Title: Rubens
Author: H. Knackfuss
Release date: October 15, 2019 [eBook #60502]
Language: German
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Liebhaber-Ausgaben
Künstler-Monographien
von
H. Knackfuß
Professor an der K. Kunstakademie zu Kassel
II
Rubens
Bielefeld und Leipzig
Verlag von Velhagen & Klasing
1895
Von
H. Knackfuß
Mit 99 Abbildungen von Gemälden und Handzeichnungen
Bielefeld und Leipzig
Verlag von Velhagen & Klasing
1895
Druck von Fischer & Wittig in Leipzig.
n einem stattlichen alten Haus in der Sternengasse zu Köln verkündet eine marmorne Inschrifttafel dem Vorübergehenden, daß hier Peter Paul Rubens geboren sei. Aber weder Köln noch auch das mit dem gleichen Anspruch auftretende Antwerpen hat das Anrecht auf die Ehre, Geburtsstätte des belgischen Malerfürsten zu sein, behaupten können. Als diese ist vielmehr das westfälische Städtchen Siegen mit nicht anzutastenden Gründen nachgewiesen worden.
Die Vorfahren des Rubens waren seit Jahrhunderten als ehrsame Bürger in Antwerpen ansässig. Sein Großvater war Inhaber einer Apotheke und Spezereiwarenhandlung; dessen Sohn Johannes aber wurde zu einem gelehrten Beruf erzogen. Johannes Rubens, geboren im Jahre 1530, studierte die Rechte zu Löwen und zu Padua und bestand zu Rom im Jahre 1554 mit Auszeichnung die Prüfung als Doktor des bürgerlichen und kirchlichen Rechts. Darauf kehrte er in die Heimat zurück, wo er sich am 29. November 1561 mit der Kaufmannstochter Maria Pypelinckx vermählte. Er wurde 1562 zum Schöffen ernannt und bekleidete dieses Amt fünf Jahre hindurch, in jener schwierigen Zeit, wo der Aufstand der vereinigten Niederlande gegen die spanische Herrschaft sich vorbereitete. Als die Geschicke des Landes in die Hände des unerbittlichen Herzogs von Alba gelegt worden und als die Häupter von Egmont und Hoorn auf dem Blutgerüst gefallen waren, hielt Johannes Rubens, der der Hinneigung zum Protestantismus dringend verdächtig war, es für geraten, die Heimat zu verlassen; ausgerüstet mit einem Schreiben der Stadtobrigkeit von Antwerpen, welches seine Ehrenhaftigkeit bezeugte, flüchtete er nach Köln, wo er gegen Ende 1568 ankam. Dort weilte damals die Gemahlin Wilhelms von Oranien, des großen Führers der niederländischen Erhebung, Anna von Sachsen. Durch deren Rechtsbeistand, den gleichfalls flüchtigen Rechtsgelehrten Johannes Betz aus Mecheln, lernte Johannes Rubens die launische und krankhaft erregte Fürstin kennen; er ward ihr Vertrauter und bald ihr Geliebter. Das sträfliche Verhältnis ward offenkundig, und im März 1571 ließ der Bruder des gekränkten Fürsten, der Graf Johann von Nassau, Rubens auf dem Wege nach dem damals nassauischen Städtchen Siegen, wohin sich Anna, die ihrer Niederkunft entgegensah, zurückgezogen hatte, verhaften und nach Dillenburg ins Gefängnis bringen. Nach dem Landrecht hatte Rubens das Leben verwirkt; da seine Schuld durch Geständnis erwiesen und da die Verhaftung auf nassauischem Boden erfolgt war, so hätte nichts den Grafen von Nassau daran hindern können, durch Vollziehung des Todesurteils die Ehre seines Bruders zu rächen, wenn nicht die beiden Fürsten der Erwägung Raum gaben, daß hierdurch das ganze Vorkommnis in unliebsamer Weise an die Öffentlichkeit gezogen worden wäre. Zudem fand der Schuldige eine beredte Fürsprache von einer Seite, von welcher er es am wenigsten verdient hatte. Maria Pypelinckx, seine beleidigte Gattin, bot alles auf, um seine Begnadigung zu erwirken. Zwei Briefe, durch welche sie ihren gefangenen Mann zu trösten suchte, sind auf die Nachwelt gekommen, rührende Zeugnisse des hochherzigsten weiblichen Edelmuts. „Mit Freude ersehe ich,“ heißt es in dem einem, „daß Euer Liebden, gerührt von meiner Vergebung, nun beruhigt sind. Ich dachte nicht, daß Ihr glaubtet, ich würde dabei so große Schwierigkeit machen,[S. 2] wie ich auch nicht gethan habe. Wie könnte ich so hart gewesen sein, Euch in Eurer großen Bedrängnis und Bangigkeit noch mehr zu beschweren, während ich Euch doch gern, wenn möglich mit meinem Blut heraushelfen würde... Sollte ich sein, wie der schlechte Verwalter im Evangelium, dem so viele große Schulden von seinem Herrn nachgelassen worden waren und der seinen Bruder eine kleine Summe bis auf den letzten Pfennig zu zahlen zwang? Seiet daher darüber beruhigt, ob ich Euch gänzlich vergeben habe: gebe Gott, daß Eure Befreiung damit zusammenhinge, wir würden bald[S. 3] wieder glücklich sein!.... Ich hoffe, daß Gott mich erhören wird, daß sie uns schonen, daß sie Mitleid mit uns haben mögen; sonst ist es gewiß, daß sie mich zugleich mit Euch töten werden; ich werde sterben mit gebrochenem Herzen, denn ich könnte die Nachricht von Eurem Tode nicht hören; nein, das Leben würde sofort in mir stille stehen. Aber die Worte Ihrer Gnaden (wahrscheinlich der Mutter der oranischen Prinzen), die ich in einem anderen Briefe geschickt habe, geben mir noch Hoffnung.... Mein Herz kann es nicht fassen, daß wir so gänzlich und so kläglich getrennt werden sollten... O mein Gott, möge das nicht geschehen! Meine Seele ist solchermaßen vereinigt und verbunden mit der Eurigen, daß Ihr keinen Schmerz erleiden könnt, ohne daß ich ebensoviel davon leide wie Ihr. Ich glaube, wenn diese guten Herren meine Thränen sähen, sie würden, selbst wenn sie von Holz oder Stein wären, Erbarmen mit mir haben: ich will auch, wenn mir kein anderes Mittel mehr bleibt, hierzu meine Zuflucht nehmen, obgleich Ihr mir geschrieben habt, daß ich das nicht thun solle. Ach, wir verlangen nicht Gerechtigkeit, wir bitten nur um Gnade, Gnade, und wenn wir die nicht erlangen können, was bleibt uns zu thun übrig? O himmlischer und barmherziger Vater, hilf du uns dann! Du willst nicht den Tod des Sünders, du willst ja im Gegenteil, daß er lebe und sich bekehre. Gieß in die Seele dieser guten Herren, die wir so sehr gekränkt haben, deinen Geist der Milde, daß wir bald befreit werden von diesen Schrecknissen und dieser Trostlosigkeit; sie dauern nun schon so lange!...“ Der Schluß des Briefes lautet: „Jetzt empfehle ich Euch dem Herrn, denn ich kann nicht weiter schreiben, und ich bitte Euch so sehr, nicht das Schlimmste zu gewärtigen: das Schlimmste kommt früh genug von selbst; immer an den Tod zu denken und ihn zu fürchten ist härter als der Tod. Deshalb verbannet diese Gedanken aus Eurem Herzen. Ich hoffe und vertraue auf Gott, daß er Euch gnädiger strafen und uns noch zusammen für all diesen Kummer Freude verleihen wird, um was ich ihn aus dem Grunde meines Herzens bitte. Und ich befehle Euch dem allmächtigen Herrn, daß er Euch trösten und stärken möge mit seinem heiligen Geist. Ich werde all mein Bestes thun, den Herrn für Euch zu bitten; und desgleichen thun auch unsere Kinderchen, die Euch sehr grüßen lassen und so sehr verlangen, Euch zu sehen, wie — das weiß der Herr — ich selbst. Geschrieben den 1. April nachts zwischen 12 und 1. — Und schreibt doch nun nicht mehr ‚unwürdiger Mann,‘ da dies doch vergeben
Euer Liebden getreue Gattin
Maria Ruebbens.“[*]
Der Seelenadel der Mutter spiegelt sich wieder in der vornehmen Größe der Anschauung und Gesinnung, welche den berühmten Sohn ausgezeichnet hat.
Nachdem die hochherzige Frau sich zwei Jahre lang vergeblich bemüht hatte, durch persönliche und schriftliche Bitten den Grafen Johann zur Freilassung ihres Mannes zu bewegen, erlangte sie es endlich gegen eine Sicherstellung von 6000 Thalern, daß er aus dem Dillenburger Gefängnis entlassen und ihm ein Aufenthalt mit beschränkter Freiheit in Siegen gestattet wurde. Hier sahen die Gatten sich im Frühjahr 1573 zum erstenmal nach so schweren Prüfungen wieder. Während des Aufenthalts in Siegen schenkte Frau Maria ihrem Manne zwei Söhne, von denen der ältere, Philipp — das fünfte Kind der Ehe —, geboren im Jahre 1574, sich später im städtischen Dienst von Antwerpen einen angesehenen Namen machte; der andere, der das Licht der Welt am 29. Juni 1577 erblickte und nach seinem Geburtstage, dem Fest der beiden Apostelfürsten, in der Taufe die Namen Peter Paul erhielt, war bestimmt, dem Namen Rubens die Unsterblichkeit zu verleihen.
Gegen Ende 1577 starb die Prinzessin Anna, die inzwischen von ihrem Gemahl geschieden worden war. Johannes Rubens hielt den Zeitpunkt, da seine Mitschuldige aus dem Leben geschieden war, während der Prinz von Oranien einer neuen, glücklicheren Ehe sich erfreute, für geeignet zu einem Versuche, volle Begnadigung zu erlangen. Ein im Anfang des Jahres 1578 abgesandtes Gnadengesuch, welches unterstützt wurde durch die Verzichtleistung auf einen ansehnlichen Teil der hinterlegten Sicherheitsgelder — von deren Zinsen die Rubenssche[S. 4] Familie bis dahin bescheiden lebte —, hatte den Erfolg, daß der Bitte des Rubens, in einer den Niederlanden näher gelegenen Stadt wohnen zu dürfen, damit er in der Heimat Hilfsquellen zur anständigen Ernährung von Frau und Kindern aussuchen könne, Gewährung zu teil wurde, unter der Bedingung, daß er sich, so oft es verlangt wurde, den nassauischen Behörden stellen mußte, daß er die persönlichen Besitzungen des Prinzen Wilhelm von Oranien nicht betreten und daß er sich niemals vor diesem Prinzen sehen lassen durfte.
Die Familie Rubens kehrte nunmehr nach Köln zurück und bezog wieder das Haus in der Sternengasse. Allmählich begannen ihre Verhältnisse sich wieder zu bessern; da kam im Herbst 1582 eine jähe Störung durch den Befehl, daß Johannes Rubens nach Siegen zurückkehren und sich wieder ins Gefängnis begeben solle. Wieder verwendete sich Frau Maria in ihrer rührenden und eindringlichen Weise für den Gatten, und wieder mußte sie ihre Bitte durch ein Geldopfer unterstützen. Der Graf von Nassau gebrauchte viel Geld, um seinem Bruder im Kampfe gegen die spanische Herrschaft Beihilfe zu leihen; gegen Verzichtleistung auf den Rest des Bürgschaftsgeldes — bis auf 800 Thaler, die ihm verblieben — erhielt Rubens endlich im Januar 1583 seine volle Freiheit. Doch verließ er Köln nicht mehr; er starb daselbst am 1. März 1587 und ward in der St. Peterskirche begraben. Wenn man die traurigen Erlebnisse der Familie kennt, so kann man nicht ohne Rührung die Lobesworte lesen, welche seine Witwe ihm in der Aufschrift des hinter dem Altar der genannten Kirche befindlichen Grabsteins gespendet hat. Des Aufenthalts in Siegen geschieht in der Grabschrift keine Erwähnung. Es ist leicht zu begreifen, daß die Familie es gern vermied, davon zu sprechen; gewiß hat die liebende Mutter die düsteren Ereignisse und ihre schweren Bekümmernisse nach Kräften vor den Kindern verborgen zu halten gesucht, und so konnte Peter Paul Rubens später in gutem Glauben sagen, daß er die ersten zehn Jahre seines Lebens in Köln zugebracht habe, und es ist nicht zu verwundern, daß Jahrhunderte lang Köln als sein Geburtsort gegolten hat. Von dem Knaben erfahren wir aus jener Zeit, daß er mit großer Leichtigkeit lernte und in den Anfangsgründen der Wissenschaften seine Altersgenossen schnell überholte; die bedeutsamste Grundlage für die spätere Größe des Mannes war zweifelhaft dasjenige, was Herz und Seele des Knaben von der hochherzigen und liebevollen, im Trauerspiel zur Heldin gewordenen Mutter empfingen.
Im Juni 1587 erhielt die Witwe die Erlaubnis, mit ihren Kindern nach Antwerpen zurückzukehren; im folgenden Jahre traf sie dort ein. Peter Paul erhielt zunächst seine weitere wissenschaftliche Ausbildung in der sogenannten Pfaffenschule. Er erwarb sich ausgedehnte Kenntnisse, sieben Sprachen, das Vlämische, Deutsche, Lateinische, Spanische, Französische, Italienische und Englische lernte er mit voller Geläufigkeit sprechen. Daß er in der Schule ebenso sehr um seiner Liebenswürdigkeit, wie um seiner geistigen Anlagen willen geschätzt wurde, hat ein Schulgenosse von ihm, der berühmte Buchdrucker Balthasar Moretus, bezeugt. Zur Ausbildung in der guten Lebensart wurde Peter Paul auf einige[S. 5] Zeit von seiner Mutter als Page zu einer Frau Margarete von Ligne, Witwe des Grafen Philipp von Lalaing, geschickt. Bald trat seine Neigung zur Malerei ungestüm hervor. In Antwerpen blühte damals die Malerei, obgleich die Stadt infolge der schweren Belagerung durch den Prinzen von Parma (1584–1585) verarmt und verödet war; es war, als ob die unglückliche Stadt für den Verlust der Freiheit und den unaufhaltsamen Niedergang unter der spanischen Herrschaft — in der Zeit von 1584 bis 1589 sank die Zahl der Bevölkerung von 85000 auf 55000, Gras wuchs auf den Straßen, man begegnete weder Reitern noch Kutschen — in der schönen Traumwelt der Kunst einen Ersatz gesucht hätte. Peter Paul Rubens’ erster Lehrmeister war der Landschaftsmaler Tobias Verhaeght, bei dem er indessen nur kurze Zeit blieb; vier Jahre lang lernte er dann in der Werkstatt des Adam von Noort, eines von den Zeitgenossen wegen seiner Geschicklichkeit gepriesenen Malers, über dessen Können wir uns heute schwer ein Urteil bilden können, da kein einziges Gemälde vorhanden ist, welches ihm mit unbedingter Sicherheit zugeschrieben werden könnte; vier weitere Jahre lernte Rubens bei Otho van Veen (Venius), dem „Fürsten der belgischen Malerei jener Zeit,“ einem sehr gelehrten und vornehmen Manne — sein Geschlecht, das den Titel der Herren von Hogeveen, Desplasse, Vuerse, Draakensteyn u. s. w. führte, stammte von Herzog Johann III von Brabant und Isabella von Veen ab, — der als vollendeter Hofmann bei dem Prinzen von Parma, dessen Hofmaler er war, in gutem Ansehen stand und der als Maler in dem „manieristischen,“ die Italiener nachahmenden Stil der Zeit recht achtbare Werke geschaffen hat. 1598 wurde Peter Paul Rubens als Meister in die St. Lukasgilde aufgenommen.
Wir wissen nicht viel von den Erstlingsschöpfungen des jungen Künstlers. Als eines seiner frühesten Gemälde gilt die Darstellung der heiligen Dreieinigkeit im Museum zu Antwerpen: zwischen Engeln mit den Marterwerkzeugen ruht der Leichnam Christi in den Armen Gott Vaters, und darüber schwebt der heilige Geist. Das Bild leidet an unleugbaren Unschönheiten; aber es bekundet schon in überraschender Weise die selbständige Eigenart des Meisters: seine überschäumende Kraft, welche alle Formen schwellen macht, sich in gewagten Verkürzungen gefällt und den Raum mit üppigem Formenreichtum ausfüllt, sowie den unvergleichlichen Sinn für malerische und farbige Wirkung und die Vorliebe für hellleuchtendes, weiches Fleisch, in dessen Schatten das Blut glühend durchzuschimmern scheint. — Eine Verkündigung Marias in überlebensgroßen Figuren, welche sich im kunsthistorischen Hofmuseum zu Wien befindet, wird gleichfalls als ein frühes Jugendwerk von Rubens betrachtet.
Als ein unerläßliches Haupterfordernis für die Ausbildung eines Malers galt damals ein längerer Aufenthalt in Italien. Rubens trat am 9. Mai 1600 seine italienische Reise an. Zuerst wandte er sich nach Venedig; die Werke der großen Meister der Farbe, die dort zu sehen waren, mußten ihn besonders anziehen. Durch die Vermittelung eines mantuanischen Edelmannes, den er in[S. 6] Venedig kennen lernte, wurde er noch in demselben Jahre an den Hof zu Mantua berufen. Der Herzog zu Mantua, Vincenzo Gonzaga, unter den vielen kunstliebenden Fürsten der Zeit der eifrigste Gönner und Förderer der Künste, stellte den jungen Niederländer mit einem Jahresgehalt von 400 Dukaten als Hofmaler an. Wir erfahren, daß Rubens ihm zuerst außer verschiedenen anderen Bildern eine Anzahl schöner Bildnisse malte. Zur Anfertigung von Kopien berühmter älterer Meister wurde er dann im Jahre 1601 nach Rom geschickt. Hier ward ihm auch von der Heimat aus ein Auftrag zu teil. Erzherzog Albrecht von Österreich, den König Philipp II von Spanien im Angesicht des Todes mit seiner Tochter Isabella vermählt hatte und der seit 1598 die Regierung der spanischen Niederlande mit einer gewissen Selbständigkeit führte, trug den Titel eines Kardinals der Kirche Sta. Croce in Gerusalemme zu Rom. Er benutzte die Anwesenheit seines kunstbegabten Unterthanen, der ihm sicherlich schon durch Otho van Veen vorgestellt worden war, in der ewigen Stadt, um seiner Kirche drei Altargemälde zu schenken. Die Dornenkrönung, die Kreuzigung und die Auffindung des heiligen Kreuzes durch die Kaiserin Helena waren die Gegenstände, welche Rubens im Auftrage seines Landesherrn für die genannte Kirche malte. Die drei Gemälde, welche sehr bewundert wurden, blieben bis 1811 an ihrem Platz; dann kamen sie nach England, wurden im folgenden Jahre wieder verkauft und blieben seitdem verschollen; vor einigen Jahren sollen sie irgendwo in Südfrankreich wiederentdeckt worden sein.
Die unbegreifliche Schnelligkeit des Schaffens, in welcher Rubens ohnegleichen war, muß er damals schon besessen haben. Bereits am 20. April 1602 war Rubens nach Erfüllung der vom Erzherzog Albrecht und vom Herzog von Mantua ihm gestellten Aufgaben wieder am Hof des letzteren. Es versteht sich von selbst, daß Rubens den Aufenthalt in Rom nicht unbenutzt ließ, um die Werke des Altertums und der großen Meister der italienischen Renaissance zu studieren; in der reichen Sammlung von Gemälden und Bildwerken, welche Vincenzo Gonzaga besaß, hatte er Gelegenheit vollauf, solche Studien fortzusetzen. Die Louvresammlung zu Paris bewahrt treffliche Zeichnungen von Rubens nach den Propheten Michelangelos in der sixtinischen Kapelle; von seinen Bemühungen, in selbstgeschaffenen Gestalten der wuchtigen Größe des gewaltigen Florentiners nahe zu kommen, legt eine Handzeichnung in der Albertina zu Wien, welche die beiden Namensheiligen des Künstlers darstellt, Zeugnis ab (Abb. 1). Anziehend[S. 7] ist die Betrachtung der Art und Weise, wie Rubens italienische Gemälde kopierte. Das kunsthistorische Hofmuseum in Wien besitzt von ihm die Kopie des Bildnisses der Markgräfin Isabella d’Este nach Tizian, die Dresdener Galerie das Bild einer jungen Venezianerin nach demselben Meister. Da sieht man, wie sorgfältig Rubens den großen Meister der Farbe studiert hat, zugleich aber auch, wie selbständig er demselben gegenüberstand; es sind nicht sowohl Kopien im strengsten Sinne, als vielmehr getreue Übersetzungen in die eigene Formen- und Farbensprache; namentlich bei dem Dresdener Bild glaubt man unter der schönen Venezianerin das flandrische Schönheitsideal des Niederländers durchleuchten zu sehen. In anderen Fällen verfuhr Rubens noch viel freier mit seinen Vorbildern; seine in der Londoner Nationalgalerie befindliche Nachbildung eines Teils von Mantegnas Triumphzug Cäsars ist mehr als eine Übersetzung, es ist eine freie Umdichtung. Unter den Bildwerken des klassischen Altertums fesselten den jungen Meister besonders die charaktervollen Bildnisköpfe; da sah er nicht den kalten Marmor, sondern sie beseelten sich vor seinen Augen zu lebenden Menschen. Aus solcher Anregung heraus schuf er auch frei erdachte Bildnisse von Persönlichkeiten des Altertums, welche später (1638) von Kupferstechern der Rubensschen Schule, L. Vorstermann, P. Pontius, H. Withouc und Schelte a Bolswert, vervielfältigt und veröffentlicht wurden (daraus Abbild. 2 u. 3). Mit welchem feinen Verständnis Rubens die klassische Schönheit der antiken Bildwerke anzufassen wußte, bekundet am sprechendsten das in der fürstlich Liechtensteinschen Sammlung zu Wien befindliche Bildnis eines römischen Ehepaares (Abb. 4). Auf einem Studienblatte in der Albertina (Abb. 5) erblicken wir einen nach der Antike gezeichneten Frauenkopf neben einem prächtigen Männerkopf nach dem Leben und zwei Studien gefalteter Hände. Neben diesen lebensvollen Zeichnungen mag der in der Dresdener Galerie bewahrte schöne Kopf eines bärtigen Alten, der wohl zu irgend einem heiligen Bischof als Modell gedient hat, die Art und Weise veranschaulichen, wie der junge Rubens Studien nach dem Leben malte (Abb. 6).
Im Frühjahr 1603 unternahm Rubens im Auftrag des Herzogs von Mantua eine Reise nach Spanien. Der Herzog hielt ihn für die geeignetste Persönlichkeit zur Überreichung von Geschenken, die er dem König Philipp III und dessen Minister, dem Herzog von Lerma, zugedacht hatte. Die Reise war vom Wetter nicht begünstigt, zwanzig Tage lang regnete es ununterbrochen. So brachte Rubens zwar die übrigen Geschenke — darunter als Hauptstück einen Wagen mit einem Gespann von sieben neapolitanischen Pferden — unversehrt an ihren Bestimmungsort, aber die von ihm gemalten Bilder, welche einen Bestandteil der Sendung ausmachten, waren durch die Nässe zu Grunde gerichtet. Den Vorschlag des mantuanischen Gesandten, die Bilder mit Hilfe mehrerer spanischer Maler schnell auszubessern, wies Rubens mit großer Entschiedenheit zurück, weil er „sich mit niemand anders vermengen lassen“ wollte. Der Umstand, daß das Zusammentreffen mit dem König sich verzögerte, kam ihm zu statten, daß er nicht nur eigenhändig die Schäden ausbessern, sondern auch noch zwei neue Bilder, Heraklit, den weinenden, und Demokrit, den lachenden Philosophen (vergl. Abb. 2) hinzufügen konnte; diese beiden Bilder befinden sich noch im Madrider Museum. Nachdem Rubens seine Sendung beim König von Spanien erfüllt hatte, arbeitete er noch bis in den Spätherbst für den Herzog von Lerma; er malte unter anderem dessen Reiterbildnis, sowie 13 Einzelfiguren: Christus und die Apostel. Die Apostelbilder befinden sich im Museum zu Madrid, das Christusbild ist verschwunden. Eine spätere, von Schülern ausgeführte Wiederholung dieser 13 Bilder befindet sich im Palazzo Rospigliosi zu Rom, eine inhaltsgleiche Reihe von Zeichnungen in der Albertina zu Wien (daraus Abb. 7).
Anfang 1604 kehrte Rubens nach Mantua zurück, wo seine Hauptarbeit in diesem und dem folgenden Jahre die Anfertigung dreier großer Altarbilder für die Jesuitenkirche war; das Mittelbild stellte die Dreifaltigkeit, die Seitenbilder die Taufe und die Verklärung Christi dar. Bei der Einnahme von Mantua durch die Franzosen im Jahre 1797 wurden die drei Gemälde entführt; das mittlere kam später, in zwei Stücke zerschnitten, in die Stadt zurück, wo es gegenwärtig in der Bibliothek aufbewahrt wird, die Verklärung ist in das Museum zu Nancy gekommen, die Taufe Christi befindet sich seit 1876, leider stark übermalt, im Museum zu Antwerpen. — Von Kaiser Rudolf II erhielt Rubens im Jahre 1605 den Auftrag, zwei Gemälde von Correggio zu kopieren.
1609 verweilte Rubens wieder in Rom.[S. 9] Er malte dort ein Altarbild für die eben fertig gewordene Kirche der Oratorianer, die heute noch gewöhnlich als die „neue Kirche (Chiesa nuova)“ bezeichnet wird. Ehe aber dieses Bild vollendet war, wurde er vom Herzog von Mantua zurückberufen, mit dem er im folgenden Jahre Genua besuchte. Hier schenkte er den Werken der Baukunst besondere Aufmerksamkeit und faßte den Plan, durch eine Veröffentlichung der genuesischen Prachtbauten in seiner Heimat den Baugeschmack zu heben; später verwirklichte er diesen Gedanken durch sein von N. Rykemans gestochenes Kupferwerk von 136 Tafeln: „Palazzi di Genova,“ welches 1622 zu Antwerpen erschien. Bemerkenswert ist das Wahrzeichen, welches der unablässig und unermüdlich arbeitende Künstler auf den Titel des Werkes setzte: eine brütende Henne mit der Unterschrift: Noctu incubando diuque — brütend bei Tag und Nacht. — Für die Jesuitenkirche (St. Ambrogio) zu Genua malte er — es ist nicht bekannt, zu welcher Zeit — zwei Altarbilder: die Beschneidung Christi und St. Ignatius Besessene heilend und Kinder erweckend — das letztere ein großes Prachtwerk. In Mailand, wo Rubens sich sowohl auf der Rückreise von Genua, als auch früher auf der Reise nach Spanien aufhielt, fertigte er sorgfältige Zeichnungen nach Leonardo da Vincis Schlacht bei Anghiari und nach desselben Meisters weltberühmtem Abendmahl an; beide Zeichnungen sind in der Louvresammlung aufbewahrt. Wahrscheinlich auch in Mailand malte er, gleichsam um mit Leonardo zu wetteifern, das heilige Abendmahl, welches sich in der dortigen Gemäldesammlung in der „Brera“ befindet.
Wie verbreitet der Ruhm des dreißigjährigen Künstlers war, geht daraus hervor, daß Erzherzog Albrecht im Jahre 1607 die Bitte an den Herzog von Mantua richtete, er möge ihm sein Landeskind Peter Paul Rubens zurückschicken; Gonzaga aber antwortete, er wünsche denselben noch zu behalten. Wenn er dabei als Nebengrund anführte, daß Rubens gleichfalls wünsche noch länger in Italien zu bleiben, so mochte er hierin wohl recht haben. Rubens gab sich mit immer neuer Lust den Eindrücken hin, welche die Meisterwerke der italienischen Malerei auf ihn ausübten. Zahlreiche Gemälde seiner Hand legen Zeugnis davon ab. So erinnert ein in der Ermitage zu Petersburg befindliches Gemälde: Christus im Hause des Simon, an Veronese, eine mehrmals[S. 10] wiederholte Darstellung von Venus und Adonis (im Haag, in München, in Petersburg) an Tizian, eine Grablegung in der Liechtensteinschen Sammlung in Wien an Caravaggio, anderes an andere italienische Meister; besonders wird der Einfluß des Giulio Romano, der ja in Mantua seine bedeutendsten Schöpfungen hinterlassen hatte, in vielen Gemälden und Zeichnungen (Abb. 8) sichtbar. All diese Eindrücke aber hat der niederländische Meister mit unwandelbarer Selbständigkeit zu verarbeiten gewußt.
Von den Gemälden, welche Rubens für den Herzog von Mantua malte, besitzt die Dresdener Gemäldegalerie eins, welches allem Anschein nach eine Verherrlichung dieses Fürsten darstellt; ein junger Held, der Neid und Zwietracht niedertritt, empfängt von der Siegesgöttin den Lorberkranz. Den nämlichen Gegenstand hat Rubens später noch oftmals behandelt, ohne daß sich nachweisen ließe, ob er mit dem Helden eine bestimmte Persönlichkeit gemeint hat und welche; wir finden derartige Bilder, die sich durch mehr oder weniger unwesentliche Abweichungen voneinander unterscheiden, in den Sammlungen zu Wien, Kassel, München (Abb. 9). Wenn uns heute solche Allegorien ziemlich kalt lassen, so waren sie doch in jener Zeit überaus beliebt. In das nämliche Gebiet gehört das wirkungsvolle Prachtstück in der Pittigalerie zu Florenz, welches den Kriegsgott darstellt,[S. 13] wie er aus den Armen der Liebesgöttin sich losreißt, um stürmend dem Rufe der Furien zu folgen.
Von in Deutschland befindlichen Gemälden aus Rubens’ italienischer Zeit seien noch der schöne heil. Sebastian im Berliner Museum und die übermütige Darstellung des trunkenen Herkules in der Galerie zu Kassel (eine größere Wiederholung davon in der Dresdener Galerie) besonders erwähnt.
