Title: Einführung in die Hauptgesetze der Zeichnerischen Darstellungsmethoden
Author: A. Schoenflies
Release date: July 19, 2010 [eBook #33202]
Language: German
Credits: Produced by Joshua Hutchinson, Paul Murray and the Online
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file was produced from images from the Cornell University
Library: Historical Mathematics Monographs collection.)
Die Kräftigung des räumlichen Vorstellungsvermögens und der räumlichen Gestaltungskraft gehört unbestritten zu den wichtigsten Zielen eines jeden geometrischen Unterrichts. Um sie zu erreichen, ist für den Lehrenden wie für den Lernenden — von Modellen abgesehen — die Kunst guter zeichnerischer Darstellung unentbehrlich. So selbstverständlich dies auch erscheinen mag, haben doch die mannigfachen Bemühungen der Hochschullehrer, den Studierenden die leichte Ausübung dieser Kunst zu vermitteln, noch keineswegs vollen und allgemeinen Erfolg gehabt. Sicherlich muß der mathematische Unterricht an den höheren Schulen darunter leiden. Ich habe den Wunsch, durch meine Schrift an der Beseitigung dieses Mangels mitzuhelfen.
Das Gebiet der wissenschaftlichen darstellenden Geometrie hat allmählich eine so große Ausdehnung erfahren, daß jede Behandlung des Stoffes sich auf eine Auswahl zu beschränken hat. Sie kann für den Vertreter des höheren Lehrfachs eine andere sein als für den Techniker und Architekten. Diese Erwägung ist für die Abfassung dieser Schrift maßgebend gewesen; ihr Inhalt ist bereits mehrfach in Vorlesungen und Übungen von mir nicht ohne Nutzen behandelt worden. Es erschien mir zweckmäßig die Auswahl so zu treffen, daß sie so knapp wie möglich ausfiel, und doch alles berücksichtigt, was für das zu erreichende Ziel notwendig ist. Vor allem war es mein Streben, mich nur der allerelementarsten Mittel zu bedienen und doch in dem Leser neben der Kenntnis der Methoden die volle Überzeugung von ihrer Richtigkeit zu erwecken. Ich hoffe, daß sie jeder, der über die einfachsten geometrischen und stereometrischen Sätze verfügt, mit Nutzen und ohne erhebliche Mühe lesen kann.
Es gab eine Zeit, in der man an die Spitze geometrischer Bücher den Ausspruch Steiners setzte „stereometrische Betrachtungen seien nur dann richtig aufgefaßt, wenn sie rein, ohne alle Versinnlichungsmittel, durch die innere Vorstellung angeschaut werden“. Befinden wir uns mit unseren heutigen Bestrebungen etwa in direktem Gegensatz zu dieser Sentenz?—Ich glaube dies verneinen zu dürfen. Die Kräftigung des räumlichen Vorstellungsvermögens ist auch in ihr mittelbar als Haupterfordernis enthalten, und als letztes und höchstes Ziel geometrischer Ausbildung und Denkweise kann die Steinersche Forderung auch heute noch bestehen bleiben. Die Frage ist nur, wie wir uns dem in ihr gesteckten Ziel am besten annähern können. Ein Steiner, der als sechsjähriger Knabe auf die Bemerkung des Lehrers, daß drei Ebenen eine Ecke bestimmen, sofort ausrief: „es gibt ja acht“, mochte allerdings Figuren und Modelle entbehren können; die glänzende räumliche Intuition, die er besaß, gab ihm einen Ersatz dafür. Aber für das Genie gelten besondere Regeln. Wir andern müssen uns auf andere Weise helfen und sollen füglich jedes wissenschaftliche Hilfsmittel erfassen und benutzen, das uns zu nützen vermag. Je besser es gelingt, kompliziertere räumliche Gebilde durch richtig konstruierte und wirksam gezeichnete Figuren zu unterstützen, um so besser, um so schneller und sicherer wird Studium und Unterricht auf die räumliche Gestaltungskraft einwirken können. Liegt doch dieser Weg auch im Interesse der sogenannten Ökonomie des Denkens, die wir heute als einen obersten Grundsatz jeder wissenschaftlichen Betätigung zu betrachten pflegen.
Ein letztes Wort widme ich den Figuren. Die meisten sind vom Herrn stud. math. Bluhm im Anschluß an Übungen, die ich kürzlich gehalten habe, gezeichnet worden. Sie sind von ungleicher Anlage und werden dadurch am besten erkennen lassen, welche Zeichnungsart das Auge bevorzugt; es liebt starke Konturen und kräftige Hervorhebung alles dessen, worauf es seine Aufmerksamkeit in erster Linie zu lenken hat. Auch hängt die Anlage der Figur davon ab, ob sie einen guten räumlichen Eindruck vermitteln soll, oder ob in ihr gewisse geometrische Tatsachen in Evidenz treten sollen. Sicher sind die Figuren mehr oder weniger auch der Vervollkommnung fähig; ich habe sie aber deshalb so gelassen wie sie sind, um dem Leser durch ihren Vergleich ein eigenes Urteil über die beste Zeichnungsart zu ermöglichen. So hoffe ich auch, den Hauptzweck jeder Schrift über die Gesetze der zeichnerischen Darstellungsmethoden am besten zu erreichen, nämlich die Kunst, mit wenigen geeigneten und geeignet ausgeführten Strichen freihändig ein gutes Bild eines räumlichen Gebildes zu entwerfen. Gerade das ist es, was wir nötig haben und was die sichere Beherrschung der zeichnerischen Gesetze uns gewähren soll.
Endlich sage ich Herrn Oberlehrer Dr. Nitz für die freundliche Unterstützung bei der Korrektur, sowie dem Verlag für sein bekanntes auch diesmal stets bewiesenes Entgegenkommen besten Dank.
Königsberg i. Pr., im September 1908.
A. Schoenflies.
I. Das physiologische Grundgesetz. Der Entstehung unserer Gesichtswahrnehmungen liegt folgende Tatsache zugrunde. Das Auge besitzt die Fähigkeit, die Richtung zu empfinden, aus der die auf der Netzhaut einen Sehreiz auslösenden Lichtstrahlen kommen. Diese Fähigkeit ist die wesentlichste Grundlage aller zeichnerischen Darstellung. Physiologisch ist sie folgendermaßen bedingt.1
1. Alle von einem Punkt P in das Auge eintretenden Lichtstrahlen vereinigen sich, nachdem sie durch die lichtbrechenden Medien hindurchgegangen sind, in einem Punkt Pn der Netzhaut (Fig. 1)2, und zwar geht der Strahl PPn ungebrochen durch das Auge hindurch. Dieser Strahl kann daher als geometrischer Repräsentant aller übrigen Strahlen gelten; seine Richtung ist es, die das Auge empfindet. Man bezeichnet ihn auch als den von P kommenden Sehstrahl.
2. Alle Sehstrahlen, die von irgendwelchen Punkten P,Q,R... eines Körpers Σ ins Auge gelangen, gehen durch einen festen Punkt K des Auges, der auf seiner optischen Achse liegt und Knotenpunkt heißt (Fig. 2). Sie bilden also einen Teil eines Strahlenbündels mit dem Mittelpunkt K.3 Das auf der Netzhaut erzeugte, aus den Punkten Pn,Qn,Rn,... bestehende Netzhautbild Σn des Körpers Σ ist daher geometrisch als Schnitt der Netzhaut mit den Strahlen dieses Bündels zu bezeichnen.
Hieraus ergibt sich bereits diejenige grundlegende geometrische Tatsache, der jede zeichnerische oder räumliche Abbildung Σ' eines Gegenstandes Σ zu genügen hat, wenn sie im Auge dasselbe Netzhautbild entstehen lassen soll, wie der Körper Σ selbst. Aus 1. folgt nämlich (Fig. 2), daß wenn P' ein lichtaussendender Punkt auf dem Sehstrahl PPn ist, der zu P' gehörige Sehstrahl mit PPn identisch ist. Um also ein Abbild Σ' herzustellen, das im Auge die gleichen Lichtempfindungen erzeugt, wie der Gegenstand Σ selbst, würde es an sich genügen, jeden Punkt P von Σ durch irgend einen Punkt P' des von P ausgehenden Sehstrahls PPn zu ersetzen. Handelt es sich insbesondere um ein ebenes Bild, was hier zunächst allein in Frage kommt, so ist der Bildpunkt P' als Schnittpunkt des Sehstrahles PPn mit der Bildebene zu wählen. Da nun gemäß 2. alle Sehstrahlen einem Strahlenbündel mit dem Mittelpunkt K angehören, so ist das in der Bildebene entstehende Abbild Σ' genauer als ihr Schnitt mit den Strahlen des ebengenannten Strahlenbündels zu definieren. Also folgt:
I. Das Netzhautbild Σn und das ebene Bild Σ' sind als Schnitte eines und desselben Strahlenbündels mit der Netzhaut und der Bildebene anzusehen; der Mittelpunkt dieses Strahlenbündels liegt im Knotenpunkt des Auges.
Die ebengenannten physiologischen Tatsachen stellen allerdings nur eine Annäherung an den wirklichen Sachverhalt dar; überdies sind sie für die Beurteilung und die richtige Deutung der Gesichtseindrücke nicht allein maßgebend.4 Die zeichnerischen Abbilder werden daher nur solche Sinneswahrnehmungen auslösen können, die den durch die Gegenstände selbst vermittelten mehr oder weniger nahe kommen. Das Auge ist aber ein höchst akkommodationsfähiges Organ. Wenn es auch den Unterschied zwischen Bild und Gegenstand jederzeit erkennt, ist doch seine Kunst, aus einem Bild die wirklichen Eigenschaften des dargestellten Gegenstandes zu entnehmen, erstaunlich.5 Andererseits ist das Auge für gewisse Dinge auch ein strenger Richter. Abweichungen von der Symmetrie und der Gesetzmäßigkeit einfacher Formen wie Kreis, Ellipse usw. wird es sofort störend empfinden. überhaupt soll man das Auge als den obersten Richter für die Beurteilung eines Bildes ansehen, und Korrekturen, die von ihm verlangt werden, auch dann ausführen, wenn man eine den geometrischen Vorschriften entsprechende Zeichnung hergestellt hat.
Das Auge stellt sich besonders leicht auf unendliche Sehweite ein, also so, als ob sich der Gegenstand in unendlicher Entfernung befindet. Physiologisch beruht dies darauf, daß diese Einstellung der Ruhelage des Auges entspricht. Andererseits nähern sich die von einem Gegenstand Σ ausgehenden Lichtstrahlen um so mehr dem Parallelismus, je weiter er vom Auge entfernt ist. Dies bewirkt, daß Bilder, die man auf Grund der Annahme paralleler Sehstrahlen herstellt, vom Auge ebenfalls leicht aufgefaßt werden. Diese Darstellung zeichnet sich überdies durch Einfachheit aus und ist daher von besonderer Wichtigkeit.
II. Das geometrische Grundgesetz. Wir nehmen jetzt an, daß auf einer Ebene β, die wir uns vertikal denken wollen, auf die vorstehend genannte Art ein Bild hergestellt werden soll. Wir haben dazu jeden Sehstrahl, der von einem Punkt P des Körpers Σ ins Auge eintritt, mit der Bildebene β zum Schnitt zu bringen, und wollen den so entstehenden Schnittpunkt wieder durch P' bezeichnen. Das geometrische Grundgesetz besagt nun, daßjeder Geraden g des Gegenstandes Σ eine Bildgerade g' des Bildes Σ' entspricht; genauer allen Punkten A,B,C... von Σ, die auf einer Geraden g enthalten sind, solche Bildpunkte A',B',C'..., die auf einer Geraden g' enthalten sind (Fig. 3). Die Sehstrahlen, die von den Punkten A,B,C... der Geraden g ins Auge gelangen, liegen nämlich sämtlich in einer Ebene, und zwar in derjenigen, die g mit dem Punkt K verbindet; ihr Schnitt mit der Ebene β liefert die Bildgerade g'. Auf ihr liegen also auch die Punkte A',B',C'....
Wir treffen noch einige Festsetzungen. Zunächst kann die Tatsache außer Betracht bleiben, daß wir es mit Sehstrahlen zu tun haben; wir fassen also diese Strahlen in ihrer geometrischen Bedeutung als gerade Linien auf und stellen sie uns überdies als unbegrenzt vor. Ebenso ersetzen wir auch die Bildebene β für die Ableitung der weiteren geometrischen Gesetze durch eine unbegrenzte Ebene. Den im Auge liegenden Knotenpunkt K, also den Scheitel unseres Strahlenbündels, nennen wir von nun an S0, bezeichnen die auf der Ebene β entstehende Figur Σ' auch als Projektion des Gegenstandes Σ auf β, und nennen den Strahl PS0, der durch seinen Schnitt mit β die Projektion P' des Punktes P liefert, den projizierenden Strahl des Punktes P. Der Punkt S0, durch den alle projizierenden Strahlen gehen, heißt Zentrum der Projektion, und Σ' deshalb auch Zentralprojektion.6
Wird die Zeichnung insbesondere so angefertigt, als ob sich das Auge in unendlicher Entfernung befindet, so daß also alle Sehstrahlen einander parallel werden, so sprechen wir von einer Parallelprojektion. Sie heißt orthogonal, wenn die projizierenden Strahlen auf der Bildebene senkrecht stehen, sonst schief.
III. Das zeichnerische Grundgesetz. Dieses Gesetz stellt eine Art allgemeiner Vorschrift auf, nach der man das Bild eines Punktes oder einer Geraden von Σ in der Ebene β herzustellen pflegt. Sie zerfällt in zwei Teile.
1. Das Bild einer Geraden g, die zwei Punkte A und B enthält, bestimmen wir so, daß wir die Bildpunkte A' und B' zeichnen und die Gerade g' ziehen, die beide verbindet. 2. Analog bestimmen wir das Bild P' eines Punktes P in der Weise, daß wir uns durch P zwei Geraden a und b legen und ihre Bildgeraden a' und b' zeichnen. Deren Schnittpunkt ist der Bildpunkt P' von P.
Wir bestimmen also die Gerade als Verbindungslinie zweier Punkte und den Punkt als Schnittpunkt zweier Geraden.
Freilich liegt in der vorstehenden Vorschrift zunächst ein Zirkel. Praktisch schwindet er dadurch, daß wir lernen werden, die Punkte A und B und die Geraden a und b in bestimmter geeigneter Weise so anzunehmen, daß die Vorschrift ausführbar wird. Hier beschränke ich mich auf folgende vorläufige Bemerkungen:
Unter den Punkten, durch die wir eine Gerade g räumlich bestimmen können, gibt es zwei, die sich am natürlichsten darbieten, und die wir deshalb als ausgezeichnete Punkte ansehen können. Der eine ist der Punkt, in dem sie die Bildebene durchdringt, der andere ist ihr sogenannter unendlichferner Punkt7 (Fig. 4). Der erste Punkt wird auch Spur oder Spurpunkt der Geraden g genannt; wir bezeichnen ihn durch G'. Offenbar fällt er mit seinem Bildpunkt zusammen. Man sieht zugleich, daß hierin eine Eigenschaft aller Punkte der Bildebene zutage tritt. Es besteht also der Satz:
II. Jeder Punkt der Bildebene fällt mit seinem Bildpunkt zusammen.
Um den Bildpunkt des unendlichfernen Punktes G∞ von g zu konstruieren, haben wir zunächst die Gerade S0G∞ zu ziehen, also durch S0 eine Parallele zu g zu legen, und dann ihren Schnitt mit der Bildebene β zu bestimmen. Dieser Schnittpunkt ist der Bildpunkt G'∞. Wir wollen ihn kürzer durch G bezeichnen und ihn den Fluchtpunkt der Geraden g nennen.8 Der Fluchtpunkt einer Geraden ist also derjenige Punkt der Bildebene β, der dem unendlichfernen Punkt dieser Geraden entspricht. Auf seine zeichnerische Bestimmung kommen wir noch näher zurück.
Ich schließe mit einer Bemerkung, die die Herstellung der Figuren betrifft.
Um die räumliche Wirkung zu erhöhen, zeichnet man die Bilder zweier windschiefer Geraden am besten so, daß sie sich nicht schneiden. Vielmehr soll die hintere Gerade (vom beschauenden Auge aus gedacht) an der Stelle des geometrischen Schnittpunktes etwas unterbrochen sein. Gerade dies bewirkt, daß das Auge sie als eine zusammenhängende, aber hinter der anderen liegende Gerade auffaßt. Diese Zeichnungsart trägt außerordentlich zur körperlichen Wirkung der Bilder bei, wie man an den einzelnen Figuren erkennt.9
Wir behandeln zunächst die Herstellung der Bilder von ebenen Figuren. Insbesondere wollen wir uns die gegebene Figur Σ in einer horizontalen Ebene γ liegend denken, die wir zur Fixierung der Begriffe mit dem Fußboden zusammenfallen lassen und Grundebene nennen. Die Bildebene, die wir uns, wie bereits erwähnt, vertikal denken, heiße wieder β. Endlich denken wir uns das Auge S0 vor der Bildebene β befindlich; die Figur Σ, von der auf β ein Bild zu zeichnen ist, befindet sich dann naturgemäß hinter der Bildebene.
Die Schnittlinie von γ und β soll Achse oder Grundlinie heißen; wir bezeichnen sie durch a. Da sie eine Gerade von β ist, so fällt sie (§ 1, II) mit ihrer Bildgeraden Punkt für Punkt zusammen.
Wir beweisen nun zunächst den folgenden Satz:
I. Die Fluchtpunkte aller Geraden von γ liegen auf einer zur Grundlinie parallelen Geraden, dem sogenannten Horizont.
Zum Beweise ziehen wir in der Ebene γ irgendeine Gerade g und konstruieren ihren Fluchtpunkt.10 Gemäß § 1 erhalten wir ihn, indem wir durch S0 die Parallele zu g legen und deren Schnitt G mit der Bildebene β bestimmen. (Fig. 5) Diese Parallele liegt, welches auch die Gerade g sein mag, in derjenigen Ebene η0 die durch S0 parallel zur Grundebene γ geht, und die wir Augenebene nennen. Daher liegt G auf der Schnittlinie dieser Ebene η0 mit β, womit der Satz bewiesen ist.
Die so bestimmte Gerade nennen wir den Horizont und bezeichnen ihn durch h. Seiner Definition gemäß ist er Ort der Bildpunkte aller unendlichfernen Punkte von γ. Deren Gesamtheit bezeichnet die Sprache als Horizont; als dessen Bildgerade heißt h ebenfalls Horizont.
Aus der Definition des Fluchtpunktes folgt unmittelbar, daß alle parallelen Geraden g,g1,g2... denselben Fluchtpunkt haben; für jede von ihnen ergibt er sich als Schnittpunkt von β mit dem nämlichen durch S0 gezogenen Strahl. Also folgt:
II. Jeder Schar paralleler Geraden g,g1,g2... der Grundebene entsprechen in der Bildebene Geraden g',g'1,g'2..., die durch einen und denselben Punkt des Horizontes gehen.
Unter den Scharen paralleler Geraden von γ nehmen vier eine bevorzugte Stellung ein; die zur Bildebene normalen Geraden, die beiden Scharen, die mit ihr einen Winkel von 45o einschließen, und die zu ihr parallelen Geraden.
Für die zu β normalen Geraden n erhalten wir den Fluchtpunkt, indem wir von S0 ein Lot auf β fällen. (Fig. 6) Der Fußpunkt N ist der Fluchtpunkt; er heißt Augenpunkt.
Die Fluchtpunkte der gegen β unter 45o geneigten Geraden l und r seien L und R. Sie heißen Distanzpunkte. Ihrer Definition gemäß bilden nämlich S0L und S0R mit β je einen Winkel von 45o, folglich ist
S0N = NL = NR.
| (1) |
Die beiden Punkte L und R bestimmen daher die Entfernung des Auges von der Bildebene; hierauf beruht es, daß die Richtungen l und r praktisch wie theoretisch als bevorzugte Richtungen aufzufassen sind.
Ist endlich p eine Gerade von γ, die zur Bildebene, also auch zur Grundlinie a parallel ist, so gilt dies auch für die Bildgerade p'. Für diese Geraden besteht deshalb eine einfache metrische Eigenschaft, die sich in folgenden Sätzen ausdrückt (Fig. 7).
1. Ist B der Halbierungspunkt der Strecke AC, so ist auch B' der Halbierungspunkt von A'C'.
2. Sind A, B, C irgend drei Punkte von p, und A', B', C' deren Bildpunkte, so ist
AB : BC : CA = A'B' : B'C' : C'A'.
| (2) |
Beides folgt unmittelbar aus dem bekannten Satz, daß irgend drei durch denselben Punkt gehende Geraden von zwei sie kreuzenden Parallelen nach demselben Verhältnis geschnitten werden. Der Satz 1. ist übrigens nur ein Spezialfall von 2.
Ist in der Bildebene außer den Distanzpunkten L und R auch die Grundlinie a gegeben, so ist damit nicht allein die Entfernung des Auges von der Bildebene, sondern auch seine Höhe über der Grundebene bestimmt, und zwar können a, L und R beliebig angenommen werden. Damit ist alsdann die Lage des Auges im Raume durch zeichnerische Bestimmungsstücke festgelegt.
Um die Entfernung des Auges von der Bildebene zu bestimmen, kann man übrigens statt L und R die Fluchtpunkte E und F irgend zweier Geraden e und f von bekannter Richtung auf dem Horizont h beliebig annehmen. Zieht man nämlich in der Augenebene η0 durch E die Parallele zu e und durch F die Parallele zu f, so gehen beide Parallelen durch S0 und bestimmen damit wieder die Lage des Auges zur Bildebene.11
Eine Figur von γ, von der wir in β ein Bild herstellen sollen, muß geometrisch oder zeichnerisch gegeben sein; am besten auf demjenigen Blatt, auf dem wir die Zeichnung wirklich ausführen. Hierzu drehen wir die Ebene γ um die Grundlinie a als Achse so lange, bis sie in die Ebene β hineinfällt, und zwar unter dasjenige Stück von β, auf dem das Bild entstehen soll. Beide Ebenen sind so auf demselben Zeichnungsblatt vereinigt.
Durch diesen Kunstgriff wird die zeichnerische Herstellung des Bildes außerordentlich erleichtert. Um nämlich zu einem Punkt P von γ den Bildpunkt P' zu konstruieren, lege man (Fig. 8) gemäß dem zeichnerischen Grundgesetz von § 1 durch P je eine Gerade l und r12 , und bestimme P' als den Schnittpunkt der Bildgeraden l' und r'. Diese beiden Bildgeraden lassen sich unmittelbar zeichnen. Ist nämlich L' der Schnitt von l mit a, so ist L' der Spurpunkt von l, seine Verbindung mit dem Fluchtpunkt L liefert also die Bildgerade l'. Ebenso erhalten wir die Bildgerade r', wenn wir den Punkt R mit dem Schnittpunkt R' von r und a verbinden.
In dem Vorstehenden ist die Hauptregel des praktischen Zeichnens enthalten. Hat man in γ insbesondere eine Figur, die irgendwie aus Punkten und deren Verbindungslinien besteht, so wird man in der angegebenen Weise zunächst die Bildpunkte zeichnen, und dann die Verbindungslinien ziehen. Im übrigen wird man jedes Hilfsmittel, das eine Vereinfachung der Zeichnung gestattet, und jeden hierzu führenden Kunstgriff gern benutzen. Ich mache besonders auf folgende Tatsachen aufmerksam:
1. In erster Linie empfiehlt sich die Benutzung solcher Geraden von γ, die der Grundlinie parallel sind; denn ihre Bildgeraden sind gemäß § 2 ebenfalls zur Grundlinie parallel.
2. Enthält die Figur Σ eine Reihe paralleler Geraden g, g1, g2... (Fig. 5), so wird man zunächst zu einer, z. B. zu g, die Bildgerade g' bestimmen; in ihrem Schnittpunkt mit dem Horizont h hat man dann sofort den Fluchtpunkt G dieser Geradenschar, und damit einen Punkt, durch den alle Bildgeraden g'1, g'2... hindurchgehen.
3. Hat man es mit einer Figur Σ zu tun, die zwei ausgezeichnete Richtungen hat, die übrigens beliebige Neigung gegen die Grundlinie a haben können, so vereinfacht man sich die Zeichnung, indem man von vornherein deren Fluchtpunkte statt L und R auf A als gegeben annimmt.13
4. Man beachte, daß die Wahl der Fluchtpunkte die Entfernung des Auges von der Bildebene bestimmt. Da man einem Gegenstand, von dem man einen guten Gesichtseindruck erhalten will, nicht zu nahe stehen darf, so wird man, um gute Bilder zu erzielen, die Fluchtpunkte demgemäß annehmen müssen. Erfahrungsgemäß ist es zweckmäßig, die Distanz L N gleich der doppelten Höhe oder Breite des Gegenstandes anzunehmen.14
5. Um möglichst genaue Bilder zu erhalten, empfiehlt es sich, zeichnerische Überbestimmungen zu benutzen. Um z. B. zu einem Punkt P den Bildpunkt P' zu bestimmen, kann man P als gemeinsamen Punkt von drei durch ihn gehenden Geraden betrachten und zu ihnen die Bildgeraden zeichnen; ist die Zeichnung vollkommen, so werden sie alle drei durch einen Punkt gehen.15 Die Genauigkeit der Zeichnung wird auch dadurch erhöht, daß man zunächst solche Punkte bevorzugt, in denen eine Symmetrie oder eine sonstige Regelmäßigkeit der Figur zum Ausdruck kommt, wie dies bereits in § 1 erörtert wurde.
Nach den vorstehenden Regeln sind die folgenden Aufgaben behandelt worden, bei denen wir außer a im allgemeinen L und R als gegeben angenommen haben.
1. Den Fluchtpunkt einer Geraden g zu zeichnen. (Fig. 9) Ist P ein Punkt von g, so lege man durch P die Geraden l und r, konstruiere ihre Bildgeraden l' und r', und verbinde ihren Schnittpunkt P' mit dem Spurpunkt G', in dem g die Achse a trifft. Diese Verbindungslinie schneidet den Horizont h im Fluchtpunkt G.
2. Das Bild einer quadratischen Teilung zu zeichnen, deren Linien senkrecht und parallel zur Achse verlaufen. (Fig. 10) Die Diagonalen unserer Teilung sind lauter Linien l und r; jeder Teilungspunkt ist also ein Schnittpunkt je zweier solcher Geraden. Damit sind die Bildpunkte unmittelbar bestimmbar, und ebenso deren Verbindungslinien.
Hier kann man auch die zur Achse senkrechten Linien n und ihren Fluchtpunkt N statt der Linien l oder r benutzen. Vor allem aber ist zu beachten, daß jeder zur Achse parallelen Geraden der Grundebene eine zur Achse parallele Gerade der Bildebene entspricht.
