The Project Gutenberg eBook of Gesänge gegen den Tod

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Title: Gesänge gegen den Tod

Author: Gottfried Kölwel

Release date: November 24, 2013 [eBook #44271]

Language: German

Credits: Produced by Jens Sadowski

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK GESÄNGE GEGEN DEN TOD ***

Gottfried Kölwel
Gesänge gegen den Tod

1914
Kurt Wolff Verlag · Leipzig

Dies Buch wurde
gedruckt im März 1914
als siebzehnter Band der Bücherei
„Der jüngste Tag“ bei Poeschel & Trepte
in Leipzig

Copyright 1914 by Kurt Wolff Verlag, Leipzig

Es gibt keine Toten!

Maus, Hund und Mond
oder:
Die dreieinige Liebe

Jene blutigangefahrne Maus,

die sich im Staub der Straße weh vertropfte,

als der Tag schwand und der mörderische

Autobus schon in der Ferne klopfte,

pulste auf zur Zeit der Morgenfrische

fern im Orient in einer neuen Maus.

Ein weißer Hund lief durch den kühlen Schatten,

der sich dichter in den Abend wob,

beschnupperte den kalten Leib und fühlte

seine Pflicht, die Toten zu bestatten.

Wie er die Leiche leicht mit Heilandszähnen hob

und sie in seinen Grabesrachen schluckend wühlte!

Der junge Mond verzückte sich, als er

die große Liebe sah, zog seinen Säbel

aus den Wolken, die ihn seligschwer,

wie Hallelujaengel hell umkränzten,

und zerschnitt den blauen Weihnachtsnebel,

daß die Menschen, die es sahen, alle glänzten.

Ewige Stunde

Ich sah an einem himmelblauen Tag

nichts, als die wunderlichen Wolken wehn,

und fühlte meine Erde schaukelnd gehn,

auf der ich, süß vom Licht gekreuzigt, lag.

Die Stunde, die ich lebend so vollbrachte,

war weise wie ein hungeriges Tier;

ich wußte nicht mehr, daß ich selig lachte,

ich lachte, denn ich wußte nichts von ihr.

Als wiegte jemand ohne Aufenthalt

mich ewig fort von Tor zu Toren,

war ich plötzlich tausend Jahre alt

und plötzlich ungeboren.

Ein Lied gegen den Tod

Wenn dir der hinterlistige Tod

an weißen Tagen

mitten auf der Gasse

im eigenen Schatten begegnet und droht,

lauf unter die Sonne und lasse

ihn totschlagen!

Blinkt aber des Nachts aus dem schalen Wein

sein bleiches Gebein,

ist’s wohl am besten, man läuft

ans Faß und schüttet alles hinein,

daß der Tod ersäuft.

Zuweilen

kommt es auch vor,

daß er gleich tausend Nächte lang mit geilen

Brüsten und Schenkeln als falsche Venus erscheint und nicht ruht,

bis du seine Begierden stillst.

Grabe deiner blinden Glut

zeitig einen Löschgraben vor,

wenn du nicht als Götzenopfer verbrennen willst!

Wenn er dir aber einmal in einer müden Stunde

heimtückisch die Wunde

des Sterbens beibringt, dann zeige

auf deine Kinder, auf die sprossenden Zweige

der Bäume oder auf den roten

samenreichen Mohn im Feld,

nimm nochmal deine ganze Stimme hervor

und schrei es dem armseligen Scheusal höhnisch ins Ohr:

Du bist umsonst auf der lebendigen Welt,

es gibt keine Toten!

Begegnung

Auf den winterlichen Höhen, die vom kalten

Silberlicht des Sonntaghimmels rund umflossen

waren, wandelte viel Volk, das aus der großen

Meuchelstadt geflüchtet war, in warmen Falten.

Plötzlich nahte, wie gesandt, ein kleiner Schlitten.

Eine Mutter saß, den weiten Schoß verhüllt,

darauf und lächelte, bis in das Herz erfüllt

von denen, die, den Schlitten ziehend, vor ihr schritten.

Daß der Vater liebend sich in ihr verzehrte,

um in seinem Sohn, der neben ihm auf strammen

Beinen lachte, himmelssüchtig aufzuflammen,

wie sie, als sie dieses dachte, sich verklärte!

