagen, dass die Drüse, als Organ betrachtet, bloss aus Drüsenzellen bestehe. Jedoch ist man darüber gegenwärtig ziemlich einig, dass das bestimmende Element in der Zusammensetzung die Drüsenzelle ist, ebenso wie bei den Muskeln das Muskelprimitivbündel, und dass die specifische Thätigkeit der Drüse hauptsächlich in der Natur und eigenthümlichen Einrichtung dieser Elemente begründet ist.
Im Allgemeinen bestehen also die Drüsen aus Anhäufungen von Zellen, welche in der Regel offene Kanäle bilden. Wenn man von den Drüsen mit zweifelhafter Function (Schilddrüse, Nebennieren) absieht, so gibt es beim Menschen nur die Eierstöcke, welche eine Ausnahme machen, indem ihre Follikel nur zu Zeiten offen sind; aber auch sie müssen offen sein, wenn die specifische Secretion der Eier stattfinden soll. Bei den meisten Drüsen kommt freilich bei der Secretion noch eine gewisse Menge transsudirter Flüssigkeit hinzu, allein diese Flüssigkeit stellt nur das Vehikel dar, welches die Elemente selbst oder ihre specifischen Produkte wegschwemmt. Wenn sich in den Hodenkanälen eine Zelle ablöst, in welcher Samenfäden entstehen, so transsudirt zugleich eine gewisse Menge von Flüssigkeit, welche dieselben fortträgt, aber das, was den Samen zum Samen macht, was das Specifische der Thätigkeit gibt, ist die Zellenfunction. Die blosse Transsudation von den Gefässen aus ist wohl ein Mittel zur Fortbewegung, gibt aber nicht das specifische Produkt der Drüse, das Secret im engeren Sinne des Worts. Wie am Hoden, so geht im Wesentlichen an allen Drüsen, an denen wir mit Bestimmtheit das Einzelne ihrer Thätigkeit übersehen können, die wesentliche Eigenthümlichkeit ihrer Energie von der Entwickelung, Umgestaltung und Thätigkeit epithelialer Elemente aus. —
Die zweite histologische Gruppe bilden die Gewebe der Bindesubstanz. Es ist dies diejenige Gruppe, welche gerade für mich das meiste Interesse hat, weil von hier aus meine allgemein-physiologischen Anschauungen zu dem Abschlusse gekommen sind, den ich im Eingange kurz darstellte. Die Aenderungen, welche es mir gelungen ist, in der histologischen Auffassung der ganzen Gruppe herbeizuführen, haben mir zugleich die Möglichkeit gegeben, die Cellulardoctrin zu einer gewissen Abrundung zu bringen.
Die Hauptglieder dieser Gruppe sind das Bindegewebe, das Schleimgewebe, der Knorpel, das Knochengewebe, das Zahnbein, die Neuroglia und das Fettgewebe. Betrachten wir zuerst das Bindegewebe als das für die Auffassung der übrigen mehr oder weniger bestimmende. Bis in die neueste Zeit hiess es fast allgemein Zellgewebe (tela cellulosa), weil man annahm, dass es regelmässig kleinere Räume (cellulae, areolae) enthalte. Erst Johannes Müller führte den Ausdruck Bindegewebe (tela conjunctoria s. connectiva), freilich nur für eine gewisse Art, ein; er meinte damit, was wir gegenwärtig interstitielles Gewebe zu nennen pflegen, nehmlich dasjenige „Zellgewebe“, welches Organe oder Organtheile mit einander verbindet. Sehr langsam, zum Theil aus blossem Widerwillen gegen den schlechten Namen Zellgewebe, ist die Bezeichnung Bindegewebe auf alles Zellgewebe und auf alle daraus zusammengesetzten Theile (Lederhaut, Sehnen, Fascien) ausgedehnt worden. Gegenwärtig muss man sich fast in Acht nehmen, nicht noch weiterzugehen und auch die übrigen Glieder dieser Gruppe dem Bindegewebe zuzurechnen. „Bindesubstanz“ soll diesem weiteren Klassenbegriff entsprechen.
Fig. 20. A. Bündel von gewöhnlichem lockigem Bindegewebe (Intercellularsubstanz), am Ende in feine Fibrillen zersplitternd.
B. Schema der Bindegewebs-Entwickelung nach Schwann. a. Spindelzelle (geschwänztes Körperchen, fibroplastisches Körperchen Lebert) mit Kern und Kernkörperchen. b. Zerklüftung des Zellkörpers in Fibrillen.
C. Schema der Bindegewebs-Entwickelung nach Henle. a. Hyaline Grundsubstanz (Blastem) mit regelmässig eingestreuten, nucleolirten Kernen. b. Zerfaserung des Blastems (directe Fibrillenbildung) und Umwandlung der Kerne in Kernfasern.
Seit Haller betrachtete man das Zellgewebe oder, wie man auch wohl sagte, das Fasergewebe (tela fibrosa) als wesentlich aus Fasern (fibrae, fibrillae) zusammengesetzt und sah in diesen[41] Fasern, wie im ersten Capitel (S. 22) hervorgehoben ist, die eigentlich elementare Form des Organischen. In der That, wenn man Bindegewebe an verschiedenen Regionen, z. B. an den Sehnen und Bändern, der Pia mater, dem subserösen und submucösen Zellgewebe untersucht, so findet man überall wellige Faserbündel (Fascikel), sogenanntes lockiges Bindegewebe (Fig. 20, A). Die Zusammensetzung dieser Bündel glaubte man um so bestimmter auf einzelne Fasern zurückführen zu können, als wirklich nicht selten an dem Ende der Bündel isolirte Fädchen herausstehen. Trotzdem ist gerade auf diesen Punkt vor etwa 25 Jahren ein ernsthafter Angriff gemacht worden, der, wenngleich in einer anderen, als der beabsichtigten Richtung, eine sehr grosse Bedeutung gewonnen hat. Reichert suchte nehmlich zu zeigen, dass die Fasern nur der optische Ausdruck von Falten seien, und dass das Bindegewebe vielmehr an allen Orten eine homogene, jedoch mit grosser Neigung zur Faltenbildung versehene Masse darstelle.
Schwann hatte die Bildung des Bindegewebes so dargestellt, dass ursprünglich zellige Elemente von spindelförmiger Gestalt vorhanden wären, die nachher so berühmt gewordenen geschwänzten Körperchen, Spindel- oder Faserzellen (fibroplastischen Körper Lebert's, Fig. 4, b), und dass aus solchen Zellen unmittelbar Fascikel von Bindegewebe in der Weise hervorgingen, dass der Körper der Zelle in einzelne Fibrillen sich zerspalte, während der Kern als solcher liegen bliebe (Fig. 20, B). Jede Spindelzelle würde also für sich oder in Verbindung mit anderen, an sie anstossenden und mit ihr verschmelzenden Spindelzellen ein Bündel von Fasern liefern. Henle dagegen glaubte aus der Entwickelungsgeschichte schliessen zu müssen, dass ursprünglich gar keine Zellen vorhanden seien, sondern nur einfaches Blastem, in welchem Kerne in gewissen Abständen sich bildeten; die späteren Fasern sollten durch eine directe Zerklüftung des Blastems entstehen. Während so die Zwischenmasse sich differenzire zu Fasern, sollten die Kerne sich allmählich verlängern und endlich zusammenwachsen, so dass daraus eigenthümliche feine Längsfasern entständen, die sogenannten Kernfasern[42] (Fig. 20, C, b). Reichert hat gegenüber diesen Ansichten einen ausserordentlich wichtigen Schritt gethan. Er bewies nehmlich, dass ursprünglich nur Zellen in grosser Masse vorhanden sind, zwischen welche erst später homogene Intercellularmasse abgelagert wird. Zu einer gewissen Zeit verschmölzen dann, wie er glaubte, die Membranen der Zellen mit der Intercellularsubstanz, und es komme nun ein Stadium, dem von Henle beschriebenen analog, wo keine Grenze zwischen den alten Zellen und der Zwischenmasse mehr existire. Endlich sollten auch die Kerne in einigen Formen gänzlich verschwinden, während sie in anderen sich erhielten. Dagegen leugnete Reichert entschieden, dass die spindelförmigen Elemente von Schwann überhaupt vorkämen. Alle spindelförmigen, geschwänzten oder gezackten Elemente wären Kunstproducte, gleich wie die Fasern, welche man in der Zwischenmasse sähe und welche nur scheinbar etwas für sich Existirendes darstellten, da sie in Wahrheit eine falsche Deutung des optischen Bildes, der Ausdruck blosser Falten und Streifungen einer an sich durchaus gleichmässigen Substanz seien.
Fig. 21. Bindegewebe vom Schweinsembryo nach längerem Kochen. Grosse zum Theil isolierte, zum Theil noch in der Grundsubstanz eingeschlossene und anastomisirende Spindelzellen (Bindegewebskörperchen). Grosse Kerne mit abgelöster Membran; zum Theil geschrumpfter Zelleninhalt. Vergr. 350.
Meine Untersuchungen haben gelehrt, dass die Auffassung sowohl von Schwann, als von Reichert bis zu einem gewissen Grade auf richtigen Anschauungen beruht. Erstlich mit Schwann[43] und gegen Reichert, dass in der That spindelförmige (Fig. 21) und sternförmige Elemente mit vollkommener Sicherheit existiren, dann aber gegen Schwann und mit Henle und Reichert, dass eine directe Zerklüftung der Zellen zu Fasern nicht geschieht, dass vielmehr dasjenige, was wir nachher als Bindegewebe vor uns sehen, an die Stelle der früher gleichmässigen Intercellular-Substanz tritt. Ich fand ferner, dass Reichert sowohl, als Schwann und Henle darin Unrecht hatten, wenn sie zuletzt im besten Falle Kerne oder Kernfasern bestehen liessen; dass vielmehr in den meisten Fällen auch die Zellen selbst sich erhalten. Das Bindegewebe der späteren Zeit unterscheidet sich der allgemeinen Structur und Anlage nach in gar nichts von dem Bindegewebe der früheren Zeit. Es gibt nicht ein embryonales oder unreifes Bindegewebe mit Spindeln und ein ausgebildetes oder reifes ohne diese, sondern die Elemente bleiben dieselben, wenngleich sie oft nicht sofort zu sehen sind[7].
Fig. 22. Schema der Bindegewebs-Entwickelung nach meinen Untersuchungen. A. Jüngstes Stadium. Hyaline Grundsubstanz (Intercellularsubstanz) mit grösseren Zellen (Bindegewebskörperchen); letztere in regelmässigen Abständen, reihenweise gestellt, Anfangs getrennt, spindelförmig und einfach, späterhin anastomosirend und verästelt. B. Aelteres Stadium: bei a. streifig gewordene (fibrilläre) Grundsubstanz, durch die reihenweise Einlagerung von Zellen fasciculär erscheinend; die Zellen schmäler und feiner werdend; bei b. nach Einwirkung von Essigsäure ist das streifige Aussehen der Grundsubstanz wieder verschwunden, und man sieht die noch kernhaltigen, feinen und langen anastomosirenden Faserzellen (Bindegewebskörperchen).
Mit dem Nachweise von der Persistenz der Zellen im Bindegewebe[44] gelangte ich zu einer gänzlich verschiedenen Betrachtungsweise der physiologischen und pathologischen Bedeutung der einzelnen Bestandtheile. Während bis dahin die Fasern als die eigentlich constituirenden Elemente des Bindegewebes angesehen waren, wie es Robin und die französische Schule noch heute thun, so rückten sie in meiner Vorstellung als Bestandtheile der Intercellularsubstanz in eine durchaus untergeordnete Stellung. Sie verhalten sich zu den Bindegewebszellen, oder, wie ich sie gewöhnlich nenne, den Bindegewebskörperchen, wie die Fasern des Fibrins in einem Blutgerinnsel zu den Blutkörperchen. Sie geben dem Gewebe Consistenz, Dehnbarkeit, Widerstandsfähigkeit, Ausdehnungsfähigkeit, Farbe und Aussehen, aber sie sind nicht die Sitze der Lebensthätigkeit, nicht die lebenden Mittelpunkte des Gewebes.
Da die Substanz, welche sich zwischen den Bindegewebskörperchen befindet, ursprünglich homogen ist und erst später fibrillär wird, so muss man sich vorstellen, dass die Fibrillation in ähnlicher Weise vor sich geht, wie in dem Fibringerinnsel, welches zuerst auch homogen und gallertartig ist. Und da ferner die Substanz zwischen den Zellen später auftritt, als die Zellen, so kann man sie nicht im Sinne Henle's als Cytoblastem betrachten, sondern sie lässt sich nur als ein von den Zellen geliefertes Secret ansehen. In der letzten Zeit haben Manche mit Max Schultze Werth darauf gelegt, die Intercellularsubstanz nicht als ein Secret aufzufassen, sondern als die äussere, metamorphosirte Schicht der Zellen oder, um in der Schulsprache zu reden, als das veränderte Protoplasma selbst. Dieser Streit ist ein rein doctrinärer. Denn auch die Vorstellung von der Secretion der Intercellularsubstanz geht davon aus, dass das Secret einmal innerhalb der Zellen befindlich gewesen sei, und es versteht sich von selbst, dass eine Zelle nach geschehener Secretion der Intercellularsubstanz um so viel kleiner sein muss, als Secret aus ihr hervorgetreten ist (vorausgesetzt, dass sie nicht wieder neue Substanz von aussen her in sich aufgenommen hat). Dass aber wirklich die Corticalschicht der Bindegewebskörperchen in Intercellularsubstanz verwandelt werde, hat noch Niemand dargethan.
Demnach ist das Bindegewebe aufzufassen als zusammengesetzt aus Zellenterritorien (S. 17), von denen jedes eine Zelle mit dem ihr zugehörigen Antheil von Intercellularsubstanz enthält, und deren Grenzen gänzlich verschmolzen sind. Man kann[45] diess auch so ausdrücken, dass man sagt: das Bindegewebe besteht aus einer im Wesentlichen faserigen Intercellularsubstanz und Zellen, welche in regelmässigen Abständen in dieselbe eingeschlossen sind. Diese Formel gilt übrigens für sämmtliche Gewebe der Bindesubstanz, nur dass die Beschaffenheit der Intercellularsubstanz verschieden und keineswegs überall faserig ist. Im ausgebildeten Zustande besteht wenigstens scheinbar fast überall der grösste Theil des Gewebes aus Intercellularsubstanz, und deshalb ist diese letztere in hohem Maasse für die äussere Erscheinung des Gewebes bestimmend. Die Zellen sind der Masse nach meist unbedeutend und sie können die mannichfachsten Formen haben. Daher lassen die Gewebe sich nicht darnach unterscheiden, dass das eine nur runde, das andere dagegen geschwänzte oder sternförmige Zellen enthält; vielmehr können in allen Geweben der Bindesubstanz runde, lange, eckige oder verästelte Elemente vorkommen.
Fig. 23. Senkrechter Durchschnitt durch den wachsenden Knorpel der Patella. a. Die Gelenkfläche mit parallel gelagerten Spindelzellen (Knorpelkörperchen). b. Beginnende Wucherung der Zellen. c. Vorgeschrittene Wucherung; grosse, rundliche Gruppen; innerhalb der ausgedehnten Capseln immer zahlreichere runde Zellen. — Vergröss. 50.
Der einfachste Fall ist der, dass runde Zellen in gewissen Abständen liegen, durch Intercellularsubstanz getrennt. Das ist diejenige Form, welche wir am schönsten in den Knorpeln finden, z. B. in den Gelenküberzügen, wo die Zwischenmasse vollkommen homogen und an ihr nichts zu sehen ist, als eine vielleicht hier und da schwach gekörnte, im Ganzen jedoch völlig wasserklare Substanz, so homogen, dass, wenn man nicht die Grenze des Objectes vor sich hat, man in Zweifel sein kann, ob überhaupt etwas[46] zwischen den Zellen vorhanden ist. Diese Substanz characterisirt den hyalinen Knorpel.
Unter gewissen Verhältnissen wandeln aber die runden Elemente sich auch im Knorpel in längliche, spindelförmige um, z. B. ganz regelmässig gegen die Gelenkoberflächen hin. Je näher man bei der Durchforschung des Gelenkknorpels der freien Oberfläche kommt (Fig. 23, a), um so platter werden die Zellen; zuletzt sieht man nur kleine, flach linsenförmige, auf einem Längsdurchschnitt spindelförmig erscheinende Körper, zwischen denen die Intercellularsubstanz zuweilen ein leicht streifiges Aussehen zeigt. Hier tritt also, ohne dass das Gewebe aufhört, Knorpel zu sein, ein Typus auf, den wir viel regelmässiger im Bindegewebe antreffen, und es kann leicht daraus die Vorstellung erwachsen, als sei der Gelenkknorpel noch mit einer besonderen Membran überzogen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Es legt sich keine Synovialhaut über den Knorpel; die Grenze des Knorpels gegen das Gelenk hin ist überall vom Knorpel selbst gebildet. Die Synovialhaut fängt erst da an, wo der Knorpel aufhört, am Knochenrande.
An anderen Stellen geht der Knorpel über in ein Gewebe, wo die Zellen nach mehreren Richtungen Fortsätze aussenden, dadurch sternförmig werden, und wo die endliche Anastamose der Elemente sich vorbereitet; endlich trifft man Stellen, wo man nicht mehr sagen kann, wo das eine Element aufhört und das andere anfängt: sie hängen durch ihre Fortsätze direct mit einander zusammen, sie anastomosiren, ohne dass eine Grenze zwischen ihnen zu erkennen wäre. Wenn ein solcher Fall eintritt, so wird die bis dahin gleichmässige hyaline Intercellularsubstanz ungleichmässig, streifig, faserig. Solchen Knorpel hat man schon seit langer Zeit Faserknorpel genannt.
Von diesen beiden Arten unterscheidet man eine dritte, den sogenannten Netzknorpel, so an Ohr und Nase, wo die Elemente rund sind, aber eine eigenthümliche Art von dicken, steifen Fasern um sie herum liegt, deren Entstehung noch nicht ganz erforscht ist, die aber offenbar durch eine Metamorphose der Intercellularsubstanz entstehen.
Wir haben schon früher (S. 8) gesehen, dass der ausgebildete Knorpel incapsulirte Zellen hat. Hier ist also die Zelle von der Intercellularsubstanz noch durch eine besondere, oft sehr dicke Wand getrennt. Wenn nun nicht bezweifelt werden kann,[47] dass auch diese Wand ein Secretionsproduct der Zelle ist, so folgt, dass, genau genommen, die Capsel der Intercellularsubstanz angehört, deren jüngster Theil sie ist. In allen Rippenknorpeln ist es gewöhnlich, um einzelne Zellen sogar zwei und mehr Capselschichten zu sehen (Fig. 14), unter deren Ausbildung die Zelle immer kleiner und kleiner wird, so dass sie manchmal nur noch als ein granulirtes Kügelchen im Innern der Capselhöhle erscheint. Durch Jodzusatz lässt sie sich jedoch leicht erkennen, indem sie sich roth färbt, während Capsel- und Intercellularsubstanz nur gelb werden. Die Existenz der Capsel ist in hohem Maasse characteristisch für den Knorpel. Aber sie ist nicht entscheidend, denn in jungem und unentwickeltem Knorpel, sowie in dem von mir als Knochenknorpel (osteoidem Gewebe) benannten Gewebe fehlt sie und die Intercellularsubstanz stösst unmittelbar an die Oberfläche der Zelle.
Mit diesen verschiedenen Typen, welche der Knorpel an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten seiner Entwickelung darbietet, sind auch alle die Verschiedenheiten gegeben, welche die übrigen Gewebe der Bindesubstanz darbieten. Es gibt auch wahres Bindegewebe mit runden, mit langen und sternförmigen Zellen. Ebenso finden sich innerhalb des eigenthümlichen Gewebes, welches ich Schleimgewebe genannt habe, runde Zellen in einer hyalinen, spindelförmige in einer streifigen, netzförmige in einer maschigen Grundsubstanz. Das Haupt-Kriterium für die Scheidung der Gewebe beruht daher auf der Bestimmung der chemischen Qualität der Intercellularsubstanz. Bindegewebe wird ein Gewebe genannt, dessen Grundsubstanz beim Kochen Leim (Colla, Gluten) gibt; Knorpel liefert aus seiner Zwischenmasse Chondrin, Schleimgewebe einen durch Alkohol in Fäden fällbaren und in Wasser wieder aufquellenden, durch Essigsäure fällbaren und im Ueberschuss sich nicht lösenden, dagegen in Salz- und Salpetersäure löslichen Stoff, das Mucin (Schleimstoff).
Weitere Verschiedenheiten des Gewebes können sich späterhin einstellen durch die besondere Gestaltung und Füllung der einzelnen Zellen. Auch die Knorpel- und Bindegewebszellen führen zuweilen Farbstoffe, wie die epithelialen: es gibt also auch pigmentirte Bindesubstanz. Was wir kurzweg Fett nennen, ist ein Gewebe, welches sich hier unmittelbar anschliesst und welches sich wesentlich dadurch unterscheidet, dass die einzelnen Zellen[48] sich haufenweise vermehren, vergrössern und mit Fett vollstopfen, wobei der Kern zur Seite gedrängt wird. An sich ist die Structur des Fettgewebes aber dieselbe wie die des Bindegewebes, und unter Umständen kann das Fett so vollständig schwinden, dass das Fettgewebe wieder auf einfaches gallertartiges Bindegewebe oder Schleimgewebe zurückgeführt wird[8]. Und umgekehrt kann nicht bloss Schleim- und Bindegewebe sich direct in Fettgewebe umwandeln, sondern es kann auch ganz direct fetthaltiges Mark aus Knorpel- oder Knochengewebe entstehen.
Fig. 24. Knochenkörperchen aus einem pathologischen Knochen von der Dura mater cerebralis. Man sieht die verästelten und anastomosirenden Fortsätze derselben (Knochenkanälchen) und innerhalb der Knochenkörperchen kleine Punkte, welche den trichterförmigen Anfang der Kanälchen bezeichnen. Vergröss. 600.
Unter den Geweben der Bindesubstanz besitzen diejenigen für die pathologische Anschauung die grösste Wichtigkeit, in welchen eine netzförmige Anordnung der Elemente besteht, oder anders ausgedrückt, in welchen die Elemente durch Ausläufer oder Fortsätze untereinander anastomosiren (Fig. 21; 22, A; 24). Ueberall, wo solche Anastomosen Statt finden, wo ein Element mit dem anderen zusammenhängt, da lässt sich mit einer gewissen Sicherheit darthun, dass diese Anastomosen eine Art von Röhren- oder Kanalsystem darstellen, welches den grossen Kanalsystemen[49] des Körpers angereiht, welches namentlich neben den Blut- und Lymphkanälen als eine neue Erwerbung unserer Anschauungen betrachtet werden muss, also eine Art von Ersatz für die alten Vasa serosa bietet, die in der früher angenommenen Weise nicht existiren. Eine solche Einrichtung kommt vor im Faserknorpel, Bindegewebe, Knochen, Schleimgewebe an den verschiedensten Theilen und jedesmal unterscheiden sich die Gewebe, welche solche Anastomosen besitzen, von denen mit isolirten Elementen durch ihre grössere Fähigkeit, krankhafte Processe zu leiten. —
Nachdem wir die Gruppe der Epithelial- oder Epidermoidalformation und die der Bindesubstanzen betrachtet haben, so bleibt uns noch eine ebenso grosse, als wichtige Gruppe, deren einzelne Glieder freilich nicht in der Weise, wie dies bei der Epithelial- und Bindegewebs-Formation der Fall ist, eine wirkliche Verwandtschaft untereinander haben. Ihre Uebereinstimmung ist vielmehr eine physiologische, indem sie die höheren animalischen Gebilde darstellen, welche sich durch die specifische Art ihrer Einrichtung und Leistung von den mehr indifferenten Epithelial- und Bindegeweben unterscheiden. Hierhin zähle ich das Muskelgewebe, das Nervengewebe, die feineren Gefässe mit Blut, Lymphe und Lymphdrüsen. Allerdings sind diese Gewebe unter sich so verschieden, dass man aus jedem derselben eine besondere Gruppe bilden könnte. Ich will darüber nicht streiten. Indess spricht die praktische Bequemlichkeit, sämmtliche Gewebe höherer Dignität in eine einzige Gruppe zusammenzufassen, für meinen Vorschlag.
Ein anderer Umstand scheint auf den ersten Anblick die Nothwendigkeit einer solchen Vereinigung darzuthun. Gerade die Elemente der Hauptglieder dieser Gruppe stellen sich uns dar in der Form von zusammenhängenden, weithin durch den Körper verbreiteten, mehr oder weniger röhrenartigen Gebilden. Wenn man Muskeln, Nerven und Capillaren mit einander vergleicht, so kann man sehr leicht zu der Vorstellung kommen, es handle sich bei allen dreien um wirkliche Röhren, welche mit einem bald mehr, bald weniger beweglichen Inhalt gefüllt seien. Diese Vorstellung, so bequem sie für eine oberflächliche Anschauung ist, genügt jedoch deshalb nicht, weil wir den Inhalt der verschiedenen[50] Röhren nicht einfach vergleichen können. Das Blut, welches in den Gefässen enthalten ist, lässt sich nicht als ein Analogen des Axencylinders oder des Markes einer Nervenröhre, oder der contractilen Substanz eines Muskelprimitivbündels betrachten. Allerdings ist die Entwickelung mancher Gebilde, welche ich in dieser Gruppe zusammenfasse, noch ein Gegenstand grosser Differenzen, und die Ansicht über die zellige Natur vieler der hier einschlagenden Elemente findet noch Widersacher. So viel ist indess sicher, wenn wir die fötale Entwickelung ins Auge fassen, dass die Blutkörperchen ebenso gut Zellen sind, wie die einzelnen Elemente der Gefässwand, innerhalb deren das Blut strömt, und dass man das Gefäss nicht als eine einfache Röhre bezeichnen kann, welche die Blutkörperchen umfasst, wie eine Zellmembran ihren Inhalt. Deshalb ist es nothwendig, dass man bei den Gefässen den Inhalt von der Wand, dem eigentlichen Gefässe trennt und dass man die Aehnlichkeit der Gefässe mit den Nervenröhren und Muskelbündeln nicht zu stark hervorhebt. Von entschiedener Bedeutung ist auch hier die Entwickelungsgeschichte. Nur was genetisch zusammengehört, muss zusammengehalten werden. Es ist aus diesem Grunde berechtigt, zum Blute die Lymphdrüsen hinzuzunehmen, insofern das Verhältniss beider zu einander ein gleiches ist, wie wir es bei den Epithelialformationen zwischen Epidermis und Rete angetroffen haben. Die Lymphdrüsen unterscheiden sich von den eigentlichen Drüsen nicht allein dadurch, dass sie keinen Ausführungsgang im gewöhnlichen Sinne des Wortes besitzen, sondern sie stehen auch ihrer Entwickelung nach keineswegs den gewöhnlichen Drüsen gleich; in ihrer ganzen Geschichte schliessen sie sich so eng an die Gewebe der Bindesubstanz, dass man eher versucht sein kann, anzunehmen, dass sie aus einer Umwandlung von Bindegewebe hervorgehen.
Bei der Mehrzahl der höheren Gewebe tritt noch eine eigenthümliche Schwierigkeit hervor, welche wir schon bei den Drüsen (S. 38) kennen gelernt haben. Manche dieser Gewebe kommen überhaupt nirgends ganz rein vor. Sie sind vielmehr gemischt und zusammengehalten durch interstitielles Gewebe, welches von den specifischen Elementen ganz verschieden ist und ausnahmslos irgend einer Art von Bindesubstanz angehört. Es entsteht daher in der Regel ein zusammengesetzter, organartiger Bau, dessen Erforschung grosse Vorsicht erfordert, da sehr leicht die[51] mehr indifferenten Elemente des interstitiellen Gewebes (welches wohl von Intercellularsubstanz zu unterscheiden ist) mit den eigentlich functionellen Elementen verwechselt werden können. Ein Muskel besteht aus wirklich muskulösen Elementen und Interstitialgewebe mit Bindegewebskörperchen, zu welchen noch Gefässe und Nerven hinzukommen. Das Gehirn enthält Nervenzellen, Nervenfasern und Interstitialgewebe mit einfachen Zellen, Gefässe u. s. w. Gehirnzellen im strengen Sinne des Wortes sind Nerven- oder Ganglienzellen, im weiteren können auch Gliazellen ebenso genannt werden.
Fig. 25. Eine Gruppe von Muskelprimitivbündeln (Muskelfasern). a. Die natürliche Erscheinung eines frischen Primitivbündels mit seinen Querstreifen (Bändern oder Scheiben). b. Ein Bündel nach leichter Einwirkung von Essigsäure; die Kerne treten deutlich hervor und man sieht in dem einen zwei Kernkörperchen, den anderen völlig getheilt. c. Stärkere Einwirkung der Essigsäure: der Inhalt quillt am Ende aus der Scheide (Sarcolemm) hervor. d. Fettige Atrophie. Vergröss. 300.
Unter den Gliedern der hier in Rede stehenden Gruppe hat man gewöhnlich die muskulösen Elemente als die einfachsten betrachtet. Untersucht man einen gewöhnlichen rothen Muskel, so findet man ihn wesentlich zusammengesetzt aus einer Menge von meistentheils gleich dicken Cylindern (den Primitivbündeln oder Muskelfasern), die auf einem Querschnitte sich als runde Körper darstellen. An ihnen nimmt man alsbald die bekannten Querstreifen wahr, das heisst breite Linien, welche sich gewöhnlich etwas zackig über die Oberfläche des Bündels erstrecken, und welche nahezu so breit sind, wie die Zwischenräume, welche sie trennen (Fig. 25, a). Neben dieser Querstreifung sieht man weiterhin, namentlich nach gewissen Präparationsmethoden, eine der Länge nach verlaufende Streifung, die sogar in manchen Präparaten so überwiegend wird, dass das Muskelbündel fast nur längsgestreift erscheint. Wendet man nun Essigsäure an, so zeigen sich, während die Streifen erblassen, an der Wand, hier und da auch mehr gegen die Mitte des Cylinders hin, in gewissen Abständen grosse, rundlich-ovale[52] Kerne mit glänzenden, ziemlich grossen Kernkörperchen, bald in grösserer, bald in kleinerer Zahl. Auf diese Weise gewinnen wir, nachdem wir durch die Einwirkung der Essigsäure die innere Substanz geklärt haben, ein Bild, welches an Zellenformen erinnert, und man ist daher um so mehr geneigt gewesen, das ganze Primitivbündel als aus einer einzigen Zelle hervorgegangen anzusehen, als nach der älteren Ansicht innerhalb eines jeden Muskels die einzelnen Primitivbündel von dem einen Insertionspunkte bis zu dem andern reichen sollten, also so lang gedacht wurden, als der Muskel selbst. Letztere Annahme ist freilich durch Untersuchungen, welche unter Brücke's Leitung in Wien durch Rollett angestellt wurden, erschüttert worden, indem dieser nachwies, dass im Verlaufe vieler Muskeln sich Enden der Primitivbündel mit zulaufenden Spitzen finden. Diese Enden schieben sich ineinander, und es entspricht demnach keineswegs die Länge aller Primitivbündel der ganzen Ausdehnung des Muskels. Allein diese Entdeckung, statt die Ansicht von der zelligen Natur der Primitivbündel zu erschüttern, hat sie vielmehr befestigt; sie zeigt, dass auch das fertige Muskelprimitivbündel sich verhält, wie eine Faserzelle (Fig. 105, A).
Die einzige bekannte Ausnahme von dieser Einrichtung findet sich, wie Eberth gefunden hat, an der Herzmuskulatur, welche durch das Bestehen verzweigter und anastomosirender Bündel schon seit Leeuwenhoek die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, und welche auch durch den Mangel eines ausgebildeten Sarcolemma eine so eigenthümliche Stellung einnimmt. Hier gibt es statt der Faserzellen kürzere, mit platten Enden oder eckigen Grenzen aneinanderstossende und so mit einander verschmelzende Abtheilungen, von denen jede für sich einer Zelle entspricht.
Auf der anderen Seite sind gerade in der letzten Zeit von verschiedenen Seiten Beobachtungen gemacht worden, welche eher geeignet schienen, die einzellige Natur der Primitivbündel in Zweifel zu ziehen. Leydig hat zuerst die Ansicht aufgestellt, dass in jedem Cylinder (Primitivbündel) eine Reihe von zelligen Elementen kleinerer Art enthalten sei. In der That liegt jeder Kern in einer besonderen, langgestreckten Lücke, welche durch das Auseinanderrücken der quergestreiften (contractilen) Substanz des Bündels gebildet wird. Die Lücke ist nach Leydig von einer besondern Membran umschlossen und sie stellt[53] nach seiner Ansicht eine intramusculäre Zelle vor. Es handelt sich, sobald diese letzte Zusammensetzung discutirt wird, um äusserst schwierige Verhältnisse, und ich bekenne, dass, so sehr ich von der ursprünglich einzelligen Natur der Primitivbündel überzeugt bin, ich doch die sonderbaren Erscheinungen im Innern derselben zu gut kenne, als dass ich nicht zugestehen müsste, dass eine andere Ansicht aufgestellt werden könne.
An jedem Cylinder (Primitivbündel) kann man leicht eine membranöse äussere Hülle (Sarcolemma) und einen Inhalt unterscheiden. In letzterem liegen die Kerne und an ihm kann man im natürlichen Zustande die eigenthümliche Quer- und Längsstreifung erkennen. Diese Streifung ist durchaus eine innere und nicht eine äussere. Die Membran an sich ist vollkommen glatt und eben; die Querstreifung gehört dem Inhalt an, welcher im Grossen die eigentliche rothe Muskelmasse, das Fleisch darstellt. Jedes Primitivbündel ist daher ein nach beiden Seiten hin zugespitzt endigender, meist sehr langer Cylinder, der eine Membran, einen Inhalt und Kerne besitzt, also die Eigenschaften einer sehr verlängerten Zelle darbietet. Damit stimmt die Entwickelungsgeschichte überein, insofern jedes Primitivbündel in der That durch doppelseitiges Wachsthum aus einer einzigen, ursprünglich ganz einfachen Bildungszelle hervorgeht, in welcher sich erst allmählich der specifische Inhalt, die Fleischsubstanz ablagert. Nun sieht man aber von Anfang an, dass die Ablagerung dieses specifischen Inhalts nicht an allen Punkten der Zellen erfolgt, sondern dass die nächste Umgebung des Kerns frei davon bleibt. Auch für pathologisch neugebildete Muskelzellen habe ich dies nachgewiesen[9]. Je grösser die Muskelzellen werden, um so mehr tritt diese von specifischem Inhalt freie Lücke um den Kern hervor, und zwar so, dass sie, wenn man den Cylinder von der Fläche aus betrachtet, als ein spindelförmiger Raum erscheint, während er auf einem Querdurchschnitt meist eckig oder sternförmig aussieht und nicht selten sich in verästelte und anastomosirende Fortsätze verfolgen lässt. Letztere nimmt man zuweilen, namentlich am Herzmuskel des Menschen, auch bei der Betrachtung von der Fläche[54] her als feine interfibrilläre Linien oder Striche wahr (Fig. 26, C). Wie mir scheint, erstrecken sich diese Fortsätze ununterbrochen in das von Cohnheim entdeckte intermusculäre Gitterwerk, welches die Fleischsubstanz durchsetzt. Aber die Ansichten über die Natur der um die Kerne gelegenen Zeichnungen gehen noch weit auseinander. Während Leydig, wie erwähnt, sie als eine Art von Bindegewebskörperchen und die specifische Inhaltsmasse des Primitivbündels als ein Analogon der Bindegewebs-Intercellularsubstanz betrachtet, nimmt Rollett sie mit den dazu gehörigen Fortsätzen als ein intramusculäres Lacunensystem. Max Schultze endlich denkt sich diese von ihm als Muskelkörperchen bezeichneten Gebilde als membranlose Körper, nur aus Kern und Protoplasma bestehend, so jedoch, dass das Protoplasma derselben mit dem in der übrigen Fleischsubstanz vorhandenen und hier durch die Einlagerung anderer Bestandtheile zum Theil verdeckten Protoplasma continuirlich zusammenhänge.
Fig. 26. Muskelelemente aus dem Herzfleische einer Puerpera. A. Eigenthümliche, den Faserzellen der Milzpulpe ganz ähnliche Spindelzellen, vielleicht dem Sarcolemma angehörig, bei dem Zerzupfen des Präparates frei geworden. a. halbmondförmig gekrümmte, an einem Ende etwas platte Zelle, von der Fläche gesehen, b. eine ähnliche, von der Seite gesehen, der Kern platt, c. d. Zellen, deren Kerne in einer herniösen Ausbuchtung der Membran liegen; e. eine ähnliche Zelle, von der Fläche gesehen, der Kern wie aufgelagert. B. Ein Primitivbündel ohne Hülle (Sarcolemma) mit deutlichen Längsfibrillen und grossen rundlichen Kernen, von denen einer zwei Kernkörperchen enthält (beginnende Theilung). C. Ein Primitivbündel, zerzupft und leicht durch Essigsäure gelichtet; ausser einem getheilten Kerne sieht man zwischen den Längsfibrillen feine pfriemenförmige Striche, die Andeutung von Ausläufern der intramuskulären Körper (Lücken, Zellen). — Vergröss. 300.
Zunächst fragt es sich hier also, ob die Gebilde von Membranen begrenzt sind, wie vollständige Zellen, oder nicht; sodann, ob sie nur Lacunen und feinste Kanäle darstellen, oder Körper[55] mit Fortsätzen. Beides ist sehr schwer zu entscheiden, und es ist mir nicht gelungen, constante Resultate zu erlangen. An Froschmuskeln, wie es Sczelkow ganz richtig dargelegt hat[10], findet sich eine so deutlich durch scharfe, dunkle Contouren begrenzte Zeichnung, dass man an der Existenz von Membranen kaum zweifeln möchte; am Herzmuskel des Menschen habe ich häufig, jedoch nicht in der Mehrzahl der Fälle, dasselbe gesehen. Unter pathologischen Verhältnissen, wie von A. Böttcher, namentlich aber von C. O. Weber gezeigt ist, und wie ich bestätigen kann, findet man um die Kerne blasige, durchaus zellenähnliche Gebilde, oder doch sehr deutliche, differente Absätze, z. B. Pigmentkörnchen (in der braunen Atrophie). In der grossen Mehrzahl der Muskeln kann ich von Membranen nichts erkennen und noch weniger Körper oder Fortsätze isoliren. Es ist daher wohl möglich, dass die Beschaffenheit dieser Gebilde eine wechselnde ist; jedenfalls können wir von der Entscheidung dieser Frage unser Urtheil nicht abhängig machen, da wir aus der Entwickelungsgeschichte ganz bestimmt wissen, dass die fraglichen Gebilde im Innern von Zellen entstehen.
Wir müssen daher das Primitivbündel (die Muskelfaser) als eine ursprünglich einfache, jedoch späterhin zusammengesetzte Zelle betrachten, welche im entwickelten Zustande sowohl kernhaltige Muskelkörperchen, als eine specifische Inhaltsmasse umschliesst. Letztere ist es, an der unzweifelhaft die Eigenschaft der Contractilität haftet, und die je nach dem Zustande der Contraction selbst in ihren Erscheinungen variirt, indem sie bei der Contraction kürzer und breiter wird, während die Zwischenräume zwischen den einzelnen Querbändern oder Streifen sich etwas verschmälern. Es erfolgt also bei der Contraction eine Umordnung der kleinsten Bestandtheile, und zwar, wie aus den Untersuchungen von Brücke hervorgeht, nicht bloss der physikalischen Molecüle, sondern auch der sichtbaren anatomischen Bestandtheile. Brücke hat nehmlich, indem er den Muskel im polarisirten Lichte untersuchte, verschiedene optische Eigenschaften der einzelnen Substanzlagen gefunden, derer, welche die Querstreifen und derer, welche die Zwischenmasse darstellen. Jene bestehen aus Theilchen, welche das Licht doppelt brechen (Disdiaklasten), diese nicht.
Bei gewissen Methoden der Präparation kann man den Inhalt eines jeden Muskel-Primitivbündels in Platten oder Scheiben (Bowman's discs) zerlegen, welche ihrerseits wieder aus lauter kleinen Körnchen (Bowman's sarcous elements) zusammengesetzt sind. In Wirklichkeit besteht jedoch der Inhalt des Primitivbündels aus einer grossen Menge feiner Längsfibrillen, von denen jede, entsprechend der Lage der Querstreifen oder scheinbaren Scheiben des Primitivbündels, kleine Körner enthält, welche durch eine blasse Zwischenmasse zusammengehalten werden. Indem nun viele Primitivfibrillen zusammenliegen, so entsteht durch die symmetrische Lage der kleinen Körnchen eben der Anschein von Scheiben, die eigentlich nicht vorhanden sind. Je nach der Thätigkeit des Muskels nehmen diese Theile eine veränderte Stellung zu einander an: bei der Contraction nähern sich die Körner einander, während die Zwischensubstanz kürzer und zugleich breiter wird.
Fig. 27. Glatte Muskeln aus der Wand der Harnblase. A. Zusammenhängendes Bündel, aus dem bei a, a einzelne, isolirte Faserzellen hervortreten, während bei b die einfachen Durchschnitte derselben erscheinen. B. Ein solches Bündel nach Behandlung mit Essigsäure, wo die langen und schmalen Kerne deutlich werden; a und b wie oben. — Vergr. 300.
Verhältnissmässig sehr viel einfacher erscheint die Zusammensetzung der glatten, organischen oder, obgleich weniger bezeichnend, unwillkürlichen Muskelfasern. Wenn man irgend einen Theil derjenigen Organe, worin glatte Muskelfasern enthalten sind, untersucht, so findet man in der Mehrzahl der Fälle[57] zunächst in ähnlicher Weise, wie bei den quergestreiften Muskeln, kleine Bündel, z. B. in der Muskelhaut der Harnblase. Innerhalb dieser Fascikel unterscheidet man bei weiterer Untersuchung eine Reihe von einzelnen Elementen, von denen eine gewisse Zahl, 6, 10, 20 und mehr durch eine gemeinschaftliche Bindemasse zusammengehalten wird. Nach der Vorstellung, welche bis in die letzten Tage allgemein gültig war, würde jedes einzelne dieser Elemente ein Analogon des Primitivbündels der quergestreiften Muskeln darstellen. Denn sobald es gelingt, diese Fascikel in ihre feineren Bestandtheile zu zerlegen, so bekommt man als letzte Elemente lange spindelförmige Zellen, die in der Regel in der Mitte einen Kern besitzen (Fig. 6, b). Nach derjenigen Anschauung dagegen, welche in den letzten Tagen von verschiedenen Seiten anfängt bewegt zu werden, namentlich angeregt durch Leydig's Untersuchungen, würde man vielmehr ein Fascikel, worin eine ganze Reihe von Faserzellen enthalten ist, als Analogon eines quergestreiften Primitivbündels betrachten müssen. Berücksichtige ich jedoch die Entwickelungsgeschichte, so erscheint es mir zweckmässig und den bekannten Thatsachen am meisten entsprechend, die einzelne Faserzelle als Aequivalent des Primitivbündels festzuhalten.
An einer solchen spindelförmigen oder Faser-Zelle ist es schwer, ausser dem Kern und dem Zellkörper etwas Besonderes zu unterscheiden. Bei recht grossen Zellen und bei starker Vergrösserung unterscheidet man allerdings häufig eine feine Längsstreifung (Fig. 6, b), so dass es aussieht, als ob auch hier im Innern eine Art von Fibrillen der Länge nach geordnet wäre, während von einer Querstreifung nur bei der Contraction (Meissner) etwas wahrzunehmen ist. Trotzdem haben die blassen, glatten Muskeln chemisch eine ziemlich grosse Uebereinstimmung mit den quergestreiften, indem man eine ähnliche Substanz (das sogenannte Syntonin Lehmann's) aus beiden ausziehen kann durch verdünnte Salzsäure, und indem gerade einer der am meisten characteristischen Bestandtheile, das Kreatin, welches in dem Muskelfleisch der rothen Theile gefunden wird, nach der Untersuchung von G. Siegmund auch in den glatten Muskeln des Uterus vorkommt. Brücke hat neuerlich auch in glatten Muskeln eine doppeltbrechende Substanz nachgewiesen.
Ausserordentlich häufig findet man bei der Untersuchung von[58] rothen Muskeln pathologisch interessante Stellen, insbesondere Bündel, welche das Bild des Muskels in der sogenannten progressiven (fettigen) Atrophie darbieten. Ein solches degenerirtes Bündel ist meist kleiner und schmäler, und zugleich zeigen sich zwischen den Längsfibrillen kleine Fettkörnchen aufgereiht (Fig. 25, d). Was an den Muskeln die Atrophie überhaupt macht, ist die Verkleinerung des Durchmessers der Primitivbündel, also die Abnahme der Fleischsubstanz; bei der fettigen Atrophie kommt dazu noch die gröbere Veränderung, dass im Innern des Primitivbündels kleine Reihen von Fettkörnchen auftreten, unter deren Vermehrung die eigentliche contractile Substanz an Masse abnimmt. Je mehr Fett, desto weniger contractile Substanz, oder mit anderen Worten: der Muskel wird weniger leistungsfähig, je geringer der normale Inhalt seiner Primitivbündel wird. Auch die pathologische Erfahrung bezeichnet daher als die Trägerin der Contractilität eine bestimmte Substanz.
Sehen wir hier zunächst ab von der Contractilität kleiner Zellen, welche für die Beurtheilung der sogenannten motorischen Vorgänge ohne Bedeutung sind, und halten wir uns an jene Erscheinungen, welche Ortsveränderungen zusammengesetzter Theile bedingen, so finden wir als Grund derselben überall muskulöse Elemente. Während man früher neben der Muskelsubstanz noch manche andere Dinge, z. B. das Bindegewebe (als Ganzes, nicht bloss in seinen Zellen) als contractil annahm, so hat sich, namentlich seit den wichtigen Entdeckungen von Kölliker, die Lehre von den Bewegungen im menschlichen Körper eigentlich auf jene Substanz zurückgezogen, und es ist gelungen, fast alle die so mannichfaltigen und zum Theil so sonderbaren motorischen Phänomene auf die Existenz von grösseren oder kleineren Theilen wirklich muskulöser Natur zurückzuführen. So liegen in der Haut des Menschen kleine Muskeln, ungefähr so gross, wie die kleinsten Fascikel von der Harnblasenwand, aus ganz kleinen Faserzellen bestehende Bündel, welche vom Grunde der Haarfollikel gegen die Haut verlaufen, und welche, wenn sie sich zusammenziehen, die Oberfläche der Haut gegen die Wurzel des Haarbalges nähern. Das Resultat davon ist natürlich, dass die Haut uneben wird und man, wie man sagt, eine Gänsehaut bekommt. Dies sonderbare Phänomen, welches nach den früheren Anschauungen unerklärlich[59] war, wurde sofort und einfach erklärt durch den Nachweis jener rein mikroskopischen Muskeln, der Arrectores pilorum.
Fig. 28. Kleine Arterie aus der Basis des Grosshirns nach Behandlung mit Essigsäure. A kleiner Stamm, B und C gröbere Aeste, D und D feinste Aeste (capillare Arterien). a, a Adventitia mit Kernen, welche, der Längenausdehnung entsprechend, anfangs in doppelter, später in einfacher Lage sich finden, mit streifiger Grundsubstanz, bei D und E einfache Lage mit Längskernen, hier und da durch Fettkörnchenhaufen ersetzt (fettige Degeneration). b, b Media (Ringfaser- oder Muskelhaut) mit langen, walzenförmigen Kernen, welche quer um das Gefäss verlaufen und am Rande (auf dem scheinbaren Querschnitt) als runde Körper erscheinen; bei D und E immer seltener werdende Querkerne der Media. c, c Intima, bei D und E mit Längskernen. Vergr. 300.
So wissen wir gegenwärtig, dass die mittlere Haut grösserer Gefässe grossentheils aus Elementen dieser Art besteht, und dass die Contractionsphänomene der Gefässe einzig und allein auf die Wirkung von Muskeln zurückbezogen werden müssen, welche in ihnen in Form von Ring- oder Längsmuskeln enthalten sind. Eine kleine Vene oder eine kleine Arterie kann sich nur soweit zusammenziehen, als sie mit Muskeln versehen ist; sie unterscheiden sich hauptsächlich durch den Umstand, dass entweder mehr die Längs- oder mehr die Quermuskulatur entwickelt ist.
Diese Beispiele sind besonders geeignet zu zeigen, wie eine einfache anatomische Entdeckung die wichtigsten Aufschlüsse über zum Theil ganz weit auseinanderliegende physiologische Erfahrungen[60] gibt, und wie an den Nachweis bestimmter morphologischer Elemente sofort die wichtigsten Verdeutlichungen von Funktionen geknüpft werden können, die ohne eine solche thatsächliche Voraussetzung ganz unbegreiflich sein würden oder eine ganz willkürliche Erklärung finden müssten.
Ich übergehe es hier, über die feineren Einrichtungen des Nervenapparates zu sprechen, weil ich später im Zusammenhange darauf zurückkommen werde; sonst würde dies der Gegenstand sein, welcher hier zunächst anzuschliessen wäre, weil zwischen Muskel- und Nervenfasern in der Einrichtung vielfache Aehnlichkeiten bestehen. Zu den Nerven gehören aber nothwendig die Ganglienzellen, welche die einzelnen Fasern untereinander verbinden, und welche als die wichtigsten Sammelpunkte des ganzen Nervenlebens betrachtet werden müssen, und ich verspare mir daher die Betrachtung dieser Gebilde für spätere Capitel.
Auch über die Einrichtung des Gefässapparates will ich hier nicht im Zusammenhange handeln, und nur so viel sagen, als nöthig ist, um eine vorläufige Anschauung zu geben.
Das Capillar-Gefäss ist eine einfache Röhre (Fig. 4, c.), welche bei der mikroskopischen Betrachtung aus einer einfachen Haut zu bestehen scheint, an welcher nichts wahrzunehmen ist, als von Strecke zu Strecke platte Kernen, welche, wenn das Gefäss von der Fläche angesehen wird, dasselbe Bild darbieten, wie an den Muskelelementen, welche aber gewöhnlich mehr am Rande bemerkbar werden und hier pfriemenförmig oder oval erscheinen, indem man nur ihre scharfe Kante oder einen kleineren Theil ihrer Fläche wahrnimmt. In der Nähe ihres Ursprunges aus den Arterien schliesst sich äusserlich noch eine feine, aus Bindegewebe bestehende Adventitia an. Bis vor Kurzem war man allgemein der Meinung, dass die Capillar-Membran ganz continuirlich sei und nur aus pathologischen Erscheinungen schloss ich (S. 19. Fig. 10, c.), dass sie in einzelne Zellenterritorien zu zerlegen sei. Mein damaliges Schema ist durch Untersuchungen von Auerbach, Eberth und Hoyer im Jahre 1865 als der Ausdruck einer thatsächlichen Zusammensetzung aus platten Zellen bestätigt worden, deren Grenzen sich durch Anwendung von Reagentien, namentlich von Silbernitrat deutlich nachweisen lassen. Ob man diese Zellen als blosse Epithelien und die Capillaren dem entsprechend als blosse Intercellulargänge zu betrachten habe, ist mir jedoch zweifelhaft, da die Entwickelungsgeschichte[61] der Capillaren mit der sonst bekannten Entstehung der epithelialen Gebilde nicht ganz übereinstimmt.
Diese einfachsten Gefässe sind es, welche wir heut zu Tage einzig und allein Capillaren nennen. Von ihnen können wir nicht sagen, dass sie sich durch eigene Thätigkeit erweitern oder verengern, höchstens dass ihre Elasticität eine Verengung möglich macht. Mit Ausnahme von Stricker hat niemand in neuerer Zeit an ihnen eigentliche Vorgänge der Contraction oder des Nachlasses derselben bemerkt. Die früheren Discussionen über die Contractilität der Capillaren sind wesentlich auf kleine Arterien und Venen zu beziehen, deren Lumen sich durch Contraction ihrer Muskelwand verengt oder sich bei Nachlass der Contraction unter dem Blutdrucke erweitert. Es war dies eine überaus wichtige Thatsache, welche sofort aus der genaueren histologischen Kenntniss der feineren und grösseren Gefässe hervorging; sie lehrte, dass man überhaupt nicht von allgemeinen Eigenschaften, am wenigsten von einer überall in gleicher Weise vorhandenen Thätigkeit der Gefässe sprechen kann, insofern der capillare Theil wesentlich anders gebaut ist, als die kleinen Arterien und Venen. Diese sind höchst zusammengesetzte Organe, während das Capillargefäss eine einfache Röhre von fest elementarem Bau darstellt.
Fußnoten:
[6] Vgl. meine Abhandlung zur normalen und pathologischen Anatomie der Nagel und der Oberhaut, insbesondere über hornige Entartung und Pilzbildung an den Nägeln. Vgl. Würzb. Verhandl. 1854. V. 83.
[7] Vergl. meine Abhandlung über das Bindegewebe in den Würzburger Verhandl. 1851. II. 150.
[8] Archiv f. path. Anatomie und Physiol. 1859. XVI. 15.
[9] Würzb. Verhandl. 1850. I. 189. Archiv f. path. Anat. 1854. VII. 137. Taf. II. Fig. 4.
[10] Archiv f. path. Anat. 1860. XIX. 215. Taf. V.
Ungenügende Ausbildung der anatomischen Kenntniss der Gewebe. Verschiedenartige Lebenserscheinungen an scheinbar gleichartigen Elementen. Praktisches Bedürfniss einer physiologischen Gruppirung:
1) Nach der Function. Motorische Elemente: muskulöse, epitheliale (Flimmerzellen, Samenfäden), bindegewebige (Pigment). Schleimabsonderung: Schleimhäute, Schleimdrüsen, Schleimgewebe.
2) Nach der Lebensdauer der Elemente. Dauer- und Zeitgewebe. Pathologische Aenderung der natürlichen Verhältnisse (Heterochronie). Lehre von der Allveränderlichkeit des Körpers durch Stoffwechsel (Mauserung). Unterscheidung von Dauer- und Verbrauchsstoffen in den Elementen. Wechselgewebe (Metaplasie). Abfällige Gewebe: Epidermis (Desquamation), Decidua uterina. Einfache Zeitgewebe. Oertliche Verschiedenheit der Lebensdauer desselben Gewebes. Nothwendigkeit einer Localgeschichte der Gewebe.
3) Nach der Zeit der Entstehung und des Absterbens der Gewebe (genetische Eintheilung). Jugendliche und senescirende Gewebe. Allgemeine und locale Chronologie der Gewebe. Embryonale Gewebe; unfertige oder unreife: Matricular- und Uebergangsgewebe. Chorda dorsualis. Schleimgewebe. Bildungsgewebe und Vorgewebe (Anlagen, Keimgewebe). Bildungs- oder Primordialzellen. Allgemeine Gültigkeit der Entwickelungsgesetze.
4) Nach der Verwandtschaft und Abstammung. Continuitäts-Gesetz. Heterologe Verbindungen von Gewebselementen. Die histologische Substitution und die histologischen Aequivalente. Abstammung der Elemente (Descendenz).
Die anatomische Eintheilung der Gewebe ist eine wichtige und unerlässliche Vorbedingung für die physiologische Betrachtung derselben, und es ergeben sich, wie wir gesehen haben, aus der Kenntniss des Baus der Theile ohne Weiteres sehr wichtige Aufschlüsse über ihre Thätigkeit. Allein damit allein ist es nicht gethan. Vielmehr ist eine selbständige physiologische Untersuchung nothwendig, um die besondere Bedeutung der einzelnen Gewebe zu ermitteln und für jeden Ort im Körper festzustellen, welche Thätigkeiten von seinen Elementen ausgehen.
Ganglienzellen finden sich an den verschiedensten Orten des Körpers. Niemand zweifelt daran, dass sie im Gehirn eine andere[63] Bedeutung haben, als am Sympathicus, an der Hirnrinde eine andere als im Streifenhügel. Manche Verschiedenheiten der Grösse und Gestalt, der Verbindung und inneren Einrichtung derselben lassen sich an diesen verschiedenen Orten wahrnehmen. Nichtsdestoweniger genügen diese anatomischen Verschiedenheiten nicht, um die physiologisch so verschiedene Energie der einzelnen Gruppen zu erklären.
Epitheliale Zellen kommen unter den mannichfaltigsten Verhältnissen vor. Höchst auffallende Verschiedenheiten ihres Baues finden sich an den einzelnen Orten. Wir begreifen, dass eine Flimmerzelle andere Wirkungen hervorbringt, als ein Epidermisplättchen. Aber wir sind nicht im Stande zu erkennen, warum die Epithelien der Milchdrüse so wesentlich andere Leistungen hervorbringen, als die Epithelien der Speicheldrüsen, oder warum die Flimmerzellen der Hirnventrikel nicht dieselbe physiologische Stellung einnehmen, wie die Flimmerzellen des Uterus.
Wenn wir aus der physiologischen Forschung Verschiedenheiten scheinbar gleichartiger Elemente erkennen, so gelangen wir damit allerdings sofort zu neuen Fragestellungen und Vermuthungen in Beziehung auf die weitere anatomische Untersuchung, und es ist keineswegs unwahrscheinlich, dass man auf dem Wege einer derartigen Untersuchung allmählich zu einer ungleich grösseren Erkenntniss der localen Verschiedenheiten in dem Bau und der Einrichtung histologisch gleichwerthiger Elemente kommen wird, als wir sie gegenwärtig besitzen. Nur darf man bei einer solchen Hoffnung nicht übersehen, dass diese Histologie der Zukunft noch nicht existirt und dass man sich daher vorläufig mindestens noch damit begnügen muss, neben einer anatomischen Ordnung der Gewebe auch noch eine physiologische oder genauer gesagt, mehrere physiologische zuzulassen.
In der That gibt es mehr als ein Principium dividendi für die physiologische Gruppirung der Gewebe. Je nach der Richtung, in welcher die Fragestellung geschieht, fällt auch die Antwort verschieden aus. Der specifische Physiolog wird zuerst immer nach der Function fragen. Welche Thätigkeit übt ein Gewebe aus? Diese Richtung der Untersuchung führt zu einer Eintheilung der Gewebe nach ihrer Function. Eine kurze Umschau ergibt sofort, dass Gewebe, welche ganz verschiedenen anatomischen Gruppen angehören, bei dieser Art der Betrachtung einander genähert[64] werden. Frage ich nach den Geweben, deren Function Bewegung ist, so werde ich zunächst an die Muskeln gewiesen. Aber unzweifelhaft ist auch die Flimmerbewegung Bewegung, unzweifelhaft haben die Samenfäden Bewegung. Und doch knüpft sich hier die Bewegung an epitheliale Erzeugnisse, welche von den eigentlichen Muskeln anatomisch weit entfernt sind. Sollen wir desswegen die Samenfäden zu den muskulösen Elementen oder die letzteren zu den epithelialen rechnen? Gewiss liegt hier ebenso wenig ein Grund zu einer solchen Vereinigung vor, als wenn wir Schwärmsporen und Infusorien vereinigen wollten. Allerdings hat es eine Zeit gegeben, wo man sämmtliche Schwärmsporen zu den Infusorien rechnete, wo sogar die Mehrzahl der beweglichen Algen eben dahin gezählt wurde, aber mit Recht betrachtet man diesen Standpunkt als einen überwundenen.
Die Bewegung „sitzt“ jedoch nicht bloss in muskulösen und epithelialen Elementen; sie findet sich auch an bindegewebigen. Nehmen wir ein zugleich pathologisch interessantes Beispiel. Axmann hatte bei Fröschen gesehen, dass nach Durchschneidung der gangliospinalen Nerven die in der Haut zahlreich verbreiteten Pigmentzellen ihre Strahlen verlieren. Er nannte dies eine Atrophie und schloss daraus auf einen nutritiven Einfluss der gangliospinalen Nerven. Die in Frage stehenden Pigmentzellen sind grosse, sternförmige Bindegewebskörperchen. Bei der Wichtigkeit dieser Angabe beschloss ich eine experimentelle Prüfung derselben und veranlasste Herrn Lothar Meyer zu einer solchen. Alsbald ergab sich, dass es sich um keine Atrophie, sondern um eine Contraction handelte[11]. Die Zellen ziehen ihre Fortsätze ein, ihr Körper vergrössert sich in demselben Maasse, und das früher über eine grössere Fläche vertheilte Pigment häuft sich an einzelnen Stellen an. Das grobe Ergebniss dieser unzweifelhaften Bewegung ist eine Farbenveränderung der Froschhaut.
Wir finden also, dass in allen drei Gruppen der Gewebe motorische Thätigkeit nachweisbar ist, und jeder Denkende wird daher auch veranlasst werden, seine etwaigen Betrachtungen über motorische Elemente oder noch allgemeiner über motorische Gewebe auf alle drei Gruppen auszudehnen. Von diesem Gesichtspunkte aus ergibt sich eine Eintheilung aller Gewebe in zwei Abtheilungen:[65] motorische und nicht motorische. Dagegen lässt sich nicht das Mindeste sagen. Aber man darf auch nicht übersehen, dass diese Eintheilung eine wesentlich praktische ist. Sie mag durchaus wissenschaftlich durchgeführt werden, aber sie greift eine einzige Seite der Betrachtung auf, sie wählt ein einziges Merkmal, eine einzige Eigenschaft aus der ganzen Summe der Merkmale und Eigenschaften dieser Gewebe oder Elemente. Sie kann daher keinesweges als eine eigentlich wissenschaftliche Eintheilung gelten, wenngleich sie für die wissenschaftliche Betrachtung und Untersuchung von dem grössten Nutzen ist.
Unter den Absonderungen hat seit den ältesten Zeiten eine das Interesse der Aerzte ganz besonders auf sich gezogen, die des Schleims. Schon in der koischen Priesterschule wird das Phlegma als einer der vier Cardinalsäfte des Körpers aufgeführt, und noch heute hat sich eine freilich sehr verwischte Erinnerung daran in der Bezeichnung des phlegmatischen Temperamentes erhalten. In der That war die glasige, gallertartige, gequollene Beschaffenheit des Schleims wohl geeignet, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und die Häufigkeit seines Hervortretens unter krankhaften Verhältnissen, die nicht selten bedenkliche Heftigkeit der dadurch bedingten Zufälle berechtigte dazu, den phlegmatischen Krankheiten eine hervorragende Stelle in dem Systeme anzuweisen. Mehr und mehr knüpfte sich jedoch die Forschung über die Schleimabsonderung an die Schleimhäute, und als Bichat sein System der allgemeinen Anatomie aufstellte, hatte er nur eine allseitig anerkannte Ueberzeugung zu fixiren, indem er aus den Schleimhäuten eine besondere Gewebsgruppe machte. Es hat ziemlich lange gedauert, ehe man erkannte, dass glasige Schleimabsonderungen nicht an allen Schleimhäuten vorkommen. Man weiss jetzt, dass wohl die Schleimhaut des Collum uteri ein solches Secret liefert, aber dass dies keineswegs an der „Schleimhaut“ der Vagina oder an der des Corpus uteri der Fall ist. Das Ileum und die Speiseröhre sondern keine zähen Schleimmassen ab, wie sie so reichlich an der Schleimhaut der Luftröhre zu Tage treten.
Man ist so von den Schleimhäuten zu den Schleimdrüsen gekommen, und Mancher hilft sich damit, dass er alle Schleimabsonderung auf diese zurückführt. Aber sonderbarerweise sind gerade manche Schleimhäute, an deren Oberfläche wir die zähesten und klebrigsten Schleimbeschläge finden, wie die der Harnblase[66] und des Collum uteri, ungemein arm an Drüsen, und diese an sich ziemlich unvollkommenen Drüsen sind durchaus nicht als die Specialsitze der Secretion zu erkennen. Wären sie es jedoch, so würde man auf ihre Epithelien als auf die activen Factoren der Absonderung zurückkommen müssen, da bekanntlich der Schleim nicht im Blute präexistirt, also nicht einfach transsudiren kann. Muss man, wie es meiner Meinung nach nothwendig ist, auch eine Schleimabsonderung von der Fläche gewisser Schleimhäute anerkennen, so gelangt man zu demselben Gedanken, dass die Epithelien die Schleimabsonderer seien.
Darf man nun sagen, die Schleimabsonderung sei überall die Function gewisser Epithelialzellen, die man Schleimzellen nennen kann? Die Erfahrung hat gelehrt, dass diese Auffassung irrthümlich ist. Ich habe für eine grosse Reihe physiologischer und pathologischer Gewebe den Nachweis geliefert, dass der Schleim in derselben glasigen, gallertartigen, gequollenen Weise, wie er frei an der Oberfläche der Schleimhäute erscheint, auch im Innern von Geweben und zwar wesentlich als ein intercellularer Stoff vorkommt. Ich sah mich deshalb veranlasst, ein Schleimgewebe aufzustellen, welches weder mit dem Schleimhautgewebe Bichat's, noch mit dem Schleimdrüsengewebe identisch ist. Es ist kein epitheliales Gewebe, sondern ein Glied in der Gruppe der Bindesubstanz. Nichts desto weniger wird man auch an ihm nicht umhin können, den intercellularen Schleim als ein Absonderungsprodukt der Zellen zu betrachten. Nur handelt es sich hier um eine parenchymatöse (innere) und nicht um eine oberflächliche (äusserliche) Absonderung. Aeusserlich kann sie erst werden, wenn an dem Schleimgewebe eine Ulceration eintritt, wie es bei dem Carcinoma mucosum (colloides) vorkommt.
Es finden sich demnach Schleimzellen in zwei verschiedenen Gruppen vor: epitheliale und bindegewebige. Für eine Untersuchung über Schleimentstehung und Schleimabsonderung ist es gewiss nützlich, sich an die Gruppen nicht zu kehren und nur die besonderen Gewebe zusammenzustellen und zu vergleichen, in welchen dieser Vorgang vorkommt. So ist der physiologische Botaniker berechtigt, alle diejenigen Pflanzengewebe zusammenzustellen, in welchen Pflanzenschleim oder Gummi oder Amylon vorkommen, und eine solche Zusammenstellung ist von hohem praktischen Werthe für den Landwirth, den Kaufmann, die Hausfrau. Aber[67] nichts berechtigt, eine solche praktische Eintheilung als die erste Aufgabe des wissenschaftlichen Forschers hinzustellen.
Wenn der physiologische Specialist zuerst nach der Function fragt, so fragt der Patholog, auch wenn er ganz physiologisch zu Werke geht, zuerst nach der Existenz der Theile. Es erklärt sich diese Differenz aus dem Umstande, dass der Physiolog gesunde Verhältnisse voraussetzt und den Bestand des Körpers an Geweben unter solchen Verhältnissen als einen gegebenen und constanten betrachtet, der Patholog dagegen, durch traurige Erfahrungen belehrt, das Zugrundegehen und den Verlust von Theilen als ein nur zu häufiges Ergebniss des kranken Lebens kennt. Für den Arzt handelt es sich vor Allem um die Erhaltung der Theile. Wissenschaftlich analysirt, ist dies die Frage von der Lebensdauer und der Ernährung der Theile.
Nun ist es bekannt, dass die verschiedenen Elemente des Körpers auch im gesunden Leibe eine sehr verschieden lange Lebensdauer besitzen und aus diesem Grunde auch manche Gewebe, ja selbst manche Organe nicht die gleiche Lebensdauer haben, wie der gesammte Körper. Die Pupillarmembran schwindet schon vor der Geburt, die Eihüllen werden mit der Geburt abgeworfen, der Nabelstrang folgt alsbald, das Wollhaar, die Thymusdrüse, die männliche Brustdrüse, die Milchzähne kommen nach und nach an die Reihe, die Eifollikel, die weibliche Brust, die Zähne und das Kopfhaar schwinden bald früher, bald später. Man kommt so ganz natürlich zu einer grossen Zweitheilung in bleibende (permanente) und nicht bleibende (temporäre) Gewebe, oder, wie man kurz sagen kann, in Dauergewebe und Zeitgewebe. Unter letzteren bilden die abfälligen (telae caducae s. deciduae) eine besondere Unterabtheilung. Zwischen den Dauer- und Zeitgeweben stehen in einer höchst eigenthümlichen Stellung die Wechselgewebe (telae mutabiles s. mutantes).
Man muss jedoch sehr vorsichtig sein in der Anwendung dieser Ausdrücke. Unter pathologischen Verhältnissen kann ein Zeitgewebe persistiren und ein Dauergewebe hinfällig werden. Die Thymusdrüse kann sich bis nach der Pubertät erhalten, während sie sonst bald nach der Geburt schwindet. Die männliche Brust kann nicht bloss persistiren, sondern sich auch stärker entwickeln. Und umgekehrt kann bald dieses, bald jenes Gewebe oder Organ schwinden, „phthisisch“ werden, das sonst zu den[68] permanenten gehört. Ein Kind kann ohne Arme und Beine, ohne Herz und Gehirn geboren werden, weil schon die Anlagen im Mutterleibe verkümmerten. Ein ganzer Muskel, eine ganze Niere kann bis auf einen kümmerlichen Rest von Interstitialgewebe „atrophiren“. Ein Fuss kann durch Brand absterben und, wie der Nabelstrang, abgeworfen werden.
An dieser Stelle, wo es sich um physiologische Verhältnisse handelt, berühren uns diese, der Lehre von der Heterochronie angehörigen Fragen nicht. Wir haben es hier nur mit der natürlichen Verschiedenheit der Lebensdauer einzelner Körpertheile, welche der typischen Entwickelung angehören, zu thun. Ein einziges, freilich sehr verbreitetes Vorurtheil tritt uns jedoch entgegen: ich möchte es das Vorurtheil von der Allveränderlichkeit der Körpertheile nennen. In einer bedauerlichen Uebertreibung wohlberechtigter Erfahrungssätze über den Stoffwechsel ist man dahin gekommen, zu berechnen, wie viele Jahre gewisse Theile, wie viele der ganze Körper gebrauche, um gänzlich erneuert zu sein. Die in ihrer Ausschliesslichkeit unannehmbare Lehre von der Mauserung (C. H. Schultz) hatte ein grosses Stück ihrer Popularität dieser Auffassung zu verdanken.
Wie es möglich gewesen ist, die auffälligsten Thatsachen so sehr zu übersehen, ist schwer zu begreifen. Selbst ausgezeichnet hinfällige Theile lassen doch deutlich erkennen, dass, so lange sie existiren, ihre Substanz dauerhaft ist. Man mag den Zahnwechsel, wie den Haarwechsel, eine Mauser nennen, aber nichts berechtigt, die Elemente des Zahns oder des Haares als in fortdauernder Erneuerung begriffen anzusehen. Der Zahnschmelz besteht aus verkalkten Epithelien, welche, soweit wir wahrnehmen können, weder in ihrem Kalk, noch in ihrer organischen Grundsubstanz einer Erneuerung unterliegen. Das Zahnbein kann durch Ersatz aus der Pulpe neuen Zuwachs bekommen, aber weder seine Röhrchen, noch seine Intercellularsubstanz lassen erkennen, dass ihre Molekeln durch neue Molekeln ersetzt werden. Das Bindegewebe, diese so weit verbreitete und so massenhaft im Körper vorhandene Substanz, ist gewiss in allen seinen wesentlichen Bestandtheilen in hohem Maasse dauerhaft. Die Elemente der Linse, trotz ihrer Zartheit, bestehen häufig ohne Veränderung bis zum höchsten Alter.
Diese Beständigkeit der wesentlichen Bestandtheile der[69] Gewebselemente schliesst den Wechsel unwesentlicher nicht aus. Eine Drüsenzelle kann immerfort Stoffe in sich aufnehmen, sie umsetzen und die Umsetzungsprodukte als Secrete wieder ausscheiden, ohne dass ihr histologischer Bestand dadurch unmittelbar betroffen wird. Eine Leberzelle zeigt in der auffälligsten Weise, wie durch die Nahrung allerlei Stoffe in sie eingeführt und eine Zeitlang in ihr abgelagert werden: Fett und Glykogen sind Stoffe, die eine Zeit lang vorhanden sind, um später wieder zu verschwinden. Aber niemand hat dargethan, dass der Kern oder die Körpersubstanz der Leberzellen einem gleichen Wechsel unterliegt. Wir haben vielmehr allen Grund anzunehmen, dass eine Leberzelle von der Zeit der vollendeten Ausbildung des Organs bis zum höchsten Alter persistiren kann, ohne dass sie in allen ihren Bestandtheilen einer Erneuerung unterlegen hat. Auch in dem einzelnen Gewebs-Element (wenngleich keineswegs in jedem) muss man daher Dauerstoffe und Wechselstoffe (Verbrauchsstoffe) unterscheiden.
Das Verhältniss dieser Stoffe zu einander kann zu verschiedenen Zeiten in demselben Elemente sehr verschieden sein. Die grossen glatten Muskelfasern des schwangeren Uterus enthalten offenbar ungleich mehr Verbrauchsstoffe, als die überaus kleinen und gleichsam verkümmerten des ruhenden Uterus. Eine prall gefüllte Fettzelle besteht dem Volumen nach fast ganz aus Wechselstoff; eine atrophische kann beinahe vollständig auf ihre Dauerstoffe zurückgeführt sein. Was wir Stoffwechsel nennen, ist eben keine einfache Umschreibung für Ernährung, wenigstens nicht für Ernährung im strengeren Sinne des Wortes, wo es die auf Erhaltung des Elementes gerichtete Thätigkeit bezeichnet. Mit dieser letzteren haben wir es im Augenblicke allein zu thun. Denn Dauergewebe in unserem Sinne sind solche Gewebe, welche der Regel nach während des ganzen entwickelten Lebens sich erhalten; Zeitgewebe solche, welche sich nur für eine gewisse Zeit erhalten und dann „auf natürliche Weise sterben“.
Auch hier müssen wir vor einer Verwechselung warnen. Ein Gewebe kann aufhören zu existiren, ohne dass es stirbt oder hinfällig wird. Das subcutane Schleimgewebe des Fötus findet sich nicht mehr im Erwachsenen und doch ist es weder geschwunden, noch gestorben. Im Gegentheil, es lebt fort in einer anderen Gestalt, nehmlich als Fettgewebe. Seine Zellen existiren noch, sie[70] erhalten sich durch fortdauernde Ernährung, obwohl sie mit Fett gefüllt sind. Hier handelt es sich also um eine Gewebsumwandelung (Metamorphose, Metaplasie). So hört der Zeitknorpel auf zu existiren, aber seine Elemente bestehen fort, obwohl sie nicht mehr Knorpel-, sondern Mark- oder Knochenkörperchen sind. Der Zeitknorpel verknöchert und wenngleich keineswegs, wie man früher annahm, seine organische Grundlage ganz und gar in dem Knochen als sogenannter Knochenknorpel fortbesteht, so sind doch seine Zellen in die neue Bildung eingegangen. In diesen Wechselgeweben finden wir also Persistenz der Zellen bei Veränderung des Gewebscharakters.
Manche abfälligen Gewebe (telae caducae) bieten gerade das umgekehrte Bild dar. Die Zellen fallen ab, ohne dass der Charakter des Gewebes überhaupt aufhört zu existiren. Das beste Beispiel dafür bietet uns die Epidermis. Die obersten Schichten derselben bestehen eigentlich nicht mehr aus lebenden Elementen. Es sind kernlose, verhornte, zusammengetrocknete Schüppchen, welche noch eine Zeit lang der Unterlage einen Schutz gewähren, aber welche ausser Stande sind, selbst die niederste Leistung des Lebens, die Selbsterhaltung, auszuführen. Sie werden endlich lose und blättern ab, wie die Rinde eines Baumes. Aber schon ist neuer Nachwuchs da, der an ihre Stelle tritt. Immer neue epidermoidale Theile gehen aus dem Rete hervor und trotz aller Verluste an der Oberfläche erhält sich die Oberhaut als Gewebe. Aehnlich ist es mit den Epithelien mancher Drüsen (Milchdrüse), mit dem Blute und der Lymphe.
Unter pathologischen Verhältnissen erreichen die hier erwähnten Verhältnisse ein ungleich höheres Maass und sie werden in demselben Grade auffälliger. An der Oberhaut sind es die desquamativen Prozesse, welche in der allergröbsten Form die allmähliche Abblätterung der oberflächlichen Epidermisschichten erkennen lassen. Eine ähnliche Abblätterung zeigt der Nagel, während die Haare zerklüften und „zerfasern“. Aber auch an Schleimhäuten geschieht Aehnliches: die desquamativen Katarrhe des Darms, der Niere und Harnblase, der Scheide (Fluor albus) bringen die abgelösten Epithelien bald in Form zusammenhängender Lamellen und Fetzen, bald als isolirte Zellen zu Tage.
Aber wir würden das Hauptbeispiel übergehen, wenn wir nicht jener eigenthümlichen Erscheinung gedächten, von welcher ich den[71] Namen für diese Gruppe hergenommen habe: ich meine die Ablösung der Decidua uterina bei der Geburt und während des Wochenbettes, sowie in den selteneren Fällen des Abortus und der Dysmenorrhoea membranacea. Auch diese Haut galt bis in die neuere Zeit als eine Exsudathaut, als eine Pseudomembran von mehr oder weniger strukturloser Beschaffenheit (membrane anhiste Robin). Erst das genauere Studium ihrer Entwickelung hat gelehrt, dass die Decidua keine Pseudomembran, kein Exsudat ist, sondern ein durch Wucherung vergrösserter Theil der Uterinschleimhaut selbst[12]. Sie ist dem entsprechend auch nichts weniger als strukturlos, sondern sie besteht durch und durch aus deutlich geformten Geweben. Aber zum Unterschiede von den bloss desquamativen Prozessen, welche nur das Epithel betreffen, greift die Decidua-Bildung tief in das eigentliche Gewebe der Uterinschleimhaut, denn dasjenige, was sich als puerperale Decidua löst, besteht zum grösseren Theile aus stark vergrösserten Zellen des Bindegewebes. Selbst Gefässe sind durchaus keine Seltenheit in der Decidua, wie sie sich von den Eihäuten des Neugebornen ablösen lässt. Aber, wie bei der Desquamation, so bleibt auch hier ein Theil des Gewebes sitzen, und dieser dient später als Matrix für die regenerative Neubildung.
Sowohl von den Wechselgeweben, als von den hinfälligen Geweben unterscheiden sich die einfachen Zeitgewebe (telae temporariae) dadurch, dass ihre Elemente zu Grunde gehen (absterben), aber nicht durch neue ersetzt werden. Der Meckel'sche Knorpel, ein langer und starker Faden, der sich beim Fötus von dem mittleren Ohr aus an der inneren Seite des Unterkiefers bis zur Symphyse des Kinns erstreckt, schwindet schon mit dem 8. Fötalmonat bis auf die daraus gebildeten Hammer und Ambos. Die Thymusdrüse, eine der grössten Lymphdrüsen des Körpers, „atrophirt“ nach der Geburt gänzlich; alle ihre unzähligen Zellen (Lymphkörperchen) verschwinden; jede Erinnerung ihres lymphatischen Baus geht verloren; an ihrer Stelle findet sich später nur ein kümmerlicher Rest losen Fett- und Bindegewebes. Unter der Ausbildung der Keilbeinhöhlen verschwindet fast alles vorhandene Knochengewebe und Mark aus den sphenoidalen Wirbelkörpern,[72] ohne auch nur eine Spur zu hinterlassen. Die Nabelarterien obliteriren nach der Geburt, d. h. sie verstreichen, ohne dass in den Ligamenta vesicae lateralia, welche an ihre Stelle treten, ein erkennbarer Rest ihrer meist so mächtigen Muscularis übrig bleibt.
Unter Umständen kann das grosse Endergebniss bei den abfälligen Geweben demjenigen bei den einfachen Zeitgeweben sehr ähnlich sein. Wenn epidermoidale Theile immerfort abfallen, so ist die Persistenz des Gewebes, wie wir gesehen haben, nur durch Nachwuchs möglich. Hört jedoch der Nachwuchs gänzlich auf, so wird auch der Defect ein vollständiger und dauernder. Dies kommt allerdings bei der eigentlichen Epidermis nur unter erschwerenden pathologischen Verhältnissen vor, z. B. bei gewissen nässenden Exanthemen; auch beim Nagel nur bei wirklichen Krankheiten des Falzes. Aber es ist ein sehr gewöhnliches Ereigniss bei den Haaren, wenn ihre Matrix, die Haarzwiebel verödet. Es tritt dann dauernde Alopecie ein.
Die Dauerhaftigkeit eines Gewebes ist in keiner Weise abhängig von seiner Festigkeit. Im Gegentheil zeigt sich bei genauerer Untersuchung, dass gerade die Weichtheile (Gehirn und Nerven, Muskeln, manche Drüsen) sich einer grossen Beständigkeit ihrer Elemente erfreuen, während das Knochengewebe, nächst dem elastischen das festeste des ganzen Körpers, durchaus nicht jene Starrheit und Unveränderlichkeit zeigt, welche sprüchwörtlich geworden ist. Die Verknöcherung schützt nicht vor dem Wechsel. Mit verhältnissmässiger Leichtigkeit wird das Knochengewebe wieder weich und verwandelt sich durch Metaplasie in Mark.
Wir stossen hier auf eine neue und nicht wenig verwirrende Eigenschaft der thierischen Gewebe. Dasselbe Gewebe kann je nach dem Orte, an dem es vorkommt, ein Dauer-, ein Wechsel- und ein Zeitgewebe sein. Unzweifelhaft bestehen gewisse Theile der Knochen mindestens von der Pubertät an, manche schon länger, bis zum Tode, sind also ausgezeichnetes Dauergewebe. Andere dagegen tragen in ebenso ausgezeichnetem Sinne den Charakter des Wechselgewebes, indem sie mit fortschreitendem Alter sich in Mark verwandeln. Andere endlich, wie das Keilbein, gewisse Theile des Felsenbeins schwinden schon bald nach der Pubertät und an ihre Stellen treten, wie bei den Vögeln,[73] luftführende Räume. Es gibt also eine tela ossea permanens, eine t. o. mutans und eine t. o. temporaria s. transitoria. Von den Knorpeln ist es längst anerkannt, dass es Dauerknorpel (cartilagines permanentes) und Zeitknorpel (cartilagines temporariae) gibt. Man kann demnach auf Grund der Lebensstatistik der Gewebe keine allgemeingültige Eintheilung derselben machen, sondern man kann nur für die einzelnen Orte im Körper statistisch feststellen, ob ein bestimmtes Gewebe an dieser Stelle permanent oder nur temporär vorkommt.
Eine solche Kenntniss ist aber unentbehrlich für die Uebersicht der Lebensvorgänge. Indem wir ersehen, dass die Thymusdrüse im ersten Lebensjahre schon hinschwindet, während die übrigen Lymphdrüsen bis zum Greisenalter und zum Tode aushalten, indem wir lernen, dass die Gefässe des Glaskörpers schon vor der Geburt obliteriren, während die der Retina fortbestehen, indem wir erkennen, dass der Müller'sche Faden beim Manne früh obliterirt, während der Wolff'sche Gang sich zum Vas deferens entwickelt, so erschliesst sich uns sofort der Einblick in eine Reihe bemerkenswerter Eigenthümlichkeiten der Entwickelung. Dass die Schädel-Synchondrosen früh verknöchern, während die Wirbel-Synchondrosen knorpelig blieben, dass das Schleimgewebe um die Niere in Fettgewebe übergeht, während dasjenige im Glaskörper seine Beschaffenheit bewahrt, ist auf den ersten Blick schwer verständlich, aber nothwendig zu wissen, um die Local-Geschichte und örtliche Bedeutung der Gewebe zu würdigen.
Die Local-Geschichte der Gewebe erhält jedoch ihre Vervollständigung erst durch eine genaue Zeitbestimmung, bei der sowohl Anfang, als Ende des Gewebes festzustellen ist. Wir kommen damit auf die ebenso schwierige, als wichtige genetische Untersuchung, deren Einführung in die moderne Pathologie ich seit einer langen Reihe von Jahren mit besonderem Eifer zu fördern bestrebt gewesen bin. Nicht alle Gewebe des Körpers entstehen zu derselben Zeit und nicht alle sterben zu gleicher Zeit. Auch in dieser Beziehung stellt der Organismus keine Einheit dar, sondern nur eine Gemeinschaft, und die Bezeichnungen, welche wir für die Entwickelungsperioden des Gesammt-Organismus mit Recht wählen, passen keineswegs für die einzelnen Theile und Gewebe. Es gibt jugendliche Gewebe im hohen Greisenalter[74] und senescirende[13] Gewebe im Fötus. Selbst der Bulbus des ergrauten Haares erzeugt doch immer noch neue Elemente und bis zum Tode hin strömen immer wieder junge Blutkörperchen in die Gefässe ein. Andererseits sieht schon das fötale Leben zahlreiche Elemente zu Grunde gehen. Der Meckelsche Knorpel und der Wolff'sche Körper sind grösstentheils verschwunden, wenn das Kind zur Welt kommt; die Pupillarmembran, die Vasa omphalomesaraica haben um dieselbe Zeit aufgehört zu existiren. Manche Gewebe lassen sich in eine allgemein-chronologische Reihenfolge bringen. Schleimgewebe ist im Allgemeinen früher da, als Fettgewebe; Knorpel früher, als Knochen. Rothe Blutkörperchen sind jünger, als farblose. Aber dies gilt nicht allgemein. Denn die Bildung des Schleimgewebes ist nicht überhaupt abgeschlossen, wenn die des Fettgewebes beginnt; sie ist nur abgeschlossen an der Stelle, wo Schleimgewebe in Fettgewebe übergeht. An anderen Orten kann neues Schleimgewebe entstehen, während das früher vorhanden gewesene seine Metaplasie längst gemacht hat. Farblose Blutkörperchen bilden sich von Neuem, nachdem unzählige rothe zu Grunde gegangen sind. Dieselbe Art von Gewebe kann also an einem Orte jünger, an einem anderen Orte älter sein. An der Epiphyse eines Röhrenknochens beginnt die Knochenbildung zu einer Zeit, wo die Diaphyse schon seit Monaten zum grossen Theil verknöchert ist. An den Lippen erreicht die Haarbildung zur Zeit der Pubertät die Stärke, welche sie an der Schädelhaube schon in dem ersten Lebensjahre zu zeigen pflegt.
Manche sonst verdiente Forscher haben den Sinn solcher Erscheinungen gänzlich verkannt. Sie sprechen z. B. von embryonalen oder fötalen Geweben im Erwachsenen. Dies ist ein blosses Spiel mit Worten. Ein Gewebe, welches schon im Embryo vorhanden ist und sich als solches extrauterin erhält, ist darum kein embryonales. Permanenter Knorpel, permanentes Schleimgewebe sind eben so wenig embryonal, als die Krystalllinse oder die Hornhaut. Wenn jedes Gewebe, das sich im Erwachsenen so vorfindet, wie es im Fötus besteht, fötal genannt werden sollte, so könnte man auch die Epidermis des inneren Präputialblattes fötal nennen, weil sie feucht zu sein pflegt und eine Vernix caseosa liefert. Embryonal[75] im strengeren Sinne des Wortes (d. h. dem Embryo angehörig) ist nur ein unfertiges, unreifes oder Uebergangs-Gewebe aus der früheren Zeit des intrauterinen Lebens. Embryonale Muskeln sind schmale und verhältnissmässig kurze Cylinder oder Faserzellen mit schmalen Lagen von Fleischsubstanz im Innern. Embryonale Nerven haben noch keine Markscheide. Embryonales Bindegewebe hat noch runde Zellen und eine nicht-faserige Zwischensubstanz. Aber nicht jedes unfertige Gewebe ist darum embryonal. Das Rete Malpighii, die Haarzwiebel, die Zahnpulpe sind und bleiben unfertige Gewebe, denn es soll aus ihnen Epidermis, Haar, Zahnbein entstehen. Sie werden überhaupt niemals fertig, denn sie sind eben zum Nachwuchs bestimmt, sie sind Matricular-Gewebe, welche nicht bloss den Mutterboden für die Ersatzzellen darstellen, sondern welche aus sich selbst durch Proliferation diese Ersatzzellen hervorbringen. Die Mehrzahl der gewöhnlichen Matricular-Gewebe findet sich daher in Verbindung mit abfälligen Geweben; eine kleinere Zahl besorgt gelegentlich das Ersatz-Geschäft für die Wechselgewebe, z. B. Knorpel und Beinhaut für den Knochen. Zwischen der Matrix und dem daraus hervorgegangenen Tochtergewebe ist die Stelle, wo man das Uebergangsgewebe (tela transitoria) zu suchen hat, und nur in dem Falle, dass die ganze Matrix durch die Proliferation aufgezehrt wird, wie es im Ovulum geschieht, welches in seiner Totalität in Bildungszellen aufgeht, tritt das Uebergangsgewebe als eigentlich embryonales für eine gewisse Zeit hindurch scheinbar ganz selbständig auf.
Wirklich embryonal sind eben nur Gewebe des Embryo. Der Nabelstrang z. B. besteht seinem grössten Theile nach aus embryonalem Schleimgewebe; der Glaskörper des Embryo desgleichen. Aber man hat kein Recht, auch den Glaskörper des Erwachsenen aus embryonalem Schleimgewebe bestehen zu lassen, bloss deshalb, weil das Schleimgewebe in ihm persistirt. Hier liegt vielmehr ein Dauergewebe vor, welches mit dem Augenblicke der Geburt aufgehört hat, embryonal zu sein.
Es giebt vielleicht kein Gewebe, welches in einem so hohen Maasse den Charakter eines embryonalen Zeitgewebes an sich trägt, als die Chorda dorsualis (Notochorde R. Owen). Es ist dies ein aus grossen, blasigen Zellen zusammengesetzter Strang, welcher ursprünglich durch die ganze Ausdehnung der später von[76] den Wirbelkörpern und den Zwischenwirbelscheiben eingenommenen Region vom Keilbein bis zum Steissbein hindurchläuft. Er stellt ein fast reines Zellengewebe dar, welches man versucht sein könnte, den Epithelialformationen anzureihen, wenn er nicht seiner ganzen Stellung nach den Geweben der Bindesubstanz angehörte. Indes bleibt die Intercellular-Secretion an ihm auf ein Minimum beschränkt. Früher nahm man allgemein an, dass nur bei den niedrigsten Fischen die Chorda persistire, dass sie dagegen bei allen höheren Wirbelthieren und namentlich beim Menschen ein rein embryonales oder fötales Gewebe sei, welches schon vor der Geburt gänzlich verkümmere. Erst Heinrich Müller hat dargethan, dass ein Theil der Chorda sich noch nach der Geburt erhält. Daraus folgt, dass genau genommen selbst dieses Gewebe den Namen eines embryonalen nur während einer gewissen Zeitdauer verdient; der laxere Gebrauch, auch die nach der Geburt noch fortbestehenden Theile fötal zu nennen, rechtfertigt sich nur dadurch, dass dieselben in der That nur einen für das spätere Leben bedeutungslosen Rückstand einer fötalen Bildung darstellen.
Eine derartige Concession darf jedoch nicht zu immer weiteren Forderungen gemissbraucht werden. Was soll man davon sagen, wenn im Ernst von einigen Schriftstellern erklärt wird, das Schleimgewebe sei embryonales oder fötales Bindegewebe? Sieht man nicht, dass man mit gleichem Rechte das Knorpelgewebe aus der Reihe der selbständigen Gewebe streichen und dasselbe einfach als embryonales Knochengewebe bezeichnen könnte? Ich will gar nicht davon sprechen, dass nicht einmal die vorausgesetzte Thatsache richtig ist, indem das Schleimgewebe gewöhnlich in Fettgewebe, aber nicht in eigentliches Bindegewebe übergeht. Aber gesetzt, es wäre richtig, dass Schleimgewebe das Bildungsgewebe für Bindegewebe sei, so muss man sich doch darüber klar werden, dass nicht jedes Bildungsgewebe (tela formativa s. formans) embryonal genannt werden kann, gleichviel zu welcher Zeit des Lebens es sich findet. Es gibt dreierlei Arten von Bildungsgewebe: Matriculargewebe (Matrices) im engeren Sinne des Wortes, welche durch Proliferation, also durch Hervorbringung neuer Elemente, ein Tochtergewebe erzeugen, neben welchem sie fortbestehen, blosse Vorgewebe (telae praecursoriae), welche durch die Proliferation verzehrt werden und nach der Erzeugung der neuen Gewebe nicht mehr vorhanden sind, und endlich[77] Uebergangsgewebe (telae transitoriae), welche sich durch Metaplasie, ohne wesentliche Veränderung in der Zahl ihrer Elemente, in andere Gewebe umbilden. Im Embryo kommen alle drei Arten vor, und man fasst sie gelegentlich wohl unter dem Sammtnamen der Anlagen oder Keimgewebe (telae germinativae) zusammen.
Die Eizelle ist gewissermaassen der Prototyp eines Vorgewebes, denn obwohl durch fortschreitende Proliferation aus ihr die späteren Gewebe des Embryo hervorgehen, so hört sie selbst doch auf zu existiren. Sie verhält sich in dieser Beziehung, wie jene Epithelialzellen, aus deren Wucherung die von ihnen selbst ganz verschiedenen Drüsenzellen hervorgehen. So erklärt es sich, dass auch die Drüsenbildung eine einmalige ist, die sich nicht fortsetzt oder wiederholt, wie die Bildung der Haare oder des Nagels oder der Epidermis, bei denen ein gewisser Theil der germinativen Zellen als Matrix persistirt. Die Haarzwiebel, die Falzzellen des Nagels, das Rete Malpighii wuchern ebenfalls, aber nicht alle ihre Elemente gehen gleichzeitig oder kurz nach einander in das neue Gewebe auf. So ist der Knorpel eine wahre Matrix, die trotz reichlichster Wucherung an den meisten Orten noch einen gewissen Rest unversehrter Substanz übrig behält, aus welcher immer wieder von Neuem Mark und Knochengewebe erzeugt werden können. Allerdings besteht, wie leicht ersichtlich, zwischen den Vorgeweben und den Matriculargeweben keine scharfe Grenze. Die Bildung der Krystallinse wird frühzeitig abgeschlossen, und, wie wir gesehen haben, niemals später wird nach dem Verlust derselben eine neue vollständige Linse regenerirt. Nichtsdestoweniger persistirt ein gewisser Theil der germinativen Zellen und eine unvollständige Reproduction der Linse ist daher allerdings möglich. Das Kapsel-Epithel ist demnach mehr als Matrix und nicht als blosses Vorgewebe aufzufassen.
Manche embryonale Gewebe erscheinen unter Verhältnissen, wo man versucht wird, sie entweder für Matriculargewebe oder wenigstens für Vorgewebe zu halten. Die Chorda dorsualis liegt inmitten der späteren Wirbelkörper und ihr knorpelartiger Charakter legte es nahe, in ihr die erste Anlage der späteren Wirbelkörper und zwar namentlich der knorpeligen Matrices derselben zu sehen. In der That hat man geglaubt, dass aus ihr oder doch aus ihrer Scheide die Vertebralknorpel hervorgingen. Erst die[78] neuere Forschung hat gelehrt, dass dies ein Irrthum war, indem die Knorpel ausserhalb der Chorda und ihrer Scheide entstehen. Aehnlich war es mit dem sogenannten Meckel'schen Knorpel, dessen Lage in unmittelbarer Verbindung mit dem Unterkiefer es wahrscheinlich machte, dass er wirklich die Matrix des Unterkiefers sei. Aber auch hier erweist sich der Knochen als eine äussere Belagsmasse des Knorpels. Während der letztere daher sich hier als ein rein fötales Zeitgewebe darstellt, so gehen aus seinem hinteren Ende allerdings der Hammer und Ambos, namentlich in sehr deutlicher Weise der Hammerfortsatz hervor, und es erweist sich daher dasselbe Gebilde, welches an seinem vorderen Ende eine bloss temporäre Bedeutung hat, in seinem hintersten Abschnitte als ein wirkliches Vorgewebe.
Was die Uebergangsgewebe betrifft, so entstehen sie entweder aus den Vorgeweben oder aus Matriculargeweben. Die aus der Furchung der Eizelle entstehenden Ur- oder Bildungszellen (cellulae primordiales s. formativae) bieten ein schönes Beispiel dafür. Die farblosen Blutkörperchen stehen ihnen nahe. Manche Uebergangselemente zeichnen sich durch ganz besondere, sonst fast gar nicht normal vorkommende Formen aus. Ich erinnere in dieser Beziehung an die vielkernigen Riesenzellen des Knochenmarks. Andere Uebergangselemente wiederum haben so indifferente und gleichmässige Formen, sie stellen so sehr die einfachste Erscheinung nicht differenzirter Zellen dar, dass man gerade deshalb vielfach geneigt ist, sie sämmtlich zu identificiren, und, wie früher unter dem Namen von Primordial- oder Exsudatzellen, so jetzt unter dem der farblosen Blutkörperchen zusammenzufassen. Gerade im Knochenmark, wie in der Milz, kommen neben grossen und vielkernigen Elementen solche kleine, runde, einfache Zellen sehr häufig vor.
Der entwickelte Organismus zeigt in allen diesen Beziehungen keine durchgreifenden Verschiedenheiten von dem fötalen. Die blosse Form der Elemente oder Gewebe genügt daher keineswegs, dieselben für fötal oder embryonal auszugeben. Die Gesetze der Entwickelung gelten für alle Zeiten des Lebens, und wenn dieselben nicht zu allen Zeiten in gleicher Ausdehnung und Häufigkeit zur Geltung kommen, so darf man darüber nicht vergessen, dass die Bedingungen nicht zu allen Zeiten gleiche sind. Eine correcte Terminologie ist aber nur zu gewinnen, wenn[79] wir jedem Lebensalter seine besondere Beziehung lassen. Gerade die Pathologie muss in dieser Beziehung besonders streng sein, da ihr Erfahrungsgebiet eine grosse Reihe von Erscheinungen umfasst, welche im gewöhnlichen Leben auf gewisse Zeiten der Entwickelung, z. B. auf das embryonale Leben beschränkt sind, welche aber unter krankhaften Verhältnissen zu ganz ungehörigen Zeiten auftreten. Muskel- und Nervenfasern von ganz embryonalem Charakter können im Zeitalter der Pubertät oder noch später entstehen, aber wenn man sie ihres Charakters wegen embryonal nennen wollte, so würde man Gefahr laufen, die grösste Verwirrung hervorzurufen.
Es erhellt aus diesen Erörterungen, dass wir trotz der Wichtigkeit der physiologischen Gesichtspunkte doch einer rein anatomischen Classification der Gewebe nicht entbehren können. Sie bildet für die Physiologie und Pathologie eine ebenso nothwendige Grundlage, wie die anatomische Classifikation der Pflanzen und Thiere für die Botanik und die Zoologie. Gleichwie jedoch der Botaniker und der Zoolog jede einzelne Species und Varietät, ja wie der Gärtner und der Viehzüchter jedes Individuum von Baum und Thier besonders in seinen Eigenschaften und Eigenthümlichkeiten studiren muss, so wird auch der Physiolog und noch mehr der Patholog auf eine gleiche Individualisirung und Localisirung seiner Forschungen hingewiesen.
Bevor ich jedoch diese Betrachtungen schliesse, muss ich noch ein Paar Augenblicke bei der Erörterung einiger wichtiger principieller Punkte verweilen, welche die thierischen Gewebe in ihrer Verwandtschaft unter einander und Abstammung von einander betreffen, und welche wiederholt zu allgemeinen, mehr physiologischen Formulirungen Veranlassung gegeben haben.
Als Reichert es unternahm, die Gewebe der Bindesubstanz zu einer grösseren Gruppe zusammenzufassen, ging er hauptsächlich von dem philosophischen Satze aus, dass der Nachweis der Continuität der Gewebe über ihre innere Verwandtschaft entscheiden müsse. Sobald man erkennen könne, dass irgend ein Theil mit einem andern continuirlich (durch inneren Zusammenhang, nicht durch blosses Zusammenstossen) verbunden sei, so müsse man auch beide als Theile eines gemeinschaftlichen Ganzen betrachten. Auf diese Weise suchte er zu beweisen, dass Knorpel, Beinhaut, Knochen, Sehnen u. s. f. wirklich ein Continuum,[80] eine Art von Grundgewebe des Körpers bildeten, die Bindesubstanz, welche an den verschiedenen Orten gewisse Differenzirungen erfahre, ohne dass jedoch der Charakter des Gewebes als solchen dadurch aufgehoben würde. Dieses sogenannte Continuitäts-Gesetz hat bald die grössten Erschütterungen erfahren, und gerade in der jüngsten Zeit sind so gefährliche Einbrüche in dasselbe geschehen, dass es kaum noch möglich sein dürfte, daraus ein allgemeines Kriterium für die Bestimmung der Art eines Gewebes herzunehmen. Man hat immer neue Thatsachen für die Continuität solcher Gewebs-Elemente beigebracht, welche nach Reichert toto coelo auseinander gehalten werden müssten, z. B. von Epithelial- und Bindegewebe; insbesondere haben sich die Angaben gehäuft, dass cylindrische Epithelzellen in fadenförmige Fasern auslaufen, welche direct in Zusammenhang treten mit Bindegewebs-Elementen, z. B. am Darm. Ja, man hat sogar in der neuesten Zeit eine Reihe von Angaben gemacht, nach denen solche Zellen der Oberfläche nach Innen fortgehen und dort mit Nervenfasern in unmittelbarem Zusammenhang stehen sollten, z. B. am Gehirn. Was das letztere betrifft, so muss ich bekennen, dass ich noch nicht von der Richtigkeit der Darstellung überzeugt bin, allein was den ersteren Fall anbelangt, so besteht ein wirkliches Continuitäts-Verhältniss der Elemente. Man ist also nicht mehr im Stande, scharfe Grenzen zwischen jeder Art von Epithel und jeder Art von Bindegewebe zu ziehen; es ist dies nur da möglich, wo Plattenepithel sich findet, und auch hier nicht überall, während die Grenzen zweifelhaft sind überall, wo Cylinder-Epithel existirt.
Ebenso verwischen sich die Grenzen auch anderswo. Während man früher zwischen Muskel- und Sehnen-Elementen eine scharfe Grenze annahm, so hat sich auch hier, zuerst durch Hyde Salter und Huxley, ergeben, dass an die Elemente des Bindegewebes direct Faserzellen sich anschliessen, welche nach und nach den Charakter quergestreifter Muskeln annehmen. Auf diese Art ergeben sich in dem Bindegewebe sowohl mit den Elementen der Oberfläche, als mit den edleren Elementen der Tiefe continuirliche Verbindungen. Erwägt man nun andererseits, dass die Elemente des Bindegewebes aller Wahrscheinlichkeit nach bestimmte Beziehungen zu dem Gefässapparat, insbesondere zu den Lymphgefässen haben, so liegt es sehr nahe, in[81] dem Bindegewebe eine Art von indifferentem Sammelpunkt, eine eigenthümliche Einrichtung für die innere Verbindung der Theile zu sehen, eine Einrichtung, die allerdings nicht für die höheren Funktionen des Thieres, aber wohl für die Ernährung und Entwickelung von der allergrössten Bedeutung ist.
Noch viel auffälliger sind die Beziehungen zwischen den letzten Verzweigungen der peripherischen Nerven und den Elementen anderer Gewebe. Seit Doyère hat sich die Aufmerksamkeit hauptsächlich der Verbindung zwischen den letzten Ausläufern der motorischen Nerven und den Muskelprimitivbündeln zugewendet, und es ist nicht mehr zweifelhaft, dass die ersteren das Sarkolemm durchbohren und in direkten Contakt mit der Fleischsubstanz treten. Noch weiter gehen die Verbindungen zwischen den terminalen Nerven und den Epithelien. Hensen hat in Froschlarven die Nervenfädchen bis zu den Kernkörperchen der Hautepithelien verfolgt; Lipmann hat Aehnliches an dem hinteren Epithel der Hornhaut und selbst an den Körperchen der Hornhaut wahrgenommen. Pflüger sah die letzten Nervenausläufer an die Zellen der Speicheldrüsen treten.
An die Stelle des Continuitätsgesetzes muss man daher nothwendig etwas Anderes setzen. Nicht der Zusammenhang zwischen den Theilen, welcher möglicherweise erst einer späteren Entwickelungszeit angehört, und welcher Verbindungen zwischen Theilen sehr verschiedener Natur herbeiführen kann, sondern die Entstehung ist entscheidend. Die Verwandtschaft der Gewebe führt zurück auf eine gemeinsame Abstammung (Descendenz). Allerdings lehrt die Geschichte des befruchteten Ei's, dass in letzter Abstammung die verschiedenartigsten Gewebe von einem gemeinschaftlichen Anfange ausgehen, aber in dem Fortgange der Proliferation kommen wir an gewisse Stadien, wo die einzelnen Zellen oder Zellengruppen ihre Differenzirung beginnen, und von hier aus kehrt jede Zelle oder Zellengruppe ihre besondere Eigenthümlichkeit heraus. Eine gewisse Familienähnlichkeit kann ihnen allen anhaften; nichtsdestoweniger geht eine jede Gruppe ihren eigenen Weg, der von dem der anderen verschieden ist. Bei Menschen einer bestimmten Race finden sich gewisse Eigenschaften der Haare und der Haut, des Schädel- und Zahnbaus, der Grösse und des Umfanges der verschiedensten Skelettheile mit so grosser Beständigkeit wieder, dass wir aus einzelnen Merkmalen auf die Anwesenheit[82] der anderen schliessen können. Der gemeinsame Ursprung aller Gewebe von dem einen befruchteten Ei gibt die allerdings nur grobe Erklärung dieser Erfahrung. Von Zelle zu Zelle pflanzt sich wenigstens etwas aus dem ursprünglichen Vorgewebe fort. Je mehr sich die Matriculargewebe ausbilden, um so sichtbarer wird die Verwandtschaft ihrer Derivate unter einander. Wenn aus dem Rete Malpighii des Embryo einerseits Haarzwiebeln, andererseits Schweiss- und Talgdrüsen entstehen, so lässt sich vermuthen, dass eine gewisse Beziehung zwischen Haarbildung und Absonderung von Schweiss und Talg bestehen muss, und es begreift sich, dass Beides bei einem Neger anders ist, als bei einem Weissen.
Eine genauere Kenntniss der Stammbäume der Gewebe wird manches noch jetzt bestehende Räthsel lösen. Leider sind die embryologischen Erfahrungen noch keineswegs sicher genug, um auch nur eine Uebersicht zu geben. Hat doch erst in neuerer Zeit His alle früheren Vorstellungen angegriffen, indem er das embryonale Bindegewebe gar nicht von der Eizelle, sondern von dem Dotter ausgehen lässt, der sich ausserhalb derselben befindet. Schon die früheren Embryologen waren darin einig, dass eine andere Quelle für das Bindegewebe, als für die Epithelialformation besteht, dass besondere Heerde für Muskel- und Nervenbildung existiren. Je weiter die Forschung schreitet, um so sicherer wird sich von diesem Felde aus die genetische Topographie des Körpers gestalten lassen.
Für den erwachsenen Körper, ja schon für die späteren Zeiten der fötalen Entwickelung ist von entscheidender Wichtigkeit das Gesetz der histologischen Substitution. Bei allen Geweben derselben Gruppe besteht die Möglichkeit, dass sie gegenseitig für einander eintreten. Zu verschiedenen Zeiten des Lebens finden sich an derselben Stelle verschiedene Glieder einer Gewebsgruppe. Bei verschiedenen Thierklassen wird an einem bestimmten Orte des Körpers das eine Gewebe ersetzt durch ein analoges Gewebe derselben Gruppe, mit anderen Worten, durch ein histologisches Aequivalent.
Eine Stelle, welche Cylinderepithel trägt, kann Plattenepithel bekommen; eine Fläche, die anfänglich flimmerte, kann später gewöhnliches Epithel haben. So treffen wir an der Oberfläche der Hirnventrikel zuerst Flimmer-, späterhin einfaches Plattenepithel. Die Schleimhaut des Uterus flimmert für gewöhnlich, aber in der[83] Gravidität wird die Schicht der Flimmercylinder an der Decidua ersetzt durch eine Lage von Plattenepithel. An Stellen, wo weiches Epithel vorkommt, entsteht unter Umständen Epidermis, z. B. an der vorgefallenen Scheide, an den Stimmbändern. In der Sclerotica der Fische findet sich Knorpel, während sie beim Menschen aus dichtem Bindegewebe besteht; bei manchen Thieren kommen an Stellen der Haut Knochen vor, wo beim Menschen nur Bindegewebe liegt, aber auch beim Menschen wird an vielen Stellen, wo gewöhnlich Knorpel liegt, zuweilen Knochengewebe gefunden, z. B. an den Rippenknorpeln. Knorpel kann sich in Schleimgewebe, dieses in Fettgewebe oder in Knochengewebe umwandeln, wie es bei der gewöhnlichen Knochen-Entwickelung der Fall ist. Am auffälligsten sind diese Substitutionen im Gebiete der Muskeln. Der Oesophagus besitzt in seinem oberen Abschnitte quergestreifte, im unteren glatte Muskelfasern. Bei einigen Fischen findet sich quergestreifte Muskulatur an Theilen des Nahrungskanals, wo die anderen glatte haben, z. B. am Magen des Schlammpeitzgers (Cobitis) und am Darm der Schleie (Tinca).
Nicht alle diese Substitutionen sind gleichwerthig. Ein Theil derselben führt direkt auf Metaplasie (S. 70) zurück, indem die Elemente persistiren und entweder ihren Charakter ändern, oder eine andere Art von Intercellularsubstanz abscheiden. Wenn Knorpel in Schleimgewebe übergeht, so bleiben seine Zellen bestehen und die Intercellularsubstanz wird weich. Ein anderer Theil der Substitutionen, nehmlich alle diejenigen, bei welchen es sich um verschiedene Arten von Thieren handelt, also alle diejenigen, welche der vergleichenden Anatomie angehören, zeigt uns parallele, aber nicht continuirliche Reihen. Haare und Federn sind parallele, Knorpel und Knochen continuirliche Aequivalente.
Fußnoten:
[11] Mein Archiv 1854. Bd. VI. S. 266.
[12] Froriep's Neue Notizen 1847. März. No. 20. Gesammelte Abhandlungen zur wissenschaftl. Medicin Frankf. 1856. S. 775.
[13] Mein Handbuch der spec. Path. u. Ther. 1854. Bd. I. S. 310.
Die pathologischen Gewebe (Neoplasmen) und ihre Classification. Bedeutung der Vascularisation. Die Doctrin von den specifischen Elementen: Krebs, Tuberkel. Die physiologischen Vorbilder (Reproduction). Einfache (histioide) und zusammengesetzte (organoide und teratoide) Neubildungen. Homologie und Heterologie (Heterotopie, Heterochronie, Heterometrie). Malignität. Hypertrophie und Hyperplasie. Kriterien der Homologie. Degeneration. Prognostische Gesichtspunkte.
Ungewöhnliche Analogien der pathologischen Gewebe: Krebs, Sarkom (Spindelzellen, Riesenzellen). Abstammung der pathologischen Gewebe: Continuität der Entwickelung, Discontinuität des Typus. Pathologische Substitutionen und Aequivalente. Homologe und heterologe Substitution. Bildung per primam aut secundam intentionem. Verschiedenartige Entstehung derselben Gewebe unter verschiedenen Bedingungen: Knochen, Bindegewebe. Organisation fibrinöser Blasteme. Metaplasie. Verschiedenartige Abstammung derselben Gewebsart.
Wenn man von pathologischen Geweben spricht, so kann man natürlich damit nur die pathologisch neu entstandenen meinen, und nicht etwa die durch irgend eine pathologische Störung veränderten physiologischen Theile. Es handelt sich also hier um eigentliche Neubildungen, Neoplasmen, um das, was im Laufe pathologischer Processe an neuen Geweben zuwächst, und es fragt sich: lässt sich das, was wir physiologisch als allgemeine Typen der Gewebe hingestellt haben, auch pathologisch festhalten? Darauf antworte ich ohne Rückhalt: ja, und so sehr ich auch darin abweiche von vielen der lebenden Zeitgenossen, so bestimmt man auch noch in den letzten Jahren die ganz besondere (specifische) Natur der Elemente vieler pathologischen Gewebe hervorgehoben hat, so bin ich doch überzeugt, dass jedes pathologische Gebilde ein physiologisches Vorbild hat, und dass keine pathologische Form entsteht, deren Elemente nicht zurückgeführt werden könnten auf ein in der thierischen Oekonomie gegebenes Vorbild.
Die Classification der pathologischen Neubildungen ist früherhin meistentheils versucht worden vom Standpunkte der Vascularisation aus. Bis zur Zeit der Zellentheorie hat man die Frage von der Organisation bestimmter Theile entschieden durch den Nachweis ihrer Vascularisation oder Nicht-Vascularisation. Man nahm jeden Theil als organisirt, der Gefässe enthielt, jeden als nicht organisirt, der keine Gefässe führte. Dies ist für den heutigen Standpunkt an sich schon eine Unrichtigkeit, insofern wir auch physiologische Gewebe ohne Gefässe, wie die Knorpel, das Epithel haben.
So lange als man, entsprechend dem niedrigen Stande der mikroskopischen Technik, die zelligen Elemente höchstens als Kügelchen kannte und diesen Kügelchen sehr verschiedene Bedeutung beilegte, war es zu verzeihen, dass man sich an die Gefässe hielt, insbesondere seit John Hunter die Vergleichung der pathologischen Neubildung mit der Entwickelung des Hühnchens im Ei in die allgemeine Vorstellung eingeführt und zu zeigen versucht hatte, dass ähnlich, wie das Punctum saliens im Hühnerei die erste Lebenserscheinung darstelle, so auch in pathologischen Bildungen Blut und Gefäss das Erste sei. Nach diesem Vorbilde beschrieben noch Rust und Kluge manche „parasitischen“ Neubildungen als versehen mit einem unabhängigen Gefässsystem, welches, ohne Wurzel in den alten Gefässen, sich, wie im Hühnchen, ganz selbständig bilden sollte. Freilich hatte man schon vor dieser Zeit vielfach versucht, die scheinbar so abweichenden Formen der Neubildungen auf physiologische Paradigmen zurückzuführen; namentlich ist dies ein wesentliches Verdienst der Naturphilosophen gewesen. In jener Zeit, wo die Theromorphie eine grosse Rolle spielte und man in den pathologischen Dingen vielfache Analogien mit den Zuständen niederer Thiere fand, hat man auch angefangen, Vergleichungen zwischen den krankhaften Neubildungen und bekannten Theilen des gesunden Körpers zu machen. So sprach der alte J. F. Meckel von dem brustdrüsenartigen, dem pancreasartigen Sarkom. Die Heteradenie, die heterologe Bildung von Drüsensubstanz, welche in der neuesten Zeit von Paris aus als eine Neuigkeit beschrieben worden ist, war in der deutschen naturphilosophischen Schule vor einem halben Jahrhundert eine ziemlich allgemein angenommene Thatsache.
Erst seitdem man die histologische Seite der Entwickelungsgeschichte zu bebauen begonnen hat, hat man sich mehr und mehr[86] davon überzeugt, dass die meisten Neubildungen Theile enthalten, welche irgend einem physiologischen Gewebe entsprechen. Selbst in den mikrographischen Schulen des Westens hat man sich theilweise begnügt anzunehmen, dass es in der ganzen Reihe der Neubildungen nur ein besonderes Gebilde gäbe, welches specifisch abweichend sei von allen natürlichen Bildungen, nämlich den Krebs. Von ihm nahm man an, dass er ganz und gar von den physiologischen Geweben abweiche, Elemente sui generis enthalte, während man eigenthümlicher Weise das zweite Gebilde, das die Aelteren dem Krebsgewebe anzunähern pflegten, nämlich den Tuberkel, vielfach bei Seite liess, obwohl man doch auch für ihn kein Analogon fand. Aber man deutete ihn als ein unvollständiges, mehr rohes (crudes) Product, als ein nicht recht zur Organisation gekommenes, gewissermaassen unfertiges Gebilde, und glaubte ihn daher mehr den blossen Exsudationen anreihen zu dürfen.
Wenn man jedoch den Krebs oder den Tuberkel sorgfältiger betrachtet, so kommt es auch bei ihnen nur darauf an, dasjenige Stadium ihrer Entwickelung aufzusuchen, in welchem sie die Höhe ihrer Gestaltung erreicht haben. Man darf weder zu früh untersuchen, wo die Entwickelung unvollendet, noch zu spät, wo sie über ihr Höhenstadium hinausgerückt ist. Hält man sich an die Zeit der Entwickelungshöhe (Acme, Florescenz), so lässt sich für jedes pathologische Gewebe auch ein physiologisches Vorbild finden, und es ist eben so gut möglich, für die Elemente des Krebses solche Vorbilder zu entdecken, wie es möglich ist, dieselben für den Eiter zu finden, der, wenn man einmal specifische Gesichtspunkte festhalten will, ebenso im Rechte ist, als etwas Besonderes betrachtet zu werden, wie der Krebs. Beide stehen sich darin vollkommen parallel, und wenn die Alten von Krebseiter gesprochen haben, so haben sie in gewissem Sinne Recht gehabt, da der Eiter vom Krebssafte sich nur durch die Entwickelungshöhe der einzelnen Elemente unterscheidet.
Eine Classification auch der pathologischen Gebilde lässt sich ganz in der Weise aufstellen, die wir vorher für die physiologischen Gewebe versucht haben. Zunächst gibt es auch hier Gebilde, welche, wie die epithelialen, wesentlich aus zelligen Theilen zusammengesetzt sind, ohne dass zu diesen etwas Erhebliches hinzukommt (epitheliale Neubildungen). In zweiter Linie treffen wir Gewebe, welche sich denen der Bindesubstanz anschliessen,[87] indem regelmässig neben zelligen Theilen eine gewisse Menge von Zwischensubstanz vorhanden ist (bindegewebige Neubildungen). Endlich in dritter Linie kommen diejenigen Bildungen, welche sich den höher organisirten Theilen, Blut, Muskeln, Nerven u. s. w. anschliessen. Es ist jedoch von vorn herein hervorzuheben, dass in den pathologischen Bildungen diejenigen Elemente häufiger vorhanden sind, ja entschieden vorwalten, welche nur den niederen Graden der eigentlich thierischen Entwickelung entsprechen, dass dagegen im Ganzen diejenigen Elemente am seltensten nachgebildet werden, welche den höher organisirten, namentlich den Muskel- und Nervenapparaten angehören. Ausgeschlossen sind jedoch auch diese Bildungen keineswegs; vielmehr kennen wir jede Art von pathologischer Neubildung, sie mag auf ein Gewebe bezüglich sein, auf welches sie will, wenn es nur überhaupt einen erkennbaren Habitus hat. Nur in Beziehung auf die Häufigkeit und die Wichtigkeit der einzelnen neu gebildeten Gewebe besteht eine Verschiedenheit in der Art, dass die grösste Mehrzahl der pathologischen Producte überwiegend epitheliale oder Elemente der Bindesubstanz führen, und dass von denjenigen Gebilden, welche wir in der letzten Klasse der normalen Gewebe zusammenfassten, am häufigsten Gefässe und Theile, welche mit der Lymphe und den Lymphdrüsen verglichen werden können, neu entstehen, am seltensten aber wirkliches Blut, Muskeln und Nerven.
Dass man diesen so einfachen Standpunkt noch jetzt vielfach leugnet, erklärt sich nicht bloss daraus, dass das Verständniss der pathologischen Histologie überall die genaueste Kenntniss der physiologischen voraussetzt und ohne diese ganz und gar in die Irre geht, sondern vielleicht noch mehr daraus, dass es sich hier nicht bloss um einfache Gewebe, sondern häufig um besondere und grössere Zusammenordnungen von Geweben handelt, welche sich zu einer Art von pathologischen Organen zusammenfügen. Ein Dermoid besteht nicht bloss aus Epidermis oder aus Bindegewebe, sondern es stellt eine pathologische Reproduction des Derma in seiner ganzen Zusammensetzung als Hautorgan dar, in welche Zusammensetzung Epidermis und Bindegewebe, Haare, Talg- und Schweissdrüsen, Fettgewebe und glatte Muskeln, Gefässe und Nerven eintreten können. Ein Osteom besteht nicht bloss aus Knochengewebe (tela ossea), sondern es kann ausserdem Mark,[88] Knorpel und Bindegewebe enthalten. Und so entspricht auch der Krebs nicht einem einzigen physiologischen Gewebe, sondern er enthält, ähnlich wie eine Drüse, zellige Elemente in besonderen Hohlräumen oder Kanälen, welche getragen werden durch ein Stroma von Bindegewebe mit Gefässen. Alle diese Arten von Neubildungen entsprechen also den Gegenständen der speciellen Histologie, der Organenlehre, und ihre gesammte Lebensgeschichte, ihre Entwickelung und Rückbildung lässt sich nicht nach dem Maassstabe einfacher Gewebe beurtheilen, sondern nur nach dem Vorbilde zusammengesetzter Organe des Körpers, grösserer anatomischer Gruppen von Theilen des Organismus, welche bekanntlich gerade durch ihre Zusammenlegung aus verschiedenen Geweben eine weit grössere Mannichfaltigkeit des Lebens und Erkrankens darbieten, als dies an einfachen Geweben möglich ist.
Es zerfällt daher die ganze Reihe der Neoplasmen in zwei grössere Kategorien; einfache (histioide) und zusammengesetzte (organoide). Die einfachen finden sich in den zusammengesetzten wieder. Epithel und Bindegewebe können jedes für sich eine Neubildung aufbauen: sie können aber auch zusammentreten und eine Art von pathologischem Organ erzeugen. Kommen dazu immer mehr und mehr Gewebe, so kann endlich ein so complicirtes Gefüge entstehen, dass es nur mit grösseren Systemen des Körpers zu vergleichen ist. Indess ist dies selten und auch dann gewöhnlich so unordentlich, dass man diese Kategorie als einen blossen Anhang zu der Lehre der Neubildungen zu betrachten hat. Manche dieser systematoiden Neubildungen gleichen so sehr gewissen Monstrositäten, ja ihre Grenze gegen die eigentlich fötalen Missbildungen ist so schwer zu ziehen, dass ich sie mit dem allgemeinen Namen der teratoiden belegt habe[14].
Wenn man diesen rein physiologischen Gesichtspunkt festhält, so wirft sich sofort die Frage auf, was aus der Lehre von der Heterologie der krankhaften Producte wird, einer Lehre, welche aufrecht zu erhalten man sich seit langer Zeit bemüht hat, und auf welche die natürliche Anschauung scheinbar mit einer gewissen Nothwendigkeit hinführt. Hierauf kann ich nicht anders antworten, als dass es keine andere Art von Heterologie in den krankhaften[89] Gebilden gibt, als die ungehörige Art ihrer Entstehung oder ihres Vorkommens, und dass diese Ungehörigkeit sich entweder darauf bezieht, dass ein Gebilde erzeugt wird an einem Punkte, wo es nicht hingehört, oder zu einer Zeit, wo es nicht erzeugt werden soll, oder in einem Grade, welcher von der typischen Norm des Körpers abweicht. Jede Heterologie ist also, genauer bezeichnet, entweder eine Heterotopie, eine Aberratio loci, oder eine Aberratio temporis, eine Heterochronie, oder endlich eine bloss quantitative Abweichung, Heterometrie. Schleimgewebe, welches im Gehirn entsteht, findet sich am unrechten Orte; eine Schleimgewebsgeschwulst, welche am Nabel eines Erwachsenen wächst, zeigt eine Gewebsbildung zur unrechten Zeit; die Mola hydatidosa stellt eine excessive Neubildung von Schleimgewebe an den Zotten des Chorion dar, also eine Neubildung in ungehöriger Menge.
Man muss sich aber wohl in Acht nehmen, diese Heterologie im weiteren Sinne des Wortes nicht zu verwechseln mit der Malignität. Die Heterologie im histologischen Sinne bezieht sich auf einen grossen Theil von pathologischen Neubildungen, die von dem Standpunkte der Prognose durchaus gutartig genannt werden müssen. Nicht selten geschieht eine Neubildung an einem Punkte, wo sie freilich durchaus nicht hingehört, wo sie aber auch keinen erheblichen Schaden anrichtet, oder wo der Schaden, den sie anrichtet, nicht aus dem Wesen, der Art der Geschwulst als solcher, sondern aus ihrer Lage, ihren Nachbarverhältnissen zu anderen Theilen, also aus den Zufälligkeiten des Sitzes und der Entwickelung zu erklären ist. Es kann ein Fettklumpen sich sehr wohl an einem Orte erzeugen, wo wir kein Fett erwarten, z. B. in der Submucosa des Dünndarms, aber im besten Falle entsteht dadurch ein Polyp, der auf der inneren Fläche des Darms hervorhängt und der ziemlich gross werden kann, ehe er Krankheitserscheinungen hervorruft. Tritt dieser Fall aber ein, so folgen daraus Erscheinungen der Zerrung, des Druckes, der Hemmung, also Erscheinungen mechanischer Art, aber keine einzige Erscheinung wirklich maligner Art. Denn wir können nur das bösartig nennen, was seiner Natur nach schädlich ist, nicht das, was nur durch besondere Verhältnisse, per accidens, schädlich wirkt.
Fig. 29. Schematische Darstellungen von Leberzellen. A. Einfache physiologische Anordnung derselben. B. Hypertrophie, a einfache, b mit Fettaufnahme (fettige Degeneration, Fettleber). C. Hyperplasie (numerische oder adjunctive Hypertrophie), a Zelle mit Kern und getheiltem Kernkörperchen. b getheilte Kerne. c, c getheilte und daher kleinere Zellen.
Betrachtet man die im engeren Sinne heterolog zu nennenden Gebilde in Beziehung zu den Orten, wo sie entstehen, so ergibt[90] sich ihre Trennung von den homologen durch den Nachweis, dass sie von dem Typus desjenigen Theils, in welchem sie entstehen, abweichen. Wenn im Fettgewebe eine Fettgeschwulst oder im Bindegewebe eine Bindegewebs-Geschwulst sich bildet, so ist der Typus der Bildung des Neuen homolog dem Typus der Bildung des Alten. Alle solche Bildungen fallen der gewöhnlichen Bezeichnung nach unter den Begriff der Hypertrophie, oder, wie ich zur genaueren Unterscheidung vorgeschlagen habe zu sagen, der Hyperplasie[15]. Hypertrophie in meinem Sinne bezeichnet den Fall, wo die einzelnen Elemente eine beträchtliche Masse von Stoff in sich aufnehmen und dadurch grösser werden, und wo durch die gleichzeitige Vergrösserung vieler Elemente endlich ein ganzes Organ anschwillt. Bei einem dicker werdenden Muskel werden alle Primitivbündel dicker. Eine Leber kann einfach dadurch hypertrophisch werden, dass die einzelnen Leberzellen sich bedeutend vergrössern. In diesem Falle gibt es eine wirkliche Hypertrophie ohne eigentliche Neubildung. Von diesem Vorgange ist wesentlich verschieden der Fall, wo eine Vergrösserung erfolgt durch eine Vermehrung der Zahl der Elemente. Eine Leber kann[91] nehmlich auch grösser werden dadurch, dass an der Stelle der gewöhnlichen Zellen sich eine Reihe von kleineren entwickelt. Ebenso sehen wir durch einfache Hypertrophie das Fettpolster der Haut anschwellen, indem jede einzelne Fettzelle eine grössere Masse von Fett aufnimmt; wenn dies an Tausenden und aber Tausenden, ja man kann sagen, an Hunderttausenden und Millionen von Zellen geschieht, so ist das Resultat ein sehr grobes und augenfälliges (Polysarcie). Allein es kann eben so gut sein, dass sich im Fettgewebe neben den alten Zellen neue hinzubilden und eine Vergrösserung der Gewebsmasse erfolgt, ohne dass die Elemente für sich eine Vergrösserung erfahren. Es handelt sich hier um wesentlich verschiedene Processe: um einfache und um numerische Hypertrophie.
Hyperplastische Processe (numerische oder adjunctive Hypertrophie) bringen in allen Fällen Gewebe hervor, welche dem Gewebe des alten Theiles gleichartig sind. Eine Hyperplasie der Leber bringt wieder Leberzellen, die des Nerven wieder Nerven, die der Haut wieder die Elemente der Haut hervor. Ein heteroplastischer Process dagegen erzeugt Gewebselemente, welche freilich natürlichen Formen entsprechen, z. B. Elemente von drüsenartiger Natur, Nervenmasse, Theile von Bindegewebs- oder epithelialer Structur, aber diese Elemente entstehen nicht durch einfache Zunahme der vorher vorhanden gewesenen, sondern durch eine Neubildung mit Umwandlung des ursprünglichen Typus des Muttergewebes. Wenn sich Gehirnmasse im Eierstock bildet, so entsteht dieselbe nicht aus präexistirender Gehirnmasse, nicht durch irgend einen Akt einfacher Vermehrung; wenn Epidermis im Muskelfleische des Herzens entsteht, so mag sie noch so sehr übereinstimmen mit der auf der äusseren Haut, sie ist doch ein heteroplastisches Gebilde. Wenn sich Haare von ganz natürlichem Bau in der Hirnsubstanz finden, so mag man die grösste Uebereinstimmung finden zwischen ihnen und Haaren der Körper-Oberfläche; es werden dies immer heteroplastische Haare sein. So sehen wir Knorpelsubstanz entstehen, ohne dass ein wesentlicher Unterschied zwischen ihr und der gewöhnlichen, bekannten Knorpelsubstanz besteht, z. B. in Enchondromen. Dennoch erscheint das eigentliche Enchondrom als eine heteroplastische Geschwulst, selbst am Knochen. Denn der fertige Knochen hat an den Theilen, wo das Enchondrom sich bildet, keinen Knorpel mehr, und die Phrase von dem Knochenknorpel, als der organischen Grundlage des Knochens, ist[92] eben nur eine Phrase. Es ist entweder die Tela ossea oder die Tela medullaris, in welcher das Enchondrom sitzt, und gerade da, wo eigentlicher Knorpel liegt, z. B. am Gelenkende, entstehen keine Enchondrome in dem gewöhnlichen Sinne des Wortes. Dagegen finden wir sehr ausgezeichnete Enchondrome in Drüsen, z. B. in den Speicheldrüsen, im Hoden. Es handelt sich hier also nicht um eine Hypertrophie oder Hyperplasie, die ein normaler Knorpel eingeht, sondern es ist eine vollständige Neubildung, welche eine Veränderung des localen Gewebstypus darstellt. In meinem Sinne kann daher dasselbe Gewebe das eine Mal homolog, das andere Mal heterolog sein. Fettgewebe in der Nierenkapsel ist homolog, in der Nierensubstanz heterolog. Epithel in Drüsenkanälen ist homolog, im Knochen heterolog. Dieselbe Geschwulst kann an einer Stelle homolog, an einer anderen heterolog sein. Eine Knochengeschwulst (Osteom) am Knochen ist hyperplastisch, im Gehirn heteroplastisch.
Diese Auffassung ist wesentlich verschieden von der früher gangbaren, wie sie z. B. Lobstein vertrat, als er die Neubildungen in homöoplastische und heteroplastische eintheilte. Denn bei ihm, wie noch in der neuesten französischen Schule, gilt als homöoplastisch jede Neubildung, welche eine den physiologischen Geweben oder Organen des Körpers entsprechende Zusammensetzung zeigt; eine jede solche wurde zugleich als gutartig angesehen. Ich dagegen nehme in Beziehung auf die Frage von der Heterologie und Homologie keine Rücksicht auf die Zusammensetzung des Neugebildes als solchen, sondern nur auf das Verhältniss desselben zu dem Mutterboden, aus dem es hervorgeht. Heterologie in diesem Sinne bezeichnet die Verschiedenartigkeit in dem Typus der Entwickelung des Neuen gegenüber dem Alten, oder, wie man gewöhnlich zu sagen pflegt, die Entartung (Degeneration), die Abweichung von der Eigenart des typischen Gewebes.
Hiermit ist zugleich der entscheidende prognostische Anhaltspunkt gegeben. Wir kennen Geschwülste, welche den allergrössten Einklang ihrer Elemente darbieten mit den bekanntesten physiologischen Geweben. Eine Epidermis-Geschwulst kann, wie ich schon hervorgehoben habe, in ihren Elementen vollständig übereinstimmen mit gewöhnlicher Oberhaut, aber sie ist trotzdem nicht immer eine gutartige Geschwulst von bloss localer Bedeutung, welche abgeleitet werden dürfte von einer einfach hyperplastischen[93] Vermehrung präexistirender Gewebe, denn sie entsteht zuweilen mitten in Theilen, welche fern davon sind, Epidermis oder Epithel zu besitzen, z. B. beim Kankroid im Innern von Lymphdrüsen, in dicken Bindegewebslagen, welche von allen Oberflächen entfernt liegen, ja sogar im Knochen. In diesen Fällen ist gewiss die Bildung von Epidermis so heterolog, als sich überhaupt etwas heterolog denken lässt. Auch hat die praktische Erfahrung gelehrt, dass es durchaus unrichtig war, aus der blossen Uebereinstimmung der pathologischen Epidermis mit physiologischer auf den gutartigen Verlauf des Falles zu schliessen. Vielmehr zeigt uns die Beobachtung der Kranken, dass jeder Fall verdächtig ist und uns zur Vorsicht mahnen muss, wo wir eine heterologe Neubildung antreffen.
Gerade das ist, wie ich mit besonderer Betonung bemerken muss, nahezu der schwerste und am meisten begründete Vorwurf gewesen, welcher den mikrographischen Schilderungen der jüngst verflossenen Zeit gemacht wurde, dass sie, in dem Sinne Lobstein's von dem allerdings verzeihlichen Gesichtspunkte der histologischen Uebereinstimmung mancher normalen und abnormen Bildungen ausgehend, jedes pathologische Neugebilde für unschädlich ausgaben, welches eine Reproduction von präexistirenden und bekannten Körpergeweben darstellte. Wenn meine Ansicht richtig ist, dass überhaupt innerhalb der pathologischen Entwickelung keine absolut neuen Formen gefunden werden, dass es überall nur Bildungen gibt, die in der einen oder anderen Weise als Reproductionen physiologischer Gewebe betrachtet werden müssen, so fällt jener Gesichtspunkt in sich selbst zusammen. Für die Richtigkeit meiner Ansicht kann ich aber die Thatsache beibringen, dass ich bis jetzt in den Streitigkeiten über die Gut- oder Bösartigkeit bestimmter Geschwulstformen bis auf einen Fall immer noch Recht behalten habe, und dass ich in diesem Falle, wo ich der Erfahrung mehr Recht einräumte, als meiner Theorie, gerade durch eine neue Erfahrung von der Zuverlässigkeit dieser Theorie überzeugt wurde. Es handelte sich dabei um die Malignität einer Art des Dermoids. —
Fig. 30. Grosse Spindelzellen (fibroplastische Körper) in ihrer natürlichen Anordnung aus einem Sarcoma fusocellulare der Rückenmarkshäute. Vergröss. 350. (Geschwülste II. S. 197. Fig. 136).
Dass es einer so langen Zeit bedurft hat, diese so einfachen Gesichtspunkte zu gewinnen, erklärt sich zum grossen Theile aus der ungenauen Kenntniss der selteneren histologischen Formen, zum kleineren aus der allerdings ungewöhnlichen Entwickelung[94] mancher pathologischen Elemente. Die Krebszelle entspricht, wie ich gezeigt habe[16], ihrer ganzen Erscheinung nach den Zellen der Epithelialformation. Aber in der Mehrzahl der Krebse haben die Zellen eine Grösse, Gestalt, Kernentwickelung, wie sie an dem gewöhnlichen Epithel selten vorkommt. Dagegen zeigt das früher (S. 30, Fig. 16.) erwähnte Epithel der Harnwege die grösste Uebereinstimmung damit, und man würde gewiss viel früher auf die richtige Deutung gekommen sein, wenn man dieses eigenthümliche Epithel früher richtig gewürdigt hätte. In den sogenannten Epidermiskrebsen oder Kankroiden dagegen finden sich so entschieden epidermoidale Formen, dass man glaubte, diese Geschwulstart ganz von[95] den Krebsen trennen und zu den einfach hypertrophischen und daher gutartigen Bildungen stellen zu müssen. In den Spindelsarkomen finden sich so grosse und eigenthümliche Zellen, dass noch jetzt Mancher sich weigert, sie den gewöhnlich so kleinen Spindelzellen des Bindegewebes (Fig. 4, b; 21.) parallel zu stellen; hat man sich von der kolossalen Entwickelung dieser Spindelzellen in der Decidua uterina überzeugt, so verschwindet das Auffällige. In den Riesenzellensarkomen wiederum trifft man überaus grosse, stellenweise fast ungeheuerliche Zellen mit zahlreichen Kernen, für die jede Analogie zu fehlen scheint. Allein das Studium des jungen Knochenmarkes oder der Rindenschicht der Nebennieren lehrt uns analoge Formen auch im normalen Entwickelungsgange kennen.
Fig. 31. Durchschnitt aus einer Epulis sarcomatosa des Unterkiefers. Zahlreiche, dicht gedrängte Spindelzellen (fibroplastische Körper) bilden eine Art von maschigem Gerüst, in dessen Räumen vielkernige, mit feineren und gröberen Fortsätzen versehene Riesenzellen (myeloide Zellen, Myeloplaxen) liegen. Vergr. 300. (Geschwülste II. S. 317. Fig. 158).
Auf dieser Stufe der Erkenntniss angelangt, stossen wir auf[96] eine neue Schwierigkeit. Jedesmal, wo eine pathologische Bildung auf physiologische Vorbilder zurückgeführt wird, erhebt sich die Frage, ob sie nicht direct von einem solchen physiologischen Gebilde abstamme. In der That liegt es nahe, an eine continuirliche Entwickelung zu denken, und wir haben die ernstliche Verpflichtung, in jedem solchen Falle zu prüfen, ob nicht wirklich ein entsprechend zusammengesetzter oder gebauter Theil Matrix des pathologischen sei. Wenn man weiss, dass vielkernige Riesenzellen im Knochenmark vorkommen, so wird man geneigt sein, mit Nélaton jedes Riesenzellensarcom (tumeur à myéloplaxes) vom Knochenmark abzuleiten. Sieht man, dass das Kankroid in der Regel aus Epidermiszellen besteht, so liegt nichts näher, als dasselbe auf eine örtliche Wucherung präexistirender Epidermis zurückzuführen. Allein die Erfahrung mahnt hier zu grosser Vorsicht. Sonst kommt man leicht zu Schlüssen, wie sie früher oft genug gemacht sind, dass z. B. ein Teratom des Eierstocks, weil es Knochen und Zähne, Haut und Haare, ja selbst Muskeln und Hirnmasse enthält, ein degenerirter Fötus sei oder aus einer aberrirten Embryobildung herstamme. Man darf den blossen Wahrscheinlichkeiten nicht zu sehr nachgeben, sonst macht man blosse Conjectural-Pathologie.
Eine unbefangene Prüfung lehrt allerdings, dass alle pathologischen Gewebe continuirlich aus physiologischen hervorgehen, aber keinesweges so, dass ihr Typus immer unverändert der ihrer physiologischen Matrix bleibt. Die Entwickelung selbst ist stets continuirlich, der Typus aber kann discontinuirlich sein, und gerade diese Aenderung des Typus ergibt für mich das entscheidende Kriterium der Heterologie. Wenn die Neuroglia des Gehirns gewöhnliches Bindegewebe oder ausgezeichnetes Schleimgewebe hervorbringt, so geschieht dies durch continuirliche Vorgänge, aber der Typus der Neuroglia geht dabei verloren. Ein Enchondrom des Hodens entsteht continuirlich aus dem schwachen Interstitialgewebe der Drüse, aber ein bis dahin ganz unerhörtes Gewebe tritt im Hoden auf. Das eine Gewebe wird hier durch ein anderes, das aus ihm hervorgegangen, aber von ihm verschieden ist, substituirt.
Wir finden demnach auch hier, wie im physiologischen Leben, gewisse Substitutionen und Aequivalente von Geweben, und gleichwie im Physiologischen die Grenze dieser Substitionen[97] durch das ein für allemal gegebene Entwickelungsgeschäft der Species bezeichnet ist, so geschieht auch pathologische Substitution stets durch Gewebe, deren Vorkommen in der Species physiologisch nachweisbar ist.
In krankhaften Zuständen gibt es heterologe Substitutionen, wo ein bestimmtes Gewebe ersetzt wird durch ein Gewebe anderer Art, aber nie durch ein der menschlichen Organisation fremdes Gewebe. Selbst dann, wenn der Ersatz von dem alten Gewebe des Ortes ausgeht, kann die Neubildung mehr oder weniger abweichen von dem ursprünglichen Typus der Matrix. So tritt an die Stelle der Haut, welche durch Verschwärung verloren gegangen ist, eine Narbe, die nicht bloss Bindewebe, sondern auch Epidermis enthält, obwohl die Matrix dieser Epidermis das Bindegewebe der Cutis und nicht das (verloren gegangene) Rete Malpighii sein kann.
Es geschieht also die Substitution entweder durch Ersetzung vermittelst eines Gewebes aus derselben Gruppe (Homologie) oder durch ein Gewebe aus einer anderen Gruppe (Heterologie). Auf letztere muss die ganze Doctrin von den specifischen Elementen der Pathologie zurückgeführt werden, welche in den letzten Decennien eine so grosse Rolle gespielt haben. Denn diese Gewebe sui generis sind nicht insofern specifisch, als sie im natürlichen Entwickelungsgange des Körpers kein Analogon finden, sondern nur insofern, als sie unter gewöhnlichen Umständen nicht zu den constituirenden Theilen derjenigen Organe gehören, in welchen sie unter krankhaften Verhältnissen erzeugt werden. Deshalb erscheinen sie nicht sowohl als Bestandtheile des Organs, welches sie erzeugt, als vielmehr als Bestandtheile der Neubildung (gewissermaassen des pathologischen Organs), welches aus ihnen zusammengesetzt ist, und wir vergessen nur zu leicht, dass auch diese Neubildung, wenngleich kein an sich nothwendiger, doch ein continuirlich zusammenhängender Theil jenes physiologischen Organs, und somit des ganzen Organismus ist.
Diese Erkenntniss ist um so schwieriger, als in der Regel die heterologe Substitution nicht direct, sondern auf einem Umwege erfolgt. Denn nicht immer entsprechen sofort die ersten Anlagen der Neubildung dem endlichen Producte; selbst die Hyperplasie geschieht nicht immer durch sofortige Erzeugung homologer Elemente (per primam intentionem). Sehr häufig[98] schiebt sich zuerst ein Stadium indifferenter Bildungen ein, aus denen sich erst langsam die besonderen Formen der späteren Zeit differenziren (per secundam intentionem). Dasselbe Gewebe kann auf die eine und auf die andere Weise entstehen. Aus dieser Erfahrung, die ich nicht genug betonen kann, erklären sich zahlreiche Widersprüche der Mikrographen, welche das Meiste dazu beigetragen haben, die Mikrographie überhaupt in Misskredit zu bringen. Jeder Forscher betrachtet seine Beobachtungen als die maassgebenden, und statt zu fragen, ob nicht vielleicht auch der andere Forscher richtig gesehen habe, erklärt er die fremden Angaben, welche mit den seinigen nicht übereinstimmen, sofort für falsch. Wie immer, führt die Exclusivität zur Einseitigkeit und damit zum Irrthum. So hat lange der Streit darüber geschwebt, ob Knochen immer aus Knorpel entstehe. Schon die älteren Beobachter behaupteten, er könne auch aus Membranen entstehen. Ich habe dargethan, dass er aus Bindegewebe und aus Mark hervorgehen kann[17]. Spätere Beobachter haben dann geradezu geleugnet, dass Knorpel direct in Knochengewebe übergehe, und in diesem Augenblicke hat diese Meinung das Uebergewicht. Meiner Ueberzeugung nach ist dieselbe einseitig und daher irrthümlich. Vielmehr entsteht Knochengewebe aus Knorpel in doppelter Weise: gewöhnlich per secundam intentionem aus Mark, welches aus Knorpel durch Metaplasie hervorgegangen ist, aber in geringerem Umfange auch per primam intentionem aus Knorpel. In ähnlicher Weise verhält es sich mit dem Bindegewebe. Lange Zeit liess man alles pathologisch neugebildete Bindegewebe aus fibrinösem Blastem (plastischer Lymphe) entstehen, welches auf dem Wege der Exsudation aus dem Blute austreten sollte. Von diesem ganz exclusiven Standpunkte aus bestritt man sogar die Möglichkeit einer Organisation des Thrombus innerhalb der Gefässe, obwohl doch in demselben derselbe Faserstoff vorhanden ist, der die eigentlich plastische Substanz des Exsudates darstellen sollte. Ich habe nicht bloss die Entstehung von Bindegewebe aus dem Thrombus, sogar die Vascularisation des letzteren nachgewiesen[18], sondern auch die Entstehung von Bindegewebe an Orten, wo niemals ein fibrinöses Blastem erkennbar ist. Bindegewebe[99] entsteht direct aus Knorpel, aus Knochengewebe, aus Neuroglia. Die eine Art der Entstehung schliesst die andere nicht aus. Sogar an derselben Stelle kann Bindegewebe auf verschiedene Art sich bilden, z. B. an der inneren Oberfläche einer Arterie kann es entstehen durch Wucherung der Intima und durch Organisation von Thrombusmasse. Zuweilen verwandelt sich ein anderes Gewebe, wie wir sahen, durch Metaplasie unmittelbar in Bindegewebe; andermal erzeugt präexistirendes Bindegewebe neues durch directe Hyperplasie, ohne dass der Charakter des Gewebes sich während dieser Zeit im Wesentlichen ändert; andermal wiederum entsteht aus präexistirendem Bindegewebe zuerst ein indifferentes Granulationsgewebe und erst dieses geht durch Metaplasie wieder in Bindegewebe über. Es entsteht also nicht nur dasselbe Gewebe unter verschiedenen Bedingungen auf verschiedene Weise, sondern es kann sogar dieselbe Matrix dasselbe Gewebe auf verschiedene Weise hervorbringen. Ich bemerke jedoch ausdrücklich, dass, soweit unsere bisherigen Erfahrungen reichen, dieser Satz nicht auf alle pathologischen Gewebe und nicht auf alle Matrices Anwendung findet.
Fußnoten:
[14] Geschwülste. Bd. I. S. 96.
[15] Handbuch der spec. Pathol. u. Therapie. 1854. I. 327–28.
[16] Archiv 1847. Bd. I. S. 105.
[17] Mein Archiv 1847. I. 135. 1853. V. 438, 444, 455.
[18] Gesammelte Abhandl. 1856. S. 323.
Selbsterhaltung als Grundlage der Lehre vom Leben. Ernährung und Stoffwechsel. Ernährung im Sinne des Gesammt-Organismus: Nahrungsstoffe, Verdauung, Circulation. Ernährung im cellularen Sinne. Endosmose und Exosmose, todter Stoffwechsel. Intermediärer Stoffwechsel (Transito-Verkehr). Eigentlich nutritiver Stoffwechsel. Ernährungseinheiten und Krankheitsheerde.
Thätigkeit der Gefässe bei der Ernährung. Verhältniss von Gefäss und Gewebe. Leber. Niere. Gehirn. Muskelhaut des Magens. Knorpel. Knochen.
Abhängigkeit der Gewebe von den Gefässen. Metastasen. Gefässterritorien (vasculäre Einheiten). Die Ernährungsleitung in den Saftkanälen der Gewebe. Knochen. Zahn. Faserknorpel. Hornhaut. Bandscheiben.
Die Grundlage aller Vorstellungen über das Leben bildet die Erfahrung von der allem Lebendigen zukommenden Fähigkeit der Selbsterhaltung. Sowohl das organische Gesammt-Individuum, als die einzelne Zelle sind vermöge ihrer inneren Einrichtung (Organisation) befähigt, sich unter den mannichfaltigsten äusseren Verhältnissen zu erhalten, Störungen, die sie erlitten haben, auszugleichen (zu reguliren), und eine Reihe von Thätigkeiten zu äussern, deren einfachstes Ergebniss die Erhaltung des Status quo ist. Die Gesammtheit der Vorgänge, durch welche dieses Ergebniss erzielt wird, pflegt man mit einem allerdings sehr dehnbaren und daher auch häufig nur wenig zutreffenden Ausdrucke Ernährung (Nutrition) zu nennen[19]. Als das eigentliche Wesen der Ernährung gilt wiederum sehr allgemein der Stoffwechsel, d. h. die Aufnahme, Assimilation, Zersetzung (Desintegration) und Wiederausscheidung gewisser Stoffe, welche dieser Anschauung entsprechend Nahrungsstoffe genannt werden.
Es ist leicht verständlich, dass in der Meinung vieler Physiologen und Pathologen, namentlich vieler praktischen Aerzte die Lehre von der Ernährung als der Ausgangspunkt aller weiteren Erörterungen erscheint, und wir wollen daher diesen Punkt sofort besprechen, um so mehr, als ich die überlieferten Vorstellungen in mehrfacher Beziehung nicht als berechtigt anerkenne. Selbst die Physiologie hat erst in den letzten Jahren angefangen, sich derjenigen Betrachtungsweise anzunähern, welche ich seit langer Zeit als die entscheidende vertheidigt habe. Zwei Umstände namentlich sind es gewesen, welche die Vereinbarung erschwert haben. Einerseits die hervorragende Stellung, welche den Vorgängen der Ernährung im Gesammt-Organismus angewiesen wurde. Die Folge davon war, dass man die Forschung wesentlich auf die Geschichte der Nahrungsstoffe in den „ersten Wegen“, d. h. die Verdauung, und im Blute beschränkte, dass man also gewissermaassen da Halt machte, wo in der cellularen Anschauung die Ernährung im engeren Sinne eigentlich erst beginnt, nehmlich an den Geweben. Denn begreiflicherweise sind für denjenigen, welcher die Ernährung der einzelnen Theile als das Wesentliche ansieht, alle anderen Vorgänge nur Vorbereitungen, und so wichtig Verdauung und Circulation auch sein mögen, so können sie doch nur als Akte gelten, welche die Bestimmung haben, den Elementartheilen geeignetes Material für ihre Ernährung zu liefern. — Andererseits war der Umstand für die Einigung der verschiedenen Forscher hinderlich, dass man glaubte, mit dem blossen äusserlichen Stoffwechsel, der sogenannten Endosmose und Exosmose, das Hauptsächliche der Ernährung abgethan zu haben. Man übersah dabei, dass es auch im Todten einen Stoffwechsel gibt, wie die Geschichte der im menschlichen Körper selbst eingeschlossenen mortificirten Theile deutlich erkennen lässt[20], und dass es viel mehr auf den inneren Stoffwechsel ankommt, der sich durch blosse Endosmose und Exosmose nur unvollständig erkennen lässt. Aufnahme und Abgabe von Stoffen können erfolgen, ohne dass damit eine Ernährung bewirkt wird. Gleichwie ein Infusorium ein Indigokorn oder den Kieselpanzer einer Diatomee „frisst“, möglicherweise ohne Mund und Magen in sein Inneres aufnimmt, und diese Körper[102] nachher wieder, möglicherweise ohne After, auswirft, so „fressen“ viele Zellen Fett, ohne es zu assimiliren oder zu verbrauchen, und sie werfen es später wieder aus, ohne es „verdaut“ zu haben. Dieser, wie ich ihn genannt habe[21], nur intermediäre Stoffwechsel (Transito-Verkehr) ist von dem eigentlich nutritiven wohl zu trennen.
Ich bin von Anfang an[22] davon ausgegangen, dass die Zellen die eigentlichen Ernährungseinheiten seien und dass sie gerade aus diesem Grunde auch als die eigentlichen Krankheitseinheiten (Krankheitsheerde) aufgefasst werden müssten. Meine eigenen Vorstellungen haben sich insofern erweitert, als ich später in schärferer Weise, als es mir ursprünglich erschien, die formativen und functionellen Vorgänge von den nutritiven getrennt habe. Trotzdem muss ich noch gegenwärtig daran festhalten, dass die cellulare Nutrition in der That die erste Grundlage für die Betrachtung der vitalen Vorgänge bildet. In diesem Sinne wollen wir uns auch zunächst mit ihr beschäftigen.
Gewöhnlich betrachtet man in der Lehre von der Ernährung die Gefässe als diejenigen Kanäle, welche nicht nur den Stoffverkehr vermitteln, sondern auch durch bald active, bald passive Hülfe den einzelnen Theil in seinem Stoffverkehr überwachen. Seit lange hat man daher das Bestimmende bei dem Ernährungsvorgange mit einem Ausdrucke, der sich auch in die heutige Sprache hinübergeschlichen hat, in der Thätigkeit der Gefässe gesucht, wie wenn die Gefässe ein unmittelbares Regiment über die ihnen benachbarten oder von ihnen versorgten Gewebstheile ausübten.
Wie ich schon früher bei Gelegenheit der Muskelfasern hervorhob (S. 61), so können wir heut zu Tage von einer Action der Gefässe nur in so weit sprechen, als Muskelfasern in denselben vorhanden sind, und als sich demnach die Gefässe durch Zusammenziehung ihrer Muskeln verengern oder verkürzen können. Die Verengerung hat das Resultat, dass der Durchtritt der Flüssigkeiten gehemmt wird, während umgekehrt bei Erschlaffung oder Lähmung der Muskeln das durch den Blutdruck erweiterte Gefäss den Durchtritt der Flüssigkeiten begünstigen kann. Gestehen wir dies zu, aber vergessen wir auch nicht, die Gewebsmasse, welche[103] neben den Gefässen liegt, und welche man sich gewöhnlich als eine sehr einfache und träge Masse vorstellt, mit in Betracht zu ziehen.
Fig. 32. Stück von der Peripherie der Leber eines Kaninchens; die Gefässe vollkommen injicirt. Vergr. 11.
Wenn wir Theile wählen, in welchen die Gefässe recht dicht liegen, in welchen vielleicht fast eben so viel an Gefässen vorhanden ist, als an Gewebe, so sehen wir, dass jedes einzelne Spatium, welches zwischen den Gefässen übrig bleibt, durch eine ganz kleine Zahl von Elementen erfüllt wird. Ein solches Organ ist die Leber, bei der in der That dieses Verhältniss ganz zutrifft. Denn eine Leber im gefüllten Zustande der Gefässe hat nahezu so viel Volumen Gefäss, als eigentliche Lebersubstanz. Betrachten wir einen einzelnen Acinus der Leber für sich, so finden wir in dem glücklichsten Falle des Querschnittes in seiner Mitte die Vena centralis oder intralobularis, die zur Lebervene geht, im Umfange Aeste der Pfortader, welche in das Innere des Acinus capillare Zweige senden. Letztere bilden sofort ein Anfangs langmaschiges, später kürzeres Netz, welches sich in der Richtung gegen die Vena centralis (hepatica) fortsetzt und zuletzt in dieselbe einmündet. Das Blut strömt also, indem es von der V. interlobularis (portalis) eintritt, durch das Capillarnetz hindurch zur Vena intralobularis, von wo es durch die Venae hepaticae wieder zum Herzen zurückgeführt wird. Hat man nun eine injicirte Leber vor sich, so sieht man dieses Netz so dicht, dass dasjenige Gewebe, welches die Maschen des Netzes erfüllt, fast geringer an Masse erscheint, als der Raum, welcher von den Gefässen eingenommen wird. So kann man sich leicht vorstellen, wie die älteren Autoren, vor Allen Ruysch, durch ihre Injectionen auf die Vermuthung kommen konnten, dass fast Alles im Körper aus Gefässen bestände und dass die verschiedenen Organe nur durch Differenzen in der Anordnung ihrer Gefässe sich unterschieden. Gerade umgekehrt,[104] wie an einem Injectionspräparat, erscheint jedoch das Verhältniss an einem gewöhnlichen Präparat aus einer blutleeren Leber. Hier nimmt man die Gefässe fast gar nicht wahr. Man sieht wohl ein ähnliches Netz, aber dies ist das Netz der Leberzellen (Fig. 29), welche, dicht an einander gedrängt, allein vorhanden zu sein scheinen. Es ergiebt sich also, dass Gefässnetz und Zellennetz sich auf das Innigste durchflechten, so dass überall fast unmittelbar an der Gefässwand Zellen des Leberparenchyms liegen. Zwischen den Zellen und der Gefässwand bemerkt man nur sehr schwer noch eine feine Lage, von der es unter den Histologen immer noch streitig ist, ob sie einer besonderen und continuirlichen Wand zuzuschreiben ist, welche die feinsten Gallengänge zusammensetzt, oder ob nur eine minimale Menge von Bindegewebszellen die Zellennetze umgreift.
In diesem Falle kann man allerdings ein sehr einfaches Verhältniss zwischen den Gefässen und den Zellen annehmen; man kann sich vorstellen, dass das Blut, welches in den Gefässen strömt, je nach den Erweiterungszuständen der letzteren und je nach seiner Menge unmittelbar auf die anstossenden Elemente einwirkt und unmittelbar Ernährungsstoffe an sie abgiebt, sowie Zersetzungsstoffe aus ihnen aufnimmt. Freilich kann man in Beziehung auf die Ernährungsverhältnisse entgegenhalten, dass es sich hier um eine ganz eigenthümliche Gefäss-Einrichtung handelt, die wesentlich venöser Natur ist, zusammengesetzt aus Pfortader- und Lebervenenästen, allein in dasselbe Capillarnetz geht auch die Arteria hepatica hinein, und das Blut lässt sich in dem Netz nicht mehr in seine einzelnen arteriellen und venösen Theile zerlegen. Die Injectionen gelangen von jedem der Gefässe zuletzt in dasselbe Capillarnetz hinein. Nichts desto weniger halte ich es für berechtigt, gerade bei einem Organe, wie die Leber, welches einen so ausgezeichnet intermediären Stoffverkehr hat, die grosse Nähe der Capillaren für wichtiger in Beziehung auf diesen Stoffverkehr, als in Beziehung auf die eigentliche Ernährung zu halten. Jedenfalls begreift man leicht, dass alle Produkte des Transito-Verkehrs zuerst und am stärksten in denjenigen Zellen erscheinen, welche von dem einströmenden Blute zuerst berührt werden. Es sind dies die peripherischen Zellen der einzelnen Acini.
Fig. 33. Durchschnitt durch die Rindensubstanz einer künstlich injicirten menschlichen Niere. a. Bindegewebskörperchen des Stromas oder des interstitiellen Gewebes, dessen Masse in der Zeichnung etwas zu gross ausgefallen ist. b. Tunica propria des Harnkanälchens. c, c Capillargefässe. d. Das Harnkanälchen mit seinem Epithellager. Vergr. 300. (Nach A. Beer, Die Bindesubstanz der menschlichen Niere. Berlin 1859. Fig. 3.)
Etwas anders ist das Verhältniss schon in der Niere. Macht man einen feinen Durchschnitt durch die Rindensubstanz, nachdem[105] man vorher die Gefässe sorgfältig injicirt hat, so bemerkt man, dass letztere die Harnkanälchen ziemlich dicht umspinnen (Fig. 33, c, e). Diese sind ihrerseits zusammengesetzt aus einer strukturlosen Haut, der sogenannten Tunica propria (Fig. 33, b), und einem zusammenhängenden Epithel, welches das freie Kanallumen (d) umgiebt. Hier bleibt zwischen den Gefässen und der Tunica propria noch ein kleiner Raum, in welchem bei genauester Untersuchung ein fast strukturloses, feinstreifiges Bindegewebe mit Zellen, Bindegewebskörperchen (a), gelagert ist. Die Epithelialzellen sind demnach von den Capillaren getrennt durch die Tunica propria und diese Bindegewebslage, und die Blutflüssigkeit muss, um zu den Epithelzellen Säfte abgeben zu können, nicht nur die Capillarwand, sondern auch die genannten zwei Septa durchdringen, deren Zustände natürlich nicht ohne Bedeutung für die Möglichkeit dieser Durchdringung sein können. Ueberdies bemerkt man leicht, dass eine grössere Zahl von Zellen stets einer einzigen Capillarschlinge anliegt, und es bedarf wohl nur dieser Erinnerung, um darauf aufmerksam zu machen, dass es schwer erklärlich sein würde, wie, was zuweilen vorkommt, nur einzelne Zellen besondere nutritive Abweichungen zeigen, wenn in der That die Gefässe das allein Bestimmende bei der Ernährung wären.
So einfach, wie in der Leber und in der Niere, gestalten sich aber die Verhältnisse in den meisten anderen Theilen nicht;[106] gewöhnlich liegen ziemlich bedeutende Zwischenräume zwischen den einzelnen Gefässen, und nicht unbeträchtliche Mengen von Elementen sind in jeder einzelnen Capillar-Masche enthalten. Ja, in demselben Organe sind diese Verhältnisse sehr verschieden, je nachdem die Function der einzelnen Theile einen rascheren Wechsel der Stoffe erfordert. Nirgends tritt dies so auffällig hervor, als im Gehirn. Hier ist die Gefässverbreitung in der weissen Substanz, die hauptsächlich Nervenfasern enthält, ziemlich spärlich, während sie in der grauen Substanz, welche die Ganglienzellen führt, überaus reichlich ist. Das eine hier abgebildete Object (Fig. 34) zeigt eine künstliche Injection der Rinde des Kleinhirns, das zweite (Fig. 35) die natürliche Gefässfülle in dem sehr rothen Corpus striatum eines Geisteskranken, der unter einer starken Hyperämie des Gehirns gestorben war. Der Schnitt ist quer durch das Corpus striatum gelegt, und man erkennt von Strecke zu Strecke grössere, bei durchfallendem Lichte dunkel erscheinende Stellen, rundliche Flecke (Fig. 35, a, a, a), die bei auffallendem Lichte[107] und für das blosse Auge weiss aussehen und Querdurchschnitte jener Bündel von Nervenfasern darstellen, welche in langen Zügen gegen das Rückenmark hinziehen. Gefässe treten in diese Bündel fast gar nicht ein. Die übrige Masse dagegen besteht aus der eigentlichen grauen Substanz des Corpus striatum; innerhalb derselben verbreitet sich ein sehr feinmaschiges Gefässnetz, wie denn überhaupt die graue Substanz der Nervencentren sich sowohl im Innern, als an der Rinde durch ihren grossen Gefässreichthum vor der weissen Substanz auszeichnet. In dem Object sieht man einzelne grössere Gefässe, von welchen Aeste ausgehen, die sich immer feiner verzweigen, bis sie endlich in ganz feinmaschige Capillarnetze übergehen. Allein so eng dieses Netz in der grauen Substanz auch sein mag, so stösst doch keinesweges jedes einzelne Element der Hirnsubstanz unmittelbar an ein Capillargefäss.