3. In γ ist eine reguläre sechseckige Teilung gegeben; man soll ihr Bild zeichnen. (Fig. 11) Da die Sechseckteilung stets zwei bevorzugte Scharen paralleler Linien enthält, die nicht zugleich der Achse parallel sind, wird man am besten tun, deren Fluchtpunkte als gegeben anzunehmen, und mit ihnen zu operieren, wie es Figur 11 erkennen läßt. Auch hier wird man von vornherein suchen, die Zeichnung öfters durch Überbestimmung zu kontrollieren, zumal wenn die Teilung Parallelen zur Achse enthält.
4. Analog kann man die Zeichnung anderer Figuren ausführen. Als Beispiele eignen sich besonders quadratische oder rechteckige Teilungen, sowie irgendwelche mittels regelmäßiger Teilungen hergestellte Muster.
Ich schließe mit folgender Bemerkung. Bereits in § 1 wurde erwähnt, daß eine an der Hand der geometrischen Vorschriften, ausgeführte Zeichnung erhebliche Ungenauigkeiten aufweisen kann. Die Quelle solcher Ungenauigkeiten liegt zum Teil darin, daß die zeichnerisch herzustellenden Punkte vielfach nur durch Vermittlung einer ganzen Reihe von Linien (Geraden oder Kreisen) gewonnen werden. Dadurch können sich die Fehler addieren. Sie können besonders dann sehr stark werden, wenn man Punkte als Schnittpunkte von Geraden bestimmt, die einen kleinen Winkel einschließen. Dies ist daher stets zu vermeiden.16
Wir stellen uns jetzt die Aufgabe, den allgemeinen geometrischen Inhalt der vorstehenden Ausführungen in kürze zu entwickeln. Dazu lassen wir die Vorstellung fallen, daß die eine Ebene Grundebene, die andere Ebene Bildebene war, betrachten beide Ebenen als geometrisch gleichwertig und bezeichnen sie insofern durch ε und ε'. Zu ihnen fügen wir wieder einen außerhalb von ihnen liegenden Punkt S0 (Fig. 12).
Ein durch den Punkt S0 gelegter Strahl p0 trifft die Ebenen. ε und ε' in zwei Punkten, die wieder P und P' heißen sollen, ebenso wird eine durch S0 gelegte Ebene γ0 die Ebenen ε und ε' in je einer Geraden g und g' schneiden. Gemäß dem allgemeinen Sprachgebrauch der Geometrie ordnen wir die Punkte P und P' und ebenso die Geraden g und g' einander zu, nennen sie entsprechende Elemente beider Ebenen, und sagen, daß die Ebenen ε und ε' perspektiv aufeinander bezogen sind; den Punkt S0 nennen wir das Zentrum der perspektiven Beziehung.
Die Schnittlinie der beiden Ebenen ε und ε' hat wieder die Eigenschaft, daß jeder ihrer Punkte sich selbst entspricht; sie heißt Perspektivitätsachse und soll jetzt durch s = s' bezeichnet werden.
Aus unserer Definition ergibt sich gemäß den Erörterungen von § 1 unmittelbar die Richtigkeit des folgenden Grundgesetzes der perspektiven Beziehung:
I. Den Punkten A, B, C,... einer Geraden g entsprechen Punkte A', B', C',... der entsprechenden Geraden g', und den Geraden g, h, k..., die durch einen Punkt P gehen, entsprechen Geraden g', h', k'..., die durch den entsprechenden Punkt P' gehen.
Ferner ergibt sich, weiter für je zwei entsprechende Geraden g und g' das Theorem:
II. Zwei entsprechende Geraden g und g' beider Ebenen schneiden sich auf der Perspektivitätsachse.
Der Beweis folgt unmittelbar aus dem grundlegenden Satz, daß der Scheitel einer dreiseitigen körperlichen Ecke zugleich Schnittpunkt ihrer drei Kanten ist. Ihn wenden wir auf die Ecke an, die von ε, ε' und der Ebene γ0 gebildet wird, die g und g' enthält und durch S0 geht. Die Kanten dieser Ecke sind die Schnittlinien von je zweien dieser Ebenen, nämlich
mithin gehen s, g, g' in der Tat durch einen Punkt.
Auf derselben Tatsache beruht der Beweis eines weiteren Satzes, aus dem wir zwar erst später Nutzen ziehen werden, der aber schon hier eine Stelle finden möge.
Wir betrachten dazu eine dreiseitige Ecke mit dem Scheitel S0, und fassen ihre Schnitte mit den Ebenen ε und ε' ins Auge (Fig. 13).17
Diese Schnitte sind zwei Dreiecke; ihre Seiten, die a, b, c und a', b', c' heißen sollen, bilden je ein Paar entsprechender Geraden von ε und ε'. Nach Satz II schneiden sich also je zwei entsprechende von ihnen in einem Punkte von s. Die drei Punkte
liegen daher auf der Geraden s. Dies ist unser Satz. Also folgt:
III. Satz des Desargues18 : Werden aus einer dreiseitigen Ecke durch zwei Ebenen ε und ε' zwei Dreiecke ausgeschnitten, so treffen sich die entsprechenden Seiten dieser Dreiecke in Punkten, die auf einer Geraden liegen, und zwar auf der Schnittlinie von ε und ε'.
Der Satz und sein Beweis bleiben gültig, wenn der Punkt S0 ins Unendliche rückt, also die Ecke in ein dreiseitiges Prisma übergeht. Dies folgt unmittelbar daraus, daß die Lage von S0 für den Beweis in keiner Weise benutzt wird.
Für besondere durch den Punkt S0 gehende Ebenen bestehen wieder Gesetze einfacher Art.19 Ich führe zunächst die folgenden an:
1. Eine zur Achse s senkrechte Ebene ν0 schneidet die Ebenen ε und ε' in zwei ebenfalls zur Achse s senkrechten Geraden n und n'.
2. Eine zur Achse s parallele Ebene π0 schneidet die Ebenen ε und ε' in zwei zueinander und zu s parallelen Geraden p und p'.
3. Für drei Punkte A, B, C einer solchen Geraden p und die entsprechenden Punkte A', B', C' von p' besteht die Relation
(1) |
was sich ebenso ergibt wie die analoge Tatsache in § 2. Dem Halbierungspunkt einer Strecke von p entspricht also wieder der Halbierungspunkt.
Ein besonderer Fall der perspektiven Lage tritt dann ein, wenn die Ebenen ε und ε' parallel sind. Dann sind je zwei entsprechende Geraden parallel, und je zwei entsprechende Figuren einander ähnlich. Ebenen dieser Art heißen ähnlich aufeinander bezogen.
Rückt das Perspektivitätszentrum S0 ins Unendliche, so werden alle projizierenden Strahlen einander parallel, und die Figuren der einen Ebene werden Parallelprojektionen von denen der anderen. In diesem Fall nennen wir die Ebenen ε und ε' parallelperspektiv aufeinander bezogen. Für diese Lage bestehen gewisse einfachere Beziehungen, die uns später nützlich sind, und die ich hier zunächst im Zusammenhang folgen lasse. Sie ergeben sich meist als unmittelbare Folgen bekannter Satze über parallele Linien und Ebenen.
1. Parallelen Geraden der einen Ebene entsprechen parallele Geraden der anderen; einem Parallelogramm entspricht also wieder ein Parallelogramm.20
2. Die Relation 1) des vorigen Paragraphen gilt jetzt für je zwei entsprechende Geraden g und g' beider Ebenen; sind also A, B, C drei Punkte einer Geraden g, und A', B', C' ihre entsprechenden Punkte in ε', so ist stets
AB : BC : CA = A'
B' : B'C' : C'
A'
| (1) |
Man kann diese Relation auch in die Form
| (2) |
setzen; sie sagt dann aus, daß jede Strecke von g' das ρ fache der entsprechenden Strecke von g ist. Je nach dem Wert von ρ erscheinen also die Strecken einer jeden Geraden von ε in ε' nach einem konstanten Verhältnis vergrößert oder verkleinert. Wir nennen ρ den zugehörigen Proportionalitätsfaktor.
3. Der Proportionalitätsfaktor ρ ist für die einzelnen Geraden im allgemeinen verschieden; für alle zueinander parallelen Geraden hat er den gleichen Wert. Sind nämlich g und f zwei parallele Geraden, von ε, und werden auf ihnen (Fig. 14)21 die Punktepaare AB und CD so angenommen, daß ABCD ein Parallelogramm ist, so ist auch A'B'C'D' ein Parallelogramm, also A'B' = C'D', und daher auch
A'B' | = | C'D' |
AB | CD |
4. Da in der Schnittlinie s von ε und ε' je zwei entsprechende Punkte vereinigt liegen, so hat der Proportionalitätsfaktor für s den Wert ρ = 1. Nach 3. gilt dies also auch für jede zu s parallele Gerade.
5. Die Gesamtheit aller Strahlen, die durch zwei entsprechende Punkte P und P' gehen, nennen wir entsprechende Strahlenbüschel. Sind a, a' und b, b' zwei Paare entsprechender Strahlen, so werden die von ihnen gebildeten Winkel (ab) und (a'b') im allgemeinen voneinander verschieden sein. Es liegt aber nahe zu fragen, ob diese Winkel für gewisse Strahlenpaare einander gleich sein können. Dies soll zu einem Teile beantwortet werden, und zwar beweisen wir folgenden Satz:
I. In zwei entsprechenden Strahlenbüscheln der beiden Ebenen ε und ε' gibt es stets ein Paar entsprechender rechtwinkliger Strahlen.
Dies ist zunächst für den Fall unmittelbar evident, daß die Richtung der projizierenden Strahlen auf einer der beiden Ebenen, z. B. auf ε' senkrecht steht, daß es sich also um eine Orthogonalprojektion (§ 1, II) handelt. In diesem Fall entsprechen sich nämlich sowohl die beiden Strahlen, die durch P und P' parallel zur Achse s laufen, wie auch diejenigen, die auf ihnen senkrecht stehen. Dies gilt auch dann noch, wenn die Richtung der projizierenden Strahlen in eine zu s senkrechte Ebene fällt, sonst aber beliebig ist. Immer sind in diesen Fällen die Geraden, die parallel und senkrecht zu s durch P und P' gehen, entsprechende Geraden beider Ebenen und bilden daher entsprechende rechte Winkel.22
Wir haben den Beweis also nur noch für den Fall zu führen, daß die von P und P' auf s gefällten Lote keine entsprechenden Geraden sind. Dazu erinnere man sich, daß sich je zwei entsprechende Strahlen a und a' gemäß § 4, II auf der Achse s schneiden. Sind also (uv) und (u'v') entsprechende rechte Winkel, so schneiden sich u und u' in einem Punkt U von s, und v und v' in einem Punkt V , und es sind UPV und UP'V rechte Winkel. Man drehe nun (Fig. 15) die Ebene ε' um die Achse s in die Ebene ε hinein, so werden unserer obigen Annahme gemäß P und P' nicht auf einer zu s senkrechten Geraden liegen. Andererseits liegen P und P' auf dem Kreis mit dem Durchmesser UV . Damit sind aber U und V konstruierbar, nämlich als Schnittpunkte von s mit demjenigen eindeutig bestimmten Kreis, dessen Mittelpunkt M zugleich auf s und auf dem zu PP' gehörigen Mittellot liegt. Es folgt noch, daß wenn P' nicht auf P fällt, es nur ein solches Punktepaar U und V , also auch nur ein Paar entsprechender rechter Winkel mit P und P' als Scheiteln geben kann. Damit ist der Satz bewiesen.23
6. Um zwei gegebene Ebenen ε und ε' parallelperspektiv, aufeinander zu beziehen, genügt es, einem beliebigen Punkt der einen Ebene einen beliebigen Punkt der anderen als entsprechend zuzuweisen; denn diese Punkte P und P' bestimmen durch ihre Verbindungslinie die Richtung der projizierenden Strahlen und damit die perspektive Beziehung. Damit ist zu jedem Punkt Q der Ebene ε der Bildpunkt Q' von ε' unmittelbar bestimmt und ebenso umgekehrt.
7. Wir wollen uns nun vorstellen, daß wir die Ebenen ε und ε' in andere Lagen bringen, aber das durch die perspektive Beziehung vermittelte Entsprechen der Punkte und Geraden bestehen lassen. Dann ist klar, daß die unter 1. bis 5. genannten Eigenschaften, da sie nur die in ε und ε' vorhandenen Strecken und Winkel betreffen, unverändert bestehen bleiben Dagegen wird die ebengenannte Möglichkeit, zu einem Punkt Q der Ebene ε den Bildpunkt Q' von ε' zu konstruieren, hinfällig. Ihr Ersatz besteht in folgendem Theorem:
II. Zu einem Punkt P der Ebene ε kann man den Bildpunkt P' zeichnerisch bestimmen, sobald drei Paare entsprechender Punkte A, B, C und A', B', C' bekannt sind.
Zieht man nämlich (Fig. 16 und 17) durch P je eine Parallele zu den Seiten AB und AC, sind B1 und C1 ihre Schnittpunkte mit diesen Seiten, und B' und C' wieder deren Bildpunkte in ε', so hat man
AB1 : B1B = A'B1' : B1'B', |
AC1 : C1C = A'C1' : C1'C', |
Damit sind die Punkte B1' und C1' konstruktiv bestimmt. Man hat daher nur noch durch B1' und C1' je eine Parallele zu A'C' und A'B' zu ziehen, und erhält in ihrem Schnittpunkt den Punkt P'.24
8. Wichtig ist endlich noch, daß man zwei Ebenen ε und ε' in parallelperspektive Lage bringen kann, wenn man weiß, daß die unter 1. bis 5. genannten Eigenschaften für sie erfüllt sind; es reicht sogar schon die Kenntnis eines Teiles dieser Eigenschaften hin. Es besteht nämlich der Satz:
III. Sind zwei Ebenen so aufeinander bezogen, daß für sie die unter 1. und 2. genannten Eigenschaften bestehen, und daß in ihnen mindestens ein Paar entsprechender Geraden existiert, für das der Proportionalitätsfaktor den Wert ρ = 1 hat, so können sie in parallelperspektive Lage gebracht werden.
Ist nämlich s und s' ein Geradenpaar, für das ρ = 1 ist, so daß also für drei Paare seiner Punkte A, B, C und A', B', C' die Gleichungen
bestehen, so bringe man ε und ε' irgendwie in eine solche Lage (Fig. 18), daß s' auf s fällt, und A', B', C' auf A, B, C, was möglich ist. Dann ist, wie sich zeigen wird, die parallelperspektive Lage bereits hergestellt. Ist nämlich a eine Gerade von ε, die durch den Punkt A von s geht, und sind A1, A2, A3... irgendwelche Punkte auf ihr, so geht auch a' durch A, und man hat überdies gemäß 2. die Relation
Denkt man sich nun die beiden Ebenen ε und ε' durch Strahlen der so bestimmten Richtung parallelperspektiv aufeinander bezogen, und bezeichnet den so zu einem jeden Punkt P zugeordneten Punkt zunächst durch P'', so ist nur noch zu zeigen, daß P'' mit P' identisch ist. Dazu verbinde man P mit einem Punkt B von s und einem Punkt An von a so, daß PBAAn ein Parallelogramm ist, dann ist nach Voraussetzung auch P'BAA'n ein Parallelogramm, und ebenso ist gemäß 1. P''BAA''n ein Parallelogramm. Da nun An' mit An'' identisch ist, so gilt dies auch für P' und P'', womit der Beweis erbracht ist.25
9. Hieraus folgern wir endlich noch, daß zwei Ebenen, denen die im Satz III vorausgesetzten Eigenschaften zukommen, auch alle übrigen in diesem Paragraphen genannten Eigenschaften besitzen.
Die Theorie der sogenannten unendlichfernen Elemente hat sich im Anschluß an die Lehre von der perspektiven Beziehung entwickelt. Wir werden daher ebenfalls diesen Weg einschlagen und gehen zu der in § 4 erörterten perspektiven Beziehung zurück. Naturgemäß soll es sich hier in erster Linie um eine systematische Darlegung handeln.
Sei p0 ein zur Ebene ε paralleler Strahl des Strahlenbündels S0, so ist er zu ε' nicht parallel und wird daher ε' in einem Punkt P' schneiden, während ein eigentlicher Schnittpunkt mit ε nicht vorhanden ist.26 Die in § 4 dargelegte Grundlage der perspektiven Beziehung, die jedem Punkt der einen Ebene einen Punkt der anderen zuordnet, erleidet also für den Strahl p0 zunächst eine Ausnahme. Wir beseitigen sie, indem wir auch zwei parallelen Geraden einen und nur einen gemeinsamen Punkt beilegen; wir nennen ihn ihren unendlichfernen Punkt. Die Bedeutung und die Tragweite dieser Festsetzung erhellt aus folgendem.
Zunächst folgern wir, daß allen einander parallelen Geraden derselbe unendlichferne Punkt beizulegen ist. Ist nämlich G∞ der gemeinsame Punkt zweier parallelen Geraden g und g1 und ist auch g2 zu g parallel, so haben unserer Festsetzung gemäß auch g und g2 ihren unendlichfernen Punkt gemein, und da es für jede Gerade nur einen geben soll, so geht sowohl g1 als auch g2 durch G∞ hindurch.
Nun denke man sich in der Ebene ε irgendeine Gerade p gezogen, die zu dem oben angenommenen Strahl p0 parallel ist, so haben auch diese beiden Geraden ihren unendlichfernen Punkt gemein; es geht also p0 durch den unendlichfernen Punkt P∞ von p hindurch. Die obenerwähnte Ausnahmestellung des Strahles p0 ist damit beseitigt; er hat jetzt mit ε und ε' je einen Punkt gemein, nämlich P' und P∞ und ordnet auch diese Punkte einander zu.
Übrigens ist, was zu bemerken ist, der zu P' so zugeordnete Punkt P∞ davon unabhängig, welche zu p0 parallele Gerade von ε wir zu seiner Definition benutzen; in der Tat gehen alle diese Geraden durch denselben Punkt P∞ hindurch.
Sei nun wieder (Fig. 19) η0 diejenige durch S0 gehende Ebene, die zu ε parallel ist, so wird sie ε' in einer Geraden h' schneiden, während eine Schnittlinie mit ε zunächst fehlt. Um diese Ausnahme zu beseitigen, legen wir auch den Ebenen ε und η0 eine ihnen gemeinsame Gerade bei, die wir ihre unendlichferne Gerade nennen und durch h∞ bezeichnen. Wie oben, folgern wir zunächst wieder, daß alle zueinander parallelen Ebenen dieselbe unendlichferne Gerade enthalten.
Wesentlich ist weiter, daß die so eingeführte unendlichferne Gerade h∞ die allgemeine Eigenschaft besitzt, die einer Schnittlinie zweier Ebenen zukommt, daß sie nämlich Ort aller in ε enthaltenen unendlichfernen Punkte ist. Falls nämlich wieder p irgendeine Gerade von ε ist, und p0 der durch S0 gehende zu p parallele Strahl, so liegt p0 in η0, und daher gehört der Punkt P∞, den p0 mit ε gemein hat, zu den Punkten, die η0 mit ε gemein hat; er ist also in der Tat ein Punkt von h∞. Der Schnittpunkt P' von p0 mit ε' liegt aus demselben Grund auf h'. In Übereinstimmung mit § 2 bezeichnen wir h' als die Fluchtlinie von ε'.
Ebenso kann man in der Ebene ε' eine unendlichferne Gerade k∞' definieren; sie entspricht der Geraden k von ε, in der ε von der zu ε' parallelen durch S0 laufenden Ebene geschnitten wird, und die die Fluchtlinie von ε darstellt.
Man folgert endlich noch unmittelbar den folgenden Satz:
I. Bei parallelperspektiver Beziehung zweier Ebenen ε und ε' entspricht dem unendlichfernen Punkt einer Geraden g von ε der unendlichferne Punkt ihrer Bildgeraden in ε', und der unendlichfernen Geraden von ε die unendlichferne Gerade von ε'.
Die so eingeführten unendlichfernen Punkte und Geraden bezeichnet man auch als uneigentliche Elemente.
Ihre allgemeine Bedeutung ist die, daß sie für die Geometrie eine ähnliche Rolle spielen, wie die irrationalen oder komplexen Zahlen für die Arithmetik. Sie verbürgen die Ausnahmslosigkeit der Grundgesetze und bewirken dadurch die Abgeschlossenheit des Lehrgebäudes. Ich will dies für die einfacheren grundlegenden Sätze hier ausführen.27
Beschränken wir uns auf eine Ebene, so gelten jetzt für sie ausnahmslos die folgenden Sätze:
1. Zwei Geraden bestimmen einen Punkt, nämlich ihren Schnittpunkt, und 2. zwei Punkte bestimmen eine Gerade, nämlich ihre Verbindungsgerade.
Sind nämlich im ersten Fall beide Geraden eigentliche Geraden, so haben sie entweder einen endlichen oder einen unendlichen Punkt gemein; ist aber eine der beiden Geraden uneigentlich, so hat sie mit der eigentlichen Geraden deren unendlichfernen Punkt gemein.
Sind zweitens von den Punkten beide eigentlich, so bestimmen sie eine eigentliche Gerade, und ebenso erhellt, daß zwei uneigentliche Punkte die unendlichferne Gerade als Verbindungslinie bestimmen. Ist endlich der eine Punkt ein eigentlicher Punkt P, und der andere ein uneigentlicher Punkt Q∞, so ist dieser seiner Definition gemäß der unendlichferne Punkt einer Geraden q bestimmter Richtung, und die durch P zu q gezogene Parallele ist die Verbindungslinie beider Punkte. Die Grundgesetze bleiben also in der Tat für die uneigentlichen Punkte und Geraden in Kraft. Hiermit ist zugleich die Berechtigung ihrer Einführung nachgewiesen. Zugleich erfährt so das in § 1 aufgestellte zeichnerische Grundgesetz eine nachträgliche Motivierung.
In ähnlicher Weise kann man auch für den Raum uneigentliche Elemente definieren und die Permanenz der Grundgesetze für sie darlegen. Ich beschränke mich auf die Angabe der grundlegenden Festsetzungen. Diese sind:
1. Alle zueinander parallelen Geraden haben einen und denselben uneigentlichen Punkt miteinander gemein, nämlich ihren unendlichfernen.
2. Alle zueinander parallelen Ebenen haben eine und dieselbe uneigentliche Gerade miteinander gemein, nämlich ihre unendlichferne.
3. Alle zu einer Geraden parallelen Ebenen enthalten den unendlichfernen Punkt dieser Geraden.
4. Alle die Geraden und Ebenen, die gemäß den Sätzen 1. und 3. durch einen unendlichfernen Punkt hindurchgehen, hat man als die sämtlichen Strahlen und Ebenen eines Strahlenbündels anzusehen, dessen Scheitel S0 sich ins Unendliche entfernt hat. Die Parallelperspektive erscheint also auch bei dieser Betrachtung als derjenige Spezialfall der allgemeinen Perspektive, bei dem der Scheitel ins Unendliche gerückt ist.
5. Die Gesamtheit aller unendlichfernen Punkte und Geraden des Raumes hat man als die unendlichferne Ebene des Raumes einzuführen.28
Für die folgenden Zwecke denken wir uns die Ebene ε wieder horizontal und ε' vertikal, und fassen zunächst die Achse, die Fluchtlinien und die unendlichfernen Geraden ins Auge. Sie bilden drei Paare entsprechender Geraden, nämlich (Fig. 20)
Diese Geraden teilen die Ebenen ε und ε' in drei entsprechende Teile, die wir durch I, II, III und I', II', III', bezeichnen wollen. Wir denken uns nun, daß eine Figur Σ' sich in der Ebene ε' bewegt, und betrachten die Bewegung der entsprechenden Figur Σ in ε. Sobald die Figur Σ' die Fluchtlinie h' erreicht, wird sich die entsprechende Figur Σ in ε zunächst bis ins Unendliche dehnen, und wenn Σ' die Fluchtlinie h' überschreitet, also aus dem Teil I' in den Teil III' übertritt, wird Σ das Unendliche durchsetzen und ebenfalls teils zu I teils zu II gehören, also scheinbar in zwei getrennte Stücke zerfallen. Die Permanenz der Gesetze, die wir für beide Ebenen zugrunde legen, führt uns aber dazu, auch die Figur der Ebene ε durch das Unendliche hindurch als zusammenhängend zu betrachten. Dies ist nichts anderes als was wir in § 6 für die Gerade g einführten; auch sie soll im Punkte G∞ ebenso zusammenhängen, wie die Bildgerade g' im Fluchtpunkt G29 . Hiervon wollen wir nun einige Anwendungen machen.
Sei zunächst K' ein im Gebiet II' von ε' enthaltener Kreis, so wird ihm in der Ebene ε eine im Gebiet II enthaltene Ellipse entsprechen; die sämtlichen Strahlen, die den Punkt S0 mit den Punkten von K' verbinden, bilden nämlich einen Kegel zweiter Ordnung, und sein Schnitt mit der Ebene ε stellt die ebengenannte Ellipse dar30 . Wenn wir jetzt den Kreis K' so annehmen, daß er die Fluchtlinie h' berührt, so wird die in ε gelegene Ellipse in eine Parabel übergehen, und wenn K' die Fluchtlinie h' kreuzt, so erhalten wir in ε eine Hyperbel. Wir haben uns also vorzustellen, daß auch Parabel und Hyperbel geschlossene Kurven sind, daß die Parabel von der unendlich fernen Geraden berührt wird, und daß die beiden Äste der Hyperbel im Unendlichen zusammenhängen. Die Einheitlichkeit der Auffassung wird hierdurch außerordentlich gesteigert. Überhaupt besteht der allgemeine Nutzen der perspektiven Betrachtung darin, daß wir lernen, in den verschiedenen Einzelfällen das Gleichbleibende und Unveränderliche zu erkennen und die Einzelfälle zu einer höheren Einheit zusammenzufassen.
Es leuchtet ohne weiteres ein, daß wir die vorstehenden Tatsachen benutzen können, um analog zu § 3 Ellipsen, Parabeln und Hyperbeln zeichnerisch herzustellen; nur tritt für die praktische Ausführung eine kleine Modifikation ein. Wir wollen nämlich, wie eben geschehen ist, den gegebenen Gegenstand in der Ebene ε' liegend annehmen, und in ε die ihm entsprechende Figur herstellen. Dabei gehen wir wieder so zu Werke, daß wir die Ebene ε um die Achse s in die Zeichnungsebene ε' hineingedreht denken, haben aber nun, um zu einem Punkt P' von ε' den ihm entsprechenden Punkt P von ε zu finden, die in § 3 angegebene Vorschrift in umgekehrter Reihenfolge auszuführen. Sind also jetzt (Figur 8, S. 14) P', L und R gegeben, so ziehen wir zunächst l' = LP' und r' = LR', bestimmen die Schnittpunkte mit s, und ziehen durch sie unter 45o die Geraden l und r, die in ihrem Schnittpunkt den Punkt P liefern. In dieser Weise sind die folgenden Figuren gezeichnet worden.
