Title: Herzl-Worte
Creator: Theodor Herzl
Editor: Felix A. Theilhaber
Release date: February 26, 2013 [eBook #42219]
Language: German
Credits: Produced by Norbert Langkau, Jana Srna, Enrico Segre, and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
Er ging zu den Reichen und Mächtigen der Erde und sprach zu Königen: „Wir wollen hinausgeleiten“, sprach er, „das jüdische Volk, das Heer der Hungernden und die Unzahl der Getriebenen und der Zerquälten aus dem bittern Joch, aus der schweren Last der Knechtschaft, und ihnen geben ein Heim zur Erlösung, eine Stätte des Rechts und ein Land des Glückes.“ — Also sprach er.
Als aber die Großen in Israel seine Kunde vernahmen, lachten sie seiner und spotteten Träume die Reden. Und sie eiferten gegen ihn und machten seinem Werke einen schlechten Namen. Nur etwelche wenige folgten seiner Losung. Aus den Reihen der Jugend und aus den dunklen Ghetti des Ostens. Die gedachten des Vergangenen zu neuen Taten und kürten den Kommenden die Erde, die einst den Vätern gewesen.
Aber der Herrscher, dem das Land untertänig, hörte nicht harten Herzens und die Tore der Heimat standen nicht offen dem Strome der Irrenden. Hiefür drückten und drängten Not und Verfolgung nur noch mehr und von Neuem. Die Qualen der Hölle taten sich auf. Tausende wurden getötet, zu Abertausenden geschlagen und zu Millionen gejagt und getrieben. Blut floß, und den Schimmer einer Freiheit überdunkelte die rohe Gewalt böswilliger Feinde.
Da überkam Verzweiflung die bisher Hoffnungsfreudigen. Schrecken griff Platz im Lager der Eigenen. Und selbst etliche der Jünger löckten wider den Meister und murrten laut. Und ihre wuchtigen Worte fielen wie Peitschenschläge auf sein Haupt. Er aber trug es ergeben und machte nur noch mehr die Nächte zu Tagen der Arbeit und doppelte die Mühen für sein armes, betörtes Volk. Denn nun brachen Sorge und Hingabe, Schmerz und Liebe allzufrüh sein gehetztes Herz. Allzufrüh.
Also ist die Geschichte des großen Führers des jüdischen Volkes, des ersten Führers seit den Tagen ihrer Vertreibung. Nunmehr werden seine deutungsreichen Worte die Taten des Aufbruchs geleiten und Erinnerung wecken, da die Verheißung anfängt, sich zu gestalten.
Wilmersdorf, in den Tagen von San Remo.
Es ist ja mancher hingekommen, der lachen wollte, und dem das Lachen verging, als die jüdische Nation, die arme, gequälte, aus vielen Wunden blutende, die Totgesagte, Totgeglaubte, die dennoch nicht sterben kann und will, plötzlich vor ihm aufstand, in der ganzen Majestät ihres Leidens und mit dem Glanze der Hoffnung in ihren Augen. Wir sind ein unglückliches Volk, aber ein Volk, ein Volk.
Wir sind ein Volk — der Feind macht uns ohne unseren Willen dazu, wie das immer in der Geschichte so war. In der Bedrängnis stehen wir zusammen und da entdeckten wir plötzlich unsere Kraft. Ja, wir haben die Kraft, einen Staat, und zwar einen Musterstaat zu bilden. Wir haben alle menschlichen und sachlichen Mittel, die dazu nötig sind.
Ein Volk kann warten. Es lebt länger als Menschen und Regierungen.
Da ist die tiefe Wurzel aller Uebel, von denen die Juden heimgesucht sind. Von außen wird unsere Solidarität angenommen, und danach handeln unsere Feinde. Für Fehler und Vergehen einzelner unter uns wird die Gesamtheit haftbar gemacht, aber im jüdischen Volke besteht das Gefühl der Solidarität nicht — noch nicht.
Dabei bemerkt man aus Unwissenheit oder Engherzigkeit nicht, daß unser Wohlergehen uns als Juden schwächt und unsere Besonderheiten auslöscht. Nur der Druck preßt uns wieder an den alten Stamm, nur der Haß unserer Umgebung macht uns wieder zu Fremden.
Die Grausamkeiten des Mittelalters waren etwas Unerhörtes, und die Menschen, die der Folter widerstanden, müssen in sich etwas sehr Starkes gehabt haben, eine innerliche Einheit, die uns abhanden gekommen ist. Eine Generation, die vom Judentum abseits aufgewachsen ist, hat diese Einheit nicht und kann ebensowenig mit unserer Vergangenheit rechnen, als in die Zukunft blicken. Darum wollen wir uns wieder in das Judentum zurückziehen und uns aus dieser Burg nicht mehr werfen lassen. Man mag diesen Volksgedanken, der da ist, wegzulächeln versuchen, aber er ist da. Ihn wollen wir hochhalten und hochflattern lassen. Und nachdem wir dieses Bekenntnis abgelegt haben, nachdem wir gesagt haben, daß wir Juden sind, dann erst wollen wir an der Misere anderer teilnehmen.
Es genügt nicht, daß wir uns als ein Volk fühlen und erkennen; nach dem Volksbewußtsein muß auch der Volkswille erwachen.
Wir sind eine Nation. Wer befindet sich im Widerspruch mit der Geschichte?
So sind und bleiben wir denn, ob wir es wollen oder nicht, eine historische Gruppe von erkennbarer Zusammengehörigkeit.
Der Feind aber ist der eiserne Reifen der Nation.
Wir wollen uns ferner nicht eine andere Nationalität als Maske vorbinden.
Wir bleiben wahrnehmbar, wir sind eine Gruppe, eine historische Gruppe von Menschen, die erkennbar zusammengehört und einen gemeinsamen Feind hat, das scheint mir die ausreichende Definition für die Nation zu sein. Ich verlange von der Nation nicht eine Gleichsprachigkeit oder vollkommen gemeinsame Merkmale der Rasse. Diese ganz ruhige Definition genügt für die Nation. Wir sind eine erkennbar zusammengehörende historische Gruppe von Menschen, die durch den gemeinsamen Feind zusammengehalten werden. Das sind wir, ob wir es leugnen oder nicht, ob wir es wissen oder nicht, ob wir es wollen oder nicht.
Es beruht auf der Erkenntnis einer Anzahl von Menschen, daß sie durch geschichtliche Umstände zusammengehören und in der Gegenwart aufeinander angewiesen sind, wenn sie nicht zugrunde gehen sollen.
Die Motive der Menschen sind so verschieden, wie sie selbst. Zusammen bilden sie das Dickicht der Nation. Wer aber keinen freien Ueberblick hat, der sieht, wie man zu sagen pflegt, den Wald vor lauter Bäumen nicht.
Diesen Juden müßte man eine Beschäftigung im Freien geben. Nun ist kein Mensch reich genug, um den Transport der Massen herbeizuführen. Das kann nur erfolgen, wenn man den Gedanken in die Massen hineinlegt, wenn man den Mann dazu anregt, sich selbst zu helfen. Das ist ungefähr so, wie wenn Sie einen Elefanten aufheben wollten, um ihn an einen andern Ort zu bringen; da brauchte man einen furchtbar großen Apparat dazu — die Elefantenjäger aber kitzeln ihn mit einem Stachel und lenken ihn dorthin, wo sie ihn haben wollen. Dieser Stachel, mit dem wir die Massen nach einem besseren Punkte bringen wollen, ist die nationale Idee.
Wir haben Vaterländer, das sind die, wo wir Staatsbürger sind — so weit man es eben gestattet — aber wir haben kein Mutterland. Und dieses Mutterland sucht der Zionismus mit der Seele.
Man gehört einem Vaterland nicht an, sondern es gehört einem; jedem einzelnen gehört das ganze Vaterland. Wem aber sein Vaterland nicht gehört, der ist übel dran.
Vergebens bringen wir dieselben Opfer an Gut und Blut wie unsere Mitbürger, vergebens bemühten wir uns, den Ruhm unserer Vaterländer in Künsten und Wissenschaften, ihren Reichtum durch Handel und Verkehr zu erhöhen. In unsern Vaterländern, in denen wir ja auch schon seit Jahrhunderten wohnen, werden wir als Fremdlinge angeschrieen; oft von solchen, deren Geschlechter noch nicht im Lande waren, als unsere Väter da schon seufzten. Wer der Fremde im Lande ist, das kann die Mehrheit entscheiden; es ist eine Machtfrage, wie alles im Völkerverkehre. Ich gebe nichts von unserem ersessenen guten Recht preis, wenn ich das als ohnehin mandatloser Einzelner sage.
Durch unsere zweitausendjährige Verstreuung sind wir ohne einheitliche Leitung unserer Politik gewesen. Das aber halte ich für unser Hauptunglück. Das hat mehr geschadet als alle Verfolgungen. Denn es war niemand da, der uns — wäre es auch nur aus monarchistischem Eigennutz — zu rechten Männern erzogen hätte. Im Gegenteil. Zu allen schlechten Gewerben wurden wir hingedrängt, im Ghetto festgehalten, wo wir aneinander verkamen, und als man uns herausließ, wollte man plötzlich, daß wir gleich die Gewohnheiten der Freiheit hätten.
Ein Volk kann sich nur selbst helfen; kann es das nicht, so ist ihm eben nicht zu helfen.
Nur bei uns Juden sträuben sich noch manche ängstlich, in der Judenfrage ein Politikum zu sehen. Diese Angst aber wird uns mehr Mitleid als Zorn einflößen, wenn wir sie recht verstehen. Es ist eine Platzfurcht, die noch aus der engen Judengasse stammt.
Die Judensache muß dem Belieben vereinzelter Personen — wie gutwillig diese auch seien — entrückt sein. Es muß ein Forum entstehen, vor dem jeder für das, was er in der Judenfrage tut und läßt, zur Rechenschaft gezogen werden kann.
Im übrigen ist die Politik bei uns in Altneuland kein Geschäft oder Beruf, weder für Männer noch für Frauen.
Leute, die von ihrer deklamierten Ueberzeugung zu leben versuchen, statt von ihrer Arbeit, werden rasch erkannt, verachtet und unschädlich gemacht.
Von Anfang an war ich der Ansicht, daß eine diplomatische Initiative von England werde kommen müssen, weil England, wenn es — gleichsam in der Luftlinie — nach Indien blickt, Palästina streifen muß, und weil England heute noch eine gewisse „serenity“ in der Auffassung der Judenfrage besitzt.
Wir sind sozusagen nach Hause gegangen. Der Zionismus ist die Heimkehr zum Judentum noch vor der Rückkehr ins Judenland.
In einem Worte ist unsere Tätigkeit und ihr Fortgang zusammenzufassen: Wir organisieren die Judenheit für ihre kommenden Geschicke.
Ueberall soll man erfahren, was der Zionismus, den man für eine Art von chiliastischem Schrecken ausgab, in Wirklichkeit ist: eine gesittete, gesetzliche, menschenfreundliche Bewegung nach dem alten Ziel der Sehnsucht unseres Volkes.
Der politische Zionismus denkt nicht lediglich daran, die notleidenden Juden fortzuschaffen; es muß auch im vorhinein dafür gesorgt werden, daß sie das heutige Elend nicht mit einem unbestimmten, unberechenbaren vertauschen.
Bisher war unsere Bewegung gleichsam im Ghetto geblieben, da hat sie freilich schon genug Mißverständnisse und Kämpfe erregt. Nun ist sie ins Freie hinausgekommen und beschäftigt die öffentliche Meinung auf dem ganzen Erdenrund. Viele Hunderte von Zeitungen haben sie ihren Lesern in der eben vergangenen Woche mitgeteilt. Es gibt noch tote Stellen, wo man ratlos schweigt; auch das wird nicht mehr lange dauern. Wenn einmal die Glocken zu läuten anfangen, müssen alle Glocken läuten.
Der Zionismus fegt als reinigender Sturm durch das ganze Judentum. Die dürren Aeste werden geknickt, in den Wipfeln muß Raum sein für die ewig jungen Triebe, die hinauf wollen in das Sonnenlicht.
So halten die Zionisten sich für verpflichtet, immer unter Aufrechterhaltung ihrer Prinzipien und ihres Programmes, wo immer es notwendig ist, den Versuch zu machen, das harte Los der unterdrückten Juden durch angemessene Mittel zu mildern.
Ich weiß nicht, wann ich sterben werde, aber der Zionismus wird nie sterben. Seit den Tagen von Basel hat das jüdische Volk wieder eine Volksvertretung; folglich wird der Judenstaat in seinem eigenen Lande erstehen.