Im Jahre 1608 finden wir Rubens wieder in Rom. Hier entstanden verschiedene Werke, welche unmittelbar auf die ewige Stadt Bezug nahmen: eine Wölfin mit den Zwillingskindern Romulus und Remus und eine Darstellung des Flußgottes Tiber, zur Seite die Göttin des Überflusses. Das erstere Bild befindet sich in der Gemäldesammlung auf dem Kapitol, das letztere, welches für den Fürsten Chigi gemalt wurde, stimmt der[S. 14] Beschreibung nach überein mit dem schönen Bild in der Ermitage zu Petersburg, welches bald als Tiber, bald auch — wegen des seitwärts sichtbaren Tigers — als Tigris bezeichnet wird; die Gestalt der Abundantia zeigt hier eine gefällige Schönheit, wie sie später bei Rubens’ Frauengestalten nicht oft mehr vorkommt (Abb. 10). — Seine Hauptarbeit in Rom galt der Oratorianerkirche. Als das vor zwei Jahren angefangene Gemälde vollendet und auf dem Altar der Chiesa nuova aufgestellt war, erwies sich die Beleuchtung als so ungünstig, daß Rubens beschloß, es durch ein anderes Werk zu ersetzen. Er malte nunmehr die heute noch dort befindlichen drei Gemälde, von denen das mittlere, auf dem Hochaltar, die Himmelskönigin, die beiden seitlichen je drei Heilige zeigen. Jenes erste Gemälde, auf dem er die beiden Schutzheiligen der Kirche, Maria[S. 15] und Gregor nebst mehreren anderen Heiligen dargestellt hatte, behielt er für sich; er nahm es mit in die Heimat, um damit das Grab seiner Mutter zu schmücken.
Im Herbst 1608 erhielt er bedenkliche Nachrichten über den Gesundheitszustand seiner geliebten Mutter. Unverzüglich beurlaubte er sich bei dem Herzog von Mantua und reiste auf dem kürzesten Wege nach Antwerpen. Aber er traf seine Mutter nicht mehr lebend; sie hatte bereits in der St. Michaelskirche ihre letzte Ruhestätte gefunden. Der tieferschütterte Sohn soll sich mehrere Monate lang in der Abtei von St. Michael ganz von der Welt abgeschlossen haben. Das römische Bild, welches er über dem von ihm mit einer lateinischen Inschrift versehenen Grabe aufstellte, befindet sich nicht mehr dort; es wurde in der Franzosenzeit entführt und in das Museum zu Grenoble gebracht.
Rubens hatte die Absicht, alsbald nach Mantua zurückzukehren. Aber der Erzherzog Albrecht und die Infantin Isabella wollten ihren berühmten Unterthan nicht wieder davon lassen; sie bestellten ihm zunächst ihre Bildnisse, und am 23. September 1609 ernannten sie ihn zu ihrem Hofmaler mit allen Freiheiten und Vorrechten, welche mit diesem Titel verbunden waren, und mit einem Jahresgehalt von 500 Pfund vlämisch. So war Rubens an sein Vaterland gefesselt. Die Zeit seines Aufenthaltes in Italien kann man, so bedeutende Werke er auch dort hervorbrachte, immerhin noch als eine Art von Lehrzeit betrachten; in der Heimat sammelte er sich, und es begann die Zeit seines unsterblichen Ruhmes. Der Abschluß eines[S. 16] zwölfjährigen Waffenstillstandes im Jahre 1609 gab den schwergeprüften Niederlanden Ruhe, die Kunst trat ungestört in ihre Rechte, und der arbeitsfrohe Künstler fand Thätigkeit vollauf.
Neben dem Willen des Fürstenpaares war es noch ein anderes Band, welches Rubens festhielt. Sein Bruder Philipp, der einzige von vier Brüdern des Malers, welcher noch lebte, war als Stadtsekretär in Antwerpen angestellt. Sein Bild hat die Hand Peter Pauls uns zweimal aufbewahrt; das eine dieser Bildnisse befindet sich in der Münchener Pinakothek, das andere, welches die beiden Brüder zusammen, im Verein mit den berühmten Gelehrten Justus Lipsius und[S. 17] Hugo Grotius zeigt, im Pittipalast zu Florenz. Philipp Rubens war verschwägert mit Johannes Brant, dem Stadtschreiber von Antwerpen. Mit dessen Tochter Isabella, einer jugendlich zarten Schönheit, welche der artige Onkel mit dem Weibe des Menelaos verglich, vermählte sich Peter Paul Rubens am 13. Oktober 1609; in der Michaelskirche fand die Trauung statt. In einem köstlichen Gemälde, welches die Münchener Pinakothek besitzt, hat Rubens sich selbst mit seiner jungen Frau abgebildet, wie sie in stillem Glück unter einer Geisblattlaube sitzen (Abb. 13). Ein vorzüglich schönes Bildnis der Isabella Brant, deren Züge uns in der Folgezeit aus manchem Gemälde des Meisters entgegenblicken, finden wir in der Uffiziengalerie zu Florenz.
Die erste große Bestellung empfing Rubens von der Stadt Antwerpen. Für[S. 18] den Ratssaal der Stadt malte er eine Anbetung der drei Weisen aus dem Morgenlande. Das umfangreiche, farbenprächtige Gemälde blieb nicht lange an seinem Platze; die Stadtobrigkeit verehrte es im Jahre 1612 dem Grafen von Oliva, um dessen Gunst zu gewinnen; dieser nahm es mit nach Spanien, und aus seinem Nachlaß ging es, als er 1621 auf dem Blutgerüst geendet hatte, in den Besitz König Philipps IV über; jetzt schmückt es das Museum zu Madrid.
Im Auftrage seines Landesherrn schuf Rubens fast um dieselbe Zeit ein Altarwerk, in welchem er sich auf einer Höhe der Meisterschaft zeigte, die er auch selbst niemals überboten hat. Erzherzog Albrecht hatte in Brüssel eine adelige Bruderschaft zu Ehren des heil. Ildefons gegründet, welcher er einen Altar in seiner Hofpfarrkirche St. Jakob „auf dem Kaltenberg“ zuwies. Den Auftrag, diesen Altar zu schmücken, erhielt Rubens, der ungeachtet seiner bürgerlichen Abkunft in die Bruderschaft aufgenommen wurde und der aus Dankbarkeit hierfür das Altarwerk ohne jede Entschädigung gemalt haben soll. Er gab demselben die althergebrachte Gestalt eines Flügelaltars. Auf dem Mittelbild stellte er das Wunder des heil. Ildefons dar, über welches die Legende folgendes berichtet: Der heil. Ildefons, der im VII. Jahrhundert Erzbischof von Toledo war, verteidigte mit großem Eifer die unbefleckte Empfängnis Marias gegen einige Leugner dieses Geheimnisses; dafür ward ihm die Gnade zu teil, daß die Himmelskönigin in sichtbarer Gestalt in seine Kathedrale herniederstieg und ihm ein Meßgewand aus himmlischem Stoff überreichte. Wir sehen den Erzbischof niedergesunken vor einem die Mitte des Bildes einnehmenden Thron, von dem aus die heilige Maria ihm mit milder Freundlichkeit das wunderbare Gewand darreicht; heilige Jungfrauen stehen als himmlischer Hofstaat der Gottesmutter zu beiden Seiten, und über dem Thron flattern in einem Meer von Licht jubelnde Kinderengel. Auf den Flügelbildern sind die Stifter dargestellt, der Erzherzog und seine Gemahlin; in reiche fürstliche Gewänder gekleidet, knieen sie da und nehmen als andächtige Zuschauer an dem Wunder teil; ihre Namensheiligen stehen ihnen zur Seite, bei dem Erzherzog Albrecht der heil. Albertus in Kardinalstracht, bei der Erzherzogin Klara Eugenia Isabella die heil. Klara. In dem ganzen Werk hat Rubens eine Vereinigung von zauberhafter Helldunkelwirkung mit glühender Farbenpracht erreicht, die vielleicht ohnegleichen ist. Auf die Außenseiten der Flügel malte er zum Schmuck des geschlossenen Altars eine heilige Familie in idyllischer Auffassung, bekannt unter dem Namen „die Madonna unter dem Apfelbaum“. — Das prächtige Altarwerk mußte im Jahre 1641 seinen Platz auf dem Hochaltar einem wunderthätigen Muttergottesbild abtreten; bei dieser Gelegenheit wurden die Flügel gespalten und die „Madonna unter dem Apfelbaum“ als selbständiges Bild zusammengefügt. 1657 ging die Ildefons-Bruderschaft ein, und die Gemälde kamen in den Besitz der Mönche vom Kaltenberg; im Jahre 1743 brannte die Kirche ab, und die Mönche beschlossen, die geretteten Bilder zu veräußern, um aus dem Erlös den Neubau der Kirche zu bestreiten; Kaiserin Maria Theresia ließ dieselben 1776 durch ihren Gesandten Fürst Starhemberg für 40000 Gulden ankaufen; so kam das herrliche Werk nach Wien, wo es in der im Jahre 1777 eingerichteten Gemäldesammlung im Belvedere einen Ehrenplatz bekam.
Das Jahr 1610, in welchem der Überlieferung nach Rubens den Ildefonsaltar vollendete, sah auch die Vollendung eines Altarwerks, welches für die Walpurgiskirche zu Antwerpen bei ihm bestellt wurde. Das ist die berühmte Kreuzerhöhung, welche sich jetzt im Querschiff der Antwerpener Kathedrale befindet. Die Louvresammlung bewahrt eine Handzeichnung des Meisters, welche den Gedanken der ganzen Komposition, die bei der Ausführung in drei Abschnitte zerlegt wurde, zusammenfaßt; in der Mitte die Aufrichtung des Kreuzes, rechts davon die klagenden Frauen, links der römische Hauptmann (Abb. 12). Das Mittelbild des Altarwerks ist durch zahllose ältere und neuere Kupferstiche vervielfältigt worden (Abb. 11). Dichte Finsternis verhüllt den Himmel, zu dem der am Marterholze ausgestreckte Heiland, den ein letzter, verscheidender Lichtstrahl streift, das leidende Antlitz emporwendet; die ganze Aufmerksamkeit des Beschauers wird auf diese eine Gestalt hingelenkt; denn die übrigen Figuren des Bildes[S. 19] sind gleichgiltige Menschen, die an nichts anderes denken als daran, mit Anspannung ihrer kräftigen Muskeln die Last des Kreuzes mit dem Gerichteten emporzuheben, ohne daß der Kreuzesstamm von der Stelle, wo er eingepflanzt werden soll, ausgleitet. Auf dem einen Flügelbilde sieht man den Hauptmann, der, von anderen Reitern umgeben, mit vornehmem Römerstolz seine Befehle erteilt, und im Hintergrunde die beiden Schächer; auf dem anderen die ergreifende Gruppe der klagenden Frauen mit dem Jünger Johannes, der die vom Schmerz überwältigte Mutter Maria unterstützt. Ursprünglich gehörte zu dem Altarwerk noch ein Bogenfeld über der Mitteltafel, mit der Erscheinung Gott Vaters, so daß der Gekreuzigte auf diese seine Blicke zu richten schien, sowie eine Staffel mit drei kleinen Bildern. Diese Wesensbestandteile des Ganzen wurden im XVIII. Jahrhundert vom Kirchenvorstand verkauft.
Eine noch mächtigere Wirkung als in dem für die Walpurgiskirche geschaffenen Werke erreichte der Meister in dem zwei Jahre später vollendeten Altarwerk, welches jetzt als Gegenstück zu der Kreuzerhöhung gleichfalls im Querschiff der Kathedrale von Antwerpen aufgestellt ist, der Kreuzabnahme. Das Bild wurde 1611 von der Schützengilde für 400 Pfund Groschen (2400 Gulden) bestellt; die Rechnungen sind erhalten geblieben; für den heutigen Leser ist es unterhaltlich, daraus zu ersehen, daß bei drei verschiedenen Besichtigungen des Bildes während der Arbeit 9 Gulden 10 Stüber für den Ehrenwein, der den Schülern des Meisters geschenkt wurde, und nach der Vollendung 8 Gulden 10 Stüber für ein Paar Handschuhe für dessen Gattin ausgegeben wurden. — Rubens’ Kreuzabnahme (Abb. 14), mit dem auf einem weißen Leintuch sanft herabgleitenden schönen Leichnam, mit den liebevoll sich abmühenden Jüngern und Freunden, mit der schmerzdurchdrungenen Gestalt der Mutter Maria im dunklen Schleier und den anmutigen Erscheinungen der beiden anderen Marien ist weltbekannt. Das Bild war berühmt vom Tage seiner Vollendung an. Es ist ein Markstein in der Kunstgeschichte wie kaum ein anderes Werk. Seitdem dieses gemalt war, wußten die niederländischen Künstler, daß es nicht mehr nötig sei, nach Italien zu gehen, um Meisterwerke höchsten Ranges kennen zu lernen. — Auf den Flügeln des Altares brachte Rubens die Heimsuchung und die Darstellung im Tempel zur Anschauung, auf die Außenseite der Flügel malte er den heiligen Christophorus — einen Gegenstand, den er in einem in der Münchener Pinakothek befindlichen Gemälde[S. 20] (Abb. 15) wiederholt hat. Daß in allen vier Darstellungen Christus getragen wird — als Menschgewordener bei der Heimsuchung, als zur Welt geborenes Kind bei der Darbringung im Tempel, als Gestorbener bei der Kreuzabnahme und als Herr der Welt auf den Schultern des Christophorus — soll der verbindende Gedanke des ganzen Altarwerks sein; die Sage weiß zu berichten, die Schützengilde hätte nichts weiter[S. 21] bestellt als einen Christophorus — Christusträger — und Rubens habe aus eigenem Antrieb den Gedanken in solcher Gestalt erweitert.
Ihren jetzigen Platz haben die beiden Werke, die Kreuzaufrichtung und die Abnahme vom Kreuz, erst im Jahre 1816 erhalten, nachdem sie im Jahre 1794 nach Paris entführt worden waren.
Eine Wiederholung der Kreuzabnahme in veränderter Gestalt, die, wenn sie auch als Ganzes dem Antwerpener Bild an Schönheit nachsteht, doch auch wieder ihre eigenen Vorzüge hat, befindet sich in der Ermitage zu Petersburg (Abb. 16). Mit großer Vorliebe ist hier Maria Magdalena behandelt, für welche der Künstler sich eine ganz bestimmt ausgeprägte Form geschaffen hat. Diese eigentümlich anziehende Mädchenerscheinung mit ganz heller, zarter Haut und glattem, lichtblondem Haar, der wir auf dem Antwerpener Bilde der Kreuzabnahme zuerst begegnen, kehrt in Rubens’ Bildern unzähligemal wieder, und zwar nicht ausschließlich als Magdalena. Häufig hört man die Behauptung, daß diese echt niederländische Schönheit das Abbild von Rubens’ erster Frau sei; aber sie hat, wenn man von den allgemeinen vlämischen Stammeseigentümlichkeiten absieht, mit den Bildnissen der dunkelhaarigen Isabella Brant gar keine Ähnlichkeit. Es ist überhaupt nicht anzunehmen, daß diese Lieblingsfigur des Meisters, ungeachtet der festen Ausbildung ihrer nie zu verkennenden Persönlichkeit, das Abbild eines bestimmten Modells sei, schon deswegen nicht, weil sie Jahrzehnte lang in ganz unveränderter Gestalt auftritt; sie ist Rubens’ weibliches Schönheitsideal, gleichgiltig, ob dasselbe eine freie Schöpfung seiner Einbildungskraft sein mag oder ob der Gedanke an ein wirkliches, durch die Erinnerung verklärtes Wesen zu Grunde liegt.
Während der ersten Jahre seiner Verheiratung wohnte Rubens bei seinem Schwiegervater. 1611 bezog er eine eigene Wohnung, die er sich mit großem Aufwand durch den Umbau eines 1610 erworbenen geräumigen Hauses herstellte; er schuf sich im Stil der barocken italienischen Spätrenaissance einen wahren Palast, den er mit fürstlicher Pracht ausstattete; im Garten errichtete er einen reichgeschmückten Rundbau zur Aufnahme seiner großartigen Sammlung von Kunstwerken und Altertümern; überaus prächtig stellte er sich seinen Arbeitsraum her. Heute zeigt das an der breiten, Place de Meir genannten Straße liegende Haus nur noch einzelne Überbleibsel der ihm von Rubens gegebenen Gestalt;[S. 22] das einzige Wohlerhaltene ist ein mit Bildwerken geschmückter Gartenpavillon in Gestalt eines triumphbogenähnlichen Thorbaues. An diesem Pavillon ließ Rubens zwei Inschriften anbringen, welche für seine Lebensphilosophie bezeichnend sind; auf der einen Seite las man die Verse des Juvenal:
Auf der anderen Seite (aus dem nämlichen Dichter):
Von Rubens’ Haus und Einrichtung haben zeitgenössische Künstler Abbildungen überliefert. Van Dyck selbst hat es nicht[S. 23] verschmäht, des Meisters Speisesaal abzumalen; das Bild befindet sich im Museum zu Stockholm. — Wenn Rubens die Absicht hegte, die italienische Renaissance in seiner Vaterstadt einzubürgern, so blieb dieses Bestreben nicht ohne Erfolg. Manche Antwerpener Bauten des XVII. Jahrhunderts bekunden in ihren üppigen Formen die Wirkung der von ihm gegebenen Anregungen. Seiner persönlichen Mitwirkung verdankt die Jesuitenkirche zu Antwerpen (erbaut 1611–21) ihr prunkvolles Aussehen; namentlich läßt die stolze Fassade die Erfindung des großen Malers erkennen.
Daß dem Meister sofort nach seiner Niederlassung in Antwerpen
zahlreiche Schüler zuströmten, versteht sich von selbst. Im Jahre
1611 war der Andrang so groß, daß er die Lernbegierigen auf Jahre
hinaus an andere Maler verweisen mußte; er[S. 24]
[S. 25] hatte schon, wie er einem
befreundeten Kupferstecher schrieb, Hunderte zurückgewiesen, darunter
gute Bekannte von ihm und seiner Frau.
Über Rubens’ tägliche Lebensweise hat sein Neffe Philipp Nachrichten hinterlassen. Im Sommer und Winter ging Rubens, der um 5 Uhr aufzustehen pflegte, jeden Morgen in die Frühmesse; erst in späteren Jahren wurde er bisweilen durch die Gicht hieran verhindert. Aus der Kirche zurückgekehrt, begab er sich sofort an die Arbeit,[S. 26] wobei ihm stets ein Vorleser zur Seite saß, der aus irgend einem Buche — Plutarch und Seneca werden besonders namhaft gemacht — vorlas; der Meister besaß die Gabe, zuhören zu können, ohne dadurch von der Aufmerksamkeit auf seine Arbeit abgelenkt zu werden. Weiter wird berichtet, daß er im Essen und Trinken sehr mäßig war und daß seine regelmäßige Erholung nach Schluß der Tagesarbeit, die nur ein kurzes, einfaches Mahl unterbrach, in Spazierritten bestand, die er gegen Abend auf[S. 29] einem seiner schönen spanischen Rosse unternahm. Die Abendstunden waren gastlicher Geselligkeit gewidmet; er besaß zahlreiche ihm wirklich nahestehende Freunde, besonders in Gelehrtenkreisen. In seinem Hause war, nach den Worten eines seiner Lebensbeschreiber, alles geordnet wie in einem Kloster.
Im Jahre 1612 malte Rubens im Auftrage seines Freundes Balthasar Moretus für das Grabmal von dessen Vater in der Kathedrale zu Antwerpen das noch auf seinem Platze befindliche Bild der Auferstehung Christi, mit Figuren von Heiligen und Engeln auf den Flügeln. Die kirchliche Malerei war zweifellos in jener Zeit der wichtigste Zweig von Rubens’ Thätigkeit. Nebenher aber fand er Zeit zu den mannigfaltigsten Schöpfungen anderer Art. Daß er gelegentlich Bildnisse malte, versteht sich von selbst (Abb. 17 das Bildnis eines Unbekannten aus der Zeit von 1609–1610). Vor allem aber erging sich seine Phantasie mit Lust in der antiken Mythologie. Rubens hätte nicht zu den Gebildeten seiner Zeit gehört, wenn er in den griechisch-römischen[S. 30] Göttergeschichten nicht ebenso bewandert gewesen wäre, wie in der biblischen Geschichte. Zu den glücklichsten seiner mythologischen Schöpfungen gehören zwei verschiedene, anscheinend in der Zeit von 1610 bis 1615 entstandene Darstellungen der Befreiung der Andromeda durch Perseus. Das eine dieser Bilder befindet sich in der Ermitage zu Petersburg. Auf dem Hintergrund einer finstern Felsenwand schreitet der Held, dem eine Siegesgöttin den Lorbeer auf das lockige Haupt setzt, auf die befreite Jungfrau zu; schalkhafte Liebesgötter umgaukeln die jugendlich straffe Gestalt, sie gesellen sich zu der schwebenden Viktoria, sie machen sich mit dem Flügelroß, einem feurigen Schecken, und mit dem schreckhaften Gorgonenschild zu schaffen; im Vordergrund sieht man ein Stück des getöteten Ungeheuers hervorblicken, ein untergeordnetes Etwas, das den festlichen Eindruck der liebesfreudigen Komposition nicht stört (Abb. 18). Fast noch schöner ist das andere, im Berliner Museum befindliche Bild. Zwar ist die Gestalt der Andromeda hier nicht ganz so ansprechend wie dort; dafür aber sind die Liebesgöttter, namentlich diejenigen, welche auf der breiten Kruppe des Rosses — hier ist es ein Apfelschimmel — spielen, noch reizender als dort; dazu vertieft sich hier die Landschaft, und man sieht an den Felsen vorbei auf die dunkelfarbige Luft und das tiefblaue Meer, in dem sich zwischen Klippen das Ungetüm in seinen letzten Zuckungen windet. Die großen Massen der Landschaft, das stolze Roß, die blitzende Rüstung des Helden, die leuchtende Mädchengestalt und die köstlichen Kinderfigürchen bilden zusammen ein wunderbares Gedicht, das in unvergleichlichem Farbenwohllaut zusammenklingt (Abb. 19). Rubens war von jeher ein Meister in der Wiedergabe lieblicher Kindergestalten. Im Jahre 1611 schenkte ihm Isabella Brant ein Töchterchen. Der Anblick des eigenen, sich in blühender Gesundheit entwickelnden Kindes mochte ihn besonders anregen, den Reiz des Kinderkörperchens aufzufassen und wiederzugeben. Ein Studienblatt in der Albertina ist ganz bedeckt mit schnell gezeichneten Engelchen in den verschiedensten Bewegungen (Abb. 20). Das sind vielleicht Studien zu dem um jene Zeit entstandenen entzückenden Gemälde: Maria mit dem Jesusknaben, umgeben von den unschuldigen Kindlein (Abb. 21), ursprünglich zweifellos ein Altarbild, jetzt in der Sammlung des Louvre befindlich. Eine[S. 31] Reihe der köstlichsten Kinderfiguren hat Rubens in dem Bilde vereinigt, welches mit dem Namen „der Früchtekranz“ bezeichnet wird (in der Münchener Pinakothek) (Abb. 23). Die zu einem reichen Gehänge zusammengebundenen Früchte, welche diese holdseligen Geschöpfchen schleppen, verdanken ihre feine und sorgfältige Ausführung vielleicht dem Jan Breughel („Sammetbreughel“), der mit Rubens durch die innigste Freundschaft verbunden war. Eine gleichartige Zusammenstellung von Kindern und Früchten finden wir in einer kostbaren Skizze, welche die Ermitage zu Petersburg bewahrt: das Standbild der Ceres; da sind die prächtigen kleinen Liebesgötter bemüht, die Nische, welche das Bild der nahrungspendenden Göttin einschließt, mit dicken Fruchtschnüren zu schmücken (Abb. 22). Möglicherweise ist diese schöne Skizze der Entwurf zu einem Titelblatt, wie Rubens deren seit 1613 viele für die bei seinem Freunde Balthasar Moretus erscheinenden Werke anfertigte. Tüchtige Kupferstecher, welche die Rubensschen Entwürfe, mochten sie gemalt oder gezeichnet sein, mit dem[S. 32] Stichel auf der Platte ausarbeiteten, waren in ansehnlicher Zahl vorhanden. Auch die meisten seiner Gemälde wurden durch Stiche vervielfältigt. Die Kupferstecherkunst, die in dieser Zeit in den Niederlanden die augenfälligsten Fortschritte machte, lernte von der Malerkunst des Meisters. Auch die niederländische Holzschneidekunst schulte und vervollkommnete sich an der Wiedergabe seiner Werke.
Wenn wir uns nach Gemälden von Rubens mit Jahresangabe umsehen, so finden wir von 1613 in der Gemäldegalerie zu Kassel ein mythologisches Bild, Jupiter und Kallisto; von 1614 in derselben Sammlung ein kostbares kleines Nachtstück, die Flucht nach Ägypten, das seine Entstehung sichtlich der Erinnerung an ein Bildchen des Frankfurters Adam Elsheimer, den Rubens in Rom gekannt hatte, verdankt. Die Jahreszahl 1614 trägt auch ein mit äußerster Vollendung durchgeführtes kleines Bild im Hofmuseum zu Wien: die Beweinung Christi; der in starker Verkürzung gesehene Leichnam ruht mit den Schultern im Schoße der Mutter, die mit sorglicher Hand die starren Augenlider des Toten zudrückt; seinen rechten Arm hat Magdalena, des Malers schöner Liebling, aufgenommen, ihr gegenüber knieen andere klagende Frauen, und die empfindungsvolle Gestalt des Johannes steht in der Mitte neben der Mutter Maria (Abb. 24). Das Museum zu Antwerpen besitzt eine größere Wiederholung dieses Bildes mit landschaftlichem Hintergrund vom Sammetbreughel. — Übrigens sind die Jahreszahlen selten auf Rubens’ Bildern; sie thun auch nicht viel zur Sache; die Kraft des Meisters war, als er sich in Antwerpen niederließ, so reif entwickelt, und er blieb sich selbst sein Lebenlang so gleich, daß es bei manchen seiner[S. 35] Bilder gar schwierig, wenn nicht unmöglich ist, ihre Entstehungszeit auch nur einigermaßen genau zu bestimmen.
Die Mythologie lieferte ihm unerschöpflichen Stoff. Gern entnahm er ihr wild bewegte Vorwürfe, wie die Entführung der Orithyia durch den Sturmesgott Boreas (in der Kunstakademie zu Wien) oder den Raub der Töchter des Leukippos durch die Dioskuren (in der Münchener Pinakothek). Mit besonderer Vorliebe aber bewegte er sich in den Kreisen, welche sich um Diana und Bacchus gruppieren. Die ungezügelten Wald- und Feldgötter schilderte er mit Lust und Laune (Abb. 25), ihr ausgelassenes Treiben, ihre schrankenlose Hingabe an Wein und Liebe malte er mit wahrer Ausgelassenheit; bald gesellte er ihnen üppige Bacchantinnen gleichen Schlages, bald stellte er ihnen halb spröde, anmutige Nymphen gegenüber, häufig auch brachte er sie mit der keuschen Jagdgöttin selbst in wirkungsvollen Gegensatz (Abb. 26). Wiederholt behandelte Rubens die Sage von Meleager und Atalante, die ihm gleichfalls die gern gesuchte Gelegenheit bot, durch die Nebeneinanderstellung weiblichen Reizes und übervoller männlicher Kraft zu wirken; die Kasseler Gemäldegalerie besitzt eine vorzüglich schöne Darstellung — in lebensgroßen Halbfiguren — wie Meleager der schönen Jägerin den borstigen Kopf des erlegten kalydonischen Ebers überreicht, während in der Ferne die Furie der Mißgunst heranzieht; in der Münchener Pinakothek befindet sich eine andere Bearbeitung des nämlichen Gegenstandes, welcher die prächtigen Windhunde und die schöne Landschaft noch besonderen Reiz verleihen (Abb. 28). — Seltener als zu mythologischen griff der Meister zu alttestamentlichen Stoffen, um seinem Schaffensdrang Genüge zu thun. Von den Bildern dieser Art seien die wirkungsvolle Skizze: Esther vor Ahasver — Entwurf zu einem Deckengemälde, in der Wiener Kunstakademie, und das prachtvoll lebendige Bild: Simson und Delila, in der Pinakothek zu München (Abb. 27) erwähnt.
Im Jahre 1614 schenkte Isabella Brant ihrem Gatten den ersten Sohn. Erzherzog Albrecht hob den Knaben aus der Taufe, der nach ihm den Namen erhielt. In dem schönen Bild einer Dame mit einem reizenden, etwa einjährigen Kind auf dem[S. 36] Schoß, welches die Dresdener Galerie besitzt (Abb. 29), dürfen wir wohl die Bildnisse von Frau Isabella, deren Gesicht um diese Zeit schon spitz zu werden begann, und von dem kleinen Albert Rubens erblicken, ungeachtet der Schwierigkeit, welche das im Hintergrund angebrachte Wappen der Deutung bereitet. Ganz zweifellos aber sehen wir in einem allerliebsten Kinderköpfchen in der Liechtensteinschen Sammlung in Wien das Bild von Rubens’ erstem Töchterchen vor uns; mit den etwas schräg stehenden, hell blickenden Augen und dem freundlichen Mund ist die Kleine der Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten (Abb. 30).