Die Figuren 21, 22 und 23 enthalten die dem Dreiecke A'B'C' entsprechenden Dreiecke ABC der Ebene ε. Sie entstehen unmittelbar, indem man zu A'B'C' in der ebengenannten Art die Bildpunkte konstruiert31 . In Fig. 22 liegt eine seiner Ecken im Unendlichen, in Fig. 23 zieht sich die Dreiecksfläche mit der Spitze C durch das Unendliche hindurch; man zeichnet es am besten so, daß man auf A'C' und B'C' je einen Punkt D' und E' beliebig auswählt und deren Bilder D und E konstruiert. Damit sind die Richtungen von AG und BC bestimmt.
Ich schließe mit einigen Winken, die die Zeichnung von Ellipse, Parabel und Hyperbel betreffen. Die Zeichnung kann zunächst in der Weise erfolgen, daß man zu einer Reihe von Punkten des Kreises die ihnen in ε entsprechenden Punkte konstruiert, und die diese Punkte verbindende Kurvenlinie annäherungsweise herstellt. Um ein möglichst gutes Kurvenbild zu erhalten, können folgende Hinweise dienen (Fig. 24):
1. Den beiden zur Achse parallelen Tangenten p' und p1' des Kreises entsprechen zwei zur Achse parallele Tangenten p und p1 des Kegelschnitts; sollte der Kreis die Fluchtlinie h' berühren, so daß der Kegelschnitt eine Parabel ist, so ist eine dieser Kegelschnitttangenten die unendlichferne Gerade.
2. Dem Kreisdurchmesser d', der die Berührungspunkte der ebengenannten Tangenten enthält, entspricht deshalb ein Durchmesser d des Kegelschnitts.
3. Einer Sehne A'B' des Kreises, die auf diesem Durchmesser d senkrecht steht, entspricht gemäß § 4 eine Sehne AB des Kegelschnitts, die durch den Durchmesser d halbiert wird.
4. Ist der Kegelschnitt eine Ellipse, so erhält man den zu d konjugierten Durchmesser d1 und die zu d parallelen Tangenten t und t1 der Ellipse wie folgt. Da t und t1 unter sich und mit d parallel sind, so schneiden sich die entsprechenden Tangenten t' und t1' des Kreises auf der Fluchtlinie h' und gehen insbesondere durch den Schnitt von h' und d'. Diese beiden Kreistangenten sind aber in ε' leicht konstruierbar. Man hat daher nur die ihnen in ε entsprechenden Geraden zu bestimmen, und auf ihnen noch die Punkte P und Q, die den Berührungspunkten P' und Q' der Kreistangenten entsprechen.
5. Ist der Kegelschnitt eine Hyperbel, und sind E' und F' die Punkte, in denen der Kreis K' die Fluchtlinie kreuzt, so entsprechen den Kreistangenten in E' und F' die Asymptoten der Hyperbel.
Eine zweite Methode besteht darin, die Kurven als Enveloppen ihrer Tangenten aufzufassen, und zu einer Reihe von Kreistangenten die Bildgeraden zu zeichnen. In allen Fällen wird man übrigens auf die Symmetrie der Figuren in erster Linie bedacht sein und alle Vorteile benutzen, die aus ihr fließen (vgl. § 3, 5).32
Die allgemeinen Gesetze und Vorschriften von § 1 gelten ihrer Ableitung nach auch, für die zeichnerische Darstellung beliebiger räumlicher Figuren. Wir werden daher auch im Baum Punkte und Geraden als die einfachsten Gebilde betrachten, mit denen wir zeichnerisch operieren, stellen den Punkt wieder als Schnitt zweier durch ihn gehender Geraden und die Gerade als Verbindungslinie zweier ihrer Punkte, insbesondere von Spur und Fluchtpunkt dar, und suchen zunächst wieder solche Geraden, denen besonders einfache zeichnerische Eigenschaften zukommen. Die Bildebene β denken wir uns nach wie vor vertikal.Unter den horizontalen Ebenen des Raumes wählen wir eine aus, die den Fußboden darstellen soll, und die wir die Grundebene γ nennen; ihre Schnittlinie mit der Bildebene heiße wieder Grundlinie und werde durch a bezeichnet. Die Gerade von β, die die Fluchtpunkte aller in der Grundebene liegenden Geraden enthält, nennen wir wieder den Horizont h; er hat die gleiche allgemeine Bedeutung wie in § 2. Insbesondere behalten auch die Punkte N, L, R ihre in § 2 dargelegte theoretische und praktische Bedeutung. Zusammen mit der Grundlinie a sind sie diejenigen in der Zeichnungsebene β enthaltenen geometrischen Elemente, die die Lage des Auges zum Bild und zur Grundebene festlegen, und zwar ebenso wie in § 2.
Als zeichnerisch ausgezeichnete Geraden können wir — abgesehen von den Geraden l und r — solche betrachten, die zu einer der beiden Ebenen β und γ parallel oder senkrecht verlaufen. Über sie gilt folgendes33 :
1. Der Fluchtpunkt einer zu γ parallelen Geraden g liegt auf dem Horizont h. Denn in γ gibt es eine zu g parallele Gerade g1, und gemäß § 6 haben alle zueinander parallelen Geraden denselben unendlichfernen Punkt, also auch denselben Fluchtpunkt.
2. Ist p eine Gerade, die zu β parallel ist, so ist die Bildgerade p' zu p parallel. Dies folgt unmittelbar daraus, daß p und p' in einer durch S0 gehenden Ebene π0 liegen, und ihr gemeinsamer Punkt auch gemeinsamer Punkt von β und p ist.
Für zwei solche Geraden p und p' gelten daher auch die Sätze 1. und 2. von § 2; sie bestehen ja für je zwei entsprechende parallele Geraden. Für solche Geraden geht also der Halbierungspunkt wieder in den Halbierungspunkt über.
Ist p insbesondere horizontal, so ist auch p' horizontal; horizontale Linien, die zur Bildebene parallel sind, bleiben also auch im Bilde horizontal.
3. Sei v eine Gerade, die auf γ senkrecht steht. Eine solche Gerade ist zu β parallel, und damit steht gemäß 2. auch die Bildgerade v' auf γ senkrecht. Dies ist aber, da v' in β liegt, nur so möglich, daß v' auf der Grundlinie a' senkrecht steht. Jeder Geraden v entspricht also eine zu a senkrechte Gerade v'; vertikale Linien bleiben also auch im Bilde vertikal. In der Tat erscheint alles Vertikale dem Auge ebenfalls vertikal.
4. Sei endlich n eine zu β senkrechte Gerade. Sie ist alsdann zu γ parallel und eine Gerade der ersten Gattung, hat aber noch einige besondere Eigenschaften. Zunächst ist ihr Fluchtpunkt der Augenpunkt N. Ihr Spurpunkt N' spielt ebenfalls die Rolle eines ausgezeichneten Punktes; sein Abstand von der Grundlinie bestimmt nämlich unmittelbar die Höhe der Geraden n über der Grundebene (Fig. 25); er liegt also über, auf oder unter dem Horizont h, je nachdem die Gerade n über, auf oder unter der Augenebene η0 liegt34 .
5. Eine besondere Rolle spielen endlich auch diejenigen Geraden des Raumes, die durch S0 gehen. Allen ihren Punkten entspricht auf β derselbe Punkt, nämlich ihr Durchdringungspunkt mit β. Fragt man nun, was diese Geraden zeichnerisch bedeuten, so ist die Antwort sehr leicht. Sie sind sozusagen verbotene Gebilde. Man wird sich bei der Betrachtung eines Körpers kaum so stellen, daß Geraden des Körpers als Punkte erscheinen; man wird daher auch für die Zeichnung die Stellung des Auges nicht so wählen, daß dies eintritt.35
Liegt der Punkt S0 im Unendlichen, haben wir es also mit einer Parallelprojektion zu tun, so kommen noch einige weitere einfache Eigenschaften hinzu.
Erstens besteht jetzt für je drei Punkte A, B, C einer jeden Geraden und ihre Bildpunkte die Relation 2) von § 2, also
und es geht der Halbierungspunkt in den Halbierungspunkt über; handelt es sich insbesondere um eine zur Bildebene parallele Gerade p, so geht die Proportionalität in Gleichheit über. Jede zu β parallele Strecke ist also ihrem Bilde gleich.
Sind zweitens g und g1 parallele Geraden, so sind auch ihre Bildgeraden in β einander parallel, was eines Beweises nicht bedarf.
Auf diesen Tatsachen beruht die leichtere Herstellbarkeit und damit auch die Bevorzugung der Bilder, die nach den Methoden der Parallelprojektion, hergestellt werden. Ihre zeichnerische Zweckmäßigkeit liegt, wie in § 1 erwähnt wurde, darin, daß es dem Auge besonders leicht wird, sich auf unendliche Sehweite einzustellen. Es ist sehr zu empfehlen, bei der Betrachtung der Parallelprojektionen dem Auge diese Einstellung zu geben; man wird dann leicht den Eindruck der Körperlichkeit erhalten. (Vgl. auch S. 125 Anm. 64.)
Um das ebene Bild einer räumlichen Figur Σ zeichnerisch herzustellen, denken wir uns zunächst wieder die Bildebene β durch Drehung um die Achse in die Grundebene γ hineingedreht, in derselben Weise wie in § 3; auch nehmen wir wieder die Grundlinie a, sowie die Distanzpunkte L und R als gegeben an. Alle in § 2 und 3 abgeleiteten Regeln und Sätze bleiben dann unmittelbar für denjenigen Teil der Figur Σ bestehen, der in der Grundebene γ enthalten ist. Also folgt als erstes Resultat:
I. Diejenige Teilfigur von Σ, die in der Grundebene enthalten ist, ist nach den Vorschriften von § 3 zeichnerisch bestimmbar.
Da die Grundebene γ in § 8 beliebig gewählt werden konnte, überträgt sich dies sofort auf jede horizontale Ebene, vorausgesetzt, daß man mit ihr ebenso operiert, wie mit der Grundebene γ. Dazu ist offenbar notwendig und hinreichend, daß die Schnittlinie dieser Ebene mit β (und selbstverständlich die in ihr enthaltene Teilfigur) bekannt ist. Nennen wir sie ihre Spur, so folgt:
II. Jede in einer horizontalen Ebene liegende Teilfigur von Σ kann gemäß § 3 gezeichnet werden, sobald ihre Spur in β bekannt ist.
Diese Spur ist eine horizontale Gerade; sie ist daher bestimmt, sobald man einen ihrer Punkte kennt. Einen solchen Punkt stellt z. B. der Durchdringungspunkt einer in ihr liegenden Geraden mit der Bildebene β dar.
Beachten wir noch, daß jede Vertikale des Gegenstandes Σ gemäß § 8 im Bilde vertikal bleibt, so können wir bereits einfachere Beispiele erledigen. Ein solches bilden die nebenstehend gezeichneten Würfel (Fig. 26), von denen zwei bis an die Bildebene heranreichen. Die in der Bildebene liegenden Flächen ABCD und BCFE stellen sich daher in ihrer natürlichen Größe dar. Die Ecken S, T, U, V des oberen Würfels sollen in die Mitten der Quadrate fallen, auf denen er steht.
In Anlehnung an § 3 (Fig. 10) können wir die Zeichnung in diesem Fall sogar direkt ausführen, ohne die in der Grundebene und den andern Horizontalebenen vorhandenen Teilfiguren zu benutzen. Wir zeichnen zunächst das der Grundebene entsprechende Bild in der gleichen Weise wie bei Figur 10.36 Gemäß Satz II verfahren wir dann ebenso mit der Ebene, die die Bildebene in der Geraden DCF schneidet. Wir verbinden also die Punkte C, D, F mit L, N und R, ziehen durch die Schnittpunkte die Parallelen zur Achse, und erhalten so das Bild der oberen vier Würfelflächen; übrigens kann man für ihre Zeichnung auch den Umstand benutzen, daß je zwei Punkte der oberen und der unteren Flächen auf einer Vertikalen liegen.37 Da die Mitten S, T, U, V dieser Würfelflächen zugleich vier Ecken des obersten Würfels sind, hat man nur noch dessen obere Fläche WXY Z zu zeichnen. Deren Ecken liegen zunächst wieder auf den durch S, T, U, V gehenden Vertikalen. Wir bestimmen nun noch die Bildgeraden der in dieser Fläche enthaltenen Diagonalen WY und XZ, deren Fluchtpunkte R und L sind. Dazu sind nur ihre Spuren P und Q zu ermitteln; wir erhalten sie unmittelbar, indem wir die Kanten AD und EF um sich selbst bis P und Q verlängern. Die so bestimmten Geraden liefern in ihrem Schnitt mit den eben genannten Vertikalen bereits die Punkte W, X, Z und Y . Eine Überbestimmung liegt darin, daß W, X und Z, Y auf je einer Parallelen zur Achse liegen.
Ähnlich kann man auch eine Reihe von Würfeln zeichnen, die so hinter einander liegen, daß ihre Grundflächen ein Rechteck bilden.
Wir erörtern nun die allgemeine Frage, wie wir das Bild P' eines gegebenen Raumpunktes P in β zu zeichnen haben. Dies kann offenbar auf verschiedene Art geschehen, je nach der Wahl der Geraden, als deren Schnitt wir ihn betrachten. Drei Fälle wollen wir besonders hervorheben:
1. Zunächst betrachten wir ihn als Schnittpunkt einer zu γ senkrechten Geraden v und einer zu β senkrechten Geraden n (Fig. 27). Sei P1 der Schnitt von v mit γ, P2 der von n mit β, und P1P0 das von P1 auf die Grundlinie gefällte Lot, so bilden die vier Punkte PP1P0P2 ein Rechteck, und es ist
PP1 = P2P0.
| (1) |
Diese einfache Tatsache läßt uns leicht erkennen, daß wir die Bildgeraden v' und n' und
damit auch den Bildpunkt P' von P zeichnen können, sobald uns seine Projektion P1
und die Höhe PP1 gegeben sind (Fig. 28).
Die Bildgerade v' ist nämlich, erstens
senkrecht zur Grundlinie a (nach § 8) und zweitens geht sie durch den Bildpunkt P1'
von P1, der gemäß I bestimmbar ist; sie ist also selbst zeichnerisch bestimmt. Ferner
geht die Gerade n' erstens durch den Augenpunkt N und zweitens durch den Punkt P2,
der ihr Durchdringungspunkt mit β ist, und infolge der Relation 1) ebenfalls zeichnerisch
bestimmt ist. Damit ist die Behauptung bewiesen. Wir erhalten also folgende
Konstruktionsvorschrift.
III. Um das Bild eines Punktes P zu zeichnen, dessen Projektion P1 in der Grundebene und dessen Höhe PP1 über der Grundebene bekannt sind, zeichne man gemäß § 3 den Bildpunkt P1' von P1 ziehe durch P1' die Gerade v' senkrecht zur Grundlinie, bestimme auf dem von P1 auf die Grundlinie gefällten Lot P1P0 den Punkt P2, so daß P0P2 = PP1 ist, und verbinde endlich P2 mit dem Augenpunkt N, so schneidet diese Verbindungslinie n' die Gerade v' im Bildpunkt P'.
Ein Beispiel einfachster Art ist das folgende. Eine quadratische Säule von gegebener Höhe zu zeichnen, deren Grundfläche in der Grundebene liegt (Fig. 29). Sei ABCD die untere und EFGH die obere Fläche unserer Säule; wir wollen sie so annehmen, daß AB der Achse parallel laufe. Wir zeichnen dann gemäß § 3 das Bild A'B'C'D', errichten in A' eine Vertikale v', fällen von A das Lot AA0 auf die Achse, verlängern es um die gegebene Höhe bis A2, verbinden A2 mit dem Augenpunkt N, und erhalten im Schnitt dieser Verbindungslinie mit v' den Bildpunkt E'. Ebenso kann man die Punkte F', G' und H' zeichnen. Man beachte zugleich, daß E'F' und G'H' zur Achse parallel sind; man kann also G' und H' einfacher als Schnitt dieser Parallelen mit den in C' und D' errichteten Vertikalen finden38 .
2. Enthält die Figur Σ Scharen von parallelen horizontalen Geraden, die nicht auf der Bildebene β senkrecht stehen, so liegt es nahe, sie in der gleichen Weise zu benutzen, wie die Geraden n; analog zu dem, was wir am Schluß von § 2 ausgeführt haben. In der Tat läßt sich die obige Regel ohne weiteres auf alle Richtungen verallgemeinern, die zur Grundebene parallel sind. Man betrachte also jetzt (Fig. 30) den Punkt P als Schnittpunkt einer Geraden v mit einer zur Grundebene parallelen Geraden f; P1 sei wieder der Schnitt von v mit γ, und F2 derjenige von f mit β. Zieht man nun in γ durch P1 eine zu f parallele Gerade f1 und nennt ihren Schnitt mit der Grundlinie F0, so ist PP1F0F2 wieder ein Rechteck, also PP1 = F2F0. Alles übrige ergibt sich wie oben. Mithin ergibt sich folgende Regel (Fig. 31).
IV. Ist der Fluchtpunkt F einer zur Grundebene parallelen Geraden f bekannt, so kann man das Bild eines Punktes P, dessen Projektion P1 in der Grundebene und dessen Höhe PP1 über der Grundebene bekannt sind, wie folgt konstruieren. Man zeichne gemäß § 3 den Bildpunkt P1' von P1 ziehe durch P1' die Gerade v' senkrecht zur Grundlinie und durch P1 eine zu f parallele Gerade f1, errichte in ihrem Schnittpunkt F0 mit der Grundlinie ein Lot F0F3 gleich P1P, und verbinde F3 mit dem Fluchtpunkt F von f, so schneidet diese Verbindungslinie die Gerade v' im Bildpunkte P'.
3. Eine dritte oft brauchbare Regel erhalten wir folgendermaßen. Sei e eine zweite horizontale Gerade, deren Fluchtpunkt E bekannt ist, so gilt das vorstehende auch für sie. Die beiden zu f und e zugehörigen Punkte F2 und E2 liegen daher auf einer zur Grundlinie parallelen Geraden, und zwar stellt diese Gerade den Durchschnitt von β mit der Ebene dar, die durch P parallel zur Grundebene verläuft. Daraus folgt sofort (Fig. 32):
V. Kennt man die Spur d einer zur Grundebene parallelen Ebene δ mit der Bildebene β, sowie die Fluchtpunkte E und F zweier horizontalen Richtungen e und f, so kann man das Bild eines Punktes P von δ, dessen Projektion P1 in der Grundebene bekannt ist, folgendermaßen zeichnen. Man ziehe durch P1 je eine zu e und f parallele Gerade, bestimme ihre Schnittpunkte E0 und F0 mit der Grundlinie, errichte in ihnen die Lote E0E3 und F0F9 bis zum Schnitt mit der Spur d, verbinde E2 mit E und F2 mit F, und erhält im Schnittpunkt dieser Verbindungslinien den Bildpunkt P'.
Diesen Satz wird man besonders dann mit Vorteil anwenden, wenn es sich um die Zeichnung einer in der Ebene δ enthaltenen Teilfigur von Σ handelt. Man sieht leicht, daß die Art, in der wir die Figur 26 herstellten, bereits der in ihm enthaltenen Regel entspricht. Übrigens dienen die verschiedenen Möglichkeiten, die den Sätzen I, II, III entsprechen, der stets notwendigen zeichnerischen Überbestimmung.
In dieser Weise wollen wir folgende Aufgaben behandeln.
1. Einen parallelepipedischen Kasten darzustellen, dessen Grundfläche ABCD in der Grundebene enthalten ist; A1B1C1D1 sei die obere zu ABCD kongruente Fläche. (Figur 33.)
Man nehme die Fluchtpunkte E und F der Geraden AB = e und AC = f willkürlich an, und zeichne mit ihnen zunächst wieder das Bild A'B'C'D' von ABCD. Dann errichte man in den Punkten, in denen die Seiten von ABCD die Grundlinie schneiden, Vertikalen gleicher Länge (die die Kastenhöhe darstellt), und verbinde ihre Endpunkte mit den Fluchtpunkten E und F, so ergibt sich unmittelbar das Bild der oberen Fläche A1B1C1D1 des Kastens. Eine Überbestimmung besteht darin, daß die Kanten A'A1', B'B1', C'C1' und D'D1, vertikal sind.
Wird nun noch innerhalb ABCD das Rechteck RSTU gezeichnet, so kann man in gleicher Weise das Bild R1'S1'T1'U1' der oberen Fläche und die von ihm nach unten gehenden inneren Kanten zeichnen.
2. Einen auf der Grundfläche stehenden Tisch zu zeichnen. Auch hier wird am einfachsten mit den Fluchtpunkten der Tischkanten operiert; die Ausführung selbst ist aus der Figur unmittelbar zu entnehmen (Fig. 34).
3. Ähnlich zeichnet man auch einige nebeneinanderstehende sechseckige Säulen gegebener Höhe. Hier können zunächst die Fluchtpunkte zweier Sechseckseiten willkürlich gewählt werden.
Für alle diese Figuren hat man die in § 3 angegebenen Bemerkungen über die Kontrolle der Zeichnung zu beachten.39
Zur Darstellung weniger einfacher Raumfiguren reichen die vorstehenden Methoden nicht mehr aus; hierzu bedürfen wir neuer Hilfsmittel. Zu diesem Zweck müssen wir der Frage näher treten, wie man überhaupt eine Raumfigur Σ durch zeichnerische Daten, die in der Zeichnungsebene enthalten sind, in ihrer räumlichen Lage und Gestalt bestimmen kann; denn andere als zeichnerische Bestimmungsarten kommen für uns nicht in Frage.
Dies geschieht durch Grundriß und Aufriß. Ähnlich wie in der analytischen Geometrie gehen wir von zwei zueinander senkrechten Koordinatenebenen aus, auf die wir alle Punkte des Raumes der Lage nach beziehen. Sind P1 und P2 die Projektionen von P in diesen Ebenen (vgl. Fig. 27, S. 59), so ist P eindeutig bestimmt, wenn die Lage von P1 und P2 gegeben ist, und zwar als Schnittpunkt der beiden in P1 und P2 auf diesen Ebenen errichteten Lote. Die Ebenen sollen Projektionsebenen heißen und durch π1 und π2 bezeichnet werden. Die eine denken wir uns wieder horizontal und nennen sie Grundrißebene oder erste Projektionsebene, die andere, die vertikal ist, nennen wir Aufrißebene oder zweite Projektionsebene. Ihre Schnittlinie nennen wir wieder Achse und bezeichnen sie durch a. Wird jeder Punkt und jede Gerade einer Raumfigur Σ auf diese beiden Ebenen orthogonal projiziert, so entsteht in der Grundrißebene der Grundriß oder die Grundrißprojektion, in der Aufrißebene der Aufriß oder die Aufrißprojektion. Die Grundebene γ und die Bildebene β stellen ein Paar solcher Ebenen dar.
Da Grundriß und Aufriß Parallelprojektionen sind, so gelten für sie alle Sätze, die wir am Schluß von § 8 für solche Projektionen abgeleitet haben. Sie können daher auch selbst als geometrische Bilder räumlicher Objekte gelten, und kommen auch vielmals als solche in Betracht. Hier soll jedoch wesentlich nur ihre Verwendung für die zeichnerische Herstellung des perspektivischen Bildes in der Bildebene β erörtert werden.
Wir denken uns dazu in gewohnter Weise die Grundrißebene um. die Achse in die Aufrißebene umgelegt, und leiten zunächst eine elementare, aber grundlegende Eigenschaft für die so entstehende Figur ab. Sie beruht darauf, daß die Ebene der drei Punkte PP1P2 auf der Achse a senkrecht steht; ist also P0 ihr Schnitt mit a, so ist PP1P0P2 ein Rechteck. Bei der Umlegung der Grundrißebene bleibt daher P0P2 zur Achse senkrecht, und es fallen deshalb P1, P0, P2 nach erfolgter Umlegung in eine Gerade (Fig. 35); d. h.:
I. Die Verbindungslinie der beiden Projektionen P1 und P2 schneidet die Achse a senkrecht.40
Liegt P insbesondere in der Grundrißebene, so ist P mit P1 identisch, während P2 auf P0 fällt; ebenso fällt P1 in P0, falls P in der Aufrißebene liegt, also mit P2 identisch ist.41
In den einfachsten Fällen kann die Herstellung von Grundriß und Aufriß ohne weiteres ausgeführt werden. Dies zeigen folgende Beispiele:
1. Grundriß und Aufriß einer quadratischen Pyramide zu zeichnen, deren Grundfläche in der Grundebene steht. Der Grundriß besteht (Fig. 36) aus dem Quadrat A1B1C1D1 und seinen sich in O1 schneidenden Diagonalen, die die ersten Projektionen der Kanten darstellen. Im Aufriß fallen A2, B2, C2, D2 in die Achse, während die Spitze O2 auf der durch O1, gehenden Vertikalen beliebig angenommen werden kann.
2. Grundriß und Aufriß eines regulären Oktaeders so zu zeichnen (Fig. 37), daß eine Hauptdiagonale auf der Grundrißebene senkrecht steht. Sei ABCDEF das Oktaeder und AF diese Hauptdiagonale.
Wir können das Oktaeder als eine Doppelpyraramide mit der Grundfläche BCDE und der Höhe AF betrachten und erkennen sofort, daß der Grundriß aus dem zu BCDE kongruenten Quadrat B1C1D1E1 und seinen Diagonalen besteht; im Mittelpunkt des Quadrates fallen A1 und F1 zusammen. Die Lage von B1C1D1E1 in der Grundebene wählen wir beliebig.
Um die Aufrißprojektion zu zeichnen, wollen wir zunächst festsetzen, daß der Punkt A in der Grundebene enthalten ist; dann fällt A2 auf die Achse a. Da die Höhe AF zur Aufrißebene parallel ist, so ist A2F2 = AF; damit ist auch der Punkt F2 bestimmt. Endlich fallen die Projektionen B2, C2, D2, E2 sämtlich in eine zur Achse a parallele Gerade, die A2F2 halbiert.42
3. Ein Parallelepipedon beliebiger Stellung in Grundriß und Aufriß zu zeichnen.
Wir haben zunächst zu überlegen, wie man die räumliche Lage eines Parallelepipedons überhaupt festlegt. Man kann dazu einen Punkt A des Raumes und drei von ihm ausgehende Kanten AB, AC, AD beliebig annehmen; aus ihnen entsteht das Parallelepipedon durch bloßes Ziehen von Parallelen. Handelt es sich also nur darum, irgendein Parallelepipedon zu zeichnen — und dies soll hier der Fall sein — so kann man (Fig. 38) die Projektionen A1, B1, C1, D1 und A2, B2, C2, D2 beliebig wählen (naturgemäß in Übereinstimmung mit Satz I); die Projektionen der übrigen Punkte ergeben sich aus ihnen durch Ziehen der noch fehlenden Parallelen, wie die Figur es erkennen läßt.