Fig. 34. Künstliche Injection der Rinde des menschlichen Kleinhirns, a a. Weisse Substanz der Arbor vitae, g g. graue Substanz, s s. Sulci zwischen den Gyri, in welche die Arterien mit der Pia mater eintreten und von da Aeste in die Hirnsubstanz senden, welche in der grauen Substanz ein ganz feines Netz bilden, zum Theil aber in grösseren Stämmen zur weissen Substanz durchtreten, wo sie sehr spärliche Netze bilden. Nach einer Injection des Herrn Gerlach. Ganz schwache Vergrösserung.
Fig. 35. Natürliche Injection des Corpus striatum eines Geisteskranken. a a. Gefässlose Lücken, entsprechend den Zügen von Nervenfasern, welche das Ganglion durchsetzen. Vergröss. 80.
Gleichmässiger ist die Gefässvertheilung an der Muskelhaut des Magens: hier bilden die Gefässe ziemlich regelmässige,[108] unter einander durch Queranastomosen in Verbindung stehende Netze, von denen aus sich immer kleinere Gefässe verästeln, die zuletzt feinste Netze bilden, so dass dadurch das Ganze in eine Reihe von unregelmässig viereckigen Abtheilungen zerlegt wird. Auf jeden letzten Zwischenraum fällt eine grössere Zahl von Muskelelementen, so dass die Gefässe an einigen Stellen die Muskelfasern berühren, an anderen Stellen entfernter davon liegen.
Fig. 37. Durchschnitt des Calcaneus-Knorpels vom Neugebornen. C. der Knorpel, dessen Zellen durch feine Punkte angedeutet sind. P. Perichondrium und anstossendes Fasergewebe. a. die Ansatzzelle am Knochen, mit den von der Arteria nutritia aufsteigenden Gefässschlingen. b b. Gefässe, die durch das Perichondrium gegen den Knorpel andringen. Vergröss. 11.
Fig. 38. Knochenschliff aus der compacten Rindensubstanz eines Os femoris. P P. die dem Periost zugewendete Oberfläche, an welcher parallele Züge von Knochenkörperchen liegen, v v. grössere Gefässe, die aus dem Periost in den Knochen eindringen und sich bald verästeln, v' v' kleinere Gefässe derselben Art. Alle dunklen Züge und Flecke bezeichnen angeschliffene Gefässkanäle. Sie sind von parallelen und concentrischen Lagen von Knochenkörperchen begleitet. Vergröss. 120.
Verfolgt man in dieser Weise die Einrichtung der verschiedenen Organe und Gewebe, so kommt man von solchen, welche nach der Injection fast nur aus Gefässen zu bestehen scheinen, mit der Zeit zu denjenigen, welche fast gar keine Gefässe enthalten und endlich zu solchen, welche wirklich keine mehr führen. Dieses Verhältniss trifft man am meisten ausgesprochen in den Epithelialformationen, welche auch da, wo sie am mächtigsten ausgebildet sind, keine Gefässe besitzen; nächstdem in den Geweben der Bindesubstanz, und hier wieder am reinsten am Knorpel, weniger rein am Knochengewebe. Der entwickelte normale Knorpel hat überhaupt gar keine Gefässe; der entwickelte Knochen enthält allerdings Gefässe, aber in einem sehr wechselnden Maasse und zum Theil recht spärlich. Dass der entwickelte Knorpel keine Gefässe enthält, davon gibt fast jedes Knorpelpräparat Zeugniss (Fig. 9, 14, 23). Eine fast beständige Ausnahme davon macht der wachsende Knorpel, der sich zur Verknöcherung anschickt, gleichviel ob im physiologischen oder pathologischen Wege. Besonders interessant ist das Verhältniss an jungem, wachsendem[109] Knorpel. Fig. 37 zeigt einen Schnitt aus dem Caleaneus eines neugebornen Kindes, wo von der schon gebildeten centralen Knochenmasse, dem sogenannten Knochenkern aus Gefässe in den noch sehr reichlichen peripherischen Knorpel hineingehen. Das Präparat zeigt an seiner äussersten Oberfläche die Uebergänge zu dem Perichondrium, während der untere Theil des Schnittes bis nahe an die Grenze des schon gebildeten Knochenkerns reicht. Von hier aus steigen grosse Gefässe auf, welche von der Arteria nutritia herstammen; sie endigen mitten im Knorpel, indem sie Schlingen und Netze bilden und gleichsam Zottenbäume inmitten des Knorpels darstellen, welche sehr ähnlich sind den Chorion-Zotten am Ei. In der That wachsen von der Arteria nutritia her die Gefässe in den Knorpel hinein, aber nur bis zu einer gewissen Höhe. Hier lösen sie sich in wirkliche Schlingen oder in ein feines Netzwerk von Capillaren auf, aus dem sich Venen zusammensetzen, die in derselben Richtung, in welcher die Arterien[110] herkamen, zurückgehen. Die ganze übrige Masse besteht aus gefässlosem Knorpel, dessen Körperchen bei schwacher Vergrösserung als feine Punkte erscheinen. Es liegt also ein ganzes Heer von Knorpelkörperchen zwischen den letzten Schlingen und der äusseren Oberfläche, die meisten sehr entfernt von den äussersten Gefässenden. Diese ganze Lage ist in ihrer Ernährung allerdings abhängig von dem Safte, der aus den Endschlingen austritt, zum Theil auch von den Stoffen, welche die spärlichen Gefässe des Perichondriums zuführen, jedoch nicht so, dass jedes Körperchen eine besondere Beziehung zu einzelnen Gefässen oder Gefässtheilen hätte. Die von der Arteria nutritia stammenden Gefässe bezeichnen an allen Knorpeln schon ziemlich frühzeitig ungefähr die Grenze, bis zu welcher späterhin die Ossification fortschreiten wird, während derjenige Theil, welcher als Knorpelrest am Gelenk liegen bleibt, niemals Gefässe enthält.
Was die Knochen selbst anbetrifft, so ist bei ihnen das Gefäss-Verhältniss ein ziemlich einfaches, aber auch zugleich ein sehr charakteristisches. Wenn man die äussere Oberfläche der Knochenrinde betrachtet, so sieht man schon mit dem blossen Auge kleine Löcher (Poren). Es sind dies die Oeffnungen von Kanälen, durch welche Gefässe aus dem Periost in die Knochenrinde eintreten. Bei einer mässigen Vergrösserung erkennt man, dass diese Kanäle (Fig. 38, v, v') alsbald unter der Oberfläche[111] sich verästeln. So entsteht ein System unter einander anastomosirender Röhren, die zuweilen mehr schräg nach Innen gehen, aber im Wesentlichen eine Längsrichtung einhalten. Zwischen diesen Maschen bleiben verhältnissmässig breite Zwischenräume, welche von dem eigentlichen Knochengewebe erfüllt sind. In dem letzteren liegen die Knochenkörperchen, grade so, wie in dem vorigen Beispiele die Knorpelkörperchen, und zwar im Allgemeinen in Reihen parallel den Gefässen. Nur die am meisten peripherischen Lagen der Rinde zeigen Knochenkörperchen, welche der Oberfläche parallel sind und deren Längsrichtung an langen Knochen (Röhrenknochen) der Längsaxe entspricht. Untersucht man dagegen Querschnitte, so bekommt man natürlich an den Stellen, wo vorher Längskanäle zu sehen waren, einfache runde Löcher, Durchschnitte (Fig. 39, a) zu Gesicht, hier und da durch eine schräge Verbindung vereinigt. Zwischen ihnen befindet sich die eigentliche Tela ossea mit den Knochenkörperchen, in lamellösen[112] Schichten gelagert, und zwar concentrisch um die Gefässe. Im Allgemeinen kann man daher sagen, dass die compacte Substanz der Knochen durchweg aus einer Zusammenordnung paralleler Lagen von Knochengewebe besteht, welche zu mehreren die einzelnen Gefässe umgeben. Nur da, wo diese Systeme von concentrischen Lamellen endigen, gewissermaassen in den Räumen, welche zwischen diesen Systemen übrig bleiben, findet sich eine geringe Masse von Knochengewebe (Fig. 39, i), welche nicht dieselbe Anordnung zeigt, sondern sich mehr unabhängig verhält; bei genauer Analyse zeigt sich, dass sie aus kleinen Säulen gebildet ist, welche meist senkrecht auf der Längsaxe des Knochens stehen und in eine Art von Bogen übergehen, die der Längsaxe parallel sind. Dies sind die Ueberreste der bei dem Dickenwachsthum des Knochens zuerst gebildeten, also ältesten Balken der Tela ossea.
Fig. 39. Knochenschliff, a querdurchschnittener Mark- (Gefäss-) Kanal, um welchen die concentrischen Lamellen l mit Knochenkörperchen und anastomosirenden Knochenkanälchen liegen. r längsdurchschnittene, parallele Lamellen. i unregelmässige Lagerung in den ältesten Knochenschichten, v Gefässkanal. Vergröss. 280.
Da man meistentheils in den Kanal-Durchschnitten, die man in Schliffen des Knochens gewinnt, die Gefässe selbst nicht mehr erkennt, so nannte man die Höhlungen (Fig. 38, v, v'; 39, a, v), in denen die Gefässe verlaufen, Markkanäle, insofern uneigentlich, als in diesen engen Kanälen meist kein Mark enthalten ist; man sollte eigentlich sagen: Gefässkanäle, doch ist jener Ausdruck so allgemein angenommen, dass man ihn auch da gebraucht, wo die Gefässwand sich unmittelbar an die innere Oberfläche der Höhlung anlegt. Häufig bezeichnet man die Kanäle auch nach ihrem Entdecker Havers. Im nächsten Umfange dieser Kanäle liegt stets eine Reihe von eigenthümlichen Gebilden: längliche oder rundliche, bei durchfallendem Lichte gewöhnlich schwarz erscheinende Körper, die mit Zacken oder Ausläufern versehen sind. Man nannte sie Knochenkörperchen (Fig. 24) und ihre Ausläufer Knochenkanälchen (Canaliculi ossei). Johannes Müller, welcher die Ansicht hegte, dass die Kalksubstanz in ihnen abgelagert sei und das dunklere Aussehen, welches sie bei durchfallendem Lichte darzubieten pflegen, eben von ihrem Kalkgehalte herrühre, bezeichnete die Kanälchen als Canaliculi chalicophori, ein Name, der heut zu Tage ganz gestrichen ist, weil man sich überzeugt hat, dass der Kalk gerade in ihnen nicht, sondern überall in der homogenen Grundsubstanz enthalten ist, welche zwischen ihnen liegt.
Fig. 40. Knochenschliff (Längsschnitt) aus der Rinde einer sklerotischen Tibia. a a Mark- (Gefäss-) Kanäle, zwischen ihnen die grossentheils parallel, bei b concentrisch (Querschnitt) geordneten Knochenkörperchen. Vergr. 80.
Als man erkannte, dass der Absatz des Kalkes in dem[113] Knochengewebe gerade umgekehrt, wie man geglaubt hatte, stattfindet, so ging man alsbald in das andere Extrem über, indem man den Namen der Knochenkörperchen durch den der Knochenlücken (Lacunen) ersetzte und annahm, der Knochen enthalte nur eine Reihe von leeren Höhlen und Kanälen, in welche allenfalls Flüssigkeit oder Gas gelange, welche aber eigentlich doch nur Spalten des Knochens darstellten. Einzelne nannten sie auch geradezu Knochenspältchen (Bruch). Ich habe mich bemüht, auf verschiedene Weise den Nachweis zu führen, dass es wirkliche Körperchen sind und nicht bloss Höhlen in einem Grundgewebe, mit einem Wort, dass es Gebilde sind, mit besonderen Wandungen und eigenen Grenzen versehen, welche sich aus der Grundsubstanz auslösen lassen. Durch chemische Einwirkung, insbesondere durch Maceration in concentrirter Salz- oder Salpetersäure, kann man es dahin bringen, dass die Grundsubstanz sich auflöst und die Körperchen frei werden. Dadurch ist wohl am sichersten der Nachweis geliefert, dass es körperliche, wirklich für sich bestehende Gebilde sind. Ueberdies erkennt man in ihnen Kerne,[114] und, auch ohne auf die Entwickelungsgeschichte einzugehen, findet man, dass man es auch hier wieder mit zelligen Elementen sternförmiger Art zu thun hat. Die Zusammensetzung des Knochens ergiebt demnach ein Gewebe, welches in einer scheinbar ganz homogenen, verkalkten Grundmasse (Intercellularsubstanz) sehr regelmässig vertheilt die eigentlichen, sternförmigen Knochenzellen enthält.
Die Entfernung zwischen je zwei Knochengefässen ist oft sehr bedeutend; ganze Lamellensysteme schieben sich zwischen die Markkanäle ein, mit zahlreichen Knochenkörperchen durchsetzt. Hier ist es gewiss schwierig, sich die Ernährung eines so complicirten Apparates als abhängig von der Thätigkeit der zum Theil so weit entfernten Gefässe zu denken, namentlich sich vorzustellen, wie jedes einzelne Körperchen in dieser grossen Zusammensetzung immer noch in einem Specialverhältniss der Ernährung zu den Gefässen stehen soll. Ueberdies lehrt die Erfahrung, dass wirklich jedes einzelne Knochenkörperchen für sich ein besonderes Ernährungs-Verhältniss besitzt. —
Ich habe diese Einzelheiten vorgeführt, um die lange Stufenleiter zu zeigen, die von den gefässreichen und den gefässhaltigen zu den gefässarmen und den gefässlosen Theilen stattfindet. Will man eine einfache und zugleich befriedigende Anschauung der Ernährungs-Verhältnisse haben, so glaube ich es als logische Forderung aufstellen zu müssen, dass Alles, was von der Ernährung der gefässreichen Theile ausgesagt wird, auch für die gefässarmen und für die gefässlosen Gültigkeit haben muss, und dass, wenn man die Ernährung der einzelnen Theile in eine direkte Abhängigkeit von den Gefässen oder dem Blute stellt, man wenigstens darthun muss, dass alle Elemente, welche in nächster Beziehung zu einem und demselben Gefässe stehen, welche also in ihrer Ernährung auf ein einziges Gefäss angewiesen sind, auch wesentlich gleichartige Lebensverhältnisse darbieten. In dem Falle vom Knochen müsste jedes System von Lamellen, welches nur ein Gefäss für seine Ernährung hat, auch immer gleichartige Zustände der Ernährung darbieten. Denn wenn das Gefäss oder das Blut, welches in demselben circulirt, das Thätige bei der Ernährung ist, so könnte man höchstens zulassen, dass ein Theil der Elemente, nehmlich der zunächst an den Gefässkanal anstossende, ihrer Einwirkung mehr, ein anderer, nehmlich[115] der entferntere, weniger ausgesetzt sei; im Wesentlichen müssten sie aber doch eine gemeinschaftliche und gleichartige, höchstens quantitativ verschiedene Einwirkung erfahren. Dass dies keine unbillige Anforderung ist, dass man eine gewisse Abhängigkeit bestimmter Gewebs-Territorien von bestimmten Gefässen allerdings zugestehen muss, davon haben wir die schönsten Beispiele in der Lehre von den Metastasen, namentlich in dem Studium der Veränderungen, welche durch die Verschliessung einzelner Capillargefässe zu Stande kommen, wie wir sie aus der Geschichte der Capillar-Embolie kennen. In solchen Fällen sehen wir in der That, dass ein ganzes Gewebsstück, so weit es in einer unmittelbaren Beziehung zu einem Gefässe steht, auch in seinen pathologischen Verhältnissen ein Ganzes vorstellt, ein vasculäres Territorium, eine Gefässeinheit. Allein diese Gefässeinheit erscheint vor einer feineren Auffassung immer noch als ein Vielfaches, als eine mehr oder weniger grosse Summe von Ernährungseinheiten (Zellenterritorien) und es genügt nicht, den Körper etwa in lauter Gefässterritorien zu zerlegen, sondern man muss noch innerhalb derselben weiter auf die Zellenterritorien zurückgehen.
In dieser Auffassung ist es, wie ich glaube, ein wesentlicher Fortschritt gewesen, dass durch meine Untersuchungen innerhalb der Gewebe der Bindesubstanz, wie ich früher hervorgehoben habe (S. 48), ein besonderes System anastomosirender Elemente nachgewiesen ist, und dass wir auf diese Weise anstatt der Vasa serosa, welche sich die Früheren für diese nächsten Zwecke der Ernährung zu den Capillaren hinzudachten, eine thatsächliche Ergänzung bekommen haben, durch welche die Möglichkeit von Saftströmungen an Orten gegeben ist, die an sich arm an Gefässen sind. Wenn wir beim Knochen stehen bleiben, so wären Vasa serosa eine nicht zu rechtfertigende Annahme. Die harte Grundsubstanz ist durch und durch ganz gleichmässig mit Kalksalzen erfüllt, so gleichmässig, dass man gar keine Grenze zwischen den einzelnen Kalktheilchen wahrnimmt. Wenn Einzelne angenommen haben, dass man kleine Körner daran unterscheiden könne, so ist dies ein Irrthum. Das Einzige, was man in der Grundsubstanz sieht, sind die Canaliculi, welche zuletzt alle zurückführen auf die Körper der Knochenzellen (Knochenkörperchen), und welche ihrerseits wieder verästelt sind. Die inneren Enden dieser Aeste, dieser kleinen Fortsätze reichen unmittelbar bis an die Oberfläche des[116] Gefässkanals (Markkanals). Sie setzen also unmittelbar da ein, wo die Gefässmembran anliegt (Fig. 41), denn man kann sie deutlich auf der Wand des Kanals als kleine Löcherchen wahrnehmen. Da nun die verschiedenen Knochenkörperchen wieder unter sich in offener Verbindung stehen, so ist dadurch die Möglichkeit gegeben, dass eine gewisse Quantität von Saft, welcher an der inneren Fläche des Gefässkanals aufgenommen ist, durch die ganze Gewebsmasse hindurch dringt, nicht diffus, sondern innerhalb dieser feinen prädestinirten und continuirlichen Wege,[117] welche der Injection vom Gefässe aus nicht mehr zugänglich sind. Eine Zeitlang hat man geglaubt dass die Kanälchen vom Gefässe aus zu injiciren seien, allein dies ist nur vom leeren (macerirten) Gefäss- oder Markkanal aus möglich.
Fig. 41. Schliff aus einem neugebildeten Knochen der Arachnoides cerebralis, der übrigens ganz normale Verhältnisse des Baues zeigt. Man sieht einen verästelten Gefäss- (Mark-) Kanal mit den in ihn einmündenden und zu den Knochenkörperchen führenden Knochenkanälchen. Vergröss. 350.
Fig. 42. Zahnschliff von der Krone. a äussere Oberfläche des Zahns, i innere Grenze gegen die Markhöhle hin. S Schmelz, D Dentin. Vergr. 150.
Fig. 43. Durchschnitt aus der halbmondförmigen Bandscheibe (Cartilago semilunaris) des Kniegelenks vom Kinde. a. Faserzüge mit spindelförmigen, parallel liegenden und anastomosirenden Zellen (Längsschnitt). b. Netzzellen mit breiten verzweigten und anastomosirenden Kanälchen (Querschnitt). Mit Essigsäure behandelt. Vergr. 350.
Es ist dies ein ganz ähnliches Verhältniss, wie am Zahn, wo man von der leeren Zahnhöhle aus die Zahnkanälchen oder Zahnröhrchen (Fig. 42) injiciren kann. Spritzt man Carminlösung in eine leere Zahnhöhle, so sieht man die Zahnkanälchen zahlreich neben einander als nahezu parallel, nur wenig strahlig auseinander gehende Röhren zu der Oberfläche aufsteigen. Die Zahnsubstanz bildet eben auch eine breite Lage von gefässloser Substanz. Gefässe finden sich nur in der Markhöhle des Zahns; von da nach aussen haben wir weiter nichts, als die eigentliche Zahnsubstauz (Dentin) mit ihrem Röhrensystem, welches an der Krone bis nahe an den Schmelz (Fig. 42, S) reicht, an der Zahnwurzel dagegen unmittelbar übergeht in eine Lage von wirklicher Knochensubstanz (Cement). Hier sitzen die Knochenkörperchen am Ende dieser Röhren auf. Eine ähnliche Einrichtung für die Saftströmung, wie vom Marke der Knochen, geht hier von der Zahnpulpe aus; der Ernährungssaft kann durch Röhren bis zum Schmelz und zum Cement geleitet werden.
Diese Art von Röhrensystemen, die im Knochen und Zahn in einer so ausgesprochenen Weise sich findet, ist in den weichen Gebilden mit einer ungleich geringeren Klarheit zu erkennen. Das ist wohl der hauptsächliche Grund gewesen, weshalb die Analogie,[118] welche zwischen den weichen Geweben der Bindesubstanz und den harten der Knochen besteht, nicht recht zur Anschauung gelangt ist. Am deutlichsten sieht man solche Einrichtungen an Punkten, die eine mehr knorpelige Beschaffenheit haben, namentlich im Faserknorpel. Aber es ist noch viel mehr bezeichnend, dass wir von dem Knorpel eine Reihe von Uebergängen zu anderen Geweben der Bindesubstanz finden, in welchen sich stets dasselbe Verhältniss wiederholt. Zuerst Theile, die chemisch noch zum Knorpel gehören, z. B. die Hornhaut, welche beim Kochen Chondrin gibt, obgleich sie Niemand als wirklichen Knorpel ansieht. Viel auffälliger ist die Einrichtung bei solchen Theilen, bei denen die äussere Erscheinung für Knorpel spricht, ohne dass die chemischen Eigenschaften übereinstimmen, z. B. bei den Cartilagines semilunares im Kniegelenk, jenen Bandscheiben zwischen Femur und Tibia, welche die Gelenkknorpel vor zu starken Berührungen schützen. Diese Theile, welche bis vor Kurzem allgemein als Knorpel beschrieben wurden, geben beim Kochen nicht Chondrin, sondern Leim. In diesem harten Bindegewebe treffen wir, wie in der Hornhaut und dem Faserknorpel, dasselbe System von anastomosirenden Elementen mit einer ungewöhnlichen Schärfe und Klarheit. Gefässe fehlen darin fast gänzlich; dagegen enthalten diese Bandscheiben ein Röhrensystem von seltener Schönheit. Auf dem Durchschnitte sieht man, dass das Ganze sich zunächst zerlegt in grosse Abschnitte, ganz ähnlich wie eine Sehne; diese zerfallen wieder in kleinere, und die kleinen endlich sind durchsetzt von einem feinen, sternförmigen System von Röhren, oder wenn man will, von Zellen, insofern der Begriff einer Röhre und der einer Zelle hier zusammenfallen. Die Zellennetze, welche das Röhrensystem bilden, gehen nach aussen hin in die Grenzlager der einzelnen Abschnitte über, und hier sehen wir nebeneinander beträchtliche Anhäufungen von Spindelzellen. Auch in den Bandscheiben hängt dieses Netz von Röhrchen nur äusserlich zusammen mit dem Circulationsapparat: Alles, was in das Innere des Gewebes gelangen soll, muss auf grossen Umwegen ein Kanalsystem mit zahlreichen Anastomosen passiren, und die innere Ernährung ist ganz und gar abhängig von dieser Art der Leitung. Die Bandscheiben sind Gebilde von beträchtlichem Umfange und grosser Dichtigkeit; und da hier alle Ernährung auf das letzte feine System von Zellen zurückzuführen ist, so haben wir es noch[119] viel mehr, als beim Knorpel, mit einer Art der Saftzufuhr zu thun, welche nicht mehr direkt von den Gefässen bestimmt werden kann.
Für das Verständniss der Abbildung (Fig. 43) füge ich noch hinzu, dass die letzten Elemente der Bandscheiben als sehr kleine Zellkörper erscheinen, die in lange, feine Fäden ausgehen, welche sich verästeln. Durchschnitte dieser Fäden stellen sich als kleine Punkte mit einem hellen Centrum dar. Alle Fäden lassen sich mit grosser Bestimmtheit bis an gemeinschaftliche Zellkörper verfolgen, ganz wie im Knochen. Es sind feinste Röhren, die in innigem Zusammenhang unter einander stehen, nur dass sie sich an gewissen Punkten zu grösseren Haufen sammeln, durch welche die Hauptleitung erfolgt, und dass die Zwischensubstanz in keinem Falle Kalk aufnimmt, sondern stets ihre Bindegewebsnatur beibehält.
Fußnoten:
[19] Vgl. meinen Vortrag über Nahrungs- und Genussmittel. Berlin 1868. S. 23.
[20] Verhandlungen der Berliner medic. Gesellschaft 1867. S. 254.
[21] Archiv 1857. XI. 574.
[22] Ebendas. 1852. IV. 387. 1855. VIII. 15. 1856. XI. 40. Gesammelte Abhandl. 1856. S. 50.
Sehnen, Hornhaut, Nabelstrang.
Weiches Bindegewebe (Zellgewebe). Elastisches Gewebe. Strukturlose Häute: Tunicae propriae, Cuticula. Elastische Membranen: Sarkolemm.
Lederhaut (Derma). Papillarkörper: vasculäre Bezirke. Unterhaut (subcutanes, subseröses, submucöses Gewebe). Tunica dartos.
Das feinere Kanalsystem des Bindegewebes: Körperchen, Lacunen. Bedeutung der Zellen für die Specialvertheilung der Ernährungssäfte innerhalb der Gewebe. Vegetativer Charakter der Ernährung. Elective Eigenschaften der Zellen.
Die Bandscheiben, wie wir sie in der am meisten ausgesprochenen Form im Kniegelenke an den sogenannten Semilunar-Knorpeln, die eben keine Knorpel sind, kennen gelernt haben, besitzen eigentlich die Eigenschaften platter Sehnen. Die einzelnen Structurverhältnisse, die wir in ihnen gefunden haben, wiederholen sich im Querschnitte der Sehnen. Betrachten wir daher zunächst diese oft so vernachlässigten Gebilde. Ich wähle dazu eine Reihe von Objecten aus der Achilles-Sehne sowohl des Erwachsenen, als des Kindes, welche verschiedene Entwickelungs-Stadien zeigen. Es ist dies überdem eine Sehne, die manche Bedeutung für operative Zwecke hat, die also schon aus praktischen Gründen wohl einen kleinen Aufenthalt entschuldigt.
An der Oberfläche einer Sehne sieht man bekanntlich mit blossem Auge eine Reihe von parallelen weisslichen Streifen ziemlich dicht der Länge nach verlaufen, welche das atlasglänzende Aussehen bedingen. Bei mikroskopischer Betrachtung erscheinen die Streifen natürlich mehr getrennt: die Sehne sieht deutlich[121] fasciculirt aus. Noch viel deutlicher ist dies auf einem Querschnitte, wo man schon mit blossem Auge eine Reihe von kleineren und grösseren Abtheilungen (Bündeln, Fascikeln) wahrnimmt. Vergrössert man das Object, so zeigt sich eine innere Einrichtung, welche fast ganz derjenigen entspricht, welche bei den Semilunar-Knorpeln geschildert ist. Am äusseren Umfange der Sehne liegt ringsumher eine faserige Masse, eine Art von lockerer Scheide, in der die Gefässe enthalten sind, welche die Sehne ernähren. Die grösseren Gefässe bilden in der Scheide ein Geflecht, welches die Sehne äusserlich umspinnt. Aus diesem Geflechte treten an einzelnen Stellen mit Fortsetzungen der Scheide Gefässe in das Innere, indem sie sich in den Zwischenlagen oder Scheiden der Fascikel (Fig. 44 a, b) verästeln. In das Innere der Fascikel selbst geht dagegen ebensowenig etwas von Gefässen hinein, als in das Innere der Bandscheiben; hier finden wir vielmehr wieder[122] das mehrfach besprochene Zellennetz, oder anders ausgedrückt, das eigenthümliche saftführende Kanalsystem, dessen Bedeutung wir beim Knochen kennen gelernt haben.
Fig. 44. Querschnitt aus der Achilles-Sehne eines Erwachsenen. Von der Sehnenscheide aus sieht man bei a, b und c Scheidewände nach innen laufen, welche maschenförmig zusammenhängen und die primären und secundären Fascikel abgrenzen. Die grösseren (a und b) pflegen Gefässe zu führen die kleineren (c) nicht mehr. Innerhalb der secundären Fascikel sieht man das feine Maschennetz der Sehnenkörperchen (Netzzellen) oder das intermediäre Saftkanalsystem. — Vergröss. 80.
Fig. 45. Querschnitt aus dem Innern der Achilles-Sehne eines Neugebornen. a die Zwischenmasse, welche die secundären Fascikel scheidet (entsprechend Fig. 44, c), ganz und gar aus dichtgedrängten Spindelzellen bestehend. Mit diesen in direkter Anastomose sieht man seitlich bei b, b netz- und spindelförmige Zellen in das Innere der Fascikel verlaufen. Die Zellen sind deutlich kernhaltig. Vergröss. 300.
Man kann demnach die Sehne zunächst in eine Reihe von grösseren (primären) Bündeln zerlegen, diese aber wieder in eine gewisse Summe von kleineren (secundären) Fascikeln theilen. Sowohl jene, als diese sind durch Züge einer faserigen, Gefässe und Faserzellen enthaltenden Bindesubstanz getrennt, so dass der Querschnitt der Sehne ein maschiges Aussehen darbietet. Von diesem interstitiellen oder interfasciculären Gewebe, das sich von der eigenthümlichen Sehnensubstanz nur durch seine Lockerheit, sowie durch die dichtere Anhäufung zelliger Elemente und durch die Anwesenheit der Gefässe unterscheidet, beginnt ein zusammenhängendes Netz sternförmiger Elemente (Sehnenkörperchen), welche in das Innere der Fascikel hineingehen, unter sich anastomosiren und die Verbindung zwischen den äusseren gefässhaltigen und den inneren gefässlosen Theilen der Fascikel herstellen. Dies Verhältniss ist in einer kindlichen Sehne sehr viel deutlicher, als[123] in einer erwachsenen. Je älter nehmlich die Theile werden, um so länger und feiner werden im Allgemeinen die Ausläufer der Zellen, so dass man an vielen Schnitten die eigentlichen Zellenkörper gar nicht trifft, sondern nur feine, in Fäden zu verfolgende Punkte oder punktförmige Oeffnungen erblickt. Die einzelnen Zellkörper rücken also mit fortschreitendem Wachsthum weiter auseinander und es wird immer schwieriger, die Zellen in ihrer ganzen Ausdehnung mit ihren Fortsätzen auf einmal zu übersehen. Auch muss man sich erst über das Verhältniss von Längs- und Querschnitt in's Klare setzen, um die vorkommenden Bilder richtig zu verstehen. Wo nehmlich auf einem Längsschnitte spindelförmige Elemente liegen, da treffen wir auf einem Querschnitte sternförmige, und umgekehrt entspricht dem Zellennetze des Querschnittes die regelmässige Abwechselung von reihenweise gestellten spindelförmigen Elementen des Längsschnittes ganz nach dem Schema, wie wir es für das Bindegewebe überhaupt aufgestellt[124] haben. Die Elemente sind also auch hier nur scheinbar einfach spindelförmig, wenn man einen reinen Längsschnitt betrachtet: ist dieser etwas schräg gefallen, so sieht man die seitlichen Ausläufer, durch welche die Zellen einer Reihe mit denen der anderen communiciren.
Fig. 46. Längsschnitt aus dem Innern der Achilles-Sehne eines Neugebornen. a, a, a Scheiden (interstitielles Gewebe). b, b Fascikel. In beiden sieht man spindelförmige Kernzellen, zum Theil anastomosirend mit leicht längsstreifiger Grundsubstanz, die Zellen in den Scheiden dichter, in den Fascikeln spärlicher, bei c der Durchschnitt eines interstitiellen Blut-Gefässes. Vergr. 250.
Bis jetzt hat man das fortgehende Wachsthum der Sehnen nach der Geburt noch nicht zum Gegenstande einer regelmässigen Untersuchung gemacht, und es ist nicht bekannt, ob dabei noch eine weitere Vermehrung der Zellen stattfindet; so viel ist jedoch sicher, dass die Zellen später sehr lang und die Abstände zwischen den einzelnen Kernstellen ausserordentlich gross werden. Das Structurverhältniss an sich erleidet dadurch jedoch keine Veränderung; die ursprünglichen Zellen erhalten sich, ohne in ihrer Form und ihren Lagerungs-Verhältnissen wesentliche Veränderungen zu erfahren, auch in dem grossen Röhrensystem, welches in der ausgewachsenen Sehne das ganze Gewebe durchzieht. Daraus erklärt sich die Möglichkeit, dass, obwohl die Sehne in ihren innersten Theilen keine Gefässe enthält und, wie man bei jeder Tenotomie sehen kann, nur wenig Blut in den äusseren Gefässen der Sehnenscheide und den inneren Gefässen der Interstitien der grösseren Bündel empfängt, doch eine gleichmässige Ernährung der Theile stattfinden kann. Diese lässt sich in der That nur so denken, dass auf besonderen, von den Gefässen unterscheidbaren Wegen Säfte durch die ganze Substanz der Sehne in regelmässiger Weise vertheilt werden. Nun sind aber die natürlichen Abtheilungen der Sehne fast ganz regelmässig, so dass ungefähr auf jedes einzelne zellige Element eine gleich grosse Menge von Zwischensubstanz kommt, und da die Zellenmaschen des Innern sich direkt in die dichten Zellenbündel der Interstitien und diese bis an die Gefässe verfolgen lassen (Fig. 44, 45), so darf man wohl unzweifelhaft in diesen Zellen die Wege einer intermediären Saftströmung sehen, welche nicht mehr durch freie Ostien mit den Wegen der allgemeinen Blutströmung zusammenhängen.
Es ist dies ein neues Beispiel für meine Ansicht von den Zellenterritorien. Ich zerlege die ganze Sehne, abgesehen von primären und secundären Fascikeln, in eine gewisse Zahl von Reihen linear und maschenförmig verbundener Zellen; jeder Reihe rechne ich ein gewisses Gewebsgebiet zu, so dass z. B. auf einem Längsschnitte etwa die Hälfte der Zwischenmasse der einen, die andere[125] Hälfte derselben der anderen Zellenreihe zugehören würde. Das, was man als die eigentlichen Bündel der Sehne betrachtet, wird hier also noch weiter zerspalten, indem die Sehne in eine grosse Zahl von besonderen Ernährungs-Territorien auseinander gelegt wird.
Ein solches Verhältniss finden wir überall bei den Geweben dieser Gruppe wieder. Aus ihm leitet sich, wie man sich durch direkte Anschauung überzeugen kann, zugleich die Grösse der Krankheitsgebiete ab: jede Krankheit, welche wesentlich auf einer nutritiven Störung der inneren Gewebs-Einrichtung beruht, stellt immer eine Summe aus den Einzelveränderungen solcher Territorien dar. Die Bilder, welche man bei diesen Untersuchungen gewinnt, gewähren durch die Zierlichkeit der inneren Anordnung zugleich einen wirklich ästhetischen Genuss, und ich kann nicht leugnen, dass, so oft ich einen Sehnenschnitt ansehe, ich mit immer erneutem Wohlgefallen diese netzförmigen Einrichtungen betrachte, welche in so zweckmässiger Weise die Verbindung des Aeusseren mit dem Inneren herstellen, und welche, ausser in dem Knochen, kaum in irgend einem anderen Gebilde mit so grosser Schärfe und Klarheit sich darlegen lassen, wie in der Sehne. —
Dem Bau und den Einrichtungen nach schliesst sich hier am leichtesten die Hornhaut an. Denn in ähnlicher Weise, wie die Sehne ihr peripherisches Gefässsystem hat und ihre inneren Theile durch das feine saftführende Röhrensystem ernährt werden, so reichen auch an der Hornhaut nur die feinsten Gefässe, und auch diese kaum eine Linie weit, über den Rand herüber, so dass nicht bloss der centrale Abschnitt, sondern der grösste Theil der Cornea vollkommen gefässlos ist, was schon wegen der Durchsichtigkeit des Gewebes sich als nothwendig ergibt. Der grösste Theil der Hornhaut ist daher in seinen Ernährungs-Einrichtungen so gestellt, dass er vom Umfange und von den Flächen her Stoffe aufnehmen und leiten kann, ohne dass es dazu direkter Gefässverbindung bedürfte.
Die Substanz der Hornhaut besteht nach der älteren Ansicht aus über einander geschichteten Lamellen (Platten oder Blättern), welche mehr oder weniger parallel durch die ganze Ausdehnung der Hornhaut gehen. Eine genauere Untersuchung zeigt jedoch, dass die Lamellen, wie beim Knochen, nicht vollkommen getrennt sind,[126] dass vielmehr die einzelnen Gewebs-Schichten, welche allerdings im Grossen lamellös über einander gelagert sind, unter einander vielfach zusammenhängen; sie liegen nicht in irgend welcher Art lose oder fest auf einander, sondern sie haben unter sich direkte Verbindungen. Es ist daher die Cornea vielmehr als eine überall zusammenhängende Masse anzusehen, deren fast homogene Grundsubstanz in gewissen Richtungen oder Zügen unterbrochen wird durch zellige Elemente (Hornhautkörperchen), ganz in derselben Weise, wie dies bei den anderen verwandten Geweben, welche wir schon besprochen haben, gesehen wird. Ein Verticalschnitt zeigt uns spindelförmige Elemente, welche unter einander anastomosiren, zugleich aber auch seitliche Ausläufer haben. Betrachtet man sie von der Fläche, im Horizontalschnitte, so erweisen sie sich als vielstrahlige, sternförmige, aber sehr platte Zellen, den Knochenkörperchen vergleichbar.
Fig. 47. Senkrechter Durchschnitt der Hornhaut des Ochsen, um die Gestalt und Anastomose der Hornhautzellen (Körperchen) zu zeigen. Hie und da sieht man durchschnittene, als Fasern oder Punkte erscheinende Zellenfortsätze. Vergr. 500. Nach His Würzb. Verhandl. IV. Taf. IV. Fig. I.
Indem nun diese Zellen in regelmässiger Weise, nehmlich in mehrfachen, parallelen Ebenen, in die Grundsubstanz eingelagert sind, so entsteht eben jene lamellöse, blätterige oder plattenartige[127] Beschaffenheit des ganzen Gewebes. Die Blätter der Hornhaut sind die Analoga der Bündel der Sehne. —
Fig. 48. Flächenschnitt der Hornhaut, parallel der Oberfläche; die sternförmigen, platten Körperchen mit ihren anastomosirenden Fortsätzen. Nach His, ebendas. Fig. II.
Ich schliesse ein anderes Gewebe hier an, das sonst in der Histologie nicht besonders bevorzugt ist, das aber gewiss kein geringes Interesse hat, nehmlich das Schleimgewebe. Wir finden dasselbe in besonders reichlicher Anhäufung in dem Nabelstrang, wo es die sogenannte Wharton'sche Sulze darstellt[23]. Diese gehört auch zu den Geweben, welche allerdings Gefässe führen, aber doch eigentlich keine Gefässe besitzen. Denn die Gefässe, welche durch den Nabelstrang hindurchgeleitet werden, sind nicht Ernährungsgefässe für die Nabelstrangsubstanz, wenigstens nicht in dem Sinne, wie wir von Ernährungsgefässen an anderen Theilen sprechen.
Wenn man nehmlich von nutritiven Gefässen spricht, so meint man damit stets solche Gefässe, welche in die Theile, die ernährt werden sollen, Capillaren senden. Die Aorta thoracica ist nicht das nutritive Gefäss des Thorax, eben so wenig als die Aorta abdominalis oder die Vena cava das für den Bauch. Man sollte also, wenn es sich um den Nabelstrang handelt, erwarten, dass ausser den beiden Nabel-Arterien und der Nabel-Vene noch Nabelstrang-Capillaren[128] existiren. Allein Arterien und Vene verlaufen, ohne auch nur das Mindeste von Aesten abzugeben, vom Nabel bis zur Placenta hin; erst hier beginnen die Verästelungen. Die einzigen capillaren Gefässe, die überhaupt in dem Nabelstrange eines etwas entwickelten Fötus gefunden werden, reichen nur etwa 4–5 Linien, selten ein wenig mehr von der Bauchhaut aus in denjenigen Theil des Nabelstranges hinein, welcher nach der Geburt persistirt. Je nachdem dieser gefässhaltige Theil höher oder niedriger heraufreicht, wird auch der spätere Nabel verschieden entwickelt. Bei sehr niedriger Gefässschicht wird der Nabel sehr tief, bei sehr grosser gibt es einen prominirenden Nabel. Die Capillaren bezeichnen die Grenze, bis zu welcher das permanente Gewebe reicht; die Portio caduca des Nabelstranges hat keine eigenen Gefässe mehr.
Fig. 49. Das abdominale Ende des Nabelstranges eines fast ausgetragenen Kindes, injicirt. A die Bauchwand. B der persistirende Theil mit dichter Gefäss-Injection am Rande. C Portio caduca mit den Windungen der Nabelgefässe. v die Capillargrenze.
Dieses Verhältniss, welches mir für die Theorie der Ernährung sehr wichtig zu sein scheint, übersieht man sehr leicht mit blossem Auge an injicirten Früchten vom fünften Monate an, sowie an Neugebornen. Die gefässhaltige Schicht setzt sich zuweilen fast geradlinig ab.
Freilich ist ein solches Object nicht absolut beweisend, denn es könnten immerhin einzelne feine Gefässe noch weiter gehen, welche nicht mit blossem Auge erkennbar wären. Aber ich habe gerade diesen Punkt zum Gegenstande einer speziellen Untersuchung gemacht[24], und obwohl ich eine Reihe von menschlichen Nabelsträngen bald von den Arterien, bald von den Venen aus injicirt habe, so ist es mir doch nie gelungen, auch nur das kleinste collaterale Gefäss zu sehen, welches über die Grenze der Portio persistens hinausging. Der ganze hinfällige Theil des Nabelstranges,[129] das lange Stück, welches zwischen dem cutanen Ansatz und der Placentar-Auflösung liegt, ist vollständig capillarlos, und es ist in ihm nichts weiter von Gefässen vorhanden, als die drei grossen Stämme. Diese zeichnen sich aber sämmtlich durch sehr dicke Wandungen aus, welche, wie wir erst durch Kölliker's Untersuchung wissen, ausserordentlich reich an glatten Muskelfasern sind.
Auf einem Querschnitte durch den Nabelstrang bemerkt man, wie die dicke mittlere Haut der Gefässe ganz und gar aus diesen Muskelfasern besteht, eine unmittelbar an der anderen, so reichlich, wie es sonst kaum an irgend einem vollständig entwickelten Gefässe gefunden wird. Diese Eigenthümlichkeit erklärt die auffallend grosse Contractilität der Nabelgefässe, welche bei Einwirkung mechanischer Reize, beim Abschneiden mit der Scheere, beim Kneifen oder auf elektrische Reize im Grossen so leicht in Wirkung tritt. Zuweilen verengern sich die Gefässe auf äussere Reize selbst bis zum Verschlusse ihres Lumens, so dass nach der Geburt auch ohne Ligatur, z. B. nach Abreissen des Nabelstranges, die Blutung von selbst stehen kann. Die Dicke der Wandungen dieser Gefässe ist daher leicht begreiflich, denn zu der an sich so dicken Muscularis kommt noch eine innere und eine, wenn auch nicht[130] gerade sehr stark entwickelte, äussere Haut; daran erst schliesst sich das sulzige Gallert-Gewebe (Schleimgewebe). Durch diese Lagen hindurch würde also die Ernährung geschehen müssen. Ich kann nun allerdings nicht mit Sicherheit sagen, von wo aus das Gewebe des Nabelstranges sich ernährt; vielleicht nimmt es aus dem Liquor Amnios Ernährungsstoffe auf; auch will ich nicht in Abrede stellen, dass durch die Wand der Gefässe Ernährungsstoffe hindurchtreten mögen, oder dass sich von den kleinen Capillaren des persistirenden Theils aus nutritives Material fortbewegt. Aber in jedem Falle liegt eine grosse Masse des Gewebes fern von allen Gefässen und von der Oberfläche; sie ernährt und erhält sich, ohne dass eine feinere Circulation von Blut in ihr vorhanden ist. Man hat nun allerdings lange Zeit hindurch sich mit diesem Gewebe nicht weiter beschäftigt, weil man es mit dem Namen der Sulze (Gallerte) belegte und es damit überhaupt aus der Reihe der Gewebe in die vieldeutige Gruppe der blossen Anhäufungen oder Ausschwitzungen von organischer Masse warf. Ich habe erst gezeigt[25], dass es wirklich ein gut gebildetes Gewebe von typischer Einrichtung ist, und dass dasjenige, was im engeren Sinne die Sulze darstellt, der ausdrückbare Theil der Intercellularsubstanz ist, nach dessen Entfernung ein leicht faseriges Gewebe zurück bleibt, welches ein feines, anastomotisches Netz von zelligen Elementen in derselben Weise enthält, wie wir es eben an der Sehne und an anderen Theilen kennen gelernt haben. Ein Durchschnitt durch die äusseren Schichten des Nabelstranges zeigt eine Bildung, welche viel Aehnlichkeit mit dem Habitus der äusseren Haut hat: ein Epidermoidal-Stratum, darunter eine etwas dichtere cutisartige Lage, dann die Whartonsche Sulze, welche der Textur nach dem Unterhautgewebe entspricht und eine Art von Tela subcutanea darstellt. Dies hat insofern für die Deutung einiger Gewebe der späteren Zeit ein besonderes Interesse, als die Sulze des Nabelstranges dadurch ihre nächste Verwandtschaft documentirt mit dem Panniculus adiposus, der aus ursprünglichem Schleimgewebe hervorgeht, sowie mit dem Glaskörper, welcher der einzige Gewebs-Rest ist, der, soweit ich bis jetzt ermitteln konnte[26], beim Menschen[131] während des ganzen Lebens in dem Zustande einer zitternden Gallerte oder Sulze verharrt. Er ist der letzte Rest des embryonalen Unterhautgewebes, welches bei der Entwickelung des Auges mit der Linse (der früheren Epidermis, S. 36) von aussen eingestülpt wird.
Fig. 50. Querdurchschnitt durch einen Theil des Nabelstranges. Links sieht man den Durchschnitt einer Nabelarterie mit sehr starker Muskelhaut, daran schliesst sich das allmählich immer weiter werdende Zellennetz des Schleimgewebes. Vergr. 80.
Die Haupt-Masse des Nabelstranges besteht aus einem maschigen Gewebe, dessen Maschenräume Schleim (Mucin) und einzelne rundliche Zellen enthalten und dessen Balken aus einer streifig-faserigen Substanz bestehen. Innerhalb dieser letzteren liegen sternförmige Elemente. Stellt man durch Behandlung mit Essigsäure ein gutes Präparat her, so bekommt man ein regelrechtes Netz von Zellen zu Gesicht, welches die Masse in so regelmässige Abtheilungen zerlegt, dass durch die Anastomosen, welche diese Zellen durch den ganzen Nabelstrang haben, eben auch eine gleichmässige Vertheilung der Säfte durch die ganze Substanz möglich wird. —
Fig. 51. Querdurchschnitt vom Schleimgewebe des Nabelstranges, das Maschennetz der sternförmigen Körper nach Behandlung mit Essigsäure und Glycerin darstellend. Vergr. 300.
Ich habe bis jetzt eine Reihe von Geweben vorgeführt, die alle darin übereinkamen, dass sie entweder sehr wenig Capillargefässe oder gar keine besitzen. In allen diesen Fällen erscheint[132] der Schluss sehr einfach, dass die besondere zellige Kanal-Einrichtung, welche sie besitzen, für die Saftströmung diene. Man könnte aber, zumal wenn man das Schleimgewebe nicht anerkennt, meinen, es sei dies eine Ausnahms-Eigenschaft, die nur den gefässlosen oder gefässarmen, im Allgemeinen harten Theilen zukäme, und ich muss daher noch ein Paar Worte über die Weichtheile hinzufügen, welche einen ähnlichen Bau haben. Alle Gewebe, welche wir bisher betrachtet haben, gehören nach der Classification, welche ich im Eingange gegeben habe, in die Reihe der Bindesubstanzen: der Faser-Knorpel, das fibröse oder Sehnengewebe, das Schleim-, Knochen- und Zahngewebe müssen sämmtlich derselben Klasse zugerechnet werden. In dieselbe Kategorie gehört aber auch die ganze Masse dessen, was man gewöhnlich unter dem Namen des eigentlichen Zellgewebes begriffen hat und worauf zumeist der von Joh. Müller[27] vorgeschlagene Name des Bindegewebes passt; jene Substanz, welche die Zwischenräume der verschiedenen Organe in bald mehr, bald weniger grosser Menge erfüllt, welche die Verschiebung der Theile gegen einander ermöglicht, und von der man sich früher dachte, dass sie grössere oder kleinere, mit einem gasförmigen Dunst (Halitus serosus) oder Feuchtigkeit gefüllte Räume (Zellen im groben Sinne, Areolen) enthielte (S. 40).
An den meisten Orten liegen darin zahlreiche Arterien, Venen und Capillaren, und die Einrichtung für die Ernährung ist die allergünstigste von der Welt. Trotzdem besteht auch hier neben den Blutgefässen überall eine feinere Einrichtung der Ernährungswege genau in derselben Art, wie wir sie eben kennen gelernt haben, nur dass, je nach dem besonderen Bedürfnisse, an einzelnen Theilen eine eigenthümliche Veränderung der Zellen stattfindet, indem nach und nach an die Stelle der einfachen Zellennetze und Zellenfasern eine compactere Bildung tritt, welche durch eine direkte Umwandlung daraus hervorgeht, das sogenannte elastische Gewebe.
Fig. 52. Elastische Netze und Fasern aus dem Unterhautgewebe vom Bauche einer Frau. a, a grosse, elastische Körper (Zellkörper) mit zahlreichen anastomosirenden Ausläufern. b, b dichte elastische Faserzüge, an der Grenze grösserer Maschenräume. c, c mittelstarke Fasern, am Ende spiralig retrahirt. d, d feinere elastische Fasern, bei e feinspiralig zurückgezogen. Vergr. 300.
Wenige Monate, nachdem ich meine ersten Beobachtungen über die Zellen und Röhrensysteme der Bindesubstanzen mitgetheilt[133] hatte, veröffentlichte Donders seine Beobachtungen über die Umbildung der Bindegewebszellen in elastische Elemente, — eine Erfahrung, welche für die Vervollständigung der Geschichte des Bindegewebes von grosser Bedeutung geworden ist. Wenn man nehmlich an solchen Punkten untersucht, wo das Bindegewebe grossen Dehnungen ausgesetzt ist, wo es also eine grosse Widerstandsfähigkeit besitzen muss, so findet man in derselben Anordnung und Verbreitung, welche sonst die Zellen und Zellenröhren des Bindegewebes darbieten, elastische Fasern, und man kann nach und nach die Umbildung der einen in die anderen so verfolgen, dass es nicht zweifelhaft bleibt, dass nicht bloss die feineren (Henle's sogenannte Kernfasern, Fig. 20 und 22), sondern auch die gröberen elastischen Fasern direkt durch eine chemische Veränderung und Verdichtung der Wand von Bindegewebskörperchen hervorgehen. Da, wo ursprünglich eine einfache, mit langen Fortsätzen versehene Zelle lag, da sehen wir nach und nach die Membran nach innen hin an Dicke zunehmen und das Licht stärker brechen, während der eigentliche Zelleninhalt sich immer mehr reducirt und endlich verschwindet. Das ganze Gebilde wird dabei gleichmässiger, gewissermaassen sklerotisch und erlangt gegen Reagentien eine unglaubliche Widerstandsfähigkeit, so dass nur die stärksten Caustica nach längerer Einwirkung[134] dasselbe zu zerstören im Stande sind, während es den kaustischen Alkalien und Säuren in der bei mikroskopischen Untersuchungen gebräuchlichen Concentration vollkommen widersteht. Je weiter diese Umwandlung fortschreitet, um so mehr nimmt die Elasticität der Theile zu, und wir finden in den Schnitten diese Fasern gewöhnlich nicht gerade oder gestreckt, sondern gewunden, aufgerollt, spiralig gedreht oder kleine Zikzaks bildend (Fig. 52, c, e). Dies sind die Elemente, welche vermöge ihrer grossen Elasticität Retractionen derjenigen Theile bedingen, an welchen sie in grösserer Masse vorkommen, z. B. der Arterien, der elastischen Bänder. Man unterscheidet gewöhnlich feine elastische Fasern, welche eben die grosse Verschiebbarkeit besitzen, von den breiteren, welche keine gewundenen Formen annehmen. Der Entstehung nach scheint indess zwischen beiden Arten kein Unterschied zu sein; meiner Meinung nach gehen beide aus Bindegewebszellen hervor und die spätere Anordnung wiederholt die ursprüngliche Anlage. An die Stelle eines Gewebes, welches aus Grundsubstanz und einem maschigen, anastomosirenden Zellengewebe besteht, tritt nachher ein Gewebe, dessen Grundsubstanz durch grosse elastische Maschennetze mit höchst compacten und derben Fasern abgetheilt wird.
Ich will damit jedoch keineswegs behauptet haben, dass alle Dinge, welche man gelegentlich elastische Fasern nennt, auf dieselbe Weise entstehen. Im Netzknorpel wird die Intercellularsubstanz von sehr starken, rauhen Fasern durchsetzt, welche die gewöhnlich runden Zellen umziehen, aber weder einen Zusammenhang mit ihnen haben, noch aus ihnen hervorgehen. Manche neuere Beobachter sind der Meinung, dass in ähnlicher Weise auch die elastischen Fasern des Bindegewebes Producte der Intercellularsubstanz seien. Dieses scheint mir unrichtig zu sein. Allerdings verdichtet sich auch die Intercellularsubstanz des Bindegewebes an gewissen Orten zu einer homogenen, glasartigen, strukturlosen Membran von ganz ähnlichem Aussehen, wie die elastischen Fasern. Dahin gehören namentlich die sogenannten Tunicae propriae der Drüsenkanäle, z. B. der Niere, der Schweissdrüsen, für welche die englische Terminologie den Namen der Basement membranes eingeführt hat. Dahin scheint auch das Sarkolemm der Muskelprimitivbündel zu zählen zu sein, welches allerdings den Eindruck einer Zellmembran macht, welches aber erst im[135] Laufe der späteren Entwickelung mehr hervortritt und gelegentlich z. B. in den Trichinen-Kapseln eine kolossale Dicke erreicht. Manche dieser Bildungen hat man, nach Analogie der Chitinhäute niederer Thiere, als eine Ausscheidung der Zellen, als sogenannte Cuticulae aufgefasst, indess passt diese Bezeichnung nur für solche Häute, welche nach aussen von den Zellen liegen, nicht für solche, welche, wie die Tunicae propriae der Drüsenkanäle, nach innen von denselben sich befinden. Wenn ich daher für die elastischen Membranen eine Ableitung derselben aus der Intercellularsubstanz zulasse, so halte ich doch daran fest, dass die eigentlichen elastischen Fasern aus den Zellkörpern des Bindegewebes entstehen.
Bis jetzt ist nicht mit Sicherheit ermittelt, ob die Verdichtung (Sklerose) der Zellen bei dieser Umwandlung so weit fortgeht, dass ihre Leitungsfähigkeit völlig aufgehoben, ihr Lumen ganz beseitigt wird, oder ob im Innern eine kleine Höhlung übrig bleibt. Auf Querschnitten feiner elastischer Fasern sieht es so aus, als ob das Letztere der Fall sei, und man könnte sich daher vorstellen, dass bei der Umbildung der Bindegewebskörperchen in elastische Fasern eben nur eine Verdichtung und Verdickung mit gleichzeitiger chemischer Umwandlung an ihren äusseren Theilen stattfände, schliesslich jedoch ein Minimum des Zellenraumes übrig bliebe. Was für eine Substanz es ist, welche die elastischen Theile bildet, ist nicht ermittelt, weil sie absolut unlöslich ist; man kennt von der chemischen Natur dieses Gewebes nichts, als einen Theil seiner Zersetzungs-Produkte. Daraus lässt sich aber weder seine Zusammensetzung, noch seine chemische Stellung zu den übrigen Geweben beurtheilen.
Elastische Fasern finden sich überaus verbreitet in der äusseren Haut (Cutis), namentlich in den tieferen Schichten der eigentlichen Lederhaut; sie bedingen hauptsächlich die ausserordentliche Resistenz dieses Theiles, die sich auch nach dem Tode erhält und von der die Güte der Schuhsohlen und anderer, starker Abnutzung ausgesetzter, aus Leder gefertigter Geräthe abhängt. Die verschiedene Festigkeit der einzelnen Schichten der Haut beruht wesentlich auf ihrem grösseren oder geringeren Gehalt an elastischen Fasern. Den oberflächlichsten Theil der Cutis dicht unter dem Rete Malpighii bildet der Papillarkörper, worunter man nicht nur die Papillen selbst, sondern auch eine Lage von[136] flach fortlaufender Cutissubstanz mit kleinen Bindegewebskörperchen zu verstehen hat. In die Papillen selbst steigen nur feine elastische Fasern und zwar in Bündelform auf. In der Basis der Papillen erscheinen dann zuerst feine und enge Maschennetze (Fig. 17, P, P), welche nach der Tiefe zu mit dem sehr dicken und groben elastischen Netz zusammenhängen, welches den mittleren, am meisten festen Theil der Haut, die eigentliche Lederhaut (Derma) durchsetzt. Darunter folgt endlich ein noch gröberes Maschennetz innerhalb der weniger dichten, aber immerhin noch sehr soliden, unteren Schicht der Cutis, welche endlich in das Fett- oder Unterhautgewebe (die Unterhaut) übergeht.
Wo eine solche Umwandlung der Bindegewebskörperchen in elastisches Gewebe stattgefunden hat, da trifft man manchmal fast gar keine deutlichen Zellen mehr. So ist es nicht bloss an der Cutis, sondern auch namentlich an gewissen Stellen der mittleren Arterienhaut, namentlich der Aorta. Hier wird das Netz von elastischen Fasern so überwiegend, dass es nur bei grosser Sorgfalt möglich ist, hier und da feine zellige Elemente dazwischen zu entdecken. In der Cutis dagegen findet man neben den elastischen Fasern eine etwas grössere Menge von kleinen Elementen, die ihre zellige Natur noch erhalten haben, allerdings in äusserst minutiöser Grösse, so dass man danach besonders suchen muss. Sie liegen gewöhnlich in den Räumen, welche von den grossmaschigen Netzen der elastischen Fasern umgrenzt werden; sie bilden hier entweder ein vollkommen anastomotisches, kleinmaschiges System, oder sie erscheinen auch wohl als mehr gesonderte, rundlich-ovale Gebilde, indem die einzelnen Zellen nicht deutlich mit einander in Verbindung stehen. Dies ist namentlich in dem Papillarkörper der Haut der Fall, der sowohl in seiner ebenen Schicht, als in den Papillen zahlreiche kernhaltige Zellen führt, im geraden Gegensatze zu der zugleich mehr gefässarmen eigentlichen Lederhaut. Es bedarf der Papillarkörper einer ungleich zahlreicheren Menge von Gefässen, da diese zugleich das Ernährungsmaterial für das ganze, über der Papille liegende und für sich gefässlose Oberhautstratum liefern müssen. Trotz der verhältnissmässigen Grösse dieser Gefässe bleibt doch nur eine kleine Menge Ernährungssaft der Papille als solcher zur Disposition. Jeder Papille entspricht daher ein gewisser Abschnitt der darüber liegenden Oberhaut, welcher mit der Papille zusammen einen einzigen[137] vasculären oder Ernährungsbezirk darstellt. Innerhalb dieses Bezirkes zerfällt sowohl die Oberhaut, als auch die Papille als solche wieder in so viele Elementar- (histologische) Territorien, als überhaupt Elemente (Zellen) darin vorhanden sind.
Fig. 53. Injectionspräparat von der Haut, senkrechter Durchschnitt. E Epidermis, R Rete Malpighii, P die Hautpapillen mit den auf- und absteigenden Gefässen (Schlingen). C Cutis. Vergr. 11.
Die Unterhaut (tela subcutanea) besteht an den meisten Stellen des Körpers keineswegs, wie man noch jetzt so häufig hört, aus Zellgewebe, sondern aus Fettgewebe (panniculus adiposus). Sie verhält sich in dieser Beziehung ganz ähnlich, wie an sehr vielen Orten das subseröse Gewebe, welches gleichfalls eine vorwiegende Neigung zur Fettabsetzung erkennen lässt. Die subpericardialen, subpleuralen, subperitonäalen, subsynovialen Schichten sind bei gut genährten Personen mehr oder weniger vollständig aus Fettgewebe gebildet. Wesentlich verschieden verhält sich das submucöse Gewebe, welches wohl gelegentlich wahres Fettgewebe ist, jedoch meist aus loserem Bindegewebe, seltener aus Schleimgewebe besteht. Ihnen am nächsten steht unter den subcutanen Lagern die Unterhaut des Scrotum (Tunica dartos), welche überdies noch dadurch ein besonderes Interesse darbietet, dass sie ausnehmend reich an Gefässen und Nerven ist, ganz entsprechend der besonderen Bedeutung dieses Theiles, und dass sie ausserdem eine grosse Masse von organischen Muskeln und zwar von jenen kleinen Hautmuskeln besitzt, die ich früher erwähnt habe (S. 58). Letztere sind die eigentlich wirksamen Elemente der contractilen Tunica dartos. Gerade hier, wo man früher auf contractiles Zellgewebe zurückgegangen war, ist die Menge der kleinen Hautmuskeln überaus reichlich; die[138] kräftigen Runzelungen des Hodensackes entstehen einzig und allein durch die Contraction dieser feinen Bündel, welche man namentlich nach Carminfärbung sehr leicht von dem Bindegewebe unterscheiden kann. Es sind Fascikel von ziemlich gleicher Breite, meist breiter, als die Bindegewebsbündel; die einzelnen Elemente sind in ihnen in Form von langen glatten Faserzellen zusammengeordnet. Jedes Muskel-Fascikel zeigt, wenn man es mit Essigsäure behandelt, in regelmässigen Abständen jene eigenthümlichen, langen, häufig stäbchenartigen Kerne der glatten Muskulatur, und zwischen denselben eine streifige Abtheilung nach den einzelnen Zellen, deren Inhalt ein leicht körniges Aussehen hat. Das sind[139] die Runzler des Hodensackes (Corrugatores scroti). Daneben finden sich in der überaus weichen Haut auch noch eine gewisse Zahl von feinen elastischen Elementen und in grösserer Menge das gewöhnliche weiche, lockige Bindegewebe mit einer grossen Zahl verhältnissmässig umfangreicher, spindel- und netzförmiger, schwach granulirter Kernzellen.
Fig. 54. Schnitt aus der Tunica dartos des Scrotums. Man sieht nebeneinander parallel eine Arterie (a), eine Vene (v) und einen Nerven (n); erstere beide mit kleinen Aesten. Rechts und links davon organische Muskelbündel (m, m) und dazwischen weiches Bindegewebe (c, c) mit grossen anastomosirenden Zellen und feinen elastischen Fasern. Vergr. 300.
Das weiche Bindegewebe verhält sich daher, abgesehen von den in dasselbe eingelagerten, dem Bindegewebe als solchem nicht angehörigen Theilen (Gefässen, Nerven, Muskeln, Drüsen), wie das harte: überall ein Netz verzweigter und unter einander anastomosirender Zellen in einer, grossen Schwankungen der Consistenz und der inneren Zusammensetzung unterworfenen Grundsubstanz. Um jedoch die grosse Verschiedenheit der Ansichten, die noch immer über diesen schwierigen Gegenstand besteht, nicht zu verschweigen, so wollen wir hier erwähnen, dass eine grosse Zahl auch der neuesten Beobachter nicht bloss die zellige, sondern sogar die körperliche Natur der von mir beschriebenen Bindegewebszellen oder Bindegewebskörperchen, sowie aller der ihnen aequivalenten Gebilde (Knochen-, Hornhaut-, Sehnen-Körperchen) geradezu in Abrede stellt, und an die Stelle derselben blosse Zwischenräume, Aushöhlungen oder Lücken (Lacunen) setzt, welche sich zwischen den Bündeln oder Lamellen des Gewebes an den Punkten finden sollen, wo die Bündel oder Lamellen nicht vollständig mit einander in Berührung kommen. Die Erfahrung, dass die Bindegewebsmassen, welche an die Oberfläche treten, an verschiedenen Orten mit einer derberen, mehr homogenen, zuweilen elastischen oder glasartigen Haut oder Schicht (Tunica propria S. 134) bedeckt sind, ist zu Hülfe genommen worden, um zu erklären, dass auch jene Zwischenräume, Aushöhlungen oder Lücken von wirklichen Membranen umgrenzt sein könnten, ohne dass diese Membranen einem Zellkörper zugehörten. Selbst der Umstand, dass ich auf verschiedene Weise sowohl aus dem Binde- und Schleimgewebe, als auch aus Knochen und anderen Hartgebilden verästelte Körper isolirt habe, eine Erfahrung, welche durch zahlreiche andere Untersucher, wie Fel. Hoppe, His, Kölliker, H. Müller, Leydig, v. Hessling, A. Förster bestätigt ist, hat den Kritikern nicht genügt; man hat dagegen erklärt, dass auch eine blosse Lücke, die von Membranen umgrenzt sei, sich durch Auflösen der umliegenden Substanz isoliren lasse. Man[140] übersah dabei, dass aus frischen Geweben die Isolations-Methode nicht bloss Membranen, sondern wirkliche Körper mit solidem Inhalt liefert. Solche Widersprüche lassen sich durch blosse Debatten und Reden überhaupt nicht zum Schweigen bringen. Hier kann nur die eigene Erfahrung genügen, sobald sie mit philosophischem Sinne, mit genauer Berücksichtigung der Histogenie und in möglich grösster Ausdehnung über das gesammte Gebiet der thierischen Organisation ausgeführt wird. Sicherlich gibt es Bindegewebslager und Bindegewebsbündel, deren oberflächlichste Schicht durch spätere Differenzirung eine hautartige Verdichtung erfahren hat, und welche also eine Art von Hülle oder Scheide besitzen, aber eben so sicher ist es, dass dies keine allgemein-gültige Erfahrung ist, und dass, selbst wenn sie allgemein wäre und wenn sie auch für die inneren Einrichtungen des weichen und harten Bindegewebes, der Knochen und Sehnen Gültigkeit hätte, daraus doch weiter nichts folgen würde, als dass auch die Bindegewebs-, Knochen- und Sehnenkörperchen sich, wie die Knorpelkörperchen, mit einer besondern Kapselmembran umgeben könnten. Nachdem selbst so hartnäckige Opponenten, wie Henle, zugestanden haben, dass im Innern jener sogenannten Lücken sehr häufig Kerne, Inhalt (Protoplasma), ja wirkliche Zellen zu finden seien, so bewegt sich der Streit nur noch um die Formel, nicht mehr um die Thatsachen. Meiner Anschauung genügt das Zugeständniss, dass in diesen Geweben, namentlich im Bindegewebe, verzweigte und zusammenhängende Röhrchen und Canälchen existiren, welche sich an gewissen Knotenpunkten zu grösseren Lacunen sammeln, und dass diese Röhrchen, Canälchen und Lacunen von zelligen Theilen erfüllt sind, welche sowohl bei der ersten Anlage des Gewebes vorhanden sind, als sich durch das ganze Leben des Individuums erhalten können[28].
Diese persistirenden Zellen des Bindegewebes hat man früher völlig übersehen, indem man als die eigentlichen Elemente des Bindegewebes die Fibrillen desselben betrachtete. Wie wir schon früher (S. 41) gesehen haben, so liegen diese Fibrillen in der Regel in Bündeln zusammen. Trennt man die einzelnen Theile des Bindegewebes von einander, so erscheinen kleine Bündel von welliger Form und streifigem, fibrillärem Aussehen. Die Vorstellung[141] von Reichert, dass dieses Aussehen nur durch Faltenbildung bedingt würde, darf in der Ausdehnung, wie sie aufgestellt wurde, nicht angenommen werden; man muss vielmehr neben den Fibrillen eine gleichmässige Grundmasse, eine Art von Kittsubstanz zulassen, welche die Fibrillen innerhalb des Bündels zusammenhält. Nach den Untersuchungen von Rollett scheint dies nicht selten auch im wahren Bindegewebe Mucin zu sein. Indess ist dies eine Frage von untergeordneter Bedeutung, in so fern es ganz und gar unzulässig ist, die der Intercellularsubstanz angehörenden Fibrillen des Bindegewebes als eigentliche organische Elemente zu betrachten. Dagegen ist es äusserst wichtig, zu wissen, dass überall, wo lockeres Bindegewebe sich findet, in der Unterhaut, im Zwischenmuskel-Gewebe, in den serösen Häuten, dasselbe durchzogen ist von meist anastomosirenden Zellen, welche auf Längsschnitten parallele Reihen, auf Querschnitten Netze bilden und welche in ähnlicher Weise die Bündel des Bindegewebes von einander scheiden, wie die Knochenkörperchen die Lamellen der Knochen, oder wie die Hornhautkörperchen die Blätter der Hornhaut.
Neben ihnen finden sich überall die mannichfachsten Gefässverästelungen, und zwar namentlich so viele Capillaren, dass eine besondere Leitungs-Einrichtung des Gewebes selbst geradezu unnöthig erscheinen könnte. Allein dieser Schluss ist nur bei oberflächlicher Betrachtung richtig. Eine genauere Erwägung ergiebt, dass auch diese Gewebe, so günstig ihre Capillarbahnen liegen, einer Einrichtung bedürfen, welche die Möglichkeit darbietet, dass eine Special-Vertheilung der ernährenden Säfte auf die einzelnen zelligen Bezirke in gleichmässiger und dem jeweiligen Bedürfnisse entsprechender Weise stattfinde. Erst wenn man die Aufnahme des Ernährungsmaterials als eine Folge der Thätigkeit (Anziehung) der Gewebs-Elemente selbst auffasst, begreift man, dass die einzelnen Bezirke nicht jeden Augenblick der Ueberschwemmung vom Blute aus preisgegeben sind, dass vielmehr das in dem Blute dargebotene Material nur nach dem wirklichen Bedarf in die Theile aufgenommen und den einzelnen Bezirken in verschiedenem Maasse zugeführt wird. So erklärt es sich auch, dass unter normalen Verhältnissen der eine Theil nicht durch die anderen in seinem Bestande wesentlich benachtheiligt wird.
Auf diese Weise erscheint die Ernährung in einer unmittelbaren Beziehung zu dem Leben der einzelnen Theile, dessen Fortdauer trotz der durch die Thätigkeit und die Verrichtungen des Theiles eintretenden Veränderungen ja eben nur möglich ist durch eine mit Wechsel der Stoffe verbundene Erhaltung und Ernährung der natürlichen Zusammensetzung. Diese Erhaltung setzt aber ihrerseits bleibende regulatorische Einrichtungen in jedem einzelnen Theile voraus, in der Art, dass der Theil für sich eine bestimmende Einwirkung auf Abgabe und Aufnahme von Stoffen ausübt, in ähnlicher Weise, wie dies auch bei den Theilen der Pflanze stattfindet. Denn der Begriff der Vegetation beherrscht dieses ganze Gebiet des thierischen Lebens. Schon die erste Darstellung, welche ich von den Ernährungseinheiten und Krankheitsheerden des menschlichen Körpers gegeben habe[29], stützte sich wesentlich auf den Parallelismus, der durch das ganze Gebiet des Organischen geht, und jede weitere Forschung hat diese Anschauung nur bestärkt. Die einzelne Zelle innerhalb eines Gewebes wird nicht ernährt, sondern sie ernährt sich, d. h. sie entnimmt den Ernährungsflüssigkeiten, welche sich in ihrer Umgebung befinden, den für sie erforderlichen Theil. Sowohl quantitativ, als qualitativ ist die Ernährung daher ein Ergebniss der Thätigkeit der Zelle, wobei sie natürlich abhängig ist von Quantität und Qualität des ihr erreichbaren Ernährungsmaterials, aber keineswegs in der Art, dass sie genöthigt wäre, aufzunehmen, was und wie viel ihr zufliesst. Gleichwie die einzelne Zelle eines Pilzes oder einer Alge aus der Flüssigkeit, in der sie lebt, sich so viel und so beschaffenes Material nimmt, als sie für ihre Lebenszwecke braucht, so hat auch die Gewebszelle inmitten eines zusammengesetzten Organismus elective Fähigkeiten, vermöge welcher sie gewisse Stoffe verschmäht, andere aufnimmt und in sich verwendet. Das ist die eigentliche Nutrition im cellularen Sinne.
Fußnoten:
[23] Thom. Wharton (Adenographia. Amstelod. 1659. pag. 233) sagt sehr charakteristisch: Lymphaeductus vel gelatina, quae eorum vices gerit, alterum succum albumini ovorum similiorem abducit (a placenta) ad funiculum umbilicalem.
[24] Archiv f. path. Anatomie und Physiol. 1851. III. 459.
[25] Würzb. Verhandl. 1851. II. 160.
[26] Würzb. Verhandl. II. 317. Archiv f. path. Anat. IV. 486. V. 278.
[27] Müller, Handb. der Physiol. I. 2. 1834. S. 410: „Das Zellgewebe, welches durch seine Eigenschaft, andere Gewebe mit einander zu vereinigen, auch Bindegewebe genannt werden könnte.“
[28] Archiv f. path. Anat. u. Phys. XVI. 1.
[29] Archiv f. path. Anat. u. Physiol. 1852. IV. 375.
Arterien. Ihre Zusammensetzung: Epithel, Intima, Media (Muscularis), Adventitia. Capillaren. Capillare Arterien und Venen. Continuität der Gefässwand. Porosität derselben. Hæmorrhagia per diapedesin. Venen. Gefässe in der Schwangerschaft.
Eigenschaften der Gefässwand:
1) Contractilität. Rhythmische Bewegung. Active oder Reizungs-Hyperämie. Ischämie. Gegenreize.
Collaterale Fluxion.
2) Elasticität und Bedeutung derselben für die Schnelligkeit und Gleichmässigkeit des Blutstromes.
Erweiterung der Gefässe.
3) Permeabilität. Diffusion. Specifische Affinitäten. Verhältniss von Blutzufuhr und Ernährung.
Die Drüsensecretion (Leber). Specifische Thätigkeit der Gewebselemente.
Dyskrasie. Transitorischer Charakter und localer Ursprung derselben. Säuferdyskrasie. Hämorrhagische Diathese. Syphilis.
In den letzten Capiteln habe ich in eingehender Weise versucht, ein Bild von den feineren Einrichtungen für die Saftströmungen innerhalb der Gewebe zu liefern, und zwar namentlich von denjenigen, wo die Säfte selbst sich der Beobachtung mehr entziehen. Wenden wir uns nunmehr zu den gröberen Wegen und den edleren Säften, welche in der gangbaren Anschauung bis jetzt eigentlich allein Berücksichtigung fanden.
Fig. 55. A. Epithel von der Cruralarterie (Archiv f. path. Anat. Bd. III. Fig. 9 und 12. S. 569). a Kerntheilung.
B. Epithel von grösseren Venen. a, a Grössere, granulirte, runde, einkernige Zellen (farblose Blutkörperchen?). b, b Längliche und spindelförmige Zellen mit getheiltem Kern und Kernkörperchen. c Grosse, platte Zellen mit zwei Kernen, von denen jeder drei Kernkörperchen besitzt und in Theilung begriffen ist. d Zusammenhängendes Epithel, die Kerne in progressiver Theilung, eine Zelle mit sechs Kernen. Vergr. 320.
Die Vertheilung des Blutes im Körper ist zunächst abhängig von der Vertheilung der Gefässe innerhalb der einzelnen Organe. Indem die Arterien sich in immer feinere Aeste auflösen, ändert sich allmählich auch der Habitus ihrer Wandungen, so dass endlich feine Kanäle mit einer scheinbar so einfachen Wand, wie sie überhaupt im Körper angetroffen wird, sogenannte Haarröhrchen (Capillaren), daraus hervorgehen. Histologisch ist dabei Folgendes zu bemerken:
Jede Arterie hat verhältnissmässig dicke Wandungen, und[144] selbst an denjenigen Arterien, die man mit blossem Auge eben noch als feinste Fädchen verfolgen kann, unterscheidet man mit Hülfe des Mikroskopes nicht bloss die bekannten drei Häute, sondern noch ausser diesen eine feine Epithelialschicht, welche die innere Oberfläche bekleidet; sie pflegt gewöhnlich nicht als eine besondere Haut bezeichnet zu werden. Die innere und äussere Haut (Intima und Adventitia) sind wesentlich Bindegewebsbildungen, welche in grösseren Arterien einen zunehmenden Gehalt an elastischen Fasern erkennen lassen; zwischen ihnen liegt die verhältnissmässig dicke, mittlere oder Ringfaserhaut, welche als Sitz der Muskulatur fast den wichtigsten Bestandtheil der Arterienwand ausmacht. Die Muskulatur findet sich am reichlichsten in den mittleren und kleineren Arterien, während in den ganz grossen, namentlich in der Aorta, elastische Blätter den überwiegenden Bestandtheil auch der Ringfaserhaut ausmachen. An kleinen Arterien bemerkt man bei mikroskopischer Untersuchung leicht innerhalb dieser mittleren Haut (vergl. Fig. 28 b, b. Fig. 54 a) kleine Quer-Abtheilungen, entsprechend den einzelnen musculösen Faserzellen, welche so dicht um das Gefäss herumliegen, dass wir Faserzelle neben Faserzelle fast ohne irgend eine Unterbrechung finden. Die Dicke dieser Schicht kann man durch die Begrenzung, welche sie nach innen und aussen durch Längsfaserhäute erfährt, bequem erkennen; das[145] einzige Täuschende sind runde Zeichnungen, welche man hie und da in der Dicke der Ringfaserhaut, aber nur am Rande der Gefässe (Fig. 28 b, b. Fig. 56 m, m) erblickt, und welche wie eingestreute runde Zellen oder Kerne aussehen. Dies sind die im scheinbaren Querschnitte gesehenen Faserzellen oder deren Kerne. Am deutlichsten aber erkennt man die Lage der Media nach Behandlung mit Essigsäure, welche in der Flächenansicht des Gefässes längliche, quergelagerte Kerne in grosser Zahl hervortreten lässt.
Fig. 56. Kleinere Arterie aus der Sehnenscheide der Extensoren einer frisch amputirten Hand. a, a Adventitia. m, m Media mit starker Muskelhaut, i, i Intima, theils mit Längsfalten, theils mit Längskernen, an dem Seitenaste aus den durchrissenen äusseren Häuten hervorstehend. Vergr. 300.
Diese Schicht ist es, welche im Allgemeinen der Arterie ihre Besonderheit gibt, und welche sie am deutlichsten unterscheidet von den Venen. Freilich gibt es zahlreiche Venen im Körper, die bedeutende Muskelschichten besitzen, z. B. die oberflächlichen Hautvenen, besonders an den Extremitäten, indess tritt doch bei keiner derselben die Muskelschicht als eine so deutlich abgegrenzte, gleichsam selbständige Haut hervor, wie die Media der Arterien. Bei den kleineren Gefässen beschränkt sich dieses Vorkommen einer deutlich ausgesprochenen Ringfaserhaut wesentlich auf arterielle Gefässe, so dass man sofort geneigt ist, wo man mikroskopisch einen solchen Bau findet, auch die arterielle Natur des Gefässes anzunehmen.
Diese auch bei mikroskopischer Betrachtung immer noch grösseren Arterien, die freilich selbst im gefüllten Zustande für das blosse Auge nur als rothe Fäden erscheinen, gehen nach und nach in[146] kleinere über. Bei dreihundertmaliger Vergrösserung sehen wir sie sich in Aeste auflösen, und auch auf diese setzen sich, selbst wenn sie sehr klein (im vulgären Sinne schon capillar) sind, zunächst die drei Häute noch fort, Erst an den kleinsten Aesten verschwindet endlich die Muskelhaut, indem die Abstände zwischen den einzelnen Querfasern immer grösser werden und zugleich immer deutlicher die innere Haut durch sie hindurchscheint, deren längsliegende Kerne sich mit denen der mittleren unter einem rechten Winkel kreuzen (Fig. 28 D, E). Auch die Adventitia oder äussere Haut lässt sich noch eine Strecke weit verfolgen (an manchen Stellen, wie am Gehirn, häufig durch Einstreuung von Fett oder Pigment deutlicher bezeichnet, Fig. 28 D, E), bis endlich auch sie sich verliert und nur die einfache Haar-Röhre übrig bleibt (Fig. 4, c). Die Vermuthung würde also dafür sprechen, dass die eigentlichen Capillar-Membranen mit der Intima der grösseren Gefässe zu vergleichen wären, indess haben die neueren Erfahrungen (S. 60) vielmehr die Anschauung genährt, dass auch die Intima der Arterien in den Capillaren verschwinde und dass die Epithelialschicht zuletzt allein übrig bleibe.
Ich bemerke dabei ausdrücklich, dass die gewöhnliche Sprache der Pathologen und noch mehr die der Aerzte den Ausdruck der Capillaren in einer sehr willkürlichen Weise verwendet, und dass namentlich sehr häufig Gefässe, die mit blossem Auge noch als Linien, Striche oder Netze erkannt werden, Capillaren genannt werden. Dies sind jedoch in der Regel wirkliche Arterien oder Venen: Capillaren im strengen Sinne des Wortes sind makroskopisch unsichtbar. Man mag nun immerhin auch von capillaren Arterien und capillaren Venen sprechen, indess folgen aus einem solchen Sprachgebrauch leicht grosse Irrthümer, und derselbe ist daher keineswegs empfehlenswerth. Man muss aber wissen, dass selbst in der mikrographischen Sprache bis in die neueste Zeit hinein ähnliche Verwechselungen sehr gewöhnlich waren und dass daraus manche Missverständnisse sich erklären, welche bei einer strengeren Terminologie leicht hätten vermieden werden können.
Innerhalb der eigentlich capillären Auflösung ist an den Gefässen weiter nichts bemerkbar, als die früher schon erwähnten Kerne, deren Längsausdehnung der Längsaxe des Gefässes entspricht, und welche so in die Gefässwand eingesetzt sind, dass[147] man eine zellige Abtheilung um sie herum ohne besondere chemische Hülfsmittel nicht weiter zu erkennen vermag. Die Gefässhaut erscheint hier ganz gleichmässig, absolut homogen und absolut continuirlich Fig. 4, c). Während man noch vor 20 Jahren darüber discutirte, ob es nicht Gefässe gäbe, welche keine eigentlichen Wandungen hätten und nur Aushöhlungen, Ausgrabungen des Parenchyms[30] der Organe seien, sowie darüber, ob Gefässe dadurch entstehen könnten, dass von den alten Lichtungen aus sich neue Bahnen durch Auseinanderdrängen des benachbarten Parenchyms eröffneten, so ist heut zu Tage kein Zweifel mehr, dass das menschliche Gefässsystem, mit Ausnahme der Milz und der mütterlichen Placenta, überall continuirlich durch Membranen geschlossen ist. An diesen Membranen ist es nicht mehr möglich, eine Porosität zu sehen. Selbst die feinen Poren, welche man in der letzten Zeit an verschiedenen anderen Theilen wahrgenommen, haben bis jetzt an der Gefässhaut kein Analogon gefunden; wenn man von der Porosität der Gefässwand spricht, so kann dies nur in physikalischem Sinne von unsichtbaren, eigentlich molekularen Interstitien oder in grob mechanischem Sinne von wirklichen Continuitätstrennungen geschehen. Eine Collodiumhaut erscheint nicht homogener, nicht continuirlicher, als die Capillarhaut. Eine Reihe von Möglichkeiten, die man früher zuliess, z. B. dass an gewissen Punkten die Continuität der Capillarmembran nicht bestände, fallen einfach weg. Von einer „Transsudation“ oder Diapedese des Blutes durch die Gefässhaut, ohne Ruptur oder Hiatus derselben, kann gar nicht weiter die Rede sein. Denn obwohl wir die Rupturstelle oder Spalte nicht in jedem einzelnen Falle anatomisch nachweisen können, so ist es doch ganz undenkbar, dass das Blut mit seinen Körperchen anders, als durch ein Loch in der Gefässwand austreten könne. Dies versteht sich nach histologischen Erfahrungen so sehr von selbst, dass darüber keine Discussion zulässig ist.
Nachdem die Capillaren eine Zeit lang fortgegangen sind, so setzen sich nach und nach aus ihnen kleine Venen zusammen, welche gewöhnlich in nächster Nähe der Arterien zurücklaufen[148] (Fig. 54, v). Nicht ganz selten wird eine Arterie von zwei Venen begleitet, die zu beiden Seiten derselben liegen. An den Venen fehlt im Allgemeinen die charakteristische Ringfaserhaut der Arterien, oder sie ist wenigstens sehr viel weniger ausgebildet. Dafür trifft man in der Media der stärkeren Venen derbere Lagen, die sich nicht so sehr durch die Abwesenheit von Muskel-Elementen, als durch das reichlichere Vorkommen longitudinell verlaufender elastischer Fasern charakterisiren; je nach den verschiedenen Localitäten zeigen sie verschiedene Mächtigkeit. Nach innen folgen dann die weicheren und feineren Bindegewebslagen der Intima, und auf dieser findet sich wieder zuletzt ein plattes, ausserordentlich durchscheinendes Epitheliallager, das am Schnittende sehr leicht aus dem Gefässe hervortritt und oft den Eindruck von Spindelzellen macht, so dass es leicht verwechselt werden kann mit spindelförmigen Muskelzellen (Fig. 57). Die kleinsten Venen besitzen ein ähnliches Epithel, bestehen aber ausserdem eigentlich ganz aus einem mit Längskernen versehenen Bindegewebe (Fig. 54, v).
Fig. 57. Epithel der Nierengefässe. A. Flache, längs gefaltete Spindelzellen mit grossen Kernen vom Neugebornen. B. Bandartige, fast homogene Epithelplatte mit Längskernen vom Erwachsenen. Vergr. 350.
Diese Verhältnisse erleiden keine wesentliche Aenderung, wenn auch die einzelnen Theile des Gefässapparates die äusserste Vergrösserung erfahren. Am besten sieht man dies bei der Schwangerschaft, wo nicht bloss am Uterus, sondern auch an der Scheide, an den Tuben und Eierstöcken, sowie an den Mutterbändern sowohl die grossen und kleinen Arterien und Venen, als auch die Capillaren eine so beträchtliche Erweiterung zeigen, dass das übrige Gewebe, trotzdem dass es sich gleichfalls nicht unerheblich vergrössert, dadurch wesentlich in den Hintergrund gedrängt wird. Indess eignen sich doch gerade Theile des puerperalen Geschlechtsapparates vortrefflich dazu, das Verhältniss der[149] Gewebs-Elemente zu den Gefässbezirken zu übersehen. An den Fimbrien der Tuben sieht man innerhalb der Schlingennetze, welche die sehr weiten Capillaren gegen den Rand hin bilden, immer noch eine grössere Zahl von grossen Bindegewebszellen zerstreut, von denen nur einzelne den Gefässen unmittelbar anliegen. In den Eierstöcken, besonders aber an den Alae vespertilionum findet man ausserdem sehr schön ein Verhältniss, welches sich an den Anhängen des Generations-Apparates öfter wiederholt, ähnlich dem, wie wir es beim Scrotum betrachtet haben (S. 137); die Gefässe werden nehmlich von ziemlich beträchtlichen Zügen glatter Muskeln begleitet, welche nicht ihnen angehören, sondern nur dem Gefässverlaufe folgen und zum Theil die Gefässe in sich aufnehmen. Es ist dies ein äusserst wichtiges Element, insofern die Contractionsverhältnisse jener Ligamente, welche man gewöhnlich nicht als muskulös betrachtet, keinesweges bloss den Blutgefässen zuzuschreiben sind, wie erst neuerlich James Traer nachzuweisen gesucht hat; vielmehr gehen reichliche Züge von Muskeln mitten durch die Ligamente fort, welche in Folge davon bei der menstrualen Erregung in gleicher Weise die Möglichkeit zu Zusammenziehungen darbieten, wie wir sie an den äusseren Abschnitten der Geschlechtswege mit so grosser Deutlichkeit wahrnehmen können. An der weiblichen Scheide habe ich im Prolapsus auf mechanische oder psychische Erregungen eben so starke Querrunzelungen auftreten und bei Nachlass derselben wieder verschwinden sehen, wie es am männlichen Scrotum bekannt ist. —
Wenn man nun die Frage aufwirft, welche Bedeutung die einzelnen Elemente der Gefässe in dem Körper haben, so versteht es sich von selbst, dass für die gröberen Vorgänge der Circulation die contractilen Elemente die grösste Bedeutung haben, dass aber auch die elastischen Theile und die einfach permeablen homogenen Häute auf viele Vorgänge einen bestimmenden Einfluss ausüben[31]. Betrachten wir zunächst die Bedeutung der muskulösen Elemente und zwar an denjenigen Gefässen, welche hauptsächlich damit versehen sind, an den Arterien.
Wenn eine Arterie irgend eine Einwirkung erfährt, welche eine Zusammenziehung ihrer Muskeln hervorruft, so wird natürlich das Gefäss sich verengern müssen, da die contractilen Zellen der Media ringförmig um das Gefäss herumliegen; die Verengerung kann erfahrungsgemäss unter Umständen bis fast zum Verschwinden des Lumens gehen. Die natürliche Folge wird dann sein, dass in den betreffenden Körpertheil weniger Blut gelangt. Wenn also eine Arterie auf irgend eine Weise einem pathologischen Irritans zugänglich, oder wenn sie auf physiologischem Wege excitirt und zur Thätigkeit angeregt wird, so kann diese Thätigkeit nur darin bestehen, dass ihre Lichtung enger und die Blutzufuhr erschwert wird. Man könnte freilich, nachdem man die Muskel-Elemente der Gefässwandungen erkannt hat, den alten Satz wieder aufnehmen, dass die Gefässe, wie das Herz, eine Art von rhythmischer, pulsirender, oder gar peristaltischer Bewegung erzeugten, welche im Stande wäre, die Fortbewegung des Blutes direct zu fördern, so dass eine arterielle Hyperämie durch eine vermehrte selbständige Pulsation (Propulsion) der Gefässe hervorgebracht würde.
Es ist allerdings eine einzige Thatsache bekannt, welche eine wirkliche rhythmische Bewegung der Arterienwandungen beweist; Schiff hat dieselbe zuerst an dem Ohre der Kaninchen beobachtet. Allein sie entspricht keineswegs dem Rhythmus der bekannten Arterien-Pulsation; ihr einziges Analogen findet sich in den Bewegungen, welche schon früher von Wharton Jones an den Venen der Flughäute von Fledermäusen entdeckt worden waren, aber diese gehen in einer äusserst langsamen und ruhigen Weise vor sich. Ich habe diese Erscheinung an Fledermäusen studirt und mich überzeugt, dass der Rhythmus weder mit der Herzbewegung, noch mit der respiratorischen Bewegung zusammenfällt; es ist eine ganz eigenthümliche, verhältnissmässig nicht sehr ausgiebige Contraction, welche in ziemlich langen Pausen, in längeren als die Circulation, in kürzeren als die Respiration, erfolgt[32]. Auch die Zusammenziehungen der Arterien am Kaninchenohr sind ungleich langsamer, als die Herz- und Respirations-Bewegungen.
Unzweifelhaft sind dies selbständige Pulsationen der Gefässe, aber sie lassen sich nicht in der Weise verwerthen, dass die frühere[151] Ansicht von dem localen Zustandekommen der mit den Herzbewegungen isochronischen Pulsation dadurch gestützt werden könnte. Die Beobachtung ergiebt vielmehr, dass die Muskulatur eines Gefässes auf jeden Reiz, der sie in Action setzt, sich zusammenzieht, dass aber diese Zusammenziehung sich nicht in peristaltischer Weise fortpflanzt, sondern sich auf die gereizte Stelle beschränkt, höchstens sich ein wenig nach beiden Seiten darüber hinaus erstreckt, und an dieser Stelle eine gewisse Zeit lang anhält. Je muskulöser das Gefäss und je direkter der Reiz ist, um so dauerhafter und ergiebiger wird die Contraction, um so stärker die Hemmung, welche die Strömung des Blutes dadurch erfährt. Je kleiner die Gefässe sind, je mehr vorübergehend der Reiz war, um so schneller sieht man dagegen auf die Contraction eine Erweiterung folgen, welche aber nicht wiederum von einer Contraction gefolgt ist, wie es für das Zustandekommen einer Pulsation nothwendig wäre, sondern welche mehr oder weniger lange fortbesteht. Diese Erweiterung ist nicht eine active, sondern eine passive, hervorgebracht durch den Druck des Blutes auf die (durch die erste Contraction) ermüdete, weniger Widerstand leistende Gefässwand.
Untersucht man nun die Erscheinungen, welche man gewöhnlich unter dem Namen der activen Hyperämien oder Congestionen zusammenfasst[33], so kann kein Zweifel darüber sein, dass die Muskulatur der Arterien wesentlich dabei betheiligt ist. Sehr gewöhnlich handelt es sich dabei um Vorgänge, wo die Gefässmuskeln gereizt wurden, wo aber der Contraction alsbald ein Zustand der Relaxation folgt, wie er in gleich ausgesprochener Weise sich an den übrigen Muskeln selten vorfindet, ein Zustand, der offenbar eine Art von Ermüdung oder Erschöpfung ausdrückt, und der um so anhaltender zu sein pflegt, je energischer der Reiz war, welcher einwirkte. An kleinen Gefässen mit wenig Muskelfasern sieht es daher öfters so aus, als ob die Reize keine eigentliche Verengerung hervorriefen, da man überaus schnell eine Erschlaffung und Erweiterung eintreten sieht, welche längere Zeit andauert und ein vermehrtes Einströmen des Blutes möglich macht.
Diese selben Vorgänge der Relaxation können wir experimentell[152] am leichtesten herstellen dadurch, dass wir die Gefässnerven eines Theiles durchschneiden, während wir die Verengerung (abgesehen von den Methoden der direkten Reizung) in sehr grosser Ausdehnung erzeugen, indem wir die Gefässnerven einem sehr energischen Reiz unterwerfen. Dass man diese Art von Verengerung so spät kennen gelernt hat, erklärt sich daraus, dass die Nervenreize sehr gross sein müssen, indem, wie Claude Bernard gezeigt hat, nur starke elektrische Ströme dazu ausreichen. Andererseits sind die Verhältnisse nach Durchschneidung der Nerven an den meisten Theilen so complicirt, dass die Erweiterung und Durchschneidung der Gefässnerven der Beobachtung sich entzogen hat, bis gleichfalls durch Bernard der glückliche Punkt entdeckt und in der Durchschneidung der sympathischen Nerven am Halse der Experimentation ein zuverlässiger und bequemer Beobachtungsort erschlossen wurde.
Fig. 58. Ungleichmässige Zusammenziehung kleiner Gefässe aus der Schwimmhaut des Frosches. Copie nach Wharton Jones.
Mag die Erweiterung des Gefässes, oder, mit anderen Worten, die Relaxation der Gefässmuskeln unmittelbar durch eine Lähmung der Nerven, durch eine Unterbrechung oder Hemmung des Nerveneinflusses hervorgebracht sein, oder mag sie die mittelbare Folge einer vorausgegangenen Reizung sein, welche eine Ermüdung setzte, in jedem Falle ist sie bedingt durch eine Art von Paralyse der Gefässwand. Active Hyperämie ist daher insofern eine falsche Bezeichnung,[153] als der Zustand der Gefässe dabei ein vollständig passiver ist. Alles, was man auf die dabei vorausgesetzte Activität der Gefässe gebaut hat, ist, wenn nicht gerade auf Sand gebaut, doch äusserst unsicher; alle weiteren Schlüsse, die man daraus gezogen hat in Beziehung auf die Bedeutung, welche die Thätigkeit der Gefässe für die Ernährungs-Verhältnisse der Theile selbst haben sollte, fallen in sich selbst zusammen.
Wenn eine Arterie wirklich in Action ist, so macht sie keine Hyperämie; im Gegentheil, je kräftiger sie agirt, um so mehr bedingt sie Anämie des Theils, oder, wie ich es bezeichnet habe, Ischämie[34]. Die geringere oder grössere Thätigkeit der Arterie bestimmt das Mehr oder Weniger von Blut, welches in der Zeiteinheit in einen gegebenen Theil einströmen kann. Je thätiger das Gefäss, um so geringer die Zufuhr. Haben wir aber eine Reizungs-Hyperämie, d. h. eine vermehrte Zufuhr durch ermüdete und daher passiv erweiterte Arterien, so kommt es therapeutisch gerade darauf an, die Gefässe in einen Zustand von Thätigkeit zu versetzen, in welchem sie im Stande sind, dem andrängenden Blutstrome Widerstand entgegenzusetzen. Das leistet uns der sogenannte Gegenreiz, ein höherer Reiz an einem schon gereizten Theile, welcher die erschlaffte Gefässmuskulatur zu dauernder Verengerung anregt, dadurch die Blutzufuhr verkleinert und die Regulation der Störung vorbereitet. Gerade da, wo am meisten die Reaction, d. h. die regulatorische Thätigkeit in Anspruch genommen wird, da handelt es sich darum, jene Passivität zu überwinden, welche die (sogenannte active) Hyperämie unterhält.
Längere Zeit hindurch betrachtete man es als unmöglich, dass die Strömung in erweiterten Gefässen eine beschleunigte sei. Man bezog sich auf die bekannte hydraulische Erfahrung, dass die Stromschnelligkeit in einer erweiterten Röhre ab-, in einer verengerten zunehme. Allein man übersah dabei, dass es sich am Gefässapparat nicht um einfache Röhren, sondern um ein System communicirender Röhren handelt, und dass keineswegs gleiche Mengen von Blut in der Zeiteinheit in jeden einzelnen Theil dieses Systems einströmen. Die hydraulischen Verhältnisse sind ganz verschieden, je nachdem wir den Stamm sei es der Aorta, sei es[154] der Lungenarterie oder irgend einen mehr peripherischen Arterienast ins Auge fassen. Eine Verengerung des Stammes der Aorta oder der Lungenarterie wird sicherlich die Beschleunigung des Blutstroms an der verengten Stelle, eine Erweiterung die Verlangsamung desselben zur Folge haben. Wenn aber ein arterieller Ast im Bein oder in der Lunge sich verengert, so wird das an der Verengerungsstelle in seiner Fortbewegung beeinträchtigte Blut mit grösserer Kraft den collateralen Aesten zuströmen und hier sich einen leichteren Abfluss eröffnen. Wir finden dann neben der Ischämie das, was ich die collaterale Fluxion genannt habe[35]. —
Gehen wir nun von den muskulösen Theilen der Gefässe über auf die elastischen, so treffen wir da eine Eigenschaft, welche eine sehr grosse Bedeutung hat, einerseits für die Venen, deren Thätigkeit an vielen Stellen nur auf elastische Elemente beschränkt ist, andererseits für die Arterien, insbesondere die Aorta und ihre grösseren Aeste. Bei diesen hat die Elasticität der Wandungen den Effect, die Verluste, welche der Blutdruck durch die systolische Erweiterung der Gefässe erfährt, auszugleichen und den ungleichmässigen Strom, welchen die stossweisen Bewegungen des Herzens erzeugen, in einen gleichmässigen umzuwandeln. Wäre die Gefässhaut nicht elastisch, so würde unzweifelhaft der Blutstrom sehr verlangsamt werden und zugleich durch die ganze Ausdehnung des Gefässapparates bis in die Capillaren Pulsation bestehen; es würde dieselbe stossweise Bewegung, welche im Anfange des Aortensystems dem Blute mitgetheilt wird, sich bis in die kleinsten Verästelungen erhalten. Allein jede Beobachtung, welche wir am lebenden Thiere machen, lehrt uns, dass innerhalb der Capillaren der Strom ein continuirlicher ist. Diese gleichmässige Fortbewegung wird dadurch hervorgebracht, dass die Arterien in Folge der Elasticität ihrer Wandungen den Stoss, welchen sie durch das eindringende Blut empfangen, mit derselben Gewalt dem Blute zurückgeben, sonach während der Zeit der folgenden Herz-Diastole einen regelmässigen Fortschritt des Blutes in der Richtung zur Peripherie hin unterhalten.
Lässt die Elasticität des Gefässes erheblich nach, ohne dass[155] zugleich das Gefäss starr und unbeweglich wird (Verkalkung, Amyloidentartung), so wird die Erweiterung, welche das Gefäss unter dem Drange des Blutes empfängt, nicht wieder ausgeglichen; das Gefäss bleibt im Zustande der Erweiterung, und es entstehen allmählich die bekannten Formen der Ektasie, wie wir sie an den Arterien als Aneurysmen, an den Venen als Varicen kennen. Es handelt sich bei diesen Zuständen nicht so sehr, wie man in neuerer Zeit geschildert hat, um primäre Erkrankungen der innern Haut, sondern um Veränderungen, welche in der elastischen und muskulären mittleren Haut vor sich gehen. —
Wenn demnach die muskulösen Elemente der Arterien den gewichtigsten Einfluss auf das Maass und die Art der Blutvertheilung in den einzelnen Organen, die elastischen Elemente die grösste Bedeutung für die Herstellung eines schnellen und gleichmässigen Stromes haben, so üben sie doch nur eine mittelbare Wirkung auf die Ernährung der ausserhalb der Gefässe selbst liegenden Theile aus, und wir werden für diese Frage in letzter Instanz hingewiesen auf die mit einfacher Membran versehenen Capillaren, ohne welche ja nicht einmal die Wandbestandtheile der grösseren, mit Vasa vasorum versehenen Gefässe sich auf die Dauer zu ernähren und zu erhalten vermöchten. In den letzten Decennien hat man sich meist damit beholfen, dass man zwischen dem flüssigen Inhalte des Gefässes und dem Safte (Parenchymflüssigkeit) der Gewebe Diffusionsströmungen annahm: Endosmose und Exosmose. Die Gefässhaut galt dabei als eine mehr oder weniger indifferente Membran, welche eben nur eine Scheidewand zwischen zwei Flüssigkeiten bilde, die mit einander in ein Wechselverhältniss treten. In diesem Verhältnisse aber würden die zwei Flüssigkeiten wesentlich bestimmt durch ihre Concentration und ihre chemische Mischung, so dass, je nachdem die innere oder äussere Flüssigkeit concentrirter wäre, der Strom der Diffusion bald nach aussen, bald nach innen ginge, und dass ausserdem je nach den chemischen Eigenthümlichkeiten der einzelnen Säfte gewisse Modificationen in diesen Strömen entständen. Im Allgemeinen ist jedoch gerade diese letztere, mehr chemische Seite der Frage wenig berücksichtigt worden.
Nun lässt sieh nicht in Abrede stellen, dass es gewisse Thatsachen giebt, welche auf eine andere Weise nicht wohl erklärt[156] werden können, namentlich wo es sich um sehr grobe Abänderungen in den Concentrationszuständen der Säfte handelt. Dahin gehört jene Form von Cataract, welche Kunde bei Fröschen künstlich durch Einbringung von Salz in den Darmkanal oder in das Unterhautgewebe erzeugt hat. Dahin gehören insbesondere jene Stasen im Gefässapparat, welche Schuler[36] an amputirten Froschschenkeln durch Einwirkung von Salzlösungen hervorbrachte. Allein in dem Maasse, als man sich beim physikalischen Studium der Diffusions-Phänomene überzeugt hat, dass die Membran, welche die Flüssigkeiten trennt, kein gleichgültiges Ding ist, sondern dass die Natur derselben unmittelbar bestimmend wirkt auf die Fähigkeit des Durchtritts der Flüssigkeiten, so wird man auch bei der Gefässhaut einen solchen Einfluss nicht leugnen können. Indess darf man deshalb nicht so weit gehen, dass man etwa der Gefässhaut die ganze Eigenthümlichkeit des vasculären Stoffwechsels zuschriebe; am wenigsten darf man daraus erklären wollen, warum gewisse Stoffe, welche in der Blutflüssigkeit vertheilt sind, nicht allen Theilen gleichmässig zukommen, sondern an einzelnen Stellen in grösserer, an anderen in kleinerer Masse, an anderen gar nicht austreten. Diese Eigenthümlichkeiten hängen offenbar ab einerseits von den Verschiedenheiten des Druckes, welcher auf der Blutsäule einzelner Theile lastet, andererseits von den Besonderheiten der Gewebe; namentlich wird man sowohl durch das Studium der pathologischen, als besonders durch das Studium der pharmakodynamischen Erscheinungen mit Nothwendigkeit dazu getrieben, gewisse Affinitäten zuzulassen, welche zwischen bestimmten Geweben und bestimmten Stoffen existiren, Beziehungen, welche auf chemische Eigenthümlichkeiten zurückgeführt werden müssen, in Folge deren gewisse Theile mehr befähigt sind, aus der Nachbarschaft und somit auch aus dem Blute gewisse Substanzen anzuziehen, als andere.
Betrachten wir die Möglichkeit solcher Anziehungen etwas genauer, so ist es von einem besonderen Interesse, zu sehen, wie sich solche Theile verhalten, die sich in einer gewissen Entfernung vom Gefässe befinden. Lassen wir auf irgend einen Theil direkt einen bestimmten Reiz einwirken, z. B. eine chemische Substanz, ich will annehmen, eine kleine Quantität eines Alkali, so bemerken[157] wir, dass kurze Zeit nachher der Theil mehr „Ernährungsmaterial“ aufnimmt, dass er schon in einigen Stunden um ein Beträchtliches grösser wird, anschwillt und trübe wird. Eine feinere Untersuchung ergiebt, dass die Elemente selbst solcher Gewebe, welche in hohem Grade durchsichtig sind, wie die Hornhaut, reichlich eine körnige, verhältnissmässig trübe Substanz enthalten, die nicht etwa aus eingedrungenem Alkali, sondern ihrem wesentlichen Theile nach aus Stoffen besteht, welche den Eiweisskörpern verwandt sind. Die Beobachtung ergiebt, dass ein solcher Vorgang in allen gefässhaltigen Theilen mit einer Hyperämie beginnt, so dass der Gedanke nahe liegt, die Hyperämie oder Congestion sei das Wesentliche und Bestimmende. Wenn wir aber die feineren Verhältnisse studiren, so ist es schwer zu verstehen, wie das Blut, welches in den hyperämischen Gefässen ist, es machen soll, um gerade nur auf den gereizten Theil einzuwirken, während andere Theile, welche in viel grösserer Nähe an denselben Gefässen liegen, nicht in derselben Weise getroffen werden. In allen Fällen, in welchen die Gefässe der Ausgangspunkt von Störungen sind, welche im Gewebe eintreten, finden sich auch die Störungen am meisten ausgesprochen in der nächsten Umgebung der Gefässe und in dem Gebiete, welches diese Gefässe versorgen (Gefässterritorium). Wenn wir einen reizenden, z. B. einen faulenden Körper in ein Blutgefäss stecken, wie dies von mir in der Geschichte der Embolie in grösserer Ausdehnung festgestellt ist, so werden nicht etwa die vom Gefässe entfernten Theile der Hauptsitz der activen Veränderung, sondern diese zeigt sich zunächst an der Wand des Gefässes selbst und dann an den anstossenden Gewebs-Elementen[37]. Wenden wir aber den Reiz direkt auf das Gewebe an, so bleibt der Mittelpunkt der Störung auch immer da, wo der Angriffspunkt des Reizes liegt, gleichviel, ob Gefässe in der Nähe sind oder nicht.
Wir werden darauf später noch zurückkommen; hier war es mir nur darum zu thun, die Thatsache in ihrer Allgemeinheit vorzuführen, um den gewöhnlichen, eben so bequemen als trügerischen Schluss zurückzuweisen, dass die (an sich passive) Hyperämie bestimmend sei für die Ernährung des Gewebes.
Bedürfte es noch eines weiteren Beweises, um diesen, vom anatomischen Standpunkte aus vollständig unhaltbaren Schluss zu widerlegen, so haben wir in dem vorher erwähnten Experiment mit der Durchschneidung des Sympathicus die allerbequemste Handhabe. Wenn man bei einem Thiere den Sympathicus am Halse durchschneidet, so bildet sich eine Hyperämie in der ganzen entsprechenden Kopfhälfte aus: die Gefässe sind stark erweitert, das Ohr wird dunkelroth und heiss, die Conjunctiva und Nasenschleimhaut strotzend injicirt. Diese Hyperämie kann Tage, Wochen, Monate lang bestehen, ohne dass auch nur die mindeste gröbere nutritive Störung daraus folgt; die Theile sind, obwohl mit Blut überfüllt, so weit wir dies wenigstens bis jetzt übersehen können, in demselben Ernährungs-Zustande wie vorher. Wenn wir Entzündungsreize auf diese Theile appliciren, so ist das Einzige, was wir feststellen können, dass die Entzündung schneller verläuft, ohne dass sie jedoch an sich oder in der Art ihrer Producte wesentlich anders wäre als sonst[38].
Die grössere oder geringere Masse von Blut, welche einen Theil durchströmt, ist also nicht als die einfache Ursache der Veränderung seiner Ernährung zu betrachten. Es besteht wohl kein Zweifel darüber, dass ein Theil, der sich in Reizung befindet und gleichzeitig mehr Blut empfängt als sonst, auch mit grösserer Leichtigkeit mehr Material aus dem Blute anziehen kann, als er sonst gekonnt haben würde oder als er können würde, wenn sich die Gefässe in einem Zustande von Verengerung und verminderter Blutfülle befänden. Wollte man gegen meine Auffassung einwenden, dass bei hyperämischen Zuständen locale Blutentziehungen oft die günstigsten Effecte hervorbringen, so ist das kein Gegenbeweis. Denn es versteht sich von selbst, dass wir es einem Theile, dem wir das Ernährungsmaterial abschneiden oder verringern, schwerer machen, Material aufzunehmen, aber wir können ihn nicht umgekehrt dadurch, dass wir ihm mehr Ernährungsmaterial darbieten, sofort veranlassen, mehr in sich aufzunehmen; das sind zwei ganz verschiedene und auseinander zu haltende Dinge. So nahe es auch liegt, und so gerne ich auch zugestehe, dass es auf den ersten Blick etwas sehr Ueberzeugendes hat, aus[159] der günstigen Wirkung, welche die Abschneidung der Blutzufuhr auf die Hemmung eines Vorganges hat, der unter einer Steigerung derselben entsteht, auf die Abhängigkeit jenes Vorganges von dieser Steigerung der Zufuhr zu schliessen, so meine ich doch, dass die praktische Erfahrung nicht in dieser Weise gedeutet werden darf. Es kommt nicht so sehr darauf an, dass, sei es in dem Blute als Ganzem, sei es in dem Blutgehalte des einzelnen Theiles, eine quantitative Zunahme erfolgt, um ohne Weiteres in der Ernährung des Theiles eine gleiche Zunahme zu setzen, sondern es kommt meines Erachtens darauf an, dass entweder besondere Zustände des Gewebes (Reizung) bestehen, welche die Anziehungsverhältnisse desselben zu bestimmten Stoffen ändern, oder dass besondere Stoffe (specifische Substanzen) in das Blut gelangen, auf welche bestimmte Gewebe oder Theile von Geweben eine besondere Anziehung ausüben.
Prüft man diesen Satz in Beziehung auf die humoralpathologische Auffassung der Krankheiten, so ergiebt sich sofort, wie weit ich davon entfernt bin, die Richtigkeit der humoralen Deutungen im Allgemeinen zu bestreiten. Vielmehr hege ich die feste Ueberzeugung, dass besondere Stoffe, welche in das Blut gelangen, einzelne Theile des Körpers zu besonderen Veränderungen induciren können, indem sie in dieselben aufgenommen werden vermöge der specifischen Anziehung der einzelnen Gewebe zu einzelnen Stoffen[39]. Wir wissen, dass eine Reihe von Substanzen existirt, welche, wenn sie in den Körper gebracht werden, ganz besondere Anziehungen zum Nervenapparate darbieten, ja dass es innerhalb dieser Reihe wieder Substanzen gibt, welche zu ganz bestimmten Theilen des Nervenapparates nähere Beziehungen haben, einige zum Gehirn, andere zum Rückenmark, zu den sympathischen Ganglien, einzelne wieder zu besonderen Theilen des Gehirns, Rückenmarks u. s. w. Ich erinnere hier an Morphium, Atropin, Worara, Strychnin, Digitalin. Andererseits nehmen wir wahr, dass gewisse Stoffe eine nähere Beziehung haben zu bestimmten Secretionsorganen, dass sie diese Secretionsorgane mit einer gewissen Wahlverwandtschaft durchdringen, dass sie in ihnen abgeschieden werden, und dass bei einer reichlicheren[160] Zufuhr solcher Stoffe ein Zustand der Reizung in diesen Organen stattfindet. Dahin gehören Harnstoff, Kochsalz, Canthariden, Cubeben. Allein nothwendig setzt diese Annahme voraus, dass die Gewebe, welche eine besondere Wahlverwandtschaft zu besonderen Stoffen haben sollen, überhaupt existiren: eine Niere, die ihr Epithel verliert, büsst damit auch ihre Secretionsfähigkeit für die specifischen Stoffe ein. Jene Annahme setzt ferner voraus, dass die Gewebe sich in ihrem natürlichen Zustande befinden: weder die kranke, noch die todte Niere hat mehr die Affinität zu besonderen Stoffen, welche die lebende und gesunde Drüse besass. Die Fähigkeit, bestimmte Stoffe anzuziehen und umzusetzen, kann höchstens für eine kurze Zeit in einem Organe erhalten, welches nicht mehr in einer eigentlich lebenden Verfassung bleibt. Wir werden daher am Ende immer genöthigt, die einzelnen Elemente als die wirksamen Factoren bei diesen Anziehungen zu betrachten. Eine Leberzelle kann aus dem Blute, welches durch das nächste Capillargefäss strömt, bestimmte Substanzen anziehen, aber sie muss eben zunächst vorhanden und sodann ihrer ganz besonderen Eigenthümlichkeit mächtig sein, um diese Anziehung ausüben zu können. Wird das vitale Element verändert, tritt eine Krankheit ein, welche in der molekularen, physikalischen oder chemischen Eigenthümlichkeit desselben Veränderungen setzt, so wird damit auch seine Fähigkeit geändert, diese besonderen Anziehungen auszuüben.
Betrachten wir dies Beispiel noch genauer. Die Leberzellen stossen fast unmittelbar an die Wand der Capillaren, nur geschieden durch eine dünne und vielleicht nicht einmal continuirliche Schicht einer feinen Bindegewebslage. Wollten wir uns nun denken, dass die Eigenthümlichkeit der Leber, Galle abzusondern, bloss darin beruhte, dass hier eine besondere Art der Gefäss-Einrichtung wäre, so würde dies in der That nicht zu rechtfertigen sein. Aehnliche Netze von Gefässen, welche zu einem grossen Theile venöser Natur sind, finden sich an manchen anderen Orten z. B. an den Lungen. Die Eigenthümlichkeit der Gallenabsonderung hängt offenbar ab von den Leberzellen, und nur so lange als das Blut in nächster Nähe an Leberzellen vorüberströmt, besteht die besondere Stoffanziehung, welche die Thätigkeit der Leber charakterisirt.
Enthält das Blut freies Fett, so nehmen nach einiger Zeit die Leberzellen Fett in kleinen Partikelchen auf; wenn der Zufluss fortgeht, so wird auch das Fett in den Zellen reichlicher und es scheidet sich nach und nach in grösseren Tropfen innerhalb derselben ab (Fig. 29, B, b). Was wir beim Fett wirklich sehen, das müssen wir uns bei vielen anderen Substanzen, die sich in gelöstem Zustande befinden, denken, z. B. bei vielen metallischen Giften, die wir auf chemischem Wege aus dem Gewebe darstellen können. Immer aber wird es für die Aufnahme solcher Stoffe wesentlich sein, dass in der Leber Zellen in einem ganz bestimmten Zustande vorhanden sind; werden sie krank, entwickelt sich in ihnen ein Zustand, welcher mit einer wesentlichen Veränderung ihres Inhaltes verbunden ist, z. B. eine Atrophie, welche endlich das Zugrundegehen der Theile bedingt, dann wird damit auch die Fähigkeit des Organs, Stoffe aufzunehmen und abzuscheiden, insbesondere Galle zu bilden, immer mehr beschränkt werden. Wir können uns keine Leber denken ohne Leberzellen; diese sind, soviel wir wissen, das eigentlich Wirksame, da selbst in Fällen, wo der Blutzufluss durch Verstopfung der Pfortader beschränkt ist[40], Galle, wenn auch vielleicht nicht in derselben Menge, abgesondert wird.
Diese Erfahrung hat gerade an der Leber einen besonderen Werth, weil die Stoffe, welche die Galle zusammensetzen, bekanntlich nicht im Blute präformirt sind, wir also nicht einen Vorgang der einfachen Abscheidung, sondern einen Vorgang der wirklichen Bildung für die Bestandtheile der Galle in der Leber voraussetzen müssen. Diese Frage hat noch an Interesse gewonnen durch die bekannte Beobachtung von Bernard, dass an dieselben zelligen Elemente auch die Eigenschaft der Zuckerbildung gebunden ist, welche in so colossalem Maassstabe dem Blute einen Stoff zuführt, der auf die inneren Umsetzungs-Prozesse und auf die Wärmebildung den entschiedensten Einfluss hat. Sprechen wir also von Leberthätigkeit, so kann man in Beziehung sowohl auf die Zucker-, als auf die Gallenbildung darunter nichts anderes meinen, als die Thätigkeit der einzelnen Elemente (Zellen), und zwar eine Thätigkeit, die darin besteht, dass sie aus dem vorüberströmenden Blute Stoffe anziehen, diese Stoffe in sich umsetzen[162] und dieselben in dieser umgesetzten Form entweder an das Blut wieder zurückgeben, oder in Form von Galle den Gallengängen überliefern.
Ich verlange nun für die Cellularpathologie nichts weiter, als dass diese Auffassung, welche für die grossen Secretions-Organe nicht vermieden werden kann, auch auf die kleineren Organe und auf die Elemente angewendet werde, dass also einer Epithelzelle, einer Linsenfaser, einer Knorpelzelle bis zu einem gewissen Maasse gleichfalls die Möglichkeit zugestanden werde, aus den nächsten Gefässen, wenn auch nicht immer direkt, sondern oft durch eine weite Transmission, je nach ihrem besonderen Bedürfnisse, gewisse Quantitäten von Material zu beziehen, und nachdem sie dasselbe in sich aufgenommen haben, es in sich weiter umzusetzen, so zwar, dass entweder die Zelle für ihre eigene Entwickelung daraus neues Material schöpft (Assimilation), oder dass die Substanzen im Innern sich aufhäufen, ohne dass die Zelle davon unmittelbar Nutzen hat (Retention), oder endlich, dass nach der Aufnahme selbst ein Zerfallen der Zelleneinrichtung geschehen, ein Untergang der Zelle eintreten kann (Necrobiose). Auf alle Fälle scheint es mir nothwendig zu sein, dieser specifischen Action der Elemente, gegenüber der specifischen Action der Gefässe, eine überwiegende Bedeutung beizulegen, und das Studium der localen Prozesse seinem wesentlichen Theile nach auf die Erforschung dieser Art von Vorgängen zu richten. —
Mit diesen Ergebnissen können wir uns zu einer Kritik der humoralpathologischen Systeme wenden, welche seit langer Zeit auf das Studium der sogenannten edleren Säfte, gewissermaassen auf die Lehre von der Ernährung im Grossen begründet wurden. Fasst man zunächst das Blut in seiner normalen Wirkung auf die Ernährung ins Auge, so handelt es sich dabei nicht so wesentlich um seine Bewegung, um das Mehr oder Weniger von Zuströmen, sondern um seine innere Zusammensetzung. Bei einer grossen Masse von Blut kann die Ernährung leiden, wenn die Zusammensetzung desselben nicht dem natürlichen Bedürfnisse der Theile entspricht; bei einer kleinen Masse von Blut kann die Ernährung verhältnissmässig sehr günstig vor sich gehen, wenn jedes einzelne Partikelchen des Blutes das günstigste Verhältniss der Mischung besitzt.
Betrachtet man das Blut als Ganzes gegenüber den anderen Theilen, so ist es das Gefährlichste, was man thun kann, das, was zu allen Zeiten die meiste Verwirrung geschaffen hat, anzunehmen, dass man es hier mit einem constanten, in sich unabhängigen Fluidum zu thun habe, von dem die grosse Masse der übrigen Gewebe mehr oder weniger direkt abhängig sei. Die meisten humoralpathologischen Sätze stützen sich auf die Voraussetzung, dass gewisse Veränderungen, welche im Blute eingetreten sind, mehr oder weniger dauerhaft seien, und gerade da, wo diese Sätze praktisch am einflussreichsten gewesen sind, in der Lehre von den chronischen Dyscrasien, pflegt man sich vorzustellen, dass die Veränderung des Blutes eine continuirliche sei, ja, dass durch Vererbung von Generation zu Generation eigenthümliche Veränderungen in dem Blute übertragen werden und sich erhalten können.
Das ist meiner Meinung nach der Grundfehler, der eigentliche Angelpunkt der Irrthümer. Nicht etwa, dass ich bezweifelte, dass eine veränderte Mischung des Blutes anhaltend bestehen, oder dass sie sich von Generation zu Generation fortpflanzen könnte, aber es scheint mir unlogisch, zu glauben, dass sie sich im Blute selbst fortpflanzen und dort erhalten kann, dass das Blut als solches der Träger der Dyscrasie ist.
Meine cellularpathologischen Anschauungen unterscheiden sich darin von den humoralpathologischen wesentlich, dass ich das Blut nicht als einen dauerhaften und in sich unabhängigen, aus sich selbst sich regenerirenden und sich fortpflanzenden Saft, sondern als ein in einer constanten Abhängigkeit von anderen Theilen befindliches flüssiges Gewebe betrachte. Man braucht nur dieselben Schlüsse, die man für die Abhängigkeit des Blutes von der Aufnahme neuer Ernährungsstoffe vom Magen her allgemein zulässt, auch auf die Untersuchung der Abhängigkeit desselben von den Geweben des Körpers selbst anzuwenden. Wenn man von einer Säuferdyscrasie spricht, so wird Niemand die Vorstellung haben, dass Jeder, der einmal betrunken gewesen ist, eine permanente Alkoholdyscrasie besitzt, sondern man denkt sich, dass, wenn immer neue Mengen von Alkohol eingeführt werden, auch immer neue Veränderungen des Blutes eintreten, so dass die Veränderung am Blute so lange bestehen muss, als die Zufuhr von neuen[164] schädlichen Stoffen geschieht, oder als in Folge früherer Zufuhr einzelne Organe in einem krankhaften Zustande verharren. Wird kein Alkohol mehr zugeführt, werden die Organe, welche durch den früheren Alkoholgenuss beschädigt waren, zu einem normalen Verhalten zurückgeführt, so ist kein Zweifel, dass damit die Säuferdyscrasie zu Ende ist. Dieses Beispiel, angewendet auf die Geschichte der übrigen Dyscrasien, erläutert ganz einfach den Satz, dass jede dauernde Dyscrasie abhängig ist von einer dauerhaften Zufuhr schädlicher Bestandtheile von gewissen Punkten (Atrien oder Heerden) her. Wie eine fortwährende Zufuhr von schädlichen Nahrungsstoffen eine dauerhafte Entmischung des Blutes setzen kann, eben so vermag die dauerhafte Erkrankung eines bestimmten Organs dem Blute fort und fort kranke Stoffe zuzuführen.
Es handelt sich dann also wesentlich darum, für die einzelnen Dyscrasien Ausgangspunkte, Localisationen zu suchen, die bestimmten Gewebe oder Organe zu finden, von denen aus das Blut die besondere Störung erfährt. Ich will gern gestehen, dass es in vielen Dyscrasien bis jetzt nicht möglich gewesen ist, diese Gewebe oder Organe aufzufinden. In vielen anderen ist es aber gelungen, wenn man auch nicht bei jedem derselben erklären kann, in welcher Weise das Blut dabei verändert wird. Jedermann kennt jenen merkwürdigen Zustand, welchen man ungezwungen auf eine Dyscrasie beziehen kann, den scorbutischen Zustand, die Purpura, die Petechial-Dyscrasie. Vergeblich sieht man sich jedoch nach entscheidenden Erfahrungen darüber um, welcher Art die Dyscrasie, die Blutveränderung ist, wenn Scorbut oder Purpura sich zeigt. Das, was der Eine gefunden hat, hat der Andere widerlegt, ja es hat sich ergeben, dass zuweilen in der Mischung der gröberen Bestandtheile des Blutes gar keine Veränderung eingetreten war. Es bleibt hier also ein Quid ignotum, und man wird es gewiss verzeihlich finden, wenn wir nicht sagen können, woher eine Dyscrasie kommt, deren Wesen wir überhaupt nicht kennen. Auch schliesst die Erkenntniss der Art der Blutveränderung nicht die Einsicht in die Bedingungen der Dyscrasie in sich, und eben so wenig findet das Umgekehrte Statt. Bei der hämorrhagischen Diathese wird man es immerhin als einen wesentlichen Vortheil betrachten müssen, dass wir in einer Reihe[165] von Fällen auf ihren Ausgangspunkt in einem bestimmten Organe hinweisen können, z. B. auf die Milz oder die Leber[41]. Es handelt sich jetzt zunächst darum, zu ermitteln, welchen Einfluss die Milz oder die Leber auf die besondere Mischung des Blutes ausüben. Wüssten wir genau, wie das Blut durch die Einwirkung dieser Organe verändert wird, so wäre es vielleicht nicht schwer, aus der Kenntniss des kranken Organs auch sofort abzuleiten, wie das Blut beschaffen sein wird. Aber es ist doch schon wesentlich, dass wir über das blosse Studium der Blutveränderungen hinausgekommen und auf bestimmte Organe geführt worden sind, in welchen die Dyscrasie wurzelt.
So muss man consequent schliessen, dass, wenn es eine syphilitische Dyscrasie gibt, in welcher das Blut eine virulente Substanz führt, diese Substanz nicht dauerhaft in dem Blute enthalten sein kann, sondern dass ihre Existenz im Blute gebunden sein muss an das Bestehen localer Heerde, von wo aus immer wieder neue Massen von schädlicher Substanz eingeführt werden in das Blut[42]. Folgt man dieser Bahn, so gelangt man zu dem schon erwähnten und gerade für die praktische Medicin äusserst wichtigen Gesichtspunkte, dass jede dauerhafte Veränderung in dem Zustande der circulirenden Säfte, welche nicht unmittelbar durch äussere, von bestimmten Atrien aus in den Körper eindringende Schädlichkeiten bedingt wird, von einzelnen Organen oder Geweben abgeleitet werden muss; es ergibt sich weiter die Thatsache, dass gewisse Gewebe und Organe eine grössere Bedeutung für die Blutmischung haben, als andere, dass einzelne eine nothwendige Beziehung zu dem Blute besitzen, andere nur eine zufällige.
Ich komme also mit den Alten darin überein, dass ich eine Verunreinigung (Infection) des Blutes durch verschiedene Substanzen (Miasmen) zulasse, und dass ich einem grossen Theile dieser Substanzen (Schärfen, Acrimonien) eine reizende Einwirkung auf einzelne Gewebe zuschreibe. Ich gestehe auch zu, dass bei acuten Dyscrasien diese Stoffe im Blute selbst eine fortschreitende Zersetzung (Fermentation, Zymosis) erzeugen[166] können, obwohl ich nicht weiss, ob dies in allen Fällen, die man so deutet, richtig ist. Aber sicher ist es, dass diese Zymosis ohne neue Zufuhr sich nicht dauerhaft erhält, und dass jede anhaltende Dyscrasie eine erneuerte Zufuhr schädlicher Stoffe in das Blut voraussetzt.
Fußnoten:
[30] Um vielfachen, an mich ergangenen Anfragen über die Bedeutung des Wortes Parenchym zu genügen, verweise ich auf Galenus de temperamentis Lib. II. cap. 3. viscerum propriam substantiam Erasistratus parenchyma vocat.
[31] Man vergleiche für die Special-Behandlung der hierher gehörigen Fragen den Abschnitt über die örtlichen Störungen des Kreislaufes in dem von mir herausgegebenen Handbuche der speciellen Pathologie und Therapie. Erlangen, 1854. I. 95 ff.
[32] Mein Archiv XXVII. S. 224.
[33] Handbuch der spec. Path. I. 141.
[34] Handbuch der spec. Pathol. u. Therapie. I. 122.
[35] Handb. der spec. Pathol. u. Ther. I. 122, 129, 142, 173.
[36] Würzburger Verhandl. 1854. IV. 248.
[37] Gesammelte Abhandlungen zur wissenschaftlichen Medicin. 1856. S. 294, 337, 456.
[38] Handbuch der speciellen Pathologie. I. 151, 247. Gesammelte Abhandl. S. 319.
[39] Handb. der spec. Path. und Ther. I. 276.
[40] Würzb. Verhandl. (1855). VII. 21.
[41] Handb. der spec. Path. und Ther. I. 246.
[42] Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie. 1858. XV. 217. Geschwülste II. 476.
Morphologische (anatomische) und chemische Veränderungen des Blutes (Dyscrasien).
Faserstoff. Fibrillen desselben. Vergleich mit Schleim und Bindegewebe. Homogener gallertiger Zustand.
Rothe Blutkörperchen. Kern, Membran und Inhalt derselben. Gestalt bei den verschiedenen Wirbelthieren: diagnostische Schwierigkeiten. Zusammensetzung des Zellkörpers: Hämatin, Hämoglobin. Stroma. Veränderungen der Farbe und der Gestalt. Blutkrystalle (Hämatoidin, Hämin, Hämatokrystallin).
Farblose Blutkörperchen. Numerisches Verhältniss. Struktur. Vergleich mit Eiterkörperchen. Klebrigkeit und Agglutination derselben. Specifisches Gewicht. Crusta granulosa. Diagnose von Eiter- und farblosen Blutkörperchen. Die Lehren von der Eiterresorption und von der Lymphexsudation. Lebenseigenschaften der farblosen Körperchen: Bewegung, Aufnahme anderer Körper, Auswanderung. Bedeutung dieser Erfahrungen für die cellulare Doctrin.
Wenn man die verschiedenen krankhaften Veränderungen des Blutes (Dyscrasien) in Beziehung auf Werth und Quelle ansieht, so lassen sich von vornherein zwei grosse Kategorien von dyscrasischen Zuständen unterscheiden, je nachdem nehmlich abweichende morphologische Bestandtheile im Blute enthalten sind, oder die Abweichung eine mehr chemische ist und an den flüssigen Bestandtheilen sich findet. Dabei versteht es sich aber wohl von selbst, dass in der Regel die morphologischen (anatomischen) Dyscrasien nicht ohne chemische Dyscrasie verlaufen und umgekehrt: unsere Methoden der Blutuntersuchung sind aber noch so unvollkommen, dass wir uns in der Regel an die eine oder andere Möglichkeit halten müssen. Ebenso ist es klar, dass die morphologischen Veränderungen der Blutmischung entweder durch Veränderungen der natürlichen Elemente (Blutkörperchen) oder durch Hinzufügung fremder, der Blutmischung normal nicht zukommender Theile bedingt sein können.
Einer der flüssigen Stoffe des Blutes, der Faserstoff (Fibrin), hat häufig als ein morphologischer oder doch als ein fester Bestandtheil des Blutes gegolten, weil er vermöge seiner Gerinnbarkeit sehr bald, nachdem das Blut aus dem lebenden Körper entfernt ist, eine sichtbare Form annimmt. Diese Auffassung ist auch in der neueren Zeit noch vielfach in der Praxis festgehalten worden, wie sie denn traditionell in der Medicin seit langer Zeit bestanden hat, insofern man fibrinarmes Blut als dissolutes zu bezeichnen und die Qualität des Blutes viel weniger nach den Blutkörperchen, als nach dem Fibringehalt zu schätzen pflegte. Eine solche Trennung des Faserstoffes von den flüssigen Bestandtheilen des Blutes hat insofern einen wirklichen Werth, als derselbe eben so, wie die Blutkörperchen, eine ganz eigenthümliche Erscheinung ist, so einzig und allein in dem Blute und den ihm zunächst stehenden Säften sich findet, dass man ihn in der That mehr mit den Blutkörperchen in Zusammenhang bringen kann, als mit dem Blutwasser (Serum). Betrachtet man das Blut in Beziehung auf seine eigentlich specifischen Theile, durch welche es Blut ist und durch welche es sich von anderen Flüssigkeiten unterscheidet, so kann man nicht umhin anzuerkennen, dass auf der einen Seite die rothen, hämatinhaltigen Körperchen, auf der anderen Seite das Fibrin der Intercellular-Flüssigkeit (Liquor sanguinis, Plasma) es sind, in welchen die Unterschiede am meisten hervortreten.
Fig. 59. Geronnenes Fibrin aus menschlichem Blute. a Feine, b gröbere und breitere Fibrillen; c in das Gerinnsel eingeschlossene rothe und farblose Blutkörperchen. Vergr. 280.
Betrachten wir daher zunächst diese specifischen Bestandtheile etwas näher. Die morphologische Schilderung des Faserstoffes ist verhältnissmässig schnell gemacht. Untersuchen wir ihn, wie er im Blutgerinnsel vorkommt, so finden wir ihn fast immer in der Form, wie ihn Malpighi beschrieben hat und von welcher er den Namen trägt, der fibrillären. Die geronnene Substanz zeigt wirkliche Fasern von etwas zackiger Gestalt, welche sich vielfach durchsetzen und dadurch äusserst feine Geflechte, zarte Maschennetze bilden. Die Fasern sind in den einzelnen[169] Fällen von sehr verschiedener Breite. Gewöhnlich sind sie sehr fein; zuweilen finden sich aber ungleich breitere, fast bandartige, welche viel glatter sind, sich aber im Uebrigen ziemlich auf dieselbe Weise durchsetzen und verschlingen. Es sind dies Eigenthümlichkeiten, über deren Bedeutung bis jetzt ein sicheres Urtheil noch nicht gewonnen ist. Ich finde solche Verschiedenheiten ziemlich häufig, bin jedoch nicht im Stande, die Bedingungen dafür anzugeben. Betrachtet man einen Blutstropfen während der Gerinnung, so sieht man überall, wie zwischen den Blutkörperchen feine Fibrin-Fäden anschiessen. In dem Coagulum finden sich daher die morphologischen Elemente in den Maschenräumen des entstandenen Netzwerkes (Fig. 59, c), rings umschlossen und zuweilen nicht wenig verdrückt durch die Fasern desselben.
In Beziehung auf die Natur dieser Fasern können wir hervorheben, dass es histologisch nur noch zweierlei Arten von Fasern gibt, welche mit ihnen eine nähere Aehnlichkeit darbieten[43]. Die eine Art kommt in einer Substanz vor, welche sonderbarer Weise eine gewisse Verbindung zwischen den ältesten kraseologischen Vorstellungen und den modernen bildet, nehmlich im Schleim (S. 65). In der hippokratischen Medicin fällt der Blutfaserstoff noch unter den Begriff des Phlegma (Mucus), und die antike Lehre von dem phlegmatischen Temperament würde in moderner Formel ganz wohl als fibrinöse Krase übersetzt werden können. In der That, wenn wir den Schleim mit dem Faserstoff vergleichen, so müssen wir zugestehen, dass eine grosse formelle Uebereinstimmung in ihrer Gerinnung besteht. Wie das Fibrin, bildet auch der Schleim, zumal bei Zusatz von Wasser oder organischen Säuren, Fasern und Häute, welche unter einander zu oft sehr sonderbaren Figuren zusammentreten. Dass auch in der Absonderung von Schleim und Faserstoff gewisse Beziehungen bestehen, werden wir später darlegen. — Die andere Substanz, welche hierher gehört, ist die Intercellularsubstauz des Bindegewebes, der leimgebende Stoff, das Collagen (Gluten der Früheren), und es ist gewiss interessant, sich daran zu erinnern, dass noch im vorigen Jahrhundert, ja hier und da noch in dem gegenwärtigen, die Speckhaut des Blutes als Gluten bezeichnet wurde. Die Fibrillen des Bindegewebes verhalten sich nur insofern anders, als die des Faserstoffes, als sie in[170] der Regel nicht netzförmig, sondern parallel verlaufen; im Uebrigen sind sie den Fibrin-Fasern in hohem Maasse ähnlich. Die Intercellularsubstanz des Bindegewebes stimmt auch darin mit dem Faserstoff überein, dass ihr Verhalten gegen Reagentien sehr analog ist. Wenn wir diluirte Säuren, namentlich die gewöhnlichen Pflanzensäuren oder auch schwache Mineralsäuren darauf einwirken lassen, so quellen sie auf und unter den Augen verschwinden die Fasern, so dass wir nicht mehr sagen können, wo sie bleiben. Die Masse schwillt auf, es verschwindet jeder Zwischenraum, und es sieht aus, als ob die ganze Masse ein continuirliches, vollkommen homogenes Gewebsstück bildete. Waschen wir dasselbe langsam aus, entfernen wir die Säure wieder, so lässt sich, wenn die Einwirkung keine zu concentrirte war, wieder der faserige Zustand herstellen. Es ist dies Verhalten bis jetzt noch unerklärt, und gerade deshalb hatte die Ansicht Reichert's, welche ich früher (S. 41, S. 141) erwähnte, etwas Bestechendes, dass die Substanz des Bindegewebes eigentlich homogen und die Fasern nur eine künstliche Bildung oder eine optische Täuschung seien, indessen isoliren sich beim Faserstoff noch viel deutlicher als beim Bindegewebe die einzelnen Fibrillen so vollständig, dass ich nicht umhin kann, zu sagen, dass ich die Trennung in einzelne Fäserchen für wirklich bestehend und nicht bloss für künstlich und eben so wenig für eine Täuschung des Beobachters halte.
Eine fernere Uebereinstimmung ist die, dass sowohl beim Fibrin, als beim Bindegewebe jedesmal vor dem Stadium des Fibrillären ein Stadium des Homogenen oder Gallertigen liegt. Betrachtet man die Gerinnung fibrinöser Flüssigkeiten, so sieht man nicht etwa von vornherein Fasern entstehen, sondern die ganze Flüssigkeit „gesteht“ zuerst zu einer ganz gleichmässigen Masse, welche zuweilen so fest ist, dass man sie in einem Stücke aufheben kann. Erst aus dieser homogenen Gallerte scheiden sich die Fasern aus, mit deren Bildung die Zusammenziehung des Gerinnsels, die eigentliche Coagulation auftritt[44]. In ähnlicher Weise erscheint auch die Intercellularsubstanz des Bindegewebes zuerst bei ihrer Bildung als homogene Intercellularsubstanz (Schleim); erst nach und nach sieht man sich Fibrillen, wenn ich mich so[171] ausdrücken darf, ausscheiden oder, wie man gewöhnlich sagt, differenziren. Die Bildung der Fasern, die Fibrillation lässt sich daher recht wohl mit der Krystallisation vergleichen, und in der That gibt es auch unter den anorganischen Stoffen gewisse Analogien. Manche Niederschläge von Kalksalzen oder Kieselsäure sind ursprünglich vollkommen gelatinös und amorph; nach und nach scheiden sich aus ihnen solide Körner und Krystalle aus.
Man kann also immerhin den Namen der Fibrillen für die gewöhnliche Erscheinungsform des Faserstoffes beibehalten, aber man muss sich dabei erinnern, dass diese Substanz ursprünglich in einem homogenen, amorphen, gallertartigen Zustande existirte, und wieder in denselben übergeführt werden kann. Diese Ueberführung geschieht nicht nur künstlich, sondern sie macht sich auch auf natürlichem Wege im Körper selbst, so dass an Stellen, wo vorher Fibrillen vorhanden waren, später der Faserstoff wieder homogen angetroffen wird. Die Coagula der Aneurysmen, manche Thromben der Venen werden allmählich in homogene, knorpelartig dichte Massen verwandelt. —
Fig. 60. Kernhaltige Blutkörperchen von einem menschlichen, sechs Wochen alten Fötus. a Verschieden grosse, homogene Zellen mit einfachen, relativ grossen Kernen, von denen einzelne leicht granulirt, die meisten mehr gleichmässig sind, bei * ein farbloses Körperchen. b Zellen mit äusserst kleinen, aber scharfen Kernen und deutlich rothem Inhalte. c Nach Behandlung mit Essigsäure sieht man die Kerne zum Theil geschrumpft und zackig, bei mehreren doppelt; bei * ein granulirtes Körperchen. Vergr. 280.
Was nun den zweiten specifischen Antheil des Blutes betrifft, die Blutkörperchen, so habe ich schon hervorgehoben (S. 12), dass gegenwärtig ziemlich alle Histologen darüber einig sind, dass die farbigen Blutkörperchen des Menschen und der Säugethiere im erwachsenen Zustande keine Kerne besitzen. Ihre zellige Natur könnte daher in Zweifel gezogen werden, wenn wir nicht wüssten, dass sie zu gewissen Zeiten der embryonalen Entwickelung (Fig. 60) je einen Kern besitzen. Mehrere neuere Beobachter, namentlich Brücke, leugnen jedoch auch die Existenz einer Membran an ihnen, so dass man versucht ist, auf jene ältere Bezeichnung der Blutkörner zurückzukommen, welche auch auf[172] blosse Concretionen chemischer oder mechanischer Art anwendbar ist. Indess erscheint im Bewusstsein der heutigen Zeit, wie wir sahen (S. 16), die Membranlosigkeit an sich als kein Grund, die zellige Natur eines organischen Elements in Abrede zu stellen, und da in den früheren Monaten des Embryolebens die rothen Blutkörperchen nicht nur genetisch aus unzweifelhaften Bildungszellen durch fortschreitende Umbildung hervorgehen, sondern auch unter Umständen eben solche Membranen zeigen (Fig. 60, a u. c), wie sie an anderen Zellen nachweisbar sind, so wird man unbedenklich aussagen können, dass die rothen Blutkörperchen des Menschen sowohl in der späteren Zeit der fötalen Entwickelung, als namentlich in der Zeit nach der Geburt einfache kernlose Zellen sind.
Fig. 61. Menschliche Blutkörperchen vom Erwachsenen. a das gewöhnliche, scheibenförmige rothe, b das farblose Blutkörperchen, c rothe Körperchen, von der Seite und auf dem Rande stehend gesehen. d rothe Körperchen in Geldrollenform zusammengeordnet. e zackige, durch Wasserverlust (Exosmose) geschrumpfte rothe Körper. f geschrumpfte rothe Körper mit hügeligem Rand und einer kernartigen Erhebung auf der Fläche der Scheibe. g noch dichtere Schrumpfung. h höchster Grad der Schrumpfung (melanöse Körperchen). Vergr. 280.
Ganz abweichend von allen anderen Zellen ist die Gestalt derselben beim Menschen und den Säugethieren. Sie stellen nehmlich platte, scheiben- oder tellerförmige Bildungen mit zweiseitiger centraler Depression dar. Der dickere Rand erscheint daher als ein dunkler gefärbter Ring, die dünnere Mitte als eine ganz schwach gefärbte Fläche. Bei Vögeln, Amphibien und Fischen, bei welchen sich der kernhaltige Zustand während des ganzen Lebens erhält, findet sich zugleich eine ovale Gestalt, die übrigens merkwürdigerweise auch bei dem Lama und Kameel vorkommt. Der allerniederste Fisch, der Amphioxus, hat überhaupt keine Blutkörperchen und beim Leptocephalus bleiben sie ungefärbt. Bei keinem anderen Gewebe sind die Verschiedenheiten der Elemente bei verschiedenen Thieren so gross, wie gerade bei den rothen Blutkörperchen, und man sollte daher ungemein vorsichtig sein, aus Erfahrungen, welche nur für die Blutkörperchen einer Gattung Gültigkeit haben, allgemeine Formeln abzuleiten. Andererseits sind nur ausnahmsweise die Blutkörperchen einer Gattung mit so charakteristischen[173] Eigenthümlichkeiten ausgestattet, dass man daraus diagnostische Unterschiede abzuleiten vermöchte. Namentlich vom gerichtsärztlichen Standpunkte aus wäre es im höchsten Grade erwünscht, wenn ein sicheres Merkmal nachgewiesen würde, wodurch die Blutkörperchen des Menschen von denen der Säugethiere unterschieden werden könnten. Allein alle Versuche, ein solches zu finden, sind bis jetzt fruchtlos gewesen. Das einzige, an sich nicht einmal durchgreifende Merkmal, dass die Blutkörperchen des Menschen etwas grösser sind, als die der meisten Säugethiere, ist in der Regel nicht verwerthbar, da man es in forensischen Fällen meist mit altem und häufig sogar mit getrocknetem Blute zu thun hat.
Der eigentliche Zellkörper der rothen Blutkörperchen besteht aus einer ziemlich zähen Masse, an welcher die Farbe haftet. Letztere erscheint unter dem Mikroskope bei den einzelnen Körperchen als eine mehr gelbliche, sogar leicht ins Grünliche spielende. Gewöhnlich bezeichnet man in der Kürze die gefärbte Substanz als Hämatin, Blutfarbstoff. Allein der rothe Zellkörper ist keine einfache chemische Substanz, und das, was man Hämatin nennt, bildet eben nur einen Theil davon; einen wie grossen Theil, lässt sich bis jetzt noch gar nicht ermitteln. Was sonst noch innerhalb des Blutkörperchens enthalten ist, das gehört wesentlich der chemischen Untersuchung an, und diese ergiebt in den verschiedenen Wirbelthierklassen und Gattungen ebenso gut chemische, wie morphologische Verschiedenheiten. Beim Menschen nahm man früher neben dem Hämatin gewöhnlich noch eine besondere Substanz, das Globulin an; gegenwärtig betrachtet man als die Hauptmasse des rothen Zellkörpers das Hämoglobin, aus welchem erst durch Zersetzung das Hämatin selbst und verschiedene andere, namentlich eiweissartige Stoffe entstehen. Dieses Hämoglobin ist nach der Annahme Rollett's in einem schwammigen Stroma enthalten, welches möglicherweise noch wieder aus verschiedenen stickstoffhaltigen Stoffen besteht. Man beobachtet dasselbe an gefrorenem Blute, bei welchem das Hämoglobin die Blutkörperchen verlässt und an das Serum tritt. Ob wirkliches Protoplasma und damit eine wahre Contraktilität an den rothen Körperchen vorhanden ist, lässt sich nach den heutigen Erfahrungen noch nicht mit Sicherheit aussagen.
Was wir direkt beobachten können, sind gewisse Veränderungen der Farbe und Gestalt, welche durch äussere[174] Agentien hervorgerufen werden. Da das Hämoglobin Sauerstoff, Kohlenoxyd und Stickoxyd absorbirt, wahrscheinlich auch Kohlensäure aufnimmt, so ist es leicht begreiflich, dass dadurch die Farbe der Blutkörperchen und damit die des Blutes im Ganzen geändert wird. Noch viel auffälliger ist die Farbenveränderung durch stärkere chemische Körper, namentlich die intensiv grüne durch Schwefelwasserstoff und die schwärzliche oder bräunliche (atrabiläre) durch organische und mineralische Säuren und Alkalien. Manche dieser Farbenveränderungen erfolgen ohne erhebliche Gestaltveränderungen; andere, wie die der stärkeren chemischen Körper, unter schneller Zerstörung der Blutkörperchen. Dabei ist es jedoch, namentlich auch für forensische Untersuchungen, von grosser Wichtigkeit, dass gerade kaustische Alkalien (Natron, Kali), concentrirt angewendet, die Blutkörperchen erhalten, während, diluirt angewendet, sie dieselben schnell zerstören. — Die meisten Gestaltveränderungen erfolgen unter der Einwirkung von chemischen Lösungen, welche den Blutkörperchen Wasser entziehen; in Folge davon schrumpfen sie und erleiden sie eigenthümliche Gestaltsveränderungen, die sehr leicht Irrthümer herbeiführen können. Dies sind nicht unwichtige Verhältnisse, auf die ich deshalb noch mit ein paar Worten eingehen will.
Wenn ein rothes Blutkörperchen dadurch einem Wasserverluste ausgesetzt ist, dass eine stärker concentrirte Flüssigkeit auf dasselbe einwirkt, so bemerkt man zuerst, dass in dem Maasse, als Flüssigkeit exosmotisch austritt, an der Oberfläche des Körperchens kleine Hervorragungen entstehen, welche anfangs sehr zerstreut liegen, sich bald an dem Rande, bald auf der Fläche finden und im letzteren Falle zuweilen täuschend einem Kerne ähnlich sehen (Fig. 61, e, f). Dies ist die Quelle für die irrthümliche Annahme von Kernen, welche man so viel beschrieben hat. Beobachtet man ein Blutkörperchen unter Einwirkung concentrirter Medien längere Zeit, so treten immer mehr Höcker hervor und das Körperchen wird in seinem Flächendurchmesser kleiner. Dabei bilden sich immer deutlicher kleine Falten und Höcker an der Oberfläche: das Körperchen wird zackig, sternförmig, eckig (Fig. 61, g). Solche zackigen Körper sieht man jeden Augenblick, wenn man Blut untersucht, welches eine Zeit lang an der Luft gewesen ist. Denn schon die blosse Verdunstung erzeugt diese Veränderung. Sehr schnell können wir sie hervorbringen, wenn wir die[175] Mischung des Serums durch Zusatz von Salz oder Zucker ändern. Dauert die Wasser-Entziehung fort, so verkleinert sich das Körperchen noch mehr; endlich wird es wieder rund und glatt (Fig. 61, h), vollkommen sphärisch, und zugleich erscheint seine Farbe viel saturirter; der Inhalt sieht ganz dunkel schwarzroth aus. Es lässt sich daraus eine nicht uninteressante Thatsache erschliessen, nehmlich die, dass die Exosmose wesentlich eine Wasser-Entziehung ist, wobei vielleicht dieser oder jener andere Stoff, z. B. Salz, mit austritt, wobei aber die wesentlichen Bestandtheile zurückbleiben können. Das Hämoglobin insbesondere folgt dem Wasser nicht; das Blutkörperchen hält dasselbe zurück, so dass in dem Maasse, als viel Flüssigkeit verloren geht, natürlich das Hämoglobin im Innern dichter werden muss.
Umgekehrt verhält es sich, wenn wir diluirte Flüssigkeiten anwenden. Je mehr die Flüssigkeit verdünnt wird, um so mehr vergrössert sich das Blutkörperchen: es quillt auf und wird blasser. Behandeln wir die unter der Einwirkung concentrirter Flüssigkeiten verkleinerten Blutkörperchen mit gewöhnlichem Wasser, so sehen wir, wie die kuglige Form wieder in die eckige und diese in die scheibenförmige zurückgeht, wie das Blutkörperchen sich sodann immer mehr wölbt, sich oft ganz sonderbar gestaltet, und wieder blasser wird. Diese Einwirkung kann man, wenn man die Verdünnung des Blutes recht vorsichtig eintreten lässt, so weit treiben, dass die Blutkörperchen kaum noch gefärbt erscheinen, während sie doch noch sichtbar bleiben. In den gewöhnlichen Fällen, wo man viel Flüssigkeit auf einmal zusetzt, wird in der Einrichtung des Blutkörperchens eine so grosse Revolution hervorgebracht, dass alsbald ein Entweichen des Hämoglobins aus dem Körperchen stattfindet. Wir bekommen dann ausserhalb der Blutkörperchen eine rothe Lösung, in welcher die Farbe frei an der Flüssigkeit haftet. Ich hebe diese Eigenthümlichkeit deshalb hervor, weil sie bei mikroskopischen Untersuchungen immerfort vorkommt, und weil sie eine der merkwürdigsten Erscheinungen bei der Bildung pathologischer Pigmentirungen erklärt, wo wir ein ganz ähnliches Entweichen des gefärbten Inhaltes aus den Blutkörperchen antreffen (Fig. 63, a). Gewöhnlich drückt man sich so aus, das Blutkörperchen werde aufgelöst, allein es ist eine schon längst bekannte Thatsache, welche zuerst von Carl Heinrich Schultz erkannt wurde, dass, wenn auch scheinbar gar[176] keine Blutkörperchen mehr in der Flüssigkeit vorhanden sind, man durch Zufügen von Jodwasser die Membranen wieder deutlich machen kann. Aus dieser Erfahrung geht hervor, dass nur der Grad der Aufblähung und die ausserordentliche Verdünnung der Häute das Sichtbarwerden der Blutkörperchen gehindert hat. Es bedarf schon sehr stürmischer Einwirkungen durch chemisch differente Stoffe, um ein wirkliches Zugrundegehen der Blutkörperchen zu Stande zu bringen. Setzt man unmittelbar, nachdem man die Blutkörperchen mit ganz concentrirter Salzlösung behandelt hat, Wasser in grosser Menge hinzu, so kann man es dahin bringen, dass man den Blutkörperchen, ohne dass sie aufquellen, den Inhalt entzieht, und dass die Membranen oder die Stromata sichtbar zurückbleiben. Dies ist der Grund gewesen, weshalb Denis und Lecanu davon gesprochen haben, dass die Blutkörper Fibrin enthielten; sie haben geglaubt, indem sie die Körper erst mit Salz und dann mit Wasser behandelten, Fibrin aus ihnen darstellen zu können. Dieses sogenannte Fibrin ist aber, wie ich gezeigt habe[45], nichts Anderes, als eine Zusammenhäufung von Membranen oder, wie man jetzt sagen würde, von Stromata der Blutkörperchen, aber allerdings bestehen dieselben aus einer Substanz, die den eiweissartigen Stoffen verwandt ist und daher, wenn sie in grossen Haufen gewonnen wird, Erscheinungen darbieten kann, die an Fibrin erinnern. Ob im Uebrigen die rothen Blutkörperchen, wie neuerlich wieder Heynsius gefunden zu haben glaubt, wirkliches coagulables Fibrin enthalten, ist eine andere Frage, da sie sich nicht an die Rückstände zersetzter Blutkörperchen anknüpft.
Was nun die Inhaltssubstanzen der Blutkörperchen anbetrifft, so haben gerade sie in der neueren Zeit ein erhöhtes Interesse gewonnen durch die mehr morphologischen Produkte, welche aus ihnen hervorgehen, und welche in die ganze Anschauung von der Natur der organischen Stoffe eine Art von Umwälzung gebracht haben. Es handelt sich hier namentlich um eigenthümliche gefärbte Krystalle, die unter gewissen Verhältnissen aus dem Blutfarbstoffe entstehen, und durch deren Beobachtung zuerst die Ansicht von der Nichtkrystallisirbarkeit der eiweissartigen Stoffe widerlegt[177] worden ist. Sie besitzen übrigens nicht bloss ein grosses chemisches, sondern auch ein sehr erhebliches praktisches Interesse. Wir kennen bis jetzt schon drei verschiedene Arten von gefärbten Krystallen, für welche das Hämoglobin gemeinschaftliche Quelle ist.
Fig. 62. Hämatoidin-Krystalle in verschiedenen Formen (Archiv f. path. Anat. Bd. I. Taf. III. Fig. 11). Vergr. 300.
Der ersten Form, welche ich zuerst genauer kennen lehrte, habe ich den Namen Hämatoidin gegeben[46]. Es ist dies eins der häufigsten Umwandlungs-Produkte, welches innerhalb des Körpers spontan aus Hämatin entsteht, und zwar oft so massenhaft, dass man es mit blossem Auge wahrnehmen kann. Seine Krystalle erscheinen in ihrer ausgebildeten Form als schiefe rhombische Säulen von schön gelbrother, bei dickeren Stücken von intensiv rubinrother Farbe; sie stellen eine der schönsten Krystallformen dar, die wir überhaupt kennen. Auch in kleinen Tafeln finden sie sich nicht selten, manchmal ziemlich ähnlich den Formen der Harnsäure. In der Mehrzahl der Fälle sind die Krystalle sehr klein, nicht bloss makroskopisch unerkennbar, sondern selbst für die mikroskopische Betrachtung etwas difficil. Man muss ein scharfer Beobachter oder speciell darauf vorbereitet sein, sonst bemerkt man häufig nichts weiter an den Stellen, wo dieses feine Hämatoidin liegt, als eckige Körner oder kleine Striche oder scheinbar gestaltlose Klümpchen. Erst wenn man genauer zusieht, lösen sich die Körner oder Striche in kurze rhombische Säulen, die Klümpchen in Aggregate von Krystallen auf.
Das Hämatoidin kann als das regelmässige typische Endglied der Umbildungen des Hämatins an Stellen des Körpers betrachtet werden, wo grössere Mengen von Blut liegen bleiben (stagniren). Ein apoplectischer Heerd des Gehirns heilt in der Regel so, dass ein grosser Theil des Blutes in diese Krystallisation übergeht, und wenn wir vielleicht 10 Jahre nachher bei der Autopsie eine gefärbte Narbe an dieser Stelle finden, so können wir fast mit Gewissheit darauf rechnen, dass die Farbe von Hämatoidin abhängt. Wenn eine junge Dame menstruirt und die Höhle des Graafschen[178] Follikels, aus welchem das Ei ausgetreten ist, sich mit coagulirtem Blute füllt, so geht das Hämatin allmählich in Hämatoidin über, und wir treffen später an der Stelle, wo das Ei gelegen war, einen mennig- oder zinnoberfarbenen Fleck, als letztes Denkmal des Ereignisses. Auf diese Weise können wir rückwärts die Zahl der apoplectischen Anfälle zählen, oder berechnen, wie oft ein junges Mädchen menstruirt war. Jede Extravasation kann ihr kleines Contingent von Hämatoidin-Krystallen zurücklassen, und diese, wenn sie einmal gebildet sind, bleiben als vollständig widerstandsfähige, compacte Körper im Innern der Organe beliebig lange Zeit liegen.
Fig. 63. Pigment aus einer apoplectischen Narbe des Gehirns (Archiv Bd. I. S. 401. 454. Taf. III. Fig. 7). a in der Entfärbung begriffene, körnig gewordene Blutkörperchen. b Zellen der Neuroglia, zum Theil mit körnigem und krystallinischem Pigment versehen. c Pigmentkörner. d Hämatoidin-Krystalle. f verödetes Gefäss, sein altes Lumen mit körnigem und krystallinischem rothen Pigment erfüllt. Vergr. 300.
Theoretisch besitzt das Hämatoidin noch ein besonderes Interesse dadurch, dass es eine Reihe von Eigenschaften darbietet, welche es als den einzigen, bis jetzt bekannten, mit dem Gallenfarbstoffe (Cholepyrrhin, Bilirubin) verwandten Stoff im Körper erscheinen lassen. Durch direkte Behandlung mit Mineralsäuren oder nach vorherigem Behandeln und Aufschliessen desselben vermittelst Alkalien bekommt man dieselbe oder eine ganz ähnliche Reihe der schönsten Farben-Veränderungen, wie man sie durch Behandlung mit Salpetersäure an dem Gallenfarbstoff erzielt. Andererseits lässt sich durch Chloroform aus der Galle ein krystallisirbarer Farbstoff extrahiren, welcher die grösste Uebereinstimmung[179] mit dem Hämatoidin darbietet. Man kann daher nicht zweifeln, dass das letztere mit Gallenfarbstoff sehr nahe verwandt ist. Da man auch aus anderen Gründen vermuthen muss, dass die gefärbten Theile der Galle Umsetzungsprodukte des Blutroths sind, so ist mit dem von mir nachgewiesenen pathologischen Vorgange zugleich eine wichtige Aufklärung für einen der bedeutendsten Secretionsvorgänge des Körpers geliefert, und manche dunkle Beobachtung der Vorzeit in ein neues Licht gestellt. Wenn im Innern von Extravasaten eine gelblich-rothe Substanz entsteht, welche man wirklich als eine neugebildete Art von Gallenfarbstoff bezeichnen kann, so versteht man leicht jene sonderbaren Farbenhöfe um gequetschte und ekchymotische Stellen, jene eigenthümlichen gelblichen und bräunlichen Färbungen alter Blutmassen, welche den Grund zu der antiken Lehre von der Atra bilis und den melancholischen Processen abgegeben haben.
Die zweite Art von Krystallen, welche aus Hämoglobin hervorgehen, wurde später entdeckt; sie sind denen des Hämatoidins sehr ähnlich, unterscheiden sich aber dadurch, dass sie nicht als spontanes Produkt im Körper vorkommen, sondern künstlich dargestellt werden müssen. Sie haben eine mehr dunkel bräunliche Farbe, stellen gewöhnlich platte rhombische Tafeln mit spitzeren Winkeln dar, sind gegen Reagentien ausserordentlich widerstandsfähig und zeigen bei der Einwirkung der Mineralsäuren den eigenthümlichen Farbenwechsel nicht, welcher das Hämatoidin charakterisirt. Sie haben von ihrem Entdecker, Teichmann, den Namen des Hämin's bekommen, doch ist er in der neuesten Zeit selbst darüber zweifelhaft geworden, ob es nicht eine Art von Hämatin selbst (salzsaures Hämatin)[180] sei. Pathologisch hat das Hämin bis jetzt gar kein Interesse, dagegen hat es eine sehr grosse Bedeutung gewonnen für die gerichtliche Medicin dadurch, dass die Herstellung seiner Krystalle in der letzten Zeit als eines der sichersten Mittel für die Erkennung von Blutflecken angewendet worden ist. Ich selbst bin in forensischen Fällen in der Lage gewesen, solche Proben mit sehr entscheidendem Erfolge zu machen. Zu diesem Zwecke mengt man am besten getrocknetes Blut in möglichst dichtem Zustande mit trockenem, krystallisirtem und gepulvertem Kochsalz, bringt dann auf diese trockene Mischung Eisessig (Acetum glaciale) und dampft bei Kochhitze ab. Ist dies geschehen, so findet man da, wo vorher die Blutreste oder die zweifelhafte hämatinhaltige Substanz waren, die Häminkrystalle. Es ist dies eine Reaction, die mit zu den sichersten und zuverlässigsten gehört, die wir überhaupt kennen. Denn es ist keine andere Substanz bekannt, welche eine solche Umbildung erleidet, als das Hämatin. Diese Probe ist ferner deshalb ausserordentlich wichtig, weil sie auch auf ganz minimale Mengen anwendbar ist; nur darf die Menge nicht über eine zu grosse Fläche verbreitet sein. Die Probe würde also nur schwer anwendbar sein, wenn es sich um ein Tuch handelte, welches in eine dünne, wässerige, mit Blut gefärbte Flüssigkeit getaucht war. Aber ich habe an dem Rocke eines Ermordeten, an dessen Aermel Blut gespritzt war, und wo einzelne Blutstropfen nur eine Linie im Durchmesser hatten, aus solchen Flecken noch zahllose Häminkrystalle darstellen können, natürlich mikroskopische[47]. In Fällen, wo die gewöhnliche chemische Probe wegen der geringen Menge absolut fehlschlagen müsste, sind wir noch im Stande, Hämin zu gewinnen. Bei so wenig Masse ist die Grösse der Krystalle freilich auch nur sehr geringfügig; wir finden dann, wie beim Hämatoidin, kleine, mit spitzen Winkeln versehene, intensiv braun gefärbte Nadeln.