O, wie war die Mutter Weg und Mittelpunkt,

weil sich die Ewigkeit in ihrem süßem Schoße

gnädig kreuzte; o welch ungeheuergroße

Liebe aus Geburt und Sterben ewig prunkt!

Und manche aus dem Volke bebten bis ins Haar,

weil sie erschauerten vor dieser Gottesgröße,

die auf einem Schlitten wie in heiliger Blöße

unter kalten Himmeln jäh erschienen war.

Der Flieger

Im Wind ertrank

ein Flieger, der zur Tiefe sank.

Selig schied der schwarze Sarg,

der einen Fetzen Gottesgewand

zur Heimfahrt in sein webendes Land

in sich barg.

Und als die Menschen weinten, lachte

die Erde und schob den Schrein

in den unendlichen Webstuhl hinein

und wirkte, bis sie das große Werk, vielleicht in einem Vogel, vollbrachte.

Ein Erntelied

Ihr wißt, daß alle Körner, die guten und die bösen,

sich aus verdorrten Ähren lösen.

Die einen fallen aus dem Scheffel auf die Tenne

und wandern durch den Höllenleib der Henne,

andre werden in den Mühlen zerrissen

oder brechen unter den Gebissen

hungeriger Pferde,

viele aber, die unbeirrt

des Weges gehen, suchen ihre Gräber in der Erde,

bis die Auferstehung in ihnen wurzelig wird.

Fragt nicht: Warum? Denn eure Frage verendet

schmerzhaft im unendlichen Gewölbe,

wenn ihr nicht glaubt, daß alle Körner dieselbe

Reise gehen, die sich im Leben ewig vollendet.

O Welt, wie bist du wundervoll!

Brand

Die Abendsonne setzte sich

auf einen Inselberg und schwang

die grellen Fackeln feierlich,

daß Glut zu Gluten übersprang.

Es brannten Ströme, Watt und Meer,

in Flammen wehte weit das Land,

die Türme lohten rund umher,

am Wege brannte gelb der Sand.

Und über allem flog der Rauch

der Wolken, rot, grau, schwer und rund,

rauchsäulenwölkig dampften auch

die Bäume aus dem großen Grund.

Ein Wanderer, der des Weges kam,

blieb taumelnd stehn im Flammenland,

vergaß die Finsternis und nahm

sein Herz und warf es in den Brand.

Es zuckte, glühte, flammte toll

und jauchzte aus der grellen Glut:

O Welt, wie bist du wundervoll,

in deinem Feuer kocht mein Blut!

Abenddämmerung

Wie sich der Rauch der späten Kühle

gespenstisch durch mein Fenster drängt,

die Räume, die ich sinken fühle,

zur Hexenstube grau verengt!

Mich zu erdrücken drohn die Wände,

die Ahnenbilder werden bleich

und aus den Bildern greifen Hände,

wie Hände aus dem Totenreich.

Im offnen Schrank, wo Würmlein knarren,

spielt mir das ganze alte Chor

zerlumpter Puppen, bunter Narren

das Todesspiel der Kindheit vor.

Aus dem Kamin die Kohlen gleißen

als rote Zähne, die voll Gier

sind, alles, alles zu zerbeißen,

vom letzten Ding die letzte Zier.

Ich stehe bebend und verworren

und meine Hand sucht irgendwo,

bis sich das Dunkel hat verloren,

erlöst zur Flamme, lichterloh.

Nachtmärchen

O kommt, ihr lieben Heimatgeister,

Nachteule, Spuk und Kieselbach,

herein mit euerm Harfenmeister,

dem dunkeln Wind, in mein Gemach.

Ich möchte euch so gerne hören,

bereit sei euch mein ganzes Haus;

nicht eine Ratte darf euch stören

und Todesstrafe gilt der Maus.

Sogar die Bilder an den Wänden

und alle Kästen sind gespannt,

die Uhr will ihre Rede enden,

die Fliege schweigen an der Wand.

Und wenn ihr etwa argt, es fiele

die Sonne jäh in den Kamin

und schliche vor bis an die Diele,

um eures Märchens Anbeginn

Mit lautem, grellen Glanz zu stören —

Es ist nur eine Fledermaus,

die wollte euch auch gerne hören

und rutschte im Kamine aus.

