The Project Gutenberg eBook of Ein Parcerie-Vertrag

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Title: Ein Parcerie-Vertrag

Author: Friedrich Gerstäcker

Release date: October 5, 2013 [eBook #43892]
Most recently updated: October 23, 2024

Language: German

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*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK EIN PARCERIE-VERTRAG ***

Ein Parcerie-Vertrag.


Erzählung

zur Warnung und Belehrung für Auswanderer und ihre Freunde.


Volksbuch
von
Friedrich Gerstäcker.



Leipzig,
Verlag von Ernst Keil.
1869.

Inhalt

    Seite
  Vorwort III
1. Beim Schulmeister 1
2. Verschiedene Auskunft 17
3. Herrn Kollboeker's Comptoir 29
4. Die Abreise 42
5. Auf See und an Land 52
6. In Brasilien 64
7. Die Reise in's Innere 78
8. Der deutsche Consul 89
9. Die Folgen des Contracts 105
10. Der neue Besuch 117
11. Gerettet 133
12. In der Colonie Blumenau 141

[III]

Vorwort.

Ich habe versucht dem Leser in der nachstehenden Erzählung eine, wenn auch peinliche, doch treue Schilderung einer Familie zu geben, die sich verleiten ließ auf einen sogenannten Parcerie-[1]Vertrag hin ihr Vaterland zu [IV] verlassen und ihr Glück in einem fernen Welttheil zu suchen.

Das Land ist Brasilien, denn gerade mit den Pflanzern des heißen und nördlichen Theils von Brasilien sind solche Verträge abgeschlossen worden, weil sich die freiwillige Auswanderung nicht jenen, für den Europäer ungesunden Distrikten zuwandte. Der Hauptstrom der süd-amerikanischen Auswanderung ging nach dem Süden von Brasilien, wohin die Regierung selber deutsche Auswanderer wünschte und sie in vielen Stücken begünstigte. Dort befanden sich die Colonisten wohl und schrieben nach Deutschland zurück, wie gut es ihnen ging.

Diese Briefe wurden häufig von gewissenlosen Agenten benutzt um arme unwissende Menschen in Deutschland, die keine Mittel besaßen ihre Passage zu bezahlen, zu täuschen, denn man versprach ihnen ja sie nach Brasilien zu schaffen und von der ungeheueren Größe des Landes, und den verschiedenen Klimaten und Bodenverhältnissen hatten die Unglücklichen, mit ihren mangelhaften geographischen Kenntnissen keine Ahnung.

Sie sahen dann zu spät ein daß sie betrogen waren, aber eben so wie sie sich außer dem Schutz der deutschen Regierungen befanden – denn unser Consulats-Wesen lag entsetzlich im Argen und liegt noch darin, wenn nicht die Norddeutsche Bundesregierung eine gründliche Änderung desselben vornimmt – ebenso konnte auch die brasilianische Regierung nur in solchen Fällen einschreiten, wo ihr Beweise gebracht wurden, daß die Pflanzer ihre Arbeiter wirklich betrogen. Wie schwer das aber in einem so ungeheueren Reiche und in den abgelegenen Provinzen war, läßt sich denken.

Vor diesen und vielen ähnlichen Contracten möchte ich nun den Auswanderer nicht allein warnen, sondern auch ihm sowohl, wie Allen solchen die sich für fortziehende [V] Familien interessiren oder von ihnen um Rath gefragt werden, ein deutliches Bild vor Augen rücken, wie es, leider in den meisten Fällen, mit derartigen Verträgen steht.

Ich gebe zu daß manche derselben ehrlich gemeint sind und ehrlich gehalten wurden, und dadurch dem unbemittelten Auswanderer Vortheile boten, die er auf eine andere Art nur schwer erreicht hätte. Aber nirgends ist ihm dafür eine Gewähr gegeben. Von dem Augenblick an wo er das fremde Land betritt, ja läßt er sich besonders mit englischen und vorzüglich belgischen Agenten ein, von der Stunde an wo er die heimische Grenze überschreitet, bleibt er der Willkür fremder Menschen preisgegeben, und zwar ohne Hülfe, ohne Schutz.

Wer einmal auswandern will mag es thun, aber er soll sich vorher, um seiner selbst und seiner Familie willen, nicht durch ein Blatt Papier Hände und Füße binden lassen. Ein freier Mann findet überall in der Fremde sein Brod, ein durch einen Contract gebundener ist dagegen der Sclave seines Herrn und wer ihm hier in Deutschland vorredet, die Sache wäre gar nicht so schlimm – sein ärgster Feind.

In solchen Fällen aber, wo ein armer deutscher Familienvater gar keine Mittel in Händen hat, um ein fremdes Land zu erreichen und er doch sein Elend hier vor Augen sieht, ohne im Stand zu sein sich herauszuarbeiten, wo es ihm also wie eine Hülfe in der Noth erscheint wenn er in ein fremdes Land auf fremde Kosten übersiedeln kann, da gehe er nicht etwa unter jeder Bedingung, denn er hat sich die für ihn und die Seinen nachher vielleicht furchtbaren Folgen sonst selber zuzuschreiben, sondern beobachte die folgenden Regeln.

Vor allen Dingen verlasse er sich nie und unter [VI] keinen Umständen allein auf das Wort eines Auswanderungs-Agenten.

Alle diese Leute die eine Auswanderungs-Agentur errichten, sind mit nur sehr wenigen Ausnahmen, heruntergekommene Kaufleute oder sonst Menschen die ein solches Geschäft als letzten Erwerbszweig ergriffen haben, und fast ohne Ausnahme nicht das Geringste von fremden Welttheilen wissen oder verstehen.

Sie bleiben dabei einzig und allein auf den Gewinn des Kopfgeldes angewiesen, das sie für Alle solche bekommen, die durch sie befördert werden. Wohin! bleibt sich bei ihnen gleich, wenn sie ihre »Köpfe« nur auf ein Schiff liefern, und was nachher aus den Unglücklichen wird, kümmert sie wenig oder gar nicht.

Alle solche Contracte dabei, die auf Hälfte des Gewinns oder auch auf einen Antheil lauten, sind fast ohne Ausnahme betrügerischer Art, wenigstens ist der Auswanderer, der die fremde Sprache nicht versteht und dem keine Einsicht in die Bücher seines Herrn zusteht (die ihm unter solchen Umständen auch Nichts nützen würde) jedesmal demselben auf Gnade und Ungnade übergeben, und wenn er wirklich auch einmal nicht betrogen werden sollte, hält er sich doch sicher selber davon überzeugt.

Theilcontracte sind für ihn annehmbar, wenn sie auf umgekehrten Grundsätzen beruhen, wie sie besonders in Süd-Australien von englischen Grundeigenthümern zu ihrem eigenen, aber auch dem Nutzen der deutschen Einwanderer, abgeschlossen wurden.

Nach diesen übernahm der Auswanderer eine Strecke Land, bekam von dem Eigenthümer das nöthige Ackergeräth geliefert, und zahlte jährlich für den Acker 4 £ also etwa 27 Thlr. Pacht, wobei er jedoch nach 14 Jahren das Vorkaufsrecht auf das Land hatte.

[VII] Bei einem solchen Contract, obgleich in Amerika und auch in Süd-Brasilien viel günstigere Bedingungen für den Einwanderer zu erlangen sind, standen sich doch beide Parteien gut und der deutsche Arbeiter blieb nicht allein sein eigener Herr, sondern sah auch selber wie er langsam vorwärts rückte.

Es giebt aber auch Fälle hier, wo der arme Tagelöhner wirklich im alten Vaterland im größten Elend lebt, und nur Gott dankt wenn er freie Passage nach einem fremden Welttheil erhalten kann. Er ist also dann gezwungen Verbindlichkeiten einzugehn, die aber nie einen solchen Grad erreichen müssen, daß er sich, wie bei diesen schurkischen Parcerie-Verträgen, fast bedingungslos einem Agenten und dessen Helfershelfern verkauft.

Nur zwei Bedingungen kann er annehmen; er läuft wenigstens keine unmittelbare Gefahr dabei, und wenn ihn auch beide zur Arbeit zwingen, bleibt er doch dabei sein eigener Herr, oder wird es wieder sobald er die für ihn wirklich ausgelegten Kosten bezahlt hat. Beide Arten habe ich selber in Australien, in Brasilien und in Peru ausgeführt gesehn, und bei beiden befanden sich die Einwanderer wohl.

Die eine ist, daß ihm ein bestimmter, den Preisen des Landes in das er zieht angemessener Tagelohn bestimmt wird, für den er so lange arbeiten muß, bis er seine Reisekosten bezahlt hat – und nicht eine Stunde länger. Dann ist er wieder sein eigener Herr, hat das Land in der Zeit kennen lernen, und kann nun seinen Contract mit dem bisherigen Brotherrn machen, um sich auch ein Stück Land als Eigenthum zu erwerben. Solche Contracte sind viele nach Moreton-Bai in Australien und besonders nach Süd-Brasilien abgeschlossen worden.

Die andere daß er das ihm überwiesene Land, wohin man ihn bringt entweder nach Jahr und Tag, wie es [VIII] seine Erndten erlauben, langsam abbezahlt, oder es auch ganz vom Staat geschenkt bekommt, denn eine Regierung (und mit Privatleuten soll man sich unter keiner Bedingung einlassen; es ist wenigstens stets gefährlich) läßt ja doch nur dann Einwanderer passagefrei in ihr Land schaffen, wenn ihr daran gelegen ist dasselbe cultivirt zu bekommen. Das kleine Stück das sie ihm dann anfangs als Geschenk giebt, hat noch keinen Werth für sie – aber die Nachbardistrikte werden werthvoll sobald sich fleißige Colonisten in der Nähe niederlassen, denn nicht sie allein brauchen später mehr Land und müssen es von der Regierung kaufen, sondern sie ziehen auch Landsleute und andere Ansiedler dorthin und eröffnen damit in bis dahin unbewohnten Distrikten Handel und Verkehr.

Aber selbst unter den anscheinend günstigen Umständen bleibt für den Auswanderer große Vorsicht nöthig, ehe er einen so wichtigen Schritt thut und sein Vaterland, mit Allem was er eigen nennt, verläßt.

Er soll sich auch um Gottes Willen nicht zu rasch dazu entschließen und besonders nie vorher einem Agenten sein Gepäck übergeben bis er nicht vollkommen mit sich im Reinen ist, Leute die etwas davon verstehn und kein eigenes Interesse dabei haben, zu Rath gezogen und einen Contract in Händen hat, der nicht allein ihn bindet, wie ein solcher Parcerie-Wisch, der weiter Nichts erklärt als daß sich der Auswanderer an den Agenten verkauft und zur Beglaubigung selber seinen Namen darunter gesetzt hat – nein, der auch dem für den er arbeiten soll, Pflichten auferlegt, welche ihm selber den Lohn seiner Arbeit sichern. Er bekommt und will ja Nichts geschenkt; für das was er erhält leistet er wieder, und wie beide Theile einen Nutzen dabei erhoffen, müssen sich auch Beide gleichberechtigt gegenüberstehn.

Außerdem muß er sich über die geographischen Verhältnisse [IX] sowohl wie über die politischen des Landes, nach dem er befördert werden soll genau bei Leuten erkundigen die ihm auch wirklich Auskunft darüber geben können, denn gerade in neuster Zeit haben wir ein Beispiel wie dringend nöthig das ist. Dorfschulmeister sind aber nicht die passenden Menschen dazu, denn sie werden so erbärmlich besoldet, daß sie kaum das Nothwendigste für ihren Lebensunterhalt erschwingen, vielweniger denn größere und besonders fremde Zeitungen halten können. Die Agenten dagegen, wenn sie wirklich etwas wissen, verheimlichen das dem Auswanderer Bedenkliche, um ihn ja nicht von der Reise abzuhalten.

Der Fall worauf ich Bezug nehme, ist der folgende:

Die Chilenische Regierung (eine der besten und zuverlässigsten in ganz Südamerika, wie sie sich wenigstens bis jetzt bewährt hatte) hat einen Contract mit einem Hamburger Schiffsrheder gemacht, ihr im ersten Jahr hundert, im zweiten zwei, im dritten dreihundert und sofort bis zum vierten Jahr, Familien hinüber nach Chile zu schaffen, für welche sie, für die Erwachsenen für den Kopf 40 Dollar Passage zahlt. Sie will den Ansiedlern dort gutes Land geben, verlangt auch Nichts für ihre Auslagen zurück, sondern wünscht allein ihr Land besiedelt zu bekommen.

Das klingt ausgezeichnet. Chile hat ein vortreffliches Klima, Tausende unserer deutschen Landsleute leben dort glücklich und in guten Verhältnissen, und die Regierung gilt überall als Vertrauen erweckend. Ich selber würde auch meinen Landsleuten mit Freuden gerathen haben, so günstige Anerbietungen zu benutzen. Aber sie sind eben zu günstig, und die Sache hat einen Haken.

In dem Contract steht nämlich daß die Auswanderer nach Arauco geschickt und in Lota ausgeschifft werden sollen – Was sind das nun für Orte?  –

Araukanien selber ist bekannter. Der Distrikt liegt [X] von Chilenischen Regierungsbezirken im Süden und Norden begrenzt, und war bis jetzt – und ist eigentlich noch bis auf den heutigen Tag, freies Indianisches Land, in dem die Weißen keine Macht haben, weil sie die Araukaner noch nicht unterwerfen konnten.

Arauko ist ein kleiner Ort im Nordwesten des Staates – Lota, nicht sehr weit davon entfernt, an der Küste des stillen Meeres eine Chilenische Kohlenstation, und bis jetzt der einzige Platz in Araukanien, auf dem die Chilenen festen Fuß gefaßt.

Neuerdings sind sie nun wieder mit gewaffneter Macht in Araukanien eingefallen, haben die Araukaner – wilde kriegerische Indianer, zurückgeworfen und sehen voraus daß sie das eroberte Terrain nicht selber besetzt halten können. Dazu paßt ihnen aber eine deutsche Einwanderung, die sie sich unter diesen Umständen auch gern etwas kosten lassen wollen. Unsere deutschen Familien sollen da hineingeschoben werden, und wenn die Indianer bei ihnen einbrechen, ihre jungen Leute erschlagen, ihre Weiber und Töchter mit fortschleppen – nun so läßt man eben wieder Andere nachkommen.

Dem Contract selber sieht man das freilich nicht an, denn er lautet unverfänglich genug. Wer aber die Verhältnisse jenes Landes kennt, muß auch dem Auswanderer abrathen selbst diese scheinbaren Vortheile anzunehmen, weil sie nur eben scheinbar sind. Im günstigsten Fall ist er jeden Augenblick der Gefahr ausgesetzt daß die Indianer über sein Land brechen, ihm sein Vieh wegtreiben und seine Erndten zerstören und er darf dort weder für sein Eigenthum wie selbst für sein Leben Sicherheit erwarten.

Jeder Contract ist deshalb für den Auswanderer gefährlich, wenn er sich nicht vorher nach Allem erkundigt hat was das Land betrifft, und zwar bei Leuten, wie gesagt, [XI] die nicht wie der Auswanderungsagent ein specielles Interesse haben ihn nur auf ein Schiff zu packen, damit sie für seinen Kopf ihr bestimmtes Geld bekommen.

Außerdem warn' ich aber meine deutschen Landsleute noch ganz besonders vor dem Antwerpener Auswanderungs-Agenten, mit denen sie sich unter keiner Bedingung einlassen dürfen, wenn sie sich nicht der größten Gefahr aussetzen wollen.

Sind sie entschlossen auszuwandern, so bietet ihnen Bremen vor allen anderen Städten reelle Schiffsgelegenheit nach allen Welttheilen und neben Bremen Hamburg. Dort sind die Auswanderer noch auf deutschem Boden, unter deutschem Schutz und deutschen Regierungen ist es möglich ihre Einschiffung wie Beförderung zu überwachen, wie Betrügereien – die sie aber da wohl kaum zu fürchten haben – entgegenzutreten; in einem fremden Land dagegen, dessen Sprache sie nicht einmal verstehn – und sie sollen nicht etwa glauben daß in Antwerpen deutsch gesprochen wird – sind sie in den Händen der Agenten, und haben sich, was sie betrifft, selber zuzuschreiben.

Zum Schluß will ich aber noch hinzusetzen daß diese Erzählung nicht etwa den Zweck hat Auswanderer von einer Übersiedlung nach Brasilien selber abzuhalten. Nur in die nördlichen Distrikte dürfen sie nicht gehen, besonders nicht auf solche Theilcontracte hin. Süd-Brasilien dagegen, und vorzüglich die Provinzen Rio Grande do Sul, Santa Catharina und zum großen Theil auch Parana eignen sich ganz vortrefflich zur deutschen Auswanderung. Die dort angelegten, schon sehr bedeutenden deutschen Colonien befinden sich wohl, und die Deutschen selber ordnen sich dort keineswegs der verdorbenen Portugiesischen Raçe unter, sondern haben schon ein Übergewicht erlangt, das mit einer vermehrten Einwanderung dahin auch nur zunehmen muß.

[XII] Außerdem befinden sie sich in einem gesunden Klima und – für ihre weitere Entwicklung besonders günstig – am Atlantischen Ocean, der ihnen einen leichten und raschen Verkehr mit dem Mutterlande bietet. Und somit übergebe ich dem Leser diese Blätter und hoffe daß sie ihn in Manchem aufklären, ihn auf Manches aufmerksam machen werden, was später entweder ihm selber, oder Leuten die sich bei ihm einen Rath erholen, von Nutzen sein mag.

Der Verfasser.

[S. 1]

Erstes Capitel.
Beim Schulmeister.

Draußen im Land ackerten die Knechte und waren die Tagelöhner emsig beschäftigt Kartoffeln zu legen, denn der Frühling hatte dieses Jahr lang auf sich warten lassen und eine hohe Schneedecke die Feldarbeiten bis zu einer ungewöhnlich späten Zeit hinausgeschoben. Jetzt endlich schien der kalte, strenge Nordost-Wind, der Monate lang geweht, seine Herrschaft verloren zu haben. Er sprang nach Südwesten um, warme Regen setzten ein, und wie mit einem Zauberschlag warf die Natur ihre starre Winterdecke ab, und kleidete sich in ein junges, frisches Grün.

Und wie die Lerchen jubelten, und die Bachstelzen, die bis jetzt achselzuckend an dem gefrornen Bach umhergetrippelt waren, auf einmal so geschäftig herüber und hinüber sprangen; was sich die Rothschwänzchen Alles zu erzählen hatten, und wie eilig die Staare ihre alten Bauplätze aufsuchten und herrichteten. – Aber die Menschen nicht minder, denn es galt sehr viel nachzuholen, und die Arbeit häufte sich so in der Zeit, daß Arbeitskräfte kaum genügend zu beschaffen waren.

Um so mehr mußte es auffallen, daß gerade heute Einer der fleißigsten und ordentlichsten Arbeiter, Behrens mit Namen, in seinem Sonntagsrock, den großen ausgeschnittenen [S. 2] Hut auf, langsam durch das Dorf ging, und gar nicht die Absicht zu haben schien, in die allgemeine Thätigkeit irgend wie mit einzugreifen.

Die Chaussee herunter, vom Feld herein, kam im Trab auf seinem alten Apfelschimmel der Rittergutspachter geritten. Er hatte draußen nach den Arbeitern gesehen, und war eben nur zurückgekommen, um noch auf dem Hofe selber einige nöthige Anordnungen zu treffen. Als er aber einen seiner Tagelöhner – oder sogenannte Häusler, weil sie kleine, dem Gut gehörige Häuser bewohnen, – in einem so ungewohnten Aufzug und müßig sah, zügelte er überrascht sein Pferd ein und rief ihn an.

»Hallo Behrens! – wo wollt Ihr denn hin? Ich glaubte, Ihr wäret krank, weil ich Euch nicht draußen bei den Knechten fand. Was soll denn das heißen? Warum seid Ihr nicht bei der Arbeit?«

»Ich werde hier wohl nicht mehr arbeiten, Herr Frommann,« sagte der Tagelöhner, indem er achtungsvoll den Hut zog und neben dem Reiter stehen blieb.

»Nicht mehr arbeiten?« rief der Pachter erstaunt. »Habt Ihr eine Erbschaft gemacht, Behrens, und seid Ihr ein reicher Mann geworden, daß Ihr ohne Arbeit leben könnt?«

»Ohne Arbeit möcht' ich gar nicht leben, Herr Frommann,« sagte der Mann freundlich, »wenn ich auch wirklich so viel Geld hätte, daß ich alle Tage Braten essen könnte, aber – da wir nicht einmal alle Tage satt Kartoffeln haben, so muß ich doch sehen wie ich das ändern kann, denn der Jammer daheim frißt mir das Herz ab.«

»Eure Frau ist noch krank?«

»Krank nicht mehr, Herr Frommann, Gott sei Dank, aber doch noch so schwach, daß sie auf Wochen, ja vielleicht auf Monate lang, nicht daran denken darf schwere Arbeit zu thun. Das Kleinste macht ihr ohnedies genug zu schaffen.«

»Und da versäumt Ihr auch noch Euren Tagelohn?«

[S. 3] Der Mann schwieg einen Augenblick. Er hatte augenscheinlich etwas auf den Lippen, was ihm schwer wurde auszusprechen, – endlich sagte er mit leiser Stimme: »Ich will nach Amerika, Herr Frommann.«

»Nach Amerika?« rief dieser erstaunt, »seid Ihr toll?«

»Nach Brasilien.«

»Nach Brasilien? Und mit Eurer ganzen Familie? Wo wollt Ihr das viele Geld dazu hernehmen?«

»Da haben Sie Recht, Herr Frommann,« nickte traurig der Mann, »wenn ich die Reise bezahlen müßte, käm' ich nicht einmal mit den Meinen in die nächste Seestadt, viel weniger über das weite Meer hinüber, – aber vorige Woche war ein Herr aus der Stadt hier, der uns versprochen hat daß wir frei hinübergeschafft werden sollen, und es nachher dort drüben abverdienen können. Da will ich es denn in Gottes Namen einmal versuchen – und auf der Reise erholt sich auch vielleicht meine Frau wieder, denn sie hat hier zu viel schaffen müssen und ist dadurch nur immer mehr herunter gekommen.«

Der Pachter schüttelte mit dem Kopf und während sein Pferd langsam auf der Straße hinging, schritt der Mann neben ihm her.

»Behrens, Behrens,« sagte er endlich, »ich fürchte, Ihr steht da im Begriff, einen recht raschen und unüberlegten Schritt zu thun, denn hier zu Lande hört man nicht viel Gutes über solche Verträge, und wenn Ihr da drüben zwischen die Fremden kommt, deren Sprache Ihr nicht einmal kennt, so seid Ihr so gut wie verrathen und verkauft, und müßt Alles mit Euch geschehen lassen.«

»Wir haben aber einen Contract, Herr Frommann,« sagte der Arbeiter, indem er in die Tasche griff und ein Papier herausholte, »da steht Alles darauf und ich brauche ihn nur zu unterschreiben, und dann sollen wir uns um gar nichts mehr bekümmern, sondern werden frei hinüber in das Land [S. 4] geschafft, wo so herrlicher Boden ist, daß die kostbarsten Früchte draußen frei im Walde wachsen. Auch haben wir dort immer Sommer und so viel Holz, daß man sich holen kann was man mag, ohne einen rothen Heller dafür zu bezahlen. Mein Bruder ist ja auch seit langer Zeit dort hinübergegangen und hat mir schon vor zwei Jahren geschrieben ich sollte nur hinüber kommen, denn es ginge ihnen sehr gut, und er wollte mich dort schon einrichten. Ja, aber du lieber Gott, von unserem Tagelohn hier hätt' ich ja im ganzen Leben nicht das Reisegeld erschwingen können.«

»Und wo ist Euer Bruder?«

»In der Colonie Blumenau.«

»Und dorthin wollt Ihr auch?«

»Ja das weiß ich noch nicht,« erwiderte der Mann, »ich denke ja, denn so weit werden die Plätze doch nicht von einander sein.«

»Zeigt einmal das Papier, Behrens,« sagte der Pachter und streckte die Hand darnach aus.

Behrens reichte ihm den »Contract« aufs Pferd hinauf und der Pachter las ihn langsam durch. Dabei schüttelte er aber den Kopf und sagte endlich: »Ja, Behrens, das ist eigentlich gar kein Contract, denn ein solcher bindet beide Theile zu verschiedenen Verpflichtungen; hier aber sehe ich nichts darin, als wozu Ihr Euch, für Euch und Eure Familie verpflichten sollt. Es steht auch weiter nichts drüber, als: Verpflichtung, und wenn Ihr es dabei mit einem ehrlichen Mann zu thun bekommt, so mag die Sache vielleicht gehen; fallt Ihr aber gewissenlosen Menschen in die Hände, dann seid Ihr auch eben in ihre Hände gegeben, und sie können mit Euch machen, was sie wollen.«

»Aber das soll ein ehrlicher Mann sein, Herr Frommann.«

»Wer hat Euch das gesagt?«

»Der Herr aus der Stadt.«

[S. 5] »Ein Auswanderungs-Agent wahrscheinlich,« nickte der Pachter, »der so und so viel Kopfgeld für Jeden bekommt, den er hinüber schafft. Wollt Ihr nicht erst einmal Jemanden fragen, der mit den Verhältnissen genau bekannt ist, und kein eigenes Interesse dabei hat?«

»Ich wollte eben zum Schulmeister gehen, Herr Frommann; der muß es wissen, denn er hat erst noch in voriger Woche den Kindern von Brasilien erzählt und was es für ein herrliches Land wäre.«

»Ob der Euch gerade in einer so wichtigen Sache einen Rath geben kann, Behrens, weiß ich nicht, und bezweifle es fast, denn was er darüber sagen könnte, liest er doch nur aus seinen Büchern. In der Stadt findet Ihr vielleicht Andere, die mehr Erfahrung darüber haben, – aber ich muß fort, denn sie brauchen draußen noch Saatkartoffeln. Das Auswandern kann Euch natürlich kein Mensch verbieten, wenn Ihr einmal fest dazu entschlossen seid, aber leid sollte es mir um Euch thun, Behrens, wenn Ihr in schlechte Hände kämt. Brasilien mag ein schönes Land sein, aber Ihr wißt nicht was Ihr dort findet. Bleibe im Lande und nähre Dich redlich! ist ein altes, braves Sprüchwort.«

»Ja, Herr Frommann, das ist wohl wahr,« nickte Behrens, »wir wissen nicht was wir in Brasilien finden, aber wir wissen leider was wir hier haben: Jammer und Elend und schwere Arbeit, die nicht einmal so viel abwirft, um uns bei Kräften zu erhalten.«

»Aber Euer Lohn ist erst kürzlich auf acht Groschen erhöht worden.«

»Ja,« seufzte der Mann, »und für einen ledigen Burschen mag es ausreichen, wo aber Einer für Fünf verdienen soll, denn das Hannchen kommt jetzt gar nicht von der kranken Mutter weg, was sind da acht Groschen; sie reichen nicht einmal für's liebe Brod in den Wochentagen, und am [S. 6] Sonntag, wo wir nichts verdienen dürfen, wollen wir doch auch leben.«

»Aber es giebt doch immer hie und da zu thun.«

»Als ich neulich am Sonntag im Wirthsfeld grub,« sagte der Mann, »hat mich der Herr Pfarrer angezeigt, und ich mußte fünf Groschen Strafe bezahlen. Wir haben dafür den ganzen Montag gehungert.«

Der Pachter seufzte, aber er erwiderte nichts darauf.

»Na, Behrens,« sagte er nach einer Weile, »thut keinen unüberlegten Schritt. – Es sollte mir leid thun, Euch hier zu verlieren, denn Ihr seid ein braver, ordentlicher Arbeiter gewesen, die ganze Zeit, ich möchte Euch aber auch nicht abrathen, wenn ich wüßte daß es zu Eurem Glück wäre, und Ihr Eure Lage dadurch wirklich verbessertet. Das Papier da sichert Euch aber gar nichts, und ehe Ihr das unterschreibt, besinnt Euch lieber noch einmal,« und seinem Pferd die Sporen gebend, trabte er rasch in den Hof hinein, um dort die für die Feldarbeiten nöthigen Anordnungen zu treffen.

Behrens aber faltete langsam das Papier zusammen, steckte es in die Tasche und schritt ruhig dem Hause des Schulmeisters zu, der heute Nachmittag, wo er keine Schule hatte, das warme Frühlingswetter ebenfalls benutzte, und in seinem, freilich sehr kleinen Gärtchen hackte und schaufelte.

Auch der Schulmeister war überrascht, den Tagelöhner Behrens in seinem »Geh zur Kirche« Rock am Werktage bei sich zu sehen, und hörte erstaunt mit arbeiten auf. Behrens ließ ihn aber nicht lange über die Absicht seines Besuchs im Zweifel, und der kleine Mann, mager, wie eigentlich nur ein Schulmeister sein kann (und mit der vollen Berechtigung dazu, denn sein Gehalt stellte ihn nicht viel über den Tagelöhner, und dabei hatte er eine Frau und sechs Kinder zu ernähren, und außerdem noch sechszig zu unterrichten) wischte sich plötzlich die Hände an den fettglänzenden, alten schwarzen [S. 7] Hosen ab, ehe er das ihm dargereichte Papier nahm, und sagte nun, völlig aufgelöst in Bewunderung:

»Nach Brasilien? – ja, freilich, Behrens, wenn Ihr dahin kommen könntet. – Du lieber Gott, da möchte ich gleich selber mit. Aber wie wollt Ihr das möglich machen?«

»Das steht Alles in dem Papier da, Schulmeister,« sagte der Mann, »und ich wollte Sie nur einmal bitten es durchzulesen und mir Ihre Meinung darüber zu sagen.«

»Hm,« nickte der kleine Mann, indem er einen flüchtigen Blick über das Blatt warf, »ich habe aber meine Brille drinnen. Kommt mit hinein, Behrens, meine Alte hat mich doch eben zum Kaffee gerufen, und der Rücken thut mir auch von dem vielen Schaufeln weh, – kommt nur mit hinein.«

»Ach, wenn Sie jetzt Kaffee trinken wollen,« sagte der Mann zurückhaltend, »so komme ich lieber später wieder; stören wollte ich ja nicht.«

»Ach, was,« nickte der Schulmeister, denn der Tagelöhner hatte durch das eine Wort »Brasilien« einen ganz neuen Nimbus bekommen, »Ihr trinkt eine Tasse mit, – so viel wird schon da sein, und wenn Ihr erst in Brasilien seid, schickt Ihr mir einmal gelegentlich einen Sack Kaffee herüber, – da kommt er ja her, Behrens, und dort giebts ganze Wälder von lauter Kaffeebäumen.«

»Wenn Sie's erlauben,« sagte der Mann, indem er etwas verlegen den Hut zwischen den Händen drehte, denn es war das eine Ehre, die ihm widerfuhr, und er nicht gewöhnt, von irgend einem Menschen eingeladen zu werden.

Schulmeister Peters, nachdem er sich vorher erst ein paar Mal gestreckt und gedehnt und dabei ein sehr schmerzhaftes Gesicht geschnitten, weil ihm der Rücken noch vom langen Krummstehen weh that, konnte endlich wieder aufrecht gehen, und das Papier noch immer in der Hand haltend, schritt er seinem Gast voraus in das kleine Häuschen, wo ihn seine Frau schon mit der dampfenden Kanne erwartete. Als sie [S. 8] freilich den Tagelöhner Behrens mit ihrem Manne eintreten sah, wollte sie die Kanne wieder zurück auf den Ofen stellen, weil sie glaubte der Arbeiter hätte etwas mit Peters zu sprechen, und der Kaffee sollte indessen nicht kalt werden.

Der Schulmeister aber, mit seinem Steckenpferd »Brasilien« im Kopf, rief ihr lachend zu: »Laß stehen, Alte, und gieb uns noch eine Tasse für Behrens her. Denk Dir einmal, der ist unterwegs nach Brasilien.«

»Nach Brasilien?« sagte die Frau, setzte die Kanne wieder auf den Tisch und schlug die Hände zusammen, »es ist doch die Möglichkeit.«

»Und nun setzt Euch, Behrens, – da drüben ist ein Stuhl, stellt Euren Hut nur dort auf die Kommode, – Alte, hast Du meine Brille nicht gesehen? Ich habe sie doch vorhin hierher gelegt, – ach, da ist sie, – setzt Euch nur, und nun wollen wir einmal sehen was hier in dem Papier steht. Das ist wohl der Überfahrts-Contract? – aber, Behrens, das wird schmähliches Geld kosten. Brasilien liegt in gerader Richtung etwa tausend deutsche Meilen von uns entfernt, und was für einen Umweg müßt Ihr da noch vorher machen. Seht einmal her, hier ist Deutschland,« sagte er, auf eine kleine, an der Wand hängende Weltkarte zeigend, »hier, wo ich den Finger halte, und da müßt Ihr nun erst nach Norden hinauf, damit Ihr an die Nordsee kommt, und dann geht's hier hinaus, in gerader Linie nach Westen, durch den britischen Canal – La Manche heißt er – hinaus in das weite Weltmeer, und dann geht's hier quer hinüber, über all die Striche weg, immer da hinunter, bis Ihr da ganz unten an Brasilien anfahrt. Da liegt's und unterwegs ist's so heiß, daß Euch die Butter vom Brod herunterschmilzt. So eine Reise kostet vieles Geld.«

»Bitte, lesen Sie nur einmal das Papier durch,« sagte Behrens, »da drin steht Alles, und dann wollte ich Sie um [S. 9] Ihren Rath dabei fragen, was ich thun und wie ich mich verhalten soll.«

Behrens täuschte dabei sich selber und den Schulmeister, denn im eigenen Herzen war er schon fest entschlossen den Schritt, der über sein ganzes künftiges Lebensglück entscheiden sollte, zu wagen, und eigentlich nur zum Schulmeister gekommen, um sich von diesem in dem gefaßten Plan bestärken – nicht davon abrathen zu lassen, was er übrigens auch kaum zu fürchten brauchte.

»Na,« meinte Peters, »dann wollen wir also erst einmal sehen was hier geschrieben steht. Schenk derweil ein, Alte, und trinkt nur, Behrens, genirt Euch nicht, es ist gern gegeben.«

Die Frau Schulmeisterin schenkte, noch immer den Kopf über das eben Gehörte schüttelnd, dem Tagelöhner den Kaffee, der eine frappante Farbenähnlichkeit mit schwachem Thee hatte, in eine henkellose Tasse, denn eine von ihren »guten« Tassen konnte sie doch nicht dazu von der Kommode nehmen, wo sie zur Schau ausstanden. Behrens nahm aber auch selbst das auf das Dankbarste an, – besseres Geschirr war er ja zu Hause auch nicht gewöhnt, ja nicht einmal das, denn seinen Kaffee trank er daheim aus einem kleinen Topf, und daß er etwas dünn war, merkte er ebenfalls nicht; er wußte wahrscheinlich nicht einmal, wie besserer Kaffee schmeckte.

Während er aber trank und der Schulmeister las, sah er sich ein wenig im Zimmer um, wo ihm besonders die Bücher auffielen, von denen Peters wohl zwölf bis vierzehn auf einem Regal zwischen den beiden Fenstern stehen hatte. Auch die Landkarte an der Wand imponirte ihm. Darauf konnte der Mann nur mit seinem Zeigefinger über die ganze Welt herum fahren und dabei jeden Platz und Ort mit Namen nennen, und beschreiben wie es dort aussah. Sonst freilich bot das Zimmer nicht viel Besonderes. Die Möbel bestanden aus einfachem, weißtannenem Holz und waren nicht einmal angestrichen; auf der Kommode stand noch eine [S. 10] kleine, blaugemalte Glasvase mit einem Büschel Schilfblüthen und Strohblumen darin, und über dem entsetzlich hart gepolsterten Sopha hing ein kleiner Spiegel, und rechts und links davon die Bilder von Peters und seiner Frau, als Braut und Bräutigam, mit einer wahren Verschwendung von bunten Farben und rothen Backen gemalt. Wo aber waren jetzt die rothen Backen hingekommen? wo der üppige Haarwuchs des kleinen Mannes und das frische, fröhliche Gesicht? – Nur die große Warze über dem linken Auge hatte er noch als einzige Ähnlichkeit behalten, sonst war Alles verschwunden und gebleicht.

Und auch die Frau Schulmeisterin.

»Lieber Gott,« seufzte Behrens in Gedanken vor sich hin, »wie sich der Mensch doch verändern kann, man sollte es nicht für möglich halten.«

»Hm, Behrens,« sagte da Peters, der das Blatt erst einmal leise für sich durchgelesen hatte, »nach dem Schreiben scheint es, als ob die ganze Überfahrt für Euch bezahlt würde und Ihr den Betrag nur einfach abzuarbeiten habt.«

»Ja wohl, Schulmeister, das sind die Bedingungen.«

»Hm – und da könntet Ihr ohne einen Pfennig Geld und ganz umsonst nach Brasilien herüberkommen?«

»Ja so umsonst doch nicht,« lächelte Behrens etwas verlegen. »Was die Herren jetzt für uns bezahlen, müssen wir später Alles wieder bei Heller und Pfennig abverdienen.«

»Na, das versteht sich von selbst,« sagte Peters, »schenken werden sie's Euch nicht. Wer schenkt einem Anderen heut zu Tage auch wohl noch was; aber Ihr seid doch einmal nachher an Ort und Stelle, und wenn Ihr Euch da nichts verdient, verdient Ihr Euch auf der ganzen Welt nichts.«

»Also meinen Sie daß Alles in Ordnung wäre,« frug Behrens, dem die Zustimmung doch fast ein wenig zu schnell kam.

»Ja, wenn Ihr gar nichts zu bezahlen braucht,« rief Peters »und frei hinübergeschafft werdet, was wollt Ihr denn [S. 11] noch mehr? Wenn ich nur könnte wie ich wollte, meiner Seel, ich ginge heutigen Tages mit, denn die Schinderei hier soll der Böse holen. Aber ich bin schon zu alt, – arbeiten wird mir schwer und mein Rückgrat will nicht mehr so recht mit fort.«

»Aber der Herr Pachter Frommann meinte,« fuhr Behrens fort, »es wäre eigentlich kein rechter Contract und nur so eine Art Verpflichtung für mich

»Hm – ja,« sagte der Schulmeister, »ein Contract ist es auch eigentlich nicht, – Alte, schenk dem Behrens noch einmal ein, – aber sonst steht nichts davon drin, daß Ihr etwas zu bezahlen hättet.«

»Nein – aber ich werde auch nicht so recht klug daraus,« fuhr Behrens fort, »wie es einmal werden soll wenn ich meine Schulden abgearbeitet habe.«

»Hm, – nein,« nickte Peters, »na, ich will Euch einmal etwas sagen. Ich werde Euch die Geschichte laut vorlesen, dann kommen wir besser dahinter.«

»Das wäre recht.«

»Also – Verpflichtung! das ist die Überschrift,« sagte Peters, und las:

»»Verpflichtung[2] des Landarbeiters Carl Gottlieb Behrens aus Groß-Emmen mit Familie, nämlich:

seine Frau Sophie, 38 Jahre alt,
seine Tochter Johanna Marie, 14 Jahre alt,
sein Sohn Fürchtegott Hans, 10 Jahre alt,
seine Tochter Lisbeth Anna, 8 Jahre alt,
sein Sohn Christian Leberecht, 5 Jahre alt,
ein Säugling,

gegen Herrn Franz Berthold Hoeker in Antwerpen.

[S. 12] Der Endes-Unterzeichnete, der die Passage für sich und obenstehende Familienglieder nach untenstehenden Specificationen mit –– Thalern vorgeschossen erhielt, verpflichtet sich nicht nur Herrn Franz Berthold Hoeker in Antwerpen Vollmacht zu ertheilen vermittelst seines Hauses in Porto Seguro, für sich und seine Familie, mit einem brasilianischen Plantagenbesitzer Contract abzuschließen, zur Verdingung seiner und seiner Familie Arbeitskräfte auf eine Colonie der Provinz Minas Geraes, sondern macht sich auch, durch Unterzeichnung dieses Contracts, für sich und seine sämmtlichen Familienglieder anheischig, durch den Theil-Ertrag ihrer Arbeit die vorgeschossene Passage und sonstige Kostenvorschüsse abzuverdienen, dergestalt, daß: da nach der Bestimmung derartiger Arbeitsverträge der Ertrag der Arbeit zwischen Arbeiter und Brodherrn getheilt wird, von der ihm als Arbeiter zufallenden Hälfte des Ertrags der Arbeit in usancemäßiger Abtragung zu ersetzen.

