Inhalt der zwölf Gesänge.
Erster Gesang.
Eingang. Drahomira entfährt der Hölle, sich an Ottgar zu rächen. Er lagert vor Dürnkrut. Aufzählung der böhmischen Völker. Ottgar im Kriegsrath mit seinen Feldherrn. Kunegunde, von Drahomira empört, erfüllt ihn mit unversöhnlicher Rachgier. Meinhard von Görz, und Lichtenstein, die Gesandten Rudolphs, kommen, ihm Frieden zu biethen, und zugleich, als sie ihn zum Turniere laden, um die Hand seiner Tochter für Rudolphs Sohn zu frei’n. Wallstein, Ottgars Liebling, trägt heimliche Liebe zu ihr. Ottgar entläßt die Gesandten mit zweifelhaften Worten. Beschließt den Kampf. Gesichte der Zukunft.
Zweiter Gesang.
Rudolph zieht seinem Sohn Albrecht bis Lilienfeld entgegen. Besteigt die Alpenhöhen, wo ein frommer Klausner ihm seines Hauses künftige Größe verkündet. Schlägt Müller, den Zürcher, zum Ritter. Sonnenaufgang, und herrliche Aussicht. Albrecht nah’t von Zell heran, und stellt dem Kehrenden die Schweizer- und die schwäbischen Scharen vor. Er zieht mit ihnen g’en Wien. Hedwig.
Dritter Gesang.
Marbod, einst König der Markmannen, und ein jetzt dem Kaiser gewogener Geist, eröffnet dem Feldherrn Hugo von Tauffers, in einem Traum, den Verrath, den Waldram, Bürgermeister zu Wien, an dem Kaiser sinnt. Rudolph kommt mit seinen Scharen heran, und nimmt an der Wien von seiner Gemahlinn Abschied. Sendet Hugo von Tauffers an den König der Ungern, Ladislav. Ernennt an dessen Stelle seinen Sohn, Hartman, zum Festungsgebiether, und eilt in das Lager am Tabor. Aufzählung seiner Völker. Hugo von Tauffers im Lager der Kumanier und Ungern. Diese setzen die March herüber.
4Vierter Gesang.
Morgen. Turnier am Tabor. Von Drahomira erregt, höhnt Wallstein Hartman, Rudolphs Sohn; kommt unerkannt in schwarzer Rüstung Ottgar heran; widersteht ihrer Einflüsterung, den Kaiser zu morden; ersticht Hartmans Roß; wirft den Fehdehandschuh Rudolph, zum Kampf auf Tod und Leben, hin, und entflieht im schrecklichen Donnergewitter.
Fünfter Gesang.
Ottgar gebiethet in der Nacht dem Heere den Aufbruch, dem er mit schwachem Geleit folgt. Aus dem Hinterhalt fallen ihn die Kumanier an. Er schlägt sich mit Wallstein durch. Milota führt ihn auf Irrwegen von dem Heer ab, und quält ihn mit Rückerinnerungen verübter Frevelthaten. Von Drahomira bethört, hält Wallstein um die Hand seiner Tochter an. Er mißhandelt ihn.
Sechster Gesang.
Czernin dringt, mit Waldram verstanden, in der Mitternachtsstunde, an der Spitze einer Schar Böhmen in die Veste Wien ein, als Hartman eben wegen der schwerkranken Mutter sich nach dem Kahlenberg begab. Ihm, und den Aufrührern, setzen sich die Schweizer standhaft entgegen. Der Kaiser zieht, auf Marbods Wink, mit Hugo von Tauffers vor die Thore. Hartman sprengt herbei, und tödtet Waldram; worauf die Böhmen sich eilig wieder über die Donau zurückzieh’n. Hugo abermals zum Festungsgebiether ernannt. Tod der Kaiserinn. Todtenfeier und Begräbniß. Der Kaiser sendet Albrecht nach Heunburg, eine Brücke über die Donau zu erbauen. Hartman eilt nach dem Rhein fort.
Siebenter Gesang.
Der Kaiser setzt mit dem Heere bei Heunburg über die Donau, und rückt g’en Marcheck vor. Wallstein, dem Wahnsinn nahe, tödtet einen seiner Krieger. Der Kaiser entläßt ihn schonend. Kaduscha, ein Führer der Kurmanier meldet ihm die Nähe des Königs, und die Sendung des Geschenks mit den Köpfen der, im nächtlichen Ueberfall, getödteten Böhmen. Der Kaiser sendet Schwarzenberg dem König entgegen, und heißt ihn, jene begraben zu lassen. Die Geister: Marbod und Inguiomar auf Rudolphs, und Katwald auf Ottgars Seite. Zusammenkunft Rudolphs mit dem König Ladislav. Ottgar rückt mit dem Heer’ an. Der Kaiser stellt seine Völker in Schlachtordnung. Marbod treibt Schörlins Roß gegen die Böhmen. Der Kampf beginnt. Ottgar tödtet in der Vorhuth zwei Trautmansdorfe. Pfannberg wird verwundet. Die Steyrer weichen. Der Kaiser hält die Flüchtenden vor Marcheck auf.
5Achter Gesang.
Nacht. Von Drahomira verleitet, setzt Wallstein, mit kumanischen Kriegern vereint, ein Städtchen in Mähren in Brand, und tödtet einige böhmische Reiter. Kommt zu sich. Eilt in das Lager Rudolphs, und erbiethet sich, Ottgarn heimlich zu tödten. Der Kaiser heißt ihn reuig zu Jenem zurückkehren. Drahomira drängt ihn umsonst, den schlummernden König zu morden. Er fällt in sein eigenes Schwert. Drahomira fährt zur Hölle. Wallsteins Grab. Der Kaiser stellt in der Morgendämmerung sein Heer in Schlachtordnung. Ottgar, in Gram versunken, säumt. Ernennt Milota zum Anführer des Haupttreffens. Worauf die Meißner und Thüringer von seinem Heer heimlich abziehen; so auch Kunring. Doch Ottgar gebiethet den Angriff.
Neunter Gesang.
Morgen. Der Kaiser verschiebt die Hauptschlacht auf den folgenden Tag. Sendet Trautmansdorf mit seinen Söhnen, es Ottgarn kund zu thun, und ihm nochmals Frieden zu biethen. Dieser wird von ihm schnöde abgefertigt. Von den feindlichen Reitern gehöhnt, kehren fünf seiner Söhne, kämpfen, und fallen. Der Kaiser stellt sein Heer dem anstürmenden Feind, vor des Lagers Wall, entgegen. Angriff, und hartnäckiger Kampf. Milota tödtet die beiden Führer Berchtold und Col von Seldenhofen. Capellen entflammt die Oestreicher. Die Mährer weichen. Katwald ermuntert den Herbot von Füllenstein, daß er vor Allen auf den Kaiser eindringe. Meinhard, Graf von Görz und Tyrol, ringt gegen die Bayern und Sachsen, und erlegt den Feldherrn Czernin; Heunburg den Markgrafen Pfeil, Feldherrn der Sachsen. Da dringt Herbot von Füllenstein auf den Kaiser los, und ersticht ihm das Pferd unter dem Leib. Sechs Trautmansdorfe kämpfen um ihn herum, und fallen. Der Kaiser reißt Herbot mit dem Speere von dem Pferd herunter, und macht ihn gefangen. Heißt dort Albrecht mit den Schweizern vordringen, hier Matthias von Trentschin mit den Ungern dem Feind’ in die Seite stürmen. Lobkowitz ruft Ottgar auf, daß er mit ganzer Macht sich auf den Feind werfe. Er gibt ihm kein Gehör. Auf den Ruf „die Feinde fliehen!“ weichen seine Völker, und er führt sie bis Dürnkrut zurück. Der Kaiser lagert vor Ebenthal. Nacht.
Zehnter Gesang.
Hartman ertrinkt in dem Rhein. Der Kaiser hält mit seinen Feldherrn erst Kriegsrath; dann die Abendmahlzeit. Horneck der Sänger tritt ein, und singt die fromme Handlung des Kaisers, als er dem Priester sein Roß 6 both. Entläßt die Feldherrn. Dem Entschlummerten erscheint sein Sohn Hartman. Ottgars Abschied von Kunegunden.
Eilfter Gesang.
Morgen. Schlachtordnung der Böhmen. Der Kaiserlichen. Gottesdienst. Vorbereitung zur Schlacht. Die Ritter buhlen um die Ehre, die Sturmfahne zu tragen. Ottgar, von Katwald erregt, nah’t mit seinem Heer. Hundert Zürcher erhalten vom Kaiser den Ritterschlag. Trautmansdorfs letzter Sohn fällt. Die Kumanier stürmen sonder Ordnung. Lobkowitz bringt sie und die Steyrer, zum Weichen. Verstärkter Angriff. Die Kaiserlichen allenthalben zurückgedrängt. Der Kaiser steigt vom Pferd, bethet zum Himmel, und macht ein Gelübde. Ein Unsterblicher stärkt ihn, und heißt die Geister entflieh’n. Erneuerter Kampf. Albrecht, sein Sohn, trägt ihm die Kreuzesfahne vor. Nach schrecklichem Gewürg’, wo, mit den Rittern, die Schweizer und Schwaben entscheidend vordringen, weicht Ottgar auf den Spannberg zurück. Heißt Milota mit dem Nachhalt vorgeh’n. Allein dieser flieht, ihn höhnend, mit seinen Scharen vom Schlachtfeld. Letzter mörderischer Kampf. Ottgar von den Merenbergern vom Pferde gestochen. Sein zerstreutes Heer bis g’en Laa verfolgt.
Zwölfter Gesang.
Ottgars Leiche wird in der Nacht auf einen Trauerwagen gehoben. Hornecks Klaggesang. Des Kaisers Einzug in Wien. Dankgebeth. Der Wagen mit Ottgars Leiche nah’t. Lobkowitz führt dessen Sohn Wenzel herbei, daß er um selbe flehe. Der Kaiser entläßt sie. Endet seinen Siegeseinzug in die Burg. Nimmt den König Ladislav, und Wenzel an Sohnes statt an, und verheißt diesem seine jüngste Tochter Gutha. Belehnt seinen Sohn Albrecht mit Oestreich, und zieht sich dann in das Trauergemach, wo die Kaiserinn starb, zurück.
7
Erster Gesang.
Tön’, o Heldengesang, von den schmetternden Kriegesdrometen
Wieder geweckt, von Rudolph nun, dem Kaiser der Deutschen,
Der obsiegend der Macht des Böhmenköniges, Ottgar,
Wahrte die Rechte des Reich’s, und, kehrend vom blutigen Schlachtfeld,
Gründete Habsburgs Thron an den Ufern der mächtigen Donau,
Seinem Geschlechte zum Ruhm, und unzähligen Völkern zum Segen!
Wer empörte sofort, nach dem jüngsterrungenen Frieden,
Wieder die Fehd’ und das Grau’n der menschenvertilgenden Feldschlacht?
Ein unseliger Geist, Drahomira.1 Die Herrscherinn Böhmens
War sie, und noch ist ihr Nahme mit Schauder genannt in dem Land dort:
Denn Wratislav, dem christlichen Fürsten, vermählet als Heidinn,
8Trug sie den Christen Haß in der schrecklichen Brust, und verfolgte
Sie mit Feuer und Schwert. Sie waffnete selbst den Erzeugten,
Boleslav, daß er Wenzel ermorde, den eigenen Bruder,
Weil er dem Heiland getreu, festhielt an dem heiligen Glauben,
Und verübt’ auch sonst an dem Volk’ entsetzliche Frevel:
Zaubergewaltig, ergeben dem Trug der Hölle — der Schwarzkunst;
Bis urplötzlich die berstend’ Erde zu Prag, am Hradschin, sie,
Lebend, verschlang. Noch jüngst ausspie der klaffende Felsen
Dort bald finsteren Rauch, bald bläuliche Flammen: denn oft kam
Noch in der Neumondsnacht (so heischt’ es die Sag’) ihr zu opfern,
Mancher, vom Wege des Heils Verirrter, dahin, und Verdammniß
Ward ihm zu Theil. D’rum hieß, als früher geweihetes Wasser
Sprengte der Priester umher, und stehende Worte zu Gott rief,
Ottgar füllen den Zauberschlund mit dem lastenden Felsblock
So, daß auf immer verhüllt die Spur des unseligen Raum’s sey.
Unten im Höllenpfuhl, der außer des kreisenden Weltalls
Gränzen sich noch unendlich erstreckt, erhob Drahomira
9Jetzt, verwundert, ihr Haupt, und sprach wuthfunkelnden Blickes:
„Ha! wie kommt es, daß heut der betäubende Rauch, und die Flamme,
Die ich genährt in dem Schlund’, in welchem ich schrecklichen Tod fand,
Qualmend herab sich wälzt, und keiner der Sterblichen seither,
Opfernd vor ihm, die Schar der Unseligen mehrt in dem Pfuhl hier?
Meister, ist dir’s genehm, daß ich eile hinauf nach des Erdballs
Fluren, und forsche, wie solches gescheh’n? Bald öffnet Verführten
Wieder der Schlund sich weit; ich sende sie, dir zu Gefallen!“
Sagt’ es, und blickte nach Satan hin, der, riesengestaltet
Saß auf dem glühenden Thron’, und die furchtbarn Augen zum Boden
Heftete, so die unendliche Qual des zerrissenen Herzens
Durch empörenden Trotz und erheuchelte Ruhe zu bergen;
Aber umsonst: denn nimmer birgt er das innere Weh’ mehr,
Das von der finsteren Stirn’ und den zuckenden Wangen sich kund thut.
Nicht erhob er auch jetzt den Blick von dem Boden: er winkte
Nur mit dem Haupt, daß die Höll’ erzitterte, jener den Beifall:
Alsbald fuhr sie in brausender Hast von dem schrecklichen Wohnsitz
All der Unseligen auf, und nahte dem Lande der Böhmen.
10Kaltverachtenden Blicks gewahrte sie dort auf den Fluren
Reiches Gedeih’n, und rings die freundlichen Städt’ und die Dörfer;
Aber vor allen, am Moldaustrom’ erglänzend die Hauptstadt,
Praga, im lieblichen Reiz erst jüngstentfalteter Blüthen.
Sieh’, und ein Pilger kam vom Gelobten-Lande gezogen,
Der vor Jahren die Heimath verließ! Er blickte mit Staunen
Lang’ um sich her: da naht’ ihm, lächelnd, ein Greis, und im Beiseyn
Jener Verworf’nen zugleich, die ihm leis’ aufhorchte, begann er:
„Fremdling, suchst du den Mann, der hier ein Eden erschaffend,
Wie durch Wundergewalt das Leben der Menschen verschönt hat?
Nun ist er fern: denn wiss’ es, der Held und erhabene König,
Ottgar, streute mit Liebe die Saat, und ihm reifte zum Segen
Wohlstand unter dem Volk’ in des Landes erfreuender Schönheit.
Auch erlagen die Gegner ihm stets, und es kündiget allwärts
Seines Nahmens Unsterblichkeit der herrlichste Siegsruhm.
Dennoch hielt er so gern in der dunkelen Scheide das Eisen,
Frieden ersehnend, zurück, und entblößt’ es auch jetzt, nur gezwungen,
Gegen des streitbarn Rudolphs Macht. Er wird sie für immer
11Bändigen: denn er zog, gar furchtbargerüstet, zum Kampf’ aus.
Ach, ihn drängte zum Friedensbruch Kunegunde, die Gattinn!
Grimmvoll ist ihr Gemüth, und ihr Herz verwildert durch Herrschsucht,
Die ihm das Böse vergilt, das er Margarethen, der frommen,2
Einst als Gatt’ erwies! Dieß Eine verdunkelt den Hochglanz
Seines Ruhms: ihn lenket ein Weib, das, Böhmen zum Jammer,
Selbst Drahomiren gleich, der Unheilstifterinn, wüthet,
Die für den schnöden Gewinn: zu gebiethen des Himmels Gewittern;
Auf den Flügeln des Sturms einher zu fahren im Luftraum,
Oder unsichtbar Menschen zu nah’n — zu schau’n, und zu horchen
Dort in dem traulichen Kreis’ der Versammelten, und zu verderben
Alle, die auch mit lispelndem Laut, mit umschauendem Blick nur
Ihrer gedacht, und tadelnde Worte gesprochen: für solches
Hatt’ einst diese verkauft die unsterbliche Seele der Hölle;
D’rauf noch Schuld gehäufet auf Schuld, bis schrecklicher Tod ihr
Macht und Leben entriß, und die Böse dem Bösen gesellte,
Als urplötzlich die berstend’ Erde zu Prag, am Hradschin, sie,
Brausend, verschlang: zur Strafe der wildumtobenden Blutgier,
12Frevelnden Götzendienst’s, und schrecklicher Christenverfolgung.
Aus dem furchtbarn Schlund aufquoll noch in unseren Tagen
Finsterer Rauch; doch Ottgar barg ihn, den Menschen zur Rettung,
Die, vom Satan bethört, leichtgläubigen Sinnes, ihr nächtlich
Opferten, dort ihr Geschick in kommender Zeit, zu erfragen,
Oder sich trüglichen Glücks zu erfreu’n zu unendlichem Jammer.“
Sagt’ es, und ging. Da flog, von der Schmähung empört, Drahomira
Ihm auf dem Heerweg nach, und haucht’ ihm Gift in das Antlitz:
Alsbald stand er, erbleicht, und sank, vergehend, zusammen —
Lag, und stöhnte vor Schmerz, bis endlich der Zauber entfloh’n war.
Aber sie starrete jetzt, tiefsinnend, und sonder Bewegung
Wie der Aar, der erst die mächtigen Flügel geschlagen,
Regungslos hinschwebt in der bläulichen Luft, in des Schlundes
Grauen hinab. Das Aug’ ihr rollete wild in den Kreisen;
Knisternd sträubt’ ihr Rabenhaar sich empor von der Scheitel,
Und voll Grimms erzitterten ihr die Lippen; sie sagte:
„Ottgar, Fluch sey dir! Du vernichtest des felsigen Schlundes
Zaubergewalt, die Viele nach mir in’s Verderben hinabriß?
Gläubig nahten ihm oft die Verblendeten, welche, des Schicksals
13Dunkeln Pfad zu erkunden, auf ihm, des dräuenden Himmels
Warnung zum Trotz, der drückenden Last des Lebens entledigt,
Gerne für trügliches Erdenglück das ewige böthen.
Aber von diesem verbannt durch eisernrichtenden Machtspruch,
Sollt’ ich den glühenden Durst nach Rache, durch Trug und Verblendung,
Ich nicht löschen am Volk, das, gläubig, der Täuschung sich hingab?
Trost ist’s, wenn in der Brust der Unseligen solchem noch Raum blieb,
Mit in dem ähnlichen Jammergeschick die Gefährten zu sehen.
Wie, du entziehst, ein Thor, durch höhnenden Frevel auch die mir?
Ha, dir sey jetzt Rache geschworen! Nicht will ich mehr rasten,
Bis dein Heldenweib — ihr werde der Thron und die Herrschaft,
Ja, sie herrsche nach dir, mir ähnlich an Kraft und Gesinnung,
Gegen den Feind dich reizt, und du in dem Kampfe, besiegt, fällst;
Also büße den Ruhm, der dir Drahomiren empörte.“
Und sie flog nun hin, wo im weitverbreiteten Marchfeld
Ottgars furchtbares Heer von Dürnkruts3 Hügeln hinunter,
Lagerte, dort mit höllischer Lust ihm, verderbend, zu nahen.
14Leise schwebte die Nacht auf den ringsverstummenden Erdkreis
Nieder. Aus Süden erbraus’te der Sturm, und jagte die Wolken
Auf an des Himmels Zelt. Sie rissen im eilenden Zug’ oft
Weit entzwei: da blickte der volle Mond aus des Himmels
Bläue so düster herab, und die Stern’, in Nebel sich hüllend,
Trauerten: denn ein Unhold naht’ auf den Flügeln der Windsbraut.
Jetzt, wie die ragenden Wäll’ und die Häuser der mächtigen Hauptstadt,
Meilenlang bedecken den Plan, und oben zum Bergrand
Aus der Tiefe herauf dem Wanderer, düsteren Schimmers
Glänzet der Lampen Schein in der Nacht, unzählig und endlos:
Also erschien ihr das Heer des Königes, das er erst gestern,
Nach der Eroberung Drosendorfs, des trotzenden Städtchens,
Am Gestade der March, auf Dürnkruts Fluren vereinte.
Bald erspähte sie dort in des Lagers Mitte, vor allen,
Ottgars hochgewölbetes Zelt, das schimmernde Leinwand
Außen umhüllte; von innen hing, zur Erde herunter,
Scharlachgeröthetes Tuch, verbramt mit goldenen Fransen.
Sieh’, in dem grasumwucherten Raum’, ihm zur Linken und Rechten,
Ragten die Zelt’, erhöht, der Kunring’, tapferer Ritter,
Die in dem Kreis’ östreichischer Herrn, wie der Mond in der Sternflur,
15Glänzten an ad’liger Macht und weitverbreitetem Eigen:
Denn Hadmar, und Leutold, die Zwillinge, haus’ten zu Dürnstein
Bald, und bald zu Weitra und Horn; in des rollenden Jahres
Monden wechselnd die Burg; doch immer in trauter Gemeinschaft:
Sonder Gattinn und Kind, des Waffengemenges sich freuend.
Aber mit feindlichem Sinn, von dem Kaiser gewendet, vereinten
Sie mit des Königs Panier jetzt zwanzig flatternde Fähnlein.
Jeglichem folgte die Zahl von fünfzig bepanzerten Reitern,
Die mit dem Schild’ und dem Helme bewehrt, und der Lanze bewaffnet,
Feurige Rosse zum Kampf vortummelten, siegenden Muths voll.
D’rauf g’en Idungsbeug, auf dem sandumhülleten Blachfeld,
Welchen die schwellende Fluth der March seit Jahren gehäuft hat,
War des Fußvolks Macht, zehntausend tapferer Männer —
Waren die Reiter gestellt, an der Zahl zweitausend und fünfzig,
Die sich der König in Böhmen erlas, und mit trefflichen Waffen
So, wie jene, versah. Die muthigen, löwenbeherzten,
Lenkten die Rosse mit Kraft und Geschick, die, feurigen Blutes,
16Wild umtobten im Kampf’, und die Reihen der Feinde zerstampften.
Lobkowitz führte sie an, der ruhmgekrönete Feldherr.
Aber vor Ebenthal, der freundlichen Burg, an des Hügels
Abhang, lagerten sich des vielbevölkerten Mährens
Tapfere Söhn’: an der Zahl achttausend erlesenes Fußvolk,
Die, mit dem Panzerhemd’ und der eisernen Haube bewehret,
Führten im Kampfe den Speer und den breitgehämmerten Säbel.
Milota rief sie in’s Feld, ein Ritter, der Ersten des Landes.
Sonst zur Freude gestimmt, als liebender Vater und Gatte,
Sah er des Lebens Blüthenjahr’ und die reifere Mannszeit
Schwinden im Glück. Nur als ihm die zarteste Tochter, Ludwinen,
Sie mit täuschender Huld in den Schimmer des Hofes verlockend,
Ottgar schnöde verführt’, und der Schmach die gefallene Preis gab:
Da verscheuchte der Menschenhaß und die brütende Rachgier
Jegliche Freude vor ihm. Nur Weniges sprach er, und das noch
Sprach er mit bitterem Hohn’ und wildauflachendem Ingrimm;
Aber nicht mied er des Herrschers Näh’, und harrte des Tages,
Der ihm den Durst nach Rach’ einst kühlete schrecklich und furchtbar.
17Dort dem König zur Linken, hinab sich dehnend bis Stillfried,
Stand Klein-Reussens Volk, das jüngst an den Ufern des Peltew,
Lembergs Mauern nicht fern, zu Fuß und zu Pferd sich vereinte:
Jenes, geübt, von der Armbrust, schnellvorschreitend im Schlachtfeld,
Mitten in Feindes Brust den schwirrenden Pfeil zu entsenden;
Dieses, im Waffengemeng’ schnellfußige, hurtige Rosse
Spornend, vorzusenken den Speer aus der Röhre des Bügels:
Dann mit des Fußes Druck und dem Stoße der nervigen Rechten
Einzustürmen im sausenden Flug’ in die feindlichen Reihen.
Beide, gleich an der Zahl, dreitausend tapfere Mannen,
Folgeten Herbot von Füllenstein, der riesengestaltet,
Ragte vor allen hervor in dem Heer’, und rühmlich bekannt war
Ob des unbändigen Muths, und der ritterlichsiegenden Thatkraft.
Doch auch der Meißner kam und der Thüringer jüngst aus der Heimath,
Ottgars Recht zu verfechten im Kampf’, als Bundesgenoß her!
Muth in der Brust, und Kraft in der Rechten, die Lanze zu schwingen
Brachten sie mit, und beiden geboth der tapfere Markgraf
18Dietrich, Heinrichs Sohn, des Erleuchteten, mächtigen Ansehn’s.
Jenen vereint, stand auch des korngesegneten Bayerns,
Also auch Sachsens Volk in dem Vorderzuge geordnet:
Gierig des Kampfs, und geübt, die tödlichen Lanzen zu schwingen.
Heinrichs schaltendem Wink, des Herzogs, folgten die Bayern;
Markgraf Pfeils die Sachsen mit Lust in die furchtbare Feldschlacht.
Gegen den Weidenbach, in des weitgedehneten Thalbrunns
Niederung hin, erhöht auf vierzig ragenden Schaften,
Flatterten hoch in der Luft, verschieden an Farb’ und an Zeichen,
All des erlesenen Vorderzugs kampfdrohende Fähnlein.
Jeglichem waren gesellt fünfhundert tapfere Krieger,
Welche das Panzerhemd, und der Helm im Felde beschirmte.
Aber im Rücken des Heers, nicht ferne dem schimmernden Marchfluß,
War noch die Wagenburg, Feldzeug, und Geräthe des Lagers
Aufgehäuft, wie auch Mundvorrath für die dauernde Kriegszeit.
Also lagerten dort des Königs versammelte Scharen.
All’ umhüllete jetzt der Schlaf mit bleiernem Fittig
Schon. Sie errangen zuvor, nach schrecklichem Kampfe, die Mauern
Drosendorfs, von dem Hohenberger, dem tapferen Feldherrn
Rudolphs, der sie mit Macht und entflammendem Muthe beschirmte.
19Aber noch wacht’ im Gezelt der König der Böhmen. Zum Kriegsrath
Rief er um Mitternacht die Feldherrn: denn von dem Kaiser
Waren die Friedensbothen zu ihm, in das Lager gesendet:
Meinhard, Graf von Tyrol, und Lichtenstein: in den Waffen
Beide berühmt. Nicht dacht’ er zwar, den friedlichen Oehlzweig,
Den sein Gegner ihm both, mit versöhnlicher Rechten zu fassen:
Denn er sann nur blutigen Kampf, nur Tod, und Verderben
Ueber Rudolphs Haupt zu wälzen im Felde der Waffen;
Aber es sollte der Helden Verein, was er in dem Busen
Heimlich beschloß, nun künden mit lautentscheidendem Ausspruch.
Siehe, vor allen kam der Führer des reisigen Volkes,
Lobkowitz, ein gewaltiger Greis, deß’ leuchtender Aarblick
Unter den buschigen Brau’n den Muth im Herzen verkündet,
Der auf die Waffenbahn ihn schon als blühenden Jüngling
Trieb, und das Herz ihm gewann des schlachtruhmdürstenden Königs!
Doch umwölkt war jetzt ihm die Stirne von inniger Trauer,
Und zur Erde geheftet sein Aug’, da er dort vor dem Herrscher,
Schweigend, stand. Alsbald, obgleich von heimlichem Unmuth
Selber gebeugt, begann, mit erzwungenem Lächeln der König:
„Wahrlich, nicht wirst du den Feldherrn heut, mit dem Gram in den Augen,
Muth einflößen im Rath! Hat dir das treffliche Streitroß,
20Das zum Siege dich schon in zwanzig Schlachten getragen,
Und aus Feindes Gedräng’ oft rettete, heute das Futter,
Aechzend, verschmäht, und du sorgest vielleicht um den Liebling im Herzen?
Wie, verfehlte der Spürer im Wald des flüchtigen Rehbocks,
Oder des Hirsches Spur, mit dem sechzehnendigen Hauptschmuck?
Fasse dich, tapferer Greis! Bald wird der Braune genesen;
Bald erfreut uns der Fried’, und du streckst in fröhlichen Stunden,
Draußen am Rasengrund der waldumränderten Hügel,
Wieder im Hörnerklang’ und Gebell verfolgender Spürer
Raschanstürmendes Wild mit sausenden Lanzen zu Boden.
Denke des Worts: bald sind wir heimisch im Lande von Oestreich.“
„Herr,“ sprach jener bewegt, „gewartet mit emsiger Sorgfalt
Wiehert das Roß, das mich in zwanzig Schlachten getragen,
Und aus dräuender Todesgefahr oft rettete, muthig
Drüben im Zelt! Nicht denk’ ich des Weidwerks jetzt in den Tagen
Ernsten Kriegs, deß’ Bild uns jenes, im sanfteren Frieden
Oft ergetzt, und die Kraft uns stählt in erhöhter Gesundheit.
Ja, du sprachst es im Scherz nur, o Herr! Doch dünkt es mich selber:
Nicht wohnt Heiterkeit dir in den tieferglühenden Augen.
Möge die dunkle Nacht verborgenen Strebens enthüllen
Jetzo der Wahrheit leuchtender Strahl! Zum wichtigen Kriegsrath
21Riefst du die Feldherrn: denn die Friedensbothen des Kaisers
Harren der Antwort im fernen Gezelt. Des Friedens erwähnst du?
Heischest Rath, und ach, beschlossen im heimlichen Busen
Hast du den Krieg auf Leben und Tod! O, möchte des Friedens
Freundlicher Ruf den Haß aus deinem empöreten Herzen
Nun verscheuchen, und dir und dem Volk die Fülle des Segens
Schaffen hinfort! Erfüllt hast du mit unendlichem Kriegsruhm
Weithin die Erd’ umher; allüberall preisen die Völker
Deine Weisheit und Kraft. Zieh’ heim nach dem herrlichen Erbreich,
Das dir gehorcht — nach Böhmen und Mähren: die trefflichsten Völker
Nährt es im blühenden Schooß. Dort lebe dem Glücke der Deinen,
Und unsterblicher Ruhm harrt dein, in der spätesten Zeit noch.
Hast du nicht jüngst mit Siegel und Schrift und mit heiligem Eidschwur,
Oestreich, Kärnthen, und Krain, als Lehen, entsagt vor dem Kaiser
Selber, auf Glauben und Treu’, und im Treubruch hoffst du zu siegen?
Bebe der That: schwer rächte den Bruch geschworenen Eides
Stets an den Sterblichen noch die ewigwaltende Vorsicht.“
22Ottgar stand, erschüttert im Geist vor dem Schreckensgedanken;
Sprechen wollt’ er schnell, und es bebten die Lippen ihm leis’ nur.
Doch nun drang ihm das Wort aus den festgeklammerten Zähnen:
„Ha, sey nun, und auf immerhin, der Leib und die Seel’ auch
Mit in dem Spiele gewagt! Nicht kann ich mehr weichen: die Gattinn —
Ja, das schreckliche Weib, hat mich zu dem Schritte gezwungen.
Da ist kein Rückgang mehr: ich folg’, ein Opfer des Schicksals!“
„Wie,“ so sprach, ihm freundlicher nahend, der Greis, „um die Herrschaft
Stritten des Reiches Hort und der König von Böhmen; im Frieden
Schieden sie erst, und die rach’empörende Zunge der Gattinn
Drängte sie wieder zum Würgen zurück? Nicht mühen die Frau’n sich
Ab in dem Feld. Wenn wir erlagen, erkiesen sie wieder
Sich den neuen Gemahl, und erfreu’n sich im Kreise des Lebens;
Doch uns lass’ das Wohl und das Wehe des Landes bedenken.
Ottgar, stolz und tapfergesinnt, gehorchte dem Weib’ nun?“4
Also der Greis; doch, da er es sprach, entflammte des Königs
Niedergeheftetes Auge sich stets zu größerer Wuth noch.
23Wie der Drache mit glühendem Blick von dem finsteren Felsschlund
Aufschaut, wenn ein Ruf ihn empört; dann zischend dem Eingang
Nah’t, und, das Haupt zum Boden krümmend, den furchtbaren Rachen
Weit vorstreckt, den Feind zu verschlingen, begierig: so sah er
Jetzo dem Greis’ in das Aug’, und stöhnte vor heimlichem Ingrimm.
Endlich rief er, bewegt: „Halt ein! O tadle den Gatten
Nicht, der solchem Weibe gehorcht: Margarethen, der Frauen
Sanfteste, stieß ich von mir: da sandte der Rächer im Himmel
Mir Kunegunde. Sie hat, ja, bebe dem schrecklichen Wort nur,
Ueber mich Macht und Gewalt. Wie ein Geist des ewigen Abgrunds
Steht sie vor mir ... mich schrecken entsetzliche Träume. Verschließe
Das in der redlichen Brust. Sieh’, hätt’ ich auch tausend und tausend
Eide geschworen: umsonst! Nicht kann ich zurück in dem Kampf mehr
Weichen: ich muß ihn mit Habsburgs Leu’n nun enden für immer.“
Jetzo winkt’ er dem Greis’: denn, eilenden Schrittes, genahet
Waren die Feldherrn all’, und einten sich ihm in dem Kriegsrath.
24Neben ihm saß zur Rechten der Hort und Gebiether der Bayern,
Heinrich; zur Linken ihm Pfeil, der Markgraf; d’rauf um den Tisch her,
Der, nach Lagers Gebrauch, von niederen Bänken umstellt war,
Lobkowitz, Czernin, Zierotin; dann Milota, Dietrich,
Herbot von Füllenstein, und die Kunring’, tapfere Helden.
Doch von der Mitte herab des hochgespannten Gezeltes
Hing die flammende Lamp’, endlos vom Oehle genähret,
Und erhellte den Tisch in des Zeltraums düsterem Schimmer.
Eben hatt’ er die Helden begrüßt, und wollte beginnen:
Sieh’, da scholl’s von Hufen der Roß’ in der nächtlichen Stille
Näher und näher, und jetzt absaßen die Reiter am Zeltthor.
Ottgar winkte sogleich dem blühenden Jünglinge, Wallstein,
Der ein Liebling ihm war, schon seit der zartesten Kindheit.
Alsbald eilt’ er hinaus, und faßte vom niederen Gluthherd
Einen leuchtenden Span, den dort ein Krieger entflammte:
Schürend die Gluth, und häufend zugleich das harzige Kienholz.
Mächtiger flammte der Span, da ihn über dem Haupt in die Graunnacht
Wallstein hob, und schauete: wer die Versammelten störe?
Staunend, sah er die Königinn selbst, Kunegunde, sich schwingen
Aus dem Sattel, im Kreis’ erlesenen Reitergefolges;
D’rauf durcheilte sie rasch den Zelteingang, und, den Vorhang
25Schleudernd entzwei, schritt sie, mit stolzer Geberde, zum Sitz hin,
Den der Jüngling verließ, an der Seite des Königes selber.
Ueber ihr schwebte mit grimmerfülletem Blick Drahomira
Leise herein. Sie trieb die Königinn eilig von Drösing
Her in der dunkelen Nacht, daß sie erst durch schmähende Reden
Reize den Gatten, und dann entflamme zur Gier nach des Krieges
Schrecknissen, mehr denn je, in des Raths entscheidendem Zeitraum.
Wehe, sie forscht’, auf Arges bedacht, im Kreise der Helden
Gierig herum, wie die Schlange verhüllt in dem laubigen Zweig lauscht:
Ob ein Vögelchen ihr zur Beute sich bieth’? — und sie fand noch
Dort den Ersehneten nicht; doch, als der blühende Jüngling
Eintrat, dachte sie schnell dieß Herz zu berücken durch Ehrsucht,
Und zu verderben mit ihm den, ihr verhaßten Beherrscher!
Als der König die Gattinn ersah, da erblaßten die Wangen
Ihm vor Zorn; doch schwieg er, und ließ die Stolze gewähren,
Auf daß keiner im Rath’ ihn verachtete — jeglicher dachte:
Jetzt erschiene sie hier, ersehnet von ihm, und gerufen.
Rasch war ihr Drahomira genaht: in dem Hauche des Unholds
Ward ihr Busen empört, und alsbald rief sie verhöhnend:
26„Ha! welch’ Wunder geschah? Schon heut erfreuen die Böhmen
Sich der Eroberung Drosendorfs, der mächtigen Festung,
Nach den Tagen unendlichen Müh’ns? O, schändliche Thorheit
War es: vor ihr die goldene Zeit zu vergeuden — zu harren,
Bis der klügere Feind, noch arm an Kriegern und Waffen,
Sich verstärket’, und euch des Eisens Spitze wohl biethet!
Schnell, mit würgender Hand euch bahnend den Weg in die Hauptstadt,
Mußtet ihr folgen der Stimme des Ruhms, und dem dringenden Aufruf
Rüdiger Waldrams5 dort, des muthigen Meisters der Bürger,
Der nun bald, ein schmähliches Opfer, dem Feinde verrathen,
Fällt durch euere Schuld, durch eure Verblendung, und Feigheit.“
Siehe, da grins’te vor Lust Drahomira den Helden in’s Antlitz;
Doch jetzt fuhren empor von dem Sitz die Versammelten alle;
Ballten die Faust vor Zorn, und wollten enteilen: nur einer,
Milota, regte sich nicht, und lächelt’ unheimlich für sich hin.
„Faßt euch,“ rief der König, bewegt, „die Königinn duldet
Schon seit jenem unseligen Tag, der uns, und die Völker
Böhmens beschimpft — dem Tage der Huldigung,6 nagenden Kummer
Und zerrüttendes Weh’ in den Tiefen des Herzens. Ihr Helden,
Dessen gedenkt, und achtet den Schmerz des unglücklichen Weibes:
Denn nicht wägt er genau das raschverwundende Wort oft,
27Das der Zung’ entflieh’t im Sturm der empörten Empfindung.
Aber vernehmt es, was ihr in der Stille der nächtlichen Stunden
Jetzo mit uns erwägen soll’t nach euerer Weisheit:
Rudolph sandte zuvor zwei tapfere Ritter in’s Lager
Her, uns dringender noch als jüngst, die Hand zur Versöhnung
Biethend. Erneuend sodann den Wunsch: durch unserer Kinder
Wechselheirath das Band der Freundschaft für immer zu gründen,
Ladet er uns g’en Wien, zu turnei’n; die Speere zum Scherz nur,
Nicht zum Ernst zu versuchen, und dann die ersehnte Verlobung
Durch ein gastlich Mahl zu feiern im schimmernden Prunksaal.
Solches verkündete heut’ in geheim uns Rüdiger Waldram;
Aber zugleich: g’en Lilienfeld7 hin ziehe der Kaiser
Albrecht, seinem Erzeugten, mit hundert Reitern entgegen,
Der in den schwäbischen Gau’n die Krieger ihm warb, und vom Aargau
Her die tapfersten führt, die ihm oft errangen den Lorber,
Altgedient, und versucht im Grau’n der eisernen Feldschlacht.
Soll mein Volk vorstürmen bis Wien, daß unser Vertrauter,
Waldram, ihm eröffne das Thor in der nächtlichen Stille,
Wie er es eben verhieß, mit den treuen Bürgern verstanden?
Ist’s wohl räthlicher noch, mit Kunrings Reitergeschwadern
Ueberzusetzen in Fähren den Strom der mächtigen Donau,
28Und aus dem Hinterhalt den Kaiser zu fah’n in der Waldschlucht,
Welche sich links und rechts an dem Kaumberg, trüglich herumschlingt?
Nie versagt’ ich das Ohr dem Rathe der Männer: was dünkt euch?“
Herbot schrie zugleich mit dem Kunring, lärmend, und laut auf:
„Fort nach Wien! Bald sinkt mit der kühnerrungenen Hauptstadt
Rudolphs Macht in den Staub: wir bürgen für herrlichen Sieg dir!“
Lobkowitz fuhr von dem Sitz’, des Friedens Ruf zu erneuern;
Aber ihm kam Kunegunde zuvor, und sagte dem König:
„Wie, du spähest noch jetzt nach schlauverhülleten Pfaden,
Thöricht verlassend die kühnere Bahn, die schnell zu dem Ziel führt?
Ist denn völlig gewichen von dir der Muth und die Kühnheit,
Die von Siegen zum Sieg dich leitete, Schlachtenberühmten?
Zahllos warben die Freier um mich. Masowiens8 Herzog
Ließ auf dem glänzenden Thron mir Macht und Reichthum zur Erbschaft;
Aber ich achtete keinen Mann, im stolzen Bewußtseyn
Herrschender Geisteskraft, und lautgepriesener Schönheit.
Auch du bothst mir die Hand. Der Ruf erscholl in den Ländern:
29Ottgar trug des Sieges Panier zu dem Belt hin; erbaute
Dort noch Königsberg,9 und schlug, heimkehrend, die Scharen
Ungerns im Feld auf das Haupt. Er einte die Steyer- und Ostmark
Dann, als Sieger, mit Kärnthen und Krain dem böhmischen Erbreich,
Und errang die Bewunderung so der entlegensten Völker.
Ha, da sank mein Stolz, beschämt, vor dem Helden! Ich gab mich
Eiteler Täuschung dahin: mit der königlichsieghaften Rechten
Würd’ er auch mich erheben im Glanz’ unsterblichen Ruhmes.
Weh’, nun steh’ ich gebeugt, entehrt, und fruchtlos geopfert!
Aber, denkst du der Ehre nicht mehr, so gedenke der Schmach doch!
Soll ich den Mann, den König, und ach, den Gatten noch mahnen
Dort an den graunerregenden Tag, wo gegen den Eidschwur,
Der dich bewog, dem Kaiser zu huldigen heimlich im Zeltraum,
Er, o schreckliche Schau! auf des Eilands ragendem Hügel,
Das die Donau umschlingt mit weitgedehneten Armen,
Plötzlich am listiggestalteten Zelt den rauschenden Vorhang
Fallen hieß, und dich vor den Augen unzähliger Krieger,
Die an dem Strom sich dieß- und jenseits, feindlichgesondert,
Lagerten, wies zum Hohn’ — auf die Kniee gesunken, o schändlich,
Ottgar, dich, dem er an dem Hof’ einst dienet’, als Marschalk,10
30Huldigend dort, in dem Staub’! O, könntest du solches vergessen?“
Ottgar preßte die Stirn’ in die Fläche der Linken, und glühend
Rann ihm die Thrän’ an der Wange herab. Er sucht’, es zu bergen;
Blickte grimmiger auf, und rief: „Nicht werd’ ich’s vergessen!“
Doch nun drang Drahomira noch mehr in die Fürstinn. Sie hob sich
Eilig vom Stuhl’ empor, und sagte mit leuchtenden Augen:
„Ha, die Dromet’ erklinge dem Volk’, und gebiethe den Aufbruch
Nach den Mauern von Wien; in die Luft hoch flatt’re die Sturmfahn’
Vor den Scharen einher, und leite sie glücklich zum Sieg’ hin!“
Rief’s; doch Ottgar sprach nun so zu dem tapferen Helden,
Lobkowitz: „Wie, du schweigst mein sieggekröneter Feldherr?
Nie ermangelt’ ich deines Raths, und deiner Erfahrung,
Weisheit, Treue und Kraft verdank’ ich, was rühmlich gescheh’n ist.“
Lobkowitz wiegte das Haupt, und sprach eintönig und trocken:
„Haben doch and’re vor mir, dem wankenden Greise, gesprochen,
Die das heißere Blut, wie im Sturm, fortreißt auf des Ruhmes
Glänzender Bahn — weit blieb ich zurück’, und bin es zufrieden.
31Sieh’, ich wähnte, wir lieh’n ein Ohr des Kaisers Gesandten?
Doch vor dem zürnenden Blick der Königinn? Sey es denn morgen!“
Also der Held. Da sprach Kunegunde voll Wuth zu dem König:
„Wohl, ich weiche zurück bis Drösing. Sinnst du auf Frieden
Noch mit dem Kaiser, so sey’s; doch nimmer siehst du mich lebend
Wieder: nur mord’ ich zuvor mit Freuden die blühende Tochter,
Eh’ ein schmählicher Bund dem verhaßtesten Feind sie vereine.“
Rief’s hinschreitend; erhob sich auf’s Roß, und eilte nach Drösing,
Das sie den Abend zuvor mit ihren Erzeugten bezogen.
Jetzt ließ Ottgar schnell die Gesandten des Kaisers entbiethen,
Die schon lange voll Gier in dem fernen Gezelte des Rufes
Harrten. Meinhard, Graf von Tyrol, erschien, und zur Seit’ ihm
Nahete Lichtenstein: des Heer’s erlesene Zierden.
Stattlich traten sie ein, und setzten sich würdig zum Tisch hin,
Grüßend den König zuvor, und d’rauf, die versammelten Feldherrn.
Meinhard neigte das Haupt, und begann mit edelem Anstand:
„Rudolph, mein erlauchtester Herr, und Kaiser der Deutschen,
32Sendet uns, Meinhard und Lichtenstein, nicht unwürdige Bothen,
Freundlich zu dir, erhabener Herr, und König der Böhmen!
Wollest darum uns hören mit Huld, und unsere Reden
Nicht verachten, da wir, nur arm an zierlichen Worten,
Stets mit dem rauheren so, wie mit unserem blinkenden Eisen,
Das wir zu führen gelernt, zum Ziel vorstreben, und treffen.
Frieden beut er dir mit leichtversöhnlichem Herzen;
Doch er beut ihn im Augenblick, wo er völlig gerüstet,
Nicht, wie jüngst in dem Land’, entblößt von Kriegern und Waffen,
Sollte schon fast ihn erflehen von dir — nein, wo er im Kriegsbund,
Mächtige Völker vereint, und der Treue der Völker gewiß ist.
Daß du, als Kaiser ihn anerkenn’st; ihm Böhmen und Mähren
Tragest zu Leh’n; auf die ost- und die steyrische Mark, so auf Kärnthen,
Krain, entsag’st: das ist des Friedens enthüllte Bedingniß.
Drei gewaltige Vesten im Land: hier Drösing im Marchfeld,
Dort Pöchlarn, und Enns sollst du mit starker Besatzung
Halten zum Unterpfand durch drei der Jahre, von heut’ an.
Ha! du erstaunest? So ist’s; ihr sollt euch finden in Freundschaft.
Heilig ist Rudolphs Wort, du kannst ihm sicher vertrauen.“
Als er die Rede voll Kraft jetzt endete, herrscht’ in dem Zeltraum
33Stille umher: doch Lichtenstein, gewahrend den Vortheil,
Grüßte den König zuvor, und begann mit heiterem Blick so:
„Ernstes sagte der Graf. Mit Gott und eurem Gewissen
Werdet ihr solches erwägen zum Glück und zum Segen der Völker,
Die ihr beherrscht; doch leiht auch mir ein günstiges Ohr noch.
Nicht vom blutigen Kampf: von der Minne ersehneten Freuden,
Von Turnei’n, und dem festlichen Mahl gedenk’ ich, zu sprechen.
Allwärts ist es bekannt, daß Herr Rudolphus, der Kaiser,
Ein Turnei, bei’m Tabor,11 am kommenden Donnererstag schon,
Der Sanct Rochus geheiliget wird, zu halten, gesinnt ist:
Denn nach Frieden verlangt sein Herz, und er hat dich geladen.
Solcher Ehre Gewinn verschmäht kein tapferer Mann je.
Sieh’, d’rum harret er dein und deines so edeln Gefolges,
Das den Herrscher umglänzt, wie die Stern’ umglänzen den Vollmond!
Aber noch höhere Freuden gedenkt, nach vollendetem Festmahl,
Oben im prunkenden Saal der Kaiser mit dir zu bestellen:
Lieblich erblüheten dir die schönsten der Töchter — in Söhnen
Ihm sein Glück: zum Bund der Einigung beut er die Hand dar:
Hartmann führ’ als Braut sich Hedwig, voll siegender Schönheit,
Thekla, voll zartester Huld, sein Rudolph heim. So ersehnt er’s.“
34Als er gesprochen das Wort, und noch weiter gedachte zu reden:
Sieh’, da warf sich in brausender Hast der muthige Jüngling,
Wallstein vor! Er stand, und hielt sich die Brust mit der Rechten;
Athmete tiefer, begann zu sprechen, vermocht’s nicht; er stürzte
Dann zum Gezelte hinaus, und verschwand im nächtlichen Dunkel.
Ottgar blickt’ ihm, erstaunt, jetzt nach. Er wähnte: sein Liebling
Sey urplötzlich erkrankt, und von wüthenden Schmerzen befallen;
Doch Drahomira durchschaute sein Herz; sie lächelte grimmig;
Jubelte dann laut auf, und folgte dem fliehenden Jüngling:
Ihm für Hedwig die liebende Brust noch mehr zu entflammen,
Und zu verderben mit ihm den, ihr verhaßten Beherrscher.
Im erleuchteten Zelt verstummten von neuem die Helden;
Gar nicht wollten von Ottgars Mund’ die Worte sich lösen.
Endlich hob er sich auf, und sagte den Beiden zum Abschied:
„Wahrlich, nicht ahnete mir’s, so glühend verlange der Kaiser
Uns bei festlichem Turnkampf, Tanz, und Gelagen zu sehen!
Aber wohlan — das kündet ihm nur, so er etwa daheim ist:
Ottgar werdet ihr schau’n im Gefolge der Edeln, und hören,
Was er vom Frieden gedacht, und der Kinder ersehnter Verlobung!
35Aber, ihr Herrn, gehabt euch wohl; der Himmel geleit’ euch!“
Beid’ erstaunten der Red’, und eilten unmuthig von dannen.
Draußen sagte zu Lichtenstein der tapfere Meinhard:
„Ritter, sprecht, was dünkt euch? Nicht einmal die Krume zum Imbis,
Nicht des Weines so viel, das unsere Lippen benetzte,
Reicht’ er zum Trunk’ uns dar. Ich meine: von Heirathsgedanken
Ist er so fern, wie dort von mir Veiths glänzender Wagen,
Der an des Himmels Rand zum eisigen Norden hinabsinkt.
Ha! und merktet ihr nicht, wie schnell der arge Verräther
Rudolphs nächtlichen Ritt g’en Lilienfeld ihm enthüllte?
Ach, er zog nur mit schwachem Geleit! Kommt: gut ist die Vorsicht!“
Rasch aufschwangen sie sich in den Sattel, und flogen nach Wien hin.
Aber der König entließ die Versammelten. Jetzo noch einmal
Blickt’ er Jedem in’s Aug’, und sagte mit rauherer Stimme:
„Mir zerwühlet die Wuth das Herz. Wie kecklich die Ritter
Sprachen, als sey ich im Feld nicht fürder zu scheu’n, und, dem Ball gleich,
Nun rechts hin, dann links im schwebenden Fluge zu wenden;
Aber es zehr’ ihr Hort sich zu Tod’ an seinen Gelüsten.
Mein Entschluß ist gefaßt: am Morgen gebiethet den Aufbruch
Euerem Volk. Wir ziehen entlang den schlängelnden Marchfluß
36Bis an den Weidenbach, wo, erhöht, des räumigen Lagers
Wall uns schirmt g’en List und Gewalt. Verstanden mit Waldram,
Sey in dem Ueberfall nur „Rache“ der Würgenden Schlachtruf!
Ruhet ein Weniges noch: bald rufen euch laut die Drometen.“
Jene gehorchten dem Wort’, und eilten nach ihren Gezelten.
Aber der König ging noch lang’ im Schimmer des Nachtlichts,
Sinnend umher. Oft seufzt’ er laut; er ballte die Faust oft
Vor Erbitterung; stand, ging wieder, und hatte nicht Frieden.
Endlich warf er sich hin auf das Lager, und schlummerte leis’ ein.
Ueber dem Haupt des Schlummernden hing sein schützender Engel,
Trauernd. Verglommen war sein Glanz. Wie auf thürmender Alpen
Ewigbeschneiten Höh’n der rosigglühende Schimmer
In ätherischer Bläue verglimmt in der sinkenden Dämm’rung:
Also auch er, den Schwermuthsblick auf den armen gerichtet,
Den ein furchtbarer Traum umfing. Margarethe, die Gattinn,
Welch’ er schnöde verstieß, naht’ ihm, und sah ihn so trauernd
37An, aus dem hüllenden Leichentuch: er wandte sich, schaudernd,
Weg, und hieß sie entflieh’n. Nicht lang’, und in hoher Verklärung
Schwebt’ auf schimmernden Au’n, und bekränzt mit himmlischen Rosen,
Sie vor ihm hin. Er folgte — sie floh; doch jetzt, an dem Ufer
Eines unendlichen Stroms hielt sie den eilenden Flug an;
Sah, huldflehenden Blicks, zu dem Himmel empor, und entschwand ihm,
Schatten gleich, wenn Nebelgewölk umhüllet die Sonne.
Wieder umfing ihn des Todes Nacht. Um sich her auf dem Schlachtfeld
Sah er unzählige Leichen gehäuft: bis endlich ihm selber
Dort zwei Würger genah’t, mit rach’ausblitzenden Augen,
Tief in die Brust einstürmten den Speer, und höhnten im Tod noch.
Stöhnend wand er sich dann im Schlaf, und in mächtigen Tropfen
Stand ihm der Schweiß auf der Stirn’ und den hochgerötheten Wangen.
Doch nicht völlig verhüllt den Augen des Himmelsbewohners
War des schlummernden Königs Geschick. Er sah Drahomira
Walten um ihn, und Gefahr ihm bereiten auf schlüpfrigem Pfad hier,
38Der zum Verderben führt, und zu nieversiegendem Jammer.
Flehend faltet’ er jetzo die Händ’, und blickte mit Ehrfurcht
Auf zu dem Thron des Ewigen, der in des kreisenden Weltalls
Hehrstem Raum’, auf lichtausströmenden Sonnen erhöht steht.
Dorthin drang sein Blick, wo Cherub- und Seraphim selber
Sich in der Nähe des Throns mit den Fittigen hüllen die Augen,
Dreimal Heilig singend dem Herrn, der herrscht von dem Thron dort,
Hehr, allmächtig, weis’, und gerecht, barmherzig und gnädig!
Ueber die Himmel hinauf erhebt er das Haupt; auf dem Abgrund
Ruht sein Fuß, und sein Arm umfaßt das kreisende Weltall.
Als er gewürdigt ward, die Blicke zum Thron zu erheben,
Sah er, schauernd vor Ehrfurcht, dort enthüllet die Zukunft:
„Ottgar, der nun bald mit reuigem Sinn um Erbarmen
Fleh’n wird, büßet die Schuld vergangener Jahre: den Feinden
Fällt er besiegt in dem Kampf’, und verlieret das Reich und das Leben;
Aber sein Gegner wird ein Vater des Herrschergeschlechtes,
Das in die fernste Zukunft hinab unzähliger Völker
Glück zu fördern, erwählt, im Segen der Erde genannt sey.“
D’rauf gewahrt’ er den Wink des Herrn: „daß es also gescheh’n wird!“
Sieh’, da flammten, und floh’n, und kehrten in Eile die Sonnen
39Wieder zur Bahn! Der Donner rollte hinunter am Weltrand,
Kreisende Monden und Sterne vorbei; die Vesten des Erdballs
Zitterten; hoch aufrauschte das Meer, und die Ström’ und die Flüsse
Braus’ten wirbelnd zurück, und schäumten empor in den Luftraum.
Aber die Himmlischen feierten nun der unendlichen Allmacht
Huldausstrahlenden Wink. Auf Erden erglühte das Frühroth.
40Zweiter Gesang.
Siehe, wer reitet den Wald entlang? Vom felsigen Boden
Tönet der eiserne Huf. Wer zieht im Schatten der Thäler
Fort im eilenden Trab? Doch dort, wo am lichteren Waldsaum
Weitgesondert, die Tannen steh’n, und der sonnige Bergpfad
Schlängelnd sich hebt, erblitzt es von hellgeglätteten Waffen
Quer in die Eb’ne herab. Jetzt näher und näher erschallet
Munterer Reiter Gespräch, und das Schnauben und Wiehern der Rosse.
Doch wer ist’s, der allen voran den feurigen Rappen
Reitet, so freundlich und mild, so bar all’ prunkenden Schmuckes?
Zwar erhellt die, in Rosengluth versinkende Sonne
Kein’ unedele Stirn’, und Ehrfurcht heischen die Augen
Dieses Gewaltigen, der ein Fürst, ein Kaiser von Anseh’n
Scheinet? Er ist’s — ha, Rudolph ist’s, der Kaiser der Deutschen!
Gestern zog er im Abendlicht mit hundert Erwählten
Eilig zum Kärnthnerthore hinaus nach dem herrschenden Hügel,
41Wo (so kündet die Sag’) in grau’numhülleter Vorzeit
Eine Spinnerinn saß, und bettelte, reichliche Spenden
Sammelnd: ein Kreuz zu erbau’n von zartdurchlichtetem Stein dort,
Wo das hölzerne, morsch, zerfiel, an welchem sie lebte.
Aber es wurde zugleich ihr Grab, von dem Fremdling bewundert:
Denn erblickt er die Stadt, die weit auf Erden gerühmt wird,
Vor sich in schimmernder Pracht der Thürm’ und unzähliger Häuser,
Zollt er vor allem der sinnigen Wahl der Spinnerinn Beifall,
Und erquickt sein Aug’ an dem wunderherrlichen Anblick.
D’rauf einlenkt’ er zum Fuß’ der traubengesegneten Hügel:
Petersdorf, und Brunn am Gebirg, wo der emsige Winzer
Keltert den kräftigen Most für die spätnachfolgende Zeit noch,
Und durchtrabte die Stadt von Mödeling.1 Mächtigen Anseh’ns,
Schaut in das düstere Felsenthal, durch welches der Waldbach,
Eingezwängt, sich windet, und rauscht, die ragende Felsburg,
Mödling herab (ein Eigen des babenbergischen Herzogs,
Heinrich) und lieh auch zugleich dem Städtchen den Nahmen. Die Nacht hing
Dunkel herab; nicht erspähte der Wart von dem ragenden Wartthurm
Rudolphs hohe Gestalt: d’rum scholl die Dromete zum Gruß nicht.
42Doch jetzt zog er am Tannberg fort,2 wo im ruhigen Thalgrund
Schimmert das Gotteshaus zum Heiligen-Kreuz mit dem Kloster.
Herzog Leopold baut’ es, der Heilige. Mönche von Cisterz
Rief er dahin, daß dies’ in Saatengefilde die Wildniß
Wandelten, und im Gesange des Chors lobpriesen den Schöpfer.
Manches Helden Gebein’, auch Friedrichs, des streitbaren Herzogs,
Letzten seines Geschlechts, deckt dort der ehrende Denkstein.
Aber es sandte darauf vom Heiligen-Kreuze der Stiftsabt
Auch nach Lilienfeld die Brüder: so wollt’ es der Herzog
Leupold, der Glorreiche, selbst, als er an dem Fuße der Alpen
Im bezaubernden Thal das Gotteshaus und das Kloster
Stiftete, dem jetzt Rudolph naht’. Schon ließ er auch Kaumbergs
Marken zurück, und als die Sonne im rosigen Schimmer
Sich in Osten erhob, da zog er durch’s liebliche Hainthal,
Und erkor’s in des Mittags Stunde zur Rast. An dem Göls’bach
Weideten frei die Rosse hinab. Die tapferen Krieger
Saßen im Kreise herum: sie sättigten sich an des Weizens
Goldener Frucht, zum nährenden Brote gebacken, und löschten
Dann an der Quelle den Durst. Inmitten der fröhlichen Männer
Saß der Kaiser im Gras’; er rief den Einen und Andern
Auf zu ergetzlichem Schwank’, und zuletzt den redlichen Knappen
43Müller, den Zürcher, der ihm das Leben gerettet, und seither
Stets zu getreulichem Dienst’ ihm stand, im Krieg’ und im Frieden.
„Künde“, so sprach er zu ihm, „den Kriegern das lustige Mährchen:
Wie du mich, den Zürnenden, einst auf der Straße begegnend,
Sühntest, listengeübt: denn manchen von meinen Getreuen
Hast du niedergeworfen zuvor, ein frevelnder Raufbold.“
„Mit Vergunst, Herr Kaiser,“ begann der fröhliche Kriegsmann,
Schlaugewendeten Blicks, „so ich ruhmbegierig, und eitel,
Meinen Gefährten des Zugs verkünde zuvor, daß ich Habsburgs
Grafen im Kampf mit dem Regensberg das Leben gerettet!
Edle von Toggenburg, und Homburg; jene von Nidov,
Palm, und Warth mit Eschenbach vereinten dem Ritter
Regensberg, den er gewaltig bedrängte, die Scharen;
Doch er dachte der List, kriegskundig, dem Feinde zu schaden.
Oft ritt Regensberg mit zwölf weißschimmernden Rossen,
Welchen voran mit lautem Gebell zwölf ähnliche Doggen
Sprangen, zur Jagd, von dem Uttliberg, stolzirend, herunter.
Rudolph lag in dem Hinterhalt: die Ross’ und die Doggen
Hatt’ er, wie jener gewählt. Mein Volk, die muthigen Zürcher
Brachen hervor, mit ihm in dem Handel verstanden, und als er
Nahte der Burg in verstellter Flucht, da meinte der Wächter,
Oeffnend das Thor voll Hast, sein feindbedroheter Herr sey’s
44Alsbald ward erobert die Burg, und zerstöret von Grund aus.
Ist’s nicht also gescheh’n, mein hocherlauchter Gebiether?
Aber da stellten sie euch, auf offnen und heimlichen Wegen
Nach. So geschah’s, daß einst, auf einsamer Fährt’ in dem Wald ihr,
Nur mit schwachem Geleit dem Feind’ in die Hände gefallen,
Rang’t auf Leben und Tod, als bügellos in den Staub euch
Warf das getödtete Roß. Ihr waret erlegen der Mehrzahl;
Doch der Seinen gedenket der Herr: er sandte den Müller
Euch zu Hülf’. Er kam auf dem Pfade geritten, und sah euch
Kämpfen, ähnlich dem Leu’n, den wüthende Tiger umringen;
Naht’ im Flug, und ihr, in den Sattel gehoben, entrannet
So der Gefahr. Doch Müller ist euer getreuester Jünger
Seitdem — rühmt sich denn auch des edelsten Meisters auf Erden.
Ihr erlaßt mir vielleicht für heute das lustige Mährchen:3
Denn, mich dünkt, es entfielen, wie Perlen gestaltete Tropfen
Eueren Wangen. Mich drängte früher die Noth, und euch später:
Alles auf Erden eint der Liebe geschäftige Sorgfalt.“
Innig gerührt ergriff ihm der Kaiser die Hand, und begann so:
„Edel hast gehandelt an mir, mein trefflicher Jünger!
Doch die Capelle winkt auf den Alphöh’n: heute noch sollst du
Ernten herrlichen Lohn, der Heldenthaten gebühret.
Jetzt rasch auf, ihr Reisigen: rasch zu dem winkenden Ziel hin!“
45All’ erhoben sich nun voll Muths; sie zäumten die Rosse,
Jauchzend, auf, und es ging dann weiter der fröhliche Zug fort.
Siehe, nicht lang’, und sie sah’n jetzt schon die bläulichen Alphöh’n
Oben, und tiefer den Kulm und den kegelgestalteten Spitzbrand,
Freudigen Blicks, als unter dem Huf der gewaltigen Rosse,
Drönend, die Brück’ erscholl, die, stets von den Fluthen der Traisen
Unten durchrauscht, im Grund die rasche Forelle beschattet.
Weit gerühmt ist die Traisen im Land (daß beide den Ursprung
Sich bestreiten, die Hohenberg-, und die Lilienfelder)
Sprudelnd hervor aus dem Schooß des Traisenberges im Waldthal,
Und enteilend voll Hast, sich dem Donaustrome zu einen.4
Freundlich blickten die Sterne bereits vom Gewölbe des Himmels,
Wieder zur Erde herab; schon hauchten die würzigen Matten
Kühlung umher; es verglommen die ragenden Höh’n, und die Fluthen
Dampften im Thal, als jetzt mit seinem Gefolge der Kaiser
Nahe vorüber an Lilienfeld, dem herrlichen Kloster,5
Eilete: denn zum Abendgebeth’ ertönte das Glöckchen
Schon von dem Thurm’; es lud zu des Chors Vollendung die Brüder,
46Und erweckte zugleich, mildklagend, die Wonne der Wehmuth
Tief in der fühlenden Brust, die leise nach Ruhe sich sehnet
Nach den verschollenen Stürmen des Tags, auf irdischer Wand’rung.
Nahend dem Ziele, durch’s Thal, geboth der Herrscher den Reitern,
Längs dem Bach zu erringen den Kulm, auf dem breiteren Saumpfad;
Aber er selber klomm, des Weg’s wohlkundig, mit Müllern
Dort, wo ein lieblicher Wasserfall, von schroffer Gebirgswand
Plätschernd herab, zerstäubt die silbernblinkenden Fluthen,
Schweigend, die Höhen empor. Er sah nach den lichten Gefilden
Ferner Ebenen, jetzt aus der nächtlichdämmernden Waldung,
Jetzt vom schwindligen Fels mit thauendem Blick’, und errang so
Früher den Kulm; doch dort, vereint mit seinen Erwählten
Wieder, rastet’ er nicht, und stieg, stets höher und höher,
Bis er, den dunkelen Wald entlang, auf blühenden Matten
Wandelnd, schimmern sah im Schooße der luftigen Alphöh’n,
Aus dem Gezweig umhüllender Tannen der kleinen Capelle
Heiligthum, wo das Licht, in der Lampe genährt von dem Klausner,
Sandte die fächelnde Flamm’ empor aus goldenem Oehlduft.
Dorthin wies ein Gesicht, im mitternächtlichen Grauen
Ihm aufsträubend das Haar vor Furcht und Erstaunen, ihn heut’ erst.
47Wichtiges sollt’ ihm, dort enthüllt nach des Ewigen Rathschluß,
Mächtig erheben das Herz in der Stunde des nahenden Kampfes.
Jetzt verließen auf seinen Wink die Reiter den Sattel,
Daß, freiweidend im Feld, die Pferde sich letzten. Des Zaumes
Ledig, sprangen sie wiehernd davon, und wälzten im Gras’ sich
Links und rechts, die Gluth des gepreßten Rückens zu kühlen.
Auch die Reiter gesammt ausruheten dort von der Wand’rung.
Aber der Klausner, ein Greis, von neunzig entflohenen Jahren,
Trat aus der Hütt’, im barnen Gewand’, und führte den Kaiser,
Schweigender Ehrfurcht voll, zur Capelle. Der silberne Bart floß
Ihm zu dem hanfenen Gürtel herab. Von den lastenden Jahren
Wenig gebeugt, sah noch aus seinen erglühenden Augen
Jugendkraft, die manchmal in sinnender Trauer am Boden
Hafteten. Doch jetzt traten sie ein, und beugten die Knie’ dort,
Wo gesegnetes Brot, der Seelen Speise, verwahrt war;
Wo das Bild des Gekreuzigten stand, und die Mutter das Kindlein
Wies in dem hehren Gemähld’, voll Lieb’ an den Busen es drückend,
48Und, den wonn’ausstrahlenden Blick auf die Menschen gerichtet,
Allen zu rufen schien: „O liebt den Liebenden mir gleich!“
Aber der Greis, als wär’ es zum legten Male hienieden,
Sah zu ihr lang’ empor, und wandte sich dann zu dem Pilger:
„Herr“, sprach er, „blick’ auf zu der Himmlischen! Früh in des Lebens
Blüthenzeit hast du die Verehrung der seligsten Jungfrau
Dir erkoren zum wahrenden Schild’, und dem Schiffer nicht ungleich,
Der in der Sturmnacht fest aufschaut zu dem rettenden Leuchtthurm,
Dadurch bewahrt im reinen Gemüth Vertrauen und Demuth:
Jenes zu Gott und auf Menschenwerth, und dies’ auch im Glück’ noch.
Also wandeltest du, ein Seliger, fort auf des Lebens
Dornenpfad mit heiterem Muth: der göttliche Sohn hört
Gerne der Mutter Fleh’n, in ihrem Schutze geborgen.
Jetzt auch wirst du gewiß, in dem furchtbarn Kampf der Entscheidung,
Huldbeglückt, erringen den Sieg, wenn dir auf dem Schlachtfeld,
In umdrängender Noth vom Munde des Herzens Gelübd’ tönt:
„Fromme Jungfrau’n einst zu versammeln zum Zeichen des Kreuzes.“6
Höre, demnach was mir mein Meister und Herr in Gesichten
49Dunkeler Zukunft wies: Ein Vater unzähliger Fürsten
Wirst du seyn, und so oft auch hier auf irdischer Laufbahn
Wechselt des Menschen Geschick vom Guten zum Schlimmen: so wird doch
Treu’, und Redlichkeit stets in deinem Geschlechte noch dauern.“7
„Ernsten Gemüths, herrscht einst dein ältester über die Völker,
Die dein heitres gewann, und fesselte. Ob er auch mannhaft
Steht in der Männerschlacht, und vor ihm die Feinde, besiegt, flieh’n;
Ob er auch ehret das Recht, und Gerechtigkeit übet als Richter,
So auch die Wissenschaften, die Kunst’, und den frohen Gewerbsfleiß
Blühen heißt mit dem Ackerbau, ein sorgsamer Herrscher:
Dennoch mißt er die Liebe. Die Hand der ewigen Vorsicht
Waltet über des Menschen Geschick’. In Dunkel gehüllet
Möge sein Ende dir seyn. Ihn rächen entsetzlich die Seinen.“
„Schön an Gemüth und Körper, die Lust des Menschengeschlechtes,
Faßt mit unstraflicher Hand die Kaiserkrone dein Enkel.
Aber, ihm gleich, ein Held, vom feindlichen Schicksal zum Feind’ ihm
Auserkoren, entwindet sie ihr auf dem rauchenden Blutfeld
Mühldorfs; doch entreißt er, erst nur der Rache gedenkend,
50Auch in der Kerkerluft der Trausnitz dem edelsten Manne
Nicht den unsterblichen Kranz, der, lohnend, dem Guten zu Theil wird.