Um nun aus Grundriß und Aufriß in der Ebene β das Bild Σ' einer Raumfigur Σ zu zeichnen, treffen wir zunächst die naheliegende Festsetzung, daß die Bildebene β zugleich als Aufrißebene und die Grundebene γ als Grundrißebene betrachtet werden sollen. Grundlinie, Horizont und Distanzpunkte betrachten wir wieder als gegeben. Ferner genügt es, die Herstellung des Bildpunktes P' für einen beliebigen Punkt P zu leisten, und zwar naturgemäß wieder unter der Voraussetzung, daß wir die Grundrißebene in die Aufrißebene hineingedreht haben. Die Aufgabe, die zu lösen ist, ist also die, aus dem in der Zeichnungsebene gegebenen Grundrißpunkt P1 und dem ebenso gegebenen Aufrißpunkt P2 den Bildpunkt P' zu finden. Hierzu hat man sich aber nur zu vergegenwärtigen, daß die Lote PP1 und PP2 eine Gerade v und eine Gerade n im Sinne von § 9 darstellen (Fig. 26), und daß die hier benutzten Punkte P1 und P2 mit den dort eingeführten identisch sind. Infolgedessen überträgt sich auch die dort unter III gegebene Regel auf den vorliegenden Fall; sie vereinfacht sich noch dadurch, daß hier der Punkt P2 bereits bekannt ist. Also folgt (Fig. 27).
II. Um aus der Grundrißprojektion P1 und der Aufrißprojektion P2 eines Punktes P den in der Aufrißebene liegenden Bildpunkt P' zu erhalten, zeichne man zunächst gemäß § 3 den Bildpunkt P1' von P1 ziehe durch ihn eine Vertikale und verbinde P2 mit dem Augenpunkt N, so ist der Schnittpunkt beider Geraden der Punkt P'.
Einen zweiten nützlichen Satz erhalten wir, indem wir an den Satz V von § 9 anknüpfen. Er betrifft die Zeichnung einer Figur PQ..., die in einer zur Grundebene parallelen Ebene γ' enthalten ist, und fließt unmittelbar aus der Erwägung, daß die dort benutzte Spur d der Ebene γ' diejenige Gerade ist, auf der die Aufrißprojektionen P2, Q2... liegen. Sind also wieder E und F die Fluchtpunkte zweier horizontalen Richtungen e und f, so folgt für die Konstruktion der Bilder solcher Punkte folgende Regel:
III. Durch die Grundrißprojektionen P1, Q1... der Punkte P, Q... lege man je eine Gerade e und f, wie in § 9, übertrage deren Schnittpunkte mit der Achse a lotrecht auf die Gerade, die die Aufrißprojektionen P2, Q2... enthält, und verbinde die so entstehenden Punkte mit den Fluchtpunkten E und F, so liefern diese Geraden in ihren bezüglichen Schnittpunkten die Bildpunkte P', Q'...
Als Beispiel behandeln wir die Zeichnung einer geraden Pyramide mit quadratischer Grundfläche und quadratischem Sockel; die Grundfläche falle in die Grundrißebene γ.
Sei ABCD die Grundfläche und EFGH die obere Fläche des Sockels, UV WZ die untere Fläche der Pyramide und O ihre Spitze. Dann besteht der Grundriß (Fig. 39) aus den beiden ineinander liegenden Quadraten A1B1C1D1 und U1V 1W1Z1, und den Diagonalen des inneren, und zwar ist A1B1C1D1 zugleich die Grundrißprojektion des Quadrats EFGH. Die Lage dieser Quadrate in der Grundrißebene haben wir beliebig gewählt; man beachte aber, daß damit die Stellung der Pyramide zur Bildebene festgelegt ist. Der Aufriß ergibt sich unmittelbar auf Grund davon, daß die zweiten Projektionen der Quadrate in je eine zur Achse a parallele Gerade fallen; die Höhe des Sockels und der Pyramide haben wir beliebig angenommen43 .
Um nun das Bild der Pyramide in der Bildebene β zu zeichnen, nehme man den Horizont h und die Fluchtpunkte E und F der Quadratseiten beliebig an44 , und konstruiere zunächst das Bild A'B'C'D' der Grundfläche ABCD gemäß § 3. Dann zeichne man gemäß dem vorstehenden Satz II die Punkte E', F', G', H' und ebenso die Punkte U', V ', W', Z'. Den Punkt O' haben wir jedoch mittels des Augenpunktes N gemäß Satz I konstruiert. Diesen müssen wir aber erst bestimmen. Wir erhalten ihn z. B. als Fluchtpunkt der Geraden B1B2, indem wir also B2B' mit dem Horizont h zum Schnitt bringen. Die von ihm ausgehende Gerade NF2 liefert für ihn eine überbestimmung.45
Analog hat man zu verfahren, wenn man das perspektivische Bild zu den Figuren 37 und 38 zeichnen will.46 Im Fall des Parallelepipedons kann man die Konstruktion auch dadurch etwas kürzen, daß man zunächst die Bilder zweier parallelen Geraden, z. B. diejenigen von AB und CE, bestimmt; man erhält dann ihren Fluchtpunkt und kann ihn für die Zeichnung der anderen ihnen parallelen Geraden benutzen. Ist z. B. das Bild D' des Punktes D gefunden, und soll der Bildpunkt F' gezeichnet werden, so hat man nur den Bildpunkt F1' von F1 gemäß § 3 zu zeichnen, in ihm eine Vertikale zu errichten und dann den Punkt D' mit dem genannten Fluchtpunkt zu verbinden, so stellt der Schnitt der Vertikalen mit dieser Verbindungslinie den Punkt F' dar.47
Ich schließe mit einigen zeichnerischen Bemerkungen.
1. Erstens kann man fragen, welche der obigen Zeichnungsvorschriften in den einzelnen Fällen am besten anzuwenden ist. Hierauf kann, wie auch sonst in der Kunst, eine allgemeine Antwort nicht gegeben werden. Jeder wird so zeichnen, wie es ihm am bequemsten scheint und am geläufigsten ist; auch wird man zweckmäßig mit überbestimmungen operieren.
2. In den Figuren 36, 37 und 38 sind einige Linien stark, einige nur gestrichelt oder überhaupt nicht gezeichnet. Die ersten sollen den Kanten entsprechen, die man sieht, die anderen denen, die durch die Körper selbst verdeckt sind, vorausgesetzt, daß man sie als undurchsichtig betrachtet. Dies geschieht, damit man die räumliche Stellung der dargestellten Gegenstände möglichst leicht und sicher beurteilen kann. Welche Linien stark oder gestrichelt zu zeichnen sind, hängt davon ab, wo sich der Gegenstand Σ und das Auge des Beschauers befinden.
Da sich der Punkt S0, für den das in der Aufrißebene entstehende perspektivische Bild hergestellt wird, vor der Aufrißebene befindet, und der Gegenstand Σ hinter der Aufrißebene, so wird man von S0 aus diejenigen Punkte des Gegenstandes Σ sehen können, die der Aufrißebene am nächsten liegen; dies sind diejenigen, deren Grundrißprojektionen von der Achse den kleinsten Abstand haben.48 Sie sollen auch im Aufriß stark gezeichnet werden. Alle Teile des Gegenstandes, die für das perspektivische Bild sichtbar sind, sind daher aus dem Aufriß unmittelbar zu entnehmen.49
Dies ist an den einzelnen Figuren leicht zu erkennen. Beispielsweise ist in Fig. 38 der Punkt A derjenige, dessen Grundrißprojektion den kleinsten Wert hat; er liegt deshalb der Aufrißebene am nächsten, und die von ihm ausgehenden Kanten AB, AC, AD nebst den durch sie bestimmten Flächen sind von S0 aus sichtbar. Sie sind daher stark gezeichnet. Dagegen ist der Punkt H nebst den von ihm ausgehenden Kanten durch den Körper verdeckt. Ebenso ist in Fig. 37 C die Ecke, die man von S0 aus sieht, während E verdeckt ist.50
Was den Grundriß betrifft, so zeichnen wir ihn immer so, daß wir den Gegenstand von oben betrachten; es sind also diejenigen Teile des Gegenstandes sichtbar, die am weitesten von der Grundrißebene entfernt sind, deren Aufrißprojektionen also den größten Abstand von der Achse haben. In Fig. 38 sind dies die von dem Punkt F ausgehenden Kanten und die durch sie bestimmten Flächen.
Die Eigenschaften von Grundriß und Aufriß, die hier zu erörtern sind, betreffen wesentlich die in der Zeichnungsebene vorhandene Gesamtfigur, die sich durch Umlegen der einen Ebene in die andere ergibt. Sie sind dadurch bedingt, daß Grundriß und Aufriß als Projektionen einer und derselben Raumfigur Σ nicht unabhängig voneinander sind. Sie sind durchaus elementarer Natur. Nur insofern haftet ihnen eine gewisse Schwierigkeit an, als man genötigt ist, bald die tatsächliche Lage der Figur Σ zu den Projektionsebenen, bald die in der Zeichnungsebene vorhandene Gesamtfigur in Betracht zu ziehen und miteinander zu vergleichen; vielfach hat man von der einen zur anderen überzugehen und von den Eigenschaften der einen auf die der anderen zu schließen. Es ist dringend zu empfehlen, sich neben dem zeichnerischen Bilde stets auch die Lage der zugehörigen Figur Σ vorzustellen, bis man den übergang von dem einem zum anderen leicht ausführen kann.
Ich beginne mit Punkt, Gerade und Ebene und ihren gegenseitigen Beziehungen. Zweierlei kommt hier in Betracht. Erstens sind die Eigenschaften der einzelnen Figuren zu entwickeln; zweitens kann es sich darum handeln, Zeichnungen und Konstruktionen für gegebene geometrische Gebilde herzustellen.
1. Die Gerade. Das erste unmittelbar ersichtliche Resultat lautet, daß zwei beliebig in den Projektionsebenen π1 und π2 angenommene Geraden g1 und g2 stets die Projektionen einer eindeutig bestimmten Raumgeraden g darstellen (Fig. 40). Sie ist Schnittlinie der beiden Ebenen, die man durch g1 und g2 senkrecht zu π1 und π2 konstruiert. Diese beiden Ebenen heißen auch projizierende Ebenen der Geraden g; wir werden sie durch γ1 und γ2 bezeichnen.
Jede Gerade g ist durch zwei Punkte bestimmt; man kann hierzu insbesondere ihre Schnitte mit den Projektionsebenen wählen, die wir wieder ihre Spuren nennen und jetzt durch G1 und G2 bezeichnen wollen (Fig. 41). Da G1 in π1 liegt, so fällt die zweite Projektion von G1 auf die Achse a; sie möge G10 heißen.51 Ebenso fällt die erste Projektion von G2 auf die Achse (Fig. 42); sie heiße G20. Daher sind G1G20 und G2G10 die Projektionen der Geraden.
Hieraus ergibt sich unmittelbar die Lösung der Aufgabe, die Spuren einer gegebenen Geraden zu zeichnen, deren Projektionen g1 und g2 gegeben sind. Man hat nur ihre Schnittpunkte mit der Achse zu konstruieren und in ihnen die Lote zu errichten; sie schneiden g1 und g2 in den Spurpunkten.
Wir betrachten endlich die Projektionen einiger Geraden ausgezeichneter Lage. Man erkennt unmittelbar die Richtigkeit folgender Tatsachen:
Ist g zur Achse parallel, so sind auch g1 und g2 zur Achse parallel.
Ist g zur Grundrißebene π1 parallel, so ist g1 zu g parallel, während g2 zur Achse parallel ist; analog ist es, wenn g zu π2 parallel ist.
Die Grundrißprojektion einer Vertikalen v reduziert sich auf einen Punkt, nämlich auf ihre Spur in π1, während v2 zur Achse senkrecht ist. Analog steht die erste Projektion einer auf π2 senkrechten Geraden n auf der Achse senkrecht, während sich n2 auf die Spur von n in π2 reduziert.
2. Die Ebene. Eine Ebene kann entweder als begrenztes Flächenstück oder aber als unbegrenztes Raumgebilde in Frage kommen. Im ersten Fall sind die Projektionen des Flächenstücks durch die Projektionen seiner Begrenzung unmittelbar gegeben.
Um im zweiten Fall die Ebene ε zeichnerisch zu bestimmen, genügt es, ihre Schnittlinien mit den Projektionsebenen zu kennen (Fig. 43 und 44). Wir nennen sie ihre Spuren und bezeichnen sie durch E1 und E252 . Es ist klar, daß sie sich auf der Achse schneiden, und zwar in dem Punkt, der zugleich Schnittpunkt der drei Ebenen π1, π2, und ε ist. Wir bezeichnen ihn durch E0. Auch ist ersichtlich, daß zwei beliebige, sich auf der Achse schneidende Geraden E1 und E2 stets Spuren einer eindeutig durch sie bestimmten Ebene sind.
Als ausgezeichnete Lagen einer Ebene haben wir solche zu betrachten, die zu einer Projektionsebene oder zur Achse parallel oder senkrecht liegen; über sie ergibt sich leicht das Folgende:
Ist die Ebene ε zur Grundrißebene γ parallel, so verschwindet E1 ins Unendliche, und E2 ist zur Achse a parallel. Analog ist es, wenn ε zur Ebene β parallel ist.
Steht ε auf der Grundrißebene senkrecht, so ist E2 auf der Achse senkrecht, und die Gerade E1 liefert mit der Achse den Neigungswinkel von ε und β (Fig. 45 und 46).
Ist ε zur Aufrißebene senkrecht, so ist E1 auf a senkrecht, während E2 mit a den Neigungswinkel von ε und β bestimmt.
Steht ε auf der Achse a senkrecht, so sind E1 und E2 auf a senkrecht, beide Schnittlinien liegen also in einer Geraden.
Ist endlich ε zur Achse parallel, so sind auch E1 und E2 zur Achse a parallel.
3. Punkt und Gerade. Liegt ein Punkt P auf der Geraden g, so liegt die Projektion P1 auf g1 und ebenso P2 auf g2 was der Vollständigkeit halber erwähnt werden möge.
Wird P1 auf g1, aber P2 nicht auf g2 angenommen, so heißt dies nur, daß P in der projizierenden Ebene γ1 enthalten ist, die durch g1 geht und auf der ersten Projektionsebene π1 senkrecht steht (Fig. 40). Analog ist es, wenn P2 auf g2, aber P1 nicht auf g1 liegt.
4. Zwei sich schneidende Geraden. Ist P Schnittpunkt zweier Geraden g und f, so müssen sich (Fig. 47) die ersten Projektionen g1 und f1 in P1 schneiden, ebenso g2 und f2 in P2. Die Verbindungslinie der Schnittpunkte (g1,f1) und (g2,f2) kreuzt daher die Achse senkrecht. Hierauf ist Bedacht zu nehmen, wenn die Projektionen zweier sich schneidender Geraden gezeichnet werden sollen. Beispielsweise können g1,f1 und g2 beliebig gewählt werden; damit ist P1 = (g1,f1) bestimmt, also auch der Punkt P2 auf g2 und durch ihn kann f2 noch beliebig gezeichnet werden53 .
Ein besonderer Fall ist der, daß die beiden Geraden in eine Ebene fallen, die auf einer Projektionsebene senkrecht steht. Ist dies z. B. die Grundrißebene, so sind g1 und f1 identisch. Die Projektionen g2 und f2 liefern dann in ihrem Schnittpunkt (g2, f2) die Projektion P2, woraus sich weiter P1 auf g1 = f1 ergibt.
Sei endlich ε die durch g und f bestimmte Ebene. Ein sie darstellendes Flächenstück (Viereck) ergibt sich unmittelbar, indem man auf g und f die Punkte G', G'' und F', F'' beliebig annimmt. Um ferner die Spur von ε zu zeichnen, beachte man, daß wenn eine Gerade g in einer Ebene ε liegt, die Spuren von g auf den Spuren von ε (Fig. 48) liegen.
Man erhält daher in den Geraden F1G1 und F2G2 die gesuchten Spuren E1 und E2.
5. Zwei sich schneidende Ebenen. Schneiden sich die Ebenen ε und δ in der Geraden g, so sind (Fig. 49) die Spuren G1 und G2 von g mit den Punkten identisch, in denen die Spuren E1, D1 und die Spuren E2, D2 einander schneiden. Sind also ε und δ durch ihre Spuren gegeben, so können die Projektionen ihrer Schnittlinie g gemäß § 8 unmittelbar gezeichnet werden. Man hat von den Schnittpunkten (E1, D1) und (E2, D2) die Lote auf die Achse zu fällen und deren Fußpunkte mit den Spuren zu verbinden.
6. Eine Gerade in einer Ebene. Um die Projektionen einer Geraden g zu zeichnen, die in einer Ebene ε liegt, kann eine dieser beiden Projektionen beliebig angenommen werden; die andere ist bestimmt. Wird nämlich g1 beliebig gewählt, so wird damit festgesetzt, daß g in der durch g1 gehenden projizierenden Ebene γ1 liegt (Fig. 40), also Schnitt von γ1 und ε ist. Durch g1 ist also g und damit auch g2 bestimmt. Analog ist es, wenn man g2 beliebig wählt.
Um die zweite Projektion g2 zu zeichnen, haben wir wieder zu unterscheiden, ob die Ebene ε durch ihre Spuren oder als begrenztes Flächenstück gegeben ist. Im ersten Fall kann man folgendermaßen verfahren (Fig. 50). Da, wie oben erwähnt, die Spuren von g auf den Spuren von ε liegen, erhält man im Schnitt von g1 mit E1 die Spur G1 von g; errichtet man dann im Schnitt von g1 mit der Achse das Lot, so erhält man in seinem Schnitt mit der Spur E2 die Spur G2 von g und damit auch g2. Wenn dagegen die Ebene als begrenztes Flächenstück Φ gegeben ist, und Φ1 und Φ2 dessen Projektionen sind, so zeichne man wieder (Fig. 51) g1 in π1 beliebig, und hat sofort in den Schnittpunkten A1 und B1 von g1 mit Φ1 die ersten Projektionen der Schnittpunkte von g mit Φ und daraus in bekannter Weise die zweiten Projektionen, also auch die Gerade g2.54
7. Ein Punkt in einer Ebene. Soll ein in einer Ebene ε liegender Punkt gezeichnet werden, so kann wieder eine Projektion beliebig angenommen werden; es sei P1. Um P2 zu zeichnen, benutzt man am besten eine in ε liegende Gerade g, die durch P geht. Man nehme also (Fig. 52) die Projektion g1 so an, daß sie durch P1 geht, konstruiere gemäß 6. die Projektion g2 und erhält auf ihr gemäß 3. die Projektion P2.55
8. Kreuzungspunkt einer Geraden mit einer Ebene. Die Bestimmung des Kreuzungspunktes K einer gegebenen Geraden g mit einer gegebenen Ebene ε ist die wichtigste Aufgabe, die hier zu erörtern ist. Wir lösen sie, indem wir sie auf die Aufgabe 4. zurückführen, also eine zweite durch den Punkt K gehende Gerade zu Hilfe nehmen. Wir wählen dazu am besten die Schnittlinie f von ε mit der projizierenden Ebene γ1; die auf π1 längs g1 senkrecht steht. Für sie ist gemäß 4. f1 = g1; es handelt sich also nur noch darum, die zweiten Projektionen dieser Geraden f zu konstruieren.
Wir betrachten zunächst den Fall, daß ε als begrenztes Flächenstück Φ gegeben ist. Da f1 = g1 ist, hat man in den Schnittpunkten von g1 mit Φ1 zugleich die ersten Projektionen der Schnittpunkte von f mit Φ, und da ihre zweiten Projektionen auf Φ2 liegen, so ist damit auch f2 zeichnerisch bestimmt.
Ist z. B. Φ ein Parallelogramm ABCD, so hat man (Fig. 53) die Schnittpunkte P1 und Q1 von g1 mit A1B1C1D1 zu zeichnen, sodann auf A2B2C2D2 die zweiten Projektionen P2 und Q2, und dann den Schnittpunkt K2 von g2 mit P2Q2 = f2. Aus ihm erhält man endlich gemäß 3. auch den Punkt K1 auf g1.
Ist dagegen die Ebene ε durch ihre Spuren gegeben, so konstruiere man (Fig. 54) zunächst die Spuren von γ1; ihre erste Spur C1 ist gemäß 4. ebenfalls mit g1 identisch, ihre zweite C2 ist zur Achse a senkrecht. Die Projektion f2 ergibt sich nunmehr gemäß 5., indem man f als Schnitt von ε und γ1 ansieht; es ist also F1 = (C1,E1) und F2 = (C2,E2).
Übrigens wird man es meist nur mit dem ersten Fall zu tun haben. Um z. B. ein Parallelepipedon zu zeichnen, das von einer Geraden gekreuzt wird, können wir folgendermaßen verfahren. Die beiden Flächen, in denen die Kreuzung erfolgen soll, wählen wir beliebig aus, es seien (Fig. 55) ABCE und ABDF. Wir zeichnen dann am einfachsten in A1B1D1F1 irgendeine Gerade, z. B. die Diagonale B1D1, nehmen auf ihr K1 beliebig an und zeichnen K2 auf B2D2. Ebenso verfährt man mit den Projektionen A1B1C1E1 und A2B2C2E2. Damit hat man auch g1 und g2 als Verbindungslinien der Kreuzungspunkte.
Die Aufgaben, die hier zu erörtern sind, betreffen hauptsächlich die zeichnerische Darstellung von Strecken und Winkeln gegebener Größe.
In den einfachsten Fällen kommen wir ohne Kenntnis besonderer Methoden zum Ziel, wie das folgende Beispiel zeigt:
Grundriß und Aufriß eines Würfels von gegebener Kantenlänge herzustellen, wenn eine Hauptdiagonale auf der Grundebene π1 senkrecht steht.
Die eine Ecke A des Würfels denken wir uns der Einfachheit halber in der Grundebene liegend; die zur Grundebene senkrechte Hauptdiagonale sei AH. Sind dann AB, AC, AD, HE, HF, HG die von A und H ausgehenden Würfelkanten, so bilden die Punkte B, C, D und E, F, G je ein gleichseitiges Dreieck; die Ebenen dieser Dreiecke liegen zur Grundebene parallel und teilen die Hauptdiagonale in drei gleiche Teile. Daraus folgt, daß die Kante s des Würfels, die Flächendiagonale d und die Hauptdiagonale h in der Weise ein rechtwinkliges Dreieck ABH bilden (Fig. 56), daß der Höhenfußpunkt U die Hypotenuse im Verhältnis 1: 2 teilt. Damit ist h zeichnerisch bestimmt.
Wir zeichnen nun zunächst den Grundriß (Fig. 57). Aus der Symmetrie des Würfels folgt, daß alle Kanten gegen die die Diagonale AH und damit auch gegen die Grundrißebene gleich geneigt sind.56 Der Grundriß besteht daher aus den Seiten und Diagonalen eines regelmäßigen Sechsecks, dessen Ecken die Projektionen der Punkte B, C, D, E, F, G sind, während die Projektionen A1 und H1 in seinen Mittelpunkt fallen. Überdies stellt in Fig. 56 offenbar BU die Länge der Grundrißprojektion von AB und zugleich den Radius des dem Sechseck umgeschriebenen Kreises dar. Damit ist, so lange die Stellung des Würfels zur Aufrißebene beliebig bleibt, was hier geschehen soll, der Grundriß bestimmt.
Für den Aufriß erhalten wir zunächst den Punkt H2, indem wir A2H2 = AH machen. Wir haben dann nur noch A2H2 in drei gleiche Teile zu teilen, durch die Teilpunkte Parallelen zur Achse zu ziehen und zu beachten, daß die Projektionen B2, C2, D2 auf der unteren und E2, F2, G2 auf der oberen Parallele liegen; endlich sind noch die Verbindungslinien zu zeichnen, die den Kanten entsprechen.
Um andere Aufgaben in einfacher Weise zu behandeln, bedürfen wir neuer methodischer Hilfsmittel. Ein erstes bildet das Verfahren der Umlegung. Es besteht darin, eine Ebene ε um ihren Schnitt mit einer Projektionsebene so lange zu drehen, bis sie in die Projektionsebene hineinfällt. Alle in ε vorhandenen Figuren fallen dann in ihrer natürlichen Größe in die Projektionsebene. Ist also die durch Umlegung entstehende Figur zeichnerisch bestimmbar, so sind damit auch die in der Ebene ε vorhandenen Strecken und Winkel bekannt und umgekehrt.57
Dies Verfahren kommt besonders für zwei Aufgaben in Betracht. Diese sind:
1. die Neigungswinkel einer durch ihre Spuren gegebenen Ebene ε gegen die Projektionsebenen zu bestimmen, und umgekehrt die zweite Spur einer Ebene zu zeichnen, deren Neigung gegen eine Projektionsebene gegeben ist, und
2. für ein gegebenes Dreieck ABC, dessen Grundlinie BC in eine Projektionsebene fällt, Grundriß und Aufriß herzustellen, wenn seine Neigung gegen die Projektionsebene bekannt ist.
Es genüge, beidemal die Grundrißebene π1 ins Auge zu fassen. Seien wieder (Fig. 58) E1, und E2 die Spuren der Ebene ε. Wir nehmen irgendeine Ebene δ an, die auf der Spur E1 senkrecht steht; sie schneidet die Ebenen π1, π2 und ε in einem rechtwinkligen Dreieck E2E1D0, in dem der Winkel E1 der gesuchte Neigungswinkel ist. Da die Seiten E1D0 und E2D0 bekannt sind, so ist das Dreieck zeichnerisch bestimmt. Dieses Dreieck denken wir uns nun in die Ebene π1 umgelegt, so daß es in die Lage E1D0E' komme, alsdann können wir aus ihm den Neigungswinkel entnehmen. In der Zeichnungsebene konstruiert man also so, daß man (Fig. 59) irgendeine Gerade E1D0 senkrecht zur Spur E1 legt, in D0 die Vertikale D0E3 errichtet, und nun das Dreieck E1D0E' so zeichnet, daß D0E' = D0E2 ist.
Ist umgekehrt die Spur E1 und der Neigungswinkel α von ε gegen π1 gegeben, und E2 zu finden, so entnimmt man dem durch E1D0 und α bestimmten Dreieck E1D0E' die Länge der Seite D0E', macht D0E2 = D0E', und hat damit die Spur E2, von ε in π2.
Auch die zweite Aufgabe behandeln wir so, daß wir die Grundrißebene als Projektionsebene wählen. Sei AD die Höhe des Dreiecks, und w das in der Grundrißebene π1 auf BC in D errichtete Lot (Fig. 60), so enthält die durch AD und w bestimmte Ebene δ wieder den Neigungswinkel. Wird nun ABC um BC in die Ebene π1 umgelegt, so beschreibt A einen Kreis in der Ebene δ und fällt deshalb in einen Punkt A' der Geraden w. Andererseits liegt auch die Projektion A1 auf w. Dies soll zunächst als Satz ausgesprochen werden:
I. Wird ein Dreieck ABC, dessen Grundlinie BC in eine Projektionsebene π1 fällt, um BC in die Projektionsebene umgelegt, und gelangt dabei A in den Punkt A', so liegt die Projektion A1 von A auf dem Lot, das von A' auf die Grundlinie BC gefällt wird.