Die sich immer steigernde Menge der Bestellungen zwang den Meister, die Hilfe seiner Schüler bei der Ausführung, namentlich der größeren Gemälde und der oft bestellten Wiederholungen, in reichlichem Maße in Anspruch zu nehmen; er selbst überarbeitete dann die Werke in mehr oder weniger eingehender Weise und drückte ihnen so den Stempel seines Geistes auf. Die Schüler arbeiteten sich, so gut es eben die Begabung eines jeden zuließ, in die Art und Weise des Meisters ein. Sein mächtiger Einfluß wirkte aber nicht bloß auf die jungen Leute, die zu ihm kamen, um von ihm zu lernen, sondern auch auf fertige Maler, seine Altersgenossen und selbst auf seine ehemaligen Lehrer. Mit den ihm befreundeten Malern verband er sich häufig zu gemeinschaftlichen Werken. Namentlich arbeitete er, außer mit dem schon erwähnten Johann Breughel, gern mit dem ihm im Alter nahestehenden Franz Snyders (geboren 1579 zu Antwerpen), dem unübertrefflichen Tiermaler, zusammen. In den Gemäldesammlungen von Dresden und München z. B. finden wir lebensprühende Eberjagden, die das gemeinschaftliche Werk von Rubens und Snyders sind. Indessen war es dem Meister keineswegs eine Notwendigkeit, sondern nur eine Arbeitsentlastung, ein Zeitgewinn, wenn er bei Tierdarstellungen den Freund zur Hilfe heranzog. Er selbst war ein Tiermaler allerersten Ranges. Keiner hat so wie er das Pferd in den wildesten Bewegungen aufzufassen verstanden; er schwelgte förmlich in der Schönheit des edlen andalusischen Rosses, das damals für den Kriegs- und Jagdgebrauch vorzugsweise beliebt war;[S. 39] gelegentlich aber verschmähte er es auch nicht, nach dem plumpen vlämischem Pferde eine Studie zu zeichnen (Abb. 32). Ebenso meisterhaft malte er die Hunde; besonders sagten die schönen gefleckten Wolfswindhunde seinem Geschmack zu, welche die großen Herren sich für ihre Hetzjagden hielten. Einen mächtigen Reiz übten auch die königlichen Raubtiere auf ihn aus, die er in Tiergärten und in den Buden der Tierbändiger zu sehen gerade in Antwerpen reichliche Gelegenheit hatte; die Farbenschönheit des bengalischen Tigers hat er in manchem Gemälde verwertet, und den Löwen machte er häufig zur Hauptfigur seiner Darstellungen. Studienzeichnungen nach Löwen sind in Menge von ihm vorhanden. Es wird erzählt, daß er einmal durch einen herumziehenden Tierbändiger einen prächtigen Löwen in seine Werkstatt bringen ließ und den Mann durch eine reiche Belohnung veranlaßte, das Tier durch Kitzeln an den Kinnladen zum Gähnen zu bringen, damit er den geöffneten Rachen studieren konnte; indessen ließ der Löwe sich dieses Spiel nicht lange gefallen, sondern mußte weggeführt werden, weil er gefährliche Mienen machte; es wird hinzugefügt, daß derselbe kurze Zeit nachher seinen Wärter zerrissen habe. — Das schönste Löwenbild besitzt die Münchener Pinakothek; Rubens malte dasselbe um 1616 für den Herzog von Bayern. Sieben Männer, vier zu Roß und drei zu Fuß, haben einen Löwen und eine Löwin angegriffen, einer der Männer liegt schon tot am Boden, ein anderer kämpft verzweifelt mit der Löwin, die ihn niedergeworfen hat; hoch auf bäumt sich der[S. 40] Schimmel eines weiß gekleideten Mauren, an der Schulter von der Pranke des Löwen verwundet, der den verzweifelt aufschreienden Reiter im Sprunge herabgerissen hat; die Männer hauen und stechen, die Rosse steigen und schlagen, — es ist ein prachtvolles Bild des wildesten Lebens (Abb. 31).
Um 1616 erhielt Rubens von dem Pfalzgrafen von Neuburg den Auftrag, für die Kirche zu Neuburg ein Jüngstes Gericht zu malen. Diesen großartigsten aller Vorwürfe hat Rubens einmal in zwei getrennten Darstellungen behandelt, die sich beide in der Münchener Pinakothek befinden. Der Künstler läßt das Richterwort, welches die Begnadigten von den Verworfenen scheidet, schon gesprochen sein; auf dem einen Bilde steigt die Schar der Seligen gleich einer dichten Rauchwolke zum Himmel empor, wo in ferner Höhe der Weltenrichter auf dem Regenbogen thront; in widerstrebenden Massen zusammengeballt, die wie Feuergarben durcheinander wogen, stürzen auf dem anderen die Verdammten in Flammenglut und Finsternis. Das Wunderbare, das Außerordentliche dieser Schöpfungen liegt weniger in dem unerschöpflichen Reichtum der Einzelheiten, welche Rubens in den steigenden und stürzenden Leibern zur Anschauung bringt, als vielmehr in der in solcher Weise von keinem anderen jemals versuchten Massenwirkung; die Zahl der Seelen ist unendlich, zu Tausenden und aber Tausenden ballen sie sich zusammen, und beide Bilder erwecken mit Notwendigkeit die Vorstellung, daß hier wie dort noch weitere Tausende folgen werden (Abb. 34 und 35). Das für den Pfalzgrafen ausgeführte Altarbild ist einfacher in der Komposition, schon weil es beides, das Emporschweben zum Himmel und das Hinabstürzen zur Verdammnis, in einem Rahmen vereinigt. Die Pinakothek zu München besitzt sowohl die herrliche eigenhändige Skizze des Meisters zu diesem Bilde („das kleine Jüngste Gericht“) als auch die wiederum ganz anders komponierte Ausführung im großen („das große Jüngste Gericht“), welche im Jahre 1617 auf dem Neuburger Altare aufgestellt, später in die Gemäldesammlung der pfalzgräflichen Residenz zu Düsseldorf gebracht und von dort im Jahre 1805 mit zahlreichen anderen Rubensbildern nach München übergeführt wurde.
Bei dem großen Münchener Bilde des[S. 41] Jüngsten Gerichtes ist die reichliche Mitwirkung von Schülerhänden unverkennbar. Dasselbe ist bei den einige Jahre später für den Pfalzgrafen von Neuburg ausgeführten Altargemälden: Christi Geburt und Herabkunft des heiligen Geistes (beide jetzt gleichfalls in der Münchener Pinakothek) der Fall.
Es ist eine alte Überlieferung, Rubens habe die Preise seiner Arbeiten nach der darauf verwendeten Arbeitszeit bemessen, in der Weise, daß er für jeden Tag eigenhändiger Arbeit 100 Gulden berechnete, was nach unserem Gelde, wenn man den Wertunterschied des Geldes zwischen damals und jetzt mit in Betracht zieht, ungefähr 380 Mark ausmacht. Das erscheint durchaus glaubwürdig, da Rubens eben in sehr kurzer Zeit die größten Bilder malte; auch wird es durch einen im Museum Plantin-Moretus zu Antwerpen aufbewahrten Brief des Balthasar Moretus bestätigt, worin dieser schreibt, daß Rubens die Entwürfe für Titelblätter nur in seinen Mußestunden anfertige; wolle man an einem Werktage ein solches Blatt von ihm haben, so müsse man 100 Gulden dafür bezahlen. Die unter Beihilfe von Schülern gemalten Bilder waren entsprechend billiger. Das erfahren wir von Rubens selbst durch seinen in vieler Hinsicht bemerkenswerten Briefwechsel mit Sir Dudley Carleton, dem englischen Gesandten im Haag, aus dem Jahre 1618. Rubens’ Briefe, die in neuerer Zeit in großer Zahl veröffentlicht worden sind, enthalten überhaupt einen unschätzbaren Beitrag zur Kenntnis seines Wesens; sie lehren uns die Vielseitigkeit und Gründlichkeit seiner Bildung, die Klarheit und treffende Sicherheit seines Urteils bewundern. Die Veranlassung zu dem Briefwechsel mit Carleton gab dessen Sammlung von antiken Marmorwerken. Rubens wünschte diese zu erwerben, obgleich er sie noch nicht einmal selbst gesehen hatte; denn er war, nach seinem eignen Ausdruck, vernarrt in Antiken. Carleton schlug einen Tauschhandel vor: seine Antiken gegen Gemälde von Rubens. Hierauf ging dieser bereitwillig ein, und nachdem er von Carleton ein Verzeichnis der Marmorbilder mit Angabe der Preise, welche jener dafür gezahlt hatte, erhalten, schickte er ihm das Verzeichnis der in seinem Hause vorhandenen Gemälde, mit Angabe der Größe, des Preises und der etwaigen Mitwirkung von Freunden und Schülern. Da war ein „gefesselter Prometheus“, 8 Fuß breit und 9 Fuß hoch, „eigenhändig, der Adler von Snyders gemalt“, für 500 Gulden; „ein Daniel zwischen vielen Löwen nach dem Leben — ganz eigenhändiges Original“, 8 Fuß hoch und 12 Fuß breit, für 600 Gulden; „Leoparden nach dem Leben, mit Satyren und Nymphen, eigenhändiges Original mit Ausnahme der sehr schönen Landschaft, welche ein auf diesem Gebiet geschickter Meister gemacht hat“, 9 zu 11 Fuß, für 600 Gulden. Mit ebenso genauen Angaben werden die übrigen Bilder bezeichnet: eine Leda mit Schwan und Liebesgott; ein lebensgroßes Bild des Gekreuzigten, von welchem Rubens selbst glaubte, daß es vielleicht das Beste sei, was er überhaupt gemalt habe; eine verkleinerte Wiederholung des für den Pfalz-Neuburger gemalten Jüngsten Gerichts, das Werk eines Schülers, das aber, wenn der Meister es ganz würde überarbeitet haben, für ein Original sollte gelten können; ein heiliger Petrus, der den Zinsgroschen aus dem Maule des Fisches nimmt, mit anderen Fischern „nach dem Leben“; eine Wiederholung der für den Herzog von Bayern gemalten Löwenjagd, von einem Schüler angefangen, aber ganz vom Meister übergangen, und in derselben Weise ausgeführte Wiederholungen der Christus- und Apostelfiguren, welche der Herzog von Lerma besaß; ein Achilles in Weiberkleidern, „ein sehr wirkungsvolles Bild mit vielen schönen jungen Mädchen“; ein heiliger Sebastian und eine Susanna. Carleton schrieb darauf an Rubens, daß er sich sechs von den Bildern ausgewählt habe; er bat den Maler, ihn in seiner Wohnung im Haag zu besuchen und sich die Marmorwerke anzusehen, die eine Sammlung ausmachten, wie kein Fürst und kein Privatmann diesseit der Alpen eine besäße. „Aber“, fährt er fort, „für Leute, die immer in Bewegung sind, wie meine Stellung es mit sich bringt, eignet eine Sache von so viel Gewicht sich nicht, und dann — ehrlich gestanden — Menschen haben menschliche Schwächen: man wechselt manchmal seine Gesinnungen, und so ist meine Liebhaberei plötzlich von den Bildhauern zu den Malern übergegangen, und ganz insbesondere zu Herrn Rubens.“ Da Carleton wegen der niedrigen Bauart sowohl seiner holländischen als seiner englischen Wohnung nur die[S. 42] kleineren von den Rubensschen Bildern nehmen konnte, so blieb nach den beiderseitigen Abschätzungen ein Preisunterschied bestehen; es wurde eine Einigung dahin erzielt, daß Rubens für die Antiken Bilder im Werte von 4000 Gulden und außerdem noch 2000 Gulden gab; für den letzteren Betrag bat Carleton ihn, Brüsseler Wandteppiche mit Figurendarstellungen besorgen zu wollen. Rubens erwähnte in dem Schreiben, worin er sein Einverständnis mit diesem Vorschlag erklärte, den Umstand, daß er in diesem Jahre mehrere tausend Gulden für seinen Hausbau verausgabt habe und daß er infolgedessen[S. 43] am liebsten mit Bildern bezahle, „da jeder mit im eignen Garten gezogenen Früchten freigebiger ist, als mit solchen, die man auf dem Markte gekauft hat“, und gebrauchte im Anschluß hieran die Redensart: „ich bin ja kein Fürst, sondern einer, der von seiner Hände Arbeit lebt.“ Auf diesen Satz kam der gewandte Hofmann in seinem Antwortschreiben zurück, indem er dasselbe mit den artigen Worten schloß. „Eure Behauptung, daß Ihr kein Fürst wäret, kann ich nicht unterschreiben; denn ich halte Euch für den Fürsten der Maler und der Leute von vornehmer Gesinnung, und in diesem[S. 44] Sinne küsse ich Euch die Hand.“ — Einem Manne wie Rubens gegenüber war das keineswegs nur eine leere Schmeichelei.
Erwähnenswert ist auch aus dem Briefwechsel mit Carleton, weil für den vielseitigen Künstler bezeichnend, der Umstand, daß Rubens die Hoffnung ausspricht, mit der Mannigfaltigkeit der Gegenstände dem Geschmack des Abnehmers Genüge gethan zu haben. Schließlich war der eine wie der andere von dem Handel höchlich befriedigt; Carleton war entzückt von den Bildern und Rubens glücklich über die Antiken.
Während der Meister, wie aus dem angeführten Verzeichnis hervorgeht, seinem Schaffensdrange nachgebend, Bilder des verschiedensten Inhalts nach freier Wahl entstehen ließ und zugleich seine Schüler anwies, frühere Werke von ihm zu kopieren, überzeugt, daß die Käufer sich schon einstellen würden, war er zu derselben Zeit unablässig beschäftigt, bestellte Kirchengemälde auszuführen. Zu den um diese Zeit entstandenen Kirchenbildern gehört das durch den Vorzug ganz eigenhändiger Ausführung ausgezeichnete Altargemälde, welches, jetzt im Museum zu Antwerpen[S. 47] befindlich, unter dem Namen „Le Christ sur la paille“ weltberühmt ist. Die Mitteltafel stellt eine sogenannte Pietà vor: der Leichnam des Heilandes ist auf eine Bank niedergelassen worden, welche mit Stroh belegt ist (daher die übliche Bezeichnung des Bildes); Joseph von Arimathia hält den Oberkörper des Toten aufrecht, Maria Magdalena blickt ihn, die Hände faltend, tieferschüttert an, und die Mutter Maria schickt sich, das schöne Antlitz mit ergreifendem Ausdruck zum Himmel erhebend, an, das Haupt des geliebten Sohnes mit dem Bahrtuche zu verhüllen. Auf den Flügeln sind in überaus liebenswürdiger Auffassung einerseits die Jungfrau mit dem Kinde, andererseits der von göttlicher Liebe erfüllte, begeistert aufwärts schauende Evangelist Johannes dargestellt. Eine schöne Zeichnung zu der Mitteltafel bewahrt die Handzeichnungensammlung der Albertina zu Wien (Abb. 33). Auch das für die Barfüßerkirche gemalte, jetzt im Museum zu Brüssel befindliche Bild der Himmelfahrt Marias, gleichfalls eine eigenhändige Arbeit des Meisters, dürfte dieser, wenn nicht schon einer früheren Zeit angehören. Im Jahre 1617 entstand das in der St. Paulskirche, der ehemaligen Dominikanerkirche zu Antwerpen befindliche Gemälde: die Geißelung Christi, das um der Schönheit des Christuskörpers willen zu allen Zeiten gerühmt und bewundert worden ist. — Zwei Hauptwerke schuf Rubens für verschiedene Kirchen von Mecheln. Für die dortige Johanniskirche wurde ihm Ende 1616 ein Altarbild mit der Anbetung der heiligen drei Könige bestellt. Dieser von Rubens früher schon einmal in großem Maßstabe und später noch öfter behandelte Gegenstand war ein Vorwurf nach seinem Herzen; er fand hier Gelegenheit zu reichster malerischer Prachtentfaltung, indem er die Weisen mit allem Prunke morgenländischer Herrscher und mit glänzendem Gefolge auftreten ließ. Unerschöpflich an Erfindungskraft, wußte der Meister in der Bearbeitung dieses Stoffes immer neue und immer mächtig anziehende Wirkungen zu erzielen. Von allen seinen Dreikönigsbildern aber ist dasjenige in Mecheln vielleicht das schönste, zugleich das am liebevollsten ausgeführte; es wird berichtet, daß der Meister selbst stets mit Befriedigung von diesem seinem Werke gesprochen habe. Die Stimmung des Ganzen ist eine freudig-festliche; in froher Erregung huldigen die Fürsten dem Kindlein[S. 48] im Stalle, und das Gemälde wirkt auf das Auge des Beschauers als ein wahres Farbenfest. Den Grundton gibt der prächtigrote Mantel des mittleren Königs an, ihm entgegen wirkt das blaue Gewand Marias; von dem Jesuskinde geht Licht aus und überstrahlt den knieenden ältesten König, den aufrecht stehenden im roten Mantel und den neugierig blickenden Negerfürsten, dem zwei übermütige Pagen die Schleppe tragen, und eine ganze Menge von Gesichtern sich drängender, von Verlangen, das gesuchte Kind erblicken zu dürfen, erfüllter Leute. Die Flügel des Altars enthalten Bilder aus der Geschichte des Täufers Johannes und aus derjenigen des Evangelisten Johannes. Dieses Altargemälde befindet sich noch an seinem Platz; die Gemeinde hatte den Stolz, dem Kardinal Richelieu, der 10000 Gulden für die Flügel bot, mit einem entschiedenen Nein zu antworten. — Ein Bild ganz anderer Art aber, nicht minder bewunderungswürdig, ist dasjenige, welches die Liebfrauenkirche zu Mecheln besitzt. Dasselbe wurde 1618 im Auftrage der Bruderschaft der Fischer gemalt, und zwar in der Zeit von[S. 49] zehn Tagen. Es stellt den wunderbaren Fischzug des Petrus da. Hier ist nichts von Pracht; wir sehen vielmehr derbe Fischergestalten, die in ihrem Gewerbe sich abmühen, und einen bleigrauem Himmel, wie er so häufig über der Nordsee lagert. Es ist ein packendes Wirklichkeitsbild, und wir begreifen, warum Rubens bei jenem anderen Fischergemälde, welches er in dem für Carleton angefertigten Verzeichnis aufführt, besonders erwähnt, daß es nach dem Leben gemalt sei. Der Gegenstand eben dieses Gemäldes, das Finden des Zinsgroschens im Maule des Fisches, kommt auch unter den Flügelbildern des Altarwerks zu Mecheln vor; das Gegenstück dazu ist die Darstellung, wie Tobias auf Geheiß des Engels den heilkräftigen Fisch ans Land zieht. — Wiederum ein ganz anderes Gepräge trägt ein anscheinend der nämlichen Zeit angehöriges Bild, welches Rubens für die Jesuitenkirche in Gent malte, jetzt im Museum zu Brüssel: die Marter des heiligen[S. 50] Lävinus. Der Gegenstand ist grausig, aber der Eindruck des Grausigen wird unterdrückt durch die, man möchte sagen leidenschaftliche Wucht, mit welcher Engel des Himmels herniederfahren, die strafende Blitze unter die Henker schleudern und wildes Entsetzen verbreiten. — So leidenschaftlich ist auch die Gestalt des zornerfüllten Christus auf einem in dem nämlichen Museum befindlichen Bilde, welches Rubens für die Franziskaner zu Gent malte: die heilige Maria und der heilige Franziskus legen ihre Fürbitte ein, daß der Herr die Welt noch mit seinem Strafgericht verschone; so mächtig wie der Zorn der Gottheit, so eindringlich ist das mitleidsvolle Bitten der Heiligen zum Ausdruck gebracht.
Als Rubens mit dem englischen Gesandten im Haag wegen des Umtausches
von dessen Antiken gegen seine Gemälde verhandelte, erwähnte er im
Anschluß an den von Carleton geäußerten Wunsch, daß der Wertunterschied
durch den Ankauf von Brüsseler Wandteppichen ausgeglichen werden
möchte, beiläufig auch den Umstand, daß er selbst im Auftrage einiger
Edelleute aus Genua sehr reiche Entwürfe für Teppiche angefertigt
habe, die gerade in Brüssel gewirkt würden; in einem vierzehn Tage
später an Carleton geschriebenen Briefe kommt Rubens nochmals auf
diese Entwürfe zurück, und da erfahren wir, daß dieselben die
Geschichte des Decius Mus, des römischen Konsuls, der sich selbst
für den Sieg seines Volkes opferte, behandelten. Die hier erwähnten,
Anfang Mai 1618 bereits an die Weberei abgelieferten Entwürfe zu
Wandteppichen haben sich erhalten; sie befinden sich in der fürstlich
Liechtensteinschen Gemäldesammlung zu Wien. Wenn Rubens den Ausdruck
Entwürfe oder Vorzeichnungen — Kartons — gebraucht, so ist dies
in so fern ungenau, als es vielmehr ganz prachtvoll ausgeführte
Ölgemälde sind. Dem Teppichwirker hat der Meister die Arbeit dadurch
erleichtert, daß er die Bilder von vornherein links gemalt hat,
d. h. so, daß die Personen zum Beispiel die Waffen mit der linken Hand
führen, den Schild am rechten Arm tragen. Denn derjenige, der einen
Teppich wirkt, steht hinter dem Rahmen, über den er die Fäden spannt,
also auf der Rückseite des Teppichs, und wie sein Werk wird, sieht er
nicht unmittelbar unter seinen Händen, welche die Fäden durchziehen
und verknüpfen, sondern in einem gegenüberstehenden Spiegel. Ist nun
das Vorbild, wie es meistens geschieht, in richtigem Sinne gezeichnet
oder gemalt, so muß der Wirker dasselbe umkehren, d. h. was links ist,
rechts, und was rechts ist, links machen — also ebenso verfahren wie
der Kupferstecher; zu diesem Behufe stellt er gewöhnlich das Vorbild
hinter sich, so daß er nicht unmittelbar nach demselben, sondern nach
dem Spiegelbild, welches der vor ihm stehende große Spiegel ihm zeigt,
arbeitet. Wer einmal aus dem Spiegel gezeichnet oder gemalt hat,
weiß, wie unbequem und wie anstrengend für die Augen dies ist. Rubens
verschaffte daher den Teppichwirkern eine sehr große Erleichterung,
indem er seine Vorbilder gleich umgekehrt — „im Gegensinne“, wie
der Kunstausdruck lautet — malte. Der Meister verteilte den aus der
bekannten Erzählung des Livius geschöpften Stoff in sechs gewaltige
Kompositionen von vielen lebensgroßen Figuren. Im ersten Bilde sehen
wir, wie der Konsul Decius von einem erhöhten Standpunkte aus dem
Heere, das durch die versammelten Feldzeichenträger vertreten ist,
die ihm im Traume zu teil gewordene Schicksalsoffenbarung erzählt,
daß von den beiden einander gegenüberstehenden Heeren dasjenige die
Schlacht gewinnen sollte, das seinen Anführer verlöre. Das zweite Bild
zeigt uns, wie die Priester in feierlicher Handlung die Opferzeichen
erforschen und erkennen, daß die Sache der Römer schlecht stehe.
Daraufhin beschließt Decius, sich den Todesgöttern zu opfern; das
dritte Bild, vielleicht das machtvollste und ergreifendste der ganzen
Reihe, führt den Helden vor, wie er im Schatten prächtiger Buchen vom
Priester die Todesweihe empfängt. Der vierte Akt des Dramas zeigt den
Geweihten, wie er, des jetzt überflüssig gewordenen Schildes entledigt,
sein stolzes Streitroß besteigt; mit einer vornehmen Bewegung der
Hand und einem Blick heiliger Entschlossenheit verabschiedet er seine
Liktoren, daß sie sich zu seinem Amtsbruder begeben, da er, als ein
Toter, ihrer nicht mehr bedarf; eine wundervolle Abendsonnenstimmung
läßt uns fühlen, daß der heiße Tag sich zu Ende neigt. Das nächste Bild
bringt die Entscheidung: über einem Hügel von Leichen sinkt Decius
unter den Hieben und Stichen latinischer Reiter vom[S. 51]
[S. 52] Roß, sein zum
Himmel gewendeter Blick zeigt, daß er mit Freuden stirbt, da er den
Willen der Gottheit erfüllt und sein Volk gerettet hat; — in demselben
Augenblick wird das Kampfesringen der Römer von Erfolg gekrönt, und
die Latiner wenden sich zur Flucht (Abb. 37). Damit ist das von Rubens
so großartig und wirkungsvoll ausgearbeitete Trauerspiel zu Ende. Das
sechste Bild giebt sozusagen nur noch ein glänzendes Schlußschaustück:
man sieht die aufgerichteten Siegestrophäen, die Aufhäufung der Beute
und das Herbeischleppen der Gefangenen, und im Vordergrunde liegt auf
prächtiger Bahre, mit dem Purpurmantel und dem Lorbeerkranz geschmückt,
der tote Sieger.
Rubens verschmähte es, ungeachtet des unerschöpflichen Reichtums seiner Erfindungsgabe, nicht, sich gelegentlich selbst zu wiederholen, indem er bei dieser oder jener Darstellung eine frühere Komposition benutzte, um daraus mit den durch den veränderten Gegenstand gebotenen Änderungen ein neues Werk zu schaffen; und das Merkwürdige dabei war, daß dieses neue Werk dann doch wieder eine in sich so einheitliche Schöpfung wurde, als ob es ganz und gar nur aus dem gegebenen Gegenstande hätte hervorwachsen können. So kann es nichts Abgerundeteres geben, als die ihren Inhalt so kurz und treffend erzählende Komposition in der Folge der Deciusbilder, welche den Tod des Helden schildert. Und doch ist dieses Bild gewissermaßen ein Auszug aus einer figurenreicheren Komposition, welche einen ganz anderen Stoff behandelt, aus dem prachtvollen, in kleinerem Maßstab ausgeführten Gemälde der Münchener Pinakothek: die Niederlage des Königs Sennacherib. Wie die Engel des Herrn aus nächtlichen Wolken hervorbrechen und Tod und Verwirrung unter die Reiterscharen des Assyrerkönigs schleudern, ist da mit einer unvergleichlichen Großartigkeit geschildert (Abb. 36). Hier ein göttliches Strafgericht, dort der Opfertod eines Helden, das eine wie das andere mit der höchsten Meisterschaft packend und erschöpfend zur Anschauung gebracht — und doch als Komposition das eine von beiden aus der Grundlage des anderen entstanden! Eine andere Bearbeitung des dankbaren Stoffes vom Untergang des Assyrerheeres vor Jerusalem zeigt eine reizvolle, flüchtig entworfene Federzeichnung in der Sammlung der Albertina (Abb. 38). Die Münchener Pinakothek besitzt als Gegenstück zu der Niederlage Sennacheribs ein augenscheinlich zu der nämlichen Zeit — also[S. 55] wohl kurz vor 1618 — entstandenes Bild: die Bekehrung des Saulus. Mit einer unbeschreiblichen Lebendigkeit, einer unmittelbaren Glaubhaftigkeit ist auch hier das plötzliche Hereinbrechen eines Ereignisses, gegen das es keinen Widerstand giebt, geschildert; das jäh aufleuchtende Himmelslicht wirft die Pferde in wildem Schrecken durcheinander, den Menschen raubt die überirdische Erscheinung die Fassung, und wie vom Blitz getroffen ist Saulus zu Boden gestürzt, zum Entsetzen der wenigen sorglichen Begleiter, die sich noch um ihn bekümmern (Abb. 39). Neben dem ausgeführten Bild befindet sich in der Münchener Pinakothek auch die erste Skizze zu demselben; sie zeigt, wie klar der Meister seinen Gedanken von vornherein feststellte. — Die Wiedergabe wildbewegten Getümmels von Menschen und Rossen war für Rubens gerade in dieser Zeit eine Herzenslust. Sein berühmtestes derartiges Werk ist die gleichfalls in der Pinakothek zu München befindliche Amazonenschlacht; die Entstehungszeit desselben ist festgestellt[S. 56] durch den Umstand, daß der Meister im Jahre 1622 an einen Bekannten schrieb, daß der Kupferstecher Lukas Vorstermann den Stich des Bildes seit drei Jahren unter den Händen habe. Wie die beiden letzterwähnten, ist auch dieses Gemälde in verhältnismäßig kleinem Maßstabe mit der größten Liebe ausgeführt. Es erinnert im allgemeinen einigermaßen an Leonardo da Vincis Anghiarischlacht, die Rubens ja in Mailand abgezeichnet hatte, und zugleich an Rafaels Konstantinschlacht; dennoch ist das Ganze das echte Kind Rubensschen Geistes. Auf einer schmalen Brücke versuchen die kriegerischen Jungfrauen mit letzter Anstrengung dem Anprall der von Theseus geführten Reiter standzuhalten; da wird noch mit heißer Leidenschaft gekämpft, den Pferden selbst scheint sich der Kampfeszorn der Menschen mitgeteilt zu haben. Aber schon ist die Niederlage der Amazonen entschieden. Vergeblich sucht die Bannerträgerin die Fahne zu retten, die ein Griechenjüngling ihr zu entreißen strebt; sie wird mitsamt dem Feldzeichen, das sie mit schwindenden Kräften umklammert, vom bäumenden Pferde gezogen. Rosse und Reiterinnen stürzen hinab in den Fluß, in schwerem Aufschlag die Wogen emportreibend; herrenlos gewordene Pferde jagen davon. Neben der Brücke sprengen wilde Reiterinnen, am Widerstand verzagend, über die Leichen ihrer Genossinnen hinweg ins Wasser, wo andere sich schon durch Schwimmen zu retten suchen. In der Ferne leuchtet Feuerschein, und die Glut des Brandes rötet den lichten Himmel (Abb. 40).
Im Auftrage eines Herrn Kaspar Charles malte Rubens im Jahre 1619 ein großes Altarbild für die Minoritenkirche zu Antwerpen: der h. Franz von Assisi empfängt sterbend das Abendmahl. Es war für den Maler der Üppigkeit, der auch die Heiligen in die blühende Schönheit voller Formen und die farbenfrohe Pracht glänzender Seidengewänder zu kleiden liebte, keine leichte Aufgabe, sich in die Wiedergabe weltfremden abgetöteten Mönchtums zu versenken. Doch wußte der alles beherrschende Künstler auch diese Aufgabe zu lösen. Im allgemeinen Ausbau der Komposition schloß er sich an ein berühmtes Vorbild verwandten Inhalts, an Domenichinos im Vatikan befindliche Kommunion des h. Hieronymus, an. Der Herrscher im Reich der Farben übte sich gleichsam selbst in der Entsagung, indem er auf alle Farbenpracht verzichtete und das Gemälde aus einem düster braunen Ton heraus schuf. Der im Formenreichtum zu schwelgen gewöhnte Meister legte hier das ganze Gewicht der Darstellung in den seelischen Ausdruck; von diesem Standpunkt aus will das Gemälde betrachtet sein, und von diesem Gesichtspunkt aus ist der nackte Heilige, der nicht mehr Herr seiner Glieder ist, der durch die Unterstützung zweier Mitbrüder mühsam in knieender Stellung gehalten wird, der „nur noch lebt, um die Kommunion zu empfangen“, in der That ein hohes Meisterwerk, wohl würdig des großen Ruhmes, den das Gemälde, welches sich jetzt im Museum zu Antwerpen befindet, immer genossen hat (Abb. 41).