Unser Haus

Unser Haus hat kühle Wände,

Kohlen, die im Eimer lärmen,

Katzen, die die grauen Bälge

eng am braunen Ofen wärmen,

Äpfel, die aus alten Kästen

atmen und die Luft der Gärten

wecken, Bibelbände, die sich

auftun und lebendig werden,

und den Wind noch vor der Tür,

der für uns Musik bedeutet,

weil von allen braven Schwalben

keine mehr im Hausgang läutet.

Vor dem Frühling

Wenn hungerdünne Vögel sich empören

argwöhnisch gegen Himmel, Mond und Stern,

im dunkeln Wind die Bäume aber röhren,

begnadete Propheten ihres Herrn,

dann ist die große Unruh nicht mehr weit,

die sich aus Sturm und Drang der Erde wühlt,

aufringt und an den Wolken reißt und schreit,

weil sie den Heiland in der Sonne fühlt.

Bahnfahrt durch den Vorfrühling

Ziegelbauten, die wie rote

Schachteln als Fabriken liegen,

leben auf, um wintertote,

ferne Hügel zu erfliegen.

Und die reiserigen, leeren

Birken, die den Besen gleichen,

langen himmelhoch und kehren,

bis die grauen Wolken weichen.

Zwischen hundert Pappelpaaren

fängt ein Kirchturm an zu laufen,

hastend, um den ersten Staren

ein paar Nester abzukaufen.

Vor der Brücke

Vor der Brücke, die den Strom verhöhnte,

neigte sich der Schlot des Dampfers, kroch

der Rauch wie eine Pantherkatze, dehnte

sich, daß jeder, der die Demut roch,

sein Antlitz wandte,

bis der Dampfer wieder sich ermannte,

Bläue raubte, stieg, flog, schwindendhoch.

Frühlingserscheinung

Kühl in bleichen Perlen rann ein Schauern

über meinen Leib, der Waldbach hörte

auf zu rauschen, feste Luft beschwerte

mich, ich stand fast reglos wie in Mauern

eingekalkt, durch die ein Häher sägte.

Und ich sah, wie jeder Fels sich regte

und mit einem Sonnenauge dünnes

Lachen anfing, daß es jeder fühlte

von den nackten Bäumen und ein grünes

Hemd schamhaft um seinen Körper hüllte.

Die Frühlingssonne kommt

Wohin sie tritt,

in allen Wolken

blühen weiße Wunder auf.

In blauen Körben

bringt sie Vögel

von der Reise mit,

und schüttet sie,

die heimatglücklich schauen,

aus in alle Nester,

scheucht das feuchte Dunkel

sorglich

aus den Wäldern

und setzt dem Moose

große, gelbe Augen ein,

daß jedes wachsam leuchte.

Tauwetter

Wenn die Mauerwände tief verzückt

im sonnengelben Wunder stehn, erbeben

jene Flecken, welche rundgestückt

wie feuchter Hauch am glatten Steine kleben.

Dächer, denen letzter Schnee zerfetzt

von nackten, nassen Schultern hängt, verneigen

sich zu wachen Gossen, glanzbenetzt,

und brechen rot das weiße Winterschweigen.

Was sie selig weinen, ist Gesang,

daß viele Menschen, ganz von Melodie

betört, ein Rieseln fühlen, tropfenlang,

aus tiefen Lenden bis ins hohle Knie.

In der Frühe

Wie sich die jungen Felder unermüdlich rühren!

Der Morgennebel qualmt wie Rauch aus hundert Schlöten,

aus grauen Steinen sägt der Wind uralte Flöten,

die helle Arbeitslieder in den Werktag führen.

Allmählich schiebt die Saat sich aus dem grauen Felde

wie grünes Garngespinst aus großen Webmaschinen,

und bis die Sonne schaut, wie die Fabriken spinnen,

liegt schon ein großer grüner Fleck vor ihrem Zelte.

In der Färberstube

Auf alten Tischen häuft sich blaues Tuch,

das aus der Mange rollte, leinenglatt,

und atmet, bis der scharfe Farbgeruch

die Stubenlüfte überwältigt hat.

Durchs aufgemachte Fenster aber stäubt

der Duft der Rosen, die verschwendrisch groß

im nahen Garten blühen, und betäubt

die werkstattfeuchte Luft des Indigos.