Sieh’, er steht, erschütternd, vor ihm, da er Ehre viel höher,
Denn des Lebens erlesenstes Glück, die goldene Freiheit,
Achtet, und wiedergekehrt, die Hände noch selber den Fesseln
Beut: ein Muster der deutschen Treu’ auf Wort und auf Handschlag!
Innig ehrt er ihn d’rauf, und theilt das nächtliche Lager,
Ja, auch den Purpurthron mit dem Freund, der Erde zum Staunen.“
„Ha, schon winket des Theuerdanks unsterblicher Held mir
Aus dem strahlenden Licht des thatenverherrlichten Lebens!
Sein erbarmt sich der Herr, und rettet ihn, wunderbar oft so,
Wie auf der Martinswand, aus unsäglicher Noth und Gefahren,
Welch’ ihm fortan drau’n auf des Herrschers dornigen Pfaden.
Hoch erhebt er den Ruhm von Oestreich: kühn auf dem Schlachtfeld,
Weis’ im Rath; ein Liedergewaltiger, Held, und Beherrscher.“
„Aber ihm folgt, o Habsburgs Stolz, sein größerer Enkel!
Sein Zeitalter leuchtet in wunderherrlichem Glanz’ auf.
Jugendlich regt sich die Erd’, und treibt den erfreuenden Keim schon
51Jedes Großen und Schönen hervor. Erhabene Geister
Wandeln auf ihr zum Ziel — der Höchst’ er unter den Hohen!
Ha, wie würdig er herrscht, wie kraftvoll! Fern in die Zukunft
Schaut sein Blick: er sinnt auf Deutschlands Größe durch Einung,
Auf Hispania’s Macht, und Italia’s, daß er die Rettung
Schaffe dem Christenvolk g’en wildempörter Osmanen
Allverheerende Wuth, die er tapfer bekämpft, und besieget.
Auch jenseits dem unendlichen Meer’ erbeben die Völker
Seiner Gewalt: nie geht die freundlichleuchtende Sonne
Unter in seines umuferten Reichs endlosen Bezirken.
Also die alt’ und die jüngere Welt im Segen zu einen,
Strebt sein hohes Gemüth. Wie dunkel die Wege der Vorsicht!
Deutschlands Gau’n durchtobt die Neuerung. Feindlichgeschieden,
Schaut urplötzlich der Mensch dem Menschen in’s Aug: ihn verwildert
Schrecklicher Sectenhaß: denn Mord, und Brand, und Empörung
Würgt Jahrhunderte fort, und verscheucht bald jegliche Hoffnung,
Die so herrliche Früchte verhieß. Vergeblich versucht er,
Heimzuführen den scheuentflohenen Frieden: auf immer
Scheint er entfloh’n. Ihn ergreift unendlicher Schmerz, und er endet,
Freientsagend dem Thron, in einsamer Zelle sein Leben.“
52„Ha, nach neun, durch Weisheit, Mild’, und Gerechtigkeit ruhmvoll
Herrschenden Männern deines Stamms, erseh’ ich im Thronsaal
Eine gewaltige Frau, die im Sturm umdrauender Nöthen,
Gottvertrauenden Muths, die Lieb’ und Bewunderung aller,
Eintritt dort, mit dem Sohn’ auf dem Arm, in die hohe Versammlung
Eines edelen Volks, und tausend Stimmen erschallen,
Als der ehernen Scheid’ entrissen der blitzende Stahl fleugt:
„Laßt uns sterben für Sie, die, als Königinn, uns ist ein König!“
Glücklich als Gattinn und Mutter zugleich, und als Herrscherinn würdig
Ewigen Ruhms, entschlummert sie sanft in den Armen des Todes.“
„Lange zum Manne gereift, nachfolgt ihr spät ihr Erzeugter:
Herrschend des Volks Abgott, dem er nur Gutes gewillt ist.
Aber ihm stürmts in der Brust: was kommenden Zeiten noch dau’re,
Müsse sorgsam gepflegt, und festgegründet der Bau seyn,
Das bedenket er nicht, und sieht noch sterbend, verwelket
Was er gepflanzt, und im Sand, sturzdrohend, was er gebaut hat;
Dennoch beut ihm die Liebe den Kranz niewelkenden Nachruhms.“
53„Siehe den Weisen, in dessen Hand dann erglänzet der Zepter,
Reißt des Todes Geschick aus der Zahl der Lebenden schnell fort!
Wohl ihm: denn früher erringt er das Ziel der herrlichsten Laufbahn
Auf hesperischer Flur, wo er Glück ausspendet, und Segen!“
„Jetzt entschwinden die hehren Gesichte vor mir wie in Nebeln.
Furchtbar steigt Geschrei in die Luft. Des alternden Erdballs
Vesten wanken; es scheint, als sollt’ ein neues Geschlecht sich
Heben empor aus dem gährenden Grund, doch früher die alten
Ganz hinschwinden in Nichts: so entsetzlich schwelgt die Empörung
Fort an den Strömen vergossenen Bluts. Der tauschenden Gleichheit
Mordruf schallt: hinschwindelt das Volk, und reißt mit des Thrones
Stürzendem Heiligthum’ auch sich selber hinunter zum Abgrund,
Wo in dem nächtlichen Grau’n sein Wuthgestöhne verhallet.
Aber ich sehe den Schiffer im Sturm, der, blickend zum Himmel,
Unerschütterten Muths, durchfleugt die empörten Gewässer;
Sehe den Sohn vor mir des Verblichenen, wie er im Nachtgrau’n
54Fortgewogt auf der Fluth, nun sinkt, nun steigt, bis er endlich,
Lautumjauchzt, einfährt in den volkerfülleten Hafen,
Und noch höher als erst, nach zwei Jahrzehenden aufragt:
Denn ihn lenkt in den Tagen der Noth stets sicher der Tugend
Heiliger Wink, und sein ist die Lieb’ und die Treue der Völker,
Die er, ein Vater, beherrscht mit mildvorsorgender Weisheit.
Heißt auch mancher Gewaltige „Groß“ in Geschichten der Menschen,
Ihn wird einst die Nachwelt laut den Edelsten nennen.“
„Dunkler ward’s ... mir schwand in verworrenen Bildern die Zukunft.
Doch nun hast du vernommen, was mir, unwürdigem Diener
Heute der Herr enthüllt’. Leb’ wohl! Vollbracht ist des Lebens
Weitumirrender Lauf — er endete, deiner gewärtig.
Denk’ auch mein im Gebeth. Stets sey der Himmel dir gnädig!“
Sagt’ es, und wankte hinaus, der Klaus’ entgegen. Er warf sich
Dort auf die Knie’, und bethete leis’ mit erblassenden Wangen.
Aber auch Rudolph lag mit tiefgesunkenem Antlitz
So, daß die stürzende Thrän’ auf die Marmorstufe hinunter
Ihm aus den Wimpern sank, mit hörbarem Laut in der Stille,
55Vor dem Altar auf den Knie’n. Sein Dank auf den Fittigen tiefer,
Inniger Andacht flog empor zu dem Vater im Himmel.
Als er den Blick zu dem Bild’ erhob, und das Aug’ auf die Augen
Heftete, die so mild den frommhinwandernden Pilger
Wecken zur Liebe des Sohn’s, da erblaßt’ er betroffen. Ihn dauchte:
Daß sie in himmlischem Glanz’ erglühten, und schaudernder Angst voll,
Wich er zurück vom Altar — bis jetzt in der Lampe der Lichtdocht
Hell aufflammt’, und sanft, wie zuvor, die Mutter ihn ansah.
Jetzo rief er Müllern herbei, der draußen im Vorhof
Harrte; legte die Hand ihm fest auf die Schulter, und sagt’ ihm:
„Hole die Waffen schnell: den Degen, den Helm, und den Harnisch;
Auch die Spor’n, die wir mitführeten: leg’ sie in Demuth
Auf den Altar; dann fasse den Speer, die Wache zu halten,
Bis zum Morgen. Ich geh’, ein Weniges draußen zu schlummern.“
Also geschah’s. Der Knappe ging, und holte, verwundert,
Alles und Jedes herbei; dann faßt’ er den Speer, und erging sich
Dort, gemessenen Schritts, die Wach’ an dem Heiligthum haltend.
56Doch als jetzt an des Himmels Rand der erwachende Morgen
Wie der purpurne Kelch der frischentfalteten Rosen
Glühete, hieß der Kaiser sein Volk der kleinen Capelle
Nahen, und dort im Kreis’ umgeben den heiligen Altar.
Anbethend stand er selber vor ihm; dann wandt’ er sich freundlich
Gegen den Kreis; rief laut dem Knappen Müller, und winkt’ ihm,
Niederzuknieen vor Gott auf die Marmorstufe. Den Wammsrock
Nahm er ihm erst von dem Leib’, und umgab mit dem glänzenden Harnisch
Ihm die Brust: er reicht’ ihm die Sporn’ und den trefflichen Degen
Dar mit dem Wehrgehang; bedeckte sein Haupt mit dem Festhelm,
Riß dann schnell das Eisen hervor aus der Scheid’, und begann so:
„Weil du, tapfergesinnt, obgleich als Bürger geboren,
Habsburgs Herrn, der jetzt des heiligen, römischen Reiches
Kaiser sich rühmt, das Leben gerettet, und stets auf dem Schlachtfeld
Ritterlich’ Ehre gewannst durch heldenmütige Thaten:
Will ich dich hier, vor Gottes Altare, den Edeln gesellen.
Aber bedenke denn auch, daß dir hinfort auf des Ritters
Ehrenbahn gezieme, zu schirmen das Recht und die Unschuld;
Schützer zu seyn des zarten Geschlechts in Zucht und in Ehren;
57Nie zu meiden den Kampf, in die Schranken durch Edle gefordert;
Nie zu dulden die Schmach, und zu rächen erlittenes Unrecht,
Kräftig und ohne Verzug, so dir’s nicht wehrt das Bewußtseyn:
Hierauf schlag’ ich dich Gott, und Maria, der heiligen Jungfrau,
Auch Sanct Görgen, des Ritters Patron, zu Ehren, zum Ritter.“8
Sagt’ es, und führte den Streich kreuzweis mit dem tönenden Schwertstahl
Ihm die Schulter hinab, erhob den Edeln, und küßt’ ihn.
Laut aufschrie die Schar der Versammelten. Jeglicher staunte,
Forschte zuvor, wohin sich wende das ernste Beginnen?
Doch, nun schüttelt’ ihm jeder die Hand, und lächelt’ ihm Beifall.
Schon erglühte das zarte Gewölk im lichteren Osten,
Das dem erwachenden Tag das Nahen der herrlichen Sonne
Kündete: sieh’, da führte sein treues Gefolge der Kaiser
Schnell zum ersehneten Alpenrand, wo jetzo die Aussicht
Unermeßlich groß, vor den Augen der Männer sich aufthat!
Aber sie bebten zurück vor freudigem Schreck und Erstaunen:
Erst zur Tiefe hinab, wo auf duftigen Schwingen die Nebel,
Zögernden Flugs, bald hier, bald dort nach entfernteren Thälern
Flatterten, sank ihr Blick. Wie staunt’ er: gewaltige Berghöh’n
58Nun zu Hügeln versunken, zu schau’n, und auf jeglichem ringsher
Wiesen, und Ackergründ’, und waldumsäumtes Gehöftland;
Unten am hellen Teich das Gotteshaus, und des Klosters
Riesengebäude; das Thal entlang, an der schimmernden Traisen
Hin, aufwirbelnden Rauch von den Eisenhämmern und Hütten — Dann
unendlich hinaus vom Gebirg verbreitet die Fluren;
Doch als jetzt aus dem Nebelmeer ihr breiteres Antlitz,
Dunkelgeröthet, die Sonn’ erhob, und ringsum der Erdkreis
Jubelte: reich mit Perlen geschmückt, und begrüßt von den Scharen
Zahlloser Vögel im Wald’, in den Thälern, und hoch in den Lüften,
Wo sich empor unsichtbar schwangen die wirbelnden Lerchen:
Ha, da erglühte die Brust der Männer vor tiefem Entzücken!
Mancher faltete, bethend, die Händ’, und blickte hinunter,
Rings umher, dann himmelwärts, mit Thränen der Wonne.
Keiner hatte zuvor erstiegen die Höh’n, und gesehen
Dorther tausendfaltig besä’t mit schimmernden Städten,
Dörfern, und Klöstern das Land, und hochaufragenden Burgen;
Nur der erhabene Kaiser allein erlabte schon oft sich
Dort an der seligen Schau, und begann jetzt freudigen Blickes:
„Seht, wo nördlich hinaus sich die Straße, wie schimmernde Leinwand,
Dehnt, Sanct-Pölten, die Stadt voll trefflicher Bürger und d’rüben
59Herzogburg mit dem Gotteshaus’ im lieblichen Aufeld.
Seht dort links, erbaut auf dem weitgesehenen Berggrath,
Göttweih herrschen im Donauthal, das herrliche Kloster;
Doch, nicht ferne der Burg des Hoheneckers am Wald dort,
Herrlicher Mölk: bewohnt von Benedicts Söhnen die beiden;
D’rauf die Stadt’ auch: Krems, Und, Stein, von Traubengebirgen
Rings umgrünt, an dem Ufer der hellerglänzenden Donau.
Doch, o! wer erspäht’, auch schärferen Blickes, noch jenseits,
Bis zu dem bläulichen Kranz der Karpathen hin, und den Marken
Mährens der Menschen Wohnungen all’ in unendlicher Landschaft?
Seh’t, g’en Westen, den Traunstein dort: er senket den Felsfuß
Tief in den Gmundner See: die Zierde des Oberen-Oestreichs.
Näher erglänzet die Tillisburg, die im ruhigen Thalgrund
Birgt Sanct Florians Stift, das Haus ruhmwürdiger Chorherrn.
Dann erhebt der mächtige Briel, und drüben der Oetscher
Noch das Haupt zum Gewölk, und rings bis zum östlichen Schneeberg,
Der nach der Wiener-Neustadt schaut, der Immer-Getreuen,9
Sehet ihr Berg’ auf Berge gethürmt, erschütternden Anblicks.
Nur verhüllt uns der Kahlenberg mit seiner Karthause
Wien, die Kaiserstadt, und das weitverbreitete Marchfeld,
60Wo jetzt Ottgar lagert, und dort auf blutigen Kampf sinnt;
Doch wir biethen ihm lieber die Hand mit dem friedlichen Oehlzweig,
Als daß er fühle den Schlag der eisernen, niedergeschmettert.
Ha, dieß Bild entschwind’ euch nie, das heute so wonnig
Uns enthüllten die Höh’n des Lilienfelder-Gebirges!“
Eiliger wandt’ er jetzt die Schritte zurück, in der Hütte
Noch dem frommen Klausner zu nah’n — zu vernehmen des Segens
Laute von ihm, und ach, wie ergriff ihn Angst und Entsetzen,
Als er geöffnet die Thür’, und ihn, vor dem Bild des Erlösers
Auf den Knie’n, im Gebeth, mit gesunkenem Haupt und zum Boden
Starrendem Aug’, ersah — doch stumm, und erblasset im Tod schon!
Lange staunt’ er, bewegt, den Verblichenen an, und enteilte
Dann der Hütt’. In des Augenblicks entschwindendem Zeitraum
Schwangen die Reiter sich all’ in den Sattel, und trabten ihm, schweigend,
Nach, zum Kloster hinab, wo er, tieferschüttert im Geist noch,
Anbethend, weilt in dem Gotteshaus’, und dann in dem Kreuzgang
Wandelnd, hinauf in das Schlafhaus stieg in der Stunde des Mittags.
61Hundert Schritt’ entlang, auf mächtige Säulen gegründet,
Wölbete dreifach die Halle sich auf: nur dämmerndes Zwielicht
Brach durch farbiges Glas der zierlichgestalteten Fenster.
Ernst ergriff ihn das Bild der Vergänglichkeit, als er mit Ehrfurcht
Staunte dem Bau. „Du sollst“, so lispelt’ er leise für sich hin,
„Eiserngefügt, mit Stolz auf die wechselnden Zeiten herabschau’n;
Aber vielleicht, daß nach sechs Jahrhunderten, oder nach sieben
Du in dem Schutte versinkst, wenn dort die prasselnde Flamme
Ueber dir braust, und vergeblich des Wanderers Auge dich suchet!“10
Sieh’, da nahte des Klosters Abt mit den Brüdern, und sagte:
„Herr, du zürnest uns wohl? Wir säumten den Herrscher zu grüßen!“
Doch der Kaiser begann: „Nicht euere Schuld ist es, wahrlich:
Denn ich schlich gar leise herein, als käm’ ich, ein Späher.
Jetzo gedenkt, Herr Abt, mit sorglicher Liebe zu einen
Staub dem Staub’, aus welchem er kam: die Leiche des Klausners,
Der in dem Herrn entschlief, in der einsamen Hütte der Alphöh’n.“
„Weh’,“ entgegnete jener bestürzt, „so schwand auch der Segen
62Von den Alpen mit ihm: denn seinen erhörten Gebethen
Dankten sie ihr Gedeih’n, und des Segens Fülle die Hirten!
Aber nicht zeitlichen nur, auch ewigen wußt’ er zu spenden.
Liebend brach er das Brot den Großen und Kleinen — versteht mich
Wohl, erlauchtester Herr: das Brot des göttlichen Wortes,
Das die Seel’ ernährt, und stärket für immer und ewig!
Aber woher er kam; weß’ Landes und Stamm’s er gewesen,
Hat noch keiner enthüllt. Versenkt in düstere Schwermuth,
Kam er in frühester Jugendzeit auf die Alp’, und erbaute
Dort die Capelle, geweiht dem Dienste der seligsten Jungfrau.
Weniges sprach er nur, mit den Worten geizend — mit Werken
Himmlischen Wohlthuns nicht: ein Heiliger allen verehret.
Morgen wollen wir ihn mit der Seelenmeß’ und dem Bußpsalm
Würdig zur Erde bestatten, und ihm erhöhen den Denkstein.“
Jetzo erscholl mit freudigem Ruf Drometengeschmetter
Von dem Wege heran, der Zell’ entgegen — der Jungfrau
Gnaden-Zelle, führt, wohin, wie der Hirsch nach dem Bronnen
Schmachtet, unzählige Pilger zieh’n mit sehnendem Herzen
Nach dem Segens-Born der göttlichen Huld und Erbarmung.
Hell erglänzte das Aug’ und die Wange des Kaisers. Er eilte
Rasch die Stufen herab: denn Albrecht, sein ältester, kam jetzt
Her aus den rheinischen Gau’n mit tapferen Scharen gezogen.
Laut begrüßt’ er den nahenden Sohn, und both ihm die Hand dar,
Freundlich und mild; doch warm erwiedert’ es dieser, und innig,
63Obschon er düstern Gemüths nie lächelte. Siehe, zur Heerschau
Hatt’ er die Krieger in Reihen gestellt! Mit stolzem Vertrauen
Wies er ihm erst fünfhundert aus Zürch, die im Kampfe der Markgraf
Hochberg lenkt; dann jene von Kyburg, Salm und Luzern her:
Dreimal so viel’ an der Zahl, die Nürnbergs tapferer Burggraf,
Friedrich, erkiesend, im Felde beherrscht, und wies ihm dann endlich
Jene, den ersteren gleich an der Zahl, die er selber in Schwabens
Heiteren Gau’n jüngst warb, und jetzo zum Kampf und zum Sieg führt:
Lanzengewaltiges Volk, mit Helmen bewehrt und mit Schilden.
Aber hinab und herauf vor den Reih’n erging sich der Kaiser
Dort mit zögerndem Schritt’. Er sah mit freundlichen Blicken
Jedem Krieger in’s Aug’; erzwang ihm ein Lächeln, und fragt’ ihn:
Wie’s ihm erging seither? — bei’m Nahmen die Tapferen rufend.
Manchem strich er das rauhe Gesicht mit der Rechten; dem andern
Faßt’ er die Hand, und verhieß ihm des Kampfs Arbeiten die Fülle:
Da er schon alle zuvor im furchtbarn Felde der Waffen
Sah, und erprobte den Muth und die Kraft des einen und andern.
64Jetzo begann der Sohn dem herrschenden Vater zu künden:
Wie er das Kriegsvolk warb in der Heimath — d’rauf an den Marken
Schwabens vereinte zum Heer’; wie er schnell g’en Ulm an der Donau
Zog, wo zuerst der Strom den breiteren Rücken zur Fahrt beut;
Dann’ in Schiffen herab, durch Bayerns gesegnete Fluren,
Also durch Oestreichs obere Gau’n nach Enns, und gelandet,
Nach Stadt-Steyer geeilt, die am hellerglänzenden Waldstrom
Vielfach den Wand’rer ergetzt durch eisengestaltender Meister
Sinnigen Fleiß, und jetzt unwegsame Schluchten durchirrend,
Kam nach Zell, wo sich an der Gnadenquelle die Krieger
Alle reinten von Schuld, und des himmlischen Brotes genossen.
„Doch,“ so erzählt’ er fort, „wie erhob mich, nicht ferne dem Ziel mehr,
Heut’ in dem dunkeln Oetscherthal’ ein Wunder der Allmacht!
Vor mir sprang ein flüchtiger Gemsbock fort in des Weges
Krümmungen. Ich, von Jagdlust heiß, verfolgte den Kühnen
Seitab, bis er vom Rand der steilabgleitenden Felswand
Stürzte zur Tiefe hinab, und zerschmetterte dort die Gebein’ all’.
Aber der Rückgang schien auch mir versagt, und ich wand mich
Mühesam nur, die Schluchten entlang, zu lichteren Stellen.
Plötzlich ergriff mein Ohr ein Donnergetümmel: die Felsen
Drönten umher; stets furchtbarer scholl aus der Schlucht, wie ich nahte,
Stürzender Fluthen Gerausch’, und erfüllte die Thäler mit Schauder.
65Doch nun war errungen der Stand. Von des schwindligen Felsens
Schmalvorragendem Riff’ ersah ich, vor freudigem Schrecken
Selber zum Stein erstarrt, des Waldstroms Fall in den Abgrund:
Denn vor mir aufthürmte sich hoch der gespaltene Felsberg
Oben am Rand nur sanft zur Rechten gebogen, und dorther
Stürzt, ein raschvorstürmendes Ungethüm, nieder die Lasing.11
Ha, wie Fluth auf Fluth und Wog’ auf Woge sich dränget,
Rastlos; dann, erbebend dem Sturz’, aufheult, und die Stimme
Aller, vereint, zum furchtbarn, schrecklichen Donnergetös’ wird!
Wie sie sich fassen im Flug, mit eh’rnem Geprassel die Klippen
Schlagen, und schäumen vor Wuth; wie sie von dem Felsen herunter
Fort und fort, den jähabrollenden Schnee-Lawinen
Gleich, im kreisenden Schwung sich wälzen, und stürzen, und ewig
Rauschen, und brausen, daß rings die waldigen Höhen erzittern.
Ueber die Berg’ empor, in die hehren Gefilde der Wolken
Fleugt der glänzende Staub zerschellter Gewässer, und dreht sich,
Wirbelnd, im eisigen Hauch des stromgeborenen Windes.
Doch als dort in die Felsenschlucht, am glänzenden Mittag,
Freundlich die Sonne schaut, da haucht sie in vielfacher Wölbung
Hin auf das wirbelnde Naß den siebenfarbigen Bogen,
Der die stürmende Brust mild sänftiget: so wie er Noah
66Einst erquickte das Herz, ein Zeichen der hohen Verheißung.
Wahrlich, entzückend schön, und erhebend dem fühlenden Menschen,
Pranget der Lasingfall in Oestreichs hehrem Gebirgsthal!“
Aber er horchte den Worten des Sohn’s mit Lust, und geboth dann,
Laut, dem Volke zu Fuß und den Reitern den eiligen Aufbruch.
Staunend ersah’n die Krieger zuvor, an der Seite des Kaisers
Müllern im Ritterschmuck — den ebenbürtigen Bürger
Zürcher Stadt; sie sah’n es, und lispelten, wiegend das Haupt noch,
Einer dem andern die Frag’ in’s Ohr: „was solches bedeute?“
Jener gewahrt’ es, und, sich im kreisenden Schwung in den Sattel
Hebend, lenkte den Rappen herbei; dann heischt’ er von Diesem,
Jenem die Rechte zum Gruß, und preßte sie, heiß in der seinen.
Aber da kam, erglühenden Blicks, der Kaiser, und sagte:
„Staunt nicht fürder, daß ihr im Ritterschmucke den Bürger
Euerer Stadt erblickt. Allmänniglich ist es bekannt ja,
Wie er in großer Gefahr mit tapferem Muth mir das Leben
Rettete: d’rum auch werth und würdig des Standes der Edeln;
Aber nicht Müllern nur, auch jeglichem steh’ ich als Schuldner,
Der so, wie er dem Kaiser und Reich sich verdingte: Rudolphus,
Kaiser des Reichs, wird ihm die Schuld mit Wucher bezahlen.“
67Sagt’ es, und schwang sich auf’s wiehernde Roß. Zum freudigen Aufbruch
Scholl die Dromet’, und schnell g’en Wien bewegte der Zug sich.
Sieh’, in des Abends Grau’n, gewiegt von gaukelnden Lüftchen,
Rauschte das Laub in dem Weidenhain, der nahe den Mauern
Drösings, am Hügel empor sich hob, und im schlängelnden Waldbach,
Längs dem duftenden Thal sich spiegelte! Völlig verhallt war
Nun des Kampfes Getös’ — erstürmt die Veste. Die Gegner
Wichen, bezwungen, zurück, und Ottgars furchtbare Gattinn
Sah schon stolz auf das Land, das bald (so wähnte sie thöricht)
Oestreichs Aar’ entrissen, dem Leu’n von Böhmen zu Theil wird.
Doch wer ist die holde Gestalt, die, zögernden Schrittes,
Drüben, den Bach entlang, hinwandelt in sinniger Schwermuth?
Hedwig, ihr’ Erzeugte, die Wonne des herrschenden Vaters,
Und der Liebling des Volks, geliebt, und bewundert von allen.
Aber warum erbebt ihr hochgesinnetes Herz nun
Unter der sanftvorwölbenden Brust? Entlockte der Thränen
Hellerglänzendes Paar, das über die rosige Wang’ ihr
Träufelte, tiefverborgener Gram, und die Einsame geht nun
Solches dem spähenden Blick der furchtbarn Mutter zu bergen?
Ach, nicht der Mutter allein — auch allen den Sterblichen ringsum,
Ja, sich selbst, und sogar dem Allerforscher im Himmel,
68Bärge sie gerne den Gram, dem heute die Thränen geflossen!
Doch nun hemmt sie den Schritt. An den Stamm des schattenden Baumes
Stützend den Arm, und pressend die Wang’ in die Höhle der Linken,
Hebt sie das Aug’, voll Himmelsbläu’, empor zu den Sternen.
Seitwärts sank von der hellen Stirn’ ihr des bräunlichen Haupthaars
Ringelnde Meng’, und hing von den Schultern zugleich, und des Nackens
Schöner Säul’ an dem schneeigen Faltengewande hinunter,
Das dicht unter der schwebenden Brust der goldene Gürtel
Lieblich umfing. Nicht kam von den funkelnden Sternen ein Lichtstrahl
Ihr in die grau’numnachtete Brust. Sie starrte, verstummend,
Lange vergeblich empor; doch jetzt mit lispelndem Laut nur,
Und umschauend mit Angst, begann das jammernde Fräulein:
„Ha, vernichtendes Bild — entsetzlich, und furchtbar, und dennoch
Himmlisch zugleich aufschwebst du vor mir, umgaukelst mich rastlos,
Und bethörst mir den Geist mit tiefverwirrendem Schwindel!
Wallstein — Gott! Wen nannt’ ich? Sein Nahm’ entriß sich den Lippen
Mir, der Unglücklichen jetzt, und ach, der holdeste Laut wär’s;
Süßer als Harfengetön’ in des Mondlichts freundlichem Schimmer,
Klang’ er mir in dem Ohr’, dürft’ ich ihn nennen — ich darf nicht!
69Glückliche Menschen ihr, die ihr dort in der niedrigen Hütte
Wohnt, wo des Throns augblendender Glanz nicht das Herz von dem Herzen
Trennt, dem ihr’s auf immer geweiht: wie zög ich so freudig
Hin den dunkeln Pfad, der euch beglückend zum Ziel führt!
Weh’, wie sprach ich? Wohin entschwand mir jede Besinnung!
Grünende Matten, du murmelnder Bach, und ihr Sterne da oben
Sagt es nicht, was ihr gehört. Du Mutter des Heiligsten, Besten,
Huldvolle Maid, nah’ mir, der armen Verirrten, zur Rettung!
Billig haßt’ ich ihn. Ha, wie verwegen er jüngst zu den Knie’n mir
Sank — ich bebte vor Angst, in des Gartens umschattendem Laubgang;
Wie er mir faßte die Hand, an die glühenden Lippen sie pressend,
Bleich aufstarrte zu mir! Nicht soll er fürder mir nahen.
Doch wer eilt im Dunkel daher? Ich stürbe vor ihm jetzt.“
Sagt’ es, und wollt’ entflieh’n: da trat ein edeler Ritter,
Schimmernd im tönenden Waffenschmuck’, in der Stille des Abends
Ihr in den Weg, und sprach: „Gönnt mir, holdseliges Fräulein,
Freundlich Gehör! Von Eginhards Geschlechte geboren,
Folg’ ich, ein Rittersmann, der Fahne des Königs von Böhmen,
70Eures Erzeugers, und doch, erschrecket nicht, steh’ ich, ein Anwald
Seines Gegners, vor euch. Ich komme, gesendet von Hartmann,
Rudolphs Sohn’, der euch schon lange zum Gatten erwählt ist:
Denn in dem rosigdämmernden Licht unschuldiger Kindheit
Wollten zu eh’lichem Bund’ euch die liebenden Aeltern vereinen,
Ehe des schrecklichen Jammers Grund, die Krone der Kaiser,
Feindlich die Fürsten schied, und her auf das eiserne Schlachtfeld
Zog. Doch hört: mich hob er zuvor mit dem Speer’ aus dem Sattel,
Als ich die flüchtende Schar aus den kühneroberten Mauern
Drosendorfs verfolgt’, und ihn selber bestand auf dem Heerweg.
Aber er schenkte das Leben mir, und die Freiheit — auf Ritters
Redliches Wort d’rob heischend die Pflicht: daß ich brächte die Bothschaft
Her, und zurück, wie es euch Bescheid zu geben, genehm ist.
Ach, er hat euch jüngst, so sprach er mit leuchtenden Augen,
Wiedergeseh’n nach Jahren voll Grams, und nimmer entschwindet
Mehr ihm das Bild der holderblüheten Jugendgefährtinn!
Nicht entfloh ihm die Hoffnung noch des ersehneten Friedens.
Mild schlägt Rudolphs Herz: er biethet dem tapferen Ottgar
Freundlich die Hand. Vielleicht, daß bald die gesonderten Krieger,
71Die jetzt noch, blutdürstenden Blicks, nach den Lagern hinüber
Schau’n, und, geballt, erheben die Faust: voll dräuenden Ingrimms
Gegen einander zu wüthen bereit, vernehmend des Friedens
Fröhlichdrometenden Ruf, in die Scheid’ ihr blitzendes Eisen
Bergen, und mitten im Feld mit lautem Gejauchz’ sich die Rechten
Schütteln, und ganz vergessen des Grimms in froher Umarmung.
D’rauf zerstreuen sich all’. Auf den stäubenden Straßen erschallet
Sang und Klang. Bekränzt mit grünenden Reisern, enteilen
Sie zur heimischen Flur, um dort in den Blicken der Lieben
Jetzo des Wiedersehn’s erschütternde Wonne zu lesen.
Dann aufdämmert auch ihm, dem euch die liebenden Aeltern
Einst verlobten, der Tag ersehnter, unendlicher Wonne.
Doch so ihn tröge der Hoffnungs-Strahl, und die waltenden Herrscher
Sich bekämpften mit eisernem Trotz’ — o, hört ihn! Er frägt euch:
Wollt ihr auch dann noch treu dem geschlossenen Bund euch erweisen?
Fromm, und gut ist des Kaisers Erzeugter gesinnt: auf dem Schlachtfeld
Hob sich sein Ruhm, und Deutschlands throngeborene Jungfrau’n
Schau’n mit sehnlichem Blick nach dem herrlichgestalteten Mann hin.
72Nur kargt er mit den Worten: es wohnt stets düstere Schwermuth
Ihm auf der Stirn’ — und im Herzen nach euch unendliche Sehnsucht.“
Also sprach er, und harrte, bewegt, der entscheidenden Antwort.
Hedwig sann für sich hin; nach dauerndem Schweigen begann sie:
„Wohl ist Rudolphs trefflicher Sohn, der tapfere Hartmann,
Mir bekannt — ich ehre den edelgesinnten Jüngling;
Aber getrennt hat uns des Schicksals eherner Rathschluß,
Wandelnd in Haß, und nieversöhnliche Feindschaft der Aeltern
Herzen um uns: ich steh’, entledigt der frühen Verlobung.
Ach, und sollt’ in dem Kampf auch mein Erzeuger dem seinen
Unterliegen, und ich, die Tochter des mächtigen Ottgar,
Dem Europa’s Völker umher sich beugen, voll Ehrfurcht,
Stürzen hinab in den Staub der schmachbelasteten Armuth:
Dennoch würd’ ich nicht Rudolphs Sohn zum Gatten mir kiesen!
Und, da nur ein einziges Wort entscheidet für immer,
Künd’ ihm: ich hätte gewählt — für den Einen gelobt’ ich zu leben.“
Also floh ihr das Wort von den zitternden Lippen. Sie wandte
Heim nach der Stadt die furchtbeflügelten Schritt’, und der Ritter
Eilte davon, beschwert mit der trauererregenden Bothschaft.
73Dritter Gesang.
Ha, schon lockte der Kampf des Geisterreiches Bewohner
Aus dem übersinnlichen Raum’, und den Tiefen des Erdballs,
Mächtigen Zaubers herbei! Auch Marbod,1 der edele Markmann,
Kam. Nicht im übersinnlichen Raum ergetzte das Licht ihn
Seither: denn er saß, versunken in düstere Schwermuth,
Dort in des Erdballs Schooß wohl zwölf Jahrhunderte lang schon,
Seit er getrennt sich sah von der liebenden Gattinn, Erwine,
Die, in dem Todeskampf’, ihm die Hände mit weinenden Blicken
Reichte zum letzten Mal’, und dann, viel reineren Herzens
Denn ihr Gemahl, empor zu glänzenden Räumen sich aufschwang.
Marbod herrschte, von Kraft und glühendem Muthe beseelet,
Ueber ein tapferes Volk: Markmannen genannt in den Reihen
74Mächtiger Stämme des deutschen Vereins. Von Schwabens Gefilden
Her, die norischen Alpen entlang, Pannonien nahend,
Wo in der Ostmark sich am Ufer der mächtigen Donau
Vindobona erhebt, bis hin zu den Höhen der Heünburg2
Schirmten gegen den Feind, im Rücken der Berge, die Marken,
Sie des gemeinsamen Vaterlands, als mannhafte Streiter.
Aber dem schrecklichsten dort, der allzermalmenden Roma,
Ferne zu stehen, und ihm einst kühn zu begegnen im Schlachtfeld,
Zog er nach Bojenheim; verjagte den Gothen-Beherrscher
Katwald; gründete sich ein Reich und die Stadt an der Moldau,
Marobud,3 und ward gefürchtet umher in den Ländern.
Inguiomar, der Ohm des tapfern, cheruskischen Hermann,
Floh, von diesem gehaßt, zu Marbod. Sie kämpften im Marchfeld
Lange die blutige Schlacht, und es rühmten sich beide des Sieges.
Aber an Hermanns Macht, des glücklichen, schlossen die Scharen
Marbods sich an. Da entriß, mit den Römern verbündet, ihm Katwald,
Stürmend, die Burg Mar’bud, und entthront’ ihn. Ach, er vertraute
Roma’s täuschender Huld, und starb in den Mauern Ravenna’s
Arm — ein Zeuge des wechselnden Glücks auf irdischer Laufbahn!
75Doch nun kam er herauf, und wandte sich rasch nach den Fluren
Oestreichs, das er mit Bojenheim sein nannt’ in der Vorzeit.
Bald gewahrte sein Aug’ auf des Lilienfelder Gebirgs Höh’n
Drüben die Ritterschar blondhaariger Deutschen. Er schwebte
Jetzt in sausender Eile dahin, und so, wie der Geier
Schnell von dem Felsenhorst nach dem dunkeln Thale herabfährt,
Weil er im Laub hellschwirrende Vögel erspähte: so blitzschnell
Fuhr er herab. Er staunte: wie hier die ermüdeten Krieger
Schlummerten; dort, zu dem Bild des Gekreuzigten, einer der Helden
Flehend rang, und ein Greis ihm naht’ in erschütternder Hoheit;
Hörte: wie jenem der Greis der tiefverborgenen Zukunft
Dunkel enthüllt’, und Habsburgs Ruhm mit unzähliger Völker
Glück in seinem Geschlecht verkündete: schauend im Geist dort
Oestreichs Größ’, und in Wonn’ erbebend den hehren Gesichten.
Aber vor allem ergriff des stattlichragenden Herrschers
Näh’ ihn, der, entsprossen aus seinem Stamm’, in des Aargau’s
Thälern die Burge der Ahnen bewohnt’, und von allen gepriesen
Als der Schirmer des Rechts, zum erhabenen Kaiser der Deutschen
Jauchzenden Rufes erwählet ward. „Doch biethet ihm jetzo,“
Also sagte zuvor der Greis auf den luftigen Alphöh’n,
76„Ottgar furchtbarn Kampf, und er soll in dem Waffengefild nur
Dann erringen den Sieg, wenn ihm“ — welch’ dunkele Reden! — „In
umdrängender Noth vom Munde des Herzens Gelübd’ tönt?“
Dacht’ es, und eilte, die Heeresmacht des gewaltigen Königs
Drüben am Ufer der March, durchdringenden Blick’s, zu erforschen;
Rudolph helfend zur Seite zu steh’n; in dem Seelenverein ihm
Stets zu erregen das Herz zu ruhmverherrlichten Thaten,
Und zu enthüllen die List auflauernder Feind’ in dem Feldzug.
Dort, wo im schimmernden Zelt’, umfangen von nächtlichen Schatten,
Ottgar eben, vereint mit den tapferen Helden, zu Rath saß,
Hielt er, schwebend, und sank, wie der Aar, der hoch aus dem Luftraum
Auf die kreischenden Jungen sich senkt, vor dem Zelte herunter;
Doch wie erwachte sein Zorn, als jetzt Drahomira die Recht’ ihm
Lächelnd both, im Wahn: er nah’ als Verbündeter Freund ihr.
Grimmig sah er sie an; sie lächelte wieder, und sagte:
„Ha, nicht hast du die Knie’ vor des Menschen-Sohne gebeugt einst,
Du, in dem Lande der Frei’n Geborener: hast in des Eichwalds
Schauriger Nacht, noch triefend von Blut, geopfert den Göttern —
77Zwar erschuf sie der Wahn, doch hatten wir Schuld an dem Irrwahn
Dort? Jetzt nähr’ ich ihn kühn — will nie dem stolzen Gewaltspruch
Huldigen. Komm, und stehe mit mir im Bund des Verderbens.
Stark ist mein unbändig Gemüth: dir will ich auf immer
Thatengenossinn seyn auf der Bahn, die Empörung genannt wird
Von dem Beherrscher des All’s. Wir wandeln sie muthig und kühn fort,
Wie er es will, uns fern von des Lichtreichs Gränze verbannend.
Uns vereine das gleiche Geschick und die gleiche Gesinnung:
Ottgar falle besiegt; Kunegund’ sey Herrscherinn! Mir gleich
Trägt sie im Busen ein Herz, voll Kraft, und unbändiger Kühnheit.“
Aber sie lockt’ ihn umsonst: aus der Bläue der trotzigen Augen,
Die, vom röthlichen Haar umwallt, einst, Gegnern zum Schrecken,
Glüheten, sah er, verachtenden Blicks, auf die Zauberinn nieder;
Wandt’ ihr den Rücken, und fuhr in den Raum des Zeltes herunter:
Denn ihm schwebt’ Erwinens Bild vor den Augen, und Thränen
Trübten sie schnell, da er jetzo, bewegt, der Sanften gedachte.
Doch als sie in dem Kreis’ der Versammelten hier Kunegundens
Herz mit verblendendem Zorn und Haß zu erfüllen bedacht war;
78Ottgar selbst, von dem Weib’ empört, dem Herrscher der Deutschen
Grause Vernichtung sann; Verrath in den Mauern der Hauptstadt
Gegen ihn dräuend sich hob, und, „Rache,“ die Losung des Heers war:
Ha, da flog der entrüstete Geist in Eile von dannen!
Eben erglühte das Morgenroth, erneut, wie der Hoffnung
Herzerheiternder Strahl, an dem östlichen Himmel. Er fühlte
Ruh’ in der stürmischen Brust, und schwebte hinan zu den Zinnen
Wiens, wo er bald mit ringsumspähendem Blick im Gebein-Haus,
Unter der wölbenden Gruft der Kirche Maria-Stiegen,
Rüdiger Waldram fand, der dort mit den Bürgern zu Rath saß:
Rudolphs Feinden die Veste noch heut zu verrathen, entschlossen.
„Seht,“ so sprach er, „uns frommt’s des ruhmverherrlichten Ottgars
Herrscherthron zu erhöhen in Oestreichs blühender Hauptstadt.
Wir sind Bürger der Stadt, und erfuhren es all’ in der Wahrheit,
Daß uns Rudolphs Macht, des stolzaufstrebenden Fremdlings,
Schon in dem früheren Völkerkampf nicht zu schirmen vermochte.
Seine Heimath ist fern — ein Aargau’r bleibt er noch immer.
Flieht den Leu’n im güldenen Feld: roth glüht er vor Ingrimm;4
79Aber euch sey in dem Purpurfeld der weiße5 willkommen,
Selbst vor dem Doppelaar, den Kaiser Friedrich, der And’re,6
Hier zum Wapen uns gab. Nun hört’, ihr Getreuen! Erschallen
Wird vor dem Stubenthor im mitternächtlichen Grauen
Dreimal ein Glöckchen. Es ruft uns zur That: denn kühne Gesellen,
Von dem König der Böhmen gesandt, durcheilen den Wehr-Gang
Außer der Veste, wo ich in Menge die tödlichen Waffen
Heute gehäuft. Wir öffnen das Thor, und, wißt es: verrathen,
Oder errungen im Blut — uns gleich! wir biethen die Stadt ihm
Morgen zum Unterpfand des jüngstbeschworenen Bundes.
Eilt nun heim, und gedenket des Muths, und des herrlichsten Lohn’s nur!“
Schweigend reichten ihm jene die Hand, und eilten von dannen.
Aber mit Schrecken vernahm den schnöden Verrath an dem Kaiser
Marbod im schwebenden Flug’, und sann, wie er solchen vereitle.
Jetzt entschloß er sich rasch, zu nah’n im warnenden Traumbild
Hugo von Tauffers, dem Greis’ unbändigen Muthes im Schlachtfeld,
Dessen gewaltiger Feldherrnkraft die Veste vertraut war.
Wie sich ein Nebelgewölk hersenkt auf die dämmernden Berghöh’n:
80Also nahet’ er ihm, und wies in der Tiefe des Grabens,
Außer dem Stubenthor’, ein Heer von Wölfen: sie folgten
Eilig dem Weidmann nach, der wildanlockenden Köder
Trug in der Hand, und Waldram glich, voll triegender Arglist.
D’rauf durchstürmten sie das eröffnete Thor, und erwürgten
Ringsum Kinder und Greis’, und lautaufheulende Mütter
So, daß das Blut durchwogte die Stadt, wie ein brausender Gießbach,
Der im regnigen Herbst mit schäumenden Fluthen daherfleugt.
Stöhnend entwand sich der Held dem Traum’, und sagte, verwundert:
„Wahrlich, mir führte die Nacht noch nie so klar und lebendig
Gaukelgebilde des Schlafs an der Seele vorüber. Mich dünket,
So ich es recht erwäg’ im Gemüth: ein warnender Traum seys!“
Und er erhob sich behend’, um die Veste besorgt in dem Herzen.
Jetzt erscholl ringsher von den hochaufragenden Wällen,
Mächtiger stets Drometengetön’, und unzählige Glocken
Weckten mit ehernem Schall des Volks unendlichen Jubel:
Denn von des Berges Höh’n, wo die Spinnerinn saß an dem Kreuzbild,
Kam Kriegsvolk, und vor ihm der erhabene Kaiser. Die Sonne,
Die sich im rosigen Osten erhob, sog blitzende Strahlen
Aus dem stählernen Kleid der Gewaffneten, herrlich zu schauen!
Rührend zugleich, und herrlicher noch: wie, inmitten des Volkes,
Das entgegen ihm zog, im Geleit zwo lieblicher Töchter,
81Agnes und Adelheid, und Hartmann, ihres Erzeugten,
Man die Kaiserinn trug in der Sänfte. Die Mutter der Armen
Hieß sie dem Volk’, und hieß die trefflichste Mutter und Gattinn:
Mild sich bewährend an allen zugleich, ein Engel an Sanftmuth;
Doch sie naht’, abzehrend, des Lebens Ziel’, und auf einmal
Welket sie hin wie die Blume, versengt vom giftigen Mehlthau.
Draußen in Matzleinsdorf, wo fromme Verehrer ein Standbild
Weihten dem Sankt Florian, dort hob Jahrhunderte lang schon
Eine Linde sich auf, die mächtigen Zweige verbreitend
Rings, und biethend in Sommers Zeit umschattende Kühlung
So dem Pilger zugleich, wie dem schwerarbeitenden Löhner.
Dort geboth er die Rast, und grüßte die nahende Volksschar
Freundlichen Blicks. Doch jetzt, die treffliche Gattinn gewahrend,
Trat er zu ihr, und führte sie sanft zum beschatteten Sitz hin.
Wie ihm die liebende Brust auch blutete, sie an des Lebens
Kraft so erschöpft, und ach, dem Tode verfallen zu schauen;
Dennoch bezwang er den Schmerz, und sah ihr noch heiter in’s Antlitz!
Aber das liebliche Paar der Töchterchen legt’ ihr das Kissen,
Unter den Füßen zurecht, und wand das Tuch ihr mit Sorgfalt,
Um die erschütterte Brust: der dräuenden Kühle gedenkend.
82Doch sie sprach zu dem trauten Gemahl, verweisend mit Sanftmuth:
„Gar nicht erwägest du, ach, wie des Vaters die Kinder bedürfen —
Meiner, der Mutter, nicht mehr: denn schon gewahr’ ich sie mündig
Alle vor mir, und bewahrt, mit Gott, in jeglichem Guten!
Rastlos sucht dein Geist nur Müh’ und Arbeit: die Tag all’
Schwinden dir hin, und die Nächte, gesammt, in ewigem Streben
Nach dem erkorenen Ziel’, und die Ruh’ erquicket dich nimmer.
Auch bestehst du zu oft und zu kühn die Gefahren, als Herrscher;
Zogst auch jetzo hinauf g’en Lilienfeld in dem Waldthal
Nur mit schwachem Geleit, und leicht wohl hätte die Heimkehr
Dir der Böhme verwehrt, so ein arger Verräther es kund that.
Weh’, und neu entflammt sich der Krieg! Von neuem beginnst du
Wieder den blutigen Lauf, und, ob auch die liebende Gattinn,
Ob die Mutter vergehe vor Angst, und die Kinder, verwaiset,
Schreien nach dir — umsonst: du kennst, Tollkühner, die Furcht nicht!
Ach, erhob dich die Huld der ewigwaltenden Vorsicht
Nicht auf den Thron, daß du beglückest unzählige Völker;
Führest den Frieden zurück’ in die sturmerschütterten Gauen
Deutschlands, unseres Vaterlands, und erhebest die Ostmark,
Deinem Geschlechte zum Ruhm — zum Sitz’ unendlichen Segens?“
83Jener entgegnet’ ihr sanft: „Nicht also gedacht, und gesprochen
Hast du, Theure, zuvor in den blühendentfalteten Jahren,
Als in den Kampf dein Held auszog. Du reichtest die Waffen
Selber ihm dort, vom Staub sie reinigend, oder vom Blutrost
Oft mit dem Hauche des Mund’s und den zartgestalteten Fingern,
Und umgürtetest ihn mit dem Schwert, nach ad’liger Sitte.
Zwar dir pochte die Brust, und die rosigerglühenden Lippen
Zitterten ob den Gefahren des Kampfs; doch immer bezwangst du,
Schweigend, die Angst, und theiltest die Freude des kehrenden Siegers:
Denn nicht eitelen Ruhm, nicht schnöden Besitz zu erjagen,
Lag ich draußen im Feld; nie schaffte mein Eisen das Eigen
Armer und Waisen mir heim: nur diese zu schirmen — zu rächen
Unterdrückung und Schmach der Unschuldigen, zog ich mit Macht aus,
Wie es die Ritterehre geboth. Auch jetzo, gezwungen
Nur, entreiß’ ich das Schwert der rostenden Scheide. Des Friedens
Bothen, erhaben an Rang und Verdienst, entsandt’ ich in’s Lager
Ottgars erst: wohl mir, so er beiden ein günstiges Ohr leiht!
Doch so er taub verschmäht den ein- und den anderen: dann sey
Gott befohlen mein Haupt. Ich muß ja leben, und sterben,
Wie es der Völker Wohl und des Herrschers heilige Pflicht heischt.
84Mög’ er Tröster dir seyn, und das Leben noch lange dir fristen
Mir zur Freud’, und den Kindern zum Glück’, auf immer und ewig!“
Jetzo erhob er sich rasch von der steinernen Bank mit der Gattinn;
Winkt’, und reicht’ ihr, zum Scheiden, die Hand. Durch quellende Zähren
Sah’n sie lang’ einander in’s Aug’: die Zitternde sank ihm
Dann, voll Hast, an die Brust, und küßte das pochende Herz ihm.
Angst ergriff das Volk, und ihr’ Erzeugten verhüllten,
Weinend, das Aug’: sie kehrete heim nach der einsamen Hofburg.
Ach, nicht sieht er sie mehr, die holde Geliebte der Jugend,
Nicht die erlesenste Gattinn mehr, nicht die beste der Mütter:
Denn ihr Lebenslicht soll nun, wie die Lampe verlöschen,
Die, des Oehles beraubt, nur matt aufflimmert noch einmal!
D’rauf an der Wien, die träg in den buschigen Ufern sich fortwälzt,
Führt’ er die Heerschar schnell den Mauern der Veste vorüber:
Denn nicht wollt’ er die Burg in den Tagen des Kampfes beschreiten,
Wählend das Zelt zur Wohnung im Kreise der tapferen Krieger.
Außer dem Stubenthor naht’ ihm mit eilenden Schritten
Hugo von Tauffers, er, des treuen, tyrolischen Berglands
85Heldensohn, der, jüngst erkoren zum Schirmer der Festung
Tausend trefflichen Schützen geboth, die er warb in der Heimath.
„Herr,“ so sprach er ihm leis’ in das Ohr, „nicht wollest du Hugo’s,
Deines Getreu’n, der lange, fürwahr, den Schuhen des Jünglings
Schon entwuchs, jetzt höhnen, als aberwitzigen Träumers!
Wohl ist des Menschen Geschick, zu spielen als Kind an dem Morgen;
D’rauf an dem Mittag ernst zu wandeln als Mann, — wie ein Kind fast
Sich zu geberden als Greis, an dem Abend des wechselnden Lebens;
Doch, getrost: noch sitzet das Haupt mir fest auf den Schultern;
Schaue noch scharf in die Fern’, und mir entgehet der Laut nicht,
Der zu Thaten mich ruft im rühmlichen Felde der Waffen!
So verkünd’ ich dir jetzt, wie heute am dämmernden Morgen
Mir ein Wundertraum das Geheimniß enthüllte, daß Gegner
Drinnen im Schooße der Stadt gehägt, gleich giftigen Nattern,
Sinnen auf Mord und Verrath. Ich sah an dem heimlichen Wehr-Gang,
Der, verborgen im dichten Gesträuch, vom Ufer der Donau,
Vielverschlungenen Zugs, zu dem inneren Graben heraufführt,
Listigeröffnet die Thür’, und gehäuft unzählig die Waffen:
Sie zu vertrau’n der würgenden Faust verruchter Gesellen.
Auch entnahm ich zuvor aus dunkelen Zeilen, daß Waldram,
86Gestern um Mitternacht Rath hielt im grausen Gebeinhaus
Unter der wölbenden Gruft der Kirche Maria-Stiegen.
Solches erwäg’, o Herr, und begegne dem schnöden Verrath jetzt!“
„Horch,“ so gab ihm der Kaiser zurück, „der Huth in der Festung
Eine sich hier die Schar zweitausend gewaltiger Schweizer
Heute noch, die, so heiß’ es, erschlaffte die dauernde Heersfahrt!
Hartmanns Muthe vertraut sey dann die Vest’ und die Hofburg;
Doch du schwinge dich hurtig auf’s Roß, und reite g’en Theben,
Wo schon Ladislav, mit der Krone des heiligen Königs
Jüngst geschmückt, als Freund und verbündeter Kriegesgenosse,
Unser mit Sehnsucht harrt im Kreise der tapfer’n Magyaren.
Ihm entbiethe denn unsern Gruß: er solle bereit steh’n,
Bis von dem Kahlenberg’, in dem mitternächtlichen Grauen
Hoch die Lohe sich hebt: des Kampfs bedeutender Wink; dann
Eil’ er herüber die March mit den schrecklichen Reitern, und berge
Sie in dem trocknen Geröhr’, an dem Weidenbache vor Marchek.
Auch ich werde nicht fern mehr seyn, und ihm einen die Scharen
Dort zu gemeinsamer That in des blutigen Kampfes Entscheidung.“
Hugo vernahm das Wort — nicht zweimal braucht’ er’s zu hören:
Denn er hob sich, behend’, im kreisenden Schwung in den Sattel,
87Jagte davon — ihm nach der rüstige Knapp’, und in Säulen
Hob sich der Staub empor in die Luft vom schimmernden Heerweg.
Doch nun theilten die Schützen Tyrols mit den tapferen Schweizern
Wiens ruhmwürdige Huth, wie solches der Kaiser gebothen,
Der das Schwert von der Hüfte sich nahm, und dem tapferen Hartmann,
Seinem Erzeugten, es gab mit sanftermahnenden Worten:
„Deinem Muthe vertraut sey jetzo die Burg und die Festung
Wiens, der herrlichen Stadt. Ein rettender Schild der Bedrängten
Mögest du seyn, und den Ruhm von deinem Geschlechte bewahren,
Das von der Habsburg kam, und Oestreich, liebend, zur Heimath
Sich erkor: ihr Glück auf immer zu gründen, entschlossen!“
Sagt’ es, und Hartmann trat mit schweigendem Ernst in die Vest’ ein,
Dort zu gebiethen der Schar wallschirmender, muthiger Völker.
Trauer umwölkte sein stilles Gemüth. Von den Sterblichen einer,
Die, durch Prüfung bewährt, des Herrn verborgener Rathschluß
Wandeln heißt auf der Dornenbahn in die ewige Heimath,
Wuchs er in Schwermuth auf. Den Gegnern gefürchtet im Schlachtfeld,
88Und von Jeglichem ob des Wissens Reichthum bewundert,
War er der Aeltern Stolz, und die Freude der edelsten Menschen;
Doch mißlang ihm oft sein Müh’n und Streben, und ach, erst
Kündet’ ihm Eginhard des stolzgesinneten Fräuleins
Liebeverschmähendes Wort. Er hielt sich die Brust mit der Rechten,
Wo das Herz empörter ihm schlug, und sah zu dem Himmel
Düsteren Blicks, empor; doch bald bezwang er sich wieder:
Mit Ergebung vor Gott, und den Menschen zu wandeln, entschlossen.
Jetzt, so hoch ihn der Ruf des Heldenvaters auch ehrte,
Inner den ragenden Mauern Wiens dem Feinde zu trotzen,
Und zu entreißen den Sieg, nicht weckt’ er ihm Freud’ in dem Herzen:
Denn ihn hieß auf den Kahlenberg zur stillen Karthause
Pilgern ein frommes Gelübd’, und, wie es nun lösen? — nicht wußt’ er’s.
Aber es zog auf der Brücke dort, die, einigend Leupold’s
Außen- und Inselstadt7 mit dem Land’ und der Vest’, in dem Grund fußt,
Eilig der stattliche Kaiser einher vor den muthigen Scharen.
Schmal, und getrennt von dem Riesenarm der herrschenden Donau,
Wogt in der Tiefe der Strom, und umfaßt ein mächtiges Eiland,
Das im Schooße die Außenstadt und umschattende Auen
89Lieblich vereint, zur Lust des wandelnden Städtebewohners.
D’rauf im Eilschritt ritt er hinaus auf den schwankenden Bohlen,
Wo auf dem Riesenstrom sich die Fähren an Fähren, im Halbkreis
Reihten, dem wachsenden Mond’ an dem Sternenhimmel nicht ungleich,
Wenn er auf dunkeles Nebelgewölk im Westen hinabsinkt.
Angelangt an der Spitze, vom Tabor hinaus, wo im Aufeld
Links an der Straß’, und rechts sein Heer das Lager bezogen,
Sah er zum Ehrenempfang die Scharen geordnet, und winkte
Beifall den Amtnern8 zugleich, und den muthbegeisterten Kriegern:
Denn schon hob sich ihr Freuden-Geschrei die Reihen hinunter,
Endlosdauernd im Ruf: „Hoch lebe der Kaiser Rudolphus!“
Allen voran stand dort der Hauf’ östreichischer Krieger,
Ober’n und unteren Lands; die letzteren führte Capellen,
Jene Dietrichstein in das Feld: zehntausend der Männer,
Die mit dem Panzerhemd, mit dem Helm’, und dem Schilde bewehret,
Kämpfend zu Fuß, aufschwangen im Feld die tödlichen Lanzen.
Aber das muthige Volk der Steyrer, der Krainer, und Kärnthner
Stand an jene gereiht, und, wahrt’ auch der Helm nicht das Haupt ihm,
Nicht der eiserne Harnisch die Brust; doch würd’ es, den Degen
90Schwingend, durchbrechen im Sturm, und erringen den blutigen Kampfpreis.
Pfannberg, Meinhard, und Ortenburg die untad’ligen Feldherrn,
Riefen die Völker in’s Feld: dreitausend erlesene Reiter.
Auch der Schweizer gewaltiges Volk, und der heiteren Schwaben
Heldenschar stand dort, gesellet der lagernden Heersmacht;
Dies’ empörte zur Schlacht der Burggraf, Friedrich von Nürnberg,
Rudolphs Schwestersohn, und ein tapferer Degen im Schlachtfeld,
Albrecht jene, der edele Sohn des edelsten Kaisers;
Doch den beiden vereinten sich noch tyrolische Schützen,
Die, gerufen erst jüngst aus den Thälern der Heimath, die Armbrust
Auf der Schulter — die Pfeil’, im Bündel geschnürt, auf dem Rücken
Trugen; umspähenden Blicks, wie dem Wild’ auf der Fährte die Jäger,
Fernhin sah’n, und, kühn, nicht in Stahl und Eisen sich hüllten.
Tauffers war ihr Hort im Gewühle der Schlachten. Er flog jetzt
Unaufhaltsam dahin, des Kaisers erlesener Herold.
Sieh’, und schon gewahrt’ er das Ziel! Die sinkende Sonne
Stand an dem Abendthor’, umhüllt von rosigem Schimmer.
91Heller glüht’ ihr scheidender Blick; ihr goldenes Haupthaar
Flammt’ empor, da in hehrem Glanz sie noch einmal herüber
Winkt’ ihr Lebewohl! dem sanft entschlummerten Erdkreis.
Aber die Kühlung sank auf den Fittigen schmeichelnder Lüftchen
Leise herab, und erquickte die schweraufathmende Schöpfung.
Jetzt vollbrachte den Ritt sein feuriger Renner; es flogen
Dampfend und triefend von Schweiß ihm die Seiten; der Hals und der Rücken
Schäumt’, und ihm wankten die Füß’, da er stand vor dem Zelte des Königs.
Dort den Hügel empor, wo jetzt nur Trümmer des Schlosses
Weitumkreisenden Hof bezeichneten, das in der Vorzeit
Herrschend hinuntersah auf das Land, aus dem in die Donau
Drüben die March sich ergießt, und, von ihren gewaltigen Fluthen
Stolz zurückgedrängt, seegleich bedecket die Fluren:
Dort, auf Pfähle gespannt, erhoben sich tausend und tausend
Schimmernde Zelte des Volks der Kumanier und der Magyaren.9
Jene rühmten sich gleichen Geschlechts und Ursprungs mit diesen;
Doch der edlere Stamm der ahnenstolzen Magyaren
Hielt Jahrhunderte schon, aus Scythiens grasiger Steppe
Kommend (Tanfu, Zuard, Lehel, und der tapfere Almus,
Waren die Führer des Volks) Pannoniens herrliche Fluren
Im Besitz’, errungen im Sieg ruhmdürstender Ahnen.
92Jüngst erst kam der Kune heran, dem wilden Tartaren
Folgend im Schreckenszug, und, als er, verwilderter heimzog,10
Nach entsetzlichem Mord’ und Gewürg’ unzähliger Christen,
Blieb er im Lande zurück: inmitten der Theyß und der Donau,
Sich erwählend ein Sandgefild zum dauernden Wohnsitz,
Welches der Steppe gleich, unendlicher Fläche sich ausdehnt,
Und Kumanien heißt. Ihn nennt der Unger den Kun nur.
Eisern hielt er noch fest an der Sitte der Heimath; auch Götzen
Dienet’ er, so vermengend das Wort der ewigen Wahrheit
Mit entehrendem Wahn: denn kaum erkannte des Heilands
Rettenden Weg sein Geist, und roh bewahrt’ er das Herz noch.
Aber entsetzlich wüthet der grimmige Kun’ in der Feldschlacht.
Ordnungslos, bald links, bald rechts sich wendend, im Eilflug,
Braus’t er heran wie der Sturm. Er schnellt von dem tönenden Bogen
Durch die heulende Luft den befiederten Pfeil, und verfehlt nie,
So er den Gegner in’s Auge gefaßt, in die Brust ihn zu treffen.
Aber von diesem bedrängt, entflieht, und kehret er wieder,
Listengeübt; läßt oft dem fliehenden Rosse den Zügel;
Wendet sich hurtig im Sattel herum, und schleudert des Tschakans
Eisengewichtige Last dem Nahenden mächtig entgegen.
Sieh’, und hatt’ er ihn etwa verfehlt, da setzt er sich wieder
Rasch, im Schwunge, zurecht in dem Sattel; ergreifet die Zügel;
Lenkt im kreisenden Lauf mit eisernem Drucke der Schenkel
93Eilig den Renner heran, und so der entflogenen Waffe
Nahend, schwebt er mit einem Fuß noch im Riemen des Bügels;
Beugt sich nieder im Flug’, und hebt sie empor von dem Boden,
Ehe der Feind sich gestellt, und des Fliehenden Jauchzen vernommen.
Dort schwang Hugo sich jetzt mit forschendem Blick’ aus dem Sattel,
Und vertraute das Roß dem redlichen Knappen zur Pfleg’ an.
Fernher scholl an sein Ohr des Lagers Getöse: dem Meersturm
Gleich, der himmelan braus’t, erfüllt’ ein dumpfes Gemurmel
Drüben die Nacht. Stets glühender schien der wolkige Himmel
Ueber dem Lager, erhellt von unzählbarlodernden Feuern.
Dorther kam auftobender Männer Geschrei, und der Weiber
Lautes Kreischen, vermengt dem Gebrüll’ und dem Wiehern des Lastthiers:
Denn von den Zelten hinaus umgrasete rings in dem Blachfeld
Breitgehörnetes Rind und der Ross’ unendliche Mehrzahl,
Die nur klein von Gestalt, und unscheinbar dünken dem Fremdling,
Aber, von feurigem Muth’ erfüllt, und dauernder Kraft voll,
Tragen den Reiter so schnell wie der Blitz an den Feind, und erretten
Oft ihn im Schlachtengemeng, schnellfüßig zum Sprung und zum Laufen.
Also lagerten hier die Kumanier. Doch in des Heeres
94Rücken ruhte das Reitervolk der edelen Ungern,
Kummererfüllt: denn Ladislav, der König, erkor sich
Jene zu Lieblingen, so der Ahnenehre vergessend.
Als nun Hugo dem Zelt des Königes nahte, vermeint’ er,
Zithergetöne zu hören; ihm schien: kumanische Mädchen
Sangen dazu, nach Heidenbrauch, unziemliche Weisen.
Ach, und so war’s! Doch bald verstummte der Sang und die Zither,
Als der Fremdling, in Eisen gehüllt, ihm näher getreten.
All’ erhoben sich schnell von dem Boden — die bärtigen Männer
Und die rosigen Mädchen, und jetzt der fürstliche Jüngling,
Anmuthstrahlenden Blicks, an dem Haupte von bräunlichen Haaren
Lieblich umlockt, voll Jugendkraft und blühender Schönheit.
Aber er stand verwirrt, und wußte nicht, wie er beginne,
Bis er sich wieder ermannt’, und d’rauf mit kräftigem Laut rief:
„Sprich: weß’ Landes du bist, o Fremdling? Triegt uns die Ahnung
Nicht, so kommst du gesandt von dem Kaiser der Deutschen, Rudolphus,
Der uns vielleicht des Saumsals zeiht, und unrühmlicher Trägheit,
Weil wir ruhen dahier, bei Saitenspiel und Gesängen
Uns ergetzend, und sein’, des feindbedrängten nicht achten?
Doch wir harreten nur des Winks, den er uns verheißen,
Und gedenken, ihm treu und redlich zu Hülfe zu stehen!“
95Hugo beugte das Haupt, und sagte mit edelem Anstand:
„Herr, du ahnetest recht! Hier steht des Kaisers Gesandter,
Hugo von Tauffers genannt, vor dir, und, wahrlich, ein Krieger,
Seit er der Schul’ entlief: ein Taug’nichts ist er am Schreibtisch!
Aber nicht rostete noch in der Scheide sein trefflicher Degen;
Gerne stellt er sich ein, wo es gilt ihm Ruhm zu gewinnen,
Und hoch ehrt ihn die Sendung auch jetzt: denn Wichtiges soll er
Dir kund thun; doch, Herr, verzeih’ — in dieser Gesellschaft?“
Sagt’ es, und lächelte fast; der König entgegnete leiser:
„Ritter, mir scheint dein lächelndstrafendes Auge zu sagen,
Was dem Könige ziemt, was nicht! Erfahrenes Alter
Richtet streng; doch sieh’, noch blüht mir der fröhlichen Jugend
Rosenhain, und ich wandle in ihm mit heiterem Sinn fort;
Weile so gerne dahier im Kreis’ des unschuldigen Volkes,
Das, von der Urzeit her die ererbeten Sitten bewahrend,
Frei, die Fessel nicht kennt, die uns engt im verfeinerten Leben!
Aber tritt in mein Zelt, und vergnüge dein Herz an dem Spätmahl,
Das ich dir biethe nach Lagers Brauch; dann will ich dich hören.“
Eilig traten sie ein. Die finsteren Scharengebiether
Folgten dem Könige nach, und setzten sich rings um den Tisch her,
96Sonder Ordnung, noch Wahl. In zottige Pelze gehüllet,
Sah’n sie stolz aus den tiefvergrabenen Augen dem Fremdling
Jetzt in das heitre Gesicht, und strichen den Bart an der Lippe.
Bald erschienen im Zelt’ auch die rosigblühenden Mädchen,
Tragend in Körben Pferdfleisch auf, das unter dem Sattel
Barg der Reiter, und dann hinflog, bis solches im Ritte
Heiß geworden, und mürb’, des Volks ersehntes Gericht war;
Auch gebratenes Fleisch vließtragender Lämmer, mit Knoblauch
Vielgewürzt; dann Brot aus dem feinsten Mehle gebacken,
Hochgewölbet und weiß, nach Art magyarischer Backkunst,
Und die mächtigen Krüge, gefüllt mit den edelsten Weinen.
Alle schmaus’ten nach Lust; doch Hugo verschmähte des Kunen
Lieblingsgericht — nicht des Weins, des trefflichen, schonend: unendlich
Gab er bei Humpen Bescheid, und blieb stets seiner noch Meister.
Siehe, von neuem erscholl der Zither Getön’, und der Herrscher
Mahnte die Männer und Mädchen zum Tanz’, dem Gaste zu Ehren!
Jene stellten sich ernsten Blicks, dem König gehorchend,
Draußen in Doppelreih’n, und hoben den werbenden Tanz an,
Der in das Feld den Jüngling ruft, und Gefühle der Wehmuth,
Ihm in der Brust aufregt, an die Zeiten der Väter ihn mahnend,
Mit wehklagenden, tief das Herz bestürmenden Weisen.
97Aber sie schlugen die Hand an die Hand, und die Sporn’ an die Spornen;
Stampften zugleich, rasch hin und daher sich wendend, den Boden;
Stöhnend vor Lust, und ihr Aug’ erfüllten oft schimmernde Thränen,
Plötzlich geweckt von dem Sturm der empörten Herzensempfindung.
Doch als d’rauf zu dem Wechseltanz der erfahrene Künstler
Rasch in die Saiten griff, mit dem Fuße der schnelleren Weisen
Zeitmaß schlug: da faßte die Tänzerinn jeglicher Tänzer
Um den blühenden Leib, und schwang sie umher an der Stelle,
Bald mit dem linken, und bald mit dem rechten Arme sie drehend
Fort im verengenden Kreis’. Dann riß er sich wieder von ihr los;
Hüpfte schnell vor ihr hin, und schlug die klingenden Spornen,
Jauchzend, zusammen, und schlug die Wade mit wechselnden Händen.
Aber sie folgt’ ihm entfernt. Die Recht’ an die Seite sich stemmend,
Hielt sie die Schürze am Saum’ sich stolz vom Leib’ mit der Linken,
Wandte sich links und rechts, mit niedlichen Sprüngen, und mied ihn
Scheinbar, bis sie, ersehnt, urschnell in die Arme des Tänzers
98Flog, und von neuem das Paar in schwindelnden Kreisen sich drehte.