Unter den zahlreichen Madonnenbildern des Meisters, welche Maria mit dem Jesuskinde bald allein, bald in mehr oder weniger zahlreicher Umgebung von Heiligen zeigen, befindet sich ein besonders ansprechendes, das im Jahr 1619 entstanden sein muß. Man erkennt in der Ausführung desselben die Mitwirkung von Rubens’ bestem Schüler, Anton van Dyck, der von 1618 bis 1620 in der Werkstatt des Meisters arbeitete und fast schon anfing, mit diesem an Berühmtheit zu wetteifern. Das Bild befindet sich in der Gemäldegalerie zu Kassel (ein anderes, nur wenig davon verschiedenes Exemplar in der Ermitage zu Petersburg) und stellt die Mutter-Gottes als Zuflucht der Sünder dar. Vor dem Thron der Jungfrau, die mit der Rechten den auf ihrem Schoße stehenden Jesusknaben hält, die Linke leicht auf die Schulter des seitwärts stehenden kleinen Johannes lehnt, hat der verlorene Sohn sich niedergeworfen, neben ihm kniet Magdalena, die mit glühender Innigkeit zu dem Christuskind aufblickt und mit ihren schönen Händen den entblößten Busen bedeckt, und an diese reiht sich — nicht minder vortrefflich im Ausdruck — der König David; hinter diesen biblischen Gestalten nahen Vertreter der Büßerorden, der h. Dominicus und der h. Franziskus, dem Thron, neben König David steht ein Bischof, der h. Augustinus, und weiter zurück der heilige Ritter Georg mit der Fahne (Abb. 43). In dem Kopf der dunkelhaarigen Maria mag man eine entfernte, vom Künstler wohl[S. 59] schwerlich beabsichtigte Ähnlichkeit mit Isabella Brant erkennen; zweifellos aber ist das Jesuskind das getreue Abbild von Rubens’ zweitem Söhnchen, das im März 1618 zur Welt kam. Dieser Knabe, der von seinem Paten, dem Marchese Pallavicini in Genua, den Namen Nikolaus erhielt, scheint der besondere Liebling des Vaters gewesen zu sein; ein köstlich skizziertes Bildnisköpfchen des etwa Zweijährigen besitzt das Museum zu Berlin; nicht minder reizend tritt uns das hübsche Gesichtchen in noch zarterem Alter entgegen in einer Zeichnung der Albertina, die augenscheinlich als Studie zu dem Jesuskind des Kasseler Bildes gedient hat (Abb. 42). — Dem genannten Gemälde inhaltlich verwandt und sicher auch um dieselbe Zeit entstanden ist ein schönes Bild in Halbfiguren, welches sich in der Pinakothek zu München befindet: der Heiland vergiebt den reuigen Sündern. Wunderbar ist hier der Ausdruck der Köpfe, sowohl bei dem Christus, der die Milde und Barmherzigkeit selbst ist, als auch bei den Bußfertigen — es sind Maria Magda[S. 60]lena, der gute Schächer, Petrus und David (Abb. 44).
Die eigentümlich ansprechende, in Haut und Haar gleichsam von eignem Licht erfüllte, weiche und volle Frauengestalt, welche Rubens immer und immer wieder als Magdalena malte, erscheint in ganz anderer Auffassung, als mythologisches Wesen, in dem reizvollen Gemälde in der fürstlich Liechtensteinschen Sammlung, welches die Töchter des Kekrops mit dem Kinde Erechthonios vorstellt. Hier zeigt sie uns als eins der beiden neugierigen Mädchen, welche entgegen dem Gebot der Pallas Athene das Körbchen, in dem der Knabe mit einer Schlange liegt, öffnen, die unverhüllte Formenfülle ihres weißen Rückens. Die bei der Gebotsübertretung unbeteiligte Schwester, die seitwärts unter einem Baume steht, ist mit ihrem straffen Körper eine der mädchenhaftesten und darum ansprechendsten weiblichen Gestalten, welche Rubens geschaffen hat (Abb. 45). Diese unbekleidete Gestalt, deren Kopf und Schultern ein sonnig durchleuchteter Schatten einhüllt, erinnert auffallend an die weibliche Hauptfigur auf dem vielumstrittenen großen Gemälde im Berliner Museum: Neptun und Amphitrite (oder Neptun und Libye). Auch auf diesem Gemälde, das übrigens dem Bilde der Kekropstöchter an künstlerischem Reiz sehr weit nachsteht, wird der blonde Magdalenenkopf sichtbar; er gehört einer mit dem Körper im Wasser verborgenen Nymphe an und ist wohl der anziehendste Punkt auf der ganzen umfangreichen Leinwand. Das Berliner Bild, bei dem vor einigen Jahren die Frage nach der Echtheit, die von den einen ebenso leidenschaftlich bestritten, wie von den anderen verteidigt wurde, die Gemüter der Kunstverständigen mehr als nötig erhitzt hat, erinnert zugleich in manchen Zügen an das prächtige Gemälde im kunsthistorischen Hofmuseum zu Wien, welches die vier Weltteile durch die Verkörperung der Hauptströme von Europa, Asien, Afrika und Amerika darstellt. Jedem der vier Flußgötter ist eine Nymphe beigesellt; im Vordergrunde ruht der alte Nil, dessen Nymphe eine Negerin ist, und dem zur weiteren Kennzeichnung ein von Putten umspieltes Krokodil — nach antikem Vorbild — beigegeben ist; ihm gegenüber lagert der Ganges, durch eine bengalische Tigerin, die das Krokodil grimmig anfaucht, gekennzeichnet; die beiden anderen Flußgötter, Donau und Marañon — der letztere, weil damals noch wenig erforscht, in Schilf und Schatten halb verborgen — erscheinen jugendlicher als ihre Genossen aus den uralten Kulturländern (Abb. 46).
Das Jahr 1620 sah wieder ein hervorragendes Altargemälde entstehen, nämlich das jetzt im Museum zu Antwerpen befindliche Bild des gekreuzigten Heilands zwischen den beiden Schächern. Es ist Abend, der Gottessohn hat ausgelitten; davon überzeugt sich der römische Hauptmann durch den Speerstoß in die Seite des Leichnams, während ein Kriegsknecht sich anschickt, die Beine der beiden anderen Gerichteten mit einem eisernen Stab zu zerbrechen; jammernd haben sich die Mutter Maria, Maria Kleophas und der Jünger Johannes von dem entsetzlichen Schauspiel abgewendet, Maria Magdalena aber verläßt den Kreuzesstamm nicht, an den sie mit Kopf und Körper sich anschmiegt, und mit einer Gebärde flehender Abwehr erheben sich ihre weißen Arme gegen den Römer und seine unbarmherzige Waffe (Abb. 47). Auffallend ist bei diesem Bilde, das unter dem Namen „le coup de lance“ weltberühmt ist, die merkwürdige Nichtachtung der Perspektive und des natürlichen Größenverhältnisses der Figuren zu einander; aber es würde ein vollständiger Mangel an Kunstsinn dazu gehören, bei einem solchen Gemälde, wie dieses ist, daran Anstoß zu nehmen. Rubens malte das ergreifend gedachte und wunderbar ausgeführte Bild für die Franziskanerkirche in Antwerpen, im Auftrage des Bürgermeisters Nikolaus Rockox. Das Bildnis dieses ihm sehr innig befreundeten Mannes hat er zugleich mit demjenigen von dessen Gattin in sprechender Lebendigkeit der Nachwelt überliefert auf den Flügeln eines gleichfalls von demselben bestellten Altarwerks, dessen Mittelbild die Bekehrung des ungläubigen Thomas darstellt, und das sich jetzt ebenfalls im Antwerpener Museum befindet. — Das eigentlich Ergreifende des Kreuzigungsbildes, das Geheimnis sozusagen seiner mächtigen Wirkung, liegt in der friedlichen Ruhe des Todes, mit welcher der am Kreuz Erhöhte über Schmerz und Leidenschaft der Lebenden hinausragt. Ein anderes Mal hat Rubens die Darstellung des Kreuzestodes auf wenige Figuren beschränkt: nur[S. 61] Maria, Johannes und Magdalena sind am Fuß des in einsamer Höhe von der dunklen Luft sich abhebenden Kreuzes versammelt (im Louvre). Fast noch ergreifendere Wirkung aber hat er in einem im Antwerpener Museum befindlichen Bilde erreicht, welches das Vorbild für ungezählte Kopien und Nachahmungen geworden ist; ganz einsam und verlassen hängt der Heiland an dem hohen Kreuze, die Natur hat sich in Todesschweigen gehüllt, und vor dem schwarzen Nachthimmel leuchtet der helle Leichnam als das Licht in der Finsternis (Abb. 48).
Die bevorstehende Vollendung der Jesuitenkirche[S. 62] zu Antwerpen brachte Rubens im Jahre 1620 einen Auftrag von außergewöhnlichem Umfang. Am 20. März dieses Jahres unterschrieb er einen mit Pater Jacobus Tirinus, dem Oberen des Antwerpener Jesuitenkollegiums, geschlossenen Vertrag, durch welchen er die malerische Ausschmückung der Kirche übernahm. Mit der Herstellung von Altargemälden für dieselbe war er schon vorher beauftragt worden. Jetzt handelte es sich hauptsächlich um die Deckengemälde; zu diesen, 39 an der Zahl, sollte Rubens die Skizzen vor Schluß des Jahres liefern, van Dyck und einige andere seiner Schüler sollten sie dann ausführen und er selbst schließlich die letzte Hand anlegen. Es ist wohl nur selten einem Künstler vergönnt gewesen, einen selbstgeschaffenen Bau mit selbstgeschaffenen Gemälden zu schmücken und so die denkbar vollkommenste Zusammenwirkung der Künste zu erzielen. Wenn es gestattet ist, von einem[S. 63] Jesuitenstil in der Malerei zu sprechen, so war Rubens der größte Meister dieses Stils; er verstand sich darauf, den höchsten Aufwand von Glanz und Pracht zu entfalten, aber die Größe seiner Meisterschaft ließ dabei niemals den Eindruck betäubender Überladung aufkommen. Wie glänzend das Innere der Jesuitenkirche zu Antwerpen ausgesehen hat, deren Architektur mit Marmor und Vergoldung die prächtige Umrahmung[S. 64] der farbenreichen Gemälde bildete, davon können wir uns nach mehreren Abbildungen eine wenn auch nur unvollkommene Vorstellung machen; das Belvedere zu Wien besitzt zwei dieser Abbildungen, die eine von Sebastian Vrancx, der gleich Rubens ein Schüler des Adam van Noort war, die andere, gemalt im Jahre 1665, von Anton Gheringh; eine zwei Jahre früher von diesem gewandten Architekturmaler aufgenommene Innenansicht der Kirche befindet sich in der Münchener Pinakothek. Im Jahre 1718 wurde die Jesuitenkirche zu Antwerpen infolge eines Blitzschlages ein Raub der Flammen. Das Gebäude selbst konnte in der früheren Gestalt wiederhergestellt werden — es wurde freilich nicht unerheblich vereinfacht —, die Deckenmalereien aber blieben verloren. Von den 36 Gemälden, welche die Decken der Seitenschiffe und der über diesen befindlichen Emporen schmückten, sind Zeichnungen von Jacob de Wit (im Museum Plantin-Moretus zu Antwerpen) und Kupferstichnachbildungen vorhanden; von den drei übrigen, die sich in der Eingangshalle befanden, ist nur eins durch einen Kupferstich bekannt. Das vergoldete Tonnengewölbe des Mittelschiffes war durch Stuckleisten in verschiedengestaltige Felder geteilt, welche durch Einzelfiguren ausgefüllt wurden; in dem mittelsten Felde umschwebten Kinderengel den in einem Strahlenkranze leuchtenden Namenszug Marias. Von dieser Einteilung und Ausschmückung des Mittelgewölbes ist der gezeichnete Entwurf erhalten geblieben; derselbe befindet sich, wie[S. 65] die Mehrzahl der Rubensschen Handzeichnungen, zu Wien in der Albertina (Abb. 49). Glücklicherweise gelang es bei dem Brande, die drei großen Altargemälde zu retten, welche Rubens fast ganz eigenhändig gemalt hatte. Dieselben wurden von der Kaiserin Maria Theresia angekauft und befinden sich im Hofmuseum zu Wien. Die beiden Hauptaltarbilder sind von gewaltigem Umfang; sie behandeln in zahlreichen überlebensgroßen Figuren Gegenstände aus der modernen Heiligengeschichte. Das eine zeigt den Stifter des Jesuitenordens, Ignatius von Loyola, wie er, in Meßgewändern am Altar stehend — ihm zur Seite eine ernste Reihe schwarzgekleideter Brüder der Gesellschaft Jesu, zu seinen Häupten im Lichtglanz eine Schar von Kinderengeln —, durch sein Gebet eine Anzahl von Besessenen, die man an die Stufen des Altars gebracht hat, von den[S. 66] bösen Geistern befreit. Das andere stellt des Ignatius Studien- und Gesinnungsgenossen, den der Orden mit zu seinen Begründern zählen durfte, Franziskus Xaverius dar, wie er, in Indien das Christentum predigend, zum Beweise von der Macht des Christengottes vor dem staunenden Volk Tote zum Leben erweckt; in der Höhe erscheint auf Wolken die Gestalt des katholischen Glaubens, Engel tragen vor ihr das Kreuz des Heilands, und vor den himmlischen Lichtstrahlen, die von dieser Gruppe ausgehen, stürzt in der Vorhalle des Tempels das Götzenbild zusammen. Rubens’ gewaltige Phantasie hat aus den gegebenen Stoffen, die einem anderen vielleicht nur wenig künstlerische Anregung geboten hätten, großartige Meisterwerke geschaffen, die im Aufbau des Ganzen und im Ausdruck des Einzelnen, in der Farbe und in der Lichtwirkung zweifellos zu dem Allervorzüglichsten gehören, was er überhaupt hervorgebracht hat. Franziskus Xaverius wurde im Jahre 1619, Ignatius von Loyola 1622 heilig gesprochen; hiernach kann man annehmen, daß Rubens das Franziskusbild sofort nach dem Bekanntwerden jenes ersteren Ereignisses für den Hochaltar der Jesuitenkirche malte, und daß erst drei Jahre später das Ignatiusbild, welches auf den erwähnten Abbildungen der Kirche über dem Hochaltar zu sehen ist, statt dessen an diese Stelle trat. Das dritte der im Belvedere befindlichen Gemälde aus der Antwerpener Jesuitenkirche stammt von einem Seitenaltar derselben und stellt die Himmelfahrt Marias vor. Von Licht umflutet und von einem Kranz von Engeln umgeben, schwebt die Jungfrau voll freudigen Verlangens auf den Wolken empor, während unten die versammelten Apostel und heiligen Frauen zum Teil ihre Blicke in das leere Grab versenken, zum Teil andächtig und begeistert aufwärts schauen. Von einer ganzen Anzahl von Darstellungen der Himmelfahrt Marias, welche Rubens früher, zu derselben Zeit und später malte, hat er selbst diejenige, welche er für die Antwerpener Jesuiten ausführte, für die bestgelungene erklärt. Die Liechtensteinsche Sammlung zu Wien besitzt ein großes Gemälde dieses Inhalts, dessen Herkunft unbekannt ist. Ein vorzüglich schönes, nach welchem Paul Pontius einen im Jahre 1624 vollendeten Kupferstich anfertigte, befindet sich in der Akademie zu Düsseldorf. Als im Jahre 1805 die von den pfälzischen Kurfürsten angelegte berühmte Düsseldorfer Gemäldesammlung vor den Franzosen nach München geflüchtet wurde, blieb dieses Bild zurück,[S. 67] da die gewaltige Eichenholztafel, auf welche es gemalt war, bei den damaligen Verkehrsmitteln nicht mit der durch die Verhältnisse gebotenen Schnelligkeit fortgeschafft werden konnte; es wurde, damit kein weiterer Zeitverlust die Rettung der übrigen Kunstwerke gefährde, unverpackt auf offenem Markt zurückgelassen; doch entging es eben wegen seiner Schwere auch dem Geschick, nach Paris entführt zu werden, — glücklicher als das Himmelfahrtsbild der kaiserlichen Sammlung zu Wien, welches der französische Kommissar[S. 68] Denon in drei Stücke zersägen ließ, um es fortschaffen zu können. Nächst diesem Gemälde im Hofmuseum — das 1815 nach sechsjähriger Abwesenheit nach Wien zurückgebracht wurde — ist von den inhaltsgleichen Schöpfungen des Meisters diejenige die berühmteste, welche den Hochaltar der Kathedrale von Antwerpen schmückt. Mit der Anfertigung dieses Altarbildes wurde Rubens im Jahre 1619 beauftragt; doch verzögerte sich die Ausführung, so daß es erst im Mai 1626 zur Aufstellung kam. Es wird berichtet, daß das gleichfalls sehr große Bild in sechzehn Tagen gemalt worden sei; doch ist damit wohl nur die Zeit gemeint, welche der Meister selbst darauf verwendete, — die Mitwirkung von Schülern, deren Arbeitstage schwerlich gezählt wurden, ist unverkennbar.
Durch Sir Dudley Carleton vermutlich wurde Rubens mit einem Manne bekannt, der als „der große Mäcenas aller schönen Künste und der schrankenlose Sammler von Altertümern“ bei Mit- und Nachwelt berühmt war. Thomas Howard, Graf von Arundel und Surrey. Diesen Kunstfreund nebst seiner Gemahlin porträtierte der Meister im Jahre 1620 in einem reichen Gemälde, welches sich jetzt in der Münchener Pinakothek befindet. Eigentlich möchte man dieses Gruppenbild als das Bildnis der Gräfin Arundel mit ihrer Umgebung bezeichnen. In einer offenen Halle von gewundenen Marmorsäulen, deren Boden ein[S. 69] farbenprächtiger Teppich bedeckt und wo an einem schweren Vorhang das Wappen des Hauses in reicher Stickerei prangt, sitzt die Gräfin, in schwarze Seide gekleidet; sie streichelt mit der Rechten einen mächtig großen Hatzhund, der schmeichelnd seinen Kopf auf ihren Schoß legt, und zu ihrer Linken steht ein kleiner Page in roter, goldgestickter Kleidung, mit einem Falken auf der Faust; daß die Dame eine große Jagdfreundin war, ist hiermit wohl deutlich genug gesagt; auch die fürstliche Liebhaberei eines Hofnarren konnte sie sich gestatten: neben dem Hunde steht der Zwerg und Spaßmacher in grün und gelber Tracht; hinter dem Stuhl der Herrin aber steht der Graf Arundel selbst (Abb. 50).
Mit dem Jahre 1620 lief der Waffenstillstand ab, während dessen die Niederlande die Segnungen des Friedens ungestört genossen hatten; in Deutschland war der Religionskrieg schon entbrannt, und die erste Schlacht ward zu Gunsten des Kaisers und der Katholischen entschieden. Die Welt verlangte das Bild des Siegers vom Weißen Berge kennen zu lernen, und Rubens war es, der dasselbe für die Kupferstichvervielfältigung malte. Wir sehen den Grafen[S. 70] Boucquoy im Harnisch, mit Schärpe und Feldherrnstab, in einem Kranz von Lorbeer und Eichenlaub, um den eine Fülle von allegorischen Gestalten den weiteren Rahmen bildet; da liegen Städte und Flüsse gefesselt und niedergeworfen neben dem Siegesaltar, ruhend steht die geflügelte Siegesgöttin mit der Trophäe, Herkules mit seiner Keule — das Sinnbild der Kraft — tritt die Hydra und die Meduse nieder, Engel, welche den Meßkelch und das päpstliche Doppelkreuz als Wahrzeichen des katholischen Glaubens halten, bekränzen den kaiserlichen Adler, dem Genien des Krieges und des Sieges die Palme und die Weltkugel darreichen (Abb. 51). Während Rubens diese Kupferstichvorlage, die sich in der Ermitage zu Petersburg befindet, sehr sorgfältig grau in grau gemalt hat, genügte ihm in anderen Fällen für solchen Zweck eine Zeichnung, allenfalls etwas mit Tusche angelegt; ein Beispiel ist das geistreich ausgeführte Blatt in der Sammlung zu Weimar, welches einen Kriegsmann darstellt, dessen Namen wir wohl gleichfalls unter denjenigen der Helden des dreißigjährigen Krieges zu suchen haben (Abb. 52).
Im Jahre 1621 starb Erzherzog Albrecht. Unter den Bildnissen, welche Rubens’ Meisterhand von diesem seinem Landesherrn hinterlassen hat, sei das stolze Reiterbild in der Sammlung der Königin von England zu Windsor — eine Zeichnung dazu in der Louvresammlung — noch besonders erwähnt. Es scheint, daß Rubens damit beschäftigt war, eine Folge von Ahnenbildern für seinen Fürsten zu malen, als dessen Tod diese Arbeit unterbrach. Wenigstens erklärt sich so am leichtesten das Vorhandensein der in Rubens’ Nachlaß gefundenen, jetzt im Hofmuseum zu Wien befindlichen überlebensgroßen Bildnisse Karls des Kühnen und Kaiser Maximilians I. Der Beschäftigung mit der Geschichte der Vorfahren des Erzherzogs verdankte auch ein Gemälde (im Museum zu Madrid) sein Entstehen, welches die mittelalterliche Erzählung von Rudolf von Habsburg und dem Priester behandelt, die durch Schillers Ballade unsterblich gemacht worden ist. Nicht ohne einen Anflug von Laune hat Rubens den Vorgang aufgefaßt, wie der des Reitens unkundige Priester auf dem mutigen Jagdroß des Grafen den Wildbach durchschreitet. Dieses Bild ist wegen seines Gegenstandes merkwürdig; denn im allgemeinen lag jener Zeit die Beschäftigung mit dem Mittelalter sehr fern. Aber Rubens, der auf allen Gebieten zu Hause war, hat auch einmal ein großes Turnier gemalt; das Museum des Louvre besitzt dieses durch den hohen Reiz der Landschaft, in welcher das mittelalterliche Schloß mit seinem Wartturm sich erhebt, ausgezeichnete Werk (Abb. 53). Die kaiserliche Sammlung in Wien besitzt zwei überaus sorgfältig ausgeführte Gemälde, welche ihre Vorwürfe aus Ariostos Rasendem Roland und aus Boccaccios Decamerone schöpfen. Rubens’ Vielseitigkeit war eben unbeschränkt. Zu dem Überraschendsten gehört in dieser Hinsicht eine Skizze in der fürstlich Liechtensteinschen Sammlung, welche den Maler der ungestümen Kraft und der Üppigkeit von einer fast sentimentalen Seite zeigt: eine mit verhülltem Antlitz auf einem Schlachtfeld sitzende trauernde Frauengestalt.
Rubens selbst hat sich darüber ausgesprochen, daß ein Auftrag ihm um so mehr Freude mache, je abwechselungsreicher er sei; vor allem aber legte er jetzt Wert darauf, sich in möglichst großem Maßstabe bewegen zu können. Es handelte sich um Bilder, welche der Prinz von Wales von ihm zu haben wünschte. In einem Brief, welchen der Meister hierüber an den englischen Geschäftsträger in Brüssel, William Trumbull, am 13. September 1621 schrieb, sagt er: „Ich wünschte, daß jene Malerei für die Galerie Sr. K. H. des Prinzen von Wales von größeren Verhältnissen wäre, da der Umfang des Bildes uns viel mehr Mut giebt, um gut und der Wahrscheinlichkeit gemäß unseren Gedanken auszudrücken... Ich gestehe, durch natürliche Anlage mehr geeignet zu sein, sehr große Werke zu machen, als kleine Merkwürdigkeiten. Ein jeder hat seine Gabe; meine Begabung ist die, daß niemals eine Aufgabe, möchte sie auch noch so maßlos in Bezug auf Menge und Verschiedenartigkeit der Darstellungen sein, meine Unternehmungslust überstiegen hat.“
Eben im Jahre 1621 wurde ihm ein Auftrag geboten, der an Menge und Verschiedenartigkeit der Darstellungen, wie auch hinsichtlich der Größe der Verhältnisse nichts zu wünschen übrig ließ. Maria von Medici, die Witwe König Heinrichs IV von Frankreich, war, nachdem sie sich mit ihrem Sohne Ludwig XIII versöhnt hatte, nach[S. 71] Paris zurückgekehrt; sie bezog das neuerbaute Palais des Luxembourg und beabsichtigte hier eine große Galerie mit Gemälden zu schmücken, welche ihr eignes Leben schildern sollten. Für diese Aufgabe ward Rubens ausersehen. Vermittler waren der belgische Gesandte in Paris, Baron von Wicq, von welchem Rubens ein treffliches Bildnis hinterlassen hat (im Louvre, Abb. 54) und der Abbé Claude Magis von St. Ambroise. Für diesen letzteren Herrn hat Rubens vielleicht das prächtige Gemälde angefertigt, welches den h. Ambrosius darstellt, wie er zu Mailand dem Kaiser Theodosius den Eintritt in die Kirche verweigert; die Herkunft dieses Bildes, welches jetzt im Rubenssaal des kunsthistorischen Hofmuseums zu Wien neben den großen Altargemälden aus Antwerpen prangt, ist gänzlich unbekannt; aber es ist zweifellos um 1621 entstanden, und die Wahl jenes Heiligen scheint auf den genannten Abbé hinzudeuten, dem Rubens sicherlich sehr dankbar war für die Verschaffung eines so großen Auftrages nach seinem Herzen. Dem Baron von Wicq bezeigte er seinen Dank durch das Geschenk eines Madonnenbildes. Anfang 1622 befand sich Rubens in Paris, um die Sache mit der Königin zu besprechen. Wahrscheinlich malte er bei dieser Gelegenheit das schöne Bildnis derselben, welches sich jetzt im Museum zu Madrid befindet (Abb. 55). Drei Jahre später wurden die Bilder aus ihrem Leben, welche der Meister bis auf zwei in Antwerpen unter Mitwirkung von Schülern malte, an ihrem Platze aufgestellt; die beiden letzten führte er ganz eigenhändig an Ort und Stelle aus, fast in beständiger[S. 72] Gesellschaft der Königin, welche Gefallen daran fand, dem berühmten Mann bei der Arbeit zuzusehen und sich mit ihm zu unterhalten. Der Inhalt der Gemälde ist folgender: 1) die Schicksalsgöttinnen bestimmen den Lebenslauf der toskanischen Fürstentochter; 2) die Geburt der Maria von Medici; 3) ihre Erziehung; 4) Heinrich IV erblickt ihr Bild und beschließt, sich mit ihr zu vermählen; 5) die Trauung durch Prokuration (Abb. 56); 6) die Landung in Frankreich; 7) die Hochzeit; 8) die Geburt Ludwigs XIII; 9) der Aufbruch Heinrichs IV in den deutschen Krieg; 10) Maria empfängt die Königskrone; 11) Apotheose des ermordeten Königs; 12) die Regierung der Königin; 13) ihre kriegerische Reise nach Pont de Cé (Abb. 57); 14) der Austausch der zwei Bräute (der spanischen Infantin Anna von Österreich und der französischen Prinzessin Elisabeth); 15) die Segnungen der Regentschaft Marias; 16) sie übergiebt die Regierung ihrem Sohne Ludwig XIII; 17) sie zieht sich nach Blois zurück; 18) sie entschließt sich, dem Zwist mit ihrem Sohne auf friedlichem Wege ein Ende zu machen; 19) der Friedensschluß (Abb. 58); 20) die Versöhnung zwischen Maria und Ludwig XIII; 21) die Zeit enthüllt die Wahrheit. — Als die Bilderreihe vollendet war — im Sommer 1625 —, fand die Bewunderung keine Grenzen. Heute befinden die Gemälde sich nicht mehr im Luxembourg-Palast, sondern im Museum des Louvre; die Skizzen zu denselben, mit Ausnahme von dreien, besitzt die Münchener Pinakothek. Wenn heutzutage häufig ein tadelndes Urteil über dieses große Hauptwerk des Meisters ausgesprochen wird, weil in demselben Wirkliches und Unwirkliches, Geschichtliches, Mythologisches und Sinnbildliches, Christliches und Heidnisches bunt durcheinander gemengt erscheint, so ist das ein großes Unrecht. In jener Zeit wäre es gar nicht denkbar gewesen, daß das Leben einer Königin anders, als mit allegorischer Umkleidung und mit dem Aufgebot aller Götter und Göttinnen des Olymps künstlerisch verherrlicht würde. Eine realistische Auffassung, wie sie unserer Zeit vielleicht als die einzig berechtigte erscheint, würde von jener Zeit bedingungslos als kalt, langweilig, abgeschmackt verworfen worden sein. Auch hätten die nüchternen Thatsachen aus dem Leben der Maria von Medici bis zu dem Tage, wo sie sich mit ihrem Sohne wieder versöhnte, selbst einem Rubens wohl schwerlich hinreichende Anregung gegeben, um eine ganze lange Galerie mit lebensgroßen Gemälden in einigermaßen erträglicher Abwechselung zu beleben.