Stiller See

Wenn der wolkenlose, blitzendhelle

Tag sich selig schweigsam auf die breiten

Wasser legt und sich nicht eine Welle,

auch nur leise, aufbäumt, dehnt in weiten

Flächen sich der See aus wie erstarrtes,

klares, grünes Glas, daß man erregt

aus tiefen Träumen aufwacht, wenn ein hartes

Ruder Scherben aus dem Spiegel schlägt.

Vor dem Gewitter

Auf den grünen Hängen, die den großen

See umlaufen, beugen tief erschreckt sich alle

Bäume wie zum jähen Sprung und stoßen

Schreie vor dem schweren Wolkenballe

aus, der drohend aus dem Horizonte

fliegt, daß alle Wasser schwarz sich färben

wie die Menschen weiß vor Angst, gewohnte

Ruhe rings verlieren, Verderben

ahnen und mit schäumendweißen Wellen

wie mit Mövenflügeln in die regenreifen

Lüfte schlagen, als wollten sie im schnellen

Drang verstört die Flucht ergreifen.

Mittagsstille

Wenn die Vögel lautlos durch den Mittag gleiten,

schwingenweit, um jenen Glanz, der in den Lüften

bebt, auf ihren Flügeln aufzuhäufen, breiten

sich die Wälder selig aus, in ihren Hüften

hochgefühlevoll, urheilig, ernst wie seltne Frauen

kurz vor der Empfängnis, wenn nur Hauch mehr flüstert,

voll Erwartung, bis die heiligengeistesblanken

Vögel auf sie niederkommen und den blauen

Ätherglanz des Mittags von den lüsternschlanken

Flügeln schütten, daß die Wollust in den Zweigen knistert.

Auf der Waldwiese

Föhren, die im Glanz des Mittags blauten,

drängten an die reife Wiese, hielten

tiefgespannt den Atem an und schauten

auf die Falter, die im Tanze spielten.

Als die Tänzer müde waren, boten

farbenlaute Blumen weiche Sessel

an; die gelben überschrien die roten,

blaue drängten vor die weiße Nessel.

Wolken, die vor Neugier schwollen, tauchten

aus dem Himmelmeer; die Bäume hauchten

plötzlich mächtig auf; Applaus, das dünne

Donnern eines fernen Hochgewitters,

wehte wogend über die Tribüne.

Die Sicheln

Sicheln, die in hungerigen Scheunen

müde schlafen, wachen auf und singen

schaurig, wandern, Mordlust in den Klingen,

aus dem Hof, entlang an hellen Zäunen.

Wo die reifen Ähren über dunkeln

Acker-Furchen furchtsam bebend schwanken,

lachen sie, daß ihre heillos blanken

Augen geisternd durch die Felder funkeln.

Höhenernte

Leiterwagen schneiden blanke Stücke aus dem Horizont,

Garben, wunderselig besonnt,

warten in tanzenden Kränzen.

Gäule, auf denen die schaukelnde Sonne blitzt,

schlagen mit langen Schwänzen,

daß grelles Silber aus den Höhen spritzt.

Die Himmel zittern überall,

Bläue prangt, von Wolken entlaubt,

und alle Menschen wandeln in den Himmeln mit erhobenem Haupt.

Nachtgewitter

An den Wänden meines weiten

Zimmers, das vom Licht der großen

Straßenlampen hell ist, gleiten

Schatten, die aus ruhelosen

Bäumen durch die Fenster schwellen,

lose gaukelnd hin und her,

bis einer von den schauderndgrellen,

ausgedehnten Blitzen, der

von Wolke hin zu Wolke fährt,

mit seinem Glanz die Schattenbilder

totsticht und die Bühne leert,

während an meine Fenster wilder

Hagel schlägt wie Trommelklang

bei einem lauten Leichengang.

Die Turmuhren

Gleichmäßig drängen sich die Zacken

der harten Räder in die Lücken,

um jede Stunde fest zu packen,

zu martern und sie tot zu drücken.

Und werfen die erwürgte Stunde

hinunter auf die harten Gassen,

wie satte Katzen aus dem Schlunde

zerbissne Mäuse fallen lassen.