Indem Carl Gottlieb Behrens durch seine Namensunterschrift solidarisch mit seinen Familiengliedern zur getreuen Erfüllung der contractlich eingegangenen Verpflichtung sich verbindlich macht, verpflichtet er sich ferner für sich und seine Familienglieder, den gesetzlichen Befehlen seiner Brodherren oder deren bevollmächtigten Vertreter getreulich nachzukommen, und während der Dauer des Contractes seine ganze Zeit und Aufmerksamkeit dem ihm übertragenen Dienst zu widmen.

Antwerpen, den –ten März 185–.

Passagegeld bis Porto Seguro:
Für drei Erwachsene à – " – "  
Für drei Kinder unter zehn Jahren à – " – "
Ein Säugling frei.
  —————
  Pr. Cour. – " – "
  Hier bezahlt – " – "
  —————
  Summa Pr. Cour. – " – " ««

[S. 13] »Die Summe ist, wie ich sehe, noch nicht ausgefüllt.«

»Nein,« sagte Behrens, »das können sie auch noch nicht, weil sie noch nicht wissen wie viel wir auf der Reise brauchen werden. Das wird nachher gemacht.«

»Hm,« sagte der Schulmeister, »ja wohl, – da steht aber freilich nichts weiter drin, als daß Ihr das Geld, was Ihr vorgeschossen kriegt, wieder abverdienen sollt. Das ist gerade wie bei uns.«

»Ja wohl, Schulmeister, und das wäre auch ganz in der Ordnung, aber es steht gar nichts vom Tagelohn darin, und was sich ein Mann wohl in der Woche verdienen kann, damit man doch im Stande wäre sich nur ein klein wenig zu berechnen, wie lange man ungefähr für die Herren arbeiten muß.«

»Ja, das wäre freilich gut,« sagte der Schulmeister, der sich völlig außer seiner Sphäre fand, sobald sich irgend etwas auf practisches Leben erstreckte, »aber den Kaffee habt Ihr da umsonst, und der Zucker wächst ebenfalls in Brasilien; ja, in der heißen Zone kommen sogar Milch- und Butterbäume vor, und immer Sommer, – nie einen Ofen heizen und die Finger erfrieren – und Hüte könnt Ihr Euch selber aus Palmblätter flechten, und die Baumwolle wächst dort auch.«

»Ja,« sagte Behrens und sah still vor sich nieder, »das ist wohl Alles recht gut, aber ob das Land auch wohl so gesund ist, daß mir Frau und Kinder nicht krank werden. Es muß dort schmählich heiß sein.«

»Das können wir gleich sehen,« sagte Peters, stand auf und nahm eines seiner alten Bücher vom Regal herunter, »wartet einmal, Brasilien – Brake – Brandis – Brasilien, Seite 470 – da haben wir die ganze Geschichte: Dieser einzige monarchische Staat, – nein, das ist's nicht: hier kommts! »In Hinsicht der äußeren Bodenbeschaffenheit bestehen vielleicht zwei Drittheile aus Hoch- und Gebirgsland,« [S. 14] – seht Ihr wohl. Halt, hier steht es: »Das Clima ist der vielen Gebirge und Wälder wegen milder, als man es bei der Lage des Landes, welches mit seiner Hauptmasse zwischen dem Äquator und dem südlichen Wendekreise liegt, erwarten sollte.« Seht Ihr wohl? – »In Rio Janeiro, ungefähr unter dem Wendekreise des Steinbocks (nämlich unter 22° 56' S.Br.) wechselt die Hitze zwischen 16 und 30° Reaumur« – und so heiß wird es bei uns hier manchmal auch, denn im letzten Sommer hatten wir ein paar Mal 29° im Schatten. – »An der Küste tragen überhaupt die täglichen Seewinde viel zur Minderung der Hitze bei. Am heißesten sind die Ebenen im nördlichen Theil des Landes,« – aber dahin braucht man ja auch gar nicht zu gehen; und was bauen sie da nicht Alles, hört einmal zu, Behrens: »Fernambuk oder Brasilienholz, Campeche oder Mahagoniholz, ferner Palmen, Tulpen-Rosenholz, Kampher-, Copal- und andere Bäume, sodann Zucker, Kaffee, Baumwolle, Tabak, Indigo, Cacao, Vanille, Reis, Mais, Waizen, Gerste, Maniok, Melonen, Yams, europäische Südfrüchte, Ananas, Gewürzpfeffer,« – das Wasser läuft Einem ordentlich im Munde zusammen. Und dann hier die Beschreibung von dem Gold und den Diamanten, die dort gefunden werden. Diamanten haben sie dort, von denen ein einziger so viel werth ist, wie hier ein ganzes Königreich.«

»Also meinen Sie, ich soll hingehen, Schulmeister?«

»Ich wollte ich könnte mit,« seufzte dieser, »den Augenblick schnürte ich meinen Bündel, packte meine paar Bücher zusammen und setzte mich auf ein Schiff, aber – der Knüppel ist an den Hund gebunden.«

»Peters, Du schämst Dich doch gar nicht,« sagte seine Frau.

»Ach, Alte, so war es ja nicht gemeint,« seufzte ihr Mann, »aber mein verwünschtes Rückgrat.«

»Und daß gar nichts davon in dem Contract steht, wie [S. 15] es einmal werden soll, wenn ich das Geld abverdient habe,« sagte Behrens, dessen Gedanken nur allein auf diesem einen Punkt hafteten.

»Darüber macht Euch doch keine Sorge,« antwortete Peters, »schon das ist ein Beweis, daß es dort viel zu verdienen giebt, daß man Euch so viel hundert Thaler vorschießt, nur um Arbeiter hin zu bekommen. Hier könntet Ihr hundert Jahre arbeiten ehe Ihr's fertig brächtet.«

»Ja, das ist wahr,« nickte Behrens, »zu verdienen muß es da geben, und ich verstehe nur nicht was das heißen soll, – hier, da unten Schulmeister; lest doch den Satz noch einmal.«

»Den? – »»daß: da nach der Bestimmung derartiger Arbeitsverträge der Ertrag der Arbeit zwischen Arbeiter und Brodherren getheilt wird««, – nun, das ist doch deutlich genug: Ihr bekommt die Hälfte von Allem, was verdient wird.«

»Aber das ist doch gar nicht möglich.«

»Aber hier steht's ja noch einmal, gleich dahinter: von der ihm als Arbeiter zufallenden Hälfte des Ertrags der Arbeit in usancemäßiger Abtragung zu ersetzen.«

»Was ist denn das?«

»Usancemäßig? das ist, wie es dort gerade Gebrauch ist, mit der Abzahlung nämlich, denn zum Leben müßt Ihr doch auch was haben, also vielleicht die Hälfte oder das Viertheil von Eurem Verdienst. Begreift Ihr?«

»Das wär Recht,« nickte Behrens, »aber da ist noch ein fremdes Wort, was ich nicht verstehe – solidarisch –.«

»Nun, das heißt weiter nichts, als daß Ihr für Eure Frau und Kinder einsteht, damit die auch helfen die Schuld abzutragen.«

»Nun, das versteht sich ja doch von selbst,« sagte Behrens.

»Aber wißt Ihr was mir auffällt,« bemerkte der Schulmeister. [S. 16] »Erstlich steht hier kein Wort davon, daß Ihr die Sonntage frei bekommt, und wenn das auch bei uns Sitte ist, so weiß man doch nicht wie sie es drüben machen, und jedenfalls gehört das mit in den Contract. Dann aber ist auch noch das Wichtigste vergessen, und das könnte einen Haken haben.«

»Das Wichtigste, Schulmeister?«

»Jedenfalls eine Hauptsache, und die muß auch noch mit hinein, sonst unterschriebe ich wenigstens den Contract nicht. Ein Haus werdet Ihr natürlich kriegen, denn eine Wohnung gehört dazu, wenn man irgendwo arbeiten soll; die erhält bei uns selbst ein Schulmeister, dem sie doch alles Mögliche abzwacken, aber von einem Garten steht kein Wort darin. Das vergeßt nicht, – den macht Euch noch vorher aus, denn ein Garten ist die Hauptsache – und wenn er noch so klein wäre, wo Ihr Euch ein paar Kaffeebäume und Palmen und Zuckerrohr, und ein bischen Indigo vielleicht, pflanzen könnt. Den geben sie Euch auch. – Und dann noch eins, Behrens,« fuhr der Schulmeister fort, »schreibt mir einmal, wie es Euch geht, und was Ihr treibt, hört Ihr wohl, das müßt Ihr mir versprechen.«

»Recht gern, Schulmeister, recht von Herzen gern,« erwiderte Behrens, »wenn's auch bei mir nicht gerade vom besten mit Schreiben geht, denn Sie wissen wohl, in unserer Zeit wurde noch nicht viel darauf gehalten, so kann mein Mädel, die Johanna Marie, doch prächtig damit fertig werden, und die soll schon einen Brief schreiben.«

»Gut, Behrens, und vergeßt nur den Garten nicht; ein Stück Land müssen sie Euch geben, das Ihr selber nur für Euch bauen könnt, – wenn nicht so viel übrig ist, wäre es auch nicht der Mühe werth daß Ihr hinüber ginget.«

»Ich will's nicht vergessen, Schulmeister, und ich dank Ihnen auch vielmals für den Wink. – Ich wußte wohl, daß ich mich bei Ihnen an den rechten Mann wandte. Nichts [S. 17] für ungut, Frau Peters, daß ich gestört habe, – ich wollt's eigentlich nicht.«

»Recht gern geschehen, Behrens,« sagte die Frau Schulmeisterin, die ganz stolz darauf war was ihr Mann sagte. »Mein Schulmeister hilft ja recht gern, wo er irgend kann, mit Rath und That.«

»Werd's ihm nicht vergessen, – und nun leben Sie wohl; ich will jetzt gleich nach der Stadt hinein, daß ich heute Abend noch was abmachen kann, und im schlimmsten Fall bleib ich dort über Nacht bei dem Andres, dem Steffen seinem Jungen, der Kutscher ist und mir die Wohnung angegeben hat. Recht vergnügten Abend allerseits,« – und damit nahm er seinen Hut, griff seinen Stock auf und wanderte mit rüstigen Schritten, das eben Gehörte dabei wieder und wieder überlegend, die Straße hinab, die nach der Stadt zu führte. Drüben im Feld arbeiteten die Leute, um ihn her flogen und zwitscherten die Lerchen, die vaterländische Sonne schien hell und warm auf seinen Pfad, aber er sah und hörte weder Kameraden, noch Sonnenschein, noch wirbelndes Lerchengeschmetter, denn Auge und Ohr weilte bei anderen Bildern und sein Herz war in Brasilien.

Zweites Capitel.
Verschiedene Auskunft.

Die Stadt – eine kleine Residenz in Thüringen – lag ungefähr zwei Stunden Wegs von Groß-Emmen entfernt, und Behrens, mit seinen Gedanken beschäftigt, konnte sich nicht erinnern jemals so rasch hineingekommen zu sein, wie heute. Er sah sich ordentlich erstaunt um, als er sich zwischen [S. 18] den ersten Häusern fand, und doch erfaßte ihn auch wieder ein ganz eigenes und beklemmendes Gefühl, das etwas Fremdes und Unbehagliches für ihn hatte.

War er bis jetzt je gewohnt gewesen selbstständig zu handeln? Nicht seit der Zeit wo er seine Frau genommen, und selbst damals hatte sie eigentlich mehr bei der Sache gethan, als er selber. Außerdem war er, seit er die Schule verlassen, nur Tagelöhner bei fremden Leuten gewesen, der die Arbeit eben that, zu der er gestellt wurde, ohne die geringste Verantwortlichkeit dafür. Morgens zur bestimmten Zeit begann er damit, – Abends eben so wurde Schicht gemacht und Sonntags gefeiert, – weiter kannte er keine Abwechselung in seinem Leben. Jetzt aber trat dieses selber an ihn heran. Aus seiner gewohnten Beschäftigung herausgerissen und dadurch von dem bisherigen und regelmäßigen Einkommen abgeschnitten, sollte er auf einmal selbstständig einen Entschluß fassen, der ihn weit hinweg vom Vaterland über das große Weltmeer führte, und einer ungewissen Zukunft in die Arme warf. Allerdings erfüllten ihn dabei die größten Hoffnungen, – aber wenn es mißlang? wenn er dann mit Frau und Kindern unter fremden Leuten im Elend saß, und nicht wieder zurück konnte in die alten Verhältnisse? Wer trug nachher die Schuld an seinem Unglück und dem der Seinen? Nur er selber, und welche Vorwürfe hätte er sich nachher machen müssen.

Diese Gedanken quälten ihn unterwegs, aber sein Schritt zögerte deshalb nicht. Es war, als ob er durch eine innere, unwiderstehliche Gewalt vorwärts gedrängt würde. Wie von einem unbestimmten Etwas getrieben, wanderte er die Straße hinab, und wollte eben in den Platz einbiegen, auf welchem der Auswanderungsagent wohnte, als ihn eine Stimme von einem Wagen herab anrief, daß er stehen blieb und sich überrascht umsah.

[S. 19] »Hallo, Gottlieb!« rief es, »wo kommt Ihr denn heute in die Stadt? und wie gehts daheim?«

»Ei, Andres!« rief Behrens erfreut, wie er den Kutscher erkannte, der jetzt neben ihm am Wege hielt. »Das ist mir lieb, mein Junge, daß ich Dich finde. Wie gehts?«

»Oh, gut geht's; aber wo wollt Ihr hin, Behrens?«

»Nach Brasilien, Andres.«

»Nach wohin?«

»Nach Brasilien.«

»Alle Wetter,« sagte der junge Bursch erstaunt, »weiter nicht?«

»Ne, Andres; – wie wär's, wenn Du mitgingst? – Reise und Alles frei, und die Schinderei hier zu End.«

»Hm, Behrens, kommt doch einmal mit vorn auf den Bock; ich schaffe nur den Wagen nach Haus und versorge die Pferde, und habe dann weiter nichts zu thun, daß wir noch ein Wort zusammen reden können, – heute kommt Ihr doch nicht mehr hin.«

»Nein, Andres,« sagte Behrens, »und morgen wahrscheinlich auch nicht, aber ich fahr mit, denn es wär mir lieb, wenn Du mich nachher begleiten könntest.«

»Und unterwegs erzählt Ihr mir die ganze Geschichte,« sagte Andres, während Behrens zu ihm auf den Bock stieg.

So fuhren sie langsam der Wohnung des Doctor Maller, Andres' Brodherrn, zu, und der Tagelöhner theilte jetzt dem Kameraden Alles mit, was seine künftigen Pläne betraf, während dieser kein Wort dazu sagte, sondern nur manchmal mit dem Kopf nickte oder schüttelte.

Endlich langten sie bei der Wohnung des Doctors an. Behrens half die Pferde mit ausschirren und in den Stall führen, wo ihnen Andres ihr Futter gab, während der Mann ein paar Eimer Wasser holte.

Wie sie fertig waren sagte Andres, der indessen in einem [S. 20] fort gepfiffen hatte: »Hört einmal, Behrens, – Ihr habt den Contract bei Euch, wie?«

»Ja, Andres.«

»Schön, – mein Doctor ist zu Hause, ich habe ihn eben oben am Fenster gesehen, – der weiß Alles, ist auch schon einmal drüben in Amerika gewesen, dem wollen wir das Papier zeigen, – der kennt sich in solchen Sachen aus.«

»Ja, aber,« sagte Behrens, »was wird sich der um unser Einen kümmern; der hat mehr zu thun.«

»Laßt Ihr mich nur machen,« nickte aber Andres dem Freund zu, »wartet hier einen Augenblick, ich bin gleich wieder da,« und ohne eine weitere Einrede anzuhören, ging er quer über den Hof und in das Haus hinüber, und kam auch schon nach kaum zehn Minuten mit der Meldung zurück, Behrens solle nur hinaufgehen, der Doctor wäre oben und wolle sein Anliegen hören.

Dem Behrens schlug das Herz, aber der Doctor empfing ihn freundlich und sagte: »Nun, mein Mann, Ihr wollt nach Brasilien hinüber? Das ist ein wichtiger Schritt; habt Ihr Euch die Sache denn auch ordentlich überlegt? Jemand, der hier in Deutschland sein Brod hat, sollte nicht gerade leicht mit Frau und Kindern so ins Ungewisse hinübergehen.«

»Ja, lieber Herr,« seufzte Behrens, »mit dem Brod ist das so eine Sache, – heute haben wir welches und morgen keins, und wenn ich einmal krank würde –«

»Dann glaubt Ihr wohl, giebt Euch Jemand in Brasilien was?« unterbrach ihn der Doctor. »Aber Ihr sollt frei hinübergeschafft werden, wie ich höre? Habt Ihr das Papier bei Euch?«

»Ja, Herr Doctor, – dies hier.«

Der Doctor nahm es, las es aufmerksam durch und sagte dann: »Und das Papier wollt Ihr unterschreiben? Wißt Ihr wohl, daß Ihr danach wie verrathen und verkauft und [S. 21] einem ehrlichen Mann oder einem Schurken, wie's gerade trifft, auf Gnade und Ungnade übergeben seid?«

»Ja, aber, Herr Doctor,« sagte der Mann erschreckt.

»Das ist ein sogenannter Parcerie-Vertrag,« fuhr der Doctor fort, »das heißt ein Vertrag, wonach Ihr angeblich Mittheilhaber an dem Ertrag des Gewinnes seid, der durch Eure Arbeit erworben wird, und hier steht sogar, Ihr bekämt die Hälfte des Verdienstes; daß das eine Lüge ist, könnt Ihr Euch doch wohl denken.«

»Ja, aber da steht es doch schriftlich,« sagte Behrens scheu.

»Bah!« rief der Doctor, »wo arbeitet Ihr jetzt?«

»Beim Herrn Rittergutspachter Frommann.«

»Nun gut. – Denkt Euch einmal, Ihr hättet mit dem einen solchen Contract gemacht. Nun beschäftigt Euer Pachter eine Menge von Leuten, nicht wahr?«

»Ja, Herr Doctor.«

»Außerdem hat er ein großes Capital in dem Gut stecken; er hat viel Vieh, Pferde, Rinder und Schafe, und manchmal verdient er viel damit, manchmal hat er auch Unglück. Es fällt ihm ein Pferd, ein Rind, oder die Ernte geräth einmal nicht, kurz, er hat viel Risico bei der Sache, d. h. er wagt sein Vermögen daran, oder er nimmt dann auch wieder in manchem Jahre sehr viel ein, was den Schaden deckt, – nun soll er Euch für Eure Tagelöhner-Arbeit die Hälfte seines Verdienstes geben?«

»Ja, das ist aber auch wohl so nicht gemeint,« sagte Behrens.

»Gewiß nicht,« erwiderte der Doctor, »aber trotzdem steht es da, und auch nichts Anderes, nach dem man herausfinden könnte, wie diese Hälfte gemeint ist, denn von einem bestimmten Tagelohn ist keine Rede. Ihr seid also förmlich der Willkür Eures neuen Herrn überlassen, wobei Ihr Euch noch außerdem verpflichten müßt, und zwar für Euch [S. 22] und Eure Familie, seinen oder seines Verwalters Befehlen getreulich nachzukommen. Der schlimmste Passus ist aber noch der letzte, wo es heißt, daß Ihr während der Dauer des ganzen Contracts, also auf eine ganz unbestimmte Zeit hinaus, denn es ist gar keine Dauer festgesetzt, Eure ganze Zeit und Aufmerksamkeit dem Euch übertragenen Dienst zu widmen habt, also nicht eine Minute derselben für Euch selber arbeiten und nur das Nothwendigste verrichten könnt. Unterschreibt Ihr das Papier, so seid Ihr nichts als ein Sclave, und es kann Euch nachher Niemand mehr helfen.«

»Ja,« sagte Behrens schüchtern, »das hat unser Schulmeister auch gemeint, daß wir die Sonntage frei und einen Garten haben müssen, in dem wir uns selber Kaffee und Zucker bauen könnten.«

»Lieber Freund,« seufzte der Doctor, »Ihr schleppt eine Menge phantastischer Ideen im Kopf herum, und Euer Schulmeister scheint Euch noch darin bestärkt zu haben.«

»Aber wenn das nun in den Contract kommt.«

»Aber bester Mann, ist das ein Contract?« rief der Doctor. »Ihr seid unglückselige Menschen. Wenn Ihr nur ein beschriebenes Papier bekommt, das Ihr unterschreiben könnt, so bildet Ihr Euch nachher gewöhnlich ein, Ihr hättet einen Contract gemacht und könntet nun nicht mehr betrogen werden. In diesem Papiere, obgleich hier fälschlicher Weise steht »»während der Dauer des Contracts««, und hier oben »»der contractlich eingegangenen Verpflichtung««, ist von einem Contract weiter gar nicht die Rede, als daß jene Person, der Ihr überliefert werdet, das Geld zahlt, um Euch in die Hände zu bekommen, und dann nachher mit Euch machen kann was sie will. – Außerdem,« fuhr der Doctor fort, als Behrens betroffen schwieg, »wißt Ihr aber auch noch gar nicht einmal, wie viel die Reise für so viele Personen kosten kann, – wie viel Euch wenigstens dafür aufgeschrieben wird, und seid nicht sicher eine Schuldenlast [S. 23] auf den Hals zu bekommen, an der Ihr Eure besten Lebensjahre arbeiten mögt, um sie wieder abzuschütteln. Nein, Freund, – es ist mir lieb daß ich einmal einen solchen Parcerie-Vertrag in die Hände bekomme; ich habe bis jetzt viel darüber gehört und gelesen, aber noch nie einen gesehen. Jetzt begreife ich die Entrüstung die darüber herrscht, denn es ist in der That nichts, als ein Menschenhandel, und Alle, die sich damit befassen, sollten als Seelenverkäufer gebrandmarkt werden.«

»Aber der Herr, mit dem wir es zu thun bekommen, soll ein ganz braver, ehrlicher Mann sein,« sagte Behrens leise.

»Und woher wißt Ihr das, oder woher weiß der das,« rief der Doctor, »der Euch das gesagt hat? denn hier in dem Wisch steht nur, daß der Agent in Antwerpen – und Antwerpen gerade ist der verrufenste Ort für derartige Agenturen – mit irgend einem Plantagenbesitzer einen Contract über Euch abschließen soll, bei dem Ihr dann natürlich gar nicht mehr gefragt werdet.«

»Ja, aber –«

»Das kann ein ehrlicher Mann sein, ja,« fuhr der Doctor fort, »ich gebe auch zu, daß ein solcher Contract in einzelnen Fällen ehrlich gemeint sein mag: daß manchem großen Plantagenbesitzer wirklich daran liegt, gute und brauchbare Kräfte auf sein Land zu bekommen, und der sie nachher nicht allein gut behandelt, sondern ihnen auch einen entsprechenden Lohn für ihre Arbeit giebt, damit sie in einer bestimmten Zeit, und zwar in einer Zeit, die sie selber berechnen, wieder frei und unabhängig von ihm werden. Aber warum heißt es da nicht: Du bekommst so und so viel für den Tag Arbeit, und machst Dich nur verbindlich bei keinem Anderen in Dienst zu treten, bis Du das Geld, was ich für Dich ausgelegt habe, wieder abverdient hast? Aber das wollen die Herren gar nicht. Es liegt ihnen nicht allein daran [S. 24] Arbeiter in ihr weites Land zu bekommen, nein, sie wollen sich die Leute auch speciell sichern und an ihnen verdienen, und das eben ist nachher das Unglück für den armen Arbeiter selber, der vielleicht etwas vor sich bringen könnte, wenn ihm die Hände nicht gebunden wären. Ja, selbst den Fall genommen daß er es ehrlich meint, wer steht Euch denn dafür, daß er nicht plötzlich stirbt und sein Besitzthum an einen gewissenlosen Verwandten oder Fremden übergeht? Ihr seid dann für diesen so gut gebunden, wie für Jenen, Ihr geltet nur als Inventar, denn Ihr habt Eure Schulden noch nicht abbezahlt, und müßt aushalten bis das geschehen ist, so lange es auch dauern mag.«

»Aber Herr Doctor,« sagte Behrens, der ganz bestürzt geworden war, denn das, was ihm der Herr hier sagte, warf des Schulmeisters ganze Lobreden wieder um, und er hatte nur noch das Eine, an das er sich anklammern konnte – »mein Bruder ist ja auch die langen Jahre drüben in dem Brasilien, und dem geht's so gut dort. Er hat mir ja auch geschrieben, daß ich nur sobald als möglich zu ihm kommen soll.«

»So? –« frug der Doctor, »wo ist denn Euer Bruder?«

»In der Colonie Blumenau« sagte der Mann.

»Und dann wollt Ihr Euch nach der Provinz Minas Geraes schicken lassen, wie es hier in dem Contract steht? – und wißt dabei noch nicht einmal, in welchen Theil desselben, denn die Provinz ist riesengroß und läuft in die heißesten Districte hinauf. Das ist reiner Wahnsinn. – Aber lieber Freund – es thut mir leid – meine Zeit ist beschränkt, und ich muß jetzt einen Besuch bei einem gefährlichen Kranken machen, den ich nicht länger aufschieben kann. Ich bin auch nicht im Stande Euch einen anderen Rath zu geben als: Unterschreibt das Papier auf keinen Fall. Wollt Ihr zu Eurem Bruder nach Blumenau, so müsset Ihr nach der Insel [S. 25] Santa Catherina gehen, von wo sich häufig Gelegenheit findet. In der Provinz Minas Geraes seid Ihr beinah noch so weit von dort entfernt, wie hier in Deutschland, könntet wenigstens eben so leicht oder so schwer dorthin kommen, wie von hier ab auch. Dorthin wird Euch aber wohl Niemand Passage geben, und wenn Ihr denn durchaus hinübergehen wollt und denkt, daß Ihr dort Eure Umstände verbessert, so laßt Euch auch einen wirklichen Contract aufsetzen, in dem deutlich geschrieben steht, an welchen Ort und zu welchem Herrn Ihr kommen sollt – nicht auf's Gerathewohl, wie hier steht: auf eine Colonie in der Provinz Minas Geraes. Und wie viel Tagelohn Ihr für Euch und Eure Leute zu erwarten habt, bis das Vorgeschossene abverdient ist, muß ebenfalls fest und deutlich in dem Papier angegeben werden. Nachher seht Ihr ein Ende vor Euch, und könnt selber etwa berechnen, was Ihr verdient habt und wie lange Eure Dienstzeit dauert.«

»Nun, ich danke Ihnen auch schön, Herr Doctor, für Ihre Freundlichkeit,« sagte Behrens, »ich will mir gewiß merken was Sie gesagt haben, und mit dem Herrn das ausmachen.«

»Thut das,« sagte der Doctor, »aber laßt Euch auch nicht wieder breit schwatzen, – solche Contracte könnt Ihr alle Tage machen,« und damit nahm er seinen Hut und verließ das Zimmer, während Andres, der bei der ganzen Unterredung kein Wort gesprochen und nur immer, wenn der Doctor, sein Herr, etwas sagte, zustimmend mit dem Kopf genickt hatte, seinen Landsmann beim Ärmel ergriff und mit ihm langsam die Treppe hinunter und wieder auf den Hof ging.

»Siehst Du,« flüsterte er ihm dabei zu, »das ist ein Herr der Haare auf den Zähnen hat, und der verstehts. Was der sagt hat Hand und Fuß, und man kann schnurstraks [S. 26] darauf hingehen. Das sind faule Fische mit dem Papier; da darfst Du Dich nicht darauf einlassen.«

»Weißt Du was, Andres,« nickte da Behrens, der nachdenkend, sein Kinn mit der rechten Hand streichend, im Hof stehen geblieben war und vor sich niedergesehen hatte, »Du hast doch Alles mit angehört was der Herr Doctor gesagt, und kannst es mir bezeugen, und nun komm einmal mit zu dem Herrn der die Schrift besorgt, und dann wollen wir mit ihm sprechen, und ihm die Sache auseinandersetzen, daß es so nicht geht. Wie?«

»Meinetwegen,« sagte Andres, »ich geh' auch mit. Zwei sind immer besser als Einer, denn was der Eine nicht weiß, das fällt dem Anderen ein. Also komm, Gottlieb, dem wollen wir die Sache gleich besorgen.«

Und die beiden Freunde gingen langsam die Straße hinunter und dem Hause zu, in welchem der besagte Herr wohnte.

Da hörten sie rechts von sich in einer engen Seitengasse lautes Jubeln und Singen, und als sie erstaunt stehen blieben, um dem ungewohnten Geräusch zu horchen, sahen sie einen kleinen Trupp Menschen den engen Weg herunter kommen, die auf das Wunderlichste aufgeputzt gingen.

Es waren etwa zehn oder zwölf junge Burschen; von vielleicht achtzehn oder neunzehn Jahren, Bauernsöhne wahrscheinlich ihrem ganzen Aussehen nach, die, von irgend einem Gelage kommend, mit gerötheten Gesichtern und fröhlich und keck blitzenden Augen Arm in Arm durch die Straßen wanderten. Sie trugen auch noch ihre heimischen Bauerntrachten, kurze Jacken und lederne Hosen, aber dazu aufgekrämpte Hüte mit künstlich gemachten ordinären Blumen daran, mit Glasperlen und unächtem Schmuck, und auf den Schultern einläufige Pirschbüchsen oder Doppelflinten, und Hirschfänger an den Seiten, als ob sie zu irgend einem Freicorps gehörten und augenblicklich in den Krieg ziehen wollten. Dazu sangen sie – mit oder ohne Harmonie, was kam darauf an, – ein [S. 27] wildes, jubelndes Lied, und neugieriges Volk hatte sich ihnen von allen Seiten angeschlossen, so daß die Menschenmenge die ganze Straße füllte.

Behrens und Andres blieben stehen um sie vorbei zu lassen, und als sie näher kamen, konnten sie auch Beide die Worte des Liedes unterscheiden, die ihnen bald keinen Zweifel mehr ließen, wen sie vor sich hätten.

»Halli, Hallo! Brasilien ist nicht weit von hier,
Halli, Hallo! Brasilien ist nicht weit.«

klang der Refrain, und bald darauf setzte wieder eine tiefe Baßstimme in Solo ein:

»Ade, ade, mein liebes Vaterland,
Ade, ade, nun lebe ewig wohl!
Was fragen wir nach Gut und Geld,
Wir wandern fröhlich in die Welt,
Brasi–lien ist unsre Seligkeit!
Halli, Hallo! Brasilien ist nicht weit von hier!
Halli, Hallo! Brasilien ist nicht weit!«

Es war ein ganz eigenes Gefühl das Behrens durchzuckte, als er die Worte hörte, die ihm wie aus der eigenen Seele heraustönten, und fast unwillkürlich rief er die ihm Nächsten an: »Heda, Kameraden, – wollt Ihr auch nach Brasilien?«

»Auch nach Brasilien? na, versteht sich,« lachte einer der jungen Burschen zurück, indem der Schwarm Halt machte. »Gehst Du auch mit, Kamerad? Das ist Recht. Halli, Hallo! Brasilien ist nicht weit von hier!«

»Na,« seufzte Behrens, »weit ist's doch wohl, aber was kann's helfen; die Reise nimmt ja auch einmal ein Ende.«

»Da hast Du Recht, alter Junge!« jubelte Einer der Burschen, »und nachher leben wir, wie der liebe Gott in Frankreich. Mit welchem Schiff gehst Du?«

»Ja, ich weiß noch nicht,« sagte Behrens, über die vertrauliche Anrede des jungen Volks weniger erstaunt, als über die bestimmte Voraussetzung seiner Reise, denn des Doctors [S. 28] abmahnende Worte hatten ihn doch wieder ganz schwankend gemacht.

»Und von welchem Hafen aus?«

»Doch wohl von Antwerpen, wie der Ort heißt.«

»Hurrah, ein Reisegefährte!« jubelte die Schaar. »Komm her, daß wir Eins zusammen trinken. Nun hat die elende Schinderei daheim ein Ende, und wir kommen ins Paradies.«

»Ins Paradies?« Das stimmte freilich nicht mit dem, was Behrens von dem Doctor gehört, aber er konnte auch nicht der fröhlichen Einladung folgen, denn geschenkt mochte er nichts nehmen, und Geld zum Vertrinken hatte er noch nie im Leben gehabt.

»Ich kann nicht,« sagte er deshalb freundlich, »ich muß erst noch meinen Contract in Richtigkeit bringen, daß ich mit komme; aber wohin geht Ihr?«

»In den Löwen; so komme nachher hin, daß wir den Abend beieinander sind! Hurrah, Brasilien soll leben!«

Und mit dem Halli, Hallo! des neu beginnenden Liedes setzte sich die Schaar wieder in Bewegung und marschirte die Straße hinab, dem ihrem neuen Reisegefährten bezeichneten Wirthshaus zu.

Behrens blieb mit seinem Begleiter, als ihn die Schaar verlassen hatte, noch eine ganze Weile wie betäubt auf der Straße stehen, denn wie ein Traum, wie ein Gruß aus der fernen, fabelhaften Welt, die er bis jetzt nur in seinen Träumen gesehen, kam ihm das Ganze vor. Ein Paradies! – und er selbst war im Begriff, dorthin aufzubrechen, – aber wer hatte nun Recht? Das junge, jubelnde Volk, vor dem das Leben noch offen lag und ihm nur seine bunten Bilder zeigte, oder der alte mürrische Herr, der voll Mißtrauen hinausblickte? Behrens wußte es nicht, und nur unwillkürlich legte er seine Hand wieder in Andres Arm und schritt mit ihm die Straße hinunter, dem Hause des Auswanderungsagenten zu.

[S. 29]

Drittes Capitel.
Herrn Kollboeker's Comptoir.

Sie brauchten nicht so lange mehr zu gehen, als sie das Haus, oder vielmehr das »Comptoir« des Agenten vor sich sahen, denn er selber wohnte draußen in einer kleinen Spelunke der Vorstadt, und hatte sich nur im »Geschäftstheil« der Residenz ein Local gemiethet, um inmitten des Verkehrs zu sein und sich keine »Gelegenheit« entgehen zu lassen.

Die Thür war auch kenntlich genug durch eine Anzahl von Schildern bezeichnet, die den verschiedensten Lebenszwecken zu dienen schienen. Den Mittelpunkt derselben bildete freilich ein großes, über der Thür angebrachtes und in Öl ausgeführtes Gemälde, das ein großes, dreimastiges Schiff unter vollen Segeln aber bei dem Winde zeigte. Plätschernde Wellen erhoben sich darum her, aber still und unbewegt verfolgte das Fahrzeug seine Bahn und eine Anzahl von Personen in rothen Hemden, die über Bord hinaus auf das Meer sahen, sollten andeuten, daß es reichlich mit Passagieren besetzt sei, die eine ruhige Fahrt nach einem fernen Welttheil hatten.

Das Schiff selber führte eine Bremer Flagge, – die roth und weißen Streifen und Quadrate, – darüber aber im blauen Himmel stand deutlich mit goldenen Buchstaben:

Schiffsgelegenheit nach allen Welttheilen,

und wie um das zu illustriren, waren links und rechts von der Thür noch große Tafeln aufgehangen, auf welchen die verschiedensten Reisen nach Nordamerika, Australien und Brasilien specificirt wurden.

Außerdem schien aber Herr Kollboeker, wie der Auswanderungsagent hieß, noch außerordentlich vielseitig in anderen Geschäftszweigen. Er hatte die Agentur für Sächsische [S. 30] Renten-, Berliner und Gotha'sche Lebensversicherung, ebenso eine Niederlage von Daubitz's Kräuterliqueur und aromatischer Gichtwatte, und Behrens wurde ganz irr an den vielen Schildern, die überall die Wand und sogar die aufgeschlagenen Fensterladen bedeckten. Aber es konnte nichts helfen, hinein mußte er doch, denn die Zeit verging, und nachdem er und Andres – während die Beiden indessen von drinnen durch ein paar junge kichernde Leute beobachtet waren – eine Weile die verschiedenen Placate durchbuchstabirt hatten, sagte Behrens, seines Begleiters Arm ergreifend: »So komm, Andres, hier werden wir doch nicht draus klug und drinnen müssen wir ja erfahren woran wir sind. Da oben ist ja auch das Schiff gemalt, mit dem wir fahren sollen, – guck einmal wie groß es ist; das sieht ordentlich gefährlich aus – und so weit übers Wasser muß man damit.«

Behrens schüttelte freilich mit dem Kopf, als er das Haus betrat; es war ihm noch so vieles bei der ganzen Sache, von der er sich gar keine richtige Idee machen konnte, unerklärlich, und er fühlte ordentlich das Bedürfniß, endlich einmal Jemanden darüber zu hören, der Alles ganz genau wußte.

Gleich rechts im Hausflur war eine Thür, an welcher auf einem ovalen schwarzen Schild das Wort stand: »Comptoir«, aber weiter befand sich kein Name oder sonstiges Abzeichen daneben, und die Beiden zögerten noch, ob sie hier anklopfen sollten, als die Thür aufging und ein blutjunger Mensch mit auf der Mitte gescheitelten fuchsrothen Haaren heraussah.

»Wollen Sie zu der Auswanderungs-Agentur?«

»Ja wohl«, nickte Behrens.

»Na, da kommen sie nur hier herein, – hier ist's.«

Beide betraten das Zimmer. Es war ein nicht sehr großes und etwas düsteres Gemach. In der Mitte stand ein hohes, doppeltes Schreibpult aus polirtem Erlenholz, an [S. 31] dem an jeder Seite zwei Menschen arbeiten konnten, und an den Wänden waren eine Menge Gefache angebracht, in welchen die verschiedenartigsten Dinge lagen: kleine Broschüren, Papiere, etiquettirte Flaschen, Packete und Gott weiß was sonst noch. An den Wänden aber hingen, wo nur noch irgend ein Platz frei geblieben, Fahrpläne von Eisenbahnen und Dampfschiffen, eine große Karte mit den beiden Erdhälften und andere von Australien, Südamerika, Brasilien, Nordamerika, Rußland und Ungarn, denn Herrn Kollboeker's Thätigkeit war eine sehr ausgebreitete, und er schaffte Menschen fort, wohin sie eben wollten, oder – wohin er sie gerade bereden konnte. Hatte er doch intime Verbindungen in allen Theilen der Welt, wenn er auch alle Theile der Welt nur dem Namen nach kannte.

Herr Kollboeker selber war leider gerade nicht zu Hause, und die beiden jungen Herren im Comptoir, – wahrscheinlich ein paar Lehrlinge, junge, aufknospende Auswanderungs-Agenten, die ihren Ehrgeiz darin setzten, später ebenfalls ein volles Schiff unter Segeln über ihrer eigenen Thür gemalt zu sehen, – schienen die freie Zeit benutzt zu haben, um an die Fenster zu hauchen und unmögliche menschliche Figuren darauf zu zeichnen. Beide trugen aber Federn hinter den Ohren, als Zeichen, daß sie jeden Augenblick zu deren Dienst bereit wären, und der Ältere von ihnen, der den Beiden auch die Thür geöffnet hatte, nahm jetzt das Wort und sagte: »Nun, Gevatter, wie geht's? Wollt Ihr nach Amerika oder nach Australien und Gold graben? Jetzt ist die Gelegenheit günstig; in der nächsten Woche geht ein Schiff.«

»Ist Herr Kollboeker nicht zu Haus?« frug Behrens, der durch die vertrauliche Anrede »Gevatter« etwas stutzig geworden war, denn er hatte den jungen Burschen, so weit er sich erinnerte, noch in seinem ganzen Leben nicht gesehen.