Wenn irgendwo, so war es bei der Schaffung der Medici-Galerie dem Meister gestattet und geboten, dem Reichtum seiner Einbildungskraft freies Spiel zu lassen und an und für sich reizlosen Begebnissen aus der Gegenwart dadurch ein Recht auf monumentale künstlerische Festhaltung zu verleihen, daß er sie in olympische Höhen entrückte. Man darf ja vielleicht zugeben, daß die ausgeklügelten Allegorien sich hier und da allzu deutlich als das Erzeugnis kalter Verstandesarbeit erkennen lassen: der Mehrzahl nach sind sie doch von dem warmen Leben, das des Künstlers Schöpferkraft auch den spröderen Stoffen einzuhauchen wußte, beseelt; wenn die Götter und Göttinnen bisweilen kaum eine andere Rolle spielen mögen, als die von ungewöhnlich leicht gekleideten Theaterstatisten, so entschädigen sie den Beschauer dafür durch den malerischen Reiz ihrer gesunden, blühenden Leiber. Als prächtige Verkörperungen des Rubensschen Frauenideals erscheinen die Schicksalsgöttinnen, welche den Lebensfaden der Prinzessin Maria spinnen, oder die Seejungfrauen, welche das Schiff begleiten, auf dem die königliche Braut nach Frankreich fährt. Das Bild der Landung in Frankreich ist übrigens, wenn wir von der allerdings viel Raum in Anspruch nehmenden Beigabe des Meergottes und seines Gefolges absehen, fast als eine wahrheitsgetreue Darstellung zu bezeichnen, denn so prunkvoll war das Schiff in Wirklichkeit ausgestattet. Noch vollständiger zeigt sich die Darstellung, wie Maria durch Prokuration getraut wird — der alte Erzherzog Ferdinand trat als Stellvertreter des Königs mit ihr vor den Altar — als ein Wirklichkeitsbild, in dem sich ein sprechendes Bildnis an das andere reiht; hier hätte es Rubens vom künstlerischen Standpunkt aus sicherlich nichts verschlagen, wenn er als Schleppträger der Braut einen jungen Pagen hingemalt hätte, aber dem Sinne der Zeit entsprach es besser, daß ein nackter Liebesgott dieses Amt übernimmt (Abb. 56). Meistens verschwinden die wirklichen Hauptpersonen fast hinter den[S. 73] mythologischen und sinnbildlichen Gestalten, oder sie treten auch wohl selbst in der Rolle — oder man könnte besser sagen in der Verkleidung — von Göttern auf, wie in dem Bilde, welches die Hochzeit darstellt, und welches das Königspaar als Jupiter und Juno im Olymp thronend zeigt, während eine Stadtgöttin auf einem mit Löwen bespannten Wagen den irdischen Schauplatz des Vorgangs, die Stadt Lyon, andeutet. Wenn wir sehen, wie der Tod Heinrichs IV dadurch verbildlicht wird, daß der König auf einem Adler zu den olympischen Höhen reitet, so brauchen wir uns nicht darüber zu verwundern, daß Maria von Medici in dem Gemälde, welches ihre Reise nach Pont de Cé darstellt, als eine Art von Minerva zu Rosse sitzt (Abb. 57). Zu dem Helm der Göttin paßt auf dem letztgenannten Bilde das idealisierte Gesicht. Sonst aber erscheint die Königin überall durchaus bildnismäßig, vom schmeichelnden Reiz der Jugend umkleidet in den Darstellungen aus ihrer früheren Lebenszeit, und als gereifte Frau in denjenigen aus den letztvergangenen Jahren. Mitunter verleiht gerade diese realistische Erscheinung des einen Kopfes demselben ein Übergewicht über die umgebenden Idealgestalten, welches keinen Zweifel darüber läßt, daß dieses die Hauptperson ist, mögen jene anderen auch noch so viel Raum beanspruchen; so bei dem Bilde des Friedensschlusses, wo die Königin, von Gottheiten, gegen welche die Unholde des Neides, des Hasses und der Zwietracht vergeblich anstürmen, geleitet, den Friedenstempel betritt (Abb. 58). Vieles ist, wie es bei Allegorien stets nahe liegt, recht äußerlich aufgefaßt; andererseits aber fehlt es auch nicht an Zügen, welche von tiefer Beobachtung des Seelenlebens eingegeben sind; wie der König zum erstenmal das Bild seiner Braut betrachtet, wie die Königin mit Mutterlust sich in den Anblick ihres Neugeborenen vertieft, und wie sie bei der Aussöhnung mit ihrem Sohne mit verweinten Augen lächelt, das sind solche Züge feiner Beobachtung und wirklicher Empfindung. Das ganze Werk ist ein Gedanke so recht aus dem Geiste jener Zeit und eine Schöpfung, in welcher die Kunst des Malerfürsten jener Zeit sich aufs glänzendste bethätigt hat. Welches Maß von Befriedigung Maria von Medici über Rubens’ Schöpfung empfand, mag man daraus entnehmen, daß sie bei ihm nach Schluß der Arbeit zur weiteren Ausschmückung der Galerie noch vier Bildnisse bestellte, von denen das eine sie selbst im Gewande einer Minerva, zwei ihre Eltern, den Großherzog und die Großherzogin von Toskana, das vierte aber den Künstler vorstellen sollte. — Beiläufig mag noch die hübsche Anekdote Erwähnung finden, daß die Königin einmal im Beisein Rubens’ ihren ganzen weiblichen Hofstaat um sich versammelte, lediglich zu dem Zweck, von dem Maler später ein Urteil über die Schönheit ihrer Damen zu hören; es wird auch der Name der Frau überliefert, welche in den Augen des großen Kenners den Preis der Schönheit davon trug; es war die Herzogin von Guéménée. — Die Königin hätte den gefeierten Künstler gern an Paris gefesselt. Aber Rubens war, wie er im Mai 1625 an einen Freund schrieb, „dieses Hofes müde“; zudem verstimmte es ihn, daß die Königin mit der Bezahlung für das große Unternehmen zögerte und daß sie keine Miene machte, ihn für die wiederholten Reisen nach Paris und für den kostspieligen Aufenthalt daselbst zu entschädigen. So kehrte er denn bald nach Vollendung der Galerie nach Antwerpen zurück.
Es ist ein nach Paris gerichteter Brief von Rubens vorhanden — ohne Datum, und man weiß daher nicht, ob er sich auf die erste Reise nach Paris bezieht oder auf diejenige, welche der Meister zur Vollendung der Bilder unternahm, oder aber auf einen zwischendurch im Sommer 1623 dort genommenen Aufenthalt —, worin er bittet, man möge im voraus die Schwestern Capaio und deren Nichte Louise für ihn in Bereitschaft halten, damit er nach ihnen lebensgroße Studien zu den Seejungfrauen malen könne, welche das Schiff der Königin bei dem Bilde der Landung in Frankreich begleiten. Er fände nicht leicht irgendwo anders so prächtiges schwarzes Haar, fügt er hinzu; bei der Ausführung indessen hat er doch wieder sein geliebtes Blond jenem prächtigen Schwarz vorgezogen. Es berührt uns beinah befremdlich, daß ein Meister, der mit einer so umfassenden Kenntnis die Welt der Formen beherrschte und der sicherlich fast alles aus dem Kopfe malte, es überhaupt noch für nötig erachtete, sich um Modelle zu bemühen. Aber unter den Hand[S. 74]zeichnungen, welche die verschiedenen Sammlungen, namentlich die Albertina, von ihm aufbewahren, befindet sich manches hübsche Blatt, welches beweist, daß er die Formen der Wirklichkeit gelegentlich durch fleißiges und sorgfältiges Nachzeichnen studierte (Abb. 59); am zahlreichsten sind unter den Studienblättern die Köpfe (Abb. 61 u. 62). Auch eine Anzahl von Bildnisköpfen befindet sich unter den aufbewahrten Handzeichnungen des Meisters; dieselben sind zum Teil wohl Vorzeichnungen für Bildnisse, die er zu malen beabsichtigte, ohne von der betreffenden Persönlichkeit eine lange Sitzung zu verlangen; zum Teil mag er sie auch wohl nur für sich selbst zur Erinnerung an jene Personen in sein Skizzenbuch eingetragen haben. Als Beispiele mögen der Kopf einer jungen Hofdame der Erzherzogin Isabella, aus Rubens’ früherer Zeit, und der Kopf eines französischen Marquis — der beigeschriebene Name ist unleserlich —, aus der Zeit des längeren Aufenthaltes in Paris, dienen (Abb. 63 und 64). Das Gemälde, zu welchem die erstere dieser beiden Zeichnungen gedient hat, befindet sich in der Ermitage zu Petersburg; es bekundet, obgleich es unfertig als Untermalung stehen geblieben ist, auf das sprechendste, welche Steigerung an Reiz und Leben der große Meister der Farbe erreichte, sobald er den Stift mit dem Pinsel vertauschte (Abb. 65).
Die Bildnismalerei war für Rubens zu allen Zeiten das vorzüglichste Mittel, sich an der ungetrübten Quelle der Natur zu erfrischen. Bei anspruchsloseren Aufgaben dieser Art legte er sozusagen sein überschäumendes Genie beiseite, und mit derselben[S. 75] künstlerischen Lust, mit welcher er sonst seiner schrankenlosen Einbildungskraft die Zügel schießen ließ, gab er sich einem einfachen und aufrichtigen Realismus hin. Aus allen Zeiten seiner Künstlerlaufbahn sind Bildnisse von Persönlichkeiten vorhanden, deren Namen vergessen sind, die eben nur als Bildnisse noch leben; und gerade in diesen Werken hat Rubens uns bewiesen, wie treu und ehrlich er, wenn er wollte, die Wirklichkeit, wie sie sich ihm bot, ohne jeden Nebengedanken nachzubilden vermochte (Abb. 66–69, 72). Einige Frauenbildnisse, bei denen die Namen der Urbilder bekannt sind, besitzen von jeher einen besonderen Ruhm. Da ist im Museum zu Brüssel Jakelyne de Caestre, die bleiche Gattin eines derben Landedelmannes (gemalt im Jahre 1618); im Museum des Louvre eine junge Dame aus der Familie Boonen, die mit ihren unergründlichen dunklen Augen den Beschauer festhält (Abb. 60); in der Londoner National-Galerie zeigt das hochgefeierte Bildnis aus des Meisters späterer Zeit, welches unter dem Namen „le chapeau de paille“ — mißverstanden aus chapeau de poil — bekannt ist, unter dem Schatten eines breitkrämpigen schwarzen Filzhuts die feinen Züge und die glühenden Augen eines Fräulein Lunden aus Antwerpen, welches die geschäftige Sage zu einer Geliebten des Meisters stempeln will. — Von sehr kunstverständiger Seite ist die Behauptung ausgesprochen worden, die Bildnismalerei sei die schwächste Seite von Rubens’ Kunst; es wird dem Meister zum Vorwurf gemacht, daß er nur das Äußere der von ihm abgemalten Personen aufgefaßt habe, daß seine Bild[S. 76]nisse — gleichwie die Photographie — nur das Zufällige der gerade im Augenblick des Sitzens sich darbietenden Erscheinung wiedergeben, ohne in das innere Wesen des Menschen einzudringen, daß ihnen somit dasjenige fehle, wodurch ein Bildnis erst zum Kunstwerk wird. Das mag bei manchen Rubensschen Porträts zutreffen, in allgemeiner Fassung aber ist ein solches Urteil sicherlich unbegründet. Man braucht nur — um unter vielen Beispielen eins herauszugreifen — das etwa um das Jahr 1624 entstandene Bildnis von Rubens’ gelehrtem Freund Dr. van Thulden, in der Münchener Pinakothek, anzusehen, um sich zu überzeugen, daß der Meister es sehr wohl verstand, einen ganzen Menschen mit Leib und Seele im Bilde der Nachwelt zu überliefern (Abb. 73). Unter den Bildnissen geschichtlicher Persönlichkeiten ist aus der Zeit von 1621–1625 dasjenige des großen spanischen Feldherrn Ambrosius Spinola zu nennen. Spinola war mit Rubens persönlich befreundet, obgleich er, wie der letztere einmal einem Bekannten schrieb, in Kunstsachen „nicht mehr Geschmack und Verständnis als ein gewöhnlicher Bedienter“ zeigte. Das Bild des Marquis Spinola befindet sich in der Gemäldesammlung zu Braunschweig, die außerdem von der Hand des Meisters das treffliche Bild eines Unbekannten und eine aus seiner Jugendzeit stammende Judith mit dem Haupt des Holofernes besitzt.
Die Gemäldegalerie zu Kassel enthält ein sehr auffallendes prächtiges Bildnis in ganzer Figur, gegen das Jahr 1624 ganz eigenhändig von Rubens gemalt. Es ist ein breitbeinig dastehender, beleibter Mann mit gewöhnlichen Zügen und groben Händen, in reicher morgenländischer Kleidung (Abb. 74); sicherlich kein Türke, sondern vielmehr ein in der Levante ansässiger christlicher Handelsmann, der das Bild für seine Angehörigen in der Heimat malen lassen mochte. Woher der Mann kam, darüber enthält das Gemälde selbst eine Andeutung, indem an dem Griff eines im Hintergrunde lehnenden Palmenwedels das aus der Zeit der sogenannten lateinischen Herrschaft stammende christliche Stadtwappen von Konstantinopel (auf der kleinen Abbildung nicht mehr sichtbar) angebracht ist.
Rubens hat die stattliche fremdartige Erscheinung dieses Mannes verwertet, indem er dieselbe zu der Gestalt des Mohrenkönigs[S. 79] benutzte in einem für die Abtei St. Michael gemalten Altarbild, welches die Anbetung der drei Weisen darstellt. Dieses jetzt im Museum zu Antwerpen befindliche Gemälde, welches der Meister im Jahre 1624 in dreizehn Tagen gemalt haben soll — bei einer Breite von ungefähr 3 und einer Höhe von 5 Meter — mag hinter manchen unter den zahlreichen Darstellungen des nämlichen Gegenstandes, welche Rubens geschaffen hat, in Bezug auf die Gesamtanordnung sowie auf Schönheit und Ausdruck des Einzelnen zurücktreten: unübertroffen bleibt es hinsichtlich des fesselnden Reizes eines geheimnisvollen Farbenzaubers.
Die Zeit von 1620 bis 1625 ist vielleicht der glänzendste und fruchtbarste Abschnitt in Rubens’ thatenreicher Künstlerlaufbahn. Neben der Fülle von Arbeit, welche die beiden großen Unternehmungen, die Ausmalung der Jesuitenkirche zu Antwerpen und die Anfertigung der Medici-Galerie, ihm boten, und neben den sonstigen größeren und kleineren Aufträgen, blieb dem unermüdlichen Meister immer noch Zeit, Bilder nach freier Wahl zu malen. Von den Gemälden mythologischen Inhaltes — den Parisurteilen, Entführungen, Venus- und Grazienbildern, Dianen und Satyrn und was sonst noch ihr Gegenstand sein mag — scheint eine ganze Menge dieser Zeit anzugehören. Daß Rubens, wenn er sozusagen zu seiner Erholung malte, mit Vorliebe Stoffe aus der antiken Göttersage wählte, ist leicht erklärlich, indem er hier am meisten Gelegenheit fand, Fleisch zu malen. Doch gab ihm gelegentlich auch die Geschichte des Altertums Stoffe, die ihn anregten. So finden wir in Paris eine Darstellung der Scythenkönigin Tomyris, die das Haupt des Cyrus in Blut tauchen läßt, ein farbenprächtiges Gemälde, das an seinem Ehrenplatz im Salon carré des Louvre mit dem daneben hängenden Meisterwerk des Paul Veronese, die Hochzeit zu Kana, erfolgreich wetteifert; in München einen Tod des Seneca, ein dem Gegenstand entsprechend düster gestimmtes Bild; in der Sammlung der Königin von England im Buckingham-Palast einen im Kreise seiner Schüler lehrenden Pythagoras. — Ein Gebiet, auf dem er sich in jüngeren Jahren nicht versucht zu haben scheint, betrat Rubens, indem er Bilder malte, bei denen die Landschaft die Hauptsache, die Figuren nur Staffage waren. In einem Verzeichnis aus dem Jahre 1625 finden sich zum erstenmal derartige Werke erwähnt, darunter zwei, welche gegenwärtig die königliche Sammlung zu Windsor besitzt. Das eine derselben stellt den[S. 80] Winter vor; die weite Flur ist mit Schnee bedeckt, im Vordergrunde haben sich arme Leute unter einem Schutzdach um ein Feuer versammelt; das dunkle Holz der Hütte und der weiße Schnee, der rote Feuerschein und das kalte Licht des Wintertages bilden die wirkungsvollen Gegensätze, aus denen der Meister ein sprechendes Stimmungsbild gewirkt hat. Das andere führt uns einen sonnigen Sommertag vor Augen; die in eine weite Ferne hinein sich vertiefende Landschaft ist im Vordergrunde von vielen Figuren belebt, Bauersleuten, die mit Reittieren und Karren zu Markte ziehen. Die beiden meisterlichen Gemälde gehören zu einer Folge der vier Jahreszeiten; das gleich vortreffliche Bild des Herbstes, eine groß gedachte Morgenstimmung, befindet sich in der Nationalgalerie zu London, dasjenige des Frühlings wird in einer Londoner Privatsammlung bewahrt.
Mit der Jahreszahl 1625 bezeichnet ist ein kostbares Gemälde im Louvre, welches den Auszug Loths aus Sodom darstellt. Von dem Hintergrunde dunkelgrauer, gelb durchleuchteter Wolken, von denen aus Dämonen das Feuer in die Stadt schleudern, hebt sich in echt Rubensscher Farbenfülle der Zug der Flüchtlinge ab, die eben das Stadtthor verlassen; voran, von einem Engel, der zur Eile aufzufordern scheint, geleitet, der mit schwerem Entschlusse vorwärtsschreitende Patriarch, hinter ihm seine jammernde Frau, halb geschoben von einem braun-lockigen Engel, dessen jugendliche Anmut zu den furchigen Zügen der Alten in wirkungsvollem Gegensatze steht, zuletzt die beiden Töchter, von denen die eine einen beladenen Esel am Zügel führt, während die andere, eine blühend schöne Gestalt, einen Korb mit Früchten auf dem Kopfe trägt. Ein mit gleicher Sorgfalt ausgeführtes Gemälde in der Ermitage zu Petersburg, die Verstoßung Hagars durch Abraham, wird als das Gegenstück zu diesem Bilde angesehen. — Um dieselbe Zeit scheint das schöne, wirkungsvolle Gemälde des Berliner Museums: die Auferweckung des Lazarus, entstanden zu sein. — Auch das noch an seinem ursprünglichen Platz in einer Kapelle der Kathedrale St. Bavo zu Gent befindliche Altargemälde gehört wahrscheinlich der Zeit kurz vor oder nach der Vollendung der Medici-Galerie an. Es besteht aus zwei Bildern übereinander. In dem oberen Abschnitt sehen wir den heiligen Bavo, der aus dem Kriegerstand zum Mönchsleben überging, wie er in voller Rüstung an der Kirchenpforte knieend von einem Priester[S. 81] empfangen wird. In der Hauptdarstellung unten ist geschildert, wie der Heilige all seine reiche Habe unter die Armen verteilt; schöne Frauen, die zur Seite stehen, schicken sich an, seinem Beispiel zu folgen. Wenn von dem Bilde gesagt wird, daß es seiner ganzen Stimmung nach mehr geeignet sei, die Liebe zum Aufwand zu erwecken, als dem heiligen Bavo Nachfolger zu verschaffen, so ist das bei einer Rubensschen Schöpfung nicht zu verwundern. Wir dürfen dabei aber auch nicht vergessen, daß die ganze vom Jesuitenorden ausgehende kirchliche Richtung jener Zeit der Entfaltung von Prunk und glanzvoller Äußerlichkeit zugethan war.
Mit eben dem Jahre 1625, in welchem wir den Meister eine so reiche Thätigkeit entfalten sehen, schloß für ihn die Zeit, in welcher es ihm vergönnt war, ungestört seiner Kunst zu leben; es begann der Abschnitt seines Lebens, in dem er, nach seinem eigenen Ausdruck, im Dienst der Fürsten beständig den Fuß im Steigbügel hatte.
Anscheinend hatte sich Rubens im Jahre 1623 zum erstenmal auf das Gebiet der Politik begeben. Wenigstens verhandelte er damals mit einem Verwandten, der in Holland eine angesehene Stellung bekleidete, über die Möglichkeit, die nördlichen Niederlande zur Erneuerung des abgelaufenen Waffenstillstandes mit Spanien zu bewegen. In einem Briefe des englischen Geschäftsträgers in Brüssel, William Trumbull, vom 13. Oktober 1624 kommt eine Stelle vor, welche bekundet, daß die maßgebenden Persönlichkeiten diesen Bemühungen des vielbegabten Mannes volles Gewicht beimaßen: „Zuerst will ich von einer geheimen Friedens- und Waffenstillstandsunterhandlung sprechen; geleitet durch Peter Paul Rubens, den berühmten Maler; zwischen den vereinigten Provinzen und denen, die jetzt unter des Königs von Spanien Botmäßigkeit stehen. Ein Beweis, nach meiner bescheidenen Ansicht, daß, obgleich sie (die Spanier) sich um Breda (die von den Holländern mit großer Zähigkeit verteidigte Festung) bewerben und es schon so gut wie gewonnen ansehen, sie des Krieges müde sind und zufrieden wären die Waffen abzulegen... Darum ist der Marquis Spinola fest entschlossen, entweder Breda[S. 82] zu gewinnen oder in den Laufgräben davor seinen Leichnam und seine Ehre zu begraben.“ — Selbstredend muß man annehmen, daß Rubens derartige Verhandlungen nicht auf eigene Faust leitete, sondern daß er im Auftrage der Infantin handelte. Es erscheint befremdlich, daß die Fürstin den Maler mit solchen Geschäften betraute. Aber Rubens war nicht nur als Künstler, sondern auch in vielen anderen Beziehungen eine ungewöhnlich begabte Natur; er besaß eine ausgezeichnete Bildung, war redegewandt und klug, aufrichtig und liebenswürdig und bei allem gerechten Selbstbewußtsein bescheiden; er sah die Dinge von einem großen Standpunkte aus an, und mit der ruhigen Sicherheit des Blickes verband er eine unerschütterliche Festigkeit des Willens. So weit sein Künstlerruhm drang, so weit stand auch seine Persönlichkeit in Ansehen. Dieser Thatsache gab Philipp IV von Spanien Ausdruck, indem er am 5. Juni 1624 eine Urkunde ausstellte, durch welche er Rubens — anscheinend auf dessen Ansuchen — für sich und seine rechtmäßigen Nachkommen in den Adelstand erhob, „in Anbetracht des großen Ruhms, welchen er verdient und erlangt hat durch die Vortrefflichkeit der Malerkunst und seltene Erfahrung in derselben, wie auch durch die Kenntnis, welche er in der Geschichte und in Sprachen hat, und andere schöne Eigenschaften und Begabungen, welche er besitzt und welche ihn der königlichen Gunst würdig machen“ —;[S. 83] das Wappen, welches Rubens fortan sollte führen dürfen, wird in der Urkunde folgendermaßen festgesetzt: „Quergeteilter Schild, oben Gold mit einem schwarzen Jagdhorn und zwei fünfblätterigen Rosen mit heraustretenden goldenen Ecken, unten blau mit einer goldenen Lilie; offener gegitterter Helm, mit Gold und Silber verziert, und als Helmschmuck ebenfalls eine goldene Lilie.“
Die Anregung, sich mehr als bloß gelegentlich und nebenbei mit den verschlungenen Fäden der damaligen Staatskunst zu befassen, empfing Rubens am Hofe der Maria von Medici, durch die Bekanntschaft, welche er dort mit dem Herzog von Buckingham machte. Dieser ränkesüchtige Günstling des jungen Königs Karl I von England, den er ebenso wie zuvor dessen Vater Jakob I vollständig beherrschte, kam im April 1625 nach Paris, um wegen der bevorstehenden Hochzeit seines königlichen Herrn mit der Prinzessin Marie Henriette von Frankreich die näheren Vereinbarungen zu treffen. In seinem Gefolge befand sich ein gewisser Gerbier, der sein Vertrauensmann war; von Beruf ursprünglich Maler, hatte derselbe sich im Dienste des Herzogs zu einem gewandten Vermittler diplomatischer Geschäfte ausgebildet.
Alsbald nachdem Buckingham den gefeierten belgischen Maler kennen gelernt hatte, gegen den er dauernd eine große Zuvorkommenheit und Gefälligkeit an den Tag legte, ließ er sich von demselben[S. 84] porträtieren. Rubens schuf ein stolzes Reiterbildnis; für dieses, das sich jetzt im Palast Pitti zu Florenz befindet, und wahrscheinlich noch ein zweites Bildnis des Herzogs empfing der Meister von diesem ein Geschenk von Silbergeschirr im Werte von 2000 Kronen. Für sich selbst bewahrte Rubens die Züge des Herzogs, der als schöner Mann bewundert wurde und sich dessen sehr bewußt war, in einer lebensvoll sprechenden Zeichnung auf, welche sich zu Wien in der Handzeichnungensammlung der Albertina befindet (Abb. 75).
Während Rubens damit beschäftigt war, den Herzog von Buckingham zu malen, trat er in Unterhandlungen mit Gerbier und machte demselben Vorschläge, welche auf die Erhaltung des Friedens für seine Heimat hinzielten. Eine Stelle aus dem erhaltenen Bericht über diese Besprechungen mag dazu dienen, Rubens’ Standpunkt zu kennzeichnen. „Der Herr Rubens,“ sagt der Verfasser des Berichtes, anscheinend Gerbier selbst, „hatte in der Unterhaltung mit dem Herzog einen löblichen Eifer für die Sache des Christentums (d. h. für die katholische Sache) wahrgenommen. Nach seiner Abreise von Frankreich und dem Bruch zwischen Spanien und England schrieb er häufig an Gerbier, wobei er den gegenwärtigen Stand der Dinge höchlich bedauerte, das goldene Zeitalter wieder herzustellen wünschte und Gerbier beschwor, er möge den Herzog von Buckingham von dem großen Bedauern der Infantin über den gegenwärtigen Stand der Dinge in Kenntnis setzen. Er legte dar, daß Ihre Hoheit nicht darunter leiden dürfe, da sie doch nichts anderes wünsche als ein gutes[S. 85] Einvernehmen, was sie für ganz vernunftgemäß halte, da sie weder Partei für einen der Streitenden genommen noch auch zu deren Zerwürfnis beigetragen habe. Daß, wenn der König von Groß-Britannien eine Absicht habe, die Wiedereinsetzung des Pfalzgrafen (Friedrich V, des flüchtigen Böhmenkönigs, dessen Gemahlin eine Schwester Karls I war) zu verlangen, er sich an den Kaiser halten müsse und an den König von Spanien, der voraussetzlich die Macht dazu besäße; daß aber mindestens das gute Einvernehmen, welches bisher zwischen England und der Infantin bestanden habe, aufrecht erhalten und auf eine eigene Grundlage gestellt werden solle, denn zwischen ihnen gäbe es keine streitigen Punkte.“
In den nächsten Jahren finden wir Rubens ganz im Dienste der Politik; im Auftrage der Infantin und des Marquis Spinola tauscht er mit Gerbier und gelegentlich auch mit Buckingham selbst einen lebhaften Schriftenwechsel aus, um auf eine allgemeine Waffenruhe zwischen dem König von Spanien, den Königen von England und von Dänemark und den niederländischen Generalstaaten hinzuwirken. Auf die Dauer ließ sich nicht alles schriftlich erledigen, und Rubens mußte zum Zwecke mündlicher Besprechungen sich bald nach diesem, bald nach jenem Orte begeben. Das unruhige Leben des Staatsmannes mochte ihm willkommen sein; denn es war inzwischen ein Ereignis eingetreten, welches ihm das zeitweilige Verlassen von Haus und Werkstatt erwünscht machte, da beides ihm verödet vorkam.
Im Sommer 1626 starb Rubens’ Gattin. Was sie dem Meister war, geht am besten[S. 86] aus seinen eigenen Worten hervor, die er am 15. Juli jenes Jahres in einem Briefe niederschrieb. „Wahrlich,“ sagt er, „ich habe eine ausgezeichnete Gefährtin verloren; man konnte, was sage ich, man mußte sie mit Recht lieben, denn sie hatte keinen der Fehler ihres Geschlechts; keine verdrießliche Laune, keine jener weiblichen Schwächen, sondern nichts als Güte und Schicklichkeitsgefühl; ihre Tugenden machten sie bei ihren Lebzeiten jedermann lieb, nach ihrem Tode verursachten sie allgemeine Betrübnis. Ein solcher Verlust erscheint mir gar empfindlich, und da das einzige Mittel für alle Übel das Vergessen ist, welches die Zeit mit sich bringt, so muß ich zweifellos davon meine einzige Hilfe erhoffen. Aber wie schwer wird es mir werden, den Schmerz, den ihr Verlust mir verursacht, von dem Andenken zu trennen, das ich mein Lebenlang dieser geliebten und verehrten Frau bewahren muß. Eine Reise würde mir vielleicht gelegen sein, um mich von so vielen Gegenständen zu entfernen, welche unablässig meinen Schmerz erneuern, ‚wie jene (Dido in Vergils Äneis) einsam klagt im verlassenen Haus und an Dinge sich brütend hängt, die ringsum als Erinnerungszeichen geblieben.‘ Die wechselnden Bilder, welche sich den Augen auf einer Reise darbieten, beschäftigen die Einbildungskraft und besänftigen das Weh des Herzens. Freilich ist es wahr, ‚daß ich in meines Ich Gesellschaft wandern und mich selbst mit mir herumtragen werde‘“....
Die kaiserliche Ermitage zu Petersburg bewahrt ein herrliches großes Bild von Isabella Brant aus ihren letzten Lebensjahren. Sie sitzt in vornehmer reicher Kleidung, in Brokatmieder und golddurchwirktem roten Rock, auf einem roten Sessel; in der einen Hand hält sie eine weiße Rose, in der anderen einen Fächer von Pfauenfedern. Ihre Züge sind etwas welk geworden, aber ihre frische Farbe läßt noch keine Spur von Kränklichkeit ahnen; die Augen leuchten so lebhaft, wie auf ihren frühen Jugendbildern, und die Lippen scheinen allezeit zu einem freundlichen Lächeln bereit. Im Hintergrund des Bildnisses hat Rubens ein Stück von den Bauten abgemalt, womit er seinen Garten geschmückt hatte (Abb. 76).
Rubens ließ seine Gattin in der St. Michaeliskirche in der nämlichen Gruft bestatten, welche die Asche seiner Mutter barg.
Von allen Erinnerungszeichen, welche Frau Isabella in dem verödeten Hause zurückließ, waren die besten ihre beiden prächtigen Knaben, — das Töchterchen war früh ge[S. 87]storben. Eine der schönsten Schöpfungen des Meisters ist das Doppelbildnis, in welchem er seine beiden Söhne in ganzer Gestalt abgemalt hat; nach dem Alter der Dargestellten muß das Werk ganz kurze Zeit nach dem Tode Isabellas entstanden sein. Wenn sonst gerade jetzt die Zeit des vielbeschäftigten Meisters dermaßen in Anspruch genommen war, daß er bei der Ausführung seiner Schöpfungen, mehr aus Notwendigkeit als aus freiem Willen, seine eigenhändige Arbeit auf das Allerunentbehrlichste — und manchmal selbst auf weniger als dies — beschränkte, so hat er sich bei diesem Bilde, ebenso wie bei demjenigen seiner Frau, die Zeit genommen und hat dasselbe vom ersten bis zum letzten Strich mit all der künstlerischen Liebe, deren er fähig war, gemalt, und die Liebe zu den Seinigen hat er mit hineingemalt. Es hat sogar den Anschein, als ob er das Doppelbildnis seiner Söhne zweimal mit eigener Hand ausgeführt habe; das Gemälde ist in zwei Exemplaren vorhanden, und wenn auch dasjenige, welches sich in der Liechtensteinschen Sammlung befindet, einen größeren Reiz der Vollendung aufweist, so ist doch auch jenes, welches die Dresdener Galerie besitzt, so vollkommen, daß es schwer wird, an dessen eigenhändiger Ausführung durch Rubens zu zweifeln. Albert, der ältere Knabe, ganz schwarz gekleidet, lehnt an einem Pfeiler, im rechten Arm hält er ein Buch, das Zeichen seiner Lernbegierde, durch welche er sich frühzeitig solche Kenntnisse erwarb, daß er schon im Alter von sechzehn Jahren vom König von Spanien zu einem hohen Amte vorausbestimmt wurde; die Linke, welche den ausgezogenen Handschuh lose gefaßt hält, legt er leicht um die Schulter des Bruders; dieser, der hellfarbige Kleider trägt, ist noch ganz ein sorgloses Kind; all seine Aufmerksamkeit gilt seinem Spielzeug, einem gefesselten Distelfinken. Das Bild gehört zu den höchsten Meisterwerken der Bildnismalerei, die es giebt; die beiden Knaben leben vor uns, und der künstlerische Reiz der Licht- und Farbenwirkung findet nicht in manchem Werke seinesgleichen (Titelbild und Abb. 77).