Die Rolle der Reichen in der Gemeinde, die Gefügigkeit mancher Priester, das zwitterhafte Bestreben, die alte Tradition mit einem übertriebenen Nachahmen der Landesgewohnheiten zu vereinigen, die dreiste Bettelhaftigkeit der wirtschaftlich Schwächeren — für das alles hat der Geschichtskundige Erklärungen voller Nachsicht. Aber wenn wir der Gemeinde auch nicht zürnen, so sind wir doch weit entfernt, uns von ihr beeinflussen zu lassen. Der Zionismus stellt eine andere Gemeinde des Judentums auf, eine neue, größere, eine einzige. Und ein anderes repräsentatives System.
Ich glaube, Ihnen sagen zu können, daß wir dem Judentum etwas gebracht haben; der Jugend eine Hoffnung, dem Alter einen Traum, allen Menschen etwas Schönes.
Ich weiß nicht, ob ich selbst es erleben werde, aber ich bin fest überzeugt, daß Leute meines Alters die Verwirklichung unseres Wunsches sehen werden. Wir werden im Lande Israels als freie Menschen wohnen. Ob ich selbst dabei sein werde oder nicht, ist für die Sache gleichgültig. Aber wenn ich dabei sein werde, so werde ich mich über nichts mehr so freuen, von nichts mehr so hingerissen sein, wie vom ersten Baseler Kongreß im Jahre 1897. Denn das war das erste Lebenszeichen des scheintoten jüdischen Volkes.
Niemand ist stark oder reich genug, um ein Volk von einem Wohnort nach einem andern zu versetzen. Das vermag nur eine Idee. Die Staatsidee hat wohl eine solche Gewalt. Die Juden haben die ganze Nacht ihrer Geschichte hindurch nicht aufgehört, diesen königlichen Traum zu träumen: „Uebers Jahr in Jerusalem!“ ist unser altes Wort. Nun handelt es sich darum, zu zeigen, daß aus dem Traum ein tagheller Gedanke werden kann.
Von irgend einem Einzelnen betrieben, wäre es eine recht verrückte Geschichte — aber wenn viele Juden gleichzeitig darauf eingehen, ist es vollkommen vernünftig, und die Durchführung bietet keine nennenswerten Schwierigkeiten. Die Idee hängt nur von der Anzahl der Anhänger ab.
Die Juden, die wollen, werden ihren Staat haben und sie werden ihn verdienen.
Durch den Ernst und die Ruhe unserer Beratungen können wir das Ansehen dieser Tribüne immer höher heben. Durch Unbesonnenheiten und Gezänke würden wir es rasch zerstören. Diese Tribüne wird so hoch sein wie die Reden, die man auf ihr hält. Unseren Worten verleiht keine äußere Macht Nachdruck; wenn sie also irgend eine Bedeutung haben sollen, kann es nur von der inneren Macht der Idee kommen und von der Reinheit der Gesinnungen, welche hier verkündet werden. Das muß sich jeder von uns beständig vor Augen halten, wenn er hier für das jüdische Volk und zum jüdischen Volk sprechen will.
Es ist merkwürdig, daß wir Juden diesen königlichen Traum während der langen Nacht unserer Geschichte geträumt haben. Jetzt bricht der Tag an. Wir brauchen uns bloß den Schlaf aus den Augen zu reiben, unsere Glieder zu strecken und den Traum in Wirklichkeit zu verwandeln.
Alte Gefangene gehen nicht gern aus dem Kerker. Wir werden sehen, ob uns schon die Jugend, die wir brauchen, nachgewachsen ist; die Jugend, welche die Alten mitreißt, auf starken Armen hinausträgt und die Vernunftgründe umsetzt in Begeisterung.
Eine Fahne, was ist das? Eine Stange mit einem Fetzen Tuch. Nein, mein Herr, eine Fahne ist mehr als das. Mit einer Fahne führt man die Menschen, wohin man will, selbst ins Gelobte Land.
Für eine Fahne leben und sterben sie, es ist sogar das Einzige, wofür sie in Massen zu sterben bereit sind, wenn man sie dazu erzieht. Glauben Sie mir, die Politik eines ganzen Volkes — besonders wenn es so in aller Welt zerstreut ist — macht man nur mit Imponderabilien, die hoch in der Luft schweben.
Auch das Ideal wird immer neu geboren, und es gibt Renaissancen, die unsereiner nicht mehr begreift.
Wir verstehen, daß für eine Gemeinschaft von Menschen das Ideal ein Nutzen, ein Vorteil — sagen wir es heraus: daß es unentbehrlich ist. Das Ideal zieht uns hinan.
Unsere Wochenschrift ist ein „Judenblatt“. Wir nehmen dieses Wort, das ein Schimpf sein soll, und wollen daraus ein Wort der Ehre machen.
Die künstlichen Mittel, die man bisher zur Ueberwindung des Judennotstandes aufwandte, waren entweder zu kleinlich — wie die verschiedenen Kolonisierungen — oder falsch gedacht.
Was ist denn damit getan, wenn man ein paar tausend Juden in eine andere Gegend bringt? Entweder sie gedeihen, und dann entsteht mit ihrem Vermögen der Antisemitismus — oder sie gehen gleich zugrunde.
Das wäre gerade so, wie wenn man dem Juden sagte: „Da hast du eine Armbrust, zieh' in den Krieg!“ — Was? Mit einer Armbrust, wenn die anderen Kleinkaliber-Gewehre und Kruppsche Kanonen haben?
Die Armbrust ist eine schöne Waffe, und sie stimmt mich elegisch, wenn ich Zeit habe. Aber sie gehört ins Museum.
Kommt einer bei Nacht und Nebel heimlich heran, so darf er sich nicht wundern, wenn man ihm Halt! Wer da? entgegenruft. Und um so schlimmer für ihn, wenn er darauf keine gute, klare Antwort geben kann. Uebrigens ist das auch gar nicht die Situation, in der irgend eine Antwort unverdächtig klingt. Wir machen es darum anders. Wir erklären unsere Absichten am hellen Tage, den wir Gott sei Dank nicht zu scheuen haben.
Um den Kranken nur von einer Seite auf die andere zu legen, brauchte nicht so viel Scharfsinn, Mühe und Geld aufgewendet werden. Versuchen wir lieber, ihn zu heilen.
Wären die Professoren nicht so schrecklich zerstreute Menschen, die ihren Regenschirm immer irgendwo im Altertum stehen lassen, sie müßten uns eigentlich zuschauen, ob wir klug oder töricht schaffen. Selbst unsere Fehler könnten manche Lehre ergeben. Aber die Herren Professoren, die das Werdende nie verstehen, kommen erst später; nachher freilich wissen sie alles besser als wir, und sie erklären uns das Gewordene.
Man findet jüdisches Geld in schweren Massen für eine chinesische Anleihe, für Neger-Bahnen in Afrika, für die abenteuerlichsten Unternehmungen — und für das tiefste, unmittelbarste, quälendste Bedürfnis der Juden selbst fände man keines?
In der jüdischen Finanzmacht schlummern noch sehr viele ungenützte politische Kräfte. Von den Feinden des Judentums wird diese Finanzmacht als so wirksam dargestellt, wie sie sein könnte, aber tatsächlich nicht ist. Die armen Juden spüren nur den Haß, den diese Finanzmacht erregt; den Nutzen, die Linderung ihrer Leiden, welche bewirkt werden könnte, haben die armen Juden nicht. Die Kreditpolitik der großen Finanzjuden müßte sich in den Dienst der Volksidee stellen. Finden aber diese mit ihrer Lage ganz zufriedenen Herren sich nicht bewogen, etwas für ihre Stammesbrüder zu tun, die man mit Unrecht für die großen Vermögen einzelner verantwortlich macht, so wird die Verwirklichung dieses Planes Gelegenheit geben, eine reinliche Scheidung zwischen ihnen und dem übrigen Teile des Judentums durchzuführen.
Ich habe niemals Wunder versprochen, sondern nur die Selbsthilfe als den Weg der Erlösung bezeichnet.
Dem deutschen Kaiser werde ich sagen: Lassen Sie uns ziehen! Wir sind Fremde, man läßt uns nicht im Volke aufgehen, wir können es auch nicht. Lassen Sie uns ziehen! Ich will Ihnen die Mittel und Wege angeben, deren ich mich für den Auszug bedienen will, damit keine wirtschaftliche Störung, keine Leere hinter uns eintrete.
Zum Bleiben wie zum Wandern muß die Rasse zunächst an Ort und Stelle verbessert werden. Man muß sie kriegsstark, arbeitsfroh und tugendhaft machen. Nachher auswandern — wenn es noch nötig ist.
Von einem vollständigen Auszug der Juden kann wohl nirgends die Rede sein. Die sich assimilieren können oder wollen, bleiben zurück und werden resorbiert.
Vielmehr ist klar vorherzusehen, daß in jedem Lande der Wert und das Ansehen der Juden steigen würde, wenn ihre Zahl abnähme. Und wenn schließlich nur die Assimilierten zurückbleiben, wird man sie als die Rarität behandeln, die sie sind.
Bei einer solchen Auswanderung gibt es auch viele starke, tiefe Gemütsbewegungen. Es gibt alte Gewohnheiten, Erinnerungen, mit denen wir Menschen an den Orten haften. Wir haben Wiegen, wir haben Gräber, und man weiß, was dem jüdischen Herzen die Gräber sind. Die Wiegen nehmen wir mit — in ihnen schlummert rosig und lächelnd unsere Zukunft. Unsere teueren Gräber müssen wir zurücklassen — ich glaube, von denen werden wir habsüchtiges Volk uns am schwersten trennen. Aber es muß sein.
Aus den fürchterlichen Pferchen im Osten Europas brechen seit zwanzig Jahren ununterbrochen Hunderttausende verzweifelter Menschen auf, um anderwärts ein Stück Brot und ein bißchen Freiheit zu suchen. Welcher Mensch, der nicht ein versteinertes Herz in der Brust trägt, wird diese jammervolle Wanderung aus dem Elend ohne Erschütterung mit ansehen können? Aber diese halbverhungerten und ganz verzweifelten Parias tragen nicht nur ihre eigene Not um den Erdkreis herum, sondern auch die der anderen. So fliehen sie vor dem Haß und erzeugen ihn überall, wo sie erscheinen. Kraft ihrer größeren Armut reißen sie den bisher Aermsten das Brot vom Munde weg.
Ich weiß es nicht, ob wir noch in dieser Generation die Befreiung aus Schimpf und Elend erleben werden. Möglich ist es, vorausgesetzt, daß wir klug und entschlossen sind. Aber das weiß ich, daß schon das Wandern auf diesem Wege uns zu anderen Menschen machen wird. Wir gewinnen unsere verlorene innerliche Einheit wieder und mit dieser ein bißchen Charakter, und zwar unseren eigenen Charakter. Keinen marranischen, erborgten, unwahren, sondern unseren eigenen. Und dann erst wollen wir mit allen anderen rechtschaffenen Menschen wetteifern in Gerechtigkeit, Nächstenliebe und hohen Freisinn, wollen uns auf allen Feldern der Ehre betätigen, in Kunst und Wissenschaft es vorwärts zu bringen trachten, damit ein Glanz von unseren Taten auf die Aermsten unseres Volkes zurückfalle.
Dazu muß vor allem in den Seelen tabula rasa gemacht werden von mancherlei alten, überholten, verworrenen, beschränkten Vorstellungen. So werden dumpfe Gehirne zunächst meinen, daß die Wanderung aus der Kultur hinaus in die Wüste gehen müsse. Nicht wahr! Die Wanderung vollzieht sich mitten in der Kultur. Man kehrt nicht auf eine niedrigere Stufe zurück, sondern ersteigt eine höhere.
Als die Völker in den historischen Zeiten wanderten, ließen sie sich vom Weltzufall tragen, ziehen, schleudern. Wie Heuschreckenschwärme gingen sie in ihrem bewußtlosen Zuge irgendwo nieder. In den geschichtlichen Zeiten kannte man ja die Erde nicht. Die neue Judenwanderung muß nach wissenschaftlichen Grundsätzen erfolgen.
Die Wanderung ist zugleich eine aufsteigende Klassenbewegung.
Wenn wir noch einmal aus Mizraim wandern, werden wir die Fleischtöpfe nicht vergessen.
Aber die ersten, die gläubig, begeistert und tapfer hinübergehen, werden die besten Plätze haben.
Diese, die zögernden späten Nachzügler werden hüben und drüben am schlechtesten daran sein.
Um eine große Ansiedlung zu begründen, muß man eine Flagge und eine Idee haben. Die waren nicht vorhanden, darum konnte kein Erfolg kommen.
Aber selbst die Kolonisierungsversuche wirklich wohlmeinender Männer haben sich bisher nicht bewährt, obwohl es interessante Versuche waren. Ich glaube nicht, daß es sich dem oder jenem nur um einen Sport gehandelt habe; daß der oder jener arme Juden wandern ließ, wie man Pferde rennen läßt. Dazu ist die Sache denn doch zu ernst und traurig. Interessant waren diese Versuche insofern, als sie im kleinen die praktischen Vorläufer der Judenstaats-Idee vorstellten.