Doch nun winkte der König zum Schluß: die Saiten verstummten;
Hoch erhob der Tänzer die Tänzerinn noch, und entließ sie;
Kam dann, triefend von Schweiß, und setzte sich wieder zum Tisch hin.
Jene entfloh’n, und der König sprach, mildlächelnd, zu Hugo:
„Ritter, du hast magyarische Tänze geseh’n, und ergetzet
Dich bei’m fröhlichen Mahl’, obgleich du ein nüchterner Gast bist!
Nun ersehnte mein Geist zu vernehmen, wie Kaiser Rudolphus,
Unser Bundesgenoß’ und Freund, zum Throne gelangt ist —
Er, einst Habsburgs Graf? Doch künde zuvor uns die Abkunft
Und die muthigen Thaten des huldbeseligten Herrschers,
Die mit unsterblichem Ruhm’ ihm zieren die Stirne. Der Morgen
Graut: bald steht ihm Ungerns Macht zu Geboth’ in der Feldschlacht.“
„Zwar verweigerst du noch,“ so entgegnete jener, „des Kaisers
Herold’ ein willig Gehör, und lullst ihn bei Tänzen und Mahlen,
Zaubernd, ein, daß er ganz vergesse der wichtigen Sendung.
Aber, weil dich verlangt, von meines erlauchten Gebiethers
Abkunft, Muth und Heldenkraft, die Carol des Großen
Glänzenden Thron ihm errang, zu hören, so will ich mich fügen
In Geduld, und harren: es gilt ja die Ehre des Kaisers!“
99„Wisse demnach! Stolz hebt sich vom Fels die mächtige Habsburg
Aus umdämmerndem Wald, an der Aar in die bläuliche Luft auf.
Dort, so kündet die Sag’, erschien in grauender Vorzeit
Rudolphs edles Geschlecht, aus fränkischem Stamm, und erbaute
Jene, wie auch Aarburg, und Brugg, die gewaltigen Vesten.
Aber vor allen hieß die „Herrliche“ jene von Habsburg:
Denn mildherzige That an den Dürftigen, eisernes Schirmrecht
Gegen die freche Gewalt des Unterdrückers der Schwachen,
Uebten aus ihr, gebührend, die weitgerühmten Gebiether.
Dort erwuchs, entflammt von dem Ruhm gefeierter Ahnen,
Rudolph, Albrechts Sohn, des Weisen, und Hedwig, der Frommen,
Lernend durch Gottesfurcht und Weisheit frühe des Lebens
Höchstes Glück in der eigenen Brust zu gründen für immer.
Doch wo wäre Beginn und Ende? so Alles und Jedes
Ich dir kündete: wie an den Hof ihn Friedrich, der Kaiser,
Der zu der heiligen Tauf’, als Path’ ihn führte, gerufen,
Daß er ihn lehrte mit Rittersmuth nach rühmlichen Thaten
Streben; wie er im sicilischen Krieg’, und in jenem von Oestreich,
Gegen den Streitbar’n focht, und miterstürmte die Stadt Wien,
Die, vor allen beglückt, ihn einst als Herrscher begrüßet;
D’rauf in der Ahnen-Burg11 zugleich mit dem Vater das Kreuz nahm;
Nach dem Gelobten-Land, die Feinde des Kreuzes bekämpfend,
100Wallete; dort den Vater begrub, und, als er zur Habsburg
Heimzog, freudig zu eh’lichem Bund sich Annen erkies’te,
Hochbergs Kind, voll Huld, und die tugendreichste der Frauen —
Auch, allmänniglich werth, ein trefflicher Ritter und Herr war.
Wohl gebräch’ es mir auch an der Zeit und an Odem, geziemend
Nun zu schildern die sieg- und ruhmverherrlichten Krieg’ all’,
Die er geführt in den zweimal eilf unseligen Jahren,
Wo das verwaisete Reich nach Friedrichs Tode, des Kaisers,
Voll von Mord und Plünderung war, da in grauser Verwild’rung
Aus der thürmenden Burg ein jeglicher Ritter, nach Willkühr
Schaltend, Sitten, Gesetz’, und allem Heiligen Hohn sprach;
Wie er beschirmte das Recht und die Unschuld stets, und das Banner
Habsburgs ward dem Schwachen zum Trost’, und den Räubern zum Schrecken.
Aber vernimm dieß einzige nur, wie kühn, wie entschlossen,
Und wie edel er ist! Ihm stand der Abt zu Sanct-Gallen,
Der, ein Falkensteiner, das Schwert und den hirtlichen Krummstab
Kundig zu führen gelernt, gar feindlich entgegen; sie quälten
Tapfer sich ab. Da brach sein Zorn auf die Baseler Bürger
Los, die ihm, wildempört, erschlugen die Freund’ und Verwandten:
Denn mit wenigen Reisigen hielt er still vor den Thoren
Wyls, des Städtchens, und heischte noch Einlaß dort zu dem Stiftsabt,
101Der bei dem nächtlichen Imbiß saß, und, erstaunet, ihn ansah.
Aber er both ihm die Hand, und sprach: „Daß ich also zu dir kam,
Diene zum Zeichen dir: ich achte dich, redlichgesinnet,
Wie ich es bin, und vertraue dir kühn so Leben und Freiheit.
Höre, viel besser wär’s, daß wir uns in Rechten vertrügen,
Heute noch; dann die Waffen vereint, nach den Baselern kehrten,
Die mir erschlugen die Freund’, und erwürgten die theuern Verwandten!“
Also geschah’s: sie schmaus’ten versöhnt. Am kommenden Abend
Zogen sie rasch auf die Baseler los, und fürchterlich brannt’ es
Bald von der Stadt auf; bald versöhnete Blut die Erschlag’nen,
Und die Gegner umfing der Friede mit traulichen Armen.
D’rauf durchschwamm er die Furt, die noch „habsburger“ im Land dort
Heißet, des mächtigen Rheins mit reisigem Volk’, und erstürmte
Breisach kühn, mit dem Stahl in der Faust, ein trefflicher Stürmer!“
Laut aufjubelten jetzt die Kumanier, preisend des Ritters
Heldenmuth, und, ergreifend, voll Hast, den irdenen Weinkrug,
Der vor jeglichem stand, mit edelem Moste gefüllet,
102Leerten sie ihn bis zum Boden hinab auf seine Gesundheit
Aus, auf einen Zug: daß ihr Haupt mit dem steigenden Weinkrug
Weit zurücke sich bog, und stellten ihn dann auf den Tisch dort
Nieder mit ohrerschütterndem Schlag. Doch wieder begann er:
„Also erscholl sein Ruhm zu den fernentlegensten Ländern
So, daß der Böhmen-König sogar, der jetzt in dem Feld uns
Biethet die Fehd’ auf Leben und Tod, mit schimmernder Goldschrift
Ihn an den Hof zu sich lud, und zum Marschalk, ehrend, ernannte.
Ha, nicht reut’ ihn die Wahl! Er focht ihm zur Seite mit Siegsruhm,
Gegen die Heiden im Preußenland’, und errang ihm den Lorber
Auch im Vernichtungskampf g’en Bela’s schreckliche Heersmacht.
D’rum kein Wunder, daß er, nach dem Wink der erbarmenden Vorsicht,
Die des gemeinsamen Vaterlands unendlichem Jammer
Setzen wollt’ ein Ziel, von den sieben glänzenden Sternen
Unser’s heiligen Reichs zur herrschenden Sonne gewählt ward:
Daß er im goldenen Schmuck der Kaiserkrone des Segens
Strahlen über die Gau’n des deutschen Landes versende.
Sieh’ er lag vor Basel mit Macht; da brachte die Bothschaft
Ihm der Pappenheimer! Er stand, und wankt’, und besann sich;
Aber, auf Gott vertrauend, geboth ihm das Herz in dem Busen
103Freudigen Muth. Er ging, und bald vereinte der Krönung
Allerfreuendes Fest die Völker der Deutschen zu Aachen.
Dort heischt’ er, im Dome gekrönt, den Eid von den Fürsten:
Daß sie verschafften nach Recht dem heiligen, römischen Reich’ jetzt,
Was ihm die Faust entriß.12 Sie ersannen, zaudernd, die Ausflucht:
„Noch vermiss’ er zum Königseid’ den Zepter der Ahnen.“
Doch er wandte sich schnell; hob selbst das Kreuz von dem Altar;
Hielt es empor, und rief: „Wer kennt ein schöneres Zeichen,
Kraft zu verleihen dem Eid’, denn dieses, woran der Erlöser
Sterbend hing, und uns errettete, heilig und wahrhaft?“
Und sie schwuren darauf: erbebend dem herrschenden Manne,
Der so kräftig gesprochen — so fest- und so muthiggesinnt war.
Dir, und manniglich ist es bekannt, wie der Kaiser, Rudolphus,
Redlich gehalten sein Wort, und treu gelöset den Schwur hat:
Bannend den Uebermuth, und des Faustrechts wildes Gewaltreich
Muthig aus Deutschlands Gau’n — an Leib und an Seel’, er, ein Deutscher,
Der bald unserer geist- und herzerhebenden Sprach’ auch
Sinnig zu Ehren half: in den Kanzeleien den Vorzug
Ihr vor dem todten Latein, dem schwerverständlichen, gönnend.13
Also geschah es, daß, dankerfüllt, ein jegliches Herz ihm
Huldigte: denn ihm zürnet allein der König der Böhmen,
Weil er, thörichten Sinns, die Kaiserkrone verschmähend,
104Sie auf dem Haupte des Mannes sah, der einst ihm als Marschalk
Dienete. Doch umsonst bestürmt er die Erd’ und den Himmel,
Sie zu entreißen dem Haupt, dem Gott sie gegeben, zum Segen
Gegenwärtiger Zeit und endlos dauernder Zukunft.
Ha, schon winket das Morgenroth! So höre mit Huld nun,
Was mein Kaiser und Herr zum freundlichen Gruß dir entbiethet:
Wenn von dem Kahlenberg in dem mitternächtlichen Grauen
Hoch die Loh’ auffleugt: dann eil’ aus dem schirmenden Lager
Schnell hinüber die March mit den schrecklichen Reitern, und berge
Sie in dem trocknen Geröhr’ an dem Weidenbache bei Marcheck:
Denn auch er wird also dir nah’n, und die Hände dir reichen
Dort zu gemeinsamer That in des blutigen Kampfes Entscheidung.“
Und er erhob sich nun, schnell heimzukehren, entschlossen.
Glühenden Blickes sah aus dem schimmernden Thore des Morgens
Nach dem Zelteingang die Sonne herüber, und hauchte
Hüpfende Funken in’s bleiche Gesicht der schläfrigen Krieger,
Die um den König herum sich lagerten. Aber er hob jetzt,
Stillhinbrütend, vom Stuhle sich auf. Zur glänzenden Heerschau
Dacht’ er zu wecken sein Volk, dem scheidenden Fremdling zum Staunen.
„Gern,“ so entgegnet’ er, „will ich mich ganz dem Winke des Kaisers
105Fügen, und eilen in’s Feld, sein redlicher Bundesgenosse;
Aber nicht wollest du scheiden zuvor, eh’ dir nicht zur Heerschau
Draußen mein Volk sich wies: nicht soll sich’s lange verziehen.“
Sagt’ es; riß sich das Schwert von der Hüft’, und schlug in die Tafel
Dann mit der Klinge so stark, daß die ird’nen Gefäße zum Boden
Taumelten: ein’s das and’re im Flug zu Scherben zerschmetternd.
Wunder zu schau’n! Da fuhr in brausender Eile der Feldherrn
Leise zum Schlaf hinnickende Schar von den Sitzen, und leer war’s
Bald in dem weiten Gezelt. Dem Könige folgte der Ritter
Staunend nach. Doch jetzt erschollen von grausem Gebrülle
Tausend Hörner, die einst die mächtige Stirne des Pflugstiers
Ziereten, breitgestellt, daß kaum der größte der Männer
Sie mit den Armen ermaß von einer Spitze zur andern.
Schon erhob sich Geschrei und Getös’, und das Wiehern der Rosse
Rings in dem Lager, und füllte mit Angst und Entsetzen die Umwelt.
Hoch auf fuhr der finstere Staub, und dicht, wie der Krähen
Wimmelnde Schar durchstürmt den nebligen Himmel, so flogen,
Schnell gewahrend den Wink des Königs, unzählige Haufen,
Sich in den Sattel schwingend, voll Hast, nach dem Ufer der March hin.
106Dort, auf dem sandigen Feld’, in fernhinschwindenden langen,
Drei Mann tief, geordneten-Reih’n aufritten die Kunen:
Lenkend hurtige Rosse vor und zurück mit des Schenkels
Mächtigem Druck, den, weitumflatternd, das leinene Beinkleid
Hüllete bis zu der Ferse hinab, und den ledernen Bundschuh’n.
Sonst ihr Kleid: ein Pelz von dem zottigen Vließe des Widders,
Ueber dem kürzeren Hemd’, das halb des Niedergebeugten
Rücken entblößt — doch weit die Arme umwallt, und, der Scheitel
Zur Bedeckung, die Mütze von Filz, mit der wallenden Feder.
Zehnmal tausend’ erhoben zur Luft den blitzenden Säbel,
Der der Sichel des Neumonds glich in der Krümm’, und es führten,
Eben so viele den Bogen und Pfeil mit dem hämmernden Tschakan.
Diese lenkte Suhol, der Eber genannt von den Seinen,
Ob des unbändigen Muths, und der Blitzstrahl, Kaduscha, jene:
Denn er flog so schnell wie der Blitz im Sturme der Schlacht hin.
Aber der Ungern edeles Volk beherrschte Matthias
Von Trentschin, der schlachterfahrene, tapfere Feldherr,
Dessen gewaltige Burg an den schimmernden Fluthen des Waagstroms,
Dräuend, in’s Waag-Thal schaut, und Schrecken gebiethet den Feinden.
107Auch er führte heran zehntausend muthige Reiter,
Welchen der Kalpag zierte das Haupt mit des Reihers Gefieder;
Aber der Pelz, am Rücken hinab an goldenen Schnüren
Hängend, von hellblau’m Tuch, verbrämt mit schwärzlichem Lammsfell,
Und gelbschimmernden Knöpfen besetzt; dann, ähnlich, der Dolman,
Schimmernd von Gold an der Brust, vom seidenen Gürtel umfangen,
Ziert’ ihm den Leib, und der Bein’ anschmiegende, gleiche Bekleidung
Zierte die Füße zugleich mit den spornenbewaffneten Tschismen.
Jeglicher hielt in der Faust, an die Schulter gelehnet, des Säbels
Krummgehämmerten Stahl, der, sausend, die Feinde zerschmettert.
Als nun Hugo die Völker geseh’n, da sprach zu Matthias
Von Trentschin der König, ihm selbst und den Seinen zur Trauer:
„Tapferer, weile dahier mit deinen Geschwadern, des Lagers
Mächtiger Hort: denn bald, erbaut auf schwankende Fähren,
Einet die Brücke des Flusses Gestad’, und all das Geräth hier
Schaffest du dann noch heute hinüber, dem Heere zum Vortheil!
Aber, o freundlicher Greis, du, Hugo von Tauffers, der Ritter
Edelster, folg’ mir nach, und künde dem mächtigen Herrscher,
108Heimgekehrt in die Kaiserburg, was du an der March hier,
Staunend, gewahren wirst; künd’ ihm: wir stehen den Feinden
Jenseits nahe genug; zum würgenden Kampfe gerüstet!“
Sagt’ es, und sprengte voraus: ihm nach die Kumanier alle,
Mitten hinein in den Fluß, hinüber zu schwimmen, entschlossen.
Hochaufspritzte die Fluth dem gewaltigen Drange; die Wässer
Brauseten laut von unzähligen Hufen der Rosse geschlagen;
Brandend flogen die Wellen zum Land’, und schäumten, und zischten
Endlos. Wie in dem eisigen Belt keckmuthige Fischer,
Eilend zum Wallfischfang’ in schaukelnden Booten, auf einmal
Nahe des Unthiers Riesengestalt, das Heere der Fischchen
Vor sich jagt, erseh’n: da werfen sie schnell die Harpun’ aus,
Die zweizackig gespitzt, einstürmt in die Weiche des Bauches,
Oder in’s breite Genick des riesigen Fisches, und Blut färbt
Alsbald ringsum das Meer: denn eilig hinunter zum Abgrund
Fährt er, und eilig herauf, und peitscht mit dem Schweife die Meerfluth,
Daß sie himmelan fleugt, und röchelt mit dumpfem Gebrülle
Durch den schrecklichen Sturm der empörten Gewässer: so wogte,
Schäumt’, und braus’te die March, als jetzo die Kunen hinüber
Mit gewaltigem Lärm und Geschrei, die wiehernden Rosse
Spornten, und all’ das Heer errang, durchschwimmend, das Ufer.
109Hugo saß in dem Sattel, und schwieg; doch jetzo besann er
Sich nicht lang’, und schwamm (ihm folgte der redliche Knappe)
Eisenbewehrt, wie er war, auf dem mächtigen Gaule hinüber;
Schwang das Schwert in die Luft, und flog entgegen der Hauptstadt.
110Vierter Gesang.
Leis’ entschwebte die Nacht; aus dem hehren Gewölbe des Himmels
Schwanden die Sternenheere dahin, und auf gaukelnden Lüftchen
Schien ein freundlicher Tag sich herab auf die Fluren zu senken:
Doch, es erhob vor dem Morgenroth am östlichen Erdrand
Sich ein Nebelgewölk, das, eiligen Flugs, sich verbreitend,
Mehr und mehr den hochaufwölbenden Himmel befleckte.
Sieh’, als jetzo dem Saum der lichtergewordenen Höhen
Näher die Sonne kam: da erglühten im bläulichen Luftraum
Rings die zerrissenen Wolken umher, blutröthlichen Schimmers.
Jetzt erhob sie das Haupt; nur sparsam scholl aus den Lüften
Und aus dem Wald, der Morgengruß der befiederten Sänger
Ihr entgegen: sie sah mit trauerndem Blicke herüber.
Schwül umwogte die Luft; erboßter quälten die Fliegen
Menschen und Thiere zugleich; dumpf klang der wechselnde Windstoß
111Ueber die Heid’: er kräuselte weit den Rücken des Stroms hin,
Und erhob in Wirbeln den Staub. Kein kühlender Nachtthau
Hatte die Fluren erquickt, und die Schöpfung trauerte ringsum:
Zeichen all’ annähernden Sturms und gewaltigen Regens.
Aber im Zelteingang, verlassend das nächtliche Lager,
Saß der Kaiser, und sah mit düsterem Blick’ in des Morgens
Dräuende Gluth. Er dacht’ im Geiste das dunkele Schicksal
Tausender, bis zu dem Abendlicht’ entschieden zum Leben,
Oder zum Tode, mit Angst! Bald sollten die Lose, so grau’nvoll,
Fallen des blutigen Kriegs — des holdumlächelnden Friedens,
Wie es dem mächtigen Feinde gefiel, dem er ihn gebothen.
Ach, der Jammer des Volks durchdrang ihm die Seele! Zum Himmel
Hob er den Blick, und lispelte so mit gefalteten Händen:
„Laß den Frieden, o Herr, ihm mild erscheinen im Frühroth,
Und erwärmen sein Herz mit den huldausspendenden Strahlen,
Daß er erkenne die eigene Schuld, entsage der Rachgier,
Und, als Herrscher versöhnt, heimkehre den Seinen zum Segen!“
Aber mit Staunen vernahm’s der, einst kampfdürstende Marbod,
Als er umschwebte das Haupt des Bethenden, wie er dem Gegner
Frieden gelobte, versöhnlich und mild, und konnt’ es nicht fassen —
Er, der stets nur Schlachten ersehnt’, und glühenden Muths voll,
112Selber aufreizte den Feind auf den Pfaden des irdischen Lebens.
Zweifelnd stand er lange vor ihm. Er wähnte, bekümmert:
Ihm gebrech’ es an Kraft und an raschvordringender Kühnheit
(Nicht begreifend sein Herz, ein Irrender, Lichtesberaubter)
Wiegte das Haupt, und fuhr, verstört, zu dem Morgengewölk auf.
Siehe, der Kaiser trat alsbald erheiterten Blickes
Aus dem Gezelt, und hörte mit Lust, unferne dem Lager,
Walten geschäftig das Volk der Zimmerer, Schmied’, und der Schreiner.
All’ die Nacht forthämmerten sie bei dem Scheine der Kesseln,
Die mit schwärzlichem Pech und duftendem Harze genähret,
Weit erhellten die Au an des Heerwegs schlängelndem Zug hin.
Draußen bei Floridsdorf am Donaustrande, wo dreifach,
Strahlen gleich, fortzieh’n die länderverbindenden Straßen:
Diese nach Ungerland — nach Böhmen und Mähren die andern,
Eileten sie, zu erbau’n die Gerüst’ und die Schranken der Turnbahn.
Hundert Schritte, die Straß’ entlang, und der Breite nach fünfzig,
Ebneten sie den Grund schnurgleich, und bestreuten ihn zolltief
Dann mit dem schimmernden Sand, der drüben am Ufer gehäuft lag;
Fügten auf Säulen die Balken umher, und trennten mit Absicht
113So von dem Wiesengrund das langgedehnete Viereck.
Aber es wich an dem unteren Rand des umschrankten Gebiethes
Quer ein Balken zurück, so er Einlaß both den Erwählten,
Und an dem oberen stand, gar herrlich gestaltet, die Prachtlug1
Oben verziert mit dem Doppelaar, mit der Kron’ und dem Zepter,
Und von Innen geschmückt mit Sammtvorhängen von Purpur,
Die an dem Saum’ umher von goldnen Blumen erglänzten.
Dort dem Herrscher und seinem Gefolg’, erles’nen Geschlechtes,
Standen die Sitz’ erhöht, und emporgereihet im Halbkreis’;
Doch ein breites Gerüst, entlang die Schranken der Turnbahn,
Bauten sie auch; versahn’s mit emporgereiheten Sitzen
Für schaulustiges Volk aus den nahen und fernen Gefilden,
Und erhöhten die luftigen Zelt’, entgegen der Prachtlug:
Tapferen Rittern zur Rast, die her zu turneien gekommen.
Als der Krieger dem Zelt’ enteilete, stand er, vor Staunen,
Plötzlich verstummt; er rieb sich die Augen im dämmernden Frühroth;
Sann: ob Träume der Nacht ihn äfften, oder von fern her
Irgend ein Zauberer kam, und die Luftgebilde zur Schau gab?
Doch bald lacht’ er des eitelen Wahns: hochrühmend die Meister
Des, mit Geschick und regsamer Kraft geförderten Werkes;
Eilte hinaus, sein Roß an dem Standpfahl, wo es die Nacht durch
114Ruhete, jetzt mit sorglicher Treue zu warten, und klopft’ erst
Selbes am mähnigen Hals’ mit der Hand, im freundlichen Zuruf;
Aber es scharrt’ in dem Grund’, und wieherte, gierig des Futters.
Rings erwachte Getös’ und unendlicher Lärm in dem Lager.
Jetzo erscholl Getrab anstürmender Rosse, den Ohren
Hörbarer stets; dann sah das Aug’, umspähend, von fern her
Blitzen die Harnisch und Helm’, und endlich erkannte der Kaiser
Meinhard, und Lichtenstein, die er, Frieden zu biethen, gesendet.
Angelangt im Gewölk’ umwirbelnden Staubs vor dem Herrscher
Rissen die beiden das Roß am Zügel zurücke. Sie sprangen
Aus dem Sattel behend’, und nahten ihm, grüßend mit Ehrfurcht.
Aber er rief erstaunt: „Wie, Meinhard kehrt uns, empört heim?
Lichtenstein, was bringt ihr zurück aus dem böhmischen Lager?
Sanft ist des Friedens Hand: sie streut in des Lebens Gefilden
Blumen umher — die in Eisen gehüllete Rechte des Krieges
Trieft vom Blut der Erschlagenen; doch, wenn eben dem Unhold
Heiliges Recht das Schwert vertraut, da bringt er vom Schlachtfeld
115Muth, selbstständige Kraft, und Sicherheit unter die Völker:
D’rum auch der Krieg erwünscht, wenn nur das Recht ihn gebiethet.
Jetzt, fürwahr ersehnte mein Herz den Frieden, und wohl mir,
Wenn der König, versöhnt, zum gebothenen selber die Hand reicht!“
Meinhard sagte darauf: „Nicht hat uns der König von Böhmen
Ritterlich’ Ehre gewährt — gastfreundlich das Herz uns erheitert:
Grimm bewölkte sein Aug’, da er sprach, und finster uns ansah.
Wie der furchtbare Leu’ mit glühenden Blicken des Gegners
Harrt auf dem Plan, daß er ihm zermalme die Knochen: so dünkt mich
Sah der König uns an, und schwerlich sinnt er auf Frieden.
Aber vielleicht, daß Lichtenstein, der glückliche Freier,
Frohere Kunde gebracht: deß’ will ich mich gerne bescheiden.“
„Zwar,“ so begann jetzt Lichtenstein, „versprach uns des Königs
Zornumwölketer Blick des Guten nicht viel, und ich bürgte
Für den Frieden nicht mehr mit dem Kopf: er möchte nicht fest steh’n;
Aber noch stehet das Spiel, und es fällt der entscheidende Würfel
Heute noch nicht. Ich sehe dahier mit unsäglicher Hochlust
Schon die Schranken gefügt zum Turnei, und bald, in dem Prunksaal,
116Den von der Decke herab unzählige Kerzen erleuchten,
Minniglich schöne Frau’n und Fräulein, an gastlichen Tafeln
Würdiggepaart umher mit den sieggekröneten Rittern.
Welche Beseligung, mich in dem lärmenden Kreise zu treffen:
Denn auch trägere Zungen bewegt die fröhliche Mahlzeit!
Höre mich Jung und Alt; nicht spricht ein faselnder Seher!
Daß des Königs verdüsterter Geist noch heute sich aufhellt,
Künd’ ich zuvor: denn wißt es, er kommt, und nah’ ist die Zeit schon,
Zum dankbiethenden Turnkampf her, mit erlesenen Rittern.
„Dort,“ so sprach er vor uns, „soll’s bald allmänniglich kund seyn,
Was er vom Krieg und Frieden gedacht, und der Kinder Verlobung.“
„Gott befohlen das Ein’ und das Andere!“ sagte, gen Himmel
Schauend, der Kaiser, und wandte sich; dann begann er von neuem
Wieder, mit sorglichem Blick: „Wo weilt mein tapferer Hugo?
Das sey ferne, daß ihm was Leides geschehen: mir bräche
Wahrlich vor Kummer das Herz um den treugesinneten Helden.“
Kaum entfloh ihm das Wort, da tönte von ferne der Hufschlag
Brausender Rosse die Straße heran, die entgegen den Marken
Ungerns führt am linken Gestad der mächtigen Donau.
Hugo war’s, der kam (weit hinter ihm folgte der Knappe,
Schlechter beritten, denn er) die stäubende Straße herüber;
117Doch nun hemmt’ er das Roß, und die Wange, wie Flammen geröthet,
Lächelt’ ihm, als er gegrüßt. Er schwang sich vom Sattel, und sagte:
„Herr, nicht hast du umsonst die Gäste geladen: erhellt sind
Weit die Straßen hinaus von schimmernden Kleidern und Waffen.
Trog nicht der Schein, so trabt von dem Bisamberg an der Donau,
Deß’ unendlicher Ruhm an köstlichem Moste bewährt ist,
Ein gar stattlicher Haufe heran: die flatternden Fähnlein,
Weiß, wie des Schneebergs Haupt, verkünden uns böhmische Kämpen.
Aber, als sie dahier zum Scherz nur brechen die Lanzen,
Harren ihrer im Hinterhalt gar ernste Gesellen,
Und ersehnen den Kampf. Der Ungern blühender König —
Blühend, und jung fürwahr! verhieß dir Hülf’, und gewährt sie:
Denn vor mir durchschwamm sein furchtbares Reitergeschwader,
Jauchzend, die March, und steht auf Oestreichs Erde, vor Marcheck
In dem Geröhr’, längs hin dem Weidenbache, verborgen.
Zürne nicht, daß ich zu kommen verzog. Viel hatt’ ich zu reden, —
Von dem Kaiser zumal, und dem Greif’, wenn alles ihm abstirbt,
Wird die Zung’ allein stets rühriger noch mit den Jahren.
Auch gebrach’s nicht an köstlichem Trank’, an magyarischer Tänzer
118Fröhlichem Lärm, und du weißt, dein Haug ist freudig gestimmet,
Sieht er die Humpen gefüllt, und um ihn lebendig die Jugend:
Dennoch stellt er sich ein, wo es gilt, und die Klingen entscheiden.“
„Ruhe,“ so sprach mit lächelndem Blick der erhabene Kaiser,
„Raschvorstürmender Greis, in dem Zelt’ auf das Lager gesunken!
Aber euch beid’, obgleich ermüdet vom dauernden Ritte,
Lockt, deß’ bin ich gewiß, Drometengeschmetter zur Turnbahn,
Rüstet euch denn. Mir ziemt, hausväterlich sorgend, im Lugsaal
Fertig zu stehen, und dort die Gäste mit Huld zu begrüßen.
Meinhard, zieh’ im festlichen Schmuck, mit flatternden Fähnlein,
Zinken, und Paukengetön’, und hundert erlesenen Reitern
Bis zu des Lagers Rand’ entgegen dem Herrscher von Böhmen:
Ihn zu begrüßen nach Würd’, und des Turnspiels Sitte geziemend!“
Also entließ er mit heiterem Muth die gewaltigen Helden.
Aber er stieg die Stufen empor in die herrliche Prachtlug,
Eilete vor, und sieh’, ihm nahten die theuren Erzeugten
Albrecht, Hartmann, und Adelheid: nur blieb in der Hofburg
Agnes, die holde, daheim, die leidende Mutter zu pflegen.
Alsbald scholl aufjubelnder Pauken Getön’, und Drometen
119Schmetterten laut in des wimmelnden Volks unendliches Jauchzen:
Denn, wie der Bienen unzähliger Schwarm in des kehrenden Frühlings
Milderem Hauch, fortzieht in die lieblichduftenden Fluren,
Gierig des Honigseims, und rings umsummet die Blüthen:
Also zog aus der Stadt, von dem nahen und fernen Gebieth her,
Zahllos, Jung und Alt, im Schmucke der festlichen Kleider,
Und erfüllte die hohen Gerüst’, augblendenden Schimmers.
Mitten im dichten Gedräng’ erglänzten, vor allen, die Edeln,
Die im glühenden Muth vortummelten feurige Rosse:
Herrlich geschmückt der Reiter zugleich, und das wiehernde Schlachtroß.
Doch wer könnte die Zahl, und den Ruhm der Tapferen künden?
Otto von Meißau kam: Feldoberster war er des Kaisers,
Reich in dem Land umher an Gütern und Mannen, und reicher
Noch an errungenem Ruhm’ im dräuenden Felde der Waffen.
Blau, wie des Himmels Zelt, mit Gold umrändert, und seiden,
Floß ihm der Mantel am Rücken hinab von dem Harnisch, und blau war
Auch sein Wehrgehäng mit der seidenen Schärp’ und dem Helmbusch;
Also des Rosses Hauptzier, Zaum, und die schuppigen Decken
120Vorn an der Brust und den Seiten herum, von Eisen gefüget.
Aber das Einhorn wies sein Schild im goldenen Feldraum,
Wie es zum muthigen Kampf von dem schroffen Felsen sich aufbäumt.
Solchen trug ein Knapp ihm nach, und der andere folgt’ ihm,
Haltend die zween hochragenden Speer’ in der nervigen Rechten.
Pauk’ und Dromet’ erklang, da er jetzt vor den rühmlichen Schranken
Hemmte sein feuriges Roß, absaß, und in’s dunkele Zelt ging.
Bald nachfolgte dem Helden zuerst der kühne Capellen:
Oberster Führer auch er im Heere des Kaisers, und werth ihm
Ob der beständigen Treu’, und des nie zu erschütternden Muthes.
Meergrün hatt’ er zur Farbe gewählt, und verzieret mit Silber
Seine Rüstung zugleich, und des Rosses herrliches Reitzeug.
Aber den Schild, wo ein Wehrgehäng den silbernen Feldraum
Dreimal durchschlingt, und vom Helm sich des Adlers Fittig erhebet,
Trug ihm der Knappe nach, und ein anderer brachte die Waffen.
Freudig ersah ihn das Volk, und als er mit edelem Anstand
Sich vor dem Schrankenthor von dem schnaubenden Rosse herabschwang,
Rief erneueten Gruß der Klang der Drometen und Pauken.
121Nun kam Trautmansdorf, von acht selbst-eigenen Söhnen —
Angeeigneten sechs, umringt, vor die Schranken. Des Bruders
Ehrenreich, den einst ein wüthender Eber zerrissen,
Als er im Walde des Weidwerks pflog, verlassene Waisen
Waren die sechs, und er, ein liebender Vater den einen,
Wie den andern; doch sie lohnten ihm herrlich die Sorgfalt:
Wohlgesittet, fromm, und im blühendentfalteten Leben
Alle, voll Heldenmuths, nachfolgend dem edelsten Vater.
Nicht entbehrt’ er im Krieg, nicht daheim, nicht an heiliger Stätte
Selber ihres Gefolg’s, und lächelte, stolz in dem Herzen
Seines Glücks, das höher denn all’ sein Reichthum ihn dünkte,
Wenn ihm das Volk, erstaunt, nachsah, und den Segen ihm zurief.
Aber nicht lang’, da sinkt, wie, vom sausenden Hagel zerschmettert,
Halmfrucht draußen im Feld, die herrliche Schar in das Grab hin —
All’, erschlagen vom Feind, und einsam kehret der Vater
Heim in die Ahnen-Burg: ihn tröstet ihr rühmlicher Tod nur.
Doch jetzt naht’ er vor seinen, ihm gleich gerüsteten Söhnen:
Denn von Silber blank war Harnisch, und Helm, und der Helmbusch;
Also das Wehrgehäng, die Schärpe, der seidene Mantel,
Und der glänzende Schild, (den, goldengehörnet, ein Widder
122Zierete) weiß wie der Schnee, mit der Wehre des stattlichen Rosses.
Jubelnd im Paukenklang’, erschollen die eh’rnen Drometen.
Doch jetzt naht’ ein Paar der Edelgestein’ in dem Adel
Oestreichs: Lichten- und Dietrichstein. Aus der steyrischen Mark stammt
Jener (Ulrichs Sohn, des trefflichen Ritters und Sängers,
Der sein Leben der Frauen-Ehr’ und dem Degen verschrieben)2
Dieser aus Oesterreich, ein Sohn ruhmwürdiger Aeltern:
Er, stets düstern Gemüths, da jener des heiteren Vaters
Frohsinn geerbt; doch einte schon frühe der trautesten Freundschaft
Unauflösliches Band die Herzen der tapferen Ritter.
Hochroth zierte des Lichtenstein, und seines Gefährten
Waffengeschmeid Kornblumenblau. Im grünlichen Feldraum
Wies des Winzers Messer sein Schild, und im goldenen zeigte
Jener des Lichtenstein zwei schrägablaufende Balken.
Schmetternd klang die Dromet’, und die Pauken donnerten laut auf.
Sieh’ auch die beiden Demantberg’, auf welche sich Oestreich
Ruhig stützt: der Schwarzen- und Stahrenberg (in des Ruhmes
Ehernen Tafeln genannt, und hochgepriesen für immer)
123Sprengten eilig heran! In des Schildes goldenem Feldraum
Führete jener den Aar und das Hüfthorn; dieser im lichtblau’n
Einen geschnabelten Wolf, und kor sich zur Farbe der Ehren
Blaßgelb, silbergeschmückt, da jener mit goldenem Zierrath
Wählte das dunkele Kirschenroth, erfreulich zu schauen.
Mächtiger hob sich zur Luft der Pauk’ und Dromete Getön’ auf.
Kurd von Haselau, der achtzigjährige Ritter,
Naht’ im Fluge heran. Noch rüstig und Kampfes begierig,
Stieg er vom Roß, und ging, den ehrenden Sitz an der Prachtlug
Einzunehmen: erwählt zum Turnvogt heut von dem Kaiser.
Ihm nachfolgten zugleich der Seldenhofer, der Pfannberg,
Hardeg, Hohenberg, und der Wildon: treffliche Kämpen!
Jetzt anlangten im Ehrengeleit die böhmischen Ritter:
Lobkowitz, Czernin, Zierotin; dann Milota, Wallstein,
Dann auch Herbot von Füllenstein, der reußische Kampfheld,
Riesengestaltet, im Trotz allbeugender Stärke sich rühmend,
Den sich Ottgar jüngst zum Feldherrn kor, und als Herrscher
Einst in der steyrischen Mark dem Volk aufstellte zum Zwingherrn.
Sieh’, gar herrlich geschmückt erschienen die Ritter, als sollte
Oestreichs ad’ligen Glanz heut jener von Böhmen verdunkeln!
Tausende wandten den Blick nach den Fremdlingen, alle voll Sehnsucht:
Ottgarn dort zu schau’n, als Freund: er säumte zu kommen.
124Dreimal, und lauter stets erhob sich der donnernden Pauken
Und Drometen Getön, den nahenden Fremden zu Ehren.
Doch, vernehmend den jubelnden Schall, enteilten die Helden
Oestreichs hurtig dem Zelt’, und schwangen sich auf in den Sattel.
Meinhard, führend die Böhmen heran, verlangte vom Thorwart,
Da er den Degen erhob, Einlaß in die rühmlichen Schranken.
Alsbald wich der Riegel zurück, und in Reihen geordnet
(Jene zuerst, und drauf die Heldensöhne des Landes)
Ritten entlang die Turnbahn all’, in der nervigen Rechten
Hebend den Speer in die Luft, mit zögerndem Schritt nach der Prachtlug,
Wo der erhabene Kaiser saß, und der Kommenden harrte.
Als sie gegrüßt — er gedankt, da sprach der tapfere Meinhard:
„Mein durchlauchtigster Kaiser, und Herr! Des böhmischen Reiches
König entbiethet dir Gruß und Freundschaft zuvor, und erkläret:
Ihm selbst wehrt es ein böses Geschick des fröhlichen Turnspiels
Zeuge zu seyn; doch sendet er dir die tapfersten Ritter,
Hier den Ruhm des Vaterlands zu erhöhen als Sieger!“
„Wahrlich,“ so rief der Kaiser ihm zu, „nicht dacht’ ich: entrissen
Werde mir heut’ ein Glück, das ich ersehnt’ in dem Herzen
125Aber wohlan: werth seyen uns auch die tapferen Ritter,
Die uns der König gesandt! Der Kampf beginne. Turneivogt,
Handle dein Amt! Der Herold rufe, der Sitte geziemend.
Grieswart sey für heut der edle Wildonier, Berchtold,
Breuner, und Pottendorf, die Kämpfer zu schirmen vor Unbill,
Ordnungbedacht: ihr Wink sey heilig geachtet von allen.“
Sagt’ es, und setzte sich dann auf den schwellenden Pfühl. Da erhob sich
Haselau, der Greis, und ging nach der räumigen Halle,
Die sich unter der Lug aufwölbte, mit Purpur behangen,
Dort zu beginnen die Waffenschau. Die erlesenen Ritter
Legten sogleich den Speer und das Schwert, kampfgierigen Muths, hin.
Sorgsam prüfte der Greis die gebothenen: stumpf und gefahrlos
Sollten sie seyn — zum Scherz, nicht zum Ernst gebraucht in dem Turnkampf.
Zween der Grieswärt’ hoben den Helm von dem Haupt’, und empfiengen,
Schreitend umher links, rechts, ein bezeichnendes Los von den Rittern:
Jeglicher gab’s, mit dem Nahmen verseh’n. D’rauf schüttelten mehrmal
Jene die Zeichen umher in dem Helm’, und bothen (die Ordnung
Wechselnd) sie dar: der rechts, wo links der and’re gefordert,
Also wählte sich dort ein jeglicher Kämpe den Gegner.
126Jetzt erhob der Herold den Stab, und Tausende schwiegen;
Zog ein Blatt aus dem Busen heraus, das, rauschendentfaltet,
Glänzte von goldener Schrift, und las mit gewaltiger Stimme,
Allen verständlich, vor: „Wie der mächtigste Kaiser, Rudolphus,
Jüngst auf den heiligen Rochus Tag, des Jahrs der Erlösung:
Tausend zweihundert und siebenzig-acht, der heute gezählt wird,
Alle die Edeln, von Nah’ und von Fern, zu turneien am Tabor
Aufboth, die nach dem Recht’ und nach Rittersitte gemeint sind.
Weiche darum von hier, der bar ist der ad’ligen Ahnen-
Reih’ erhärtender Zahl, und der unehlich geboren;
Der in den Kirchenbann, in die Acht des Kaisers und Reiches
Fiel ob schändlicher That, ob Mord und Gottesverläugnung;
Der die Wittwen und Waisen bedrückt’, und das zarte Geschlecht nicht
Schirmt’ in Gefahr, nicht rächt’, als Mann, g’en schnöde Verläumdung;
Der Meineides und Trugs, und unedlen Gewerbs sich bewußt ist,
So er dem Schild und dem Schwerte zur Schmach, einst Handel getrieben:
Ferne mögen sie stehen, sie all’, und ermangeln des Vorzugs,
Der nur Edeln gebührt, in des Turnkampfs rühmlichem Feld hier!“
Rief’s; dann faltet’ er wieder das Blatt, und barg’s in dem Busen.
127Jetzt aufpflanzten, voll Hast, die hurtigen Knappen die Fähnlein
Ihrer Ritter so hier, als drüben, die Schranken hinunter,
Und die Grieswärt’ theilten sich links und rechts an der Bahn hin,
Tragend den Stab in der Hand, zum Zeichen des heiligen Gastrechts.
Doch nun kehrten zugleich, im zögernden Schritte, die Kämpen
Wieder zurück, vor dem Schrankenthor sich fertig zu stellen.
Als der Kaiser die Kehrenden sah — dann vor sich das Volk dort,
Dann im Rücken die Bänke gedrängt voll grauender Ritter,
Edeler Herrn, und Frau’n, und zartaufblühender Fräulein:
Ach, da füllten sich fast ihm die Augen mit Thränen! Er wandte
Halb nach den Kindern sich um, und sprach mit inniger Rührung:
„Welch unzähliges Volk: nur die Ein’ ersehen wir hier nicht —
Euere Mutter ist fern, und Agnes, als Pflegerinn wechselnd
Heute mit euch! Auch wir entbehreten freudig des Schauspiels —
Weilten so gerne daheim bei der Leidenden; aber die Pflicht ruft
Ehernen Lauts, und heißt all’ and’re im Herzen verstummen.
Weh’, daß ich auch die Kunringe hier vermiß’, und der Helden
Einige, die verlockt auf trugverhülleten Pfaden
Sich zu den Feinden gesellt, und im Schooße der eigenen Mutter,
Jenen gleich mit der grimmigen Faust zu wühlen bereit steh’n;
128Aber vielleicht gelingt es mir noch die Verirrten zu sammeln!“
Jene schwiegen, und hielten die Hand vor die thränenden Augen:
Ob der Mutter betrübt; doch Hartmann vor allen: ein Liebling
War der Trauernde stets der holden Mutter gewesen.
Sieh’, nun schwebt’ auf dem Wettergewölk des umnachteten Himmels
Marbod daher! Er sah Drahomira vorüber im Eilflug
Ziehen, und folgen der Spur des schwarzgerüsteten Ritters,
Der mit geschlossenem Helm’ aus dem böhmischen Lager herüber
Spornte den Rappen im Donnergalopp’, an die Schranken der Turnbahn.
Nicht wie den Sterblichen war dem Geiste der Ritter verhüllet:
D’rum erbangt’ ihm die Brust vor Angst ob seinem Erwählten,
Rudolph, dem er sich liebend geweiht: denn siegenden Hohn sah
Er in dem Blick Dahomira’s, und kam, ihm rettend zu nahen,
Wenn sie, höllischen Trugs, Gefahr ihm sann, und Verderben.
Immer schneller verschlang des Tages Heit’re der Wolken
Finstere Nacht. An dem Himmel herauf, und hinunter zum Erdrand
Zuckte der röthliche Blitz, und von fern her murrte der Donner:
Kommend auf Flügeln des Sturms, vom dräuenden Süden herüber.
129Jetzt erscholl drometender Ruf, dreimaligen Stillstands,
Tief, eintönig, gedehnt: des Kampfs ersehnetes Zeichen.
Alsbald braus’te der Riegel zurück: in die rühmlichen Schranken
Ritt, gemessenen Schritts, hellstrahlend von Purpur und Goldschmuck,
Lobkowitz ein; den Schild ihm ziert’ ein fliegender Adler.
Ganz durchmaß er die Bahn bis vor in die Nähe der Prachtlug;
Wandte das Roß, und harrete dort des würdigen Gegners,
Den das Los ihm beschied, und sieh’, ihm nahte Capellen,
Muthigen Blicks! Da rief ihm Lobkowitz freundlich entgegen:
„Nun geschlossen den Helm, und fest in dem Sattel gesessen!
Schon viel Rühmens hört’ ich von euch, Capellen! So laßt uns
Heut’ erseh’n: ob mir, ob euch die Krone bestimmt sey,
Welche zum Dank uns beut die Erzeugte des edelsten Kaisers,
Adelheid, voll Engelshuld und himmlischer Schönheit.“
„Wohl,“ entgegnete jener mit Trotz, „das laßt uns erproben,
Lobkowitz! Rasch seyd ihr, böheimische Kämpen, und dennoch
Sollt ihr Oestreichs Söhnen den Kranz nicht rauben im Turnkampf.“
Aber sie schlossen den Helm, und setzten sich fest in dem Sattel.
D’rauf, mit gewaltiger Faust vorsenkend den Speer aus des Bügels
Röhr’, und den ehernen Schild vorhaltend dem Feinde zur Abwehr,
Spornten beide das Roß, das, weitvorgreifenden Sprunges,
Schnell, wie der Blitz, auf dem Plan mit tönendem Hufe dahinflog,
130Bis inmitten der Bahn, urplötzlich, ein jeder der Gegner
Traf des anderen Schild mit des Speers abprallendem Eisen
So, daß der mächtige Schaft, in tausende Splitter zertrümmert,
Hoch empor in die Luft und umher auf dem zischenden Sand flog,
Und die Rosse, zurück’ auf die Hinterfüße gesunken,
Noch dem gewaltigen Stoß’ erzitterten, schreckenerfüllet.
Lautaufjauchzte den Kämpen das Volk; unzählige Stimmen
Zollten im tausendfältigen Ruf den Trefflichen Beifall.
Jetzt gedachten sie schon, aus dem Sattel sich schwingend, zu zeigen
Auch in dem zweiten Gang mit dem blinkenden Schwert die Gewandtheit,
Schnelle, und Kraft; doch laut rief dort der herrschende Turnvogt:
„Helden, es ist euch Siegesruhm die Fülle geworden!
Ruht von dem Scheinkampf jetzt! Vielleicht, so Gott es nicht wendet,
Werdet ihr bald zum Ernst, nicht zum Scherz, in schrecklicher Feldschlacht
Richten das blitzende Schwert auf die Brust anstürmender Gegner!
Ihr brach’t zierlich den Speer: aus der Hand der holden Erzeugten
Rudolphs, wird euch herrlicher Lohn noch heut’ in dem Turn-Dank!“
Jene kehrten zurück, in dem hohen Gezelte zu ruhen.
131Stille wurd’ es umher, und es faßt’ ein heimlicher Schauder
Manchem die Brust bei’m ernsteren Wort des prophetischen Greises.
Doch nun braust’ im Sturm der schwarzgerüstete Ritter
Näher, und riß den Rappen zurück’ an dem leitenden Zügel,
Sonst durchbrach er im Sprung die hemmenden Schranken. Er nagte,
Wüthenden Grimms, am Gebiß’, und schnob, und streute den Schneeschaum
Hin auf den Sand, den er mit den scharrenden Hufen umherwarf.
Edelem Stamm’ entsprossen schien der gewaltige Reiter;
Aber noch barg der geschlossene Helm ihn den Augen des Volkes.
Stolz erhob er die Hand, und hieß mit stummen Geberden
Milota nah’n. D’rauf zog er ein Blatt aus den Fugen des Panzers,
Reicht’ es ihm dar, und wies nach des Turnvogts herrschendem Sitz hin.
Milota lächelte Hohn, da er, spornend sein Roß, an den Schranken
Hinflog, und darreichte das Blatt dem staunenden Alten.
Dieser entfaltet’ es schnell, und las mit vernehmlicher Stimme:
„Euch entbiethet zuvor, ihr edelen Herren und Ritter,
Ihren freundlichen Gruß Kunegunde, des böhmischen Reiches
Königinn! Dann verlangt sie, daß ihr den Ritter in Trauer
132Nicht verschmäht, der glänzenden Stamms sich rühmt, und im Turnkampf
Heute, vor euch, ihr herrlichen Ruhm zu ersiegen, bereit ist.
Aber ihm werde nach Wunsch der letzte der Kämpfe gewähret!“
Stumm verneigte der Greis sein Haupt, und Milota kehrte
Wieder zurück. Da lispelte leis’ in die Ohren des Nachbars
Ein Barfüßermönch, der jüngst aus Böhmen gekommen,
Und auf dem volkerfüllten Gerüst schaulustig sich einfand:
„Seh’ ich den Ritter dort, gehüllt in die finstere Rüstung,
Will es mich fast bedünken: er sey der Königinn Liebling,
Zawiß von Rosenberg,3 der weitgepriesener Anmuth,
Blühender Jugendkraft, und tapferen Muthes, ihr Herz schon
Völlig gewann, das leis’ in heimlichen Flammen sich abzehrt.
Also rächt sich die Schuld! Ein Gleiches mit Gleichem vergolten
Wird dem Könige, der Margarethen verstieß, und den Unhold
Sich beilegte zum Weib: Kunegund’ ersehnt sich den Buhlen.“
Also das Mönchlein sprach. Doch feuriger stets, und entflammter,
Zuckten die Blitz’ umher im Gewölk’, und auf ehernen Rädern
Sank stets tiefer herab des Donners rollender Wagen
So, daß die Menge mit Angst aufsah, und, des strömenden Regens
Denkend, nur an dem Leinendach des Gerüstes noch Trost fand.
Wieder erscholl gar feierlich ernst die Dromete. Zum Turnkampf
Rief sie ein Heldenpaar: da flog der muthige Wallstein,
133Herrlich glänzend von Gold auf dem perlen-farbigen Sammttuch,
Ueber die Pläne hinab, und wandte sich, harrend des Gegners.
Sieh’, ihm fiel das Los, mit dem Stahrenberg in den Schranken
Heute zum erstenmal, sich zu messen: zum Ritter geschlagen
Jüngst durch Ottgar selbst, der ihn vor jeglichem liebte!
Jugendlich hüpfte das Blut in den Adern des feurigen Helden
Noch. Er lechzte nach Ruhm; doch wüthete jetzt in der Brust ihm
Furchtbare Liebesgluth, seit er vernommen, daß Hedwig —
Sie, die Zierde der Welt, für welch’ er thöricht entbrannt war,
Reichen sollte die Hand zum eh’lichen Bund dem Erzeugten
Rudolphs, Hartmann, und ach, Verzweiflung faßt’ ihn erneut an!
Ungeheueres sann er empört im Gemüth, und nicht wußt’ er
Wie er’s vollbringe dereinst. Da sprach ihm jetzt Drahomira,
Die, nur auf Arges bedacht, auflauerte, leis’ an das Ohr so:
„Denke des Muths: vielleicht gelingt es dir heut, den Verhaßten
Dort mit höhnendem Blick zu reizen, und Rache zu üben!“
Alsbald wandt’ er das Haupt, und sah mit höhnenden Blicken,
Lang’ nach dem tapferen Hartmann hin, als hätt’ er gefrevelt.
Zorngluth schoß in das bleiche Gesicht des Edeln: er hob sich
Hastig vom Sitz, ihn laut zur Rede zu stellen, entschlossen.
Doch schon nahete Stahrenberg, im feurigen Vorschritt
Zügelnd das Roß, und rief dem Gegner, lächelnd, entgegen:
134„Erst so beweglich, und nun säumst du den Kampf zu beginnen?“
„Nein, ich säume nicht!“ sprach alsbald der Zürnende, wähnend:
Jener zeihe der Feigheit ihn. Er ahnte nicht, wer ihm
Also empörte die Brust durch dunkle Gebilde der Rachgier.
Trotzig schloß er den Helm; ließ sinken den Speer in der Rechten;
Gab dem Rosse den Sporn, und flog dem Ritter entgegen,
Der nicht müßig geharrt: denn sieh’, jetzt trafen die beiden
Sich inmitten des Plans, an dem Schilde die Speere zu brechen,
Wie es der Turnbahn Sitte geboth, und trefflich erzielte
Stahrenberg den Gewinn: sein Speer zerbrach an dem Turnschild
Wallsteins, den ein glänzender Stern erhellete, krachend;
Schlug auch den Stern entzwei, und zerstob in unzählige Trümmer!
Aber nicht so sein Gegenpart. Von stachelnder Rachgier
Glühend, nahm er das Abseh’n hoch nach dem Helm’, und er stieß ihm
Solchen vom Haupt mit festnachstürmender Rechten, daß alsbald
Ihm an dem Kinn der Riemen zerriß, und im Sande der Helm hin
Kollerte. Zornerfüllt gewahrten die älteren Ritter
Wallsteins Frevelthat, und murreten. Aber dem Turnvogt
Schien gleichmäßig des Kampfes Gewinn: weil jener den Schild ihm,
135Schmetternd, zerbrach, und dieser den Helm von dem Haupt ihm gehoben.
Stille herrscht’ umher; kein Beifall krönte die Kämpen.
Stahrenberg ritt eilig zurück; doch zögerte Wallstein
Noch auf dem Plan, und sah von neuem mit höhnendem Ingrimm
Nach der Lug empor, wo Hartmann im glänzenden Harnisch,
Lieben Geschwistern vereint, sich fand an der Seite des Kaisers.
Ihn verhöhnet’ er frech, und begann mit stachelnden Worten:
„Kühlere Lüftchen umweh’n dich dort; hier fühlt es sich heißer:
Komm, und versuch’s! Der Jugend Kraft zu erproben, ist rühmlich.“
Stöhnend vor edelem Zorn erhob sich der Jüngling, und forschte
Einen Augenblick in dem Antlitz des herrschenden Vaters.
Aber er saß in erschütternder Hoheit dort in der Mitte
Seiner Erwählten, und sah, verstummend, hinab auf den Ritter.
Jenem genug: er sprang die Stufen herunter, und warf sich
Schnell auf das wiehernde Roß, das draußen der Knappe gehalten;
Faßte, zitternd vor Hast, den Speer, und flog auf die Turnbahn.
Doch schon hatte zuvor von dem trugverblendeten Wallstein
Sich Drahomira gewendet, und hing mit flammenden Blicken
Ueber Ottgars Haupt. Er war’s, der heute des Nachtgrau’ns
136Farbe zur Rüstung sich wählt’, als jene, voll höllischer Arglist,
Ihn zu dem Kampf hertrieb: nur Jammer zu schaffen, entschlossen.
Wie auf dem trüglichen Netz die giftige Spinne dahinfährt,
Wo die Beute sich fing, und diese mit klebrigen Fäden
Dicht umstrickt, daß kein’ Errettung mehr von dem Tod ist:
Also ließ sie nicht ab von dem unglückseligen Herrscher,
Deß’, sonst edele, Heldenbrust in wilder Empörung
Schrecklicher Ehrsucht gohr, und allein nach Rache sich sehnte.
Siehe, wie zween geschweifte Kometen am nächtlichen Himmel
Glüh’n, und in blutiger Kriegeszeit den zagenden Völkern
Dräu’n Pest, Hungersnoth, und Theurung: also erglühten
Jetzt Drahomira’s zur Wuth empörete Blicke; sie hauchte
Ottgars horchendem Ohr den seelenverderbenden Rath ein:
„Pfeilschnell naht, und entfliehet das Glück: d’rum hasch’ es im Flug jetzt,
Eh’ es auf immer entweicht, und nicht wiederkehret dem Trägen:
Tritt mit Hartmann du in den Kampf; dir weiche dein Liebling
Wallstein. Thöricht vergaß der waffenbeschauende Turnvogt
Deine zu prüfen: du führst verderbliche. Schleudre den Jüngling
Erst in den Staub; dann wende dich, nah’ ist der Kaiser, durchbohr’ ihm
Kühn die verräth’rische Brust, und entflieh’. Dein schreckliches Reitroß
137Trägt dich schnell aus umdrängender Noth: denn höllische Macht tobt
Ihm in den Adern. Auf, und räche dich jetzt an dem Gegner.“
Wild aufbäumte sich Ottgars Rapp’, als jene gesprochen;
Scharrt’ in dem Sand, und schnob, und drehte sich, wüthend, im Halbkreis’:
Denn sie erregte das Thier durch Gaukelgebilde der Hölle.
Heimlicher Schauder ergriff das Volk und die edelen Ritter.
Ottgars Aug’ umdüsterte Nacht: gleich Meeresorkanen,
Wühlten in seiner Brust die Empfindungen streitender Rachgier,
Ehre, und Pflicht. Doch jetzt besann er sich; sprengte den Rappen
Ueber die Schranken, und rief dem kampfbeginnenden Helden
Laut, im Brausen des nahenden Sturms und Donnergewitters:
„Wallstein, halt! Zieh’ hin zu dem Schrankenthor’, und vergönne
Mir in des Kampfs Entscheidung den Sieg. Kunegunde geboth mir
Sie zu rächen, und dich an dem schmähungliebenden Buben
Deß’, der Kaiser sich nennt des heiligen, römischen Reiches.“
Wallstein eilte zurück; doch Hartmann rief ihm entgegen:
„Ha, du lügst! Nie hat mein Mund Kunegunden, noch jenen,
Der so frech sich erweis’t, so unritterlich handelt, geschmähet,
Weder heimlich, noch offenbar: das sollst du mir büßen.“
Rief’s, und senkte den Speer, nicht erwägend, daß solchen der Knappe,
138Nicht zum Kampf auf Leben und Tod — nur zum rühmlichen Scheinkampf
Ihm darreichte zuvor, in drängender Hast und Verwirrung.
Zwar erhob den Stab und die herrschende Stimme der Turnvogt;
Zwar abmahnten vom Streit die Grieswart’ dieß und auch jenseits;
Aber sie achteten’s nicht. Von dem lautaufheulenden Sturmwind
Ward verschlungen ihr Ruf, und die rachebefeuerten Gegner
Bringt zur Ruhe kein Stab jetzt mehr, noch zu klarer Besinnung.
Aber schon war, voll sorglicher Hast, dem erhabenen Kaiser
Marbod genaht. Nicht entging dem liebenden Geist Drahomira’s
Unheilschwangerer Blick, die, beiden: dem Kaiser und Böhmens
Könige, Tod und Verderben sann, und in wilder Verwirrung
Leichen auf Leichen gehäuft, der Hölle zur frevelnden Lust, sah.
Jetzt umfaßt’ er ihn heiß, und rief im Geistergelispel:
„Auf, und ziehe dein blinkendes Schwert, zur Wehre dich stellend!
Dir droht Mord und Verrath, und deinem Sohne Verderben
Von dem Fremdlinge. Horch, und verschmähe des Warnenden Rath nicht!“
Alsbald hob, von dem Geist erregt, der gewaltige Herrscher
Von dem Stuhle sich auf; entblößte das Eisen, und eilte
Schnell die Treppe herab auf die Plane, den theuern Erzeugten
139Gegen die Wuth des rascheindringenden Gegners zu schirmen,
Der so frech verhöhnte den Ruf des heiligen Gastrechts.
Jetzo sporneten, laut mit Geschrei, die erbitterten Helden
Gegen einander die Ross’ auf dem Plan; doch, brausenden Fluges,
Trieb in dem Augenblick das entsetzliche Donnergewitter
Näher, und stäubte den Sand in wirbelnden Säulen vom Grund auf.
Blitz auf Blitz, und Schlag auf Schlag urplötzlichen Donners
Flammt’, und krachte herab aus dem finsteren Schooße der Wolken,
Die, gewitterschwer, tiefhangend, zum Boden gesunken,
Jetzo des Mittags Hell’ in Nacht verwandelten ringsum.
Angst ergriff das versammelte Volk. Dem Schreckensgedanken
Bebte das Herz, als sey der Tag’ allletzter gekommen.
Wie, und dennoch ruhten die zween erbitterten Gegner
Von dem Kampfe noch nicht? Sie sprengten die Läufer im Flug fort.
Jetzo, wo Ottgars Speer mit tödlicher Spitze dem Turnschild,
Harnisch, und Herzen zugleich des harmloskämpfenden Hartmann
Nahete, fuhr ein Blitz, an der Breite dem stürzenden Waldstrom
Aehnlich, zwischen die beiden herab, und entsetzlicher Donner
Rollte, betäubenden Schlags, erschütternd ringsum die Gegend,
Plötzlich ihm nach; doch Marbod sprang urschnell in den Blitz hin.
140Sein entrüsteter Blick entflammte sich hell, und er schreckte
Hartmanns wildanstürmendes Roß vor dem Rosse des Gegners.
Bäumend hob es sich auf: da drang ihm der Speer so gewaltig
Ein in die Brust, daß der Schaft, erkrachend, sich bog, und entzwei brach.
Stöhnend sank das Roß auf den Rücken. Der Reiter entzog ihm
Schnell das Bein, und stand, ergriffen von inniger Wehmuth:
Schauend sein treues Thier, das jetzt mit den vorderen Hufen,
Jetzt mit den hinteren scharrt’ in dem Sand — dann todt, und erstarrt lag.
Ottgar saß, geblendet vom Blitz’, und schnaubend vor Ingrimm
Ob des gebrochenen Speers. Er hörte den schrecklichen Donner,
Hörte die lärmenden Ritter nicht mehr, die, empört von dem Frevel,
Naheten; doch er sann im schnellhinschwindenden Zeitraum
Eines Augenblicks. Drahomira empörte zur Wuth ihn,
Als der Kaiser zur Rettung des Sohns in Eile dahersprang;
Aber umsonst: denn stolz- und tapfergesinnet war Ottgar;
Feig ihm dünkte der Mord. Er riß von der Rechten den Handschuh,
Warf ihn entgegen dem Feind’, entblößte das Eisen, und rief ihm:
„Rudolph, heb’ ihn nur auf: denn es biethet auf Tod und auf Leben
Ottgar, zitt’re vor ihm, dir Fehde für jetzt, und für immer!
141Nichts von Frieden darum, und nichts von der Kinder Verlobung:
Rach’ allein ist die Losung hinfort: das soll ich dir kund thun!“
Rief’s, und gab dem Rosse den Sporn. Die Schranken hinüber
Trug es ihn fort im Sprung; dann, sausend, im Donnergaloppe
Weiter und weiter hinaus auf der staubenden Straße nach Stillfried,
Und ihm sprengte sein Ehrengefolg’ im eiligen Flug nach.
Aber in wilder Verwirrung schrie’n, und entstürzten die ander’n
Rings den Sitzen, und floh’n durch Sturm und Gewitter voll Angst heim.
142Fünfter Gesang.
Schüttelnd die triefenden Schwingen, erhob nach unendlichem Regen
Sich der Abendwind, und warf von dem rauschenden Hochwald
Und dem ersäuselnden Hain’ gewichtige Tropfen zum Boden.
Trauernd senkten den lastenden Kelch in dem Felde die Blumen
Noch, und das blinkende Gras bewegte sich langsam und schwer nur.
Kein Gesang der Vögel erscholl; nur fern in dem Sumpfrohr
Quackte der Frosch, und die finstere Luft durchkrächzten die Raben:
Denn noch deckte Gewölk des Himmels Bogen; der Donner
Rollte noch fort, und der leuchtende Blitzstrahl fuhr noch im Süden
Flatternd umher: als droht’ er entsetzlicher wiederzukehren.
Da gelangte, von Wuth und gährender Rache getrieben,
Ottgar heim vor das Lagerzelt, und schwang sich vom Sattel
Hastig herab. Ihm kam der Kunring, Leutold, entgegen,
143Der mit Schmerzen daheim sein harrete. Jetzo begann er:
„Wahrlich, du kommst ersehnt, und glühender noch, als am Abend
Unsers mit Blut gefertigten Bund’s: an dem Kaiser — an Rudolph,
Rache zu üben — an ihm, der nach den geheiligten Rechten
Altehrwürdiger Ritterzeit im empörenden Hochmuth
Greift mit gewaffneter Hand; der Deutschlands Edeln der Knechtschaft
Fesseln beut, da er schon gar viele der Vesten zu Boden
Schmettert’, und allen ein Gleiches droht: daß nimmer die Freien
Uebten ihr Recht an dem Volk, dem niedriggebornen, nach Willkühr.
Nicht so wurden wir einst lehnpflichtig dem König. Der Leh’nsherr
Rang um sein Eigen im Feld; sein ist’s, was dort ihm zu Theil ward —
König auch er: ihm huldigt zur Frohne der Hold und der Sasse.
Wie, mir würd’ es verwehrt zu erbauen die Burg auf dem Felsen,
Der aus dunkelem Wald’ aufragt, und zum schwindelnden Abgrund,
Senkrecht bis zu dem Wildbach hin die Wände hinabsenkt,
Unnahbar dem Feind? Nicht sollt’ ich dort von den Zinnen,
Oder des Wartthurms Höh’n mit herrschendem Blick in des Abends
144Goldenem Schein’ erforschen die Gau’n: ob, lauernd, der Gegner
Nahe den Thalweg her? Nicht sein, des ohnmächtigen, spotten,
Der, mit blutigen Köpfen zurück von der Veste gewiesen,
Schamroth flieht? Nicht von ihr zum Kampf mit den Reisigen auszieh’n,
Kennend der Mauern Gefüg’, und in selben geschirmt nach dem Heimzug?
Rechte nur immerhin der Unfreie mit mir, daß ich, Freier,
Niederwerfe nach Lust auf der Straße den wandernden Kaufmann,
Der, ein Bürger der Stadt, dem Juden zugleich und dem Wechsler
Treuverbündet, mein Volk betriegt, deß’ Habe doch mein ist?
Nur in der Ritterburg, der Wieg’ erhebender Thatkraft,
Heldensinnes, und Muths wohnt auch das häusliche Glück noch.
Wenn ich schaue die Hausfrau dort, wie sie schaltet mit Sanftmuth
Ueber das rohe Gesind’, und die züchtigen Töchter, den Rosen
Gleich aufblühend, erwerben die Huld und die Würde der Mutter;
Wenn ich vom Fenster hinab an des Hofraums rasigem Abhang
Ringen sehe den Sohn mit den Knappen: wie diesem den Bart er,
Lachend, zerrauft, und den anderen schlägt mit den winzigen Fäustchen,
145So vorübend die Kraft auf die herrlichsten Jahre des Lebens:
Nicht für die goldene Kron’ eintauscht’ ich die goldene Freiheit.
Sieh’, auch der Sänger spricht dort ein, und läßt in dem Hofraum,
Nachtumhüllt, gar mild ertönen die lieblichen Saiten,
Eh’ er beginnet sein Lied; doch sitzen wir bald in des Saales
Schimmerndem Licht um ihn her, und horchen den zaub’rischen Tönen
Von der Minne Leiden und Glück; von den Wundergeschichten
Grauender Heldenzeit, und den Thaten gewaltiger Ahnen
So, daß in wonniger Lust, wie im Flug’, uns die Stunden entschwinden!
Ha, und dessen gedenkt der Habsburg uns zu berauben?
Künftig sollen wir feig, erschlafft, und völlig verweichlicht,
Wohnen in dumpfiger Stadt, und der Ritterehre vergessend,
Höflingen gleich, uns bücken vor ihm? Doch, König, verzeihe,
Wenn vor dir nicht Gefälliges spricht ein wackerer Deutscher!
Wie habt ihr turneit? Ward Habsburgs Löwe gebändigt?
Hast du Rache geübt? — denn Schreckliches kündet dein Aug’ an.“
Sagt’ es, erstaunt; doch Ottgar sah mit den flammenden Augen
Ihn noch schrecklicher an, und rief: „Ja, Rache geübet
Offen vor allem Volk! Wohl sagt’ ein höllischer Geist mir
Heimlich in’s Ohr: „Durchbohr’ ihn!“ doch mich dünkt’ es zu niedrig:
Morden! Ein Leichtes war’s, auf dem Plan das blinkende Schwert ihm
146In die verräth’rische Brust — er zitterte! heute zu tauchen;
Doch nur in offener Schlacht, das Aug’ auf das Auge geheftet,
Soll er mir steh’n, und, fallend, im Staub’ aushauchen das Leben.“
Vor, aus seinem Gefolg trat Milota jetzt, und begann so:
„König, verzeih’: er zitterte nicht! Dich täuschte der Rachgier
Seelenverwirrende Gluth. Wohl staunt’ ich, als er so muthvoll
Dir entgegen trat auf dem Plan: du sporntest den Rappen
Weise davon. Gut war’s: nicht wehrlos falle der Gegner,
Tapferen Herzens, dem tapferen Mann; das hast du erwogen:
Selber beut sich ja oft nur klügeren Seelen das Glück an.“
Sprach so, kaum bekämpfend die Wuth, die ihm heimlich des Herzens
Tiefen zerriß, und er lächelte nur. Doch jener zernagte,
Schweigend, die Lippen vor Zorn: denn Spott verriethen die Augen
Milota’s. Jetzt entblößt’ er das Schwert, und flehte zum Himmel:
„Ewiger, der du schirmst das Recht, und bestrafest das Unrecht;
Auch in der Vorzeit oft in die Hände der Führer des Volkes
Gabst dein Rächerschwert, zu vertilgen Israels Gegner,
Höre mein Fleh’n, und laß’ mich jetzt vergelten im Vollmaß
Dem, der, frevelnd an mir, verletzte die Treu’ und die Wahrheit,
Mich beschimpfend vor allem Volk, da er laut es gebilligt:
147Heimlich im Zelt sollt’ ich ihm huldigen — schändlicher Trug war’s!