Die dritte Substanz, welche in diese Reihe hineingehört, ist das früher sogenannte Hämatokrystallin, über dessen Entdeckung die Gelehrten streiten, weil es eben stückweis gefunden worden ist. Die erste Beobachtung darüber ist von Reichert an Extravasaten im Uterus des Meerschweinchens gemacht, in einem Präparate, das, wie ich denke, schon in Spiritus gelegen[181] hatte. Seine Beobachtung wurde besonders dadurch bedeutungsvoll, dass er an diesen Krystallen nachwies, dass sie sich in gewisser Beziehung wie gewöhnliche eiweissartige Substanzen verhielten, indem sie unter der Wirkung gewisser Agentien grösser, unter der anderer kleiner würden, ohne dabei ihre Form zu verändern, — eine Erscheinung, welche man bis dahin an Krystallen noch nicht kannte. Später sind diese Krystalle wieder entdeckt worden von Kölliker; Funke, Kunde und namentlich Lehmann haben sie genauer untersucht. Es hat sich herausgestellt, dass bei verschiedenen Thierklassen dieselben sehr verschieden sind, indessen hat sich bis jetzt ein bestimmter Grund dafür und eine Ansicht über die Constanz ihrer Zusammensetzung nicht gewinnen lassen. Beim Menschen sind es ziemlich grosse Krystalle. Man hat anfangs geglaubt, sie kämen nur an dem Blute gewisser Organe, namentlich der Milz, vor, allein es hat sich ergeben, dass sie aus jedem Blute, nur in gewissen Krankheits-Prozessen leichter, gewonnen werden können. In einzelnen sehr seltenen Fällen kommt es vor, dass man sie im Blut von Thier-Leichen schon gebildet findet. Diese Krystalle sind sehr leicht zerstörbar; sowohl wenn sie eintrocknen, als wenn sie feucht oder durch irgend ein flüssiges Medium berührt werden, gehen sie zu Grunde; man beobachtet sie daher nur in gewissen Uebergangsstadien, welche gerade getroffen werden müssen, bei der Zerstörung von Blutkörperchen. Die gut ausgebildeten Formen beim Menschen bilden vollkommen rechtwinklige Tafeln oder Säulen; aber sehr oft sind sie äusserst klein und man sieht nur einfache Spiesse, welche in grossen Massen an gewissen Stellen in das Object hineinschiessen. Dabei haben sie die Eigenthümlichkeit, dass sie sich immer noch verhalten, wie das Hämatin selbst, indem sie durch Sauerstoff hellroth, durch Kohlensäure dunkelroth werden. Lange stritt man darüber, ob die ganze Masse der Krystalle aus Farbstoff bestehe, oder ob der Farbstoff nur eine Tränkung an sich farbloser Krystalle bilde; gegenwärtig ist man darin übereingekommen, das Hämatokrystallin als identisch mit dem Hämoglobin anzuerkennen. Es versteht sich demnach für die Beurtheilung der Krystalle von selbst, dass die Farbe durchaus charakteristisch ist, und dass sie mit der gewöhnlichen Blutfarbe unmittelbar zusammenfällt.
Fig. 65. Farblose Blutkörperchen aus einer Vena arachnoidealis eines Geisteskranken. A. Frisch, a in ihrer natürlichen Flüssigkeit, b in Wasser untersucht. B. Nach Behandlung mit Essigsäure: a–c einkernige, mit immer grösserem, granulirtem und schliesslich nucleolirtem Kern. d einfache Kerntheilung. e weitere Kerntheilung. f–h Dreitheilung des Kerns in allmähligem Fortschreiten. i–k vier und mehr Kerne. Vergr. 280.
Kehren wir jetzt zu den natürlichen morphologischen Elementen[182] des Blutes zurück, so treffen wir als ferneren Bestandtheil die farblosen Körperchen [Lymphkörperchen des Blutes, Leukocyten Robin's][48]. Sie kommen im Blute des gesunden Menschen in verhältnissmässig kleiner Zahl vor. Man rechnet ungefähr auf 300 rothe Körperchen 1 farbloses. Wie sie sich gewöhnlich im Blute finden, stellen sie sphärische Körperchen dar, welche in der Regel etwas grösser, zuweilen etwas kleiner oder auch eben so gross, wie die rothen Blutkörperchen sind, von denen sie sich aber auffallend durch den Mangel jeder Färbung und durch ihre vollkommen kugelige Gestalt unterscheiden. In einem Blutstropfen, der zur Ruhe gelangt, pflegen sich die rothen Körperchen in Reihen von der bekannten Form der Geldrollen, mit ihren flachen Scheiben an einander, zusammenzulegen (Fig. 61, d); in den Zwischenräumen derselben bemerkt man hier und da ein blasses sphärisches Gebilde, an dem man zunächst, wenn das Blut ganz frisch ist, nichts weiter erkennen kann, als eine leicht höckerig oder uneben aussehende Oberfläche. Lässt man Wasser hinzutreten, so sieht man, dass das Körperchen aufquillt; in dem Maasse, als es mehr Wasser aufnimmt, erscheint zuerst deutlich eine Membran, dann sieht man einen allmählich klarer hervortretenden körnigen Inhalt und zuletzt einen oder mehrere Kerne. Die scheinbar homogene Kugel verwandelt sich auf diese Art nach und nach in ein zartwandiges, oft so brüchiges Gebilde, dass bei unvorsichtiger Einwirkung des Wassers die äusseren Theile anfangen zu zerfallen oder geradezu bersten und im Innern ein leicht körniger Inhalt erkennbar wird, welcher sich mehr und mehr lockert und innerhalb dessen ein einziger, gewöhnlich in der Theilung begriffener oder mehrere Kerne erscheinen. Das Sichtbarwerden der letzteren ist viel schneller zu erlangen, wenn man das Object mit Essigsäure behandelt,[183] welche die Membran durchscheinend macht, den trüben Inhalt klärt und den Kern gerinnen und schrumpfen lässt. Die Kerne erscheinen dann als scharf und dunkel contourirte Körper, seltener einfach, meist mehrfach, je nach den Umständen. Kurz, wir bekommen in der Mehrzahl der Fälle auf diese Weise ein Object zu sehen, wie es Güterbock zuerst als die gewöhnliche Erscheinung der Eiterkörperchen kennen gelehrt hat.
Fig. 66. Farblose Blutkörperchen bei variolöser Leukocytose. a freie oder nackte Kerne. b, b farblose Zellen mit kleinen, einfachen Kernen. c grössere, farblose Zellen mit grossen Kernen und Kernkörperchen. Vergr. 300.
Die Frage von der Aehnlichkeit oder Unähnlichkeit der farblosen Blutkörperchen mit den Eiterkörperchen beschäftigt noch immerfort die Beobachter, und die Ansichten über die Beziehung der farblosen Blutkörperchen zu der Pyämie und zu der Pyogenesis werden wahrscheinlich noch eine Reihe von Jahren gebrauchen, ehe sie so weit geklärt sind, dass nicht immer wieder einseitige Rückfälle eintreten. Es ist nehmlich allerdings sehr trügerisch, dass man in manchem Blut Körperchen findet, welche nur einen einzigen, und zwar grossen, nicht selten mit einem Kernkörperchen versehenen Kern haben, während man in anderem Blut nur mehrkernige Körperchen antrifft. Da nun diese letzteren die grösste Aehnlichkeit mit Eiterkörperchen haben, so ist es solchen Beobachtern, welche durch Zufall früher im normalen Blut nur einkernige Körperchen getroffen hatten, nicht zu verdenken, wenn sie in einem neuen Falle, wo sie mehrkernige sehen, glauben, sie hätten etwas wesentlich Anderes vor sich, nehmlich Eiterkörperchen im Blute, und es handle sich um Pyämie. Allein sonderbarer Weise bilden die einkernigen die Ausnahme und man kann lange suchen, ehe man ein Blut findet, wo alle Körperchen nur einen Kern besitzen. Das nebenstehende Object (Fig. 66) ist von einem Blute, in welchem fast lauter einkernige Elemente und zwar in überaus grosser Menge existirten; es fand sich bei einem Manne, welcher an den Blattern gestorben war, und bei welchem zugleich eine höchst auffällige acute Hyperplasie der Bronchialdrüsen bestand.
Nun könnte man glauben, dass dies wesentlich verschiedene Qualitäten von Blut seien. Dagegen muss bemerkt werden, dass allerdings in den Fällen, wo die eine oder andere Art von farblosen[184] Zellen massenhaft existirt, man eine pathologische Erscheinung vor sich hat, während bei geringer Zahl derselben nur ein früheres oder späteres Entwickelungsstadium der Elemente vorliegt. Denn ein und dasselbe Blutkörperchen kann im Verlaufe seiner Lebensgeschichte einen und mehrere Kerne haben, indem der einfache in ein früheres, die mehrfachen in ein späteres Lebensstadium fallen. Bei demselben Individuum sieht man in kurzer Zeit, oft schon in Stunden den Wechsel eintreten, so dass in einem Blute, welches vorher nur einkernige Körperchen hatte, sich später mehrkernige finden, — ein Beweis von der raschen Veränderung, welcher diese Gebilde unterworfen sind[49]. —
Fig. 67. A. Fibringerinnsel aus der Lungenarterie, den Endästen derselben entsprechend, bei a, a mit grösseren Platten von leukocytotischen Haufen besetzt, bei b, b, b mit analogen Körnern. Natürliche Grösse.
B. Ein Stück eines solchen Korns oder Haufens, aus dichtgedrängten farblosen Blutkörperchen bestehend. Vergr. 280.
Nachdem wir so die verschiedenen festen Bestandtheile kurz gemustert haben, welche sich in dem geronnenen Blute finden, haben wir noch einige Worte hinzuzufügen in Beziehung auf die gröberen Verhältnisse, welche sie unter einander darbieten. Gewöhnlich nimmt man an, dass von den morphotischen Bestandtheilen nur zwei der groben Beobachtung mit blossem Auge zugänglich werden, nehmlich die rothen Blutkörperchen, als Hauptbestandtheil des Cruors, und das Fibrin, welches bei Gelegenheit eine Speckhaut bilden kann, dass dagegen die farblosen Elemente ohne besondere Hülfsmittel in keiner Weise wahrzunehmen seien. Dies ist eine Vorstellung, welche nothwendig berichtigt werden muss. Die farblosen Körper machen sich, wo sie in grösserer Menge vorhanden sind, für das geübtere Auge bei der Trennung der Blutbestandtheile, namentlich wenn während der Gerinnung Bewegung vorhanden ist, sehr deutlich geltend; sie zeigen eine Eigenthümlichkeit, die man insbesondere kennen muss, wenn es sich um die Kritik des Leichenbefundes handelt,[185] und deren Nichtkenntniss zu grossen Irrthümern geführt hat. Sie besitzen nehmlich, wie dies schon in den älteren Discussionen zu Tage getreten ist, welche Ascherson mit E. H. Weber gehabt hat, eine besondere Klebrigkeit (Viscosität), so dass sie mit Leichtigkeit an einander haften, sich auch unter Umständen an anderen Theilen festsetzen, wo die rothen Körperchen diese Erscheinung nicht darbieten. Die Neigung, an anderen Theilen anzukleben, ist besonders dann sehr deutlich, wenn zugleich ihrer mehrere unter einander in die Lage kommen, gegenseitig mit einander zu verkleben. So geschieht es ausserordentlich leicht, dass in einem Blute, in welchem an sich eine Vermehrung an farblosen Körpern besteht, Agglutinationen derselben vor sich gehen, sobald der Druck, unter welchem das Blut fliesst, nachlässt; in jedem Gefässe, wo sich die Strömung verlangsamt, wo eine Abschwächung des Druckes stattfindet, kann eine solche Agglutination der Körperchen geschehen[50].
Fig. 68. Capillargefäss aus der Froschschwimmhaut. r der centrale Strom der rothen Körperchen. l, l, l die träge, peripherische Schicht des Blutstromes mit den farblosen Blutkörperchen. Vergr. 300.
Die Klebrigkeit der farblosen Blutkörperchen hat überdies den Effect, dass, wie Ascherson dargethan hat, bei der gewöhnlichen Strömung des Blutes durch die Capillargefässe die farblosen Körperchen sich gewöhnlich etwas langsamer fortbewegen, als die rothen, und dass, während die rothen mehr im Centrum des Capillargefässes in einem continuirlichen Strome schwimmen, am Umfange ein verhältnissmässig grosser Raum bleibt, innerhalb dessen sich die farblosen Körperchen, und zwar oft so ausschliesslich, bewegen, dass Weber zu dem Schlusse kam, es stecke jedes Capillargefäss in einem Lymphgefässe, innerhalb dessen die farblosen Blut- oder Lymphkörperchen schwömmen. Allein es kann darüber gar kein Zweifel sein, dass es sich meist um einfache Kanäle handelt, in welchen die farblosen Körperchen den Wandungen näher liegen, als die rothen. Hier ist es, wo man, während die Hauptmasse der Körperchen sich fortbewegt, einzelne für einen Augenblick festsitzen,[186] dann sich losreissen und wieder langsam fortgehen sieht, so dass der Name der trägen Schicht für diesen Theil des Blutstromes ein vollkommen recipirter geworden ist.
Diese beiden Eigenthümlichkeiten, dass bei einer Abschwächung des Blutstromes die Körperchen an den Wandungen des Gefässes stellenweise haften bleiben, gewissermaassen an ihnen ankleben, und dass sie unter einander zu grösseren Klumpen sich zusammenballen, haben zusammen die Wirkung, dass, wenn im Blute viele farblose Körper vorhanden sind und der Tod, wie in den gewöhnlichen Fällen, unter einer allmählichen Abschwächung der Triebkraft erfolgt, in den verschiedensten Gefässen die farblosen Körper sich zu kleinen Haufen zusammenballen und in der Regel am Umfange des späteren Blutgerinnsels liegen bleiben.
Ziehen wir z. B. aus der Lungenarterie den gewöhnlich sehr derben Blutstrang heraus, welcher ihr Anfangsstück erfüllt, so kann es sein, dass an seiner Oberfläche kleine Körner (Fig. 67, A) sitzen, Knöpfchen von weisser Farbe, welche aussehen, wie einzelne Eiterpunkte, oder welche gar zu mehreren perlschnurartig zusammenhängen. Dieses Vorkommen ist am häufigsten an denjenigen Orten des Gefässsystems, wo die Zahl der Körper an sich am grössten ist, daher insbesondere in der Strecke zwischen der Einmündung des Ductus thoracicus und den Lungencapillaren. Ziemlich leicht vermag das blosse Auge an dem Abscheiden dieser Massen das mehr oder weniger reichliche Vorkommen der farblosen Körperchen zu erkennen. Unter Umständen, wo die Zahl derselben sehr gross wird, sieht man auch wohl ganze Häufchen, die wie eine Scheide einzelne Abschnitte des Gerinnsels umlagern. Bringt man ein solches Häufchen unter das Mikroskop, so sieht man viele Tausende von farblosen Körpern zusammen.
Erfolgt die Gerinnung des Blutes, während dasselbe in Ruhe ist, so tritt eine andere Erscheinung sehr deutlich hervor, wie man sie in Aderlass-Gefässen sehen kann. Gerinnt der Faserstoff nicht sehr schnell oder geradezu langsam, wie bei entzündlichem Blute, so fangen innerhalb der ruhenden Blutflüssigkeit die Blutkörperchen an, sich vermöge ihrer Schwere zu senken. Diese Sedimentirung geht bekanntlich so weit, dass, wenn man frisch gelassenes Blut durch Quirlen seines Faserstoffes beraubt (defibrinirt), oder durch Zusatz von Mittelsalzen die Gerinnung hindert oder wenigstens sehr verlangsamt, die Flüssigkeit nach und nach[187] vollkommen klar wird, indem die Körperchen zu Boden fallen. Wenn wir ein an farblosen Blutkörperchen reiches Blut defibriniren und stehen lassen, so bildet sich ein doppeltes Sediment, ein rothes und ein weisses. Das rothe bildet das tiefste, das weisse das höhere Stratum; letzteres sieht vollständig so aus, wie wenn eine Lage von Eiter über dem Blute läge. Wird das Blut nicht defibrinirt, gerinnt es aber langsam, dann kommt die Senkung nicht vollständig zu Stande, sondern es wird nur der höchste Theil der Blutflüssigkeit von Körperchen frei; wenn dann späterhin der Faserstoff gerinnt, so zeigt sich die bekannte Crusta phlogistica, die Speckhaut, und wenn wir nach den farblosen Blutkörperchen suchen, so finden wir sie als eine besondere Schicht an der unteren Grenze der Speckhaut. Diese Besonderheit erklärt sich einfach aus dem verschiedenen specifischen Gewichte, welches die beiden Arten von Blutkörperchen haben. Die farblosen sind immer leichte, an fester Substanz arme, sehr zarte Gebilde, während die rothen ein relativ bleiernes Gewicht haben durch ihren grossen Gehalt an Hämoglobin. Sie erreichen daher verhältnissmässig sehr schnell den Boden, während die farblosen noch im Fallen begriffen sind. Wenn man zwei verschieden schwere Substanzen frei in der Luft herunterfallen lässt, so kommen ja auch bei genügender Höhe wegen des Widerstandes der Luft die leichteren Körper später am Boden an.
Fig. 69. Schema eines Aderlassgefässes mit geronnenem hyperinotischem Blute. a das Niveau der Blutflüssigkeit; c die becherförmige Speckhaut, l die Lymphschicht (Cruor lymphaticus, Crusta granulosa) mit den körnigen und maulbeerartigen Anhäufungen der farblosen Körperchen, r der rothe Cruor.
In der Regel bildet bei der Gerinnung im Aderlassblute der weisse Cruor nicht eine continuirliche, sondern eine unterbrochene Lage, in der Weise, dass an der unteren Seite der Speckhaut kleine Häufchen oder Knötchen haften[51]. Daher hat Piorry, welcher zuerst diese Beobachtung machte, aber sie ganz falsch deutete, indem[188] er sie auf eine Entzündung des Blutes selbst (Haemitis) bezog und darauf die Doctrin der Pyämie begründete, diese Form von Speckhaut als Crusta granulosa s. tuberculosa bezeichnet. Sie bedeutet nichts weiter, als eine massenhafte und gruppenweise Anhäufung der farblosen Blutkörperchen (Crusta lymphatica).
Unter allen Verhältnissen gleicht diese Schicht dem Aussehen nach dem Eiter, und da nun, wie wir vorher gesehen haben, auch die einzelnen farblosen Blutkörperchen die Beschaffenheit von Eiterkörperchen haben[52], so ist es leicht begreiflich, dass man nicht bloss bei einem gesunden Menschen in die Lage kommen kann, seine farblosen Blutkörperchen für Eiterkörperchen zu halten, sondern noch mehr bei Kranken, wo das Blut oder andere Theile voll von diesen Elementen sind. Die Frage, wie sie wiederholt aufgeworfen ist, liegt sehr nahe, ob die Eiterkörperchen nicht einfach extravasirte farblose Blutkörperchen seien, oder umgekehrt, ob die innerhalb der Gefässe gefundenen farblosen Blutkörperchen nicht von aussen her aufgenommene Eiterkörperchen seien. Bejaht man diese letztere Frage, so gelangt man auf dem hauptsächlich durch die französischen Autoren (Ribes, Velpeau, Maréchal) verfolgten Wege zu der Lehre von der Eiterresorption[53]. Nimmt man dagegen die erstere Auffassung an, so kommt man auf eine Anschauung, wie sie schon seit Hewson in der englischen Literatur sehr verbreitet ist: mit der „plastischen Lymphe“ treten auch „Lymphkörperchen“ aus. Diese Lehre von der Lymphexsudation ist namentlich durch W. Addison und Paget vertreten worden, und sie hat neuerlich in Beziehung auf die farblosen Körperchen sichere thatsächliche Unterlagen erhalten. So sehr schwanken die herrschenden Lehrsätze. Während vor kaum zwei Decennien jede auffällige Vermehrung der farblosen Blutkörperchen im Blute den Verdacht, ja die zuversichtliche Annahme einer purulenten Infection erregte, so gilt jetzt jede ungewöhnliche Rundzelle an beliebiger Stelle des Körpers für ein farbloses Blutkörperchen, und wie es damals nöthig war, der unberechtigten Ausdehnung der Pyämie-Lehre entgegen zu[189] treten, so muss man jetzt der ungemessenen Erweiterung der Lehre von der Lymphexsudation Schranken setzen.
Allein die neuere Forschung hat auf diesem Felde überaus glückliche Erfolge gehabt, indem sie zu einer genaueren Beobachtung der Lebenserscheinungen der farblosen Blutkörperchen geführt hat. Schon Wharton Jones hatte spontane Gestaltveränderungen dieser Gebilde beschrieben, wobei sie nach Art gewisser niederer pflanzlicher und thierischer Organismen Fortsätze aus sich hervortreiben und wieder zurückziehen. Weitere Untersuchungen haben bestätigt, dass in der That sehr lebhafte Bewegungen an den Körpersubstanz der farblosen Blutkörperchen vorkommen, die man in gewissem Sinne als Contractionen bezeichnen kann, wenngleich dieser Ausdruck, den wir bisher gewohnt waren, nur auf die in ganz bestimmter Richtung geschehende Zusammenziehung muskulöser Theile zu beziehen, leicht zu Missverständnissen Veranlassung geben kann. Häckel sah sodann die farblosen Blutkörperchen niederer Thiere Farbstoffkörperchen in sich aufnehmen; v. Recklinghausen wies dasselbe für die Wirbelthiere nach und lehrte damit ein wichtiges Mittel kennen, die Zellen durch Aufnahme von gefärbten Theilen gleichsam zu markiren. Endlich beobachteten Waller und Cohnheim die Auswanderung der farblosen Blutkörperchen aus den Gefässen lebender Thiere auf die Oberflächen und in die Gewebe der Umgebung bei anhaltender Fixirung bestimmter Stellen unter dem Mikroskope.
Auf diese Weise ist gerade an einer Art von Elementen, welche früher kaum der Aufmerksamkeit des Arztes werth erschienen, eine Fülle der wichtigsten Lebensthätigkeiten, ja eine Freiheit und Selbständigkeit dieser Thätigkeiten dargethan worden, welche die farblosen Blutkörperchen zu einem der günstigsten Objecte für die Demonstration vitaler Vorgänge und zugleich zu einem der bedeutungsvollsten Ausgangspunkte pathologischer Studien erheben. Als ich vor nunmehr 25 Jahren den Satz aussprach: „Ich vindicire für die farblosen Blutkörperchen eine Stelle in der Pathologie“[54], da hatte ich freilich noch[190] keine Ahnung von den weitaussehenden Consequenzen, welche sich an diesen Versuch geknüpft haben. Denn man kann schon jetzt sagen, dass die cellulare Doctrin nirgends eine so unzweifelhafte Bedeutung erlangt hat, als durch die immer zahlreicheren Erfahrungen über diese früher so vernachlässigten Gebilde.
Fußnoten:
[43] Gesammelte Abhandl. S. 137.
[44] Froriep's Neue Notizen 1845. Sept. No. 769. Gesammelte Abhandlungen. S. 59, 65.
[45] Zeitschrift für rationelle Medicin. 1846. Bd. IV. S. 281. Gesammelte Abhandl. S. 88.
[46] Archiv f. path. Anatomie und Physiol. 1847. I. 391.
[47] Archiv f. path. Anat. u. Physiol. 1857. XII. 337.
[48] Gesammelte Abhandlungen. S. 212.
[49] Med. Zeitung des Vereins für Heilkunde in Preussen. 1846. No. 35. Gesammelte Abhandl. S. 162, sowie 650.
[50] Med. Zeitung des Vereins für Heilkunde in Preussen. 1847. No. 4. Gesammelte Abhandl. S. 183.
[51] Gesammelte Abhandlungen S. 183.
[52] Gesammelte Abhandlungen S. 653.
[53] Ebendas. S. 462, 640, 645.
[54] Med. Zeitung des Vereins für Heilkunde in Preussen. 1846. September. No. 36.
Wechsel und Ersatz der Blutbestandtheile. Die rothen Körperchen. Hinfälligkeit derselben. Theilung derselben bei Embryonen. Zerbröckelung bei ungünstigen Einwirkungen. Ersatz aus der Lymphe.
Das Fibrin. Die Lymphe und ihre Gerinnung. Nichtgerinnung des Capillarblutes in der Leiche. Das lymphatische Exsudat. Fibrinogene Substanz. Speckhautbildung. Lymphatisches Blut, Hyperinose, phlogistische Krase. Locale Fibrinbildung. Fibrintranssudation. Fibrinbildung im Blute.
Die farblosen Blutkörperchen (Lymphkörperchen). Ihre Vermehrung bei Hyperinose und Hypinose (Erysipel, Pseudoerysipel, Typhus). Leukocytose und Leukämie. Die lienale und lymphatische Leukämie.
Milz- und Lymphdrüsen als hämatopoëtische Organe. Structur der Lymphdrüsen. Rinden- und Marksubstanz. Das eigentliche Parenchym derselben: Follikel (Markstränge), Reticulum, Lymphsinus. Parenchymzellen (Lymphdrüsenkörperchen) und ihr Verhältniss zu Lymph- und farblosen Blutkörperchen. Diagnose und Abstammung der letzteren. — Bau der Milz. Siebförmige Einrichtung der Gefässwände in der Pulpa. — Umbildung farbloser Blutkörperchen in farbige. Ort derselben. Das rothe Knochenmark.
Lymphgefässe. Zusammenhang mit dem Röhrensystem des Bindegewebes. Bau der grösseren Lymphgefässe: Contraktilität und Klappen derselben. Lymphcapillaren (Lymphgefäss-Wurzeln): einfache Epithel-Wand. Bedeutung der Bindegewebskörperchen und der Lymphe überhaupt. Recrementitielle und plastische Natur der Lymphe.
Hat man sich mit den einzelnen morphologischen Elementen des Blutes und den besonderen Eigenthümlichkeiten derselben bekannt gemacht, so ist das Nächste die Frage nach der Entstehung derselben.
Aus den Erfahrungen über die erste Entwickelung der Blutelemente lassen sich wesentliche Rückschlüsse machen auf die Natur der Veränderungen, welche unter krankhaften Verhältnissen in der Blutmasse stattfinden. Früher betrachtete man das Blut mehr als einen in sich abgeschlossenen Saft, welcher allerdings gewisse Beziehungen nach aussen habe, aber doch in sich selbst eine wirkliche Dauer besitze; man nahm deshalb an, dass sich[192] auch besondere Eigenschaften dauerhaft daran erhalten, ja viele Jahre hindurch fortbestehen könnten. Natürlich durfte man dabei den Gedanken nicht zulassen, dass die Bestandtheile des Blutes vergänglicher Natur seien, und dass neue Elemente hinzukämen, welche alte, verloren gegangene ersetzten. Denn die Dauerhaftigkeit eines Theiles als solchen setzt entweder voraus, dass er in seinen Elementen dauerhaft ist, oder dass die Elemente innerhalb des Theiles immerfort neue erzeugen, welche alle Eigenthümlichkeiten der alten erben. Für das Blut müsste man also entweder annehmen, seine Bestandtheile wären wirklich durch Jahre fortbestehend und könnten Jahre lang dieselben Veränderungen bewahren, oder man müsste sich denken, dass das Blut von einem Theilchen auf das andere etwas übertrüge, in der Art, dass von einem mütterlichen Bluttheilchen auf ein töchterliches etwas Hereditäres fortgepflanzt würde. Von diesen Möglichkeiten ist die erstere gegenwärtig gänzlich unhaltbar. Es denkt im Augenblick wohl Niemand daran, dass die einzelnen Bestandtheile des Blutes eine Dauer von vielen Jahren haben. Dagegen lässt sich die Möglichkeit nicht von vorn herein zurückweisen, dass innerhalb des Blutes die Elemente eine Fortpflanzung erfahren, und dass sich von Element zu Element gewisse erbliche Eigenthümlichkeiten übertragen, welche zu einer gewissen Zeit im Blute eingeleitet sind. Allein mit einer gewissen Zuverlässigkeit kennen wir solche Erscheinungen der Fortpflanzung des Blutes nur aus einer früheren Zeit des embryonalen Lebens. Hier scheint es nach Beobachtungen, die erst in der neuesten Zeit von Remak und Metschnikow wiederum bestätigt sind, dass die vorhandenen Blutkörperchen sich direkt theilen, in der Art, dass in einem Körperchen, welches in der ersten Zeit der Entwickelung sich als kernhaltige Zelle darstellt, zuerst eine Theilung des Kernes eintritt (Fig. 60, c), dass dann die ganze Zelle sich einkerbt und nach und nach wirkliche Uebergänge zu einer vollständigen Theilung erkennen lässt. In dieser frühen Zeit ist es daher allerdings zulässig, das Blutkörperchen als den Träger von Eigenschaften zu betrachten, welche sich von der ersten Reihe von Zellen auf die zweite, von dieser auf die dritte u. s. f. fortpflanzen.
Allein in dem Blute des entwickelten Menschen, ja selbst im Blute des Fötus der späteren Schwangerschaftsmonate sind solche Theilungs-Erscheinungen nicht mehr bekannt, und keine einzige[193] von den Thatsachen, welche man aus der Entwickelungsgeschichte beizubringen vermag, spricht dafür, dass in dem entwickelten Blute eine Vermehrung der zelligen Elemente durch direkte Theilung oder irgend eine andere im Blute selbst gelegene Neubildung stattfinde. Man weiss wohl, dass unter gewissen Verhältnissen, z. B. bei Einwirkung von Harnstoff und manchen Salzen, die rothen Blutkörperchen sich einschnüren und endlich in Stücke zerfallen oder einzelne, meist rundliche Stückchen (Körnchen) von sich abschnüren, allein diese Stückchen, welche noch G. Zimmermann als die ersten Anfänge neuer Blutkörperchen betrachtete, sind nichts anderes, als Trümmer. So lange man die Möglichkeit als erwiesen betrachtete, dass aus einem einfachen Cytoblastem durch direkte Ausscheidung differenter Materien Zellen entständen, so lange konnte man auch in der Blutflüssigkeit sich neue Niederschläge bilden lassen, aus denen Zellen hervorgingen. Allein auch davon ist man zurückgekommen. Alle morphologischen Elemente des Blutes, wie sie auch beschaffen sein mögen, leitet man gegenwärtig von Orten ab, welche ausserhalb des Blutes liegen. Ueberall geht man zurück auf Organe, welche mit dem Blute nicht direkt, sondern vielmehr durch Zwischenbahnen in Verbindung stehen. Die Hauptorgane, welche in dieser Beziehung in Frage kommen, sind die lymphatischen. Die Lymphe ist die Flüssigkeit, welche, während sie dem Blute gewisse Stoffe zuführt, die von den Geweben kommen, zugleich die körperlichen Elemente mit sich bringt, aus welchen die Zellen des Blutes sich fort und fort ergänzen.
In Beziehung auf zwei Bestandtheile des Blutes dürfte es kaum zweifelhaft sein, dass diese Anschauung eine vollkommen berechtigte ist, nehmlich in Beziehung auf den Faserstoff und die farblosen Blutkörperchen. Was den Faserstoff anbetrifft, dessen morphologische Eigenschaften ich im vorigen Capitel besprach, so ist es eine sehr wesentliche und wichtige Thatsache, dass derjenige Faserstoff, welcher in der Lymphe circulirt[55], gewisse Verschiedenheiten darbietet von dem Faserstoffe des Blutes, welchen wir zu Gesicht bekommen, wenn wir Extravasate oder aus der Ader gelassenes Blut betrachten. Der Faserstoff der Lymphe hat die besondere Eigenthümlichkeit, dass er unter den gewöhnlichen Verhältnissen innerhalb der Lymphgefässe weder im Leben noch nach[194] dem Tode gerinnt, während das Blut in manchen Fällen schon während des Lebens, regelmässig aber nach dem Tode gerinnt, so dass die Gerinnungsfähigkeit dem Blute als eine regelmässige Eigenschaft zugeschrieben wird. In den Lymphgefässen eines todten Thieres oder einer menschlichen Leiche findet man keine geronnene Lymphe, dagegen tritt die Gerinnung alsbald ein, sobald die Lymphe mit der äusseren Luft in Contact gebracht oder von einem erkrankten Organe her verändert wird.
Allerdings zeigt sich auch innerhalb der Gefässe einer Leiche am Blute eine sehr auffällige und schwer zu erklärende Verschiedenheit. Während das Blut des Herzens und der grösseren Gefässe nach dem Tode gerinnt, so bleibt das Capillarblut flüssig. Sonderbarerweise übersieht man diese wichtige Erscheinung fast immer, so wichtig sie auch für die Deutung des örtlichen Verhaltens der Färbung der Gefässe, insbesondere der postmortalen Ortsveränderungen, Senkungen u. s. w. des Blutes ist. Aber das Capillarblut der Leiche unterscheidet sich dadurch von der Lymphe, dass es auch nicht mehr gerinnt, wenn es aus den Capillaren entleert und der Luft ausgesetzt wird.
Was nun die Lymphe anbetrifft, so muss ich noch immer an der Anschauung festhalten, dass in derselben kein fertiges Fibrin enthalten ist, sondern dass dies erst fertig wird, sei es durch den Contact mit der atmosphärischen Luft, sei es unter abnormen Verhältnissen durch die Zuführung veränderter Stoffe, oder durch den Contact mit besonderen Substanzen. Die normale Lymphe führt eine Substanz, welche sehr leicht in Fibrin übergeht, und, wenn sie geronnen ist, sich vom Fibrin kaum unterscheidet, welche aber, so lange sie im gewöhnlichen Laufe des Lymphstromes sich befindet, nicht als eigentlich fertiges Fibrin betrachtet werden kann. Es ist dies eine Substanz, welche ich lange, bevor ich auf ihr Vorkommen in der Lymphe aufmerksam geworden war, in verschiedenen Exsudaten constatirt hatte, namentlich in pleuritischen Flüssigkeiten[56].
In manchen Formen der Pleuritis bleibt das Exsudat lange flüssig, und da kam mir vor einer Reihe von Jahren der besondere Fall vor, dass durch eine Punction des Thorax eine Flüssigkeit entleert wurde, welche vollkommen klar und flüssig war, aber[195] kurze Zeit, nachdem sie entleert war, in ihrer ganzen Masse mit einem Coagulum sich durchsetzte, wie es oft genug in Flüssigkeiten aus der Bauchhöhle gesehen wird. Nachdem ich dieses Gerinnsel durch Quirlen aus der Flüssigkeit entfernt und mich von der Identität desselben mit dem gewöhnlichen Faserstoff überzeugt hatte, zeigte sich am nächsten Tage ein neues Coagulum, und so auch in den folgenden Tagen. Diese Gerinnungsfähigkeit dauerte 14 Tage lang, obwohl die Entleerung mitten im heissen Sommer stattgefunden hatte. Es war dies also eine von der gewöhnlichen Gerinnung des Blutes wesentlich abweichende Erscheinung, welche sich nicht wohl begreifen liess, wenn wirkliches Fibrin als fertige Substanz darin enthalten war, und welche darauf hinzuweisen schien, dass erst unter Einwirkung der atmosphärischen Luft Fibrin entstünde aus einer Substanz, welche dem Fibrin allerdings nahe verwandt sein musste, aber doch nicht wirkliches Fibrin sei. Ich schlug darum vor, dieselbe als fibrinogene Substanz zu trennen, und nachdem ich später darauf gekommen war, dass es dieselbe Substanz ist, welche wir in der Lymphe finden, so konnte ich meine Ansicht dahin erweitern, dass auch in der Lymphe der Faserstoff nicht fertig enthalten sei.
Dieselbe Substanz, welche sich von dem gewöhnlichen Fibrin dadurch unterscheidet, dass sie eines mehr oder weniger langen Contactes mit der atmosphärischen Luft bedarf, um coagulabel zu werden, findet sich unter gewissen Verhältnissen auch im Blute der peripherischen Venen vor, so dass man auch durch eine gewöhnliche Venaesection am Arme Blut bekommen kann, welches sich vom gewöhnlichen Blute durch die Langsamkeit seiner Gerinnung unterscheidet. Polli hat die so gerinnende Substanz Bradyfibrin (langsames Fibrin) genannt. Solche Fälle kommen besonders vor bei entzündlichen Erkrankungen der Respirationsorgane und geben am Häufigsten Veranlassung zur Bildung einer Speckhaut (Crusta phlogistica). Es ist bekannt, dass die gewöhnliche Crusta phlogistica bei pneumonischem oder pleuritischem Blut um so leichter eintritt, je wässeriger die Blutflüssigkeit ist, je mehr die Blutmasse an festen Bestandtheilen verarmt ist, aber es ist wesentlich dabei, dass auch das Fibrin langsam gerinnt. Wenn man mit der Uhr in der Hand den Vorgang controlirt, so überzeugt man sich, dass bei der Crustenbildung eine sehr viel längere Zeit vergeht, als bei der gewöhnlichen Gerinnung. Von[196] dieser häufigen Erscheinung, wie sie sich bei der gewöhnlichen Crustenbildung der entzündlichen Blutmasse findet, zeigen sich nun allmähliche Uebergänge zu einer immer längeren Dauer des Flüssigbleibens.
Das Aeusserste dieser Art, was bis jetzt bekannt ist, geschah in einem Falle, den Polli beobachtete. Bei einem an Pneumonie leidenden, rüstigen Manne, welcher im Sommer, zu einer Zeit, welche gerade nicht die äusseren Bedingungen für die Verlangsamung der Gerinnung darbietet, in die Behandlung kam, gebrauchte das Blut, welches aus der geöffneten Ader floss, acht Tage, ehe es anfing zu gerinnen, und erst nach 14 Tagen war die Coagulation vollständig. Es fand sich dabei auch die andere, von mir am pleuritischen Exsudat beobachtete Erscheinung, dass im Verhältniss zu dieser späten Gerinnung eine ungewöhnlich späte Zersetzung (Fäulniss) des Blutes stattfand.
Da nun Erscheinungen dieser Art überwiegend häufig bei Brustaffectionen beobachtet werden, so überwiegend, dass man seit langer Zeit die Speckhaut als Corium pleuriticum bezeichnet hat, so scheint daraus mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit hervorzugehen, dass das Respirationsgeschäft einen bestimmenden Einfluss hat auf das Vorkommen oder Nichtvorkommen der fibrinogenen Substanz im Blute. Jedenfalls setzt sich die Eigenthümlichkeit, welche die Lymphe besitzt, unter Umständen auf das Blut fort, so dass entweder das ganze Blut daran Antheil nimmt, und zwar um so mehr, je grössere Störungen die Respiration erleidet, oder dass neben dem gewöhnlichen, schnell gerinnenden Stoffe ein langsamer gerinnender gefunden wird. Oft bestehen nehmlich zwei Arten von Gerinnung in demselben Blute neben einander, eine frühe und eine späte, namentlich in den Fällen, wo die direkte Analyse eine Vermehrung des Faserstoffes, eine Hyperinose (Franz Simon) ergibt. Diese hyperinotischen Zustände führen also darauf hin, dass bei ihnen eine vermehrte Zufuhr von Lymphflüssigkeit zum Blute stattfindet, und dass die Stoffe, welche sich nachher im Blute finden, nicht ein Product innerer Umsetzung desselben sind, dass also die letzte Quelle des Fibrins nicht im Blute selbst gesucht werden darf, sondern an jenen Punkten, von welchen die Lymphgefässe die vermehrte Fibrinmasse zuführen.
Zur Erklärung dieser Erscheinungen habe ich eine etwas kühne Hypothese gewagt, welche ich jedoch für vollkommen discussionsfähig[197] erachte, nehmlich die, dass das Fibrin, wenn es im Körper ausserhalb des Blutes vorkommt, nicht immer als eine Abscheidung aus dem Blute zu betrachten ist, sondern häufig als ein Local-Erzeugniss, und ich habe versucht, eine wesentliche Veränderung in der Auffassung der sogenannten phlogistischen Krase in Beziehung auf die Localisation derselben einzuführen[57]. Während man früher gewöhnt war, die veränderte Mischung des Blutes bei der Entzündung als ein von vorn herein bestehendes und namentlich durch primäre Vermehrung des Faserstoffes bezeichnetes Moment zu betrachten, so habe ich vielmehr die Krase als ein von der localen Entzündung abhängiges Ereigniss entwickelt. Gewisse Organe und Gewebe besitzen an sich in höherem Grade die Eigenschaft, Fibrin zu erzeugen und das Vorkommen von grossen Massen von Fibrin im Blute zu begünstigen, während andere Organe ungleich weniger dazu geeignet sind.
Ich habe ferner darauf hingewiesen, dass diejenigen Organe, welche diesen eigenthümlichen Zusammenhang eines sogenannten phlogistischen Blutes mit einer localen Entzündung besonders häufig darbieten, im Allgemeinen mit Lymphgefässen reichlich versehen sind und mit grossen Massen von Lymphdrüsen in Verbindung stehen, während alle diejenigen Organe, welche entweder sehr wenige Lymphgefässe enthalten, oder in welchen wir kaum Lymphgefässe kennen, auch einen nicht nennenswerthen Einfluss auf die fibrinöse Mischung des Blutes ausüben. Es haben schon frühere Beobachter bemerkt, dass es Entzündungen sehr wichtiger Organe gibt, z. B. des Gehirns, bei denen man die phlogistische Krase eigentlich gar nicht findet. Aber gerade im Gehirn kennen wir nur wenige Lymphgefässe. Wo dagegen die Mischung des Blutes am frühesten verändert wird, bei den Erkrankungen der Respirationsorgane, da findet sich auch ein ungewöhnlich reichliches Lymphnetz. Nicht bloss die Lungen sind davon durchsetzt und überzogen, sondern auch die Pleura hat ausserordentlich reiche Verbindungen mit dem Lymphsystem, und die Bronchialdrüsen stellen fast die grössten Anhäufungen von Lymphdrüsen-Masse dar, die irgend ein Organ des Körpers überhaupt besitzt.
Andererseits kennen wir keine Thatsache, welche die Möglichkeit zeigte, dass unter einfacher Steigerung des Blutdruckes, oder unter einfacher Veränderung der Bedingungen, unter denen das Blut strömt, in diesen Organen ein Durchtreten spontan gerinnender Flüssigkeiten von den Capillaren her in das Parenchym oder auf die Oberfläche derselben erfolgen könnte. Man denkt sich allerdings in der Regel, dass im Verhältniss zur Stromstärke des Blutes auch eine fibrinöse Zumischung zum Exsudate stattfinde, aber dies ist nie durch ein Experiment bewiesen worden. Niemals ist Jemand im Stande gewesen, durch blosse Veränderung in der Strömung des Blutes im lebenden Körper das Fibrin zu einer direkten Transsudation aus den Capillaren in Form eines entzündlichen Processes zu vermögen; dazu bedürfen wir immer eines Reizes. Man kann die beträchtlichsten Hemmungen im Circulationsgeschäft herbeiführen, die colossalsten Austretungen von serösen Flüssigkeiten experimentell erzeugen, aber nie erfolgt dabei jene eigenthümliche fibrinöse Exsudation, welche die Reizung gewisser Gewebe mit so grosser Leichtigkeit hervorruft.
Dass das Fibrin in der Blutflüssigkeit selbst durch eine Umsetzung des Eiweisses entstünde, ist eine chemische Theorie, die weiter keine Stütze für sich hat, als die, dass Eiweiss und Fibrin grosse chemische Aehnlichkeit haben, und dass man sich, wenn man die zweifelhafte chemische Formel des Fibrins mit der ebenso zweifelhaften Formel des Eiweisses vergleicht, durch das Ausscheiden von ein paar Atomen den Uebergang von Albumin in Fibrin sehr leicht denken kann. Allein diese Möglichkeit der Formelüberführung beweist nicht das Geringste dafür, dass eine analoge Umsetzung in der Blutmasse geschehe. Sie kann möglicherweise im Körper erfolgen, aber auch dann ist es jedenfalls wahrscheinlicher, dass sie in den Geweben erfolgt, und dass erst von da aus eine Fortführung durch die Lymphe geschieht. Indess ist dies um so mehr zweifelhaft, als die rationelle Formel für die chemische Zusammensetzung des Eiweisses und des Faserstoffes bis jetzt noch nicht ermittelt ist, und die unglaublich hohen Atomzahlen der empirischen Formel auf eine sehr zusammengesetzte Gruppirung der Atome hindeuten.
Halten wir daher an der Erfahrung fest, dass das Fibrin nur dadurch zum Austritt auf irgend eine Oberfläche gebracht werden kann, dass wir ausser der Störung der Circulation auch noch einen[199] Reiz, d. h. eine locale Veränderung des Gewebes setzen. Diese locale Veränderung genügt aber erfahrungsgemäss für sich, um den Austritt von Fibrin zu bedingen, wenn auch keine Hemmung der Circulation eintritt. Es bedarf dieser Hemmung gar nicht, um die Erzeugung von Fibrin an einem bestimmten Punkte einzuleiten. Im Gegentheil sehen wir, dass in der besonderen Beschaffenheit der gereizten Theile die Ursache der grössten Verschiedenheiten gegeben ist. Wenn wir einfach eine reizende Substanz auf die Hautoberfläche bringen, so gibt es bei geringeren Graden der Reizung, mag sie nun chemischer oder mechanischer Natur sein, eine Blase, ein seröses Exsudat. Ist die Reizung stärker, so tritt eine Flüssigkeit aus, welche in der Blase vollkommen flüssig erscheint, aber nach ihrer Entleerung coagulirt. Fängt man die Flüssigkeit einer Vesicatorblase in einem Uhrschälchen auf und lässt sie an der Luft stehen, so bildet sich ein Coagulum; es ist also fibrinogene Substanz in der Flüssigkeit. Nun gibt es aber zuweilen Zustände des Körpers, wo ein äusserlicher Reiz genügt, um Blasen mit direkt coagulirender Flüssigkeit hervorzurufen. Im Winter von 1857–58 hatte ich einen Kranken auf meiner Abtheilung, welcher von einer Erfrierung der Füsse eine Anästhesie zurückbehielt, wogegen ich unter Anderem locale Bäder mit Königswasser anwendete. Nach einer gewissen Zahl solcher Bäder bildeten sich jedesmal an den anästhetischen Stellen der Fusssohle Blasen bis zu einem Durchmesser von zwei Zoll, welche bei ihrer Eröffnung sich mit grossen gallertigen Massen von fibrinösem Coagulum (nicht etwa mit Eiweiss-Niederschlägen) erfüllt zeigten. Bei anderen Menschen hätten sich wahrscheinlich einfache Blasen gebildet, mit einer Flüssigkeit, die erst nach dem Herauslassen erstarrt wäre. Diese Verschiedenheit liegt offenbar in der Verschiedenheit nicht der Blutmischung, sondern der örtlichen Disposition. Die Differenz zwischen der Form von Pleuritis, welche von Anfang an coagulable und spontan coagulirende Substanzen abscheidet, und derjenigen, wo coagulable, aber nicht spontan coagulirende Flüssigkeiten austreten, weist gewiss auf Besonderheiten der localen Reizung hin.
Ich glaube also nicht, dass man berechtigt ist zu schliessen, dass Jemand, der mehr Fibrin im Blute hat, damit auch eine grössere Neigung zu fibrinöser Transsudation besitze; vielmehr erwarte ich, dass bei einem Kranken, der an einem bestimmten[200] Orte sehr viel fibrinbildende Substanz producirt, von diesem Orte aus viel von dieser Substanz in die Lymphe und endlich in das Blut übergehen wird. Man kann also das Exsudat in solchen Fällen betrachten als den Ueberschuss des in loco gebildeten Fibrins, für dessen Entfernung die Lymphcirculation nicht genügte. So lange der Lymphstrom ausreicht, wird Alles, was in dem gereizten Theile an Stoffen gebildet wird, auch dem Blute zugeführt; sobald die örtliche Production über dieses Maass hinausschreitet, häufen sich die Producte an, und neben der Hyperinose wird auch eine örtliche Ansammlung oder Ausscheidung von fibrinösem Exsudat stattfinden. Ist diese Deutung richtig, und ich denke, dass sie es ist, so würde sich auch hier wieder jene Abhängigkeit der Dyscrasie von der örtlichen Krankheit ergeben, welche ich schon früher als den wesentlichsten Gewinn aller unserer Untersuchungen über das Blut hingestellt habe.
Es ist nun eine sehr bemerkenswerthe Thatsache, welche gerade für diese Auffassung von Bedeutung ist, dass sehr selten eine erhebliche Vermehrung des Fibrins Statt findet ohne gleichzeitige Vermehrung der farblosen Blutkörperchen, dass also die beiden wesentlichen Bestandtheile, welche wir in der Lymphflüssigkeit finden, auch im Blute wiederkehren. In jedem Falle einer Hyperinose kann man auf eine Vermehrung der farblosen Körperchen rechnen, oder, anders ausgedrückt, jede Reizung eines Theiles, welcher mit Lymphgefässen reichlich versehen ist und mit Lymphdrüsen in einer ausgiebigen Verbindung steht, bedingt auch die Einfuhr grosser Massen farbloser Zellen (Lymphkörperchen) ins Blut.
Diese Thatsache ist besonders interessant insofern, als man daraus begreifen kann, wie nicht bloss gewisse Organe, welche reich versehen sind mit Lymphgefässen, eine solche Vermehrung bedingen können, sondern wie auch gewisse Processe eine grössere Fähigkeit besitzen, beträchtliche Mengen von diesen Elementen in das Blut zu führen. Es sind dies alle diejenigen, welche früh mit bedeutender Erkrankung des Lymphgefäss-Systems verbunden sind. Vergleicht man eine erysipelatöse oder eine diffuse phlegmonöse (nach Rust pseudoerysipelatöse) Entzündung in ihrer Wirkung auf das Blut mit einer einfachen oberflächlichen Hautentzündung, wie sie im Verlauf der gewöhnlichen acuten Exantheme, nach traumatischen oder chemischen Einwirkungen auftritt, so ersieht man[201] alsbald, wie gross die Differenz ist. Jede erysipelatöse oder diffuse phlegmonöse Entzündung hat die Eigenthümlichkeit, frühzeitig die Lymphgefässe zu afficiren und Schwellungen der lymphatischen Drüsen hervorzubringen. In jedem solchen Falle aber kann man darauf rechnen, dass eine Zunahme in der Zahl der farblosen Blutkörperchen stattfindet.
Weiterhin ergibt sich die bezeichnende Thatsache, dass es gewisse Processe gibt, welche gleichzeitig Fibrin und farblose Blutkörperchen vermehren, andere dagegen, welche nur die Zunahme der letzteren bewirken. In diese Kategorie gehört gerade die ganze Reihe der einfachen diffusen Hautentzündungen, wo auch an den Erkrankungsorten keine erhebliche Fibrinbildung erfolgt. Andererseits gehört dahin eine Menge von Zuständen, welche vom Gesichtspunkt der Faserstoff-Menge als hypinotische (Franz Simon) bezeichnet werden, alle die Processe, welche in die Reihe der typhösen zählen, und die darin übereinkommen, dass sie bald diese, bald jene Art von bedeutender Anschwellung der Lymphdrüsen, aber keine locale Faserstoff-Exsudation hervorbringen. So setzt der Typhus diese Veränderungen nicht nur an der Milz, sondern auch an den Mesenterial-Drüsen.
Den einfachen Zustand von Vermehrung der farblosen Körperchen im Blute, welcher abhängig erscheint von einer Reizung der Blutbereitenden Drüsen, habe ich mit dem Namen der Leukocytose belegt[58]. Nun weiss man, dass eine andere Angelegenheit lange der Gegenstand meiner Studien gewesen ist, die von mir[59] sogenannte Leukämie, und es handelt sich zunächst darum, festzustellen, wie weit sich die eigentliche Leukämie von den leukocytotischen Zuständen unterscheidet.
Schon in den ersten Fällen der Leukämie, welche mir vorkamen, stellte sich eine sehr wesentliche Eigenschaft heraus, nehmlich die, dass in dem Gehalt des Faserstoffes im Blute keine wesentliche Abweichung bestand[60]. Späterhin hat sich gezeigt, dass der Faserstoff-Gehalt je nach der Besonderheit des Falles vermehrt oder vermindert oder unverändert sein kann, dass aber constant eine immerfort steigende Zunahme der farblosen Blutkörperchen[202] stattfindet, und dass diese Zunahme immer deutlicher zusammenfällt mit einer Verminderung der Zahl der gefärbten (rothen) Blutkörperchen, so dass als endliches Resultat ein Zustand herauskommt, in welchem die Zahl der farblosen Blutkörperchen der Zahl der rothen beinahe gleichkommt, und selbst für die gröbere Betrachtung auffallende Phänomene hervortreten. Während wir im gewöhnlichen Blute immer nur auf etwa 300 gefärbte ein farbloses Körperchen rechnen können, so gibt es Fälle von Leukämie, wo die Vermehrung der farblosen in der Weise steigt, dass auf 3 rothe Körperchen schon ein farbloses oder gar 3 rothe auf 2 farblose kommen, ja wo die Zahlen für die farblosen Körperchen die grösseren werden[61].
In Leichen erscheint die Vermehrung der farblosen Körperchen meist beträchtlicher, als sie wirklich ist, aus Gründen, die ich schon früher hervorhob (S. 185); diese Körperchen sind ausserordentlich klebrig und häufen sich bei Verlangsamung des Blutstromes in grösseren Massen an, so dass in Leichen die grösste Menge stets im rechten Herzen gefunden wird. Es ist mir einmal, ehe ich Berlin verliess, der besondere Fall passirt, dass ich das rechte Atrium anstach, und der Arzt, welcher den Fall behandelt hatte, überrascht ausrief: „Ah, da ist ein Abscess!“ So eiterähnlich sah das Blut aus. Diese eiterartige Beschaffenheit des Blutes ist allerdings nicht in dem ganzen Circulationsstrome vorhanden; nie sieht das Blut im Ganzen wie Eiter aus, weil immer noch eine verhältnissmässig grosse Zahl von rothen Elementen existirt; aber es kommt doch vor, dass das aus der Ader fliessende Blut schon bei Lebzeiten weissliche Streifen zeigt, und dass, wenn man den Faserstoff durch Quirlen entfernt und das defibrinirte Blut stehen lässt, sich alsbald eine freiwillige Scheidung macht, in der Art, dass sich sämmtliche Blutkörperchen, rothe und farblose, allmählich auf den Boden des Gefässes senken, und hier ein doppeltes Sediment entsteht: ein unteres rothes, das von einem oberen, weissen, puriformen überlagert wird. Es erklärt sich dies aus dem ungleichen specifischen Gewicht und den verschiedenen Fallzeiten beider Arten von Körperchen (S. 187). Zugleich giebt dies eine sehr leichte Scheidung des leukämischen Blutes von dem chylösen (lipämischen), wo ein milchiges Aussehen[203] des Serums durch Fettbeimischung entsteht; defibrinirt man solches Blut, so bildet sich nach einiger Zeit nicht ein weisses Sediment, sondern eine rahmartige Schicht an der Oberfläche[62].
Es existiren bis jetzt in der Literatur nur vereinzelte Fälle von Leukämie, wo die Kranken, nachdem sie eine Zeit lang Gegenstand ärztlicher Behandlung gewesen waren, als wesentlich gebessert das Hospital verliessen. In der Regel erfolgt der Tod. Ich will daraus keineswegs den Schluss ziehen, dass es sich um eine absolut unheilbare Krankheit handle; ich hoffe im Gegentheil, dass man endlich auch hier wirksame Heilmittel finden wird, aber es ist gewiss eine sehr wichtige Thatsache, dass es sich dabei, ähnlich wie bei der progressiven Muskelatrophie, um Zustände handelt, welche in einem gewissen Stadium, sich selbst überlassen, oder wenn sie unter einer der bis jetzt bekannten Behandlungen stehen, sich fortwährend verschlimmern und endlich zum Tode führen. Es haben diese Fälle noch ausserdem die besondere Merkwürdigkeit, dass sich gewöhnlich in der letzten Zeit des Lebens eine eigentliche hämorrhagische Diathese ausbildet und Blutungen entstehen, die besonders häufig in der Nasenhöhle stattfinden (unter der Form von erschöpfender Epistaxis), die aber unter Umständen auch an anderen Punkten auftreten können, so in colossaler Weise als apoplectische Formen im Gehirn oder als melänaartige in der Darmhöhle.
Wenn man nun untersucht, von woher diese sonderbare Veränderung des Blutes stammt, so zeigt sich, dass in der grossen Mehrzahl der Fälle ein bestimmtes Organ als das wesentlich erkrankte erscheint, und häufig schon im Anfange der Krankheit den Hauptgegenstand der Klagen und Beschwerden der Kranken bildet, nehmlich die Milz. Daneben leidet sehr häufig auch ein Bezirk von Lymphdrüsen, aber das Milzleiden steht in der Regel im Vordergrunde. Nur in einer kleinen Zahl von Fällen fand ich die Milz wenig oder gar nicht, die Lymphdrüsen überwiegend verändert, und zwar in solchem Grade, dass Lymphdrüsen, die man sonst kaum bemerkt, zu wallnussgrossen Knoten sich entwickelt hatten, ja, dass an einzelnen Stellen fast nichts weiter als Lymphdrüsen-Substanz zu bestehen schien[63]. Von den Drüsen,[204] welche zwischen den Inguinal- und Lumbal-Drüsen gelegen sind, pflegt man nicht viel zu sprechen; sie haben nicht einmal einen bequemen Namen. Einzelne von ihnen liegen längs der Vasa iliaca, einzelne im kleinen Becken. Im Laufe solcher Leukämien traf ich sie zweimal so vergrössert, dass der ganze Raum des kleinen Beckens wie ausgestopft war mit Drüsenmasse, in welche Rectum und Blase nur eben hineintauchten.
Ich habe deshalb zwei Formen der Leukämie unterschieden, die gewöhnliche lienale und die seltenere lymphatische. Beide combiniren sich allerdings nicht selten mit einander, jedoch herrscht auch in diesem Falle die eine von beiden so sehr vor, dass man über die Wahl des Namens kaum in Verlegenheit kommen wird. Die Unterscheidung stützt sich nicht allein darauf, dass in dem einen Falle die Milz, im anderen die Lymphdrüsen als Ausgangspunkt der Erkrankung erscheinen, sondern noch mehr darauf, dass die farblosen Elemente, welche im Blute vorkommen, in beiden Fällen verschieden sind. Während nehmlich bei der lienalen Form in der Regel verhältnissmässig grosse, entwickelte Zellen mit mehrfachen, seltener einfachen Kernen im Blute circuliren, die in manchen Fällen überwiegend viel Aehnlichkeit mit Milzzellen haben, so sieht man bei der ausgemacht lymphatischen Form die Zellen klein, die Kerne im Verhältniss zu den Zellen gross und einfach, in der Regel scharf begrenzt, sehr dunkel contourirt und etwas körnig, die Membran häufig so eng anliegend, dass man kaum den Zwischenraum constatiren kann. Oefter sieht es aus, als ob vollkommen freie Kerne im Blute enthalten wären. In jenen gemischten Fällen, wo sowohl die Milz, als die Lymphdrüsen leiden, bieten auch die im Blute vorkommenden Gebilde beiderlei Gestalt dar. Nimmt man die Erfahrungen zusammen, so wird man zu der Schlussfolgerung geführt, dass die Vergrösserung der lymphatischen Drüsen, die in einer wirklichen Vermehrung ihrer Elemente (Hyperplasie) beruht, auch eine grössere Zahl zelliger Theile in die Lymphe und durch diese in das Blut führt, und dass in dem Maasse, als diese Elemente überwiegen, die Bildung der rothen Elemente Hemmungen erfährt. Die Leukämie ist demnach eine Art von dauerhafter, progressiver Leukocytose; diese dagegen in ihren einfachen Formen stellt einen vorübergehenden, an zeitweilige[205] Zustände gewisser Organe geknüpften Vorgang dar[64].
Ob damit der ganze Unterschied zwischen Leukämie und Leukocytose erschöpft ist, steht dahin. Ich möchte jedoch darauf aufmerksam machen, dass bei der Leukocytose neben den rothen Körperchen eine vorübergehende Zumischung von zahlreichen farblosen Körperchen stattfindet, ohne dass wir deshalb berechtigt wären, jedesmal eine Abnahme der ersteren zu statuiren. Bei der Leukämie dagegen findet sich eine wirkliche Verminderung der rothen Körperchen; sie stellt, wie ich früher sagte, einen wirklichen Albinismus des Blutes dar. Offenbar erleidet also die Bildung der rothen Körperchen eine Hemmung, und es ist gewiss sehr charakteristisch, dass in einem Falle von lienaler Leukämie, der bei uns vorkam, Klebs die embryonale Form der kernhaltigen rothen Körperchen bei einem Kinde von 1¼ Jahr antraf.
Es ist ersichtlich, dass die drei von uns besprochenen dyscrasischen Zustände, welche in einer näheren Beziehung zu der Lymphflüssigkeit stehen, nehmlich die Hyperinose, die Leukocytose und die Leukämie sich mehrfach berühren. Der erstere, der durch Vermehrung des Fibrins ausgezeichnet ist (Hyperinose), bezieht sich mehr auf die veränderte Beschaffenheit der Organe, von wo die Lymphflüssigkeit herkommt, während die durch Vermehrung der farblosen Zellen bedingten Zustände (Leukocytose und Leukämie) mehr von der Beschaffenheit der Drüsen, durch welche die Lymphflüssigkeit strömte, abhängig sind. Diese Thatsachen lassen sich nun wohl nicht anders deuten, als dass man in der That die Milz und die Lymphdrüsen in eine nähere Beziehung zur Entwickelung des Blutes bringt. Dies ist noch wahrscheinlicher geworden, seitdem es gelungen ist, auch chemische Anhaltspunkte zu gewinnen. Scherer hat zweimal leukämisches Blut untersucht, das ich ihm übergeben hatte, um dasselbe mit den von ihm gefundenen Milzstoffen zu vergleichen; es ergab sich, dass darin Hypoxanthin, Leucin, Harnsäure, Milch- und Ameisensäure vorkamen. In einem Falle überzog sich eine Leber, die ich einige Tage liegen liess, ganz mit Tyrosinkörnern; in einem anderen krystallisirte aus dem Darminhalte Leucin und Tyrosin in grossen Massen aus. Die grosse Häufigkeit harnsaurer Sedimente im Harn[206] und harnsaurer Concretionen in den Nieren der Leukämischen habe ich wiederholt erwähnt[65]. Kurz, Alles deutet auf eine vermehrte Thätigkeit der Milz, welche normal diese Stoffe in grösserer Menge enthält.
Es ist eine ziemlich lange Reihe von Jahren (seit 1845) vergangen, während deren ich mich mit meiner Auffassung ziemlich vereinsamt fand. Erst nach und nach ist man, und zwar, wie ich leider gestehen muss, zuerst mehr von physiologischer, als von pathologischer Seite auf diese Gedanken eingegangen, und erst spät hat man sich der Vorstellung zugänglich erwiesen, dass im gewöhnlichen Gange der Dinge die Lymphdrüsen und die Milz in der That eine unmittelbare Bedeutung für die Formelemente des Blutes haben, dass im Besonderen die körperlichen Bestandtheile des letzteren wirkliche Abkömmlinge sind von den Zellen der Lymphdrüsen und der Milz, welche in denselben entstehen, aus ihrem Innern losgelöst und dem Blutstrom zugeführt werden. Kommen wir damit auf die Frage von der Herkunft der Blutkörperchen selbst.
Seit dem vorigen Jahrhundert war man gewöhnt, die Lymphdrüsen als blosse Convolute von Lymphgefässen zu betrachten. Bekanntlich sieht man schon vom blossen Auge die zuführenden Lymphgefässe sich in Aeste auflösen, welche in die Lymphdrüse eintreten, innerhalb derselben verschwinden und am Ende aus derselben wieder hervorkommen. Aus den Resultaten der Quecksilber-Injectionen, welche man schon vor einem Jahrhundert mit grosser Sorgfalt unternommen hat, glaubte man schliessen zu müssen, dass das eingetretene Lymphgefäss vielfache Windungen mache, welche sich durchschlängen und endlich in das ausführende Gefäss fortgingen, so dass die Drüse nichts weiter als eine Zusammendrängung von Windungen der einführenden Gefässe, eine Art von Wundernetz, darstelle. Die ganze Sorgfalt der modernen Histologie hat sich daher darauf gerichtet, ein solches einfaches Durchtreten von Lymphgefässen durch die Drüse zu constatiren; nachdem man sich Jahre lang vergebens darum bemüht hatte, hat man es endlich aufgegeben.
Im Augenblick dürfte es kaum einen Histologen geben, welcher an eine vollkommene Continuität der Lymphgefässe innerhalb[207] einer Lymphdrüse dächte; meist ist die Anschauung von Kölliker acceptirt, dass die Lymphdrüsen den Strom der Lymphe unterbrechen, indem das Lymphgefäss, während es seine Wandungen verliert, sich in das Parenchym der Drüse auflöst und erst aus demselben sich wieder zusammensetzt. Man kann dieses Verhältniss nicht wohl anders vergleichen, als mit einer Art von Filtrirapparat, etwa wie wir ihn im Kohlen- oder Sandfiltrum besitzen.
Wenn man eine menschliche Lymphdrüse durchschneidet, so bekommt man häufig eine Bildung zu Gesicht, wie von einer Niere. Da, wo die zuführenden Lymphgefässe sich auflösen und in die Drüse eintauchen, also an dem der Peripherie des Körpers oder des betreffenden Organs zugewendeten Umfange liegt eine derbere Substanz; halb umschlossen von derselben findet sich auf der inneren oder centralen Seite der Drüse eine Art von Hilus, an dem die Lymphgefässe die Drüse wieder verlassen. Derselbe ist erfüllt durch ein maschiges Gewebe von oft deutlich areolärem oder cavernösem Bau, in welches neben den Vasa lymphatica efferentia Blutgefässe eingehen, um von da weiter in die eigentliche Substanz einzudringen. Kölliker hat darnach eine Rinden- und Marksubstanz unterschieden; indess ist die sogenannte Marksubstanz häufig kaum noch drüsiger Natur. Letztere findet sich wesentlich an der Rinde, welche bald mehr, bald weniger dick ist. Man thut daher am besten, wenn man jenen Theil einfach den Hilus nennt, da aus- und einführende Gefässe dicht zusammenliegen, gerade so, wie im Hilus der Niere einerseits die Ureteren und Venen abführen, die Arterien zuleiten. Das eigentliche Parenchym der Drüse, die Substantia propria derselben (adenoide Substanz His) ist hauptsächlich in dem peripherischen Theile (der Rindensubstanz) enthalten.
An diesem unterscheidet man, falls die Drüse einigermaassen gut entwickelt ist (und in einzelnen Fällen pathologischer Vergrösserung wird dies besonders deutlich), schon mit blossem Auge kleine, neben einander gelegene, rundliche, weisse oder graue Körner (Fig. 70, A, F F). Ist eine mässige Blutfülle vorhanden, so erkennt man ziemlich regelmässig um jedes Korn einen rothen Kranz von Gefässen. Diese Körner hat man seit langer Zeit Follikel genannt, aber es war zweifelhaft, ob es besondere Bildungen seien, oder blosse Windungen des Lymphgefässes, welche[208] an die Oberfläche treten. Bei einer feineren mikroskopischen Untersuchung unterscheidet man leicht die eigentliche (drüsige) Substanz der Follikel von dem faserigen Maschen- oder Balkenwerk (Stroma, Trabekeln), welches dieselben umgrenzt und welches nach aussen continuirlich mit dem Bindegewebe der Capsel zusammenhängt. Die innere Substanz besteht überwiegend aus Haufen kleiner Rundzellen (Lymphdrüsenkörperchen), die ziemlich lose liegen, eingeschlossen in ein feines Netzwerk von sternförmigen, oft kernhaltigen Balken (Reticulum). Letzteres ist zuerst von Kölliker nachgewiesen und unter meiner Leitung von G. Eckard[66] genauer verfolgt worden, der den Anschluss desselben an die Blutcapillaren dargelegt hat. Von den Lymphgefässen kommt innerhalb des Stroma's nur wenig zu Tage; injicirt man eine Drüse, so geht die Injectionsmasse in die sogenannten Follikel selbst hinein. Untersucht man eine Gekrösdrüse während der Chylification, also vielleicht 4–5 Stunden nach einer fettreichen Mahlzeit, so erscheint ihre ganze Substanz weiss, vollständig milchig; das Mikroskop zeigt feinkörniges Chylusfett überall zwischen den zelligen Elementen der Follikel. Der Strom der Lymphe muss sich also zwischen den Drüsenzellen durchdrängen; eine freie offene Bahn existirt eigentlich gar nicht. Die Drüsenzellen sind in den Maschenräumen zusammengedrängt, im Umfange loser, im Innern dichter, wie die Theilchen in einem Kohlenfiltrum, so dass die Lymphe gleichsam filtrirt[209] und gereinigt auf der anderen Seite wieder hervorquillt. Die Follikel sind demnach als Räume zu betrachten, die mit zelligen Elementen erfüllt, aber von einem vielbalkigen Reticulum durchsetzt sind. Sie können nicht als Windungen oder Erweiterungen der Lymphgefässe gelten; im Gegentheil, sie unterbrechen die offenen Lymphbahnen, und zwar um so vollständiger, je stärker sie entwickelt sind. Aber sie haben keineswegs, wie der äussere Anschein vermuthen lässt, eine kugelige Gestalt, sondern sie bilden längere, strangartige, unter einander zusammenhängende Züge, welche gegen die Rinde hin dicker werden und rundlich endigen. Das sind die sogenannten Markschläuche (His), Markstränge (Kölliker) oder Follicularstränge (v. Recklinghausen).
Fig. 70. Durchschnitte durch die Rinde menschlicher Gekrös-Drüsen. A. Schwache Vergrösserung der ganzen Rinde: P Umgebendes Fettgewebe und Capsel, durch welche Blutgefässe v, v, v eintreten. F, F, F Follikel der Drüse, in welche sich die Blutgefässe zum Theil einsenken, bei i, i das die Follikel trennende Zwischengewebe (Stroma).
B. Stärkere Vergrösserung (280 mal). C das parallel-fibrilläre Gewebe der Capsel. a, a das Reticulum, zum Theil leer, zum Theil mit dem kernigen Inhalt erfüllt. Das Ganze stellt den äusseren Abschnitt eines Follikels dar.
Durch die sorgfältigen Untersuchungen von His und Frey ist neuerlich der Nachweis geführt, dass die eintretenden Lymphgefässe sich nicht ganz und gar in die Follikel auflösen, sondern dass sie, indem sie ihre besonderen Wandungen einbüssen, sich in sinuöse oder lacunäre Räume (Spalten) verlieren, welche im Umfange der Follikel gelegen, aber gegen das Innere derselben nicht abgeschlossen sind. Auch besteht nach Frey durch Vermittelung dieser Sinus oder Lacunen eine offene Verbindung zwischen eintretenden und austretenden Lymphgefässen. Indess muss man gerade bei den Lymphdrüsen sehr vorsichtig sein, die comparativ-anatomischen Erfahrungen ohne Weiteres in die menschliche Anatomie zu übertragen. Bei manchen Säugethieren, namentlich beim Rind, sind die Randsinus allerdings ziemlich gross, und obwohl auch sie durch ein Reticulum durchzogen und keineswegs frei von Zellen sind, so mag immerhin ein freierer Durchgang durch die Drüse bestehen. Beim Menschen dagegen sind die Randsinus viel enger und nicht einmal constant vorhanden, so dass eine so scharfe Grenze zwischen den sogenannten Marksträngen und den Lymphbahnen, wie bei manchen Säugethieren, nicht zu erkennen ist.
Jedenfalls kann darüber kein Zweifel bestehen, dass die Lymphe, indem sie sich durch die engen Spalten des Drüsengewebes hindurchzwängt, aus demselben einen Theil der Parenchymzellen ablöst und mit sich fortschwemmt. Die eintretende Lymphe ist verhältnissmässig arm an Zellen[67], die austretende dagegen sehr[210] reich. Diese Zellen erscheinen zunächst in der Lymphe als Lymphkörperchen, im Chylus als Chyluskörperchen, später im Blute als farblose Blutkörperchen. Ueber diesen Zusammenhang besteht kaum noch ein Streit. Aber man darf die Identificirung nicht übertreiben, wie es jetzt so häufig geschieht. Auch die einzelne Epidermiszelle war einmal eine Zelle des Rete Malpighii; nichtsdestoweniger ist sie so sehr verändert, dass man sie nicht mehr eine Rete-Zelle nennen darf. Genau so verhält es sich auch hier. Wenn eine Lymphdrüsenzelle (Parenchymzelle) zu einem Lymphkörperchen (Flüssigkeitszelle) wird, so verändert sie sich, und wenn ein Lymphkörperchen zu einem farblosen Blutkörperchen wird, so verändert es sich wiederum, so dass ein Lymphdrüsenkörperchen von einem Lymphkörperchen und beide von einem farblosen Blutkörperchen regelmässig verschieden sind.
Freilich gibt es Fälle, wo die Körperchen fast unverändert bleiben, trotzdem dass sie die Drüsen verlassen und in Lymphe und Blut übergehen. Schon bei einfacheren Reizungsvorgängen finden sich zuweilen Elemente in grosser Zahl im Blute (Fig. 66), welche viel mehr den Lymphkörperchen oder den Lymphdrüsenzellen gleichen, als den gewöhnlichen farblosen Blutkörperchen. Noch viel auffälliger ist dies bei der lymphatischen Leukämie (Lymphämie), und gerade deshalb ist diese so ausserordentlich lehrreich. Aber aus diesen Ausnahmefällen darf man nicht die Regel machen. Regel ist vielmehr, dass die Drüsenzelle, welche fortgeführt wird (auswandert?), ihre Eigenschaften ändert, und zwar um so mehr, je weiter sie im Strome der Lymphe und des Blutes fortgeführt wird. Daher ist es höchst bedenklich, die farblosen Blutkörperchen einfach Lymphkörperchen zu nennen; mit eben so viel Recht könnte man die Lymphdrüsenzellen farblose Blutkörperchen heissen.
Die Parenchymzellen der Lymphdrüsen sind unter sich ziemlich verschieden. Sie kommen jedoch sämmtlich darin überein, dass sie verhältnissmässig grosse, granulirte, mit einem oder mehreren Kernkörperchen versehene Kerne haben. Diese Kerne sind ganz überwiegend einfach. Man sieht sie in den Zellen schon ohne besondere Zusätze, doch macht Essigsäure sie noch deutlicher. Ueberaus häufig findet man sie „nackt“ (Fig. 71, A, a), ohne Zellkörper, denn der letztere ist sehr gebrechlicher Natur und wird bei der Präparation leicht zerdrückt oder aufgelöst. Bei[211] vorsichtiger Behandlung findet man die Kerne von Zellkörpern umhüllt, doch sind diese oft so klein, dass sie nur schmale Säume um die Kerne darstellen (Fig. 71, A, b). Der Kern, wenngleich klein, erscheint dann unverhältnissmässig gross in der kleinen Zelle. — Diese Art von Elementen ist die vorherrschende. Daneben finden sich jedoch in allen Lymphdrüsen auch grössere, mit stärker entwickeltem Leibe, aber immer bleibt der Kern verhältnissmässig gross: er wächst mit der Zelle (Fig. 71, B, c).
Fig. 71. Lymphkörperchen aus dem Innern der Lymphdrüsen-Follikel. A. Die gewöhnlichen Elemente: a nackte Kerne, mit und ohne Kernkörperchen, einfach und getheilt. b Zellen mit kleineren und grösseren Kernen, die Membran dem Kern sehr eng anliegend. B. Vergrösserte Elemente aus einer hyperplastischen Bronchialdrüse bei variolöser Pneumonie (vgl. bei Fig. 64. die zugehörigen farblosen Blutkörperchen). a grössere Zellen mit Körnern und einfachen Kernen. b keulenförmige Zellen. c grössere Zellen mit grösserem Kern und Kernkörperchen. d Kerntheilung. e keulenförmige Zellen in dichter Aneinanderlagerung (Zellentheilung?). C Zellen mit endogener Brut. Vergr. 300.
Nur diese letztere Form stimmt einigermaassen mit den Zellen der Lymphe überein. Denn auch diese sind verhältnissmässig grosse, überwiegend einkernige Zellen, deren grosser körniger Kern einen oder mehrere Nucleoli zeigt. Aber der Zellkörper ist meist umfangreicher, und er hat so sehr an Dichtigkeit gewonnen, dass die Kerne undeutlicher werden. Noch viel mehr ist dies der Fall bei den farblosen Blutkörperchen, deren dichter, stark granulirter Körper die Kerne ganz verhüllt, so dass erst durch Reagentien oder durch Wasserimbibition dieselben sichtbar gemacht werden müssen. Werden sie aber sichtbar, so sind sie mehrfach, in der Regel 3–7 an der Zahl, glatt und gänzlich ohne Kernkörperchen. Was nach Einwirkung von Essigsäure zuweilen als ein Kernkörperchen erscheint, das erweist sich bei stärkerer Vergrösserung als eine kleine Delle an der Kernoberfläche (Fig. 72, A c u. e, B b u. c).
Ich verstehe daher in der That nicht, wie selbst sehr geübte Beobachter in der neueren Zeit alle diese Zellen einfach „identificiren“.[212] Wie sollte man denn Eiter in einer Lymphdrüse erkennen, wenn die Parenchymzellen derselben mit farblosen Blutkörperchen identisch wären? Das farblose Blutkörperchen war einmal eine Lymphdrüsenzelle, aber es hat vollständig aufgehört, dies zu sein, nachdem es sich eben zu einem Blutkörperchen entwickelt hat, nachdem sein Kern sich getheilt und wesentlich verändert, sein Körper sich vergrössert und verdichtet hat. Ja, ich finde es so sehr verändert, dass ich leichter begreife, wenn jemand seine Abstammung aus der Drüse bezweifelt. Wenn ich trotzdem daran festhalte, dass das Drüsenparenchym die Matrix der farblosen Blutkörperchen ist, so geschieht es im Hinblick auf die Erscheinungen, welche eine gereizte Drüse darbietet. Hier zeigen sich auch im Drüsenparenchym nicht nur vergrösserte Zellen, sondern man sieht auch fortschreitende Kern- und Zellentheilungen (Fig. 71, B, d, e). Zuweilen kommen vielkernige Zellen vor und einzelne Erscheinungen scheinen für endogene Neubildung (Fig. 71, C) zu sprechen. Mit zunehmender Reizung werden diese Vorgänge immer deutlicher. Je mehr die Drüsen sich vergrössern, um so zahlreicher werden die zelligen Elemente, welche in das Blut übergehen, um so grösser und um so mehr entwickelt pflegen auch die einzelnen farblosen Zellen des Blutes selbst zu sein.
Dasselbe Verhältniss scheint bei der Milz obzuwalten. Ursprünglich haben wir uns Alle gedacht, dass die Venen die Wege darstellten, auf welchen die farblosen Körper die Milz verlassen, allein die Verhältnisse sind hier so schwierig, dass eine bestimmte Aussage kaum gemacht werden kann. Nach den Untersuchungen von Wilhelm Müller scheint es, dass ähnliche Unterbrechungen, wie man sie von der Wand der Milzvenen mancher Säugethiere schon länger kennt, auch in den Milzcapillaren vorkommen, und dass die Wand der letzteren ebenfalls eine siebförmige Beschaffenheit annimmt, welche den Zugang zu einem wandungslosen Systeme von Capillarspalten innerhalb der Pulpa gestattet. Hier würde demnach das Blut in einen unmittelbaren Contakt mit den Zellen der Pulpa kommen, und erst, nachdem es dieses „intermediäre“ Kanalnetz passirt hat, in die gleichfalls siebförmigen Anfänge der Venen übertreten. Unter solchen Verhältnissen, wie ich sie schon vor Jahren eingehend erörtert habe[68], würde allerdings auch der[213] Uebergang von Pulpazellen in den Blutstrom keine Schwierigkeit haben. Andererseits kennt man sowohl an der Capsel der Milz, als an den Gefässscheiden im Innern derselben Lymphgefässe, und es ist daher die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass auch auf diesem Wege Milzelemente den circulirenden Säften zugeführt werden. Indess lässt sich nicht verkennen, dass die Beschaffenheit der Zellen in der lienalen Leukämie (Splenämie) mehr für die Abstammung derselben aus der Pulpa und demnach für ihre Einwanderung in die Blutgefässe spricht. Denn in der Pulpa selbst sind überhaupt keine Lymphgefässe bekannt.
Dabei ist jedoch eine erhebliche Schwierigkeit nicht zu verschweigen. Die Pulpazellen sind überwiegend grössere, mit einem einfachen, granulirten Kern und Kernkörperchen versehene Elemente, wie sie selbst in der Milzvene nicht die Mehrheit bilden. Wenngleich diese Zellen den Lymphkörperchen näher stehen, so fehlt ihnen doch die Zeit, sich in farblose Blutkörperchen umzubilden, da sie direkt in das Blut übergehen müssten, während die Lymphkörperchen einen verhältnissmässig langen Weg bis zum Blute zu durchlaufen haben. Es müsste also die Umbildung schon in der Milz selbst geschehen. Vorläufig lässt sich darüber ebenso wenig ein sicheres Urtheil abgeben, wie über die Frage, wo für gewöhnlich die Umbildung der farblosen Körperchen in rothe geschehe?
Dass eine solche geschieht, wissen wir aus der Geschichte des Blutes bei niederen Wirbelthieren und beim menschlichen Embryo, sowie aus einzelnen Beobachtungen beim erwachsenen Menschen. Der Zellkörper (Zelleninhalt) farbloser Kernzellen wandelt sich nach und nach in die rothe Hämoglobinsubstanz um, und der Kern verschwindet. Aber dies geschieht regelmässig an einkernigen Elementen, und daher habe ich von Anfang an den Satz vertheidigt, dass die mehrkernigen farblosen Blutkörperchen zu einer solchen Umwandlung nicht bestimmt seien, dass sie vielmehr indifferente Gebilde darstellen, welche zum Untergange bestimmt sind[69]. In der That habe ich schon in meinem ersten Falle von Leukämie an ihnen Fettmetamorphose deutlich beobachtet[70], und Reinhardt hat diesen Vorgang bestätigt[71]. Die[214] eigenthümlich rothe Farbe der Milzpulpa und die Eigenschaft des Lymphdrüsenparenchyms, an der Luft eine bräunlichrothe Farbe anzunehmen, sind mir als Anzeichen dafür erschienen, dass diese Organe auch zu der Erzeugung des Blutfarbstoffes in einem näheren Verhältnisse stehen müssten.
Durch die neueren Untersuchungen von Neumann, Bizzozero und Waldeyer ist die Aufmerksamkeit noch auf einen dritten Ort, das Knochenmark, gelenkt worden, welchem ähnliche Beziehungen zur Blutbildung zugeschrieben wurden. In der That zeigt das rothe Knochenmark neben ungewöhnlich grossen venösen Gefässen zahlreiche Rundzellen, unter denen neben überwiegend einkernigen auch nicht selten mehrkernige gesehen werden. Dass unter gewissen Umständen auch von hier aus eine Zufuhr zum Blute geschehen mag, ist nicht unwahrscheinlich. Indess scheint mir eine regelmässige Beziehung um so weniger wahrscheinlich, als beim Erwachsenen, wo gerade am meisten ein Bedürfniss zu solcher Einfuhr vorliegt, das Mark der meisten Knochen in Fettgewebe übergeht, und nur gewisse Abschnitte der Spongiosa sich in dem früheren, kleinzelligen Zustande erhalten.
Ungleich bedeutungsvoller dagegen könnte das Verhältniss der Lymphgefässe zu den Geweben auch für diese Frage werden. Bei manchen Thieren, und gerade bei unserem gewöhnlichen Versuchsthiere, dem Frosche, fehlen Lymphdrüsen eigentlich gänzlich, und wenn man forscht, woher hier die farblosen Blutkörperchen stammen, so kommt man leicht auf dieselbe Antwort, die wir für das Fibrin gegeben haben, nehmlich dass das Gewebe selbst und zwar vorwiegend das Bindegewebe und seine Aequivalente die Quelle enthalte. Alsbald, nachdem ich die Bindegewebskörperchen nachgewiesen hatte, sprach ich die Meinung aus, dass dieselben mit den Anfängen der Lymphgefässe in ähnlicher Weise zusammenhängen, wie die Lymphdrüsen[72], und bald nachher wies ich in einem Falle von congenitaler Makroglossie[73] unmittelbare Uebergänge von Wucherungsheerden der Bindegewebskörperchen zu grossen Lymphgefässen nach. Die schönen Untersuchungen v. Recklinghausen's haben diesen Zusammenhang für zahlreiche Orte des Körpers dargethan, nur dass nach der Ansicht dieses Forschers nicht[215] die Bindegewebskörperchen selbst, sondern nur die von ihnen eingenommenen Räume und Kanälchen in offener Verbindung mit den Lymphgefässen stehen, — eine Differenz, welche mit der früher erörterten Frage zusammenhängt, ob die Wandungen der Höhlen, in welchen sich die Bindegewebskörperchen befinden, zu den in ihnen enthaltenen Zellen gehören, oder nicht (S. 139). Die Beobachtungen Chrzonszczewski's über die Füllung der Bindegewebskörperchen und der Lymphgefässe von Hühnern, denen die Ureteren unterbunden sind, mit harnsauren Salzen, selbst die Erfahrungen von Köster über den Nabelstrang sprechen sehr zu Gunsten meiner Auffassung, indess will ich dieselbe hier nicht betonen, da es für die Untersuchung über den Ursprung der Lymphe nicht von entscheidender Bedeutung ist, zu welcher von beiden Meinungen man sich bekennt. Besteht überhaupt ein unmittelbarer Zusammenhang, so ist auch eine Ueberwanderung der Bindegewebskörperchen oder ihrer Tochterzellen in den Lymphstrom zulässig.
Die grösseren Lymphgefässe, welche eigentlich so genannt werden, bestehen, wie die Blutgefässe, aus mehreren Häuten, einer bindegewebigen, mit elastischen Theilen stark durchsetzten Intima, einer muskulösen Media und einer gleichfalls bindegewebigen Adventitia. Die innere Oberfläche ist von einem feinen Plattenepithel überzogen. Die Lymphgefässe sind daher in hohem Maasse contraktil. Bei Versuchen an dem Körper eines Hingerichteten, die ich mit Kölliker anstellte[74], fanden wir, dass sich auf elektrische Reizung peripherische Lymphgefässe bis zum Verschwinden ihres Lumens, und zwar auf lange Zeit zusammenzogen. Bei dem Reichthum dieser Lymphgefässe an Klappen kann solchen Contractionen, wie denen gewisser Venen, allerdings ein propulsorischer Einfluss auf den Flüssigkeitsstrom zugesprochen werden.
Verfolgt man die Lymphgefässe gegen die Peripherie, so kommt man zu Verästelungen, welche immer enger werden und schliesslich nur noch mikroskopisch erkannt werden können. Von ihnen sind am längsten das centrale Chylusgefäss der Darmzotten und die kleinen Lymphwurzeln im Schwanze der Froschlarve bekannt. Erst durch v. Recklinghausen ist in zahlreichen Theilen ein reiches Netz von Lymphbahnen entdeckt worden, welches[216] gar keine andere Wand mehr hat, als ein überaus dünnes und durchsichtiges Plattenepithel, das nur durch künstliche Färbungen, am besten durch Silbernitrat, sichtbar gemacht werden kann. Gerade in bindegewebigen Theilen, und zwar sowohl im weichen, namentlich interstitiellen Bindegewebe, als auch in harten, sehnigen und aponeurotischen Theilen bildet dasselbe zum Theil sehr weite und zahlreiche Canäle von grosser Unregelmässigkeit und Veränderlichkeit der Wandungen. Diese lymphatischen Capillaren sind es, welche mit dem Röhrensystem des Bindegewebes und seiner Aequivalente in offener Verbindung stehen und daher für die Abfuhr der Produkte des Bindegewebes die natürlichen Wege darstellen.
Gewiss ist es daher unrichtig, wenn man in der Lymphe nur den für die Ernährung der Gewebe unbrauchbaren oder wenigstens unbenutzten Rest der aus den Blutcapillaren transsudirenden Ernährungssäfte sieht. Lymphgefässe sind an manchen Theilen, welche sehr arm an Blutgefässen sind, überaus reichlich, und umgekehrt an manchen Theilen, welche dicht voll von Blutgefässen stecken, sehr spärlich. Ist die Lymphe, wie der Chylus, der ja doch nur eine modificirte Lymphe darstellt, eine zur Bildung und zur Regeneration des Blutes dienende Flüssigkeit, so lässt sich auch erwarten, dass gerade das Bindegewebe, welches überwiegend die Wurzeln der Lymphgefässe und daher die Quellen der Lymphe enthält, einen entscheidenden Einfluss darauf ausübt, und man darf in dem Bestreben, das blosse Communications-Verhältniss der verschiedenen Röhrensysteme festzustellen, nicht übersehen, dass ohne die in demselben befindlichen Zellen diese Röhrensysteme keine Bedeutung mehr haben würden. In den letzten Jahren hat man in der Lymphe immer mehr eine recrementitielle Flüssigkeit gesehen, welche die verbrauchten Stoffe in die allgemeine Blutbahn überführt, damit sie von da durch die Secretionsorgane ausgeschieden werden; es ist Zeit, dass wir wenigstens zum Theil zu der Auffassung Hewson's von der plastischen Natur der Lymphe zurückkehren.
Fußnoten:
[55] Gesammelte Abhandl. S. 105.
[56] Archiv 1847. I. 572. Gesammelte Abhandl. 104, 516.
[57] Handbuch der spec. Pathologie u. Therapie. 1854. I. 75. Gesammelte Abhandlungen. 135.
[58] Gesammelte Abhandlungen 1856. S. 703.
[59] Archiv 1847. I. 563.
[60] Froriep's Neue Notizen. 1845. No. 780. Gesammelte Abhandl. 149.
[61] Archiv 1853. IV. 43 ff.
[62] Würzburger Verhandl. 1856. VII. 119. Gesammelte Abhandl. S. 138.
[63] Archiv 1847. I. 567.
[64] Geschwülste. II. 566.
[65] Archiv 1853. Bd. V. S. 408. vgl. 1849. Bd. II. S. 590.
[66] G. Eckard: De glandularum lymphaticarum structura. Diss. inaug. Berol. 1858 p. 12. Fig. I–III.
[67] Gesammelte Abhandl. S. 214.
[68] Archiv 1848. II. 595. 1853. V. 122.
[69] Gesammelte Abhandlungen. S. 217.
[70] Froriep's Neue Notizen. 1845. Nov. No. 780.
[71] Archiv 1847. I. 65.
[72] Würzb. Verhandl. 1855. II. 150, 314. Gesammelte Abhandl. S. 136.
[73] Archiv VII. 132.
[74] Zeitschrift für wiss. Zoologie. 1851. III. 40.
Vergleich der farblosen Blut- und Eiterkörperchen. Die physiologische Eiterresorption: die unvollständige (Inspissation, käsige Umwandlung) und die vollständige (Fettmetamorphose, milchige Umwandlung). Intravasation von Eiter.
Eiter in Lymphgefässen. Die Hemmung der Stoffe in den Lymphdrüsen. Mechanische Trennung (Filtration): Tättowirungsfarben. Mögliches Durchkriechen der Eiterkörperchen. Chemische Trennung (Attraction): Krebs, Syphilis. Die Heizung der Lymphdrüsen und ihre Bedeutung für die Leukocytose.
Die (physiologische) digestive und puerperale Leukocytose. Die pathologische Leukocytose (Scrofulose, Typhus, Krebs, Erysipel).
Die lymphoiden Apparate: solitäre und Peyersche Follikel des Darms. Tonsillen und Zungenfollikel. Thymus. Milz.
Völlige Zurückweisung der Pyämie als morphologisch nachweisbarer Dyscrasie.
An die Erwägungen des vorigen Capitels schliesst sich mit eindringlicher Nothwendigkeit die Frage von der Pyämie an, und da dies nicht bloss ein Gegenstand von der grössten praktischen Bedeutung ist, sondern derselbe auch zu den wissenschaftlich am meisten streitigen zu rechnen ist, so dürfte es wohl gerechtfertigt sein, näher auf seine Besprechung einzugehen.
Was soll man unter Pyämie verstehen? In der Regel hat man sich gedacht, es sei dies ein Zustand, wo das Blut Eiter enthalte. Man hat ihn daher auch geradezu purulente Infection oder Eitervergiftung genannt. Da aber der Eiter wesentlich durch seine morphologischen Bestandtheile charakterisirt wird, so handelte es sich natürlich darum, im Blute die Eiterkörperchen zu zeigen. Das hat man denn auch redlich versucht, und mancher Beobachter glaubte es geleistet zu haben. Nachdem wir jedoch erfahren haben, dass die farblosen Blutkörperchen in ihrer gewöhnlichen Erscheinung, bei Leuten im besten Gesundheitszustande,[218] den Eiterkörperchen ganz ähnlich sind (S. 183S. 183), so fällt damit von vornherein eine wesentliche Voraussetzung dieser Nachweise weg. Um indess einigermaassen Klarheit in den Gegenstand zu bringen, ist es nothwendig, auf die verschiedenen Gesichtspunkte, welche hierbei in Betracht kommen, im Einzelnen einzugehen.
Die farblosen Blutkörperchen sind zum Verwechseln den Eiterkörperchen ähnlich, so dass, wenn man in einem mikroskopischen Objecte solche Elemente antrifft, man nie ohne Weiteres mit Sicherheit angeben kann, ob man es mit farblosen Blutkörperchen oder mit Eiterkörperchen zu thun hat[75]. Früherhin hatte man vielfach die Ansicht, dass die Bestandtheile des Eiters im Blute präexistirten, dass der Eiter nur eine Art von Secret aus dem Blute sei, wie etwa der Harn, und dass er auch, wie eine einfache Flüssigkeit, in das Blut zurückkehren könne. Diese Ansicht erklärt die Auffassung, welche in der Lehre von der sogenannten physiologischen Eiterresorption, d. h. der Resorption von Eiter zum Zwecke der Heilung, sich so lange erhalten hat.
Man stellte sich vor, dass der Eiter von einzelnen Punkten her, an welchen er abgelagert war, wieder in das Blut aufgenommen werden könne, und dass dadurch eine günstige Wendung in der Krankheit eintrete, insofern der aufgenommene Eiter endlich aus dem Körper entfernt werde. Man erzählte, dass bei Kranken mit Eiter im Pleurasacke die Krankheit sich durch eiterigen Harn oder eiterigen Stuhlgang entscheiden könne, ohne dass ein Durchbruch des Eiters von der Pleura her in den Darm oder die Harnwege vorhergegangen sei. Man liess also die Möglichkeit zu, dass durch die circulirenden Flüssigkeiten Eiter in Substanz aufgenommen und weggeführt werden könnte. Späterhin, als die Lehre von der purulenten Infection mehr und mehr aufkam, hat man diesen (vorausgesetzten) Fall unter dem Namen der physiologischen Eiterresorption von der pathologischen unterschieden, und es blieb nur fraglich, wie man die erstere in ihrem günstigen und die letztere in ihrem malignen Verlaufe sich erklären sollte. Diese Angelegenheit erledigt sich einfach dadurch, dass Eiter als Eiter nie resorbirt wird. Es gibt keine Form, in der Eiter in Substanz auf dem Wege der Resorption verschwinden[219] könnte; immer sind es die flüssigen Theile des Eiters, welche aufgenommen werden, und daher lässt sich dasjenige, was man Eiterresorption nennt, auf folgende zwei Möglichkeiten zurückführen:
Im einen Falle ist der Eiter mit seinen Körperchen zur Zeit der Resorption mehr oder weniger intact vorhanden. Dann wird natürlich in dem Maasse, als Flüssigkeit verschwindet, der Eiter dicker werden. Es ist dies die allbekannte Eindickung (Inspissation) des Eiters, wodurch dasjenige erzeugt wird, was die Franzosen „pus concret“ nennen[76]. Dieses stellt eine dicke Masse dar, welche die Eiterkörperchen in einem geschrumpften Zustande enthält, nachdem nicht bloss die Flüssigkeit zwischen den Eiterkörperchen (das Eiterserum), sondern auch ein Theil der Flüssigkeit, die sich in den Eiterkörperchen befand, verschwunden ist.
Fig. 72. Eiter. A. Eiterkörperchen, a frisch, b mit etwas Wasserzusatz, c–e nach Essigsäure-Behandlung, der Inhalt klar geworden, die in der Theilung begriffenen oder schon getheilten Kerne sichtbar, bei e mit leichter Depression der Oberfläche. B. Kerne der Eiterkörperchen bei Gonorrhoe: a einfacher Kern mit Kernkörperchen, b beginnende Theilung, Depression des Kerns, c fortschreitende Zweitheilung, d Dreitheilung. C. Eiterkörperchen in dem natürlichen Lagerungsverhältniss zu einander. Vergr. 500.
Der Eiter besteht seinem Haupttheile nach aus kleinen, farblosen Rundzellen, welche im gewöhnlichen Zustande eine dicht an der anderen liegen (Fig. 72, C.) und zwischen welchen sich eine geringe Masse von Intercellularflüssigkeit (Eiterserum) befindet. Die Eiterkörperchen selbst enthalten gleichfalls eine grosse Menge von Wasser und sind deshalb von sehr geringem, specifischem Gewichte; fast jeder Eiter, mag er auch im frischen Zustande sehr dick aussehen, hat doch einen so grossen Antheil von Wasser, dass er bei[220] der Eindampfung viel mehr verliert, als eine entsprechende Quantität von Blut. Letzteres macht nur deshalb den Eindruck der grösseren Wässrigkeit, weil es sehr viel freie intercellulare, aber relativ wenig intracellulare Flüssigkeit besitzt, während umgekehrt beim Eiter mehr Wasser innerhalb der Zellen, weniger ausserhalb derselben befindlich ist. Wenn nun eine Resorption stattfindet, so verschwindet zunächst der grösste Theil der intercellularen Flüssigkeit und die Eiterkörperchen rücken näher aneinander; bald verschwindet aber auch ein Theil der Flüssigkeit aus den Zellen selbst, und in demselben Maasse werden diese kleiner, unregelmässiger, eckiger, höckriger, bekommen die allersonderbarsten Formen, liegen dicht aneinander gedrängt, brechen das Licht stärker, weil sie mehr feste Substanz enthalten, und sehen gleichmässiger aus (Fig. 73).
Fig. 73. Eingedickter, käsiger Eiter. a die geschrumpften, verkleinerten, etwas verzerrten und mehr homogen und solid aussehenden Körperchen. b ähnliche mit Fettkörnchen. c natürliches Lagerungsverhältniss zu einander. Vergröss. 300.
Diese Art der Eindickung ist keineswegs ein so seltener Vorgang, wie man oft annimmt, sondern im Gegentheil ausserordentlich häufig, und fast noch mehr wichtig als häufig. Es ist dies nehmlich einer von den Vorgängen, die man in der neueren Zeit alle unter den Begriff des Tuberkels subsumirt hat, und von denen namentlich durch Reinhardt gezeigt ist, dass sie zu einem sehr beträchtlichen Theile wirklich auf Eiter, also auf Entzündungsproduct zurückzuführen sind. Späterhin werden wir sehen, dass diese Erfahrungen zu falschen Schlüssen über den Tuberkel selbst verwerthet worden sind; aber dass durch Inspissation Entzündungsproducte in Dinge, die man, wenn auch fälschlich, Tuberkel nennt, umgewandelt werden können, ist unzweifelhaft. Gerade in der Geschichte der Lungentuberculose spielt dieser Act eine sehr grosse Rolle. Man denke sich die Lungenalveolen mit Eiter vollgestopft und lasse nun Alveole für Alveole die Inspissation ihres Inhaltes eingehen, so bekommt man jene käsigen Hepatisationen, welche man gewöhnlich unter dem Namen der Tuberkel-Infiltration schildert.
Diese unvollständige Resorption, wo nur die flüssigen Bestandtheile[221] resorbirt werden, lässt die Masse der festen Bestandtheile als Caput mortuum, als abgestorbene, nicht mehr lebensfähige Masse in dem Theile liegen[77]. Ich habe daher dem Vorgange den Namen der käsigen Metamorphose (Tyrosis) beigelegt. Eine solche Art von Eindickung ist es, welche in grossem Maassstabe bei der unvollständigen Resorption pleuritischer Exsudate eintritt, wo sehr grosse Lager von bröckliger Substanz im Pleurasacke zurückbleiben; ebenso im Umfange der Wirbelsäule bei Spondylarthrocace, in kalten, zumal parostealen Abscessen u. s. w. In allen diesen Fällen ist die Resorption, sobald die Flüssigkeit verschwunden ist, zu Ende. Darin beruht die schlimme Bedeutung dieser Vorgänge. Die festen Theile, welche nicht resorbirt werden, bleiben entweder als solche liegen, oder sie können später erweichen, werden aber dann gewöhnlich nicht mehr Object der Resorption, sondern es geht meist aus ihnen eine Ulceration hervor. Auf alle Fälle ist das, was resorbirt wurde, kein Eiter, sondern eine einfache Flüssigkeit, welche überwiegend viel Wasser, etwas Salze und sehr wenig eiweissartige Bestandtheile enthalten mag, und es kann kein Zweifel sein, dass hier eine der unvollständigsten Formen der Resorption vorliegt.
Fig. 74. Eingedickter, zum Theil in der Auflösung begriffener, hämorrhagischer Eiter aus Empyem. a die natürliche Masse, körnigen Detritus, geschrumpfte Eiter- und Blutkörperchen enthaltend. b dieselbe Masse, mit Wasser behandelt; einzelne körnige, entfärbte Blutkörperchen sind deutlich geworden. c und d nach Zusatz von Essigsäure. Vergr. 300, bei d 520.
Die zweite Form von Eiterresorption ist diejenige, welche den günstigsten Fall constituirt, wo der Eiter wirklich verschwindet und nichts Wesentliches von ihm übrig bleibt. Aber auch hier wird der Eiter nicht als Eiter resorbirt, sondern er macht vorher eine fettige Metamorphose durch; jede einzelne Zelle lässt fettige Theile in sich frei werden, zerfällt, und zuletzt bleibt nichts weiter[222] übrig, als die Fettkörner und die Zwischenflüssigkeit. Dann ist also überhaupt keine Zelle und kein Eiter mehr vorhanden; an ihre Stelle ist eine emulsive Masse, eine Art von Milch getreten, welche aus Wasser, etwas eiweissartigen Stoffen und Fett besteht, und in welcher man sogar mehrfach Zucker nachgewiesen hat, so dass dadurch eine noch grössere Analogie mit wirklicher Milch entsteht. Diese pathologische Milch ist es, welche nachher zur Resorption gelangt, also wieder kein Eiter, sondern Fett, Wasser oder Salze[78].
Fig. 75. In der fettigen Rückbildung (Fettmetamorphose) begriffener Eiter. a beginnende Metamorphose. b Fettkörnchenzellen mit noch deutlichen Kernen. c Körnchenkugel (Entzündungskugel). d Zerfall der Kugel. e Emulsion, milchiger Detritus. Vergr. 350.
Das sind die Vorgänge, welche man „physiologische Eiterresorption“ nennen kann, eine Resorption, wo nicht Eiter als solcher resorbirt wird, sondern entweder nur seine flüssigen Bestandtheile, oder die durch eine innere Umwandlung bedeutend veränderte Substanz.
Es gibt nun allerdings einen Fall, wo Eiter in Substanz das Object nicht gerade einer Resorption, aber wenigstens einer Intravasation werden und wo dieser intravasirte Eiter innerhalb der Gefässe fortbewegt werden kann, der nehmlich, wo ein Blutgefäss verletzt oder durchbrochen wird, und durch die Oeffnung Eiter in sein Inneres gelangt. Es kann ein Abscess an einer Vene liegen, die Wand derselben durchbrechen, und seinen Inhalt in ihre Lichtung entleeren[79]. Noch leichter geschieht ein solcher Uebergang an Lymphgefässen, welche in offene Abscesse münden. Es fragt sich also nur, in wieweit man berechtigt ist, diesen Fall als einen häufigen zu setzen. Für die Venen hat man seit Decennien diese Möglichkeit ziemlich beschränkt; von einer Resorption des Eiters in Substanz durch dieselben ist man mehr und mehr zurückgekommen, aber von der Resorption durch Lymphgefässe spricht man noch ziemlich häufig, und man hat in der That manche Veranlassung dazu.
Es ist dabei ziemlich gleichgültig, ob der Eiter in Lymphgefässe[223] wirklich von aussen hereinkommt, oder, was Andere annehmen, ob er durch Entzündung in den Lymphgefässen entsteht; schliesslich ist die Frage immer die, in wie weit ein mit Eiter gefülltes Lymphgefäss im Stande ist, eine Entleerung seines Inhaltes in den circulirenden Blutstrom zu Stande zu bringen und die eigentliche Pyämie zu setzen. Eine solche Möglichkeit muss in der Regel geleugnet werden, und zwar aus einem sehr einfachen Grunde. Alle Lymphgefässe, welche in der Lage sind, eine solche Aufnahme zu erfahren, sind peripherische, mögen sie von äusserlichen oder innerlichen Theilen entspringen, und sie gelangen erst nach einem längeren Laufe allmählich zu den Blutgefässen. Bei allen finden sich Unterbrechungen durch Lymphdrüsen; und seitdem man weiss, dass die Lymphgefässe durch die Drüsen nicht als weite, gewundene und verschlungene Kanäle hindurchgehen (S. 208), sondern, nachdem sie sich in feine Aeste aufgelöst haben, in Räume eintreten, welche zum grossen Theil mit zelligen Elementen gefüllt sind, so ist es an sich fraglich, ob Eiterkörperchen eine Lymphdrüse passiren können.
Es ist dies ein sehr wesentlicher Punkt, und doch übersieht man ihn sonderbarer Weise gewöhnlich, obwohl die tägliche Erfahrung des praktischen Arztes Material genug zu seiner Erledigung bietet. Frey glaubt neuerlichst nach den Resultaten künstlicher Injectionen schliessen zu können, dass auch Zellen durch die Lymphdrüsen hindurch fliessen könnten. Indess stimmt dies wenig mit der Erfahrung am Lebenden, welche vielmehr eine Hemmung körperlicher Partikeln in den Lymphdrüsen lehrt. Wir haben ein sehr hübsches Experiment in der Sitte unserer niederen Bevölkerung, sich die Arme oder auch wohl andere Theile tättowiren zu lassen. Wenn ein Handwerker oder ein Soldat auf seinen Arm eine Reihe von Einstichen machen lässt, die zu Buchstaben, Zeichen oder Figuren geordnet werden, so wird fast jedesmal bei der grossen Zahl der Stiche ein Theil der oberflächlichen Lymphgefässe verletzt. Es ist ja gar nicht anders möglich, als dass, wenn man durch Nadelstiche ganze Hautbezirke umgrenzt, wenigstens einzelne Lymphgefässe getroffen werden. Darauf wird eine Substanz eingeschmiert, welche in der Körperflüssigkeit unlöslich ist, Zinnober, Kohlenpulver oder dergl., und welche, indem sie in den Theilen liegen bleibt, eine dauerhafte Färbung derselben bedingt. Allein bei dem Einstreichen gelangt ein gewisser Theil[224] der Partikelchen in Lymphgefässe, wird trotz seiner Schwere vom Lymphstrome fortbewegt und gelangt bis zu den nächsten Lymphdrüsen wo er abfiltrirt wird. Man sieht nie, dass sich Partikeln bis über die Lymphdrüsen hinaus bewegen und an entferntere Punkte gelangen, dass sie sich etwa im Parenchym innerer Organe ablagern. Immer in der nächsten Drüsenreihe und zwar in der den eintretenden Lymphgefässen zugewendeten Rindenschicht derselben bleibt die Masse stecken. Untersucht man die infiltrirten Drüsen, so überzeugt man sich leicht, dass die Grösse vieler der abgelagerten Partikelchen geringer ist, als die Grösse auch des kleinsten Eiterkörperchens.
Fig. 76. Durchschnitt durch die Rinde einer Axillardrüse bei Tättowirung der Haut des Arms. Man sieht von der Rinde her ein grosses eintretendes Gefäss, das sich leicht schlängelt und in feine Aeste auflöst. Ringsumher Follikel, die grossentheils mit Bindegewebe gefüllt sind. Die dunkle feinkörnige Masse stellt den abgelagerten Zinnober dar. Vergr. 80.
In dem Object, nach welchem die beigegebene Zeichnung (Fig. 76) angefertigt wurde, ist zufälliger Weise der Punkt getroffen, wo das Lymphgefäss in die Drüse eintritt, und von wo es zunächst innerhalb der Bindegewebsbalken, welche sich von der[225] Capsel aus zwischen die Follikel erstrecken, schraubenförmig fortgeht, um sich in seine Aeste aufzulösen. Da, wo diese in die benachbarten, hier freilich zum grossen Theile mit Bindegewebe erfüllten (indurirten) Follikel übergehen, haben sie die ganze Masse des Zinnobers ausgeschüttet, so dass dieser noch zum Theil innerhalb der Zwischenbalken (Trabekel) liegt, zum Theil jedoch in die Follikel selbst eingedrungen ist. Das Präparat stammt von dem Arme eines Soldaten, der sich 1809 die Figuren hatte einreiben lassen, und dessen Tod fast 50 Jahre später erfolgt ist. Weiter als bis in die äussersten Rindenschichten ist nichts gekommen; schon die nächste Follikelreihe enthält nichts mehr. Die Partikelchen sind aber so klein und der Mehrzahl nach im Verhältnisse zu den Zellen der Drüse so fein, dass sie mit Eiterkörperchen gar nicht verglichen werden können. Wo solche Körnchen nicht durchgehen, wo so minimale Partikelchen eine Verstopfung machen, da würde es etwas kühn sein, zu denken, dass die relativ grossen Eiterkörperchen durchkommen könnten.
Fig. 77. Das mit Zinnober, nach Tättowirung des Armes, gefüllte Reticulum aus einer Axillardrüse (Fig. 76). a ein Theil eines interfolliculären Balkens mit einem Lymphgefässe; b, ein in den Follikel tretender stärkerer Ast; c, c die anastomosirenden, kernhaltigen Netze; die dunklen Körner sind Zinnoberpartikelchen. Vergr. 300.
Allerdings kann man sich noch auf eine Eigenschaft der Eiterkörperchen berufen, auf welche zuerst v. Recklinghausen die allgemeine Aufmerksamkeit gerichtet hat; ich meine ihre Fähigkeit zu Gestalt- und Ortsveränderungen. Man kann die Möglichkeit nicht bestreiten, dass eine Zelle, welche feine Fortsätze aussenden und allmählich ihren ganzen Körper in diese Fortsätze nachziehen kann, sich durch so feine Oeffnungen hindurchzwängen mag, dass sie in ihrer gewöhnlichen Gestalt, bei ihrem gewöhnlichen Durchmesser immer von denselben angehalten werden würde. Und so könnte ein „contraktiles“ Eiterkörperchen aus dem Gewebe in ein Lymphgefäss kriechen, mit der Lymphe in eine Lymphdrüse geflösst werden und hier durch die engen Spalten hindurchkriechen, um in dem austretenden Lymphgefässe wieder zum Vorschein[226] zu kommen. Das ist denkbar, aber die Erfahrung spricht dagegen. Die Lymphdrüsen filtriren die Eiterkörperchen ab.
Eine Einrichtung dieser Art, wodurch in den Lymphdrüsen der offene Strom der Flüssigkeit unterbrochen und die gröberen Partikelchen in einer ganz mechanischen Weise zurückgehalten werden, lässt begreiflicher Weise nicht leicht eine andere Form der Lymphresorption von der Peripherie her zu, als die von einfachen Flüssigkeiten. Freilich würde man falsch gehen, wenn man die Thätigkeit der Lymphdrüsen darauf beschränken wollte, dass sie, wie Filtren, zwischen die Abschnitte der Lymphgefässe eingeschoben sind. Offenbar haben sie noch eine andere Bedeutung, indem die Drüsensubstanz unzweifelhaft von der flüssigen Masse der Lymphe gewisse Bestandtheile anzieht, in sich aufnimmt, zurückhält und dadurch auch die chemische Beschaffenheit der Flüssigkeit alterirt, so dass diese um so mehr verändert aus der Drüse hervortritt, als zugleich angenommen werden muss, dass die Drüse gewisse Bestandtheile an die Lymphe abgibt, welche vorher in derselben nicht vorhanden waren.
Ich will hier nicht auf minutiöse Verhältnisse eingehen, da die Geschichte jeder bösartigen Geschwulst die besten Beispiele für diesen Satz liefert. Wenn eine Achseldrüse krebsig wird, nachdem die Milchdrüse vorher krebsig erkrankt war, und wenn längere Zeit hindurch bloss die Achseldrüse krank bleibt, ohne dass die folgende Drüsenreihe oder irgend ein anderes Organ vom Krebs befallen wird, so können wir uns dies nicht anders vorstellen, als dass die Achseldrüse die schädlichen, von der Milchdrüse her aufgenommenen Bestandtheile sammelt, dadurch eine Zeit lang dem Körper einen Schutz gewährt, am Ende aber insufficient wird, ja vielleicht späterhin selbst eine neue Quelle selbständiger Infection für den Körper darstellt, indem von den kranken Theilen der Drüse aus die weitere Verbreitung des giftigen Stoffes stattfinden kann. Ebenso lehrreiche Beispiele liefert die Geschichte der Syphilis, wo der Bubo eine Zeit lang eine Ablagerungsstätte des Giftes werden kann, so dass die übrige Oekonomie in einer verhältnissmässig geringen Weise afficirt wird. Wie Ricord zeigte, findet sich die virulente Substanz gerade im Innern der eigentlichen Drüsensubstanz, während der Eiter im Umfange des Bubo frei davon ist; nur so weit als die Theile mit der zugeführten Lymphe in Contact kommen, nehmen sie den virulenten Stoff in sich auf.
Wenden wir diese Erfahrungen auf die Eiterresorption an, so kann man selbst in dem Falle, dass wirklich Eiter in Lymphgefässe gelangt, durchaus nicht als nächste und nothwendige Folge davon eine Inficirung des Blutes durch eiterige Bestandtheile erschliessen; vielmehr wird wahrscheinlich innerhalb der Drüse eine Retention der Eiterkörperchen stattfinden, und auch die Flüssigkeiten, welche durch die Drüse hindurch gelangen, werden während des Durchganges einen grossen Theil ihrer schädlichen Eigenschaften verlieren. Secundäre Drüsen-Anschwellungen treten in verschiedenen Formen nach peripherischen Infectionen auf. Wie will man sie anders erklären, als dadurch, dass jede inficirende (miasmatische) Substanz, welche als eine wesentlich fremdartige oder, wenn ich mich so ausdrücken soll, feindselige für den Körper zu betrachten ist, indem sie in die Substanz der Drüse eindringt, von den Zellen der Drüse angesogen wird und daran jenen Zustand von mehr oder weniger ausgesprochener Reizung hervorbringt, der sehr häufig bis zur wirklichen Entzündung der Drüse sich steigert? Wir werden noch später auf den Begriff der Reizung etwas genauer zurückkommen, und ich will hier nur so viel hervorheben, dass nach meinen Untersuchungen die Reizung der Lymphdrüsen darin besteht, dass dieselben in eine vermehrte Zellenbildung gerathen, dass ihre Follikel sich vergrössern und nach einiger Zeit viel mehr Zellen enthalten als vorher.
Im Verhältnisse zu diesen Vorgängen geschieht dann auch eine Vermehrung der farblosen Elemente im Blute. Jede bedeutende acute Drüsenreizung hat eine schnelle Zunahme der Lymphkörperchen im Blute zur Folge; jede Krankheit, welche Drüsenreizung mit sich bringt, wird daher auch den Effect haben, das Blut mit grösseren Mengen von farblosen Blutkörperchen zu versehen, mit anderen Worten, einen leukocytotischen Zustand zu setzen. Hat man nun schon im Voraus die Ansicht, es sei Eiter resorbirt worden, und der Eiter sei die Ursache der eingetretenen Störungen, so ist nichts leichter, als Zellen im Blute nachzuweisen, welche wie Eiterkörperchen aussehen, oft in so grosser Menge, dass man ihre Zusammenhäufungen (Fig. 67) in der Leiche wie kleine Eiterpunkte mit blossem Auge sehen kann, oder dass sie grosse, zusammenhängende oder körnige Lager an der unteren Seite der Speckhaut des Aderlassblutes bilden (Fig. 69). Scheinbar ist[228] dieser Beweis so überzeugend als möglich. Man hat die Voraussetzung, dass Eiter in's Blut gelangt sei; man untersucht das Blut und findet wirklich Elemente, die vollkommen aussehen wie Eiterkörperchen, und zwar in sehr grosser Zahl. Selbst wenn man zugesteht, dass farblose Blutkörperchen wie Eiterkörperchen aussehen können, ist doch der Schluss sehr verführerisch, wie man ihn zu wiederholten Malen in der Geschichte der Pyämie gemacht hat, dass die im Blute aufgefundenen Zellen ihrer grossen Menge wegen doch nicht als farblose Blutkörperchen angesehen werden könnten, sondern Eiterkörperchen sein müssten. Diesen Schluss machte vor Jahren Bouchut bei Gelegenheit einer Pariser Epidemie von Puerperal-Fieber, welches er damals für eine Pyämie hielt, neuerlichst aber auf Grund derselben Beobachtung für eine acute Leukämie erklärte. Das ist ferner derselbe Schluss, den Bennett in der zwischen uns viel discutirten Prioritätssache gemacht hat, da er einen Fall von unzweifelhafter Leukämie einige Monate früher beobachtete, ehe ich meinen ersten Fall sah, und da er aus der „unerhört“ grossen Zahl der farblosen Körperchen den Schluss zog, es handele sich um eine „Suppuration des Blutes“[80]. Freilich war dieser Schluss nicht originell, sondern basirte sich auf die früher (S. 188) erwähnte Hämitis von Piorry, der sich dachte, dass das Blut selbst sich entzünde und in sich Eiter erzeuge, was man nachher in der Wiener Schule spontane Pyämie oder Eitergährung genannt hat.
Alle diese Irrthümer sind hervorgegangen aus dem Umstande, dass man eine so ungeheuer grosse Zahl von farblosen Blutkörperchen fand. Heutzutage ist dieser Befund eben so einfach vom Standpunkte der Hämatopoëse aus zu erklären, wie er früher allein erklärlich schien vom Standpunkte der Pyämie aus. Die Reizung der Lymphdrüsen erklärt ohne alle Schwierigkeit die Vermehrung der farblosen, eiterähnlichen Zellen im Blute, und zwar in allen Fällen, nicht bloss in denen, wo man eine Pyämie erwartete, sondern auch in denen, wo man sie nicht erwartete, wo jedoch das Blut dieselbe Masse von farblosen Körperchen zeigt, wie in der eigentlichen, dem klinischen Begriffe entsprechenden Pyämie.
So ergibt sich, dass jede Mahlzeit einen gewissen Reizungszustand in den Gekrösdrüsen setzt, indem die Chylus-Bestandtheile,[229] die denselben zugeführt werden, einen physiologischen Reiz für dieselben darstellen. Die Milch, welche wir trinken, das Fett unserer Suppen, die verschiedenen, feiner vertheilten Fette und Oele in unseren festeren Speisen gelangen als kleinste Kügelchen in die Chylusgefässe und verbreiten sich eben so, wie der Zinnober, in den Drüsen; aber die kleinsten Fettkörnchen dringen nach einiger Zeit durch die Drüse hindurch. Für solche Körper besteht also noch eine wirkliche Permeabilität der Drüsengänge, aber auch sie werden eine Zeit lang zurückgehalten. Immer dauert es lange, ehe nach einer Mahlzeit die Gekrösdrüsen das Fett wieder völlig los werden, und es geschieht das Hindurchschieben der Massen offenbar unter einem verhältnissmässig grossen Drucke. Dabei beobachtet man zugleich eine Vergrösserung der Lymphdrüse, und ebenso nach jeder Mahlzeit eine Zunahme in der Zahl der farblosen Körperchen im Blute, eine physiologische Leukocytose, aber keine Pyämie.
In dem Maasse, als eine Schwangerschaft vorrückt, als die Lymphgefässe am Uterus sich erweitern, als der Stoffwechsel in der Gebärmutter mit der Entwickelung des Fötus zunimmt, vergrössern sich die Lymphdrüsen der Inguinal- und Lumbalgegend erheblich, zuweilen so beträchtlich, dass, wenn wir sie zu einer anderen Zeit fänden, wir sie als entzündet betrachten würden. Diese Vergrösserung führt dem Blute auch mehr neue Partikelchen zelliger Art zu, und so steigt von Monat zu Monat die Zahl der farblosen Körperchen. Zur Zeit der Geburt kann man fast bei jeder Puerpera, mag sie pyämisch sein oder nicht, in dem defibrinirten Blute die farblosen Körperchen ein eiterartiges Sediment bilden sehen. Auch dies ist eine physiologische Form, welche fern davon ist, eine pyämische zu sein. Wenn man sich aber gerade eine Puerpera aussucht, welche Krankheits-Erscheinungen darbietet, die mit dem Bilde der Pyämie übereinstimmen, dann ist nichts leichter, als diese vielen farblosen, mehrkernigen Zellen zu finden, und sie für jene Eiterkörperchen auszugeben, welche nach der Voraussetzung gerade die Pyämie constatiren sollen. Dies sind Trugschlüsse, welche aus unvollständiger Kenntniss des normalen Lebens und der Entwickelung resultiren. So lange man sich bloss an die pyämischen Erfahrungen hält, so lange kann dies Alles erscheinen wie ein grosses und neues Ereigniss, und man kann sich berechtigt halten, wenn man das Blut einer Wöchnerin[230] untersucht, zu schliessen, sie habe schon die Pyämie, bevor die pyämischen Symptome auftreten. Aber man mag untersuchen, wann man will, so wird man stets etwas von Leukocytose finden, gerade so, wie es schon seit langer Zeit bekannt ist, dass sich bei Schwangeren sehr gewöhnlich eine Speckhaut bildet, weil das Blut gewöhnlich mehr von einem langsamer gerinnenden Fibrin zugeführt bekommt (Hyperinose). Es erklärt sich dies durch den vermehrten Stoffwechsel und die, entzündlichen Vorgängen so nahe stehenden Veränderungen im Uterinsystem, welche mit einer gewissen Reizung der zunächst damit in Verbindung stehenden Lymphdrüsen vergesellschaftet sind[81].
Gehen wir einen kleinen Schritt weiter in dies pathologische Gebiet hinein, so treffen wir leukocytotische Zustände in der ganzen Reihe aller der Erkrankungen, welche mit Drüsenreizung complicirt sind, und bei welchen die Reizung nicht zu einer Zerstörung der Drüsensubstanz führt. Im Verlaufe einer Scrofulosis, bei deren einigermaassen ungünstigem Verlaufe die Drüsen zu Grunde gehen, sei es durch Ulceration, sei es durch käsige Eindickung, Verkalkung u. s. f., kann eine vermehrte Aufnahme von Elementen in das Blut nur so lange stattfinden, als die gereizte Drüse überhaupt noch leistungsfähig ist oder existirt; sobald aber die Drüse abgestorben, käsig geworden oder zerstört ist, so hört auch die Bildung von Lymphzellen und damit die Leukocytose auf. Jedesmal dagegen, wo eine mehr acute Form von Störung besteht, welche mit entzündlicher Schwellung der Drüsen verbunden ist, findet eine Vermehrung der farblosen Körperchen im Blute Statt. So im Typhus, wo so ausgedehnte markige Schwellungen der Unterleibsdrüsen auftreten, so bei Krebskranken, wenn Reizung der Lymphdrüsen eintritt, so im Verlaufe jener Prozesse, welche man als Eruptionen des malignen Erysipels bezeichnet, und welche so frühzeitig schon mit Drüsenanschwellung verbunden zu sein pflegen. Das ist der Sinn dieser Vermehrung der farblosen Elemente, die zuletzt immer zurückführt auf die vermehrte Entwickelung lymphatischer Gebilde innerhalb der gereizten Drüsen.
Es ist nun von Wichtigkeit, darauf hinzuweisen, dass man gegenwärtig den Begriff der Lymphdrüsen ungleich weiter ausdehnt,[231] als es bis vor Kurzem geschehen ist. Erst die neueren histologischen Untersuchungen haben gezeigt, dass ausser den gewöhnlichen bekannten Lymphdrüsen, die eine gewisse Grösse und Selbständigkeit haben, eine grosse Menge von kleineren Einrichtungen im Körper vorhanden ist, welche ganz denselben Bau besitzen, welche aber nicht so massenhafte Zusammenordnungen von lymphatischen Theilen darstellen, wie wir sie in einer Lymphdrüse finden. Dahin gehören im Besonderen die Follikel des Darms, sowohl die solitären, als die Peyerschen. Ein Peyerscher Haufen ist nichts weiter, als die flächenartige Ausbreitung einer Lymphdrüse; die einzelnen Follikel des Haufens entsprechen, ebenso wie die Solitärfollikel des Digestionstractus, den einzelnen Follikeln einer Lymphdrüse, nur dass die Darmfollikel, wenigstens beim Menschen, in einfacher, die Lymphdrüsenfollikel in mehrfacher Lage über einander angeordnet sind. Die solitären und Peyerschen Drüsen haben also gar nichts gemein mit den gewöhnlichen (Lieberkühnschen) Drüsen, welche durch offene Mündungen nach dem Darm hin secerniren; sie haben vielmehr die Stellung und offenbar auch die Funktion der Lymphdrüsen. Gegen die Darmhöhle hin sind sie völlig geschlossen, und wenn sie secerniren, so thun sie es nur in der Richtung der Lymphgefässe, welche aus ihnen hervorgehen. Diese sind ihre Ausführungsgänge.
In dieselbe Kategorie gehören die analogen Apparate, die wir im oberen Theile des Digestionstractus in so grossen Haufen zusammengeordnet finden, wo sie die Tonsillen, die Follikel der Zungenwurzel und die grosse Pharynxdrüse bilden. Während im Darm die Follikel in einer ebenen Fläche liegen, findet sich hier die Fläche eingefaltet und die einzelnen Follikel um die Einfaltung oder Einstülpung herumliegend. Früher nannte man gerade die Einfaltungen oder Taschen, wie sie an den meisten Zungenfollikeln einfach, an den Tonsillen mehrfach und verästelt vorkommen, Follikel (Bälge), und sah dem entsprechend die Oeffnungen der Taschen als Drüsenmündungen an. Allein die Taschen sind von einer Fortsetzung der benachbarten Schleimhaut und deren Epithel continuirlich ausgekleidet; auch hier haben die eigentlichen, lymphatischen Follikel keine nach aussen mündenden Ausführungsgänge. Sie liegen unter der geschlossenen Oberfläche.
In dieselbe Kategorie gehört weiterhin die Thymusdrüse, bei welcher die Anhäufung der Follikel einen noch höheren Grad[232] erreicht, als in den Lymphdrüsen. Während viele Lymphdrüsen noch einen Hilus haben, wo keine Follikel liegen, so hört dies in der Thymusdrüse auf. Mit diesem Mangel eines Hilus hängt zusammen, dass man an der Brustdrüse keine erheblichen Verbindungen mit Lymphgefässen kennt.
Dahin gehört endlich ein sehr wesentlicher Bestandtheil der Milz, nehmlich die Malpighischen oder weissen Körper (Follikel), die bei verschiedenen Leuten in ebenso verschiedener Menge durch das Milzparenchym zerstreut sind, wie die solitären und Peyerschen Follikel im Darm. Auf einem Durchschnitte durch die Milz sehen wir vom Hilus her die Trabekeln mit den Gefässen gegen die Capsel ausstrahlen, in langen Zügen von der rothen Milzpulpe umlagert, welche hier und da unterbrochen wird durch bald mehr bald weniger zahlreiche weisse Körper von grösserem oder kleinerem Umfange, einzeln oder zusammengesetzt, zuweilen fast traubenförmig. Der Bau dieser Milzfollikel, welche an den Scheiden der Arterien sitzen, stimmt in der Hauptsache mit dem der Lymphdrüsen-Follikel.
Wir können daher diese ganze Reihe von Apparaten als mehr oder weniger gleichwerthig mit den eigentlichen Lymphdrüsen betrachten; eine Anschwellung der Milz oder der Darmfollikel wird unter Umständen eine ebenso reichliche Zufuhr von farblosen Blutkörperchen liefern können, wie dies bei einer Anschwellung einer Lymphdrüse der Fall ist. Diese Möglichkeit erklärt es, dass in der Cholera, wo die Veränderung der solitären und Peyerschen Follikel im Darm besonders hervortritt, während die Schwellung der übrigen Lymphdrüsen viel weniger ausgebildet ist, ausserordentlich frühzeitig eine bedeutende Vermehrung der farblosen Blutkörperchen eintritt[82]. Dies erklärt es ferner, warum bei solchen Pneumonien, die mit grossen Schwellungen der Bronchialdrüsen verbunden sind, gleichfalls eine Vermehrung der farblosen Blutkörperchen stattfindet, welche in anderen Formen der Pneumonie, die nicht mit einer solchen Schwellung verbunden sind, fehlt. Je mehr die Reizung von der Lunge auf die Lymphdrüsen übergreift, je reichlicher von der Lunge schädliche Flüssigkeiten den Drüsen zugeführt werden, um so deutlicher erleidet das Blut diese besondere Veränderung.
Wenn man auf diese Weise die verschiedenen Krankheiten durchmustert, so lässt sich in der That vom morphologischen Standpunkte aus gar nichts auffinden, was auch nur entfernt die Annahme eines Zustandes, der Pyämie zu nennen wäre, rechtfertigte. In den überaus seltenen Fällen, wo Eiter in Venen durchbricht, können unzweifelhaft dem Blute eiterige Bestandtheile zugeführt werden, allein hier ist die Einfuhr von Eiter meist eine einmalige. Der Abscess entleert sich, und ist er gross, so geschieht eher eine Extravasation von Blut, als dass eine anhaltende Pyämie zu Stande käme. Vielleicht wird es einmal gelingen, im Verlaufe eines solchen Vorganges Eiterkörperchen mit bestimmten Charakteren im Blute aufzufinden; bis jetzt steht aber die Sache so, dass man mit grösster Bestimmtheit behaupten kann, es sei Niemandem gelungen, mit Gründen, die auch nur einer milden Beurtheilung genügen könnten, die Anwesenheit einer morphologischen Pyämie darzuthun. Es muss daher dieser Name als Bezeichnung für eine durch die Beimischung bestimmter sichtbarer Gebilde hervorgebrachte Blutveränderung gänzlich aufgegeben werden.
Fußnoten:
[75] Archiv I. 242. Gesammelte Abhandl. 161, 223, 645.
[76] Archiv I. 175, 181.
[77] Handb. der spec. Pathol. u. Ther. I. 282–284. Archiv XXXIV. 69. Geschwülste II. 593.
[78] Archiv I. 182.
[79] Gesammelte Abhandl. 666.
[80] Vergl. über die Prioritätsfrage mein Archiv V. 45, 77. VII. 174, 565.
[81] Verhandl. der Gesellschaft für Geburtshülfe in Berlin. 1848. III. 174. Gesammelte Abhandl. 760, 777.
[82] Medic. Reform. 1848. No. 12. u. 15. Gaz. méd. de Paris. 1849. No. 3.
Pyämie und Phlebitis. Capillar-Phlebitis und Stase. Thrombosis: parietale und obstruirende; adhäsive und suppurative. Puriforme Erweichung der Thromben: Detritus des Fibrins, Auflösung der rothen Körperchen. Die wahre und falsche Phlebitis. Eitercysten des Herzens.
Embolie. Bedeutung der fortgesetzten Thromben. Lungenmetastasen. Zertrümmerung der Emboli. Verschiedener Charakter der Metastasen. Endocarditis und capilläre Embolie. Latente Pyämie.
Inficirende Flüssigkeiten. Infectiöse Erkrankung der lymphatischen Apparate und der Milz, der Secretionsorgane und der Muskeln. Chemische Substanzen im Blute: Silbersalze, Arthritis, Kalkmetastasen. Ichorrhämie. Fremde Körperchen in der Blutmischung: Zellen, Hämatozoen, Pilze, Körner. Pyämie als Sammelname.
Ich habe in dem vorangehenden Capitel die Lehre von der Pyämie in Beziehung auf die im Blute vorkommenden zelligen Gebilde einer genaueren Betrachtung unterworfen, weil sich gerade daran die Quelle mancher, auch für andere Gebiete der Pathologie lehrreicher Irrthümer und eine richtigere Methode der Beobachtung und Beurtheilung besonders gut darlegen lässt. Wenn ich nochmals darauf zurückkomme, um die geschichtliche Entwickelung dieser Lehre und ihre thatsächlichen Grundlagen zu erörtern, so geschieht es nicht bloss der entscheidenden Wichtigkeit wegen, welche diese Lehre für die Auffassung der Metastasen und aller metastasirenden Dyscrasien hat, sondern auch, weil ich mich berechtigt erachte, gerade in einem Gebiete, in welchem ich viele Jahre lang mit eigenen Untersuchungen beschäftigt war, ein beglaubigtes Urtheil aussprechen zu können.
Bis in die neueste Zeit hat man ganz besondere Beziehungen der Pyämie zu Gefässaffectionen und namentlich zu Gefässentzündungen[83][235] angenommen. Namentlich seitdem man sich genöthigt sah, die Ansicht aufzugeben, wonach die Eitermasse, welche man in der Vene zu sehen glaubte, durch eine Oeffnung der Wand oder eine klaffende Lichtung in dieselbe eingedrungen (absorbirt) sein sollte, kehrte man zu der von John Hunter begründeten Lehre von der Phlebitis[84] zurück. Viele betrachteten dem entsprechend den Eiter als ein Absonderungsproduct der Gefässwand. Die Beweise für diese Ansicht waren aber schwer zu liefern, nachdem man durch die Erfahrung belehrt war, dass eine primär eiterige Venenentzündung nicht vorkomme, sondern dass, wie zuerst von Cruveilhier mit Bestimmtheit nachgewiesen ist, im Anfange jeder sogenannten Phlebitis oder Arteriitis immer ein Blutgerinnsel innerhalb des Gefässes gebildet wird. Aber Cruveilhier selbst war durch diese Erfahrung so sehr überrascht worden, dass er eine Theorie daran knüpfte, welche gegenwärtig kaum noch begreiflich ist. Er schloss nämlich aus der Unmöglichkeit, in der er sich befand, zu erklären, warum die Entzündung der Venen mit Gerinnung des Blutes anfange, dass überhaupt jede Entzündung in einer Gerinnung von Blut bestände. Die Unmöglichkeit, die Phlebitis zu erklären, schien beseitigt dadurch, dass die Gerinnung des Blutes innerhalb der Gefässe zu einem allgemeinen Gesetze der Entzündungslehre erhoben und auch die gewöhnliche Entzündung auf eine Phlebitis im Kleinen, die von ihm sogenannte Capillarphlebitis, bezogen wurde. Diese Capillarphlebitis war nahezu identisch mit der in der deutschen Pathologie gebräuchlichen Stase; der abweichende Ausdruck des französischen Forschers erklärt sich nur dadurch, dass er sich eine eigenthümliche Ansicht über die Existenz besonderer, kleinster Venen in den Theilen gebildet hatte, auf welche er nicht bloss die Ernährung, sondern auch die Bildung von Cysten, Tuberkeln, Krebs, kurz aller wichtigeren anatomischen Prozesse zurückführte. Diese Art zu denken blieb aber der grossen Mehrzahl der gelehrten und noch mehr der ungelehrten Aerzte so vollständig fremd, dass die einzelnen Schlussthesen von Cruveilhier, die man in seiner Formulirung in die Wissenschaft aufnahm, ganz und gar missverstanden wurden.
Freilich hatte er in dem einen Punkte Recht, der auch seitdem mehr und mehr anerkannt worden ist, dass der sogenannte Eiter in den Venen nie zuerst an der Wand liegt, sondern immer zuerst in der Mitte eines schon vor ihm vorhandenen Blutgerinnsels auftritt, welches den Anfang des Prozesses überhaupt bezeichnet. Aber er fand für diese vortreffliche Beobachtung keine richtige Erklärung. Er stellte sich vor, dass die Eitersecretion von den Wandungen des Gefässes aus stattfinde, dass aber der Eiter nicht an der Wand liegen bleibe, sondern vermöge der „Capillarität“ sofort bis in die Mitte des Coagulums wandere. Es war das eine sehr sonderbare Theorie, die sich auch dann nur annähernd begreift, wenn man erwägt, dass in jener Zeit der Eiter noch für eine einfache Flüssigkeit (Solution) gehalten wurde. Erkennt man in dem Eiter ein flüssiges oder, genauer gesagt, ein bewegliches Gewebe, dessen wesentlicher Bestandtheil Zellen, also feste Theile sind, so fällt jene Deutung in sich selbst zusammen.
Allein trotz der falschen Deutung bleiben doch die Thatsachen stehen, gegen die sich auch heute nichts vorbringen lässt, dass als erste Erscheinung des örtlichen Vorganges, bevor etwas von Entzündung an der Gefässwand zu sehen ist, sich ein Blutgerinnsel findet, und dass etwas später inmitten dieses Gerinnsels sich eine Masse zeigt, welche ihrem Aussehen und ihrer Consistenz nach von dem Gerinnsel verschieden ist, dagegen mehr oder weniger Aehnlichkeit mit Eiter darbietet.
Fig. 78. Thrombose der Vena saphena. S Vena saphena, T Thrombus: v, v' klappenständige (valvuläre) Thromben, in der Erweichung begriffen und durch frischere und dünnere Gerinnselstücke verbunden; C, der fortgesetzte über die Mündung des Gefässes in die Vena curalis C' hineinragende Pfropf.
Von diesen Erfahrungen ausgehend, habe ich mich bemüht, die Lehre von der Phlebitis ihrem grössten Theile nach überhaupt[237] aufzulösen, indem ich für das Mystische, welches in Cruveilhier's Deutung lag, einfach den Ausdruck der Thatsachen einsetzte. Die Entzündung als solche ist nicht an Gerinnung gebunden; im Gegentheil hat sich herausgestellt, dass die Lehre von der Stase auf vielfachen Missverständnissen beruhe[85]. Es kann Entzündung bestehen bei vollkommen offenem Strome des Blutes innerhalb der Gefässe des afficirten Theiles. Lassen wir also die Entzündung überhaupt bei Seite, und halten wir uns einfach an die Gerinnung des Blutes, an die Bildung des Gerinnsels (Thrombus). Alsdann scheint es am meisten entsprechend, den ganzen Vorgang in dem Ausdrucke der Thrombose zusammenzufassen. Ich habe vorgeschlagen[86], diesen Ausdruck zu substituiren für die verschiedenen Namen von Phlebitis, Arteriitis u. s. w., insoweit es sich nehmlich wirklich um eine an Ort und Stelle geschehende Gerinnung des Blutes handelt.
Untersucht man die Geschichte dieser Thromben, so ergibt sich, dass dieselben in den Capillaren fast gar nicht vorkommen, sondern sich auf die Venen, die Arterien und das Herz beschränken, so zwar, dass auch die kleinsten Venen und Arterien davon beinahe ganz frei bleiben. Die Mehrzahl der Thromben entsteht ursprünglich als wandständige ( parietale), während neben ihnen der Strom des Blutes noch fortgeht; sie sind sämmtlich zu erklären aus örtlichen Veränderungen der Gefässwand und des Blutstromes, jedoch können zu dieser Erklärung auch allgemeine Veränderungen des Blutes oder der Blutströmung herangezogen werden, insofern sie auf das örtliche Verhalten des Blutstromes Einfluss ausüben. Selten finden sich gleich von vornherein total verstopfende (obstruirende) Thromben, bei denen der Blutstrom gänzlich unterbrochen ist; wo sie vorkommen, ohne dass besondere chemische Stoffe durch Einspritzung, Aetzung u. s. f. eingewirkt haben, da ist gewöhnlich schon vor der Thrombose ein Stillstand des Blutes (durch Ligatur, Compression) eingetreten und die Gerinnung ist als die natürliche Folge der Stagnation anzusehen.
In vielen Thromben kommt es überhaupt niemals zu der sogenannten[238] Eiterbildung. Im Gegentheil, es entsteht aus dem Gerinnsel ein Bindegewebs-Pfropf, gewöhnlich mit Pigment (Hämatoidin), zuweilen mit Gefässen. Dies hat man die adhäsive Phlebitis oder Arteriitis genannt. Bei der sogenannten suppurativen Phlebitis, der eigentlich gefürchteten Form, findet sich allerdings eine eiterartige Masse, allein diese stammt nicht von der Wand, sondern sie entsteht direkt durch eine Umwandlung zuerst der centralen Gerinnselschichten selbst, und zwar durch eine Umwandlung chemischer Art, wobei in ähnlicher Weise, wie man dies durch langsame Digestion von geronnenem Fibrin künstlich erzeugen kann, das Fibrin in eine feinkörnige Substanz zerfällt, und die ganze Masse in Detritus übergeht[87]. Es ist dies eine wirkliche Erweichung und Rückbildung der organischen Substanz: die Fäden des Fibrins zertrümmern in Stücke, diese wieder in kleinere und so fort, bis man nach einer gewissen Zeit fast die ganze Masse zusammengesetzt findet aus kleinen, feinen, blassen Körnern (Fig. 79, A). In Fällen, wo das Gerinnsel aus verhältnissmässig reinem Fibrin bestand, z. B. in parietalen Herzthromben, sieht man manchmal fast gar nichts weiter, als diese Körnchen.
Fig. 79. Puriforme Detritus-Masse aus erweichten Thromben. A die verschieden grossen, blassen Körner des zerfallenden Fibrins. B Die bei der Erweichung freiwerdenden, zum Theil in der Rückbildung begriffenen farblosen Blutkörperchen, a mit mehrfachen Kernen, b mit einfachen, eckigen Kernen und einzelnen Fettkörnchen, c kernlose (pyoide) in der Fettmetamorphose. C In der Entfärbung begriffene und zerfallende Blutkörperchen. Vergr. 350.
Das Mikroskop löst also die Schwierigkeiten sehr einfach auf, indem es nachweist, dass diese Masse, welche wie Eiter aussieht, kein Eiter ist. Denn wir verstehen unter Eiter eine wesentlich mit zelligen Elementen versehene Flüssigkeit. Ebenso wenig wie wir uns Blut ohne Blutkörperchen denken können, ebenso wenig existirt Eiter ohne Eiterkörperchen. Wenn wir hier aber eine Flüssigkeit finden, welche nichts weiter als eine mit Körnern durchsetzte Masse darstellt, so mag diese ihrem äusseren Habitus nach immerhin wie Eiter aussehen; nie darf man sie aber als[239] wirklichen Eiter deuten. Es ist eine puriforme Substanz, aber keine purulente.
Meistentheils aber erscheint neben diesen Körnern eine gewisse Zahl von anderen Bildungen, z. B. wirklich zellige Elemente (Fig. 79, B). Diese sind meist rund (sphärisch), seltener eckig, und enthalten in einer fein granulirten Substanz einen, zwei und mehr Kerne. Sie besitzen demnach in der That eine grosse Uebereinstimmung mit Eiterkörperchen, und wenn sehr oft in ihnen Fettkörnchen vorkommen, welche darauf hindeuten, dass es sich hier um ein Zerfallen (Necrobiose) handelt, so kommt, wie wir gesehen haben (S. 222), dasselbe ja auch an Eiterkörperchen vor. Wenn daher in solchen Fällen, wo die Menge des Detritus ganz überwiegend ist, kein Zweifel sein kann über das, was vorliegt, so können in anderen erhebliche Bedenken bestehen, ob nicht doch wirklicher Eiter vorhanden sei. Diese Bedenken lassen sich auf keine andere Weise lösen, als durch die Geschichte des Thrombus. Nachdem wir früher schon gesehen haben, dass farblose Blutkörperchen und Eiterkörperchen formell völlig mit einander übereinstimmen, so dass wirkliche Scheidungen zwischen ihnen unmöglich sind, so kann natürlich an einem Punkte, wo wir in einem Blutgerinnsel runde, farblose Zellen finden, die Frage, ob diese Zellen farblose Blutkörperchen sind, nur dadurch gelöst werden, dass ermittelt wird, ob die Körperchen schon in dem Thrombus vor der Erweichung vorhanden waren, oder ob sie erst bei derselben darin entstanden oder sonst wie hineingelangt sind. Es ergibt aber die Verfolgung der Vorgänge mit grosser Bestimmtheit, dass die Körperchen vor der Erweichung präexistiren, und wenn auch die Möglichkeit zugelassen werden muss, dass noch nach der Bildung des Thrombus farblose Blutkörperchen in denselben hineinkriechen, so ist dies doch nicht die Ursache der Erweichung, und noch weniger liegt ein Grund vor, anzunehmen, dass dieselben erst mit dem Eintritte der Erweichung entstehen oder in das Gerinnsel hineingelangen. Schon bei Untersuchung ganz frischer Thromben[88] findet man an manchen Stellen farblose Blutkörperchen in grossen Massen angehäuft; wenn später der Faserstoff zerfällt, so werden sie in solcher Zahl frei, dass der Detritus fast so zellenreich wie Eiter ist. Es verhält sich mit diesem Vorgange,[240] wie wenn ein mit körperlichen Theilen ganz durchsetztes Wasser gefroren ist und dann einer höheren Temperatur ausgesetzt wird; beim Schmelzen des Eises müssen natürlich die eingeschlossenen Körper wieder zum Vorschein kommen.
Gegen diese Darstellung kann ein Umstand eingewendet werden, nehmlich der, dass man nicht in der gleichen Weise die rothen Blutkörperchen frei werden sieht. Die rothen Körperchen gehen indess gewöhnlich sehr frühzeitig zu Grunde. Sie verlieren zuerst ihren Farbstoff, verkleinern sich dabei, indem dunkle Körnchen an ihrem Umfange hervortreten (Fig. 63, a; 79, C), und verschwinden endlich ganz, indem nur diese Körnchen übrig bleiben[89], welche später resorbirt werden. Der aus den Körperchen ausgetretene Farbstoff zersetzt sich und verliert nach und nach sein rothes Colorit. Nur sehr selten erhalten sich die rothen Körperchen noch in der Erweichungsmasse. In der Regel gehen sie zu Grunde, und gerade dadurch erklärt sich die auffällige Eigenthümlichkeit, dass aus dem rothen Thrombus eine gelbweisse Flüssigkeit entsteht, die das Ansehen und die Farbe, ja sogar zum Theil die histologische Zusammensetzung von Eiter hat. Auch dafür kann man ohne besondere Schwierigkeiten die Deutung finden; man muss sich nur erinnern, wie gering die Widerstandsfähigkeit der rothen Blutkörperchen gegen die verschiedensten Agentien ist. Wenn man zu einem Blutstropfen unter dem Mikroskope einen Tropfen Wasser setzt, so sieht man die rothen Körperchen vor den Augen verschwinden, während die farblosen zurückbleiben.
Das, was man im gewöhnlichen Sinne eine suppurative Phlebitis nennt, ist also weder suppurativ, noch Phlebitis, sondern es ist ein Process, der mit einer Gerinnung, einer Thrombusbildung aus dem Blute beginnt, und der später die Thromben erweichen macht; die Geschichte des Processes beschränkt sich zunächst auf die Geschichte des Thrombus. Ich muss aber gerade hier hervorheben, dass ich nicht, wie man mir hier und da nachgesagt hat, die Möglichkeit einer wirklichen Phlebitis (oder Arteriitis) in Abrede stelle, oder dass ich irgend wie gefunden hätte, es gäbe[241] keine Phlebitis. Allerdings gibt es eine Phlebitis[90]. Aber diese ist eine Entzündung, die wirklich die Wand und nicht den Inhalt des Gefässes betrifft. An grösseren Gefässen können sich die verschiedensten Wandschichten (Intima, Media, Adventitia) entzünden und alle möglichen Formen der Entzündung eingehen, wobei aber das Lumen ganz intakt bleiben mag. Nach der früheren Auffassung betrachtete man die innere Gefässhaut wie eine seröse Haut, und wie eine solche leicht fibrinöse Exsudate oder eiterige Massen hervorbringt, so setzte man dasselbe bei der inneren Gefässhaut voraus. Ueber diesen Punkt ist seit Jahren eine Reihe von Untersuchungen angestellt, und ich selbst habe mich vielfach damit beschäftigt, aber es ist bis jetzt noch keinem Experimentator, welcher vorsichtig das Blut von dem Einströmen in die Gefässe abhielt, gelungen, ein Exsudat zu erzeugen, welches in das Lumen abgesetzt wurde. Vielmehr geht, wenn die Wand sich entzündet, das „Exsudat“ in die Wand selbst; diese verdickt sich, trübt sich, und fängt möglicherweise späterhin an zu eitern. Ja, es können sich Abscesse bilden, welche die Wand nach beiden Seiten hin wie eine Pockenpustel hervordrängen, ohne dass eine Gerinnung des Blutes im Lumen erfolgt. Andere Male freilich wird die eigentliche Phlebitis (und ebenso die Arteriitis und Endocarditis) die Bedingung für Thrombose, indem sich auf der inneren Wand Unebenheiten, Höcker, Vertiefungen und selbst Ulcerationen bilden, welche für die Entstehung eines Thrombus Anhaltspunkte bieten. Allein da, wo eine Phlebitis in dem gebräuchlichen Sinne des Wortes stattfindet, ist die Veränderung der Gefässwand fast immer eine secundäre, welche sogar verhältnissmässig spät zu Stande kommt.
Die jüngsten Theile des Thrombus bestehen immer aus frischerem Gerinnsel. Die Erweichung, das Schmelzen (Colliquatio) beginnt in der Regel an den ältesten Schichten, so dass also, wenn der Thrombus eine gewisse Grösse erreicht hat, sich in seiner Mitte oder an seiner Basis eine mehr oder weniger grosse Höhle findet, die allmählich sich vergrössert und der Gefässwand näher rückt. Aber in der Regel ist dieselbe nach oben und häufig auch nach unten durch einen frischeren, derberen Theil des Gerinnsels wie durch eine Kappe abgeschlossen; dadurch wird,[242] wie Cruveilhier sich ausdrückte, der „Eiter“ sequestrirt und die Berührung des Detritus mit dem circulirenden Blute gehindert. Nur seitlich oder im Grunde erreicht die Erweichung endlich die Wand des Gefässes selbst; diese verändert sich, es beginnt eine Verdickung und zugleich Trübung derselben, und endlich erfolgt selbst eine Eiterung innerhalb der Wandungen.
Dasselbe, was wir bis jetzt an den Venen betrachtet haben, kommt auch am Herzen vor. Namentlich am rechten Ventrikel sieht man nicht selten sogenannte Eitercysten zwischen den Trabekeln der Herzwand. Sie ragen gegen die Höhle mit rundlichen Knöpfchen hervor und stellen kleine Beutel dar, welche beim Anschneiden einen weichen Brei enthalten, der ein vollkommen eiterartiges Ansehen haben kann. Mit diesen Eitercysten, welche übrigens zuerst die Veranlassung gewesen sind, dass Piorry seine Lehre von der Hämitis und der damit zusammenhängenden Pyämie aufstellte, hat man sich unendlich viel geplagt und alle nur möglichen Theorien darüber gemacht, bis endlich die einfache Thatsache herauskam, dass ihr Inhalt häufig weiter nichts als ein feinkörniger Brei von eiweissartigen Theilchen ist, der auch nicht die mindeste feinere Uebereinstimmung mit dem Eiter darbietet. Dies war insofern beruhigend, als noch keine Beobachtung vorliegt, dass ein Kranker, der solche Säcke in grösserer Zahl hatte, durch Pyämie zu Grunde gegangen wäre, aber es hätte denjenigen auffallen sollen, welche so leicht geneigt sind, die Pyämie mit peripherischen Thrombosen, die doch ganz dasselbe sind, in Verbindung zu setzen.
Denn natürlich entsteht die Frage, in wie weit durch die Erweichung der Thromben besondere Störungen im Körper hervorgerufen werden können, welche man mit dem Namen Pyämie bezeichnen dürfte. Hierauf ist zunächst zu erwidern, dass allerdings sehr häufig secundäre Störungen veranlasst werden, aber nicht so sehr dadurch, dass die flüssigen Erweichungsmassen unmittelbar in das Blut gelangen, als vielmehr dadurch, dass grössere oder kleinere Stücke von dem centralen Ende des erweichenden Thrombus abgelöst, mit dem Blutstrom fortgeführt und in entfernte Gefässe eingetrieben werden. Dies gibt den sehr häufigen Vorgang der von mir so genannten Embolie[91], —[243] die gröbste Form der im lebenden Körper vorkommenden Metastase.
Fig. 80. Autochthone und fortgesetzte Thromben. c, c' kleinere, varicöse Seitenäste (Venae circumflexae femoris), mit autochthonen Thromben erfüllt, welche über die Ostien hinaus in den Stamm der Cruralvene reichen. t, fortgesetzter Thrombus, durch concentrische Apposition aus dem Blute, entstanden. t' Aussehen eines fortgesetzten Thrombus, nachdem eine Ablösung von Stücken (Embolis) erfolgt ist.
Es ist dies ein Ereigniss, welches wir hier nur kurz berühren können. An den peripherischen Venen geht die Gefahr hauptsächlich von den kleinen Aesten aus. Gar nicht selten werden diese mit Gerinnselmasse ganz erfüllt. So lange indess der Thrombus sich nur in dem Aste selbst befindet, so lange ist für den Körper keine besondere Gefahr vorhanden: das Schlimmste ist, dass sich ein Abscess bildet, in Folge einer Peri- oder Mesophlebitis, der sich nach aussen öffnet. Allein die meisten Thromben der kleinen Aeste beschränken sich nicht darauf, bis an die Mündung derselben in den nächsten Stamm vorzudringen; gewöhnlich lagert sich an das Ende des Thrombus immer neue Gerinnselmasse Schicht um Schicht aus dem Blute ab, der Thrombus setzt sich über das Ostium des Astes hinaus in den nächsten Stamm in der Richtung des Blutstromes fort, wächst in Form eines dicken Cylinders weiter und wird immer grösser und grösser. Bald steht dieser fortgesetzte Thrombus (Fig. 80, t) in gar keinem Verhältnisse mehr zu dem ursprünglichen (autochthonen) Thrombus (Fig. 80, c), von dem er ausgegangen ist[92]. Der fortgesetzte[244] Thrombus kann die Dicke eines Daumens haben, der ursprüngliche die einer Stricknadel. Von dem ganz kleinen Pfropf einer Vena lumbalis kann z. B. ein Gerinnsel, so dick, wie die letzte Phalanx des Daumens, sich in die Cava fortsetzen.
Diese fortgesetzten Pfröpfe bringen die eigentliche Gefahr mit sich; an ihnen erfolgt die Abbröckelung, welche zu secundären Verschliessungen entfernter Gefässe führt. Hier ist der Ort, wo durch das vorüberströmende Blut grössere und kleinere Partikeln abgerissen werden (Fig. 80, t'). Durch das ursprünglich verstopfte Gefäss strömt überhaupt kein Blut, da ist die Circulation gänzlich unterbrochen; aber in dem grösseren Stamme, durch welchen das Blut immer noch fortgeht, und in welchen die fortgesetzten Thrombuszapfen hineinragen, kann der Blutstrom kleinere oder grössere Bruchstücke lostrennen, mitschleppen und in das nächste Arterien- oder Capillarsystem festkeilen.
So erklärt es sich, dass in der Regel alle Thromben in der Peripherie des Körpers, wenn überhaupt eine Embolie von ihnen ausgeht, secundäre Verstopfungen und Metastasen in der Lunge erzeugen. Ich habe lange Zweifel getragen, die metastatischen Entzündungen der Lunge sämmtlich als embolische zu betrachten, weil es sehr schwer ist, die Gefässe in den kleinen metastatischen Heerden zu untersuchen, aber ich überzeuge mich immer mehr von der Nothwendigkeit, diese Art der Entstehung als die Regel zu betrachten. Wenn man eine grössere Zahl von Fällen statistisch vergleicht, so zeigt sich, dass jedesmal, wo Metastasen in den Lungen vorkommen, auch Thrombose gewisser peripherischer Gefässe besteht. Wir hatten z. B. vom Herbst 1850 bis zum März 1858 eine ziemlich grosse Puerperalfieber-Epidemie in der Charité. Dabei stellte sich heraus, dass, so mannichfaltig die Formen der Erkrankung auch waren, doch alle diejenigen Fälle, in welchen Metastasen in den Lungen gefunden wurden, auch mit Thrombose im Bereiche des Beckens oder der unteren Extremitäten verlaufen waren. Bei den Lymphgefäss-Entzündungen fehlten die Lungenmetastasen[93]. Solche statistischen Resultate haben eine gewisse zwingende Nothwendigkeit, selbst wo der strenge anatomische Nachweis fehlt.
Fig. 81. Embolie der Lungenarterie. P Mittelstarker Ast der Lungenarterie. E der Embolus, auf dem Sporn der sich theilenden Arterie reitend. t, t' der einkapselnde (secundäre) Thrombus: t das Stück vor dem Embolus, bis zu dem nächst höheren Collateralgefäss c reichend; t' das Stück hinter dem Embolus, die abgehenden Aeste r, r' grossentheils füllend und zuletzt konisch endigend.
In die Lungen-Arterie dringen die eingeführten Thrombusstücke je nach ihrer Grösse verschieden weit ein. Gewöhnlich setzt sich ein solches Stück da fest, wo eine Theilung des Gefässes stattfindet (Fig. 81, E), weil die abgehenden Gefässe zu klein sind, um das Stück noch einzulassen. Bei sehr grossen Stücken werden schon die Hauptäste der Lungen-Arterie verstopft, und es tritt augenblickliche Asphyxie ein; ganz kleine Stücke gehen bis in die feinsten Arterien hinein und erzeugen von da aus die kleinsten, zuweilen miliaren Entzündungen des Parenchyms[94]. Für die Deutung dieser kleinen, oft sehr zahlreichen Heerde muss ich eine Vermuthung erwähnen, welche mir erst bei meinen späteren Untersuchungen gekommen ist, von welcher ich aber kein Bedenken trage, sie für eine unabweisliche auszugeben. Ich glaube nehmlich, dass, wenn ein grösseres Thrombusstück an einem bestimmten Punkte einer Arterie eingekeilt ist, hier noch eine weitere Zertrümmerung durch den andringenden Blutstrom stattfinden kann, so dass die Partikelchen, welche durch die Zertrümmerung des grossen Pfropfes entstehen, in die kleinen Aeste geführt werden, in welche sich das Gefäss auflöst. So allein scheint sich die Thatsache zu erklären, dass man oft im Bezirke einer und derselben grösseren Arterie eine grosse Menge von kleinen Heerden derselben Art und desselben Alters findet.
Alles das hat mit der Frage, ob im Blute Eiter ist oder nicht, gar nicht das Mindeste zu thun. Es handelt sich dabei um ganz andere Körper, um Theile von Gerinnseln in einem mehr oder weniger veränderten Zustande; je nachdem diese Veränderung den einen oder den anderen Charakter angenommen hat, kann auch die Natur der Prozesse, welche sich in Folge der Verstopfung bilden, sehr verschieden sein. Ist z. B. an dem ursprünglichen Orte eine faulige oder brandige Erweichung des Gerinnsels[246] eingetreten, so wird auch die Metastase einen fauligen oder brandigen Charakter annehmen, gerade so, wie dies bei einer Inoculation des fauligen oder brandigen Stoffes der Fall sein würde. Umgekehrt kommt es vor, dass die secundären Störungen, ähnlich denen am Orte der Lostrennung, sehr günstig verlaufen, indem der Embolus, wie der Thrombus, sich organisirt und Bindegewebe bildet.
Fig. 82. Ulceröse Endocarditis mitralis. a die freie, glatte Oberfläche der Mitralklappe, unter welcher die Bindegewebs-Elemente vergrössert und getrübt, das Zwischengewebe dichter sind. b eine stärkere hügelige Schwellung, bedingt durch zunehmende Vergrösserung und Trübung des Gewebes. c eine schon in Erweichung und Zertrümmerung übergegangene Schwellungsstelle. d, d das noch wenig veränderte Klappengewebe in der Tiefe, mit zahlreichen, gewucherten Körperchen. e, e der Beginn der Vergrösserung, Trübung und Wucherung der Elemente. Vergr. 80.