Das heilige Land ist eine Wüste. Aber es gibt Oasen! Die Oasen sind unsere jüdischen Kolonien.
Um die Juden aufs Land zu ziehen, mußten sie ihnen ein Märchen der Goldgewinnung erzählen. Phantastisch konnte es so lauten: Wer ackert, sät und erntet, findet in der Garbe Gold. Ist ja auch beinahe wahr. Nur wissen die Juden, daß es ein kleines Klümpchen sein wird. So konnten sie ihnen vernunftmäßiger sagen: wer am besten wirtschaftet, bekommt eine Prämie, die sehr hoch sein kann.
Vielleicht denkt jemand, es werde eine Schwierigkeit sein, daß wir keine gemeinsame Sprache mehr haben. Wir können doch nicht Hebräisch miteinander reden. Wer von uns weiß genug Hebräisch, um in dieser Sprache ein Bahnbillet zu verlangen?
Die dem allgemeinen Verkehre am meisten nützende Sprache wird sich zwanglos als Hauptsprache einsetzen.
Wie schnell oder wie langsam die von uns vorbereiteten Wirkungen eintreten werden, das können wir nicht bestimmen. Von uns hier hängt es nicht ab. Wir konnten nur die Anlage herstellen. Die Kraft können wir nicht liefern. Die Kraft muß vom jüdischen Volk geliefert werden — wenn es will.
Wir sehen es folglich nicht als unsere Aufgabe an, die Leute hinüberzuschaffen. Unsere Aufgabe ist es: drüben für sie bessere Bedingungen herzustellen. Dann kommt, wer will. Dann kommt, wer Arbeit und Sicherheit für das Erworbene sucht, wer etwas mehr Freiheit, Recht und Ehre genießen will, als er jetzt hat.
Bei ihrer Ankunft werden aber die Einwanderer von den Spitzen unserer Behörden feierlich empfangen werden. Ohne törichten Jubel, denn das Gelobte Land muß erst erobert werden. Aber schon sollen diese armen Menschen sehen, daß sie zu Hause sind.
Wir wollen aber den Juden eine Heimat geben. Nicht indem wir sie gewaltsam aus ihrem Erdreich herausreißen. Nein, indem wir sie mit ihrem ganzen Wurzelwerk vorsichtig ausheben und in einen besseren Boden übersetzen.
Die freie Heimat! Wenn die Bewegung entsteht, werden wir die Einen nachziehen, die Anderen uns nachfließen lassen, die Dritten werden mitgerissen und die Vierten wird man uns nachdrängen.
Das erste Ziel ist, wie schon gesagt, die völkerrechtlich gesicherte Souveränität auf einem für unsere gerechten Bedürfnisse ausreichenden Landstrich.
Noch vor einigen Jahren wurde die Goldgräberei auf eine wunderlich einfältige Weise betrieben. Wie abenteuerlich ist es in Kalifornien zugegangen? Da liefen auf ein Gerücht hin die Desperados aus aller Welt zusammen, stahlen die Erde, raubten einander das Gold ab — und verspielten es dann ebenso raubmäßig. Heute! Man sehe sich heute die Goldgräberei in Transvaal an. Keine romantischen Strolche mehr, sondern nüchterne Geologen und Ingenieure leiten die Goldindustrie. Sinnreiche Maschinen lösen das Gold aus dem erkannten Gestein. Dem Zufall ist wenig überlassen. So muß das neue Judenland mit allen modernen Hilfsmitteln erforscht und in Besitz genommen werden.
Wir sind bereit, die Bauzeit des Judentums herbeizuführen — alles haben wir dazu in Hülle und Fülle; die Menschen, das Material, die Pläne. Wir brauchen nur noch — den Bauplatz.
Werden wir Häuser, Paläste, Arbeiterwohnungen, Schulen, Theater, Museen, Regierungsgebäude, Gefängnisse, Spitäler, Irrenhäuser — kurz Städte bauen und das neue Land so fruchtbar machen, daß es dadurch das Gelobte wird?
In dem alten Lande wünschen wir nur eine neue Blüte für den jüdischen Geist.
Das Land unserer Väter existiert also noch. Es ruht nicht auf dem Boden eines Meeres. Es gibt Leute, die dort leben und fröhlich arbeiten. Die alte Erde verjüngt sich dort unter den regsamen Händen. Sie trägt wieder Blumen, sie trägt wieder Früchte, sie wird vielleicht auch eines Tages, das Glück und die Ehre der Juden tragen.
Da ist es, Juden! Kein Märchen, kein Betrug! Jeder kann sich davon überzeugen, denn jeder trägt ein Stück vom Gelobten Land hinüber: der in seinem Kopf, und der in seinen Armen, und jener in seinem erworbenen Gut. Wir werden endlich als freie Männer auf unserem eigenen Boden leben und friedlich in unserem eigenen Heim sterben.
Der Judenstaat! Welcher Wahnwitz! Oder soll man sagen: Dummheit? Oder ist es nicht noch eher der Spaß eines Humoristen, der einmal die Welt recht herzlich lachen machen möchte — auf Kosten seines eigenen unglücklichen Volkes?
Der Judenstaat ist ein Weltbedürfnis, folglich wird er entstehen.
Dieses Land, das elende, und das Volk, das elende, zusammengeführt, werden einen Zustand ergeben, daß beiden geholfen ist.
Es wird auch im Judenstaat Unglückliche, Kranke und Arme geben. Aber der Druck, der alle Leiden noch bitterer macht, wird aufhören, und kein Talent wird daran verderben, daß es jüdischen Ursprungs ist.
Palästina ist unsere unvergeßliche historische Heimat. Dieser Name allein wäre ein gewaltig ergreifender Sammelruf für unser Volk. Wenn Seine Majestät der Sultan uns Palästina gäbe, könnten wir uns dafür anheischig machen, die Finanzen der Türkei gänzlich zu regeln. Für Europa würden wir dort ein Stück des Walles gegen Asien bilden, wir würden den Vorpostendienst der Kultur gegen die Barbarei besorgen.
Sie werden doch wissen, daß ich gegen die Infiltration in Palästina bin — wir würden dort nur neue massacrirbare Armenier ansiedeln.
Begreifen denn die jüdischen Gegner des Judenstaates nicht, daß wir schon durch das bloße Aussprechen dieser Forderung die Achtung der Welt erwerben? Wir haben mindestens so viel Recht, wie die anderen, ein Land als Körper unserer normalen Existenz zu verlangen. Wir haben dieses Recht erworben durch Leiden, die in der Geschichte des menschlichen Geschlechts beispiellos sind. Ein Strom von Blut hat unseren Gang durch die Jahrhunderte begleitet. Es waren sinnlose Qualen, wenn wir sie nicht in der Hoffnung auf den Judenstaat aushielten. Werfen wir unser Judentum weg, wie ein zerfetztes altes Kleid, wenn wir nicht an den Judenstaat denken!
Israel! Andere Völker waren auch von Mißgeschicken heimgesucht, aber es kommt ihnen immer wieder eine ungetrübte Zeit. Jedem Kriege folgt ein Frieden. Nur das verstreute Israel wird immer besiegt und kommt nach den Niederlagen nicht zur Ruhe. Die materielle Sicherheit ist aber die Grundlage der moralischen Gesundheit und darum wünschen wir mit aller Inbrunst, erstreben wir mit all unserer Kraft für unser Volk die materielle Sicherheit, die es nur auf seinen Boden finden kann. Und die moralische Gesundheit eines tatsächlich in der ganzen Welt verstreuten Volkselements ist von Wichtigkeit für die ganze Welt.
Da sieht sie ihr altes Land am Mittelmeer herrlich gelegen, mit kaltem, gemäßigtem und warmen Klima; ein Land, aller Kulturen fähig, mit langruhenden Bodenschätzen und doch für andere nichts wert, weil andere nicht die befruchtenden Menschenströme hinzuleiten vermögen, die dem Zionismus gehorchen. Und wenn wir nun nicht verzückt oder verlogen in die Wolken starren, sondern ruhigen Blickes nach jenem Punkte hindeuten, der wirklich die Erlösung bedeutet, so bedarf das keiner geheimen Auslegungskünste. Dort ist das Zion der Armen, der Jungen und auch der Frommen.
Wir haben einen Grundsatz bei unseren Weisen gefunden: Die Ehren gebe man dem, der sie nicht sucht!
Ruhm besteht nicht im Beifall der Menge, sondern im Urteil der Geschichte. Je größer ein Mensch ist, desto länger kann er darauf warten, daß man ihn versteht, sei es auch erst in fernen Tagen.
Der Einzelne, der auch nur Miene machte, ein solches Riesenwerk zu unternehmen, könnte ein Betrüger oder ein Wahnsinniger sein.
Ich meine nicht, daß es etwas Unrechtes sei, wenn man sich mit Geschäften abgibt. Nur ein Schriftsteller soll kein Geschäftsmann sein, und beim Diener einer Volksbewegung ist es etwas Unerträgliches.
Die ersten Männer, welche diese Bewegung beginnen, werden schwerlich ihr ruhmvolles Ende sehen. Aber schon durch das Beginnen kommt ein hoher Stolz und das Glück der innerlichen Freiheit in ihr Dasein.
In dem, was ich Ihnen (Baron Hirsch) sagen will, wird Ihnen manches einfach und manches phantastisch erscheinen. Mit Einfachem und Phantastischem führt man die Menschen.
Ja, nur das Phantastische ergreift die Menschen. Und wer damit nichts anzufangen weiß, der mag ein vortrefflicher, braver und nüchterner Mann sein und selbst ein Wohltäter im großen Stil. Führen wird er die Menschen nicht, und es wird keine Spur von ihm bleiben.
Zum Zionisten hat mich nämlich — der Prozeß Dreyfuss gemacht.
Wie Kant aufschrieb: An Johann darf nicht mehr gedacht werden. Mein Johann ist die Judenfrage. Ich muß sie rufen und wegschicken können.
(Von der Abfassung des Judenstaates.)
Ich hatte dann eine sehr ernste Krisis durchzumachen; ich kann sie nur damit vergleichen, wenn man einen rotglühenden Körper in kaltes Wasser wirft. Freilich, wenn dieser Körper zufällig Eisen ist, wird er Stahl.
(Von der Veröffentlichung des Judenstaates.)
Da ich mich nicht umstimmen ließ, rieten sie mir, die Idee wenigstens in der unverbindlichen und unterhaltenden Form eines Romanes vorzubringen mit Liebesgeschichten, menschlichen Einzelschicksalen und einer Malerei künftiger Zustände im Judenlande. Das war ja auch mehr im Einklang mit meiner bisherigen Tätigkeit als Stückeschreiber und Feuilletonist. Wohl sah ich ein, daß dies ein gutes Propagandamittel für die Idee wäre und mir die Gefahr ersparte, mich bis auf die Knochen zu blamieren. Aber dann wäre keine Tat daraus geworden. Man hätte in den Salons und Eisenbahncoupés davon gesprochen, viele hätten über den launigen Einfall gelacht, und manche hätten vielleicht heimlich in das Buch hineingeweint. Was war damit erreicht? Noch ein Märchen in tausend und einer Nacht des Leidens. Nein, es sollte Tag und Tat werden. Aufrütteln mußten wir das jüdische Volk, statt es einzulullen. Und wirklich, es hat sich aufrütteln lassen.
Vor allem haben wir uns sozusagen Röcke ohne Taschen angezogen und haben es unmöglich gemacht, irgend einen Vorteil für uns zu haben.
Ich habe nicht das Majoritätsbedürfnis, ich brauche keine Majorität. Was ich brauche, ist nur, daß ich mit meiner eigenen Ueberzeugung im Reinen bin. Dann bin ich zufrieden, selbst wenn kein Hund von mir ein Stück Brot annimmt.
Ich bin stärker als Sie, (zu seinem Gegner) darum bin ich versöhnlich, weil ich weiß: wenn wir streiten werden, werde ich siegen.
In einem solchen guten Moment, im Herbst 1898 war es, daß ich in London meinen Brüdern im Eastend sagte, daß ich die Verwirklichung unserer Hoffnungen für nahe bevorstehend halte. Das hätte ich nicht sagen sollen. Man fiel über mich her wie über einen Charlatan. Das Urteil wird aber eine spätere Zeit sprechen, der alle Beweismittel vorliegen werden.
Ich, der ich vielleicht ein Stück Kuchen zu essen habe, habe nicht das Recht, das Stück Brot, das Armen angeboten wird, abzuweisen, weil ich es nicht will, oder weil ich es nicht brauche.