»Nein, Herr Kollboeker ist ausgegangen. Kann ich es [S. 32] nicht besorgen, wenn Ihr über irgend etwas Auskunft wünscht?«

»Ich weiß doch nicht,« sagte Behrens, »ich – ich komme wegen der Reise nach Brasilien.«

»Nach Brasilien, so? Wo seid Ihr denn her?«

»Von Groß-Emmen.«

»Ach, das ist die Familie, die mit der Rosalie nach Porto Seguro soll,« sagte der Jüngste, »wie heißt Ihr denn?«

»Behrens – Carl Gottlieb Behrens.«

»Ja, ganz Recht. Ihr habt ja wohl noch Euren Contract zu unterschreiben.«

»Ja – aber – ich wollte doch vorher gern erst noch einmal mit dem Herrn Kollboeker sprechen.«

»Ach, das ist nicht nöthig,« sagte der junge Mann mit den rothen gescheitelten Haaren, »das können wir auch besorgen. Habt Ihr den Contract mitgebracht?«

»Den hätt' ich schon,« meinte Behrens, indem er in die Tasche griff und das Papier herausholte, »aber –«

»Da kommt Ihr in ein prachtvolles Land,« nahm der Kleinste die Unterhaltung wieder auf, »Donnerwetter, da muß es himmlisch sein, – wo haben Sie denn den Brief, Meier, in dem die Beschreibung steht?«

»Dort auf dem Pult liegt er,« sagte Herr Meier, indem er selber darnach unter einem Haufen von Papieren herumwühlte und auch bald einen großen, auf bläulichem, sehr dünnem Papier eng geschriebenen Brief zum Vorschein brachte. »Ja, allen Respect, das muß ein Land sein, Kaffee, Vanille, Cacao, Alles wächst da wild, die Apfelsinen kann sich Jeder von den Bäumen schütteln, wo er nur will, und Ananas, wo hier das Stück drei Thaler kostet, wachsen wie bei uns die Kohlrüben und die Runkeln.«

»Und dort in den Bergen haben sie auch neulich die großen Diamanten gefunden, und ein Deutscher soll beim [S. 33] Graben einen Goldklumpen von zwei Pfund Gewicht herausgeschaufelt haben.«

»Hm,« sagte Andres, der dem Allen aufmerksam zugehört hatte, »das ist aber merkwürdig; und da zahlen Sie Einem noch Geld, wenn man nur hingeht?«

»Jawohl,« nickte Herr Meier, »weil es dort an ordentlichen deutschen Bauern fehlt, die was von der Landwirthschaft verstehen. Die Kerle sind da so dumm, und wissen gar nicht, was sie mit ihren Feldern anfangen sollen.«

Behrens hörte das Alles wie in einem halben Traum; es war ihm, als ob er von einem Zauberland sprechen, ein Märchen erzählen höre, und er konnte es sich kaum denken, daß er selber im Begriff stehe dort hinüber zu gehen und das Alles mit eigenen Augen zu sehen und zu erleben, – aber der Contract, –

»Ja,« sagte er verwirrt, »das ist Alles gewiß ganz wunderschön und herrlich, aber ich – ich muß doch vorher noch einmal mit dem Herr Kollboeker sprechen, denn –«

»Ach, da kommt er selber,« rief Herr Meier, der dabei zugleich hinter das Schreibpult an seinen Platz glitt und die Feder eintunkte; auch der Kleine war blitzschnell an seinen »Marterpfahl« gefahren, wie er den Ort, wo er zu arbeiten hatte, gewöhnlich nannte, wenn der Principal nicht zugegen, und beide jungen Leute schienen, als der Agent im nächsten Augenblick das Zimmer betrat, so emsig mit dem Copiren einiger Briefe beschäftigt, daß sie sein Kommen fast gar nicht bemerkten.

»Herr Kollboeker,« sagte Meier, von seinem Brief aufsehend, »da ist Behrens aus Groß-Emmen, der schon eine Weile auf Sie wartet, und Sie zu sprechen wünscht.«

Herr Kollboeker, der, ohne seinen Hut abzunehmen in das Zimmer getreten war und sehr eilig zu sein schien, sah über die Achsel nach den beiden Leuten hinüber und nickte, während er ein Packet Schriften auf den Tisch legte: »Oh, [S. 34] Behrens, das ist gut daß Ihr heute herein gekommen seid; es wird die höchste Zeit, und ich glaubte schon, Ihr wolltet Euch die Gelegenheit entschlüpfen lassen, ein brasilianischer Pflanzer zu werden.«

»Ja, Herr Kollboeker, – ich möchte Sie nur noch um Eins fragen,« sagte der durch das geschäftsmäßige Benehmen eingeschüchterte Mann. Herr Kollboeker hörte aber vor der Hand nicht auf ihn.

»Sind Briefe angekommen während ich fort war?«

»Ja, Herr Kollboeker,« sagte Meier, mit der Feder nach den auf dem Pult liegenden deutend.

Der Agent nahm sie in die Hand, es waren drei, – einen davon warf er wieder zurück. »Wie oft habe ich Ihnen schon gesagt, daß unfrankirte Briefe refüsirt werden.«

»Ich habe das Porto noch nicht dafür gezahlt.«

»Gut, er geht zurück, – das fehlte auch noch: man hat mit den Geschäften anderer Leute schon Auslagen genug an Geld. Nun, Behrens, was wolltet Ihr mir sagen?« frug er den Mann, ohne ihn aber anzusehen, denn er hatte den einen Brief erbrochen und fing an, darin zu lesen.

»Ja, Herr Kollboeker, – wegen des Contracts wollte ich Ihnen gern noch etwas sagen, – denn eigentlich ist es doch gar kein Contract, sondern nur eine Verpflichtung –«

»Nun, steht das nicht auch darüber?« frug der Agent, ohne von seinem Brief aufzusehen.

»Ja, allerdings, – aber – ich habe da mit einem Herrn Doctor gesprochen, und der meinte –«

»So? mit einem Herrn Doctor?« frug Kollboeker, den Mann ansehend, »und war der Herr schon einmal in Brasilien?«

»Nein, in Brasilien war er noch nicht.«

»Aha, und was weiß er denn nachher davon?« rief der Agent, »etwa mehr als wir hier, die täglich Briefe und [S. 35] Zeitungen von dorther bekommen, und das Land so genau kennen, wie unsere eigenen Taschen, heh?«

»Aber der Herr Frommann, unser Rittergutspachter –«

»Der hat Euch abgeredet, fortzuziehen, nicht wahr?« rief Herr Kollboeker triumphirend aus, »na, das versteht sich doch von selbst, denn daß es den Herren nicht recht ist, wenn ihre Knechte selber einmal Herren werden, läßt sich denken. Wo sollen sie denn nachher die Arbeiter hernehmen, wenn die Leute erst merken, daß sie nur über See zu fahren brauchen, um selbständige Gutsbesitzer zu werden, nicht blos Pachter. Also der hatte auch etwas dagegen einzuwenden? Es ist doch wirklich merkwürdig, was es für gescheidte Leute auf der Welt giebt,« und verächtlich mit dem Kopf schüttelnd, fuhr er in der Lectüre seines Briefes weiter fort.

»Abgeredet hat er mir eigentlich nicht«, sagte Behrens, »aber der Herr Doctor meinte, es wäre eigentlich gar kein Contract, und dann besonders die Stelle, wo von der ganzen Zeit und Aufmerksamkeit steht –«

»Kein Contract?« fuhr aber jetzt Herr Kollboeker auf – »so soll ich mich etwa heute auch noch mit Euch herumärgern, heh? – Was ist denn das, wenn Einer das Geld hergiebt und der Andere verspricht nachher dafür zu arbeiten, bis es abverdient ist, heh? – Was sind denn Eure Miethcontracte auf dem Lande, wo so ein armer Teufel von Ochsenknecht lumpige achtzehn oder zwanzig Thaler für's ganze Jahr bekommt und sich dafür das ganze geschlagene Jahr von Morgens früh drei oder vier Uhr bis Abends Glock sieben schinden und plagen und das Fleisch von den Knochen herunterarbeiten muß? Sind die etwa was Anderes und findet Ihr hier nur einen einzigen von all den großmäuligen Rittergutsbesitzern und Pachtern, die Euch nur so viel hundert Groschen vorschössen, um Euch zu einem bessern Leben zu verhelfen, als Ihr hier Thaler bekommt? Hab' ich Recht oder nicht?«

[S. 36] »Ach ja, Herr Kollboeker, wahr ist's schon und läßt sich Nichts dagegen einwenden; wenn man nur einmal zehn Groschen Lohn voraus haben will, so muß man vor Gott und nach Gott darum bitten, und kriegt's dann gleich in der nächsten Woche wieder bei Heller und Pfennig abgezogen.«

»Na also – und was wollt Ihr sonst noch?«

»Ja«, sagte Behrens verlegen – »eins liegt mir doch noch auf dem Herzen, und ich wollte Sie dringend darum gebeten haben.«

»Und das ist?« frug Herr Kollboeker, indem er den zweiten Brief hernahm und aufbrach.

»Ich wollte doch gern,« fuhr Behrens der sich ein Herz faßte, fort, »so nah wie möglich dorthin nach Brasilien kommen, wo mein Bruder drüben ist.«

»So? Ihr habt schon einen Bruder drüben? und wo steckt denn der?«

»In der Colonie Blumenau.«

»Na da geht doch hinüber,« meinte Herr Kollboeker kurz – »es hindert Euch Niemand daran. Dorthin gehn immer Schiffe.«

»Wo man seine Passage auch abarbeiten kann?« frug Behrens rasch.

»Ne,« lachte Herr Kollboeker, daß das kleine Comptoir dröhnte – »wenn Ihr direkt dahin wollt, müßt Ihr Eure Passage selber bezahlen. Aber seid Ihr unbehülfliches Volk,« rief er, indem er seinen Brief auf das Pult warf und sich gegen die an der Wand hängende kleine Weltkarte wandte. »Seht einmal hier,« fuhr er fort, und zeigte mit seinem Finger auf einen Platz auf dem Behrens gar Nichts erkennen konnte, als buntgemalte aber ihm vollkommen unverständliche Linien »hier ist Blumenau wohin Ihr gern wollt, und wo Euer Bruder sein soll, und hier gleich darüber, kaum mehr wie ein Zoll davon entfernt, fängt die Provinz Minas Geraes an, wohin Euer Contract lautet, nachdem Ihr unentgeldlich [S. 37] hinübergeschafft werdet.[3] Verlangt Ihr noch mehr? und wenn Ihr dort Eueren Contract abgearbeitet und Geld in der Tasche habt, hindert Euch denn etwa wer, die kurze Strecke da hinunter zu gehen und Euch anzusiedeln wo Ihr Lust habt? – Es ist rein zum Verzweifeln wenn Menschen etwas nicht einsehen wollen, was so sonnenklar auf der offenen Hand liegt.«

»Aber der Herr Doctor,« sagte Behrens schüchtern, »meinte, die Provinz wäre so sehr groß.«

»Na, wenn Euch das genirt, ob die Provinz groß oder klein ist,« rief Herr Kollboeker, indem er wieder zu seinem Pult ging, »dann bleibt doch meinetwegen in Deutschland – was liegt mir dran. Der Herr Doctor wird dann wahrscheinlich für Euch sorgen, damit es Euch hier an Nichts fehlt und Ihr leben könnt, wie der liebe Gott in Frankreich.«

»Ja du lieber Gott,« seufzte der Mann, der damit an sein Elend zu Haus erinnert wurde – »für Unsereinen sorgt auch Jemand, wenn wir es nicht selber thun können. Also Sie meinen wirklich, daß es nicht so weit von da wäre, wo mein Bruder ist?«

[S. 38] »Na, ich habe die Karte doch nicht gemacht,« sagte Herr Kollboeker, »die lassen die Regierungen selber ausarbeiten und was da drauf steht, ist richtig und muß richtig sein – Und ist sonst noch etwas, das Ihr auf dem Herzen habt?«

»Ja sehen Sie, Herr Kollboeker,« sagte Behrens, da der Agent das Erstere als beseitigt zu betrachten schien, »wenn Sie nur einmal so gut sein wollten, den letzten Satz durchzulesen, der da im Contract steht. – Bitte schön.«

»Nun was ist mit dem?«

»Ja, da steht, so lange der Contract dauerte, sollten wir Alle mit einander für unsern Brodherrn in einem fort arbeiten?«

»Nun? – versteht sich denn das nicht von selbst?«

»Ja, in der Woche gewiß – aber doch Sonntags« –

»Dummes Zeug – glaubt Ihr denn, daß in Brasilien Sonntags gearbeitet wird?« rief Herr Kollboeker – »das ist ja ein streng katholisches Land und hat noch außerdem eine Masse Fest- und Feiertage, die Euch ebenfalls zu Gute kommen –«

»Danke Ihnen,« sagte der Mann – »aber von einem Gärtchen steht kein Wort drin, – ein klein Stückchen Land müßte unser Einer doch haben, damit er sich selber ein wenig Gemüse bauen und ein paar Hühner und Schweine halten könnte. Das haben wir ja sogar hier in Deutschland gehabt, wo das Land so theuer ist.«

»Du lieber Gott,« lachte Herr Kollboeker gerade heraus – »das macht Euch doch etwa keine Sorge – ein Stück Land, wo der ganze Acker ein paar Thaler kostet? Lieber Freund, das sollt Ihr haben, und das will ich Euch, auf eigene Verantwortung auch noch in den Contract setzen, in sofern Euch das beruhigen sollte. Gebt einmal her – da ist ja gleich noch Platz. »Der besagte Carl Gottlieb Behrens erhält von seinem neuen Brodherrn auch noch ein Stück Land zur eigenen Bebauung angewiesen, um sich darauf einen [S. 39] Garten anlegen zu können.« So, seid Ihr jetzt damit zufrieden?«

»Ich danke Ihnen recht vielmals, Herr Kollboeker, damit ist mir ein großer Stein vom Herzen. Wissen Sie, unser Einer ist an sein kleines Gärtchen gewöhnt, und es würde uns hart anthun, wenn wir es in dem fremden Land missen sollten.«

»Ei versteht sich von selbst, Behrens, versteht sich von selbst; aber Ihr müßt mich entschuldigen – ich habe noch sehr viel zu thun. Wenn Ihr also weiter nichts zu bemerken habt, so könnt Ihr ja den Contract unterschreiben und da lassen – da ich doch morgen Briefe nach Antwerpen schicke.«

»Ja, Herr Kollboeker,« sagte Behrens etwas bestürzt, denn das kam ihm zu rasch, und so weit war er noch nicht einmal mit sich im Reinen, ob er überhaupt gehen wollte oder nicht, »so geschwind geht's doch freilich nicht. Es ist gar so ein wichtiger Schritt, den ich vorher noch reiflich mit meiner Alten überlegen möchte.«

»Na ich dächte, Ihr hättet Zeit genug zum Überlegen gehabt, aber wie Ihr denkt; ich wäre der Letzte der Euch dazu drängte, denn was hab ich dabei, ob Ihr geht oder da bleibt; mir kann's einerlei sein. So überlegt Euch denn meinetwegen die Sache noch eine ganze Woche lang, bis Ihr selber abreist, und wenn Ihr wollt, könnt Ihr den Contract auch erst in Antwerpen selber unterschreiben, wenn Ihr einmal das Schiff gesehen habt. Das bleibt sich gleich, und bei uns geht Alles offen und ehrlich zu, aber in einer Sache kann ich Euch nicht helfen, wenn Ihr überhaupt mitwollt, – heute ist Mittwoch, bis morgen Abend spätestens muß Euer Gepäck, was Ihr unterwegs mitnehmen wollt, d. h. die großen Kisten, hier sein. Kleinigkeiten könnt Ihr bei Euch behalten, denn übermorgen früh mit dem Packzug um acht Uhr, geht Alles, was ich zu befördern habe, nach Antwerpen ab, um gleich verladen zu werden.«

[S. 40] »Morgen Abend schon?«

»Ja, spätestens,« sagte Herr Kollboeker, »denn wegen Euch allein und extra kann ich doch keine Fracht abschicken; das sieht ein Kind ein. Alles was später kommt, müssen die verschiedenen Eigenthümer auf ihre eigenen Kosten transportiren lassen, und viel später hilft's ihnen nicht einmal mehr was, denn wenn das Schiff erst einmal geladen ist, dann werden die Luken zugemacht und versiegelt, damit unterwegs nichts wegkommen kann, und dann wird keine Fracht mehr angenommen. – Sind Sie denn noch nicht mit den paar Briefen fertig, Meier, das dauert ja eine wahre Ewigkeit.«

»Wir hatten so viel Abhaltung, Herr Kollboeker.«

»Ja, ich kenne Eure Abhaltung schon, – Maulaffen feil halten, wenn ich den Rücken drehe. Eilen Sie sich ein bischen; in einer Viertelstunde bin ich wieder zurück, damit ich sie dann unterschreiben kann. – Also bis morgen Abend vor sieben Uhr, Behrens, denn pünktlich um sieben Uhr wird zugemacht. Bei mir geht Alles auf die Minute, und muß auch bei einem solchen Geschäft so gehen. Also auf Wiedersehen, Behrens. – Apropos, will der junge Mensch, den Ihr da bei Euch habt, auch mit?«

»Nein, Herr Kollboeker, das ist nur ein –«

»Na, gute Nacht Behrens, gehabt Euch wohl,« und ohne sich weiter um die Beiden zu bekümmern, verließ der Agent das Haus, es Behrens anheimgebend seine weiteren Maßregeln zu treffen, wie es ihm beliebe, – er wußte, daß das Gift jetzt wirkte.

Behrens war das gar nicht recht, denn er hätte am liebsten noch eine längere Zeit zum Überlegen frei behalten, auch wohl gern noch einmal mit dem Doctor gesprochen, und Andres, der bei der ganzen Unterredung auch nicht eine Sterbenssylbe gesagt oder gar einen Rath gewagt hatte, ging auch mit zurück. Der Doctor war aber noch nicht nach Hause gekommen, und Niemand wußte wann er wieder kam, [S. 41] da er, sehr ungleich dem Agenten Kollboeker, nichts auf die bestimmte Minute that, und in seinem Beruf auch nicht thun konnte.

Es war dabei schon spät geworden und Behrens mußte an den Heimweg denken, wenn er nicht in stockfinsterer Nacht nach Hause kommen wollte. Er nahm sich deshalb auch kaum Zeit, ein paar Bissen Brod und Käse mit Andres, der hier in gutem Verdienst stand, in der nächsten Restauration zu essen und ein Glas Bier dazu zu trinken, was ihm sein Vetter aufnöthigte, – dann wanderte er mit schwerem Herzen und von Zweifeln gequält den langen Weg nach Groß-Emmen zurück, um mit seiner braven Frau zu berathen, was sie nun thun, – ob sie bleiben und das bisherige karge Leben, das ihnen nur Noth und Mangel gebracht, fortführen oder auswandern sollten in ein fremdes, weit gelegenes Land, um die Heimath nie – nie wiederzusehen.

Und was hatte ihnen das Vaterland eigentlich bis jetzt geboten? Lieber Gott, sie verlangten ja wahrlich nicht viel, – nur leben wollten sie, – nur nothdürftig leben und sich satt essen und nicht ewig in Sorge und Angst sein, um das Nothdürftigste für sich und die Kinder herbeizuschaffen. Aber selbst das war der Mann in der letzten Zeit – und da noch ein Kind dazu gekommen – nicht mehr im Stand gewesen, zu erschwingen. Kinder sollten ein Segen sein, und sie wurden ihnen hier zur drückendsten Last, während noch außerdem die Frau an zu kränkeln fing, da sie in ihrem schwächlichen Zustand jeder stärkenden Nahrung und kräftigen Kost entsagen mußte.

»Schlimmer kann es dort auch nicht sein,« lautete auch zuletzt das Resultat der langen Verhandlung zwischen den beiden Gatten; schlimmer kann es nicht kommen, denn zu essen und zu trinken werden wir doch in dem fremden Lande haben und – wir brauchen nicht zu fürchten, daß unsere [S. 42] Kinder betteln gehen müssen, wenn ihnen der Vater einmal plötzlich wegsterben sollte.

Es ist das jene furchtbare Aussicht, die Tausende von braven, wackeren Menschen hinaus aus Deutschland in ein fernes Land treibt, und mit wie schwerem Herzen gehen sie fort! – O, wie gern, – wie gern wären sie daheim geblieben.

Viertes Capitel.
Die Abreise.

Am nächsten Tag hatte Behrens und seine Familie alle Hände voll zu thun, um ihr weniges Eigenthum in Kisten zu packen. Behrens war an dem Morgen wieder zweifelhaft geworden was er thun sollte, denn die Warnungen des Doctors und selbst Herrn Frommann's Einwürfe fielen ihm wieder ein und ließen ihn fast die ganze Nacht nicht schlafen – aber das Gepäck mußte fort, der Agent hatte es ihm ja gesagt, wenn er nicht die ganze Fracht dafür bezahlen wollte, und wie wäre er das im Stande gewesen? Mußte er nicht sogar das mühsam aufgefütterte Schwein, seine paar Hühner und manches Andere verkaufen, um nur ein paar Thaler in die Hände zu bekommen und die nöthigsten Ausgaben damit zu decken?

Herr Frommann vom Gut ließ ihm die Sachen in die Stadt fahren, oder gab ihm vielmehr einen Rüstwagen und ein paar Pferde dazu, daß er es selber besorgen konnte, und Herr Kollboeker stand schon in der Thür und wartete darauf, besorgte auch sogleich, daß sie mit anderen, schon dort stehenden Kisten an den Bahnhof gefahren wurden. Er hatte einen [S. 43] besonderen Waggon für seine Güter genommen, die augenblicklich eingeladen und noch mit dem nächsten Zug befördert wurden.

Nach dem Contract frug ihn der Agent aber gar nicht wieder, das hatte Zeit und drängte nicht, denn jetzt waren ihm die Leute sicher genug. Ihr ganzes Gepäck hätten sie doch nie im Stich gelassen.

Behrens fuhr still und schweigend, ohne nur ein einziges Mal in der Stadt einzukehren, nach Groß-Emmen zurück, und scheute sich fast seine eigene Wohnung zu betreten, so wüst und leer sah es an dem Abend darin aus.

Nur die nothwendigsten Betten für das Kind hatten sie zurückbehalten; für die andere Familie war Stroh im Schlafzimmer aufgeschüttet worden, das ihm der Pachter ebenfalls geborgt. Es that ihm leid einen braven Arbeiter zu verlieren, denn er hatte Behrens immer gern gehabt, hütete sich aber auch wohl, ihm von dem, wie es schien fest gefaßten Plan abzureden, denn wäre es ihm später einmal schlecht gegangen, so hätte er sich am Ende gar, wenn auch noch so ungerechten Vorwürfen ausgesetzt, der Familie in ihrem »Glück« hinderlich gewesen zu sein. Es war das eine Sache, die Jeder mit sich selber ausmachen, aber dann auch selber vertreten mußte.

Den Freitag und Sonnabend hätte Behrens gern noch mit auf dem Gut gearbeitet, um wenigstens die paar Tage Lohn zu verdienen – aber es ließ ihm keine Ruh. War es, daß er jetzt ein paar Thaler in der Tasche hatte – war es das Gefühl, nun bald für immer von so vielen lieb gewonnenen Plätzen Abschied nehmen zu müssen, aber rastlos wanderte er am nächsten Tag von Fleck zu Fleck, bald hinaus auf das Feld, bald zum Schulmeister, bald zum Kirchhof, wo seine Eltern und ein vor drei Jahren gestorbenes Kind ruhten, und wohl eine volle Stunde lang saß er auf dem nächsten Hügel der das kleine Dorf überschaute, und blickte [S. 44] hinab auf die Häusergruppe mit ihren rothen Ziegeldächern, auf den alten Kirchthurm, die Pfarrwohnung und seine eigene kleine Hütte, in welcher er so viele, viele traurige Stunden, aber doch auch wieder manche glückliche verlebt, und gerade diese gingen jetzt an seinem inneren Geiste vorüber.

Am Feierabend kamen nachher viele der frühern Kameraden zu ihm, um mit ihm über Brasilien zu sprechen – er mußte es ja doch jetzt wissen, denn er ging hin in das weite, fremde Land; aber ihm selber war viel zu weh ums Herz, als daß er einem Andern hätte zureden mögen, einen gleichen Entschluß zu fassen; er blieb einsilbig und niedergeschlagen, und der Besuch ging unbefriedigt fort.

Es ist eigenthümlich, mit welcher fabelhaften Zähigkeit die menschliche Seele an alt Gewohntem hängt, und wir verlassen mit fast eben so schwerem Herzen einen Ort, in dem wir uns elend gefühlt, und aus dem wir uns tausend und tausend Mal hinausgesehnt, wie eine Stelle, die nur glückliche Erinnerungen für uns trägt.

Am nächsten Morgen ging Behrens noch einmal in die Stadt, um mit Herrn Kollboeker die genaue Abfahrtszeit zu besprechen und noch Manches über das fremde Land, und wie er sich besonders in der Seestadt zu benehmen habe, zu erfragen. So redselig Herr Kollboeker aber auch früher über Brasilien gewesen war, als es noch galt die Lust zur Auswanderung in dem Mann rege zu machen, so wenig Zeit hatte er jetzt sich mit ihm einzulassen.

»Mein lieber Freund,« sagte er, in seinem Comptoir zwischen einer Unzahl von Papieren herumkramend – »Sie kommen mir heute sehr ungelegen. Die Abfahrtszeit wissen Sie jetzt – Sie müssen Sonntag Morgen Punkt halb Zwölf spätestens hier am Bahnhof sein, denn um zwölf Uhr zwanzig geht der Zug. Auf Weiteres kann ich mich aber für jetzt nicht einlassen, denn ich habe bis zur [S. 45] nächsten Post noch einige zwanzig Briefe zu schreiben und zu dictiren.«

»Aber meinen Contract –«

»Den nehmen Sie mit nach Antwerpen. Dort am Bahnhof wird Jemand sein der Sie empfängt, und dort erfahren Sie auch Alles, was Sie zu wissen brauchen. Bitte, Meier, stellen Sie sich einmal dahin und schreiben Sie, damit wir das nur endlich fertig kriegen.«

Behrens ging; er sah ein, daß er den so sehr beschäftigten Herrn Kollboeker heute nicht stören dürfe. Er schüttelte den Kopf; der Mann war früher so herzlich und theilnehmend gegen ihn gewesen, und jetzt auf einmal so kalt und vornehm – aber du lieber Gott, er hatte wohl den Kopf voll – zwanzig Briefe – das war keine Kleinigkeit und er wußte recht gut, welche Mühe und Arbeit es seiner sonst in Allem so flinken Frau gemacht, wenn sie nur einmal einen einzigen hatte schreiben müssen.

Wie er die Straße langsam und traurig hinunterschritt, begegnete er dem Doctor, der ihn augenblicklich wieder erkannte.

»Heh?« sagte er, indem er stehen blieb, »ist das nicht unser Brasilianer? – Nun, wie ist's? Den Contract habt Ihr doch nicht unterschrieben?«

»Nein, Herr Doctor,« sagte der Mann, und wurde bis hinter die Ohren roth, – »ich kann's mir noch eine Weile überlegen.«

»Das ist gescheut,« nickte der alte Herr, »und noch gescheuter wär's, Ihr bliebet ganz hier, denn wenn sie Euch auch einen bessern Contract aufsetzen, so ist hier doch Deutschland und drüben Amerika, und was hier gilt, kann möglicher Weise dort drüben auch nicht einen Stecknadelknopf werth sein.«

»Ja« sagte Behrens mit einem Seufzer, »das ist wohl [S. 46] wahr. Nun ich soll ja aber in Antwerpen ganz genau erfahren, wie es damit wird.«

»In Antwerpen? – was wollt Ihr denn dort

»Ja da liegt ja das Schiff, und unsere Sachen sind schon voraus gegangen.«

»Eure Sachen habt Ihr schon fortgeschickt?« rief der Doctor in blankem Erstaunen aus, »und noch keinen ordentlichen und anständigen Contract in den Händen?«

»Der Herr Kollboeker meinte das hätte bis dort Zeit.«

»Natürlich,« nickte der Arzt, »weil sie Euch jetzt sicher genug in der Tasche haben, denn Ihr lauft ihnen nun nicht mehr fort. Na, dann glückliche Reise, Freund. Wer nicht hören will muß fühlen« und ihm zunickend ging er ärgerlich die Straße hinab.

Behrens schaute ihm verdutzt nach. »Wer nicht hören will muß fühlen,« hatte der alte Herr gesagt, – sollte er denn wirklich einen dummen Streich gemacht haben? – Und jetzt waren die Sachen fort. Er hatte allerdings keinen freien Willen mehr und mußte nach, und daß er von dort nicht wieder zurück konnte, war ebenso gewiß. Ein Gutes hatte aber dieser Zwang trotzdem: er war endlich die Zweifel losgeworden die ihn bis dahin immer noch gequält. Jetzt, nachdem die Würfel gefallen, half auch kein Überlegen und kein Grübeln mehr, und zum ersten Mal, als er weiter schritt, hob er trotzig und entschlossen den Kopf, denn er fühlte die Kraft in sich, seine Familie mit Fleiß und Ausdauer – wo es auch sei und unter welchen Verhältnissen, eben so gut – und jedenfalls besser durchzubringen wie hier im Vaterland. »Es hat einmal so sein sollen,« tröstete er sich, »der liebe Gott hat's gewollt, und der wird uns ja auch schon weiter helfen.«

Von jetzt an betrieb er das Nöthige vor der Abreise mit Ruhe und Besonnenheit, und nur als der Abschied wirklich heranrückte, und seine Frau bitterlich weinend auf dem Wagen [S. 47] saß, den ihnen Einer der Bauern zur Verfügung gestellt um die zum Gehen noch zu schwache Frau fortzubringen, da liefen auch ihm die Thränen an den wetterbraunen Wangen nieder.

Ja, wär es ein stürmischer, regnerischer Tag gewesen, ein wildes Wetter, wo die Windsbraut über die Felder jagte und düstere Wolken den Horizont beengten, Behrens hätte sich vielleicht leichter hineingefunden, – aber der helle, warme Sonnenschein, die Lerchen jubelnd in der Luft, Glockengeläute vom alten Kirchthurm nieder, neben dem er die theuren Gräber ließ, und freundliche geputzte Menschen um sich her, die ihm Alle zunickten und den davon Ziehenden mit den Tüchern nachwinkten. Das faßte ihm das Herz wie mit eisernen Zangen, und Wald und Sonnenschein, Heimath und Freundesgruß schwammen in seinen Thränen zusammen, während es ihm war, als ob bei dem Geläute der alten, lieben Glocken Alles noch einmal zu Grabe getragen würde, was er je in der Welt verloren.

Aber auch das wich von ihm, – weit in der Ferne verhallten die Töne, über das rauhe Straßenpflaster der Stadt rasselte der Rüstwagen, und fremde, geschäftige Menschen umdrängten ihn, als er den Bahnhof endlich erreichte und nun für sich und all die Seinen denken mußte. Da war keine Zeit mehr, sich dumpfem Brüten hinzugeben; Herr Meier, aus Kollboeker's Geschäft, hatte die Beförderung der Auswanderer überkommen und schleppte ihn bald da, bald dort mit hin, um zunächst das mitgeführte Reisegepäck, dann ihn selbst und die Seinen unterzubringen. Und nicht lange, so läutete die Glocke das Zeichen zur Abfahrt, – die Maschine pfiff, und fort wurden sie gerissen durch das weite Land, der unbekannten Ferne entgegen.

Aber wie fremd kamen sich die Armen schon hier im eigenen Vaterland vor, wie sie nur erst die Marken ihres heimischen Dorfes hinter sich hatten. Da war kein bekanntes [S. 48] Gesicht mehr, auf das ihr Auge fiel, kein menschliches Wesen, das sich um sie bekümmert hätte oder nach ihnen gefragt. Nur die Bahnbeamten schoben sie manchmal, wenn der Zug gewechselt wurde, da und dort hinüber, und wollten wissen, ob sie auch ihre Fahrbillette hätten; dann ging's weiter, immer weiter, in eine endlose Ebene hinaus, mit Dörfern und Wiesen und blauem Himmel wie daheim, aber doch so fremd Alles, so entsetzlich fremd.

Tag und Nacht fuhren sie so durch; die Kinder, die sich Anfangs über die Reise gefreut, wurden ungeduldig und fingen an zu weinen, das Kleinste schrie viel, und die Mitpassagiere ärgerten sich darüber und sprachen oder lachten auch wohl untereinander. Endlich stiegen Leute ein die eine ganz fremde Sprache redeten, und Canäle durchzogen das Land, das fast nur aus grünen Wiesen bestand, auf denen zahllose Heerden weideten, – und zuletzt erreichten sie eine große mächtige Stadt an einem Strom, so breit, wie die Deutschen noch gar keinen in ihrer Heimath gesehen, und von hieraus mußten sie nun auf dem großen Wasser fahren, vor dem sich die Frau im Stillen immer gefürchtet hatte.

Wie ihnen Herr Kollboeker daheim gesagt, sollten sie auch hier einen Mann treffen, der sich ihrer weiter annehmen und ihre Beförderung auf das Schiff besorgen würde; wie der sie aber aus der ungeheuren Menschenmenge, die da auf und ab wogte, herausfinden konnte, begriff Behrens nicht, und noch stand er, das jüngste Kind auf dem Arm, während sich die anderen um ihn und die Mutter drängten, auf dem Perron, und sah rathlos und scheu in das ihn umtobende Gewühl hinein, als ein junger, sehr elegant gekleideter Herr auf ihn zukam und freundlich sagte: »Familie Behrens aus Groß-Emmen?«

»Ja, du lieber Gott,« rief die Frau, ordentlich erschreckt, »woher wissen Sie denn das schon?«

Der junge Mann lächelte und während er – aber in [S. 49] einer Sprache, welche die Auswanderer nicht verstanden – einen der Packträger, der eine Nummer an der Mütze trug, herbeiwinkte, frug er Behrens nach seinem Gepäckschein, der Jenem übergeben wurde, und lud dann die Auswanderer ein mit ihm zu kommen, daß er sie in ein Wirthshaus führe, wo sie übernachten könnten, denn sie sollten erst morgen früh an Bord des Schiffes gebracht werden.

Die Frau wollte allerdings den Bahnhof nicht verlassen, ohne ihre Sachen mitzunehmen; der junge Fremde beruhigte sie aber darüber, und brachte sie auch endlich so weit, daß sie ihm folgten.

Von jetzt ab gingen die Deutschen wie in einem Traum herum, denn wenn auch noch in Europa, fanden sie sich doch in einer vollkommen fremden Welt, in der sie sich nicht zu rathen und zu helfen wußten. Da sahen sie rings um sich Menschen in einer anderen Tracht, die eine andere Sprache redeten, – selbst an den Häusern die Schilder konnten sie nicht lesen, und ordentlich erstaunt blieben sie stehen, als oben von dem einen Thurm ein Glockenspiel die Stunde anzeigte.

Glücklicher Weise brachte sie ihr Führer zu Deutschen, und forderte dann Behrens auf, mit ihm auf das Comptoir zu gehen, um dort ihre Angelegenheit zum Schluß zu bringen.

Behrens folgte ihm willenlos, und wenn er auch manchmal gern stehen geblieben wäre, um sich in den Straßen umzusehen, wo wunderliche Frauengestalten mit langen Strickstrümpfen und hohen Mützen in Holzpantoffeln vor den Thüren saßen, und mit einander erzählten und plauderten, ließ ihm sein Führer doch keine Zeit dazu.

Er hielt auch nicht eher, als bis sie wieder ein schmales, in der unmittelbaren Nähe des Strandes gelegenes Haus erreichten, an dessen Thür sich ebenfalls viele Schilder befanden, die Behrens aber auch nicht lesen konnte. Dort [S. 50] traten sie ein, und der arme Tagelöhner fand sich plötzlich in einem langen, wenn auch ziemlich schmalen Saal, in welchem wohl zwölf oder vierzehn Herren emsig schrieben und keine Seele sich um ihn bekümmerte. Dort wurde er hindurch geführt, ohne daß ihn auch nur Einer angesehen hätte, in ein anderes, kleines Gemach, in welchem kostbare Möbel standen und zwei ältliche Herren an ihren Pulten saßen.

Dem Einen von diesen meldete Behrens' Führer seine Ankunft, ohne daß der Herr aber nur den Kopf gehoben hätte, so war er in ein Papier vertieft, in dem er gerade las. Endlich sah er Behrens über seine Brille an, und ohne ein Wort zu sprechen, betrachtete er ihn wohl über eine halbe Minute, so daß der arme Teufel ganz verlegen wurde. Endlich sagte er auf deutsch, aber mit einem etwas fremdartigen Ausdruck: »Wo ist Euer Contract?«

»Hier, Herr,« erwiderte Behrens, und überreichte ihm das Papier, in das jener einen flüchtigen Blick warf.

»Ihr habt ja noch nicht unterschrieben.«

»Ja, sehen Sie – « sagte Behrens, und hätte jetzt gern noch einige Bedenklichkeit, über die er unterwegs gegrübelt, vorgebracht, aber es ging nicht. Erstlich fiel ihm nicht einmal gleich ein, was er eigentlich sagen wollte, und dann hatte der Herr vor ihm mit der grünen Brille, dem er nicht einmal in die Augen sehen konnte, so entsetzlich viel zu thun, daß er sich kaum mit ihm abgeben mochte. Der alte Herr ließ ihn aber auch gar nicht ausreden.

»Leben die Personen noch alle, die hier auf dem Papier stehen?«

»Wer?« frug Behrens erschreckt.

»Nun, all diese Familienglieder.«

»Gott wolle verhüten, daß Eines davon gestorben wäre,« rief der arme Mann, bestürzt die Hände über den Hut faltend.

»Und sind sie Alle mit Euch hierher gekommen?«

[S. 51] »Jawohl, – gewiß –«

»Gut – dann unterschreibt einmal den Contract. Ihr könnt doch schreiben?«

»Meinen Namen, ja.«

Der alte Herr erwiderte nichts weiter, – er trat einen Schritt zur Seite und reichte Behrens eine von den auf dem Pult liegenden Federn, die er vorher für ihn eintauchte, und Behrens setzte mit zitternder Hand und gar keine Widerrede mehr wagend, seinen Namen an die bezeichnete Stelle auf das Papier.

Der alte Herr sah ihm zu, nahm dann, als Behrens fertig war, das Document und streute blauen Sand über den frisch und etwas dick geschriebenen Namen, faltete es nachher zusammen und legte es auf sein Pult.

»Ja aber,« sagte Behrens etwas verwundert, »bekomme ich denn das Papier nicht wieder?«

»Das muß der Capitän haben, um zu sehen ob die Anzahl der Personen trifft,« sagte der alte Herr, »an Bord wird man es Euch nachher wiedergeben,« und als ob Behrens nicht weiter auf der Welt existire, drehte er sich von ihm ab, und beschäftigte sich wieder mit seiner früheren Arbeit.

Der junge Mann zupfte dabei Behrens am Ärmel, daß er ihm folgen möge, und Beide schritten wieder, ohne daß der Alte des Bauern Gruß erwidert oder nur bemerkt hätte, durch den langen Saal hinaus ins Freie.

Von jetzt an hatte Behrens aufgehört selbstständig zu handeln, und war einzig und allein auf die Hülfe fremder Leute angewiesen. Aber gutes kräftiges Essen bekamen sie wenigstens in dem Wirthshaus, wie es die Familie seit Jahren, vielleicht in ihrem ganzen Leben noch nicht gehabt. Eine gute Suppe, Fleisch im Überfluß, so viel sie davon genießen wollten, und was für ein herrliches Fleisch, und Kaffee mit Zucker und Weißbrod, ja sogar eine Flasche Wein ließ sich der junge Mann geben, der ihn dort hineingebracht [S. 52] und der viel anständiger aussah als Herr Meier, bei dem Auswanderungsagenten daheim – und schenkte Behrens ein großes Glas davon ein.