Mich verachtet das Volk seitdem, und die jammernde Mutter
Meiner Erzeugten weis’t die unschuldigen Opfer des Truges
Mir, im verzweifelnden Schmerz. O, gib mir den Sieg in dem Kampf jetzt!“
„Ihr,“ so rief er den Feldherrn laut, „erhebet die Banner
Eurer geordneten Schar! Wir ziehen noch heute nach Thalsbrunn:
Dort von dem Weidenbach g’en Wien zu dringen, entschlossen.“
Jene gehorchten sogleich, und gebothen dem Heere den Aufbruch.
All’ die geordneten Reihen hinab ertönte das Rufen
Tausender: „Auf! In den Kampf! Wir geh’n den Feinden entgegen.“
Trommeln rasselten dumpf, und das Schmettern eh’rner Drometen
Scholl aus dem Waffen-Geklirr mit dem Wiehern unbändiger Rosse.
Bald schwand rings die wandernde Stadt der Gezelt’ aus den Fluren,
Und die unendliche Wagenburg nachfolgte der Heer’smacht
Langsamen Schritts, von dem Lastvieh fort auf der Straße gezogen.
Siehe, in drei Heersäulen ging des gewaltigen Königs
Furchtbare Macht jetzt vor! Er hemmte sein Roß an dem Heerweg;
148Sah die Tausende zieh’n, und heischte von Diesem und Jenem,
Schnelleren Gang mit erhobener, oft schrittweisender Rechten.
Lobkowitz führt’ in dem Vorderzug die böhmischen Reiter;
Mährens Volk, das muthig zu Fuß anstürmt in der Feldschlacht,
Milota, der in der Mitt’ einher vor den Reussen, den Meißnern,
Und den Thüringern zog. Doch Czernin lenkt’ in dem Nachzug
Sachsens reisiges Volk, dem rasch die Mannen der Kunring’,
Und die Bayern zugleich voreileten, fröhlichen Muthes.
Als das geordnete Heer aufbrach, da schloß mit Gefolg auch
Ottgar sich, hinbrütend, ihm an. Der tapfere Wallstein
Ritt ihm zur Seit’ — auch er versunken in düstere Schwermuth:
Denn nicht brachte der Tag ihm Gewinn; nicht die schönere Hoffnung
Blüht’ ihm darum, weil er sie dem Gegner entriß auf der Turnbahn.
Ach, sie stand ihm zu hoch, des Königs Erzeugte! Nicht wagt’ er,
Ihm zu eröffnen das Herz, obgleich er liebend an ihm hing.
Jetzo schwand das hüg’lige Matz zur Rechten, und Angerns
Weidenreiches Gefild zur Linken dem Heere vorüber.
Ottgars Blick hing starr an der March, die rauschend hinunter,
G’en Marcheck und Kressenbrunn die dunkelen Fluthen
Wälzte. Der herrlichen Zeit errungenen Ruhmes gedacht’ er
149Jetzo mit pochender Brust, und sprach zu dem sinnenden Jüngling:
„Eilt nicht der Strom, wie die Zeit, in ewigwechselndem Lauf fort?
Bald erglänzt er im sonnigen Licht, bald wogt er im Sturmhauch,
Trübaufschäumend, umher: sein voriger Reiz ist entschwunden.
Siehe, wie düster die March jetzt fließt, und wie herrlich erschien sie
Dort an dem Tage von Kressenbrunn,1 wo im Siegesgefild mir
Ungerns Macht erlag, die Bela, der tapfere König,
Zahllos, wie der Heuschrecken Heer’, uns entgegengeführt hat!
Jenem Siegestag zur Erinnerung gründet’ ich dankbar
Dann Marcheck, die blühende Stadt, am Gestade des Flusses.
Ha, dort scholl mir die Stimme des Glücks in dem Sieges-Gefild noch,
Und ich folgt’ ihr beherzt! Vielleicht erschallt sie mir nimmer.
So ist des Menschen Geschick, des sterblichen, hier auf des Lebens
Pilgerpfad’ empor zu schießen, voll üppigen Wuchses;
Doch gestellt ist das Maß, und er schrumpft dann wieder zusammen,
Wie die thürmend’ Eich’, die ihr Haupt in die Lüfte gehoben,
Nun zu Moder zerfällt: die, ach, Jahrhunderten trotzte,
Liegt in dem Staub! So schreiten auch Reich’ und gewaltige Völker
Plötzlich wieder zurück von den kaum errungenen Höhen,
150Und mir ahnet es fast, ich hab’ sie errungen: zum Abend
Neigt sich mein Strahlengestirn, und bald versinkt es in Nachtgrau’n.“
„Das sey ferne,“ so rief den schwärmerischtrüben Gedanken
Sich entreißend mit Macht, der feurige Jüngling, „das Dunkel
Kennt dein Glücksgestirn nicht mehr: erst jetzo beginne
Solches den schöneren Lauf zu des Ruhms hellleuchtender Sonne!
Fällt der Kaiser besiegt, und das soll er! dann ist die Welt dir
Unterthan. Wie dort nach dem herrlichen Sieg’ im Triumphzug
Du hinführtest dein Volk an Italiens Gränze:2 so winkt jetzt,
Ueber sie hin dein Siegespfad. Weltherrschend, eröffnet
Roma dir die Thor’, und erblickt die Krone der Kaiser
Schimmernd auf deinem Haupt, die Carol der Große getragen.
Stark bist du, und noch stärker, so dir ein tapferer Eidam —
Doch nicht aus Rudolphs Stamm, den du geziemend verschmähtest,
Sich in dem Schlachtfeld eint, als Gatte der himmlischen Hedwig!“
Ottgar schwieg, und das Heer zog weiter in täuschender Stille,
Wie er gebothen zuvor. Doch sieh’, aus den nächtlichen Wolken
Senkte sich Arpad3 jetzt in Eile herunter! Ein Vater
Ward er genannt dem Magyaren-Volk’, und aus seinem Geschlecht her
151Sproßte der Segenszweig: der erste, der heilige König
Ungerns, der, sein Volk auf des Heilands Pfade geleitend,
Ihm der Menschlichkeit beglückende Recht’, und der Sitten
Mildere Form kund gab, auch Gesetz’ ihm schenkte zur Wohlfahrt.
Arpad, schauend den Kun, im Rohrgefilde verborgen,
Sann alsbald nur Thaten des Muths, und er nahete pfeilschnell
Ladislav, dem Könige, der, entschlummert im Zeltraum
Lag auf dem Bärenfell’ im grasumwucherten Aufeld;
Beugte sich über ihn hin, und preßte den Mund auf den Mund ihm
So, daß er ängstlich sich wand, und stöhnete, bis er die Augen
Aufschlug, schrie, und im finsteren Zelt’, entrüstet, umher sah.
Arpad haucht’ ihm Muth in die Brust mit dem Seelengelispel:
„Also bezwungen vom Schlaf, dehnst du die blühenden Glieder,
Eingelullt vom Gesang kumanischer Frau’n und der Zither
Sanftem Getön? Wach’ auf, du Weichlicher! Denke der Ahnen
Weitgefeierten Heldenruhms, und des feurigen Muthes,
Der sie beseelte beim Klang des furchtbarbrüllenden Rindhorns,
Wenn die Feinde sich trafen im Feld’, und der Würgenden Ruf scholl.
Wachen muß dort stets für alle der Herrscher, und rastlos
Walten bei Tag und bei Nacht, in gefahrumdräuender Kriegszeit.
152Horch dem Gewirr! Schon zieht der Böhm’ in täuschender Stille
Eilig die Straße hinab g’en Thalsbrunn, dort in des Lagers
Weitumkreisendem Raum, von dem Rasenwall’ und dem Graben
Mächtig geschirmt, dem Feinde sich rasch entgegen zu werfen.
Zahllos regten sich dort viel’ Tag’ und Nächte die Gräber,
Die er entboth in dem Land’ umher voll schrecklicher Drohung;
Doch im Rücken des eilenden Heers, nichts Arges vermuthend,
Kommt mit schwachem Gefolg’ auch der König vorüber, und langsam
Folgt ihm die Wagenburg: d’rum schnell an das muthige Werk jetzt!
Sende hinaus in den Hinterhalt der bewährtesten Reiter
Tausend, die, verborgen im trocknen Geröhr’, an dem Heerweg
Harren, bis Ottgar naht: gleich weit entfernt von den Scharen
Und von der Wagenburg; dann all’, im sausenden Eilflug,
All’ auf ihn los, und erhascht ihr ihn, schnell in Geschrei und Getümmel
Wieder zurück in das Lager gejagt mit dem werthen Gefang’nen.
So beginne den Kampf, ein Sieger, zur Freude dem Kaiser —
Dir, und dem Vaterlande zum Ruhm, dem Lande der Helden!“
Sagt’ es mit lispelndem Laut. Da trat ein Kun in das Zelt ein,
Athemberaubt vor Hast, und verkündete: daß auf dem Heerweg
Zahllos, Schar auf Schar, der Böhme vorübergezogen.
Feuriger hauchte der Geist, da er sprach, dem horchenden König
153Noch in die Seele den kühnen Entschluß. Sieh’, eilig erhob er
D’rauf sich vom Lager, und rief nach dem tapferen Führer der Kunen,
Kaduscha, der, von Gestalt nur klein, und häßlich von Anseh’n,
Doch unbändiger Kraft, und flammenschnaubenden Muths war.
„Eile,“ so sprach er zu ihm, „mit tausend erlesenen Reitern
Bis an den Rand des Geröhres hinaus, und harre mit Vorsicht
Dort in dem Hinterhalt, bis Ottgar selber dir nah’ ist:
Weit getrennt von der Wagenburg, und den eilenden Scharen;
Dann im Fluge hinaus, zu erhaschen den Herrscher der Böhmen!
Fünfzig Rosse sind dein, und zehn goldschimmernde Sättel,
Auch der Waffenschmuck des Königes, kehrst du als Sieger.“
„Ich vernahm es,“ entgegnete stolz der muthige Feldherr,
Als er das Roß bestieg. Er jagte mit tausend Erwählten
Bis an den Saum des Geröhres hinaus, und warf sich, des Königs
Harrend, in’s Gras. Wie in dunkeler Nacht der schreckliche Rohrwolf
Lauscht an der Trift, und dort auf die Hinterfüße gesunken,
Winselnd vor Gier nach Blut, mit glühenden Augen umherschaut:
Ob nicht der Rinder Schar vorüber wandere, grasend?
So der Kune dahier. Doch sieh’, bald wogten des Feindes
Reihen vorbei, und im Zwischenraum, nichts Arges vermuthend,
Naht’ auch Ottgar jetzt, als Kaduscha, sich in den Sattel
154Hebend, den Kunen zu stürmen geboth. Vor dem wilden Getümmel
Klirrender Waffen, und brausender Ross’, und der stürmenden Krieger
Lautem Gejauchz’ erbebte die Nacht, und des Königs Geleitschar
Starrte vor Angst: denn schnell, weit vorgebeugt aus dem Sattel,
Schwingend mit wildem Gebrüll den krummgehämmerten Säbel,
Jagten die Kunen heran, und drohten ihm Tod und Verderben.
Wallstein rief alsbald dem Gefolg’: „O, schließt um den Herrscher
Einen ehernen Kreis mit der Brust, und fielen im Kampf wir
Alle zugleich, nur sey des Herrn Gesalbter errettet!“
Aber nicht säumten die Tapferen: denn dreihundert aus Böhmen,
Bayern, und Sachsen, erwählt zum Geleit’, umringten den König
Schirmend, und kehrten die Brust nach dem Feind, der, ähnlich dem Sturmwind,
Naher und naher im Flug, herbraust’ auf dem staubenden Heerweg.
Kaduscha hieb der erst’ in den Kreis des kühnen Gefolgs ein.
Er zerschmetterte schnell zwei muthigen Bayern, von Törings
155Mannen, die Stirn’, und erhob sein Eisen, noch fürder zu wüthen.
Töring, der edele Ritter, der, ausziehend aus Seefelds
Ragender Burg, dort sieben unmündige Kinder zurückließ:
Denn ihm raubte der Tod erst jüngst die treffliche Hausfrau,
Senkte den Speer auf den Wüthenden; ritt rasch an, und durchstieß ihm
Also die Rechte, daß ihr alsbald entschlüpfte der Säbel.
Jetzo hatt’ er gerächt die Ermordeten; aber es barg sich
Jener sogleich im Gedräng’, und rief nach dem Führer des Volkes,
Zobor, ihm vertrauend des Kampfs entscheidende Leitung —
Ihm, dem Riesen an Kraft: er lockte den grimmigen Bären
Aus der Höhle heraus, und erwürgte ihn, ringend, am Boden.
Seitwärts drang er auf Töring ein, der, schnaubend vor Rachgier
Reiter auf Reiter herab aus dem Sattel warf mit dem Speerschaft.
Vier’ erwürgt’ er schon: da stieß ihm die Spitze des Eisens
Zobor tief in’s Genick’, als er nach dem Gegner sich beugte.
Töring sank in den Staub, und hauchte den muthigen Geist aus.
Ach, und die Amme führt, wie die liebvollsorgende Mutter,
Jeglichen Morgen die Kinder heraus auf die Zinnen der Felsburg;
Zeigt dort allen den Weg, den jüngst der Vater gezogen,
„Und euch allen,“ so sprach sie, „ein schönes Geschenk aus der Hauptstadt
156Heimbringt, so ihr euch fromm und gut, wie er’s heischte, benehmet.“
Doch nicht kehret er heim; sein harren die Kinder vergeblich:
Denn er liegt getödtet im Staub! So fielen noch hundert,
Unter der würgenden Faust der Kunen, gebändigte Krieger,
Und Verderben umgab stets näher und näher den König.
Wie wenn nächtlich im Wald’ ein wandernder Fleischer, von Räubern
Angefallen, mit tapferem Muth’ sich wehrt, und der Gegner
Manchen erlegt; doch wäre noch all sein Mühen vergeblich,
So das menschengetreueste Thier ihm nicht fest an den Seiten
Kämpfte: sein mächtiger Hund, der rasch im Kreise sich wendend,
Diesem die Kehle durchhaut mit den tödlichen Zähnen; den andern
Niederreißt am Genick’, und, würgend, nicht ruhet, nicht rastet,
Bis er errettet schaut den Gebiether: so stritt für das Leben
Ottgars, häufend die Leichen umher, der tapfere Wallstein.
Doch, als jetzt die Gefahr ihm noch gewaltiger drohte,
Schrie er ihm zu: „Mir nach, mein König und Herr!“ und er bahnte
Sich mit dem sausenden Stahl durch Feindeshaufen den Blutpfad.
Ottgar folgt’ ihm beherzt, und hieb die Umstürmenden nieder.
Ha, nach entsetzlichem Mord und Gewürg, durchhau’n, und gesprengt war
Endlich der Todesring, und ihm entrannen die beiden,
157Brausenden Flugs, auf dem Heerweg fort! Im nächtlichen Dunkel
Schwanden sie bald aus den Augen der weitnachfolgenden Gegner;
Doch die kehrten zurück’, und des Königs treue Geleitschar
Fiel nach tapferer Gegenwehr (denn Keiner ergab sich)
Hier erschlagen im Kampf mit den herzblutdürstenden Kunen.
Ach, wie grausam wütheten jetzt die Schrecklichen: hauend
Allen das Haupt von dem Rumpf’, und es dann auf die Spitze des Säbels
Pflanzend, zogen sie heim, siegtrunken und rachegesättigt:
Denn sie sahen zuvor wohl doppelt die Zahl der Gefährten
Hingestreckt im Staub’, und erwürgt von den tapferen Feinden.
Fort, und fort im Galopp war Ottgar schon in des Heeres
Nähe gelangt; nur die Höh’n von Prottes, dem ruhigen Dörfchen,
Lagen noch, trennend, vor ihm, und hinter den eilenden Scharen.
Milota trabte die Höhen herab. Mit ängstlicher Sorgfalt
Forschte sein Auge zuvor nach dem König: er hatt’ ihn dem Tod schon
Lange geweiht, und harrete nur des ersehneten Tages,
Wo er nach Rache die Gier an ihm sättigte, schrecklich und furchtbar!
D’rum verlor er ihn nie aus den Augen, und so, wie der Kater,
Grausamer Lust, freigibt das erst gefangene Mäuschen:
158Da folgt ihm sein glühender Blick, und will es entrinnen,
Streckt er sogleich ihm nach die klau’nbewaffneten Pfoten —
Reißt es zurück in den Todes-Kreis, und weidet die Augen
So an dem armen, voll Grimms: nicht anders verfolgten die Augen
Milota’s Ottgarn stets, der Rach’ ihn zu opfern, entschlossen.
Jetzo gewahrend: er sey’s, begann er von weitem zu rufen:
„Wahrlich, du wagtest viel, mein König, so fern dich zu halten
Von dem schnellvoreilenden Heer! Wer so die Gefahr sucht,
Wandelt auf glattem Geröll’, an des Abgrunds schwindligem Rand hin:
Denn in den Auen der March droht uns der schrecklichen Kunen
Leis’umspähendes Volk: du warst die erwünschteste Beut’ ihm,
So es dich traf. Doch sprich, wo weilt dein Reitergefolg noch?“
„Mein Gefolg ist todt,“ entgegnete jener, „gefallen
Unter des Feindes würgender Faust. Dem tapferen Jüngling
Hier verdank’ ich das Leben allein; stets hielt er im Leben
Treulich an mir; er sey, wie ein Sohn, mir geliebt in der Zukunft.“
D’rauf hinbeugt’ er nach Wallstein sich von dem Sattel; er küßt’ ihn
Auf die glühende Stirn, und drückt’ ihm die Rechte noch freundlich.
Jener, mit Freudenthränen im Blick’, erwiederte, hebend
Ottgars Hand an den Mund, der Liebe beglückendes Zeichen.
159Plötzlich sah er im Geist der wahnsinngenähreten Hoffnung
Truggestalt in der Wirklichkeit, hellschimmernden Glanzes,
Ihm genaht, und gestillt des Herzens unendliche Sehnsucht.
Wehe, daß Drahomira so nah’ ihm war in des Nachtgrau’ns
Schrecklicher Stund’, und stets auflauerte, daß sie, verderbend
Ihn, sich räche zugleich an Ottgarn, höllischer Lust voll!
Hufesgerassel erscholl: denn Milota’s Reitergeschwader
Jagte heran. Sie schrie ihm ins Ohr: „Der Feind ist im Anzug!“
„Ha, der Feind!“ rief Milota laut, und in wilder Verwirrung
Jagt’ er nach Ebenthal, woher sie gekommen, das Roß hin.
Ottgar folgt’ ihm schnell; nur Wallstein hemmte den Läufer
Oft: um den König besorgt, und für ihn zu sterben, entschlossen.
Aber ihm däuchte das nahe Gebirg, und drüben das Blachfeld
Jenes von Ebenthal an der freundlichen Burg, wo er seicher
Oft sich erging, des Weidwerks Lust ergeben im Feld’ auch.
Ottgar hörete jetzt den Ruf des warnenden Jünglings;
Tobte vor Zorn, und sprach zu Milota grimmigen Blickes:
„Hat dich mein böses Geschick mir entgegengeführt an dem Kreuzweg,
Wo in dem nächtlichen Grau’n nur menschenfeindliche Geister
Hausen, daß du dem Heer mich entrückst, und verleitest zum Irrgang?
Wahrlich, der Himmel straft heut Nacht die Vergehungen alle,
Die mich erniedrigten einst auf des Lebens verlockenden Bahnen!
160Fort, g’en Stillfried jetzt, wo die Wagenburg und der Nachhuth
Tapfere Schar mich schirmt, bis wir dem Heere vereint sind!“
Finster umhüllete noch das Gewölk den nächtlichen Himmel;
Noch aufriß der entfliehende Blitz zuweilen die Lieder,
Zürnend, und sah mit feurigem Blick aus Osten herüber.
Bergan hob sich der Weg, und Milota sagte, verhöhnend,
Als die Ross’, oft zögernden Gang’s, aufschritten den Bergpfad:
„Hoffst du, Herr! vor des Ewigen Richterstuhle so leicht dich
Abzufinden dereinst mit dem schreckengerüsteten Engel,
Der dein Blatt dir weis’t in dem Buche des Lebens und Todes?
Wähnst noch gar, du habest gebüßt für Alles und Jedes,
Was du verübt seither, schon heut’ im nächtlichen Irr-Ritt?
Grauses vernahm mein Ohr. Ist’s Wahrheit, oder nur Täuschung,
Was die Sag’ uns gab von dem blutbesudelten Handel
Dort? Daß die Ost- und die steyrische-Mark dir bleibe zu Eigen,
Hast du Schätze gesandt nach Wälschland — heimlich verbündet
Rom und Neapel dir, und Konradin, Friedrich von Oestreich4
Hingeopfert des Henkers Schwert, die blühenden Fürsten?
Hast nicht Erbarmen geübt, als d’rauf die Mutter des letztern,
Gertrud,5 sanften Gemüths, aus dem Erbe der Väter vertrieben,
Fliehen hieß dein Wüthrich fort in stürmischer Nachtzeit?
161Bist du rein von Schuld an dem Tod der verstoßenen Gattinn,
Margareth?6 Ward der edele Herr und Ritter von Meißau
Nicht in unwürdiger Haft von dir verbrannt in dem Schloßthurm?7
Nicht die Heldenschar, von dem Pettau’r,8 niedrigen Herzens,
Angeschwärzt, jahrlang’ in schmählichen Banden gehalten —
Ihrer gewaltigen Vesten beraubt? Sieh’ dort auf dem Hügel
Drüben den Rabenstein: wie im Wind sich die dürren Gerippe
Dreh’n nun hin, nun her, und im Schwung lautächzen die Ketten!
Hu, aufsträubt sich mein Haar — und dennoch lieber gehenkt dort,
Als daß ich übte, wie du, an dem Merenberger9 den Frevel!
Aber horch! Da er nun, das Haupt an die Füße gebunden,
Zweimal den Morgen und Abend sah, in schrecklichen Qualen
Hängend am Rabenstein, war nur der geschändeten Schwester
Bild — geschändet von dir, vor seinem Gemüthe! Dir flucht’ er,
Eh’ er starb, durchbohrt von einem der wilden Szupanen.
Wie, du erschrickst? Nein, fürchte nichts, Herr! Daß ich jetzo der Tochter,10
Meines geliebtesten Kindes, gedacht, nicht verdenk’ es dem Vater,
Der nicht weinen mehr kann um sie, die schändlich verführt ward.
Ihre die Schuld, der Metze: sie gab sich wohl selber der Schmach hin!“
162Ottgar schlug sich die Brust, und wimmerte: „Vater, Verzeihung;
Mein ist die Schuld allein: den Himmlischen glich sie an Reinheit!“
„So?“ — sprach dann mit gedehnetem Laut der entsetzliche Vater.
Ottgar stöhnte vor Angst, daß es jener vernahm; mit den Zähnen
Knirscht’ er; sah empor, und rief mit ersterbender Stimme:
„Milota, sieh’, wie es über den armen Sündern erblitzet!“
Sagt’ es, und stützte das Haupt, vergehend, auf Milota’s Schulter.
Jetzt in der geistverzückenden Zeit todähnlicher Ohnmacht
Sah, wie entkörpert, er dort an dem Rabenstein, Drahomira
Schweben umher, und oft hellstrahlen von röthlichen Flammen.
Ihr nachfolgten zum Dienst drei Mißgestalten der Hölle
So, daß der Halbentseelte noch zuckt’, und bebte vor Schrecken,
Als er die Furchtbar’n sah. Aus schwarzumhüllendem Schleier
Starrten mit weitgeöffnetem Aug’ todblasse Gesichter,
Und ihr Leib, durchblinkt von der Flammengestalt Drahomira’s,
Floß, wie ein Trauerflor, hinaus in das finstere Nachtgrau’n.
Doch, nach dem Wink der Gebietherinn, auf, und hinunter sich schwingend
Dicht an dem Rabenstein, wie der Mauerspecht am Gemäuer,
Der mit kläglichem Ruf nach Gewürm’ und Käferchen spähet,
Nagten sie dort ein Giftgewächs und das Moos mit den Zähnen
Ab von dem Stein und Gehölz, und schwebten hinab auf den Heerweg.
163(Zwischen Ottgar hier, und Milota — aber vor Wallstein
Dort, der zögernd folgt’: in täuschende Träume versunken
Künftigen Glücks) und hauchten zugleich auf die Erde den Unrath.
Doch Drahomira kam, vorhaltend in glühender Rechten
Einen Becher, in dem verderbliche Säfte von Kräutern
Gähreten: erst entpreßt dem Eisenhütchen und Schierling,
Dann Tollkirschensäfte vermengt, der plötzlich des Menschen
Sinne verwirrt. Sie goß mit zaubergewaltigen Worten,
Vor den Drei’n, die sie nachmurmelten, wie aus der Felskluft
Grimmvoll murrt ein Drach’, das Gift auf den furchtbaren Unrath
Aus; zertrümmerte schnell den Becher auf ihm, und erhob sich
Dann im Weh’ausruf des Höllengefolg’s in den Luftraum.
Alsbald schwamm ein bläulicher Duft, des giftigen Pfuhles
Nebel gleich, umher: dem nahenden Jüngling zum Falle
Hingebannt von der Macht Drahomira’s, des schrecklichen Weibes.
Ha, schon naht’ er heran! Noch brannte der glühende Kuß ihm
Auf der Stirn’; noch scholl in das Ohr ihm der schmeichelnde Zuruf
Ottgars: „Daß er ein Sohn ihm sey — dem liebenden Vater.“
„Wie, ein Sohn? Dann ... ja, wenn Hedwig die Rechte mir reichet!
Himmlische Hoffnung!“ Rief’s; da bäumte schnaubend sein Reitroß
164Dort an der furchtbarn Stelle sich auf. Ihn däuchte der Wehruf,
Den er jetzo vernahm, aufhorchend mit pochendem Herzen,
Hedwigs Stimm’: alsbald vorspornend den hurtigen Läufer,
Stand er gebannt in dem Zauberkreis’, und urplötzlich, so wähnt’ er,
Ward ihm zur Gegenwart die nimmergeahnete Zukunft.
Hochbeglückt hielt er die Ersehnete jetzt in den Armen:
Ihm schwand Himmel und Erde dahin! Doch flatterte blitzschnell
Weiter der täuschende Spuk, da, schnaubend vor Angst und Entsetzen,
Nun das Roß fortsprang aus dem Zauberkreise der Hölle.
Stöhnend sah er zurück, und die Blässe des Todes bedeckte
Seine Wangen: ein Traum, so schien es ihm, flüchtig entronnen,
Wies ihm des Erdenglücks Erwünschtestes. Wehe, nicht schwand jetzt
Mehr des Gesehenen Bild aus seinem Gemüth’. In den Adern
Kocht’ ihm das Blut, und im kreisenden Schwung’ umgaukelte jenes
Rastlos ihn, da er flog, getrieben von höllischem Zauber,
Abzufordern die Hand der Königstochter dem Vater;
So zu empören des Herrschers Stolz, und, von diesem gehöhnet,
Racherfüllt, sich selber und ihn zu verderben auf immer.
165Siehe, voll Himmelshuld war ihm sein schützender Engel
Wieder genaht, und rief in sanftverweisenden Lauten:
„Wie, umsonst ertönte dir erst mein warnender Zuruf?
Wehe dir, Jüngling, ach, wenn Schuld verdunkelt die Reinheit
Deines Gemüths! Wie ein Spiegel, noch erst im herrlichsten Lichtglanz
Schimmernd, schnell abstirbt, so ihn feuchtannahender Hauch deckt:
Also umwölkt es die Schuld. Bald scheint die blühende Schöpfung
Dir verwelkt, und erstarrt ringsum das regsame Leben:
Nichts des Hohen vollführest du mehr, von irdischen Banden
Niedergehalten. Verzieh’; o denke des Ewigen, reuig;
Kehre zurück, und beherrsche mit Kraft die Gelüste des Herzens,
Daß du nicht Schmach dir jetzt durch thörichte Worte bereitest!“
Sagt’ es, und schwang sich empor zu dem Vater im Himmel, deß’ Antlitz
Er mit dem Seraph und Cherub schaut für immer und ewig.
Aber der Jüngling rief: „Ward erst der Seligen Wonne
Mir von dem Himmel gewährt? Vernahm ich jetzo der Hölle
Täuschenden Ruf? Nicht weiß ich’s — will es nicht wissen; es dreht sich
Schwindelnd die Welt um mich her; sie reiße mich mit in den Abgrund!“
166Sieh, und er hieb in den Bauch des ächzenden Läufers den Sporn ein:
Brausenden Sprung’s trug fort ihn das Thier, bis er’s vor dem Herrscher,
Der mit dem Feldherrn, ernst und schweigend die nächtliche Bahn zog,
Jetzt festhielt, nach gewaltigem Müh’n: denn wüthenden Ingrimms
Flog es dahin! Nun sprach mit sanfterheitertem Antlitz,
Nach dem Jüngling gekehrt, der weitgefürchtete König:
„Wallstein, ha, wo weilst du? Komm, und rette den Vater
Dir, dem liebenden Sohn, von diesem entsetzlichen Manne!
Milota, fort! Entfleuch! Du warst mir treulich ergeben,
Du, des Herrschers Vasall; doch hast du mit blutiger Faust ihm
Heut’ in dem Herzen gewühlt — frechlautende Worte gesprochen.
Gott ist gerecht. Die Schuld, vergrößert von feindlicher Mißgunst,
Mindert vor ihm ein reuiges Herz: er wird’s nicht verschmähen!
Halte dich künftig entfernt von mir — auch jetzt in dem Feldzug,
Daß nicht mein Zorn, erwacht, dich noch verderbend ereile.“
Jener lächelte grimmig, und rief: „Recht hast du gesprochen:
Weichen will ich — im Kampf’ entfernt dir stehen; der Tochter
Stets gedenken, und flieh’n die Nähe des dräuenden Herrschers.“
D’rauf entschwand er im Feld; doch Ottgar sagte dem Jüngling:
167„Wallstein, höre mich nun! Stets warst du mir theuer vor Allen
Ob des Heldenmuths und der Treue, mit welcher du, liebend,
Hingest an mir: doch heut, wie lohn’ ich geziemend die Thaten
Ewigen Ruhms? Erst rächtest du mich an Rudolphs Erzeugtem;
D’rauf hast du mich entrissen der Wuth umdrängender Gegner.
Sieh’, am kommenden Tag sollst du durch würdigen Lobspruch
Hochverherrlichet steh’n vor meiner versammelten Heersmacht;
Auch den Feldherrn dort, als Führer des böhmischen Fußvolks,
Beigesellt, ein Zeuge der Huld und des Glückes erscheinen!“
Jener entgegnete schnell, von dem Höllenzauber getrieben:
„Herr! du nanntest mich Sohn zuvor, und ein liebender Vater
Willst du mir seyn? Wohlan! Ich rühme mich edlen Geschlechtes,
Ja, des edelsten, das in dem Vaterlande genannt ist:
Reich an Schätzen und Land, gleich Fürstensöhnen geachtet!
Vater, mein höchstes, mein einziges Glück harrt deiner Entscheidung!
Gib mir Hedwigs Hand, des angebetheten Fräuleins:
Dann wird überschwenglicher Lohn mir zu Theil, und ein Eidam
Steht dir dankbar bereit — für dich zu sterben, entschlossen,
Tapferen Muth’s im Feld’, ein mächtiger Schirmer des Thrones,
Den du zierest, und Wenzeslav, dem Erzeugten, vererbest.
168Hörst du mich nicht: dann fort an die fernsten Gränzen des Weltmeers;
Dann aus dem Leben fort, dann wähle dir treuere Diener!“
„Tod und Hölle!“ so rief entrüstet der König, „wie ward mir
Heut das Geschick, Wahnsinnigen hier zum Spotte zu dienen?
O Verblendeter! Wie? so täuschest du frech und verwegen,
Meine Hoffnungen all’, auf dich gegründet, und trotzest
Auf die erworbene Herrscherhuld? Du erkühnst dich um Ottgars
Tochter zu frei’n — um Hedwig, nach welcher sich Könige sehnten?
Schwind’ aus dem Glanz der Sonn’, aufdämmernder Stern, und durchlaufe
Fern mit jenen die dunkele Bahn, die selber dir gleichen!
Ehren sollte des Königs Ruf dich am kommenden Morgen?
Sieh’, ich schlage dich jetzt — doch, wiss’ es, Bube, zur Schmach nur:
Daß du gedenkest hinfort, wie frech du ihn eben gehöhnt hast!“
Rief’s, von der Hüfte sich reißend das Schwert. Er schlug mit der Kling’ ihn,
Wüthend, über den Helm, und jagte hinüber zur Heersmacht,
Der er genaht, in des Morgenroths erglühendem Lichtstrahl.
Wallstein zog bei dem Schlag schon halb aus der Scheide das Eisen,
Hielt’s so, fest umspannt, hinbrütend, die Augen zum Boden
Heftend, erblaßt, und starrete noch mit entsetzlichen Blicken
Lang’ um sich her; dann stieß er das Eisen zurück, und verlor sich
Von dem Pfad seitab, in des Hains umschattendem Dunkel.
169Sechster Gesang.
Sieh’, im rosigen Duft versank die glühende Sonne
Hinter dem fernen Gebirg; die Nacht umschleierte ringsum
Schon die Gefild’, als jetzo von Neuburg her an der Donau,
Czernin kühn vordrang mit tausend tapferen Böhmen,
Die er, unferne dem Bisamberg, in räumigen Fähren
Uebergesetzt, nach Waldrams Wink, des frechen Empörers.
Dort in verengender Schlucht, die am Fuße des Kahlen- und Leupold-
Berges ein Dörfchen birgt in gebüschumhüllender Bergschlucht,
Lagen die Böhmen im schlauen Versteck, sich Reiter von Oestreich
Rühmend, und hielten das Volk in den Hütten fest, nach des Krieges
Eisernem Brauch, daß kein Verräther dem Feinde zum Dienst sey.
Doch als jetzo der Mitternacht ersehneter Zeitraum
Nah’ war, brachen sie auf, und schlichen am Ufer der Donau
Leise hinab, den Füchsen gleich, die so den Gehöften
170Nah’n, aus den Ställen umher, raschwürgend, die Beute zu holen.
Als sie Nußdorf links, durch freundliche Traubengeländer
Wandernd, und d’rauf rechts Heiligenstadt, und Döbling erblickten,
Lenkten sie wieder behend zu dem lautaufrauschenden Strom ein,
Bis sie erreichten den Weidenhain unferne der Steinwehr,
Welche das Neuthor schirmt, und harrten, im Dickicht verborgen,
Dort des verheißenen Winks, durch List zu erringen die Festung.
Doch nun klirrten des Thors gewaltige Riegel, und Czernin
Wähnte: verrathen sey dem Feinde sein kühnes Beginnen.
Weniges sprach er nur: der Schweigende hieß er den Kriegern;
Aber das Wenige sprach er mit Kraft; so rief er auch jetzo:
„Männer, fasset das Schwert! Wir wollen dem Feinde das Leben
Theuer verkaufen im Handgemeng’: ein schrecklicher Kampf sey’s!“
Siehe, da ritt aus dem Thor, das aufflog, brausend ein Ritter
Näher, und jagte dem Haine vorbei. Ihm folgte der Knappe.
Hartmann, Wiens erlesener Hort, verließ mit dem Treuen
Eben die Mauern der Burg: er war’s, der näher gesprengt kam.
Alsbald wäre der Feind ihm hier in den Rücken gefallen:
Ihn, der Rettung bedacht, zu erlegen zugleich mit dem Knappen;
171Aber es schwang sich Marbod jetzt aus dem finsteren Luftraum,
Hastig an Czernins Seit’, und hemmt’ ihn mit täuschenden Worten:
„Czernin, halte die Krieger zurück, nicht siehst du den Feind hier,
Sondern die Freund’, entsandt durch Rüdiger, daß sie im Rundgang
Zieh’n an der Vest’ umher, und erforschen: ob nicht die Gegner
Euerer Macht, auflauernden Blicks, entgegen sich stellen?
Bald ist die Runde vollbracht, euch öffnet sich leise das Neuthor.“
Sagt’ es, voll Hast; dann flog er dem Jünglinge nach, und begann so:
„Hartmann, kehre zurück! In dem Hinterhalte verborgen,
Lauert dir, mit Verräthern im Bund, der listige Feind auf.
Kehre durchs Schottenthor in die Burg, und beschirme die Festung,
Dir von dem Herrscher vertraut mit wichtigem Worte: gehorch’ ihm!“
Aber der Eilende sprach: „Mich däucht, ein Höllengeflister
Hält von der Wallerfahrt mich zurück? Ich gehe, zu bethen
Auf dem Kahlenberg für die schwachaufathmende Mutter:
Ob nicht Gott sich erbarmt; mein Fleh’n die heilige Jungfrau —
Mutter auch sie! voll Huld, dem liebenden Sohn’ an das Herz legt,
Und das erfüllte Gelübd’ erringt der Mutter Genesung?“
172Als er es rief, da gab er dem Pferde die Spornen, und brausend
Trug es ihn fort im Galopp’ auf die Höh’n des umnachteten Berges.
Dort, zu dem Kloster gelangt, vertraut’ er dem Knappen den Renner;
Zog an dem ehernen Pfortenring, und klingelte. Dreimal
Scholl in der einsamen Nacht, entlang den finsteren Kreuzgang
Hin, der Glocke Getön. Bald klirrte der eiserne Riegel,
Von dem Pförtner getrieben, im Schloß’, und in schweigender Ehrfurcht
Ließ er den Ritter, der „Gelobt sey Jesus!“ ihm rief, ein.
„Ewig!“ gab er zurück’, und verschloß die Thüre mit Sorgfalt:
Denn nicht war er ihm fremd; er kannte des Kaisers Erzeugten.
Aber er schritt entlang die weitgesonderten Zellen,
Die ein freundliches Gärtchen schied, die Reihe hinunter,
Bis zu dem Fenster des Bruders Ernst, und klopfte, nur halblaut
Rufend: „Vater, komm! Schon floh die zwölfte der Stunden,
Komm, und lese die Messe sogleich in der heiligen Halle,
Wo vor dem Kreuz-Bild schon unzählige Kranke genasen.
O, daß dein frommes Gebeth uns erflehte die liebende Mutter!“
„Jüngling!“ so rief der Erwachende jetzt, „was treibest du rastlos
Durch die dunkele Nacht? Der Himmel erhöret das Flehen
Sterblicher mild bei Tag und Nacht, wenn solches der Seelen
173Heil’ entspricht: stell’s heim, wie es kömmt, der ewigen Vorsicht.“
Sagt’ es, erhob sich, und trat aus der nächtlichen Kammer. Er schlief dort
Immer im härnen Gewand’: um das Grab sein Lager zu tauschen
Jeglichen Augenblick, mit gottergebenem Herzen.
Schauer durchfuhr den Geist, der schnell dem Ritter gefolgt war,
Als er des Bruders bleiches Gesicht, und das Auge, voll Demuth
Stets zur Erde geheftet, ersah; die himmlische Weisheit
Klar an der Stirn’ ihm las, und, vereint abtödtendem Bußsinn
Seelenfrieden und Ruh’ in seinen erhelleten Zügen
Wahrnahm. Dennoch wagt’ er es nicht, ihm zu folgen in Gottes
Heiligthum; nur entfernt und schüchtern sah er hinüber,
Als er dort vor dem Bild des Gekreuzigten, würdigbekleidet,
Stand in dem hellen Schein sechs strahlender Kerzen: sie ragten
Aus den silbernen Leuchtern, geteilt, vom Marmor-Altar auf;
Sah, wie ihm diente der Ritter selbst, auf die Kniee gesunken:
Jetzt ihm brachte das Buch, und er bethete; jetzo, die Gaben
Opfernd, Brot und Wein darreicht’; er Worte des Segens
Ueber sie sprach, dann auf zur Anbethung hob, und, in Demuth
174Klopfend die Brust vorher, genoß: ein hehres Geheimniß
Feiernd. Er staunte noch mehr: wie dort der muthige Jüngling
Ganz in heiliger Gluth und in herzdurchschauernder Andacht
Aufgelös’t, mit gesenktem Haupt und gefalteten Händen
Bethete; auch den thränenden Blick von der Erde nicht aufhob,
Bis das Opfer vollbracht, und gestillt das sehnende Herz war.
Graunvoll stand ihm Odins1 Altar vor den Augen, und Sclaven
Blutend darauf, die, im Kampf gefangen, als Opfer ihm büßten.
Ach, er preßte sie fest in die Fläche der Hände, nicht wagend,
Sie jetzt himmelempor zu dem furchtbarn Richter zu heben!
Doch schon führte der Mönch den Ritter zur Pforte hinüber,
Schüttelt’ ihm traulich die Hand, und sagte beklommen zum Abschied:
„Gottes Friede mit dir! Vollbracht ist die heilige Handlung,
Wie du gewünscht. In dem Wink des Ewigen liegt die Genesung,
Liegt das Leben, der Tod, und seine Gerichte sind dunkel.
Laß nur walten die Huld: die hier Getrennten vereint sie
Jenseits wieder im Glück’, im ewigen, wahren, und einen!“
Als er sich wandte, zu geh’n, da ergriff ihm Hartmann die Hand noch,
Drückte sie glühend an’s Herz, und rief mit thauenden Wimpern:
175„Ernst, nicht lebt dir der Vater mehr, nicht die Mutter: zur Kriegszeit
Haben die grausamen Feind’, unmenschlich vor Wuth, in der Kammer
Beid’ erwürgt vor dir, dem scheuverkrochenen Knaben!
Nimmer wurdest du froh seitdem, und wohnst in des Klosters
Einsamer Zell’. Ach, komm, und sey mir ein Stab auf des Lebens
Dunkelem Pfad, mein Lehrer und Freund, und mit dankbarem Herzen
Will ich die Freundesliebe dir treu durch Liebe vergelten!“
Ernst fuhr, schaudernd, zusammen, und rief: „Der Freundschaft erwähnst du?
Ja, mir ward ein Freund von treuem und redlichem Herzen;
Aber er wanderte fort, weit über das Meer, und nach Jahren
Schmerzlicher Trennung — sieh’, drei Schritte von hier, an der Mauer
Dort, erkannt’ ich den Kehrenden schon: da zuckte der Blitzstrahl
Her aus dem Wettergewölk’, und todt, und erstarrt in den Armen
Hielt ich ihn! Ach, nicht färbten sich mehr, und färben sich nimmer
Meine Wangen, vom Schrecken erbleicht, und entsetzlichem Jammer!
Laß mich im Frieden dahier. Geschürzt zur endlichen Wand’rung
Hab’ ich mein Kleid, und ich halte den Stab bereit in der Rechten,
176Wann, und wie es dem Himmel gefällt: du thue deßgleichen
Hartmann, eile hinab in die Burg: ich höre der Glocken
Stürmenden Ruf im Geschrei und Getös’ lauttobender Menschen!“
Jener horchte, bestürzt; dann warf er sich schnell in den Sattel;
Spornte sein Roß, und flog, lautathmend, den Wällen entgegen.
Dort gebar einstweilen die Nacht entsetzliche Thaten.
Rüdigers horchendem Ohr’ entging das warnende Wort nicht,
Das erst Hugo zuvor dem Kaiser vertraute. Die Sohlen
Fremder Männer gewahrete bald sein spähender Scharfblick
Unten im Felsengang, wo er häuft’ in Menge die Waffen,
Und er sandte den Bothen sogleich an den König von Böhmen,
Daß er ihm eine die Macht. Den Schirmern der Veste zur Täuschung,
Wandt’ er den Blick von dem Stubenthor nach dem stilleren Neuthor,
Wo nur selten erscholl der Fußtritt wandelnder Menschen,
Nie des rollenden Wagens Getös’: nur jenen zum Frommen
Früher erbaut. Dort sah er das Werk der frechen Empörung
Schon gelungen, und harrete nur der verheißenen Hülfsschar.
Jetzt erscholl die Glock’ aus den Fenstern des ragenden Kirchthurms,
Zwölfmal dumpferdrönend dem Schlag des gewichtigen Hammers,
Und ummurrend lang’ in dem leis’entschlummerten Luftraum.
177Alsbald regten im Weidenhain sich die Krieger aus Böhmen —
Traten, in Eisen gehüllt, und mit schneidenden Lanzen bewaffnet,
Aus den Häusern hervor die Verschworenen (siebenmal hundert
An der Zahl) und entlang den Tiefengraben zum Neuthor
Standen die frechen geschart, des Wink’s von Rüdiger Waldram
Harrend. Er zögerte nicht, und kam, und sprach zu dem Amtner:
„Günther, muthig an’s Werk! Mit Hundert deiner Erwählten
Hin zu der Burg: dort stoßt mit würgender Rechte die Wachen
Nieder, und wahret das Thor an der Kaiserstiege mit Sorgfalt!
Hundert send’ ich sogleich in die Runde mit tapferen Führern,
Die auf den Wällen erwürgen die Huth. Ist solches geschehen,
Dann ertöne Geschrei; dann reißt an den Strängen; der Glocken
Sturmruf schalle; das Schlangenhaar aufsträubend, die Augen
Drehend vor blutiger Gier, und schwingend die flammende Fackel,
Tobe der Aufruhr fort in den Straßen, und brülle die Menschen
Wach aus dem Schlaf’ zum Kampf g’en Rudolphs bebende Söldner!
Ottgars harren wir dann: bald kömmt er, und wird ihn zermalmen;
Doch, so er siegt’? — ein Unterpfand ist unser: die Mutter,
178Und die Töchter zugleich: denn Hartmann eilte von hinnen,
Das euch sichere Bürgschaft sey ersehnter Verzeihung.
Nur mir werde sie nicht. Ha, lieber zum eisigen Nordpol
Will ich, ein Bettler zieh’n, als Rudolphs Zepter gehorchen!
Kommt; viel lieber den Tod, als solch’ unwürdiges Leben!“
Rief’s, empört, und alsbald eileten jene dem Amtner
Nach. So wäre die Huth auf den ragenden Mauern erlegen;
Doch auf dem Rasenwall an der Burg, wo im Süden des Schneebergs
Heitere Stirn’ der Wandelnde stets mit Freuden gewahret:
Da er ihm so viel sonn’erhellete Tage vorhersagt,
Ging, gemessenen Schritts, Bertrand, der tapfere Schweizer,
Hüthend umher. Als jetzt zum zwölften Mal von dem Kirchthurm
Dumpf die Glock’ ausklang, von dem eisernen Hammer geschlagen,
Sieh’, da stand er erstarrt! Ein Schrei — doch schrecklich zu hören,
Scholl ihm vom Mund; sein Haar aufsträubte sich; laut, wie im Fieber,
Klapperten ihm die Zähn’. Er sah zwölf Schattengestalten:
Häßliche Weiber der Stimm’, und wankende Greise dem Gang’ nach,
Kommen, in Leichentücher gehüllt, todbleich und den Nacken
Altersschwer gebeugt: die Klag’ genannt von dem Volk dort,
Welche, vereint (sechs hie, und drüben so viel’) auf der Schulter
Trugen die Bahre heran, und stöhneten. Aber sie zogen,
179Sein nicht achtend, vorbei; dann fort, an der Mauer der Hofburg
Steilrecht schwebend empor — fort über das Dach, und verschwanden
Fern in der finsteren Luft mit kläglichem, leisem Gewimmer.
Weiber, so sagt sich das Volk mit schaudernder Angst in die Ohren,
Die auf der irdischen Bahn sich unnennbarem Frevel ergaben,
Gingen im mitternächtlichen Zug einher auf dem Erdkreis;
Klagten, und ächzten, und trügen die Bahr’ an der Kammer vorüber,
Wo, zumal bei den Fürsten des Volks — bei den Mächtigen, Hohen,
Bald anklopfet der Tod: sie sterben, und Weinen erschallet.
Jetzt vernahmen den Schrei die Gefährten des Kriegers. Sie blößten
Hurtig das Schwert; erkletterten schnell die ragende Mauer;
Schrie’n von fern: „Wer da?“ und fragten zugleich um die Losung.
Zwar nicht kam aus dem Mund des Kriegers das heimliche Wort jetzt:
Denn noch stand er verstört, und zitterte; aber sein Hauptmann
Sah die nahende Schar bewaffneter Bürger: ihm ahnte
Schnöder Verrath. Alsbald erhob er die mächtige Stimme;
Schrie an die Nachbarhuth, und diese der nächsten, und nächsten
180So, daß der Lärmruf rings umtönte die Veste: den Kriegern
Nun zum Glück’ erregt von dem angstergriffenen Mann dort.
Als der Ueberfall dem Hort der empöreten Bürger,
Günther, mißlang: da mahnt’ er sogleich die Seinen zur Rückkehr,
Sich mit Rüdiger Waldrams Macht zu vereinen am Neuthor.
Schon begann er den Kampf. In des weitgewölbeten Thorwegs
Mauern sah er die Stub’ erhellt, und die Krieger entschlummert.
Nur die Wach’ allein ging inner dem Thore den gleichen,
Ernstgemessenen Schritt herauf und hinab. An die Schulter
Hatt’ er die Lanze gelehnt, und summte zuweilen ein Liedchen.
Schnell, wie der Blitz, flog Rüdiger vor, und setzte dem Krieger,
Dräuend, das Schwert auf die Brust, so er schrie, ihn zu tödten, entschlossen.
Ach, an dem Zürcher-See ließ Wolf in der reinlichen Hütte
Gattinn und Söhnchen zurück: denn kaum entschwand ihm ein Jahr erst
Glücklicher Ehe, als ihn zu den Waffen der tapfere Herzog,
Albrecht, rief! Er sann, des Kind’s und der Gattinn gedenkend,
Einen Augenblick; dann dacht’ er der Pflicht und der Rettung
Seiner Gefährten: er schrie — der edelmüthige Krieger
Schrie, und sank, von Rüdigers Schwert durchbohrt, auf den Sand hin.
181Wildes Getümmel erscholl. Hervor aus der dämmernden Wachtstub’
Stürmten Wolfs Gefährten, voll Hast, und Rüdiger Waldram
Hob das blutige Schwert mit gellendem Ruf in die Luft auf.
Alsbald trafen sich, im Gemeng, die empöreten Bürger
Und die Krieger zugleich. Wie Nachts von der eichenen Tenne
Lautes Gepolter erschallt, wenn emsige Löhner des Weizens
Goldene Frucht entdreschen dem Halm: so tönte der Waffen
Hämmernder Schlag von dem Schild’ und dem Helm der kämpfenden Männer.
Nur Gestöhne der Wuth erscholl in den Hallen, und Blut floß
Rings in Strömen umher. Die Krieger des Kampfes geübter,
Würgten die größere Zahl; doch so, wie die Stier’ auf dem Schauplatz
Von unzähligen Rüden umstürmt, mit furchtbaren Hörnern
Manchen der Feinde, durchbohrt, hinstrecken, und wüthend sich wehren,
Bis sie zuletzt erliegen der stets ergrimmteren Mehrzahl:
Also, nach tapferer Gegenwehr, erlag an dem Neuthor,
Ueberwältigt, die Huth von fünfzig tapferen Kriegern.
Ha, da flogen sogleich des Thors gewaltige Flügel,
Heulend, auf eisernen Angeln entzwei! Mit traulichem Handschlag,
Grüßte die böhmische Schar, die draußen, mit steigender Kampfgier,
Harrete, hier das verbündete Volk, und stürzte, dem Mühlbach
Gleich, der schäumender Hast, durch weiteröffnete Schleußen
182Wild herrauscht, in die Stadt, und Rüdiger jauchzete laut auf:
„Eilt zum Kampf, Gefährten des Siegs! Schon seh’ ich erfüllet,
Was wir sehnlich gehofft: den Sturz des verhaßten Geschlechtes.
Unser die Stadt, das Volk empört. Auf, laßt uns die Söldner
All’ erwürgen im Schlaf, die jetzt auch des Führers beraubt sind —
Hartmanns: denn er floh, feig bebend, zuvor aus der Festung!
Schließet die Flügel sogleich des festeinfugenden Thores,
Und erweckt die Bewohner der Stadt zum Kampf der Errettung.“
Czernin jubelte nicht. „Fürwahr,“ so sprach er bedeutsam,
„Viel ist gescheh’n, und mehr, als die Hoffnung verhieß zum Beginne:
Nahe der Kaiserburg erblitzen die böhmischen Waffen;
Aber ich scheue des Glücks und des leicht zu bethörenden Volkes
Wankelmuth! Gar mächtig bewegt des herrschenden Stammes
Fromme Liebe die Brust: der Zauber, welchem die Herzen
Huldigen, kalt vom Erob’rer gekehrt — nicht selten auf immer.
Zwar verheißt uns die Schreckensnacht in dem Kampfe den Vortheil;
Doch uns bleibe dieß Thor. Des Rückzugs denke der Feldherr
Auch in dem Sieg, sonst gleitet sein Fuß auf schlüpfrigem Pfad’ aus.“
183Sagt’ es, und ließ an dem Thor zweihundert tapfere Krieger,
Sorgend, zurück: Bolest, dem Amtner, die Kühnen vertrauend,
Der, in dem Felde bewährt, mit festausdauerndem Kampfmuth
Schirmer ihm sey, und dereinst, so es also des Krieges Geschick will,
Seinem Volk’ es eröffne zur heißersehneten Rettung.
D’rauf vordrang er zugleich mit Rüdigers jauchzenden Scharen:
Denn schon hob aus der Stadt unendlicher Lärm und Getümmel
Sich in die Luft. Von den Thürmen umher ertönten die Glocken
Stürmenden Rufs; unzählige Feuer, mit hastigen Händen,
Rings auf den Zinnen entflammt, erleuchteten schrecklich die Umwelt,
Und Gebrülle der Wuth, unsinniger, frecher Empörung,
Scholl die drönenden Straßen hinab. Da fuhren die Mütter
Auf aus dem ruhigen Schlaf’, und stürzten herbei an das Fenster,
Weinten, und rangen die Händ’, umschart von heulenden Kindern.
Zitternd stand der Greis an der Thür: sein silbernes Haupthaar
Schlug ihm der Wind um die Stirn’ und die toderblasseten Wangen —
Sah den eilenden Sohn, und schrie, daß er kehre, vergeblich.
Aber es mehrte die Schar der Verblendeten weniges Volk nur,
Das, unstät und heimathlos, in die Veste gekommen
Ehedem: treu verharrt’ in der Pflicht die bessere Mehrzahl.
184Doch schon trafen, voll Wuth, die Empörer und ihre Genossen
Auf das muthige Schweizervolk, das kühn im Verein stand.
„Hartmann!“ scholl’s in der Burg, und „Hartmann!“ rings in den Straßen
Aengstlich und laut — umsonst: er weilte noch fern auf den Berghöh’n.
Da gedachten der Gegenwehr die Obersten: Arnold,
Flüe, und Hohenried, und stellten die Scharen im Halbmond,
Der sein Horn hier rechts, dort links in die Straßen hinausschob,
Gegen den wildempöreten Feind, vor der ragenden Burg auf:
Also vor ihr in dem Kampf, pflichttreu, zu sterben entschlossen.
Rüdiger stürmt’ auf Hohenried, der vorne die Scharen
Ordnete, los, und schrie: „Dich, Rudolphs treuen Gesellen,
Will ich allen zuvor, als heulenden Bothen, zur Hölle
Senden: verkünd’ es nur dort, daß sie folgen, und keiner entrinnt mehr!“
Rief’s, vorschreitend, und jener begann: „Gewaltiger Prahler,
Wärst du so tapfer, als frech mit der tönenden Zunge: mir würde,
Trau’n, erbangen die Brust; doch komm, und büße den Frevel,
Den du verübst g’en Treu’, und Pflicht, und den heiligen Eidschwur!“
So wortwechselten sie in dem Augenblick der Entscheidung.
Allen zuvor kam Hohenried, den blinkenden Degen
Schwingend, und drang grad’ aus auf Rüdigers pochende Brust ein.
185Aber er hielt ihm entgegen den Leun, von Silber gestaltet,
(Ottgars Löwen zum Ruhm’) auf dem Schild von mächtiger Wölbung:
Dieser wehrte dem Stoß’, und der sprödere Stahl, auf des Leu’n Haupt
Treffend, brach, wie unbeugsames Glas, mit kreischendem Mißlaut
Mitten entzwei. Da stieß, in des Gegners erschütterndem Unfall
Kühner geworden, ihm Waldram schnell die Spitze des Degens
Durch die erhobene Hand, daß ihr auch das umklammerte Heft noch,
Blutumhüllt, entsank — er wehrlos stand vor dem Gegner.
Sieh’, er hätt’ ihn durchbohrt: doch rissen hurtige Krieger
Ihn aus umdrängender Todesnoth, und führten ihn sorglich
Hinter die Reih’n, wo ihm Hülf’ und erquickende Pflege zu Theil ward.
Waldram schrie: „Getreue, nun vor! Des Führers beraubet,
Wanken die Feinde. Hinauf in die Burg, wo, sehnend, die Gattinn
Rudolphs harrt mit den Töchtern des Siegs und der fröhlichen Heimkehr
Ihres Gemahls. Vergeblich harre sie. Eilt, und geleitet
Sie in das Kloster Sanct Dorothe’; doch führet sie sanft hin:
Denn sie that uns kein Leid, und nah’t, abzehrend, dem Grab schon.
186Nur dem Herrscher allein, der seither Kaiser sich nannte,
Zeiget euch unversöhnlich, und schont ihn selbst in dem Tod nicht!“
Also rasete Waldram hier. Die frechen Empörer
Griffen wüthender an, und drängten die mittlere Kriegsschar,
Ihres Gebiethers beraubt, stets weiter zurück in den Burghof.
Czernin spornte sein Roß nun links, nun rechts, und entflammte
Laut mit Geschrei sein Volk, in die Feinde zu stürmen. Es kämpften
Flüe dahier, und Arnold dort, voll eisernen Muthes,
Gegen ihn an, und zu schwach, der Menge die Spitze zu biethen,
Zog sich Flüe, im schräggedehneten Zuge, vom rechten
Eilig zum linken Horn, um, vereint dem kühnen Gefährten,
Arnold, dort zu steh’n, und zu fallen im rühmlichen Kampf nur.
Dichtgedrängt in Reih’n, vorhielten die Schweizer die Lanzen
Hier dem stürmenden, reisigen Volk; die verwundeten Rosse
Wütheten — d’rauf noch mehr mit dem würgenden Eisen die Reiter
So, daß das Blut aufwogt’, und die starrenden Leichen bewegte:
Dennoch wichen nicht hier, nicht dort die erbitterten Gegner.
Doch von dem Kahlenberg, voreilend dem fürstlichen Jüngling,
Nahete Marbod erst, und sah mit Schrecken des Kaisers
187Schirmende Burg von der Macht des argen Verräthers gefährdet.
Nicht besann er sich lang’, und eilte hinaus nach dem Tabor,
Wo der Kaiser im Zelt sanft schlummerte, mitten im Lager
Seines erlesenen Heers. Dort fand er auch nahe das Schlafzelt
Hugo’s, den er erst gestern warnt’. Ihn dacht’ er zu wecken,
Senkte den Flug rasch hin, und begann im Geistergelispel:
„Auf, erhebe dich, Greis! Bald schaust du die Flamme des Aufruhrs
Leuchten heran von den Thürmen der Stadt, und hörest von dorther
Stürmenden Glocken-Klang und Gebrüll empörter Gesellen.
Wie, so schnell vergaßest du nun des warnenden Traumes:
Lachtest wohl fein? Auf, säume nicht hier zu erwecken den Herrscher!“
Eben rief auch die Vorhuth schon an dem Rande des Lagers
All’ das entschlummerte Volk stets lärmender auf zu den Waffen.
Aber der Greis erhob sich, voll Hast, und sah in der Wahrheit
Jenes erfüllt, was ach, nur ein Traum noch gestern ihn dünkte!
Eilig trat er sofort zu dem Herrscher, und sagte beklommen:
„Herr! unglaublich erschien dir vielleicht des träumenden Greises
Warnung? Tritt vor das Zelt, und vernimm mit Staunen des Aufruhrs
Wuthgeschrei in der Stadt, empört durch Rüdiger Waldram.
188Willst du’s, Herr, so eil’ ich mit reisigem Volk vor das Burgthor,
Einlaß heischend, und dämpfe die Gluth, eh’ ihr Flammen entfahren!“
„Nein, ich fürchte sie nicht,“ so entgegnete jener, „den Auswurf
Meines Volks empörte der Rasende nur, und die Bessern
Hängen noch redlich an mir. Und wie, ist mein tapferer Sohn nicht
Wiens Besatzung ein schirmender Hort? Sind Mutter und Schwestern
Ihm nicht ein heiliges Pfand, und es wagten die frechen Empörer,
Ungestraft, mit frevelnder Hand an die Theuern zu tasten?
Hundert Reiter allein genügen mir, sie zu vernichten.
Komm, wir zertreten die Gluth gar leicht im niedrigen Staub noch:
Denn ich bau’ auf die Hülfe des Herrn und die Liebe des Volkes.“
Heiter schwang er sich jetzt auf das Roß, und flog mit dem Helden
Hugo, im sicher’n Geleit erlesener Reiter zur Stadt hin;
Dann an dem Walle herum, bis er endlich des finsteren Burgthors
Graben ersah. Dort hemmt’ er das Roß, und winkt’: ein Drometer
Stieß in das schmetternde Rohr, und sieh’, bald riefen die Krieger,
189Kletternd herauf an dem Wall’: „Ist’s Hartmann, unser Gebiether?
Kommt er, ein Retter, heran in der Stund’ entsetzlicher Nothwehr?
Laßt uns vernehmen des Freundes Ruf, und wir senken das Fallthor!“
„Gott, und das Vaterland!“ so gab mit gewaltiger Stimme
Hugo zurück, „ist Freundesruf in dem Lager von Oestreich:
Aber nicht Hartmann — nein, den Kaiser gewahrt ihr als Retter!“
Laut erhob sich ihr Jubelgeschrei; doch näher und nähere
Scholl von der Roß-Au her, wo sonst die Rosse der Krieger
Weideten, schon das Getrab und das Klirren des Waffengeschmeides
Auf in der Nacht. Ach, Hartmann war’s! Ihn erkannte der Vater —
Ihn, den Vater, der Sohn. Verwirrung, Angst und Entsetzen
Faßten wechselnd ihn an; nur leis’ und furchtsam begann er:
„Vater, ich ging, auf dem heiligen Berg für die Mutter zu bethen,
Wie ich es jüngst verhieß der Flehenden: denn nicht entfernt mehr
Scheint ihr des Lebens Ziel; doch ach, entsetzlichen Frevel
Seh’ ich indessen verübt von den Meuterern hier, in dem Zeitraum
Einer entflohenen Stund’! Ich räch’ ihn, und sollt’ ich auch fallen.“
190Aber der Vater schwieg. Erschütternd zu schau’n, wie er vor sich
Hinsah, schweigend und ernst. Da flog der unglückliche Jüngling
Ueber das Thor, das erst mit Getös’, auf den Graben gesenkt, fiel,
Durch die finsterumwölbende Halle hinaus auf des Burghofs
Räumigen Platz. Er sah, wie auf Leichen erschlagener Brüder,
Rüdiger Waldrams siegender Macht, ein tapferes Häuflein
Muthig entgegenrang, der jetzt, Entsetzliches sinnend,
Ueber die Stufen hinauf in die Kammer zu dringen gedachte,
Wo die Fürstinn sich fand mit den lieblichen Töchtern: entschlossen,
Sie mit frevelnder Hand in des Klosters Gewahrsam zu bringen:
Denn er wähnt’ errungen die Burg, und dem böhmischen Löwen
Unterthan die Stadt mit Oestreichs herrlichen Fluren.
„Halt, Verruchter!“ so rief, aus dem Sattel gestiegen, ihm Hartmann
Donnernd zu. Er entblößte das Schwert, und kam wie ein Rohrwolf,
Der in des Winters Frost, vom Hunger getrieben, voll Blutgier,
Ein in die nächtlichen Hürden stürmt, und die blöckenden Lämmer
Würgt mit zerfleischendem Zahn: so kam er in Eile gesprungen.
191Flammen sprühte sein Aug’, und aus seiner erhobenen Rechten
Zuckte der Blitz gen Waldram hin; doch als er ihm nahte,
Wandte sich dieser, und rief: „Ha, du, Verhaßter vor Allen;
Jetzo nur muthig heran: euch all’ entsend’ ich zur Hölle!“
Flog, so rufend, ergrimmt, dem Feind’ entgegen, und strebte,
Stöhnend vor Hast, das Schwert in die tapfere Brust ihm zu stoßen;
Aber er schlug, vorschauenden Blicks, den nahenden Mordstahl
Seitwärts; führte den Todesstreich; zerschmetterte Waldrams
Helmdach tief in die Stirne hinab, und warf ihn entseelt hin.
Doch nicht rastet’ er noch: er saß blitzschnell in dem Sattel
Wieder: erhob das blutige Schwert; ritt glühend vor Mordgier
Mitten hinein in die Schar der Empörer, und wüthete links, rechts
Dort mit würgender Faust, daß Leichen auf Leichen sich häuften.
Ihres Gebiethers beraubt, und entmuthiget, warfen die andern,
Schnell die Waffen von sich, und floh’n, im Verborgenen Rettung
Suchend, davon. Die Burg ward frei durch den tapferen Jüngling.
Czernin drängte zuvor die hauptverwaiseten Scharen
Arnolds: ihm wichen die Krieger nur Schritt für Schritt in dem Wuthkampf,
Bis zu dem Schottenthore hinab. Sie schlossen sich eng’ an
Dort vor dem Gotteshaus’, und wehrten sich: alle für Einen,
Einer für alle zu sterben bereit, im rühmlichen Tod nur.
192Keiner wär’ ihm entfloh’n, wenn jetzo nicht, keuchend im Eilflug,
Näher der Reisige kam, und schrie: „Erschlagen ist Waldram:
Denket der Flucht! Er fiel in dem Kampf mit des Kaisers Erzeugtem;
Aber er selber, so jubelt das Volk, hält draußen am Burgthor.“
„Freunde,“ so rief ihr Hort den Reisigen, „Rüdiger Waldram
Hat uns schnöde getäuscht; nicht des Kampfes Gefahren — der Festung
Leichten Besitz verhieß er uns jüngst, da er stolz sich des Antheils
Aller Bewohner vermaß! Mit Recht wohl büßt’ er den Frevel.
Unser, zum Glück, das Thor: nun laßt uns gedenken der Rückkehr!“
Rief’s, und den Tiefengraben entlang, zu dem stilleren Neuthor
Jagt’ er das Roß: ihm nach die Reisigen alle. Die Flügel
Theilten sich heulend entzwei, und nicht rastet’ er, bis er die Fähren
Wieder ersah an dem Ufer der weithinrollenden Donau.
Doch nicht füllte den Raum der schwankenden jetzo die Last mehr,
Wie zuvor: erwürgt in den Straßen der mächtigen Festung
Lag die Hälfte des reisigen Volks, das gestern herankam.
Aber mit Trauer im Blick, obgleich ein Sieger, und Retter
In der Gefahr, kam Hartmann jetzt aus dem finsteren Burgthor,
193Langsam geritten heraus, wo sein der liebende Vater
Harrte; trauernd auch er, ob solchem Vergehen des Sohnes.
Dieser begann: „Verhallt ist der Sturm unsinnigen Aufruhrs:
Waldram büßte die Schuld: von meinem vernichtenden Eisen
Liegt er, durchbohrt, an der Treppe der Burg, die er, frevelnden Fußes,
Erst zu betreten gewagt; die Verbündeten schützte die Flucht nur.
Dennoch steh’ ich vor dir, ein Schuldiger. Soll ich auch büßen —
Denke des dunkeln Geschicks, das oft auf irdischer Laufbahn
Auch die Besseren feindlich ereilt! Nie mög’ es dich treffen!“
Und er senkte das Haupt. Doch Rudolph sah ihn, bewegt, an,
Hob die Rechte empor, und sagte mit rührender Stimme:
„Treu erfülltest du dein Wort, als edeler Ritter,
Mildgesinnet, und fromm, der sterbenden Mutter gehorsam;
Aber dich sollte die Pflicht mit eiserner Macht an die Festung
Bannen: ihr solltest du steh’n ein Hort in dräuender Kriegszeit,
Und ein wehrsamer Schild in der Noth. Wer darf sich erkühnen,
Das, was höher ihm schien, vor jener zu wählen nach Willkühr?
Herrndienst rief dich hier zu dem Dienste des Herrn, und du fehltest
Gegen das göttliche Wort des welterleuchtenden Lehrers.
Dein Vergeh’n, unglücklicher Sohn, soll keinem der Krieger
Künftig zum Beispiel seyn, zur Ermunterung, Gleiches zu wagen!
194So wie ich jüngst, der Veste zum Schirm, das Schwert dir vertraute,
Stellst du’s wieder zurück’, in die Hände des Helden von Tauffers.“
Jener reichte das Schwert ihm dar, erblassend, und schweigend.
Sieh’, jetzt kam aus dem Thor’ ein Jüngling gelaufen, und rief so:
„Herr, voll Angst erschein’ ich, ein Both’ aus des Jammers Behausung.
Deine Gattinn verschied in den Armen der liebenden Töchter
Sanft und ruhig um Mitternacht, noch ehe der Hammer
Zwölf’ ausschlug; o komm, und sey den armen ein Tröster!“
Hartmann warf sich vom Roß, und flog — ihm folgte der Vater,
Langsam und wankend vor Schmerz, die Stufen hinauf in die Kammer,
Wo die Heilige sanft entschlummerte: schnell zu erwachen
Wieder zum ewigen Glück’ und nie vergänglicher Wonne.
Ihr zu dem Haupt’ und den Füßen, die Stirn’ in die Hände geheftet,
Saßen die Töchter umher: gleich Marmorgestalten am Grabmaal,
Die zur herzerschütternden Schau der Künstler gebildet.
Hartmann beugte sich über sie hin; er küßte, noch stöhnend,
Ihr die erkaltete Hand, und der leis’aufweinende Vater
Warf sich im stillen Gebeth’ auf die Knie’. Nur Seufzer erschollen;
Thränen regten sich nur an den schmerzerstarreten Wangen.