. . . Daß ich an der Güte unseres Menschenmaterials nicht mehr zweifelte, als ich die Kraft des nationalen Erwachens in mir selbst erlebte. Zur Zeit, als Ihr — und mein — Freund seine tief aus dem Herzen kommenden Worte niederschrieb, war ich noch ein spöttischer Jude, der wahrscheinlich gelacht hätte, wenn ihm diese Aufzeichnung zu Gesicht gekommen wäre. Aber es ist in mir eine Wandlung vorgegangen, die ich das Glück und den Stolz meines Lebens empfinde.
Unter Assimilation verstehe ich wörtlich, was das Wort bedeutet: so ähnlich zu werden, daß man sich in nichts unterscheidet.
Die Assimilierung, worunter ich nicht etwa nur Aeußerlichkeiten der Kleidung, gewisser Lebensgewohnheiten, Gebräuche und der Sprache, sondern ein Gleichwerden in Sinn und Art verstehe, die Assimilierung der Juden könnte überall nur durch die Mischehe erzielt werden.
Nun würde allerdings die staatsbildende Bewegung, die ich vorschlage, den israelitischen Franzosen ebensowenig schaden, wie den „Assimilierten“ anderer Länder. Nützen würde sie ihnen im Gegenteile, nützen! Denn sie wären in ihrer „chromatischen Funktion“, um Darwins Wort zu gebrauchen, nicht mehr gestört. Sie könnten sich ruhig assimilieren, weil der jetzige Antisemitismus für immer zum Stillstand gebracht wäre. Man würde es ihnen auch glauben, daß sie bis ins Innerste ihrer Seele assimiliert sind, wenn der neue Judenstaat mit seinen besseren Einrichtungen zur Wahrheit geworden ist, und sie dennoch bleiben, wo sie jetzt wohnen.
Sie glaubten vornehmer auszusehen, wenn sie sich nicht als Juden zu erkennen gaben. Aber gerade dadurch zeigten sie die Gesinnung von Bedienten und Freigelassenen. Und sie konnten sich noch über die Geringschätzung wundern, die ihnen zu teil wurde, da sie doch wahrlich keine Selbstachtung an den Tag gelegt hatten. Nachgekrochen waren sie den anderen, und es ereilte sie dafür die gerechte Strafe: sie wurden abgelehnt.
. . . Die Leere und Nutzlosigkeit der Bestrebungen „zur Abwehr des Antisemitismus“. Mit Deklamationen auf dem Papier oder in geschlossenen Zirkeln ist da nicht das mindeste getan. Es wirkt sogar komisch. Immerhin mögen — neben Strebern und Einfältigen — auch sehr wackere Leute in solchen Hilfscomités sitzen. Sie gleichen den Hilfscomités nach und vor Ueberschwemmungen und richten auch ungefähr so viel aus.
Solange sie scheu und unaufrichtig von Partei zu Partei, von Nation zu Nation taumeln werden, nur um für das ein wenig Schutz zu erlangen, was sie für uneingestehbar halten, nämlich für ihr Judentum — so lange wird man sie nicht achten noch lieben, nicht einmal dulden. Wer sich für anderes ausgibt, als er offenbar ist, erregt Mißtrauen, und dieses dumpfe Gefühl setzt sich herabsteigend bei den Pöbelmassen in Gewalttaten um.
An den Siegesfeiern dürfen sie nicht als Vollberechtigte teilnehmen, und die Niederlagen läßt man an ihnen aus, so hüben wie drüben. Sie sind, wie es auch ausgehe, die Geschlagenen.
Mauschel ist der Fluch des Juden.
Diese Leute, von denen man fortwährend hört, bald durch den Skandal ihrer Maitressen, bald durch den Triumph ihrer Rennpferde, bald durch die Börsenmanöver, mit denen sie den Mittelstand der Börse zu Proletariern machen, bald durch die Korruption, die sie um sich her wie einen Pesthauch verbreiten; diese Leute, die man überall sieht, nur nicht, wo die armen Juden in einem schweren Kampfe stehen, diese Leute mögen sich in acht nehmen, daß nicht in ihrem Rücken eine zweite Volksbewegung gegen sie aufstehe, numerisch schwächer, aber gerade darum verzweifelter als die erste. Ah ja, es gibt sogenannte „Wohltäter“ unter ihnen; das heißt, sie züchten Schnorrer. Das heißt, sie schaden dem jüdischen Volke auch noch durch milde Gaben aus denjenigen Vermögen, die mitunter auf kompromittierende Art entstanden sind. Ah ja, die Herren sind auch geschickt genug, sich persönlich vom Antisemitismus loszukaufen: durch Gefälligkeiten, Geld und Opfer an Ueberzeugung — die letzteren kosten sie am wenigsten.
Es sind die Leute, die im sicheren Boot sitzen und den Ertrinkenden, die sich an den Bootrand klammern möchten, mit dem Ruder auf die Köpfe schlagen.
Es wird immer zu den großen Merkwürdigkeiten gehören, daß die Herren gleichzeitig um Zion beten und gegen Zion auftreten.
Für den schlimmsten Fall richtet Mauschel seinen Blick ins Weite, aber nicht nach Zion, sondern nach irgend einem Lande, wo er allenfalls bei einer anderen Nation unterschlüpfen könnte. Dort angelangt, spielt er nach kurzer Zeit auf den Chauvinisten hinaus, erteilt Unterricht im neuen Patriotismus und verdächtigt alle, die nicht sind wie er. Dabei begeht er die wunderliche Inkonsequenz, sich von den Juden loszusagen und zugleich in ihrem Namen zu sprechen.
Den sehnsüchtigen Ruf: „Uebers Jahr in Jerusalem!“ hatte eine Generation der anderen übergeben, und nur in den letzten Jahrzehnten des nationalen Verkommens war bei manchen Rabbinern die wäßrige Deutung üblich geworden, das Jerusalem dieses Spruches solle eigentlich heißen London, Berlin oder Chicago. Wenn man die jüdischen Ueberlieferungen in dieser Weise auslegt, dann bleibt freilich vom Judentum nicht mehr viel anderes übrig als das Jahresgehalt, das diese Herren beziehen.
Die jüdische „Mission“ ist etwas Sattes, Behagliches, Gutsituiertes. Seit Jahr und Tag sehe ich mir die Leute an, die mir diese „Mission“ zur Antwort geben, wenn ich von der wachsenden Not unserer Armen rede. Diese Missionäre befinden sich alle vortrefflich.
Damit sie fürder nicht mit den guten Rabbinern verwechselt werden, wollen wir die Angestellten der Synagoge, die sich gegen die Erlösung ihres Volkes verwahren, die Protestrabbiner nennen.
Er ist der Rabbiner des nächsten Vorteils.
Aber dem Judentum angehören, das Judentum sozusagen berufsmäßig ausüben und es gleichzeitig bekämpfen, das ist etwas, wogegen sich jedes rechtliche Gefühl auflehnen muß.
Die Sache wird dennoch vielleicht nicht den kostbaren Beifall der jüdischen Geldagenten finden. Diese werden sogar vielleicht durch ihre geheimen Knechte und Agenten den Kampf gegen unsere Jugendbewegung einzuleiten versuchen. Einen solchen Kampf werden wir, wie jeden anderen, der uns aufgezwungen wird, mit schonungsloser Härte führen.
Wenn nun alle oder einige französische Juden gegen diesen Entwurf protestieren, weil sie sich bereits „assimiliert“ hätten, so ist meine Antwort einfach: Die ganze Sache geht Sie nichts an. Sie sind israelitische Franzosen, vortrefflich!
Man kann sich als Abkömmling des jüdischen Stammes von unserer Bewegung fernhalten; aber wir glauben nicht, daß sich einer den Beifall oder die Achtung der Nichtjuden erwerben kann, der als Jude die Zionisten mit Kot bewirft. Wer auf diese Art beweisen will, was er für ein echter Marrane ist, dessen schmähliche Liebedienerei ist umsonst.
Hätte ich mich mit den chinesischen Angelegenheiten befaßt, so würden mich die Chinesen angegriffen haben. Allerdings bin ich zu jüdischen Sachen etwas besser legitimiert. Aber danach wird bekanntlich nicht gefragt. Wenn ich nun also auch die Angriffe begreife, so habe ich doch Ursache, mich über ihre Heftigkeit und Ungerechtigkeit zu wundern, und ich habe das Bedürfnis, mich darüber bei meinesgleichen zu beschweren.
Es ist wahr, diese internationalen Finanziers sind reich genug, das Werk zu fördern; sie sind nicht reich genug, es zu verhindern. Wenn sie alles kaufen können, das Stück Blech, aus dem die Feder eines unabhängigen Schriftstellers gemacht ist, können sie nicht kaufen.
Ich glaube, wenn ich mich in den Gedankenkreis eines Herrn vom Finanzgeschäft versetze, so stellt er sich unter einer Aktie der jüdischen Kolonialbank etwas vor, was die Mitte hält zwischen einer Mitgliedskarte eines Vereines gegen Verarmung und Bettelei und einer Goldminenaktie auf dem Saturn.
Es ist unerhört und in fünfzig Jahren wird man diesen Leuten auf das Grab spucken, wenn man es erfahren wird, daß ich mit Abdul Hamid nahezu fertig war und nur die lumpigen Gelder nicht bekommen konnte. Natürlich dürfen wir heute unserem Zorn und Schmerz nicht Luft machen, denn dann erführe auch . . . unsere innere Schwäche und ich muß mich bemühen ihn hinzuhalten, Zeit zu gewinnen, Wasser aus den Felsen zu schlagen und Gold aus dem Kot zu kratzen.
Zunächst ist da das Prinzip der Wohltätigkeit, das ich für durchaus falsch halte. Sie züchten Schnorrer. Charakteristisch ist, daß bei keinem Volke so viel Wohltätigkeit und so viel Bettel vorkommt wie bei den Juden. Es drängt sich einem auf, daß zwischen beiden Erscheinungen ein Zusammenhang sein müsse. So daß durch die Wohltätigkeit der Volkscharakter verlumpt.
Es ist ein heimlicher Jammer der Assimilierten, der sich in „wohltätigen“ Unternehmungen Luft macht. Sie gründen Auswanderungsvereine für zureisende Juden. Diese Erscheinung enthält einen Gegensinn, den man komisch finden könnte, wenn es sich nicht um leidende Menschen handelte. Einzelne dieser Unterstützungsvereine sind nicht für, sondern gegen die verfolgten Juden da. Die Aermsten sollen nur recht schnell, recht weit weggeschafft werden. Und so entdeckte man bei aufmerksamer Trachtung, daß mancher scheinbare Judenfreund nur ein als Wohltäter verkleideter Antisemit jüdischen Ursprungs ist.
Unsere jetzige verworrene Privatwohltätigkeit stiftet im Verhältnis zum gemachten Aufwand wenig Gutes.
Wir hatten unter unseren Argumenten für den Zionismus bisher ein sehr starkes in dem Bankbruche der Assimilation. Wir haben da ein neues bekommen: die Insolvenz der Wohltäter. Welche Insolvenz! Ja, wenn die reichen Leute die Zahlungen einstellen, dann geht viel verloren.
Ich sagte, daß das System der jüdischen Wohltätigkeit bankerott ist.
Wohltätigkeit an einem ganzen Volke ausgeübt, heißt Politik, und die Wohltätigkeit, die ein Volk zu seinem eigenen Gedeihen auszuüben versucht, ist die Politik dieses Volkes. Es gibt keine Politik, die nicht von Absichten der Wohlfahrt durchdrungen ist.
Einem Volke kann man nicht philanthropisch helfen, sondern einzig und allein politisch.
Argentinien ist eine Art Königsgrab für Hirsch.
Heute ist das jüdische Proletariat nicht nur das ärmste und unglücklichste, sondern auch das unruhigste und das am meisten beunruhigende.
Die causa remota ist der im Mittelalter eingetretene Verlust unserer Assimilierbarkeit, die causa proxima unserer Ueberproduktion an mittleren Intelligenzen, die keinen Abfluß nach unten haben und keinen Aufstieg nach oben — nämlich keinen gesunden Abfluß und keinen gesunden Aufstieg. Wir werden nach unten hin zu Umstürzlern proletarisiert, bilden die Unteroffiziere aller revolutionären Parteien und gleichzeitig wächst auch nach oben unsere furchtbare Geldmacht.
Das ist wohl der ergreifendste Zug in unserer Volkstragik, daß das hochkonservative Volk der Juden immer den revolutionären Bewegungen zugejagt wird.
Sind wir aber in der Börse, so wird das wieder zur neuen Quelle unserer Verächtlichkeit. Dabei produzieren wir rastlos mittlere Intelligenzen, die keinen Abfluß haben und dadurch eine ebensolche Gesellschaftsgefahr sind, wie die wachsenden Vermögen. Die gebildeten und besitzlosen Juden fallen jetzt alle dem Sozialismus zu. Die soziale Schlacht müßte also jedenfalls auf unserem Rücken geschlagen werden, weil wir im kapitalistischen wie im sozialistischen Lager auf den exponiertesten Punkten stehen.