In dem rechtwinkligen Dreieck ADA1 ist AD und der Winkel D bekannt, es ist also zeichnerisch bestimmt. Zugleich gibt AA1 die Länge der Aufrißprojektion des Punktes A. Benutzen wir nun die Umlegungsmethode noch einmal in der Weise, daß wir das Dreieck ADA1 um DA1 in die Ebene π1 umlegen, und ist A''DA1 seine neue Lage, so entnehmen wir ihm unmittelbar den Punkt A1; zugleich liefert uns A''A1, wie eben erwähnt, die Länge der zweiten Projektion A2A0 des Punktes A. Damit ist die Aufgabe erledigt.
Die Ausführung der Zeichnung gestaltet sich folgendermaßen (Fig. 61): Man konstruiere A1B1C1 ABC, fälle das Lot A'D1, konstruiere das Dreieck A1D1A'' so, daß D1A'' = D1A' und D1 der gegebene Winkel ist, und zeichne zu A1 die zweite Projektion A2 in der Weise, daß A2A0 = A''A1 ist.
Es ist klar, daß man das vorstehende Verfahren auch benutzen kann, um den Neigungswinkel des Dreiecks ABC gegen die Grundrißebene zu ermitteln, wenn seine Projektionen gegeben sind. Man hat nur in umgekehrter Reihenfolge vorzugehen. Ich gehe jedoch hierauf nicht näher ein, weil in dieser Schrift immer die Herstellung der Zeichnungen in erster Linie in Frage kommt.
Beispiel 1. Einen Kasten mit rechtwinkliger Grundfläche zu zeichnen, dessen Dachflächen unter gleichen Winkeln gegen die Wände geneigt sind. Die Grundfläche ABCD befinde sich in der Grundebene, EFGH sei die obere Rechteckfläche und ST die Dachkante. (Fig. 62).
Man kann so verfahren, daß man je eine Ebene zu Hilfe nimmt, die auf der Grundfläche und auf zwei parallelen Seiten des Rechtecks ABCD senkrecht steht, und sie in die Grundebene umlegt; zunächst eine für die größeren Seiten AD und BC. Der Durchschnitt ist zeichnerisch bestimmt; sein höchster Punkt U ist ein Punkt der Dachkante ST.58 Mittels der Umlegung dieser Ebene ergeben sich also die Projektionen U1 und U2; übrigens genügt es den Teil des Durchschnitts zu zeichnen, der dem Dach angehört und durch A1B1U' dargestellt ist. Dann benutzt man zweitens eine Ebene, die durch den Punkt U geht, und auf den Seiten AC und BD senkrecht steht. Ihre Durchschnittsfigur ist jetzt ebenfalls zeichnerisch bestimmt; durch ihre Umlegung ergeben sich also auch die Projektionen S2 und T2. Auch hier genügt es den Teil umzulegen, der dem Dach selbst angehört.
2. Grundriß und Aufriß eines regulären Dodekaeders zu zeichnen, von dem eine Fläche ABCDE in die Grundebene fällt (Fig. 63 u. 64).
Folgende Eigenschaften, die die Gestalt des Dodekaeders betreffen, kommen hier in Betracht, Seine 20 Ecken verteilen sich auf vier zur Grundebene parallele Ebenen, so daß sie in jeder ein regelmäßiges Fünfeck bilden. Diese Fünfecke seien der Reihe nach ABCDE, A'B'C'D'E', A''B''C''D''E'', A'''B'''C'''D'''E'''. Von ihnen sind das erste und vierte kongruent, und ebenso das zweite und dritte. Sie liegen so zueinander, daß ihre Grundrißprojektionen zwei regelmäßige Zehnecke bilden.
Um den Grundriß herzustellen, kann man die Lage der Grundfläche ABCDE, also auch das Zehneck, dem seine Ecken angehören, beliebig annehmen; das von den Projektionen der beiden anderen Fünfecke gebildete Zehneck ist jedoch zu konstruieren. Ist BB' die von B ausgehende Kante des Dodekaeders, so muß ihre Grundrißprojektion aus Symmetriegründen in die Gerade fallen, die mit AB und BC gleiche Winkel bildet; auf dieser Geraden liegt also der Punkt B'. Denkt man sich nun die an BC anstoßende Fläche in die Grundrißebene umgelegt, so fällt B' auf A; gemäß I. liegt daher B'1 auch auf dem Lot, das man von A1 auf B1C1 fallen kann. Damit ist B'1 bestimmt, also auch das zweite Zehneck. Man zieht noch diejenigen Verbindungslinien, die den Kanten des Dodekaeders entsprechen.
Im Aufriß fallen die Projektionen von ABCDE in die Achse, und die Projektionen der drei anderen Fünfecke in je eine Gerade, die zur Achse parallel ist. Der Aufriß ist daher bestimmt, sobald wir je einen Punkt dieser drei Parallelen kennen. Ihre Konstruktion hängt davon ab, welche Lage zur Achse wir dem Fünfeck ABCDE in der Grundfläche geben. Am einfachsten ist es, eine Seite des Fünfecks senkrecht zur Achse zu wählen. Ist dies AB, so ist die Kante DD' der Aufrißebene parallel, und das gleiche gilt für die durch D'' gebende Mittellinie des an AB angrenzenden Fünfecks; ihre Aufrißprojektionen sind ihnen daher gleich. Damit sind die Projektionen D'2 und D''2 zeichnerisch bestimmt, also auch die beiden Parallelen, auf denen sie liegen. Die oberste Parallele erhält man am einfachsten durch die Erwägung, daß die Kanten D''D''' und DD' einander parallel sind; daher sind es auch ihre Projektionen. Damit ist auch D'''2 bestimmt. Man hat nun noch die Projektionen aller Ecken des Dodekaeders, sowie diejenigen Verbindungslinien zu zeichnen, die Kanten entsprechen.
Die so gezeichnete Figur hat allerdings den Mangel, daß sich einige Dodekaederflächen im Aufriß in eine Gerade projizieren. Nachdem aber die Aufrißprojektion für die besondere hier vorausgesetzte Lage des Dodekaeders konstruiert ist, kann sie für jede Lage ausgeführt werden, bei der eine Grundfläche in die Grundrißebene fallt, die also entsteht, wenn man das Dodekaeder um eine zur Grundrißebene senkrechte Achse dreht. Bei dieser Drehung bleibt nämlich jeder Punkt in einer Ebene, die zur Grundrißebene parallel ist; daher verteilen sich die Aufrißprojektionen der Dodekaederpunkte auf die nämlichen Parallelen, wie für die erste Lage. Denken wir uns also das Dodekaeder in der Weise gedreht, wie es Fig. 63 entspricht, so können wir, nachdem der Grundriß hergestellt ist, den Aufrißso zeichnen, daß wir uns zunächst die Lage der Aufrißparallelen herstellen und dann auf ihnen die zweiten Projektionen, wie es Figur 62 erkennen läßt.
Ich schließe damit, auf Grund der Figur 64 noch das perspektivische Bild des Dodekaeders zu zeichnen, unter Annahme des Augenpunktes N und der Distanzpunkte. (Fig. 65) Die Zeichnung schließt sich direkt an Satz V von § 9 an; wir konstruieren der Reihe nach die Bilder der vier Fünfecke, indem wir beachten, daß sie in je einer Horizontalebene enthalten sind, und zwar mittels der Fluchtpunkte L und R.
Eine zweite allgemeine Methode, zu der wir jetzt übergehen, besteht in der Einführung neuer Projektionsebenen. Sie läuft der Einführung neuer Koordinatenebenen in der analytischen Geometrie parallel; doch gehen wir hier so vor, daß wir schrittweise immer nur je eine neue Projektionsebene annehmen, und zwar so, daß die neue Ebene auf einer der vorhandenen senkrecht steht. Ein zweiter wichtiger Gesichtspunkt ist der, daß wir die neuen Projektionsebenen möglichst den darzustellenden Strecken und Winkeln parallel wählen; ist dies erreicht, so stellen sich deren Projektionen in ihrer natürlichen Größe dar.
Wie man in der analytischen Geometrie zuvörderst die Formeln für die Transformation der Koordinaten zu behandeln hat, entsteht hier zunächst die Aufgabe, die Projektionen in den neuen Projektionsebenen aus den alten herzustellen. Wir gehen dazu von Grundriß und Aufriß aus, und denken uns eine Projektionsebene π3, die auf der Grundrißebene π1 senkrecht steht, während sie mit π2 einen beliebigen Winkel bilde. (Fig. 66). Es sind dann auch π1 und π3 zwei Ebenen, die als Grundriß- und Aufrißebene benutzt werden können, und wir haben, wenn P3 die Projektion eines Punktes P in π3 ist, P3 aus P1 und P2 abzuleiten.
Sei dazu O der Schnitt der drei Ebenen, sei jetzt a12 die Achse für π1 und π2, und a13 diejenige für π1 und π3 so daß O zugleich Schnitt von a12 und a13 ist. Wir denken uns nun auch die Ebene π3 in die Ebene π1 umgelegt (Fig. 67), und zwar durch Drehung um a13, so besteht auch für die Projektionen P1 und P3 der Satz I von § 10; und man hat, wenn jetzt die Schnittpunkte von P1P2 und P1P3 mit den Achsen durch P12 und P13 bezeichnet werden, unmittelbar die Gleichung
PP1 = P2P12 = P3P13.
| (1) |
Diese einfache Gleichung ist die einzige Tatsache, die hier in Frage kommt59 . Wir schließen aus ihr sofort, daß die Projektion P3 aus P1 und P2 zeichnerisch bestimmbar ist; man hat nur von P1 auf a13 das Lot P1P13 zu fällen, und auf ihm P3 so zu bestimmen, daß P3P13 = P2P12 ist. Dies pflegt man so auszuführen, daß man (Fig. 67) in O auf a12 und a13 je ein Lot n2 und n3 errichtet, zu a12 durch P2 eine Parallele bis n2 zieht, dann den bis n3 reichenden Kreisbogen schlägt, und durch seinen Endpunkt wieder die Parallele zu a13 zieht60. Wir sprechen das gefundene Resultat folgendermaßen als Satz aus:
I. Wählt man die Projektionsebene π3 senkrecht auf π1, so ergibt sich die Projektion P3 aus P1 und P2 in der Weise, daß man von P1 auf die Achse a13 der Ebenen π1 und π3 ein Lot P1A13 fällt und auf ihm die Strecke A13P3 gleich A12P2 abträgt, wenn A12 Schnitt der Achse a12 mit P1P2 ist.
Die Einführung einer dritten Projektionsebene π3 kann zunächst den Zweck haben, zu bewirken, daß die Raumfigur Σ eine vorgegebene Lage zu den Projektionsebenen besitzt. Dies wollen wir zunächst an einigen einfachen Beispielen ausführen.
1. Die Projektion des in Fig. 37 gezeichneten Oktaeders auf einer zur Aufrißebene senkrechten Ebene π3 herzustellen. Die Ausführung erfolgt unmittelbar nach dem eben gegebenen Konstruktionsschema und bedarf keiner weiteren Erläuterung (Fig. 68).
2. Die zweite oben gegebene Darstellungsart des Dodekaeders so vorzunehmen, daß man die Ebene π3 auf π1, senkrecht wählt. Auch diese Aufgabe ist unmittelbar nach dem angegebenen Schema zu behandeln (Fig. 69)61.
Die Einführung neuer Projektionsebenen laßt sich wiederholen; man kann eine Ebene π4 einführen, die auf einer der Ebenen π1 oder π3 senkrecht steht, und kann dies beliebig lange fortsetzen. Man erhält dadurch Grundriß- und Aufriß- projektionen für immer neue Stellungen einer Figur zu den Projektionsebenen. Dabei ist zweierlei zu bemerken. Erstens bedarf es nur zweier Schritte, um eine gegebene Ebene ε zur Projektionsebene zu machen. Ist nämlich E1 die Spur von ε in π, so wähle man π3 senkrecht auf E1, und kann nun, da π3 auf ε senkrecht steht, ε als Ebene π4 einführen. Zweitens beachte man, daß bei der Einführung von π4 ein praktischer Fortschritt nur so entsteht, daß man π4 senkrecht zu π3 annimmt, so daß π3 und π4 die neue Grundrißebene und Aufrißebene darstellen. Würde man nämlich π4 senkrecht auf π1 wählen, so ist π3 überflüssig; man hätte von vornherein π4 statt π3 als neue Ebene benutzen können.
Welche Ebenen man in den einzelnen Fällen einführt, hängt ganz von der Natur der Aufgabe und von dem Zweck ab, den man erreichen will. Ihre Wahl muß getroffen sein, ehe man an die zeichnerische Darstellung geht; die Vorstellung der Figur mit allen ihren Projektionsebenen und die richtige Auswahl dieser Ebenen ist das Problem, das in jedem einzelnen Fall zu lösen ist; die Herstellung der neuen Projektionen ist ein mechanisches Verfahren, das immer in der gleichen Weise erfolgt.
Ich erörtere schließlich noch kurz den Fall, daß man eine neue Projektionsebene einführt, die zu einer vorhandenen parallel ist. An dem Satz I wird dann nichts geändert. Sei z. B. π3 || π2 (Fig. 70), so daß a12 und a13 parallel sind, so besteht immer noch die Gleichung 1); die einzige Modifikation die auftritt, ist die, daß P1P2 und P1P3 in dieselbe Gerade fallen. Man erhält also auch hier P3 so, daß man P13P3 = P12P2 macht (Fig. 71).62
Ich schließe mit folgender Bemerkung. Wie in der analytischen Geometrie können auch hier für die Behandlung der einzelnen Probleme zwei grundverschiedene Gesichtspunkte maßgebend sein. Man kann die Koordinatenebenen und die Projektionsebenen so einfach wie möglich, man kann sie aber auch so allgemein wie möglich wählen. Beides hat seine Berechtigung; das zweite dient mehr den theoretischen, das erste mehr den praktischen Zwecken. An dieser Stelle steht jedoch der praktische Zweck im Vordergrund; die Aufgabe, die sich in so engem Rahmen allein behandeln läßt, kann nur dahin gehen, auf die einfachste Weise zum Entwerfen richtiger Bilder zu gelangen. Demgemäß haben wir die Lage der Gegenstände zu den Projektionsebenen stets so angenommen, daß ihre zeichnerische Herstellung so leicht wie möglich ausfällt, haben uns überdies auf Aufgaben einfacherer Art beschränkt, und die übrigen Probleme nur in aller Kürze gestreift.
Die Figuren der räumlichen analytischen Geometrie pflegt man folgendermaßen zu zeichnen. Man nimmt die drei Richtungen, die die Koordinatenachsen darstellen sollen, beliebig an, und zeichnet die Koordinaten eines jeden Punktes so, daß sie diesen drei Geraden parallel sind. Das allgemeine Prinzip, das hierin zum Ausdruck kommt, bildet den sogenannten Grundsatz der Axonometrie; es steht im Mittelpunkt aller zeichnerischen Methoden. Sein Inhalt und seine Begründung bedarf ausführlicher Erörterung.
Da die Koordinaten eines jeden Punktes durch Parallelen zu den drei Koordinatenachsen dargestellt werden, so ist das so hergestellte Bild eine Parallelprojektion. Damit ist jedoch der Inhalt unseres Satzes noch nicht erschöpft. In präziser Formulierung lautet er folgendermaßen:
I. Werden in einer Ebene ε' drei von einem Punkt O' ausgehende Strecken O'A', O'B', O'C' so angenommen, daß ihre Endpunkte ein Dreieck A'B'C' bilden, so können sie stets als Parallelprojektion eines rechtwinkligen gleichseitigen räumlichen Dreikants OABC auf ε' betrachtet werden.63
Wir betrachten zunächst denjenigen besonders einfachen Fall, der der gewöhnlichen Koordinatendarstellung entspricht. Das Dreikant liegt dann so, daß eine seiner Ebenen (die xz-Ebene) zu ε' parallel ist. Die zur Ebene ε' parallelen Kanten OA und OC erscheinen alsdann in der Projektionsfigur in ε' in ihrer natürlichen Länge, während die dritte Kante OB (die der y-Achse entspricht) eine Verkürzung erfährt. Für diesen Fall ist der Satz geradezu evident; geht man nämlich von zwei zueinander gleichen rechtwinkligen Strecken O'A' und O'C' aus (Fig. 72), während O'B' mit ihnen einen beliebigen Winkel bildet, so kann diese Figur in der Tat als Projektion eines so gelegenen Dreikants OABC aufgefaßt werden. Die zugehörige Richtung der projizierenden Strahlen ergibt sich unmittelbar in der Weise, daß man auf der Zeichnungsebene ein Lot O'B'' = OB errichtet, und B'' mit B' verbindet. Man bezeichnet diese Art der Darstellung auch als schiefe Projektion. Übrigens bleibt das Vorstehende auch dann noch in Kraft, wenn O'B' mit einer der Geraden O'A' oder O'C' zusammenfällt; dies bedeutet nämlich nur, daß die projizierenden Strahlen zu der Seitenfläche OAB oder OBC des Dreikants parallel sind.64
Dem Beweis des allgemeinen Satzes schicke ich einen Hilfssatz voraus, der in seiner einfachsten Formulierung ein Satz über ein gerades dreiseitiges Prisma ist und folgendermaßen ausgesprochen werden kann:
II. Jedes gerade dreiseitige Prisma kann durch eine Ebene ε so geschnitten werden, daß die Schnittfigur einem gegebenen Dreieck ähnlich ist.
Ist A'B'C' die Grundfläche des Prismas (Fig. 73), und ABC die in ε entstehende Schnittfigur, so ist zu zeigen, daß bei geeigneter Lage von ε das Dreieck ABC einem gegebenen Dreieck A0B0C0 ähnlich ist. Zweierlei schicke ich voraus. Erstens ist klar, daß, wenn eine Ebene ε dem Satze genügt, auch jede zu ihr parallele Ebene dies tut; zweitens können wir A0B0C0 durch irgendein ihm ähnliches Dreieck ersetzen; wir dürfen es deshalb auch so wählen, daß A0B0 = A'B' ist. Dies wird im folgenden geschehen. Die Ebene, die die Grundfläche A'B'C' enthält, sei ε'.
Der Beweis geht so vor, daß er direkt die Lage der Ebene ε bestimmt; dazu ist erstens ihre Schnittlinie mit ε' und zweitens die Neigung beider Ebenen zu ermitteln. Wir stützen ihn auf die in § 5 enthaltenen Sätze über Parallelperspektive. Wir können nämlich ε' und ε durch Strahlen, die auf ε' senkrecht stehen, parallelperspektiv so aufeinander beziehen, daß A'B'C' und ABC einander entsprechen. Nun gibt es in den so bezogenen Ebenen gemäß § 5, I durch C und C' je ein Paar entsprechender rechtwinkliger Strahlen u, v und u', v'; und da es sich um eine orthogonale Projektion handelt, so läuft der eine von ihnen der Schnittlinie s beider Ebenen parallel, während der andere auf ihr senkrecht steht. Man folgert also umgekehrt, daß s einem dieser Strahlen parallel sein muß; um die Richtung von s zu ermitteln, haben wir daher zunächst die ebengenannten Strahlenpaare zu bestimmen.
Dazu denken wir uns eine besondere Ebene ε0, die das Dreieck A0B0C0 enthalten soll, und beziehen sie in der Weise ähnlich (§ 4) auf ε, daß ABC und A0B0C0 einander entsprechen. Dann bestehen die in § 5, 1 und 2 genannten Eigenschaften sowohl für ε und ε', als auch, für ε und ε0, sie bestehen also auch für ε0 und ε', und da nach Annahme A'B' = A0A0 ist, so gibt es in ε' und ε0 auch ein Geradenpaar, dessen Proportionalitätsfaktor ρ = 1 ist. Gemäß § 5, 8 u. 9 gelten also für ε0 und ε' alle dort abgeleiteten Sätze.
Seien nun u0 und v0 die Geraden durch C0, die in ε0 den Geraden u und v von ε entsprechen, so bilden auch sie einen rechten Winkel. Daher sind u0, v0 und u', v' auch für ε0 und ε' die den Punkten C0 und C' zugehörigen rechten Winkel. Um sie zu bestimmen, hat man gemäß § 5 in der Ebene ε' das Dreieck A0B0C0 so zu zeichnen (Fig. 74), daß A0B0 auf A'B' fällt, dann den Kreis zu schlagen, der durch C0 und C' geht, und dessen Mittelpunkt auf A'B' liegt, und die Punkte U' und V ', in denen er A'B' schneidet, mit C' zu verbinden. Damit ist die Lage der Strahlen u' und v' bereits bekannt.
Es fragt sich nun noch, welcher dieser beiden Strahlen derjenige ist, dem die Schnittlinie s beider Ebenen parallel läuft. Um die Begriffe zu fixieren, bezeichnen wir diesen durch u'; es ist also sowohl u' als auch u zu s parallel, während v' auf s senkrecht steht. Wir gehen nun wieder zu den Ebenen ε und ε' zurück, und denken uns die Ebene ε so in die Ebene ε' um die Achse s umgelegt (Fig. 74), daß die Dreiecke ABC und A'B'C' auf verschiedenen Seiten von s liegen.65 Dann wird, da ε' eine Orthogonalprojektion von ε ist, die Verbindungslinie von je zwei entsprechenden Punkten P und P' beider Ebenen die Achse s senkrecht schneiden; sei S der Punkt, in dem sich die Geraden c' = A'B' und c = AB auf der Achse s schneiden, und W der Schnitt von s mit V V '. Dann ist
V'W : SW = V'C' : U'C'
,
| (1) |
und ebenso folgt, wenn wir noch beachten, daß ε0 und ε ähnliche Ebenen sind,
VW : SW = VC : UC = V0C0 : U0C0
.
| (2) |
Nun ist aber V 'W die Projektion von V W, folglich ist
VW > V'W
. | (3) |
Die linke Seite von 2) ist daher größer als die linke Seite von 1); zwischen ihren rechten Seiten muß daher dasselbe Größenverhältnis bestehen. Da nun gemäß unserer Konstruktion U0 mit U' und V 0 mit V ' identisch ist, so ergibt sich schließlich
V'C0 : U'C0 > V'C' : U'C'
.
| (4) |
Durch diese Ungleichung werden die beiden Punkte U' und V ', also auch die Strahlen u' und v' voneinander getrennt. Damit ist der Strahl u', dem s parallel läuft, eindeutig bestimmt. Die Richtung der Geraden s in ε' ergibt sich also eindeutig.
Es ist also nur noch die Neigung von ε gegen ε' zu ermitteln. Sie ist bekannt, sobald man die Länge von V 'W kennt. Diese ergibt sich aber wieder aus 1), denn SW, V 'C' und U'C' sind Strecken von ε', die zeichnerisch bestimmbar sind. Die Neigung von ε gegen ε' ist daher ebenfalls eindeutig bestimmt; ihr entsprechen jedoch zwei verschiedene Ebenen, die symmetrisch gegen die Ebene ε' liegen. Damit ist unser Satz bewiesen. Wir finden sogar zwei Scharen von Ebenen, die ihm genügen.
Die Konstruktion gestaltet sich demnach folgendermaßen. In der Ebene ε' zeichne man A'B'C1 ähnlich zu dem gegebenen Dreieck A0B0C0, schlage den durch C0 und C1 gehenden Kreis, dessen Zentrum auf A'B' liegt, und benenne seine Schnittpunkte U' und V ' mit A'B' gemäß der Proportion 4). Man zeichne dann die Gerade WS senkrecht zu U'C', und bestimme V 'W gemäß Proportion 1), so ist damit sowohl die Schnittlinie der Ebene ε' mit ε als auch ihre Neigung gegen ε und damit ihre Lage im Raume festgelegt.
Wir gehen nun zum Beweis des Satzes I über, dem wir noch dadurch einen allgemeineren Inhalt geben können, daß wir das rechtwinklige gleichseitige Dreikant durch ein beliebiges Dreikant ersetzen. So gelangen wir zu folgendem, als Satz von Pohlke bezeichneten Theorem:
III. Ist ein Dreikant OABC und ein ebenes Viereck O0A0B0C0 beliebig gegeben, so kann man eine Ebene ε' und eine Projektionsrichtung so bestimmen, daß die in ε' entstehende Parallelprojektion O'A'B'C' des Dreikants dem Viereck O0A0B0C0 ähnlich ist.
Wir nehmen zunächst wieder an, daß eine Ebene ε' und eine Projektionsrichtnng, wie sie der Satz verlangt, vorhanden ist. Ferner sei ε die durch das Dreieck ABC bestimmte Ebene, und O1 (Fig. 75) derjenige Punkt, in dem sie von dem durch O gehenden projizierenden Strahl getroffen wird, so ist klar, daß die Projektionsrichtung bekannt ist, sobald man den Punkt O1 kennt. Nun befinden sich ε und ε' in der Weise in parallelperspektiver Lage, daß ABCO1 und A'B'C'O' entsprechende Punkte sind, und außerdem sind O'A'B'C' und O0A0B0C0 ähnliche Figuren. Wir können daher wieder, wie beim Beweis des Hilfssatzes, die das Viereck O0A0B0C0 enthaltende Ebene ε0 ähnlich so auf ε' beziehen, daß O0A0B0C0 und O'A'B'C' einander entsprechen, und schließen wieder genau wie oben, daß nun auch die Ebenen ε und ε0 in der in § 5 erörterten Beziehung stehen; und zwar sind O1ABC und O0A0B0C0 entsprechende Punkte. Gemäß § 5, 7 können wir daher den Punkt O1 mit Hilfe der gegebenen Punkte ABC und A0B0C0 konstruieren. Damit ist die Richtung der projizierenden Strahlen bereits bestimmt.
Nun sei ε2 irgendeine zu dieser Richtung senkrechte Ebene, und A2, B2, C2 ihre Schnittpunkte mit den durch A, B, C gehenden projizierenden Strahlen. Dann kann man A2B2C2 als die Grundfläche eines geraden Prismas auffassen, das von der Ebene ε' so geschnitten werden soll, daß die Schnittfigur A'B'C' zu A0B0C0 ähnlich ist. Unserem Hilfssatz gemäß kann daher die Ebene ε' dieser Bedingung gemäßbestimmt werden.66 Man sieht auch noch, daß nicht bloß A'B'C' ~ A0B0C0 ist, sondern auch O1A'B'C' ähnlich zu O0A0B0C0, denn die zwischen unseren Ebenen festgesetzten Beziehungen betreffen stets die ganzen Ebenen, d. h. also die sämtlichen in ihnen enthaltenen einander entsprechenden Figuren. Damit ist der Beweis geliefert.
Gemäß dem so bewiesenen Grundsatz kann man also die Richtungen und Längen dreier von einem Punkt ausgehender Geraden stets als axonometrische Bilder der drei Kanten eines räumlichen Dreikants auffassen, insbesondere auch eines orthogonalen gleichseitigen. Für diesen Fall bevorzugt man meist die oben genannte schiefe Projektion, besonders die Falle, daß die y-Achse einen Winkel von 45o oder 30o mit der x-Achse bildet (Kavalierperspektive). Die anschaulichsten Bilder erhält man vielfach so, daß man auch die x-Achse nicht senkrecht gegen die z-Achse annimmt. Die z-Achse nimmt man im allgemeinen vertikal an.