Es war jedenfalls ein neues Leben, das er damit begonnen hatte und wenn das so fort ging, konnte er recht wohl zufrieden damit sein. Trotzdem kam es ihm unheimlich bei den Fremden vor, denn wenn auch einzelne Leute in dem Haus deutsch miteinander sprachen, so unterhielten sie sich doch nur über Dinge, von denen er kein Wort verstand: von Schiffen, von Fracht und Ladung, von Havarie und anderen ähnlichen Sachen. Aber die Ruhe that ihm und den Seinen wohl, und wenn er sich auch nicht aus dem Haus hinausgetraute, weil er fürchtete, daß er den Rückweg nicht wieder finden würde, erfreute er sich der regelmäßigen Mahlzeiten und war sogar nicht böse darüber, als sie am nächsten Tag hörten, sie könnten noch nicht an Bord gehen, da das Schiff noch nicht ganz segelfertig sei, was ihren Aufenthalt in dem Wirthshaus um einige Tage verlängerte.

Es kam ihm wohl dabei einmal der Gedanke, daß er das, was er hier mit den Seinen bei seinem gar nicht selber verschuldeten Aufenthalt verzehrt habe, am Ende mit seiner Hände Arbeit würde wieder bezahlen müssen – aber er gab sich dem nicht lange hin. Sie waren einmal unterwegs, und jetzt mochte der liebe Gott weiter helfen.

Fünftes Capitel.
Auf See und an Land.

Am dritten Tag kam endlich ein Wagen vor die Thür, der ihre Sachen abholen sollte. Es standen schon eine Anzahl großer unbehülflicher Kisten darauf, wie sie die Deutschen [S. 53] gewöhnlich mit in ein fremdes Land schleppen, und dann, an Ort und Stelle angekommen, nicht wissen, was sie damit anfangen sollen. Dem Wagen folgten sie zu Fuß – Geld wurde ihnen dabei im Wirthshaus gar nicht abverlangt. Der junge Mann aus dem Geschäft kam nur wieder, ließ sich die Rechnung geben, dann begleitete er sie selber zu einem kleinen Dampfer, der bestimmt war sie an Bord ihres Schiffes zu bringen, das schon weiter unten im Strom, in der Schelde lag.

Von da an kamen sie eigentlich nicht mehr recht zu sich selbst; denn wie sie nur das breitere Wasser erreichten und das Schiff an zu schaukeln fing, waren sie kaum im Stande ihr Gepäck zurecht zu rücken und sich selber in ihrem Schlafplatz auf die ausgebreiteten Betten zu werfen. Dann wurden sie krank und behielten nichts als das Gefühl ihres Elends viele Tage lang.

Es war auch in der That eine böse Fahrt, bis sie den Canal hinter sich hatten. Mit kleinen Segeln, bei einem ziemlich heftigen Nordostwind, fuhr das Schiff aus der Schelde hinaus und draußen wehte schon an dem nämlichen Abend ein fliegender Sturm und peitschte die See zu Schaum. Die Wellen schlugen über Deck, und das rasche Laufen der Matrosen auf den Planken, die laut geschrieenen Befehle ängstigten die unglücklichen Passagiere nur noch mehr. Aber der Sturm hatte wenigstens in so fern sein Gutes, daß er das Fahrzeug rasch hinaus aus dem gefährlichen Wasser des Canals und in die offene See hineinfegte. Dort ging die See allerdings noch hoch, aber der Wind ließ doch nach und die Wellen beruhigten sich allgemach; ja es trat sogar am sechsten Tage – wie das nach einem sehr heftigen Unwetter häufig der Fall ist, Windstille ein, und als sich die See glättete und die halbtodten Passagiere an Deck hinaufschwankten, um zum ersten Mal wieder frische Luft zu schöpfen, waren sie aus [S. 54] Sicht von jedem Land und schwammen draußen auf dem weiten, öden Meer.

In dem ruhigen Wetter erholten sie sich aber rasch; der Körper hatte sich auch indessen an das Schaukeln gewöhnt und der so lang vollständig vernachlässigte Magen verlangte sein Recht. Auch Bekanntschaft konnten die Reisegefährten jetzt unter einander machen, denn bis dahin hatte sich Keiner um den Anderen bekümmert.

Es waren noch viele Familien an Bord aus allen Theilen Deutschlands, auch eine Menge junges Volk, und Behrens erkannte zu seinem Erstaunen gerade einen Theil der Burschen wieder, die er damals hatte, mit buntem Schmuck an den Hüten, durch die Stadt ziehen sehen, und die so übermüthig und keck gewesen waren. – Aber lieber Gott, wie traurig und niedergeschlagen sahen sie jetzt, nach der überstandenen Seekrankheit, aus, wie bleich und hohläugig, und nie im Leben würde er aus diesen Jammergestalten die rothbackigen munteren Gesellen von damals wiedererkannt haben, wäre es nicht eben an dem bunten Flitterputz gewesen, den sie noch an den freilich zerknitterten und arg mitgenommenen Hüten trugen. Sie sangen und jubelten auch nicht mehr; ineinander gebrochen saßen sie an Deck umher, und es brauchte Tage lang, bis sie sich nur in etwas wieder erholen konnten.

Besonders viel Familien waren an Bord und eine wahre Unzahl von kleinen Kindern – und alle wollten nach Brasilien, alle hatten ähnliche Contracte unterzeichnet wie Behrens und trugen die Herzen voller Hoffnung dem fremden Land entgegen. Hier war auch Niemand, der sie mit Sorge oder Verdacht erfüllt hätte; kein Mensch, der von unvollständigen oder zweideutigen Contracten oder von schlechten Bedingungen sprach. Die alte Welt lag hinter ihnen, mit ihren pedantischen Ansichten und kleinherzigen Rücksichten, und was sich vor ihnen ausbreitete, war ein neues frisches Leben voller Glanz und Sonnenschein.

[S. 55] Sonderbar nur, daß Keiner der Passagiere angeben konnte wohin er ging. Es fiel ihnen jetzt allerdings auf, wo sie sich darüber untereinander aussprachen, daß Keiner von Allen noch einen bestimmten Platz wußte, und eigentlich nur das Wort »Brasilien« der Sammelpunkt war, den sie sich bis dahin gedacht – aber wo in Brasilien würde ihr künftiger Aufenthalt sein?

Einer der Passagiere, ein wunderlicher Kauz mit einem ganz jungen frischen Gesicht, aber schneeweißen Haaren und einem eben solchen Barte, hatte eine Karte mit und schien auch einen ungefähren Begriff von Geographie zu haben. Er zeigte ihnen das brasilianische Kaiserthum und berechnete ihnen die ungefähre Größe des gewaltigen Reiches nach den angegebenen Graden.

Auch den Hafen fanden sie darauf angegeben, nach welchem sie bestimmt waren; aber nicht alle Passagiere gingen dorthin. Einige sollten nach Bahia, Andere nach Mucury geschafft werden, und man vermuthete natürlich, daß das Schiff an den verschiedenen Punkten anlegen werde, wenn diese auch ziemlich weit von einander entfernt lagen.

Und wie es in dem fremden Lande werden würde? – Keiner der Auswanderer hatte auch nur eine Ahnung davon, aber Alle soviel von dem herrlichen Klima und den paradiesischen Früchten gehört, daß sie die Zeit kaum erwarten konnten, in welcher sie den Platz erreichen, und Alles an Ort und Stelle selber sehen würden.

So verträumten sie die Tage, mit Hoffnungen und Plänen, in die ihnen Niemand einen Mißton bringen konnte, und da auch von jetzt an warmes und freundliches Wetter mit günstigem Winde einsetzte, scheuchte der blaue Himmel selbst die letzten Sorgen fort.

Eigenthümlich war, daß sämmtliche Passagiere ihre »Contracte« hatten in Antwerpen abliefern müssen, und wenn auch gar nichts in denselben stand, was die Arbeitgeber [S. 56] im Geringsten hätte gegen sie, die Arbeiter binden können, so hängt doch der Deutsche nun einmal mit merkwürdiger Zähigkeit an etwas Schriftlichem, und wiederholt waren die Gesuche an den Capitän gewesen, ihnen die Papiere zurückzugeben.

Anfangs hatte dieser nur einfach gesagt, sie müßten erst eingetragen werden, und das hätte noch Zeit, denn sie blieben noch eine lange Weile zusammen auf der See, dann mischte sich aber auch noch ein anderer Mann hinein – ein langer, magerer Herr, den sie bis dahin nur für einen Cajütspassagier gehalten, der ihnen aber erklärte, daß er der Supercargo des Schiffes und Bevollmächtigter des Hauses in Antwerpen wäre. Dieser erklärte ihnen – nachdem sie etwa vier Wochen in See waren – daß die Contracte erst Jedem ausgeliefert würden, wenn sie an Land kämen, um sich bei ihren neuen »Brodherren« zu legitimiren. Hier auf See brauchten sie dieselben doch nicht, und sie könnten nur vielleicht verloren gehn, was nachher die größte Verwirrung herbeiführen würde.

Das blieb der einzige Bescheid den sie erhielten, und sie mußten sich, wohl oder übel, damit begnügen.

Wieder vergingen vierzehn Tage; der Wind war ihnen günstig, denn sie hatten jetzt lange die nordöstlichen Passate erreicht, die sie der neuen Heimath entgegenführten, aber diese wehten außerordentlich schwach und sie machten wohl steten aber doch ziemlich langsamen Fortgang. Endlich – endlich bekamen sie das erste Zeichen, daß sie sich wirklich dem Festland näherten, denn das Loth oder Senkblei wurde geworfen, um zu sehen ob sie Grund fänden, da sich an vielen Küsten, besonders an den amerikanischen, die Entfernung des Landes ziemlich sicher und genau nach der Tiefe des Meerbodens beurtheilen läßt, die man findet.

Zwei Tage später rief der Mann, der Morgens mit Tagesanbruch in den Top gesandt wurde: Land! Wenn [S. 57] die Passagiere aber auch sämmtlich an Deck standen und dort hinüber schauten, konnte doch Keiner von ihnen auch nur das Geringste entdecken, was ihrer Vorstellung von Land nur einigermaßen entsprach. Da waren keine Berge noch bewaldete Höhen zu entdecken, keine Städte noch Dörfer, und wo da Land sein sollte, wußte Keiner von ihnen. Nur am westlichen Horizont bemerkten sie endlich, nachdem ihnen der Steuermann drei oder viermal die Stelle gezeigt, einen lichtblauen niedrigen Streifen, der aber auch eben so gut eine Wolke sein konnte, so dicht lag er auf dem Wasser, und so vollkommen verschmolz er mit dem überdies dunklen Rand des Horizonts, der sich stets gegen den blauen Himmel abspiegelt. Aber die Brise war ihnen günstig. Je weiter sie dabei nach Westen vorrückten, desto mehr hob sich der Rand in die Höhe, und gegen Mittag konnten Alle schon die Abzeichnung der Bergcontouren erkennen, die immer deutlicher hervortraten und höher wurden.

Trotzdem segelten sie den ganzen Tag noch dagegen an, ohne es zu erreichen, und erst mit einbrechender Nacht sahen sie ein helles, funkelndes Licht von dort herüberglimmen, – den Leuchtthurm, der ihnen die Stelle kündete, wo sie anzufahren hatten.

Und alle Passagiere standen in der wunderbar schönen milden Nacht an Deck und schauten nach dem Licht hinüber, das ihnen von der brasilianischen Küste entgegen funkelte, und welch ein eigenthümlich beängstigendes Gefühl war es, das dabei ihre Herzen erfüllte! Dort war das Land, dem sie ihre Zukunft anvertraut hatten, von dem geheimnißvollen Schleier der Nacht bedeckt, und dort, wo jetzt noch die kleinen hellen Punkte am Ufer hervortraten und sich wie ein Streifen an der Küste hinzogen, wohnten Menschen, – wohnten wirkliche Brasilianer, zwischen denen sie von nun an leben und wirken sollten. Dahinter aber lagen die Berge mit ihren düsteren Waldungen und Schatten, mit wilden Thieren, [S. 58] Indianern, bunten Vögeln und großen, giftigen Schlangen, und das Alles sollten sie jetzt sehen, – in dem Allen sollten sie mitleben, das so ganz Anders wie die Heimath war.

Und wie würde sich dort nun zwischen den fremden Menschen ihr Schicksal gestalten? – es war eine ernste Frage, die sie sich stellten, und selbst die Schaar der jungen Burschen, die den Tag hindurch übermüthig und ausgelassen genug gewesen, schien recht still und nachdenkend geworden zu sein. Sie alle lehnten schweigend oder leise mit einander flüsternd an Bord und schauten nach den Lichtern hinüber, die ihnen von dort drüben entgegenwinkten.

Das Schiff selber hielt aber nicht mehr genau auf die Küste zu, sondern kreuzte daran auf und ab, da der Capitän den Hafen zu wenig kannte, um dort bei Nacht einzufahren. Das Wetter war ja auch so still und freundlich, daß er nichts dabei zu wagen hatte. Er konnte recht gut den Morgen abwarten, um hinanzulaufen und nachher zu ankern.

Und der Morgen kam. – Aus der verlassenen Heimath her sandte ihnen die Sonne ihr Licht und übergoß die Berge Brasiliens mit ihrem duftigen Schimmer – und dicht vor ihnen lag das Land, auf das der Capitän schon von vier Uhr früh an scharf zugesteuert hatte. Deutlich konnten sie die einzelnen lichten Wohnungen zwischen dem saftigen Grün der Bäume erkennen, und hie und da ragten daraus die hohen, phantastischen Kronen der Palmen hervor und schüttelten ihre gefiederten Blätter im Wind.

Jetzt aber, mit dem hellen Tageslicht, war auch der unheimliche Zauber gebrochen, der in der Nacht auf den Herzen der Auswanderer gelegen.

»Was fragen wir nach Gut und Geld!
Wir wandern fröhlich in die Welt.
Brasi–lien ist unsre Seligkeit.
Halli, Hallo! Brasilien ist nicht weit von hier.
Halli, Hallo! Brasilien ist nicht weit!«

[S. 59] sangen die jungen Burschen jubelnd dem nahen Land entgegen, und selbst von den Alten stimmten jetzt Viele in das Lied mit ein.

Brasilien war jetzt allerdings nicht weit; schon konnte man einzelne, sich bewegende Gestalten am Land erkennen, und jetzt – ein merkwürdiges Geräusch dröhnte durch das Schiff, wie das Rasseln einer schweren Kette. Es war der auslaufende Anker und gleich darauf schwang das wackere Fahrzeug herum, und die Reise war beendet.

Jetzt allerdings entstand eine scheinbare Verwirrung an Bord, denn Alles lief durcheinander und die Auswanderer sahen sich schon bestürzt an, weil sie glaubten, es könne irgend ein Unglück geschehen sein. Aber jeder der Matrosen wußte was er zu thun hatte, und während die Jüngeren an den Wanten hinaufliefen, um die Segel fest zu machen, waren Einige mit dem Anker beschäftigt, indeß Andere des Capitäns Jölle in See herabließen. Aber dieser selber ging noch nicht an Land, denn er mußte vorher den Besuch der Hafenpolizei abwarten, die auch nicht lange ausblieb.

Das Schiff, das man bald als ein Fahrzeug mit Emigranten erkannte, war schon mit Tagesanbruch beobachtet worden, und kaum schoß der Anker in die Tiefe, als auch ein Boot vom Lande abstieß, das ihm entgegenruderte.

Über den hintern Theil desselben war ein Sonnenzelt gespannt, daß man die darunter Sitzenden nicht erkennen konnte, vorn aber ruderten vier, bis zum Gürtel nackte Neger, die schwarzen Wollköpfe mit kleinen Strohhüten bedeckt, und zogen natürlich die Aufmerksamkeit der Deutschen vor allem Anderen auf sich. Waren es doch die ersten Schwarzen, die sie zu sehen bekamen.

Jetzt legten sie an, – die Fallreepstreppe war schon vorher hinunter gelassen, und nach einer vorherigen Anfrage, ob Alles wohl an Bord sei, kletterten die Brasilianer daran in die Höhe.

[S. 60] Das waren wirklich ächte, – wie braun und sonnverbrannt sie aussahen, und was für breiträndige Strohhüte und luftige, dünne, seidene, helle Röcke und weite Hosen sie trugen – und der Eine von ihnen – die Frauen kicherten untereinander – ging sogar in gestickten Pantoffeln und hatte doch ein großes Loch hinten im Strumpf.

Der Capitän verstand kein portugiesisch, aber der Herr, den er in seiner Cajüte mitführte, – der sogenannte Cargadeur des Schiffes oder Supercargo, wie er auch genannt wird, – und dieser unterhielt sich eine Weile mit den Brasilianern, und jedenfalls sprachen sie hauptsächlich über ihre »lebendige Fracht«, die Auswanderer. Die Neger kamen indessen nicht mit an Deck herauf, sondern blieben unten im Boot auf ihren Plätzen sitzen, und als die Deutschen neugierig nach ihnen über die Schanzkleidung hinabsahen, lachten sie ihnen zu und schnitten ihnen so furchtbare Gesichter, daß sie die Frauen und Kinder fürchten machten. Sie kokettirten ordentlich mit ihrer scheußlichen Häßlichkeit.

Das dauerte aber nicht lange. Der Brasilianer mußte doch wohl die ihm vorgelegten Papiere alle in Ordnung befunden haben, denn er trank ein Glas Wein mit dem Capitän und Supercargo, da der Cajütendiener rasch Flaschen und Gläser herbeigeschafft hatte, und stieg dann wieder in sein Boot hinab, wo die Neger jetzt so ernsthaft und ehrerbietig saßen, als ob sie nie ein Wasser getrübt, oder ein Gesicht geschnitten hätten, und fort schoß das schlanke Fahrzeug gegen die Stadt zu. Aber ehe ihm der Capitän in seiner Jölle folgen konnte, wurde es von zwei anderen abgelöst, die, ebenfalls von Negern gerudert, herbeiglitten.

Die Passagiere der beiden stiegen fast zu gleicher Zeit an Deck, und unter diesen befand sich auch ein Deutscher, – er redete wenigstens den Supercargo deutsch an. Von allen diesen nahm aber Keiner die geringste Notiz von den Auswanderern, die doch dicht gedrängt um die Fallreepstreppe [S. 61] standen. Sie grüßten nicht einmal etwas, das zum »Zwischendeck« gehörte, sondern gingen glatt hindurch zum Quarterdeck, wo sie den Leuten auf das Freundschaftlichste die Hand schüttelten. – Was gingen sie die deutschen Arbeiter an, die hier herübergekommen waren um ihre Felder zu bebauen und ihre Ernten einzubringen, – und doch that es den armen Deutschen weh.

Sie hatten sich so darauf gefreut, hier herüber zu kommen und in gutem Einverständniß mit den Brasilianern zu leben; sie waren so fest entschlossen, sich gut und ehrlich durch die Welt zu bringen und die eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen, und jetzt würdigte sie Keiner dieser Leute, – nicht einmal der Landsmann, der mit an Bord gekommen war, nur eines Grußes oder selbst nur eines Blicks. Sie hatten auf einen freundlichern Empfang in Brasilien gerechnet, und ein eigenes, unbehagliches Gefühl bemächtigte sich ihrer. Es sang auch keiner mehr von ihnen, oder lachte und plauderte; Alle schauten still und befangen auf die Fremden, und es war, als ob ihnen eine Ahnung sage, daß jetzt da oben auf dem Quarterdeck ihr künftiges Schicksal entschieden werden solle.

Hören konnten sie freilich nicht was da oben verhandelt wurde, und nur einmal verstanden sie die lauter als gewöhnlich gesprochenen Worte des Capitäns, daß er »die Passagiere aus dem Wege haben müsse, um zu ihrer Fracht zu kommen. Er könne sie nicht länger an Bord behalten, denn sein Contract wäre erfüllt, und weiter hätte er nichts mit dem Volk zu thun.«

Dabei blieb es auch, denn wie sie kaum ihr Mittagsessen verzehrt hatten, was sie noch an Bord bekamen, wurde ihnen angekündigt, ihre Sachen zusammenzupacken und sich fertig zu machen, da sie an Land gefahren werden sollten.

Wie hatten sich Alle danach die vielen Wochen gesehnt, daß sie erst das enge Schiff einmal verlassen und das weite herrliche Brasilien betreten könnten, – jetzt war ihnen bänglich [S. 62] zu Muthe. Die Entscheidung ihres Schicksals rückte an sie heran, und Viele, vielleicht Alle, – hätten noch gern einen Tag zugegeben, um das hinauszuschieben, – aber es ging eben nicht. Man ließ ihnen kaum Zeit, ihre wenigen ausgepackten Habseligkeiten wieder in die Kisten zu thun und zu verschließen, und indessen arbeiteten die Matrosen schon scharf daran, Alles, was unter ihre Hände kam, mit Tauen zu umwerfen und nach oben zu hissen. Auch die Betten wurden zusammengeschnürt, und kaum eine Stunde später lag das obere Deck so gedrängt voll Gepäck, daß man sich kaum dazwischen durchbewegen konnte, und die Matrosen auch, rücksichtslos genug, über Alles hinwegkletterten. Was that es auch, wenn sie hier einmal in eine Schachtel hineinbrachen oder einen schwachen Kistendeckel sprengten; die Deutschen mochten sehen, wie sie das wieder in Stand setzten.

Dann kam eine große Launch vom Ufer abgefahren, die langseit legte und in welche die verschiedenen Frachtstücke eben so rücksichtslos hineingelassen wurden. Die Matrosen fluchten nur dabei über die großen, schweren, unbehülflichen Kisten. Dann kam noch eine, die den Rest nahm und Einzelne von den Passagieren, und zuletzt kehrte die erste zurück in welcher sämmtliche noch vorhandene Passagiere untergebracht und an Land geschafft wurden.

Niemand an Bord nahm auch Abschied von ihnen; hie und da drückte wohl ein Matrose Dem oder Jenem der Auswanderer, mit dem er sich unterwegs befreundet und dessen Rum er ausgetrunken, die Hand. Capitän wie Supercargo kümmerten sich nicht um die Leute, und waren sogar schon vorher ans Land gefahren, wobei der Capitän, als er das Schiff verließ, seinem Steuermann noch zurief, wenn er zurück käme, müsse das Fahrzeug rein sein.

Auf der Launch war auch Niemand, mit dem sie ein Wort sprechen konnten; die Besatzung bestand aus ein paar halbnackten Negern, die sich in einemfort unverständliche Sachen [S. 63] zuschrieen und dabei mit einander lachten. So glitten sie dem Ufer zu. Einer der jungen Burschen wollte in einer Art von verzweifelter Lustigkeit wieder das Lied anstimmen: Brasilien ist nicht weit von hier! – aber schwieg ordentlich erschreckt, als auch kein Einziger der Übrigen mit einstimmte. Es war ihnen nicht wie Singen zu Muthe.

Jetzt liefen sie an den Platz an, wo sie ausgeschifft werden konnten. Was da für wundervolle Bäume am Ufer standen und wie herrlich das fremde Land aussah; aber die vielen fremden Gesichter beängstigten sie, schwarze, braune, gelbe, und wie das Volk da umher lachte und plauderte, und sich vielleicht über sie lustig machte, – wer konnte es wissen. Und als sie endlich ausgestiegen und am Land standen, war da auch nur Einer von Allen, der auf sie zukam und ihnen die Hand geboten oder einen Gruß entgegengerufen hätte? Ja, um sie her drängten sie, um sie besser betrachten zu können, so dicht, daß sich die Kinder schon fürchteten und zu weinen anfingen; aber Niemand kümmerte sich um sie. Sie wußten nicht einmal wohin sie sich wenden sollten, wohin man ihr Gepäck gebracht – und wie die Sonne dabei auf ihre Köpfe niederbrannte. Wie heiß das hier in dem fremden Lande war.

Ein alter Neger rief ihnen allerdings etwas zu und zeigte in die Stadt hinein; sie verstanden ja aber nicht was er sagte, was er von ihnen wolle, und schüttelten nur die Köpfe.

Eine volle halbe Stunde mochten sie so rathlos und voll in der glühenden Sonne dagestanden haben, als ihnen endlich Erlösung wurde.

»Nun, Ihr Leute,« rief der Supercargo ihres Schiffes, der sich durch die Neugierigen zu ihnen drängte, »weshalb geht Ihr denn nicht zu Eurer Wohnung? Wollt Ihr hier am Strand bleiben?«

»Ja, aber wir wissen ja gar nicht wohin,« sagte Behrens, »es hat uns noch kein Mensch ein Wort gesagt.«

[S. 64] »Du lieber Gott, was man nicht selber thut, wird Einem auch nie besorgt,« rief der Mann ärgerlich, »und Ihr seid auch so unbeholfen dabei, wie nur möglich. Na, kommt, ich will Euch hinbringen, aber macht ein wenig rasch, denn ich habe nicht lange Zeit.«

Die Deutschen griffen ihr Gepäck, die Frauen ihre Kinder auf, und manche hatten schwer genug daran zu tragen, aber der Supercargo schritt so rasch vor ihnen her, daß sie ihm in der heißen Sonne kaum zu folgen vermochten. Er war ungeduldig geworden und schien die Zeit kaum erwarten zu können, wo er seine ihm lästige Begleitung los wurde.

Sechstes Kapitel.
In Brasilien.

Mit dem Supercargo an der Spitze, der außerdem der portugiesischen Sprache mächtig war, hatte sich die Menge dem Zug geöffnet, und die deutschen Auswanderer passirten zunächst eine Art offenen Marktplatzes, unmittelbar am Meeresstrand, auf dem alle Schätze tropischen Fruchtreichthums aufgespeichert lagen. Ach, was für verlangende Blicke warfen die armen seemüden Wanderer, die sich bis dahin von Salzfleisch und trockenen Erbsen genährt, nach den goldglänzenden Orangen und Ananas und all den sonstigen fremden Herrlichkeiten hinüber; aber ihr Führer ließ ihnen keine Zeit, um auch nur mehr als einen flüchtigen Blick darauf zu werfen. Fort ging es – hindurch, mitten in die Stadt hinein, und eine heiße, vollständig schattenlose Straße entlang, die sich wie endlos vor ihnen ausdehnte, bis ein paar der Frauen in ihren dicken Kleidern ermattet niedersanken.

[S. 65] Jetzt erst wurde der langbeinige hagere Bursche vorn darauf aufmerksam gemacht, daß sie ihm in diesem Tempo nicht mehr folgen könnten, und mürrisch und verdrießlich fügte er sich endlich der Nothwendigkeit, wenigstens langsamer zu gehen, – von einem Aufenthalt wollte er aber nichts wissen.

Doch auch dieser Weg nahm mit der Straße ein Ende. Gleich draußen, wo wieder freundliche Gärten lagen, erreichten sie eine Gruppe schattiger Fruchtbäume und Palmen, und dort hindurch brachte sie ihr Führer zu zwei allein stehenden, halb verfallenen Häusern, vor denen sie schon von Weitem ihre Kisten und Koffer bunt und wild aufgeschichtet fanden.

»Und was nun? – Hier sollten sie die Nacht zubringen,« sagte ihnen ihr Führer, »da weiter keine Räumlichkeit für sie hergerichtet sei; morgen oder übermorgen würden sie dann spätestens zu dem Ort ihrer Bestimmung abgeführt werden.«

»Wo das sei? – Wo sie bleiben, wohin sie geschafft werden sollten?« alle Fragen stürmten auf ihn ein. Der Mann zuckte nur die Achseln. »Darüber hätte der hiesige Agent zu bestimmen,« wie er sagte, »und er selber weiter nichts zu thun, als sie hierher zu schaffen. Sie müßten Geduld haben und kämen noch zeitig genug an ihre Arbeit.«

Damit ging er fort und ließ sie allein, um sich dort einzurichten, so gut es eben gehen wollte.

Hatten sie übrigens keine Zeit bekommen, sich am Lande Früchte einzukaufen, so folgten ihnen die Verkäufer derselben rasch genug hierher, denn die Leute wußten aus Erfahrung, wie sich Reisende nach einem solchen Labsal sehnen. Es dauerte nicht lange, so waren sie von Negern und Negerfrauen ordentlich umschwärmt, die ihnen die herrlichen Früchte des Landes zum Verkauf anboten, und die einzige Schwierigkeit blieb nur die, daß sie kein hiesiges Geld besaßen, um dafür zu zahlen.

[S. 66] Die Neger betrachteten kopfschüttelnd die ihnen gebotenen Münzen, und nur für Silber ließen sich Einzelne, die wußten, daß sie es an Bord des Schiffes wieder einwechseln konnten, herbei, ihnen Apfelsinen und einige andere Früchte abzulassen. Und wie gierig fielen die armen Menschen über dies einzige Labsal her, das ihnen geboten wurde, während sie das Beste, die unreifen Cocosnüsse, mit denen sie ihren Durst hätten löschen können, zurückwiesen, weil sie mit den großen, harten, grünen Kugeln nichts anzufangen wußten.

Behrens indessen, der auch ein deutsches Zehngroschenstück daran gewandt hatte, um seinen Kindern und seiner Frau ein paar von den Apfelsinen zu kaufen, und sich dabei wunderte, wie theuer er sie bezahlen mußte, da ihm doch die Leute daheim gesagt, daß man sie hier überall im Walde nur auflesen könne, ging indessen daran mit seinem Jungen und der ältesten Tochter, die Kisten in das Haus zu schaffen und sich einen Schlafplatz herzurichten. Er fürchtete allerdings nichts von dem Wetter, aber er traute den fremden schwarzen Menschen nicht und wollte die Sachen gern noch vor Dunkelwerden in Sicherheit schaffen.

Einige folgten seinem Beispiel, Andere aber, zu lässig, oder auch zu erschöpft, ließen ihr Eigenthum draußen stehen, und erklärten, die Nacht im Freien schlafen zu wollen, denn in den Häusern sei es doch zu dumpf und schwül.

Aber wie rasch das dunkelte; kaum war die Sonne hinter den Palmenwipfeln verschwunden, als sich auch schon die Nacht auf die Erde legte, und indessen hatte Niemand nach ihnen hier draußen gesehen oder ihnen zu essen und zu trinken gebracht.

Allerdings fanden ein paar junge Burschen, die in der Nachbarschaft umhergestreift waren, einen Bach und konnten von dorther wenigstens Trinkwasser holen, aber weiter bekamen sie nichts. Sie mußten rein vergessen sein, und nur [S. 67] der Schiffszwieback, den sich noch einige vom Bord mitgenommen, stillte ihnen heute Abend den Hunger.

Eine wahre Unzahl von Mücken gab es ebenfalls, – sie kannten den spanischen Namen »Mosquitos« noch nicht dafür, – die sie mit der Dämmerung umschwärmten und empfindlich stachen. Besonders die Kinder hatten darunter zu leiden, schliefen unruhig und manche schrieen die halbe Nacht hindurch. Aber es sollte noch besser kommen.

Mitternacht mochte vorüber sein, als sich der Himmel plötzlich umzog, und gegen ein Uhr zuckte der erste grelle Blitz nieder, dem ein Kanonenschlag ähnlicher Donner folgte. Alle fuhren erschreckt in die Höhe, – da rasselte es auf das nur an wenigen Stellen vollkommen dichte Blätterdach nieder; es regnete nicht, es schüttete im wahren Sinn des Wortes, und eine entsetzliche Verwirrung entstand jetzt, als die im Freien Lagernden nicht allein in das Haus und zwischen die Schläfer stürmten, sondern auch noch ihre Kisten und Kasten dort im Trocknen unterbringen wollten. Die Frauen jammerten dazu, die Männer fluchten, die Kinder schrieen und ein wahrer Heidenlärm entstand.

Auch die in den Häusern Befindlichen waren nicht immer besser daran, denn Einige von ihnen fanden sich mit ihren Betten unter einer ordentlichen Dachtraufe und sahen sich dabei nicht einmal im Stande, nach rechts oder links zu weichen.

Zu viel Unheil auf einmal bringt aber oft bei den davon Betroffenen die entgegengesetzte Wirkung hervor, und das junge Volk unter den Auswanderern, das sich auch weit eher unterbringen konnte, und weder mit Gepäck noch Kindern behelligt war, fiel plötzlich, mitten in den allgemeinen Lärm, wieder in sein altes Lied »Halli, Hallo! Brasilien ist nicht weit von hier!« ein, was den Übrigen auch noch die letzte Möglichkeit raubte, an Schlaf zu denken.

So verging ihnen die erste Nacht und der nächste Morgen [S. 68] mit Tagesanbruch aufhörte und die heiße Sonne ihnen verstattete, die über Nacht etwa naßgewordenen Betten und Kleider leicht und rasch wieder zu trocknen.

Jetzt kam auch der Supercargo ihres Schiffes und entschuldigte sich, daß ihnen gestern Abend keine Nahrung gesandt worden. Er habe den Auftrag gegeben, ehe er an Bord zurück ging, aber er sei mißverstanden worden. Es würde nicht wieder geschehen und jeder Einzelne von jetzt an Morgens seinen Kaffee und Schiffszwieback, und Mittags und Abends zu essen bekommen.

Die Leute beklagten sich allerdings über den schlechten Zustand der Dächer, und frugen, wie lange sie noch hier liegen bleiben sollten. Er zuckte die Achseln und behauptete, es nicht zu wissen, da noch zwei Herren aus dem inneren Land erwartet würden, die Arbeiter »bestellt« hätten. Was die Dächer beträfe, so ließen sich die ja leicht wieder in Stand setzen; es gäbe breite Blätter dort genug, und die Leute hätten ja auch nichts weiter zu thun.

Damit ging er, und ihre Nahrungsmittel bekamen sie von der Zeit an in der That regelmäßig, aber auch eine Kost, an die sie nicht gewöhnt waren, und in die sie sich nicht so bald hineinfinden konnten: frisches oder gesalzenes Schweinefleisch, Bohnen und Maniokmehl. Mit dem Mehl wußten sie anfangs gar nicht umzugehen, und einige versuchten sogar, Brod davon zu backen; aber es war zu grob und schmeckte nicht. Übrigens wurden ihnen einige Fruchtbäume in der Nachbarschaft – die jedenfalls zu den leerstehenden Gebäuden gehörten, angewiesen, wo sie sich unentgeltlich holen konnten, was sie wollten, und auch fleißig benutzten. – Aber die Zeit verging ihnen entsetzlich langsam, denn Tag und Nacht verstrich, ohne daß eine Änderung in ihrer Lage eingetreten wäre. Dabei regnete es fast täglich und oft die ganze Nacht hindurch, und wenn sie sich auch die [S. 69] größte Mühe gaben, die Dächer dicht zu bekommen, so gelang ihnen das nur sehr unvollständig.

Ein paar Frauen erkrankten noch außerdem, und ein brasilianischer Arzt kam zu ihnen, den sie nicht verstehen konnten. Er gab ihnen aber trotzdem Medicin, denn er wußte vielleicht schon, welchen Krankheiten frisch eingetroffene Europäer am schnellsten ausgesetzt waren, und nahm die Sache außerordentlich leicht.

Endlich, am elften Tage, nachdem das Schiff, das sie hierher gebracht, seine ganze Fracht gelöscht und neue Ladung dafür an Bord genommen hatte, erfreute sie der Supercargo, der sie aber in der Zeit nur sehr selten besuchte, mit der Meldung, daß die erwarteten Herren eingetroffen wären und sie wahrscheinlich schon morgen, spätestens übermorgen, ihre Reise in das innere Land antreten könnten. Sie sollten sich auf morgen früh nur Alle sauber anziehen und bereit halten, da die Herren hier herauskommen würden, um sie zu besuchen und selber mit ihnen zu sprechen.

Behrens frug ihn jetzt, wie es denn eigentlich mit ihren Contracten wäre, die sie noch immer nicht wieder bekommen hätten, obgleich ihnen das an Bord versprochen wäre.

»Und was wollt Ihr damit?« frug der Supercargo lakonisch, »das sind nur Contracte, durch die Ihr Euch Eurem zukünftigen Herrn gegenüber verbindlich macht, ihm treu zu dienen, bis Ihr das vorgeschossene Geld abbezahlt habt, weiter nichts, – sie können Euch gar Nichts nützen.«

Behrens schüttelte erstaunt mit dem Kopf, denn er begriff das Alles nicht, und gar nichts stimmte außerdem mit Allem, was ihnen Herr Kollboeker – der doch Alles gerade so genau wissen wollte, gesagt. Da sich der Supercargo aber schon wieder zum Gehen wandte und ihm eine Frage besonders noch schwer auf der Seele lag, so faßte er sich ein Herz und sagte:

[S. 70] »Ach bitte, lieber Herr; möchten Sie mir wohl über eine Sache Auskunft geben?«

»Und die wäre?« frug der Mann, indem er stehen blieb und den Kopf nach Behrens zurückdrehte.

»Wie weit haben wir denn von hier nach Blumenau?«

»Nach Blumenau?« sagte der Supercargo erstaunt – »nach welchem Blumenau?«

»Nun, nach der deutschen Colonie, wo mein Bruder ist – kann man da von hier aus zu Land bequem hinkommen?«

»Ihr seid wohl nicht recht bei Trost,« lachte der Supercargo »– durch den Wald? Na, kommt nur erst einmal hinein. Blumenau liegt weit von hier. Da müßt Ihr erst wieder zu Schiff gehen und nach Rio Janeiro fahren und von da wieder ein anderes Schiff nehmen, wenn eins da ist, und das kostet viel Geld.«

»Aber du mein Gott!« rief der arme Mann erschreckt aus, »dann sind ja das lauter Lügen, was uns der Herr Kollboeker daheim gesagt hat.«

Der Supercargo hörte aber schon gar nicht mehr auf ihn; er hatte andere Dinge zu thun, als sich mit dem Auswanderer in ein langes Gespräch einzulassen, und schritt langsam nach der Stadt zurück. Behrens aber – das Herz so entsetzlich schwer und mit einer noch unbegriffenen Angst, die ihn dabei erfaßte, setzte sich auf einen dicht dabei liegenden Baumstamm, stützte die Ellbogen auf die Knie, das Gesicht in die offenen Hände und zum ersten Mal kam ihm eine volle und wie furchtbare Ahnung, daß sie wirklich verrathen und verkauft seien und jetzt ihr Schicksal zu ertragen hätten.

Den anderen Auswanderern war ebenfalls nicht gerade leicht zu Sinn, wenn sie auch noch nicht vollkommen ihre Lage begriffen; es schien ihnen nur so, als ob hier nicht Alles in Ordnung wäre. Hatte man ihnen denn nicht in Deutschland gesagt, sie brauchten in Brasilien so nothwendig [S. 71] Arbeiter, und man würde sie dort mit offenen Armen empfangen. Jetzt lagen sie hier schon elf Tage müßig und verzehrten jedenfalls ihr eigenes Geld, da man ihnen das gewiß anrechnen würde, und kein Mensch hatte sich um sie bekümmert oder ihnen auch nur die Hand zum Willkommen geboten. Waren denn das Alles nur lauter Lügen gewesen?

Unter solchen, nicht eben freudigen Vermuthungen, die sich aber Einer vor dem Anderen auszusprechen scheute, verging auch dieser Tag. Die Nacht regnete es wieder tüchtig, aber der nächste Morgen fand sie Alle früh auf, denn er sollte ja, wie ihnen der Supercargo gesagt, ihr nächstes Schicksal entscheiden. Schon mit Tagesgrauen nahmen die Frauen ihre Kinder mit zum nächsten Bach, wuschen sie dort ordentlich ab und zogen ihnen reine Wäsche an. Sie selber suchten ihre Sonntagskleider vor – lieber Gott, sie wußten nicht einmal genau, ob es ein Sonntag oder ein Werktag sei – und um neun Uhr schon waren sie Alle bereit, den Besuch zu empfangen.

Es wurde aber fast elf Uhr, ohne daß sich irgend wer bei ihnen hätte blicken lassen, – die Neger ausgenommen, die ihnen wie gewöhnlich ihr Frühstück brachten. Da wurde plötzlich Pferdegetrappel laut, und gleich darauf sprengten einige zwanzig Reiter, von einer Menge Neger, ebenfalls zu Pferde, gefolgt, die Straße herab und gerade auf die Hütten zu, und dort sprangen sie aus den Sätteln, überließen die Zügel ihren Dienern und kamen dann lachend und plaudernd auf die Gruppe der Auswanderer zu, die sich scheu aber doch neugierig vor ihren Häusern gesammelt hatten, um die Nahenden zu erwarten.