195Aber am Morgen wie dumpf und bang ertönen die Glocken
Von den Thürmen der Stadt! Was läuft, und drängt sich das Volk jetzt,
Thränenumflossenen Blicks, in die heiligen Hallen des Domes,
Den, wie im Dunkel der Nacht, unzählige Kerzen erhellen?
Feierlich schallt ein Wehe-Getön’ aus der Orgel: Posaunen
Heulen, gedämpft, in den Sterbegesang vielstimmigen Chores,
Der von dem Tage des Zorns, von dem unerbittlichen Richter,
Von dem Gericht und dem Ende der Welt in Feuer und Flammen,
Spricht mit erschütterndem Laut. Doch jetzt gewahren die Augen
Mitten das Trauergerüst, auf drei, sich verjüngenden Stufen
Sinnig erbaut, und umher mit schwarzem Tuche behangen.
Ueber den Stufen gesammt ruht dort die sterbliche Hülle
Jener Verewigten schon, mit der Stirn’ zum Altare gewendet,
In dem geräumigen, sammt- und goldbekleideten Bleisarg.
Oben ziert ihn die Krone von Gold; die schimmernden Wapen
Sind an dem Trauergerüst ringsher auf Säulen geheftet,
Und auf silbernen Leuchtern erhöht die flammenden Kerzen.
Weihrauch wallt empor in die heiligen Hallen; die Priester
Feiern das Seelen-Amt am Altar, und die bethende Volksschar
Liegt auf den Knieen, und schluchzt: um die Beste der Fürstinnen trauernd,
Die nur zum Segen gelebt, als Mutter der Armen und Waisen.
Aber, erschütternd zu schau’n: nicht fern dem heiligen Altar,
Knie’t, von den Seinen umringt, und im Trauergewand auch der Kaiser:
196Alle zugleich vor Schmerz erblaßt — wie gealtert seit gestern!
Ach, sie starren zuweilen mit rothgeweineten Augen
Nach dem Sarg’, und sehnen sich, ihr, der selig Erhöhten,
Wieder vereinet zu seyn schon dort auf immer und ewig!
Als nun alles erfüllt, und die heilige Handlung vollbracht war,
Schwebte der Sarg, vom Gerüst’ auf kräftige Schultern gehoben,
Langsam hinab in die Fürstengruft. Zu Paaren geordnet,
Gingen die Priester ihm vor, und beteten leise den Bußpsalm;
Ihm nachfolgten die Ihren mit wankendem Schritt. Und so ward dort
Beigesetzt in der Gruft die Leiche der edelsten Fürstinn.2
Aber der Kaiser sprach zu dem ältesten seiner Erzeugten,
Albrecht: „Glühender Schmerz nagt tief in dem Herzen des Vaters
Und der Erzeugten zugleich, die jetzo der Mutter beraubt sind.
Ach, mich zög’ es wohl hin, in der einsamen Kammer zu trauern,
Jahrlang: denn nicht sehe ich mehr die holde Genossinn
Meines Lebens vor mir; nicht hör’ ich die Worte des Trostes
Aus dem Munde der Gattinn hinfort, wenn Tage des Kummers
Nah’n! So lösen sich hier die trautesten Bande des Lebens,
Die uns umfingen mit Lieb’, und wir steh’n am errungenen Ziel oft,
Wie der pilgernde Fremdling, allein. Doch sey es, wie Gott will!
197Jetzt, wo das Glück der Völker, der Ruhm, und das Beste des Landes,
Uns’rer Ehre vereint, von des blutigen Kampfes Entscheidung
Abhängt, laß uns das Leid, das eigene, tief in des Herzens
Unterstem Grund verschließen, und stark und kräftig einhergeh’n,
Wie es dem Manne geziemt, der würdig zu handeln, bestimmt ist.
Höre denn, was ich zuvor erwog im Gemüth’, und getreulich
Dann zu erfüllen beschloß! Jüngst wüstete weit in dem Marchfeld,
Wege und Stege gesammt, das entsetzliche Donnergewitter
So, daß dem Heereszug Gefahren entgegen sich thürmen
Sonder Zahl, die ein Feldherr nie hochmüthig verachte.
Ich geleite das Heer gen Heunburg heute noch, morgen
Ueberzusetzen, gesinnt, den Strom auf künstlichen Brücken,3
Die uns, auf Flöß’ erbaut, und mit lastenden Ankern gefesselt,
Dienen zur Bahn. Schon sah ich am Ufer unzählige Stämme,
Wohl behau’n, und gefügt von den werkbeflissenen Löhnern.
Eile mir vor im Gefolg fünfhundert erlesener Krieger,
Dort zu gebiethen den Bau, mit kundiger Sorgfalt. Ich folge
Rasch mit dem Heere dir nach, und steh’ an dem kommenden Morgen
Drüben am Ufer der March, vereint mit des Königs von Ungern
Tapferem Volk, im Rücken des Feind’s, und im mächtigen Vortheil.
Rühmt er der Menge sich gleich, doch siege die Treu’ und das Recht nur.“
198Jener begann alsbald: „Mit Freuden gehorch’ ich dir, Vater!
Aber, o sieh’, da sprengt dein Hartmann, eilenden Fluges,
Mit dem getreuen Kurd, der einst in den Jahren der Kindheit
Ihn auf den Armen trug, und den blühenden Jüngling das Reitroß
Bändigen lehrt’ auf der Ritterburg, ein tapferer Degen,
Näher; mich dünkt: zu weiterer Fahrt, mit dem Treuen, gerüstet!“
Hartmann hemmte den Lauf, und sagte, herüber gewendet:
Denn schon stand sein Roß auf dem Sprung, zu den Staunenden also:
„Leb’ wohl, Vater, und ihr, Geschwister mein, auch ihr alle,
Lebet auf lange denn wohl! Gar viele der Wege hienieden
Sind’s, die Gott die Seinigen führt; doch bringt er uns einst dann
Wieder zusammen im Glück von unvergänglicher Dauer!
Fort an den vaterländischen Rhein — hinüber nach Aargau,
Führt mich der Weg: denkt mein, des Entfernten, mit Liebe zuweilen!“
Rief’s; dann gab er dem Pferde den Sporn, und schwand auf dem Heerweg
Plötzlich dahin: ihm sah’n die Beiden mit thränendem Blick nach.
199Siebenter Gesang.
Marbod sah aus den Wolkenhöh’n, verglommenen Blickes,
Wie der Mond, umflort von herbstlichen Nebeln am Morgen,
Lang’ auf die dämmernden Fluren herab. Er dachte des Bruders
Ernst auf dem Kahlenberg, der kriegrische Thaten verschmähend,
Froh in der Einsamkeit verharrete: selbst, da ihm Hartmann
Ehre und Vortheil both in des Throns hellschimmerndem Umkreis.
Völlig fremd erschien ihm die Erd’, und verändert der Menschen
Leben und Geist. Nur Feindes-Gewürg im Schlachtengetümmel
Sann er sein Lebenlang; nur Kampfmuth heisch’t er vom Manne,
Und, ergrimmt, so ihm einst das heiß Ersehnte versagt war,
Schlug er den Stein mit dem Schwert’, und spaltete Bäume des Waldes —
Ja, was jetzt ihn zermalm’t, unschuldigen Menschen die Scheitel:
200Denn jetzt hört’ er von Liebe des Feinds, versöhnender Sanftmuth,
Schonung, und froher Geduld, und des Friedens sanften Gebothen.
Feig und entnervt erschien ihm fürwahr dieß Volk, so er seither
Nicht mit staunendem Blick sein Heldenleben gewahrte:
Seinen Muth in dem Kampf’ und im Tod, der Helden zu Theil wird.
Doch nun horcht’ er, erstaunt: im lauten Getöse der Waffen
Kam des Kaisers gewaltige Macht auf dem stäubenden Heerweg
Näher. So, wie der Sturm, empört, hersaust, und die Blätter,
Tausendfältig bewegt, aufrauschen im finsteren Waldthal:
Also klang in sein Ohr des kommenden Heeres Getümmel.
Alsbald schwebt’ er vom Morgengewölk nach den Zinnen der Heunburg
Hin: einst Attila’s Burg, der sich, als König der Heunen,
Furchtbarn Ruhm gewann, da er Gottes Geißel genannt ward;1
Doch verödet aufragte die Burg in die Lüfte; der Epheu
Kroch an der Mauer umher, und durch weitgehöhlete Fenster
Sah der bläuliche Himmel herab in den grasigen Hofraum,
Wo vom zerschlag’nen Gesims’ ureinst verfallener Bögen
Sich der Dornstrauch hob, und im Windesgesäusel sich wiegte.
Dort von des Wartthurms schwindliger Höh’ ersah er des Kaisers
Nahende Macht, und ihn selbst inmitten der tapferen Scharen:
201Wie auf dem feurigen Roß er schaltete, hin und herüber
Eilend, sie in geordneten Reih’n zum Ziele zu leiten.
Unabsehlich hinab auf der Straße war reges Gewimmel,
Lärm, und Getös’. Im Lichte der hellaufstrahlenden Sonne
Lachten die Fluren rings, und sie sog aus den blanken Gewehren,
Aus dem Harnisch und Helm, wie der Blitz augblendend, die Funken.
Jetzt, wo am Fuße des Bergs sich weit hinüber, im Halbkreis
Windet der Donaustrom, anlangten des Heeres Geschwader.
Zweifach theilt er sich dort, und streckt ein liebliches Eiland,
Gegen die breiteinmündende March zum linken Gestad hin.
Sieh’, und all’ die Nacht anschwammen die mächtigen Stämme
Wolkengethürmter Fichten, gesandt aus dem südlichen Forstland
Oestreichs, das im Gebirg, unendlicher Fülle, sich ausdehnt!
Dort, gehorchend dem Wink des hohen Erzeugers, erbaute
Albrecht nun die Brücke dem Heer’. Der Stämme je sechzehn
Hatt’ er zu Flößen vereint, und über des eilenden Stromes
Rücken, im kiesigen Grund mit lastenden Ankern gefesselt:
D’rauf erhöht das Säulengebälk’; unendliche Stämme
Ueber ihn hin gefügt, und sie in die Quere mit Bohlen
Dicht bedeckt: dem Mann’ und dem Rosse zum sicheren Heerweg,
Den an jeglichem Rand’ ein leichtes Geländer begränzte.
Doch vom Gestade, wohin mit duftenden Matten das Eiland
202Sich erstreckt, hieß Albrecht dann die Brücke noch schneller
Ueber den schmälern Arm erbau’n: denn längliche Fähren
Reihten, über der Fluth von gewichtigen Ankern gehalten,
Sich hinüber den Strom, und einten die ragenden Ufer:
Sicheren Uebergang dem eilenden Heere zu bahnen.
„Trefflich hast du, mein Sohn,“ so rief ihm der Kaiser entgegen,
„Alles und Jedes vollbracht, und bezwungen die Fluthen des Stromes
So, daß wir hinziehn auf ihm, und, des furchtbaren Abgrunds
Achtlos, freudig zum Ziel, dem ersehneten, fördern die Schritte:
Drüben dem stolzvertrauenden Feind’ in den Rücken zu stürmen.
Dein gedenken mit Ruhm noch kommende Menschengeschlechter.“
„Vater,“ so sagte darauf der Tapfere, „nimmer geahnet
Hättest du wohl: ich sey jetzt eigennützig, und harre
Gierig des Lohnes? So ist’s: mir wollest du solchen gewähren
Bald in der Schlacht: daß ich dort das Zeichen des Sieges vor dir her
Tragend, kämpfe zugleich für den edelsten Herrscher und Vater!“
Rudolph legte die Hand ihm sanft auf die Schulter, und sah ihm,
Beifalllächelnd in’s Aug’: ein zartgesinneter Vater!
203D’rauf erhob er das Schwert, und ritt, der erste vor allen
Ueber die Brücke, das Roß kurz haltend am Zaum’, und ihm folgten
So im gehalt’nen Schritt die Reisigen — folgte das Fußvolk
Rastlos nach. Sie donnerte laut, von unzähligen Hufen
Wiehernder Rosse gestampft; doch unter des eilenden Fußvolks
Ehernem Schritt’, erdrönte sie dumpf nur, und schwankte der Last nach.
Also zog er den breiteren Arm, des grünenden Eilands
Augefild’, und den schmäleren Arm der mächtigen Donau
Freudig hinüber zum linken Gestad’, am unendlichen Marchfeld.
Dort aufstellt’ er das Heer, und rief dem kühnen Capellen:
„Tapferer, sey mit der Schar fünfhundert erlesener Reiter
Heute der Führer des Vorderzugs, schlagfertig und wachsam
Jeglichen Augenblick, so Gefahr uns drohte vom Gegner!
Otto von Meißau lenkt die Reisigen; doch vor dem Fußvolk
Ziehe nun Meinhard, herrschend, einher; ich gebiethe dem Nachzug.
Rastlos wollen wir bald des Feindes Lager uns nähern.“
Also geschah’s: Capellen ging an der Spitze der Reiter
Vorwärts. Hoch in der Luft, vom säuselnden Winde gehoben,
Flatterte, grün, sein Fähnlein vor in der Farbe der Hoffnung.
Otto’s Fähnlein, blau, die Farb’ ausdauernder Thatkraft,
Folgte mit neun- und zwanzigen noch, die im Lichte des Morgens
Schimmerten, vielfach an Farb’, wie solche dem Ritter genehm war,
204Der sie gewählt, ihm nach, und mit jeglichem kamen der Reiter
Hundert. D’rauf erschien, blutroth, des unbändigen Muthes
Farbe verrathend, die Fahne der görz- und tyrolischen Herrschaft:
Meinhards Siegespanier! Ihr reihten der schimmernden Fähnlein
Fünfzig sich an, und nach jeglichem eileten hundert der Krieger:
Alle mit Helmen und Schilden bewehrt, und mit Lanzen bewaffnet.
Aber nach ihm, umringt von der Schar der edelen Ritter,
Führte der Kaiser selbst in dem Nachzug jene zum Kampf vor,
Die aus den rheinischen Gau’n nach Oestreichs Fluren gekommen,
Und ihm folgte das Kriegs-Gezeug’ im unendlichen Zug nach.
Schnell g’en Hof an der March vordrangen die muthigen Völker,
Sonder Trommelgetön und Drometengeschmetter: dem Gegner
Weislich zu bergen die Macht, die ihn bald umstürmet im Schlachtfeld;
Naheten dann Schloß-Hof, wo empor aus den düsteren Mauern
Einer verödeten Burg der Wartthurm sich in die Luft auf,
Dräuenden Anseh’ns, hob.2 Nur Molch’ und giftige Nattern
Haus’ten in ihrem unheimlichen Raum. Mit rieselndem Schauder
205Eilte der Wand’rer vorbei, und der Hirt hielt ferne die Heerden
Von den Mauern, wo einst (so kündet die Sage) die Hausfrau,
Eitelen Sinnes, der Wangen Paar in dauernder Schönheit
Sich zu bewahren, in’s Burgverließ die Kinder verlockte,
Schlachtete, dann mit dem Blute sich wusch, unmenschlichen Herzens;
Aber sie starb durchs Schwert, und die Burg vermieden im Land dort
Rings die Bewohner umher — zumal in den Stunden des Abends,
Wo, so kündeten sie, ein Werfen mit Steinen im Hofraum,
Lautes Zischen vom Wartthurm her, und ein Stöhnen und Aechzen
Aus dem Verließ erscholl. Doch sieh’, als jetzo vorüber
Eilte das Heer, da gewahrete Jörg, der muthige Reiter
Steyrischen Oberlands, auf den Zinnen des ragenden Wartthurms
Sitzend ein Wesen von Menschengestalt, von Bewegung, und Leben!
Alsbald sprang er vom Sattel, und rief, verhöhnend: „Nicht furchtbar
Sind die Geister bei Tageslicht; ich wette, die Böhmen
Sandten den Späher heran: ich will es ihm tapfer gesegnen!“
Rasch enteilt’ er, und klomm an der Mauer, der Gemse nicht ungleich,
Die an der Felswand schwebt, empor, bis über dem Fallthor
Er die Stufen gewann, und schnell zu den Zinnen hinaufstieg.
206Schon entfuhr ihm ein höhnender Ruf, da wankt’ er voll Schrecken
Wieder zurück: so grausenhaft erwies sich der Fremdling,
Der ein Jüngling ihm schien. Sein losgewühletes Haupthaar
Flog ihm wild um die Stirn’; an dem blutigen Wamms und den Schenkeln
Hingen nur Trümmer des Riemwerks noch vom zerschmetterten Panzer,
Wie auch der Schienen am Bein’. Er zitterte: Wuth und Verzweiflung,
Rach’ und Schmerz verrieth sein tieferglühendes Antlitz,
Als er, den Degengriff mit krampfhaftzuckender Rechten
Haltend, nach Jörg umsah, der jetzt ihm wieder genaht war.
Aber dem dräuenden faßt’ er die Brust, und warf, mit des Riesen
Kraft gestählt, von des Wartthurms Rand’ ihn hinab in den Abgrund:
Seinem Volke zur Schau, das eben voll Muthes heran kam.
Siehe, da liefen sogleich die Gefährten des sterbenden Kriegers
Hin nach dem Thurm, voll Gier, den schrecklichen Frevel zu rächen;
Doch schon eilt’ er die Stufen herab, und sprang wie der Steinbock,
Den der Schütze verfolgt von Klippe zu Klippe hinunter,
Mit erhobenem Schwert, von der Mauer der Burg auf den Vorgrund,
Gegen die Rächerschar, sich wüthend zu wehren, entschlossen!
Aber es sprengte der Kaiser das Roß in Eile herüber,
207Und, vernehmend die That des grimmerfülleten Jünglings,
Hemmt’ er die Krieger, und rief dem Nahenden: „Halt, ich gebieth’ es!“
Jenem sank der dräuende Arm bei den Worten des Herrschers
Plötzlich hinab, daß am Stein die Spitze des funkelnden Eisens
Klirrete: denn er besann, die Augen erhebend, sich jetzo:
Ob er die Stimme gekannt, die ihm also gerufen? Er starrte
Schweigend ihn an; die Wuth entschwand, wie schneeige Flocken
Vor dem mächtigen Strahl der wolkenenthülleten Sonne
Schwinden, aus feinem Gesicht’, und im Kreise der zuckenden Wimpern
Wies sich nun herzinniges Leid, das nahe der Thränen
Leis’aufstrebenden Quell verkündete. Mild, und versöhnend
Sagte der Kaiser: „Verschonet ihn doch: nicht mit hellem Bewußtseyn
Hat er Arges verübt. Kein größerer Jammer auf Erden,
Denn des Unglücklichen Schau, deß’ edelster Vorzug: des Geistes
Licht, verdunkelt ward; der unter den Lebenden weilet,
Aber, entfremdet dem holden Verkehr’ und der trauten Gemeinschaft
Seiner Lieben, zum Grab fortwankt im finsteren Wahnsinn.
Wahrlich mich däucht, als hätt’ ich ihn jüngst gesehen: ein Zerrbild
Jenes Ritters, der so feindlich am Tabor turneyte!“
Pferdegetrab erscholl jetzt laut in der Nähe: des Reiters
208Ledig, kam mit verhängtem Zaum der Braune gesprungen;
Lief dem erkannten Jünglinge zu, und fuhr mit dem Hals’ ihm,
Wiehernd, unter den Arm, daß er über den Mähnen herabhing.
Alsbald faßt’ er dies’, auf des treu erfundenen Thieres
Rücken sich schwingend in Hast, und flog nach dem Ufer der March hin.
Nicht besann er sich dort: er schwamm die Fluthen hinüber,
Und entschwand den Augen der stummnachstarrenden Krieger.
Ach, und der Jüngling war’s, der jüngst so feindlich turneyte:
Wallstein! Als in der Schreckensnacht, vernichtet von Ottgars
Wüthendem Zorn, er, allein, gehöhnt, und urplötzlich aus Edens
Rosenau’n, wohin ihn Hedwigs Engelgestalt rief,
Rauhverstoßen sich sah: da warf er die Blicke, mit Ingrimm,
Schweigend noch, um sich her; erhob sie g’en Himmel; zerwühlte
Sich mit der Rechten das lockige Haar an der Stirn’, und besann sich:
Was ihm gescheh’n? Jetzt trieb er das Roß mit schrecklichem Ruf’ an;
Riß aus der Scheide den Stahl, und schlug, und bohrte dem armen,
Immer tiefer den Sporn in den Leib, daß er blutet’ im Lauf hin.
Also wohl Stunden lang, fort über die Hügel und Thäler
Trieb er hinaus und herein, voll Wuth, bis athemberaubet,
209Endlich das Roß hinsank am hainumränderten Blachfeld.
Lange stand er dort, wie erstarrt. Der nahenden Sonne
Rosiger Strahl, nach welchem er sonst mit Liebe sich sehnend,
Rasch die Höhen erklomm, und dort aufjubelte, wenn er
Ihm die Stirn’, die umliegende Flur, und der wirbelnden Lerchen
Zartes Gefieder beschien, die hoch vom Gewölk’ ihn begrüßten —
Ha, wie trüb erglüht’ er ihm jetzt! Wie schrecklich ertönt’ ihm
Heut der sonst entzückende Ruf der befiederten Sänger
Drüben im schauernden Wald, und wie schal erschien ihm das Leben
Ringsum! Furchtbar schwoll ihm die Brust von unsäglichen Qualen:
Lichtleer dünkt’ ihn der Tag, und die Sonne verloschen. Er warf sich
Dann auf die Erde; verbarg im thauenden Grase das Antlitz;
Lag schwerathmend noch, und weinte mit leisem Gestöhn’ fort.
Doch nun fuhr er empor (ihn faßt’ unbändige Zornwuth)
Riß sich vom Haupte den Helm, den Panzer vom Leib’, und die Schienen,
Hastig, von Arm und Bein’, und verstreute sie, schmetternd, im Staub dort,
Weil ihn solche nicht schirmten, zuvor, g’en Schmach und Entehrung.
Jetzt mit dem Schwert in der Faust, und dem einen Gedanken im Herzen:
210„Ottgars Tod!“ hinbraus’t’ er im Feld’, ihm zu nahen, entschlossen.
Also den Tag und die Nacht fortras’t’ er, und kam an dem Morgen,
Wutherschöpft, g’en Hof an der March zu dem einsamen Schloß her;
Klomm den Thurm empor, und forschte herum in der Dämm’rung.
Stille herrscht’. Er sah hinab in den schwindelnden Abgrund:
Einen Schritt von dem Rand — kopflangs hinunter, und stumm war
Plötzlich der schreiende Schmerz in der Brust, und verschollen der Menschen
Liebehöhnender Ruf. Doch Ottgar lebend auf Erden
Noch? Nur jenen erwürgt zuvor: dann sterben wie immer!
Nun, vor den Kaiser geführt, und dort nur Worte der Sanftmuth
Hörend von ihm, den er erst jüngst, ein eifernder Ritter
Ottgars, offen gehöhnt: das brach ihm das Herz, und mit Thränen
Hätt’ er, liegend im Staub’, ein Reuiger, jetzt ihn gesöhnet;
Doch ihm folgte sein treues Thier, und er jagte von dannen.
Sieh’, und rastlos fort g’en Marcheck zogen die Scharen
Weiter im fröhlichen Muth, nicht achtend des sengenden Mittags,
Noch des qualmenden Staubs, entlang den unendlichen Heerweg!
Aber vor Marcheck kam ein Häuflein kumanischer Reiter
211Näher gesprengt: wohl fünfzig Mann, und der Führer des Volks war
Kaduscha. Ihm ertönte der Gruß der Kampfesgenossen.
Auch er schwang den blitzenden Stahl, den Freunden zum Dank, auf,
Und erkundet’ im Flug: wo er treffe den mächtigen Kaiser?
Aber ihn führte das Volk stets weiter zurück’ in den Reihen,
Bis er im Waffenschmuck die Schar der erlesenen Ritter
Drüben ersah, und gerad’ dorthin den schnaubenden Läufer
Spornte. Umforschend im Kreis’, begann er, und sagte, verwundert:
„Traun, ich schaue vor mir vereint gewaltige Männer;
Doch nach dem Herrscher des deutschen Volks, dem Kaiser Rudolphus,
Forsch’ ich umsonst! Erkennbar leicht ist der König der Ungern
Schon an dem Purpurpelz, der, rings mit Zobel verbrämet,
Ihm von den Schultern fließt; an dem Stern, voll Edelgeschmeides,
Der an der Brust den Pelz festschlingt mit der goldenen Kette;
Auch an dem Reiher, des Kalpags Zier, entschwebend des Demants
Funkelnder Ros’, und dem Stab, den er in der Rechten, zum Zeichen
Heerebewegender Macht, und erhabener Herrschergewalt führt:
Denn nur kurz ist der Stab, von Golde getrieben, und oben
Noch mit der Kugel verseh’n: ein Abbild furchtbarer Waffe,
Die in des Ungern Faust zerschmettert dem Feinde die Scheitel;3
212Doch wen grüß’ ich als Herrscher hier mit meines Gebiethers
Freundlichem Wort? Verzeiht, so ich irre! Mich dünket, der Ritter
Dort in der einfachen Wehr’, ob seines erhabenen Anseh’ns
Und der Macht in dem Blick’, ist der Herrscher, zu dem ich gesandt bin.“
„Wohl, er ist’s,“ entgegnete jener, „du hast ihn gefunden!
Aber verkünde nur schnell: was uns der tapfere König,
Unser Freund und Bundesgenoß’, Erfreuliches darbringt?“
„Heil und Segen zum Gruß,“ sprach Kaduscha, heimlich erschüttert,
„Sendend zugleich mit der Siegesbothschaft Zeichen des Glückes
Dir zum Geschenk! Den Kampf begann der Kune mit Ruhm schon.
Längs dem Ufer der March, im Hinterhalte verborgen,
Lag mein Volk: da zog des Weges vorüber der Böhmen
Streitgerüstetes Heer. Wir harrten, lauernd im Dunkel,
Bis der größere Hauf’ hinschwand, und die Beute so herrlich
Dar sich both. Fürwahr, ein blutiger, schrecklicher Kampf war’s!
Dennoch entkamen der Feinde nur zween aus hunderten: alle
Lagen erwürgt. Wir hieben sogleich von dem Rumpfe die Häupter,
Sie, auf die Säbel gespießt, nach dem Lager zu tragen, und eben
Bringt in Körben von Schilf dir solche mein Volk zum Geschenk her,
213Drüben am schlängelnden Weidenbach, wo dein der Beherrscher
Ungerns harrt mit gewaltiger Macht. Das soll ich dir künden.“
Heimlicher Schauder ergriff, bei der Red’ entsetzlichem Inhalt,
Rudolphs mildgesinnetes Herz, er wandte sich seitab,
Barg die Stirn’ in die Hand, und rief nach erschütterndem Schweigen:
„Furchtbar habt ihr gesiegt, und dem Feinde Verderben bereitet,
Uns voreilend sogar. O möchte die Liebe des Heilands,
Möchte sein hohes Gesetz in euren verwilderten Herzen
Eingang finden, daß ihr entsagtet für immer der Ahnen
Schmählichem Götzendienst: nicht würd’ unmenschlicher Kriegsbrauch
Schänden den Sieg, den ihr mit tapferem Muthe gewonnen!
Biethet der Krieg nicht genug des Furchtbaren dar, und ein Jammer,
Schrecklich, wie der, soll ihn noch entsetzlicher, wilder gestalten?
Wehe, daß oft nur aus Blut des Friedens lieblicher Oehlzweig
Keimt, und, mit glühenden Thränen benetzt, die Blüthen entfaltet!
Schwarzenberg, gib jetzo Geleit den muthigen Kunen;
Zieh’ uns voran, und verkünde mit Huld, wie es Rittern geziemet,
Unsern Freundesgruß dem Könige! Aber ich folge,
Tapferer, dir auf dem Fuß, mit dem muthbegeisterten Heer nach!“
214D’rauf noch sagt’ er ihm leis’: „O schaffe die Reste der Todten
Schnell bei Seite, daß solch’ ein frommer Priester begrabe,
Würdig, nach Christenbrauch: denn unsere Brüder begräbt er!
Hohn, an den Todten verübt, erfüllet die Seele mit Schauder.“
Sagt’ es, und jen’ entschwanden im Flug auf dem stäubenden Heerweg.
Ottgar rückte mit Heer’smacht an. Nur das Auge der Geister
Dringt in die weiteste Fern’: entflohen der sterblichen Hülle
Schau’n sie vom Nord- zu dem Südpol hin des kreisenden Erdballs
Vielbevölkerten Raum; sie schau’n des unendlichen Weltmeers
Schwankende Wüsten, und dort, wohin kein segelndes Fahrzeug
Je noch Sterbliche trug, auf weitentlegenen Inseln,
Sonder Zahl, gar seltsamgestaltete Thier’ und auch Menschen.
Marbod sah aus den Wolkenhöh’n des entrüsteten Ottgars
Nahende Heeresmacht mit heimlichem Schauder: unzählbar
Schien sie ihm gegen des Kaisers Heer an Mannen und Rossen;
Auch nicht ferne zugleich der wildumwüthende Kampf mehr.
Alsbald sann er besorgt, ob einer der Lüftebewohner
Nahe sich fände, mit ihm vereint, in blutiger Feldschlacht
Beizustehen dem Hort der edelmüthigen Deutschen?
Schauend umher vom Gewölk nach den fernentlegensten Ländern,
215Drang sein forschender Blick von dem Rücken des sanften Gebirges,
Wo, beginnend vom Donaustrom’, an dem freundlichen Preßburg
Höher und höher empor sich hebt, und thürmt der Karpathen
Mächtige Kett’ (entlang die silesisch- und polnischen Länder,
Eine schirmende Mark für die reichen Gefilde von Ungern)
Bis zu dem Riesen der Lomnitz hinauf, der, schneeigen Hauptes,
Hoch aus den Wolkenhöh’n in die lieblichen Thäler der Zips schaut:4
Dorthin drang sein Blick. Auf der Scheitel des Riesen gewahrt’ er
Jetzo, erstaunt, den, einst gewaltigen Führer der Gothen,
Katwald, hingestreckt mit Inguiomar, dem Cherusker,5
Hermanns Ohm, der, zürnend dem heftigen Varus-Besieger,
Ihn zum Bundesgenossen erkor in den Tagen der Nothwehr.
Schüchtern naht’ er den Höh’n: denn Katwald, finstern Gemüthes,
Trug ihm Haß in der Brust. Er hatt’ ihn vertrieben aus Böheim;
Jener rächte sich d’rauf, mit den Römern im Bund’, und vertrieb ihn
Wieder aus Marobud, der Stadt, die er gründete, machtvoll
So, daß er dann ein Flüchtling starb in den Mauern Ravenna’s.
Dennoch bezwang er sein sträubendes Herz, und schwang sich hinüber
216Von dem Gewölk. So lang’, als hier, aus der Schleuder geworfen,
Fleugt der sausende Stein, und fern zur Erde herabsinkt,
Währte sein Eilflug nur, und er stand vor den Beiden, und sagte:
„Ha, ihr weilet dahier, entzückt von der reizenden Ansicht,
Die dieß Land gewährt im Schooß’ umragender Berghöh’n?
Schön ist es: wie nach den vier Weltgegenden, mächtige Flüsse,
Ewig genährt von dem sprudelnden Quell, aus dem hohen Gebirgsthal
Wälzen die silberne Fluth; wie solches, mit Städtchen und Dörfern
Rings besäet, die blühende Flur dem Auge zur Lust beut!
Aber ein wichtiger Streit entzweit die mächtigsten Fürsten:
Welchem die östliche Mark, die ich einst beherrschte, zum Eigen
Werde noch heut’: denn nah’ ist der Kampf, dem Kaiser der Deutschen,
Oder dem König des Lands, das ach, von Rache getrieben,
Katwald, du, mir entrissest im Kampf — dem König von Böhmen?
Habt ihr völlig vergessen des Muths, der schnell in dem Busen
Aufflammt, wenn die Dromet’ erschallt, das wiehernde Schlachtroß
Steigt, und der blitzende Stahl in der Rechten des Helden umhersaus’t?
217Kommt, mit thatenerregendem Wort’ und stachelndem Zuruf
Anzufeuern die Kraft der, uns abstammenden Deutschen,
Und zu verherrlichen heut’ in dem Feld den erhabensten Kaiser!“
Inguiomar erhob bei den Worten sich schnell von des Felsens
Schneeigem Kulm, wo er saß (er ragte noch höher denn Marbod,
Riesengestaltet, auf), ergriff ihm die Hand, und begann so:
„Trauter, nicht sah dich mein Aug’ seitdem, als, flüchtig des Landes,
Du nach dem herrlichen Wälschland zogst: mehr Jahre, denn tausend,
Sind den Menschen entfloh’n, seit solches geschehen! Ich weilte
Unten im Schooße der Erd’, in düstere Träume versunken;
Plötzlich rief es mich fort. Wer rief? nicht wußt’ ich es — folgte.
Doch nun zieh’ ich mit dir: ein Freund der Söhne von Deutschland!“
Also gesellt’ er sich ihm; doch Katwald starrt’ in den Abgrund
Finster hinab, und verschloß den mildversöhnenden Worten
Marbods feindlich das Ohr: da entschwanden die beiden Vereinten,
Arm in Arm. Er hob mit Grimm in den bläulichen Augen —
Trotz in dem blassen Gesicht’, um welches der säuselnde Westwind
Wiegte das röthliche Haar, sich vom Boden, und folgte nur zögernd
Jenen nach, die rasch nach Oestreichs Fluren enteilen.
218Aber auch Marcheck lag im Rücken des ziehenden Heers schon.
Von Baumgarten herab, in der Au feldlagerte weithin
Ungerns Macht, verhüllt von schattenden Weidengebüschen.
Dorther jagt’ im Gefolg der Reisigen jetzt auf dem Heerweg
Ladislav, der König, heran: er dachte dem Kaiser
Würdig zu nahen, und hielt, als Staub aufwallte zum Himmel.
Schwarzenberg mit Kaduscha war’s, der eilig daherkam.
Jener entblößte den Stahl, und senkt’ ihn zum Zeichen der Ehrfurcht,
Vor dem Könige; d’rauf erhob er ihn wieder, und sprach so:
„Mein erhabener Kaiser und Herr entbiethet dir, Hoheit,
Seinen Gruß! Er kommt, dein redlicher Bundesgenosse,
Dich an die sehnende Brust vor dem Heere zu drücken. Nicht fern mir
Folgte der Vorderzug: bald siehst du ihn schalten im Nachzug.“
„Herr,“ sprach Kaduscha jetzt, „erblickst du sein Heldengefolg dort,
Forsche mit Fleiß, daß vor Allen sogleich dein Aug’ ihn erspähe:
Denn nicht glänzt er im Waffenschmuck; nur magst du ihn kennen
An der erhabenen Stirn’, der wölbenden Nase des Adlers,
Und an dem Herrscherblick in der Himmelsbläue der Augen!
Fremd ist die Furcht dem Kaduscha, doch erbebt’ er, ihm nahend.“
219„Freude mit ihm,“ entgegnete schnell der König, „und Glück uns
Beiden Verbündeten, da sich Ottgars furchtbare Heersmacht
Gegen uns wälzt wie die Fluth, die aus ihren Gestaden getreten!
Aber er komme nur: bald begegnen wir ihm in den Feldern
Ewigen Ruhms, vereint mit Rudolphs tapferen Scharen.
Unser Stahl ist geschärft, und die Rechte gar mächtig zum Einhau’n.“
Sieh’, da hob sich erneut von der Straße der wirbelnde Staub auf,
Und der Rosse Getrab ertönete näher und näher!
Rudolph jagte heran im Gefolg’ erlesener Ritter:
Denn ihn drängte das Herz, den verbündeten König zu grüßen!
Aber noch standen die Ross’ an dem Weg, tiefhangenden Hauptes
Tragend den Siegespreis unmenschlicher Krieger. Nicht säumte
Schwarzenberg, und begann mit eiferndem Laut vor dem König:
„Schnell g’en Zwerndorf hin, da es also dem Kaiser genehm ist,
Trage die Last der wohlverhülleten Körbe das Saumthier:
Ihm ein werthes Geschenk, weil dort der redliche Priester
Solche nach heiligem Christenbrauch der Erde vertrau’n wird.“
Sagt’ es, und rief Luitold, dem muthigen Knappen. Er nahte
220Folgsam, und führte die Schar der Treiber zurück mit den Rossen.
Ringsum staunte das Volk, und sah bald seinen Beherrscher,
Bald den Fremdling an; doch, tieferglühenden Blickes,
Saß der König im Sattel, und schwieg, und ließ ihn gewähren.
Allen zuvor kam jetzt der Kaiser gesprengt, daß ihn alsbald
Ladislav erkenne, der Hort der tapfern Magyaren.
Beide sprangen behend’ aus dem Sattel. Sie streckten die Rechten,
Einer dem andern im schnelleren Gang, begrüßend, entgegen;
Hielten mit heißem Druck die verschlungenen; standen, und blickten
Lange, staunend sich an. Dem Auge des einen entstrahlte
Feuriger Muth; entscheidende Kraft, und Würde des andern.
Als sie jetzo gesättigt das Herz in freundlicher Anschau,
Schweigend, begann voll Hast der jugendlichblühende König:
„Werth sey mir der heutige Tag, und theuer vor allen,
Wo ich, Erhabener, dir, deß’ Ruhm erfüllet den Erdkreis,
Nahete, bund’svereint: denn lang ersehnt’ es mein Herz schon!
Siehe, nicht riefst du umsonst: ich zog aus den unteren Landen
Meines Reichs mit Heeresmacht dir zu Hülfe! Des Ungern
Flammenden Muth kennst du, wie er einstürmt rasch in die Schlachtreih’n;
221Aber der Kun’ ist schrecklicher: denn ihm wohnet die Wildheit
Seiner, erst jüngst verlassenen Stepp’ an des Tanais Ufern,
Ungezähmt in der Brust; du sollst uns loben im Schlachtfeld.
Ha, dort fleugt Staub auf! Fürwahr der Feind ist im Anzug;
Solches verkündeten mir zuvor Eilbothen, aus Weiden
Kommend, voll Angst: das Volk ersehnet den Retter Rudolphus!“
Als der Kaiser die Worte vernahm, da wandt’ er die Augen
Schnell g’en Oberweiden zurück, das über den Sandhöh’n
Einsam liegt: ein hainumsäuseltes Dörfchen. Von dorther
Hob sich der Staub zum Gewölk. Wie nach glühenden Tagen des Sommers,
Hinter dem fernen Gebirg’, empor die schwärzlichen Wölkchen,
Gleich dem, gebläht, in die Lüft’ aufsteigenden Balle sich heben,
Bis sie im höheren Raum mit den weitgedehneten, lichten,
Aestigen plötzlich vereint, den wetterleuchtenden Schleier
Auf an den heiteren Himmel zieh’n: so flog auf dem Heerweg
Sparsamer erst, dann häufiger, hoch der qualmende Staub auf,
Der, von der Abendsonne durchblinkt, wie vom Blute geröthet,
Ottgars nahende Macht verkündete. Jener begann so:
„Ha, Beherrscher der Ungern, du bist zur Stunde des Glückes
Jetzt mit dem Heldenheer’ als Bundesgenoß mir erschienen!
222Säumen wir nicht. Nur einmal beut auf entscheidender Bahn dir
Freundlich die Hand das Geschick: ergreifst du sie nicht, so entzieht es
Selbe für immer vielleicht. D’rum sey in gebiethender Hast nun
Unsere Macht zum Wohl unzähliger Menschen vereinigt.
Frisch an die That! Wir ordnen das Heer sogleich in dem Feld hier.“
Alsbald schwang er sich rüstiger auf in den Sattel, und sprengte
Hin, und herüber im Flug, mit des Feldherrn Auge die Gegend
Rings erforschend, zum Kampf den günstigen Raum zu erlesen.
D’rauf entboth er vor sich die Herolde: hieß von des Heeres
Rechtem Horn, g’en Zwerndorf hin Oestreicher und Steyrer
Zieh’n; von dem linken die Macht der Kärnthner und Krainer, nach Marchecks
Fluren hinab. Capellen geboth den ersteren; diesen
Meinhard, Graf von Görz und Tyrol, als oberster Feldherr.
Aber im mittleren Raum, Baumgarten nicht ferne, des Dörfchens
Früchtegesegneter Flur, vereinte sein Wink die Tyroler,
Schwaben, und Schweizer zugleich, gar tapfere Scharen im Schlachtfeld.
Also in fünf Heersäulen stand des gewaltigen Kaisers
Macht zu dem Kampfe bereit. Vor jeglicher wehten die Fähnlein
223Edeler Ritter empor in die Luft, und die sinkende Sonne
Leuchtete hell aus den Helmen und Harnischen, furchtbar zu schauen!
Reisige folgten den Rittern nach, und, diesen im Rücken,
Trefflich geordnet, die Reih’n des lanzentragenden Fußvolks,
Wo vor jeglicher, schimmernd im Licht, ein mächtiges Banner
Flatterte, dort den Kriegern Verein in dem Kampfe gebiethend.
Aber vor allen empor, aus dem Kern des stattlichen Heeres
Hob sich die Reichsfahn’ auf: wie des Meerschiffs mittleres Segel,
Flatternd umher im Hauch des leis’umschmeichelnden Westwinds,
Und enthüllend den Doppelaar, mit der Kron’ und dem Zepter
Herrlich geziert, nun rechts, nun links auf dem goldenen Feldraum;
Immer wies sie dem Heer’ die Nähe des waltenden Herrschers.
Aber er sagte darauf zu dem Könige, schnell und entschlossen:
„Sey dort hinter Capellens Macht, zur Rechten, der Kunen
Furchtbare Schar gestellt, die Kaduscha’s Winken gehorchet;
Aber zur Linken, verhüllt von der schattenden Au’, und des Meinhards
Völkern zur Stütze gespart, erwarte die tapfere Heerschar,
Die Trentschins Gebiether beherrscht, den ehrenden Aufruf:
Loszubrechen mit Macht auf die wildanstürmenden Gegner;
Doch du weiche zurück: denn also gebiethet die Sitte
Deines Landes dem Könige — fern von dem blutigen, Schlachtfeld
224Sitzend auf einer der ragenden Höh’n, auf dem rollenden Wagen,
Oder dem feurigen Roß, des Kampfmuths seiner Erwählten
Zeuge zu seyn!6 Schon neigt sich der Tag. Nicht wird uns der Feind mehr
Heute begegnen im Feld; doch sey’s: er komme! Mit Freuden
Wollen wir entgegen ihm zieh’n, und der Ehre gedenken.“
Sagt’ es, und bald stand jegliche Schar, in Reihen geordnet,
Nach dem schaltenden Wink des erhabenen Kaisers. Der König
Ungerns gewann mit Gefolg die aufragende Wart’ auf dem Hügel,
Die in der Vorzeit einst zur Gränzmark diente den Völkern.
Doch g’en Westen hinab, nach des Abends goldenen Fluren
Senkte die Sonne den Flug, und sah vom Rande des Himmels
In das erhellete Nebelgewölk, das, duftigem Schleier
Gleich, empor sich hob, sie in lieblicher Ruh zu umfangen;
Rosig die Brust erhellt von ihren verglühenden Strahlen,
Wanderten hoch in dem Wolkenreich nach entfernteren Zonen
Singende Schwäne dahin; im Saatfeld zirpten die Heimchen;
Leise verhallte des Tages Geräusch, und das Leben verstummte.
Aber die Höhen entlang, die rechts von Weiden nach Marcheck,
Weitgedehnt, sich zieh’n, und des Marchthals Fluren beherrschen,
Tönete jetzt Getrab anstürmender Rosse, der Waffen
225Helles Geklirr, und das Schrei’n und Rufen unzähliger Krieger.
D’rauf erschien, dem Gewittergewölk’ im Sommer nicht ungleich,
Das, von gährendem Donner schwer, am Himmel heraufschwebt,
Drüben am Rande der Höh’n die schlachtgerüstete Heersmacht
Ottgars: gierig des Kampfs, und zu muthigen Thaten entschlossen.
Noch empört’ ihn der Zorn ob jenes verwegenen Jünglings
Frechenthülleter Gluth zu seiner Erzeugten, und dennoch
Sehnt’ er sich herzinnig nach ihm, in dem einsamen Kriegszelt
Sitzend, und schlug sich die Stirn’, und jammerte laut um den Liebling.
Also kam er heran, und hoffte, des lechzenden Herzens
Heißen Durst im Blut’ und Gewürge der Feinde zu stillen.
Doch nicht rastete jetzt Drahomira, die schreckliche Feindinn
Ottgars: denn sie sah, wie Marbod und Inguiomar erst
Sich vereinten, im Kampf zu entflammen die Deutschen. Sie nagte
Heimlich vor Wuth an den Lippen, und hätte mit schmähenden Worten
Jene gehöhnt; doch schwang sich nun, verdüsterten Blickes,
Katwald her in der Luft, und sah nach der Erde herunter.
Alsbald hob sie zu ihm sich empor, und rief, ihn erforschend:
„Ha, du sahst es, wie Marbod, der schrecklichste dir in des Lebens
226Langentschwundener Zeit, auch Inguiomar zum Gehülfen
Sich erkor, heut’ Oestreichs Volk zu entflammen im Schlachtfeld!
Komm, und eine dich mir! Erst will ich den König der Böhmen,
Stürzen: denn mir zur Schmach verübt’ er entsetzlichen Frevel;
Aber erliegt er im Kampf, dann sey Kunegunde, des Zepters
Würdig, erhöht auf den Thron; ihr laß uns erringen den Vortheil.
Hoch erhebe sich Böhmens Ruhm, des trefflichen Landes,
Das dir gehorcht’, eh’ Marbod dir’s mit den Waffen geraubt hat.“
Sagt’ es mit stachelndem Wort; doch jener entgegnete zürnend:
„Weiche von mir, du fluchbeladene, daß nicht dein Odem
Noch verpeste die Luft, die mir umsäuselt die Wangen!
Kein Verein, Drahomira, mit dir! So willst du mit Marbod
Und mit Inguiomar, des Kaisers verbündeten Freunden,
Ottgars Haupt gefährden im Kampf’? Ich nah’ ihm, als Helfer,
Schon dem Lande zum Ruhm, wo ich herrschend lebt’ in der Vorzeit,
Ha, und lache des Zorns, der, so wie zum Strande die Meersfluth
Brausend fleugt, und zurück, der Ohnmacht eiteles Bild, sinkt,
Dir empöret die Brust, und dräuet in nichtiger Ohnmacht!“
Rief’s, und stürzte herab vom Gewölk’ an die Seite des Königs,
227Der das Roß anhielt, und des Kaisers geordnete Völker
Staunend ersah, wie solche den Plan erfülleten weithin.
Jetzo noch einmal, quer von dem Saum der Erde herüber,
Blickte die Sonn’, und verschwand; die Dämmerung zog von dem Thal her.
Nicht gedacht’ er des Kampfs für heut’; an dem kommenden Morgen
Wollt’ er dem Feind’ ihn biethen auf Tod und Leben, den Herold
Sendend zuvor, nach des Kriegs herkömmlicher, edeler Sitte.7
Katwald war ihm genaht, und haucht’ ihm vor allem den Rath ein:
„Ottgar, wie, du willst, nachtlagernd, des dämmernden Morgens
Harren dahier? Schnell vor, eh’ dunkel die Nacht sich herabsenkt:
Schleudre die feindlichen Reihen entzwei! So machst du dir heut’ noch,
Schrecken verbreitend, Bahn zu des Siegs erhellten Gefilden:
Denn der erste Gewinn in dem eisernen Feld ist ein Hagel,
Der die Halmen der Hoffnung zerschlägt; ein brausender Sturmwind,
Der des Athems beraubt den Wanderer, und ihn ermattet.
Alsbald biethet der Feind dir selbst ein Zeichen des Angriffs.“
Jener verschloß ihm das Ohr. Doch wer entflammt’ an dem Abend
Schon den noch nicht ersehneten Streit im tosenden Schlachtfeld?
228Marbod, der muthige that’s. In den Reih’n der stürmischen Reiter
Spornt’ ein munterer Held bischöflicher Leute von Salzburg,
Schörlin, ein unbändiges Roß heran in dem Kriegszug.8
Ihm nicht fern, ersah das Nest pferdstachelnder Bremsen
Marbods spähendes Aug’: er eilte dahin, und empörte
Mit gewaltigem Geisterhauch die entschlummerten Quäler:
Denn er brannte vor Gier des Kampfs Arbeiten zu schauen.
Sieh’, und, also geweckt, im heulenden, wilden Gesumme
Fuhr der Schwarm empor; er flog dem muthigen Rosse
Schörlins unter den Bauch, und stachelte solches, erboßt, wund.
Schrecklich tobt’ es umher, schlug aus, bog, stöhnend, die Ohren
Gegen die Brust, und rannte dahin: nicht achtend des Rufens,
Nicht des Schrei’ns, das Schörlin erhob, da er, rücklings gebogen,
Zog an dem Zügel, es noch im wüthenden Laufe zu hemmen.
Schnurgerad auf Ottgar hin losrannte das Thier jetzt.
Zorn erfüllte sein Herz; er rief den staunenden Feldherrn:
„Wahrlich, nicht dacht’ ich mehr den Stahl an dem heutigen Abend
Feindlich zu zieh’n; doch seht, die Unsinnigen stürzen sich selber
Ihm entgegen, voll Wuth! Sie sollen mir büßen die Kühnheit.
Fort! Wir greifen sie an mit den schwergeharnischten Reitern,
229Welch’ uns Böhmen gesandt, den tapfersten Männern auf Erden,
Und im gemessenen Schritt’ uns folge das Heer auf dem Fuß nach.“
Alsbald gab er dem Pferde den Sporn, und jagte die Höhen
Brausend herab. Ihm nach, mit dem kampferfahrenen Helden
Lobkowitz, flog die Schar zweitausend geharnischter Reiter.
Wie, wenn unterirdische Gluth aus den Tiefen des Erdballs
Aufwärts braus’t, und gehemmt, weithin erschüttert die Gegend
So, daß vom stürzenden Felsengebirg’ unzählige Trümmer
Schnell in’s drönende Thal herrollen mit wildem Getümmel,
Krachend der Wald entsinkt, und Staub auffleugt in die Wolken:
Also stürmt’ auch hier der König mit seinen Erwählten
Von den Höhen herab. Vor den Kommenden stürzte das Reitroß
Schörlins zusammen. Kein Leid ihm geschah: die furchtbaren Reiter
Setzten über ihn hin; er lag, listsinnend, im Scheintod
Dort bis Mitternacht, und kehrete heim zu den Seinen.
Ottgar nahete schon den äußersten Wachen der Steyrer.
„Auf, zu den Waffen!“ so schrie Wildon, der tapfere Hauptmann
(Pfannberg weilte noch fern bei Capellen, dem obersten Feldherrn,
Drüben im luftigen Zelt, des Kriegs Arbeiten erwägend,
230Die der Morgen verhieß) und das Fußvolk eilt’ aus dem Lager:
Denn nicht dachten des Streites mehr die erlesenen Ritter
Jetzt, in der sinkenden Nacht. Wohl mancher saß in dem Gras’ noch,
Haltend das Roß an dem Zaum’, und beredete Dieses, und Jenes;
Doch nun fuhren sie all’ empor, von dem feurigen Marbod
Aufgestürmt mit empörendem Ruf. Bald schwang in den Sattel
Jeder sich auf, erhob den Speer in der Rechten, und senkte
Sein Helmgitter herab, das Roß zu dem Kampfe bewegend.
Ha, und der Kampf begann! In dem Vorderzuge, des Feindes
Dräuende List zu erspähen gesandt von dem sinnigen Feldherrn,
Stand ein Brüderpaar der Trantmannsdorfe beisammen:
Heinrich, und Götz, von der Schar der Verwaiseten. Laut, und mit Nachdruck
Hieß sie des Hauptmanns Ruf in die Reih’n der Versammelten kehren:
Aber sie hörten ihn nicht, von glühendem Muthe getrieben.
Ottgar fuhr auf den älteren los, und, ob er den Speer schon
Ihm entgegen streckt’, und des Kampfs wohl kundig sich zeigte,
Schlug er ihm doch mit dem Heldenschwert den nahenden Speerschaft
Seitwärts, und durchstieß ihm den Hals, wo, gleitend, vom Harnisch
231Sich der Helm verschob: er sank, und verhauchte das Leben.
Götz drang muthig auf Lobkowitz ein; verwundete, jauchzend,
Sein aufbäumendes Roß, und stürmte noch feuriger vorwärts;
Aber ihm bohrte, von jenem gekehrt, der empörete König
Sein, von des Bruders Blut geröthetes Schwert in die Brust ein
So, daß er rücklings vom Sattel sank, und dicht an dem Bruder
Ruhete, langgestreckt, und erblassend im Tode. Sie lagen
Dort wie jährige Leu’n im Staub, die, grausam, ein Tiger
Eben erwürgt’ im Gebüsch’, als Beut’ aufsuchte die Mutter.
Doch der feurige Katwald sprach, umschwebend, in’s Ohr ihm:
„Ottgar, flüchtig enteilet das Glück: erhasch’ es im Flug jetzt!
Werfe den Feind, eh’ Rudolphs Schwert dir nah’t. Ich gewahrte
Helfende Geister um ihn, die ihn warneten: eile, zu siegen!“
„Ha, wer drängt mich so muthig, und kühn?“ sprach zürnend der König,
„Muthig, und feig zugleich, mit Rudolphs Schwert mir zu drohen:
Denn er komme nur, bald entreißt ihm das meine das Leben!“
Rief’s, und jagte dahin wie der brausende Sturm auf den Heiden.
Welchen erlegt’ er zuerst aus den Reih’n der tapferen Ritter?
Sieh’, ihm warf sich Stubenberg vor allen entgegen:
232Weit vorhaltend den Schild, deß’ Zier, im Ringe der Anker,
Schlangenumwunden, sich wies, und strebte, das muthige Herz ihm
Durchzubohren im Wuthanlauf mit dem blinkenden Speerstahl;
Doch in des Rosses Bauch stieß Ottgar, stachelnd, den Sporn ein
So, daß es seitwärts sprang, und er drängte dem Gegner den Degen
Tief in die Brust, als ihm die entblößte Höhle der Schulter
Räumigen Eingang both: er sank, und athmete nicht mehr.
D’rauf erwürgt’ er auch noch urschnell den redlichen Knappen
Edelred, der jetzt dem Ritter zu Hülfe geeilt war.
Czernin stellte sich g’en Wildon zur Wehre: sie kämpften
Lange mit wechselndem Glück; verwundeten: jener des Gegners
Bein, und dieser den Arm, und schieden mit dräuendem Ingrimm
Mitten im Kampf: denn schon herstürmten im Felde die Reiter
Ottgars, welchen das Fußvolk rasch nachdrang, und urplötzlich
Hob sich der schwellende Ruf mit dem Waffengetöse der Würger
Himmelempor, und erfüllte die Welt mit Entsetzen und Schauder.
Jetzo vernahm in der zweiten der fünf Heersäulen Capellen
Kämpfender Krieger Geschrei, das drüben, am Rande der ersten,
233Stets vernehmlicher scholl in der Dämmerung. Eifernd besprach er
Eben mit Pfannberg dort, dem Führer des steyrischen Volkes,
Für den kommenden Tag des Angriffs muthige Weisen;
Auch die verstellete Flucht: den wechselnden Kampf, und den Rückzug,
So des Krieges Geschick ihn gebeut: da verstummt’ er auf einmal,
Horchte dem Lärm, und sprach, voll Hast, zu dem Scharengebiether:
„Pfannberg, eile zurück! Der Feind, so sagt uns der Lärm dort,
Wagte den Ueberfall in der Dämmerung; eile zur Rettung
Deines Volks: ich folge dir schnell mit erlesenen Scharen.“
Also geschah’s. Im Flug’ erreichte der tapfere Feldherr
Sein gefährdetes Volk, und warf, mit dem Schwert’ in der Faust, sich,
Allen voran, als sie nachbraus’ten im stäubenden Saatfeld,
Rasch auf die furchtbare Macht der Geharnischten, die zu dem Angriff
Ottgar selber geführt, und jetzt umtobte, voll Mordwuth.
Ihm selbst hätt’ er die Brust durchbohrt, so plötzlich erschien er
Mitten im Waffengemeng; doch schlug ihm der muthige Ritter,
Zawiß von Rosenberg, der schönste der Männer im Kriegsheer
Böheims, sein erhobenes Schwert aus der Faust, und durchstieß ihm
Schnell mit dem Speere den Arm, daß er, stöhnend, vom Sattel herabsank.
234Ottgar rühmte gerührt den Tapferen; doch Drahomira
Lächelte Hohn aus den Lüften herab: sie erspähte die Neigung
Schon, die verborgene, jüngst in der Brust Kunegundens für Zawiß,
Und gedachte mit Lust der unheilschwangeren Zukunft.
Pfannbergs Volk, den Sturz des tapferen Führers gewahrend,
Drang jetzt eilender vor, und kämpfte, der Löwinn nicht ungleich,
Die vor der Höhle die Jungen, umringt von Pardeln erblicket,
Um den Verwundeten dort, und es hätte gesiegt mit den Scharen
Oestreichs, die Capellen zu Hülfe geführet, und jenen,
Die aus dem Hinterhalt’ auch Kaduscha, hörend im Nachtgrau’n
Feindlicher Waffen Getös’, ihm, lautaufjauchzend, vereinte:
Hemmt’ es nicht Katwalds List. Er sah in der Reihe der Edeln
Einen, mit bleichem Gesicht’ und scheuumirrenden Augen,
Träg vorschreiten im Kampf: den Pettauer, der vor dem König
Ottgar, einst die Ritter der steyrischen Mark des Verrathes
Zieh, und dieser verhängte sogleich entsetzliche Strafen;
Aber er hatte nicht Ruhe noch Rast seitdem, und im Herzen
Trug er die Strafe der Schuld, da er jeglichen Trostes beraubt war.
235Diesem nahete Katwald jetzt, und schrie in das Ohr ihm:
„Horch, dir drohet Verrath und Mord! Unseliger, fliehe!“
Schauer durchlief ihm die Haut, da er solches im Geiste vernommen:
Alsbald wandt’ er das Roß, und rief, entfliehend: „Verrath! Mord!“
Wilde Verwirrung begann: das vorgedrungene Fußvolk
Wankte zuerst; ihm folgten die Reisigen — dann auch die Ritter.
Tausendzüngig erhob sich der Ruf: „Entflieht dem Verrath! Fort!“
Aus den flüchtenden Reih’n. Auch Kaduscha wich mit den Seinen
Lärmend zurück, und entsetzlich erscholl in der Nacht das Getümmel.
Doch in dem fernen Gezelt vernahm der erhabene Kaiser
Jetzo den Lärm, und geboth den Mannen die Rosse zu zäumen:
Denn schon lagerten sich die Tapfern ruhig im Saatfeld,
Reichend den Rossen das Futter zuvor, und stillten den Hunger
Dann mit Brot, und den Durst mit des Quellbachs kühlenden Fluthen:
Alsbald waren die Pferde gezäumt, und die Muthigen saßen
Sattelfest. Da kam vor allen, gesprengt, auf dem Pfad her
Oestreichs Reiterschar. Mit zürnendem Ernst in den Blicken
236Ritt ihr der Kaiser entgegen. Sie stand von Schauer ergriffen:
Denn kein Vorwurf kam aus dem Mund des erhabenen Herrschers.
Also gehemmt, wuchs stets zu dichteren Haufen die Heersmacht,
Und er kehrte mit ihr g’en Marchecks sandige Fluren.
237Achter Gesang.
„Ha, was röthet den Himmel fern im nächtlichen Dunkel?
Welch’ Geschrei erfüllt urplötzlich mit Angst und Entsetzen
Drüben die Stadt? Ein Jüngling sitzt, verwilderten Ansehn’s,
Dort auf des Felsens Höh’n, und schaut auf die schreckliche Brandstätt’
Grinsend herab, wo ruhig noch erst unschuldige Menschen
Schlummerten, jetzt Gewürg’ erschallt, und in Strömen das Blut fließt?
Furchtbare Schau! Darf also der sterbliche Mensch an dem Menschen
Wüthen, daß sanfterer Art der grausame Tiger erscheinet?
Wehe, wie fiel er so tief! Wie entwürdigt ihn Laster und Thorheit!
Doch ich nah’ ihm schnell, zu erkunden, wie solches geschehen?“
So sprach Inguiomar, das gluthverheerete Städtchen
Schauend, und eilt’ im Fluge dahin, wo, schrecklichen Blickes
Jener hinuntersah nach der Stätte des Jammers. Er saß dort
238Schauerlich in sich gekehrt, und ihm zuckten die schneeigen Wangen
Leise vor ungesättigtem Grimm, da er, vorwärtsgebogen,
Stützend das Kinn auf die krampfhaftgeschlossene Faust, in die Flammen
Starrete. Doch es stockte das Wort in dem Munde des Geistes,
Als er ihn näher geseh’n. Er bebte dem Jammer, und eilte
Fort nach den Ufern der March, wo heut’, unferne dem Städtchen
Marcheck, nach unrühmlicher Flucht sich die Krieger vereinten.
Wallstein war’s, der dort auf dem Felsriff saß, und hinunter
Starrte, voll Grimms. Sein war die entsetzliche That, und der Hölle
Jüngstentlaufene Brut, Drahomira, hauchte die Wuth ihm
In die empfängliche Brust, aus welcher des warnenden Engels
Bild entfloh, da er sich der Sinneschmeichlerinn hingab.
Sieh’, er eilte zuvor aus der Nähe des Kaisers, und setzte,
Schwimmend, die Fluthen der March mit dem schnaubenden Rosse hinüber;
Flog dann, Auen und Wälder entlang, an Moravia’s Marken
Rastlos fort, bis endlich das Roß am dämmernden Abend
Stöhnend zu Boden sank. Er entschlummerte neben dem Thier dort;
239Aber ihm war Drahomira gefolgt. Wie der feurige Schweißhund1
Angeschossenes Wild, so heiß es auch strebt, zu entkommen,
Durch des umschattenden Waldes Nacht verfolgt auf den Fährten,
Rastlos, bis es ermattet ihm fällt: so ließ Drahomira
Ihn aus den Augen nicht mehr: denn Ottgar sollte getödtet
Fallen durch ihn, und ihr Herz sich ersättigen dort an des Jammers
Grau’nerregender Schau — an dem Fall des unglücklichen Jünglings.
Einen täuschenden Traum ersann, und bannte sie, zaubernd,
Vor den Entschlummerten hin. Er sah im Geiste das Städtchen,
Kostel in Mähren, vor sich, und dort sein Alles auf Erden,
Hedwig, gefesselt im Thurm, weil sie nicht verhüllte die Neigung,
Die sie ihm still genährt in dem treuergebenen Herzen;
Sah, wie sie, jammernd, ihm mit den kettenbelasteten Händen
Winkt’, und so bleich her sah von des Fensters eisernen Stäben,
„Hülfe!“ schreiend, und „Rach’ an Ottgar!“ Aber er stöhnte
Laut in dem Schlaf’, und schlug sich die Brust vor unsäglichem Herzleid.
Bald erweckt’ ihn Geschrei anstürmender Krieger. Der Kunen
Tausend, vereinten sich erst: Weglagerer, Räuber, und Mörder,
Von dem Heere getrennt, auf Raub zu ziehen, entschlossen,
Die Drahomira noch mehr empörte zu schrecklichen Thaten.
240Als sie jetzt den Schlummernden sahn, der, blühender Jugend,
Noch im Schlafe das Schwert umklammert hielt mit der Rechten;
Durch die gesenkten Brau’n Wuth kündet’, und, stöhnend, von Rachgier
Mit den verzerreten Lippen sprach, da riefen sie freudig:
„Seht, den sandt’ uns Tyr,2 der Gott des Kriegs und Verderbens:
Ihm gleich, hält er das Schwert umfaßt, und drohet im Schlaf noch
Schrecken dem Feind’. Er sey uns Führer im nächtlichen Raubzug!“
Also erweckt’ ihn ihr wildes Geschrei; sie faßten, und hoben
Ihn von der Erd’ empor; umhingen in Eile die Schulter
Ihm mit dem Pelz, der, marderumbrämt, zur Ferse hinabhing;
Setzten die Mütz’ auf sein Haupt, mit dem schwebenden Reiher, und bothen
Ihm das erlesenste Pferd. D’rauf sagte noch Sikra, der Hauptmann:
„Komm, und führ’ uns im sausenden Ritt nach Kostel, dem Städtchen
Drüben im Mährenland, voll reichthumstolzer Bewohner,
Die, dem Böhmenkönig getreu, zum Kampfe sich rüsten.
Unser König bekriegt ihn selbst auf den Feldern von Oestreich:
Wir erhoben uns hier, ihm Schaden zu thun, und zu rächen
Plünderung, Mord, und Brand, mit welchen er Ungern vor Jahren
241Wüstete: ha, nun Rache dafür an dem grausamen Ottgar!“
Also tobten sie fort. Der Jüngling ließ sie gewähren,
Stand verstört, und wußte nicht, wie ihm geschehen? Er sann jetzt:
Ottgar ward ihm genannt — der Grausame hieß er den Räubern
Selbst? Da jauchzet’ er laut; entblößte das Eisen; erhob sich
Schnell in den Sattel, und rief: „Mir nach, wir rächen die Unthat!“
D’rauf ging’s fort, im sausenden Ritt nach Kostel in Mähren.
Vor ihm flog Drahomira einher, und lächelte grimmig:
Denn sie sah das Entsetzliche dort vollbracht, und Verderben
Ueber des Jünglings Haupt, und Ottgars schweben im Vollmaß.
Tief entschlummerten schon des ummauerten Städtchens Bewohner.
Ach, oft ahnet der Sterbliche nicht, der ruhig dem Schlaf sich
Noch an dem Abend ergibt, welch’ Jammer ihn weckt vor dem Morgen!
Früher erspähten die Räuber schon des friedlichen Städtchens
Schwachverriegeltes Thor und die leichtersteigbare Mauer,
Die sie, keuchend vor Hast, erkletterten. Aber das Reitroß
Spornte Wallstein rasch umher: denn hoch in die Nacht auf
Ragte der Thurm, der dort die holde Geliebte (so wähnt’ er
Noch, getäuscht von dem Traum) von ihm für immer getrennt hielt.
Wehe, und bald aufflammte die Gluth, an die breternen Dächer
242Durch die entsetzlichen Kunen gelegt, und erhellete weithin
Rings die schweigende Nacht! Nicht säumte der lauernde Nachtwind,
Lauterbrausenden Flug’s annahend, die Flamme zu wälzen
Hin und daher, an den Häusern der engverschlungenen Straßen.
Wildes Geheul erscholl: aus den Stuben hervor auf den Marktplatz
Flüchteten jetzt die Bewohner, um dort die Väter, und Mütter,
Kinder, und Greise zu seh’n, wie sie bluteten unter dem Schwerthieb
Wüthender Räuber, und bald, erwürgt mit den andern, zu fallen
Rettungslos: denn Niemand war, der half in dem Jammer.
Wohl anlangten den Abend zuvor zwölf muthige Reiter
Ottgars, über die March, von Drösing herüber gesendet:
Mundvorrath aus dem Städtchen hier, in das Lager der Böhmen
Heut noch zu schaffen mit Waffenmacht: denn schreckengerüstet
Herrscht in des Krieges Zeit die Gewalt: nur Laute des Ingrimms
Treffen das Ohr, das sonst des Friedens sanfte gewohnt war.
Als der feindliche Lärmruf scholl, da schwangen die Reiter
Sich auf das Roß, zu entflieh’n der wuthempöreten Mehrzahl;
Doch sie waren umringt, und nun, mit dem Schwert’ in der Rechten,
243Kämpfend, zu sterben bereit. Sie stellten sich fest und entschlossen,
Vor dem Thurm dort auf, und harrten des nahenden Feindes.
Allen zuvor kam Wallstein, jauchzt’, und hieb in den Haufen,
Blindumwüthend, ein: denn Ottgars kenntliche Reiter
Sah er vor sich, und schnob nur Rache, nur flammende Sehnsucht
Hedwigs Retter zu seyn aus den Händen unmenschlicher Krieger.
Jetzt auflachte voll Hohn Drahomira, und hob sich von dannen:
Denn jetzt klebte das Blut des eigenen Volks an dem Schlachtschwert,
Das ihm Ottgars Rechte vertraut’, und sie dachte: nicht fern mehr
Sey ihm das Ziel, zu fallen mit ihm, unrühmlich, und furchtbar!
Siehe, die Reiterschar, umstürmt von den wüthenden Räubern,
Fiel nach tapferer Gegenwehr auf die Leichen des Feindes,
Die sie gehäuft! Doch Veith, der jetzt aus dem Sattel geworfen,
Sank, rief sterbend ihm noch: „Ha, Wallstein: bist du ein Gegner
Deines eigenen Vaterlands? Du ermordest die Böhmen?“
Wallstein horchte bestürzt: er erkannte den redlichen Krieger,
Der in der Ahnen-Burg gedient, und in zartester Kindheit
244Oft ihm Mährchen erzählt’: ein treugesinneter Reiter;
Hob die Blick’ empor, und sah, durch des ragenden, leeren,
Halbverfallenen Thurms verwitterte Fenster den Himmel,
Sternenhell, herab auf das Blut der Reisigen starren;
Sah, erstaunt, um sich her die Leichen der Greis’ und der Kinder
Schwimmen im Blut’ — all’ überall Blut, und die wüthenden Kunen
Nur erpicht auf Raub und Plünderung. Plötzlich ergriff ihn
Seelenangst: er gab dem Rosse die Sporen, und jagte
Durch das offene Thor hinaus auf den einsamen Heerweg;
Dann seitab den Hügel empor, der, nahe dem Städtchen,
Jäh sich erhebt. Dort saß er am Rand’, aus dem Sattel gestiegen,
Haltend das Roß am Zaum’, und sah nach dem schrecklichen Jammer
Drüben hinab. Bald wühlt’ er, ergrimmt, sich die Brust mit den Nägeln
Wund; bald stützt’ er das Kinn auf die Recht’, und starrte hinunter,
Starrte hinauf zu dem tiefverstummenden Himmel, und rang nur
Einem Schreckensbild zu entflieh’n, das fieb’risch die Brust ihm
Schüttelte: denn er dachte, wie frech er die freundliche Warnung
Von sich stieß in der Nacht, welch’ über ihn schrecklich entschieden.