Diese Gruppe von Prozessen muss um so mehr losgelöst werden von der gewöhnlichen Geschichte der Pyämie, als dieselben Vorgänge sich jenseits der Lunge, auf der linken Seite des Stromgebietes wiederfinden; oft mit demselben Verlaufe, mit demselben Resultate, nur noch weniger abhängig von einer ursprünglichen Phlebitis. So bildet die Endocarditis nicht selten den Ausgangspunkt ähnlicher Metastasen[95]. Auf einer Herzklappe geschieht eine Ulceration, nicht durch Eiterbildung, sondern durch acute oder chronische Erweichung; zertrümmerte Partikeln der[247] Klappenoberfläche oder der auf dieser Oberfläche abgesetzten Parietalthromben werden vom Blutstrome fortgerissen und gelangen mit ihm an entfernte Punkte. Die Art der Verstopfung, welche diese Trümmer erzeugen, ist ganz ähnlich der, welche die Bruchstücke von Venenthromben machen, aber beide haben nicht genau dieselbe chemische Beschaffenheit. Auch begünstigt ihre Kleinheit und Mürbigkeit das Eindringen in die kleinsten Gefässe in hohem Maasse. Daher findet man nicht ganz selten in kleinen mikroskopischen Gefässen, welche mit blossem Auge gar nicht mehr zu verfolgen sind, die Verstopfungsmasse, gewöhnlich bis zu einer Theilungsstelle und noch etwas darüber hinaus. Diese Masse zeigt häufig eine körnige Beschaffenheit, jedoch nicht den groben Detritus, wie an der Vene, sondern eine ganz feine und zugleich sehr dichte Körnermasse; chemisch hat sie die für die Untersuchung überaus bequeme Eigenschaft, dass sie gegen die gewöhnlichen Reagentien sehr widerstandsfähig ist und sich dadurch von anderen Dingen leicht unterscheidet. Dies gibt die Capillarembolie[96],[248] eine der wichtigsten Formen der Metastase, welche häufig kleine Heerde in der Niere, in der Milz und im Herzfleische selbst hervorbringt, unter Umständen plötzliche Verschliessungen von Gefässen im Auge oder Gehirn bedingt und je nach Umständen zu metastatischen Heerden oder zu schnellen Functionsstörungen (Amaurose, Apoplexie) Veranlassung gibt. Auch hier kann man sich deutlich überzeugen, dass in frischen Fällen die Gefässwand an der embolischen Stelle ganz intakt ist; ja es würde hier die Lehre von der Phlebitis nicht mehr zureichen, indem dies überhaupt keine Venen, ja nicht einmal Gefässe sind, welche noch Vasa vasorum besitzen, und von welchen man annehmen könnte, dass von der Wand her eine Secretion nach innen ginge. Hier bleibt nichts übrig, als die Verstopfungsmasse als eine primär innen befindliche, die von den Zuständen der Wand in keiner Weise abhängig ist, anzuerkennen.
Fig. 83–84. Capillarembolie in den Penicilli der Milzarterie nach Endocarditis (Vgl. Gesammelte Abhandlungen zur wiss. Medicin 1856. S. 716). 83. Gefässe eines Penicillus bei 10maliger Vergrösserung, um die Lage der verstopfenden Emboli in dem Arteriengebiete zu zeigen. 84. Eine kurz vor ihrer Theilung und in den nächst abgehenden Aesten mit Bruchstücken der feinkörnigen Embolusmasse (vergl. Fig. 82, c) gefüllte Arterie. Vergr. 300.
Diese Darstellung wird hoffentlich dargethan haben, dass die Doctrin der Pyämie von zwei wesentlichen Irrthümern ausgegangen ist: einmal, dass man Eiterkörperchen im Blute zu finden glaubte, wo man nur die farblosen Elemente des Blutes selbst vor sich hatte; andermal, dass man Eiter in Gefässen zu sehen glaubte, wo nichts weiter als Erweichungsprodukte des Fibrins und der Blutkörperchen vorhanden waren. Wir haben gefunden, dass allerdings diese letztere Reihe die wichtigste Quelle für Metastasen abgibt. Nun ist aber nach meiner Meinung die Geschichte derjenigen Prozesse, die man unter dem Namen der Pyämie zusammengefasst hat, mit der Darstellung dieser Vorgänge (Leukocytose, Thrombose, Embolie) nicht zu Ende. Freilich, wenn der Prozess ganz rein verläuft, so dass sich von dem ersten Orte der Störung (Venenthrombose, Endocarditis u. s. w.) nur gröbere Massen ablösen und Verstopfung machen, so kommt in vielen Fällen der eigentliche Prozess nur durch die Metastase zur Beobachtung. Es gibt Fälle, welche so latent verlaufen, dass die ursprünglichen Ausgänge vollkommen übersehen werden, und dass der erste Schüttelfrost, dessen Eintritt den Kranken und den Arzt aufmerksam macht, schon die beginnende Entwickelung der metastatischen Prozesse anzeigt. Für gewöhnlich muss man aber noch ein anderes Moment in Betracht ziehen, welches weder für die gröbere, noch für die feinere anatomische Untersuchung direkt zugänglich ist; das sind gewisse Flüssigkeiten, welche an sich[249] gleichfalls keine unmittelbare und nothwendige Beziehung zum Eiter als solchem, sondern offenbar sehr verschiedene Beschaffenheit und Ableitung haben.
Schon bei der Betrachtung der Lymphveränderungen habe ich hervorgehoben (S. 226), dass Flüssigkeiten, welche von Lymphgefässen aufgenommen wurden, innerhalb der Lymphdrüsen-Filtren nicht nur von körperlichen Theilen befreit, sondern auch von der Substanz der Drüse zum Theil angezogen und zurückgehalten werden, so dass sie in derselben eine Wirksamkeit entfalten können. Aehnliche Einwirkungen scheinen auch über die Drüsen hinaus stattzufinden. Wo primär durch Venen die Resorption erfolgt[97], wo also überhaupt keine Drüsen zu passiren sind, da muss natürlich jedesmal eine Wirkung in die Ferne (eine Metastase) eintreten. Hierher gehört vor Allem eine Reihe von eigenthümlichen Erscheinungen, welche sich als constantes Element durch alle infectiösen Prozesse hindurchziehen. Das sind einerseits die Veränderungen, welche die lymphatischen und lymphoiden Drüsen, nicht sowohl am Orte der primären Affection, als vielmehr im Körper überhaupt erleiden können, andererseits die Veränderungen, welche die Secretionsorgane darbieten, durch welche die Stoffe ausgeschieden werden sollen[98].
Man hat eine Zeit lang geglaubt, dass der Milztumor für den Typhus pathognomonisch sei, indem er den Drüsenanschwellungen im Mesenterium parallel gehe. Allein eine genauere Beobachtung lehrt, dass eine grosse Reihe von fieberhaften Zuständen, welche einen mehr oder weniger typhoiden Verlauf machen und den Nervenapparat so afficiren, dass ein Zustand der Depression an den wichtigsten Centralorganen zu Stande kommt, mit Milzschwellungen auftreten. Die Milz ist ein ausserordentlich empfindliches Organ, das nicht nur beim Wechselfieber und Typhus, sondern auch (mit Ausnahme der eigentlichen Vergiftungen) bei den meisten anderen Prozessen schwillt, in denen eine reichliche Aufnahme von schädlichen, inficirenden Stoffen in das Blut erfolgte. Allerdings muss die Milz immer in ihrer nahen Verwandtschaft zum Lymphapparate betrachtet werden, aber ihre Erkrankungen stehen ausserdem gewöhnlich in einem sehr direkten Verhältnisse[250] zu analogen Erkrankungen der wichtigen Nachbardrüsen, insbesondere der Leber und der Nieren. Bei den meisten Infectionszuständen zeigen diese drei Apparate correspondirende Vergrösserungen, welche mit wirklichen Veränderungen im Innern verbunden sind, die jedoch selbst bei der mikroskopischen Untersuchung scheinbar nichts Bemerkenswertes darbieten, so dass das grobe Resultat für das blosse Auge, die starke Schwellung, für den Beobachter viel mehr auffällig ist. Bei umsichtiger Vergleichung findet sich indess ziemlich viel, so dass wir mit Bestimmtheit sagen können, dass die Drüsenzellen schnell verändert werden und frühzeitig an den Elementen, durch welche die Secretion geschehen soll, eine Störung sich einstellt. Aehnlich verhält es sich mit den quergestreiften Muskeln und namentlich mit dem Herzen, dessen Veränderungen für die Erklärung der Symptome von höchster Bedeutung sind.
Ich werde darauf zurückkommen, da es mir nützlicher erscheint, zunächst auf ein Paar gröbere Beispiele einzugehen, welche die Möglichkeit einer unmittelbaren Anschauung solcher, aus dem Blute in die Theile eindringender und sich darin absetzender Stoffe gewähren.
Wenn Jemand Silbersalze gebraucht, so erfolgt ein Eindringen derselben in die Gewebe; wenden wir sie nicht in eigentlich ätzender, zerstörender Weise an, so gelangt das Silber in einer Verbindung, deren Natur bis jetzt nicht hinreichend bekannt ist, in die Gewebstheile und erzeugt an der Applicationsstelle, wenn es lange genug angewendet wird, eine Farbenveränderung. Ein Kranker, welchem in der Klinik des verstorbenen v. Gräfe eine Lösung von Argentum nitricum zu Umschlägen auf das Auge verordnet war, gebrauchte als gewissenhafter Patient das Mittel vier Monate lang; das Resultat davon war, dass seine Conjunctiva ein intensiv bräunliches, fast schwarzes Aussehen annahm. Bei Untersuchung eines ausgeschnittenen Stückes derselben fand ich, dass eine Aufnahme des Silbers in die Substanz erfolgt war, so zwar, dass an der Oberfläche das ganze Bindegewebe eine leicht gelbbraune Farbe besass, in der Tiefe aber nur in den feinen elastischen Fasern oder Körperchen des Bindegewebes die Ablagerung stattgefunden hatte; die eigentliche Grund- oder Intercellularsubstanz war vollkommen frei geblieben. — Ganz ähnliche Ablagerungen geschehen auch in entfernteren Organen bei innerem[251] Gebrauche des Mittels. Die anatomische Sammlung des pathologischen Instituts enthält das sehr seltene Präparat von den Nieren eines Menschen, welcher wegen Epilepsie lange Argentum nitricum innerlich genommen hatte. Da zeigt sich an den Malpighischen Knäulen der Niere, wo die Transsudation der Flüssigkeiten geschieht, eine schwarzblaue Färbung der ganzen Gefässhaut, welche sich auf diesen Punkt der Rinde beschränkt und in ähnlicher, obwohl schwächerer Weise nur wieder auftritt in der Zwischensubstanz der Markkanälchen. In der ganzen Niere sind also ausser denjenigen Theilen, welche den eigentlichen Ort der Absonderung ausmachen, nur die verändert, welche der letzten Capillarauflösung in der Marksubstanz entsprechen. — Von der bekannten Silberfärbung der äusseren Haut brauche ich hier nicht zu sprechen.
Ein anderes Beispiel bietet uns die Gicht. Untersuchen wir den Gelenktophus eines Arthritikers, so finden wir ihn zusammengesetzt aus sehr feinen, nadelförmigen, krystallinischen Abscheidungen, aus harnsaurem Natron bestehend, zwischen denen höchstens hier und da ein Eiter- oder Blutkörperchen liegt. Hier handelt es sich also, wie bei dem Silbergebrauch, um eine körperliche Substanz, welche in der Regel durch die Nieren abgeschieden wird, und zwar nicht selten so massenhaft, dass schon innerhalb der Nieren selbst Niederschläge sich bilden, und namentlich in den Harnkanälchen der Marksubstanz grosse Krystalle von harnsaurem Natron sich anhäufen, zuweilen bis zu einer Verstopfung der Harnkanälchen. Wenn jedoch diese Secretion nicht regelmässig vor sich geht, so erfolgt zunächst eine Anhäufung der harnsauren Salze im Blute, wie dies durch eine sehr bequeme Methode von Garrod nachgewiesen worden ist. Dann beginnen Ablagerungen an anderen Punkten, nicht durch den ganzen Körper, nicht an allen Theilen gleichmässig, sondern an bestimmten Punkten und nach gewissen Regeln. Ganz ähnliche Ablagerungen von harnsauren Salzen, und zwar in den Bindegewebskörperchen und den Lymphgefässen des Bauchfells kann man nach den experimentellen Untersuchungen von Zalesky und Chrzonszczewski erzeugen, wenn man bei Vögeln die Ureteren unterbindet.
Dies sind ganz andere Formen der Metastase, als die, welche wir bei der Embolie kennen gelernt haben. Dass die Veränderungen, welche in der Nierensubstanz durch die Aufnahme von[252] Silber vom Magen her erfolgen, mit dem übereinstimmen, was man von Alters her in der Pathologie Metastase genannt hat, ist nicht zweifelhaft. Es ist dies ein materieller Transport von einem Orte zum andern (vom Magen zur Niere), wo an diesem zweiten Orte dieselbe Substanz, wenn auch etwas verändert, liegen bleibt, welche vorher an dem anderen vorhanden war, und wo das Secretionsorgan in sein Gewebe Partikelchen des Stoffes aufnimmt. Dasselbe wiederholt sich in der Geschichte aller jener Metastasen, bei denen im Blute selbst nur gelöste Stoffe und nicht Partikelchen von sichtbarer, mechanischer Art (Körner, Körperchen) sich finden. Denn auch das harnsaure Natron im Blute des Arthritikers kann man so wenig direkt sehen, als die Silbersalze; man müsste sie denn erst durch chemische Prozesse sammeln.
In dieselbe Kategorie gehört eine neue, freilich sehr seltene Art von Metastase, welche ich beschrieben habe. Bei massenhafter Resorption von Kalksalzen aus den Knochen, insbesondere bei ausgedehnter Geschwulstbildung (Knochenkrebs), wird in der Regel die Knochenerde massenhaft durch die Nieren ausgeschieden, so dass sich Sedimente im Harne bilden. Die Kenntniss dieser Erscheinung hat sich von der berühmten Frau Supiot her aus dem vorigen Jahrhundert in der Geschichte der Osteomalacie erhalten. Aber diese regelrechte Abscheidung der Kalksalze wird nicht selten durch Störungen der Nierenfunction in derselben Weise alterirt, wie bei Arthritis die Abscheidung des harnsauren Natrons; dann entstehen ebenso Metastasen von Knochenerde, aber an anderen Punkten, namentlich den Lungen und dem Magen. Die Lungen verkalken bisweilen in grossen Bezirken, ohne dass die Permeabilität der Respirationswege leidet; die erkrankten Theile sehen wie feiner Badeschwamm aus. Die Magenschleimhaut erfüllt sich in ähnlicher Weise mit Kalksalzen, so dass sie sich wie ein Reibeisen anfühlt und unter dem Messer knirscht, ohne dass die Magendrüsen unmittelbar daran betheiligt werden; sie stecken nur in einer starren Masse, und es mag sogar noch eine Secretion aus ihnen erfolgen[99].
Diese Art von Metastasen, wo bestimmte Substanzen, aber nicht in einer palpablen Form, sondern in Lösung in die Blutmasse gelangen, muss jedenfalls für die Deutung des Complexes[253] von Zuständen, welche man in den Begriff der Pyämie zusammenfasst, wohl berücksichtigt werden. Ich sehe wenigstens keine andere Möglichkeit der Erklärung für gewisse mehr diffuse Prozesse, die nicht in der Form der gewöhnlichen umschriebenen Metastasen auftreten. Dahin gehört die allerdings seltene metastatische Pleuritis, welche ohne metastatischen Abscess in der Lunge sich entwickelt, die scheinbar rheumatische Gelenkaffection, bei der man an den Gelenken keinen bestimmten Heerd findet, die diffuse gangränöse Entzündung des Unterhautgewebes, welche nicht wohl gedacht werden kann, ohne dass man auf eine mehr chemische Art der Infection zurückgeht. Hier handelt es sich, wie man bei der Pocken- und der Leicheninfection sieht, um eine Uebertragung von verdorbenen, ichorösen Säften auf den Körper, und man muss eine Dyscrasie (ichoröse Infection, Ichorrhämie) zulassen, wo in acuter Weise diese in den Körper gelangte ichoröse Substanz an den Organen, welche eine besondere Prädilection oder Affinität dazu haben, ihre Wirkung entfaltet[100].
Allerdings ist es sehr schwer, gegenwärtig genau anzugeben, welcher Natur die sogenannten ichorösen Säfte sind. Insbesondere lässt sich die Möglichkeit nicht verkennen, dass mit den Flüssigkeiten allerlei feste Theile in die Circulation gelangen, und es mag sein, dass in vielen Fällen diese festen Theile eine grössere Bedeutung haben, als die blosse Flüssigkeit. Diese, der Blutmischung fremden Körperchen können wiederum sehr verschiedener Natur sein. In manchen Fällen liegt es nahe, an wirkliche Zellen zu denken, welche von einem Orte des Körpers aus in die Gefässe aufgenommen werden. Nachdem Saviotti selbst eine Pigmentzelle aus dem Bindegewebe der Froschschwimmhaut in ein Gefäss hat einwandern sehen, lassen sich ähnliche Vorgänge leicht in grosser Zahl denken. Daran schliesst sich das Vorkommen fremder Organismen im Blute. Bei verschiedenen Wirbelthieren kennt man Hämatozoen, welche offenbar von aussen her in die Gefässe dringen und im Blute circuliren. Beim Menschen ist ausser dem in Aegypten vorkommenden Distomum haematobium wenig Genaueres bekannt, und es ist namentlich zu erwähnen, dass die Einwanderung der Trichinen, soweit sich übersehen lässt, in der Regel nicht durch die Gefässe,[254] sondern direkt durch die Gewebe und Höhlen des Körpers erfolgt[101]. Anders verhält es sich dagegen mit einer Reihe jener kleinsten Organismen, die unter den Namen von Vibrionen, Bakterien, Micrococcus aufgeführt werden, und die in der neueren Literatur überwiegend als pflanzliche Organismen betrachtet werden. Sie haben eine um so grössere Bedeutung, als sie eine grosse Zahl maligner Prozesse am Menschenleibe, namentlich die fauligen und brandigen, bewirken und sich den ichorösen Säften vielfach zumischen. Auch finden sie sich bei Leichen sehr häufig in inneren Gefässen des Körpers, und man hat sie im Blute lebender Menschen und Thiere nachgewiesen. Direkte Injectionen von Sporen eines grösseren Fadenpilzes, des Aspergillus, welche Grohe in die Gefässe lebender Thiere veranstaltete, haben überdies gelehrt, dass in den verschiedensten Theilen die Sporen keimten und „metastatische Heerde“ hervorbrachten. — Erinnert man sich endlich daran, dass nach den Untersuchungen v. Recklinghausen's, welche seitdem vielfach wiederholt worden sind, unlösliche Körnchen von Farbstoff, welche in die Höhlen oder Gefässe von Thieren eingespritzt werden, von den farblosen Blutkörperchen und anderen Gewebselementen aufgenommen und von ihnen auf ihren Wanderungen mit fortgetragen werden, so erschliesst sich hier noch ein reiches Gebiet möglicher Veränderungen des menschlichen Körpers, deren genauere Analyse uns erst gestatten wird, zu entscheiden, wie viel von der schädlichen Eigenschaft der ichorösen Säfte körperlichen Beimischungen, wie viel chemischen Stoffen zuzuschreiben ist. Immerhin können wir vor der Hand die ichoröse Infection als ein besonderes Glied neben der Leukocytose und Embolie festhalten.
Bevor wir jedoch dieses Capitel schliessen, müssen wir noch eine wichtige Bemerkung in Beziehung auf die sogenannte Pyämie hinzufügen. Es kommt nicht selten vor, dass im Laufe desselben Krankheitsfalles die drei verschiedenen, von uns betrachteten Veränderungen oder wenigstens zwei derselben neben einander bestehen. Es kann eine Vermehrung der farblosen Körperchen (Leukocytose) der Art stattfinden, dass man an die morphologische Pyämie glauben möchte. Dies wird jedenfalls immer stattfinden, wenn der[255] Prozess mit ausgedehnter Reizung von Lymphdrüsen verbunden war. Man kann ferner Thrombenbildung und Embolie mit metastatischen Heerden finden. Es kann endlich zugleich eine Aufnahme von ichorösen oder fauligen Säften statthaben (Ichorrhämie, Septhämie). Diese in sich verschiedenen Zustände können sich compliciren, fallen aber darum nicht nothwendig zusammen. Will man daher den Begriff der Pyämie festhalten, so kann man es am Besten für solche Complicationen thun; nur muss man nicht einen einheitlichen Mittelpunkt in einer eiterigen Infection des Blutes suchen, sondern die Bezeichnung als einen Sammelnamen für mehrere, ihrem Wesen und ihrem Ausgangspunkte nach verschiedenartige Vorgänge betrachten.
Fußnoten:
[83] Gesammelte Abhandlungen S. 636.
[84] Ebendas. S. 458.
[85] Handb. der spec. Pathol. und Ther. I. 53. J. H. Boner Die Stase nach Experimenten an der Froschschwimmhaut. Würzburg 1856.
[86] Handbuch der spec. Path. I. 159.
[87] Zeitschrift für rationelle Medicin. 1846. V. 226. Gesammelte Abhandlungen S. 95, 104, 328, 524.
[88] Gesammelte Abhandlungen 515.
[89] Beiträge zur experimentellen Pathologie. II. 12. Archiv I. 245, 383.
[90] Gesammelte Abhandlungen 484.
[91] Handb. der spec. Path. und Ther. I. 167. Gesammelte Abhandl. 640.
[92] Froriep's Notizen. 1846. Januar. No. 794. Gesammelte Abhandlungen 225, 232.
[93] Monatsschrift für Geburtskunde. XI. 413.
[94] Gesammelte Abhandlungen 285 ff.
[95] Archiv 1847. I. 338 ff.
[96] Gesammelte Abhandl. 711. Archiv IX. 307. X. 179.
[97] Handbuch der speciellen Pathologie. I. 297. Gesammelte Abhandl. 698.
[98] Gesammelte Abhandlungen 701.
[99] Archiv VIII. 103. IX. 618.
[100] Gesammelte Abhandl. 702. Verh. der Ges. für Geburtsh. 1865. XVII. 23.
[101] Archiv XVIII. S. 535. Die Lehre von den Trichinen. 3. Aufl. Berlin 1866. S. 32.
Abhängigkeit der Dyscrasien und ihrer Dauer von der Zufuhr der Stoffe. Bösartige Geschwülste: Krebs-Dyscrasie. Locale und allgemeine Contagion durch infectiöse Parenchym-Säfte. Bedeutung der Zellen für die Dissemination und Metastase. Natur der virulenten Substanzen. Regressive Stoffe als Mittel der Infection: Rotz, Syphilis, Tuberkel. Impfungen. Wanderung infectiöser Elemente. Homologe und heterologe Infection.
Melanämie. Beziehung zu melanotischen Geschwülsten und Intermittens. Abhängigkeit von Milzfärbung.
Die rothen Blutkörperchen. Entstehung. Die melanösen Formen. Chlorose. Lähmung der respiratorischen Substanz: Kohlenoxyd. Blutgifte, Toxicämie.
Verschiedene Entstehung der Dyscrasien.
Im Vorhergehenden haben wir nicht nur körperliche Theile, sondern auch chemische Stoffe als Vermittler von Dyscrasien kennen gelernt und gefunden, dass diese Dyscrasien eine bald längere, bald kürzere Dauer haben, je nachdem die Zufuhr jener Theile oder Stoffe kürzere oder längere Zeit andauert. Kommen wir nunmehr kurz zu der Frage zurück, ob neben diesen Formen noch irgend eine Art von Dyscrasie nachweisbar ist, bei der das Blut als der dauerhafte Träger bestimmter Veränderungen erscheint, so müssen wir diese Frage entschieden verneinen.
Je deutlicher nachweisbar eine wirkliche Verunreinigung des Blutes mit bestimmten, seiner Mischung fremdartigen Stoffen ist, um so regelmässiger pflegt der Verlauf der dadurch hervorgerufenen Krankheitsprozesse ein relativ acuter zu sein. Man denke an Vergiftungen und acute Exantheme. Dagegen dürften gerade jene Krankheits-Formen, bei denen man sich am liebsten, namentlich über die Mangelhaftigkeit der therapeutischen Erfolge, damit tröstet, dass es sich um eine tiefe und unheilbare, chronische[257] Dyscrasie handele, wohl am wenigsten in einer zugleich ursprünglichen und anhaltenden Veränderung des Blutes beruhen; gerade bei ihnen handelt es sich in der Mehrzahl der Fälle um ausgedehnte und dauerhafte Veränderungen gewisser Organe oder einzelner Theile. So ist es mit Krebs, Tuberculose, Aussatz, Hämorrhaphilie. Ich kann nicht behaupten, dass ein völliger Abschluss der Untersuchungen in Beziehung auf eine dieser Krankheiten vorläge; ich kann nur sagen, dass jedes Mittel der mikroskopischen und chemischen Analyse bis jetzt fruchtlos angewendet worden ist auf die hämatologische Erforschung des Wesens dieser Prozesse, dass wir dagegen bei allen wesentliche Veränderungen kleinerer oder grösserer Complexe von Organen oder Organtheilen nachweisen können, und dass die Wahrscheinlichkeit, auch hier die dauerhafte Dyscrasie als eine secundäre, abhängig von bestimmten organischen Punkten, zu erkennen, mit jedem Tage zunimmt.
Diese Frage ist namentlich genauer zu discutiren bei der Lehre von der Verbreitung der bösartigen Geschwülste[102], bei denen man sich ja auch so häufig damit hilft, die Bösartigkeit als im Blute wurzelnd zu denken, so dass das Blut die Localaffectionen hervorbringe. Und doch ist es gerade im Verlaufe dieser Bildungen verhältnissmässig am leichtesten, einen anderen Modus der Verbreitung zu zeigen, sowohl in der nächsten Nachbarschaft der Erkrankungsstelle, als auch an entfernten Organen. Es ergibt sich, dass ein Umstand die Möglichkeit der Ausbreitung solcher Prozesse besonders begünstigt, nehmlich der Reichthum an Parenchym-Säften in dem pathologischen Gebilde[103]. Je trockener eine Neubildung ist, um so weniger besitzt sie im Allgemeinen die Fähigkeit der Infection, sei es näherer, sei es entfernterer Orte. Das Cancroid, die Perlgeschwulst, selbst der Tuberkel stecken die Nachbarschaft leicht an, während die entfernten Organe häufig gar nicht erkranken: das Carcinom, das Sarcom, der Rotz, selbst specifischer Eiter machen sehr leicht örtliche und zugleich allgemeine Ansteckung.
Der Modus der Verbreitung selbst entspricht bei dem Krebs in der Regel ganz dem, was wir früher betrachteten. Am leichtesten findet eine Leitung innerhalb der Lymphbahnen und ein[258] Ergreifen der Lymphdrüsen statt; erst nach und nach treten an entfernteren Stellen Prozesse ähnlicher Art auf. Oder der Prozess greift auch hier zunächst auf die Venenwandungen über, diese werden wirklich krebsig, und nach einer gewissen Zeit wächst entweder der Krebs direkt durch die Wand hindurch in das Gefäss hinein und schreitet hier fort, oder es bildet sich an diesem Punkte ein Thrombus, welcher den Krebspfropf mehr oder weniger umhüllt, und in welchen die krebsige Masse hineinwächst[104]. Wir haben also hier in zwei Richtungen die Möglichkeit für eine Verbreitung, aber nur in einer Richtung die Möglichkeit eines sofortigen Ueberganges körperlicher Theile in das Blut, nehmlich nur in dem Falle, dass Venen durchbrochen werden. Eine Resorption von Krebszellen durch Lymphgefässe gehört keineswegs unter die Unmöglichkeiten, aber jedenfalls ist so viel sicher, dass nicht eher eine allgemeine Verbreitung derselben stattfinden kann, ehe die Lymphdrüsen nicht ihrerseits durch und durch krebsig umgewandelt sind, und dieselben krebsigen Massen von ihnen aus in abgehende Gefässe hineinwuchern. Nie kann ein peripherisches Lymphgefäss einfach, wie die Flüssigkeit, so auch die Zellen des Krebses bis zum Blute fortschwemmen; das ist nur denkbar und möglich an den Venen. Allein auch hier verhält es sich so, dass eine Wahrscheinlichkeit dafür, dass häufige Verbreitungen durch losgelöste Krebszellen stattfinden, durchaus nicht vorliegt, aus dem einfachen Grunde, weil die Metastasen des Krebses den Metastasen, die wir bei der Embolie kennen gelernt haben, sehr häufig nicht entsprechen. Die gewöhnliche Form der metastatischen Verbreitung beim Krebs entspricht vielmehr der Richtung zu den Secretionsorganen. Die Lunge erkrankt bekanntlich viel seltener durch Krebs, als die Leber, nicht nur nach Magen- und Uteruskrebs, sondern auch nach Brustkrebs, welcher doch zunächst Lungenkrebs erzeugen müsste, wenn es etwas Körperliches wäre, welches fortgeleitet würde, stagnirte und die neue Eruption bedingte.
Die Art der metastatischen Verbreitung macht es vielmehr wahrscheinlich, dass die Uebertragung häufig durch Flüssigkeiten erfolgt, und dass diese die Fähigkeit besitzen, eine Ansteckung zu erzeugen, welche die einzelnen Theile zur Reproduction derselben[259] Masse bestimmt, die ursprünglich vorhanden war. Man denke sich nur einen ähnlichen Prozess, wie wir ihn bei den Pocken im Grossen haben. Der Pockeneiter, direkt übertragen, leitet allerdings den Prozess ein, aber das Contagium ist auch flüchtig, und es kann Jemand eiterige Pusteln auf der Haut bekommen, nachdem er nur infecte Luft geathmet hat. Einigermaassen ähnlich scheint es sich auch in den Fällen zu verhalten, wo im Laufe heteroplastischer Prozesse Dyscrasien zu Stande kommen, welche ihre neuen Eruptionen nicht an Punkten machen, welche nach der Richtung des Lymph- oder Blutstromes ihnen zunächst ausgesetzt sein würden, sondern an entfernten Punkten. Wie sich das Silbersalz nicht in den Lungen ablagert, sondern hindurchgeht, um sich erst in den Nieren oder der Haut niederzuschlagen, so kann ein contagiöser Saft von einer Krebsgeschwulst durch die Lungen gehen, ohne diese zu verändern, während er doch an einem entfernteren Punkte, z. B. in den Knochen eines weit abgelegenen Theiles, bösartige Veränderungen erweckt.
Damit ist natürlich die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass auch zellige Elemente als Träger der contagiösen Stoffe auftreten. Wenn man die eigenthümlichen Eruptionen betrachtet, welche bei Magenkrebs am Netz, am Gekröse und an anderen Orten des Bauchfells auftreten, so wird es allerdings sehr viel leichter, dieselben durch das zufällige Ablösen, Heruntergleiten, Liegenbleiben und so zu sagen Keimen von krebsigen Zellen von der Oberfläche des Magens zu erklären, als sie auf abgesonderte Flüssigkeiten zu beziehen[105]. Denn diese secundären Peritonäal-Krebse bieten in Beziehung auf Vielfachheit, Form und Sitz der Heerde die grösste Aehnlichkeit mit den contagiösen Schimmelkrankheiten (Mykosen) der Haut dar, wo, z. B. bei Porrigo (Favus, Tinea), bei Pityriasis versicolor, die sich ablösenden und heruntergleitenden Sporen zuweilen am Rumpfe eine lange Reihe von Eruptionen bilden. Aber auch bei dieser Dissemination von Krebs ist es noch nicht erwiesen, dass es die etwa losgelösten Zellen selbst sind, welche aus sich, durch neue Proliferation, die secundären Knoten erzeugen; vielmehr dürfte auch ihnen nur eine contagiöse, katalytische Einwirkung auf die Gewebe zuzuschreiben sein, etwa wie dem[260] Samen (Sperma) in Beziehung auf das Ei[106]. Soweit meine Beobachtung reicht, gehen die jungen Geschwulst-Elemente in allen solchen Secundär-Eruptionen aus dem Gewebe des angesteckten Ortes hervor. Deshalb habe ich geschlossen[107], dass die locale Contagion, welche sich von der ersten Erkrankungsstelle zunächst in der Nachbarschaft ausbreitet, durch Säfte erfolgen müsse, welche in die gesunden Gewebe eindringen, sie katalytisch erregen und zu neuer selbständiger Wucherung antreiben. Dies wäre eine humorale Infection, die doch nichts mit dem Blute zu thun hat, sondern, wie bei einem Erysipelas migrans, von einem Elemente direkt auf das andere fortschreitet, übertragen wird.
Allerdings ist die Frage, welches die eigentlich infectiöse (virulente) Substanz sei, und namentlich, ob sie an zellige Elemente oder besondere Organismen gebunden oder als ein bloss chemischer Stoff anzusehen sei, eine überaus schwierige, und nichts berechtigt uns, sie für alle infectiösen Prozesse in gleicher Weise zu behandeln. Denn es ist durchaus nicht nöthig, dass dieselbe Erklärung für Pocken gilt, wie für Scharlach oder wie für Rotz oder wie für Syphilis. Würde dargethan, dass der Krebs sich nur durch Zellen fortpflanzte, so folgte daraus noch nicht, dass es bei Tuberkel ebenso sein müsse. Nirgends ist die Generalisation bedenklicher, als gerade hier. Auch muss ich darauf aufmerksam machen, dass selbst da, wo die Infection an Zellen oder Organismen geknüpft ist, noch nicht dargethan ist, dass diese Zellen oder Organismen selbst das Schädliche sind; es kann sehr wohl sein, dass die Zellen erst die schädliche Substanz absondern, etwa wie die Gährungspilze den Alkohol[108].
In der That hat das genauere Studium der infectiösen Krankheiten gelehrt, dass selbst zerfallende, regressive Substanzen (Detritus) der Träger der Ansteckung sein können[109]. Ich habe dies zuerst für den Rotz[110] nachgewiesen. Für die Syphilis hat Michaelis einen ähnlichen Nachweis versucht, und die neueren[261] Experimentatoren sind wenigstens sehr getheilter Ansicht[111]. In grosser Ausdehnung hat sich eine ähnliche, zuerst von Dittrich vermutungsweise aufgestellte Ansicht in der Lehre von der Tuberkulose Anerkennung verschafft, seitdem man dieselbe im Wege der Impfung (Inoculation) bei Thieren studirt hat. Nachdem zuerst Villemin positive Resultate erlangt hatte, indem er Tuberkelsubstanz auf Thiere übertrug, und damit die Ansteckungsfähigkeit des Tuberkels erwiesen schien, hat eine Reihe späterer Experimentatoren, insbesondere Cohnheim und Fränkel dargethan, dass die Fähigkeit, Tuberkel hervorzurufen, nicht an Tuberkelstoff geknüpft ist, sondern dass die Inoculation von zerfallendem Eiter, ja die blosse Einbringung von reizenden Körpern, welche chronische Eiterung mit nekrobiotischem Zerfall hervorrufen, genügt, um eine bald örtliche, bald allgemeine Tuberkulose zu erzeugen. Ja, Versuche von Carl Ruge[112] an Meerschweinchen haben gelehrt, dass die Einbringung fremder Körper, z. B. von Korkstückchen in die Bauchhöhle, auch dann Tuberkulose hervorbringen kann, wenn weder Eiter, noch Käse, sondern nur chronische Entzündung entsteht. Nichtsdestoweniger wird man kaum fehlgehen, wenn man den käsigen Stoffen, mögen sie nun aus Eiter oder aus Tuberkel entstanden sein, eine höhere Fähigkeit, die tuberkulöse Infection hervorzubringen, zuschreibt.
Muss man daher zugestehen, dass selbst der Detritus organisirter Gewebe oder zelliger Theile infectiöse Eigenschaften besitzen kann, so wird man sich der Erwägung nicht verschliessen können, dass auch Secretstoffe, mögen sie nun, wie die Samenfäden, durch den Untergang von Zellen freigeworden sein, oder mögen sie, als recrementitielle Stoffe von den noch fortbestehenden Zellen ausgeschieden sein, infectiös werden können. Wenn eine Krebszelle in eine Lymphdrüse geführt wird, so könnte durch die von ihr gelieferten Stoffe auch den Drüsenzellen ein specifischer Reiz übertragen werden, welcher dieselben bestimmt, nicht bloss zu wachsen und sich zu vermehren, wie bei einer gewöhnlichen Reizung, sondern auch wirklich krebsig zu werden. In der That lassen sich bei secundärem Krebs der Lymphdrüsen Uebergänge zwischen Drüsen- und Krebszellen vielfach wahrnehmen.
Auch auf dem Wege der Impfung ist es mehreren neueren Experimentatoren gelungen, Krebs auf Thiere zu übertragen[113]. Aber noch ist nicht genau festgestellt, ob in diesen, verhältnissmässig seltenen und daher noch nicht über allen Zweifel erhabenen Versuchen die geimpften Krebszellen selbst weitere Brut aus sich hervorgebracht haben, oder ob sie nur katalytisch-erregend auf die Gewebstheile einwirkten. Dieses ist erst durch weitere Untersuchungen festzustellen.
Die neueren Erfahrungen über die Wanderungen zelliger Elemente (S. 189) haben überdies eine neue Möglichkeit der Erklärung mancher Erscheinungen gebracht, welche früher nur durch die Annahme contagiöser Säfte gedeutet werden konnten. Es ist damit nicht bloss die Auswanderung von infectiösen Elementen in die Nachbarschaft, sondern auch deren Uebergang in die Circulation und ihre Einwanderung in entfernte Organe in den Kreis der zulässigen Interpretation eingetreten. Die Bildung von Metastasen in entfernten Punkten des Körpers, sowie die durch reichlichere Anwesenheit von Parenchymsäften begünstigte Neigung zur Infection lässt sich dadurch sehr bequem erklären. Aber man darf um der Bequemlichkeit der Erklärung willen nicht übersehen, dass der thatsächliche Nachweis allein eine Entscheidung bringt. Wenn sich im Umfange eines Tuberkels wieder Tuberkel bilden, welche in einer gewissen Entfernung von dem ersten liegen, so lässt sich dies so erklären, dass von dem ersten Heerde Tuberkelzellen ausgewandert seien, welche an den accessorischen Knoten gekeimt sind. Aber dieselbe Erklärung passt nicht mehr auf den Fall, den ich mehrmals gesehen habe, dass sich in der Nähe eines kankroiden Geschwürs des Oesophagus eine multiple Eruption miliarer Tuberkel auf der Pleura bildet. Hier kommt man nothwendig auf blosse Stoffe zurück, und man überzeugt sich, dass es eine doppelte Art der Infection gibt: eine homologe, wo die Secundärprodukte den ursprünglichen gleich oder ähnlich, und eine heterologe, wo sie davon verschieden sind.
Auch darf man nicht übersehen, dass ein wirklicher Uebergang geformter Theile in das Blut nicht nothwendig in denjenigen Organen, zu welchen diese Theile gelangen, analoge Erkrankungen erzeugen muss, wie an dem Orte ihrer Bildung bestanden. In[263] dieser Beziehung will ich einen Zustand erwähnen, welcher in der neueren Zeit mehrfach besprochen worden ist, die von mir sogenannte Melanämie[114]. Es ist dies ein Zustand, welcher sich am nächsten an die Geschichte der Leukämie anlehnt, insofern es sich dabei um Elemente des Blutes handelt, welche, wie die farblosen Körperchen bei der Leukämie, von bestimmten Organen aus in das Blut gelangen und mit dem Blute circuliren[115]. Die Zahl der bekannten Beobachtungen darüber ist schon ziemlich gross, man möchte fast sagen, grösser als vielleicht nothwendig wäre, denn es scheint in der That, dass hier und da Verwechselungen von Pigment mit cadaverösen Producten[116] mit untergelaufen sind, welche aus der Geschichte der Affection wieder hinauszubringen sein dürften. Unzweifelhaft gibt es aber einen Zustand, in welchem farbige Elemente im Blute vorkommen, welche in dasselbe nicht hineingehören. Einzelne Beobachtungen solcher Art finden sich schon seit längerer Zeit[117] und zwar zuerst in der Geschichte der melanotischen Geschwülste, wo man öfter angegeben hat, dass in ihrer Nähe schwarze Partikelchen in den Gefässen vorkommen, und wo man sich dachte, dass hieraus die melanotische Dyscrasie entstände[118]. Dies ist aber gerade der Fall nicht, den man meint, wenn man heut zu Tage von Melanämie redet. In den letzten Jahren ist keine einzige Beobachtung bekannt geworden, welche in Beziehung auf den Uebergang melanotischer Geschwulsttheile in das Blut einen Fortschritt darböte.
Die erste Beobachtung derjenigen Reihe, welche ich im engeren Sinne als Melanämie bezeichne, ist von Heinrich Meckel bei einer Geisteskranken gemacht worden, kurze Zeit, nachdem ich die Leukämie beschrieben hatte. Er fand, dass auch hier die Milz in einem sehr erheblichen Maasse vergrössert, aber zugleich mit schwarzem Pigment durchsetzt war, und er leitete daher die Veränderung im Blute von einer Aufnahme farbiger Partikelchen aus der Milz ab. Die nächste Beobachtung habe ich selbst gemacht[119],[264] und zwar in einer Richtung, die nachher sehr fruchtbar geworden ist, bei einem Intermittenskranken, welcher lange Zeit mit einem beträchtlichen Milztumor behaftet war; ich fand in seinem Herzblute pigmentirte Zellen (Fig. 85). Meckel hatte nur freie Pigmentkörner und Schollen gesehen. Die von mir gefundenen Zellen hatten vielfache Aehnlichkeit mit farblosen Blutkörperchen; es waren sphärische, manchmal aber auch mehr längliche, kernhaltige Elemente, innerhalb deren sich mehr oder weniger grosse, schwarze Körner fanden. Auch in diesem Falle bestätigte sich das Vorkommen einer grossen schwarzen Milz. Seit jener Zeit ist durch Meckel selbst, sowie durch eine Reihe von anderen Beobachtern in Deutschland, zuletzt durch Frerichs, in Italien durch Tigri, die Aufmerksamkeit auf diese Zustände immer mehr gelenkt worden. Tigri hat die Krankheit geradezu nach der schwarzen Milz als Milza nera bezeichnet, während nach der Ansicht von Meckel, welche durch Frerichs an Ausdehnung gewonnen hat, es vielmehr eine Form der schwereren Intermittenten wäre, welche auf diese Weise zu erklären sein sollte.
Fig. 85. Melanämie. Blut aus dem rechten Herzen (vgl. Archiv für pathol. Anatomie und Physiologie. Bd. II. Fig. 8). Farblose Zellen von verschiedener Gestalt, mit schwarzen, zum Theil eckigen Pigmentkörnern erfüllt. Vergr. 300.
Meckel suchte den Grund der schweren Zufälle darin, dass die Elemente, welche in's Blut gelangen, sich an gewissen Orten in den feineren Capillarbezirken anhäuften und hier Stagnation und Obstruction erzeugten. So namentlich in den Capillaren des Gehirns, wo sie sich nach Art der Emboli an den Theilungsstellen festsetzen und bald Capillarapoplexien, bald die comatösen und apoplektischen Formen der schweren Wechselfieber bedingen sollten. Frerichs hat noch eine andere Art der Verstopfung hinzugefügt, die der feinen Lebergefässe, welche endlich zur Atrophie des Leberparenchyms Veranlassung geben soll.
Es würde demnach hier eine ausserordentlich wichtige Reihe von Secundärzufällen existiren, die direkt von der Dyscrasie abhängig wären. Leider kann ich selbst wenig darüber sagen, da[265] ich seit meinem ersten Falle nicht wieder in der Lage war, etwas Aehnliches zu beobachten. Ich habe wohl schwarze Milzen, sowie Lebern mit schwarzem Pigment im interstitiellen Gewebe gefunden, aber keine Melanämie und keine melanämische Embolie. Ich kann also auch nicht mit Sicherheit über den Werth der Beziehungen urtheilen, welche man aufgestellt hat über den Zusammenhang der secundären Veränderungen mit der Blutverunreinigung. Nur das möchte ich hervorheben, dass alle Thatsachen, welche man in Bezug auf diese Zustände kennt, darauf hinweisen, dass die Verunreinigung des Blutes von einem bestimmten Organe ausgeht, dass dies Organ, wie bei den farblosen Blutkörperchen, gewöhnlich die Milz ist, dass aber selbst diejenigen Beobachter, welche das im Blute enthaltene Pigment an entfernten Punkten in den Gefässen stocken lassen, daraus nur mechanische Störungen ableiten, aber nicht melanotische Secundärgeschwülste. Dass die schwere Intermittens, wie Griesinger meinte, an die Melanämie geknüpft sei, ist entschieden unrichtig, und wenn, wie ich finde, das schwarze Pigment in den melanämischen Lebern constant in den Bindegewebskörperchen der portalen Scheiden liegt, so ist damit noch lange nicht dargethan, dass diese Körperchen selbst eingewandert sind. —
Ich habe im Verlaufe meiner Darstellung bis jetzt kaum etwas von den Veränderungen der rothen Körperchen des Blutes erwähnt, nicht etwa, weil ich sie für unwesentliche Bestandtheile hielte, sondern weil bis jetzt über ihre Veränderungen ausserordentlich wenig bekannt ist. Die Geschichte der rothen Blutkörperchen ist immer noch mit einem geheimnissvollen Dunkel umgeben, da eine völlige Sicherheit über die Entstehung dieser Elemente auch gegenwärtig noch nicht gewonnen ist. Ihre Entstehung aus farblosen Zellen, so bestimmt wir sie auch voraussetzen müssen, ist beim geborenen Menschen nicht regelmässig zu verfolgen. Dass die gewöhnlichen farblosen Blutkörperchen über das Stadium hinaus zu sein scheinen, wo ihre Neubildung zu rothen Körperchen noch eintritt, habe ich schon erwähnt (S. 213); ob jedoch im Chylus oder in der Lymphe selbst, in der Milz oder im Knochenmark schon solche Umbildungen geschehen, ist erst genauer festzustellen. Nur bei Froschblut ist es v. Recklinghausen in seiner „Zuchtkammer“ auch ausserhalb des Körpers[266] gelungen, eine allmähliche Umbildung farbloser Blutkörperchen in rothe zu beobachten. Für den Menschen ist diese Erfahrung nicht ohne Weiteres zu verwerthen. Wir wissen von ihm nur so viel mit Bestimmtheit, wie ich schon früher (S. 172) hervorhob, dass die ersten rothen Blutkörperchen aus embryonalen Bildungszellen des Eies ebenso direkt hervorgehen, wie alle übrigen Gewebe sich aus denselben aufbauen. Wir wissen ferner, dass in den ersten Lebensmonaten auch des menschlichen Embryo Theilungen der rothen Blutkörperchen stattfinden, wodurch eine Vermehrung derselben im Blute selbst hervorgebracht wird. Allein nach dieser Zeit ist, ganz vereinzelte Beobachtungen über das Vorkommen kernhaltiger Blutkörperchen (S. 205) abgerechnet, Alles dunkel, und zwar fällt dieses Dunkel ziemlich genau zusammen mit der Periode, wo die Blutkörperchen im menschlichen und Säugethier-Blute aufhören, Kerne zu zeigen. Wir können nur sagen, dass gar keine Thatsache bekannt ist, welche für eine fernere selbständige Entwickelung oder für eine Theilung der rothen Körperchen im Blute selbst spräche; Alles deutet mit Wahrscheinlichkeit auf eine Zufuhr hin. Selbst G. Zimmermann, welcher annahm, dass kleine bläschenförmige Körperchen im Blute vorkämen, welche in demselben nach und nach durch Intussusception wüchsen und endlich zu rothen Blutkörperchen würden, leitete jene bläschenförmigen Körperchen aus dem Chylus ab.
Indess scheint mir diese Beobachtung nicht richtig gedeutet zu sein. Die von Zimmermann beschriebenen Gebilde sind offenbar Bruchstücke alter Blutkörperchen (S. 193), wie sie Wertheim neuerlich nach Verbrennungen gesehen haben will. Ausserdem finden sich nicht selten ungewöhnlich kleine Blutkörperchen auch im frischen Blute (Fig. 61, h), allein wenn man sie genauer untersucht, so ergibt sich an ihnen eine Eigenthümlichkeit, welche an jungen (embryonalen) Formen nicht bekannt ist, nehmlich dass sie ausserordentlich resistent gegen die verschiedensten Einwirkungen sind. An sich sehen sie schön dunkelroth aus, sie haben eine gesättigte, manchmal fast schwarze Farbe; behandelt man sie mit Wasser oder Säuren, welche die gewöhnlichen rothen Körperchen mit Leichtigkeit auflösen, so sieht man, dass eine ungleich längere Zeit vergeht, bevor sie verschwinden. Setzt man zu einem Tropfen Blut viel Wasser hinzu, so sieht man sie nach dem Verschwinden der übrigen Blutkörperchen noch längere Zeit[267] übrig bleiben. Diese Eigenthümlichkeit stimmt am meisten überein mit Veränderungen, welche in solchem Blute eintreten, welches in Extravasaten oder innerhalb der Gefässe lange Zeit in Stase sich befunden hat. Hier führt diese Veränderung unzweifelhaft zu einem Untergang der Körper, und es kann daher mit grosser Wahrscheinlichkeit auch für das circulirende Blut geschlossen werden, dass diese kleinen Körperchen nicht junge, in der Entwickelung begriffene, sondern im Gegentheil alte, im Untergang begriffene Formen darstellen. Ich stimme daher im Wesentlichen mit der Auffassung von Karl Heinrich Schultz überein, welcher diese Körper unter dem Namen von melanösen Blutkörperchen beschrieben hat und sie für die Vorläufer der „Blutmauserung“ ansieht, für Körperchen, welche sich vorbereiteten zu den eigentlich excrementiellen Umsetzungen.
In manchen Zuständen wird die Zahl dieser Elemente ungeheuer gross. Bei recht gesunden Individuen findet man sehr wenig davon, nur im Pfortaderblut glaubt Schultz immer viele dieser Körperchen gesehen zu haben. Sicher ist es aber, dass es krankhafte Zustände gibt, wo ihre Menge so gross wird, dass man fast in jedem Blutstropfen eine kleinere oder grössere Zahl davon antrifft. Diese Zustände lassen sich jedoch bis jetzt nicht in bestimmte Kategorien bringen, weil die Aufmerksamkeit darauf wenig rege gewesen ist. Man findet sie in leichten Formen von Intermittens, bei Cyanose nach Herzkrankheiten, bei Typhösen, bei den Infectionsfiebern der Operirten und im Laufe epidemischer Erkrankungen, immer jedoch in solchen Krankheiten, welche mit einer schnellen Erschöpfung der Blutmasse einhergehen und zu kachectischen und anämischen Zuständen führen. In der Regel sieht solches Blut sehr dunkel aus und nimmt selbst beim Stehen an der Luft oder beim Zusatze von Neutralsalzen nicht jene hochrothe Farbe an, welche das normale Blut so sehr auszeichnet. Auch vom klinischen Gesichtspunkte aus besteht für die Mehrzahl dieser Krankheitszustände die Wahrscheinlichkeit eines reichlichen Zugrundegehens von Blutbestandtheilen innerhalb der Blutbahn. —
Ausser diesen Veränderungen kennen wir mit Bestimmtheit noch eine andere Reihe, wo es sich um quantitative Veränderungen in der Zahl der Körper handelt. Diese Zustände, deren Hauptrepräsentant die Chlorose ist, zeigen eine gewisse Aehnlichkeit[268] mit jenen, welche mit Vermehrung der farblosen Blutkörperchen einhergehen, mit der Leukämie im engeren Sinne und den bloss leukocytotischen Zuständen. Die Chlorose unterscheidet sich aber dadurch von ihnen, dass die Zahl der zelligen Körperchen im Blute überhaupt geringer ist. Während in der Leukämie gewissermaassen an die Stelle der rothen Körperchen farblose treten und eine Verminderung der Zahl der zelligen Elemente im Blute nicht zu Stande kommt, ja zuweilen sogar eine Art von Plethora lymphatica dadurch bedingt wird, so vermindern sich bei der Chlorose die Elemente beider Gattungen, ohne dass das gegenseitige Verhältniss der farbigen zu den farblosen in einer bestimmten Weise gestört würde. Es setzt dies eine verminderte Bildung überhaupt voraus, und wenn man schliessen darf (wie ich allerdings glaube, dass man kaum anders kann), dass auch die rothen Körperchen von Elementen der Milz und der Lymphdrüsen herstammen, so würde Alles darauf hindeuten, dass in der Chlorose eine verminderte Bildung von Zellen innerhalb der Blutdrüsen stattfinde. Die Leukämie erklärt sich natürlich viel einfacher, insofern wir hier Repräsentanten der zelligen Elemente im Blute finden, und wir uns denken können, dass ein Theil der Elemente, anstatt in rothe umgewandelt zu werden, seine Entwickelung ganz als farblose fortsetzt. In der Geschichte der Chlorose dagegen waltet noch viel Dunkel, da wir ein primäres Leiden der Blutdrüsen mit Bestimmtheit nicht nachweisen können. Die anatomischen Erfahrungen deuten darauf hin, dass die chlorotische Störung schon sehr frühzeitig angelegt wird. Man findet gewöhnlich die Aorta und die grösseren Arterien, häufig das Herz und den Sexualapparat mangelhaft gebildet, was auf eine congenitale oder doch in früher Jugend erworbene Disposition schliessen lässt. Wenn diese Disposition in der Regel erst zur Pubertätszeit wirkliche Störungen von pathologischem Werthe hervorbringt, so würde es doch irrig sein, wenn man deshalb die Disposition leugnen wollte. Meine Ansicht geht sogar dahin, dass diese Disposition unheilbar ist, wenngleich sie durch zweckmässige Behandlung, insbesondere diätetische Pflege latent gemacht werden kann. —
Endlich muss hier noch eine dritte Reihe von Zuständen erwähnt werden, diejenige nehmlich, wo die innere Beschaffenheit der Blutkörperchen Veränderungen erfahren hat, ohne dass dadurch[269] ein bestimmter morphologischer Effect hervorgebracht würde. Hier handelt es sich wesentlich um Functionsstörungen, welche wahrscheinlich mit feineren Veränderungen der Mischung zusammenhängen, also Veränderungen der eigentlichen respiratorischen Substanz. So gut nehmlich, wie wir bei den Muskeln die Substanz des Primitivbündels, die compacte Masse des Syntonins oder Myosins als contractile Substanz erfinden, so erkennen wir im Inhalte des rothen Blutkörperchens die eigentlich functionirende, respiratorische Substanz. Sie erfährt unter gewissen Verhältnissen Veränderungen, welche sie ausser Stand setzen, ihre Function fortzuführen, eine Art von Lähmung, wenn man will. Dass etwas der Art vorgegangen ist, ersieht man daraus, dass die Körperchen nicht mehr im Stande sind, Sauerstoff aufzunehmen, wie man dieses experimentell unmittelbar erhärten kann. Dass es sich dabei aber um molekulare Veränderungen in der Mischung handelt, dafür haben wir bequeme Anhaltspunkte in der Wirkung solcher giftiger Substanzen, welche schon in minimaler Menge das Hämoglobin so verändern, dass es in eine Art von Paralyse versetzt wird. Es sind dies die Blutgifte im engeren Sinne des Wortes, bei denen nicht bloss, wie bei den meisten Giften, die schädliche Substanz durch das Blut hindurchgeht, um zu anderen Theilen z. B. zu Ganglienzellen, Drüsenzellen, zu gelangen, sondern bei denen das Blut selbst in seinen specifischen Elementen den Hauptangriff zu erfahren hat. Hierher gehört ein Theil der flüchtigen Wasserstoffverbindungen, z. B. Arsenikwasserstoff, Cyanwasserstoff; ferner nach Hoppe-Seyler's und Bernard's Untersuchungen das Kohlenoxydgas, von dem verhältnissmässig kleine Mengen ausreichend sind, um die respiratorische Fähigkeit der Körperchen zu vernichten. Analoge Zustände sind schon früherhin vielfach beobachtet worden im Verlaufe anderer Infectionskrankheiten, z. B. der typhoiden Fieber, wo die Fähigkeit, Sauerstoff aufzunehmen, in dem Maasse abnimmt, als die Krankheit einen schweren acuten Verlauf gewinnt. Mikroskopisch sieht man aber ausser einzelnen melanösen Körperchen fast gar nichts, nur das chemische Experiment und die grobe Wahrnehmung vom blossen Auge zeigen die veränderte Beschaffenheit an. Man kann daher sagen, dass in diesem Gebiete der Toxicämie das Meiste noch zu machen ist. Wir haben mehr Anhaltspunkte, als Thatsachen.
Fassen wir nun das, was wir über das Blut vorgeführt haben, kurz zusammen, so ergiebt sich in Beziehung auf die Theorie der Dyscrasien, dass entweder Substanzen in das Blut gelangen, welche auf die zelligen Elemente desselben schädlich einwirken und dieselben ausser Stand setzen, ihre Function zu verrichten, oder dass von einem bestimmten Punkte aus, sei es von aussen, sei es von einem Organe aus, Stoffe dem Blute zugeführt werden, welche von dem Blute aus auf andere Organe nachtheilig einwirken, oder endlich dass die Bestandtheile des Blutes selbst nicht in regelmässiger Weise ersetzt und nachgebildet werden. Nirgends in dieser ganzen Reihe finden wir irgend einen Zustand, welcher darauf hindeutete, dass eine dauerhafte Fortsetzung von bestimmten, einmal eingeleiteten Veränderungen im Blute selbst sich erhalten könnte, dass also eine permanente Dyscrasie möglich wäre, ohne dass neue Einwirkungen von einem bestimmten Atrium oder Organe aus auf das Blut stattfinden. In jeder Beziehung stellt sich uns das Blut dar als ein abhängiges und nicht als ein unabhängiges oder selbständiges Fluidum; die Quellen seines Bestandes und Ersatzes, die Anregungen zu seinen Veränderungen liegen nicht in ihm, sondern ausser ihm. Daraus folgt consequent der auch für die Praxis ausserordentlich wichtige Gesichtspunkt, dass es sich bei allen Formen der Dyscrasie darum handelt, ihren örtlichen Ursprung, ihre (in Beziehung auf das Blut selbst) äussere Veranlassung aufzusuchen. —
Fußnoten:
[102] Geschwülste I. 41, 70, 126.
[103] Handb. der spec. Pathologie und Ther. I. 340.
[104] Archiv I. 112. Gesammelte. Abhandl. 551. Geschwülste I. 43.
[105] Geschwülste I. 54.
[106] Gesammelte Abhandl. 41, 51, 53. Handb. der spec. Pathol. II. 411.
[107] Archiv 1853. V. 245.
[108] Berliner Klinische Wochenschrift 1871. No. 10.
[109] Geschwülste I. 111.
[110] Spec. Pathologie und Therapie 1855. II. 411.
[111] Geschwülste I. 112. II. 474.
[112] C. Ruge Einige Beiträge zur Lehre von der Tuberkulose. Inaug. Diss. Berlin 1869. S. 26.
[113] Geschwülste I. 87.
[114] Gesammelte Abhandlungen 201.
[115] Archiv 1853. V. 85.
[116] Gesammelte Abhandl. 730. Note.
[117] Herr Dr. Stiebel sen. in Frankfurt a. M. macht mich darauf aufmerksam, dass er schon in einer Recension von Schönlein's klinischen Vorträgen (in Häser's Archiv) das Vorkommen von Pigmentzellen im Blute besprochen habe.Anm. der zweiten Aufl.
[118] Geschwülste II. 285.
[119] Archiv 1848. II. 594.
Der Nervenapparat. Seine prätendirte Einheit.
Die Nervenfasern. Peripherische Nerven. Fascikel, Primitivfaser. Perineurium und Neurilem. Schwann'sche Scheide. Axencylinder (electrische Substanz). Markstoff (Myelin), Protagon, Phosphor der Nervensubstanz. Marklose und markhaltige Fasern. Uebergang der einen in die anderen: Hypertrophie des Opticus. Verschiedene Breite der Fasern.
Die peripherischen Nervenendigungen. Vater'sche (Pacini'sche) und Tastkörper. Marklose Fasern der Haut mit Endigung im Rete. Unterscheidung von Gefäss-, Nerven- und Zellenterritorien in der Haut. Endkolben der Schleimhautnerven. Höhere Sinnesorgane: Riech-, Geschmacks- und Hörzellen. Retina: nervöse und bindegewebige Theile. Arbeitsnerven: Muskel-Endplatten, Verbindung der Nerven mit Drüsen- und anderen Zellen.
Die Theilung der Nervenfasern. Das electrische Organ der Fische. Die Muskelnerven. Weitere Betrachtung über Nerventerritorien.
Nervenplexus mit ganglioformen Knoten. Darmschleimhaut. Gefässe. Plexus myentericus.
Irrthümer der Neuropathologen.
Nachdem wir die humoralpathologischen Gesichtspunkte in der Betrachtung der Dyscrasien erörtert haben, so dürfte es nicht bloss dem historischen Rechte nach, sondern auch der Wichtigkeit des Gegenstandes nach gerathen sein, nunmehr die Grundlagen der solidarpathologischen Doctrin in ihrer modernen Gestalt als Neuropathologie zu prüfen. Wenden wir uns daher jetzt zu der Einrichtung des Nervenapparates.
Die überwiegende Masse des Nervenapparates besteht aus faserigen Bestandtheilen. Diese sind es auch, auf welche sich fast alle die feineren, physiologischen Entdeckungen beziehen, welche die letzten Jahrzehnte gebracht haben, während der andere, der Masse nach viel kleinere Theil des Nerven-Apparates, die graue oder gangliöse Substanz, bis jetzt selbst der histologischen[272] Untersuchung Schwierigkeiten entgegengestellt hat, welche noch lange nicht überwunden sind, so dass die experimentelle Erforschung dieser Substanz kaum in Angriff genommen werden konnte. Es wird freilich oft behauptet, man wisse gegenwärtig viel von dem Nervensystem, aber unsere Kenntniss beschränkt sich grossentheils auf die weisse Substanz, den faserigen Antheil, während wir leider eingestehen müssen, dass wir über die, ihrer functionellen Bedeutung nach offenbar viel höher stehende, graue Substanz in vielen Beziehungen immer noch sowohl anatomisch, als namentlich physiologisch in grosser Unsicherheit uns bewegen.
Sobald man die Frage von der Bedeutung des Nervensystems innerhalb der Lebensvorgänge anatomisch betrachtet, so ergibt ein einziger Blick, dass der Standpunkt, von welchem die Neuro-Pathologie auszugehen pflegt, ein sehr verfehlter ist. Denn sie betrachtet das Nervensystem wie ein ungewöhnlich Einfaches, das durch seine Einheit zugleich die Einheit des ganzen Organismus, des Körpers überhaupt bedinge. Wer aber auch nur ganz grobe anatomische Vorstellungen über die Nerven hat, der sollte es sich doch nicht verhehlen, dass es mit dieser Einheit sehr misslich bestellt ist. Schon das Scalpell legt den Nervenapparat als ein aus ausserordentlich vielen, relativ gleichwerthigen Theilen zusammengeordnetes System ohne erkennbaren einfachen Mittelpunkt dar. Je genauer wir histologisch untersuchen, um so mehr vervielfältigen sich die Elemente, und die letzte Zusammensetzung des Nervensystems zeigt sich nach einem ganz analogen Plane angelegt, wie die aller übrigen Theile des Körpers. Eine unendliche Menge zelliger Elemente von mehr oder weniger grosser Selbständigkeit tritt neben und grossentheils unabhängig von einander auch in dem Nervensystem in die Erscheinung.
Schliessen wir zunächst die gangliöse Substanz aus und halten wir uns einfach an die faserige Masse, so haben wir einerseits die eigentlichen (peripherischen) Nerven im engeren Sinne des Wortes, andererseits die grossen Anhäufungen weisser Markmasse, wie sie den grössten Theil des kleinen und grossen Gehirns und der Stränge des Rückenmarks zusammensetzt. Die Fasern dieser verschiedenen Abschnitte sind im Grossen ähnlich gebaut, zeigen aber im Feineren vielfache und zum Theil so erhebliche Verschiedenheiten, dass es Punkte gibt, wo man noch in diesem Augenblick nicht mit Sicherheit sagen kann, ob die[273] Elemente, welche man vor sich hat, wirklich Nerven sind, oder ob sie einer ganz anderen Art von Fasern angehören. Am sichersten ist man über die Zusammensetzung der gewöhnlichen peripherischen Nerven; hier unterscheidet man im Allgemeinen mit ziemlicher Leichtigkeit Folgendes:
Alle mit blossem Auge zu verfolgenden Nerven enthalten eine gewisse Summe von Unterabtheilungen, Bündeln oder Fascikeln, welche sich nachher als Aeste oder Zweige auseinanderlösen. Verfolgen wir diese einzelnen, sich weiter und weiter vertheilenden Zweige, so behält der Nerv fast unter allen Verhältnissen bis nahe zu seinen letzten Theilungen eine fascikuläre Einrichtung, so dass jedes Bündel wieder eine kleinere oder grössere Zahl von sogenannten Primitivfasern umschliesst. Der Ausdruck Primitivfaser, welchen man hier gebraucht, ist ursprünglich gewählt worden, weil man den Nervenfascikel für ein Analogon der Primitivbündel des Muskels hielt. Späterhin ist die Vorstellung von einem besonderen Bindemittel zwischen den einzelnen Nervenfasern fast verloren gegangen, und erst durch Robin ist in neuerer Zeit die Aufmerksamkeit wieder auf die Substanz hingelenkt worden, welche das Bündel zusammenhält; er nannte dieselbe Perineurium. Es ist dies ein sehr dichtes, fast aponeurotisches und daher leicht durchscheinendes Bindegewebe, in welchem sich bei Zusatz von Essigsäure kleine Kerne zeigen. Verschieden davon ist das mehr lockere Bindegewebe, welches die Fascikel zusammenhält und eine Scheide für den ganzen Nerven bildet, das sogenannte Neurilem.
Fig. 86. Querschnitt durch einen Nervenstamm des Plexus brachialis. l, l Neurilem, von dem eine grössere Scheide l' und feinere durch helle Linien bezeichnete Fortsätze durch den Nerven verlaufen und ihn in kleine Fascikel scheiden. Letztere zeigen die dunklen, punktförmigen Durchschnitte der Primitivfasern und dazwischen das Perineurium. Vergr. 80.
Wenn wir kurzweg von Nervenfasern im histologischen Sinne sprechen, so meinen wir immer die Primitivfaser, nicht den Fascikel, welcher vom blossen Auge als Faser erscheint und daher in der Vulgärsprache oft so genannt[274] wird. Jene feinsten, mikroskopischen Fasern besitzen wiederum jede für sich eine äussere Membran, die sogenannte Schwann'sche Scheide; an ihr sieht man, wenn man sie vollkommen frei macht vom Inhalte, was allerdings sehr schwierig ist, was aber zuweilen unter pathologischen Verhältnissen spontan auftritt, z. B. bei gewissen Zuständen der Atrophie, wandständige Kerne (Fig. 6, c). Innerhalb dieser membranösen Röhren liegt die eigentliche Nerven-Substanz, welche sich bei den gewöhnlichen Nerven nochmals in zweierlei Bestandtheile scheidet. Diese sind bei dem ganz frischen Nerven kaum als zwei zu erkennen, treten aber kurze Zeit nach dem Absterben oder Herausschneiden des Nerven oder nach Einwirkung irgend eines Mediums auf den Nerven sofort ganz deutlich aus einander, indem der eine dieser Bestandtheile eine schnelle, gewöhnlich als Gerinnung bezeichnete Veränderung erfährt, durch welche er sich von dem anderen Bestandtheile absetzt (Fig. 87). Ist dies geschehen, so sieht man im Innern der Nervenfaser deutlich den sogenannten Axencylinder (das Primitivband von Remak), ein sehr feines, zartes, blasses Gebilde, und um ihn herum eine ziemlich derbe, dunkle, hier und da zusammenfliessende Masse, das Nervenmark oder die Markscheide; letztere füllt den Raum zwischen Axencylinder und der äusseren Membran aus. Meist ist aber die Nervenröhre so stark gefüllt mit dem Inhalte, dass man bei der gewöhnlichen Betrachtung von den einzelnen Bestandtheilen fast gar nichts sieht, wie denn überhaupt der Axencylinder innerhalb der Markmasse schwer erkennbar ist. Daraus erklärt es sich,[275] dass man Jahre lang über seine Existenz gestritten und vielfach die Ansicht ausgesprochen hat, er sei gleichfalls eine Gerinnungs-Erscheinung, indem eine Trennung des ursprünglich gleichmässigen Inhaltes in eine innere und äussere Masse stattfinde. Dies ist aber unzweifelhaft unrichtig: alle Methoden der Untersuchung geben zuletzt dies Primitivband zu erkennen; selbst auf Querschnitten der Nerven sieht man ganz deutlich im Innern den Axencylinder und um ihn herum das Mark.
Fig. 87. Graue und weisse Nervenfasern. A Ein grauer, gelatinöser Nervenfascikel aus der Wurzel des Mesenteriums, nach Behandlung mit Essigsäure. B Eine breite, weisse Primitivfaser aus dem N. cruralis: a der freigelegte Axencylinder v, v die variköse Faser mit der Markscheide, am Ende bei m, m der Markstoff (Myelin) in geschlängelten Figuren hervortretend. C Feine, weisse Primitivfaser aus dem Gehirn, mit frei hervortretendem Axencylinder. Vergr. 300.
Das sogenannte Nervenmark ist es, was den Nervenfasern überhaupt das weisse Ansehen verleiht; überall, wo die Nerven diesen Bestandtheil enthalten, erscheinen sie weiss, überall, wo er ihnen fehlt, haben sie ein durchscheinendes, graues Aussehen. Daher gibt es Nerven, welche der Farbe nach der gangliösen Substanz sich anschliessen, verhältnissmässig durchsichtig sind, ein mehr helles, gelatinöses Aussehen besitzen; man hat sie deshalb graue oder gelatinöse Nerven genannt (Fig. 87, A). Zwischen grauer und weisser Nervenmasse überhaupt besteht also nicht der Unterschied, dass die eine gangliös, die andere faserig ist, sondern nur der, dass die eine Mark enthält, die andere nicht; indess gebraucht man den Ausdruck „graue Substanz“ gewöhnlich nur von der wirklich gangliösen Masse, nicht von den grauen, marklosen Nerven. Den Zustand der Marklosigkeit bei den Nervenfasern kann man im Allgemeinen als den niederen, unvollständigeren bezeichnen; die Markhaltigkeit zeigt eine reichere Ernährung und höhere Entwickelung an.
Nichts lehrt vielleicht die unmittelbar praktische Bedeutung dieser beiden Zustände so auffallend, als eine zuerst von mir gemachte Beobachtung an der Retina, an welcher in einer sehr unerwarteten Weise die sonst durchscheinende graue Nervenmasse in undurchsichtige weisse verwandelt war. Ich fand[120] nehmlich ganz zufällig eines Tages in den Augen eines Mannes, bei dem ich ganz andere Veränderungen vermuthete, im Umfange der Papilla optici, wo man sonst die gleichmässig durchscheinende Retina sieht, eine weissliche, radiäre Streifung, wie man sie an derselben Stelle im Kleinen zuweilen bei Hunden und ziemlich constant in einzelnen Richtungen bei Kaninchen trifft. Die mikroskopische Untersuchung ergab, dass in ähnlicher Weise, wie bei[276] diesen Thieren, in der Retina markhaltige Fasern sich entwickelt hatten, und dass die Faserlage der Retina durch die Aufnahme von Markmasse dicker und undurchsichtig geworden war. Die einzelnen Fasern verhielten sich dabei so, dass, wenn man sie von den vorderen und mittleren Theilen der Retina aus nach hinten gegen die Papille hin verfolgte, sie allmählich an Breite zunahmen, und zugleich in einer zuerst fast unmerklichen, später sehr auffälligen Weise eine Abscheidung von Mark in ihrem Inneren erkennen liessen. Das ist also eine Art von Hypertrophie, aber sie beschränkt die Function der Retina wesentlich, denn das Mark lässt die Lichtstrahlen nicht durch und die zarte Haut wird daher mehr und mehr getrübt.
Fig. 88. Markige Hypertrophie des Opticus innerhalb des Auges. A Die hintere Hälfte des Bulbus, von vorn gesehen; von der Papilla optici gehen nach vier Seiten radiäre Ausstrahlungen von weissen Fasern aus. B Die Opticusfasern aus der Retina bei 300 maliger Vergrösserung: a eine blasse, gewöhnliche, leicht variköse Faser, b eine mit allmählich zunehmender Markscheide, c eine solche mit frei hervorstehendem Axencylinder.
Dieselbe Veränderung geschieht am Nerven, während er sich entwickelt. Der junge Nerv ist eine feine Röhre, welche in gewissen Abständen mit Kernen besetzt ist und einen blassgrauen Inhalt besitzt. Erst später erscheint das Mark, der Nerv wird damit breiter, und der Axencylinder setzt sich deutlich ab. Man kann daher sagen, dass die Markscheide ein nicht absolut nothwendiger Bestandtheil des Nerven ist, sondern ihm erst auf einer gewissen Höhe seiner Entwickelung zukommt.
Es folgt daraus, dass diese Substanz, welche man früher als das Wesentliche im Nerven betrachtete, nach der jetzigen Anschauung eine mehr untergeordnete Rolle spielen muss. Nur diejenigen, welche auch jetzt noch keinen Axencylinder zulassen,[277] sehen sie natürlich nicht bloss als den bei Weitem überwiegenden Bestandtheil, sondern auch als den eigentlich functionirenden Nerveninhalt an. Sehr merkwürdig ist es aber, dass dieselbe Substanz eine der am meisten verbreiteten ist, welche überhaupt im thierischen Körper vorkommen. Ich war sonderbarer Weise zuerst bei der Untersuchung von Lungen auf Gebilde gestossen, welche ganz ähnliche Eigenschaften darboten, wie man sie am Nervenmark wahrnimmt. So auffallend dies auch war, so dachte ich in der That nicht an eine Uebereinstimmung, bis nach und nach durch eine Reihe weiterer Beobachtungen, welche im Laufe mehrerer Jahre hinzukamen, ich darauf geführt wurde, viele Gewebe chemisch darauf zu untersuchen[121]. Dabei stellte es sich heraus, dass fast gar kein zellenreiches Gewebe vorkommt, in dem jene Substanz sich nicht in grosser Masse vorfände; allein nur die Nervenfaser hat die Eigenthümlichkeit, dass die Substanz als solche sich abscheidet, während sie in allen anderen zelligen Theilen in einer fein vertheilten Weise im Inneren der Elemente enthalten ist und erst bei chemischer Veränderung des Inhaltes oder bei chemischen Einwirkungen auf denselben frei wird. Wir können aus den Blutkörperchen, aus den Eiterkörperchen, aus den epithelialen Elementen der verschiedensten drüsigen Theile, aus dem Inneren der Milz und ähnlicher Drüsen ohne Ausführungsgänge überall durch Extraction mit heissem Alkohol diesen Stoff gewinnen. Es ist dieselbe Substanz, welche den grössten Bestandtheil der gelben Dottermasse im Hühnerei bildet, von wo ihr Geschmack und ihre Eigenthümlichkeit, namentlich ihre eigenthümliche Zähigkeit und Klebrigkeit, welche den höheren technischen Zwecken der Küche so vortrefflich dient, jedermann hinlänglich bekannt ist. Ich schlug für diese Substanz den Namen Markstoff oder Myelin vor. Später hat O. Liebreich diesen Körper genauer studirt und nachgewiesen, dass das gewöhnliche Myelin keine ganz[278] reine chemische Substanz ist; ihren wesentlichen Antheil bildet eine Stickstoff und Phosphor enthaltende Substanz, welcher er den Namen Protagon beigelegt hat. Andere Untersucher haben denn auch aus den anderen von mir angegebenen Theilen, wie aus Blutkörperchen und Eiter, Protagon dargestellt.
Fig. 89. Tropfen von Markstoff (Myelin, nach Gobley Lecithin). A Verschieden gestaltete Tropfen aus der Markscheide von Hirnnerven, nach Aufquellung durch Wasser. B Tropfen aus zerfallendem Epithel der Gallenblase in der natürlichen Flüssigkeit. Vergr. 300.
Für die Lehre von den Nervenfunctionen hat diese Substanz das besondere Interesse, dass sie die Veranlassung zu der oft besprochenen Auffassung von der Bedeutung des Phosphors für die eigentliche Nerventhätigkeit, namentlich auch für die Denkthätigkeit gegeben hat. Auch hat man pathologisch geglaubt, aus vermehrter Abscheidung von Phosphorverbindungen durch die Secretionsorgane, namentlich durch die Nieren, auf einen vermehrten Verbrauch von Nervensubstanz schliessen zu können. Wenn es nun auch richtig ist, dass Phosphorsäure (in Verbindung mit Glycerin) ein gewöhnliches Zersetzungsproduct des Protagons ist, und wenn daher bei vollständiger Zerstörung von Nerven- oder Gehirntheilen Phosphorsäure in grösserer Menge in's Blut und in die Secrete gelangen kann, so ist doch leicht ersichtlich, dass dieselbe in keiner Weise der eigentlich fungirenden Substanz des Nerven oder des Gehirns entstammt, und dass sie am allerwenigsten da erwartet werden kann, wo bei Erhaltung des Nerven als solchen nur ein durch seine Thätigkeit vermehrter Umsatz seiner Substanz vorausgesetzt wird. Das „Phosphoresciren der Gedanken“ kann also zu den Träumen der Wissenschaft gerechnet werden.
Wird die Ernährung des Nerven erheblich gestört, so nimmt die Markscheide an Masse ab, ja sie kann unter Umständen gänzlich verschwinden, so dass der weisse Nerv wieder auf einen grauen oder gelatinösen Zustand zurückgeführt wird. Das gibt eine graue Atrophie, gelatinöse Degeneration, wobei die Nervenfaser an sich existirt und nur die besondere Anfüllung mit Markmasse leidet. Daraus erklärt es sich, dass man an vielen Punkten, wo man früher nach der anatomischen Erfahrung einen vollständig functionsunfähigen Theil erwarten zu dürfen glaubte, durch die klinische Beobachtung mit Hülfe der Electricität den Nachweis liefern konnte, dass der Nerv noch functionsfähig sei, wenn auch in einem geringeren Maassstabe, als normal, und so ist auch diese Erfahrung wieder ein Beweis geworden, dass das Mark nicht derjenige Bestandtheil sein kann, an welchen die Function des Nerven als solche gebunden ist. Zu demselben[279] Schluss haben auch die physikalischen Untersuchungen geführt, und man betrachtet daher gegenwärtig ziemlich allgemein den Axencylinder als den wesentlichen Theil des Nerven. Derselbe ist auch im blassen Nerven vorhanden, aber nur im weissen Nerven hebt er sich durch seine Ablösung von der umgebenden Markscheide deutlicher hervor. Der Axencylinder würde also die eigentliche electrische Substanz der Physiker sein, und man kann allerdings die Hypothese zulassen, dass die Markscheide mehr als eine isolirende Masse dient, welche die Electricität in dem Nerven selbst zusammenhält und deren Entladung eben nur an den marklosen Enden der Fasern zu Stande kommen lässt.
Die Besonderheit des Markstoffes äussert sich am häufigsten darin, dass, wenn man einen Nerven zerreisst oder zerschneidet, das Mark gewöhnlich aus demselben hervortritt (Fig. 87, m, m) und zugleich, namentlich bei Einwirkung von Wasser, eine eigenthümliche Runzelung oder Streifung annimmt (Fig. 89, A). Es saugt nehmlich Wasser auf, was allein beweist, dass es keine neutrale fettige Substanz in dem früher angenommenen Sinne ist, sondern höchstens wegen seines grossen Quellungsvermögens mit gewissen seifenartigen Verbindungen verglichen werden kann. Je länger die Einwirkung des Wassers dauert, um so längere Massen von Markstoff schieben sich aus den Nerven heraus. Diese haben ein eigenthümlich bandartiges Aussehen, bekommen immer neue Runzeln, Streifen und Schichtungen, und führen zu den sonderbarsten Figuren. Häufig lösen sich auch einzelne Stücke los und schwimmen als besondere, geschichtete Körper herum, welche in neuerer Zeit zu Verwechselungen mit den Corpora amylacea Veranlassung gegeben haben, von denen sie sich jedoch durch ihre chemischen Reactionen auf das Bestimmteste unterscheiden. —
Fig. 90. Breite und schmale Nervenfasern aus dem N. cruralis mit unregelmässiger Aufquellung des Markstoffes. Vergr. 300.
In Beziehung auf die histologische Verschiedenheit der Nerven unter sich ergibt die Untersuchung, dass an manchen Orten die eine oder andere Art ihrer Ausbildung ausserordentlich vorwaltet. Einerseits nehmlich unterscheiden sich die Nerven wesentlich durch die Breite ihrer Primitivfasern, andererseits[280] durch die Markhaltigkeit derselben. Es gibt sehr breite, mittlere und kleine weisse, und ebenso breite und feine graue Fasern. Eine sehr beträchtliche Grösse erreichen die grauen überhaupt selten, weil die Grösse eben abhängig ist von der Zunahme des Inhaltes, allein überall zeigt sich doch wieder eine Verschiedenheit, so dass gewisse Nerven feiner, andere gröber sind.
Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass in den Endstücken die Nervenfasern in der Regel feiner werden, und dass die letzte Verästelung verhältnissmässig die feinsten zu enthalten pflegt; jedoch ist das keine absolute Regel. Beim Opticus finden wir schon vom Augenblicke seines Eintrittes in das Auge an gewöhnlich nur ganz schmale, blasse Faser (Fig. 88, a), während die Nerven der Tastkörperchen der Haut bis ans Ende verhältnissmässig breite und dunkel contourirte Fasern zeigen (Fig. 92). Eine sichere Ansicht über die Bedeutung der verschiedenen Faserarten je nach ihrer Breite und Markhaltigkeit hat sich bis jetzt noch nicht gewinnen lassen. Eine Zeit lang hat man geglaubt, Unterschiede der Art aufstellen zu können, dass die breiten Fasern als Abkömmlinge des Cerebrospinal-Centrums, die feinen als Theile des Sympathicus betrachtet werden müssten, allein dies ist nicht durchzuführen, und man kann nur so viel sagen, dass die gewöhnlichen peripherischen Nerven allerdings einen grossen Gehalt an breiten, die sympathischen einen verhältnissmässig grösseren Antheil von feineren Fasern enthalten. An vielen Orten, wie z. B. im Unterleibe, überwiegen graue, breite Fasern (Fig. 87, A), deren nervöse Natur von Einigen noch bezweifelt wird. Es ist also vorläufig ein sicherer Schluss über die etwaige Verschiedenheit der Functionen aus dem blossen Bau noch nicht zu ziehen, obwohl kaum bezweifelt werden kann, dass solche Verschiedenheiten vorhanden sein müssen, und dass eine breite Faser an sich andere Fähigkeiten, sei es auch nur quantitativ verschiedene, darbieten muss, als eine feine, eine markhaltige andere, als eine marklose. Allein über alles das ist bis jetzt mit Sicherheit nichts ermittelt; und seitdem durch die feinere physikalische Untersuchung nachgewiesen ist, dass alle Nerven, nicht wie man früher annahm, nur nach der einen oder der anderen Seite hin leiten, sondern die Leitungsfähigkeit nach beiden Seiten hin besitzen, so scheint es nicht gerechtfertigt, Hypothesen über die centripetale oder centrifugale Leitung an diese Erfahrung von der verschiedenen Breite der Fasern unmittelbar anzuknüpfen.[281] Die grosse Verschiedenheit, welche in Beziehung auf die Function der einzelnen Nerven zu bemerken ist, lässt sich bis jetzt nicht so sehr auf die Verschiedenartigkeit des Baues derselben beziehen, als vielmehr auf die Besonderheit der Einrichtungen, mit welchen der Nerv verbunden ist. Es ist einerseits die besondere Bedeutung des Centralorgans, von welchem der Nerv ausgeht, andererseits die besondere Beschaffenheit des Endes, in welches er gegen die Peripherie hin verläuft, welche seine specifische Leistung erklären.
Fig. 91. Vater'scher oder Pacini'scher Körper aus dem Unterhautfettgewebe der Fingerspitze. S Der aus einer dunkelrandigen, markhaltigen Primitiv-Nervenfaser n und dem dicken, mit Längskernen versehenen Perineurium p, p bestehende Stiel. C Der eigentliche Körper mit concentrischen Lagen des kolbig angeschwollenen Perineurium und der centralen Höhle, in welcher der blasse Axencylinder fortläuft und frei endigt. Vergr. 150.
In der Verfolgung der Endigungen, welche die Nerven gegen die Peripherie hin darbieten, hat die Histologie gerade in den letzten Jahren wohl ihre glänzendsten Triumphe gefeiert. Früherhin stritt man sich bekanntlich darum, ob die Nerven in Schlingen ausgingen oder in Plexus oder frei endigten, und man war gleich exclusiv nach der einen, wie nach der anderen Richtung hin. Heutzutage haben wir Beispiele für die meisten dieser Endigungen, am wenigsten aber für die Form, welche eine Zeit lang als die regelrechte betrachtet wurde, nehmlich für die Schlingenbildung.
Die deutlichste, aber sonderbarer Weise functionell bis jetzt am wenigsten bekannte Endigungsform ist die in den sogenannten Vater'schen oder Pacini'schen Körpern, — Organen, über deren Bedeutung man immer noch nichts anzugeben weiss. Man findet sie beim Menschen verhältnissmässig am meisten ausgebildet im Fettgewebe der Fingerspitzen, aber auch in ziemlich grosser Anzahl im Gekröse, am deutlichsten und bequemsten aber im Mesenterium der Katzen, in welches sie ziemlich weit hinaufreichen,[282] während sie beim Menschen gewöhnlich bloss an der Wurzel des Gekröses liegen, wo das Duodenum mit dem Pancreas zusammenstösst, in der Nähe des Plexus solaris. Ueberdies zeigt sich eine sehr grosse Variabilität bei verschiedenen Individuen. Einige haben sehr wenig, andere sehr viel davon, und es ist sehr leicht möglich, dass daraus gewisse individuelle Eigenthümlichkeiten resultiren. So habe ich z. B. mehrmals bei Geisteskranken sehr viele solche Körper gefunden, worauf ich indessen vorläufig kein grosses Gewicht legen will.
Ein Pacini'scher Körper stellt, mit blossem Auge gesehen, ein weissliches, gewöhnlich ovales und an dem einen Ende etwas zugespitztes, 1–1½‴ langes Gebilde dar, das an einem Nerven festhängt, und zwar so, dass in einen jeden Körper nur eine einzelne Primitivfaser übergeht. Der Körper zeigt eine verhältnissmässig grosse Reihe von elliptischen und concentrischen Lagen oder Blättern, welche am oberen Ende ziemlich nahe an einander stossen, am unteren weiter von einander abweichen und im Inneren einen länglichen, gewöhnlich gegen das obere Ende spitzeren, von einer feinkörnigen Substanz erfüllten Raum umschliessen. Zwischen diesen Blättern erkennt man deutlich eine regelmässige Einlagerung von Kernen. Wenn man die Blätter gegen den nervösen Stiel hin verfolgt, so sieht man sie zuletzt in das hier sehr dicke Perineurium übergehen. Man kann sie daher als colossale Entfaltungen des Perineuriums betrachten, welche aber nur eine einzige Nervenfaser umschliessen. Verfolgt man nun die Nervenfaser selbst, so bemerkt man, dass der markhaltige Theil gewöhnlich nur bis in den Anfang des Körperchens reicht; dann verschwindet das Mark, und man sieht den Axencylinder allein fortgehen. Dieser verläuft nun in der centralen Höhle, um gewöhnlich in der Nähe des oberen Endes einfach, oft mit einer kleinen kolbigen Anschwellung, im Gekröse sehr häufig in einer spiralförmigen Windung zu enden. In seltenen Fällen kommt es vor, dass die Primitivfaser innerhalb des Körperchens sich in zwei oder mehrere Aeste theilt. Aber jedesmal scheint hier eine Art von Endigung vorzuliegen. Was die Körper zu besagen haben, welche Verrichtung sie ausüben, ob sie irgend etwas mit sensitiven Functionen zu thun haben, oder ob sie irgend eine Leistung des Centrums anzuregen berufen sind, darüber wissen wir bis jetzt nichts. —
Eine gewisse Aehnlichkeit mit diesen Gebilden zeigen die in der letzten Zeit so viel discutirten Tastkörper. Wenn man die Haut und namentlich den empfindenden Theil derselben mikroskopisch untersucht, so unterscheidet man, wie dies von Meissner und Rud. Wagner zuerst gefunden ist, zweierlei Arten von Papillen oder Wärzchen, mehr schmale und mehr breite, zwischen denen freilich Uebergänge vorkommen (Fig. 92). In den schmalen findet man constant eine einfache, zuweilen eine verästelte Gefässschlinge, aber keinen Nerven. Es ist diese Beobachtung insofern wichtig, als wir durch sie zur Kenntniss eines neuen nervenlosen Theiles gekommen sind. In der anderen Art von Papillen findet man dagegen sehr häufig gar keine Gefässe, sondern Nerven und jene eigenthümlichen Bildungen, welche man als Tastkörper bezeichnet hat.
Fig. 92. Nerven- und Gefässpapillen von der Haut der Fingerspitze, nach Ablösung der Oberhaut und des Rete Malpighii. A Nervenpapille mit dem Tastkörper, zu dem zwei Primitivfasern n treten: im Grunde der Papille feine elastische Netze e, von denen feine Fasern ausstrahlen, zwischen und an denen Bindegewebskörperchen zu sehen sind. B, C, D Gefässpapillen, bei C einfache, bei B und D verästelte Gefässschlingen, daneben feine elastische Fasern und Bindegewebskörperchen; p der horizontal fortlaufende Papillarkörper, bei c feine sternförmige Elemente der eigentlichen Cutis. Vergr. 300.
Der Tastkörper erscheint als ein von der übrigen Substanz der Papille ziemlich deutlich abgesetztes, länglich ovales Gebilde, das Wagner, freilich etwas kühn, mit einem Tannenzapfen verglichen hat. Es sind meistens nach oben und unten abgerundete[284] Knoten, an denen man nicht, wie an den Pacini'schen Körpern, eine längliche Streifung sieht, sondern vielmehr eine Querstreifung mit querliegenden Kernen. Zu jedem solchen Körper tritt nun ein Nerv und von jedem kehrt ein Nerv zurück, oder richtiger, man sieht gewöhnlich an jeden Körper zwei Nervenfäden treten, meistentheils ziemlich nahe an einander, die sich bequem bis an die Seite oder die Basis des Körpers verfolgen lassen. Von da ab ist der Verlauf sehr zweifelhaft, und in einzelnen Fällen variiren die Zustände so sehr, dass es noch nicht gelungen ist, mit Bestimmtheit das gesetzmässige Verhalten der Nerven zu diesen Körpern zu ermitteln. In manchen Fällen sieht man nehmlich ganz deutlich den Nerven hinaufgehen und auch wohl sich um den Körper herumlegen. Zuweilen scheint es, als ob wirklich der Tastkörper in einer Nervenschlinge liege und auf diese Weise die Möglichkeit einer intensiveren Einwirkung äusserer Anstösse auf den Nerven gegeben sei. Andere Male sieht es wieder aus, als ob der Nerv viel früher schon aufhörte und sich in den Körper selbst einsenkte. Einige haben angenommen, wie Meissner, dass der Körper selbst dem Nerven angehöre, welcher an seinem Ende anschwölle. Dies halte ich nicht für richtig; nur das scheint mir zweifelhaft zu sein, ob der Nerv im Innern des Körpers endigt oder im Umfange desselben eine Schlinge bildet.
Neuere Untersuchungen von P. Langerhans haben jedoch gelehrt, dass die Nervenpapillen ausser den zu den Tastkörpern gehenden markhaltigen Fasern noch ein sehr reiches Geflecht markloser Fasern enthalten, welche von Strecke zu Strecke kernhaltige, ganglienartige Anschwellungen besitzen. Von diesen gehen feine Fortsätze aus, welche über die Grenze der Papillen hinaus in das Rete Malpighii eindringen und zwischen den Zellen desselben birnförmige Anschwellungen bilden, von welchen wiederum feine Fortsätze ausgehen. Letztere dringen bis zwischen die oberen Lager der Rete-Zellen und endigen hier mit feinen, knopfartigen Anschwellungen. Dieses marklose Geflecht findet sich übrigens auch an Stellen der Haut, wo keine Papillen und Tastkörper vorkommen.
Abgesehen von der anatomischen und physiologischen Frage, hat das Beispiel der Hautpapillen einen grossen Werth für die Deutung pathologischer Erscheinungen, weil wir hier in an sich ganz ähnlichen Theilen zwei vollkommene Gegensätze finden:[285] einerseits nervenlose und gefässreiche, andererseits gefässlose, nur mit Nerven versehene Papillen. Die besonderen Beziehungen, welche die Lager des Rete und der Epidermis zu den beiden Arten von Papillen haben, scheinen, abgesehen von den marklosen Fasern, keine wesentlichen Verschiedenheiten darzubieten. Die Zellen der Oberhaut ernähren sich über den einen, wie über den anderen, und sie scheinen über den einen so wenig innervirt zu werden, wie über den anderen.
Dies sind Thatsachen, welche auf eine gewisse Unabhängigkeit der einzelnen Theile hindeuten und welche bestimmte Gesichtspunkte liefern, dass grosse, selbst nervenreiche Theile ohne Gefässe bestehen, sich erhalten und functioniren können, und dass andererseits Theile, die verhältnissmässig viele Gefässe enthalten, absolut der Nerven entbehren können, ohne in Unordnung ihrer Ernährungszustände zu gerathen. Freilich ist dies an keinem Orte augenfälliger, als an der Haut und gerade deshalb scheint mir die Verschiedenheit der einzelnen Hautwärzchen untereinander theoretisch so wichtig zu sein, dass ich die Aufmerksamkeit dafür besonders in Anspruch nehmen zu müssen glaube.
Denkt man sich an einer Hautpapille die Gefässe, Nerven und Tastkörper hinweg, so bleibt nur noch eine geringe Masse von Gewebe übrig, aber auch innerhalb dieses geringen Restes gibt es noch wieder zellige Elemente mit Intercellularsubstanz (Bindegewebe). Die Sache ist demnach so, dass unmittelbar an die (epidermoidalen) Zellen des Rete Malpighii Bindegewebe mit Bindegewebskörperchen (Fig. 17) stösst, welche sich nach der Injection sehr deutlich von den Gefässen unterscheiden (Fig. 92). Besonders günstig für eine Untersuchung ist der Fall, wenn durch irgend eine Erkrankung, z. B. den Pockenprocess, eine leichte Schwellung der ganzen Haut stattgefunden hat und die Elemente ein wenig grösser sind, als normal. In gewöhnlichen Papillen ist es etwas schwieriger, die Bindegewebselemente wahrzunehmen, doch sieht man sie bei genauerer Betrachtung überall, auch neben den Tastkörpern.
Demnach findet sich auch in den feinsten Ausläufern der Haut gegen die Oberfläche hin nicht eine amorphe Masse, welche in einem constanten Ernährungs-Verhältnisse zu Gefässen und Nerven steht; vielmehr erscheint als einheitliche Einrichtung, als eigentlich constituirende Grundmasse der verschiedenen (Gefäss-[286] und Nerven-) Papillen immer nur die Bindegewebssubstanz. Erst dadurch gewinnen die einzelnen Papillen eine verschiedene Bedeutung, dass zu dieser Grundmasse in dem einen Falle Gefässe, in dem anderen Nerven hinzukommen.
Wir wissen allerdings wenig über die besonderen Beziehungen, welche die gefässhaltigen Papillen zu den Functionen der Haut haben, indessen lässt sich kaum bezweifeln, dass, wenn man erst mehr im Stande sein wird, die verschiedenen Hautthätigkeiten zu sondern, auch den Gefässpapillen eine grössere Wichtigkeit zugesprochen werden wird. So viel können wir aber jetzt schon sagen, dass es falsch ist, sich zu denken, dass in einem jeden anatomischen Theile der Haut eine besondere Nervenverbreitung existire. Gleichwie physiologische Versuche zeigen, dass relativ grosse Empfindungskreise in der Haut vorhanden sind, so lehrt auch die feinere histologische Untersuchung, dass die Zahl der zur Oberfläche aufsteigenden Nerven eine relativ spärliche ist. Die Gefässe sind zahlreicher, als die ankommenden Nerven. Will man also die Haut in bestimmte Territorien eintheilen, so versteht es sich von selbst, dass die Nerven-Territorien grösser ausfallen müssen, als die Gefäss-Territorien. Aber auch jedes durch eine einzige Capillarschlinge bezeichnete Gefäss-Territorium (Papille) zerfällt wieder in eine Reihe von kleineren (Zellen-) Territorien, welche freilich alle an dem Ufer des einen Capillargefässes liegen, aber in sich begrenzt sind, indem jedes durch ein besonderes zelliges Element beherrscht wird[122].
Auf diese Weise kann man es sich sehr wohl erklären, wie innerhalb einer Papille einzelne (Zellen-) Territorien erkranken können. Gesetzt z. B., ein solches Territorium schwillt an, vergrössert sich und wächst mehr und mehr hervor, so kann eine baumförmige Verästelung entstehen (spitzes Condylom, Fig. 93), ohne dass die ganze Papille in gleicher Weise afficirt wäre. Das Gefäss wächst erst späterhin nach und schiebt sich in die schon grösser gewordenen Aeste hinein. Nicht das Gefäss ist es, welches durch seine Entwickelung die Theile hinausschiebt, sondern die erste Entwickelung geht immer vom Bindegewebe des Grundstockes aus. Es hat daher das Studium der Hautzustände ein besonderes Interesse für die Kritik der allgemein-pathologischen[287] Doctrinen. Was zunächst den neuropathologischen Standpunkt betrifft, so ist es ganz unbegreiflich, wie ein Nerv, der inmitten einer ganzen Gruppe von nervenlosen Theilen liegt, es machen soll, um innerhalb dieser Gruppe eine einzelne Papille, zu welcher er gar nicht hinkommt, zu einer pathologischen Thätigkeit zu vermögen, an welcher die übrigen Papillen desselben Nerven-Territoriums keinen Theil nehmen. Eben so schwierig ist die Deutung dieses Verhältnisses vom Standpunkte eines Humoralpathologen da, wo es sich um Erkrankungen von gefässlosen Papillen handelt. Selbst wo innerhalb einer Gefäss-Papille die verschiedenen Zellen-Territorien in verschiedene Zustände gerathen, würde diese Verschiedenheit der Zustände nicht wohl begreiflich sein, wenn man den ganzen Ernährungsvorgang einer Papille als einen einheitlichen und als direct abhängig von dem Generalzustande des Gefässes ansehen wollte, welches sie versorgt.
Fig. 93. Der Grundstock eines spitzen Condyloms vom Penis mit stark knospenden und verästelten Papillen, nach völliger Ablösung der Epidermis und des Rete Malpighii. Vergr. 11.
Aehnliche Betrachtungen kann man freilich an allen Punkten des Körpers anstellen, indess bietet die Haut doch ein besonders günstiges Beispiel dafür, wie verkehrt es war, wenn man alle Gefässe unter einen particularen Nerveneinfluss stellte. Bleiben wir bei der Haut stehen, so beschränkt sich die Einwirkung, welche ein Nerv auszuüben im Stande ist, darauf, dass die zuführende Arterie, welche eine ganze Reihe von Papillen zusammen versorgt[288] (Fig. 53), in einen Zustand der Verengerung oder Erweiterung versetzt wird, und dass dem entsprechend eine verminderte oder vermehrte Zufuhr zu einem grösseren Bezirke, einer Gruppe von Papillen stattfindet.
W. Krause hat in der letzten Zeit an verschiedenen Schleimhäuten, wie an der Conjunctiva bulbi, in der Mundschleimhaut unter der Zunge und am weichen Gaumen, an den Papillen der Zunge, sowie an gewissen Uebergangsstellen von der äusseren Haut zur Schleimhaut, namentlich an den Lippen und der Eichel, Endkolben an den Nerven gefunden, welche sich den Tastkörperchen oder eigentlich noch mehr den Vater'schen Körperchen anschliessen. Es dringt nehmlich die schliesslich marklos gewordene Nervenfaser, zuweilen unter eigenthümlichen Windungen und Knäuelbildung, in eine sehr feinkörnige, von einer Bindegewebshülle umgebene Anschwellung ein. —
Betrachten wir nun andere Beispiele der Nerven-Endigungen, so zeigt sich nirgends eine Wahrscheinlichkeit für eigentliche Schlingenbildung. Ueberall, wo man sichere Kenntnisse gewinnt, ergibt sich, dass die Nerven entweder übergehen in einen grossen Plexus, in eine netzförmige Ausbreitung, oder dass sie direct endigen in besonderen Apparaten. Bei der Mehrzahl der letzteren verlieren sich die Nerven zuletzt in eigenthümliche, besonders gestaltete Ausläufer oder Fortsätze, welche theils neben den anderen Gewebselementen zerstreut liegen, theils zu besonderen Massen zusammengefügt sind. Eine solche Art der Endigung findet sich an allen höheren Sinnesorganen. Indess bietet die Untersuchung hier so grosse Schwierigkeiten, dass noch an keinem einzigen Punkte eine allgemein angenommene Auffassung gesichert ist. So viele Untersuchungen man auch über Retina und Cochlea, über Nasen- und Mundschleimhaut in den letzten Jahren gemacht hat, so sind doch die letzten Fragen über das histologische Detail, namentlich über den Zusammenhang der Nerven mit den Endapparaten, noch nicht ganz erledigt. Fast überall bleiben zwei Möglichkeiten für die Endigung der Nerven: entweder sie laufen gegen die Oberfläche hin in eigenthümliche, von den gewöhnlichen Nervenfasern abweichende Gebilde aus, welche aber doch den Nerven als solchen angehören, also selbst nervös sind, oder sie verbinden sich an ihrem Ende mit Elementen eines anderen Gewebstypus, z. B. mit Epithelialzellen.
Die ersten Untersuchungen der Nasen- und Mundschleimhaut schienen mehr für das letztere Verhältniss zu sprechen. Man fand hier gewisse Stellen, welche sich durch die Beschaffenheit ihres Epithels wesentlich von der übrigen Schleimhaut unterscheiden: an der Nasenschleimhaut die sogenannte Regio olfactoria, an der Zunge die Papillae fungiformes (wenigstens beim Frosch). Während das Epithel an der gewöhnlichen Schleimhaut meist dicker und aus mehrfachen, über einander geschobenen Reihen an der Oberfläche flimmernder Cylinderzellen zusammengesetzt ist, bildet es an den genannten Orten eine einfache Lage von bald mehr, bald weniger gefärbten, nicht flimmernden Zellen. Letztere gehen nach unten (innen) in längere Fortsätze über, welche in das Bindegewebe eindringen. Als zuerst Eckhardt und dann Ecker an der Nasenschleimhaut diese Beobachtung machten, glaubten sie annehmen zu dürfen, dass diese Fortsätze sich mit den in dem Bindegewebe eingeschlossenen Nervenfasern unmittelbar verbänden. Allein mehr und mehr ist man von dieser Ansicht zurückgekommen, und es ist namentlich das Verdienst von Max Schultze, dargethan zu haben, dass die Nervenenden sich neben und zwischen jenen eigenthümlichen Epithelialzellen finden. Die Nervenfasern theilen sich an ihrem Ende in zahlreiche, kleine Fädchen, welche über das Bindegewebe hinaus zwischen die Epithelialzellen eintreten und sich hier zu besonderen zellenartigen, mit Kernen versehenen, jedoch sehr feinen Gebilden ausweiten, aus denen zuweilen noch wieder feinere Endfädchen über die freie Oberfläche hervorstehen. Damit ist die Frage nach der Bedeutung jener eigenthümlichen Epithelialzellen und ihrer Verbindungen nach innen hin noch immer nicht gelöst, aber so viel doch sichergestellt, dass die Geruchs- und Geschmacksobjecte unmittelbar mit den letzten Endgebilden der Nerven (Riech- und Geschmackszellen) in Berührung kommen.
Ganz ähnliche Verhältnisse fand Max Schultze im inneren Ohr, namentlich in dem Vorhofe und den Ampullen, wo die letzten Nervenendigungen durch das Epithel hindurchtreten und in frei hervorstehende, steife Haare (Hörhaare) auslaufen. Die seit Corti so vielfach untersuchte Endigungsweise des Hörnerven in der Schnecke ist dagegen immer noch nicht ganz aufgeklärt. Hier findet sich ein überaus zusammengesetzter, sehr zarter Apparat, an welchem eine Reihe von Fasern mit gestielten Zellen[290] etwa so in Verbindung steht, wie die Tasten eines Fortepiano's mit den Saiten desselben. Was hier nervös ist, was nicht, ist sehr schwer zu scheiden. Erst in der letzten Zeit hat A. Böttcher einen Zusammenhang der Endfasern des Nervus cochleae mit inneren und äusseren Hörzellen beschrieben, welche an der Seite der Bogenfasern im Canalis cochleae gelegen sind.
Ungleich besser, obwohl immer noch nicht ganz vollständig, sind wir über die empfindenden Theile des Auges unterrichtet, und ich will daher, bei der grossen praktischen Bedeutung dieser, durch die Ophthalmoskopie der direkten Untersuchung bei Lebzeiten zugänglich gemachten Theile, etwas specieller darauf eingehen.
Fig. 94. A Verticalschnitt durch die ganze Dicke der Retina, nach Härtung in Chromsäure, l Membrana limitans (anterior) mit den aufsteigenden Stützfasern. f Faserschicht des Opticus. g Ganglienschicht. n graue feinkörnige Schicht mit durchtretenden Radiärfasern. k Innere (vordere) Körnerschicht. i Intermediäre oder Zwischenkörnerschicht. k' Aeussere (hintere) Körnerschicht. s Stäbchenschicht mit Zapfen. Vergr. 300. B, C (nach H. Müller) Isolirte Radiärfasern.
Alsbald nach seinem Eintritte in das Innere des Bulbus breitet sich der Opticus von der sogenannten Papille her nach allen Seiten so aus, dass seine völlig marklosen Fasern an der vorderen, dem Glaskörper zugewendeten Seite der Retina verlaufen (Fig. 94, f). Nach hinten schliesst sich daran eine verschieden[291] dicke Lage, welche den Haupttheil der Retina ausmacht, aber in keiner Weise aus einer einfachen Ausstrahlung des Opticus hervorgeht. Diese Lage, welche man sehr uneigentlich eine Haut (Netzhaut) nennt, zeigt zu äusserst, der Pigmentzellenschicht der Aderhaut (Chorioides) unmittelbar anliegend, ein eigenthümliches Stratum, über welchem ein sonderbares Geschick geschwebt hat, indem man dasselbe längere Zeit an die vordere Seite der Retina verlegte; es ist dies die berühmte Stäbchenschicht (Fig. 94, s). Diese Schicht, welche zu den verletzbarsten Theilen des Auges gehört und deshalb den früheren Untersuchern vielfach entgangen war, besteht, wenn man sie von der Seite her betrachtet, aus einer sehr grossen Menge dicht gedrängter, radiär gestellter Stäbchen, zwischen denen in gewissen Abständen breitere zapfenförmige Körper erscheinen. Betrachtet man die Retina von der hinteren Oberfläche her, d. h. von der Seite der Chorioides aus, so sieht man in regelmässigen Abständen die Zapfen, umgeben von den Enden der Stäbchen, welche als feine Punkte erscheinen.
Was nun zwischen der Stäbchenschicht und der eigentlichen Ausbreitung des Sehnerven liegt, das ist wieder ein sehr zusammengesetztes Ding, an welchem man eine Reihe regelmässig auf einander folgender Schichten unterscheiden kann. Zunächst vor der Stäbchenschicht und von derselben durch ein zartes Häutchen (Membrana limitans posterior s. externa M. Schultze) getrennt, folgt eine verhältnissmässig dicke Lage, welche fast ganz aus groben, runden Körnern zusammengesetzt erscheint: die sogenannte äussere Körnerschicht (Fig. 94, k'). Dann kommt eine verschieden starke, jedoch im Ganzen dünnere Lage von mehr amorphem Aussehen: die Zwischenkörnerschicht (Fig. 94, i). Dann kommen wieder gröbere Körner (die innere Körnerschicht), welche, wie die Körner der äusseren Lage, Kerne besitzen (Fig. 94, k). Darauf folgt nochmals eine feinkörnige oder vielmehr feinstreifige Lage von mehr grauem Aussehen (Fig. 94, n) und dann erst die ziemlich dicke Lage der Opticusfasern, welche ihrerseits nach vorne von einer Membran begrenzt wird, der Membrana limitans anterior s. interna (Fig. 94, l), welche dem Glaskörper dicht anliegt. Innerhalb der grauen Schicht sieht man, zum Theil noch in die Faserschicht des Opticus eingesenkt, eine Reihe von grösseren Zellen, die sich als Ganglienzellen ausweisen (Fig. 94, g). Sie hängen mit den Opticusfasern unmittelbar zusammen.
Diese ausserordentlich zusammengesetzte Beschaffenheit einer auf den ersten Blick so einfachen, so zarten Membran macht es leicht erklärlich, dass es lange gedauert hat, ehe das Verhältniss ihrer einzelnen Theile auch nur annähernd ermittelt wurde. Einer der ersten Schritte, der in der Erkenntniss dieses Verhältnisses gemacht wurde, war die Entdeckung von Heinrich Müller, dass man von der Limitans interna aus bis tief in die Körnerschichten hinein eine Reihe von feinen parallelen Faserzügen verfolgen kann, radiäre Fasern, auch Müller'sche Fasern[123] genannt, welche an gewissen Stellen Kerne tragen (Fig. 94, B, C). Die Radiärfasern sind im Wesentlichen senkrecht auf den Verlauf der Opticusfasern gestellt, aber das Verhältniss beider zu einander ist schwer zu ergründen. Die grösste Schwierigkeit bestand darin, zu ermitteln, ob die radiäre Faser, sei es durch direkte Umbiegung, sei es durch seitliche Anastomose, in Opticus- oder Ganglienfasern übergehe, also selbst nervös sei, oder ob es sich nur um eine dichte Aneinanderlegung handle, so dass die Nerven nur in einem innigen Nachbarverhältnisse zu den Radiärfasern stehen. Auch den Tastkörper konnte man ja als eine körperliche Anschwellung des Nerven selbst oder als ein besonderes Gebilde ansehen, an welches der Nerv nur heran- oder hereintritt. Diese Frage ist lange streitig gewesen. Bald ist die Wahrscheinlichkeit etwas grösser geworden, dass es sich um direkte Verbindungen, bald dass es sich nur um Aneinanderlagerung handle. Zuerst verständigte man sich über die gröberen Faserzüge, welche von der Membrana limitans anterior mit breiter, fast dreieckiger Basis anheben (Fig. 94, l) und in regelmässigen Abständen durch die Retina nach hinten verlaufen; sie sind sicher bindegewebiger Natur und bilden ein interstitielles Gewebe, welches dem Ganzen eine Art von Halt oder Stütze bietet (Stützfasern). Ich habe zuerst durch die pathologische Beobachtung den Unterschied dieses Zwischengewebes von dem nervösen Antheil dargelegt[124]. Max Schultze hat sodann gezeigt, dass die vorderen Enden der Zapfen und Stäbchen mit den äusseren Körnern (Zapfen- und Stäbchenkörnern) zusammenhängen und diese wiederum in feine Fasern übergehen, welche die Zwischenkörnerschicht durchsetzen.[293] An der Grenze der inneren Körnerschicht angelangt, bildet jede Faser eine kleine dreieckige Anschwellung, aus welcher nach Hasse je drei Fädchen ausgehen, die in die äussere Körnerschicht eintreten. Hier wird vermuthet, dass sie mit den Körnern selbst zusammenhängen, und dass andererseits diese wieder mit Fortsätzen der Ganglienzellen in direkter Verbindung stehen. Indess ist es noch nicht gelungen, diese überaus zarten und verwickelten Verhältnisse ganz zu entwirren. Noch weniger ist es klar, in welcher Ausdehnung das interstitielle Gewebe dieser Schichten mit eigenen zelligen Elementen ausgestattet ist; nur das scheint festzustehen, dass auch die gröberen Radiärfasern dem Bindegewebe angehören.
Trotz dieser Mängel kann schon jetzt nicht mehr bezweifelt werden, dass für die Licht-Empfindung der ganze Apparat wesentlich ist, und dass der Opticus an sich mit allen seinen Fasern und Ganglienzellen existiren könnte, ohne irgendwie die Fähigkeit zu haben, Lichteindrücke zu empfangen; diese erlangt er erst durch seine Verbindung mit der Stäbchenschicht und den Körnerlagen. Gerade die Papilla optici, d. h. die Stelle des Augen-Hintergrundes, wo bloss Opticusfasern liegen und nicht ein solcher Apparat, ist zugleich die einzige, welche nicht sieht (blinder Fleck). Damit das Licht also überhaupt in die Lage komme, auf den Sehnerven einwirken zu können, bedarf es der Berührung mit jenem Endapparat, und, nachdem M. Schultze gefunden hat, dass die letzten Ausläufer der Nerven in Form feinster Fäserchen die Limitans externa durchbohren und sich den Stäbchen und Zapfen äusserlich anlegen, so ist es auch physikalisch nicht zweifelhaft, dass der Nerv nicht selbst die Vibrationen der Lichtwellen empfängt, sondern dass die Schwingungen der Zapfen und Stäbchen auf die Enden des Sehnerven einwirken und in denselben die eigenthümliche Licht-Erregung erzeugen.
Bei Erwägung dieser Verhältnisse wird man sich der Ueberzeugung nicht entziehen können, dass die specifische Energie der einzelnen Nerven nicht sowohl in der Besonderheit des inneren Baues ihrer Fasern als solcher beruht, sondern dass es wesentlich auf die besondere Art der Endeinrichtung ankommt, mit welcher der Nerv, sei es durch Continuität, sei es durch Contact, in Verbindung steht. Nur darin beruht die besondere Fähigkeit der einzelnen Sinnesnerven. Betrachtet man einen Querschnitt des Opticus[294] ausserhalb des Auges, so bietet er keine solchen Besonderheiten anderen Nerven gegenüber dar, dass sie erklären könnten, warum gerade dieser Nerv für Licht mehr leitungsfähig ist, als die anderen Nerven; erwägt man dagegen die besonderen Verhältnisse, unter welchen sich seine letzten Enden verbreiten, so wird die ungewöhnlich grosse Empfindlichkeit der Retina gegen das Licht vollständig begreiflich. — Aehnlich verhält es sich mit den übrigen Sinnesnerven. —
Die bisherige Erörterung bezog sich wesentlich auf Empfindungs- und Sinnesnerven, bei denen es sich darum handelte, ihre peripherischen Enden durch besondere Anordnung oder Ausstattung für die Aufnahme der Sinneseindrücke zu befähigen. Anders verhält es sich mit derjenigen Klasse von Nerven, welche von den Centralorganen aus die Anregung zu besonderen Thätigkeiten der Peripherie zuleiten sollen. Ich will sie kurzweg als Arbeitsnerven bezeichnen. Dahin gehören vor Allen die Muskel- und Drüsennerven. Auch sie erlangen ihre eigentliche Bedeutung erst durch ihre Verbindung mit besonderen Apparaten, aber sie unterscheiden sich dadurch von den Empfindungsnerven, dass diese Apparate nicht mehr Bestandtheile der Nerven, sondern selbständige Einrichtungen sind, welche nur der Anregung der Nerven bedürfen, um in Thätigkeit zu gerathen. Auch hier haben erst die letzten Jahre Aufklärung gebracht.
Zuerst zeigte Doyère bei Wirbellosen einen nahen Zusammenhang der motorischen Nerven mit den Muskeln. Er fand, dass eine feine Nervenfaser an das Primitivbündel selbst herantritt und hier mit einer eigenthümlichen Anschwellung, dem Nervenhügel, endigt (S. 81). Später hat W. Kühne diese Verhältnisse in grosser Ausdehnung bei den Wirbelthieren und dem Menschen verfolgt. Es hat sich ergeben, dass eine einzelne markhaltige Nervenfaser bis zu dem einzelnen Primitivbündel (Muskelfaser) herantritt, das Sarkolemm desselben durchbohrt, marklos wird und sich schnell zu einer, mit Kernen reichlich versehenen Endplatte (elektrische Platte) ausbreitet, welche sich unmittelbar auf die muskulöse Substanz auflegt. An organischen Muskelfasern hat Frankenhäuser unmittelbare Verbindungen der Nervenenden mit den Kernkörperchen bemerkt.
In ähnlicher Weise haben sich Verbindungen der Nervenenden mit Drüsenzellen ergeben. Pflüger hat an der Speicheldrüse[295] gesehen, wie die Nerven die Tunica propria durchbrechen und sich mit den Drüsenzellen selbst, ja sogar mit den Kernen derselben verbinden, — eine Art der Vereinigung, die er später auch von der Leber beschrieben hat. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden sich diese Erfahrungen schnell vermehren, und damit für das Studium der Innervationsvorgänge ein ganz neues Gebiet der Erfahrungen sich erschliessen. Zahlreiche zerstreute Beobachtungen der früheren Zeit deuten darauf hin, und schon jetzt haben sie jede Möglichkeit, das sogenannte Continuitätsgesetz wieder aufzurichten, von vorn herein beseitigt (S. 80). —
Fig. 95. Theilung einer Primitiv-Nervenfaser bei t, wo sich eine Einschnürung findet; b', b″ Aeste. a eine andere Faser, welche die vorige kreuzt. Vergröss. 300.
Bevor wir jedoch die Betrachtung über die Nerven-Endigungen abschliessen, müssen wir noch eine kurze Zeit bei der Untersuchung verweilen, wie sich die Nerven verhalten, bevor sie in diese Endausbreitungen übergehen. Hier kommen noch zwei Punkte in Betracht: nehmlich ihre Verästelung und ihre plexusartige Ausbreitung. Es sind dies Punkte, auf welche die neueren Untersucher hauptsächlich durch Rudolf Wagner geleitet worden sind. Die Untersuchungen, welche dieser Forscher über die Verbreitung der Nerven im elektrischen Organ der Fische anstellte, gaben den wesentlichen Anstoss zu der Begründung der Lehre von der Verästelung der Nervenfasern. Bis dahin hatte man die Nervenfasern als zusammenhängende, einfache Röhren betrachtet, welche vom Centrum bis ans Ende einfach neben einander fortliefen. Gegenwärtig weiss man, dass sich die Nerven wie Gefässe verbreiten. Indem sich eine Nervenfaser direkt, gewöhnlich dichotomisch theilt, ihre Aeste sich wieder theilen und so fort, so entsteht zuweilen eine überaus reiche Verästelung. Die Bedeutung derselben ist natürlich höchst verschieden, je nachdem der Nerv sensitiv oder motorisch ist, je nachdem er also entweder von einer grösseren Fläche her die Eindrücke sammelt, oder auf eine[296] grössere Fläche hin die motorische Erregung ausstrahlt. Ein wahrhaft miraculöses Beispiel haben wir in der neueren Zeit kennen gelernt in dem Nerven des durch die interessanten Experimente du Bois-Reymond's so berühmt gewordenen elektrischen Welses (Malapterurus). Hier hat Bilharz gezeigt, dass der Nerv, welcher das elektrische Organ versorgt, ursprünglich nur eine einzige mikroskopische Primitivfaser ist, welche sich immer wieder und wieder theilt und sich schliesslich in eine enorm grosse Masse feinster Aeste auflöst, welche sich an das elektrische Organ verbreiten. In diesem Falle muss also die Wirkung mit einem Male von einem Punkte aus sich über die ganze Ausbreitung der elektrischen Platten äussern.
Beim Menschen fehlen uns für diese Frage noch bestimmte Anhaltspunkte, weil die colossalen Entfernungen, über welche die einzelnen Nerven sich verbreiten, es fast unmöglich machen, einzelne bestimmte Primitivfasern vom Centrum bis in die letzte Peripherie zu verfolgen. Aber es ist gar nicht unwahrscheinlich, dass auch beim Menschen in einzelnen Organen analoge Einrichtungen existiren, wenn auch vielleicht nicht so frappante. Vergleicht man die Grösse der Nervenstämme an gewissen Punkten mit der Summe von Wirkungen, die in einem Organe, z. B. in einer Drüse stattfinden, so kann es kaum zweifelhaft erscheinen, dass analoge Einrichtungen auch hier vorhanden sind.
Diese Art der Verbreitung hat insofern ein besonderes Interesse, als viele räumlich getrennte Theile dadurch unter einander verbunden werden. Das elektrische Organ der Fische besteht aus einer Menge von Platten, aber nicht jede Platte wird auf einem nur für sie bestimmten Wege vom Centrum aus innervirt. Der Wels setzt nicht diese oder jene Platte in Bewegung, sondern er muss das Ganze in Bewegung setzen; ja er ist ausser Stande, die Wirkung zu zerlegen. Er kann die Wirkung stärker oder schwächer einrichten, aber er muss jedesmal das Ganze in Anspruch nehmen. Denken wir uns dem entsprechend gewisse Muskeleinrichtungen, so haben wir auch da keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass jedes Element des Muskels besondere, ungetheilt vom Centrum ausgehende und somit unabhängige Nervenfasern empfange. Im Gegentheil findet in der Regel eine besondere Zerlegung der Nerven-Wirkung in den Muskeln nur in sehr beschränktem Maasse statt, wie wir ja aus eigener Erfahrung an[297] uns selbst wissen, und wenn, wie wir sehen, auch die einzelnen Muskelfasern in unmittelbarer Verbindung mit einzelnen Nervenfasern stehen, welche in sie eingehen, so sind dies doch nicht Fasern, welche als einfache, ungetheilte Bahnen vom Centrum ausgehen, sondern eben nur Endäste einfacherer Stämme. Vom neuristischen Standpunkte aus schliesst man, dass der Wille oder die Seele oder das Gehirn im Stande sei, durch besondere Fasern auf jeden einzelnen Theil zu wirken; in der That ist dies aber gar nicht der Fall, sondern es bleibt den Centren meist nur ein einziger Weg zu einer Summe gleichartiger Elementar-Apparate.
Fig. 96. Nervenplexus aus der Submucosa des Darmes vom Kinde, nach einem Präparate von Hrn. Billroth. n, n, n Nerven, welche sich zu einem Netze verbinden, in dessen Knotenpunkten kernreiche, ganglioforme Anschwellungen liegen. v, v Gefässe, dazwischen Kerne des Bindegewebes. Vergr. 180.
Was nun die Nervenplexus anbetrifft, so kennen wir gegenwärtig beim Menschen die ausgedehntesten Einrichtungen der Art in der Submucosa des Darmes, wo zuerst durch Meissner, dann durch Billroth und Manz die Verhältnisse genauer erörtert worden sind. Die Submucosa des Darms ist darnach,[298] wie schon Willis sagte, eine Tunica nervea. Wenn man den eintretenden Nerven nachgeht, so sieht man, dass sie, nachdem sie sich getheilt haben, zuletzt in wirkliche Netze übergehen, welche bei Neugebornen an gewissen Stellen sehr grosse kernreiche Knotenpunkte haben, von denen aus sie in Geflechte ausstrahlen, so dass dadurch eine so grosse Aehnlichkeit mit dem Capillarnetz entsteht, dass einzelne Beobachter beide verwechselt haben.
Wie weit sich solche Einrichtungen im Körper überhaupt erstrecken, ist noch nicht ergründet, denn auch hier handelt es sich um fast ganz neue Thatsachen, welche erst in letzter Zeit die Aufmerksamkeit der Untersucher mehr in Anspruch nahmen. Wahrscheinlich wird sich die Zahl solcher Nervenhäute erheblich vergrössern lassen. His hat gezeigt, dass die Gefässnerven sich zum Theil in grossen plexiformen Auflösungen an den Gefässhäuten verbreiten, und L. Auerbach hat in der Muscularis des Darmes ein eben so ausgedehntes, als in seinen einzelnen Einrichtungen merkwürdiges Geflecht, den von ihm sogenannten Plexus myentericus nachgewiesen. Um jedoch etwaigen Missverständnissen vorzubeugen, muss ich sogleich hinzusetzen, dass manche dieser plexusartigen Ausbreitungen keineswegs einfach sind. Am Darm tragen die erwähnten grösseren Knotenpunkte den Habitus von Ganglien an sich, so dass gewissermaassen neue Sammelpunkte des Nervenapparates mit der Möglichkeit einer Verstärkung oder Hemmung der Wirkungen eintreten. Für die Function ist diese Einrichtung offenbar von grosser Bedeutung, denn wir würden uns am Darm die peristaltische Bewegung nicht wohl erklären können, wenn nicht eine Einrichtung existirte, welche von Netz zu Netz, von Theil zu Theil Reize übertrüge, die nur an einem Punkte dem Darme zugekommen sind. Die bis vor Kurzem bekannten Verhältnisse der Nervenverbreitung genügten nicht, um den Modus der peristaltischen Bewegung einigermaassen zu erklären, während sich hier die bequemsten Anhaltspunkte der Deutung bieten. —
So viel im Wesentlichen über die allgemeinen Formen, welche man bis jetzt für die peripherischen Endigungen der Nerven kennt. Im Ganzen entsprechen diese Erfahrungen wenig dem, was man sich früher gedacht hat, und was noch jetzt die Neuropathologen annehmen. Die Vorstellung eines Neuropathologen von reinem[299] Wasser geht bekanntlich dahin, dass ein Nervencentrum im Stande sei, vermittelst der Nervenfasern auf jeden kleinsten Theil seines Territoriums eine besondere Wirkung auszuüben. Soll an einem kleinen Punkte des Körpers Krebsmasse oder Eiter entstehen oder eine einfache Ernährungsstörung erfolgen, so bedarf der Neuropatholog einer Einrichtung, vermöge welcher das Centralorgan im Stande ist, der Peripherie innerhalb ihrer kleinsten Bezirke seine Einwirkung gesondert zukommen zu lassen, irgend eines Weges, auf welchem die Boten gehen können, welche nun einmal die Ordre jedem einzelnen der entferntesten Punkte des Organismus zu überbringen bestimmt sind. Die wirkliche Erfahrung lehrt nichts der Art. Gerade an den Stellen, wo wir eine so ausserordentlich vervielfältigte Einrichtung der Endapparate kennen, wie ich sie bei den Sinnesorganen schilderte, haben die Nerven keine Beziehung auf die Ernährung und insbesondere keine nachweisbare Einwirkung auf elementare Theile. Fast an allen anderen Orten werden entweder ganze Flächen oder Organ-Abschnitte in einer gleichmässigen Weise innervirt, oder es werden von diesen Flächen oder Organ-Abschnitten aus Sammel-Erregungen zu den Centren geführt. An vielen Theilen, von denen wir allerdings nachweisen können, dass ein Nerven-Einfluss auf sie stattfindet, z. B. an den kleinen Gefässen, wissen wir bis jetzt noch nicht einmal, wie weit einzelne Abschnitte derselben besondere Nervenfasern enthalten. So schlecht sind die anatomischen Grundlagen der neuropathologischen Doctrin.
Fußnoten:
[120] Archiv 1856. X. 190.
[121] Archiv 1845. VI. 562.
[122] Archiv 1852. IV. 389.
[123] Neuerlich nennt Kölliker nur diejenigen Fasern, welche mit den nervösen Theilen zusammenhängen, Müller'sche.
[124] Archiv 1856. X. 177. Taf. II. Fig. 4–5.
Die nervösen Centralorgane. Graue Substanz. Pigmentirte Ganglienzellen. Fortsätze der Ganglienzellen: apolare, unipolare und bipolare Zellen. Verschiedene Bedeutung der Fortsätze: Nerven- oder Axencylinderfortsätze, Ganglien- und Reiserfortsätze. Rückenmark: motorische und sensitive Ganglienzellen. Multipolare (polyklone) Formen. Kernkörperchenfäden und Kernröhren. Innere Verschiedenheit der Ganglienzellen. Schwierigkeit der Untersuchung. Die Nerven des elektrischen Organs der Fische. Das Gross- und Kleinhirn des Menschen.
Das Rückenmark. Weisse und graue Substanz. Centralkanal. Gangliöse Gruppen. Weisse Stränge und Commissuren.
Medulla oblongata. Rinde des Kleinhirns: Körner- und Stäbchenschicht. Psychische Ganglienzellen des Gehirns.
Das Rückenmark des Petromyzon und die marklosen Fasern desselben.
Die Zwischensubstanz (interstitielles Gewebe). Ependyma ventriculorum. Neuroglia. Corpora amylacea. Graue oder gelatinöse Atrophie des Rückenmarks. Sandkörper (corpora arenacea) der Häute des Gehirns und Rückenmarks.
Nachdem wir die peripherischen Einrichtungen des Nervenapparates besprochen haben, so erübrigt uns, um die Uebersicht der Nerveneinrichtungen zu vervollständigen, noch die wichtige Reihe der centralen Theile, oder im engeren Sinne der Ganglien-Apparate. Wie ich schon früher hervorhob, so finden wir diese überwiegend in denjenigen Theilen der Centralorgane, wo graue Substanz lagert. Nur ist das bloss graue Aussehen nicht entscheidend für die gangliöse Beschaffenheit eines Theiles; insbesondere darf man nicht glauben, dass etwa die Ganglienzellen es seien, welche die graue Farbe wesentlich bedingen. An manchen Stellen befindet sich graue Masse, ohne dass Ganglienzellen vorhanden sind. So enthält die äusserste Schicht der Grosshirnrinde keine deutlichen Ganglienzellen mehr, obwohl sie grau aussieht; hier findet sich eine durchscheinende Bindesubstanz, welche mit[301] vielen feineren Gefässen durchsetzt ist und je nach der Füllung derselben bald mehr grauroth, bald mehr weissgrau erscheint. Andererseits kommt es häufig vor, dass, wo Ganglienzellen liegen, die Substanz gerade nicht grau aussieht, sondern eine positive Farbe hat, die zwischen bräunlichgelb und schwarzbraun schwankt. So haben wir an dem Gehirne kleinere Abschnitte, welche schon seit langer Zeit unter dem Namen der Substantia nigra, fusca, ferruginea bekannt sind; hier haftet die schwarze oder braune Farbe, die wir mit blossem Auge wahrnehmen, an den Ganglienzellen als den eigentlich gefärbten Punkten.
Fig. 97. Elemente aus dem Ganglion Gasseri. a Ganglienzelle mit kernreicher (bindegewebiger und epithelialer) Scheide, die sich um den abgehenden Nervenfortsatz erstreckt; im Innern der grosse, klare Kern mit Kernkörperchen und um ihn Pigmentanhäufung. b Isolirte Ganglienzelle mit dem an sie herantretenden blassen Fortsatz. c Feinere Nervenfaser mit blassem Axencylinder. Vergr. 300.
Diese Färbung stellt sich erst im Laufe der Jahre ein. Je älter ein Individuum wird, um so lebhafter werden die Farben; jedoch scheinen unter Umständen auch pathologische Prozesse den Eintritt und die Stärke derselben zu beschleunigen. So ist es an den Ganglien des Sympathicus eine auffallende Erscheinung, dass gewisse Krankheitsprozesse, z. B. der typhöse, einen wirksamen Einfluss auf die frühe Pigmentirung zu üben scheinen. Da aber das Pigment etwas relativ Fremdartiges in der inneren Zusammensetzung der Zelle darstellt, insofern als es, soviel wir wissen, nicht der eigentlichen Function dienstbar ist, sondern als träge Masse hinzutritt, so dürfte es in der That wohl möglich sein, dass man diese Zustände als eine Art von vorzeitigem Altern (Senium praecox) der Ganglienzellen zu betrachten hat. An diesen Zellen unterscheidet man (Fig. 97, a) ausser dem sehr deutlichen, grossen Kerne mit seinem grossen, glänzenden Kernkörperchen den eigentlichen Zellkörper, welcher aus einer feinkörnigen Grundsubstanz (Protoplasma) besteht und das an einer gewissen Stelle, gewöhnlich excentrisch neben dem Kern, zuweilen rings um denselben gelagerte Pigment umschliesst. Unter Umständen nimmt das letztere an Masse so sehr zu, dass ein grosser Theil der Zelle damit ausgefüllt wird. Je[302] reicher diese Ablagerung wird, um so dunkler erscheint die ganze Stelle schon für das blosse Auge.
Früher hat man sich die Ganglienzellen in der Regel als einfach runde, kugelige Gebilde (Ganglienkugeln) gedacht. Allein man hat sich mehr und mehr überzeugt, dass diese Form eine künstliche, erst durch das Abreissen der Fortsätze bei der Präparation entstandene ist, dass vielmehr von jeder Ganglienzelle nach gewissen Richtungen Fortsätze ausgehen, welche sich endlich mit Nerven oder mit anderen Ganglienzellen in Verbindung setzen oder in eigenthümlicher Weise verästeln. Viele Ganglienzellen besitzen gleichzeitig mehrere Fortsätze, von denen jedoch nur einer mit einer wirklichen Nervenfaser direkt in Verbindung steht: der Nerven- oder Axencylinder-Fortsatz. Hier und da scheint durch Ganglienfortsätze eine direkte Verbindung zwischen zwei Ganglienzellen hergestellt zu werden. Verhältnissmässig häufig, namentlich in den Centralorganen, sind Fortsätze mit mehrfacher und zuletzt sehr feiner Verästelung, die ich Reiserfortsätze nennen will.
Die Nervenfaser-Fortsätze sind bei ihrem Ursprunge aus den Ganglienzellen blass, und auch da, wo sich endlich ihr Uebergang in gewöhnliche, dunkelconturirte Nervenfasern verfolgen lässt, sieht man sie erst in einer gewissen Entfernung von der Ganglienzelle dicker werden, indem sie sich allmählich mit einer Markscheide versehen. Dieser Umstand, welchen man früher nicht gekannt hat, erklärt es, dass man so lange Zeit über das wahre Verhältniss im Unklaren geblieben ist. Die unmittelbaren Fortsätze der Ganglienzellen, namentlich im Gehirn und Rückenmark, sind daher nicht Nerven im gewöhnlichen Sinne des Wortes, sondern blasse und oft so feine Fasern, dass sie kaum noch eine Aehnlichkeit mit den früher geschilderten marklosen Fasern haben, sondern wie blasse Axencylinder erscheinen (Fig. 97, a, b).
Lange hat man erwartet, wesentliche Verschiedenheiten unter den Ganglienzellen, je nach den groben Abschnitten des Nerven-Apparates, also namentlich Verschiedenheiten zwischen den Zellen des Sympathicus und denen des Hirns und Rückenmarks zu finden. Allein auch in diesem Punkte hat sich das Gegentheil als richtig ergeben, namentlich seitdem Jacubowitsch die Thatsache kennen gelehrt hat, dass zweistrahlige Zellen, welche den gewöhnlichen Zellen der sympathischen Ganglien vollkommen analog sind,[303] auch in der Mitte des Rückenmarks und mancher Theile, welche wir schon dem Gehirne zurechnen, vorkommen[125]. Dass der Sympathicus mit einem grossen Theile seiner Fasern im Rückenmarke wurzelt, weiss man schon lange; wenn nun auch, wie ich mich überzeugt habe, zweistrahlige Elemente im Rückenmarke und andererseits vielstrahlige Elemente in sympathischen Ganglien, z. B. im G. coeliacum, vorkommen, so kann man sagen, dass auch in histologischer Beziehung das Rückenmark nicht einen einfachen und nothwendigen Gegensatz zu dem Grenzstrange darstellt.
Will man die Formen der Ganglienzellen genauer kennen lernen, so geschieht dies am leichtesten an dem Rückenmark, welches überhaupt für die Zusammenordnung eines wirklichen Centralorgans im engsten Sinne des Wortes den klarsten Ausdruck darstellt. In der grauen Substanz (den Hörnern) desselben finden sich überall und zwar fast auf jedem Querschnitte verschiedenartige Ganglienzellen. Jacubowitsch hat drei verschiedene Formen davon unterschieden: die eine nannte er motorisch, die andere sensitiv, die dritte sympathisch. Ich werde auf ihre Anordnung bei weiterer Besprechung des Rückenmarkes zurückkommen; hier will ich zunächst nur ihre Formen im Allgemeinen besprechen.
Nachdem es feststeht, dass es Ganglienzellen ohne Fortsätze (apolare) überhaupt nicht gibt, ist die Frage über die Zahl der Fortsätze sehr viel discutirt worden. Man beschrieb zunächst hauptsächlich uni- und bipolare (besser monoklone und diklone) Zellen. Allein auch die sogenannten unipolaren (Fig. 97) werden, je genauer man untersucht, immer seltener. Die meisten Zellen besitzen mindestens zwei Fortsätze, sehr viele sind multipolar oder genauer vielästig (polyklon).
Fig. 98. Ganglienzellen aus den Centralorganen: A, B, C aus dem Rückenmarke, nach Präparaten des Hrn. Gerlach, D aus der Gehirnrinde. A Grosse, vielstrahlige (multipolare, polyklone) Zellen aus den Vorderhörnern (Bewegungszellen). B Kleinere Zellen mit drei grösseren Fortsätzen aus den Hinterhörnern (Empfindungszellen). C Zweistrahlige (bipolare, diklone), mehr rundliche Zelle aus der Nähe der hinteren Commissur (sympathische Zelle). Vergr. 300.
Eine multipolare Zelle besitzt einen grossen Kern mit Kernkörperchen,
einen körnigen Inhalt (Protoplasma) und, wenn sie
besonders gross und alt ist, einen Pigmentfleck; sie entsendet
nach verschiedenen Richtungen hin Ausläufer oder Fortsätze.
Mindestens einer dieser Ausläufer, der sich durch seine festere
Beschaffenheit auszeichnet, geht, wie zuerst Deiters gezeigt hat,
in eine Nervenfaser über. Dieses ist der schon vorher (S. 302)[304]
[305]
erwähnte Axencylinder-Fortsatz. Die übrigen Ausläufer, nicht sehr
glücklich als Protoplasmafortsätze bezeichnet, theilen sich
nach kürzerem oder längerem Verlaufe in zahlreiche, kleine Reiserchen,
welche die graue Substanz durchziehen. Was aus ihnen
weiterhin wird, ist noch unbekannt; nur glaubt Deiters gefunden
zu haben, dass gewisse feine Aestchen, welche unter rechten Winkeln
von diesen Fortsätzen ausgehen, gleichfalls mit Nervenfasern
zusammenhängen. Jedenfalls beginnt schon hier das physiologisch
wichtige Verhältniss, welches ich vorher besprach (S. 296, 299), dass
von einzelnen Punkten des Nervensystems aus ganze Massen von
Fäden oder Fasern ausgehen, ein Verhältniss, welches darauf hindeutet,
dass bei der Thätigkeit (Reizung) der Nerven zwar von
Anfang an je nach Umständen diese oder jene Bahn benutzt
werden kann, dass aber innerhalb gewisser Bahnen die Wirkung
auf die ganze Verästelung sich relativ gleichmässig fortsetzen
kann.
Die multipolaren Zellen des Rückenmarks sind meist verhältnissmässig gross. Die stärksten derselben (Fig. 98, A.) liegen an denjenigen Stellen der grauen Substanz angehäuft, welche dem Eintritte der motorischen (vorderen) Wurzeln entsprechen; man kann sie deshalb kurzweg als motorische oder Bewegungszellen bezeichnen. Diejenigen Ganglienzellen, welche die Fasern der sensitiven (hinteren) Wurzeln aufnehmen (Fig. 98, B.), und welche man in Kürze sensitive oder Empfindungszellen nennen mag, sind in der Regel kleiner und zeigen nicht eine so vielfache und weitreichende Verästelung, wie die Bewegungszellen. Ein grosser Theil von ihnen besitzt nur 3, vielleicht 4 Aeste. Die von Jacubowitsch sympathisch genannten Zellen (Fig. 98, C.) sind wiederum grösser, haben aber gewöhnlich nur 2 Aeste und zeichnen sich durch eine mehr rundliche Form aus. Es sind dies Verschiedenheiten, welche allerdings nicht so durchgreifend sind, dass man schon jetzt im Stande wäre, einer isolirten Ganglienzelle in jedem einzelnen Falle sofort anzusehen, welcher Kategorie sie angehört, aber sie sind doch, wenn man die einzelnen Gruppen ins[306] Auge fasst, so auffallend, dass man zu Betrachtungen über die verschiedene Bedeutung derselben angeregt wird.
Wahrscheinlich wird man im Laufe der Zeit noch weitere Verschiedenheiten, auch vielleicht in der inneren Einrichtung der Zellen, erkennen; bis jetzt lässt sich darüber nichts weiter aussagen, als dass verschiedene Beobachter, zuerst Harless, feinere Fasern bis zu dem Kern und Kernkörperchen verfolgt haben (Kernkörperchenfäden und Kernröhren). Am genauesten hat in der letzten Zeit Frommann diese merkwürdigen Verhältnisse studirt, deren Eigenthümlichkeit noch dadurch erhöht wird, dass einzelne Ganglienzellen einen mehr faserigen Bau ihres Leibes zeigen, während bei der grossen Mehrzahl der Zellkörper eine feinkörnige Beschaffenheit darbietet. Indess liegen alle diese Verhältnisse noch so im Dunkeln, dass sich irgend welche gesetzmässigen Aufstellungen daraus noch nicht ableiten lassen. Es ist dies eine sehr grosse und beklagenswerthe Lücke unserer Kenntnisse, weil gerade hier der Punkt ist, wo die specifische Action der wichtigsten Elemente des Körpers zu erklären wäre. Aber man darf auch nicht übersehen, dass diese Verhältnisse mit zu den schwierigsten gehören, welche überhaupt der anatomischen Untersuchung unterworfen werden, und dass die Herstellung von Objecten, welche auch nur das eigene Auge überzeugen, fast immer daran scheitert, dass eine wirkliche Isolirung der Elemente mit allen ihren Fortsätzen und Verbindungen kaum jemals gelingt und dass man wegen ihrer ausserordentlichen Gebrechlichkeit fast immer genöthigt ist, sie auf gehärteten Durchschnitten zu verfolgen. Wenn man Schnitte macht in Theilen, welche zu einem grossen Theile aus Fasern bestehen und in welchen die Fasern theils longitudinal, theils transversal, theils schräg verlaufen, wo also überall ein Geflecht besteht, so hängt es ja ganz und gar von einem glücklichen Zufalle ab, ob man in einem und demselben Schnitte den Verlauf einer einzelnen Faser über grössere Strecken hinaus mit einer gewissen Bestimmtheit verfolgen kann. Diese Schwierigkeit lässt sich allerdings dadurch ausgleichen, dass man die Schnitte in allen möglichen Richtungen führt und so die Wahrscheinlichkeit steigert, dass man endlich einmal auf diejenige Richtung stossen wird, in welcher sich ein Ast vollständig auflöst, aber erfahrungsgemäss bleibt auch dann noch die Schwierigkeit so gross, dass man niemals die ganze Verbreitung und Verbindung[307] einer irgendwie vielästigen Zelle in den Centralorganen auf einmal hat übersehen können.
Auch in dieser Beziehung ist das elektrische Organ ein besonders glücklicher Ausgang der Untersuchung geworden. Hier gelang es Bilharz, die eine Faser, welche das ganze peripherische Organ versieht (innervirt), in eine einzige, centrale Ganglienzelle zurück zu verfolgen. Auch diese Zelle, welche so gross ist, dass man sie mit blossem Auge bequem wahrnehmen kann, hat nach anderen Richtungen hin feinere Ausstrahlungen. Die weiteren Beziehungen dieser letzteren zu ermitteln, ist bis jetzt eben so wenig gelungen, wie wir im Stande gewesen sind, von der feineren Anatomie des menschlichen Gehirns ein nach allen Seiten hin befriedigendes Bild zu gewinnen, namentlich zu entdecken, in welchem Maasse darin Verbindungen von Zellen unter einander vorkommen. Bei den Untersuchungen des Rückenmarks hat es sich herausgestellt, dass nicht alle Fortsätze der Ganglienzellen in Nervenfasern übergehen, sondern dass ein Theil derselben wieder zu Ganglienzellen geht und Verbindungen zwischen Ganglienzellen herstellt. Einzelne Beobachter geben bestimmt an, direkte Anastomosen von Ganglienzellen unter einander gesehen zu haben, und es lässt sich ein solcher Zusammenhang wohl nicht bezweifeln. Indess scheint dies doch ein sehr seltener Fall zu sein. Die Regel ist, dass die nicht direkt in Axencylinder übergehenden Fortsätze sich mehr und mehr verästeln und erst, nachdem sie ganz feine Fäserchen oder Reiserchen gebildet haben, mit den von anderen Ganglienzellen ausgehenden Fäserchen anastomosiren. Auf diese Art entsteht z. B. in der grauen Substanz des Rückenmarks ein zusammenhängendes Reiserwerk, welches bis zum Gehirn aufsteigt. Es lässt sich denken, dass dadurch die grösste Mannichfaltigkeit der Leitung und Strömung ermöglicht wird. Auch im Gehirn, zumal in der grauen Rindensubstanz, haben die Ganglienzellen ganz ähnliche Beschaffenheit (Fig. 98, D). An der Oberfläche des Grosshirns, wo die Ganglienzellen in mehrfachen Schichten über einander stehen, sind die Reiserfortsätze nach innen gerichtet, während gewöhnlich ein stärkerer Fortsatz zur Oberfläche aufsteigt und hier umbiegt. Schon Valentin hat diese „Schlingenbildung“ gesehen. Ob jedoch dieser Fortsatz in einen Axencylinder fortgeht, ist immer noch zweifelhaft. Noch complicirter sind die Verhältnisse an der Rinde des Kleinhirns, wo mehrere,[308] stärkere Fortsätze gegen die Oberfläche ausstrahlen und in Reiser übergehen, während nach innen nur ein einziger Fortsatz gerichtet ist, der ziemlich sicher zu Nerven verfolgt ist. In dieser Gegend, wo schon äusserlich erkennbar eine rostfarbene Schicht sich der grauen Substanz anschliesst und sie von der weissen Centralmasse trennt, findet sich eine mächtige Körnerlage; die ganze Einrichtung gewinnt so eine gewisse Aehnlichkeit mit jenen ganz feinen Einrichtungen der radiären Fasern der Retina (S. 292).
So schwierig es ist, über die Natur und Verbindung der nervösen Elemente ins Klare zu kommen, so häufen sich die Schwierigkeiten doch noch mehr, wenn es sich um die Zusammensetzung der nervösen Centralorgane im Ganzen handelt. Hier hat es sich immer als das Vortheilhafteste erwiesen, sich zunächst an dasjenige Centralorgan zu halten, welches als Grundlage der Wirbelthier-Entwickelung überhaupt dient, nehmlich an das Rückenmark; es ist dies dasjenige, dessen Struktur wir am besten übersehen können.
Das Rückenmark ist bekanntlich, wie man auf jedem Querschnitte vom blossen Auge mit Leichtigkeit sehen kann, an verschiedenen Stellen seines Verlaufes verschieden reich an weisser Substanz, so jedoch, dass fast überall die weisse Substanz über die graue das Uebergewicht hat. Letztere tritt auf Querschnitten unter der Form der bekannten Hörner hervor, die sich durch ihre bald blassgraue, bald grauröthliche Färbung von dem reinen Weiss der übrigen Masse deutlich absetzen. So weit nun, als die Substanz vom blossen Auge weiss erscheint, besteht sie wesentlich aus wirklichen markhaltigen Nervenfasern, welche durch schwache Züge eines weichen Interstitialgewebes in grössere und kleinere Bündel abgetheilt sind (Fig. 99). Ein grosser Theil dieser Fasern ist von so beträchtlicher Breite, dass die Masse des Markstoffes (Myelins) an gewissen Punkten eine ausserordentlich reichliche ist.
Die graue Substanz der Hörner dagegen ist die eigentliche Trägerin der Ganglienzellen, aber auch hier ist das graue Aussehen keineswegs der Anwesenheit der Ganglienzellen zuzuschreiben; vielmehr bilden, wie wir nachher sehen werden, die Ganglienzellen immer nur einen kleinen Theil dieser Substanz, und das graue Aussehen ist hauptsächlich dadurch bedingt, dass hier jener[309] undurchsichtige, stark lichtbrechende Stoff (der Markstoff) nicht abgeschieden ist, welcher die weissen Nerven erfüllt.
Inmitten der grauen Substanz befindet sich, wie Stilling zuerst bestimmt gezeigt hat, jener centrale Kanal (Canalis spinalis), den man früher so vielfach vermuthet, häufig auch als regelmässigen Befund bezeichnet hat, der aber doch niemals früher regelmässig demonstrirt werden konnte. Bei den älteren Beobachtern, z. B. Portal, handelte es sich immer um vereinzelte pathologische Befunde, von welchen sie ihre Kenntnisse über diese Einrichtung hernahmen, und von welchen aus sie ziemlich willkürlich schlossen, dass das Vorhandensein eines Kanals die Regel sei.
Der Centralkanal ist so fein, dass besonders glückliche Durchschnitte dazu gehören, um ihn mit blossem Auge deutlich wahrnehmen zu können. Gewöhnlich erkennt man nichts weiter als einen rundlichen, grauen Fleck, der sich von der Nachbarschaft durch eine etwas grössere Dichtigkeit unterscheidet. Erst die mikroskopische Untersuchung zeigt innerhalb des Fleckes den Querschnitt des Kanals als ein feines Loch (Fig. 99, c c). Wie fast alle freien Oberflächen des Körpers, ist er mit einem Epitheliallager überkleidet. Es ist ein wirklich regelmässiger, constanter und persistenter Kanal in aller Form Rechtens. Derselbe setzt sich durch die ganze Ausdehnung des Rückenmarkes fort vom Filum terminale[126], wo er nicht immer ganz deutlich herzustellen ist, bis zum vierten Ventrikel hinauf, wo seine Einmündungsstelle in dem sogenannten Sinus rhomboidalis an der gelatinösen Substanz des Calarnus scriptorius liegt. Hier kann man ihn als eine direkte Fortsetzung vom Boden des vierten Ventrikels aus zunächst in eine feine trichterförmige Spalte oder Linie verfolgen.
Die Ganglien-Zellen des Rückenmarkes finden sich in der grössten Masse in den vorderen und seitlichen Theilen der Vorderhörner. Und zwar sind es hauptsächlich die grossen vielstrahligen Elemente, welche ich früher (S. 305) besprochen habe. Ihre Fortsätze sind zum Theil verfolgt worden in austretende Nerven der vorderen Wurzeln; sie geben also motorischen Nerven ihren Ursprung.
Fig. 99. Die Hälfte eines Querschnittes aus dem Halstheile des Rückenmarkes. fa Fissura anterior, fp Fissura posterior. cc Centralkanal mit dem centralen Ependymfaden. ca Commissura anterior mit sich kreuzenden Nervenfasern, cp Commissura posterior. ra Vordere Wurzeln, rp hintere. gm Anhäufung der Bewegungszellen in den Vorderhörnern, gs Empfindungszellen der Hinterhörner, gs' sympathische Zellen. Die schwarzpunktirte Masse stellt die Querschnitte der weissen Substanz (Nervenfasern der Vorder-, Seiten- und Hinterstränge) des Rückenmarkes mit ihren lobulären Abtheilungen dar. Vergr. 12.
Eine analoge, jedoch weniger deutlich gruppirte Anhäufung findet sich gegen die Basis der hinteren Hörner hin; es sind kleinere, mehrstrahlige Zellen, wie ich sie gleichfalls beschrieben habe. Sie hängen mit den Fasern zusammen, welche in die hinteren Wurzeln eintreten, dienen also wahrscheinlich der sensitiven Function. Ausserdem zeigt sich gewöhnlich noch eine dritte, bald mehr zusammengefaßte, bald mehr zerstreute Gruppe von Zellen, welche ihrem Baue nach an die bekannten Formen der Zellen in den Ganglien erinnern (Fig. 98, C. 99, gs'). Ihre besondere Stellung innerhalb des Rückenmarks ist allerdings nicht so klar bezeichnet, wie die der anderen Theile; vielleicht sind sie als die Quelle der sympathischen Wurzeln zu betrachten, welche vom[311] Rückenmarke sich zum Grenzstrang begeben, indess ist dies noch lange nicht ausgemacht.
Innerhalb der weissen Substanz der Vorder-, Seiten- und Hinterstränge finden sich die markhaltigen Nervenfasern, welche im Allgemeinen einen auf- oder absteigenden Verlauf nehmen, so dass wir auf Querschnitten dieser Theile des Rückenmarkes fast nur Querschnitte von Nervenfasern zu Gesicht bekommen. Unter dem Mikroskope sieht man hier zahllose, dunkle Punkte oder bei stärkerer Vergrösserung Ringe, von denen jeder einer Nervenfaser entspricht und gewöhnlich noch einen dritten, bei Carminfärbung stärker hervortretenden Kern oder Fleck, den Querschnitt des Axencylinders, enthält. Die ganze Fasermasse der Rückenmarksstränge ist von innen nach aussen in eine Reihe von Gruppen oder Segmenten von im Ganzen radiärer Anordnung, gewissermaassen in keilförmige Lappen zerlegt, indem sich zwischen die einzelnen, auch hier fasciculären Abtheilungen eine bald kleinere, bald grössere Masse von Bindegewebe mit Gefässen einschiebt. Letzteres hängt nach innen mit der reichlicheren Bindegewebsmasse der grauen Substanz, nach aussen mit dem Bindegewebe der Pia mater, welche die ernährenden Gefässe zuführt, zusammen.
Was nun die Nervenfasern der Rückenmarksstränge betrifft, so dürfte ein gewisser Theil von ihnen der ganzen Länge des Rückenmarkes nach fortgehen, aber sicherlich darf man nicht annehmen, dass sie alle vom Gehirne herkommen; ein wahrscheinlich viel beträchtlicherer Theil stammt wohl von den Ganglienzellen des Rückenmarkes selbst und biegt alsbald in die vorderen oder hinteren Stränge um. Ausserdem bestehen zwischen den beiden Hälften des Rückenmarkes direkte Verbindungen, Commissuren, indem Fasern von einer Seite zur anderen hinübertreten, theils in der Weise, dass sie mit denen der entgegengesetzten Seite sich kreuzen (vordere Commissur, Fig. 99, ca), theils so, dass sie gestreckt und parallel verlaufen (hintere Commissur, Fig. 99, cp).
Fig. 100. Schematische Darstellung des Nervenverhaltens in der Rinde des Kleinhirns nach Gerlach. (Mikroskopische Studien Taf. I. Fig. 3) A weisse Substanz, B, C graue Substanz. B Körnerschicht, C Zellenschicht mit den grossen (Purkinje'schen) Ganglienzellen.
Mit diesen anatomischen Erfahrungen kann man sich ein freilich noch immer sehr ungenügendes Bild machen von den Wegen, auf welchen die Vorgänge innerhalb der Centraltheile passiren. Jede besondere Thätigkeit hat ihre besonderen elementaren zelligen Organe; jede Art der Leitung[312] findet ihre bestimmt vorgezeichneten Bahnen. Auch im Grossen entsprechen den functionellen Verschiedenheiten ganz bestimmte Eigenthümlichkeiten in der Struktur der einzelnen Centraltheile, namentlich entwickeln sich nach oben hin die hinteren Hörner allmählich immer kräftiger, und in dem Maasse, als diese Entwickelung vorschreitet, macht sich die Entfaltung der Medulla oblongata, des grossen und kleinen Gehirns, wobei mehr und mehr die motorischen Theile in den Hintergrund treten, um zuletzt fast ganz zu verschwinden. Der Anlage nach und im Grossen bestehen in allen diesen Theilen analoge Verhältnisse; das Einzige, was bis jetzt wenigstens als eine besonders charakteristische Eigenthümlichkeit der cerebralen Apparate betrachtet werden kann, ist[313] die schon früher hervorgehobene Erscheinung, dass am Kleinhirn an der inneren Seite der hier überall einfachen Lage der Ganglienzellen eine besondere Schicht vorkommt, die am meisten Aehnlichkeit hat mit den Körnerschichten der Retina (Fig. 100, B). Denn auch hier finden sich verästelte, fast baumförmige Fäden, welche kleine Körnchen in oft mehrfacher Reihe in sich schliessen, und welche sich an die Ganglienzellen in einer wesentlich anderen, namentlich sehr viel feineren Weise anfügen, als das bei den eigentlichen Nervenfortsätzen der Fall ist. Nach aussen von der Ganglienschicht zeigt die graue Substanz eine so auffällig radiäre Streifung, dass man früher dieselbe gleichfalls mit der Stäbchenschicht der Retina parallelisirte. Indess ist dies eine ziemlich grobe Aehnlichkeit, für die irgend ein histologischer Nachweis nicht geliefert werden kann. Es ist vielmehr die Interstitialsubstanz, welche diese streifigen Abtheilungen besitzt; wie kürzlich Herm. Hadlich gefunden hat, ist sie von langen parallelen Stützfasern durchzogen, welche mit dreieckigen Enden gegen die Oberfläche ansetzen.
Die Rindenschichten des Gross- und Kleinhirns enthalten einen solchen Reichthum von Ganglienzellen, dass Meynert nach einer ganz wahrscheinlichen Schätzung ihre Zahl auf eine Milliarde berechnet. Wenn nicht bezweifelt werden kann, dass diese Zellen zu einem grossen Theile der eigentlichen psychischen Thätigkeit dienen, so ist es gewiss bemerkenswerth, dass ihre Anhäufungen sich durch ein allmähliches Anwachsen und Vermehren aus den hinteren Abschnitten des Rückenmarkes entfalten, dass sie also genetisch dem empfindenden Antheile desselben angehören. Unzweifelhaft bieten diese psychischen Ganglienzellen manches Besondere und Eigenthümliche auch in ihrer Gestalt dar; nichtsdestoweniger ist es unmöglich, bis jetzt aus ihren Besonderheiten und Eigenthümlichkeiten irgend einen Grund für die Vollkommenheit ihrer Function abzuleiten. Wir müssen uns vor der Hand damit begnügen, ihre Existenz und ihre äusseren Eigenschaften kennen gelernt zu haben. —
Fig. 101. Durchschnitt durch das Rückenmark des Petromyzon fluviatilis. F Fissura (oder genauer Commissura) anterior, F' Fissura posterior, c Centralkanal mit Epithel. gm grosse, vielstrahlige Ganglienzellen mit Fortsätzen in der Richtung der vorderen Wurzeln. gp kleinere, mehrstrahlige Zellen mit Fortsätzen zu den hinteren Wurzeln, gs grosse, rundliche Zellen in der Nähe der hinteren Commissur (sympathische Zellen). n, n Querdurchschnitte der grossen, blassen Nervenfasern (Müller'sche Fasern), n' leere Lücken, aus welchen die grossen Nerven ausgefallen sind, n″ Lücke für kleinere Fasern. Ausserdem zahlreiche Querschnitte feinerer und gröberer Fasern.
Fig. 102. Blasse Fasern aus dem Rückenmarke des Petromyzon fluviatilis. A Breite, schmale und feinste Fasern. B Querschnitte von breiten Fasern mit deutlicher Membran und körnigem Centrum. Vergr. 300.
Der Typus der Rückenmarksbildung, welchen wir beim Menschen kennen gelernt haben, ist im Wesentlichen derselbe durch die ganze Reihe der Wirbelthiere oder, wie man sie besser nennen[314] würde, Markthiere[127], nur dass beim Menschen im Allgemeinen eine grössere Complication und ein grösserer Reichthum sowohl an Nervenfasern, als an Gangliensubstanz hervortritt. Es ist gewiss sehr interessant, in dieser Beziehung den Durchschnitt vom Rückenmarke eines der niedrigsten Wirbelthiere zu vergleichen. Ich wähle dazu das Neunauge (Petromyzon). Bei diesem Thiere, welches bekanntlich nahe an der untersten Grenze der Wirbelthiere überhaupt steht, stellt das Rückenmark ein sehr kleines plattes Band dar, welches in der Fläche etwas eingebogen ist und auf den ersten Anblick wie ein wirkliches Ligament aussieht. Macht man einen Querschnitt davon, so enthält dieser an sich dieselben Theile, die wir beim Menschen sehen, aber Alles nur in der Anlage. Was wir bei uns graue Substanz nennen, das findet sich auch hier wieder zu beiden Seiten in der Gestalt je eines plattlänglichen Lappens, welcher einzelne Ganglienzellen, aber nur sehr wenige enthält, so dass man auf jeder Seite des Querschnittes vielleicht 4–5 davon findet. In der Mitte befindet sich der Centralkanal, und zwar mit derselben Epithelialschicht,[315] wie beim Menschen. Nach unten und vorn davon sieht man gewöhnlich eine Reihe von grösseren runden Lücken, welche ganz ungewöhnlich dicken, zuerst von Johannes Müller gesehenen, marklosen Nervenfasern (Fig. 102, a) entsprechen. Weiter nach aussen liegen noch einzelne dickere, überwiegend jedoch eine grosse Menge ganz feiner Fasern, welche dem Querschnitte ein sehr buntes, regelmässig getüpfeltes Aussehen geben. Unter den Ganglienzellen kann man auch hier verschiedene Arten unterscheiden. Nach aussen in der grauen Substanz liegen vielstrahlige, nach vorn grössere, nach hinten kleinere und einfachere Zellen. Mehr nach innen und hinten dagegen finden sich grössere, mehr rundliche, wie es scheint, diklone (bipolare) Zellen, den sympathischen Formen vergleichbar. Diese Zellen communiciren über die Mitte durch wirkliche Faser-Verbindungen, und ausserdem findet man Fortsätze zu den Nerven, welche nach vorne und rückwärts aus dem Rückenmarke hervortreten und die vordere und hintere Wurzel bilden. Das ist das einfachste Schema, welches wir für diese Verhältnisse besitzen, der allgemeine Typus für die anatomische Einrichtung dieser Theile.