Der Supercargo war unter ihnen und auch der Deutsche, der gleich am ersten Tag zu ihnen an Bord gekommen. Aber so wenig er sich an Bord um die armen Landsleute gekümmert hatte, so wenig beachtete er sie jetzt und hielt sich [S. 72] nur zu den Brasilianern, deren Sprache er geläufig redete, während er auch ganz wie sie gekleidet ging.

Auch ein langer Herr, der einen schwarzen Rock trug und fast wie ein Geistlicher aussah, nur daß er einen Strohhut auf hatte, war unter ihnen und ging auf die noch im Trupp stehenden Deutschen zu, denen er zunickte, worauf ihm die Leute einen gemeinschaftlichen »guten Morgen« boten, was ein halb freundliches, halb spöttisches Lächeln über seine sonst ziemlich strengen Züge rief.

Er sprach dann einige Worte mit dem Supercargo, worauf dieser zustimmend antwortete und sich dann an die Deutschen wendend rief: »Nun will ich Euch einmal etwas sagen, Ihr Leute, nun breitet Euch einmal ordentlich aus, daß man Euch Alle sehen kann. Stellt Euch in eine lange Reihe oder in einen Bogen hier herum; Platz ist ja genug da, und richtet Euch so ein, daß die Familien immer zusammen kommen. Hier, Behrens, tretet Ihr einmal dahin. Wo sind Euere Leute?«

»Die Frau ist nicht ganz wohl, – sie liegt drinnen auf dem Bett.«

»Ist sie krank?«

»Nein, krank gerade nicht, aber –«

»Na, da laßt sie nur herauskommen, sie kann sich nachher wieder hinlegen. Wir müssen einmal sehen, wen wir hier haben, man weiß ja sonst gar nicht wer zusammen gehört. So, das ist recht – und die einzelnen jungen Burschen alle hier hinüber. Wer aber bei seiner Familie bleiben will, halte sich zu der, es gibt sonst Verwirrung und ich stehe nachher für nichts.«

»Alle Wetter,« lachte der eine junge Bursch, »das sieht ja beinahe so aus als ob wir verkauft werden sollten.«

Der Supercargo wandte sich ab und ging zu den Brasilianern zurück, die indessen auch etwas näher getreten waren, um die Auswanderer zu mustern. Er unterhielt sich auch [S. 73] mit dem Deutschen, aber nur in der fremden Sprache, so daß die Leute nicht verstehen konnten, was er zu ihm sagte.

Indessen ordneten sich die Auswanderer, so gut es eben gehen wollte, auf dem Plan vor den Häusern, – Familien immer beisammen und nur die Frauen und Mädchen hielten sich noch schüchtern hinter den Männern und wollten nicht recht heraustreten. Es war ihnen ein gar peinliches Gefühl, hier so von all den fremden Leuten angestarrt zu werden. Aber das half ihnen nichts; so wie sich der Supercargo ihnen wieder zudrehte, zog er sie eigenhändig vor.

»Alle in eine Reihe, Leute, – das Hinterkriechen hilft Euch nichts; wir müssen sehen wen wir haben und ob Niemand fehlt. Erschwert uns die Sache nicht, denn je williger Ihr Euch zeigt, desto rascher kommen wir damit zu Ende.«

»Und nun, Senhores,« wandte er sich an die Brasilianer, indem er sein Taschenbuch und einen Bleistift herausnahm, »bitte ich Sie, Acht zu haben. Ich werde vorher die einzelnen Personen abrufen, um zu sehen ob Niemand fehlt, und dann ersuche ich Sie, die Gebote auf zusammengehörende Familien zu machen. – Einzelne aus Familien heraus können nicht abgegeben werden, Sie würden auch selber nur Unruhe und Last von ihnen haben, – es müßte denn sein, daß sie sich freiwillig dazu verständen. Bleibt die Familie beisammen, so ist sie leicht zufrieden gestellt und arbeitet dann auch mehr und williger: wird sie getrennt, so bleibt sie mürrisch und verdrossen und bekommt eine deutsche Krankheit, – das sogenannte Heimweh. Also erlauben Sie, daß ich erst die Namen abrufe.«

»Ihr Leute,« wandte sich der Supercargo dann wieder in deutscher Sprache an die Auswanderer, »ich werde jetzt einzeln Eure Namen ablesen, wie Ihr in der Schiffsliste eingetragen waret, und Jeder von Euch, wenn er seinen [S. 74] Namen nennen hört, antwortet mir mit lauter Stimme: hier! Habt Ihr mich verstanden? – Gut,« fuhr er fort, als ein halblautes Murmeln durch die Reihen lief, und die Ablesung begann jetzt in der gewöhnlichen Art. Nur zwei fehlten, die drinnen in der Hütte wirklich fieberkrank lagen und nicht herauskommen konnten.

Die Brasilianer waren indessen an der Reihe auf und ab gegangen, um sich die Einzelnen zu betrachten, und der lange Herr in dem schwarzen Rock sagte endlich, als der Supercargo fertig war, zu diesem: »Die Leute sehen sonst gut aus, aber verwünscht viel Kinder haben sie mitgebracht. Das wimmelt ja ordentlich von ihnen.«

»Mein lieber Herr,« erwiderte der Angeredete lächelnd, »Sie wissen recht gut, daß das kein Schaden für Sie ist, denn erstlich können sie dieselben, bis fast zu dem Kleinsten herunter, zum Baumwollpflücken und Kaffeeauflesen verwenden, und dann halten die größeren Unkosten, die Sie für Beköstigung haben, – und die nicht einmal so bedeutend sind – auch die Eltern so viel länger in Ihrem Dienst.«

Der lange Herr nickte leise und wie überlegend mit dem Kopf und schritt langsam weiter.

Der Supercargo indessen betrieb die Sache ziemlich geschäftsmäßig, und schien nicht gesonnen, viel Zeit damit zu versäumen. Es war auch schon ziemlich spät und damit heiß geworden, und je eher die Herren in ihre kühlen Häuser kamen, desto besser. Nach der Liste rief er jetzt die oben anstehenden Namen aus, – es war eine Familie aus Hessen, Mann, Frau und zwei erwachsene Söhne, ein paar kräftige, feste Burschen, wenn auch jetzt etwas hohlwangig und bleich, und was er in portugiesischer Sprache verhandelte, kam den armen Leuten fast so vor, als ob er sie anpries, denn er zeigte oft auf sie und wandte sich dann wieder an die Brasilianer. Von diesen sprach jetzt Einer, dann der Andere; sie kamen auch heran und betrachteten sich die Vorgeschlagenen [S. 75] näher, und es konnte diesen zuletzt nicht mehr entgehen, daß sie hier ordentlich verauctionirt wurden.

»Hol mich Dieser und Jener,« rief da einer der Burschen wieder, ein etwas wüst aussehender Gesell, der auch auf dem Schiffe fortwährend Streit gehabt, »wenn wir hier nicht ordentlich ausgeboten werden wie sauer Bier. Na, wer mich kauft ist betrogen.«

Die Übrigen schwiegen erschrocken still, denn es war ihnen ein gar so unheimlicher Gedanke, daß sie hier nicht wie freie Menschen, sondern wie Sclaven oder Vieh ausgeboten und dem Meistbietenden zugeschlagen werden sollten, und daß das in der That der Fall war, darüber konnte keine Täuschung mehr stattfinden. Aber was wollten sie jetzt machen? – sich widersetzen? Wie konnten sie das, da sie der Sprache nicht einmal mächtig waren, und die Einzigen, mit denen sie sich hätten verständigen können, gerade zu ihren Gegnern gehörten.

»Oh, du lieber Gott,« seufzte Behrens' Frau, die sich erschöpft auf den Arm ihres Mannes stützte, »wenn wir das in Deutschland gewußt hätten, – lieber doch allen Jammer und alles Elend ertragen.«

»Laß gut sein, Mutter,« flüsterte ihr der Mann zu, »wir können nur für das ausgemiethet werden, was wir abzuverdienen haben, und dürfen nachher gehen, wohin wir wollen. Wenn ich nur den Schuft, den Herrn Kollboeker, hier hätte.«

Der Verkauf oder die Auction der Deutschen ging indessen ziemlich rasch von Statten, da die Bietenden zahlreich zugeströmt waren, und selbst viele Bewohner der Hafenstadt Dienstboten zu nehmen wünschten, die sie hier unter so günstigen Bedingungen erhalten konnten. Familien konnte man freilich in der Stadt nicht gebrauchen, da man hier keine Verwendung für die Kinder hatte. – Die wurden sämmtlich den Facienderos des Inneren überlassen, und die [S. 76] Familie Behrens erstand denn auch ein Pflanzer, der allerdings erst lange an ihnen herummäkelte, aber zuletzt doch auf die gestellten Bedingungen einging. Der Supercargo kannte seinen Vortheil und ließ eben nicht nach.

Behrens' neuer Herr gefiel den Leuten nicht recht; er war nicht sehr groß, aber entsetzlich mager, mit einer vollkommen lederartigen Gesichtsfarbe, hatte auch um den Kopf, hinter den Ohren durch, ein schmales schwarzseidenes Tuch gebunden, da er, wie sehr viele Brasilianer, an Scropheln litt. Er sprach mit den Leuten gar nicht, richtete nicht einmal ein paar freundliche Worte an sie, die ihnen doch wohlgethan hätten, wenn sie auch die Sprache nicht verstanden. Als der Handel abgeschlossen war, winkte er einen großen, blatternarbigen Mulatten heran, dem er die verschiedenen Familienmitglieder bezeichnete, und wandte sich dann noch einmal an den Supercargo, der unfern davon bei einer anderen Gruppe stand. Dieser betrachtete sich den Mulatten und schien von dem gewordenen Auftrag nicht recht erbaut, konnte ihn aber auch vielleicht nicht gut abweisen und sagte, sich wieder gegen die Deutschen kehrend: »Also dies, meine Leute ist Euer neuer Herr, Senhor Almeira, wie er heißt, auf dessen Plantage Ihr jetzt – wahrscheinlich morgen früh – befördert werden sollt. Dieser aber, der Mulatte, ist sein Oberaufseher, dem Ihr, wenn der Herr nicht selber da ist, Eurem Contract nach, zu gehorchen habt.«

»Dem gelben Kerl?« rief die Frau erschreckt.

»Mancal,« sagte der Supercargo, »ist ein braver, ordentlicher Mensch, mit dem sich schon auskommen läßt (er hatte ihn heute zum ersten Mal in seinem Leben gesehen). Seid nur freundlich gegen ihn und thut hübsch, was er Euch sagt. Je fleißiger Ihr dabei seid, desto früher seid Ihr im Stande den Platz wieder zu verlassen, – wenn er Euch später nicht so gefallen sollte, daß Ihr ganz da bleiben wollt. Nachher aber macht Ihr Euren eigenen Contract.«

[S. 77] »Spricht er denn deutsch?« frug die Frau.

»Das nicht,« lachte der Supercargo, »aber das bischen Portugiesisch lernt Ihr bald; das ist eine sehr leichte Sprache.«

Der Mulatte sagte jetzt selber etwas zu dem Supercargo und dieser rief: »Ja, das ist nothwendig. Wo habt Ihr denn Euer Gepäck? Zeigt das doch einmal dem Mann, weil die Sachen ins Innere transportirt werden müssen.«

»Kommen wir denn weit ins Land hinein?«

»Nein, nicht weit, – nur ein paar Legoas. Dort wird's Euch schon gefallen.«

Sie zeigten jetzt ihr Gepäck, und der Mulatte, der bis dahin keine Miene verzogen hatte, lachte laut und hell auf, als er die drei großen, riesigen Kisten sah. Er hatte auch vielleicht Ursache dazu, denn er kannte die Wege und Beförderungsmittel des Landes und wußte recht gut, daß es unmöglich sein würde, solche Collis auf Maulthieren über die schmalen und steilen Bergpfade zu schaffen.

Den Deutschen wurde das jetzt gesagt, und der Supercargo, der den Blick umherwarf und überall ähnliche Kasten bemerkte, erledigte die Sache dadurch, daß er versprach, noch heute Abend ein paar Matrosen vom Schiff, von denen der eine sogar portugiesisch sprach, herüber zu senden, um das Gepäck in Ordnung bringen zu lassen. Senhor Almeira sollte dann auch einen von seinen Maulthiertreibern hersenden, und so würden sie Alles rasch in Ordnung bekommen.

Damit wandte er sich ab, denn seine Vermittlung wurde jetzt von allen Seiten in Anspruch genommen. Es herrschte überhaupt eine entsetzliche Verwirrung auf dem Plan, da die Deutschen durcheinander liefen und viele der Frauen zu weinen und zu jammern anfingen. Aber was konnte das jetzt helfen; die Sache war abgemacht, – überdies brannte [S. 78] die Sonne und die Herren eilten, um wieder in die Stadt zu kommen.

Nur den für die Stadt »gemietheten« Leuten – von denen man aber natürlich Keinen gefragt hatte, in welcher Beschäftigung er verwandt werden wolle – wurde aufgegeben, ihre Sachen zusammen zu packen, da sie noch heute Abend einziehen sollten. Den übrigen gab man Zeit bis morgen früh.

Siebentes Capitel.
Die Reise in's Innere.

Das war ein recht trauriger, schmerzlicher Tag für die armen Leute, die hier, im wahren Sinn des Worts »verrathen und verkauft«, in dem fremden Lande saßen und Niemanden in der weiten Welt hatten, bei dem sie sich Rath und Hülfe erbitten konnten.

Der Capitän des Schiffes? Wie durften sie sich an den wenden, den gingen sie weiter nichts an, als daß er sie hier herüber beförderte. Und hatte er je auf der ganzen langen Reise auch nur ein einziges freundliches Wort mit ihnen gesprochen? Nie. Er betrachtete sie als Fracht, und noch dazu als eine lästige Fracht, und würde nie daran gedacht haben, sich in ihre Angelegenheiten zu mischen oder ihnen gar gegen seinen Cajütenpassagier, den Supercargo, mit dem er immer sehr befreundet gewesen, beizustehen.

Und der Deutsche etwa, der schon bei ihnen an Bord gewesen? Das war ein vornehmer Herr und hatte ihnen deutlich genug gezeigt, daß er nichts mit ihnen zu thun haben wollte. Ein paar von ihnen redeten ihn allerdings an, –[S. 79] er war der Einzige, der für sie sprechen konnte, – aber er antwortete ihnen nicht einmal, zeigte nur auf den Supercargo, daß sie sich nur an den wenden sollten, und drehte ihnen dann den Rücken. Und der war ein Landsmann, – aber leider finden wir das gar häufig bei den Deutschen im Ausland, daß sie sich ihrer Nation und ihres Volkes schämen. Wir können uns allerdings damit trösten, daß alle Solche, die es thun, auch jedesmal Lumpen sind, und von den Fremden, unter denen sie leben, eben so verachtet werden, wie sie selber ihr Vaterland verachten; trotzdem bleibt es immer traurig, daß dem wirklich so ist.

So konnten denn die armen Leute nichts anderes thun, als sich in das Unvermeidliche eben fügen und über sich ergehen zu lassen was da komme. Sie besaßen nicht mehr die Macht es zu ändern.

Auch der Abend war noch bös, denn als die Matrosen eintrafen, die ihr Gepäck ordnen sollten, gingen diese entsetzlich rauh mit ihren Sachen um, und die Brasilianer, die umherstanden, wollten sich noch dazu todtlachen über all den Plunder, den sie mitgebracht, und der jetzt wild umhergestreut vor der Hütte lag.

Es ist allerdings wahr, die Deutschen schleppen Dinge mit in die Fremde, an die ein Anderer nicht einmal denken würde; aber arme Leute, die genau wissen, wie sauer es ihnen geworden, sich auch nur das Geringste in ihrem Hausrath anzuschaffen, und die dann nachrechnen, wie viel Arbeitstage an jedem Gegenstand hingen, trennen sich auch entsetzlich schwer von ihrem Eigenthum, und haben viel zu wenig Erfahrung in der Welt, um zu wissen, daß sie nutzloses Gepäck oft wieder doppelt und dreifach bezahlen müssen, um es nur an Ort und Stelle zu bekommen.

Auch Behrens' Frau hatte eingepackt, was sie nur noch irgend jemals zu benutzen glaubte, Töpfe und Tiegel, ja, sogar irdenes Geschirr dazwischen, das schon in Scherben [S. 80] in der Lade herum lag, Quirle und hölzerne Löffel, eine alte, zerbrochene Kaffeemühle, die hier Niemand repariren konnte, schweres, eisernes Werkzeug dazwischen, und Hausgeräth bis auf den Wischlappen hinunter. Dazwischen räumten die Matrosen jetzt mit ihren rohen Fäusten und roheren Scherzen auf. Was zerbrach, zerbrach eben und brauchte nicht mit verpackt zu werden, und die Arrieros oder Maulthiertreiber schnürten dann noch das Ganze mit rohhäutenen Riemen derart zusammen, daß Alles, was nur einigermaßen ruinirt werden konnte, auch seinem Schicksal sicher nicht entging.

Die Kisten selber wurden als vollkommen werthlos bei Seite geworfen; sie mochten höchstens noch als Brennholz dienen.

Ein Trost war für Behrens wohl noch der, daß eine andere, ziemlich ordentliche Familie denselben Herrn bekommen hatte und also ihr Schicksal theilen würde, aber der junge, wilde Bursch, der sich vermessen, daß, wer ihn kaufe, auch betrogen sein solle, begleitete sie ebenfalls, und dessen Gesellschaft war Keinem von Allen angenehm, ließ sich aber auch nicht ändern und mußte eben ertragen werden, wie das Übrige.

Die Packen waren geschnürt, – selbst, die Betten, obgleich die Frau sie gern herausbehalten hätte, weil sie jetzt nicht einmal wußten, wo und wie sie die Nacht schlafen sollten. Nur für das Jüngste war ein kleines Unterbett gerettet worden, und die Leute trösteten sich damit, daß es ja doch wohl nur für eine oder höchstens zwei Nächte sein würde.

An dem Abend nahmen noch die von ihnen Abschied, die in der Stadt blieben und vor Sonnenuntergang mit ihrem Gepäck abgeholt wurden. Sie hatten es verhältnißmäßig am besten, und doch schien ihnen das Herz ziemlich schwer, als sie ihren alten Reisegefährten Lebewohl sagen sollten. Aber lange konnten sie sich auch dabei nicht aufhalten, denn Jeder bekam gerade genug mit sich selber zu thun.

[S. 81] Übrigens wurde an dem Abend noch das eine Haus fast ganz geleert, denn einen Theil der deutschen Arbeiter beorderte man sogar noch mit einbrechender Dämmerung auf das eingelaufene kleine Dampfschiff, das die Küste befuhr. Wohin das sie brachte und zu wem sie kamen, wußten sie gar nicht; sie frugen darnach, erhielten aber keine Antwort, und man schien sie eben in der That als nichts weiter wie Leibeigene zu betrachten, bei denen von einer eigenen Meinung, einem eigenen Willen keine Rede sein konnte.

Die Nacht regnete es wieder entsetzlich und besonders arg zeigten sich die Mücken. Die armen Auswanderer verbrachten sie trüb genug auf den zusammengeschnürten Ballen ihrer Habseligkeiten und den Brettern ihrer zerschlagenen Kisten – man mußte sich eben einrichten, und sie ging ja auch vorüber. Am nächsten Morgen trafen endlich die Maulthiere ein, – nicht etwa früh, denn die Leute nehmen sich zu solchen Sachen immer Zeit und es ging schon auf Mittag, ehe sie nur geladen waren und fort konnten; Behrens erstaunte übrigens, als er nicht die geringsten Beförderungsmittel für sich und seine Familie sah. Kein kleiner Wagen, kein Pferd oder Maulthier. Sollten sie den ganzen Weg zu Fuß gehen? Es konnte eben nicht weit sein und dann ging sich's vielleicht auch besser auf den schlechten Wegen, als sie gefahren wären.

Die Maulthiertreiber ritten aber sämmtlich, – auch der Mulatte mit den Blatternarben, der sie hinauf begleiten sollte. Die Frau wäre aber zu schwach gewesen, das jüngste Kind zu tragen, und Behrens schnürte es sich selber in ein Tuch auf den Rücken; da spürte er die leichte Last gar nicht.

Das war ein entsetzlich heißer Marsch in dem flachen Land, das sich an der Küste ausdehnte. Eine kleine Strecke im Inneren, als sie erst die unmittelbare Nähe der Stadt und die offenen Felder verließen, kamen sie allerdings streckenweise unter schattige Waldbäume, aber es dauerte immer [S. 82] nicht lange, so mußten sie wieder eine offene Plantage passiren, und dort brannte die Sonne gar so arg.

Behrens frug den einen Maulthiertreiber ein paar Mal, wie weit sie hätten; aber der schüttelte nur mit dem Kopf, er verstand nicht was der Deutsche zu ihm sagte, und zeigte nur auf eine vor ihnen liegende Plantage. War das schon ihr Ziel? Nein, sie sollten nur hier übernachten. Ein besonderes Haus war freilich nicht für sie aufzutreiben, und sie mußten in der Maniokmühle einquartiert werden, aber der Aufenthalt war dort wenigstens luftig und reinlich, und sie bekamen auch reichlich zu essen, Bohnen und Maniokmehl und etwas getrocknetes Fleisch, da die Leute wahrscheinlich nicht frisch geschlachtet hatten. Am nächsten Morgen aber wurde lange vor Tageslicht zum Aufbruch gerufen, und es schien doch jetzt, als ob man die Morgenkühle zu ihrem weiteren Marsch benutzen wolle.

Jetzt hatten sie aber auch die Berge dicht vor sich, nicht etwa sehr hohe Gebirge, so weit sich von hier aus erkennen ließ, sondern eine niedere, bewaldete Hügelkette, in die sich der Weg hinaufzog, und die zuletzt so eng und steil wurde, daß sich Einer hinter dem Anderen halten mußte. Und wie schwer es sich da ging, – aber es sollte noch schwerer werden, denn mitten am Tag setzte der Regen wieder ein und die Frau war zuletzt so erschöpft, daß sie kaum noch vorwärts konnte. Einer der Maulthiertreiber fühlte wohl Mitleiden mit ihr und wollte sie eine Strecke reiten lassen, – aber das ging auch nicht, denn sie hatte noch in ihrem Leben auf keinem Thier gesessen, und hier Berg auf und ab war das noch außerdem schwierig genug, sich oben zu halten. Als sie das nächste Haus erreichten, was in einem der Thäler lag, mußten sie nothgedrungen Halt machen, und der Mulatte, der damit gar nicht einverstanden war, schickte das Gepäck voraus, ohne sich darum zu bekümmern, was die armen Wanderer wohl noch unterwegs davon gebrauchen würden.

[S. 83] Am nächsten Tag derselbe Marsch, bei dem die Frau endlich ihre Kräfte verließen. Sie kam nicht mehr zu Fuß weiter und mußte jetzt auf ein Thier gesetzt werden, das der Mulatte am nächsten Platz für sie miethete. Behrens und seine Tochter gingen dann nebenher und hielten sie im Sattel, bis sie nach und nach die Bewegung gewohnt wurde und sich schon selber ein wenig helfen konnte. Aber endlos dehnte sich der Weg aus, – Tag nach Tag verging, und noch immer erreichten sie ihr Ziel nicht. Die Kinder bekamen schon Blasen unter die Füße und wimmerten unterwegs. Anfangs hatten sie sich über den herrlichen Wald, die prachtvollen Bäume und die vielen bunten merkwürdigen Vögel und Schmetterlinge gefreut, jetzt achteten sie gar nicht mehr darauf und schleppten sich nur mühsam über den nassen, klebrigen Boden hin.

Am siebenten Tag wurden die Auswanderer von zwei Reitern überholt, einem Weißen mit seinem schwarzen Diener hinten, der im Galopp heransprengte. Es war Senhor Almeira, ihr Herr, der sehr erstaunt und auch unwillig schien, sie noch auf der Straße zu finden. Er sprach heftig mit dem Mulatten, und dieser entschuldigte sich, ebenfalls nicht in besonderer Laune. Der Herr warf einen Blick auf die kranke Frau, redete aber die Deutschen nicht an, sondern setzte seinem Thier die Sporen ein und sprengte vorüber.

An dem Tag wanderten sie bis spät in die Nacht hinein, die Kinder konnten ihre Füße kaum noch vom Boden heben und weinten still vor sich hin, und Hannchen, die älteste Tochter, obgleich selber müde genug, huckte dennoch ihr jüngstes Brüderchen, den fünfjährigen Christian, auf und schleppte ihn weiter, bis sie, zum Tode erschöpft, wieder die Wohnung menschlicher Wesen erreichten, und dort die armen mißhandelten Glieder ein paar Stunden konnten rasten lassen.

Und wieder weiter ging es am nächsten Morgen, aber heute war der Mulatte freundlicher mit ihnen, zeigte voraus [S. 84] und nickte und lachte, – die Plantage seines Herrn konnte nicht mehr fern sein, und als sie, etwa um 10 Uhr Morgens, wieder einen der jetzt immer steiler und höher werdenden Bergkämme erreicht hatten, breitete sich ein weites, herrliches Thal vor ihnen aus, und dort unten lagen eine Anzahl Gebäude, auf die jetzt ihr Führer deutete und ihnen etwas zurief.

Das endlich – endlich war der so heiß ersehnte – und fast auch gefürchtete Platz, der sich dort vor ihnen ausbreitete, – das war der erste Blick auf ihre neue Heimath in dem fremden Lande, – dort sollten sich alle die Hoffnungen erfüllen, die sie weit weg über das Meer, aus ihrem Vaterland hierher geführt, – dort sollte jede Sorge schwinden und ein neues, frisches Leben für sie beginnen? Und war der Anfang so gewesen, daß sie dem mit froher Zuversicht entgegen sehen durften? Hatte sich bis jetzt auch nur eine dieser Hoffnungen, – nur irgend etwas bestätigt, das ihnen im alten Vaterland von eigennützigen oder unwissenden Menschen versprochen worden?

Behrens war kein Mann, der, mit irgend welcher Phantasie begabt, dunkle Bilder vor sich heraufbeschworen hätte, und doch schnürte ihm ein unheimliches Gefühl die Brust zusammen, als er ihrer letzten Behandlung – als er auch daran dachte, daß von jetzt ab dieser gelbe, häßliche und rohe Mensch ihr Aufseher sein sollte. Aber er hütete sich wohl, der armen, noch überdies so schwachen Frau ein Wort zu sagen, – er glaubte, daß sie das vielleicht nicht eben so scharf und peinlich fühle, als er selbst, und schweigend, Jeder mit seinen eigenen trüben Gedanken beschäftigt, schauten die Auswanderer auf das vor ihnen ausgebreitete Landschaftsbild hinab.

Es wurde ihnen aber nicht lange Pause gegönnt, denn der Mulatte drängte, den Platz endlich zu erreichen, da er wußte daß ihn sein Herr schon ungeduldig dort erwarte. Auch die Deutschen rafften ihre letzten Kräfte zusammen, – [S. 85] es war ja jetzt bald überstanden, und wanderten, so rüstig es gehen wollte, den schrägen Hang hinab, der sie hinunter in die Ebene führte. Aber sie hatten die Plantage schon weit früher erreicht, als sie glaubten, und fanden sich plötzlich in einem Wald, der nur aus angepflanzten Bäumen zu bestehen schien, da überall Reihen hindurchliefen. Allerdings hatten sie schon unterwegs einige solche passirt, aber in ihrer Ermattung gar nicht darauf geachtet.

Jetzt deutete der Mulatte mit einem Zweig, den er in der Hand hielt, um seinem Thier die Fliegen damit abzuwehren, hinüber auf die Bäume und sagte: »Café!«

»Kaffee?« rief Behrens verwundert.

»Sim!cafezal

»Das sind ja Kirschbäume, Vater,« sagte Hannchen, und die Deutschen betrachteten verwundert die mit kleinen, rothen und grünen Früchten bedeckten Bäume. Der Mulatte aber, der jetzt glaubte, ihnen jede nöthige Aufklärung gegeben zu haben, spornte sein Thier an und sprengte rasch voraus, um jedenfalls die Ankunft des Trupps zu melden.

Jetzt lichtete sich der Kaffeewald, – denn es waren in der That Kaffeebäume, durch welche sie hinwanderten und das Ganze ein sogenannter Cafezal oder Kaffeegarten. Sie betraten wieder das offene Land mit einem Baumwollenfelde zur Linken und einer Zuckerrohranpflanzung zur Rechten. Voraus konnten sie schon die Gebäude erkennen, – ein niederes, breites, aber luftig gebautes Haus mit einer großen Veranda, die ringsherum lief und von einem Hain fruchttragender Orangen umgeben und zu beiden Seiten desselben, aber durch das Gebüsch vollständig bedeckt, niedere, aus Holz aufgeführte kleine Häuser, in denen, wie sie später fanden, die auf die Plantage gehörenden Neger ihre Wohnung hatten.

Zwei davon standen leer und wurden den beiden Familien angewiesen, wobei Behrens auch noch den, freilich jetzt sehr kleinlauten Burschen zugetheilt bekam. Behrens wollte [S. 86] dagegen protestiren, da er nicht mit zu ihrer Familie gehörte, aber man verstand ihn entweder nicht, oder wollte ihn auch nicht verstehen, und vor der Hand ließ sich nichts weiter in der Sache thun. Das regulirte sich doch wohl, wenn sie erst einmal an Ort und Stelle waren.

Für heute fühlten sich Alle so ermüdet, und kaum im Stande ihr Gepäck selber in die ihnen angewiesene Wohnung zu schaffen. Und sollten sie hier etwa für immer bleiben? Wie wüst und öde der Ort aussah, mit weiter keinem Fußboden, als der bloßen, hartgestampften Erde, aus der sogar an einigen Stellen, da er wohl lange nicht bewohnt gewesen, Grashalme emporsproßten, mit durchsichtigen Reisigwänden und keinem einzigen Möbel, weder Tisch noch Stuhl, darin. Nur an der hinteren Wand waren ein paar in den Boden eingerammte Bettgestelle aus rohen Pfosten und Stangen angebracht, mit Riethstücken darüber gelegt, und auf dem einen von diesen lag eine alte, mit blauem Zeug überzogene, ziemlich harte Matratze, aber so von Schmutz starrend, daß sie Behrens nur gleich hinaus vor die Thür zog, weil Niemand darauf liegen mochte.

Das war ein trauriger Aufenthalt inmitten dieser wunderbaren Vegetation, – und ein Garten? Hinter dem Haus lag ein Platz von vielleicht zehn Schritt Länge und Breite, den die früheren Bewohner dieser Hütte zu einem Düngerhaufen benutzt zu haben schienen, weiter nichts, denn dahinter begannen schon die Orangenbäume, und darin hatte Herr Meier in Europa also doch Recht gehabt, denn von denen lagen hier so viel herum, daß sie den Boden fast bedeckten und dorten faulten. Und trotzdem scheuten sich die Deutschen am ersten Tage davon zu nehmen, bis eine alte Negerfrau zu ihnen kam, und den Kindern eine ganze Schürze voll davon ins Haus schüttete.

Und wie sollten sie sich jetzt mit irgend Jemandem verständigen? Behrens hätte so gern gefragt, ob sie nicht einen [S. 87] Tisch und ein paar Stühle wenigstens bekommen könnten, und er suchte der alten Negerfrau das begreiflich zu machen. Sie verstand ihn auch vielleicht, denn er drückte sich pantomimisch deutlich genug aus, schüttelte aber mit dem Kopf und begann dann eine solche Menge von wunderlichen Gesticulationen, daß es Behrens endlich in Verzweiflung aufgab, irgend einen Bescheid von ihr zu erhalten. Die Kinder fürchteten sich dabei vor ihr, und Christian schrie gerade hinaus, wenn sie nur in seine Nähe kam. Aber sie lachte gutmüthig, nickte ihnen freundlich zu und ging dann wieder in ihre eigene Wohnung hinüber. Mit den Fremden war ja doch nichts anzufangen.

Essen bekamen sie heute gebracht, die nämliche Kost, die sie unterwegs erhalten: Bohnen und Maniokmehl, aber ein Stück frisches Fleisch dazu, – Alles in einer großen hölzernen Schüssel, in welcher blecherne Löffel staken. Sie mußten sich dann darum her auf die Erde niederkauern, um daraus zu essen.

Behrens und seine Frau glaubten nun allerdings, daß ihnen dies trostlose Local nur für den Augenblick zur Wohnung angewiesen sei, da man nicht Zeit gehabt, eine bessere Behausung so rasch für sie in Stand zu setzen, und in dieser Vermuthung wurden sie dadurch bestärkt, daß man sie auch am nächsten Tag noch zu keiner Arbeit aufforderte, sondern ihnen vollständig Zeit ließ, sich von dem beschwerlichen und ermüdenden Marsch zu erholen. Gewiß bereitete man indessen ein neues kleines Haus für sie vor, an dem sich dann auch ein Garten befand, denn das hatte ja Herr Kollboeker daheim dem Auswanderer noch ganz besonders in seinen Contract gesetzt.

Am dritten Tag morgens, aber auch erst nach dem Frühstück, kam der Mulatte und sagte ihnen etwas in seiner Sprache, auf das der junge Bursch, der Pölke hieß, und der sich indeß wieder vollständig erholt hatte, lachend erwiederte: [S. 88] »Ich danke Dir, Du erbsenbedroschenes Gelbfell Du; wir befinden uns vollkommen wohl.«

Der Gelbe grinste, daß ein paar Reihen blendend weißer Zähne zum Vorschein kamen, mochte sich aber doch auf keine weitere mündliche Erörterung einlassen, sondern winkte ihnen nur mit der Hand, ihm zu folgen.

Behrens zeigte jetzt fragend auf sich; der Mulatte wiederholte aber die frühere Bewegung für Alle mit einander, – nur die Frau nicht, die den Säugling auf dem Schoß hatte; sie und das kleinste Kind, der Christian, sollten da bleiben.

Natürlich folgten sie Alle der Aufforderung und glaubten auch, sie würden nun zu dem Herrn geführt werden, um dort das Weitere mit ihm zu besprechen. Das aber war nicht der Fall; der Mulatte brachte sie gleich in das Feld hinaus, zwischen das Zuckerrohr, wo schon eine Anzahl von Negern beschäftigt war, den Boden aufzuhacken. Werkzeug lag dort ebenfalls, und die neuen »Arbeiter« wurden angewiesen, sich den übrigen »Sclaven« anzuschließen.

Weigern durften sie sich nicht, – waren sie doch auch nur deshalb nach Brasilien gekommen, um jede ihnen übertragene Arbeit auszuführen, und mit gutem Muth und heute auch wieder frisch gestärkt, begannen sie ihre neue Beschäftigung. Lieber Gott, Arbeit waren sie ja von Jugend an gewöhnt – und harte Arbeit dazu – in Deutschland hatte man ihnen ebenfalls nichts geschenkt, und hier sollten sie ja nur schaffen, um freie und selbstständige Menschen zu werden. Je früher sie also damit begannen, desto rascher lief auch ihre Dienstzeit ab, und wenn sie erst einmal für sich selber beginnen konnten, mußte auch das Schwerste überstanden sein.

[S. 89]

Achtes Capitel.
Der deutsche Consul.

So verging Tag nach Tag, ohne daß sich in ihrer sonstigen Lage etwas geändert hätte. Regelmäßig wurden sie zur Arbeit gerufen, und regelmäßig mit Dunkelwerden wieder nach Hause geschickt, aber eine andere Wohnung bekamen sie nicht, und auch weder Tisch noch Stuhl hinein. Behrens versuchte noch einmal, mit ihrem Mulatten-Aufseher anzuknüpfen. War er aber früher nicht besonders gesprächig gewesen, so wich er jetzt besonders jeder Unterhaltung oder Frage entschieden dadurch aus, daß er einfach mit der einen Hand schüttelte, als ob er sagen wollte: »Laßt mich zufrieden, ich verstehe ja doch nichts von Eurer Sprache.«

Einmal trafen sie den Herrn, gerade Mittags, als sie von ihrer Arbeit nach Hause gingen, und Behrens wollte ihm denn auch das mit dem Garten begreiflich machen; der aber winkte ihm gleich von vornherein ungeduldig ab und zeigte auf seinen Aufseher. Was hatte er mit den deutschen Knechten zu unterhandeln. Er wollte nichts von ihnen wissen – und dabei blieb es.

Auch Pölke wurde nicht anderswo einquartiert, obgleich der unruhige Gesell der Familie nur zu lästig fiel. Es blieb eben Alles beim Alten und die Leute mußten sich zuletzt darein finden. Ja, Behrens begann sogar an einem der Sonntage, wo sie in der That nicht zu arbeiten brauchten, sich selber Tisch und Stühle herzustellen, denn wenigstens den Negern hatte er zuletzt begreiflich gemacht, was er eigentlich wolle, und sie führten ihn zu einer kleinen, verfallenen Hütte im Wald drinnen, in welcher die eine Wand aus zusammengenagelten Brettern bestand. Allerdings schüttelte er hier mit dem Kopf, weil er sich nicht getraute etwas davon abzureißen, [S. 90] aber die Schwarzen schienen nicht so rücksichtsvoll. Im Nu waren ein paar von den Brettern losgebrochen. Säge, Hammer und Nägel führte er selber bei sich, und er konnte doch jetzt wenigstens einen Tisch und ein paar Bänke, und später auch sogar ein Bettgestell für seine Frau und das Kind herrichten.

Die Arbeit ging indessen fort, Monat nach Monat, – Zuckerrohr wurde gehackt und geschnitten, Baumwolle gepflückt, Kaffee eingesammelt, gereinigt und ausgemahlen, Cacao gesammelt und getrocknet, und die Männer erhielten nun ihre Hauptbeschäftigung im Wald mit der Axt, da der Besitzer der Plantage noch mehr Land urbar machen und besonders seine Kaffeepflanzung erweitern wollte. Damit verging ein volles Jahr, und wenn Behrens und seine Frau, wie überhaupt die älteren Deutschen, auch noch fast so wenig von dem Portugiesischen verstanden, als an dem ersten Tag, an welchem sie hier eingerückt, so hatten es die Kinder doch viel rascher aufgegriffen, und die Jüngsten besonders waren schon gar nicht mehr dazu zu bringen, ein Wort deutsch zu reden. Sie verstanden es natürlich, aber fortwährend in Gesellschaft der Schwarzen, eigneten sie sich vollständig deren Portugiesisch an und sprachen es genau so schlecht, wie diese.

Nur Hannchen, Behrens' älteste Tochter, hatte größere und bessere Fortschritte darin gemacht als die Anderen, denn überhaupt ein begabtes Kind, war sie auch häufig im Hause von Senhor Almeira und dessen Familie verwandt worden, und die Senhora hatte solchen Gefallen an ihr gefunden, daß es ihr selber Freude machte, sie dann und wann zu unterrichten. Anfangs schien auch Senhor Almeira gar nichts dagegen zu haben, denn es lag ihm sogar daran, endlich einmal Jemanden zu bekommen, durch welchen ein Verständniß mit den »dickköpfigen« Deutschen möglich wurde. Als sich aber die Kinder so gelehrig zeigten und die Jungen [S. 91] schon bald zu Dolmetschern verwandt werden konnten, zankte er oft, wenn er das junge Mädchen im Haus bei einem Buch oder mit der Feder fand, und schickte sie dann jedes Mal zu einer oder der anderen Arbeit.

Dem alten Behrens fraß indessen der Gedanke an seinen ihm vorenthaltenen Garten am Herzen. Vor der Arbeit scheute er sich nicht, – sie war schwer, ja, und wurde in der heißen Sonne noch schwerer, und angenehm war dabei ebenfalls nicht, daß sie mit den Negern in einem Feld schaffen mußten und mit ihnen unter einer Aufsicht standen; aber auch das würde er willig ertragen haben und ertrug es ja auch, wenn ihm nur sein Recht nicht dabei verkümmert wäre. Wie deshalb nur die Kinder ein klein wenig Portugiesisch verstanden, mußten sie schon fragen, wann er den Garten bekäme, und fortwährend darauf hinweisen, daß er im Contract stände, – aber ohne Erfolg. Der Mulatte nickte und lachte, der Herr selber gab gar keine Antwort und es blieb beim Alten.