Im Herbst 1625 hatte Buckingham, als er im Auftrage Karls I
wegen Unterhandlungen mit den Vereinigten Provinzen nach den
Niederlanden reiste, in Antwerpen Rubens’ prächtige Kunstsammlung
gesehen und hatte sein lebhaftes Verlangen[S. 88]
[S. 89]
[S. 90] ausgesprochen, dieselbe
zu erwerben. Damals weigerte sich Rubens, sich von seinen Schätzen zu
trennen. Jetzt aber, da sein Haus doch des besten Reizes beraubt war,
gab er dem Drängen des Herzogs nach und gestattete dem Abgesandten
desselben, einem gewissen Le Blond, unter den marmornen, alabasternen,
bronzenen und elfenbeinernen Bildwerken, welche teils der Kunst des
Altertums, teils derjenigen der italienischen Renaissance angehörten,
unter den geschnittenen Edelsteinen und unter den Gemälden von
Lionardo, Raffael, Tizian, Palma Vecchio, Tintoretto, Bassano, Paul
Veronese und von Rubens selbst, Gegenstände im Wert von 100000 Gulden
auszusuchen, unter der Bedingung, daß von den plastischen Sachen auf
Kosten des Käufers Gipsabgüsse angefertigt würden, um die leeren Plätze
zu füllen. So kam im Herbst 1627 der größte Teil der Rubensschen
Kunstsammlung nach England. Die Kunstwerke wurden wieder zerstreut, als
im Jahre 1649 Buckinghams Vermögen eingezogen wurde; von den Gemälden
kam ein großer Teil nach Antwerpen zum Verkauf, wo sie vom Erzherzog
Leopold von Österreich erworben wurden; diese bilden jetzt einen
Bestandteil des kaiserlichen Hofmuseums in Wien.
Buckinghams Kunstliebhaberei gab Rubens einen Vorwand, um ohne Aufsehen eine Reise nach Holland zu unternehmen, deren eigentlicher Zweck ein rein politischer war. Die Vollendung des „schönen Meisterwerks,“ wie er in einem Schreiben an den Herzog von Buckingham die Aussöhnung zwischen Spanien und England nannte, lag ihm aufrichtig am Herzen. Nach einer Zusammenkunft in Brüssel mit dem Abbate della Scaglia, dem Gesandten des Herzogs von Savoyen, schrieb er im Mai 1627 an Gerbier einen langen Brief, in welchem er die Eigennamen durch Ziffern gab, und den er niemand anders als dem Herzog von Buckingham mitzuteilen, dann aber sofort zu verbrennen bat, des Inhalts, daß er von einer mündlichen Besprechung mit Gerbier, Scaglia und Lord Carleton, der eben zum außerordentlichen Gesandten Englands in den Vereinigten Provinzen bestimmt worden war, das Beste erhoffe; darum bat er, ihm einen Paß nach Holland zu verschaffen. In der That kam Gerbier mit Carleton zugleich nach dem Haag; und Rubens erhielt noch vor Ende[S. 91] Mai einen Paß, wonach er mit Dienerschaft und Gepäckwagen unbehindert nach Holland kommen durfte zu dem Zwecke, mit Gerbier über Ankäufe von Bildern und sonstigen Kunstwerken für dessen Herrn, den Herzog zu verhandeln. Aus Gründen, welche Rubens in seinen Briefen nicht mitteilt, wünschte die Infantin, daß er zunächst nicht über Zevenberghen in Nordbrabant hinausgehe. Carleton aber fürchtete, daß eine Zusammenkunft zwischen Gerbier und Rubens in der kleinen Grenzstadt zu großes Aufsehen erregen würde, und daß der politische Zweck derselben nicht verborgen bleiben könnte. Darum reiste Rubens zunächst nach Brüssel zurück, um sich von der Erzherzogin die Erlaubnis zu weiterer Ausdehnung der Reise zu holen. Doch vermied er es auch dann, nach dem Haag zu gehen. Der savoyische Gesandte suchte ihn in Delft auf, der englische Gesandte dagegen fürchtete das Gerede, welches daraus entstehen würde, wenn er gleichfalls einen solchen Ausflug unternähme. Aber Gerbier reiste jetzt längere Zeit mit Rubens von einer holländischen Stadt zur anderen; hinter Atelierbesuchen und Bilderankäufen verbargen die beiden Malerdiplomaten den Zweck ihres Beisammenseins. Dem vorsichtigen Carleton machte diese Reise große Sorge; denn er fürchtete, die Täuschung werde nur wenige Tage aufrecht gehalten werden können; wenn dieselbe aber durchschaut würde, dann würde bei dem herrschenden Mißtrauen Rubens unfehlbar als spanischer „Emissär“ mit Schimpf aus dem Lande gejagt werden; darum warnte er Rubens, „er möge sich hüten, daß ihm kein Unglimpf widerführe, der andere in einiger Beziehung mittreffen könnte.“ Indessen wahrte Rubens das Geheimnis der Reise so gut, daß der deutsche Maler und Kunstschriftsteller Joachim von Sandrart, dem es gestattet wurde, sich Rubens anzuschließen, nicht das geringste davon ahnte; derselbe wußte später aus den Tagen, die er in der Gesellschaft des großen Meisters verbringen durfte, nur allerlei Ateliergeschichten zu erzählen. Die Vorsicht ging auch später noch so weit, daß Rubens, als er nach Antwerpen zurückgekehrt war, sich die staatsgeschäftlichen Briefe aus Holland nur unter angenommenen Adressen schicken ließ. — Erreicht wurde indessen vorläufig sehr wenig. Denn dem englischen Gesandten genügten die von Rubens bloß nach mündlichem Auftrag der Infantin und des Marquis Spinola gegebenen Versicherungen nicht als Grundlage zu weittragenden Abmachungen; er verlangte es schwarz auf weiß zu sehen, daß Rubens mit Vollmacht von seiten des Königs von Spanien[S. 92] handelte. Der spanische Abgeordnete aber, Don Diego de Mexia, „auf den man in Brüssel wie auf einen Messias hoffte,“ ließ auf sich warten; angeblich lag er krank in Paris infolge eines Unfalls mit dem Wagen. Als derselbe endlich am 29. August in Brüssel eintraf, zeigte es sich, daß er keineswegs geneigt war, sich den Friedensbestrebungen anzuschließen, welche dort herrschten und denen auch der Gesandte von Savoyen beipflichtete. Er hatte im Gegenteil in Paris wegen eines engeren Bündnisses zwischen den Herrschern von Spanien und Frankreich, „zur Verteidigung ihrer Königreiche“ verhandelt. Allerdings durfte Rubens seiner Mitteilung hierüber wohl mit Recht hinzufügen: „Wir glauben, daß dieses Bündnis sein wird wie Donner ohne Blitz, der ein Geräusch in der Luft macht, ohne Wirkung hervorzubringen, denn es ist eine Verbindung von verschiedenen Temperamenten, die in einem einzigen Körper gegen ihre Natur und Beschaffenheit zusammengebracht sind, mehr aus Leidenschaft als aus Vernunft.“ Trotz der Bemühungen von seiten des Brüsseler Hofes, die Friedensunterhandlungen fortzusetzen, kam die Sache jetzt zum Stillstehen, und Gerbier wurde nach England zurückberufen; Rubens selbst konnte nur zu einem kriegerischen Unternehmen zur See raten, welches auf Spanien einen Druck ausüben sollte. Indessen trat er bald wieder in diplomatische Thätigkeit, nachdem der Marquis Spinola sich im Anfange des Jahres 1628 nach Madrid begeben hatte. Im März dieses Jahres schrieb Rubens, auf Grund eines Briefes, den er von Spinola aus Madrid erhalten hatte, an Buckingham, daß Philipp IV, der doch kein rechtes Vertrauen zu Frankreich hatte, „sehr geneigt sei Frieden zu machen mit denen, mit welchen er im Krieg liegt.“ Im Mai wurde Rubens von dem außerordentlichen englischen Gesandten im Haag, Graf von Carlisle, der sich auf der Durchreise nach Italien befand, in Antwerpen aufgesucht, und auch diesem teilte er im Verlauf der Gespräche, die sie an mehreren Tagen miteinander pflogen, mit, daß Spanien lebhaft nach dem Frieden mit England verlange; auch vermittelte er eine Audienz Carlisles bei der Erzherzogin.
Den Verdiensten Rubens’ um das Friedenswerk fehlte die Anerkennung nicht. Die Erzherzogin Isabella ernannte ihn im Jahre 1628 zu ihrem Kammerherrn, und König Philipp IV berief ihn im Sommer desselben[S. 93] Jahres nach Madrid, zum Zwecke persönlicher Berichterstattung über die bisherige Leitung der so langwierigen Verhandlungen. Der verdiente Staatsmann und berühmte Künstler wurde in der spanischen Hauptstadt mit der größten Auszeichnung empfangen. Er bekam eine Wohnung im königlichen Schloß angewiesen, und der König besuchte ihn fast täglich. Zu den Personen seines näheren Umganges gehörte auch der bei Hofe angestellte Velazquez, der größte Bildnismaler aller Zeiten, der sich, damals ein Neunundzwanzigjähriger, anschickte mit Riesenschritten den Gipfel des Ruhmes zu ersteigen. Acht Monate lang blieb Rubens in Madrid. Hier fand er wieder Zeit und Gelegenheit, seine Kunst auszuüben. Philipp IV beauftragte ihn mit der Anfertigung von Bildnissen der gesamten königlichen Familie, die zu Geschenken für die Infantin Isabella bestimmt waren. Außerdem malte Rubens noch mehrmals den König und die Königin. Ein Paar dieser Bildnisse ist später in die Ermitage zu Petersburg gekommen; sowohl Philipp IV als seine Gemahlin Elisabeth von Frankreich sind nach spanischer Sitte in Schwarz gekleidet, und über den ganzen Bildern liegt etwas Düsteres wie von spanischer Strenge; Philipp, mit der starken habsburgischen Unterlippe, sieht nicht gerade bedeutend aus; die Züge der noch von großem jugendlichen Reiz umkleideten Königin haben etwas eigentümlich Anziehendes und einen leise durchschimmernden Zug, als ob sie sich nicht allzu glücklich fühlte als Königin beider Indien (Abb. 70 und 71). In einem anderen Bilde, welches Elisabeth wahrscheinlich für ihren Bruder Ludwig XIII malen ließ, und welches sich jetzt in der Louvresammlung befindet, hat Rubens die französische Königstochter in reicher französischer Modetracht dargestellt. Auch hier liegt ein Hauch von Schwermut auf dem übrigens kälter aufgefaßten Gesicht; in der Wiedergabe der zarten, hellen Haut, des durchsichtigen Weißzeuges der Krause, des blitzenden Geschmeides und des prächtigen Goldstoffes, in der Lichtfülle, welche das Haupt umflutet, und in den malerischen Reizen, welche der steifen Tracht abgewonnen[S. 94] sind, glänzt die Meisterschaft des Malers (Abb. 78). Der König hatte noch mancherlei Aufträge für Rubens. Unter anderem ließ er ihn ein großes Reiterbild des vor dreißig Jahren verstorbenen Philipp II — in idealer Auffassung — malen, welches jetzt eine Zierde des Pradomuseums zu Madrid bildet. Er ließ Gemälde Tizians kopieren und Entwürfe für Wandteppiche zum Schmucke seines Palastes anfertigen, teils mythologischen, teils christlich-allegorischen Inhalts. Von den letzteren Entwürfen befindet sich einer, der in größerem Maßstab ausgeführt ist als die im Madrider Museum bewahrten Skizzen, im Louvre; es ist eine übervolle Komposition, welche den Triumph des katholischen Glaubens darstellt, ein zur Zeit hochberühmtes Werk, das nicht nur durch Kupferstich, sondern auch durch zahlreiche Kopien, von denen sich noch manche in belgischen Kirchen befinden, vervielfältigt wurde.
Die Sorge für seine Kinder daheim hatte Rubens bewährten Freunden anvertraut. Über den Ältesten insbesondere wachte Johann Kaspar Gevaerts (Gevartius), Stadtschreiber von Antwerpen und Staatsrat und Historiograph Kaiser Ferdinands III, ein besonders um seiner Geschichtskenntnisse willen gepriesener Gelehrter, von dessen äußerer Erscheinung ein im Antwerpener Museum befindliches treffliches Bildnis von Rubens’ Hand uns Kunde gibt. An diesen schrieb der Meister aus Madrid am 29. Dezember 1628: „Mein Albertchen bitte ich Dich, wie mein Bild, nicht in Deiner Betstube oder dem Hausgötterheiligtum, sondern in Deinem Wissenschaftstempel zu halten. Ich liebe den Jungen, und ernstlich empfehle ich Dir, Fürst meiner Freunde und Führer der Musen, daß Du die Sorge für ihn, bei meinen Lebzeiten und nach meinem Tode, gemeinschaftlich mit meinem Schwiegervater und meinem Schwager Brant übernehmest.“ — Im brieflichen Verkehr mit dem gelehrten Freunde bediente sich Rubens der lateinischen Sprache; sonst schrieb er meistens italienisch oder französisch — besonders das Italienische, das damals überhaupt die eigentliche Weltsprache war, bevorzugte er —, nur in ganz vertraulichen Briefen bediente er sich des Vlämischen.
Rubens’ diplomatische Thätigkeit ruhte nicht während des Aufenthalts in Madrid, wenn er auch in erster Linie als der berühmte Künstler, auf den sein König stolz war, geehrt[S. 95] wurde. Im Beginn des Jahres 1629 finden wir ihn wieder in schriftlichem Verkehr mit Carlisle und in persönlichem mit Scaglia, der von Brüssel nach Madrid gereist war; — den Verhandlungen mit Buckingham hatte dessen Ermordung (am 23. August 1628) ein Ende gesetzt. Es ist keine Kunde davon auf uns gekommen, was Rubens mit Philipps IV allmächtigem Minister, dem Grafen Olivares, dessen Heißblütigkeit („fougue“ ist Rubens’ Ausdruck), im Verein mit persönlichem Groll gegen Buckingham, bis dahin den Friedensbestrebungen entgegengewirkt hatte, besprach, während er sein Bildnis malte. Sicher ist nur, daß Olivares im Frühjahr 1629 sich entschlossen hatte, nun endlich auch seinerseits mit Friedensvorschlägen dem englischen Hofe entgegenzukommen[S. 96] und Rubens mit dem entsprechenden Aufträgen nach London zu schicken. Dies schrieb Scaglia am 28. April an den Grafen von Carlisle. Tags darauf reiste der Meister ab. Um ihn mit einem größeren Ansehen zu bekleiden, hatte der König ihn vorher zum Sekretär seines geheimen Rats ernannt; als Zeichen seiner persönlichen Gunst schenkte er dem Maler bei der Abreise einen kostbaren Diamantring. Indessen sollte Rubens nicht öffentlich als der Gesandte Spaniens in London auftreten, — dieser Posten wurde an Don Carlos Coloma übertragen, — sondern unter dem Titel eines Gesandten der Erzherzogin Isabella. Darum reiste er über Brüssel. Am 12. Mai befand er sich in Paris. Aus dieser Zeit muß die lebensvolle Zeichnung (in der Sammlung des Louvre) stammen, in welcher der große Meister ein so ganz ungeschminkt naturwahres Abbild der alternden Maria von Medici der Nachwelt hinterlassen hat (Abb. 79). Die Königin hatte einen neuen Auftrag für ihn: als Gegenstück zu den Bildern aus ihrem eigenen Leben sollte er das Leben Heinrichs IV in einer großen Gemäldereihe schildern. Lange konnte sich Rubens nicht in Paris aufhalten; auch die Besprechungen mit der Infantin und eine kurze Rast in der Heimat durften nicht viel Zeit in Anspruch nehmen. Schon vor Ende Mai befand er sich in Dünkirchen, wo er einige Tage warten mußte, um ein englisches Schiff zur Überfahrt zu bekommen, — denn vor den Holländern fürchtete er sich, — und am 5. Juni landete er in London.
Der Freund von Buckingham und Carlisle war dem englischen Hofe ein willkommener Gesandter, der der warmen Empfehlungen, welche Coloma und Scaglia ihm auf den Weg gegeben, kaum bedurfte. Zudem war der unglückliche Karl Stuart nicht weniger kunstliebend als Philipp IV, und mit Freuden begrüßte er in dem Gesandten den berühmten Künstler. Rubens war während der ganzen Zeit seines Aufenthalts in London der persönliche Gast des Königs.
Als ein sinniges Geschenk überreichte der mit den Friedensabmachungen beauftragte Maler dem Könige bald nach seiner Ankunft ein Gemälde, welches die Wohlthaten des Friedens allegorisch veranschaulichte. Gegenwärtig befindet sich dieses Bild, welches nach der Enthauptung Karls I nach Italien verkauft, 1827 aber für England zurückerworben wurde, in der National-Galerie zu London. Die Friedensunterhandlungen nahmen übrigens auch jetzt keinen so schnellen Fortgang, wie man hätte erwarten[S. 97] dürfen; denn nun war es Frankreich, mit Richelieu an der Spitze, welches mißgünstig auf die Aussöhnung zwischen England und Spanien sah und dieselbe zu hintertreiben suchte. Erst im November 1630 wurde der Frieden, für den Rubens so lange und so eifrig gewirkt, endgültig abgeschlossen.
Unter dem Gefolge, welches Rubens aus Brüssel mitgebracht hatte, befand sich auch ein Kaplan, der ihm als Hausgeistlicher diente. Dieser kam bald nach der Ankunft in England durch ein Unglück ums Leben; er nahm an einer von Barozzi, dem Sekretär der piemontesischen Gesandtschaft, veranstalteten Wasserfahrt nach Greenwich teil, der Kahn schlug beim Durchfahren der Londoner Brücke um, und er ertrank. Bisweilen wird diese Begebenheit so dargestellt, als ob Rubens selbst dabei mit knapper Not dem Tode des Ertrinkens entgangen sei. Indessen sagt die Quelle, ein Brief des Lord Dorchester an einen anderen englischen Diplomaten, nichts davon, daß Rubens sich bei der Partie befunden hätte. Wohl aber hatte dieser früher mehrmals in Lebensgefahr geschwebt, was hier beiläufig erzählt werden mag. Im Jahre 1622 suchte ein Mensch, der von einigen für irrsinnig gehalten wurde, ihn zu ermorden, so daß die Freunde des Meisters es für nötig hielten, sich mit der Bitte um besondere Schutzmaßregeln an die Infantin zu wenden. Drei Jahre später, als er sich in Paris aufhielt, sah er in Gesellschaft mehrerer zur englischen Gesandtschaft gehöriger Personen von einem Balkon aus den festlichen Veranstaltungen zu, welche zur Feier der Vermählung der Prinzessin Marie Henriette stattfanden; plötzlich brach der mit Zuschauern überladene Balkon zusammen, und es gelang Rubens eben noch, sich auf das stehen bleibende Stück zu retten.
In London fehlte Rubens die künstlerische Thätigkeit nicht. Der belgische Meister bekam bald verschiedene Aufträge von Karl I. Er malte für denselben einen Ritter Georg, wobei er dem Heiligen die Züge des Königs gab; und als Vorbild für eine Prunkschüssel, welche in Silber angefertigt werden sollte, entwarf er in sorgfältiger malerischer Ausführung eine Geburt der Venus. Auch diese beiden Gemälde wurden nach dem Tode des Königs veräußert und sind erst in neuerer Zeit nach London zurückgekommen; der St. Georg[S. 98] befindet sich in der Sammlung der Königin im Buckingham-Palast, die Geburt der Venus in der National-Galerie. Ferner fertigte der Meister acht Skizzen an, welche die Geschichte des Achilles behandelten und als Vorlagen für Wandteppiche zum Schmucke eines der königlichen Gemächer bestimmt waren; dieselben sind jetzt in verschiedenen englischen Sammlungen zerstreut. Der Hauptauftrag aber, mit dem Rubens von König Karl bedacht wurde, war die Ausschmückung des Festsaales von Whitehall mit Deckengemälden, welche eine Verherrlichung des Königs Jakob I enthalten sollten. Schon vor acht Jahren, als das neue Schloß von Whitehall noch gar nicht fertig war, hatte Karl Stuart, damals noch Prinz von Wales, den Antwerpener Meister für diese Arbeit in Aussicht genommen. Rubens füllte die in neun Felder geteilte Decke mit allegorischen Darstellungen in kühn verkürzten, perspektivisch von unten gesehenen Figuren und mit köstlichen Kinderfriesen; daß die Allegorien die schwülstige Sprache der Zeit reden, darf man dem Künstler nicht zum Vorwurf machen. An Ort und Stelle malte Rubens zunächst nur die Skizzen zu diesem umfangreichen Werk; die Ausführung im großen beschäftigte ihn daheim während mehrerer Jahre; erst im Herbst 1635 kamen die Bilder an ihren Bestimmungsort.
Am 23. September 1629 verlieh die Universität Cambridge Rubens den Ehrentitel eines Magister in artibus. Dies war eine der Gelehrsamkeit des Meisters gezollte Anerkennung; zur Belohnung für seine staatsmännischen Verdienste wartete seiner eine andere Auszeichnung, welche aus der persönlichen Entschließung des Königs hervorging. Am 21. Februar 1630 erteilte Karl I dem erzherzoglichen Gesandten Peter Paul Rubens die Ritterwürde. Die Verleihung fand in Whitehall mit aller bei solchen Gelegenheiten herkömmlichen Feierlichkeit statt. Nach vollzogenem Ritterschlag empfing Rubens noch als besonderen Gunstbeweis einen Diamantring und eine mit Diamanten besetzte Hutschnur aus den Händen des Königs. Nach einer Überlieferung soll Karl ihm auch das beim Ritter[S. 101]schlage gebrauchte Schwert verehrt haben. Das Rubenssche Wappen erhielt eine Bereicherung, indem in dasselbe ein oberes rechtes Eckfeld, welches in Rot einen springenden goldenen Löwen zeigt, eingefügt wurde.
Bevor Rubens England verließ, Anfang März 1630, machte er dem holländischen Gesandten Joachimi einen Besuch, um mit diesem wegen der Möglichkeit eines Sonderfriedens mit den Generalstaaten zu sprechen; als er dabei den Ausdruck gebrauchte, daß allen 17 Provinzen, — den vereinigten sowohl wie den spanischen, — die Ruhe wiedergebracht werden möchte, gab Joachimi die bezeichnende Antwort, dahin führe nur ein Weg: die Vertreibung der Spanier. Dies erzählt Carleton, der inzwischen Graf von Dorchester und Staatssekretär geworden war, in einem Briefe an einen anderen englischen Staatsmann, und er fügt die Worte hinzu: „Rubens hat den Ruf hier unter uns gewonnen, daß er ein zu ehrenhafter Mann ist, um gegen sein Wissen eine Unwahrheit zu sagen.“ — Rubens’ Geschicklichkeit in der Behandlung staatsmännischer Geschäfte und seine Verdienste um das Zustandekommen des von ihm so sehnlich herbeigewünschten Friedens fanden von allen Seiten nur Anerkennung. Als es sich darum handelte, für Don Coloma, den spanischen Gesandten in England, einen Nachfolger zu ernennen, wurde Rubens für diesen Posten in Vorschlag gebracht; doch unterblieb die Ernennung, da die spanischen Granden gegen die Bemerkung eines Grafen von Oñate, es gezieme sich nicht, daß ein Mann, der von seiner Hände Arbeit lebe, der Vertreter des Königs von Spanien sei, keine Einwendung machen konnten. Philipp IV aber bezeugte dem Meister noch auf mehrfache Weise seine Dankbarkeit. Im Juni 1630 ernannte er den jungen Albert Rubens zum dereinstigen Nachfolger seines Vaters in der Würde eines Sekretärs des geheimen Rats. Im August des nämlichen Jahres erteilte er Rubens, dem Vorgange des Königs von England folgend, die Ritterwürde: derselbe sollte, heißt es in der betreffenden Urkunde, die mit diesem Titel verknüpften Vorrechte in allen spanischen Landen, ganz ebenso und in derselben Form genießen, wie wenn er, der König von Spanien, ihn zum Ritter geschlagen hätte.
Anfang April 1630 war Rubens wieder in Antwerpen, doch nur für kurze Zeit, da er zur Erzherzogin nach Brüssel berufen wurde. Gegen Ende Juni erst konnte er wieder anfangen, sich mit ganzer Kraft seiner Arbeit zu widmen. Es gab genug zu thun. Mit der Ausführung der großen Aufträge, welche er vom König von England und von der Königin von Frankreich erhalten hatte, mußte ein Anfang gemacht werden. Außerdem drängten sich die Kunstfreunde um den Besitz von Werken von des Meisters Hand, und dieser, der in seiner Jugend manchen Besteller abgewiesen hatte, weil ihm derselbe nicht kunstverständig genug erschien, war mit der Zeit ein so kühler Geschäftsmann geworden, daß er niemanden mehr abschlägig beschied; aus Briefen seines Freundes Balthasar Moretus wissen wir, daß er ganz nüchtern und praktisch die Bildgröße und die Figurenzahl nach dem Betrage bemaß, den der Besteller anlegen wollte.
Während seiner Abwesenheit von der Heimat, unter den wechselreichen Eindrücken fremder Länder, in der Unruhe der diplomatischen Thätigkeit und unter den vielfachen Anregungen des Hoflebens in so sehr voneinander verschiedenen Staaten hatte Rubens in der That wohl das Vergessen gefunden, das er nach dem Tode seiner Gattin kaum zu erhoffen wagte. Heimgekehrt in sein Haus und seine Werkstatt, empfand er die Vereinsamung, und noch vor Ablauf des Jahres schritt er zu einer zweiten Vermählung. Am 6. Dezember 1630 wurde in der St. Jakobskirche zu Antwerpen die Ehe zwischen Peter Paul Rubens und Helene Fourment geschlossen. Helene Fourment, die Tochter einer Kaufmannsfamilie, welche mit der Familie von Rubens’ erster Frau verschwägert war, zählte sechzehn Jahre, als sie dem Dreiundfünfzigjährigen die Hand reichte; von der mädchenhaften Anmut ihrer lieblichen Erscheinung gibt ein wundervolles Bildnis von der Hand des glücklichen Bräutigams uns Kunde, das sich in der Pinakothek zu München befindet (Abb. 81). Nachdem der Meister sie heimgeführt hatte, wurde er nicht müde, sie immer von neuem zu malen; man möchte fast sagen, daß die Bildnisse seiner jungen Frau jetzt der Hauptgegenstand seiner Kunst wurden. Die Münchener Pinakothek besitzt auch ein köstliches Familienbild, in welchem[S. 102] Rubens im Frühling 1631 sein neues Glück niedergeschrieben hat. Wir befinden uns in dem Garten des Rubensschen Hauses; der Flieder und die Tulpen blühen, vom blauen Himmel strahlt ein mildes Sonnenlicht herab. Rubens, wie gewöhnlich ganz in Schwarz nach spanischer Sitte gekleidet, führt seine Frau am Arm, die mit einem schwarzen Mieder, einem mattgelben oberen und einem grauen unteren Rock und einer großen weißen Schürze bekleidet ist; ein breitrandiger Strohhut schützt ihr frisches Gesicht vor der Sonne, und in der Hand hält sie einen Fächer von Straußenfedern. So schreitet das Paar, dem der junge Nikolas, ganz in Rot gekleidet, sich anschließt, auf den Gartenpavillon — das heute noch vorhandene Erzeugnis von des Meisters baukünstlerischer Phantasie — zu, wo Erfrischungen aufgetragen sind. In der Tiefe des Gartens plätschert ein Springbrunnen, im Vordergrunde füttert eine alte Dienerin die Pfauen, ein von Küchlein umgebenes Truthühnerpaar läßt sich behaglich von der Sonne bescheinen, und ein schön gefleckter Hund springt mit großen Sätzen umher. — Die aus dem Spiegel gezeichnete Studie, nach welcher Rubens seinen Kopf in diesem Bilde gemalt hat, wird in der Sammlung der Albertina aufbewahrt (Abb. 80).
Gleich nach seiner Rückkehr aus England hatte Rubens zwei von den Bildern aus dem Leben Heinrichs IV zu malen angefangen. Das Leben des Königs bot für die Darstellung mehr wirkliche Handlung dar, als es bei den Begebnissen aus dem Leben der Maria von Medici der Fall war; mit sichtlicher Lust und mit einer Vollkraft, wie sie ihm nur jemals zu Gebote stand, hat der Meister die zuerst aus der beabsichtigten Reihe gewählten Gegenstände behandelt: die Schlacht bei Ivry und Heinrichs IV Triumph. Dort blicken wir in ein wildes Schlachtgetümmel, in dessen Mitte der König hoch zu Rosse hält, vom Kriegsgott beschirmt und vom Geiste des Sieges begleitet. Hier zieht in feierlicher Gemessenheit ein Triumphzug, wie die römischen Kaiser sie hielten, an uns vorüber; die Siegestrompeten erschallen, Frauen und Kinder jubeln dem Könige zu, der nicht nur ein Sieger, sondern auch ein Befreier ist, und in der Luft schwebt eine ganze Schar von weißgekleideten Genien mit Palmenzweigen und Lorbeerkränzen dem groß und ernst blickenden König entgegen. Die beiden Bilder befinden sich in der Uffiziengalerie zu Florenz, im sogenannten Saal der Niobe. Es sind keine ausgeführten Gemälde, sondern nur Untermalungen; oder nicht einmal das, sondern nur Skizzen in ungeheurem Maßstabe, die in der Leidenschaft des ersten künstlerischen Erfassens gleich im großen festgestellten Grundgedanken der Schöpfungen; vielleicht ist gerade darum ihre Wirkung eine so bedeutende. Der Meister hat augenscheinlich nur wenige Tage daran gearbeitet. Das Geschick der Bestellerin gestaltete sich ja sehr bald derart, daß aus dem ganzen schönen Auftrag nichts werden konnte. Landflüchtig kam Maria von Medici im Sommer 1630 nach den Niederlanden; Richelieu hatte mehr Macht über ihren Sohn gewonnen als sie. Sie sah den Maler, der die Geschicke ihrer früheren Jahre durch seine Kunst verherrlicht hatte; sie besuchte ihn auch, im Herbst 1631, in seiner Werkstatt. Aber Maria von Medici war jetzt nicht in der Lage, als Gönnerin der Kunst aufzutreten; der heimatlosen Königin fehlte es an Mitteln für ihren eigenen Unterhalt; Rubens lieh ihr Geld, und sie verpfändete ihm dafür einen Teil ihrer Juwelen. Es ist eine eigentümliche Fügung des Zufalls, daß Maria von Medici, nachdem sie noch elf Jahre lang in der Verbannung umhergeirrt war, zu Köln in dem nämlichen Hause ihr Leben beschloß, in welchem der Maler, durch den sie sich in der Zeit ihres höchsten Glanzes hatte verherrlichen lassen, die ersten zehn Jahre seiner Kindheit verbracht hatte.