Dunkle Nacht

Wenn die Nacht wie eine große

Kohle meine Stube ausfüllt, warte

ich wie eine regungslose

Urversteinerung, bis mich der harte

Pendelschlag

der Wanduhr wie ein Bergmannshammer

aus dem schwarzen Jammer

langsam fördert an den hellen Tag.

Ach, alles ist Liebe!

So stand ich vor dem Sterben . . .

Ich ging, als sich der regnerische Tag

verweinte und die Weihnachtsfenster lockten,

auf heilen Straßen, wo die Menschen stockten,

weil jedes Auge auf dem Glanze lag.

Da lief, als ich das Pflaster überquerte,

der Tod mir nach als schwerer Autobus,

bedrohte mich als harter Pferdefuß,

daß sich mein Atem jäh nach innen kehrte.

So stand ich vor dem Sterben, schmerzbeschwert —

der Heiland aber, der in allen bösen

Dingen lebt, umschwebte mich, um zu erlösen:

er hupte, wieherte aus einem Pferd.

Und glitt vorbei, als ich das Trottoir

betrat, und wartete auf keinen Dank.

Ich sah die Straße seligfeucht und blank

und stand noch, als er schon verschwunden war.

Im Trödlerladen

I.

Ergraute Heilige, die steif

sich standen am Altar das Bein,

pilgern, von bunter Welt gelockt,

ins irrsalreiche Leben ein.

Und wagen sich zur Tänzerin

aus pudelnacktem Porzellan,

die lüstern schon bei der Geburt

in Meißen fing zu tanzen an.

II.

Und Josef, flüchtend nach Ägypten,

treibt seinen Esel auch hinein

und hängt ihn lässig dem gerippten,

verstaubten Tod ans morsche Bein,

daß die Maria bleich erschrickt

und auf ihr Kind die Augen senkt,

weil sie, wenn gleich ihm längst entrückt,

noch immer an Herodes denkt.

III.

Mephisto, sonst der Wahrheit scheel,

voll Argwohn, Schelmerei und Tücken,

naht sich dem heiligen Michael,

versöhnlich ihm die Hand zu drücken.

„Hier straft kein Himmel mehr den Zweifel

und keine heiße Hölle quält,

hier eint sich vieles“, meint der Teufel,

„was je sich fluchte in der Welt“.

Der Heiland

Wenn der Abend niederfällt

leise in die lauten Straßen

und die Lichter heimlich quält,

die erstehen und verblassen,

geht der Heiland durch die Stadt.

Mädchen führt er an den Händen

vor die bunten Fenster hin,

daß sie Gold und Seide fänden

für den töricht-jungen Sinn;

denn der Heiland will erlösen.

Männer, die vor Sehnsucht brennen,

führt er weise dann herbei;

sündig wird er keinen nennen,

wer nur ehrlich brünstig sei;

denn der Heiland will erlösen.

Dann in Spielen und Konzerten

weckt er Geigen und Gesänge,

daß ein Rausch die wirren Herden

Leiden stundenlang verdränge;

denn der Heiland will erlösen.

Fällt die späte Nacht den Straßen

in den seeligmüden Schoß,

um sich auszuruhen, blasen

Engel aus dem Sternenschloß:

Heil den Menschen, die erlöst sind!

Die neunte Stunde

Die da stehen hinter übersprochnen

Ladentischen, Mädchen, die vom Duft

der Waren taumeln, warten mit gebrochnen

Arbeitsaugen, bis der Heiland ruft.

Dieser schaut als zitterndweiße Zeit

aus einer Uhr, die langsam sieht,

bis sie aus Güte gegen warmes Leid

die Heilandsmiene immer enger zieht.

Wenn der Pförtner dann die Tore schließt

und runden Angesichts von Männern lacht,

die draußen warten, hört er, wie es fließt

aus seligem Mädchenmund: „Es ist vollbracht!“

Die Liebe spricht.
Ein Spiel des Schmerzes auf der Straße am Krönungstag des Königs.

Die Liebe spricht:

Auf allen Straßen staut sich königliche Pracht.

Horch, wie es jubelt, jauchzt und lacht!

Ich will, was sich bewegt fühlt auf den Straßen,

weg von der Leber reden lassen.

Vielleicht löst sich ein heller Schrei

aus einer dunkeln Kehle frei,

heut, da in königlicher Pracht

ach, alles jubelt nur und lacht.

Das Spiel.