Weit über ein Jahr waren sie solcher Art schon in ihrer Arbeit gewesen, und Behrens' Frau hatte indessen, von ihrem Mann unterstützt, genaues Buch über die gelieferte Arbeit gehalten. Ungefähr glaubten sie ihre Schuld auch etwa berechnen zu können, denn was die Passage auf dem Schiff gekostet, wußten sie ja bei Heller und Pfennig und demnach mußten sie das ihnen vorgeschossene Geld, wenn sie wirklich den niedrigsten Arbeitssatz für Brasilien annahmen – und darüber hatte ihnen Herr Kollboeker Manches erzählt – schon bald abgearbeitet haben. Es konnte nur noch eine sehr kurze Frist daran fehlen. Sollte er der paar Wochen wegen nun noch Streit um einen Garten anfangen? Es war nicht mehr der Mühe werth, denn sobald ihre Zeit ablief, gedachte der Mann wieder einen neuen Contract mit dem Herrn zu machen, um sich noch etwas baares Geld zu [S. 92] verdienen, und dann endlich, wenn sie noch etwa ein Jahr so gearbeitet hätten, selbstständig zu beginnen.

Brasilien war wirklich ein außerordentlich fruchtbares und reiches Land, darin hatten die Berichte nicht gelogen, und wer hier arbeiten wollte – und gesund blieb, konnte schon was vor sich bringen. Ein trauriges, elendes Leben hatten sie freilich das erste Jahr führen müssen, und daß sie eben gesund geblieben, konnten sie selber nicht recht begreifen. Mit dem zweiten Jahr mußte sich das nun aber auch bessern, denn sobald Behrens einmal seine Schuld abverdient, gedachte er sich selber ein kleines Häuschen zu bauen und das wohnlicher einzurichten, und dazu gab ihm der Herr auch gewiß die Zeit oder er bedung sich dieselbe noch besser gleich in dem neuen Contract aus.

So verging wieder ein Monat – und noch ein Monat, ohne daß sich das Geringste in ihrer Lage verändert hätte – nur die Arbeit war schwerer geworden, denn die Männer wurden jetzt fast einzig dazu verwandt, Wald urbar zu machen, um neuen Boden zu gewinnen.

Nur einen angenehmen Zwischenfall hatten sie; der junge Pölke, ein fauler und nichtsnutziger Gesell, der ihnen viel Kummer bereitet und auch ewig Streit und Unfrieden anstiftete, war eines Morgens verschwunden. Anfangs glaubten die Deutschen, daß er im Walde vielleicht verunglückt sei, bald aber stellte sich heraus, daß er Behrens' besten Rock und zwei gute Hemden mitgenommen hatte, und es blieb ihnen jetzt kein Zweifel mehr über sein Verschwinden. Er war eben fortgelaufen und wenn Senhor Almeira, der sehr zornig darüber schien, auch berittene Neger nach verschiedenen Seiten aussandte, um ihn wieder einzufangen, ja, Mancal, der Aufseher selber, fortritt und eine volle Woche ausblieb, fanden sie keine Spur von ihm. Nach Porto Seguro war er wenigstens nicht gekommen, und wenn ihm [S. 93] auf der Flucht kein Unglück zugestoßen, hatte er seinen Vertrag wenigstens gelöst.

Behrens' Frau jammerte allerdings über das Gestohlene, da sich die Wäsche gerade hier im Land so schwer ersetzen ließ; im Grund aber waren sie selbst um diesen Preis zufrieden, ihn los geworden zu sein, und nach vierzehn Tagen wurde gar nicht mehr von ihm gesprochen.

Aber nahm ihr Contract denn gar kein Ende? – Zur Arbeit wurden sie täglich gerufen, aber nie ein Wort davon gesagt, wann ihre Zeit eigentlich abgelaufen sei, und Hannchen bekam jetzt den Auftrag, ihren Herrn zu fragen, wie sie mit ihrem Lohn ständen. Sie erhielt jedoch nur eine ausweichende Antwort und scheute sich die Sache zu drängen. Und noch ein Monat verging, und jetzt wurde der alte Behrens – etwas sehr Seltenes bei einem Deutschen – ungeduldig.

Wieder mußte Hannchen fragen und sollte sich jetzt an die Frau wenden, die immer gut und freundlich gegen sie gewesen; aber die Frau des Pflanzers wagte nicht sich in dessen Angelegenheiten zu mischen, – er war nicht gut mit ihr, wie Hannchen daheim erzählte, er schalt oft und zankte und behandelte sie rauh, – die Frau kränkelte auch und fürchtete jede Aufregung.

Da faßte sich Behrens eines Sonntags ein Herz, und mit seinem ältesten Jungen Fürchtegott, der die Landessprache jetzt vollkommen gut verstand, ging er selber zum Herrenhaus hinüber, um die Sache ins Reine zu bringen. Der Herr wollte ihn allerdings nicht vorlassen, er habe keine Zeit, wie er ihm durch eine Negerin heraussagen ließ. Behrens aber, einmal zu dem Entschluß gekommen, war nicht so leicht wieder davon abzubringen. Er ließ noch einmal hinein sagen, er müsse den Herrn sprechen, denn er habe ihm etwas Wichtiges mitzutheilen, und verdrießlich willfahrtete dieser endlich dem Arbeiter.

[S. 94] Fürchtegott war indessen vorher genau von seinem Vater instruirt worden, was er zu sagen hatte, und selber ein ziemlich anstelliger Junge, brachte er das auch richtig und ordentlich heraus. Das Gesicht des Senhor Almeira aber, das schon bei ihrem Eintritt finster genug ausgesehen hatte, wurde bei der Anrede nicht freundlicher, und als der junge Bursche geendet hatte, sagte er, während sich seine Stirn in düstere Falten legte:

»Und weiß Dein Vater auch, welche Summe ich für ihn und Euch Alle ausgelegt habe, daß er jetzt schon, wo er kaum ein Jahr oder etwas darüber in meinen Diensten ist, davon spricht, sie abgetragen zu haben? Weiß er, was für ein Risico ich gehabt habe, als ich Euch Alle aus Eurem Lande herauskommen ließ, wo Ihr das Brod kaum hattet zum Leben? Geht an Eure Arbeit und kümmert Euch um nichts weiter; wenn Eure Zeit um ist, werde ich's Euch selber wissen lassen.«

»Aber Senhor,« sagte der kleine Bursch, »wir haben ja doch Alle so viel geschafft, daß wir schon ein hübsches Stück Geld verdient haben müssen, wenn Sie nur ganz geringen Tagelohn annehmen.«

»Tagelohn?« rief aber der Brasilianer, »was habt Ihr mit Tagelohn zu thun? Euer Contract lautet auf Antheil an dem Verdienst, und die Kaffeepreise sind im letzten Jahre so erbärmlich schlecht gewesen, daß ich, da uns auch eine ganze Ladung draußen in See verunglückt ist, eher Verlust als Nutzen bei der ganzen Ernte gehabt habe. Wer ersetzt mir jetzt den? Ihr etwa? Wahrscheinlich nicht, und ich werde es schwer genug finden, nur das wieder aus Euch herauszubringen, was ich an Euch selber verloren.«

»Aber verloren haben Sie doch gewiß nichts an uns, Senhor!«

»Nichts, so? Wohl nicht die ganzen Unkosten, die mir der nichtsnutzige Bursch verursacht hat, der noch dazu jetzt [S. 95] weggelaufen ist. Glaubt Ihr, daß Ihr das Alles in ein paar Monaten wieder abverdienen könnt?«

»Aber, guter Gott,« rief der Knabe erschreckt aus, während der Vater dabei stand und doch nichts von der Rede verstand, »dafür, daß der fremde Mensch davon lief, können wir doch nicht leiden, und Sie werden doch gewiß nicht verlangen, daß wir die vielen, vielen Monate umsonst gearbeitet und Schuhe und Kleidung zerrissen haben sollen?«

»Was sagt er?« frug der Mann.

»Und seid Ihr denn etwa schlechter daran, als ich selber?« frug der Brasilianer höhnisch. »Wenn Ihr nichts verdient, verdiene ich denn etwas? Laßt mich mit Euren ewigen Quälereien zufrieden, denn ich bin es müde, fortwährend gestört zu werden. – Dieses Jahr wird es auch besser gehn,« setzte er dann ruhiger hinzu, »die Kaffeepreise sind gestiegen, sag das Deinem Vater, und wenn Ihr fleißig seid, so bringen wir das vielleicht in der nächsten Zeit ein, was wir in der letzten verloren haben.«

»Was sagt er?« frug Behrens noch einmal.

»Laßt nur sein, Vater,« beruhigte ihn aber Fürchtegott, »ich erzähl es Euch Alles nachher, draußen.«

»Und mit dem Garten? – Er steht im Contract.«

»Ja, Senhor,« begann der Knabe noch einmal, »der Vater hat Sie schon lange um ein Stück Land für einen Garten gebeten. Es ist mit ausgemacht und steht im Contract.«

»Ich dächte, er hätte draußen gerade genug zu hacken und zu graben,« erwiderte mürrisch der Pflanzer, »aber ich will sehen, – er kann ein Stück Land bekommen, – wenn ich einmal Zeit habe, werde ich ihm einen Platz aussuchen. Und nun geht, – Ihr wißt jetzt, was Ihr wissen wolltet, – ich habe zu thun,« und damit wandte er sich ab und verließ selber das Zimmer, so daß den beiden Leuten nichts Anderes übrig blieb als seinem Beispiel zu folgen.

[S. 96] Draußen erzählte Fürchtegott dem Vater, was ihm der Brasilianer da drinnen gesagt, und daß sie ihre Arbeit gar nicht nach Tagelohn rechnen dürften, sondern, ihrem eigenen Contract nach, auf Theilung angewiesen wären, im vorigen ganzen Jahre aber gar nichts verdient hätten, und der Mann schlug vor Entsetzen die Hände zusammen, denn von diesem Augenblick zuerst an sah er kein Ende ihres Contractes ab.

Er ging in die elende Hütte, die schon die lange Zeit seine Heimath bildete, setzte sich auf eine Bank, stützte das Gesicht in seine Hände und weinte bitterlich, und die arme Frau vermochte nicht einmal ihn zu trösten.

Was nun? Wie hatten sie hier gearbeitet, unverdrossen, von Morgens an bis in die späte Nacht, und dabei nichts, gar nichts gehabt, was ihnen auch nur die geringste Erholung oder eine Freude bieten konnte. Dieser abgeschiedene Punkt der Erde war ihre ganze Welt gewesen; mit ihrem sauren Schweiß hatten sie den Boden gedüngt, und nun Alles, Alles umsonst, – um nichts weiter, als daß ihnen ihr Herr sagte, sie hätten nichts, gar nichts verdient, und müßten von vorn wieder anfangen. Und wenn er ihnen nun im nächsten Jahre die nämliche Antwort gab? Wenn er sie auf ein drittes Jahr vertröstete?

»Den Garten sollt Ihr haben, Vater,« flüsterte da Fürchtegott, um ihn wenigstens in etwas zu beruhigen, »er hat's mir versprochen, er will Euch selber den Platz dazu aussuchen.«

Der Mann nickte nur schweigend und trostlos mit dem Kopf, und jetzt – jetzt erst, und wie lange zu spät, fühlte er, daß der Doctor daheim mit jedem – oh, mit jedem schweren Wort, das er ihm gesagt und ihn gewarnt hatte, Recht – furchtbar Recht gehabt.

Was wußte er selber denn von der Welt? Er, ein armer und unwissender Mann, aber ehrlich und brav und keinem [S. 97] Menschen etwas Schlechtes zutrauend, weil er selber dessen unfähig gewesen; war es da so schwer gewesen ihn zu betrügen? – und wie hatte ihm der Agent, der doch seiner Meinung nach die Verhältnisse hier genau kennen mußte, wenn er so viele Leute hier herüberschickte – er wäre ja sonst ein ganz gewissenloser Lump gewesen – wie hatte der ihm zugeredet, hierher zu gehen und sein Glück zu machen. Und was war es das er hier gefunden? Verkauft wurden sie, wie sie nur das Land betraten, öffentlich verkauft, wie eine Heerde Schlachtvieh, den Meistbietenden zugeschlagen, dann – genau so, wie gekauftes Vieh – zu Fuß in die heißen Berge getrieben, und nun? – nun waren sie Sclaven, wie die anderen Sclaven auch, und deshalb – deshalb mußten sie die alte, liebe Heimath, das Grab ihrer Eltern, die Stätte ihrer Jugend verlassen?

Wie trüb – wie entsetzlich trüb verging ihnen der Sonntag, und als die Frau das Essen aufsetzte – denn schon seit längerer Zeit bekamen sie nur Fleisch, Bohnen und Maniokmehl geliefert und mußten sich selber ihre Mahlzeiten kochen – mochte Keiner von ihnen auch nur einen Bissen davon anrühren. Aber was konnten sie thun? bei wem sich über ihr geschehenes Unrecht beklagen? Sie waren allein zwischen den fremden Menschen und mußten ertragen, was über sie verhängt wurde; einen anderen Ausweg gab es für sie nicht.

Am nächsten Morgen begannen die Arbeiten von neuem, – Monate lang, ohne daß die geringste Veränderung in ihrer Lage eingetreten wäre. Der andere Deutsche war allerdings einmal mit einem großen Transport Kaffee in Porto Seguro gewesen, und hatte dort einen deutschen Kaufmann getroffen, der sich da kürzlich niedergelassen. Da er zwei Tage im Hafen blieb, veranlaßte er auch denselben, bei dem dortigen Präfecten eine Klage gegen ihren Herrn anzubringen, hatte aber nichts damit ausgerichtet. Die Antwort lautete, daß die in Deutschland abgeschlossenen Contracte hier ihre [S. 98] Gültigkeit hätten; wäre etwas darin, das ihnen nicht gefiele, so sei das ihre eigene Schuld, warum hätten sie dieselben unterschrieben; sie wären von keinem Brasilianer je dazu gezwungen worden.

Auch den Garten bekam Behrens nicht, ob es der Herr gleich versprochen hatte; er erinnerte noch ein paar Mal daran, wurde aber immer auf die »nächste Woche« vertröstet, und die nächste Woche wollte nie erscheinen. Da kam eines Tages Hannchen nach Haus und berichtete, es sei von Porto Seguro ein deutscher Consul eingetroffen, der hier hergekommen wäre, um sich nach den Verhältnissen der deutschen Colonisten zu erkundigen, und jetzt zum ersten Mal brach ein Hoffnungsstrahl in die Nacht der Armen, denn der Herr war von den deutschen Regierungen beauftragt worden, sich seiner Landsleute anzunehmen, und der mußte und würde ihnen helfen.

Eine andere Trauernachricht brachte aber auch Hannchen mit, denn Senhora Almeira war recht schwer erkrankt und sie konnte auch nur wenige Minuten bei den Ihrigen bleiben, weil sie zurück mußte, um die Leidende zu pflegen. Sie war in der That nur auf einen Sprung aus dem Herrenhaus fortgelaufen, um den Eltern anzuzeigen, wer der eben gekommene Fremde wäre, damit sie sich vorbereiten könnten mit ihm zu sprechen.

Ein deutscher Consul! Endlich – endlich, jubelten die armen Leute. Sie hatten sich schon von den deutschen Regierungen vollständig verlassen und aufgegeben geglaubt, und ihnen doch jetzt so großes Unrecht damit gethan. Jetzt kam wirklich ein Beamter derselben hier in das fremde Land, um zu sehen, daß die armen Leute nicht ungerecht behandelt würden, – das war brav und gut, und Behrens ihnen recht von Herzen dankbar dafür.

An diesem Tage ließ der deutsche Consul sich freilich noch nicht bei den Auswanderern blicken, und sie wohnten doch eigentlich so dicht bei dem Herrenhaus – kaum etwa hundert [S. 99] fünfzig Schritt davon entfernt – aber freilich hatte er auch wohl viel mit Senhor Almeira zu sprechen, denn solche Herren haben immer sehr viel zu thun und müssen sich nach Allem ganz genau erkundigen, damit sie recht ausführliche Berichte abstatten können: morgen kam er gewiß, denn so viele Deutsche waren ja doch nicht auf der Plantage, – aber am nächsten Tag kam er auch noch nicht. Fürchtegott mußte sich erkundigen, ob er vielleicht am Ende gar wieder abgereist wäre, ohne sie zu sprechen, das war aber nicht der Fall. Die Herren sollten nur über Land geritten sein, um eine andere Hacienda zu besuchen, und hatten dabei einige Neger und Gewehre mitgenommen, – möglich, daß sie auch unterwegs jagen wollten.

Am dritten Tag kamen sie endlich zurück, müde von dem langen, beschwerlichen Ritt, und schliefen bis zum Diner, nach welchem natürlich keine Rede mehr von Geschäften sein konnte. Endlich brach der vierte Tag an, ein Sonntag, und Morgens um acht Uhr schon, noch in der Kühle des Tages, da die Sonne noch keine Zeit bekommen auf die Erde niederzubrennen, sahen sie die drei Herren den Weg her, der vom Herrenhaus zu ihnen führte, auf ihren Pferden angeritten kommen. Die Entfernung war allerdings sehr gering, und wie gesagt, kaum hundertfünfzig Schritte, aber in diesem Clima geht ein Weißer nicht gern auch nur die kleinste Strecke zu Fuß, weil man jede Anstrengung fürchtet. Arbeiter machten natürlich davon eine Ausnahme, denn Anstrengung war gerade ihr Beruf, und sogar den eben erst eingetroffenen weißen Frauen und Kindern hatte man damals zugemuthet, den entsetzlich weiten Weg von Porto Seguro bis hier heraus zu Fuß zurückzulegen.

Behrens hatte in der Thür gestanden und sie kommen sehen; aber er trat in das Haus zurück, denn er wollte sie nicht da draußen anreden. Der deutsche Consul mußte ja doch auch einmal das Innere dieser Wohnung in Augenschein [S. 100] nehmen, um dann selber beurtheilen zu können, wie man deutsche Arbeiter hier in Brasilien behandelt.

Die Reiter kamen näher; jetzt hielten sie dicht vor der Thür, und als sich da noch immer Niemand von den Deutschen zeigte, wurde ein Neger abgeschickt, um sie herauszurufen. Er mußte melden, daß der Herr die Leute zu sprechen wünsche.

Behrens schüttelte mit dem Kopf; er hatte sich den Besuch eines deutschen Consuls in den fernen brasilianischen Colonien anders gedacht, aber er gehorchte doch dem direct gegebenen Befehl, und trat im bloßen Kopf in die Thür, – der andere Deutsche war gerade nicht zu Haus, sondern nach trockenem Holz in das nächste Dickicht gegangen, und Frau und Kinder drängten sich neugierig nach.

Draußen vor der Thür hielten die Reiter, Senhor Almeira, ein anderer Brasilianer aus Porto Seguro, wie sich später herausstellte, der Beamte des Hafens, und der fremde Deutsche, der sie augenblicklich mit einem freundlichen: »Guten Tag, ihr Leute, wie geht's?« anredete.

Es war ein noch junger, ziemlich elegant gekleideter Herr, in einem leichten, hellen Rock und einen großen, feinen Panamahut auf. Er trug eine goldene Brille und viele Ringe an den Fingern, und eine schwere, goldene Uhrkette. Er hatte auch ein gutmüthiges Gesicht und blaue Augen, und die Anrede allein gewann ihm schon die Herzen; lieber Gott, es waren ja die ersten deutschen Laute, die seit langer, langer Zeit zu den Ohren der armen Auswanderer drangen, und der Mann gerade sollte ihnen helfen.

»Ja, wie geht's, Herr,« seufzte Behrens, »was soll man da sagen. Gesund sind wir noch bis jetzt, Gott sei Dank, und gearbeitet haben wir rechtschaffen, und auch noch gerade keine Noth gelitten.«

»Nun, ich denke,« lächelte der Consul, »dann ließe es [S. 101] sich schon aushalten, und Ihr könntet immerhin antworten: gut! Ist das Eure Familie?«

»Ja, Herr,« erwiderte Behrens, »von dem gut ist's aber doch noch ein großes Stück weit weg, denn wir haben einen Contract, von dem wir kein Ende absehen können, und neulich hat uns der Herr da gesagt, daß wir im ganzen vorigen Jahre, trotz unserer schweren Arbeit keinen Pfennig verdient hätten, und also noch immer, wie früher, in seiner Schuld wären, und das ist doch entsetzlich hart.«

Der Consul erwiderte ihm nichts hierauf, sondern wandte sich an den ihn begleitenden Almeira, der ihm achselzuckend Einiges entgegnete, worauf der Deutsche langsam mit dem Kopf nickte.

»Eure Nahrung oder Kost habt Ihr doch immer reichlich erhalten?« frug er dann weiter.

»Ja, Herr,« sagte Behrens, »sie sollen uns auch wohl noch hungern lassen?«

»Und überarbeiten werdet Ihr Euch nicht?«

»Überarbeitet? man überarbeitet kein Pferd den einen Tag, wenn man es am nächsten wieder brauchen will – übrigens können wir's ertragen. Aber ein Ende möchten wir doch wissen, wann wir je mit unserm Contract zu Ende kommen, denn auf die Art ist keins abzusehen, und wir sind am Ende gar auf Lebenszeit verkauft.«

»Aber, Leute, verkauft hat Euch Niemand,« sagte der Consul; »es war doch Euer freier Wille, als Ihr den Contract unterschriebt und auf ein Schiff gingt.«

»Das schon,« sagte Behrens bitter, »aber wir wußten damals freilich nicht, daß wir hier wie eine Heerde Schaafe auf offenem Markte ausgeboten und verauctionirt werden sollten.«

»Verauctionirt?«

»Ja wohl, Herr Consul; fragen sie die Andern, und [S. 102] im Hafen sind auch noch eine ganze Menge, die Ihnen das bezeugen können.«

»Hm,« sagte der Consul, »das – das hat vielleicht nur so schlimm ausgesehen; aber ich werde mich darnach erkundigen. Habt Ihr Euch über sonst noch etwas zu beklagen?«

»Sonst noch etwas?« sagte Behrens, über diese Ruhe und Gleichgültigkeit erstaunt; »aber ich dächte, das wäre schon genug, wenn man unter den fremden Menschen für Nichts arbeiten soll, und noch nicht einmal die Aussicht hat, etwas zu bekommen. Doch das nicht allein; in unserm Contracte steht, daß ich ein Stück Land zu einem Garten soll angewiesen bekommen, und der Herr hat's mir auch schon versprochen; aber gekriegt haben wir's nicht, und werden's auch nicht kriegen, wenn Sie sich nicht der Sache annehmen und uns zu unserem Recht verhelfen.«

»Ich werde mir den Contract zeigen lassen,« sagte der Consul.

»Und dann,« fuhr Behrens fort, »wie wohnen wir hier? Wenn sie nur einmal von ihrem Pferd heruntersteigen wollten, Herr Consul, und sich den Platz ansehen – bei uns daheim haben ihn die Kühe genau so, und wie die Neger wohnen, die nie ein anderes Leben gesehen haben, so sind wir auch einquartiert, wobei es nur ein reines Wunder ist, daß wir noch nicht Alle krank geworden.«

»Aber das Dach scheint doch dicht zu sein,« sagte der deutsche Herr, indem er einen Blick über das Gebäude warf, ohne jedoch der Einladung Folge zu leisten und näher zu treten.

»Dicht ist's,« sagte jetzt die Frau hinter ihres Mannes Schulter vor; »nur an der einen Ecke schlägt der Regen etwas herein; aber sonst gehören keine Menschen hinein, das weiß Gott – aber Gott weiß hier eigentlich überhaupt nichts mehr von uns, denn in eine Kirche sind wir nicht mehr gekommen seit dem letzten Mal daheim, und wenn [S. 103] einer von uns krank wird, so fragt auch kein Arzt nach uns, und wenn wir sterben – nun so kommen wir wohl auch in so ein Loch, wie das ist, wo hinein sie die Neger werfen.«

»Ihr guten Leute,« sagte der Consul, indem er auf seinem Sattel umherrückte, »Ihr scheint mir über Alles unzufrieden zu sein. Daß Ihr mitten im brasilianischen Urwald in keine Kirche gehen konntet, mußtet Ihr doch vorher gewußt haben. Macht nur Eurem Herrn das Leben nicht zu schwer.«

»Ja, wir machen's ihm schwer,« lachte der Mann bitter vor sich hin, »der hat sich zu beklagen. Sogar dafür, daß der Junge, der Pölke, ihm weggelaufen ist, wollte er uns verantwortlich machen, und dem seine Rechnung auf unsere Kosten ausgleichen – aber da müßte ja doch keine Gerechtigkeit mehr auf der Welt sein, und das wollten wir einmal sehen.«

»Ihr dürft keinen Streit hier anfangen, Leute,« wehrte aber der Consul ab, »das kann Eure Lage nur verschlimmern – ich will mit Senhor Almeira über all Eure Verhältnisse sprechen. Er ist ein sehr braver, billig denkender Mann; er wird sein Möglichstes thun, um Euch gerecht zu werden; verlaßt Euch darauf und fahrt nur ruhig und unverdrossen in Eurer Arbeit fort, ohne den Herrn durch Widersetzlichkeit zu reizen.«

»Ja wohl, Herr Consul,« sagte Behrens bitter – »ungefähr sowie ich's mir gedacht habe – es bleibt eben Alles beim Alten.«

»Das wollen wir erst sehen,« sagte der Consul, indem er sein Pferd wandte – »ich werde mir Euren Contract vorlegen lassen und selber nachsehn. Ich bringe Euch dann noch Antwort, ehe ich gehe,« und zu den beiden Brasilianern hinüber reitend, die sich indessen mit einander unterhalten hatten, sprengten die drei Herren wieder zum Haus zurück, [S. 104] wo indessen, auf der schattigen Veranda, das Frühstück war servirt worden.

»Nun, Senhor,« lachte Almeira, als sie den Platz verließen, »haben sie Ihnen die Ohren recht voll geklagt?«

»Lieber Gott,« erwiederte der Consul, »ich bin schon daran gewöhnt. Die Leute sind nie zufrieden, wohin man sie auch bringt, weil sie mit zu großen Hoffnungen herüber kommen. Übrigens lassen sie sich leicht behandeln und mit ein wenig Nachsicht werden Sie gewiß mit ihnen fertig werden. Sie arbeiten doch fleißig?«

»Ich will mich darüber nicht beklagen,« sagte der Brasilianer gleichgültig, »wenn mir auch ein Neger gerade so viel fertig bringt, wie zwei Deutsche; wenigstens sind sie zuverlässig, und was die Hauptsache ist, trinken nicht.«

»Dürfte ich Sie nachher wohl einmal um den Contract bitten?«

»Ja wohl, mit dem größten Vergnügen, – aber jetzt lassen wir die langweilige Gesellschaft, denn ich sehe, daß unser Frühstück bereit ist.«

In der luftigen Veranda des Hauses saßen die drei Herren allein bei allen Delicatessen, die das reiche Land erzeugte, lachten, plauderten und tranken den gekühlten Wein dazu. Drinnen in der elenden Negerhütte, den Kopf in beide Hände gestützt, saß Behrens, der deutsche Arbeiter, und stierte still und schweigend vor sich nieder, während Keines der Seinen auch nur ein Wort zu ihm zu reden wagte – hatte man ihnen doch eben auch ihre letzte Hoffnung genommen.

Wie rasch der Herr Consul übrigens seine Inspectionen beendet, sollten sie schon am nächsten Mittag erfahren, wo Hannchen die Nachricht nach Hause brachte, daß der Deutsche mit Tagesgrauen den Platz verlassen habe, um in der Kühle einen Theil des Weges nach dem Hafen zurück zu legen. Aber in etwas schien er trotzdem für die Deutschen gewirkt [S. 105] zu haben, denn Mancal, der Mulatte, betrat bald darauf ebenfalls die Hütte, und theilte Behrens mit, er werde ihm heute Abend einen Gartenplatz anweisen, den er für sich benutzen und darauf bauen könne was er wolle. Es war ein einziger Lichtblick in ihr trauriges Dasein.

Und welchen Platz wies ihm der Gelbe an? – ein Stück Wald neben der nächsten Kaffeepflanzung, etwa tausend Schritt von ihrer Hütte entfernt, und noch mit vielen hohen Bäumen bestanden. Wie mußte er da erst arbeiten, ehe er nur daran denken konnte den Boden zu benutzen. Doch murrte er nicht; er war selbst für das Wenige dankbar, und da ihm der Aufseher sagte, daß er sich da ausbreiten könne soweit er wolle, ging er mit seinen Kindern schon am nächsten Sonntag an die Arbeit, um das Ausroden zu beginnen.

Neuntes Capitel.
Die Folgen des Contracts.

Von da an gab es keine Sonntage mehr für die Familie, denn jeder freie Augenblick mußte benutzt werden, um ihren »Garten« in Stand zu setzen, und da sie Alle mit größtem Eifer angriffen, ja die nächste Familie ebenfalls dazugezogen wurde, um den Platz nachher gemeinschaftlich zu benutzen, rückten sie auch rasch vorwärts.

In zwei Monaten hatten sie schon die Bäume, die nothwendig gefällt werden mußten, umgeworfen und aus dem Weg gerollt, kleine Fruchtbäume konnten jetzt schon gepflanzt und der Boden hergerichtet werden, und noch zwei Monate, und ihr heiß ersehntes Ziel war endlich erreicht, – der [S. 106] Gartenplatz wenigstens fertig und wurde nun besäet und besteckt.

Die gewöhnliche Arbeit ging indessen fort, wieder ein ganzes Jahr, – aber die Frau fing an zu kränkeln, – das feuchte und doch so heiße Klima sagte ihr nicht zu, und sie wurde häufig von Fiebern heimgesucht, – auch das jüngste Kind wollte sich nicht recht kräftigen und machte ihnen viele Sorge.

Schweres Unglück hatte aber auch in diesem Jahr das Herrenhaus betroffen, denn Senhora Almeira war gestorben und von all ihren Sclaven und Dienern auf das Aufrichtigste beweint worden, – nur nicht von ihrem Gatten, der sich die letzte Zeit fast gar nicht um sie gekümmert, und ihre Pflege allein der jungen Deutschen und einer alten, treuen Negerin überlassen hatte.

Hannchen führte indessen drüben die Wirthschaft im Hause, und zwei Monate etwa schien das gut zu gehen, – da kam sie eines Mittags zu ihren Eltern mit verweinten Augen herüber, und erklärte, daß sie das Herrenhaus nicht wieder betreten würde.

Die Eltern frugen nicht weshalb, und als Mancal an dem Nachmittag herunter kam und sie wieder zu ihrem bisher besorgten Dienst schicken wollte, wies sie ihn mit so zornigen Worten ab und erklärte so bestimmt, nie wieder anders, als in Gemeinschaft mit ihren Eltern und Geschwistern zu arbeiten, daß er ordentlich scheu vor dem indessen hoch aufgeschossenen, bildschönen Mädchen zurücktrat und sie in der Hütte ließ. Von da ab wurde sie nie wieder in das Herrenhaus gerufen.

Senhor Almeira verließ am nächsten Tag seine Pflanzung. Sie sahen ihn nach dem Hafen zu reiten, und glaubten, daß er nur einen seiner gewöhnlichen Besuche dort abstatte, aber er kam nicht zurück. Woche nach Woche verging, Monat nach Monat, und er ließ sich nicht wieder da draußen [S. 107] sehen. Aber die Arbeit ging fort und Behrens, der indessen doch auch ein wenig Portugiesisch gelernt hatte, verlangte von ihrem Aufseher zu erfahren, wie ihre Rechnung stand. Dieser freilich zuckte die Achseln, und meinte, davon wisse er gar nichts. Sein Herr sei mit dem Dampfer nach Rio Janeiro gefahren und habe ihm nur den Befehl hinterlassen, die Arbeiten bis zu seiner Rückkunft in der gewöhnlichen Art fortzuführen. Er könne aber kaum mehr lange ausbleiben, und dann möge er mit ihm selber sprechen, – bis dahin müßten sie sich gedulden.

Die Frau wurde indessen kränker, und Behrens verlangte einen Arzt. Mancal versprach ihm, nach der Stadt zu schicken, und am nächsten Tag ging auch ein Zug mit einigen vierzig Maulthieren dorthin ab, um den vorräthigen Kaffee nach dem Hafenplatz zu senden, – aber es dauerte viele Tage, bis diese dort eintrafen, und als der Doctor endlich wirklich ankam, fand er Jammer und Thränen in der Hütte, aber keinen Patienten mehr.

Das Kind war zuerst gestorben und die Mutter, deren Zustand der furchtbare Schmerz nur noch verschlimmerte, ihm bald gefolgt.

Und wieder vergingen Monate – Monate voll schwerer Arbeit, als Senhor Almeira eines Tages – so plötzlich, wie er gegangen, auf sein Gut zurückkehrte und eine neue Frau, eine junge Französin, mitbrachte. Begleitet war er dabei von einer ganzen Gesellschaft von Herren und Damen aus Porto Seguro, und die Festlichkeiten nahmen kein Ende. Die Deutschen wollten jetzt mit ihm sprechen, aber wo hätte er Zeit gehabt sie anzuhören; sie wurden auf später vertröstet, und er ließ ihnen nur sagen, sie sollten sich beruhigen, ihre Zeit sei noch nicht um – wenn sie es wäre, würde er es ihnen selber mittheilen.

Die Deutschen weigerten sich jetzt zu arbeiten, aber sie verschlimmerten nur dadurch ihren Zustand, denn Mancal [S. 108] drohte die Neger gegen sie zu bewaffnen und Militär aus der Stadt holen zu lassen; dazu wurde das frische Fleisch und Mehl zurückgehalten und die wenigen Menschen fühlten wohl, daß sie hier nichts mit Gewalt ausrichten konnten. Sie waren auch schon geistig wie körperlich so gebrochen, daß sie nicht wagten, es auf das Schlimmste ankommen zu lassen.

Senhor Almeira verkehrte von da an nie wieder selber mit ihnen, oder erwiderte nur selbst ihren Gruß, wenn sie ihm begegneten, und seine junge Frau dachte nur an Putz und Festlichkeiten. Sie waren auch nur selten zu Hause, denn das Leben auf der abgeschiedenen Hacienda mochte ihr wohl, als sie der Besuch verlassen, zu einsam sein. Bald ritten sie da, bald dort hin und dann kamen große Sendungen aus dem Hafen, ganze Maulthierzüge mit neuen Meublen, Tapeten, Geschirren und anderen Dingen, um die stille Pflanzerwohnung in einen Palast zu verwandeln.

Behrens der jetzt wohl fühlte wie sie mit ihrem Herrn standen, dachte auf Flucht – aber er hätte doch nicht mit seiner ganzen Familie entfliehen können, und sollte er allein fliehen, um in der Hauptstadt des Landes Schutz und Recht bei seinen Landsleuten zu suchen, wie wäre es indessen den Seinen ergangen, und wie durfte er selber hoffen, ohne die geringsten Mittel die ferne Stadt zu erreichen? Es wäre ein verzweifeltes und völlig nutzloses Unternehmen gewesen.

So vergingen wieder anderthalb Jahr, in denen die Verschwendung des Brasilianers den höchsten Grad erreichte. Trotzdem gab ihnen sein Aufseher – denn er selbst ließ keinen der Deutschen mehr vor sich – nur immer auf alle Fragen die eine Antwort: Die Kaffeeernte habe nicht die erhofften Preise gebracht, und sie müßten sich noch gedulden. Allerdings klagte der andere Deutsche, der noch manchmal mit Transporten in den Hafen geschickt wurde, dem dortigen Kaufmann jedes Mal ihr Leid, aber auch der war nicht im [S. 109] Stande etwas für sie auszurichten, und sie sahen in der That ihres Jammers kein Ende.

Da geschah das Äußerste, was Behrens bis jetzt für möglich gehalten, denn der Mulatte kam eines Morgens zu ihm und kündigte ihm an, daß sein Garten, dem sie jetzt Jahre lang jeden Sonntag geopfert, nothwendig zu der Kaffeeplantage geschlagen werden müsse, an welche er stieß. Die Deutschen sollten aber dafür ein ebenso großes Stück Land dicht daneben angewiesen bekommen, um sich einen anderen herzustellen.

Behrens lief jetzt, wahrhaft außer sich, nach dem Herrenhause hinüber, und wäre in diesem Augenblick vielleicht zu Allem fähig gewesen. Herr und Madame aber waren den Morgen fortgeritten und wurden auch vor acht Tagen nicht zurück erwartet, und schon am nächsten Morgen stellte der Mulatte seine Neger an, um die als Umzäunung dienenden Hölzer fortzuschaffen, welche zwischen dem Garten und dem Cafezal lagen, und junge Kaffeebäume dicht neben einander dort einzupflanzen.

Als Behrens an dem Tag nach Hause zurück kam, ergriff ihn ein hitziges Fieber, das ihn Wochenlang an sein Lager gefesselt hielt. Er phantasirte dabei und fing ein paar Mal an so zu rasen, daß ein paar Negerburschen zu Hülfe gerufen werden mußten, um ihn nur zu bändigen. Endlich, nach einer der schlimmsten Nächte dieser Art, verhielt er sich ruhig, – es war die Krisis gewesen, und als ihn der Arzt, der jetzt öfter, der jungen Frau wegen, auf die Hacienda kam und oft eine ganze Woche dort blieb, wieder besuchte, erklärte er ihn außer Gefahr und verordnete nur noch gute Pflege.

Behrens erholte sich in der That rasch, nur matt war sein Körper noch, und er hatte mit den Übrigen noch nicht wieder an die Arbeit gedurft. So saß er eines Tages bleich, abgemagert und zusammengebrochen, die Stirn mit einem [S. 110] Tuch umwunden, vor der Thür seiner Hütte im Schatten, und sog, seinen trüben und düsteren Gedanken nachhängend, an einer Apfelsine, als Pferdegetrappel laut wurde und ein einzelner Reiter den Weg herabsprengte, der auf das Herrenhaus zuführte. Als er den Mann dort vor der Hütte sitzen fand, zügelte er sein Pferd ein und frug, ob Senhor Almeira zu Hause sei.

»Ich weiß es nicht, Herr,« sagte der Deutsche in sehr gebrochenem Portugiesisch, »wir erfahren hier nichts davon.«

Der Fremde betrachtete ihn aufmerksam eine kleine Weile und sagte dann plötzlich in deutscher Sprache: »Seid Ihr etwa Einer von den deutschen Parcerie-Arbeitern auf der Hacienda?«

»Leider, Herr,« erwiderte Behrens, den nicht einmal die deutsche Sprache aus seiner Apathie aufrütteln konnte. Was lag auch daran, es war vielleicht wieder ein Consul, und was ihnen der vorige genützt, hatten sie erfahren.