Diese Unruhen richten einen schweren Schaden an in der mißhandelten Seele unseres Volkes. Sie untergraben immer wieder das Rechts- und Ehrgefühl, sie machen die Betroffenen zu Feinden einer stiefmütterlichen Gesellschaft, in der solches geschehen kann. Wundern wir uns nicht, wenn die Proletarier unter den Proletariern, von allen Menschen die Verzweifeltesten, bei allen äußersten Umsturzparteien zu finden sind.
Ueber kein Volk sind so viele Irrtümer verbreitet, wie über die Juden. Und wir sind durch unsere geschichtlichen Leiden so gedrückt und mutlos geworden, daß wir diese Irrtümer selbst nachsprechen und nachglauben. Eine der falschen Behauptungen ist die unmäßige Handelslust der Juden. Nun ist es bekannt, daß wir dort, wo wir aufsteigende Klassenbewegung mitmachen können, uns eilig vom Handel entfernen. Weitaus die meisten jüdischen Kaufleute lassen ihre Söhne studieren. Daher kommt ja die sogenannte Verjudung aller gebildeten Berufe. Aber auch in den wirtschaftlich schwächeren Schichten ist unsere Handelslust keineswegs so groß, wie angenommen wird. In den östlichen Ländern Europas gibt es große Massen von Juden, die keine Handeltreibende sind und vor schweren Arbeiten nicht zurückschrecken.
Die Juden haben infolge der langen bürgerlichen Ehrlosigkeit eine oft krankhafte Sucht nach Ehre, und ein jüdischer Offizier ist in dieser Beziehung ein potenzierter Jude.
Das römische Ghetto! Mit welchem hämischen und niedrigen Haß man sie verfolgte, die armen Leute, deren großes Verbrechen die Glaubenstreue gewesen. Wir haben es jetzt viel weiter gebracht: man macht dem Juden nur mehr die krumme Nase zum Vorwurf, sowie das Geld, auch wenn sie keines haben.
Nur die sichtbaren Ghettomauern sind gefallen.
Das Ghetto existiert noch überall, wie unsichtbar auch seine Mauern seien. Das Ghetto besteht im Mißtrauen der Gentiles, im Zusammenhocken der Juden und in der Scheu, die Zusammengehörigkeit einzugestehen. Einer der vielen wunderlichen Widersprüche unseres Volkslebens ist: daß wir weit auseinandergestreut und doch auf allen einzelnen Punkten unbehaglich zusammengepreßt sind.
Auf die treibende Kraft kommt es an. Und was ist diese Kraft? Die Judennot.
Wir haben ohne Gewinsel die Judennot vor aller Welt ausgebreitet und zugleich den Vorschlag gemacht, im allgemeinen Interesse eine Abhilfe aus unserer eigenen Kraft heraus zu schaffen. Sind wir in unserer Narretei sehr verbohrt, wenn wir annehmen, daß eine Sprache von solcher Offenheit die Teilnahme aller anständigen Menschen erregen muß?
Leben wollen diese Aermsten, und sie wollen ihre verhärmten Weiber, ihre kranken, schwachen Kinder nicht Hungers verenden lassen. Wer wagt es, einen Stein auf sie zu werfen, wenn sie im Hausier- und Wirtshandel nicht die moralischen Eleganzen eines tadellosen Gentleman haben? Wenn sie sich gegen das Gesetz vergehen, nimmt es sie schon gehörig beim Kragen. Und die moralischen Eleganzen, wer hat sie denn? Etwa die hochmütigen Emporkömmlinge, die von diesen galizischen Unglücksfällen als von etwas Fernem, außerhalb ihrer Sphäre Spielendem kühl reden und die sich zu einer großen solidarischen Hilfsaktion für die leiblich und sittlich Verkommenen ihres Stammes nicht verpflichtet halten?
Das Judentum ist eine Massenherberge des Elends mit Filialen in der ganzen Welt.
Es gibt heutzutage vielleicht in der ganzen weiten Welt keine verzweifelteren Menschen als die armen galizischen Juden.
Sie alle kennen den schauerlichen Anlaß, diese rumänische Judenwanderung, die wie eine Blutspur durch Europa gezogen ist. Wo war da das bisherige offizielle Judentum, wo waren die protokollierten Großen Israels, die Stützen der Gemeinschaft? An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Ein paar tausend Flüchtlinge wurden mit Ach und Weh weitergeschoben — und dann erklärt man sich unfähig, noch etwas zu tun. Die Nachfolgenden wurden zu Hunderten unter Anwendung von Waffengewalt zusammengestoßen und in Extrazügen wieder an die Grenze zurückgeworfen, der sie unter Weherufen entkommen waren. Diese Extrazüge waren die letzte Anstrengung der Barmherzigkeit.
Seit den Zeiten des Altertums gibt es kein Beispiel von Heloten, aber die Juden in Rußland sind tatsächlich Heloten oder Parias.
Ist es zu verwundern, wenn das namenlose Elend sie auf Abwege bringt? Manche Erscheinung in diesen gequälten Massen spricht erschütternd zu uns. Man hat unter anderem beobachtet, daß galizische Jüdinnen in den letzten Jahren auffallend zahlreich der Prostitution zufallen. Sie kommen als Ware nach allen Weltgegenden in den schrecklichsten Handel. Bedenkt man die alte Reinheit des jüdischen Familienlebens, so schnürt einem eine solche Tatsache das Herz zu.
Ich glaube der Druck des Antisemitismus ist überall vorhanden. In den wirtschaftlich obersten Schichten der Juden bewirkt er ein Unbehagen. In den mittleren Schichten ist es eine dumpfe Beklommenheit. In den unteren ist es die nackte Verzweiflung.
Im mittelalterlichen Deutsch bedeutete das Wort „Elend“ sowohl Misere als auch Exil, und seit jeher waren die Ausdrücke für die Judenheit gleichbedeutend.
In der Judengasse waren sie ehrlos, wehrlos, rechtlos, und als sie die Gasse verließen, hörten sie auf Juden zu sein. Beides mußte da sein: Freiheit und Gemeingefühl.
Wer untergehen kann, will und muß, der soll untergehen. Die Volkspersönlichkeit der Juden kann, will und muß aber nicht untergehen. Sie kann nicht, weil äußere Feinde sie zusammenhalten. Sie will nicht, das hat sie in zwei Jahrtausenden unter ungeheuren Leiden bewiesen.
Ich sprach schon von unserer „Assimilierung“. Ich sage keinen Augenblick, daß ich sie wünsche. Unsere Volkspersönlichkeit ist geschichtlich zu berühmt und trotz aller Erniedrigungen zu hoch, als daß ihr Untergang zu wünschen wäre. Aber vielleicht könnten wir überall in den uns umgebenden Völkern spurlos aufgehen, wenn man uns nur zwei Generationen hindurch in Ruhe ließe.
Die Abtrünnigen entkamen dennoch nicht, und es erging ihnen wie den Flüchtigen aus einer verseuchten Gegend. Sie waren verdächtig und blieben gleichsam in der Quarantaine liegen. Marranen hießen im Mittelalter die getauften Israeliten in Spanien. Das Marranentum war die Quarantaine der entflohenen Juden.
Ganze Aeste des Judentums können absterben, abfallen; der Baum lebt.
Die Judenfrage besteht. Es wäre töricht sie zu leugnen. Sie ist ein verschlepptes Stück Mittelalter, mit dem die Kulturvölker auch heute beim besten Willen noch nicht fertig werden konnten.
Die Judenfrage besteht überall, wo Juden in merklicher Anzahl leben. Wo sie nicht ist, da wird sie durch hinwandernde Juden eingeschleppt. Wir ziehen natürlich dahin, wo man uns nicht verfolgt; durch unser Erscheinen entsteht dann die Verfolgung.
Die Judenfrage hat zwei Aspekte, einen geschichtlichen und einen aktuellen. Der historische läßt sich mit kühler Ruhe betrachten, ja die akademische Gelassenheit ist dabei sehr verdienstlich. Aber die aktuelle Judenfrage verträgt diese kühle Art der Behandlung nicht. Hüben und drüben leidet und kämpft man, hüben ist mehr Leiden, drüben mehr Streiten. Kommt aber einer, der dieses Schauspiel mit ungetrübter Seelenruhe betrachten, man könnte sagen: genießen will, so wird er in beiden Lagern Zorn erregen.
Sich taufen lassen ist die individuelle Lösung der Judenfrage.
Das ist die Frage, die vor uns liegt. Die Armen können nicht, und die Reichen wissen nicht.
Die Lösung der Judenfrage liegt in der Anerkennung der Juden als ein Volk, und darin, daß sie ein rechtlich anerkanntes Heim finden, wohin Juden aus denjenigen Teilen der Welt, in denen sie bedrückt sind, naturgemäß wandern.
Die territoriale Lösung der Judenfrage bedeutet eine Erleichterung für Europa und die Erlösung für uns.
Und unser Raisonnement ist das einfachste in der Welt: Wenn das Angebot an Juden sinkt, wird die Nachfrage nach Juden steigen. Man wird uns für mehr wert halten.
Ich halte die Judenfrage weder für eine soziale, noch für eine religiöse, wenn sie sich auch noch so und anders färbt. Sie ist eine nationale Frage, und um sie zu lösen, müssen wir sie vor allem zu einer politischen Weltfrage machen, die im Rate der Kulturvölker zu regeln sein wird.
Zwei Erscheinungen fesseln unsere Aufmerksamkeit durch die Folgen, von denen sie begleitet sind: die hohe Kultur und die tiefe Barbarei unserer Zeit. Ich habe diesem Satze absichtlich eine paradox zugespitzte Form gegeben. Unter hoher Kultur verstehe ich die wunderbaren Errungenschaften der Technik, mittel deren wir die Natur unseren Zwecken dienstbar machen; unter der tiefen Barbarei verstehe ich Antisemitismus.
Die Völker, bei denen Juden wohnen, sind alle samt und sonders verschämt oder unverschämt Antisemiten.
Die Verfolgungen sind nicht mehr so bösartig wie im Mittelalter? Ja, aber unsere Empfindlichkeit ist gewachsen, so daß wir keine Verminderung der Leiden spüren. Die lange Verfolgung hat unsere Nerven überreizt.
Das gewöhnliche Volk hat kein historisches Verständnis und kann keines haben. Es weiß nicht, daß die Sünden des Mittelalters jetzt an den europäischen Völkern heimkommen.
Wir hören Tag für Tag die, wie es scheint, schwierige Frage erörtern, ob wir denn auch Menschen seien wie andere. Es gibt Leute, welche mit Entschiedenheit diese Frage verneinen, dann solche, die mit Einschränkungen bejahen; wenige sind ohne Vorbehalt für uns, und das ist menschlich erklärbar. Das „Liebe deinen Nächsten“ ist nichts Alltägliches — hätte es sonst ein derartiges Aufsehen in der Weltgeschichte erregt?
Kischenew ist überall, wo Juden an Leib oder Seele gequält, an der Ehre gekränkt, am Vermögen geschädigt werden, weil sie Juden sind.
Wie kann man sich vorstellen, daß die Leute, die uns als Nachbarn nicht dulden wollen, sich mit uns als Familienmitglieder verbinden würden?
Die Juden wollen erlöst werden von der Angst vor immer wiederkehrenden Verfolgungen. Denn selbst in den Ländern, wo unsere Brüder augenblicklich nicht zu leiden haben, ist ihre Freude eine zitternde. Ich habe dafür viele Beweise. Jeder Protest, der von solchen Gutsituierten gegen meinen Plan erhoben wird, ist ein Beweis. Sie meinen, mit Unrecht, daß ich die Duldung gefährde, die sie genießen, wenn ich vom Judenstaat spreche. Und beim ersten judenfeindlichen Ruf, den irgend ein Individuum ausstößt, fahren sie aus ihrer armseligen Ruhe auf und blicken scheu um sich: Fängt es schon an?
Als ob die judenfeindliche Bewegung dadurch irgendwie alteriert würde, daß ihr Schlagwort wissenschaftlich bemängelt werden kann. Das ist Gelehrtennaivität.
Diese Kraft, die wir brauchen, wird uns vom Antisemitismus geliefert.
Daß du ein anständiger Mensch bist, wird dir niemand glauben, weil du ein Jud' bist.
Es ist vielleicht nicht die eleganteste Gesellschaft, wenn man mit Bettlern und Hungerleidern zusammen nach dem Ziele strebt. Aber ich spreche ja nicht von der Kanzel einer Synagoge, und so mag es mir gestattet sein, zu sagen, daß wir Zionisten nicht davor zurückschrecken, mit Bettlern und Hungerleidern zu gehen, wenn das Ziel die Gerechtigkeit ist. Vielleicht werden wir bei dieser Gelegenheit die Möglichkeit sozialer Verbesserungen entdecken und verwirklichen, die auch den Mühseligen und Beladenen anderer Völker zunutze kommen. Dann erst werden wir wahre Israeliten sein.