Besonders zu bemerken ist hier, dass beim Petromyzon in der ganzen Substanz des Rückenmarkes kein Markstoff in isolirter Ausscheidung vorhanden ist, wie wir ihn beim Menschen haben; man findet nur einfache, blasse Fasern, welche Stannius geradezu als nackte Axencylinder angesprochen hat. Abgesehen davon, dass sie zum Theil einen colossalen Durchmesser haben, so findet man bei genauerer Untersuchung, wie bei den gelatinösen, grauen Fasern des Menschen, eine auf Querschnitten, besonders nach Färbung mit Carmin sehr deutliche Membran und im Centrum eine feinkörnige Substanz, ähnlich einem Axencylinder, so dass man versucht wird,[316] sie mit gewöhnlichen weissen Nervenfasern zu vergleichen. Reissner hat neuerlich eine ähnliche Ansicht vertreten. —
Gewinnt man so eine allgemeine Uebersicht über die Einrichtung eines centralen Nervenapparates, so darf man doch nicht vergessen, dass dies nur die eigentlich nervösen Theile desselben sind. Will man das Nervensystem in seinem wirklichen Verhalten im Körper, die nervösen Elemente in ihrem Zusammenhalte studiren, so ist es unumgänglich nöthig, auch diejenige Masse zu kennen, welche zwischen den Nerventheilen vorhanden ist, welche diese Theile umfasst und den ganzen Organen Festigkeit und Gestalt gibt: das Interstitialgewebe des Gehirns und Rückenmarks[128].
Es ist gar nicht so lange her, dass man das Vorhandensein einer solchen Zwischenmasse eigentlich nur bei den peripherischen Nerven zuliess und sich begnügte, das Neurilem bis auf die Häute des Rückenmarkes und Gehirnes zurück zu verfolgen, höchstens dass man noch innerhalb der Ganglien und im Sympathicus ein besonderes Umhüllungsgewebe anerkannte. Allerdings hatte schon 1810 Keuffel die Existenz eines „fibrösen Gewebes“ im Rückenmarke vertheidigt, aber bis auf wenige Ausnahmen (Fr. Arnold) hatten alle Anatomen sich gegen diese Auffassung erklärt. Namentlich im Gehirne deutete man die Zwischensubstanz gerade als eine wesentlich nervöse Masse. Eine solche erschien in der That so lange als ein natürliches Desiderat, als man eine directe Uebertragung der Erregungen von Faser zu Faser zuliess, als man also die Nothwendigkeit einer wirklichen Continuität der Leitung innerhalb der Nerven selbst nicht anerkannte. So sprach man beim Gehirne von einer feinkörnigen, zwischen die Fasern eingeschobenen Masse, welche freilich keine vollständige Verbindung zwischen den Fasern herstelle, indem sie eine gewisse Schwierigkeit in der Uebertragung der Erregungen von einer Faser zur anderen bedinge, welche aber doch eine Leitung zwischen denselben ermögliche, indem bei einer beträchtlichen Höhe der Erregung eben auch eine direkte (seitliche) Uebertragung von Faser zu Faser stattfinden könne. Diese Masse ist jedoch unzweifelhaft nicht nervöser Natur, und wenn man ihre Beziehung zu den bekannten[317] Gruppen der physiologischen Gewebe aufsucht, so kann man darüber nicht im Unsicheren bleiben, dass es sich um eine Art des Bindegewebes handelt, also um ein Aequivalent desjenigen Gewebes, welches wir bei den Nerven als Perineurium kennen gelernt haben (S. 273). Allein der Habitus dieser Substanz ist allerdings sehr weit verschieden von dem, was wir Perineurium oder Neurilem nennen. Letztere sind verhältnissmässig derbe, zum Theil sogar harte und zähe Gewebe, während das Interstitialgewebe der Centren ausserordentlich weich und gebrechlich ist, so dass man nur mit grosser Schwierigkeit überhaupt dahin kommt, seinen Bau kennen zu lernen.
Fig. 103. Ependyma ventriculorum und Neuroglia vom Boden des vierten Hirnventrikels. E Epithel, N Nervenfasern. Dazwischen der freie Theil der Neuroglia mit zahlreichen Bindegewebszellen und Kernen, bei v ein Gefäss, im Uebrigen zahlreiche Corpora amylacea, welche bei ca noch isolirt dargestellt sind. Vergr. 300.
Ich wurde zuerst auf seine Eigenthümlichkeit aufmerksam bei Untersuchungen, die ich vor 25 Jahren über die sogenannte innere Haut der Hirnventrikel (Ependyma) anstellte[129]. Damals bestand die Ansicht, welche zuerst durch Purkinje und Valentin, später namentlich durch Henle geltend geworden war, dass eine eigentliche Haut in den Hirnventrikeln gar nicht existire, sondern nur ein Epithelial-Ueberzug, indem die Epithelial-Zellen unmittelbar auf der Fläche horizontal gelagerter Nervenfasern aufsässen. Diese Epithelialschicht war es, welche Purkinje Ependyma ventriculorum nannte. Seine Annahme ist freilich von den Pathologen nie getheilt worden. Die pathologische Anschauung ging ziemlich unbekümmert neben den histologischen Angaben einher. Indess erschien es doch wünschenswerth, eine Verständigung zu gewinnen, da in einem bloss epithelialen Ependyma nicht wohl eine Entzündung vorkommen konnte, wie man sie einer serösen Haut zuzuschreiben pflegt. Bei meinen Untersuchungen ergab sich nun, dass allerdings unter dem Epithel der Ventrikel eine Schicht vorhanden ist, welche an manchen Stellen ganz den Habitus von Bindegewebe, an anderen jedoch eine so weiche Beschaffenheit besitzt, dass es überaus schwierig ist, eine Beschreibung von ihrem Aussehen zu liefern. Jede kleinste Zerrung ändert ihre Erscheinung: man sieht bald körnige, bald streifige, bald netzförmige oder wie sonst geartete Substanz. Anfangs glaubte ich mich beruhigen zu dürfen bei dem Nachweise, dass hier überhaupt ein dem Bindegewebe analoges Gewebe existire und eine Haut zu[318] constatiren sei. Allein, je mehr ich mich mit der Untersuchung derselben beschäftigte, um so mehr überzeugte ich mich, dass keine eigentliche Grenze zwischen dieser Haut und den tieferen Gewebslagen bestehe, und dass man nur in uneigentlichem Sinne von einer Haut sprechen könne, da man doch bei einer Haut voraussetzt, dass sie von der Unterlage mehr oder weniger verschieden und trennbar sei. Im Groben lässt sich freilich nicht selten eine solche Trennung auch hier vornehmen, aber im Feineren ist es durchaus nicht möglich. Man sieht, wenn man die Oberfläche irgend eines Durchschnittes der Ventrikelwand bei stärkerer Vergrösserung einstellt, zunächst an der Oberfläche ein bald mehr, bald weniger gut erhaltenes Epithel (Fig. 103, E). Im günstigsten Falle trifft man Cylinder-Epithel mit Cilien, welches sich wenigstens ursprünglich durch die ganze Ausdehnung der Höhle des[319] Rückenmarkes (Centralkanal) und des Hirnes (Ventrikel) erstreckt. Unter dieser Lage folgt eine bald mehr, bald weniger reine Schicht von bindegewebsartiger Structur, welche auf den ersten Blick gegen die Tiefe hin allerdings scharf abgesetzt erscheint, denn schon mit blossem Auge, namentlich nach Behandlung mit Essigsäure, erkennt man sehr deutlich eine äussere, graue und durchscheinende Lage, während die tiefere Schicht weiss aussieht. Dieses weisse Aussehen rührt daher, dass hier markhaltige Nervenfasern liegen, zunächst der Oberfläche einzelne, dann immer mehrere und dichter gedrängte, in der Regel der Oberfläche parallel (Fig. 103, N). So kann es allerdings scheinen, als sei hier eine besondere Haut, die man von den letzten Nervenfasern abtrennen könnte. Vergleicht man nun aber damit die Masse, welche zwischen den Nervenfasern selbst liegt, so zeigt sich keine wesentliche Verschiedenheit; es ergibt sich vielmehr, dass die oberflächliche Schicht weiter nichts ist, als der über die Nervenelemente hinaus zu Tage gehende Theil des Zwischengewebes, welches überall zwischen den Elementen vorhanden ist, und welches nur hier in seiner Reinheit zur Erscheinung kommt[130]. Es ist also das Verhältniss ein continuirliches.
Es erhellt aus dieser Darstellung, dass es ein ganz müssiger Streit war, wenn man Jahre lang darüber discutirte, ob die Haut, welche die Ventrikel auskleide, eine Fortsetzung der Arachnoides oder der Pia mater oder ob sie eine eigene Haut sei. Es ist, streng genommen, gar keine Haut vorhanden, sondern es ist die Oberfläche des Organs selbst, welche unmittelbar zu Tage geht. Auch an dem Gelenkknorpel müssen wir es als einen müssigen Streit bezeichnen, welche Art von Haut den Knorpel überzieht, da der Knorpel selbst bis an die Oberfläche des Gelenkes herantritt. In gleicher Weise geht auch nichts von der Arachnoides, nichts von der Pia mater auf die Oberfläche der Ventrikel: die letzte Ausbreitung, welche diese Häute nach innen aussenden, ist die Tela (Velum) chorioides mit den Plexus chorioides. Ueber diese hinaus findet sich kein seröser Ueberzug mehr, welcher die innere Fläche der Hirnhöhlen auskleidet. Aus diesem Grunde kann man die Zustände der Hirnhöhlen nicht vollkommen vergleichen mit den Zuständen der gewöhnlichen serösen Säcke. Es kann[320] allerdings an der Tela chorioides oder den Plexus eine Reihe von Erscheinungen auftreten, welche parallel stehen den Störungen anderer seröser Häute, aber nie findet dies ganz in derselben Art an der Ventrikeloberfläche des Gehirns selbst statt.
Das interstitielle Gewebe der Centralorgane des Nervensystems bildet demnach an der Oberfläche der Hirnhöhlen, und, wie ich sofort hinzufüge, auch des Centralkanals des Rückenmarks eine hautartige Schicht, welche continuirlich in die Zwischenmasse, den eigentlichen Kitt, welcher die Nervenmasse zusammenhält, übergeht. Obwohl zu der grossen Klasse der Gewebe der Bindesubstanz gehörig (S. 40), zeigt es doch so wesentliche Eigenthümlichkeiten, dass ich mich veranlasst sah, ihm den neuen Namen der Neuroglia (Nervenkitt) beizulegen[131]. Die Ansicht, dass es sich um ein Aequivalent des Bindegewebes handele, ist in der neueren Zeit fast von allen Seiten recipirt worden, allein über die Art seiner Zusammensetzung und über die Ausdehnung, in welcher man die einzelnen im Gehirn und Rückenmark vorkommenden Elemente dieser Substanz zuzurechnen hat, sind die Meinungen noch getheilt. Schon als ich meine ersten weitergehenden Untersuchungen über diese Theile anstellte, ergab es sich, dass gewisse sternförmige Elemente, welche in der Mitte des Rückenmarks, im Umfange des nachher genauer constatirten Centralkanals, in dem von mir so genannten centralen Ependymfaden[132] vorkommen, und welche bis dahin als Nervenzellen betrachtet worden waren, unzweifelhaft der Neuroglia angehörten. Es ist späterhin, namentlich durch die Dorpater Schule unter Bidder, eine Reihe von Untersuchungen publicirt worden, in denen man die Mehrzahl aller Zellen des Rückenmarks diesem Bindegewebe zugerechnet hat. Bidder selbst fasste zuletzt alle Zellen, welche in der hinteren Hälfte des Rückenmarkes vorkommen, also auch wirkliche Ganglienzellen, als Bindegewebskörper auf. Auf der anderen Seite leugnete Jacubowitsch früher, dass überhaupt im Hirn oder Rückenmark irgendwo zellige Theile des Bindegewebes vorkommen; das freilich auch von ihm als Bindesubstanz aufgefasste Zwischengewebe schilderte er als eine ganz amorphe, fein granulirte oder netzartige Masse, welche durchaus nirgend geformte[321] Theile mit sich führe. Zwischen diesen Extremen, so glaube ich, ist es empirisch vollkommen gerechtfertigt, die Mitte zu halten. Es kann meiner Ueberzeugung nach nicht bezweifelt werden, dass die grossen Elemente, welche in den hinteren Körnern des Rückenmarks enthalten sind, Nervenzellen sind, allein auf der anderen Seite muss ebenso bestimmt behauptet werden, dass, wo Neuroglia vorkommt, dieselbe stets eine gewisse Zahl von zelligen, ihr gehörigen Elementen enthält. An der Oberfläche der Hirnventrikel kommen gewöhnlich der Oberfläche parallel liegende Spindelzellen vor, ähnlich, wie man sie in anderen Bindegewebsarten findet, bald kleinere, bald grössere; macht man schräge Schritte, so geben sie sich oft als sternförmige Elemente zu erkennen (Fig. 103).
Fig. 104. Elemente der Neuroglia aus der weissen Substanz der Grosshirnhemisphäre des Menschen. a freie Kerne mit Kernkörperchen, b Kerne mit körnigen Resten des bei der Präparation zertrümmerten Zellenparenchyms, c vollständige Zellen. Vergr. 300.
Ein ganz ähnlicher Bau, wie wir ihn früher vom Bindegewebe kennen gelernt haben, insbesondere ähnliche Elemente mit einer weichen, feinfaserigen oder netzförmigen Intercellularsubstanz finden sich auch zwischen den Nervenfasern des Hirns und Rückenmarks vor, aber sie sind so weich und gebrechlich, dass man meist nur Kerne wahrnimmt, die in gewissen Abständen in der Masse zerstreut sind. Wenn man aber genau sucht, so kann man selbst an frischen Objecten regelmässig einzelne weiche, zellige Körper erkennen, welche einen feinkörnigen Leib und grosse, granulirte Kerne mit Kernkörperchen besitzen und als rundliche oder linsenförmige, häufig mit feinen Fortsätzen versehene Gebilde in einer allerdings nicht sehr beträchtlichen Menge zwischen den Nervenelementen liegen. An gewissen Stellen ist es freilich bis jetzt unmöglich gewesen, eine scharfe Grenze zu ziehen zwischen beiden Geweben, so namentlich an der Oberfläche des kleinen Gehirns zwischen den Körnern, welche ich vorher (S. 313) schilderte, und welche mit grossen Ganglienzellen zusammenhängen, einerseits und den Elementen des Bindegewebes andererseits. Namentlich wenn man die Theile aus dem Zusammenhange gerissen sieht, so kann man nicht leicht einen Unterschied machen; eine bestimmte Deutung[322] ist nur so lange möglich, als man sie in ihrer natürlichen Lage übersieht.
Wie in allen Geweben der Bindesubstanz, so liegen auch hier die Elemente (Glia-Zellen) in einer Intercellularsubstanz, welche je nach den einzelnen Orten in sehr verschiedener Mächtigkeit auftritt. Im Allgemeinen ist die gliöse Intercellularsubstanz weich, aber, wie wir schon bei der Betrachtung des Ependyms sahen (S. 317), sie bietet sehr verschiedene Grade der Festigkeit und der inneren Zusammensetzung dar. Obwohl sie frisch fast überall eine mehr gleichmässige, mit feinen Pünktchen oder Körnchen versehene, weiche und gebrechliche Masse darstellt, die deshalb von Einigen geradezu als eine Art von Protoplasma angesprochen wird, so zeigt sie doch auch ohne besondere Vorbereitung an manchen Stellen eine faserige, mehr oder weniger der Intercellularsubstanz des Bindegewebes analoge Beschaffenheit. Erhärtet man sie vorsichtig durch chemische Mittel, so tritt überall eine feinfaserige Einrichtung hervor. Diese Fäserchen sind von äusserster Zartheit, so dass es in der grauen Substanz noch nicht gelungen ist, sie überall von den reiserförmigen Fortsätzen der Ganglienzellen (S. 307) zu unterscheiden, ja dass Einzelne sogar einen Zusammenhang zwischen beiden angenommen haben. Diese Schwierigkeit ist namentlich dadurch bedingt, dass die gliösen Fäserchen an zahlreichen Stellen ein feines Netzwerk bilden, welches sich den Hirnzellen so eng anschliesst, dass man Mühe hat, die Ausläufer dieser Zellen, welche gleichfalls fibrillär sind, von den intercellularen Fibrillen zu trennen. Verhältnissmässig am nächsten unter den Geweben der Bindesubstanz steht das Schleimgewebe.
Gewiss ist es von erheblicher Wichtigkeit zu wissen, dass in allen nervösen Theilen, sowohl den centralen, als den peripherischen, ausser den eigentlichen Nervenelementen noch ein zweites Gewebe vorhanden ist, welches sich anschliesst an die grosse Gruppe von Bildungen, welche den ganzen Körper durchziehen, und welche wir in den früheren Capiteln als Gewebe der Bindesubstanz kennen gelernt haben. Spricht man von pathologischen oder physiologischen Zuständen des Hirns oder Rückenmarks, so handelt es sich zunächst immer darum, zu erkennen, in wieweit dasjenige Gewebe, welches getroffen ist, welches leidet oder erregt ist, nervöser (parenchymatöser, specifischer) oder gliöser (interstitieller)[323] Art ist. Für die Deutung krankhafter Processe gewinnen wir so von vornherein die wichtige Scheidung der Affectionen der Nerven, des Hirns und Rückenmarks in interstitielle und parenchymatöse [nervöse][133], und die Erfahrung lehrt, dass gerade das interstitielle Gewebe einer der häufigsten Sitze krankhafter Veränderung, z. B. fettiger Degeneration, Induration, Proliferation ist. Es versteht sich von selbst, dass die Erkrankungen dieses interstitiellen Gewebes ganz denen anderer Bindegewebsmassen gleichen, dass also auch Gehirn, Rückenmark und Nerven dieselben Arten von Veränderung erfahren können, die an der Haut, der Cornea, dem interstitiellen Gewebe der Leber oder Nieren vorkommen.
Innerhalb der Neuroglia verlaufen die Gefässe, welche daher von der Nervenmasse fast überall ausser ihrer Adventitia (Lymphscheide) noch durch ein leichtes Zwischenlager getrennt sind und nicht in unmittelbarem Contact mit derselben sich befinden. Die Neuroglia erstreckt sich in der besonders weichen Form, welche sie an den Central-Organen, besonders am Gehirne hat, nur noch auf diejenigen Theile, welche als direkte Verlängerungen der Hirnsubstanz betrachtet werden müssen, nehmlich auf einige höhere Sinnesnerven. Der Olfactorius und Acusticus zeigen noch dieselbe Beschaffenheit der Zwischenmasse, während in den übrigen Theilen, selbst schon im Opticus, eine zunehmende Masse eines derberen Gewebes auftritt, welches den Charakter des Perineuriums annimmt.
Perineurium und Neuroglia sind also äquivalente Theile, nur dass die letztere eine weiche, markige, gebrechliche, fast schleimige Beschaffenheit hat, während das erstere sich den fibrösen Theilen anschliesst. Das Neurilem aber verhält sich zum Perineurium, wie die Hirn- und Rückenmarkshäute zu der Neuroglia.
Ueberall, wo Neuroglia vorhanden ist, zeigt sich noch eine ganz besondere Eigenthümlichkeit, welche sich bis jetzt weder chemisch noch physikalisch deuten lässt; überall da können nehmlich jene eigenthümlichen Körper vorkommen, welche schon durch ihren Bau an die Körner der Pflanzenstärke erinnern und deshalb von ihrem Entdecker, Purkinje, den Namen der Corpora amylacea (Fig. 103, a) erhielten. Durch ihre chemische Reaction[324] stellen sie sich den pflanzlichen vollständig an die Seite. Am meisten ausgedehnt und am mächtigsten liegen sie im Ependyma der Hirnventrikel und des Spinalkanals, und zwar um so reichlicher, je grösser die Dicke der Ependymaschicht ist. Man findet sie gewöhnlich an manchen Stellen nur vereinzelt, an anderen dagegen nimmt ihre Zahl so sehr zu, dass die ganze Dicke des Ependyms davon in einer solchen Weise eingenommen ist, dass es aussieht, als wenn man ein Pflaster vor sich hätte. Die Corpora amylacea treten aber merkwürdiger Weise auch unter pathologischen Verhältnissen häufig in grösser Menge auf, wenn durch eine krankhafte Störung die Masse der Neuroglia im Verhältnisse zur Nervensubstanz zunimmt, z. B. nach Processen der Atrophie (S. 278). Bei der Tabes dorsualis, wie man früher sagte, der gelatinösen oder grauen Atrophie einzelner Rückenmarksstränge, wie ich den Zustand genannt habe[134], findet man in dem Maasse, als die Atrophie fortschreitet, als die Nerven untergehen, in gewissen Richtungen, z. B. in den hinteren Strängen, meist zunächst an der hinteren Spalte keilförmige Züge, in welchen die bis dahin weisse Substanz von aussen her grau und durchscheinend wird. Es sieht dann aus, als entstände neue graue Substanz. Diese Umwandlung kann fortschreiten und geht gewöhnlich in der Weise fort, dass der Keil immer höher und höher steigt und zugleich an Breite zunimmt. In seinen Grenzen schwindet nun allmählich die ganze markhaltige Substanz; man findet keine deutlichen Nerven an diesen Stellen mehr; dagegen durchsetzt[325] sich die Neuroglia sehr häufig mit einer massenhaften Anhäufung von Corpora amylacea.
Fig. 105. Durchschnitt des Rückenmarkes bei partieller (lobulärer) grauer oder gelatinöser Atrophie (Degeneration). f Fissura longitudinalis posterior, s, s hintere, m, m vordere Nervenwurzeln, in Verbindung mit der grauen Substanz der Hörner. In A geringere, in B ausgedehnte Atrophie, die sich in den Hintersträngen um die Mittelspalte f, und bei l in den Seitensträngen zeigt. Natürliche Grösse.
Trotz dieser Massenhaftigkeit ist es für die Betrachtung mit dem blossen Auge ganz unmöglich, irgend etwas von der Anwesenheit der Corpora amylacea wahrzunehmen. Man sieht weder die einzelnen Körper, welche niemals zu einer makroskopischen Grösse anwachsen, noch ihre Haufen. Denn die Körper sind so wenig lichtbrechend, dass ihre Anwesenheit sich durch keine gröbere Eigenschaft oder Wirkung bemerkbar macht. Sie lassen sich daher nur durch das Mikroskop diagnosticiren.
Nirgends im Körper hat man bis jetzt ein vollständiges Analogon dieser Art von Bildungen gefunden. Nur in denjenigen Theilen, welche bei der embryonalen Entwickelung als direkte Ausstülpungen aus der Hirnsubstanz hervorgehen, nehmlich in den höheren Sinnesorganen, wo ursprünglich eine gewisse Quantität von Centralnervenmasse in Sinneskapseln eintrat, namentlich in dem Acusticus, Olfactorius, Opticus, in der Cochlea und Retina kommen zuweilen Corpora amylacea vor, doch ist bis jetzt die chemische Reaction an denen der Retina nicht gelungen. Auch bei Thieren fehlt es bis jetzt fast ganz an analogen Beobachtungen, und erst in der letzten Zeit hat Bütschli bei der Gregarine, einer entozoischen Monere, ähnliche Körper aufgefunden. Sehr bemerkenswerth ist der Umstand, dass auch der Neugeborne noch nirgends Corpora amylacea besitzt, ja dass sie selbst bei der so häufigen congenitalen grauen Atrophie der Rückenmarksstränge fehlen. Ihre Entwickelung beginnt erst in einer späteren Zeit des Lebens, und man wird daher um so eher geneigt, sie für ein pathologisches Produkt zu halten, als ihre Zahl und selbst ihr zeitliches Erscheinen sehr wesentlich durch das Auftreten pathologischer Prozesse bestimmt wird. Nichtsdestoweniger sind sie bei Erwachsenen so constant, dass man sie als einen typischen Bestandtheil der Neuroglia betrachten muss.
Isolirt man solche Körper, so zeigen sie in jeder Beziehung eine so vollständige Analogie mit pflanzlicher Stärke, dass schon lange, bevor es mir gelang[135], die Analogie der chemischen Reaction zu finden, wegen der morphologischen Aehnlichkeit die Bezeichnung der Corpora amylacea eingeführt war. Freilich hat[326] man von manchen Seiten die chemische Uebereinstimmung der thierischen und pflanzlichen Amyloidkörper bezweifelt; namentlich hatte Heinrich Meckel grosse Bedenken dagegen, indem er vielmehr eine Beziehung der ersteren zu Cholestearin annahm. In der neueren Zeit ist aber selbst von Botanikern vom Fach die Sache untersucht worden, und jeder, der sich genauer damit beschäftigte, hat bis jetzt dieselbe Ueberzeugung gewonnen, welche ich aussprach. Nägeli erklärt die Körper des Gehirns für ganz veritable Stärke.
Morphologisch erscheinen sie entweder als ganz runde, regelmässig geschichtete Körper, oder das Centrum sitzt etwas seitlich, oder es sind Zwillingskörper; meist sehen sie mehr homogen, blass, mattglänzend, wie fettartig aus. Behandelt man sie mit Jod, so färben sie sich blassbläulich oder graublau, wobei freilich die richtige Concentration des Reagens sehr viel ausmacht. Setzt man hinterher Schwefelsäure zu, so bekommt man bei regelrechter Einwirkung, am besten bei sehr langsamer Einwirkung des Reagens ein schönes Blau. Wirkt Schwefelsäure stark ein, so erhält man eine violette, schnell braunroth oder schwärzlich werdende Färbung, welche von der Färbung der Nachbartheile sich auf das Entschiedenste absetzt, denn diese werden gelb oder höchstens gelbbraun.
Mit den Corpora amylacea darf eine in ihrer Nachbarschaft häufig vorkommende und in morphologischer Beziehung ihnen sehr nahe stehende Art von Bildungen nicht verwechselt werden, nehmlich die Körner des Gehirnsandes. Am längsten kennt man dieselben aus der Basis der Zirbel (Conarium, Glandula pinealis), wo sie in einem grösseren Häufchen, dem von den Gebrüdern Wenzel sogenannten Acervulus zu liegen pflegen. Jedoch sind sie manchmal durch einen grossen Theil der Substanz der Zirbel zerstreut. Nächstdem fand man sie in den Plexus choroides, namentlich in dem sogenannten Glomus, wo sie pathologisch zuweilen gleichfalls grosse Haufen bilden. Ich habe indess gezeigt, dass sie auch an zahlreichen anderen Stellen der Hirnhäute, und zwar sowohl der Pia, als der Dura mater, unter pathologischen Verhältnissen in Lymphdrüsen und an serösen Häuten vorkommen[136]. Jedenfalls finden sie sich physiologisch niemals im Innern[327] der nervösen Theile; ihr Vorkommen ist streng gebunden an die Häute. Diese Sandkörper (Corpora arenacea) bestehen, wie die Corpora amylacea, aus concentrischen Schichten, aber sie werden sehr schnell der Sitz einer Kalkablagerung, welche sie allmählich ganz und gar durchdringt. Löst man die Kalksalze durch Säuren, so bleibt ein streifiges Gerüst einer lamellären organischen Substanz, welche niemals Jod- oder Jod-Schwefelsäure-Reaction gibt. Auch ihre beträchtliche Grösse, welche schnell makroskopisch wird, gestattet leicht ihre Unterscheidung von den Corpora amylacea. Dagegen kommen sie darin mit den letzteren überein, dass sie beim Neugebornen noch nicht vorhanden sind, sondern sich erst im Laufe des extrauterinen Lebens entwickeln.
Fußnoten:
[125] Ich habe übrigens solche Zellen schon vor langer Zeit aus dem menschlichen Rückenmark beschrieben (Archiv 1847. I. 459 Anm.).
[126] Untersuchungen über die Entwickelung des Schädelgrundes. Berlin 1857. S. 92.
[127] Vergl. meinen Vortrag über das Rückenmark in der von mir und v. Holtzendorff herausgegebenen Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge. 1871. Serie V. Heft 120.
[128] Geschwülste II. 125 ff.
[129] Zeitschrift für Psychiatrie. 1846. Heft 2. 242. Gesammelte Abhandlungen 885.
[130] Archiv 1854. VI. 138.
[131] Gesammelte Abhandl. 890
[132] Archiv VI. 137.
[133] Entwickelung des Schädelgrundes 96, 100.
[134] Archiv VIII. 143, 540. X. 102. XLVIII. 520.
[135] Archiv VI. 135, 416. VIII. 142.
[136] Würzburger Verhandl. I. 144. II. 53. VII. 228. Geschwülste II. 107.
Das Leben der einzelnen Theile. Die Einheit der Neuristen. Einwände dagegen. Mythologische Natur der neuristischen Lehren. Animismus: Archaeus, Zellenseele. Das Bewusstsein. Die Thätigkeit der einzelnen Theile. Begriff der Reizung: Passion und Action. Die Erregbarkeit (Reizbarkeit) als allgemeines Kriterium des Lebens. Partieller Tod: Nekrobiose und Nekrose. Nichterregbarkeit der Intercellularsubstanz.
Verrichtung, Ernährung und Bildung als allgemeine Formen der Lebensthätigkeit. Verschiedenheit der Reizbarkeit je nach diesen Formen.
Functionelle Reizbarkeit. Nerv, Muskel, Flimmerepithel, Drüsen. Ermüdung und functionelle Restitution. Reizmittel. Specifische Beziehung derselben. Muskelirritabilität. Geringer praktischer Werth derselben.
Nervenirritabilität. Grosse Bedeutung derselben. Falsche Deutung derselben als Empfindlichkeit oder als Contractilität. Innervation. Bewusste und unbewusste Empfindungen. Nervenkraft (Nervenseele, Neurilität). Specifische Unterschiede der constituirenden Theile des Nervensystems. Die Leitung der Electricität als Zubehör der Nervenfasern, die Sammlung (Hemmung, Verstärkung) und Lenkung als Zubehör der Ganglienzellen. Moderations-Einrichtungen. Instinctives und intellectuelles Leben. Bewusstsein. Nothwendigkeit einer histologischen Localisation der nervösen Functionen. Erregung der Ganglienzellen: verschiedene Energie und verschiedene Combination (Synergie) derselben. Spannung und Entladung von Ganglienzellen. Psychologische Auffassung der Affecte und Triebe. Die pathologische Nervenfunction: quantitative Abweichung (Krampf, Lähmung) und combinatorische Abweichung (Epilepsie).
Drüsen-Irritabililät. Verschiedene Gruppen von Drüsen je nach dem Typus der Secretion. Die Drüsen mit persistenten Zellen: Leber, Nieren. Glykogenie.
Automatische Elemente. Geschichtliches. Sarkode, Protoplasma. Amöboide Erscheinungen. Bewegliche Zellen. Verwechselungen des Automatismus mit den Wirkungen physikalischer Osmose (Schrumpfung und Schwellung). Aeussere Gestaltveränderungen mit Aussenden und Einziehen von Fortsätzen (Polymorphismus); innere Molecularbewegung, Vacuolenbildung, Abschnürung von Theilen des Zellkörpers. Befestigte (fixe) und bewegliche (mobile) Zellen. Wanderung und Mobilisirung der Zellen. Voracität: Blutkörperchenhaltige Zellen. Mechanisches Eindringen von fremden Körpern in Zellen. Der Automatismus als Merkmal der Irritabilität.
Die pathologischen Abweichungen der Function: Mangel (Defect), Schwächung und Steigerung. Absolute Zurückweisung der Annahme qualitativer Heterologie.
Wenn man, wie es in den vorhergehenden Capiteln versucht worden ist, die gesammte histologische Einrichtung des Körpers überblickt, so scheint es mir, man müsse mit Nothwendigkeit zu demjenigen Schlusse geführt werden, der, meiner Ansicht nach, als Ausgangspunkt für alle weiteren Betrachtungen zu dienen hat, welche über Leben und Lebensthätigkeit angestellt werden, zu dem Schlusse nehmlich, dass jeder Theil des Körpers eine Mehrheit von kleinen wirkungsfähigen Centren oder Elementen darstellt, und dass nirgends, soweit unsere Erfahrung reicht, ein einfacher anatomischer Mittelpunkt existirt, von dem aus die Thätigkeiten des Körpers in einer erkennbaren Weise geleitet werden[137]. Schon nach den Erfahrungen des täglichen Lebens, die einem Jeden fast von selbst zufliessen, ist dies die einzige Deutung, welche zugleich ein Leben der einzelnen Theile und ein Leben der Pflanze anzunehmen gestattet. Sie allein setzt uns in den Stand, eine Vergleichung anzustellen sowohl zwischen dem Gesammtleben des entwickelten Thieres und dem Einzelleben seiner kleinsten Theile, als auch zwischen dem Ganzen des Pflanzenlebens und dem Leben der einzelnen Pflanzentheile. Sie macht es endlich möglich, die Entwickelungsgeschichte des Eies und des Fötus auf dieselben Grundgesetze zurückzuführen, welche für das spätere Leben und die krankhafte Störung Gültigkeit haben. Und das ist das Hauptkriterium, nach welchem wir den Werth einer biologischen Theorie beurtheilen müssen.
Die entgegenstehende Auffassung, welche noch vor Kurzem mit einer gewissen Energie heraustrat, diejenige, welche im Nervensystem den eigentlichen Mittelpunkt des Lebens sieht, hat die überaus grosse Schwierigkeit vor sich, dass sie in demselben Apparate, in welchen sie die Einheit verlegt, die gleiche Zerspaltung in unzählige, einzelne Centren wiederfindet, welche der übrige Körper darbietet, und dass sie an keinem Punkte des Nervensystems den wirklichen Mittelpunkt aufzuweisen vermag, von welchem, als von einem bestimmenden, alle Theile derselben beherrscht würden.
Man hat gut reden, dass das Nervensystem die Einheit des[330] Körpers bewirke, insofern allerdings kein anderes System vorhanden ist, welches sich einer so vollkommenen Verbreitung durch die verschiedensten peripherischen und inneren Organe erfreut. Allein selbst diese weite Verbreitung, selbst die vielfachen Verbindungen, die zwischen den einzelnen Theilen des Nervenapparates bestehen, sind keinesweges geeignet, um ihn als einfaches Centrum aller organischen Thätigkeiten erscheinen zu lassen. Wir haben im Nervenapparate bestimmte kleine, zellige Elemente gefunden, welche als Mittelpunkte der Bewegung dienen, aber wir finden nicht Eine einzelne Ganglienzelle, von welcher alle Bewegung in letzter Instanz ausginge; die verschiedensten einzelnen motorischen Apparate stehen auch mit den verschiedensten einzelnen motorischen Ganglienzellen in Beziehung. Allerdings sammeln sich die Empfindungen an bestimmten Ganglienzellen, allein auch hier finden wir keine einzelne Zelle, welche etwa als Centrum aller Empfindung bezeichnet werden könnte, sondern wieder sehr viele kleinste Centren.
Die Neuristen (ich wähle diese Bezeichnung der Kürze wegen für die Anhänger der, am meisten in gewissen neuropathologischen Werken niedergelegten Ansicht von der dominirenden Bedeutung des Nervensystems) haben sich ihre Sache dadurch leicht gemacht, dass sie nachzuweisen versuchten, wie alle Lebensthätigkeit vom Nervensystem aus angeregt, alle einzelnen Lebensverrichtungen durch Nerveneinfluss (Innervation) hervorgerufen würden. Dass von diesem Standpunkte aus die Geschichte der Eizelle und aller ihrer Tochterelemente bis zu dem Zeitpunkte hin, wo Nerven existiren, einfach bei Seite geschoben werden muss, liegt auf der Hand. Dass auch im entwickelten Individuum die Lebensvorgänge aller derjenigen Theile, in denen wir bis jetzt noch keine Nerven kennen, — ich erwähne nur die Knorpel, die Linse, den Glaskörper, — als nicht vorhanden betrachtet werden müssen, bedarf keines Beweises. Aber wenn man auch annehmen wollte, wozu die ungeahnten Entdeckungen der letzten Jahre im Gebiete der feinsten Anatomie der Nerven einen scheinbaren Grund darbieten, dass es bei weiterer Forschung gelingen werde, in allen Theilen des ausgewachsenen Körpers Nerven aufzufinden, so sind wir doch noch fern davon, beweisen zu können, dass jeder einzelne Theil von diesen Nerven beeinflusst wird. Die blosse Existenz eines Nerven beweist doch noch nicht, dass er eine Einwirkung[331] auf seine Nachbarschaft ausübt. Die Enden des Geruchsnerven treten, wie wir sahen (S. 289), bis zwischen die Epithelzellen der Regio olfactoria, aber sie „riechen“ eben, und es wäre kühn, wenn man sofort annehmen wollte, dass sie ausserdem das benachbarte Epithel innerviren.
Wir können aber noch mehr zugestehen. Selbst wenn dargethan würde, dass jeder einzelne, noch so kleine Theil des Körpers innervirt wird, so folgt daraus noch keineswegs, dass in dieser Innervation das ganze Leben der Theile enthalten ist. Die Blutkörperchen sind gewiss ohne irgend eine direkte Verbindung mit Nervenfasern, sowohl die rothen, als die farblosen; nichtsdestoweniger kann man sich vorstellen, dass von den Nerven aus auf sie eine Einwirkung, etwa eine elektrische, ausgeübt werde. Allein hören die Blutkörperchen auf zu leben, wenn wir sie diesen Einwirkungen entziehen? Respiriren nicht die rothen Blutkörperchen auch ausserhalb des Körpers? Fahren die farblosen nicht unter dem Mikroskope fort sich zu bewegen? Der Gedankengang der Neuristen ist ein vollständig mythologischer. Wie sie heute die Gewebe des Körpers im Verhältnisse zu dem Nervensystem betrachten, so betrachteten die Naturvölker die lebenden Individuen im Verhältnisse zu der Sonne, und gewiss mit eben so viel Recht. Wärme und Licht sind die „belebenden“ Faktoren der Welt. Leben ist ohne Licht und Wärme unmöglich. Das Calidum innatum der altgriechischen Philosophen führte ganz consequent zu der Sonne hin. Sollen wir nun aber dabei stehen bleiben, dass jede unserer Lebensverrichtungen von der Sonne abhängig sei? Dass, weil die Sonne eine nothwendige Vorbedingung alles Lebens ist, auch das ganze Leben nichts als Sonnenwirkung sei? Ein solcher Sonnendienst wäre jedenfalls dem Nervendienste noch vorzuziehen, denn wir gewinnen hier wenigstens eine andere Einheit, als in dem Nervensystem.
Denn das Nervensystem ist eben ein System, d. h. ein aus vielen wirkenden Theilen zusammengesetztes Ganzes. Wenn wir zunächst aus ihm das Rückenmark als den für die gewöhnlichen Lebensvorgänge des Wirbelthierkörpers am meisten bestimmenden Theil auslösen, so wird niemand leugnen können, dass wir hier eine Art von Mittelpunkt (genauer Mittelglied) finden, zu dem zahllose Ströme hingehen und von dem eben so zahllose Ströme ausgehen. Aber sicherlich ist dieser Mittelpunkt kein einheitlicher[332] im philosophischen Sinne, und unsere Neuristen übersehen nur zu leicht, dass selbst materiell hier jene Einheit nicht zu finden ist, welche sie suchen. Man kann das Rückenmark in eine gewisse Zahl von Abschnitten zerlegen, von denen jeder einzelne gewisse peripherische Theile innervirt und auch noch nach der Zerlegung zu innerviren fortfährt. Aber mit jedem Schnitte durch das Rückenmark schaffen wir uns ein getrenntes „System“, eine immer grössere Zahl gesonderter „Mittelpunkte“.
Mit dem Gehirn ist es nicht anders. Die Anatomie „zerlegt“ es in eine grosse Zahl besonderer Provinzen mit specifischer Thätigkeit, von denen jede ihr eigenes Leben lebt, und in diesen Provinzen kommen wir endlich auf jene Milliarde kleinster Heerde oder Elemente, welche wir vor Kurzem zum Gegenstande unserer Betrachtung gemacht haben. Nirgends in der körperlichen Einrichtung ist hier eine wirkliche Einheit, und selbst der Lebensknoten (noeud vital) von Flourens hilft uns nicht über die materielle Schwierigkeit hinweg. Denn er beweist nur, dass gewisse, für das Collectivleben des Körpers unentbehrliche Functionen, namentlich die Thätigkeit des Vagus, auf eine gewisse Gruppe von Ganglienzellen zurückgeführt werden kann.
Der Neurismus führt daher zu dem ersehnten Ziele nicht. Man muss alsdann über das Körperliche hinaus gehen und mit dem alten Georg Ernst Stahl in den Hafen des Animismus einlaufen. Nur die immaterielle Seele bietet die Möglichkeit einer wirklichen Einheit. Aber diese Wirklichkeit ist nur eine gedachte. Sie ist nicht mehr Gegenstand der naturwissenschaftlichen Beobachtung, der Messung, des Experiments. Auch genügt die Eine Seele nicht zur Erklärung des Lebens der einzelnen Theile. Man muss dann noch einen Schritt weiter rückwärts machen und mit Paracelsus und van Helmont jedem einzelnen Theile seine besondere Seele, seinen Archaeus sichern. Wie man von der Gehirnseele zu der Rückenmarksseele gelangt ist, so kommt man bei der heutigen Kenntniss der Dinge nothwendig zu einer oder eigentlich zu zahllosen Zellenseelen. Die Eizelle nimmt diese Seele von der Mutter mit und überträgt sie auf die unendliche Brut von neuen Zellen, welche sie ihrerseits hervorbringt, bis dieselbe sich in den Ganglienzellen des neuen Gehirns wieder zu einer Gehirnseele entfaltet.
Man bewegt sich hier in einem Kreise. Wie man es auch[333] anfängt, um zur Einheit zu gelangen, immer langt man wieder bei der Vielheit an. Sind das Lebensprincip und die Seele identisch, so ist auch die Seele in jedem einzelnen Theile. Die Erfahrungen des Nervenlebens gestatten es am allerwenigsten, das Lebensprincip auf eine einzelne Stelle zu localisiren. Alle Thätigkeiten, welche vom Nervensystem ausgehen, und gewiss sind es sehr viele, lassen uns nirgends anders eine Einheit erkennen, als in unserem eigenen Bewusstsein[138]; eine anatomische oder physiologische Einheit ist wenigstens bis jetzt nirgends nachweisbar. Und, wie gesagt, könnte man wirklich in dem Nervensystem mit seinen zahlreichen einzelnen Centren den Mittelpunkt aller organischen Thätigkeit nachweisen, so würde man damit nicht gewonnen haben, was man sucht, die einfache Einheit. Macht man sich die Gründe klar, die uns zu dem Aufsuchen einer solchen Einheit veranlassen, so kann es nicht zweifelhaft sein, dass wir durch die geistigen Phänomene unseres Ichs immerfort irre geführt werden in der Deutung der organischen Vorgänge. Da wir uns selbst als etwas Einfaches und Einheitliches fühlen, so folgern wir, dass von diesem selben Einheitlichen alles Andere bestimmt werden müsse.
Man verfolge aber doch einmal die Entwickelung einer bestimmten Pflanze von ihrem ersten Keime bis zu ihrer höchsten Entfaltung; hier trifft man eine ganz analoge Reihe von organischen Vorgängen, wie bei der Entwickelung eines Thieres, ohne dass man auch nur vermuthen könnte, es bestände eine solche Einheit, wie wir sie unserem Bewusstsein nach in uns voraussetzen. Niemand ist im Stande gewesen, ein Nervensystem bei den Pflanzen zu zeigen; nirgend hat man gefunden, dass von einem einzigen Punkte aus die ganze entwickelte Pflanze beherrscht werde. Alle heutige Pflanzenphysiologie beruht auf der Erforschung der Zellenthätigkeit, und wenn man sich immer noch sträubt, dasselbe Princip auch in die thierische Oekonomie einzuführen, so ist, wie ich glaube, gar keine andere Schwierigkeit da, als die, dass man die ästhetischen und moralischen Bedenken nicht zu überwinden vermag.
Es kann natürlich an diesem Orte unsere Sache nicht sein, diese Bedenken zu widerlegen oder zu zeigen, wie sie sich vermitteln[334] liessen; ich hatte nur zu zeigen, wie sowohl die Physiologie, als die Pathologie, die uns zunächst interessirt, überall auf dasselbe cellulare Princip zurückführt, und wie dieses Princip überall den einheitlichen Auffassungen widerstreitet, welche man vom neuristischen Standpunkte aus behauptet. Es ist dies im Grunde kein neuer und ungewöhnlicher Gedanke. Wenn man seit Jahrtausenden von einem Leben der einzelnen Theile spricht, wenn man den Satz zulässt, dass unter krankhaften Verhältnissen ein Absterben einzelner Theile, eine Nekrose, ein Brand eintreten kann, während das Ganze noch fortexistirt, so geht daraus hervor, dass etwas von unserer Art zu denken in der allgemeinen Auffassung längst gegeben war. Nur ist man sich darüber nicht vollkommen klar geworden. Spricht man von einem Leben und Sterben der einzelnen Theile, so muss man auch wissen, worin das Leben und Sterben sich äussert, wodurch sie wesentlich charakterisirt sind.
Das Charakteristicum des Lebens finden wir in der Thätigkeit, und zwar einer Thätigkeit, zu der jeder einzelne Theil je nach seiner Eigenthümlichkeit etwas Besonderes beiträgt, innerhalb deren er aber auch immer etwas besitzen muss, welches mit dem Leben der übrigen Theile übereinstimmt. Wäre dies nicht der Fall, so würden wir keine Berechtigung haben, das Leben als etwas Gleichartiges, als eine gemeinsame Eigenschaft alles Organischen zu betrachten.
Diese Thätigkeit (Action) des Lebens geht, so viel wir wenigstens beurtheilen können, nirgends, an keinem einzigen Theile durch eine ihm etwa von Anfang an zukommende und ganz in ihm abgeschlossene Ursache vor sich, sondern überall sehen wir, dass eine gewisse Erregung dazu nothwendig ist. Jede Lebensthätigkeit setzt eine Erregung, wenn man will, eine Reizung voraus. Diese besteht in einer passiven Veränderung (passio, pathos), welche das lebende Element durch eine äussere Einwirkung erfährt, welche aber nicht so gross ist, dass die wesentliche Einrichtung des Elementes dadurch gestört wird. Auf diese passive Veränderung (Irritamentum) folgt ein activer Vorgang, eine positive Leistung des Elementes selbst, von der wir annehmen, dass sie aus den lebendigen Eigenschaften des Elementes als ein selbständiges Ereigniss folge. Daher erscheint uns die[335] Erregbarkeit der einzelnen Theile als das Kriterium, wonach wir beurtheilen, ob der Theil lebe oder nicht lebe[139].
Ein abgestorbener Theil zeigt allerdings auch anatomisch häufig grosse Veränderungen. Ich habe in dieser Beziehung zwei grössere Gruppen unterschieden. In der einen Gruppe, welche die Nekrobiose[140] umfasst, gehen dem Absterben schon gewisse Veränderungen der organischen Einrichtung voraus, welche zu einer Zerstörung, häufig zu einer wirklichen Zertrümmerung (Detritus) der Elemente führen. Am Schlusse des Processes findet sich der organische Theil gar nicht mehr vor: es ist ein Defect vorhanden. In der anderen Gruppe, welche die eigentliche Nekrose liefert, stirbt der Theil ab, ohne dass seine äussere Erscheinung eingreifende Veränderungen erfährt; relative Integrität der Form ist das unterscheidende Merkmal. Freilich kann der nekrotische Theil nachher wesentliche Veränderungen erfahren, aber dieses sind cadaveröse Veränderungen, und ihr Eintritt kann sich verhältnissmässig sehr lange verzögern. An Hartgebilden, namentlich Knochen, ist dies hinreichend bekannt; dasselbe gilt aber auch für Weichgebilde und selbst für ganz zarte, mindestens für die erste Zeit nach ihrem Absterben. Ob ein Nerv lebe oder todt sei, das können wir unmittelbar, durch seine anatomische Betrachtung, keineswegs mit Sicherheit erkennen, wir mögen ihn nun mikroskopisch oder makroskopisch untersuchen. In der äusseren Erscheinung, in den gröberen Einrichtungen, die wir mit unseren Hülfsmitteln entziffern können, ist, wenn wir frisch abgestorbene Nerven in Betracht ziehen, keine Möglichkeit gegeben, eine solche Unterscheidung zu machen. Ob ein Muskel lebt oder abgestorben ist, können wir anatomisch kaum beurtheilen, da wir die Muskelstructur noch erhalten finden an Theilen, welche schon seit Jahren abgestorben sind. Ich habe in einem Kinde, welches bei einer Extrauterinschwangerschaft 30 Jahre im Leibe seiner Mutter gelegen hatte, die Structur der Muskeln so intact gefunden, wie wenn das Kind eben erst ausgetragen gewesen wäre[141]. Czermak hat Theile von Mumien untersucht und an ihnen eine Reihe von Geweben gefunden, welche so vollständig erhalten[336] waren, dass man sehr wohl hätte auf den Schluss kommen können, diese Theile wären aus einem lebenden Körper hergenommen. Der Begriff des Todten, des Abgestorbenen, Nekrotischen beruht ja eben darauf, dass wir bei und trotz der Erhaltung der Form nicht mehr die Erregbarkeit finden[142]. Am deutlichsten hat sich diese Erfahrung gerade in der neueren Zeit bei den Untersuchungen über die feineren Eigenschaften der Nerven gezeigt. Erst nachdem man auch am sogenannten ruhenden Nerven durch die Untersuchungen du Bois-Reymond's eine Thätigkeit kennen gelernt, nachdem man eingesehen hat, dass auch in dem ruhenden Nerven fortwährend elektrische Vorgänge stattfinden, dass er fortwährend eine Wirkung auf die Magnetnadel ausübt, kann man mit Sicherheit durch das physikalische Experiment beurtheilen, wann der Nerv todt ist. Denn sowie der Tod eingetreten ist, hören jene Eigenschaften auf, welche untrennbar mit dem Leben des Nerven verbunden sind.
Diese Eigenschaft der Erregbarkeit, welche wir an einzelnen Theilen in einer so ausgesprochenen und so evident nachweisbaren Weise finden, tritt immer mehr zurück, je niedriger organisirt der Theil ist, und am wenigsten sicher sind unsere Kriterien an den Geweben, welche die Bindegewebsformation umfasst. Hier sind wir in der That häufig in grosser Verlegenheit, zu entscheiden, ob ein Theil lebt oder ob er schon abgestorben ist. Es erklärt sich diese Schwierigkeit aus dem Umstande, dass diese Gewebe in der Regel ihrer Hauptmasse nach aus Intercellularsubstanz bestehen, und dass, wenn wir sie auf ihre Erregbarkeit prüfen wollen, nur die verhältnissmässig kleinen und spärlichen Zellen in Betracht kommen. Nirgends ist Intercellularsubstanz erregbar. Es ist dies eine überaus wichtige Erfahrung, welche sowohl für die physiologische Deutung der Gewebe, als auch für die Lehre von dem Leben der einzelnen Theile als einer ausschliesslich cellularen Eigenschaft von grösster Bedeutung ist. Früher hat man immer mit dem ganzen Gewebe experimentirt; erst in der neuesten Zeit hat man angefangen, auch die experimentelle Forschung auf die mikroskopischen Elemente zu richten, und es hat sich auch bei den Geweben der Bindesubstanz[337] ergeben, dass ihre Zellen, z. B. auf elektrische Reizung erregbar sind.
Wenn man nun weiter analysirt, was man unter Erregbarkeit verstehen soll, so ergibt sich alsbald, dass damit die Eigenschaft der lebenden Theile gemeint ist, vermöge welcher sie auf äussere Einwirkung in Thätigkeit gerathen. Es sind aber die verschiedenen Thätigkeiten, welche auf irgend eine äussere Einwirkung hervorgerufen werden können, wesentlich dreierlei Art[143]; und ich halte es für sehr wichtig, dass man diesen Punkt für die Gruppirung physiologischer und pathologischer Vorgänge bestimmt ins Auge fasse, um so mehr, als er gewöhnlich nicht mit besonderer Deutlichkeit hervorgehoben zu werden pflegt.
Entweder nehmlich handelt es sich bei dem Hervorrufen einer bestimmten Thätigkeit um die Verrichtung, oder um die Erhaltung, oder um die Bildung eines Theiles: Function, Nutrition, Formation. Darnach lassen sich sämmtliche physiologischen und pathologischen Elementar-Vorgänge in drei grosse Gruppen zerlegen: functionelle, nutritive (trophische) und formative (plastische). Allerdings lässt sich nicht leugnen, dass an gewissen Punkten die Grenzen zwischen diesen verschiedenen Vorgängen verschwinden, dass insbesondere zwischen den nutritiven und den formativen Vorgängen, und ebenso zwischen den functionellen und den nutritiven Uebergänge bestehen, allein in dem eigentlichen Akt unterscheiden sie sich doch ganz wesentlich, und die inneren Veränderungen, welche der einzelne erregte Theil erleidet, je nachdem er nur fungirt, oder sich ernährt, oder der Sitz besonderer Bildungsvorgänge wird, sind erheblich verschieden[144]. Das Resultat der Erregung, oder wenn man will, der Reizung eines lebenden Theiles kann also je nach Umständen ein bloss functioneller Vorgang sein, oder es kann eine mehr oder weniger starke Ernährung des Theiles eingeleitet werden, ohne dass nothwendig die Function gleichzeitig erregt wird, oder es kann endlich ein Bildungsvorgang einsetzen, welcher mehr oder weniger viele neue Elemente schafft. Diese Verschiedenheiten werden in dem Maasse deutlicher, als die einzelnen Gewebe des Körpers mehr geeignet[338] sind, dem einen oder dem anderen Erregungszustande zu entsprechen.
Wenn wir von Verrichtungen der Theile sprechen, so reducirt sich bei einer guten Zahl von Geweben die wahre Function auf ein Minimum. Wir wissen im Ganzen sehr wenig zu sagen von der eigentlichen Function (im höheren Sinne des Wortes) bei fast allen Geweben der Bindesubstanz, bei der grössten Zahl der Epithelial-Elemente. Wir können wohl sagen, was sie für einen Nutzen haben, aber sie erschienen bis vor Kurzem immer mehr als relativ träge Massen, welche weniger der eigentlichen Function dienen, sondern vielmehr als Stützen für den Körper, als Decken für die Oberflächen, unter Umständen verbindend oder vermittelnd oder trennend, aber wesentlich passiv wirkend. Anders dagegen verhält es sich mit denjenigen Theilen, welche durch die Eigenthümlichkeit ihrer inneren Einrichtung einer schnelleren Veränderung zugänglich sind: den Nerven, den Muskeln und einzelnen anderen Gebilden, z. B. unter den epithelialen den Drüsenzellen, dem Flimmer-Epithel. Am frühesten hat begreiflicherweise die Erregbarkeit der Nerven die Aufmerksamkeit auf sich gezogen, und so ist es gekommen, dass viele Jahre hindurch der Begriff der Irritabilität sich ausschliesslich an die Nerven knüpfte, ein Umstand, der das Aufkommen des Neurismus in hohem Maasse begünstigt hat.
Bei allen Geweben, welche erheblichen Functionen dienstbar sind, finden wir die Function hauptsächlich begründet in der feineren Umordnung, oder, wenn man es schärfer ausdrückt, in feinen räumlichen Veränderungen der inneren Masse, des Zelleninhaltes oder des Protoplasma. Es ist also hier der eigentliche Zellkörper in seiner specifischen, inneren Ausstattung, welcher entscheidet; es handelt sich dabei wenig um die Membran und, wenigstens in den meisten Fällen, wohl wenig um den Kern. Das Protoplasma verändert sich unter gewissen Einwirkungen verhältnissmässig schnell, ohne dass wir jedoch jedesmal von der Umordnung der einzelnen Inhaltspartikeln morphologisch etwas wahrnehmen könnten. Höchstens sehen wir als grobes Resultat eine wirkliche Locomotion einzelner Theile, aber der Hergang lässt sich nicht so weit für das Verständniss auflösen, dass man daraus einfach beurtheilen könnte, in welcher Weise diese Locomotion durch die kleinsten Partikelchen, welche den Zelleninhalt zusammensetzen,[339] bedingt wird. Wenn in einem Nerven eine Erregung stattfindet, so wissen wir jetzt, dass damit eine Veränderung seines elektrischen Zustandes verbunden ist, eine Veränderung, welche nach Allem, was uns über die Erregung der Elektricität in anderen Körpern bekannt ist, mit Nothwendigkeit bezogen werden muss auf eine veränderte Stellung, welche die einzelnen Molekeln zu einander annehmen. Denken wir uns den Axencylinder aus elektrischen Molekeln zusammengesetzt, so können wir uns vorstellen, dass je zwei dieser Molekeln in dem Momente der Erregung eine veränderte Stellung zu einander einnehmen. Von diesen Stellungen der Molekeln sehen wir jedoch nichts, denn Molekeln sind überhaupt nicht sichtbar. Der Axencylinder sieht während der Function nicht anders aus, als sonst. Wenn wir einen Muskel während der Action betrachten, so bemerken wir allerdings, dass die Zwischenräume, welche zwischen den einzelnen sogenannten Scheiben liegen (S. 56), kürzer werden, und da wir nun wissen, dass die Substanz des Muskels aus einer Reihe von kleinen Fibrillen besteht, welche ihrerseits von Strecke zu Strecke, entsprechend diesen Scheiben, kleinste Körnchen enthalten, so schliessen wir daraus mit einer gewissen Sicherheit, dass wirkliche örtliche Verschiebungen der Körnchen gegen einander stattfinden. Aber diese Verschiebungen können nicht mehr zurückgeführt werden auf einen sichtbaren oder unmittelbar erkennbaren Grund. Wir können keine bestimmte chemische Veränderung, keine Umwandlung der Ernährungszustände der Theile wahrnehmen; wir sehen nur eine Verrückung, eine Dislocation der Partikeln, von der es freilich wahrscheinlich ist, dass sie auf einer geringen chemischen Veränderung der Molekeln beruht.
Fig. 106. Bildliches Schema des Zustandes der Nerven-Molekeln im ruhenden (peripolaren, A) und im elektrotonischen (dipolaren B) Zustande des Nerven. Nach Ludwig Physiol. I. 103.
Bei dem Flimmer-Epithel sitzen feine Cilien an der Oberfläche der Zellen; diese bewegen sich in einer gewissen Richtung und üben in dieser Richtung auf kleine Theile, welche ihnen nahe kommen, einen locomotorischen Effect aus. Isoliren wir die einzelnen Zellen, so zeigt sich, dass eine jede oben einen Saum (Deckel) von einer gewissen Dicke hat, an welchem kleine haarförmige[340] Verlängerungen hervortreten. Diese bewegen sich alle in der Art, dass eine Cilie, welche im ruhigen Zustande ganz gerade steht, sich einbiegt und wieder zurückschlägt. Aber wir sind ausser Stande, innerhalb der einzelnen Cilien weitere Veränderungen wahrzunehmen, durch welche die Bewegung vermittelt würde.
Gerade so verhält es sich mit den Drüsenzellen, von welchen wir gar nicht zweifelhaft sein können, dass sie einen bestimmten locomotorischen Effect haben. Denn nachdem Ludwig durch die Untersuchung der Speicheldrüsen gezeigt hat, dass der Druck des ausströmenden Speichels grösser ist, als der Druck des zuströmenden Blutes, so bleibt nichts anderes übrig, als zu schliessen, dass die Drüsenzellen einen bestimmten motorischen Effect auf die Flüssigkeit ausüben; die Secret-Masse wird mit einer bestimmten Gewalt hervorgetrieben, welche nicht von dem Blutdruck oder einer besonderen Muskel-Action, sondern von der specifischen Energie der Zellen als solcher ausgeht. Engelmann glaubt neuerlich sogar an den Hautdrüsen des Frosches eine selbständige, von den Muskeln unabhängige Zusammenziehung beobachtet zu haben. Allein an einer Drüsenzelle, während sie fungirt, können wir eben so wenig einen eigenthümlichen, materiellen Vorgang innerhalb der constituirenden Theilchen wahrnehmen, wie an den Nerven, den Muskeln oder dem Flimmer-Epithel.
Diese Thatsachen werden wesentlich verstärkt dadurch, dass wir wahrnehmen, wie gerade die functionellen Fähigkeiten der einzelnen Theile eine gewisse Störung erfahren durch eine längere Dauer der Verrichtung. An allen Theilen treten gewisse Zustände der Ermüdung auf, Zustände, wo der Theil nicht mehr im Stande ist, dasjenige Maass von Bewegung von sich ausgehen zu lassen, welches bis dahin an ihm zu bemerken war. Allein um wiederum in den leistungsfähigen Zustand zu kommen, bedürfen diese Theile keineswegs immer einer Ernährung, einer Aufnahme von Nahrungsstoff: die blosse Ruhe reicht aus, um innerhalb einer gewissen Zeit die Möglichkeit einer neuen Thätigkeit herbeizuführen. Ein Nerv, den wir aus dem Körper herausgeschnitten haben und zum Experiment verwenden, wird nach einer gewissen Zeit leistungsunfähig; wenn man ihn unter günstigen Verhältnissen, welche seine Austrocknung hindern, liegen lässt, so wird er allmählich wieder leistungsfähig. Diese functionelle Restitution, welche ohne eigentliche Ernährung stattfindet und aller Wahrscheinlichkeit[341] nach darauf beruht, dass die Molekeln, welche aus ihrer gewöhnlichen Lagerung herausgetreten sind, allmählich wieder in dieselbe zurückkehren, können wir an verschiedenen Theilen hervorrufen durch gewisse Reizmittel. Nach der Auffassung der Neuristen würden diese Mittel nur auf die Nerven und erst vermittelst der Nerven auf die anderen Theile einwirken; allein gerade hier haben wir einige Thatsachen, welche sich nicht wohl anders deuten lassen, als dass in der That eine Wirkung auf die Theile selbst stattfindet.
Wenn wir eine einzelne Flimmerzelle nehmen, sie, ganz vom Körper isolirt, frei schwimmen lassen und abwarten, bis vollkommene Ruhe eingetreten ist, so können wir die eigenthümliche Bewegung ihrer Cilien wieder hervorrufen, wenn wir eine kleine Quantität von Kali oder Natron der Flüssigkeit zufügen, eine Quantität, welche nicht so gross ist, dass ätzende Effecte auf die Zelle hervorgebracht werden, welche aber genügt, um, indem ein Theil davon in die Zelle eindringt, eine gewisse Veränderung an ihr zu erzeugen. Es ist aber besonders interessant, dass die Zahl der fixen Substanzen, durch welche wir das Flimmer-Epithel reizen können, sich auf diese beiden beschränkt. Daraus erklärt es sich, dass Purkinje und Valentin, welche zuerst und zwar sogleich in sehr ausgedehnter Weise Experimente über die Flimmerbewegung anstellten, nachdem sie mit einer sehr grossen Zahl von Substanzen experimentirt und, wer weiss was Alles versucht hatten, mechanische, chemische und elektrische Reize, zuletzt zu dem Schlusse kamen, es gebe überhaupt kein Reizmittel für die Flimmerbewegung. Ich hatte das Glück, zufällig auf die eigenthümliche Thatsache zu stossen, dass Kali und Natron solche Reizmittel seien[145]. Neuerlich hat W. Kühne entdeckt, dass unter den gasförmigen Substanzen sich noch ein mächtiger Erreger der Flimmerbewegung findet, nehmlich der Sauerstoff, während Kohlensäure und Wasserstoff dieselbe hemmen. Gewiss können wir hier keinen Nerveneinfluss mehr zu Hülfe rufen; derselbe erscheint um so weniger zulässig, als nach bekannten Erfahrungen die Flimmerbewegung im todten Körper sich noch zu einer Zeit erhält, wo andere Theile schon zu faulen angefangen haben. Ich sah die Flimmer-Epithelien der Stirnhöhlen und der Trachea in[342] menschlichen Leichen noch 36 bis 48 Stunden post mortem in vollständiger Thätigkeit, zu einer Zeit, wo jede Spur von Erregbarkeit in den übrigen Theilen längst verschwunden war.
Aehnlich verhält es sich mit den übrigen erregbaren Theilen, insbesondere mit den Muskeln, an denen W. Kühne diese Verhältnisse mit so grosser Umsicht untersucht hat. Fast überall zeigt sich, dass gewisse Erregungsmittel leichter als andere wirken, und dass manche gar nicht im Stande sind, einen erheblichen Effect hervorzubringen. Fast überall ergeben sich specifische Beziehungen. Wenn wir die Drüsen ins Auge fassen, so ist es eine bekannte Thatsache, dass es specifische Substanzen gibt, wodurch wir im Stande sind, auf die eine Drüse zu wirken, nicht auf die anderen, die specifische Energie einer Drüse zu treffen, während die übrigen unbetheiligt bleiben. Bei den Drüsen lässt sich freilich ungleich schwieriger die Wirkung der Nerven ausschliessen, als beim Flimmer-Epithel, allein wir haben gewisse Versuche, wo man nach Durchschneidung aller Nerven, z. B. an der Leber, durch Injection reizender Substanzen in das Blut im Stande gewesen ist, eine vermehrte Absonderung des Organes hervorzurufen, indem man Stoffe anwandte, welche erfahrungsmässig zu dem Organe eine nähere Beziehung haben.
Am meisten hat sich, wie bekannt, diese Discussion in neuerer Zeit concentrirt auf die Frage von der Muskel-Irritabilität, eine Frage, welche gerade deshalb so schwierig gewesen ist, weil sie von Haller mit einer grossen Exclusion eben auf dieses einzelne Gebiet beschränkt wurde. Haller kämpfte aufs Aeusserste dagegen, dass irgend ein anderer Theil ausser den Muskeln irritabel sei; sonderbarer Weise kämpfte er sogar gegen die Irritabilität von solchen Theilen, welche, wie die feinere Untersuchung der Späteren gezeigt hat, Muskel-Elemente enthalten, z. B. die mittlere Haut der Gefässe. Ja, er gebrauchte ziemlich energische Ausdrücke, wo er die von Anderen schon damals behauptete Erregbarkeit der Gefässe zurückwies. Ich habe schon angeführt (S. 129), dass wir gerade in dem Gefäss-Apparate grosse Abschnitte finden, z. B. am meisten ausgesucht an den Nabelgefässen des Neugebornen, in denen massenhafte Anhäufungen von Musculatur, aber keine Spur von Nerven erkennbar sind. Trotzdem besteht daran Irritabilität in einem hohen Maasse; wir können Zusammenziehungen der Muscularis mechanisch, chemisch und[343] elektrisch herbeiführen. Ebenso verhält es sich mit vielen anderen kleinen Gefässen, welche keineswegs in der Weise, wie dies die Neuropathologen annehmen müssen, in allen Abschnitten Nervenfasern zeigen. Auch hier können wir an jedem einzelnen Punkte, wo Muskeln existiren, unmittelbar die Contraction hervorrufen.
Die Erledigung der Frage von der Muskel-Irritabilität ist in der neueren Zeit besonders dadurch gefördert worden, dass man durch die Anwendung bestimmter Gifte, namentlich des Worara- (Curare-)Giftes dahin gelangt ist, die Nerven bis in ihre letzten, dem Versuche zugänglichen Endigungen zu lähmen, und zwar so, dass nicht wohl noch der Einwand erhoben werden kann, dass die Erregbarkeit der letzten Endigungen der Nerven in dem Muskel erhalten sei. Die Lähmung des Worara-Giftes beschränkt sich vollständig auf die Nerven, während die Muskeln ebenso vollständig reizbar bleiben. Während man die stärksten elektrischen Ströme auf den Nerven vergebens einwirken lässt, ohne irgend etwas von Bewegung hervorzubringen, so genügen die kleinsten mechanischen, chemischen oder elektrischen Reize, um den betreffenden Muskel in Erregung zu versetzen.
Wenn daher die so lange streitige Frage dahin entschieden ist, dass es wirklich eine eigenthümliche Muskel-Irritabilität gibt, welche an der Muskelsubstanz als solcher haftet, so ist das Ergebniss doch praktisch nicht von so grosser Bedeutung, wie man hätte erwarten können. Denn thatsächlich sind fast alle Muskelbewegungen, welche die Physiologie und die Pathologie kennen, durch Nerveneinwirkung hervorgerufen: eine wirkliche Selbstbewegung der Muskeln findet nur in ganz anomalen Fällen statt. Nichtsdestoweniger ist es für das Urtheil von höchster Wichtigkeit zu wissen, dass die Bewegung als solche eine Function des Muskels ist, und dass der Nerv nichts anderes thut, als den Anstoss zu dem in der Muskelsubstanz schon vorbereiteten Vorgange zu geben. Die Natur dieses Vorganges ist nicht abhängig von der Eigenthümlichkeit der Nerveneinwirkung, sondern einzig und allein von der Eigenthümlichkeit der Muskelsubstanz.
Die Neuristen haben jedoch aus derartigen Thatsachen, wie sie auch in der Reihe der secretorischen Vorgänge in ähnlicher Weise vorkommen, weitgehende Schlüsse in Beziehung auf die absolute Abhängigkeit der vitalen Vorgänge von Innervation gezogen. Dies ist in keiner Weise anzuerkennen. Man kann die[344] Nerven eines Muskels oder einer Drüse zerschneiden und den Zusammenhang der Organe mit den Centren aufheben, ohne dass deshalb die Fähigkeit des Muskels zur Contraction oder die der Drüse zur Secretion aufhört. Ja man kann den Muskel oder die Drüse aus dem Körper herausschneiden, sie definitiv dem Organismus entfremden, ohne dass zunächst die Eigenschaften der Contraction oder Secretion dadurch geändert werden. Wollte man sich hier selbst darauf beziehen, dass in den ausgeschnittenen Muskeln oder Drüsen noch Nerven-Enden vorhanden seien, so hat dieses an sich hinfällige Argument schon deshalb keine Bedeutung, weil die neuristische Doctrin nur dann einen theoretischen Werth besitzt, wenn sie den Nervenapparat in seinem Zusammenhange, in seiner sogenannten Einheit in Rechnung stellen kann, keineswegs aber, wenn sie mit einzelnen peripherischen Abschnitten von Nerven arbeitet. Denn diese letzteren sind vielmehr als vorzügliche Beispiele für das Leben der einzelnen Theile, also für die cellulare Anschauung zu betrachten.
Ich gestehe demnach die hohe Dignität des Nervenapparates und der an ihm geschehenden Vorgänge vollständig zu; ja ich gehe so weit, zu sagen, dass in dem gewöhnlichen Gange des menschlichen Lebens die Mehrzahl der Einzelvorgänge im Körper durch Nerveneinwirkung hervorgerufen oder geleitet wird. Wenn daraus jedoch in keiner Weise gefolgert werden darf, dass diese Einzelvorgänge selbst bloss passive Veränderungen der innervirten Theile sind, so darf noch weniger die Meinung zugelassen werden, als sei die Nerventhätigkeit keine cellulare, und als müsse die Nerven-Irritabilität als das eigentliche Wesen des Lebens angesehen werden. Betrachten wir diese viel besprochene Eigenschaft daher etwas näher:
Die Lehre von der Irritabilität der Nerven beruht zunächst auf der Erfahrung, dass irgend eine Verletzung oder Reizung derselben Schmerz erzeugt oder wenigstens empfindlich ist. Genau genommen ist diese Empfindlichkeit eben das, was man die Irritabilität genannt hat; man reizte die verschiedensten Gewebe, um zu sehen, ob sie irritabel seien, und beurtheilte ihre Irritabilität wesentlich danach, ob auf die Reizung Schmerzempfindung eintrete oder nicht. In diesem beschränkten Sinne würde Nerven-Irritabilität die Eigenschaft bedeuten, zu den Centralorganen gehende und dort zum Bewusstsein kommende, durch äussere Reize[345] hervorgerufene Vorgänge zu bewirken. Allein diese Vorgänge stellen nur die eine, nehmlich die recipirende Seite der Nerventhätigkeit dar; die andere, die im gewöhnlichen Sinne active oder motorische Seite, wird dabei gar nicht berührt. Die Anhänger der Nerven-Irritabilität haben daher nicht gezögert, auch diese Seite mit in ihre Betrachtungen hineinzuziehen; ja, es hat nicht lange gedauert, bis man daraus geradezu die Hauptsache gemacht hat. So kam es, dass schon Haller Irritabilität und Contractilität verwechselte, und dass er die Irritabilität gewisser Theile leugnete, weil sie sich auf Reize nicht contrahiren wollten.
Der Grundfehler in dieser Betrachtungsweise liegt darin, dass man von ganz falschen Einheiten ausging. Man hatte keine einheitlichen Elemente und demgemäss auch keine einheitlichen Vorgänge. Man verwechselte zuerst Nerventhätigkeit und Innervation. Es liegt auf der Hand, dass Innervation nur diejenige Nerventhätigkeit bezeichnen kann, welche auf andere, nicht nervöse Theile gerichtet ist, also z. B. die Erregung der Muskel- oder Drüsenelemente zur Thätigkeit. Nun ist es freilich möglich, dass diese Thätigkeit ihrem Wesen nach identisch ist mit derjenigen, welche im Nerven selbst stattfindet, also etwa elektrisch ist, und man kann sich vorstellen, dass von den Nervenenden die elektrische Bewegung sich wirklich direkt auf die Muskel- oder Drüsensubstanz überträgt. Aber selbst wenn dies allgemein richtig wäre, was erst zu beweisen ist, so würde daraus doch nicht hervorgehen, dass die Thätigkeit des Nerven, insofern sie Elektricität hervorbringt, in irgend einer Weise gebunden ist an die Möglichkeit, dieselbe an bestimmte andere Theile des Körpers abzugeben und in diesen besondere Thätigkeitsäusserungen hervorzurufen. Ein ganz isolirter und aus dem Körper entfernter Nerv kann gereizt und in Thätigkeit gesetzt werden. Ueberdiess passt die Formel der Innervation nur für diejenigen Nerven, welche ich (S. 294) Arbeitsnerven genannt habe; sie ist ganz unbrauchbar für die Empfindungsnerven, welche zu Ganglienzellen gehen und gerade in der Erregung dieser letzteren ihre hauptsächliche „Thätigkeit“ entfalten.
Hier stossen wir auf ein neues Hinderniss. Die Neuristen knüpften die (wenn ich so sagen darf, rückläufige) Irritabilität an bewusste Empfindungen, namentlich an Schmerzäusserungen. Allein wir wissen, dass das Bewusstsein nur einem Theile derjenigen[346] Empfindungen zukommt, welche dem Gehirn zuströmen, dass es dagegen an sich gänzlich fremd ist allen denjenigen Empfindungen, welche dem Rückenmark und dem spinalen Abschnitte des Gehirns angehören, und noch mehr jenen Perceptionen, um nicht zu sagen, Empfindungen, welche nur die Ganglien des Sympathicus berühren. Erst seitdem das Gebiet der Reflexvorgänge genauer studirt ist, hat man begriffen, dass nicht alle Bewegungserscheinungen, welche auf Reizung von Empfindungsnerven eintreten, Schmerzäusserungen sind, man müsste denn auch einen unbewussten Schmerz annehmen. Wollte man dies aber thun, was in einer gewissen Weise berechtigt wäre, so würde man doch sofort in einen Wirbel gerathen, der schliesslich zur Aufstellung eines unbewussten Bewusstseins führen müsste. Ein solches ist freilich in der sogenannten Rückenmarksseele gleichsam personificirt schon geschaffen worden; indess müsste man noch einen Schritt weiter gehen, und eine besondere Nervenseele wählen, wenn man einmal für alle Theile sich die spiritualistische Erklärungsform sichern wollte.
Diese Nervenseele oder, wie die mehr naturphilosophischen Neuristen sagten, diese Nervenkraft (Neurilität Lewes) müsste nothwendigerweise jedem nervösen Theile oder Elemente zugeschrieben werden, und Irritabilität würde alsdann bedeuten die Fähigkeit des Theiles oder Elementes, diese Seele oder Kraft in Thätigkeit zu setzen. Aber gewiss ist es ein gewagter und nichts weniger als berechtigter Schritt, allen nervösen Theilen die gleiche Kraft zuzuschreiben. In der That ist noch niemand so weit gegangen, neben der Gehirnseele und der Rückenmarksseele auch noch besondere Ganglien- und Nervenseelen aufzustellen. Das allgemeine Zugeständniss, dass es nervöse Theile gibt, die nicht einmal das „unbewusste Bewusstsein“ besitzen, dass also innerhalb des Nervensystems specifische Unterschiede zwischen den constituirenden Elementen vorhanden sind, reicht aus, um es verständlich zu machen, warum man mit der Annahme einer einfachen Nervenkraft nicht ausreicht. Man mag dieselbe nun spiritualistisch oder materialistisch construiren, man mag sie Anima oder Elektricität nennen, man ist ausser Stande, nach dem Stande unserer Kenntnisse damit alle functionellen Erscheinungen zu erklären. Daher muss man sich dazu verstehen, die Nervenfasern und die Nervenzellen nicht einfach zu identificiren.
Alles, was wir über elektrische Vorgänge an Nerven wissen, bezieht sich auf Nervenfasern und zwar wesentlich auf Leitung (Conduction) der Elektricität in denselben. Indess darf man deshalb nicht so weit gehen, die Nervenfasern nur als Conduktoren der Elektricität aufzufassen, denn es ist leicht ersichtlich, dass, wenn von dem peripherischen Ende eines durchschnittenen Nerven aus durch direkte Reizung Bewegungen inducirt werden können, dies nur geschieht, indem der gereizte Nerv in sich Elektricität hervorbringt. Auch die Nervenfasern sind also functionell reizbar. Aber ich gestehe hier, wie bei der Muskel-Irritabilität zu, dass dies ein anomaler Fall ist, der im gewöhnlichen Leben selten vorkommt, und dass man daher als die eigentlichen Erreger der elektrischen Strömungen die Ganglienzellen anzusehen hat. Ob jedoch die Vorgänge im Innern dieser Zellen selbst elektrische sind, das ist bis jetzt nicht bekannt. Gewiss liegt es nahe, zu vermuthen, dass auch in den Ganglienzellen selbst elektrische Vorgänge stattfinden, ja Manches spricht dafür, dass diese Zellen die Fähigkeit besitzen, diese Vorgänge zu modificiren, d. h. abzulenken, zu verstärken und zu schwächen. Die empfindenden Nervenfasern sind fast durchgehends an ihren peripherischen Enden mit Nervenzellen in Verbindung, so dass jede von aussen eintretende Veränderung (Reizung) erst die Nervenzelle passiren muss, ehe sie in die eigentliche Nervenfaser übergeht und zu den centralen Ganglienzellen geleitet wird. Auch die motorischen Nervenfasern laufen kurz vor ihrem Ende vielfach in besondere gangliöse Apparate aus, gleichwie sie an ihrem Ursprunge aus Ganglienzellen hervorgehen. Welche andere Bedeutung können diese Zellen haben, als die einer Sammlung der in den Nerven geschehenden Bewegung, welche einerseits die Möglichkeit einer verschiedenen Ablenkung des Nervenstromes (Direction, Derivation), andererseits die Möglichkeit einer zeitweisen Abschwächung und Hemmung desselben und dann einer nachfolgenden Verstärkung mit vielleicht explosiver Wirkung gewährt? Gleichwie früher das Studium der Reflexvorgänge, so führt gegenwärtig die sich immer mehr ausdehnende Kenntniss der von mir so genannten Moderations-Einrichtungen im Nervensystem[146], wofür zuerst der Vagus, dann der Splanchnicus, schliesslich[348] selbst das Gehirn so ausgezeichnete experimentelle Beispiele geliefert haben, mit Nothwendigkeit auf Ganglienzellen und nicht auf Nervenfasern zurück. Erscheinungen, wie die des Elektrotonus, sind im lebenden Organismus nicht bekannt. Trotzdem lassen die Vorgänge der Reflexion und Derivation, der Hemmung und Verstärkung eine Interpretation im Sinne der elektrischen Theorie zu.
Aber eine solche Interpretation ist nicht mehr möglich bei jenen verwickelten Vorgängen des instinktiven und intellektuellen Lebens, welche überhaupt die höchste Entwickelung der thierischen Function darstellen. Wer ist im Stande, den Instinkt oder gar den Verstand elektrisch zu construiren? oder gar das Bewusstsein als ein Analogon eines mechanischen Vorganges nachzuweisen? Wie so oft, hat man sich auch in diesem Falle über die Schwierigkeiten des Einzelnen hinwegzusetzen gesucht, indem man die Einzelerfahrung verallgemeinerte. So hat noch neuerlich E. Hering das Gedächtniss als eine allgemeine Function der organisirten Materie dargestellt, und Wallace hat den noch weiteren Schritt gethan, das Bewusstsein als eine allgemeine Eigenschaft der Substanz anzusprechen. Er ist auf diese Weise, ohne es zu ahnen, nahezu auf denselben Standpunkt der Naturanschauung gelangt, den vor fast zweihundert Jahren sein grosser Landsmann Glisson, der Erfinder des Wortes Irritabilität, einnahm, indem er der Substanz überhaupt drei Functionen beilegte, welche er als perceptiva, appetitiva und motiva bezeichnete. Leider ist es mit der Generalisation allein nicht gethan; man muss auch Beweise beibringen. Sonst bedeutet die Generalisation nichts als das Bestreben, eine Schwierigkeit möglich weit von sich zu entfernen und dadurch unmerklich zu machen.
Eine Erklärung der organischen Vorgänge lässt sich am wenigsten auf dem Wege der speculativen Verallgemeinerung gewinnen. Jeder Schritt auf diesem Wege führt von der Forschung ab. Was uns in der organischen Welt noththut, ist nicht die Generalisation, sondern vielmehr die Localisation. Das Bewusstsein, das Gedächtniss, das Denken und Vorstellen überhaupt sind nicht einmal allgemeine Functionen aller Theile des Körpers. Wie sollten wir zu der Vermuthung kommen, dass auch die unorganische Substanz daran Antheil hat? Im Laufe von Jahrtausenden ist man allmählich dahin gekommen, den Nervenapparat als Träger[349] dieser Functionen zu bestimmen. Nachdem sich zuletzt mehr und mehr die Aufmerksamkeit auf das Gehirn concentrirt hat, ist ganz folgerichtig die Frage aufgeworfen worden, welche Theile des Gehirns der „Sitz“ der psychischen Functionen seien, und nachdem auch diese Frage zunächst nur im groben Sinne behandelt war, ist man endlich im Wege der Histologie zu den Ganglienzellen gelangt. Hier freilich lassen uns sowohl die Histologie als das Experiment und die pathologische Beobachtung im Stiche. Wir können noch nicht sagen, welche Ganglienzellen es sind, die so merkwürdige Functionen haben, und in welchen ihrer Bestandtheile dieselben ihre Erklärung finden. Aber dass an gewisse Gruppen von Hirnelementen die psychische Thätigkeit geknüpft ist, dass innerhalb dieser Gruppen Ganglienzellen die eigentlich wirksamen Elemente sind, und dass diese Ganglienzellen gewisse specifische Eigenthümlichkeiten haben müssen, wodurch sie sich von anderen unterscheiden, daran können wir nicht wohl zweifeln. Jedoch nur die immer mehr localisirende Untersuchung wird uns dahin führen, diese Eigenthümlichkeiten wirklich zu ergründen.
Sprechen wir nun von Nerven-Irritabilität im Sinne der Centraleinrichtungen, so ist damit offenbar etwas anderes gemeint, als wenn wir nur an die Nervenfasern denken. Es ist die Erregung der Ganglienzellen, um welche es sich handelt. Diese Erregung kann eine willkürliche oder unwillkürliche, eine bewusste oder unbewusste, eine perceptive (sensitive) oder motorische sein, je nachdem diese oder jene Art von Ganglienzellen dabei betheiligt ist. Manche Verschiedenheiten der eintretenden Thätigkeiten erklären sich offenbar durch die verschiedene Energie der einzelnen Ganglienzellen: wie wir Bewegungs- und Empfindungszellen unterscheiden, so können wir auch innerhalb der Bewegungszellen die den einzelnen muskulösen Apparaten zugehörigen von einander trennen, und ebenso innerhalb der Empfindungszellen die gewöhnlichen spinalen Ganglienzellen von den Riech-, Seh- und Hörzellen u. s. w. des Gehirns sondern. Andere Verschiedenheiten dagegen resultiren aus der combinirten Erregung und Zusammenwirkung (Synergie) mehrerer, in sich verschiedener Ganglienzellen oder Ganglienzellen-Gruppen. Jede Reflex-Erregung, jede bewusste und willkürliche Erregung setzt die gleichzeitige oder doch innerhalb kurzer Zeiträume auf einander folgende Thätigkeit verschiedener Ganglienzellen voraus. Für viele Fälle sind wir im[350] Stande, durch eine genaue Analyse des Vorganges diejenigen Gruppen zu bezeichnen, welche in Wirksamkeit treten. Aber das eigentliche Wesen der Erregung der einzelnen Zellen selbst zu erklären, sind wir bis jetzt nicht befähigt.
Bei einer früheren Gelegenheit[147] habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass allerdings auch bei den Erregungsvorgängen der Centren sich Zustände der Spannung und der Entladung unterscheiden lassen. „Man schliesst sich“, sagte ich damals, „mit diesem bildlichen Ausdrucke sowohl an die Terminologie der Psychologen, als auch an die der Physiker und Praktiker an, und man gewinnt wenigstens einen, die Thatsachen kurz bezeichnenden Ausdruck, welcher die Möglichkeit zulässt, ohne sie jedoch nothwendig zu machen, dass auch die Zustände der Ganglien sich den bekannten Zuständen elektrischer Theile unterordnen“. Die kleinste peripherische oder centrale Erregung setzt zunächst eine gewisse Störung oder Veränderung in dem inneren Zustande einer Ganglienzelle. Diese kann sich fast unmittelbar auf die Fortsätze derselben fortsetzen und damit abgeleitet werden. Es kann aber auch eine Hemmung in der Fortleitung des Stromes eintreten und die Störung für eine gewisse Zeit innerhalb der Zelle beschränkt bleiben, indem die in ihrer Anordnung oder ihrem chemischen Verhalten veränderten Theilchen der weiteren Fortsetzung der Bewegung Hindernisse entgegenstellen. Kommt endlich die Ableitung, vielleicht in stürmischer Weise, zu Stande, so erscheint die dadurch hervorgebrachte Leistung als befreiende That, welche das leidende Organ entlastet, Erleichterung und Ausgleichung bringt. Im psychologischen Sinne entspricht die Störung dem Affect, der, indem er zur Motion drängt, zum Triebe wird, und der in der zur Befriedigung des Triebes führenden Handlung seine Lösung findet.
Diese Erfahrungen gelten in gleicher Weise für das gewöhnliche Nervenleben, wie für das Geistesleben, für die Physiologie, wie für die Pathologie. Allerdings nehmen die Erscheinungen der Erregung, der Spannung und der Entladung unter krankhaften Verhältnissen nicht selten überaus seltsame und selbst wunderbare Formen an. Aber als Regel muss überall festgehalten werden, dass auch die Erscheinungen des kranken Nervenlebens[351] nicht qualitativ verschieden sind von denen des gesunden. Kein Nerv, keine Ganglienzelle kann, soviel wir wissen, unter pathologischen Bedingungen etwas Anderes thun oder leisten, als sie nach ihren, ein für allemal gegebenen Einrichtungen überhaupt zu thun oder zu leisten im Stande sind. Ein Tastnerv kann nicht sehen, ein Sehnerv nicht hören, eine Empfindungszelle nicht bewegen. Zuweilen macht sich freilich eine starke Neigung der Menschen geltend, den Nerven qualitativ verschiedene Leistungen zuzuschreiben. Der Mesmerismus hat Manchem den Glauben beigebracht, man könne mit den Hautnerven, z. B. der Oberbauchgegend, lesen. Die Tischrücker meinten, mit Empfindungsnerven Holz bewegen zu können. Alles das sind entweder Betrügereien, oder Selbsttäuschungen. Die pathologische Nervenfunction ist von der physiologischen nur dadurch verschieden, dass sie entweder quantitative Abweichungen, oder ungewöhnliche Combinationen erfährt.
Die quantitativen Abweichungen ergeben ein Mehr oder Weniger an Leistung: Krampf oder Lähmung. Die combinatorischen (synergischen) Abweichungen zeigen eine Verbindung von nervösen, sei es an sich physiologischen, sei es quantitativ von den physiologischen verschiedenen Erscheinungen mit einander. Solcher Art ist die Epilepsie, bei welcher starke unwillkürliche Contractionen von willkürlichen Muskeln (Krämpfe) mit Lähmung des Bewusstseins sich combiniren. Diese Combination ist so auffällig, dass man sich in früheren Zeiten nicht anders zu helfen wusste, als dass man die Epileptiker Besessene nannte und irgend einen bösen Geist in sie hineinfahren liess, der mit ihren Gliedern arbeitete. Eine solche Heterologie der Kräfte existirt nicht. Was im Epileptiker arbeitet, sind seine eigenen Nerven, und trotz aller Absonderlichkeit der Leistung ist dieselbe doch in jedem ihrer Theile eine vorgezeichnete und in diesem Sinne eine physiologische. —
Wenn sowohl bei den Muskeln, als bei den Nerven die Irritabilität eine so sehr in die Augen springende Eigenschaft ist, dass sie seit langen Jahren ein Gegenstand anhaltender Untersuchungen gewesen ist, so verhält es sich wesentlich anders mit der Drüsen-Irritabilität. Begreiflicherweise kann es sich hier nur um die Erregbarkeit der Drüsenzellen, des specifischen Parenchyms,[352] und nicht um die an sich unzweifelhafte und gewiss in vielen Fällen sehr wirksame Erregbarkeit der Muskulatur der Gefässe und Ausführungsgänge der Drüsen handeln. Aber gerade deshalb ist die Frage eine sehr complicirte, die nur unter grossen Schwierigkeiten gelöst werden kann. Es kommt hinzu, dass man die Drüsenfunction noch weniger unter einheitlichen Gesichtspunkten behandeln kann, wie die Muskel- und Nervenfunction. Denn der Typus der Drüsenfunction ist in sich ganz verschieden. Eine Reihe sehr wichtiger Drüsen, insbesondere alle dem Generationssysteme angehörigen, arbeiten mehr nach dem nutritiven oder formativen Typus; sie müssen, bei der gegenwärtigen Betrachtung ausgeschieden werden. Wir können hier nur diejenigen Drüsen besprechen, deren Elemente eine grössere Dauer haben und demgemäss den Act der Function überleben. Dahin gehören, soweit sich bis jetzt erkennen lässt, die beiden wichtigsten Drüsen: die Leber und die Nieren. Aber auch an ihnen ist es schwer, die Function von der Nutrition zu scheiden, insofern ihre Function auf Stoffwechsel beruht. Es werden Stoffe in die Drüsenzellen aufgenommen, in denselben verändert und von denselben in diesem veränderten Zustande ausgeschieden. Nichts ist in dieser Beziehung so charakteristisch, wie die Glykogenie in der Leber. Aus differenten Stoffen, wie aus den Arbeiten Bernard's hervorgeht, selbst aus stickstoffhaltigen, entsteht in den Leberzellen eine stickstofflose Substanz, das Glykogen; dieses wird in Zucker übergeführt und letzterer in die Blutgefässe ausgeschieden und durch die Lebervenen dem allgemeinen Kreislaufe zugeleitet. Mannichfache Reize, mögen sie nun durch Innervation oder durch den Contact scharfer, durch das Blut zugeführter Stoffe hergestellt werden, erregen diese Thätigkeit der Leberzellen und steigern die Zuckerzufuhr zum Blute.
Auch in dieser Form hat die Drüsenthätigkeit Manches an sich, wodurch sie den Ernährungsvorgängen nahe tritt, und es lässt sich begreifen, dass die Lehre von der functionellen Reizbarkeit nach dieser Seite hin wenig ausgebildet ist. Wahrscheinlich würde sie auch jetzt noch wesentlich auf muskulöse und nervöse Theile beschränkt geblieben sein, wenn nicht in ziemlich unerwarteter Weise ihr aus dem Gebiete der scheinbar trägen Einzelzellen eine sehr reiche Verstärkung an positiven Erfahrungen zugeflossen wäre. Diese war von um so grösserer Bedeutung, als[353] hier zuerst automatische Vorgänge bekannt wurden, welche in der augenfälligsten Weise von allem Nerveneinflusse frei sind.
Die Reihe dieser Entdeckungen wurde eingeleitet durch eine schnell steigende Zahl von Beobachtungen auf dem Felde der Botanik und der Zoologie, welche zum Theil jenes Grenzgebiet betrafen, welches Häckel seitdem unter der Bezeichnung des Protistenreiches abgeschieden hat. Indess lieferten auch unzweifelhaft einzellige Pflanzen, zumal Algen, welche frei im Wasser leben, und isolirte Pflanzentheile, wie die Sporen, sehr wichtige Anhaltspunkte. Daran schlossen sich neue Erfahrungen über die automatische Substanz niederer Wasserthiere, namentlich über die sogenannte Sarkode der Süsswasserpolypen durch Ecker, sowie über die contractile Substanz der Polythalamien durch M. Schultze und der Radiolarien durch Häckel. Seit diesen Autoren ist allmählich der Name Protoplasma in einer solchen Ausdehnung für diese Substanzen gebräuchlich geworden, dass man sich des Bedenkens allerdings nicht entschlagen kann, dass derselbe weit über das Maass eines wissenschaftlichen Verständnisses hinaus in Anwendung gebracht wird. Immerhin kann man zugestehen, dass er bei diesen niederen Organismen eine höhere Berechtigung hat. Wenn bei den durch de Bary und W. Kühne genauer bekannt gewordenen Myxomyceten diese Substanz nicht bloss der Bewegung dient, sondern auch in sich neue Gewebselemente erzeugt, so trifft die Bezeichnung gewiss in hohem Maasse zu. Noch mehr würde dies der Fall sein, wenn jener neu entdeckte Organismus, welcher den Boden des atlantischen Oceans überzieht, der Bathybius, in der That keine zellige Organisation erreichte, sondern, wie Huxley beschreibt, auf einer niederen Stufe der Differenzirung stehen bliebe. Für die vergleichende Physiologie ist jedoch am meisten entscheidend gewesen die Kenntniss eines bis in die neueste Zeit hinein den Infusorien zugerechneten Wesens, der Amoebe, deren sehr einfache Organisation und eben so einfache Lebensthätigkeit sie gewissermaassen als den Prototyp des Automatismus erscheinen liess. So ist es gekommen, dass die Gesammtheit der hier in Betracht kommenden Erscheinungen den Namen der amöboiden erhalten hat.
Fig. 107, I. Automatische Zellen aus Hydrocele lymphatica, durch Punction entleert. Man sieht theils einzelne haarförmige, theils gedrängte büschelige Fortsätze. Der Zelleninhalt (Protoplasma) feinkörnig; in einzelnen Zellen kleine (schwärzliche) Fettkörnchen, in zweien Vacuolen. Vergr. 300.
Auch die eigentlich cellulare Erforschung der automatischen Vorgänge begann bei niederen Thieren. In immer steigender Zahl[354] wurden bewegliche Elemente im Innern des Körpers bei Cephalopoden, Crustaceen, Würmern u. s. f. aufgefunden. Bei den Wirbelthieren begannen, wie ich schon früher (S. 64, 189) erwähnt habe, die Beobachtungen mit dem Studium der Flimmerzellen, der Pigmentzellen und der farblosen Blutkörperchen, denen sich endlich durch die Entdeckung von Recklinghausen's die, trotz aller meiner Anstrengungen bis dahin von Vielen kaum noch als Elemente anerkannten Bindegewebskörperchen, sowie die Eiterkörperchen anschlossen.
Manche der hier in Frage kommenden Erscheinungen waren allerdings schon länger bekannt, aber anderen Reihen von Vorgängen angeschlossen. Ich selbst hatte sie in höchst charakteristischer Weise an zwei verschiedenen Arten von Elementen gesehen und gezeichnet, nehmlich an Exsudatzellen und an Knorpelkörperchen[148]. Indess war damals die Neigung, alle Veränderungen der Zellen auf Exosmose und Endosmose zurückzuführen, so vorherrschend, dass ich im Zweifel geblieben war, ob ich nicht Erscheinungen der Schwellung und Schrumpfung vor mir hätte, welche durch bloss mechanische Einwirkung von Flüssigkeiten verschiedener Concentration herbeigeführt wurden. Die zum Theil sehr auffälligen osmotischen Veränderungen[149] der Zellen entsprechen zum Theil dem, was ich an einer anderen Stelle (S. 174, Fig. 61, e–h) von den rothen Blutkörperchen beschrieben habe, gehen jedoch noch darüber hinaus und sie konnten wohl als Grund der grössten Formveränderungen angesehen werden. Die neueren Beobachter sind gerade im Gegentheil so sehr von der Allgegenwart und Allwirkung des Protoplasma überzeugt, dass manche von ihnen auch alle diese, der wahren Osmose angehörigen Erscheinungen mit zu den Wirkungen des Protoplasma rechnen. Wie mir scheint, wird noch manche[355] Arbeit dazu gehören, diese zwei Reihen, die active und die passive, auseinanderzulösen.
Fig. 107, II. Automatische Zellen aus frisch exstirpirtem Enchondrom: körniger Zellkörper, grosser Kern mit je zwei Nucleoli. a Zelle mit homogenen verzweigten Ausläufern nach zwei Richtungen, b mehrfache feine Reiser neben den grossen, zum Theil körnigen Ausläufern. Vergr. 300.
Unter den automatischen Veränderungen der Zellen sind folgende vier zu nennen:
1) Die äussere Gestaltveränderung, insbesondere das Aussenden und Einziehen von Fortsätzen. Nirgends habe ich dies in so grosser, ja, ich kann wohl sagen, ungeheurer Ausdehnung gesehen, wie an jungen Knorpelzellen, namentlich an Enchondromzellen. Grohe hat es in gleicher Weise constatirt. Hier sah ich (Fig. 107, II.) von Zellen, welche, so lange sie in ihren Capsein enthalten waren, eine rundlich-kugelige Gestalt besassen, allmählich Fortsätze ausgehen, die als ganz feine Reiserchen begannen. Nach und nach verlängerten sie sich, sendeten neue Reiser und Aeste aus, schoben sich immer weiter und weiter hinaus und wurden so lang, dass man sie nicht auf einmal im Gesichtsfelde des Mikroskopes übersehen konnte. Aus einer kugeligen oder linsenförmigen Zelle wurde so ein Gebilde, welches einer vielstrahligen Ganglienzelle glich. Auch darin zeigt sich eine gewisse Uebereinstimmung mit den Bewegungen niederster Organismen, dass die ausstrahlende Substanz anfangs homogen,[356] später in dem Maasse, als der Zellkörper sich mehr in die Fortsätze hineinschiebt, körnig ist. An kleineren Rundzellen (Fig. 107, I.) treten die Ausläufer bald in feinen Büscheln, bald in Form einzelner Haare oder Cilien zu Tage. Bei weiterer Beobachtung habe ich an pathologischen Knorpelzellen auch wahrgenommen, wie der Zellkörper mehr und mehr in Fortsätze sich auflöste und dem entsprechend sich, fast bis zur Unkenntlichkeit, verschmächtigte (Fig. 107, III. a u. c). Ja, ich sah schliesslich die einzelnen Fortsätze sich einander nähern, in einander fliessen und sich gleichsam organisch mit einander verbinden, wie es ganz ähnlich an den sogenannten Pseudopodien der Polythalamien und Radiolarien beobachtet wird.
Fig. 107, III. Aus derselben Geschwulst, wie Fig. 107, II. Die automatischen Zellen noch mehr in Fortsätze aufgelöst, letztere viel mehr verästelt. Der Zellkörper fast verschwunden. Vergr. 300.
In ähnlicher Weise, wie dieses Ausstrahlen der Fortsätze geschieht, erfolgt auch das Einziehen derselben. Einer nach dem andern verkürzt sich, zieht sich allmählich in den Zellkörper zurück und verschwindet. Die Zelle nimmt schliesslich wieder ihre rundliche Form an, ja nicht selten wird diese so auffällig kugelig und zugleich die Dichtigkeit des Gebildes so gross, dass schon daran der „Contractions“-Zustand erkannt werden kann.
So auffällig diese Vorgänge sind, so muss ich doch betonen, dass ganz ähnliche durch abwechselnde Einwirkung concentrirter und diluirter Flüssigkeiten hervorgebracht werden können, zumal wenn ungleich dichte Mischungen auf die Zellen einwirken. Durch concentrirte Salz- oder Zuckerlösungen kann man das Zurückgehen der Fortsätze leicht bewirken, wie man umgekehrt durch[357] verdünnte alkalische Lösungen zuweilen recht ausgezeichnete Fortsatzbildungen hervorrufen kann.
2) Das Auftreten von Molecularbewegung im Innern des Zellkörpers (Protoplasma's). Diese Erscheinung ist zuerst (1845) von Reinhardt an Eiterkörperchen, sodann von Remak an Schleimkörperchen gesehen und von mir genauer beschrieben worden[150]. Sie lässt sich durch einen Wechsel in den Concentrationszuständen mit Leichtigkeit herbeiführen. Erst sehr viel später ist die allgemeine Aufmerksamkeit für dieses Phänomen durch Brücke erregt worden, der darin einen besonderen vitalen Act sieht. Es lässt sich dies nicht ganz in Abrede stellen, insofern manche automatischen Vorgänge, z. B. die Aussendung von Fortsätzen mit einer moleculären Vibration beginnen, indess darf man doch nicht so weit gehen, jede Art der intracellularen Molecularbewegung als vital anzusehen.
Fig. 107, IV. Eiterkörperchen des Frosches im Humor aqueus nach v. Recklinghausen. (Mein Archiv 1863. Bd. XXVIII. Taf. II. Fig. 1.). Vergr. 350. Fig. 1–7. Formen, welche dasselbe Körperchen der Reihe nach innerhalb fünf Minuten annahm. Fig. 17–18. Dasselbe Körperchen, mit Vacuolen besetzt.
3) Die Bildung von Vacuolen im Protoplasma. Schon seit langer Zeit sind aus Pflanzenzellen und aus niederen Thieren inmitten der körnigen Substanz ihres Körpers helle, blasenförmige Räume bekannt. Aehnliche kommen auch in Zellen der höheren[358] Thiere und des Menschen vor. Jedoch scheide ich diejenigen, welche von einer besonderen Haut umkleidet sind (Physaliden), ausdrücklich aus. Die genauere Beobachtung Vacuolen tragender Rundzellen (Fig. 107, I. Fig. 107, IV. 17 u. 18) ergibt, dass die hellen Räume manchmal einfach leere oder eigentlich von Wasser eingenommene Stellen, Wassertropfen innerhalb des sogenannten Protoplasmas sind, andermal dagegen von einer zähen, in Wasser schwerer löslichen und zuweilen in Form hyaliner Tropfen aus den Zellen austretenden Substanz erfüllt sind. In beiden Fällen wird durch concentrirtere Medien, namentlich Salzlösungen die Erscheinung aufgehoben. Ebenso kann man sie jedoch auch durch Maceration der Zellen in verdünnten alkalischen Salzlösungen künstlich erzeugen. Auch hier muss man daher sehr vorsichtig sein in der Deutung.
4) Die Abschnürung einzelner Theile des Zellkörpers. Es ist dies eine ähnliche Erscheinung, wie wir sie bei den rothen Blutkörperchen besprochen haben (S. 193, 266). Im Zusammenhange mit automatischen Bewegungen hat sie schon Boner[151] beobachtet; später ist sie von Beale, Stricker und Anderen als ein häufigeres Phänomen nachgewiesen worden.
Diese verschiedenen Erscheinungen, welche nicht selten neben, sehr oft kurz nach einander an einer und derselben Zelle auftreten, verändern das Aussehen derselben so auffällig, dass es häufig unmöglich ist, ohne unmittelbare Beobachtung des Vorganges sich von der Identität der Zellindividuen zu überzeugen. Es sind in der That proteusartige Metamorphosen. Allerdings kann man sie sämmtlich, wie es jetzt gewöhnlich geschieht, auf Contraction beziehen. Indess haben sie doch fast durchweg gewisse Eigenthümlichkeiten, welche ihre Veränderungen von den eigentlichen Contractionsveränderungen unterscheiden: diese Veränderungen erfolgen nehmlich mit grosser Langsamkeit, man kann fast sagen, Trägheit, aber zugleich nicht in einer vorgezeichneten Form oder Ordnung, wie die Bewegung muskulöser oder flimmernder Elemente, sondern mit dem Anscheine der Freiheit und Willkür und daher zuweilen auch der Absichtlichkeit.
Erwägt man andererseits, dass in nicht wenigen Fällen es überaus schwer ist, die Grenzen zwischen den automatischen und[359] den osmotischen Veränderungen zu ziehen, so wird man begreifen, mit welchen Schwierigkeiten das Studium dieser Phänomene umgeben ist. Auch eine blosse Schrumpfung durch Exosmose oder Schwellung durch Endosmose, also ganz physikalische Acte ohne alle Beziehung zum Leben, kann unter Umständen vorkommen, wo sie den Eindruck der Freiwilligkeit und selbst der Absichtlichkeit macht. Umgekehrt wieder sind wir bei vielen automatischen Acten in der That ganz ausser Stande, zu erkennen, ob eine Absicht bestand, ob der Vorgang auf einer Erregung beruhte, ob demnach das Element selbst ein reizbares ist und ob der automatische Vorgang als ein Beweis der Irritabilität der Zelle angesehen werden darf. In dieser Beziehung haben wir jedoch zwei bestimmte Anhaltspunkte: zunächst den Nachweis, der zuerst bei den automatischen Pigmentzellen der Froschhaut geführt wurde, dass die Veränderungen unter dem Nerveneinflusse stehen; sodann die Thatsache, dass wir durch stärkere Reizmittel, wie Elektricität, Wärme, Licht, chemische Substanzen automatische Vorgänge hervorzurufen vermögen. So hat noch kürzlich wieder Rollett die Beobachtung W. Kühne's bestätigt, dass die Hornhautkörperchen sich auf elektrische Schläge zusammenziehen.
Handelte es sich bei diesen Vorgängen nur um befestigte (fixe) Elemente der Gewebe, so könnte man vielleicht glauben, es werde bei weiterer Forschung gelingen, überall einen Zusammenhang derselben mit Nerven aufzufinden. Aber das Vorhandensein automatischer Eigenschaften an losen und in Flüssigkeiten befindlichen (infusoriellen) Zellen überhebt uns in dieser Beziehung einer jeden Sorge. Wie schon erwähnt (S. 189), hat Wharton Jones zuerst an den farblosen Blutkörperchen solche Vorgänge beobachtet. Damit war für Jedermann, der lernen wollte, der Beweis geliefert, dass es sich um einfache Zellen-Eigenschaften handelte. Später hat dann v. Recklinghausen in der Hornhaut und im Bindegewebe neben den fixen Elementen auch bewegliche wahrgenommen und zuerst festgestellt, dass dieselben wirkliche Ortsveränderungen vornehmen, also wahre Wanderzellen sind.
Die von Waller und Cohnheim gefundene (S. 189) Thatsache, dass die farblosen Blutkörperchen nicht bloss ihre Gestalt verändern, sondern auch die Fähigkeit der Ortsveränderung besitzen,[360] so dass sie selbst die Gefässe verlassen und auf Oberflächen und in Gewebe des Körpers auswandern, hat es in hohem Maasse erschwert zu erkennen, ob gewisse mobile Elemente, welche sich im Inneren von Geweben finden, in dieselben eingedrungene farblose Blutkörperchen oder mobilisirte Elemente des Gewebes selbst sind. So ist eine grosse Verwirrung in der Interpretation der Thatsachen entstanden, und es ist in der That in vielen Fällen noch jetzt ganz unmöglich, genau festzustellen, wofür man sich entscheiden soll. Jeder Einzelne urtheilt unter solchen Verhältnissen mehr nach der von ihm angenommenen Formel, als nach der wirklichen Beobachtung. Meiner Erfahrung nach ist es irrig, eine einzige Formel als richtig anzunehmen. Sowohl im Bindegewebe, als in jungen Epitheliallagen können vorher befestigte Zellen mobilisirt und ebenso vorher mobile Zellen fixirt werden. Die Mobilisirung geschieht in Folge von Reizung, und insofern hat man ein Recht, auch diesen Act als eine Wirkung der Reizbarkeit der Zellen anzusehen.
Die Gewebselemente des menschlichen Körpers, welche einer Mobilisirung unterliegen, gehören, abgesehen von den lymphatischen und Blutzellen, ausschliesslich der Gruppe der bindegewebigen und epithelialen Formationen an. Für viele dieser Elemente ist mit dieser Erkenntniss erst die Möglichkeit gegeben, ihnen überhaupt eine Function in dem strengen Sinne des Wortes zuzuschreiben. Nach ihrer Mobilisirung verhalten sie sich, wie die Amoebe und andere ähnliche Sonderorganismen, die Häckel in der Klasse der Moneren vereinigt hat. Sie erscheinen als vollständig individualisirte, wenigstens zeitweise gänzlich freie und abgesonderte Körper, welche den Gedanken der Zellen-Individualität im höchsten Maasse veranschaulichen.
Es ist endlich noch eine besondere Eigenschaft zu besprechen, welche aus dem bisher mitgetheilten als eine einfache Consequenz folgt; das ist die Voracität dieser Elemente (S. 101, 189). Sie „fressen“ allerlei Dinge, auch vollständig unverdauliche und nicht assimilirbare. Auch in dieser Beziehung gleichen sie vielen niederen Organismen. Namentlich durch Ehrenberg waren die sogenannten Färbungen der Infusorien mit Farbstofftheilchen, namentlich mit Indigo und Carmin in Gebrauch gekommen; es sollte damit gezeigt werden, dass diese „Thiere“ Mund, Magen und After besässen, also eine vollkommene Organisation hätten. Genauere[361] Beobachtungen haben auch für die Infusorien gelehrt, dass diese Argumentation falsch war; sie haben im Gegentheil gezeigt, dass manche Wesen an jeder beliebigen Stelle ihrer Oberfläche andere Körper aufnehmen, in ihr Inneres pressen und, in verschiedener Weise verändert, wieder auswerfen können, ohne dass sie Mund, Magen oder After besitzen.
Für die Lehre vom Menschen trat diese Frage zuerst in einer entscheidenden Weise in den Vordergrund bei Gelegenheit der sogenannten blutkörperchenhaltigen Zellen. Schon als ich meine ersten Beobachtungen über die Entstehung der pathologischen Pigmente veröffentlichte[152], musste ich mich gegen die damals von Kölliker und Ecker vertheidigte Hypothese erklären, welche dahin ging, dass unter gewissen Verhältnissen Haufen von Blutkörperchen sich zusammenballten und daraus Zellen entständen. Andererseits hatten Rokitansky und Engel für pathologische, Gerlach und Schaffner für physiologische Verhältnisse die Möglichkeit aufgestellt, dass in gewöhnlichen Zellen nachträglich eine Neubildung von rothen Blutkörperchen stattfinde, dass also diese Zellen Mutterzellen für Blut darstellten. Ich wies nach[153], dass es sich hier um das Eindringen präexistirender Blutkörperchen in präexistirende Zellen, also um keinerlei Art von Neubildung, sondern nur um die Incorporirung von Blutkörperchen in andere Zellen handle, und da diese Zellen, wenigstens zum Theil, persistiren und aus den Blutkörperchen Pigment hervorgeht, um eine secundäre Pigmentbildung in Gewebselementen. Obwohl ich schon damals auf die Analogie dieser Vorgänge mit dem „Fressen“ der mundlosen Infusorien hinwies, so hielt ich doch das Eindringen der Blutkörperchen in die Zellen für einen mechanischen Act, welcher durch die Gewalt des extravasirenden Blutes hervorgebracht werde. Ich dachte mir, dass das aus Gefässrupturen austretende Blut durch Rupturen der Wand in Zellen eindringe und hier liegen bleibe.
Erst Preyer hat bei direkter Beobachtung unter dem Mikroskop gefunden, dass manche bewegliche Zellen, z. B. farblose Blutkörperchen, unter Umständen rothe Blutkörperchen umfassen, in ihr Inneres hineinpressen und in sich aufnehmen. In besonders[362] ausgezeichneter Weise ist später dargethan worden, dass dieselben Farbstoffkörner, welche die Infusorien „fressen“, von farblosen Blutkörperchen und anderen Zellen gleichfalls aufgenommen werden: Indigo, Carmin, Zinnober werden auf diese Weise incorporirt, und manche Zellen zeigen eine ungemein grosse Gefrässigkeit für derartige fremde, gleichviel ob verdauliche und veränderliche oder unverdauliche und unveränderliche Körper. Kohlenstückchen werden auf diese Weise von Schleimkörperchen der Luftwege mit grosser Leichtigkeit aufgenommen (S. 15, Fig. 8, B b).
Dass es sich bei diesem „Fressen“ nicht einfach um Ernährung handelt, habe ich schon früher bemerkt (S. 101). Aber ich muss auch davor warnen, jedes Eindringen von fremden Körpern in das Innere von Zellen als das Resultat automatischer Bewegungen anzusehen. Unzweifelhaft gibt es auch Incorporirungen fremder Körper, wobei das incorporirende Element sich ganz passiv verhält. Ein mikroskopisches Kohlensplitterchen kann vermöge der Schärfe und Spitzigkeit seiner Ecken gewiss ebenso gut in eine Zelle hineindringen, wie ein scharfes Instrument in den Körper. Kleine Entozoen und Pilze dringen vermöge ihrer eigenen Thätigkeit, mag diese nun in selbständigen Bewegungen, oder in fortschreitendem Wachsthum und Absorption entgegenstehender Widerstände beruhen, in das Innere von Gewebselementen ein; ja sie können dieselben gänzlich erfüllen und die specifische Substanz verdrängen oder aufzehren. Wir wissen dies nicht nur von den Trichinen, welche in Muskelfasern einwandern, sondern auch von Pilzen und Vibrionen, die in pflanzliche und thierische Zellen eindringen und sich darin vermehren.
Diese Anführungen werden genügen, um zur Vorsicht in der Deutung der Beobachtungen aufzufordern. Veränderungen, welche dem Anscheine nach vollständig unter einander übereinstimmen, kommen auf ganz verschiedene Weise zu Stande. Trotzdem kann kein Zweifel darüber bleiben, dass die Voracität der Elemente, gleich der Migration und dem Polymorphismus derselben, als Ergebniss ihrer Thätigkeit und als Merkmal ihrer Irritabilität wirklich existirt. Alle diese Erscheinungen gehören demselben Gebiete an, — einem Gebiete, welches ich mit dem Namen des Automatismus bezeichne, und dessen Kenntniss vielleicht als das wichtigste Ergebniss der auf das Einzelleben bezüglichen Forschungen der Neuzeit bezeichnet werden darf. Die Zahl der functionell[363] activen Elemente des Körpers ist dadurch auf das Aeusserste vermehrt worden.
Auch auf diesem Gebiete, wie auf dem aller anderen functionellen Theile, beschränkt sich die pathologische Störung auf das Quantitative. Nirgends gibt es qualitative Abweichungen. Die Function ist da oder sie ist nicht da; ist sie da, so ist sie entweder verstärkt oder geschwächt. Das gibt die drei Grundformen der Störung: Mangel (Defect), Schwächung und Verstärkung der Function. Eine andere Function, als die physiologische, wohnt auch unter den grössten pathologischen Störungen keinem Elemente des Körpers bei. Der Muskel empfindet nicht, der Nerv bewegt keinen Knochen, der Knorpel denkt nicht. Auch hier ist es nur die oft höchst sonderbare und complicirte Synergie verschiedener Theile oder gar die Combination activer und passiver Zustände, welche eine scheinbar quantitative Abweichung ergeben. Aber eine wissenschaftliche Analyse wird und muss jedesmal ergeben, dass auch die ungewöhnlichste Krankheit keine neue Form, keine eigentliche Heterologie der Function mit sich bringt.
Fußnoten:
[137] Archiv IV. 376. VIII. 15. IX. 34. Gesammelte Abhandl. 50.
[138] Gesammelte Abhandl. 14, 16. Archiv VII. 18.
[139] Archiv IV. 285. VIII. 37. IX. 51. XIV. 1.
[140] Handb. der spec. Pathologie und Ther. I. 273, 279, 306.
[141] Würzb. Verhandl. I. 104. Gesammelte Abhandl. 791.
[142] Spec. Pathologie und Therapie. I. 279
[143] Archiv XIV. 13.
[144] Spec. Pathol. und Ther. I. 272. Archiv VIII. 27.
[145] Archiv VI. 133.
[146] Handb. der spec. Pathol. u. Ther. 1854. I. 19.
[147] Handb. der spec. Pathologie und Therapie. 1854. I. 17.
[148] Archiv 1863. Bd. XXVIII. S. 237.
[149] Zeitschrift für rationelle Medicin 1846. Bd. IV. S. 278. Gesammelte Abhandl. S. 86. Archiv 1847. I. 105. III. 237.
[150] Zeitschrift für rationelle Medicin 1846. IV. 278. Ges. Abh. S. 86.
[151] J. H. Boner Die Stase. Inaug. Diss. Würzburg 1856. S. 7.
[152] Archiv 1847. I. 381, 451.
[153] Archiv 1852. IV. 515. 1853 V. 405.
Nutritive Reizbarkeit. Genauere Definition der Ernährung. Hypertrophie und Hyperplasie. Atrophie, Aplasie und Nekrobiose als Formen des Schwundes (Phthisis): regressive Processe. Wesen der Ernährung: Aufnahme und Aneignung der Stoffe durch eigene Thätigkeit. Crudität und Assimilation. Fixirung der Stoffe: Gegensatz zu todten und schlecht ernährten Theilen; Resorption und Kachexie. Gute Ernährung. Strictum et laxum, Tonus und Atonie, Kraft und Schwäche. Turgor vitalis. Nutritive Reize: trophische Nerven. Krankhafte Hypertrophie: parenchymatöse Entzündung; trübe Schwellung. Niere, Knorpel, Haut, Hornhaut. Die neuropathologische und die humoralpathologische Doctrin. Parenchymatöse Schwellung. Nutritive Restitution und Nekrobiose. Stadien der parenchymatösen Entzündung. Active Natur dieses Processes.
Formative Reizbarkeit. Theilung der Kernkörperchen und Kerne (Nucleation): vielkernige Elemente, Riesenzellen (Knochenmark, Myeloidgeschwulst, lymphatische Neubildungen). Formative Muskelreizung im Vergleich zum Muskelwachsthum. Neubildung der Zellen durch Theilung (fissipare Cellulation): Knorpel, epitheliale und bindegewebige Neubildung. Wucherung (Proliferation). Auswanderung der farblosen Blutkörperchen und aus ihnen hervorgehende Organisation. Die plastischen (histogenetischen) Stoffe; der Bildungstrieb. Negation der extracellulären Neubildung und der Bildungsstoffe. Die Neubildung als Thätigkeit der Zellen. Formative Reize. Die humoralpathologische und neuropathologische Doctrin.
Entzündliche Reizung, Entzündung. Neuroparalytische Entzündung (Vagus, Trigeminus); Lepra anaesthetica. Prädisposition und neurotische Atrophie. Die Entzündung als Collectivvorgang.
Während die functionelle Reizbarkeit, deren Wirkungen wir im vorigen Capitel besprochen haben, den Lieblingsgegenstand der Studien unserer Physiologen darstellt und daher im Laufe der letzten Jahrzehnte fast ausschliesslich von ihnen verfolgt worden ist, so ist das Gebiet der nutritiven Reizbarkeit noch gegenwärtig vielmehr der pathologischen Untersuchung vorbehalten geblieben, und manche sehr wichtige Seite der Betrachtung hat sich deshalb lange der allgemeinen Aufmerksamkeit entzogen. Es war dies der Grund, weshalb ich schon früher, im fünften und sechsten Capitel, die Ernährung zum Gegenstande einer besonderen[365] Erörterung gemacht habe. Auf diese Erörterung kann ich mich hier beziehen. Man wird danach leicht ersehen, dass ich unter der Bezeichnung der nutritiven Reizbarkeit die Fähigkeit der einzelnen Theile verstehe, auf bestimmte Erregungen mehr oder weniger viel Stoff in sich aufzunehmen und festzuhalten. Ich kann sogleich hinzusetzen, dass mit einer solchen vermehrten Aufnahme in das Innere der Elemente die wichtigsten jener Prozesse beginnen, welche das Gebiet der pathologischen Anatomie ausmachen.
Ein Theil, der sich ernährt, kann sich dabei entweder beschränken auf die einfache Erhaltung seiner Masse, oder er kann, wie wir besonders in pathologischen Fällen sehen, eine grössere oder geringere Masse von Material in sich aufnehmen, als im gewöhnlichen Laufe der Dinge geschehen wäre. In welcher Weise oder in welcher Masse aber auch die Aufnahme erfolgen mag, so bleibt doch die Zahl der histologischen Elemente vor und nach einer bloss nutritiven Erregung sich gleich. Dadurch unterscheidet sich die einfache Hypertrophie von der Hyperplasie (numerischen oder adjunctiven Hypertrophie), mit welcher sie im äusseren Effect oft eine so grosse Aehnlichkeit hat (S. 90, Fig. 29, B). Solche einfache Hypertrophien beobachten wir an den Muskeln, den Nerven (S. 275), den Epithelien, insbesondere den Drüsenzellen, den Zellen des Bindegewebes, am häufigsten des Fettgewebes. Eine Steigerung der natürlichen, adäquaten Reize bedingt sehr leicht eine derartige Vergrösserung der Elemente. Ein Muskel, der gegen grössere Widerstände zu arbeiten hat, bekommt dickere Primitivbündel; das Epithel einer Niere, welche mehr Harnstoff abzusondern hat, vergrössert sich. Daher haben diese Hypertrophien häufig eine compensatorische Bedeutung. Das Herz wird hypertrophisch, wenn die arterielle Blutbahn kleiner wird; die eine Niere wird hypertrophisch, wenn die andere schrumpft.
Ebenso unterscheidet sich die einfache Atrophie sowohl von der Aplasie, der ursprünglichen Mangelhaftigkeit in der Bildung einzelner Theile, als auch von der Nekrobiose (numerischen oder degenerativen Atrophie), welche eine wirkliche Zerstörung und Detritusbildung bedingt (S. 335). Seit alter Zeit hat man diese drei, in sich verschiedenen Zustände ganz gewöhnlich unter demselben Namen zusammengefasst: die Bezeichnung des Schwundes oder der Schwindsucht (Phthisis, Phthoe, Tabes), obwohl häufiger in dem Sinne eines allgemeinen, den ganzen Körper betreffenden[366] Prozesses angewendet, hat doch bis in die neueste Zeit auch als Ausdruck für locale Prozesse gedient, z. B. Phthisis bulbi, testiculi. Will man sich jedoch das Verständniss der krankhaften Vorgänge sichern, so muss man nothwendig die drei Vorgänge aus einander halten[154]. Denn es liegt auf der Hand, dass eine mangelhafte Bildung und Entwickelung ganz andere Bedingungen und ein ganz anderes Wesen hat, als eine mangelhafte Erhaltung eines im Uebrigen regelmässig gebildeten und entwickelten Theiles. Letztere stellt immer einen Rückgang (regressiven Prozess) dar. Insofern stimmt sie überein mit der Nekrobiose, welche den Rückgang in seiner schlimmsten Form ausdrückt. Aber die Nekrobiose ist eine Art des örtlichen Sterbens; der davon befallene Theil stirbt definitiv ab, und er kann nur wieder ersetzt werden durch einen regenerativen Prozess der Neubildung, während der atrophische Theil trotz seines verschlechterten Zustandes persistirt, sich erhält und bei Verbesserung dieses Zustandes im Wege der einfachen Ernährung reparirt oder restaurirt wird. Derselbe Theil, oder sagen wir noch genauer, dasselbe Element kann im Laufe der Zeit in immer wechselnder Weise bald normal ernährt werden, bald atrophisch und hypertrophisch werden, wie das Beispiel der Muskeln vortrefflich lehrt. Grundbedingung ist jedoch, dass das Element überhaupt vorhanden ist und dass trotz alles Wechsels die erhaltende Thätigkeit nicht aufhört.
Die wahre Ernährung ist also unter allen Verhältnissen auf die Erhaltung des Theils gerichtet, und begreiflicherweise kann sie nur ein Mehr oder Weniger normaler Vorgänge darstellen. Sie besteht nicht etwa in einer blossen Aufnahme, auch nicht in einem blossen Stoffwechsel, der sich aus Aufnahme und Abgabe zusammensetzt, sondern ganz wesentlich in der Aneignung der Stoffe. Bei letzterer ist wiederum zweierlei zu unterscheiden. Zunächst die Umwandlung der aufgenommenen Stoffe in die besondere Substanz des Parenchyms, die sogenannte Assimilation. Wenn wir in der Nahrung auch die mannichfaltigsten Stoffe, selbst Parenchymsubstanz geniessen, so gelangen doch höchstens das Wasser und einige Stoffe von mehr indifferenter Art, niemals die specifische Parenchymsubstanz als solche vollständig präparirt vom[367] Magen oder vom Blute aus in die Gewebe[155]. Es genügt nicht, Blutwurst zu essen, um Blutkörperchen zu erzeugen, oder Hühnereier, um Markstoff in die Nerven absetzen zu lassen; ehe aus Fleisch wieder Fleisch, aus genossener Leber wieder Leber wird, müssen die daraus entstandenen Verdauungsstoffe (Peptone) erst wieder einer chemischen Umsetzung unterliegen, und die Ernährungs-Thätigkeit besteht gerade zu einem wesentlichen Theile darin, dass die in noch crudem Zustande aufgenommene Substanz in wirkliche Gewebssubstanz umgewandelt wird. Dies kann ganz und gar innerhalb der Zellen geschehen; sehr häufig, insbesondere bei allen mit Intercellularsubstanz versehenen Geweben, ist die Assimilation erst vollendet, wenn die neu entstandene Substanz in die Umgebung der Zellen abgesondert ist. Bindegewebe (leimgebendes Gewebe) kann nicht einfach dadurch restaurirt werden, dass wir Leim, etwa in Form einer Brühe, geniessen. Dieser Leim geht, wie das genossene Eiweiss, zum grösseren Theile in Harnstoff über, ohne wieder zu eigentlichem Gewebsmaterial verwendet zu sein. Die Ernährung der Bindegewebs-Intercellularsubstanz haben wir uns vielmehr so zu denken, dass aus einem Theile der Peptone neues Bluteiweiss gebildet wird, dass sodann von diesem ein Theil in die Bindegewebskörperchen aufgenommen und umgesetzt wird, und dass endlich dieser umgesetzte, leimartige Stoff aus den Körperchen in die Intercellularsubstanz ausgeschieden wird. Die assimilirende Thätigkeit ist daher keineswegs eine so einfache, wie man sie sich häufig denkt.
Zweitens gehört jedoch zu der Ernährung die Fixirung der aufgenommenen und assimilirten Stoffe. Ich verstehe darunter die Fähigkeit, diese Stoffe an dem Orte, wohin sie zur Bewahrung des Status quo gehören, auch festzuhalten, sie dem Spiele des Stoffwechsels, insbesondere der Exosmose zu entziehen. Hämoglobin ist eine in Wasser lösliche Substanz. Es genügt, Blutkörperchen in eine grosse Menge von Wasser zu versetzen, um sie auf dem Wege der Exosmose gänzlich „auszulaugen“. Dass eine ähnliche Auslaugung nicht schon durch das Blutwasser (Liquor sanguinis) geschehe, wird nicht bloss durch die concentrirtere Mischung desselben gehindert, sondern auch durch die Constitution[368] der lebenden Blutkörperchen selbst. Rollett hat gezeigt, dass man durch Frost in kürzester Zeit die Blutkörperchen in dem gewöhnlichen Blutwasser zur vollständigsten Auslaugung bringen kann. Dasselbe geschieht auch im Körper überall, wo die Blutkörperchen absterben; die todten Körperchen lassen das Blutroth fahren, und dieses vertheilt sich alsbald mit dem Blutwasser in die umgebenden Theile. So entstehen die cadaverösen Färbungen der Leichen und die eigenthümlichen Farben des Brandes beim Lebenden; so kommen jene sonderbaren Entfärbungen der Blutkörperchen in Extravasaten und Thromben zu Stande, welche wir früher besprochen haben (S. 240, Fig. 79, C).
Wenn der Blutfarbstoff eben seiner Farbe wegen ein besonders günstiges Object für diese Betrachtung ist, so haben wir ein anderes, welches wegen der grossen Häufigkeit und der bedeutenden Wirkungen seiner Exosmose der Aufmerksamkeit in noch weit höherem Maasse würdig ist. Das ist das Wasser. Bei Gelegenheit einer Erörterung der käsigen Metamorphose habe ich die Frage des Stoffwechsels im Todten des Weiteren besprochen[156] und namentlich auch den schnellen Wasserverlust hervorgehoben, von welchem todte Theile im Körper betroffen werden (S. 220). Das Welken der Blätter, die Krustenbildung und Mumification äusserer, die Schrumpfung, der Collapsus innerer thierischer Theile, welche abgestorben sind, stehen auf einer Linie. Dürres Laub, geschrumpfte Zellen sind vollkommene Analoga.
Der Umstand, dass die aus den Zellen austretenden Stoffe oft nach kurzer Zeit gänzlich verschwinden, hat zu der in früherer Zeit ganz allgemeinen Annahme geführt, es handle sich hier wesentlich um Resorption. Allein das Dürrwerden der Blätter, die Mumification brandiger Glieder beruhen auf Wasserverdunstung und nicht auf Resorption. Ueberdiess ist die Resorption, wo sie eintritt, z. B. bei den käsigen Umwandlungen, nur ein secundärer Act. Es war daher allerdings richtiger, als man das Wesen des Vorganges in einer vermehrten Exosmose suchte. Aber die Exosmose setzt einen Austausch von Stoffen voraus; überdiess erfolgt sie durch die Force majeure der ausserhalb der Zelle befindlichen Stoffe. Davon ist hier gar nicht die Rede. Der Wasseraustritt aus todten Theilen geschieht auch da, wo gar kein Austausch[369] vorhanden ist, wo gar keine durch Concentration oder Mischung ausgezeichnete Intercellularflüssigkeit vorhanden ist. Der eigentliche Grund liegt in der Unfähigkeit der todten Elemente, ihre Bestandtheile noch festzuhalten.
Das, was an todten Theilen im Extrem hervortritt, findet sich bei der Atrophie in geringerem Grade. Wenn ein atrophirender Nerv sein Myelin verliert, wenn eine Pigmentzelle ihr Pigment einbüsst, so braucht sie noch nicht todt zu sein oder zu sterben. Aber ihre innere Festigkeit ist erschüttert, die Solidität des inneren Baues ist beeinträchtigt, und die Folge ist eine Verkleinerung mit Verschlechterung der Constitution. Das ist das, was die Alten zum Theil mit dem Ausdrucke der Kachexie (Habitus malus) bezeichneten, und was in der antiken solidarpathologischen Lehre vom Laxum et strictum einen verständlichen Ausdruck gefunden hat. Denn es liegt auf der Hand, dass dem welken und schlaffen Zustande der Atrophie der derbe und straffe Zustand der guten Ernährung und noch mehr der wahren Hypertrophie gegenübersteht. Hier ist nicht bloss eine reichlichere Aufhäufung wohl assimilirten Stoffes, sondern auch eine stärkere Fixirung desselben vorhanden. Nirgends ist dies deutlicher erkennbar, als an den Muskeln, an welche sich daher auch die technische Sprache lange angeschlossen hat. Die straffe Faser der früheren Autoren ist zunächst die gut genährte Muskelfaser (das Primitivbündel) und erst weiterhin jede andere Faser.
Dem Strictum et laxum der Methodiker entspricht zum Theil der Tonus und die Atonie der Neueren. Auch hier hat man in den letzten Jahren fast ausschliesslich den neuristischen Standpunkt eingenommen und den Tonus als die Folge einer dauernden Innervation gedeutet. Für einzelne Theile mag dies zutreffen. Aber allgemein betrachtet entsprechen diese Bezeichnungen den Ernährungszuständen der Gewebe; wie ich ausgeführt habe[157], bedeutet Tonus in diesem allgemeinen Sinne die nutritive Spannung (Tension). Daher galt der Tonus als Merkmal eines gesunden, normalen Zustandes der Theile, wo der günstigen Ernährung auch eine grosse Leistungsfähigkeit (Kraft) entspricht, während Atonie ausser der schlechteren Ernährung zugleich die Erschlaffung (Relaxatio) und Schwäche (Debilitas) bedeutet. Insofern schiebt sich[370] in die Vorstellung neben dem nutritiven Moment zugleich die Voraussetzung eines functionellen mit hinein.
Ungleich dehnbarer ist der zu gewissen Zeiten viel gebrauchte Ausdruck des Turgor vitalis. Obwohl derselbe in vielen Fällen auch nichts anderes, als die nutritive Fülle eines Theiles bedeutet, so knüpfte sich doch meistentheils zugleich die Vorstellung von einer stärkeren Füllung der Gefässe (Hyperämie) daran. Wie bei dem Tonus die Nerven, so traten bei dem Turgor die Blutgefässe mit in die Betrachtung ein. Auch diese Betrachtung hat ihre Berechtigung. Denn offenbar ist eine gewisse Freiheit der Circulation Vorbedingung für eine reichlichere Zufuhr von Ernährungsmaterial und insofern auch für eine kräftigere Ernährung.
Aber wir haben schon früher gesehen, dass die Gefässfüllung und der reichere Zustrom von Blut die Ernährung nicht nothwendig bestimmt (S. 158). Auch in gefässlosen Geweben ernähren sich die Elemente; ja sie leben und erhalten sich in vollständiger Trennung von den Geweben und von den Gefässen. Nach der alten Vorstellung wird der Theil ernährt und verhält sich dabei mehr oder weniger passiv; die Thätigkeit der Gefässe bestimmt seine Ernährung. Nach meiner Auffassung ernährt er sich: er verhält sich durchaus activ, und die Thätigkeit der Gefässe kann nur seine eigene Thätigkeit fördern oder unterstützen. Jede einzelne Zelle verhält sich, wie eine kleinste Pflanze; sie wählt ihr Ernährungsmaterial aus ihrer Umgebung[158]. Jedes Gewebsstück ernährt sich, wie die Frucht im Mutterleibe, die wohl an die Gefässe der Mutter grenzt, aber keinen Zusammenhang mit ihnen hat. Kann man eine grössere Uebereinstimmung denken, als die blosse Juxtaposition der Frucht im Mutterleibe mit einer oculirten Knospe? Die Geschichte der Transplantation von Körpertheilen, wie sie in den jüngsten Tagen bei der Behandlung von Wunden in immer grösserer Ausdehnung mit dem grössten Erfolge geübt wird, gibt die schönsten Beispiele für diese Selbsternährung bloss juxtaponirter Theile.
Aber freilich bedarf auch die Ernährungsthätigkeit bestimmter Erregungsmittel. Ohne diese bleibt ein lebender Theil inmitten der grössten Fülle von Ernährungsstoffen träge und unthätig. Die nutritiven Reize sind keineswegs immer Nahrungsstoffe: ein[371] grosser Theil derjenigen Substanzen, welche wir Genussmittel nennen, reizt die Gewebe zu stärkerer Ernährung. Vermehrte Function, mechanische und chemische Einwirkungen der verschiedensten Art haben vermehrte Aufnahme von Nahrungsstoffen im Gefolge[159]. Wie das Licht auf die Pflanzengewebe, so wirkt mechanische Bewegung auf viele Thiergewebe reizend ein. Auch der Nerveneinfluss darf hier nicht ausgeschlossen werden, aber man soll nur nicht im Sinne der Neuristen die gesammte Ernährung als eine Wirkung trophischer Nerven betrachten. Ein grosser Theil der Ernährungsvorgänge hat mit Nerven nicht das Mindeste zu thun. Wo aber die Ernährung durch Innervation bestimmt wird, da hat die letztere nur einen modificirenden Einfluss auf die auch ohne sie vorhandene Ernährung. Wie die Muskelirritabilität allein es erklärt, dass die Innervation des Muskels eine Contraction zum Gefolge hat, so erklärt die nutritive Erregbarkeit der einzelnen Theile, dass der Einfluss trophischer Nerven die Aufnahme und Assimilation der Nahrungsstoffe anregen kann.
Es ist aber für die pathologische Auffassung äusserst wichtig zu wissen, dass ein Theil, der in Folge seiner Energie und in Folge einer Reizung eine grosse Quantität von Material in sich aufnimmt, deshalb nicht nothwendiger Weise in einen dauerhaften Zustand der Vergrösserung zu gerathen braucht, sondern dass im Gegentheile gerade unter solchen Verhältnissen oft eine nachträgliche Störung in der inneren Einrichtung hervortritt, welche den Bestand des Theiles in Frage stellt und welche der nächste Grund wird für den Untergang desselben. Jedes Gewebe besitzt erfahrungsgemäss nur gewisse Möglichkeiten und Grade der Vergrösserung, innerhalb deren es im Stande ist, sich regelmässig zu conserviren; wird dieser Grad, und namentlich schnell, überschritten, so sehen wir immer, dass für das weitere Leben des Theiles Hindernisse erwachsen, und dass, wenn der Prozess besonders acut von Statten geht, eine Schwächung des Theiles bis zu vollständigem Vergehen desselben eintritt.
Vorgänge dieser Art bilden schon einen Theil jenes Gebietes, das man in der gewöhnlichen Sprache der Entzündung zurechnet[160]. Eine Reihe von entzündlichen Vorgängen stellt in ihrem[372] ersten Anfange gar nichts weiter dar, als eine vermehrte Aufnahme von Material in das Innere der Zellen, welche ganz derjenigen ähnlich sieht, welche bei einer einfachen Hypertrophie stattfindet. Wenn wir z. B. die Geschichte der Bright'schen Krankheit in ihrem gewöhnlichen Verlaufe betrachten, so ergibt sich, dass das Erste, was man überhaupt in einer solchen Niere wahrnehmen kann, darin besteht, dass im Innern der gewundenen und im Uebrigen noch ganz intacten Harnkanälchen der Rinde die einzelnen Epithelialzellen, welche schon normal ziemlich gross sind, sich weiter vergrössern. Aber sie werden nicht bloss sehr gross, sondern sie erscheinen auch zugleich sehr trübe, indem in das Innere der Zellen überall eine reichlichere Masse von eiweissartigem, körnigem Material eintritt. Das ganze Harnkanälchen wird durch diese Schwellung der Zellen breiter, und es erscheint schon für das blosse Auge als ein gewundener, weisslicher, opaker Zug. Isoliren wir die einzelnen Zellen, was ziemlich schwierig ist, da die Cohäsion derselben schon zu leiden pflegt, so sehen wir sie erfüllt mit einer körnigen Masse, welche scheinbar nichts anderes enthält, als dieselben Körnchen, die auch normal im Inneren der Drüsenzellen vorhanden sind. Ihre Anhäufung wird um so dichter, je energischer und acuter der Prozess vor sich geht; ja, allmählich wird selbst der Kern undeutlich. Dieser Zustand von trüber Schwellung, wie ich ihn genannt habe, ist an vielen gereizten Theilen der Ausdruck der nutritiven Irritation. Er begleitet eine gewisse Form der sogenannten Entzündung, und macht einen nicht geringen Theil desjenigen aus, was man seit alten Zeiten als Entzündungsgeschwulst (Tumor inflammatorius) bezeichnete.
Fig. 107. Abschnitt eines gewundenen Harnkanälchens aus der Rinde der Niere bei Morbus Brightii. a die ziemlich normalen Epithelien, b Zustand trüber Schwellung, c beginnende fettige Metamorphose und Zerfall. Bei b und c grössere Breite des Kanals. Vergr. 300.
Zwischen diesen schon degenerativen Vorgängen und der einfachen Hypertrophie finden sich gar keine erkennbaren Grenzen. Wir können von vornherein nicht sagen, wenn wir einen solchen vergrösserten, mit reichlicherem Inhalte versehenen Theil antreffen,[373] ob er sich noch erhalten oder ob er zu Grunde gehen wird, und daher ist es für den Anatomen, wenn er gar nichts über den Prozess weiss, durch den etwa eine solche Veränderung eingetreten ist, in vielen Fällen ausserordentlich schwierig, die einfache Hypertrophie von derjenigen Form der entzündlichen Prozesse zu scheiden, welche wesentlich mit einer Steigerung der Ernährungs-Aufnahme beginnt[161].
Auch bei diesen Vorgängen ist es nicht wohl möglich, den einzelnen Elementen die Fähigkeit abzustreiten, von sich aus auf eine Anregung, die ihnen direct zukommt, eine vermehrte Stoff-Aufnahme stattfinden zu lassen; mindestens widerstreitet es allen Erfahrungen, anzunehmen, dass eine solche Aufnahme das Resultat einer besonderen Innervation sein müsse. Nehmen wir einen nach allen Beobachtungen ganz nervenlosen Theil, z. B. die Oberfläche eines Gelenkknorpels. Hier können wir, wie dies schon vor einer Reihe von Jahren durch die schönen Experimente von Redfern dargethan ist, durch direkte Reize Vergrösserungen der Zellen hervorbringen. Dasselbe beobachtet man im spontanen Ablaufe pathologischer Vorgänge. So zeigen sich nicht selten hügelartige Erhebungen der Knorpel-Oberfläche; wenn wir solche Stellen mikroskopisch untersuchen, so finden wir, wie ich in einem früheren Capitel an einem Rippenknorpel zeigte (S. 26, Fig. 14), dass die Zellen, welche sonst ganz feine, kleine, linsenförmige Körper darstellen, zu grossen, runden Elementen anschwellen, und in dem Maasse, als sie mehr Material in sich aufnehmen, ihre Grenzen hinausschieben, so dass endlich die ganze Stelle sich höckerig über die Oberfläche erhebt. Nun gibt es aber in dem Gelenkknorpel gar keine Nerven; die letzten Ausstrahlungen derselben liegen in dem Marke des zunächst anstossenden Knochens, welches von der gereizten Stelle der Oberfläche durch eine ½–1 Linie dicke, intacte Zwischenlage von Knorpelgewebe getrennt sein kann. Es wäre nun gewiss ausser aller Erfahrung, wenn man sich vorstellen sollte, dass ein Nerv von dem Knochenmarke aus eine specielle Action auf diejenigen Zellen der Oberfläche ausüben könne, welche der Punkt der Reizung gewesen sind, ohne dass die zwischen dem Nerven und der gereizten Stelle gelegenen Knochen- und Knorpelzellen gleichzeitig getroffen würden.[374] Wenn wir durch einen Knorpel einen Faden ziehen, so dass weiter nichts, als ein traumatischer Reiz stattfindet, so sehen wir, wie alle Zellen, welche dem Faden anliegen, sich vergrössern durch Aufnahme von mehr Material. Die Reizung, welche der Faden hervorbringt, erstreckt sich nur bis auf eine gewisse Entfernung in den Knorpel hinein, während die weiter abliegenden Zellen durchaus unberührt bleiben. Solche Erfahrungen können nicht anders gedeutet werden, als dass der Reiz in der That auf die Theile einwirkt, welche er trifft; es ist unmöglich, zu schliessen, dass er auf irgend einem, der Doctrin vielleicht mehr entsprechenden Wege durch einen sensitiven Nerven zum Rückenmark geleitet und dann erst wieder durch Reflex auf die Theile zurückgeleitet werde.
Freilich sind wenige Gewebe im Körper so vollständig nervenlos, wie der Knorpel; allein auch dann, wenn man die nervenreichsten Theile verfolgt, zeigt es sich überall, dass die Ausdehnung der Reizung oder, genauer gesagt, die Ausdehnung des Reizungsheerdes keinesweges der Grösse eines bestimmten Nerventerritoriums entspricht, sondern dass in einem sonst normalen Gewebe die Grösse des Heerdes wesentlich correspondirt mit der Ausdehnung der localen Reizung. Wenn wir das Experiment mit dem Faden an der Haut machen, so wird durch denselben eine ganze Reihe von Nerventerritorien durchschnitten. Es werden aber keinesweges die ganzen Territorien der Nerven, welche an dem Faden liegen, in denselben krankhaften Zustand versetzt, sondern die nutritive Reizung beschränkt sich auf die nächste Umgebung des Fadens. Kein Chirurg erwartet bei solchen Operationen, dass etwa alle Nerventerritorien, welche der Faden kreuzt, in ihrer ganzen Ausdehnung erkranken. Ja, man würde sich in hohem Grade über die Natur beklagen müssen, wenn jede Ligatur, jedes Setaceum über die Grenzen, welche es zunächst berührt, hinaus auf die ganze Ausbreitung der Nervenbezirke, welche es durchsetzt, einen Entzündung erregenden Einfluss ausübte. An der Hornhaut lässt sich dies Verhältniss sehr klar verfolgen: an Stellen, wo keine Gefässe mehr hinreichen, liegen noch Nerven; sie besitzen eine netzförmige Anordnung und lassen kleinere Gewebsbezirke zwischen sich, welche frei von Nerven sind. Wenden wir nun irgend ein Reizmittel direkt auf die Hornhaut an, z. B. eine glühende Nadel oder Lapis infernalis, so entspricht der Bezirk,[375] welcher dadurch in krankhafte Thätigkeit versetzt wird, keinesweges einer Nervenausbreitung. Es kam einmal vor, als Hr. Friedr. Strube unter meiner Anleitung seine Untersuchungen über die Hornhaut machte[162], dass die Aetzung bei einem Kaninchen gerade einen stärkeren Nervenfaden traf, allein die Erkrankung fand sich nur in der nächsten Umgebung dieser Stelle, keinesweges im ganzen Gebiete des Nerven.
Man kann also, auch wenn man Erfahrungen, wie ich sie vom Knorpel angeführt habe, nicht gelten lassen will, durchaus nicht umhin, zuzugeben, dass die Erscheinungen der Reizung an nervenhaltigen Theilen keine anderen sind, als an nervenlosen, und dass der nächste Effect wesentlich darauf beruht, dass die umliegenden Elemente sich vergrössern, anschwellen, und wenn es ihrer viele sind, dadurch eine Geschwulst des ganzen Theiles entsteht. Das ist es, was man beobachtet, wenn man irgendwo einen Ligaturfaden durch die Haut hindurchzieht. Untersucht man am folgenden Tage die nächste Umgebung des Fadens, so sieht man die active Vergrösserung der zelligen Elemente, ganz unbeschadet der Gefäss- oder Nervenverbreitungen, welche vorhanden sind.
Es liegt hier, wie man sieht, ein wesentlicher Unterschied vor von denjenigen Ansichten, welche man gewöhnlich über die nächsten Bedingungen dieser Schwellungen aufgestellt hatte. Nach dem alten Satze: Ubi stimulus, ibi affluxus, dachte man sich gewöhnlich, dass das Nächste, welches einträte, die vermehrte Zuströmung des Blutes sei, welche von den Neuropathologen wieder zurückgeführt wurde auf die Erregung sensitiver Nerven, und dass dann die unmittelbare Folge der vermehrten Zuströmung eine vermehrte Ausscheidung von Flüssigkeit sei, welche das Exsudat constituire, das den Theil erfüllt.
In den ersten schüchternen Versuchen, welche ich machte, diese Auffassung zu ändern, habe ich deshalb auch noch den Ausdruck des parenchymatösen Exsudates gebraucht[163]. Ich hatte mich nehmlich überzeugt, dass an vielen Stellen, wo eine Schwellung erfolgt war, absolut nichts weiter zu sehen war, als[376] die bekannten Theile des Gewebes (Parenchym). An einem Gewebe, welches aus Zellen besteht, sah ich auch nach der Schwellung (Exsudation) nur Zellen, an Geweben mit Zellen und Intercellularsubstanz nur Zellen und Intercellularsubstanz, — die einzelnen Elemente allerdings grösser, voller, mit einer Menge von Stoff erfüllt, mit welcher sie nicht hätten erfüllt sein sollen, aber kein Exsudat in der Weise, wie man sich dasselbe bis dahin dachte, frei oder in den Zwischenräumen des Gewebes. Alle Masse war innerhalb der Elemente, im eigentlichen Parenchym des Organes enthalten. Das war es, was ich mit dem Ausdrucke des parenchymatösen Exsudates sagen wollte, und wovon ich den Namen der parenchymatösen Entzündung ableitete. Allerdings ist dieser Name schon vor mir gebraucht worden, aber in einem anderen Sinne, als der war, den ich meinte, und der seitdem gangbarer geworden ist, als es nothwendig war. Ich sprach von Exsudat, insofern damals (1846) alle im Laufe krankhafter Vorgänge an die Oberfläche oder in das Innere der Theile tretenden Stoffe unter diesem Namen zusammengefasst wurden. Indess schon sehr frühzeitig führte ich diese Art der Exsudate auf Abweichungen der Ernährungsströme (Osmose) zurück. Nachdem ich später die nutritive Activität der organischen Elemente, die Ansaugung der Flüssigkeiten durch die Zellen als das Entscheidende kennen gelernt hatte, erschien der Ausdruck Exsudat allerdings ganz ungenau, und ich habe längst aufgehört, ihn für diese Zustände zu gebrauchen. Parenchymatöse Schwellung drückt das Besondere derselben vollständig aus. Dieser Ausdruck besagt, dass eine besondere Form der Reizung besteht, welche von anderen Formen bestimmt unterschieden werden muss, insofern hier die einmal gegebenen constituirenden Elemente des Gewebes eine grössere Masse von Stoff in sich aufnehmen, sich dadurch vergrössern und anschwellen, während ausserhalb dieser vergrösserten Elemente weiter nichts vorhanden ist. Es handelt sich dabei also um eine Art von acuter Hypertrophie mit Neigung zur Degeneration.
Ein besonderes charakteristisches Beispiel solcher Entzündung mag folgender Fall zeigen. Es war dies eines der auffälligsten Beispiele, welche mir vorgekommen sind. Es handelte sich dabei um eine sogenannte Keratitis. Bei einem Kranken des Herrn von Gräfe fand nach heftiger diffuser phlegmonöser Entzündung[377] der Extremitäten eine äusserst schnelle entzündliche Trübung der Hornhaut statt. Als mir die Hornhaut übergeben wurde, schien es mir, als ob sie in ihrer ganzen Dicke undurchsichtig und geschwollen wäre. Die Gefässe des Randes waren stark mit Blut gefüllt. Als ich aber die Hornhaut durch einen senkrechten Schnitt in zwei Hälften zerlegte, und parallel der Schnittfläche verticale Durchschnitte führte, so ergab sich alsbald, schon bei schwacher Vergrösserung, dass die Trübung keinesweges gleichmässig durch die ganze Ausdehnung der Hornhautschnitte ging, sondern sich auf eine bestimmte Zone beschränkte. Diese Zone ist so charakteristisch in Beziehung auf die verschiedenen möglichen Deutungen, dass der Fall, wie ich glaube, ein ganz besonderes Interesse für die Prüfung der Theorie darbietet.
Fig. 108. Parenchymatöse Keratitis. Durchschnitt durch die Hälfte der Cornea. A, A vordere (äussere), B, B hintere (innere) Seite der Hornhaut. C, C die getrübte Zone mit vergrösserten Hornhautkörperchen. Vergr. 18.
Es zeigte sich nämlich, dass die Trübung unmittelbar vom Rande der Hornhaut begann, und zwar nur an der hinteren (inneren) Seite, dicht an der Descemetschen Haut, da wo sich die Iris anschliesst. Von da stieg die Trübung fast treppenförmig in dem Hornhautschnitt nach vorne hinauf bis in einige Entfernung von der äusseren Oberfläche. Ohne letztere zu erreichen, ging sie gleichmässig bis zur Mitte der Hornhaut fort, um auf der anderen Seite in ähnlicher Weise wieder herunterzugehen. So bildete sich[378] ein trüber Bogen durch die ganze Ausdehnung des Hornhautschnittes hindurch, welcher die äussere (vordere) Oberfläche nirgends erreichte und auch die mittleren Theile der hinteren Fläche frei liess. Denkt man sich die Ernährung der Hornhaut ausgehend vom Humor aqueus, so passt diese Form der Trübung nicht, denn man müsste vielmehr erwarten, dass dann zunächst die (innerste) hinterste Schicht in ihrer ganzen Ausdehnung verändert würde.[164] Handelte es sich umgekehrt um eine Einwirkung von aussen, so müsste die Trübung in den äussersten Schichten liegen. Hinge die Trübung wesentlich ab von den Gefässen, so würden wir, da die Gefässe nur am Rande und mehr an der vorderen Fläche liegen, hier die Haupt-Erkrankung haben erwarten können. Gingen endlich die Veränderungen von den Nerven aus, so würden wir eine netzförmige Verbreitung, aber nicht einen Bogen in dem Durchschnitt finden.
Den Bau der Hornhaut habe ich schon früher (S. 125) besprochen. Ich führte an, dass er im Allgemeinen blätterig (lamellös) sei, dass aber die Blätter nicht wirklich getrennt seien, sondern vielmehr unter einander zusammenhingen, indem eine überall continuirliche Grund- oder Intercellularsubstanz durch regelmässige Lagen von Zellen (Hornhautkörperchen) in parallele Schichten abgetheilt würde. Der vorliegende Fall zeigt also auch darin eine Besonderheit, dass die Trübung nicht in denselben Schichten (Blättern, Lamellen) blieb, sondern dass sie, indem sie sich von einem Blatte zum anderen fortsetzte, eines nach dem anderen wieder verliess, um in das nächst höhere oder tiefere fortzugehen. Woraus bestand nun aber die, zugleich mit Anschwellung der Hornhaut verbundene Trübung oder kurzweg, die trübe Schwellung? Etwa in der Art, wie man sich dies früher meist vorstellte, aus einem zwischen die Hornhautblätter ergossenen, einem sogenannten interstitiellen Exsudate? Im Gegentheil, bei stärkerer Vergrösserung zeigte sich sofort, was man übrigens bei jeder Form von Keratitis constatiren kann, dass die Veränderung wesentlich an den Körpern oder Zellen der Hornhaut bestand. In dem Maasse, als man sich von aussen oder innen her der getrübten Stelle näherte, sah man die kleinen und schmalen Elemente der normalen Theile immer grösser und trüber werden.[379] Zuletzt fanden sich an ihrer Stelle starke, fast kanalartige Züge oder Schläuche. Während diese Vergrösserung der Elemente, diese, wie gesagt, acute Hypertrophie erfolgt, wird zugleich der Inhalt der Zellen trüber, und diese Opacität des Inhaltes ist es, welche wiederum die Trübung der ganzen Haut bedingt. Die eigentliche Grund- oder Intercellularsubstanz kann dabei vollkommen frei sein. Die Trübung hinwiederum war durch die Anwesenheit feiner Körnchen bedingt, welche zum Theil fettiger Natur waren, so dass der Prozess schon einen degenerativen Charakter anzunehmen schien. Ich würde auch gar kein Bedenken getragen haben, zu glauben, dass hier eine Zerstörung der Hornhaut wirklich eingeleitet war, allein Herr von Gräfe[165] versicherte mich, dass nach seiner Erfahrung eine solche Keratitis sich bei glücklichem Verlaufe wieder zurückbilden könne. In der Sache liegt[380] auch durchaus nichts, was dieser Möglichkeit widerstreitet; da die Zellen noch existiren und nur ihr veränderter Inhalt durch Resolution und Resorption weggeschafft werden muss, so kann ja eine vollständige Restitution eintreten.
Fig. 109. Parenchymatöse Keratitis (vergl. Fig. 108) bei stärkerer Vergrösserung. Bei A die Hornhautkörperchen in fast normaler Weise, bei B vergrössert, bei C und D noch stärker vergrössert und zugleich getrübt. Vergröss. 350.
Gerade dieser Gesichtspunkt der einfach nutritiven Restitutionsfähigkeit so veränderter Gewebe ist es, der für die praktische Auffassung eine sehr grosse Bedeutung hat. Hier, wo weiter nichts vorgegangen ist, als dass die Elemente vermöge ihrer Activität eine grössere Masse von Stoff in sich aufgehäuft haben, hier kann möglicher Weise auch der Ueberschuss von Stoff wieder entfernt werden, ohne dass die Elemente angegriffen werden. Die Elemente können einen Theil dieses Inhaltes umsetzen, in lösliche Stoffe verwandeln (Resolution), und das Material kann in dieser löslichen Form auf demselben Wege, auf dem es gekommen, wieder verschwinden (Resorption). Die Structur des Gewebes im Grossen bleibt dabei dieselbe; es ist nichts Neues oder Fremdartiges zwischen die Theile eingeschoben; das Gewebe bleibt in seiner natürlichen Anlage und in seiner ursprünglichen Zusammensetzung unverändert.
Das ist die parenchymatöse Entzündung, der höchste Grad der nutritiven Reizung, ein Vorgang, der sich unmittelbar an die Hypertrophie anschliesst und der nur dadurch, dass in sehr kurzen Zeiträumen die beträchtlichste Aufnahme von neuem Stoff in die Elemente des Gewebes stattfindet, die Gefahr des inneren Zerfalls, der nachfolgenden Degeneration mit sich bringt. Denn obwohl die Elemente als die eigentlich thätigen, activen Theile die Stoffe an sich ziehen und in sich aufnehmen, so kann es doch sein, dass sie dieselben nicht assimiliren, dass dieselben keine dem natürlichen Mischungsverhältnisse des Zellenkörpers homologe Beschaffenheit erreichen und so die Constitution desselben zerrütten[166]. Der gewöhnliche Ausgang des Prozesses ist daher die Nekrobiose, wobei entweder eine direkte Erweichung, oder, was noch häufiger und bei subacutem und chronischem Verlaufe die Regel ist, Fettmetamorphose eintritt. Auf den activen Anfang folgt demnach ein passives Ende. Wenn man den ersteren eine Entzündung nennt, so kann man sagen, es gehe die parenchymatöse[381] Entzündung in Erweichung oder Fettmetamorphose aus. Letztere sind spätere Stadien oder Ausgänge der Entzündung.
Die parenchymatösen Entzündungen gehören mit zu den allerhäufigsten und zugleich schwersten Erkrankungen des Menschen. Sie begleiten[167] insbesondere die Mehrzahl der von mir so genannten Infectionskrankheiten: die acuten Exantheme (Scharlach, Pocken), den Typhus, die Puerperal- und Wundfieber, die phlegmonösen und erysipelatösen Prozesse, viele Intoxicationen. Nicht selten findet man sie gleichzeitig an zahlreichen Organen des Körpers, namentlich an den Nieren und der Leber, dem Herzen und den willkürlichen Muskeln, so jedoch, dass bei einzelnen Infectionskrankheiten dieses, bei anderen jenes Organ stärker und häufiger ergriffen zu sein pflegt.
Manche haben bezweifelt, ob man in der That ein Recht habe, diese Vorgänge als Entzündungen und als unmittelbare Wirkungen der Entzündungsursache anzusehen. Insbesondere ist die Meinung aufgestellt, die parenchymatösen Veränderungen seien nur die Folge primärer Veränderungen in dem Interstitialgewebe. An den Nieren z. B. erkranke das Epithel nur deshalb, weil das umgebende Bindegewebe verändert sei. Ich muss dies bestimmt in Abrede stellen. Es gibt sehr ausgedehnte interstitielle Nephritiden, bei denen das Epithel wenig oder gar nicht verändert wird, und ebenso die allerstärksten parenchymatösen Formen, bei welchen, wenigstens von Anfang an, das Interstitialgewebe ganz intact ist. Ich möchte aber rathen, diese Frage überhaupt nicht an den zusammengesetzten Organen zu studiren. Wählt man ein Organ, wie die Niere, in welchem ausser dem specifischen Parenchym (den mit Zellen besetzten Kanälchen) noch interstitielles Gewebe vorhanden ist, so geräth man in eine eigenthümliche Schwierigkeit, an welcher die von mir gewählte, in dieser Beziehung nicht ganz glückliche Terminologie die Schuld trägt. Der von Erasistratus herstammende Name des Parenchyms, als Ausdruck für die Substantia propria, schafft hier einen Gegensatz zwischen dem epithelialen und dem bindegewebigen Antheil, der an anderen Organen nicht vorhanden ist. An der Hornhaut nennen wir gerade den bindegewebigen Antheil Parenchym und trennen von demselben das vordere und hintere Epithel als besondere Häute. Parenchymatöse[382] Keratitis hat daher in Beziehung auf das befallene Gewebe einen ganz anderen Sinn, als parenchymatöse Nephritis. In Beziehung auf den Prozess aber, und darauf kam es mir für die Terminologie allein an, besteht die vollständigste Uebereinstimmung, denn es sind in beiden Fällen die Gewebselemente selbst, welche die Veränderung und zwar eine acute, irritative Ernährungsstörung erfahren. Zweifelt jemand daran, ob diese wirklich irritativ sei, so möge er doch die Untersuchung an einfachen Theilen, wie die Hornhaut, das Bindegewebe, die Knorpel, beginnen. Hier lassen sich durch mechanische, thermische, chemische Reizung die vollkommensten Formen der parenchymatösen Entzündung hervorrufen. —
Fig. 110. Elemente aus einer von Herrn Textor 1851 exstirpirten melanotischen Geschwulst an der Parotis. A Freie Zellen mit Theilung der Kernkörperchen und Kerne. B Netz der Bindegewebskörperchen mit Kerntheilung. Vergr. 300.
An die Vorgänge der nutritiven Reizung schliessen sich sehr oft unmittelbar die Anfänge formativer Veränderungen an. Wenn man nehmlich an bestimmten Theilen die fortschreitende, sich steigernde Reizung verfolgt, so sieht man, dass die Elemente oft kurze Zeit, nachdem sie eine nutritive Vergrösserung erfahren haben, weitere Veränderungen zeigen, welche nicht mehr der Ernährung angehören. Meist beginnen die letzteren im Inneren der Kerne[168]. Gewöhnlich ist das Erste, was man wahrnimmt, dass das Kernkörperchen (Nucleolus) ungewöhnlich gross, in vielen Fällen etwas[383] länglich, zuweilen stäbchenförmig wird. Dann folgt als nächstes Stadium, dass das Kernkörperchen eine Einschnürung bekommt, bisquitförmig wird; etwas später findet man zwei Kernkörperchen. Diese Theilung der Kernkörperchen bezeichnet das bevorstehende Theilen des Kernes selber. Das folgende Stadium ist dann, dass um einen solchen getheilten Kernkörper auch eine bisquitförmige Einschnürung und später eine wirkliche Theilung des Kernes zu Stande kommt, wie wir sie schon früher bei den farblosen Blut- und Eiterkörperchen gesehen haben (Fig. 8, A b. 65. 72). Hier handelt es sich offenbar um etwas wesentlich Anderes, als vorhin bei der nutritiven Reizung. Bei der einfachen oder degenerativen Hypertrophie bleibt, zunächst wenigstens, der Kern ganz intact; hier dagegen, bei der formativen Reizung, wird der Kern häufig sehr früh verändert, während der Zellkörper eine relativ geringe Abweichung erfährt, höchstens dass er grösser wird, woraus wir schliessen, dass eine gewisse Menge von neuem Inhalt aufgenommen ist.