Als Beispiele können zunächst alle Figuren dienen, die im vorstehenden dem axonometrischen Grundsatz gemäß gezeichnet worden sind; eine Reihe anderer möge hier folgen.
1. Eine sechseckige reguläre Säule so zu zeichnen, daß ihre Kanten vertikal werden (Fig. 76). Beliebig wählbar sind die beiden Geraden, die zwei Seiten der Grundfläche entsprechen; sie mögen durch AB und AF dargestellt werden. Zieht man nun durch B eine Parallele zu AF, und durch F eine Parallele zu AB, so hat man in ihrem Schnittpunkt M das Bild des Mittelpunktes des dem Sechseck umschriebenen Kreises. Durch Verlängerung von AM, BM, FM über M um sich selbst erhält man daher die Punkte D, E, G. Gleichlange Vertikalen in A, B, C, D, E, F liefern endlich die Punkte der oberen Grundfläche.67
2. Die acht Ecken eines Würfels lassen sich in zwei Gruppen von je vieren zerlegen, die je ein reguläres Tetraeder bilden; jedes Tetraeder enthält sechs Flächendiagonalen als Kanten. In Fig. 77 sind AEFG und HBCD zwei solche Tetraeder.68 Man soll ihre Durchdringungsfigur zeichnen.
Man zeichne zunächst den Würfel selbst in irgend einer axonometrischen Darstellung. Man beachte nun, daß jeder Mittelpunkt einer Würfelfläche Schnittpunkt zweier Flächendiagonalen ist, also der Durchdringungsfigur beider Tetraeder angehört. Damit sind die Durchdringungsgeraden beider Tetraeder bestimmt; sie bilden das Oktaeder, dessen Ecken in die Mitten der Würfelflächen fallen. Nur vier von ihnen sind sichtbar; nämlich diejenigen, die von der Mitte der vorderen Würfelfläche ausgehen.
3. Ein reguläres Rhombendodekaeder zu zeichnen. Eine Ebene, die durch die Mitte eines Würfels geht und zwei Kanten enthält, werde als Diagonalebene bezeichnet. Dann entsteht das Rhombendodekaeder so aus dem Würfel, daß man durch jede der zwölf Würfelkanten eine Ebene legt, die auf der hindurchgehenden Diagonalebene senkrecht steht. Diese Ebenen sind die 12 Begrenzungsflächen des Rhombendodekaeders; aus der Symmetrie des Würfels folgt, daß die in ihnen entstehenden Begrenzungspolygone kongruente Rhomben sind. Je vier, die durch die vier Kanten einer Würfelfläche gehen, bilden überdies eine quadratische Pyramide mit dieser Würfelfläche als Grundfläche, und zwar ist leicht ersichtlich, daß ihre Höhe gleich der halben Würfelkante ist. Die Ecken des Rhombendodekaeders bestehen also aus den sechs Spitzen dieser Pyramide und den acht Würfelecken.
Man erhält es daher am einfachsten, indem man vom Würfel ausgeht, auf seine Flächen vom Mittelpunkt M die Lote fällt, und diese um sich selbst verlängert (Fig. 78).69
4. Einen vierseitigen Pyramidenstumpf zu zeichnen (Fig. 79). Wir gehen von einer dreiseitigen Pyramide aus, deren Spitze O, deren Grundfläche ABC = γ und deren Kanten a, b, c seien; eine gewisse, noch unbestimmt bleibende Ebene γ1 möge sie in dem Dreieck A1B1C1 schneiden. Aus dem Pohlkeschen Satz folgt zunächst, daß die axonometrischen Bilder von O', A', B', C' und damit auch die Bilder a', b', c'4 beliebig wählbar sind. Ebenso können wir aber auch die Bildpunkte A'1, B'1, C'1 auf a', b', c' beliebig annehmen; ihnen entsprechen stets gewisse Raumpunkte A1, B1, C1 so daß durch die Wahl von A'1, B'1, C'1 die Ebene γ1 festgelegt ist.70 Die Punkte D und D1, die von γ und γ1 auf einer vierten durch O gehenden Kante bestimmt werden, sind jedoch nicht mehr beide willkürlich; vielmehr ergibt sich alles weitere auf Grund des in § 4 abgeleiteten Satzes von Desargues. Aus ihm folgt zunächst, daß die drei Schnittpunkte
auf einer Geraden s0 liegen, die das axonometrische Bild der Schnittlinie von γ und γ1 ist.71 Auf ihr können wir nun einen Punkt D0 beliebig annehmen und festsetzen, daß er Schnittpunkt von s0 mit der durch O gehenden Ebene (ad) = δ sein soll, und können außerdem auch die Bildkante d' beliebig zeichnen; sie muß notwendig Bild einer gewissen in δ liegenden Kante d sein. Um endlich D' und D1' zu finden, haben wir wieder D0 mit A' und A1' zu verbinden und die Schnittpunkte dieser Geraden mit d' zu bestimmen. Sie liefern uns die Punkte D' und D1'. Übrigens schneiden sich auch die Geraden B'D' und B1'D1', sowie C'D' und C1'D1' auf s0, was zeichnerische Überbestimmungen liefert.
Ebenso kann man mit jeder weiteren durch O' angenommenen Kante verfahren und den zugehörigen Stumpf leicht konstruieren.
In gleicher Weise kann man auch den Schnitt eines geraden Zylinders oder geraden Kegels mit einer Ebene punktweise konstruieren.72
5. Ein reguläres Kubooktaeder zu zeichnen (Fig. 80). Ein Kubooktaeder entsteht so aus einem Oktaeder, daß man die sechs Ecken des Oktaeders mittels eines ihm konzentrischen und koaxialen regulären Würfels abschneidet. Man erhält es also am einfachsten, indem man an jeder Oktaederecke auf den vier von ihr ausgehenden Kanten die nämliche Strecke abschneidet. Die auf den Oktaederflächen entstehenden Begrenzungspolygone sind im allgemeinen Sechsecke; bei besonderer Wahl des Würfels werden sie Quadrate.73
6. Einen Kugeloktanten in schiefer Projektion zu zeichnen (Fig. 81). Seien OA, OB, OC die drei aufeinander senkrechten Radien, die den Oktanten bestimmen, und OA, OB', OC ihre axometrischen Bilder, so handelt es sich um die Herstellung der Bilder der in den Ebenen OBC und OAC liegenden Kreisbogen. Sie sind Teile von Ellipsen, die punktweise konstruiert werden müssen. Sie ergeben sich leicht auf Grund der Tatsache, daß bei der axonometrischen Darstellung alle zueinander parallelen Ordinaten eines Kreises gemäß § 5, 3 in demselben Maße verkürzt werden. Zur Ausführung der Zeichnung können wir jeden Kreisbogen benutzen, der dazu tauglich ist. Um z. B. den Ellipsenbogen zu erhalten, gehen wir von dem Kreisquadranten OAC aus, errichten in einem beliebigen Punkt Q von OA das Lot QP und konstruieren P’ so, daß QP' || OB' und PP' || B'C ist, und machen dies für so viele Punkte, als nötig ist. Analog erhält man den Ellipsenbogen B'C.74
Wichtig ist, daß die Tangenten dieser Ellipsenbogen in den Endpunkten nicht gegen die ihnen zukommende Richtung verstoßen (§ 1, III). Sie sind Projektionen der bezüglichen Kreistangenten; daher müssen die Tangenten des Bogens in A und B' den Geraden OB' und OA parallel sein, und die des Bogens B'C in B' und C parallel zu OC und OB' (vgl. Fig. 83).
7. Die Durchdringungsfigur zweier kongruenten Kreiszylinder zu zeichnen, deren Grundflächen so in zwei zueinander senkrechten Ebenen liegen, daß ihre Mittelpunkte zusammenfallen (Fig. 82).
Wir beschränken uns auf einen Oktanten und konstruieren zunächst gemäß 6. den Ellipsenbogen B'A, der dem Kreisbogen der Ebene OAB entspricht. Zieht man nun in einem Punkt Q von OA die Geraden QP || OC und QP' || OB', und bestimmt den Punkt R so, daß PR || QP' und P'R || QP ist, so ist R ein Punkt der Durchdringungskurve. Sie ist offenbar eine Ellipse.
8. Die Durchdringung einer Kugel mit einem Kreiszylinder zu zeichnen, dessen Grundkreis k den halben Kugelradius als Radius hat, und von dem eine Erzeugende l durch den Mittelpunkt der Kugel geht (Fig. 83).
Wir beschränken uns wieder auf einen Oktanten, wählen die Erzeugende l als z-Achse und den Grundkreis k des Zylinders als xy-Ebene, und zeichnen zunächst wieder die dem Kugeloktanten entsprechenden Ellipsenbogen OAB' und OCB', wie auch die dem Grundkreis k entsprechende Ellipse. Ist S' ein Punkt dieser Ellipse, so kann man das innerhalb des Kugeloktanten liegende Stück S'P' der durch S' gehenden Zylinderkante so zeichnen, daß man sich durch S eine zu OAC parallele Ebene gelegt denkt. Sie schneidet die Kugel in einem Kreis, der den Punkt P enthält, und dessen axonometrisches Bild ebenfalls ein Kreis ist; man hat also nur den Radius dieses Kreises zu finden. Zieht man nun durch S die Gerade TU || OA, und durch T die Gerade TV || OC, so ist TU = TV dieser Radius. Er ergibt sich wieder in der unter 6. genannten Art.
9. Endlich ist noch die Herstellung der axonometrischen Bilder aus den Koordinatenwerten oder aus Grundriß und Aufrißzu erörtern.
Man wird diese Methode immer dann wählen müssen, wenn die zu zeichnenden Gegenstände nur durch ihre Koordinaten gegeben sind; man verfährt dann in üblicher Weise so, daß wenn x, y, z die Koordinaten sind, man einen Streckenzug OPQR konstruiert, dessen Seiten den Achsen parallel sind, und deren Länge sich so ergibt, daß man die gegebenen Koordinatenwerte mit den ihnen entsprechenden Verkürzungsfaktoren multipliziert. (Fig. 84). Beispielsweise kann man auf diese Weise den Mittelpunkt des Kugeloktanten im letzten Beispiel finden. Für ihn hat man x = y = z = 1/√3 , und kann daher den Streckenzug leicht herstellen.
Ebenso kann man verfahren, wenn ein Gegenstand durch Grundriß und Aufriß gegeben ist. Durch sie sind freilich nur zwei Koordinaten bestimmt. Nimmt man aber eine zur Achse senkrechte Gerade beliebig an, so kann man sie als Spur einer dritten zur Grundriß- und Aufrißebene senkrechten Ebene betrachten, und erhält in den Abständen von ihr die dritten Koordinaten. Auf Beispiele dieser Art kommen wir in § 15 zurück.
Die wesentlichste Aufgabe des Zeichners besteht auch hier in der überlegung, wie man am einfachsten zu den Bildfiguren gelangt. Will man z. B. in Aufgabe 6. noch die Kreise zeichnen, die die Winkel des Oktanten halbieren, so wird man am besten jeden mittels eines solchen Kreises herstellen, der in der Zeichnungsebene liegt, was möglich ist.
Wir wenden uns zu einem letzten Gesetz allgemeiner Art, das für jede ebene Perspektive Abbildung in gleicher Weise erfüllt ist, und schicken einige einfache Tatsachen voraus.
Eine Kugel, die wir betrachten, erscheint uns stets unter dem Bild einer Kreisfläche. Jede auf der Kugel verlaufende Kurve muß daher im Bilde ganz innerhalb dieser Fläche liegen. Der die Kreisfläche umrandende Kreis heißt deshalb scheinbarer Umriß der Kugel. Hierin ist ein allgemeines Gesetz enthalten, zu dessen Erörterung wir nun übergehen.75
1. Ist P ein Punkt einer krummen Fläche Ω, so existiert in ihm eine Tangentialebene τ, die folgendermaßen definiert ist: Wird durch den Punkt P auf der Fläche Ω eine Kurve c gezogen, und im Punkte P ihre Tangente t konstruiert, so fällt diese, welches auch die Kurve c sein mag, in die Ebene τ (Fig. 85). Enthält also die Fläche insbesondere eine durch P gehende Gerade, so ist diese als ihre eigene Tangente zu betrachten und muß daher ganz in τ enthalten sein.
2. Die Ebene, die eine Kegelfläche Φ in einem Punkte P einer ihrer Kanten k berührt, enthält diese Kante und ist zugleich Tangentialebene der Kegelfläche in jedem anderen Punkt dieser Kante k. Sie geht überdies durch den Scheitel des Kegels.
3. Auf dem Kegel Φ denke man sich nun eine durch den Punkt P gehende Kurve c und schneide aus dem Kegel durch eine Ebene ε', die nicht durch seine Spitze S gehen soll, die Kurve c' aus, so kann man sie als Projektion der Kurve c von S auf ε' auffassen. Sei P' wieder der Punkt von ε', der dem Punkt P der Kurve c entspricht. Dann besteht der Satz:
I. Die Tangente der ebenen Kurve c' im Punkt P' ist die Projektion der Tangente t, die die Kurve c im Punkte P berührt.
Die Tangentialebene τ, die den Kegel in P berührt und die Tangente t enthält, geht nämlich gemäß 2. durch den Scheitel S des Kegels; mithin ist die Projektion von t in ε' die Schnittlinie von ε' mit τ. Andererseits ist die Tangente der ebenen Kurve c' in P' gemäß 2. ebenfalls in τ enthalten, und da sie auch in ε' liegen muß, so ist sie gleichfalls Schnittlinie von ε' mit τ. Damit ist der Satz bewiesen. Man kann ihn kurz so aussprechen, daß die Tangente der Projektion gleich der Projektion der Tangente ist.
4. Der vorstehende Satz kann allerdings eine Ausnahme erleiden, nämlich dann, wenn die Tangente t der Kurve c in die Kegelkante k fällt. Die Projektion von t reduziert sich dann auf den Punkt P' selbst. Die Gestalt der Kurve c' im Punkt P' hängt alsdann davon ab, ob die Kegelkante k für die Kurve c eine gewöhnliche oder eine Wendetangente ist. Im ersten Fall hat c' offenbar im Punkte P' eine Spitze.
5. Sei nun Ω die Oberfläche eines Körpers Σ, der ebenflächig oder krummflächig begrenzt sein kann, und sei wieder S0 das im Auge liegende perspektivische Zentrum. Dann lassen sich alle durch S0 gehenden Strahlen in zwei Gattungen teilen, je nachdem sie mit Σ mindestens einen oder keinen Punkt gemein haben. Die ersten erfüllen einen gewissen Raumteil V des Bündels S0, dessen Oberfläche eine kegelartige Fläche Φ mit dem Scheitel S0 ist, und zwar enthält jede Kegelkante mindestens einen Punkt der Oberfläche Ω von Σ. Sie kann unter Umständen auch mehr als einen Punkt von Σ enthalten.76 Ist Ω insbesondere eine krumme Fläche, so ist der Kegel Φ nichts anderes als der von S0 an die Fläche gelegte Tangentialkegel, und jede Tangentialebene dieses Kegels ist zugleich eine Tangentialebene der Fläche Ω.
6. Die Gesamtheit aller Punkte der Oberfläche Ω, die zugleich dem Kegel Φ angehören, wollen wir durch u bezeichnen. Da dieser Kegel seine Spitze in S0 hat, so liefert uns sein Schnitt mit der Bildebene β die Bildkurve u' von u. Wir bezeichnen sie als den scheinbaren Umriß oder als Umrißkurve; offenbar schließt sie dasjenige Flächenstück der Bildebene β ein, in dem die Bildpunkte der sämtlichen Punkte von Σ enthalten sind.
7. Ist Ω eine krumme Fläche, was wir von nun an ausschließlich annehmen, so ist u die Kurve, längs deren der Tangentialkegel Φ die Fläche Ω berührt.77 Beide Flächen haben daher in jedem Punkt P dieser Kurve dieselbe Tangentialebene; mit anderen Worten, die Tangentialebene τ der Fläche Ω in einem Punkt P von u geht stets durch den Scheitel S0.
8. Sei nun c irgendeine auf der Fläche Ω verlaufende Kurve, die ebenfalls durch P geht, und c' ihre Bildkurve in β, so wird c' jedenfalls durch den Punkt P' gehen. Es läßt sich aber auch zeigen, daß sich die beiden Kurven c' und u' im allgemeinen in P' berühren. Sind nämlich tc und tu die Tangenten der Kurven c und u im Punkte P, so liegen sie gemäß 1. beide in der Tangentialebene τ. Diese Tangentialebene geht aber, wie wir eben sahen, durch S0 hindurch, und das heißt nichts anderes, als daß τ die Ebene ist, deren Schnitt mit β sowohl das Bild tc' von tc als auch das Bild tu' von tu ergibt. Daher sind tc' und tu' identisch, womit der Satz bewiesen ist. Also folgt:
II. Die auf der Oberfläche Ω von Σ verlaufenden Kurven c haben im allgemeinen die Eigenschaft, daß ihre Bildkurven den scheinbaren Umriß berühren.
Eine Ausnahme kann nur eintreten, wenn die Tangente tc durch S0 geht; nur dann versagt die vorstehende Beweisführung. Dann reduziert sich das Bild tc in β auf einen Punkt, und die Kurve c' kann in P' eine Spitze erhalten. Ein Kreuzen beider Kurven ist aber ausgeschlossen, denn aus der Definition von u' folgt unmittelbar, daß c' ganz dem durch u' begrenzten Flächenstück angehören muß.
Die einfachsten Beispiele erhalten wir, wenn wir zur Darstellung durch Grundriß und Aufriß oder zur axonometrischen Darstellung übergehen.
1. Eine Schraubenlinie in Grundriß und Aufriß darzustellen (Fig. 86). Wird die Grundrißebene auf den Zylinderkanten senkrecht gewählt, so ist der Grundriß mit dem Grundkreis k des Zylinders identisch. Den Aufriß konstruiert man punktweise, indem man den Grundkreis in n gleiche Teile teilt, und die den Teilpunkten entsprechenden Aufrißprojektionen proportional zunehmen läßt. Sind A, B, C, D ... die Teilpunkte auf dem Kreise, und ist d eine beliebige Länge, so hat man
zu machen. Der scheinbare Umriß besteht aus zwei Geraden, die Projektionen zweier Zylindergeraden sind; sie werden von der Schraubenlinie abwechselnd berührt, und zwar in Punkten, die im konstanten Abstand 2h aufeinanderfolgen, wenn h die Höhe eines halben Schraubenganges ist. Der Aufriß ist in diesem Fall eine einfache Wellenlinie.
2. Um dieselbe Schraubenlinie in derjenigen schiefen Projektion zu zeichnen, bei der die y-Achse in die Richtung der negativen z-Achse fällt, verfährt man am einfachsten in der Weise, daß man sich zunächst gemäß § 14 die Ellipse k' punktweise herstellt, die Bild des Grundkreises k ist. (Fig. 87) Ist dann P1' der Bildpunkt des Punktes P1 von Figur 8678 , so erhält man den Bildpunkt P' des Schraubenlinienpunktes P in der Weise, daß man die z-Koordinate P0P2 um die Strecke P0'P1' verkürzt, also P1'P' = P0P2 macht. Auch hier berührt das Bild der Schraubenlinie den von den beiden äußersten Erzeugenden gebildeten scheinbaren Umriß.
Wird die Projektionsrichtung so gewählt, daß sie der Tangente im Punkte S parallel ist, so erhält die Bildkurve in S' eine Spitze, die senkrecht gegen die Zylindergerade verläuft.
In dieser Weise kann man auch mit andern auf dem Zylinder verlaufenden Kurven verfahren, deren Grundriß und Aufriß leicht herstellbar ist. Um z. B. eine Ellipse zu zeichnen, die durch eine Ebene ε ausgeschnitten wird, wähle man die Aufrißebene zu ε senkrecht; dann reduziert sich der Aufriß auf eine Gerade, nämlich auf den Schnitt von ε mit der Aufrißebene. Ähnlich kann man auch Kurven zeichnen, die auf einem geraden Kegel verlaufen.
3. Eine Kreisscheibe mit einem in der Mitte befindlichen zylindrischen Loch zu zeichnen (Fig. 88).
Wir erhalten die einfachste Darstellung, indem wir wiederum die y-Achse in die Richtung der negativen z-Achse fallen lassen.
Bei dieser Darstellung werden die beiden Kreise G und H, die die äußere zylindrische Fläche begrenzen, zu kongruenten Ellipsen, deren Mittelpunkte vertikal übereinanderliegen, und das gleiche gilt für die Grenzkreise g und h des inneren Zylindermantels. Man erhält sie wie im vorstehenden Paragraphen. Es gibt einen äußeren und einen inneren scheinbaren Umriß. Der äußere besteht aus Teilen der Ellipsen G und H und zwei parallelen Geraden; diese sind Bilder der beiden Zylinderkanten, längs deren die Tangentialebenen des Zylinders zur yz-Achse parallel sind. Diese beiden Geraden müssen daher die Ellipsen berühren. In den inneren scheinbaren Umriß gehen im vorliegenden Fall nur Teile von g und h ein. Zu beachten ist, daß die bezüglichen Teile von g und h in der Figur unter einem spitzen Winkel zusammentreffen; die Kreuzungspunkte müssen deshalb, um einen deutlichen Gesichtseindruck hervorzubringen, scharf zu erkennen sein.
4. Eine Kugel mit einigen ihrer größten Kreise in orthogonaler Projektion zu zeichnen (Fig. 89).
Derjenige größte Kreis, der zur Bildebene parallel liegt, liefert den scheinbaren Umriß. Die anderen größten Kreise berühren ihn; man erhält ihre Bilder gemäß § 14.79
5. Der scheinbare Umriß ergab sich bisher unmittelbar in der Weise, daß wir die Bilder der in ihn eingehenden Kurven direkt zeichnen konnten. In den weniger einfachen Fällen wird er jedoch, wie es seiner Natur entspricht, nur als Enveloppe konstruierbar sein. Ich gebe auch hierzu noch einige einfachere Beispiele.
Um zunächst einen Kreisring in derselben axonometrischen Darstellung zu zeichnen, die vorher benutzt wurde, geht man am besten von einer Figur aus (Fig. 90), die den Schnitt des Ringes mit einer durch die Rotationsachse (z-Achse) gehenden Ebene darstellt; die so entstehende Schnittfigur besteht aus den beiden Kreisen k1 und k2. Wir zeichnen nun zunächst wieder die axonometrischen Bilder der Kreise a1 und a280, in denen der Ring von der Äquatorebene geschnitten wird, sowie die Bilder des oberen und unteren Berührungskreises b1 und b2. Die Durchmesser dieser Kreise sind aus der Durchschnittfigur unmittelbar zu entnehmen; ihre Bilder sind Ellipsen, die wir ebenso wie bei den vorstehenden Aufgaben, zu konstruieren haben.81
Um den scheinbaren Umriß zu erhalten, wollen wir diesmal einige seiner Punkte direkt konstruieren, und zwar solche, die Punkten der yz-Ebene entsprechen. Die Richtung der projizierenden Parallelstrahlen nehmen wir in bestimmter Weise als gegeben an. Sei φ der Winkel, den sie mit der z-Achse bilden. Zeichnet man dann in der Durchschnittfigur die Geraden, die mit der z-Achse den Winkel φ bilden und die Kreise k1 und k2 berühren, so bestimmen diese Berührungspunkte, wie leicht ersichtlich, diejenigen Parallelkreise u1, u2 und v1, v2 des Kreisrings, deren in der yz-Ebene liegende Punkte den Umrißkurven angehören. Die Durchmesser dieser Parallelkreise sind aus der Figur unmittelbar zu entnehmen. Deren Bilder zeichnen wir ebenfalls axonometrisch und können nunmehr die Umrißkurven als Enveloppen der sämtlichen vorhandenen Ellipsen herstellen. Jede dieser Ellipsen besitzt Punkte, die dem scheinbaren Umriß angehören.
Auch hier ist zu beachten, daß der innere Teil des scheinbaren Umrisses, wie im vorigen Beispiel, in zwei Teile zerfällt, die unter einem spitzen Winkel zusammenstoßen. Gerade diese Eigenschaft des Bildes ist für das Hervorbringen eines guten optischen Eindruckes wesentlich.
6. Ein Rotationshyperboloid H axonometrisch in schiefer Projektion zu zeichnen. (Fig. 91).
Sind k1 und k2 zwei Kreise des Hyperboloids, deren Ebenen vom Mittelpunkt gleichen Abstand haben, so wird jede Gerade des Hyperboloids diese Kreise in zwei solchen Punkten P1 und P2 schneiden, daß die Ebenen, die P1 und P2 mit der Hauptachse verbinden, einen konstanten Winkel einschließen. Darauf beruht die folgende Konstruktion.
Man zerlege k1 und k2 in gleich viele Teile, bezeichne die senkrecht übereinanderliegenden Teilpunkte durch gleiche Ziffern und konstruiere gemäß § 14 deren axonometrische Bilder. Dann verbinde man den Punkt 1 von k1' mit dem Punkt ν von k2', ebenso 2 von k1' mit ν + 1 von k2' und fahre so fort, so erhält man das Bild der einen Geradenschar.82 Die andere erhält man ebenso, wenn man die Punkte 1,2,... von k2' mit ν,ν + 1,... von k1' verbindet. Alle diese Geraden müssen den scheinbaren Umriß berühren. Dieser ist daher nichts anderes als die Enveloppe unserer Geradenscharen. Um die Figur anschaulich zu machen, sind nur diejenigen Stücke der Geraden gezeichnet worden, die auf dem vom Auge S0 sichtbaren Teil des Hyperboloids liegen.
Außer den auf der Perspektive beruhenden bildlichen Darstellungen sind für besondere Zwecke andere Abbildungsmethoden im Gebrauch. Eine der wichtigsten ist die stereographische Projektion.
Die stereographische Projektion kann noch als Sonderfall der allgemeinen Perspektive angesehen werden, mit der Maßgabe, daß nur die Punkte einer Kugelfläche der Abbildung unterworfen werden. Man fasse auf der Kugel (Fig. 92)83 zwei Endpunkte eines Durchmessers in Betracht, die wir Nordpol N und Südpol S nennen wollen, lege im Südpol S die Tangentialebene ε', betrachte den Nordpol N als den Scheitel der perspektiven Beziehung und die Tangentialebene ε' als die Bildebene, ziehe durch N einen beliebigen Strahl, der die Kugel in einem Punkt A und die Tangentialebene in A' schneide, und hat damit dem Punkt A der Kugel den Bildpunkt A' der Ebene ε zugewiesen. Jedem durch N gehenden Strahl, der die Kugel noch in einem zweiten von N verschiedenen Punkt schneidet, entspricht so ein Bildpunkt A', während umgekehrt auch zu jedem Punkt B' der Ebene ein Punkt B der Kugel gehört, nämlich der stets vorhandene Punkt B, in dem der Strahl NB' die Kugel außer in N durchdringt. Der Punkt S ist mit seinem Bildpunkt identisch.