Ich glaube an das Aufsteigen der Menschen zu immer höheren Graden der Gesittung; nur halte ich es für ein verzweifelt langsames. Wollten wir warten, bis sich der Sinn auch der mittleren Menschen zur Milde abklärt, die Lessing hatte, als er Nathan den Weisen schrieb, so könnte darüber unser Leben und das unserer Söhne, Enkel und Urenkel vergehen.
Erfindungen und Entdeckungen haben die Menschen nicht dümmer gemacht und auch nicht schlechter. Man vervollkommnet die Schießgewehre, aber als man noch mit Streitaxt und Morgenstern zu Felde zog, hatte man ebensowenig die Absicht, dem Feinde das Leben zu verlängern oder es ihm süß zu machen.
Auch um das Eisen aus dem Schoße der Erde zu holen, ist Gold erfordert worden. Schien es nicht, als wäre das ein theoretischer Tausch? Eisen, etwas Wertloses, gewiß kein edles Metall! Aber der Mensch hat seine Arbeit und Gedanken dazu gegeben, und siehe, das schlechte Metall verwandelt seine Gestalt: es wird Schiene und schlingt sich als Band von Land zu Land, es wird Werkzeug und Maschine, Säule und Traverse, es schwingt sich als Brücke über den Strom und gleitet trotz seiner Schwere als Schiff über das duftende Meer nach neuen und alten Gestaden.
Es wäre unsittlich, wenn wir einem Menschen, woher er auch komme, welchen Stammes oder Glaubens er auch sei, die Teilnahme an unseren Errungenschaften verwehren wollten. Denn wir stehen auf den Schultern anderer Kulturvölker.
— Uns ist nichts Menschliches fremd. Auch wir wollen an der Besserung der allgemeinen Zustände mitarbeiten, aber als Juden, nicht als unbestimmte Menschen, und was wir dann als Juden tun, das wird uns auch zur Ehre gereichen.
Eine große Helligkeit strömte von der Menorah aus. Die Augen der Kinder glänzten. Unserem Manne aber wurde das Ganze zu einem Gleichnis für die Entflammung der Nation. Erst eine Kerze, da ist es noch dunkel, und das einsame Licht sieht noch traurig aus. Dann findet es einen Gefährten, noch einen, noch mehr. Die Finsternis muß weichen. Bei den Jungen und Armen leuchtet es zuerst auf, dann schließen sich die andern an, die das Recht, die Wahrheit, die Freiheit, den Fortschritt, die Menschlichkeit, die Schönheit lieben. Wenn alle Kerzen brennen, dann muß man staunen und sich freuen über das getane Werk. Und kein Amt ist beglückender als das eines Dieners am Licht.
Ein Zustand, wo jeder tun könnte, was er will, ist schwerlich zu ersehnen. Wenn das vorübergehende Ich völlig sich ausleben dürfte, ginge das ewige Ich darüber zugrunde. Der Einzelne muß darum gebändigt werden. Die Freiheit als etwas Absolutes wünschen kann nur ein Schwärmer oder ein Tor. Der Einzelne, der sich inmitten der Gesellschaft schrankenlos ausleben will, ist immer ein Verbrecher. Die verschlafenen Juristen von der Universität sondern das gemeine Verbrechen vom politischen. Die Ketzerrichter urteilen klarer, wenn sie auch das politische ein gemeines nennen. Vom Staate aus gesehen verschwindet nämlich der Unterschied. Und wer den Einzelnen wie die Gesamtheit mit demselben gelassenen Blick anschaut, der findet, daß alle Verbrechen politische sind. Die Gesetze sind ja bloß die Form — die zeitweilige, besserungsfähige, aber deutliche —, in welcher die große Persönlichkeit eines Volkes die Bedürfnisse und Bedingungen ihres Daseins ausspricht.
Die Menge ist bekanntlich großmütig und boshaft, intelligent und albern, tollkühn und feig — alles in demselben Augenblick — sie weicht einem Milchkarren vorsichtig aus und geht in die Bajonette hinein, sie lacht über einen Witz und versteht keinen Spaß, wird durch eine sentimental aufgedonnerte Phrase gerührt und jubelt einer Grausamkeit zu.
Die Menschen nähern sich einander nicht, wenn es keinen Notstand gibt, und vielleicht haben darin alle recht. Das Gemeingefühl, die Gemeinbürgschaft erwachen nur in den Katastrophen.
Die Rechtlosigkeit des Einzelnen ist dem Kollektivismus und der unbeschränkten Monarchie gemeinsam. Nur läßt der Kollektivismus etwas Unkörperliches, Ungreifbares über dem Staate schweben, und darum wird er als etwas Dauerndes spät oder nie in Erfüllung gehen. Die Massen denken niemals in Ideen und immer in Personen. Es ist aber eine der reizendsten Antinomien, daß gerade die gestaltlosen Tyrannen verhaßt sind. Kommt einmal der unbestimmte Despot, so ist das Volk froh, ihn durch einen bestimmten zu ersetzen. Er müßte sonst sich selbst zürnen, sich selbst hassen, sich selbst den Untergang wünschen wegen der Härten, die vom Herrschen untrennbar sind. Die richtige naive Republik will einen Großherzog an der Spitze haben.
Versammlungen werden wie andere nervöse Wesen durch die Farbe einer Stimme gereizt und beschwichtigt, aufgerührt und bezaubert.
Das Moralische fängt erst später an: nämlich beim Bewußtsein! Beim Ueberwinden des Instinktiven.
Wissen Sie, woraus das Deutsche Reich entstanden ist? Aus Träumereien, Liedern, Phantasien und schwarz-rot-goldenen Bändern. Und in kurzer Zeit! Bismarck hat nur den Baum geschüttelt, den die Phantasten pflanzten.
Die Schweiz kann einen nervös machen! Dieses gepriesene Land, in welchem nur auf dem Frühstückstische Milch und Honig fließt, besteht aus Bergen, Tälern, Fremdenführern, Wasserfällen, Hotelrechnungen, die aber hoch über der Meeresfläche sind, Tell-Statuen, Gletschern, geschichtlichen Erinnerungen, umherziehenden englischen Mädchenpensionaten und anderen Reichen. Sehenswürdigkeiten, nichts als Sehenswürdigkeiten! Doch ist die Bevölkerung nicht hierher zu rechnen, denn dieselbe stammt zum größten Teil aus Amerika. Die Nichtamerikaner sind Mitglieder des Deutschen Theaters in Berlin. Lediglich zur Erzielung eines gewissen Lokalkolorits sind in passenden Zwischenräumen auch Eingeborene aufgestellt. Diese sind mit Leichtigkeit daran zu erkennen, daß sie entweder von einem Bundesschießen kommen oder zu einem Sängerfest mit trikoloren Stand- und Redensarten eilen.
Der deutsche Schriftsteller hat mit außerordentlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, sobald er Italien gründlich beschreiben will; dieses Land ist schon viel zu sehr entdeckt.
Asien ist das diplomatische Problem des nächsten Jahrzehnts.
Mein Gott, wer lügt im Süden nicht? Dort klingen Lügen nur wie Märchen.
Aber mit demselben Aufwande von Lungenkraft und Grobheit, den ein Packträger in Aegypten macht, um einen Piaster mehr zu bekommen, könnte er in einem zivilisierten Lande mit Leichtigkeit Abgeordneter werden. Der Wert der Grobheit steigt nämlich mit der Kultur eines Volkes.
Die Teilung der Türkei wünscht jetzt niemand, denn das würde den Weltkrieg bedeuten.
Die Franzosen boxen mit Fäusten und Füßen, und so gebraucht Pelletan in der Debatte nebst der Logik auch die Sophistik.
Die Deputierten haben natürlich, wie alle Franzosen, eine Lust am Reden. Nirgends steht das gesprochene Wort in solchem Ansehen, wie in diesem Lande. Darum gibt es nirgends so viele und so gute Plauderer, Deklamatoren, Vorleser, Zahnbrecher und Volksredner, wie hier.
Seit Freycinet ist kein so großer mittelmäßiger Mensch aufgetaucht, wie Herr Raimond Poincaré. Sein Name wird noch auf vielen Ministerlisten stehen, und zwar an der Spitze.
In London bleiben die Leute stehen, wenn sie Ball spielen sehen; in Paris, wenn sie reden hören.
In Frankreich ist entweder die Bronze billig oder die großen Männer sind es.
Das macht ja die Größe Englands aus, daß es diese beiden Kräfte glücklich benützt: im Innern den starren, konservativen Juristengeist und nach außen die bewegliche Abenteuerlust des kaufmännischen Geistes.
Wer es nicht schon wüßte, daß die Engländer das herrschende Kulturvolk unseres Zeitalters sind, der würde es auf einem Rennfelde erfahren.
Wenn man die Wahl hätte, in welcher Sprache man schreiben möchte, um den treuesten und größten Leserkreis zu haben, um Macht auf die Gemüter auszuüben und eine Spur zu hinterlassen, müßte man sich für das Englische entscheiden. Französisch klingt ja auch weit, aber die Franzosen haben kein Gedächtnis für den gestrigen Tag ihrer Literatur.
Die Engländer haben recht das Stachelige und Gemütliche des Mark Twain. Sein Humor ist etwas Ungeheures, Gewaltsames, Umwerfendes. Wahre Blöcke der Lustigkeit, für ein Volk berechnet, das nicht lächelt. Wenn sich der Mann englischer Zunge zum Lachen entschließt, will er gleich ausgiebig lachen, auf einmal, ordentlich und daß es kracht.
Englisch ist namentlich der Ausbau der körperlichen Uebung nach der Seite des Geldgewinnes hin. Auf das Spiel ist noch die Wette gepfropft.
Einem Engländer wäre es in der Tat unerfindlich, wie man einen Menschen in seiner Freiheit, in der Pflege seines Glaubens, seiner Sprache oder Tradition behindern könnte. Und so begibt es sich, daß ein Volk, welches das Glück hat, von England unterjocht zu werden, eine Freiheit genießen lernt, von der es vorher keine Ahnung hatte.
Wie eben Geschichte wird, ziellos und wahllos. Dabei muß der geschichtliche Sinn denen anfliegen, die sich ein wenig Rechenschaft geben oder auch nur manchmal aus ihrem Dämmern auffahren. Freilich kommen sogar mehrere zur Regierung und verlassen sie, ohne nachgedacht zu haben. Die werden auf die Ministerbank geschwemmt, wie Austern auf eine Bank, und verharren da mit dem Geistesleben einer Auster, bis man sie abkratzt.
Ein Regierungsmensch muß von dem Grundsatze ausgehen: das Widrige, das ich nicht ganz verhindern kann, lasse ich unbehelligt laufen; dann wird es sich verlaufen . . . Aber diese halb gefesselten Gedanken sind gefährlich. Denn sie zeigen die öffentliche Gewalt von zwei bedenklichen Seiten: in ihrer Grausamkeit, in ihrer Ohnmacht.
Die Regierungen lernen nie aus den Fehlern ihrer Vorgänger. Sie wissen noch immer nicht, daß ein Verbot der Eingang zum Ruhme ist.
Der Schacher mit dem Einfluß ist durchaus nichts Neues oder Republikanisches oder Parlamentarisches, Was waren denn die Salons des ancien régime, was war der Hof? Winkelbörsen und Clearing-House für den Machthandel.
Was wäre das Volk für ein mangelhafter Souverän — wenn es nämlich überhaupt einer wäre. Es raubt denen das Ansehen, die es hinaufhebt.
Ich weiß so gut, wie ein anderer, daß der hohe Zweck der Demokratie ist, das Ueberragen Einzelner zum Wohle der Gesamtheit zu zerstören.
Mit ihrem Neid und ihrer Undankbarkeit leidet die Demokratie keine Größen.
Die Konsequenz ist nun in der Politik ein ähnlich hergerichteter Begriff wie „Treu und Glauben“ im Handelsrecht; es steckt auch ebensoviel dahinter.
In allen Parlamenten der Welt ist ja keiner, der auf dem Wege von der Opposition zur Regierung nicht ein wenig mit seiner Vergangenheit gebrochen hätte.
Ich denke mir eine weiße Fahne mit sieben goldenen Sternen. Das weiße Feld bedeutet das neue, reine Leben; die Sterne sind die sieben goldenen Stunden unseres Arbeitstages. Denn im Zeichen der Arbeit gehen die Juden in das neue Land.
Der Reichtum eines Landes sind seine arbeitenden Menschen.
Der Normalarbeitstag ist der Siebenstundentag!