Das Pflaster:

Besinnung ist an solchen Tagen schwer,

wenn alles Leben wirrer rauscht,

ich glaub, es ist ein Menschenalter her,

daß Schmerz sich wieder über Schmerzen bauscht.

Mich martert jeder Pferdehuf, der Tritt

der Menschen, der vertausendfacht

mich trifft, und niemand, niemand leidet mit,

ach, alles jubelt nur und lacht.

Die Gäule:

Uns zwingt ein Hoflakai, uns schlägt der Strang,

Geschirr zwängt unsern Atem ein

und Zügel foltern uns den Weg entlang

vor einem fremden, goldnen Schrein.

Wir liefen lieber wild, statt unsern Schritt

zu opfern für den König, der die Pracht

genießt; wir leiden, niemand leidet mit,

ach, alles jubelt nur und lacht!

Die Tannenzweige:

Wir lebten seliggrün am jungen Baum,

die Säge hatte keinen milden Zahn,

die schauerndkalte Schere keinen Traum,

wir fielen, drängten uns zu Kränzen an.

So sterben wir am wunden Schnitt,

wenn alle Straße lebt; das macht

uns traurig; ach, und niemand trauert mit,

ach, alles jubelt nur und lacht!

Die Fahne:

Mich krümmt der Wind. (Umsonst scheint all mein Tun.)

Er foltert mich von Raum zu Raum,

und meine Sehnsucht, feierlich zu ruhn,

war nur ein falschgefaßter Traum.

Schon oft, weiß ich, daß ich am Galgen litt,

und stets hat sich mein Haß entfacht,

ich leide nur und niemand leidet mit,

ach, alles jubelt nur und lacht!

Der Königswagen:

Ich schnaufte einst als Baum im Frühlingswind,

versteckte mich als Gold im harten Erz,

da formte mich ein gieriges Gesind

zum Wagen um und alle Lust zum Schmerz.

Nach freien Wäldern singt mein runder Schritt,

ich bin ein Sklave königlicher Pracht,

ich leide, niemand, niemand leidet mit,

ach, alles jubelt nur und lacht!

Das Kind:

Wenn ich doch auch ein goldner König wär,

ich trüge Tag und Nacht die Perlenkron,

im goldnen Wagen reiste ich umher

und kaufte Schokolade und Bonbon.

Aber mein Schaukelpferd ist ohne Schritt,

aus dünner Pappe Helm und Geld gemacht;

ach, wenn ich König wär, ich lachte mit,

wenn alles jubelt, jauchzt und lacht!

Die Mutter:

Wie blitzt verhöhnend jedes Bajonett!

Vielleicht durchblutet bald ein Krieg das Land;

ich sehe schon ein großes Schollenbett

und eine abgeschossne Jünglingshand.

Mein Sohn, mich schmerzt dein strenger Schritt,

der wehen Takt mit hundert andern macht;

ich bin so traurig, niemand trauert mit,

ach, alles jubelt nur und lacht!

Der Vater:

Ich schaffte Münzen ein mit heißem Fleiß

und baute mir ein Nest am eignen Herd,

nicht eine Tagesstunde stockt der Schweiß,

es härtet sich die Hand die uns ernährt.

Ich fühl, wie jeder Steuerpfennig drückt,

der König aber fährt in goldner Pracht;

all meine Lebensfreude ist zerstückt,

ach, alles jubelt nur und lacht!

Der König:

Ich nicke, weil ich dankend nicken muß,

ich fahre als ein Sklave durch den Tag

und meine Fahrt gleißt andern zum Genuß,

Gott weiß, wo die Pistole lauern mag.

Vielleicht ein Schuß im nächsten Augenblick —

im Blut ertrinkt die lügnerische Pracht:

Ich bin das einzig traurige Geschick,

wenn alles jubelt, jauchzt und lacht!

Die Liebe spricht:

Habt, ihr am schwangern Jubeltag gehört,

wie jedes Herz sich aus dem Trug empört?

Daß jedes glaubt, es sei im Schmerz allein,

erlöst zu seinem eignen Seligsein,

weil jedes trachtet und nach innen ringt

daß auch in ihm die Lust der andern singt.

Im Schmerz lebt unerschöpfter seliger Sinn,

weil ich mit ihm in allen Dingen bin.