Doch als jetzt ihm ein Thränenpaar heiß über die Wangen
245Träufelte, hob er sich auf von dem Boden, und plötzlich verscheuchte
All die Bilder ein kühner Entschluß. Er sagte für sich hin:
„Ottgar, kein Verein ist zwischen uns mehr! Ich gehöre
Deinem Gegner hinfort: denn sieh’, ich erwürgte die Böhmen —
Ach, mein Volk, mit den Kunen im Bund! Dieß blutige Schwert lechzt
Jetzo nach deiner Brust, und nach meiner: wir fallen zugleich — bald!“
Stöhnend schwang er sich dann auf’s Roß, und jagte herüber
Immer den Fluß entlang, im Galopp, die lagernde Heersmacht
Rudolphs noch vor dem Morgenroth zu erreichen vor Marcheck.
Sieh’, und es rief in der Stadt, in den weitgetrennten Gehöften,
Und in den Dörfern umher der Hahn, des dämmernden Morgens
Muthiger Herold, sein „wach’ auf“ das andere Mal schon,
Als er die seichtere Furt durchwatete; d’rauf vor dem Lager,
Laufend, erschien, das Kunenroß heimjagend vom Ufer.
„Wer da?“ rief ihm die Huth vom Wall’ entgegen, und zielte
Dann mit der Lanze zugleich nach der Brust des nahenden Jünglings:
Aber er sprach ergrimmt: „Zu Rudolph, eurem Gebiether
Führet mich schnell! Hochwichtiges muß ich sogleich ihm enthüllen.“
Jener sah ihn zuvor mit Staunen vom Kopf bis zum Fuß’ an,
246Eh’ er die Freund’ entboth, ihm sich’res Geleite zu geben:
Denn unglücklich nur — nicht verdächtig erschien er von Anseh’n,
Und sie führten ihn jetzt nach des Kaisers ragendem Zelt hin.
Aber der liebliche Schlaf (ein Balsam für blutende Herzen,
Welcher so mild den Schmerz beschwinget, der in des Lebens
Dornengefilden sie grausam zerriß) war eben auf Rudolphs
Lieder gesunken, und er floh vor dem Fußtritt nahender Krieger
Wieder hinweg. Oft wacht’ er im Feld mit heiterem Antlitz
Tag’ und Nächte hindurch, zu des Kriegs Beschwerden gestählet.
Als in das einsame Zelt der Jüngling getreten, da däucht’ ihn:
Jener Unglückliche sey’s, der jüngst den muthigen Reiter
Von dem Thurm in den Abgrund warf, und nicht irrte sein Scharfblick.
Freundlich winkt’ er ihm jetzt mit der Hand, und jener begann so:
„Meine Rede sey kurz! Der Sterbende muß sich beeilen,
Daß er enthülle das Wort, das lastend die Brust ihm beschweret.
Höre mich, Herr! Ich war dein Feind, und hätte den Sohn dir
Gern durchbohrt auf dem Plan, vom wüthenden Hasse getrieben;
Aber es zieht das Geschick gar wunderbar oft in des Lebens
247Irre den Pfad: mich führt es als Freund dir zurück. Mit den Kunen
Hab’ ich, dein Dienstmann, erst gesengt, und gebrannt in dem Städtchen
Drüben im Mährenland’, und die Bürger zugleich mit den Kriegern
Muthig erwürgt: all’ Ottgars Schuld, des grausamen Wüthrichs,
Der auch dir nach dem Leben strebt, und die Mörder bereit hält.
Aber ich eil’ ihm zuvor, willst du’s, und raub’ ihm das Leben
Heut’ noch. Dir ist dieß Schwert geweiht; nicht soll es ihn fehlen:
Denn er verübt’ an mir Entsetzliches. Sprich, und ich mord’ ihn!“
„Wie,“ so begann, aufjammernd, der Kaiser, „Unselige, habt ihr
Ruhige Menschen erwürgt, und gesengt, und gebrannt in dem Städtchen
Drüben nach schrecklichem Kriegsbrauch? O, der Völkerbeherrscher
Trauriges Los, daß ihr Streit auch Räuberhände bewaffnet,
Ungezügelt und frech, dem Gesetz hohnsprechend, zu wüthen!
Herr, nicht gehe mit mir in’s Gericht: denn mein ist die Schuld nicht!
Doch du kehre zurück, Unglücklicher! Kehre zu Ottgar,
Der ein liebender Vater dir war, nun zurück, ihn zu söhnen,
Ihn mit reuigem Sinn um den Segen zu fleh’n — zu erwiedern
248Ihm verzeihende Huld, so er dich einst kränkte mit Unrecht!
Also hat es der Herr uns gelehrt: er möge dir helfen!“
Wallstein stürzte hinaus, und flog nach dem feindlichen Lager,
Rastlos, bis er erreichte die Huth der böhmischen Reiter.
Schnell erkannten sie ihn, der oft im Gewühle der Schlachten
Sie zum Siege geführt, und jubelten laut in die Nacht auf.
Einer begann: „Kehrst du zur Freude des Heers und des Königs
Wieder zurück, der, wisse es nur, mit unsäglicher Sehnsucht
Nach dem verlorenen Sohn sich abhärmete? Wahrlich, er nannte
Heute dich so, und verhieß allmanniglich reiche Belohnung,
Der dich führte zurück in die Arme des liebenden Vaters!“
Doch, es erwiederte Wallstein ihm den freundlichen Gruß nicht;
Eilete vor, und erreichte das Zelt des entschlummerten Königs.
Jetzo murrete Greif, der mächtige Hund, vor dem Eingang:
Ottgars Liebling, ein Schrecken des Volks, das nächtlicher Stund’ ihm
Nahete, wo er, der Kette los, umwandelte wachsam:
Denn er bewältigte leicht den stärksten der Reisigen; hielt ihn
Nieder, und bellete, bis ein Hausgenosse daherkam.
Wallstein zischte nur leis’, und rief ihn bei’m Nahmen: da sprang er,
Heulend, herbei; erhob sich mit freudigem, lautem Gewinsel
Ihm auf die Schulter, lang wie er war, und leckt’ ihm die Wangen;
249Lief dann kreisend umher, und kehrete wieder, vor Freuden
Bellend, und heulend zugleich: denn Wallstein war ihm seit Jahren
Hold, und quälet’ ihn einst im jugendfröhlichen Muth’ oft.
Doch er streichelte jetzt den Treu’n mit unwilliger Hand nur;
Trat in das Zelt, wo im Lampenschein, auf das Lager gesunken,
Ottgar schlummerte: ganz in die Waffen gehüllt, und zu kämpfen
Wieder am Morgen bereit, und schauderte, wie er den Mann dort
Schlummern sah, der einst ihm vor allen Sterblichen werth war —
Jetzt, ohnmächtig im Schlaf’, ihm Preis gegeben zur Willkühr.
Grauer schien ihm sein grauendes Haupt seit Tagen geworden,
Blässer sein blasses Gesicht. Er stöhnete laut vor dem Traum’ auf,
Der ihn umfing, und wand sich, und rief, fast wimmernd, nach Wallstein.
Dieser entblößte das Schwert. Noch einmal stand ihm des Jammers
Grau’ngestalt, den Ottgar schuf, vor den Augen; er eilte
Vorwärts, schwang das Eisen, und sann. Drahomira durchschwebte
Jetzo den Zelteingang; umflog in furchtbaren Kreisen
Schneller und schneller des Jünglings Haupt, und hauchte des Abgrunds
Gifte umher, daß er, schwindelnd, den Mord verübt’ an dem König;
250Aber er hatte zuvor, vom Kaiser, mit Schrecken, des Heilands
Worte gehört. Wie dort im Fiebertraum sich ein Kranker
Freut, da ein Freund ihm naht, und nachsinnt: ob er ihn kenne?
Also nur dunkel vernahm der zerrüttete Jüngling die Warnung;
Dennoch bezwang er sich jetzt, trat näher, und stampfte den Boden.
Auffuhr Ottgar schnell, und starrte dem Starrenden, schweigend,
In das Gesicht. Ein ganzes, im Glück’ entschwundenes Leben
Eilete schnell, wie der Blitz, den Beiden noch einmal vorüber,
Und die Vergangenheit warf, hellleuchtend, viel grausere Schatten
Noch auf die dunkele Gegenwart. Doch jetzo begann er:
„Wallstein, kommst du zurück’? Ich wußt’ es: ein edeles Herz schlägt
Dir in der Brust. O, schwer hast du mich betrübt, und des Abgrunds
Seelenverwirrende Macht empörte die Wuth mir im Busen
So, daß ich, nicht durch eigene Schuld — von der Hölle betäubt nur,
Dir das liebende Herz verwundete! Wohl sind die Menschen
Sich zu betrüben, geneigt; doch Reue versöhnt, und Verzeihung
Windet den schöneren Kranz um die friedenbiethenden Herzen.
Du nun wieder mein Sohn, und ich — dein liebender Vater ...“
251Jener naht’ ihm, und rief ergrimmt: „Halt ein, und erhebe
Nicht den Vorhang mehr, der zwischen uns dunkel herabsank!
Was du ersehntest — es sey: ich verzeihe dir! Aber dem Bogen
Furchtbarer Rach’ entschwirrte der Pfeil; nicht reißt ihn des Schützen
Hand mehr zurück. Weh’ dir, Unglücklichem: denn ich entsandt’ ihn!
Böhmisches Blut benetzte dieß Schwert: mit den Kunen verbunden,
Hab’ ich zuvor dein Volk erwürgt, wie ein Söldner des Kaisers.
Du hast ihm nach dem Leben gestrebt: ich both mich, als Rächer,
Dir zu durchbohren die Brust; doch, sieh’, dein edeler Gegner
Achtet dein Haupt, und gab mir sanftversöhnende Lehren:
Solchem fällst du besiegt — ich meinem unglücklichen Schicksal!“
Sagt’ es, und kehrte das Schwert urplötzlich von unten nach oben
Gegen die Brust, und sank in den Stahl, der, zischenden Lautes,
Ihm das pochende Herz durchfuhr. Er verhauchte das Leben
Lautlos. Jammernd erhob sich jetzt, ihn zu retten, der König:
Aber umsonst: er lag entseelt, und regte sich nicht mehr!
Schon aufjauchzte vor Lust Drahomira, der That sich zu rühmen:
252Da durchblitzt’ ein Glanz den Raum des Gezeltes; ein Flehen
Nach erbarmender Huld erscholl. Von Schauder ergriffen
Wollte sie flieh’n, um fern in den übersinnlichen Räumen
Noch zu entgeh’n dem Zorn der Himmlischen; aber unendlich
Rauscht’ Entsetzen ihr vor — ihr nach: sie sank in den Abgrund
Außer den Gränzen der Welt, betäubt vom Schrecken, hinunter,
Und erkannte sich erst in den Jammergefilden der Hölle.
Draußen im Schattenkreis’ des hochaufragenden Eichbaums
Gruben die Krieger ein Grab. Der Entseelte lag auf dem Rasen
Dort in den Lagermantel gehüllt: da hinkte sein Reitroß,
Völlig des Anseh’ns bar, aus der Au herüber, und senkte,
Leise genaht, das Haupt zu ihm hin, daß die wallende Mähn’ ihm
Dann mit dem Zaum nachsank, und des Todten Antlitz bedeckte.
Jahr’ entfloh’n: da hieß es, am Grabe des böhmischen Kriegers
Liege das bleiche Geripp von seinem verschmachteten Roß noch!
Als aus Osten der Hauch des hellaufdämmernden Morgens
Ueber die frischbethauete Flur den kühleren Frühwind
Sendete; rings im Gefild sich die wiedererwachten Geschlechter
Regten, mit gleichgeschäftigem Drang zu durchlaufen des Tages
253Kreisende Bahn, bis ihr Ziel, nun bald, nun später erreicht ist;
Als in den Städten und Dörfern umher, in den Hainen und Wäldern
Munterer Laut sich erhob: da hatte der Kaiser im Lager
Schon die Scharen vereint, und zu drei Heersäulen geordnet,
Sie in geschlossenen Reih’n dem Feind’ entgegen zu stellen.
Aber der Ost- und der Steyer-Mark geworfene Scharen
Schob er den andern vor in der Mitte, daß sie in dem Schlachtfeld
Sich den entwundenen Kranz jetzt herrlicher wieder erkämpften.
Heiter saß er zu Pferd’, und sprengte hinauf und hinunter
Vor den Reih’n, zu entflammen den Muth der schweigenden Krieger:
Denn sie schwiegen, beschämt von des Rückzugs quälendem Vorwurf.
„Männer, wohlan,“ so ermahnt’ er sie laut, „steht heut’ in dem Schlachtfeld
Fest zusammengedrängt — euch tapfer zu wehren, entschlossen:
Denn bald dürfte der Feind, noch stolz auf errungenen Vortheil,
Mit gesteigertem Muth vorstürmen zum blutigen Angriff!
Ha, schon seh’ ich den Siegeskranz, mein edler Capellen,
Dir an der Stirn! Dir, Trautmansdorf, dem Vater der Helden,
Glühen die Wangen vor Gier, zu rächen im Blute des Feindes
254Die, nur mit Uebermacht erschlagenen Söhn’ in dem Vorkampf.
Oestreichs Edelstein’ und Demantberge, verdunkelt
Heute sogar den Ruhm der thatengewaltigen Ahnen:
Denket des Siegs! Doch, Lichtenstein, wie? Soll ich dich schelten?
Nicht die gewohnte Heiterkeit färbt mit Freude dein Antlitz
Heut’: erbebst du dem Feind? Der Tapfere scheuet den Tod nicht.“
So, vortummelnd das Roß, erregte der Kaiser die Helden.
Aber dem Eilenden rief der Lichtensteiner im Scherz nach:
„Mit Vergunst! Ihr irrt, erlauchtester Kaiser! Den Feinden
Bebt kein Lichtenstein; doch, fröhlicher Dinge zu scheinen
Noch, da uns Ottgar jüngst des Turnmahls schnöde beraubte,
Gestern nicht gönnte die Zeit, an dem trockenen Brot’ uns zu letzen,
Auch den Schlaf uns stahl? Das möchte nicht allen genehm seyn!
Doch wir tischen ihm bald die Mahlzeit auf, und verhelfen
Ihm zu dem furchtbarn Schlaf, dem er gar freudig entrönne.“
Lächelnd hörte das Volk den Munteren. Aber der Kaiser
Flog zur Rechten hinauf, wo Schweizer, Tyroler, und Schwaben,
Muthbeseelt, sich eineten; schwang das Eisen, und rief dann
Laut zu dem Sohn, den jüngst er jenen erwählte zum Feldherrn:
„Albrecht, halte dich wohl! Stets warst du im Schlachtengewitter,
255Leuchtend, ein Stern; dir gleich der Burggraf Friedrich und Hochberg,
Und mein Müller dort, der redliche, treue Geselle!
Auf, ihr seyd mein Volk, ihr sollt mir Ehre gewinnen!
Dietrichstein, du Hort der Helden Tyrols, wie erhebt dich
Jetzo die Stelle, nach welcher mein Haug in der Veste sich sehnet!“
Rief’s; dann flog er zur Linken hinab, und ermahnte die Feldherrn:
„Meinhard, trefflicher Held, nicht harrst du erregenden Aufrufs
Muthig zu steh’n im Kampf: denn immer wird dir im Schlachtfeld
Nur der herrlichste Lorber zu Theil; nun führe die Kärnthner,
Führe die Krainer zum Sieg! Dir folgen die Tapferen: Heunburg,
Albert von Görz, und der Ortenburg auf der rühmlichen Bahn nach.“
Und er entflammte zugleich mit mutherregenden Worten
Kaduschas Brust, und die Kraft des Trentschiner Helden Mathias.
D’rauf entsandt’ er die Herolde, noch in der Stunde des Morgens
Aufzubiethen sein Volk: die heilige Sühne zu feiern.
Aber noch säumte daheim in dem Lager der König der Böhmen;
D’rob der Kaiser sich hoch verwunderte: denn nicht enthüllt war
256Ihm des Jünglings Tod, und der Gram des erschütterten Königs,
Ottgars. Katwald fuhr um ihn her, und erregte das Herz ihm:
Jetzt auf des Siegs betretener Bahn mit gewaltiger Thatkraft
Vorzudringen. Umsonst! Er saß, hinstarrenden Blickes,
In dem Gezelt, und regte sich nicht — wie ein Marmorgebild dort,
Wo an der Urne des Sohn’s, des frühverblich’nen, der Vater,
Sitzt gesenketen Haupt’s, und die Thrän’ entlocket dem Wand’rer.
D’rauf entschwang sich der Geist, und rief den muthigen Feldherrn:
Lobkowitz, Czernin, Zierotin; dann Milota, Herbot,
Heinrich, dem Hort der Baiern, und Pfeil, dem Gebiether der Sachsen,
Die zu erneuertem Kampfe bereit, des mächtigen Königs
Harrten, schwebend umher von einem zum andern, ergrimmt, zu:
„Eilt, und erweckt aus Gram und Verzweiflung euren Beherrscher:
Denn er brütet erstarrt für sich hin, und verschließet des Glückes
Stimme sein Ohr, das flüchtig entweicht! O nichtige Hoffnung:
Als den geworfenen Feind nur die Nacht den vernichtenden Blitzen
Eures Arms entriß, da flucht’ er dem nächtlichen Dunkel
257Laut, und ersehnte des Morgens Strahl; nun weilet er müßig,
Und versäumt des Schlachtengeschicks entscheidenden Zeitraum!“
Also der Geist, und sie eilten sogleich nach dem Zelte des Königs;
Doch, eintretend voll Hast, erbebten die Tapferen alle;
Allen erstarb der Laut in dem Mund: so schrecklich zu schauen
War die Gestalt, die jüngst noch in jeglichem Busen den Muth hob.
Lange starreten sie, von Schauern ergriffen, dem König
In das entseelte Gesicht; doch jetzt erhob er sich. Plötzlich
Färbte glühendes Roth ihm die Wangen, und hell, wie im Nachtgrau’n
Flammt der Essen zerschmelzende Gluth, von mächtigen Bälgen
Brausend empört, ihm glänzten die zornausblitzenden Augen,
Als er den Helden genaht, mit geballter Faust, und, den Boden
Stampfend, das Kleid aufriß, und die Brust voll rühmlicher Narben
Rasch entblößend, rief: „Habt ihr ihn getödtet, den Jüngling
Voll gewaltiger Kraft, voll edelen Muthes und Sinnes?
Nein, ihr nicht: denn ihr seyd feig! Doch heimlich empöret
Habt ihr das edle Gemüth, daß er frech des Kindes Gehorsam
Mir versagte, mich floh, und selbst mein schrecklichster Feind ward.
Aber er stieß den Dolch, den ihr ihm gereicht, nicht dem Vater
258Hier in die liebende Brust: er durchbohrte sein eigenes Herz nur.
Ha, was säumt ihr fürder? Entblößt — dem meuchelnden Dolchstoß
Offen seht ihr die Brust, in der ein tapferes Herz schlägt!
Wohl bekannt ist mir’s, daß ihr nach dem Leben mir strebet;
Auf, vollführet es hier, eh’ draußen noch tausende fallen,
Opfer des Kriegs, des furchtbarn, der mir nimmer zum Heil wird!“3
Dann verstummt’ er, erblaßt, vor den Tapferen. Lobkowitz wiegte
Trauernd, das Haupt: erhob g’en Himmel den Blick, und begann so:
„Welchen Jammer verhängt der Ewige über die Völker
Böheims! Herr, droht Krankheit dir? Ach, immer zum Herzleid
Deines getreuesten Volks geschäh’s — doch jetzt zur Verzweiflung:
Wo der Sieg uns winkt, und die Feinde, vom Schrecken gebändigt,
Zitterten! Hab’ ich, dem Streit abhold, nicht des segnenden Friedens
Worte gesprochen im Rath’? Umsonst: du wolltest den Krieg nur!
Nun vollführ’ es mit Muth, was du so kräftig begonnen.“
Ottgar wandte sich schnell zu Milota: „Führe,“ so sprach er,
„Heute den Kern des Heers rasch vor zu des Kampfes Entscheidung.
259Hast du die dunkele Brust mir jüngst auf dem nächtlichen Irrpfad,
Höhnend, enthüllt — zerfleischt mit blutigen Krallen das Herz mir:
Traun, kühn war’s! so wirst du auch jetzt unbändigen Muthes
Stehen im Waffenfeld’, und erringen den Sieg mit Gewißheit:
Denn erprobt bist du in des Feldherrn wichtiger Stelle.
Lobkowitz weile mit mir, der Thaten gewärtig, im Rückhalt.“
Katwald hört’, erstaunt, die Rede des Königs, und rief ihm
Angstvoll: „Welch’ entsetzliche Wuth verblendet dich vollends,
Daß du den Kern des Heers dem heimlichen Gegner vertrau’n willst?
Immer lächelt er Hohn, und sinnt verderbliche Tücken.
Auf, ermunt’re dich jetzt, und führe das Heer in die Feldschlacht,
Selber, sogleich; wo nicht, so vertrau’ es dem tapferen Helden
Lobkowitz, eh’ denn ihm, der dir zum Jammer erseh’n ist!“
Aber er ballte die Faust, und wankte nicht, eiserngesinnet.
Ihm sah Milota kalt in das Aug’, und entgegnete trotzig:
„Keinem Schwachen vertraust du den Stab, die Zierde des Feldherrn,
Ueber den Kern des Heers: ich werde mir Ehre gewinnen!
Zwar verbanntest du mich erst jüngst auf dem nächtlichen Irrpfad
Ferne von dir: ich weilete heut’, und in kommender Zeit noch
Gern in dem Nachhalt nur: den hatt’ ich mir heimlich ersehnet!“
260Sprach’s mit bedeutendem Blick’, und eilte hinaus in der Dämm’rung
Schnell zu entbiethen des Vorderzugs beritt’ne Geschwader.
Draußen am Lagerrand, vor allen dem feindlichen näher,
Saßen die Meißner und Thüringer noch, erlesen zur Vorhuth,
An den Feuern umher, und verkürzten in frohen Gesprächen,
Oft aufjauchzend zugleich, sich die nächtlichen Stunden. Nur, als jetzt
Milota, schaltend, vorüberzog, verstummte des Kriegers
Lautes Geschrei. Auch Inguiomar kam, eilenden Fluges,
Näher, und rief dem Führer des Volks, dem tapferen Dietrich:
„Ha, was sagte wohl jetzt der hochgesinnete Kaiser,
Heinrich, der Finkler genannt, der herrliche Vesten-Erbauer,4
Der auch Meißen erbaute, die Burg, und der Eurigen Ahn ist,
So er euch sah’ im Bund mit den Böhmen, als Deutsche den Deutschen
Feindlichentgegengestellt, und gehorchend dem Fremdling’ als Söldner
Hier in dem Kampf, der euch nicht Ruhm gewähret, nicht Vortheil?
Jetzt soll Milota’s Wink, der euch nie günstig gesinnt war,
Gegen den Feind mit dem Kern des Heer’s euch drängen, und treiben:
Denn hochwerth ist ihm, und noch mehr dem Könige selber,
261Deutscher Muth, und der Arm, der stets in dem Schlachtengefild noch
Ihm den Sieg errang; doch bald vergißt er des Schweißes,
Und des Bluts, das ihr vergeudet, im eisernen Feld’ euch
Mühend für ihn, und ehrt, wie jetzt, nur die Seinen als Feldherrn.
Männer, besteiget das Roß, und zieht in der Stille, des Lagers
Wall entlang, nach der Heimath fort, wo die einsame Gattinn
Eurer mit Sehnsucht harrt, im Kreis’ umlärmender Kinder!
So nicht einet ihr euch, dem Eid’ untreu, mit den Feinden
Ottgars; aber auch ihm nicht fröhnet ihr mehr in dem Kriegszug.“
Also der Geist. Da erhob sich schnell Herr Dietrich, und rief so:
„Männer, hört, was dünkt euch? Ha, was sagte wohl jetzo
Unser erlauchter Ahn, der treffliche Vesten-Erbauer,
Heinrich, so er uns sah’ im Bund mit den Böhmen, den Deutschen
Feindlichentgegenstellt? Wie, Ottgar soll uns zum Kampf hier
Drängen, daß wir mit dem Muth, der deutsche Herzen beseelet,
Und noch stets ihm den Sieg errang in dem eisernen Schlachtfeld,
Enden den Krieg, der uns nicht Ruhm gewähret, nicht Vortheil?
Ha, er vergißt nur zu bald des Bluts, und des strömenden Schweißes,
262Den wir unverzagt ihm spendeten! Lieblinge sind ihm
Nur die Slaven allein: denn Milota soll uns gebiethen.
Brüder, sitzen wir auf, schnurstracks, und zieh’n in der Stille
Fort, nach der Heimath fort: g’en Thüringen, Meißen, wo, liebend,
Unser die Gattinn harrt im Kreis’ umlärmender Kinder!
Zwar stamm’ ich aus der Ostmark her5: denn wisset es, Leupolds
Tochter, des Herzogs, war’s, die mich mit Schmerzen geboren,
Und mit Lieb’ erzog, zur Freude des sieghaften Vaters;
Doch nicht einen wir uns, dem Wort’ untreu, mit den Feinden
Ottgars — zieh’n nur heim, daß wir nicht die Brüder bekämpfen.“
Lautumjauchzender Schrei verschlang ihm das Ende des Zurufs.
Zitternd vor freudiger Hast, aufzäumte der Krieger sein Reitroß;
Hing das Schwert mit dem Wehrgehäng’ um die Schulter, und schwang sich
Auf in den Sattel, den eilenden Ritt zu beginnen, unmerkbar
Milota’s Falkenblick: denn als er wieder zur Rechten
Kehrte, ritten sie links Herrn Dietrich nach in der Stille,
Außer dem Rasenwall, thaleinwärts, bis sie den Heerweg
Wieder gewannen, entfernt dem Heer’, und für jetzo geborgen:
Denn hier wähneten all’: ein feindverderbender Zug sey’s —
Milota’s Werk. Doch jen’ enteilten, voll Hast, nach der Heimath.6
263Ottgar saß noch im Zelt vereint im Rath mit den Feldherrn.
Milder schlug sein stürmisches Herz, und er sagte mit Sanftmuth
Manches freundliche Wort den Tapferen. Aber vor allen
Rühmt’ er Czernin: ob des entschlossenen Zugs vor die Mauern
Wiens, des Ueberfalls, und des kluggeordneten Rückzugs
Nach dem rühmlichbestandenen Kampf mit unzähligen Gegnern.
„Ha,“ rief Czernin jetzt mit zweifelndem Blick, „noch entrann ich
Glücklich des Kaisers Gewalt: denn hatte der Vater des Sohns nicht,
Schonend, geharrt, der erst in nächtlicher Stunde die Festung,
Für die sterbende Mutter besorgt, verließ: das Entrinnen
Wäre nicht leicht, und sicher das Grab in dem Zug uns geworden.
Jetzt nur schnell in den Kampf! Nicht in dumpfeinengenden Mauern,
Und Spießbürgern vereint, behagt mir, zu streiten; in Freiheit,
Draußen im Feld mir nahe der Feind: ich werd’ ihm begegnen!“
Als er geendet das Wort, da hob sich zur Decke des Zeltes
Herbot von Füllenstein, der riesengestaltete Ritter,
Der den reussischen Scharen geboth, in feuriger Hast auf,
Blößte sein mächtiges Schwert, und sagte mit donnernder Stimme:
264„Nehmt, o König, zum Unterpfand des kühnen Versprechens,
Herbots eidliches Wort: nie zieht er hinfort in das Feld mehr,
So er nicht eueren Feind, der Kaiser sich nennet, gefangen,
Oder todt, euch schafft: dann möget ihr würdig ihm’s lohnen!“
„Dann,“ so höhnt’ ihn Zierotin, „dann werd’ ihm als Siegspreis,
So er es kühn vollführt, was er so muthig verheißen,
Böhmens Hälfte zu Theil — vielleicht verhieß ich zu wenig!
Aber, wohlan, wir all’ erringen gewiß in dem Feld dir
Heut’ unendlichen Ruhm, so uns dein gewaltiger Wink nur
Lenkt, und dein Siegesblick uns leuchtet im furchtbaren Schlachtgrau’n!“
Sprach’s mit Kraft. So riefen zugleich der tapfere Heinrich,
Bayerns Herzog, und Pfeil, des Sachsen-Volkes Gebiether.
Nun trat Zawiß von Rosenberg, der blühende Ritter,
Hastig in’s Zelt. Ihm sah wildstarrender Grimm aus den Augen,
Als er zu reden begann: „Nicht Erfreuliches werdet ihr hören:
Fort ist Meißens und Thüringens Volk, das reisige. Treulos
Zog es davon, und ihm liegt das Lager schon fern in dem Rücken,
Da es im Flug’ enteilt, zu erreichen die Fluren der Heimath.“
All’ aufschrie’n, von Zorn g’en jen’ empöret; nur Ottgar
Hob sich, schweigend, vom Stuhl. Wie des Vollmonds zitternder Schimmer
Fern auf dem dunkelen Teich’ erglänzt: so erhellt’ ihm die Augen,
265Welche die Trauer umfing, des Muths aufdämmernder Lichtstrahl.
Langsam trat er heraus vor das Zelt; ihm folgten die Feldherrn.
Dort ersah er das Heer in der rosigen Frühe. Geschäftig,
Wie auf gehügeltem Laub’ im Walde die Ameisen rastlos
Kommen, und geh’n: so regte sich schon, die Rosse besorgend,
Rings das reisige Volk; der Waffen Glanz und des Lagers
Dumpfauftosender Lärm erfüllt’ ihm die Brust mit Vertrauen.
Doch stets lauter ertönete jetzt des eisernen Hufes
Schmetternder Schlag. Ein Ritter kam in brausendem Eilflug
Näher, und hielt das Roß vor dem Könige, trotzigen Blicks, an.
Leutold, der Kunring, war’s. Auch ihn empörte so eben
Inguiomar, daß er stolz entsage dem Waffenverein hier
Mit dem Beherrscher des Böhmenvolks. Nun sprach er ergrimmt so:
„Lang ersehnte mein Herz des furchtbarn Kampfes Entscheidung;
Aber umsonst: noch zauderst du stets, und versäumest des Glückes
Schnellentfliehende Zeit. Erst sah ich hinaus aus dem Lager
Ziehen die Meißner zugleich, und die Thüringer. Also bewährt sich
Mir die Sage: du biethest die Hand zum schmählichen Frieden,
Auf des Sohnes Verlobung bedacht, dem Grafen von Habsburg?
266Sey’s, ich tadle dich nicht: du magst verfahren nach Willkühr!
Aber ich ziehe g’en Dürrenstein mit meinen Getreuen.
Kommt dann, beide, vereint! Gar viel’ erblickt ihr der Euren
Liegen, entseelt, an dem Wall’ umher, eh’ Leutold, der Kunring,
Fällt: nicht besiegt durch euch — von dem Schutt der Veste begraben.“
Stöhnend gab er dem Rosse den Sporn, und entschwand aus den Augen
Ottgars schnell. Er griff an die Stirn’, um welche der Frühwind
Wiegte sein grauendes Haar, und sprach zu dem sinnenden Feldherrn
Lobkowitz: „So ist des Menschen Geschick! In kräftiger Jugend
Hüpft der muntere Bach hervor aus grünenden Thälern;
Eilet dem freundlichen Land’ und den schimmernden Städten entgegen,
Stets gewinnend an Kraft, als sich unzählige Flüsse,
Huldigend, ihm anreih’n: er rauscht, ein mächtiger Strom, fort.
Doch nicht ferne dem Ziel’, eh’ er matt versinkt in des Meeres
Dunkelen Schooß, reißt hier und dort sich in sandigen Eb’nen
Wieder ein Arm nach dem andern von ihm, und er endet verloren
Dann in dem allverschlingenden dort, auf immer die Laufbahn!
Aber, wohlan, nicht klage der Feind: mit unzähligen Scharen
267Hätt’ ich errungen den Sieg! Die treu verharren, genügen
Mir noch, Oestreichs Thron zu erkämpfen im Felde der Ehren.
Auf, wir ziehen dahin! Die Dromet’ erschalle; die Trommel
Rufe zur Schlacht, und im Wind entfalte sich winkend die Sturmfahn’!“
Also geschah’s: denn rasch vordrangen die muthigen Scharen.
268Neunter Gesang.
Sanft verhallete jetzt der Gesang zu der heiligen Feier,
Die der Priester des Herrn vollendete, kreisendumgeben
Von des Heeres geordneten Reih’n. Im räumigen Lager
Stand der Altar erbaut vor dem Bild des erlösenden Kreuzes
Schnell, wie die Zeit es heischt’, im Schmuck hellgrünender Reiser;
Aber im Augenblick, wo nahe des Lebens und Todes
Würfel fallen, aufschwang sich das Herz in heißerer Andacht
Mit dem Gesange zu Gott: gar feierlich schlug’s in dem Busen!
Jetzt vom Staub, wo er bethend kniet’, erhob sich der Kaiser.
Himmlische Ruh’ erhellte sein Aug’, und, heiteren Muthes
Pochte sein Heldenherz, da im Feld die kehrenden Scharen
Schnell sich ordneten: denn schon riefen zum Kampf die Drometen.
Hell aufflammte des Morgens Strahl. Die freundliche Sonne,
Die den Abend zuvor in Westen ermüdet hinabsank,
269Hob sich in Osten jetzt, als unter dem kreisenden Erdball
Sie die heimliche Bahn vollendete, schöneren Anblicks,
Wieder herauf, und erweckte die Welt zu erneuertem Leben.
Frischer grünte das Feld, und glänzender hüpfte der Strom hin;
Voll war Himmel und Erde vom Laut der verjüngeten Schöpfung;
Nur aus dem Waffenschmuck des versammelten Heers in dem Lager,
Sog die Sonn’, im Lauf, toddräuenden Glanz, und erfüllte
Rings die Völker umher mit Angstgebilden der Zukunft.
Aber den Kaiser umgab ein Kranz erlesener Feldherrn;
Alle horchten auf ihn, und harrten freudig des Winkes,
Der zu Thaten sie rief. Da sprach er, finsteren Blicks, so:
„Ottgar säumt, uns hier, wie er gestern gedroht, zu vernichten.
Schmach der That: nicht der Sitte gemäß, die aus grauender Vorzeit
Wir ererbten, uns both er den Kampf; nein, heimlich, im Dunkeln
Fiel er, dem Währwolf gleich, der nächtlich die Hürde bestürmet,
Ueber uns her. Es gelang dem Kühnen, zerstreute Geschwader
Niederzuwerfen: sie trugen die Schuld und hatten den Lohn hin,
Allen zum warnenden Wink, daß nimmer ein Gleiches geschehe!
Aber vernehmt, was mir zuvor an heiliger Stätte
270Mächtig die Seel’ ergriff. Der entschwundenen Tage des Lebens
Dacht’ ich im stillen Gemüth: kein dauerndes Glück ist auf Erden.
Als ich Gutes und Schlimmes erwog, da fand ich, verwundert,
Daß ich am Freitag, an dem der Welterlöser für uns starb,
Stets mit Vortheil focht, und den Sieg errang in der Feldschlacht.
D’rum, nicht aus Feigheit, nein, aus herzentspross’ner Verehrung
Für das geheiligte Kreuz, will ich den Kampf der Entscheidung
Morgen kämpfen, am Tag des heiligen Bartholomäus —
Heute, gefaßt, nur kühn abwehren den feindlichen Angriff
Ottgars, so er ihn wagt. Wir wollen sogar ihm versöhnend
Nah’n vor des furchtbaren Kampfes Beginn. Hervor aus den Reihen,
Trautmansdorf! Zieh’ hin zu dem Könige; bieth’ ihm des Friedens
Oehlzweig noch einmal aus meiner versöhnlichen Rechten.
Mögen auch dein’ Erzeugten, wie sonst, dir folgen, daß etwa
Solches den Trotz ihm beugt, und das Herz zur Milde beweget:
Denn tief rührt uns die Schau des söhn’umgebenen Helden!“
Also geschah’s. Hervor aus den Reihen der tapferen Ritter
Kam nun Trautmansdorf mit den zwölf ruhmdürstenden Söhnen —
Zwei entraffte der grimmige Tod schon gestern im Nachtgrau’n,
Als sie im Ueberfall dort Ottgars Rechter erlagen.
271Ach, nicht lange, so fallen auch sie, auf dem eisernen Schlachtfeld
Kämpfend, und einsam kehrt der trauernde Vater zur Burg heim!
Jetzt entblößt’ er den Stahl, und sagte mit sinnigen Blicken:
„Hart ertönet dem Vater der Ruf, daß er nahe dem Gegner,
Dessen Rechte noch roth vom Blut der erschlagenen Söhn’ ist:
Denn er könnte den Streit, obgleich ein Bothe des Friedens,
Heißer entflammen. Wohlan, wir wollen des Friedens gedenken!“
Sagt’ es, und sprengte davon, umringt von den tapferen Söhnen.
Siehe, nicht fern von Zwerndorf theilt, von trüben Gewässern
Schwer, sich der Weidenbach, und eint sich nur wieder vor Marcheck.
Links hin streckt er im Augefild den schlängelnden Arm aus,
Während, die Straß’ entlang, er rechts die tieferen Fluthen
Träg fortwälzt. In dem Eiland dort, Baumgarten vorüber,
Traf nun Trautmansdorf auf die Reisigen, welche der Gegner
Sandt’, umspähenden Blicks, zu erkunden die Nähe des Gegners:
Denn es erlies’t auf der Kriegslaufbahn ein jeglicher Feldherr
Waghäls’ sich, die im Grau’n des feindbedroheten Vorschritts,
Als Erleuchter ihm zieh’n, und Sicherheit schaffen der Heersmacht.1
Schon von ferne die Schar, die Rudolph sandte, gewahrend,
272Ritten sie, brausenden Flugs, zu den Mähnen gebeugt, und den Degen
Schwingend auf in die Lüfte, heran: sie wähnten, des Gegners
Vorhuth sey’s, und brannten vor Gier, sie niederzuschmettern.
Laut schrie Trautmansdorf: „Halt ein! Als Herolde nah’n wir:
Blutigen Kampf — will’s Gott, noch lieber den Frieden zu biethen!“
Jen’, unmuthigen Blicks (denn beutebegierig) ihm winkten
Stille zu halten am staubenden Weg’, und sendeten alsbald
Zween der Reiter zurück, des Feldherrn Sinn zu erforschen,
Milota’s; doch er that, des Herolds Worte bedenkend,
Solches dem Herrscher kund, und er säumte nicht: denn mit den Reitern
Seines Gefolgs und Milota’s, kam er heran zu dem Vor-Zug;
Hemmte den Rappen, und hieß, mit zorngerötheten Augen,
Gegen ihn stolzausstreckend den Arm, den Redner beginnen:
„Mein erlauchtester Kaiser und Herr,“ so sagte der Ritter,
„Sendet dir freundlichen Gruß, und thu’t dir kund, und zu wissen:
Nicht nach edelem Brauch — unritterlich hast du sein Volk ihm
Ueberfallen bei dunkeler Nacht, und zu weichen, gezwungen.
Dennoch biethet er jetzt, hier unter des wölbenden Himmels
Heiterem Blau, und im Angesicht des versammelten Heeres,
Dir an dem Fest des heiligen Bartholomäus, auf morgen,
Offen die Feldschlacht an; obgleich gerüstet, entschlossen
Heut’ in dem Lager zu ruhn, und abzuwehren den Angriff
273Deiner Gewaltigen, wenn — doch, das sey ferne, sie stürmten.
Aber er heißt dich zugleich das Wohl und das Wehe bedenken
Tausender. Seyd versöhnt! Du vernahmst des Friedens Bedingniß.“
Ottgar schwieg erstaunt. Ihn erschütterte heimlich die Bothschaft.
Auch ergriff ihn mit Zaubergewalt ein flüchtiger Anblick
Jener blühenden Schar, die um ihren Erzeuger zu Pferd saß.
Bald auf dem einen und bald auf dem anderen hing mit Gefallen
Sein gemilderter Blick: er dachte des Sohnes, und — Wallsteins!
Schon gewahrete jetzt auch Lobkowitz, daß ihm der Unmuth
Wich aus der Brust: er kam, des Friedens Ruf zu erneuern;
Aber da naht’ ihm Katwald schnell, und haucht’ ihm, vor allem,
Trotz in das Herz. Er sagte: „Du sollst für den blühenden Oehlzweig
Tauschen heute dein Schwert im furchtbarn Felde der Waffen,
Wo der Sieg dich erhöht’? Ein Thor wär’s, der es nicht sähe,
Daß nur die Angst vor dir ihm solches gerathen; zerschmettr’ ihn!“
Also der Geist. Auch Milota rief ihm, verhöhnend, entgegen:
„Ha, du sollest vielleicht neu huldigen, wie auf dem Eiland
274Kamberg? Steht das dunkle Gezelt, mit dem trüglichen Vorhang,
Dich zu beschimpfen, bereit, daß rings die Völker dich schauen,
Dich, den König von Böheim, dort auf den Knie’n vor dem Kaiser?“
Ottgar ballte die Faust; er sah mit grimmigen Augen
Um sich her, und begann voll Wuth: „Wer wagt es, vom Frieden
Hier zu sprechen? Hinweg auf immer mit jeglicher Einung
Zwischen Habsburgs Grafen und mir, dem Könige! Weichet,
Zitternde Memmen, nur wieder zurück’, und entbiethet von Ottgar
Ihm die Fehd’ auf Leben und Tod! Zieht hurtig von hinnen,
Alle, daß euch nicht ereile mein Zorn schon hier, vor dem Angriff.“
Rasche Bewegung erhob sich im Kreis’ der gesendeten Helden:
Manchem zuckt’ es im Arm, aus der Scheide sein blinkendes Eisen
Gegen den König zu zieh’n; doch schnell bezwang sie der Vater:
„Denket,“ so rief er gefaßt, „wir kamen als Herolde Rudolphs,
Unsers erhabenen Kaisers, gesandt: nicht ziemt es uns, jetzt hier
Rächer der Unbill zu seyn; doch bald, in dem Felde der Waffen
275Laßt uns gedenken der Schmach, und sie rächen im Blute mit Nachdruck.“
Rief’s, und jagte den Renner zurück’. Ihm folgten die Seinen
Zögernd, vor Ingrimm, nur, und wandten die flammenden Augen
Häufig zurück: denn ach, die raschnachstürmenden Reiter
Höhnten sie noch mit Geschrei und mit schallendem, lautem Gelächter!
Sieben gehorchten, und folgten ihm nach; doch lenkten die andern
Fünf’, aus der Zahl der eigenen Söhn’, unbändiger Wuth voll,
Plötzlich die Rosse herum, und flogen zurück auf dem Heerweg.
„Brüder,“ so rief der älteste laut, „kommt, lasset uns sterben,
Eh’ wir dulden die Schmach, die uns also die Seele betrübet!“
So mit empörendem Ruf’ enteilete Hartwig, den Degen
Schwingend zur Luft. Ihm nach, mit Eckhard, Walther, und Siegfried,
Folgte sein Zwillingsbruder und Freund, der tapfere Dietbert,
Bis sie erreichten die Schar der Reisigen, die zu dem Angriff
Herbot von Füllenstein, der riesengestaltete, führte:
Denn er warb sie entlang die grünlichen Fluthen des Peltew,
Jüngst: Klein-Reussens Volk, zu des Kriegs Beschwerden gestählet,
Wie auch geübt in dem Schlachtengedräng, schnellfüßige Rosse
Spornend, vorzusenken den Speer aus der Röhre des Bügels;
Dann mit des Fußes Druck’ und dem Stoße der nervigen Rechten
Einzustürmen im sausenden Flug’ in die feindlichen Reihen.
276Siehe, so weit ein Pfeil, von der Sehne geschnellt, in den Lüften
Herfleugt, hemmte schon Hartwig das Roß, und harrte, dem Leu’n gleich,
Der in der Hetz’, umringt von emporgereiheten Sitzen
Voll schaulustigen Volkes, allein, der entfesselten Rüden
Heulender Schar, wie sie kommen, mit todandräuenden Augen
Harrt, und vor Grimm dumpf murrt: so Hartwig, als ihm die Reiter
Naheten; doch er rief mit gewaltiger Stimme noch laut so:
„Ha, ihr brüstet euch wohl, auf die zierlichgestalteten Mützen
Wie auf das wallende Kleid und die fähnleintragenden Lanzen
Stolz, in dem Vor-Zug oft, in vielumstürmender Mehrzahl,
Niederzustoßen den einzelnen Mann? — so gar nicht geachtet,
Weder dem Feinde noch Freund’: denn bar all’ edler Gesinnung,
Die des Kriegers Brust, des tapferen, füllet mit Großmuth!
Euere Zung’ ist kühn, die Helden zu schmähen; so kommt denn,
Zeiget den Muth, uns hier zu besiegen im rühmlichen Vorkampf!“
Also drang er im Eilflug vor; ihm folgten die Brüder
Alle, zur Wuth empört. Den Schaft der feindlichen Lanzen
Jetzt aufschleudernd zugleich mit dem Schwert’, erwürgten der Gegner
Dreizeh’n sie, voll Hast, und wandten dann fliehend den Rücken.
Fort nur ein Weniges noch, und sie waren entrückt dem Verderben:
277Da fiel Dietberts Roß, und begrub mit dem Rücken den Reiter.
Hartwig ersah’s, wie er lag in dem Staub: denn immer nach ihm hin
Wandt’ er den lächelnden Blick; urplötzlich verscheuchte das Lächeln
Jetzo die Angst: er stieg nicht, er stürzte vom Pferde herunter;
Lief, erhob ihn, und strebt’, auf den Rücken des rasch und behend sich
Wieder erhebenden Thiers, ihm, lautermunternd, zu helfen.
Doch schon nahten im Flug die erbitterten Feinde. Die Lanzen,
Lechzend nach Blut, voreileten weit, zugleich von der Rechten
Und vom kräftigen Fuße gedrängt, zum schrecklichen Mordstoß.
Sieh’, und, als den Zaum und die Mähn’ erfassend, sich Dietbert
Auf in den Bügel schwang, da bohrten der feindlichen Reiter
Zween ihm die Lanz’ in die Brust: er sank, und verhauchte das Leben,
Eh’ aufschreiend vor Angst um den liebenden Bruder, ihm Hartwig
Hülfe geschafft, und Eckhard, fern mit Walther und Siegfried,
Sich des Jammers versah’n im lauterbrausenden Heimritt.
Zwar sie kehrten zurück’; auch Hartwig saß in dem Sattel
Wieder, und so wie der wüthende Bär, dem drüben der Weidmann
278Schon das zweite Geschoß in die Seite getrieben, sich brüllend,
Auf den hinteren Beinen erhebt, und rasch auf den Schützen
Losstürmt: drang auch er, ergrimmt, auf die feindliche Schar ein.
Nur die Zween im Aug’, die ihm erst erwürgten den Bruder,
Gab er dem Rosse den Sporn, und warf sich inmitten der beiden:
Einem im Flug zerschmetternd die Stirn’, und dem andern die Scheitel
So, daß sie lautlos jetzt, und auf einmal dem Sattel entstürzten!
Hoch aufflatterte noch, im Sturz, von dem Schafte das Fähnlein,
Das, geröthet vom Blut des erschlagenen Bruders, ihn reizte.
Lang’ noch, hätt’ er zugleich mit den drei kampfmuthigen Brüdern,
Sich, unbändiger Kraft, gewehrt, und noch manchen der Gegner
Hingewürgt; doch schrie, vor Wuth sich die Lippen zernagend,
Jaroslav, der Führer des Volks, mit entsetzlicher Stimme:
„Schließt, ihr Memmen, den Kreis um die Rasenden; stoßet sie nieder!“
Also geschah’s: denn jetzt, umringt von dichteren Haufen,
Sanken sie dort, mit nie zu erschütterndem Muthe sich wehrend,
279Alle, vom Sattel herab, und verhauchten auf Leichen der Gegner,
Die sie im Kampf’ erwürgten zuvor, die tapferen Seelen.
Doch der unglückliche Vater flog auf dem schnaubenden Rosse
Nach dem Lager zurück. Den Herrscher zu treffen, verlangend,
Daß er ihm künde sogleich das Nahen der feindlichen Heersmacht,
Sprengt’ er, die Scharen entlang, dorthin, wo im Hauche des Windes
Sein Panier aufflatterte, schön und erhaben vor allen.
Eilig sprach er vor ihm, um die fünf gefährdeten Kinder,
Die ihm nicht folgten, besorgt: „Umsonst ersehnst du den Frieden
Jetzt mit dem Könige: denn nur des Kampfs und der Rache gedenkt er.
Wisse, dir nah’t sein Heer; nicht fern mehr streifen die Reiter
Milota’s. Ach, mir gönne die Huld, vor des Lagers Umwallung,
Kehrend in Eile, zu schau’n: ob mein’ Erzeugten mir folgen?
Denn sie sanken vielleicht, empört von unwürdiger Schmähung,
Die von dem Feind’ uns ward, als Opfer unbändiger Rachgier!“
Sagt’ es, und eilete dann, von den tapferen Söhnen umgeben,
280Wieder hinaus vor des Lagers Wall, wo Lärm und Getümmel
Unter dem Volk sich erhob: denn Milota’s furchtbare Reiter
Jagten herbei, wie am grau’numhülleten Morgen des Winters
Mit endlosem Geschrei unzählige Krähen heranzieh’n;
Schwangen die Lanzen zur Luft, und bothen dem Heere des Kaisers
Kampf auf Leben und Tod, mit wildverhöhnendem Trotz’, an.
D’rauf nachbrausten sie wieder im Flug den Kriegesgefährten,
Sich auf des Feldherrn Wink schnell aufzustellen im Saatfeld.
Aber der Lärmruf scholl nun rings in dem Lager. Die Trommel
Wirbelte; stets empörender klangen die hellen Drometen;
Herolde flogen voll Hast umher; die Stimme der Führer
Rief gebiethend zur Schlacht; das Fußvolk schloß sich in Reihen;
Rasch auf das Pferd aufschwang sich der Reisige; schimmernden Anblicks
Zogen die Ritter allen voran, und herrlich geordnet
Ging jetzt Rudolphs Heer in festausdauernder Abwehr
Außer des Lagers Wall, dem Feinde die Spitze zu biethen.
Ach, dort starrete noch auf die fünf erschlagenen Brüder
Trautmansdorf, der tapfere Held, mit erschütternder Fassung,
Schweigend, hinab! Es sandte zuvor der schreckliche Feldherr,
281Milota, der auf dem Feld den angstergriffenen Landmann
Zwang, das gehörnete Rind, in Eil’, an den Karren zu spannen,
Sie nach dem feindlichen Lager heran. Da enthoben die Krieger
Jenem die traurige Last, und legten sie dort auf den Boden.
Aber er trieb sein Gespann, schnell wieder zurück’ auf dem Heerweg.
Siehe, schon wandte sich Trautmansdorf von den theueren Todten
Nach den Lebenden um, und gewahrte mit steigender Rührung
Jetzt, daß sie all’, ihm gleich, bezwangen die Thräne. Nur Erdwin
Hielt sich nicht länger, der jüngst’, und der theuerst’ ihm seiner Erzeugten:
Denn er sprang von dem Roß’, und warf mit schallendem Wehruf
Sich auf die Brüder hin: nun dem — dann wieder dem andern
Küssend die blasse Stirn’ und die toderstarreten Lippen.
Schnell umzog ein glänzender Thau die Augen des Vaters
Und der Söhne zugleich; sie weineten, über die Todten
Hingebeugt. Doch jetzo begann der tapfere Feldherr:
„Keiner tadle den Schmerz, der uns bei den jammernden Tönen
Meines geliebtesten Sohnes ergriff. Vielleicht, daß ihn auch bald
282Grausam der Tod entrafft. Daß mir doch solches geschähe,
Eh’ denn ihm — zu entsetzlich wär’ des Getödteten Anblick!
Aber so will es des Kriegers Los: er sterbe der Pflicht treu!
Nur beschirmt, als Brüder, ihn kühn! Im Gemenge der Waffen
Möge der eine die Brust für den andern biethen, und Rettung
Schaffen sich selber und ihm, der Wechselhülfe gedenkend!
Erdwin, auf! Gebieth’, und schnell gehorchen die Krieger
Dir: nach Marchecks heiligem Grund die gefallenen Helden
Heimzutragen, daß dort der Priester mit Grabesgesängen,
Segnend, vertraue dem Staube den Staub; du folge dem Zug’ nach!“
Erdwin winkte den Kriegern stumm: sie erhoben die Leichen
Auf langschaftige Speer’, und trugen sie schnell nach den Mauern
Jener, unferne gelegenen Stadt, daß Alles und Jedes
Nach dem Willen geschah des mildgesinneten Vaters.
Durch das geordnete Heer ging nun der trauernde Zug fort:
Denn nach dem Rasenwall, den gestern unzähliges Landvolk
Baute, und d’rauf mit dem Graben umzog, dem Lager zur Schutzwehr,
Kam es heran: in den blutigen Kampf mit dem Feinde zu treten.
Aber, nicht rastete Katwald jetzt im höheren Luftraum:
Denn voll Muthes empört’ er die Kraft des nahenden Feldherrn,
283Milota’s. Sieh’, als dieser die furchtbarn Reisigen Herbots
Eilen hieß in dem Vorderzug, nach dem muthigen Fußvolk
Mährens, dem er geboth, nachdrang ihm zur Rechten der Baiern
Treffliche Schar, geführt von Heinrich dem edelen Herzog,
Jetzt mit den Sachsen vereint, den tapferen, welche der Markgraf
Pfeil (ein Pfeil in der Schlacht!) im Sturmschritt lenkte: den beiden
Herrschte noch Czernin ob, als Feldherr. Aber zur Linken
Drang der Böhmen erlesenes Volk, gehorchend dem Helden
Lobkowitz, vor, und nach diesem kam das kühne Geschwader,
Welches sich Ottgar heut’ erlas, gleich loderndem Feuer,
Rasch aus dem Nachhalt vor, in die Reihen der Feinde zu stürmen.
Katwald eilte, voll Hast, vom Einen zum Andern, und weckte
Mächtig in jeglicher Brust des Kampfs entsetzliche Sehnsucht.
Horch, schon tönt drometendes Erz; schon wirbelt die Trommel,
Schreit der Krieger, und wiehert das Roß; schon zittert der Boden
Unter dem stampfenden Huf; des Blachfelds Weite bewegt sich
Vorwärts. Doch, wie im Hauch zwei streitender Wind’ an den Ufern
Wogen die Fluthen des See’s herauf und hinunter: so trat auch
Rudolphs tapferes Heer vor dem Wall den Feinden entgegen,
284Und, wie der thürmende Wald erkracht, den plötzlich aus Süden
Und aus Norden zugleich, Orkane zerschmettern im Spätherbst:
Zahllos liegen umher die unendlichen Stämme geworfen
Durcheinander hinab in den Staub: so lagen die Reiter
Dort mit den Rossen, erwürgt, und des Fußvolks Reihen vermenget.
Furchtbar wüthete heut vor allen der tapfere Feldherr,
Milota, so daß Ottgar selbst den gewaltigen Thaten
Staunte, die er vollbracht’ in des Todes erkorenem Saatfeld.
Ach, er ahnete nicht, wie der Rachebrütende jetzt auch
Arges sann im Gemüth — daß er ihm vertraue, die Scheingluth
Heuchelte, bald Verrath nur an ihm zu verüben, entschlossen!
„Herbot,“ so rief er „hin, wo in keilgestalteter Ordnung
Oestreichs Heerschar naht — die Ritter für jetzo vermeidend,
Eile zuerst, und stürm’ im Flug’ in die Seite des Volks ein!“
Also geschah’s: denn schmetternd erklangen die eh’rnen Drometen;
Schnell, wie das Wetter fleugt, vorbraus’ten die reussischen Reiter,
Und die gesenkte Lanz’ aus der Röhre des eisernen Bügels
Festnachdrängend, erkor ein jeder von ferne den Mann schon,
Dem er die Brust zu durchbohren beschloß. Wohl sechzig erlagen
Also dem tödlichen Stahl der wildanprallenden Reiter,
285Die in des oberen Oestreichs Gau’n der tapfere Hauptmann
Berchthold, warb, und lautes Geschrei auftobte zum Himmel.
Jene wichen zurück’, um schnell zu erneuerndem Anlauf
Sich zu stellen im Feld’, und die mordende Lanze zu senken;
Aber Capellen, der oberste Hort des Volks, wie des Ober-
Also des Unterlands, flog her, und empörte sie laut so:
„Denket der Ehr’ und des Vaterlands, östreichische Männer,
Jetzt in dem Kampf. Nur fest die Reihen geschlossen; die Lanzen
Kühn dem Feind’ entgegengesenkt, und, nah’t er, zur Erd’ euch
Hurtig gebeugt; dann auf, zu durchbohren dem schnaubenden Rosse,
Oder dem Reiter, die Brust! Bald schaut ihr sie fliehen im Schlachtfeld.“
Auch die Steyrer entflammt’ er, und rief: „Heut sollt an dem Feind’, ihr,
Krieger der Steyermark, euch rächen, der Schande gedenkend,
Wie ihr gewichen vor ihm mit Lärm und Getös’ in dem Nachtgrau’n,
Fortgerissen durch Schuld des Pettau’r, der, von dem Kaiser
Heimgesandt, hinfort zur Flucht euch nimmer verlocket!
Jetzo nur kühn an den Feind! Uns lohnt der herrlichste Sieg bald.“
Sagt’ es, und sprengte zurück: da braus’ten die furchtbaren Reiter
Herbots wieder heran, zu erneuen den muthigen Angriff.
Jene senkten das Haupt, ausbeugend, zum Knie’ hin, und bohrten
286Hier dem Reiter, und dort dem Roß den Stahl in die Brust ein,
Als weit über ihr Haupt die feindliche Lanze dahinfuhr.
Aber der Boden, mit Leichen bedeckt, verwandelte ringsher
Sein erfreuendes Grün in die gräuliche Farbe des Blutes.
Milota sah den wankenden Sieg mit Staunen: er sandte
Schnell die Reiter zurück, und führte die mährischen Krieger
Gegen das Fußvolk, das aus dem ober’n und unteren Oestreich
Kam, und den Steyrern vereint, ihm entgegen stand in dem Schlachtfeld.
Gleich den Wogen des Meers, die ein Sturm aus Süden daherrollt,
Eilten die Reih’n jetzt vor; doch so, wie jene zum Strand sich
Stürzen mit lautem Gebrüll’, und im schäumenden Zorne zerschellen:
Denn nicht wanket der Fels: so trafen sie auch an den Kriegern
Oestreichs ehernen Widerstand im Gemenge der Waffen.
Schrecklich ertönte der Schrei der Würgenden, schrecklich der Lanzen
Kreischender Schlag, als sie den eisernen Helm und den Harnisch,
Oder das Panzerhemd zerschmetterten, wüthend geschwungen.
Gleich dem Orkan, flog jetzt auch Milota hin, und, ersehend,
Wie die Führer des Volks: der Seldenhofen die Steyrer —
Berchthold Oestreichs Krieger zum Kampf’ empöreten, schwur er
287Beiden den Tod. Urschnell auf Berchthold drängt’ er das Streitroß,
Und als dieser, erhebend das Schwert, die muthigen Krieger
Oestreichs jetzt noch mehr vortummelte, siehe, da bohrt’ er
Ihm den Stahl in den Hals, daß alsbald ihm auf den Lippen
Starb das Wort, er taumelnd sank, und das Leben verhauchte!
Schmerz durchzuckte die Brust des Volks bei dem schrecklichen Anblick,
Da er, so mildgesinnt, ein Vater der Krieger genannt ward.
Doch mit erneuerter Wuth flog Milota hinter den Reihen
Seines Volkes hinab; drang wieder hervor, und durchrannte
Col von Seldenhofen das Herz, der weit vor den Seinen,
Die er entboth, hersprang, und nach ihm sein blutiges Eisen
Zuckte, die Stirn’ ihm zu spalten, gesinnt. Nun brachen die Knie’ ihm,
Schlotternd, ein, und er fiel, im Tod’ erbleicht, auf das Eisen.
Ach, bald jammert daheim die alterserblindete Mutter,
Deren einziger Sohn und Trost er war in den Jahren
Trauerbelasteter Witwenzeit auf der einsamen Felsburg:
Denn nicht kehrt er zurück, wie ein täuschender Traum ihr verheißen —
Er, den Traum ihr deutend, verhieß, die Gute zu trösten,
Als er zum letzten Mal’ auszog von dem rühmlichen Stammhaus!
288Hier erlag er zugleich mit fünf erlesenen Kriegern
Milota’s Schwert, der furchtbarn Muths, umtobt’ in dem Schlachtfeld.
Ottgar wandte sich jetzt nach Lobkowitz um, und begann so:
„Nie war Milota’s Seele mir hold: ich kenne der Menschen
Trugverhüllende Brust; doch sieh’, ein schrecklicher Krieger
Ist er im Feld’: ich vertraute mit Recht ihm die rühmliche Stelle!“
Jener entgegnete schnell: „D’rum vor mit den Reitergeschwadern
Jetzt, wo die Feind’ erbeben vor ihm, sie niederzuwerfen,
Und zu entscheiden den Kampf in der heiteren Stunde des Glückes.“
„Nein,“ so sagte der König ergrimmt, „noch laß uns verziehen,
Bis er noch mehr aufflammt, und wir ihn entscheiden für immer!“
Also die beiden dahier. Capellen, der Edle, gewahrend
Drüben im Feld den Tod der muthigen Scharengebiether,
Sandte den Oesterreichern den Meißauer hier, und den Steyrern
Dort den Lichtenstein, aus der Schar der Ritter, als Feldherrn.
Schnell gehorchten die zwei Feldobersten jetzo Capellens
Ruf; denn jener erkor, an Berchtholds Stelle, den Helden
Summerau, und Lichtenstein den furtbaren Ritter
Merenberg, an jene des Seldenhofen, zu Führern.
289Hoch schwang Merenberg sein Schwert in die Luft, und er rief dann:
„Ha, nun endlich dem Ziel, dem schrecklichen, näher und näher
Schreit’ ich den dunkelen Pfad! Komm, Richard, und stehe dem Bruder
Treu zur Seite, mit ihm die entsetzliche That zu vollführen,
Die sich der Merenberger ersehnt! O denke des Bruders:
Wie er am Galgen hing — das Haupt zu den Füßen gebunden,
Dreimal schreckliche Tage sich wand! Wie, leben soll Ottgar?“
Alsbald einte sich ihm in dem Kampf sein finsterer Bruder.
Doch mit erneuetem Muth vorstürmten die beiden Geschwader,
Und ermordeten, was sich entgegenstemmt’ in den Reihen.
Also gedrängt von den Stürmenden, wich Morawia’s Fußvolk
Langsam zurück’, und stand, und wehrte sich wieder: nicht anders
Weicht der gewaltige Felsenblock, nach dauerndem Regen
Losgewühlt vom Gebirg’, an des Bergs abgleitendem Rand hin;
Bis nachströmend die Fluth ihn bewegt, und er in den Abgrund
Stürzt im sausenden Sprung’ und Getös’, unhemmbaren Fluges.
Doch der erhabene Kaiser sah mit Freude die Seinen
Ringen im Feld, die im Vorkampf schon die gesunkenen Lorbern
290Ihrer Heldenstirn’ jetzt herrlicher wieder erhöhten.
Schnell entboth er zu sich Trentschins Gebiether, der Ungern
Muthigen Hort, und sprach: „Noch ward dir, tapferer Feldherr,
Nicht eröffnet das Thor an der siegsruhmbiethenden Laufbahn;
Aber ich kenne den Muth, der dich und die Deinen beseelet.
Zieh’ g’en Schönfeld hin mit den furchtbarn Reitern, und harre
Drüben des Winks: urschnell dem Feind’ in die Seite zu fallen.
Aber der Wink sey dir: wenn, blutrothschimmernd, von Marchecks
Ragendem Thurm die Sturmfahn’ weht, und die Glocken erschallen.
Also erringst du dir Ruhm, und mir den herrlichsten Vortheil.“
Jenem erglänzten die Augen wie Gluth; er strich mit der Rechten
Sich den mächtigen Bart, und sprach: „Glorwürdiger Kaiser,
Gleich dem Morgenthau, der schmachtende Fluren erquicket,
Hat dein ehrendes Wort das Herz mir gelabt, und des Unmuths
Wolken entflieh’n mir jetzt vor den lang’umdüsterten Augen!
Tödtendem Blitz und verheerenden Stürmen gleich ist im Schlachtfeld
Ungerns tapferes Volk: ich will sie dir lenken zum Vortheil,
291Mir zum Ruhm: weil mich des edelsten Kaisers Vertrau’n ehrt.“
Sagt’ es, und ritt im Flug, mit den jauchzenden Scharen nach Schönfelds
Auen hinab, ersehnend den Wink zu dem schrecklichen Angriff.
Aber der Kaiser entsendete links und rechts an die Feldherrn:
Albrecht hier, und Meinhard dort, die Herolde; stehen
Hieß er sie noch vor dem Wall’, und festabwehren des Gegners
Furchtbardrängende Wuth, bis, blutrothschimmernd, von Marchecks
Ragendem Thurm die Sturmfahn’ weht, und die Glocken erschallen:
Denn er ordnete dort die zeichenerspähenden Männer.
Marbod nahte heran. Er schwebte zuvor in dem Zeitraum
Eines entfliehenden Augenblicks nach den schimmernden Mauern
Drüben der Wunderstadt, Venezia,2 die aus des Meeres
Fluthen sich hebt, und des Fremdlings Brust erfüllet mit Staunen,
Dort das ehrende Maal des Heldengreises zu schauen,
Dandolos, der mit den Franken im Bund’, ersiegte die Hauptstadt
Constantins, erst jüngst, mit nie zu erschütternder Thatkraft.
292Doch nun kehrt’ er zurück’, und staunte der Menge der Leichen,
Die in der Männerschlacht schon weit bedeckten die Felder.
Wie den Wanderer Grau’n befällt, der plötzlich ereilet
Von dem sausenden Sturm’, in den tiefergesunkenen Wolken
Weißherschimmernden Hagel ersieht, und drüben im Wald’ ihn
Wüthen hört, wo er bald, entstürzend mit lautem Geprassel,
Blühende Zweige zerschlägt, und zu Boden schmettert die Wipfel:
Also befiel ein Schauder auch ihn. Im Fluge vernahm er
Katwalds Ruf, wie er hier empörte den mächtigen Herbot.
„Ha,“ so sprach er, „du prahltest zuvor: du wollest lebendig,
Oder todt, aus der Schlacht heimführen den Kaiser der Deutschen?
Eitler Schwätzer, wie werden dereinst dein spotten die Helden!
Reite zur Rechten hinab, und versuche denn quer in die Reihen
Einzudringen, wo Rudolph weilt, und keine Gefahr ahnt.“
Herbot besann sich schnell; fünfhundert Reisigen rief er:
„Folgt mir!“ und jagte zur Rechten hinab, wo, nahe dem Herrscher,
Meinhards Heldenruf die Krieger zum Kampfe bewegte:
Denn schon maßen im Waffengemeng’ auch die Bayern und Sachsen
Sich mit den Tapferen Krains und Kärnthens. Dicht, und unzählbar
Lagen die Leichen im Gras’. Doch Czernin führte die Völker
293Gegen Meinhards Macht, der jetzt ihn näher gewahrend,
Schnell vordrang, und, genaht, ihm rief: „Du hast dich vermessen,
Nächtlich, im Ueberfall, Vindobona, die herrliche Festung
Zu betreten; gehofft, als Sieger, herunter zu schauen,
Stolzen Blicks, aus der Kaiserburg: nun sollst du es büßen,
Was du frevelnd gedacht, und gewollt, und nimmer erreicht hast.“
Czernin schwieg, ergrimmt. Er senkte den Speer, und erreichte,
Sausenden Flugs, den Mann, der also ihn schalt vor den Scharen,
Ihm die Brust zu durchbohren, gesinnt; doch fehlt’ er des Zieles,
Zitternd vor glühender Hast, und der blutgeröthete Speerstahl
Streifte nur, zwischen dem Leib’ und dem Arm, durchfahrend, den Harnisch.
Meinhard säumte nicht, hob, und senkte das Schwert, und zerschlug ihm
Jetzo den Helm und die Stirne zugleich, daß er rücklings vom Rosse
Sank, und, gestreckt lang hin, in Todesschauern erblaßte.
So vor den äußersten Reih’n stritt auch der muthigen Sachsen
Feldherr, Pfeil, mit dem weitgefürchteten Grafen von Heunburg,
Der den Kärnthnern geboth, und der Hort der krainischen Scharen,
294Ortenburg, mit Bayerns gewaltigem Herzoge, Heinrich,
Jetzo auf Leben und Tod: da Scharen des einen und andern
Sich bekämpften, und rings nur Mord und Gewürge zu schau’n war.
Heunburgs blitzendem Stahl’ erlag der tapfere Markgraf
Pfeil, nicht des Todes Pfeil, von des Gegners Rechte geschleudert,
Mehr vermeidend, nach schrecklichem Kampf’, und hauchte den Geist aus.
Heinrich gelang’s, den Ortenburg aus dem Sattel zu heben,
Ihm durchstoßend den Arm, daß er dort im knisternden Sandstaub
Blutete, kriegsgefangen sich sah, doch wieder gerettet
Heim in das Lager kam, und dem kundigen Arzte sich hingab.
Sieh’, als hier in dem Streit die erbitterten Völker sich maßen;
Schlachtruf scholl; Drometen schmetterten; Trommelgewirbel
Klang: der Würger Geschrei und Verwundeter Aechzen ertönte,
Jagte Herbot von Füllenstein mit seinem Geschwader
Durch den sondernden Raum, der zwischen der mittleren Heersmacht
Und dem Flügel zur Linken sich fand, in Eile hinunter —
Dann auf den Kaiser los, den Katwald ihm, wie der Gemsaar
Fernhin schauend, verrieth mit empörendem Geistergelispel.