»Leider?« frug der Fremde, blieb aber nicht auf dem Pferd sitzen, sondern stieg ab, hing den Zügel seines Thieres über den nächsten Baumzweig, und trat näher zu dem Deutschen. »Ihr seid krank, Freund?«

»Ich war krank, Herr; jetzt geht es, Gott sei Dank, etwas besser, bin aber doch noch zu schwach zum Arbeiten und deshalb hier allein in der Hütte zurückgeblieben.«

»Ist das Eure Wohnung?«

»Ja, Herr.«

»Und wie lange haust Ihr jetzt schon etwa hier?«

»Es wird nahe an die sechs Jahre gehen.«

»Sechs Jahre? Das ist eine lange Zeit. Und habt Ihr Euch indessen was Ordentliches verdient?«

»Verdient?« frug der Mann, und ein eigenes, trübes Lächeln zuckte um seine Lippen, »wenn wir nicht noch in Schulden wären, brauchten wir wenigstens nicht länger [S. 111] unter einem Mulattenaufseher zu arbeiten, wie die anderen Sclaven auch.«

»So?« sagte der Mann, und sah ihn rasch und aufmerksam an, »und habt Ihr fleißig gearbeitet in der Zeit?«

»Wie wir's von daheim gewohnt waren, Herr, – wir haben als rechtschaffene Leute unsere Pflicht gethan. Der einzige Fehler war nur, daß ich meinen Namen unter eine Schrift auf ein Stück Papier setzte. Ich wußte wohl, was drin stand, aber doch nicht so recht, die Sache hatte einen kleinen Haken, und was mir gute Menschen darüber sagten, glaubte ich nicht, – oder doch wenigstens nicht, daß andere Menschen so schlecht sein könnten. Mit meinem Namenschreiben habe ich damals mich und meine Familie für ewige Zeit verkauft, – verauctionirt wurden wir auch gleich, so wie wir nur nach Brasilien herkamen.«

»So?« sagte der Fremde wieder und sah dabei still vor sich nieder, »und habt Ihr vielleicht das Papier oder eine Abschrift davon bei der Hand, auf daß Ihr Euren Namen gesetzt?«

»Nein, Herr, das Papier haben sie uns abgenommen; es war auch eigentlich nicht für uns, sondern für den Käufer; aber mein Name steht richtig darauf und jetzt ist an der Sache nichts mehr zu thun, wie sie mir es auch in Deutschland vorhergesagt. Wir sind einmal verkauft und bleiben verkauft.«

Der Deutsche schwieg; er hatte sich neben Behrens – sehr zu dessen Verwunderung – auf die Bank gesetzt und sah still vor sich nieder, endlich frug er: »Wie viel seid Ihr Eurer?«

»Nun,« sagte der Mann, »ein Paar wenigstens haben's schon hinter sich. Jetzt sind wir noch unser Fünf.«

»Ist Jemand von Euch gestorben?«

»Nur die Mutter der Kinder, Herr, – es hat nicht viel zu bedeuten,« lachte Behrens bitter vor sich hin, »und dann das Jüngste, – war ein kleiner, lieber herziger Kerl und [S. 112] unser Aller Freude, – jetzt ist ihm wohl; er hat's überstanden, und wir – werden's ja mit Gottes Hülfe auch einmal überstehen.«

Der Fremde sprang von seinem Sitz auf und ging ein paar Mal mit raschen Schritten vor dem Mann auf und ab.

»Und hat Niemand in der ganzen langen Zeit nach Euch gesehen?« sagte er nach einer Weile.

»O ja, doch,« lautete die Antwort, »es war einmal ein deutscher Consul hier, sind aber schon viele Jahre her, ein sehr vornehmer Herr; dort an derselben Stelle, wo Sie Ihr Pferd angebunden haben, da hielt er, und wir durften wohl eine halbe Stunde mit ihm sprechen. Nachher habe ich freilich nichts weiter von ihm gesehen; er hatte wohl viel zu thun und konnte sich nicht so lange um solche arme Teufel bekümmern.«

»Er stieg gar nicht vom Pferde?«

»O ja, doch, – oben beim Haus, und da haben sie mitsammen gegessen und getrunken.«

»So? Ja, lieber Freund,« sagte der Fremde, »dann will ich nur auch einmal zum Haus hinaufreiten, – aber ich komme wieder,« setzte er hinzu, als er den schmerzlichen Blick bemerkte, den der Mann ihm zuwarf, und damit trat er zu seinem Pferde, warf den Zügel ab und sprengte zum Haus hinauf.

»Das hat der Andere auch gesagt,« nickte Behrens vor sich hin, »ich komme wieder, – ich glaube, es waren genau dieselben Worte, aber er soll heute noch wieder kommen. Ja, wenn ich nur an dem unglückseligen Tag nicht meinen Namen unterschrieben hätte.«

Es dauerte aber in der That nur wenige Minuten, als er das Pferd schon wieder hörte. Es war der Fremde, der aus dem Sattel sprang und dabei ausrief: »Das ist eigentlich schneller gegangen als ich dachte, aber vielleicht auch besser so. Euer Herr ist nicht zu Haus, – er ist einmal [S. 113] hinaus zu seinen Arbeitern geritten und unter der Zeit können wir mitsammen plaudern: Übrigens habe ich hier in meiner Satteltasche noch eine halbe Flasche Wein, – ein Glas Wein, sollte ich meinen, müßte Euch gut thun, – es ist vortrefflicher Medoc. Habt Ihr ein Glas im Haus?«

»Eins muß noch da sein,« sagte Behrens, ganz bestürzt über das Anerbieten, »die meisten haben die Kinder freilich in den langen Jahren zerbrochen, aber eins war neulich wenigstens noch ganz. Wir brauchen sie hier nicht viel; wir trinken unser Wasser aus den Kalebassen, und die wachsen ja glücklicher Weise an den Bäumen.«

Er war aufgestanden und in das Haus gegangen, kam auch gleich darauf mit dem gefundenen Glas zurück und der Fremde betrachtete sich indessen, in der Thüre stehend, den öden inneren Raum.

In diesem Augenblick kam ein junges Negermädchen, was es nur laufen konnte, den Weg entlang vom Herrenhaus herunter, und redete, ganz außer Athem, den Fremden an.

»O, Senhor, – die Senhora läßt Euch bitten, zum Haus zu kommen, der Herr muß gleich zurückkehren; die Senhora ist sehr böse, daß die anderen dummen Schwarzen den fremden Herrn wieder fortgeschickt haben.«

»Sage Deiner Senhora, mein Töchterchen,« erwiderte der Fremde, »daß sie mich gar nicht fortgeschickt hätten, ich wäre von selber gegangen, weil ich hier mit dem Mann etwas zu sprechen habe. Wenn es mir die Senhora erlaubt, werde ich ihr nachher meine Aufwartung machen.«

»Aber das Frühstück steht auf dem Tisch, Senhor.«

»Ich danke Dir, mein Kind, ich habe schon gefrühstückt,« und dabei schenkte er Behrens ein Glas Wein ein, und reichte es ihm.

Das kleine Negermädchcn sah vor lauter Erstaunen mit offenem Munde zu. Der fremde Senhor gab dem »weißen [S. 114] Nigger« Wein; so etwas hatte sie noch nie erlebt, und noch viel rascher, als sie von dem Haus herunter gekommen, lief sie dorthin zurück, um die merkwürdige Neuigkeit zu erzählen.

Der Fremde, ohne sich weiter um das Negermädchen zu bekümmern, trat mit dem Deutschen in das Haus, und sich dort einen Stuhl zu dem roh gearbeiteten Tisch rückend, sagte er ruhig und freundlich: »Und nun, Kamerad, wie heißt Ihr gleich?«

»Behrens, Herr –«

»Also nun, Behrens, erzählt mir einmal Eure ganze Lebensgeschichte, wenigstens von der Zeit an, wo Ihr den Entschluß gefaßt habt, nach Brasilien auszuwandern. Macht es so kurz und einfach wie möglich, denn ich weiß auch schon ein wenig Bescheid, und brauche die Einzelheiten nicht alle zu wissen, und scheut Euch nicht im Mindesten, mir die volle Wahrheit zu sagen. Ich meine es gut mit Euch, und es ist möglich, daß ich Euch nützen kann.«

Behrens schüttelte dazu freilich den Kopf, der Fremde aber, indem er seine Brieftasche und einen Bleistift herausnahm, drängte noch einmal: »Erzählt mir nur, ich werde Euch nicht unterbrechen, aber ich muß eben Alles wissen, und wir haben vielleicht nicht so sehr lange Zeit.«

Behrens sah noch eine kleine Weile still vor sich nieder. Lang vergangene, schon fast vergessene Bilder tauchten vor ihm auf, – sollte er noch einmal in die alten Wunden greifen? Und weshalb nicht? Wühlte er doch das ganze Jahr darin herum, und der Fremde sah ihn ja so gut und freundlich an. So faßte er sich denn ein Herz und erzählte ihm von Anfang bis zu Ende die Geschichte seiner Auswanderung, und wie es ihm hier gegangen. Er setzte dabei nichts hinzu, ja, er ging sogar in einem ganz richtigen Gefühl über eine Masse von Nebensachen leicht hinweg, und war deshalb im Stande, dem Besucher in kurzen aber scharfen Umrissen ein [S. 115] Bild all ihrer Schicksale zu geben. Der Fremde unterbrach ihn auch mit keinem Wort, – nur manchmal, wenn er irgend eine Ergänzung brauchte, warf er eine kurze Frage ein, die ihm dann Behrens eben so kurz und bündig beantwortete.

So hatte er denn in kaum einer halben Stunde die Schicksale der armen Auswanderer genau und vollkommen kennen gelernt, aber er hörte ihm nur zu, und versprach ihm nicht etwa, daß er ihm helfen und die Familie aus ihrer traurigen Lage befreien wolle. Er war nur ein Reisender, wie er sagte, der zufällig in diese Gegend gekommen, um das Land kennen zu lernen und sich mit den Zuständen desselben bekannt zu machen. Was aber in seinen Kräften stand, versprach er zu thun, um den Leuten Recht zu verschaffen, sie sollten nur nicht glauben, daß das so schnell gehen könne. Brasilien sei ein zu großes Land, und man müsse immer eine weite Strecke von einem Ort zum anderen reisen, wenn man irgend etwas erreichen wolle.

In dieser Zeit kamen auch die übrigen Leute von der Arbeit zurück, und Behrens sah, wie Senhor Almeira ebenfalls an ihrer Hütte vorüber seinem Hause zusprengte, plötzlich aber sein Thier herumwarf, als er das fremde Pferd am Hause bemerkte.

»Das ist der Herr,« sagte der Arbeiter scheu zu seinem Gast, indem er hinaus deutete, »der wird Sie jetzt mit sich hinauf nehmen.«

»Ach,« lächelte der Fremde, »da werde ich mich ihm vorstellen müssen; – also habt guten Muth, Freund; es ist allerdings eine schwere Zeit, die Ihr hier durchgemacht, aber vielleicht wird doch noch einmal Alles besser. Ist das Eure Tochter?«

»Ja, Herr, meine Älteste.«

»Ein liebes, freundliches Kind. Nun, lebt wohl für jetzt; der Herr da draußen wird ungeduldig, und wir dürfen ihn nicht böse machen –« und damit nickte er den Deutschen [S. 116] zu und schritt hinaus zu seinem eigenen Thier, neben welchem Senhor Almeira hielt und die Hütte schon mehrmals mit »Hallo! He da drinnen!« angerufen hatte. Der Brasilianer schien auch eben nicht besonders erfreut, den fremden, sehr anständig gekleideten Herrn aus der Hütte seiner Arbeiter kommen zu sehen. Was hatte er mit denen zu schaffen, daß er sich nicht vorher an ihn selber gewandt? Und seine Stirn zog sich zuerst in düstere Falten. Der Fremde schien das aber gar nicht zu beachten oder nur zu bemerken.

»Habe ich das Vergnügen, Senhor Almeira zu sehen?« sagte er, indem er hinaustrat und ihn höflich, aber auch nur leicht grüßte.

»Das ist allerdings meine Name,« sagte der Brasilianer, »aber hier nicht meine Wohnung, – mein Haus liegt dort.«

»Ja, ich weiß,« lächelte der Fremde, »könnte mir auch nicht denken, verehrter Herr, daß Sie selber in solch einem Stall wohnen würden.«

Es lag ein so eigener, trotziger Spott in den Worten, und doch war das ganze Wesen des Fremden dabei so achtungsvoll und höflich, daß Almeira nicht gleich wußte, was er aus ihm machen sollte. Jedenfalls mußte er aber herausbekommen, was der Fremde hier bei ihm wolle, oder ob sein Besuch nur eben zufällig, vielleicht auf der Durchreise nach irgend einer anderen Facienda sei; auch sprach er das Portugiesische so fließend, daß er über seine Landsmannschaft ganz irre wurde. Übrigens verstand es sich, der gastlichen brasilianischen Sitte nach, ganz von selber, daß jeder anständig gekleidete Reisende auch ohne Weiteres in das Herrenhaus geladen wurde, wo er so lange blieb, als es ihm gefiel. Die Facienderos im Inneren, auf ihren einsam und vereinzelt gelegenen Plantagen, freuen sich ja nur überdies, die Monotonie ihres täglichen Lebens manchmal durch einen Besuch unterbrochen zu sehen; hören sie dann doch auch immer wieder etwas von der Welt da draußen. [S. 117]

»Darf ich Sie dann bitten, mich zu begleiten?« sagte der Brasilianer deshalb auch mit einer einladenden Bewegung seiner Hand nach dem Haus hinauf, »wir haben nicht weit.«

»Wenn Sie mir erlauben, Senhor, mit dem größten Vergnügen,« und der Fremde ging zu seinem Pferd, das schon einer der rasch herbeigesprungenen Negerburschen losgemacht hatte, während er ihm die Steigbügel hielt, und gleich darauf sprengten die beiden Herren dem großen Hause zu.

Zehntes Capitel.
Der neue Besuch.

Es ist eine eigenthümliche Thatsache, daß wir, gar nicht etwa so selten im Leben, Menschen begegnen, die uns bei ihrem ersten Anblick abstoßen, ja, die wir hassen, ohne uns den geringsten Grund dafür angeben zu können. Woher das Gefühl kommt, wer kann es sagen; sie haben uns noch nichts zu Leide gethan, ja sind höflich, vielleicht gar freundlich mit uns gewesen, und trotzdem schnürt es uns in ihrer Gegenwart das Herz zusammen, und wir fühlen eine Last von unserer Seele genommen, wenn sie uns wieder verlassen.

Sonderbarer Weise bleibt auch diese Empfindung fast stets gegenseitig, und eben so ist es mit dem Gegentheil der Fall, mit Liebe und Freundschaft auf einen Blick, auf einen Händedruck geschlossen. Es gehört das jedenfalls zu den unbegriffenen Räthseln unseres Seelenlebens, die uns verborgen bleiben sollen, und die kein Denker je ergründen wird.

Senhor Almeira hatte jedenfalls ein solches Gefühl, als er mit seinem Gast dem Hause zuritt, und freundlicher wurde er dadurch wahrlich auch nicht gegen ihn gestimmt, als er [S. 118] dort erfuhr, daß der Herr schon vorher am Hause gewesen, und trotz der Einladung der Senhora wieder zu der Hütte der deutschen Arbeiter zurückgeritten sei. Was kümmerten ihn die, daß er ihre Gesellschaft sogar suchte? Aber das mußte sich bald herausstellen, und vor allen Dingen durften die Formen der Höflichkeit, die so Manches übertünchen, nicht außer Acht gelassen werden.

Der Gast lehnte indessen das noch immer seiner harrende Frühstück sehr artig ab, da er erklärte, sich Provisionen von der letzten Facienda mitgenommen und unterwegs sehr romantisch unter einer Palme gefrühstückt zu haben. Nur ein Glas Wein konnte er nicht ausschlagen und eine Cigarre, und unendlich liebenswürdig zeigte sich die junge Dame vom Haus gegen ihn, als sie fand, daß er eben so gut Französisch als Portugiesisch sprach. Außerdem kam er, wie er erzählte, direct aus der Hauptstadt des Landes, aus Rio de Janeiro, – ihrem Rio, wie sie sagte, nach dem sie sich ewig und unendlich sehnte, und das Kleinste und Geringste von dorther hatte ja das spannendste Interesse für sie, die sie hier »weggesetzt in eine Wüste« saß, und, wie sie meinte, vor Langeweile eines langsamen Todes stürbe.

Auch darüber freute sich Senhor Almeira nicht, und zog nur heftiger an seiner Cigarre.

»Und was bringt Sie in diese Wüste, mein verehrter Senhor,« sagte er nach einer Weile, »wenn meine arme Frau denn wirklich recht hätte, unsere sonst so sehr freundlich gelegene Facienda so zu nennen. Wollen Sie noch weiter in das Innere?«

»Ich glaube kaum, mein verehrter Herr,« erwiderte der Deutsche, »habe auch, wie Sie sehen, als einziges Gepäck nur meine sehr kleine Satteltasche mit etwas Wäsche bei mir. Die einzige Absicht auch, Senhor, in der ich hierherkam, war, um mich nach den Verhältnissen einiger deutscher Landsleute zu [S. 119] erkundigen, von denen ich in Porto Seguro, ebenfalls von einem Landsmann, gehört, daß es ihnen sehr schlecht ginge.«

»Doch nicht bei mir, wie ich hoffen will,« sagte Senhor Almeira mit einem so finster drohenden Blick, daß seine Frau ordentlich darüber erschrak.

Der Deutsche aber fuhr eben so höflich fort: »Allerdings, Senhor. Unsere Regierungen daheim fangen doch nachgerade an, auf die hier in Brasilien mit deutschen Auswanderern abgeschlossenen Verträge aufmerksam zu werden, was ich ihnen nicht einmal zum Verdienst anrechne, denn sie hätten es schon lange thun sollen, und es bleibt da immer interessant, sich einmal an Ort und Stelle nach den Verhältnissen derselben zu erkundigen.«

»Und haben Sie eine Vollmacht, das zu thun?«

»Nein, Senhor,« sagte der Deutsche freundlich, »nicht die geringste, denn die könnte auch nur, wie Sie selber recht gut wissen, von Ihrer eigenen Regierung ausgehen, da keine andere hier im Lande Geltung haben würde.«

Almeira lachte laut auf. »Und was brachte Sie auf die wunderliche Idee,« rief er, »zu glauben, daß wir hier verpflichtet sind jedem herge–kommenen Fremden die Verhältnisse unserer Arbeiter vorzulegen?«

»Verpflichtet gar nicht, verehrter Herr,« lächelte der Deutsche, »nur Ihrem eigenen Ermessen soll es überlassen bleiben, ob Sie mir den Contract und den gegenwärtigen Stand der Schulden der Familie vorlegen wollen.«

»Ich danke Ihnen.«

»Bitte, gar nichts zu danken, – die armen Leute sind nicht im Stande, sich einen klaren Einblick in die über ihre Schuld und ebensowohl über ihr Guthaben geführten Bücher zu verschaffen, und haben mich deshalb gebeten, es für sie zu thun.«

»Sie?«

»Allerdings, – denn dazu sind Sie allerdings durch die [S. 120] Gesetze des Landes verpflichtet, dem Arbeiter jeder Zeit –wenigstens doch jedes Jahr einmal – einen Abschluß Ihrer Bücher, so weit es die Arbeiter selber betrifft, vorzulegen.«

»Und wer sagt Ihnen, daß ich überhaupt Bücher darüber geführt habe?«

»Sie scherzen,« lächelte der Deutsche wieder, »es wäre die größte Beleidigung, die ich gegen Sie aussprechen könnte, wenn sie auch nur die Vermuthung enthielte, daß Sie es nicht gethan. Sie wissen doch gewiß, daß Zuchthausstrafe auf einem solchen Vergehen stünde.«

Almeira erbleichte, denn es lag so etwas Bestimmtes, Entschiedenes in dem Wesen des Fremden, daß es ihm, wie er sich auch dagegen sträuben mochte, imponirte.

»Sie haben Recht,« sagte er nach einer kleinen Pause, während welcher ihn der Deutsche freundlich und wie erwartend ansah, »allerdings ist Buch über jeden für die Leute verausgabten Reïs, wie über Alles, was sie mir geleistet haben, geführt, aber ich glaube kaum, daß ich Ihrem Wunsch willfahren kann, Ihnen, einem vollkommen fremden Menschen, Einblick dahinein zu gestatten, da es Ihnen zugleich einen Einblick in mein ganzes Geschäft gewähren würde.«

»Wie Sie darüber denken, verehrter Herr,« erwiderte der Fremde mit demselben Lächeln, »es fällt mir auch nicht ein Sie darin zu drängen. Sie haben mir nur einfach, ehe ich die Facienda wieder verlasse, zu sagen, ob Sie mir den Stand der Ihnen überlassenen deutschen Arbeiter vorlegen wollen, oder ob Sie es mir verweigern, – weiter nichts.«

Almeira war aufgestanden und ging mit untergeschlagenen Armen hastig und finster vor sich hinbrütend ein paar Mal auf der Veranda auf und ab.

»Und wenn ich es Ihnen verweigere?« sagte er plötzlich, indem er vor seinem Gast stehen blieb und ihn fest ansah.

»Dann setze ich mich einfach auf mein Pferd,« lächelte [S. 121] dieser, »und reite nach Porto Seguro zurück. Sie haben vollständig Ihren freien Willen.«

Die Worte klangen so harmlos, wie nur möglich, aber selbst die Senhora fühlte, daß ein tieferer und drohenderer Sinn darin lag, und unruhig und scheu flog ihr Blick von einem der Männer zum anderen.

»Weshalb auch nicht,« sagte Almeira plötzlich leichthin und lachend, »die Zumuthung kam mir allerdings im ersten Augenblick sonderbar vor, wenn es die Deutschen aber selber wünschen, sehe ich nicht den geringsten Grund dafür, es Ihnen zu verweigern (der Fremde verbeugte sich leicht) und wenn es Ihnen recht ist, können wir gleich daran gehen, um die unangenehme Sache zu beseitigen.«

»Wie Sie es wünschen, Senhor,« lautete die Antwort, »ich muß Sie dann noch bitten, Einen der Arbeiter dazu zu rufen, weil ich selber doch mit den hiesigen Verhältnissen nicht bekannt bin.«

»Die Leute sind jetzt wieder an der Arbeit,« sagte der Brasilianer kurz.

»Der Eine, der Behrens, den ich vorhin gesprochen, ist zu Haus, weil er sich noch nicht wohl befindet.«

»Das weiß Gott,« seufzte Almeira, »die Familie kostet mich schon viel Geld, und ich wollte, ich hätte sie im Leben nicht gesehen.«

»Wären Sie vielleicht so freundlich, einen Neger hinüber zu senden, es würde die Sache vereinfachen.«

Die Senhora warf einen fragenden Blick auf den Brasilianer. Dieser schien nicht recht mit der Zumuthung einverstanden, aber er sah auch wohl, daß es sich nicht mehr umgehen ließ, – er nickte, und ein kleines Mädchen wurde augenblicklich abgesandt, um den verlangten Arbeiter herbei zu holen.

»Monsieur,« sagte aber die junge Französin, »Sie haben mich sehr getäuscht.«

[S. 122] »Ich würde unendlich bedauern –«

»Ich erwartete und hoffte mit Ihnen eine langersehnte und angenehme Unterhaltung führen zu können, und statt dessen brechen Sie uns sogar noch mit entsetzlichen Geschichten ins Haus, die Sie vielleicht eine volle Stunde in Anspruch nehmen, während ich darauf brenne, mehr und Ausführlicheres über Rio de Janeiro zu hören.«

»Ich hoffe, gnädige Frau,« sagte der Fremde artig, »daß wir sehr rasch über unser langweiliges Geschäft hinwegkommen werden. Ich verspreche Ihnen sogar, es so viel als möglich zu beeilen, – so weit das nämlich in meinen Kräften steht. Nicht wahr, Senhor, Sie fühlen auch kein besonderes Bedürfniß, sich lange damit zu befassen?«

»Ich müßte es lügen,« sagte der Brasilianer trocken, »aber da kommt unser Mann. Bitte, liebes Kind, laß uns einen Augenblick allein, damit wir die Sache beenden. – Du interessirst Dich doch nicht dafür, und ich möchte Dich der – Gesellschaft entheben.«

»Wenn Sie es mir erlauben, Senhor« sagte die junge Frau, »so bleibe ich hier und höre ein wenig zu. Man muß sich mit allen Verhältnissen ein wenig bekannt machen und drüben – langweile ich mich nur noch mehr.«

Der Brasilianer zuckte mit den Achseln; er wußte recht gut daß er nur zu widersprechen brauchte, um die junge Frau noch mehr in ihrer Absicht zu bestärken. So hoffte er, daß sie es bald von selber satt bekommen würde.

So nickte er denn einem der Negerknaben zu, ihm zu folgen und kehrte bald wieder mit diesem, der ein paar große Bücher auf dem Arm trug und auf den nächsten Tisch legte, zurück.

Auch Behrens war indessen herangekommen und blieb mit dem Hut in der Hand unten an der Verandatreppe in der Sonne stehen.

Almeira mußte ihn auch jedenfalls bemerkt haben, sagte [S. 123] aber nichts, und der Fremde schien absichtlich darauf gewartet zu haben. Jetzt, sich plötzlich gegen den Deutschen wendend, rief er diesem zu, herauf und in den Schatten zu kommen. Sie wollten seine Rechnung durchsehen und er sollte dabei sein, damit man ihn im Nothfalle über Einzelnes fragen könne.

Behrens folgte schüchtern der Einladung und grüßte höflich nach allen Seiten. Die Senhora dankte ihm auch mit einem freundlichen Nicken. Senhor Almeira aber würdigte ihn keines Blicks, und nur erst als ihm der Fremde einen Stuhl hinschob, – denn er sah, daß der Mann vor Schwäche kaum noch stehen konnte, – blitzte er ihn zornig mit den Augen an, – ließ sich aber auch das gefallen; es ging ja jetzt Alles in Einem hin.

»Dürfte ich Sie vor allen Dingen um den Contract bitten, Senhor?«

Almeira zögerte einen Moment, nahm ihn aber gleich darauf aus einem Couvert heraus und schob ihn auf den Tisch.

Der Fremde las ihn kopfschüttelnd durch und sagte dann lächelnd zu Almeira: »Man sollte es kaum für möglich halten, daß irgend ein Mensch, der nur noch einen Funken von Verstand in seinem Hirn herum trägt, einen solchen Contract unterschreiben könnte. Ich brauche den Mann auch gar nicht zu fragen, ob ihm Alles gehalten wurde was darin steht, denn es ist ihm nichts versprochen. Nur eine Frage: hat Behrens denn seine Arbeit ordentlich und stet gethan, Senhor?«

»– Ich glaube, ja –« erwiderte der Brasilianer nach einigem Zögern, »unbehülflich sind die Leute zwar und entsetzlich langsam, aber doch so ziemlich willig. Nur mit ihren vielen Krankheiten haben sie mir zu schaffen gemacht und entsetzliches Geld für den Doctor gekostet, der jedes Mal fünfundzwanzig Milreïs für einen Ritt hier heraus bekommt.«

[S. 124] »Hm,« sagte der Fremde, »und zahlt das der Arbeitgeber oder der Arbeiter selber?«

»Wenn er nach dem Doctor verlangt, gewiß der Arbeiter,« lautete die Antwort, »wie käme ich dazu, für Jemanden den Arzt zu zahlen, der bei mir nur auf Theilung des Gewinns dient.«

»Ach ja, so. Entschuldigen Sie. Halt, hier ist dem Mann aber wirklich etwas versprochen für Gartenplatz. Habt Ihr den angewiesen bekommen, Freund?«

»Ja, Herr,« sagte Behrens, »aber erst nach langer Zeit, und dann hat ihn uns der Herr, als wir ihn urbar gemacht, wieder weggenommen und uns ein anderes wildes Stück Land dafür gegeben.«

Der Fremde zuckte die Achseln und sagte – vielleicht absichtlich – in portugiesischer Sprache: »Ja dagegen läßt sich nichts machen, Freund. Euer Herr ist da, diesem Contract nach, ganz in seinem Recht. Erstlich ist gar nicht darin gesagt, wann Ihr das Land bekommen solltet, und dann steht nur darin, daß Euch »»ein Stück Land«« angewiesen würde, nirgends aber, daß Ihr es auch zur steten Benutzung behalten sollt.«

»Versteht sich von selber,« bestätigte Almeira, »aber das ist eben das Unglück mit solchen Leuten, daß sie nie an den Nutzen ihres Herrn, sondern nur immer an den eigenen denken.«

»Aber wenn der Mann das Land doch für sich selber bekommen,« sagte die Senhora erstaunt, »und für sich selber urbar gemacht hat, so sollte ich denken –«

»Das verstehst Du nicht mein liebes Kind,« unterbrach sie aber der Brasilianer, »der ganze Vertrag ist ja auf Gegenseitigkeit gegründet, und während der Garten zur Kaffeeplantage geschlagen wird, bekommt er ja doch auch seinen Nutzen davon. José, bring noch eine Flasche Wein aus dem Keller herauf.«

[S. 125] Behrens verstand nur unvollständig, was dort gesprochen wurde, aber so nahe es ihn auch selber anging, er war in den langen Jahren abgestumpft gegen Alles geworden, sah auch jetzt, daß der Deutsche hier nicht viel besser, als der frühere sei, wenn er sich auch mit ihm unterhalten hatte.

»Und welche Auslagen hatten Sie für diese Familie? Sie entschuldigen, ist es die einzige oder haben Sie deren mehr?«

»Ich war damals thöricht genug, zwei anzunehmen.«

»In der That? Aber wir wollen uns vor der Hand nur mit dieser einzigen beschäftigen, – also welche Auslagen hatten Sie, außer denen, die hier auf dem Contract noch nicht einmal ausgefüllt stehen?«

»Diabo!« sagte der Brasilianer, »mehr, als die Leute in der nächsten Zeit im Stande sein werden, abzuverdienen, denn fortwährend quälen sie mich um Baumwollenzeug, Schuhe, Hüte und tausend andere Dinge, von denen ich kaum genug herbeischaffen kann. Dies sind hier die ersten Auslagen: Schiffstransport, auch die Reise in Deutschland selber bis an Bord, und der Aufenthalt dort im Gasthof vier Tage.«

»Entschuldigen Sie, waren die Auswanderer selber Schuld an dieser Verzögerung von vier Tagen?«

»Wie soll ich das hier wissen? Diese Summe mußte ich dem Agenten als Auslagen zurückerstatten.«

»Ah so, das wäre also Sache des Agenten gewesen – und dann weiter?«

»In Milreïs gerechnet macht das die runde Summe von 520 Milreïs. Dazu kommt nun noch der Aufenthalt in Porto Seguro, wo ich sie mußte beköstigen lassen, und der Transport hier heraus auf Maulthieren.«

»Wir sind zu Fuß gegangen,« sagte Behrens, der ruhig dabei stand und zuhörte.

»In der That, den ganzen Weg?«

[S. 126] »Aber Euer Gepäck habt Ihr wohl etwa auf den Schultern getragen, wie?« sagte Almeira, ohne den Deutschen dabei anzusehen.

»Wir hatten an den Kindern genug zu schleppen in der Hitze,« seufzte Behrens.

»Aber Eure Frau ist geritten.«

»Gott hab sie selig,« sagte Behrens scheu, »ja, wie sie es endlich nicht mehr ermachen konnte und zusammenbrach. Es war zu viel für sie und die Kinder, und sie hat den Marsch nie überwunden.«

»Die armen Leute,« sagte mitleidig die junge Frau.

Der Fremde erwiderte aber gar nichts darauf, sondern ging nur weiter und sagte: »Und damit hörten Ihre Unkosten wohl auf?«

»Glauben Sie, daß sie in den fünf oder sechs Jahren nichts gegessen und keine Kleider gebraucht haben?« lachte Almeira.

»Aber das Essen, sollte ich denken –«

»So wie ich ihnen einen Antheil am Gewinn gebe, muß ich sie doch auch mit den Kosten belasten, nicht wahr?«

»Allerdings, – das klingt nicht mehr als billig.«

»Sie sehen selber, daß sie niedrig genug angeschlagen sind, – natürlich nur das, was mich die Production selber kostet.«

»Versteht sich – und das Übrige?«

»Für Kleidung und Schuhwerk.«

»Alle Wetter, Ihr Leute,« rief der Fremde, »Ihr habt viel verbraucht, ich dachte gar nicht, daß Ihr hier einen solchen Staat im Lande macht.«

»Staat?« sagte Behrens wehmüthig und sah auf seine Lumpen nieder, »ja, wir gehen wirklich zum Staat herum.«

»Aber was ist denn das für ein Posten?« fuhr der Fremde, ohne weiter darauf einzugehen, fort, »da stehen [S. 127] ja noch einmal 130 Milreïs extra. Wofür haben sie das gebraucht?«

»Das ist für Einen der sauberen Gesellschaft,« sagte Almeira finster, »für einen jungen Burschen, der mir gleich im ersten Jahre davon lief, und für den die Übrigen natürlich mit haften müssen.«

»War das einer von Euren Söhnen, Behrens?«

»Wer?« frug der Deutsche, der das nicht Alles verstanden hatte.

»Nun, der Weggelaufene.«

»Von meinen Söhnen? Nein, wahrlich nicht, lieber Herr; ein nichtsnutziger Gesell war es, den wir aber erst auf dem Schiff kennen gelernt haben, und den sie uns mit in das Haus legten, so sehr wir auch baten, allein zu bleiben.«

»So viel ich im Contract sehe, Senhor Almeira,« sagte der Fremde, »so sind die Leute nur für ihre eigene Familie solidarisch verpflichtet, der junge Bursch war aber ein Fremder und geht sie nichts an.«

»Ich habe ihn als zu ihrer Familie gehörig mit überkommen,« rief der Brasilianer.

»Auf der Auction erstanden, wie? Ist aber doch wohl ein Irrthum. Die Summe werden Sie streichen müssen.«

»Ehe ich das thue, werde ich die Sache jedenfalls noch näher untersuchen.«

»Gewiß – und das Andere? Wie viel hat die Familie nun wohl in den sechs Jahren verdient?«

»Mein lieber Herr,« sagte der Brasilianer achselzuckend, »wir leiden da Beide gemeinschaftlich, denn wenn Sie länger in Brasilien sind, werden Sie wissen, daß der Kaffee noch nie einen so geringen Preis gehabt hat, als in dieser Zeit. Und Bohnen waren gar nicht abzusetzen, sie sind uns im Lagerhaus selber gefault.«

»In der That? Dürfte ich mir erlauben zu fragen, was [S. 128] Sie hier für Kaffee bekommen haben? Ich verstehe selber auch nicht viel davon, interessire mich aber sehr dafür.«

»Hier haben Sie die Preise ausgeworfen,« sagte der Brasilianer gleichgültig, indem er das eine Buch aufschlug.

»In der That,« rief der Deutsche erstaunt aus, »das ist sehr wenig, da hat ja die Arroba in Rio acht und neun Milreïs mehr getragen.«

»Rechnen Sie nur unseren Transport, – außerdem ist mir in den Jahren eine ganze Schiffsladung voll verloren gegangen.«

»Welchen Verlust die Arbeiter natürlich mit zu tragen haben.«

»Natürlich, – ihr ganzer Contract beruht ja auf den Antheil.«

»Der etwas unbestimmt mit Hälfte des Gewinnes ausgedrückt ist.«

»Allerdings sehr unbestimmt,« sagte Almeira achselzuckend, »denn man weiß nicht einmal von was die Hälfte.«

»Also würde nach dieser Übersicht die Familie wohl kaum die Aussicht haben, in diesem Jahre frei zu kommen.«

»In diesem Jahre?« rief Senhor Almeira erstaunt aus, »sie schulden mir jetzt fast noch mehr, als an dem Tag, an welchem sie auf die Facienda kamen. Aber was verlangen sie auch mehr? Sie haben zu leben, was sie in ihrem eigenen Vaterland nicht hatten, sonst würden sie es wohl schwerlich auf einen solchen Contract hin verlassen haben.«

»Es ist freilich immer hart für die armen Leute,« sagte der Deutsche, »wenn man bedenkt, daß sie eigentlich sechs Jahre hier für nichts gearbeitet haben sollen und dann noch das Gefühl mit sich herumschleppen müssen, bis über die Ohren in Schulden zu stecken. – Hattet Ihr Schulden in Deutschland, Behrens?«

»Nie einen Pfennig, Herr,« sagte Behrens, der mit [S. 129] zitternden Lippen seinem hier gefällten Urtheil gelauscht, aber auch nicht eine Sylbe dagegen eingewendet hatte. – Was half es ihm auch, – dort stand Alles schriftlich und sein eigener Name, von ihm selbst geschrieben unter dem Contract, – was war da zu machen? Sie waren verkauft und blieben verkauft; selbst der deutsche Herr konnte nichts dagegen thun. Und nicht einmal den Tod durfte er sich dabei wünschen, denn was sollte dann aus seinen Kindern werden.

»Ich dachte es mir,« nickte der Fremde. »Recht traurig das, – aber wissen Sie wohl, Senhor Almeira, daß Sie da ein gutes Werk thun könnten?«

»Ich, Senhor? Inwiefern?«

»Die Deutschen haben Ihnen doch, wie Sie selber sagen, wacker gearbeitet und sind eigentlich unschuldig an den vielen Mißfällen, welche Sie betroffen.«

»Ich habe ihnen auch nichts davon zur Last gelegt oder es sie entgelten lassen.«

»Sehr freundlich von Ihnen,« nickte der Fremde, »aber meiner Meinung nach würde es doch Zeit, daß sie jetzt einmal für sich selber anfingen, wenn sie nicht elend hier verkümmern sollen. Auch das heiße Klima dieser Gegend sagt ihnen nicht zu. Der Mann da gleicht eher einem Skelett, als einem lebenden Wesen.«

»Und was kann ich dazu thun?«

»Der Contract,« fuhr der Deutsche fort, »ist von schurkischen Agenten zusammengestellt; die armen Teufel, denen man noch obendrein hier in Brasilien goldene Berge versprach, glaubten ihrem Glück entgegenzugehen, und rannten dadurch in ihr Unglück. Die Mutter der Kinder, das jüngste Kind, ihre eigene Gesundheit haben sie dabei eingebüßt: lassen Sie es damit genug sein und geben Sie die armen Menschen frei.«

»Sie haben vortrefflich reden, mein bester Herr,« lachte Almeira, »aber so reich bin ich nicht, daß ich einen solchen [S. 130] Verlust aus meiner Tasche tragen könnte und möchte. Ich gebe zu, daß beide Theile unter dem Contract leiden, aber – ich glaube Ihr könnt jetzt gehen, Freund, – unsere Geschäfte sind so weit beendet, nicht wahr?«

Der Fremde nickte, und Behrens stand langsam auf, grüßte ehrfurchtsvoll und wollte dann die Veranda verlassen, als die Senhora plötzlich aufstand und rief: »Halt, Freund, – Ihr seid sehr angegriffen, – trinkt erst hier ein Glas Wein, das wird Euch gut thun.« Sie schenkte auch augenblicklich ihr eigenes Glas voll und reichte es ihm hin, und wenn auch Senhor Almeira gar nicht damit einverstanden schien, denn er sah ziemlich finster dabei aus, so hinderte er es wenigstens nicht. Er wußte außerdem recht gut, daß sich die Senhora nichts verbieten ließ.

Behrens kam in Verlegenheit, denn das war ihm noch nie in dem Hause geboten, aber er nahm das Glas, trank es langsam aus, stellte es wieder hin und dankte herzlich, hätte auch gern der jungen Frau die Hand gereicht, aber das wagte er nicht. Er fühlte, daß er jetzt hier überflüssig war, stieg mühsam die Treppe der Veranda hinab, und schwankte seiner eigenen Wohnung wieder zu.

Der Fremde war ein stiller aber aufmerksamer Beobachter der ganzen Scene gewesen; jetzt, als der Kranke den Platz wieder verlassen, sagte er freundlich: »Sie unterbrachen sich vorhin in Ihrer Rede, verehrter Herr; Sie wollten etwas sagen, was der – Alte da nicht zu hören brauche.«

»Es betrifft die Verhältnisse unseres Landes,« erwiderte Almeira gleichgültig.

»Und in wie fern, wenn ich fragen darf; so weit sie mit den Parcerie-Arbeitern in Verbindung stehen?«

»Wir können uns nicht verhehlen,« fuhr der Pflanzer fort, »daß in den nächsten Jahren diesem ganzen Reiche Veränderungen bevorstehen. Der in Nordamerika gegen die [S. 131] Sclaverei ausgebrochene Krieg, – wie sich nun auch das Resultat stellt, kann nicht ohne Folgen bleiben. Es giebt eine Partei, die immer nur von zertretenen Menschenrechten faselt und der einen Hälfte gerade die Rechte abstreiten möchte, die sie für die andere verlangt. Möglich, daß uns hier noch ein wirklicher Ausbruch auf lange Jahre hinaus erspart bleibt, möglich aber auch, daß er doch rascher eintritt, als wir jetzt denken, und was soll aus dem Land selber werden, wenn uns hier im Süden die Sclavenarbeit fehlt? Es müßte zu einer Wildniß werden.«

»Und deshalb sehen Sie in den Parcerie-Arbeitern einen einigermaßen nützlichen oder vielmehr völlig nothwendigen Ersatz?«

»Allerdings.«

»Und so wollt Ihr aus den armen verkauften Menschen Europas, die auf betrügerische Weise hierher gelockt wurden, weiße Sclaven machen?« frug die Französin, die selber mit äußerster Spannung der Auseinandersetzung gefolgt war.