Einzelne vorgeschrittene Sozialpolitiker behaupten sogar, daß der Fünfstundentag vollkommen ausreichen würde. Die Society of Jews und die Jewish Company werden ja darin reiche neue Erfahrungen sammeln — die den übrigen Völkern der Erde auch zugute kommen werden — und wenn sich zeigt, daß der Siebenstundentag praktisch möglich ist, so wird ihn unser künftiger Staat als gesetzlichen Normaltag einführen.
Die Hereinziehung nichtjüdischer Arbeitssklaven ins Land wird die Society zu vereiteln wissen durch eine gewisse Boykottierung widerspenstiger Industrieller, durch Verkehrserschwerungen und dergleichen. Man wird also die Siebenstundentägler nehmen müssen. So nähern wir uns beinahe zwanglos dem Normaltage von sieben Stunden.
Schwangere Frauen sind von jeder Arbeit befreit und werden vom Truck reichlicher genährt. Denn wir brauchen in der Zukunft starke Geschlechter.
Die Beamten werden Ehe- und Kinderzulagen haben. Wir brauchen Leute, alle, die da sind und alle, die nachkommen.
In neuen Kulturen heiratet man früh. Das kann der allgemeinen Sittlichkeit nur zustatten kommen, und wir erhalten kräftigen Nachwuchs, nicht jene schwachen Kinder spätverheirateter Väter, die zuerst ihre Energie im Lebenskampf abgenützt haben.
Niemand braucht mehr aus Not zum Verbrechen zu schreiten, wenn er arbeiten will. Aus Hunger dürfen keine Selbstmorde mehr begangen werden. Diese sind ja ohnehin eines der ärgsten Schandmale einer Kultur, wo vom Tische der Reichen den Hunden Leckerbissen hingeworfen werden.
Wir haben unsere Gesellschaft gleichsam ohne erbliche Belastung eingerichtet.
Bei uns im Zukunftsstaat Altneuland aber werden die Kinder für die Geschäfte der Väter nicht belohnt und nicht bestraft. Für jede neue Generation stellen wir wieder den Anfang der Dinge her. Darum sind sämtliche Schulen von der Elementarschule bis zur Zions-Universität unentgeltlich, und die Schüler müssen bis zur Reifeprüfung in der Mittelschule die gleiche einfache Kleidung tragen. Wir glauben nämlich nicht, daß es moralisch gut ist, wenn Rang oder Reichtum der Eltern die Kinder in der Schule unterscheidet. Das verdirbt alle. Die Kinder der Vornehmen werden hochmütig und faul, die Kinder der anderen werden früh verbittert.
Aus der tiefen Not entstehen Krankheiten und sittliche Verwahrlosung, und die verdüsterten Gemüter werden ein Nährboden für alle äußersten Umsturzgedanken. In der gesunden Arbeit auf einer geliebten Erde, glauben wir, ist das Heil zu finden. Die Arbeit soll unserem Volke das morgige Brot verschaffen und auch die Ehre von morgen, die Freiheit von morgen.
Die soziale Frage ist ein Ergebnis von Maschinen, die früher nicht da waren. Vor der Dampfzeit waren Eigentum und Arbeit vereinigt. Jetzt sind sie geschieden. Auf der einen Seite Eigentum ohne Arbeit, auf der andern Arbeit ohne Eigentum an den Arbeitsmitteln. Die Maschine bekommt Sklaven. Das Weib wird dem häuslichen Herde, die Mutter den Kindern entrissen. Dann macht man die Kinder zu Konkurrenten der Eltern. Dabei wird das Menschenmaterial verschwendet und verdorben.
Der Dampf hat die Menschen um die Maschinen herum in den Fabriken versammelt, wo sie aneinander gedrückt sind und durcheinander unglücklich werden. Die Produktion ist eine ungeheure, wahllose, planlose, führt jeden Augenblick zu schweren Krisen, durch die mit den Unternehmern auch die Arbeiter zugrunde gehen. Der Dampf hat die Menschen aneinandergepreßt, die Anwendung der Elektrizität wird sie vermutlich wieder auseinander streuen und vielleicht in glücklichere Arbeitszustände bringen.
Aus unserer Natur entsteht ja alles Uebel. Nachdem wir eine neue Einrichtung gefunden haben, verderben wir sie zunächst. Dann entdecken wir, daß wir damit unsere Entwickelung gefährden und schwingen uns zu einer höheren Einrichtung auf, die allmählich auch verdorben wird. Und so, so geht es langsam aufwärts.
Es braucht oft tausend Jahre, bis die Menschheit mit all ihren Weisen und Starken das begreift, was man einem kleinen Kinde in zwei Minuten erklären kann.
Man wird von der Arbeit müde wie vom Müßiggang, wenn auch viel später.
Das Erwerben muß auch einmal ein Ende nehmen, damit man sich des Erworbenen freue.
Den Hungrigen gehört die Welt.
Vielleicht sind die Hungrigen geistreicher als die Satten.
Es gibt Gegenden auf dem allgemeinen Schlachtfelde, wo nicht nur die Schwachen, sondern auch die übrigen zugrunde gehen. Alle! Es gibt Grade des Elendes, die nicht mehr produktiv sind.
Manche wurden aus Not Journalisten und handelten mit öffentlicher Meinung. Noch andere tummelten sich in Volksversammlungen herum, hausierten mit wertlosen Schlagworten.
Aus dem, was man nicht hat, erwächst die Ueberzeugung.
Es gibt so viele Existenzen, die nur durch Schmerzen bunt werden.
Wer um Gnade flehen will, muß sich dazu eines Nebelhornes bedienen, und um das Herz der Menschen zu erweichen, braucht man wohl einen großen Hammer, tausend Zentner schwer, und der muß unaufhörlich niederfallen.
Aber es ist doch wunderbar, wie objektiv man die Ueberschwemmungen betrachtet, wenn man über dem höchsten Wasserstande wohnt. Die Psychologie des Geborgenen wäre ein hübsches Kapital zur Menschenkunde. Weit vom Ziel ist gut vorm Schuß, sagt unser vortrefflicher Freund, das Sprichwort. Und wenn man nun nach Mitteln suchte, um in den Geborgenen höhere Grade der Teilnahme hervorzurufen, man fände wohl nur dieses: ihnen die Füße ins Wasser einzutauchen. Sie würden alles gleich viel besser verstehen.
Einen Menschen, dem es schlecht geht, erkennen die wenigsten . . . auf einmal sind alle kurzsichtig.
Wer in einem warmen Zimmer sitzt, muß ein Dichter sein, wenn er sich Frostbeulen vorstellen soll.
Es wäre ja keine Schande, eine menschenfreundliche Utopie geschrieben zu haben.
Als die Eisenbahnzeit über Europa kam, gab es Praktiker, welche den Bau gewisser Linien für töricht erklärten, „weil dort nicht einmal die Postkutsche genug Passagiere habe“. Man wußte damals die Wahrheit noch nicht, die uns heute als eine kindlich einfache vorkommt: daß nicht die Reisenden die Bahn hervorrufen, sondern umgekehrt die Bahn die Reisenden hervorruft, wobei freilich das schlummernde Bedürfnis vorausgesetzt werden muß.
Das liegt freilich in der Zukunft, wie die Entwicklung des Bahnverkehrs für die Menschen der dreißiger Jahre in der Zukunft lag. Die Eisenbahnen wurden dennoch gebaut. Man ist glücklicherweise über die Bedenken von Praktikern der Postkutsche hinweggegangen.
Schon scheint das Wort „unmöglich“ aus der Sprache der Technik verschwunden zu sein. Käme ein Mann des vorigen Jahrhunderts wieder, er fände unser ganzes Leben voll unbegreiflicher Zaubereien.
Was im Kleinen unzweckmäßig oder undurchführbar ist, muß es noch nicht im ganzen sein. Ein kleines Unternehmen kann unter denselben Bedingungen Verlust bringen, unter denen sich ein großes rentiert. Ein Bach ist nicht einmal mit Kähnen schiffbar; der Fluß, in den er sich ergießt, trägt stattliche eiserne Fahrzeuge.
Jeder Finanzminister rechnet in seinem Staatsvorschlage mit zukünftigen Ziffern und nicht nur mit solchen, die er aus dem Durchschnitt früherer Jahre oder aus anderen vergangenen und in anderen Staaten vorkommenden Erträgen konstruiert, sondern auch mit präzedenzlosen Ziffern, beispielsweise bei Einführung einer neuen Steuer. Man muß nie ein Budget angesehen haben, um das nicht zu wissen. Wird man darum einen Finanzgesetzentwurf für eine Utopie halten, selbst wenn man weiß, daß der Voranschlag nie ganz genau eingehalten werden kann?
Von unseren Gegnern wird behauptet, es gäbe unübersteigbare politische Hindernisse, aber das läßt sich auch vom kleinsten Hindernis sagen, wenn man keine Lust hat, es zu übersteigen.
Traum ist von Tat nicht so verschieden, wie mancher glaubt. Alles Tun der Menschen war vorher Traum und wird später zum Traume.
Wenn ihr aber nicht wollt, so ist und bleibt es ein Märchen.
Nicht jeder, der gegen Windmühlen kämpft, ist ein Don Quixote.
Hat nicht er selbst, der große Pessimist, Schopenhauer, sich immer an seine kommende Gemeinde gewendet? Auch er glaubte also über die Verneinung hinweg an das Zukünftige. Dieses ist das Einzige, wovon man nicht enttäuscht wird.
Der Weg in die Zukunft muß durch das Elend führen.
Wer die Zukunft vorbereitet, muß über die Gegenwart hinwegblicken können.
Wenn ich an die Stelle eines alten Baues einen neuen setzen will, muß ich zuerst demolieren und dann konstruieren.
Es weht ein Frühling aus den alten Werken,Die unsern Geist und unsern Willen stärken.Die alte Zeit ersteht in neuen Bauten.
Es gibt eine Pflicht der Intellektuellen, wie es in alten Zeiten ein Noblesse oblige! gab. Es ist die Pflicht, an der Erhöhung des Menschengeschlechtes mitzuwirken, jeder nach seiner Kraft und Einsicht.
. . . Sie vergessen, daß wir in künftigen Zuständen leben, denn das Heute ist die Zukunft von Gestern.
Neue Formeln können nicht oft genug ausgesprochen werden.
Wer begehrt, ist jung.
Die Armut erhält lange jung. Was ist Jugend anderes, als ein Lechzen, eine immerwährende Begierde? Beim Haben beginnt die Verdrossenheit, das Alter.
Ein Philosoph muß schweigen, ein Politiker reden können.
Jede Zeit hat ihre Weisheit, ihre Weisen.
Wer hat nicht, selbst im guten Glauben, die gleichen Dinge einmal weiß und einmal schwarz geschildert? Jeder Tag hat seine Beleuchtung.
Ohne Trost und haltlos und feige sind nur diejenigen, die noch nicht weise und nicht mehr gläubig sind.
Jedes Tagebuch enthält eine Pose.
Denn in dieser niederen Welt (und besonders in Vocance, wo kein Wirtshaus ist) hängen unsere besten Entschlüsse von den Umständen ab.
Das Sprichwort ist das anonyme Bekenntnis der Menschen.
Ankündigung ist alles. Man muß das Publikum so lange mit der Anpreisung einer Sache belästigen, bis es an sie glaubt.
Esprit de conduit hat eigentlich viel Aehnlichkeit mit dem esprit de l'escalier. Auf der Treppe beim Weggehen sind wir ja alle in der Regel viel gescheiter, als im richtigen Augenblick.
Wer auf den Tag lauert, der verpaßt die Zeit.
Die Torheit ist die ewige Jugend des menschlichen Geschlechts. Aber wenn dich dein Tatendrang schon nicht ruhen läßt und du um jeden Preis die Türen einrennen willst, so suche dir zu diesem Zweck wenigstens die offenen aus.
Wenn man sich in einen Konflikt einläßt, hüte man sich lediglich davor, der Schwächere zu sein.
Auf nichts blicken wir hochmütiger herab als auf das, was wir nicht verstehen.
Von einer Wartestelle der Omnibuswagen läßt sich mehr Philosophie holen, als aus manchem dicken Buch.
Mit jeder unerzwungenen Handlung suchen wir eine persönliche Befriedigung, wenn wir nicht wahnsinnig oder heilig sind.
Die einförmige Arbeit modelt den Menschen, der sie betreibt.
Denn zur Menschenkunst gelangen wir niemals durch die Bücher; wenn wir sie uns aneignen, geschieht es nur im Erleben und auf dem ebensowohl kostspieligeren als auch schmerzlicheren Wege der Erfahrung.
Die tausend Jahre alten Abgedroschenheiten des Lebens sind unendlich interessant, sobald sie uns selber widerfahren.
Für jeden Raufbold kommt ein Tag, wo er vom breiten Stein in die Gosse gestoßen wird. Seine Methode wird auf ihn selber angewendet. Er kann dagegen nicht viel einwenden. Oder sieht er spät ein, daß seine Methode nicht die rechte war?