Rudolph kam, im Gefolge der Trautmansdorfe (nur Erdwin
295Weilte noch, frommbesorgt, in Marchecks schattigem Freythof)
Eben heran, gelockt von des raschvorstürmenden Meinhards
Lautem Siegesgeschrei, und ahnte die nahe Gefahr nicht;
Doch nun hemmt’ er mit zweifelndem Blick das Roß, und erforschte
Gierig: ob Freund’, ob Feind’ ihm naheten? bis er des Ritters
Riesengestalt ersah, der kennbar im feindlichen Heer war.
„Ha,“ so rief er, „erlag mein Volk? Entsetzliches Unglück
Droht: denn, seht, uns kommt ein feindlich Geschwader entgegen!“
Doch schon war er umringt. Laut schrie zu seinen Erzeugten
Trautmansdorf: „Kommt, laßt uns sterben für unseren Kaiser:
Rettet ihn, kämpft, und ersiegt euch hier unsterblichen Nachruhm!“
Alsbald kehrten die sechs untad’ligen Brüder den Feinden
Kämpfend, entgegen die muthige Brust, vom rühmlichen Beispiel
Ihres Erzeugers entflammt, den edelsten Herrscher zu retten.
Aber auch Marbod sah die Gefahr, die jetzo dem Leben
Rudolphs droht’; er umfing mit heißumschlingenden Armen,
Flehend, Capellens Brust, und rief: „Zur Linken hinüber
Eil’ im sausenden Flug’, und errette den Kaiser vom Tod jetzt!“
Jener staunte bei sich, wie ihn solche Gedanken bestürmten?
Gab dem Rosse den Sporn, und jagte herüber im Blachfeld.
296Schon umhäuften die Brüderschar in Menge die Leichen;
Schon war Edelred mit Erhard gefallen: die andern
Bluteten; doch ermahnte sie laut ihr edeler Vater
Noch mit dem Schwert’ in der Faust, zum Kampf für den edelsten Kaiser.
Sie gehorchten ihm all’, und erlagen nach schrecklichem Mord nur:
Kurd, Agilolf, und zuletzt mit Otto der heitere Winfried.
Jetzt drang Herbot schnell mit dem Speer, der hoch wie ein Mastbaum
Sich in die Lüft’ erhob, auf Rudolphs tapfere Brust ein.
Siehe, nicht traf er die Brust des kampferfahrenen Herrschers;
Doch dem steigenden Roß durchstieß er die Stirn, daß es stöhnend
Sank, und zugleich in den Staub den trefflichen Reiter herabwarf!
Ha, wer rettet ihn mehr? Zwar nahte Capellen; die Ritter
Naheten; links und rechts herstürmten die muthigsten Krieger:
Dennoch war es um ihn gescheh’n, und die Hülfe vergeblich,
Wenn nicht hurtig er selbst, mit dem mordenden Speer in der Rechten,
Auf den schrecklichen Mann losfuhr; unbändigen Muthes
Ihn bekämpfte; den Streich nach seinem geschlossenen Schlachthelm
Führend, mit solcher Gewalt ihn traf, daß die Augen ihm alsbald
297Dunkelten — Seh’n und Hören verging. Auch erhob er urplötzlich
Wieder den Speer: durchstach dicht unter dem Kinne den Riemen,
Der den Helm an das Haupt ihm festigte; drehte den Schaft noch
Hurtig herum, und riß blitzschnell ihn vom Sattel herunter.
Wie die Zinne der Burg, vom Orkan zur Erde geschleudert,
Fällt mit Gekrach, und der Grund weit hin erbebet: so fiel dort
Herbot zur Erde: sie bebte dem Fall’, und Gerassel der Waffen
Scholl im Gefild’ umher. Laut schnaubend vor Angst und Entsetzen
Jagte Capellen herbei. Er both, vom Pferde gesprungen,
Solches dem Kaiser, und half ihm hinauf in den Sattel, er selber
Schwingend das Schwert mit Trautmansdorf, dem tapferen Helden,
G’en die umdrängende Feindesschar sich zur Wehre zu stellen.
Schon entfloh die Gefahr: ein Jauchzen erscholl um den Herrscher,
Als jetzt Herbots Volk sich ergab an die drängenden Scharen.
Aber er stand, und zitterte. Schnell, empört von dem Anblick
Dieses Gewaltigen, der das Leben des Kaisers bedrohte,
Sprengten die zürnenden Krieger herbei, an ihm Rache zu üben;
298Doch der Erhabene rief: „Zurück, verschont ihn: er lebe!
Das sey ferne, daß ich bestrafe den tapferen Ritter,
Der so kühn sich erwies, nicht Tausende scheuend, im Angriff:
Heute noch komm’ er nach Wien in ehrenvolle Gewahrsam.
Trautmansdorf, dir dank’ ich das Leben, nach Gott! Nicht zum Boden
Wende den Blick jetzt mehr, noch einmal die Opfer zu sehen,
Die es dich kostete! Fort, zur Rechten hinab, und entbiethe
Albrecht schnell: er stürm’ in den Feind; du stehe zur Seit’ ihm
Dann mit gewaltigem Arm, ein rettender Schild in Gefahren!
Eilt nun all’ an’s Werk! ich bin geborgen; erhebt euch!“
Alle jagten davon; nur einer — unglücklicher Vater,
Nur du allein verweiletest noch, und sah’st auf die Todten,
Uebergebogen, hinab; dann gabst du dem Rosse die Spornen!
Ach, und das Augenpaar des umschauenden Kaisers erglänzte,
Thränenumhüllt! Doch jetzt aufschwang er den Degen: von Marchecks
Thurm ertönten mit stürmendem Ruf die Glocken, und blutroth
Flatterte dort in die Luft die thatengebiethende Sturmfahn’;
Bald erscholl ringsum Geschrei und verwirrtes Getümmel.
Ottgar zögerte noch. Umsonst ermahnte der Greis ihn,
Jammernden Lauts, getäuscht von Herbots Kühnheit, und sagte:
„Sieh’, wie dort rechts hin die Reisigen stürmen, das Fußvolk
Rasch vordringt! Nun gilt’s: entscheide den schrecklichen Kampf du!“
Aber der König begann: „Fürwahr, wir tauschten für heut schon
299Art und Gemüth: du kühltest die Gluth sonst mir in dem Busen,
Kaltvorschauend, und heut’, empört zu Feuer und Flammen,
Hast du nicht Ruhe, nicht Rast. Bald tönt der ersehnete Ruf dir.“
Dann begann er noch leise für sich in sinnender Schwermuth:
„Wallstein, ach, ich schau’ in des Sieges Gefilden dich nimmer!“
Lobkowitz schwieg. Doch sieh’, nun hemmte die stürmenden Krieger
Milota’s Feldherrnwink! Er dacht’, ergrimmend im Geist, so:
„Jetzo der Thaten genug, daß mir vertraue der König.
Ist’s nicht klar? Er sann mir heute den sicheren Tod nur,
Als er mich ehrend erkor: ich lebe noch, ihm zum Verderben.“
Dacht’ es, und zog alsbald, schwachkämpfend, mit zögernden Schritten
Sich auf des Nachhalts Reihen zurück. Ihn empörete Katwald,
Tapfer zu steh’n: umsonst, er wich! Doch, sausenden Flugs, war
Marbod den Völkern genaht, die am rechten Flügel, gehorchend
Albrechts Stimme, voll Heldenmuths, nach dem Kampfe sich sehnten.
Hochberg, der den Zürchern geboth, ersah er, und rief ihm:
„Schreie: „Der Feind entflieht!“ Gar mächtig ertönet dein Ausruf.“
Hochberg schrie: „Der Feind entflieht“ mit gewaltiger Stimme,
Die zum Kern des Heers, und hinaus zum äußersten Flügel
300Donnerte. Bald erscholl’s von tausenden Stimmen auf einmal:
„Holla, die Feind’ entflieh’n! Sie flieh’n — die Feinde, sie fliehen!“
Ottgar horchte dem Ruf mit kalthinstarrendem Blick’ auf;
Wandte das Roß, und sprach zu Lobkowitz: „Wahrlich, vermuthend
War ich des Unfalls mir: denn höre des Herzens Geheimniß!
Jüngst, in der furchtbarn Zeit des mitternächtlichen Grauens
Hieß ich, im dunkelen Eichenhain, die Alrune,3 des Schicksals
Hehre Verkündigerinn durch Bothen befragen; sie gab mir
Antwort: Ottgarn winkt an Stillfrieds Marken das Ziel schon!
Dort ist der Sieg mir gewiß; wir wollen uns fechtend zurückzieh’n!“
„Herr, nicht der Hölle vertrau’,“ so rief der jammernde Greis auf,
„Gott vertraue — dir selbst, und deinen gewaltigen Kriegern!
Noch steht Sachs und Bayer im Kampf; noch nichts ist verloren.
Wolle mit Ernst den Sieg, er ist dein: o komm’, und erring’ ihn!“
Aber er trabte zurück. Ihm folgten am Fuße die Scharen
Milota’s, der in dem Nachzug noch voll täuschenden Eifers,
Selbst abwehrte, zum Schein, die raschnachrückenden Gegner.
301Bald erscholl auch drüben Geschrei, wo Bayern und Sachsen
Kämpften im Waffengefild, geführt von dem tapferen Herzog
Heinrich, und Zierotin, dem kraftgerüsteten Helden:
Denn Matthias, der Hort magyarischer Krieger, ersehend
Oben am ragenden Thurm die blutrothflatternde Sturmfahn’ —
Hörend der Glocken Getön’, erhob sich in Eile von Schönfeld,
Mit zermalmender Macht dem Feind’ in die Seite zu fallen.
Vor zu des Rosses Mähne gebeugt, den blitzenden Säbel
Schwingend in kräftiger Faust, hinbraus’ten die Reiter, und hieben
Links, rechts, ein: bald lagen die Leichen gesä’t in dem Blutfeld,
Wankten die Gegner, und floh’n, verfolgt von den Gegnern in Hast fort.
Rastlos eilte der König dahin im sinkenden Nachtgrau’n,
Bis er nach Dürnkrut kam in das Lager, das er noch letzthin,
Stolz vor Siegeshoffnung, verließ — nun trotzig begrüßte:
Denn er dachte des Siegs am nächstaufstrahlenden Morgen.
Doch bis Ebenthal, dem einsamen Schloß’ an dem Waldthal,
Führte der Kaiser sein Heer, und ruht’, umlagernd, im Feld dort.
Ganz verhallte des Tages Lärm, und vom nächtlichen Himmel
Sah’n die Sternenheer’ auf die schlummernden Völker herunter.
302Zehnter Gesang.
Abendröthlich erglänzt der schnellentgleitende Rheinstrom;
Völlig verhallte der Sturm; nur liebliche Lüftchen bewegen
Manchmal, leis’umsäuselnden Flugs den ergossenen Spiegel
Seiner Gestade, wo links und rechts, von dunklen Gebüschen,
Wäldern, und Höh’n, nun hochaufragende Thürme der Burgen,
Nun hellschimmernde Städt’ und Gotteshäuser sich heben,
Und ihr Bild in die spiegelnde Fluth von oben nach unten
Kehren, gewiegt von dem Zuge der raschforteilenden Wellen.
Wechselnd, von einem zum andern Gestad’ durchkreuzen der Vögel
Singende Scharen die Luft, und ziehen dem schauernden Wald zu.
Abendglockengetön, vermengt dem Blöcken der Heerden
Schallet die Ufer entlang, als jetzt an dem wölbenden Himmel
Auf sich schwingen die goldenen Stern’; umschattendes Dunkel
Ruh’ auf die Welt umher verbreitet, und jeglicher Laut stirbt.
Von Schafhausen allein tönt Donnergetös’, in des Abends
Stille hörbarer noch dem Ohr: wo im schwindelnden Jähsturz
303Sich von dem Klippendamm hinab zum versunkenen Strombett
Stürzt die gewaltige Fluth, aufschäumt an den Felsen, und dorther
Schauernden Nebelqualm in die Haine hinaus, und die Thäler
Sendet im Windeshauch’, unendlichen, ewigen Eilflugs.
Sieh’, ein Ritter kam aus fremden Landen gezogen!
Eilig trabt’ er die Straße herab, und ihm folgte der Knappe
Fern, ermattet der Last der Wanderung. Aber den Ritter
Trieb herzinniges Leid und der Heimath glühende Sehnsucht.
Als er im Abendlicht, hervor aus dem dunkelen Eichwald
Kommend, vor sich das weitverbreitete Land, und inmitten
Fluthen sah den ersehneten Rhein, da hielt er das Roß an;
Sprang aus dem Sattel herab, warf sich, erschüttert, zum Boden,
Netzt’ ihn mit Thränen, und stand, in des Anschau’ns Wonne versunken.
Hartmann war’s, der jetzo dem Strom sich nähernd, und kehrend
Heim in das Vaterland, die trauten Gefilde begrüßte.
Drüben am linken Gestad’, ersah er das freundliche Städtchen
Rheinau, welches der Rhein im kreisenden Lauf, sich nach Osten
Wendend, umfließt. Dort baute (so künden die Sagen der Vorzeit)
Sorglich das Gotteshaus Funtan, der Heilige,1 Schottlands
Königen blutsverwandt, den Brüdern von Monte-Cassino,
Als er, ein Pilger, dort die Stelle, vom Geiste getrieben,
304Endlich fand, wo allein der Strom nach Osten den Lauf kehrt.
Hartmann sah vom Gestad mit bewegtem Herzen hinüber —
Sah im Geist noch hinaus weit über die Berge, des Aargau’s
Liebliches Thal, und dort von dem Felsenhügel die Habsburg
Ragen aus dunkeln Tannen empor in die Luft, und herunter
Schau’n auf die Fluthen der Aar, die ihr, eilenden Laufes vorbeirauscht.
Zwar vermißte sie jetzt die trauten Gebiether: der Vater
Fern (er tauschte den Grafenhut mit der Krone der Kaiser)
Todt die Mutter — von ihm die holden Geschwister geschieden.
Er, der Unglückliche, kehrt allein, in einsamer Stille
Dort zu erreichen das tröstende Ziel der irdischen Wand’rung.
Doch nun rief er, bewegt, dem spätnachfolgenden Knappen:
„Mangold, fasse das Roß an dem Zaum’, und führ’ es mit Vorsicht
Ueber die Brücke zur Stadt; bald folg’ ich dir nach in die Herberg!“
Mangold faßte das Roß an dem Zaum, und führt’ es mit Vorsicht
Nebenher, dem seinen gesellt, hinüber nach Rheinau
So, daß die Brück’, entlang, erst laut, dann leiser und leiser
Unter dem eisernen Huf fortpolterte, bis zu dem Land hin.
Hartmann weilete noch. Er saß in Trauer versunken,
Dort auf dem Felsenriff, das sich auf die Fluthen hinüber
Beugt; sah oft nach den Wellen hinab, wie sie rollten, und eilten
305Rastlos fort in des ewigen Meers verschlingende Tiefen,
Und gedachte mit Trost der eilenden Tage des Lebens.
Sieh’, nun hob sich vor ihm der Mond in des Himmels Gezelt auf;
Hellte die Nacht, und zog in grünlichen Goldes Gefunkel
Quer auf dem dunkelen Strom die flimmernde Straße hinunter,
Der er, bewegt, nachsah, bis dort zu dem äußersten Rand hin,
Wo das Gestirn sich scheitelrecht in den helleren Fluthen
Spiegelte. Dort winkt’ ihm (so däucht’ es ihn) freundlichen Blickes,
Jenseits her aus ätherischem Glanz die liebende Mutter.
Ach, er streckte die Arme nach ihr mit stöhnender Brust aus;
Beugte die Stirn’, und ihm sank die heimliche Thrän’ aus den Augen!
Jetzo fuhr ein Kahn rasch über den schimmernden Mondpfad;
Muntere Stimmen erreichten sein Ohr. Herüber von Rheinau
Kehrte nach Eglisau, der Vater mit seinem Erzeugten,
Der, ein Fischer, dahin die Beute der Netze getragen,
Und seit Jahren umher auf dem fischdurchwimmelten Rheinstrom
Ruderte. Nun verfehlt’ er, getäuscht, des Zieles: der Kahn schlug,
Von der Strömung gerafft, an dem Joch der gewaltigen Brück’ um,
Barst entzwei, und die Zween verschlang, so mächtig sie kämpften,
306Schrie’n, und riefen, die Fluth. Nicht der lastenden Rüstung gedenkend,
Nicht der grausen Gefahr, aufsprang der edele Ritter
Auf das Angstgeschrei nach Rettung jammernder Menschen;
Lief das Ufer entlang, und warf sich hinab in die Strömung,
Als der Junge hervor aus der Fluth die Rechte gehoben;
Aber nicht rettet’ er ihn, und fand in dem brausenden Abgrund
Dort das Ziel des schwermuthvoll entschwundenen Lebens.2
Ach, nicht ahnte des theueren Sohns unglückliches Schicksal
Rudolph noch, der fern im Zelt, von den Helden umgeben,
Saß beim erquickenden Mahl, nach unsäglicher Mühe des Tages!
Draußen, von Lagerfeuern erhellt, verlor sich des Himmels
Nächtliches Grau’n; Geschrei und Gelärm erscholl mit dem Wehruf
Blöckender Lämmer und Schaf’, und des dumpfaufbrüllenden Rindes:
Denn die Krieger besorgten das Mahl in geschäftiger Sorgfalt:
Jetzo das Fleisch in der siedenden Fluth, die im räumigen Kessel
Brodelte, wohl mürbkochend, und jetzt es auf kreisenden Spießen
Bratend so, daß der Wohlgeruch weit das Lager erfüllte.
Auch ermangeln sie nicht des herzerfreuenden Weines,
307Oder des Brots; nicht des Habers und Heu’s die munteren Rosse:
Denn des Heers Marschalk, der Breuner, hatte genügend
Alles und Jedes zur Stelle geschafft für die dauernde Kriegszeit,
Und stets lauter erscholl auftobende Freud’ in dem Lager.
Drinnen im hellerleuchteten Zelt, von den Helden umgeben,
Harrte der Kaiser zuvor des blühenden Königs der Ungern,
Dem er den Herold gesandt, als dort vom Lager vor Marcheck
Sich das siegende Heer erhob, die geworfenen Scharen
Ueber den Weidenbach voll drängender Hast zu verfolgen.
An dem Gestade der March, wo, g’en Hochstätten, im Halbkreis
Sich hinwindet der Fluß, aufragte die Kuppe des Felsens,
Der vor grau’n Jahrhunderten schon den Völkern zum Markstein
Dienete, jetzt dem Zelt des lebensfreudigen Königs
Kühlenden Schatten both, und, ferne geseh’n, in der Umwelt
Alles dem spähenden Auge verrieth. Dort fand ihn der Herold
Sitzend im munteren Kreis’ der Zitherspieler und Sänger,
Die von dem Heldenzug der Ahnen herüber nach Ungerns
Reichem Gefild’ und der Thatenkraft gepriesener Führer
Sprachen im jubelnden Lied’; auch rühmten darauf: wie im Feld’ erst,
Kämpfend mit nieu erschütterndem Muth, des verbündeten Kaisers
308Macht die Feinde bestand, und, gleich dem brausenden Sturmwind,
Der auf der Heid’ im Herbst die verdorrten Disteln dahinjagt,
Trentschins ruhmverherrlichter Held dann ihnen im Rücken
Lag mit mordendem Stahl, als all die Scharen zerstoben.
Aber so laut der König sich d’rob erfreute, so gönnt’ er
Dennoch dem Kunen den Ruhm vor dem Unger im heimlichen Busen,
Und ergrimmte noch mehr, daß ihm Kaduscha heute zurückstand.
Hastig nahet’ ihm Meyenberg, der Herold, und sprach so:
„Herr, dein Herz erfreue der Ruhm des herrlichsten Sieges,
Den dein tapferes Volk mit raschentscheidender Thatkraft
Uns erringen half. Zum Kriegsrath ruft dich der Kaiser,
Und zu dem fröhlichen Mahl nach des Tags ermüdender Arbeit.“
„Gern,“ erwiederte jener, voll Hast, „hineil’ ich in’s Lager
Meines erlauchten Verbündeten, der so edel gesinnt ist.“
Sagt’ es, und schwang sich auf’s Roß, im Gefolg kumanischer Reiter,
Ebenthal zu erreichen im Flug, wo im schimmernden Zeltraum
Rudolph, heldenumschart, sein harrete. Wie er dahinflog,
Fuhr der Staub zum Gewölk, erregt von den stampfenden Hufen.
Alle gehorchten dem Ruf des erhabenen Kaisers: nur Einer —
Kaduscha war nicht zu schau’n. Empört von dem Glücke des Helden
309Von Trentschin, entboth er zu sich zweitausend der Reiter:
„Ha,“ so sprach er, „was sollen wir hier, mit den Deutschen verbündet,
Nutzlos opfern das Blut, da jüngst den lohnenden Woldan3
Wie er den Raubritt hieß, uns grausam der Kaiser verwehrte?
Auf, wir zieh’n nach Günß, den tapferen Iwan4 zu retten,
Den jetzt Bertholdsdorf, der Kammerer, stürmend, bedränget,
Innen im Raum der gewaltigen Burg! Wir entsetzen die Festung
Schnell mit würgender Faust, und erlösen den tapferen Grafen:
Dann soll Oestreich bald, verheert, und geplündert, mit Schrecken
Schau’n von nah’ und von fern aufflammende Dörfer und Städtchen;
Aber wir kehren, beschwert mit reichlicher Beute, zur Heimath.“
Laut aufjauchzten sie ihm, nach Beute begierig, und zogen
Schnell g’en Heunburg fort, der Donau Fluthen hinüber,
Ueber die Brücke, die Albrecht jüngst erbaute mit Sorgfalt;
D’rauf gewahrten sie bald den Neusiedl-See, und die Mauern
Oedenburgs, und eileten rasch nach den Höhen von Günß hin.
Doch schon hatte der Kaiser, vereint mit seinen Erwählten,
Mit vorschauendem Blick des Angriffs Weisen erwogen;
Manchen erforscht, und dem Forschenden gern mit würdiger Sanftmuth
310Klaren Bescheid ertheilt: bis all’, einmüthig, ihm Beifall
Zollten; die Ordnungen, Zahl, und die Stellung der Völker im Schlachtfeld
Jeder gar trefflich fand, und jeglicher Zweifel entfloh’n war.
Siehe, nun scholl des Rosses Huf von der Straße herüber.
Jene horchten erstaunt; da sprach, sanftlächelnd, der Kaiser:
„Alle vermißet ihr hier nur ungern Hugo von Tauffers,
Jenen gewaltigen Greis, bei’m herzerheiternden Spätmahl.
Wahrlich, viel erduldet’ er jetzt, in der engenden Festung
Müßig zu steh’n, der stets im Gemenge der eisernen Waffen
Rasch vortummelt das Roß, und allwärts ist, wo Gefahr dräut!
Ich entboth ihn in’s Feld, dem jüngst verwundeten Helden,
Ortenburg, vertrauend die Vest’, und er folgte dem Ruf bald.“
Als er’s sprach, da trat der muntere Greis in das Zelt ein;
Grüßte den Kaiser zuvor, und den blühenden König der Ungern;
Dann die tapferen Helden umher mit feurigen Blicken,
Setzte sich hin, und begann: „Fürwahr, ich wähnte: verrosten
Müßte mein tüchtiges Schwert in der dunkelen Scheide für immer,
Und ich daheim Geschriebenes nur aus dem Munde des Mönchleins
Hören: von Thaten des Kriegs und euern errungenen Lorbern!
Aber als gütigen Herrn erwies dem alten Gesellen
Haug der Kaiser sich stets: sein dacht’ er auch jetzo mit Huld nur.
311Kaduscha sah ich zuvor an der Spitze des reisigen Volkes
Treulos flieh’n; er gab, hohnlachend, den kurzen Bescheid mir:
Iwan weih’ er sein Schwert; euch wünsch’ er Glück in dem Siegslauf.“
All’ aufhorchten mit Staunen dem Wort; doch glühendes Roth fuhr
Jetzo mit wechselndem Weiß in die Wangen des Königs von Ungern,
Und ihm blitzte der Zorn aus den halbgeschlossenen Augen;
Dennoch besann er sich schnell; both dann die Rechte Matthias
Von Trentschin, und sprach: „Du sey des Heeres Gebiether
Mir hinfort! Obgleich vom Geschlechte der Kunen geboren
Mir die Mutter ward; ich die Liebe des Kun’s aus der Brust ihr
Sog als wimmerndes Kind, und, zum Jüngling gereift auf dem Todbett
Noch ihr schwur auf die pochende Brust: so will ich den, Unger,
Reuig erwägend die Schuld der dauernden Geistesverblendung,
Vorzieh’n jetzt dem Treulosen, der mich verließ, und nicht schmähen
Fürder das edlere Blut des throngebornen Erzeugers.“
Jener erhob sich mit Würde vor ihm, und beugte die Scheitel,
Schweigend, zum Dank. Doch, als im schlachtentscheidenden Kriegsrath
Für den bald aufdämmernden Tag Alljedes besorgt war,
312Saß der Kaiser im Heldenkreis’ bei dem fröhlichen Nachtmahl
Heiteren Blicks, und sprach, umschauend, zu Diesem und Jenem:
„Laßt euch Lagerkost, ihr Herrn, genügen: für jetzt noch
Sind der Gerichte nicht viel’, doch würze die wenigen Frohsinn!“
Lautes Gemurmel erscholl in dem Zelt. Geschäftige Diener
Reichten die Speisen herum: das dampfende Muß, aus dem Vorrath
Zartesten Mehles gekocht; dann wildes und zahmes Geflügel,
Wohlgebraten am Spieß mit dem Rücken des jährigen Rindes,
Und, zum kräftigen Brote zuletzt, der Sitte geziemend,
Goldenen Honigseim, wie solcher dem Deutschen ersehnt war.
Andere trugen die Fluth des köstlichen Weins in den Krügen
Freundlich herum, und füllten den Bauch der räumigen Humpen,
Die vor jeglichem Gast’, aus schimmerndem Erze getrieben,
Standen, nach Herzenslust bei dem Nachtgelage zu trinken.
Lauter und feuriger ward das Gespräch, und bewegter das Kriegszelt.
Aber der Kaiser sah mit lächelndem Wink nach dem Ritter
Müller, dem Zürcher, der im Kreise der Fröhlichen, immer
Heiteren Scherzes gedacht’, und jetzt zu Friedrich von Nürnberg
Also begann: „Herr Burggraf, sprecht: wie war’s denn vor Basel
Mit dem Gelehrten, da Ihr ihm Habsburgs Pfennig nicht gönntet?“
313Jener kündete nun mit hocherröthenden Wangen:
Wie in dem dauernden Kampf vor Basel dem edelen Ritter,
Rudolph, both sein Werk: „Von den Kriegen der Römer und Deutschen —
So auch des Feldherrn Wissenschaft“ ein Gelehrter aus Straßburg;
Jener ihm schnell ein Goldstück gab mit der goldenen Kette,
Die von dem Hals ihm hing, und d’rauf, voll Gier, in den Büchern
Blätterte; wie er — der Schwester Sohn, ihm solches verwiesen,
Da viel Geldes das Volk ihn kostete, viel auch der Kriegszug
Fortan heischt’. „Ach hört,“ so erzählt’ er dann, „wie mich Rudolph
Schalt! „Der herrlichste Lohn,“ so sprach er, „gebührt dem Gelehrten,
Der hochrühmliche Thaten beschreibt, und im Herzen den Muth weckt,
Sie zu vollbringen dereinst.“ Er säße wohl selber mit Freuden
Ueber den Büchern, so ihm nicht die Zeit ermangelte; lieber
Spendet’ er auch sein Gold auf ihn, der, dauernden Mühens,
Solche Schätze gehäuft, denn auf manchen untüchtigen Krieger.“5
„Wahrlich,“ so fiel ihm Müller in’s Wort, „kein wankendes Schilfrohr,
Das sich im Hauche des Windes bewegt, gewahrten die Gegner
Jemals an ihm, denn hört: der Regensberger vererbte
314Auch an den Kraft von Toggenburg, der seines Geschlechts war,
Unversöhnlichen Haß g’en Habsburg. Feindlich umringten
Wir mit erlesenem Volk dort Uznach, die ragende Felsburg,
Und ein Krachen begann alsbald: denn laut und unzählbar
Flogen die Felsen nach ihr, von des Antwerks6 mächtigem Wurfbaum
Hingeschnellt, das Ermel in Roth, der treffliche Meister,
Sinnig zu bauen, verstand. Auch die Katzen,7 mit Erde bedecket,
Rasteten nicht, stets näher den Mauern gerückt, und die Krieger
Schirmend vor Feindesgeschoß, die im Sonnenlicht und im Nachtgrau’n
Schwangen die furchtbare Wucht des mauerzertrümmernden Balkens.
Hundert Fuß aufragte der Stamm des mächtigen Eichbaums,
Den der Meister sich wählt’, und mit Eisen die Stirn’ ihm bewehrte.
Donnernd schlug er die Wand, von kräftigen Kriegern geschwungen.
Endlich rückten wir auch mit dem Ebenhoch8 an die Zinnen:
Schleudernd von ihm zermalmende Blöck’ in die Mitte der Felsburg —
Auch mit Schwefel und Harz erfüllete, brennende Kugeln.
Doch ereilt’ uns d’rauf der grimmige Winter: verderbend
Hielt sich die Burg sechs Monden schon mit erlesenem Streitvolk.
315Viele begruben wir dort der Unseren; viele vermißten
Wir an dem Morgen oft, die feig entwichen bei Nachtzeit;
Doch nie wankte noch Rudolphs Muth. Da warfen die Gegner
Lebende Fische heraus in das Lager, als spotteten sie noch
Seiner Gewalt. Er rief: „Ermannt euch: unser ist Uznach!“
Also geschah’s. Er drang bei Nacht mit wenigem Volk nur
Ein durch den Mauerbruch, und eröffnete herzhaft das Thor selbst.
Unserm würgenden Schwert’ erlagen die Gegner, und alsbald
Fiel auch die Burg, zerstört, auf den Wink des Helden von Habsburg.“
Laut umtönt’ ihn einhelliger Ruf: „Hoch lebe der Held uns!“
Doch nun sah ihn zugleich der blühende König der Ungern
Traulicher an, und sprach: „Stets bist du wohl glücklich gewesen?
Denn ein heiterer Geist wohnt dir in den freundlichen Augen.“
Jener begann: „Nicht also: denn vieles erduldet’ ich seither,
Ander’n Sterblichen gleich, im wechselnden Laufe des Lebens;
Leidengeübt erkenn’ ich das Maß auch der härtesten Leiden
Anderer; doch, ich lernete dem, was über uns waltet,
Frühe mich fügen; hab’ treu an des Heilands Lehre gehalten,
Die uns gewiß, denn einzig wahr, hienieden und jenseits
Leitet zum dauernden Glück. Mit Dank genoß ich des Guten;
Setzte dem Schlimmen ein Ziel durch Geduld; stets ehrt’ ich die Wahrheit;
316Meine Wege befahl ich dem Herrn, und schau’ in des Grab’s Nacht
Ruhigen Blicks: mir winket aus ihr das ewige Lichtreich.“
Sagt’ es, und sah, bewegt, nach Albrecht, seinem Erzeugten,
Der an den Lippen des Vaters hing, und weinte, hinüber.
Stiller wurd’ es im Zelt, da rief mit umschallender Stimme
Lichtenstein: „Was soll uns der Ernst bei der fröhlichen Mahlzeit?
Morgen ruft uns die Schlacht mit donnerndem Laut’, und des Frohsinns
Jubel verhallt. Wer kehret, wer nicht? Weß’ Sitz an dem Tisch hier
Leer ist bei’m künftigen Mahl: das steht uns zum Glück noch verborgen;
D’rum genießet des Augenblicks, eh’ er schwindet auf immer!
Soll dieß herrliche Fest des Sängers ermangeln? Er harret
D’raußen nur eures Winks: der gemeinsamen Freude gedacht’ ich.“
„Sage mir an,“ sprach Rudolph jetzt, „weß’ Landes und Volkes
Rühmt sich dein Sänger? Bekannt sind mir die Weisen der Meister:
Denn mir waren sie stets ersehnete Gäste; so mancher
Wallte zur Habsburg hin, und geehrt ging jeder von dannen.
Gierig horcht mein Ohr den zaubergewaltigen Männern:
Denn mit frischerem Grün bekleidet ihr Sang in dem Winter
Selbst, den entblätterten Wald, und mit Frühlingsblumen die Matten,
317Die der herbstliche Wind versengt’: auf den nebligen Himmel
Sä’t er glänzende Stern’ umher, und weckt in des Menschen
Fühlender Brust, gar mächtig die Ahnung der schöneren Zukunft,
Der hier unter dem Druck der Gegenwart, wie erstarret,
Ach, nach jener, so oft, mit inniger Liebe sich sehnet!
Eilt, und führt ihn herein den werthen Gast bei dem Mahl hier.“
Jener eilte hinaus; dann kehrt’ er, und sagte dem Herrscher:
„Nicht unrühmlich bekannt ist Hornecks9 Name, des Sängers,
Der aus der Steyermark entsproß, und in blühender Jugend
Fort nach Deutschland zog an den Hof des würdigen Bischofs,
Werner von Mainz, wo ihm Rotenburg zum Meister geworden.
Aber ihn drängte das Herz: ein redlicher Hirte der Schäflein
Seines Heilands zu seyn, und er weidete solche mit Sorgfalt,
Jahrlang, bis ihm die Feder zugleich und das Siegel der Bischof
Wieder vertraut’. Er starb, und Horneck kehrt’ in die Heimath:
Erst dem Sänger des Frauenbuch’s,10 deß’ Sohn ich mich rühme,
Sich zum Frommen zu weih’n: dann mir, als jener gestorben:
Denn mit unsäglichem Fleiß, in zierlichem Reim die Geschichten
Schreibend, folgt er mir treulich nach im Krieg’ und im Frieden.“
318Doch nun trat im langen Talare der heilige Sänger
Leise herein. Er trug die tönende Harfe mit Vorsicht
Unter dem Arm, und grüßte die Schar — vor allen den Kaiser
Tief, und mit innigem Blick’. Erstaunt besann der Beherrscher
Deutschlands sich. Ihm schien: als hätt’ er ihn früher gesehen;
Nur vom lastenden Alter gebeugt, und ergrauet an Haaren
Stand er, ein Fremdling, vor ihm. Da ließ er mit freundlichen Mienen
Auf den niedrigen Stuhl am Zelteingange sich nieder;
Langte die Harfe hervor, und fuhr mit flüchtigen Fingern
Ueber die Saiten dahin, die herzerschütternden Lautes
Töneten. Still ward’s d’rauf in dem Zelt, und es stockte der Odem
Allen umher in der Brust, da er jetzt den feierlichernsten,
Heiligen Sang begann im Klange der bebenden Saiten:
„Laut erbrauset der Sturm, und jagt tiefhangende Wolken
Ueber die finsteren Berge hinaus. Der laubige Hochwald
Trieft, der Gießbach rauscht, vom dauernden Regen geschwollen.
Sieh’, dort ruhete nun, aus dem Sattel gestiegen, ein Ritter,
Nach ermüdendem Weidwerk aus. Von dem heiteren Antlitz
Strahlt ihm der Heldenmuth — aus den bläulichen Augen die Wahrheit,
Liebe, und Treu’. Er sah in die Fluthen: sie saus’ten, und braus’ten,
319Eilten im Fluge dahin, und er dachte des fliehenden Lebens.
Aber der Rappe scharrt; laut winselt der gierige Schweißhund:
Denn kein Wild auftrieb er im Forst, und der Ritter erhebt sich
Heim zu zieh’n in die Burg, wo sein die Liebenden harren.
Jetzt erreicht Geklingel sein Ohr. Von dem finsteren Wald her
Naht dem Ufer ein Priester des Herrn: im schimmernden Chorrock,
Und mit goldener Stol’ an der Brust, nachschreitend dem Meßner
Eilig, das Engelsbrot zu dem sterbenden Manne zu tragen.
Doch jetzt schaut er, voll Angst, umher: denn siehe, der Gießbach
Schwemmte den Steg aus dem Grund’, und drüben aufjammert die Hausfrau:
Hörbar poche der Tod an der Thür’, und es lechze der Gatte
Nach der Labung, die ihn auf die Reis’ in die Ewigkeit stärke.
Schnell entblößt’ er die Füß’ an des Ufers felsigem Abhang,
Dort die rauschende Fluth kühn durch zu waten, entschlossen.
Aber der Ritter kam in Eile herüber, und both ihm —
Erst anbethend den Heiland der Welt, das gesattelte Reitroß
An zu heiligem Dienst, und kehrte, vergnügt, zu den Seinen.
Als der Abend sank, und die Welt in rosigen Schimmer
Hüllete, sieh’, da führte der Priester das Roß an dem Zügel
Ueber den Burghof her, und sagt’ es dem Ritter mit Dank heim!
Aber er sprach: „Was dünkt dich? Nein, nicht diene dieß Reitpferd
320Fürder zu schnödem Gebrauch, das meinen Erlöser getragen:
Denn nun sey’s der Kirche des Herrn mit dem Feld’ an dem Weiher
Frei geschenkt, daß hinfort kein Wildbach mehr auf den Pfaden
Jenes unwirthbaren Raums, in dem heiligsten Amte dich hemme!“
D’rauf der Priester begann: „So vergelt’ es dir Gott, der Erbarmer,
Edeler Herr, was du mit erbarmendem Sinn an dem Diener
Seiner Kirche gethan: stets mög’ es dir glücklich ergehen!
Ha, mir sagt es der Geist, und ich irre nicht — sey dieß Geheimniß
Dir in den Tiefen des Herzens bewahrt: dir zieret die Scheitel
Würdig dereinst die Krone des heiligen, römischen Reiches!
Herrschen wird dein Geschlecht auf dem herrlichsten Thron’ in die Zukunft
Endlos hin. Dein dauernder Ruhm erfüllet den Erdkreis!“
Endete so: da sah’n zugleich die versammelten Helden
Staunend, dem Kaiser in’s Aug’, und erkannten des Grafen von Habsburg
Fromme That enthüllt, die er stets verschwiegen voll Demuth.
Aber er stürzte herbei, und drückte mit heißer Umarmung
Lange den heiligen Greis an die Brust; dann rief er bewegt so:
„Wahrlich, du bist’s, Ehrwürdiger, der an dem rauschenden Gießbach
321Mir mit dem Herrn erschien, dort Glück und Segen zu spenden!
Möge die ewige Huld dir hier und dort ihn vergelten!“
Jener beugte die Stirn’ auf Rudolphs Hand, ihm die Thränen
Bergend, und wankte hinaus in dem einsamen Zelte zu ruhen.
Auch die Helden, gesammt, enteileten: denn an des Morgens
Tod- und lebenentscheidende Schlacht ermahnte der Kaiser
Sie mit erglühendem Aug’: „O denket,“ so sprach er, „des Morgens,
Der uns im eisernen Felde vereint. Im Sieg’ ist die Freiheit,
Wohlfahrt, Ruhe und Glück viel Tausender: denket des Sieges!“
Aber erschütternd braust’ ein Ruf aus dem Munde der Helden:
„Ha, wir gedenken mit Gott zu erringen den Sieg in dem Blutfeld!“
Tief verstummte das einsame Zelt. Mit sinnenden Blicken
Ging der Kaiser umher; dann saß er wieder, und dachte
Noch des wechselnden Glücks der Sterblichen — sah mit Ergebung
Himmelempor, und entschlummert’ im Schimmer der Lamp’ auf dem Lehnstuhl.
Aber nicht lang, da fuhr er, bewegt, zusammen (nicht wacht’ er,
Schlummerte nicht) ihm stand, verklärt in himmlischer Schönheit,
322Hartmann, der liebende Sohn, vor den nachtumhülleten Augen,
Blickte lächelnd ihn an, und sprach: „In düsterem Zeitraum
Schieden wir, mein Vater! Mir ward auf dem irdischen Dornpfad
Jammer zu Theil, und ich weinete still: nicht gewahrend der Vorsicht
Mildumschlingende Hand, die allein zum lohnenden Ziel führt.
Ha, nun steh’ ich am Ziel! Gelös’t, und in himmlischer Klarheit
Liegen des Lebens Räthsel vor mir; versiegt ist der Thränen
Bitterer Quell’, und es jauchzt die entfesselte Seele vor Wonn’ auf.
Vater, traure nicht, wenn die Todesbothen dir künden:
„Hartmann starb in den Fluthen des Rheins: im rühmlichen Streben,
Retter zu seyn Unglücklicher!“ Schon ist die sterbliche Hülle,
Die ihn umgab, in dem Baseler Dom zu Grabe getragen,
Wo ihm ein Denkstein wird, auf immer zum ehrenden Zeichen.
Traure nicht. Ich, und die Mutter — wir harren dein in Gefilden
Ewigen Glücks, bis treuerfunden am Ziel, wo entscheidend
Sinket die Wag’, und steigt, auch du, vor unsäglicher Wonne
Jauchzend, die Deinen ersiehst in seliger Wiedervereinung.
Denke der Alpenhöh’n, des Greises, und frommen Gelübdes,
Wenn in umdrängender Schlacht die Hoffnung des Sieges dir schwindet!“
323Rudolph fuhr von dem Stuhl’. Er wähnte den fliehenden Schimmer
Noch an der Decke des Zeltes zu schau’n, und zitterte, starrend
Hin, den Gesichten der Nacht. Dann rief er: „Ein furchtbarer Traum war’s:
Furchtbar und himmlisch zugleich! Mein Hartmann lebt, und mich täuschte
Nur der Lamp’ aufflimmerndes Licht. O Herr, du bewahr’ ihn!“
Sprach so; streckt’ auf dem Lager sich aus, und entschlummerte wieder.
Aber nicht herrschte die Ruh’ und des Herzens Frieden in Ottgars
Zelt: denn eben kehrt’ er zurück aus dem finsteren Eichwald
Götzendorfs, und er wähnete noch: die Schrecken der Hölle
Rauschten hinter ihm her, im Gezisch’ unseliger Geister.
Furchtbar rollte sein Aug’, und seine geöffneten Lippen
Zitterten. Doch nun warf er das Schwert auf den drönenden Tisch hin,
Ließ sich nieder, und starrte mit düsterem Blick’ in des Oehldochts
Flimmernden Schein. Er eilte zuvor dem waldigen Thalgrund
Götzendorfs, im Grauen der Nacht, allein, und dem Heerweg
Fern’ auf dem schnaubenden Roß entgegen: des dunkelen Schicksals
Ruf noch einmal dort an dem schauerumflossenen Eichbaum,
Dem die Bewohner des Dorfs nur mit Angst und Schrecken vorüber
324Eileten: denn stets scholl Gezisch um ihn her, zu vernehmen.
Dorthin bannt’ erst jüngst Drahomira, voll höllischer Arglist,
Einen täuschenden Spuk, zu verlocken den finsteren Ottgar,
Der um die Mitternacht hinwanderte, Gott zu versuchen.
Als er rasch auf den Baum losdrang, da trat ihm sein Engel
Unsichtbar in den Weg, und rief an das Herz ihm die Warnung:
„Wie, Verehrer des Herrn des Weltalls, Theuererlös’ter,
Willst du dem Vater der Lüge dich weih’n — die unsterbliche Seel’ ihm
Selbst verschreiben zum Pfand für trugverhüllende Zeichen?
Kehre zurück; bereue die Schuld des entflohenen Lebens.
Mild erbarmt sich der Herr des Reuigen: eil’ ihn zu söhnen!“
Ottgar horchte bestürzt: denn zorngerötheten Blickes,
Sah der Unsterbliche jetzt nach dem Baume hinüber, und alsbald
Floh’n die finsteren Mächte davon. Ihr wildes Gezisch scholl
Laut um ihn her: er wandte das Roß, und im brausenden Eilflug
Kehrt’ er heim in das Zelt, von Angst ergriffen, und Schauder.
Als er dort beim Scheine der mattaufflimmernden Lampen,
Sinnend, saß: da scholl ein Getrab anstürmender Rosse
Näher. Nicht lange, so stand Kunegunde, mit flammenden Blicken
Schauend, vor ihm, und sprach: „Hast du die verhüllete Neigung
Deiner so theuren Tochter dir, zu dem herrlichen Jüngling,
325Wallstein, früher gekannt, der jüngst in’s eigene Schwert sank,
Und ihr Herz verwundet im Zorn? Nie siehst du sie wieder.
Hedwig entfloh. Aus dem Kloster, ach, der ad’ligen Nonnen
Drüben im Ungerland kam mir die Kunde gesendet:
Eine Braut des Herrn, will sie in erkorener Stille
Leben hinfort. Schon hüllt ihr die liebliche Stirne der Schleier.
Schrecklicher, dein Werk ist’s: gar viel des Schlimmen erlebst du!“
Ottgar beugte das Haupt, und barg die thränenden Augen
Schnell mit den Händen vor ihr: von dem leise geahneten Schicksal
Seines theuersten Kindes bewegt. Er bebte, verstummend.
Doch sie sprach von neuem mit Hohn: „Im nächtlichen Grauen
Komm ich von Drösing heran: denn wer gewahrt’ in des Tages-
Licht nicht die Scham und die heimliche Wuth mir im glühenden Antlitz
Ueber die Flucht des Böhmenheers — des tapfersten Heeres,
Das sein Hort: weh mir, daß ich Gattinn dem Feigen geworden,
Fliehen hieß in dem Augenblick des entschiedenen Sieges!“
„Weib, halt ein!“ schrie laut der Empörete, „kühn und entschlossen
War ich mein Leben lang, und feig ertrug ich als Gatte
326Nur, die Launen des Weibs, das mir zum Jammer zu Theil ward.
Ach, die unfriedliche Ehe gebiert die herbste der Qualen!
Doch für jetzo hinweg mit eitlem Gezanke. Zu furchtbar
Dränget der Augenblick: nicht fern ist die Stunde der Schlacht mehr.
Fort noch heute g’en Prag! Ich sende dir muthige Scharen
Zum Geleit. Mit dir sey Gott! Kunegunde die Mutter
Meiner Kinder bist du! Erhabenes liegt in den Worten.
Halte sie wohl, die theuern! Gar viel ertrug ich des Schlimmen
Mit Geduld, um die Kindlein: denn mir fehlte der Sohn noch.
Ha, daß vielleicht, so mir die Heimkehr wird aus dem Kriegszug,
Schönere Tag’ uns blüh’n! Nur als Sieger siehst du mich wieder.“
Sagt’ es, und stand, verwendeten Blicks. Ihr rollten die Thränen
Ueber die Wangen herab: denn tief vorahnte sie’s: nimmer
Werde sie ihn mehr seh’n; doch scholl kein freundliches „Leb’ wohl!“
Ihr von den Lippen; sie ging, und schwang sich auf’s Roß, von den Reitern
Dicht umschart, bald Prag, die herrliche Stadt zu erreichen.
Heftig bewegt, ging Ottgar jetzt im dämmernden Zeltraum
Auf und nieder, und sann. Schon längstentflohene Zeiten
327Kehreten ihm, nun lieblich und hell, nun nächtlich und furchtbar,
Wieder im Bilde zurück, und ach, unendliche Wehmuth
Faßte sein Herz, als dort die dämmernde Helle des Nachtgrau’ns
Trauergewölk verschlang, und um ihn, verödet, die Welt lag!
Stöhnend streckt’ er zuweilen den Arm weit vor, und ersehnte
Heiß, zu entreißen dem Grab, was solches im Moder bedeckt hielt.
Seine Lippen bewegten sich dann, und lispelten Nahmen,
Ort, und Zeit umher in die Dämmerung. Willigen Herzens,
Wär’ er mit flehendem Wort vor Dem, und vor Jenem gesunken
Auf die Knie’, zu erringen den Wink ersehnter Verzeihung.
Doch, als Niemand war, der Antwort gab, und auf Erden
Alles, verstummt, und erstarrt, auf immer jegliches Mitleid
Ihm zu versagen schien: da hob er die furchtsamen Augen
Auf zu dem Himmel, und sah durch leis’aufquellende Zähren,
Zweifelnd, hin, bis jetzt, erschüttert, die bebenden Händ’ er
Faltete; dann, gesunkenen Haupts, auf die Kniee sich werfend,
Also begann: „O Herr, nicht geh’ in’s Gericht mit mir Armen!
Ringsum drängt mich die Schuld, wie die Fluthen des schwellenden Bergstroms,
Und einstürzender Berge Geröll. Wo find’ ich Errettung
Einst vor deinem Zorn, Allmächtiger, wo, so dem Schuldner
Nur vergeltendes Recht, nicht auch Erbarmen zu Theil wird?
Doch Erbarmen mit mir, das, hart- und eiserngesinnet,
328Ich nicht übt’ an den Menschen — ein Mensch? Erhebe die Hand nur,
Furchtbarer, straf’ mich: denn ich hab’ es verschuldet, auf immer!
Dennoch nimmst du die Sühne noch an; barmherzig und gnädig
Bist du, o Herr, wenn reuig das Herz auf der irdischen Bahn noch,
Schmerzdurchdrungen, sie beut! Noch wandl’ ich auf ihr. Im Bewußtseyn
Schrecklichen Frevels, zu dem auf der schwindelnden Höhe des Thrones
Mich die gefährliche Macht und der feiggesinneten Schmeichler
Zauberruf hinriß, und des ungebändigten Herzens
Ehrgeiz, Stolz, und begierliche Gluth stets mächtiger drängte,
Will ich, läßt du mich leben, o Herr, mit reuigem Herzen
Sühnen die Schuld! Wie ich einst des Kreuzes heiliges Zeichen,
Siegend, zur Ostsee trug, und dort den verwilderten Heiden
Deines Nahmens Ruhm verkündigte, eifernd für Wahrheit,
Tugend, und Recht; wie dort das Herz bei jeglichem Guten
Höher im Busen mir schlug, und ringsum die heitere Schöpfung
Lächelte, weil in der Brust noch Frieden mir wohnte: so will ich,
Ein erneuerter Mensch, hinfort dir leben, und würdig
Wandeln vor dir, geschirmt von deiner allmächtigen Rechten!
Ha, der Morgen graut! Ich stehe g’en über den Feinden:
329Jenem zumal, der mich verhöhnete — mir in dem Herzen
Glühenden Haß und Rachsucht weckt’. Ich verzeih’ ihm: du heischest
Solches, mein Heiland, von mir zum Gehorsam. Im redlichen Kampf nur,
Den des Throns erworbenes Recht und die Liebe der Völker
Heiliget, will ich ihm steh’n, und anheim dir stellen mein Schicksal.
Gieb mir den Sieg, Herr! Doch nicht mein — dein Wille geschehe!“
Aber die Himmlischen feierten nun der unendlichen Allmacht
Huldausstrahlenden Wink. Auf Erden erglühte das Frühroth.
330Eilfter Gesang.
Zweifelnd rang der Tag mit der Nacht, und im schauernden Zwielicht
Ruhte die Erde, noch rings vom holden Schlummer umfangen,
Als das schreckliche Paar der Meerenberger in’s Lager
Kehrete. Dort an dem Pfad, der, längs dem duftenden Weinberg,
Immer höher sich hebt, und erst an dem felsigen Hügel
Schwindet, von welchem der Rabenstein empor in die Luft ragt,
Standen die Rachebrüder, vereint zu entsetzlichen Thaten,
Schon drei Stunden lang, und sah’n mit finsteren Blicken
Bald nach dem Hochgericht, bald einer in’s Auge dem andern,
Das, wie der Blitz aufflammt in dem Nachtgrau’n, öfters erglühte
Vor dem gewaltigen Drang des grimmgesättigten Herzens.
Aber da sprach der ältere so zu dem jüngeren Bruder:
„Siehe, der Morgen graut; schon bin ich gefaßt, und entschlossen!
Komm: die Vorhuth harrt, der wir uns entzogen.“ Und jener
331Sagt’, erweicht: „Noch ist das Entsetzliche, dem ich erbebe,
Nicht gescheh’n; noch stehen wir fern dem gekröneten Gegner,
Den ich zu morden schwur in der offenen Schlacht, in des Tempels
Heiligthum, und in dem stillen Gemach, wie solches das Glück mir
Günstig beut. Bereit ist die Rach’, und der schändlichste Frevel
Heischt sie mit Recht, und doch — ich könnt’ ihm verzeihen! Nicht zürne
Theurer, mir ob dem Wort’, er sinkt: ich könnt’ ihm verzeihen!“
„Wie,“ so entgegnete jener voll Wuth, „das verhaßteste Wort kam
Dir von den Lippen: verzeih’n? Sieh’ hin nach dem Baume des Fluches!
Ist er nicht jenem gleich — vielleicht daß die höllischen Mächt’ ihn,
Mir zum Hohn, durch Zaubergewalt herführten im Luftraum,
Weh’, auf dem der edelgesinnete Bruder, mein Seyfried,
Schuldlos litt; das Haupt zu den Füßen gebunden, nach dreimal
Schrecklichen Tagen verblich? Verzeih’n? Ich erwürge dich, thust du’s!“
Jener verstummte vor ihm, und sie kehrten mit eilenden Schritten
Wieder zurück zur Heldenschar der erlesenen Vorhuth.
332Drüben in Osten entstieg des erd’umrandenden Himmels
Tiefen, gehüllt in Rosengluth, die ersehnete Sonne;
Aber sie schwand dann bald, von düsteren Wolken verschlungen,
Wieder, und zeigt’ auch heute nicht mehr ihr freundliches Antlitz,
Bis sie vom Abendthor erreicht das herrliche Ziel sah!
Schon war drängende Hast und dumpfes Gemurmel im Lager
Beider Gegner erwacht; schon sprengten die Herolde hierhin,
Dorthin fort: des Heers Aufstellung den schaltenden Amtnern1
Kund zu thun, wie solche zuvor der Herrscher gebothen.
Ottgars dräuende Macht hob weit an dem dunkelen Spannberg
Sich empor: ausdehnend rechts den mächtigen Flügel
Bis g’en Weidendorf, und links an die Marken von Dürnkrut,
Also geordnet in sechs Heersäulen, dem Feind zu begegnen:
Hier an das Böhmen-Volk der Sachs und der Bayer, und drüben
Reuß’ und Pol’ an jenes aus Mähren, gereiht, mit den Scharen,
Kunrings: denn ihm verharrete dort mit erlesenen Kriegern
Noch zu getreulichem Dienst Hadmar, der ältere; Leutold
Nur, aufflammenden Zorns, zog jüngst mit den Seinen zur Burg heim.
Aber wie gestern am Wall’, zu drei Heersäulen geordnet,
Standen des Kaisers Reih’n entgegen den Reihen der Gegner,
Und gedachten anjetzt vor dem Kampf, der Beicht und des Bußwerks:
333Denn manch tapferer Krieger sprach: „Wo weilt in des Heeres
Ordnung der Seelenhirt, der von dem verirreten Schäflein
Höre die Sünden bekannt, und im Nahmen des Herrn es entlasse,
Ledig der Schuld? Ach, furchtbar wär’s, in solcher zu scheiden!“
Bald gewahrt’ er den Wink, der ihm das ragende Zelt wies,
Wo in dem dämmernden Raum, mit niedergehefteten Augen,
Heiligen Mitleids voll, der Priester des Herrn zu Gericht saß.
Willig senkten vor ihm auch sonst unwillige Knie’ sich
Jetzt in den Staub, und, segengestärkt, bekannten die Krieger,
Nicht durch Erdenmacht — nein, nur von dem Herzen getrieben,
Was sie gefehlt, und bereut; sie höreten warnende Lehren;
Hörten erfreuenden Trost, und zuletzt den göttlichen Ausspruch,
Der sie lös’te, nicht band, auf dem Wege des Heils und Erbarmens,
Wie es der Meister gelehrt, der Menschen des Himmels Gewalt gab.
D’rauf, als dort vor jeder der drei Heersäulen ein Priester
Würdig die Feier des Abendmahls vollendete, traten
Sie zu dem Tische des Herrn, und empfingen die Speise der Seelen,
Klopfend die Brust dreimal mit des Kapernaonischen Hauptmanns
Demuthssinn, der sprach: „O Herr, nicht würdig erkenn’ ich
334Mich, daß du einkehrst heute bei mir; doch, sprichst du ein Wort nur,
Wird die Seele gesund!“ Und mit Freudigkeit stellten die Scharen
Wieder sich auf in Reih’n, gestärkt in heiliger Andacht.2
Jetzt erwacht’ in dem Lager Getös’. Der edele Ritter
Rief den Knappen herbei, daß er säh’ nach dem Zaum’ und dem Bügel —
Nach dem Sattel und Gurt: ob jedes dem mächtigen Schlachtdrang
Haltbar sich wies’? da er selbst den Helm mit dem Riemen am Kinn sich
Festigte; dann sein gutes Schwert, aus der Scheide gezogen,
Prüfte, die Schneid’ entlang, mit sanfthingleitendem Daumen.
D’rauf noch einmal umwandelnd das Roß mit forschenden Blicken,
Faßt’ er hurtig den Zaum, und sagte zu seinem Getreuen:
„Grüß’ mir den grauenden Vater daheim, so der Vater im Himmel
Mich in dem Waffengemeng, durchbohrt vom feindlichen Eisen,
Abruft: bald nachfolgt, vom Alter gebeugt, er in’s Grab mir!“
Aber ein Anderer sprach: „Merk’ auf! So ich niedergeworfen
Lieg’ auf dem Feld’, und du kehrst, so bringe der Grüße viel tausend’
Dort der Schwester noch, der redlichen: denn in dem Leben
335Theilten wir Freud’ und Leid, vereint von der zartesten Jugend!“
Wieder ein Anderer trat mit dem Knappen beiseit’, und geboth ihm:
„Kömmst du vorüber die Burg, wo mir, holdselig, das Fräulein
Treue Minne gelobt: oft hast du es selber gesehen,
Wie von dem Erker sie mir, dem Scheidenden, thränenden Blickes,
Nachsah, dann noch fern mit dem schimmernden Tuche mir winkte:
O so sprich: „Treu bis in den Tod ihr weiht’ ich das Leben!“
Doch der fromme Gemahl begann mit sinnendem Ernst so:
„Redlicher, kehrst du, des Ritters beraubt, zur rühmlichen Heimath:
Grüße die beste der Frau’n und die holdaufblühenden Kinder
Alle mit herzlichem Wort! Die so edelgesinnete Gattinn
Solle mir ja bewahren den Eid, und die munteren Jungen,
Sorgend mit Mutterhuld, zur Furcht des Herrn auf der Wahrheit
Hellem Pfad’ erzieh’n, daß sie Männer in jeglichem Sinne
Werden, und wir vor Gott uns wiederfinden in Wonne!“
So bestelleten dort, voll Hast, die gerüsteten Ritter,
Vor dem Entscheidungskampf, des ergriffenen Herzens Geheimniß.
Andere sprengten daher, und schüttelten Diesem und Jenem
336Freundlich die Hand, „leb’ wohl!“ auf immer vielleicht ihm zu rufen.
Doch die, bundesgesellt, in den schimmernden Reih’n sich erblickten,
Eineten sich mit betheuerndem Wort’ und mit kräftigem Handschlag:
Nahe zu seyn in Gefahr, und zu schützen der eine den andern.
Sieh’, da ritt, umringt von seinen gewaltigen Feldherrn,
Nach vollendetem Mahle des Herrn, auch der Kaiser herüber!
Hugo von Tauffers sah des Heers Aufstellung, und sagte:
„Herr, nicht schweigt dein Haug: er kennt den gütigsten Herrscher!
Heiße die Scharen in fünf, nicht in drei Heersäulen geordnet,
Gegen den Feind vordringen im Feld, daß die tapferen Krieger
Jeglichen Volks, entflammt von der rühmlichen Liebe der Heimath,
Streben den andern zuvor, zu erringen den herrlichen Siegspreis.“
„Klug hast du,“ sprach jener mit Huld, „mir gerathen. Des Weisen
Rath ist besser denn Gold, und des Demants funkelnder Reichthum
Wiegt ihn nicht auf. So möge das Heer in gesonderten Haufen
337Stehen: um mich die Ritter-Schar und die Völker aus Deutschlands
Oberen Gau’n; dann rechts, in zwei Heersäulen der Ostmark
Heldensöhn’ und der steyrischen Mark, und in zweien, zur Linken,
Jene von Kärnthen und Krain, von muthigen Führern geordnet;
Aber das tapfere Volk der Ungern stehe zur Rechten —
Jenes der Kunen zur Linken zurück: im entscheidenden Zeitraum
Vorzubrechen, und dort zu vernichten die fliehenden Scharen,
Da von der Warte von Ebenthal der mächtige König,
Schauend als Zeuge sein Volk, zum Sieg entflammet die beiden.“
Also geschah’s. Noch war der volkvereinenden Fähnlein
Pracht im Heer nicht enthüllt. Die Fahnenjunker entbanden
Solche dem ragenden Schaft’, und sie flatterten jetzt in dem Wind hin,
Zahllos, buntvermengt, wie im Lenze die Blumen des Feldes.
Alsbald sprengten die Edeln heran, den Ruhm zu erringen:
Vor dem Kaiser im Kampf’ einher zu tragen die Sturmfahn’:3
Oestreichs Demantberg’ und Edelgesteine mit Konrad
Haselau; dann Trautmansdorf mit seinem Erzeugten,
Ach, dem einzigen jetzt, und auch Capellen mit Heunburg!
338Aber mit freudigem Stolz begann der erhabene Kaiser:
„Werth seyd ihr des Ruhms, des herrlichsten, alle vor allen;
Doch mein Haselau, der achtzigjährige Greis dort,
Heischt ihn mit Recht: d’rum werd’ ihm heut die erlesene Stelle
Oestreichs Siegespanier für Oestreichs ewige Herrschaft
In der entscheidenden Völkerschlacht zu erhöh’n, und es steh’ ihm
Lichtenstein, so er dort ermattete, hülfegesellet.
Tritt, Markgraf von Hochberg, vor, und empfange die Reichsfahn’!
Albrecht, du, mein ältester, komm, mir die erste der Fahnen,
Die vor allen, geziert mit dem Bild des erlösenden Kreuzes,
Aufragt, heut zur ermunternden Schau, in dem Kampfe zu weisen:
Dicht vor mir in Gefahr und todverbreitendem Schlachtgrau’n,
Wie du es selber ersehntest jüngst, im muthigen Herzen!“
Hochberg hob nun zuerst des heiligen, römischen Reiches
Fahne zur Luft, wo schwarz im gelbherschimmernden Feldraum
Sich der Doppel-Aar, mit Zepter und Krone geschmückt, wies;
Jene von Oestreich Haselau, ehrwürdigen Anseh’ns,
Weisend den schneeigen Streif in Leupolds rühmlichem Blutfeld.
Beide hielten, dem Kaiser nicht fern, zur Rechten und Linken;
339Aber vor ihm hob dann sein Albrecht die heilige Fahn’ auf,
Die in dem grünlichen Feld mit dem Bild des Erlösers geschmückt war.
Wieder begann er, und sprach vor dem Heere mit leuchtenden Augen:
„Schwarzenberg, nun hin, zu erforschen den König von Böhmen:
Ob er gerüstet im Feld’ uns heut zu begegnen, gewillt sey?
Nahe der Vorderhuth, mit den Reisigen wirst du ihn treffen:
Denn er kennt in Gefahren des Kampfs die unmännliche Furcht nicht!“
Jener enteilete, wie der fernhinbrausende Sturmwind,
Der des Staubes Gewölk auf dem Heerweg, wirbelnd, emporhebt.
Bald annahte der Held dem nahenden Feind’, und gewahrte
Dort an der Vorderhuth, im Kreis’ erlesener Feldherrn,
Ottgars hohe Gestalt, der, herrlichgewaffnet, daherkam:
Denn er hüllte das Haupt in den silbernen Helm, und es wand sich
Rings um selben, die Kron’ aus strahlendem Golde, gezackt, auf;
Auch der Harnisch und Schild, und am Arm und dem Beine die Schienen,
Die er sich heute gewählt, erglänzten von Silber, und dräuend,
Warf von des Degens Griff in der Rechten ein röthlicher Demant
Blitz’ umher. So kam er, zum Kampf gerüstet, herüber.
340Als er den Ritter ersah, da hemmt’ er den schnaubenden Rappen
Rasch mit zorngeröthetem Blick; doch jener begann so:
„Herr, du hast den Frieden verschmäht: so bieth’ ich dir Krieg denn,
Ich, von Schwarzenberg, des Kaisers gesendeter Herold,
Krieg auf Leben und Tod, im Nahmen des Kaisers! Er fragt dich,
Edelgesinnet, zuvor, nach altherkömmlicher Sitte:4
Ob du, gerüstet zum Kampf’, ihn heut’ erwartest im Schlachtfeld?“
Also der tapfere Held. Grimmlächelnd erwiederte jener:
„Bring’ ihm die Kunde zurück: ich sey Streit’s halber5 gekommen!“
Sagt’ es, und wandte das Roß, im schnelleren Zuge die Krieger
Vorzuführen zur Schlacht, und zu schrecklichem Feindesgemetzel.
Schon verkündete Schwarzenberg, der edele Herold,
Kehrend in Eile zurück, dem Kaiser, daß ewige Feindschaft
Ihm der König gelobt, und bald vorstürme zum Angriff.
Sieh’, und kaum entfuhr ihm das Wort, da jagten des Gegners
Vorderste Haufen herab von dem Hügel; viel tausende folgten
Bald den ersteren nach, und verdunkelten alle die Höhen!
Manchem der Krieger, der zum ersten Male des Feindes
341Scharen ersah in dem Feld; noch nie der würgenden Waffen
Furchtbaren Schlag vernahm, und empfand in dem Sturme des Angriffs,
Pochte das Herz in der Brust viel mächtiger: wechselnde Schauer
Liefen ihm fort und fort an dem Haupt und dem Rücken hinunter,
Und zu dem Helmdach hob sich oft sein starrendes Haar auf.
Doch nun ritten im Flug’ aus den Reih’n der mittleren Heerschar
Hundert Jünglinge vor, die aus Zürich, dem Städtchen, gezogen;
Stellten dort vor dem Kaiser sich auf, und einer begann so:
„Möchtest du jetzt, erhabener Herr, ruhmwürdiger Sitte
Denkend, ertheilen den Schlag, der uns den Edeln geselle!
Ha, nicht soll es dich reu’n, wenn wir vordringen im Schlachtfeld!“
Freudig entblößte der Kaiser sein Schwert, erhob es, und sagte:
„Blühende Männer, wohlan: da ihr edele Thaten verheißet,
So gescheh’ euch nach Wunsch! Hart drängt uns die Stunde: wir schlagen
Darum euch nur auf den Helm und den Schild, nach edeler Sitte,
Jetzt im Nahmen des Ein-dreieinigen Gottes zu Rittern.“
Und er führte den Streich kreuzweis nach den Helmen und Schilden
342Aller umher. So wurden sie hier den Edeln gesellet.6
Aber er sprengt’ im Fluge hinaus vor die glänzenden Scharen;
Schwang das Eisen, und rief mit lautumschallender Stimme:
„Tapfere, hört: nun gilt’s! Dort nah’t in furchtbarer Mehrzahl,
Unversöhnlichen Grolls, der Feind, uns die Länder der Ostmark,
Ja, auch die Krone des Reichs, im entscheidenden Kampf zu entreißen.
Aber nicht soll er deß’ sich erfreu’n. Allmächtig ist Gottes
Schützender Arm: er führt uns mit allumfassender Vorsicht
Durch die sonnige Flur und die Nachtabgründe des Lebens:
Fest ruht mein Vertrauen auf ihm. So werdet auch ihr jetzt,
Stark durch Gott, mit unbeugsamer Kraft des endlichen Kampfes
Schrecknisse siegend besteh’n; den eidverhöhnenden Frevel
Strafen: erringen die langersehnete Ruhe für Deutschland;
Gründen der Völker Glück und euren unsterblichen Nachruhm.
Ha, und erliegen wir auch, so laßt uns erliegen als Helden!
Eins sey mein, und euer Geschick: ich, Kaiser der Deutschen,
Leb’, und sterbe mit euch auf dem winkenden Felde der Ehren.“
Sieh’, und die jauchzenden Scharen entlang aufblitzten die Waffen
Aller zugleich in die Luft: sie heischten urplötzlichen Angriff.
343Aber auch Ottgar rief entflammende Worte den Seinen:
„Sehet,“ so sprach er mit grimmigem Blick, „schon naht uns des Gegners
Heersmacht, der so frech uns höhnete, schändliche Täuschung
Uebend an mir, und an euch: noch bebt mir die Seele vor Schauder,
Denk’ ich’s! Doch er büße dafür: denn ewige Schand’ euch,
So ihr nicht rächet die Schmach, die, gleich, dem Volk’ und dem Herrscher
Böhmens galt. Gedenket der Zeltvorhänge von Kamberg,
Strafet des Frevlers Trotz. Er brüste sich, daß ihm die Kunen
Gestern erfochten den Sieg. Schaut hin nach den rühmlichen Feldern
Kressenbruns, wo ich Bela’s Macht, vernichtend, in Staub warf.
Ha, noch bin ich der Held, der euch vom Siege zu Siegen
Führete! Fort — greift an! Dem dräuenden Aare von Oestreich
Möge der böhmische Leu’ nun weisen die furchtbaren Klauen.“
Also empörten ihr Volk die schlachtgebiethenden Herrscher.
D’rauf erscholl ringsher Geschrei und Getümmel; die Trommeln
Wirbelten; laut in dem Sturm erklangen die eh’rnen Drometen:
Hier die Reisigen, dort des Fußvolks Reihen zum Angriff
Drängend im Feld’, und so, wie ein Lüftchen die wogenden Aehren
344Treibt im Kreise herauf und hinab: so bewegte sich hierher,
Dorthin, wimmelnd, das Heer. Staub flog empor, wie im Märzmond,
Wenn der eisige Nord-, dann wieder der brausende Westwind
Noch den entfliehenden Winter hemmt, und am glänzenden Mittag
Rieselgewölk aufjagt: da hebt sich im wirbelnden Aufflug
Hoch in die Lüfte der flimmernde Schnee; da schwindet des Himmels
Sonnige Bläue; das Thal, und die ringsaufragenden Berghöhn
Hüllt das Gestöber in Nacht: so erregte der feindlichen Scharen
Schlachtanlauf unendlichen Staub in den Saatengefilden,
Und das Entsetzen schnob aus dem Grau’n des umnachtenden Qualms her;
Aber nicht anders, wie dann, mit entfesselter Wuth, die empörten
Stürzen aus Westen und Norden zugleich auf den wimmelnden Hafen,
Wo das Gewässer des Meers, aufbrandend, sich hebt; von den Ankern
Reisset das Seil, und jetzt, wild an einander geschleudert,
Mitten im furchtbarn Wogengeheul, am zerschmetterten Schiffsraum
Kracht der Raum, am Maste der Mast, und, berstend am Kiel hin,
Donnert das hohle Verdeck, daß rings den umuferten Hafen
345Grause Zertrümmerung hüllt: so stießen die Heere zusammen.