Fig. 111. Markzellen des Knochens, a Kleine Zellen mit einfachen und getheilten Kernen. b, b Grosse, vielkernige Elemente. Vergr. 350. Nach Kölliker Mikr. Anat. I. 364. Fig. 113.
In manchen Fällen beschränken sich die Veränderungen auf diese Reihe von Umbildungen, als deren Schluss die Theilung des Kernes zu betrachten ist. Diese kann sich wiederholen, so dass 3, 4 Kerne und mehr entstehen (Fig. 16, b, c, d). So kommt es, dass wir zuweilen Zellen finden, nicht bloss unter pathologischen Verhältnissen, sondern auch nicht selten bei ganz normaler Entwickelung, welche 20–30 Kerne und noch mehr besitzen. Im Marke der Knochen, namentlich bei jungen Kindern, finden sich umfangreiche Gebilde, welche ganz voller Kerne stecken,[384] und in welchen die Kerne zuweilen so gross werden, wie die ganze ursprüngliche Zelle. Robin, der sie zuerst auffand, aber ihre zellige Natur nicht erkannte, nannte sie aus letzterem Grunde vielkernige Platten (plaques à plusieurs noyaux) und neuerlichst Markplatten (myéloplaxes). Indess sind es wirkliche, vergrösserte Zellen. Aber sie sind nicht auf das Knochenmark beschränkt, sondern sie finden sich, besonders unter pathologischen Verhältnissen, an den verschiedensten Orten. Eine Reihe solcher Beispiele habe ich früher[169] zusammengestellt und durch Abbildungen erläutert, darunter auch das von Frey hervorgehobene, jedoch nicht ganz richtig gedeutete Vorkommen solcher Gebilde in Lymphdrüsen. Dieselben Bildungen kommen besonders in manchen Geschwülsten so massenhaft vor, dass man in England danach eine besondere Geschwulst-Species unterscheidet, welche nach dem Vorschlage von Paget als Myeloid-Tumor (Markgeschwulst) in die Classification aufgenommen ist. Der jüngere Nélaton hat sie später als Tumeur à myéloplaxes wieder beschrieben. Ich kann eine besondere Species von Geschwulst darin nicht erkennen; es sind in der Regel sarcomatöse Formen[170]. Jede ausschliessliche Beziehung zum Knochenmark muss diesen Zellen abgesprochen werden. Denn sie finden sich auch in Geschwülsten der Weichtheile, die gar nichts mit Knochen zu thun haben, und, wenngleich weniger gross, in lymphatischen Neubildungen, z. B. beim Typhus, bei Tuberkulose, bei der Perlsucht des Rindviehs[171]. Ich habe daher denselben den allgemeinen Namen der Riesenzellen (cellulae giganteae) beigelegt (S. 95, Fig. 31).
Der gereizte Muskel zeigt ganz ähnliche Formen[172]. Während für gewöhnlich die quergestreiften Muskeln in gewissen Abständen mit Kernen, jedoch nicht sehr reichlich, versehen sind, so finden wir, wenn wir einen Muskel in der Nähe einer gereizten Stelle, z. B. einer Wunde, einer Aetzungs- oder Geschwürsfläche, einer Trichine untersuchen, dass in den Primitivbündeln eine Vermehrung der Kerne vor sich geht. Zuerst bemerkt man Kerne mit zwei Kernkörperchen; dann kommen eingeschnürte, dann getheilte Kerne (vgl. Fig. 25, b, c. 26, B, C), und so geht es fort, bis wir an einzelnen Stellen, wo[385] die Theilungen massenhaft geschehen sind, ganze Gruppen von Kernen neben einander, oder ganze Reihen derselben hinter einander finden (Fig. 112). In den ausgesprochenen Fällen dieser Art nimmt die Zahl der Kerne so sehr zu, dass man auf den ersten Blick kaum noch Muskeln zu sehen glaubt, und dass Bruchstücke der Primitivbündel die grösste Aehnlichkeit darbieten mit jenen Plaques à plusieurs noyaux im Knochenmark. Diese excessive Vermehrung der Kerne, Nucleation[173] ist etwas ganz Eigenthümliches, welches schon an den Anfang einer wirklichen Neubildung anstreift, obwohl die Neubildung im gewöhnlichen Sinne sich nicht auf einzelne Theile der Zellen beschränkt. Aber gerade für die Muskeln ist es sehr wichtig, dass genau dieselbe Beschränkung bei der ersten embryonalen Bildung, im Laufe des ersten Wachsthums der Muskelprimitivbündel stattfindet. Denn dies ist der Modus, wie der Muskel ursprünglich wächst. Wenn[386] man einen wachsenden Muskel verfolgt, so sieht man dieselbe Theilung der Kerne; nachdem Gruppen und Reihen von Kernen in ihm entstanden sind, so schieben sich diese beim Wachsen durch immer reichlichere Zwischenmasse allmählich aus einander. Obwohl nun ein Längenwachsthum an dem pathologisch gereizten Muskel nur dann mit Sicherheit demonstrirt werden kann, wenn der Muskel zugleich ausgedehnt wird, wie dies durch die Spannung unterliegender Geschwülste, am Herzen durch Widerstände der Circulation geschieht, so müssen wir doch die vollkommene Analogie mancher krankhaften Reizungsvorgänge am Muskel mit den natürlichen Wachsthumsvorgängen als eine sichere Thatsache festhalten. Denn der bildende Akt des wirklichen Wachsthums beginnt mit einer Vermehrung der Centren, und als solche müssen, wie schon vor langer Zeit John Goodsir gezeigt hat, die Kerne in Beziehung auf die Zellen betrachtet werden[174].
Fig. 112. Kerntheilung in Muskelprimitivbündeln des Oberschenkels im Umfange einer Krebsgeschwulst. Bei A ein Primitivbündel, dessen Querstreifung nicht überall ausgeführt worden ist, mit seinem natürlichen, spindelförmigen Ende f, und mit beginnender Kernvermehrung. B Starke Kernwucherung. Vergröss. 300.
Geht man nun einen Schritt weiter in der Betrachtung dieser Vorgänge, so kommen wir an die Neubildung der Zellen selbst (Cellulation). Nachdem die Wucherung der Kerne stattgefunden hat, so kann allerdings, wie wir gesehen haben, die Zelle als zusammenhängendes Gebilde sich noch erhalten, allein die Regel ist doch, dass schon nach der ersten Kerntheilung die Zellen selbst der Theilung verfallen, und dass nach einiger Zeit zwei, dicht neben einander liegende, durch eine mehr oder weniger gerade Scheidewand getrennte, je mit einem besonderen Kern versehene Zellen gefunden werden (Fig. 9, b, b). Fissipare Bildung ist der regelmässige Modus der Vermehrung organischer Elemente. Die beiden durch die Theilung entstandenen Zellen können später auseinander rücken, wenn es ein Gewebe ist, welches Intercellularsubstanz erzeugt (Fig. 9, c, d), oder dicht aneinander liegen bleiben, wenn es sich um ein bloss aus Zellen bestehendes Gewebe handelt (Fig. 29, C). Bei weiterem Verlaufe kann eine immer fortgehende Theilung der Zellen stattfinden und zu dem Entstehen grosser Zellengruppen aus ursprünglich einfachen Elementen führen (Fig. 14. 23).
Am bequemsten übersieht man dies am wachsenden oder gereizten Knorpel. Durch die fortgesetzte Theilung der ursprünglich einfachen Knorpelzellen entstehen anfangs kleine Häufchen verhältnissmässig[387] kleiner Zellen. Letztere vermehren sich von Neuem fissipar, die Häufchen werden grösser. Endlich wachsen auch die neugebildeten Zellen durch Intussusception neuer Stoffe und zuletzt werden sie grösser, als die ursprünglichen Zellen, von denen sie ausgegangen sind. Es war dies der Punkt, wo ich zuerst auf die Uebereinstimmung des thierischen Wachsthums mit dem pflanzlichen aufmerksam wurde[175], und von wo aus ich allmählich das Gesetz der continuirlichen Entwickelung (S. 24) durch immer mehr ausgedehnte Untersuchungen aufbauen konnte.
Fig. 113, I. Wucherung (Proliferation) des wachsenden Diaphysenknorpels von der Tibia eines Kindes. Längsschnitt. a Die zum Theil einfachen, zum Theil in die Wucherung eintretenden Knorpelelemente an der Epiphysengrenze. b Die durch wiederholte Theilung einfacher Zellen entstandenen Zellengruppen. c Die durch Wachsthum und Vergrösserung der einzelnen Zellen bedeutend entwickelten Zellengruppen gegen den Verkalkungsrand der Diaphyse hin; die Intercellularsubstanz immer spärlicher. d Durchschnitt eines Blutgefässes. Vergröss. 150.
Der plastische Vorgang ist natürlich am einfachsten zu übersehen[388] in Geweben, welche ganz und gar aus Zellen bestehen, daher am besten am Epithel. Er ist hier um so mehr charakteristisch, als wenigstens die geschichteten Epithelien fort und fort in der Neubildung begriffen sind und in ausgezeichnetem Sinne abfällige Gewebe (S. 70) darstellen. Das Haar wächst, indem immer neue Elemente an seiner Zwiebel gebildet werden, welche die älteren vor sich her schieben; das Nagelblatt wird durch immer neuen Nachwuchs vom Falze her über das Nagelbett fortgedrängt (S. 34); die Epidermis selbst regenerirt sich fortwährend aus den oberen Lagen des Rete Malpighii. Aehnlich verhält es sich mit den lymphatischen Drüsen, deren Zellen immer neu entstehen und als vollständig getrennte Elemente sich von einander scheiden.
Ungleich verwickelter sind die Verhältnisse in bindegewebigen Theilen, wo die neuen Zellen um sich wieder Intercellularsubstanz ausscheiden und diese oft so reichlich wird, dass die Zellen dadurch ganz in den Hintergrund der Betrachtung gedrängt werden. Bis zu dem Augenblicke, wo ich die Struktur des Bindegewebes kennen lehrte, richtete sich daher auch die Aufmerksamkeit fast ausschliesslich auf die Intercellularsubstanz oder, wie man oft sagte, auf die Fasern, und die wunderbarsten Theorien der Neubildung bauten sich auf dieser missverstandenen Interpretation der Gewebsstruktur auf. In Wahrheit geht die Bildung des Bindegewebes ebenso durch Vermehrung der Zellen vor sich, wie die der epithelialen Formationen, und in günstigen Objecten kann man sogar die Reihen der jungen Elemente weit sicherer wahrnehmen, da sie durch die Intercellularsubstanz festgehalten und gleichsam eingemauert sind. An der Stelle einzelner Spindelzellen sieht man dann zuweilen lange Reihen semmelförmig an einander gereihter Rundzellen; ja in einzelnen Fällen findet man im Anschlusse an einen Grundstock von Spindelzellen zahlreiche ausstrahlende Reihen von jungen, theils länglichen, theils rundlichen Zellen, welche die junge Brut des durch die Reizung veränderten Nachbargewebes darstellen (Fig. 113, II.). Je langsamer und anhaltender die Vermehrung erfolgt, um so mehr überzeugend sind die Objecte, und daher eignen sich Geschwulsttheile dazu im Ganzen mehr, als entzündliche Neubildungen.
Fig. 113, II. Mikroskopischer Schnitt aus einem Myxosarcom des Oberkiefers. Reihenweise Proliferation der Zellen mit Ausscheidung hyaliner Intercellularsubstanz. Vergr. 350.
Den Vorgang der Zellenvermehrung nenne ich Wucherung,[389] Proliferation[176]. Was im wachsenden Körper als Ausdruck eines unbekannten, von der Befruchtung her fortdauernden, immanenten Reizes, den ich den Wachsthumsreiz nennen will, erfolgt, das tritt im erwachsenen Körper als das Resultat einer direkten Reizung der Gewebe ein. Kehren wir z. B. auf den Fall zurück, welchen wir vorhin betrachteten, dass ein einfach mechanischer Reiz durch das Einziehen eines Fadens in die Theile gesetzt wird, so beschränkt sich in der Regel die eintretende Schwellung nicht einfach auf die Vergrösserung der bestehenden Elemente (nutritive Reizung), sondern es finden Theilungen und Vermehrungen derselben statt (formative Reizung). Im Umfange eines Fadens, welchen wir durch die Haut ziehen, zeigt sich gewöhnlich schon am zweiten Tage eine Reihe von[390] jungen Elementen[177]. Dieselbe Veränderung kann man durch einen chemischen Reiz hervorbringen. Wenn man z. B. ein Kauter an die Oberfläche eines Theiles applicirt, so ist das Nächste, dass die Zellen anschwellen, aber alsbald beginnen bei regelmässigem Fortgange der Reizung die Elemente sich zu theilen und es tritt eine mehr oder weniger reichliche Wucherung der Zellen ein.
Ein Umstand erschwert das Studium dieser Neubildungs-Vorgänge in hohem Maasse. Es ist dies die Auswanderung der farblosen Blutkörperchen, welche selbst in das Innere von Geweben in grösserer Zahl eindringen und sich hier mit den Elementen der Gewebe mischen. In manchen Fällen ist es unmöglich zu erkennen, was ausgewandert und was neugebildet ist. Viele der neueren Beobachter, welche sich nur vorübergehend mit Forschungen dieser Art beschäftigt haben, sind daher auf den schon von G. Zimmermann aufgestellten Satz zurückgekommen, dass alle Neubildung von den farblosen Blutkörperchen ausgehe. Einige haben das Wachsthum der epithelialen Gewebe auf Wanderzellen zurückgeführt; andere haben das Bindegewebe, die Muskeln und Nerven daraus hervorgehen lassen. Diese Einseitigkeit ist, wie zum Theil schon durch umständliche, unter allen Cautelen vorgenommene Untersuchungen festgestellt ist, durchaus irrthümlich. Sie ist weder für die epitheliale, noch für die bindegewebigen Theile zulässig. Wie im Knorpel, bei dem meines Wissens noch niemand die jungen Elemente auf farblose Blutkörperchen gedeutet hat, die alten Zellen (Mutterzellen) sich theilen und neue Zellen (Tochterzellen) hervorbringen, unter deren Erzeugung sie selbst aufhören zu existiren, so bringen auch die Bindegewebskörperchen durch progressive Theilung neue Brut hervor. Die epithelialen Zellen erleiden, wie Eberth, F. Hoffmann und Heiberg gezeigt haben, nicht selten eigenthümliche Gestaltveränderungen, partielle Verlängerungen und Auswüchse, ehe sich ihre Theile von einander trennen. An Hornhautzellen hat Stricker vor der Theilung mancherlei amöboide Erscheinungen wahrgenommen, welche der Mobilisirung dieser Elemente entsprechen. Von den Blutcapillaren weiss man schon seit langer Zeit, namentlich durch Kölliker und Joseph Meyer, dass von ihnen zunächst[391] Fortsätze aussprossen, welche Kerne erhalten, zellig werden und endlich neue Capillaren herstellen.
Die Erfahrungen von der Auswanderung der farblosen Blutkörperchen, weit entfernt, die von mir vertretene Grundanschauung von der cellularen Ableitung der neuen Zellen, den Grundsatz: Omnis cellula e cellula (S. 24) zu erschüttern, haben vielmehr denselben nur gestützt. Manche irrthümliche Deutung ist dadurch corrigirt worden, aber das cellulare Princip hat eine wesentliche Verstärkung erfahren. Mag ein grosser Theil der Exsudatzellen direkt aus dem Blute stammen, mögen sich diese Zellen, wie Stricker angiebt, im Exsudate weiter theilen und vermehren, immerhin stammt die junge Brut von früheren Zellen ab. Die plastischen Exsudate sind nicht mehr im alten Sinne plastisch (S. 23), und es ist nicht das freie Plasma oder Fibrin, welches durch organische Krystallisation neue Zellen liefert, nicht die Intercellularsubstanz, welche, wie noch Schwann vom Knorpel lehrte, als Cytoblastem die jungen Elemente aus sich hervorbringt, sondern es ist die Zellsubstanz selbst, das Protoplasma der Neueren, woraus im Wege der fortschreitenden Proliferation die organischen Einheiten neu geschaffen werden. Der Bildungstrieb (nisus formativus), die plastische Kraft (vis plastica) haftet an den schon existirenden Elementen, nicht an dem freien Blastem, dem Succus nutritius.
Sonderbarerweise behaupten Einzelne, meine ganze Theorie der Neubildung sei auf das Bindegewebe gebaut; nur aus ihm hätte ich die neuen Elemente hervorgehen lassen. Zu keiner Zeit habe ich solche Vorstellungen gehegt. Ich habe zu allen Zeiten die formativen Eigenschaften der Epithelialformationen anerkannt; ich habe zuerst die mit Kernvermehrung einhergehenden Reizungsprocesse an den Muskelprimitivbündeln und den Capillaren beschrieben[178]; ja ich habe zu einer Zeit, wo die farblosen Blutkörperchen noch sehr missachtet waren, die Organisation des Thrombus auf sie bezogen[179]. Es liegt mir daher sehr fern, in irgend einer Weise den erfreulichen Fortschritten unseres positiven Wissens mich neidisch entgegenstellen zu wollen; im Gegentheil, ich[392] begrüsse jede neue Entdeckung auf diesem Gebiete als eine neue Waffe zur Vertheidigung meiner Grundanschauung.
Um nicht missverstanden zu werden, will ich sogleich hinzusetzen, dass diese Grundanschauung durchaus verträglich ist mit der Aufstellung verschiedener Arten von Zellenbildung (Cytogenesis), vorausgesetzt, dass es Zellsubstanz ist, welche das Material dazu liefert. Es ist keineswegs nöthig, dass jede Neubildung mit Theilung anhebt; wir werden später sehen, dass auch die endogene Zellbildung innerhalb gewisser Grenzen zulässig erscheint. Ein wirklicher Gegensatz würde erst entstehen, wenn extracelluläre Neubildung irgendwo vorkäme. Da dies für den menschlichen Körper von niemand mehr behauptet wird, so liegt wenigstens für jetzt kein Grund zur Unruhe vor.
Ueber die durch die Neubildung (Neoplasie) entstehenden Gewebe, insbesondere über die pathologischen, habe ich früher, namentlich im vierten Capitel, weitläufiger gehandelt; auch werden wir später darauf noch weiter zurückkommen. Hier genügt es festgestellt zu haben, dass die im strengsten Sinne productive und positive Leistung der Neubildung von der formativen oder plastischen Thätigkeit der Elemente ausgeht, nicht von beliebigen, mit den Ernährungsstoffen mehr oder weniger identischen Substanzen, die man noch vor Kurzem als histogenetische bezeichnete. Dass auch im Innern der Gewebselemente gewisse Substanzen die Träger der formativen Reizbarkeit seien, soll damit natürlich nicht ausgeschlossen sein; der chemischen Forschung ist hier ein gewiss sehr lohnendes Feld noch vorbehalten. Wir, als Biologen, haben zunächst den Gewinn festzuhalten, dass es eine Lebensthätigkeit der geformten Elemente ist, neue Elemente hervorzubringen, und zwar eine Thätigkeit, welche an den Elementen selbst haftet, wenngleich äussere Reize dazu gehören, um sie in Wirksamkeit zu setzen. Diese formativen Reize können sehr mannichfaltiger Art sein: mechanische, chemische, physikalische. Wie die Spermatozoiden die Eizelle zu ihrer plastischen Thätigkeit reizen, so sind es andere Stoffe katalytischer Art, welche andere Zellen zu oft ebenso wunderbaren Leistungen anregen.
Immer handelt es sich dabei um Akte, welche durchaus gar keine Verschiedenheit in ihrem Geschehen erkennen lassen, mag der Theil nervenhaltig oder nervenlos sein, Gefässe führen oder[393] nicht. Demnach können wir also auch nicht sagen, dass irgend etwas von diesen Vorgängen mit Nothwendigkeit gebunden erschiene an Nerven- und Gefässthätigkeit; im Gegentheil, wir werden hier auf die Theile selbst gewiesen. Die Beziehung der Gefässe ist durchaus nicht in dem Sinne zu deuten, wie man dies gewöhnlich thut, dass die Zufuhr reichlicheren Materials, die Exsudation von Plasma das Bestimmende ist; die Aufnahme von Material in das Innere der Elemente, aus welchem die Vergrösserung und die späteren Theile hervorgehen sollen, ist vielmehr unzweifelhaft ein Akt der Elemente selbst. Denn wir haben bis jetzt gar keinen Modus, auf irgend einem Wege der Experimentation durch eine primär die Gefässe treffende Einwirkung eine Wucherung der Zellen in dem gesunden Körper hervorzurufen. Man kann die Circulation in den Theilen steigern, so weit sie zu steigern ist, ohne dass daraus eine Schwellung oder Vermehrung der Elemente unmittelbar folgte. Gerade die schon früher erwähnten Experimente mit der Durchschneidung des Sympathicus haben bekanntlich ergeben, — ich selbst habe diese Experimente sehr häufig angestellt und in diesem Sinne verfolgt[180], — dass ein vermehrter Zustrom von Blut (Fluxion, Congestion, Hyperämie) Wochen lang bestehen kann, ein Zustrom von Blut, welcher mit starker Steigerung der Temperatur und entsprechender Röthung verbunden ist, so gross, wie wir sie irgend in Entzündungen antreffen, ohne dass dadurch die Zellen des Theiles im Mindesten vergrössert oder gar an ihnen Vorgänge der Wucherung herbeigeführt werden (S. 158). Wenn man nicht die Gewebe selbst reizt, die Irritation in die Theile selbst einbringt, sei es, dass man die reizenden Stoffe von aussen oder von dem Blute aus wirken lässt, so kann man nicht auf den Eintritt dieser Veränderungen rechnen. Das ist der wesentliche Grund, aus welchem ich folgere, dass diese unzweifelhaft aktiven Vorgänge in der besonderen Thätigkeit der Elementartheile begründet sind, — einer Thätigkeit, welche nicht an vermehrten Zustrom von Blut gebunden ist, welche freilich dadurch begünstigt wird, aber auch vollständig unabhängig davon vor sich gehen kann, und welche sich ebenso deutlich an gefässlosen Theilen darstellt[181].
Schon bei einer früheren Gelegenheit[182] habe ich darauf hingewiesen, dass Zunahme der Ernährung in dem Sinne, dass damit eine Vergrösserung und Vermehrung der Elementartheile des Körpers bezeichnet wird, nicht identisch sei mit Steigerung des Stoffwechsels, welche in einem bloss vermehrten Umsatz der Gewebstheile bestehen könne. Ein solcher vermehrter Umsatz mag immerhin in einem Theile stattfinden, zu dem mehr Ernährungsmaterial strömt, eben so wie in der Regel ein Mensch, der viel isst, auch mehr umsetzt und ausscheidet, als einer, der wenig Nahrung zu sich nimmt. Das blosse Vielessen macht aber noch nicht dick und stark. Ein Organ, welches in Folge einer vermehrten Zuströmung von Blut (Fluxion) mehr Stoff in sich aufnehmen und festhalten (fixiren, assimiliren) soll, muss in einen gewissen Zustand der Erregung (Reizung) versetzt werden. Diese Erregung kann durch das zuströmende Blut gesetzt werden. Entweder enthält dieses Blut besondere Stoffe, welche auf den Theil erregend einwirken, wie Excretstoffe auf die Excretionsorgane, oder der Theil befindet sich in einem solchen Zustande von Reizbarkeit, dass auch das gewöhnliche Blut genügt, um die Erregung wirklich hervorzurufen. Letzterer Fall führt auf die wichtige, wenngleich in neuerer Zeit so sehr vernachlässigte Lehre von den Prädispositionen, also auf präexistirende krankhafte oder wenigstens mangelhafte Zustände der Organe[183]. Diese können uns aber um so weniger bestimmen, für gesunde Organe eine gleiche Einwirkung zuzulassen, als ja gerade der krankhafte Zustand der prädisponirten Theile (loci minoris resistentiae) uns wiederum auf die Frage von der Bedeutung der Theile selbst hinleitet.
Ganz ähnlich, wie mit der Einwirkung der Gefässe, verhält es sich mit der Einwirkung der Nerven, auf welche man früher so grossen Werth legte. Zunächst muss man erwägen, dass die neueren Erfahrungen allmählich die Lehre von den sogenannten neuroparalytischen Entzündungen gänzlich verändert haben[184]. Die beiden Nerven, um die es sich bei der Discussion der entzündlichen Phänomene fast ausschliesslich gehandelt hat, sind der Vagus und der Trigeminus, nach deren Durchschneidung[395] man in dem einen Falle Pneumonie, in dem anderen die berühmten Veränderungen des Augapfels, namentlich der Cornea, eintreten sah. Diese Erfahrungen haben sich dahin aufgelöst, dass allerdings nach dem Durchschneiden Entzündungen eintreten können, dass diese aber so gedeutet werden müssen, dass sie trotz der Durchschneidung auftraten. Vom Vagus ist es bekanntlich schon vor längerer Zeit durch Traube dargethan worden, dass die Lähmung der Stimmritze, welche das Eintreten von Mundflüssigkeiten in die Luftwege erleichtert, ein Hauptmittel für die Entstehung der Entzündung ist. Die genauere Deutung der pathologisch-anatomischen Befunde hat überdies herausgestellt, dass sehr Vieles von dem, was man Pneumonie genannt hatte, eben nichts weiter als Atelectase mit Hyperämie der Theile war; die wirkliche Pneumonie ist sicher zu vermeiden, wenn die Möglichkeit des Hineingelangens fremder Körper in die Bronchien abgeschnitten wird. Dasselbe ist für die Trigeminus-Entzündungen erreicht worden, und zwar durch ein sehr einfaches Experiment. Nachdem man sich früher auf die mannichfachste Weise bemüht hatte, die verschiedenen störenden Einwirkungen auf das seiner Empfindung beraubte Auge zu beseitigen, so ist es endlich in Utrecht gelungen, ein sehr einfaches Mittel zu finden, um dem Auge wieder einen empfindlichen Apparat zu substituiren; Snellen nähte bei Thieren, welchen er den Trigeminus durchschnitten hatte, das empfindende Ohr vor das Auge. Von der Zeit an bekamen die Thiere keine Entzündungen mehr, indem einerseits ein directer Schutz gegeben, andererseits die Thiere durch die Anwesenheit einer empfindenden Decke vor traumatischen Einwirkungen auf das Auge bewahrt wurden. So wie man die Empfindung, nicht am Auge selbst, sondern nur vor dem Auge herstellte, so war damit auch die an sich rein traumatische Entzündung beseitigt.
Bernard hat gegen dieses Experiment eingewendet, dass es nicht constante Resultate ergebe, und dass überhaupt die Nervendurchschneidung bei geschwächten Thieren sehr leicht Ernährungsstörungen und selbst Entzündungen erzeuge. Dieses kann gewiss nicht geleugnet werden und ist wenigstens von mir nie geleugnet worden. Im Gegentheil habe ich immer auf diese asthenischen Entzündungen, die ja in der Pathologie stets anerkannt worden sind und sich der täglichen Beobachtung des Arztes wie in natürlichen Experimenten darbieten, hingewiesen.[396] „Die asthenischen Entzündungen sind als reine Entzündungen in geschwächten Theilen oder Körpern zu betrachten“, so habe ich vor 17 Jahren meine Anschauung formulirt[185]; den Unterschied sthenischer und asthenischer Formen aber fand ich darin, dass bei den ersteren ein grösserer Bruchtheil der constituirenden Gewebspartikeln unverändert, noch kräftig bleibe, und dass damit eine grössere Möglichkeit der Ausgleichung der Störungen gegeben sei, indem von demjenigen Bruchtheile aus, der seine Integrität bewahrt hat, die Regulation ausgehen könne.
Weiter hin habe ich, wie schon früher Valentin, hervorgehoben, dass „mit dem Nachlasse der Innervation ein Nachlass der Widerstandsfähigkeit der Theile oder kurz, eine grössere Prädisposition zu Erkrankungen hervortrete“[186]. Ich habe ferner in einer Vollständigkeit, wie vor mir kein anderer Autor, eine ganze Klasse von Störungen unter der Bezeichnung der neurotischen Atrophien gesammelt und dadurch den Schluss befestigt, dass unzweifelhaft eine Einwirkung des Nervensystems auf die Gewebe bestehe[187]. Aber ich muss noch heute, wie damals, aussagen, dass diese Thatsachen in keiner Weise darthun, dass es bestimmte Nerven giebt, welche der Ernährung vorstehen, und dass die Einwirkung dieser Nerven eine directe ist. Jedenfalls ist in allen Fällen von Neuroparalyse der Mangel an Innervation nur ein Grund der Schwächung, aber nicht ein Grund der Reizung. Diese geht von anderen Einwirkungen aus, welche das Gewebe erfährt, aber sie steigert sich leicht zur Entzündung, weil das Gewebe weniger befähigt zur Regulation ist und weil also jede Störung dauerhafter und energischer wirkt, als an einem gesunden Theile. In welcher Ausdehnung diese Entzündung, welche man immerhin eine neuroparalytische nennen kann, sich ausdehnen und zerstörend wirken kann, habe ich in der Geschichte der Lepra anaesthetica dargethan[188].
Eine ganz andere Gestaltung hat jedoch diese Frage angenommen, seitdem Samuel den Nachweis trophischer Nerven[397] durch Versuche darzuthun gesucht hat, in denen entzündliche Reizung der Theile durch starke Erregung der Nerven hervorgebracht werden sollte. Dies wäre also gerade das umgekehrte der neuroparalytischen Entzündungen, und es ist nur das Auffällige dabei, dass der Verlauf der Localprozesse genau derselbe sein soll, wie der früher bei Durchschneidung, also Lähmung der Nerven beobachtete. Eine genauere Prüfung dieser Versuche ist dringend nothwendig; sollte sich dabei ihre Richtigkeit herausstellen, so würde doch daraus nur folgen, wie Samuel selbst sehr richtig dargelegt hat, dass auch von den Nerven aus den Theilen wirkliche Entzündungsreize zugeführt werden können.
Die Frage von der selbständigen Thätigkeit (Autonomie) der Elemente des Gewebes wird davon nicht im Geringsten berührt. Denn wir können sowohl an gelähmten, als an ganz und gar nervenlosen Theilen durch directe Irritamente dieselben Reizungsvorgänge hervorrufen, welche wir an unveränderten und nervenreichen Theilen erzeugen. Schnelligkeit, Grad und Ausdehnung der Prozesse mögen verschieden sein, die Prozesse selbst sind es nicht. Mindestens dürfen wir auch jetzt noch sagen: es ist gar keine Form von irritativen Störungen bekannt, welche aus der aufgehobenen Action eines Nerven direct hergeleitet werden könnte. Ein Theil kann gelähmt sein, ohne dass er sich entzündet; er kann anästhetisch sein, ohne dieser Gefahr unmittelbar ausgesetzt zu sein. Es bedarf immer noch eines besonderen Reizes, sei es mechanischer oder chemischer Art, sei es von aussen oder vom Blute her, um die eigenthümliche Erregung der an sich autonomen Gewebselemente zu Stande zu bringen. Auf diese Weise gewinnen wir eine Reihe von Verbindungen zwischen eminent pathologischen Thatsachen und den nächsten Vorgängen des physiologischen Lebens, Thatsachen, welche aber nur dann in ihrer besonderen Bedeutung sich erkennen und definiren lassen, wenn man eben die Scheidungen macht, welche ich im Anfange dieses Capitels hervorhob, das heisst, wenn man die Erregungen je nach ihrem functionellen, nutritiven oder formativen Werthe trennt. Wirft man sie zusammen, wie es in der Lehre von der Innervation fast immer geschehen ist, sondert man namentlich nicht die formativen und nutritiven Vorgänge, dann kommt man auch zu keiner einfachen Erklärung der Erscheinungen.
Dies gilt namentlich für die eigentlich entzündlichen[398] Reizungen. Sie lassen überhaupt nie eine einfache Deutung zu, weil es sich dabei um keine einfachen (elementaren) Prozesse handelt[189]. In der Entzündung finden wir neben einander alle möglichen Formen der Reizung. Ja wir sehen sehr häufig, dass, wenn das Organ selbst aus verschiedenen Theilen zusammengesetzt ist, der eine Theil des Gewebes sich functionell oder nutritiv, der andere dagegen sich formativ verändert. Wenn man einen Muskel ins Auge fasst, so wird ein chemischer oder traumatischer Reiz an den Primitivbündeln desselben vielleicht in dem ersten Moment eine functionelle Reizung setzen: der Muskel zieht sich zusammen; dann aber stellen sich nutritive Störungen (trübe Schwellung) oder formative Veränderungen (Kernvermehrung) ein. Im Zwischen-Bindegewebe, welches die einzelnen Muskelbündel zusammenhält, gibt es meist sofort wirkliche Neubildungen, sehr leicht Eiter. Hier handelt es sich also um eine wesentlich formative Reizung, während das entzündete Primitivbündel in sich weder Eiter, noch neue Muskelsubstanz zu erzeugen pflegt; vielmehr treten hier bei einer gewissen Höhe der Reizung am häufigsten degenerative nutritive Prozesse ein. Auf diese Weise kann man die drei Formen der Reizung an einem und demselben Organ von einander trennen. Natürlich kann dabei auch gleichzeitig noch eine Exsudation und eine Reizung der Nerven bestehen, aber letztere hat (zumal wenn man von der Function des Organs absieht) mit den Prozessen im eigentlichen Gewebe keinen Zusammenhang von Ursache und Wirkung, sondern sie ist ein Collateraleffect der ursprünglichen Störung. Für den Krankheitsprozess im Ganzen mag sie eine grosse Bedeutung erlangen, sei es, dass der Schmerz als ein hervorstechendes Symptom sich fühlbar macht, sei es, dass directe oder reflektorische Veränderungen an den Gefässen dadurch herbeigeführt werden. Letztere können einen grossen Einfluss auf die eintretenden Transsudationen ausüben und so eine neue Complication darstellen. Aber es ist leicht ersichtlich, dass mit jeder neuen Complication das Krankheitsbild eben auch ein mehr zusammengesetztes wird, und dass man sich nicht einem einheitlichen Prozesse, sondern vielmehr einem Collektivprozesse gegenüber sieht. Die Entzündung als solche aber bedarf weder der Nerven, noch der Gefässe, weder des Schmerzes, noch der Exsudation:[399] sie kann als einfach nutritiver oder formativer Vorgang bestehen, von anderen ähnlichen nur ausgezeichnet durch den Charakter der Acuität und namentlich der Gefahr[190].
Diese Erfahrung ist meines Erachtens als der für die ärztliche Anschauung wichtigste Erwerb meiner speciellen histologischen Untersuchungen anzusehen, und er ist um so sicherer, als man ihn sowohl durch das Experiment, als durch physiologische und pathologische Erfahrung controliren kann. Später werde ich zeigen, wie das Studium der entzündlichen Prozesse dadurch eine klarere Auffassung gewinnt.
Fußnoten:
[154] Handb. der spec. Pathologie und Ther. I. 304.
[155] Vgl. meinen Vortrag über Nahrung- und Genussmittel (Sammlung gemeinverst. wiss. Vorträge Serie II. Heft 48. S. 22. Berlin 1868.)
[156] Verhandl. der Berliner med. Gesellschaft. 1865–66. S. 245.
[157] Archiv VI. 139. VIII. 27. XIV. 27.
[158] Archiv IV. 381.
[159] Handb. der spec. Pathol. und Ther. I. 338.
[160] Archiv IV. 277, 314, 316.
[161] Archiv 1852. IV. 263. (Aus einer Vorlesung von 1847).
[162] Fr. Strube. Der normale Bau der Cornea und die pathologischen Abweichungen in demselben. Inaug. Diss. Würzb. 1851. S. 23.
[163] Archiv IV. 261, 274.
[164] Archiv IV. 285. XIV. 53.
[165] A. v. Gräfe gehörte im Jahre 1858, als ich diese Vorträge hielt, zu meinen fleissigsten Zuhörern. Ich war ebenso überrascht, als gerührt, als ich in diesen Tagen in einem Exemplare der Cellular-Pathologie aus seinem Nachlasse noch die von seiner Hand geschriebenen Notizen fand, in denen er den Gang der Vorträge für sich verzeichnet hatte.
[166] Archiv XIV. 35.
[167] Gesammelte Abhandlungen 701, 703.
[168] Ueber die Theilung der Zellenkerne. Archiv XI. 89.
[169] Archiv XIV. 46.
[170] Geschwülste II. 209, 316, 337.
[171] Ebendas. II. S. 618, 637, 638, 672, 746.
[172] Archiv IV. 313. XIV. 51. Taf. I. Fig. 3 c.
[173] Archiv XIV. 62.
[174] Archiv IV. 383. IX. 43. XIV. 32.
[175] Archiv (1849) III. 220. Einheitsbestrebungen in der wissenschaftlichen Medicin. Berlin 1849 S. 35. Gesammelte Abhandl. 43. Archiv XIV. 38.
[176] Spec. Pathol. und Ther. I. 330.
[177] Archiv XIV. 61.
[178] Archiv XIV. 51.
[179] Gesammelte Abhandlungen 327.
[180] Spec. Pathologie und Ther. I. 274.
[181] Ebendaselbst I. 62, 152.
[182] Spec. Pathologie und Ther. I. 327.
[183] Ebendaselbst I. 21, 23, 78, 152, 281, 289, 340.
[184] Archiv VIII. 33. Vergl. Spec. Pathol. I. 51.
[185] Spec. Pathologie und Ther. I. 80.
[186] Ebendaselbst I. 276. Vergl. Archiv IV. 275.
[187] Ebendaselbst I. 319, 323. Gesammelte Abhandl. 689. Entwickelung des Schädelgrundes 109.
[188] Geschwülste II. 528.
[189] Archiv IV. 279.
[190] Handb. der spec. Pathologie und Therapie. I. 76.
Die passiven Vorgänge in ihren beiden Hauptrichtungen zur Degeneration: Nekrobiose (Erweichung und Zerfall) und Induration.
Die fettige Degeneration. Histologische Geschichte des Fettes im Thierkörper: das Fett als Gewebsbestandtheil, als transitorische Infiltration und als nekrobiotischer Stoff.
Das Fettgewebe. Polysarcie. Fettgeschwülste. Die interstitielle Fettbildung. Fettige Degeneration der Muskeln.
Die Fettinfiltration und Fettretention. Darm: Structur und Function der Zotten. Resorption und Retention des Chylus. Leber: intermediärer Stoffwechsel durch die Gallengänge. Fettleber.
Die Fettmetamorphose. Drüsen: Secretion des Hautschmeers und der Milch (Colostrum). Körnchenzellen und Körnchenkugeln. Entzündungskugeln. Fettmetamorphose des Lungenepithels. Gelbe Hirnerweichung. Corpus Inteum des Eierstocks. Arcus senilis der Hornhaut. Morbus Brightii. Optisches Verhalten der fettig metamorphosirten Gewebe. — Muskeln: Fettmetamorphose des Herzfleisches. Fettbildung in den Muskeln bei Verkrümmungen. — Arterie: fettige Usur und Atherom. Fettiger Detritus.
Bis jetzt habe ich fast nur von den Thätigkeiten der Zellen gehandelt und von den Vorgängen, welche an ihnen eintreten, wenn sie ihre Lebendigkeit auf irgend eine äussere Einwirkung hin zu erkennen geben. Es gibt aber im Körper auch eine ziemlich grosse Reihe von passiven Vorgängen[191], welche verlaufen, ohne dass dabei eine besondere Thätigkeit der Elemente nachweisbar wäre, ja welche häufig unmittelbar durch eine Hemmung der Thätigkeit bedingt werden. Es wird nützlich sein, bevor wir in der Darstellung der activen Prozesse weiter gehen, diese passiven Vorgänge etwas genauer zu besprechen. Denn die Leidensgeschichte[401] der Zellen, von welcher die Pathologie den Namen trägt, ist zusammengesetzt aus Vorgängen, welche der activen, und solchen, welche der passiven Reihe angehören; ja, das grobe Resultat, der sogenannte Krankheitsausgang, hat trotz des verschiedenen Charakters der Prozesse in vielen Fällen eine so grosse Uebereinstimmung, dass die endlichen Veränderungen, welche wir nach einer gewissen Zeitdauer des Prozesses antreffen, in beiden Reihen nahezu dieselben sein können. Aus diesem Grunde ist es eine Zeit lang sehr schwer gewesen, Grenzen zwischen den zwei Reihen zu ziehen, und ein grosser Theil der Verwirrung, welche die Anfangsperiode der mikroskopischen Bestrebungen bezeichnete, ist bedingt gewesen durch die ausserordentliche Schwierigkeit, die activen und passiven Störungen auseinander zu bringen.
Passive Störungen nenne ich diejenigen Veränderungen der Elemente, wobei sie in Folge äusserer ungünstiger Bedingungen sofort entweder bloss Einbusse an Wirkungsfähigkeit erleiden, oder vollständig zu Grunde gehen, in welchem Falle natürlich ein Substanzverlust, ein Defect, eine Verminderung der Summe der Körperbestandtheile entsteht. Beide Reihen von passiven Vorgängen zusammengenommen, diejenigen, welche sich durch Schwächung zu erkennen geben, und diejenigen, welche mit vollständigem Untergange der Theile endigen, bilden das Hauptgebiet der sogenannten Degenerationen, obwohl, wie wir späterhin noch genauer betrachten müssen, auch in der Reihe der activen Prozesse ein grosser Theil desjenigen unterzubringen ist, was man degenerativ nennt.
Es ist natürlich ein wesentlicher Unterschied, ob ein Element überhaupt als solches bestehen bleibt, oder ob es ganz und gar untergeht, ob es am Ende des Prozesses, wenn auch in einem Zustande sehr verminderter Leistungsfähigkeit, noch vorhanden ist, oder ob es überhaupt ganz zerstört ist. Darin liegt für die praktische, namentlich für die prognostische Auffassung die grosse Scheidung, dass für die eine Reihe von Prozessen die Möglichkeit einer Reparation der Zellen besteht (nutritive Restitution), während in der anderen eine direkte Reparation unmöglich ist und eine Herstellung nur geschehen kann durch einen Ersatz vermittelst neuer Elemente von der Nachbarschaft her (regenerative oder formative Restitution). Denn wenn ein Element[402] zu Grunde gegangen ist, so ist natürlich von ihm aus keine weitere Entwickelung oder Neubildung möglich[192].
Diese letztere Kategorie, wo die Elemente unter dem Ablaufe des Prozesses zu Grunde gehen, habe ich vorgeschlagen (S. 335) mit einem Ausdrucke zu bezeichnen, welcher von K. H. Schultz für die Krankheit überhaupt gebraucht worden ist, mit dem der Nekrobiose[193]. Immer nehmlich handelt es sich hier um ein Absterben, um ein Zugrundegehen, man möchte fast sagen, um eine Nekrose. Aber der gangbare Begriff der Nekrose bietet doch gar keine Analogie mit diesen Vorgängen, insofern wir uns bei der Nekrose den mortificirten Theil als in seiner äusseren Form mehr oder weniger erhalten denken. Hier dagegen verschwindet der Theil, so dass wir ihn in seiner Form nicht mehr zu erkennen vermögen. Wir haben am Ende des Prozesses kein nekrotisches Gewebe, keine Art von gewöhnlichem Brand, sondern eine Masse, in welcher von den früheren Geweben absolut gar nichts mehr wahrnehmbar ist. Die nekrobiotischen Prozesse, welche von der Nekrose völlig getrennt werden müssen, haben im Allgemeinen als Endresultat eine Erweichung im Gefolge. Dieselbe beginnt mit Brüchigwerden der Theile; diese verlieren ihre Cohäsion, zerfliessen endlich wirklich, und mehr oder weniger bewegliche, breiige oder flüssige Producte treten an ihre Stelle. Man könnte daher geradezu diese ganze Reihe von nekrobiotischen Prozessen Erweichungen nennen, wenn viele von ihnen nicht verliefen, ohne dass für die grobe Anschauung, d. h. für das unbewaffnete Auge, die Malacie jemals zur Erscheinung kommt. Wenn nehmlich innerhalb eines zusammengesetzten Organs, z. B. eines Muskels, ein solcher Vorgang eintritt, so entsteht allerdings jedesmal eine grobe Myomalacie, sobald an einem bestimmten Punkte alle Muskelelemente auf einmal getroffen werden, aber weit häufiger geschieht es, dass innerhalb eines Muskels nur eine gewisse Zahl von Primitivbündeln getroffen wird, während die anderen unversehrt bleiben. Freilich tritt dann auch eine Malacie ein, aber eine so feine, dass sie für die grobe Betrachtung gar nicht zugänglich wird und nur mikroskopisch nachzuweisen ist. In diesem Falle spricht man fälschlich von einer Muskelatrophie, obgleich der Vorgang,[403] welcher die einzelnen Primitivbündel getroffen hat, sich seiner Natur nach gar nicht von den Vorgängen unterscheidet, welche man ein anderes Mal Muskelerweichung nennt.
Das ist der Grund, warum man nicht einfach den Ausdruck der Erweichung, der für die grobe pathologische Anatomie vorbehalten werden muss, auf die histologischen Vorgänge anwenden kann, und warum es besser ist, Nekrobiose zu sagen, wo es sich um diese feineren Vorgänge handelt. Das Gemeinschaftliche aller Arten von nekrobiotischen Prozessen besteht aber darin, dass der getroffene Theil am Ende des Prozesses und durch den Prozess zersetzt, untergegangen, vernichtet ist.
Eine zweite Reihe von passiven Prozessen bilden die einfach degenerativen Formen, wo am Ende des Vorganges der getroffene Theil zwar vorhanden ist, aber sich in irgend einem weniger oder gar nicht mehr actionsfähigen Zustande befindet, wo er in der Regel starrer geworden ist. Man könnte daher diese Gruppe im Gegensatze zu der vorher erwähnten als Verhärtungen (Indurationen) bezeichnen, und damit eine schon äusserlich von den nekrobiotischen Prozessen trennbare Gruppe bilden. Allein auch der Ausdruck der Induration würde leicht missverständlich sein, insofern auch hier wieder viele Zustände vorkommen, wo wenigstens die Härte des Organes im Ganzen nicht bedeutender ist, sondern wo nur einzelne kleinste Theile sich verändern, so dass für das Tastgefühl keine auffallenden Veränderungen bemerkbar werden.
Ich hebe aus der Reihe der passiven Prozesse einige als Typen hervor, und zwar diejenigen, welche die grösste Wichtigkeit für die praktische Anschauung haben.
Unter den nekrobiotischen Prozessen ist der unzweifelhaft am weitesten verbreitete und fast der wichtigste unter allen bekannten cellularen Störungen die Fettmetamorphose[194], oder wie man von Alters her gewohnt ist zu sagen, die fettige Degeneration. Dieser Prozess bringt eine zunehmende Anhäufung von Fett in den Organen mit sich. Der alte Begriff der fettigen Degeneration hatte den Sinn, dass man dabei an eine immer steigende Veränderung der Art dachte, dass zuletzt an die Stelle ganzer Organtheile reines Fett träte. Es hat sich aber ergeben, dass dieser[404] alte Begriff, wie er noch jetzt in der pathologischen Sprache sich vielfach erhalten hat, eine grosse Reihe unter sich vollkommen verschiedener Vorgänge zusammenfasst, und dass man nothwendig irre gehen musste, wenn man vom Standpunkte der Pathogenie aus die ganze Gruppe auf einfache Weise deuten wollte.
Die Geschichte des Fettes in Beziehung zu den Geweben lässt sich im Allgemeinen in einer dreifachen Richtung betrachten. Wir finden erstlich eine Reihe von Geweben im Körper vor, welche als physiologische Behälter für Fett dienen, und in welchen das Fett als eine Art von nothwendigem Zubehör enthalten ist, ohne dass jedoch ihr eigener Bestand durch die Anwesenheit des Fettes irgendwie gefährdet wäre. Im Gegentheil, wir sind sogar gewöhnt, nach dem Fettgehalt gewisser Gewebe das Wohlsein eines Individuums zu schätzen und den Grad der andauernden Füllung der einzelnen Fettzellen als Kriterium für den glücklichen Fortgang des Stoffwechsels überhaupt anzusehen. Dies ist also der gerade Gegensatz zu den nekrobiotischen Vorgängen, wo der Theil unter der Anhäufung des Fettes wirklich ganz und gar aufhört zu existiren.
In einer zweiten Reihe stellen die Gewebe keine regelmässigen Behälter für Fett dar, aber wohl treffen wir in ihnen zu gewissen Zeiten vorübergehend Fett an, welches nach einiger Zeit wieder aus ihnen verschwindet, ohne den Theil deshalb in einem veränderten Zustande zurückzulassen. Das ist der Fall bei der gewöhnlichen Resorption des Fettes aus dem Darme. Wenn wir Milch trinken, so erwarten wir nach alter Erfahrung, dass dieselbe vom Darme allmählich in die Milchgefässe übergehe und von da aus dem Blute zugeführt werde; wir wissen, dass der Uebergang des Verdauten vom Darm in die Milchgefässe durch das Darmepithel und die Zotten hindurch erfolgt, und dass das Epithel und die Zotten einige Stunden nach der Mahlzeit voll von Fett stecken. Von einer solchen fetthaltigen Zotte oder Epithelzelle setzen wir aber voraus, dass sie unter natürlichen Verhältnissen endlich ihr Fett abgeben und nach einiger Zeit wieder vollkommen frei sein werde. Das ist eine Fett-Infiltration von rein transitorischem Charakter. Verzögert sich die Entleerung des Fettes, bleibt die an sich nur für vorübergehende Zwecke vorhandene Fettfüllung bestehen, so gibt das eine Fett-Retention.
Endlich in einer dritten Reihe werden die Gewebe von Prozessen[405] getroffen, welche zur fettigen Nekrobiose führen. Diese hat man in neuerer Zeit häufig als eigenthümlich pathologische betrachtet. Allein, wie sich überall gezeigt hat, dass die pathologischen Prozesse keine specifischen sind, dass vielmehr für sie Analogien in dem normalen Leben bestehen, so kann man sich auch überzeugen, dass die nekrobiotische Entwickelung von Fett ein ganz regelmässiger, typischer Vorgang an gewissen Theilen des gesunden Körpers ist, ja, dass wir sie sogar in sehr grobem Style im physiologischen Leben antreffen. Die wichtigsten Typen für dieses Verhältniss haben wir einerseits in der Secretion der Milch, des Hautschmeeres, des Ohrenschmalzes u. s. w., andererseits in der Bildung des Corpus luteum im Eierstocke. An allen diesen Theilen geht eine Fettentwickelung genau in der Weise vor sich, wie wir sie bei der nekrobiotischen Fettmetamorphose unter krankhaften Bedingungen antreffen; was wir Hautschmeer, Milch oder Colostrum nennen, das sind die Analoga für die pathologischen Fettmassen, welche aus der fettigen Erweichung hervorgehen. Wenn Jemand statt in der Milchdrüse im Gehirn Milch fabricirt, so gibt dies eine Form der Hirnerweichung; das Product kann morphologisch vollständig übereinstimmen mit dem, was in der Milchdrüse ganz normal gewesen wäre. Hier ist aber der grosse Unterschied, dass, während in der Milchdrüse die zu Grunde gehenden Zellen sich ersetzen durch neue nachrückende Elemente, der Zerfall der Elemente in einem Organe, welches nicht zum Nachrücken eingerichtet ist, zu einem dauerhaften Verluste führt. Derselbe Prozess, welcher an einem Orte die glücklichsten, ja die süssesten Resultate liefert, bringt an einem anderen einen schmerzlichen und bitteren Schaden mit sich.
Betrachten wir diese drei verschiedenen physiologischen Typen nach einander. Im ersten Falle finden wir die Anfüllung der Zellen mit Fett in der Weise, dass am Ende jede einzelne Zelle ganz und gar voll von Fett steckt. Das gibt den Typus des sogenannten Fettzellgewebes oder kurzweg Fettgewebes, wie es namentlich in der Unterhaut (Tela subcutanea) in so grosser Masse vorkommt, wo es einerseits die Schönheit, namentlich der weiblichen Form, andererseits die pathologischen Zustände der Obesität oder Polysarcie bedingt. Ebenso bildet das Fettgewebe das gewöhnliche, schon seit mythologischen Zeiten so berühmte gelbe Knochenmark (Medulla ossium). Ueberall besteht das Fettgewebe[406] aus einer meist geringen Menge von Intercellularsubstanz und aus Fettzellen. Letztere besitzen immer eine Membran und einen fettigen oder öligen Inhalt. Das Fett erfüllt den inneren Raum so vollständig, die Membran ist so ausserordentlich dünn, zart und gespannt, dass man gewöhnlich gar nichts weiter sieht, als den Fetttropfen, und dass bis in die neueste Zeit noch immer darüber discutirt worden ist, ob die Fettzellen wirkliche Zellen seien. Es ist in der That sehr schwer, sich davon deutlich zu überzeugen, allein wir haben sehr schöne Hülfsmittel in dem Verlaufe der natürlichen Prozesse. Wenn Jemand magerer wird, so schwindet das Fett allmählich, die Membran verliert von ihrer Spannung, sie erscheint nicht mehr so dünn und zart und tritt um so schärfer hervor, je kleiner die innere Fettmasse wird. Sie ist dann deutlich vom Fetttropfen abgesetzt. Innerhalb der Zelle liegt ein erkennbarer Kern (Fig. 114, A, a). Es ist hier also eine wirkliche, vollständige Zelle mit Kern und Membran vorhanden, an welcher aber der eiweissartige Inhalt fast ganz und gar durch das aufgenommene Fett verdrängt worden ist. Dieses sogenannte Fettzellgewebe ist eine Form des Bindegewebes (S. 47), und wenn es sich zurückbildet, so sieht man sehr deutlich, dass es metaplastisch in Binde- oder Schleimgewebe[195] übergeht, indem zwischen den Zellen wieder eine grössere Menge von faserig-schleimiger Intercellularsubstanz zum Vorscheine kommt (Fig. 114, A, b, B).
Fig. 114. Fettzellgewebe aus dem Panniculus. A Das gewöhnliche Unterhautgewebe, mit Fettzellen, etwas Zwischengewebe und bei b Gefässschlingen; a eine isolirte Fettzelle mit Membran, Kern und Kernkörperchen. B Atrophisches Fett bei Phthisis. Vergröss. 300.
Fettgewebe ist es, welches nicht bloss unter Umständen Polysarcie und Obesität hervorbringt, indem immer grössere Massen von Bindegewebe in die Fettfüllung hineingezogen werden, sondern welches auch die Grundlage aller anomalen Fettgebilde ist. Die einzelnen Formen dieser Gebilde, namentlich die wirklichen Fettgeschwülste (Lipome), unterscheiden sich unter einander nur durch die grössere oder geringere Masse von interstitiellem, zwischen den Läppchen der Fettzellen gelegenen Bindegewebe, von welchem ihre grössere oder geringere Consistenz abhängt[196]. — Dasselbe Fettgewebe ist es auch, welches unter krankhaften Verhältnissen in einer Reihe von solchen Fällen auftritt, welche man nach alter Tradition fettige Degeneration nennt. Namentlich die fettige Degeneration der Muskeln stellt in vielen Fällen nichts weiter dar, als eine mehr oder weniger weit fortgeschrittene Entwickelung von Fettzellgewebe zwischen den Muskelprimitivbündeln. Es ist dies ein ähnlicher Vorgang, wie wir ihn bei der Mästung von Thieren finden, wie ihn z. B. jede Ochsenzunge sehr schön zeigt, und wie manche einfach gemästete Muskeln auch beim Menschen ihn darbieten. Zwischen die einzelnen Muskelprimitivbündel schieben sich Fettzellen ein, welche natürlich streifenweise nach dem Verlauf der Muskelfasern liegen; letztere können sich dabei erhalten. Die Grundlage der Entwickelung ist hier das interstitielle Bindegewebe, an welchem es mir zuerst mit Bestimmtheit gelang, den Uebergang der Bindegewebskörperchen in Fettzellen zu beobachten[197].[408] Bei dieser sogenannten Fettdegeneration der Muskeln kann es, namentlich im Anfange der Entwickelung und bei grosser Regelmässigkeit derselben, vorkommen, dass ganz einfache Reihen hinter einander liegender Fettzellen mit den Reihen der Muskel-Elemente abwechseln (Fig. 115). In diesem Falle, wo die Primitivbündel durch die Fettzellen auseinander gedrängt werden und gewöhnlich in Folge ihrer Anhäufung die Circulation im Muskel beeinträchtigt, das Fleisch also blass wird, sieht es für das blosse Auge oft so aus, als sei gar kein Muskelfleisch mehr vorhanden. Untersucht man z. B. an einer Unterextremität, welche in Folge einer Ankylose des Knie's lange unbewegt geblieben ist, die Gastroenemii, so findet man zuweilen nur eine gelbliche, kaum streifig aussehende Masse ohne jedes fleischige Ansehen, allein bei feinerer Untersuchung zeigt sich, dass die an sich erhaltenen Primitivbündel noch immer durch das Fett hindurchgehen. Selbst in diesem Falle, wo das Fett eine bedeutende Erschwerung für den Muskelgebrauch bildet, sind die Muskelprimitivbündel doch noch vorhanden und in gewisser Weise wirkungsfähig. Es unterscheidet sich daher dieser Prozess wesentlich von der Nekrobiose, wo das Primitivbündel als solches zu Grunde geht. Denn er stellt eine rein interstitielle Fettgewebsbildung dar, wobei gewöhnliches Bindegewebe in Fett übergeht, und man sollte daher lieber den Ausdruck der fettigen Degeneration vermeiden, welcher so leicht missverstanden werden kann.
Fig. 115. Interstitielle Fettwucherung (Mästung) der Muskeln. f, f Reihen von interstitiellen Fettzellen; m, m, m Muskelprimitivbündel. Vergr. 300.
Diese Form kommt besonders am Herzen ziemlich häufig vor und kann, wenn sie eine grosse Ausdehnung erreicht, erhebliche Störungen der Bewegungsfähigkeit des Herzfleisches hervorbringen. Aber ihrem pathologischen Werthe nach steht sie tief unter der eigentlichen Fettmetamorphose, obwohl diese hinwiederum im äusserlich sichtbaren Resultat nicht entfernt ihr gleichkommt. Das, was die alten Anatomen als Fettherzen beschrieben haben, waren meistentheils nur fettig durchwachsene Herzen; was man dagegen heut zu Tage meint, wenn man von einer eigentlichen fettigen Degeneration (Metamorphose) des Herzens spricht, das ist nicht dieses Fettwerden des Herzens, dieses Durchwachsen seines[409] Fleisches mit Fettzellen, sondern es ist vielmehr die wirkliche im Innern des Fleisches vor sich gehende Umsetzung der Substanz (Fig. 25, d. 121), auf welche ich noch zurückkommen werde. In dem letzteren Falle liegt das Fett in, im ersteren zwischen den Primitivbündeln. —
Die zweite Reihe von Vorgängen, welche ich aufstellte, ist die transitorische Anfüllung gewisser Organe mit Fett, wie wir sie im Wesentlichen bei der Digestion antreffen. Hat Jemand eine fettige Substanz genossen, und ist diese in den Zustand der Emulgirung übergeführt, so finden wir, dass, wenn sie in das obere Ende des Jejunum gelangt, zum Theil schon im Duodenum, die Zotten der Schleimhaut weisslich, trübe und dicker werden. Die feinere Untersuchung ergibt, dass sie mit sehr feinen, kleinsten Fettkörnchen erfüllt werden, welche viel feiner sind, als wir sie in irgend einer künstlichen Emulsion herstellen können. Diese Körnchen, welche sich schon im Chymus finden, berühren zuerst das Cylinderepithel, mit welchem jede einzelne Darmzotte umgeben ist. An der Oberfläche jeder Epithelzelle findet sich aber, wie von Kölliker zuerst bemerkt ist, ein eigenthümlicher Saum, welcher, wenn man die Zelle von der Seite her betrachtet, feine, senkrechte Strichelchen erkennen lässt; von der Oberfläche aus gesehen, erscheint die Zelle sechseckig und mit vielen kleinen Punkten besetzt, wie getüpfelt (Vergl. das Epithel der Gallenblase Fig. 15, sowie Fig. 116, A). Kölliker hat die Vermuthung aufgestellt, dass diese kleinen Striche und Punkte feinen Porenkanälchen entsprächen, und dass die Resorption so vor sich ginge, dass die kleinen Partikelchen des Fettes durch diese feinen Poren an der Oberfläche der Epithelzellen aufgenommen würden. Der Gegenstand liegt indess so sehr an der Grenze unserer optischen Apparate, dass es bis jetzt nicht möglich gewesen ist, eine vollkommene Klarheit darüber zu gewinnen, ob die Striche wirklich feinen Kanälen entsprechen, oder ob es sich vielmehr, wie Brücke annimmt, um eine Zusammensetzung des ganzen oberen Saumes aus Stäbchen oder Säulchen, ähnlich den Flimmerhaaren, handelt. Ich bin durch meine Untersuchungen auch mehr zu letzterer Ansicht disponirt worden, zumal da an denselben Orten die vergleichende Histologie wirkliches Flimmerepithel als Aequivalent nachweist. Jedenfalls ist soviel sicher, dass einige Zeit nach der Digestion[410] das Fett nicht mehr aussen an den Zellen liegt, sondern sich innen in ihnen findet, und zwar zuerst am äusseren (freien) Ende derselben; dann rücken seine Körnchen nach und nach weiter und gehen in den Zellen nach innen, und zwar so deutlich reihenweise, dass es den Eindruck macht, als gingen feine Kanäle durch die ganze Länge der Zellen selbst hindurch (Fig. 116, C, a). Allein auch das ist eine Frage, welche mit unseren optischen Apparaten nicht so bald gelöst werden dürfte. Genug, die grobe Thatsache bleibt stehen, dass das Fett durch die Zellen geht und zwar in der Weise, dass anfänglich nur der äussere Theil derselben damit erfüllt ist, dann eine Zeit kommt, wo sie ganz voll von Fett sind, etwas später die äussere Partie wieder ganz frei wird, während die innere noch etwas enthält, bis endlich alles Fett spurlos aus den Zellen verschwindet. Auf diese Weise kann man den allmählichen Fortgang von Stunde zu Stunde verfolgen. Nachdem das Fett bis in die innere Spitze der Zellen hineingerückt ist, so beginnt es, in das sogenannte Parenchym der Zotte überzugehen (Fig. 116, C). Ob die Epithelzellen, wie zuerst von Heidenhain behauptet worden ist, an ihrem unteren (centralen) Ende unmittelbar[411] mit feinsten Ausläufern der Bindegewebskörperchen der Zotte zusammenhängen, ist noch streitig, jedoch durch Eimer's sorgsame Untersuchung zu höchster Wahrscheinlichkeit geführt.
Fig. 116. Darmzotten und Fettresorption. A Normale Darmzotten des Menschen aus dem Jejunum, bei a das zum Theil noch ansitzende Cylinderepithel mit dem feinen Saum und Kernen; c das centrale Chylusgefäss, v, v Blutgefässe; im übrigen Parenchym die Kerne des Bindegewebes und der Muskeln. — B Zotten im Zustande der Contraction vom Hund. — C Menschliche Darmzotte während der Chylus-Resorption, D bei Chylus-Retention: an der Spitze ein grosser, aus einer krystallinischen Hülle austretender Fetttropfen. Vergr. 280.
Es ist höchst schwierig, mit Sicherheit über diese feinsten Einrichtungen der Gewebssubstanz zu urtheilen. In der Regel finden wir innerhalb der Zotten das Netz der Blutgefässe etwas unter der Oberfläche (Fig. 116, A, v, v), dagegen in der Axe eine ziemlich weite, stumpf endigende Höhlung, den Anfang des Chylusgefässes, soweit es bis jetzt mit Sicherheit erkennbar ist (Fig. 116, A, c). An der Peripherie der Zotten hat Brücke eine Lage von Muskeln entdeckt, welche für die Digestion von grosser Bedeutung ist, insofern dadurch ein Heranziehen der Zottenspitze gegen ihre Basis, eine Verkürzung möglich ist, wie man sehr leicht sehen kann. Wenn man Zotten vom Darme eines eben getödteten Thieres abschneidet, so sieht man unter dem Mikroskop, dass sie sich zusammenziehen, sich runzeln, dicker und kürzer werden (Fig. 116, B). Offenbar erfolgt dadurch ein Druck in der Richtung von aussen nach innen, welcher die Fortbewegung der aufgenommenen Säfte befördert. So weit wäre die Sache ziemlich klar, allein was das noch übrig bleibende Parenchym für einen Bau hat, ist äusserst schwer zu sehen. Ausser der Muskellage bemerkt man noch kleinere Kerne, welche, wie ich schon vor Jahren hervorhob, hin und wieder ziemlich deutlich in feinen zelligen Elementen eingeschlossen sind. Diese Parenchymzellen anastomosiren unter sich und mit dem centralen Chylusgefässe. Bei der Resorption sieht es aus, als ob das Fett, welches in den Zotten immer weiter nach innen dringt, das ganze Parenchym erfüllte, jedoch ergibt eine feinere Untersuchung, zumal an weniger stark gefüllten Zotten, dass das Fett auf prädestinirten Strassen, nehmlich durch die Bindegewebskörperchen, seinen Weg verfolgt[198]. So gelangt es endlich in das centrale Chylusgefäss. Von hier beginnt der regelmässige Strom des Chylus.
Am wenigsten verständlich ist in diesem Hergange die Aufnahme des Fettes in die Epithelialzellen. Zu wiederholten Malen ist[412] daher die Meinung aufgetaucht, dass hier gröbere Oeffnungen, wirkliche Stomata existiren. Insbesondere hat diese Frage in der neueren Zeit durch Letzerich eine besondere Bedeutung erlangt. Er richtete die Aufmerksamkeit auf gewisse, schon längere Zeit bekannte Elemente, die sogenannten Becherzellen. Es sind dies offene Zellen von fast trichterförmiger Gestalt, welche gewöhnlich in gewissen Entfernungen von einander zwischen den gewöhnlichen Cylinderzellen des Darmepithels zerstreut vorkommen. Ich sah sie am Darm eines Hingerichteten, der ganz frisch untersucht wurde. Letzerich glaubt in ihnen die eigentlichen Aufnahme-Organe des Fettes zu erkennen. Diese Meinung ist unzweifelhaft irrig. Das von mir vorher Angeführte ist mit grösster Bestimmtheit zu sehen: jede Epithelzelle ist fähig, Fett aufzunehmen, und ich möchte eher sagen, die Becherzellen seien es am wenigsten. Das mechanische Problem ist damit wenig gefördert, indess wird man schwerlich bei dem gegenwärtigen Stande unserer Kenntnisse noch auf blosse Druckverhältnisse zurückgehen können. Aller Wahrscheinlichkeit „fressen“ die Zellen das Fett, und es handelt sich um einen der an die Thätigkeit der Elemente geknüpften automatischen Vorgänge (S. 360), bei welchen das Protoplasma betheiligt ist.
Jedenfalls setzt der Vorgang eine emulsive Beschaffenheit des Fettes voraus, welches überall in feinster Zertheilung durch die Gewebstheile hindurchdringt. In dem regelmässigen Gange sind es so ausserordentlich zarte Partikeln, dass, wenn man frischen, noch warmen Chylus untersucht, man fast nichts von körperlichen Theilen darin erkennen kann[199]. Allein jede Störung, welche in dem Resorptionsgeschäfte stattfindet und längere Zeit hindurch das Fortrücken hindert, bedingt ein Zusammenfliessen der Fettpartikeln; innerhalb der Gewebe, in welchen die Fett-Retention erfolgt, scheiden sich alsdann immer grössere Fettkörner ab, und diese fliessen endlich zu ganz grossen Tropfen zusammen. Solche finden wir sowohl in den Epithelialzellen, als auch innerhalb des Zottengewebes, namentlich in dem centralen Chylusgefässe, und es kommt vor, dass das Ende des letzteren sich erweitert, kolbig ausgedehnt wird, und dass die Anhäufung von Fett darin so beträchtlich wird,[413] dass man sie schon mit blossem Auge erkennt[200]. Lieberkühn hielt diesen Zustand für den Ausdruck eines normalen Verhältnisses, und nannte die Ausweitungen Ampullen. Ich habe gezeigt, dass dieselben eine rein pathologische Bedeutung haben, und dass auch die von E. H. Weber bemerkte Scheidung in einen dunklen und hellen Theil (Fig. 116, D) nur auf einer Trennung des Fetttropfens in eine feste Rinde und einen flüssigen und nach Berstung der Rinde austretenden Inhalt beruht. Nirgends sieht man diese Zustände auffälliger und häufiger, wie in der Cholera, wo schon 1837 durch Böhm gute Schilderungen davon geliefert worden sind. Sie bedeuten im Allgemeinen die Hemmung des Lymphstromes durch die Respirations- und Circulationsstörungen. Da bekanntlich die Cholera-Anfälle überwiegend häufig in der Digestionsperiode eintreten und mit grossen Hemmungen des Respirationsgeschäftes verlaufen, welche sich durch den ganzen Venenapparat geltend machen, so müssen sie natürlich auch auf den Chylusstrom zurückwirken. So erklärt sich die colossale Anstauung (Retention) von Fett in den Zotten. Dies ist also, wenn man will, schon ein pathologischer Zustand, aber derselbe beruht nur auf einer vorübergehenden Hemmung und wir haben allen Grund anzunehmen, dass, wenn der Chylusstrom wieder frei wird, auch diese grösseren Fetttropfen allmählich wieder beseitigt werden. Damit kommen wir auf andere Gebiete, wo die Grenze zwischen Physiologie und Pathologie sich sehr schwer ziehen lässt. Ein solcher Fall findet sich namentlich an der Leber.
Seit alter Zeit weiss man, dass die Leber dasjenige Organ ist, welches überwiegend leicht in einen Zustand sogenannter fettiger Degeneration geräth, und schon lange hat man gerade die Kenntniss dieses Zustandes auf dem Wege populärer Experimentation verwerthet. Die Geschichte der Gänseleberpasteten beweist dies in der angenehmsten Weise. Obgleich Lereboullet in Strassburg behauptete, dass die Fettlebern der gemästeten Gänse physiologische seien, die sich von den pathologischen, welche man nicht isst, sondern nur beobachtet, wesentlich unterschieden, so muss ich doch bekennen, dass ich bis jetzt ausser Stande gewesen bin, einen Unterschied zwischen physiologischen und pathologischen Fettlebern zu entdecken; ich meine vielmehr, dass gerade, indem[414] man die Identität beider zulässt, der einzig richtige Gesichtspunkt auch für die pathologische Fettleber gewonnen wird. Wir kennen nehmlich eine Thatsache, welche gleichfalls zuerst von Kölliker beobachtet worden ist, dass nehmlich bei saugenden Thieren regelmässig einige Stunden nach der Digestion eine Art von Fettleber physiologisch vorkommt. Wenn man von demselben Wurfe von Thieren die einen hungern, die andern saugen lässt, so haben diejenigen, welche gesogen haben, ein Paar Stunden nachher eine Fettleber, die anderen nicht. Diese erscheint ganz blass, wenn auch nicht so weiss, wie eine Gänseleber.
Diese Erfahrung hat mir Gelegenheit gegeben, die Frage von der Beziehung des Fettes zur Leber etwas weiter zu verfolgen, und ich glaube danach allerdings mit Bestimmtheit schliessen zu können, dass ein naher Zusammenhang der physiologischen und pathologischen Formen besteht. Ich fand nehmlich[201], dass einige Zeit nach der Digestion, und zwar etwas später, als die Leberzellen die Fettfüllung zeigen, man einen ähnlichen Zustand im Laufe der Gallenwege findet, und dass sowohl in den Gallengängen, als in der Gallenblase das Epithel dieselben Erscheinungen der Fett-Resorption wahrnehmen lässt, die wir vom Darmepithel kennen. Man braucht, um sich eine Vorstellung davon zu machen, das Bild von vorher (Fig. 116) nur umzukehren: anstatt einer Zotte, an welche das Epithel aussen angelagert ist, denke man sich einen Kanal, welcher innen mit Epithel ausgekleidet ist. Das feine Cylinderepithel in der Gallenblase hat denselben streifigen Saum, wie das im Darm (Fig. 15), und man sieht daran in derselben Weise, dass das Fett von aussen eindringt, gegen die Tiefe weitergeht und nach einiger Zeit in die Wand der Gallenwege übergeht. Ich habe diesen Vorgang bei jungen saugenden Thieren nach der Digestion verfolgt; man kann sich da leicht überzeugen, dass offenbar das Fett, welches eine Zeit lang in den Leberzellen enthalten ist, von ihnen in die Gallenwege secernirt, hier aber allmählich wieder resorbirt wird und so zum zweiten Male in die Circulation zurückkehrt.
Ein solcher intermediärer Stoffwechsel, wo das Fett vom Darme in das Blut, vom Blute in die Leber, von der Leber in die Galle und von da wieder in Lymph- und Blutgefässe gelangt,[415] welche zum rechten Herzen zurückführen, setzt natürlich auch, wie die Resorption im Darme, für die Rückfuhr günstige Verhältnisse voraus; tritt irgend eine Störung ein, so wird es eben auch hier eine Retention geben und es werden nach und nach an die Stelle der feinen Körner innerhalb der Zellen grosse Tropfen treten. Das ist aber der Hergang, wie wir ihn in der Fettleber wirklich antreffen.
Fig. 117. Die aneinander stossenden Hälften zweier Leber-Acini. p Ein Ast der Pfortader (von Bindegewebe umgeben), mit Aesten p' p″, den Venae interlobulares entsprechend. h, h Querschnitt der Vena intralobularis s. hepatica. a die Zone des Pigmentes, b die des Amyloids, c die des Fettes. Vergr. 20.
In der Regel bemerkt man, wenn man eine Fettleber studirt, dass das Fett hauptsächlich in derjenigen Zone der Acini abgelagert ist, welche zunächst an die capillare Auflösung der Pfortaderäste anstösst (Fig. 117, c, c). Wenn man Durchschnitte des Organes mit blossem Auge sorgfältig betrachtet, so bemerkt man an vielen Stellen Zeichnungen, wie wenn man ein Eichenblatt mit seinen Rippen und Buchten vor sich hätte; hier entspricht die Verbreitung der Pfortaderäste den Rippen, die Fettzone der Substanz des Blattes. Je stärker die Infiltration wird, um so breiter wird die Fettzone. Es gibt Fälle, wo das Fett die ganzen Acini bis zur centralen (intralobulären) Leber-Vene (Fig. 117, h) hin erfüllt, und wo jede einzelne Zelle mit Fett vollgestopft ist. In seltenen Fällen kommt es freilich vor, dass wir gerade das Umgekehrte finden, dass das Fett nehmlich in den Leberzellen um die Vena centralis liegt; wahrscheinlich sind diese Fälle so zu deuten, dass das Fett schon in der Ausscheidung begriffen ist und nur die letzten Zellen noch etwas davon zurückhalten. Jedoch muss man sich hüten, eine Art von fettiger, nekrobiotischer Atrophie, wie sie namentlich bei chronischer Cyanose (Muskatnussleber) vorkommt, damit zu verwechseln.
Betrachten wir nun den Vorgang bei der Bildung der Fettleber im Einzelnen, so zeigt sich, dass die Art, wie die Leberzellen sich füllen, genau derjenigen entspricht, wie sich die Epithelzellen im Darme mit Fett erfüllen. Zuerst finden wir in ihnen zerstreut ganz kleine Fettkörnchen. Diese werden reichlicher,[416] dichter und nach einiger Zeit grösser; zugleich werden die Zellen grösser, schwellen an und zeigen grössere und kleinere Tropfen von Fett (Fig. 29, B, b). Im höchsten Grade der Anfüllung bieten sie denselben Habitus dar, wie die Zellen des Fettgewebes: man sieht fast gar keine Membran und fast nie einen Kern, doch sind beide immer noch vorhanden. Das ist der Zustand, welchen man Fettleber im eigentlichen Sinne des Wortes nennt.
Auch hier haben wir, wie bei dem Fettgewebe, die Persistenz der Zellen. Es ist irrig, zu meinen, dass in der gewöhnlichen Fettleber die Zellen zu existiren aufhörten. Immer sind die Elemente des Organes vorhanden, nur statt mit gewöhnlicher Inhaltssubstanz, fast ganz mit Fetttropfen erfüllt. Auch kann es kaum zweifelhaft sein, dass sie in diesem Zustande immer noch eine gewisse Masse functionsfähiger Substanz enthalten. Denn bei manchen Thieren, z. B. den Fischen, von denen man den Leberthran gewinnt, geht die Function des Organs vor sich, wenn auch noch so viel Thran in den Zellen enthalten ist[202]. Auch beim Menschen findet man, selbst in dem höchsten Grade der Fettleber, in der Gallenblase noch Galle. Insofern kann man diese Zustände in Nichts vergleichen mit den nekrobiotischen Zuständen, wie sie im Laufe der fettigen Degeneration (Metamorphose) an so vielen Theilen erscheinen, wo die Elemente zu Grunde gehen. Bei einer fettigen Degeneration im strengeren Sinne des Wortes treffen wir nachher irgendwo mürbe, erweichte Stellen, wo Fett in freien Tropfen vorkommt, gewissermaassen fettige Abscesse. Davon ist hier nichts zu sehen. Es ist daher äusserst wichtig, und ich halte es für die Auffassung dieser Form in hohem Maasse entscheidend, dass in der Fettleber immer eine Persistenz der histologischen Bestandtheile statthat, und dass, wenn ihre Zellen auch noch so sehr mit Fett erfüllt sind, sie doch immer noch als Elemente existiren. Daraus folgt, dass eine Fettleber heilbar ist, ohne dass es dazu besonderer Regenerationsprozesse bedarf. Es gehört dazu nur, dass die Bedingungen der Retention beseitigt und die Leberzellen wieder frei von Fett werden. Freilich wissen wir weder das Eine, noch das Andere mit Sicherheit. Wir kennen die Zustände nicht, welche das Fett festhalten, noch die Bedingungen, unter welchen es wieder ausgetrieben[417] werden kann. Indess, nachdem man einmal so weit in der Erkenntniss des Mechanismus der Fettfüllung ist, so wird es auch wahrscheinlich möglich sein, die weiteren Thatsachen zu finden. Es wäre denkbar, dass einfach die Elasticität der Gewebselemente von Bedeutung wäre, in der Art, dass wenn die Zellmembranen erschlaffen, sie mit Leichtigkeit mehr Inhalt einlassen und in sich dulden, während bei einer grossen Elasticität der Membranen (Tonus) eher ein Entfernen, ein Auspressen des Inhaltes erfolgen könnte. Auch ist gewiss der Zustand der Circulation von Bedeutung: die verhältnissmässige Häufigkeit der Fettleber bei chronischen Lungen- und Herzaffectionen ist gewiss nicht wenig dem vergrösserten Drucke zuzuschreiben, unter dem das Venenblut steht.
Doch das sind für unsere jetzige Betrachtung Nebenfragen; worauf es mir hauptsächlich ankam, das ist, den grossen Unterschied zu zeigen zwischen dieser Art von fettiger Degeneration und derjenigen, welche wir vorher bei den Muskeln erörtert haben. Während wir dort zwischen den eigentlichen, specifischen Organbestandtheilen Fettzellen entstehen sahen, welche dem Bindegewebe angehören, so sind es hier die specifischen Drüsenzellen selbst, welche der Sitz des Fettes sind. Auf der anderen Seite liegt der nicht minder grosse Unterschied von den nekrobiotischen Prozessen der fettigen Degeneration, wobei die Elemente als solche verschwinden, auf der Hand. —
Wenden wir uns nun zu der dritten Reihe von fettigen Zuständen, nehmlich zu der mit Auflösung der Elemente zusammenfallenden nekrobiotischen, so finden wir für sie, wie schon erwähnt, in der Secretion der Milch und des Hauttalges die physiologischen Paradigmen. Dass diese beiden Secrete sich einander analog verhalten, erklärt sich einfach daraus, dass die Milchdrüse eigentlich nichts weiter ist, als eine colossal entwickelte und eigenthümlich gestaltete Anhäufung von Hautdrüsen (Schmeer- oder Talgdrüsen). Der Entwickelung nach stehen sich beide Reihen vollständig gleich. Beide gehen durch eine progressive Wucherung aus den äusseren Epidermisschichten hervor (S. 37. Fig. 19, A). Ebendahin gehören auch die Ohrenschmalzdrüsen und die grossen Achseldrüsen. In allen diesen Fällen entsteht das Fett, welches den Hauptbestandtheil der Milch, wenigstens für die äussere Erscheinung, darstellt, sowie dasjenige, welches den Schmeer liefert,[418] zuerst im Innern von Epithelzellen, welche allmählich zu Grunde gehen und das Fett frei werden lassen, während von ihnen selbst kaum etwas erhalten bleibt.
Fig. 118. Haarbalg mit Talgdrüsen von der äusseren Haut. c das Haar, b die Haarzwiebel, e, e die von der Epidermis sich in den Haarbalg einsenkenden Zellenschichten. g, g Talgdrüsen im Act der Schmeerabsonderung: das Secret bei f neben dem Haar heraufsteigend und sich ansammelnd. Vergr. 280.
Die Talgdrüsen liegen im Allgemeinen seitlich an den Haarbälgen in einiger Tiefe unter der Oberfläche; sie bestehen aus einer gewissen Zahl von kleinen Läppchen, in welche eine Epithellage als Fortsetzung des Rete Malpighii continuirlich hineingeht. Die Zellen dieser Epithellage sind jedoch grösser, als die des Rete, so dass sie eine fast solide Erfüllung der Drüsensäcke bilden. In dem Innern der ältesten (am meisten nach innen gelegenen) Zellen scheidet sich das Fett zuerst in kleinen Körnchen aus, diese werden bald grösser, und nach kurzer Zeit sieht man schon nicht mehr deutlich die einzelnen Zellen, sondern nur Zusammenhäufungen grosser Tropfen, welche aus der Drüse in den Haarbalg hervortreten und endlich das an die Hautoberfläche[419] hervortretende Secret liefern (Fig. 118). Denken wir uns die Drüse in eine Fläche ausgebreitet, so würde sich ihr Zellenlager darstellen, wie Rete Malpighii und Epidermis, nur dass die ältesten, der Epidermis vergleichbaren Zellen nicht verhornen, sondern durch fettige Metamorphose zu Grunde gehen. Die jüngeren, dem Rete entsprechenden Zellen vermehren sich inzwischen durch immer neue Wucherung. Die Secretion ist also eine rein epitheliale, wie die Samen-Secretion (S. 39).
Fig. 119. Milchdrüse in der Lactation und Milch. A Drüsenläppchen der Milchdrüse mit der hervorquellenden Milch. B Milchkügelchen. C Colostrum, a deutliche Fettkörnchenzelle, b dieselbe mit verschwindendem Kern. Vergr. 280.
Dieser Hergang liefert uns zugleich ein genaues Schema für die Milchbildung[203]. Man braucht sich nur die Gänge mehr verlängert, die End-Acini mehr entwickelt zu denken; der Prozess bleibt im Wesentlichen derselbe: die Zellen vermehren sich durch Wucherung, die gewucherten Zellen gehen die fettige Metamorphose ein, zerfallen endlich und zuletzt bleibt fast nichts Körperliches von ihnen übrig, als Fetttropfen. Am meisten stimmt mit der gewöhnlichen Art der Schmeersecretion die früheste Zeit der Lactation überein, welche das sogenannte Colostrum liefert. Das Colostrumkörperchen (Fig. 119, C) ist die noch zusammenhaltende Kugel[204], welche aus der fettigen Degeneration einer Epithelialzelle hervorgeht. Die Colostrum- und die Schmeerbildung unterscheiden sich nur dadurch, dass die Fettkörner bei der ersteren kleiner bleiben. Während beim Schmeer sehr bald grosse Tropfen auftreten, enthalten beim Colostrum die letzten Zellen, welche noch bemerkt werden, gewöhnlich nur feine Fettkörnchen, ganz dicht gedrängt. Hierdurch bekommt das ganze Element ein etwas bräunliches Aussehen,[420] obwohl das Fett selbst nur wenig gefärbt ist. Das ist das körnige Körperchen (Corps granuleux) von Donné, die Fettkörnchenkugel.
Die Entdeckung der allmählichen Umbildung von Zellen zu Fettkörnchenkugeln haben wir Benno Reinhardt zu verdanken. Allein er scheute sich noch, die wichtige Erfahrung von der Colostrumbildung auf die Geschichte der Milch überhaupt auszudehnen, weil in der späteren Zeit der eigentlichen Lactation granulirte Körperchen nicht mehr vorkommen. Es ist aber unzweifelhaft, dass zwischen der früheren Bildung der Colostrumkörper und der späteren Milchbildung kein anderer Unterschied besteht, als der, dass bei der Colostrumbildung der Prozess langsamer erfolgt und die Zellen länger zusammenhalten, während bei der Milchsecretion der Prozess acut ist und die Zellen eher zu Grunde gehen. Recht vollkommenes Colostrum enthält eine überaus grosse Masse von granulirten Körpern, die Milch dagegen nichts weiter, als verhältnissmässig grosse und kleine, durcheinander gemengte Tröpfchen von Fett, die sogenannten Milchkörperchen (Fig. 119, B). Letztere sind nichts als Fetttropfen, die, wie die meisten Fetttropfen, welche in dem thierischen Körper vorkommen, von einer feinen Eiweisshaut, der von Ascherson benannten Haptogenmembran, umschlossen sind. Die einzelnen Tropfen (Milchkörperchen) entsprechen den Tropfen, welche wir bei der Schmeerabsonderung antreffen; sie entstehen aus der Confluenz der feinen Körnchen, welche bei der Colostrumabsonderung durch eine caseinöse Zwischenmasse getrennt erscheinen.
Nachdem wir die physiologischen Typen der Fettmetamorphose besprochen haben, so hat die Darstellung der pathologischen Vorgänge keine Schwierigkeit mehr. Mit Ausnahme ganz weniger Gebilde, wie der rothen Blutkörperchen, der Ganglienzellen und Nervenfasern in den Central-Organen[205], können fast alle übrigen zelligen Theile unter gewissen Verhältnissen eine ähnliche Umwandlung erfahren. Diese stellt sich genau in derselben Weise dar: in dem Zelleninhalte erscheinen einzelne feinste Fettkörnchen, werden reichlicher und erfüllen allmählich den Zellenraum, ohne jedoch zu so grossen Tropfen zusammenzufliessen, wie dies bei der Fettinfiltration und der Fettgewebsbildung der Fall ist. Gewöhnlich tritt die Entwickelung von Fettkörnchen zuerst in einiger[421] Entfernung vom Kerne auf; sehr selten beginnt sie vom Kerne aus. Das ist die Zelle, welche man seit längerer Zeit Körnchenzelle genannt hat. Dann kommt ein Stadium, wo allerdings noch Kern und Membran zu sehen sind, wo aber die Fettkörnchen so dicht angehäuft sind, wie bei den Colostrumkörperchen; nur an der Stelle, wo der Kern lag, findet sich noch eine kleine Lücke (Fig. 75, b). Von diesem Stadium ist nur noch ein kleiner Schritt bis zum vollkommenen Untergange der Zelle. Denn in dem Zustande der Körnchenzelle erhält sich eine Zelle niemals längere Zeit; wenn sie einmal in dieses Stadium eingetreten ist, so verschwinden gewöhnlich alsbald der Kern und die Membran, soweit ersichtlich, durch Auflösung oder Erweichung. Dann haben wir die einfache Körnchenkugel, oder wie man früher nach Gluge zu sagen pflegte, die Entzündungskugel (Fig. 75, c).
Gluge verfiel bei dieser Gelegenheit in einen der Irrthümer, wie sie die Anfangsperiode der Mikrographie mehrfach gebracht hat. Er sah solche Kugeln zuerst bei Untersuchung einer Niere im Innern eines Kanals, den er für ein Blutgefäss hielt. Damals, wo die Lehre von der Stase die Grundlage der Entzündungstheorie bildete, schien es ihm unzweifelhaft, dass er ein Gefäss mit stagnirendem Inhalt vor sich habe, in welchem der Inhalt (das Blut) zerfallen sei und die Entzündungskugeln erzeugt habe. Leider war, wie wir jetzt bestimmt behaupten können, das Gefäss ein Harnkanälchen, das, was er für Theile zerfallender Blutkörperchen ansah, Fett, das, was er Entzündungskugeln nannte, fettig degenerirtes Nierenepithel. Man hätte sich diesen Irrweg leicht ersparen können, allein es gab damals wenige Leute, welche wussten, wie Harnkanälchen aussehen, und wie sie sich von Gefässen unterscheiden, und so hat es etwas lange gedauert, ehe jene Entzündungstheorie überwunden worden ist.
Gegenwärtig nennen wir das Ding eine Körnchenkugel und betrachten es als das Product der vollendeten Degeneration, wo die Zelle nicht mehr als Zelle erhalten ist, sondern wo bloss noch die rohe Form übrig ist, nach vollständigem Verlust der die eigentliche Zelle constituirenden Theile, der Membran und des Kernes. Von diesem Zeitpunkte an tritt je nach den äusseren Verhältnissen entweder ein vollständiger Zerfall ein, oder die Theile können sich noch im Zusammenhange erhalten. In weichen Theilen, in denen von Anfang an viel Flüssigkeit (Saft) vorhanden ist,[422] fallen die Körnchen bald aus einander. Der Zusammenhang, in dem sie sich ursprünglich befanden und Kugeln bildeten, welche durch einen Rest des alten Zelleninhaltes zusammenklebten, löst sich allmählich; die Kugel zerfällt in eine bröcklige Masse, welche oft noch an einzelnen Stellen etwas zusammenhält, aus welcher sich aber ein Fetttropfen nach dem andern ablöst. Der pathologische Detritus zeigt daher eine grosse Uebereinstimmung mit der Milch.
Sehr schön sieht man diese Vorgänge am Lungenepithel[206] in den späteren Stadien catarrhalischer Pneumonie, wo zuweilen die Fettmetamorphose so reichlich ist, dass man die Lungen von weisslichen Punkten oder Figuren, einer Art von fettigem Reticulum, durchsetzt findet. Diese Stellen bieten eine besonders günstige Gelegenheit dar, den Unterschied der Fettkörnchenzellen (Fig. 75) von anderen Formen der Körnchenzellen kennen zu lernen. Gerade unter den Zellen, welche die Alveolen solcher Lungen erfüllen, findet man sehr oft Pigmentzellen; auch werden letztere bei solchen Leuten durch den Auswurf zuweilen in so grosser Menge zu Tage gefördert, dass derselbe dadurch die bekannten rauchgrauen Flecke bekommt (Fig. 8, b). Auf den ersten Blick ist es ziemlich schwierig, einen Unterschied zwischen Fettkörnchen- und Pigment-Zellen zu machen. In beiden Fällen liegt scheinbar dasselbe Bild vor. Man sieht runde, mit kleinen dunklen Körnchen gefüllte und auch im Ganzen dunkel (schwärzlich) erscheinende Kugeln. Denn auch bei feinkörniger Fettmetamorphose erscheinen die veränderten Zellen im durchfallenden Lichte als gelbbraune oder schwärzliche Körperchen, aber ihre einzelnen Theilchen besitzen keine positive Farbe und das farbige Aussehen ist nur ein Interferenzphänomen. Die Pigmentkörnchenzellen dagegen enthalten unzweifelhaften braunen, grauen oder schwarzen Farbstoff, der an den einzelnen Körnern haftet.
Die Unterscheidung der gewöhnlichen Körnchenzellen, womit man nach dem angenommenen Sprachgebrauche die Fettkörnchenzellen meint, ist aber sehr wesentlich, da wir auch an anderen Punkten, z. B. am Gehirn, beide Arten von Körnchenzellen, Fett haltende und Pigment haltende, nebeneinander finden, und, wenn[423] es sich um die Veränderung kleinerer Stellen handelt, es für die Deutung des Fundes entscheidend ist, zu wissen, ob es sich um Fett oder um Pigment handelt. Auch am Gehirn kann die Anhäufung vieler kleiner Fetttheilchen durch die Vervielfältigung der lichtbrechenden Punkte für das blosse Auge eine intensiv gelbe Farbe bedingen, und so eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Aussehen apoplektischer Stellen erzeugen, bei denen die Farbe von verändertem Blutpigment abhängt (S. 177). Der verschiedene Gehalt an Fett und der Grad der Zertheilung desselben erzeugt eine überaus grosse Reihe von Farben-Verschiedenheiten, welche sich auch für die gröbere Anschauung sehr deutlich zu erkennen geben. Je feiner und dichter gelagert die fettigen Theile sind, um so mehr entsteht auch für das blosse Auge ein rein gelbes oder bräunlich-gelbes Aussehen. Was wir gelbe Hirnerweichung nennen, ist nichts weiter, als eine Form der Fettmetamorphose, wo das gelbe Aussehen der Heerde durch die Anhäufung feinkörnigen Fettes bedingt ist[207]. Sobald dieses entfernt wird, so verschwindet auch die Farbe, obgleich das extrahirte Fett gar nicht so gefärbt ist, wie die Stelle, von welcher es herstammt. Die Lichtbrechung zwischen den kleinsten Partikeln ist die Hauptbedingung für dieses Farbenphänomen.
Besonders ausgezeichnet ist diese Färbung an dem Corpus luteum des Eierstocks[208]. Ich führe letzteres hauptsächlich deshalb an, weil man daran ersehen kann, wie grobe Resultate die Fettmetamorphose für die grobe Anschauung darbieten kann. Macht man einen Schnitt in das Ovarium senkrecht von der Oberfläche hinein an der Stelle, wo eine kleine Prominenz und eine kleine Lücke der Albuginea den Ort bezeichnen, wo der Follikel geborsten und das Ovulum ausgetreten ist (Fig. 120, B), so sieht man, wenn das Corpus luteum frisch ist, um einen rothen Klumpen die sehr breite, gelbweisse Schicht (Fig. 120, A, a), von welcher der Körper seinen Namen hat. Bei einem puerperalen Corpus luteum hat diese Schicht eine sehr grosse Dicke und eine mehr gelbröthliche Farbe; bei dem menstrualen ist sie schmäler und nach innen sehr scharf abgesetzt gegen den frisch extravasirten Inhalt, welcher das durch den Austritt des Eichens entleerte Bläschen gefüllt[424] hat. Diese innere rothe Masse ist ganz und gar Thrombus, Blutgerinnsel. Die äussere Schicht dagegen besteht wesentlich aus fettig degenerirten Zellen, und die gelbe Farbe, welche sie besitzt, ist bedingt durch die Brechung des Lichtes, welche die vielen kleinen Partikelchen des Fettes hervorbringen. Auch dies ist kein eigentliches Pigment, sondern eine Interferenzfarbe.
Fig. 120. Bildung des Corpus luteum im menschlichen Eierstock. A Durchschnitt des Eierstockes: a frisch geplatzter und mit geronnenem Blut (Extravasat, Thrombus) gefüllter Follikel, an dessen Umfange die dünne gelbe Schicht liegt; b ein schon gefalteter, mit verkleinertem Thrombus und verdickter Wand versehener, früher geborstener Follikel; c, d noch weiter vorgerückte Rückbildung. B Aeussere Oberfläche des Eierstockes mit der frischen Rupturstelle des Follikels, aus dessen Höhle der Thrombus hervorsieht. Natürliche Grösse.
Es versteht sich von selbst, dass an jedem Punkte, wo die fettige Degeneration einen hohen Grad erreicht, zugleich eine grosse Opacität sich einstellt. Durchsichtige Theile werden ganz undurchsichtig, wenn sie fettig entarten; das sieht man am besten an der Hornhaut, deren fettige Trübung im Arcus senilis (Gerontoxon) so stark werden kann, dass eine ganz undurchsichtige Zone entsteht[209]. Selbst an solchen Organen, wo die Theile von vornherein nicht durchsichtig, sondern nur durchscheinend waren, tritt in dem Maasse, als der Prozess der fettigen Degeneration vorrückt, eine vollkommene Trübung ein.
Betrachtet man eine Niere im Stadium der fettigen Degeneration, z. B. im Beginne der Atrophie, welche im Laufe eines der unter dem Namen des Morbus Brightii zusammengefassten Prozesse eintritt, so findet man die gewundenen Harnkanälchen der Rinde sehr vergrössert und ihr Epithel insgesammt fettig degenerirt,[425] so dass man innerhalb der Kanälchen oft gar nichts weiter erkennt, als eine dicht gedrängte Masse von Fettkörnern. Wenn man jedoch sehr vorsichtig mikroskopische Schnitte anfertigt, so sieht man im Anfange die Fettkörnchen noch in einzelnen Gruppen (als Körnchenzellen oder Körnchenkugeln, Fig. 107); unter geringem Drucke zerstreut sich aber die Masse so, dass das ganze Harnkanälchcn mit einem fein emulsiven Inhalte gleichmässig erfüllt wird. Schon vom blossen Auge vermag man ganz bestimmt die Veränderung zu erkennen; wenn man einmal gewöhnt ist, solche feineren Zustände genauer zu sondern, so hat es gar keine Schwierigkeit, einer Niere anzusehen, ob eine Veränderung ihres Epithels und zwar in dieser bestimmten Art vorhanden ist. Denn es giebt gar keine Form der Veränderung, welche damit verglichen werden könnte. Betrachtet man die Oberfläche der Niere, so wird man wahrnehmen, dass in dem mehr grau durchscheinenden Grundgewebe, aus welchem die Stellulae Verheyeni (die corticalen Venen) hervortreten, kleine trübe gelbliche Flecke in der verschiedensten Weise zerstreut sind, meist nicht als eigentliche Punkte, sondern mehr als kurze Bogenabschnitte. Das sind immer Theile von Harnkanälchenwindungen, welche an die Oberfläche treten. Diese gelblichen, opak erscheinenden Windungen entsprechen fettig degenerirten Harnkanälchen, oder genauer gesagt, mit fettig degenerirtem Epithel erfüllten Harnkanälchen. Vergleicht man den Durchschnitt mit der Oberfläche, so sieht man auch an ihm sehr bestimmt, wie durch die ganze Rinde dieselbe Zeichnung in der Richtung von der Peripherie bis zur Marksubstanz fortgeht und in ziemlich regelmässigen Abständen von einander die einzelnen Kegel der Rindensubstanz umsäumt. Unter dem Mikroskope unterscheidet man in Schnitten, aus der Nähe der Oberfläche und parallel mit derselben genommen, sehr leicht die fettig degenerirten Kanäle von den mehr normalen Kanälen und von den oft unversehrten Glomerulis. Bei schwächerer Vergrösserung und bei durchfallendem Lichte erscheinen die Malpighischen Knäuel (Glomeruli) als grosse, helle, kuglige Gebilde, während die degenerirten gewundenen Harnkanälchen, welche sich mannichfaltig verschlingen, sich durch ihr trübes, schattiges Aussehen sowohl vor ihnen, als vor den gestreckten, mehr hellen und durchscheinenden Kanälchen auszeichnen.
Zugleich ist an einem solchen Objecte sehr schön zu sehen, was übrigens an allen fettig degenerirten Theilen vorkommt, dass[426] an allen Stellen, wo wir bei auffallendem Lichte und bei der gewöhnlichen Betrachtung mit blossem Auge weissliche, gelbliche, oder bräunliche Theile sehen, bei durchfallendem Lichte, wie wir es meistens bei den Mikroskopen und besonders bei stärkerer Vergrösserung anwenden, entweder schwarze oder schwarz-bräunliche, oder wenigstens sehr dunkle, von scharfen Schatten umgebene Theile erscheinen. Eine Körnchenkugel, die, wenn sie mit mehreren anderen zusammenliegt, für das blosse Auge eine weisse Trübung bedingt, wird bei durchfallendem Lichte ein fast schwarzes oder doch bräunliches Aussehen darbieten. —
Das ist der gewöhnliche Modus, in welchem der Zerfall fast aller der Theile stattfindet, welche wesentlich aus Zellen bestehen und welche von Natur viel Flüssigkeit enthalten, z. B. unter den bekannten pathologischen Producten der Eiter (S. 221, Fig. 75). Es entstehen zuerst Körnchenkugeln, sodann durch deren Erweichung ein milchiger Detritus, der resorptionsfähig ist. Sind die Theile mehr trocken und starr, so dass eine Resorption der Fettmasse weniger leicht vor sich gehen kann, so bleibt das Fett zuweilen lange in der Form des früheren Elementes liegen.
So verhält es sich bei der Fettmetamorphose der Muskeln. Betrachtet man ein von derselben betroffenes Herz, so bemerkt man schon vom blossen Auge gewisse Veränderungen, nehmlich eine Erschlaffung und Verfärbung der Substanz. Letztere verliert die rothe Fleischfarbe und wird mehr und mehr blassgelb. Diese Verfärbung erstreckt sich manchmal über das gesammte Myocardium. Andermal ist sie jedoch mehr partiell. Sie betrifft z. B. überwiegend den linken Ventrikel und hier vielleicht besonders die inneren Lagen. Oder sie findet sich, wie bei maligner Pericarditis[210], in diffuser Verbreitung in den peripherischen Muskelschichten. Sehr häufig erkennt man, namentlich an den Papillarmuskeln, kurze, gelbliche, fast geflechtartig aneinander stossende, die Richtung der Muskelbündel kreuzende Flecke oder Striche, die gegen die röthliche Farbe des eigentlichen Muskelfleisches stark abstechen.
Untersucht man die verfärbten Theile mikroskopisch, so zeigen sich im Innern der Primitivbündel zuerst ganz vereinzelt feine, schwärzlich aussehende Punkte; diese vermehren und vergrössern[427] sich. Bei einer gewissen Menge sieht man sie sehr deutlich in Reihen geordnet (Fig. 121), jede Reihe perlschnurförmig. Diese Reihen entstehen dadurch, dass die Fettkörnchen sich zwischen die Primitivfibrillen einlagern, welche noch lange neben ihnen fortexistiren. Erst in den höheren Graden der Veränderung verschwinden die Primitivfibrillen durch Erweichung.
Das ist die eigentliche Fettmetamorphose der Muskelsubstanz des Herzens, die sich ganz wesentlich von der Obesität (Polysarcie) des Herzens unterscheidet, wo dasselbe mit epicardialem und interstitiellem Fettgewebe überladen wird und letzteres an einzelnen Stellen die Wand so durchsetzt, dass man kaum noch Muskelmasse wahrnimmt. Zwischen beiden Zuständen besteht der erhebliche Unterschied, dass bei der Fettmetamorphose die Züge von wirksamer Substanz (Muskelfasern) durch Stellen unterbrochen werden, welche für die Action nicht mehr brauchbar sind, während bei der Obesität die träge Masse des Fettes sich zwischen die wirksamen Bestandtheile einschiebt und sie, wenigstens zunächst, nur mechanisch hindert. Bei längerer Dauer dieses Zustandes kommt es freilich nicht selten vor, dass sich zugleich Fettmetamorphose des Herzfleisches entwickelt, dass also beide Zustände, der parenchymatöse und der interstitielle, sich mit einander combiniren. Diese höheren Grade sind es besonders, welche man, ohne auf das Einzelne Rücksicht zu nehmen, in früherer Zeit unter dem Namen der fettigen Degeneration zusammenfasste.
Aehnlich gestaltet sich das Verhältniss bei Verkrümmungen. Ich wähle ein bestimmtes Beispiel: die Muskelverhältnisse eines Mannes mit Kypho-Skoliose. Hier fand sich der Longissimus dorsi an der Stelle, wo er über die Biegung hinweglief, in eine platte, dünne, blassgelbliche Masse umgewandelt. An einer Stelle war er bis auf eine membranöse Lage geschwunden und das rothe Aussehen fehlte ganz und gar; nach unten hin dagegen war der Muskel vielmehr aus abwechselnden rothen und gelben Längsstreifen[428] zusammengesetzt. Letzteres Aussehen zeigen die meisten fettig degenerirten Muskeln, welche sich bei Verkrümmungen der Glieder, z. B. bei Klumpbildungen an den unteren Extremitäten, finden. Hier ergibt sich in der Regel, dass, entsprechend den gelben Streifen, nicht so sehr eine wirkliche Umänderung der Muskelsubstanz besteht, sondern dass vielmehr eine interstitielle Entwickelung von Fettgewebe eintritt. Dieses liegt in Reihen zwischen den Primitivbündeln; dadurch wird eine für das blosse Auge gelbliche Färbung erzeugt, welche der rothen Streifung des eigentlichen Muskelfleisches sehr ähnlich ist. Es verhält sich dabei genau so, wie in dem früheren Falle (S. 407, Fig. 115), wo wir zwischen je zwei Primitivbündeln eine Reihe von Fettzellen trafen; das Gelbe, was man dort sehen konnte, war nicht veränderte Muskelsubstanz, sondern das Fett, welches zwischen der Muskelsubstanz gewachsen war. Bei unserem Skoliotischen besteht aber neben der interstitiellen Fettgewebsbildung eine parenchymatöse Degeneration der eigentlichen Substanz: auch das Muskelfleisch selbst ist fettig entartet. Diese Combination ist jedoch nur an den unteren Theilen des Muskels zu sehen, während der Abschnitt, welcher unmittelbar an der stärksten Ausbiegung des Brustkorbes lag und die grösste Spannung erduldet hatte, vom blossen Auge gar kein Muskelfleisch mehr erkennen lässt. Mikroskopisch findet man hier dicht neben einzelnen Muskelfasern, welche noch deutlich quergestreift sind, zahlreiche andere, welche stark mit Fett durchsetzt sind.
Die partielle Fettmetamorphose des Muskelfleisches erscheint also unter zwei Formen, der fleckigen und der streifigen: in der ersten Form wird der Muskel in seinem Verlaufe durch degenerirte Stellen unterbrochen, so dass dasselbe Bündel theils degenerirt, theils sich in seiner Integrität erhält; in der anderen Form dagegen folgt die Veränderung den Bündeln, welche in ihrer ganzen Ausdehnung die Veränderung eingehen. Hier können demnach normale und degenerirte Bündel neben einander liegen, miteinander abwechseln. Dieser partiellen Fettmetamorphose steht die allgemeine gegenüber, welche sich gerade am Herzen nicht selten vorfindet, und welche einen der schwersten Krankheitszustände begründet. Gerade hier ist unsere Kenntniss im Laufe der letzten Jahre sehr vorgerückt, indem nicht nur die acuten Fettmetamorphosen nach manchen Vergiftungen, z. B. Phosphor, sondern[429] auch die sehr ähnlichen Formen nach Infectionskrankheiten, namentlich Typhus, Puerperalfieber, Ichorrhaemie zu den häufigeren Vorkommnissen gehören. Die peripherischen Muskeln nehmen bald mehr, bald weniger an diesen Veränderungen Theil, jedoch ist ihre Betheiligung selten eine so starke, wie die des Herzfleisches. —
Fig. 122. Fettige Degeneration an Hirnarterien. A Fettmetamorphose der Muskelzellen in der Ringfaserhaut. B Bildung von Fettkörnchenzellen in den Bindegewebskörperchen der Intima. Vergröss. 300.
Auch an der Wand der Arterien kommt Fettmetamorphose vor. Zuweilen geschieht sie an den Faserzellen der Muskelhaut (Fig. 122, A); in diesem Falle hat sie eine grosse Bedeutung für die Bildung von Erweiterungen und Zerreissungen der Gefässe. Noch häufiger ist sie an der Intima (Fig. 122, B). An der Aorta, der Carotis, den Hirnarterien sieht man oft mit blossem Auge ganz oberflächliche Veränderungen der inneren Haut in der Art, dass kleine weissliche oder gelbliche Flecke von rundlicher oder eckiger Gestalt, manchmal mehr zusammenhängend, über die Fläche etwas hervortreten. Schneidet man an solchen Stellen ein, so findet man, dass die Veränderung in der innersten (oberflächlichsten) Schicht der Intima liegt. Sie darf mit dem eigentlichen atheromatösen Zustande nicht verwechselt werden. Nimmt man eine solche Stelle unter das Mikroskop, so ergibt sich, dass eine Fettmetamorphose der Bindegewebs-Elemente der Intima stattgefunden hat. Da diese Bindegewebs-Elemente sternförmige, ästige Zellen sind, so zeigt sich begreiflicherweise nicht die gewöhnliche Form der Körnchenzellen, sondern man sieht feine, oft sehr lange, an einzelnen Stellen spindel- oder sternförmig anschwellende Körper,[430] welche ganz mit Fettkörnchen erfüllt sind, während dazwischen noch intacte Intercellularsubstanz sich befindet. Die zelligen Elemente des Bindegewebes gehen hier in ihrer Totalität die Veränderung ein. Selbst die feinsten Ausläufer der Zellen zeigen noch perlschnurförmig angeordnete Fettkörnchen. Später erweicht die Zwischenmasse, die zelligen Theile fallen auseinander, der Blutstrom reisst die Fettpartikelchen mit sich. So entstehen an der Oberfläche des Gefässes unebene Stellen, welche so lange, als der Prozess fortschreitet, anschwellen, später usurirt werden und leicht sammetartig aussehen, ohne dass es ein Geschwür im eigentlichen Sinne des Wortes gibt. Es ist dies eine besondere Form der fettigen Usur[211]. Sie kommt auch an vielen anderen Theilen vor, so an den Gelenkknorpeln, selbst an der Oberfläche von Schleimhäuten, z. B. des Magens (Fox).
Diese oberflächliche, zur einfachen Usur führende Veränderung unterscheidet sich wesentlich von der sogenannten atheromatösen Degeneration. Denn bei dieser tritt ein ähnlicher Vorgang der Fettmetamorphose in der Tiefe ein: die tiefsten Lagen der Intima gerathen zuerst in die Fettmetamorphose, und erst zuletzt wird die Oberfläche erreicht. Mit eintretender Erweichung der Grundsubstanz entsteht der atheromatöse Heerd, der eine breiige Masse enthält, ähnlich dem Atherom der äusseren Haut, wo die Vermischung von Schmeer mit Epidermis einen Brei abgibt. Was wir an dem Atherom der Arterie finden, ist die Mischung des fettigen Detritus der Zellen mit erweichter Gewebssubstanz, und da diese Masse abgeschlossen unter der Oberfläche liegt, so gibt es eine Art von Heerd, gleichsam einen Abscess. Erst bei vorgeschrittener Erweichung reisst die Oberfläche ein, es treten Theile aus der Höhle in das Gefäss, und hinwieder Theile aus dem Blute gehen aus dem Lumen des Gefässes in die Atheromhöhle hinein. Auf diese Weise entstehen Zerstörungen, Destructionen, in letzter Instanz das atheromatöse Geschwür: ein Geschwür, welches den gewöhnlichen Arten von Ulceration sehr nahe steht, aber eben nur der fettigen Metamorphose seine Entstehung verdankt. Es ist ein Product des Heerdes, allein es enthält nichts mehr von geformten Elementartheilen, höchstens etwas krystallinisches Cholestearin (Fig. 129). Wir haben es dann[431] recht eigentlich mit einem zerstörenden und ulcerirenden Vorgang zu thun.
Nur in solchen Theilen, wo, wie in der Milchdrüse, in den Schmeerdrüsen, neue Elemente nachwachsen, kann der Prozess der Fettmetamorphose längere Zeit bestehen, ohne zu einem vernichtenden Gesammtresultate zu führen. Die einzelnen Zellen gehen aber auch da unter, sie lösen sich in derselben Weise zu einem Detritus, wie bei der pathologischen Fettmetamorphose. Diese stellt daher unter allen Verhältnissen, sowohl physiologisch, wie pathologisch, eine Nekrobiose dar. Wenn die Milch- und Schmeersekretion, die ihrem Wesen nach nekrobiotische Absonderungen sind, trotz dieses Charakters Monate lang, ja die letztere das ganze Leben lang fortbestehen können, so ist dies eben nur möglich, weil sie an Drüsen mit stetigem Nachwuchse neuer Elemente sich vollstrecken. Hört an der Milchdrüse, wie es nicht selten geschieht, die Bildung neuer Zellen in den Terminalbläschen auf, so atrophirt die Drüse und sie wird dauernd unbrauchbar für die Secretion.
Fußnoten:
[191] Archiv IX. 51. XIV. 8. Spec. Pathol. u. Ther. I. 10.
[192] Spec. Pathologie und Therapie. I. 21.
[193] Ebendaselbst I. 273, 279.
[194] Archiv I. 141, 144.
[195] Archiv XVI. 15. Geschwülste I. 399.
[196] Geschwülste I. 368.
[197] Archiv VIII. 538. Ueber die Bildung der Fettzellen im Knochenmark und im Unterhautgewebe vergl. meine Untersuchungen über die Entwickelung des Schädelgrundes 49.
[198] Ich habe mich neuerlichst durch die Untersuchung von Querschnitten chylusgefüllter Zotten beim Menschen überzeugt, dass das Fett nicht discret im Parenchym, sondern heerdweise im Innern besonderer kleiner (Zellen?) Räume liegt. Anm. zur zweiten Auflage (1859).
[199] Archiv I. 152, 162, 262. Beiträge zur exper. Pathologie. Heft II. 72. Gesammelte Abhandl. 139.
[200] Würzb. Verhandl. IV. 354. Gesammelte Abhandlungen 732.
[201] Archiv XI. 574.
[202] Archiv VII. 563.
[203] Archiv I. 182.
[204] Archiv I. 165 Note.
[205] Archiv X. 407.
[206] Beiträge zur experim. Pathologie. 1846. Heft II. 83. Gesammelte Abhandl. 280. Archiv I. 145, 461.
[207] Archiv I. 147, 323, 355, 358, 454. X. 407.
[208] Archiv I. 411, 446.
[209] Archiv IV. 288.
[210] Archiv XIII. 266.
[211] Gesammelte Abhandlungen 494, 503.
Die amyloide (speckige oder wächserne) Degeneration. Regionäres Auftreten derselben. Verschiedene Natur der Amyloidsubstanzen: Glykogen (Leber), Corpora amylacea (Hirn, Lungen, Prostata) und eigentliche Amyloid-Entartung. Verlauf der letzteren. Beginn der Erkrankung an den feinen Arterien. Wachsleber. Knorpel. Dyscrasischer (constitutioneller) Charakter der Krankheit: functionelle Störungen. Darm. Niere: die drei Formen der Bright'schen Krankheit (amyloide Degeneration, parenchymatöse und interstitielle Nephritis). Lymphdrüsen: consecutive Anämie. Gang der Erkrankung. Beziehung zu Knochenkrankheiten und Syphilis. Amyloide Erkrankung der Schilddrüse und der Nebennieren.
Verkalkung (Versteinerung, Petrification). Unterschied von Verknöcherung. Verkalkung der Arterien, des Bindegewebes, der Knorpel. Haut- oder Knochenknorpel (osteoides Bindegewebe). Concentrisch geschichtete Kalkkörper (Concretionen). Versteinerung: Lithopädion. Verkalkung todter Theile: Eingeweidewürmer, Ganglienzellen des Gehirns bei Commotion, käsige und thrombotische Massen.
Unter den passiven Prozessen, welche zur Degeneration und damit zur Verminderung oder Vernichtung der Functionsfähigkeit führen, stehen, wie wir oben hervorhoben, die nekrobiotischen, mehr oder weniger erweichenden, bei welchen ein Theil der Gewebselemente ganz verschwindet und aufgelöst wird, denjenigen gegenüber, bei welchen bald für das blosse Auge und das Tastgefühl, bald bloss für das bewaffnete Auge eine Verdichtung, eine Vermehrung der festen Substanz des leidenden Organs stattfindet. Ich meine damit jedoch nicht jene eigentliche Induration, welche vielmehr auf einer Vermehrung der constituirenden Bestandtheile des Gewebes beruht, sondern eine wirklich degenerative Veränderung, bei welcher die zunehmende Dichtigkeit durch ungehörige, der Zusammensetzung des Gewebes fremdartige Bestandtheile erfolgt. Unsere Kenntniss in dieser Richtung ist in neuerer Zeit sehr wesentlich gefördert[433] worden, insofern ein Prozess, dessen Natur früher theils ganz unklar, theils nur wenig untersucht war, mehr und mehr unseren Untersuchungen zugänglich geworden ist, so dass er schon jetzt ein wichtiges Gebiet der Pathologie der kachektischen Zustände ausmacht. Es ist dies der von Einigen als speckig, von Anderen als wächsern bezeichnete Zustand, dem ich den Namen des amyloiden beigelegt habe.
Der Name der speckigen Veränderung ist hauptsächlich durch die Wiener Schule wieder mehr in Gebrauch gekommen. Denn er ist nicht erst in neuerer Zeit erfunden worden; im Gegentheil, er ist als Bezeichnung für ein festes, derbes, gleichmässiges Aussehen der Theile in der Medicin ziemlich alt. Wir finden ihn seit Jahrhunderten, und Speckgeschwülste (Steatome, Tumores lardacei) haben noch in der Neuzeit ihre Rolle gespielt[212]. Allein der Ausdruck der speckigen Veränderung, wie er jetzt gebraucht wird, hat weder mit dem Alterthum, noch mit der Geschwulstlehre, noch überhaupt mit Neubildung von Gewebsbestandtheilen etwas zu thun; er bezieht sich vielmehr auf gewisse Veränderungen oder Degenerationen von Organen, welche die Alten, die, wie ich glaube, bessere Speckkenner waren, als die jetzigen Wiener, schwerlich mit einem solchen Namen belegt haben würden. Das Aussehen solcher Organe nehmlich, welche nach Wiener Anschauungen speckig aussehen sollen, gleicht nach nördlichen Begriffen vielmehr dem Wachs. Daher habe ich schon seit langer Zeit, wie die Edinburger Schule, den Ausdruck der wächsernen Veränderung dafür gebraucht. Sieht man eine Leber oder eine Lymphdrüse in recht ausgeprägten Zuständen dieser Art an, so ist das, was am meisten für das blosse Auge auffällt, das blasse, durchscheinende, aber zugleich matte Aussehen, welches die Schnittflächen darbieten: die natürliche Farbe der Theile ist mehr oder weniger verloren, so dass ein Anfangs mehr graues, später vollkommen farbloses Material die Theile zu erfüllen scheint. Die durchscheinende Beschaffenheit, welche das Gewebe hat, lässt indess das Roth der Gefässe und die natürliche Färbung der Nachbartheile durchschimmern, so dass die veränderten Stellen in einzelnen Organen mehr gelblich, röthlich oder bräunlich aussehen. Die sogenannte Speckmilz sieht geradezu schinkenartig aus. Es ist dies aber[434] nicht eine der abgelagerten Substanz zukommende, sondern nur eine durch sie hindurchschimmernde Farbe. Zugleich pflegen sich die betroffenen Organe zu vergrössern und sowohl absolut, als specifisch schwerer zu werden. Auf Durchschnitten sehen manche von ihnen so matt aus und zugleich sind sie so dicht, dass ihr Aussehen an dasjenige von gekochten oder geräucherten Theilen erinnert.
Die ersten Anhaltspunkte für die genauere Deutung der Substanz, welche man früher bald für eine eigenthümliche Fettmasse, bald für Eiweiss oder Fibrin, bald endlich für Colloid nahm, wurden durch die Anwendung des Jods auf die thierischen Gewebe gewonnen. Noch in demselben Jahre (1853), in dem ich die eigenthümliche Jodreaction an den Corpora amylacea der Nervenapparate, welche ich früher schilderte (S. 325), entdeckt hatte, stiess ich auf ein anderes Organ, nehmlich die Milz und zwar auf einen Zustand derselben, in welchem ihre Follikel (Malpighischen Körper) in ihrer Totalität in eine blasse, durchscheinende, wachsartige Masse umgewandelt waren. Ich nannte diesen Zustand wegen des eigenthümlichen, an gekochten Sago erinnernden Aussehens der entarteten Follikel Sagomilz. Auch hier fand sich eine Substanz, welche sowohl durch Jod für sich, als durch Jod und Schwefelsäure eine pflanzlichen Stärke- und Cellulose-Bildungen ähnliche Reaction ergab. Und hier war dieses Vorkommen noch viel mehr interessant, da es sich um eine unzweifelhaft krankhafte Erscheinung handelte, von der ich schon durch frühere Erfahrungen wusste, dass sie mit Zuständen der Kachexie, mit Erkrankungen der Leber und Nieren verbunden war[213].
Bald nachher hat Heinr. Meckel Untersuchungen über die „Speckkrankheit“ veröffentlicht, welche das Vorkommen dieser Substanz namentlich in der Niere, der Leber und dem Darme schilderten. Ja, es stellte sich bald heraus, dass ein solcher Stoff bei der Erkrankung der verschiedensten thierischen Theile, in den Lymphdrüsen, in der ganzen Ausdehnung des Digestionstractus, an den Schleimhäuten der Harnorgane, endlich sogar in der Substanz der Muskelapparate, im Herzen, im Uterus, in der Schilddrüse und Nebenniere, sowie im Inneren von Knorpeln vorkommen[435] kann[214]. Merkwürdigerweise begrenzt sich jedoch das Gebiet der amyloiden Veränderung ganz überwiegend auf ein gewisses Feld, nehmlich auf die Organe des Unterleibes. Am Gehirne und den sonstigen Organen des Kopfes ist sie nie beobachtet worden; am Halse sind es nur die Schilddrüse und der Oesophagus, welche daran leiden; in der Brust sind in ganz seltenen Fällen das Herz, etwas häufiger die Speiseröhre, niemals die Lungen betheiligt. Die Krankheit hat daher einen so auffallend regionären Charakter, dass wir kaum irgend eine Analogie dafür in der Pathologie anführen können.
Betrachtet man die Substanzen im Thierkörper, welche Jodreaction geben, genauer, so ergiebt sich, dass mehrere ähnliche, aber nicht identische Körper unterschieden werden müssen. Zuerst nehmlich der von Bernard in der Leber und anderen, namentlich embryonalen Geweben aufgefundene Stoff, welcher so leicht in Zucker übergeht und welcher den Namen Glykogen oder Zoamylon erhalten hat. Dieser gibt mit Jodlösungen eine eigenthümliche weinrothe Färbung, die durch Schwefelsäure dunkelt, aber nicht in Blau übergeht. Beim Erwachsenen finde ich eine solche Substanz nur selten, z. B. in dem Epithel des Urogenital-Apparates und in den Knorpelzellen.
Ganz verschieden davon ist die Substanz, welche mehr der eigentlichen Stärke (Amylon) der Pflanzen analog ist und auch in der Form ihrer Abscheidungen mit den pflanzlichen Stärkekörnern eine überraschende Aehnlichkeit darbietet, denn ganz regelmässig erscheint sie in mehr oder weniger rundlichen oder ovalen, concentrisch geschichteten Bildungen. In diese Reihe gehören vor Allen die Corpora amylacea des Nervenapparates (Fig. 103, c a). Diese bleiben immer mikroskopische Gebilde. In anderen Organen kommen jedoch geschichtete Amylacea von sehr beträchtlicher Grösse vor; ihr Durchmesser kann so erheblich werden, dass man sie vom blossen Auge leicht erkennt. Dahin gehört namentlich ein Theil der geschichteten Körper, wie sie fast bei jedem erwachsenen Manne in der Prostata sich finden, wo sie unter Umständen so sehr anwachsen, dass sie die sogenannten Prostata-Concretionen bilden. Ebenso sind hierher zu zählen die seltenen,[436] ähnlich gebildeten Körper, welche zuerst Friedreich in manchen Zuständen der Lunge nachgewiesen hat.
Fig. 123. Geschichtete Prostata-Amylacea (Concretionen): a längliches, blasses, homogenes Körperchen mit einem kernartigen Körper. b Grösseres, geschichtetes Körperchen mit blassem Centrum. c Noch grösseres, mehrfach geschichtetes Gebilde mit gefärbtem Centrum. d, e Körper mit zwei und drei Centren. d stärker gefärbt. f Grosse Concretion mit schwarzbraunem, grossem Centrum. Vergr. 300.
In der Prostata wechseln diese Körper von ganz kleinen, einfachen, gleichmässig aussehenden Gebilden bis zu hanfkorngrossen Klumpen, an denen wir stets eine successive Reihe sehr zahlreicher Schichtungen sehen. Wie die kleinen amylacischen Körperchen des Nervenapparates häufig zu zweien zusammengesetzt sind, Zwillingsbildungen darstellen, so kommt es auch in der Prostata sehr häufig vor, dass um getrennte Centren eine gemeinschaftliche Umhüllung stattfindet (Fig. 123, d, e). Ja, in einzelnen Fällen geht das so weit, dass ganze Haufen von kleineren Körpern von grossen, gemeinschaftlichen Lagen umhüllt und zusammengehalten werden. Diese ganz grossen, freilich selteneren Formen können einen Durchmesser von ein Paar Linien erreichen, so dass man sie leicht aus dem Gewebe isoliren und selbst grober Untersuchung unterwerfen kann. Es scheint kaum zweifelhaft, dass in diesen Fällen eine Substanz abgeschieden wird, welche sich nach und nach aussen um präexistirende Körper ansetzt, dass es sich hier also nicht um die Degeneration eines bestimmten[437] Gewebes handelt, sondern um eine Art von Ausscheidung und Sedimentbildung, wie wir sie bei anderen Concretionen aus Flüssigkeiten erfolgen sehen. Man kann mit Wahrscheinlichkeit schliessen, dass die Prostata, indem ihre Elemente sich auflösen, eine Flüssigkeit liefert, welche nach und nach Niederschläge bildet und dadurch diese besonderen Formen hervorbringt.
Diese Gebilde haben nun das Eigenthümliche, dass sie schon unter der einfachen Wirkung von Jod (ohne Zusatz von Schwefelsäure) sehr häufig eine eben solche blaue Farbe annehmen, wie die Pflanzenstärke. Je nachdem die Substanz reiner oder unreiner ist, ändert sich die Farbe, so dass sie z. B., wenn viel eiweissartige Masse beigemengt ist, statt blau grün erscheint, indem die albuminöse Substanz durch Jod gelb, die amylacische blau wird; was den Totaleffect des Grünen gibt. Je mehr albuminöse Substanz, um so mehr wird die Farbe braun, und nicht selten hat man in der Prostata Concretionen, welche nach der Jodeinwirkung die verschiedensten Farben darbieten. Insofern unterscheiden sich diese Körper von jenen kleinen Amylonkörperchen des Nervenapparates, welche sämmtlich eine bläuliche oder blaugraue Färbung durch Jod annehmen. Auch ist zu bemerken, dass viele im Baue ganz analoge Körper der Prostata durch Jod nur gelb oder braun werden, sich also chemisch anders verhalten.
Daraus folgt, dass man sich bei der Anwendung von Reagentien leicht täuschen kann, dass jedoch ohne die Anwendung derselben eine Entscheidung überhaupt nicht möglich ist. Ich selbst habe früher (1851) alle morphologisch der Pflanzenstärke analogen Gebilde im menschlichen Körper unter dem Namen der Corpora amylacea zusammengestellt[215]; erst seitdem ich die Jodreaction gefunden habe, war ich in der Lage, nur diejenigen in diese Bezeichnung einzuschliessen, welche die Reaction geben. Dabei ist es sehr wohl möglich, dass die amylacische Substanz in einem geschichteten Körper, der ursprünglich nichts davon enthielt, nachträglich durch chemische Umwandlung entsteht.
Wesentlich verschieden sowohl von dem Glykogen, als noch mehr von diesen Ausscheidungen stärkeartiger Substanz sind die amyloiden Degenerationen der Gewebe selbst, wobei Gewebs-Elemente als solche sich direct mit einer auf Jod reagirenden[438] Substanz erfüllen und nach und nach so davon durchdrungen werden, wie etwa die Durchdringung der Gewebe mit Kalk bei der Verkalkung erfolgt. Man kann nicht füglich zwei Dinge besser vergleichen, als die Verkalkung und die amyloide Entartung. — Die Substanz, welche diese eigentliche Degeneration der Gewebe bedingt, hat die Eigenthümlichkeit, dass sie unter der Einwirkung von blossem Jod für sich nie blau wird. Bis jetzt ist wenigstens kein Fall bekannt, wo verändertes Parenchym der Gewebe diese Farbe angenommen hätte. Vielmehr sieht man eine eigenthümlich gelbrothe Farbe entstehen, welche allerdings in manchen Fällen einen leichten Stich ins Rothviolette (Weinrothe) hat, so dass wenigstens eine Annäherung an das Blau der Stärke-Masse hervortritt. Dagegen bekommt die Substanz häufig eine wirkliche, sei es vollkommen blaue, sei es violette Farbe, wenn man recht vorsichtig Schwefelsäure oder Chlorzink zufügt. Es gehört dazu allerdings eine gewisse Uebung; man muss das Verhältniss gut treffen, da die Schwefelsäure die Substanz gewöhnlich sehr schnell zerstört, und man entweder sehr undeutliche Färbungen bekommt, oder die Farbe nur momentan hervortritt und alsbald wieder verschwindet. Es ist also nöthig, das Jod zuerst und zwar in diluirten, wässerigen Lösungen recht vollständig einwirken zu lassen, was am besten geschieht, wenn man das Object mit einer Präparirnadel sanft klopft, so dass man gleichsam das Jod in dasselbe hineinpresst. Sodann entferne man die überflüssige Flüssigkeit und setze einen ganz kleinen Tropfen concentrirter Schwefelsäure zu und zwar so, dass er ganz langsam eindringt. Man muss zuweilen Stunden lang warten, ehe die gute blaue Farbe eintritt. Somit steht diese Substanz der eigentlichen Stärke weniger nahe, sondern nähert sich vielmehr der Cellulose, die wir früher besprochen haben (S. 6). Allein sie unterscheidet sich auch wiederum von der Cellulose dadurch, dass sie durch die Einwirkung von Jod für sich schon eine Färbung erfährt, während die eigentliche Cellulose durch blosses Jod überhaupt nicht gefärbt wird. Denn die Cellulose verhält sich darin ganz wie Cholestearin[216]. Wenn man nehmlich nur Jod zu dem Cholestearin hinzusetzt, so sieht man keine Veränderung, ebensowenig wie an der Cellulose; wenn man dagegen zu der[439] jodhaltigen Cholestearinmasse Schwefelsäure bringt, so färben sich die Cholestearintafeln und nehmen, im Anfange namentlich, eine brillant indigoblaue Farbe an, welche allmählich in ein Gelblichbraun übergeht, während die Cholestearintafel zu einem bräunlichen Tropfen umgewandelt wird. Die Schwefelsäure für sich verwandelt das Cholestearin in einen fettartig aussehenden Körper, welcher weder Cholestearin noch eine Verbindung von Cholestearin und Schwefelsäure, sondern ein Zersetzungsproduct des ersteren ist[217]. Auch die Schwefelsäure für sich gibt sehr schöne Farbenerscheinungen an dem Cholestearin.
Bei dieser Mannichfaltigkeit der Reactionen ist es allerdings immer noch sehr schwer mit Sicherheit zu sagen, wohin die Substanz gehört. Meckel hat mit grosser Sorgfalt den Gedanken verfolgt, dass es sich um eine Art von Fett handle, welches mit Cholestearin mehr oder weniger identisch sei, allein wir kennen bis jetzt keinerlei Art von Fett, welches die drei Eigenschaften, durch Jod für sich gefärbt zu werden, bei Einwirkung von Schwefelsäure für sich farblos zu bleiben, und durch die combinirte Einwirkung von Jod und Schwefelsäure eine blaue Farbe anzunehmen, in sich vereinigte. Ausserdem verhält sich die Substanz selbst keinesweges wie eine fettige Masse; sie besitzt nicht die Löslichkeit, welche das Fett charakterisirt, insbesondere kann man bei der Extraction mit Alkohol und Aether aus diesen Theilen keine Substanz gewinnen, welche die Eigenthümlichkeiten der früheren besitzt. Nach Allem liegt also vielmehr eine Uebereinstimmung mit pflanzlichen Formen vor (Verholzung), und man kann immerhin die Ansicht festhalten, dass es sich hier um einen Prozess handle, vergleichbar demjenigen, welchen wir bei der Entwickelung einer Pflanze eintreten sehen, wenn die einfache Zelle sich mit holzigen Capselschichten (Cellulose) umhüllt, — ein Vorgang, bei dem wahrscheinlich stickstoffhaltige Lagen in stickstofflose verwandelt werden. Dass das thierische Amyloid aus einer stickstoffhaltigen, möglicherweise eiweissartigen Substanz hervorgehe, ist kaum zu bezweifeln. Nachdem schon Kekule und Carl Schmidt bei unserer Substanz einen Stickstoffgehalt gefunden zu haben glaubten, ist durch W. Kühne und Rudnew derselbe sicher nachgewiesen worden. Ausgehend von der Erfahrung,[440] dass das Amyloid gegen die verschiedenartigsten Lösungsmittel sich fast ebenso resistent verhält, wie Cellulose, wendeten sie Verdauungsflüssigkeiten auf amyloid entartete Gewebe an, und es gelang ihnen so, die veränderten Theile zu isoliren und rein darzustellen.
Am schönsten kann man diese Veränderungen verfolgen an denjenigen Theilen, welche überhaupt als der häufigste und früheste Sitz derselben betrachtet werden müssen, nehmlich an den kleinsten Arterien. Diese erfahren überall zuerst die Umwandlung; erst, nachdem die Umänderung ihrer Wandungen bis zu einem hohen Grade vorgerückt ist, kann die Infiltration auf das umliegende Parenchym fortschreiten. Jedoch geschieht dies keineswegs häufig; im Gegentheil atrophirt nicht selten das Parenchym der Organe, während die Erkrankung sich von den Arterien auf die Capillaren ausbreitet. Wenn wir in einer amyloiden Milz eine kleine Arterie verfolgen, während sie sich in einen sogenannten Penicillus auflöst, so sehen wir, wie ihre an sich schon starke Wand in dem Maasse, als die Veränderung fortschreitet, noch dicker wird, und wie dabei die Lichtung des Gefässes um ein Bedeutendes sich verkleinert. Hieraus erklärt es sich, dass alle Organe, welche in einem bedeutenderen Grade die amyloide Veränderung eingehen, überaus blass aussehen; es entsteht eine Ischämie (S. 153) durch die Hemmung, welche die verengerten Gefässe dem Einströmen des Blutes entgegensetzen und wahrscheinlich in Folge davon die erwähnte Atrophie. Jedoch ist die Verdickung der Gefässe so gross und so verbreitet, dass die befallenen Organe trotz der Atrophie ihres Parenchyms grösser und schwerer werden.
Untersucht man nun, an welchen Gewebselementen der Gefässe der amyloide Zustand sich zuerst findet, so scheinen es ziemlich constant die kleinen Muskeln der Ringfaserhaut zu sein. Dabei tritt an die Stelle einer jeden contractilen Faserzelle ein compactes, homogenes Gebilde, an welchem man Anfangs die Stelle des Kernes noch wie eine Lücke erkennt, welches aber nach und nach jede Spur von zelliger Structur einbüsst, so dass zuletzt eine Art von spindelförmiger Scholle übrig bleibt, an welcher man weder Membran, noch Kern, noch Inhalt unterscheiden kann. Bei der Verkalkung kleiner Arterien findet genau derselbe Vorgang statt; die einzelne Faserzelle der Muskelhaut nimmt Kalksalze[441] auf, anfangs in körniger, später in homogener Weise, bis sie endlich in eine gleichmässig erscheinende Kalkspindel umgewandelt ist. So durchdringt auch die amyloide Substanz ganze Partien des Gewebes, und die Wand der Arterie verwandelt sich in einen zuletzt fast vollkommen gleichmässigen, compacten, bei auffallendem Lichte glänzenden, farblosen Cylinder, welcher nur nicht die Härte der verkalkten Theile, im Gegentheil einen hohen Grad von Brüchigkeit besitzt. Die Venen leiden, mit Ausnahme der mesenterialen und der in der Leber, selten und niemals in solchem Grade, wie die Arterien. Dagegen kann die Veränderung der Capillaren einen überaus hohen Grad erreichen.
Fig. 124. Amyloide Degeneration einer kleinen Arterie aus der Submucosa des Darmes, bei noch intactem Stamm. Vergr. 300.
Ist nun eine solche Veränderung bis zu einem gewissen Grade vorgeschritten, so kann eine analoge Veränderung auch in dem Parenchym der Organe eintreten. Diese Stadien kann man nirgend so deutlich verfolgen, wie in der Leber. Hier geschieht es zuweilen, dass man ein Stadium trifft, wo in dem ganzen Organe nichts weiter verändert ist, als nur die kleineren Aeste der Arteria hepatica. Macht man feine Durchschnitte durch die Leber, wäscht sie sorgfältig aus und bringt Jod darauf, so bemerkt man zuweilen schon vom blossen Auge die kleinen jodrothen Züge und Punkte, welche den durchschnittenen Aesten der Arteria hepatica entsprechen. Von da kann sich der Prozess auf das Capillarnetz der Acini fortsetzen und die Atrophie der Leberzellen herbeiführen. Dabei leidet, was wiederum sehr charakteristisch ist, gerade derjenige Theil der Acini zuerst, der am weitesten sowohl von den[442] interlobulären als von den intralobulären Venen entfernt ist. Man kann nehmlich den pathologischen Veränderungen nach, die oft schon vom blossen Auge zu erkennen sind, innerhalb eines jeden Acinus drei verschiedene Zonen der Prädilection unterscheiden (Fig. 117). Die äusserste Zone, welche zunächst den portalen (interlobulären) Aesten liegt, ist der Hauptsitz der fettigen Infiltration; der intermediäre Theil, welcher unmittelbar daran stösst, gehört der amyloiden Degeneration an, und der centrale Theil des Acinus um die Vena hepatica (intralobularis) ist der gewöhnlichste Sitz für Pigmentablagerung. Jede dieser Veränderungen kann für sich bestehen, jedoch können sie auch alle drei gleichzeitig vorhanden sein. In diesem Falle erkennt man schon mit blossem Auge zwischen der äussersten gelbweissen und der innersten gelbbraunen oder graubraunen Schicht die blasse, farblose, durchscheinende und resistente Zone der wächsernen oder amyloiden Veränderung.
Werden die Leberzellen selbst von dieser letzteren Veränderung betroffen, so sieht man, dass der früher körnige Inhalt derselben, der jeder Leberzelle ein leicht trübes Aussehen gibt, allmählich homogen wird; Kern und Membran verschwinden, und endlich tritt ein Stadium ein, wo man gar nichts weiter wahrnimmt, als einen absolut gleichmässigen, leicht glänzenden Körper, so zu sagen, eine einfache Scholle. Auf diese Weise gehen zuweilen in der beschriebenen Zone sämmtliche Leberzellen in amyloide Schollen über. Erreicht der Prozess einen sehr hohen Grad, so überschreitet endlich sogar die Veränderung diese Zone, und es kann sein, dass fast die ganze Substanz der Acini in Amyloidmasse verwandelt wird. Es entsteht hier endlich auch eine Art von Amyloidkörpern, nur dass sie nicht geschichtet sind, wie die vorher besprochenen Corpora amylacea; sie bilden gleichmässige homogene Körper, an welchen keine innere Abtheilung, keine Andeutung ihrer eigenthümlichen Bildungsgeschichte mehr zu erkennen ist.
Wenn man diese Thatsachen zusammennimmt, so erscheint es ziemlich wahrscheinlich, dass es sich hier um eine allmähliche Durchdringung der Theile mit einer Substanz handelt, die ihnen, wenn auch nicht fertig, von aussen her zugeführt wird. Es ist dies eine Auffassung, welche wesentlich durch die Thatsache unterstützt wird, dass fast immer, wenn die amyloide Degeneration auftritt, der Prozess sich nicht auf eine einzige Stelle beschränkt,[443] sondern dass viele Orte und Organe gleichzeitig im Körper ergriffen werden. Dadurch gewinnt in der That der ganze Vorgang ein wesentlich dyscrasisches Aussehen.
Der einzige Ort, wo bis jetzt wenigstens eine ganz unabhängige Entwickelung dieser Veränderung von mir bemerkt worden ist, und wo mit einiger Wahrscheinlichkeit ein ursprünglicher Sitz der Bildung angenommen werden kann, ist der permanente Knorpel[218]. Namentlich bei älteren Leuten nehmen die Knorpel an verschiedenen Stellen, z. B. an den Sternoclavicular-Gelenken, an den Symphysen des Beckens, an den Intervertebral-Knorpeln, eine eigenthümlich blassgelbliche Beschaffenheit an; dann kann man ziemlich sicher sein, dass, wenn man die Jodreaction mit ihnen versucht, man auch die eigenthümliche Färbung erlangen wird. Diese Farben kommen an den Knorpelzellen, jedoch noch viel mehr an der Intercellularsubstanz vor, und da solche Fälle nicht etwa mit Erkrankungen grosser innerer Organe zusammentreffen, sondern ganz unabhängig bei Individuen eintreten, welche übrigens am Körper nichts der Art zu erkennen geben, so scheint es, dass hier in der That eine unmittelbare Transformation vorliegt, und dass es sich beim Knorpel nicht um eine Einfuhr von aussen her handelt.
Alle anderen Formen der amyloiden Entartung haben ein constitutionelles, mehr oder weniger dyscrasisches Ansehen. Allein vergeblich habe ich mich bis jetzt bemüht, eine bestimmte Veränderung im Blute zu erkennen, aus welcher man etwa schliessen könnte, dass das Blut wirklich der Ausgangspunkt der Ablagerungen sei. Es existirt bis jetzt nur eine einzige Beobachtung, welche auf die Anwesenheit analoger Elemente im Blute hindeutet, und diese ist so sonderbar, dass man von ihr aus nicht wohl eine Erklärung versuchen kann. Ein Arzt zu Toronto in Canada hatte nehmlich auf den Wunsch eines Kranken, welcher an Epilepsie litt, das Blut desselben untersucht und eigenthümliche blasse Körper im Blute gesehen. Als er nun von meinen Beobachtungen über die Jodfärbung der Corpora amylacea im Gehirne las, kam ihm der Kranke wieder in den Sinn, und, ich glaube nach Verlauf von fünf Jahren, nahm er wieder Blut von ihm und fand auch wieder die Körper, welche in der That Stärke-Reaction[444] gegeben haben sollen. Dieser Beobachtung gegenüber ist es sonderbar, dass Niemand sonst jemals etwas der Art gesehen hat, und da es sich hier um eine überaus dauerhafte Dyscrasie handeln müsste, so würde am wenigsten aus dieser Beobachtung ein Schluss auf unsere Fälle gezogen werden können, wo die Erkrankung offenbar in viel kürzerer Zeit sich ausbildet und wo wir wenigstens im Blute nichts der Art haben entdecken können. Ueberdies ist es mit jener Beobachtung eine missliche Sache. Stärkekörner können sehr leicht in verschiedene Objecte hineinkommen, so dass man (bei allem Respect gegen den Beobachter), so lange es sich um eine ganz solitäre Beobachtung handelt, noch die Möglichkeit zulassen muss, dass vielleicht eine Täuschung obgewaltet habe. Ist doch neuerlich eine ähnliche Täuschung vorgekommen, als Carter und Luys Stärkekörner als normalen Bestandtheil der menschlichen Hautabsonderung gefunden zu haben glaubten. Rouget hat dargethan, dass es sich hier immer um äussere Verunreinigung durch wirkliche pflanzliche Stärke handelt. Und so bin ich bis jetzt viel mehr geneigt, anzunehmen, dass das Blut in dieser Krankheit eine einfach chemische Veränderung in seinen gelösten Bestandtheilen erfährt, als dass es die pathologischen Substanzen in körniger Form enthält.
Jedenfalls ist es unzweifelhaft, dass die amyloide Veränderung für die Pathologie einen ausserordentlich hohen Werth beansprucht. Es kann gar nicht anders sein, als dass diejenigen Theile, welche der Sitz derselben werden, ihre specielle Function einbüssen, dass z. B. Drüsenzellen, welche auf diese Weise verändert werden, nicht mehr im Stande sind, ihre besondere Drüsenfunction zu versehen, dass Gefässe nicht mehr der Ernährung der Gewebe oder der Absonderung der Flüssigkeiten, für welche sie sonst bestimmt sind, dienen können.
Aus solchen Erwägungen erklärt es sich leicht, dass physiologische (klinische) Störungen so regelmässig mit diesen anatomischen Veränderungen zusammentreffen. Wir finden einerseits ausgesprochene Zustände der Kachexie, andererseits die überaus häufige Erscheinung von Hydropsie mit der ganzen Complication von Veränderungen, wie sie gewöhnlich unter dem Bilde der Brightschen Krankheit zusammengefasst wird. Fast jedesmal, wo eine solche Erkrankung eine gewisse Höhe erreicht, befinden sich die Kranken in einem hohen Grade von Marasmus und Anämie.[445] Es gibt Fälle, wo die ganze Ausdehnung des Digestionstractus von der Mundhöhle bis zum After keine einzige feinere Arterie besitzt, welche nicht in dieser Erkrankung sich befände, wo jeder Theil des Oesophagus, des Magens, des Dünn- und Dickdarmes die kleinen Arterien der Schleimhaut und der Submucosa in dieser Weise verändert zeigt.
Es ist dies gerade in sofern eine äusserst bemerkenswerthe Thatsache, als diese Art von Umwandelung am Darm, die für die Function so entscheidend ist (Mangel an Resorption, Neigung zu Diarrhoe), für das blosse Auge fast gar nicht erkennbar ist. Die Theile sind blass (anämisch) und haben ein graues durchscheinendes, zuweilen leicht wachsartiges Aussehen; allein dies ist doch so wenig charakteristisch, dass man daraus nicht mit Sicherheit einen Rückschluss auf die inneren Veränderungen machen kann, und dass die einzige Möglichkeit einer Erkenntniss, wenn man kein Mikroskop zur Hand hat, in der directen Application des Reagens besteht. Man braucht nur etwas Jod auf die Fläche aufzutupfen, so sieht man schon vom blossen Auge sehr bald eine Reihe von dicht stehenden, gelbrothen oder braunrothen Punkten entstehen, während die zwischenliegende Schleimhaut einfach gelb erscheint. Diese rothen Punkte sind die Zotten des Darmes; nimmt man eine davon unter das Mikroskop, so sieht man die Wand der kleinen Arterien und selbst der Capillaren, welche sich in ihr verbreiten, zuweilen auch das Parenchym jodroth gefärbt. Ganz ähnlich lässt sich auch an anderen Organen die Veränderung für dass blosse Auge durch Jod sichtbar machen, sobald sie einmal einen höheren Grad erreicht hat. Wendet man bloss Jodlösung an, so verschwindet die Färbung gewöhnlich sehr bald oder sie tritt sehr schwer ein. Es scheint dies von der so häufigen ammoniakalischen Zersetzung herzurühren, welche Leichentheile so leicht eingehen. Daher empfiehlt es sich, nach der Jodanwendung etwas Säure zuzusetzen, um die Alkalescenz des Gewebes aufzuheben. Dazu genügt schon Essigsäure.
Nahezu die wichtigste Art der Amyloid-Erkrankung, welche wir bis jetzt kennen, ist diejenige, welche in der Niere entsteht. Ein grosser Theil, namentlich der chronischen Fälle von Brightscher Krankheit, gehört dieser Veränderung an, muss also von vielen anderen ähnlichen Formen als eine besondere, ganz und gar eigenthümliche Form abgelöst werden. Auch diese Nieren hat[446] man in Wien zu einer Zeit, wo die chemische Reaction noch nicht bekannt war, Specknieren genannt. Ich muss aber wiederum bemerken, dass es unmöglich ist, mit blossem Auge unmittelbar zu erkennen, ob gerade diese Veränderung stattgefunden hat oder eine andere, und dass ein Theil der sogenannten Specknieren nichts anderes als indurirte Nieren waren. Von dieser Verwechselung einfach indurativer Zustände (fibröser Degeneration) mit amyloiden schreibt sich nicht bloss für die Nieren, sondern auch für Milz und Leber manche Verwirrung in den Angaben der Schriftsteller her. Gerade an der Niere kann man eine sichere Diagnose erst nach Jodanwendung machen, und auch da muss man sich sorgfältig bemühen, zuerst so viel als möglich das Blut aus den Gefässen auszuwaschen. Denn ein mit Blut gefülltes Gefäss zeigt nach Anwendung des Jods genau dieselbe Farbe, welche ein mit Jod behandeltes, amyloid degenerirtes Gefäss darbietet.
Bringt man Jodlösung auf eine ganz anämische Rindensubstanz, so erscheinen gewöhnlich zuerst rothe Punkte, welche den Glomerulis entsprechen, auch wohl feine Striche, den Arteriae afferentes angehörig. Nächstdem, wenn die Erkrankung recht stark ist, sieht man auch innerhalb der Markkegel rothe, parallele Linien, welche sehr dicht liegen. Das sind die Arteriolae rectae[219]. Die Erkrankung der Arterien wird zuweilen so stark, dass man nach Anwendung des Reagens eine deutliche Uebersicht des Gefässverlaufes bekommt, wie wenn man eine sehr vollständige künstliche Injection vor sich hätte. Allein gerade bei diesen Nieren ist eine Injection nicht ganz ausführbar. Auch die feineren Mittel, welche wir für Injectionen anwenden, sind viel zu grob, um durch die verengten Gefässe hindurch zu gelangen. Untersucht man einen solchen Glomerulus mikroskopisch, so sieht man, dass von da, wo sich die zuführende Arterie auflöst, die Schlinge nicht mehr die feine, zarte Röhre ist, wie sonst; vielmehr erscheinen alle einzelnen Schlingen innerhalb der Capsel als compacte, fast solide Bildungen. Da nun gerade diese Theile es sind, welche offenbar die eigentlichen Secretionspunkte der Harnflüssigkeit darstellen, so begreift es sich, dass in solchen Fällen Störungen in der Ausscheidung des Harnes stattfinden müssen. Wir haben leider bis jetzt keine vollständig ausreichenden Analysen,[447] allein es scheint, dass viele Fälle von Albuminurie, welche mit erheblicher Verminderung der Harnstoff-Ausscheidung verbunden sind, gerade mit diesen Zuständen zusammenhängen, und dass die Abscheidung um so mehr sinkt, je intensiver die Erkrankung wird. Diese Fälle compliciren sich sehr häufig mit Anasarka und Höhlenwassersucht und können im vollsten Maasse die Symptome der Brightschen Erkrankung liefern. Sie unterscheiden sich aber wesentlich von der einfach entzündlichen Form der Brightschen Krankheit, welche ich als parenchymatöse Nephritis bezeichne, dadurch, dass bei letzterer die Erkrankung nicht so sehr an den Glomerulis oder den Arterien, als an dem Epithel der Niere haftet, und dass die Veränderung oft lange Zeit an dem Epithel verläuft, während die Glomeruli selbst in solchen Fällen noch intact erscheinen können, wo kaum noch Epithel in den Kanälchen vorhanden ist. Hiervon ist wieder eine dritte, indurative Form zu unterscheiden, wo überwiegend das interstitielle Gewebe sich verändert, wo Verdickungen um die Capseln und die Harnkanälchen entstehen, Abschnürungen, Verschrumpfungen zu Stande kommen und dadurch mechanische Hemmungen des Blutstromes hervorgebracht werden, welche natürlich mit Secretionsveränderungen zusammenfallen müssen.
Es ist sehr wichtig, dass man diese Verschiedenheiten, welche in dem Bilde einer scheinbar einzigen Krankheit zusammengefasst werden, auseinanderlöse, weil sich daraus erklärt, dass die Erfahrungen der einen Reihe sich nicht ohne weiteres auf die anderen Reihen anwenden lassen, und dass weder die physiologischen Consequenzen, noch die therapeutischen Maximen in diesen Zuständen gleich sein können. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass jene drei verschiedenen Formen keinesweges immer rein vorkommen, dass vielmehr häufig zwei von ihnen, zuweilen alle drei in derselben Niere gleichzeitig bestehen, und dass die eine Erkrankungsform lange bestehen kann, um sich endlich mit einer der anderen oder beiden zu compliciren. Dies kommt offenbar am häufigsten in der Reihenfolge vor, dass die amyloide Degeneration sich zu einer längere Zeit bestehenden einfach-parenchymatösen oder interstitiellen Nephritis im Stadium des Marasmus hinzugesellt.
Fig. 125. Amyloide Degeneration einer Lymphdrüse. a, b, b Gefässe mit stark verdickter, glänzender, infiltrirter Wand. c Eine Lage von Fettzellen im Umfange der Drüse. d, d Follikel mit dem feinen Reticulum und Corpora amylacea. Vergr. 200. Vergl. Würzb. Verhandl. Bd. VII. Taf. III.
Fig. 126. Einzelne Corpora amylacea in verschiedenen Grössen und zum Theil eingebrochen, aus der Drüse in Fig. 125. Vergr. 350.
Unter den vielen Organen, welche der Amyloid-Erkrankung[448] unterliegen, sind ferner die Lymphdrüsen zu erwähnen[220]. Sie verhalten sich ähnlich wie die Milz. Es verändern sich einerseits die kleinen Arterien, andererseits die wesentliche Drüsensubstanz, das Parenchym, d. h. die feinzellige Masse, welche die Follikel erfüllt. Wie wir früher erwähnten (S. 207, Fig. 70), so liegen unter der Capsel der Drüse folliculäre Bildungen, und diese setzen sich wieder aus einem feinen Maschennetz zusammen, in welchem jene kleinen Zellen der Drüse aufgehäuft sind, von denen wir vermuthen, dass sie die Ausgangspunkte für die Entwickelung der Blutkörperchen darstellen. Die Arterien verlaufen zunächst in den Septa der Follikel und lösen sich hier in Capillaren auf, welche die Follikel umspinnen und von da in das Innere der Follikel selbst eindringen. Die amyloide Erkrankung der Lymphdrüsen besteht nun einerseits darin, dass diese Arterien dicker[449] und enger werden und weniger Blut zuleiten, andererseits darin, dass die kleinen Zellen innerhalb der einzelnen Maschenräume der Follikel in Corpora amyloidea übergehen, und dass nachher anstatt vieler Zellen in jeder Masche des Follikels eine einzige grosse blasse Scholle angetroffen wird. Dadurch gewinnt die Drüse schon für das blosse Auge das Aussehen, als wenn sie mit kleinen Wachspunkten durchsprengt wäre, und bei der mikroskopischen Untersuchung erscheint es wie ein dichtes Strassenpflaster, welches die ganze Inhaltmasse zusammensetzt.
Ueber die Bedeutung dieser Veränderungen lässt sich empirisch nicht viel aussagen, allein, wenn gerade der Follikel-Inhalt das Wesentliche bei einer Lymphdrüse ist, wenn von hier aus die Entwickelung der neuen Bestandtheile des Blutes erfolgt, so muss man wohl schliessen, dass die Erkrankung der Lymphdrüsen und der Milz, wo nicht selten gleichfalls die Follikel getroffen werden, für die Blutbildung direct einen nachtheiligen Einfluss haben müsse, dass es sich also nicht um weitliegende Wirkungen handele, sondern dass direct die Blutbildung eine Abänderung erleiden und Zustände der Anämie (Anaemia lymphatica Wilks) nachfolgen müssen. Auch kann für den Lymphstrom eine Hemmung und dadurch wieder Mangel an Resorption, Neigung zu Hydrops u. s. w. entstehen.
Wenden wir auf die Durchschnitte solcher Drüsen Jod an, so färben sich alle erkrankten Theile roth, während alles Uebrige, was der normalen Struktur entspricht, einfach gelb wird. Die Kapsel, welche aus Bindegewebe besteht, die fibrösen Balken oder Scheidewände zwischen den Follikeln, das feine Netz, welches die einzelnen Corpora amyloidea auseinanderhält, endlich diejenigen Follikel, welche normale Zellen enthalten, bleiben gelb. Alle anderen Theile nehmen schon für das blosse Auge das jodrothe Aussehen an. Bringen wir unter dem Mikroskop Schwefelsäure dazu, so werden diese Stellen dunkel röthlichbraun, violettroth und, trifft man es glücklich, rein blau; sind noch albuminöse Partikelchen dazwischen, so erscheint eine grüne oder braunrothe Farbe.
In allen Fällen beginnt die Erkrankung der Lymphdrüsen in den cortikalen Follikeln auf derjenigen Seite, wo die zuführenden Lymphgefässe in die Drüse eintreten; von da schreitet sie nach und nach gegen die Marksubstanz fort, ohne diese jedoch für gewöhnlich zu erreichen. In dieser Weise verändert sich[450] eine Drüse nach der anderen und zwar in der Reihenfolge, dass zuerst die mehr peripherischen leiden und dann eine nach der anderen der in der Richtung des Lymphstromes auf einander folgenden Drüsen. Aber besonders bemerkenswerth ist es, dass diese Art der Veränderung sich nicht allgemein an allen peripherischen Lymphdrüsen findet, sondern nur an gewissen Stellen oder in gewissen Provinzen des lymphatischen Systemes. Sucht man dafür einen Grund, so ergibt sich als Regel, dass in der Gegend, wo die Wurzeln der zu den erkrankten Lymphdrüsen hingehenden Lymphgefässe liegen, eine chronische Erkrankung, meist eine alte Eiterung stattfindet. Meine Erfahrungen betreffen überwiegend Fälle von langdauernder Caries und Nekrose der Wirbel- und Schenkelknochen, wo die Lumbal- und Inguinaldrüsen die hauptsächlich leidenden waren.
Der Gang der amyloiden Erkrankung[221] entspricht demnach in vielen Stücken demjenigen, welchen wir bei den secundären Lymphdrüsen-Anschwellungen der Skrofulösen, Krebsigen, Typhösen beobachten. Drüse nach Drüse wird getroffen, und in der einzelnen Drüse Follikel nach Follikel, jedoch immer so, dass die Richtung des Lymphstromes die Priorität der Erkrankung bestimmt. Hier lässt sich der Schluss kaum ablehnen, dass die Lymphgefässe die Conductoren des Prozesses sind. Ihre Wandungen sind nicht erkrankt; ist der Inhalt, den sie führen, ein veränderter? Vergeblich habe ich mich bemüht, in den erkrankten Knochen selbst amyloide Substanz zu finden. Es bleibt also unentschieden, ob eine solche Substanz den Drüsen zugeführt und in sie abgesetzt wird, oder ob irgend ein anderer Stoff zugeleitet wird, welcher das Drüsengewebe erst zu der selbständigen Erzeugung der Substanz oder zu ihrer Aufnahme aus dem Blute veranlasst. Vorläufig ist es wahrscheinlicher, dass der Drüse durch die Lymphe nur eine Anregung in dem letzteren Sinne zukommt, zumal da die Erkrankung der in die Drüse eingehenden Arterien im Sinne der ersteren Möglichkeit nicht leicht zu erklären sein würde.
Unter den übrigen Prozessen sind es namentlich die Tuberkulose und die Syphilis, welche sich in ihren späteren Stadien sehr häufig mit weit ausgedehnter Amyloid-Erkrankung compliciren.[451] Am meisten ist dies bei der constitutionellen Lues der Fall, so dass einzelne Beobachter zu der Vorstellung gekommen waren, die Produkte der secundären Syphilis seien jederzeit „speckige“. Zu einer solchen Auffassung konnte schon der Sprachgebrauch verführen, indem bekanntlich seit langer Zeit die speckigen Infiltrationen, der speckige Geschwürsgrund als besondere Eigenthümlichkeiten secundär-syphilitischer Prozesse angegeben wurden. Allein ich habe dargelegt[222], dass ein wesentlicher Unterschied zwischen den gummösen, im alten Sinne speckigen Producten der Syphilis und den amyloiden, im neueren Sinne speckigen Entartungen besteht, dass die letzteren erst in der Tertiär- oder genauer Quaternärperiode aufzutreten pflegen, und dass sie überhaupt nicht der Syphilis als solcher, sondern vielmehr der Kachexie angehören. Aber gerade für die Geschichte der syphilitischen Kachexie sind sie von der allergrössten Bedeutung, da nur durch ihre Kenntniss manche Eigenthümlichkeiten dieses Zustandes verständlich geworden sind.
Ueberaus merkwürdig ist es, dass gerade zwei Organe, von deren Bedeutung man überaus wenig weiss, die aber gewissermaassen instinctiv der Gruppe der sogenannten Blutdrüsen zugerechnet worden sind, nehmlich die Schilddrüse (Glandula thyreoidea) und die Nebennieren verhältnissmässig häufig an der Amyloid-Erkrankung theilnehmen. Auch ist es gewiss merkwürdig, dass an den letzteren gerade die sogenannte Rinde, welche in der Struktur mit der Schilddrüse in so vielen Stücken übereinstimmt, ausgesetzt ist, während die Marksubstanz, welche einen mehr gliösen Bau hat, fast ganz verschont bleibt, — ein Umstand, der insofern bemerkenswerth ist, als selbst bei der stärksten Amyloiderkrankung der Rindensubstanz keine Broncefärbung der Haut eintritt. An beiden Organen sind es gleichfalls die kleinen Arterien, von welchen die Veränderung ausgeht; später setzt sie sich auf die Capillaren fort, und nicht selten wird sie so stark, dass die ganze Substanz schon für das blosse Auge ein wächsernes Aussehen annimmt. —
Schon früher (S. 438, S. 440) erwähnte ich, dass die amyloide Erkrankung in mehrfacher Beziehung Aehnlichkeit mit der einfachen[452] Verkalkung (kalkigen Degeneration) habe. Man muss sich aber wohl hüten, in den Fehler zu verfallen, der so häufig begangen ist, dass man Verkalkung und Verknöcherung identificirt. Verknöcherung ist ein activer, progressiver Prozess; Verkalkung dagegen kann ein im hohen Grade passiver, regressiver Prozess sein und eine wirkliche Atrophie[223] oder eine blosse Versteinerung todter Theile[224] darstellen. Will man zwischen Ossification und Verkalkung unterscheiden, so genügt es nicht, das endliche Resultat im Auge zu behalten. Ein Theil wird nicht regelmässiger Knochen dadurch, dass ein Gewebe, in welchem sternförmige Zellen vorhanden sind, in seine Grundmasse Kalk aufnimmt; es kann trotzdem nichts weiter als verkalktes Bindegewebe sein. Wenn wir von Ossification reden, so setzen wir immer voraus, dass dieselbe durch einen activen Vorgang, eine Reizung hervorgerufen ist. Diese wirkt aber nicht so, dass ein schon existirendes Gewebe einfach dadurch, dass es Kalksalze aufnimmt, die Knochenform anzieht. Vielmehr wird das Gewebe selbst durch die Reizung verändert, noch bevor es die Kalksalze aufnimmt, entweder so, dass nur seine Grundsubstanz dichter und homogener wird (sklerosirt, cartilaginescirt), oder so, dass eine Proliferation der Zellen voraufgeht und die Verkalkung an wirklich neugebildetem Gewebe geschieht. Dasselbe Gewebe kann daher einfach verkalken und wirklich verknöchern.