Wir vergessen das Leben nicht minder als den Tod. So fremd werden uns die Stufen einer Entwickelung, die wir am eigenen Leibe und Geiste durchgemacht haben.
Denn um das Leben zu ertragen, brauchen die Intelligenten einen Gedanken und die Einfältigen ein Gefühl.
Das Leben ist schön — nur muß einem etwas dazu fehlen.
Die Liebe beruht im wesentlichen auf der mangelhaften Kenntnis der Fehler des angebeteten Gegenstandes, das lehrt die Erfahrung.
Keinen größeren Gegensatz gibt es im Staate, als den zwischen Landmenschen und Stadtmenschen, und wir hassen gerne dasjenige, was wir nicht verstehen.
In dem Augenblicke, wo die Frauenemanzipation durchgeführt ist, wird sich die Liebe auf das Maß des unumgänglich Notwendigen herabmindern. Die ganze Stellung der Geschlechter zueinander wird verschoben werden.
Die Arbeit wird schlecht erklärt, und der Zwang läßt sie viel häßlicher erscheinen, als sie ist. Arbeit ist der angenehmste Zeitvertreib auf der Welt, und nur die Liebe ließe sich mit ihr vergleichen, wenn die Liebe Dauer hätte.
Am leichtesten ertragen wir diejenigen Ungerechtigkeiten des Lebens, die anderen widerfahren.
Dem, der uns verdrängt hat, vermögen wir alles zu verzeihen, nur seine Vorzüge nicht.
Das ist das wunderbare Rätsel der Achtung: um ihrer teilhaftig zu werden, muß man ein Fremder sein. Durch nichts sinkt man derartig im Ansehen der Leute wie durch den täglichen Verkehr mit ihnen.
Einzelne schlecht gelaunte Moralisten behaupten, daß es keine hilfsbereiten Freunde gäbe. O doch! Es gibt viele Leute, die einem helfen, wenn man sie nicht mehr braucht.
Dieser Mann war zu aufrichtig, um Freunde, zu anständig, um Feinde zu haben. Man schwieg ihn also tot.
Der Gönner betrachtet deine Mißerfolge als die deinigen, deine Erfolge als die seinigen.
Wir haben miteinander unsere besten Studien gemacht. Das knüpft Menschen aneinander.
Freunde schaden nicht immer.
Ueber Verlobungen lacht man im Theater immer herzlich, weil die Schadenfreude uns allen angeboren ist.
Von einem Scheidenden: — Durch die Tür, die sich hinter ihm schließt, wird die Erinnerung eintreten.
Für den Ton in einer Gesellschaft sind immer die Frauen verantwortlich.
Nichts ist den Frauen lieber, als wenn ihre Ueberlegenheit recht deutlich hervortritt.
So wahr ist es, daß eine Mutter, auch wenn sie schon ganz schwach und hilflos ist, noch immer die Kraft hat, ihres Kindes Glück zu schaffen.
Die Kindheit unserer Kinder ist wie Musik, die verschwebt und vorbei ist, ehe wir uns darauf besonnen haben, daß es etwas unendliches Süßes war.
Die Kinder sind unsere größten Lehrmeister.
Was einer mit seinen Kindern durchmacht, Schweres und Geringes, das machen alle durch. Er braucht es nur einfach, wie es gekommen, zu sagen, und er spricht allen Menschen aus der tiefsten Seele, als ob er ein Dichter wäre. So wird unser Dasein durch sie inniger. Was sind das für arme Leute, die keine Kinder haben!
Schonungslos sind wir nur gegen die Nahestehenden.
Die Kinder werden manchmal von ihren Eltern erzogen, die Eltern immer von ihren Kindern. Die junge Frau wird durch ihr Kind zur Mutter.
Das ist ja die Poesie: was darein gelegt wird. Für den Montblanc genügt ein Farbendruck, und seit gar bunt photographiert wird, hat das eigene Auge nichts mehr zu suchen beim Allzugroßen. Aber Corot malt zwischen zwei Bäumen am Weiher die ganze Welt.
Ein Künstler ist immer ein Egoist. Sich will er hervortun, sich will er hervordichten, sich hervormalen, sich hervorsingen.
Ein Arzt könnte sagen: die Dichtung ist das psychische Aequivalent der Liebe.
Los von der alten Kunst! hieß es, und das leuchtete sofort vielen ein, insbesondere denjenigen, welche die alte Kunst überhaupt nicht gekannt hatten. Worin die neue besteht, habe ich nicht herausgefunden. Nur wenn ich die Zuschauer von irgendeinem häßlichen, verzerrten und sinnlosen Werk in Verzückung stehen sah, dachte ich mir im stillen: Das ist wahrscheinlich Sezession. Denn daß ein Künstler nur seinen eigenen Traum bilden solle und nicht den seiner Vorgänger, das ist so selbstverständlich, daß man dafür keine Kampfrufe und Parteinamen braucht.
Poesie und Weisheit beginnen, glaube ich, dort, wo man darauf verzichtet, sie schriftlich festzuhalten.
Immer ist die Sehnsucht in den Werken der Kunst, ja vielleicht ist die Kunst überhaupt nichts anderes als Sehnsucht, die gestaltet wird. Sie schafft sich das Unerreichbare, und dieses ist das Einzige, was wert ist, verlangt zu werden.
Es dauert sehr lange, bis eine Melodie die Welt erobert. Hat sie sich aber endlich in alle Herzen hinein gesungen, dann ist es auch um sie geschehen; sie ist alt, sie stirbt.
Ein Schriftsteller erhält erst dann die meisten Gesuche um Autogramme, wenn er nicht mehr schreiben kann; ich meine: nichts Rechtes.
Jedes Kunstwerk ist eine Offenbarung — des Könnens oder des Nichtkönnens.
Es gibt eine machtvollere, ja eine einzige machtvollste Art der Antikritik: die ist das nächste Stück.
Wenn ein Stück durchdringt, behauptet sein Verfasser nie, daß diese Tatsache auf die Verständnislosigkeit und Urteilsroheit der „Menge“ zurückzuführen sei. Wie kommt das?
Das Stück hatte es dringend nötig, verboten zu werden. Es wäre sonst durchgefallen.
Der Realist will das Publikum ohrfeigen, der Idealist will dasselbe berauschen. Manche Leute ziehen einen Rausch einer Ohrfeige vor.
Das Publikum läßt sich nur von berühmten Leuten langweilen.
Interessant ist nur das, was hinter den Kulissen gespielt wird.
Der kürzeste Weg zum Direktor führt über die Hintertreppe. Wenn jemand das Betreten dieses Pfades mißbilligt, so besorgt er sicherlich, daß man ihm einmal da begegnen könnte.
Der Direktor einer Schmiere ist immer zu sprechen und zuweilen läßt er sogar mit sich reden.
Grabschrift für einen Claqueur: Der Vorteil liegt auf der Hand.
Komiker verstehen keinen Spaß.
Am Anfang war nicht das Geld, am Anfang war die Idee.
Zu verkaufen ist ja eigentlich alles in der Welt — nur der Preis ist nicht immer zu erschwingen.
Kapital ist angesammelte Energie und folglich wie andere Akkumulatoren für nützliche Arbeit verwendbar.
Das Geld ist eine gute, schöne Sache. Die Menschen haben es nur verdorben.
Der Parvenu hat ein Bedürfnis, sich beglaubigen zu lassen, daß er eben angelangt ist, und er meint, er müsse zur Bescheinigung die haben, die schon früher oben waren. Daran haben alle Satiren der Dichter und alle Revolutionen nichts geändert.
Spielwut und Sparwut sind nur verschiedene Grade derselben Passion.
Die Einzigen waren vermutlich nicht so selten, wie man nach der Geschichte glauben müßte. Es hat in den Jahrtausenden wohl manchen Cäsar gegeben, der nie dazu kam, seinen gallischen Krieg zu führen und zu beschreiben. Nur Zeit, Ort, Umstände lieferten selten das Zusammentreffen von Bedingungen, das für die Erscheinung der großen Person nicht minder wichtig ist, als deren Charakter.
Geistesriesen — ganz abgesehen von ihrer praktischen Unvernunft — sind dem Volke so fremd, wie das Volk ihnen.
Ueber Lakaien herrschen, welch ein geringer Traum! Nein, mächtig ist, wer den Herren gebietet.
Wenn der Starke großmütig ist, wo ist das Verdienst? Aber der Schwache! Da wird's rühmlich.
Zur Größe fehlt dem Helden Ihres Märchens nur Eins: das Verzeihen.
Der Dichterruhm kann von einigen entschlossenen Leuten angefertigt werden. Oft nehmen sie sich dazu ein unterwürfig und talentlos aussehendes Individuum und machen es gewaltsam groß in den Augen der Menge. Diese glaubt darauf, sie wird betäubt, sie muß. Dann kommen wieder andere und reißen den Hinaufgerissenen herunter. Darüber freut sich die Menge erst recht.
Es gibt nur eine Art, vornehm zu sein: die besteht darin, daß man viel von sich selbst verlangt und nicht das mindeste Gewicht darauf legt, ob die andern das anerkennen oder auch nur sehen.
Die Unsterblichkeit muß wahrhaftig ein höchst angenehmes Gefühl sein; besonders solange man noch lebt.
Große Tröster wird die Menschheit immer brauchen! Solange sie leben, nennt man sie Narren, Tagediebe, und wenn sie aufgehört haben, in beleidigender Größe unter uns herumzuwandeln, nennt man sie Genies.
Jedes Werk hat Fehler, die nur sein Erzeuger kennt; jeder Reichtum hat Lücken, die nur sein Besitzer sieht.
Man gratuliert zu einem Erfolg! Wie überflüssig. Der Erfolg ist ja schon die Freude, die nicht mehr übertroffen werden kann.
Die wartenden Besucher sind in der nützlichsten Weise gedemütigt, es macht sie mürbe und klein.
Das Harren demoralisiert.
Furcht macht Spalier.
Kleider sagen immer etwas.
Der Händedruck nach der Mensur ist vielleicht das Männlichste an der ganzen Fechterei.
Es gibt mehr Appetit als Hühner auf der Erde.
In dieser von Vernunft verpesteten Welt kommt auf hundert Konvenienz heiraten bloß ein Selbstmord.
Der Bach sieht weniger großartig aus, wenn keine Steine da sind, über die er hinweg muß.
Wer bloßfüßig geht, hat auf den Sohlen eine dicke Haut.
Die Bibel hat an Moses nichts verschönt.
An einem frischen Grabe sollte man nur weinen und schweigen. Die Schwachen mögen sich in Tränen Luft machen, die Starken werden durch ihr Schweigen das Erhabene grüßen.
Unsere verschiedenen Vorstellungen von Gott, ob sie die Weite Spinozas haben oder als süße kleine Abbreviatur im Abendgebet eines kleinen Kindes gelallt werden, bedeuten ja im Grunde wahrscheinlich alle dasselbe.
Gott zerbricht die Werkzeuge, deren er sich bedient hat.
Die Sehnsucht macht den Messias.
Was ist die Erkenntnis wert, die mit mir endigt? Und ich will mich vermessen, mit dem Unendlichen zu verkehren? Ich muß die Erkenntnis über mich hinaus verlegen, in mein Geschlecht. In meinen Kindern rede ich heiter mit dem Ewigen.
Der Verlag B. Harz, Berlin, hat für die in seinen Verlag übergegangenen nichtzionistischen Schriften Herzls den Abdruck der Zitate freundlichst gestattet.
In dieser Sammlung sind Zitate aus folgenden Werken wiedergegeben:
VON ZION 7
Das Volk 9
Die Nation 11
Judenpolitik 14
Von der Idee 18
Der Auszug 23
Kolonisation 27
Der Führer 34
Persönliches 35
VOM GOLUS 39
VON MENSCHEN UND MENSCHLICHEM 61
Die Menschen 65
Die Utopie 78
Zukunft 80
Weisheit 81
Leben 83
Vom Theater 89
Geld 90
Größe 91
Vom Alltag 92
Anmerkungen zur Transkription
Die folgenden Druckfehler wurden korrigiert:
S. 6, Z. 4: Dennnun brachen Sorge —> Denn nun brachen Sorge
S. 17, Z. 6: Fremdenkomission —> Fremdenkommission
S. 36, Z. 4: Tagebuch vom 16. 6. 1895. —> Tagebuch vom 16.6.1895.
S. 34, Z. 3 v. u.: das Werk zu förden —> das Werk zu fördern
S. 72, Z. 6 v. u.: im Zeichen dar Arbeit —> im Zeichen der Arbeit
S. 79, Z. 11: trägt staatliche eiserne Fahrzeuge —> trägt stattliche eiserne Fahrzeuge
S. 89, Z. 9 ja eine eine machtvollste —> ja eine einzige machtvollste
S. 95, Z. 10: [Buch d. N.] —> [Buch d. N.].
*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK HERZL-WORTE ***