Sieh’, und seitwärts, weit vom Winde hinübergetragen,
Legte sich jetzo der Staub in dem Feld: da sah’n sich die Gegner
Näher in’s Aug’, und ha, bald traf das Eisen auf’s Leben!
Doch, ach! mußte der Kampf für Rudolphs Helden so schrecklich,
Und am schrecklichsten noch, für den einen der Helden beginnen?
Zamor trieb aus der Vorderhuth die rüstigen Schützen
Reussens vor in die Schlacht. Sie hatten der tödlichen Armbrust
Sehne gespannt; den Pfeil in die Röhre des Schaftes geschoben;
Fest an die Wange gepreßt den krummgebogenen Kolben;
Dann im Lauf, nach dem Gegner zielend, das schnellende Zünglein
Losgedrückt: urplötzlich ertönte die Sehn’, und erbraus’te
Fort in der Luft der befiederte Pfeil, nach feindlichem Herzblut
Lechzend: er traf, und verwundete Roß und Mann in den Scharen,
Die aus der Steyermark herlenkte der tapfere Pfannberg,
Und jetzt Trautmansdorf beherrscht: da jener, verwundet,
Noch im luftigen Zelt des vielerfahrenen Arztes
Sorge sich fügt: voll Gier, in die Schlachtreih’n wiederzukehren.
346Trautmansdorf ermahnete laut das treffliche Fußvolk
Und die Reiter zugleich, des vaterländischen Ruhmes
Eingedenk’, heut’ in dem Feld’ als mannhafte Streiter zu stehen.
Freudig gehorchte das Volk, und im Sturmlauf ging’s an den Feind jetzt,
Als, von der Armbrust her die befiederten Pfeile geschnellet,
Zischten. Dicht vorüber dem Ohr des unglücklichen Vaters
Flog ein mordender hin, und verschont’ ihn — den zartesten Sprößling,
Der ihm von zehn-und-vier noch blühete, niederzuwerfen.
Hinter ihm sank ein Reiter vom Roß’. Er hört’ es, und bebte;
Aber nicht sah er zurück, und rief des aufstürmenden Herzens
Angst bekämpfend, noch lauter sein Volk zum Kampf und Gewürg’ auf.
Erdwin war’s, der fiel, von dem Pfeil’ im Halse getroffen,
Da in dem Sturmlauf jetzt die Halsberg’ sich von der Schulter
Aufschob. Still, wie die Lilie sinkt, vom Hagel zerschmettert,
Sank er vom Roß’, und, fallend, bath er mit sterbendem Blick noch,
Daß kein Laut sein Geschick dem enteilenden Vater verrathe.
Trauernd gehorchten dem Wink die raschvorstürmenden Krieger.
Doch schon drang im beflügelten Ritt sein edler Erzeuger
Bis in die vordersten Feindesreih’n, und schnell, wie der Blitz schlägt,
347Warf sein schrecklicher Arm fünf Schützen aus Reussen zu Boden.
Zamor, des Volkes Hort, ersah den Würger, und alsbald
Jagt’ er heran, den Tod der gefallenen Krieger zu rächen;
Aber ihm eilte nur muthiger noch der Ritter entgegen;
Faßte noch fester den Griff in die Hand, und hieb mit des Schwertes
Tödlichem Stahl’ ihm die hochgethürmete Mütz’ und die Scheitel
Tief in die Stirn’ entzwei, daß er stürzend vom Sattel hinunter
Taumelte, laut aufstöhnt’, und das blühende Leben verhauchte.
Ach, bald jammert die Gattinn daheim, die, heimlich im Busen
Ahnend ihr Trauergeschick, dem scheidenden Gatten den Säugling,
Schlummernd in lieblicher Unschuld wies, und die Knie’ ihm umfaßte,
Flehend mit Thränen im Blick, daß er doch bei den Seinen verharre;
Aber umsonst! Ihn rief der ruhmverheißende Heerbann
Fort in das Feld, und er sank, erwürgt, in dem schrecklichen Kampf jetzt.
Siehe, nicht rastete Trautmansdorf: er drängte die Schützen,
Rasch fortkämpfend, zurück’, und Blut beströmte den Boden!
Fern, vom gehügelten Sand’, ersah der Führer der Kunen,
348Suhol, der Eber genannt, dem Trentschins Gebiether den Herold
Sendete: daß er ihm eine sein Volk, wie dort in dem Vortrab
Trautmansdorf vor allen zuerst vordrang mit den Reitern.
Das empört’ ihm die Brust, und, unbändigen Zorns, wie ihm stets noch
Jugendlichheiß das Blut in dem leichtaufbrausenden Herzen
Kochte, schwang er sein Eisen zur Luft, und begann vor dem Volk so:
„Seht, dort fechten sie schon, und tränken ihr Schwert mit des Feindes
Dampfendem Blut’, — erringen wohl auch sich die Beute vor andern,
Da wir, müßig im Hinterhalt, des unsicheren Vortheils
Harren! Soll denn die Beut’ und der Siegsruhm stets nur die Deutschen
Lohnen im Schlachtengefild? Stets sollen wir jenen zurücksteh’n,
Eng’ in die Ordnung gebannt? Nicht also gefällt es dem Kunen:
Denn er schwärmt in dem Feld, wie ein brausendes Donnergewitter,
Frei umher, und erfüllt es mit Angst, Verderben, und Jammer.
Auf, wir wollen hinaus, dem Feind’ in die Seite zu fallen
Mit entsetzenverbreitender Hand! So holen wir Beut’ uns
Selber, und Ruhm wird uns, die Sieger, nur herrlicher lohnen.“
349Alsbald gab er dem Rosse den Sporn, und es jagte sein Volk ihm
Dann im brausenden Flug rasch nach: umschwärmend das Häuflein
Kunrings, und schnellend zugleich von dem weitgehörneten Bogen
Pfeile, so dicht, daß rings sich in nächtliches Dunkel der Luftraum
Hüllete. Bald traf hier, bald dort der befiederte Mordstahl
Reiter und Roß, und verwundete viel’ in der nahenden Kriegsschar;
Doch als solches die Pfeile verschoß, den entleereten Köcher
Und den Bogen, vereint, mit der Schnur auf den Rücken zurückwarf:
Da griff’s rasch nach dem Säbel, und hieb mit Gejauchz’ in die Feind’ ein.
Kunring hatte den Speer gesenkt; das unbändige Reitroß
Links gespornt, und rechts, und die wildumschwärmenden Krieger
Niedergeworfen, bis ihm ihr Feldherr, Suhol, der Eber,
Seitwärts nahend im Flug, mit dem Säbel die Lenden durchrannte.
Alsbald sank er vom Sattel herab: die erschrockenen Krieger
Wichen zurück, und im Feld hin scholl Geschrei und Getümmel.
Ottgar bebte vor Zorn, da er so, im beginnenden Kampf schon
350Wieder die Gegner im Vortheil sah, und die Seinen im Feld hin
Flüchteten. Sieh’, da schwang sich, ergrimmt, der finstere Katwald
Aus den Lüften herab, und rief im Geistergelispel:
„Wehe, du schaust die Deinen besiegt, noch ehe die Gegner
All’ ihr Schwert entblößten, und eh’ den ragenden Speer sie
Senkten zum Todesstoß’! Unglücklicher, willst du noch zaudern?
Wähle sogleich die tapfersten dir aus des Heeres Geschwadern;
Führe sie kühn selbst vor, zu erwecken den Muth in dem Herzen
Aller umher: so erringst du vielleicht den herrlichsten Sieg noch!“
Ottgar rief alsbald nach Lobkowitz, schreiend hinüber:
„Tapferer Greis, nun vor mit deinen geharnischten Reitern,
Hier den allentscheidenden Sieg mir heut zu erkämpfen!
Groß ist der Ruhm, den dieser mir beut; doch größer die Freundschaft
Noch, und die Liebe, die ich, dein König, dankbargesinnet,
Dir werkthätig bewies seit dreißig entflohenen Jahren.
Dessen gedenk’ anjetzt, und vergilt mir mehr, als die Schuld war!“
Dann entsendet’ er dort an Zierotin, und den Herzog
Bayerns die Herolde: Muth und dauernde Kraft in dem Busen
351Beider zu wecken, und hier entboth er, gewaltigen Ausrufs,
Selber die Kühnsten im Heer’, und führte sie rasch in die Feldschlacht.
Nicht entging es dem Blick des erhabenen Kaisers, wie tapfer
Trautmansdorf vordrang, und die stürmenden Schützen zurückwarf:
Freud’ erfüllte sein Herz; doch bald versiegte sie wieder,
Als der Kune so frech, der Willkühr fröhnend, zum Angriff
Flog. Kein Sterblicher hemmte den Fels, der, rollend aus Alphöh’n,
Schneller und schneller herab in das Thal mit donnerndem Sprung fleugt:
D’rum geboth er auch jetzt, den edelen Rittern und Feldherrn,
Winkend, das Feldgeschrei. Urplötzlich ertönte der Aufruf:
„Gott mit uns!“ im östreichischen Heer’, und „Praga!“ zur Losung
Allentscheidender Schlacht, in dem böhmischen, lauter und lauter,
Durch drometenden Schall und den Lärm fortwirbelnder Trommeln,
Und in dem staubumwölkten Gefild traf Reiter und Fußvolk,
Ritter und Knappe zugleich in schrecklicher Eile zusammen.
Wie, herstürmend, der Donner rollt, daß die Vesten des Erdballs
352Zittern, ritt im Galopp mit den schwergeharnischten Reitern
Lobkowitz näher, und schlug der Kunen umschwärmende Scharen
Mordend zur Erd’, als Suhol, ihr jüngsterlesener Führer,
Sank vor seiner Gewalt, und, entmuthigt die andern entflohen.
Sieh’, auch Trautmansdorf, von den Reitern entblößt, und der Unzahl
Bloßgestellt, wich nun vor Lobkowitz! Aber dem Leu’n gleich,
Der, von unbändigen Rüden verfolgt, noch häufig sich wendet,
Und noch manchen zerreißt mit den schrecklichen Zähnen: so wies er
Ihm die muthige Stirn’, da er fechtend die Scharen zurückzog.
Meinhard warf sich zuvor rechts hin auf Heinrich, den Herzog
Bayerns: denn voll Kraft und verwegenen Muthes im Schlachtfeld,
Waren die Krieger aus Kärnthen und Krain ihm gefolgt, und es stürmten
Oestreichs Tapfere links, geführt von dem kühnen Capellen,
Gegen die Sachsen vor, die Mansfeld, furchtbaren Grimmes
Würgen heißt. Da war, entlang die feindlichen Reihen,
Schrecklicher Mord, Wehklag’, Aufjauchzen und Jammern zu hören:
Da zu schau’n das Entsetzliche: wie der erbitterten Gegner
Manche, schon nahe dem Tod, sich im Staub noch, würgend, umfaßten,
353Und das Blut der Erschlagenen, gleich aufschäumenden Bächen,
Wogte hinauf und herab in dem grau’numnachteten Schlachtfeld.
Bis an des Himmels Gewölb’ empor die mittägliche Sonne
Sich erhob, die heut’ ihr strahlendes Antlitz in Wolken
Hüllete, wies die Völkerschlacht, wie auf stürmischer Meerfluth
Ein entmastetes Schiff, hinauf und hinunter im Kreis’ treibt,
Sich im wechselnden Glück; doch jetzt gelang es dem Helden
Lobkowitz, rasch vorstürmend im Feld, der mittleren Heerschar
Obzusiegen. Sie wich nur langsam, und stellte sich wieder,
Gegen den Feind, erneut, die tödliche Waffe zu führen;
Aber mit leuchtendem Blick und muthgerötheten Wangen,
Sprengte der König das Roß von Reihen zu Reihen. Er schalt, bath,
Und bewegte sein Heer noch eilender vor in dem Blachfeld.
„Jetzo hinan,“ so rief er, und schrie, daß die Völker erbebten,
„Jetzo nur muthig hinan: denn Ottgar führt euch als Sieger!
Seht, wie Jene vor euch entflieh’n; fort, schmettert sie nieder!“
Also braus’te das Wort, empörend, ihm von den Lippen.
Wie den nächtlich umwüthenden Brand, der viele der Häuser
Schon vernichtete, noch das Volk zu bewältigen hoffet:
Denn still ruhen die Lüft’ umher; doch plötzlich erhebt sich
354Ein feindseliger Sturm, und unaufhaltsam hinunter
Wälzt sich von neuem der Strom des empöreten Feuers: so stürmten
Ottgars Völker dahin, und drängten die Gegner im Blachfeld,
Immer rascher und rascher zurück. Ein Körnchen Gewichts mehr
Auf die Schale des Leu’n, und den himmelannahenden Räumen,
Seinem erkorenen Reich’, entsank der Adler auf immer.
Rudolph sah des Augenblicks kurzdauernden Zeitraum
Lang, bestürzt, umher, und ihm dunkelten nächtlich die Augen.
Deutschlands Ruh’, und des Reiches Wohl, dem, herrschend mit Thatkraft,
Er sich geweiht, ersah er von neuem gefährdet, und allwärts
Wieder entfesselt die Wuth der grau’nverbreitenden Willkühr;
Doch bald schwang sich sein Geist aus der Erdennacht in des Himmels
Ewiges Lichtreich auf, wo ein mächtiger Helfer ihm lebte.
Schnell verließ er den Sattel, und lag auf den Knieen im Staub dort,
Laut aufrufend vor allem Volk mit gefalteten Händen:
„Ewiger, komm’ uns, errettend, zu Hülf’! Ach, wende die Augen
Nicht von uns ab: denn nicht entzündeten, frevelnden Muthes,
355Wir den blutigen Streit: nur unversöhnlicher Rachgier,
Und zermalmender Wuth steh’n wir, abwehrend, entgegen!
Gib uns den Sieg! Ein Gelübd lebt mir, erhebend, im Herzen:
Denn ich schaue dein Heil, wie der erste der christlichen Kaiser,
Huldausstrahlend, vor mir: des weltversöhnenden Kreuzes
Heiliges Zeichen, in dem ich den Sieg erringen, und dankbar
Ihm, zu verehrendem Dienst, für immer und ewige Zeiten,
Stiften ein Gotteshaus, und zu ihm versammeln die Jungfrau’n
Werde zu Tulln, am Ufer der freihinrollenden Donau.
Sey dem Gelübd von dir, Allmächtiger, Huld und Erhörung!“
Als er’s rief, da fuhr ein leuchtender Strahl aus den Wolken,
Und erfüllt’ ihn mit Muth und Freudigkeit. Sieh’, auf dem Lichtstrahl
Schwebt’ ein Engel daher, und hieß die Scharen der Geister,
Welche die Schlacht herab aus dem Uebersinnlichen lockte,
Flieh’n, daß keiner im Kampf sich den Gegnern als Helfer erweise!
Alle gehorchten, und sah’n, umher in den Wolken sich lagernd,
Noch voll Gier auf die Streiter herab; nur einer aus allen,
Marbod, stand, und sann den Worten des bethenden Kaisers
Trauernd nach. Da erklang urplötzlich ein Ruf aus den Wolken.
Ha, sie rissen entzwei: Erwine, die liebende Gattinn,
Sank ihm, weinend vor Wonn’, an die Brust. Sie entschwebten des Erdballs
356Dunkeln Gefilden, vereint, auf dem Sirius, der in dem Sternreich
Herrschet, im Lauf des vom Ewigen nur ermessenen Zeitraums,
Huldbeglückt, und des Erdenjammers vergessend, zu weilen.
Aber mit leuchtendem Blick’ erhob der Kaiser der Deutschen
Sich von dem Staub’: ein Strahl der himmlischhohen Begeistrung
Glänzt’ in ihm, und auf seinen gerötheten Wangen. Betroffen
Staunten die Krieger ihn an; doch all’ aufjauchzten mit einmal,
Als er das schnaubende Roß vortummelte, dann mit dem Schlachtschwert
Auf den nahenden Feind hinwies, und, ermuthigend, ausrief:
„Gott ist mit uns! Eilt jetzt, gleich loderndem Feuer im Saatfeld,
Gegen den Feind; vertilgt ihm schnell die Haufen, und schafft mir
Heut’ unendlichen Ruhm, da ich euerem Muthe vertraute.
Euer zugleich ist der Ruhm und der Dank noch spätester Nachwelt:
Denn wir kämpfen für Deutschlands Glück, als Deutsche, der Ahnen
Werth, die, tapfergesinnt, sich nie im Joche des Fremdlings
357Beugeten. Hört, der Herr ist mit uns, und scheuet den Tod nicht,
Hier der heiligen Pflicht und des Vaterlandes gedenkend!“
All’ entflammte sein Wort: ein jeglicher Mann in den Reihen
Lechzte vor Gier, schnell vorzudringen im Feld’, und zu sterben
Dort den Tod für das Vaterland und die heilige Freiheit.
Aber nach Albrecht sah vor allen sein hoher Erzeuger
Mit bedeutendem Blick’, und freudiger ging er im Schlachtfeld,
Hoch in der Linken die Kreuzesfahn’, in der Rechten das Schlachtschwert
Führend, ihm vor. Das Panier von Oestreich, als ihm des Greises
Arm ermattete, trug der hochgesinnete Kampfheld,
Lichtenstein, und die Reichsfahn’ ihm der tapfere Markgraf
Hochberg vor in die Schlacht. D’rauf folgten die älteren Ritter
Ihm mit den Edeln aus Zürch, die, heute zu Rittern geschlagen,
Kühn voreileten. Laut ermahnt’ er sie noch mit den Worten:
„Jünglinge, vor, und ahmt die Tapferen, die sich schon früher
Als die Meister im Feld’ erprobten, jetzt in dem Kampf nach!“
Jen’ entgegneten jauchzenden Rufs: „Wir halten dir Wort, Herr!“
Und entfloh’n. Doch schnell vorstürmten die muthigen Scharen,
358Die sein Erzeugter ihm warb in den rheinischen Landen, in Schwaben,
Und in dem Schweizerland, und die vor allen gewaltig,
Altgedient, und in jeder der Kriegsarbeiten erfahren,
Ihm auch heut’ errangen den Sieg in dem Kampf der Entscheidung.
So, wie der eiserne Keil, vom gewichtigen Hammer getrieben,
Den mit kräftiger Hand im Gehölz aufschwinget der Löhner,
Krachend, entzwei den Stamm des hundertjährigen Eichbaums
Spaltet, daß rings umher die Splitter fliegen: so drang jetzt
Rudolphs raschgeordnete Macht in das feindliche Heer ein.
Kreischender rief die Dromete zum Sturm; die erregende Trommel
Scholl ergrimmter, und rings, und überall drängten die Führer
Mit gewaltigem Schrei den Krieger vor zu dem Angriff,
Daß er noch heißer entbrenne vor Gier: muthfest und entschlossen
Niederzuschmettern, was entgegen sich warf in der Feldschlacht,
Und entsetzlich war das Gewürg’ in dem Waffengetümmel;
Doch, wie ein Felsendamm in dem waldumschatteten Weiher
Sich entgegenstemmt den Gewässern des thauenden Frühlings,
Unerschüttert und fest: so stemmte sich, eiserngesinnet,
Ottgar hier dem stürmenden Feind’ entgegen, und wich nicht.
Stundenlang fortwährete schon das tödliche Ringen
359Tausender gegen einander im Feld! Den tapferen Böhmen,
Die in der Heerschar Lobkowitz lenkt’, vereinte der König
Bayerns und Sachsens Macht, und führte sie selbst in die Schlacht vor.
Zahllos lag sein Volk, erwürgt, auf dem Boden; unzählig
Warf auch er die Gegner, entseelt, in den Staub, und es ragten
Von den hundert, zuvor zu Rittern geschlagenen Zürchern,
Jetzo nur wenige mehr. Wie im hagelgetroffenen Saatfeld
Einzeln die Halme noch steh’n, die andern bedecken den Boden
Weit, zermalmt von dem sausenden Eis: so ragten auch hier nur
Einzeln die Helden noch auf, die aus Zürch gezogen; verwundet,
Oder todt, verlor sich im Feld das tapfere Häuflein,
Niedergeworfen durch Ottgars Kraft und zerschmetterndes Eisen.
Doch stets näher kam dem gewaltigen König des Todes
Dunkles Geschick. Bald sinkt er in Staub, all’ irdischer Hoheit,
Macht, und Würde beraubt, dem ärmsten im Heere vergleichbar:
Denn zu entscheidender That aufboth der Edle von Tauffers
Nun die Schützen Tyrols. Er drang im brausenden Schlachtfeld
Dort mit den kühnen entsetzlicher vor, und, nimmer ermüdend,
360Spanneten sie die Sehn’ an der Armbrust; legten den Pfeil an,
Zielten, und schnellten ihn fort in die Luft. Unhemmbaren Fluges,
Saus’t er in Eile dahin, und traf stets sicher in’s Leben:
Denn gewohnt ist das Aug’ und die Hand tyrolischer Schützen,
Mitten in Feindesbrust des Todes Geschoße zu senden.
Doch nun winkte der Held dem Geübtesten, der in den Gauen
Rings umher, im Kreis- so wie auch Hauptschießen berühmt war:
Wenn Zielscheiben, erhöht vor dem Thor’ an festlichen Tagen,
Manchen des Schützenvolks aufregeten, stets in der Mitte
Drüben zu treffen, und stets zu erringen das Beste vor allen.7
„Martin,“ so rief er ihm zu, „sieh’ hin, wie der König von Böhmen
Dort vortummelt das Roß in dem Feld’, und unsere Völker,
Jenem Unsterblichen gleich, der Pharao’s Erstlinge tilgte,
Niederwirft! Versuche denn jetzt, ob, sausenden Flugs, nicht
Ein befiederter Pfeil, durch dich geschnellt von der Armbrust,
Ihn erreicht, und erlegt — dir Lohn und auch Ehre gewinnet.“
Jener entgegnet’ ihm laut: „Nicht geiz’ ich nach Gold und nach Silber:
Zierlein nah’, und nicht fern dem wunderlieblichen Innsbruck,
Ruht mein Haus an der Felsenwand, die hoch in die Wolken
Aufragt, reingezimmert erst jüngst, und mit Habe gesegnet;
361Doch so ich heute im Feld den blutgierathmenden König,
Oder sein Roß, mit dem tödlichen Pfeil durchbohrete: ha, da
Rühmt von der Martinswand mich noch die späteste Nachwelt!“
D’rauf entsandt’ er den Pfeil: er durchbohrte dem Rosse des Königs,
Sausend, die Brust, da es auf in die Luft sich bäumte, des Reiters
Ingrimm theilend; es sank auf den Rücken, und warf ihn herunter.
Wildes Getümmel erscholl um den Stürzenden. Reisige schwangen
Alsbald sich vom Sattel herab, vor Gefahr ihn zu schirmen;
Doch erhob er sich schnell, und ermahnte, besteigend das Streitroß,
Das ein Reiter ihm both, mit donnernder Stimme die Krieger:
Nimmer zu rasten vom Streit’, und den herrlicherrungenen Vortheil
Rasch zu verfolgen: schon nahe dem Ziel des entscheidenden Sieges.
Aber im Feld verhallte sein Ruf. Der furchtbare Keil drang
Vor mit zermalmender Kraft; vordrang, die Fahn’ in der Linken,
Und in der Rechten das würgende Schwert, des Kaisers Erzeugter,
362Also auch Lichtenstein und Hochberg; also der Ritter
Glänzende Schar, und, vereint, der tapferen Schweizer und Schwaben
Siegsruhmdürstende Macht. Doch, als der erhabene Herrscher
Auch den Trentschiner entboth, mit den kühnen, magyarischen Reitern
Einzubrechen im Sturm in die Seite des Feindes, und Meinhard
Dort, hier Otto von Meissau, gleich dem tapferen Helden
Trautmansdorf, ihr Volk vortummelten: siehe, da wankte
Ottgars Macht. Wie ein Wald an den schwer zu erklimmenden Höhen,
Losgewühlt aus dem Grund von innenaufschwellenden Wässern,
Erst nur langsam, nur zitternd sich regt; dann plötzlich zum Abgrund
Taumelt mit Erd’ und Gestein, wild durcheinander geschleudert:
So, nach gewaltigem Kampf, dem entscheidenden, wankten, und stürzten
Ottgars Völker dahin; nachbraus’te der Feind, in dem Rücken
Rastlos würgend, und sät’ ergrimmt die Leichen im Feld hin.
Allwärts war auch das blitzende Schwert des Kaisers zu schauen,
Und zu vernehmen sein Ruf, der vorwärts drängte die Scharen;
Dennoch vergaß er auch, mitten im Kampf, der verwundeten Krieger
363Nicht; er hieß mit gebiethendem Wink sie zurück, nach dem Rückhalt
Tragen, und dort der Sorgfalt kundiger Aerzte vertrauen.
Aber warum hält er nun plötzlich sein feuriges Roß an?
Ach, ein Verwundeter streckt, mit lächelndsterbenden Augen,
Seine Rechte nach ihm empor, und ruft ihm ein „Leb’wohl!“
Matt, doch freundlich noch zu! Sein Müller, der tapfere Held war’s.
Tief, zu den Mähnen des Rosses hinab, sank leise des Kaisers
Blässeres Antlitz: er sah mit starrendem Aug’ in die Augen
Seines Getreu’n, bis, thränenumhüllt, ihm’s dunkelte. Stöhnend
Gab er dem Rosse den Sporn, und flog wie ein brausender Sturmwind
Dort nun wieder hinaus, wo am lautesten tönte der Schlachtruf.
Wohlgeordnet, und schnell: denn Lobkowitz deckte des Heeres
Rücken, voll Heldenkraft mit den schwergeharnischten Reitern,
Zog sich Ottgar jetzt nach den mittleren Höhen von Spannberg
Aufwärts, dort dem Feind’, erneu’t die Spitze zu biethen:
Denn weit überwog an der Zahl, in dem Waffengemeng schon
Seine des Kaisers Macht, und siehe, noch stand in dem Rückhalt
Milota! Laut entboth er vor sich den muthigen Feldherrn,
Zierotin, und begann: „Nicht kam uns zuvor in dem Schlachtfeld
364Milota, selbstvorschauenden Blicks, zu Hülfe. Noch steht er,
Ungeschwächt, mit der Schar der tapferen Mährer im Rückhalt;
Doch jetzt brech’ er vor, und fall’ in die Seite des Gegners,
Links anstürmend, da wir zugleich mit vereintem Vermögen,
Und unhemmbarer Kraft, auf den mittleren Haufen uns werfen.
Groß ist erst die Gefahr, so er säumt; ihm vertrau’ ich: er eile!“
Rief’s, und im sausenden Flug fortsprengte der edele Feldherr.
Aber des Siegers Heer drang Ottgarn näher und näher.
Wie vom verwundeten Leu’n, so sehr er auch strebt, zu entkommen,
Sich die lautumbellende Schar gewaltiger Rüden
Nicht mehr fernt; ihn, stets blutgieriger, treibt, und bedränget,
Bis er, ermattet, sinkt auf den sandigen Höhen: so ließ auch
Jetzt von dem König, im Kampf, nicht mehr der verfolgende Feind ab:
Denn mit flammendem Muth und unwiderstehlicher Thatkraft
Eilte, zum Siege geführt von dem tapferen Grafen von Nürnberg,
Schwabens Heldenvolk und der Schweiz gefürchtete Kriegsschar,
Rasch die Höhen herauf, und wüthete dort in den Reihen
Kühnabwehrender Gegner, vereint, mit gesenketen Lanzen,
Allvernichtend, umher. Entsetzlich erscholl das Getümmel.
365Ottgar sah im brausenden Feld den verhaßtesten Gegner,
Rudolph jetzt, voll Grimms, wie er schaltete: Reiter und Fußvolk
Drängend vor mit gewaltigem Wort’, und das furchtbare Schlachtschwert,
Deß’ Blitzglanz vom Blut nur tapferer Gegner verhüllt war,
Aufschwang — sah den Kaiser, und Wuth und unendliche Rachgier
Wandelte schnell sein Aug’ in Feuer und Flammen. Er spornte,
Hemmte sein Roß dreimal, in dem wildumtobenden Schlachtgrau’n
Ihm die Spitze zu biethen, gesinnt; doch immer ergrimmter,
Brachen die Gegner heran (nur Lobkowitz stand in dem Kampf noch,
Gleich dem Felsen im Wogentumult) und zur Linken und Rechten
Wich sein Volk geworfen, zurück in dem stäubenden Saatfeld.
Jetzo wandt’ er das Roß, und forscht’: ob Milota vordrang?
Denn nicht schien ihm verloren der Sieg, so er rasch in die Seiten
Stürmte dem Feind. Doch, ach, was sah er, vor Staunen erstarret?
Staub flog auf im Gefild’, und Milota jagte von dannen!
Ihm nachbraus’te die reisige Schar, und das mährische Fußvolk,
Das er mit täuschendem Wort, dem König zum sichern Verderben,
366Erst zu dem Rückhalt zog. Mit verhängtem Zügel, und fernher
Winkend, naht’ auch Zierotin. Ihm folgten am Fuß nur
Zween, der flüchtigen Schar sich entreißende Brüder: der Hanna
Fruchtbarem Land entsprossen die Edeln. Der Nahende sprach jetzt:
„Herr, nicht künd’ ich es, was dein Auge gesehen — des Frevlers
Schnöden Verrath! Hohnlachend vernahm der schändliche Mann erst
Dein gebiethendes Wort, dann rief er mit grimmigen Blicken:
„Eile zurück zu dem Könige, sprich: so räche der Vater
Seine Tochter an ihm: er fahre denn, fluchend, zur Hölle!“
Also der Rach’ allein, nicht des Vaterlandes gedenkend,
Floh er mit jenen Verräthern davon, die er früher gewonnen.
Nur die beiden dahier mir eilten zum mächtigen Trost nach:
Zeigend, daß noch in der Brust der Tapferen Ehr’ und Gewissen
Herrlich sich eint, und dir die erlesensten Männer noch treu sind.“
Ottgar sah nach den Zween mit bewegtem Gemüth’, und begann so:
„Laß den Verräther flieh’n. Noch sind die erlesensten Männer,
Also sprachst du mit Recht, mir treu. Nicht im dahlenden Frohsinn
367Will das Große gethan, das Gewaltige, spielend, vollbracht seyn:
Denn, ein leuchtender Blitz in des Lebens umnachteten Stunden,
Flammet es auf in der Brust, und wecket den Ernst und die Thatkraft.
Jetzt umnachtet auch uns die Gefahr; doch laß uns, noch kühner,
Dringen hinaus zu dem Tag’, und so dort fallen im Licht nur!“
Rief’s, und spornte sein Roß, umschauend: ob er zur Linken,
Oder zur Rechten hinab es wende, die kämpfenden Scharen
Nun zu gewagter, die Schlacht urplötzlich entscheidender Kriegsthat
Anzufeuern, und so mit unwiderstehlicher Kühnheit
Festzuhalten das wankende Glück, das sonst ihm getreu war.
Doch dort floh’n, gedrängt von den Söhnen der Steyer- und Ostmark,
Bayern und Sachsen zurück; hier sank, an der Schulter verwundet,
Lobkowitz, er, der untad’lige Held, aus dem Sattel, und, schreiend,
Braus’te das reisige, gleich dem vorgedrungenen Fußvolk
Böhmens, herüber im Feld, durch Meinhards Völker geworfen,
Und gedrängt von dem Hort Trentschins, zur Flucht und Verwirrung:
Da in dem Kern des Heers ihn selbst der edelen Ritter
368Glänzende Schar, und, vereint, die tapferen Schweizer und Schwaben
Näher und furchtbarer stets bedroheten, horchend des Kaisers
Schlachterregendem Ruf’ in dem wildempörten Getümmel.
Mansfeld erst, dann Zierotin, die Scharengebiether,
Jagten herüber im Feld’, und riefen dem König: „Entfliehe!“
Aber er sah, voll Wuth, nach den Rufenden; faßte sein Schwert noch
Fester zur Hand, und begann: „Wer sprach ein schmähliches Wort aus?
Nichts von Flucht mir gesagt! Ich lebt’ als König, und sterben
Werd’ ich als solcher, dem Feinde zum Trotz, auf dem Felde der Ehren.
Mir nach, wem sie noch werth im rühmlichen Leben und Tod’ ist!“
Wie der gewaltige Leu’ sich wüthenden Tigern entgegen
Wirft in des Abends Grau’n: die hochaufsträubenden Mähnen
Flattern mit Sturmes Weh’n um den Nacken ihm; dunkelgeröthet
Funkeln hervor aus den tiefgesenketen Brau’n ihm die Augen,
Als er naht mit Gebrüll, dem so, wie dem rollenden Donner,
Drönt das Gefild, und peitschend sich mit dem buschigen Schweifhaar
Beide Seiten, sich selbst entflammet zur Wuth: da erliegen
Links, rechts ihm, zerschmettert zugleich, die umdrängenden Gegner:
369Also warf sich auch er vor allen den Rittern entgegen,
Daß ihm noch ein’, und der andere dort, östreichischen Blutes,
Fiele durchbohrt: denn fest bewahrt’ er den Haß noch im Busen.
Jene, erregt von dem stachelnden Wort, nachjagten ihm brausend.
Sieh’, ihm ritt, tollkühn, der jugendlich blühende Ritter
Falkenberg, in den Weg, den oft sein strenger Erzeuger
Heimlich und offen gestraft, ihn zu bändigen; aber vergebens:
Denn er quälte die Menschen und Thier’, und beherrschte des Herzens
Unmuth nicht, der stets zu gewaltsamen Thaten ihn hinriß.
Ottgar jagte das Roß dem Nahenden seitwärts vorüber;
Schwang sein Eisen, und hieb im Flug mit unbändiger Kraft ihm,
Sausend, den Helm und die Scheitel entzwei: er stürzte zum Boden.
D’rauf erreichte sein Schwert auf dem Todespfade den Helden,
Dietrichstein. So schnell, so kundig der Tapfere vordrang,
Ihn mit gesenktem Speer’ aus dem Sattel zu heben, so kam ihm
Ottgar doch, verderbend, zuvor, und bohrte den Mordstahl
Ihm durch Harnisch und Wamms in das muthvollschlagende Herz ein
So, daß er lautlos, bleich, entseelt, an dem Rosse herabsank.
Jammern werden daheim die zartaufblühenden Kinder
370Da er, schon frühe der Gattinn beraubt, ein liebender Vater,
Oft auf den Armen sie trug, und so mild, so freundlich und gut war.
Schnell, zu rächen das Blut der Erschlagenen, blitzten auf Ottgar
Jetzt unzählige Speere heran. Da brausete pfeilschnell
Otto von Meissau vor, von dem Herrscher gesendet, und schrie laut:
„Ritter, schont den Gesalbten des Herrn: so geboth es der Kaiser!“
Rief’s; doch jener ergrimmte noch mehr, und spornte sein Streitroß
Mitten unter die Schar (zu sterben entschlossen) den heißen,
Glühenden Durst nach Rach’ im Blute der Feinde zu löschen.
Jetzt umgab ihn des Todes Grau’n. Die furchtbaren Ritter,
Merenberg, die, beide mit nie gesättigter Blutgier
Näher und näher herbei an die Seite des Königs sich drängten,
Sorgend: er beuge sich dort, ein Gefangener, oder er falle
Andern, nicht ihren, durch Haß zur Rache bewaffneten Händen,
Sprengten dicht vor ihn hin; eröffneten, schnaubend vor Mordlust
Ihren geschlossenen Helm, und der ältere rief ihm noch laut zu:
„Sieh’, gleich Rachegeistern, vor dir die furchtbaren Brüder,
Merenberg — ein Nahme, der dich zur Hölle hinunter
371Schleudert! So fahre denn hin, Unmenschlicher, stirb, und verzweifle!“
Ha, und sie bohrten den schneidenden Speer mit wildem Gejauchz’ ihm,
Beide zugleich, in das Herz (ihm fest in die sterbenden Augen
Schauend) und also, voll Hast, mit stets empörterem Ingrimm,
Zwölfmal noch in die tapfere Brust, in den Hals, und den Rücken,
Bis er, von Wunden bedeckt, hinsank, und das Leben verhauchte.
Wüthender flog in dem Feld dem Besiegten das siegende Heer nach;
Aber vor allen das reisige Volk der Magyaren und Kunen,
Heute zu einem vereint, und gehorchend dem tapferen Helden
Von Trentschin, der stets den Flüchtenden, mordend, im Rücken
Lag, und das Land umher mit unzähligen Leichen besä’te.
Rastlos fort g’en Schrieck; dann weiter und weiter von Asparn
Bis g’en Laa, der ummauerten Stadt, nachjagten die Ungern
Ottgars fliehendem Heer’, und, wo sie dann der Verfolgung
Endlich setzten ein Ziel, wird heute zu Tage das Dorf noch
„Ungerndorf“ genannt: dem Heldenvolke zum Denkmaal.
Siehe, die Wolken entfloh’n; der Geister unzählige Scharen
Brauseten, lautaufjubelnd, davon, und die scheidende Sonne
Sah von dem Abendthor, verklärt, auf des Sieges Gefild her!
372Zwölfter Gesang.
Schauerlich irrt durch Nacht und Grau’n ein zitternder Lichtstrahl
Ueber das schweigende Schlachtfeld hin. Nicht lang’, und es folgen
Ihm unzählige nach; viel hundert Fackeln erhellen
Bald die Gegend umher: ihr Schimmer, vom Winde gefächelt,
Wogt (entsetzlich zu schau’n!) auf den bleicherstarreten Leichen
Tausender blitzschnell fort, und erfüllet die Seele mit Wehmuth.
Doch wen suchen, voll emsiger Hast, die furchtbaren Männer
Jetzo, schreitend umher, in den weiten Gefilden des Todes?
Ottgarn! Sieh’, und bald verkündete drüben ein Hügel
Rings um ihn her erschlagenen Volks, wo er muthig im Kampf sich
Wehrete, bis er, durchbohrt, den Rachebrüdern dahinsank!
Dorthin wandelte, schweigend, der Zug; die leuchtende Flamme
Wies ihn: erkennbar leicht, obgleich entblößt von des Heeres
Plünderndem Troß, wie er lag im finsteren Kreise der Leichen,
373Mit den heruntergezogenen Brau’n, und den Lippen, zum Bogen
Eingekrümmt vor Zorn: denn selbst mit des schwindenden Lebens
Letztem Hauch, da ihm schon aus dreizehn Wunden das Blut rann,
Wähnet’ er noch: er habe gerecht bestraft den Verräther,
Den so feig, so unedel jetzt die schrecklichen Brüder
Rächten: zur Wuth empört von der langgenähreten Blutgier.
Aber des Führers Ruf erscholl, und der stattliche Wagen,
Schon mit der Leiche des Königs beschwert, und verhüllt mit dem Bahrtuch,
Folgte, rasselnd, dem Zug sechs glänzender, feuriger Rappen,
Die zum eng’gemessenen Schritt mit Mühe der Roßwart
Bändigte. Sieh’, da trug der weitgefeierte Sänger,
Horneck, leise die Harfe herbei. Ihm rollten die Thränen
Ueber den grauenden Bart in den Busen herunter, und schweigend
Starrt’ er nach Ottgar hin; dann hob er den Klagegesang an:
„Weh’, da liegt er entseelt, der einst gewaltige König!
Tausende blickten auf ihn, und es drängte der eine den andern,
Glühend vor Hast, so er rief; nun ist er verlassen: es horcht ihm
Keiner der Emsigen mehr. Wie staunt’, und bewundert’ ihn Jeder
Sonst, da er noch zu dem Königsthron, von Edelgesteinen
374Schimmernd am gold’nen Gewand’, aufschritt: nun wandten sie, schaudernd,
Von dem Nackten sich ab, den kaum das kärgliche Gras barg!
Ha, wo weilte der Arzt, dem Vergehenden Labsal zu reichen?
Waren nicht seidene Kissen zur Hand, nicht schimmernde Decken,
Ihn zu erwärmen, und ach! nicht scholl aus dem Munde der Gattinn,
Kinder, Verwandten und Freunde umher, ein tröstendes Wörtchen,
Ihm zu erheben das Herz? Verließen im Kampfe die Streiter
All’ ihn? Wie, nicht einer der Tapferen kam, ihn zu schirmen?
Welt, Welt, so ist dein schnöder Gewinn! Ach, wehe dem Thoren,
Der dir, falschen, vertraut! Erst biethest du lieblichen Honig
Mit bethörenden Worten ihm dar; dann wandelst du plötzlich
Solchen in furchtbares Gift: er saugt Verderben und Tod ein.
Also erging es auch hier dem Könige. Fürsten, bedenket
Sein Geschick! Handhabt die Gerechtigkeit, schützet das Recht nur;
Seyd durch Tugenden groß, durch Wohlthun herrlich und geizet
Nach dem Lohne der Welt nicht allein: vor Gott ist er eitel!
Ottgar, ach, er geizte nach ihm! Die, prahlend, geschworen:
Auszuhalten bei ihm im Leben und Tode — wo sind sie?
375Einsam sinkt er jetzo hinab in des Todes Behausung.
Welt, Welt, so ist dein schnöder Gewinn! Ach, wehe dem Thoren,
Der dir, falschen, vertraut: denn nichtig entschwebt ihm das Leben!“1
So wehklagte der edele Greis. Ihm horchten die Krieger
Alle mit pochender Brust, den Trauerwagen umstehend,
Und erhebend die Fackeln zur Luft, die, flatternden Schimmers,
Ottgars finstere Stirn’ erhelleten. Jener entzog sich
Ihren Blicken, und wanderte dann auf dem nächtlichen Pfad fort.
Doch sie schlugen behend’, als solches der Führer gebothen,
Ueber die Leiche das Bahrtuch her. Die schnaubenden Rappen
Trieb der Roßwart an, und sie trabten, gehaltenen Schrittes,
Von den Kriegern umschart, g’en Wien, die herrliche Stadt, hin.
Dort scholl freudiger Lärm dem kommenden Morgen entgegen,
Als, dem Sieger zum Ehrenempfang’, in geschäftiger Hast sie,
Durch die dunkele Nacht sich schmückte mit festlichen Kränzen:
Denn vor dem Thor, das sich nach Kärnthen dem Wanderer öffnet,
Sollte von Laubgehölz’ ein Siegesbogen sich heben,
Hochgewölbt, und geziert mit schimmernden Bändern, und oben
376Rufen die goldene Schrift ein „Lebehoch!“ dem Befreier,
Der von der Stadt und dem Land’ abwehrt’ unendlichen Jammer;
Oestreichs Herrscherthron fest gründete; dauernden Frieden
Deutschlands Gauen errang, und ein Ziel aufsteckte der Willkühr,
Die sich gefiel im Raub’, und in all’ den Gräueln des Faustrechts!
Auch die Straßen entlang, erhoben sich, dicht vor den Häusern,
Lieblichgrünende Reiser zur Luft; buntschimmernde Blumen
Hauchten Wohlgeruch her auf die Bahn, die, erkoren dem Sieger,
Durch die Stadt sich wand, und zahllos wogten die Fahnen
Oestreichs rings von dem Wall’ und den ragenden Thürmen im Wind hin.
Also schmückte sich jetzo die Stadt, wie die blühende Braut sich
Schmückt an dem Morgen des Tags, der sie eint mit dem Lieben auf immer.
Hinter des Ostens dämmerndem Thor’ entfaltete jetzo,
Neuverjüngt, der Tag die Fittige: weit sich erstreckend
Hoben sie fächelnd sich auf, und wehten den glühenden Schimmer,
Der sein Rosenlager umfing, empor an dem Himmel;
Doch sie weckten zugleich des sanftumschmeichelnden Frühwinds
Kühligen Hauch. Er kam aus des säuselnden Waldes Umlaubung
377Ueber die blumigen Matten heran; verbreitete ringsum
Balsamduft, und erfüllte mit Lust die erwachende Schöpfung.
Zwitschernd regte die Schwalbe sich schon im Nest mit den Jungen,
Das sie im Lenz’ erbaut’ an dem Mauergesimse des Hauses;
Auch umgirrete laut die Taub’ in dem Schlag’, und der Hahn rief
Schmetternd darein, als draußen vom Feld, von dem Hain’, und dem Hochwald
Bis in die bläuliche Luft empor das Getöne sich mehrte.
Jetzt von des Himmels Rand, dem Rosenlager entschwebend,
Hob die herrliche Sonne sich auf; umhüllte die Berghöh’n,
Häuser und Thürme der Stadt mit röthlichem Duft’, und entflammte
Hier die Fenster zu Gold, und dort auf den blühenden Matten,
Unermeßlich umher, den Thau zu blitzenden Perlen.
Doch bald schwang sie, verklärt, sich empor: den wölbenden Himmel
Trübte kein Wölkchen, und rings auf dem lichtumflossenen Erdkreis
Scholl ein Wonnegejauchz, dem schönsten der Tage zur Feier.
Aber schon zogen den Weg nach dem Kreuze der Spinnerinn, eilig,
Krieger zu Fuß und zu Pferd in gesonderten Haufen, und weithin
Blitzten im Sonnenschein die hellgeglätteten Waffen —
378Blitzte der Harnisch und Helm der Tapferen, die, von dem Schlachtfeld
Kehrend, zum Siegseinzug’ auf dem sanfterhobenen Berg sich
Sammelten, wie es der Herrscher geboth. Mit grünenden Reisern
Waren die Helme geschmückt, behangen mit Kränzen die Rosse;
Laut scholl Jubel die Scharen entlang: denn fröhliche Weisen
Sang der Krieger; sein Roß ihm wieherte d’rein; die Drometen
Schmetterten, Zink’ und Pauk’ erklang, und die wirbelnde Trommel
Rief das verworr’ne Getön zum allerfreuenden Einklang.
Sieh’, und es lief unzähliges Volk aus der Stadt und vom Land her,
Nach der Straße hinaus, auf welcher die Tapferen kamen:
Alle mit Angst in der Brust, bis sie in den fröhlichen Reihen
Ihre Lieben ersah’n! Da scholl (erschütternd zu hören!)
Jauchzen empor; da bog sich mancher vom Sattel herunter:
Einer umhalste den Freund, ein andrer den Sohn, und ein dritter
Reichte dem grauenden Vater die Hand, der grauenden Mutter,
Oder der Braut, die thränenden Blicks, ihm lächelte, sprachlos!
Aber es trat nun hier, nun dort mit erblassendem Antlitz
379Auch der unglückliche Mensch aus den lautaufjubelnden Scharen:
Denn nicht hatt’ er die Lieben erseh’n, und dem Fragenden tönte
Schrecklich der kurze Bescheid: „Er fiel, und kehret nicht wieder!“
Feldeinwärts ging dort ein zartaufblühendes Mädchen,
Ringend die Hände mit schwerem Gestöhn; hier saß an des Grabens
Rand der Vater: er sah in die Tiefe hinab, und die Mutter
Preßte den Arm mit der Stirn’ an den Baum, und schluchzte vor Herzleid.
Aber der schwellende Ruf des Entzückens dämpfte des Wehes
Schnellverhallenden Laut, und unendlich erscholl das Getümmel,
Als dem festlichen Kreuz der Spinnerinn jetzo der Kaiser
Nahte mit hehrem Gefolg: denn Ladislav, der Magyaren
Blühender König, ritt, hellschimmernd von Gold, ihm zur Rechten;
Ihm zur Linken sein tapferer Sohn, der jüngst in der Feldschlacht,
Muthentflammt, vortrug der Erlösung heiliges Zeichen,
Und ihm folgten, erwählt, des Heers siegstolze Geschwader
Nach auf den Wienerberg, der unter den Drängenden bebte,
Und in dem Waffengeblitz erschütternd dem Auge zu schau’n war.
Jetzt umgab er sich dort mit dem kaiserlichprangenden Mantel;
380Setzte den Helm, an welchem umher der goldene Kronreif
Schimmerte, sich auf das Haupt; entblößte den Degen, und hob ihn
Auf zum ersehneten Wink’. Alsbald bewegte das Heer sich
Im Geleite des Volks nach Wiens aufjubelnden Mauern.
Sieh’, ihm eilten die Ritter vor mit den Reisigen Ungerns —
Jenen der Ost- und der steyrischen Mark: von den Heldengebiethern
Angeführt, und vereint um die ruhmgekröneten Fähnlein!
Aber ihm folgten dann die muthigen Schweizer und Schwaben
Und die Tapfern aus Kärnthen und Krain mit den kühnen Tyrolern.
Wie der Alpenbach, vom Regen geschwollen, sein Bette
Plötzlich verläßt, und quer von des Bergs Abhange sich stürzet,
Endlos über die Matten hin die Fluthen ergießend:
So fortwälzte sich schnell das Heer; stets näher erscholl ihm
Festlicher Glocken Getön’ und des Volks auftobender Jubel.
Außer dem Kärnthner Thor, wo ein Siegesbogen erhöht war,
Standen die trefflichen Bürger vereint. Ihr Meister, erkoren
Durch gemeinsame Wahl an Waldrams Stelle, des falschen,
Eilte heran, den Zug des erhabenen Kaisers zu hemmen;
Both auf dem Becken von schimmerndem Erz, die vergoldeten Schlüssel
Wiens, ihm huldigend, dar, und begann die Rede mit Ehrfurcht:
381„Heil dir, Oestreichs Herrn, dir edelstem Kaiser der Deutschen!
Mögest du heut, wo dir, dem Retter, die jubelnde Stadt Wien,
Festlichgeschmückt, entgegeneilt mit verlangenden Armen,
Nicht gedenken der Schuld entflohener Tage — des Herzens
Deiner Getreuen gewiß! Nun herrsch’ im Segen des Himmels
Ueber dein glückliches Volk, und vom Thron, den du auf dem Grundstein
Heiliger Religion, Gerechtigkeit, Tugend erhöhtest,
Dein erhab’nes Geschlecht an der Zeiten entferntestem Ziel noch!“
Sagt’ es, bewegt; doch schnell entgegnete jetzo der Kaiser:
„Ihr Getreu’n, habt Dank für des Herzens enthüllte Gesinnung!
Gnädig willfahre mir Gott in dem Wunsch, daß ich gründe die Wohlfahrt
Fern in die Zukunft noch der guten und trefflichen Völker,
Die er mir anvertraut! Mein Glück ist das eure für immer!“
Plötzlich entstürzt’ ein heller Strom von Thränen den Augen
Aller umher: denn rings erscholl, von Tausender Lippen
Brausend, ein „Lebehoch!“ und mehrte sich, jubelnden Lautes,
Dort die Straßen entlang, die, erkoren dem festlichen Einzug,
Schimmerten. Jetzt durch’s Thor und die Straße Karinthia’s trug ihn,
Stolzvorschreitend, das Roß, und aus jeglichem Fenster ertönte
382Huldigung, wo, bekränzt, die zartaufblühenden Jungfrau’n —
Frau’n im glänzenden Schmuck’, ihr schneeiges Tuch in die Lüft’ auf
Schwangen, und jauchzten empor mit hellerklingender Stimme.
Doch, aus dem wimmelnden Volk vordrängten jetzt, wie verjüngt sich
Wankende Greis’, ihn zu seh’n, und zu segnen. Die Väter und Mütter
Hoben ihr lallendes Kind auf den Arm; sie falteten erst ihm
Freundlich die Händchen, und zeigten ihm dann den Herrlichen drüben,
Daß es des Tages noch oft im spätesten Alter gedenke!
Sieh’, und nicht trockneten mehr dem erhabenen Kaiser die Augen
All’ die Straßen entlang, da er links, und rechts, in dem Siegszug
Dankte dem jauchzenden Volk mit oft erhobener Rechten.
Also im Freudengeschrei unzähliger Meng’, in der Glocken
Festlichem Klang’, und der Pauk’ und Dromet’ empörterem Jubel,
Zog er entgegen dem Rothenthurm, und lenkete jetzo
Ueber den schimmernden Hohenmarkt nach dem prächtigen Hof ein;
Dann nach der Freiung hinab, und, dem Schottenkloster vorüber,
Durch die Herrngass’ fort nach dem breitaufragenden Graben,
383Bis er am Riesenthor des unendlichen Doms aus dem Sattel
Eilig zur Erde herab sich schwang. Sein mächtiger Gegner,
Ottgar, Oestreichs Herrscher vor ihm, vollbrachte des Domes
Herrlichen Bau, da er einst zerstört von den Flammen, im Schutt lag.2
Dort reicht’ ihm der oberste Hirt der Gemeinde, vor allen,
Festlichgeschmückt, im Kreise der Priester geweihetes Wasser
Sanft mit dem Sprenger dar; dann schwang er das duftende Rauchfaß
Dreimal ihm entgegen, und ging, beginnend der Lieder
Herrlichstes: „Gott, dich preisen wir!“ zum erleuchteten Altar,
Singend, vor ihm einher, und Tausende sangen das Lied nach.
Aber, als in dem wölbenden Raum des unendlichen Domes
Rings umher des Gesangs allletztes Säuseln verhallt war,
Knie’te der Kaiser noch hin, und bethete, heiliger Andacht
Voll, am Altar’, im Kreise der ruhmgekröneten Feldherrn.
Staunend sah ihn das Volk; doch hingen mit inniger Wehmuth
Auch an Trautmansdorf, dem Helden, viel Tausender Augen,
Der, von dem schimmernden Kreis’ entfernt, auf die Kniee gesunken,
Beugte das grauende Haupt mit gottergebenem Herzen.
Bald umhüllten ein jegliches Aug’ untad’lige Thränen:
Dort den Mann mit dem schneeigen Haupt so einsam zu schauen,
Der noch jüngst, umringt von blühenden Söhnen einherging:
384Froh der gewaltigen Schar! Nun stand er allein und verlassen,
Wie der verdorrete Stamm in dem Wald’, um welchen die Windsbraut
All’ die frischen umher mit lautem Gekrach’ in den Staub warf.
Thauenden Blicks, trat jetzt von den heiligen Hallen der Kaiser
Wieder heraus, vor dem Riesenthor zu beginnen den Heimzug
Nach der erhabenen Burg. Doch sieh’, welch’ tiefes Erstaunen
Unter dem Volk? Schnell theilt es sich links und rechts in den Straßen
So, daß der Bahre, von sechs lautschnaubenden Rossen gezogen,
Raum sey, fürder zu zieh’n bis hin zur Pforte des Domes.
Schmerz ergriff die Brust des beseligten Siegers. Er starrte
Lang’ nach dem Trauerflor, und dem leich’umhüllenden Tuch hin,
Und erwog im Gemüth: wie mächtig der Todte noch gestern
Gegen ihn stand, der heut’, erstarrt, all’ irdischer Hoheit,
Kraft, und Streitlust bar, dort unter der finsteren Hülle
Ruhete! Dann begann er für sich mit rührendem Laut so:
„Ottgar, lebtest du noch, und herrschtest im Frieden, der Rachgier
Wüthenden Sturm in der Brust besänftigend; heiteren Blickes
385Würdest du seh’n: nie haßt’ ich dich, und im redlichen Busen
Strebte dieß Herz, voll Liebe, dem deinen entgegen zu schlagen!
Ruhe denn jetzt im Schooß des Allerbarmers auf immer!“
Sagt’ es, und hieß die Leich’ auf dem trauerumhülleten Wagen
Fort nach dem Schottenkloster hinab mit Würde geleiten,
Wo sie ruhe, bis ihr, nach der Seelenmess’ und dem Bußpsalm
Werd’ ein Grab mit dem ehrenden Stein, an heiliger Stätte.
Doch wer drängt sich hier, voll Ungestümm, vor aus den Scharen?
Lobkowitz kam, erblaßt von der Wunde zugleich, und dem Herzleid
Ob des erschlagenen Königs und Freunds, in Eile herüber,
Führend an zitternder Hand das holdaufblühende Söhnlein
Ottgars, Wenzeslav, der einsam in Drösing zurückblieb.
Ach, er harrete dort des Vaters, in fröhlicher Unschuld;
Aber nicht kehrt’ er ihm mehr, und, verwais’t in der zartesten Jugend,
Mißt er die kräftige Hand, die ihn leitete, seines Erzeugers!
Großes beschloß alsbald der treffliche Greis, und, dem Kaiser
Jetzo genaht, vordrängt’ er das Kind, und sprach in das Ohr ihm:
„Geh’, und umfass’ ihm die Knie’ mit festgeschlungenen Armen,
386Daß er dein sich erbarme mit Huld, und die Leiche des Vaters
Frei gewähre zum Trost den Unglücklichen, die er zurückließ;
Dir zum Ruhm, wenn einst auf vaterländischem Boden
Du ihm erhöhst das ehrende Maal, und zur Zierde dem Land dort,
Deß gewaltiger Held, und erhabenster Fürst er gewesen!
Fasse nur Herz: nicht hartgesinnt erweis’t sich der Kaiser
Dir: als Vater das dunkle Geschick der Kinder bedenkend.“
Ottgars blühender Sohn gehorcht’ ihm: er stürzte zu Rudolphs
Füßen; umfaßt’ ihm die Knie’, und rief erschütternden Lautes:
„Mildgesinnt, so sprachen sie all’, ist der mächtige Kaiser,
Dem ich hier auf den Knie’n, und mit thränenerfülleten Augen
Rufe: erbarme dich mein, des Verwaiseten; lasse des Vaters
Leich’ uns frei, der dir erlag in der schrecklichen Feldschlacht!
Hast ja auch Kinder, und sie erfreu’n sich des liebenden Vaters
Noch, der, machtbegabt, sie schirmt, und zu Ehren erhebet.
Aber, o, mich Unglücklichen: denn des Vaters beraubet,
Welcher so hold mir war, vermiss’ ich die mächtige Hand jetzt,
Die mich hatte geführt auf des Lebens unsicheren Pfaden!
Dennoch wird sein Grab im vaterländischen Boden,
Der sein theures Gebein bedeckt, und der redende Denkstein
387Mir erfüllen die Brust mit Trost, und mit Stärke sie waffnen;
Stillen den Schmerz der Mutter um ihn, und erheben des Volkes
Sinkenden Muth, das stets, in Treu’ ergeben, ihm anhing.“
Doch der erhabene Kaiser schwieg, mit sinnenden Blicken
Ueber den Jüngling gebeugt, und das Volk dort weinete ringsum.
„Höre des Sohnes Fleh’n,“ begann jetzt Lobkowitz finster,
„Himmelan hebt sich dein Ruhm: nicht bedarf er des ehrenden Denksteins
Hier, der, rühmend, von Ottgars Grab verkünde der Nachwelt,
Welchen Gegner du einst im Felde der Waffen erlegt hast.
Allwärts preis’t dich die Welt großmüthig und edel: als solchen
Sollst du auch ihm dich erweisen — wo nicht? so täuschte dein Ruf nur:
Denn unziemlicher Haß g’en Ottgar füllet dein Herz noch.“
Rief’s empört, und übermannt von unbändigem Herzleid.
Alle staunten umher; doch zürnte dem eifernden Alten,
Welcher so edel gesinnt, und zugleich so tapfer im Feld war,
Rudolph nicht. Voll Rührung erhob er nun den Erzeugten
Ottgars, der erneut ihm die Knie’ umschlang, von dem Boden,
Herzt’ ihn vor allem Volk’, und begann mit erheitertem Antlitz:
„Sey getröstet, mein Sohn! Nicht sann ich, vor Trauer verstummend,
388Dir ein kostbares Unterpfand zu entreißen: denn alsbald
Geb’ ich es frei. Auch führe zugleich mit dem tapferen Helden,
Lobkowitz, dich der Füllensteiner im Ehrengeleit heim.
Zieh’ dann schnell g’en Prag mit der Leiche des theuern Erzeugers,
Sie zu bestatten mit würdiger Pracht, und zu weihen ein Denkmaal
Ihm, der, herrschend mit Kraft und mit vielumfassender Weisheit,
Rastlos seines unzähligen Volks Gedeihen und Wohlfahrt
Förderte. Doch, nun komm’! Ich will ein Vater dir werden,
Wie ich’s zuvor beschloß im Gemüth’, und im Segen des Himmels
Möge der sprossende Keim noch herrliche Früchte dir bringen.“
Sagt’ es mit freud’ausstrahlendem Blick’, und als er, gewendet,
Faßte des Rosses Zaum mit der Linken, hinauf in den Sattel
Sich zu schwingen, da both er zugleich dem staunenden Helden,
Lobkowitz, schnell die Rechte zum Gruß mit den freundlichen Worten:
„Kühner, du stand’st mir zwar gar feindlich entgegen, und dennoch
Sagt mir das Herz: wir scheiden noch bald, als Freunde für immer!“
Jener dankt’ ihm d’rauf mit thränenumflossenen Wimpern,
389Schweigend; aber es quillt ein Dank aus den schimmernden Thränen,
Den im schwellenden Strom der Worte die Zunge nicht ausspricht.
Solches gewahrete nun der Kaiser, erfreuet, und schwang sich
Rasch auf das Roß, den Siegeszug in der Burg zu vollenden:
Denn mit jubelndem Ruf fortwogten von neuem die Scharen.
Jetzt, in dem weitumschlossenen Raum der mächtigen Hofburg,
Wies sich dem Volk’ ein Schaugerüst, der Sichel des Mondes
Aehnlich an Bogengestalt, erhöht, und mit Purpur behangen.
Vierzehn Stufen empor, in stets verengteren Kreisen
Hob sich der herrliche Bau, und zuhöchst, auf dem oberen Feldraum
Stand, hellschimmernd, des Herrschers Thron, an welchem zur Linken,
Und zur Rechten, gar zierlich geschmückt, zwei Stühle von Purpur
Glänzten. In drängender Hast erfüllte sich eilig die Hofburg.
Freudiger Lärm erscholl, als die Rosse, der Reiter entledigt,
Wieherten, heim durch die Menge geführt, und in stattlicher Hoheit
Rudolph nun mit Gefolg zu dem glänzenden Throne hinaufschritt;
Dort sich Ladislav, den König der Ungern, zur Rechten —
Wenzel, den Sohn des getödteten Horts der Böhmen, zur Linken
390Sitzen hieß, und das Volk mit freundlichem Winke begrüßte;
Doch ein schmetternder Laut der Dromete geboth in dem Hofraum
Schweigen, und Stille ward, daß der Hauch des athmenden Busens
Hörbar flog, und umher die Stimme des Kaisers vernehmlich
Tönete, da er die Recht’ erhob, und also zum Volk sprach:
„Seht uns am Ziele, mit Gott! Vollbracht ist die That, und das Opfer,
Das aus dankbarer Brust zu dem Ewigen heute sich aufschwang.
Ach, gar dürftig erscheinet das Wort! Wie sollen wir würdig
Danken dem Heer’, das uns den Sieg errang in der Feldschlacht?
Wie dem erlauchtesten Könige, der als helfender Freund, uns
Einte sein tapferes Volk im allentscheidenden Zeitraum?
Nicht vermöchten wir das! Doch ihn, den König der Ungern
Schließen wir heut’ an Sohnesstatt, wie er selbst es ersehnet,3
Freudig an’s Herz, und geloben ihm Schutz und Freundschaft für immer.
Wohl bezeugt uns der Herr: „Wer hat, dem wird noch gegeben!“
Also auch wir, von Gott mit Kindern gesegnet, erkiesen
Heute der Söhne noch mehr — denn hört: den theuern Erzeugten
Ottgars einen wir auch, als solchen, in liebender Sorgfalt
Bald mit unserem Blut: ihm Gutha, die Tochter, verlobend,
391Die uns die jüngst’ erblüht aus den Töchtern, voll lieblicher Unschuld!“
Jetzo drückt’ er zuerst den König, und d’rauf den Erzeugten
Ottgars rasch an die Brust, und unendlich jauchzte das Volk auf.
Aber der König erhob sich vom Stuhl’, und sagte voll Feuer:
„O, gesegnet für immer der Tag, der, freundlichen Anblicks,
Dich als Bundesgenossen mir wies! Der brausenden Jugend
Jahr’ umgaukelten mich noch jüngst im verwirrenden Schimmer;
Aber du kamst: wohl nenn’ ich dich „Vater“ mit Recht, und ich fühle
Mich urplötzlich zum Manne gereift — dein würdig, als Sohn jetzt!
Lange lebe, beglückt, der edelste Kaiser der Deutschen!“
Sprach’s mit jubelndem Ruf’, und umher ertönte des Volkes
Freudengeschrei, wie Donnersturm, wie stürzender Wasser
Lautes Rauschen: „Er lebe beglückt! Hoch lebe der Kaiser!“
So, daß jegliche Brust Entzücken ergriff, und der Thränen
Stürmische Fluth in das Aug’ urschnell aufjagte vom Herzen.
Aber es winkte der Kaiser erneut: der eh’rnen Drometen
Ernstem Schall verstummte das Volk, und er sagte, bewegt, noch:
„Hört! Wir scheiden von euch nun bald, und auf lange. Gebiethend
Ruft uns Deutschlands Wohl nach den rheinischen Gau’n, und wir folgen
Freudig dem Ruf, da uns hier zu weilen hinfort nicht vergönnt ist.
Doch nicht bleibe darum dieß Land nach unserer Abfahrt
392Hauptlos. Wichtiges reift im dunkeln Schooße der Zukunft
Ihm, und Hohes erringt es. Inmitten gewaltiger Länder,
Hebt Haus-Oestreich hier, aus seinem unscheinbaren Umkreis
Eiserngegründet, sich auf; gewährt dann jenen die Herrscher;
Flicht in den Kranz nie welkender Macht die herrlichsten Kronen,
Die bald König’ ihm biethen, und führt vielfältig durch Sitte,
Sprach’, und Stamm gesonderte Völker zu dauernder Einung.
Also, gerüstet mit Kraft, soll’s einst im Sturme der Zeiten
Fest wie ein Leuchtthurm steh’n, der rettend, Gefahrenbedrängten
Von dem Felsen die Flamme weis’t auf dem nächtlichen Irrpfad.
Albrecht komme heran. Ihm, unserem theuern Erzeugten,
Deß’ erhabener Sinn und Weisheit euch allen bekannt ist,
Wollen wir Oestreich hier zu Lehen ertheilen. Als Herzog
Werd’ ihm der Thron, und in seinem Geschlecht fortdaure die Herrschaft,
Endlos, segenbeglückt zum Wohl unzähliger Völker.“
Ha, und er dachte, bewegt, des Alp’bewohnenden Klausners!
Doch schon ritt aus dem hallenden Thor der Erzeugte des Kaisers,
Albrecht, stattlich heran. Sein Roß, der tönenden Hauptzier —
Also des Zaums und Geschirrs von blinkendem Silber sich freuend,
Beugte stolz das Haupt an die Brust. Doch herrlich geschmückt war
Er mit dem Fürstenhut’ und dem Purpurmantel: ihn deckte
393Glänzender Hermelin; auch hielt er den goldenen Zepter
Fest in der Rechten erhöht. Durch Schrift und Siegel ertheilte
Friedrich der Erste, von Hohenstauff, der mächtig als Kaiser
Ragte vor andern hervor, das Recht dem Herzog von Oestreich,
Also zu Pferd, und so herrlich geschmückt das Leh’n zu empfangen.4
Siehe, vor ihm trug Lichtenstein das Banner von Oestreich,
Deß’ ruhmwürdiger Schild, mit dem schneeigen Streif in dem Blutfeld
Schimmerte, rasch einher; doch Albrecht hielt an des Thrones
Stufen, und beugte sich; d’rauf begann der erhabene Kaiser:
„Albrecht, euch beschwören wir jetzt im Nahmen des einen,
Wahren, und ewigen Gott’s, zu bekennen: ob ihr, als Herzog
Oestreichs, herrschen wollet nach Recht und Gerechtigkeit; ob ihr
Schirmen wollet die heilige Lehr’ und den Glauben der Väter,
Und euch widmen dem Wohl des Landes mit Leib und mit Leben,
Das ihr heute zu Lehen empfaht aus unserer Vollmacht?“
Jener rief: „Ich will!“ und alsbald winkte der Kaiser
Lichtenstein, daß er ihm darreichte die Fahn’, und begann so:
„Nun auch schwört es zu Gott, und im Beiseyn eueres Volkes,
Eilig das Banner zugleich, und den goldenen Zepter erhebend
Hoch g’en Himmel empor.“ Und jener entgegnete muthig:
„Ja, ich schwör’ es zu Gott!“ und erhob den goldenen Zepter
Dann mit dem Banner zugleich in die Luft. Der Kaiser entstürzte
394Jetzo dem Purpurpfühl’, und flog in die Arme des Sohnes,
Der, sich schwingend vom Zelter herab, ihm entgegen geeilt war.
Lange hielt er den Sohn umfaßt, und sagte mit Rührung:
„Gottes Segen mit dir, und mit deinem Geschlechte! Der Nachwelt
Stell’ ich es freudig anheim, was heut’ allhier sich begeben.
Möge sie noch an der Zeiten entferntestem Ziele, des Glückes
Herrlichster Fülle froh, laut Habsburg segnen und Oestreich!“
Siehe, da rief umher die Menge dem neuen Beherrscher,
Jauchzend, ihr „Lebehoch!“ Doch sah nach dem Kaiser so mancher,
Innig betrübt, noch hin, der erst von Trennen und Scheiden
Sprach, und auf immer vielleicht den liebenden Herzen entrückt wird.
D’rauf hieß er die Fürsten bei sich willkommen, und sagte:
„Kommt zum erquickenden Mahl’, und ruht in der friedlichen Burg hier,
Heiteren Sinn’s, jetzt aus von des Kriegs unzähligen Sorgen!
Aber verzeiht: ich eile zuvor nach der düsteren Kammer,
Wo die Gattinn mir starb, und nach ihr sich, in Trauergewanden,
Sehnen die Kinder vereint; ich gehe, die Lieben zu trösten.“
Und er entzog sich den Blicken der lautaufjubelnden Scharen:
Thränenden Blicks, aufschreitend allein zur Wohnung der Trauer.