Eine Ausnahme tritt nur für den Punkt N selbst ein und für die Strahlen, die die Kugel in N berühren. Sie sind der Ebene ε' parallel. Will man auch hier das Gesetz des eineindeutigen Entsprechens ausnahmslos gestalten, muß man wieder uneigentliche Punkte der Ebene ε' einführen; im Gegensatz zu § 6 hat dies aber hier so zu geschehen, daß man der Ebene nur einen uneigentlichen Punkt beilegt und ihn dem Punkt N als Bildpunkt zuweist. Dies erweist sich in der Tat als zulässig.84
Näher hierauf einzugehen, ist nicht nötig, da es für die praktischen Zwecke, die wir hier im Auge haben, nicht in Betracht kommt. Hat man nämlich eine stereographische Abbildung eines solchen Teiles der Oberfläche herzustellen, der den Nordpol enthält, so wird man den Punkt S als Zentrum der Projektion und als Bildebene ε' die Tangentialebene in N wählen.
Die Wichtigkeit und Nützlichkeit der stereographischen Projektion beruht auf folgenden zwei Sätzen:
I. Jedem Kugelkreis k entspricht als ebenes Bild ein Kreis k'.
II. Zwei Kugelkreise schneiden sich unter denselben Winkeln, wie ihre Bildkreise.
Den ersten Satz beweisen wir so, daß wir zeigen, daß gewissen Gruppen von vier Punkten A, B, C, D der Kugel, die auf einem Kreise k liegen, vier Bildpunkte entsprechen, die ebenfalls auf einem Kreise liegen.
Verbindet man (Fig. 92) S mit A, so ist SA eine Höhe des rechtwinkligen Dreiecks NSA', und daher besteht die Relation
(1) |
Sei nun k ein auf der Kugel liegender Kreis, η die ihn enthaltende Ebene, und e die Schnittlinie der Ebenen η und ε'. Wir nehmen auf dem Kreis k vier Punkte A, B, C, D so an, daß (Fig. 93)85 die Sehnen AB und CD sich auf e in einem Punkte O schneiden, und ziehen die vier Strahlen
N A A', N B B',
N C C', N D D'.
Ist dann α die Ebene NAB, und γ die Ebene NCD, so schneiden sich die drei Ebenen ε', α und γ ebenfalls in O; daher gehen durch ihn auch die Schnittlinien von je zweien dieser Ebenen hindurch, also auch die von α und ε' und die von γ und ε'. Auf der ersten liegen die Punkte A' und B', auf der zweiten C' und D', und wir folgern so, daß OA'B' und OC'D' je eine Gerade bilden. Wird nun die Relation 1) auf die Strahlen NA und NB angewandt, so folgt
(2) |
und dies bedeutet, daß die vier Punkte A, B, A', B' auf einem gewissen Kreise ka liegen. Andererseits schneiden sich AB und A'B' in O, und daher folgt aus dem Sehnensatz für diesen Kreis ka weiter
(3) |
In derselben Weise ergibt sich
O C . O C' = O D . O D'.
|
Nun ist aber, da A, B, C, D Punkte des Kreises k sind,
O A . O B = O C . O D
| (4) |
also folgt schließlich
O A' . O B' = O C' . O D'.
| (5) |
es liegen also in der Tat auch die Punkte A', B', C', D' auf einem Kreise. Da eine solche Relation für je zwei durch O gehende Geraden abgeleitet werden kann, ist damit das Bild k' von k als Kreis erwiesen.
Das Bild eines jeden durch N und S gehenden Meridians ist insbesondere eine durch S gehende Gerade, und das Bild jedes Parallelkreises ein Kreis mit dem Mittelpunkt S. Den Mittelpunkt eines beliebigen Kreises k' findet man auf Grund davon, daß es einen Durchmesser des Kreises k gibt, der in einen Durchmesser des Kreises k' übergeht, nämlich denjenigen, den die durch NS gehende auf k senkrechte Ebene enthält.
Um den Satz II zu beweisen, schicken wir zunächst folgende evidente Tatsachen voraus.
1. Sind k und k1 zwei Kugelkreise, die sich in den Punkten P und P1 schneiden, so sind die Winkel, die sie in P und P1 bilden, einander gleich, und zwar sind diese Winkel identisch mit den Winkeln, die ihre Tangenten in P und P1 bilden. Das gleiche gilt für zwei ebene Kreise.
2. Sind k, k1, k2... Kugelkreise, die sich im Punkte P berühren, also in diesem Punkte dieselbe Tangente t haben, so berühren sich die Bildkreise k', k1', k2'... sämtlich in P', und haben in P' die Bildgerade t' als Tangente.
Man sieht nun zunächst, daß der Satz II in dem Fall evident ist, daß die Kugelkreise k und k1 beide durch den Südpol S gehen, also ihre Tangenten t und t1 in der Ebene ε' liegen. Dann gehen nämlich auch die Bildkreise k' und k1' durch S, und deren Tangenten t' und t1' sind mit t und t1 identisch, woraus die Behauptung unmittelbar folgt.
Hieraus ergibt sich der Beweis des allgemeinen Falles folgendermaßen. Seien k und l irgend zwei Kugelkreise, die sich im Punkte P schneiden, sei (k,l) der von ihnen gebildete Winkel86, und seien k' und l' die Bildkreise, so ist zu zeigen, daß
(1) |
ist. Gemäß 1. und 2. schließen wir dann zunächst, daß es zwei Kreise k1 und l1 gibt, die in P dieselben Tangenten haben, wie k und l, und überdies durch S gehen, und es ist
(2) |
Die Bildkreise k1' und l1' gehen dann ebenfalls durch S, und gemäß 1. und 2. ist auch
(3) |
Da nun aber auf Grund des eben bewiesenen Sonderfalles
(4) |
ist, so folgt damit auch die Richtigkeit der Relation 1). Damit ist der Satz II in vollem Umfange bewiesen.
Die durch die stereographische Projektion vermittelte Abbildung wird deshalb als winkeltreu bezeichnet. Denkt man sich auf der Kugel ein sehr kleines Kugeldreieck, so entspricht ihm ein ebenes Kreisdreieck mit gleichen Winkeln, und da man diese Dreiecke in der Annäherung als geradlinig betrachten kann, so sagt man, daß die Abbildung in den kleinsten Teilen ähnlich ist. Abbildungen dieser Art heißen auch konform.
Als Beispiel behandeln wir diejenige Kugelteilung, die durch die sechs Diagonalebenen eines der Kugel einbeschriebenen Würfels entsteht. Durch jeden Würfeleckpunkt gehen drei von ihnen; wir haben also auf der Kugel sechs größte Kreise, die sich zu je dreien in einem Punkt schneiden. Den Würfel denken wir uns in der Stellung, die Figur 57 zeigt; die Diagonale AH fällt also mit der Achse NS zusammen.
Die drei durch NS = HA gehenden Kreise projizieren sich (Fig. 94) in je eine durch A gehende Gerade; jede von ihnen enthält die Bilder von zweien der Ecken B, C, D und E, F, G. Nur die Längen AB1 und AE1 sind noch zu ermitteln. Offenbar erhalten wir AB1, indem wir in Figur 56 HB bis zum Schnitt B1 mit der durch A gehenden Horizontalen verlängern; analog ergibt die Verlängerung von AB his zum Schnitt mit der durch H gehenden Horizontalen die Lange von AE1. Die Kreise durch B1C1E1F1, C1D1F1G1 und B1D1E1G1 liefern die Bilder der drei gesuchten Diagonalkreise unserer Kugelteilung.87
Um zwei Ebenen ε und ε1 parallelperspektiv aufeinander zu beziehen88, genügt es gemäß § 5, 6 einem beliebigen Punkt P der Ebene ε einen beliebigen Punkt P1 von ε1 als entsprechenden zuzuweisen; die Verbindungslinie von P und P1 bestimmt die Richtung der projizierenden Strahlen. Ferner schneiden sich gemäß Satz II von § 4 je zwei entsprechende Geraden g und g1 beider Ebenen auf ihrer Schnittlinie s, die eine sich selbst entsprechende Gerade ist.
Wird die Ebene ε1 um die Achse s in die Ebene ε hineingedreht, so wird g1 im allgemeinen nicht mit g zusammenfallen. Es ist aber leicht, ein Paar entsprechender Geraden von ε und ε1 zu finden, das diese Eigenschaft besitzt. (Fig. 95). Dazu braucht man nur, nachdem man ε1 in ε hineingedreht hat, P1 und P zu verbinden, so stellt diese Verbindungslinie ein Paar zusammenfallender Geraden dar. Ist nämlich G ihr Schnittpunkt mit s, so ist G = G1 und die Geraden GP und G1P1 sind daher auch für die ursprüngliche Lage von ε und ε1 entsprechende Geraden beider Ebenen. Wir bezeichnen sie durch p und p1.
Auf diesen Geraden p und p1 gibt es außer dem Punkt G = G1 noch ein zweites Paar entsprechender Punkte, das bei der Vereinigung von ε1 mit ε zusammenfällt, nämlich ihre unendlichfernen. Da wir es nämlich mit einer parallelperspektiven Beziehung zu tun haben, so sind (§ 6, I) die unendlichfernen Punkte von p und p1 entsprechende Punkte beider Ebenen, andererseits ist klar, daß sie bei der Vereinigung von ε1 mit ε zusammenfallen. Gibt es auf p und p1 noch ein drittes Paar derartiger Punkte A und A1, so müssen alle Paare entsprechender Punkte zusammenfallen; denn man hat GA = G1A1, und der zu p und p1 gehörige Proportionalitätsfaktor ρ hat daher den Wert 1. Dies wollen wir jedoch ausdrücklich ausschließen; insbesondere wird also auch der Punkt P1 nicht mit P zusammenfallen.
Sei jetzt Q irgendein Punkt von ε, so können wir durch ihn eine Gerade q parallel zu p legen. Dann ist auch q1 parallel zu p1, und da sich q und q1 überdies in einem Punkt von s schneiden, so bilden auch q und q1 ein Paar entsprechender Geraden, das bei der vereinigten Lage von ε und ε1 zusammenfällt. Für die vereinigte Lage ist also q = q1 eine Gerade, die sowohl den Punkt Q wie auch den Punkt Q1 enthält und außerdem durch den unendlichfernen Punkt von p geht. Bezeichnen wir diesen Punkt noch durch S∞, so ergibt sich nunmehr das folgende Resultat:
I. Die beiden vereinigt liegenden Ebenen ε und ε1 sind so aufeinander bezogen, daß sich je zwei entsprechende Geraden auf der Achse s schneiden, und je zwei entsprechende Punkte auf einem durch ein festes Zentrum S∞ gehenden Strahl liegen. Der Punkt S∞ und jeder Punkt der Achse s entspricht sich selbst, ebenso jeder durch S∞ gehende Strahl.89
Von den vereinigt liegenden Ebenen ε und ε1 sagen wir auch jetzt, daß sie sich in parallelperspektiver Lage befinden, und nennen s die Achse und S∞ das Zentrum der Perspektivität. Statt Perspektivität sind auch die Bezeichnungen kollineare Lage, Kollineationsachse und Kollineationszentrum im Gebrauch.
Um eine solche Beziehung zu vermitteln, konnten wir in der ursprünglichen Lage von ε und ε1 ein Punktepaar P, P1 beliebig einander zuweisen. Außerdem ist auch die Schnittlinie s als gegeben zu betrachten. Dies überträgt sich analog auf die vereinigte Lage. Hat man nämlich für die vereinigte Lage eine Achse s und ein Punktepaar P, P1 beliebig ausgewählt, und wird dann die vereinigte Lage durch Auseinanderdrehen von ε und ε1 um s als Achse zunächst wieder aufgehoben, so ist durch das Punktepaar P, P1 eine Projektionsrichtung und damit eine parallelperspektive Beziehung vermittelt. Damit ist jedem Punkt der einen Ebene ein entsprechender der anderen zugewiesen, und dies bleibt bestehen, wenn wir die vereinigte Lage wieder herstellen. Da nun in der vereinigten Lage durch das Punktepaar P, P1 auch der Punkt S∞ bestimmt ist, können wir dies folgendermaßen als Satz aussprechen:
II. Um zwei vereinigte Ebenen ε und ε1 in parallelperspektive Beziehung zubringen, kann mau die Achse s, das Zentrum S∞ und auf irgendeinem durch S∞ gehenden Strahl ein Paar entsprechender Punkte P und P1 beliebig annehmen.
Unser Beweis ging so vor, daß wir die Ebenen ε und ε1, um einen beliebigen Winkel auseinander drehten. Man kann daher fragen, ob die sich für die vereinigte Lage einstellende parallelperspektive Beziehung von diesem Winkel abhängt. Dies ist jedoch nicht der Fall; vielmehr ist die so hergestellte perspektive Beziehung der vereinigten Ebenen ε und ε1 durch s, S∞ und das Punktepaar P, P1 eindeutig bestimmt. Um dies nachzuweisen, ist nur zu zeigen, daß sich zu einem gegebenen Punkt Q von ε der zugehörige Punkt Q1 von ε1 eindeutig konstruieren läßt (Fig. 95). Man ziehe hierzu durch Q die Gerade q parallel zur Geraden p = PP1 und außerdem die Gerade QP; ist G ihr Schnitt mit s, so liegt Q1 erstens auf q1 = q und zweitens auf der Geraden g1 = GP1, die der Geraden g = GP entspricht. Damit ist Q1 eindeutig bestimmt und der Beweis geliefert.
Sei endlich e eine durch P gehende Gerade von ε, die zu s parallel ist, also durch den unendlichfernen Punkt von s geht, so entspricht ihr in ε1 eine Gerade e1, die ebenfalls durch diesen Punkt geht, also ebenfalls zu s parallel ist. Jeder zu s parallelen Geraden der einen Ebene entspricht also eine ebensolche Gerade der anderen. Unter den zu s parallelen Geraden von ε befindet sich insbesondere auch die unendlichferne Gerade h∞ von ε; ihr entspricht daher eine zu s parallele Gerade h1 von ε1, und ebenso gibt es in ε eine zu s parallele Gerade k; die der unendlichfernen Geraden von ε1 entspricht. Wir finden so die Resultate wieder, die wir analog schon in § 7 abgeleitet haben.
Wir unterwerfen die Ebene ε nunmehr der in § 2 erörterten Abbildung, und zwar in der Weise, daß die Ebenen ε und ε' sich in der Achse s schneiden mögen.90 Dabei entspricht dem Punkt S∞ der Ebene ε ein auf dem Horizont von ε' liegender Fluchtpunkt S, und wir erhalten für die Bildebene ε' unmittelbar folgenden Tatbestand. In ihr befinden sich zwei Ebenen ε' und ε'1 in der Weise in vereinigter Lage, daß je zwei entsprechende Punkte P' und P'1 auf einem durch S gehenden Strahl liegen, und je zwei entsprechende Geraden g' und g'1 sich auf der Achse s schneiden. Der Punkt S und jeder Punkt der Achse s entspricht sich wieder selbst. Auch jetzt sagen wir, daß sich ε' und ε'1 in perspektiver oder kollinearer Lage befinden, und nennen s die Achse und S das Zentrum der perspektiven oder kollinearen Lage. Auch von dem Satz II erkennen wir leicht, daß er sich auf diesen allgemeineren Fall der perspektiven Lage überträgt. Wird nämlich (Fig. 96) in der Ebene ε' eine Gerade s, ein Punkt S und auf einem durch S gehenden Strahl ein Punktepaar P', P'1 beliebig angenommen, so können wir die Ebene ε' so als Bildebene einer Ebene ε auffassen, daß sich ε und ε' in s schneiden, und daß dem Punkt S in ε ein unendlichferner Punkt S∞ entspricht; man hat hierzu das perspektive Zentrum S0, das die Beziehung von ε und ε' vermittelt, nur so zu wählen, daß der Horizont von ε' durch S geht. Wir haben also den Satz:
III. Um für zwei vereinigte Ebenen ε' und ε'1 eine perspektive Lage herzustellen, kann man die Achse s und das Zentrum S der Perspektivität, sowie auf einem durch S gehenden Strahl ein Paar entsprechender Punkte P' und P'1 beliebig annehmen.
Gemäß § 4 gehen bei jeder perspektiven Beziehung zweier Ebenen ε und ε' Geraden, die der Achse s parallel sind, in Geraden über, die ebenfalls zu s parallel sind. Betrachtet man daher die in ε liegenden zu s parallelen Geraden einerseits als Geraden von ε und andererseits als Geraden von ε1 so sind die ihnen entsprechenden Geraden von ε' und ε'1 ebenfalls sämtlich zu s parallel; wir folgern also, daß allen zur Achse parallelen Geraden von ε' die zu s parallelen Geraden von ε'1 entsprechen.
Hieraus ziehen wir zwei Folgerungen. Erstens gibt es wieder in ε' eine zu s parallele Gerade h', die der unendlichfernen Geraden von ε'1 entspricht, und in ε'1 eine zu s parallele Gerade k'1, die der unendlichfernen Geraden von ε' entspricht. Wir wollen sie wieder als Fluchtlinien bezeichnen, und zwar h' als Fluchtlinie von ε' und k'1 als Fluchtlinie von ε'1. Eine zweite Folgerung fließt aus der überlegung, daß insbesondere auch die beiden parallelen Geraden einander entsprechen müssen, die durch P' und P'1 gehen. Wir können daher den Satz III so abändern, daß wir die Punkte P' und P'1 durch irgend zwei einander entsprechende zu s parallele Geraden von ε' und ε'1 ersetzen. Ein solches Paar entsprechender Geraden wird insbesondere durch die Fluchtlinie der einen Ebene und die unendlichferne Gerade der anderen gebildet, und so erhalten wir schließlich den Satz:
IV. Um für zwei vereinigte Ebenen ε' und ε'1 die perspektive Lage herzustellen, kann man die Achse s und das Zentrum S der Perspektivität, sowie eine zu s parallele Gerade als Fluchtlinie der einen Ebene beliebig wählen.
Das Vorstehende wollen wir nun sinngemäß auf den Raum übertragen. Doch mag es genügen, die tatsächlichen Verhältnisse, soweit sie hier in Frage kommen, darzustellen. Ihre volle Analogie mit den Sätzen der Ebene mag für ihre Richtigkeit sprechen.
Wir denken uns zunächst den Raum doppelt, bezeichnen den einen durch Σ, den anderen durch Σ1, und wollen Σ und Σ1 in der Weise einander zuordnen, daß an die Stelle des Punktes S und der Achse s ein Punkt S und eine Ebene σ von analoger Eigenschaft treten. Es soll also jeder Punkt von σ sich selbst entsprechen, und es sollen je zwei entsprechende Punkte auf einem durch S gehenden Strahl liegen. Ist daher ε irgendeine Ebene von Σ, so müssen sich ε und ε1 in einer Geraden von σ schneiden, und ist g eine Gerade von Σ, so müssen sich auch die Geraden g und g1 in einem Punkt von σ treffen. Diese Beziehung von Σ und Σ1 läßt sich auch hier so bewirken, daß wir (Fig. 97) den Punkt S, die Ebene σ sowie ein Paar entsprechender Punkte P und P1 auf einem durch S gehenden Strahl p = p1 beliebig annehmen. Man kann nämlich zu einem Punkt Q von Σ den entsprechenden Punkt Q1 von Σ1 ganz analog konstruieren, wie oben. Zieht man zunächst den Strahl QS = q, so muß wegen q = q1 der Punkt Q1 auf ihm liegen. Wird ferner durch Q und P die Gerade y gezogen, und ist G ihr Schnitt mit σ, so ist G = G1, also geht g1 durch G und P1, ist also konstruktiv bestimmt und enthält ebenfalls den Punkt Q1.
Es ist nur noch zu zeigen, daß sich die beiden Geraden q1 und g1, die den Punkt Q1 bestimmen sollen, wirklich schneiden. Dies tun sie aber in der Tat, da alle hier benutzten Geraden p, q, g und g1 in einer und derselben Ebene liegen, und zwar in derjenigen, die durch p und q bestimmt ist.91
Von den so aufeinander bezogenen Räumen Σ und Σ1 sagen wir wiederum, daß sie sich in perspektiver oder kollinearer Lage befinden, und nennen S das Zentrum und σ die Ebene der Perspektivität oder Kollineation. Dann besteht der Satz:
V. Um zwei Räume Σ und Σ1 perspektiv aufeinander zu beziehen, kann man das Zentrum S und die Ebene σ der Perspektivität, sowie auf einem durch S gehenden Strahl ein Paar entsprechender Punkte P und P1 beliebig annehmen.
Wie oben, folgern wir auch hier, daß der Ebene π, die durch P geht und parallel zu σ liegt, eine durch P1 gehende zu σ parallele Ebene π1 entspricht, daß ferner jeder zu σ parallelen Ebene des einen Raumes eine ebenfalls zu σ parallele Ebene des anderen Raumes entspricht, und daß man die perspektive Beziehung auch in der Weise herstellen kann, daß man irgendein Paar von Ebenen, die zu σ parallel sind, in Σ und Σ1 einander entsprechen läßt. Insbesondere entspricht auch wieder der unendlichfernen Ebene η∞ von Σ in Σ1 eine zu σ parallele Fluchtebene η1 und der unendlichfernen Ebene von Σ1 eine zu σ parallele Fluchtebene von Σ, und man kann die perspektive Beziehung auch mittels eines dieser Ebenenpaare festlegen (Fig. 98). Also folgt:
VI. Um zwei Räume Σ und Σ1 perspektiv aufeinander zu beziehen, kann man das Zentrum S und die Ebene σ der Perspektivität, sowie eine zu σ parallele Ebene als Fluchtlinie des einen Raumes beliebig auswählen.
Dies sind die Tatsachen, die der geometrischen Theorie der Reliefperspektive und der Theaterperspektive zugrunde liegen.
Eine auf dem Vorstehenden beruhende Reliefdarstellung hat so zu geschehen, daß der darzustellende Körper R dem Raum Σ angehört, während sein Bild R1 Teil des Raumes Σ1 ist. Sie ist ferner so herzustellen, daß das perspektivische Zentrum S das Auge des Beschauers vorstellt, und die Ebene, auf der sich das Relief R1 erhebt, die Fluchtebene η1 des Raumes Σ1 ist. Dies bewirkt, daß das Relief unendliche Tiefenausdehnung zu besitzen scheint; es ist ja das Abbild eines sich bis zur unendlichfernen Ebene η∞ von Σ erstreckenden Raumteils. Die Perspektivitätsebene σ, die die Räume Σ und Σ1 entsprechend gemeinsam haben, befindet sich zwischen dem Auge S und der Ebene η1; das Relief R1 selbst ist ganz zwischen den Ebenen σ und η1 enthalten. Je näher also das Relief R1 der Ebene σ kommt, um so geringer ist die Verzerrung, die seine obersten Teile erleiden. Aus unserem allgemeinen Satz folgt noch, daß S, σ, η1 beliebig wählbar sind, daß aber mit ihnen die Abbildung bestimmt ist.92
Es ist klar, daß eine so ausgeführte Reliefdarstellung nur auf ein in S befindliches Auge einen guten bildmäßigen Eindruck machen würde. Aus diesem Grunde stützt sich die Darstellung, die der Künstler schafft, teilweise auf andere Grundlagen, und zwar wesentlich auf künstlerische Motive; sie ist weit mehr, als die malerische Darstellung, durch Rücksichten anderer Art bedingt. Immerhin wird die Kenntnis der oben dargelegten geometrischen Gesetze dem Beschauer das Beschauen des Reliefs erleichtern.
ähnlich steht es mit den geometrischen Gesetzen, die für die Herstellung der Theaterkulissen die Grundlage bilden. Hier stellt der Vorhang die Ebene σ dar, in der die wirkliche Welt und die Bühnenwelt zusammenstoßen; S ist wieder das Auge des Zuschauers. Soll der Eindruck entstehen, daß sich die Bühnentiefe bis ins Unendliche erstreckt, so muß ihr Hintergrund die Fluchtebene darstellen; so wird erreicht, daß die Bühne als Bild des ganzen Raumes erscheinen kann, der sich vom Vorhang aus ins Unendliche ausdehnt. Sollen die Bühnenkulissen nur einen endlichen Teil dieses Raumes vorstellen, so hat man die Fluchtebene in geeigneter Entfernung hinter die Bühne zu verlegen, und die einzelnen Kulissen so zu zeichnen, wie es diejenige Perspektive Darstellung erfordert, die der angenommenen Lage des Auges S, dem Vorhang als Ebene σ und der gewählten Lage der Fluchtebene η1 entspricht. Daß es sich auch hier nur um gewisse allgemeine Grundlagen handeln kann, und daß der bildliche Eindruck des Beschauers überdies von seiner Stellung zur Bühne abhängt, ist klar. Immerhin darf man die Tatsache nicht außer acht lassen, daßauf den Seiten- und Deckenkulissen die Bilder aller parallelen Geraden nach der Fluchtebene konvergieren müssen. Für ihre richtige Zeichnung ist die angenommene Lage der Fluchtebene hier ebenso entscheidend, wie bei der ebenen malerischen Darstellung.
Die Lage des Knotenpunktes hängt außerdem von der Entfernung des Punktes P vom Auge ab; das Auge oder vielmehr die Lage der lichtbrechenden Medien akkommodiert sich nämlich stets so, daß gerade die von diesem Punkt ausgehenden Lichtstrahlen sich auf der Netzhaut vereinigen.
Er folgt unmittelbar aus den grundlegenden Tatsachen des Schneidens und Verbindens für Punkte, Gerade und Ebene (a. a. O. S. 2ff). Ferner steht er sich selbst dualistisch gegenüber; man beweist daher ganz analog, daß Dreiecke, deren Seiten die in ihm genannte Eigenschaft besitzen, so liegen, daß die Verbindungslinien ihrer Ecken durch einen Punkt gehen. Von den beiden Eigenschaften, daß die Ecken auf drei Strahlen durch einen Punkt liegen, und daß die Seiten sich in drei Punkten einer Geraden schneiden, zieht also die eine die andere nach sich.
Da die Figur, die man zum Desarguesschen Satz zeichnet, eine ebene Figur ist, so gilt dies alles auch für die in dieser Figur enthaltenen derselben Ebene angehörigen Dreiecke. Ob es aber auch für je zwei analoge Dreiecke einer Ebene gilt, bedarf der Untersuchung. Den Beweis kann man zunächst unmittelbar dem Grundsatz der Axonometrie in § 14 entnehmen, wie aus dem dort durchgeführten Beispiel 4 hervorgeht. Man kann ihn aber auch mittels seiner Schnittpunktsätze ableiten; indem man im Raum eine Desarguessche Figur konstruiert, deren Projektionen die ebenen Dreiecke sind. Einen Beweis findet man z. B. bei F. Enriques, Vorlesungen über projektive Geometrie, Leipzig, 1903, § 10.