So gibt es an den Gefässen Verkalkungen und Ossificationen. In alter Zeit hat man, namentlich an den Arterien, Alles Ossificationen genannt. Viele der Neueren dagegen haben geleugnet, dass dieselbe überhaupt an den Gefässen vorkomme. Faktisch kommt sowohl Ossification vor, als auch blosse Verkalkung, oder, wie ich nach Art der Paläontologen sagen will, Petrification. Letztere ist an den peripherischen Arterien verhältnissmässig am häufigsten und wird hier gewöhnlich als ein Merkmal des atheromatösen Prozesses betrachtet. Dies ist jedoch nicht richtig, denn der atheromatöse Prozess hat seinen Sitz in der Intima der Arterien. Fühlt man dagegen die Radialarterie hart und höckerig, erkennt man an der Cruralis oder Poplitaea starre Wandungen, so kann man ziemlich sicher schliessen, dass diese Verhärtung[453] ihren Sitz in der Media hat. In diesem Falle trifft die Verkalkung wirklich die Muskelelemente; die Faserzellen der Ringfaserhaut werden in Kalkspindeln verwandelt. Die Kalkmasse kann allerdings auch noch die Nachbartheile überziehen; die innere Haut aber bleibt dabei möglicherweise ganz intact. Dieser Prozess ist daher mehr verschieden von dem, welchen man atheromatös nennt, als eine Periostitis von einer Erkrankung des Knochengewebes. Die einfache Verkalkung hat gar keinen nothwendigen Zusammenhang mit einer Entzündung der Arterie; sie kommt am gewöhnlichsten unter Verhältnissen vor, wo überhaupt eine Neigung zu Verkalkungen eintritt, daher namentlich im höheren Lebensalter. Das ist wenigstens mit Sicherheit zu sagen, dass noch kein Stadium dieser Veränderungen bekannt ist, welches der Entzündung parallel stände.
Schon vor langer Zeit habe ich gezeigt[225], dass an Stellen, wo kein wirklicher Knorpel präexistirt, bei der wahren Ossification schon vor der Ablagerung der Kalksalze ein Gewebe vorhanden zu sein pflegt, welches im Wesentlichen alle Bestandtheile des späteren Knochens, sowohl die Körperchen, als die Intercellularsubstanz enthält, nehmlich ein osteoides Bindegewebe[226], und dass dieses dadurch zu Knochengewebe wird, dass es Kalksalze in seine Intercellularsubstanz aufnimmt. Aber, wie erwähnt, entweder ist dieses Bindegewebe neugebildetes, oder es erfährt vor der Verkalkung eine besondere, progressive Veränderung, indem seine Grundsubstanz sich verdichtet und verdickt, sclerosirt[227]. Dieses veränderte Bindegewebe, der Hautknorpel der früheren Autoren, besser Knochenknorpel genannt, gibt zum Theil Chondrin, zum Theil wirklichen Leim. Man kann daher sagen, dass erst das metamorphosirte Bindegewebe wirklich zu Knochen verkalkt, während eine einfache Verkalkung des gewöhnlichen Bindegewebes nie Knochen liefert, sondern immer nur verkalktes Bindegewebe. Solche Zustände kommen an der Dura mater nicht selten vor, wo sie jedoch nicht mit den noch weit häufigeren Osteomen[228] zu verwechseln sind; sie finden sich an den Lungen, der Schleimhaut des Magens, der Keilbeinhöhlen[229].
Fig. 127. Verkalkung des Gelenkknorpels am unteren Ende des Femur von einem alten Manne. Anfangs körnige, später homogene Erfüllung der Capsularsubstanz mit Kalksalzen bei Erhaltung der Knorpelkörperchen. Vergr. 300.
In noch viel auffälligerer Weise, als am Bindegewebe, zeigt sieh die Verschiedenheit zwischen Verkalkung und Verknöcherung an den Knorpeln. Die blosse Ablagerung von Kalksalzen in die Substanz des Knorpels ist nichts weniger als eine Verknöcherung[230], obwohl man noch heutigen Tages diese zwei Dinge immerfort mit einander verwechselt. Die einfache Verkalkung erfolgt bei der gewöhnlichen Bildung wachsender und sich entwickelnder Knochen vor der wirklichen Verknöcherung, worauf wir später zurückkommen werden. Aber sie findet sich nicht bloss an solchem Knorpel, der in der typischen Entwickelung des Skeletts dazu bestimmt ist, in Knochen aufzugehen, sondern auch an den sogenannten permanenten Knorpeln. Man trifft sie in dem Gelenkknorpel älterer Leute, also an Theilen, welche normal nicht zur Ossification bestimmt sind, gar nicht selten, und zwar am gewöhnlichsten in der tiefen Zone derselben, welche unmittelbar der[455] Terminallamelle des Knochens aufliegt. Hier lagern sich die Kalksalze häufig zuerst in die dicke Kapselsubstanz ab, welche die Knorpelzellen umgibt, und durchdringen erst später die eigentliche Intercellularsubstanz, lassen aber die Knorpelzellen selbst frei. Wie überall, so geschieht die Ablagerung auch hier Anfangs in der Art, dass die Kalktheilchen als feinste Körnchen in der noch erkennbaren organischen Grundsubstanz erscheinen. Nach und nach werden sie dichter, das Grundgewebe verschwindet endlich vor den Augen und eine ganz homogene, krystallartige Masse tritt an seine Stelle. Beschränkt sich der Prozess auf die Kapseln der Knorpelkörperchen, so sieht es aus, als wenn Nüsse mit dicker Schale und rundlicher oder rundlich eckiger Höhle in der Grundsubstanz zerstreut lägen (Fig. 127). Nimmt auch die Grund- oder Intercellular-Substanz an der Verkalkung Antheil, so verschwindet die Grenze zwischen ihr und der Kapselsubstanz; es entsteht eine ganz gleichmässige, harte Masse, in welcher, entsprechend den früheren Knorpelzellen, rundliche oder leicht eckige Höhlen liegen. Löst man die Kalksalze mit Säuren auf, so hat man wieder den Knorpel in seiner gewöhnlichen Form. Dabei ist zu bemerken, dass es ein, freilich sehr lange Zeit hindurch geglaubter Irrthum war, als man annahm, dass auch aus fertigem Knochengewebe, wenn es durch Säuren seiner Salze beraubt würde, wieder Knorpel dargestellt werden könne.
Diese einfache Knorpel-Verkalkung hat die grösste Uebereinstimmung mit der Infiltration von harnsaurem Natron, wie sie bei der Gicht (S. 251) vorkommt. Nur erscheint das harnsaure Natron stets in fein-krystallinischen Formen und seine Theilchen vereinigen sich nicht zu dichten, glas- oder elfenbeinartigen Massen, wie kohlensaurer und phosphorsaurer Kalk, sondern bilden eine bröckelige, losere, tuffartige Masse (Tophus). Das ist aber unzweifelhaft, dass sowohl die Kalk- als die Natronsalze aus dem Blute abgelagert werden, dass es sich also um eine Infiltration oder Incrustation handelt. Diese kann, wie wir sahen (S. 252), eine metastatische sein.
Die Ablagerung der Kalksalze geschieht aber auch häufig in Form besonderer Kalkkörper oder Concretionen, welche einen geschichteten Bau haben, den Stärkekörnern ähnlich sind und sich zwischen den Gewebselementen oder in den Cavitäten oder den Kanälen des Körpers, z. B. in den Harnkanälchen, im[456] Gehirne finden. In der Prostata kommen amylacische und verkalkte, lamellöse Concretionen nicht selten in einer und derselben Drüse neben einander vor. Hier scheint es sogar, dass amylacische Körper verkalken. Ganz bestimmt habe ich dies bei Amyloidsubstanz der Leber beobachtet[231]. Indess sind dies seltene Verbindungen; in der Regel besteht die amyloide Entartung, so viele Vergleichungen mit der Verkalkung sie auch zulässt, für sich.
Dass die Theile, welche verkalken, eine besondere Anziehung auf die im Blute oder in den Säften vorhandenen Kalksalze ausüben müssen, lässt sich nicht abweisen. Es ist dies aber kein besonderer Lebensact, denn die Verkalkung erfolgt überall auf dieselbe Art. Die geologische Versteinerung ist der pathologischen ganz gleich. Todte Theile verkalken und versteinern im menschlichen Körper, wie in den Schichten des Erdkörpers; ja es ist dies sogar eine der gewöhnlichsten Arten der Veränderung, welche abgestorbene Theile von geringerem Umfange im Körper erfahren[232]. Am auffälligsten zeigt dies die Geschichte der sogenannten Lithopädien, sowie die Petrification abgestorbener Eingeweidewürmer, am häufigsten der Cysticerken. Bei den Trichinen trifft die Verkalkung gewöhnlich nur die Kapsel, während das Thier innerhalb derselben noch lebendig bleibt; doch gibt es auch Fälle, wo die Thiere in der noch unverkalkten Kapsel absterben und versteinern. Bei abgestorbenen Leber-Echinokokken habe ich sämmtliche jungen Thiere versteinert gesehen, während die Kapseln und die Mutterblasen unversehrt waren. Ganz besonders interessant ist die isolirte Verkalkung von Ganglienzellen des Gehirnes nach Commotion, die ich vor einiger Zeit nachgewiesen habe[233]. Auch blosse organische Massen, z. B. alte Thromben, nekrobiotische Gewebstheile, z. B. die käsigen, tuberkelartigen Residuen, verkalken auf dieselbe Weise.
Aus diesen Beispielen geht hervor, dass nicht jeder Theil beliebig verkalkt, sondern dass er sich dazu in besonderen Verhältnissen befinden muss. Ist er nicht abgestorben, so geht doch eine chemische Veränderung, häufig eine physiologische Schwächung voraus. Dies gilt namentlich für den Fall, wo die Zellen eines[457] Theiles, und nicht etwa, wie bei dem Knochen, nur die Intercellularsubstanz, verkalken. Sind die zelligen Elemente eines Gewebes verkalkt, so ist es eine träge Masse geworden, welche für die Zwecke, denen es eigentlich dienen sollte, unbrauchbar ist. Es ist gleichsam zur Ruhe gebracht, beigesetzt.
Und so ist die einfache Verkalkung ein im hohen Maasse passiver Vorgang, der das Wesen und die Bedeutung der indurirenden passiven Prozesse besonders gut erläutert. —
Fußnoten:
[212] Geschwülste I. 13, 325, 365.
[213] Archiv VI. 268. Gaz. hebdom. de méd. et de chirurg. 1853. p. 161. (Sitzung der Acad. des sc. vom 5. Dec. 1853).
[214] Archiv VI. 416. VIII. 140, 364. XI. 188. XIV. 187. Würzb. Verhandl. VII. 222.
[215] Würzb. Verhandl. II. 51.
[216] Archiv IV. 418–21. VIII. 141. Würzb. Verhandl. VII. 228.
[217] Würzburger Verhandl. I. 314. Archiv XII. 103.
[218] Würzb. Verhandl. VII. 277. Archiv VIII. 364.
[219] Archiv XII. 318.
[220] Würzb. Verhandl. VII. 222.
[221] Archiv VIII. 364.
[222] Archiv XV. 232. Geschwülste II. 417, 471.
[223] Spec. Pathologie und Ther. I. 307.
[224] Verh. der Berliner med. Gesellschaft. I. 253.
[225] Archiv I. 136. Würzb. Verhandl. II. 158.
[226] Archiv V. 439. Geschwülste I. 463, 472.
[227] Archiv V. 443, 455.
[228] Geschwülste II. 92.
[229] Archiv VIII. 103. IX. 618. Entwickelung des Schädelgr. 41. Taf. IV. Fig. 19.
[230] Archiv V. 420, 429.
[231] Geschwülste II. 430.
[232] Verhandl. der Berliner med. Gesellschaft. I. 253.
[233] Archiv L. 304.
Fettmetamorphose als Entzündungs-Ausgang. Unterschied zwischen primärer (einfacher) und secundärer (entzündlicher) Fettmetamorphose. Nieren, Muskeln.
Atheromatöser Prozess der Arterien. Atheromatie und Ossification als Folgen der Arteriosklerose. Entzündlicher Charakter der letzteren: Endoarteriitis chronica deformans s. nodosa. Bildung der Atheromheerde. Cholestearin-Abscheidung. Ossification. Ulceration. Analogie mit der Endocarditis.
Die Entzündung. Die vier Cardinalsymptome und deren Vorherrschen in den einzelnen Schulen. Die thermische und vasculäre Theorie, die neuropathologische, die Exsudatlehre. Entzündungsreiz. Functio laesa. Die Entzündung in gefässlosen und in gefässhaltigen Theilen. Das Exsudat als Folge der Gewebsthätigkeit: Schleim und Fibrin. Die Entzündung als zusammengesetzter Reizungsvorgang. Parenchymatöse und exsudative (secretorische) Form. Klinische und anatomische Bedeutung der Entzündung. Irrthum von der einheitlichen Natur der Entzündungs-Vorgänge. Multiplicität der entzündlichen Prozesse.
Die Betrachtung der passiven Prozesse hatte uns zu einer Darstellung der Vorgänge bei der Fettmetamorphose geführt. Ich sage Fettmetamorphose, einmal weil unter der Bezeichnung der fettigen Degeneration im Laufe der Zeit zu vielerlei Vorgänge zusammengeworfen sind, andermal weil ich in der That die Ansicht hege, dass das Fett hier durch eine chemische Metamorphose aus dem früheren Zelleninhalt, also vielleicht aus eiweissartiger Substanz erzeugt wird. Jedenfalls geht nicht nur die normale Struktur der Theile dabei zu Grunde, sondern es tritt auch an die Stelle der histologischen Elemente, welche zerfallen und sich auflösen, eine nicht mehr organische, rein emulsive Masse, es bildet sich, kurz gesagt, ein fettiger Detritus. Es macht dabei nichts aus, ob eine Eiterzelle, ein Bindegewebskörperchen, eine Nerven- oder Muskelfaser, ein Gefäss die Veränderung erfährt;[459] das Resultat ist immer dasselbe: ein milchiger Detritus, eine amorphe Anhäufung von Fett- oder Oeltheilchen in einer mehr oder weniger eiweissreichen Flüssigkeit. Wenn wir für alle Fälle der Fettmetamorphose diese Uebereinstimmung festhalten, so folgt daraus doch keinesweges, dass der Werth dieser Veränderung in Beziehung auf die Krankheitsvorgänge, im Laufe welcher sie eintritt, jedesmal gleich sei. Man kann das schon daraus abnehmen, dass, während ich diese Metamorphose unter der Kategorie der rein passiven Störungen vorgeführt habe, gerade eines der Gebilde, welches dabei am häufigsten auftritt, die Körnchenkugel, lange Zeit hindurch als das specifische Element der Entzündung betrachtet worden ist. Jahrelang sah man die Entzündungskugel für eine wesentliche, pathognomonische und daher diagnostische Erscheinung des Entzündungsprozesses an, und in der That, die Häufigkeit, mit welcher man in entzündeten Theilen fettig degenerirte Zellen findet, beweist genügend, dass im Laufe der entzündlichen Prozesse, welche wir nimmermehr als einfach passive Vorgänge betrachten können, solche Umwandlungen geschehen. Es handelt sich also darum, eine Unterscheidung beider Reihen, der einfach passiven und der entzündlichen, zu finden.
Freilich hat diese Unterscheidung in einzelnen Fällen ihre sehr grossen Schwierigkeiten. Meiner Ueberzeugung nach besteht die einzige Möglichkeit einer Orientirung darin, dass man untersucht, ob der Zustand der fettigen Degeneration ein primärer oder ein secundärer ist, ob er eintritt, sobald überhaupt eine Störung bemerkbar wird, oder ob er erst erfolgt, nachdem eine andere bemerkbare Störung vorangegangen ist. Die secundäre Fettmetamorphose, bei welcher erst in zweiter Linie diese eigenthümliche Umwandelung zu Stande kommt, folgt in der Regel auf ein erstes actives oder irritatives Stadium; eine ganze Reihe derjenigen Prozesse, welche wir ohne Umstände Entzündungen nennen, verläuft in der Weise, dass als zweites oder drittes anatomisches Stadium eine fettige Metamorphose der Gewebe auftritt. Diese entsteht also hier nicht als das unmittelbare Resultat der Reizung des Theiles, sondern wo wir Gelegenheit haben, die Geschichte der Veränderung genauer zu verfolgen, da zeigt sich fast immer, dass dem Stadium der fettigen Degeneration ein anderes Stadium voraufgeht[234], nehmlich[460] das der trüben Schwellung, in welchem die Theile sich vergrössern, an Umfang und zugleich an Dichte zunehmen, indem sie eine grosse Menge von neuem Material in sich aufsaugen. Absichtlich sage ich aufsaugen[235], weil ich es für falsch halte, dass der Theil etwa von aussen genöthigt worden ist, dieses Material aufzunehmen, dass er etwa durch Exsudat von den Gefässen aus überschwemmt worden ist. Dieselben Erscheinungen treten auch an Theilen auf, die keine Gefässe haben. Aber erst dann, wenn die Ansammlung ein solches Maass erreicht hat, dass die Constitution in Frage gestellt wird, leitet sich ein fettiger Zerfall im Inneren der Elemente ein. So können wir die fettige Degeneration des Nierenepithels als ein späteres Stadium der Bright'schen Krankheit, oder, wie ich sage, der parenchymatösen Nephritis bezeichnen; ihr geht ein Stadium der Hyperämie und Schwellung voraus, wo jede Epithelzelle eine grosse Quantität von opaker Masse in sich ansammelt, ohne dass im Anfange auch nur eine Spur von Fetttröpfchen zu bemerken ist[236]. So schwillt der Muskel unter Einwirkungen, welche nach dem allgemeinen Zugeständniss eine Entzündung machen, z. B. nach Verwundungen, nach chemischen Aetzungen; seine Primitivbündel werden breiter und trüber, und in einem zweiten Stadium beginnt in ihnen dieselbe fettige Degeneration, welche wir andere Male, z. B. bei Lähmungen, direct auftreten sehen[237].
Man kann also, wenn man ganz allgemein spricht, allerdings sagen, dass es eine entzündliche Form der fettigen Degeneration gibt. Allein, genau genommen, ist diese entzündliche Form nur ein späteres Stadium, ein Ausgang, welcher den eintretenden Zerfall der Gewebsstruktur anzeigt, wo der Theil nicht mehr im Stande ist, seine Sonderexistenz fortzuführen, sondern wo er so weit dem Spiele der chemischen Kräfte seiner constituirenden Theile verfällt, dass das nächste Resultat seine vollständige Auflösung ist. Gerade diese Art von Entzündungszuständen hat eine sehr grosse Bedeutung, weil an allen Theilen, wo die wesentlichen Elemente in dieser Weise verändert werden, überhaupt keine unmittelbare, nutritive oder einfach regenerative Restitution möglich[461] ist. Wenn eine Muskelentzündung besteht, bei welcher die Muskelprimitivbündel der fettigen Degeneration verfallen, so gehen sie auch regelmässig zu Grunde, und wir finden nachher an der Stelle, wo die Degeneration stattgefunden hatte, eine, wenn auch nicht offene, Lücke (einen Defect) im Muskelfleisch. Die Niere, deren Epithel in fettige Degeneration übergeht, schrumpft fast immer zusammen; das Resultat ist eine bleibende Atrophie. Ausnahmsweise kommt vielleicht etwas zu Stande, was als Regeneration des Epithels gedeutet werden könnte, aber gewöhnlich ist ein Zusammensinken der ganzen Struktur die Folge. Dasselbe sehen wir am Gehirne bei der gelben Erweichung, gleichviel, wie sie bedingt sein mag. Ob Entzündung oder nicht vorherging, es bildet sich ein Heerd, welcher sich nie wieder mit Nervenmasse ausfüllt. Vielleicht, dass eine einfache Flüssigkeit die fehlenden Gewebe ersetzt; von irgend einer Herstellung eines neuen, functionell wirksamen Theiles kann niemals die Rede sein.
So muss man es sich erklären, dass scheinbar sehr ähnliche Zustände, welche man vom pathologisch-anatomischen Standpunkte aus als identisch erklären möchte, vom klinischen Standpunkte aus weit auseinander liegen, ja dass man an denselben Theilen dieselben Veränderungen trifft, ohne dass doch der Gesammtprozess, welchem sie angehören, derselbe war. Wenn ein Muskel einfach fettig degenerirt, so kann das Primitivbündel ebenso aussehen, als wenn eine Entzündung darauf eingewirkt hat. Die Myocarditis erzeugt ganz analoge Formen der fettigen Degeneration innerhalb des Herzfleisches, wie die übermässige Dilatation der Herzhöhlen. Wenn eine der letzteren z. B. durch Hemmung des Blutstromes oder Incontinenz der Klappen dauernd sehr ausgespannt wird, so tritt an dem am meisten gespannten Theile sehr häufig eine fettige Degeneration des Muskelfleisches ein. Diese gleicht morphologisch so vollständig einem Stadium der Myocarditis, dass in vielen Fällen überhaupt gar nicht mit Sicherheit zu sagen ist, auf welche Weise der Prozess entstanden sein mag.
Versuchen wir, die Methode der Lösung solcher Schwierigkeiten an einer wichtigen, häufigen und zugleich vielfach missverstandenen Krankheit darzulegen, nehmlich an dem sogenannten atheromatösen Prozesse der Arterien[238]. Gerade bei ihm[462] ist die Confusion in der Deutung der Veränderungen vielleicht am grössten gewesen.
Zu keiner Zeit im Laufe dieses Jahrhunderts hat man sich vollständig über das geeinigt, was man unter dem Ausdrucke der atheromatösen Veränderung an einem Gefässe verstehen wollte. Der Eine hat den Begriff weiter, der Andere hat ihn enger gefasst, und doch ist er vielleicht von Allen zu weit gefasst worden. Als nehmlich die Anatomen des vorigen Jahrhunderts den Namen des Atheroms auf eine bestimmte Veränderung der Arterienhäute anwandten, hatten sie natürlich einen ähnlichen Zustand im Sinne, wie derjenige ist, welchen man schon seit dem griechischen Alterthume an der Haut mit dem Namen des Atheroms, des Grützbalges belegt hatte[239]. Es versteht sich danach von selbst, dass der Begriff des Atheroms sich auf einen geschlossenen Heerd, eine Art von Balggeschwulst (Tumor cysticus) bezieht. Niemand hat etwas an der Haut Atherom genannt, was offen und frei zu Tage lag. Es war daher ein sonderbares Missverständniss, als man neuerlich anfing, an den Gefässen auch solche Veränderungen Atherome zu nennen, welche nicht abgeschlossen in der Tiefe liegen, sondern ganz und gar der Oberfläche angehören. Anstatt, wie es ursprünglich gemeint war, einen geschlossenen Heerd atheromatös zu nennen, hat man damit häufig eine Veränderung bezeichnet, welche in der innersten Arterienhaut ganz oberflächlich bestand. Als man anfing, die Sache feiner zu untersuchen, und als man an sehr verschiedenen Punkten der Gefässwand, sowohl bei Atherom, als ohne dasselbe, fettige Partikeln fand (Fig. 122), als man sich endlich überzeugte, dass der Prozess der fettigen Degeneration immer derselbe und mit der atheromatösen Veränderung nahezu identisch sei, so wurde es Sitte, alle Formen der fettigen Degeneration an den Arterien in der Bezeichnung des Atheroms oder der Atherose zu vereinigen. Nach und nach kam man sogar dahin, von einer atheromatösen Veränderung solcher Gefässe zu sprechen, welche nur eine einfache Haut haben, denn auch an den Capillaren stösst man auf fettige Processe.
Seit Langem hat es ferner Beobachter gegeben, welche die Ossification der Gefässe als eine mit dem Atherom zusammengehörige Veränderung betrachteten. Haller und Crell glaubten,[463] dass die Ossification aus der atheromatösen Masse hervorginge, und dass die letztere ein Saft sei, welcher ähnlich, wie man es von dem unter dem Periost des Knochens ausschwitzenden Safte annahm, fähig sei, aus sich Knochenplatten zu erzeugen. Später erkannte man freilich, dass Atheromatie und Ossification zwei parallele Vorgänge seien, welche aber auf einen gemeinschaftlichen Anfang hinwiesen. Es wäre nun wohl logisch gewesen, wenn man sich zunächst darüber geeinigt hätte, welches dieser gemeinschaftliche Anfang wäre, von dem die atheromatöse Veränderung und die Ossification ausgingen. Statt dessen gerieth man in die Bahn der fettigen Entartungen und dehnte den atheromatösen Prozess über eine Reihe von kleinen Gefässen aus, an denen die Bildung irgend eines wirklich dem atheromatösen Heerde der Haut vergleichbaren geschlossenen Sackes oder Balges überhaupt unmöglich ist.
Nun liegt aber die Sache auch hier sehr einfach so, dass man an den Gefässen zwei, ihrem endlichen Resultate nach sehr analoge Prozesse trennen muss: zuerst die einfache (passive) Fettmetamorphose, welche ohne ein weiter erkennbares Vorstadium eintritt, wo die vorhandenen Elemente unmittelbar in fettige Degeneration übergehen und zerstört werden, und wodurch eben nur ein mehr oder weniger ausgedehnter Verlust (Usur) von Bestandtheilen der Gefässwand zu Stande kommt; sodann eine zweite Reihe von Vorgängen, wo wir vor der Fettmetamorphose ein Stadium der Reizung unterscheiden können, welches übereinstimmt mit dem Stadium der Schwellung, Vergrösserung, Trübung, das wir an anderen entzündeten Stellen sehen. Ich habe daher kein Bedenken getragen, in dieser Frage mich ganz auf die Seite der alten Anschauung zu stellen, und als den Ausgangspunkt der sogenannten atheromatösen Degeneration eine Entzündung der Gefässwand zuzulassen (Endoarteriitis); und ich habe mich weiterhin bemüht zu zeigen, dass diese Art von entzündlicher Erkrankung der Gefässwand in der That genau dasselbe ist, was man allgemein an den Herzwandungen eine Endocarditis nennt. Zwischen beiden Prozessen besteht kein anderer Unterschied, als dass die Endocarditis häufiger acut, die Endoarteriitis häufiger chronisch verläuft.
Mit einer solchen Scheidung der Prozesse an den Arterien in einfach degenerative (passive) und entzündliche (active) erklärt[464] sich sofort der verschiedene Verlauf. Trügerisch ist nur der Umstand, dass beide Prozesse sich gelegentlich in demselben Falle gleichzeitig finden. Neben den charakteristischen Umwandlungen der chronisch entzündlichen Theile in der Tiefe finden sich an der Oberfläche nicht selten einfach fettige Veränderungen.
Fig. 128. Verticalschnitt durch die Aortenwand an einer sklerotischen, zur Bildung eines Atheroms fortschreitenden Stelle. mm' Tunica media, i i' i″ Tunica intima. Bei S die Höhe der sklerotischen Stelle gegen die Gefässlichtung, i die innerste, über den ganzen Heerd fortlaufende Lage der Intima, i' die wuchernde, sklerosirende und schon zur Fettmetamorphose sich anschickende Schicht, i″ die schon fettig metamorphosirte, bei e, e direkt erweichende, zunächst an die Media anstossende Lage. Vergr. 20.
Betrachten wir nun die Atheromatie etwas genauer, z. B. an der Aorta, wo der Prozess am gewöhnlichsten ist. Im Anfange (d. h. eigentlich zu einer Zeit, wo noch nichts Atheromatöses vorhanden ist) entsteht an der Stelle, wo die Reizung stattgefunden hat, eine Anschwellung, kleiner oder grösser, nicht selten so gross, dass sie als wirklicher Buckel über das Niveau der inneren Oberfläche hervorragt. Diese Hervorragungen unterscheiden sich von der Nachbarschaft durch ihr durchscheinendes, hornhautartiges Aussehen. In der Tiefe sehen sie mehr trübe aus. Hat die Veränderung eine gewisse Dauer gehabt, so zeigen sich die weiteren[465] Umwandelungen nicht an der Oberfläche, sondern unmittelbar da, wo die Intima die Media berührt, wie das die Alten sehr gut beschrieben haben. Wie oft haben sie mit Bestimmtheit behauptet, dass man die innere Haut über die veränderte Stelle hinweg abziehen könne! Daraus ging die Schilderung von Haller hervor, dass die breiartige, atheromatöse Masse in einer geschlossenen Höhle, wie eine kleine Balggeschwulst, zwischen Intima und Media läge. Nur das war falsch, dass man die Geschwulst als einen besonderen, von den Gefässhäuten trennbaren Körper betrachtete, über welchen die sonst unveränderte Intima einfach hinwegliefe. Es ist vielmehr die stark verdickte Intima selbst, welche ohne Grenze in die Geschwulst übergeht. Je weiter der Prozess fortschreitet, um so mehr bildet sich aus der Erweichung und dem Zerfalle der tiefsten Lagen der Intima ein geschlossener Heerd, während die oberflächlichen Schichten sich noch unversehrt erhalten; zuletzt kann es sein, dass der Heerd fluctuirt und beim Einschnitte eine breiige Materie sich entleert, wie der Eiter beim Einschnitte in einen Abscess.
Untersucht man nun die Masse, welche am Ende des Prozesses vorhanden ist, so sieht man zahlreiche Cholestearinplatten, welche oft schon für das blosse Auge als glitzernde Scheibchen hervortreten: grosse rhombische Tafeln, welche meist zu vielen nebeneinanderliegen, sich decken und im Ganzen einen Glimmerreflex erzeugen. Neben diesen Platten finden sich die unter dem Mikroskope bei durchfallendem Lichte schwarz erscheinenden Körnchenkugeln, innerhalb derer die einzelnen Fettkörnchen zuerst ganz fein sind. Die Kugeln sind gewöhnlich in grosser Masse vorhanden; einzelne sieht man zerfallen, sich auseinander lösen und Partikelchen davon, wie in der Milch, umherschwimmen. Daneben mehr oder weniger grosse amorphe Gewebsfragmente, welche noch zusammenhalten und durch die Erweichung der übrigen, nicht fettig veränderten Gewebssubstanz entstehen; in sie sind hie und da Körnerhaufen eingesetzt. Diese drei Bestandtheile zusammen, das Cholestearin, die Körnchenzellen und die Fettkörnchen, endlich grössere Klumpen von halberweichter Substanz, sind es, welche den breiigen Habitus des atheromatösen Heerdes bedingen, und welche zusammengenommen in der That eine gewisse[466] Aehnlichkeit mit dem Inhalte eines Grützbeutels der äusseren Haut erzeugen.
Fig. 129. Der atheromatöse Brei aus einem Aortenheerde. a a' Flüssiges Fett, entstanden durch Fettmetamorphose der Zellen der Intima (a), welche sich in Körnchenkugeln (a' a') umbilden, dann zerfallen und kleine und grosse Oeltropfen frei werden lassen (fettiger Detritus). b Amorphe körnig-faltige Schollen erweichten und gequollenen Gewebes. c c' Cholestearinkrystalle: c die grossen rhombischen Tafeln, c' c' feine, rhombische Nadeln. Vergr. 300.
Was das Cholestearin anbetrifft, so ist es keineswegs ein specifisches Product, welches dieser Art von fettiger Umwandelung für sich zugehörte. Vielmehr sehen wir überall, wo fettige Producte innerhalb einer abgeschlossenen Höhle, welche dem Stoffwechsel wenig zugänglich ist, längere Zeit stagniren, dass das Fett Cholestearin abscheidet, z. B. in der Flüssigkeit alter Hydrocelen, Strumen, Eierstockscysten. Fast alle Fettmassen, die wir im Körper antreffen, enthalten eine gewisse Quantität von Cholestearin gebunden. Ob das freiwerdende Cholestearin vorher schon vorhanden war, oder ob an den Stellen eine wirkliche Neubildung desselben erfolgt, darüber kann man bis jetzt nichts sagen, da bekanntlich noch gar keine chemische Thatsache ermittelt ist, welche über den Hergang bei der Bildung des Cholestearins und über die Stoffe, aus welchen Cholestearin sich bilden mag, irgend einen Aufschluss gäbe. Soviel muss man festhalten, dass das Cholestearin ein spätes Abscheidungsproduct stagnirender, namentlich fetthaltiger Theile ist.
Wenn man nun die erste Entwickelung der atheromatösen Stellen der Arterien histologisch erforscht, so stösst man vor der[467] Zeit, wo breiige Substanz in dem Heerde des Atheroms liegt, auf ein Stadium, wo man nichts weiter findet, als eine Fettmetamorphose, durch welche Körnchenzellen in der gewöhnlichen Weise aus den Elementen des Gewebes hervorgehen, und man überzeugt sich deutlich, dass der Vorgang in diesem Stadium absolut nicht verschieden ist von dem, welchen wir bei dem Herzen und bei der Niere in dem Stadium der fettigen Metamorphose vorfanden (S. 425, 427). In dieser Zeit, unmittelbar vor der Bildung des Heerdes, stellt sich das Verhältniss bei starker Vergrösserung so dar: Auf einem Durchschnitte (Fig. 130, a, a') sehen wir die eingestreuten fettig degenerirenden Elemente gegen die Mitte hin grösser werden und dichter liegen, aber im Allgemeinen noch die Form von Zellen bewahren; gegen den Umfang des Heerdes hin sind sie kleiner und spärlicher. Alle diese Zellen sind mit kleinen, das Licht stark reflectirenden, fettigen oder öligen Körnchen gefüllt. Dadurch entsteht für das blosse Auge auf einem Durchschnitte ein weisslicher oder weissgelblicher Fleck. Zwischen diesen Körnchenzellen befindet sich eine maschige Grundsubstanz, die eigentlich faserige Intercellularsubstanz der Intima, welche wir deutlich nach aussen in die normale Intima sich fortsetzen sehen.
Fig. 130. Verticaler Durchschnitt aus einer sklerotischen, sich fettig metamorphosirenden Platte der Aorta (Tunica intima, nahe der Oberfläche): i der innerste Theil der Haut mit einzelnen und zu mehreren gruppirten (getheilten), runden Kernen. h die Schicht der sich vergrössernden Zellen: man sieht Maschennetze mit spindelförmigen Zellen, welche durchschnittene knorpelartige Körperchen umschliessen. p Wucherungsschicht: Theilung der Kerne und Zellen. a a' die atheromatös werdende Schicht: a der Beginn des Prozesses, a' der vorgerückte Zustand der Fettmetamorphose. Vergr. 300.
Für die Deutung der Vorgänge ist es aber ganz besonders wichtig, dass man sich unmittelbar davon überzeugen kann, dass die Faserlage, welche über dem Heerde liegt, ebenso in die oberflächliche Faserlage der benachbarten normalen Intima übergeht,[468] wie die Faserlage der degenerirten Stelle in die tieferen Faserlagen der normalen Intima. Auf diese Weise wird die, auch von Rokitansky längere Zeit vertheidigte Ansicht widerlegt, dass es sich ursprünglich um eine Auflagerung auf die Fläche der inneren Haut handele. Man sieht auf einem Durchschnitte ganz evident, wie die äussersten Schichten in einem Bogen über die ganze Schwellung hinweglaufen, aus der Intima hervorkommen und in sie zurückkehren. Die Alten hatten also ganz Recht, wenn sie in dem Stadium, wo die Bildung des Atherom-Heerdes schon vorgerückt ist, sagten, man könne die Intima über den Heerd herüber im Zusammenhange abziehen. Nur ist das nicht die ganze Intima, vielmehr überzeugt man sich, dass die unteren Schichten des Heerdes jenseits der Grenze desselben ebenfalls in die tieferen Schichten der normalen Intima fortgehen, dass also hier nicht, wie die Alten annahmen, eine Zwischenlagerung zwischen Intima und Media stattfindet, sondern das Ganze, was wir vor uns haben, degenerirte Intima ist.
In einzelnen besonders heftigen Fällen erscheint auch an den Arterien die nekrobiotische Erweichung nicht als Folge einer rein fettigen Metamorphose, sondern als directes Entzündungsproduct. Während im Umfange ein fettiger Zerfall stattfindet, tritt im Centrum der Veränderungsstelle ein gelbliches, trübes Wesen auf, unter welchem die Substanz fast unmittelbar in ein Gemisch grober Bröckel (Fig. 128, e, e. Fig. 129, b) erweicht und zerfällt.
Es fragt sich in letzter Instanz, wo eigentlich der Sitz der fettigen Degeneration ist. Man kann sich auch hier wieder denken, dass das Fett in Zwischenräume (Interstitien) zwischen den Lamellen der Intima abgelagert werde; und es gibt noch heute einen kleineren Theil von Histologen, welche nicht anerkennen, dass das Bindegewebe nur Zellen, aber keine einfachen Lücken enthält. Untersucht man die veränderten Stellen nach der Oberfläche hin, so sieht man, dass dasselbe Gefüge, welches an den fettigen Theilen hervortritt, sich auch an den bloss hornigen oder halbknorpeligen Lagen erkennen lässt. Faserzüge, zwischen welchen von Strecke zu Strecke kleine linsenförmige Lücken erscheinen, finden sich hier, wie auch an der normalen Intima; in den Lücken und in den Faserzügen liegen aber zellige Theile (Fig. 130, h, p). Die Vergrösserung, welche die Stelle erfahren hat, und welche wir Sklerose nennen, beruht darauf, dass, während die faserige Intercellularsubstanz[469] dicker und dichter wird, die zelligen Elemente sich vergrössern und eine Vermehrung ihrer Kerne eintritt, so dass man nicht selten Räume findet, in denen ganze Haufen von Kernen liegen. Damit leitet sich der Prozess ein. Weiterhin kommen Theilungen der Zellen vor, und man trifft eine grosse Masse von jungen Elementen. Diese sind es, welche nachher der Sitz der fettigen Degeneration werden (Fig. 130, a, a') und dann wirklich zu Grunde gehen. Demnach haben wir auch hier wieder einen activen Prozess, der wirklich neues Gewebe hervorbringt, dann aber durch seine eigene Entwickelung dem Zerfalle entgegeneilt.
Kennt man diese Entwickelung, so begreift es sich, dass eine zweite Möglichkeit des Ausganges neben der fettigen Degeneration besteht, nehmlich die Ossification. Denn es handelt sich hier wirklich um eine Ossification, und nicht, wie man in neuerer Zeit behauptet hat, um eine blosse Verkalkung: die Platten, welche die innere Wand des Gefässes durchsetzen, sind wirkliche, wenn auch etwas rohe Knochenplatten. Da sie aus derselben sklerotischen Substanz sich bilden, aus der in anderen Fällen die fettige Masse wird, und da ein wirkliches Gewebe nur aus einem früheren Gewebe hervorgehen kann, so folgt von selbst, dass wir auch beim Ausgange in Fettmetamorphose nicht eine einfache Ausstreuung von Fett annehmen können, welche in beliebige Zwischenräume erfolgte.
Die Ossification geschieht hier gerade so, wie wenn sich unter Entzündungs-Erscheinungen an der Oberfläche des Knochens eine (periostitische) Knochenlage bildete. Die Osteophyten der inneren Schädeldecke und der Hirnhäute zeigen dieselbe Entwickelung, wie die ossificirenden Platten der inneren Haut der Aorta und selbst der Venen. Ihr erstes Stadium besteht immer in der vermehrten Bildung von bindegewebigen, sklerosirenden Verdickungen, in welche erst spät die Ablagerung der Kalksalze erfolgt. Sobald diese wirkliche Ossification besteht, so können wir gar nicht umhin, den Vorgang als einen aus einer Reizung der Theile zu neuen, formativen Actionen hervorgegangenen zu betrachten; er fällt also in den Begriff der Entzündung oder wenigstens derjenigen irritativen Prozesse, welche einer Entzündung ausserordentlich nahe stehen.
Gelangt man demnach von beiden Endpunkten des Prozesses[470] aus, sowohl von der Atheromatie, als von der Ossification, zu demselben Resultate, dass die Knoten und Buckel, welche im Stadium der Sklerose die innere Fläche der Gefässe verunstalten, auf einen activen Prozess, auf wirkliche formative Reizung zurückführen, so kann man den Prozess gewiss nicht besser bezeichnen, als mit dem Namen der Endoarteriitis chronica deformans s. nodosa. Der an sich passive Charakter des fettigen Endstadiums (Ausganges) ändert nichts an dem activen, irritativen Anfangsstadium. Nur muss man sich stets erinnern, dass eine wesentliche Verschiedenheit zwischen diesem Prozesse und der einfachen fettigen Degeneration besteht, welche am besten an einem grossen Gefässe, z. B. der Aorta, zu erkennen ist. Bei der letzteren entsteht an der Oberfläche der Intima eine ganz leichte Anschwellung, welche sofort mit weggenommen wird, sobald man einen oberflächlichen Schnitt abträgt; darunter liegt noch eine starke Lage intacter Intima. Bei der Endoarteriitis dagegen haben wir im letzten Stadium einen tief unter der oft normalen Oberfläche liegenden Heerd, welcher später aufbricht, seinen Inhalt entleert und das atheromatöse Geschwür bildet. Dieses entsteht zuerst als ein feines Loch der Intima, durch welches der dicke, zähe Inhalt des Atheromheerdes in Form eines Pfropfes an die Oberfläche drängt; nach und nach entleert sich immer mehr von diesem Inhalte, wird vom Blutstrome fortgerissen, und zuletzt behalten wir ein mehr oder weniger grosses Geschwür zurück, welches bis auf die Media gehen kann, ja nicht selten diese mit betheiligt. Immer handelt es sich also um eine schwere Erkrankung des Gefässes, welche zu einer eben solchen Destruction führt, wie sie bei anderen heftigen entzündlichen Prozessen vorkommt.
Wendet man diese Erfahrung auf die Geschichte der Endocarditis[240] an, so findet man die ganze Angelegenheit auch da. Auch an den Herzklappen gibt es einfach fettige Degenerationen, sowohl an der Oberfläche, als auch in der Tiefe. Diese verlaufen gewöhnlich so, dass bei Lebzeiten keine Störung erkennbar wird, und dass wir von unserem gegenwärtigen Erfahrungs-Standpunkte aus keine gröbere anatomische Störung angeben könnten, welche die weitere Folge davon wäre. Dagegen das, was wir Endocarditis[471] nennen, was nachweisbar im Verlaufe des Rheumatismus entsteht und unzweifelhaft als eine Art von Aequivalent (Metastase) für den Rheumatismus der peripherischen Theile auftreten kann, beginnt mit einer Schwellung der erkrankten Stelle selbst. Die zelligen Elemente nehmen mehr Material auf, die Stelle wird uneben, höckerig. Verläuft der Prozess mehr langsam, so entsteht entweder eine Excrescenz (Condylom), oder die Verdickung breitet sich mehr hügelig aus und wird später der Sitz einer Verkalkung oder wirklichen Verknöcherung. Hat der Prozess einen acuteren Verlauf, so kommt es zu fettiger Degeneration oder Erweichung, wo die Klappen durch den Blutstrom zertrümmert werden, Bruchstücke sich ablösen und embolische Heerde an entfernteren Punkten entstehen (Fig. 82, S. 246).
Fig. 131. Condylomatöse Excrescenzen der Valvula mitralis: einfache körnige Anschwellungen (Granulationen), grössere Hervorragungen (Vegetationen), einzelne zottig, einzelne ästig und wieder knospend; in allen elastischen Fasern aufsteigend. Vergr. 70.
Nur auf diese Weise, indem man die Anfänge der Veränderungen beobachtet, ist es möglich, sichere und für die Praxis brauchbare Urtheile über die pathologischen Prozesse zu gewinnen. Niemals darf man sich bestimmen lassen, von der Differenz der klinischen Prozesse ausgehend, die endlichen Producte derselben als nothwendig verschieden zu betrachten. Die heftigsten Entzündungsprozesse, welche in ganz kurzer Zeit verlaufen, können dieselben Ausgänge machen, welche in anderen Fällen langsamer und ohne Entzündung entstehen.
Ich habe nicht die Absicht, die Reihe der verschiedenen passiven Störungen, welche möglicherweise im späteren Verlaufe von Reizungszuständen auftreten können, im Einzelnen zu verfolgen.[472] Wir würden sonst in der Geschichte fast aller degenerativen Atrophien analoge Beispiele finden können. Ueberall muss man die Zustände, in denen ein Theil direkt der Sitz einer solchen Rückbildung wird, von denjenigen unterscheiden, wo er vorher eine active Veränderung erfuhr. Das ist die erste Vorbedingung zur vorurtheilsfreien, wirklich gegenständlichen Erkenntniss der Entzündung überhaupt, zu deren Besprechung wir uns gegenwärtig wenden wollen.
Der Begriff der Entzündung hat sich unter der Einwirkung der Erfahrungen, von welchen ich schon in dem Vorhergehenden einen gewissen Theil besprochen habe, wesentlich verändert. Während man noch bis vor kurzer Zeit gewohnt war, die Entzündung ontologisch, als einen seinem Wesen nach überall gleichartigen Vorgang zu betrachten, so ist nach meinen Untersuchungen nichts übrig geblieben, als alles Ontologische von dem Entzündungs-Begriffe abzustreifen, und die Entzündung nicht mehr als einen seinem Wesen nach von den übrigen verschiedenen Prozess, sondern nur als eine dem Verlaufe nach eigenthümliche Form verschiedener Prozesse anzusehen[241].
In der Aufstellung der Alten, wie sie uns in den dogmatischen Schriften Galen's erhalten ist, steht bekanntlich unter den vier Cardinal-Symptomen (calor, rubor, tumor, dolor) die Hitze als das dominirende da, denn sie ist das Symptom, von welchem der Prozess seinen Namen bekommen hat. Späterhin ist in dem Maasse, als die Frage von der thierischen Wärme überhaupt und von der Wärme in pathologischen Zuständen insbesondere in den Hintergrund trat, immer mehr Gewicht gelegt worden auf die Röthung, und so ist es geschehen, dass schon im vorigen Jahrhundert, in der Zeit der mechanischen Theorien, wo namentlich Boerhaave die Entzündung ableitete von der Obstruction der Gefässe und der damit verbundenen Stasis des Blutes, der Begriff der Entzündung sich mehr oder weniger an die Gefässe band. Seitdem die pathologisch-anatomischen Erfahrungen sich ausdehnten, wurde insbesondere in Frankreich durch Andral die Hyperämie als der nothwendige und regelmässige Ausgangspunkt der Entzündung hingestellt. Die Einseitigkeit, mit welcher diese Ansicht noch bis in unsere Zeit festgehalten ist, war zum grossen[473] Theile eine Nachwirkung der Broussais'schen Anschauung, welche in der pathologisch-anatomischen Richtung zur Geltung gekommen ist. Die Hyperämie trat allmählich an die Stelle aller übrigen wesentlichen Symptome.
Eine Aenderung der Doctrin im grossen Style hat eigentlich nur die Wiener Schule versucht, indem sie, wiederum vom anatomischen Standpunkte aus, an die Stelle der Entzündungs-Symptome das Entzündungsproduct setzte. Das, was sie ihren Erfahrungen gemäss zunächst im Auge hatte, und worin sie das Wesen der Entzündung suchte, war das Product, welches man, allerdings entsprechend den überlieferten Vorstellungen, als ein nothwendig aus den Gefässen hervorgegangenes, als Exsudat bezeichnete. In der alten Classification der Symptome entsprach dem Exsudate der Wiener ungefähr das Symptom des Tumors, und man könnte daher sagen, dass, wie früher der Calor und dann der Rubor, so hier der Tumor in den Vordergrund getreten sei. — Nur in der mehr speculativen Anschauung der Neuropathologen wird bekanntlich der Dolor als die wesentliche und ursprüngliche Veränderung in dem Entzündungsacte betrachtet.
Es kann kein Zweifel sein, dass von diesen verschiedenen Aufstellungen die anatomische Lehre der Wiener Schule die richtigste sein würde, wenn sich nachweisen liesse, dass bei jeder Entzündung, wie es gegenwärtig in die Sprache der meisten Aerzte übergegangen ist, ein Exsudat stattfände, dass der Tumor wesentlich durch dieses Exsudat bedingt sei, und namentlich, dass dieses Exsudat als ein constantes, typisches, und der Fibrin-Gehalt desselben als ein Kriterium der entzündlichen Natur desselben betrachtet werden dürfe.
Schon in den früheren Capiteln habe ich zu zeigen gesucht, wie erheblich der Begriff des Exsudates geschmälert werden muss, und wie wesentlich bei dem Auftreten von Stoffen, welche wir allerdings als aus den Gefässen hervorgegangen und zu den früheren Gewebstheilen hinzugekommen betrachten müssen, die activen Beziehungen der Gewebselemente selbst in Frage kommen. Vieles ist, wie wir sahen, nicht ein aus den Gefässen durch den Blutdruck hervorgepresstes, also passives Exsudat, sondern vielmehr, wenn ich mich so ausdrücken soll, ein Educt oder Extract aus den Gefässen in Folge der Thätigkeit, der activen Anziehung der Gewebselemente selbst.
Dasjenige, von dem, wie ich glaube, ausgegangen werden muss bei der Betrachtung der Entzündung, der Punkt, in dem ich auch die Aufstellung von Broussais und Andral für am meisten berechtigt erachte, ist der Begriff des Reizes. Wir können uns keine Entzündung denken ohne Entzündungsreiz, und es fragt sich zunächst, in welcher Weise man sich diesen Reiz vorzustellen habe?
Wir haben schon gesehen, dass im Allgemeinen eine Reizung in drei verschiedenen Richtungen eintreten kann, dass sie nehmlich entweder eine functionelle, oder eine nutritive, oder eine formative sein kann. Dass bei der Entzündung functionelle Reize in Betracht kommen, dafür spricht schon der Umstand, dass alle neueren Schulen wenigstens darin übereingekommen sind, dass zu den vier charakteristischen Symptomen der Alten noch die Functio laesa hinzugefügt werden müsse. Ist bei der Entzündung die Function wirklich gestört, so setzt dies eben voraus, dass der Entzündungsreiz in der Zusammensetzung des Theiles Veränderungen bedingt haben muss, welche die zur Function verwendbaren Theile der Gewebselemente getroffen haben, dass also die functionsfähige Substanz nicht mehr unversehrt ist. Niemand wird erwarten, dass ein Muskel, der entzündet ist, sich normal contrahirt; jeder setzt voraus, dass die contractile Substanz des Muskels durch die Entzündung gewisse Veränderungen erfahren hat. Niemand wird erwarten, dass eine entzündete Drüsenzelle normal secerniren könne, sondern man betrachtet eine Störung (Hemmung und Aenderung) der Secretion als nothwendige Folge der Entzündung. Niemand wird annehmen, dass eine entzündete Ganglienzelle oder ein entzündeter Nerv seine Verrichtungen ausüben, wie sonst, dass sie auf Reize normal reagiren können. Unseren allgemeinsten Erfahrungen nach schliessen wir in solchen Fällen mit Nothwendigkeit, dass Veränderungen in der Zusammensetzung der zelligen Theile eingetreten sein müssen, welche die natürliche Functionsfähigkeit derselben alteriren. Solche Veränderungen können die Folgen einer übermässigen Function sein; treten sie aber auf Reize ein, die nicht gross genug sind, um die Theile sofort zu zerstören oder ihre Functionsfähigkeit zu erschöpfen, so müssen es nothwendiger Weise entweder nutritive oder formative Reize gewesen sein. Und in der That bestätigt sich dieser Schluss bei der Entzündung. Man findet heut zu Tage die Ansicht schon[475] ziemlich verbreitet, dass es sich bei der Entzündung im Grossen um eine Veränderung in dem Ernährungsacte handle, wobei man die Ernährung freilich als das die formativen und nutritiven Vorgänge gemeinschaftlich Umfassende nimmt, oder, wie ich es früher[242] ausdrückte: So lange auf ein Irritament nur functionelle Störungen zu beobachten sind, so lange spricht man von Irritation; werden neben den functionellen Störungen nutritive bemerkbar, so nennt man es Entzündung.
Will man also von einem Entzündungsreize sprechen, so kann man sich darunter füglich nichts Anderes denken, als dass durch irgend eine für den Theil, welcher in Reizung geräth, äussere Veranlassung, entweder direkt von aussen, oder vom Blute, oder möglicher Weise von einem Nerven her, die Mischung oder Zusammensetzung des Theiles Aenderungen erleidet, welche zugleich seine Beziehungen zur Nachbarschaft ändern und ihn in die Lage setzen, aus dieser Nachbarschaft, sei es ein Blutgefäss oder ein anderer Körpertheil[243], eine grössere Quantität von Stoffen an sich zu ziehen, aufzusaugen und je nach Umständen umzusetzen. Jede Form von Entzündung, welche wir kennen, findet darin ihre natürliche Erklärung. Jede kommt darauf hinaus, dass sie als Entzündung beginnt von dem Augenblicke an, wo diese vermehrte Aufnahme von Stoffen in das Gewebe erfolgt und die weitere Umsetzung dieser Stoffe eingeleitet wird.
Diese Auffassung nähert sich bis zu einem gewissen Maasse, wie man leicht sieht, derjenigen, welche man vom Standpunkte der vasculären Theorie aus behauptet hat, wonach man als unmittelbare Folge der Hyperämie das Exsudat betrachtet und annimmt, dass die Entzündung, wenn sie declarirt sei, durch die Anwesenheit eines der natürlichen Mischung des Theiles mehr oder weniger fremdartigen Stoffes sich charakterisire. Es fragt sich nur, ob wirklich die Hyperämie die Einleitung und zwar die nothwendige Einleitung zu diesen Vorgängen bilde.
Wäre die Entzündung nothwendig gebunden an die Hyperämie, so würde es begreiflicher Weise unmöglich sein, von Entzündungen in Theilen zu sprechen, welche nicht überall in einer unmittelbaren Beziehung zu Gefässen stehen. Wir könnten uns[476] nicht vorstellen, dass eine Entzündung in einer gewissen Entfernung von einem Gefässe geschähe. Es würde vollständig unmöglich sein, von einer Hornhautentzündung zu sprechen (abgesehen vom Rande der Hornhaut), von einer Knorpelentzündung (abgesehen von den zunächst an den Knochen stossenden Theilen), von einer Entzündung der inneren Sehnensubstanz. Vergleichen wir aber die Vorgänge in solchen Theilen mit den gewöhnlichen, so stellt sich unzweifelhaft heraus, dass dieselben Vorgänge der Entzündung in allen diesen Theilen vorkommen können, und dass die Veränderungen der gefässhaltigen sich in keiner Weise nothwendig von denen der gefässlosen unterscheiden.
Man darf aber deshalb nicht behaupten, dass die Entzündung an allen Theilen gleich, dass sie demnach als ein einheitlicher Vorgang aufzufassen sei. Allerdings bedingt die Existenz von Gefässen und der Reichthum an Gefässen grosse Verschiedenheiten in den auf gewisse Reize eintretenden Veränderungen. Das Auftreten von Exsudaten ist in hohem Maasse abhängig von der Art der Vascularisation eines Theiles. Die gefässlose Intima einer Arterie oder Vene liefert kein Exsudat, obwohl sie einer Serosa so ähnlich ist, dass die Schule Bichat's sie nicht bloss für eine Serosa erklärte, sondern ihr auch dieselben Erkrankungsmöglichkeiten zuschrieb, wie sie an den serösen Häuten bekannt sind. Ebenso wenig exsudirt der Gelenkknorpel an seiner Oberfläche; findet sich ein Exsudat in einer Gelenkhöhle, so stammt es von der Synovialis, welche reichlich Gefässe führt.
Wie bekannt, hat man aber auch in der Auffassung der entzündlichen Exsudate insofern Concessionen machen müssen, als man manchen Prozess Entzündung genannt hat, welcher durch die Art des sogenannten Exsudates sich wesentlich von anderen unterscheidet. Wenn man von Schleimhaut-Entzündungen spricht, so denkt man in der Regel doch nicht daran, dass die Schleimhaut ein fibrinöses Exsudat liefern wird. Wir kennen wohl Schleimhäute, wo fibrinöse Exsudate häufig sind, z. B. die Schleimhaut der Respirationsorgane. Aber wir wissen auch, dass auf der Schleimhaut des Digestionstractus freie fibrinöse Exsudate fast gar nicht vorkommen, dass sie höchstens die schlimmeren, namentlich die brandigen und specifischen Formen begleiten. Wenn man von einer Laryngitis spricht, so setzt man nicht sogleich einen Croup voraus. Bei einer Cystitis erwartet man nicht, die innere[477] Fläche der Blase von einer fibrinösen Schicht überzogen zu finden. In der ganzen Reihe der sogenannten gastrischen Entzündungen finden wir namentlich im Anfange des Prozesses fast nichts weiter, als eine reichliche Absonderung von Schleim. Wenn wir also diese catarrhalischen Entzündungen noch Entzündungen nennen, wenn wir sie nicht ganz aus der Reihe der Entzündungen herauswerfen wollen, wozu kein Grund vorliegt, so müssen wir zugestehen, dass ausser dem fibrinösen Exsudate in Entzündungen ein schleimiges Exsudat bestehen kann, und dass die Entzündungen mit schleimigem Exsudate eine eigene, gewissen Organen zukommende Kategorie bilden. Denn bekanntlich finden wir sie nicht an allen Geweben des Körpers, sondern fast nur an Schleimhäuten.
Sieht man sich nun die fibrinösen Exsudate etwas genauer an, so kann gar kein Zweifel sein, dass sie in diesem Punkte von den schleimigen nicht verschieden sind. Wir kennen nehmlich keinesweges an allen Punkten des Körpers fibrinöse Exsudate; wir kennen z. B. keine Form von exsudativer Encephalitis, welche fibrinöses Exsudat liefert. Eben so wenig ist eine Form von Hepatitis bekannt, wobei fibrinöse Exsudate in der Leber vorkämen. Es gibt wohl eine Entzündung des Leberüberzuges (Perihepatitis), so gut wie eine Entzündung des Gehirnüberzuges (Arachnitis), wobei Fibrin frei hervortreten kann, aber nie hat Jemand bei einer eigentlichen Hepatitis oder Encephalitis Fibrin angetroffen. Ebensowenig gibt es bei den gewöhnlichen Entzündungen des Herzfleisches (Myocarditis) Fibrin.
Andererseits ist es sicher, dass man, von bestimmten Voraussetzungen ausgehend, Fibrin-Exsudate an vielen Punkten vermuthet hat, wo sie in der That gar nicht zu sehen sind. Wenn man den Eiter aus einem fibrinösen Exsudat hat hervorgehen lassen, und wenn man demnach an allen Stellen, wo Eiter auftritt, ein fibrinöses Exsudat als den Ausgangspunkt betrachtet hat, so gehört doch eben keine grosse Beobachtungsgabe dazu, um sich zu überzeugen, dass dies ein Irrthum ist. Man nehme eine beliebige Ulcerationsfläche, wische den Eiter ab und fange das auf, was nun „ausschwitzt“, so wird man entweder seröse Flüssigkeit oder Eiter haben, aber man wird nicht sehen, dass sich die abgewischte Fläche mit einem Fibrin-Gerinnsel überzieht. Beschränkt man sich auf diejenigen Theile, wo Entzündungen mit[478] wirklichem, unzweifelhaftem fibrinösen Exsudate vorkommen, so ist dies eine nahezu ebenso beschränkte Kategorie, wie die der schleimigen Entzündungen. Hier stehen in erster Linie die eigentlichen serösen Häute, welche gewöhnlich schon bei leichtem Entzündungsreiz Fibrin hervorbringen, in zweiter Linie gewisse Schleimhäute, an welchen die fibrinösen Entzündungen in einer grossen Zahl von Fällen unverkennbar als eine Steigerung aus schleimigen hervorgehen. Ein gewöhnlicher Croup tritt in der Regel nicht von vornherein als fibrinöser Croup auf; anfangs, zu einer Zeit, wo die Gefahr schon eine sehr beträchtliche sein kann, findet sich oft nichts weiter, als eine schleimige oder schleimig-eiterige Pseudomembran. Erst nach einer gewissen Zeit setzt die fibrinöse Exsudation in der Weise ein, dass wir an derselben Pseudomembran die Uebergänge verfolgen können, so dass eine gewisse Stelle deutlich Schleim, eine andere deutlich Fibrin enthält, während an einer dritten Stelle nicht mehr zu sagen ist, ob der eine oder das andere vorhanden ist. Hier treten also beide Stoffe wiederum als Substitute für einander auf. Wo der entzündliche Reiz grösser ist, sehen wir Fibrin, wo er geringer ist, Schleim vorkommen.
Vom Schleime wissen wir aber, dass er im Blute nicht präexistirt, wie das Fibrin. Wenn auch eine Schleimhaut unglaublich grosse Massen von Schleim in kurzer Zeit hervorbringen kann, so sind dieselben doch Producte der Schleimhaut selbst; sie wird nicht vom Blute aus mit Schleim durchdrungen, sondern das Mucin, der eigenthümliche Schleimstoff ist ein Erzeugniss der Haut (S. 66), und dieses wird durch die vom Blute aus durchquellende (trans- und exsudirende) Flüssigkeit mit an die Oberfläche geführt. Im Anschlusse an diese Erfahrung habe ich, wie ich früher andeutete (S. 197), auch versucht, die Ansicht umzukehren, welche man über die Entstehung des Fibrins zu haben pflegt[244]. Während man bis jetzt die Fibrinausscheidung als eine eigentliche Transsudation aus der Blutflüssigkeit, das Exsudat als das hervortretende Plasma betrachtete, so habe ich die Deutung aufgestellt, dass auch das Fibrin häufig ein Localproduct derjenigen Gewebe sei, an welchen und in welchen es sich findet, und dass[479] es in derselben Weise an die Oberfläche gebracht werde, wie der Schleim der Schleimhaut. Ich habe damals schon gezeigt, wie man auf diese Weise am besten begreift, dass in dem Maasse, als an einem bestimmten Gewebe die Fibrinproduction steigt, auch dem Blute mehr Fibrin zugeführt wird, und dass die fibrinöse Krase eben so gut ein Product der localen Erkrankung ist, wie die fibrinöse Exsudation das Product der localen Stoffmetamorphose. Nie ist man im Stande gewesen, so wenig als man direct durch Druckveränderung aus dem Blute Schleim an einem Orte hervorbringen kann, welcher nicht selbst Schleim producirt, durch Veränderung im Blutdrucke aus den Capillaren des lebenden Thieres Fibrin hervorzupressen; was durchdringt, sind immer nur die serösen Flüssigkeiten.
Ich halte demnach dafür, dass es in dem gewöhnlichen Sinne überhaupt kein entzündliches Exsudat gibt, sondern dass das Exsudat, welches wir im Laufe entzündlicher Reizungen antreffen, sich zusammensetzt einerseits aus dem Material, welches durch die veränderte Haltung in dem entzündeten Theile selbst erzeugt wurde, andererseits aus der transsudirten Flüssigkeit, welche aus den Gefässen stammt. Diese kann ihrerseits sehr verschieden sein. Manchmal ist sie rein serös (hydropisch), andermal enthält sie zahlreiche rothe Blutkörperchen und muss daher geradezu als hämorrhagisch bezeichnet werden, andermal endlich finden sich in ihr grössere oder kleinere Mengen von farblosen Blutkörperchen. Besitzt daher ein Theil eine grosse Menge besonders oberflächlicher Gefässe, so wird er auch ein reichliches Exsudat geben können, wobei die vom Blute transsudirende Flüssigkeit ausser den aus dem Blute selbst gelieferten Bestandtheilen die besonderen Producte des Gewebes (Mucin, Fibrin, Paralbumin, zellige Elemente u. s. w.) mit an die Oberfläche führen kann. Hat dagegen der Theil keine Gefässe oder keine freie Oberfläche, so wird es auch kein Exsudat geben, sondern der ganze Vorgang beschränkt sich darauf, dass im Gewebe selbst die besonderen Veränderungen vor sich gehen, die durch den entzündlichen Reiz angeregt worden sind.
Demnach gibt es wohl exsudative Entzündungen der äusseren Haut, der Schleim-, serösen und synovialen Häute, der Lungen, aber wir kennen nichts, was damit vergleichbar wäre an Hirn und Rückenmark, an Nerven und Muskeln, an Milz, Leber, Hoden,[480] Knochen u. s. w. Man muss demnach zwei ganz und gar ihrer Leistung nach verschiedene Formen von Entzündungen von einander trennen[245]: nehmlich erstens die rein parenchymatöse Entzündung, wo der Prozess im Inneren des Gewebes und zwar mit Veränderungen der Gewebselemente selbst verläuft, ohne dass eine frei hervortretende Ausschwitzung wahrzunehmen ist; zweitens die secretorische (exsudative) Entzündung, welche mehr den oberflächlichen Organen angehört, wo vom Blute aus ein vermehrtes Austreten von wässerigen (serösen) Flüssigkeiten erfolgt, welche die eigenthümlichen, in Folge der Gewebsreizung gebildeten parenchymatösen Stoffe mit an die Oberfläche der Organe führen. Allerdings sind diese beiden Formen hauptsächlich nach den Organen unterschieden, an welchen die Entzündung vorkommt. Es gibt, wie gesagt, gewisse Organe, welche unter allen Verhältnissen nur parenchymatös erkranken, andere, welche fast jedesmal eine oberflächliche exsudative Entzündung erkennen lassen. Aber die Geschichte der mit freien Oberflächen versehenen Organe lehrt doch auch, dass dasselbe Gewebe, z. B. eine Schleimhaut, exsudativ und parenchymatös erkranken kann.
Die Scheidung der Entzündungsformen, welche man gewöhnlich nach dem Vorgange von John Hunter gemacht hat, die in adhäsive und eiterige Formen, liegt ungleich weiter entfernt. Zunächst handelt es sich immer darum, zu untersuchen, in wie weit die Gewebe selbst sich verändern und ihr Product einen degenerativen Character annimmt, oder in wie weit durch das Durchströmen der Flüssigkeiten der Theil wieder von dem befreit wird, was er in sich erzeugt hat, wodurch die Degeneration des Theiles vermieden wird. Jede parenchymatöse Entzündung hat von vornherein eine Neigung, den histologischen und functionellen Habitus eines Organes zu verändern. Jede Exsudation bringt dem Gewebe eine gewisse Befreiung: sie entführt ihm einen grossen Theil der Schädlichkeiten, und das Gewebe erscheint daher verhältnissmässig viel weniger leidend, viel weniger einer dauerhaften Degeneration ausgesetzt, als dasjenige, welches der Sitz einer parenchymatösen Erkrankung ist. Daher ist schon seit alten Zeiten die therapeutische Aufgabe des Arztes dahin festgestellt worden, bei Entzündungen[481] oberflächlicher Organe die Secretion (Transsudation, Exsudation) zu befördern, und es kann trotz der gerade in der neuesten Zeit wieder in größerer Heftigkeit aufgetauchten Bedenken nicht bezweifelt werden, dass die Secretion nicht bloss für tiefere Theile, sondern auch für die erkrankte Oberfläche selbst eine derivatorische oder depuratorische Bedeutung hat.
Die beiden Grundformen der Entzündung, die parenchymatöse und die exsudative, können sich mit einander vergesellschaften und eine combinirte Störung hervorbringen. Allein beide sind ihrem Wesen nach verschieden. Sagt man statt parenchymatöse Entzündung „entzündliche Degeneration“ und statt exsudativer Entzündung „entzündliche Secretion“, so stellt sich die Verschiedenheit alsbald in deutlicher Weise dar. Niemand würde so verschiedene Prozesse zusammenwerfen, wenn nicht die klinische Beobachtung ergäbe, dass beide auf Reize entstehen, also einen irritativen Anfang haben, dass ferner derselbe Reiz hier eine Degeneration, dort eine Exsudation hervorruft, und dass endlich in beiden Fällen, wenn der Theil reichlichere Gefässe und Nerven hat, Röthe, Hitze und Spannung bemerkbar werden. Erwägt man nun aber weiterhin, dass weder die eintretende Degeneration, noch die Exsudation in allen Entzündungen denselben Charakter haben, dass die Degeneration nutritiv oder formativ, die Exsudation schleimig, serös, fibrinös, synovial sein kann, so wird leicht ersichtlich, dass in der That die Bezeichnung der Entzündung eine rein symptomatologische und prognostische, also klinische ist, und dass es eine ganz falsche und darum gefährliche Concession ist, im anatomischen Sinne überhaupt von einer Entzündung kurzweg zu sprechen. Denn mit dieser Concession geräth man sofort auf den Abweg, eine einheitliche anatomische Definition zu suchen, und bis jetzt ist noch jeder Versuch, eine solche zu finden, gescheitert.
Fußnoten:
[234] Archiv I. 149. 165.
[235] Archiv I. 276. III. 460. IV. 379.
[236] Archiv I. 165. IV. 264, 319.
[237] Archiv IV. 266.
[238] Gesammelte Abhandlungen 492 ff.
[239] Geschwülste I. 224.
[240] Wiener medic. Wochenschrift 1858. No. 14.
[241] Archiv IV. 280. Spec. Pathol. und Ther. I. 46, 72, 76.
[242] Spec. Pathologie und Ther. I. 72.
[243] Archiv XIV. 29.
[244] Spec. Pathologie und Ther. I. 75. Gesammelte Abhandlungen 135–37. Archiv XIV. 36.
[245] Spec. Pathologie und Therapie. I. 66.
Die Theorie der continuirlichen Entwickelung im Gegensatze zu der Blastem- und Exsudattheorie. Das Bindegewebe, seine Aequivalente und seine Adnexen als gemeinster Keimstock der Neubildungen. Die Uebereinstimmung der embryonalen und pathologischen Neubildung. Die Bedeutung der farblosen Blutkörperchen. Die Zellentheilung als gewöhnlicher Anfang der Neubildungen.
Endogene Bildung. Physaliden. Bruträume. Furchung.
Wachsthumähnliche und zeugungsähnliche Neubildung. Pflanzliche Analogie.
Verschiedene Richtung der Neubildung. Hyperplasie, directe und indirecte. Heteroplasie. Die pathologischen Bildungszellen: Granulation. Verschiedene Grösse und Bildungsdauer derselben.
Darstellung der Knochenentwickelung als einer Musterbildung. Unterschied von Formation, Transformation und Wachsthum. Das appositionelle und das interstitielle Wachsthum. Die Blastemtheorie. Der frische und wachsende Knochen im Gegensatze zu dem macerirten. Natur des Markes. — Längenwachsthum der Röhrenknochen: Knorpelwucherung. Markbildung als Gewebstransformation: rothes, gelbes und gallertiges, normales, entzündliches und atrophisches Mark. Tela ossea, verkalkter Knorpel, osteoides Gewebe. Rachitis. Ossification des Markes. — Dickenwachsthum der Röhrenknochen. Struktur und Wucherung der Periostes. Weiches Osteom der Kiefer. Callusbildung nach Fractur. Knochenterritorien: Caries, degenerative Ostitis. Knochengranulation. Knocheneiterung. Maturation des Eiters.
Die Granulation als Analogon des Knochenmarkes und als Ausgangspunkt heteroplastischer Entwickelung.
Es wird nunmehr nothwendig sein, zur genaueren Erläuterung der formativen Reizung zu schreiten und die wesentlichsten Züge aus der Geschichte der pathologischen Neubildungen zu schildern. Denn schon aus dem Früheren wird hervorgegangen sein, dass formative Vorgänge nicht etwa bloss die Grundlage für Geschwulstbildungen im engeren Sinne des Wortes, sondern auch für viele einfach entzündliche Reizungsprozesse bilden.
Dass ich die Doctrin vom Blastem in ihren ursprünglichen Grundzügen gegenwärtig vollständig zurückweise, habe ich wiederholt ausgesprochen. An ihre Stelle tritt die sehr einfache Lehre[483] von der continuirlichen Entwickelung der Gewebselemente aus einander. Es handelt sich also für die einzelnen Fälle vielmehr darum, den besonderen Modus zu erkennen, nach welchem die verschiedenartigen Gewebe entstehen, und an bestimmten Beispielen die einzelnen Möglichkeiten kennen zu lernen, welche in Beziehung auf die Richtung dieser Entwickelung überhaupt bestehen.
Meine ersten Erfahrungen, auf Grund deren ich anfing, die herrschende Doctrin vom Blastem und Exsudat in Beziehung auf daraus hervorgehende Neubildungen zu bezweifeln, datiren von Untersuchungen über die Tuberkeln[246]. Ich fand nehmlich, dass die jungen Tuberkel in verschiedenen Organen, insbesondere in Lymphdrüsen, in den Hirnhäuten und in den Lungen zu keiner Zeit ein erkennbares Exsudat, sondern zu jeder Zeit während ihrer Bildung organisirte Elemente enthalten, ohne dass je an ihnen oder vor ihnen ein Stadium des Amorphen, Gestaltlosen zu beobachten ist. Insbesondere erkannte ich, dass die Entwickelung in den Lymphdrüsen bei den bekannten scrofulösen Anschwellungen mit einer Neubildung beginnt und dass die ersten Zustände, welche man antrifft, vollkommen mit denjenigen übereinstimmen, welche man sonst mit dem Namen der Hypertrophie bezeichnete: Kerne und Zellen finden sich in reicher Masse, zerfallen späterhin und geben das Material zu der endlichen Anhäufung käsiger Substanz. Eine solche Erfahrung, wonach ein hypertrophirendes (genauer gesagt: hyperplastisches) Gewebe in seiner späteren Zeit ein vollkommen abweichendes, krankhaftes Product liefert, erschien um so bedeutungsvoller, als ich eine ganz ähnliche Reihe von Entwickelungen gleichzeitig bei der Untersuchung einer ganz differenten Bildung erkannte, nehmlich bei der sogenannten Typhusmasse[247]. Damals herrschte ganz allgemein die Ansicht der Wiener Schule, dass bei den Abdominaltyphen ein eiweissartiges Exsudat von weicher Beschaffenheit in die Darmwand abgesetzt würde, und dass dadurch Schwellungen von markigem, medullärem Aussehen entständen. Ich fand dagegen, dass, gleichviel ob ich die Typhusmasse in den Lymphdrüsen des Gekröses oder an den Follikeln der Peyerschen Haufen untersuchte,[484] zu keiner Zeit irgend ein bildungsfähiges Exsudat vorhanden war, sondern stets eine unmittelbare Fortbildung von den präexistirenden zelligen Elementen der Drüsen, der Follikel und des Bindegewebes zu der typhösen Substanz stattfinde.
Diese Erfahrungen berechtigten natürlich noch nicht, eine allgemeine Umänderung der bestehenden Doctrin vorzunehmen, denn organische Elemente entstehen an zahllosen Punkten, an denen damals wenigstens zellige Elemente als normale Bestandtheile überhaupt ganz unbekannt waren, und es schien daher kaum eine andere Möglichkeit übrig zu bleiben, als die, dass durch eine Art von Generatio aequivoca aus Blastemmasse neue Keime gebildet würden. Die einzigen Orte, wo mit einiger Wahrscheinlichkeit ausser den Drüsen eine Entwickelung neuer Elemente von den alten Elementen aus hätte erschlossen werden können, waren die Oberflächen des Körpers mit ihren Epithelial-Formationen. So geschah es, dass meine Untersuchung über die Natur der Bindegewebs-Substanzen, auf welche ich früher wiederholt eingegangen bin, eine entscheidende wurde. Von dem Augenblicke an, wo ich behaupten konnte, dass es fast keinen Theil des Körpers gibt, welcher nicht zellige Elemente besitzt, wo ich zeigen konnte, dass die Knochenkörperchen wirkliche Zellen sind, dass das Bindegewebe an verschiedenen Orten eine bald grössere, bald geringere Zahl wirklich zelliger Elemente führe[248], da waren auch überall Keime erkannt für eine mögliche Entwickelung neuer Gewebe. Thatsächliche Nachweise für eine solche Entwickelung brachte ich alsbald in meinen Arbeiten über parenchymatöse Entzündung[249] und über ein cystoides Enchondrom[250], denen später eine ganze Reihe weiterer Special-Untersuchungen sich angeschlossen hat. Je mehr die Zahl der Beobachter wuchs, um so häufiger hat es sich bestätigt, dass eine grosse Zahl der verschiedensten Neubildungen, welche im Körper entstehen, aus dem Bindegewebe und seinen Aequivalenten hervorgeht. Daran schloss sich unmittelbar das Gebiet der lymphatischen Gebilde und der mit ihnen zusammenhängenden farblosen Blutkörperchen, deren Bedeutung für die Neubildung von Manchen sehr hoch veranschlagt wird. Endlich[485] sind zu erwähnen jene pathologischen Neubildungen, welche den Epithelformationen angehören, sowie diejenigen, welche mit den höher organisirten thierischen Geweben, z. B. den Gefässen, den Nerven, zusammenhängen. Erwägt man, dass die lymphatischen Einrichtungen ihrerseits mit dem Bindegewebe nahe Beziehungen haben, so wird man noch jetzt nicht fehlgehen, wenn man mit geringen Einschränkungen an die Stelle der plastischen Lymphe, des Blastems der Früheren, des Exsudates der Späteren das Bindegewebe mit seinen Aequivalenten und Adnexen als den hauptsächlichen Keimstock des Körpers setzt, und davon die Entwickelung der meisten neugebildeten Theile ableitet[251].
Wenn wir ein bestimmtes inneres Organ nehmen, z. B. das Gehirn oder die Leber, so konnte, so lange als man innerhalb des Gehirnes nichts weiter als Nervenmasse sah, in der Leber nichts weiter als Gefässe und Leberzellen zuliess, eine Neubildung ohne Dazwischenkommen eines besonderen Bildungsstoffes kaum gedacht werden. Denn davon war es ja leicht, sich zu überzeugen, dass in der Regel in der Leber die Neubildungen nicht von den Leberzellen oder den Gefässen ausgehen. Dass in der Hirnsubstanz die Nerven nicht als solche die Neubildungen hervorbringen, und dass die Markschwämme nicht wuchernde Nervenmasse sind, sondern aus zelligen Elementen anderer Art bestehen, das hätte man wissen sollen seit dem Augenblicke, wo das Mikroskop auf die Untersuchung der Gewebe angewendet worden ist. Aber ich habe erst nachweisen müssen, dass es Bindegewebszellen in der Leber und interstitielle Gliazellen im Gehirne gibt, welche Aequivalente der gewöhnlichen Bindegewebskörperchen sind. In der That erscheint uns, wie zuerst Reichert hervorgehoben hat, der Grundstock des Körpers zusammengesetzt aus einer mehr oder weniger continuirlichen Masse von bindegewebsartigen Bestandtheilen, an und in welche an gewissen Punkten andere Dinge, wie Epithel, Muskeln, Gefässe und Nerven, eingesetzt sind. Innerhalb dieses mehr oder weniger zusammenhängenden Gerüstes ist es, wo nach meinen Untersuchungen die Mehrzahl der Neubildungen vor sich geht, und zwar nach demselben Gesetze, nach welchem die embryonale Entwickelung geschieht.
Das Gesetz von der Uebereinstimmung der embryonalen und pathologischen Entwickelung ist, wie bekannt, schon von Johannes Müller, der auf den Untersuchungen von Schwann fortbaute, formulirt worden. Allein damals setzte man den Inhalt eines Ovulums (Fig. 7) dem Blasteme gleich; man dachte nicht daran, dass alle Entwickelung im Ei innerhalb der gegebenen Grenzen der Zelle geschieht, sondern man schloss einfach, dass im Eichen eine gewisse Menge von bildungsfähigem Stoffe gegeben sei, welcher vermöge einer ihm innewohnenden Eigenthümlichkeit, vermöge einer organisatorischen Kraft oder, vom Standpunkte der „höheren“ Anschauung aus, durch eine organisatorische Idee getrieben, sich in diese oder jene besondere Form umgestalte. Wenn es auch nicht richtig ist, was am schärfsten von Remak behauptet worden ist, dass auch die Dotterfurchung und die daraus hervorgehende Bildung der Primordialzellen auf dem Hineinwachsen und Verschmelzen von Membranscheidewänden in das Innere des Eies beruht, so handelt es sich doch auch innerhalb der Dottermasse nicht um eine freie organisatorische Bewegung, sondern um fortgehende Theilungsacte eines ursprünglich einfachen Elementes. Es folgt daraus, dass eine Vergleichung der freien plastischen Exsudate oder des pathologischen Blastems mit den Inhalts- oder Protoplasmamassen des Eies an sich unzulässig ist. Wo wir beim Embryo wirklich geformte Elemente, Zellen, finden, da sind diese auch von einem präexistirenden Elemente, einer Zelle ausgegangen. Eine Uebereinstimmung der embryonalen und der pathologischen Neubildung kann daher nur dann behauptet werden, wenn auch in der Pathologie jede neue Entwickelung auf vorhandene Zellen als Ausgangspunkte zurückgeführt werden kann.
Der in der neuesten Zeit vielfach behauptete Punkt, in wie weit ausgewanderte farblose Blutkörperchen oder Lymphkörperchen die Keime für allerlei Neubildungen werden können, ändert in diesen Anschauungen nichts Wesentliches. Beim Frosche, an welchem die Mehrzahl der diese Auswanderung betreffenden Untersuchungen angestellt worden sind, müssen die Lymphkörperchen bei dem Fehlen der Lymphdrüsen direkt aus dem Bindegewebe abgeleitet werden, und wenn sie später der Ausgangspunkt für Neubildungen werden, so unterscheidet sich diese Neubildung von der früher von mir gelehrten nur dadurch, dass sie nicht an Ort und Stelle, sondern an einer mehr oder weniger von dem Entstehungsorte[487] dieser Keimzellen entfernten Orte stattfindet. Beim Menschen und den höheren Wirbelthieren, welche ausgebildete Lymphdrüsen besitzen, wäre in diesen eine permanente Brutstätte neuer Keimzellen anzunehmen, indess gehen auch die Lymphdrüsen, so weit wir wissen, embryologisch aus proliferirendem Bindegewebe hervor. Es kann sich daher im Principe nur darum handeln, festzustellen, auf welche Weise die Bildung der neuen Elemente in dem Keimgewebe stattfindet.
Fig. 132. Zellen aus der mittleren Substanz des Intervertebralknorpels eines Erwachsenen. Intracapsuläre Zellenvermehrung. Vergr. 300.
Der Modus dieser Neubildung ist, so viel bekannt, ein doppelter. In der Regel handelt es sich um einfache Theilung, wie wir sie schon bei Gelegenheit der Reizung besprochen haben (S. 386). Wir sehen dann die ganze Reihe von Veränderungen von der Theilung des Kernkörperchens und des Kernes bis zur endlichen Theilung der ganzen Zelle. Wenn ein epitheliales Element zwei Kerne bekommt, sich darauf theilt, und dieses sich wiederholt, so kann daraus durch fortgehende Wiederholung eine grosse Zahl neuer Elemente hervorgehen. Bekommt Jemand durch fortgesetzte Reibung der Haut eine Reizung, und wird der Reiz bis zu einem gewissen Grade gesteigert, so wird sich das Epithel verdicken, und wenn die Wucherung sehr stark ist, so kann sie zu grossen, geschwulstartigen Bildungen sich erheben. Dies geschieht durch fortschreitende Zelltheilung. Denselben Modus der Entwickelung, welchen Epithelialschichten darbieten, treffen wir auch im Inneren der Organe. Im Knorpel, wo das einfache zellige Element in eine Kapsel eingeschlossen ist, tritt endlich an die Stelle desselben eine Anhäufung zahlreicher Elemente, von denen jedes wiederum eingeschlossen wird in eine besondere, neugebildete Kapsel, während die ganze Gruppe von der vergrösserten, ursprünglichen Kapsel (der früher fälschlich sogenannten Mutterzelle) umgeben ist. Am Bindegewebe kann jede neue Zelle,[488] welche aus der Theilung hervorgegangen ist, sofort eine neue Schicht Intercellularsubstanz bilden. Das ist also ein an sich sehr einfacher Modus, der jedoch, da er an verschiedenartigen Geweben vorkommt, sehr verschiedene Resultate bringen kann.
Es gibt aber noch eine andere Reihe von Neubildungen im Körper, welche freilich viel weniger gut gekannt sind, und deren Vorgang sich bis jetzt nicht mit eben so grosser Sicherheit übersehen lässt. Es sind das Vorgänge, wo im Inneren von präexistirenden Zellen endogene Neubildungen eintreten.
Eine dieser Veränderungen ist folgende: In einer einfachen Zelle bildet sich ein blasiger Raum, der gegenüber dem etwas trüben, gewöhnlich leicht körnigen Inhalte der Zelle ein sehr klares, helles, homogenes Aussehen darbietet. Derselbe unterscheidet sich von einer blossen Vacuole (S. 357) dadurch, dass er eine besondere Hülle besitzt und nicht einen einfachen Tropfen darstellt[252]. Auf welche Weise diese Räume, welche ich unter dem Namen der Physaliden[253] zusammenfasse, entstehen, ist noch nicht ganz sicher. Die grösste Wahrscheinlichkeit ist dafür, dass bei gewissen Formen gleichfalls Kerne der Ausgangspunkt dieser Bildungen sind. Man sieht nehmlich neben den physaliphoren Zellen andere mit 2 Kernen, manche, wo der eine Kern schon etwas grösser und heller erscheint, aber doch immer noch mit kernartiger Beschaffenheit. Weiterhin wird dieser helle Kern zu einer Blase von solcher Grösse, dass die Zelle allmählich fast ganz davon erfüllt wird und ihr alter Inhalt mit dem andern Kerne nur noch wie ein kleiner Anhang an der Blase erscheint[254]. So weit ist der Vorgang ziemlich einfach. Allein neben diesen zunehmenden und die Zelle erfüllenden Blasen trifft man andere, wo im Inneren der Blasen wieder Elemente zelliger Art eingeschlossen sind. So ist es ziemlich häufig in Krebsgeschwülsten, aber auch in normalen Theilen, z. B. in der Thymusdrüse[255]. Diese Form scheint nur so gedeutet werden zu können, dass in besonderen blasigen Räumen, die ich deshalb Bruträume genannt habe[256], im Inneren von zelligen Elementen neue Elemente ähnlicher Art[489] sich entwickeln. Obwohl ich ähnliche Formen auch bei entzündlichen Zuständen z. B. in dem Epithel des Herzbeutels bei Pericarditis gesehen habe[257], und obwohl manche neuere Beobachtungen sich dem anzureihen scheinen, so ist dies doch ein für die Gesammtfrage der Neubildung untergeordnetes Verhältniss, welches mehr für einzelne Fälle Werth hat.
Fig. 133. Endogene Neubildung: blasentragende Zellen (Physaliphoren). A Aus der Thymusdrüse eines Neugebornen neben epithelioiden Zellen: im Innern einer Blase mit doppeltem Contour, die ihrerseits noch von einem zellenartigen Saume umgeben ist, liegt eine vollständige Kernzelle. B C Krebszellen (vergl. Archiv f. path. Anat. Bd. I. Taf. II. und Bd. III. Taf. II.) B eine mit doppeltem Kerne, eine zweite mit Kern und kleiner Physalide; C eine mit einer fast die ganze Zelle füllenden Physalide und eine andere, wo die Physalide (der Brutraum) noch wieder eine vollständige Kernzelle umschliesst. Vergr. 300.
Ausser dieser endogenen Neubildung in besonderen, physaliphoren Zellen finden sich nicht selten Erscheinungen, welche sich mehr den gewöhnlichen Furchungserscheinungen des Eies anzuschliessen scheinen[258], deren Grenzen aber gegen die aus blosser Theilung oder aus Physaliden hervorgegangenen Neubildungen sich nur schwer feststellen lassen. Denn sehr häufig sieht man in demselben Objecte diese verschiedenen Dinge neben einander. Am deutlichsten erkennt man solche Neubildungen an sehr vergrösserten Zellen, deren Kerne sich zuerst in prodigiöser Weise vermehren (S. 383), und an denen sich später um jeden Kern eine besondere Abtheilung des Zelleninhaltes besonders abgegrenzt zeigt. Namentlich geschieht das an der Oberfläche von Riesenzellen, während im Inneren manchmal keine Zellenbildung, manchmal wieder solide oder blasige Gebilde zu bemerken sind. Bei den Krebsen sind[490] Beobachtungen der Art schon ziemlich alt[259], indess waren sie wenig genau. Bestimmtere Untersuchungen über den Gang der Neubildung habe ich zuerst an den Perlgeschwülsten (Cholesteatomen) des Menschen[260] und an der Franzosenkrankheit (Perlsucht) des Rindviehes[261] gemacht. Hier erhält sich in der That die alte Zellmembran noch längere Zeit, so dass die Bildung als eine wirklich endogene erscheint. Andermal dagegen geht die äussere Membran des Muttergebildes früh verloren, und es entsteht sofort eine grosse Gruppe einfach zusammenliegender, noch die Form der Mutterzelle bewahrender Tochterzellen, wo also die ursprüngliche Membran entweder sich auflösen oder zur Bildung der secundären Membranen der Tochterzellen verbraucht werden muss. In diesen Fällen ist es schwer, eine Grenze zwischen endogener Neubildung und Theilung zu ziehen, und man kann eben so wohl den ursprünglich endogenen Anfang des Prozesses, als die verspätete Theilung für die Bezeichnung massgebend sein lassen. Unzweifelhaft endogen ist der Vorgang nur dann, wenn das schon fertige neue Element (Tochterzelle) in die Substanz des alten (Mutterzelle) eingeschlossen ist.
Dieser Fall ist in der neueren Zeit von einer Reihe von Beobachtern beschrieben worden, insbesondere hat man im Inneren kernhaltiger Zellen neben dem Kerne das Vorkommen neuer Furchungselemente und wirklicher Zellen angeführt. So ist namentlich die Bildung von Schleim- und Eiterkörperchen im Inneren von noch existirenden Epithelialzellen von Remak, Buhl, Eberth und Rindfleisch geschildert worden. Hier würde also nicht die ganze Mutterzelle in Tochterzellen übergehen, sondern nur ein Theil ihres Inhaltes, und zwar nach Einigen, nachdem eine Kerntheilung voraufgegangen, nach Anderen ohne dieselbe, unmittelbar. Die so gebildeten Zellen würden dann durch Eröffnung der Mutterzelle (Dehiscenz) austreten und frei werden können. Auch hier ist die Entscheidung sehr schwer, da manche Beobachtungen zugleich die Bildung von Bruträumen schildern, andere an die Geschichte der sogenannten Blutkörperchen-haltenden Zellen (S. 361) erinnern, von denen man auch früher annahm, dass die Blutkörperchen[491] in ihnen entständen, während ich vielmehr ein späteres Eintreten der Blutkörperchen in präexistirende Zellen nachgewiesen habe[262].
Ist es demnach nothwendig, vor Feststellung bestimmterer Formeln noch weitere und mehr ausgedehnte Beobachtungen abzuwarten, so kann es doch nicht zweifelhaft sein, dass neue Elemente aus alten nur auf zwei Weisen entstehen können: entweder fissipar, oder endogen. Auch in dieser Beziehung ist es erfreulich, dass sich die pathologische Entwickelungsgeschichte sowohl mit der physiologischen, als auch mit der botanischen in Einklang befindet. Gerade in der Botanik sind diese zwei Weisen längst anerkannt. Theilung entspricht bei den Pflanzen am gewöhnlichsten dem Wachsthume, endogene Bildung oder Neubildung im engsten Sinne entspricht der Zeugung, der geschlechtlichen Fortpflanzung. Und so liessen sich auch in der Pathologie sehr wohl zwei gesonderte Typen der Neoplasie unterscheiden: der Wachsthumstypus und der Zeugungstypus.
Der wesentliche Unterschied in den einzelnen zelligen Entwickelungen in Beziehung auf das Resultat ist der, dass in einer Reihe von Neubildungen die Theilungen mit einer gewissen Regelmässigkeit vor sich gehen, so dass die Producte der Theilung von Anfang an eine völlige Uebereinstimmung mit den Muttergebilden zeigen und die jungen Gebilde zu keiner Zeit erheblich von den Mutterelementen abweichen. Solche Vorgänge bezeichnet man im gewöhnlichen Leben meistentheils als Hypertrophien; ich hatte zur genaueren Bezeichnung den Namen der Hyperplasien dafür vorgeschlagen, da es sich dabei nicht um eine Zunahme der Ernährung bestehender Theile, sondern um die Bildung wirklich neuer Elemente handelt (S. 90), demnach kein trophischer (nutritiver), sondern ein plastischer (formativer) Vorgang vorliegt.
In einer anderen Reihe macht sich die Entwickelung so, dass allerdings auch Theilungen stattfinden, dass aber diese sich sehr schnell wiederholen und immer kleinerere Elemente hervorbringen. Diese werden zuweilen am Ende so klein, dass sie an die Grenze der Zellen überhaupt herangehen (Granulation). Die Vermehrung der Zellen kann an diesem Punkte aufhören. Die[492] einzelnen neuen Elemente fangen dann an, wieder zu wachsen, sich zu vergrössern, und unter Umständen kann auch hier wieder ein analoges Gebilde erzeugt werden, wie das, von welchem die Entwickelung ausgegangen war. Dies ist eine Hyperplasie, die auf einem Umwege, per secundam intentionem, zu Stande kommt (S. 98). In diese Kategorie würden auch diejenigen Neubildungen zu setzen sein, welche aus ausgewanderten farblosen Blutkörperchen oder mobilisirten Bindegewebskörperchen (S. 359) hervorgehen.
Sehr häufig schlagen jedoch die jungen, kleinen Elemente einen anderen Gang der Entwickelung ein und es beginnt eine heterologe Entwickelung[263].
An den jungen Elementen können dabei wiederum Theilungen eintreten, doch ist es sehr gewöhnlich, dass zunächst, während die Zellen wachsen, nur die Kerne sich sehr vermehren, immer zahlreicher und mit fortschreitender Theilung immer kleiner werden. Das sieht man am besten bei farblosen Blut- und Eiterkörperchen, wo sehr schnell eine Theilung der Kerne stattfindet, gewöhnlich so, dass die ursprünglich einfachen Kerne sofort in eine grössere Zahl kleinerer zerlegt werden, welche Anfangs noch zusammenhalten. Bei den farblosen Blutkörperchen innerhalb des Blutes ist es sehr unwahrscheinlich, beim Eiter nach den Untersuchungen von Stricker allerdings wahrscheinlich, dass der Kerntheilung eine wirkliche Zellentheilung folgt; in anderen Neubildungen tritt dieser Fall gewöhnlich ein. Nur lässt, wie schon erwähnt, die vollständige Theilung, oder wenn man will, die Furchung der Elemente oft lange auf sich warten, und das Zwischenstadium der blossen Kerntheilung besteht daher häufig überwiegend lange und mit einer gewissen Selbständigkeit.
Bei der endogenen Neubildung endlich tritt die Heterologie meist von Anfang an hervor, indem die in der Mutterzelle erzeugten Elemente in der Regel klein, scheinbar indifferent und zu abweichender Entwickelung geneigt sind. Bei den Perlgeschwülsten habe ich besonders dargethan, wie aus Bindegewebskörperchen Perlen und Zapfen von epidermoidalen Zellen entstehen[264].
Abgesehen von denjenigen Neubildungen, welche durch regelmässige Theilung der Elemente unmittelbar zur Hyperplasie führen, wird also der normale Zustand zunächst unterbrochen durch einen Zwischenzustand, wo das Gewebe wesentlich verändert erscheint, ohne dass man sofort im Anfange des Prozesses erkennen kann, ob daraus eine gut- oder bösartige, eine homologe oder heterologe Entwickelung hervorgehen wird. Es ist dies ein Stadium scheinbar absoluter Indifferenz[265], welches ich als Granulationsstadium bezeichne. In demselben kann man es den einzelnen Elementen durchaus nicht ansehen, welcher Bedeutung sie eigentlich sind; sie verhalten sich, wie die sogenannten Bildungszellen des Embryo, welche auch im Anfange ganz gleich aussehen, gleichviel ob ein Muskel- oder ein Nervenelement oder was sonst daraus hervorgehen wird. Nichtsdestoweniger halte ich es für wahrscheinlich, dass feinere innere Verschiedenheiten wirklich bestehen, die schon im Voraus die späteren Umbildungen bis zu einem gewissen Maasse bedingen, nicht Verschiedenheiten, welche bloss Potentia in der Bildungszelle vorhanden wären, sondern wirklich materielle Verschiedenheiten, welche aber so fein sind, dass wir sie bis jetzt nicht darthun können.
Nur bei der embryonalen Entwickelung kennt man seit Jahren eine Erscheinung, welche bestimmt darauf hindeutet, dass solche Verschiedenheiten der Bildungszellen bestehen: die verschiedenen Abtheilungen des Eies machen verschieden schnell ihre Bildung durch, und namentlich diejenigen Theile, welche zu den höheren Organen bestimmt sind, durchlaufen mit viel grösserer Schnelligkeit die einzelnen Stadien, als diejenigen, welche für die niedrigeren Gewebe angelegt werden. Auch in der Grösse der Elemente scheinen Verschiedenheiten zu bestehen. In ähnlicher Weise sieht man häufig auch bei pathologischen Bildungen Verschiedenheiten in Beziehung auf die Zeitdauer. Jedesmal, wenn die Entwickelung der Elemente schnell erfolgt, muss man eine mehr oder weniger heterologe Entwickelung fürchten. Eine homologe, direct-hyperplastische Bildung setzt immer eine gewisse Langsamkeit der Vorgänge voraus; in der Regel bleiben die Elemente dabei grösser, und die Theilungen schreiten nicht bis zur Entstehung ganz kleiner Formen vor.
So überaus einfach ist diese Entwickelungsgeschichte in der Natur und in der Doctrin, aber allerdings schwierig ist sie in der Demonstration an den einzelnen Orten. Diejenigen Theile, welche scheinbar für die Untersuchung am allerbequemsten liegen sollten, und bei denen in der That schon vor ein Paar Decennien Henle ganz nahe an die Entdeckung einer solchen Entwickelung herangestreift war, sind die Epithelien. Hier, wo an der Oberfläche einer Haut eine oft so reichliche Entwickelung stattfindet, sollte man meinen, müsste es überaus leicht sein, dieselbe an den einzelnen Elementen genau zu verfolgen. Henle hat bekanntlich zu zeigen gesucht, dass die Schleimkörperchen, ja manche Formen, welche schon dem Eiter angehören, an der Oberfläche der Schleimhäute neben dem Epithel in der Art producirt werden, dass zwischen den Anlagen beider Reihen keine eigentliche Differenz zu erkennen ist, dass also gewissermaassen die Schleimkörperchen als verirrte oder nicht zu Stande gekommene Epithelialzellen, als missrathene Söhne erscheinen, welche durch eine frühe Störung in ihrer weiteren Entwickelung gehindert wurden, aber eigentlich angelegt waren, um Epithelialelemente zu werden. Unglücklicherweise hatte man damals und noch lange nachher die Vorstellung, dass die normale Entwickelung des Epithels eben auch aus einem Blastem erfolge. Man stellte sich vor, dass an der Oberfläche jeder Schleimhaut, ja an der Oberfläche der Cutis aus den Gefässen, die an die Oberfläche treten, zuerst eine plastische Substanz transsudire, in und aus welcher sich die Elemente bildeten. Man blieb nach dem Vorgange von Schwann bei dem Schema von Schleiden (S. 11) stehen, dass sich zuerst Kerne (Cytoblasten) in einer Flüssigkeit bilden und erst später Membranen an dieselben sich anlegen. Gegenwärtig, so viel auch die verschiedenen Oberflächen der Haut, der Schleimhäute und der serösen Häute untersucht sind, hat man sich überall unzweifelhaft überzeugt, dass die epithelialen Elemente mindestens bis unmittelbar an die Oberfläche des Bindegewebes reichen und nirgends eine Stelle ist, wo zwischen Bindegewebe und Epithel freie Kerne, Blastem oder Flüssigkeit existirte, dass vielmehr an vielen Orten gerade die tiefsten Schichten diejenigen sind, welche die am dichtesten gedrängten Zellen enthalten. Hätte man damals, als Henle seine Untersuchungen machte, gewusst, dass hier normal kein Blastem existirt, keine Entwickelung de novo geschieht, sondern[495] dass die vorhandenen Epithelzellen von alten Epithelialzellen oder vom Bindegewebe darunter oder von ausgewanderten Zellen sich entwickeln müssen, so würde er gewiss zu dem Schlusse gekommen sein, dass die Schleim- und Eiterkörperchen, welche nicht von einer ulcerirenden Oberfläche abgesondert werden, aus präexistirenden Elementen hergeleitet werden müssen.
So nahe war man damals schon der richtigen Erfahrung. Allein die Blastemtheorie beherrschte die Geister, und wir Alle standen unter ihrer Einwirkung. Auch erschien es unmöglich, überall im Inneren der Gewebe die erforderlichen Vorgebilde aufzuweisen. Erst durch den Nachweis zelliger Elemente im Bindegewebe wurde ein überall vorhandenes Keimgewebe aufgewiesen, von dem an den verschiedensten Organen gleichartige Entwickelungen ausgehen können. Jetzt, wo wir wissen, dass Bindegewebe oder demselben äquivalente Gewebe im Gehirne, in der Leber, in den Nieren, im Muskelfleische, im Knorpel, der Haut u. s. f. existiren, jetzt hat es natürlich keine Schwierigkeit mehr, zu begreifen, dass in allen diesen scheinbar so verschiedenartigen Organen dasselbe pathologische Product entstehen kann. Man braucht dazu keineswegs irgend ein specifisches Blastem, welches in alle diese Theile abgelagert wird, sondern nur einen gleichartigen Reiz für das Bindegewebe verschiedener Orte.
Was nun das Specielle dieser Lehre anbetrifft, so will ich zunächst ein concretes Beispiel der normalen Entwickelung vorführen, welches vielleicht am besten geeignet sein wird, ein Bild der oft so verwickelten Vorgänge zu geben, um welche es sich bei dieser Gewebs-Formation und Transformation handelt. Ich wähle dasjenige, an welchem an sich der Gang der Entwickelung am besten bekannt ist, und welches zugleich seiner besonderen Einrichtung wegen am wenigsten Missdeutungen zulässt, nehmlich die Bildung und das Wachsthum der Knochen. Diese Organe sind zu hart und dicht, als dass man noch von Blastem und Exsudat in ihrem eigentlichen Parenchyme oder, wie man nach dem Vorgange von Clopton Havers lange Zeit gethan hat, von einer Zwischenlagerung des Ernährungssaftes zwischen die Theilchen des Knochens reden könnte. Das Wachsthum der Knochen bietet uns zugleich unmittelbar Vergleichungen für alle die verschiedenen Neubildungen, welche innerhalb der Knochen unter krankhaften Verhältnissen vor sich gehen können, denn jede Art von Neubildung[496] findet in der normalen Entwickelung des Knochens gewisse Paradigmen vor.
Bekanntlich wächst jeder grössere Knochen in zwei Richtungen. Am einfachsten ist dies bei den Röhrenknochen, welche allmählich sowohl länger als dicker werden. Das Längenwachsthum erfolgt hier zu einem grossen Theile aus Knorpel, das Dickenwachsthum aus Periost (Bindegewebe). Allein auch ein platter Knochen z. B. am Schädel ist einerseits durch knorpelartige Theile (Synchondrosen) oder deren Aequivalente (Nähte), andererseits durch Häute, welche mit dem Perioste übereinstimmen (Pericranium, Dura mater oder Endocranium), bekleidet. Man kann daher Knorpel- und Periost-Wachsthum an jedem Knochen unterscheiden. Danach ergibt sich das Schema der Entwickelung des Röhrenknochens, wie es schon bei Havers sich findet, dass die neuen Knochenschichten die alten incapsuliren, und dass jede jüngere Schicht nicht bloss weiter, sondern auch länger ist, als die nächst ältere. Denn das Periostwachsthum rückt immer mehr gegen die Enden vor, insofern sich immer neue Abschnitte von Perichondrium in Periost verwandeln, je weiter die Ossification gegen die Enden fortschreitet; der mittlere Theil des Diaphysenknorpels wird schon sehr frühzeitig ganz in Knochen umgewandelt, und hört damit im Allgemeinen auf, aus sich selbst fortzuwachsen. Die Enden des Diaphysenknorpels und die noch ganz knorpelige Epiphyse dagegen wachsen immer noch in die Dicke. Während hier Theile, welche vorher entweder Bindegewebe oder Knorpel waren, in Knochen umgesetzt werden, geht innerhalb des Knochens die Entwickelung des Markes vor sich. Der ursprüngliche Knochen ist ganz dicht, eine sehr feste, relativ compacte Masse. Späterhin schwindet die Knochenmasse immer mehr, ein Theil nach dem anderen von ihr löst sich in Mark auf, und es entsteht endlich die Markhöhle, welche sich nicht etwa darauf beschränkt, so gross zu werden, wie die ursprüngliche Knochen-Anlage war, sondern welche diese Anlage bedeutend überschreitet und in die später apponirten, aus Knorpel und Periost entstandenen Schichten übergreift. Demnach besteht die Bildung des Knochens, ganz im Groben aufgefasst, nicht bloss in der allmählichen Apposition von immer neuen Knochenlagen vom Perioste und Knorpel her, sondern auch in der fortwährenden Ersetzung der innersten Lagen des Knochengewebes durch Markmassen.
Es ist für die vorliegende Darstellung gleichgültig, ob die Bildungsvorgänge am Knochen auch zugleich für das Wachsthum desselben entscheidend sind oder nicht. Indess verknüpfen sich beide Fragen in sehr inniger Weise und gerade in diesem Augenblicke hat die Verknüpfung beider eine erhebliche praktische Bedeutung gewonnen durch den Streit über das sogenannte interstitielle Wachsthum. Dieser Streit ist hauptsächlich hervorgerufen worden durch die einseitige Formulirung, welche namentlich Flourens der Lehre von der Knochenbildung gegeben hatte, wonach ausser durch Apposition und Juxtaposition nirgends eine Zunahme an Knochen stattfinden sollte. So sehr ich in der Hauptsache mit dieser Formulirung übereinstimmte, so habe ich doch vor der Einseitigkeit gewarnt und darauf hingewiesen, dass man damit nicht auskomme, und dass namentlich für gewisse Knochen, z. B. für den Unterkiefer, die Appositionslehre ausser Stande sei, eine ausreichende Erklärung zu bieten[266]. Hier wird man im Gegensatze zu der bloss äusserlichen Anbildung der neuen Substanz zu der Annahme eines inneren Wachsthumes des alten Gewebes genöthigt. Seitdem hat diese Auffassung durch Strassmann, Rich. Volkmann und Hüter weitere thatsächliche Unterlagen gewonnen, und Julius Wolff hat sie allmählich bis zu einer vollständigen Negation der Appositionsdoctrin ausgebildet.
Meiner Meinung nach ist dies eine eben so grosse Einseitigkeit, wie die frühere, und namentlich für die pathologische Auffassung der Knochenbildung hat sie schon jetzt zu wirklichen Irrungen geführt. Aber auch für die physiologische Bildungsgeschichte hat die neue Lehre nicht einen so grossen Werth, wie ihr Wolff zuschreibt. Nichtsdestoweniger sind wichtige Theile des Knochenwachsthumes ohne sie gänzlich unverständlich. Es war dies die Veranlassung, weshalb die Berliner medicinische Fakultät im Jahre 1868 die Preisfrage stellte, auf welche Weise das interstitielle Wachsthum sich vollziehe und namentlich, ob dasselbe mehr von der Zunahme der Knochenkörperchen oder mehr von der Zunahme der Intercellularsubstanz oder beider abhängig sei. Carl Ruge[267] hat diese Frage durch sehr mühsame Versuche mit Zählung und Messung der Knochenkörperchen und ihrer Entfernungen[498] von einander dahin entschieden, dass es sich hauptsächlich um Zunahme der Intercellularsubstanz handelt, welche allerdings im Laufe des Lebens eine merkliche Grösse erreicht, dass dagegen Form und Grösse der Knochenkörperchen sich nur wenig ändert, und dass nur in den ersten Zeiten des Lebens mit Wahrscheinlichkeit eine Vermehrung der Knochenkörperchen durch Theilung angenommen werden könne. Es wird nunmehr erst für jeden einzelnen Knochen empirisch festgestellt werden müssen, wie viel zu seiner Gesammtausbildung das appositionelle und wie viel das interstitielle Wachsthum beiträgt. Jedenfalls schafft das erstere die eigentlichen Grundlagen des Knochens, innerhalb deren sich erst die weiteren Prozesse vollziehen. Diese letzteren werden jedoch durch das interstitielle Wachsthum keinesweges gedeckt; vielmehr bilden die von mir in bestimmter Weise dargelegten Vorgänge der Metaplasie oder Transformation ein ebenso grosses als wichtiges Gebiet.
Bei der Deutung der Knochengeschichte war lange Zeit die Blastemtheorie entscheidend. Schon Havers und Duhamel, welche im 17. und 18. Jahrhunderte vortreffliche Untersuchungen über die Knochenbildung gemacht haben, gingen von der Voraussetzung aus, dass ein eigenthümlicher Succus nutritius abgesondert werde, aus welchem die neuen Massen entständen. Die Mark-Entwickelung dachte man sich als eine durch Resorption erfolgende Bildung von Höhlen, in welche erst ein klebriger Saft und dann eine fettige Masse secernirt werde, Höhlen, welche von der Markhaut umkleidet würden, und deren Inhalt dem Alter des Individuums nach verschiedenartig sei. Wie ich indess schon früher hervorgehoben habe, so finden sich in den Räumen des Knochens keine Säcke, sondern ein continuirliches Gewebe, das Mark (Medulla), welches die Markräume und Markhöhlen ganz und gar ausfüllt, wie der Glaskörper die Höhle des Augapfels, und welches zur Bindesubstanz gehört, obwohl es vom gewöhnlichen Bindegewebe erheblich verschieden ist. Es handelt sich also, wie man aus dieser einfachen Thatsache ersieht, in der ganzen Bildungsgeschiche des Knochens um Substitutionen von Geweben. Wie Knochengewebe aus Periost und Knorpel gebildet wird, so entsteht Mark aus Knochengewebe und Knorpel, und die Entwickelung eines Knochens besteht nicht bloss in der Bildung von Knochengewebe, sondern sie setzt voraus, dass die Reihe der[499] Transformationen über das Stadium des Knöchernen hinausgehe, und dass Mark entstehe. Das Mark würde also als das physiologische Ende der Knochenorgan-Bildung zu betrachten sein, wenn nicht auch der Fall vorkäme, dass aus Mark wieder Knochengewebe erzeugt wird.
So einfach diese Auffassung ist, so gibt sie doch ein anderes Bild für das Wachsthum und die Geschichte des Knochens, als das hergebrachte. Früher ist man fast immer auf dem Standpunkte des reinen Osteologen stehen geblieben; man hat den macerirten Knochen genommen, ihn frei von allen Weichtheilen betrachtet und danach die Prozesse construirt. Es ist aber nothwendig, dass man diese an dem feuchten, lebendigen, sei es gesunden, sei es kranken Knochen verfolge, und dass man das Knochengewebe nicht bloss aussen aus den wuchernden Schichten des Knorpels und Periostes, sondern auch innerhalb der Marksubstanz sich gestalten lässt, als das äussere Entwickelungsprodukt in dieser Reihe, wenn auch nicht als das edelste. Als den wichtigsten und eigentlich entscheidenden Gesichtspunkt, durch den die ganze Knochenangelegenheit eine andere Gestaltung annimmt, betrachte ich dabei eben den, dass das Knochengewebe bei der Markbildung nicht einfach aufgelöst wird und an seine Stelle ein beliebiges Exsudat oder Blastem tritt, sondern dass auch die Auflösung der Knochensubstanz eine Transformation von Gewebe (Metaplasie S. 70) ist und dadurch erfolgt, dass Knochengewebe sich in eine Gewebsmasse (Mark) umbildet, die nicht mehr im Stande ist, die Kalksalze zurückzuhalten[268].
Fragt man nun, wo kommen die neuen Gewebs-Elemente her, welche mitten in der Tela ossea entstehen? wie kann in der Mitte der compacten Rinde des Knochens ein Krebsknoten sich bilden oder ein Eiterheerd? so antworte ich ganz einfach: sie entstehen ebenso, wie in der natürlichen, normalen Entwickelung des Knochens das Mark entsteht. Es gibt keine Stelle, wo zuerst Knochengewebe sich auflöst, dann ein Exsudat erfolgt, dann eine Neubildung geschieht, sondern es geht das vorhandene Gewebe unmittelbar in das kommende über. Das vorhandene Knochen- oder[500] Markgewebe ist die Matrix für das nachfolgende Krebsgewebe, die Zellen des Krebses sind unmittelbare Abkömmlinge von den Zellen des Knochens oder des Markes.
Betrachten wir den Gang der Knochenbildung etwas specieller, so zeigt sich, dass, wie wir dies zum Theil schon früher erörtert haben, der Knorpel sich in der Weise zur Ossification anschickt, dass die Knorpelelemente anfangs grösser werden, dass sie sich dann theilen, und zwar zuerst die Kerne, nachher die Zellen selbst, dass diese Theilungen sehr schnell weiter gehen, so dass immer grössere Gruppen von Zellen entstehen, und dass in einer verhältnissmässig kurzen Zeit an die Stelle jeder einzelnen Zelle eine im Verhältnisse sehr grosse Zellengruppe (Fig. 113, I.) tritt. Schon im ersten Capitel (S. 8) hatte ich erwähnt, wie die Knorpelzelle sich von den meisten anderen Zellen dadurch unterscheidet, dass sie eine besondere Kapselmembran erzeugt, in welcher sie eingeschlossen ist. Diese Kapselmembran bildet bei der Theilung ihrer Inhaltszellen innere Scheidewände zwischen denselben[269], neue Umhüllungen der jungen Elemente, so jedoch, dass auch die colossalen Gruppen von Zellen, welche aus je einer ursprünglichen Zelle hervorgehen, noch von der sehr vergrösserten Mutterkapsel eingeschlossen sind (Fig. 132).
Es versteht sich von selbst, dass, je mehr Zellen diese Umwandelung durchmachen, um so mehr der Knorpel sich vergrössern wird, und dass das Maass von Längenwachsthum, welches das einzelne Individuum erreicht, abgesehen von dem schon erwähnten interstitiellen Wachsthume, wesentlich von der Massenzunahme abhängt, welche in den einzelnen Knorpelgruppen stattfindet. Ob wir gross oder klein bleiben, ist so zu sagen in die Willkür dieser Elemente gestellt. — Hat die Knorpelwucherung dieses Stadium erreicht, so stehen die zelligen Theile ganz dicht zusammen; zwischen ihnen liegt nur eine verhältnissmässig geringe Quantität von Zwischensubstanz (Fig. 113, I.). Je weiter die Entwickelung fortschreitet, um so mehr ändert sich der Habitus des Knorpels: er sieht fast aus, wie dichtzelliges Pflanzengewebe. Die Zellen selbst sind aber äusserst empfindlich, sie schrumpfen unter der Einwirkung der mildesten Flüssigkeiten leicht zusammen und erscheinen dann wie eckige und zackige Körperchen, fast den[501] Knochenkörperchen analog, mit denen sie jedoch zunächst nichts zu schaffen haben.
Fig. 134. Verticaldurchschnitt durch den Ossificationsrand eines wachsenden Astragalus. c Der Knorpel mit kleineren Zellengruppen, p die Schicht der stärksten Wucherung und Vergrößerung an der Verkalkungslinie. In den Knorpelhöhlen sieht man theils vollständige Kernzellen, theils geschrumpfte, eckige und körnig erscheinende Körper (künstlich veränderte Zellen). Die dunkle, in die Zwischensubstanz vorrückende Masse stellt die Kalkablagerung dar, hinter welcher hier ungewöhnlich schnell die Bildung von Markräumen (m, m, m) und Knochenbalken beginnt. Das Mark ist entfernt; an den am meisten zurückliegenden Räumen sind die Balken von einem helleren Saume jungen Knochengewebes (aus Mark entstanden) umgeben. Vergr. 300.
Die Zellen, welche aus diesen Wucherungen der ursprünglich einfachen Knorpelzellen hervorgegangen sind, bilden die Muttergebilde für Alles, was nachher in der Längsaxe des Knochens entsteht, insbesondere für Knochen- und Markgewebe. Es kann sein, dass durch eine unmittelbare Umwandelung Knorpelzellen in Markzellen übergehen und als solche fortbestehen; es kann sein, dass sie zunächst in Knochenkörperchen und dann in Markzellen übergehen, und es kann sein, dass sie zuerst in Mark- und dann in Knochenkörperchen übergehen. So wechselvoll sind die Permutationen dieser an sich so verwandten und doch ihrer äusseren Erscheinung nach so vollständig aus einander gehenden Gewebe.[502] Geschieht eine directe Umänderung des Knorpels in Mark[270], so fängt zunächst die alte Zwischensubstanz des Knorpels an der Grenze gegen den Knochen an, weich zu werden; gewöhnlich geht dann auch sehr bald ein Theil der anstossenden Kapseln dieselbe Veränderung ein, so dass die zelligen Elemente mehr oder weniger frei in eine weichere Grundsubstanz zu liegen kommen. Mit dem Eintritte einer solchen Erweichung ist auch schon die chemische Reaction des Gewebes verändert: es zeigt immer deutliche Mucinreaction. Zugleich beginnen die zelligen Elemente sich zu theilen, und zwar nicht, wie sie das bisher gethan hatten, indem sie sich gleich in zwei analoge Zellen zerlegen (Hyperplasie), sondern vielmehr so, dass in ihnen eine Reihe von kleinen Kernen entsteht (physiologische Heteroplasie, Granulation). Weiterhin, in dem Maasse als dieser Umbildungsprozess immer höher und höher in den Knorpel hinein fortschreitet, als immer neue Theile der Intercellularsubstanz in weiche schleimige Masse verwandelt werden, theilen sich in der Regel die Zellen, und es entsteht eine Reihe von kleineren Elementen, die, im Verhältnisse zu den grossen Knorpelzellen, aus denen sie hervorgegangen sind, sehr geringfügige Bildungen darstellen. Sie besitzen entweder einen einzigen Kern mit Kernkörperchen oder auch wohl, wie Eiterkörperchen, mehrere Kerne[271]. So entsteht nach und nach ein äusserst zellenreiches Schleimgewebe, das junge, rothe Mark, wie wir es in der Regel in den Knochen der Neugebornen finden. Steht der Prozess hier still, so bezeichnet die Grösse der transformirten Stelle zugleich die Stelle des späteren Markraumes. Später können diese kleinen Zellen Fett in sich aufnehmen, anfangs in feinen Körnern, allmählich in grossen Tropfen, endlich so, dass sie ganz und gar davon erfüllt werden. Dadurch verwandelt sich das ursprüngliche Schleimgewebe in Fettgewebe[272]; das Fett ist aber immer im Inneren der Zellen enthalten, wie in den Zellen des Panniculus. Allein dies gelbe, fetthaltige Mark kommt nicht in allen Knochen vor. In den Wirbelkörpern finden wir fast immer die kleinen Elemente. In den Röhrenknochen des Erwachsenen dagegen kommt normal immer fetthaltiges Mark vor. Allein dies[503] kann unter pathologischen Verhältnissen sehr schnell sein Fett abgeben, die Elemente können sich theilen, und dann bekommen wir wieder rothes, aber entzündliches Mark. Bei allgemeiner Atrophie und Osteomalacie wird das Fett resorbirt und das gesammte Mark geht in gallertartiges Schleimgewebe über, welches die grösste Aehnlichkeit, auch in der Consistenz, mit dem Glaskörper besitzt, aber sich von ihm dadurch unterscheidet, dass es stets Gefässe enthält.
In dieser ganzen Reihe von der ersten Entwickelung des Markes aus Knorpel bis zu der entzündlichen Störung, wie wir sie bei einer Amputation entstehen sehen (Osteomyelitis), und bis zu dem Gallertzustande bei Osteomalacie existirt zu keiner Zeit eine amorphe Substanz, ein Blastem oder Exsudat; immer können wir eine Zelle von der anderen ableiten: jede hat eine unmittelbare Entwickelung aus einer früheren und, so lange der Wucherungsgang fortschreitet, eine unmittelbare Nachkommenschaft von Zellen. Dabei kann gleichzeitig die Intercellularsubstanz bald reichlich, bald spärlich, bald fester, bald weicher sein, und auch darnach ist die äussere Beschaffenheit des Gewebes sehr veränderlich. —
Die zweite Reihe von Umbildungen in der Längsaxe des
Röhrenknochens betrifft das eigentliche Knochengewebe, die Tela
ossea, welche hier hervorgehen kann aus Mark oder aus Knorpel.
In dem einen Falle werden die Mark-, in dem anderen die Knorpelzellen
zu Knochenzellen (Knochenkörperchen). Dieser Act der
eigentlichen Ossification, die Entstehung der Tela ossea ist überaus
schwierig zu beobachten, hauptsächlich aus dem Grunde, weil das
Erste, was bei diesen Vorgängen erfolgt, nicht die Erzeugung von
wirklicher Tela ossea ist, sondern nur die Ablagerung von Kalksalzen.
In der Regel nehmlich geschieht zuerst in der nächsten
Nähe des Knochenrandes eine Verkalkung des Knorpels[273], welche
allmählich höher hinauf schreitet, zuerst an den Rändern der
grösseren Zellengruppen, sodann um die einzelnen Zellen, immer
der Substanz der Kapseln folgend so dass jede einzelne Knorpelzelle
von einem Ringe von Kalksubstanz umgeben wird. Aber
das ist noch kein Knochen, sondern nichts weiter als verkalkter
Knorpel, denn wenn wir die Kalksalze auflösen, so ist wieder der
alte Knorpel da, der in keiner anderen Beziehung eine Analogie[504]
[505]
mit dem Knochen darbietet, als durch die Anwesenheit der Kalksalze
(S. 454).
Fig. 135. Horizontalschnitt durch den wachsenden Diaphysenknorpel der Tibia von einem 7monatlichen Fötus. C c der Knorpel mit den Gruppen der gewucherten und vergrösserten Zellen, p p Perichondrium. k Der verkalkte Knorpel, wo die einzelnen Zellgruppen und Zellen in Kalkringe eingeschlossen sind; bei k' grössere Ringe, bei k″ Fortschreiten der Verkalkung am Perichondrium. Vergr. 150.
Fig. 136. Stärkere Vergrößerung der rechten Ecke von Fig. 135. co verkalkter Knorpel, co' Beginn der Verkalkung, p Perichondrium. Vergr. 350.
Damit nun aus diesem verkalkten Knorpel wirklicher Knochen werde, ist es nöthig, dass die Höhle, in welcher je eine Knorpelzelle lag, sich in die bekannte strahlige, zackige Höhle des Knochenkörperchens verwandele. Dieser Vorgang ist deshalb so überaus schwierig zu beobachten, weil beim Schneiden die Kalkmassen allerlei kleine Einbrüche bekommen und Trümmer liefern, innerhalb deren man nicht mehr ersehen kann, was eigentlich vorhanden war. Aus diesem Umstände ist es zu erklären, dass bis jetzt immer noch über die Entstehung der Knochenkörper gestritten ist und wahrscheinlich auch noch ferner gestritten werden wird. Ich halte die Ansicht für richtig, dass Knochenkörperchen an gewissen Stellen direct aus den Knorpelkörperchen entstehen[274], und zwar auf die Weise, dass zunächst die Kapsel, welche die Knorpelzelle einschliesst, enger wird, offenbar indem neue Kapselmasse innen abgelagert wird. Allein in dem Maasse als dies geschieht, beginnt die innere Begrenzung der Kapselhöhlung ein deutlich gekerbtes Aussehen anzunehmen (Fig. 137, c'); der Raum für die ursprüngliche Zelle wird dadurch bedeutend verkleinert. In seltenen Fällen gelingt es noch, Gebilde anzutreffen, wo die spätere Form des Knochenkörperchens als letzter Rest der Höhle erscheint, in welcher das zellige Element mit dem Kerne steckt. Dann aber verschwindet die Grenze, welche ursprünglich zwischen den Knorpelkapseln und der Grundsubstanz bestand; die Kapselsubstanz wird selbst Intercellularsubstanz und wir treffen in einer scheinbar ganz gleichmässigen Grundmasse zackige Elemente, mit anderen Worten, ein noch weiches Gewebe mit knochenartigem Bau (osteoides Gewebe Fig. 137, o). Gewöhnlich wird dieser Vorgang durch die frühzeitige Verkalkung des Knorpels verdeckt und nur gewisse Prozesse geben uns Gelegenheit, die osteoide Umbildung auch innerhalb der schon verkalkenden Theile noch in derselben Weise zu übersehen.
Eine besonders günstige Gelegenheit, manche Vorgänge des Knochen-Wachsthumes zu sehen, die sonst durch die Anwesenheit von Kalksalzen verdeckt werden, gewährt uns die Rachitis[275],[506] auf deren Besprechung ich um so lieber einen Augenblick eingehe, weil diese merkwürdige Krankheit noch jetzt meist missverstanden wird.
Die rachitische Störung erweist sich bei genauerer Untersuchung nicht als ein Erweichungsprozess des Knochengewebes, wie man sie früher gewöhnlich betrachtete, sondern als ein Nichtfestwerden neuwuchernder Schichten, welche erst zu Knochengewebe werden sollten, also genau genommen, als eine Krankheit der Knorpel und des Periostes. Indem die alten Schichten von Knochengewebe durch die normal fortschreitende Markraumbildung verzehrt werden, die neuen aber weich bleiben, wird der Knochen brüchig. — Neben diesem wesentlichen Acte der nicht geschehenden Verkalkung der Theile ergibt sich aber zugleich eine gewisse Unregelmässigkeit im Wachsthume, so dass Stadien der Knochenentwickelung, welche in der normalen Bildung spät eintreten sollten, schon sehr frühzeitig eintreten. Bei dem normalen Wachsthume bilden an der Verkalkungsgrenze (Fig. 134) die Zacken, mit welchen die Kalksalze in den Knorpel hinaufgreifen, eine so vollständig gerade Linie oder genauer gesagt, eine so vollständige Ebene, dass sie fast als mathematisch regelmässig zu bezeichnen ist. Dieses Verhältniss hört bei der Rachitis auf, um so mehr, je intensiver der Fall ist; es finden Unterbrechungen der Verkalkungsebene statt in der Weise, dass an einzelnen Stellen der Knorpel noch tief herunterreicht, während die Verkalkung schon hoch hinaufschreitet. Jene einzelnen Stellen werden bisweilen so vollständig von den übrigen isolirt, dass sie als Knorpelinseln, mitten in dem Knochen, ringsum von demselben umgeben, liegen bleiben, dass also Knorpel noch an Punkten sich findet, wo der Knochen schon längst in Markgewebe umgewandelt sein sollte. Je weiter der rachitische Prozess vorschreitet, um so mehr finden sich aber auch isolirte, zersprengte Kalkmassen in dem Knorpel, manchmal so, dass der ganze Knorpel auf dem Durchschnitte weiss punktirt erscheint. — Weiter zeigt sich die Unregelmässigkeit darin, dass, während im normalen Gange der Dinge die Markräume erst eine kleine Strecke hinter dem Verkalkungsrande (Fig. 134) beginnen, dieselben hier darüber hinaustreten und manchmal bis weit über die Verkalkungsgrenze hinaus eine Reihe von zusammenhängenden Höhlen sich fortzieht, welche mit einem weicheren, leicht faserigen Gewebe erfüllt sind und in[507] welche auch Gefässe aufsteigen (Fig. 137, m). Markräume und Gefässe liegen also da, wo normal eigentlich keine einzige Markzelle, kaum ein einziges Gefäss sich befinden sollte.
Fig. 137. Verticalschnitt aus dem Diaphysenknorpel einer rachitischen wachsenden Tibia vom 2jährigen Kinde. Ein grosser, nach links einen Seitenast absendender Markzapfen erstreckt sich von m aus in den Knorpel herauf: er besteht aus faseriger Grundsubstanz mit spindelförmigen Zellen. Im Umfange bei c, c, c der gewucherte Knorpel mit grossen Zellen und Zellengruppen; bei c', c' beginnende Verdickung und innere Einkerbung der Knorpelkapseln, welche bei o, o verschmelzen und osteoides Gewebe bilden. Vergr. 300.
Auf diese Weise kann an den Stellen, wo der Prozess seine Höhe erreicht hat, in derselben Ebene neben einander eine ganze Reihe von verschiedenartigen Gewebszuständen gefunden werden. Während wir sonst in einer bestimmten Zone Knorpel, in einer anderen Verkalkung, in einer dritten Knochengewebe und Mark finden, so liegt hier Alles durcheinander: Vorsprünge von Mark, darüber osteoides Gewebe oder wirklicher Knochen, daneben verkalkter Knorpel, darunter vielleicht noch erhaltener Knorpel. Die ganze rachitische Schicht des Diaphysenknorpels, welche sich beträchtlich[508] weit erstrecken kann, gewinnt natürlich keine rechte Festigkeit, und das ist einer der Hauptgründe für die Verschiebbarkeit, welche die rachitischen Knochen zeigen, nicht innerhalb der Continuität der Diaphysen, sondern an den Enden. Diese ist in manchen Fällen überaus bedeutend, und bedingt manche Difformität, z. B. am Thorax (Pectus carinatum) einzig und allein. Die stärkeren Biegungen in der Continuität der Knochen sind immer Infractionen, die der Epiphysen gehören der Knorpelwucherung an und stellen einfache Inflexionen dar; hier ist es leicht zu begreifen, wie ein seiner regelmässigen Entwickelung so vollkommen beraubter Theil, welcher eigentlich dicht mit Kalksalzen erfüllt sein sollte, eine grosse Beweglichkeit bewahren muss.
Die Vergrösserung und Vermehrung der einzelnen Zellen geschieht bei der Rachitis in derselben Weise, wie wir sie früher beschrieben haben; indem aber weiterhin in dem Knorpel einzelne Theile nicht verkalken, die eigentlich schon Knochen sein sollten, indem namentlich die Markraumbildung oft weit bis über die Verkalkungsgrenze herauf erfolgt, so liegt an manchen solchen Stellen häufig die ganze Entwickelungsgeschichte des Knochens im Zusammenhange klar zu Tage. Man sieht grosse, oft sehr gefässreiche Zapfen von faserigem Mark (Fig. 137, m) sich vom Knochen her in den Knorpel herauferstrecken und kann sehr deutlich erkennen, dass nicht etwa diese Zapfen sich in den Knorpel hineinschieben, sondern dass sie durch eine strichweise Umbildung der Knorpelsubstanz selbst und Sprossenbildung der Gefässe entstehen. Hauptsächlich in ihrem Umfange ist es, wo sich auch die osteoide Umbildung der Knorpel am besten sehen lässt, wo man insbesondere sehr deutlich wahrnehmen kann, wie ein Knorpelkörperchen sich nach und nach in ein Knochenkörperchen umwandelt. Aus dem Knorpelkörperchen, dass eine mässig dicke Kapselmembran hat, geht nehmlich ein mit immer dickerer Kapsel versehenes Gebilde hervor, innerhalb dessen der Raum für die Zelle immer kleiner wird, und das auf einer gewissen Höhe der Ausbildung nach innen hin Einkerbungen bekommt, ähnlich den sogenannten Tüpfelkanälen der Pflanzenzellen. So ist schon die erste Erscheinung des Knochenkörperchens angelegt, worauf sehr gewöhnlich eine Verschmelzung der Kapseln mit der Grundsubstanz erfolgt und mit der Herstellung anastomosirender Höhlenfortsätze die Bildung des Knochenkörperchens abgeschlossen wird. Zuweilen verkalken[509] einzelne osteoide Knorpelkörper für sich, ohne dass die Verschmelzung erfolgt ist; während ringsum noch die gewöhnliche Knorpel-Intercellularsubstanz liegt, erfüllt sich die Kapsel des osteoiden Körperchens schon vollständig mit Kalksalzen. An anderen Stellen dagegen erfolgt die Verschmelzung der Kapseln mit der Grundsubstanz sehr frühzeitig (Fig. 137, o), und man sieht innerhalb einer glänzend erscheinenden Masse, welche sich um manche Zellgruppen anhäuft, schon überall die zackigen Knochenkörperchen. Da ist aber keine scharfe Grenze im Gewebe, sondern die verdichtete und glänzende Substanz, welche die zackigen Körper umgibt, geht unmittelbar in die durchscheinende Substanz über, welche den gewöhnlichen Knorpel zusammenhält. Im Wesentlichen ist es derselbe Bau.
Fig. 138. Inselförmige Ossification in rachitischem Diaphysenknorpel. c, c der gewöhnliche wachsende (wuchernde) Knorpel, c' zunehmende Verdickung der Kapseln mit Bildung zackiger Höhlen (osteoide Knorpelzellen), co' Verkalkung solcher, noch isolirter Knorpelzellen, co beginnende Verschmelzung der Kapseln verkalkter Knorpelzellen, o Knochensubstanz. Vergr. 300. (Vergl. Archiv für pathologische Anatomie. Bd. XIV. Taf. I.)
Am wichtigsten für die cellulare Theorie überhaupt ist offenbar die isolirte Umbildung einzelner Knorpelzellen zu Knochenkörperchen. In einem Objecte (Fig. 138) übersieht man bei der Rachitis zuweilen die ganze Reihe dieser Vorgänge. Da, wo das[510] vollständig knöcherne Stück, in welchem die Knochenkörperchen ganz regelmässig entwickelt sind, an den Knorpel stösst, findet sich eine Zone, wo man den Uebergang der Knorpelkörperchen in vollkommene Knochenkörperchen in ganz kurzen Strecken überblickt. An der Uebergangsstelle findet sich eine Reihe von Körperchen dicht an einander gelagert, wie Haselnüsse, die durch ihre dunkeln Contouren, ihr hartes Aussehen, ihren ungewöhnlich starken Glanz sich von den gewöhnlichen Knorpelkörperchen unterscheiden, und die in einer kleinen zackigen Höhle eine kleine Zelle umschliessen: das sind die noch isolirten Knochenkörperchen mit verkalkten Kapseln, welche ihnen noch von ihrer früheren Zeit als Knorpelkörperchen anhaften. Es ist desshalb besonders wichtig, diese Körper in ihrer Isolirung in loco zu sehen, weil man ohne ihre Kenntniss jene anderen Prozesse nicht begreift, bei welchen innerhalb des Knochens diese Territorien wieder ausfallen (Fig. 143).
Auf alle Fälle, wenn man ein Object dieser Art einmal genau verfolgt hat, kann man darüber nicht mehr in Zweifel kommen, dass aus Knorpelkörperchen Knochenkörperchen werden können, und ich begreife nicht, wie noch bis in die allerletzte Zeit sorgfältige Untersucher die Frage aufwerfen konnten, ob nicht das Knochenkörperchen jedesmal eine auf Umwegen gewonnene Bildung sei, welche mit dem Knorpelkörperchen keinen unmittelbaren Zusammenhang habe. Allerdings ist es richtig, dass bei dem normalen Längenwachsthum der Knochen die meisten Knochenkörperchen nicht direct aus Knorpelzellen, sondern zunächst aus Markzellen hervorgehen und nur mittelbar von Knorpelzellen abstammen, aber ebenso richtig ist es, dass auch die Knorpelzelle geraden Weges in ein Knochenkörperchen sich umbilden kann. Schon vor langer Zeit habe ich auf einen Punkt besonders aufmerksam gemacht, wo man die Umbildung des Knorpels zu osteoidem Gewebe sehr deutlich übersehen kann, nehmlich die Uebergangsstellen vom Knorpel zum Perichondrium in der Nähe der Verkalkungsgrenze. Hier verwischen sich die Grenzen der Gewebsformen vollständig, und man sieht alle Uebergänge zwischen runden (knorpeligen), spindel- oder linsenförmigen (bindegewebigen) und zackigen (osteoiden) Zellen[276].
Gerade so, wie aus dem Knorpelkörperchen ein Knochenkörperchen werden kann, so kann auch aus der Markzelle ein Knochenkörperchen werden. In den Markräumen des Knochens nehmen in der Regel diejenigen Markzellen, welche am Umfange liegen, späterhin eine mehr längliche Beschaffenheit an, richten sich parallel der inneren Oberfläche der Markräume, und das Mark selbst erlangt hier eine mehr faserige Intercellularsubstanz, weshalb man es eben als Markhaut betrachtet hat. Aber diese sogenannte Haut ist nicht von den centralen Theilen zu trennen; sie stellt nur die festeste und zugleich äusserste Schicht des Markgewebes dar. Sobald nun Tela ossea entstehen soll, so ändert sich die Beschaffenheit der Grundsubstanz. Dieselbe wird fester, sklerotisch, knorpelartig, die einzelnen Zellen scheinen in Lücken der Grund- oder Intercellularsubstanz zu liegen. Schon früh werden sie zackig, indem sie kleine Ausläufer treiben, und nun ist weiter nichts mehr nöthig, als dass sich in die dichte Grundsubstanz Kalksalze ablagern; dann ist der Knochen schon fertig. So bildet sich auch hier wieder durch eine ganz directe Transformation (Metaplasie) das Knochengewebe, und indem sich eine solche osteoide Schicht nach der anderen aus dem Marke ablagert, so entsteht dadurch compacte Knochensubstanz, welche jedesmal bezeichnet ist durch die lamellöse Ablagerung von Tela ossea im früheren Markraume (Fig. 38 u. 39). Der ursprüngliche Knochen ist immer bimsteinartig, porös; seine Höhlungen erfüllen sich, indem aus Marklamellen Lagen von Knochensubstanz bis zu dem Punkte nachwachsen, wo das Gefäss allein übrig bleibt, welches die Ossification nicht zulässt. —
Was nun die Entwickelung der Knochen in der Dicke d. h. aus dem Perioste[277] anbetrifft, so ist diese an sich viel einfacher, aber sie ist auch viel schwieriger zu sehen, weil die Ossification hier sehr schnell vor sich geht und die wuchernde Periostschicht so dünn und so zart ist, dass eine überaus grosse Sorgfalt dazu gehört, sie überhaupt nur wahrzunehmen. Im Pathologischen haben wir für ihr Studium ungleich bessere Gelegenheit, als im Physiologischen. Denn es ist ganz gleich, ob der Knochen in der Dicke physiologisch oder (durch eine Periostitis) pathologisch[512] wächst; dies ist nur eine quantitative und zeitliche Differenz (Heterometrie, Heterochronie).
Im entwickelten Zustande besteht das Periost dem grössten Theile nach aus sehr dichtem Bindegewebe mit einer überaus grossen Masse von elastischen Fasern, innerhalb dessen sich Gefässe ausbreiten, um von da in die Rinde des Knochens selbst hineinzugehen. Wenn nun das Wachsthum des Knochens in der Dicke beginnt, so nimmt die innerste, gefässreiche Schicht des Periostes an Dicke zu und schwillt an; dann sagt man, es sei ein Exsudat geschehen, indem man als ausgemacht annimmt, dass die Schwellung ein Exsudat voraussetze, und dass hier das Exsudat zwischen Periost und Knochen liege. Nimmt man aber die Masse vor und analysirt sie, so zeigt sie keinerlei Aehnlichkeit mit irgend einer bekannten Art von einfachem Exsudate; die geschwollene Stelle erscheint vielmehr durch ihre ganze Dicke von aussen bis nach innen organisirt und zwar am deutlichsten gerade am Knochen, während man nach aussen gegen die Periost-Oberfläche hin die Structurverhältnisse weniger leicht entwirren kann. Diese Verdickungen können unter Umständen sehr bedeutend zunehmen. Bei einer Periostitis sehen wir ja, dass förmliche Knoten gebildet werden. Man denke nur an die mehr physiologische Geschichte des Callus nach Fractur. Nach einem Exsudate sucht man hier vergeblich. Verfolgt man die verdickten Lagen in der Richtung zu dem noch unverdickten Perioste hin, so kann man sehr deutlich sehen, was Duhamel schon sehr schön zeigte, was aber immer wieder vergessen wird, dass die Verdickungsschichten endlich alle in die Schichten des Periostes continuirlich sich fortsetzen. So wenig als das Periost unorganisirt ist, so wenig sind die Verdickungsschichten ohne Organisation. Die mikroskopische Untersuchung zeigt in der Nähe der Knochenoberfläche eine leicht streifige Grundsubstanz und darin kleine zellige Elemente; je weiter man sich vom Knochen entfernt, um so mehr finden sich Theilungen der Elemente und endlich die einfachen, aber sehr kleinen Bindegewebskörperchen des Periostes. Der Gang der Theilung ist derselbe, wie am Knorpel, nur dass der Wucherungsact an sehr feinen Elementen geschieht. Je grösser der Reiz, um so grösser wird auch die Wucherung, um so stärker die Anschwellung der wachsenden Stelle.
Diese aus der wuchernden Vermehrung der Periostkörperchen[513] hervorgegangenen Elemente geben die Knochenkörperchen genau in derselben Weise, wie ich es beim Marke beschrieben habe. In der Nähe der Knochenoberfläche verdichtet sich die Grundsubstanz und wird fast knorpelartig, die Elemente wachsen aus, werden sternförmig und endlich erfolgt die Verkalkung der Grundsubstanz. Ist der Reiz sehr gross, wachsen die Elemente sehr bedeutend, dann entsteht hier wirklicher Knorpel; die Elemente vergrössern sich so, dass sie bis zu grossen, ovalen oder runden Zellen anwachsen und die einzelnen Zellen um sich herum eine kapsuläre Abscheidung bilden. Auf diese Weise kann auch im Periost durch eine directe Umbildung des wuchernden Periostes Knorpel entstehen, aber es ist keinesweges nothwendig, dass wirklicher, eigentlicher Knorpel entsteht; in der Regel erfolgt nur die osteoide Umbildung, wobei die Grundsubstanz sklerotisch wird und sofort verkalkt.
Fig. 139. Verticaldurchschnitt durch die Periostfläche eines Os parietale vom Kinde. A Die Wucherungsschicht des Periostes mit anastomosirenden Zellennetzen und Kerntheilung. B Bildung der osteoiden Schicht durch Sklerose der Intercellularsubstanz. Vergr. 300.
So geschieht es, dass an der Oberfläche jedes wachsenden Knochens, wie insbesondere Flourens nachgewiesen hat, der neue Knochen sich immer Schicht auf Schicht ansetzt, und dass die neuen Schichten den alten Knochen so umwachsen, dass ein Ring, den man um den Knochen legt, nach einiger Zeit innerhalb desselben[514] liegt, umschlossen von jungen Schichten, welche sich aussen herum gebildet haben. Letztere stehen mit dem alten Knochen durch kleine Säulchen in Verbindung, welche dem Ganzen ein bimsteinartiges Aussehen geben, und auch hier erfolgt die spätere Verdichtung zu Rindensubstanz dadurch, dass sich in den einzelnen, durch die Säulchen umgrenzten Räumen concentrische Lamellen von Knochensubstanz aus dem periostealen Marke bilden[278].
Nirgends jedoch sieht man die Uebergänge des periostealen Bindegewebes in die eigentlich osteoide Substanz mit einer so überzeugenden Deutlichkeit, als an manchen Knochengeschwülsten, namentlich den Osteoidchondromen. Solche finden sich besonders an den Kiefern von Ziegen[279], und da auch hier die Verkalkung der schon Knochenstructur besitzenden Theile in grossen Abschnitten nicht erfolgt, so leisten sie für die Darstellung der Uebergänge des Bindegewebes in osteoide Substanz etwa dasselbe, was uns für die Umbildung der Knorpel die Geschichte der Rachitis gelehrt hat. Wobei ich übrigens bemerke, dass die Thierärzte, ich weiss nicht mit wie viel Recht, solche Zustände auch als Rachitis bezeichnen. Die Geschwulst, welche oft Ober- und Unterkiefer, aber jeden für sich befällt, ist so wenig dicht, dass man sie ganz bequem schneiden kann; nur an einzelnen Stellen findet das Messer einen stärkeren Widerstand. Macht man feinere Durchschnitte, so sieht man schon vom blossen Auge, dass dichtere und weniger dichte Stellen mit einander abwechseln, dass das Ganze ein maschiges Aussehen hat. Bringt man es bei schwacher Vergrößerung unter das Mikroskop, so bemerkt man sofort, dass die ganze Anlage vollkommen die eines neugebildeten Knochens ist; eine Art von Markhöhlen und ein Balkennetz wechseln mit einander ab, genau so, wie wenn man die Markhöhlen und Balken eines spongiösen Knochens vor sich hätte. Die Substanz, welche das Balkennetz bildet, ist im Ganzen dicht und erscheint dadurch schon bei schwacher Vergrösserung leicht von der zarteren Substanz, welche dazwischen liegt und die Maschenräume füllt, verschieden. Letztere bietet, wenn man sie stärker vergrössert, ein fein streifiges, faseriges Aussehen dar. Die Faserzüge laufen zum Theil parallel den Rändern der Balken. Innerhalb[515] der letzteren sieht man bei starker Vergrösserung ähnliche Gebilde, wie sie das Knochengewebe darbietet, zackige Körperchen, ganz regelmässig verbreitet.
Fig. 140. Schnitt aus einem Osteoidchondrom vom Kiefer einer Ziege: Habitus der Periost-Ossification. Osteoide Balkennetze mit zackigen Zellen umschliessen primäre Markräume, mit faserigem Bindegewebe gefüllt. Die dunkeln Stellen verkalkt und fertiges Knochengewebe darstellend. Vergr. 150.
Dieser Habitus entspricht vollständig dem, was bei der Entwickelung des Knochens vom Periost aus geschieht[280]; es ist, kurz gesagt, das Schema des Dickenwachsthums des Knochens. Ueberall, wo man junge Periost-Auflagerungen untersucht, findet man innerhalb des maschigen Netzes, welches die osteoide Substanz bildet, faseriges Mark, nicht zelliges, wie in der späteren Zeit. Es sind die Reste des gewucherten Periostes selbst, welche noch nicht einer weiteren Metaplasie unterlegen haben. Die osteoide Umbildung erfolgt in die Periostwucherung hinein ursprünglich immer in der Weise, dass sich von der Knochenoberfläche aus das Fasergewebe in gewissen Richtungen verdichtet; dadurch entstehen härtere, zuerst senkrecht und säulenartig auf dem Knochen aufsitzende Zapfen, welche sich durch quere, der Knochenoberfläche parallele Züge oder Bogen verbinden und so jenes Maschenwerk herstellen. Lässt man Essigsäure auf diese Theile einwirken, so sieht man alsbald, dass die ganze fibröse Masse, welche[516] die Alveolen erfüllt, die wundervollsten Bindegewebs-Elemente enthält, und zwar in der Anordnung, dass dieselben am Umfange der Balken mehr spindel- oder linsenförmig sind und in concentrischen Streifen liegen, während sie in der Mitte der Maschenräume sternförmig sind und unter einander anastomosiren. Dass um die Alveolen herum aber wirklich schon Knochenbalken vorhanden sind, davon kann man sich an den Stellen sehr schön überzeugen, wo Kalksalze darin abgelagert sind. Während die Peripherie solcher verkalkten Balken (Fig. 140) ein glänzendes, fast knorpelartiges Aussehen hat, tritt mehr nach innen in denselben schon eine trübe, feinkörnige, in Säuren lösliche Masse auf, welche die Intercellularsubstanz durchsetzt und gegen die Mitte der Balken hin in eine fast gleichmässige, kalkige Schicht übergeht, in der von Strecke zu Strecke die Knochenkörperchen hervortreten. Hier haben wir also schon ein vollständiges Knochennetz, zugleich das regelrechte Bild für das Dickenwachsthum des Knochens.
Fig. 141. Ein Stück aus Fig. 140, stärker vergrössert, nach Einwirkung von Essigsäure. o, o die osteoiden Balken; m, m, m die primären Markräume mit Spindel- und Netzzellen. Vergröss. 300.
Betrachtet man aber recht sorgfältig die Stellen, wo der Rand dieser Balken und Knochenzüge mit der fibrösen Substanz der Maschenräume zusammenstösst, so sieht man hier keine vollkommen scharfe Grenze; im Gegentheil, die osteoide Substanz verstreicht[517] nach und nach in das fibröse Gewebe, so dass hier und da einzelne der Bindegewebselemente des fibrösen Gewebes schon in die sklerotische Substanz der Balken miteingeschlossen werden. Daraus kann man abnehmen, dass die Bildung der eigentlichen Knochensubstanz wesentlich erfolgt durch die allmähliche Veränderung von Intercellularsubstanz, und zwar so, dass diese aus ihrem ursprünglich faserigen Bindegewebs-Zustande in eine dichte, glänzende, sklerotische, knorpelartige Masse übergeht, welche sich jedoch sowohl durch Structur, als durch Mischung von Knorpel unterscheidet. Hier ist nie ein Stadium, welches den bekannten Formen des gewöhnlichen Knorpels entspräche, sondern es geht direkt aus Bindegewebe die osteoide Form hervor, dieselbe Form, welche auch im Knorpel und Mark erst entsteht, wenn aus ihnen Knochen wird. Es ist diese Erfahrung insofern sehr wesentlich, als man durch sie die Ueberzeugung gewinnt, dass es falsch ist, von Knochenknorpel in dem Sinne zu sprechen, als ob gewöhnlicher Knorpel die organische Grundlage des Knochengewebes bilde. Der Knorpel als solcher kann nur verkalken; wenn er Knochen werden soll, so muss eine Umsetzung seines Gewebes stattfinden: es muss sich die chondrinhaltige Grundsubstanz verdichten und, wenigstens zum grössten Theile, in eine leimgebende Intercellular-Masse umwandeln (S. 453).
Die Ossification aus Bindegewebe ist die Regel für die pathologische Neubildung von Knochen, insbesondere für die Callusbildung nach Fractur, über welche ich noch ein Paar Worte hinzufügen will, da es ein viel discutirter und chirurgisch sehr wichtiger Prozess ist.
Schon aus meiner bisherigen Darstellung ist leicht ersichtlich, dass der Wege der Neubildung von Knochengewebe mehrere sind, und dass die alte Voraussetzung, als müsse ein Modus als der allein gültige betrachtet werden, nicht richtig ist. Eine Präexistenz von eigentlichem Knorpel vor der Knochenbildung ist durchaus nicht nothwendig, vielmehr bildet sich viel häufiger durch eine direkte Sklerose der Intercellularsubstanz aus Bindegewebe osteoides Gewebe und aus diesem Knochengewebe; ja die Ossification kommt so eigentlich leichter und einfacher zu Stande, als aus gewöhnlichem Knorpel. Gerade in der Geschichte der Callustheorien hat es sich auf das Deutlichste gezeigt, dass das Bestreben, eine einfache Formel aufzufinden, das grösste Hinderniss für die Erkenntniss[518] der Callusbildung gewesen ist, und dass, trotz der grossen Verschiedenheit der Meinungen, eigentlich Alle Recht gehabt haben, indem in der That der neue Knochen sich aus dem verschiedensten Material aufbaut.
Unzweifelhaft werden, wenn der Fall günstig ist, die bequemsten Wege für die Neubildung betreten, und der allerbequemste Weg ist der, dass das Periost den übergrossen Theil des Callus hervorbringt. Es geschieht dies in der Weise, dass das Periost gegen den Rand des Bruches hin sich verdickt und hier unter fortschreitender Proliferation nach und nach anschwillt, so zwar, dass man nachher ziemlich deutlich einzelne sich übereinander schiebende Lagen oder Schichten (Lamellen) daran unterscheiden kann. Diese werden immer dicker und zahlreicher, indem fortwährend die innersten Theile des Periostes wuchern und durch Vermehrung ihrer Elemente neue Lagen bilden, welche sich zwischen dem Knochen und den noch relativ normalen äusseren Theilen des Periostes aufhäufen. Diese Lagen können zu wirklichem Knorpel werden, aber es ist dies nicht nothwendig und nicht die Regel. Ja es findet sich sogar, dass bei den meisten Fracturen, wo Knorpel entsteht, nicht die ganze Masse des Periostcallus aus Knorpel hervorgeht, sondern ein mehr oder weniger grosser Theil sich immer aus Bindegewebe bildet. Die Knorpelschichten liegen gewöhnlich dem Knochen zunächst; je weiter man nach aussen kommt, um so mehr herrscht die direkte Umbildung des Bindegewebes vor.
Die Neubildung von Knochengewebe beschränkt sich aber bei Fracturen keineswegs auf das Periost; sehr häufig geht sie nach aussen über dasselbe hinaus, und nicht selten reicht sie in Form von Stacheln, Knoten und Höckern sehr weit in die benachbarten Weichtheile hinein. Es versteht sich von selbst, dass hier keinesweges eine nach aussen gehende Wucherung des Periostes stattfindet, sondern dass aus dem Bindegewebe der benachbarten Theile ossificationsfähiges Gewebe hervorgeht. Man kann sich davon leicht überzeugen, da man in solche Massen die Ansätze von Muskeln verfolgen kann. Ja, nicht selten findet man an den äusseren Theilen Stellen, wo subcutanes Fettgewebe mit in die Ossification eingeschlossen worden ist. Man kann also nicht sagen, dass die Callusbildung im Umfange der Fracturstücke nur eine periosteale Bildung sei; jedesmal, wenn sie eine gewisse Reichlichkeit gewinnt, überschreitet[519] sie die Grenzen des Periostes und geht in das Bindegewebe der umliegenden Weichtheile hinein. Diesen Theil des äusseren Callus nenne ich parosteal.
Vollständig verschieden von dieser äusseren Callusbildung ist diejenige, welche mitten im Knochen aus dem Mark erfolgt: die medulläre oder besser myelogene.
Fig. 142. Querbruch des Humerus mit Callusbildung, etwa 14 Tage alt. Man sieht aussen die poröse Kapsel des aus Periost und Weichtheilen hervorgegangenen Callus, dessen innerste Lage rechts noch knorpelig ist. Links liegt frei ein abgesplittertes Stück der Knochenrinde. Die beiden Bruchenden sind durch eine (dunkelrothe) hämorrhagisch-fibröse Schicht verbunden, das Mark beiderseits (durch Hyperämie und Extravasat) sehr dunkel, im unteren Bruchstücke mehrere poröse Callusinseln, aus der Ossification des Markes hervorgegangen.
In dem Augenblicke, wo der Knochen bei dem Bruche zertrümmert wird, werden natürlich viele kleine Markräume oder gar die grosse centrale Markhöhle eröffnet. In der Nähe der Bruchstelle füllen sich nun fast constant bei regelmässigem Verlaufe die noch unversehrten Markräume mit Callus, indem sich an die innere Fläche der sie umgrenzenden Knochenbalken neue Knochenlamellen aus dem Marke ansetzen, wie bei dem gewöhnlichen Dickenwachsthum des Knochens die ursprünglich bimsteinartigen äusseren Lagen durch die Einlagerung concentrischer Lamellen compact werden. Auf diese Weise geschieht es, dass nach einiger Zeit eine mehr oder weniger grosse neue Knochen-Schichte sich findet, welche continuirlich durch die Markhöhle hindurchzieht und eine Abschliessung derselben zu Stande bringt. Diese innere Callusbildung hat mit der äusseren in Beziehung auf die Ausgangspunkte gar nichts gemeinschaftlich; sie geht von einem ganz anderen Gewebe aus und liefert auch im Groben ein anderes Resultat, insofern sie innerhalb der Grenzen des alten Knochens eine Verdichtung desselben an der Bruchstelle hervorbringt. Selbst in dem Falle, dass die Knochenenden vollständig aufeinander passen, gestaltet sich in beiden Markhöhlen eine solche innere Knochenbildung, welche für eine gewisse Zeit eine Unterbrechung der Markhöhle erzeugt.
Diese beiden Arten der Callusbildung sind die gewöhnlichen und normalen. Im Umfange der beiden Bruchenden geschieht die Anschwellung, im Innern die Verdichtung. Allmählich treten die neugebildeten Massen sich näher, ringsherum bildet sich aus der Ossification der Weichtheile eine brücken- oder capselartige Verbindung. Die übrige Vereinigung der getrennten Knochentheile geschieht endlich aus dem alten Knochengewebe selbst, welches an gewissen Theilen in weiches Gewebe übergeht, proliferirt, verschmilzt und von Neuem ossificirt. Es ist also wenig Grund zu fragen, ob der Callus aus einer freien Exsudat- oder Extravasatmasse hervorgehe. Allerdings erfolgt anfänglich eine Extravasation in den Raum zwischen die Bruchenden, allein das ausgetretene Blut wird in der Regel ziemlich vollständig absorbirt, und es trägt für die Constituirung der Verbindungsmassen verhältnissmässig sehr wenig bei. Ist viel Blut zwischen den Bruchenden, so bildet es eher ein Hinderniss, als eine Begünstigung für die Consolidation. —
Ergibt sich demnach die Ossification aus Knorpel als ein verhältnissmässig seltener Fall, so bleibt doch die Erfahrung von der Umwandlung einzelner Knorpelkörperchen in Knochenkörperchen überaus lehrreich. Denn das Knorpelkörperchen steht dem Bindegewebskörperchen parallel und seine Kapsel repräsentirt die zuletzt von ihm hervorgebrachte Intercellularsubstanz, deren Grenze sich in dem Bindegewebe sofort verwischt. Aber sicherlich ist sie vorhanden und für die Ernährungsverhältnisse von bestimmender Wichtigkeit. Ja wir müssen sagen, dass die alte Grenze immerfort den Bezirk bezeichnet, welcher von dem Knochenkörperchen beherrscht wird, und, wie ich das schon am Eingange (S. 18) gerade für diesen Punkt hervorgehoben habe, unter pathologischen Verhältnissen tritt dieser Bezirk (Territorium) nicht nur wieder in Kraft, sondern auch in's Gesicht. In diesem Kreise macht das Knochenkörperchen seine besonderen Schicksale durch. Wird ein Knochen auf irgend eine Weise zu neuen Transformationen oder Productionen bestimmt, so geht ein Knochenkörperchen nach dem anderen innerhalb seiner Gebietsgrenzen in die Veränderung ein. Bildet sich im Umfange nekrotischer Stücke eine Demarcationslinie (reactive Entzündung), so bekommt die Oberfläche des Knochens, vom Rande her gesehen, Ausbuchtungen, deren Umfang[521] den alten Zellterritorien entspricht[281]. Auf der Fläche bemerkt man Lücken, welche hier und da zusammenfliessen und Gruben darstellen. Das Knochenkörperchen, welches früher an der Stelle der Grube lag, hat in dem Maasse, als es sich selbst veränderte, auch die umgebende Intercellularsubstanz bestimmt, in die Veränderung einzugehen.
Fig. 143. Demarkationsrand eines nekrotischen Knochenstückes bei Paedarthrocace. a, a, a der nekrotische Knochen mit sehr vergrösserten Knochenkörperchen und Knochenkanälchen; hier und da Andeutungen von Gruben auf der Fläche. b, b die Lacunen, welche an die Stelle der Zellenterritorien des Knochens (vgl. Fig. 138) getreten sind, im seitlichen Abfalle des etwas dicken Präparates gesehen; hier und da noch vergrößerte Knochenkörperchen durchscheinend. c, c die vollständig leeren Lücken. Vergr. 300.
Von dieser, den lebenden Knochen treffenden Veränderung ist eine andere, der äusseren Erscheinung nach oft sehr ähnliche wohl zu unterscheiden, welche auch an todten (nekrotischen) Knochen vorkommt. Viele Jahre hindurch ist es streitig gewesen, ob todte Knochen durch den Eiter angegriffen werden. Zahlreiche Versuche mit fast regelmässig negativem Ergebniss hatten zuletzt die Ueberzeugung allgemein gemacht, dass der todte Knochen inmitten des Eiters unverändert bleibe. Erst Erfahrungen, welche Herr von Langenbeck an Elfenbeinstücken machte, die in lebende menschliche Knochen eingesenkt wurden, haben dargethan, dass,[522] wenn auch nicht der Eiter als solcher, so doch die Granulationen das todte Gewebe „anfressen“. Ich habe mich durch eigene Untersuchung an solchen Stiften überzeugt, dass sowohl kleine, als ganz grosse Gruben an der Oberfläche früher ganz glatter Stifte entstehen, und es kann hier um so weniger zweifelhaft sein, dass diese Gruben mit Zellenterritorien nichts zu thun haben, als das Elfenbein solche Territorien gar nicht besitzt. Nicht alle Gruben und Löcher am Knochen sind also durch Einschmelzung von Zellenterritorien entstanden; das Gesagte gilt nur von solchen Gruben, welche wirklich der Form und Grösse nach den Zellenterritorien entsprechen. Solche kann man sowohl an der compacten Knochenrinde, als auch an den Bälkchen des Markes wahrnehmen.