Neben den Bildern aus dem Leben Heinrichs IV kann man das gleichfalls in der ersten Anlage stehen gelassene Gemälde des Berliner Museums nennen, welches die Eroberung von Tunis durch Kaiser Karl V darstellt, auch dieses eine bezeichnende Probe von der Art und Weise, wie Rubens bei der Wiedergabe von kriegerischen Vorgängen aus der neueren Geschichte den gebotenen Stoff durch Einkleidung in eine heldenmäßige Großartigkeit seinem persönlichen Stil anpaßte.
Im Jahre 1631 wurde Rubens von der St. Lukasgilde zu Antwerpen zu ihrem Vorsteher erwählt. Er schenkte der Gilde bei dieser Gelegenheit das jetzt im Museum[S. 103] zu Antwerpen befindliche Bild der heiligen Familie, welches unter dem Namen „Madonna mit dem Papagei“ bekannt ist, — ein Werk seiner Jugend, ein Versuch, im Stil der großen Italiener zu komponieren, und dennoch ein bedeutendes Werk, besonders ausgezeichnet durch den köstlichen, echt Rubensschen blonden Jesusknaben. — Das nämliche Museum besitzt ein anderes Marienbild, welches um die in Rede stehende Zeit, also vielleicht dreißig Jahre später als jenes, entstanden sein dürfte. Dasselbe schmückte ursprünglich die Kirche der Barfüßermönche zu Antwerpen; es ist nicht groß, aber sehr bemerkenswert wegen einer bei Rubens seltenen Vertiefung nach der gemütvollen Seite hin. Die heilige Jungfrau ist hier noch als halbes Kind dargestellt; mit einem Buche in der Hand steht sie vor der Mutter Anna, die, auf einer Steinbank sitzend, sie mit liebevoller Freundlichkeit unterweist; hinter der Bank steht der Vater Joachim, auf das Geländer gelehnt, und betrachtet zärtlich die Gruppe; vor der von silberigen Wölkchen durchzogenen blauen Luft, von der eine Laube und ein hochgezogener Rosenstrauch sich abheben, flattern blonde Kinderengel und halten einen Kranz von Rosen über das Haupt der Jungfrau.
Ein großes Altarbild aus dem Jahre 1631 — wenigstens gibt die Überlieferung diese Jahreszahl an — finden wir in der St. Martinskirche der kleinen Stadt Aalst (Alost). Hier hatte die Pest gewütet, und zum Andenken an das Erlöschen der Krankheit hatte die Pfarrgemeinde das dem heiligen Rochus, der als Fürbitter gegen die Pest verehrt wird, gewidmete Gemälde bestellt. Das Bild zerfällt in zwei Teile, einen oberen überirdischen und einen unteren irdischen. Oben erscheint Christus, von einem Engel begleitet, der Heilige hat sich vor ihm auf die Kniee geworfen und bittet mit einer Bewegung voll Würde und Demut für die von der schweren Plage heimgesuchten Sterblichen. Unten erblicken wir die Schrecken der fürchterlichen Krankheit: ein Toter liegt am Boden, in ein Leichentuch gehüllt steht eine dem Tode verfallene hagere Gestalt — ein Bild der Hoffnungslosigkeit — daneben; aber wir sehen auch das Gebet und die Hilfe: ein Greis streckt in leidenschaftlichem Flehen seine Arme zum Himmel empor, und wir glauben zu gewahren, wie das Leben plötzlich wieder aufleuchtet in den Augen eines sterbenden jungen Weibes. So kommt Hoffnung in den Schrecken, und wir erkennen die unmittelbare Wirkung dessen, was der Heiland dem Fürbitter in gnädiger Gewährung verleiht. Dem Gemälde wird in Bezug auf ergreifenden Ausdruck der erste Rang unter Rubens’ Werken zuerkannt.
Während sich der Meister hier mit seiner ganzen Kraft in einen Stoff von gewaltigem Ernst vertiefte, schuf er in anderen Werken, die er in den ersten Jahren nach seiner zweiten Vermählung ausführte, den glühendsten Ausdruck des Lebensgenusses und der Liebeslust. In mehreren Exemplaren ist ein hochberühmtes Bild vorhanden, welches gewöhnlich der „Liebesgarten“ genannt wird; bezeichnender ist der Titel, welchen es in einer gleichzeitigen Kupferstichnachbildung führt: „Venus’ Lusthof“; Rubens selbst nannte es „Conversatie à la mode“. Von den verschiedenen Ausführungen dieses Bildes, welche in der Farbe und in Kleinigkeiten der Komposition voneinander abweichen und von denen in Deutschland diejenige, welche die Dresdener Galerie besitzt, die bekannteste ist, gilt das im Museum zu Madrid befindliche Exemplar als das vorzüglichste; dasselbe zeigt Figuren von halber Lebensgröße, das Dresdener Bild hat kleineren Maßstab bei feinster Ausführung. Auch für den Holzschnitt hat Rubens dieses Bild einmal gezeichnet; Christoph Jegher, der des Meisters Zeichnungen mit malerischer Breite trefflich zu schneiden wußte, hat das Blatt ausgeführt, und Rubens selbst nahm dasselbe in Verlag. Der Gegenstand ist eine freie Phantasie. Eine Anzahl von vornehmen Herren und Damen in der reichen und malerischen Modetracht jener Zeit hat sich in fröhlicher Stimmung in einem Garten vereinigt. Es ist ein sonniger Sommertag; einladend öffnet sich hinter einem mit lächelnden Satyrhermen geschmückten Thorbau das schattige Dunkel einer Grotte, sprudelnde Wasserwerke kühlen die Luft. Neben der Grotte erhebt sich ein mit dem Marmorbilde der Venus geschmückter Springbrunnen, und zu den Füßen der Göttin, die hier Alleinherrscherin ist, hat der größte Teil der Gesellschaft sich auf dem Marmorboden nieder[S. 104]gelassen. Auf dem Rande des Brunnenbeckens aber gaukeln lebendige Liebesgötter, sie steigen in die Luft, um ihre gefährlichen Waffen zu gebrauchen, sie huschen durch die Rosenbüsche und flattern auf den Boden herab, um zu helfen, daß die Paare sich finden, hier eine Zaghafte drängend, dort einer Nachdenklichen süße Worte ins Ohr raunend. Über dem ganzen Bilde liegt ein unbeschreiblicher Zauber von übermütiger Daseinsfreude. Unschwer erkennen wir im Mittelpunkte des Bildes die in frischester Jugendanmut strahlenden Züge von Helene Fourment. Frau Helene ist auch das Urbild einer in der Louvre-Sammlung aufbewahrten Zeichnung (Abb. 82), welche als Studie zu einer der Besucherinnen des Liebesgartens gedient hat, die in halb knieender Stellung sich an ihren Kavalier schmiegend, mit neckisch zur Seite gewendetem Kopfe den Worten lauscht, die er ihr zuflüstert.
In einem ausgelasseneren Tone hat Rubens das Lied von der bezwingenden Macht der Liebe gesungen in einem im kunsthistorischen Hofmuseum zu Wien befindlichen Gemälde, welches man das Venusopfer zu nennen pflegt. Hier sind es nicht bei aller Zwanglosigkeit wohlgesittete Herren und Damen, sondern Nymphen und Satyre voll ungezügelter Naturkraft, welche der Göttin huldigen, um deren Bild dichtgedrängte Scharen kleiner Liebesgötter wie in taumelndem Rausche kreisen. Aber auch diese Venus äußert ihre Macht doch nicht bloß in Ausgelassenheit; eine würdige Frau streut mit Andacht Weihrauch in die Opferflamme, und zwei wohlgekleidete junge Damen kommen von der Seite herzu, um ihre Opfergaben darzubringen. Von diesen Damen zeigt die eine uns den wohlbekannten Magdalenenkopf, während seltsamerweise eine der allerlustigsten Nymphen die Züge Helenens trägt.
Das Jahr 1632 führte Rubens wieder zu einer lebhafteren Thätigkeit in dem Getriebe der Politik. Schon im Sommer des vorhergehenden Jahres war er von der Erzherzogin Isabella beauftragt worden, von neuem Friedensunterhandlungen mit den nördlichen Niederlanden anzuknüpfen. Wir erfahren, daß er sich im Juli 1631 mit dem Marquis d’Aytona, der als Gesandter des Königs von Spanien bei der Erzherzogin die auswärtigen Angelegenheiten der spanischen Niederlande leitete, über die zu thuenden Schritte besprach, daß er im Dezember im Haag eine heimliche Audienz bei[S. 106] dem Prinzen Friedrich Heinrich von Oranien, dem Führer der Holländer, hatte und daß er im Februar abermals nach Holland ging. — In Belgien fing es an unruhig zu werden; mehr und mehr waren seit dem Tode des Erzherzogs Albrecht die Einheimischen von den einflußreichen Ämtern zurückgedrängt und durch Spanier ersetzt worden, und jetzt suchte der Unmut hierüber sich Luft zu machen. Belgische Edelleute, die ihre Stellungen verloren hatten, schlossen insgeheim Verbindungen mit den Holländern; der Prinz von Oranien machte einen Einfall in die belgischen Lande und reizte zum Aufstand gegen Spanien; die Vereinigten Provinzen verlangten als Bedingung des Friedens mit den südlichen Niederlanden die Abberufung der spanischen Truppen aus diesen. Unter so schwierigen Umständen hatte Rubens die Aufgabe zu lösen, mit dem Prinzen von Oranien, mit dem er nochmals in Maastricht und in Lüttich zusammenkam, den Entwurf eines Waffenstillstandsschlusses festzusetzen. Die größten Unannehmlichkeiten erwuchsen ihm indessen von seiten seiner Landsleute. Im Dezember 1632 schickten die Stände der spanischen Niederlande Abgeordnete aus ihrer Mitte nach dem Haag. Aber die Infantin scheint nicht frei von Mißtrauen gegen ihre Edelleute gewesen zu sein; sie erteilte Rubens besondere Anweisungen und beabsichtigte, denselben den ständischen Abgeordneten beizugesellen. Gegen diese Sendung des Malers erhoben die Abgeordneten Widerspruch; aus welchen Gründen, das faßt ein englischer Staatsmann, William Boswell, in einem Schreiben vom 3. Februar 1633 in zweifellos sehr zutreffender Weise folgendermaßen zusammen: „Die Abgeordneten stellen sich Rubens entgegen, weil er nicht zu ihrer Körperschaft gehört, wenn nicht vielmehr deswegen, weil er ein unmittelbarer Geschäftsträger ihres Königs ist, und da er mehr Geist hat als irgend eines ihrer Mitglieder, so hat er um so mehr Eifersucht unter ihnen erweckt.“ Am heftigsten trat der Herzog von Aerschot gegen den Vertrauensmann der Erzherzogin auf; Standesvorurteil und Leidenschaftlichkeit ließen ihn einen Brief von unentschuldbarer Grobheit an Rubens schreiben. Die Kränkung war so herb, daß Rubens, obgleich die Infantin seine Sendung den Ständen gegenüber dadurch rechtfertigen wollte, daß er den Abgeordneten gewisse Papiere zu überbringen und über seine Verhandlungen mit dem Prinzen von Oranien Aufklärung zu geben hätte, sich „auf Grund der Abneigung und des Mißverständnisses zwischen ihm und dem Herzog von Aerschot“ weigerte, nach dem Haag zu gehen. Es wurden von gegnerischer Seite die unwürdigsten Mittel nicht verschmäht, um Rubens zu verdächtigen, obgleich dieser nach Gerbiers Worten „ein ungeeigneter Gegenstand, um Lügen darüber auszudenken“, war; so erzählte man, er hätte für den Prinzen von Oranien Entwürfe zu Wandteppichen gemalt, in welchen der König von Spanien und dessen Unterthanen in der gehässigsten Weise dargestellt wären. — Unter solchen Umständen mochte dem Meister die staatsmännische Thätigkeit wohl verleidet werden. Zwar fuhr er fort, seiner Landesherrin seine Dienste zu widmen; so verhandelte er im März 1633 mit einem geheimen Abgesandten des Königs von Dänemark, der im Einverständnis mit der Infantin und dem Marquis von Aytona eigens zu diesem Zwecke aus Holland nach Antwerpen kam. Aber noch vor Ablauf des Jahres löste das Geschick die Bande der Anhänglichkeit, durch welche Rubens sich verpflichtet fühlte, in seiner diplomatischen Stellung auszuharren. Die Erzherzogin-Infantin Isabella starb am 1. Dezember 1633, und nach dem Tode der Fürstin, welcher Rubens fast ein Vierteljahrhundert lang gedient hatte, zog dieser sich von der politischen Thätigkeit zurück. Er lehnte es ab, als im folgenden Jahre ihm der König von England ein Jahresgehalt anbot, wenn er als Geschäftsträger Englands nach Brüssel übersiedeln wollte. Jetzt gehörte er wieder ganz seiner Familie und seiner Kunst.
Seine geistige Arbeitskraft gestattete dem Meister, mitten zwischen so vielen und ihn so sehr in Anspruch nehmenden Beschäftigungen auch noch mit der Beurteilung litterarischer Werke sich zu befassen. Es ist vom 1. August 1631 ein bemerkenswerter Brief von ihm vorhanden — die Urschrift wird im Britischen Museum zu London aufbewahrt —, worin er dem Bibliothekar des Grafen von Arundel, Franz Junius, einem geborenen Heidelberger, der ein Werk „Über die Malerei der Alten“ geschrieben und ihm zur Begutachtung zugeschickt hatte, sein Urteil über dieses Buch mitteilt. Rubens hat den Brief in vlämischer Sprache angefangen,[S. 107] da er aber auf den Inhalt der gelehrten Abhandlung zu sprechen kommt, fällt er von selbst in die lateinische Sprache, und erst die freundschaftlichen Worte am Schluß werden wieder vlämisch; seiner Hochachtung vor den Alten gibt er den beredtesten Ausdruck: „Ich folge ihnen,“ sagt er, „mit der höchsten Verehrung, und ich gestehe frei, daß ich vielmehr ihre Fußstapfen anbete, als daß ich auch nur in Gedanken sie erreichen könnte.“ Daneben aber bezeichnet er es als wünschenswert, daß die Malerei der Italiener, die ja durch ihre Werke unmittelbarer zur Gegenwart spräche als diejenige des Altertums, von welcher nur gelehrte Forschung eine, immerhin noch dunkle Vorstellung zu gewähren vermöchte, gleichfalls einen so gewandten Geschichtschreiber fände.
Im Jahre 1633 war Rubens für seinen alten Freund, den Buchdrucker Balthasar[S. 108] Moretus beschäftigt, für den er schon 1612 gemalt hatte; er lieferte demselben Reihen von Bildnissen, welche teils Angehörige der Familie, teils berühmte Gelehrte der Gegenwart und der Vorzeit darstellten. Das Moretussche Haus, das jetzt als Museum Plantin-Moretus der Stadt Antwerpen gehört, enthält noch vierzehn von Rubens zu verschiedenen Zeiten gemalte Bildnisse. — Auch Titelblätter zeichnete Rubens wieder für die im Verlage seines Freundes erscheinenden Werke, wie er es schon früh gethan hatte und bis zu seinen letzten Lebensjahren that.
Der Vervielfältigung seiner Werke durch Kupferstich wandte er große Aufmerksamkeit zu. Daß er eigenhändig die Platten der Kupferstecher zu überarbeiten pflegte, wo ihm dies nötig schien, erfahren wir aus einem Briefe, den er im Mai 1635 an seinen französischen Freund Nicolas Claude Fabri de Peirese, den gelehrten Kenner der Kunst und des Altertums, richtete. Den Bemühungen von Peirese, mit welchem der Meister einen lebhaften Briefwechsel unterhielt, verdankte er es, daß die Kupferstiche nach seinen Werken in Frankreich gesetzlichen Schutz gegen Nachbildung genossen. Seltsamerweise führte dieses Privilegium einmal zu einem Rechtsstreit, den die französischen Nachstecher anhängig machten; dieselben machten zu ihren Gunsten geltend, daß durch den Schutz des Urheberrechts, welches die Nachbildung der Originalkupferstiche untersagte, bei der bestehenden Kauflust für Rubensstiche große Summen Geldes aus dem Lande gebracht würden.
Mit nie ermüdender Lust malte Rubens immer wieder das Bild seiner schönen jungen[S. 109] Frau, und er schuf in diesen Bildnissen Meisterwerke, von denen eins das andere überbot. In den Museen fast aller Länder Europas finden wir Bilder von Helene Fourment, und es würde schwer sein, einem vor den anderen den Preis zuzuerkennen. Mit der anmutvollsten Freundlichkeit blickt sie uns in einem Gemälde entgegen, welches sich, zur Sammlung van der Hoop gehörig, im Reichsmuseum zu Amsterdam befindet (Abb. 83). In ganz der nämlichen Ansicht und der gleichen Kleidung sehen wir sie in ganzer Figur in einem der vielen Bildnisse, welche die Münchener Pinakothek von ihr besitzt (Abb. 84). Die Sammlung des Barons Alphons von Rothschild zu Paris enthält ein berühmtes Bild, welches Frau Helene vor dem Eingang ihres Hauses, im Begriff, in den Wagen zu steigen, zeigt. Ebenda befindet sich ein köstliches Familienbild, das gegen Ende 1632 entstanden sein mag. Im Januar dieses Jahres hatte Helene ihrem Gatten ein Töchterchen geschenkt, das in der Taufe die Namen Klara Johanna erhielt. Als das Kind seine ersten Gehversuche am Gängelband machte, sah sich Rubens veranlaßt, das kleine Ding in seiner lieblichen Unbeholfenheit abzuzeichnen; das kostbare Blatt befindet sich in der Louvre-Sammlung. Die kleine Klara Johanna am Gängelbande wurde dann die Hauptperson des erwähnten Familienbildes: wir sehen sie unter einem Laubengang, von der Hand der glücklich lächelnden Mutter geleitet, zu der sie lallend[S. 110] sich umwendet; und Rubens schreitet daneben, blickt die Gattin an und stützt ihre Hand, welche das Kind führt. Dieses Gemälde und das vorerwähnte kamen nach Rubens’ Tode in den Besitz der Stadt Brüssel; die Stadt schenkte beide im Anfange des 18. Jahrhunderts dem Befreier der Niederlande von den Franzosen, dem Herzog von Marlborough; die Nachkommen des Siegers von Blenheim bewahrten dieselben in der reichen Sammlung des Blenheim-Palastes, bis im Jahre 1885 diese Sammlung versteigert wurde. Neben diesen beiden gilt das in der kaiserlichen Ermitage zu Petersburg befindliche Gemälde als das vorzüglichste unter den Bildnissen von des Meisters zweiter Gattin; das Prachtbild zeigt uns die junge Frau stehend in ganzer Figur; sie ist in schwarze Seide gekleidet, an Ärmeln und Hut mit lilafarbenen Bändern geschmückt; vor ihren Füßen blühen Veilchen, und ein wolkiger Himmel bildet den Hintergrund (Abb. 85).
Im Sommer 1634 vollendete Rubens die zum Schmucke des Festsaals von König Karls I Schloß zu Whitehall bestimmten Gemälde. Spanier, Franzosen und Angehörige anderer Völker suchten die Werkstatt des Meisters auf, um das große Werk zu bewundern. Die Versendung nach England aber zog sich noch mehr als ein Jahr lang hin — böse Zungen sagten, dem König von England fehle es an Geld —, so daß die Bilder durch das lange Liegen in Rollen Schaden litten und von Rubens noch einmal überarbeitet werden mußten, als endlich ihre Überführung an den Bestimmungsort veranlaßt wurde. Rubens wäre gern mit nach England gegangen, um beim Anbringen der Bilder an ihrem Platze zugegen zu sein; aber die Gicht, die ihn jetzt bisweilen wochenlang an das Bett fesselte, zwang ihn, auf die Reise zu verzichten.
Der Winter von 1634 auf 1635 brachte eine Arbeit, die kaum weniger umfangreich war als jenes Werk, die aber nicht zu einem bleibenden Denkmal bestimmt war, sondern zur Verherrlichung eines jener Feste, die Antwerpen wie keine andere Stadt herzurichten verstand. Zum Nachfolger der Erzherzogin Isabella hatte der König von Spanien seinen einzigen Bruder, den Infanten Ferdinand, Kardinal und Erzbischof von Toledo, bestimmt. Am 17. April 1635 hielt der neue Statthalter seinen Einzug in Antwerpen, und die stolze Stadt, die dem Kardinal-Infanten viele Hoffnungen und Wünsche entgegenbrachte, feierte mit unerhörtem Glanz und mit einem Kostenaufwande von 78000 Gulden (ungefähr 300000 Mark nach heutigem Werte) seinen Empfang, den weltgeschichtlichen „freudigen Einzug“. Die besten künstlerischen Kräfte, über welche die erste Kunststadt der Niederlande verfügte, wurden aufgeboten, um zahlreiche Schmuckbauten zu errichten und mit Werken der Bildnerei und Malerei zu umkleiden. Rubens erhielt die Oberleitung über das Ganze. Mit einer staunenswürdigen Frische und mit einer unermüdlichen Erfindungsgabe schuf der Meister die zahlreichen Entwürfe, obgleich er zeitweilig durch die Gicht an einen Rollstuhl gefesselt war. Es waren elf gewaltige Schaustücke, die hergestellt wurden: fünf Triumphbogen, vier Schaugerüste, ein Prunkwagen und eine Galerie mit zwölf Standbildern habsburgischer Kaiser. Die bildlichen Darstellungen an den Bauwerken galten zum Teil der Verherrlichung des Erzherzogenpaares Albrecht und Isabella; zum Teil huldigten sie dem neuen Fürsten, dem ruhmreichen Sieger, der im Verein mit dem Könige Ferdinand von Ungarn die Schweden bei Nördlingen geschlagen und der bei Calloo den Holländern eine schwere Niederlage beigebracht hatte; sie beklagten auch den Niedergang des Antwerpener Handels durch die Sperrung der Schelde und sprachen die Hoffnung aus, daß der neue Herr hierin Besserung bringen werde. Selbstverständlich waren die Darstellungen entweder ganz als mythologische Allegorien gehalten oder aus geschichtlichen und mythologisch-allegorischen Bestandteilen gemischt; Gevaerts hatte lateinische Verse zu ihrer Erläuterung gedichtet. Die Architekturen zeigten den üppigen Barockstil, den die italienische Renaissance unter Rubens’ Händen anzunehmen pflegte.
Beim Einzuge selbst konnte Rubens wegen seines Leidens nicht zugegen sein. Gleich am folgenden Tage aber besuchte der Kardinal-Infant ihn in seiner Wohnung, um ihm persönlich Dank zu sagen und der Befriedigung über das große und wohlgelungene Werk Ausdruck zu geben; derselbe erfreute sich längere Zeit an seiner Unterhaltung und bewunderte seine Kunstsammlungen.
Die Schmuckbauten blieben nur einige[S. 111] Wochen stehen. Nach ihrer Niederlegung wurden die bedeutendsten von den Malereien ausgebessert und nebst den steinernen Kaiserbildern als Geschenk der Stadt Antwerpen an den Kardinal-Infanten nach Brüssel geschickt. Der Rest sollte versteigert werden; da aber die ersten versteigerten Bilder einen zu geringen Ertrag brachten, beschloß die Stadtobrigkeit, dieselben für eine spätere Gelegenheit aufzubewahren. Das weitere Schicksal der Malereien ist unbekannt; bei weitem die größte Mehrzahl derselben ist[S. 112] verloren gegangen. Von den großen Bildern ist eins erhalten geblieben, und zwar gerade eins von denjenigen, bei denen Rubens nicht nur den Entwurf, sondern auch die Ausführung persönlich übernommen hatte. Dasselbe befindet sich in der Dresdener Gemäldegalerie; es stammt von einem an der St. Georgskirche errichteten Schaugerüst her und stellt den Neptun dar, der während der Seefahrt des Kardinal-Infanten die Wogen beruhigt; es wird gewöhnlich nach dem bekannten Vergilschen Worte mit dem Titel „Quos ego!“ bezeichnet. Von dem nämlichen Schaugerüst rühren die im Wiener Hofmuseum befindlichen Bildnisse des Königs Ferdinand und des Infanten Ferdinand her, die zwar nicht von Rubens selbst gemalt sind, aber in ihrer wirkungsvollen Erfindung seine Meisterschaft bekunden, sowie das große Bild der Begegnung der beiden Ferdinande vor der Schlacht bei Nördlingen, gleichfalls eine Schülerarbeit. Eigenhändig von Rubens gemalt sind die für einen der Triumphbogen angefertigten prächtig dekorativen Bildnisse von Albrecht und Isabella, welche das Museum zu Brüssel bewahrt. — Von den Skizzen des Meisters ist mehr erhalten, wenn auch das Erhaltene nur einen verhältnismäßig geringen Teil des einst Vorhandenen bildet. So besitzt die Sammlung zu Windsor den Entwurf zu dem Bilde der Schlacht bei Nördlingen; drei Skizzen zu Schmuckbauten sind im Museum zu Antwerpen und sechs in der Ermitage zu Petersburg. Unter den letzteren befindet sich der Entwurf des Schaugerüstes mit dem Neptun und derjenige eines anderen, das an der St. Johannisbrücke aufgebaut war und dessen großes Gemälde durch einen davoneilenden Merkur die traurige Lage des Handels verbildlichte, sowie die Skizze eines auf dem alten Kornmarkt errichteten Aufbaues[S. 113] mit der Darstellung des Kardinal-Infanten, der, von der Siegesgöttin begleitet, einer vor ihm niederknieenden Frauengestalt, der Verbildlichung des belgischen Landes, mit tröstendem Zuspruch naht (Abb. 86); außer den Entwürfen von Schaugerüsten und Triumphbogen besitzt die Petersburger Sammlung noch diejenigen zu fünf von den in Stein ausgeführten Kaiserstandbildern. Anderes ist an anderen Orten zerstreut. Die in Abbildung 87 wiedergegebene schöne Zeichnung gefesselter und niedergeworfener Krieger, welche sich in der Albertina befindet, bildete wohl auch einen Teil von einer zu dieser Gelegenheit entworfenen Schöpfung.
Das ganze große Werk, welches Rubens[S. 114] zum Einzuge des Kardinal-Infanten geschaffen, wurde von seinem Lieblingsschüler Theodor van Thulden in Kupfer geätzt. Die Stadt Antwerpen bestellte dieses Kupferwerk bald nach dem Einzuge; dasselbe erschien in 40 Bildern mit einem weitschweifigen Text von Gevaerts in den Jahren 1641 und 1642. Ein einzelnes Blatt, welches in dieser Veröffentlichung fehlt, wurde von Schelte a Bolswert gestochen.
Während Rubens in den Arbeiten für den Einzug des Kardinal-Infanten mit vollen Händen aus dem nie versagenden Reichtum seiner schrankenlosen Einbildungskraft schöpfte und seine unvergleichliche Begabung im Erdenken von prunkenden Schmuckwirkungen im hellsten Lichte erglänzen ließ, bekundete er in anderen Werken dieser Zeit eine zunehmende Vorliebe für schlichte Nachbildung der Natur. An erster Stelle ist in dieser Hinsicht das Porträt eines alten Gelehrten zu nennen, welches sich in der Pinakothek zu München befindet, eines der vorzüglichsten Bildnisse, welche Rubens je gemalt hat[S. 115] (Abb. 88). Auch das prächtige, vornehme Selbstbildnis des Meisters, welches die Belvedere-Galerie zu Wien bewahrt, dürfte um das Jahr 1635 entstanden sein (Abb. 89). Den Bildnissen reiht sich eine Anzahl realistisch gedachter Landschaftsbilder an, skizzenhaft gemalt, aber von überraschender Wirkung. Eines dieser Bilder ist geradezu ein Porträt. Dasselbe befindet sich in der Londoner National-Galerie und zeigt ein ansehnliches altes Schloß, das von einem Wassergraben umgeben ist und an welches sich nach allen Seiten hin schattige Baumanlagen anschließen. Das ist der Landsitz, welchen Rubens seit 1635 besaß. Am 12. Mai dieses Jahres kaufte Rubens für den Betrag von 93000 Gulden die Herrschaft Steen bei Eppeghem in der Nähe von Mecheln. Daselbst war, wie der Kaufbrief sagt, „eine Hofstatt mit großem steinernen Haus und anderen schönen Baulichkeiten in Form eines Schlosses mit Hof, Baumgarten, Fruchtbäumen, Aufziehbrücke mit einer großen Erdaufschüttung und einem großen viereckigen[S. 116] Turm in der Mitte derselben; ringsherum zieht sich ein Teich, an welchen sich der Ökonomiehof mit seinen besonderen Pächterwohnungen, Scheunen, verschiedenen Stallungen und allem Dazugehörigen anschließt. Alles zusammen 4 Tagwerk und 50 Ruten innerhalb seines Wassergrabens. Ferner Pflanzungen, verschiedene Alleen und Parke, wohlbesetzt sowohl mit schönen, großen jungen Eichen als anderem.“ Dazu gehörte noch ein ausgedehnter Grundbesitz an Ackerland, Wiesen und Wald; auch Gerechtsame von Zins und Lehen waren damit verbunden. Rubens verwandelte den alten Herrensitz, den er durch Ankauf der angrenzenden kleinen Herrschaft Attenvoorde noch vergrößerte, mit nicht unerheblichem Aufwand in einen behaglichen Sommeraufenthalt. Das Schloß steht noch, gewährt aber nur noch eine unvollkommene Vorstellung von seinem damaligen Zustande.
Eine Abbildung des Schlosses Steen und seiner Umgebung, allerdings in etwas freier Auffassung, zeigt uns auch das schöne Gemälde im Wiener Hofmuseum, welches nach der Staffage, die den Vordergrund belebt — eine Anzahl junger Herren und Damen in reicher vornehmer Kleidung unterhalten sich mit einem munteren Gesellschaftsspiel — den Namen „das ländliche Fest“ führt. Rubens verbrachte nunmehr regelmäßig die schöne Jahreszeit auf dieser Besitzung. Gute Nachbarschaft konnte er pflegen mit einem Kunstgenossen; denn kaum eine Stunde von Steen entfernt lag der Hof Dry Toren (Drei Türme), welchen David Teniers der Jüngere im Sommer bewohnte. Daß in der That freundschaftliche Beziehungen zwischen dem Meister und seinem früh zu Ruhm und Ansehen gelangten Nachbar bestanden, wird durch den Umstand bestätigt, daß Teniers im Jahre 1637 Rubens’ Mündel, Anna Breughel, die Tochter von dessen Jugendfreund Jan Breughel, heiratete.