Endlich hat Hilbert gezeigt, daß der Desarguessche Satz für eine ebene Geometrie, in der die grundlegenden Sätze des Schneidens und Verbindens gelten, nicht erfüllt zu sein braucht, wenn man nur in der Ebene operiert; also von allen räumlichen Konstruktionen absieht (a. a. O. S. 49).
Das allgemeine Prinzip, nach dem man dies auszuführen hat, ist das folgende. Wir wollen die drei Geraden, die axonometrisch die drei Grundrichtungen darstellen, als x-, y-, z-Achse bezeichnen. Sind dann ε und ε' zwei Ebenen, die eine Kante k bestimmen, so sind mit den Indizes dieser Ebenen zugleich ihre Schnittpunkte mit den drei Grundrichtungen und damit auch ihre Spuren in den drei Grundebenen gegeben. Sind Ex, Ey, Ez und Ex', Ey', Ez' die Schnittpunkte, so schneiden sich die Spuren EyEz und Ey'Ez' in einem in der yz-Ebene enthaltenen Punkt der Kante k, und ebenso liefern ExEz, und Ex'Ez' sowie ExEy und Ex'Ey' je einen Punkt von k. Damit ist auch k selbst bestimmt.
Naturgemäß handelt es sich bei diesen Konstruktionen immer um die geeignete Auswahl derjenigen Kanten, die man zuerst zeichnet und mit denen man die übrigen der Reihe nach bestimmt. Es empfiehlt sich, das Rhombendodekaeder auch aus den Spuren seiner Flächen herzustellen.
Von A. Schoenflies erschien ferner im fleichen Verlage:
Die Entwicklung der Lehre von den Punktmannigfaltigkeiten.
Bericht, erstattet der Deutschen Mathematiker-Vereinigung.
In zwei Teilen, gr. 8. Geh.
Teil I: [V u. 251 S.] 1900. n. M. 8.–
Teil II: Mit 26 Figuren. [X u. 431 S.] 1908. n. M. 12.–
Die Mengenlehre hat sich längst als ein unentbehrliches Hilfsmittel fast der gesamten höheren Mathematik erwiesen; Analysis und Geometrie haben ihren befruchtenden Einfluß in gleicher Weise erfahren. Sie hat unsere Anschauung geklärt, unser mathematisches Denken vertieft und überall außerordentliche Resultate gezeitigt.
Von dieser Erkenntnis aus hat die Deutsche Mathematiker-Vereinigung vor einer Reihe von Jahren den Verfasser aufgefordert, den damals noch zerstreuten Stoff zu sammeln und einheitlich zu verarbeiten. Dies ist durch den obigen Bericht in ausführlicher und eingehender Weise geschehen: Wenn auch knapp gehalten, soll er den Suchenden in lesbarer Weise über Probleme und Resultate orientieren. An verschiedenen Stellen hat der Verfasser die Behandlung der Probleme selbständig weiterzuführen versucht.
Der erste Teil, der 1900 erschien, enthält die allgemeinen Sätze der Mengenlehre, die Theorie der Punktmengen und ihre Anwendung auf die Analysis der reellen Funktionen. Der zweite, 1908 erschienene, enthält, von einigen Zusätzen zum ersten Teil abgesehen, wesentlich die Anwendungen auf die Geometrie. Die mengentheoretische Klärung der geometrischen Grundbegriffe ist nur sehr allmählich erfolgt; erst jetzt war sie so weit fortgeschritten, daß wenigstens ein Teil einer zusammenhängenden Darstellung fähig wurde. Es ist derjenige, der im Mittelpunkt der Analysis Situs steht und zugleich die Hilfsmittel für den Aufbau der Riemannschen Funktionentheorie bildet; in ihm kommen wesentlich die gestaltlich invarianten Eigenschaften der geometrischen Gebilde zum Ausdruck, insbesondere diejenigen, die den Kurvenbegriff und die Kurvenmengen betreffen.
Wenn der Bericht auch auf absolute Vollständigkeit keinen Anspruch machen kann, ist ihm doch ein abgerundeter, umfassender Inhalt gegeben worden.
Geometrie
der Bewegung in synthetischer Darstellung.
Mit Figuren im Text. [VI u. 195 S.] gr. 8. 1886. Geh. n. M. 4.–
Das Buch gibt die Geometrie der Bewegung auf rein geometrischer Basis, ohne Sätze über Geschwindigkeit und Beschleunigung der bewegten Punkte zu benutzen, indem die Gestalt der durch Bewegung entstehenden Raumgebilde, mit deren Eigenschaften sich die Geometrie der Bewegung beschäftigt, einzig und allein von dem Gesetz abhängt, nach welchem die Bewegung vor sich geht, d.h. von den verschiedenen Lagen, welche der bewegliche Körper der Reihe nach im Raume einnimmt, und nicht von der größeren oder geringeren Geschwindigkeit, mit der die Bewegung vor sich geht. Dabei erscheint die Geometrie der Bewegung als ein spezieller Zweig der synthetischen Geometrie, indem in der Tat die projektive Beziehung der Lagen, in welche der bewegliche Körper der Reihe nach gelangt, eine einfache Ableitung der darzustellenden Lehren gestattet.
Kristallsysteme und Kristallstruktur.
Mit 73 Figuren im Text. [XII u. 639 S.] gr. 8. 1891. Geh. n. M. 12.–
Der erste Teil der Schrift gibt eine konsequente und möglichst einfache Ableitung der 32 durch ihre Symmetrie voneinander verschiedenen im ganzen möglichen Kristallsysteme. Die Hilfsmittel der Darstellung sind hierbei durchaus elementar, zu ihnen gehört vor allem der Gruppenbegriff, der, wenn auch erst jüngeren Datums, doch zu den einfachsten Grundbegriffen der Mathematik zählt.
Der zweite Teil enthält eine ausführliche Erörterung der Theorien der Kristallstruktur auf Grund der Hypothese, daß die Struktur der Kristalle ihren Ausdruck in der regelmäßigen Anordnung der Kristallmolekeln findet. Es ergibt sich, daß geometrisch noch zwei Theorien im Rahmen dieser Hypothese möglich sind, die sich an die Namen Bravais bzw. Wiener und Sohncke knüpfen.
Verlag von B. G. Teubner in Leizig und Berlin.
[Band I erscheint im Oktober 1908.]
Der erste Band behandelt die Parallelprojektion. Den größten Umfang nimmt die Orthogonalprojektion mit Grund und Aufriß ein, dann folgen die schiefe Parallelperspektive und ein kurzer Aufriß der Axonometrie. Kotierte Projektion und Beleuchtangslehre sind neben einigen anderen kleinen Kapiteln in den Anhang verwiesen.
Der zweite Band bringt die wesentlichen Methoden der malerischen Perspektive, dann (kürzer) die freie Perspektive und die ebene Zentralkollineation mit Anwendungen auf die Kegelschnitte als Kreisprojektionen. Den Schluß bilden die Grundzüge der Reliefperspektive und der Photogrammetrie.–Über die Vorlesungen des Verfassers und damit auch über den Inhalt und die Anordnung des Buches finden sich nähere Angaben im Jahresbericht der deutschen Mathematiker-Vereinigung, 1906 S. 349 ff., besonders 354-57. Übrigens bildet das Buch nur einen Teil von „geometrischen Vorlesungen aus der reinen und angewandten Mathematik“, von denen zunächst zwei weitere Bande rasch folgen sollen.
Von der Voraussetzung ausgehend, daß ganz allein ein klares sicheres Erfassen des Raumvorgangs den praktischen Zeichner zum schnellen und bewußt sicheren Konstruieren befähigen kann, nicht etwa auswendig gelernte Gesetze oder Beweise noch auch mechanisch eingeprägte Lösungen, gibt der Verf. in dem Werkchen nach einem einleitenden Text mit 61 Fig. zu, 20 Tafeln mit zahlreichen praktischen, dem Baugewerbe entnommenen übungsbeispielen kurze Erläuterungen der angewandten Lösungsverfahren unter möglichster Vermeidung verwirrender Ziffern und Buchstabenbezeichnungen.–Den parallelprojektiven Schattenkonstruktionen ist, den Forderungen der Praxis Folge leistend, noch eine kleinere Gruppe perspektivischer Schattenkonstruktionen, die zugleich das Wichtigste über Linearperspektive enthält, angefügt.
Das vorstehende Werk über darstellende Geometrie, aus mehrjährigen Vorlesungen des Verfassers hervorgegangen, setzt nur elementare Kenntnisse der projektiven und analytischen Geometrie voraus. Der zunächst vorliegende erste Band behandelt die Darstellungsmethoden. Er beginnt mit einem kurzen Abriß der Geometrie des Zirkels und der Geometrographie und geht dann in den drei ersten Büchern zur Darlegung der Methoden der Orthogonalprojektion, Zentralprojektion und kotierten Ebenen über. Jede dieser Darstellungsmethoden wird in umfangreicher Weise zur Lösung der wichtigsten Aufgaben über Punkte, Geraden und Ebenen herangezogen. Das 4. Buch behandelt die Axonometrie, das 5., zum erstenmal in einem elementaren Lehrbuche, die Photogrammetrie.
Der vorliegende erste Band behandelt auf Grund der Darstellung durch zugeordnete Normalrisse (Orthogonalprojektion auf zwei zueinander senkrechte Ebenen) die Elementaraufgaben und die Kurven und Flächen (abwickelbare Flächen, Kugelfläche, Dreh- und Schraubenflächen, windschiefe und „graphische“ Flächen), während die kotierte Projektion, Dachausmittlung Axonometrie, schiefe Projektion und Perspektive den Inhalt des zweiten Bandes bilden werden, Die Anpassung an das praktische technische Zeichnen zeigt sich in dem vorliegenden Bande. unter anderem darin, daß das Konstruieren mit Hilfe von Auf- und Kreuzriß stets mitberücksichtigt, die Verwendung der Projektionsachsen und damit der Spurelemente von Geraden und Ebenen vermieden wird, daß ferner bei zahlreichen Konstruktionen möglichst mit einem Rißgearbeitet oder, besser gesagt, die verwendeten anderen Risse in jenen hineingelegt werden. Das Konstruieren der Schatten an technischen Gegenständen liefert, neben deren axonometrischer Darstellung, wohl den besten Übungsstoff zur Ausbildung in der räumlichen Vorstellung in der beabsichtigten Richtung. Hauptsächlich aus diesem Grunde, neben ihrer praktischen Anwendung, erfahren die Schattenkonstruktionen eine eingehendere Behandlung als sonst in Lehrbüchern ähnlichen Umfangs.
Obgleich das Buch mit den Elementen beginnt, so wird doch eine vorangegangene Beschäftigung mit dem Gegenstand, also eine gewisse Denk- und Konstruktionsfertigkeit, vorausgesetzt. Der Verfasser war bestrebt, soweit es die mathematische Vorbildung des angehenden Technikers zulaßt, allgemeine Methoden zu verwenden und höhere Gesichtspunkte zu gewinnen.
Angesichts des oft und seit langem beklagten Übelstandes, daß die für die Schulung des Baumanschauungsvermögens so wichtige Darstellung der Kugel und ihrer Kreise nicht nur im stereometrischen Unterrichte hintangesetzt, sondern sogar in der darstellenden Geometrie wenig gepflegt und selbst schematisiert wird, hat der Verfasser den Versuch gemacht, eine Anzahl der in der Raumlehre häufig auftretenden Körper in allgemeiner Lage gezeichnet darzubieten und die genaue Bildherstellung zu begründen und unter Hinweis auf die obwaltenden mathematischen Beziehungen und bei möglichster Beschränkung auf eine einzige Bildtafel, um die Verwendung der Konstruktionen im Unterrichte zu erleichtern. Dabei sind außer der Kugel nicht nur Zylinder und Kegel, sondern auch andere aus Kugel, Zylinder und Kegel ableitbare Raumgebilde berücksichtigt worden, z. B. Prismen und Pyramiden, Platonische und Archimedische Körper nebst einigen Durchdringungen. Die rechtwinklige Axonometrie, von der Kugel abgeleitet, die Haupt- und Nebenkreise der Kugel nebst ihren Polen werden ausführlich betrachtet, die nichteuklidische Geometrie auf der Kugel wenigstens gestreift. Eine vollständige Begründung der hauptsächlich benutzten Ellipseneigenschaften leitet das Buch ein, Anwendung auf die Rotationskörper, auf die Schraubenlinien von Zylinder, Kegel, Kugel, sowie auf die Erd- und Himmelskunde beschließen es. Vorausgesetzt wird die Kenntnis der elementaren Planimetrie und Stereometrie, einschließlich der harmonischen Eigenschaften des Kreises, an einigen Stellen auch der Trigonometrie und der Algebra.
Encyklopädie der Mathematischen Wissenschaften
mit Einschluß ihrer Anwendungen.
Herausgegeben im Auftrage der
Akademien der Wissenschaften zu Göttingen, Leipzig, München und Wien,
sowie unter Mitwirkung zahlreicher Fachgenossen
In 7 Bänden zu je 6-8 Heften, gr. 8. Geheftet und in Halbfrz. geb.
I | Arithmetik und Algebra, 2 Teile, redigiert von W. Fr. Meyer. |
II | Analysis, 2 Teile, redigiert von H. Burkhardt und W. Wirtinger. |
III | Geometrie, 3 Teile, redigiert von W. Fr. Meyer. |
IV | Mechanik, 4 Teilbände, redigiert von F. Klein und C. H. Müller. |
V | Physik, 3 Teile, redigiert von A. Sommerfeld. |
VI | 1. Geodäsie und Geophysik, 2 Teilbände redigiert von Ph. Furtwängler und B. Wiechert |
2. Astronomie, red. von K. Schwarzschild. |
|
VII | Geschichte, Philosophie, Didaktik. (In Vorbereitung) |
Aufgabe der Encyklopädie ist es, in knapper, zu rascher Orientierung geeigneter Form, aber mit möglichster Vollständigkeit eine Gesamtdarstellung der mathematischen Wissenschaften nach ihrem gegenwärtigen Inhalt an gesicherten Resultaten zu geben und zugleich durch sorgfältige Literaturangaben die geschichtliche Entwicklung der mathematischen Methoden seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts nachzuweisen. Sie beschränkt sich dabei nicht auf die sogenannte reine Mathematik, sondern berücksichtigt auch ausgiebig die Anwendungen auf Mechanik und Physik, Astronomie und Geodäsie, die verschiedenen Zweige der Technik und andere Gebiete, und zwar in dem Sinne, daß sie einerseits den Mathematiker darüber orientiert, welche Fragen die Anwendungen an ihn stellen, andererseits den Astronomen, Physiker, Techniker darüber, welche Antwort die Mathematik auf diese Fragen gibt. In sieben Banden zu je etwa 640 Druckseiten sollen die einzelnen Gebiete in einer Reihe sachlich geordneter Artikel behandelt werden; der letzte Band soll ein ausführliches alphabetisches Register enthalten. Auf die Ausführung von Beweisen der mitgeteilten Satze muß natürlich verzichtet werden.
Die Ansprüche an die Vorkenntnisse der Leser sind so gehalten, daß das Werk auch demjenigen nützlich sein kann, der nur über ein bestimmtes Gebiet Orientierung sucht.
Encyclopédie des sciences mathématiques
pures et appliquées
Publiée sous les auspices des Académies des sciences
de Göttingue, de Leipzig, de Munich et de Vienne
avec la collaboration de nombreux savants.
Edition française,
rédigée et publiée d’après l’édition allemande sous la direction de Jules Molk, professeur à l’université de Nancy.
En sept tomes, gr. 8. Geheftet.
Durch die günstige Aufnahme veranlaßt, welche die deutsche Ausgabe dieses monumentalen Werkes in Fachkreisen gefunden hat, und auf vielfache Anregungen hat sich die Verlagsbuchhandlung entschlossen, die Encyklopädie der Mathematischen Wissenschaften in Gemeinschaft mit der Firma Gauthier-Villiars in Paris auch in französischer Sprache erscheinen zu lassen. Das Werk wird, wie schon die ersten Lieferungen zeigen, seitens der deutschen Bearbeiter viele Änderungen und Zusätze erfahren, und auch die französischen Mitarbeiter, sämtlich Autoritäten auf ihren Gebieten, haben eine gründliche Umarbeitung vorgenommen. Zum ersten Male dürfte somit wohl hier der Fall eingetreten sein, daß sich bei einem so großen Werke die ersten deutschen und französischen Fachgelehrten zu gemeinsamer Arbeit verbunden haben.
Verlag von B. G. Teubner in Leizig und Berlin.
Repertorium der höheren Mathematik (Difinitionen, Formeln, Theoreme, Literaturnachweise) von Ernst Pascal, ord. Professor an der Universität Pavia. Deutsche Ausgabe von weil. A. Schepp in Wiesbaden. 2. neubearb. Aufl. In zwei Teilen: Analysis und Geometrie, gr. 8. I. Teil: Die Analysis. Herausgegeben von P. Epstein, [ca. 700 S.] 1909. In Leinwand geb. ca. n. M. 12.–(Erscheint im Januar 1909.) II. Teil: Die Geometrie. Herausgegeben von H. E. Timerding, [ca. 800 S.] 1909. In Leinwand geb. ca. n. M. 14.–[Erscheint Ostern 1909.]
Der Zweck des Buches ist, auf einem möglichst kleinen Raum die wichtigsten Theorien der neueren Mathematik zu vereinigen, von jeder Theorie nur so viel zu bringen, daß der Leser imstande ist, sich in ihr zu orientieren, und auf die Bücher zu verweisen, in welchen er Ausführlicheres finden kann. Für den Studierenden der Mathematik soll es ein "Vademekumßein, in dem er, kurz zusammengefaßt, alle mathematischen Begriffe und Resultate findet, die er während seiner Studien sich angeeignet hat oder noch aneignen will. Die Anordnung der verschiedenen Teile ist bei jeder Theorie fast immer dieselbe: zuerst werden die Definitionen und Grundbegriffe der Theorie gegeben, alsdann die Theoreme und Formeln (ohne Beweis) aufgestellt, welche die Verbindung zwischen den durch die vorhergehenden Definitionen eingeführten Dingen oder Größen bilden, und schließlich ein kurzer Hinweis auf die Literatur über die betreffende Theorie gebracht.
Vocabulaire Mathématique , français-allemand et allemand-français. Mathematisches Vokabularium, französisch-deutsch und deutsch-französisch. Enthaltend die Kunstausdrücke aus der reinen und angewandten Mathematik. Von Professor Dr. Felix Müller. [XV u. 316 S.] Lex.-8. 1900/1901. In Leinw. geb. n. M. 20.–Wurde in 2 Lieferungen ausgegeben: I. Lieferung. [IX u. 132 S.] 1900. Geb. n. M. 8.–II. Lieferung. [S. IX-XV u. 133-316.] 1901. Geb. n. M. 11.–
Das Vokabularium enthält in alphabetischer Folge mehr als 12000 Kunstausdrücke aus der reinen und angewandten Mathematik in französischer und deutscher Sprache und soll in erster Linie eine Ergänzung der gebräuchlichen Wörterbücher für die beiden genannten Sprachen sein. Da das Vokabularium zugleich als Vorarbeit zu einem Mathematischen Wörterbuche dienen soll, so sind auch zahlreiche Nominalbenennungen aufgenommen, deren Anführung aus rein sprachlichem Interesse überflüssig erscheinen dürfte. Z. B. Gaußsche Abbildung (einer Fläche auf eine Kugel] (Gauß 1887) [inf. Geom.] représentation de Gauss; Clairauts Satz (über die geodätischen Linien auf Umdrehungsflächen) (Clairaut 1793) [inf. Geom.] théorème de Clairaut. Aus den beigefügten Zusätzen ist zu ersehen, daß das Vokabularium mehr bietet, als der Titel erwarten laut.
Vorlesungen über Geschichte der Mathematik . von Moritz Cantor. In 4 Bänden, gr. 8. I. Band. Von den ältesten Zeiten bis zum Jahre 1200 n. Chr. 3. Aufl. Mit 114 Figuren im Text und l lithogr. Tafel. [VI u. 941 S.] 1907. Geb. n. M. 24.–, in Halbfranz geb. n. M. 26.–II. Band. Vom Jahre 1200 his zum Jahre 1668. 2. verb. u. verm. Aufl. Mit 190 Figuren im Text. [XII u. 943 S.] gr. 8. 1900. Geb. n. M. 26.–, in Halbfranz geb. n. M. 28.–III. Band. Vom Jahre 1668 bis zum Jahre 1758. 2. verb. u. verm. Aufl. Mit 146 Figuren im Text. [X u. 923 S.] gr. 8. 1901. Geb. n. M. 25.–, in Halbfranz geb. n. M. 27.–IV. Band. Vom Jahre 1759 his zum Jahre 1799. Herausgegeben unter Mitwirkung der Herren V. Bobynin, A. v. Braunmühl, F. Cajori, S. Günther, V. Kommerell, G. Loria, E. Netto, G. Vivanti, und C. R. Wallner von M. Cantor. Mit 100 Figuren im Text. [VI uv 1113 S.] 1908. Geb. n. M. 32.–, in Halbfranz geb. n. M. 35.–
„Einen hervorragenden Platz unter den neueren Veröffentlichungen über die Geschichte der Mathematik nimmt die zusammenfassende Darstellung ein, die uns Moritz Cantor geschenkt hat.
Mit rastlosem Fleiß, mit nie ermüdender Geduld, mit der unverdrossenen Liebe des Sammlers, der auch das scheinbar Geringe nicht vernachlässigt, hat Moritz Cantor dies kolossale Material gesammelt, kritisch gesichtet, durch eigene Forschungen ergänzt, nach einheitlichen Grundsätzen und einheitlichem Plan zu einem Ganzen verschmolzen, und indem er in seltener Unparteilichkeit bei strittigen Fragen, deren die Geschichte der Mathematik so viele hat, auch die abweichenden Ansichten zu Wort kommen ließ, hat er ein Werk geschaffen, das die reichste Quelle der Belehrung, der Anregung für einen jeden ist, der sich über einen geschichtlichen Fragepunkt Rat holen, der an der Geschichte der Mathematik mitarbeiten will...“
Encyklopädie
der Elementar-Mathematik.
Ein Handbuch für Lehrer und Studierende von
Dr. Heinrich Weber und Dr. Joseph Wellstein ,
Professoren an der Universität Straßburg i. E.
In drei Bänden, gr. 8. In Leinw. geb.
I. Elementare Algebra und Analysis. Bearbeitet von H. Weber. 2. Auflage. Mit 88 Textfiguren. [XVIII u 539 S.] 1906. n. M. 9.60.
II. Elemente der Geometrie. Bearbeitet von H. Weber, J. Wellstein und W. Jacobsthal. 2. Auflage. Mit 261 Textfiguren [XII u. 596 S.] 1907. n. M. 12.–
III. Angewandte Elementar-Mathematik. Bearbeitet von H. Weber, J. Wellstein und R.H. Weber (Rostock). Mit 358 Textfiguren. [XIII u. 666 S.] 1907 n. M. 14.–
Das Werk verfolgt das Ziel, den künftigen Lehrer auf einen wissenschaftlichen Standpunkt zu stellen, von dem aus er imstande ist, das, was er später zu lehren hat, tiefer zu erkennen und zu erfassen und damit den Wert dieser Lehren für die allgemeine Geistesbildung zu erhöhen.–Das Ziel dieser Arbeit ist nicht in der Vergrößerung des Umfanges der Elementar-Mathematik zu ersehen oder in der Einkleidung höherer Probleme in ein elementares Gewand, sondern in einer strengen Begründung und leicht faßlichen Darlegung der Elemente. Das Werk ist nicht sowohl für den Schüler selbst als für den Lehrer und Studierenden bestimmt, die neben jenen fundamentalen Betrachtungen auch eine für den praktischen Gebrauch nützliche, wohlgeordnete Zusammenstellung der wichtigsten Algorithmen und Probleme darin finden werden.
„... Zwei Momente müssen hervorgehoben werden, die dem Buche das Gepräge verleihen. Das eine liegt darin, daß die grundlegenden Fragen der Geometrie eine eingehende Behandlung erfahren, in einem Umfange, wie er in zusammenfassenden Werken sonst nicht anzutreffen ist.... Das zweite Moment ist in dem Umstande zu erblicken, daß die Verfasser es nicht darauf angelegt haben, eine pragmatische Vorführung des üblichen Vorrats an geometrischen Sätzen, Konstruktionen und Rechnungen zu geben, sondern daß es ihnen mehr darum zu tun war, an ausgewähltem Material die wissenschaftlichen Methoden der Geometrie zur Geltung zu bringen und überall auf die Grundfragen einzugehen. Ist so die theoretische Seite, namentlich in einigen Abschnitten, stark zum Ausdruck gekommen, so ist doch auch auf die praktischen Bedürfnisse Rücksicht genommen, die freilich erst mit dem dritten Bande ihre endgültige Befriedigung finden sollen, doch ist dafür an verschiedenen Stellen, so in der Trigonometrie und in der analytischen Geometrie schon vorgearbeitet worden.... So darf der Inhalt des zweiten Bandes der „Encyklopädie der Elementar-Mathematik“als ein sehr reichhaltiger bezeichnet werden, der über die Grenzen dessen, was an der Schule geboten werden kann, erheblich hinausführt, der aber auch–und das ist noch wichtiger und offenkundig der Hauptzweck des Werkes–eine Vertiefung des geometrischen Wissens vermittelt. Jüngere Lehrer der Mathematik werden das Buch gewiß oft und mit Nutzen zu Rate ziehen, namentlich wenn sie im Unterrichte zu prinzipiell wichtigen Fragen kommen, um sich über die leitenden Gedanken zu orientieren.“
Eines verdient noch besonders hervorgehoben zu werden das ist die reiche Ausstattung mit schönen, sehr instruktiv gezeichneten Figuren. Der schwierigen Vorstellung der verschiedenen Formen sphärischer Dreiecke kommen die stereographischen Bilder der Euler’schen, Möbius’schen und Study’schen Dreiecke sehr zu statten.“
„... Daß ein Hochschullehrer von der Bedeutung des Verfassers die Elementar-Mathematik von höherer Warte aus behandelt und mustergültig darstellt, ist selbstverständlich. Jeder Lehrer, jeder Studierende muß das Werk, welches nicht nur in methodischer, sondern auch in systematischer Hinsicht von Bedeutung und daher eine wichtige Erscheinung der elementaren mathematischen Literatur ist, besitzen und studieren.“
„... Die Encyklopädie will kein Schulbuch im gewöhnlichen Sinne des Wortes sein, ist aber zur Vorbereitung auf den Unterricht, namentlich in den oberen Klassen, den Lehrern der Mathematik dringend zu empfehlen, welche die bezüglichen Originalarbeiten nicht alle selbst studiert haben, sich aber doch orientieren wollen, wie vom Standpunkte der modernen Wissenschaft die Begriffsbildungen, Methoden und Entwicklungen der Elementar-Mathematik zu gestalten sind.“
(C. Färber Im Archiv der Mathematik und Physik.)