Das sind Vorgänge, ohne deren Verständniss man die Geschichte der Caries gar nicht begreifen kann. Die Caries beruht eben darin, dass der Knochen sich in seine Territorien auflöst, dass die einzelnen Elemente, und zwar sowohl die des Knochengewebes, als auch die des Markes, in neue Entwickelung gerathen, und dass die Reste von alter Grundsubstanz als kleine, dünne Scherben in der weichen Substanz liegen bleiben. Ich habe dies wiederholt an Amputationsstümpfen verfolgt, an denen sich bald nach der Operation eine Periostitis mit leichter Eiterung, der Anfang von Caries peripherica, fand. Wenn man in einem solchen Falle das verdickte Periost abzieht, so sieht man in dem Moment, wo das Periost sich von der Oberfläche entfernt und die Gefässe sich aus der Knochenrinde hervorziehen, nicht, wie bei einem normalen Knochen, einfache Fäden, sondern einen kleinen Zapfen, eine dickere Masse; hat man sie ganz herausgezogen, so bleibt ein unverhältnissmässig grosses Loch zurück, viel umfangreicher, als unter normalen Verhältnissen. Untersucht man den Zapfen, so findet man, dass um das Gefäss herum eine gewisse Quantität von weichem Gewebe liegt, dessen zellige Elemente sich in fettiger Degeneration oder in zelliger Wucherung befinden. An den Stellen, wo das Gefäss herausgezogen ist, erscheint die Oberfläche nicht eben, wie beim normalen Knochen, sondern rauh und porös, und wenn man dieselben unter das Mikroskop bringt, so bemerkt man jene Ausbuchtungen, jene eigenthümlichen Löcher, welche den einschmelzenden Zellenterritorien zugehören. Fragt man also, auf welche Weise der Knochen im Anfange der Caries porös wird, so kann man sagen, dass es sicherlich nicht so geschieht,[523] dass sich Exsudate bilden, denn dazu ist kein Raum vorhanden, da die Gefässe innerhalb der Markkanäle (Fig. 38, 39, 41) unmittelbar die Tela ossea berühren. Vielmehr bilden sich Lücken, welche sofort gefüllt sind mit einer weichen Substanz, die ein leicht streifiges Bindegewebe mit fettig degenerirten oder gewucherten Zellen darstellt. Schmilzt im Umfange eines Markkanals ein Knochenkörperchen nach dem anderen ein, so wird man nach einiger Zeit den Markkanal von einer lacunären Bildung umgrenzt finden. Mitten darin steckt immer noch das Gefäss, welches das Blut führt, aber die Substanz herum ist nicht Knochen oder Exsudat, sondern degenerirtes Gewebe, in welches möglicherweise aus den Gefässen ausgewanderte farblose Blutkörperchen eindringen. Der ganze Vorgang ist eine degenerative Ostitis, wobei die Tela ossea ihre chemische und morphologische Haltung einbüsst, und an ihre Stelle ein weiches, nicht mehr kalkführendes Gewebe tritt. Dieses kann je nach Umständen sehr verschieden sein, einmal eine fettig degenerirende, zerfallende Masse, in einem anderen Falle ein zellenreiches Gewebe mit zahlreichen jungen Elementen. Die neu entstehende Substanz verhält sich wieder, wie Mark. Unter Umständen kann sie so wachsen, dass, wenn wir das Beispiel wiederum von der Oberfläche des Knochens nehmen, wo sich ein Gefäss hineinsenkt, die junge Markmasse neben dem Gefässe herauswuchert und als ein Knöpfchen erscheint, welches eine Grube der Oberfläche erfüllt und unter Umständen sogar über sie hervorragt. Das nennen wir eine Granulation.
Untersucht man Granulationen im Vergleiche mit rothem Mark, so ergibt sich, dass keine zwei Arten von Gewebe mehr mit einander übereinstimmen. Das Knochenmark eines Neugebornen könnte man jeden Augenblick chemisch und mikroskopisch für eine Granulation ausgeben. Die Granulation ist nichts weiter, als junges, weiches, schleimhaltiges Gewebe, analog dem Mark. Es gibt eine entzündliche Osteoporose, welche nur darin beruht, dass eine vermehrte Markraumbildung eintritt und der Prozess, welcher an der Markhöhle ganz normal ist, sich auch aussen in der compacten Rinde findet. Diese Osteoporose (Osteomalacie) unterscheidet sich von der granulirenden Caries peripherica nur durch ihren Sitz. Geht man einen Schritt weiter und lässt man die Zellen, welche bei der Osteoporose in mässiger Menge vorhanden sind, reichlicher und reichlicher werden, während die Grundsubstanz[524] dazwischen immer weicher und spärlicher wird, so haben wir Eiter. Dieser entsteht nicht aus einem Blastem durch einen besonderen Act, nicht durch eine Schöpfung de novo, sondern er entwickelt sich regelrecht von Generation zu Generation nach vollkommen legitimer Art, gleichviel, ob seine Elemente aus den Elementen des früheren Gewebes hervorgehen[282], oder ob sie direkt aus dem Blute in das Gewebe einwandern.
Es liegt also in der Geschichte des kranken Knochens eine ganze Reihe von Gewebs-Umbildungen vor uns: der zuerst entstandene, aus Knorpel oder Bindegewebe hervorgehende Knochen kann Umbildungen erfahren zu Mark, dann zu Granulations-Gewebe, und endlich zu fast reinem Eiter. Die Uebergänge sind hier so allmählich, dass bekanntlich derjenige Eiter, welcher zunächst auf die Granulation folgt, eine mehr schleimige, fadenziehende, zähe, cohärente Masse darstellt, welche auch wirklich Schleimstoff enthält, analog dem Granulations-Gewebe, und welche erst, je weiter man nach aussen kommt, die Eigenschaften des vollendeten Eiters zeigt. Der fertige rahmige Eiter der Oberfläche geht gegen die Tiefe hin nach und nach über in das Pus crudum, den schleimigen, zähen, nicht maturirten Eiter der tieferen Lagen, und was wir Maturation nennen, beruht nur darauf, dass die schleimige Grundsubstanz des ursprünglich zähen Eiters, welcher sich seiner Structur nach der Granulation anschliesst, allmählich in die vollkommen flüssige, albuminöse Zwischensubstanz des reinen Eiters übergeht. Der Schleim löst sich auf und die rahmige Flüssigkeit entsteht. Die Reifung ist also im Wesentlichen eine Erweichung und Verflüssigung der Intercellularsubstanz. So unmittelbar hängen Entwickelung und Rückbildung, physiologische und pathologische Zustände zusammen.
Das ist ein Theil der normalen und pathologischen Vorgänge, welche wir bei der Bildung und Umbildung von Knochen erkennen. Man muss daraus entnehmen, dass es sich hier um eine Reihe von Permutationen oder Transformationen oder Substitutionen handelt, welche ein Fortschreiten bald zu einer höheren, bald zu einer niederen Form der Bildung darstellen, welche aber immerfort continuirlich mit einander zusammenhängen und welche je nach den Bedingungen, welche auf die Theile wirken, sich bald[525] so, bald anders gestalten. Wir haben es in der Hand, ob wir einzelne Theile des Knorpels oder des Periostes bestimmen wollen, zu ossificiren oder sich in ein weiches Gewebe umzubilden. In dieser ganzen Reihe steht allein das rothe Mark als der Typus der heterologen Formen dar, indem es die kleinsten und am wenigsten charakteristischen Zellen enthält. Das junge Markgewebe entspricht seiner Erscheinung nach am meisten jenen jungen Entwickelungen, mit welchen alle heterologen, per secundam intentionem entstehenden Gewebe beginnen, und da es, wie ich vorhin schon berührte, zugleich den eigentlichen Typus für alle Granulationen darstellt[283], so kann man sagen, dass, wo immer Neubildungen in massenhafter Weise entstehen sollen, auch eine dem Typus des jungen Markes analoge Substitution (Granulation) erfolgt, und dass, gleichviel, welche Festigkeit das alte Gewebe haben mag, doch immer eine Proliferation stattfinden kann, welche die Keime für die späteren Elemente legt.
Fußnoten:
[246] Würzb. Verhandl. 1850. I. 80. II. 70. III. 98.
[247] Ebendas. I. 86.
[248] Würzb. Verhandl. II. 150, 154.
[249] Archiv IV. 284, 304, 312.
[250] Archiv V. 216, 239.
[251] Spec. Pathologie und Ther. I. 330, 333. Archiv VIII. 415.
[252] Archiv III. 199.
[253] Entwickelung des Schädelgrundes 58.
[254] Archiv I. 130.
[255] Archiv III. 197, 222.
[256] Ebendas. III. 217.
[257] Archiv III. 223.
[258] Archiv XIV. 46.
[259] Archiv I. 107.
[260] Archiv VIII. 410. Taf. IX. Fig. 2–11.
[261] Würzb. Verhandl. VII. 143. Archiv XIV 47. Geschwülste II. 745.
[262] Archiv IV. 515. V. 405.
[263] Würzburger Verhandl. I. 136.
[264] Archiv VIII. 409. Taf. IX. Fig. 3–4.
[265] Spec. Pathol. u. Ther. I. 331. Geschwülste I. 89.
[266] Archiv XIII. 350.
[267] Archiv XLIX. 237.
[268] Archiv V. 428, 440, 445, 453. XIII. 332. Entwickelung des Schädelgrundes 26–38.
[269] Archiv III. 221.
[270] Archiv V. 424, 427.
[271] Archiv I. 122. XIV. 60.
[272] Entwickelung des Schädelgrundes 49.
[273] Archiv V. 421.
[274] Archiv V. 431. Würzb. Verhandl. I. 137.
[275] Archiv V. 409.
[276] Archiv V. 453. XVI. 11.
[277] Archiv V. 437.
[278] Archiv V. 444.
[279] Geschwülste I. 532.
[280] Archiv V. 454.
[281] Archiv IV. 301. XIV. 33.
[282] Archiv XIV. 60.
[283] Archiv XIV. 59. Geschwülste II. 387.
Theorie der substitutiven Neubildung im Gegensatze zu der exsudativen. Zerstörende Natur der Neubildungen. Homologie und Heterologie (Malignität). Ulceration. Osteomalacie. Knochenmark und Eiter. Proliferation und Luxuriation.
Die Eiterung. Verschiedene Formen derselben: oberflächliche aus Epithel und tiefe aus Bindegewebe, Auswanderung der farblosen Blutkörperchen. Erodirende Eiterung (Haut, Schleimhaut): Eiter- und Schleimkörperchen im Verhältniss zum Epithel. Ulcerirende Eiterung. Lösende Eigenschaften des Eiters.
Zusammenhang der Destruction mit pathologischem Wachsthum und Wucherung. Uebereinstimmung des Anfanges bei Eiter, Krebs, Sarkom u. s. w. Mögliche Lebensdauer der pathologisch neugebildeten Elemente und der pathologischen Neubildungen als ganzer Theile (Geschwülste).
Zusammengesetzte Natur der grösseren Geschwulstknoten und miliarer Charakter der eigentlichen Heerde. Bedingungen des Wachsthums und der Recidive: Contagiosität der Neubildungen, Bedeutung der Elementar-Anastomosen und der Wanderzellen. Die Cellularpathologie im Gegensatze zur Humoral- und Neuropathologie. Allgemeine Infection des Körpers. Parasitismus und Autonomie der Neubildungen.
Im vorigen Capitel habe ich die Hauptpunkte in der Geschichte der Neubildungen erörtert. Es erhellt daraus, dass nach meiner Auffassung jede Art von Neubildung, insofern sie präexistirende zellige Elemente als ihren Ausgangspunkt voraussetzt und an die Stelle derselben tritt, auch nothwendig mit einer völligen Veränderung (Alteration) des gegebenen Körpertheiles verbunden sein muss. Es lässt sich nicht mehr eine Hypothese der Art vertheidigen, wie man sie früher vom Gesichtspunkte der plastischen Stoffe aus festhielt, dass sich neben die vorhandenen Elemente des Körpers ein Rohstoff lagere, welcher aus sich durch eine Art von Urzeugung ein neues Gewebe erzeugt und so einen reinen Zuwachs für den Körper liefern würde. Wenn es richtig ist, dass jede Neubildung aus bestimmten Elementen hervorgeht und[527] dass in der Regel Theilungen der Zellen das Mittel der Neubildung sind, so versteht es sich natürlich von selbst, dass, wo eine Neubildung stattfindet, in der Regel auch gewisse Gewebselemente des Körpers aufhören müssen zu existiren. Selbst ein Element, das sich einfach theilt und aus sich zwei neue, ihm gleiche Elemente erzeugt, hört damit auf zu sein, wenngleich das Gesammtresultat nur die scheinbare Apposition eines Elementes ist. Dies gilt für alle Formen von Neubildungen, so für die gutartigen, wie für die bösartigen, und man kann daher in einem gewissen Sinne sagen, dass überhaupt jede Art von Neubildung destructiv ist, dass sie etwas vom Alten zerstört. Allein wir sind bekanntlich gewöhnt, die Zerstörungen nach dem Effect zu beurtheilen, der für die gröbere Anschauung hervortritt, und wenn man von destruirenden Bildungen spricht, so meint man zunächst nicht diejenigen, wobei das Resultat der Neubildung ein Analogon der alten Bildung darstellt, sondern irgend ein mehr oder weniger von dem ursprünglichen Typus des Theiles abweichendes Erzeugniss. Dieser Gesichtspunkt ist es, den ich früher schon (S. 92) bei der Classification der pathologischen Neubildungen hervorgehoben habe. Aus ihm ergibt sich ein vernünftiger, den Thatsachen entsprechender Scheidungsgrund aller Neubildungen in homologe und heterologe.
Heterolog dürfen wir nicht nur die malignen, degenerativen Neoplasmen nennen, sondern wir müssen jedes Gewebe so bezeichnen, welches von dem anerkannten Typus des Ortes abweicht, während wir homolog alles das nennen werden, was, obwohl neu gebildet, doch den Typus seines Mutterbodens reproducirt. Wir finden z. B., dass die so überaus häufige Art der Uterus-Geschwülste, welche man als fibröse oder fibroide bezeichnet, ihrer ganzen Zusammensetzung nach denselben Bau hat, wie die Wand des „hypertrophischen“ Uterus, indem sie nicht nur aus fibrösem Bindegewebe mit Gefässen, sondern auch aus Muskelfasern besteht. Ich habe sie daher Myom oder Fibromyom genannt[284]. Die Geschwulst kann bekanntlich so gross werden, dass sie nicht bloss den Uterus in allen seinen Functionen auf das Aeusserste beeinträchtigt, sondern auch durch Druck auf die Nachbartheile den[528] allerübelsten Einfluss ausübt. Trotzdem wird sie immer als ein homologes Gebilde gelten müssen. Dagegen können wir nicht umhin, von einer heterologen Bildung zu sprechen, sobald durch einen Vorgang, der vielleicht in seinem Anfange eine einfache Vermehrung der Theile auszudrücken scheint, ein Resultat gewonnen wird, welches von dem ursprünglichen Zustande des Ortes wesentlich verschieden ist. Ein Katarrh z. B. in seiner einfachen Form kann eine Vermehrung der zelligen Elemente an der Oberfläche mit sich bringen, ohne dass die neuen Zellen wesentlich verschieden sind von den präexistirenden. Untersucht man eine Vagina mit ausgesprochenem Fluor albus (Leukorrhoe), so ist kein Zweifel, dass die Zellen des Fluor albus den Zellen des Vaginalepithels sehr nahe stehen, obgleich sie nicht mehr ganz die typische Gestalt des Pflasterepithels bewahren. Je weniger sie sich aber zu den typischen Formen des Ortes entwickeln, um so mehr werden sie functionsunfähig. Sie sind beweglich auf einer Oberfläche, wo sie eigentlich festhaften sollten; sie fliessen herunter (Katarrh) und erzeugen Resultate, welche mit der Integrität der Theile unverträglich sind.
Im engeren Sinne des Wortes destruirend sind allerdings nur heterologe Neubildungen. Die homologen können per accidens sehr nachtheilig werden, aber sie haben doch nicht den eigentlichen, im groben und traditionellen Sinne destruirenden oder malignen Charakter. Dagegen haftet jeder Art von Heterologie, zumal wenn sie sich nicht auf die alleroberflächlichsten Theile bezieht, eine gewisse Malignität an. Trotzdem sollte man nicht übersehen, dass selbst die Oberflächen-Affectionen, auch wenn sie sich nur auf die äusserste Epithelial-Lage beschränken, allmählich einen sehr nachtheiligen Einfluss ausüben können. Man denke nur an den Fall, dass eine grosse Schleimhautfläche immerfort secernirt, dass auf ihr fortwährend heterologe Producte erzeugt werden, die nicht zu bleibendem Epithel werden, sondern immerfort von der Schleimhaut herunter fliessen. Die durch die Ablösung der deckenden Elemente entstehende Erosion verbindet sich hier mit der Blennorrhoe, der Anämie, der Neuralgie u. s. f.
Viel klarer stellt sich dieser nachtheilige Einfluss heraus, sobald man jene gröbere Destruction ins Auge fasst, welche das Motiv für Ulceration und Höhlenbildung im Innern der Theile wird. Es sieht wie ein Widerspruch aus, dass ein Prozess, der neue[529] Elemente hervorbringt, zerstöre, allein dieser Widerspruch ist doch eben nur ein oberflächlicher. Wenn man sich denkt, dass in einem Theile, der vorher fest war, ein Gewebe neu gebildet wird, welches beweglich, in seinen einzelnen Theilen verschiebbar ist, so wird das natürlich immer eine wesentliche Aenderung in der Brauchbarkeit des Theiles mit sich bringen. Die einfache Umwandlung des Knochens in Mark (S. 502) kann die Ursache werden für eine grosse Fragilität der Knochen, und die Osteomalacie beruht ihrem Wesen nach auf gar nichts Anderem, als darauf, dass compacte Knochensubstanz in Mark umgewandelt wird[285]. Eine excessive Markraumbildung rückt allmählich vom Innern des Knochens an die Oberfläche vor, beraubt den Knochen seiner Festigkeit, erzeugt ein an sich ganz normales, aber für die nothwendige Festigkeit der Theile unbrauchbares Gewebe und bereitet so die Zerstörung des Zusammenhanges mit einer gewissen Nothwendigkeit vor. Das Mark ist ein ausserordentlich weiches Gewebe, das in jenen Zuständen, wo es roth und zellenreich oder atrophisch und gallertig ist, fast flüssig wird. Die Thierärzte sprechen daher geradezu von einer „Markflüssigkeit“ als einer besonderen Krankheitsform. Von dem Mark zu den vollkommen flüssigen Geweben ist ein kleiner Schritt, und die Grenzen zwischen Mark und Eiter lassen sich manchmal mit Sicherheit überhaupt gar nicht feststellen. Eiter ist für uns ein junges Gewebe, welches allmählich unter rapider Vermehrung der Zellen alle feste Intercellularsubstanz auflöst. Eine einzige Bindegewebszelle mag in kürzester Zeit einige Dutzend Eiterzellen produciren, denn der Eiter hat einen reissend schnellen Entwickelungsgang[286]. Aber das Resultat ist für den Körper nutzlos, die Proliferation wird Luxuriation[287]. Die Eiterung ist ein Consumtions-Vorgang, durch welchen überflüssige Theile erzeugt werden, welche nicht die Consolidation, die dauerhafte Beziehung zu einander und zur Nachbarschaft gewinnen, welche für das Bestehen des Körpers nothwendig ist.
Untersuchen wir nun zunächst eben die Geschichte der Eiterung, so ergibt sich sofort, dass wir verschiedene Wege[530] der Eiterbildung unterscheiden müssen, je nachdem nehmlich die Elemente des Eiters mit den farblosen Blutkörperchen identisch sind und unmittelbar aus dem Blute auswandern, oder von den Elementen der örtlichen Gewebe neu erzeugt werden. Als solche Matrices des Eiters können bezeichnet werden sowohl die erste von uns betrachtete Art von Geweben, die der Epithelformation, als auch die zweite, die der Bindesubstanz[288]. Ob es auch eine Eiterung gibt, die aus einem Gewebe der dritten Reihe hervorgeht, aus Muskeln, Nerven, Gefässen u. s. f., das ist insofern zweifelhaft, als man natürlich die Bindegewebs-Elemente, welche in die Zusammensetzung der grösseren Gefässe, Muskel- und Nervenmassen eingehen, von den eigentlich muskulösen, nervösen und vasculösen (capillären) Elementen ausscheiden muss. Nun haben freilich zuverlässige Beobachter, wie C. O. Weber, auch für diese Gewebe das Bestehen einer aus ihrem Parenchym hervorgehenden Eiterung beschrieben, indess kann ich darüber nichts Bestimmtes aussagen. Die Regel ist jedenfalls auch für diese Gewebe die interstitielle Eiterung (Fig. 144).
Fig. 144. Interstitielle eiterige Muskelentzündung bei einer Puerpera m m Muskelprimitivfasern, i i Entwickelung von Eiterkörperchen aus der Wucherung der Körperchen des Zwischen-Bindegewebes. Vergr. 280.
Die Frage von der Eiterbildung ist im Laufe der Zeit ziemlich complicirt geworden. Während die neueren Beobachter viele Jahre lang es als selbstverständlich ansahen, dass die Eiterkörperchen aus dem Exsudate durch Urzeugung hervorgingen, stellten zuerst einzelne Untersucher, wie William Addison und Gustav Zimmermann, die Meinung auf, dass der Eiter wesentlich auf ausgetretene farblose Blutkörperchen (Lymphkörperchen) zurückzuführen sei. Benno Reinhardt zeigte dagegen, dass in dem Wundsecrete allerdings während der ersten Stunden die vorkommenden Zellen mit den gleichzeitig im Blute vorkommenden farblosen Blutkörperchen übereinstimmen, dass diess jedoch später nicht mehr der Fall sei. Allein auch er liess diese späteren Eiterkörperchen aus dem Exsudate entstehen. Nachdem ich jedoch dasjenige, was er für die Anfänge[531] der jungen Eiterkörperchen ansah, vielmehr für spätere Producte, welche innerhalb alter Körperchen entstanden sind, erklären musste[289], und allmählich die Entstehung von Eiterkörperchen aus anderen Gewebselementen erkannte, so muss ich daran festhalten, dass nicht alle Elemente, welche sich irgendwo im Eiter finden, aus dem Blute stammen. Ich meinerseits habe nie daran gezweifelt, dass farblose Blutkörperchen in Exsudate übergehen[290]. Indess haben erst die Untersuchungen von Waller und namentlich von Cohnheim gezeigt, in wie grossem Maasse dies der Fall ist. Letzterer hat ausserdem durch direkte Beobachtung am Mesenterium des Frosches gefunden, dass das Austreten der farblosen Blutkörperchen nicht durch passive Exsudation, sondern durch active Auswanderung, und zwar überwiegend durch die Wandungen kleinerer Venen erfolgt, und wenngleich diese Thatsache von manchen Gegnern geradezu in Abrede gestellt ist, so kann doch über ihre Richtigkeit nach dem, was ich selbst gesehen habe, nicht der mindeste Zweifel sein.
So bereitwillig ich diese Thatsache anerkenne, so sehr muss ich doch davor warnen, alle Rundzellen, welche im Eiter oder überhaupt in Exsudaten oder Secreten vorkommen, für ausgewanderte farblose Körperchen oder gar für Lymphkörperchen zu halten. Schon früher (S. 211) habe ich auf die Unterschiede aufmerksam gemacht, welche zwischen den Rundzellen der Lymphdrüsen, der Lymphflüssigkeit und des Blutes bestehen; hier muss ich hinzufügen, dass eine vorurtheilsfreie Untersuchung der Exsudat- und Secretzellen fernere und erhebliche Unterschiede vieler derselben von den Lymph- und farblosen Blutkörperchen ergibt. Auch haben sich andere Untersucher der neuesten Zeit in immer grösserer Zahl davon überzeugt, dass Eiterkörperchen durch Proliferation von Gewebselementen entstehen können. Die Grenzen zwischen diesen verschiedenen Arten von Zellen zu ziehen, ist gegenwärtig um so weniger möglich, als sich nicht leugnen lässt, dass auch die ausgewanderten farblosen Blutkörperchen weitere Veränderungen erfahren, wodurch sie von den gewöhnlichen, im Blute selbst enthaltenen farblosen Rundzellen verschieden werden.
So lange die Eiterung eine blosse oberflächliche ist, so erfolgt[532] sie natürlich auch ohne erheblichen Substanzverlust, mit einfacher Erosion, ohne Geschwürsbildung. Dies ist aber jedesmal der Fall, wo der Eiter in der Tiefe, namentlich im Bindegewebe entsteht. Die Sache gestaltet sich dabei gerade umgekehrt, wie man früher annahm, wo man dem Eiter direkt schmelzende Eigenschaften zuschrieb. Der Eiter ist nicht das Schmelzende, sondern das Geschmolzene, d. h. das transformirte Gewebe. Ein Theil wird weich, er schmilzt ein, indem er eitert, aber es ist nicht der fertige Eiter, welcher diese Erweichung bedingt, sondern umgekehrt, er ist es, welcher durch die Umwandlung des Gewebes hervorgebracht wird.
Oberflächliche Eiterung sehen wir alle Tage sowohl an der äusseren Haut, als an manchen Schleim- und serösen Häuten. Am besten kann man sie da beobachten, wo im normalen Zustande geschichtetes Epithel vorhanden ist. Verfolgt man die Eiterung auf der äusseren Haut, wenn sie ohne Geschwürsbildung geschieht, so findet man regelmässig, dass sie an dem Rete Malpighii geschieht. Sie besteht theils in der Auswanderung farbloser Blutkörperchen, theils in einer Wucherung der Zellen mit Entwickelung neuer Elemente. In dem Maasse, als die Eiterung fortschreitet, bildet sich eine Ablösung der härteren Epidermislage, welche in Form einer Blase, einer Pustel erhoben wird. Der Ort, wo die Eiterung hauptsächlich erfolgt, entspricht den oberflächlichen Schichten des Rete, welche schon im Uebergange zur Epithelbildung begriffen sind; zieht man die Haut der Blase ab, so bleiben diese auch gewöhnlich an der Oberhaut sitzen. Gegen die tieferen Lagen hin kann man bemerken, wie die zelligen Elemente, welche ursprünglich einfache Kerne haben, sich theilen, die Kerne reichlicher werden, an die Stelle einzelner Zellen mehrere treten, deren Kerne sich ihrerseits wieder theilen. Gewöhnlich hat man sich auch hier damit geholfen, dass man angenommen hat, es würde zuerst ein amorphes Exsudat gesetzt, welches den Eiter in sich erzeuge, und bekanntlich sind viele von den Untersuchungen über die Entwickelung des Eiters gerade an solchen Flüssigkeiten gemacht worden. Es war sehr begreiflich, dass so lange, als man die discontinuirliche Zellenbildung überhaupt nicht bezweifelte, man ohne Weiteres die jungen Zellen als freie Neubildungen ansah und sich dachte, dass in der Flüssigkeit Keime entständen, welche, allmählich zahlreicher werdend, den Eiter lieferten. Aber die Sache ist die, dass[533] je länger die Eiterung dauert, um so zuverlässiger eine Reihe von Zellen des Rete nach der anderen in den Prozess hineingezogen wird, und dass, während die Blase sich abhebt, die Masse der in die Höhle hineingelangenden Zellen immer grösser wird. Wenn eine Pockenpustel sich bildet, so ist zuerst ein Tröpfchen klarer Flüssigkeit vorhanden, aber darin entsteht nichts; die Flüssigkeit lockert nur die Nachbartheile auf.
Ganz ebenso verhält es sich an den Schleimhäuten. Wir haben keine einzige Schleimhaut, die nicht unter Umständen puriforme Elemente liefern könnte. Allein auch hier zeigt sich eine grosse Verschiedenheit. Eine Schleimhaut ist um so weniger im Stande, ohne Ulceration Eiter zu produciren, je einfacher, je weniger geschichtet ihr Epithel ist. Alle Schleimhäute mit Cylinderepithel sind weniger geeignet, nicht ulcerativen Eiter zu erzeugen, als solche mit Pflasterepithel; das, was an ihnen erzeugt wird, ergibt sich, auch wenn es ein ganz eiteriges Aussehen hat, bei genauer Untersuchung häufig nur als hyperplastisches Epithel. Die Darmschleimhaut, namentlich die des Dünndarms, erzeugt fast nie Eiter ohne Geschwürsbildung. Die Schleimhaut des Uterus, der Tuben, die manchmal mit einer dicken Masse von ganz puriformem Aussehen überzogen ist, sondert fast immer nur Epithelelemente ab, während wir an anderen Schleimhäuten, wie an der Urethra, massenhafte Absonderungen von Eiter sehen, z. B. in Gonorrhöen (Fig. 72), ohne dass auch nur die mindeste Geschwürsbildung an der Oberfläche vorhanden wäre. Sind mehrfach geschichtete Zellen-Lagen da, so können die oberen eine Art von Schutz für die tieferen bilden, deren Wucherung eine Zeit lang gesichert wird.
Der Eiter wird entweder durch nachdrängende Eitermasse endlich weggeschoben, oder es erfolgt, wie es gewöhnlich der Fall ist, gleichzeitig eine Transsudation von Flüssigkeit, welche die Eiterzellen von der Oberfläche entfernt, gerade so, wie bei der Samensecretion die Epithelial-Elemente der Samenkanälchen die Spermatozoen liefern, und ausserdem eine Flüssigkeit transsudirt, welche dieselben fortträgt. Aber die Spermatozoen entstehen nicht in der Flüssigkeit, sondern diese ist nur das Vehikel ihrer Fortbewegung (S. 39). Auf ähnliche Weise sehen wir häufig Flüssigkeiten an der Körperoberfläche exsudiren, ohne dass dieselben als Bildungsorte für Zellen betrachtet werden könnten. Findet gleichzeitig[534] eine vermehrte Epithelbildung an der Oberfläche statt, so werden auch die durch das Transsudat losgelösten Bestandtheile nur wucherndes Epithel darstellen; wurde Eiter gebildet, so wird auch die Flüssigkeit Eiterkörperchen enthalten.
Wenn man Eiter-, Schleim- und Epithelialzellen mit einander vergleicht, so ergibt sich, dass allerdings zwischen Eiterkörperchen und Epithelialzellen eine Reihe von Uebergängen oder Zwischenstufen besteht. Neben ausgebildeten, mit mehrfachen glatten, nicht nucleolirten Kernen versehenen Eiterkörperchen (Fig. 8, A. 72) finden sich sehr gewöhnlich etwas grössere, runde, granulirte Zellen mit einfachen gleichfalls granulirten Kernen und sehr deutlichen Kernkörperchen, die sogenannten Schleimkörperchen (Fig. 8, B); etwas weiter sehen wir vielleicht noch grössere Elemente von typischer Gestalt und mit einfachen grossen Kernen: diese nennen wir Epithelialzellen. Letztere sind platt oder eckig oder cylindrisch, je nach dem Orte von bestimmter typischer Beschaffenheit, während Schleim- und Eiterkörperchen durchweg ausgezeichnete Rundzellen (Kugeln, Globuli) sind. Schon aus diesem Umstande erklärt es sich, dass, während die Epithelzellen, die sich gegenseitig decken und aneinander schliessen, eine nicht unbeträchtliche Festigkeit des Zusammenhanges besitzen, die lose aneinander gelagerten, sphärisch gestalteten Schleim- und Eiterkörperchen eine sehr grosse Verschiebbarkeit haben und leicht vom Orte gerückt werden, was natürlich um so leichter geschieht, wenn gleichzeitig mit ihrer Anhäufung eine reichlichere Transsudation von Flüssigkeit erfolgt.
Man hat schon früher gesagt, es seien die Schleimkörperchen weiter nichts, als junges Epithel. Einen Schritt weiter und man könnte sagen, die Eiterkörperchen wären weiter nichts, als junge Schleimkörperchen. Das ist etwas irrthümlich. Man kann nicht behaupten, dass eine Zelle, die bis zu dem Punkte eines sogenannten Schleimkörperchens als sphärisches Gebilde sich erhalten hat, noch im Stande wäre, die typische Form des Epithels anzunehmen, welches an der Stelle existiren sollte; eben so wenig ist es sicher, dass ein Eiterkörperchen, nachdem es sich regelmässig ausgebildet hat und lose geworden ist, sich wieder in einen Entwickelungsgang hineinzubegeben vermöchte, der ein relativ bleibendes Element des Körpers herzustellen im Stande wäre. Die Elemente, aus denen die Entwickelung neuer Gewebe überhaupt[535] erfolgt, sind junge Formen, indifferente Bildungszellen (S. 493), aber sie sind keine eigentlichen Eiterkörperchen. Im Eiter beginnt jede neue Zelle sehr früh ihren Kern zu theilen; nach kurzer Zeit erreicht die Kerntheilung einen hohen Grad, ohne dass die Zelle selbst weiter wächst. Im Schleim pflegen die Zellen einfach zu wachsen und zum Theil sehr gross zu werden, ohne ihre Kerne zu theilen, aber sie überschreiten nicht gewisse Grenzen, und namentlich nehmen sie keine typische Gestalt an. Im Epithel dagegen fangen die Elemente schon sehr früh an, ihre besondere Gestalt zu zeigen, denn, „was ein Haken werden soll, das krümmt sich beizeiten.“ Die allerjüngsten Elemente, welche unter pathologischen Verhältnissen gebildet werden, kann man aber nicht Epithelzellen nennen, wenigstens sind sie noch keine typischen Epithelzellen, sondern auch sie sind indifferente Bildungszellen, welche auch zu Schleim- oder Eiterkörperchen werden könnten. Eiter-, Schleim- und Epithelialzellen sind also pathologisch äquivalente Theile, welche einander wohl substituiren, aber nicht für einander functioniren können.
Schon hieraus folgt, dass der gesuchte Unterschied zwischen Schleim und Eiter, für dessen Auffindung man im vorigen Jahrhunderte Preise aussetzte, eigentlich nicht gefunden werden konnte, und dass die „Proben“ immer unzureichend sein mussten, insofern die Entwickelungen auf der Schleimhaut nicht, immer den rein purulenten, den rein mucösen oder den rein epithelialen Charakter haben, vielmehr in der grossen Mehrzahl der Fälle ein gemischter Zustand existirt. Fast jedesmal, wenn auf einer grossen Schleimhaut, wie auf den Harn- oder Geschlechtswegen, ein katarrhalischer Prozess sich entwickelt, erscheinen Eiterkörperchen, aber die Secretion derselben findet irgendwo ihre Grenze, von wo an nur Schleimkörperchen abgesondert werden, und auch die Absonderung der Schleimkörperchen geht irgendwo wieder in vermehrte Epithelbildung über. Diese Art von Eiterung wird natürlich immer das Resultat haben, dass an Stellen, wo sie eine gewisse Höhe erreicht, die natürlichen Decken der Oberfläche nicht zu Stande kommen, oder wo diese eine gewisse Festigkeit haben, dass sie abgehoben und zerstört werden. Eine Pustel an der Haut zerstört die Epidermis, und insofern können wir auch diesen Formen der Eiterung einen degenerativen Charakter beimessen.
Fig. 145. Eiterige Granulation aus dem Unterhautgewebe des Kaninchens, im Umfange eines Ligaturfadens, a Bindegewebskörperchen, b Vergrösserung der Körperchen mit Theilung der Kerne, c Theilung der Zellen (Granulation), d Entwickelung der Eiterkörperchen. Vergr. 300.
Degeneration im gewöhnlichen Sinne tritt jedoch erst dann ein, wenn tiefere Theile befallen werden. Diese tiefere, eigentlich ulcerative Eiterbildung geschieht regelmässig im Bindegewebe oder seinen Aequivalenten[291]. An ihm erfolgt zuerst eine Vergrösserung der Zellen (Bindegewebskörperchen), die Kerne theilen sich und wuchern eine Zeit lang excessiv. Auf dieses erste Stadium folgen dann sehr bald Theilungen der Elemente selbst. Im Umfange der gereizten Stellen, wo vorher einzelne Zellen lagen, findet man späterhin doppelte und mehrfache, aus denen sich gewöhnlich eine Neubildung homologer Art (hyperplastisches Bindegewebe) gestaltet. Nach innen hin dagegen, wo schon vorher die Elemente stark mit Kernen gefüllt werden, treten bald Haufen von kleinen Zellen auf, welche anfangs noch in den Richtungen und Formen liegen, wie die früheren Bindegewebskörperchen. Etwas später findet man hier rundliche Heerde oder diffuse „Infiltrationen“, innerhalb deren das Zwischengewebe äusserst spärlich ist und in dem Maasse, als die Zellenanhäufung sich weiter ausbreitet, immer mehr verzehrt oder erweicht wird. Einen wie grossen Antheil an diesen Vorgängen die Einwanderung farbloser Blutkörperchen aus den Gefässen hat, muss noch genauer festgestellt werden. Manche neueren, ziemlich einseitigen Auffassungen haben von offenbar falschen Voraussetzungen aus das Ergebniss der experimentellen Untersuchungen irrthümlich gedeutet. Indess ist dies[537] um so mehr verzeihlich, da auch wir, indem wir nur der Proliferation gedachten, früher eben so einseitig waren. Für die spätere Geschichte der suppurativen Prozesse kommt übrigens wenig darauf an, ob man die neuen Zellen der Wucherung oder der Wanderung zuschreibt.
Finden diese Prozesse an einer unversehrten Oberfläche statt, so sieht man zuweilen das Epithellager noch ganz zusammenhängend über die gereizte und etwas geschwollene Stelle hinweglaufen. Auch die äusserste Lage der Intercellularsubstanz erhält sich oft noch lange Zeit, während alle tieferen Theile des Bindegewebes schon mit Eiterkörperchen erfüllt, „infiltrirt“ oder „abscedirt“ sind. Endlich berstet die Oberfläche oder sie wird auch ohne Berstung direkt transformirt in eine weiche, zerfliessende Masse. Diese Formen geben nach und nach die sogenannten Granulationen, welche immer aus einem Gewebe bestehen, wo in eine schwache Quantität von weicher Intercellularsubstanz mehr oder weniger zahlreiche, wenigstens in dem eigentlich wuchernden Stadium der Granulationen runde Elemente eingesetzt sind. Je weiter wir gegen die Oberfläche kommen, um so mehr zeigen die Zellen, welche in der Tiefe mehr einkernig sind, Theilungen der Kerne und an der letzten Grenze kann man sie nicht mehr von Eiterkörperchen unterscheiden. Es pflegt dann eine Ablösung des Epithels stattzufinden, und endlich kann es sein, dass die Grundsubstanz zerfliesst und die einzelnen Elemente sich frei ablösen. Bleibt die Wucherung oder Auswanderung der Zellen reichlich, so bricht die Masse fortwährend auf, die Elemente schütten sich auf der Oberfläche aus, und es findet eine Zerstörung statt, welche immer tiefer in das Gewebe eingreift und immer mehr Elemente auf die Oberfläche wirft. Das ist das eigentliche Geschwür.
Nach der gewöhnlichen Vorstellung, wo man den Eiter aus einem beliebigen Exsudat ableitete, war diese Art von Ulceration gar nicht recht begreiflich; man sah sich immer genöthigt, eine besondere Art der Umwandlung des Gewebes neben der Eiterung anzunehmen, und man kam endlich dahin, dem Eiter eine Fähigkeit der chemischen Lösung zuzuschreiben. Aber auf chirurgischem Wege hat man sich schon lange auf das Mannichfachste überzeugt, dass flüssiger Eiter nicht schmelzend einwirkt. Man hat in Eiterhöhlen Knochen hineingesteckt, sie wochenlang darin liegen lassen,[538] und wenn man sie nachher hervorlangte und wog, so waren sie eher schwerer geworden durch Aufnahme flüssiger Substanz; es hatte sich aber kein Erweichungszustand gebildet, ausser dem durch Fäulniss bedingten. Nur die Granulationen und ähnliche wuchernde Gewebe „fressen“ wirklich den Knochen an (S. 521). In wie weit bei der Eiterung das Gewebe durch eine wirkliche Auflösung zerstört wird, das hängt hauptsächlich davon ab, ob die Grundsubstanz, welche die jungen Elemente umgibt, vollkommen flüssig wird. Behält sie eine gewisse Consistenz, so beschränkt sich der Prozess auf die Hervorbringung von Granulationen, und diese können eben so gut hervorgehen aus einer intacten, wie aus einer vorher verletzten Oberfläche. In der Chirurgie nimmt man häufig an, dass die Granulationen sich stets auf der Oberfläche eines Substanzverlustes bilden, allein sie gehen jedesmal direkt aus dem Gewebe hervor. Sie entstehen unmittelbar in dem Knochen, ohne dass an demselben ein Substanzverlust vorherging. Ebenso direkt in der Cutis unter intacter Epidermis, ebenso an Schleimhäuten. Erst in dem Maasse, als sie sich entwickeln, verliert die Oberfläche ihren normalen Charakter.
Jede solche Entwickelung, gleichviel ob sie am Epithel oder am Bindegewebe erfolgt, geschieht heerdweise[292], und zwar genau so, wie an der Grenze des Ossificationsrandes des Knochens, wo jene mächtigen Gruppen von Knorpelzellen liegen (Fig. 113, I. 134, p), welche einer einzigen früheren Knorpelzelle entsprechen. Es handelt sich dabei in der That um Vorgänge, welche in gewöhnlichen Erscheinungen des Wachsthums ihr Analogen finden. Wie ein Knorpel, wenn er nicht verkalkt, z. B. in der Rachitis, endlich so beweglich wird, dass er seine Function als Stützgebilde nicht mehr erfüllen kann, so schwindet überall unter der Entwickelung der Granulation und Eiterung allmählich die Festigkeit des Gewebes. Damit verbindet sich sehr gewöhnlich eine Lockerung des Zusammenhanges, eine Erweichung, endlich eine Schmelzung des Gewebes. So verschieden also scheinbar diese Vorgänge der Destruction von den Vorgängen des Wachsthums sind, so fallen sie doch an einem gewissen Punkte vollständig damit zusammen. Es gibt ein Stadium, wo man nicht mit Sicherheit entscheiden kann, ob es sich an einem Theile um einfache[539] Vorgänge des Wachsthums oder um die Entwickelung einer heteroplastischen, zerstörenden Form handelt.
Fig. 146. Entwickelung von Krebs aus Bindegewebe bei Carcinoma mammae. a Bindegewebskörperchen, b Theilung der Kerne, c Theilung der Zellen, d reihenweise Anhäufung der Zellen, e Vergrösserung der jungen Zellen und Bildung der Krebsheerde (Alveolen), f weitere Vergrösserung der Zellen und der Heerde. g Dieselbe Entwickelung auf dem Querschnitt. Vergr. 300.
Die eben geschilderte Art der Entwickelung ist aber nicht etwa dem Eiter als solchem eigenthümlich, sondern sie findet sich in ähnlicher Weise bei jeder heteroplastischen Entwickelung; die ersten Veränderungen, welche wir bei der Eiterung durch Proliferation constatiren, finden sich genau ebenso bei jeder Art von Heteroplasmen bis zu den äussersten malignen Formen hin[293]. Die erste Entwickelung des Sarkoms, des Krebses und Cancroids zeigt dieselben Stadien: man muss nur weit genug in der Entwickelungs-Geschichte zurückgehen, dann stösst man auch zuletzt immer auf ein Stadium, wo man in den tieferen und jüngeren Schichten indifferente Zellen antrifft, welche erst durch spätere Differenzirung je nach den Besonderheiten der Reizung den einen oder den anderen Typus annehmen. Man kann daher auch im Grossen die Geschichte der meisten Neubildungen, die ihrem Haupttheile nach aus Zellen bestehen, gleichviel welches Muttergewebe sie haben, unter einen ganz gleichen Gesichtspunkt bringen. Die Form, unter welcher der Krebs schliesslich ulcerirt, hat mit der eiterigen Ulceration eine so grosse Aehnlichkeit, dass man seit langer Zeit beide Dinge als gleichartige betrachtet hat; schon im Alterthum stellte[540] man die fressende Form der Eiterung, die sogenannten Schanker (Cancer) in Parallele mit der krebsigen „Eiterung“ oder Verjauchung.
Wesentlich verschieden gestalten sich aber die einzelnen Neubildungen in einer späteren Epoche ihrer Ausbildung dadurch, dass ihre Elemente eine sehr verschiedene Entwickelungshöhe erreichen, oder anders ausgedrückt, dass die Zeitdauer, für welche ihre Elemente angelegt werden, das mittlere Lebensalter der einzelnen Elemente[294], ausserordentlich verschieden ist. Im dritten Capitel (S. 67) habe ich diese Art der Betrachtung eingehend dargelegt und namentlich den Unterschied der Dauer- und Zeitgewebe ausführlich erörtert. Aber auch die Zeitgewebe (Telae temporariae) haben Elemente von sehr verschiedener Lebensdauer. Wenn wir an einem Punkte, wo Eiterung stattgefunden hat, einen Monat später untersuchen, so können wir, auch wenn der Eiter scheinbar immer noch vorhanden ist, nicht mehr darauf rechnen, in dem Heerde unversehrte Eiterkörperchen zu finden. Eiter, der Wochen und Monate lang irgendwo gesteckt hat ist genau genommen kein Eiter mehr; es ist zerfallene Masse, Detritus, aufgelöste Bestandtheile, welche durch fettige Metamorphose, faulige Umsetzung, Kalkablagerung und dergleichen mehr verändert sind. Dagegen kann ein Krebsknoten Monate lang bestehen und dann noch sämmtliche Elemente unversehrt enthalten. Wir können also mit Bestimmtheit sagen, dass ein krebsiges Element längere Zeit zu existiren vermag, als ein eiteriges, gerade so, wie die Schilddrüse länger existirt, als die Thymusdrüse, oder wie einzelne Theile des Sexualapparates auch im Laufe des gesunden Lebens frühzeitig zu Grunde gehen, während andere sich das ganze Leben hindurch erhalten (S. 73). So ist es auch bei pathologischen Neubildungen. Zu einer Zeit, wo gewisse Arten von Elementen schon lange ihren Rückbildungsgang angetreten haben, fangen andere erst an, ihre volle Entwickelung zu machen. Bei manchen Neubildungen beginnt die Rückbildung verhältnissmässig so frühzeitig, ja sie stellt so sehr den gewöhnlichen Befund dar, dass die besten Untersucher die Rückbildungsstadien für die eigentlich charakteristischen angesehen haben. Bei dem Tuberkel hatten bis zu meinen Untersuchungen eigentlich alle neueren Beobachter,[541] welche sich ex professo mit dem Studium desselben befasst haben, sein Rückbildungsstadium für das eigentlich typische, das Ende für den Anfang genommen und daraus Schlüsse auf die Natur des ganzen Vorganges gezogen, welche man mit demselben Rechte auch auf die Rückbildungsstufen von Eiter und von Krebs hätte anwenden können[295].
Wir vermögen bis jetzt mit vollkommener Sicherheit für wenige Elemente in Zahlen anzugeben, welche mittlere Lebensdauer ihnen zukommt. Offenbar existiren hier ähnliche Schwankungen, wie bei den normalen Organen. Allein unter allen pathologischen Neubildungen mit flüssiger Intercellularsubstanz gibt es keine einzige, welche sich dauerhaft zu erhalten vermöchte, keine einzige, deren Elemente zu bleibenden Bestandtheilen des Körpers werden und so lange existiren könnten, wie das Individuum. Es könnte dies allerdings insofern zweifelhaft erscheinen, als manche Arten von malignen Geschwülsten viele Jahre hindurch bestehen und das Individuum sie von dem Zeitpunkte an, wo sie sich entwickeln, bis zu seinem vielleicht sehr spät erfolgenden Tode behält. Allein man muss die Geschwulst als Ganzes von den einzelnen Theilen derselben unterscheiden. Innerhalb einer Krebsgeschwulst, die viele Jahre lang besteht, sind es nicht dieselben Elemente, welche so lange bestehen; vielmehr erfolgt eine oft sehr zahlreiche Succession immer neuer Bildungen. Diese Bildungen können innerhalb der Grenzen des Gesammtgebildes liegen, so dass dieses gleichsam von innen heraus immer mehr „auswächst“ und anschwillt. Am besten sieht man dies bei Polypen, welche daher auch schon seit alten Zeiten als ein Mustergebilde für die eigentlich parasitischen Gewächse angesehen worden sind. Aber für die Mehrzahl der Neubildungen, namentlich der im Inneren der Organe auftretenden, gilt diese Erfahrung nur im geringen Umfange. Die erste Entwickelung einer Geschwulst oder eines Abscesses geschieht hier an einem bestimmten Punkte, aber ihr weiteres Wachsthum besteht in der Regel nicht darin, dass aus diesem Punkte heraus immer neue Entwickelungen geschehen, oder dass hier eine Intussusception von Stoffen stattfindet, welche zu einer dauerhaften Entfaltung des Ganzen nach ausserhalb verarbeitet werden. Vielmehr bilden sich im Umfange[542] des ersten Heerdes neue kleine, accessorische Heerde, welche, indem sie sich vergrössern, sich dem ersten anschliessen und so nach und nach eine immer weiter gehende Vergrösserung des einmal bestehenden Knotens setzen[296]. Liegt die Geschwulst an der Oberfläche eines Organs, so zeigt sich auf dem Durchschnitte eine halbkreisförmige Zone jüngster Substanz an der Peripherie des Knotens; liegt sie inmitten eines Organs, so bilden die neuen Appositionen eine sphärische Schale um das ältere Centrum. Untersuchen wir eine Geschwulst, nachdem sie vielleicht ein Jahr lang bestanden, so ergibt sich gewöhnlich, dass in der Mitte die zuerst gebildeten Elemente gar nicht mehr vorhanden sind. Hier finden wir die Elemente zerfallen, durch fettige Prozesse aufgelöst. Liegt die Geschwulst an einer Oberfläche, so besitzt sie, oft in der Mitte ihrer Hervorragung eine nabelförmige Einziehung, und das nächste Stück darunter stellt eine dichte Narbe dar, welche nicht mehr den ursprünglichen Charakter der Neubildung an sich trägt. Diese rückgängigen Formen habe ich zuerst beim Krebs beschrieben, besonders an der Leber, der Lunge und dem Darm, wo sie leicht zu constatiren sind[297].
Immer kann man sich überzeugen, dass, was man eine Geschwulst nennt und als eine Einheit betrachtet, vielmehr eine Vielheit, eine oft unzählbar grosse Summe von vielen kleinen miliaren Heerden ist, von denen jeder einzelne zurückgeführt werden muss auf einzelne oder wenige Mutter-Elemente. Indem in dieser Weise die Bildungen fortschreiten, gleichviel ob Eiter oder Tuberkel oder Krebs, so setzen sich immer neue Zonen von jungen Heerden an die alten an, und wir werden, wenn wir überhaupt die Entwickelungsgeschichte solcher Neoplasmen verfolgen wollen, mit grosser Sicherheit darauf rechnen können, dass in der äussersten Umgebung die jungen, im Centrum die alten Theile liegen. Nun erstreckt sich aber die Zone der letzten Erkrankung gewöhnlich um ein Bedeutendes über die mit blossem Auge erkennbare Zone der Veränderung hinaus. Wenn man irgend eine wuchernde Geschwulst von zelligem Charakter untersucht, so findet man oft 3–5 Linien weit über die scheinbare[543] Grenze der Geschwulst hinaus die Gewebe schon erkrankt und die Anlage einer neuen Zone gegeben. Liegt die Neubildung in einem Theile, dessen Gewebe in gewissen Richtungen der Erkrankung sehr viel leichter zugänglich sind, so wird begreiflich die junge Masse keine eigentliche Zone oder Schale um den alten Heerd bilden, sondern sich vielleicht strangförmig in jenen Richtungen fortsetzen. Das ist die Hauptquelle für die örtlichen Recidive nach der Exstirpation, denn diese kommen dadurch zu Stande, dass die für das blosse Auge nicht erkennbare Zone, sowie die nächsten hinderlichen Momente weggefallen sind, zu wachsen anfängt. Es geschieht hier keine neue Ablagerung vom Blut aus, sondern es sind die schon in dem benachbarten Gewebe vorhandenen, neugebildeten Keime, welche in derselben Weise, wie das sonst geschehen sein würde, oder auch wohl noch schneller ihre weitere Entwickelung durchmachen[298].
Diese Erfahrung halte ich deshalb für ausserordentlich wichtig, weil sie uns zeigt, dass alle diese Bildungen einen contagiösen Habitus an sich haben. Solange, als man sich dachte, dass die einmal gegebene Masse nur von sich aus wuchere, so lange konnte es natürlich scheinen, als habe man weiter keine andere Aufgabe, als der Geschwulst die weitere Zufuhr abzuschneiden. Aber es wird offenbar in dem Heerde selbst ein contagiöser Stoff gebildet, und wenn die zunächst an den Erkrankungsheerd anstossenden Elemente, welche durch Anastomosen mit den erkrankten Elementen in Verbindung stehen, gleichfalls die heterologe Wucherung eingehen, so kann man sich die Sache wohl nicht anders denken, als dass die Erkrankung genau ebenso erfolgt, wie die Erkrankung der nächsten Lymphdrüsen, welche in der Richtung des von der erkrankten Stelle ausgehenden Lymphstromes liegen. Je mehr Anastomosen die Theile besitzen, um so leichter erkranken sie, und umgekehrt. An dem Knorpel sind die malignen Erkrankungen so selten, dass man in der Regel annimmt, er sei ganz und gar unfähig dazu. So findet man zuweilen an einem Gelenke über sarkomatösen oder carcinomatösen Geschwülsten nur noch den Knorpelüberzug erhalten, während alles andere zerstört ist. So sehen wir, dass die fibrösen Theile, welche reich sind an elastischen Elementen, z. B. die Fascien,[544] sehr wenig Disposition zu contagiöser Erkrankung haben, ja lange Zeit als Isolatoren krankhafter Prozesse dienen. Dagegen, je weicher ein Grundgewebe ist, je besser die Leitung stattfinden kann, um so sicherer können wir erwarten, dass bei Gelegenheit in dem Theile neue Erkrankungsheerde auftreten werden. Ich habe deshalb geschlossen, dass die Infection von dem bestehenden Heerde auf die anastomosirenden Nachbarelemente unmittelbar durch kranke Säfte übertragen wird, ohne Dazwischenkunft von Gefässen und Nerven[299]. Freilich sind die Nerven oft die besten Leiter für die Fortpflanzung von contagiösen Neubildungen, aber nicht als Nerven, sondern als Theile mit weichem Zwischengewebe (Perineurium).
Hier ergibt sich die Bedeutung der anastomosirenden Elemente des Gewebes, der Werth der Cellular-Theorie für die Deutung der Prozesse auf das Augenscheinlichste. Man kann, wenn man einmal diese Art der Leitung kennen gelernt hat, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorhersehen, wohin in gewissen Theilen mit bekannter Art der Leitung die Richtung der Erkrankung gehen werde, und wo die grössere oder geringere Gefahr liegt. Auch wird es begreiflich, dass die Gefahr nicht bloss nach der Natur des Krankheitsprozesses, sondern auch nach der anatomischen Einrichtung des befallenen Organes verschieden gross ist, und dass derselbe Prozess an verschiedenen Organen, ganz abgesehen von der functionellen Bedeutung der letzteren, einen ganz verschiedenen Werth hat. Es ist bis jetzt unerweislich, ob in derselben Weise, wie die Infection der Nachbartheile wahrscheinlich geschieht, nehmlich durch Saftleitung, auch die Infection entfernter Theile zu Stande kommt, ob namentlich das Blut von dem Heerde aus etwas Schädliches aufnimmt und einem entfernten Orte zuleitet. Ich muss bekennen, dass ich in Beziehung auf die Einzelheiten dieses Vorganges keine hinreichend beweisenden Thatsachen kenne, und dass ich die Möglichkeit zugeben muss, dass die Verbreitung durch Gefässe möglicher Weise auf einer Zerstreuung von Zellen aus den Geschwülsten selbst beruhen mag. Indessen gibt es auch hier viele Thatsachen, welche für die Infection durch wirklich losgelöste Zellen sehr wenig sprechen, z. B. den Umstand, dass gewisse Prozesse gegen den Lauf der Lymphströmung fortschreiten, dass[545] nach einem Brustkrebs eine Erkrankung der Leber stattfindet, während die Lunge frei bleibt. Hier scheint es ziemlich wahrscheinlich zu sein, dass Säfte aufgenommen werden, welche die weitere Verbreitung bedingen (S. 257). Natürlich schliesst die Contagion durch inficirende Säfte die Möglichkeit einer Contagion durch Seminien im zelligen Sinne nicht aus. Ich habe schon früher Thatsachen mitgetheilt[300], welche für eine Dissemination durch Zellen sprechen, und seitdem wir die automatischen Bewegungen vieler thierischer Elemente kennen gelernt haben (S. 353), ist diese Möglichkeit noch näher getreten. Indess muss man sich ja hüten, nicht exclusiv zu sein. Gerade die neuesten Erfahrungen über die Impfbarkeit des Tuberkels haben gelehrt, dass es zur Hervorrufung neuer Tuberkel keiner wirklich tuberkulösen und selbst keiner lebenden Zellen bedarf, sondern dass allerlei regressive Stoffe diese Fähigkeit in hohem Maasse an sich haben.
Mit diesen Vorkenntnissen ist es nicht schwierig, eine andere Frage zu beantworten, welche sowohl praktisch, als theoretisch sehr wichtig ist, nehmlich die über den sogenannten Parasitismus der Neubildungen[301].
Nach meiner Meinung ist der Gesichtspunkt des Parasitismus, den die Alten für einen grossen Theil der Neubildungen festhielten, vollkommen gerechtfertigt. In der That muss jede Neubildung, welche dem Körper keine brauchbaren Gebilde zuführt, als ein parasitisches Wesen am Körper betrachtet werden. Erinnere man sich nur, dass der Begriff des Parasitismus nur graduell etwas Anderes bedeutet, als der Begriff der Autonomie jedes Theiles des Körpers. Jede einzelne Epithelial- und Muskelzelle, jedes Knorpel- und Bindegewebskörperchen führt im Verhältniss zu dem übrigen Körper eine Art von Parasitenexistenz, so gut wie jede einzelne Zelle eines Baumes im Verhältniss zu den anderen Zellen desselben Baumes eine besondere, ihr allein zugehörende Existenz hat und den übrigen Elementen für ihre Bedürfnisse (Zwecke) gewisse Stoffe entzieht. Der Begriff des Parasitismus, im engeren Sinne des Wortes, entwickelt sich unmittelbar aus dem Begriffe der Selbständigkeit der einzelnen Theile. Der Grad der Selbständigkeit der einzelnen Theile ist aber überaus verschieden. Während[546] gewisse Elemente, z. B. die Ganglienzellen, sich nur im stetigen Zusammenhange mit dem Körper erhalten, können andere, wie die Flimmerzellen, die farblosen Blutkörperchen lange Zeit davon getrennt sein und doch ihre Eigenschaften bewahren. Wandert ein mobilisirtes Bindegewebskörperchen aus und siedelt es sich an einem anderen Orte an, so verhält es sich nahezu, wie ein Entozoon, welches in den Körper eingewandert ist, und es kann seine neue Existenz, wie das Entozoon, nur begründen, indem es sich parasitisch von der Nachbarschaft ernährt. Aus dieser Analogie erklärt es sich, dass ein Entozoon, wie ein Theil des Körpers selbst, sich einem fremden Organismus einfügen kann, und dass die mehr heterologen Neubildungen, deren scheinbare Fremdartigkeit so viele Beobachter irregeführt hat, von Vielen als entozoische Wesen angesprochen worden sind.
So lange das Bedürfniss der übrigen Theile die Existenz eines Theiles voraussetzt, so lange dieser Theil in irgend einer Weise den anderen Theilen nützlich ist, so lange spricht man nicht von einem Parasiten; man thut dies aber von dem Augenblicke an, wo der Theil dem übrigen Körper fremd oder schädlich wird. Der Begriff des Parasiten ist daher nicht zu beschränken auf eine einzelne Reihe von Geschwülsten, sondern er gehört allen plastischen (formativen) Erzeugnissen an, vor Allem den heteroplastischen, welche in ihrer weiteren Entwickelung nicht homologe Producte, sondern Neubildungen hervorbringen, welche für die Zusammensetzung des Körpers mehr oder weniger ungehörig sind. Ein jedes ihrer Elemente entzieht dem Körper Stoffe, welche zu anderen Zwecken gebraucht werden könnten, und da das Neoplasma schon von vornherein durch seine Bildung (S. 527) normale Theile zerstört hat, da schon seine erste Entwickelung den Untergang seiner Muttergebilde voraussetzt, so wirkt es sowohl destructiv im Beginne, als auch räuberisch im Verlaufe.
Fußnoten:
[284] Archiv VI. 553. Geschwülste III. 97.
[285] Archiv IV. 307. V. 491.
[286] Archiv I. 240.
[287] Spec. Pathologie und Ther. I. 331.
[288] Archiv XIV. 58. XV. 530.
[289] Archiv X. 183.
[290] Archiv I. 246.
[291] Archiv IV. 312. VIII. 415. XIV. 58. Spec. Pathol. u. Ther. I. 330, 337.
[292] Spec. Pathologie und Therapie. I. 337.
[293] Geschwülste I. 74, 89.
[294] Archiv I. 194, 222. Spec. Pathol. u. Ther. I. 332.
[295] Würzb. Verhandl. I. 84. II. 72. Archiv XXXIV. 69.
[296] Archiv V. 238. Geschwülste I. 50, 98.
[297] Archiv I. 184–92.
[298] Geschwülste I. 46.
[299] Archiv V. 246. Spec. Pathol. u. Ther. I. 339. Geschwülste I. 51.
[300] Geschwülste I. 54.
[301] Archiv IV. 390. Spec. Pathol. u. Ther. I. 334. Geschwülste I. 19, 105.
Terminologie und Classification der pathologischen Neubildungen. Die Consistenz als Eintheilungsprinzip. Vergleich mit einzelnen Körpertheilen. Histologische Eintheilung. Die scheinbare Heterologie des Tuberkels, Colloids u. s. f.
Verschiedenheit von Form und Wesen: Colloid, Epitheliom, Papillargeschwulst, Tuberkel.
Die Papillargeschwülste: einfache (Condylome, Papillome) und specifische (Zottenkrebs, Blumenkohlgeschwulst).
Der Tuberkel: Infiltration und Granulation. Tuberkelkörperchen. Der entzündliche Ursprung der Tuberkel. Käsige Pneumonie und Osteomyelitis. Die Granulie. Entstehung der Tuberkel aus Bindegewebe. Das miliare Korn und der solitäre Knoten. Die käsige Metamorphose.
Das Colloid: Myxom. Collonema. Schleim- oder Gallertkrebs.
Die physiologischen Typen der heterologen Neubildungen: lymphoide Natur des Tuberkels, hämatoide des Eiters, epithelioide des Krebses, des Cancroids, der Perlgeschwulst und des Dermoids, bindegewebige des Sarkoms. Heterotopie der Bildung. Der Streit über die Entstehung des Cancroids und Carcinoms. Infectionsfähigkeit, nach dem Saftgehalt der specifischen Beschaffenheit und der Wanderfähigkeit der Elemente. Erregung der Tuberculose durch regressive Stoffe.
Vergleich der pathologischen Neubildung bei Thieren und Pflanzen. Schluss.
Der praktische Arzt, welcher mit pathologischen Neubildungen zu thun hat und dieselben diagnosticiren soll, stellt zunächst die Frage an die Pathologen, an welchem Punkte eigentlich die Differenzirung der Neubildungen und damit die Möglichkeit ihrer Diagnose beginne. Mit Recht genügt es ihm nicht, zu wissen, dass die grosse Mehrzahl der Neubildungen aus Bindegewebe oder aus Theilen, welche dem Bindegewebe aequivalent sind, eine kleinere Zahl aus Epithel und lymphatischen Gebilden hervorgeht, dass die ersten Anlagen für viele Neubildungen nahezu gleichartig sind, dass im Besonderen die Theilung der Kerne, ihre Vermehrung, die endliche Theilung der Zellen in fast allen Neubildungen, in den gut- wie bösartigen, in den hyperplastischen wie heteroplastischen[548] sich auf dieselbe Weise darstellt. Glücklicherweise ist aber diese Gleichartigkeit eine vorübergehende; es dauert nicht lange, bis an jedem einzelnen Gebilde irgend eine charakteristische Erscheinung hervortritt, wodurch wir in die Lage gesetzt werden, seine Natur deutlich zu erkennen.
In diesem Punkte, wo es sich um die Kriterien der Neubildungen handelt, ist freilich auch gegenwärtig eine Einigkeit der Ansichten keinesweges gewonnen, und auch hier ist es daher meine Aufgabe, zu zeigen, wie ich zu meinen, zum Theil so abweichenden Ansichten gelangt bin, und aus welchen Gründen ich mich von dem ausgetretenen Wege entfernen zu müssen geglaubt habe.
Die Namen, mit denen man die einzelnen Neubildungen zu belegen pflegt, haben sich, wie man weiss, oft ziemlich zufällig, zum Theil in sehr willkürlicher Weise gestaltet[302]. Der Versuch, eine regelmässige Terminologie herzustellen, ist in älterer Zeit eigentlich nur in Beziehung auf die Consistenz der Geschwülste gemacht worden, indem man Eintheilungsgründe davon hernahm, dass die Substanz der Neubildung bald hart, bald weich, flüssig, breiig, gallertartig u. s. f. ist, und danach die Steatome, die Skirrhen, die Meliceriden, die Atherome u. s. w. von einander trennte. Es versteht sich von selbst, dass die Begriffe, welche man jetzt an manche dieser Dinge knüpft, abgethan werden müssen, wenn man die ursprüngliche Bedeutung jener Bezeichnungen verstehen will. Wenn man heut zu Tage einen atheromatösen Prozess statuirt, so ist das etwas, was den Alten ganz fern gelegen hat. Wenn die heutigen Geschwulstanatomen sich bemühen, ein Steatom zu entdecken, welches eine feste Fettgeschwulst sein soll, so muss man sich erinnern, dass die Stearin-Fabrikation zur Zeit, als das Steatom aufkam, noch nicht bekannt war, und dass die Alten niemals den Gedanken gehabt haben, welcher den heutigen Geschwulstlehrern nicht aus dem Kopfe will, dass das Steatom eine Stearin- oder überhaupt eine Fettgewebsgeschwulst sei. Gewöhnlich meinte man nur eine etwas derbere, „speckige“ Geschwulst (S. 433). In diesem Sinne sprach noch Bichat von einem steatomatösen Zustande der skrofulösen Lymphdrüsen, womit[549] er offenbar dasselbe meinte, was ich den käsigen Zustand genannt habe.
Die besseren Bezeichnungen, welche man im Anfange dieses Jahrhunderts einzuführen begann, stützten sich mehr auf Vergleichungen, welche man zwischen den Neubildungen und einzelnen normalen Theilen oder Geweben des Körpers machte. Der Ausdruck „Markschwamm“ ging ja ursprünglich aus der Vorstellung hervor, dass die Markschwämme von den Nerven entständen und sich in ihrer Zusammensetzung wie Nervenmasse verhielten. Diese Vergleiche sind aber bis in die Neuzeit immer sehr willkürlich gewesen, weil man sich auf mehr oder weniger grobe Aehnlichkeiten in der äusseren Erscheinung stützte, ohne die feineren Besonderheiten des Baues und namentlich die wirklich histologische Zusammensetzung zu würdigen.
Neuerlich hat man, hier und da sogar mit einer grossen Affectation, angefangen, die normalen Gebilde für eine gewisse Reihe von Neubildungen als terminologische Anhaltspunkte zu benutzen. Manche legen einen gewissen Werth darauf und halten es für mehr wissenschaftlich, Epitheliom zu sagen, wo Andere Cancroid oder Epithelialkrebs sagen. So hat man in Frankreich bekanntlich sehr viel Gewicht darauf gelegt, die Sarkome fibroplastische Geschwülste zu nennen, weil man mit Schwann das geschwänzte Körperchen für den Ausgang der Faserbildung im Bindegewebe hielt, was meiner Ansicht nach (S. 41) ein Irrthum ist. Allein trotz dieser Verirrungen ist es nothwendig, den histologischen Gesichtspunkt als den entscheidenden zu betrachten; nur, glaube ich, ist es von vorn herein nicht anzurathen, dass man von diesem Gesichtspunkte aus sofort dazu schreitet, für alle Dinge neue Namen zu machen, und Dinge, welche man seit langer Zeit kennt, durch neue Namen dem allgemeinen Bewusstsein zu entfremden. Selbst Neubildungen, welche ganz evident dem Typus irgend eines bestimmten normalen Gewebes folgen, haben doch meistentheils Eigenthümlichkeiten, wodurch man sie von diesem Gewebe mehr oder weniger unterscheiden kann, so dass man keinesweges, wenigstens bei der Mehrzahl, die ganze Neubildung zu sehen braucht, um zu wissen, dass dies nicht die normale, regelmässige Entwickelung des Gewebes ist, dass vielmehr in derselben, trotzdem dass sie den Typus nicht verliert, doch etwas von dem gewöhnlichen Gange homologer Entwickelung Abweichendes[550] liegt. Auch blieb in der Regel eine gewisse Zahl von Neubildungen übrig, bei denen man, zum Theil aus Mangel an bekannten physiologischen Typen, die äussere Erscheinung oder den klinischen Charakter als Grund der Terminologie beibehielt.
Man spricht immer noch von einem Tuberkel, und der altgriechische Name, den Fuchs dafür wieder einzuführen versucht hat, Phyma, ist ein so unbestimmter, so leicht auf jedes „Gewächs“ anwendbarer[303], dass er keine grosse Zustimmung gefunden hat. Manche andere Namen hat man in der letzten Zeit in einer immer grösseren Ausdehnung gebraucht, welche auch nichts weiter als Lückenbüsser sind, z. B. den des Colloids. Dieser Name ist im Anfange unseres Jahrhunderts von Laennec erfunden worden für eine Form von Geschwulst, welche er der Consistenz nach als analog dem halberstarrten Tischlerleim (Colla) bezeichnete; in ihrer recht entwickelten Form stellt sie eine halb zitternde Gelatine von farblosem oder leicht gelblichem Aussehen dar, welche im Ganzen den Eindruck einer fast strukturlosen Beschaffenheit macht. Während man sich früherhin vollkommen befriedigt erklärte, wenn man Zustände dieser Art als gallertartige, gelatinöse bezeichnete, so ist es manchen Neueren als ein Beweis höherer Einsicht erschienen, wenn sie statt Gallertgeschwulst oder Gallertmasse Colloidgeschwulst oder Colloidmasse sagten. Aber man muss ja nicht glauben, dass diejenigen, welche diese Bezeichnungen am meisten im Munde führen, damit etwas anderes ausdrücken wollen, als was die meisten Anderen einfach Gallertgeschwulst oder Gallerte oder Sulze kurzweg nennen. Es ist damit gerade wie zu den Zeiten Homer's mit dem Kraut Μώλυ, welches in der Sprache der Götter so genannt ward, anders aber von den Menschen[304]. Es ist daher sehr rathsam, dass man diese eigentlich nichtssagenden und nur hochtönenden Ausdrücke nicht unnöthiger Weise ausbreite, und dass man sich daran gewöhne, mit jedem Ausdrucke etwas Präcises zu sagen. Wenn man also wirklich prätendirt, histologische Eintheilungen zu machen, so darf man nicht mehr für jede Gallertgeschwulst den Ausdruck[551] Colloid in Anwendung bringen, der überhaupt keinen histologischen Werth hat, sondern eben nur ein äusseres Aussehen ausdrückt, welches die allerverschiedenartigsten Gewebe unter Umständen annehmen können. Laennec selbst hat in einer etwas verderblichen Weise die Bahn gebrochen, indem er von einer colloiden Umwandlung fibrinöser Exsudate der Pleura gesprochen hat.
Die Hauptschwierigkeit, welche sich hier ergibt, beruht darin, dass man keinen Unterschied zwischen der blossen Form und dem Wesen zu finden weiss. Man darf die Form nur da als entscheidendes Kriterium für die Diagnose verschiedener Neubildungen zulassen, wo sie eben auch mit einer wirklichen Eigenartigkeit des Gewebes zusammenhängt und nicht bloss aus zufälligen Eigenthümlichkeiten des Ortes oder der Lagerung resultirt. Will man z. B. den Namen des Colloids anwenden, so kann man zwei Wege einschlagen. Man kann entweder damit nichts weiter als eine besondere Art des Aussehens bezeichnen, und dann wird man allerdings verschiedene Geschwülste bekommen können, welche durch den adjectivischen Zusatz „colloid“ von anderen Geschwülsten derselben Art unterschieden werden mögen. Man kann also sagen: Colloidkrebs, Colloidsarkom, Colloidfibrom. Hier bezeichnet colloid weiter nichts, als gallertig oder sulzig. Will man dagegen einen bestimmten Begriff von dem Wesen, der chemischen oder physicalischen Besonderheit der Colloidsubstanz oder der morphologischen Natur des Colloidgewebes haben, so kann man nicht zwei genetisch, chemisch und morphologisch ganz verschiedene Producte, wie das Schilddrüsen-Colloid[305] und den Colloidkrebs, zusammen bringen.
Eine grosse Menge von Geschwülsten bringt, wenn sie an der Oberfläche sitzen, Wucherungen der Oberfläche mit sich, welche, je nach der Natur der Oberfläche, in Form von Zotten, Papillen oder Warzen hervortreten (Fig. 93, 131). Man kann alle diese Geschwülste unter einem Namen zusammenfassen und sie Papillome nennen, allein die Geschwülste, welche diese Form haben, sind oft toto coelo von einander verschieden[306]. Während der eine Fall eine wahre hyperplastische Entwickelung darstellt[307],[552] so finden wir in einem anderen im Grunde dieser Zotten, da, wo sie auf der Haut oder Schleimhaut aufsitzen, irgend eine besondere Art von Geschwulst. In manchen Fällen sind selbst die Zotten mit dieser Geschwulstmasse gefüllt. Dies ist ein sehr wesentlicher Unterschied. An einem breiten Condylom (Schleimtuberkel oder Plaque muqueuse von Ricord) findet man unter der an sich noch glatten Oberhaut die Papillen sich vergrössernd und endlich in ästige Figuren auswachsend, so dass sie förmliche Bäume darstellen. Diese Form des Condyloms kann aber verbunden sein mit einer krebsigen Entwickelung. An der Haut geschieht das verhältnissmässig weniger häufig, als an manchen Schleimhäuten. Hier kann es kommen, dass wirklicher Krebs in den Zotten sitzt. Es ist dies ja an sich nicht auffällig. Die Papille besteht aus Bindegewebe, wie die Haut, auf welcher sie sitzt; es kann also innerhalb der Papillen vom Bindegewebe (Stroma) aus eine Entwickelung von Krebsmasse stattfinden, wie von dem Bindegewebe der Haut. Nun lässt sich andererseits nicht leugnen, dass diese Besonderheit der Oberflächen-Bildung sehr häufig gewisse Eigenthümlichkeiten des Verlaufes erklärt, wodurch eine Papillärgeschwulst von derselben Art von Geschwulst, welche nicht papillär ist, sich auffallend unterscheidet. Jemand kann einen Blasenkrebs, wenn derselbe einfach in der Wand sitzt, sehr lange tragen, ohne dass in der Art der Absonderung, welche mit dem Harn entleert werden muss, andere Veränderungen zu bestehen brauchen, als die eines einfachen Katarrhs. Sobald dagegen eine Zottenbildung an der Oberfläche stattfindet, so ist nichts gewöhnlicher, als dass sich Hämaturie damit complicirt, aus dem einfachen Grunde, weil jede Zotte auf der Harnblasenwand nicht mit einem festen Epidermisstratum überzogen wird, sondern unter einem losen Epithel fast frei zu Tage liegt. In das Innere der Zotten treten grosse Gefässschlingen ein, welche bis an die äusserste Oberfläche reichen; jede erhebliche mechanische Einwirkung gibt daher ein Moment für Hyperämie und Berstung der Zotten ab. Eine krampfhafte Zusammenziehung der Harnblase treibt, indem die Fläche, auf welcher die Zotten aufsitzen, sich verkürzt, das Blut in die Zottenspitzen, und wenn nun noch die mechanische Friction der Flächen hinzukommt, so ist nichts leichter, als dass eine bald mehr bald weniger beträchtliche Blutung erfolgt. Damit aber eine solche Blutaustretung zu Stande[553] komme, ist es durchaus unnöthig, dass die Papillargeschwulst krebsig ist. Ich habe Fälle gesehen, wo Jahre lang von Zeit zu Zeit heftige und schliesslich unstillbare Blutungen eintraten, unter denen die Kranken endlich anämisch zu Grunde gingen, und wo nicht die Spur von einer krebsigen Infiltration des Grundes oder der Zotten existirte, sondern wo es eine ganz einfache Papillargeschwulst war, eine gutartige Bildung, welche an der Oberfläche der Haut mit Leichtigkeit hätte abgeschnitten oder abgebunden werden können, welche aber bei der Verborgenheit des Sitzes hier eine Reihe von Erscheinungen mit sich brachte, die man bei Lebzeiten nicht anders, als auf eine wirklich bösartige Neubildung zu beziehen wusste.
Ganz ähnlich verhält es sich mit den viel besprochenen Blumenkohl-Geschwülsten[308], wie sie sowohl an der Oberfläche der Genitalien des Mannes, als auch der Frau vorkommen. Bei dem Manne, wo diese Papillärgeschwülste, ausgehend vom Praeputium, die Corona glandis umkränzen, sind sie meistentheils von einer sehr dicken Epidermis-Lage überzogen, so dass sie auch bei der Ulceration kaum eine erhebliche Absonderung liefern. Bei der Frau dagegen, wo die Geschwulst am Collum uteri, einem sehr gefässreichen, mit einem schwachen Epithelstratum überzogenen, von Natur mit einem reichen Papillarlager versehenen Theile sich findet, bedingt sie meistentheils sehr frühzeitig starke Transsudationen und bei Gelegenheit hämorrhagiscbe Austretungen von fleischwasserartiger oder wirklich rother, cruenter Flüssigkeit. Bei diesen Formen ist man häufig im Zweifel gewesen, um was es sich handelt. Ich habe es erlebt, dass ein renommirter Chirurg in die Klinik von Dieffenbach kam, welcher eben einen Penis wegen „Carcinom“ amputirte, und dass der fremde Chirurg nachher erklärte, es sei ein einfaches Condylom gewesen. Hinwiederum habe ich Fälle untersucht, wo man Jahre lang an diesen Dingen herumkurirt hat, als ob es syphilitische Condylome wären, weil die äussere Erscheinung so überaus analog und es so überaus schwierig ist, das Kriterium zu ermitteln, welches genau die Entscheidung gibt, ob die Bildung nur der Oberfläche angehört, oder ob sie complicirt ist mit der Erkrankung des unterliegenden Gewebes. Es gibt allerdings heute sehr viele Anatomen und Chirurgen,[554] welche die Vorstellung haben, dass auch an der Oberfläche ähnliche Bildungen wachsen könnten, wie sie im Innern vorkommen, dass z. B. eine Zottengeschwulst krebsig genannt werden müsse, wenn sie von Krebszellen wie von einem Epithel überzogen sei, ohne dass im Innern der Zotten irgend eine Entwickelung von Krebsmasse sich zeigte. In der That findet man zuweilen Zotten, welche ganz dünn sind und kaum so viel Bindegewebe enthalten, dass die in ihnen aufsteigenden Gefässe noch eingehüllt sind, in ein dickes Lager von Zellen eingeschlossen, welche durch die Unregelmässigkeit ihrer Gestalt, die Grösse ihrer Kerne, die Entwickelung der einzelnen Elemente mehr den Habitus des Krebses, als den des Epithels darbieten. Aber ich muss bekennen, dass ich mich bis jetzt nicht habe überzeugen können, dass Krebszellen an der freien Oberfläche von Häuten[555] entstehen könnten, dass sie einfach aus Epithel hervorgingen; vielmehr glaube ich nach Allem, was ich gesehen habe, dass man eine ganz strenge Scheidung machen muss zwischen den Fällen, wo Zellenmassen, sie mögen noch so reichlich und sonderbar gestaltet sein, frei auf einer an sich intacten Grundsubstanz aufsitzen, und denjenigen, wo die Zellen im Parenchym der Theile selbst sich bildeten.
Fig. 147. Senkrechter Durchschnitt durch ein beginnendes Blumenkohlgewächs des Collum uteri (Cancroid). An der noch intacten Oberfläche sieht man die ziemlich grossen Papillen des Os uteri von einem gleichmässigen geschichteten Epitheliallager umhüllt. Die Erkrankung beginnt erst jenseits der Schleimhaut in dem eigentlichen Parenchym des Cervix, wo grosse, rundliche oder unregelmässige Zelleneinsprengungen (Alveolen) das Gewebe durchsetzen. Vergr. 150.
Immer entscheidet sich, so viel ich wenigstens weiss, der Werth einer Bildung nach dem Verhältnisse des unterliegenden Gewebes oder des Zottengewebes selbst; und nur dann kann man eine Bildung als Cancroid oder Carcinom ansprechen, wenn neben der Entwickelung an der Oberfläche auch in der Tiefe oder in den Zotten selbst die besonderen Veränderungen vorhanden sind, welche eben diese Art von Bildung charakterisiren. Ich glaube daher, dass alle jene äusserlichen Formverschiedenheiten eben nur dazu dienen können, einzelne Arten derselben Geschwulst, aber keinesweges verschiedene Geschwülste von einander zu sondern. Es gibt Bindegewebsgeschwülste (Fibrome) der Oberfläche, die in Form von einfachen Knoten auftreten, andere welche in Form von Warzen und Papillargeschwülsten sich zeigen[309]. Ebenso gibt es Krebs- und Cancroidbildungen, welche die Blumenkohlform annehmen, und andere, die es nicht thun.
In Beziehung auf das Verhältniss von Form und Wesen gibt es eine andere, ganz cardinale Frage, die im Interesse der Menschheit bald zu einer gewissen Einmüthigkeit geführt werden sollte, nehmlich die: was man eigentlich unter einem Tuberkel zu verstehen habe. Dieselben Schwierigkeiten, welche ich eben bei den Papillargeschwülsten schilderte, finden sich beim Tuberkel in noch verstärktem Maasse wieder[310]. Die Alten haben den Namen Tuberkel eingeführt einfach nach der äusseren Form des Gebildes. Man hat jedes Ding Tuberkel genannt, welches in Form eines Knötchens hervortrat. Wie bekannt, ist es gar nicht so lange her, dass man nicht im Mindesten sorgfältig in der Anwendung dieses Ausdruckes war. Man sprach von Tubercula carcinomatosa, scirrhosa, man unterschied Tubercula scrofulosa und syphilitica, eine Sprechweise, welche zum Theil noch jetzt in Frankreich erhalten[556] ist. Es war mit dem Tuberkel, wie mit dem Krebs, bei dem man sich von Alters her ja auch nicht etwa auf die eigentliche Geschwulst beschränkte; vielmehr rechnete man Noma (Cancer aquaticus) eben so gut dahin, wie Schanker (Cancer syphiliticus).
Von dieser etwas oberflächlichen Anschauung ist man im Laufe unseres Jahrhunderts nach und nach zu tieferen Forschungen fortgeschritten, und es ist auch hier hauptsächlich das Verdienst von Laennec gewesen, die Lehre von der Einheit des Tuberkels aufgestellt zu haben. Allein er selbst hat wiederum die Schuld zu tragen, dass auch diese Angelegenheit in eine fast unheilbare Verwirrung gerathen ist. Indem er nehmlich zwei verschiedene Formen von Tuberkeln der Lunge, die sogenannte Tuberkel-Infiltration und die Tuberkel-Granulation annahm, so war er genöthigt, in Beziehung auf die Infiltration vollständig von dem alten Begriffe des Tuberkels abzuweichen. Denn hier war gar nicht mehr die Rede von Knötchen, sondern es handelte sich um eine gleichmässige Durchdringung des ganzen Parenchyms mit der krankhaften Masse. Damit war die Bahn gebrochen, auf der man sich immer weiter von dem alten Begriffe des Tuberkels entfernte. Nachdem einmal die Tuberkel-Infiltration geschaffen und die Form des Gebildes als diagnostisches Kriterium damit aufgegeben war, so nahm man auch die weitere Schilderung gewöhnlich von der Infiltration als dem Umfangreicheren her und suchte nach den Merkmalen, worin eigentlich die Infiltration mit der früher bekannten Form des Tuberkels übereinstimme. So ist es gekommen, dass allmählich, und zwar eigentlich schon durch Bayle, die käsige Beschaffenheit als der gemeinschaftliche Gattungscharakter aller Tuberkelproducte, nicht bloss als nächster Anhaltspunkt für die Unterscheidung, sondern auch als Ausgangspunkt für die Deutung des Vorganges überhaupt gebraucht worden ist. So ist es im Besonderen geschehen, dass man sich vorgestellt hat, der Tuberkel könne einfach in der Weise entstehen, dass ein beliebiges Exsudat seine wässerigen Bestandtheile verliere, sich eindicke, trübe, undurchsichtig, käsig werde, und in diesem Zustande liegen bleibe.
Der Ausdruck der Tuberkelkörperchen, der bis vor Kurzem noch recht häufig in Anwendung kam, bezieht sich gerade auf das Stadium des Käsigen, und die genaue Schilderung, welche[557] Lebert davon geliefert hat, läuft darauf hinaus, dass es Bildungen seien, welche mit keiner der bekannten organischen Formen übereinstimmen, welche weder Zellen, noch Kerne, noch sonst etwas Analoges seien, sondern kleine, rundliche oder eckige, solide Körperchen, häufig von Fettpartikelchen durchsetzt, darstellten (Fig. 73). Untersucht man aber die Entwickelung dieser Körper, so kann man sich an allen Punkten, wo sie vorkommen, überzeugen, dass sie aus früheren organischen Formelementen hervorgehen, dass sie nicht etwa die ersten missrathenen Producte, gleichsam ein verunglückter Versuch der Organisation sind, sondern dass sie einmal ganz wohlgerathene Elemente waren, die aber durch ein unglückliches Geschick frühzeitig in ihrem weiteren Fortkommen gehindert wurden und einer schnellen Verschrumpfung unterlagen. Immer kann man mit Sicherheit voraussetzen, dass, wo ein grösseres Körperchen dieser Art sich findet, vorher eine Zelle dagewesen ist, wo ein kleineres, vorher ein Kern, vielleicht innerhalb einer Zelle eingeschlossen, existirt hat[311]. Eiterzellen, Lymphdrüsenkörperchen, Krebs- und Sarkomzellen können in solche „Tuberkelkörperchen“ ebenso umgewandelt werden, wie wahre Tuberkelzellen.
Untersucht man denjenigen Punkt, der für die neuere Lehre von der Tuberkulose der maassgebende gewesen ist, nehmlich die Tuberkel-Infiltration der Lunge, so kommt man leicht zu dem Resultate, welches Reinhardt als das letzte hingestellt hat, dass die Tuberkulose nichts weiter sei, als eine Form der Umbildung von Entzündungsproducten, und dass eigentlich alle Tuberkelmasse eingedickter Eiter sei. In der That ist das, was man Tuberkel-Infiltration genannt hat, mit wenigen Ausnahmen auf eine ursprünglich entzündliche, eiterige oder katarrhalische Masse zu beziehen, welche nach und nach durch eine unvollständige Resorption in den Verschrumpfungszustand gerathen ist, in welchem sie nachher liegen bleibt[312]. Allein Reinhardt hat sich darin getäuscht, dass er glaubte, Tuberkel zu untersuchen. Er ist irre geführt worden durch die grosse Complication der in der Lunge vorkommenden Prozesse[313], besonders aber durch die falsche Richtung,[558] welche die ganze Doctrin von der Tuberkulose von Laennec bis auf ihn namentlich durch die Schuld der Wiener genommen hat. Hätte er sich daran gehalten, den alten Begriff des Knötchens zu verfolgen, hätte er die Knotensubstanz in ihren verschiedenen Stadien untersucht, und hätte er die verschiedenen Organe, in welchen der knotige Tuberkel vorkommt, darauf verglichen, so würde er unzweifelhaft zu einem anderen Resultate gekommen sein[314]. Er würde dann zu der Ueberzeugung gelangt sein, welche meinen späteren Darstellungen zu Grunde liegt, dass die Tuberkel-Infiltration in der Lunge eine Form der Hepatisation, hervorgegangen aus dem von mir als käsige Pneumonie (skrofulöse Pneumonie) bezeichneten Prozesse[315] und ganz verschieden von der eigentlichen Tuberkelgranulation sei. Nirgends ist diese Verschiedenheit besser zu erkennen, als am Knochenmark, wo es einerseits eine ursprünglich eiterige, später käsige Osteomyelitis, andererseits wahre Tuberkel gibt[316].
Man kann allerdings sagen, dass der grösste Theil desjenigen, was im Laufe der Tuberkulose nicht in Knotenform erscheint, eingedicktes Entzündungsproduct sei. Allein neben diesem Producte und bis zu einem gewissen Grade unabhängig von demselben gibt es ein Gebilde, welches in die gewöhnliche Classification der Neoplasmen nicht mehr hineinpassen würde, wenn man jene Entzündungs-Producte Tuberkel nennte. In der That ist in Frankreich, wo die Terminologie von Lebert die maassgebende geblieben ist, und wo man die Corpuscules tuberculeux als die nothwendigen Begleiter der Tuberkulose anzusehen pflegt, in der neuesten Zeit der Gedanke wirklich ausgesprochen, dass unter den Körnern, die man bisher Tuberkel nannte, noch ein ganz besonderes und bis jetzt noch gar nicht bezeichnetes Gebilde vorkomme. Einer der besten, ja vielleicht der beste Mikrograph, den Frankreich besitzt, Robin hat bei Untersuchung der Meningitis tuberculosa die kleinen Knoten in der Pia mater, die alle Welt für Tuberkeln hält, nicht dafür halten zu können geglaubt, weil einmal das Dogma in Frankreich herrscht, dass der Tuberkel aus soliden, unzelligen Körpern bestehe, und weil in den Tuberkeln der Hirnhaut vollständig[559] erhaltene Zellen vorkommen. Ja, einer seiner Schüler, Empis hat sich vor der Consequenz nicht gescheut, neben der Tuberkulose noch eine neue Krankheit, die Granulie, in die medicinische Sprache einzuführen[317]. Zu so sonderbaren Verirrungen führt dieser Weg, dass man am Ende den eigentlichen Tuberkel gar nicht mehr bezeichnen kann, weil man so viel zufällige Dinge mit ihm zusammengeworfen hat, dass man über lauter Zufälligem das Gesuchte oder selbst das Gefundene, was man schon besessen, wieder aus der Hand verliert.
Fig. 148. Entwickelung von Tuberkel aus Bindegewebe in der Pleura. Man übersieht die ganze Reihenfolge von dem einfachen Bindegewebskörperchen, der Theilung der Kerne und Zellen bis zu der Entstehung des Tuberkelkorns, dessen Zellen in der Mitte wieder zu einem fettig-körnigen Detritus zerfallen. Vergröss. 300.
Ich halte dafür, dass der Tuberkel ein Korn, ein Knötchen sei, und dass dieses Knötchen eine Neubildung darstellt, und zwar eine Neubildung, welche von ihrer ersten Entwickelung an nothwendig zelliger Natur ist, welche in der Regel gerade so, wie viele anderen Neubildungen, aus Bindegewebe hervorgeht, und welche, wenn sie zu einer gewissen Entwickelung gekommen ist, innerhalb dieses Gewebes einen kleinen, wenn er an der Oberfläche sich befindet, in Form eines kugeligen Höckers hervorragenden Knoten darstellt, der in seiner ganzen Masse aus kleinen, ein- oder mehrkernigen Zellen besteht. Das, was diese Bildung charakterisirt, ist der Umstand, dass sie überaus kernreich ist, so dass, wenn man sie im Zusammenhange innerhalb der Fläche des Gewebes betrachtet, auf den ersten Blick fast nichts als Kerne vorhanden zu sein scheinen. Isolirt man die constituirenden Theile,[560] so bekommt man entweder ganz kleine, mit einem Kerne versehene Elemente, oft so klein, dass die Membran sich dicht um den Kern herumlegt, oder grössere Zellen mit vielfacher Theilung der Kerne, so dass 12 bis 24 und 30 Kerne in einer Zelle enthalten sind, wo aber immer die Kerne klein, gleichmässig und etwas glänzend aussehen.
Der Tuberkel steht allerdings in seiner Entwickelung dem Eiter am nächsten, insofern er die kleinsten Kerne und die verhältnissmässig kleinsten Zellen hat, und er unterscheidet sich dadurch von allen höher organisirten Formen (Krebs, Sarkom), dass die Elemente dieser letzteren grosse, mächtige, oft colossale Bildungen mit stark entwickelten Kernen und Kernkörperchen darstellen. Er ist immer nur eine ärmliche Production, eine von vornherein kümmerliche Neubildung. Anfangs ist er, wie andere Neubildungen, nicht selten mit Gefässen versehen, allein, wenn er sich vergrössert, so drängen sich seine vielen kleinen Zellen, — diese wie eine Kinderschaar, immer dichter an einander gehende Masse, — so eng zusammen, dass nach und nach die feineren Gefässe vollständig unzugänglich werden und sich nur die grösseren, durch den Tuberkel bloss hindurch gehenden noch erhalten. Gewöhnlich tritt im Centrum des Knotens, wo die alten Elemente liegen, sehr bald eine fettige Metamorphose ein (Fig. 148), welche aber in der Regel nicht vollständig wird. Dann verschwindet jede Spur von Flüssigkeit, die Elemente fangen an zu verschrumpfen, das Centrum wird gelb und undurchsichtig, man sieht einen gelblichen Fleck inmitten des grau durchscheinenden Korns. Damit ist die käsige Metamorphose[318] angelegt, welche später den Tuberkel charakterisirt. Diese Veränderung schreitet nach aussen immer weiter vorwärts von Zelle zu Zelle, und nicht selten geschieht es, dass der ganze Knoten nach und nach in die Veränderung eingeht.
Warum ich nun meine, dass man für dieses Gebilde speciell den Namen des Tuberkels als einen äusserst charakteristischen festhalten muss, das ist der Umstand, dass nie ein Tuber daraus wird. Was man als grosse Tuberkeln zu bezeichnen pflegt, was die Grösse einer Wallnuss, eines Borsdorfer Apfels erreicht, z. B. im Gehirn, das sind keine einfachen Tuberkel. Freilich steht gewöhnlich[561] in den Handbüchern, dass der Hirntuberkel solitär sei, aber das ist kein einzelner Knoten; eine solche apfel- oder nur wallnussgrosse Masse enthält viele Tausende von Tuberkeln; das ist ein ganzes Nest, das sich vergrössert, nicht dadurch, dass der ursprüngliche Heerd wächst, sondern vielmehr dadurch, dass an seinem Umfange immer neue Heerde ausgebildet werden[319]. Betrachtet man den vollkommen gelbweissen, trockenen, käsigen Knoten, so erkennt man in seiner nächsten Umgebung eine weiche, gefässreiche Schicht, welche ihn gegen die benachbarte Hirnsubstanz abgrenzt, eine dichte Areola von Bindegewebe und Gefässen. Innerhalb dieser Schicht liegen die kleinen, jungen Knötchen bald in grösserer, bald in kleinerer Zahl. Sie lagern sich aussen an, und der grosse Knoten wächst durch Apposition von immer neuen Heerden, von welchen jeder einzelne käsig wird. Daher kann der ganze Knoten in seinem Zusammenhange nicht als einfacher Tuberkel betrachtet werden. Der eigentliche Tuberkel bleibt wirklich minimal, wie man zu sagen pflegt, miliar, genauer ausgedrückt, submiliar. Selbst wenn sich an der Pleura neben ganz kleinen Knoten grosse, wie aufgelagerte gelbe Platten finden, so sind auch diese keine einfachen Tuberkel, sondern Zusammensetzungen aus einer grossen Summe gesonderter Knötchen. Die gewöhnlich als miliare Tuberkel bezeichneten Knoten in der Lunge aber sind entweder miliare Hepatisationen, oder bronchitische oder peribronchitische Heerde, möglicherweise mit Tuberkulose der Bronchialwand verbunden.
Wie man sieht, hängt bei dem Tuberkel in der That Form und Wesen untrennbar zusammen. Die Form ist bedingt dadurch, dass der Tuberkel von einzelnen Elementen des Bindegewebes aus, durch die degenerative Entwickelung kleinerer Gruppen von Bindegewebskörperchen wächst. So kommt er ohne alles Weitere als Korn hervor. Wenn er einmal eine gewisse Grösse erreicht hat, wenn die Generationen von neuen Elementen, die sich durch immer fortgehende Theilung aus den alten Gewebselementen entwickeln, endlich so dicht liegen, dass sie sich gegenseitig hemmen, die Gefässe des Tuberkels allmählich zum Schwinden bringen und sich dadurch selbst die Zufuhr abschneiden, so zerfallen sie eben, sie sterben ab, und es bleibt nichts weiter zurück, als Detritus, verschrumpftes, zerfallenes, käsiges Material.
Die käsige Umbildung ist der regelrechte Ausgang der Tuberkel, aber sie ist einerseits nicht der nothwendige Ausgang, denn es gibt seltene Fälle, wo die Tuberkel durch vollständige fettige Metamorphose resorptionsfähig werden; andererseits kommt dieselbe käsige Metamorphose anderen Formen von zelligen Neubildungen zu: der Eiter kann käsig werden, ebenso der Krebs und das Sarkom, die syphilitische Gummigeschwulst, die Typhusmasse. Diese allgemeine Möglichkeit[320] kann man daher nicht wohl als das Kriterium für die Beurtheilung eines bestimmten Gebildes, wie des Tuberkels hinstellen; vielmehr gibt es gewisse Stadien der Rückbildung desselben, wo man sich sagen muss, dass es nicht immer möglich ist, ein Urtheil zu fällen. Legt einem jemand eine Lunge, mit käsigen Massen durchsprengt, vor, und fragt: ist das Tuberkel oder nicht? so wird man häufig nicht genau sagen können, was die einzelnen Massen ursprünglich gewesen sind. Es gibt Zeiten in der Entwickelung, wo man mit Bestimmtheit das Entzündliche und das Tuberkulöse von einander trennen kann; endlich aber kommt eine Zeit, wo sich beide Producte mit einander vermischen, und wo, wenn man nicht weiss, wie das Ganze entstanden ist, man kein Urtheil mehr abgeben kann über das, was es bedeutet. Auch mitten in Krebsknoten können käsige Stellen vorkommen, welche gerade so aussehen, wie Tuberkel. Noch Lebert beschrieb dies als ein Vorkommen von Tuberkel in Krebs. Ich habe dargethan, dass es die Krebs-Elemente sind, welche in diese käsige Masse übergehen[321]. Wenn wir aber nicht mit Bestimmtheit aus der Entwickelungsgeschichte wüssten, dass die Zellen des Krebses sich Schritt für Schritt verändern, und dass in der Mitte des Krebses sich keine Tuberkeln bilden, so würden wir aus dem blossen Befunde in vielen Fällen durchaus nicht ein Urtheil fällen können.
Ueberwindet man diese Schwierigkeiten, welche in der äusseren Erscheinung der Bildung liegen, und welche den Beobachter nicht bloss irre führen gegenüber der groben Erscheinung, sondern auch gegenüber der feineren Zusammensetzung, so bleibt für die Orientirung kein anderer Anhaltspunkt, als dass man nachsucht,[563] welchen Typus der Entwickelung die einzelnen Neubildungen während der Stadien ihrer wirklichen Bildung, nicht während der Stadien ihrer Rückbildung zeigen. Man kann das Wesen des Tuberkels nicht studiren von dem Zeitpunkte an, wo er käsig geworden ist, denn von da an gleicht seine Geschichte vollkommen der Geschichte des käsig werdenden Eiters; man muss dies vorher thun, wo er wirklich wuchert.
So müssen wir auch für die anderen Neubildungen die Zeit von ihrer ersten Entstehung bis zu ihrer Akme studiren und zusehen, mit welchen normalen physiologischen Typen sie übereinstimmen. Mit anderen Worten, man muss sie genetisch erforschen. Dann ist es allerdings möglich, mit den einfachen Principien der histologischen Classification auszukommen, welche ich früher ausgeführt habe (S. 86). Auch die heterologen Gewebe haben physiologische Typen[322].
Ein Colloid, wenn man wirklich darunter versteht, was Laennec gemeint hat, eine gallertartige organisirte Neubildung, muss nothwendig irgend einen Typus der Bildung besitzen, welcher irgendwo oder irgend einmal im gewöhnlichen Körper vorkommt. In der That gibt es eine Reihe von Geschwülsten, die man zum Colloid gerechnet hat, welche vollkommen die Structur des Nabelstranges haben, und welche, wie dieser Theil, in ihrer Intercellularsubstanz wesentlich Schleim enthalten. Nachdem ich das Gewebe des Nabelstranges und der analogen Theile Schleimgewebe genannt hatte, so war es für mich ein sehr einfacher Schritt, diese Geschwülste Schleimgeschwülste, Myxome zu nennen[323]. Eine der am meisten ausgezeichneten Myxomformen stellt die sogenannte Blasen- oder Hydatidenmole (Mola vesiculosa s. hydatidosa) dar. Aber das Vorkommen des Myxoms beschränkt sich nicht auf die Zeit der intrauterinen Entwickelung. Indem wir Geschwülste mit dem Gewebstypus des Nabelstranges mitten im erwachsenen Körper nachweisen, so ist das Auffallende der Erscheinung nicht vermindert, aber es ist für dieselben ein im Körper normaler Typus gewonnen. Ein kopfgrosses Myxom des Oberschenkels bleibt immerhin eine sehr merkwürdige Erscheinung. Eine andere Form von Colloid, oder wie unser Müller gesagt[564] hat, Collonema, stellt sich dar als ödematöses Bindegewebe. Wir finden nichts weiter, als ein sehr weiches Gewebe, welches von einer eiweisshaltigen Flüssigkeit durchtränkt ist. Eine solche Geschwulst können wir nicht von den Bindegewebsgeschwülsten im Ganzen trennen; wir mögen sie als gallertartiges oder ödematöses oder sklerematöses Fibrom bezeichnen, aber es besteht kein Grund, sie unter dem Namen von Collonema für das Denken ganz fremdartig zu gestalten. So finden wir ferner gewisse Formen von Krebs, wo das Stroma, statt einfach aus Bindegewebe zu bestehen, aus demselben Schleimgewebe besteht, welches wir in einer einfachen Schleimgeschwulst antreffen[324]. Dies können wir einfach einen Schleimkrebs (Gallert- oder Colloidkrebs) nennen. Damit wissen wir genau, was wir vor uns haben. Wir wissen, es ist ein Krebs, aber sein Grundgewebe ist verschieden durch seinen Schleimgehalt und seine gallertige Beschaffenheit von dem gewöhnlichen Fasergewebe des Krebsgerüstes.
Fassen wir nun nochmals den Tuberkel in's Auge, so würde derselbe allerdings etwas vollständig Abnormes sein, wenn die Corpuscules tuberculeux ihn ursprünglich und wesentlich constituirten; vergleicht man aber die Zellen, welche, wie ich nachgewiesen habe, die eigentlichen Constituentien des Kornes sind, mit normalen Geweben des Körpers, so ergibt sich die vollständigste Uebereinstimmung zwischen ihnen und den Elementen der Lymphdrüsen (S. 210, Fig. 71). Diese Analogie ist nicht zufällig und gleichgültig, denn seit alter Zeit weiss man ja, dass die Lymphdrüsen besonders dazu geneigt sind, eine käsige Veränderung einzugehen, und schon lange hat man davon gesprochen, dass eine lymphatische Constitution zu Prozessen dieser Art disponire[325]. Aus allen diesen Gründen habe ich den Tuberkel nicht als eine, seiner Entwickelung nach dem Körper gänzlich fremdartige Bildung sui generis betrachten können, sondern ihn als eine wesentlich lymphoide Neubildung der grösseren Gruppe der Lymphome[326] angereiht.
Wenn wir den Eiter betrachten, so brauche ich nur an das[565] zu erinnern, womit ich mich mehrere Capitel hindurch beschäftigt habe, nehmlich an die Frage von der Trennbarkeit der Pyämie von der Leukocytose. In den farblosen Blutkörperchen haben wir so vollständig den Eiterkörperchen analoge Bildungen erkannt, dass Viele geglaubt haben, wenn sie farblose Blutkörperchen im Blute fanden, Eiterkörperchen zu sehen, während Andere vielmehr in den Elementen des Eiters durchweg farblose Blutkörperchen wiederzufinden meinten. Beide Reihen haben den gleichen Typus der Bildung. Man kann daher sagen, dass der Eiter eine hämatoide Form habe, ja man kann den alten Satz aufwärmen, dass der Eiter das Blut der Pathologie sei. Will man aber einen Unterschied suchen, will man in den einzelnen Fällen sagen, was Eiter- und was Blutkörperchen sei, so hat man kein anderes Kriterium, als zu entscheiden, ob die Zelle in der gewöhnlichen Weise und an dem natürlichen Orte des farblosen Blutkörperchens entstanden ist, oder auf andere Weise, an einem anderen Orte, wo sie nicht zu entstehen hat.
Innerhalb der pathologischen Neubildungen gibt es eine grosse Kategorie, deren natürliches Paradigma das Epithel ist, wenn man will, Epitheliome. Allein der Ausdruck des Epithelioms, welcher von Hannover für einen kleinen Theil dieser Epithel führenden Geschwülste, für die sogenannten Cancroide vorgeschlagen wurde, ist deshalb für die besondere Art von Geschwulst, welche er damit bezeichnen wollte, vollständig unzulässig, weil sie nicht die einzige Geschwulst ist, deren Elemente den epithelialen Habitus an sich tragen. Man kann das Epitheliom Hannover's von anderen Geschwülsten nicht dadurch unterscheiden, dass seine Elemente den Habitus von Epithel hätten und andere nicht. Ich will gar nicht davon sprechen, dass es eine grosse Reihe unzweifelhaft epithelialer Geschwulstbildungen gibt, welche nichts als örtliche Wucherungen des präexistirenden Epithels darstellen. Dahin gehören das Atherom, die drüsigen Hyperplasien der Brust, des Magens. Aber auch scheinbar ganz fremdartige Neubildungen besitzen denselben Typus der Elemente. Die Geschwulst, welche Müller Cholesteatom, Cruveilhier Tumeur perlée genannt hat, was ich durch Perlgeschwulst (Margaritoma) übersetzt habe, diese Geschwulst hat genau denselben epithelialen Bau, wie das Cancroid, welches Hannover Epitheliom genannt hat, ja das[566] gewöhnliche Cancroid erzeugt in sich sehr gewöhnlich kleine Perlknoten in oft erstaunlich grosser Menge[327]. Allein beide unterscheiden sich sehr wesentlich. Nie hat man bis jetzt Perlgeschwülste gesehen, welche, nachdem sie an einem Orte bestanden hatten, an entfernten Orten Recidive gemacht und sich wie bösartige Geschwülste verhalten hätten; immer fand nur im nächsten Umfange der Geschwulst eine weitere, aber überaus langsame Entwickelung statt. Das Epitheliom dagegen, oder wie man besser sagt, der Epithelialkrebs oder das Cancroid, besitzt eine sehr ausgesprochene Malignität, nicht nur die Recidivfähigkeit in loco, sondern auch die Vervielfältigung in distans. In manchen Fällen werden fast alle Organe des Körpers metastatisch mit Cancroidmassen erfüllt[328].
Fig. 149. Verschiedene Krebszellen, zum Theil in fettiger Metamorphose, polymorph, mit Kernvermehrung. Vergr. 300.
Versucht man das Cancroid durch den epithelialen Bau seiner Elemente von dem eigentlichen Krebs zu unterscheiden, so wird man sich auch da vergeblich bemühen. Der eigentliche Krebs hat gleichfalls Elemente von epithelialem Habitus (Fig. 149), und man braucht nur solche Punkte im Körper zu suchen, wo sich die Epithelzellen unregelmässig entwickeln, z. B. an den Harnwegen (Fig. 16), so wird man in dem normalen Epithel dieselben sonderbaren, mit grossen Kernen und Kernkörperchen versehenen Bildungen antreffen, welche als[567] die specifischen, polymorphen Krebszellen geschildert werden. Der Krebs, das Cancroid oder Epitheliom, die Perlgeschwulst oder das Cholesteatom, ja auch das Dermoid, welches Haare, Zähne, Talgdrüsen producirt und im Eierstock so häufig vorkommt, alle diese sind Bildungen, welche pathologisch Epithelformen erzeugen; aber sie stellen eine Gradation von verschiedenen Arten vor, die von den ganz örtlichen, dem gewöhnlichen Sinne nach vollkommen gutartigen bis zu solchen von der äussersten Malignität reichen[329]. Die blosse Form der Elemente, welche die Zusammensetzung des Gebildes machen, ist ohne entscheidenden Werth. Es hat sich gezeigt, dass es falsch war, als man annahm, der Krebs habe heterologe (specifische) Elemente und darum sei er bösartig, und das Cancroid habe homologe (hyperplastische) Elemente und darum sei es gutartig. Vielmehr enthält keine von beiden Geschwülsten absolut heterologe Elemente und keine ist gutartig, sondern es besteht zwischen ihnen eine Stufenfolge.
Man könnte nun leicht in die Furcht gerathen, es sei überhaupt unmöglich, Krebs, Cancroid, Perlgeschwulst, kurz die epithelioiden Neubildungen, sei es von gewöhnlichem Epithel, sei es unter sich zu unterscheiden. Dies wäre ein grosser Irrthum. Sie alle unterscheiden sich durch die Heterologie ihrer Bildung von dem gewöhnlichen Epithel und der gewöhnlichen Epidermis, denn sie entstehen nicht an Oberflächen, sondern im Inneren der Organe aus dem Bindegewebe. Freilich kann es sein, dass die Anhäufungen ihrer Zellen dabei eine überraschende Aehnlichkeit mit bestimmten Oberhautgebilden erlangen, dass sie z. B. wie Drüsen oder Haare aussehen. Aber ein Cancroid erzeugt keine wirklichen Drüsen mit Höhlungen, sondern nur drüsenähnliche, solide Zapfen; in ihm wachsen keine wirklichen Haare, sondern haarähnliche Gebilde, die mehr kranken als gesunden Haaren entsprechen. Häufen sich diese Zapfen und Cylinder in grossen Mengen an, so entsteht dadurch eine breiige Masse von sehr bunter Zusammenordnung, in der jedoch an jedem Punkte immer wieder epidermoidale Gebilde isolirt werden können, so dass die Gesammtbildung die grösste Aehnlichkeit mit dem Atherom zeigen mag. Aber das Atherom ist eine hyperplastische Wucherung normaler Epidermis[568] in einem erweiterten Hautsacke, das Cancroid und die Perlgeschwulst sind heteroplastische Bildungen einer aus Bindegewebe entstandenen Epidermis. Hier entscheidet also die Heterotopie (error loci).
Fig. 150. Cancroidzapfen aus einer Geschwulst der Unterlippe. Dichtgedrängte Zellenlager mit dem Charakter des Rete Malpighii im Umfange: in dem einen Fortsatze fettartig glänzende Kugeln, in der Mitte des grossen Zapfens eine hornig-epidermoidale, haarartige Abscheidung mit zwiebelartigen Kugeln (Perlen, globes épidermiques). Vergr. 300.
Fig. 151. Durchschnitt durch ein Cancroid der Orbita. Grosse Epidermiskugeln (Perlen), zwiebelartig geschichtet, in einer dichtgedrängten Zellenmasse, die theils den Charakter der Epidermis, theils den des Rete Malpighii hat. Vergr. 150.
Dieser Auffassung steht freilich eine andere gegenüber, welche[569] in Beziehung auf das Cancroid schon von Mayor, Ecker und Anderen ausgesprochen war, nehmlich dass dasselbe aus einer progressiven, nach innen gerichteten Wucherung gewöhnlichen Epithels oder oberflächlicher Epidermis entstehe. Ich habe dem gegenüber immer hervorgehoben, dass genetisch ein Unterschied zwischen Cancroid und eigentlichem Krebs (Carcinom) nicht zu entdecken sei, und dass, wenn das Cancroid als eine nur hyperplastische Neubildung gelten dürfe, auch das Carcinom in gleicher Weise gedeutet werden müsse. Mehrere neuere Beobachter haben kein Bedenken getragen, diesen Satz zu acceptiren und auch das Carcinom als eine Epithelialwucherung darzustellen. Freilich hat sich sehr bald die Schwierigkeit gezeigt, dass das Carcinom primär an Orten vorkommt, wie in Lymphdrüsen, in Knochen und im Gehirn, wo es kein Epithel gewöhnlicher Art gibt. Einige haben sich aus diesem Grunde nicht gescheut, die offenkundige Thatsache primärer Krebse dieser Organe einfach zu leugnen. Andere haben sich damit geholfen, auf das Epithel der Lymphgefässe zurückzugehen. Für diejenigen, welche auch die Bindegewebskörperchen[570] zu den Lymphgefässen rechnen, ist dann freilich der Schritt nicht gross, um auch sie zu den möglichen Matrices der Krebszellen zuzulassen. Ich meinerseits bin durch diese Ausführungen nicht überzeugt; ich halte an der primären Heteroplasie aller Krebse fest.
Dagegen erkenne ich vollständig die Schwierigkeit an, zwischen den einzelnen heteroplastischen Gebilden dieser Gruppe beständige Unterschiede zu finden; ja ich hege die Ueberzeugung, dass hier überhaupt keine scharfen Grenzen bestehen, sondern Uebergänge vorkommen. Man könnte daher leicht in Versuchung gerathen, alle diese Arten von Geschwülsten, wie es so oft vorgeschlagen ist, unter dem Collectivnamen der Krebse zusammen zu fassen. Dem wiederstreitet zunächst die praktische (klinische) Erfahrung, welche ergibt, dass die Perlgeschwulst sich nie generalisirt, das Cancroid selten, der Krebs gewöhnlich. Sodann zeigen sich aber auch Verschiedenheiten im Bau, und ich will hier in Beziehung auf den Krebs nur das hervorheben, dass bei dem Krebs im engeren Sinne des Wortes (Carcinoma) die epithelioiden Zellen in den Maschenräumen eines neugebildeten, gefässhaltigen Bindegewebs-Gerüstes (Stroma) enthalten sind[330]. Der Krebs erscheint daher nicht als blosses Gewebe (histioid), sondern als organartige Neubildung (S. 88).
Die physiologische Bedeutung der einzelnen Arten aber richtet sich zunächst nach ihrem Saftreichthum[331]. Die Formen, welche trockene, saftarme Massen hervorbringen, sind relativ gutartig. Diejenigen, welche saftreiche Gewebe setzen, haben immer mehr oder weniger einen malignen Habitus (S. 257). Die Perlgeschwulst z. B. liefert vollkommen trockene Epithelmassen, fast ohne eine Spur von Feuchtigkeit: sie steckt nur örtlich an. Das Cancroid bleibt sehr lange örtlich, so dass oft erst nach Jahren die nächsten Lymphdrüsen erkranken, dass dann lange Zeit wiederum der Prozess sich auf diese Erkrankung der Lymphdrüsen beschränkt, und dass erst spät und selten die allgemeine Eruption durch den ganzen Körper erfolgt. Bei dem eigentlichen Krebs ist der örtliche Verlauf oft sehr schnell, und die Krankheit wird früh allgemein; Heilungen, selbst für kurze Zeit, sind so selten, dass man[571] in Frankreich geradezu die vollkommene Unheilbarkeit des eigentlichen Krebses aufgestellt und mit Glück vertheidigt hat.
Die einzige scheinbare Ausnahme von dieser Regel macht der Tuberkel. Denn gerade bei ihm geschieht die Infection nicht selten in dem käsigen Stadium, welches sich im Allgemeinen durch seine Trockenheit von dem feuchten Zustande des grauen miliaren Korns unterscheidet. Aber die experimentellen Untersuchungen der neuesten Zeit haben, wie ich schon früher (S. 261) erwähnte, die glückliche Lösung gebracht, dass es nicht bloss der aus Tuberkel entstehende Käse ist, welcher wieder Tuberkel erzeugt, sondern dass regressive Substanzen der verschiedensten Art den gleichen Effect hervorbringen. So habe ich schon angeführt (S. 262), dass selbst rückgängiges Carcinom Tuberkel erregen kann. Diese Erfahrungen haben jedoch, soweit bis jetzt bekannt, keinen Werth für die Mehrzahl der infectiösen Neubildungen, welche vielmehr in ihrer Florescenz-Periode die grösste Virulenz besitzen, und hier sind wir entweder auf Wanderzellen, oder auf flüssige Stoffe hingewiesen.
Auch unter den Bildungen, welche den gewöhnlichen Bindegewebssubstanzen analog, also scheinbar vollkommen homolog und gutartig sind, erweisen sich die saftreichen als viel mehr ansteckungsfähig als die trockenen. Die einfache Fettgeschwulst (Lipom) ist immer gutartig. Das Myxom (Schleimgeschwulst), welches immer viel Flüssigkeit mit sich führt, ist jedesmal eine verdächtige Geschwulst; in dem Maasse seines Saftreichthums recidivirt es oft[332]. Die Knorpelgeschwulst (Enchondrom), welche früher als unzweifelhaft gutartige Geschwulst geschildert wurde, kommt zuweilen in weichen, mehr gallertartigen Formen vor, welche eben solche inneren Metastasen bedingen können, wie der eigentliche Krebs[333]. In noch viel höherem Maasse zeigt das Osteoidchondrom bösartige Eigenschaften[334]. Selbst die Bindegewebsgeschwülste (Fibrome) werden unter Umständen reicher an Zellen, vergrössern sich, ihre Zwischensubstanz wird saftreicher, ja in manchen Fällen schwindet sie so vollständig, dass zuletzt fast nur zellige Elemente übrig[572] bleiben. So entstehen Formen, welche meiner Ansicht nach sehr unzweckmässig fibroplastische Geschwülste genannt worden sind und viel besser mit dem alten Namen der Sarkome bezeichnet werden[335]. Sie unterscheiden sich von den blossen Fibromen, Myxomen, Chondromen u. s. w. durch die grosse Zahl und die beträchtliche Entwickelungshöhe ihrer Elemente, welche zuweilen geradezu Riesengrösse erreichen (Fig. 30, 31). Genetisch zeigen sie dieselbe Herkunft aus proliferirendem Bindegewebe, wie die gewöhnlichen Fibrome (Fig. 113, II.); sehr bald aber beginnen ihre Zellen einen progressiven Entwickelungsgang, welcher den Fibromen fehlt (Fig. 152). Sie sind zunächst allerdings gutartig, aber nicht selten recidiviren sie, wie die Epithelialkrebse, in loco; unter gewissen Verhältnissen recurriren sie in den Lymphdrüsen, und in manchen Fällen kommen sie in so ausgedehnten Metastasen durch den ganzen Körper vor, dass fast kein Organ davon verschont bleibt.
Fig. 152. Schematische Darstellung der Sarkom-Entwickelung, wie sie bei Sarcoma mammae sehr gut zu übersehen ist. Vergr. 350.
In der ganzen Reihe der Neubildungen, von denen jede einem normalen Gewebe mehr oder weniger vollständig entspricht, darf es gar nicht in Frage kommen, ob sie einen physiologischen Typus haben, oder ob sie ein specifisches Gepräge an sich tragen; schliesslich entscheidet vielmehr die Frage, ob sie an einem Orte entstehen, wo sie hingehören oder nicht, und ob sie Stoffe in sich erzeugen, welche auf Nachbartheile gebracht, dort einen ungünstigen, contagiösen oder reizenden Einfluss ausüben.
Es verhält sich mit ihnen, wie mit pflanzlichen Bildungen.[573] Die Nerven und Gefässe haben gar keinen unmittelbaren Einfluss auf ihre Entwickelung. Nur insofern haben sie Werth, als sie das Mehr oder Weniger von Zufuhr bestimmen können; aber sie sind ganz ausser Stande, die Geschwulst-Entwickelung anzuregen, hervorzubringen oder in einer direkten Weise zu modificiren. Eine pathologische Geschwulst des Menschen bildet sich genau in derselben Weise, wie eine Geschwulst an einem Baume, an der Rinde, an der Oberfläche des Stammes oder des Blattes, wo ein pathologischer Reiz stattgefunden hat. Der Gallapfel, der in Folge des Stiches eines Insectes entsteht, die knolligen Anschwellungen, welche die Stellen eines Baumes zeigen, wo ein Ast abgeschnitten ist, die Umwallung, welche die Wunde eines abgehauenen Baumstammes erfährt, beruhen auf einer ebenso reichlichen, oft ebenso raschen Zellenwucherung, wie die, welche wir an der Geschwulst eines wuchernden Theiles des menschlichen Leibes wahrnehmen. Der pathologische Reiz wirkt in beiden Fällen genau auf dieselbe Art; die Vegetationsverhältnisse gestalten sich vollständig nach demselben Typus, und so wenig als ein Baum an seiner Rinde oder seinem Blatte eine Art von Zellen hervorbringt, welche er sonst nicht hervorbringen könnte, so wenig thut dies der thierische Körper.
Aber wenn man die Geschichte einer pflanzlichen Geschwulst betrachtet, so wird man auch da sehen, dass gerade die kranken Stellen es sind, welche ungewöhnlich reich an specifischen Bestandtheilen werden, welche die besonderen Stoffe, die der Baum producirt, in grösserer Menge in sich aufnehmen und ablagern. Die Pflanzenzellen, welche sich an einem Eichenblatt im Umfange des Insectensitzes bilden, haben viel mehr Gerbsäure, als irgend ein anderer Theil des Baumes. Die Geschwulstzellen, welche sich in wuchernder Menge an einer Kiefer da bilden, wo ein Insect sich in den jungen Stamm eingräbt, werden ganz vollgestopft mit Harz. Die besondere Energie der Bildung, welche an diesen Stellen entwickelt wird, bedingt auch eine ungewöhnlich reiche Anhäufung von Säften. Es bedarf keiner Nerven oder Gefässe, um die Zellen zu einer vermehrten Stoff-Aufnahme zu instigiren. Es ist die eigene Action der Zellen, die Anziehung, welche sie auf die benachbarten Flüssigkeiten ausüben, vermöge deren sie die brauchbaren Stoffe an sich reissen und fixiren.
Und so sind wir am Schlusse wiederum bei derselben Vergleichung angelangt, von der wir im Anfange ausgingen, bei der Vergleichung des thierischen und besonders des menschlichen Körpers mit dem pflanzlichen. Auch der Patholog gewinnt durch die Kenntniss der botanischen Vorgänge die werthvollsten Anknüpfungspunkte für das Verständniss der Krankheiten; er vor Allen muss sich durch ein solches Verständniss immer mehr von der Wahrheit der cellularen Theorie überzeugen. Es besteht eine innere Uebereinstimmung in der ganzen Reihe der lebendigen Erscheinungen und gerade die niedrigsten Bildungen dienen uns oft als die Erklärungsmittel für die vollkommensten und am meisten zusammengesetzten Theile. Denn gerade in dem Einfachen und Kleinen offenbart sich am deutlichsten das Gesetz.
Fußnoten:
[302] Geschwülste I. 9.
[303] Archiv XXXIV. 21. Geschwülste I. 9. II. 560.
[304] Odyss. X. 305. Anmerkung des Stenographen.
[305] Geschwülste III. 27.
[306] Würzburger Verhandl. I. 107.
[307] Geschwülste I. 334.
[308] Würzb. Verhandl. I. 109. Gesammelte Abhandlungen 1020.
[309] Geschwülste I. 320, 340.
[310] Geschwülste II. 621.
[311] Würzb. Verhandlungen I. 83.
[312] Spec. Pathol. u. Ther. I. 337, 341, 346.
[313] Wiener Med. Wochenschrift 1856. 396.
[314] Würzb. Verhandl. III. 100.
[315] Geschwülste II. 600.
[316] Ebendas. II. 702.
[317] Archiv XXXIV. 12.
[318] Würzb. Verhandlungen III. 98.
[319] Geschwülste II. 656.
[320] Würzb. Verhandl. I. 84. II. 72. III. 99. Spec. Pathologie und Therapie. I. 282, 284. Geschwülste II. 624.
[321] Archiv I. 172.
[322] Spec. Pathologie und Therapie. I. 9, 334.
[323] Archiv XI. 281. Geschwülste I. 396.
[324] Würzb. Verhandlungen II. 318.
[325] Würzb. Verhandlungen III. 102. Spec. Pathol. und Ther. I. 346.
[326] Geschwülste II. 557.
[327] Med. Reform 1849. No. 51. S. 271. Archiv III. 221. VIII. 397.
[328] Gaz. méd. de Paris. 1855. Avril. No. 14. p. 208.
[329] Archiv VIII. 414.
[330] Archiv I. 96.
[331] Gesammelte Abhandlungen 53. Archiv XIV. 40. Geschwülste I. 126.
[332] Archiv XI. 281. Geschwülste I. 430.
[333] Archiv V. 244. Würzb. Verhandl. I. 137. Geschwülste I. 523.
[334] Geschwülste I. 527.
[335] Archiv I. 196, 200, 224. Geschwülste II. 175.
Seite | |
Vorreden | V |
Uebersicht der Holzschnitte | XIII |
Erstes Capitel.Die Zelle und die cellulare Theorie | 1 |
Einleitung und Aufgabe. Bedeutung der anatomischen Entdeckungen in der Geschichte der Medicin. Geringer Einfluss der Zellentheorie auf die Pathologie. — Die Zelle als letztes wirkendes Element des lebenden Körpers. Genauere Bestimmung der Zelle. Die Pflanzenzelle: Membran, Inhalt (Protoplasma), Kern. Die thierische Zelle: die eingekapselte (Knorpel) und die einfache. Der Zellenkern (Nucleus). Das Kernkörperchen (Nucleolus). Die Theorie der Zellenbildung aus freiem Cytoblastem. Constanz des Kerns und Bedeutung desselben für die Erhaltung der lebenden Elemente. Der Zellkörper und das Protoplasma. Verschiedenartigkeit des Zelleninhalts und Bedeutung desselben für die Function der Theile. Die Zellen als vitale Einheiten (Elementarorganismen). Der Körper als sociale Einrichtung. Die Intercellularsubstanz und die Zellenterritorien. — Die Cellularpathologie im Gegensatze zur Humoral- und Solidarpathologie. — Falsche Elementartheile: Fasern, Kügelchen (Elementarkörnchen). Entstehung der Zellen. Umhüllungstheorie. Generatio aequivoca der Zellen. Das Gesetz von der continuirlichen Entwickelung (Omnis cellula e cellula). Pflanzen- und Knorpelwachsthum. | |
Zweites Capitel.Die physiologischen Gewebe | 27 |
Anatomische Classification der Gewebe. Die drei allgemein-histologischen Kategorien. Die speciellen Gewebe. Die Organe und Systeme oder Apparate. — Die Epithelialgewebe. Platten-, Cylinder- und Uebergangsepithel. Epidermis und Rete Malpighii. Nagel und Nagelkrankheiten. Haare. Linse. Pigment. Drüsenzellen. — Die Gewebe der Bindesubstanz. Das Binde- oder Zellgewebe. Die Theorien von Schwann, Henle und Reichert. Meine Theorie. Die Bindegewebskörperchen. Die Fibrillen des Bindegewebes als Intercellularsubstanz. Secretion derselben. Der Knorpel (hyaliner, Faser- und Netzknorpel). Incapsulirte und freie Knorpelkörperchen (Knochenknorpel). Schleimgewebe. Pigmentirtes Bindegewebe. Fettgewebe. Anastomose der Elemente: saftführendes Röhren- oder Kanalsystem. — Die höheren Thiergewebe: Muskeln, Nerven, Gefässe, Blut, Lymphdrüsen. Vorkommen dieser Gewebe in Verbindung mit Interstitialgewebe. — Muskeln. Quergestreifte. Faserzellen. Herzmuskulatur. Muskelkörperchen. Fibrillen. Disdiaklasten. Glatte Muskelfasern. Muskelatrophie. Die contractile Substanz (Syntonin) und die Contractilität überhaupt. Cutis anserina und Arrectores pilorum. — Gefässe. Capillaren. Contractile Gefässe. | |
Drittes Capitel.Physiologische Eintheilung der Gewebe[576] | 62 |
Ungenügende Ausbildung der anatomischen Kenntniss der Gewebe. Verschiedenartige Lebenserscheinungen an scheinbar gleichartigen Elementen. Praktisches Bedürfniss einer physiologischen Gruppirung: — 1) Nach der Function. Motorische Elemente: muskulöse, epitheliale (Flimmerzellen, Samenfäden), bindegewebige (Pigment). Schleimabsonderung: Schleimhäute, Schleimdrüsen, Schleimgewebe. — 2) Nach der Lebensdauer der Elemente. Dauer- und Zeitgewebe. Pathologische Aenderung der natürlichen Verhältnisse (Heterochronie). Lehre von der Allveränderlichkeit des Körpers durch Stoffwechsel (Mauserung). Unterscheidung von Dauer- und Verbrauchsstoffen in den Elementen. Wechselgewebe (Metaplasie). Abfällige Gewebe: Epidermis (Desquamation), Decidua uterina. Einfache Zeitgewebe. Oertliche Verschiedenheit der Lebensdauer desselben Gewebes. Nothwendigkeit einer Localgeschichte der Gewebe. — 3) Nach der Zeit der Entstehung und des Absterbens der Gewebe (genetische Eintheilung). Jugendliche und senescirende Gewebe. Allgemeine und locale Chronologie der Gewebe. Embryonale Gewebe; unfertige oder unreife: Matricular- und Uebergangsgewebe. Chorda dorsualis. Schleimgewebe. Bildungsgewebe und Vorgewebe (Anlagen, Keimgewebe) Bildungs- oder Primordialzellen. Allgemeine Gültigkeit der Entwickelungsgesetze. — 4) Nach der Verwandtschaft und Abstammung. Continuitäts-Gesetz. Heterologe Verbindungen von Gewebselementen. Die histologische Substitution und die histologischen Aequivalente. Abstammung der Elemente (Descendenz). | |
Viertes Capitel.Die pathologischen Gewebe | 84 |
Die pathologischen Gewebe (Neoplasmen) und ihre Classification. Bedeutung der Vascularisation. Die Doctrin von den specifischen Elementen: Krebs, Tuberkel. Die physiologischen Vorbilder (Reproduction). Einfache (histioide) und zusammengesetzte (organoide und teratoide) Neubildungen. Homologie und Heterologie (Heterotopie Heterochronie, Heterometrie). Malignität. Hypertrophie und Hyperplasie. Kriterien der Homologie. Degeneration. Prognostische Gesichtspunkte. — Ungewöhnliche Analogien der pathologischen Gewebe: Krebs, Sarkom (Spindelzellen. Riesenzellen). Abstammung der pathologischen Gewebe: Continuität der Entwickelung, Discontinuität des Typus. Pathologische Substitutionen und Aequivalente. Homologe und heterologe Substitution. Bildung per primam aut secundam intentionem. Verschiedenartige Entstehung derselben Gewebe unter verschiedenen Bedingungen: Knochen, Bindegewebe. Organisation fibrinöser Blasteme. Metaplasie. Verschiedenartige Abstammung derselben Gewebsart. | |
Fünftes Capitel.Die Ernährung und ihre Wege | 100 |
Selbsterhaltung als Grundlage der Lehre vom Leben. Ernährung und Stoffwechsel. Ernährung im Sinne des Gesammt-Organismus: Nahrungsstoffe. Verdauung. Circulation. Ernährung im cellularen Sinne. Endosmose und Exosmose, todter Stoffwechsel. Intermediärer Stoffwechsel (Transito-Verkehr). Eigentlich nutritiver Stoffwechsel. Ernährungseinheiten und Krankheitsheerde. — Thätigkeit der Gefässe bei der Ernährung. Verhältniss von Gefäss und Gewebe. Leber. Niere. Gehirn. Muskelhaut des Magens. Knorpel. Knochen. — Abhängigkeit der Gewebe von den Gefässen. Metastasen. Gefässterritorien (vasculäre Einheiten). — Die Ernährungsleitung in den Saftkanälen der Gewebe. Knochen. Zahn. Faserknorpel. Hornhaut. Bandscheiben. | |
Sechstes Capitel.Weiteres über Ernährung und Saftleitung | 120 |
Sehnen, Hornhaut, Nabelstrang. — Weiches Bindegewebe (Zellgewebe). Elastisches Gewebe. Strukturlose Häute: Tunicae propriae, Culicula. Elastische Membranen: Sarkolemm. — Lederhaut (Derma). Papillarkörper: vasculäre Bezirke. Unterhaut (subcutanes, subseröses, submucöses Gewebe). Tunica dartos. — Das feinere Kanalsystem des Bindegewebes: Körperchen, Lacunen. Bedeutung der Zellen für die Specialvertheilung der Ernährungssäfte innerhalb der Gewebe. Vegetativer Charakter der Ernährung. Elective Eigenschaften der Zellen. | |
Siebentes Capitel.Circulation und Dyscrasie[577] | 143 |
Arterien. Ihre Zusammensetzung: Epithel, Intima, Media (Muscularis), Adventitia. Capillaren. Capillare Arterien und Venen. Continuität der Gefässwand. Porosität derselben. Hæmorrhagia per diapedesin. Venen. Gefässe in der Schwangerschaft. — Eigenschaften der Gefässwand: 1. Contractilität. Rhythmische Bewegung. Active oder Reizungs-Hyperämie. Ischämie. Gegenreize. Collaterale Fluxion. 2. Elasticität und Bedeutung derselben für die Schnelligkeit und Gleichmässigkeit des Blutstromes. Erweiterung der Gefässe. 3. Permeabilität. Diffusion. Specifische Affinitäten. Verhältniss von Blutzufuhr und Ernährung. Die Drüsensecretion (Leber). Specifische Thätigkeit der Gewebselemente. — Dyskrasie. Transitorischer Charakter und localer Ursprung derselben. Säuferdyskrasie. Hämorrhagische Diathese. Syphilis. | |
Achtes Capitel.Das Blut | 167 |
Morphologische (anatomische) und chemische Veränderungen des Blutes (Dyskrasien). — Faserstoff. Fibrillen desselben. Vergleich mit Schleim und Bindegewebe. Homogener gallertiger Zustand. — Rothe Blutkörperchen. Kern, Membran und Inhalt derselben. Gestalt bei den verschiedenen Wirbelthieren; diagnostische Schwierigkeiten. Zusammensetzung des Zellkörpers: Hämatin, Hämoglobin. Stroma. Veränderungen der Farbe und der Gestalt. Blutkrystalle (Hämatoidin, Hämin, Hämatokrystallin). — Farblose Blutkörperchen. Numerisches Verhältniss. Struktur. Vergleich mit Eiterkörperchen. Klebrigkeit und Agglutination derselben. Specifisches Gewicht. Crusta granulosa. Diagnose von Eiter- und farblosen Blutkörperchen. Die Lehren von der Eiterresorption und von der Lymphexsudation. Lebenseigenschaften der farblosen Körperchen: Bewegung, Aufnahme anderer Körper, Auswanderung. Bedeutung dieser Erfahrungen für die cellulare Doctrin. | |
Neuntes Capitel.Blutbildung und Lymphe | 191 |
Wechsel und Ersatz der Blutbestandtheile. Die rothen Körperchen. Hinfälligkeit derselben. Theilung derselben bei Embryonen. Zerbröckelung bei ungünstigen Einwirkungen. Ersatz aus der Lymphe. — Das Fibrin. Die Lymphe und ihre Gerinnung. Nichtgerinnung des Capillarblutes in der Leiche. Das lymphatische Exsudat. Fibrinogene Substanz. Speckhautbildung. Lymphatisches Blut, Hyperinose, phlogistische Krase. Locale Fibrinbildung. Fibrintranssudation. Fibrinbildung im Blute. — Die farblosen Blutkörperchen (Lymphkörperchen). Ihre Vermehrung bei Hyperinose und Hypinose (Erysipel, Pseudoerysipel, Typhus). Leukocytose und Leukämie. Die lienale und lymphatische Leukämie. Milz- und Lymphdrüsen als hämatopoëtische Organe. Structur der Lymphdrüsen. Rinden- und Marksubstanz. Das eigentliche Parenchym derselben: Follikel (Markstränge). Reticulum, Lymphsinus. Parenchymzellen (Lymphdrüsenkörperchen) und ihr Verhältniss zu Lymph- und farblosen Blutkörperchen. Diagnose und Abstammung der letzteren. — Bau der Milz. Siebförmige Einrichtung der Gefässwände in der Pulpa. — Umbildung farbloser Blutkörperchen in farbige. Ort derselben. Das rothe Knochenmark. — Lymphgefässe. Zusammenhang mit dem Röhrensysteme des Bindegewebes. Bau der grösseren Lymphgefässe: Contractilität und Klappen derselben. Lymphcapillaren (Lymphgefäss-Wurzeln): einfache Epithel-Wand. Bedeutung der Bindegewebskörperchen und der Lymphe überhaupt. Recrementitielle und plastische Natur der Lymphe. | |
Zehntes Capitel.Pyämie und Leukocytose | 217 |
Vergleich der farblosen Blut- und Eiterkörperchen. Die physiologische Eiterresorption: die unvollständige (Inspissation, käsige Umwandlung) und die vollständige (Fettmetamorphose, milchige Umwandlung). Intravasation von Eiter. — Eiter in Lymphgefässen. Die Hemmung der Stoffe in den Lymphdrüsen. Mechanische Trennung (Filtration): Tätowirungsfarben. Mögliches Durchkriechen der Eiterkörperchen. Chemische[578] Trennung (Attraction): Krebs, Syphilis. Die Reizung der Lymphdrüsen und ihre Bedeutung für die Leukocytose. Die (physiologische) digestive und puerperale Leukocytose. Die pathologische Leukocytose (Scrofulose. Typhus. Krebs. Erysipel). — Die lymphoiden Apparate; solitäre und Peyer'sche Follikel des Darms. Tonsillen und Zungenfollikel. Thymus. Milz. — Völlige Zurückweisung der Pyämie als morphologisch nachweisbarer Dyskrasie. | |
Eilftes Capitel.Infection und Metastase | 234 |
Pyämie und Phlebitis. Capillar-Phlebitis und Stase. Thrombosis: parietale und obstruirende; adhäsive und suppurative. Puriforme Erweichung der Thromben: Detritus des Fibrins. Auflösung der rothen Körperchen. Die wahre und falsche Phlebitis. Eitercysten des Herzens. — Embolie. Bedeutung der fortgesetzten Thromben. Lungenmetastasen. Zertrümmerung der Emboli. Verschiedener Charakter der Metastasen. Endocarditis und capilläre Embolie. Latente Pyämie. — Inficirende Flüssigkeiten. Infectiöse Erkrankung der lymphatischen Apparate und der Milz, der Secretionsorgane und der Muskeln. Chemische Substanzen im Blute: Silbersalze, Arthritis, Kalkmetastasen. Ichorrhämie. Fremde Körperchen in der Blutmischung: Zellen, Hämatozoen, Pilze. Körner. Pyämie als Sammelname. | |
Zwölftes Capitel.Theorie der Dyscrasien | 256 |
Abhängigkeit der Dyscrasien und ihrer Dauer von der Zufuhr der Stoffe. Bösartige Geschwülste: Krebs-Dyscrasie. Locale und allgemeine Contagion durch infectiöse Parenchym-Säfte. Bedeutung der Zellen für die Dissemination und Metastase. Natur der virulenten Substanzen. Regressive Stoffe als Mittel der Infection: Rotz, Syphilis, Tuberkel. Impfungen. Wanderung infectiöser Elemente, Homologe und heterologe Infection. — Melanämie. Beziehung zu melanotischen Geschwülsten und Intermittens. Abhängigkeit von Milzfärbung. — Die rothen Blutkörperchen. Entstehung. Die melanösen Formen. Chlorose. Lähmung der respiratorischen Substanz: Kohlenoxyd. Blutgifte. Toxicämie. — Verschiedene Entstehung der Dyscrasien. | |
Dreizehntes Capitel.Das peripherische Nervensystem | 271 |
Der Nervenapparat. Seine prätendirte Einheit. — Die Nervenfasern. Peripherische
Nerven. Fascikel, Primitivfaser. Perineurium und Neurilem. Schwann'sche Scheide.
Axencylinder (electrische Substanz). Markstoff (Myelin), Protagon, Phosphor der
Nervensubstanz. Marklose und markhaltige Fasern. Uebergang der einen in die anderen:
Hypertrophie des Opticus. Verschiedene Breite der Fasern. — Die peripherischen
Nervenendigungen. Vater'sche (Pacini'sche) und Tastkörper. Marklose Fasern der Haut mit Endigung im Rete. Unterscheidung von Gefäss-, Nerven- und Zellenterritorien in der Haut. Endkolben der Schleimhautnerven. Höhere Sinnesorgane: Riech-, Geschmacks- und Hörzellen. Retina: nervöse und bindegewebige Theile. Arbeitsnerven: Muskel-Endplatten, Verbindung der Nerven mit Drüsen- und anderen Zellen. — Die Theilung der Nervenfasern. Das electrische Organ der Fische. Die Muskelnerven. Weitere Betrachtung über Nerventerritorien. — Nervenplexus mit ganglioformen Knoten. Darmschleimhaut. Gefässe. Plexus myentericus. — Irrthümer der Neuropathologen. |
|
Vierzehntes Capitel.Rückenmark und Gehirn | 300 |
Die nervösen Centralorgane. Graue Substanz. Pigmentirte Ganglienzellen. Fortsätze der Ganglienzellen: apolare, unipolare und bipolare Zellen. Verschiedene Bedeutung der Fortsätze: Nerven- oder Axencylinderfortsätze. Ganglien- und Reiserfortsätze. Rückenmark: motorische und sensitive Ganglienzellen. Multipolare (polyklone) Formen. Kernkörperchenfäden und Kernröhren. Innere Verschiedenheit der Ganglienzellen. Schwierigkeit der Untersuchung. Die Nerven des elektrischen Organs der[579] Fische. Das Gross- und Kleinhirn des Menschen. — Das Rückenmark. Weisse und graue Substanz. Centralkanal. Gangliöse Gruppen. Weisse Stränge und Commissuren. Medulla oblongata. Rinde des Kleinhirns: Körner- und Stäbchenschicht. Psychische Ganglienzellen des Gehirns. Das Rückenmark des Petromyzon und die marklosen Fasern desselben. — Die Zwischensubstanz (interstitielles Gewebe). Ependyma ventriculorum. Neuroglia. Corpora amylacea. Graue und gelatinöse Atrophie des Rückenmarks. Sandkörper (corpora arenacea) der Häute des Gehirns und Rückenmarks. | |
Fünfzehntes Capitel.Leben der Elemente. Thätigkeit und Reizbarkeit | 328 |
Das Leben der einzelnen Theile. Die Einheit der Neuristen. Einwände dagegen. Mythologische Natur der neuristischen Lehren. Animismus: Archaeus, Zellenseele. Das Bewusstsein. Die Thätigkeit der einzelnen Theile. Begriff der Reizung: Passion und Action. Die Erregbarkeit (Reizbarkeit) als allgemeines Kriterium des Lebens. Partieller Tod: Nekrobiose und Nekrose. Nichterregbarkeit der Intercellularsubstanz. — Verrichtung, Ernährung und Bildung als allgemeine Formen der Lebensthätigkeit. Verschiedenheit der Reizbarkeit je nach diesen Formen. — Functionelle Reizbarkeit. Nerv, Muskel, Flimmerepithel, Drüsen. Ermüdung und functionelle Restitution. Reizmittel. Specifische Beziehung derselben. Muskelirritabilität. Geringer praktischer Werth derselben. — Nervenirritabilität. Grosse Bedeutung derselben. Falsche Deutung derselben als Empfindlichkeit oder als Contractilität. Innervation. Bewusste und unbewusste Empfindungen. Nervenkraft (Nervenseele, Neurilität). Specifische Unterschiede der constituirenden Theile des Nervensystems. Die Leitung der Electricität als Zubehör der Nervenfasern, die Sammlung (Hemmung, Verstärkung) und Lenkung als Zubehör der Ganglienzellen. Moderations-Einrichtungen. Instinctives und intellectuelles Leben. Bewusstsein. Nothwendigkeit einer histologischen Localisation der nervösen Functionen. Erregung der Ganglienzellen: verschiedene Energie und verschiedene Combination (Synergie) derselben. Spannung und Entladung von Ganglienzellen. Psychologische Auffassung der Affecte und Triebe. Die pathologische Nervenfunction: quantitative Abweichung (Krampf, Lähmung) und combinatorische Abweichung (Epilepsie). — Drüsen-Irritabilität. Verschiedene Gruppen von Drüsen je nach dem Typus der Secretion. Die Drüsen mit persistenten Zellen: Leber, Nieren. Glykogenie. — Automatische Elemente. Geschichtliches. Sarkode, Protoplasma. Amöboide Erscheinungen. Bewegliche Zellen. Verwechselungen des Automatismus mit den Wirkungen physikalischer Osmose (Schrumpfung und Schwellung). Aeussere Gestaltveränderungen mit Aussenden und Einziehen von Fortsätzen (Polymorphismus); innere Molecularbewegung, Vacuolenbildung. Abschnürung von Theilen des Zellkörpers. Befestigte (fixe) und bewegliche (mobile) Zellen. Wanderung und Mobilisirung der Zellen. Voracität: Blutkörperchenhaltige Zellen. Mechanisches Eindringen von fremden Körpern in Zellen. Der Automatismus als Merkmal der Irritabilität — Die pathologischen Abweichungen der Function: Mangel (Defect), Schwächung und Steigerung. Absolute Zurückweisung der Annahme qualitativer Heterologie. | |
Sechzehntes Capitel.Nutritive und formative Reizung. Neubildung und Entzündung | 364 |
Nutritive Reizbarkeit. Genauere Definition der Ernährung. Hypertrophie und Hyperplasie. Atrophie, Aplasie und Nekrobiose als Formen des Schwundes (Phthisis): regressive Prozesse. Wesen der Ernährung: Aufnahme und Aneignung der Stoffe durch eigene Thätigkeit. Crudität und Assimilation. Fixirung der Stoffe: Gegensatz zu todten und schlecht ernährten Theilen: Resorption und Kachexie. Gute Ernährung. Strictum et laxum, Tonus und Atonie, Kraft und Schwäche. Turgor vitalis. Nutritive Reize: trophische Nerven. Krankhafte Hypertrophie: parenchymatöse Entzündung; trübe Schwellung. Niere, Knorpel, Haut. Hornhaut. Die neuropathologische und die humoralpathologische Doctrin. Parenchymatöse Schwellung. Nutritive Restitution und Nekrobiose. Stadien der parenchymatösen Entzündung. Active Natur dieses Prozesses. — Formative Reizbarkeit. Theilung der Kernkörperchen und Kerne (Nucleation):[580] vielkernige Elemente, Riesenzellen (Knochenmark, Myeloidgeschwulst, lymphatische Neubildungen). Formative Muskelreizung im Vergleich zum Muskelwachsthum. Neubildung der Zellen durch Theilung (fissipare Cellulation): Knorpel, epitheliale und bindegewebige Neubildung. Wucherung (Proliferation). Auswanderung der farblosen Blutkörperchen und aus ihnen hervorgehende Organisation. Die plastischen (histogenetischen) Stoffe; der Bildungstrieb. Negation der extracellulären Neubildung und der Bildungsstoffe. Die Neubildung als Thätigkeit der Zellen. Formative Reize. Die humoralpathologische und neuropathologische Doctrin. — Entzündliche Reizung, Entzündung. Neuroparalytische Entzündung (Vagus, Trigeminus); Lepra anaesthetica. Prädisposition und neurotische Atrophie. Die Entzündung als Collectivvorgang. | |
Siebzehntes Capitel.Passive Vorgänge. Fettige Degeneration | 400 |
Die passiven Vorgänge in ihren beiden Hauptrichtungen zur Degeneration: Nekrobiose (Erweichung und Zerfall) und Induration. — Die fettige Degeneration. Histologische Geschichte des Fettes im Thierkörper: das Fett als Gewebsbestandtheil, als transitorische Infiltration und als nekrobiotischer Stoff. — Das Fettgewebe. Poly-arcie. Fettgeschwülste. Die interstitielle Fettbildung. Fettige Degeneration der Muskeln. — Die Fettinfiltration und Fettretention. Darm: Structur und Function der Zotten. Resorption und Retention des Chylus. Leber: intermediärer Stoffwechsel durch die Gallengänge. Fettleber. — Die Fettmetamorphose. Drüsen: Secretion des Hautschmeers und der Milch (Colostrum). Körnchenzellen und Körnchenkugeln. Entzündungskugeln. Fettmetamorphose des Lungenepithels. Gelbe Hirnerweichung. Corpus luteum des Eierstocks. Arcus senilis der Hornhaut. Morbus Brightii. Optisches Verhalten der fettig metamorphosirten Gewebe. — Muskeln: Fettmetamorphose des Herzfleisches. Fettbildung in den Muskeln bei Verkrümmungen. — Arterie: fettige Usur und Atherom. Fettiger Detritus. | |
Achtzehntes Capitel.Amyloide Degeneration. Verkalkung | 432 |
Die amyloide (speckige oder wächserne) Degeneration. Regionäres Auftreten derselben. Verschiedene Natur der Amyloidsubstanzen: Glykogen (Leber), Corpora amylacea (Hirn, Lungen, Prostata) und eigentliche Amyloid-Entartung. Verlauf der letzteren. Beginn der Erkrankung an den feinen Arterien. Wachsleber. Knorpel. Dyscrasischer (constitutioneller) Charakter der Krankheit: functionelle Störungen. Darm. Niere: die drei Formen der Bright'schen Krankheit (amyloide Degeneration, parenchymatöse und interstitielle Nephritis). Lymphdrüsen: consecutive Anämie. Gang der Erkrankung. Beziehung zu Knochenkrankheiten und Syphilis. Amyloide Erkrankung der Schilddrüse und der Nebennieren. — Verkalkung (Versteinerung, Petrification). Unterschied von Verknöcherung, Verkalkung der Arterien, des Bindegewebes, der Knorpel. Haut- oder Knochenknorpel (osteoides Bindegewebe). Concentrisch geschichtete Kalkkörper (Concretionen). Versteinerung: Lithopädion. Verkalkung todter Theile: Eingeweidewürmer, Ganglienzellen des Gehirns bei Commotion, käsige und thrombotische Massen. | |
Neunzehntes Capitel.Gemischte, activ-passive Prozesse. Entzündung | 458 |
Fettmetamorphose als Entzündungs-Ausgang. Unterschied zwischen primärer (einfacher) und secundärer (entzündlicher) Fettmetamorphose. Nieren, Muskeln. — Atheromatöser Prozess der Arterien. Atheromatie und Ossification als Folgen der Arteriosklerose. Entzündlicher Charakter der letzteren: Endoarteriitis chronica deformans s. nodosa. Bildung der Atheromheerde. Cholestearin-Abscheidung. Ossification. Ulceration. Analogie mit der Endocarditis. — Die Entzündung. Die vier Cardinalsymptome und deren Vorherrschen in den einzelnen Schulen. Die thermische und vasculäre Theorie, die neuropathologische, die Exsudatlehre. Entzündungsreiz. Functio laesa. Die Entzündung in gefässlosen und in gefässhaltigen Theilen. Das Exsudat als Folge der Gewebsthätigkeit: Schleim und Fibrin. Die Entzündung als zusammengesetzter[581] Reizungsvorgang. Parenchymatöse und exsudative (secretorische) Form. Klinische und anatomische Bedeutung der Entzündung. Irrthum von der einheitlichen Natur der Entzündungs-Vorgänge. Multiplicität der entzündlichen Prozesse. | |
Zwanzigstes Capitel.Die normale und pathologische Neubildung. Geschichte des Knochens | 482 |
Die Theorie der continuirlichen Entwickelung im Gegensatze zu der Blastem- und Exsudattheorie. Das Bindegewebe, seine Aequivalente und seine Adnexen als gemeinster Keimstock der Neubildungen. Die Uebereinstimmung der embryonalen und pathologischen Neubildung. Die Bedeutung der farblosen Blutkörperchen. Die Zellentheilung als gewöhnlicher Anfang der Neubildungen. — Endogene Bildung. Physaliden. Bruträume. Furchung. — Wachsthumähnliche und zeugungähnliche Neubildungen. Pflanzliche Analogie. — Verschiedene Richtung der Neubildung. Hyperplasie, directe und indirecte. Heteroplasie. Die pathologischen Bildungszellen; Granulation. Verschiedene Grösse und Bildungsdauer derselben. — Darstellung der Knochenentwickelung als einer Musterbildung. Unterschied von Formation, Transformation und Wachsthum. Das appositionelle und das interstitielle Wachsthum. Die Blastemtheorie. Der frische und wachsende Knochen im Gegensatze zu dem macerirten. Natur des Markes. — Längenwachsthum der Röhrenknochen: Knorpelwucherung. Markbildung als Gewebstransformation: rothes, gelbes und gallertiges, normales, entzündliches und atrophisches Mark. Tela ossea, verkalkter Knorpel, osteoides Gewebe. Rachitis. Ossification des Markes. — Dickenwachsthum der Röhrenknochen. Struktur und Wucherung des Periostes. Weiches Osteom der Kiefer. Callusbildung nach Fractur. Knochenterritorien: Caries, degenerative Ostitis. Knochengranulation. Knocheneiterung. Maturation des Eiters. — Die Granulation als Analogon des Knochenmarkes und als Ausgangspunkt heteroplastischer Entwickelung. | |
Einundzwanzigstes Capitel.Die pathologische, besonders die heterologe Neubildung | 526 |
Theorie der substitutiven Neubildung im Gegensatze zu der exsudativen. Zerstörende Natur der Neubildungen. Homologie und Heterologie (Malignität). Ulceration. Osteomalacie. Knochenmark und Eiter. Proliferation und Luxuriation. — Die Eiterung. Verschiedene Formen derselben: oberflächliche aus Epithel und tiefe aus Bindegewebe, Auswanderung der farblosen Blutkörperchen. Erodirende Eiterung (Haut, Schleimhaut): Eiter- und Schleimkörperchen im Verhältniss zum Epithel. Ulcerirende Eiterung. Lösende Eigenschaften des Eiters. — Zusammenhang der Destruction mit pathologischem Wachsthum und Wucherung. Uebereinstimmung des Anfanges bei Eiter, Krebs, Sarkom u. s. w. Mögliche Lebensdauer der pathologisch neugebildeten Elemente und der pathologischen Neubildungen als ganzer Theile (Geschwülste). — Zusammengesetzte Natur der grösseren Geschwulstknoten und miliarer Charakter der eigentlichen Heerde. Bedingungen des Wachsthums und der Recidive: Contagiosität der Neubildungen, Bedeutung der Elementar-Anastomosen und der Wanderzellen. Die Cellularpathologie im Gegensatze zur Humoral- und Neuropathologie. Allgemeine Infection des Körpers. Parasitismus und Autonomie der Neubildungen. | |
Zweiundzwanzigstes Capitel.Form und Wesen der pathologischen Neubildungen | 547 |
Terminologie und Classification der pathologischen Neubildungen. Die Consistenz als Eintheilungsprincip. Vergleich mit einzelnen Körpertheilen. Histologische Eintheilung. Die scheinbare Hetorologie des Tuberkels, Colloids u. s. f. — Verschiedenheit von Form und Wesen: Colloid, Epitheliom, Papillargeschwulst, Tuberkel. — Die Papillargeschwülste: einfache (Condylome, Papillome) und specifische (Zottenkrebs, Blumenkohlgeschwulst). — Der Tuberkel: Infiltration und Granulation. Tuberkelkörperchen.[582] Der entzündliche Ursprung der Tuberkel. Käsige Pneumonie und Osteomyelitis. Die Granulie. Entstehung der Tuberkel aus Bindegewebe. Das miliare Korn und der solitäre Knoten. Die käsige Metamorphose. — Das Colloid: Myxom. Collonema. Schleim- oder Gallertkrebs. — Die physiologischen Typen der heterologen Neubildungen: lymphoide Natur des Tuberkels, hämatoide des Eiters, epithelioide des Krebses, des Cancroids, der Perlgeschwulst und des Dermoids, bindegewebige des Sarkoms. Heterotopie der Bildung. Der Streit über die Entstehung des Cancroids und Carcinoms. Infectionsfähigkeit, nach dem Saftgehalt der specifischen Beschaffenheit und der Wanderfähigkeit der Elemente. Erregung der Tuberculose durch regressive Stoffe. — Vergleich der pathologischen Neubildung bei Thieren und Pflanzen. Schluss. |
Gedruckt bei Julius Sittenfeld in Berlin.
Anmerkungen zur Transkription
Die Originalschreibweise und kleinere Inkonsistenzen in der Rechtschreibung und Formatierung wurden beibehalten.
Die nachfolgende Tabelle enthält eine Auflistung aller gegenüber dem Originaltext vorgenommenen Korrekturen. |
S. VII: beeinträchtigt? warum → Warum |
S. XIV: 46 → 46. |
S. XV: 86 → 86. |
S. XVI: 113. → 113, I. |
S. XVII: 125 → 125. |
S. 1: Bestimmung der Zelle → Zelle. |
S. 5: Fig. 1. a. → Fig. 1, a. |
S. 11: Fig. 5. d' → Fig. 5, d' |
S. 19: äussere Zwissenmasse → Zwischenmasse |
S. 19: was wer weis → weiss |
S. 22: characteristischen Ausdruk → Ausdruck |
S. 30: regelmässig polygnonale → polygonale |
S. 36: an der Krystalllinse → Krystallinse |
S. 40: daraus eigenthümthümliche → eigenthümliche |
S. 46: Faserknorpel genannt → genannt. |
S. 56: Verhätnissmässig → Verhältnissmässig |
S. 59: Arterien). a, a → a, a |
S. 94: Fig. 4 b, 21. → Fig. 4, b; 21. |
S. 98: entsteht Bindegewebe → Knochengewebe |
S. 104: Fig. 29. → Fig. 29 |
S. 109: Fig. 37. → Fig. 37 |
S. 112: dass die compakte → compacte |
S. 112: Fig. 38 v, v', → Fig. 38, v, v'; |
S. 112: 39 a, v → 39, a, v |
S. 146: Fig. 4 c → Fig. 4, c |
S. 148: Fig. 54 v → Fig. 54, v |
S. 150: Mein Archiv. XXVII. → Mein Archiv XXVII. |
S. 154: so treffen wie → wir |
S. 155: einmal die Wandbebestandtheile → Wandbestandtheile |
S. 156: Einfluss nicht läugnen → leugnen |
S. 177: Klümpchen in Aggegrate → Aggregate |
S. 182: Fig. 61, d. → Fig. 61, d |
S. 183: oder Unähnlickeit → Unähnlichkeit |
S. 184: 67. A → 67. A. |
S. 187: Fig. 67 →> 69 |
S. 192: er in senien → seinen |
S. 192: lässt sich die Möglickeit → Möglichkeit |
S. 198: und des Easerstoffes → Faserstoffes |
S. 201: Archiv. 1847. I. 563. → Archiv 1847. I. 563. |
S. 202: Archiv. 1853. IV. 43 ff. → Archiv 1853. IV. 43 ff. |
S. 204: Archiv. 1847. I. 567. → Archiv 1847. I. 567. |
S. 206: Mein Archiv. 1853. Bd. V. → Mein Archiv 1853. Bd. V. |
S. 209: bei den Lympdrüsen → Lymphdrüsen |
S. 211: (Fig. 71, B, c) → (Fig. 71, B, c). |
S. 218: Archiv. I. 242. → Archiv I. 242. |
S. 222: Archiv. I. 182. → Archiv I. 182. |
S. 227: Fig. 67. → Fig. 67 |
S. 227: Fig. 69. → Fig. 69 |
S. 239: (Fig. 79, B) → (Fig. 79, B) |
S. 239: hineingelangen → hineingelangen. |
S. 240: Fig. 63. a, 79. C → Fig. 63, a; 79, C |
S. 240: Archiv. I. 245, → Archiv I. 245, |
S. 247: Fig. 82. c → Fig. 82, c |
S. 258: Archiv. I. 112. → Archiv I. 112. |
S. 261: Inaug. Diss, Berlin 1869. → Inaug. Diss. Berlin 1869. |
S. 263: Archiv. 1853. V. 85. → Archiv 1853. V. 85. |
S. 264: Fig 85. → Fig. 85. |
S. 264: Melanämie → Melanämie. |
S. 266: Fig. 61 h → Fig. 61, h |
S. 273: grössere Scheide v → l' |
S. 275: Fig. 87 A → Fig. 87, A |
S. 278: Archiv. 1845. VI. 562. → Archiv 1845. VI. 562. |
S. 280: oder contrifugale → centrifugale |
S. 285: Fig. 92. → Fig. 92 |
S. 297: liegen. c, v → v, v |
S. 302: Fig. 97, a, b. → Fig. 97, a, b |
S. 308: Fig. 99. → Fig. 99 |
S. 323: sich noch enie → eine |
S. 353: bloss der Bewewegung → Bewegung |
S. 354: Fig. 61 e–h → Fig. 61, e–h |
S. 358: mit groser → grosser |
S. 367: Berlin 1868. → Berlin 1868.) |
S. 368: Fig. 79 C → Fig. 79, C |
S. 398: der andere degegen → dagegen |
S. 419: Fig. 117. → Fig. 119. |
S. 420: die meisten Fettropfen → Fetttropfen |
S. 427: der Stelle, we → wo |
S. 428: Veränderung eingehen → eingehen. |
S. 435: Fig. 103 c a → Fig. 103, c a |
S. 454: des Skelets → Skeletts |
S. 456: Verkalkung gewönlich → gewöhnlich |
S. 460: Stadium der Brightischen → Bright'schen |
S. 461: der Lösung socher → solcher |
S. 470: so, dass dei → bei |
S. 471: Theile aufteten → auftreten |
S. 484: wiederholt eingangen → eingegangen |
S. 487: permanente Bruststätte → Brutstätte |
S. 490: Achiv VIII. → Archiv VIII. |
S. 493: Archiv VIII → Archiv VIII. |
S. 495: Blastem und Exudat → Exsudat |
S. 497: Veranlassung, wesshalb → weshalb |
S. 501: stellt die Kalbablagerung → Kalkablagerung |
S. 502: in dem Maase → Maasse |
S. 503: Blastem oder Exudat → Exsudat |
S. 508: welche die rachtischen → rachitischen |
S. 508: Fig. 137 m → Fig. 137, m |
S. 519: Fig 142. → Fig. 142. |
S. 522: an der compakten → compacten |
S. 523: in der compakten → compacten |
S. 530: Pig. 144. → Fig. 144. |
S. 536: Fig 145. → Fig. 145. |
S. 543: wachsen anfängt.. → anfängt. |
S. 545: tuberkulösen und sebst → selbst |
S. 555: sind, wslche → welche |
S. 558: Spec. Pathol. u → u. |
S. 569: gezeigt, dass → dass das |
S. 577: Haemorrhagia → Hæmorrhagia |
S. 580: und Induration → Induration. |