Der Aufenthalt auf dem Landsitze mochte wohl dazu beitragen, daß Rubens sich jetzt mit besonderer Vorliebe mit der Landschaftsmalerei beschäftigte. Von etwa fünfzig Landschaften, welche er gemalt hat, scheint die bei weitem größere Mehrzahl auf die Zeit von 1635 an zu entfallen. Jedes Rubenssche Landschaftsbild ist ein Meisterwerk in Anordnung und Farbe. Häufig hat die gewaltige Kraft seiner Erfindungsgabe in den Formen der landschaftlichen Natur ein beredtes Ausdrucksmittel gesucht und gefunden; häufiger noch — und besonders in den Landschaften seiner letzten Zeit — läßt er in diesen Schöpfungen eine Stimmung friedlicher Ruhe walten. Zu Rubens’ prächtigsten landschaftlichen Erfindungen gehört das großartige Waldesdickicht, in dem eine wildbewegte Eberjagd ihr Ende erreicht, in der Dresdener Galerie (Abb. 90). Eine mythologische Jagd, diejenige des Meleager, bildet die Staffage eines Urwaldbildes im Museum zu Madrid. Unübertroffen in der Wiedergabe wilden Lebens in der Natur ist ein Bild im Wiener Hofmuseum, welches den Hereinbruch der großen Flut darstellt, die Jupiter als Strafe über die ungastliche Erde verhängt hat. Das Abziehen des Sturmes an felsiger Meeresküste schildert ein kostbares Bild im Pitti-Palast zu Florenz: Odysseus auf der Phäakeninsel. Das letztgenannte Gemälde wird der früheren Zeit des Meisters zugeschrieben. Ein nicht minder hervorragendes Gemälde in der nämlichen Florentiner Sammlung muß man dagegen wohl in seine letzten Jahre verlegen; es zeigt Bauersleute, die von der Erntearbeit heimkehren, die Stimmung ist die eines milden Sommerabends, die Landschaft ist echt niederländisch und eine in der Ferne sichtbare Stadt ist unverkennbar Mecheln. Die ebene Flur von Laeken ist der Gegenstand eines berühmten Gemäldes in der Sammlung der Königin von England im Buckingham-Palast. Unter den verschiedenen Stimmungen der Natur hat vielleicht keine Rubens so häufig zu Nachbildungen angeregt, wie diejenige, wenn das Licht über die Wetterwolken die Oberhand gewinnt und der Regenbogen sich am Himmel ausspannt. Die Münchener Pinakothek besitzt ein herrliches Werk dieser Art. Wir blicken in eine weite Ebene, in der goldene Saaten mit grünen Wiesen wechseln; der Saum eines Waldes und einzelne Baumgruppen fangen mit den Wipfeln die glühenden Strahlen der Sonne auf, daß sie in scharfem Licht sich von den abziehenden Wetterwolken abheben; Landleute mit Kühen und Karren beleben den Weg, der sich an einem Bache entlang zieht, wo schnatternde Enten sich tummeln; die ganze Natur zeigt die üppige Vollkraft des Hochsommers, die warme Sommersonne durchleuchtet die feuchte Luft, und[S. 117] fast in der ganzen Breite des Bildes wölbt sich der Regenbogen (Abb. 91). Mächtiger noch in der Wirkung ist eine im Louvre befindliche Regenbogenlandschaft. Hier ist das Unwetter in der Ferne vorübergezogen; in blendender Lichtfülle durchbrechen die Sonnenstrahlen das Gewölk und ergießen sich über das hügelige Gelände in lebhaftem Wechselspiel mit tiefen Schattenmassen; im Vordergrunde dehnt sich eine mit Bäumen bestandene Hute aus, auf welcher Hirten und Hirtinnen in friedlichem Behagen bei den ruhenden Schafen verweilen, unbekümmert um das ferne Gewitter (Abb. 92).
Auch das zwanglose Leben der vlämischen Landleute, ihre Ausgelassenheit bei[S. 118] den seltenen Festen, die ihr arbeitsames Leben unterbrechen, reizten den großen Maler zur Wiedergabe. Das Wiener Hofmuseum besitzt eine Skizze, welche tanzende Bauern darstellt. Das Hauptwerk dieser Richtung aber ist die große „Kirmeß“ im Louvre. Es ist überraschend zu sehen, mit welcher Entschiedenheit der Maler der Vornehmheit und der üppigen Pracht sich in die Wiedergabe des niedrigen Volkes vertieft hat, das, von Bier und wüstem Tanz berauscht, bis zur Roheit ausgelassen sich auf dem Wiesenplatz vor der Schenke herumtreibt. Freilich ist das keine thatsächlich wirklichkeitsgetreue Wiedergabe des Volkslebens, wie Teniers und Brouwer sie hinterlassen haben. Vielmehr kommt die Größe von Rubens’ Anschauungsweise auch hier zur Geltung: der wilde Taumel des Tanzes, das Überschäumen der Sinnlichkeit gehen über das Maß des in der Wirklichkeit, besonders bei einem nordischen Volke Denkbaren weit hinaus, alles wächst ins riesenmäßig Gewaltige, daß selbst die Derbheit in dieser Auffassung eine gewisse Großartigkeit bekommt.
Landschafts- und Bauernbilder waren ein Zeitvertreib, mit dem Rubens seine Mußestunden ausfüllte. Daneben ging die ernste Arbeit ihren Weg. Zwischen den Jahren 1634 und 1637 — wahrscheinlich näher dem letzteren als dem ersteren Jahr — malte Rubens für die Abtei Afflighem ein großes Altarbild, dessen Gegenstand die Kreuztragung war. Dieses Bild, das sich jetzt im Museum zu Brüssel befindet, ist eine eigentümliche und gewaltige Schöpfung. Eine Menge Volkes, das in langem Zuge nach der Richtstätte hindrängt, füllt den Rahmen, Fahnen flattern, die Rüstungen der Reiter blitzen, alles ist Leben und Bewegung; aber der ganze Aufwand von lärmenden Volksmassen, von ungestümer Lebensfülle dient nur dazu, den einen hervorzuheben, der schweigend unter der Kreuzeslast zusammenbricht, der hierdurch eine Stockung in den Zug bringt; Simon von Cyrene strengt sich mit Hilfe eines Sklaven an, das Kreuz emporzuheben, und Veronika benutzt den Augenblick, um die Stirn des Heilandes zu trocknen, während Maria, die sich neben ihren Sohn hinwerfen möchte, von Johannes fest und sorglich zurückgehalten wird.
Ein erschütterndes Bild hilflosen, leidenschaftlichen Schmerzes malte Rubens um diese Zeit in der Darstellung des Bethlehemitischen Kindermordes, welche sich in der Münchener Pinakothek befindet. Wir sehen aus einer Säulenhalle, vor welcher an einem Pfeiler der Befehl des Herodes angeschlagen ist, eine Schar von Kriegern hervorstürmen, um mit henkersmäßiger Gefühllosigkeit oder mit grausamer Lust den unmenschlichen Befehl auszuführen. Das Schreckliche trifft alle Mütter ohne Unterschied von Rang und Stand, sucht hoch und niedrig mit gleicher Schonungslosigkeit heim; die Frauen, denen ihr Liebstes so jäh entrissen wird, sind zum Teil reich gekleidet, zum Teil nur mit dürftigen Gewändern bedeckt, zum Teil auch in unfertigem Anzug. Verschieden wie ihre Erscheinung ist die Äußerung ihrer Verzweiflung; sie stürzen wie Wütende auf die Schergen, suchen die Mordwaffen aufzufangen, flehen um Erbarmen, werfen sich jammernd über die kleinen Leichen und tragen sie liebkosend von dannen oder strecken in ohnmächtigem Jammer und mit wildem Aufschrei die Hände zum Himmel empor, wo in lichter Höhe Engel die Kränze der Seligen für die gemordeten Unschuldigen bereit halten (Abb. 93).
Für den Hauptaltar der Kapuzinerkirche zu Köln malte Rubens, etwa um das Jahr 1638, ein Bild, welches den heiligen Franziskus darstellt, wie er von dem in Seraphsgestalt ihm erscheinenden Heiland die Wundmale empfängt (jetzt im Museum Wallraf-Richartz zu Köln; Abb. 94). Er wiederholte dabei mit unwesentlichen Abänderungen ein Altargemälde, welches er im Jahre 1632 für die Barfüßerkirche zu Gent ausgeführt hatte und welches sich jetzt im Museum zu Gent befindet. Der Gegenstand schloß hier jeden Farbenprunk aus; aber der Meister hat es verstanden, aus Braun und Grau und goldigem Licht eine wunderbare Wirkung hervorzuzaubern. Die kaiserliche Ermitage zu Petersburg besitzt den sorgfältig ausgeführten Studienkopf eines Franziskanermönches zu dem begeistert aufwärts schauenden Haupt des heil. Franziskus (Abb. 95).
Des Meisters größte Freude war es, seine Angehörigen zu malen. Frau
Helene hatte ihm im Sommer 1633 ein Söhnchen geschenkt, welches den
Namen Franz erhielt; im Frühjahr 1635 folgte ein Töchterchen, welches
nach Rubens’ beiden Frauen Isabella Helena genannt wurde, und im
Früh[S. 119]
[S. 120]jahr 1637 ein zweiter Knabe, der des Meisters Namen Petrus Paulus
bekam; das fünfte Kind dieser Ehe, Konstantia Albertina, kam erst
acht Monate nach dem Tode des Vaters, Ende Januar 1641, zur Welt. Als
der kleine Franz etwa drei Jahre alt war, malte Rubens das anmutige
Doppelbildnis von Mutter und Kind, welches sich in der Münchener
Pinakothek befindet: Frau Helene sitzt in einfachem, aber aus kostbarem
Stoffe hergestelltem Kleide, den Kopf von einem breitrandigen Hut
bedeckt, auf dem Vorplatz vor der Hausthür, den ein um die Säulen des
Vordachs geschlungener Vorhang schattiger macht, und hält mit beiden
Händen den Knaben umschlungen, der mit einem Federbarett auf den
goldfarbigen Locken, sonst aber ganz unbekleidet, auf ihrem Schoße
sitzt; beide wenden die fröhlich leuchtenden Augen dem Beschauer zu
(Abb. 96). Ein etwa zwei Jahre später entstandenes Bild im Louvre
führt uns wieder auf die nämliche Terrasse an der Freitreppe des
Hauses, die wohl ein Lieblingsplatz Helenens war; auch hier hat die
junge Frau die beiden Hände um den lieblich heranwachsenden Knaben
geschlungen, den sie mit Lust und mütterlichem Stolz betrachtet,
während er mit hellen Kinderaugen aus dem Bilde herausschaut; das
dickwangige Schwesterchen kommt von der Seite heran, anscheinend etwas
eifersüchtig auf die Liebkosung, die dem kleinen Bruder zu teil wird.
Dieses Bild ist unfertig stehen geblieben; es fesselt den Beschauer mit
dem ganzen unbestimmbaren Reiz eines glücklichen ersten Entwurfs, und
sein sonniger Ton scheint der naturgemäße künstlerische Ausdruck des
dargestellten Familienglücks zu sein (Abb. 97).
Helenens Züge trägt unverkennbar die schöne, mit wunderbarem Ausdruck emporblickende heilige Cäcilia im Berliner Museum. Auch die ebenda befindliche prächtige Andromeda, welche vor einigen Jahren aus der Blenheim-Sammlung erworben wurde, zeigt eine vielleicht kaum beabsichtigte Ähnlichkeit mit des Meisters Gattin.
Eine andere Andromeda aus Rubens’ letzter Zeit besitzt das Museum zu Madrid; die dunkle Eisenrüstung des Perseus, der ihre Fesseln löst, hebt hier das leuchtende Fleisch zu blendender Wirkung hervor. Weitere mythologische Darstellungen aus des Meisters letzten Jahren sind die Jagd der Diana — mit Tieren von Snyders — im Berliner Museum und das als Entwurf zu einem Deckenschmuck gemalte kleine Bild in der Sammlung der Wiener Kunstakademie, welches in den Gestalten des Apollo und der Diana auf ihren Wagen das Sinken der Nacht und das Aufsteigen des Tages verbildlicht.
Rubens’ letzte Schöpfungen waren wieder große Altargemälde. Die Augustiner in Prag bestellten bei ihm im Jahre 1637 zwei Bilder von gewaltigen Verhältnissen, welche übereinandergestellt den Hochaltar der ihnen gehörigen Kirche St. Thomas schmücken sollten. Der Gegenstand des Hauptbildes war der Martertod des Apostels Thomas auf der Insel Ceylon, diejenige des anderen der heilige Augustin mit dem Knaben, der das Meer ausschöpfen will. Die Bilder wurden mit Hilfe von Schülern ausgeführt und im Jahre 1639 nach Prag geschickt, wo sie sich noch an ihrem ursprünglichen Platze befinden.
Eigenhändig malte Rubens dagegen ein Altarbild, welches für Köln bestimmt war. Auftraggeber war der Kölner Bankier und Kunstfreund Jabach. Doch richtete dieser seine Bestellung nicht geradeswegs an Rubens, sondern bediente sich der Vermittelung eines in London lebenden Malers mit Namen Geldorp. An den letzteren schrieb der Meister im Jahre 1637, nachdem er die Mitteilung empfangen hatte, daß das Bild nicht, wie er nach dem ersten Briefe Geldorps geglaubt hatte, nach London, sondern nach Köln bestimmt sei:
„Mein Herr! Ich habe Euren geehrten Brief vom letzten Juni erhalten,
der alle meine Zweifel beseitigt; ich konnte mir nämlich nicht denken,
zu welcher Veranlassung man in London ein Altargemälde gebrauchen
sollte. Was die Zeit betrifft, so werde ich anderthalb Jahr dazu
gebrauchen, um Euren Freund ungehindert und in Bequemlichkeit bedienen
zu können. Was den Gegenstand betrifft, so würde es zweckmäßig sein,
denselben nach der Größe des Bildes zu wählen; denn manche Stoffe
lassen sich besser auf einem großen Raum behandeln, und andere
erfordern einen mittleren oder kleineren Maßstab. Wenn ich indessen
nach meinem Geschmack einen Stoff wählen oder wünschen dürfte, der
sich auf den heiligen Petrus bezieht, so würde ich seine Kreuzigung
nehmen, wo man ihn mit den Füßen nach oben anschlug. Mir deucht, das
wird Gelegenheit[S. 121]
[S. 122] geben, etwas Außergewöhnliches zu machen. Übrigens
überlasse ich die Wahl demjenigen, der die Bezahlung zu leisten hat,
und bis wir werden gesehen haben, wie groß das Bild werden soll. Ich
habe eine große Zuneigung zu der Stadt Köln, wo ich bis zum Alter von
zehn Jahren aufgewachsen bin, und manchesmal, seit so vielen Jahren,
habe ich das Verlangen gehabt, sie wiederzusehen. Indessen fürchte ich,
daß die schwierigen Verhältnisse unserer Zeit und meine Beschäftigung
mich verhindern werden, diesen Wunsch zu befriedigen und so viele
andere. Ich bitte herzlich um Euer Wohlwollen u. s. w.“
Der von Rubens vorgeschlagene Gegenstand wurde gewählt. Im Frühjahr 1638 war der Meister mit dem Bilde der Kreuzigung des Apostels Petrus beschäftigt. Am 2. April dieses Jahres schrieb er an Geldorp: „Ich beeile mich Euch mitzuteilen, daß dasselbe schon vorgeschritten ist, und ich hoffe sogar, daß es eine der besten Arbeiten sein wird, die unter meinen Händen hervorgegangen. Das könnt Ihr kühnlich Eurem Freund schreiben. Indessen würde ich es nicht gern sehen, daß man mich mit der Vollendung drängte; ich bitte vielmehr darum, daß man das meiner Verfügung und Bequemlichkeit überlasse, damit ich es nach meinem Behagen fertig machen kann, da der Gegenstand dieses Bildes mich mehr reizt als alle, mit denen ich beschäftigt bin, obgleich ich überhäuft bin mit Arbeit.“ — In der That wurde das Kölner Altarbild noch eine von des Meisters gewaltigsten Schöpfungen. So wenig ansprechend der Gegenstand dem heutigen Gefühl erscheinen mag, dem großartigen Eindruck wird sich niemand verschließen können, den die in so qualvoller Lage hängende kraftvolle Greisengestalt des Märtyrers ausübt, dessen gespannte Muskeln unwillkürlichen Widerstand gegen die Arbeit der wilden Henker leisten. Mit voller Rubensscher Kraft spricht die künstlerische Wirkung der Farbe und des Lichtes, das sich blendend auf der Brust des Heiligen sammelt und in weicheren Tönen das geöffnete Gewölk durchschimmert, wo ein köstlicher blonder Engelknabe mit Siegeskranz und Palme herabschwebt (Abb. 98).
Rubens vollendete das Gemälde, welches für die Stadt seiner Kindheit bestimmt und dem einen seiner Namensheiligen gewidmet war, eigenhändig bis zum letzten Strich. Ehe er es abliefern konnte, ereilte ihn der Tod. — Im Beginn des Jahres 1640 war er noch voll von Unternehmungslust. Der König von England wollte das Schlafzimmer seiner Gemahlin, Marie Henriette von Frankreich, im Schloß zu Greenwich ausmalen lassen. Jakob Jordaens, Rubens’ begabter Kunstgenosse, wurde für diese Aufgabe in Aussicht genommen, und Gerbier, der als Geschäftsträger Englands in Brüssel angestellt worden war, erhielt die nötigen Anweisungen, um durch Vermittelung des Abbate della Scaglia das Geschäft abzuschließen. Gerbier aber schrieb nach England, er bäte, es dem König vorzustellen, daß Rubens doch der geeignetere Künstler für eine solche Aufgabe sei. Er knüpfte bald auch Unterhandlungen mit Rubens über diese Sache an, und im Mai 1640 machte dieser dem Abbate della Scaglia seine Vorschläge. Er wollte in der Mitte der getäfelten Decke das Mahl der Götter darstellen, daneben einerseits, wie Amor sich in Psyche verliebt, und andererseits, wie Psyche die Unsterblichkeit verliehen wird. Mehr als diese drei Bilder wollte er nicht übernehmen; da die zu schmückende Decke aber neun Felder hatte, so schlug er vor, daß in die übrigen sechs Felder von der Hand eines Anderen Grotesken oder sonstige Erfindungen gemalt würden, nur nichts Figürliches, damit nicht die Verschiedenheit des Stils bei gleichartiger Malerei das Auge des Beschauers störe. — Wenige Wochen später schrieb Gerbier nach England, jetzt sei Jordaens der beste Maler in Antwerpen; der ihn übertraf, war tot.
In einem liebenswürdigen Brief, den Rubens am 17. April 1640 an den Bildhauer Franz Duquesnoy in Rom richtete, um demselben für einige übersandte Abgüsse zu danken, sprach er schon den Gedanken aus, daß der Tod ihm bald die Augen für immer schließen werde. Aber er glaubte sein Ende doch noch nicht so nahe, wie es wirklich war. Am 27. Mai trat ein Gichtanfall, mit Fieber verbunden, so heftig auf, daß Rubens sich bewogen sah, seinen letzten Willen aufzusetzen. Das Vermögen, welches er unter die Seinigen verteilte, war fast ein fürstliches zu nennen; nicht ohne Grund hatte er in jüngeren Jahren einmal einem englischen Alchymisten namens Brendel, der sich erbot ihn die Kunst des Goldmachens zu lehren, geantwortet, diese Kunst habe er[S. 123] mit seinen Pinseln schon lange entdeckt. Als besonderes Vermächtnis übertrug Rubens seinem Sohn Albrecht seine Bücher, seinem Sohn Nikolaus die Sammlung geschnittener Steine und Denkmünzen, Helene Fourment die Hälfte der Besitzung Steen und deren Kindern die andere Hälfte. Hinsichtlich seines künstlerischen Nachlasses bestimmte der Meister, daß derselbe verkauft werden solle, mit Ausnahme eines Bildes, genannt „das Pelzchen“, und seiner sämtlichen Zeichnungen. Das „Pelzchen“ verblieb als persönliches Eigentum der Gattin des Meisters; es stellte diese selbst in ganzer Figur, nur mit einem um Schulter und Hüfte gezogenen schwarzen Pelzmäntelchen bedeckt, im Alter von etwa achtzehn Jahren vor; jetzt besitzt die kaiserliche Sammlung zu Wien dieses unbeschreiblich meisterhafte, freilich nicht für die Öffentlichkeit gedachte Bild. Die Zeichnungen sollte derjenige von Rubens’ Söhnen bekommen, der sich der Malerei widmen, oder diejenige von seinen Töchtern, die einen hervorragenden Maler heiraten würde. Hinsichtlich seiner Bestattung bestimmte Rubens, daß ihm eine Grabkapelle eingerichtet werde, deren Altar ein Bild seiner Hand, Maria mit dem Jesusknaben und verschiedenen Heiligen darstellend, und eine Marmorfigur der Madonna von seinem Schüler Lukas Fayd’herbe schmücken sollten. Nach der Landessitte sollte am Tage des Begräbnisses ein großes Trauermahl die Anverwandten im Sterbehause vereinigen; außerdem sollte der Stadtobrigkeit eine Trauermahlzeit im Stadthause hergerichtet, eine dritte der Gesellschaft der „Romanisten“ (der Künstler und Gelehrten, welche zeitweilig in Rom[S. 124] gelebt hatten), deren Mitglied er seit dem Jahre 1609 gewesen war, und eine vierte der St. Lukasgilde gegeben werden.
Am 30. Mai 1640, um die Mittagszeit, machte eine Herzlähmung dem Leben des großen Meisters ein Ende. Ganz Antwerpen beklagte Rubens’ Tod. Bezeichnende Äußerungen von Zeitgenossen sind in Bei[S. 125]leidsbriefen erhalten, welche des Meisters alter Freund Balthasar Moretus empfing und welche im Museum Plantin-Moretus aufbewahrt werden. „Er war der gelehrteste Maler der Welt,“ schrieb der Abt Philipp Chifflet; das hübscheste Wort aber über den Hingang des großen Malers, dessen ruhmreichstes Feld während seines ganzen Lebens[S. 126] doch die kirchliche Kunst gewesen war, fand der Abt von St. Germain, indem er schrieb, derselbe sei gegangen, „im Himmel die lebenden Modelle seiner Malereien zu schauen.“
Das Leichenbegängnis fand am 2. Juni mit großer Prunkentfaltung statt. Die gesamte Geistlichkeit der Stiftskirche St. Jakob und diejenige der Bettelorden begleitete den Leichenzug, an jeder Seite der Bahre schritten sechzig Waisenkinder mit brennenden Fackeln, die städtischen Beamten, die Mitglieder der St. Lukasgilde und zahlreiche Freunde und Verehrer des Verstorbenen aus allen Ständen folgten dem Sarge. Die Jakobskirche war schwarz ausgeschlagen und an mehreren Stellen mit den Rubensschen Wappen geschmückt. Die Leiche wurde vorläufig in der Fourmentschen Familiengruft beigesetzt. Später wurde sie in die eigene Grabkapelle übertragen, welche die Witwe im Chorumgang der Jakobskirche erbauen ließ. Gemäß dem Wunsche des Verstorbenen fand auf dem Altar ein marmornes Standbild der heiligen Jungfrau Aufstellung, welches Fayd’herbe gemeißelt hatte; von der Hand desselben Bildhauers rührt wahrscheinlich der ganze obere Teil des Altars und zwei Engelfiguren, welche denselben schmücken, her. Auf dem Altar prangt das von Rubens für diesen Zweck bestimmte Gemälde. Das Jesuskind sitzt auf dem Schoß der Jungfrau unter einer Laube; vorn kniet anbetend der heilige Bonaventura, hinter Maria steht der heilige Hieronymus mit der aufgeschlagenen Bibel, von der anderen Seite nahen der heil. Georg und drei heilige Frauen, in der Luft schweben vier Engel mit Kränzen und Palmzweigen. Das Ganze ist ein Bild, welches sich in Bezug auf Farbenzauber den besten Meisterwerken des Meisters anreiht. Die Überlieferung erzählt, Rubens habe in diesem Gemälde seine Familie abgebildet: in Hieronymus sei sein Vater, in Georg er selbst, in den drei Frauen seine beiden Gattinnen nebst Fräulein Lunden dargestellt; die Ähnlichkeiten mag man finden — sie kehren überall in Rubens’ Gemälden wieder —, sicherlich aber hat die Überlieferung vollständig unrecht, wenn sie annimmt, daß der Meister gerade bei diesem Bilde, über dessen Entstehungszeit übrigens die Meinungen geteilt sind, mit besonderer Absicht die Bildnisse angebracht habe. — Die Grabschrift wurde von des Meisters Freund Gevaerts verfaßt, aber erst im vorigen Jahrhundert in Stein gemeißelt; sie preist unter Rubens’ wunderbaren Begabungen insbesondere die Kunde der alten Geschichte und die Trefflichkeit in allen guten und schönen Künsten, sie nennt ihn den Apelles nicht nur seines Jahrhunderts, sondern aller Zeiten, hebt hervor, daß er die Freundschaft von Königen und Fürsten genoß, erwähnt die Würden, durch welche er von Philipp IV ausgezeichnet wurde, und rühmt die Verdienste, die er als Gesandter sich um das Zustandekommen des Friedens erwarb.
Rubens’ wertvollstes Vermächtnis war seine Kunstsammlung, die ein vollständiges Museum war. Das Verzeichnis derselben zum Zwecke des Verkaufs wurde in englischer und französischer Sprache gedruckt. Dasselbe führt außer sonstigen Kunstgegenständen 319 Gemälde auf, zuerst italienische Bilder, darunter 9 von Tizian, 5 von Paul Veronese, 6 von Tintoretto, einzelne von Pietro Perugino, Palma Vecchio, Ribeira, Elzheimer; dann 43 Kopien nach Tizian und anderen Meistern, welche Rubens in Italien und Spanien gemalt hatte; darauf 94 Originalgemälde von Rubens; ferner einige fünfzig Bilder älterer Meister, darunter eins von Dürer und mehrere von Johann van Eyck, Lukas van Leyden, Holbein; zum Schluß eine Anzahl neuerer Bilder, darunter 8 von van Dyck, 17 von Adrian Brouwer, mehrere, welche Breughel und Saftleven gemeinschaftlich mit Rubens gemalt haben, und auch noch einige Skizzen von der Hand des Meisters. — Der Verkauf der Sammlung brachte einen Ertrag von 280000 Gulden, ungefähr 1000000 Mark heutigen Wertes. Der König von Spanien kaufte am meisten, 32 Stück, darunter 10 Bilder von Rubens, welche teilweise zu den vorzüglichsten Schätzen des Madrider Museums gehören. Weitere Hauptkäufer waren der Deutsche Kaiser, der König von Polen, der Kurfürst von der Pfalz und der Kardinal Richelieu.
Die Handzeichnungen des Meisters wurden ebenfalls verkauft, nachdem der
jüngste seiner Söhne achtzehn Jahr alt geworden war, ohne daß einer
derselben die Malerei als Beruf gewählt oder eine von den Töchtern
einen Maler geheiratet hatte. Rubens’ ältester Sohn Albert, des Vaters
Nachfolger im Amte des Sekretärs des königlichen geheimen Rats,
zeichnete sich durch Gelehrsam[S. 127]
[S. 128]keit in der Altertumskunde aus. Von
Nikolaus erfahren wir nur, daß er im Alter von 37 Jahren starb; Franz
wurde Ratsherr des Hofes von Brabant, und Peter Paul wurde Geistlicher.
Von den Töchtern hat nur eine, Klara Johanna, geheiratet; sie vermählte
sich mit Philipp von Parys, und in den Sprossen dieses Geschlechts lebt
heute allein noch die Nachkommenschaft des Meisters. Isabella Helene
starb im Alter von 17 Jahren, und die nachgeborene Konstantia Albertina
ging ins Kloster.
Helene Fourment, die junge Witwe, vermählte sich 1645 zum zweitenmale; sie reichte ihre Hand einem Schöffen von Antwerpen, Johann Baptist van Broeckhoven, der nachmals zum Grafen von Bergeyck ernannt wurde. Sie lebte bis 1673.
Das Haus in Antwerpen, welches Rubens mit so großem künstlerischen Aufwand erbaut hatte, wurde schon 1669 von seinem Enkel Philipp verkauft. Es behielt sein stolzes Ansehen bis zum Jahre 1763, wo es in dem damaligen Geschmack umgebaut wurde; die größte Mehrzahl der zum Teil von Fayd’herbe ausgeführten Standbilder, womit die Bauten im Garten geschmückt waren, wurde damals beseitigt. Später, in unserem Jahrhundert, verlor das Bauwerk noch mehr; aus dem einen Haus wurden zwei gemacht, und bei dieser Gelegenheit wurde dessen schönster baulicher Bestandteil, der Kuppelbau, welcher die Kunstsammlung des Meisters beherbergt hatte, niedergerissen.
In der belgischen Kunst war Rubens’ Einfluß auf Jahrhunderte hinaus mächtig. Man darf unbedenklich behaupten, daß nie und nirgends ein einzelner Künstler so fruchtbringend und nachhaltig auf die Kunst seines Landes gewirkt hat, wie dies bei Rubens der Fall war. Andere große Meister sind der Kunst der Jüngeren verderblich gewesen, weil sie nachgeahmt wurden, und Nachahmung ist der Tod der Kunst. Rubens aber wurde nicht nachgeahmt, er war unnachahmlich; aber sein Vorbild wirkte schöpferisch belebend auf allen Gebieten. Wie Rubens der fruchtbarste Maler war, den es je gegeben hat — 1300 Gemälde, von denen mindestens zwei Drittel mehr oder weniger von seiner eigenen Hand ausgeführt sind, legen Zeugnis davon ab —, so war er auch der vielseitigste, und darum wirkte er nach so vielen Seiten hin, ohne die Selbständigkeit der einzelnen zu beeinträchtigen. Was ein Bildnismaler wie van Dyck, was Schilderer des Volkslebens wie die Teniers schufen, was die Landschafter und selbst die Stillebenmaler Belgiens malten, in allem hat Rubens’ anregendes Beispiel durchgewirkt, so gut wie bei den Werken der Geschichtsmalerei von jeglicher Gattung. Bildhauer und Baukünstler gingen bei Rubens in die Lehre; durch das Wiedergeben seiner formensicheren wirkungsvollen Zeichnungen gelangte die Holzschneidekunst damals in Belgien zu einer mustergültigen Vollkommenheit, zu einer Zeit, wo es überall anders gar keinen künstlerischen Holzschnitt mehr gab; an den Werken des großen Malers schulte sich die Kupferstecherkunst, daß sie jene breite malerische Wirkung erzielte, die wir an den vlämischen Stichen des 17. Jahrhunderts bewundern. Die gesamte glanzvolle belgische Kunst des Barockzeitalters war in der einen Person ihres Begründers zusammengefaßt.
[*] So schrieb die Familie Rubens ihren Namen während des Aufenthalts in Deutschland, um die heimische Aussprache mit der deutschen Schreibweise in Übereinstimmung zu bringen.