»Es scheint allerdings so,« lächelte der Deutsche.

»Liebes Kind, das verstehst Du nicht,« sagte aber Senhor Almeira, »denn Euch Frauen läuft gewöhnlich das Gefühl mit dem Verstand davon. Thue mir auch die Liebe und mische Dich nicht in Dinge, die Dir so fern liegen.«

»Und doch nicht so fern, als Sie vielleicht glauben oder wünschen, Senhor,« rief die junge Frau, die sich in einer merkwürdigen Aufregung zu befinden schien. »Als ich Ihr Haus betreten –«

»Entschuldigen Sie mich,« sagte der Deutsche, rasch von seinem Sitz aufstehend, »ich möchte nicht Zeuge einer Familienscene sein, bei der ich nicht einmal unparteiisch bleiben könnte. Ich habe Alles erfahren, was ich zu erfahren wünschte, und wiederhole nur noch einmal die Frage an Sie, Senhor, wollen Sie die deutschen Familien, nachdem sie sechs Jahre für ihre Überfahrt gearbeitet, frei geben oder nicht?«

[S. 132] »Mein Herr,« rief nun aber auch der Brasilianer erbittert, »in thörichter Gutmüthigkeit bin ich bis jetzt auf Ihre Forderung eingegangen, den Arbeitern Auskunft über den Stand ihrer Angelegenheiten zu geben; ich muß mir aber jede weitere Einmischung in meine Verhältnisse auf das Ernstlichste verbitten. Wenn ich es an der Zeit halte, den Leuten die Erfüllung ihres Contractes zu erlassen, werde ich es thun, wünsche aber nicht von irgend Jemandem, wer es auch sei, dazu getrieben zu werden, und sehe außerdem – vor der Hand wenigstens – noch nicht die geringste Veranlassung dazu.«

»Dann habe ich die Ehre, mich gehorsamst zu empfehlen,« sagte der Fremde, »und nur Ihnen noch, gnädige Frau, muß ich herzlich für den Antheil danken, den Sie an dem Schicksal meiner armen Landsleute nehmen.«

»Bleiben Sie noch, Senhor,« sagte die junge Frau leidenschaftlich, »die Bande, die mich an dieses Haus knüpfen –«

»Senhora!« rief Almeira fast erschreckt aus.

Der Deutsche wartete aber keine weitere Erklärung ab. Er hatte seinen Hut aufgegriffen, und rasch die Veranda hinabeilend, trat er zu seinem Pferd, das an einem, in einen Orangenbaum geschlagenen Ring befestigt war, warf es los, schwang sich in den Sattel und sprengte dann, seinem Thier die Sporen einsetzend, die Straße hinab. Am Hause des Deutschen war es einmal, als ob er einzügeln wollte, aber er mußte sich eines Anderen besonnen haben, denn er verfolgte seinen Weg und war bald, auf einer Biegung der Straße, in dem dichten Laub der Bäume verschwunden.

[S. 133]

Elftes Capitel.
Gerettet.

An dem nämlichen Tag, an welchem der Deutsche die Plantage verlassen hatte, erlebte die Dienerschaft im Hause des Senhor Almeira eine sehr ungewöhnliche und hier wahrlich ungewohnte Scene: einen Zank zwischen ihrer Herrschaft, der ihnen, wenn sich die Parteien auch von der offenen Veranda fort in ihre Zimmer zogen, doch nicht verborgen bleiben konnte. Plötzlich gab die Senhora den Befehl, ihr Pferd zu satteln, und wenn auch augenblicklich Gegenordre vom Herrn selber kam, bestand sie doch so heftig darauf und drohte jetzt sogar vor den Leuten, zu Fuß die nächste Plantage zu erreichen, daß ihr zuletzt gewillfahrtet werden mußte.

Das Pferd stand schon gesattelt vor dem Haus, und noch war sie drinnen beschäftigt, – wie das kleine Mädchen nachher erzählte, ihre Koffer zu packen, – jetzt trat sie auf die Veranda. Auch das Pferd ihrer Dienerin, einer jungen Mulattin, wurde gebracht.

Senhor Almeira folgte ihr und suchte sie noch einmal zurückzuhalten. Sie antwortete ihm gar nicht. Von der Treppenstufe herab sprang sie in den Sattel und schon im nächsten Moment sprengte der kleine, muthige Schimmelhengst mit ihr die Straße hinab, daß ihr die Mulattin kaum folgen konnte.

Von dem Tage an hatten die in unmittelbarer Nähe des Herrn befindlichen Sclaven eine schwere Zeit, denn so hart war er noch nie mit ihnen verfahren. Er war wohl immer rauh und heftig mit ihnen gewesen, aber nie grausam; jetzt ließ er ein Paar, nur wegen leichter Vergehungen, auf das Unbarmherzigste peitschen, und ein junger Bursch, der ihm Morgens aus Versehen die Chocolade über das Beinkleid [S. 134] goß, wurde zur Strafe den ganzen Tag draußen in der brennenden Sonne an einen Pfahl gebunden.

So vergingen drei lange schwere Wochen, und Behrens hatte sich indessen wenigstens so weit von seiner Krankheit erholt, um doch wieder leichte Arbeiten zu verrichten, wozu ihn der Mulattenaufseher schon lange gedrängt. Es wurde ihm auch selber zu einsam in dem öden Hause, denn selbst die Kinder mußten jetzt den ganzen Tag draußen im Baumwollenfeld sein, um die reifgewordene Baumwolle aus den aufgesprungenen Kapseln zu pflücken.

Senhor Almeira hatte in der Zeit kaum sein Haus verlassen und außergewöhnlich viel in seinen großen Büchern geschrieben und gerechnet. Saß er doch manchmal bis spät in die Nacht darüber und Niemand durfte ihn dann stören. Ja, selbst wenn er zum Essen gerufen werden mußte, hatte der Diener strengen Befehl, nur eben draußen an die Thür zu klopfen.

Es war Sonnabend Nachmittag geworden und das Corps der Arbeiter und Sclaven – wenn überhaupt zwischen Beiden ein Unterschied stattfand – noch draußen im Feld beschäftigt, als eine kleine Cavalcade von Reitern auf der Straße sichtbar wurde. Ein Negerbursche hatte den Zug schon entdeckt, wie er sich nur eben durch das dunkle Grün der Kaffeebäume wand und seinem Herrn Meldung davon machen wollen, auch ein paar Mal schüchtern an die Thür desselben geklopft, aber keine Antwort erhalten, und dann natürlich auch nicht gewagt weiter vorzudringen. Jetzt sprengten sie den Weg hinauf, der nach dem Hause zuführte; der Herr drinnen im Hause mußte sie ja selber hören, und nun stiegen sie ab und warfen den herbeispringenden Negerburschen die Zügel zu. Und wahrhaftig, der Fremde, der an dem Tag hier gewesen, an welchem die Senhora das Haus verlassen, befand sich auch wieder unter ihnen, was die armen Teufel von Negern nicht wenig erschreckte. Daß der [S. 135] dem Herrn keine Freude machen würde, fühlten sie schon heraus, und wer anders mußte es nachher entgelten, als ihr armer Rücken, – an dem weißen Senhor durfte er ja seinen Zorn nicht auslassen.

Almeira hatte in der That das Gestampf der Pferde auf dem sonst so stillen Platz gehört und war in die Thür seiner Veranda getreten. Er mußte auch den Besuch von früher erkannt haben, denn er erbleichte und trat unwillkürlich einen Schritt zurück, – aber zu spät; die eben Gekommenen hatten ihn schon bemerkt, und wenn er auch einige Bekannte aus Porto Seguro darunter erkannt, beunruhigte ihn doch die kalte Höflichkeit, mit der man ihn grüßte, denn es verrieth, daß der Besuch kein freundschaftlicher sein konnte.

Der Deutsche ließ ihm aber nicht lange Zeit, sich mit Vermuthungen zu quälen, denn die Treppe zu der Veranda ersteigend, sagte er, sehr höflich aber auch sehr ernst: »Senhor Almeira, ich war vor einiger Zeit als flüchtiger Besuch bei Ihnen und nahm da Gelegenheit, mit Ihnen über die Verhältnisse Ihrer deutschen Parcerie-Arbeiter zu sprechen.«

»Und was mit denen, Herr?« fuhr Almeira heftig auf.

»Bitte, ereifern Sie sich nicht unnöthig,« erwiederte ruhig der Deutsche, »Sie verweigerten damals ihre Freilassung. Jetzt komme ich – in Begleitung dieser Gerichtsbeamten mit einer Anklage zu ihnen, die ich selber in Rio anhängig gemacht, daß Sie – falsches Buch über Ihre Ausgaben und Einnahmen in Betreff dieser unglücklichen Menschen geführt, und die mich begleitenden Gerichtsbeamten sind beauftragt worden, der Sache auf den Grund zu gehen.«

Almeira war bei der Beschuldigung emporgefahren, aber auch jeder Blutstropfen hatte seine Wangen verlassen und nur mit fast tonloser Stimme rief er aus: »Das ist eine niederträchtige Lüge!«

»Es wird sich jetzt zeigen wer sie gesprochen,« nickte der [S. 136] Deutsche, »Senhores, ich ersuche Sie, keine Zeit zu versäumen und die Revision vorzunehmen.«

»Und wer hat das Recht, sich in meine Angelegenheiten zu drängen?« zischte der Brasilianer zwischen den Zähnen durch, »regieren auf einmal die Fremden hier im Land oder wir noch?«

»Seien Sie vernünftig Almeira,« sagte einer der Beamten, »der Herr hat eine Vollmacht von Seiner Majestät selber unterzeichnet, und wir müssen der Genüge leisten. Wo sind Ihre Bücher?«

»Also sollen alle unsere Rechte untergraben werden?« rief der Pflanzer höhnisch aus, »beim Himmel, es ist weit gekommen, wenn man das einem brasilianischen Gutsherrn auf seinem eigenen Besitzthum bieten kann.«

Der Beamte zuckte die Achseln, es war ihm aller Wahrscheinlichkeit nach selber nicht recht, aber der Deutsche, der den Befehl mit dem letzten Dampfer gebracht, schien genau zu wissen, was er thue, und das Schreiben des Ministeriums war ebenfalls in so scharfen bestimmten Ausdrücken abgefaßt, daß selbst ein Verschleppen der Sache zur Unmöglichkeit wurde, – sie wären auch sonst wahrlich nicht so rasch mit hier herausgeritten.

Übrigens hatte Senhor Almeira lange nicht mehr so viele Freunde als er glaubte; denn schon ehe dieser Befehl aus der Hauptstadt eintraf, der den Verdacht eines Verbrechens auf ihn warf, – wenn das auch bei den übrigen Kaffeepflanzern wohl schwerlich sehr hoch angeschlagen wäre – hatte sich ein bis jetzt noch dumpfes und unbestimmtes Gerücht in Porto Seguro verbreitet, nach welchem die finanziellen Verhältnisse des Pflanzers durch seine übergroße Verschwendung einen bedenklichen Charakter sollten angenommen haben. Daß jene junge Französin, die ihn aus Rio hierher begleitet, gar nicht seine wirkliche Frau gewesen, schien man ziemlich allgemein gewußt zu haben, und es verhinderte das gar nicht [S. 137] sie ihn jetzt plötzlich verlassen hatte, bestärkte die Leute in dem schon überhaupt gefaßten Verdacht, denn den wahren, edlen Beweggrund traute ihr Niemand zu.

So gingen denn die Beamten williger an ihre Pflicht, als sie es vielleicht unter anderen Umständen gethan hätten, und zwei volle Stunden lang blätterten und rechneten sie in Almeira's Büchern und verglichen zu derselben Zeit mitgebrachte Preiscourante der verflossenen Jahre mit den angegebenen Zahlen.

Das Resultat mußte ein, für den Brasilianer nicht sehr günstiges sein, denn sie schüttelten dabei oft sehr bedenklich die Köpfe. Endlich stand der Eine von ihnen auf, winkte dem Deutschen, ihm zu folgen und schritt mit ihm draußen ein Stück die Straße hinauf, die in das Innere führte.

»Senhor,« sagte er hier, »der von Ihnen angeregte Verdacht war nicht ganz unbegründet –«

»Ich wußte es vorher.«

»Und Senhor Almeira –?«

»Wird ins Zuchthaus wandern müssen.«

Der Brasilianer schwieg eine Weile und sah nachdenkend vor sich nieder, endlich blieb er stehen, sah seinen Begleiter voll an und sagte: »Welchen Zweck verfolgen Sie eigentlich bei der Sache?«

»Welchen Zweck? Nun den, einen Schurken zu entlarven und seiner Strafe zu überliefern.«

»Und diesen wirklich nur allein?«

»Ei, Gott bewahre; die Hauptsache ist, daß diese armen, unglücklichen Menschen, deren Arbeitskraft nicht nur, wie deren ganzes Leben der Bube gemißbraucht hat, wieder freie Menschen und für ihre Arbeit bezahlt werden.«

»Schön,« sagte der Brasilianer, »Sie scheinen mir ein vernünftiger Mann und mit den brasilianischen Verhältnissen ziemlich vertraut, auch im Ganzen practisch zu sein, eine [S. 138] Eigenschaft, die Ihren Landsleuten sonst gewöhnlich abzugehen pflegt. Ich glaube, wir bringen Senhor Almeira, nach den heutigen Erfahrungen, ohne große Schwierigkeit dazu, seine Ansprüche auf die Dienste der deutschen Arbeiter aufzugeben.«

»Ei, zum Teufel, Herr, das glaube ich auch, aber –«

»Bitte, lassen Sie mich ausreden: wir werden aber keine Vergütung für sie von ihm verlangen.«

»Ist auch gar nicht nöthig; die Vergütung werden die Gerichte nachher schon feststellen.«

»Also werden Sie wirklich einen Proceß anstrengen?«

»Aber, verehrter Herr, ist denn das nicht eine sonderbare Frage? haben denn die Gerichte die Sache nicht schon in die Hand genommen?«

»Wie man das so nimmt,« sagte der Beamte achselzuckend. »Dem Ministerium liegt besonders daran, die deutschen Arbeiter – da Sie selber scheinen beim Kaiser Gehör gefunden zu haben – von einer Ungerechtigkeit zu erlösen und die Sache damit abzumachen. Sagt man jetzt Almeira, daß er noch das Ganze beilegen kann, ohne viel Lärm zu machen, so wird er nicht so thöricht sein und sich weigern. Verlangt man aber etwas von ihm, was er aller Wahrscheinlichkeit nach nicht leisten kann, Geldzahlungen nämlich, denn seine Vermögensverhältnisse sind in der That zerrüttet, so muß er es auf einen Proceß ankommen lassen, der drei, vier Jahre dauern mag, während die Arbeiter bis zu dessen Entscheidung gezwungen wären, in ihren alten Verhältnissen zu bleiben. Doch das nicht allein; würde der Proceß auch – wie ich gar nicht bezweifle – zu ihren Gunsten entschieden, und die Passiva überstiegen die Activa, so gehen, wie Sie recht gut wissen, die Hypotheken vor und Ihre Landsleute bekämen doch keinen Reïs, – trotz all ihren gerechten Ansprüchen.«

»Aber damit deuten Sie nichts Geringeres an,« rief der [S. 139] Deutsche, »als daß der Verbrecher – denn wahrlich, er hat ein Verbrechen an den unglücklichen Menschen verübt – vollkommen straffrei ausgehen solle.«

»Ändern Sie Brasilien,« sagte der Beamte zu dem Deutschen achselzuckend; »ich will auch eingestehn, daß wir faule Schäden im Lande haben, die ausgeschnitten werden könnten, aber sie hängen innig und unzertrennbar mit der Productionskraft des Landes zusammen, und es begegnen sich in ihnen so viele und zahlreiche Interessen, daß es Jeder gern so lang es möglich vermeidet, die Hand daran zu legen. Folgen Sie deshalb meinem Rathe. Ist es Ihnen ernstlich darum zu thun, den armen Deutschen bald zu helfen, so überlassen Sie mir die Sache, und ich glaube, daß ich damit zu Stande komme; wollen Sie aber die strenge, unnachsichtliche Verfolgung mit einer Entschädigungsklage für Ihre Schützlinge, so – werden wir jetzt nach Porto Seguro zurückreiten und einen getreuen Bericht über den befundenen Thatbestand absenden; danach wird dort berathen und nachher –«

»Ich bitte Sie um Gotteswillen,« rief der Fremde, »halten Sie ein; ich habe vollkommen genug. Der Himmel bewahre uns Alle vor einem brasilianischen Proceß, – die deutschen sind schlimm genug und ich verspüre nicht die geringste Lust, sie hier zu provociren. Wenn Ihnen nichts daran liegt, einen anerkannten Lump und Betrüger frei herumlaufen zu lassen, mir kann's gewiß recht sein, – also bitte um Regulirung der Sache sobald als möglich. Nur noch eins; was wird aus den armen Familien, wenn sie hier, ohne die geringsten Mittel in Händen zu haben, fort sollen?«

»Dafür liegt ein specieller Befehl der Regierung bei,« sagte der Beamte, »sie mit dem nächsten Dampfer nach Rio zu senden, von wo aus sie auf Regierungskosten nach Santa Chatarina und Blumenau geschickt werden sollen. Dem Schriftstück nach scheint es, als ob das der besondere Wunsch der Deutschen wäre.«

[S. 140] »Gut – ich verlange nicht mehr,« sagte der Deutsche, »etwas bringen wir auch in Rio für sie zusammen. Wann kann ich also Antwort haben?«

»In einer halben Stunde,« sagte der Beamte, augenscheinlich selber sehr erfreut, die fatale Sache noch auf eine so ausgleichende Weise beigelegt zu haben, »verlassen Sie sich darauf.«

»Und ich kann mit den Deutschen sprechen?«

»Auf meine Verantwortung; sie sind von diesem Augenblick an frei.«

Als sie zum Herrenhaus der Plantage zurückkehrten, suchte der Beamte augenblicklich Senhor Almeira auf, während der Deutsche, ohne auch nur das Gebäude wieder zu betreten, so rasch er konnte, zu seinen armen Landsleuten hinab eilte.

Und sollte ich versuchen, die Scene jetzt zu beschreiben, als er ihnen mittheilte, daß sie frei wären, – daß sie von jetzt an keinen Herrn mehr hätten, und die Regierung selber sie mit dem nächsten Dampfer in ein gesunderes Klima, ja gerade dorthin senden wolle, wohin sie sich die lange schwere Zeit immer gesehnt, und wo sie nun doch noch vielleicht einen Theil der Hoffnungen verwirklichen konnten, die sie in dieß ferne Land geführt?

Senhor Almeira schien auch in der That nicht die geringsten Schwierigkeiten gemacht zu haben, denn die Gründe, die ihm der Beamte vorgelegt, mußten doch wohl zu überzeugend gewesen sein. Kaum eine halbe Stunde später erschien dieser selbst, um den Deutschen anzuzeigen, daß sie am nächsten Morgen ihr Gepäck nach Porto Seguro verladen möchten, da in den nächsten Tagen das vom Norden kommende Dampfboot dort erwartet würde. Kosten hätten sie dabei nicht, ja, es sollte sogar Jedem ein Reitthier geliefert werden, um den ziemlich entfernten Hafenplatz zu erreichen.

Von jetzt an hatte die Noth der Armen aufgehört. Eine [S. 141] schwere Stunde stand ihnen freilich noch bevor: der Abschied von den Gräbern ihrer Lieben, von denen sie sich ja auf immer trennen mußten, und bittere Thränen wurden dort geweint, aber auch das überstanden sie, wie sie so Manches in diesem Aufenthalt der Qual überstanden hatten, und am nächsten Morgen mit Tagesanbruch wurden die Thiere herbeigetrieben, auf denen sie die Plantage verlassen sollten.

Senhor Almeira machte ihnen allerdings den Abschied insofern leicht, als er sich nicht mehr vor ihnen sehen ließ, aber sie verlangten auch nicht nach ihm, und als sie im Hafen angelangt das eben eingetroffene Dampfboot bestiegen, und mit diesem wieder hinaus in die offene See – in die frische, kühle Luft hinein hielten, war ihnen fast so zu Muthe, als ob sie nicht einen anderen Platz in dem fernen Reich aufsuchen wollten, sondern aufs Neue der Heimath entgegen steuerten.

Zwölftes Capitel.
In der Colonie Blumenau.
Schluß.

Der kleine Dampfer, der die armen mißhandelten deutschen Arbeiter nach dem südlichen Theil des Reiches also in ein kälteres und auch weit gesünderes Land führen sollte, brauchte doch mehrere Tage ehe er selbst nur Rio de Janeiro, die Hauptstadt erreichte, und die Deutschen, die dort an Land mußten, sahen sich hier wieder in einer neuen und vollkommen fremden Welt. Aber nicht mehr allein und freundlos standen sie da, denn das Schicksal der Unglücklichen hatte schon die [S. 142] allgemeine Theilnahme nicht allein vieler ihrer Landsleute, sondern auch mancher Brasilianer selber wach gerufen, und während sie, bis der andere Dampfer nach der Colonie befördert werden konnte, von der Regierung am Land einquartiert und beköstigt wurden, veranstaltete man in der Stadt Sammlungen für sie, um die vollkommen Abgerissenen und von Jedem Entblößten nur erst einmal in etwas wieder auszustatten.

Dann kam die zweite Reise. In Rio wurden sie wieder eingeschifft, brauchten aber selbst von da an noch zwei und einen halben Tag, bis sie ihr Ziel erreichten, und Behrens sah jetzt recht deutlich wie schändlich und nichtswürdig sie jener gewissenlose Agent in Deutschland belogen, als er ihnen auf der Karte zeigte, welche kleine Entfernung nur die beiden Plätze von einander trennte. Er selber hatte auch zu gleicher Zeit genug von dem Brasilianischen Urwald gesehn, um zu wissen, wie vollständig unmöglich es gewesen wäre, die Strecke durch diese Wildniß hin, zurückzulegen.

Und was hatte jener Mann in Deutschland dabei gehabt, seine eigenen Landsleute so schändlich zu hintergehen und in die Hände eines gewissenlosen Fremden zu liefern? – Nichts in der Gotteswelt als die paar Thaler Kopfgeld, die er für jedes seiner Opfer bekam und welchen Gewinn er dann mit einem ebensolchen Schurken in Antwerpen theilte.

Von Rio de Janeiro aus bekamen sie noch Reisegesellschaft; frische Auswanderer aus Deutschland, welche diese Gelegenheit benutzen konnten um ihr vorgestecktes Ziel in Brasilien, die deutschen Colonien zu erreichen. Das waren auch keine Leute die sich durch einen Contract gebunden hatten; frei und unabhängig zogen sie hinüber in das fremde Land und wenn sie auch gerade nicht viel Geld in den Taschen trugen, sahen sie sich doch nicht an Händen und Füßen gebunden und konnten sich auf ihren Fleiß und ihre derben Fäuste schon mit gutem Vertrauen verlassen.

Und welch ein Unterschied zwischen ihnen und den armen [S. 143] Parcerie-Arbeitern. Sie hatten noch ihre frischen rothen Backen mit von Deutschland gebracht, und die Kinder sahen dick und gesund aus, während die Deutschen die aus Minas Geraes herunterkamen, eher hohlwangigen und nur mit gelber Haut überzogenen Skeletten glichen.

Und auch an Geist waren die Menschen gebrochen, denn sie hatten in den langen elenden Jahren Hoffnung und Vertrauen verloren. Behrens selber saß auf der ganzen Reise still und in sich gekehrt, grübelte über das Unglück nach das ihn betroffen, und das was noch für ihn in Aussicht stand. Sein Bruder? – er hatte die langen Jahre Nichts von ihm gehört; wußte er denn überhaupt ob er noch lebe, und wär' er selber jetzt, mit zerstörter Kraft und Gesundheit, selbst unter günstigeren Verhältnissen noch im Stande wieder von Neuem eine schwere Arbeit zu beginnen?

Hannchen that ihr Bestes um ihn aufzuheitern, so weh ihr selber auch dabei zu Muthe sein mochte. Es war vergebens. Der Mann hatte einmal die feste Idee gefaßt daß sie in Brasilien verloren wären und nur von einem Sclavenaufseher zum anderen geschafft würden. – Und nach Deutschland zurück? – was hätte er dort jetzt noch gesollt, wo er, mit Allem verloren was er einst sein nannte, nicht einmal mehr in Tagelohn gehen konnte. Nein – es war vorbei mit ihm und leise nur murmelten die bleichen Lippen:

»Ach wenn ich doch drunten in der Erde bei der Sophie läge – dann wäre Alles gut – Alles.«

Der kleine Dampfer – allerdings kein besonderer Schnellläufer – setzte indessen munter seine Reise fort, aber selbst als er wieder vor dem Ort seiner Bestimmung ankerte, als Behrens nun wußte daß sie endlich – endlich, nach jahrelangem Sehnen ihr eigentliches Ziel erreicht, und Fürchtegott der indessen hochaufgeschossen war, wenn er auch ebenso wie die anderen mager und gelb aussah, die Sachen mit an Land schaffen wollte, sagte der alte Behrens:

[S. 144] »Laß nur sein, Fürchtegott, wir wissen ja noch gar nicht wo es hinkommt. Erst müssen wir doch wieder verauktionirt werden.« Er kümmerte sich auch, in der Colonie selber angekommen, um gar nichts mehr und ließ die Kinder für Alles sorgen; nicht einmal nach seinem Bruder frug er. Der war todt – so hatte sich ihm der Gedanken wenigstens in der letzten Zeit in den Kopf gesetzt, und daß man ihm von allen Seiten freundlich begegnete, daß ihm die Colonisten, die bald die Leidensgeschichte des armen Mannes von den Übrigen erfahren, Lebensmittel in Masse brachten und ihn in einem kleinen freundlichen Hause einquartierten, nahm er eben ruhig, kaum dankend hin.

In der Leidenszeit hatte er noch, so viel es möglicher Weise ging, den Kopf oben behalten und für sich und die Seinen gedacht, jetzt aber, mit dem völligen Wechsel seines Lebens und der ruhigen Zeit an Bord war eine Art Erschlaffung eingetreten, und es bedurfte starker Mittel ihn daraus zu wecken – aber es geschah.

Sein Bruder lebte wirklich noch und in den besten Verhältnissen auf einer kleinen Seitencolonie, etwa zwei Stunden von Blumenau entfernt. Fürchtegott hatte das auch bald ausgekundschaftet und Hannchen indessen die Sorge für den Vater überlassend, war er hinausgeeilt um ihn aufzusuchen.

Franz, wie dieser hieß, eilte auch augenblicklich mit dem neugefundenen Neffen zurück nach Blumenau und unterwegs mußte ihm dieser die traurigen Schicksale seiner Familie ausführlich erzählen. Auch von dem Zustand des Vaters sprach er dabei, der jetzt theilnahmlos und ineinander gebrochen und nur still vor sich hinbrütend da sitze und von Nichts mehr wissen wolle. Bruder Franz aber nahm das sehr leicht. Solche derbe Naturen können gewöhnlich wohl gebogen aber selten geistig gebrochen werden – Carl Gottlieb war eben nur gebogen und den wollten sie schon wieder gerade bringen.

Rührend war das Wiedersehen der beiden Brüder. Behrens [S. 145] selber weinte wie ein Kind, und selbst dem wetterharten brasilianischen Landmann liefen die Thränen an den Backen nieder, als er die Jammergestalt vor sich sah. Er hätte ihn auch gewiß im Leben nicht wieder erkannt, aber er war auch praktischer Natur und gab sich nicht lange doch nutzlosen Gefühlsäußerungen hin.

Behrens mußte mit ihm hinaus auf die Facienda oder Farm, und dort selber ein Stück Land bekommen, daß er wieder Lust am Leben und – was bei ihm bis jetzt ja gleichbedeutend gewesen – am Arbeiten fand. Und was für rüstige Kräfte standen ihm dabei zur Seite. Fürchtegott sah jetzt allerdings elend genug aus, aber in vier Wochen sollte sich der schon wieder herausfüttern – Hannchen war ein prächtiges Mädchen geworden, und ja auch, selbst in Minas Geraes, immer gesund geblieben, der Christian konnte ebenfalls schon tüchtig mit zufassen, und die Lisbeth versprach vollkommen in Hannchens Fußtapfen zu treten. Mit vier solchen Kindern brauchte er hier Nichts zu fürchten, und wenn er selber auch keinen Schlag Arbeit mehr that. Hatte er früher für sie nach besten Kräften geschafft, so durften und mußten sie das jetzt auch für ihn thun, und Lust und Liebe dazu hatten sie ja Alle.

Und wie freundlich war das ganze Land hier, auf dem nicht die drückende Hitze lag, die ihnen in Minas Geraes und mitten in jenem engeingeschlossenen Thal, das Mark in den Knochen vertrocknet hatte. Es war Winter – Winter allerdings nicht wie bei uns mit Schnee und Eis, aber ein Winter wie in Deutschland der Monat Mai, mit erfrischenden Regen und kühlen, herrlichen Nächten und doch wieder heiteren sonnigen Tagen dazwischen.

Und wie heimelte sie das Land selber an. Nicht mehr von lauter widerlichen Negersclaven sahen sie sich umgeben, die in der fremden Sprache nur mit ihnen verkehrten. Nur deutsche so lang entbehrte deutsche Laute grüßten hier ihr Ohr [S. 146] und wohin das Auge fiel traf es auf freundliche, wohnliche Häuser, auf blühende Gärten, auf fruchtbare gutgehaltene Felder die den Wohlstand ihrer Eigenthümer bezeugten, und als sie endlich des Bruders Platz erreichten, wollten sie kaum glauben daß sie jetzt da wohnen sollten – wohnen einmal wieder wie Menschen und von wackeren Verwandten geliebt und gepflegt.

Die Colonie Blumenau ist in der That eine der bestgehaltensten und am Besten bewirthschafteten in ganz Süd-Brasilien. Der Direktor dort, der Dr. Blumenau hat auch fast sein ganzes Leben daran gewandt sie zu pflegen und emporzubringen und da die brasilianische Regierung sogar ein Verbot gegen Sclaverei in diesen deutschen Colonien erlassen hat, behält die freie Arbeit nicht allein ihren Werth, sondern die Deutschen sind auch der unangenehmen Gesellschaft der Neger enthoben, von denen sich nur Einzelne, aber ebenfalls frei, als Dienstboten unter ihnen aufhalten.

Franz Behrens, während er den Bruder vor der Hand vollkommen sich selber überließ, sorgte indeß für ihn und ging selber zum Direktor um mit diesem zu berathen wie der Familie am Besten und Leichtesten geholfen werden könne, und wo ein Wille ist, giebt es auch gewöhnlich ein Mittel.

Nicht weit von dort, wo sich Franz Behrens angesiedelt hatte, lag eine kleine schon bebaute Facienda, mit einem wohnlichen Haus darauf, die der jetzige Besitzer, der gern nach einer anderen Colonie übersiedeln wollte, weil sich seine einzige Tochter dorthin verheirathet, zum Verkauf ausgeboten. Die Summe war allerdings nicht unbedeutend und Behrens besaß durch die in Rio für ihn veranstaltete Sammlung wohl ein kleines Capital, aber nicht annährend genug um das zu zahlen – doch das schadete Nichts. Der Eigenthümer war selber ein wohlhabender Mann, der das Geld nicht nothwendig gebrauchte, und verstand sich gern dazu dem Käufer lange Termine zu stellen, in denen er das erstandene Grundstück [S. 147] abbezahlen konnte. Der Direktor ebenso, der ihnen jede in seinen Kräften stehende Hülfe zusagte, unterstützte sie im Anfang mit allem nothwendigen Ackergeräth, wie auch der Bruder in vielen Stücken aushalf und ihnen mit Rath und That beistand. Und jetzt erst gewann Behrens selber das vollständig verlorene Vertrauen wieder.


Die ersten Wochen allerdings war es fast als ob er gar keinen Theil mehr an den Arbeiten der Kinder nehmen wolle, und nur erst, wie er das die langen Jahre gewohnt gewesen, – auf den Negertreiber wartete, der sie zur gezwungenen Arbeit rief – aber das hielt nicht lange an. Mit der Zunahme seiner fast erschöpft gewesenen Kräfte, erwachte auch die alte Lust zum Schaffen in ihm, und noch war kein Monat vergangen als er das drückende Gefühl der Knechtschaft, das bis dahin auf ihm gelegen, vollständig abgeschüttelt hatte. Er konnte freilich nicht gleich fassen und begreifen daß das Land auf dem er jetzt – und nicht etwa mehr als er je gethan, arbeitete, mit dieser Arbeit in kurzer Zeit sein Eigenthum werden, und wenn er einmal starb, seinen Kindern gehören solle – Du lieber Gott, er war ja gar nicht gewohnt gewesen irgend etwas eigen zu haben, als sein eigenes Elend, aber endlich lebte er sich auch selbst dahinein, und mit welcher Lust und Liebe griff er von da an zu, und wie rasch kräftigte sich der fast aufgeriebene Körper.


Und dabei blieb es nicht; Hannchen heirathete zwei Jahre später einen jungen deutschen Bauer, der eine der größten Facienden in der ganzen Colonie hatte. Dieser aber unterstützte den Schwiegervater dafür auch durch ein halb Dutzend Milchkühe, die er ihm eines Morgens auf den Hof trieb und während die indeß auch sechzehn Jahre gewordene Lisbeth jetzt die häusliche Wirthschaft führte, hatte der Fleiß des alten Behrens wie seiner beiden Söhne sie so rasch vorwärts geschafft daß er, mit einigen glücklichen Erndten und [S. 148] guten Preisen, schon nach fünf Jahren das ganze Landgut freigearbeitet hatte.

Auch die andere Familie war in der Colonie untergebracht worden, und wenn sie auch nicht so rasch vorrückte wie Behrens mit Hülfe seiner erwachsenen Knaben, so lebten sie doch hier sorgenfrei und jedes Zwangs enthoben und sahen dabei wie sich ihre Umstände zusehens von Jahr zu Jahr verbesserten.

So waren denn wenigstens diese zwei Familien vom augenscheinlichen Verderben gerettet worden, dem sie sicher, in der Gewalt jenes gewissenlosen Sclavenhalters, entgegen gingen. Die freien schönen Colonien von Süd-Brasilien boten ihnen ein unbeschränktes Feld für ihre Thätigkeit und in einem gesunden Klima sahen sie einer frohen Zukunft entgegen.

Aber die Regierung konnte freilich nicht all den Unglücklichen helfen, die auf falsche und betrügerische Versprechungen hin thöricht genug gewesen waren, derartige Verträge mit den Sclavenhaltern der heißen Provinzen oder deren Helfershelfern, den hiesigen Agenten einzugehen. Wo ihr bestimmte und motivirte Klagen vorgelegt wurden, war sie im Stande, einzuschreiten, und das geschah nicht selten. Leider aber blieb das ähnliche Unglück von Tausenden, die in dem weiten Land zerstreut waren, ihr verborgen, und sie that das Einzige, was ihr da noch übrig blieb: sie ließ die Deutschen selber vor dem Abschluß solcher Parcerie-Verträge warnen.


Druck von Otto Wigand in Leipzig.

Fußnoten

[1] Das Wort Parcerie, was eigentlich in den brasilianischen Verträgen Parçarie heißen sollte, nach dem portugiesischen Wort parçaria, ein Antheil, eine gemeinschaftliche Gesellschaft – bedeutet eine Art von Contract nach welchem sich hiesige Arbeiter gewöhnlich verpflichten, nach unentgeltlicher Überfahrt in einen fremden Welttheil, so lange für ihren neuen Herrn zu arbeiten, bis sie die, durch ihren Transport angewachsenen Kosten abverdient haben. Sie bekommen aber dafür keinen bestimmten Tagelohn, sondern sind auf einen Antheil am Gewinn beschränkt, der in den betrügerischen Contracten gewöhnlich so hingestellt ist, daß der Arbeiter glauben soll, er bekomme die Hälfte vom Gewinn des Ganzen, während es aber doch nur meint daß er die Hälfte dessen bekommen soll was er etwa verdient. Aber selbst das ist eingebildet, denn er verdient eben Nichts wenn sein Herr beweisen kann daß er selber keinen Nutzen in einem Jahr gehabt hat und in tausend Fällen sind deshalb schon diese Verträge von gewissenlosen Pflanzern gemißbraucht worden.

[2] Das betreffende Document ist wörtlich – mit Ausschluß der Namen – einem derartigen Parcerie-Vertrag entnommen, und mag als Beweis dienen, wie leichtsinnig zahllose Menschen derartige Schriftstücke unterzeichnen, und sich dadurch binden, ohne eine Ahnung über deren Tragweite zu haben.

[3] Ich kann Auswanderer nicht genug davor warnen, sich von irgend einem Agenten Entfernungen auf den Karten zeigen und erklären zu lassen. Denn Nichts auf der Gottes Welt ist unzuverlässiger als ein solcher Beweis, Leuten gegenüber, die kein Verständniß über die Schwierigkeiten und Entfernungen in fremden, besonders wilden Ländern haben können. Ich will hier nur ein Beispiel anführen. Die deutsche Colonie Pozuzo in Peru liegt auf der großen Weltkarte nur etwa drei Viertel-Zoll von Lima entfernt, und ich gebrauchte allein und ohne Gepäck nur mit meiner Satteltasche und theils zu Pferd, theils zu Fuß, weil die Wege zu entsetzlich waren, unter den größten Beschwerden und selbst Gefahren achtzehn Tage um sie zu erreichen. Solche Kunstgriffe, wie hier Herr Kollboeker anwendet, sind aber nur zu häufig von schurkischen Agenten gebraucht und benutzt worden, um arme unwissende Menschen dorthin zu schaffen wo sie einen Nutzen von ihnen erwarteten. Was aus den Armen nachher wurde, kümmerte sie wahrhaftig nicht.

Hinweise zur Transkription

Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt. Großgeschriebene Umlaute waren im Original als Ae, Oe und Ue abgedruckt und wurden durch Ä, Ö und Ü ersetzt. Offensichtliche Fehler und uneinheitliche Schreibweisen wurden korrigiert, bei Zweifeln und in der Zeichensetzung wurde der Originaltext beibehalten. Eine Liste der vorgenommenen Änderungen befindet sich hier am Buchende, Änderungen bei falsch gesetzten oder fehlenden Anführungszeichen sind dort nicht aufgeführt.

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Änderungen

Original Änderung
Seite X
wieder mit gewaffneter Macht in Aurakanien eingefallen wieder mit gewaffneter Macht in Araukanien eingefallen
Seite 14
Wendekreise des Steinbocks (nämlich unter 22° 56" S.Br.) Wendekreise des Steinbocks (nämlich unter 22° 56' S.Br.)
Seite 17
Die Stadt – ein kleine Residenz in Thüringen Die Stadt – eine kleine Residenz in Thüringen
Seite 19
der Wohnung des Doctor Maller, Andreas' Brodherrn, zu der Wohnung des Doctor Maller, Andres' Brodherrn, zu
Seite 60
die doch dicht gedrängt um die Fallreeptstreppe die doch dicht gedrängt um die Fallreepstreppe
Seite 74
eine Familie aus Hessen, Mann Frau und zwei erwachsene Söhne eine Familie aus Hessen, Mann, Frau und zwei erwachsene Söhne
Seite 82
aber der Aufenhalt war dort wenigstens luftig aber der Aufenthalt war dort wenigstens luftig
Seite 118
Auch daüber freute sich Senhor Almeira nicht Auch darüber freute sich Senhor Almeira nicht
Seite 127
denn wenn sie länger in Brasilien sind denn wenn Sie länger in Brasilien sind
Seite 138
Dem Ministerium liegt besondes daran Dem Ministerium liegt besonders daran
Seite 139
mit einer Entschädigungsklage für Ihr Schützlinge mit einer Entschädigungsklage für Ihre Schützlinge
Seite 143
dann wäre Alles gut – Alles dann wäre Alles gut – Alles.